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Full text of "Österreichische reichsgeschichte"

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y^w.s4-\i.\ 


fearbacD  CoUese  librars 

ruifa     THB 

J.  HUNTINGTON, WOLCÖtT  FUND 

Eaublithed  by  Room  Wolcott  (H.  U.  1870),  in  memory 

»r  hli  r>Uicr,  Tor  "  tfac  puTChuc  of  booki  of  per. 

muwat  vkluc»  Ihe  prcfereDce  to  bc  gireD  cd 

WDiki   of  HI1U117,   Politicil    Ecsnomr, 

und  Sociolo^."    (Letter  of  Roger 

Woleolt,  June  i,  1891.) 

R.«i..d  i.-QisJiJL,  „L'5  .(CO., 


1 


ÖSTERREICHISCHE 


REICHSGESCHICHTE. 


(ÖB8CHICHTB  DER  STAATSBILDÜNG,  DER  RECHTSQÜELLEN 
UND  DBS  ÖFFENTLICHEN  RECHTS.) 


EIN  LEHRBUCH 


VON 


Dr.  ARNOLD  LUSCHIN  ;,von  EBENGREÜTH 

PROFESSOR  DER  RECHTE  AN  DER  K.  K.  UNIVERSITÄT  Zu  GRAZ. 


BAMBERG. 

C.  C.  BUCHNER  VERLAG 

(INHABER  RUDOLF  KOCH). 

1896. 


APR   6  19UI 


\- 


Bachdruckerei  Robert  Withalm  &  Co.,  Graz. 


INHALTS-ÜBERSICHT. 


Einleitung. 

^  1  (8.1—3).  Aufgabe  der  Österr.  Reichsgeschichte,  Anordnung 
des  Stoffes:  Perioden  der  Österr.  Reichsgeschichte  2. 

§  2  (6.  3— 6).  Terminologie:  Wachsthum  des  Staatskörpers  4. 

§  3  (S.  7—15).  Land  und  Leute:  Bodengestaltung  des  Reichs  7:  Die  Deut- 
schen 8,  Nord-  und  Südslaven  12,  Magyaren,  Rumänen,  Juden  14. 

§  4  (S.  15—21).  Die  österr.  Lande  unter  römischer  Verwaltung: 
Die  römischen  Donauprovinzen  16;  Heerwesen,  Straßenzüge,  Städte  zur 
Römerzeit  18;  römische  Finanz  Verwaltung  20. 

Erster  Theil. 

I«  Periode :  Tom  Sturz  der  Bomerherrschaft  bis  zum  Jahre  976. 

§  5  (S.  22— 27).  Geschichtlicher  Überblick:  Österreich  im  Zeitalter  der 
Völkerwanderung  22 ;  Bayern  unter  den  Agilolflngem  24 ;  die  Ostmark  unter 
den  Karolingern  26,  im  10.  Jahrhundert  28. 

Die  Rechtsquellen  bi8  zum  Schlu88  de«  10.  Jahrhunderte. 

§  6  (S.  29—37).  Volksrechte:  Das  bayrische  Volksrecht  30;  dessen  Geltungs- 
gebiet und  Fortbildung  32 ;  fränkische  Reichsgesetze,  das  Alamannenrecht  34 ; 
Volksrechte  der  Langobarden  und  Romanen  36. 

§  7  (S,  38—40).  Formelbücher  und  Urkunden. 

Geschichte  des  öffentlichen  Rechts  bis  zum  Jahre  976. 

§8(8.40—46).  Die  Stellung  der  bayerischen  Stammesherzoge : 
A,  Zur  Zeit  der  Agilolflnger :  deren  Stellung  zum  Frankenreich  40;  Einnahms- 
quellen  42;  B.  im  10.  Jahrhundert  44. 

§  9  (S.47— 49).  Die  Verwaltung  der  Ostmark  in  den  Jahren  800—976. 
§  10  (S.  49— 55).  Die  Stellung  der  Kirche  in  Bayern:  Bekehrung  der 
Bayern  und  Slaven  50 ;  Erzbischof  Methodius  in  Mähren ;  die  Stellung  der 
Kirche  in  Bayern  52;  Gerichtsstand  des  Clerus,  Kirchen  vermögen  54. 

$  11  (S.  55—67).  Die  wirtschaftlichen  Zustände  vor  dem  Jahre  1000: 
Die  Landnahme  in  Bayern,  herzoglicher  Grundbesitz  56;  Klostergründungen, 


IV 

Entstehung  des  Großgrundbesitzes*  58,  dessen  Gliederung,  bäuerlicher 
Besitz  60 ;  wirtschaftliches  Übergewicht  des  Großgrundbesitzes,  Ansied- 
lungen  62;  Wälder  und  Gärten,  Bergbau,  Handel  und  Gewerbe  64;  Münz- 
Verhältnisse:  lange  und  kurze  Schillinge  66. 

§  12  (S.  67— 81).  Nationalitäten  und  Stände:  Das Personaütätsprincip,  voll- 
freie und  adelige  Bayern  68 ;  Unfreie,  Entstehung  der  Knechtschaft,  Stellung' 
der  Knechte  70 ;  Freigelassene,  Aldiones,  Tabularii,  Denariales  72 ;  Standes- 
verhälnisse  bei  den  Alamannen,  Langobarden,  Romanen,  Slaven  74;  adelige 
Slaven,  Übergänge  in  der  Gesellschaftsbildung  76 ;  Commendationen,  wach- 
sende Bedeutung  des  freien  Grundbesitzes  78 ;  Barschalken,  Censualen  80. 

n.  Periode:  Tom  Regierangsantritt  der  Babenberger  bis  zum  Tode 

Kaiser  Friedrich's  IH.  (976—1493). 

Die  Grundlagen  der  territorialen  Entwicklung. 

§  13  (S.  82 — 86).  Die  Zeit  der  Gaueintheilung:  Gaue  in  Vorarlberg  und 

Tirol  82,  in  Karantanien,  Grafschaften  84;  Stadtbezirke  im  Küstenland  86. 
§  14  (S.  87— 89).  Landesherrliche  Gebiete:  Österreich  ob  und  unter 

der  Enns:  Hochstifte  und  Dynasten  in  Osterreich  88. 
§  15  (S.  89— 101).  Karantanien  (Innerösterreich  und  Küstenland) : 

Karantaniens  Marken,  Steiermark  90;  Entstehung  des  Herzogthums  Krain  92 ; 

Istrien  95,  Triest  97 ;  Besitzungen  der  Grafen  von  Görz  98 ;  geistlicher  und 

Dynasten-Besitz  in  Karantanien  100. 
§  16  (B.  102—106).  Die  westlichen  Alpenländer:  Tirol,  Vorarlberg,. 

Salzburg:  Trient,  Brixen  und  die  Grafen  von  Tirol  102;  Dynasten  in 

Tirol;  Vorarlberg,  Salzburg  104. 

Geschiohtllche  Übersicht  der  II.  Periode. 

§  17  (S.106— 112).  Die  Zeit  der  Babenberger  976— 1246:  Die  Ostmark  106; 
Erhebung  zum  Herzogthura,  Erwerb  der  Steiermark  108;  die  Herzoge 
Leopold  VI.  und  Friedrich  11.,  die  Reichsverwaltung  von  1236/39  110. 

§  18  (S.  112— 115).  Das  Zwischenreich  1246—1282:  Otakar  erwirbt  den 
Babenberger  und  Sponheimer  Besitz  112;  die  Reichsverwaltnng  114. 

§  19  (S.  115—128).  Von  Herzog  Albrecht  I.  bis  zum  Ausgang  des 
Mittelalters:  Herzog  Albrecht  I.  115;  die  Söhne  Albrecht's  1.,  Erwerb 
von  Kärnten  118;  Herzog  Rudolf  IV.,  die  österr.  Hausprivilegien  120; 
Erwerbung  Tirols,  sein  Tod  122;  Ländertheilungen  im  14.  und  15.  Jahr- 
hundert 124 ;  die  Habsburger  im  15.  Jahrhundert  126. 

österreichische  Rechtsqueilen  vom  Schlüsse  des  10.  bis  zum  Ende  des  15.  Jahrhunderts. 

§  20  (S.  129 — 134).  Allgemeine  Bemerkungen:  Professiones  juris  129; 
Gewohnheitsrecht,  Gesetze,  Satzungen,  Formelbücher  130;  Einfluss  des. 
römischen  Rechts  und  des  Schwabenspiegels  132. 


V 

§  21  (S.  134— 140).  Rechtsquellen  für  Österreich  ob  und  unter  der 

Enns:  Die  österr.  Freiheitsbriefe  134;  das  österr.  Landesrecht  135;  Frohn- 

buch,  Landfrieden»  Formelbücher  137 ;  österr.  Stadtrechte  138,  Münzgesetze, 

Weisthümer  139. 
§  22  (8.140—143).    Rechtsquellen   für  Innerösterreioh:    Innerösterr. 

Landhandfesten,  das  steierm.  Landesrecht  140;  Innerösterr.  Stadtrechte, 

Weisthümer,  Bergwerks-  und  Münzordnungen  142. 
§  23  (S.  144— 145).  Die  Rechtsquellen  der  westlichen  Alpenländer: 

Tirol,  Vorarlberg,  Salzburg:  Landesfreiheiten,  Stadtrechte  144. 
§24(8.146-147).    Triest,    Görz,   Istrien,   Dalmatien:    Constitutiones 

Patriffi  Forojulii  146;  Stadtrechte  147. 

Geschichte  des  ^StTentllohen  Rechts. 

f  25  (8.147—151).  Die  Entstehung  der  Landesherrlichkeit:  Ursprung 
der  Landesherrlichkeit  147;  Beziehungen  zu  Bayern,  weltliche  Landes- 
herren 148;  Schicksale  geistlicher  Landesherren,  Triest,  Aglei  u.  s.w.  150. 

§  26  (S.  151— 159).  Die  Stellung  der  Herzoge  von  Österreich  zum 
Deutschen  Reich:  Die  Markgrafen  der  Ostmark  151;  Die  Erbfolge  im 
Herrscherhause  153;  die  Stellung  der  österr.  Herzoge  nach  den  Haus- 
privilegien 154,  seit  1453  156 ;  die  Herrscherrechte  der  österr.  Herzoge  159. 

§  27  (S.  160—171).  Die  Anfänge  der  Landstände:  Die  Vorläufer  der  Land- 
tage, Hof-  und  Gerichtstage  161 ;  Anfänge  der  Landstände  in  Steiermark  163 ; 
die  steirlschen  und  österr.  Landherren  im  13.  Jahrhundert  164;  der  ge- 
schwome  Rath  der  Landherren,  Verbriefnngen  166;  Prälatenstand,  Ritter- 
schaft 167;  Anfänge  der  Landstände  in  Osterreich  und  Kärnten  168;  Land- 
stände in  Krain,  Tirol  170;  Salzburg,  Aquileja  171. 

§  28  (8.172-184).  Die  Landstände  im  14.  und  15.  Jahrhundert:  Ur- 
sachen des  Emporkommens  der  Landstände  172 ;  Hoftage  und  Einungen  176 ; 
geschworner  Rath  der  Landherren  177 ;  Erweiterung  des  Kreises  der  Land- 
stände 178;  Abschluss  der  Landstände,  Landtage  und  Landesconvente  180; 
General-Landtage,  Wirkungskreis  der  Landstände  182. 

§  29  (8.  184—189).  Die  Stellung  des  Staates  zur  Kirche  im  Mittel- 
alter (1000—1500):  Die  kirchlichen  Sprengel  in  Österreich,  Landesbisthümer 
184;  Beschränkimg  der  kirchlichen  Gerichtsbarkeit,  Amortisationsgesetze  186 ; 
Immunitäten  und  Vögte  188. 

Die  landesfiirstllche  Verwaltung  im  Mittelalter. 

§  30  (S.  189— 192).  Allgemeine  Bemerkungen:  Die  landesfürstliche  Ver- 
waltung 189;  landesfürstliche  Beamte:  Hofmeister,  Hauptleute  u.  s.  w.  190; 
Regentenaufgaben  des  österr.  Herzogs  192. 

§  31  (8.  192—196).  Die  Rechtspflege:  Landgerichte  192;  Land-  und  Hof- 
taidinge,  das  herzogliche  Hofgericht  194;  Stadt-  und  Marktgerichte  196. 

§  32  (8.197—201).  Die  Heeresverfassung  und  Heeresverwaltung: 
Heeresmatrikeln  197;  Truppen  der  Städte  198;  allgemeines  Aufgebot  199; 
Heereseinrichtungen  in  Inner-Österreich  und  Tirol,  Burgen  200. 


/ 


VI 

§  33  (S.  201— 212).  Die  landesherrlichen  Einkünfte  und  deren  Ver- 
waltung: Einkünfte  aus  Domänen  202;  Regalien:  Münzregal  203;  Zoll^ 
Judenregal,  Qeleitsrecht,  Bergregal  204;  Forst-  und  Jagdregal,  Steuer- 
-wesen  206;  ordentliche  und  außerordentliche  Steuern  208;  das  Ungeld,  die 
Finanzbeamten  der  österr.  Herzoge  210;  landesfürstliche  Ausgaben  212. 

§  34  (S.  212-229).  Die  wirtschaftlichen  Zustände  während  der 
Jahre  1000—1500:  Klostergründungen  vor  dem  13.  Jahrhundert  213;  Wirt- 
schaftsfühning  beün  geistlichen  und  weltlichen  Großgrundbesitz  214;  ge- 
ringe Zahl  der  Großgrundbesitzer,  die  Ritterschaft,  der  Bauernstand  216; 
Stellung  der  Bauern,  Bergbau,  Handel  218;  Einfluss  der  Kreuzzüge  auf 
wirtschaftlichem  Gebiet  220;  Blüte  unter  den  Babenbergem,  Anfönge  des 
Niederganges  222;  volkswirtschaftliche  Maßregeln  Herzog  Rudolfs  IV.  224; 
Ursachen  des  wirtschaftlichen  Verfalls  im  15.  Jahrhundert  226 ;  die  Juden 
in  Österreich,  Bauernbewegungen  228. 

Die  weltlichen  Stftnde  der  mittelalterilchen  Gesellscbaft. 

§  35  (S.  229— 239).  Landherren  und  Rittermäßige:  Umbildung  der  gesell- 
schaftlichen Stände  229;  freier  Landesadel  231,  unfreie  Rittermäßige  232; 
Stellung  der  Dienstmannen  und  Ritter  234;  Anschluss  der  Dienstmannen 
an  den  freien  Landesadel  236;  Vorrechte  der  Landherren  und  der  ein- 
fachen Rittermäßigen  238. 

§  36  (S.  240— 251).  Das  Städtewesen  und  der  Bürgerstand:  Anfänge 
des  Städtewesens  in  Österreich  240;  Unterschiede  unter  den  Bewohnern 
der  Städte  und  Märkte  242;  Handwerker  und  Zünfte  244;  Maßregeln  der 
österr.  Herzoge  zur  Hebung  des  Handels  246;  die  Stadtverwaltung,  Stadt- 
richter, Rath,  Bürgermeister  248;  innerer  u.  äußerer  Rath,  die  Genannten  250. 

§  37  (S.  251—258).  Der  Bauernstand:  Freie  Bauern:  in  Tirol  252;  zu  Raxen- 
dorf  in  Österreich,  die  Edlinger  in  Innerösterroich  253;  Unfreie  und  hörige 
Bauern  254;  Besitzrechte  und  Verpflichtungen  der  Bauern  256. 

III.  Periode:  Der  Übergang  Tom  Mittelalter  zur  Neuzeit. 

(1493—1626.) 

§  38  (S.  259—263).  Geschichtlicher  Überbliclc:  Österreich  unter  Kaiser 
Maximilian*s  I.  259 ;  Regierungsantritt  in  Tirol  und  den  n.-  ö.  Landen  260;  Er- 
werb von  Görz  261,  Abrundung  Tirols,  Fehlschlagen  anderer  Pläne  263. 

§  39  (S.  263-272).  Kaiser  Maximilian's  Umgestaltung  des  Behörden- 
wesens und  der  Vorwaltung:  Regierungsgrundsätze  Kaiser  Fried- 
rieh's  HI.  und  Maximilian's  I.  264;  Beginn  der  Reformen:  Die  «Regimente" 
und  deren  Gewalt  266;  Zusammensetzung  und  Wirkungskreis  der  Re- 
gimente  268;  Umänderung  der  Finanzverwaltung :  Central-  und  Landes- 
behörden 270;  Hofrath  und  Hofkamroer  272. 

§  40  (S.  273— 281).  Die  österr.  Landstände  zu  Zeiten  Kaiser  Maxi- 
milian's: Die  Landstände  und  die  landesfürstlichen  Beamten  273;  Kampf 


VII 


der  Landstände  gegen  das  römische  Recht  und  die  landesfürstlichen  Be- 
hörden 274;  die  Stände  suchen  Zutritt  zu  den  landesfiirstlichen  Behörden 
zu  erlangen  276;  die  landschaftliche  Verwaltung:  Steuern  und  Kriegs- 
wesen 278 ;  landschaftliche  Organe,  Landtage  und  Ausschuss-Landtage  280. 
§  41  (8.281—287).  Das  Zwischenreich  der  Stände  nach  dem  Tode 
Kaiser  Maximilian's  und  die  Anfänge  ErzherzogFerdinand's 
(1519—1526):  Kaiser  Maximilian's  L  Testament  und  Tod  282;  die  landschaft- 
liche Zwischenregierung,  Erbhuldigungs-Landtage  284 ;  das  Blutgericht  zu 
Wr.- Neustadt  286;  Sturz  Salamanca*s  287. 

Anhang  I. 

UberBicIit  der  geschichtlichen  Entwicklung  in  Böhmen,  Mfthren  und  Schlesien  bis  zum 

Jahre  1526. 

Beziehungen  Böhmens  zu  Mähren,  Schlesien  und  dem  Reiche  288;  Böhmen  ein 
deutsches  Reichslehen  289,  die  Thronfolge  290:  Böhmen  wird  ein  König- 
reich, die  Luxemburger  und  Habsburger  292 ;  König  und  Stände,  der  Rath 
der  Landeskmeten  294;  Herrenstand  und  Ritterschaft  296;  Stellung  der 
Deutschen  in  Böhmen  und  Mähren  298;  gedrückte  Lage  der  Bauern  300; 
Staat  und  Kirche  301 ;  die  ^upen.  Rechte  des  Königs,  landesfürstliche  Ver- 
waltung 302;  Quellen  des  Landrechts  in  Böhmen,  Mähren  uud  Schlesien 
304;  Landtafeln,  Stadtrechte  in  Böhmen,  Mähren  und  Schlesien  306. 

Anhang  II. 

Gesehlcbte  das  ungarischen  Reichs  und  seiner  Staatsverfassung  bis  zum  Jahre  1526. 

Ungarn  vor  dem  Jahre  1526,  geschichtlicher  Überblick  308;  Umbildung  des  Brb- 
reiches  Ungarn  in  ein  Wahlreich  310;  die  Stellung  des  Königs  in  Ungarn, 
das  .consilium  regni'  313;  Wirkungskreis  des  „consilium  regni",  die  Land- 
tage 314;  Ausbildung  des  Zweikammersystems,  Ständeverhältnisse  316; 
Servientes,  milites,  barones  317:  lobbagiones  castri,  Bauern,  Bürger  318; 
die  Städte  320;  Deutsche  in  Ungarn  und  Siebenbürgen,  Staat  und  Kirche 
321 ;  Rechtsquellen  des  Land-  und  Stadtrechts  in  Ungarn  322. 

Z'weiter  Theil. 

österreichische  Relchsgescbichte  seit  1526. 

Stammtafeln  325—327. 

IT.  Periode:  Geschichte  des  Gesammtstaates  toi*  Erlöschen  des 
habsbnrgischen  Manns-Stammes  (1526—1740). 

$  42  (S.  328— 345).  Geschichtlicher  Überbliclc:  Versuche  der  Habsburger, 
Bölimen  und  Ungarn  zu  erwerben  328;  Ferdinand's  L  Wahl  zum  König  von 
Böhmen  und  Ungarn  330;  Kriege  mit  Z&polya.  Anfänge  des  Protestantismus 


vni 

in  Österreich  332;  die  Ländertheilung  von  1564,  Gegenreformatioii  in  Tirol 
und  Innerösterreich  334;  Kaiser  Rudolf  IL  Majestätsbrief,  der  Prager 
Fenstersturz  und  seine  Folgen  336;  die  neuen  Landesordnungen,  Durch- 
führung der  Gegenreformation  338;  Folgen  des  dreißigjährigen  Krieges, 
Türkenkriege  1664,  1683  «f.  340 ;  Friede  von  Karlovitz,  1699,  spanischer 
Brbfolgekrieg  342;  Passarovitzer  Friede  1718,  die  Pragmatische  Sanction  344. 

Österreichische  Rechtsquellen  vom  Schlüsse  dee  Mittelalters  his  zum  Jahre  1740. 

§  43  (S.  345— 351).  Die  landesfürstliche  Gesetzgebung  im  16.  Jahr- 
hundert: Ursachen  der  landesfürstlichen  Gesetzgebung  im  16.  Jahr- 
hundert 346;  Einfluss  der  Stände  auf  die  Gesetzgebung,  Ziele  Kaiser 
Ferdinand's  I.  348;  gemeinsame  Gesetze  für  die  n.-ö.  Ländergruppe  350. 

§  44  (S.  351— 357).  Die  Landesgesetzgebung  bis  zur  Mitte  des 
17.  Jahrhunderts:  Antheil  der  Landstände  an  der  Landesgesetzgebung 
352;  Kampf  für  den  Landesbrauch  gegen  das  gemeine  Recht  353;  Landes- 
ordnungen 355;  Landhandfesten,  Landrechts-  und  Landesgerichtsordnungen, 
Polizeiordnungen,  Stadtrechte  356. 

§  45  (S.  357— 364).    Anfänge   materieller   Rechtseinheit   seit   dem 

17.  Jahrhundert:  Vorwaltender  Einfluss  des  Herrschers  auf  die  Gesetz- 
gebung 358;  Ermüdung  der  Stände  359;  schleppender  Gang  der  Gesetz- 
gebungsarbeiten 360;  Einführung  der  Landtafel  in  Inner-Osterreich  362;  die 
Wechsel-  und  Brbrechtsordnungen  363. 

§  46  (S. 364— 373).  D i e  rechtswissenschaftliche  Literatur  in  Öster- 
reich vom  16.  bis  zur  Mitte  des  18.  Jahrhunderts:  Pflege  des 
Landesbrauchs  neben  dem  gemeinen  Recht  364;  Bernhard  Walther  365; 
Zunehmende  Berücksichtigung  des  Landesbrauchs  366;  die  .Differentias"  367 ; 
Sammlungen  der  landesfürstlichen  Gesetze  und  Verordnungen,  die  ,Obser- 
vationes"  368;  Codex  Austriacus  369;  Verfall  der  österr.  Jurisprudenz  im 

18.  Jahrhundert  370;  Tiroler  Juristen  371. 

§  47  (S. 373— 392).  Übersicht  der  Rechtsquellen  in  Österreich- 
Ungarn  nach  den  einzelnen  Kronländern:  Rechtsquellen 
von  1500—1750  für:  Österreich  ob  und  unter  der  Bnns  374,  Innerösterreich 
376,  Görz,  Triest,  Istrien  381,  Tirol  382,  Vorarlberg,  Salzburg  385,  Böhmen, 
Mähren  und  Schlesien  386,  die  Länder  der  ungarischen  Krone  390. 

Geschichte  dee  tttrentlichen  Rechts. 

§  48  (S.  393—397).  Die  Stellung  der  österreichischen  Herrscher  im 
allgemeinen:  als  Erzherzoge,  als  Könige  von  Böhmen  und  Ungarn  398; 
Stellung  zum  Deutschen  Reich  und  zu  ihren  Landen  394;  Ursachen  der 
wachsenden  Herrschergewalt  396. 

§  49  (S.  397—403).  Die  Erbfolgeordnung  im  Herrscherhause  und 
die  Lände rtheilungen:  Grundsätze  der  Erbfolgeordnang  398;  die 
Theilung  vom  Jahre  1554  399;  Aufhören  der  Ländertheilungen  400;  die 


IX 

Pragmatische  Sanotion  401;  die  Erbfolgeordnung  durch  die  Pragmatische 
Sanction  nicht  geändert  402. 

§  50  (S.  403—418).  Die  Landstände:  Der  Protestantismus  als  politisches 
Mittel  der  Landstände  404;  Sorge  des  protestantischen  Adels  für  seine 
Glaubensgenossen  406;  die  Gegenreformation  als  politische  Maßregel  des 
Fürsten  408;  sinkende  Macht  der  Landstände  seit  der  Gegenreformation  409 ; 
landesfürstliche  .Türkensteuem",  die  Recesse  411«  die  Unterscheidung  von 
obem  und  untern  Landständen  412;  Stände  in  Ungarn,  Einberufung  der 
Landtage  414;  allgememe  Ausschusstage,  Rechte  der  Landstände  417. 

§  51  (S.  418— 425),  Das  Verhältnis  des  Staates  zur  Kirche  (1500-1700): 
Erweiterung  des  jus  circa  aacra  seit  dem  Mittelalter  418;  Stiftungen  420 ; 
Amortisationsgesetze,  Besteuerung  des  Glerus  421 ;  das  kirchliche  Asylrecht, 
422;  das  Placetum  regium  423;  der  Katholicismus  Staatsreligion,  Stellung 
der  Andersgläubigen  425. 

Geschichte  der  Verwaltung  in  neuerer  Zeit  1526—1740. 

§  52  (S.  426— 429).  Die  Organisation  der  Verwaltung:  Übersicht  der 
Verwaltungsbehörden  427;  Stellung  der  Beamten  428. 

§53(8.429—440).  Die  landesfürstlichen  Behörden  und  Ämter: 
LandesfürstlicheCentralbehörden:  Der  Hofrath  429,  der  geheime  Rath  4<)0, 
die  Hofkanzlei  431,  die  Hofkammer  432,  Hofkriegsrath  433 ;  landesfürstliche 
Mittelbehörden  434;  Landesbehörden  und  Ämter  435;  landesfürstliche 
Landesbehörden  und  Ämter  in  Altösterreich  und  Böhmen  436 ;  Organe  der 
landesfürstl.  Verwaltung  in  Böhmen  und  Ungarn  438;  Siebenbürgen  439. 

§  54  (S.  440— 452).  Die  Einrichtungen  körperschaftlicher  Selbst- 
verwaltung: Landschaftliche  Behörden:  die  Verordneten,  der  Ausschuss 
440;  landschaftl.  Behörden  in  Tirol  442,  in  Böhmen,  Mähren  443;  EintheUung 
der  Lande  in  Viertel,  Kreise,  Cdmitate  444;  Wiens  Verwaltung  seit  der 
Stadtordnung  vom  Jahre  1526  446;  die  Verwaltung  der  übrigen  Städte  in 
Osterreich  und  Böhmen  447;  Missbräuche  in  der  städtischen  Verwaltung 
450;  Selbstverwaltung  der  Zünfte  452. 

5  55  (S.  453— 456).  Die  grundherrliche  Verwaltung:  Aufgaben  der- 
selben 453;  grundherrliche  Beamte  als  Organe  der  landesfürstl ichen  Ver- 
waltung 454 ;  Stellung  der  Wirtschaftsämter  455.  • 

§  56  (S.  457— 462).  Die  Gerichtsverwaltung:  Landes  fürstliche  Gerichts- 
behörden 457;  die  Gerichtsverwaltung  in  den  altösterreichischen  Landen 
458;  Gerichtsverwaltung  in  Böhmen  460,  in  Ungarn  461. 

§  57  (S.  462— 471).  Heereswesen  und  Heeresverwaltung:  Reformen 
des  Heereswesens  durch  Kaiser  Maximilian  L  462;  kein  landesfürstliches 
Heer  vor  dem  30jährigen  Kriege  464;  Truppen  Werbung  465;  Anfänge 
eines  stehenden  landesfürstlichen  Heeres  466;  die  Militärgrenze  467;  das 
Landesaufgebot  469;  Heereseinrichtungen  in  Tirol  und  Ungarn  470. 

§  58  (S.  472— 482).  Finanzwesen  und  -Verwaltung  von  1526—1740: 
Die  Steuer  als  Ablösung  der  Vasallenpflicht  473;  Steuerwesen  der  Land- 
schaften 474;  Steuerobject  und  Steuereinheiten  475;  Steuerwesen  in  den 


fünf  niederö»terreichischcn  Landen  476,  in  Böhmen,  Mähren  und  Schlesien 
477;  Staatssteuern:  Aufschläge,  Stempel  478,  directe  „Ttirkensteuern"  479; 
schlechte  Verwaltung  der  landesfürstlichen  Finanzen  480;  Geldnöthe  481. 

§  59  (S.  482-492).  Die  wirtschaftlichen  Zustände  1500-1750:  Wirt- 
schaftlicher Aufschwung  im  16.  Jahrhundeit:  Bergwerke  482,  Glashütten 
483;  Ursachen  des  wirtschaftlichen  Verfalls  im  17.  Jahrhundert  484;  die 
Gegenreformation  485;  das  Kippergeld  486;  Verödung  Böhmens  488;  der 
Merkantilismus:  Becher,  Schröder,  Hömigk  489;  Anfänge  der  Industrie 
in  Österreich  490;  Freihäfen,  Handelsverträge  491. 

§  60  (S.  492— 503).  Die  weltlichen  Stände  1500—1750:  Umbildung  der 
mittelalterlichen  Gesellschaft  492;  der  Briefadel  493;  Reichsadel,  österr. 
Adel  494;  böhmischer,  ungarischer  Adel,  österr.  Gesammtadel  495;  Land- 
mannschafts-Matrikeln,  Wirkungen  der  Gegenreformation  496;  Vorrechte 
des  Adels  497;  der  Bürgerstand  499;  gedrückte  Lage  des  Bürgerstandes 
und  der  Bauern  500 ;  Lasten  des  Bauernstandes  502,  die  Bauernkriege  503. 


y .  Periode :  Die  Aasbildang  des  heutigen  Staatswesens. 

(1740—1867.) 

§  61  (S.  504— 510).  Die  Veränderungen  des  Staatsgebietes  von 
1740—1867:  Der  österr.  Brbfolgekrieg  504:  Verlust  von  Schlesien  505; 
Erwerbung  von  Hohenems,  des  Innviertels,  Galiziens  506;  Erwerbung  der 
Bukowina  508;  Verluste  während  der  Coalitionskriege  609;  das  österr. 
Staatsgebiet  seit  1815  510. 

§  62  (S.  511—522).  Die  österreichische  Gesetzgebung  seit  den 
großen  Codificationsarbeiten  unter  der  Kaiserin  Maria  The- 
resia (1740—1867):  Gesetzgebungsarbeiten  um  1740  511;  Beginn  der 
Codificationsarbeiten :  Compilationscommission  in  Brunn  518 ;  Gompilations- 
commission  in  Wien;  Arbeiten  nach  Azzoni's  Tode  514;  Publication  des 
allgemeinen  bürgerlichen  Gesetzbuches  516;  Gerichtsordnung  von  1781  517; 
die  Strafgesetzgebung  518;  Theresiana,  Gesetze  Joseph's  IL  519;  Straf- 
gesetz vom  Jahre  1803  520;  Aufschwung  der  Gesetzgebung  seit  1848  521; 
Ausdehnung  der  österr.  Gesetze  auf  Ungarn  522. 

§  63  (S.  523—541).  Die  Reformen  der  österreichischen  Staatsver- 
waltung durch  die  Kaiserin  Maria  Theresia:  Osterreich  um 
1740  523;  Beginn  der  Reformen  Maria  Theresia's,  Graf  Haugwitz  524; 
Maria  Theresia  und  Ungarn  525;  Trennung  der  Justiz  von  der  Verwaltung 
527;  oberste  Verwaltungsbehörden  528;  die  Landesverwaltung  529 ;  Kreis- 
ämter 530;  die  königliche  Repräsentation  und  die  Landstände  531:  Kaiserin 
Maria  Theresia  und  die  Landstände  532;  Reformen  des  Heerwesens  534; 
die  Militärgrenze  535;  Reformen  im  Finanzwesen  536;  Sorge  für  Handel 
und  Industrie  537;  Sorge  fürs  Unterrichtswesen  538;  Verhältnis  zwischen 
Staat  und  Kirche  539;  Sorge  für  den  Bauernstand  540. 


XI 

§  64  (S.  541-554).  Die  Reformen  Kaiser  Joseph's  II.  (1780-1790):  An- 
fänge Kaiser  Joseph*s  II.  541;  allgemeiner  Charakter  der  Reformen  Kaiser 
Joseph'sII.  543;  Centralisationsmaßregeln  544,  Handschreiben  über  Pfliohten 
der  Beamten  545;  Conduitliston,  deutsche  Amtssprache  540;  Organisation 
der  Justiz  547;  Organisation  der  Städte  548;  des  Finanzwesens  549;  Maß- 
regeln zu  Gunsten  des  Bauernstandes  550;  Qeneralseminare  551;  Toleranz- 
patent, Anfhebung  von  Kiöstem  552;  Polizei-Directionen  553;  Widerruf 
von  Reformen  554. 

§  65  (S.  555— 566).  Vom  Tode  Kaiser  Josoph'sII.  bis  zum  Jahre  1848: 
Einlenken  unter  Kaiser  Leopold  IL  555 ;  Paciflciening  Ungarns ;  die  Stände 
und  das  Normaljahr  1764  556;  Tod  Kaiser  Leopold's  IL,  Osterreich  unter 
Kaiser  Frana-II.  558;  die  Landtage  in  Ungarn  560;  Umstaltungen  der 
Verwaltung  561 ;  Mangel  an  innerm  Zusammenhang  562 ;  der  österr.  Kaiser- 
titel 564;  wachsende  Unzufriedenheit  565. 

§  66  (S.  566—578).  Von  1848—1867:  Ausbruch  der  Revolution  im  Jahre  1848 
566;  die  politischen  Ziele  der  Deutschösterreicher,  Slaven,  Ungarn  568; 
der  ungarische  Reichstag  569;  Unterwerfung  Ungarns  570;  die  Reichs- 
verfassung vom  4.  März  1849  571 ;  Organisation  der  Verwaltung  572 ;  Auf- 
hebung der  Reichsverfassung  vom  4.  März  1849,  Gründe  573;  gemäßigter 
Absolutismus,  das  Concordat  574;  das  October -  Diplom  575  Februar- 
Verfassimg  576 ;  Widerstand  der  Ungarn,  Ausgleich  vom  Jahre  1867  577 ; 
Schluss  578. 


Vorwort. 


«Es  ist  die  Rechtsgeschichte  Österreichs,  an  deren  Ansarbeltnng 
gegangen  werden  miiss.  Diese  Aufgabe  ist  wohl  eine  der  schwierig- 
sten, die  es  gibt,  und  ihre  LOsnng  dfirfte  noch  manches  Jahr  auf 
sich  warten  lassen,  da  die  nnerlttssUchen  Unterbauten  in  der  bisher 
kanm  in  Angriff  genommenen  Abfassung  von  Rechtsgeschichten  der 
einielnen  Kronlftnder  bestehen.*  —  ünger  In  Schletter's  Jahrb.  der 
deutschen  Rechtswissenschaft,  1866;  (System  des  österr.  allg.  Privat- 
rechts, I,  3.  Aufl.,  1868,  Anh.  8. 647.) 

U  ber  die  Ziele  der  österreichischen  Rechtsgeschichte  und  die 
Wege  und  Mittel,  die  erforderlich  sein  dürften,  um  zu  einer  be- 
friedigenden Lösung  dieser  schwierigen  Aufgabe  zu  gelangen,  habe 
ich  mich  schon  vor  siebzehn  Jahren  in  der  Vorrede  zu  meiner 
Geschichte  des  älteren  Gerichtswesens  in  Österreich  ob  und  unter 
der  Enns  (Weimar,  Böhlau  1879)  ausführlich  geäußert.  Nach  wie 
vor  halte  ich  den  Gedanken  fest,  dass  die  österreichische  Rechts- 
geschichte ihre  größte  Förderung  noch  durch  Arbeiten  auf  enger 
umgrenztem  Gebiet  zu  erwarten  hat.  Wenn  ich  mich  demungeachtet 
entschlossen  habe,  in  diesem  Buche  den  Versuch  einer  Geschichte 
des  öffentlichen  Rechts  und  der  Rechtsquellen,  also  eines  wichtigen 
Theils  der  österreichischen  Reichs-  und  Rechtsgeschichte  in  einer 
das  ganze  Reich  umfassenden  Darstellung  zu  bieten,  so  geschah  es 
in  einer  Zwangslage.  Durch  die  neue  Studienordnung  vom  20.  April 
1893  ist  dem  österreichischen  Juristen  das  Studium  der  Geschichte 
der  Staatsbildung  und  des  öffentlichen  Rechts  zur  Pflicht  gemacht 
worden.  Als  dies  Gesetz  erschien,  gab  es  zwar  hinreichend  viele 
und  gute  Hand-  und  Lehrbücher  der  Geschichte  des  österreichi- 
schen Kaiserstaats,  dagegen  fehlte  noch  jede  zusammenfassende 
Darstellung  der  Geschichte  unserer  Reichs-  und  Länder- Verfassung 
und  -Verwaltung. 

Bei  dieser  Sachlage  hielt  ich  mich  als  derzeit  ältester  Ver- 
treter 'des  Lehrfachs  der  österreichischen  Reichs-  und  Rechts- 
geschichte für  verpflichtet,  diesem  dringenden  Mangel  nach  Kräften 


XIV 

abzuhelfen.  So  entstand  das  hier  vorliegende  Lehrbuch.  Der  nach 
den  Erfahrungen  meiner  Lehrthätigkeit  entworfene  Plan  reifte  unter 
den  frischen  Anregungen,  die  mir  der  deutsche  Historikertag  zu 
Leipzig  und  die  persönliche  Bekanntschaft  mit  Herrn  Rudolf  Koch, 
dem  aufopfernden  Verleger  dieses  Werkes,  darboten,  im  April  des 
Jahres  1894.  Nach  meiner  Rückkehr  nach  Graz  machte  ich  mich 
sofort  an  die  Ausarbeitung,  die  indessen  langsamer  fortschritt,  als 
mein  Wunsch.  In  der  That  stellten  sich  meinem  Unternehmen  große 
Hindernisse  entgegen.   Eine  Compilation  aus  den  bisherigen  Vor- 
arbeiten allein  hätte  ein  durch  seine  Lückenhaftigkeit  unbrauchbares 
Werk  geliefert,  so  blieb  nichts  übrig,  als  die  fehlenden  Bausteine 
durch  eigene  mühsame  Durchforschung  des  vielfach  ungedruckten 
Quellenmaterials  zu  gewinnen.    Ganze  Abschnitte,   wie  die  wirt- 
schaftsgeschichtlichen, jener  über  die  Anfänge  der  Landstände, 
das  Verhältnis  zwischen  Staat  und  Kirche  bis  zum  Jahre  1750, 
die  österreichische  Rechtsliteratur  u.   a.,   fußen  gutentheils   auf 
selbständigen  Untersuchungen    und    dürften   wohl  Anregung  zu 
weitergehenden  Forschungen  bieten.  Dabei  war  ich  bemüht,  nach 
Feststellung  der  Einzelheiten,  wenn  möglich,  gewisse  allgemeinere 
Gesichtspunkte  für  die  Behandlung  des  Gegenstands  zu  gewinnen, 
um  dadurch  den  Zwecken  eines  Lehrbuchs  besser  zu  entsprechen. 
Viele   der   erkundeten   Nachrichten,   so   interessant  sie  an   sich 
waren,  blieben  darum  in  der  Darstellung  weg,  wenn  sie  entweder 
nur  eine  örtliche  oder  rasch  vorübergehende  Bedeutung  hatten, 
andere  wurden  benützt,  weil  sie  ein  schlagendes  Beispiel  der  ge- 
schilderten Zustände  und  Einrichtungen  darboten.  Stets  aber  war 
meine  Absicht  darauf  gerichtet,  alles  das  aus  der  geschichtlichen 
Vergangenheit  aufzunehmen,  was  in  irgend  einer  Form  noch  in  der 
Gegenwart  fortlebt  und  zu  den  Dingen  gehört,  die  einen,  sei  es 
henunenden  oder  fördernden  Einfluss  auf  unser  Staatsleben  nehmen. 
Eben  aus  diesem  Grunde  musste  die  Darstellung  über  den  vom  Ge- 
setze geforderten  Umfang  durch  Aufnahme  einer  Geschichte  der  öster- 
reichischen Rechtsquellen  erweitert  werden,  denn  weder  die  frühere 
Länderverfassung,  noch  die  Länderverwaltung  können  in  Österreich, 
wo  das  geschichtliche  Recht  selbst  heute  seine  Rolle  spielt,  ohne  ein- 
gehendere Berücksichtigung  der  Rechtsquellen  verstanden  werden. 
Dass  ich  als  Rechtshistoriker  vor  allem  die  besonderen  Zwecke 
des  Juristen  zu  berücksichtigen  suchte,  versteht  sich  von  selbst. 


XV 

Eben  dies  wird,  wie  ich  hoffe,  meinem  Werke  neben  den  bisher 
ereehienenen  Lehrbüchern  der  österreichischen  Reichsgeschichte  von 
Huber  und  dem  bei  Druck  der  letzten  Bogen  ausgegebenen  von 
Bachmann,  seinen  Platz  sichern,  in  welchen  wieder  die  politische 
Geschichte  des  Kaiserstaats  mehr  zur  Geltung  kommt.  Aus  dem 
gleichen  Grunde  erklärt  sich,  weshalb  gewisse  ältere  Perioden  aus- 
führlicher behandelt  sind,  als  die  neueste  Zeit.  Je  größer  die  Ver- 
schiedenheit der  Verhältnisse  einer  bestimmten  Zeit  von  jenen  der 
Gegenwart  ist,  umso  weniger  kann  beim  Leser  ein  klares  Verständnis 
derselben  vorausgesetzt  werden,  umso  eingehender  musste  daher 
die  Darstellung  werden.  Ich  hoffe  dadurch,  dass  ich  die  Grenze 
der  ausführlicheren  Behandlung  bis  ins  18.  Jahrhundert  einhielt, 
einem  Wunsche  entsprochen  zu  haben,  der  mir  gegenüber  von 
Rechtshistorikern  öfter,  namentlich  auch  von  einem  wohlwollenden 
Beurtheiler  der  ersten  Hälfte  des  Lehrbuchs,  geäußert  worden  ist. 
Diese  Nöthigung  fällt  für  die  neueste  Zeit  weg  und  darum  wurden 
die  letzten  hundert  Jahre  viel  kürzer  gefasst,  zumal  sie  das  Gebiet 
sind,  in  welches  die  dogmatische  Behandlung  des  geltenden  Staats- 
rechts nothwendig  zurückgreifen  muss. 

Dankbar  muss  ich  die  Förderung  anerkennen,  welche  meine 
Arbeit  in  ihrem  Verlauf  von  so  mancher  Seite  erfahren  hat.  Um 
nicht  durch  eine  Aufzählung  von  Namen  zu  ermüden,  hebe  ich  hier 
nur  hervor,  dass  mir  die  ungemeine  Güte  Se.  Excellenz  des  Herrn 
Oberlandesgerichts-Präsidenten  Dr.  Karl  Grafen  v.  Chorinski,  sowie 
die  Selbstlosigkeit  des  Herrn  Landesgerichts-Rathes  Dr.  Theodor 
Motloch  den  reichen  Schatz  österreichischer  Rechtsquellen  zugäng- 
lich gemacht  haben,  der  für  die  Sammlung  Chorinski's  autographisch 
vervielfältigt  wurde.  Wertvolle  Winke  über  die  Rechtsquellen  von 
Böhmen  und  Ungarn  verdanke  ich  Herrn  Professor  Dr.  Hanel  in 
Prag  und  zum  Theil  auch  Herrn  Scriptor  Dr.  Peisker  in  Graz, 
für  Mähren  den  Herren  Dr.  Schober  und  Dr.  Bretholz.  Vor  allen 
Dank  muss  ich  aber  meinem  verehrten  Freunde  und  CoUegen, 
Herrn  Hofrath  Dr.  Ferdinand  Bischoff  sagen,  der  sich  vom  Beginn 
der  Drucklegung  an  der  Mühe  unterzog,  die  Correcturen  des  Werkes 
mitzulesen,  dem  ich  außerdem  manch  fördernde  Anregung  beim 
Durchsprechen  des  Plans  und  manch  eine  wertvolle  Bereicherung 
aus  seinen  Vormerken  und  Arbeiten  über  österreichische  Rechts- 
geschichte verdanke.  Die  schöne  Ausstattung  des  Buches,  das  im 


XVI 

Umfange  den  ersten  Anschlag  beinahe  ums  Doppelte  überstieg, 
schulde  ich  der  Willfährigkeit  des  Herrn  Verlegers,  den  correcten  , 

Druck  vor  allen  den  Bemühungen  des  Herrn  Factors  E.  Klepp.  , 

Die  systematische  Inhaltsübersicht  und  das  Register  werden, 
wie  ich  hoffe,  die  Brauchbarkeit  des  Buches  erhöhen.  Von  der  Bei- 
gabe eines  Verzeichnisses  der  benützten  Literatur  musste  ich  aber 
aus  Gründen  der  Raumersparnis  diesmal  absehen.  Mit  Archiv  oder 
S.  B.  schlechtweg  sind  das  von  der  kaiserl.  Akademie  der  Wissen- 
schaften zu  Wien  herausgegebene  „Archiv  für  österreichische  Ge- 
schichte" sowie  die  „Sitzungsberichte"  gemeint,  mit  M.  G.  sind  ab 
und  zu  die  Monumenta  Germani»  citiert  worden.  Die  übrigen  Werke 
wurden  mit  mehr  minder  vollständigem  Titel  theils  in  den  Literatur- 
Übersichten,  theils  in  den  Anmerkungen  angeführt. 

Die  Beigabe  des  letzten  Blattes  ist  ein  Beitrag  zur  Lösung 
der  Frage,  wie  am  leichtesten  gedruckte  Bücherkataloge  beschafft 
werden  könnten.  Durch  Einigung  einer  Anzahl  deutscher  Verleger 
über  diese  oder  eine  ähnliche  Form  dürfte  diese  wahrhafte  Lebens- 
frage für  größere  Bibliotheken  ohne  merkliche  Kosten  gelöst  werden.  \ 
In  dieser  Erwägung  beschloss  ich  mit  meinem  Versuche  voran-  ! 
zugehen,  um  Besseres  nachfolgen  zu  lassen.  | 

GRAZ,  in  den  Pfingstfeiertagen  1896. 


A.  Lusehin  v.  Ebengreuth. 


EINLEITUNG. 


§  1.  Aufgabe  der  österreichischen  Keichsgeschichte,  Anordnung 

des  Stoffes. 

Rößler  E.  F.,  Über  die  Bedeutung  und  Behandlung  der  Geschichte  des 
Rechts  in  Österreich.  Prag  1847.  —  Hanel  J.,  Über  Begriff,  Aufgabe  und 
Darstellung  derösterr.  Rechtsgeschichte»  Wien  1893.  (S.  A.  aus  Grünhut's  Zeitschr. 
für  das  Privat-  und  öffentliche  Recht  der  Gegenwart.)  Bd.  22,  S.  365—454. 
Chabert  Aug.,  Bruchstück  einer  Staats-  und  Rechtsgeschichte  der  deutsch-österr. 
Länder.  (Im  3.  und  4.  Bande  d.  Denkschriften  d.  k.  Akademie  der  Wissensch.)  — 
Kink,  Rechtslehre  an  der  Wiener  Universität.  1853.  S.  VII  ff.  —  Huber, 
Geschichte  Österreichs,  I,  Vorrede ;  Österr.  Reichsgoschichte,  Vorrede.  —  K  r  o  n  e  s, 
Handbuch  der  Geschichte  Österreichs,  I,  79  ff.  —  Werunsky,  Österr.  Reichs- 
und Rechtsgeschichte  §  1.  —  Gumplowicz,  Einleitung  in  das  Staatsrecht.  1889. 

Die  österreichische  Reichsgeschichte  soll  einer  doppelten  Auf- 
gabe genügen :  Sie  soll  zunächst  einen  Einblick  in  den  geschicht- 
lichen Werdeprocess  des  Staates  vermitteln  und  zeigen,  aus  welchen 
Bestandtheilen  und  unter  welchen  Umständen  sich  der  Staatskörper 
des  Kaiserthums  gebildet  hat.  Sie  soll  feiner  den  geschichtlichen 
Verlauf  schildern,  den  das  öffentliche  Recht  in  Österreich  genommen 
hat,  und  dadurch  das  Verständnis  des  gegenwärtig  geltenden  Staats- 
rechts erleichtern. 

Nach  beiden  Richtungen  stellen  sich  der  Darstellung  größere 
Schwierigkeiten  entgegen,  als  bei  Behandlung  der  Reichsgeschichte 
anderer  Staaten  zu  überwinden  sind,  die  unter  einfacheren  Ver- 
hältnissen entstanden,  als  Österreich.  Denn  unser  Kaiserreich 
ist  nicht  etwa  auf  einheitlich  nationaler  Grundlage  erwachsen, 
sondern  ein  künstlicher  Bau,  das  Ergebnis  einer  durch  Jahrhunderte 
fortgesetzten,  zielbewussten  Thätigkeit  seines  Herrscherhauses,  dem 
die  dauenide  Verbindung  seiner  deutschen  Territorien  mit  benach- 
barten, nicht  deutschen  Reichen  zu  einer  Zeit  gelang,  als  diese  in 
ihrer  Vereinzelung  ihre  staatlichen  Aufgaben  für  sich  allein  nicht 
mehr  zu  erfüllen  vermochten.  Für  einen  besonderen  Staatszweck 

LoBcltiD,  österreichische  Reicbsgeschicbte.  \ 


2  Österreichische  Reichsgeschichte.  Einleitung.  §  1. 

geschafTen,  mit  einer  klar  vorgezeichneten  Mission  ausgestattet, 
trat  Österreich  gleich  mit  einer  staatsrechtlichen  Frage  in  die  Ge- 
schichte. An  die  richtige  Lösung  derselben  hat  sich  sodann  die 
ganze  Entwicklung  des  Reiches  gehängt. 

So  ist  also  die  Geschichte  Österreichs  nicht  sosehr  eine  Volks- 
oder Landesgeschichte,  als  eine  Staatsgeschichte,  und  darum  spielt 
das  Recht  in  ihr  eine  so  große  Rolle.  Sie  bewegt  sich  zwischen  den  An- 
griffspunkten zweier  entgegengesetzt  wirkender  Mächte,  deren  eine, 
die  dynastische,  alles  zum  Mittelpunkt  drängt,  während  die  andere, 
die  nationale,  von  diesem  abdrängt,  so  dass  sich  die  jeweihg  einge- 
schlagene Richtung  als  die  Resultierende  ihrer  Kräfte  ergibt. 

Für  die  zeitliche  Abgrenzung  der  östeiTeichischen  Reclits- 
geschichte  überhaupt  ist  die  Eintheilung  in  Vorgeschichte,  Rechts- 
entwicklung im  früheren  und  späteren  Mittelalter,  dann  der  neueren 
und  neuesten  Zeit  durch  Rößler  in  Vöi*schlag  gebracht  und  im 
allgemeinen  angenommen  worden,  obschon  die  Marksteine  im 
einzelnen  nicht  übereinstimmen  und  Hub  er,  sowie  Werunsky 
die  ganze  Zeit  vor  1526  als  Vorgeschichte  behandeln.^ 

Für  die  österreichische  Reichsgeschichte,  die  sich  auf  die  Ge- 
schichte der  Reichsbildung,  der  Rechtsquellen  und  des  öffentlichen 
Rechtes  beschränkt,  wurden  nun  folgende  Zeitabschnitte  gewählt : 

L  Vorgeschichte.  Rößler  rechnete  sie  bis  zum  Jahre 
771,  in  dem  Karl  der  Große  die  Alleinherrschaft  gewann,  Chabert 


1  Perioden :       I.  II.  III.  IV.  V. 

Rößler:  —  771;       771-1283;     1283-1526;     1526-1740;    seit  1740. 

Chabert:        —  955;      955-1282;     1282-1519;     1519—1740;     seit  1740. 

Huber:       907—1526;     1526-1740;     1740-1792;     1792—1848;   1848—1879. 

Werunsky:  -1526;     1526-1740;     1740-1867. 

Eine  Eintheilung  nach  andern  Gesichtspunkten  hat  J.  Hanel  vorgeschlagen: 
1.  Periode:  Ausbreitung  des  deutschen  Rechts  auf  östeiTeichisch -ungarischem 
Boden.  2.  Rückschlag  der  in  ihrem  Bestände  bedrohten  nationalen  Rechte.  3.  Die 
Roception  des  römischen,  canonischen  und  Lehonrechtes.  Als  Ergebnis  dieser 
drei  Pactoren  wäre  das  gegenwärtige  Recht  zu  betrachten.  —  Abgesehen  davon, 
dass  es  zweierlei  ist,  mit  geschickter  Hand  in  kühnem  Umriss  den  Carton  zu 
einem  Mosaikbiid  zu  entwerfen  und  dasselbe  auch  gut  auszuführen  (namentlich 
wenn  man  noch  nicht  über  die  erforderliche  Menge  farbiger  Steinchen  verfügt), 
so  passt  H  an  eis  Voi-schlag  für  dieses  Lehrbuch  schon  aus  dem  Grunde  weniger, 
weil  für  das  Gesammtgebiet  der  österr.  Rechtsgeschichte,  das  er  im  Auge  hat, 
andere  Momente  als  Eintheilungsgründe  bestimmend  sind,  als  für  die  Geschichte 
der  Staatsbildung  und  des  öffentlichen  Rechts  allein. 


Perioden  der  österreichischen  Reichsgeschichte.  3 

bis  zur  Lechfeldschlacht  955.  Richtiger  erscheint  es,  sie  bis  976. 
auszudehnen,  da  mit  der  Übertragung  des  Markgrafenarates  an 
den  Babenberger  Luitpold  und  Karantaniens  an  eigene  Herzoge 
die  Lockerung  des  Bandes  begann,  das  die  Alpenlande  seit  Jahr- 
hunderten mit  Bayern  verbunden  hatte. 

IL  Die  Zeit  des  Mittelalters.  Rößler  und  Chabert 
zerlegen  sie  in  zwei  Zeiti'äume,  von  welchen  der  jüngere  die 
Belehnung  der  Habsburger  mit  Österreich  und  Steiermark  1282 
als  Ausgangspunkt  hat.  Chabert  nimmt  als  untere  Begrenzung 
den  Anfall  der  altösterreichischen  Lande  an  die  spanische  Linie 
der  Habsburger  1519,  Rößler  den  Anfall  von  Böhmen  und 
Ungarn  1526.  Bleibt  man  bei  der  Untertheilung  des  Mittelalters 
in  zwei  Perioden,  so  kann  diese  auch  in  der  Art  erfolgen,  dass 
die  eine  Österreich  als  mittelalterliche  Verbindung  von  Territorien 
des  deutschen  Reichs,  die  zweite  im  Übergang  zum  europäischen 
Staat  der  Neuzeit  behandelt.  Die  erste  ist  ungleich  länger  und 
reicht  bis  zum  Tode  Kaiser  Friedrichs  IIL  (f  1493),  die  zweite 
fällt  in  die  Regierungszeit  Kaiser  Maximilians  L  und  die  Jahre  Erz- 
herzog Ferdinands  L  vor  seiner  Krönung  in  Böhmen  und  Ungarn. 

UL  Die  österreichische  Reichsgeschichte  seit  dem 
Mittelalter  zerfällt  abermals  in  zwei  Perioden,  in  jene  der  neueren 
Zeit,  die  bis  zum  Aussterben  des  Habsburgischen  Herrscherhauses 
im  Mannesstamme  reicht  (1740)  und  in  jene  der  neuesten  Zeit, 
die  mit  dem  Regierungsantritte  der  großen  Kaiserin  Maria  Theresia 
anhebt,  deren  Reformen  auf  dem  Gebiete  der  Verwaltung  und 
Gesetzgebung  die  Grundlagen  geschaffen  haben,  auf  welchen  unser 
Staat  noch  heute  ruht.  Als  Abschluss  dieser  fünften  und  letzten 
Periode  kann  man  entweder  das  ereignisreiche  Jahr  1848  wählen, 
in  welchem  die  vormärzlichen  Einrichtungen  zusammenbrachen  und 
damit  der  Anstoß  zu  neuer  Organisation  des  Reiches  gegeben  war, 
oder  aber,  wenn  man  bis  zur  äußersten  Grenze  gehen  will,  das  Jahr 
1867,  in  welchem  die  Zweitheilung  des  Staates  als  österreichisch- 
ungarische Monarchie  gesetzliche  Anerkennung  gefunden  hat. 

§  2.  Terminologie. 

1.  Die  amtliche  Bezeichnung  Kaiserthum  Österreich  für  den 
Länderbesitz  des  allerhöchsten  Herrscherhauses  stammt  aus  dem 
Jahre  1804.   Bis  dahin  behalf  man  sich  mangels  eines  CoUectiv- 


4  österreichische  Reichsgeschichte.  Einleitung.  §  2. 

namens  mit  verschiedenen  Umschreibungen,  deren  bekannteste 
„Haus  Österreich*  lautete.^ 

Da  sich  im  Lauf  der  Darstellung  oft  genug  Anlass  ergeben 
wird,  eine  Mehrzahl  von  österreichischen  Provinzen  unter  einem  um- 
fassenden Namen  zu  begreifen,  so  ist  es  erforderlich,  diese  Aus- 
drücke mit  einigen  Worten  zu  erläutern,  weil  sie  zum  Theil  der 
altern  Kanzleisprache  angehören  und  nicht  allgemein  bekannt  sind. 

Zur  Verdeutlichung  sei  auf  das  folgende  Schema  hingewiesen, 
das  in  großen  Umrissen  das  Anwachsen  unserer  Monarchie  bis  zu 
ihrem  gegenwärtigen  Umfang  zeigen  ^oU,  soweit  dies  zur  Klar- 
stellung des  rechtsgeschichtlichen  Zusammenhanges  erforderlich  ist. 
Die  Zahlen  geben  die  Jahre  an,  von  welchen  ab  die  einzelnen 
Lande  —  sei  es  ganz,  sei  es  zum  größeren  Theil  —  mit  dem 
Stammlande  Österreich  in  dauernde  Verbindung  traten.  Kleinere 
Erwerbungen  des  Staates  blieben  unberücksichtigt,  ebenso  alle  aus 
dem  Staatskörper  ausgeschiedenen  Gebiete. 

2.  Das  Kernland  des  Staates  ist  das  im  Jahre  1156  aus 
der  Ostmark  hervorgegangene  Herzogthum  Österreich,  das  seit 
den  Tagen  König  Otakars  von  Böhmen  zu  Verwaltungszwecken 
in  das  Land  ob  und  unter  der  Enns  zerlegt  wurde.^  Obwohl  man 
heutzutage  diese,  zu  zwei  besondern  Kronländeren  mit  eigener 
landesfürstlicher  wie  autonomer  Verwaltung  erwachsenen,  Gebiete 
Ober-  und  Unter-  oder  Niederösterreich  zu  nennen  pflegt,  so  werden 
sie  in  diesem  Lehrbuche  doch  nur  als  Österreich  (oder  das  Land) 
ob  und  unter  der  Enns  bezeichnet,  weil  jene  Ausdrücke  durch 
Jahrhunderte  eine  andere,  und  zwar  umfassendere  Bedeutung 
hatten,  die  durch  Kaiser  Maximilian  I.  eingeführt  worden  ist. 

Die  Rechtsausgleichung  zwischen  Österreich  und  Steiermark 
beginnt  schon  1192  unter  den  Babenbergem  und  sie  machte  um 
so  größere  Fortschritte,   als  in  der  Folge  nicht  unbeträchtliche 


^  Auch  in  Staatsschriften  sowie  in  amtlichen  Erlässen  wurde  bis  dahin 
niemals  vom  österreichischen  Staate  und  nur  selten  von  der , Monarchie"  gesprochen. 
Für  den  Gosammtverband  hatte  sich  die  allgemein  übliche  Bezeichnung  der 
„Erbländer*  gebildet.  C zornig,  Ethnographie  der  österreichischen  Monarchie, 
I,  225,  Anmerkung  \ 

2  Dies  hervorgehoben  zuhaben,  Ist  ein  Verdienst  J.  Strnadt's,  das 
auch  dann  anzuerkennen  ist,  wenn  man  im  einzelnen  mit  seinen  Folgerungen 
im  Werke:  „Die  Geburt  des  Landes  ob  der  Enns",  Lüiz  1886,  nicht  übereinstimmt. 


Wachsthum  des  Staatskörpers. 


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6  Österreichische  Reichsgeschichte.  Einleitung.  §  2  und  3. 

Gebietstheile  des  Herzogthums  Steiermark  zum  Lande  ob  und 
unter  der  Enns  geschlagen  wurden.  Auf  anderer  Seite  bestanden 
aber  auch  zwischen  den  drei  Alpenländern  Steiermark,  Kärnten 
und  Krain,  die  seinerzeit  zum  Herzogthum  Karantanien  gehört 
hatten,  von  altersher  Beziehungen,  die  infolge  der  ähnlichen 
Lebensverhältnisse  und  ähnlicher  Bevölkerung  nach  dem  Anfall 
vom  Jahre  1335  sofort  wieder  auflebten.  Wie  im  politischen  Leben, 
so  übernahm  nun  Steiermark  auch  auf  dem  Rechtsgebiet  die 
Führung  der  drei  Lande,  die  man  —  allerdings  weit  später  — 
als  Innerösterreich  (L  0.)  zusammengefasst  hat. 

Das  Land  ob  und  unter  der  Enns,  sowie  die  drei  i.  ö.  Herzog- 
thümer  Steiermark,  Kärnten  und  Krain  hat  Maximilian  „Nieder- 
österreich" oder  die  fünf  n.  ö.  Lande  benannt- 
Geringer  waren  die  Beziehungen  mit  Tirol,  das  1363  den  Habs- 
burgeni  zufiel,  mit  Vorarlberg,  das  seit  1375  allmählich  durch  Kauf 
erworben  wurde,  und  mit  dem  von  Maximilian  L  im  Jahre  1500  be- 
setzten Görz.  Sowohl  die  Mischung  der  Bevölkerung  mit  romani- 
schen und  alamannischen  Elementen,  als  auch  der  geschichtliche 
Zusammenhang,  wiesen  dieser  von  Maximilian  als  „Oberösterreich" 
zusammengefassten  Ländergruppe  vielfach  eine  andere  Rechts- 
entwicklung, als  den  fünf  niederösterreichischen  Landen. 

Die  Gesammtheit  der  von  Kaiser  Maximilian  seinen  Enkeln 
Karl  und  Ferdinand  hinterlassenen  Lande,  soweit  sie  der  heutigen 
Monarchie  angehören,  also  die  ober-  und  niederösterreichischen 
Lande  zusammen,  kann  man  Altösterreich,  jenen  Theil  von  Alt- 
österreich aber,  w-elcher  ausschließlich  oder  doch  vorwiegend  von 
Deutschen  bewohnt  wird,  auch  deutschösterreichische  Lande  nennen. 
3.  Diesen  gegenüber  stehen  die  von  Ferdinand  L  kraft  be- 
stehender Famüienverträge  und  des  Erbrechtes  seiner  Frau  1526 
in  Anspruch  genommenen  Königreiche  Böhmen  mit  Mähren  und 
Schlesien  einerseits  und  Ungarn  nebst  Croatien,  Slavonien  und 
Siebenbürgen  andererseits.  Während  der  Ausdruck  „die  Länder 
der  ungarischen  Krone"  heutzutage  anerkannte  staatsrechtliche 
Beziehungen  von  Ungarn  zu  seinen  genannten  Nebenländern  be- 
kundet, kommt  eine  solche  Bedeutung  der  Benennung  ^böhmische 
Ländergruppe"  jetzt  nicht  mehr  zu,  die  nur  der  Kürze  wiegen 
gebraucht  werden  mag,  um  die  Länder  des  böhmisch-mährisch- 
Bchlesischen  Rechts  zu  bezeichnen. 


Terminologie;  Bodengestaltung  des  Reiclis.  7 

§  3«  Land  und  Leute. 

»Die  östeiT. -  Ungar.  Monarchie  in  Wort  und  Bild",  Wien  1H87  ff.  das 
sogenannte  »Kronprinzen -Werk".  Bisher  sind  13  vollständige  Bände  erschienen: 
2  Bände  naturwissenschaftliche  und  geschichtliche  Übersicht,  je  1  Band,  Wien, 
Öst<»rreich  unter  der  Enns,  ob  der  Enns  und  Salzburg,  Steiermark,  Karaten, 
Krain,  Küstenland,  Dalmatien,  Tirol  und  Voralberg,  3  Bände  Ungara.  — 
Etlinographie  Österreichs,  im  Verein  mit  mehreren  Fachmännern  herausgegeben 
von  Czörnig,  1855—1857,  3  Bände,  unvollendet.  —  Die  Völker  Österreich- 
Ungarns  (Procbaska  in  Wien  und  Teschen  1881—1884),  12  Bände.  —  Krön  es, 
Handbuch  der  Geschichte  Österreichs,  I.  2.  Buch,  S.  82  ff. 

1.  Da  das  Recht  seinen  Inhalt  aus  dem  durch  persönliche 
und  örtliche  Umstände  beherrschten  Leben  der  Menschen  empfängt, 
so  ist  zum  Verständnis  der  Rechtseutwickelung  in  einem  Staate, 
der  weder  in  der  Bodengestaltung  noch  in  der  Bevölkerung  ein- 
fache Verhältnisse  aufweist,  eine  kurze  Schilderung  von  Land  und 
Leuten  erforderlich. 

In  der  That  bietet  Österreich,  wiewohl  es  keinen  Colonial- 
besitz  hat,  dem  Beobachter  ebenso  in  geographischer  als  in  ethno- 
gi-aphischer  Hinsicht  das  Bild  großer  Mannigfaltigkeit. 

Dies  wurde  schon  iih  17.  Jahrhundert  als  Eigenthümlichkeit 
unseres  Staates  hervorgehoben,  obschon  damals  weder  Galizien, 
noch  die  Bukovina,  noch  Siebenbürgen  zu  Österreich  gehörten, 
in  Ungarn  der  Türke  gebot  und  die  istrisch- dalmatinische  Küste 
den  Venezianern  untei-stand.  Der  ungenannte  Verfasser  der  be- 
kannten Schrift  „Österreich  über  Alles,  wenn  es  nur  will"  be- 
gründet sogar  gerade  aus  dieser  Fülle  von  Gegensätzen  das  Über- 
gewicht Österreichs  über  die  anderen  europäischen  Staaten,^  da 
von  den  aneinander  grenzenden,  von  Gott  und  Natur  so  hoch- 
gesegneten weiterstreckten  Erbkönigreichen  und  Ländern  eines 
des  andern  Mangel  und  Nothdurft  mit  seinem  Überfluss  ersetzen 
kann,  so  dass  sie  sich  mit  Fug  rühmen  könnten,  woferne  einigem 
Staat  in  Europa  es  fürwahr  ihnen  zukommen  müsste,  beinahe  wie 
eine  kleine  Welt  in  sich  selbst  zu  bestehen  und  ohne  fremdes 
Zuthun  nicht  nur  nach  Nothdurft,  sondern  auch  nach  der  Bequem- 
lichkeit (wenn  nur  die  rechte,  wohl  mögliche  Anstalt  ihnen  zu 
HUfe  käme)  versehen  zu  sein. 


1  1.  Aufl.  1684,  2.  Aufl.  1705,  S.  7,  Abschnitt  2.   Als  Verfasser  gilt  Paul 
Wilh.  von  Hörnigl£,  Sohn  eines  kurfürstlich  raainzischen  Hofrathes. 


8  österreichische  Reichsgeschichte.  Einleitung.  §  3. 

2.  Der  österreichisch-ungar.  Monarchie  kommt  im  Vergleich  mit 
anderen  europäischen  Staaten  ihre  centrale  Lage,  die  wohl  abgerundete 
Gestalt  und  die  entsprechende  Ausdehnung  des  Staatsgebietes  sehr 
zu  statten.  Sie  besitzt  einen  Umfang  von  10.244  km,  von  dem 
ein  Fünftel  auf  Küstenentwickelung  entfällt,  und  reicht  vom  IP 
ll73'--24.^  97^'  der  östlichen  Länge  von  Paris  und  vom  42.°  oVa' 
bis  51.°  3'  der  nördlichen  Breite  (gemäßigte  Zone).  An  dem  Ge- 
sammtflächenraum :  624.231  □Arm  hat  jede  der  Reichshälften  un- 
gefähr gleichen  Antheil :  300.226  km^  gehören  den  im  Reichsrathe 
vertretenen  Ländern,  324.005  Ungarn,  Siebenbürgen,  Croatien  und 
Slavonien  zu. 

Das  System  der  Wasserläufe,  die  unser  Reich  durchziehen, 
hat  die  Richtung  des  Verkehrs  seit  uralter  Zeit  beeinflusst,  die 
Gliederung  des  Bodens  durch  Gebirgsgruppen  und  Thäler  hingegen 
hat  die  Ansiedlung  der  Bewohner  nach  ihrer  ethnographischen 
Zusammengehörigkeit  bestimmt.  Noch  heutzutage  überwiegen  die 
Deutschen  in  den  Alpenländern,  die  Slaven  in  den  Sudeten  und 
dem  Nordkarpathenlande.  Die  Magyaren  bewohnen  die  Donau- 
Tiefebene,  auf  dem  Karst-  und  dem  Küstenboden  erscheint  der 
Italiener  neben  dem  Slaven,  im  Ostkarpathengebiet  ist  vor  allem 
der  Rumäne  seßhaft. 

3.  Die  Deutschen  in  Österreich^  gehören  vorwiegend  dem 
bayerischen  Stamme  an.^  Als  die  Bajuvaren  zu  Anfang  des  6.  Jahr- 
hunderts am  Oberlauf  der  Donau  neue  Sitze  gefunden  hatten, 
verbreiteten  sie  sich  über  das  Land  ob  der  Enns  und  Salzburg 
gegen  Südost,  dann,  dem  Innflusse  folgend,  über  Nordtirol.  Unter 
ihnen  verschwand  die  frühere  romanisierte  rätisch-keltische  Be- 
völkerung. Später  gelangte  das  Bayernvolk  über  die  Wasser- 
scheide des  Brenners  nach  Süden  und  den  Eisack  aufwärts  auch 
gegen  Osten.    So  verdrängte  es  gegen  Ende  des  6.  Jahrhunderts 


*  Kämmel  0.,  Die  Anfänge  deutschen  Lebens  in  Österreich.  Leipzig  187i>. 
—  Schober  K.,  Die  Deutschen  in  Nieder-  und  Ober-Österreich,  Steiennarlf,  Kärnten 
und  Krain.  1881.  —  Egg  er  J.,  Die  Tiroler  und  Vorarlbergcr.  1882.  —  Bendel 
Josef,  Die  Deutschen  in  Böhmen,  Mähren  und  Schlesien.  1885.  —  Schwiclcer  J.  H., 
Die  Deutschen  in  Ungarn  und  Siebenbürgen.  1881.  (Völker  I— IV.)  —  d'Elvert, 
Geschichte  des  Deutschthuras  in  Österreich-Ungarn.  1884. 

8  R  i  e  z  1  e  r  S.,  Geschichte  Bayerns,  I,  7  (1878),  schätzt  den  österreichischen 
Antheil  am  bayerischen  Stamme  auf  6V2— 7Va  Mill.  allerdings  zu  hoch. 


Land  und  Leute:  Die  Deutschen.  9 

die  Slaven  aus  dem  Pusterthal  nach  Karantanien  und  stieß  zwischen 
Bozen  und  Trient  mit  der  Reichsgrenze  der  Langobarden  zu- 
sammen. (8.  Jahrhundert.) 

Österreich  unter  der  Enns  hat  oberdeutsche  Bevölkerung. 
Als  Ostmark  war  es  im  9.  und  10.  Jahrhundert  ein  den  Avaren 
abgenommenes  Grenzgebiet,  in  welchem  die  Besiedlung  theils 
massenhaft  und  plangerecht,  theils  versuchsweise  in  zerstreuten, 
oft  weit  vorgeschobenen  Gruppen  erfolgte.  Vorzugsweise  haben 
sich^hier  Bayern,  aber  auch  Schwaben,  Franken  und  Sachsen  nieder- 
gelassen. 

Das  Deutschthum  in  Steiermark  hat  ebenfalls  bayerischen 
Grundzug  und  ist  seit  dem  9.  Jahrhundert  durch  ununterbrochene 
Einwanderung  im  Oberlande  bis  südwärts  zur  Drau  erwachsen. 
Die  Massenansiedlung ,  vornehmlich  durch  große  Schenkungen 
von  Grund  und  Boden  an  Kirchen  und  Laien  eingeleitet,  zehrte 
die  dünne  Slavenschichte  auf,  die  das  Land  bis  an  die  Enns  und 
über  den  Semmering  bedeckt  hatte,  und  eroberte  mit  Axt,  Feuer 
und  Pflug  die  ungeheuren  Wildnisse  zwischen  den  Hauptthälern, 
in  welchen  der  Deutsche  als  der  ursprüngliche  Bewohner  erscheint. 
Kräftiger  noch  als  in  Steiermark  ist  die  deutsche  Colonisation  in 
Kärnten  aufgetreten,  und  zwar  dadurch,  dass  sich  deutsche  Groß- 
grundbesitzer in  slavischen  Niederlassungen  festsetzten  und  in 
deren  Nähe  neue  Hüben  durch  Rodung  gewannen.  Dagegen  sind 
die  vielen  deutschen  Ansiedler  auf  geistlichem  Besitz  in  Krain 
(Freising  973  .  .  .,  Brixen  1004  .  .  .),*  mit  Ausnahme  der  Städte 
und  einiger  weniger  Landstriche  (Gottschee,  Weißenfels),  durch- 
wegs der  Slavisierung  erlegen. 

Schwächer  als  der  bayerische  ist  der  alemannische  Stamm 
vertreten,  und  zwar  im  westlichen  Tirol  und  Vorarlberg. 

4.  In  die  Sudetenländer,  wohin  nach  Verdrängung  der 
keltischen  Bojer  die  Markomannen  gelangt  waren,  drangen  ums 
Jahr  500  slavische  Völkerschaften  ein.  Möglich,  dass  sich  im 
waldigen  Randgebirge  Reste  der  altdeutschen  Bevölkerung  erhalten 
haben,  allein  der  Hauptstock  der  jetzigen  Deutschen  in  Böhmen, 


•*  Froisinger  Güterverzeichnis  von  1160  bei  Lack:  Carentani  possident 
U  hobas.  Bavari  possident  94  hobas  cum  simmanis.  De  Sclavis  153  hobas  (also 
108 :  153  oder  wie  2 : 3).  —  Im  Steuerbuch  der  Stadt  Laibach  vom  Jahre  1600 
zählte  ich  443  Familiennamen,  darunter  247  deutsche,  154  slavische,  41  italienische. 


10  österreichische  Reichsgcschichte.  Einleitung.  §  3. 

Mähren  und  Schlesien  stammt  von  deutschen  Einwanderern,  deren 
Ansiedlung  durch  die  slavischen  Herrscher  seit  dem  11. — 12.  Jahr- 
hundert begünstigt  wurde.'^  Die  Deutschen  traten  hier  entweder: 

a)  in  schon  bestehende  slavische  Niederlassungen  ein  und 
erwuchsen  zu  städtischer  Bürgergemeinde :  Prag,  Budweis,  Pilsen, 
Leitmeritz,  Olmütz,  Brunn,  Znaim,  Teschen,  Troppau  .  .  .,  oder 

b)  es  entwickelten  sich  aus  Ansiedlungen  von  Bergleuten 
rein  deutsche  königliche  Montanstädte:  Kuttenberg,  Eule,  Deutsch- 
brod,  Iglau  .  .  .,  oder 

c)  sie  rodeten  WUdnisgrund  (Freidörfer  und  Märkte  nach 
deutschem  Recht),  oder  endlich 

d)  sie  erhielten  größere  Landstrecken  inmitten  slavischer 
Bevölkerung,  z.  B.  die  Bezirke  Saaz,  Elbogen,  Trautenau  in  den 
Tagen  König  Otakars  IL 

Nur  das  Egerland,  welches  Ende  des  13.  Jahrhunderts  zuerst  in 
Verbindung  mit  Böhmen  tritt,  im  14.  Jahrhundert  von  den  Luxem- 
burgern pfandweise  erworben  und  erst  unter  Kaiser  Karl  VL  zum 
königlichen  böhmischen  Bezirk  gemacht  wurde,  hat  eine  originär 
deutsche,  und  zwar  fränkische  Bevölkerung. 

5.  In  Ungarn  sind  die  Deutschen  verschiedener  Herkunft, 
im  Westen  finden  sich  vorgeschobene  Posten  vorzugsweise 
bayerischen  Volksthums  aus  alter  Zeit,  im  Norden  hat  der  Berg- 
bau in  den  sieben  sogenannten  niederungarischen  Bergstädteu 
(Schemnitz,  Kremnitz  u.  s.  w.)  und  in  den  24  Zipserstädten  deutsche 
Ansiedlungen  veranlasst,  die  sich  ehemals  weit  ins  flache  Land 
hinaus  erstreckten.  Ebenso  gab  es  in  den  ältesten  und  wichtigsten 
Städten  Ungarns,  in  Ofen,  Pest,  Stuhlweißenburg,  Pressburg  u.  s.  w\, 
in  den  Bischofsresidenzen  Gran,  Neutra,  Raab,  Erlau,  Veszprim, 
Fünfkirchen  u.  s.  w.  deutsclies  Altbürgerthum,  wogegen  die  zer- 
streuten, durchaus  gemischten  deutschen  Colonien  an  der  mittleren 
Donau,  der  Bacska  und  des  Temeser  Banats  jüngeren  Ursprungs 
sind^  und  besonders  der  theresianisch-josefinischen  Zeit  angehören. 


^  Zwischen  1174—1178  bestätigte  Herzog  Sobeslav  „Theotonicis  vivere 
secundum  legem  et  jiisticiam  Thcotonicorura,  quam  habucnint  a  tempore  avi  mei 
regis  Wratislai.**  (f  1092.)  / 

ö  Unmittelbar  nach  der  Eroberung  des  Banats  hatte  man  in  Wien  volles 
Zutrauen  nur  zu  Katholiken  und  Deutschen.  So  wurde  die  Verwaltung  des 
Banats  von  Kaiser  Karl  VI.  angewiesen,  in  Teraesvar  nur  Deutsche  und  Katholiken 


Land  und  Leute;  Die  Deutschen.  11 

In  Croatien  und  Slavonien  hat  sich  das  deutsche  Colonisten- 
thum,  das  während  des  Mittelalters  in  den  Städten  Agram/  Valpo, 
Warasdin  u.  s.  w.  bezeugt  ist,  verloren.  Dagegen  haben  sich  die 
Siebenbürger  Sachsen  bis  zum  heutigen  Tage  behauptet. 

Die  älteste  Einwanderung  nach  Böhmen,  Mähren,  Schlesien, 
Ostungarn  und  Siebenbürgen  (wahrscheinlich  auch  nach  der  Zips) 
etwa  vom  Schluss  des  11.  bis  anfangs  des  13.  Jahrhunderts  scheint 
vom  Xieden-hein  her  erfolgt  zu  sein,  wo  die  Einbrüche  der  Nordsee 
(himals  zahlreiche  Bewohner  aus  dem  Lande  trieben.®  Massenhafter 
ist  die  Colonisation  der  zweiten  Epoche  (13.  Jahrhundert)  im 
Sudetenland,  Kleinpolen,  Oberungarn  und  Siebenbürgen,  welche 
mitteldeutsch  oder  sächsisch  genannt  werden  muss.  Die  letzten 
deutschen  Ansiedlungen  lieferte  der  schwäbische  Stamm  ins 
ungarische  Flachhind  und  nach  Galizien  im  18.  Jahrhundert,  vor- 
nehmlieh unter  der  Kaiserin  Maria  Theresia  (1765—1776)  und 
Kaiser  Josef  II.  (1782—1789). 

Die  Zahl  der  Deutschen  in  den  Alpenländern  beträgt  jetzt 
an  4,900.000  auf  108.526  km^.^  Rechnet  man  die  Deutschen  in 
Böhmen,  Mähren,  Schlesien  und  den  übrigen,  im  Reichsrathe  ver- 
tretenen Gebieten  (1890  3,588.326  auf  191.700  A■m^  sowie  in 
Ungarn  und  seinen  Nebenländern  1890  2,106.298  auf  324.005 /m^) 
hinzu,  so  erhebt  sich  derzeit  die  Zahl  der  Deutschen  in  Österreich- 
Ungarn  auf  rund  10,570.000. 

6.  Diesen  stehen  19  Millionen  österreichische  Slaven  gegen- 
über, allerdings  in  zw'ei  Hauptgruppen :  Nord-  und  Südslaven  ge- 

aiä  Bürger  anzunehmen.  Ja,  ein  kaiserlicher  Befehl  vom  Jahre  1724  über  die 
<jcroein(]everwaltung  des  deutschen  Belgrad  befahl,  die  deutsche  Sprache  als 
Unterrichts-  und  Muttersprache  einzuführen.  —  Landau,  Serbien  unter  öster- 
reichischer Herrschaft,  ^ Münchener  Allgemeine  Zeitg.*,  1889,  B.  283. 

"*  Die  Not»  seu  Protocollon  civitatis  Zagrabiensis  de  a.  1412  —  1509 
(Cod.  150  im  Museum  zu  Agram)  enthalten  Jahr  um  Jahr  die  Wahl  der  jurati  in 
nachstehender  Reihenfolge:  de  lingua  hungarica,  1.  theutonica,  1.  italica,  1.  scla- 
vonica. 

"  Schon  Geyza  II.  (1141— UGl)  berief  Flandrer  in  die  wüste  Gegend  des 
Hermannstädter  Stuhles  (detcrtum  de  Cibinio),  C zornig,  Ethnographie,  1, 15.  — 
Eine  Zusammenstellung  von  Privilegien  für  deutsche  und  andere  hospites  in 
Ungarn,  Siebenbürgen,  Croatien  u.  s.  w.,  a.  a.  0.  II,  S.  311  flf. 

®  Dies  das  Flächenmaß  von  (isterreich  unter  und  ob  der  Bnns,  Steiermark, 
Kärnten,  Krain,  Salzburg  und  Tirol,  die  nach  der  Zählung  vom  31.  December  1890 
von  4,873.254  Deutschen  bewohnt  waren. 


12  österreichische  Reichsgeschichte.  Einleitung.  §  3. 

Bpalten,  von  denen  eine  jede  wieder  aus  mehreren  Völkerschaften 
zusammengesetzt  ist.^° 

Die  österreichischen  Nordslaven  gehören  zu  jenem  Völker- 
zuge, der  sich  im  Anschluss  an  die  Wanderung  deutscher  Völker- 
schaften von  der  Weichsel  westwärts  an  die  Oder  und  Elbe  vor- 
schob. An  die  polabischen  Slaven  reihten  sich  damals  die  Czechen, 
die  Chorvaten^*  und  Serben  im  heutigen  Schlesien  und  West- 
galizien,  östlicher  noch  die  Polen  oder  Lochen  und  Ruthenen  oder 
Kleinrussen. 

Die  Croaten  und  Serben  wandten  sich  —  etwa  um  der 
Herrschaft  der  Avaren  auszuweichen  —  schon  in  der  ersten 
Hälfte  des  7.  Jahrhunderts  südwärts  und  tiberließen  ihre  früheren 
Sitze,  die  noch  auf  lange  hinaus  Weiß-Croatien  hießen,  an  die 
Polen.  Außerdem  rückten  die  Ruthenen  vor  und  füllten  das  östliche 
Karpathengelände  zu  beiden  Seiten  bis  an  die  Tatra  und  nördlich 
bis  über  den  Sanfluss.  Zu  diesen  Altruthenen  kam  im  14.  Jahr- 
hundert die  Ansiedlung  podolischer  Ruthenen  in  der  Marmarosch. 

Die  Gesammtzahl  der  Ruthenen  in  Österreich-Ungarn  über- 
steigt jetzt  3,480.000. 

Die  Polen,  über  3,726.000  an  Zahl,  bewohnen  geschlossen 
das  Gebiet  zwischen  dem  San,  der  Weichsel  und  den  Karpathen 
und  verbreiten  sich,  mit  Czechen  gemischt,  als  Wasserpolen  bis 
nach  Schlesien. 

7.  Czechen,  Mährer  und  Slovaken,  deren  Sprache  nur  mund- 
artliche   Verschiedenheit    aufweist,    bewohnen    das    Innere    von 

^^Bidormann, Die unj^arischen Ruthenen. Innsbruck  1 862.  —  S z u i s k i  J., 
Die  Polen  und  Ruthenen  in  Galizien.  (Völker  IX)  1882.  Die  Volkszählung  von 
1890  ergab  3,101.497  und  383.323  als  Zahl  der  Ruthenen  in  heidon  Reichs- 
hälften. —  Vlach,  Dr.  Jaroslav,  Die  Ceehoslaven.  (Völker,  VIII,  1883.)  — 
Roesler  über  den  Zeitpunkt  der  slavischen  Ansiedlung  an  der  unteren  Donau. 
(Sitzungsber.  d.  k.  Akad.  d.  W.  Bd.  73,  1873,  S.  75—126.)  —  Öuraan  J.,  Die 
Slovenen.  1881  (Völker  X,  1).  —  Star 6,  Die  Croaten  im  Königreich  Croatien 
und  Slavonien.  1882  (Völker  X.,  2).  —  Stefanowiö-Vilovsky  Th.  v..  Die 
Serben  im  südlichen  Ungarn,  inDalmatien,  Bosnien  und  der  Herzegowina.  1884. 
(Völker  XI.)  Nach  der  Volkszählung  vom  Jahre  1890  bekannten  sich  zur  slo- 
venischen  Umgangssprache:  1,176.535,  in  Ungarn  94.425,  zum  serbocroatischen 
644.769  und  2,604,176,  zusammen  3,248.945. 

11  Hu  her,  Geschichte  Österreichs,  I,  59,  erklärt  die  Angabe,  dass  die 
Croaten  vorher  in  Galizien  oder  Nordböhracn  gewesen  seien,  für  eine  aus 
Namensähnlichkeiten  geschöpfte  Hypothese  des  Kaisers  Constantin  Porphyrogenitos. 


Land  und  Leute:  Nord-  und  Südslaven.  13 

Böhmen  und  Mähren,  einen  Theil  von  Schlesien  und  das  west- 
liche Oberungarn.  Unter  den  slavischen  Völkern,  weiche  in  das 
erst  von  keltischen  Bojem,  dann  durch  Jahrhunderte  von  deutschen 
Markomannen  bewohnte  Böhmen  (spätestens  um  551)  eindrangen, 
erlangte  jenes  mit  der  Prager  Äupa  als  Mittelpunkt  der  Nieder- 
lassung die  Oberherrschaft,  machte  seinen  Namen  zum  allgemein 
giltigen,  breitete  sich  dann  über  Nordmähren  und  nach  dem 
Untergang  des  großmährischen  Reiches   auch  in  Südmähren  aus 

Die  Überreste  der  alten  Großmährer  sind  die  heutigen  Slo- 
vaken.  Nach  der  Volkszählung  vom  Jahre  1890  belief  sich  die 
Zahl  der  böhmisch,  mährisch  oder  slovakisch  Sprechenden  auf. 
5,473.578  in  der  westlichen,  auf  1,937.517  in  der  östlichen 
Reichshälfte,  d.  i.  rund  7,411.000. 

8.  Die  Südslaven  zerfallen  in 

a)  Slovenen  (Alpenslaven),  Nachkommen  der  pannonischen 
Slaven,  welche  nach  dem  Abzug  der  Langobarden  aus  der 
Donau-Tiefebene  (568),  entlang  den  Verzweigungen  der  Flussläufe 
westwärts  bis  zu  den  Quellen  der  Drau  vorgedrungen  waren,  wo 
sie,  seit  592  hartnäckige  Kämpfe  mit  den  vom  Westen  kom- 
menden Bajuvaren  zu  bestehen  hatten  und  schließlich  das  Puster- 
thal aufgeben  mussten.  Sie  verbreiten  sich,  1,270.000  stark,  über 
ein  geschlossenes  Gebiet  von  etwa  15.000 /cw^  vom  Görzischen 
ül)er  Krain,  das  südliche  Kärnten  und  Steiermark  bis  ins  Zalaer 
Comitat  in  Westungarn; 

b)  Croaten  zwischen  Kulpa,  Drau  und  Save  (Czörnig,  Sloveno- 
croaten),  hervorgegangen  aus  einer  Mischung  der  südlicheren, 
pannonischen  Slaven  jener  Gegenden  mit  den  dalmatinischen  und 
libumischen  Serbocroaten,^^  die  im  Kampfe  mit  den  Avaren  das 
binnenländische  Dalmatien,  türkisch  Croatien,  Bosnien,  die  Herze- 
gowina und  Serbien  behauptet  hatten; 

c)  größere  Ansiedlungen  von  Serben  auf  österreichischem 
Boden  fanden  erst  nach  dem  Niedergang  der  türkischen  Herr- 
schaft (seit  1690)  durch  Einwanderung  nach  Slavonien  und  der 
Voivodina  statt.  Die  Gesammtzahl  der  Serben  und  Croaten  in 
Österreich-Ungarn  stellt  sich  jetzt  auf  rund  3,250.000. 


^^  Ira  9.  Jahrhundert  käropfon  die  dalmatinischen  Croaten  mit  den  panno- 
nisichen  Slaven  Herzog  Liudevits,  dessen  Hauptsitz  Sissek  war. 


14  Österreichische  Reichsgeschichte.  Einleitung.  §  3. 

9.  Die  Magyaren,^'  eine  der  merkwürdigsten  ethnographischen 
Erscheinungen  Europas,  uralisch-finnischer  Herkunft.  Von  ihren 
Wohnsitzen  am  westlichen  Fuße  des  Ural  durch  nachrückende 
Völkerschaften  abgedrängt,  hatten  sie  endlich  ihre  Zelte  am 
Dnjepr  aufgeschlagen,  von  wo  aus  sie  bis  gegen  die  Donau- 
mündungen ausschwärmten.  Im  Jahre  862  berührten  sie  zuerst 
die  Grenzen  des  Frankenreichs,  im  Jahre  892  machten  sie  ihren 
ersten  Angriff  auf  Großmähren,  nach  dessen  Zertrümmerung  sie 
auf  Jahrzehnte  hinaus  der  Schrecken  Westeuropas  wurden. 
Während  eines  Beutezuges  der  waffenfähigen  Magyaren  über- 
fielen, durch  die  Bulgaren  aufgereizt,  die  wilden  Petschenegen 
die  Lager  am  Dnjepr  und  zerstörten  sie  völlig.  Die  Furcht  vor 
diesen  Gegnern  nöthigte  die  Magyaren,  sich  nach  neuen  Sitzen 
umzusehen,  die  sie  ihren  Bedürfnissen  entsprechend  in  der  großen 
Donau-  und  Theißebene  fanden.  Erst  der  Zusammenbruch  des 
großmährischen  Reiches  (um  905/6)  und  die  Niederlage  des 
bayerisch- karantanischen  Heeres  am  Inn  (907)  entschieden  end- 
giltig  über  die  Besitznahme  des  alten  Pannonieu  durch  die 
Magyaren.  Heutzutage  bilden  diese  die  Bevölkerung  der  unga- 
rischen Tiefebene  und  geschlossene  Bestände,  die  Szeklerdistricte, 
in  Siebenbürgen.  Die  Annahme,  dass  diese  Szekler  Nachkommen 
jener  Magyaren  seien,  denen  beim  Angriff  der  Petschenegen 
auf  die  Lager  am  Dnjepr  die  Flucht  gegen  Westen  gelang,  hat 
viel  für  sich.  —  Nach  der  Volkszählung  vom  Jahre  1890  beläuft 
sich  die  Zahl  der  magyarisch  Redenden  auf  rund  7,440.000. 

10.  Rumänen,  Wallachen,  Ostromanen  in  Ostungarn,  Sieben- 
bürgen und  der  Bukowina,  2,800.000  an  der  Zahl.  Die  Boden 
ständigkeit,  die  sie  beanspruchen,  ward  ihnen  bestritten,  da  nach- 
Auflassung der  Provinz  Dacia  Trajana  die  romanisierten  Provin- 
zialen  nach  Moesia  H.,  der  heutigen  Wallachei  übergetreten 
seien.  Gegen  Roesler,  der  darum  die  österreichischen  Rumänen 
als  Einwanderer  des  späteren  Mittelalters  erklärte,  hat  indessen 
Jung  mit  überzeugenden  Gründen  ihren  unmittelbaren  Zusammen- 
hang mit  der  romanisierten  Bevölkeining  Daciens  nachgewiesen, 
was  nicht  ausschließt,^*  dass  zwischen  Siebenbürgen,  der  Moldau- 

*3  Hanfalvy  Paul,   Die  Ungern  oder  Magyaren.  (Völker  V,  1.^81.) 
^^  Bid ermann    H.   J.,  Die   Romanen  und  ihre  Verbreitung   in  Öster- 
reich. 1877.  —  Slanici  Joann.,  Die  Rumänen.  1881.  (Völker  VI.)  —  Roesler, 


Land  und  Leute:  Magyaren,  Rumänen,  Juden.  15 

Wallache!  und  den  süddanubischen  Gegenden  wirklieh  zu  wieder- 
holtenmalen  ein  Bevölkerungswechsel  eingetreten  ist. 

Die  Westromanen,  Italiener  und  Ladiner  erreichen  in  Öster- 
reich heutzutage  kaum  die  Zahl  700.000.  Sie  verbreiten  sich 
über  die  istrische  und  dalmatinische  Küste,  übel*  einzelne  Inseln, 
wie  Lesina  und  Curzola,  im  Süden  von  Görz  und  Gradiska, 
endlich  am  dichtesten  über  Südtirol.  Während  die  Romanen  in 
Tirol  meist  von  romanisierten  Provinzialen  oder  Langobarden  ab- 
stanunen,  sind  im  Küstengebiet  und  Dalmatien  auch  starke  Bei- 
mengungen von  Venezianern  nachweislich. 

1 1 .  Juden.  ^^  Die  erste  Erwähnung  von  Juden  in  den  Donau- 
ländern macht  im  Mittelalter  wohl  die  Raffelstädter  Zollordnung. 
(903—906.)  Niederlassungen  von  Juden  in  den  Alpenländern  sind 
seit  1075  durch  Ortsnamen,  wie  Judenburg,  Judendorf  ultra 
Mure,  juxta  Turrach,  den  locus  qui  dicitur  via  Judeorum  bei 
Friesach  (1143)  u.  s.w.  bezeugt.  Um  dieselbe  Zeit  sind  sie  auch 
schon  in  Böhmen  und  Ungarn  nachzuweisen,  um  1200  in  Polen 
in  sehr  einflussreicher  Stellung.  Heutzutage  steigt  ihre  Zahl  in 
Österreich-Ungarn  auf  mehr  als  1,860.000.^* 

§  4,  Die  österreichlsehen  Lande  unter  romischer  Yerwaltnng. 

Jung,  Römer  und  Romanen  in  den  Donaulandon.  1877.  —  Marquardt, 
Römische  Staatsverwaltung  I,  II,  2.  Aufl.  1881.  —  Rietschel  S.,  Die  Civitas 
auf  deutschem  Boden  bis  zum  Ausgang  der  Karolingerzeit.  Leipzig  1894.  — 
Chabert,  §  3  fT.  —  Büdingor,  Österreichische  Geschichte  (1858),  I,  3  ff.  — 
Kämmel,  I,  46  fT.  —  Huber,  I,  3  ff.,  13  ff.  —  Krones,  I,  140  ff.,  154  fT.  - 
Werunsky,  §  3. 

1.  Die  ersten  Begründer  höherer  Gesittung  auf  dem  Boden 
des  heutigen  Osterreich  waren  die  Römer,  die  alle  Lande  südlieh 
der  Donau  während  der  Kaiserzeit  durch  Jahrhunderte  beherrscht 
und  die  unterworfenen  Völker  sich  gleich  oder  doch  ähnlich  gemacht 


Romanische  Studien.  1871,  id.  Dacior  und  Rumänen,  Sitzungsber.  d.  k.  Akad. 
d.  W.,  Bd.  53,  S.  9  ff.  —  J  u  n  g,  Römer  und  Romanen  in  den  Donauländem.  1877. 

'*  Wolf,  Gerson,  Die  Juden.  1883.  (Völker  VII.) 

w  In  Österreich  1890 -=  1,135.518,  in  Ungarn  (1890)  =  724.588.  Da  dio 
Volkszählung  in  Österreich  nur  dio  Umgangssprache  berücksichtigt,  so  sind 
die  Juden  in  den  Ziffern  der  übrigen  Nationalitäten  begriffen.  Am  meisten 
macht  sich  dies  bei  den  Polen  und  Ruthenen  fühlbar,  da  in  Galizien  über 
770.000  Juden  wohnen  =  ll-ö^  der  Bevölkerung. 


16  Österreichische  Reichsgeschichte.  Einleitung.  §  4. 

haben.  So  verheerend  der  Strom  der  Völkerwanderung  unsere 
Gegenden  durchbrauste,  so  gründlich  er  die  Bevölkerung  umge- 
staltete, alle  Spuren  des  untergegangenen  Römerthums  hat  er 
doch  nicht  ausgetilgt.  Mittelalterliche  Städte  erhoben  sich  aus 
den  Trümmern  römischer  Ansiedlungen  und  Römerwege  w^aren 
es,  die  dem  Handel  und  Verkehr  durch  unsere  Alpen  die  Bahn 
wiesen,  als  wieder  einige  Ruhe  eingetreten  war.  Wo  der  Römer 
herrschte,  dort  hat  er  auch  in  großartiger  Weise  organisiert. 
Darum  gehört  ein  Bild  der  römischen  Verwaltung  in  unseren 
Landen,  an  den  Anfang  der  österreichischen  Reichsgeschichte. 
Ungesucht  wird  es  sich  dabei  ergeben,  dass  manche  Einrich- 
tungen des  römischen  Staates  unserer  Zeit  näher  stehen,  als  dem 
Mittelalter. 

2.  Die  Römer  hatten  die  eroberten  Donauländer  zunächst  zu 
Illyricum  geschlagen,  später  in  größere  Provinzen  aufgelöst,  deren 
Grenzen  im  Laufe  der  Zeit  mancherlei  Veränderungen  erfuhren. 
Das  heutige  Tirol  bildete  einen  Theil  von  Rätien,  das  östlich 
bis  zur  Wasserscheide  auf  dem  Toblacher  Felde  reichte.  Auf 
Rätien  folgte  Noricum  vom  Inn  bis  zum  Kahlenberg  (Mons 
Cetius)  und  von  der  Donau  südwärts  bis  an  die  Karawanken. 
Ostlich  von  Noricum  lag  Pannonien,  im  Norden  und  Osten  von 
der  Donau  umflossen,  im  Süden  von  der  Save  begrenzt,  seit 
Trajan  in  Ober-  und  Unter-Pannonien  getheilt.  Noch  später 
wurden  auch  Valerien  und  Savien  (von  Sissek  aufwärts  das  Land 
zwischen  Save  und  Drau)  unterschieden.  Ostw-ärts  der  Theiß  lag 
Dacien,  seit  ungefähr  112  als  Provinz  eingerichtet  und  später 
mehrfach  getheilt.  Es  dehnte  sich  über  Ostungarn,  den  Banat, 
Siebenbürgen,  die  Moldau  und  Walachei  aus,  gieng  jedoch  unter 
Aurelian  (271—275)  den  Römern  verloren. 

3.  Den  Donauprovinzen  war  nach  ihrer  Eroberung  ein 
gewisser  Grad  von  Selbständigkeit  belassen  worden.  Noricum, 
das  fast  kampflos  gewonnen  worden  war,  behielt  zunächst  den 
stolzen  Namen  Königreich,  nur  dass  der  Herrscher  jetzt  der 
römische  Kaiser  war  und  dass  ein  kaiserlicher  Hausbeamter 
(Procurator)  die  Verwaltung  mit  viceköniglicher  IVlacht  von  Celeja 
aus  leitete.  Erst  M.  Aurel,  durch  den  Markomannenkrieg  zur 
Vorsicht  gemalmt,  verwandelte  Noricum  in  eine  Provinz  und 
stellte  es  unter  den  Legaten  der  neu  errichteten  zweiten  italischen 


Die  römischen  Donauprorvinzen.  17 

Legion,  die  ihr  Standlager  in  Laureacum  (bei  Enns)  aufschlug.  Den 
Pannoniern  und  Dalmatiern  hingegen  waren  Landtage  zugestanden/ 
die  von  Vertretern  der  einzelnen  Stadtgemeinden  beschickt,  zu- 
nächst den  Cuitus  der  Kaiser -Gottheit  nebst  den  damit  zu- 
sammenhängenden persönlichen  und  finanziellen  Angelegenheiten 
besorgen  sollten,  daneben  aber  das  wichtige  Recht  besaßen,  Peti- 
tionen und  Beschwerden  unmittelbar  an  den  Kaiser  zu  richten. 

Die  innere  Organisation  der  neu  erworbenen  Provinzen  be- 
rulite  zunächst  nicht  auf  den  Stadtgemeinden,  die  ja  Rom  erst 
ins  Leben  rufen  musste,  sondern  auf  Landkreisen,  die  man  nicht 
mit  den  Stammesgebieten  verwechseln  darf,  da  sie  durch  will- 
kürliches Theilen  solcher  und  durch  Zusammenlegen  von  Ort- 
schaften gebildet  wurden.^  Während  in  Noricum,  in  dessen  süd- 
östlichem Theil  das  städtische  Wesen  schon  upter  Claudius  und 
den  Flaviern  völlig  durchdrang,  diese  Eintheilung  in  Gaue  bald 
aufhörte,  hat  sich  dieselbe  in  Pannonien  umsolänger  behauptet. 
Viel  gewaltiger  griff  dagegen  von  Anfang  an  die  militärische 
Organisation  des  Gebietes  ein, 

4.  Seit  Augustus  deckten  die  Grenzen  feste  Standlager  allein. 
So  schützte  zuerst  die  Stellung  von  Poetovio,  zeitweilig  mit  drei 
Legionen  besetzt,  das  völlig  provinzialisierte  Savegebiet  und  die 
Ostgrenze  von  Noricum,  während  man  das  Land  nördlich  der 
Drau  nur  in  Abhängigkeit  erhielt  und  die  Donau  durch  eine  Flo- 
tille  beobachtete.  Erst  Vespasian  schob  die  römische  Kriegsmacht 
bis  an  die  Donau  vor,  indem  er  zwei  Legionen  zu  Vindobona 
(Wien)  und  Carnuntum  (Petronell)  Standlager  anwies  und  die 
Stromflotte  verstärkte.  Die  Vollendung  der  großartigen  Grenzver- 
theidigung    fällt    dann    in    die    erste   Hälfte   des   zweiten  Jahr- 


^  Für  Oberpannonien  zu  Savaria  (Steinamanger),  für  Unterpannonien  zu 
Aquincum  (Ofen).  In  Dalmatien  war  Scardona  der  Sammelort  der  Japoden  und 
d<»r  14  libumischen  Städte,  Salona  für  mehrere  hundert  Decurien  der  Dalmaten, 
der  Decuni  u.  s.  w.  —  Narona  ebenso  für  die  Cerauner,  Diocleaten  u.  s.  w.  — 
Plinius,  Hist.  nat,  IH,  c.  26.  Ähnliche  Landtage  bestanden  auch  in  Unter- 
mösien  und  Dacien.  —  Marquardt,  I,  503  ff. 

2  Dies  geschah,  um  die  ursprünglichen  Völkerverbindungen  zu  zerreißen, 
soweit  dies  im  römischen  Interesse  lag.  Marquardt,  1,  501.  So  bildeten  die 
ÄzaUer  mit  ihren  bojischen  Nachbarn  eine  civitas  unter  einem  römischen  Prä- 
fectcn,  der  früher  eine  norische  Cohorte  commandiort  hatte.  Eine  civitas  Sir- 
miensiuni  et  Amantinonim  gab  es  noch  unter  Vespasian. 

La  seh  tu,  öttcrreicbische  Reicbagc  schichte.  2 


18  österreichische  Reichsgeschichte.  Einleitung.  §  4. 

hunderts.  Von  Laureacum  (bei  Enns)  bis  Citium  (Zeiselmauer) 
deckten  das  norische  Ufer  in  der  Ausdehnung  von  etwa  100.000 
Schritten  oder  fünf  Tagmärschen  ein  Legionslager  und  bei  zehn 
Castelle,  während  für  die  pannonische  Front  ungleich  größere 
Machtmittel  herangezogen  waren.  Schon  die  kurze  Strecke  vom 
Wiener  Wald  bis  zur  Leitha  war  durch  zwei  Legionen,  zu  Vindo- 
bona  und  Carnuntum,  vertheidigt;  dazu  kamen  weiter  östlich  die 
Standlager  von  Aquincum  (Ofen  unter  Trajan)  und  zwischen 
hinein  seit  Hadrian  jenes  von  Brigetio  (gegenüber  von  Komorn). 
Noch  stärker  waren  dann  die  Befestigungen  in  Obermösien  an 
der  unteren  Donau. ^ 

Im  engen  Zusammenhang  mit  der  Anlage  römischer  Festungen 
stand  der  Bau  großartiger  Straßenzüge,  welche  für  Noricum  und 
Pannonien  ihren  Ausgangspunkt  von  der  im  Jahre  183  v.  Chr. 
angelegten  Colonie  Aquileja  nahmen  und,  durch  mannigfache 
Querstraßen  und  eine  entlang  der  Grenze  verlaufende  Heerstraße 
verbunden,  in  ihren  Abzweigungen  Sissek,  Petronell,  Wels  und 
Salzburg  als  Endpunkte  erreichten. 

5.  Seine  größte  Leistung  hat  jedoch  das  römische.  Heer- 
system durch  Ausgleichung  der  Gegensätze  in  der»  Bevölkerung 
und  durch  Förderung  römischer  Gemeinden  vollbracht.  Ersteres 
wurde  befördert,  indem  Angehörige  der  verschiedensten  Völker- 
schaften in  ein  und  denselben  Truppenkörper  eingestellt  und  mit 
diesem  ohne  Rücksicht  auf  ihre  Herkunft  in  die  Grenzlandschaften 
zu  dauernder  Garnison  verlegt  wurden,*  letzteres  hieng  theüs 
unmittelbar  mit  den  Lageranlagen,  theils  mit  den  Fortschritten 
der  Provinzialisierung  zusammen. 

Nur  selten  ist  die  directe  Begründung  römischer  Gemeinden 
durch  Ansiedlung  von  Veteranen  vorgekommen  (wie  in  Pettau 
das  unter  Trajan  als  Colonia  Ulpia  an  die  Stelle  des  Legionslagers 
Poetovio  ti-at),   Regel   w-ar   die  Erhebung  eines  schon  wesentlich 


^  Von  Belgrad  bis  zum  Timok  fand  Kanitz  einen  ungemein  dichten  Be- 
festigungsgürtel von  72  Castellen.  Denkschriften  der  k.  Akad.  d.  W.  1892,  Bd.  41, 
S.  2,  Römische  Studien  in  Serbien. 

^  Beispiele  bieten  die  erhaltenen  Inschriften.  So  verkehrten  in  der  zweiten 
Legion  zu  Brigotio  Syrer,  Makedonier,  Apulier  und  Norditaliker  als  Kameraden. 
Über  die  Ursachen  der  Ausgleichung  der  nationalen  Gegensätze  im  römischen 
Reiche,  s.  Marquardt,  I,  564. 


Heerwesen,  Straßenzüge,  Städte  zur  Römerzeit.  19 

romanisierten  Ortes  zum  Range  eines  Municipiums  oder  einer 
Colonie.^  So  hat  schon  Augustus  Aemona  zur  Colonia  Julia  er- 
hoben, so  erwuchsen  zu  Municipien  seit  Claudius:  Virunum, 
Celeja,  Savaria,  Teurnia,  Aguntum,  Juvavo,  unter  den  Flaviern 
Flavia  Solva,  Scarabantia  (Ödenburg),  Neviodunum  (bei  Gurkfeld). 
Mit  Aelium  Cetiura  (St.  Polten)  unter  Hadrian  und  der  Colonia 
Aurelia  Antoniniana  =  Ovilava,  Wels,  war  um  die  Mitte  des  zweiten 
Jahrhunderts  die  städtische  Organisation  in  ganz  Noricum  und 
Westpannonien  durchgeführt. 

Langsamer  gieng  die  Bildung  von  Gemeinden  im  Anschluss 
an  bestehende  Grenzbefestigungen  von  statten.  Aus  den  Ansied- 
langen der  Wirte  und  Kaufleute,  deren  Buden,  canabae,  den 
Standplatz  vor  der  porta  decumana  hatten,  erwuchsen  nicht 
selten  stattliche  Ortschaften,  die  im  Laufe  des  ersten  Jahr- 
hunderts als  vici  canabarum  Corporationsrechte  erhielten,  oder, 
wo  sich  Veteranen  ansiedelten,  auch  als  veteranes  et  cives 
Komani  consistentes  ad  legionem  N.  N.  bezeichnet  wurden  und 
einem  curator  veteranorum  unterstanden.  Mit  ihrer  wachsenden 
Bedeutung  empfahl  sich  die  Umwandlung  solcher  Lagerorte  zu 
wirklichen  Stadtgemeinden,  was  bei  den  meisten  im  Zeitalter 
Hadrians  und  der  Antonine  erfolgt  ist.  So  entstanden  an  der 
Donau  Carnuntum  und  Aquincum  als  municipia  Aelia,  denen  etwas 
später  Vindobona  und  Brigetio  folgten. 

In  all  diesen  Städten  standen  an  der  Spitze  der  Gemeinde 
Behörden,  die  den  Magistraten  von  Rom  mehr  minder  genau 
nachgebildet  waren:  Duumviri  jure  dicundo,  den  Consulen  der 
ältesten  Zeit  entsprechend,  und  unter  ihnen  die  Aediles  als  Polizei- 
beamte, oder  es  waren  beide  Behörden  zu  einem  Viermänner- 
Collegium  vereinigt,  dessen  Mitglieder  dann  die  Geschäfte  unter 
sich  theilten.  Dem  römischen  Senat  entsprach  der  städtische  Ge- 
meinderath  der  Decurionen,  die  Mittelstellung  der  römischen 
Equites  nahmen  in  vielen  Municipien    und  Colonien  die  zwischen 


*  Über  die  politische  Stellung  der  Provinzialstädte,  s.  Marquardt,  I,  69  ff. 
Municipien-Freistädte  unter  selbst  gewählten  Obrigkeiten,  die  entweder  volles 
römisches  Bürgerrecht  hatten  und  nach  römischen  Gesetzen  regiert  wurden 
(M.  cum  suffragio)  oder  nur  Ortsbürgerrecht  hatten  und  nach  eigenen  Gesetzen 
lebten.  Die  Colonien  wurden  durch  Ansiedlung  römischer  Bürger  begründet, 
welche  ihr  Recht  behielten,  aber  das  Colonialgebiet  zu  beschützen  hatten. 

2* 


20  Österreichische  Reichsgeschichte.  Einleitung.  §  4. 

ordo  und  plebs  eingeschobenen  Augustalen  ein.  (Nachweisbar  zu 
Emona,  Poetovio,  Carnuntum  u.  s.  w.)  Ganz  nach  römischem  Vorbilde 
waren  auch  die  geistlichen  Behörden  gestaltet,  daneben  gab  es 
Genossenschaften,  Collegia,  zu  verschiedenen  Zwecken :  zum  Cultus 
einzelner  Gottheiten  (zu  Virunum  ein  c.  lamm,  in  Cetium  collegia 
des  Hercules  und  der  Diana),  für  einzelne  Gewerbe  (c.  Fabrum 
zu  Cetium,  Vindobona,  Emona,  veteranorura  centonariorum  = 
Schneider,  zu  Camuntum),  zur  Wahrnehmung  der  Interessen  be- 
sonderer Classen  u.  s.  w.  Kein  Zw^eifel,  dass  die  Bevölkerung 
dieser  so  völlig  römisch  erscheinenden  Gemeinden  in  über- 
wiegender Menge  aus  Einheimischen  bestand;  den  Fortgang  der 
allmählichen  Latinisierung  erkennt  man  indessen  aus  vielen  In- 
schriften, in  denen  neben  den  barbarischen  Namen  der  Eltern^ 
römische  Namen  für  die  jüngere  Generation  vorkommen. 

Die  rasche  Entwicklung  der  städtischen  Gemeinden  war 
ebensogut  Folge,  als  auch  Ursache  des  wirtschaftlichen  Auf- 
schwunges, den  die  Donauprovinzen,  begünstigt  durch  langjährigen 
Frieden  und  kluge  Maßregeln  der  römischen  Verwaltung,  zunächst 
erlebten.  Die  großen  Heerstraßen,  w^elche  selbst  die  unweg- 
samsten Gebirge  überwanden,  dienten  wie  dem  Krieger,  so  auch 
dem  bürgerlichen  Verkehr.  Der  große  Gedanke  eines  einheitlichen 
mitteleuropäischen  Zollgebietes  war  damals  verwirklicht,®  Handel 
und  Gewerbe  blühten  auf,  aber  es  waren  auch  schon  die  Keime 
künftigen  Verderbens  vorhanden. 

6.  Weniger  günstig  ist  das  Bild,  das  uns  die  römische 
Finanzverwaltung  gewährt.^  Nach  altitalischer  Sitte  war  das  ganze 
eroberte  Land  der  Verfügung  des  Staates  unterworfen,  der  das- 
selbe, soweit  er  es  nicht  zur  Ausstattung  von  Colonien  verwendete, 
oder  an  den  Meistbietenden  veräußerte,  als  ager  vectigalis  gegen 
Abgaben  den  Provinzialen  überließ.  Da  diese  nur  Besitzer  des 
Bodens  auf  Widerruf  wurden,  und  das  Eigenthum  dem  Kaiser 


^  Dasselbe  umfasste  alle  römischen  Lande  entlang  der  Donau  und  war 
gegen  Gallien  abgeschlossen  durch  Zollstätten  bei  Zürich  und  Maienfeld,  gegen 
Italien:  der  Brennerpass  bei  Brixen,  der  Weg  durchs  Fella-Thal  bei  Saifnitz^ 
der  Übergang  über  den  Trojanaberg  bei  St.  Oswald  (Atrans).  Das  HauptzoUamt 
scheint  in  Poetovio  gewesen  zu  sein.  Jung,  22  ff.;  Marquardt,  11,  269  ff. 

'  Über  die  Provinzialsteuern,  s.  Marquardt,  II,  180  ff.;  Jung,  31  ff.,. 
Monopole  und  Regalien,  s.  Marquardt,  II,  280. 


Römische  Finanzverwaltung.  21 

verblieb,  so  konnte  dieser  durch  Androhung  der  Grundentziehung 
den  Besitzer  zur  Übernahme  erhöhter  Leistungen  zwingen. 

Auf  diese  Weise  sind  die  Steuern  im  Laufe  der  Iraperatoren- 
herrschaft  zu  ungeheuren  Beträgen  angewachsen,  in  Gallien  z.  B. 
zu  Zeiten  Constantins  auf  mehr  als  das  vierzigfache  des  ur- 
sprünglichen Betrags.  Wie  viel  die  Donauprovinzen  zalilten, 
wissen  wir  nicht.  Wohl  aber  ist  bekannt,  dass  Noricum  und 
Pannonien  unter  zwei  Steuerdirectoren  standen,  dass  hier  der 
Boden  (unter  Trajan)  in  fünf  Katastralclassen  eingeschätzt  war, 
dass  neben  der  gewöhnlichen  Grundsteuer  Naturallieferungen 
(annona)  an  die  Truppen  und  Beamten  vorkamen,  dass  Händler, 
Fabrikanten  u.  s.  w.,  die  keinen  Grundbesitz  hatten,  eine  Ge- 
werbesteuer entrichten  raussten,  dass  die  Selbsteinschätzung 
strenger  Nachprüfung,  zuweilen  selbst  mit  Anwendung  der  Folter 
unterlag,  dass  die  Zahl  der  privilegierten  und  staatlichen  Betriebe 
erheblich  w^ar  u.  dgl.  Dem  Staate  gehörten  die  äußerst  ergiebigen 
Goldbergwerke  im  altnorischen  Gebirgslande,  die  berühmten  nori- 
schen  Eisengruben,  die  Marmorbrüche  bei  Sirmium,  er  hatte  das 
Salinenw^esen  zumeist  in  Händen,  er  betrieb,  wenn  auch  nicht 
ausschließlich,  die  Tuchfabrication  u.  s.  w.  Da  zu  all  dem  sich 
noch  directe  Beraubungen  der  Städte  gesellten,  so  führte  dies 
allmählich  deren  wirtschaftlichen  Untergang  und  die  Auflösung 
ihrer  Verfassung  herbei.  Vergeblich  suchte  man  seit  dem  3.  Jahr- 
hundert durch  Defensoren  Abhilfe  zu  treffen,  welche  die  Armen 
gegen  Bedrückungen  durch  die  Beamten  schützen  und  diese  beim 
Prsefectus  Praetorio  anzeigen  sollten,  der  Stand  der  Decurionen 
sank  immer  tiefer,  so  dass  es  endlich  als  Strafe  galt,  demselben 
angehören  zu  müssen. 


Erster  Theil. 

I.  Periode :  Vom  Sturz  der  Römerherrscliaft  bis 

zum  Jahre  976. 


§  5.  Geschichtlicher  Überblick. 

Büdinger,  I,  37  ff.  —  Gfrörer,  Byzantinische  Geschichten,  II.  — 
Huber,  I,  47-140.  -  Krones,  I,  207-296.  -  Karamel,  1, 142-206,  238 ff.  — 
Mayer,  I,  18  ff.  —  Riezler,  I.  —  Roosier,  Sitzungsberichte  d.  Akad.  d.  W., 
Bd.  43.  —  Werunsky,  §  3. 

1.  Was  man  gewöhnlich  das  Zeitalter  der  Völkerwanderung 
nennt,  umspannt  die  Zeit  vom  Einbruch  der  Hunnen  nach  Europa 
bis  zum  Abzug  der  Langobarden  nach  Italien.  Die  Verschiebung 
der  Völkerschaften  begann  aber  schon  Jahrhunderte  vorher  und 
ist  für  unsere  Gegenden  erst  mit  dem  Einbruch  der  Magyaren 
im  9.  Jahrhundert  beendet.  Der  Niedergang  der  Römer-Herrschaft 
in  den  Donauländern  machte  nach  der  unglücklichen  Schlacht  bei 
Adrianopel  (378)  immer  raschere  Fortschritte.  Pannonien  gieng  nach 
wechselvollen  Schicksalen  an  die  Hunnen  gänzlich  verloren  und 
wurde  nach  Attila's  Tode  von  Ostgothen  besetzt,  welche  ihre  Herr- 
schaft auch  über  Mösien  ausbreiteten.  Noricum  verblieb  allerdings 
den  westlichen  Kaisern,  noch  Aetius  hat  es  gegen  germanische 
Angriffe  erfolgreich  vertheidigt,  allein  auch  hier  begann  man  um 
die  Mitte  des  5.  Jahrhunderts  die  Folgen  dieser  allgemeinen  Um- 
wälzung schwer  zu  empfinden.  Von  einem  Einfluss  der  italischen 
Regierung  auf  Ufernoricum  war  längst  nicht  mehr  die  Rede, 
selbst  der  Sold  für  die  Grenztruppen  blieb  aus  und  nur  das  per- 
sönliche Ansehen  eines  Privatmannes,  der  ebenso  verehrt  von  den 
Provinzialen  als  geachtet  bei  den  Barbaren  war,  vermochte  die 
Ordnung  nothdürftig  zu  erhalten.  Mit  dem  Tode  des  heiligen 
Severin  (f  482)  brach  in  den  Donaulanden  die  letzte  Stütze  des 
sinkenden  Römerthums.  Der  neue  germanische  Beherrscher  Italiens, 


Österreich  im  Zeitalter  der  Völkerwanderung:.  23 

König  Odoaker,  machte  zwar  dem  Rugier-Reich  auf  dem  jenseitigen 
Donauufer  ein  Ende  (um  487 — 488),  sah  aber  auch  die  Unmöglichkeit 
ein,  Ufernoricum  ferner  zu  behaupten.  Nach  dem  Beispiel,  das 
Aurelian  in  Dacien  vor  zwei  Jahrhunderten  gegeben  hatte, 
ordnete  auch  er  den  Abzug  der  Römer  aus  der  aufgegebenen 
Provinz  an,  und  sicher  hat  damals  Italien  den  wohlhabenderen 
Theil  der  Bevölkerung  von  Noricum  aufgenommen.  Doch  ist 
keine  völlige  Verödung  des  Landes  eingetreten:  w^estlich  von  der 
Enns  gelang  es  den  Bayern,  wahrscheinlich  von  Lorch  aus,  das 
herrenlose  Land  zwischen  Inn  und  Enns  dauernd  zu  besetzen 
und  dass  sie  dabei  namhafte  Reste  der  früheren  Provinzialen  vor- 
fanden, muss  man  aus  zahlreichen  Romanen  (Walchen)  schließen, 
die  noch  nach  Jahrhunderten  im  Salzburgischen  und  im  Lande 
ob  der  Enns  vorkamen. 

2.  Die  Völkeransiedlungen  auf  österreichischem  Boden  ge- 
winnen erst  nach  dem  Abzug  der  Langobarden  (aus  den  Gebirgen 
Oberpannoniens  und  der  Donauebene)  nach  Italien  (568)  einige 
Stetigkeit.  Es  sind  durchaus  neue  Namen,  denen  wir  hier  begegnen. 

Den  Osten  von  Noricum  bis  über  die  Theiß  ins  ehemalige 
Dacien  erfüllten  die  Avaren,  ein  türkisch-finnischer  Nomadenstamm, 
wegen  seiner  Raubzüge  ringsum  von  seinen  Nachbarn  gefürchtet. 
Zwischen  und  neben  ihnen  wohnten  Slaven,  die  während  der 
Jahre  568—592  Pannonien  im  ganzen  Umfang  zur  Zeit  der  Römer, 
Noricum  und  alles  Land  von  der  Donau  bis  nach  Istrien  besetzten, 
auch  mit  den  Avaren  vereint  in  den  Jahren  602 — 611  in  Dalmatien 
einfielen.  Andere  Slaven  brachen  damals  aus  dem  Dnjeprbecken 
entlang  dem  Pripet  nach  Westen  vor,  besetzten  die  Weichsel- 
und  Oderlandschaften  und  mögen  durch  die  Karpathenpässe 
nach  Oberungarn,  durch  die  Oderpforte  nach  Mähren  gelangt 
sein.  Dass  diese  Ausbreitung  der  Slaven  nach  dem  Westen  mit 
Wissen  und  Willen  der  Avaren  geschah,  ist  nicht  zu  bezweifeln, 
herrschten  doch  diese  damals  in  Gegenden,  w^elche  einzunehmen 
die  Slaven  sich  gedrängt  sahen.  Die  Avaren  bedurften  eben 
ackerbautreibender  Unterthanen,  um  die  verödeten  Landstriche 
(Deserta  Bojorum)  zu  bebauen  und  fanden  diese  in  den  Slaven, 
deren  Zuwanderung  sie  unterstützten,  um  sie  dann  zu  Feldknechten 
und  jeglidien  Diensten  zu  pressen.  Noch  war  der  Slaven  Wider- 
standskraft nicht  soweit  erstarkt,   um  ohne  äußeren  Anstoß  das 


24  österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Erste  Periode.  §  5. 

Joch  der  Avaren  abschütteln  zu  können.  Dies  geschah  erst  unter 
Samo's,  eines  fränkischen  Kaufmanns,  Führung,  der  ums  Jahr  622 
einen  großen  slavischen  Völkerbund  im  Norden  und  Süden  der 
Donau  ins  Leben  rief  und  durch  40  Jahre  zusammenhielt.  Ob 
die  Karantaner  Slaven  zu  diesem  Reiche  gehört  haben,  das  erst 
gegen  die  avarische  Zwingherrschaft  gerichtet,  später  sowohl  den 
Franken  als  auch  den  Langobarden  bedrohlich  schien,  ist  ungewiss, 
sicher  ist,  dass  sie  nach  dem  Zerfalle  von  Samo's  Schöpfung  ihre 
Selbständigkeit  gegenüber  den  Avaren  bis  ins  8.  Jahrhundert 
zu  wahren  wussten. 

3.  Langobarden  und  Alamannen  hielten  einzelne  Landstriche 
im  Süden  und  Westen  der  deutsch-österreichischen  Lande  besetzt, 
allein  den  Hauptantheil  erhielt  der  bayerische  Stamm,  der  aus  einer 
Verbindung  der  Markomannen  mit  Quaden  und  anderen  benach- 
barten Sueven  erw^achsen  ist.  Die  Salzburger  Jahrbücher  verlegen 
diese  Besitzergreifung  ins  Jahr  508  und  es  ist  immerhin  möglich, 
dass  dieser  Angabe  alte  Überlieferung  zugrunde  liegt,  jedenfalls 
entfernt  sie  sich  nicht  sehr  weit  von  der  Wahrheit,  da  man  dies 
Ereignis  mit  ziemlicher  Wahrscheinlichkeit  zwischen  488  und  520 
ansetzen  darf.  Bald  nach  der  Niederlassung  in  ihren  neuen 
Sitzen  geriethen  die  Bayern  —  vermuthlich  durch  Übereinkommen 
—  unter  die  Schutzhoheit  der  Franken,  doch  bleibt  bis  gegen 
das  Ende  des  7.  Jahrhunderts  ihre  Geschichte  sagenhaft  und 
dunkel.  Ungeachtet  des  anw^achsenden  fränkischen  Einflusses,  der 
sich  auch  der  ausgesandten  christlichen  Glaubensboten  bediente, 
um  einen  engeren  Anschluss  des  Landes  ans  Frankenreich  vor- 
zubereiten, wusste  das  damals  über  Bayern  herrschende  Haus 
der  Agilolfinger  die  Grenzen  seines  Herzogthums  gegen  Südosten 
erfolgreich  vorzuschieben.  Um  680  saß  der  bayerische  Grenzgraf 
in  Bozen  und  mag  die  Grenze  bei  Welschmetz  (meta  Langobar- 
dorum)  schon  länger  bestanden  haben.  Noch  bedeutender  war 
die  Erweiterung  des  herzoglichen  Gebiets  durch  die  fi'eiwillige 
Unterwerfung  des  Karantaner  Herzogs  Borut  (um  738),  der  die 
bayerische  Hilfe  gegen  die  Avaren  durch  Annahme  des  Christen- 
thums  und  Abhängigkeit  erkaufte.  Diese  Stärkung  der  agUol- 
fingischen  Macht  war  jedoch  den  Frankenkönigen  keineswegs 
willkommen;  „auf  Befehl  der  Franken '^  musste  Herzog*Odilo  den 
Sohn  Borut's  nach  des  \^aters  Tode  heimschicken,  und  als  dieser 


Bayern  unter  den  Agilolllngem.  25 

junge  Slavenfürst  bald  verstarb,  gebot  der  fränkische  Hof  (zum 
zweitenmale  innerhalb  dreier  Jahre)  Gleiches  bezüglich  Chrotimir's. 
Die  Verwirrungen  in  Bayern  nach  Herzog  Odilo's  Tode  (f  748) 
benützte  der  fränkische  Hausmeier,  um  den  unmündigen  Herzogs- 
sohn Tassilo  III.  unter  seine  Vormundschaft  zu  zwingen.  Tassilo  III., 
an  den  fränkischen  Hof  gebracht,  musste  den  Karolingern 
Vasallentreue  schwören  und  wurde  demungeachtet  festgehalten, 
bis  ihm  im  Jahre  763  während  eines  Feldzugs  König  Pipin's  gegen 
die  Aquitaner  die  Flucht  nach  der  Heimat  gelang.  Hier  regierte 
er  dann,  unabhängiger  als  seine  Vorfahren,  durch  eine  Reihe  von 
Jahren,  doch  die  fränkische  Vergeltung  war  bloß  aufgeschoben. 
Der  Sturz  des  Langobarden  reiches,  774,  machte  seine  Stellung  im 
Frankenreiche  auf  die  Länge  unhaltbar.  Nach  verschiedenen  Ver- 
mittelungsversucheu  erfolgte  die  Entscheidung  787 — 788,  als  ge- 
ringfügige Streitigkeiten  an  der  baj^erischen  Südgrenze  den  un- 
mittelbaren Anlass  zum  Kriege  geboten  hatten. 

Vergeblich  rief  Tassilo  in  seiner  Verzweiflung  die  Avaren 
zu  Hilfe;  die  Bayern  wandten  sich  nun  selbst  von  ihrem  Herzog 
ab,  der  des  Reiches  Feinde  ins  Land  gerufen  hatte,  und  dieser 
überlieferte  sich  Karl  dem  Großen  zu  Ingelheim,  um  seinen  als 
Geißel  gestellten  Sohn  Theodo  zu  retten.  Wegen  Desertion  (harisliz 
im  Jahre  763)  zum  Tode  verurtheilt  und  zum  Kloster  begnadigt, 
endete  der  Bayemherzog  sein  Leben  zu  Lorsch,  w^oliin  er  sich 
nach  seiner  Freilassung  (794)  begeben  hatte. 

4.  Die  Eroberung  Bayerns  war  für  die  karolingische  Herrschaft 
ein  Ereignis  von  größter  Wichtigkeit  und  wurde  als  solches  auch 
im  Lande  selbst  empfunden,  wo  man  nach  dem  Jahre  zu  datieren 
begann,  in  welchem  Karl  das  Volk  der  Bayern  gewann.^  Ja,  der 
Einfall  der  Avaren  wurde  nicht  bloß  zurückgewiesen,  sondern  der 
Kampf  ins  Feindesland  verlegt.  Mit  Nachdruck  geführte  Kriege 
(791 — 797)  zertrümmerten  das  morsche  Staatswesen  der  Avaren.* 


1  Regnante  d.  Charlo  rege  Franchorum  et  Langupartonun  et  patrieio 
Romanorom  in  primo  anno  quando  adquisivit  gentem  Bajuvariorum  Mon. 
Boica  XXVillb.,  S.  13,  17,  20. 

'  Nur  kurze  Zeit  hat  sich  der  Name  Avaria  für  die  Gegend  von  der 
Enns  bis  zur  Leitha  erhalten:  in  provincia  Avarorum  811,  832,  838,  836  ver- 
einzelt noch  979,  in  terra  Hunnorura  823.  —  Felicetti  in  den  Beiträgen  zur 
Kunde  stcir.  Geschiehtsquellen,  Bd.  9,  8.  7. 


26  Osterreichische  Reiohsgeschichte.  I.  Theil.  Erste  Periode.  §  5. 

Die  Grenzen  des  Prankenreiches  rückten  von  der  Enns  bis  jenseits 
der  Donau  vor,  beide  Pannonien  wurden  Karl  dem  Großen  unter- 
than,  der  gerade  damals  auch  Istrien  den  Byzantinern  abgewonnen 
hatte.  Während  Istrien  seine  alte  Verfassung  unter  einem  Dux 
behielt  und  nur  den  Tributherrn  wechselte,*  richtete  Karl  der 
Große  im  ehemaligen  Avarengebiet  ums  Jahr  803  zwei  Markgraf- 
schaften zum  Schutze  des  Reiches  einT  die  nördliche  Mark  im 
Ostlande,  welche  vom  Wienerwald  tief  in  altbayerische  Be- 
sitzungen hineinreichte,  und  die  südliche  Friauler  Mark,  die  auch 
einen  Theil  von  Untei-pannonien  umfasste.  Beide  Marken  waren 
der  Obhut  von  Grenzgrafen  untergeben,  die  sich  auf  ein  zur 
Behauptung  des  neugewonnenen  Landes  ausreichendes  Gebiet 
stützten,  dessen  Grenzen  auf  lange  hinaus  von  politischer  Be- 
deutung waren. 

5.  Durch  den  kaiserlichen  Theilungsact  vom  Jahre  817  erhielt 
Ludwig  der  Deutsche  nebst  Bayern  auch  Karantanien  und  die 
Länder  der  Böhmen,  Avaren  und  Slaven,  deren  Regierung  er  erst 
825 — 828  nach  erlangter  männlicher  Reife  antrat.  Fast  gleich- 
zeitig erfolgte  die  Auflassung  der  Friauler  Mark.  Markgraf 
Balderich,  dem  man  zur  Last  legte,  dass  durch  sein  Verschulden 
die  Bulgaren  die  Grenzen  von  Oberpannonien  überschreiten  konnten, 
wurde  abgesetzt,  sein  Gebiet  in  vier  Verwaltungsbezirke  einge- 
theilt  und  diese  nach  Art  der  Grafschaften  im  übrigen  Franken- 
reich  eingerichtet.  Seitdem  stand  ganz  Unterpannonien  in  mehr 
minder  hervortretender  Abhängigkeit  von  Karantanien,  das  nun 
größere  Bedeutung  erlangte.  Schon  Karlmann,  Ludwig  des 
Deutschen  Sohn,  unzufrieden  mit  der  im  Jahre  856  erlangten 
Leitung  der  Ostmark,  versuchte  in  wiederholten  Aufständen  seinem 
Vater  Karantanien  zu  entreißen,  bis  ihn  die  Regensburgers  Reichs- 
theilung vom  Jahre  865  ans  Ziel  seiner  Wünsche  brachte.  Noch 
wichtiger  wurde  Karantanien  unter  der  Verwaltung  seines  un- 
ehelichen Sohnes  Arnulf.  Um  seinen  Einfluss  in  der  Ostmark  zur 
Geltung  zu  bringen,  unterstützte  dieser  die  Erbansprüche  der  fünf 
Söhne  der  beiden,  vom  Mährerfürsten  Svatopluk  erschlagenen 
Grenzgrafen  Wilhelm  und  Engelbrecht.  Im  Königstettner  Vergleich 


3  Der  nach  Byzanz  gezahlte  Tribut  war  344  Goldstücke  jährlich.  Schon  791 
kämpft  der  istrische  Herzog  Johannes  unter  König  Pipin  gegen  die  Avaren. 


Die  Ostmark  zur  Zeit  der  Karolinger.  27 

vom  Jahre  884  setzte  Kaiser  Karl  III.  dem  verheerenden  Kriege 
zwischen  Arnulf  und  den  Mährern*  ein  Ende,  aber  seitdem  be- 
gann eine  Annäherung  der  früheren  Gegner,  die  dem  Kaiser 
verhängnisvoll  wurde.  Als  Arnulf  im  Jahre  887  zu  den  WaflFen 
greift,  um  den  unthätigen  Kaiser  vom  Throne  zu  stoßen,  leisten 
jenem  auch  Hilfstruppen  Svatopluks  Gefolgschaft. 

Nach  seiner  Wahl  zum  Könige  richtete  Arnulf  die  Verwaltung 
der  südöstlichen  Marken  im  ganzen  so  ein,  wie  sie  unter  seinem 
Vater  gewesen  war,  nur  dass  die  Oberleitung  der  Marken  durch 
königliche  Prinzen  fortfiel  und  die  Grafen  jetzt  unmittelbar  dem 
Könige  unterstanden.  Die  pannonischen  Slaven  blieben  unter 
Herzog  Brazlavo,  dem  sie  Arnulf  mit  Rücksicht  auf  das  Vor- 
dringen der  Ungarn  anvertraut  hatte.  Denn  schon  machten  sich 
diese  neuen  Reichsfeinde  furchtbar:  894  waren  sie  verwüstend 
nach  Pannonien  eingefallen  und  nur  den  pannonischen  Slaven 
zwischen  Drau  und  Save  gelang  es  sich  zu  behaupten,  unbekannt 
unter  welchen  Umständen. 

Aber  auch  Svatopluk  bereute  es  bald,  dass  er  dem  Kärntner 
Herzog  zum  Throne  verholfen  hatte.  Aniulf  war  nicht  gewillt, 
einen  Vasallenkönig  von  des  Mährere  Art  ungehindert  walten  zu 
lassen,  die  Schwächung  und  Zersetzung  Großmährens  stand  in 
seinem  Plane.  Wohl  wusste  sich  Svatopluk  gegen  Arnulf  und 
Brazlavo,  sowie  gegen  die  Magyaren,  die  als  ungerufene  Bundes- 
genossen vom  Südosten  her  einfielen,  mit  Erfolg  zu  wehren. 
Als  er  jedoch  894  gestorben  war  und  seine  Söhne  in  inneren 
Fehden  die  Kraft  des  großmährischen  Reiches  erschöpften,  erlag 
es  dem  Anstürme  der  Bayern  und  Magyaren,  wahrscheinlich  um 
905—906.  Mit  dem  Falle  Großmährens  sank  indessen  auch  die 
schützende  Vormauer  Deutschlands  gegen  Osten.  Die  mörderische 
Schlacht  an  der  Donau  im  Jahre  907,  in  welcher  Markgraf  Luitpold 
mit  dem  Kern  des  bayerisch-pannonischen  Heeres  fiel,  riss  vollends 
die  letzte  Schranke  nieder,  Luitpold's  Sohn,  Arnulf,  an  den  in  dieser 


*  Die  fränkischen  Reiclisannalen  nennen  seit  822  die  Mälirer  als  Naclibarn 
der  böhmischen  Slaven.  Die  Mährer  waren  damals  zwischen  March,  Donau  und 
Drau  seßhaft.  Während  Fürst  Mol  mir.  der  die  westlichen  Mährer  beherrschte, 
846  die  Herrschaft  an  seinen  Neffen  Rastislav  abtreten  musste,  dem  nach 
30  Jahren  Svatopluk  folgte,  erfreuten  sich  Privina,  der  Fürst  der  östlichen 
Mährer,  und  sein  Sohn  Kozel  beständig  der  Gunst  der  Frankenkönige. 


28  Österreichische  Reichsg-eschichte.  I.  Theil.  Erste  Periode.  §  5. 

Zeit  der  Verwirrung  die  oberste  Gewalt  in  Bayern  kam,  zog  sich 
nach  Regensburg  zurück,  den  Ungarn  aber  sicherte  erst  dieser  Sieg 
ihre  Sitze  in  der  Donautiefebene,  wo  sie  sich  niedergelassen  hatten. 

6.  Sehr  bestritten  ist  die  Frage,  ob  nach  dieser  Unglücks- 
schlacht die  Ostmark  gänzlich  eingieng.  Sicher  ist,  dass  sich  die 
Herrechaft  der  Magyaren  nicht  über  die  Enns  erstreckte,  denn  die 
aus  den  Trümmern  des  alten  Laureacum  erbaute  Ennsburg  trotzte 
all  ihren  Angriffen.  Nicht  einmal  im  Lande  unter  der  Enns  ist  es 
zur  Begründung  einer  förmlichen  Magyarenherrschaft  gekommen. 
Das  flache  Land,  vielfach  verwüstet,  war  herrenloses  Gebiet  ge- 
worden, das  die  Raubzüge  der  Reichsfeinde  unbehindert  nach 
allen  Seiten  durchquerten.  Weniger  als  die  Ostmark  hatte  das 
abseits  liegende  Karantanien  zu  leiden,  hier  wurden  auch  die 
Magyaren  im  Jahre  901  auf  ihrer  Rückkehr  aus  Italien  geschlagen. 

Ein  Umschw-ung  zum  Bessern  trat  allmählich  seit  dem 
Siege  König  Heinrich's  über  die  Magyaren  ein  (933).  Später  als 
nach  Arnulfs  von  Bayern  Tode  König  Otto  daran  gieng,  die  könig- 
liche Macht  im  Herzogthume  zu  heben,  wurde  938  Karantanien  mit 
der  Veroneser  Mark  von  Bayeni  abgetrennt,  noch  wichtiger  war  in 
ihren  Folgen  die  Schlacht  auf  dem  Lechfelde  955.  Seitdem  be- 
ginnen wieder  Unternehmungen  der  Deutschen  gegen  den  Osten, 
auch  treten  eigene  Markgrafen  in  Kai'antanien  und  der  Ostmark  auf: 
970  ein  Marchwart  mit  einer  Grafschaft  im  Leibnitzer  Felde,  974 
Markgraf  Popo  in  Krain,  Burchard  in  der  Ostmark  (bis  972—973). 
Dieselben  unterstanden  dem  Herzog  von  Bayern,  bis  dessen  Auf- 
stand  im  Jahre  976  den  König  zu  durchgreifenden  Änderungen 
in  der  Verwaltung  nöthigte. 

In  beiden  Pannonien  behaupteten  die  Magyaren  ihre  Herr- 
schaft bis  auf  den  zwischen  dem  Wiener  Walde  und  der  Leitha 
gelegenen  Theil,  sowie  einige  an  Karantanien  anstoßende  Land- 
striche. Die  unter  den  einheimischen  Fürsten  Privina  und  Kozel 
zahlreich  gew^ordene  Slaven-Bevölkerung  wurde  von  den  Ungarn 
gutentheils  verdrängt,  wiihrend  sie  sich  im  Gebiet  zwischen  Save 
und  Drau  stets  behauptete.  Damals  giengen  auch  dem  Erzstift  Salz- 
burg jene  großen  pannonischen  Besitzungen  verloren,  die  es  später 
durch  eine  Reihe  verfälschter  Bestätigungs-Urkunden  (angeblich 
von  Otto  l.)  vergeblich  zu  retten  suchte. 


Die  Ostmark  im  10.  Jahrhundert;  Rechtsquellen.  29 


Die  Rechtsquellen  bis  zum  Schluss  des  10.  Jahrhuiiderts. 

§  6.  Yolksrechte. 

Stobbe,  Rechtsquellen,  I.  —  Qengler,  Beiträge  zur  Rechtsgeschichte 
Bayerns,  I,  Capitel  1.  —  Brunn  er,  Deutsche  Rechtsgeschichte,  I,  §  33  ff.  — 
Schröder,  Lehrbuch  der  deutschen  Rechtsgeschichte,  2. A.,  S.  239  flf. 

1.  Da  die  Frankenkönige  zu  Gunsten  der  Reichsangehörigen 
das  sogenannte  Personalitätsprincip  aufstellten  und  daher  der  Ein- 
zelne auch  außerhalb  seiner  Stamraesheimat  nach  dem  Rechte 
behandelt  wurde,  in  dem  er  geboren  war,  so  unterliegt  es  keinem 
Zweifel,  dass  auf  österreichischem  Boden  in  fränkischer  Zeit 
je  nach  Umständen  die  Rechte  der  verschiedensten  deutschen 
Stämme  zur  Anwendung  kommen  konnten  und  auch  wirklich 
kamen.  ^  Sieht  man  indessen  von  Einzelfällen  ab  und  stellt  man 
die  Pi-age,  welche  Stammesrechte  haben  die  spätere  Rechtsent- 
wicklung in  Österreich  zumeist  beeinflusst,  so  wird  man  an  erster 
Stelle  bayerische,  dann  aber  schwäbische  und  langobardische  Rechts- 
quellen zu  berücksichtigen  haben.  Erstere  zwei  kommen  für  den 
größten  Theil  der  österreichischen  Alpenländer  in  Betracht,  das 
Alamannenrecht  für  Vorarlberg  und  das  westliche  Nordtirol,  das 
langobardische  für  Welschtirol  und  das  Küstenland. 

2.  Lex  Bajuvariorum.  —  Drucke  seit  Sichard  (1530) 
bis  auf  die  Folio-Ausgabe  in  den  Mon.  Germaniae,  leges  III, 
183—496,  die  Quart-Ausgabe  als  LL.  V.  wird  vorbereitet.  Er- 
halten sind  30  Handschriften  (einschließlich  der  neuerlich  aufge- 
fundenen Klitschdorfer),  welche  meist  dem  9.— 10.  Jahrhundert 
angehören. 

*  Man  denke  nur  an  die  Ansiedlungen  von  Frankefi,  Sachsen,  Schwaben 
U.S.  w.,  die  in  karol in gi scher  Zeit  nach  Österreich,  Steiermark,  Kärnten  .  .. 
kamen  und  deren  Andenken  hier  zum  Theil  in  Ortsnamen,  wie  Frankenberg, 
Frankenburg,  Frankenmarkt,  Sachsenburg,  Sachsen  feld,  Sachsengang,  Schwabeck 
u.  s.  w.  fortlebt.  S.  ferner  die  Stiftungsurkundo  von  St.  Georgen  am  Längssee  ums 
Jahr  1000,  bei  welcher  testcs  tracti  per  aures,  also  Bayern,  von  den  testes 
sclavenicAC  institutlonis,  oder  die  Urkunde  für  Aquileja  vom  Jahre  1102  in  der 
Baiuariorura  rogati  testcs,  Histrieiises  testes  und  Forulienses  testes  unterschieden 
werden.  Archiv  für  Süddcutschland,  II,  S.  243,  »Die  Sachsen  in  Innerösterieich"  im 
1.  Heft  der  Beiträge  zur  Lösung  der  Preisfrage  des  Erzh.  Johann,  1S19,  S.  Ib7  ff. 


30  Österreichische  Roichsgoschichte.  I.  Theil.  Erste  Periode.  §  6. 

Als  Bestandtheile  dieses  Volksrechtes,  das  sich  selbst  pactus, 
lex  oder  ewa  Bajuvariorum  nennt,  sind  uns  überliefert: 

a)  ein  Prolog,  zusammengesetzt  aus  Stellen,  die  den  „Origines" 
des  Isidor  von  Sevilla  entnommen  sind  und  einem  Bericht  über 
die  Gesetzgebung  der  Franken,  Alamannen  und  Baj^ern. 

b)  ein  Register  in  drei  verschiedenen  Fassungen,  von  denen 
eine  den  ganzen  Inhalt  unter  54  Rubriken  vertheilt; 

c)  der  eigentliche  Gesetzestext  in  21—22  Titeln.  Die  Aus- 
gabe der  Mon.  Germanire  bietet  ihn  in  drei  Formen,  die  jedoch  nicht 
auf  verschiedene  Gesetzgebungsacte,  sondern  auf  Verbesserungen 
der  Schreiber  zurückzuführen  sind. 

Dass  die  Nachrichten  des  Prologs  über  die  Gesetzgebung 
der  fränkischen  Könige  für  die  Bayern,  so  bestimmt  sie  auch 
lauten,  unglaubwürdig,  mindestens  aber  zu  ungenau  sind,  um  für 
die  Geschichte  der  Lex  Bajuvariorum  verwertbar  zu  sein,  ist 
jetzt  allgemein  anerkannt.  Wir  sind  deshalb,  wenn  wir  das  Alter 
und  die  Art  der  Entstehung  dieses  Gesetzes  ergründen  wollen, 
lediglich  auf  innere  Gründe  angewiesen  und  dies  erklärt  die  sehr 
verschiedenen  Ansichten,  die  schon  geäußert  w^orden  sind. 
Während  Eichhorn  und  ältere  Schriftsteller  die  Lex  Baju- 
variorum als  Ergebnis  einer  einmaligen  Satzung  hinstellen,  haben 
neuere  Forscher  die  Entstehung  auf  drei  oder  mehr  Acte  ver- 
theüen  wollen,  die  sie  vom  6. — 8.  Jahrhundert  ansetzten.  In  der 
handschriftlichen  Überlieferung  findet  diese,  namentlich  seit  der 
Ausgabe  Merkels,  in  den  Mon.  Germanise  herrschende  Ansicht  keine 
Stütze.  Auch  der  Nachweis,  dass  die  beiden  ersten  Titel  frühestens 
aus  der  Zeit  Karl  Martells  stammen,  kann  nicht  länger  als  Zeugnis 
für  eine  öftere  Satzung  angeführt  werden,  seitdem  es  erwiesen 
ist,  dass  die  in  allen  Theilen  des  bayerischen  Volksrechts  benützte 
Lex  Alamannorun\  der  Zeit  Herzog  Landfried's  (f  730)  angehört. 
Die  einmalige  Satzung  der  Lex  Bajuvariorum  kann  also  frühestens 
ums  Jahr  730  erfolgt  sein.  Sie  fällt  jedoch  nach  739,  weil  die 
kirchenrechtlichen  Artikel  schon  die  Durchführung  der  Bonifazi'- 
schen  Reform  des  bayerischen  Kirchenwesens  voraussetzen;  sie 
fällt  anderereeits  vor  den  Regierungsantritt  Herzog  Tassilo's  III. 
(748),  weil  im  Jahre  756  die  Synode  von  Aschheim  das  Gesetz 
dem  Herzoge  als  „precessorum  vestrorum  depicta  pactus"  be- 
zeichnet.  Die  lex  ist  also  unter  Herzog  Odilo,  wahrscheinlich  in 


Das  bayerische  Volksrecht.  31 

den  Jahren  744—748  entstanden,  als  dieser  nach  seiner  Aus- 
söhnung mit  den  Söhnen  Karl  Martell's  wieder  in  sein  Herzog- 
thum  eingesetzt  worden  war.  Bei  Abfassung  der  kirchlichen 
Bestimmungen  dürfte  die  Kirche,  bei  Redaction  der  staatsrecht- 
lichen Vorschriften  die  fränkische  Regierung  betheiligt  gewesen 
sein.  Dagegen  wurden  Strafrecht,  Privatrecht  und  der  Rechtsgang 
als  innere  bayerische  Angelegenheiten,  ausschließlich  von  heimi- 
schen Kräften  mit  Hilfe  der  judice^  zusammengestellt,  auf  welche 
einmal  ausdrücklich  Bezug  genommen  wird.^ 

3.  Bei  Abfassung  der  Lex  Bajuvariorum  wurden  die  alten, 
wohl  noch  aus  der  Urheimat  Bojoheim  (Baia)  in  die  neuen  Wohn- 
sitze mitgebrachten  Stammgebräuche  aufgezeichnet  und  außerdem 
noch  benützt: 

a)  die  Lex  Alamannorum  Landfridiana  an  sechzig  Stellen, 
die  über  alle  Titel  des  bayerischen  Gesetzes  vertheilt  sind,  hat 
bei  der  Rechtssatzung  geradezu  als  Mustervorlage  gedient,  weil 
in  vielen  Dingen  zwischen  den  stammverwandten  Alamannen  und 
Bayern  von  altersher  Rechtsgleichheit  bestand; 

b)  an  zweiunddreißig  Stellen,  vorzüglich  im  letzten  Abschnitte 
westgothisches  Recht  in  der  Passung  der  sogenannten  Antiqua 
coUectio   König  Rekkared's  (586—601)   oder  Eurichs  (466—484); 

c)  vereinzelt  sind  Spuren  fränkischen  Einflusses  zu  erkennen, 
so  wenn  bei  der  Grundübereignung  sowohl  die  bayerische  Form 
durch  Behändigung  des  Briefes  (T.  L,  1 ;  XVI,  2),  als  auch  die 
fränkische  Investitur  (T.  XVI,  17),  vestita  manus,  erwähnt  werden. 

Nach  den  behandelten  Gegenständen  zerfällt  der  Text  der 
Lex  Bajuvariorum  in  drei  ungleiche  Abschnitte: 

a)  einen  kirchenrechtlichen  =  Tit.  I,  quae  ad  clerum  pertinent, 
seu  de  ecclesiastico  jure; 

b)  das  Staats-  und  Adelsrecht  bUden  der  (auch  besonders 
als  „edictum"  bezeichnete)  Tit.  II,  de  duce  et  de  ejus  causis,  und 
Tit.  III,  de  genealogiis  et  eorum  compositione,  der  als  privilegien- 
artiges königliches  Sondergesetz  erscheint; 

c)  Tit.  IV— XXII  über  die  Rechtsverhältnisse  der  nach  den 
Adelsgeschlechtem  folgenden  Geburtsstände  und  die  übrigen  straf- 
wie  privatrechtlichen  Bestimmungen. 


*  Tit.  XVII,  5,  sed  hie  discordant  judices  de  pacto. 


32  österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Erste  Periode.  §  6. 

In  allen  drei  Abschnitten  finden  sich  Erläuteningen  des 
lateinischen  Textes  durch  Ausdrücke  der  altbayerischen  Rechts- 
sprache (.  .  quod  Baiwarii  dicunt,  .  . .  quod  dicimus  u.  s.  w.) 

4.  Das  Geltungsgebiet  der  Lex  Bajuvariorum  erstreckte  sich, 
wenn  wir  die  Wohnsitze  der  Bayern  ins  Auge  fassen,  im  Süden 
bis  an  die  Etsch  und  den  Eisack,  im  Westen  bis  an  den  Lech, 
im  Osten  über  Kärnten,  Steiermark,  Krain,  Österreich  bis  nach 
Westungarn,  im  Norden  nach  Hinzuerwerbung  des  Nordgaues  fast 
bis  an  den  Main  und  das  Fichtelgebirge.  Im  1 1 .  Jahrhundert  soll 
sie  noch  weiter  nach  Osten  vorgedrungen  sein,  da  Kaiser  Heinrich  III. 
den  Ungarn  auf  ihre  Bitte  im  Jahre  1044  die  Anwendung  des 
Bayernrechtes  zugestanden  haben  soll.*  Eine  nähere  Untersuchung 
der  ungarischen  Gesetzgebung  König  Stephan's  I.  und  seiner 
Nachfolger  Ladislaus  (1080—1095)  und  Kolomann's  (1095—1114)* 
ergibt  indessen  keine  Bestätigung  dieser  Nachricht.  Wenn  sich  hie 
und  da  ähnliche  oder  selbst  gleiche  Verfügungen  finden,  so  war 
es  unverkennbar  kirchlicher  Einfluss,  auf  den  sie  beidemale  zurück- 
zuführen sind;  im  übrigen  waren  die  ungarischen  Gesetze  von 
anderen  Principien  beherrscht  als  die  Lex  Bajuvariorum.  Sieht 
man  z.  B.  davon  ab,  dass  Verbrechen  an  Freien  strenger  bestraft 
wurden,  als  solche,  die  an  Unfreien  begangen  worden  sind,  so 
war  nach  den  ungarischen  Gesetzen  die  Person  des  Beschädigten 
für  die  Höhe  des  Strafsatzes  ohne  Belang,  während  mit  dem 
höheren  Rang  des  Thäters  für  diesen  gewöhnlich  eine  Straf- 
verschärfung verbunden  war  u.  a.  m.  Vermuthlich  sind  daher  die 
obenerwähnten  Nachrichten  deutscher  Geschichtsschreiber  auf 
Landfriedensbestimmungen  einzuschränken,^  die  damals  in  Bayern 


^  Ungarios  petentes  lege  Bajoarica  donavit.  (Hermann i  Augiensis  chron. 
in  Mon.  Germanir©  Ss.  VII,  125),  illis  etiara  petentibus  scita  Teutonica  concessit 
(Ann.  Altahenses  majores  M.  G.  XX,  8(X)).  Thuroczy  corrigierte  um  1490  diese 
Stelle,  die  seinem  Nationalgefühl  widersprach,  um  in  «concessit  petentibus 
Hungaris  hungarica  scita  servari  et  consuetudinibus  judicari". 

^  Rer.  Hungaricarum  monum.  Arpadiana  ed.  Stephan  Endlicher.  II,  Logos» 
St.  Gallon  1848.  —  Derselbe:  Die  Gesetze  des  heil.  Stephan's.  Wien  1849. 

*  Gi esobrecht  macht  auf  die  Analogie  mit  der  Nachricht  in  B c r n o  1  d i 
Monachi  chronicon  ^Mon.  Germ.,  Ss.  V.,  458)  zum  Jahre  1094  aufmerksam,  dass 
die  Landfriedensordnung  für  Schwaben  vom  Jahre  1093  nicht  nur  nach  Franken, 
sondern  .usque  Bajoariam  immo  usque  Hungariam*  sich  verbreitet  habe. 


Geltungsgebiet  und  FortbUdung  des  bayerischen  Volksrechts.  33 

galten  und  die  für  das   vom  Bürgerkriege   zerfleischte  Ungarn 
von  unmittelbarer  Anwendbarkeit  waren. 

5.  Die  Lex  Bajuvariorum  hat  im  Laufe  der  Zeit  Fortbildung 
und  mancherlei  Zusätze  theils  durch  Landes-,  theils  durch  Reichs- 
gesetzgebung erfahren.  Hieher  gehören: 

a)  Beschlüsse  bayerischer  Synoden,  d.  h.  der  Versamm- 
lungen von  Bischöfen,  Äbten  und  weltlichen  Großen,  mitunter 
auch  der  gesammten  Volksfreien  unter  Vorsitz  des  Herzogs,  in 
Merkels  Ausgabe  als  additio  IV  flf.  Mon.  Germ.,  Leg.  HI,  8.  457  flf. 

a)  Capitula  synodi  Aschheimensis  unter  Herzog  Tassilo  HL, 
wahrscheinlich  vom  Jahre  756,  geistlichen  Inhalts.  C.  15  verlangt 
die  Anwesenheit  von  Geistlichen  an  den  herzoglichen  Gerichtstagen 
^nt  sit  sententia  vestra  dei  seile  condita^i 

ß)  die  Dingolflnger  Beschlüsse  von  772  mit  einer  in  C.  8 
enthaltenen  wichtigen  Bestimmung  über  Vererbung  von  Lehen ; 

Y)  die  als  populäres  leges  bezeichneten  18—20  Capitel  der 
Neuchinger  Synode  von  774—775  durchaus  bürgerlichen  Inhalts. 
ß  und  f  erscheinen  zuweilen  als  Decreta  Tassilonis  zu  einem 
kleinen,  das  Volksrecht  erläuternden  Gesetz  zusammengefasst,  ein- 
zelne Bestimmungen  daraus  wurden  auch  von  den  Schreibern 
unmittelbar  in  den  Text  des  Volksrechts  aufgenommen; 

8)  die  Reisbacher,  Freisinger  und  Salzburger  Beschlüsse,  die 
außer  rein  geistlichen  auch  weltliche  Angelegenheiten  behandeln, 
fallen  in  die  karolingische  Zeit  (zwischen  796—801),  die  Dingol- 
flnger von  932  und  die  Regensburger  von  938 — 968  in  die  Periode 
des  wieder  erstandenen  Stammesherzogthums ; 

e)  die  bedeutendste  Fortbildung  erfuhr  das  Bayernrecht  im 
10.  Jahrhundert  durch  die  s.  g.  Ranshofer  Beschlüsse,  welche  Herzog 
Heinrich  I.  oder  IL  zuzuschreiben  sind.  Ihr  Inhalt  ist  rein  straf- 
rechtlich, sehr  grausam  und  betrifft  den  widerrechtlichen  Schutz 
flüchtiger  Knechte,  Geächteter  und  Diebe,  die  Haftung  des  Haus- 
wirts für  aufgenommene  Gäste  u.  dgl.  m.  Sie  sprechen  noch 
von  compositio  und  Wergeid,  stellen  aber  Leibes-  und  Freiheits- 
strafen in  den  Vordergrund,  bilden  also  den  Übergang  von  der 
altem  zur  neuern  Gestaltung  des  Strafrechts  in  Bayern.* 

*  (i  engl  er,  §  14,  schreibt  sie  der  zweiten  Regierung  Herzog  Heinrichs  II. 
(985—995)  zu.  Strafen  sind:  depUatio  et  excorticatio  (Kopf abscherung  mit 
Geißelung)  percnssio,  incarceratio,  externiinatio  (Landesverweisung). 

Laschili,  ÖBterretchische  Reiebigeschichte.  3 


34  österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Erste  Periode.  §.  6. 

h)  Die  fränkische  Reichsgesetzgebung: 
a)  Nach  Tassilo's  III.  Sturz,  den  Karl  der  Große  inv  Jahre 
788  wegen  einer  im  Jahre  763  begangenen  Dersertion  verurtheilen 
ließ,  wurde  die  Novelle:  „de  duce  si  protervus  et  elatus .  . 
decretum  regis  contempserit"  für  künftige  Fälle  erlassen,  die  auch 
im  Text  des  Volksrechts  als  T.  II,  C.  9  erscheint; 

ß)  „capitula  quae  ad  legem  Bajuvariorum  d.  Karolus  Serenissi- 
mus Imperator  addere  jussit"  mit  Androhung  des  Königsbannes  in 
angegebenen  acht  Bannfällen  (zw'ischen  801—813),  und 

7)  capitulare  Bajoaricum,  eine  Sendboten  -  Instruction  vom 
Jahre  803  oder  810  (Mon.  Germ.,  Leg.  III,  477—478); 

8)  „decretum  Hludovici  I.  de  ordinatione  servorum",  gerichtet 
an  Erzbischof  Adalram  von  Salzburg  mit  dem  Verbot,  Unfreie 
ohne  vorgängige  Freilassung  durch  ihre  Herren  zu  Priestern  zu 
weihen.  (Kleimayrn  Juvavia,  Anhang  Nr.  24,  S.  78); 

8)  die  Ordnung  für  den  Donauhandel  vom  Jahre  906  (Mon. 
Germ.,  Leg.  III,  480,  U.-B.  o.  Enns  II,  54),  ein  Weisthum  über  ZoU- 
und  Mautwesen  an  der  Donau,  das  auf  Befehl  König  Ludwig's  IV. 
zu  RaflFelstetten  (zwischen  der  Zizlau  und  Enns)  unter  Vorsitz 
des  Markgrafen  Aribo  in  Gegenwart  des  Grafen  Otachar,  des  Erz- 
bischofs Theotmar  von  Salzburg  und  B.  Burkhard's  von  Passau 
durch  sachkundige  „judices  orientalium"  aufgenommen  wurde.  Auf 
Grund  eidlicher  Aussagen  sollte  dadurch  der  Zustand  wieder  herge- 
stellt werden,  wie  er  von  den  Zeiten  Ludwig's  des  Deutschen  bis 
auf  König  Arnulf  bestanden  hatte.  Die  Bestimmungen  über  den 
Gegenstand  und  die  Richtung  des  Verkehrs  gehen  ins  einzelne; 
es  werden  deutsche  und  sla\ische  Unterthanen  erwähnt,  die  gleich 
zu  behandeln  waren,  ferner  Juden  und  fremde  Kauf  leute,  die  ver- 
schieden abgestuften  Zoll  zu  bezahlen  hatten. 

6.  Die  Zeit,  während  welcher  die  Lex  Bajuvariorum  in 
Österreich  in  Anw^endung  blieb,  lässt  sich  nur  annähernd  bestimmen. 
Einigen  Anhaltspunkt  bietet  das  Alter  der  Handschriften,  indem  man 
im  Mittelalter  Rechtshandschriften  meistens  nur  zu  praktischen 
Zwecken  abschrieb.  Insofern  wäre  der  Admonter  Handschrift  dieser 
Lex  aus  dem  12.  Jahrhundert  größere  Bedeutung  beizulegen,  wenn 
sie,  wie  Wattenbach  meint,  zum  ältesten  Bestand  der  Kloster- 
bibliothek gehören  sollte.  Ein  positives  Zeugnis  aus  dem  Jahre  1055 
bietet  die  Verurtheilung  des  Markgrafen  Otto  (wohl  von  Karantanien) 


Fränkische  Reichsgesetze«  das  Alamannenrocht.  35 

durch  Kaiser  Heinrich  III.  wegen  Incest  mit  ausdrücklicher  Berufung 
auf  Lex  Bajuvoriorum,  T.  VII,  C.  1.'^  Im  übrigen  sind  wir,  um  die 
Zeit  und  das  Geltungsgebiet  der  Lex  Bajuvariorum  in  den  öster- 
reichischen Landen  festzustellen,  auf  die  Erwähnung  von  testes 
per  aures  tracti  angewiesen.  Dies  Berühren  jedes  Einzelnen  am 
Ohre  durch  die  Partei,  der  er  künftighin  als  Zeuge  dienen  sollte, 
war  unzweifelhaft  altbayerischer  Rechtsbrauch,  wie  er  denn  auch 
als  „mos  baioarius  seu  noricus''®  bezeichnet  wurde  und  schon 
der  Lex  Bajuvariorum  bekannt  war  (z.  B.  XVI,  2,  XVII,  3,  6). 
Unsere  Urkunden  erwähnen  solche  Zeugen  bis  ins  13.  Jahrhundert. 
7.  Pactus  und  Lex  Alamannorum.  Ausgaben  seit  Sichard  1530 ; 
in  den  Mon.  Germaniae,  Fol.,  Leg.  III,  1 — 182,  durch  Merkel, 
in  Quart  (1888)  als  Leg.  V,  1 — 175,  durch  Lehmann  besorgt. 

Der  ums  Jahr  580  gestorbene  griechische  Schriftsteller 
Agathias  berichtet  von  volksthümlichen  Gesetzen  der  Alamannen. 
Möglicherweise  sind  uns  diese  im  sogenannten  Pactus  Alamannorum 
erhalten,  von  dem  wir  fünf  Bruchstücke  besitzen.® 

Weit  häufiger  (53  Handschriften)  ist  die  Lex  Alamannorum, 
die  man  früher  als  L.  Chlotariana„  Lantfridiana  und  Karolina 
unterschied  und  auf  drei  Satzungen  vom  Anfang  des  7.-9.  Jahr- 
hunderts vertheilte;  jetzt  ist  die  Einheitlichkeit  jener  drei  Text- 
formen anerkannt.  Die  Lex  ist  ein  Herzogsgesetz,  das  auf  Be- 
öchluss  der  Landesversammlung  während  der  Regierungszeit  König 
Chlotars  IV.  (717—719)  wahrscheinlich  durch  Herzog  Landfried 
(t  730)  erlassen  wurde.  Von  den  97  Capiteln  entfallen  die  ersten  23 
auf  kirchliche  Bestimmungen,  Capitel  24—44  „de  causis  quae  ad 
ducem  pertinent  behandeln  die  Stellung  des  Herzogs,  die  Capitel 
45 — 97  „de  causis  quae  sempe  solent  contingere  in  populo"  sind 
verschiedenen  Inhalts. 

Als  Geltungsgebiet  dieser  Lex  auf  österreichischem  Boden 
ist  Vorarlberg  und  der  Nordwesten  von  Tirol  zu  bezeichnen. 

"  Codex  Austriaco  -  Frisingensis  ed.  Zahn,  I,  79,  Nr.  77. 

^  Gen  gl  er,  I,  15,  Anm.  24.  —  Ein  sehr  spätes  Beispiel  ist  die  Urkunde 
Reimbert's  von  Murock  für  das  Kloster  Renn  vom  Jahre  1212.  Testium  igitur  per 
anrem  traetomm  ista  sunt  nomina  ipse  nobilis  et  illustris  dux  Austrie  et  Stirie, 
Dns.  Linpoldus  u.  s.  w.  U.-B.  der  Steiermark,  II,  185. 

®  Brunner,  I,  §  41,  versetzt  den  Pactus  mit  Wahrscheinlichkeit  in  die 
erste  Hälfte  des  7.,  frühestens  in  den  Ausgang  des  6.  Jahrhunderts.  Als  Satzung 
ist  der  Pactus  durch  die  Eingangsworte  „et  sie  convenit"  gekennzeichnet. 

3* 


36  Österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Erste  Periode.  §  6. 

8.  Auf  dem  Südabhaug  unserer  Alpenländer  traf  mit  der 
Lex  Bajuvariorum  das  Langobardenrecht  zusammen,  das  in  den 
Gebieten  der  Kirehenfürsten  von  Trient  und  Aquileja  die  spätere 
Reehtsbildung  nachhaltig  beeinflusst  hat  Anerkannt  ist  der  hohe 
innere  Wert^^  des  643  von  König  Rothari  (dem  König  Rother 
der  deutschen  Volkssage)  erlassenen  Edicts  in  388  Abschnitten, 
dem  die  umfängliche  Gesetzgebung  König  Liutprands  (713— 735), 
Novellen  einiger  Nachfolger  bis  auf  Aistulf  (755)  und  schließlich 
Gesetze  der  fränkischen  und  deutschen  Könige  folgten.  Von  allen 
deutschen  Volksrechten  haben  allein  die  langobardischen  Königs- 
gesetze im  frühen  Mittelalter  durch  die  Schule  eine  wissenschaft- 
liche Behandlung  und  Weiterbildung  erfahren. 

In  karolingischer  Zeit  (829—832)  erfolgte  durch  einen  ge- 
wissen Lupus  eine  Bearbeitung  für  den  Grafen  Eberhard  von 
Friaul  und  Rätien,  als  sogenannte  Concordia  de  singulis  causis.*^ 
Später  (1019—1054)  entstand  an  der  Rechtsschule  zu  Pavia  zu 
Schulzwecken  der  sogenannte  Liber  Papiensis,  eine  chronologische 
Sammlung  der  langobardischen  Gesetzgebung  und  der  als  „Capi- 
tulare"  zusammengefassten  fränkischen  und  deutschen  Reichs- 
gesetze für  Italien  nebst  Glossen  und  proeessualen  Formeln, 
während  die  sogenannte  Expositio  (um  1070)  ein  für  die  Praxis 
berechneter  Gesetzcommentar  war.  Gegen  Ende  des  11.  Jahr- 
hunderts wurde  der  Liber  Papiensis  durch  systematische  Bear- 
beitung seines  Stoffes  zum  Liber  Legum  Langobardorum, ,  der 
s.  g.  Lombarda  umgestaltet,  an  welche  sich  zahlreiche  Glossen, 
Summen  und  Commentare  anschlössen. 

9.  Für  die  romanische  Bevölkerung  unserer  Gegenden  blieb 
nach  dem  Persönlichkeitsprincip  das  römische  Recht  in  Geltung, 
wobei  jedoch  nicht  an  reines  römisches  Recht,  sondern  an  ein 
durch  mancherlei  provinzielle  Verhältnisse  beeinflusstes  Vulgärrecht 
zu  denken  ist.  Abgesehen  von  mehreren  Verfügungen  der  Ostgothen- 
könige  zumal  für  Südtirol  und  Istrien,  die  uns  in  den  »Variae"  des 


^®  Ausgabe  in  der  Mon.  Genn.,  Leg.  IV,  Folio. 

11  Gedruckt  als  Liber  legis  regum  Langobardorum  Ck)iicordia  dictus,  Mon. 
Germ.,  Leg.  IV,  235—288.  Die  Concordia  stellt  in  den  ersten  40  Titeln  nach  be- 
stimmten Rubriken  die  Gesetze  von  Rothar  bis  Aistulf  zusammen,  Titel  47—60 
enthalten  die  übrigen  Gesetze,  doch  wird  durch  diese  Redaction  der  Inhalt  der 
Königsgesetze  weder  vollständig,  noch  durchaus  dem  Originale  treu  wiedergegeben. 


Volksrechto  der  Langobarden  und  Romanen.  37 

Cassiodor  erhalten  sind,  kommt  hier  vor  allem  die  Lex  Romana 
Curiensis  aus  der  Mitte  des  9.  Jahrhunderts  in  Betracht,  welche 
nicht  nur  an  sich  die  wichtigste  Fundgrube  für  das  römische 
Vulgärrecht  ist,  sondern  auch  nachweislich  auf  österreichischem 
Boden  gegolten  hat.^^  j)\q  Ansicht,  dass  diese  Lex  in  Istrien  ent- 
standen sei,  lässt  sich  nach  den  neueren  Untersuchungen,  die  auf 
Churrätien  als  Heimat  hinweisen,  zwar  nicht  aufrecht  erhalten. 
Dem  ungeachtet  ist  es  nicht  unwahrscheinlich,  dass  sie  in  dem 
gesammten  rätisch-romanischen  Gebiete  und  darüber  hinaus  bis 
nach  Istrien  in  Geltung  war,  da  nicht  nur  die  ethnographische 
Zusammengehörigkeit  der  Ladiner  mit  den  Friauleni  anerkannt 
ist,^'  sondern  auch  eine  der  drei  Handschriften,  die  wir  von  der 
Lex  besitzen,  aus  Aquileja  stammt. 

10.  Für  die  österreichischen  Slaven  sind  uns  aus  der  Zeit  vor 
dem  Jahre  1000  keinerlei  echte  Rechtsquellen  überliefert.  Wohl 
gibt  es  ein  „Statutum  qualiter  Slavi  vel  ceterae  Nationes,  qui  nee 
pacto  nee  lege  sancta  utuntur  post  perceptam  baptismi  gratiam 
constringendi  sint^*das  echt  ist,  allein  dasselbe  betrifft  nicht  unsere 
Gegenden,  sondern  ist  als  Sendrecht  der  Main-  und  Regnizwenden 
nachgewiesen  worden.  Dass  die  noch  von  Jirefeek  an  die  Spitze 
seines  Codex  juris  Bohemici  gestellten  Fragmente  der  sogenannten 
Grünberger  Handschrift  über  das  Urtheil  der  Libussa  gefälscht 
seien,  wird  jetzt  selbst  von  czechischer  Seite  zugegeben.^^  Des 
kärntnerischen  Herzogs  Ingo  Gesetze  vom  Jahre  791,  die  Megiser 
in  seinen  Annalen  von  Kärnten  (I,  495)  auä  „Ammonius  Salassus 
und  anderen  alten  kärnfcnerischen  Verzeichnissen*  bringt,  sind  ein 
Machwerk  unbekannter  Herkunft  und  selbst  der  Herzogsstuhl  in 
Kärnten,  der  in  seinen  Bestandtheilen  zur  Zeit  des  Ingo  schon 
existierte,  ist  durch  seine  Aufschriften  VERI  und  MASVETI  VERI 
kein  Slavendenkmal,  da  er  aus  Bruchstücken  römischer  .Inschrift- 
steine zusammengesetzt  wurde.  ^® 

'^  B  r  u  n  n  e  r,  I,  363.  Eine  in  den  Jahren  852  oder  859  zu  Rankweil  im 
beutigen  Vorarlberg  ausgestellte  Urkunde  beruft  sich  mit  den  Worten  sicut  lex 
continet  auf  eine  Stelle  der  Lex  Romana  Curiensis. 

1^  Jung,  Römer  und  Romanen  in  den  Donauländern,  206. 

"  Mon.  Germ.,  Fol.,  Leg.  III,  486,  dazu  Dove  in  der  Zeitschrift  für 
Kirchenrecht,  IV,  155. 

^  Mittheilungen  des  österreichischen  Instituts,  I,  1880,  160. 

w  Corp.  Inscript.  Lat.,  III,  2,  S.  613,  Nr.  4041. 


38  Österreichische  Reich^geschichtc.  I.  Theil.  Erste  Periode.  §  7. 

§  7.  Formelbficher  nnd  IJrknnden. 

Rockinger  in  den  Quellen  zur  bayerischen  und  deutschen  Geschichte, 
Vn,  S.  45—186.  —  Gongler,  Beiträge  zur  Rechtsgeschichte  Bayerns,  I,  103,  §  11. 

1 .  Als  Erkenntnisquellen  des  Rechts  kommen  außer  den  an- 
geführten Volksrechten  auch  noch  Formelbticher  und  Urkunden 
in  Betracht.  Beide  dienen  sowohl  zur  Erläuterung  des  Inhalts  der 
Hauptquellen,  als  auch  zur  Ausfüllung  von  Lücken,  die  Urkunden 
sind  überdies  unsere  wichtigsten  Zeugnisse  für  die  Anwendung 
der  Rechtasätze  im  Leben. 

2.  Die  Formelsammlungen  sind  Musterbücher,  um  die 
Abfassung  von  Urkunden  und  Briefen  zu  erleichtem.  Die  voll- 
ständigste Sammlung  von  Formeln  aus  fränkischer  Zeit  bietet 
Zeumer  in  der  Quartausgabe  der  Mon.  Germanise  1886.  Unter 
den  dort  angeführten  Sammlungen  kommen  für  unsere  Gegenden 
vornehmlich  die  bayerischen  Formeln  in  Betracht,  welche  übrigens 
vorwiegend  fränkischen  Inhalts  sind,  mit  dem  sich  das  bayerische 
Rechtselement  nur  in  sehr  beschränktem  Maße  gemischt  hat: 

a)  Formulse  Salzburgenses  oder  Liber  breviarius  unius  cuius- 
que  rei.  (Zeumer  439),  ein  auf  Anordnung  des  Erzbischofs  Arn 
von  Salzburg  zum  Gebrauche  in  den  Gerichten  und  Kanzleien 
des  Erzstiftes  in  der  ersten  Hälfte  des  9.  Jahrhunderts  angefertigtes 
Musterbuch.  Vorbilder  zu  Urkunden  (cartae)  über  Mundschatz- 
Bestellung,  Enkelerb  folge,  Frauenraub  und  Mordsühne  u.  s.  w. 
finden  sich  in  Nr.  1—24,  45 — 54,  58 — 59,  das  übrige  sind  Brief- 
formulare epistolse  oder  indiculi.  Die  Mehrzahl  der  126  Muster 
ist  fränkischen  Sammlungen  entlehnt  und  wurde  daher  in  der 
Zeumer'schen  Ausgabe  w^eggelassen ; 

h)  die  Pormulse  Patavienses,  seu  epistolse  Alati,  vermuthlich 
durch  Bischof  Emmerich  von  Passau,  der  vorher  längere  Zeit  in 
der  fränkischen  Königskanzlei  beschäftigt  war,  mitgebracht,  als  er 
865  das  Passauer  Bisthum  übernahm; 

c)  gleich  den  beiden  vorhergehenden  Sammlungen  sind 
fränkischen  Inhalts  auch  die  Formulse  codicis  s.  Emmeramensis 
aus  der  Zeit  König  Ludwigs  des  Deutschen,  als  er  noch  bei  Leb- 
zeiten seines  Vaters  in  Bayern  herrschte. 

3.  Die  Urkunden  und  Acten  bis  zum  Ausgang  des  10.  Jahrh. 
betreffen  mit  wenig  Ausnahmen  Schenkungen  an  die  Kirche,  doch 


Formelsammlungen  und  Urkunden.  39 

sind  darin  des  gegenständlichen  Zusammenhanges  wegen  auch 
mancherlei  andere  Staats-  und  privatrechtliche  Punkte  berührt.^ 

Hieher  gehören  für  Salzburg: 

ä)  „Indiculus  Arnonis",  eine  von  diesem  Kirchenfüreten  bald 
nach  Tassilos  Absetzung  (788)  mit  Zustimmung  Karls  des  Großen 
veranlasste  Zusammenstellung  der  aus  dem  bayerischen  Herzogsgut 
gemachten  Qüterzuwendungen  an  die  Salzburger  Kirche; 

b)  die  „Breves  notitise  de  constructione  ecclesise  sive 
sedis  episcopatus  in  loco  qui  dicitur  Juvavo*  in  24  Abschnitten 
(nicht  vor  der  Mitte  des  9.  Jahrhunderts  entstanden).  Indiculus 
Amonis  und  Breves  notitise  bieten  die  vollständigste  Übersicht 
der  bayerischen  und  der  österreichischen  Gaue  in  karolingischer 
Zeit.  Gedruckt  im  Anhang  der  Juvavia,  neue  Ausgabe  von 
Kainz,  München  1869; 

c)  fünf  Codices  Traditionum  der  Erzbischöfe  Adalbert 
(923  bis  935)  bis  Balduin  (1041—1060),  auszüglich  im  Anhang 
der  Juvavia,  besprochen  von  Hauthaler  und  E.  Richter  in 
den  Mittheilungen  des  Instituts  für  österreichische  Geschichte, 
m  (1882); 

d)  keine  Urkundensamralung,  wohl  aber  eine  Begründung 
salzburgischer  Ansprüche,  die  sich  durchwegs  auf  Urkunden  und 
andere  Aufzeichnungen  der  Kirche  stützt,  ist  die  sogenannte 
Conversio  Bagoariorum  et  Carantanorum.  Sie  wurde  871  dem 
König  Ludwig  dem  Deutschen  als  Protest  gegen  das  durch 
Metöodius  erwirkte  selbständige  mährische  Erzbisthum  überreicht. 
(Ausgabe  Mon.  Germanise,  Script.  XI,  1—17); 


^  Österreich  ob  und  unter  der  Enns.  In  Betracht  kommen  die  im  1.  und 
2.  Band  des  Urkandenbuches  o.  £.  abgedruckten  Urkunden,  namentlich  Traditionen 
von  Mondsee  (seit  Tassilo  HI.)  und  Passau,  Urkunden  für  Kremsmünster  u.  s.  w.  — 
Innerösterreich.  Ankershof en,  Urkunden regesten  zur  Geschichte  Kärntens 
von  770—1000, 84  Nummern  im  Archiv  für  österreichische  Geschichte  1849, 3.  Heft. 
--  Urkundenbuch  für  Steiermark,  1.  Band,  mit  Urkunden  von  798  ab;  Urkunden- 
buch  fiirKrain,  herausgegeben  von  Schumi,  1, 10  Nummern,  811—989;  Codice 
diplom.  Istriano,  herausgegeben  auf  einzelnen  Blättern  von  Kandier  als  Bei- 
lage zur  Zeitschrift  „Istria"  mit  mehr  als  50  Nummern  vom  6.— 10.  Jahr- 
hundert. —  Tirol.  Acta  Tirolensia,  I:  Die  Traditionsbücher  des  Hochstiftes 
Brixen  vom  10.— 14.  Jahrhundert,  herausgegeben  von 0.  Redlich,  Innsbruck  1886 
(mit  Urkunden  von  B.  Meginbert,  907—927  bis  B.  Mathceus,  1343).  ■—  Hormayr, 
Geschichte  von  Tirol  I,  2,  Urkundenbuch  bietet  nur  vier  Urkunden  von  833—974. 


40        österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Erste  Periode.  §  7  und  8. 

e)  kaiserliche  Gnadenbriefe  von  790,  816,  837  u.  s.  w.  für 
Salzburg  mit  Gewährung  der  Immunität  und  anderer  Vorrechte, 
siehe  Juvavia,  Anhang  50,  65,  86; 

f)  zwei  päpstliche  Decretalen  des  Papstes  Nicolaus  I.  an 
den  salzburgischen  Chorbischof  Oswald,  der  zu  Zeiten  der  Erz- 
bischöfe Liupram  und  Adalwin  lebte  (836—873),  finden  sich  im 
Decretum  Gratiani  Dist.  L.,  Capitel  6  und  39,  nur  heißt  er  episcopus 
Quadrantinus  statt  Quarantanus, 

Geschichte  des  öffentlichen  Rechts  bis  zum  Jahre  976. 

§  8.  Die  Stellung  der  bayerischen  Stammesherzoge. 

A,   Zur  Zeit  der  Agilolfinger. 

Quitzmann,  Die  älteste  Rechtsverfassung  der  Bai  waren,  Nürnberg  1866, 
S.  53  ff.  —  Gengier,  Beiträge  zur  Rechtsgeschichte  Bayerns,  I,  S.  20,  Anmerkung 
46  ff.,  128,  Anmerkung  14.  —  Bornhak  C,  Das  Stamraesherzogthum  im  frän- 
kischen Reiche,  besonders  nach  der  L.  Alaraannorum  und  L.  Bajuvariorura, 
Forschungen  XXIII,  1883,  S.  165  ff.  -  Riezler,  I,  70  ff. 

1 .  Wahrscheinlich  wurden  die  Bayern  dereinst  von  Königen 
regiert  seit  ihrem  Anschluss  ans  Frankenreich  unterstehen  sie 
Herzogen,  deren  Gewalt  nach  ihrem  äußern  wie  innern  Umfang 
ein  ziemlich  getreues  Abbild  der  königlichen  Machtfülle  war. 

Die  Herzogswürde  erscheint  in  Bayern  ebenso  als  erblicher 
Anspruch  des  Geschlechts  der  Agilolfinger,  das  geradezu  das 
herzogliche  heißt,  wie  das  Königthum  bei  den  Franken  den  Mero- 
wingern  gebürte.  Diese  Erblichkeit  schließt  aber  weder  die  Wahl 
des  Volkes,  noch  die  Einsetzung  durch  den  König  aus,  vielmehr 
erscheint  nach  dem  Volksrecht  das  Zusammentreffen  aller  drei 
Umstände  als  Voraussetzung  für  die  Erlangung  der  herzoglichen 
Stellung  in  Bayern.^  In  Wirklichkeit  lag  jedoch  auf  der  schon 
von  Tassilo  I.  berichteten  »regis  ordinatio"  der  Schwerpunkt,    so 

1  L.  B.,  III,  1  . .  prirai  post  Agilolvingas,  qui  sunt  de  genere  ducali .  .  . 
Dux  vero  qui  prseest  in  populo  ille  semper  de  genere  AgUolvingarum  fuit  et  debet 
esse,  quia  sie  reges  antecessores  nostri  concesserunt  eis  . . .  II,  1.  Si  quis  contra 
ducem  suura,  quem  rex  ordinaverit  in  provincia  illa  aut  populus  sibi  elegerit 
ducem  .  .  .  Das  „aut"  ist  hier  für  ,et"  gebraucht,  siehe  Mon.  Gerra.,  Leg.  lü, 
281,  Anmerkung  87.  —  Die  Erinnerung  an  das  Wahlrecht  des  Volks  lebte 
lange  fort,  noch  die  Kaiser  Heinrich  II.  und  IV.  haben  es  anerkannt  a.  a.  O. 


Die  Stellung  der  Agilolflnger  zum  Frankenreiche.  41 

das8  erat  diese  —  das  stillschweigende  Einverständnis  des  Volkes 
vorausgesetzt  —  dem  sippschaftlich  Qualificierten  die  rechtliche 
Möglichkeit  verlieh,  die  Fülle  der  herzoglichen  Gerechtsame  aus- 
zuüben. Wofern  Regierungsfähigkeit  vorhanden  war,  zu  welcher 
Gehorsam  gegen  den  König  gehörte,  war  mit  der  Erhebung 
ein  lebenslänglicher  Anspruch  auf  die  Herzogsgewalt  verbunden. 
Gewitzigt  durch  die  Vorgänge  unter  Tassilo  III.  hat  jedoch  Karl 
der  Große  nach  dem  Jahre  788  eine  Ergänzung  des  Volksrechtes 
in  diesem  Punkte  für  nöthig  gehalten  und  durch  einen  Zusatz  den 
Prankenkönigen  ausdrücklich  das  Recht  der  Absetzung  gewahrt, 
falls  sich  der  bayerische  Herzog  unbotmäßig  betragen  würde.^ 

2.  Außer  verfassungsmäßiger  Unverletzlichkeit  der  Person, 
die  durch  Androhung  von  Tod  und  Vermögensverlust  gegen  jeden 
Mordanschlag  gesichert  war,'  standen  den  Agilolfingem  als  Herzogen 
noch  folgende  Rechte  zu,  kraft  ihrer  Banngewalt: 

a)  der  Heerbann,  den  sie  nicht  nur  im  königlichen  Auftrag, 
gondern  auch  nach  eigenem  Ermessen  aufbieten  konnten.  Daraus 
ergab  sich  die  weitere  Befugnis,  nach  durchgeführtem  Kriege 
Frieden  zu  schließen  und  Bündnisse  mit  anderen  Völkern  ein- 
zugehen;^ 

b)  eine  der  königlichen  Machtvollkommenheit  gewissermaßen 
parallel  laufende  Gerichtsbarkeit,  als  deren  Ausflüsse  die  Vor- 
ladung vor  den  Herzog,  sein  Recht,  zu  strafen  und  zu  begnadigen, 
hervorgehoben  werden  (L.  B.  I,  10,  II,  1,  4); 

c)  außerdem  übte  der  Herzog  das  Recht  der  Gesetzgebung, 
soweit  der  Anstoß  nicht  vom  fränkischen  Könige  ausgieng,   in 


2  Dem  Alamannenrechte  nachgebildet  (Mon.  Gerra.,  4^,  Leg.  V,  9-2,  C.  35) 
ist  die  Aufzählung  der  Erfordernisse  für  die  Regierungsfähigkeit  in  L.  B.  II,  9. 
Obwohl  diese  vor  allem  körperliche  Eigenschaften  des  Herzogs  betreffen,  so 
wird  doch  schon  hier  Nachdruck  darauf  gelegt,  ob  er  „in  omnibus  jussionem 
regis  potest  implere".  Die  schuldige  Treue  gegen  den  König  als  Voraussetzung 
für  die  herzogliche  Stellung  nennt  aucli  L.  B.  III,  1  in  der  obencitierten  Stelle. 
Die  Novelle  Karls  des  Großen,  die  eine  Handschrift  in  den  Gesetzestext  auf- 
genommen hat,  „de  duce  si  protervus  et  elatus  vel  super bus  atque  rebellis 
fuerif,  dndet  siQh  Mon.  Germ.,  Leg.  III,  336,  als  Appendix  2. 

«  L.  B.  II,  C.  1,  2.  Wer  durch  Zufall  oder  Fahrlässigkeit  den  Herzog 
tödtete,  verwirkte  ein  Wergeid  von  900  Schillingen    L.  B.  III,  1. 

*  L.  B.  II,  4  mit  XVI,  11.  So  hat  z.  B.  Herzog  Theodebert  um  712  auf 
eigene  Faust  sich  in  die  langobardischen  Thronstreitigkeiten  eingemischt. 


42  Österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Erste  Periode.  §  8. 

Verbindung  mit  den  Großen  und  theilweise  selbst  mit  dem  Volke 
auf  Landtagen; 

d)  wie  im  Frankenreiche,  so  kamen  auch  in  Bayern  bei 
den  Agilolflngern  Theilungen  des  Herzogthums  unter  mehrere 
Mitglieder  des  Geschlechts  vor.  So  erhob  z.  B.  Herzog  Theodo 
(t  717)  während  einer  Krankheit  seinen  ältesten  Sohn  Theodebert 
zum  Mitregenten  und  theilte  später  die  Regierung  auch  noch  mit 
Grimoald,  Tassilo  II.  und  vielleicht  Theodebald.^  Da  solche  Thei- 
lungen die  Macht  des  Herzogthums  schwächten,  so  stießen  sie 
beim  Frankenkönig  auf  keinen  Widerstand  und  wurden  daher  bei 
Abfassung  des  bayerischen  Volksrechtes  durch  die  öfter  vor- 
kommende Redewendung  „dux  illius  provincise"  als  möglich  vor- 
ausgesetzt. (L.  B.  II,  C.  1,  4,  8  u.  s.  w.) 

3.  Die  wichtigste  Einnahmsquelle  der  Agilolfinger  war  ihr 
Grundbesitz.  Auf  dessen  Ausdehnung  lässt  schließen,  dass  sie 
nicht  weniger  als  fünf  Bisthümer  und  35  Abteien  im  Lande 
gegründet  und  ausgestattet  haben  und  dass  Herzog  Tassilo  III. 
772  überdies  auf  dem  Dingolfinger  Landtage  die  Erblichkeit 
zahlreicher  Lehen  zugestehen  konnte.  Trotz  solcher  Verschwen- 
dung erwarben  die  Karolinger  nach  dem  Sturze  Tassilo's  III. 
noch  ungeheuere  Kammergüter,  zumal  im  Nordgaue,  deren  an- 
sehnlicher Rest  nach  fortgesetzten  Vergabungen  erst  durch  die 
Dotierung  des  Bisthums  Bamberg  (nach  dem  Jahre  1007)  er- 
schöpft wurde. 

Als  Herrschersitz  erscheint  Regensburg,  das  darum  im 
Gegensatze  zu  allen  übrigen  Orten  civitas  oder  urbs  heißt,  in  der 
vita  s.  Emmerami  sogar  ohne  Beifügung  des  Ortsnamens  kurzweg 
als  die  bayerische  „urbs"  bezeichnet  wird.  Das  hinderte  die 
Agilolfinger  nicht,  sich  vorübergehend  auf  ihren  Kammergütem 
aufzuhalten,  aus  deren  Ertrag  sie  den  größten  Theil  der  eigenen 
und  der  Staatsbedürfnisse  deckten,  Landtage  dahin  einzuberufen 
u.  dgl.  m.,  allein  während  die  Frankenkönige  regierten,  indem  sie 
unstet  von  Ort  zu  Ort,  von  Pfalz  zu  Pfalz  zogen,  gab  es  damals 


^  Die  Grenzen  dieser  Landestheile  mögen  mit  den  späteren  Bisthums- 
sprengein  Regensburg,  Salzburg,  Freising  und  Passau  zusammengefallen  sein. 
Riezler,  I,  79.  Eine  Mehrzahl  bayerischer  Theilfilrstenthümer  setzt  auch 
Gapitel  3  der  Instruction  Papst  Gregors  II  vom  Jahre  716  voraus.  Mon.  Germ., 
Leg.  III,  452. 


Einnahmsquellen  der  Agilolflnger.  43 

in  Bayern  schon  eine  wirkliche  Hauptstadt  als  bleibenden  Sitz  der 
Herzoge.*  Befand  sich  der  Herzog  auf  Reisen,  so  wollte  es 
alter  Brauch,  dass  er  mit  seinem  Hofstaat  gastlich  verpflegt  und 
weiter  befördert  wurde;  gleiches  Vorrecht  beanspruchten  auch 
seine  Sendboten.^ 

4.  Ob  die  Agilolflnger  Einkünfte  im  Sinne  der  späteren 
Regalien  hatten,  bleibt  zweifelhaft.  Namentlich  gilt  dies  vom 
Münzregal,  denn  das  baj^erische  Volksrecht  lässt  durchgehends 
fränkische  Münzverhältnisse  erkennen,  auch  sind  noch  keinerlei 
Stücke  gefunden  worden,  die  man  den  Agilolflngern  mit  Sicher- 
heit zuschreiben  könnte.  Wohl  aber  hat  sich  im  Verkehr  der 
Donauländer  länger  als  in  andern  Theilen  des  Frankenreichs 
die  Goldwährung  erhalten  und  dies  hat  dann  in  Bayern  und 
Osterreich  zu  einer  abweichenden  Eintheilung  des  Münzpfundes 
geführt.^ 

Eher  heße  sich  das  Zollregal  den  Agilolflngern  zuschreiben. 
2^11e  werden  zwar  in  bayerischen  Urkunden  erst  seit  dem 
9.  Jahrhundert  erwähnt,  sie  erscheinen  aber  sogleich  in  solcher 
Ausbildung,  dass  man  auf  ihr  langes  Bestehen  schließen  muss.  Es 
gab  da  Eingangs-,  Ausgangs-  und  Durchgangszölle  mit  mancherlei 
Befreiungen  und  die  Abgabestätten  hießen  schon  damals  Mauten. 

Dagegen  unterlagen  Bergbau  und  Wald  noch  nicht  der 
Regalität,  sondern  waren  Ausfluss  des  Grundbesitzes.  Der  Berg- 
bau wurde,  wie  große  Vergabungen  der  Agilolflnger  beweisen, 
vorzugsweise  auf  Salz  betrieben,  doch  wird  auch  schon  Gold- 
gewinnung im  Pongau  erwähnt.  Weitgedehnte  Wälder  waren 
nach   dem  Untergang  der  Römerherrschaft  in  unseren   Gegenden 


•  Rietschel,  Civitas,  54. 

"  Die  regis  tractatoria  missis  domini  (data)  im  salzburgischen  Formel  buch 
aus  der  Karolinger  Zeit  vergisst  bei  schomatischer  Aufzählung  der  Reichnisse 
nicht  einmal  auf  Mandeln  und  Datteln,  ist  jedoch  der  Marculf'schen  Sammlung 
entlehnt.  Mon.  Germ.,  4^  Zeumer,  Formulee,  S.  49,  Nr.  11. 

8  Das  fränkische  Mtinzpfund  zerfiel  seit  den  Karolingern  in  20  Schillinge 
zu  12  Pfennigen  =  240  Pf.;  in  Bayern  und  Österreich  zerlegte  man,  vielleicht  schon 
zu  Anfang  des  9.  Jahrhunderts,  das  Pfund  in  8  Schillinge  zu  30  Pfennige  =  240  Pf. 
Dass  das  MUnzpfund  später  zur  Rechnungsmünze,  das  ist  zum  Inbegriff  von 
240  Pfennigen  ohne  Rücksicht  auf  deren  Schwere  wurde,  ist  bekannt.  Vgl. 
Wiener  numism.  Zeitschrift,  II,  60  ff.,  und  meinen  Vortrag  über  die  Handelspolitik 
der  österreichischen  Herrscher  im  M.-A.  1893,  Alraanach  d.  k.  Akad.  d.W.  S.  312 ff. 


44  Österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Erste  Periode.  §  8. 

nichts  seltenes,  sie  gehörten,  soweit  nicht  Ausscheidungen  zu 
Gunsten  von  Gemeinden  oder  Privaten  stattgefunden  hatten,  dem 
Herzoge,  der  sie  u.  a.  auch  zu  Vergabungen  und  Verpfändungen 
benützte.®  Jagd  vorbehalte  scheinen  noch  nicht  üblich  gewesen 
zu  sein. 

5.  Als  öffentliche  Einnahmsquelle  des  Herzogs  sind  Straf- 
gelder und  Vermögenseinziehung  zu  nennen.  Die  Friedensgelder 
(Fredus)  im  Betrage  von  40  Schillingen  wurden  als  Sühne  für  den 
Bruch  des  allgemeinen  Friedens  vom  Thäter  in  gewissen  Fällen 
neben  der  an  den  Beschädigten  fallenden  Strafsumme  (Faidus, 
compositio)  zu  Gunsten  des  herzoglichen  Schatzes  (fiscus,  publicum, 
dominicum)  erhoben  und  in  karolingischer  Zeit  auf  60  Schillinge 
erhöht.  (L.  B.  I,  C.  7,  9,  H,  10,  VII,  4,  VHI,  6,  7,  IX,  4.)  Geld- 
strafen, die  ganz  dem  Herzoge  zufielen,  verwirkte,  wer  sich  an 
einem  Aufstand  im  Heere  betheiligte  (L.  B.  II,  3,  4)  Gütereinziehung 
(confiscatio),  wer  sich  in  Anschläge  gegen  die  Person  des  Herzogs 
oder  Landesverrath  einließ  (L.  B.  II,  C.  1,  2),  seit  den  Beschlüssen 
des  Landtages  zu  Dingolfing  auch,  wer  einen  Vertrauten  des 
Herzogs  ^ob  injuriam  principis"  tödtete.  Endlich  bestand  der  An- 
spruch des  Herzogs  auf  den  erblosen  Nachlass  (L.  B.  XV,  C.  10) 
und  auf  das  Wergeid  solcher  Personen,  die  keine  näheren 
Angehörigen  hinterließen,  also  namentlich  auch  erschlagener 
Fremder.  (L.  B.  II,  C.  28,  30,  31.) 

B.  Die  bayerischen  Herzoge  im  10.  Jahrhundert. 

Riezler,  I,  313  ff.  —  Giesebrecht,  Geschichte  der  deutschen  Kaiserzeit, 
I,  178  ff.  —  Gengier,  I,  128  ff.  —  Waiz,  Verfassungs-Geschichte,  Bd.  5,  36  ff. 

6.  Karl  der  Große  hatte  dem  Stammesherzogthum  der 
Agilolfinger  um  der  Reichseinheit  wülen  ein  Ende  gemacht.  Unter 
seinen  Nachfolgern  verfiel  die  königliche  Macht,  und  als  sie  in 
den  Tagen  innerer  Noth  und  äußerer  Bedrängnis  den  nöthigen  Schutz 
dem  Reiche  nicht  mehr  gewähren  konnten,  da  gewannen  Männer, 
die  sich  als  Hüter  der  Lande  erprobt  hatten,  was  das  KÖnigthum 
an  Einfluss  verloren  hatte,  das  heißt,  es  erstand  auf  neuer  Grund- 


^  So  schenkte  Herzog  Theodo  den  meilenweiten  Forst  von  den  Trümmern 
Juvavos  bis  ans  Hochgebirge  dem  Peterstift  in  Salzburg.  S.  a.  Richter,  Zur 
Geschichte  des  Waldes  in  den  Ostalpen.  (Ausland  1882,  Nr.  10,  11.) 


Die  Stellung  der  bayerischen  Herzoge  im  10.  Jahrhundert.  45 

läge  wieder  das  Stammesherzogthum  in  Deutschland.  In  Bayern 
ist  es  aus  der  markgräflichen  Gewalt  erwachsen.  Schon  in  den 
Tagen  König  Ludwigs  des  Deutschen  (f  875)  wird  ein  gewisser 
Ernst,  der  die  Mark  gegen  die  Böhmen  unter  sich  hatte,  der  erste 
unter  den  bayerischen  Großen,  wie  er  denn  geradezu  als  Herzog 
bezeichnet  wird.  Später  wurde  dem  unehelichen  Sohne  Karlmans, 
Arnulf,  Kärnten  und  Pannonien  unter  dem  Titel  eines  Herzogs 
übertragen ;  als  dieser  zur  königlichen  Würde  emporstieg,  hat  ein 
gewisser  Luitpold  die  Grenzhut  gegen  Böhmen  und  die  Verwaltung 
von  Kärnten  und  Pannonien  übernommen.  Im  Donaugau,  zu  beiden 
Seiten  des  Flusses,  hatte  er  die  Grafschaft;  abwechselnd  Graf 
oder  Markgraf  wird  er  genannt,  allein  seine  Stellung  war  schon 
eine  herzogliche,  wie  er  denn  auch  den  Oberbefehl  über  alle 
Streitkräfte  Bayerns  und  der  Nebenlande  innehatte.  Nach  seinem 
Tode  in  der  unglücklichen  Schlacht  gegen  die  Ungarn  am  Inn 
(907)  ist  ihm  sein  Sohn  mit  herzoglichem  Titel  in  Bayern  und 
Kärnten  ohne  weiteres  nachgefolgt  und  hat  sich  bis  an  sein 
Lebensende  behauptet. ^° 

7.  Die  herzoglichen  Befugnisse  dieser  jungem  Stammes- 
herzoge in  Bayern  deckten  sich  zumeist  mit  jenen  der  Agilolflnger, 
nur  dass  jetzt  die  Unterordnung  unter  die  königliche  Oberhoheit 
klarer  hervortrat.  Als  dergleichen  herzogliche  Gewalten,  die  vor- 
wiegend zugleich  die  rechtliche  Natur  von  Obliegenheiten  an 
sich  tragen,  sind  zu  nennen: 

a)  der  Heerbann,  mit  welchem  die  Verfügung  über  die  Streit- 
kräfte des  Herzogthums  zu  Angriffskriegen  verbunden  war; 

h)  der  Gerichts  bann :  kraft  der  in  der  herzoglichen  Gewalt 
zurückgebliebenen  Befugnisse  der  karolingischen  Sendboten,  konnte 
der  Herzog  als  judex  provincise  jederzeit,  an  jedem  beliebigen 
Orte  seines  Herzogthums,  unbeirrt  von  dem  sonst  zuständigen 
Richter  in  erster  und  zweiter  Instanz  Recht  sprechen  und  die 
weiteren  Amtshandlungen  vornehmen  (placitum  ducis  im  Gegen- 
satz zu  den  placita  comitum); 

c)  polizeiliche  Gewalt  zur  Aufrechthaltung  innerer  Ordnung 
und  Sicherheit:  Unterdrückung  von   Räuberei,   Aufruhr  u.  dgl.; 


^^  ,Amolfu9  divina  ordinante  Providentia  dux  Bajoarionim  et  etiam  ad- 
jacentiam  regionum''  nennt  er  sich  908  in  einer  Freisinger  Urkunde. 


46        Österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Erste  Periode.  §  8  und  9. 

d)  das  Recht,  die  Fürsten  und  Grafen  innerhalb  seines  Gebietes 
zu  Hoftagen  zu  entbieten  und  die  Lehensherrlichkeit  gegenüber 
allen,  die  Lehen  vom  Herzogthume  Bayern  trugen; 

e)  eine  Art  Oberaufsicht  über  die  Wirksamkeit  gewisser 
Reichsbeamten  in  Bayern.  So  wurden  die  Markgrafen  bei  der 
Grenzhut,  die  Grafen  und  deren  Unterbeamten  in  ihrer  richter- 
lichen Thätigkeit  durch  den  Herzog  überwacht; 

f)  Herzog  Arnulf  nahm  überdies  eine  weitgehende  Verfügung 
über  das  Kirchengut  in  Bayern  für  sich  in  Anspruch,  wie  ihm 
denn  auch  durch  Zugeständnis  König  Heinrich's  L  die  Besetzung 
der  Bisthümer  im  Lande  übertragen  worden  war. 

8.  Das  jüngere  Stammesherzogthum  in  Bayern,  während  der 
Regierungszeit  König  Ludwig's  des  Kindes  und  Konrad's  L  neu- 
erstanden und  erstarkt,  wurde  von  König  Heinrich  L  als  hohes 
Reichsamt  anerkannt.  Damals  erschien  das  Reich  fast  nur  als  ein 
Bund  der  deutschen  Stämme  unter  der  Vorstandschaft  des  von 
ihnen  gewählten  Königs  und  blieben  die  eigenen  Angelegenheiten 
jedem  Stamme  für  sich  überlassen,  unter  König  Otto  L  änderte 
sich  die  Stellung  der  Herzoge.  Durch  wiederholte  Aufstände  gleich 
zu  Beginn  seiner  Regierung  belehrt,  nützte  Otto  L  seinen  Sieg, 
um  die  königliche  Gewalt  auf  Kosten  des  Herzogthums  zu  er- 
weitern. So  wurde  den  Herzogen  das  Recht  über  Krieg  ab- 
genommen, außer,  wenn  es  den  Schutz  der  Reichsgrenzen  galt; 
so  verlor  jener  in  Bayern  den  vertragsmäßig  zugestandenen  Ein- 
fluss  auf  die  Bischofstühle  im  Lande.  Streng  sah  Otto  L  auf 
die  Erhaltung  des  Amtscharakters,  darum  besetzte  er  Bayern  in 
den  Jahren  938  und  945  nach  freiem  Ermessen,  um  nicht  einmal 
den  Schein  der  Vererblichkeit  des  Amtes  aufkommen  zu  lassen. 
Aber  noch  immer  blieb  die  dem  Herzog  belassene  Gewalt  so 
groß,  dass  er  als  der  eigentliche  Regent  des  Landes  erschien  und 
immer  noch  blieben  die  Stammesinteressen  so  wirksam,  dass 
der  Zwiespalt  zwischen  dem  was  man  im  Lande  wünschte  und 
was  dem  Reiche  frommte,  selbst  die  Männer  des  besondem  Ver- 
trauens, die  der  König  den  Landen  vorgesetzt  hatte,  mitunter  zu 
offener  Empörung  gegen  das  Reich  und  dessen  Herrn  ge- 
trieben hat. 


Die  Stellung  der  bayer.  Herzoge.  Die  Ostmark  im  9.  u.  10.  Jahrhundert.       47 


§  9.  Die  Terwaltang  der  Ostmark  in  den  Jahren  800—976. 

Kämrael,  I,  207.  Huber,  I,  82  ff.  —  Büdinger,  154  ff.  -  Dümmler, 
Über  die  südöstlichen  Marken  des  fränkischen  Reiches  unter  den  Karolingern 
(795—907).  Im  Archiv  für  österr.  Geschichte,  Bd.  10,  S.  1—86.  —  Chaber  t,  §  22  ff. 

1 .  Dem  Ansturm  der  Völkerwanderung  war  mit  dem  römischen 
Weltreiche  auch  der  hochentwickelte  Organismus  der  römischen 
Verwaltung  (siehe  §  4)  zum  Opfer  gefallen.  Es  galt  daher,  von 
Grund  auf  neu  zu  bauen,  als  die  Donaulande  nach  dem  Zu- 
sammenbruche der  Avarenherrschaft  unter  die  fränkische  Bot- 
mäßigkeit kamen. 

Die  Grenzen  der  von  Karl  dem  Großen  zum  Schutze  des 
Reiches  errichteten  Ostmark,  auch  wohl  Pannonia  genannt,  wurden 
sowohl  nach  Süden  als  nach  Norden  durch  einen  breiten  Wald- 
gürtel  gebildet,  der  ohne  scharfe  Grenze  verlief,  sine  termini 
conclusione,  wie  es  in  einer  Urkunde  vom  Jahre  853  im  Hinblicke 
auf  den  Böhmerwald  heißt.  Im  Westen  trennte  die  Enns  das  neue 
Gebiet  vom  altbayerischen  Traungau,  der  aber  dem  Markgrafen 
der  Ostmark  unterstellt  war.  Nördlich  der  Donau  verlief  die 
Grenze  viel  weiter  westlich  als  heute,  im  Osten  aber  über  den 
Rücken  des  Wiener  Waldes,  der  alten  Grenzscheide  von  Norikum 
und  Pannonien.  Innerhalb  der  Ostmark  gab  es  kleinere  Bezffke, 
erwähnt  werden  der  unsichere  Grunzwitigau,  das  Treismafeld. 

Südwestlich  von  der  Ostmark  lag  Karantanien,  dessen  letzter 
slavischer  Herzog  Voinimir  im  Jahre  795  genannt  wird.  Es  reichte 
vom  Pusterthal  bis  an  die  steirisch-ungarische  Grenze  und  um- 
fasste  im  Norden  über  die  österreichisch-steirischen  Grenzgebirge 
hinaus  da«  Steinfeld  bei  Wiener-Neustadt.  Ob  und  inwieweit  es 
im  Süden  die  Draugrenze  überschritt,  bleibt  ungewiss;  die  Land- 
schaft zwischen  der  Save  und  Friaul  wird  820^  als  Carniola  von 
Karantanien  ausdrücklich  unterschieden. 


1  Einhard*s  Annalen  zum  Jahre  820  .  .  .  Dem  Markgrafen  von  Friaul 
Balderich,  unterwarfen  sich  Camiolenses  qul  circa  Savuni  fluvium  habitant  et 
Forojuliensibus  paene  contigui  sunt,  idem  et  pars  Carantanorum  quae  ad  Luideviti 
partes  a  nobis  dofecerat.  Den  Namen  Carniola  braucht  zuerst  Paulus  Diaconus  im 
Bericht«  über  die  Feldzuge  des  Friauler  Herzogs  Ratchis  „in  Camiolam  Sdavorum 
patriam  cum  suis  ingressus"  .  .  .  Mon.  Germ.,  4^.  Ss.  rerum  Langobardicarum, 


48       österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Erste  Periode.  §  9  nnd  10. 

Pannonien  gi'enzte  im  Norden  und  Osten  an  die  Donau, 
westlich  an  Karantanien,  südlieh  an  die  Drau.  Auch  das  Gebiet 
südlich  der  Drau  wurde  zu  Pannonien  gerechnet,  doch  stand  es 
unter  abhängigen  croatischen  Fürsten. 

2.  Dies  ganze  Gebiet  wurde  nun  durch  Karl  den  Großen 
zunächst  in  zwei  große  Grenzmarken  zerlegt: 

a)  in  die  Mark  Friaul,  welche  Priaul,  Karantanien,  Istrien, 
den  Croatenstaat  in  Dalmatien,  »Liburnien**  nebst  der  Oberauf- 
sicht über  den  Croatenstaat  zwischen  Drau  und  Save  einschloß, 
im  Jahre  828  aber  in  vier  Grafdchaftsbezirke  getheilt  wurde; 

b)  die  Ostmark  mit  beiden  Pannonien  wurde  als  Nebenland 
Bayerns  behandelt  und  unterstand  der  Oberleitung  eines  Beamten, 
der  direct  nur  das  central  gelegene  Oberpannonien  unter  sich  hatte, 
dem  aber  in  oberer  Instanz  sowohl  der  Markgraf  der  Ostmark, 
als  auch  die  unter  einheimischen  Fürsten  verbliebenen  Avaren 
und  Slaven  in  Ober-  und  Unterpannonien  untergeben  waren. 

Der  Schwager  Karl's  des  Großen,  Gerold  I.  (f  799),  war  der 
erate  jener  Grafen,  die  hier  eine  so  machtvolle  Stellung,  wie 
etwa  ein  Statthalter  des  römischen  Kaisers,  einnahmen;  ihm 
folgte  nach  fünf  Vorgängern  aus  verschiedenen  Familien  ums 
Jahr  830  der  Huosier  Ratbod.  Als  dieser  (ums  Jahr  856)  wegen 
Untreue  abgesetzt  wurde,  hörte  die  Unterordnung  der  Ostmark 
unter  die  Obergi'afen  von  Pannonien  auf  und  werden  Anzeichen 
beginnender  Erblichkeit  des  Grafenamts  bemerkbar. 

3.  Die  Gewalt  der  Markgrafen,  der  „strenui  comites  terminales*, 
war  in  der  Ostmark  ebenso  umfassend  wie  anderwärts,  die  Unter- 
ordnung unter  den  Obergrafen  von  Oberpannonien  abgerechnet, 
doch  sind  uns  wenig  Zeugnisse  über  ihre  Thätigkeit  erhalten. 
Unter  diesen  ist  hervorzuheben  die  Feststellung  der  Zölle  für  den 
Donauhandel,  die  Markgraf  Aribo  im  königlichen  Auftrag  ums 
Jahr  906  unter  Mitwirkung  dreier  Sendboten  zu  RafiFelstetten  in 
einer  Versammlung  der  eidlich  befragten  „judices  orientalium" 
vornahm. 

Als  Versammlungen  von  Dingpflichtigen  in  Ausübung  der 
Gerichtsbarkeit  dürften  das  placitum  von  Puchenau  827  und  das  im 

183  zum  Jahre  738.  —  L in  hart,  Geschichte  von  Krain,  II  (1791),  S.  154,  sucht 
dies  Carniola  im  kärntnischen  Gailthale  und  erklärt  es  als  Deminutivum  von 
Camia,  dem  früheren  Namen  von  Friaul. 


Verwaltung  der  Ostmark  im  9.  u.  10.  Jahrh.  Die  Kirche  in  Bayern.         49 

Jahre  888  erwähnte  publicum  mallura  comitis  aufzufassen  sein.  Wie 
in  der  Versammlung  zu  Puchenau,  an  der  nur  deutsche  und  slavische 
Bauern  theilnahmen,  die  locale  Begrenzung  eines  Pfan-sprengels 
verhandelt  wurde,  so  fasste  im  Jahre  864  das  Volk  von  Karantanien 
(populus  istius  terrae)  im  Einvernehmen  mit  dem  Grafen  Gundakar 
den  Beschluss,  dem  Erzbischof  von  Salzburg  eine  übliche  CoUecte 
durch  eine  Ausstattung  an  Land  und  Leuten  abzulösen. 

Als  Gerichtsbeamte  bezogen  die  Grafen  auch  in  der  Ostmark 
ein  Drittel  von  den  Friedensgeldern.  Nicht  diese,  sondern  die  in 
Civilsaehen  zu  entrichtenden  Gebüren  sind  unter  der  »tertia  pars 
bannorum  .  .  .  qui  dicuntur  civiles  banni"*  zu  verstehen,  welche 
König  Arnulf  im  Jahre  888  seinem  Hofdiener  Heimo  schenkte, 
als  er  ihm  die  Erlaubnis  zur  Erbauung  einer  befestigten  Nieder- 
lassung im  heutigen  Dorfe  Heimberg  nächst  Melk  ertheüte.^ 

§  10.  Die  Stellung  der  Kirche  in  Bayern. 

Rettberg,  Kirchengeschichte  Deutschlands,  II.  —  Chabert,  §  101 
bis  111.  —  Quitzmann,  Rechtsverfassung,  118—126.  —  Kämmel,  I,  225  ff.  — 
Krones,  Handbuch,  I,  240,  256  ff.  —  Riezler,  I,  70  ff.  -  Huber,  I,  67,  82  ff.  — 
Büdinger,  I,  30,  83  ff.  -  Nißl,  Der  Gerichtsstand  des  Clerus  im  fränkischen 
Roiehe.  Innsbruck  1886.  —  Dum  ml  er,  Archiv,  Bd.  10, 20  ff.  —  Klein  A.,  Geschichte 
des  Christenthums  in  Österreich  und  Steiermark.  Wien  1840—1842,  7  Bände. 

1.  Das  Christenthum  hatte  in  Norikum  und  Pannonien  seit 
der  diocletianischen  Verfolgung  festen  Fuß  gefasst  und  das  Leben 
des  heiligen  Severin  zeigt  mit  Anschaulichkeit,  dass  in  den  letzten 
Tagen  der  Römerherrschaft  die  Kirche  der  einzige  widerstands- 
fähige Factor  inmitten  des  allgemeinen  Zusammenbruches  war. 
Die  Völker,  welche  dann  die  Donaulande  erfüllten,  waren  Heiden, 
deren  Ausbreitung  vernichtete  daher  bei  uns  allmählich  die  Überreste 
kirchlicher  Organisation,  die  sich  nur  in  Tirol,  Friaul,  Istrien  und 
Dalmatien  länger  erhielten.^  Als  der  heilige  Rupert,  der  Apostel 


2  Archiv  für  österr.  Geschichte,  Bd.  26,  8.  258.  Mühlbacher,  1751.  - 
Waitz,  V.  G.  Bd.  4,  457,  Anm.  3. 

^  Noch  579  betheiligten  sich  Johannes  episcospus  Celejanaa  ecclesiae  und 
Leonianus,  Bischof  von  Teumia  in  Kärnten  neben  den  Bischöfen  von  Triest,  Pola, 
Piben  (Pedena),  Parenzo  an  der  Synode  von  Grado.  Cod.  Istr.  aus  Ughelli  und 
Chronica  Patriarcharum  Gradensium  in  Mon.  Germ.,  4^,  Ss.  rer.  Langobardicarum, 
S.  393.    Vom   Jahre  591   gibt  es   dann  eine  Beschwerde   von  acht  istrischen 

Los  eil  in,  Ö8t«rreic)iiscbe  Reichsgeschichte.  4 


50  österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Erste  Periode.  §  10. 

der  Bayern,  im  Jahre  696  seine  Bekehrungsthätigkeit  begann, 
waren  die  alten  Bischofssitze  Celeja,  Poetovio,  Laureacum,  Teumia 
u.  8.  w.  längst  verschwunden  oder  lagen  in  Trümmern  wie  die 
Römerstadt  Juvavo,  die  zur  Residenz  erkoren,  als  Salzburg  die 
Wiedererstehung  feierte.  Doch  wäre  die  Annahme  irrig,  dass 
Rupert  in  ein  ganz  heidnisches  Land  gekommen  sei.  Heidnisch 
war  nur  das  herrschende  Volk;  die  Reste  der  romanisierten 
Provinzialbevölkerung,  die  im  Salzburgischen  ziemlich  zahlreich 
waren,  hiengen  dem  Christenthum  wohl  großentheils  an  und  auch 
im  bayerischen  Herzogshause  scheint  es  sthon  früher  Eingang 
gefunden  zu  haben,  da  die  bayerische  Prinzessin  Theodelinde  als 
Gemahlin  des  Langobardenkönigs  Authari  (589)  den  Übertritt  der 
arianischen  Langobarden  zum  Katholicismus  veranlasst  hatte. 

2.  Die  zweite  Christianisierung  unserer  Gegenden  kam  nicht 
vom  Süden  her,  wie  die  frühere,  sondern  gieng  vom  Westen  aus. 
Zuerst  erfolgte  die  Bekehrung  der  Alamannen  durch  die  irischen 
Glaubensboten  Fridolin,  Columban  (f  615),  Gallus  (f  646).  Als 
später,  nach  der  Sclilacht  von  Testri  (687),  die  australischen 
Hausmeier  machtvoll  in  die  Verhältnisse  des  zerfallenden  fränkischen 
Reichs  eingriffen,  war  ihnen  die  Ausbreitung  des  Christenthums 
unter  den  heidnischen  Bayern  als  politisches  Mittel  erwünscht, 
um  diesen  Volksstamm  in  nähere  Verbindung  zum  Reiche  zu 
bringen.  Wenn  der  h.  Rupert  Verwandter  der  fränkischen  Könige 
genannt  wird,  so  sind  damit  Beziehungen  zum  karolingischen  Hause 
angedeutet,  das  den  eigentlichen  Anstoß  zur  Bekehrungsreise  des 
Wormser  Bischofs  gegeben  haben  dürfte,  obwohl  die  alte  Lebens- 
beschreibung dem  Bayernherzog  Theodo  die  Berufung  zuschreibt. 
Bei  der  Suche  nach  einer  passenden  Residenz  war  B.  Ruprecht 
sichtlich  bestrebt,  an  christliche  Erinnerungen  aus  der  Römerzeit 
anzuknüpfen.  Darum  reiste  er  von  Regensburg  erst  nach  dem 
verlassenen  Bischofssitze  Lorch,  von  da  an  den  nach  den  zahl- 
reich anwohnenden  Romanen  benannten  Walchen-  oder  Wallersee 
bis  er  endlich  einen  geeigneten  Ort  in  der  Trümmerstätte  des  alten 
Juvavo  fand.  Hier  gründete  er  das  St.  Peterskloster  und  das  Frauen- 
stift auf  dem  Nonnberg  und  hier  ist  er  auch  ums  Jahr  710  gestorben. 

Bischöfen  an  Kaiser  Mauritius,  „dass  vor  Jahren"  die  Franken  mit  ihren  Priestern 
die  „beconensische,  tibumische  und  augustanische"  Kirche  besetzt  hätten. 
Krones,  I,  243. 


•  Die  Bekehrung  der  Bayern  und  Slaven.   .  51 

Ihm  folgte  etwa  712—715  der  Begründer  des  Regensburger 
Bisthums,  der  Franke  Emmeram,  der  durch  den  Herzogssohn 
Lambert  ermordet  wurde;  die  Romfahrt  des  Herzogs  Theodo  im 
Jahre  716  wird  wohl  mit  dieser  Blutthat  in  Zusammenhang  stehen. 
Als  dritter  Glaubensbote  trat  wieder  ein  Franke  auf,  Corbinian 
(+  730),  der  Stifter  von  Freising.,  der  die  Bayern  als  ein  erst 
kürzlieh  zum  Christenglauben  bekehrtes  Volk  antraf.  Nun  war 
endlich  die  Zeit  zu  kirchlichen  Einrichtungen  gekommen,  die  Papst 
Gregor  IL  früher  (716)  durch  Abordnung  einer  Gesandtschaft  nach 
Bayern  vergeblich  anzubahnen  versucht  hatte. 

3.  Dem  Angelsachsen  Winfried,  genannt  Bonifacius,  gelang 
es,  das  Christenthum  in  Bayern  der  römischen  Führung  zu  unter- 
werfen. Als  er  unter  Herzog  Hugbert,  etwa  735,  einen  längeren 
Aufenthalt  in  Bayern  nahm,  ließ  die  kirchliche  Ordnung  hier  noch 
alles  zu  wünschen  übrig.  Ein  einziger  Bischof,  VivUo,  schrieb  er 
dem  Papst,  sei  im  Herzogthum  vorhanden  und  selbst  dieser  in 
Sachen  der  römischen  Tradition  mancher  Belehrung  bedürftig. 
Bald  darnach  (vor  739)  gab  ihm  ein  Auftrag  Herzog  Odüo's 
Gelegenheit,  vier  Bischofssprengel  in  Bayern  zu  schaffen:  Regens- 
burg, Freising,  Salzburg  und  Lorch-Passau.  Nun  war  es  Sache  der 
Bischöfe,  auch  die  kleineren  kirchlichen  Bezirke,  Archidiaconate 
und  Pfarreien  einzurichten :  die  Beschlüsse  der  Reisbacher  Synode 
vom  Jahre  799  zeigen  diese  Gliederung  der  Diöcesen  bereits 
durchgeführt.  Den  Abschluss  der  kirchlichen  Organisation  in 
Bayern  bildete  die  Einfügung  der  Bisthümer  in  den  Metropolitan- 
verband  durch  die  Erhebung  Salzburgs  zum  Erzbisthum  (798). 

4.  Neuen  Anlass  zur  Aufnahme  der  Missionsthätigkeit  in 
unseren  Gegenden  bot  die  Eroberung  des  Avarenreiches  durch 
Karl  den  Großen.  Die  Bekehrung  fiel  zunächst  dem  Erzbischof 
Am  von  Salzburg  zu,  dessen  Vorgänger  bereits  mit  der  Predigt 
des  Christenthums  unter  den  Karantaner  Slaven  begonnen 
hatten.  Schon  796  war  an  Salzburg  die  kirchliche  Gewalt  in 
Unterpannonien  zwischen  der  Rabniz  und  Drau  übertragen  worden, 
was  Karl  der  Große  im  Jahre  803  bestätigte.  Die  Christianisierung 
der  nördlichen  Theile  Avariens  übernahmen  die  Bischöfe  von 
Passau,  auf  Karantanien  aber  machten  auch  die  Patriarchen  von 
AquUeja  Anspruch.  Die  Entscheidung,  die  Karl  der  Große  am 
U.Juni  811  in  der  Pfalz  zu  Aachen  traf,  hat  die  Metropolitan- 

4' 


52  Österreichische  Roichsgeschichte.  I.  Theil.  Erste  Periode.  §  10. 

Sprengel  von  Salzburg  und  Aquileja  auf  viele  Jahrhunderte  hinaus 
abgegrenzt  und  ist  eine  der  Ursachen,  denen  das  Slaventhum  in 
den  Alpenländem  seine  Erhaltung  verdankt.*  Von  nun  an  erstreckte 
sich  der  Einfluss  der  Patriarchen  über  das  südliche  Karantanien 
bis  zu  Drau,  das  Übrige,  sowie  das  anstoßende  Unterpannonien 
fiel  Salzburg  zu,  während  die  Ostmark  und  Oberpannonien  bis 
zur  Raab  den  Bischöfen  von  Passau  unterstellt  wurden.' 

5.  Auch  den  Mährem  war  das  Christenthum  zuerst  durch 
deutsche  Geistliche  gepredigt  worden.  Die  Diöcese  Passau  grenzte 
ja  an  ihr  Land  und  in  Neutra  hatte  Erzbischof  Adalrara  von 
Salzburg  (821—836)  für  den  Slavenfürsten  Privina  eine  Kirche 
geweiht.*  Die  Sorge  um  polititische  Unabhängigkeit  drängte  in- 
dessen den  Mährerfürsten  Rastislav  zum  Versuche,  einen  eigenen 
Kirchensprengel  zu  begründen.  Darum  wandte  er  sich  nach  seinem 
Abfall  vom  Frankenreich  an  den  griechischen  Kaiser  um  Glaubens- 
boten, die  dem  Volke  das  Christenthum  in  seiner  Sprache  zu 
lehren  vermöchten,  welcher  Bitte  ums  Jahr  863  durch  Absendung 
der  Brüder  Methodius  und  CyrUlus  (der  ursprünglich  Constantin 
hieß)  entsprochen  wurde.  Im  Kampfe,  der  nun  zwischen  der  in 
ihrem  Besitzstand  bedrohten  deutschen  Geistlichkeit  und  den 
griechischen  Missionären  entbrannte,   gelang  es  diesen,   die  An- 


^  Das  Patriarchat  Aquileja  begann  seinen  Einfluss  für  die  Erhaltung  des 
Slaventhuras  in  den  österreichischen  Alpenländem  einzusetzen,  so  vrie  es  aus 
deutschen  Händen  endgiltig  an  die  Romanen  übergegangen  war  (d.  i.  namentlich 
seit  der  Besitzergreifung  Friauls  durch  die  Venezianer  im  15.  Jahrhundert),  weil 
man  der  Slaven  als  Schutzdamm  gegen  das  gefürchtete  Deut;!chthum  bedurfte. 
Vgl.  auch  Kämmel,  I,  269. 

^  Die  Erhebung  Salzburgs  zum  Erzbisthum  und  die  Abgrenzung  von 
Aquileja  siehe  U.-B.  der  Steiermark,  I,  Nr.  1—5.  Die  ältesten  Passauer  Urkunden 
Bind  allerdings  Fälschungen,  allein  die  Ausdehnung  des  Passauer  Sprengeis  Über 
Oberpannonien  ergibt  sich  aus  einer  Beschwerdeschrift  der  bayerischen  Geist- 
lichkeit vom  Jahre  900  wider  den  Mährerherzog  Moimir  und  daraus,  dass  später 
auf  drei  Synoden,  zu  Lorch,  Mautem  und  Mistelbach  (983—991),  die  Zehnton  im 
Lande  unter  der  Enns  dem  Bischof  von  Passau  durch  rechtliches  Erkenntnis 
zugesprochen  wurden.  Dumm  1er,  S.  23. 

^Büdinger,  I,  182,  siehe  auch  den  von  Kopitar  in  ChmeFs  Österr. 
Gesdüchtsforscher,  I,  501  ff.,  nicht  bloß  aus  historischen,  sondern  auch  aus  sprach- 
lichen Gründen  erbrachten  Nachweis,  dass  die  Bekehrung  der  pannonischen 
Slaven  durch  Deutsche,  und  zwar  Bayern  erfolgt  sei,  Cyrill  und  Mothod  daher 
schon  eine  christliche  Bevölkerung  angetroffen  haben. 


Erzbischof  Methodius  in  Mähren;  die  Stellang  der  Kirche  in  Bayern.       53 

erkennung  ihres  Wirkungskreises  unter  den  Slaven  und  selbst 
das  Zugeständnis  einer  nationalen  Liturgie  beim  Papste  durch- 
zusetzen. Wohl  beseitigte  der  Alamanne  Wiching,  der  als  Suf- 
fragan  seinen  Sitz  zu  Neutra  hatte,  nach  dem  Tode  seines  Erz- 
bischofs Methodius  (f  885)  die  slavische  Liturgie  in  Mähren, 
die  Einbuße  hingegen,  welche  Salzburg  durch  die  Abtrennung 
von  Unterpannonien  erlitten  hatte,  war  nicht  mehr  rückgängig  zu 
machen:  die  Früchte  langjähriger  Bemühungen,  die  uns  in  dem 
871  dem  König  Ludwig  vorgelegten  Proteste  der  s.  g.  Conversio 
Bagoariorum  et  Carantanorum  aufgezählt  werden,  giengen  ver- 
loren und  vergeblich  blieben  die  Anstrengungen,  wieder  zum 
alten  Besitze  zu  gelangen,  die  Salzburg  unter  Kaiser  Otto  I.  nach 
der  Wiederherstellung  der  Ostmark  gemacht  hat. 

6.  Die  Stellung  der  Kirche  war  in  Bayern  seit  dem  Anfange 
des  8.  Jahrhunderts  hoch  geachtet  und  einflussreich.  Das  Volks- 
recht, das  bald  nach  der  Regelung  des  bayerischen  Kirchenwesens 
durch  Bonifaz  abgefasst  wurde,  begünstigt  nicht  bloß  die  Zu- 
wendung von  Geschenken  an  die  Kirche  (L.  B.  I,  C.  1 ,  2),  sondern 
schirmt  auch  alles,  was  irgend  mit  ihr  in  Verbindung  ist  durch 
erhöhte  —  meist  verdoppelte  Strafsätze.  Das  kam  nicht  bloß  dem 
Besitze  der  Kirche  zu  statten,,  die  Steigerung  der  Bußen  für 
Körperverletzungen  und  der  Wergeidansätze  entschied  nach  den 
Anschauungen  jener  Zeit  überdies  für  die  höhere  gesellschaftliche 
Stellung  des  Clerus.  Die  niederen  Weihen  und  der  Mönchsstand 
gaben  auf  eine  Verdoppelung,  die  Diacons-  und  Priesterweihe 
auf  eine  Verdreifachung  der  sonst  üblichen  Bußsätze  Anspruch. 
War  ein  Diacon  oder  Priester  erschlagen  w^orden,  so  war  das 
Wergeid  von  200,  beziehungsweise  300  Schülingen  in  Gold  zu 
entrichten,  w^as  gegenüber  den  Ansätzen  in  Silberschillingen  eine 
Verdreifachung  bedeutete.^  Auch  der  Fall  der  Tödtung  eines 
Bischofs  ist  vorgesehen:  in  Anlehnung  an  Rechtsbräuche  der 
ältesten  germanischen  Zeit  bemisst  das  Volksrecht  hier  das  Wer- 


^  L.  B.  I,  C.  9  .  . .  solvat  300  solldos  auro  adpreciatos,  si  aurum  non 
habet  donet  alia  pecunia,  mancipia  terra  vel  quidqaid  habet,  usque  dum  impleat, 
d.  h.  affective  Goldschillinge,  Je  einer  zu  40  fränkischen  Denaren  oder  deren 
Gegenwert,  nicht  aber  die  durch  Pippin  für  Bußzahlungen  als  Rechnungs- 
niünze  eingeführten  Silberschillinge  zu  12  Pfennigen.  Vgl.  auch  Schröder, 
§  26,  S.  185. 


54        Österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Erste  Periode.  §  10  und  11, 

geld  nach  der  Größe  des  Erachlagenen,  über  den  man  einen  Blei- 
mantel breitete,  der  mit  Gold  aufzuwiegen  war.* 

Wurde  so  die  Standesehre  als  Ehrerbietung  gegen  Gott  {ut 
reverentia  sit  Dei)  in  den  Vordergrund  gestellt,  so  wurde  aus 
demselben  Grunde  auch  die  Unverletzliehkeit  des  Gotteshauses 
und  das  Asylrecht  abgeleitet.  (L.  B.  T.  I,  C.  7.)  Wer  immer  die 
Kirchenschwelle  überschritten  hatte,  der  durfte  nicht  ohne  Zu- 
stimmung des  kirchlichen  Vorstandes  verhaftet  werden.  Übrigens 
blieb  der  Flüchtige  selbst  nach  der  Ausliefeining  unter  kirch- 
lichem Schutze,  sein  Leben  sollte  ihm  gewahrt  werden  und  die 
Bestrafung  nur  nach  Anhörung  des  Geistlichen  erfolgen.  Außerdem 
erfreute  sich  die  Kirche  in  Bayern  auch  jener  Vorrechte,  die  ihr 
im  fränkischen  Reiche  allgemein  zugestanden  waren.  Es  war 
nicht  bloß  ihre  Zuchtgewalt  über  Laien  und  Priester  anerkannt 
(L.  B.  I,  2,  12),  sondern  es  galt  hier  sicher  auch  die  Bestimmung 
des  Chlotarischen  Edicts  vom  Jahre  614,  welche  die  Criminalfälle 
der  Priester  und  Diacone  vor  die  Synode  und  den  König,  seit 
803  vor  den  Bischof  und  Grafen  verwies.  Dass  dieser  Vorgang 
zu  beobachten  sei,  wenn  gegen  den  Bischof  selbst  schwere 
Beschuldigungen  erhoben  würden,  spricht  L.  B.  I,  10  unter  Ver- 
werfung der  Selbsthilfe  bestimmt  aus.  Streitigkeiten  von  Geist- 
lichen unter  sich  sollten  nach  den  Beschlüssen  der  bayerischen 
Synoden  nur  vor  den  kirchlichen  Obern  ausgetragen  werden.  Die 
Aschheimer  Synode  gieng  noch  weiter  und  verlangte  vom  Herzog 
Tassilo  III.  geradezu,  dass  zu  den  ordentlichen  Gerichts vei-samm- 
lungen  Geistliche  als  Überwachung  der  weltlichen  Richter  Zutritt 
haben  sollten.^  Dagegen  war  dem  Clerus  die  Entscheidung  in  Ehe- 
sachen noch  nicht  eingeräumt.  Zwar  trug  das  Volksrecht  durch  die 
Bestimmungen  „de  nuptiis  prohibendis  inlicitis"  (L.  B.  VII,  C.  1—3) 
dem  Bestreben  der  Kirche  auf  Einschränkung  der  Ehen  unter 
Verwandten  und  Verschwägerten  Rechnung,  allein  es  haben 
weltliche  Richter  gegen  die  Schuldigen  einzuschreiten  und  die 
Strafen  verfallen  zu  Gunsten  des  Fiscus. 


2  L.  B.  I,  C.  10.  Grimm,  Rechtsalterthtimer,  670,  macht  auf  den  Zu- 
sammenhang mit  der  in  der  Edda  vorkommenden  Otr-Sage  aufmerksam. 

^  Mit  der  doppelten  Begründung:  „ut  sit  sententia  vestra  dei  sale  condita* 
und  „ne  judices  terreni  propter  premias  causas  torquantur  et  innocentes  ob- 
primantur  aut  nocentes  justiflcentur."  Mon.  Genn.,  Leg.  III,  459,  C.  15. 


Gerichtss^tand  des  Clerus,  Kirchenverraögen,  wirtschaftliche  Zustände.       55 

7.  Die  Agilolfinger  nahmen  in  Baj^ern  gegenüber  der  Kirche 
gleiche  Rechte  in  Anspruch,  wie  sie  die  Frankenkönige  im  Reiche 
übten.*  Im  Kirchengebet  wurde  ihr  Name  genannt  und  das  Kirchen- 
vermögen,  das  großentheils  auf  herzogliche  Schenkungen  zu- 
rückzufuhren war,  erschien  fast  nur  als  ein  bestimmten  Zwecken 
gewidmetes  Staatsvermögen.  Wenn  man  erwägt,  dass  noch  im 
10.  Jahrhundert  dem  Herzog  Arnulf  die  Besetzung  der  Bisthümer 
in  Bayern  vom  König  Heinricli  I.  zugestanden  wurde,  so  muss 
dies  Recht  umsomehr  den  Agilolfingem  als  Stiftern  von  fünf 
Bisthümern  zugekommen  sein,  obwohl  das  Volksrecht  (II,  C.  10) 
nur  von  der  Wahl  durchs  Volk  und  der  Ernennung  durch  den 
König  redet.  Noch  freier  war  die  Verfügung  über  das  Klostergut. 
Eben  der  erwähnte  Herzog  Arnulf,  dem  die  Geistlichkeit  begreif- 
lichen^eise  den  Beinamen  des  Bösen  beUegte,  hat  in  den  Tagen 
äußerer  Bedrängnis,  wie  dereinst  Karl  Martell  im  Kampfe  gegen 
die  Araber,  so  hier  zur  Abwehr  magyarischer  Raubzüge  das 
Nothrecht  des  Staates  geltend  gemacht  und  den  Klöstern  fast 
alles  weggenommen,  um  wehrhafte  Streiter  zu  gewinnen.  Mehr 
als  11.000  Bauernhöfe  will  Kloster  Tegernsee  vorher  besessen 
haben,  nur  114  hatte  es  aus  der  Confiscation  in  das  11.  Jahr- 
hundert hinüber  gerettet.^ 

§  11,  Die  wirtschaftliclien  Zustände  vor  dem  Jahre  1000. 

Inama-Stern egg,  Deutsche  Wirtschaftsgeschichte,  I,  II,  1879.  Aus- 
bildung der  großen  Grundherrschaften  in  Deutschland  während  der  Karolinger- 
zeit. 1878.  Untersuchungen  über  das  Hofsystem  im  Mittelalter.  1872.  Femer 
in  den  Sitzungsberichten  der  k.  Akad.  d.  W.  Wien.  Bd.  84.  Über  die  Quellen 
der  deutschen  Wirtschaftsgeschichte.  Bd.  111.  Zur  Verfassungsgeschichte  der 
deutschen  Salinen  im  Mittelalter.  —  Karamel,  I,  238  ff.  und:  Zur  Entwicklungs- 
geschichte der  weltlichen  Grundherrschaften  in  den  deutschen  Südostmarken 
während  des  10.  und  11.  Jahrhunderts.  S.-A.  —  Riezler,  I,  135  ff. 

1 .  Welch  hohen  Grad  wirtschaftlicher  Entfaltung  die  Donau- 
lande unter  der  römischen  Herrschaft  erreicht  hatten,  ist  schon 
früher  (§  4)  angedeutet  worden.  Die  Besiedlung  des  Bodens  war 
damals  sehr  ausgedehnt,  Räter  und  Noriker  wohnteji  nach  dem 
Zeugnisse  des  Strabo  bis  zu  den  Höhen  der  Alpen  hinauf.    Mit 

*  Synodus  Aschaimensis  a.  a.  0.  457,  C.  1;  —  Schröder,  §  24,  160. 
^Riezler,  I,  325  ff.,  wo  auch  Angaben  über  die  Gtiterverluste  anderer 
bayerischer  Klöster  zu  finden  sind. 


56  österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Erste  Periode.  §  11. 

dem  Niedergange  des  römischen  Reichs  trat  ein  Rückschlag  zur 
alten  Uncultur  ein,  denn  das  Aufgeben  von  Ufernorikum  durch 
Odovaker  und  die  Einberufung  der  Pro\inzialen  nach  Italien  war 
der  unmittelbare  Anlass  zu  einer  Entvölkerung  der  Lande,  die  sich 
besonders  auf  wirtschaftlichem  Gebiete  äußerte.  Zurückblieb,  wer 
nichts  zu  verlieren  hatte  oder  in  abgeschiedenen  Gegenden  der 
Aufmerksamkeit  der  Feinde  zu  entgehen  hoffte.  Die  Wohlhabenden 
hingegen  verließen  sicherlich  in  Menge  mit  Graf  Pierius  den 
schutzlosen  Boden,  ebenso  jene  Handwerker,  die  sich  befähigt 
glaubten,  ihren  Unterhalt  auch  anderorten  zu  gewinnen.  Die  Berg- 
werke standen  still  und  geriethen  in  Vergessenheit,  manche  waren 
geradezu  beim  Abzug  verdeckt  worden,  um  besseren  Zeiten  bewahrt 
zu  bleiben.^  Die  Städte^  verödeten  und  zerfielen,  die  Handelswege 
kamen  ab  und  über  weite  Flächen  einst  hochculti  vierten  Landes 
breitete  sich  wieder  das  grüne  undurchdringliche  Dickicht  uner- 
messener  Waldungen. 

Weniger  als  Norikum  hatte  Rätien  gelitten,  dessen  südliche 
Landstriche  dauernd  unter  den  in  Italien  begründeten  germanischen 
Herrschaften  Odovakers,  der  Ostgothen  und  Langobarden  ver- 
blieben, bis  sie  unter  Karl  dem  Großen  den  Prankenkönigen 
unterthan  wurden. 

2.  Für  die  Besiedlung  und  die  Landvertheilung  war  —  ab- 
gesehen von  der  natürlichen  BodenbeschaflFenheit  —  entscheidend, 
dass  der  bayerische  Volksstamm  schon  feste  Wohnsitze  gewonnen 
hatte,  als  er  in  unsere  Gegenden  einzuströmen  begann.  Die  Land- 
striche  im  heutigen  Osterreich  ob  der  Enns,  im  Salzburgischen,  in 
Nordtirol,  die  vom  6.  Jahrhunderte  herwärts  von  den  Bayern  besetzt 
wurden,  hatten  daher  nur  den  Überschuss  aufzunehmen,  der  in 
der  neuen  Heimat  keine  Sitze  gefunden  hatte  oder  seine  Lage 
durch  Auswanderung  zu  verbessern .  suchte.   Noch  jünger  ist  die 

^  Als  man  im  Jahre  1865  das  vorgeschichtliche  Kupferbergwerk  am 
Mitterberg  im  Salzburgischen  daduich  entdeckte,  dass  man  die  Verhaue  des 
„alten  Manns"  seitlich  anfuhr,  zeigte  sich  bei  näherer  Untersuchung,  dass  der 
StoUeneingaug^  vorlängst  von  außen  kunstgerecht  verlegt  und  versteckt  worden 
war.  Siehe  den  Aufsatz  von  Dr.  Much  in  den  Mittheilungen  der  k.  k.  Central- 
commission  für  Kunst  und  historische  Denkmale.  N.  F.  IV.  (1878.)  S.  CLL 

^  Das  alte  Scarabantia  erhielt  daher,  als  es  unter  den  Karolmgem  wieder 
besiedelt  wurde,  geradezu  den  Namen  „öde  Stadt",  Ödenburg.  (^Odinburch  a.  860; 
Deserta  civitas  a.  1055.)  Kämmel,  I,  272. 


Die  Landnahme  der  Bayern»  herzoglicher  Grundbesitz.  57 

Ansiedlung  in  Innerösterreich  und  im  Lande  unter  der  Enns.  Sie 
beginnt  in  Karantanien  um  die  Mitte  des  8.  Jahrhunderts,  in  der 
Ostmark  als  Colonisation  im  Anschlüsse  an  die  Avarenkriege 
KarFs  des  Großen  und  musste  nach  der  Mitte  des  10.  Jahrhunderts 
von  neuem  aufgenommen  werden,  wo  die  früheren  Ansiedlungen 
durch  die  verheerenden  Magyaren  vernichtet  worden  waren. 

Ob  ursprünglich  die  Hofanlage  gewählt  wurde,  die  noch 
heute  im  Gebirge  vorherrscht  und  ein  Nebeneinander  mehrerer 
Höfe  zulässt,  oder  das  geschlossene  Dorf,  das  hieng  von  mancherlei 
Verhältnissen  ab,  die  örtlich  den  Ausschlag  gaben.  Beide  Formen 
kommen  bei  uns  seit  den  ältesten  Zeiten  vor;  die  häufige  Be- 
zeichnung von  Orten  nach  Personennamen  macht  es  wahrschein- 
lich, dass  viele  Dörfer  erst  später  aus  Einzelansiedlungen  er- 
wachsen sind. 

3.  Schon  das  Gesagte  lässt  erkennen,  dass  in  den  altöster- 
reichischen Landen  die  Vertheilung  des  Grundbesitzes  von  Anfang 
an  sehr  ungleich  gewesen  sein  muss.  Selbst  angenommen,  dass 
dem  freien  Ansiedler  überall  nach  seinem  Bedürfnisse  ein  ungefähr 
gleiches  Maß  von  Grund  und  Boden  zugewiesen  wurde,  so  hat 
dies  das  eroberte  Land  bei  weitem  nicht  erschöpfen  können,  so 
dass  dem  Staatsoberhaupt  ein  großer  Überschuss  zur  Verfügung 
blieb.  Nach  Unterwerfung  der  Reste  der  römischen  Bevölkerung 
in  den  Alpen  war  daher  der  Grundbesitz  der  Agilolfinger  wahr- 
haft unennesslich  geworden :  Fünf  Bisthümer  und  35  Klöster  haben 
sie  gestiftet  und  so  reichlich  ausgestattet,  dass  beispielsweise  das 
Hochstift  Salzburg  allein  —  abgerechnet  die  Geschenke  an  Wald 
und  uncultivierten  Flächen  —  über  1000  Hüben  von  den  Herzogen 
erhielt.^  Trotz  dieser  Freigebigkeit  und  trotzdem  Tassilo  HI.  auf 
dem  Landtage  zu  Dingolfing  seinen  Vasallen  die  Vererblichkeit 
ihrer  Beneficien  bewilligte,  hinterließ  das  Herzogsgeschlecht  den 
Karolingern  ein  Krongut,  das  noch  durch  Jahrhunderte  den  uner- 
schöpften Born  für  königliche  Landschenkungen  bUdete. 


^  Die  Breve»  Notitiee  (Anf.  9.  Jahrh.)  verzeichnen  nach  den  Zusammen- 
BtcUangen  Inama's  im  (ganzen  1613  Mansi  und  17  Herrenhöfe  als  Grund- 
besitz des  Erzbisthums  Salzburg;  davon  waren  855  Hüben  und  10  Herren- 
böfe  unmittelbares  Geschenk  der  Agilolßnger,  102  Hüben,  das  Geschenk  von 
32  Edeln,  bedurften  der  Zustimmung  dos  Herzogs,  waren  also  wohl  herzogliches 
Beneflcialgut. 


58  Österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Erste  Periode.  §  11. 

4.  Da  die  Deutschen  schon  zu  Zeiten  des  Tacitus  den  Boden 
secijindum  dignationem  theilten,  so  ist  auch  zu  vermuthen,  dass 
die  fünf  bayerischen  Adelsgeschlechter  bei  der  Landnahme  sofort 
einen  größeren  Antheil  zugemessen  erhielten,  der  im  Laufe  der 
Zeit  durch  Schenkungen  der  Herzoge,  wohl  auch  durch  Lehngut 
gemehrt  wurde.  Viel  erheblicher  war  aber  die  Bildung  eines 
geistlichen  Großgrundbesitzes,  der  überdies  von  Anfang  an  mit 
der  Colonisation  des  Landes  eng  verbunden  war.  Die  überreichen 
Schenkungen  der  bayerischen  Herzoge  an  Hochstifte  und  Klöster 
w^aren  nämlich  nicht  bloß  Acte  freigebiger  Frömmigkeit,  sondern 
ebensosehr  das  Ergebnis  staatswirtpchaftlicher  Erwägungen.  Noch 
war  das  in  Besitz  genommene  Land  nur  zum  geringsten  Theile 
urbar,  weitaus  die  größere  Fläche  deckten  Wald  und  uncultivierter 
Boden.  Diesen  ertragsfähig  zu  machen,  war  umso  schwieriger, 
als  es  an  verfügbaren  Arbeitskräften  zur  Bestellung  gebrach.  Nur 
inselartig  wurden  einzelne  Flächen  durch  die  wenig  zahlreichen 
Bewohner  in  roher  Weise  bebaut,  während  im  dichter  bevölkerten 
fränkischen  Westen  schon  der  Übergang  zu  intensiverer  Bewirt- 
schaftung begonnen  hatte. 

Urbarmachung  wüsten  Landes  mit  Hilfe  fleißiger  Mönche, 
denen  die  Ordensregel  körperliche  Arbeiten  vorschrieb,  war  neben 
der  Förderung  religiöser  Zwecke  der  staatswirtschaftliche  Vortheil, 
der  durch  Klostergründungen  damals  zu  erzielen  w-ar  und  der 
dadurch  erreicht  wurde,  dass  man  die  Ansiedlung  in  öde  Gegenden 
verlegte  oder  mit  ertraglosem  Lande  ausstattete.* 

5.  Noch  ausgiebiger  haben  die  Karolinger  und  die  späteren 
deutschen  Könige  den  Großgrundbesitz  als  Mittel  zur  Colonisierung 
unserer  Gegenden  benützt.  Das  den  Avaren  und  Slaven  abge- 
genommene  Land  galt  nach  fränkischem  Reichsrecht  als  Eigenthum 
der  Krone;  den  früheren  Besitzern  ist  der  Grund  nicht  geradezu 
entzogen  worden,   und  wenn  auch  viele  von  ihnen  dem  König 

*  So  hatte  z.  B.  ein  gewisser  Reginhert  mit  Zustimmung  Herzog  Tassilo's  HL 
im  Jahre  763  in  der  Einöde  des  Scharnitzpasses  (in  solitudine  Scarantiense)  ein 
Kloster  gegründet,  das  der  Herzog  mit  der  Aufgabe,  die  ungläubigen  Slaven  zu 
bekehren,  im  Jahre  770  nach  Innichen  übertrug,  welche  Gegend  er  von  früher 
her  als  öde  und  unbewohnbar  (inanem  atque  inhabitabilem)  kannte.  Cod.  Austr. 
Pris.,  I,  N.  1,  2.  —  Kremsmünster  erhält  777  bei  der  Gründung  alles  bebaute 
Land  üi  der  nächsten  Umgebung  sammt  den  hörigen  Bewohnern  de  incultis 
vero  ex  omni  parte  quantum  voluerint,  cultum  faciant.  U.-6.  o.  Enns,  U,  S.  2. 


Entstehung  des  Großgrandbesitzes,  Klostergründungen.  59 

zinspflichtig  wurden,  so  gab  es  daneben  auch  freie  Slaven,  die 
beispielsweise  828  bei  der  Schenkung  eines  Landstriches  ans  Stift 
Kremsmünster  in  ihren  Rechten  sorglich  geschützt  wurden.^ 
Ebenso  ist  bezeugt,  dass  bei  uns  damals  Ansiedlungen  auf  eigene 
Faust  von  Deutschen  und  Slaven  erfolgten,®  die  sich  um  keinen 
Besitztitel  kümmerten.  Sehr  groß  dürfte  indessen  die  Zahl  dieser 
Squatters  kaum  gewesen  sein,  weU  der  Erfolg  ihrer  Hände  Arbeit 
nicht  gesichert  war  und  der  Einzelne  früher  oder  später  vor  die 
Wahl  gestellt  w^urde,  entweder  den  gerodeten  Boden  fahren  zu 
lassen  oder  Zinspflichtiger  desjenigen  zu  werden,  der  sich  als  be- 
rechtigter Grundherr  auswies.^  Dagegen  scheint  es,  dass  Karl  der 
Große  unmittelbar  nach  der  Eroberung  des  Avarenreiches  den  geist- 
lichen wie  weltlichen  Großen  vorläufigen  Zugriff  auf  uncultiviertes 
Land  erlaubte  und  es  ist  anzunehmen,  dass  hinterher  in  den 
meisten  Fällen  der  Erwerb  die  königliche  Bestätigung  erhielt.* 
Was  so  unter  den  Karolingern  geschah,  dürfte  sich  in  der  zweiten 
Hälfte  des  10.  Jahrhunderts  in  der  Ostmark  wiederholt  haben, 
als  nach  der  Lechfeld- Schlacht  955  die  Zurückdrängung  der  Ma- 
gyaren begann  und  der  seit  einem  halben  Jahrhundert  verwil- 
derte Boden  neuerdings  dem  Fleiße  deutscher  Hände  überant- 
wortet wurde.  Ungleich  mehr  Land  wurde  aber  an  weltliche  oder 

^  U.-B.  o.  Enns,  II,  11.  Die  Schenkung  erfolgt  salvis  tarnen  proprietatibus 
liberomm  ßclavorum. 

^  Cceperunt  populi  sive  Sclavl  vel  äagoani  inhabitare  terram  unde  es- 
polsi  snnt  Hunni  et  multiplicari.  Conversio  Bagoariorum  Mon.  Germ.  Ss.  XI,  11.  Die 
Güter  in  der  Wachau  wurden  schon  vor  Beendigung  der  Avarenkriege  besiedelt. 
Büdinger,  I,  140. 

''  So  schenkte  Tassilo  III.  777  dem  Kloster  Kremsmünster  terram  quam 
illi  Sclavi  cultam  fecerunt  sine  consensu  nostro  infra  qui  vocatur  Forst  ad 
Todicha  et  Simicha.  Die  Bestätigung  Karl's  des  Großen  vom  Jahre  791  wieder- 
holt dies  und  fügt  bezüglich  Eporestal,  wo  dem  Kloster  777  die  Rodungs- 
bewilligung ertheilt  worden  war,  hinzu:  „Similiter  terram  Ulam,  quee  simiU 
modo  absque  licentia  Tassilonis  ducis  fuit  stirpata  .  . .  Homines  tamen  in  ipso 
Eporestal  super  ipsam  terram  conmianentes  si  voluerint  jam  fatam  terram 
tonere  ad  proserviendum  contra  ipsam  casam  dei  teneant,  si  vero  noluerint, 
liberi  dlscedant.  —  Ü.-B.  o.  Enns,  II,  3,  5.  —  Ü.-B.  am  Kremsmünster,  6. 

8  In  der  Urkunde  Ludwig's  des  Frommen  für  Niederaltaich  vom  Jahre  863 
heiBt  es:  «Avus  noster  Carolus  ]icentiam  tribuit  suis  fidelibns  in  augmontatione 
rerom  ecclesiarum  Dei  in  Pannonia  carpere  et  possldere  hereditatem,  quod  per 
licentiam  ipsius  in  multis  locis  et  ad  istud  etiam  monasterium  factum  esse 
dinoscitur.  Mon.  Boica,  XI,  120.  S.  a.  Büdinger,  I,  161. 


60  Osterreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Erste  Periode.  §  11. 

geistliche  Große  unmittelbar  vergeben,  sei  es  durch  Zuwendung 
ganzer  Ortschaften,  sei  es  durch  Gestattung,  ein  gewisses  Maß 
aus  dem  Krongute  frei  wählen  zu  dürfen.  Sache  dieser  Grund- 
herren und  ihr  Interesse  war  es  dann,  diesen  Besitz  nach  und 
nach  ertragsfähig  zu  machen.  Zu  dem  Ende  wurden  die  Arbeits- 
kräfte, die  man  an  Ort  und  Stelle  vorfand,  durch  solche  verstärkt, 
die  man  auf  anderen,  besser  ausgestatteten  Besitzungen  entbehren 
oder  etwa  in  der  Nachbarschaft  eintauschen  konnte.®  Wer  beson- 
ders begünstigt  wurde,  erhielt  \vohl  auch  Strafcolonisten  zuge- 
wiesen, welche  zur  Zeit  KarUs  des  Großen  vor  allem  dem  Sachsen- 
stamme entnommen  wurden.  ^° 

6.  Die  Gliederung  des  Grundbesitzes,  soweit  es  eine  solche 
schon  gab,  knüpfte  ans  Verhältnis  des  heri-schaftlichen  Gutes  zu 
den  dienenden  Grundstücken  an.  Wer  mehr  besaß,  als  er  für 
seine  Hauswirtschaft  brauchte,  der  behielt  gewöhnlich  nur  den 
Herrenhof  in  eigener  Verwaltung,  die  curtis  oder  villa  dominica 
mit  dazugehörigem  Acker-,  Wiesen-,  oft  auch  Weide-  und  Wald- 
land. Hier  vereinigte  der  Grundherr  die  ihm  unbedingt  zur  Ver- 
fügung stehenden  Arbeitskräfte  seines  Hausgesindes  (mancipia 
non  casata,  domestica),  hieher  schaffte  er,  was  ihm  an  Vieh,  Ge- 
räthschaften,  Rohstoffen  und  Vorräthen  zur  Vervollkommnung  zu 
Gebote  stand,  hier  fand  auch  seine  Unternehmerleistung  das  Feld 
ihrer  Wirksamkeit,  so  dass  eine  beträchtliche  Überlegenheit  der 
Wirtschaft  des  Dominical-Larides  wohl  außer  Zweifel  steht. ^^ 

Der  übrige  Theil  des  Besitzthumes  war  als  Zinsland  au 
Freie   oder  Hörige   oder   auch   an  Unfreie   (servi  casati)  hintan- 


*  So  vertauschte  B.  Anno  von  Freising  (870)  seine  Magd  Waldpurc  mit  ihren 
zwei  Söhnen  an  Abt  Megilo.  der  dafür  den  Knecht  Wolfram,  zwei  Ochsen  und 
einen  Ballen  Tuch  gab.  932  tauschte  Erzb.  Adalbert  106  Leibeigene  im  Salzburggau 
gegen  ebensoviele  im  Nordgau  ein.  Meichelbeck,  I,  2,  S.  361.  —  Juv.  A.,  168. 

^0  Über  die  Ansiedlung  sächsischer  Scharen  auf  fränkischem  und  alaman- 
nischem  Boden,  s.  Inama,  W.  G.,  I.,  209.  Sachsenburg  m  Kärnten,  Sachsen- 
feld in  Steiermark  gelten  als  sächsische  Niederlassungen  aus  Karl's  des  Großen 
Zeit.  S.  §  6,  Anm.  1  und  Büdinger,  I,  160. 

^^  Die  Agilolflnger  schenkten  dem  Hochstifte  Salzburg  u.  a.  zehn  Villen 
mit  zusammen  329  abhängigen  Leuten:  coloni,  tributales,  servi.  Es  treffen 
demnach,  abgesehen  vom  Herrenhof,  durchschnittlich  33  Colonengtiter  auf  eine 
Villa.  Inama,  Grundherrschaften,  S.  25  ff.  —  Freie  Dienerschaft  erwähnt  888 
König  Arnulfs  Gnadenbrief  für  Heimo,  §  9,  Anra.  2. 


Gliederung  des  Großgrundbesitzes,  bäuerlicher  Besitz.  61 

gegeben.  Es  war  dies  die  —  namentlich  von  den  Hochstiften 
bevorzugte  —  Art  der  Bewirtschaftung  solcher  Güter,  die  der 
Grundherr  nicht  in  eigener  Pflege  behalten  konnte  oder  wollte.^* 
Ursprünglich  schied  man  nach  dem  Stande  des  Zinsmannes  die 
Hufe  als  mansus  ingenuilis,  lidilis,  servilis,  später  verstand  man 
unter  solchen  Ausdrücken  nur  Güter  mit  verschieden  abgestuften 
Leistungen,  ohne  Rücksicht  auf  den  jeweiligen  Inhaber.  War  ein 
Zinsgut  mit  einem  Zinsraanne  ordentlich  besetzt,  so  nannte  man 
es  raansus  vestitus,  fehlte  ihm  der  Colone  aus  was  immer  für 
einem  Grunde,  so  war  es  ein  mansus  absus,  der  dann  nothgedrungen 
vom  Herrenhofe  aus  bewirtschaftet  werden  musste.^^ 

7.  Gegenüber  dem  Großgrundbesitze,  der,  wie  gezeigt  wurde, 
in  Deutsch-Österreich  seit  frühester  Zeit  auf  die  wirtschaftliche 
Entwicklung  des  Landes  bestimmenden  Einfluss  übte,  treten  hier 
die  Hufen  gemeinfreier  Ansiedler  stark  zurück.  Die  Hufe  war 
anfanglich  kein  Flächen-,  sondern  ein  wirtschaftliches  Maß,  nämlich 
Ausdruck  für  den  zum  standesgemäßen  Unterhalt  einer  gemein- 
freien Familie  erforderlichen  Grundbesitz.  Eben  darum  wurden 
die  Hufen  als  gleichwertig  behandelt,  obschon  sie  im  einzelnen 
je  nach  Verschiedenheit  der  Lage  und  der  Güte  der  Grundstücke 
von  wechselnder  Größe  waren  und  zwischen  20 — 40  Tagwerken 
schwankten.^*  Die  Hufe  umfasste  sowohl  die  Hofstätte  mit  Wohn- 
haus und  Wirtschaftsgebäuden,  Garten,  Ackerland,  als  den  Antheil 
an  der  gemeinen  Mark;  sie  war  ferner  je  nach  der  Ansiedlung 
von  verschiedener  Gestalt.  Sie  hat  z.  B.  bei  der  Hofanlage  ge- 
wöhnlich die  Wohngebäude  rings  umgeben,  während  geschlossene 
Dörfer  größere  Mannigfaltigkeit  zeigen,  so  dass  oft  aus  der  noch 


1-  So  hatte  z.  B.  das  Bisthum  Augsburg  um's  Jahr  812  nur  8  Herren- 
höfe in  Eigenbetrieb  und  80  mansi  absi  bei  einem  Besitz  von  1041  mansi 
ingenuiies  und  466  mansi  serviles.  Mon.  Genn.,  Fol.,  Leg.  I,  177. 

*»  Inama,  Wirtschaftsgeschichte,  I,  127  ff. 

**  Die  mittlere  Größe  waren  30  Tagwerke.  Die  Königshufe  zu  60  Tag- 
werken ist  späteren  Ursprungs.  Auch  das  Tagwerk  war  ursprünglich  kein 
Flächenmaß,  sondern  bezeichnete  nur  soviel  Land,  als  man  an  einem  Tage  mit 
dem  Pfluge  bauen  konnte.  —  Schröder,  201,  Inama,  I,  312.  Jumale  als 
Ackermaß,  s.  Monseer  Traditionen  vom  Jahre  823:  «jumales  X  in  longitudinem 
et  virgas  VII  et  in  latitudinem  jumales  Vil  in  pago  Mataccauue  ..."  U.-B.  o.  E., 
I.  S.  6,  Nr.  8.  Die  Andecena  der  L.  B.  1,  13,  sollte  4  Ruten  (zu  10  Schuh)  breit 
und  40  Ruten  lang  sein. 


62  österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Erste  Periode.  §  11. 

gegenwärtig  bestehenden  Vertheilung  des  Grundbesitzes  ein  Rück- 
schluss  auf  die  ursprünglichen  Ansiedler  zulässig  ist.  Hervor- 
gehoben sei,  dass  auch  in  unseren  Gegenden,  wie  in  Deutsch- 
land eine  Zerlegung  in  drei  Felder  nach  Culturperioden  vorkam 
und  dass  dem  einzelnen  Hüfner  sein  Antheil  in  langen  und 
schmalen  Streifen  nach  den  Gewannen  zerstreut  angewiesen 
wurde.  ^*  Leider  fehlen  fast  alle  Anhaltspunkte,  um  die  Verthei- 
lung des  Grundbesitzes  unter  gemeinfreie  Ansiedler,  Großgrund- 
besitzer und  den  Staat  genauer  zu  bestimmen,  man  ist  lediglich 
auf  Angaben  über  den  Besitzerwerb  einiger  Hochstifte  und  Klöster 
und  auf  die  Rückschlüsse  angewiesen,  die  man  aus  einzelnen 
darin  mitgetheilten  Fällen  ableiten  kann.  Fasst  man  nun  diese 
für  Salzburg,  Freising,  Passau,  Mondsee  u.  s.  w.  überlieferten 
Nachrichten  zusammen,  so  erhält*  man  den  Eindruck,  dass  in 
Bayern  und  den  damit  verbundenen  Landen  zur  Zeit  der  Karo- 
linger die  Bevölkerung  sehr  ungleich  angesiedelt  war  und  dass 
damit  auch  eine  sehr  verschiedene  Vertheilung  des  Grundbesitzes 
zusammenhieng.  Namentlich  scheint  der  Grundbesitz  in  den  süd- 
licheren Gegenden,  besonders  am  Fuße  der  Alpen,  zum  Theile 
auch  im  Gebirge,  stark  zersplittert  gewesen  zu  sein,  so  dass  es 
hier  neben  einigen  größeren  Grundherren  eine  Menge  von  klei- 
neren Eigenthümem  gab,  die  freilich  dem  Großgrundbesitze  leicht 
erlagen.^® 

8.  Die  wirtschaftliche  Überlegenheit  des  Großgrundbesitzes 
über  den  freien  Bauembesitz  machte  sich  vor  allem  in 
Zeiten  allgemeiner  Landesnoth  fühlbar.  Die  Gmndherren  hatten 
das  Land,  das  sie  in  Eigenbetrieb  nahmen,  nicht  in  einem  oder 
in  einigen  wenigen  Gütern  vereinigt,  sondern  wirtschafteten  mei- 
stens  mit   zahlreichen  Herrenhöfen  mittlerer  Größe,   denen  eine 


^^  Ein  paar  geradezu  typische  Beispiele  der  durch  diese  Ansiedlung 
bedingten  Zersplitterung  bietet  die  mit  Plänen  herausgegebene  Denkschrift  des 
k.  k.  Ackerbauministeriums  über  die  1889  bis  1891  durchgeführte  »Zusammen- 
legung der  landwirtschaftlichen  Grundstücke  in  den  Gemeinden  Ober-Sieben- 
brunn und  Raasdorf  in  Österreich  unter  der  Enns."  (Wien  1892.)  In  Ober- 
Siebenbrunn  waren  die  Grundstücke  von  108  Besitzern  auf  1926  Stellen  des 
Gemeindegebiets  zerstreut,  die  Länge  dieser  Streifen  schwankte  zwischen 
70  und  2300  Meter.  Die  durchschnittliche  Breite  war  15*8  Meter.  Der  Besitz 
des  Lorenz  Neuhauser  =  58*4  h.  war  in  45  Theile  zerlegt  u.  s.  w. 

lö  Inama,  Wirtschaftsgeschichte,  1,  116. 


Wirtschaftliches  Übergewicht  des  Großgrundbesitzes,  Ansiedinngen.       68 

Anzalil  abhängiger  Leute  zu  Zins  und  Frohnden  überwiesen  waren. 
So  gab  es  inmitten  unentwickelter  bäuerlicher  Wirtschaften  eine 
große  Zahl  von  Gütern,  deren  Besitzer  nicht  von  der  Hand  in 
den  Mund  lebten,  die  zum  Theile  gute  Kenntnis  von  den  Ein- 
richtungen, Früchten,  Viehsorten  reicher  entwickelter  Gegenden 
hatten  und  deren  Zinsleute  in  Nothjahren,  wo  man  die  Über- 
schüsse aus  anderen  Gegenden  heranziehen  konnte,  vor  dem 
Verhungern  gesichert  waren.  Die  Höfe  der  Klöster  und  der  vor- 
nehmen weltlichen  Herren  waren  damals  vielfach  Musterwirt- 
schaften und  ihnen  ist  es  namentlich  zu  danken,  dass  ein  Theil  der 
unermesslichen  Wald-  und  Heideflächen  in  Anbau  genommen 
wurde ;  sie  waren  aber  andererseits  auch  das  Werkzeug,  um  den 
freien  Bauernstand  in  wirtschaftliche  Abhängigkeit  vom  Groß- 
grundbesitz zu  bringen. 

9.  Über  die  Art  der  Ansiedlung  und  die  Bewirtschaftung 
des  Bodens  durch  die  alten  Bayern  gibt  uns  das  um  die  Mitte 
des  8.  Jahrhunderts  aufgezeichnete  Volksrecht  mancherlei  Auf- 
schlüsse. Haus  und  Hof,  die  Hausthiere,  Saat  und  Bäume  hatten 
ihren  gesetzlich  geschützten  Frieden.  Steinbauten  gab  es  anfäng- 
lich wohl  nur  da,  wo  sich  solche  aus  römischer  Zeit  erhalten 
hatten.  Die  Häuser  waren  mit  verschwindenden  Ausnahmen  von 
Holz  und  jeder  Balken  daran  war  nach  seiner  baulichen  Be- 
deutung durch  einen  Bußsatz  geschützt.  Neben  dem  Wohnhause 
lagen  gesondert  die  kleineren  Wirtschaftsgebäude,  den  Hofraum 
umgab  ein  Zaun,  der  einem  mittleren  Manne  bis  zur  Brust  reichen 
sollte.  Schon  war  hie  und  da  das  Ackerland  nach  den  Grund- 
sätzen der  Dreifelderwirtschaft  in  drei  Fluren  (Zeigen)  für  Winter- 
und  Sommerfrucht  und  für  Brache  getheilt.^^  Die  Grenzen  der 
Mark  waren  durch  Gräben  oder  Marksteine  gesichert,  auch  in 
Bäume  schnitt  man  Grenzzeichen  ein,^®  ein  Strohwisch  —  WiflFa 

1'  Die  Worte  in  L.  B.  I,  13 :  „a  tremisse  unusquisque  acoola  ad  duo 
modia  sationis  excoUigere  .  .  .  debet"  werden  gewöhnlich  durch  „von  der 
Sommerfnicht"  tibersetzt.  —  Salzburgor  Urltunde  um  935,  Juv.  A.  175 :  Exceptis 
in  unaquaque  parte  quam  celga  vocamus  jugeribus  tribus. 

18  L.  B.  XU,  8:  „. . .  ubi  evidentia  Signa  non  apparcnt  in  arboribus  aut 
montibus."  M.  B.  XXVIII,  A,  21.  ürlcunde  vom  Jahre  832.  König  Ludwig  schenkt 
dem  Regensburger  Bisthum  in  provincia  Avarorum  locum  ubi  antiquitus  castrum 
fuit,  qui  dicltur  Herilungoburg  (nächst  der  Krlafmündung)  . . .  usque  ...  ubi 
m  duabus  arboribus  evidentia  signa  monstrantur  . .  . 


64  Österreichische  Beichsgeschichte.  I.  Theil.  Erste  Periode.  §  11. 

genannt  —  dessen  widerrechtliche  Entfernung  einen  Schilling 
kostete,  diente  wie  noch  heute  zur  Warnung  vor  dem  Betreten 
eines  Weges  oder  einer  Flur.  Schon  war  der  Wald  geschützt. 
Es  gab  Forste,  die  sich  der  Herzog  gewahrt  hatte,  und  Forste, 
die  anderen  gehörten,^®  es  gab  Haine  und  Waldgehege  im  Privat- 
besitze, gerodetes  Waldland  wird  neben  Äckern  und  Wiesen 
hervorgehoben,  Bim-  und  Apfelbäume  waren  zu  Obstgärten 
vereinigt,  Weinbau ^^  und  Bienenzucht  wurden  betrieben.  Neben 
Großvieh  gab  es  große  Schweineherden,*^  an  Rossen  werden  die 
Mähre  das  Kriegspferd,  vom  Zugpferde  „Wilz**  und  dem  noch 
geringeren  Gaule  „Angargnago"  unterschieden.  Die  große  Bedeu- 
tung der  Jagd  erhellt  aus  den  Bußsätzen  für  Jagdfalken  und 
Hunde,  die  je  nach  der  Dressur  und  Art  als  Kranich-,  Gänse- 
und  Entenfalken,  als  Leithunde,  Triebhunde,  Spürhunde,  Biber- 
hunde, Windhunde  u.  s.  w.  bezeichnet  wurden.  Auf  den  Höfen 
der  Adeligen  aber  gab  es  auch  gezähmte  Waldvögel,  die  dort 
zum  Prunk  oder  um  ihres  Gesanges  willen  gehegt  wurden. 

10.  Neben  Landwirtschaft  und  Jagd  treten  die  übrigen 
Zweige  der  Urproduction  stark  in  den  Hintergrund.  Verhältnis- 
mäßig früh  wurde  man  auf  den  Gold  führenden  Sand  der  Alpen- 
flüsse aufmerksam ;  schon  um's  Jahr  700  wusch  man  Gold  im 
Pongau  und  hinterher  haben  sich  die  Hochstifte  von  Salzburg 
und  Passau  ihr  Anrecht  auf  Waschgold  ausdrücklich  bestätigen 
lassen.22   Aber  der  Bergbau  selbst  wurde  offenbar  erst  bedeutend 

1^  Forste  in  Privatbesitz  werden  z.  B.  In  den  ältesten  Traditionen  des 
Klosters  Mondsee  genannt.  U.-B.  o.  E.,  I,  25,  Nr.  40. 

^  Vineas  plantare  nennt  L.  B.  I,  18  unter  den  Obliegenheiten  der  coloni 
vel  servi  ecclesiee.  Zwei  Weingärten  in  der  Nähe  von  Regensburg  schenkte 
schon  Herzog  Theodo  (f  um  717)  an  Salzburg.  Als  dann  später  TassUo  III.  in 
deren  Nähe  zu  Kruckenberg  einen  Landstrich  dem  gleichen  Hochstifte  überließ, 
wurden  sofort  Weingärten  daraus  gemacht.  Indiculus  Amonis  I,  7,  V,  2,  in 
quo  nunc  sunt  plantagines  vinearum  institutae. 

21  Schafzucht  wurde  auf  Alpen  weiden  betrieben.  Ind.  Am.  I,  6  .  .  . 
alpes  ...  in  quo  sunt  tantum  modo  pascua  ovlum. 

22  Ind.  Arnonis,  VIII:  1  .  . .  ibant  duo  fratres  ...  in  locum . .  .  Pon- 
gauui ...  in  venatione  et  ad  aurum  faciendum.  Das  gegen  Ende  des  10.  Jahr- 
hunderts gefälschte  Immunitäts-Diplom  Kaiser  Arnulfs  für  Passau  von  angeblich 
898,  9.  September  (Mon.  B.  XXVIUa,  121,  Mühlbacher  1891)  enthält  den  Satz: 
«aurifices  autem  eorum  quoscunque  permiserit  prsefatae  sedis  antistes  non  aliter 
quam   nostri    omnibus    üuminum   arenis    absque    contradictione   utantur  ..." 


Wäldor  und  Gärten,  Bergbau,  Handel  und  Gewerbe.  65 

später  aufgenommen.  Die  bei  den  Römern  hochgerühmten  nori- 
schen  Bergwerke  auf  dem  Erzberge  zwischen  Vordernberg  und 
Eisenerz,  die  noch  heute  im  Tagbau  betrieben  werden,  sollen 
nach  einer  alten  Überlieferung  im  Jahre  712  wieder  eröffnet 
worden  sein;  das  erste  sichere  Zeugnis  indessen  betrifft  das 
Eisenvorkommen  im  oberen  Lavantthal  in  Monte  Gamanara 
nächst  Reichenfels  im  Jahre  931.*^  Bedeutend  war  nur  die  Ver- 
wertung der  Salinen,  die  zwar  großentheils  den  Agilolfingem 
selbst  gehörten,  aber  auch  im  Besitze  anderer  Grundherren  vor- 
kommen.2*  Ganz  unentwickelt  war  das  Gewerbe.  Zimmerleute, 
Schmiede,  Maurer,  Müller  u.  s.  w.,  die  erwähnt  werden,  waren 
entweder  als  Leibeigene  für  den  Hausbedarf  der  Herrenhöfe 
thätig  oder  stellten  als  Mönche  oder  Geistliche  ihre  Fertigkeiten 
in  den  Dienst  der  Kirche,  wie  jene  muratores,  pictores,  fabri 
et  lignarii,  die  Erzbischof  Luipram  (836 — 859)  aus  Salzburg  dem 
Privina  hehufs  Herstellung  einer  Kirche  zusandte.^* 

11.  Wenig  entwickelt  war  der  Handel  während  der  AgUol- 
finger  Zeit,  doch  unterschied  das  Volksrecht  {L.  B.  X,  19—21) 
bereits  die  herzogliche  oder  Königsstraße  von  öffentlichen  und 
Gemeindewegen  und  Gemeindepfaden.  Die  Eroberung  des  Avaren- 
reichs  durch  Karl  den  Großen  kam  auch  dem  Verkehre  zustatten, 
es  hob  sich  namentlich  der  Handel  auf  der  Donau  ganz  beträcht- 
lich; die  Zollverordnungen,  die  um  906  auf  einer  Versammlung 
zu  RaflfelstettQU  zwischen  der  Zitzelau  und  Enns  bekundet  wurden, 
beziehen   sich   ausdrücklich  auf  Einrichtungen  zur  Zeit  Ludwig's 

Schenkungs-Urkunde  Kg.  Ludwig's  vom  Jahre  908,  17.  Dec.,  an  Salzburg,  be- 
treffend Reichenhau :  ,. . .  circa  fluvios  Sala  et  Saizaha  vocatos  in  auro  et  sale.*" 
Juv.  A.,  120. 

^  Über  die  Lage  von  Gamanara  siehe  Beiträge  zur  Kunde  steirischer 
Geschichtsqnellen,  VUI,  121  ff.  Die  Urkunde  König  Arnulfs  vom  Jahre  890, 
welche  Gamanara  unter  den  Salzburger  Besitzungen  aufführt,  ist  eine  Fälschung 
ans  der  Zeit  Kaiser  Otto's  I. 

'^  Aus  der  Saline  von  Reichenhall  vergabte  Herzog  Theodo  dem  h.  Ruprecht 
20  Pfannstätten  mit  ebensoviel  Pfannen  und  ein  Drittel  des  Salzbrunnens.  Das 
lässt  auf  einen  Gesammtbestand  von  60  Pfannen  zu  Reichenhall  um*8  Jahr  700 
schließen.  Später  schenkte  Herzog  Tassilo  III.  an  Salzburg  ein  ganzes  Schöpf- 
werk zu  »Hai".  Ind.  Arnonis,  I,  3,  V,  5.  Keinz  bezieht  beide  Schenkungen 
auf  ReichenhalL 

2*  Conv.  Bagoariorum,  Mon.  Germ.  SS,  XI,  11,  ebendort  wird  auch  ein 
Priester  Aitfrid,  magister  ciiiuscunque  artis,  genannt. 

LttBchin,  ÖBterreichi6che  Reicbsgescbicbte.  5 


66       Österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Erste  Periode.  §  11  und  12. 

des  Deutschen  und  Karlmann's  und  enthalten  manche  Grundsätze, 
die  später  in  der  Handelspolitik  der  österreichischen  Herzoge 
wiederkehren.  Die  nächsten  Anwohner  wurden  vor  den  weiter  her 
kommenden  Staatsangehörigen  begünstigt,  letztere  hingegen,  mögen 
sie  nun  Bayern  oder  Slaven  sein,  erfreuten  sich  ebenmäßig  ge- 
wisser Zollvortheile  gegenüber  fremden  Kaufleuten,  zu  welchen 
auch  die  Juden  gerechnet  wurden.  Salz,  der  wichtigste  Handels- 
artikel der  Bayern,  war  bei  der  Ausfuhr  nach  dem  mährischen 
Reiche  mit  einem  Schilling  Zoll  vom  SchiflF  belegt,  während  die 
Rückfracht  zollfrei  gieng.  Gegenstände  der  Einfuhr  waren  vor 
allem  Wachs,  Pferde  und  Sclaven.^^ 

12.  Es  ist  unwahrscheinlich,  dass  schon  die  Agilolflnger 
eigene  Münzen  prägen  ließen,  wie  dies  alsbald  nach  der  Wieder- 
aufrichtung des  bayerischen  Stammesherzogthums  durch  die  Luit- 
poldinger  geschah.  Mit  dem  fi-änkischen  Münzwesen  wurde  auch 
der  durch  Pipin  als  Rechnungsmünze  für  Bußzahlungen  einge- 
führte Schilling  zu  zwölf  Pfennigen  in  Bayern  bekannt.  Während 
indessen  das  westliche  Frankenreich  zu  jener  Zeit  wegen  Erschö- 
pfung des  Goldvorrathes  schon  zur  Silberwährung  übergieng,  hielt 
man  in  Bayern  weit  länger  am  Golde  fest.^^  Es  scheint,  dass  hier 
durch  den  Donauhandel  vor  allem  oströmische  Goldstücke,  die  an 
Schwere  etwas  herabgekommen  waren  (s.  g.  mancosi),^®  im  Um- 


2ß  Mon.  Germ.,  Leg.  III,  480.  Die  Ausstellung  erfolgte  zwischen  903  bis  906. 
Der  Sclavenhandel  bestand  in  den  Alpengegenden,  wo  Noth  an  Arbeitskräften 
war,  über  das  Jahr  1000  hinaus.  —  Chabert,  §  57,  Anm.  1,  macht  auf  die 
Ansätze  des  Churer  Salbuchs  aus  dem  11.  Jahrhundert  aufmerksam:  Zu 
Wallenstadt  amWallensee:  „do  unoquoque  mancipio,  quodibi  venditur2  similiter 
et  de  caballo."  Hormayr,  sämmtl.  Werke  II,  Urkundenbuch,  S.  XXXV.  — 
Im  Süden  war  der  Sclavenhandel  um  jene  Zeit  schon  durch  Decrete  der  vene- 
zianischen Dogen  abgeschafft,  so  wird  960  den  venezianischen  Schiffern  verboten : 
„levare  mancipia  neque  de  Venecils  neque  de  Histria  neque  de  Dalmatia  neque 
de  aliis  locis  per  nuUum  Ingenium  nee  etiam  aliquis  hominem  negotiantera  vel 
Judeum  in  navi  sua  levare  non  dobeat  ..."  Kauf  von  Sdavcn  zu  eigenem 
Gebrauch  blieb  statthaft.  Kandier,  Cod.  Istr.,  960,  Juni. 

^^  Vergleiche  die  Bußansätze  in  Gold  (solidi  auro  adpreciati)  im  bayerischen 
Volksrecht.  —  Der  h.  Rupert  bezahlte  dem  Hz.  Theodo  für  die  Villa  Plding  „.  .  .de 
proprio  conquestu  suo  in  auro  et  argento  solidos  mille**.  Breves,  Not.,  11,4. 

^  Über  die  Mancosi,  s.  Soetbeer  in  den  Forschungen  zur  deutschen 
Geschichte,  II,  359  ff.,  insbesonders  S.  363  der  Nachweis,  dass  der  Mancosus 
zu   Zeiten  Ludwig's  des   Frommen  auf  30  karolingische  Denare  veranschlagt 


Handel,  Münz  Verhältnisse,  Nationalitäten  und  Stände  in  Bayern.         67 

laufe  blieben  und  dasa  man  diesen  abgeschwächten  byzantinischen 
solidus '  nach  dem  damaligen  Wertverhältnisse  der  Edelmetalle 
auf  dreißig  karolingische  Silberpfennige  veranschlagte,  ludem 
man  das  karolingische  Zählpfund  zu  240  Pfennigen  mit  Benützung 
der  im  Verkehre  befindlichen  Münze  durch  acht  Goldstücke  be- 
gleichen konnte,  gelangte  man  zu  einer  anderen  Eintheilung  und 
rechnete  acht  Schillinge  oder  solidi  zu  dreißig  Pfennigen  aufs 
Pfund  statt  der  zwanzig  Schillinge  zu  zwölf  Pfennigen  des  frän- 
kischen Münzsystems.2^  Es  ist  möglich,  dass  diese  abweichende 
Zählweise  nach  „langen"  Schillingen  zu  dreißig  Pfennigen  statt 
der  „kurzen*"  fränkischen  Schillinge  zu  zwölf  Pfennigen  in 
Bayern  schon  während  des  9.  Jahrhunderts  aufgekommen  ist. 
Beglaubigt  ist  sie  in  Abschrift  einer  älteren  Vorlage  durch  eine 
Glosse  im  Grazer  Codex  des  bayerischen  Volksrechts,  die  in  der 
zweiten  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts  niedergeschrieben  wurde, 
in  unseren  Gegenden  hatte  sie  sich  schon  vor  der  Erhebung  der 
Ostmark  zum  Herzogthume  eingebürgert  und  lässt  sich  dann  ver- 
folgen, so  lang  die  Rechnung  nach  Pfunden,  Schillingen  und 
Pfennigen  in  Übung  blieb. 

§  12.  Nationalitaten  und  Stande. 

Quitzmann,  24  ff.  —  Häberlin,  162  ff.  —  Brunner,  Bd.  1,  $  14, 
29-32,  34.  -  Cliabert,  §  11,  54  ff.  —  Qengler,  Beiträge,  Bd.  1,  S.  30, 
Anm.  68,  193,  Anra.  13,  221,  Anm.  47.  —  Maurer  Konrad,  Über  das  Wesen  des 
ältesten  Adels  der  deutschen  Stämme,  1846. 

1.  Einer  noch  unentwickelten  Rechtsauf fassung  entspricht, 
dass  die  Rechtsfähigkeit  schlechtweg  auf  die  Angehörigen  des 
eigenen  Volkes  eingeschränkt  wird,  so  dass  der  Volksfremde 
lediglich  auf  den  Schutz  durch  seinen  Gastfreund  angewiesen  ist. 
Ganz  folgerichtig  ist,  solange  diese  Anschauung  besteht,  die  Ver- 
knechtuug  des  schutzlosen  Fremdlings  eine  erlaubte  Handlung  und 

^Mirde.  Unter  den  a.  a.  0.,  S.  335,  mitgetheiiten  Quellenstellen  erscheinen 
mehrfach  solidi  de  argento,  815  docem  argenti  solidos  franciscos  .  .  .  816  .  . . 
annis  singulus  unum  solidum  de  auro  solvere  aut  XXX  Denarios.  (Moichel- 
beck,  I,  2,  Nr.  323,  349.) 

29  Wiener  num.  Zeitschrift,  VIII,  279  ff.  —  Muffat,  In  den  Ab- 
handlungen der  III.  Cl.  der  kgl.  bayer.  Akad.  d.  W.,  XI,  I.  Abtheilung,  S.  205  ff., 
bringt  Zeugnisse  für  die  Anwendung  des  solidus  longus  zu  30  Pfennig  bei  aus 
dem  10.  und  12.  Jahrhundert. 

5* 


68  österreichische  Reichsgeschichte.  L  Theil.  Erste  Periode.  §  11. 

Einzelnen  gegenüber  ist  von  diesem  „Recht"  sicherlich  oft  Ge- 
brauch gemacht  worden.  Dagegen  konnte  es  bei  Unterwerfung 
ganzer  Völkerschaften  leicht  vorkommen,  dass  ihnen  eine  gemin- 
derte Rechtsfähigkeit  verblieb,  dass  sie  als  Staatsbürger  zweiter 
Classe  anerkannt  wurden.  So  war  es  fast  in  allen  germanischen 
Staaten,  die  auf  römischem  Boden  begründet  wurden.  Die  unter- 
worfenen Provinzialen  mussten  gewöhnlich  einen  Theil  ihres 
Landbesitzes  abtreten  und  vom  übrigen  Abgaben  an  den  König 
entrichten,  allein  sie  behielten  ihre  persönliche  Freiheit  und  lebten 
nach  eigenem  Recht,  das  ihnen  die  germanischen  Herrscher 
sogar  aufzeichnen  ließen.  Zur  Anerkennung  ihrer  Persönlichkeit 
und  als  Ausdruck  des  Rechtsschutzes  wurde  ihnen  ein  Wergeid 
beigelegt,  obwohl  geringer  bemessen,  als  dem  herrschenden  Volke. 
Verwickelter  war  die  Frage,  wie  es  mit  den  Angehörigen  anderer 
germanischer  Völkerschaften  gehalten  wurde,  die  im  Staate  Auf- 
nahme gefunden  hatten.  Galten  sie  nur  als  geschützte  Fremde, 
so  lebten  sie  nach  dem  persönlichen  Recht  des  Schutzherm, 
d.  i.  im  Langobardenreiche  des  Königs,  in  Bayern  des  Herzogs.^ 
Für  den  Verkehr  mehrerer  Nationalitäten  untereinander,  die  dem- 
selben Reiche  angehörten,  hatte  sich  aber  bei  den  Franken  das 
Personalitätsprincip  entwickelt,  d.  h.  es  trug  jeder  Staatsange- 
hörige sein  angeborenes  Recht  mit  sich  und  hatte  den  Anspruch, 
überall  im  Reiche  nach  demselben  beurtheilt  zu  werden. 

Dieser  Grundsatz  des  fränkischen  Staatsrechtes  kam  selbst- 
verständlich auch  in  unseren  Gegenden  zur  Anwendung  und 
außer  bayerischem,  schwäbischem,  langobardischem  Recht  sind 
hier  (wie  §  6,  1,  erwähnt)  zweifellos  auch  andere  Volksrechte 
vereinzelt  zur  Anwendung  gekommen.  Man  könnte  nun  erwarten, 
dass  ähnlich  wie  anderwärts  im  Volksrechte  der  Romanen  als 
der  zweiten  Nationalität  gedacht  wird,  auch  das  bayerische  Volks- 
recht Bestimmungen  über  Romanen  und  Slaven  enthalte,  die  im 
Herzogthume  an  mehreren  Orten  sesshaft  waren ;  dies  ist  jedoch 
nicht  der  Fall. 

2.  Im  bayerischen  Volksrechte  werden  Adelige,  Gemein- 
freie.   Halbfreie    und   eigene   Leute  unterschieden.    Die   Freien, 

1  Dalier  gilt  für  den  langobardischen  Waregang  das  langobardische  Recht, 
es  müsste  ihm  denn  der  König  durch  Privileg  den  Qenuss  eines  andern  Rechts 
verstattet  haben.  Brunn  er,  II,  274. 


Das  Personalitätsprincip ;  vollfreie  und  adelige  Bayern.  69 

,liberi*,  „liberi  Baioarii**,  in  den  aus  dem  Westgothenrechte 
genommenen  Stellen  „ingenui"  genannt,  bildeten  mit  den  Ade- 
ligen die  politisch  berechtigte  Bevölkerung.  Die  Angehörigen 
dieser  Stände  erkannten  keinen  Herrn  über  sich,  als  den  allen 
gemeinsamen  und  konnten  voll  wirksame  Ehen  untereinander  ab- 
schließen. Sie  hatten  durch  die  Landnahme  Anspruch  auf  den  zu 
ihrem  Unterhalte  nothwendigen  Boden  erhalten,  hatten  das 
Waffenrecht  und  konnten  ihre  Aussage  durch  gerichtlichen  Zwei- 
kampf vertreten.  Durch  strenge  Bußen  des  Volksrechtes  waren 
sie  nicht  bloß  gegen  Verletzungen  an  Leib  und  Vermögen,  son- 
dern auch  gegen  jede  unerlaubte  Behinderung  ihrer  Freiheit  ge- 
schützt. 

Der  Stand  der  Vollfreiheit  wurde  durch  Geburt  von  freien 
Eltern  erworben.  Die  Freilassung  Unfreier  gewährte  diesen  nur 
mindere  Rechte,  es  wäre  denn  der  Act  vom  Staatsoberhaupte 
selbst  vorgenommen  worden.  Das  Wergeid  des  Vollfreien  betrug 
bei  den  Baj^ern  ursprünglich  80  Schillinge,^  wurde  aber  durch 
fränkischen  Einfluss  auf  160  Schillinge  erhöht.  Da  außer  dem 
Wergeide  im  Falle  der  Tödtung  auch  noch  ein  Friedensgeld  von 
40  Schillingen  zu  entrichten  war,  das  im  fränkischen  Wergeide 
zu  200  Schillingen  schon  inbegriffen  ist,  so  stimmten  die  Ansätze 
der  Wergeldbuße  bei  den  Franken  und  Bayern  materiell  über- 
ein. Die  größere  Schutzbedürftigkeit  des  weiblichen  Geschlechts 
wurde  durch  Verdoppelung  der  Bußsätze  anerkannt,  eben  darum 
fiel  diese  Erhöhung  weg,  wenn  die  Überfallene  zu  den  Waffen 
griff  und  in  ihrer  Herzhaftigkeit  wie  ein  Mann  kämpfte. 

3.  Über  die  gewöhnlichen  Freien,  die  in  ihrer  Gesammt- 
heit  auch  als  minor  populus  zusammengefasst  wurden  (L.  B.  IL  3), 
erhoben  sich  Adelsgeschlechter  in  Bayern.  Das  Volksrecht  nennt 
uns  im  Titel  III  „de  Genealogiis  et  eorum  compositione"  die  Huosi, 
Drozza,  Fagana,  Hahiligga,  Aniona  und  verleiht  ihnen,  da  sie 
den  ersten  Rang  nach  den  herzoglichen  Agilolfingern  hätten,  er- 
höhte Ehren  und  doppeltes  Wergeid  der  Gemeinfreien.  Jedenfalls 
war  das  Ansehen,  dessen  sie  sich  erfreuten,  geschichtlich  her- 
gebracht und  es  ist  nicht  unwahrscheinlich,    dass  diese  Adeligen 

*  L.  B.  IV,  de  liberis  quomodo  compontintur,  C.  1—29,  Quitzmann,  279, 
und  nach  ihm  O  engl  er,  I,  36,  d,  nehmen  40  Schillinge  als  ursprüngliche  Höhe 
des  Wergeides  bei  den  Bayern  an.  —  Brunn  er,  I,  225  ff. 


70  Öt^ten-eichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Erste  Periode.  §  12. 

die  Nachkommen  von  mediatisierten  Herrscherfamilien  jener 
Völkerschaften  waren,  die  sich  zum  bayerischen  Volksstamme 
vereinigt  hatten."  Daher  mag  auch  die  größere  Begüterung 
an  Land  stammen,  die  bei  ihnen  nachweisbar  ist.^  Im  übrigen 
aber  bestand  zwischen  ihnen  und  den  Gemeinfreien,  das  könig- 
liche Zugeständnis  einer  Erhöhung  des  Wergeides  abgerechnet, 
volle  Rechtsgleichheit,  nur  scheint  es,  dass  bei  Ehen  zwischen 
Adeligen  und  Gemeinfreien  die  Mitgift  der  Braut  nach  dem 
Stande  der  Eltern  verschieden  war.^ 

4.  Den  Gegensatz  zu  den  politisch  berechtigten  Freien  und 
Adeligen  bilden  die  rechtlosen  Knechte,  die  so  völlig  im  Eigen- 
thum  ihres  Herrn  standen,  dass  sie  häufig  jeder  Sache  oder  dem 
Vieh  gleichgestellt  wurden.  Daher  sind  auch  die  auf  widerrecht- 
liche Verletzung  oder  Tödtung  fremder  Knechte  angedrohten 
Bußsätze  kein  beschränkter  Schutz  ihrer  Pei-sönlichkeit,  sondern 
wie  die  Viehbußen  im  Titel  XIV  des  Volksrechtes,  nur  der  für 
die  Beschädigung  oder  Vernichtung  eines  wertvollen  Vermögens- 
stückes ihrem  Herrn  gebürende  Schadenersatz  von  gesetzlich 
begrenzter  Höhe.®  Begieng  ein  Knecht  widerrechtliche  Hand- 
lungen, so  haftete  folgerichtig  nicht  er,  sondern  sein  Herr  für  den 
daraus    erwachsenden  Schaden,    und   zwar   im    selben   Umfang, 


^\i.  B.  IlT,  1:  ..  .  .  isti  sunt  quasi  primi  post  Agiloivingas  qui  sunt  de  genere 
ducali;  illis  enim  duplum  honorem  conc^danius  et  sie  duplam  compositionem 
accipiant."  Die  Namen  lauten  in  den  Handschriften  verschieden.  S.  Zeitschrift 
für  Rechtsgeschichte,  I,  270.  Die  Aniona  sollen  nach  Huschberg  und  Quitzmann 
(S.  34)  mit  dem  Tiroler  Adelsgeschlecht  der  Enna  zusammen  fallen.  Außer  den 
fünf  genannten  Geschlechtem  wird  auch  noch  andern,  wie  den  Moohingara 
und  Feringa  In  Urkunden  der  Beisatz  „de  genealogia""  gegohen.  Roth,  Zur  Ge- 
schichte  des  bayerischen  Volksrechts  (S.  16),  hält   auch   diese  für  adelig. 

*  Inama,  Deutsche  Wirtschaftsgeschichte,  I,  116. 

5  Daher  verordnet  T.  VIll,  C.  14:  „.  . .  si  quis  über  liberam  uxorem  per 
invidiam  dimiserit .  .  .  mulieri  autera  dotem  suam  secxmdum  genealogiam  solvat 
legitime."  Schon  im  11.  Jahrhundert  suchte  man  dergleichen  Heiraten  durch 
Familienverträge  zu  erschweren.  Vgl.  das  pactum  maritale  Adalperti  Prisingensis 
Vicedomini  von  1070  bis  1075  bei  Gen  gier,  I,  193  ff. 

ö  L.  B.  XVI,  I:  Si  quis  vendiderit  res  alienas  aut  servum  aut  ancillam, 
aut  qualemcunque  rem.  Noch  deutlicher  als  bei  den  Bayern  tritt  der  Gedanke 
der  Sachwertvergütung  im  Älemannenrecht  hervor.  Im  Pactus  werden  40  sol. 
für  einen  Knecht  angesetzt,  der  gewöhnliche  Schmiedearbeit  leisten  kann, 
50  sol.  für  einen  Goldschmied.  Mon.  Germ.,  4^^,  Leg.  V,  2i  Fragmentum  111,  27,  28. 


Unfreie:  Entstehung  der  Knechtschaft,  Stellung  der  Knechte.  71 

wie  dieser  für  BeBchädigungen  aufkommen  musste,  die  sein  Vieh 
jemandem  zugefügt  hatte ;  doch  konnte  sieh  der  Herr  in  beiden 
Fällen  durch  Hingabe  des  schuldtragenden  Thiers  oder  Knechts 
von  der  Haftung  befreien.^ 

Entstehungsgründe  der  Unfreiheit  waren: 

a)  Gefangenschaft  im  Kriege  (L.  B.  XVI,  11); 

h)  Abstammung  von  leibeigenen  Eltern ; 

c)  Verheiratung  mit  Leibeigenen,  doch  blieb  der  freigeborenen 
Frau  der  Rücktritt  in  den  früheren  Stand  durch  drei  Jahre  ge- 
sichert,  falls  sie  den  Knecht  verließ;^ 

d)  Verstoßung  in  Knechtschaft  infolge  sti-af barer  Handlungen 
(L.  B.  XVI,  11  und  Appendix  I.). 

Dagegen  hat  die  freiwillige  Hingabe  von  Gut  und  Person 
an  einen  Mächtigen,  die  namentlich  an  Kirchen  und  Klöster  auch 
aus  frommen  Drang  geschah,  wohl  niemals  völlige  Knechtschaft, 
Bondem  mehr  minder  gelinde  Hörigkeit  zur  Folge  gehabt. * 

Der  Strenge  des  Gesetzes  nach  war  der  Knecht  eine  Sache, 
er  konnte  daher  keine  Ehe  eingehen,  weder  Verträge  sehließen 
noch  Eigenthum  erwerben,  ebenso  waren  die  Dienste  ungemessen, 
die  ihm  sein  Herr  nach  Belieben  aufzuerlegen  vermochte.  Die  täg- 
liche Übung  nahm  es  milder;  schon  das  Volksrecht  setzt  voraus, 
dass  der  Knecht  ein  ^peculium**  habe.^®  Jene  Knechte  nun,  denen 
ihr  Herr  Land  zur  Bebauung  gegeben  hatte,  wurden  geradezu  als 
Colonen  angesehen,  so  dass  man  zwischen  freien  und  unfreien  Zins- 
bauern zu  unterscheiden  begann.  Solche  „servi  casati"  oder  „ma- 
nentes*  waren  namentlich  dann  günstig  gestellt,  wenn  sie  im  Eigen- 
thum einer  Kirche  standen.  Sie  besaßen  nicht  bloß  Hab  und  Gut, 


*  L.  B.  Vm,  C.  9.  —  Brunn  er,  II,  §  126. 

^  Diese  Bestimmung  des  Alamannenrechts  wurde  in  mehrere  Handschriften 
der  Leges  populäre  Tassilo's  III.  aufgenommen.  Die  Kinder  aus  solcher  Ehe 
folgten  der  ärgern  Hand,  d.  h.  sie  blieben  Knechte,  selbst  wenn  die  Mutter 
die  Freiheit  zurücicgewann.  Mon.  Genn.,  Fol.,  Leg.  III,  466,  nach  C.  10. 

^  Lantft'id  nobilis  vir  tradidit  semetipsum  et  proprietatem  suaro  ad 
eandem  sedem  . .  .  Isinhart  vir  nobilis  tradidit  fliium  suum  Wolchenhardum  .  .  . 
Adelfrid  vir  nobUis  dedit  semet  ipsum  et  fliium  suum  ad  eandem  sedem  Salz- 
burg et  totum  quod  habuit  u.  s.  w.  Breves  Notitee  XIV,  7  bis  11. 

^ö  L.  B.  XVI,  7.  Aus  dem  Westgothenrecht  herübergenommen.  Verboten 
wird  der  Missbrauch,  den  Knecht  ohne  Vorwissen  des  Herrn  mittelst  dieses 
Peculiums  freizukaufen,  „quianon  pretium  sed  res  servi  sui,  dum  ignorat  accepit". 


72  österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Erste  Periode.  §  12. 

sondern  hatten  selbst  wieder  Leibeigene,  die  sie  freilassen  konnten, 
und  die  verliehene  Hufe  vererbte  sich  thatsächlich  in  ihrer  Fa- 
milie.^^  Die  bischöflich  Freisingischen,  „servi  ecclesiae",  schlössen 
mit  ihrem  Bischof  Verträge  ab,  hatten  ein  Erbrecht  unter  Ver- 
wandten und  waren  außer  gewissen  Abgaben  und  Diensten  nur 
bei  Eingehung  der  Ehe  und  bei  Verfügungen  über  ihre  Pei-son  und 
ihr  Vermögen  soweit  beschränkt,  dass  sie  weder  sich  noch  ihr 
Gut  aus  der  Gew^alt  der  Kirche  bringen  konnten. ^^ 

Der  WaflFenehre  war  der  Unfreie  ursprünglich  nicht  theil- 
haft,  er  musste  darum  zur  Feuer-  oder  Wasserprobe  greifen, 
um  seine  angegriffene  Unschuld  darzuthun.  Demungeachtet  hat 
es  bei  den  Bayern  frühzeitig  w^aflfengeübte  Knechte  gegeben.  Das 
bayerische  Volksrecht  regelt  den  Fall,  wenn  ein  Unfreier  mit 
Vor  wissen  seines  Herrn  den  Zweikampf  als  Kämpfer  ausficht, 
spätere  Zusätze  handeln  vom  ^servus  fiscalinus  in  hoste*'  und  die 
Jahrbücher  berichten  zum  Jahre  832  von  einem  Feldzuge,  „cum 
Omnibus  Baioariis  liberis  et  senis.^^ 

5.  Aus  der  Knechtschaft,  die,  weü  sie  Rechtsunfähigkeit 
ist,  nicht  sowohl  als  Stand,  denn  als  ein  Zustand  der  Standes- 
losigkeit  aufgefasst  w^erden  muss,^*  vermochte  der  Unfreie  durch 
den  Act  der  Freilassung  in  die  Reihe  der  volksrechtlich  aner- 
kannten Stände  einzutreten.  Die  Wirkungen  der  Freilassung  waren 
jedoch  je  nach  der  Form,  die  dabei  beobachtet  wurde,  verschieden. 
Am  tiefsten  standen  die  „Aldiones",  die  zuweilen  in  Freisinger 
Urkunden,  vor  allem  aber  bei  den  Langobarden  vorkommen,  sie 
waren   zwar  rechtsfähig,   im  übrigen   aber  an  den  Willen  ihres 

^^  Mondseer  Tradition  vom  Jahre  769 :  Hildiroh  schenkt  im  Quinzinggau 
„cidlarios  meos  2  servos,  unus  est  über  et  alter  est  servus,  uxores  vero  ejus 
ambo  ancillas."  (!)  U.-B.  o.  E.  I,  23,  Nr.  38:  «...  manentes  servos  4  cum  coloniis 
suis"  Breves  Not.  XII,  3;  L.  B.  I,  C.  13,  de  colonis  vel  servis  ecclesiae  qualiter 
serviant  vel  quale  tributum  reddant. 

^^  Häberlin,  165.  Das  Salzburger  Formelbuch  enthält  u.  a.  auch  die 
Formel  einer  Ingenuitas  quam  potest  servus  servum  suum  facere,  die  den  s.  g. 
Lindenbrog 'sehen  Formeln  entnommen  ist.  (Mon.  Germ.,  4^\  Form.  8.  273.)  Ein 
Beispiel  solcher  Freilassung  bietet  die  Frei^ger  Urkunde  bei  Meichelbeek, 
I,  2,  Nr.  1168,  aus  den  Jahren  1006  bis  1039. 

18  Ann.  Bertiniani,  M.  G.  Ss.  I,  425.  Im  Jahre  804  beklagen  sich  die  Be- 
wohner von  Istrien  über  ihren  Dux  Joannes,  „liberos  homines  non  nos  habere 
permittit,  sed  tantum  cum  nostris  ser\is  facit  nos  in  hoste  ambulare". 

"  Brunn  er,  I,  108. 


Freigelassene:  Aldiones,  Tabularii,  Denariales.  73 

Herrn  gebunden,  der  sie  vor  Gericht  vertrat  und  ohne  dessen 
Zustimmung  sie  nichts  veräußern  durften.  Die  Freilassung  zum 
,Aldio*  erfolgte  durch  formlose  Erklärung  des  Leibherrn,  sollte 
jedoch  zu  besserem  Gedächtnis  niedergeschrieben  werden.  In 
ähnlicher  Lage  befanden  sich  jene,  die  dem  Herrn  abgekauft 
wurden  oder  ihm  den  Kaufpreis  abgedient  hatten. 

Persönliche  Freiheit  unter  der  Schutzgewalt  der  Kirche  ge- 
währte die  Freilassung  vor  dem  Altar.  Der  frühere  Knecht  trat 
nun  in  den  Stand  der  Censualen,  d.  h.  er  war  nur  zu  einer 
jährlichen,  aber  geringen  Abgabe  in  Wachs  oder  Geld  verpflichtet.** 

Die  Stellung  des  freien  Römers  erlangte,  wer  per  cartam 
ingenuitatis  freigelassen  und  keiner  Kirche  zum  Schutze  em- 
pfohlen wurde.  Ein  solcher  wurde,  wie  eine  Wessobrunner  Urkunde 
vom  Jahre  792  bemerkt  (Mon.  Boica  VII,  373),  ^liber  inter  liberos" 
und  erhielt  „licentiam  ire,  redire,  \;endere,  negociare  sicut  ceteris 
liberis  licitum  est,  ac  si  ab  ingenuis  parentibus  procreatus  fuisset*. 
Noch  höher  standen  jene,  welche  ihre  Freiheit  durch  den  vom 
Herzog  vorgenommenen  Schatzwurf  empfiengen,  die  s.  g.  „Dena- 
riales*". —  Sie  galten  fortan  als  freie  Volksgenossen  und  waren 
zur  Theilnahme  am  öffentlichen  Gericht  verpflichtet.^® 

Das  bayerische  Volksrecht  gestand  den  „liberi  qui  dicuntur 
frilaz*  gemeiniglich  die  halbe  Freienbuße  und  ein  Wergeid  von 
40  sol.  zu.  Der  Neuchinger  Landtag  vom  Jahre  772  hat  dann 
nach  dem  Vorbild  des  Alamannenrechts  den  Tabularii  und  den 
Denariales  das  Wergeid  auf  80  solidi  erhöht,  die  der  Kirche, 
beziehungsweise   den  Kindern   des  Denarialis   zufallen   sollten." 

1^  Gewöhnlich  wurde  durch  den  Freilassenden  die  Bedingung  beigesetzt, 
dass  bei  Verweigerung  dieses  Zinses  durch  drei  Jahre,  Rückfall  in  die  aUo 
Knechtschaft  eintreten  soUte.  Juvavia  A.,  303  ff.,  Nr.  65,  72-75.  Als  Zins 
wurden  5  Pfennige  und  weniger  bestimmt,  z.  B.  pro  uno  denario  solvendo  vel 
quanti  valet  denarius  in  pretio  cerse  singulis  annis. 

^*  Qui  ducali  manu  diraissi  sunt,  ad  eadem  cogantur  judicia,  quae  Baiuvarii 
urteila  dicunt.  De  popularib.  leg.  C.  8.  Mon.  Germ.,  Leg.  III,  465.  Sowohl  die 
Freilassung  per  cartam  als  jene  per  denarium  sind  fränkische  Formen,  die  in 
Bayern  seit  der  zweiten  Hälfte  des  8.  Jahrhunderts  eingebürgert  sind.  Beispiele 
der  denariatio  aus  den  Jahren  898  bis  1107  s.  Mon.  Boica  XXXI  a,  S.  153,  288, 
337,  383.  Ober  den  Unterschied  des  weltlichen  cartularius  von  dem  geistlicher 
Sehutzherrschaft  unterstellten  tabularius  s.  Brunner,  I,  §  31,  8.  243  ff. 

1^  Diese  Bestimmung  findet  sich  übrigens  nicht  in  allen  Handschriften. 
Mon.  Genn.,  Leg.  III,  468,  zu  C.  10. 


74  Österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Erste  Periode.  §  12. 

Die  Freilassungen  wurden  durch  die  kirchliche  Auffassung,  dass 
der  Act  dem  Seelenheile  des  Heirn  fromme,  wenn  er  vor  dem 
Altare  geschehe,  nicht  wenig  gefördert.  Durch  unwürdiges  Be- 
tragen oder  unsühnbare  Vergehen  konnte  aber  auch  die  so  er- 
langte Freiheit  wieder  verwirkt  werden.  ^^ 

6.  Bei  den  Alamannen  und  den  Langobarden  lassen  die  Wer- 
geldansätze  eine  dreifache  Gliederung  der  freien  Bevölkerung 
erkennen.  Bei  den  Alamannen  werden  die  Gemeinfreien,  welche 
das  normale  Maß  von  Grund  und  Boden  besitzen,  als  minofledi 
oder  minoflidi  mit  einem  Wergeid  von  160  sol.,  bei  den  Lango- 
barden der  „arimannus",  die  „minima  persona,  quae  exercitalis 
homo  invenitur  esse"  mit  150  sol.  bedacht.  Dem  „medianus  Ala- 
mannus"  mit  200  sol.  entspricht  der  langobardische  „mediocris** 
mit  wahrscheinlich  gleich  hohem  Wergeid,  dem  primus  oder 
„meliorissimus  Alamannus"  mit  240  sol.  Wergeid,  der  primus  oder 
»nobilis*  der  Langobarden  mit  300  sol.  Wergeid.  Die  alaman- 
nischen  „mediani"  gelten  als  alter  Geschlechtsadel,  der  aber  durch 
die  Herrschaft  der  Frankenkönige  seinen  politischen  Einfluss  ver- 
loren hatte,  den  nur  die  „primi**  noch  eine  Zeit  lang  behaupteten, 
später  aber  an  das  Herzogsgeschlecht  abgeben  mussten. 

Besser  verstanden  es  die  langobardischen  primi  oder  nobiles, 
ihr  Ansehen  zu  wahren.  Dieser  in  Priesterwürde  und  kriegerischer 
Tüchtigkeit  wurzelnde  Adel  bestand  nach  dem  Zeugnisse  des  Paul 
Warnefried  schon  vor  Ausbildung  des  Königthums  und  erhielt 
sich  lange,  da  er  im  Besitze  der  Herzogthümer  und  so  mächtig 
war,  dass  kurz  nach  der  Eroberung  Italiens  die  35  Herzoge  das 
Land  durch  zehn  Jahre  ohne  König  beheri-schten.^® 

7.  Außer  Angehörigen  der  deutschen  Stämme  gab  es  in 
dieser  Zeit  auch  Romanen  und  Slaven  in  unseren  Gegenden. 

Die  Romanen,2o  Nachkommen  der  romanisierten  Bevölkerung 
der  Provinzen  Rätien  und  Norjkum,  erscheinen  meist  in  der  herab- 
gedrückten Stellung  von  Zinsbauern  und  werden  dann  als  „tribu- 
tales"   oder  «tributarii*'    sowohl  den  unfreien  Knechten  als  den 


18  A.  a.  0.  C.  9.  —  Urkunde  von  823,  Juvavia  A.  79,  Nr.  24. 

1®  Zwei  von  diesen  Herzogthümern,  Trient  und  theilweise  auch  Friaul, 
erstreckten  sich  über  Gegenden,  die  heute  zum  österr.  Kaiserstaat  gehören. 

^  Waiz,  II,  184.  Von  den  Romanen,  die  am  Fischbach  nächst  dem 
Wallersee  hausten,  heißt  es  Brev.  Not.,  XI V,  54:  «...  voluerunt  illam  silvam 


Standesverhältnisso:  Alamannen,  Langobarden,  Romanen,  Slaven.         75 

freien  Volksgenossen  entgegengesetzt.  Nach  der  häufigen  Er- 
wähnung im  Indiculus  Arnonis  und  den  Breves  Notitise  zu  schließen, 
müssen  solche  „Romani  tributales"  bis  ins  9.  Jahrhundert  in 
beträchlicher  Menge  im  Chiemgau,  Salzburggau  und  Traungau 
vorhanden  gewesen  sein,  zwei  Jahrhunderte  später  werden  sie 
hier  nur  mehr  vereinzelt  genannt. 

Günstiger  als  im  ehemaligen  Norikum,  wo  wahrscheinlich 
nur  jener  Theil  der  Provinzialen  zurückgeblieben  war,  der  kein 
eigenes  Land  mehr  besaß,  war  die  Lage  der  Romanen  in  Rätien. 
Zwar  geriethen  auch  hier  viele  in  Zinspflichtigkeit,  andere  hingegen 
behaupteten  eine  geachtetere  Stellung  und  hatten  gegen  Abtretung 
eines  gewissen  Theiles,  z.  B.  des  Drittels,  das  Übrige  als  eigenen 
Grundbesitz  behalten.  So  kann  es  nicht  überraschen,  dass  einzelne 
von  ihnen  als  „nobiles"  bezeichnet  werden,  was  allerdings  nur 
eine  hervorragende  Stellung  in  der  Gesellschaft  bedeutet,  da  das 
spätere  Römerreich  keinen  wahren  Adel,  sondern  nur  Bevon'ech- 
tungen  mancher  Art  und  Bedeutung  kannte.^^ 

8.  Auch  die  Slaven,  die  aus  der  Donautiefebene  längs  der 
Flussläufe  gegen  Nordwest  bis  ins  Pusterthal  und  das  Land  ob 
der  Enns  aufgestiegen  waren,  traf  in  verschiedenen  Gegenden  ver- 
schiedenes Los. 2^  Jene  Slaven,  die  schon  den  Avaren  gefrohndet 
hatten,  verblieben  auf  gleich  tiefer  Stufe  unter  den  Pranken  und 


juxta  Fischaha  habere  in  proprio"  und  Erzbischof  Am  hatte  seine  Mühe,  diesen 
Wald  für  das  Peterskloster  zu  erstreiten.  Demselben  Kloster  schenkte  ums 
Jahr  1100  quidam  Latinus  nomine  Johannes  servum  suum  nomine  Megingoz. 
Juvavia  A.  302.  Es  ist  das  eines  der  letzten  Zeugnisse  für  das  Vorhandensein 
von  Romanen  in  diesen  Gegenden. 

31  Walz,  II,  290.  So  erwähnt  die  Vita  Corblniani  einen  „nobilis  Romanus 
nomine  Dominicus  Breonensium  plebis  civis*,  der  im  ersten  Drittel  des  8.  Jahr- 
hunderts in  Tirol  lebt«.  In  den  Jahren  827  und  828  widmete  dann  ein  „Quartl** 
oder  ^  Quartin  US  nationis  Noric^rum  et  Pregnariorum*  seine  Liegenschaften 
zu  Sterzing,  Stilfs,  Tschötsch,  bei  Bozen  u.  s.  w.  dem  Kloster  Innichen.  Den 
Acten  wurden  nicht  bloß  Bayern,  sondern  nach  den  Namen  Socundo,  Urso,  Lupo, 
Minigo  u.  s.  w  zu  schließen,  auch  Romanen  als  Zeugen  beigezogen.  —  Cod. 
Austr.  Pris.  I,  Nr.  11—13,  S.  13  ff. 

22  Wichtig  ist  die  Urkunde  über  eine  Schenkung  König  Ludwig*8  an 
Kremsmünster,  ddo.  828,  22.  März,  Aachen.  (U.-B.  o.  Enns,  II,  11):  „. . .  in  pago 
Grunzwiti  juxta  montem  Sumerberch,  quod  usque  modo  servi  vel  Kclavi 
ejnsdem  monasterii  ad  censum  tenuerant,  qui  ad  partem  comitis  solvebatur  . . . 
salvis  tarnen  proprietatibus  liberornm  Sclavorum  ..." 


76  Österreichisclie  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Erste  Periode.  §  12. 

mögen  Anlass  gegeben  haben,  dass  dem  Deutschen  der  Volks- 
name als  Bezeichnung  der  tiefsten  Knechtschaft  geläufig  wurde. 
Gleiches  Schicksal  oder  mindestens  zinspflichtige  Abhängigheit 
ereilte  viele  andere  Volksgenossen,  die  sich  in  ihrer  Vereinzelung 
nicht  zu  behaupten  vermochten.  Wo  hingegen,  wie  in  Karantanien 
und  in  beiden  Pannonien,  die  Slaven  dichter  angesiedelt  waren 
und  sie  zugleich  einen  gewissen  Grad  von  Selbständigkeit  sich  be- 
wahrt hatten,  dort  behielten  sie  diese  günstige  Lage  auch  unter  den 
deutschen  Herren,  die  den  reichsangehörigen  Slaven  dem  Baj'er 
in  den  Handelsbegünstigungen  vielfiich  gleichstellten.^^  Freie  sla- 
vische  Grundbezitzer  gab  es  im  heutigen  Oesterreich  ob  der  Enns 
noch  zur  Zeit  der  Karolinger,  viel  länger  natürlich  in  Karan- 
tanien. Darum  blieben  hier  die  Verhältnisse  des  slavischen  Adels, 
so  viel  sich  erkennen  lässt,  auch  nach  der  Unterwerfung  unter 
die  Bayern  und  Franken  ungeändert.  Es  zeigen  sich  Spuren,  die 
auf  das  Dasein  vieler  kleiner  Fürsten  (Lechen,  primi)  unter  dem 
Großsupan  als  Volksoberhaupt  schließen  lassen.  Dass  die  Baj'ern 
Vater,  Sohn  und  Bruder  nach  einander  zu  dieser  Würde  erhoben, 
dass  dem  Privina  sein  Sohn  Kozel  als  Fürst  folgte,  spricht  für 
die  Erblichkeit  dieser  Stellung. 

Commendation  an  den  König  hat  jedem  Reichsangehörigen 
größeres  Ansehen  gesichert.  Edle  Slaven  dieser  Art  werden  nicht 
selten  erwähnt.  Eine  Urkunde  König  Arnulfs  vom  Jahre  898 
nennt  den  Zuentibolch  .  .  .  „progenie  bonse  nobilitatis  exortum^ 
als  Vasallen  des  Markgrafen  Luitbald,  im  10.  Jahrhundert  kommen 
ein  „Moirair  Comes'^  (926)  und  ein  zweiter  „Zuentilpolcho  nobilis  vir" 
(932)  in  Salzburger  Urkunden  vor;  965  ein  Vasall  König  Otto's  I., 
namens  Negomir,   im  Mürzthal   waltete    1023    ein  comes  Turdo- 

gowü  u.  s.  W.2* 

9.  Die  geschilderte  Gesellschaftsordnung  entspricht  den  Vor- 
schriften der  Volksrechte  und  Königsgesetze,  die  vor  dem 
Jahre  1000  für  Altösterreich   in  Betracht  kommen.    Dabei   muss 


23  S.  die  Bestimmung  der  Raflfelstettner  ZoUordnung  für  den  Donau- 
handel um  906  .. .  Si  autera  Bavarl  vel  Sclavi  istius  patrie  ipsara  regionem 
intraverint . . .  entgegengesetzt  den  Sclavi  qiii  de  Rugis  vel  de  Boemanis  mercandi 
causa  exeunt.  Mon.  Germ.,  Fol.,  Leg.  III,  481,  §  4,  6. 

«  Juvavia  A.,  148,  170,  Nr.  48,  85.  —  U.-B.  Steierm.  I,  50,  Nr.  41.  — 
Cod.  Austr.  Fris.  I,  32,  Nr.  33. 


k 


Adelige  Slaven;  Übergänge  in  der  Gesellschaftsordnung.  77 

jedoch  bedacht  werden,  wie  viel  davon  abhieng,  ob  ein  zahlreicher 
Stand  freier  Bauern  vorhanden  war,  der  auf  eigenem  Grunde, 
frei  von  privaten  Lasten  wirtschaftete  und  nur  zu  Staatsfrohnden, 
sowie  durch  die  allgemeine  Gerichts-  und  Wehrpflicht  zu  unmittel- 
barer Befriedigung  staatlicher  Aufgaben  herangezogen  w'erden 
konnte.  Jene  Voraussetzung  traf  nun  für  unsere  Gegenden  keines- 
wegs zu,  da  hier  von  Anbeginn  —  das  nördliche  Tirol  und  Öster- 
reich ob  der  Enns  etwa  abgerechnet  —  der  Großgrundbesitz 
überwog  (s.  §  11,  3).  Die  unausbleibliche  Folge  davon  war,  dass 
der  freie  Bauernstand  bei  uns  früher,  als  man  es  nach  der  geogra- 
phischen Lage  erwarten  sollte,  der  Zersetzung  erlag,  die  im 
Frankenreiche  ihren  Weg  von  Westen  gegen  Osten  nahm.  Gegen- 
über den  stetig  wachsenden  Anforderungen  des  Staates,  der  miss- 
bräuchlichen  Ausnützung  der  Amtsgewalt  durch  Beamte  zur 
Befestigung  ihres  Hauses  in  den  Amtsbezirken,  endlich  gegen- 
über dem  wirtschafthchen  Drucke,  den  der  Großgrundbesitz 
durch  reichere  Mittel  und  sorgfältigere  Ausnützung  seiner  Kräfte 
auszuüben  vermochte,  konnten  die  freien  Bauern  ihre  Stellung 
nur  schwer  behaupten.  Beschleunigt  wurde  der  Process  durch 
die  allmählich  steigenden  Lebensbedürfnisse  und  die  zuneh- 
mende Schwächung  der  königlichen  Gewalt.  Als  in  den  Tagen 
Ludwig's  des  Kindes  das  Reich  von  inneren  Fehden  erfüllt  war, 
die  Magj'aren  durch  den  Zusammenbruch  des  großmährischen 
Reiches  und  die  Niederlage  der  Bayern  am  Inn  (907)  Herren  der 
Donautiefebenen  und  für  lange  Zeit  furchtbare  Reichsfeinde  ge- 
worden waren  und  als  zu  dem  allen  mehrjähriger  Misswachs  sich 
gesellte,  da  war  es  mit  dem  freien  Bauernstande  bei  uns  im 
ganzen  vorbei.  Das  bittere  Elend  zw^ang  die  einzelnen  Kleingrund- 
besitzer, die  sich  gegen  die  Drangsale  des  Lebens  nicht  zu  be- 
haupten vermochten,  zum  Anschluss  an  irgend  einen  Mächtigen, 
um  inmitten  allgemeiner  Unsicherheit  und  Noth  Schutz  für  Hin- 
gabe des  freien  Besitzes,  Brot  für  Arbeit  zu  erlangen. 

10.  Der  allgemeine  Ausdruck,  mit  welchem  diese  Ergebung 
an  einen  Mächtigeren  bezeichnet  wurde:  „commendatio",  umschloss 
allerdings  die  verschiedenartigsten  Verhältnisse,  da  der  Act  dem 
Commendierten  je  nach  den  Personen  und  Umständen,  unter  welchen 
er  vorkam,  ebensogut  die  Pforte  zu  Macht  und  Ansehen,  als 
zu  mühselig  gefristetem  Leben  eröffnete.  Mit  dem  Erstarken  der 


78  Östen-eichische  Reichsgeschichte.  L  Theil.  Erste  Periode.  §  12. 

fränkischen  Oberherrschaft  drang  auch  dies  früher  unbekannte 
Institut  in  Bayern  ein,*^  im  Jahre  757  musste  Tassilo  III.  mit  den 
vornehmsten  Bayern  dem  König  Pippin  zu  Compiegne  den  Vasallen- 
eid leisten.  Die  bayerischen  Herzoge  ahmten  in  diesem  wie  in 
so  vielen  andern  Punkten  den  fränkischen  Hof  nach,  nahmen 
Adelige  und  Freie,  ja  selbst  Unfreie  —  die  servi  principis  qui 
dicuntur  Adelschalk^*  —  in  ihren  Treueverband  auf  und  erhöhten 
ihnen  ebenfalls  das  Wergeid.  Wollten  Mitglieder  der  alten  Adels- 
geschlechter ihr  ehemaliges  Ansehen  behaupten,  so  mussten  auch 
sie  den  Bedingungen  entsprechen,  die  für  die  neue  Aristokratie 
galten,  sonst  sanken  sie  von  ihrer  gesellschaftlichen  Höhe  herab, 
wie  die  Nachkommen  der  bayerischen  Fagana  und  Huosier,  die 
uns  später  im  Ministerialenstande  begegnen.*^ 

Auf  Abstammung  und  ein  gewisses  Ansehen  des  Geschlechts 
wurde  allerdings  noch  immer  Wert  gelegt,  allein  an  einen  be- 
stimmten rechtlichen  Vorzug  ist  dabei  nicht  zu  denken.  Der  Aus- 
druck nobilis,  in  Salzburger  Urkunden  des  8.  und  9.  Jahrhundei-ts 
geradezu  häufig,  ändert  seine  Bedeutung  und  wird  nur  angewandt, 
um  die  volle,  mit  freiem  Grundbesitze  verbundene  Freiheit  zu 
bezeichnen.  Nicht  einmal  Ausdrücke,  wie  „pernobilis,  nobüissimus. 
vir  illustris,  clarissimus,  prseclarus"  lassen  mit  Sicherheit  auf  die 
Abstammung  von  altadeligen  Geschlechtern  schließen,  sondern 
sind  oft  nur  Folge  der  amtlichen  Stellung  oder  der  Größe  des 
Besitzes.^^  Kurz,  man  sieht,    der   alte  Adel   hat  seine  rechtliche 

^  Schon  das  bayerische  Volksrecht  kennt  dieses  Verhältnis,  ohne  dass  der 
commendierte  Freie  vom  Vollfroien  geschieden  wäre.  T.  IV,  28,  si  quis  liberum 
hominem  occiderit  solvat  parentibus,  si  autera  non  habet  solvat  duci  vel  cui 
commendatus  fnit  cum  vixit  bis  LXKX  sol.  id  sunt  CLX. 

26  D.  TassU.  C.  7.  M.  G.,  Leg.  III,  460.  Die  Bedeutung  des  Ausdrucks  ist 
nicht  sichergestellt.  Das  Grundwort  »Adal**  wird  auch  in  andern  Zusammen- 
setzungen gebraucht;  z.  B.  „Adalporo",  so  heißen  wahrscheinlich  die  herzog- 
lichen Salinenarboiter  zu  Reichenball.  Ind.  Arn.  VII,  6.  Ich  halte  das  »quod"* 
a.  a.  0.  für  einen  Schreibfehler  statt  „qui". 

27  Merkel  in  Zeitschrift  für  Rechtsgeschichte,  I,  255. 

38  Waiz,  IV,  278.  In  706  Freisinger  Urkunden  vom  8.  und  9.  Jahrhundert 
wird  in  Cozroh's  Auszug  nobilis  vir  41mal,  nobilis  femina  dreimal  erwähnt.  — 
Qui  tz  mann,  29.  —  Homines  boni  generis.  Aachener  Capit.  vom  Jahre  801, 13, 
C.  12.  Mon.  Germ.,  4^,  Capitularia  I,  171,  vir  progenie  bonos  nobilitatis  exortus. 
ürk.  898;  nobilitatem  libertatis  a  prioribus  suis  trahens  parentibus.  Mondseer 
Tradition  vom  Jahre  1002.  U.-B.  o.  Enns,  I,  100,  Nr.  187.    S.  a.  den  Nachweis 


Commendationen,  wachsende  Bedeutung  des  freien  Grundbesitzes.        79 

Anerkennung  als  Stand  verloren  und  eine  Classe  angesehener 
Männer,  deren  Stellung  auf  verschiedenen  Grundlagen  beruhte, 
hat  diesen  Platz  eingenommen.  Eine  Passauer  Urkunde  vom  Ende 
des  8.  Jahrhunderts  macht  uns  diesen  Übergang  besonders  an- 
schaulich, sie  erzählt  von  einem  sicheren  Tagadeo,  der  da  war 
„nobilis,  sicuti  in  provincia  solent  fieri.*^^ 

11.  Unter  solchen  Umständen  gewann  der  Grundbesitz  neue 
Bedeutung  für  die  Stellung  der  Volksangehörigen.  Ursprünglich 
war  er  auch  bei  den  Bayern  nur  Folge,  nicht  aber  Voraussetzung 
der  Freiheit.  Seitdem  jedoch  massenhafte  Commendationen  die 
Reihen  der  Freien  mit  unabhängigem  Immobilarbesitz  gelichtet 
hatten,  erschien  als  Ausnahme  und  Auszeichnung,  was  früher 
Regel  und  gewöhnlich  war.  Man  betont  nun  bei  Verfügungen 
über  Erb-  und  Eigengut  (allodium),  dass  es  frei  sei  in  jeder 
Beziehung  und  denkt  dabei  an  Freiheit  von  Zins  und  Diensten 
aUer  Art,  von  Verpflichtungen  gegen  eine  Vogtei,  von  Lehens- 
abhängigkeit. Bei  größerem  Besitze  in  einer  Hand  erscheint  ein 
bestimmtes  Gut  als  „prsedium  libertatis"  oder  Handgemal,  auf 
dessen  Unabhängigkeit  sich  dann  die  Vollfreiheit  des  Geschlechts 
stützte.'*^  Hießen  früher  schon  einzelne  Hufen  oder  Äcker  frei,  so 
wurde  nun  der  Ausdruck  nobilis  auch  auf  diese  angewandt :  aus 
der  ^hoba  unius  nobilis"  wurde  nun  die  „nobilis  hoba".  Man  ver- 
stand darunter  Land,  wie  es  als  regelmäßiger  Besitz  von  Freien 
angesehen  wurde,  später  wohl  auch  solches  Gut,  das  kraft  recht- 
licher Qualification  nur  von  Freien  besessen  werden  konnte.^^ 

bei  Heck,  Alt  friesische  Gerichtsvorfassung  ^1894).  S.  223  ff.,  dass  die  friesischen 
Elhclinge  nicht  Adeüge,  sondern  freie  vollberechtigte  Grundbesitzer  waren  und 
die  Mehrzahl  des  Volkes  ausmachten. 

»  Mon.  Boica  XXVIUb,  S.  23,  aus  den  Jahren  785  bis  797.  Auch  bei  den 
Langobarden  trat  an  die  Stelle  des  älteren  Geburtsadels  ein  Dienstadel,  der 
seine  Stellung  der  Verbindung  mit  dem  Könige  verdankte. 

^  Juvavia  A.,  145,  194:  „.  .  .  excepta  lege  sua  quod  vulgus  hantgimali 
vocat*  (zwischen  923—32);  Luitolf  schenkt  dem  Brzbischof  Friedrich  (963—76) 
Güter  zu  Hüttig  „.  . .  et  dempsit  partem  unam  pro  übertäte  tuenda." 

"*  Beispiele,  Cod.  Austr.  Fris.,  I,  42;  Juvavia  Anh.  195.  Daraus  entwickelte 
sich  in  Östeireich  später  die  Qualillcation  des  s.  g.  freien  Eigens  (Vreizaigen) 
das  nur  von  Vollfreien  besessen  werden  konnte.  Im  Processe  um  die  Burg 
Hömstein  beruft  sich  Bischof  Konrad  von  Freising  auf  das  commune  Jus  Austriae 
ab  antiquis  teraporibus  obsorvatura,  dass  Kinder  aus  unebenbürtiger  Ehe 
keinen  Anspruch  hätten  in  praediis  seu  proprietatibus,  quae  ab  antiquo  respiciebant 


80  Österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Erste  Periode.  §  12. 

Kein  Stand  hat  durch  Commendationen  größere  Verluste  er- 
litten, als  die  Gemeinfreien.  Vergleichsweise  wenige  schwangen 
sich  durch  den  Eintritt  in  das  Treueverhältnis  zum  König  oder 
Herzog  empor,  die  Mehrzahl  sank  in  Abhängigkeit  von  mächtigen 
Vasallen  und  verlor  ihre  Unabhängigkeit  mit  einer  Einbuße  an  Ehre. 

12.  Unter  letzteren  sind  an  erster  Stelle  die  Barschalken 
zu  nennen,  deren  Name  in  Salzburger  Urkunden  vom  Anfang  des 
8.  Jahrhunderts  an  als  Parservi,  Pariinge,  Parlutte,  Parmanni  oft 
genug  vorkommt.  Sie  werden  ausdrücklich  als  freie  Leute  be- 
zeichnet, bewirtschafteten  fremden  Grund  und  Boden  gegen  ver- 
tragsmäßige Dienste  und  Abgaben,  besaßen  eigene  Habe,  nament- 
lich auch  Sclaven,  über  die  sie  frei  verfügen  konnten  und  werden 
als  Zeugen  unter  den  Freien  angeführt.  Da  es  eine  Standesver- 
besserung war,  wenn  ein  Leibeigener  Barschalk  wurde  und  um- 
gekehrt der  Barschalk  durch  Ehe  mit  einer  Leibeigenen  zum  Eigen- 
mann herabsank,  so  sind  sie  mit  nichten  unter  die  eigenen  Leute 
zu  stellen.  Nichtsdestoweniger  drückte  man  sie  in  ihrer  Stellung 
immer  tiefer  herab,  bis  man  sie  endlich  als  Zugehör  der  Grund- 
stücke verkaufen  oder  vertauschen  konnte  gleich  den  römischen 
Colonen,  mit  deren  Namen  sie  zuweüen  bezeichnet  wurden.'^ 

Ruhte  bei  den  Barschalken  die  Abgabepflicht  auf  dem 
Boden,  den  sie  bauten,  so  gab  es  eine  nicht  minder  zahlreiche 
Classe  von  Leuten,  die  in  mannigfacher  Abstufung  von  ihrem 
Kopfe  zu  steuern  hatten,  die  Censualen,  von  denen  schon  oben 
(Absatz  5)  die  Rede  war.  In  dieser  Stellung  lebten  nicht  nur 
Freigelassene,  sondern  auch  nicht  wenige,  die  "vordem  vollfrei 
gewesen  waren.  Geistlichen  Stiften  nicht  bloß  sein  Gut,  sondern 
auch  seine  Person  aufzuopfern,  galt  als  ein  Gott  wohlgefälliges 
Werk.   Wieder   andere  verpflichteten  sich   aus  Dankbarkeit   tür 


solummodo  homines  libere  condicionis,  h.  e.  quod  vulgo  vocatur  vreyzaygen. 
Cod.  Austr.  Fris.  I,  289,  Nr.  267.  Darum  stellt  auch  das  österr.  Landesrecht, 
Art.  19,  das  Erfordernis  auf,  dass  man  „des  aigens  Hausgenoß**  sein  müsste, 
um  es  erwerben  zu  können. 

^  Von  den  libori  coloni  ecclesise  heißt  es  L.  Alam.  Hlo.  8,  B :  »sicut  alii 
Alamanni  componuntur'  über  die  Stellung  des  römischen  Colonus,  s.  Brunner  I, 
§  7,  33.  Zahlreiches  Material  über  die  Stellung  der  Barschalicen  bieten  die 
Mon.  Germ.,  Fol.,  Leg.  UI,  359  in  Note  1,  da  zwei  Handschriften  des  bayerischen 
Volksrechts  statt  der  Rubrik  I,  13,  »de  colonis  vel  servis  ecclesiee"  u.  s.  w., 
»de  parschalchis  vel  servis  eccl.*  u.  s.  w.  aufweisen. 


Barschalken,  Gensualen,  Hörigo.  81 

empfangene  Wohlthaten  zu  einer  bleibenden  Abgabe  an  die 
Kirche.  Wenn  auch  die  Bewahrung  der  alten  Freiheit  oder  des 
alten  Rechts  dabei  ausdrücklich  bedungen  wurde,  so  war  es 
doch  nicht  mehr  die  volle  Freiheit,  w^as  sie  besaßen,  da  sie  einer 
Gewalt  unterlagen,  die  Rechte  über  sie  hatte.  Nicht  besser  er- 
gieng  es  den  abhängigen  Leuten  auf  den  königlichen  Gütern,  den 
Fiscalinen  im  älteren  Sinne  des  Wortes,  und  jenen,  die  den 
Schutz  weltlicher  Großen  erkauft  hatten.  Das  Verhältnis,  um  das 
es  sich  in  all  diesen  Fällen  handelte,  war  zwar  ein  persönliches, 
da  es  in  keiner  Weise  vom  Besitze  von  Land  abhängig  war,  aber 
zugleich  ein  dauerndes,  da  es  die  gesammte  Nachkommenschaft 
umfasste.  Die  Höhe  des  Jahreszinses,  von  dem  die  Censualen  ihren 
Namen  hatten,  war  ungemein  verschieden.  Im  Salzburgischen 
findet  sich  vereinzelt  ein  Zins  von  60  Pfennigen,  allein  auch 
der  häufigere  Zins  von  80  Pfennigen  oder  einem  langen  Schil- 
ling, den  in  Bayern  der  Hiltischalk  (etwa  Kriegsgefangener)  zu 
zahlen  hatte,  galt  als  hoch.  Meist  betrug  die  Abgabe  weniger,  bis 
auf  einen  einzigen  Pfennig  herunter.  Im  Salzburgischen  kommen 
auch  Abgaben  in  Salz  vor,  doch  konnten  sie  meist  gegen  Geld 
oder  Wachs  umgetauscht  werden. 

13.  Der  gesellschaftlichen  Bewegung,  durch  welche  eine 
gi'oße  Zahl  von  Volksgenossen  im  Besitzstande  und  der  früheren 
Freiheit  geschmälert  wurde ,  begegnete  eine  entgegengesetzte 
Strömung,  welche  die  rechtlose  Classe  der  Knechte  zu  beschränkter 
Rechtsfähigkeit  emporhob.  Geburtsfreie  und  unfreie  Elemente 
standen  nun  oft  in  ähnlicher  Lage  demselben  Herrn  gegenüber. 
Die  Ausgleichung,  welche  allmählich,  und  zwar  auf  Kosten  der 
früheren  Freien  erfolgte,  führte  vom  lO./ll.  Jahrhundert  an  zur 
Ausbildung  des  mittelalterlichen  Standes  der  Hörigkeit,  als  deren 
bezeichnende  Merkmale  nach  Gengier  anzusehen  sind :  a)  die  Unter- 
werfung unter  eine  weltliche  oder  geistliche,  mit  grundherrlichen 
Elementen  untermischte  Schirmgewalt  (raundiburdium,  tuitio,  pro- 
tectio);  h)  Vergeltung  des  Schutzes  durch  ständige  Zinsreichung ; 
c)  Auflegung  dieses  Zinses  auf  ein  bestimmtes  Grundbesitzthum 
mit  der  Wirkung  der  Gebundenheit  des  Nichtigen  an  letzteres 
als  unwandelbaren  Ansitz  und  d)  Hofgenossenschaft,  d.  h.  Theil- 
iiahme  am  Hofrechte  und  Hofgerichte. 


Lasch  in,  Osterreichische  Reichsgescbichte.  (5 


82  Österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  Vi. 


n.  Periode:  Vom  Regierungsantritt  der  Baben- 
berger  bis  zum  Tode  Kaiser  Friedricli  m. 

(976—1493.) 


Die  Griiudlagen  der  territorialen  Entwicklung. 

§  13.  Die  Zeit  der  Gaueintheilung. 

B  es  sei,  Chronicon  Gottwicense  T.  I  pars  altera  S.  527  flf.  de  pagis 
Germaniee  mediee.  —  Chabert,  §  32  flf.  —  Gebhardi,  Genealogische  Geschichte 
der  erblichen  Reichsstände  in  Deutschland,  2„  3.  Band,  1779,  178ö.  —  Gengier, 
Beiträge  I,  69.  Anm.  11.  —  Hub  er,  I,  207  ff.  und  österr.  Reichsgeschichte, 
5  ff.  —  Krone s,  Geschichte,  I,  297  ff.  und  Grundriss  197  ff.  —  Riezler,  1, 
841,  Anh.  2,  3.  —  Sprunner-Menke,  Handatlas  zur  Geschichte  des  Mittel- 
alters und  der  neuem  Zeit.  1880,  Taf.  35  ff. 

1.  Die  Annahme,  dass  das  Deutsche  Reich  eine  gleich- 
mäßige Eintheilung  des  Reichsbodens  in  Gaue  und  Hundert- 
schaften als  Erbe  der  karolingischen  Verwaltung  übernommen 
habe,  ist  jetzt  aufgegeben.  Wiesen  die  älteren  Einrichtungen  an 
sich  schon  manche  Verschiedenheit  auf,  so  wurde  die  Mannig- 
faltigkeit jetzt  noch  größer,  als  stammesmäßige,  staatliche  und 
dynastische  Interessen  in  vielfacher  Kreuzung  wirksam  wurden.^ 
Gaue  werden  auch  auf  österreichischem  Boden  genannt,  allein 
es  ist  hier  ebensowenig  wie  in  Bayern  erforscht,  wie  sie  weiter 
zerfielen  und  wie  die  Unterabtheilungen  ursprünglich  hießen.  Fest 
steht,  dass  bei  uns  keine  Hundertschaften  und  nur  in  Istrien 
Hundertschaftsbeamte  genannt  werden.  Dagegen  kommen,  wo 
Slaven  selihaft  waren,  im  Lande  ob  der  Enns  so  gut  wie  in 
Kärnten  oder  Krain  Zehnerschaften,  Decanien,  die  anderwärts 
unbekannt  sind ,  als  Gerichtsverwaltungsbezirke  innerhalb  der 
Grafschaften  vor.- 


1  Waitz,  V.  G.,  Bd.  2,  322,  Bd.  5,  183.  —  Brunn  er,  II,  146.  —  Anderer 
Meinung  ist  B.  Richter,  Mitth.  des  Instituts  für  österr.  Gesch.,  E.-Bd.  I,  599. 

2  777.  Stiftung  von  Kremsmünster.].Tassilo  schenkt  u.  a.  DecAniara  Sclavoruni 
cum  opere  flscali  seu  tributo  justo.  Die  Grenzauszeigung  übemimrat  Jopan 
qui  vocatur  Physso.  Ü.-B.  o.  Enns,  II,  3.   —   965.  Kaiser  Otto  schenkt  seinem 


Die  Gaue  in  Vorarlberg  und  Tirol.  83 

2.  Um  festzustellen,  wie  weit  die  Gaueintheilung  in  den 
Alpenländern  durchgeführt  wurde,  rauss  man  beachten,  dass  der 
Ausdruck  Gau  in  sehr  verschiedenem  Sinne  angewandt  wird.  Bald 
ist  dadurch  das  gerodete  Land  im  Gegensatz  zu  Wald,  Sumpf  und 
Fels  bezeichnet  (pagus  Varna,  p.  Puch,  p.  Tuveres  in  Tirol),  bald 
ein  durch  die  Bodengestaltung  zu  örtlicher  Einheit  zusammen- 
gefasster  Landstrich  gemeint  (Zillerthalgau,  Passeiergau),  bald 
wird  pagus  schlechtweg  für  Verwaltungssprengel  gesetzt,  wie  denn 
vom  pagus  Osterriche,  p.  orientalis,  p.  Creina  nominatus  u.  dgl. 
die  Rede  ist,  obschon  in  diesen  Marken  die  Gaueintheilung  gar 
nicht  durchgeführt  war.^ 

Führt  man  die  Ausscheidung  in  erwähnter  Weise  durch,  so 
bleiben  uns  folgende  pagi  als  Gaue  im  politischen  Sinne: 

a)  Der  Rheingau  im  äußersten  Westen,  der  den  größten 
Theil  von  Vorarlberg  umfasste,  lag  noch  auf  alamannischem 
Boden ; 

h)  c)  bayerisch  hingegen  waren  schon  die  Gaue  des  oberen 
und  des  unteren  Innthales  (Poapinthal  und  pagus  Intal)  durch 
den  Mattenbach  und  die  Martinswand  geschieden; 

d)  der  Vinstgau  oder  Vintschgau,  benannt  nach  dem  rätischen 
Stamme  der  Venosten; 

e)  vom  Passeierthale  gehörte  das, rechte  Ufer  noch  zum 
Vinstgau,  das  linke  dagegen  zum  Norithalgau,  „vallis  Norica**; 
der  das  Etschthal  von  der  Mündung  der  Passer  bis  zur  Mündung 
des  Noce  und  das  Eisackgebiet  bis  zum  Brenner  umfasste.  Es 
war  der  südlichste  bayerische  Gau; 

f)  das  Rienzthal  und  das  obere  Drauthal  bis  zur  karanta- 
nischen  Grenze  bildeten  den  Pusterthalgau  (vallis  Pustrissa  =  das 
öde  Thal),  den  einzigen  bayerischen  Gau  mit  slavischem  Namen; 


Vasallen  Negomir  Güter  zu  Wiertschach  in  Kärnten  „in  comitatu  Hartuuigi  comitis 
qui  et  ipse  inibi  Waltpoto  dicitur  ac  in  decania  Wolframmi  decani".  —  989,  Kaiser 
Otto  III.  bestätigt  dem  B.  Freising  den  Güterbesitz  in  Krain  und  gebietet  ,ut  nullus 
comes  vel  judex  sive  decanus ...  jus  habeat  se  intromittendi".  —  Cod.  Austr.  Fris.  I, 
32,  44.  Dagegen  heißt  es  in  den  Beschwerden  gegen  den  istrischen  Herzog  Johannes 
<804),  dieser  hätte  die  herkömmlichen  Tribunati,  Domestici  u.  s.  w.  abgeschafft. 
,.Modo  äutem  dux  noster  Johannes  constituit  nobis  centarchos"  —  Cod.  Istriano. 
»  Riezler,  I,  841;  Waitz,  V.-G.,  Bd.  5,  177;  Richter,  605.  Zumal 
in  Tirol,  dient  Gau  als  Gegendbezeichnung  überhaupt.  In  743  Brixner  Traditions- 
Urkunden  aus  den  Jahren  907—1362  werden  an  40  solche  pagi  genannt. 

6* 


84  Österreichische  Reichsgeschichtd.  1.  Theil.  Zweite  Periode.  §  13. 

g)  h)  nordöstlich  vom  Pusterthal  grenzte  an  Karantanien  der 
„Pinzgau"  (Bisontio  quod  nunc  dicitur  Pinzgow),  in  dessen  Namen 
der  rätische  oder  norische  Stamm  der  Ambisonten  fortlebt,  und 
anstoßend  daran  h)  der  „Pongau"*; 

i)  abwärts  von  Werfen  bis  über  Tittraoning  hinaus  längs  der 
Salzach  der  Salz-,  Salzach-  oder  Salzburggau,  pagus  Juvavensis; 

Ic)  daran  stieß  östlich  der  Attergau  in  der  Umgebung  dea 
Attersees  und  nördlich  von  beiden 

l)  der  Matachgau,  benannt  nach  der  Matach,  einem  Seiten- 
flusse des  Inn,  der  den  Matsee  durchströmt; 

m)  das  untere  Innviertel  zwischen  der  Donau,  dem  Inn  und 
dem  Traungau  gehörte  zum  Rotachgau,  dessen  Hauptmasse  auf 
dem  linken  Immfer  lag; 

n)  der  östlichste,  noch  zu  Bayern  gehörige  Gau,  der  Traun- 
gau, erstreckte  sich  vom  Salzburg-  und  Attergau  bis  zur  Enns,. 
nördlich  bis  an  die  Donau  und  südlich  bis  an  die  Nordgrenze 
von  Karantanien,  das  Karintigescheide,  das  der  heutigen  Grenze 
zwischen  Österreich  ob  der  Enns  und  Steiermark  entspricht.  Das 
Stück  vom  westlichen  Ufer  der  unteren  Traun  bis  zum  Haus- 
ruck heißt  auch  der  Ufgau  d.  h.  der  obere  Gau;* 

o)  das  Land  im  Norden  der  Donau,  im  Nordwald  genannt, 
gehörte  theils  zum  altbayerischen  Schweinachgau,  theils  zur  Ost- 
mark; die  Grenze  erreichte  zwischen  Ottensheim  und  Puchenau 
ob  Linz  die  Donau  ;^ 

p)  in  der  Ostmark  ist  die  Gaueintheilung  weder  auf  dem 
rechten  noch  auf  dem  linken  Donauufer  durchgeführt  worden, 
obwohl  für  den  Landstrich  niederhalb  der  Enns  bis  zum  TuUner- 
felde  in  ein  paar  Urkunden  des  9.  Jahrhunderts  die  Ausdrücke 
pagus  Grunzwiti  und  pagus  Dreisma  gebraucht  werden. 

3.  Dagegen  sind  in  Innerösterreich,  das  unter  dem  Namen 
Karantanien  zusammeugefasst  wurde,  folgende  Gaue  nachweisbar : 

a) — e)  Im  heutigen  Oberkärnten  der  „Lurngau"  und  östlich 
davon,  durch  den  Gurkfluss  geschieden,  die  pagi  »Gurcathal*"  und 
^Chrovati";  noch  östlicher  die  Gaue  des  Lavant-  und  Jaunthales. 
Diese  fünf  Gaue  bedeckten  so  ziemlich  den  Umfang  des  heutigen 


*  Nach  S  tmad  t  eine  Hundertschaft  des  Traungaues.  Geburt  d.  L.  o.  B.,  23. 
^  Strnadt,  a.  a.  0.,  30. 


Gaue  in  Tirol  und  Karantanien;  Grafschaften.  85 

Herzogthums  Karaten.  Zu  Karantanien  gehörte  ferner  f)  der  salz- 
burgische  Lungau  und  im  Bereiche  der  heutigen  Steiermark: 

g)  der  Ennsthalgau  vom  Mandlingpasse  an  bis  zum  Hoehwart 
und  vom  Pflindsberge  im  Norden  bis  zum  Nagelbach  am  Roten- 
manner  Tauern.  Südöstlich  schlössen  sich  an  den  Ennsthalgau  an 

h)  i)  der  Undrimathalgau  und  der  Leobnergau  (pagus  Liu- 
benetal) ; 

k)  der  Mürzgau  (pagus  Müriza)  umfasste  das  ganze  Fluss- 
gebiet der  Mürz.  Als  Gaue  werden  uns  ferner  genannt: 

l)  der  pagus  Zitilinesfeld  zu  beiden  Seiten  der  Drau,  südlich 
des  Unterlaufes  der  Mur; 

m)  zu  beiden  Seiten  der  Sann  der  pagus  Souna,  im  Süden 
meist  durch  die  Save,  im  Osten  durch  die  Sottla  begrenzt. 

Das  heutige  Mittelsteiermark  wird  die  Grafschaft  Hengist 
genannt  und  es  scheint,  dass  deren  Mittelpunkt  Hengistiburg  auf 
dem  Schlossberge  von  Graz  zu  suchen  ist. 

4.  Um  die  Namen,  die  Gegend  und  die  Ausdehnung  der 
alten  Verwaltungssprengel  zu  erforschen,  bedient  man  sich,  wenn 
Grenzbeschreibungen  fehlen ,  anderer  geeigneter  Ortsangaben. 
Dabei  gewahrt  man,  dass  frühzeitig  neben  dem  pagus  auch  der 
Ausdruck  comitatus  zur  näheren  Bezeichnung  der  Ortslage  ver- 
wendet wird  und  dass  schließlich  in  den  Urkunden  nur  mehr  von 
Grafschaftsbezirken,  nicht  aber  von  Gauen  die  Rede  ist.  Dieser 
Wechsel  im  Sprachgebrauche  hängt  mit  einer  Zersetzung  des 
älteren  Reichsgefüges  zusammen,  die  man  gemeiniglich  die  Auf- 
lösung der  Gauverfassung  nennt. 

Schon  unter  den  Karolingern  kam  es  bei  zunehmender 
Dichte  der  Bevölkerung  aus  Gründen  der  Staatsklugheit  zu  einer 
\'erkleinerung  der  Verwaltungsbezirke.  Die  Grafschaften,  die  im 
Umfange  häufig  mit  den  Gauen  zusammengefallen  waren,  wurden 
nun  mitunter  auf  das  Gebiet  einer  früheren  Hundertschaft 
beschränkt,  und  da  die  Bezeichnung  pagus  auch  auf  den  neuen 
Sprengel  übertragen  werden  konnte,  so  stellte  man  wohl 
diesen  als  pagus  minor  dem  alten  Gau  als  pagus  major  ent- 
gegen. In  Bayern,  wo  die  Bevölkerung  weniger  dicht  war  als 
im  Westen  —  theils  wegen  der  Bodenverhältnisse,  theils  weil 
dem  inneren  Ausbau  des  Landes  der  beständige  Abfluss  des 
Bevölkerungs  -  Überschusses   in   die  angrenzenden   Colonisations- 


8G       Österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  13  und  14. 

gebiete  Karantanien  und  Ostmark  entgegenwirkte  —  erhielten  sich 
darum  die  alten  Gaue  länger  als  Verwaltungssprengel.  Immerhin 
lässt  sich  in  einzelnen  altbayerischen  Gauen  schon  zu  Beginn  de& 
10.  Jahrhunderts  die  Amtswirksamkeit  zweier  Grafen  neben  ein- 
ander beobachten,  was  den  RUckschluss  auf  die  vorangegangene 
Auftheilung  des  Gaues  ergibt.®  Doch  herrschte  in  diesem  Punkte 
keineswegs  Gleichförmigkeit.  So  deckten  sich  z.  B.  die  Grenzen  de» 
Ennsthalgaues,  soweit  unsere  Nachrichten  zurückgehen,  mit  der 
gleichnamigen  Grafschaft,  die  bis  zum  Aussterben  der  Baben- 
berger  un verkleinert  blieb.  ^  Man  hat  diesen  Unterschied  in  der 
Entwicklung  auf  allgemeinere  Gründe  zurückfuhren  wollen,  wahr- 
scheinlicher ist,  dass  er  durch  die  besonderen  örtlichen  Verhält- 
nisse bedingt  ist,  namentlich  auch  durch  jene  Umstände,  unter 
welchen  die  Landesherrlichkeit  jeweils  entstand  und  erstarkte. 
5.  Es  gab  aber  in  unseren  Landen  auch  weite  Gebiete,, 
w'o  die  Gaueintheilung  gar  nicht  durchgeführt  war,  vor  allem  die 
Marken,  ferner  die  Landstriche,  die  der  Botmäßigkeit  der  Lango- 
barden oder  —  wie  Istrien  bis  ins  9.  Jahrhundert  —  der  Byzan- 
tiner unterstanden  hatten.  Hier  behaupteten  sich  die  Städte  als 
Mittelpunkte  der  Verwaltung  und  des  öffentlichen  Lebens.  Durch 
Unterwerfung  von  Städten  hat  Venedig  in  Istrien  zuerst  festen 
Fuß  gefasst.  Städte  waren  es,  die  933  neben  dem  Markgrafen 
Winthpr  Frieden  mit  dem  Dogen  Candiano  schlössen,  und  auch  die 
Rechtspflege,  das  Abgaben-  und  Heerwesen  und  das  kirchliche 
Leben  waren  hauptsächlich  nach  Stadtbezirken  geregelt.  So  kam 
es,  dass  fast  jede  bedeutendere  Stadt  in  Istrien  und  Dalmatien 
zugleich  Bischofssitz  war  und  dass  die  Grenzen  des  Bischofs- 
sprengeis bei  Pola,  Parenzo,  Triest,  Pedena  (Piben),  Cittanuova 
(Emonia),  auf  den  Inseln,  wie:  Veglia,  Arbe,  in  Dalmatien  (Nona^ 
Zara  .  .  . )   wahrscheinlich  mit  dem  Stadtgebiete  zusammenfielen. 


^  Vom  locus  Grabanastat  im  Chiemgau  heißt  es  sogar  959,  dass  er  in 
«comitatibus  Otacharii,  Sigihardi  ac  Willihalmi  comitum*  gelegen  sei.  Wahrschein- 
lich war  Hauptgegenstand  der  Schenkung  ein  großer  Wald.   —   Richter,  640. 

'  Feiice tti,  X,  35.  —  Riezler,  I,  848,  macht  aufmerksam,  dass  in 
Schwaben  noch  im  13.  Jahrhundert  die  meisten  Grafschaften  einem  alten  Gau 
entsprachen,  während  für  Bayern  schon  im  12.  Jahrhundert  das  Gegentheil  gilt» 


Verwaltungsbezirke  im  Küstenland;  landesherrliche  Gebiete.  87 


§  U.  Laiide$hen*liche  Gebiete:  Österreich  ob  nnd  unter  der  Enns. 

LampelJ.,  Die  Einleitung  zu  Jans  Enenkel's  Fürstenbuch.  Wien,  1883.  — 
Die  Landesgrenze  von  1254  und  das  stcirische  Ennsthal.  Archiv,  Bd.  71,  S.  297  ff. 
S.  a.  Blätter  des  Vereins  für  Landeskunde  von  Nieder-Österreich,  Bd.  20—22 
und  ebendort  Bd.  11—16,  die  Abhandlungen  von  Kopal  über  Hardegg, 
Wendrinsky  über  die  Herren  von  Schwarzenburg-Nöstach,  die  Grafen  von 
Raabs,  von  Plaien-Hardegg  u.  s.  w.  —  Strnadt,  Die  Geburt  des  Landes  ob  der 
Enns  1886 ;  Peuerbach,  Beiträge  zur  Landeskunde  von  Österreich  o.  Enns.  (Lief.  22.) 
—  Stülz,  Zur  Geschichte  der  Grafen  von  Schaunberg.  (Denkschriften,  Bd.  12.) 

1.  An  die  Stelle  der  zu  Zwecken  der  Reichsverwaltung 
geschaffenen  Eintheilung  Deutschlands  in  Gaue,  Grafschaften, 
Marken  u.  s.  w.  trat  im  weiteren  Verlaufe  des  Mittelalters  eine 
große  Menge  von  Territorien  der  verschiedensten  Art  und  Größe, 
über  w^elche  der  dem  Reiche  lehenspflichtige  Gebietsherr  die 
Verwaltung  zu  eigenem  Rechte  führte.  Nur  wenige  Lande  ver- 
mochten sich  aber  in  ungestörter  Entwicklung  zu  behaupten :  Viele 
Gebiete  wurden  mit  anderen  nach  dem  Aussterben  des  herr- 
schenden Geschlechtes  kraft  Belehnung,  Erbgang  u.  s.  w.  ver- 
einigt, andere  verloren  ihre  Selbständigkeit  schon  früher,  da  das 
Interesse  des  Stärkeren  auf  die  Unterwerfung  des  schwächeren 
Nachbarn  gieng,  um  selbst  widerstandsfähiger  zu  werden.  Daraus 
folgt,  dass  man  ohne  Kenntnis  der  Hochstifte  und  Geschlechter, 
die  dereinst  auf  jetzt  österreichischem  Boden  landesherrliche 
Rechte  geübt  haben,  weder  das  allmähliche  Anwachsen  des 
Staatsgebiets ,  noch  die  damit  eng  zusammenhängende  Aus- 
gestaltung der  landesfürstlichen  Gewalt  erfassen  kann. 

2.  Das  Kernland  unseres  Reiches,  1156  auf  dem  Regens- 
burger Tage  durch  kaiserlichen  Willen  als  Herzogthum  Öster- 
reich aus  der  alten  Ostmark  und  einigen  bayerischen  Gebieten 
geschaffen,  reichte  im  Westen  erst  bis  zur  Enns  und  bis  zum 
Haselgraben,  der  gegenüber  von  Linz  in  die  Donau  mündet.  Die 
Zertrümmerung  des  bayerischen  Stammesherzogthums  im  Jahre  1 180 
brachte  den  Landstrich  auf  dem  linken  Donauufer  von  der  Hasel 
bis  zur  großen  Mühl  dem  Herzog  Leopold  V.  zu»  während  das 
Land  zwischen  der  Enns  und  dem  Hausruck  zum  neuen  Herzog- 
thum Steiermark  geschlagen  wurde  und  in  deren  Verband  bis 
über   die  Mitte  des    13.  Jahrhunderts  verblieb.    Erat  der  Ofner 


88       ödterroiehisehe  Reichsgeschichte.  I.  Theii.  Zweite  Periode.  §  14  and  15. 

Friede  vom  Jahre  1254,  der  die  Steiermark  zwischen  den  Königen 
von!  Böhmen  und  Ungarn  theilte,  machte  eine  neue  Abgrenzung 
nötmg,  die  sich  bis  zum  heutigen  Tage  erhalten  hat.  In  die  Zeit 
desN^ischenreiches  fällt  auch  die  Trennung  von  Österreich  in 
das  Land  ob  und  unter  der  Enns,  indem  Konig  Ottokar  wahr- 
scheinlich nach  dem  Sieg  bei  Kroissenbrunn  um  1260  die  Längs- 
theilung  des  Landes  durch  den  Donaulauf  aufgab  und  durch  eine 
Quertheilung  ersetzte.  Seit  dem  Jahre  1264  findet  sich  in  Urkunden 
die  Bezeichnung  Austria  superior,  Austna  süpra  Anasum,  districtus 
supra  Anasum,  während  für  das  alte  Herzogthum  Österreich  Austria 
inferior,  gewöhnlich  sogar  Austria  schlechtweg  gesetzt  wird. 

Das  ursprüngliche  Herrschergeschlecht  der  Babenberger 
erlosch  1246  im  Mannesstamme,  ihm  folgten  seit  1282  durch 
Belehnung  auf  dem  Reichstage  zu  Augsburg  die  Habsburger  in 
der  Regierung  über  Österreich. 

Neben  dem  Herzoge  beanspruchte  hier  eine  Anzahl  anderer 
Machthaber  ebenfalls  Regierungsrechte  über  mehr  minder  aus- 
gedehnte Gebiete.  Sehr  bedeutend  war  der  kirchliche  Besitz.  Das 
Bisthum  Pa'ssau,  in  dessen  Sprengel  die  Ostmark  lag,  gebot  als 
Landesherr  zwischen  der  Ranna  und  Mühl  und  war  auch  bei  Enns, 
in  der  Wachau,  in  Tulln  u.  s.  w.  begütert;  Salzburg  besaß  Arns- 
dorf  in  der  Wachau  und  Traismauer,  Regensburg  die  Umgebung 
des  Attersees,  Fr  ei  sing  das  Gelände  um  Holenburg^  Ulmerfeld, 
Waidhofen  an  der  Yps,  Sachsengang,  Enzersdorf  u.  s.  V. 

Von  weltlichen  Großen  seien  beispielsweise  geuannt  die 
Grafen  von  Plaien-Hardeck,  die  PeUenstein,  die  von  Schala  und 
Burghausen,  die  von  Falkenstein  und  Hömstein,  die  Wels-Lam- 
bacher,  die  Grafen  von  Putten,  die  Formbach-Neuburger  u.  s.  \v. 
Sowohl  die  Herkunft  als  die  staatsrechtliche  Stellung  dieser 
Dynastenfamilien  im  Lande  ist  noch  mancher  Aufklärung  bedürftig. 
Die  Mehrzahl  von  ihnen  erlosch  bis  gegen  die  Mitte  des  13.  Jahr- 
hunderts, worauf  ihre  Güter,  sei  es  durch  Erbgang,  sei  es  als 
heimgefallenes  Gut,  in  die  Hände  der  Babenberger  gelangten. 
Zur  Zeit  der  Habsburger  gab  es  nur  noch  zwei  reichsunraittelbare 
weltliche  Gebiete^  in  Österreich:   die  Herrschaft  Seefeld  an  der 


^  Mit  der  Vergün8tlg:ung  «quod  ipsum  castrum  cum  suis  pertinenciis  tarn 
diu  a  nobis  et  a  Romano  Imperio  teneat  et  possideat  titulo  feudaii,  quosquo 
ipsum  a  pr»fatis  ftliis  nostris  reclpere  jubeamus".  —  Urkunde  ddo.  1286.  7.  Juli. 


Landesherrliche  Gebiete  in  Österreich  and  Karantanien.  89 

mährischen  Grenze,  die  König  Rudolf  dem  Burggrafen  von  Nürn- 
berg, Friedrich  von  Zollern,  verliehen  hatte,  und  der  ausgedehnte 
Besitz  der  Freien  von  Julbach  oder  Grafen  von  Schaunberg 
an  der  Donau  mit  Efferding  als  Mittelpunkt.^  Die  Schaunberg 
wurden,  nachdem  sie  Herzog  Rudolf  IV.  zur  Auftragung  ihrer 
allodialen  Landgerichte  bestimmt  hatte,  noch  im  Laufe  des  14.  Jahr- 
hunderts zu  österreichischen  Landsassen ;  die  Reichsunmittelbarkeit 
von  Seefeld  und  der  übrigen  burggräflichen  Lehen,  sowie  der 
geistlichen  Territorien  in  Österreich  war  gleichfalls  unhaltbar  ge- 
worden, seitdem  die  österreichischen  Freiheitsbriefe,  u.  z.  das  Majus 
und  dessen  angebliche  Bestätigung  vom  Jahre  1245,  die  Anerkennung 
des  Reiches  im  Jahre  1453  erlangt  hatten. 

§  15.  LandesheiTliche  Gebiete:  Karantanien.  (Inuerosterreich 

and  Küstenland.) 

C zornig,  Görz  I.  —  Felicetti,  Pagus  Chrouuat;  Steiermark  im  8.  bis 
12.  Jahrhundert.  (Beiträge  zur  Kunde  steirischer  Geschq.  Bd.  5,  9,  10).  —  Huber, 
in  den  Mit^heilungen  des  Instituts.  Bd.  6,  S.  383  ff.  —  Krön  es.  Die  Freien  von 
Saneck  1883.  —  Meli,  Die  Entwicklung  Krains  vom  10.  bis  13.  Jahrhundert. 
Graz.  1888.  —  Schumi,  im  Archiv  für  Heimatkunde.  I,  97  ff.  —  Tangl,  Die 
Grafen  . . .  von  Eppenstein,  von  Heunburg,  von  Pfannberg,  von  Ortenbiirg.  (Archiv. 
Bd.  11, 17—19,  30,  36).  —  Zahn,  Styriaca,  1891,  S.  1:  Wann  Steiermark  entstand. 

1.  Unter  dem  Gesammtnamen  Karantanien  begriff  man 
durch  Jahrhunderte  die  innerösterreichische  Ländergruppe :  Kärnten, 
Steiermark  und  Krain.  Die  Begrenzung  wich  indessen  von  der 
heutigen  vielfach  ab.  Sie  reichte  ins  halbe  Pusterthal  bis  in  die 
Nähe  der  Drauquelle,  sie  umschloss  den  Lungau  und  das  Land 
zu  beiden  Seiten  der  Enns  vom  Mandlingpasse  bis  zur  Einmündung 
der  Steyer  und  ragte  auch  ins  Land  unter  der  Enns  viel  nörd- 
licher, als  die  heutige  Landesgrenze,  die  erst  im  Jahre  1254  ge- 
zogen wurde  und  das  Gebiet  zwischen  Seramering,  Wechsel,  Leitha 
und  Piesting  u.  a.  zu  Österreich  brachte.  Gegen  Osten  hin  wurde 

Die  Reichsunmittelbarkeit  der  burggräflichen  Lehen  in  Österreich  hat  noch  Kaiser 
Karl  IV.  entgegen  den  Bestrebungen  Herzog  Rudolfs  IV.  bestätigt.  1363,  30.  Nov. 
Frag.  —  Spieß,  Archivische  Nebenarbeiten,  1785,  II,  23,  27. 

2  Strnadt,  Peuerbach.  —  Wendrinsky,  Heinrich  v.  Dewin (1877,  S.  207 
nitd  270)  meint,  dass  die  Schaunberge  aus  der  Stellung  von  Ministerialen  erst  zur 
Zeit  des  Zwischenreichs  zur  Reichsunmittelbarkeit  aufgestiegen  seien. 


/ 


90  österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  15. 

die  heutige  steirisch-ungarische  Grenze  nur  sehr  allmählich  ge- 
wonnen, ebenso  die  SUdgrenze.  da  das  gegen  Ende  des  10.  Jahr- 
hunderts zuerst  genannte  Land  Krain  nur  das  heutige  Oberkrain 
war,  andererseits  aber  die  Mark  an  der  Sann  auf  das  rechte  Ufer 
der  Save  von  Ratschach  bis  an  die  Neuring  hinübergriflF. 

Karantanien,  schon  in  den  Tagen  der  letzten  Karolinger 
Herzogen  untergeben,  wurde  bis  zum  Schlüsse  des  ersten  Jahr- 
tausends mit  geringen  Unterbrechungen  (97G— 983,  985—989) 
durch  die  Herzoge  von  Bayern  verwaltet.  Als  ums  Jahr  1002  die 
bleibende  Absonderung  von  Bayern  erfolgte,  erhielt  Karantanien 
Herzog  Otto  der  Wormser,  der  seit  995  über  die  Mark  Verona, 
Friaul  und  Istrien  gebot.  Noch  war  das  Herzogthum  ein  Amt, 
noch  war  die  königliche  Macht  stark  genug,  die  aufstrebende 
Gewalt  der  Herzoge  zurückzudäramen.  Darum  kam  es  hier  erst  in 
den  Tagen  König  Heinrich's  IV.  zur  Entstehung  eines  Herrscher- 
geschlechts. Ums  Jahr  1073  scheint  es  Markward  dem  Sohne  des 
(1035)  entsetzten  Herzogs  Adalbero  gelungen  zu  sein,  sich  der 
obei-sten  Gewalt  in  Kärnten  zu  bemächtigen,  1077  ward  dann 
seinem  Sohne  Liutold  das  Herzogthum  vom  Könige  förmlich  über- 
tragen. Von  da  ab  herrschten  in  Kärnten  die  Eppensteiner  bis  zu 
ihrem  Aussterben  im  Jahre  1122.  Ihnen  folgte  in  der  Herzogs- 
würde das  rheinfränkische  Geschlecht  der  Sponheim-Lavanter, 
das  im  Jahre  1269  mit  Ulrich  III.  endete  und  nach  dem  Zwischen- 
reich im  Jahre  1286  die  Grafen  von  Görz.  Als  nun  von  diesem 
dritten  Herzogsgeschlecht  der  Mannesstamm  der  regierenden  Linie 
mit  dem  Titularkönig  Heinrich  von  Böhmen  (2.  April  1335)  erlosch, 
gelangte  Kärnten  infolge  Belehnung  durch  Kaiser  Ludwig  IV.  an 
die  Habsburger,  die  schon  in  den  angrenzenden  Herzogthümern 
Österreich  und  Steiermark  herrschten. 

9.  Was  wir  heute  das  Herzogthum  Kärnten  nennen,  ist  nur  das 
Herz  Karantaniens,  das  nach  Abtrennung  ausgedehnter  Landstriche 
den  alten  Namen  behielt.  Eingeleitet  wurde  die  Verkleinerung 
dadurch,  dass  die  Grenzgebiete  des  Herzogthums  am  Ende  des 
10.  und  im  Laufe  des  11.  Jahrhunderts  eigene  Markgrafen  und 
dadurch  eine  größere  Selbständigkeit  gegenüber  dem  Herzoge 
erhielten.  Ein  Kärntner  Markgraf  wird  970  erwähnt,  sein  Gebiet 
erstreckte  sich  von  Rötheistein  ob  Frohnleiten  längs  der  mittleren 
Mur  und  der  oberen  Raab  bis  zum  Poßruck  und  den  windischen 


Karantanien  und  seine  Marken,  Steiermark.  91 

Büheln.  Von  dieser  Mark  aus  ist  später  das  Herzogthum  Steier- 
mark erwachsen,  wogegen  es  zweifelhaft  ist,  ob  es  aucli  in  den 
Gegenden  längs  der  mittleren  Drau  und  an  der  Sann,  die^  eben- 
falls mit  dem  Beisatz  „in  Marchia*  erscheinen,  zur  Bildung  be- 
sonderer Markgrafschaften  gekommen  ist.^  Genau  im  Jahre  1000 
erscheint  der  Eppensteiner  Adalbero  als  Markgraf  der  Kärntner 
Mark  und  er  behielt  sie  auch  bei,  als  er  1012  auf  den  Herzogs- 
stuhl von  Kärnten  berufen  wurde.  Nach  seinem  Sturze  im  Jahre  1035 
wurde  die  Mark  erst  den  Grafen  Arnold  und  Gottfried  von  Lambach, 
dann  aber  (1056)  an  deren  Vetter  Otakar  übertragen,  mit  welchem 
die  älteste  steiermärkische  Dynastie  der  Traungauer  zum  ersten- 
raale  die  Herrschaft  im  Lande  erlangte.  Nicht  auf  lange  Zeit,  denn 
als  es  in  den  Siebziger  jähren  des  11.  Jahrhunderts  zur  Aussöhnung 
der  Eppensteiner  mit  Kaiser  Heinrich  IV.  kam,  erhielten  diese 
neben  dem  Herzogthum  wohl  die  Mark  wieder,  die  sie  von  alters- 
her  besessen  hatten  und  in  der  sie  nachweislich  einen  ungemein 
großen  Theil  des  Bodens  als  Eigenthum  beanspruchen  konnten. 
Bleibend  und  unter  weit  günstigeren  Verhältnissen  kehrten  die 
Traungauer  erst  nach  dem  Aussterben  der  Eppensteiner  (1122)  in 
die  kärntnische  Mark  zurück.  Markgraf  Otakar  IL,  ein  Sohn  des 
oben  Genannten,  erbte  nach  seinem  Schwager  Herzog  Heinrich  II. 
von  Kärnten-Eppenstein  dessen  wahrhaft  fürstlichen  Landbesitz 
in  der  Mark  und  da  er  überdies  das  Enns-  und  Paltenthal  von 
Salzburg  zu  Lehen  trug,  so  hatte  er  schon  ganz  Obersteiermark 
und  außerdem  das  Land  bis  gegen  das  linke  Drauufer  hin  in 
Händen.  Von  nun  an  reihten  sich  Ergänzungen  von  Jahrzehnt 
zu  Jahrzehnt.  Um  1 1 48  erbte  Otakar  III.  nach  seinem  Oheim,  dem 
Grafen  Bernhard  von  Sponheim,  einen  ausgedehnten  Landstrich 
längst  der  Drau,  von  der  heutigen  kärntnischen  Grenze  bis  gegen 
Pettau  hin  und  Güter  im  Sannthal;  1158  wurde  der  Püttner  Besitz 
zwischen  dem  Semmering,  Wechsel  und  der  Piesting  erworben; 
das  Jahr  1180  brachte  als  eine  Folge  der  Demüthigung  Heinrich's 
des  Löwen,  dem  Markgrafen  Otakar  IV.,  der  sich  nach  seiner 
Hauptburg  von  Steyer  nannte,    die  Erhebung  zum  Herzog  und 

1  Felicetti,  Beiträge,  IX,  40  ff.  Am  ehesten  könnte  man  noch  das  Vor- 
handensein einer  eigenen  Mark  im  Sannthal  annehmen,  da  ja  seit  dem  Jahro 
1103  Starchand  und  später  Günther  Marchio  de  Soune  genannt  werden.  Dieser 
Ansieht  ist  auch  Waitz,  VII,  72,  Anm.  6. 


92  österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  15. 

außerdem  das  bayerische  Gebiet  zwischen  der  Enns  und  dem 
Hausruck.  Der  erste  Herzog  der  Steiermark,  zugleich  der  letzte 
seines  Geschlechts,  hinterließ  •  bei  seinem  Tode  sein  Land  dem 
Babenberger,  Herzog  Leopold  V.  So  ist  seit  dem  Jahre  1192  die 
Steiermark  mit  Österreich  vereinigt  und  hat  fortan  dessen  Geschicke 
getheüt. 

3.  Auch  das  Herzogthum  Krain  hat  sich  auf  karantanischem 
Boden  entwickelt,  doch  hat  es  seinen  jetzigen  Umfang  und  den 
herzoglichen  Titel  erst  spät  erhalten;  Urkunden  nennen  uns  vom 
Jahre  973  herwärts  eine  Grafschaft  Krain  (Carniola,  Craina)  und 
eine  Marchia  Slavonise,  auch  Camiolise  oder  Marchia  schlechtweg, 
die  man  später  die  windische  Mark  nannte.  Die  Grafschaft  Krain 
entsprach  dem  heutigen  Oberkrain,  umschloss  aber  bedeutenden 
Immunitätsbesitz.  Die  Mark,  in  welcher  gleichfalls  mehrere  Hoch- 
fitifte  stark  begütert  waren,  erstreckte  sich  über  Unterkrain  mit 
Ausschluss  der  Landschaft  auf  dem  rechten  Gurkufer,  die  bis  ins 
12.  und  13.  Jahrhundert  zu  Croatien  gerechnet  wurde,^  und  des 
rechten  Saveufers  von  der  Sannmündung  bis  zur  Neuring,  das 
zur  Grafschaft  des  Sannthaies  gehörte.  Der  Karstboden  endlich, 
das  heutige  Innerkrain,  bildete  einen  Theü  der  Mark  Istrien.^ 

Im  Jahre  973  unterstand  die  Grafschaft  Krain  einem  sichern 
Popo,  dem  bis  zum  Jahre  1011  die  Grafen  Waltilo  und  Ulrich 
folgten.  Die  Grenzhut  wurde  vom  Herzoge  Karantaniens  unmittelbar 
verwaltet,  wie  solches  auch  in  der  Kärntner  Mark  während  der 
Jahre  1012  bis  1035  geschah.  Allein  dieselben  politischen  Ev- 
wägungen,  die  den  Kaiser  Konrad  II.  nach  dem  Sturze  des  Eppen- 
steiners  Adalbero  zur  Ablösung  der  Kärntner  Mark  vom  Herzogs- 
amte und  zur  Einsetzung  eigener  Markgrafen  bestimmten,  ver- 
anlassten auch  die  Errichtung  einer  besonderen  Markgrafschaft 
Krain,  welche  wir  während  der  Jahre  1040  bis  1070  den  Mark- 
grafen E Gerhard  und  Ulrich  unterstellt  finden.    Nach  dem  Tode 

2  König  Ladislaus  von  Ungarn  schenkte  um  1090  Sichelburg,  MÖttling  und 
Tschernembl  dem  Bisthnm  Agram,  das  diese  Gegenden  dem  croatischen  Erz- 
diaconat  vom  Gurkfluss  überwies.   —  Schumi,  Archiv  I,  49  flf.  —  Meli,  82  ff. 

*  A.  Huber  bekämpft  in  den  Mittheilungen  des  Instituts  für  österr.  Ge- 
schichtsforschung, VI,  S.  388  ff.,  die  Unterscheidung  der  Marchia  Carniole  vom 
Comitatus  Carniole,  mit  beiden  Ausdrücken  werde  das  Gleiche  bezeichnet.  S.  da- 
gegen inistrien,  wo  analoge  Verhältnisse  obwalteten,  die  zweifellose  Unterscheidung 
der  Mark  von  der  Grafschaft  und  die  Ausführungen  Mell's,  S.  39 ff.,  65. 


Die  Entstehung  des  Herzogthums  Krain.  D3 

des  Letztgenannten  blieb  das  Amt  unbesetzt,  bis  König  Heinrieh  IV. 
im  Jahre  1077   die  Markgrafschaft  an  Aquileja  schenkte,  um  die 
guten  Dienste  des  Patriarchen  Sieghard  zu  belohnen.  Der  Abfall 
des  Nachfolgers  von  der  kaiserlichen  Sache  hatte  den  Widerruf 
der  Schenkung  und  die  Bestellung  des  Heinrich  von  Eppenstein 
als  Markgrafen  zur  Folge.    Erst  die  Erneuerung  der  Vergabung 
im  Jahre  1093  brachte  das  Patriarchat  auf  längere  Zeit  in  den 
vielbegehrten  Besitz,  der  sich  auf  Unterkrain  beschränkte  und 
später  auf  die  Andechs-Meranier  übergieng.  Die  Grafschaft  Ober- 
krain  hingegen  war  als  solche  nach  dem  Tode  des  Markgrafen 
Ulrich  verschwunden,  denn  zwei  Drittel  des  früheren  Amtssprengeis 
waren  als  Immunitätsgebiet  an  Brixen  und  Freising  gekommen, 
während  das  Übrige,  vom  großen  Eigenbesitz  der  Weimar-Orlamünde 
erfüllt,   bei  deren  Aussterben  (nach  1141)  an  die  verschwägerten 
Sponheimer,   die  Grafen  von   Bogen  und  die  Andechs-Meranier 
gelangte.   Durch  etwa  dreißig  Jahre  (...  1180  bis  1209)  geboten 
hier  die  Andechs-Meranier,  bis  das  Verhängnis  über  das  Geschlecht 
hereinbrach  und  dem  geächteten  Markgrafen  von  Istrien,  Heinrich, 
alle  Würden,  Lehen  und  Eigen  abgesprochen  wurden.  Obwohl  ihm 
später  sein  Familiengut  in  Kärnten,  Steiermark  und  Krain  zurück- 
gegeben  >^iirde,  blieben   doch  die  Markgrafschaften  Krain  und 
Istrieii   verloren,   die   das  Patriarchat  Aquileja  auch  gegen  An- 
sprüche zu  behaupten  verstand,  die  Otto  VII.  von  Meranien  nach 
dem  Tode  Heinrich's  von  Istrien  (f  18.  Juli  1228)  erhoben  hatte. 
Der  Tod  des  Markgrafen  Heinrich  gab  indessen  anderen 
Machthabern  Gelegenheit,   festen  Fuß  in  Krain  zu  fassen,   denen 
das    Patriarchat    schließlich    unterlegen    ist ,     und    zwar    den 
Babenbergern  und   den  Sponheimern.    Bekannt  ist,  dass  Herzog 
Leopold  VI.  der  Glorreiche  am  5.  April  1229  vom  Bischof  Gerold 
von  Freising  die  Belehnung  mit  den  erledigten  Kirchenlehen  der 
Andechser   in  Unterkrain   (das  Feudum  in  Marchia)  gegen   eine 
bedeutende   Summe  erkaufte  und  dass  sein   Sohn  Friedrich  IL 
der  Streitbare,   wohl   auf  Grund  seiner  Vermählung  mit  Agnes 
von  Meranien,  den  Titel  eines  Dominus  Carniolae  annahm.  Gleiches 
Ziel  verfolgten  auch  die  Sponheimer,  von  welchen  Herzog  Bern- 
hard schon  1228  die  Gurker  Lehen  weiland  Markgraf  Heinrich's 
erwarb   und   nach   dem  Aussterben   der  Babenberger   sich  auch 
des  Feudum  in  Marchia  bemächtigte,  während  Erbprinz  Uh'ich  nach 


04  Österreichische  Roichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  15. 

seiner  Verlobung  mit  der  Domina  Caniioliae  der  Witwe  Friedrich"3 
des  Streitbaren,  Agnes  von  Meranien,  ebenfalls  den  Titel  eines 
Herrn  in  Krain  führte.*  „Für  Aquileja's  Herrschaft  in  Krain  be- 
deutete Ulrich  von  Sponheim  das  Ende.**  Schon  vor  1256  begann 
er  aquUejischen  Besitz  zu  usurpieren,  im  Juni  1258  kam  es  zur 
Verkündung  des  Bannes  über  päpstlichen  Auftrag,  aber  erst 
im  November  1261  erfolgte  der  Ausgleich  zwischen  beiden 
Theilen,  und  zwar  zu  offenbarem  Nachtheü  des  Patriarchats. 
Herzog  Ulrich  erhielt  gegen  Auftragung  seiner  Allode  in  der 
Mark  diese,  sowie  die  gesammten  Herrscherrechte  über  die  Marchia 
CarniolisB  zu  Lehen,  so  dass  er  sich  fortan  mit  Fug  Dominus 
Camiolise  et  Marchise  nennen  konnte,  während  die  Patriarchen 
nur  mehr  Herren  in  ihrem  Eigenbesitze  und  Titularherren  der 
Mark  blieben. 

Seither  theilten  Ober-  und  Unterkrain  die  Schicksale  von 
Kärnten  und  giengen  namenthch  1286  auch  an  Herzog  Meinhard 
über,  obgleich  die  Belehnung  der  Habsburger  mit  Krain  vom 
Jahre  1282  in  Kraft  blieb.  Die  Erkenntnis,  dass  dies  wichtige 
und  bedrohte  Grenzland  zu  seiner  Behauptung  der  mUitärischen 
Anlehnung  an  Kärnten  bedürfe,  die  Besorgnis,  dass  Meinhard  den 
Sponheimischen  Besitz  als  Zugehör  seines  Herzogthums  einfordern 
könnte,  endlich  die  Erwägung,  dass  die  Grafen  von  Görz  schon 
von  früher  her  (1248)  als  Erben  der  Meranier  in  der  Mark  reich 
begütert  waren,  mögen  die  Herzoge  von  Österreich  zu  einstweiligem 
Verzicht  auf  Krain  bestimmt  haben,  wobei  sie  die  Form  der 
Verpfändung  wählten,  um  ihre  Ansprüche  nicht  ganz  aufgeben 
zu  müssen. 


^  Herzog  Bernhard  beschränkte  sich  auf  das  ihm  zukommende  »Dei  gratia 
Dux  Karinthie".  Die  Urk.  von  1235  (Schumi,  Archiv  I,  175),  in  welcher  er 
auch  „dominus  Kamiole  ac  Marchie''  heißt,  möchte  ich  im  günstigsten  Falle  für 
eine  spätere  Erneuerung  ansehen,  da  das  schlecht  erhaltene  Original  nach  Schrift 
und  Ausdruck  manch  Ungewöhnliches  zeigt,  jene  von  1243  mit  gleichem  Titel 
ist  uns  nur  in  späten  Auszügen  erhalten.  Die  päpstliche  Dispens  zur  Vermählung 
Ulrich's  mit  Agnes  erfolgte  1248,  16.  Nov.  Ulrich  bediente  sich  aber  schon  im 
Jahr  vorher  (1247,  24.  Sept.)  des  Titels  „Dominus  Camiole".  —  Schumi,  U.-B.  I, 
122  und  113.  Den  Titel  „Dominus  Camiole  ac  Marchie"  führte  er  seit  1261. 
a.  a.  0.  S.  220.  Unbegründet  ist  der  Titel  „D.  Camiolie  nee  non  Istriie  et 
Karsti"  im  Cod.  Istr.  1260,  1.  Nov.  (Stiftungs-Urkunde  von  Preudenthal.)  Der 
bessere  Abdruck  bei  Schumi,  U.-B.,  II,  211,  hat  nur  „Dominus  Camiole**. 


Karantanien  und  seine  Marken:  Krain,  Istrien.  95 

Mit  dem  Anfalle  von  Kärnten  im  Jahre  1335  gelangte  auch 
Krain  in  den  Besitz  der  Habsburger,  die  sich  Herren  von  Krain 
und  der  windischen  Mark  nannten,  bis  unter  Rudolf  IV.  im 
Jahre  1364  der  Titel  Herzog  von  Krain  aufkam.^  Zehn  Jahre 
darnach  fielen  die  Görzer  Besitzungen  in  der  windisclien  Mark 
und  dem  Möttlinger  Boden,  sowie  das  obere  Karstgebiet  mit 
Einschluss  von  Adelsberg  an  Krain  infolge  eines  von  Herzog 
Rudolf  IV.  mit  Graf  Albert  IV.  von  Görz  abgeschlossenen  Erb- 
schaftsvertrages.^ 

4.  Das  benachbarte  Istrien  hat  im  Mittelalter  vielfach  die 
Schicksale  von  Krain  getheilt.  Durch  Kaiser  Otto  I.  waren  Istrien 
und  Priaul  im  Jahre  952  dem  bayerischen  Herzog  untergeben 
worden.  Als  es  zur  Trennung  Kärntens  von  Bayern  kam,  blieb 
Istrien  mit  jenem  so  nahe  verbunden,  dass  die  Herzoge  von 
Kärnten  bei  den  Geschichtsschreibern  in  der  ersten  Hälfte  des 
11.  Jahrhunderts  geradezu  auch  Herzoge  von  Istrien  hießen.* 
Später  wurde  Istrien  von  Kärnten  getrennt  und  (um  1047?) 
eigenen  Markgrafen  anvertraut,  von  welchen  wir  Ulrich  I.  aus 
dem  Hause  Weimar-Orlamünde  1060  schon  im  Amte  finden. 
Neben  der  Markgrafschaft  gab  es  aber  auch  eine  Grafschaft 
Istrien.  Diese  wurde  1077  dem  Patriarchen  Sieghard  von  Aquileja 
geschenkt  und  gelangte  in  der  Folge  an  die  Grafen  von  Görz.^ 
Die  Markgrafschaft  hingegen  erhielten  1077  der  Eppensteiner 
Heinrich,  nach  dessen  Erhebung  auf  den  Kärntner  Herzogstuhl 
1093  Ulrich  IL  von  Weimar-Orlamünde,  seit  1122  die  Krainburger 

*  Und  zwar  im  Monat  Mai.  Vgl.  Kürschner,  Die  Urkunden  Herzog 
Rudolfs  IV.  im  Archiv,  Bd.  49,  S.  16. 

®  C zornig,  Görz,  I,  550. 

^  Waitz,  VII,  71,  N.  4.  Umgekehrt  heißt  dann  bei  den  Chronisten  Mark- 
graf Ulrich  I.  von  Istrien  „Marchio  Carentinorum".  —  Meli,  28. 

^  G  Zorn  ig,  I,  513,  meint  im  Jahre  124S  als  Erbe  der  Andechs-Meranier. 
Indessen  ist  zu  erwägen,  dass  1186,  24.  Oct.,  Castel  Lorenzo,  ein  Adalpertus 
Comes  Istrie  genannt  wird,  der  nach  Kandier  Cod.  Istr.  dem  Hause  Orten- 
burg  angehörte  und  dass  eine  Mathilde  Gräfin  von  Pisino  (dem  Hauptort  der 
Grafschaft)  die  Gemahlin  des  1220  verstorbenen  Grafen  Engelbert  III.  von  Görz 
war.  A.  a.  0.  ürk.  1222,  24.  Febr.  Pisino.  —  Hub  er  in  Mitth.,  IV,  394,  bestreitet 
mit  Berufung  auf  eine  Urkunde  vom  Jahre  1102,  dass  es  in  Istrien  neben  der 
Markgrafschaft  auch  eine  besondere  Grafschaft  gegeben  habe,  doch  mit  Unrecht. 
Die  erwähnten  Orte  lagen  in  der  That  in  der  Grafschaft  Istrten,  deren  Gebiet 
sich  allerdings  weit  über  die  Umgebung  von  Pisino  erstreckte.  S.  Anm.  10. 


1>G  ÖsteiTcichis>Ghe  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  15. 

Linie  der  Sponheimer,  seit  1173  die  Andechs-Meranier.  1209  nach  der 
Ächtung   des  Markgrafen  Heinrich  IV.  bekam  Aquileja  die  Mark 
Istrien  und  ließ  sie  durch  Stellvertreter   mit  kurzer  Amtsdauer 
verwalten,  die  Markgrafen  hießen  und  zu  Capo  d'Istria  ihren  Sitz 
hatten."  Den  Patriarchen  machte  übrigens  die  Behauptung  dieses 
Besitzes  viel  zu  schaffen.    Die  Mark  bestand  aus  einem  ziemlich 
breiten  Küstenstreifen,  der  die  im  Herzen  der  Halbinsel  gelegene 
und  den  Grafen  von  Görz  unterthänige  Grafschaft  von  Muggia 
bei  Triest  bis  an   den  Quamero   umgab.^®    Wohl  waren  in   der 
Mark  die  wichtigsten  Städte  der  Halbinsel,  allein  da  diese  sich 
von  altersher  größerer  Autonomie  erfreuten  und  durch  den  See- 
handel auf  gute  Beziehungen  zu  Venedig  angewiesen  waren,   so 
begegnete  der  Versuch   der   Patriarchen,   ihren  lehensherrlichen 
Rechten  volle  Geltung  zu  verschaffen,  hartnäckigem  Widerstände.^^ 
Das  ganze  13.  Jahrhundert  war  daher  von  Innern  Fehden  erfüllt, 
die  nur  zeitweilig  durch  kurze  Waffenruhe  unterbrochen  waren. 
Den  Vortheil  aus  diesen  Zerwürfnissen  zog  Venedig,  dem  jede 
Gelegenheit,  in  Istrien  festen  Fuß  zu   fassen,   willkommen  war. 
Im  Jahre  1267    unterwarf  sich  Parenzo   der   Republik,   um   der 
Vergewaltigung  durch  Capo  d'Istria  zu  entgehen,  das  damals  an 
die  Spitze  der  istrischen  Städte  treten  wollte,  1269  folgte  Umago, 
1270  Cittanova,  1271  San  Lorenzo.  Seit  der  Eroberung  von  Capo 
d'Istria  durch  die  Venezianer  1279,  erlangten  deren  Anhänger  in 
der  ganzen  Mark  die  Oberhand  und  den  Patriarchen  gieng  eine 
Küstenstadt  nach  der  anderen  (zuletzt  1331  Pola)  an  die  Dogenstadt 
verloren.     Schließlich  einigte  man  sich  auf  einen  geringen  Zins, 


^  Kandier,  Ck)d.  Istr.,  S.  39  zu  1275,  5.  Mai,  behauptet,  dass  das  Amt  auf 
Jahresfrist  verliehen  wurde.  Im  Jahre  1275  bekleidete  es  Wilhelm  von  Civldale. 

lö  Hauptort  der  Grafschaft  war  Pisino-Mitterburg.  Sie  erstreckte  sich  über 
das  ganze  Gebiet  dieser  Stadt  bis  zum  Monte  Maggiore  und  zu  den  obem  Thälem 
der  Dragogna  des  Quieto  und  der  Arsa,  bestand  vorwiegend  aus  bischöflichen 
Lehen,  Schlössern  von  Adeligen  und  Landgemeinden  und  bildete  auch  durch  die 
slavische  Bevölkerung  einen  Gegensatz  zur  vorwiegend  italienischen  Mark. 
Benussi,  im  Band  „Küstenland",  S.  14'2  (österr.-ungar.  Monarchie,  Bd.  10).  Im 
Cod.  Istr.,  1275,  5.  Mai,  findet  sich  eine  Abgrenzung  der  Grafschaft  vom  Besitz 
der  Patriarchen  und  Venedigs  in  Istrien,  leider  nicht  in  authentischer  Fassung. 

^^  Die  Patriarchen  verboten  ihren  Untorthanen  bei  Androhung  von  Krieg 
und  Acht  an  Venedig  Tribut  zu  entrichten,  untersagten  den  Gemeinden  die  freie 
Wahl  der  Bürgermeister  und  besclminkten  ihre  Selbständigkeit.  Benussi,  142. 


Mark  und  Grafschaft  Istrien;  Triest.  97 

welchen  die  Republik  an  die  Patriarehen  für  die  Ausübung  der 
Herrseherrechte  in  den  besetzten  Städten  der  Mark  Istrien  jähr- 
lieh zu  bezahlen  hatte,  und   dabei  blieb  es.^^ 

Der  Versuch  des  Patriarchen  Marquard,  Istrien  im  Bunde 
mit  König  Ludwig  von  Ungarn,  Herzog  Leopold  IIL  von  Öster- 
reich, den  Genuesen  und  den  Herren  von  Padua  zurückzuerobern 
(1378—1381),  endete  mit  der  Anerkennung  des  früheren  Besitz- 
standes und  beschleunigte  bloß  den  Verfall  der  weltlichen  Macht 
der  Patriarchen  von  Aquileja,  welche  in  den  Jahren  1411—1420 
den  Rest  ihrer  istrischen  Besitzungen  (Muggia,  Buje,  Albona, 
Fianona  u.  s.  w.)  an  Venedig  verloren.  Damit  war  in  Istrien  ein 
Besitzstand  geschaffen,  der  sich  im  wesentlichen  unverändert  bis 
zum  Frieden  von  Campo  Pormio  (1797)  erhalten  hat.  Die  istrische 
Küste  —  die  alte  Markgrafschaft  —  war  in  den  Händen  der 
\'enezianer,  das  Binnenland  —  die  verkleinerte  alte  Grafschaft, 
die  nur  am  Monte  Maggiore  bei  Abbazia-Volosca  das  Meer  erreichte 
—  blieb  in  den  Händen  der  österreichischen  Herzoge,  die  es  1374 
als  Erbe  nach  Graf  Albert  von  Görz  besetzt  hatten  und  nebst 
Triest  und  dem  1471  von  den  Walsee  erkauften  Piume  (S.  Veit 
am  Pflaum)  von  Krain  aus  verwalteten. 

5.  Eng  verknüpft  mit  der  Geschichte  Istriens  ist  jene  von 
Triest.  Die  Herrscherrechte  über  Stadt  und  Gebiet  übten  die 
Bischöfe  auf  Grund  königlicher  und  kaiserlicher  Gnadenbriefe, 
die  sie  vom  Beginn  des  10.  Jahrhunderts  an  hatten.^'^  Als  im 
Jahre  1289  die  Venezianer  Triest  belagerten  und  der  Bischof 
auf  die  Hilfe  von  Aquileja  angewiesen  war,  musste  er  allerdings 
erklären,  dass  er  sein  Gebiet  von  den  Patriarchen  zu  Lehen 
trage,  allein  damals  waren  die  Tage  weltlicher  Regierung  für 
das  Bisthum  schon  gezählt.  Dieselben  Vorgänge,  die  in  so  vielen 
italienischen  Städten  den  Übergang  der  Macht  aus  den  Händen 
der  geistlichen  Reichsvasallen  au  die  aufstrebende  Stadtgemeinde 
bewirkt  haben,  entschieden  auch  in  Triest:  Die  überschuldeten 
Bischöfe  wurden  von  ihren  Unterthanen  ausgekauft,  die  ihnen 
eine  Gerechtsame  nach  der  anderen  gegen  Bargeld  abnahmen. 
So   geschah   es    1253   unter   Bischof  Ulrich,    der    nebst    vielen 

*=*  Diese  Abpachtung  wurde  schon  1280,  4.  Oct.,  vorgeschlagen.  Cod.  Istr. 

"  Cod.  Istr.,  911,  929  u.  ö.  Das  Hauptprivilegiiim  ertheilto  König  Lothar 

von  Italien  948,  8.  Aug.,  bestätigt  wurde  es  durch  Kaiser  Friedrich  IL,  1230,  Sept. 

Luichin.  Österreichische  Reichsgeschichte.  7 


98  österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  15. 

anderen  Herrscherrechten"  die  Wahl  der  Stadtöbrigkeit  und  die 
niedere  Gerichtsbarkeit  der  Stadt  preisgab,  so  1257  unter  Bischof 
Arlongus,  der  diese  Übertragung  bestätigte,  so  1295,  als  Bischof 
Brissa  die  Blutgerichtsbarkeit  um  den  Betrag  von  jährlich  200  Mark 
neuer  Priesacher  für  die  Dauer  seiner  Regierung  hintangab  und 
sich  nur  mehr  Mauth,  Münze,  Zehente  und  Lehensherrlichkeit 
vorbehielt.  Anfangs  des  folgenden  Jahrhunderts  fiel  die  Ent- 
scheidung. Die  Bischöfe,  deren  Rechte  durch  Geld,  Machtmittel 
und  durch  Fälschung  von  Diplomen  ^^  bekämpft  wurden,  verloren 
endlich  alle  Herrschergewalt  an  die  Stadtgemeinde.  Da  sich 
jedoch  diese  in  ihrer  Vereinzelung  gegenüber  Venedig  nicht  zu 
behaupten  vermochte,  so  wählte  sie  im  Jahre  1382  die  Unter- 
werfung unter  die  Herzoge  von  Österreich,  die  ohnehin  seit 
dem  Anfalle  der  Grafschaft  Istrien  (1374)  unmittelbare  Grenz- 
nachbarn des  Stadtgebietes  geworden  waren. 

6.  Görz,  nach  welchem  Orte  sich  später  ein  mächtiges  Grafen- 
geschlecht nannte,  wird  im  Jahre  1001  zuerst  erwähnt.  Damals 
schenkte  Kaiser  Otto  III.  dem  Patriarchen  Johann  von  Aquileja 
u.  a.  das  halbe  Schloss  Salcano  „et  medietatem  unius.  villae  quse 
sclavonica  lingua  vocatur  Gorizia**  sammt  der  Hälfte  aller  Grund- 
stücke, Wälder  und  Gewässer,  sowie  allen  damit  verbundenen 
Gerechtigkeiten  zwischen  demlsonzo  und  der  Wippach;  die  andere 
Hälfte  erhielt  bald  darauf  Graf  Verihen  (Weriand)  von  Friaul. 
In  den  Besitz  dieser  Hälfte  scheinen  später  die  Eppensteiner 
gelangt  zu  sein,  welche  als  Herzoge  von  Kärnten  durch  geraume 
Zeit  das  Reichsamt  in  Friaul  und  die  Vogtei  des  Patriarchats 
bekleideten.  Mit  dem  Beginn  des  12.  Jahrhunderts  tritt  ein  neues 
Geschlecht  auf,   dessen  MitgUeder  bis  zum  Aussterben  im  Jahre 

14  Die  Urk.  vom  26.  Mai  1253  im  Cod.  Iser.  schildert  die  Nothlage  des 
Bisthums  in  bilderreicher  Sprache:  ,et  cum  falces  ygantum  foeneratoruin 
et  aliorum  credltorum  velut  tinoae  dictam  ecclesiara  Tergestinam  quotidie  de- 
moliantur  . .  .  nee  in  dicto  episcopatu  sunt  aliqua  mobilia  cum  quibus  possit  dict^i 
debita  expederi",  so  habe  sich  der  Bischof  zu  folgenden  Veräußerungen  ent- 
schlossen, „de  quibus  ecclesia  minus  laederetur".  Folgen  die  veräußerten  Rechte. 

15  Die  Fälschung  mit  dem  Datum  948,  8.  Aug.,  eine  Umschreibung  dos 
Gnadenbriefs,  den  Bischof  Johann  an  diesem  Tage  erhalten  hatte,  auf  die  Stadt 
ist  nach  Kandier,  Cod.  Istr.,  zur  Zeit  der  Kämpfe  mit  Bischof  Rudolf  Pedrazzani 
(1313—1320)  entstanden.  Derselben  Zeit  dürfte  auch  das  Machwerk  von  an- 
geblich 949  angehören,  dessen  Unechthoit  Ch aber t  (111,150)  nachgewiesen  hat. 


Triest;  Besitzungen  der  Grafen  von  Görz.  99 

1500  die  Herrscher  von  Görz  und  dem  zugehörigen  Gebiete  waren. 
Wann  und  woher  sie  kamen,  wissen  wir  nicht  genau;  nach  der 
von  Hormayr  ausgesprochenen  Meinung  sollen  sie  von  den  Grafen 
des  Lurn-  und  Pusterthals  abstammen.  Ausgangspunkt  für  die 
Machtstellung  der  Görzer  im  Küstenlande  war  die  Vogtei  über 
das  Patriarchat  AquUeja,  die  sie  von  den  Peilsteinern  ^®  zu  Lehen 
trugen  und  rücksichtslos  auf  Kosten  des  bevogteten  Hochstiftes 
ausnützten.  Die  Besitzungen  der  Grafen  von  Görz  fielen  indessen 
mit  den  heutigen  Grenzen  der  gefürsteten  Grafschaft  keineswegs 
zusammen.  Einigermaßen  geschlossen  war  nur  das  Gebiet  vom 
Wippachfluss  bis  zum  Isonzo  im  Umkreise  der  Stadt  (welche  1202 
durch  Verzicht  der  Patriarchen  ganz  an  die  Grafen  kam)  und 
nördlich  bis  in  die  Thalenge  ob  Ronzina.  Westwärts  bis  Cormons 
gehorchten  ohne  feste  Grenzen  viele  vereinzelte  Besitzungen  den 
Grafen,  die  auch  in  der  friaulischen  Ebene  bis  an  den  Taglia- 
mento  begütert  waren.  Der  Oberlauf  des  Isonzo  mit  Tolmein.  als 
dem  Mittelpunkt  der  Verwaltung,  kam  wahrscheinlich  erst  nach 
dem  Sturze  der  Patriarchenherrschaft  zur  Grafschaft.  Zahlreiche 
Besitzungen  auf  dem  Karste:  Duino,  Senosetsch,  Prem  u.  s.  w. 
leiteten  zur  Grafschaft  Istrien  hinüber,  die  schon  im  12.  Jahrhundert 
in  den  Händen  der  Görzer  Grafen  war;  noch  weiter  östlich  lag 
jenes  Gebiet  in  der  windischen  Mark  und  im  Möttlinger  Boden, 
das  1374  nach  dem  Tode  des  Grafen  Albert  nebst  der  Grafschaft 
Istrien  zu  Krain  kam.  Uralter  Familienbesitz  lag  im  Pusterthale 
und  in  Oberkärnten,  hieran  reihte  sich  die  Pfalzgrafschaft  von 
Kärnten,  zu  welcher  fast  das  ganze  Gaüthal  gehörte,  u.  s.  w.  Den 
Höhepunkt  seiner  Macht  erreichte  das  Geschlecht  um  die  Mitte 
des  13.  Jahrhunderts,  als  dem  Grafen  Meinhard  III.  das  halbe 
Erbe  nach  Albert,  dem  letzten  Grafen  von  Tirol,  zufiel.  Allein 
dessen  Söhne  theilten  (1267—1272)  den  Besitz:  Meinhard  IV.  (in 
Tirol  IL)  erhielt  Tirol  bis  zur  Haslacher  Klause  und  erwarb  hiezu 
1286  auch  Kärnten,  der  jüngere  Albert  die  Güter  im  Puster- 
thale von  der  Haslacher  Klause  abwärts,  die  Pfalzgrafschaft  in 
Kärnten,   die  Grafschaften  Görz  und  Istrien  und  die  Besitzungen 

^^  Ez  hat  ouch  die  grafschaft  zu  Peilnstain  ain  grafschaft  zu  Friol  und 
die  vogtay  über  das  patriarchtum  zu  Aglay  die  die  von  Gorcz  in  ir  Gewalt 
haben  und  gehört  zu  Peilnstain,  davon  habent  si  ez  zu  lechen  und  haissent  ir  man. 
Rauch,  SS.  I,  260.  Über  die  Besitzungen  der  Görzer  C zornig,  I,  610  ff. 


7* 


100        österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  15. 

in  Krain  und  der  windischen  Mark.  Meinbard's  Linie  erlosch  1335- 
im  Mannesstamme,  doch  gelang  es  den  Görzem  weder  damal» 
noch  später,  ihre  Ansprüche  auf  Tirol  durchzusetzen.  Durch  wieder- 
holte Gütertheilungen  in  ihrer  Macht  geschwächt,  durch  schiechte 
Geldwirtschaft  in  steigende  Verlegenheiten  gebracht,  endete  mit 
Graf  Leonhard  das  Geschlecht  im  Jahre  1500  ruhmlos,  worauf 
Kaiser  Maximilian  die  stark  geschmälerten  und  tief  verschuldeten 
Görzer  Besitzungen  auf  Grund  bestehender  Erbverträge  an  Öster- 
reich brachte. 

7.  Während  in  Österreich  dem  Markgrafen  als  Träger  de» 
Reichsamtes  größere  Machtmittel  dadurch  erhalten  blieben,  das» 
hier  die  deutschen  Kaiser  nur  sparsam  Exemtionen  ertheilt  hatten, 
wiesen  die  Verhältnisse  in  Karantanien  umsogrößere  Mannig- 
faltigkeit in  der  Vertheilung  der  Gewalten  auf,  da  schließlich 
dem  Herzog  im  heutigen  Oberkämten  nahezu  kein  Gebiet  gehörte. 

Unter  den  Hochstiften,  die  in  Karantanien  reichsunmittel- 
bares Gebiet  während  des  Mittelalters  besaßen,  ist  Salzburg  an 
erster  Stelle  zu  nennen,  das  über  die  heutige  Grenze  ins  Möllthal 
und  Maltathal  reichte  und  große  Enclaven  von  Unterdrauburg 
bis  Sachsenburg,  in  der  Umgebung  von  Friesach  und  zu  St.  Andre» 
im  Lavantthale  besaß,  die  noch  auf  Karten  aus  dem  Schlüsse  des 
vorigen  Jahrhunderts  als  hochstiftlich  bezeichnet  wurden.^'  Im 
Kronlande  Steiermark,  der  alten  karantanischen  Mark,  waren  das 
Enns-  und  Paltenthal  salzburgische  Lehen  an  den  Markgrafen 
und  behielten  die  Erzbischöfe  Haus  und  Gröbming.  Der  Besitz 
im  oberen  Murboden  wurde  von  Fohnsdorf,  jener  in  Mittel- 
steiermark von  Leibnitz  aus  verwaltet,  im  Drauboden  gehörten 
Pettau,  an  der  Save  das  steirische  Ufergelände  von  Lichtenwald 
bis  Rann  und  das  gegenüberliegende  Gurkfeld  nach  Salzburg. 

Bamberg  besaß  in  Kärnten  die  „Grafschaft  Villach*"  mit  der 
wichtigen  Handelsstraße  über  Tarvis-Malborghet  bis  Pontafel,  das 
obere  Lavantthal  von  der  steirischen  Grenze  bis  zum  salzburgischen 
St.  Andre«,  den  Markt  Griffen;  in  Steiermark:  Rottenmann. 

Freising  verfügt^j  in  Steiermark  über  Oberwölz  und  St.  Peter 
am  Kammersberg,  in  Krain  außer  vielem  verlehntem  Gut  über 
die  großen  Hofmarken  Bischoflack  und  Gutenwört.  Brixen  besaß. 

1"  Z.  B.  bei  Reilly,  Schauplatz  der  fünf  Theilc  der  Welt,  Wien  1791, 
2.  Theil,  Karte  137,  189,  ir)6. 


Geistlicher  und  Dynasten-Besitz  in  Karantanien.  101 

bedeutendes  Schenkungsgut  im  Jaunthale,  das  zum  Theile  au  die 
Görzer  Grafen  übergieng,  in  Krain  das  ganze  Land  zwischen  der 
Wurzener  und  der  Wocheiner  Save  nebst  dem  Schlosse  Veldes. 
Das  Patriarchat  Aquileja  endlich  beanspruchte  auf  Grund  kaiser- 
licher Gunstbriefe  in  Krain  und  Istrien  gräfliche  und  markgräfliche 
Rechte,  in  Steiermark  das  Gebiet  von  Windisch-Graz  als  Erbe 
nach  dem  Patriarchen  Berthold  von  Meranien  (f  1251). 

Nicht  minder  ausgedehnt  waren  in  Innerösterreich  die  Be- 
sitzungen weltlicher  Dynasten.  Von  den  Andechs-Meraniern 
und  den  Grafen  von  Görz  war  schon  die  Rede.  Die  früh  er- 
loschenen Grafen  von  Treffen  vererbten  ihr  Gebiet  an  Aquileja, 
die  Grafen  von  Friesach  und  Zeltschach  an  Salzburg  und  Gurk, 
•die  Grafen  von  Stemberg  verkauften  um  1330  ihre  Grafschaft 
^n  die  Ortenburger,  die  bei  ihrem  Aussterben  im  Jahre  1420  in 
Kärnten  und  Krain  an  vierzig  Quadratmeilen  besaßen.  Zu  nennen 
sind  ferner  die  Grafen  von  Heunburg  (erloschen  1322),  die  Freien 
von  Peggau,  die  seit  1237  Grafen  von  Pfannberg  hießen  und 
an  deren  Stelle  später  die  Grafen  von  Montfort  traten.  All  diese 
Geschlechter  —  die  Görzer  und  Montforter  ausgenommen  —  über- 
lebten die  thatkräftigen  Freien  von  Saneck  oder  Grafen  von 
€illi,  wie  sie  seit  dem  14.  Jahrhundert  hießen.  Erben  der  Grafen 
Ton  Heunburg  und  Ortenburg,  ausgestattet  mit  einem  Güter- 
besitz in  Innerösterreich,  der  1436  zur  gefürsteten  Grafschaft 
Oilli  erhoben  wurde,  Herren  der  Grafschaft  Zagorien,  erstreckten 
die  CiUier  ihre  durch  Verschwägerung  mit  Kaiser  Sigismund, 
den  Piasten,  Jagelionen  und  den  Königen  von  Bosnien  ge- 
festigte Herrschaft  von  der  MöU  und  Drau  in  Oberkärnten  über 
Krain  und  Südsteiermark  bis  tief  nach  Croatien.  Noch  war  das 
Haus  in  stetem  Aufschwung,  als  Graf  Ulrich  IL,  der  letzte 
dieses  unbändigen  Geschlechts,  zu  Belgrad  unversehens  einem 
Mordanschlage  der  Hunyadischen  Partei  erlag  (9.  November  1456). 
Kaiser  Friedrich  III.  hat  so  einen  unermüdlichen  Feind,  König 
Ladislaus  Postumus  einen  erfahrenen  Berather  verloren.  Das 
reiche  Cillier  Gut  —  der  Keim  zu  einem  unabhängigen  Groß- 
Croatien  —  zersplitterte,  die  Besitzungen  in  Innerösterreich  fielen 
an  Kaiser  Friedrich  III.,  die  Grafschaft  Zagorien  verblieb  im 
staatsrechtlichen  Verband  mit  Croatien. 


102        österreichische  Relchsgoschichte.  I.  Theil,  Zweite  Periode.  §  16. 


§  16.  Die  westlichen  Alpenländer  Tirol,  Yorarlberg,  Salzbarg. 

Bergmann,  Abhandlungen  über  die  Grafen  von  Montfort,  in  den  Denk- 
schriften, Bd.  4,  und  S.-B.  der  k.  Akad.  d.  W.,  Bd.  9,  S.  791  ff.,  Geschichts- 
forscher (Chrael)  I,  IL  —  Egg  er,  Geschichte  Tirols.  I,  und  Mitth.  des  Instituts, 
E.-Bd.  4,  S.  373  ff.  —  Jäger  A.,  Geschichte  der  landständischen  Verfassung- 
Tirols,  I.  —  Richter  E.,  Untersuchungen  zur  historischen  Geographie  von 
Salzburg.  Mitth.  des  Instituts,  E.-Bd.  1,  590  ff.  —  Zillner,  Die  Grafschaften  und 
die  kirchliche  Frei  im  Salzburggau,  Mitth.  für  Salzburger  Landeskunde,  1883. 

1.  Aus  kleinen  Anfängen  und  unter  sehr  schwierigen  Ver- 
hältnissen erwuchs  das  Kronland  Tirol.  Schon  der  Umstand,  das» 
die  längste  Zeit  eine  einheitliche  Bezeichnung  fehlte  und  das» 
man  noch  zu  Ende  des  13.  Jahrhunderts  nur  unbestimmt  vom 
„Lande  im  Gebirge*  sprach,  lässt  erkennen,  dass  die  Herrscher- 
gewalt hier  unter  viele  Machthaber  zersplittert  war. 

Vor  allem  gab  es  in  Tirol  viel  und  ausgedehnten  Kirchen- 
besitz. Dem  Erzstifte  Salzburg  gehörten  das  Zillerthal  und  das 
Deffereggenthal.  Das  Bisthum  Chur  gebot  im  Vintschgau,  Regens- 
burg im  Unterinnthal;  Freising  war  in  mehreren Thäleni begütert 
und  namentlich  im  Besitze  des  Klosters  Innichen.  Daneben  wären 
noch  die  Bisthümer  Bamberg  und  Augsburg,  sowie  zahlreiche 
bayerische  Klöster  zu  nennen,  die  sämmtlich  für  ihren  Besitz 
größere  oder  geringere  „Freiheiten"  in  Anspruch  nahmen.  Noch 
wichtiger  war,  dass  die  beiden  im  Lande  befindlichen  Bisthümer 
Brixen  und  Trient  allmählich  zu  reichsunmittelbaren  Territorien 
von  beträchtlichem  Umfange  anwuchsen. 

Trient,  das  sein  Gebiet  auch  als  Herzogthum  bezeichnete^ 
erhielt  von  Kaiser  Konrad  IL  am  31.  Mai  1027  die  gleichnamige 
Grafschaft  mit  allen  Gerechtsamen,  die  den  Herzogen  von  Kärnten 
und  den  Markgrafen  von  Verona  zugestanden  hatten,  das  Val 
Sugana  ausgenommen,  das  dem  Bischof  von  Feltre  gegeben 
wurde.  Dazu  kamen  tags  darauf  die  Grafschaften  Bozen  und 
Vintschgau  nebst  dem  Engadin  bis  Pontalt  hinauf,  so  dass  de» 
Bischofs  weltliches  Gebiet  über  seinen  kirchlichen  Sprengel  hin- 
ausreichte. Brixen  bekam  am  7.  Juni  1027  die  Grafschaft  im 
Inn-  und  Eisackthale,  die  dem  Grafen  Weif  wegen  Hochverrath 
abgesprochen  worden  war.  Kaiser  Heinrich  IV.  übertrug  dann 
1091  seinem  treuen  Anhänger  Bischof  Altwin  die  Grafschaft  im 


Trient,  Brixen  und  die  Grafen  von  Tirol.  103 

Pusterthale  von  Mühlbach  bis  zur  Grenze  der  freisingischen 
Herrschaft  Innichen,  Kaiser  Friedrich  II.  fügte  1217  das  Berg- 
werksregal hinzu,   1240  heißt  das  bischöfliche  Gebiet  »Ducatus'*. 

Die  Tiroler  Bischöfe  behielten  die  erworbenen  Grafschaften 
nicht  unmittelbar  in  Händen,  wie  es  die  Salzburger  Erzbischöfe 
thaten,  sondern  haben  sie  an  Adelsgeschlechter  weitergegeben. 
Dies  hatte  zur  Folge,  dass  sich  die  Dinge  hier  anders  entwickelten 
als  zu  erwarten  gewesen  wäre,  d.  h.  dass  sich  statt  zweier  geist- 
licher Fürstenthümer,  die  weltliche  Grafschaft  Tirol  bUdete. 

2.  Der  Ursprung  der  Grafen  von  Tirol  ist  nicht  sichergestellt, 
fest  steht,  dass  es  seit  1140  Grafen  gab,  die  sich  so  nach  ihrer 
an  der  Stätte  des  römischen  Teriolis  erbauten  Burg  nannten. 
Spätestens  um  die  Mitte  des  12.  Jahrhunderts  waren  die  Grafen 
von  Tirol  Vögte  von  Trient  und  im  Besitze  der  Grafschaft 
\'intschgau,  während  sie  die  Grafschaft  Bozen  mit  den  Bischöfen 
von  Trient  gemeinsam  verwalteten.  Vom  Hochstifte  Brixen  trugen 
sie  zunächst  die  Grafschaft  im  Eisackthale  zu  Lehen,  nach  der 
Ächtung  Heinrich's  von  Meranien  erwarben  sie  1214  die  Vogtei 
über  das  Hochstift.  Der  letzt«  Graf  von  Tirol,  Albert  III.,  hatte 
nur  zwei  Töchter,  die  ums  Jahr  1236  an  den  Grafen  Meinhard 
von  Görz  und  an  Herzog  Otto  II.  von  Meranien  vermählt  wurden. 
Nach  dem  Tode  Herzog  Otto's  II.  von  Meranien  (1248)  fielen 
an  Graf  Albert  III.  kraft  der  am  20:  März  1241  dem  Bischöfe 
von  Brixen  abgedrungenen  Gesammtbelehnung  die  Grafschaften 
Pusterthal  und  Unterinnthal,  sowie  die  übrigen  Besitzungen  der 
Andechser,  die  sie  „im  Gebirge"*  gehabt  hatten.  So  umfasste  das 
Gebiet  in  welchem  Graf  Albert  die  oberste  Gewalt  übte,  bereits 
einen  bedeutenden  Theil  des  heutigen  Tirol.  Als  er  am  22.  Juli  1253 
starb,  theilten  seine  Schwiegersöhne  Graf  Meinhard  von  Görz  und 
Gebhard  von  Hirschberg,  der  die  Witwe  Otto's  IL  von  Meranien 
geheiratet  hatte,  das  Erbe  in  der  Art,  dass  die  nördhche  Hälfte 
mit  der  Vogtei  über  Brixen  an  die  Hirschberger,  das  Übrige  an 
die  Grafen  von  Görz  kam.  Diese  erwarben  1263  auch  noch  die 
zweite  Hälfte,  und  da  zudem  schon  Graf  Meinhard  dem  Bischof 
Egno  von  Trient  die  Belehnung  mit  den  erledigten  Stiftslehen 
der  Grafen  von  Eppan  abgenöthigt  hatte,  so  vereinigten  sie  in 
ihren  Händen  die  meisten  Lehen  der  hervorragendsten  Tiroler 
Geschlechter.  Der  eigentliche  Begründer  der  Landesherrlichkeit 


104        Österreichische  Reichsgoschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  16. 

in  Tirol  war  aber  Graf  Meinhard  IL,  der  das  Land  1271  bei  der 
Theilung  mit  seinem  Bruder  Albert  erhalten  hatte.  Die  Mehrzahl 
der  Dynastengeschlechter,  die  es  vordem  in  Tirol  gegeben  hatte, 
war  schon  erloschen,  so  die  Weifen,  die  Andechs-Meranier, 
die  Grafen  von  Eppan,  Greifenstein,  ülten  und  die  Herren  von 
Tarasp.  Andere  Geschlechter  machte  Meinhard  II.  durch  Ablösung 
ihrer  Herrscherrechte  oder  Ankauf  ihrer  Tiroler  Besitzungen  un- 
gefährlich, so  die  Grafen  von  Flavon,  die  ihre  Grafschaf tsrechte 
auf  dem  Nonsberge  aufgaben,  die  bayerischen  Grafen  von  Eschen- 
loch und  Moosburg  und  viele  andere.  Außer  den  südtirolischen 
Grafen  von  Arco  und  den  HeiTen  von  Castelbarco  blieben  nur 
die  Herren  von  Wanga  und  Taufers,  die  schon  zu  Anfang  des 
14.  Jahrhunderts  erloschen,  und  die  Vögte  von  Matsch,  die  ihre 
Reichsunmittelbarkeit  verloren,  seit  sie  die  Vogtei  über  die  Abtei 
Marienberg  dem  Landesherrn  von  Tirol  aufgetragen  hatten  (1311). 
Die  Macht  der  Bischöfe  von  Brixen  und  Trient  war  gebrochen, 
die  Theilung  des  Landes  an  der  Etsch  und  im  Innthale  in  zwei 
geistliche  Fürstenthümer  beseitigt,  die  einheitliche  Gewalt  der 
„Herrachaft  Tirol"  damit  begründet. 

Der  Mannesstamm  der  in  Tirol  regierenden  Görzer  Grafen 
erlosch  1335  mit  Heinrich,  Herzog  von  Kärnten  und  Titularkönig 
von  Böhmen.  Tirol  blieb  seiner  Tochter  Margareta  gewahrt, 
wurde  aber  nach  dem  Tode  ihres  einzigen  Sohnes  Meinhard  III. 
im  Jahre  1363  an  Herzog  Rudolf  IV.  von  Österreich  übertragen. 

3.  Was  heute  das  Land  Vorarlberg  heißt,  das  hatte  im 
Mittelalter  weder  einen  Gesammtnamen  noch  ein  eigenes  Landes- 
wappen, ^  da  es  die  lose  Vereinigung  vordem  reichsunmittelbarer 
Gebiete  war,  die  man  in  Österreich  nach  ihrer  Lage  als  die  vier 
(seit  1765  fünf)  „Herrschaften  vor  dem  Arlberg"  bezeichnete. 
Sie  hatten  den  Montfortern  und  den  verwandten  Grafen  von 
Werdenberg  gehört,  die  zu  den  mächtigsten  Dynastengeschlechtern 
am  Bodensee  zählten,  aber  allmählich  durch  schlechte  Wirtschaft 
und  fortgesetzte  Theilungen  völlig  verarmten. 

Aus  deren  Besitze  haben  nun  die  Herzoge  von  Österreich 
gekauft : 

^  Das  heute  übliche  wurde  erst  vor  etwa  30  Jahren  nach  dem  Entwürfe 
Jos.  V.  Bergmann's  genehmigt,  der  schon  1863  einen  Vorschlag  für  das  Qesammt- 
wappen  von  Vorarlberg  gemacht  hatte.  Sitzungsberichte  der  k.  Akad.  d.  W.,  TX,  801. 


Dynasten  in  Tirol;  Vorarlberg,  Salzburg.  105 

a)  Die  Herrschaft  Peldkirch,  die  am  22.  Mai  1375  bedingungs- 
weise, 1390  endgiltig  erworben  wurde; 

h)  die  Grafschaft  Bludenz  mit  dem  Thale  Montavon  im  innern 
Wallgau,  ebenso  am  5.  April  1394,  beziehungsweise  am  2.  Sept.  1413; 

c)  die  Grafschaft  Bregenz  wurde  zur  Hälfte  durch  Erzherzog 
Sigmund  von  Tirol  am  12.  Juli  1451,  zur  andern  Hälfte  m\ 
5.  September  1523  durch  Erzherzog  Ferdinand  von  den  Grafen 
von  Montfort-Bregenz  gekauft. 

Die  vierte  Herrschaft  Sonnenberg  mit  dem  Hauptorte  Nüziders, 
von  Kaiser  Friedrich  HL  im  Jahre  1463  zur  Grafschaft  erhoben, 
kaufte  vorerst  Eberhard  von  Waldburg  von  den  Werdenbergern, 
überließ  sie  aber  später  (1474,  31.  August)  dem  Erzherzog  Sigmund. 

Die  freie  Herrschaft  Blumenegg  im  Wallgau,  inmitten  der 
vier  früher  genannten  Herrschaften  vor  dem  Arlberg,  kam  erst 
1804  durch  Kauf  an  Österreich,  das  außerdem  vom  Reiche  die 
Grafschaft  Hohenems  nach  dem  Aussterben  der  Grafen  im  Jahre 
1765  zu  Lehen  erhalten  hatte. 

4.  Zum  Schlüsse  sei  des  Erzstiftes  Salzburg  gedacht,  das 
zwar  Reichsstandschaft  bis  in  die  Zeit  der  Auflösung  des  h.  römischen 
Reichs  behielt  und  zuerst  im  Jahre  1805  mit  dem  Kaiserthum 
Osterreich  vereinigt  wurde,  das  aber  durch  seinen  ausgedehnten 
Güterbesitz  seit  seiner  Gründung  mit  den  altösterreichischen  Landen 
eng  verbunden  war.  Die  Erzbischöfe  geboten  als  Landesherren 
nicht  bloß  innerhalb  der  Grenzen  des  heutigen  Kronlands  Salzburg, 
sondern  darüber  hinaus,  so  namentlich  auf  tirolischem  Boden  im 
angrenzenden  ZUlerthal  und  dem  Deffereggenthal,  ferner  in  Kärnten 
im  Moll-  und  Maltathal.  Auf  Grund  kaiserlicher  Diplome  und  nament- 
lich der  Urkunde  Kaiser  Friedrich's  I.  vom  Jahre  1178,  die  dem 
Hochstift  volle  obrigkeitliche  Gewalt  (plena  jurisdictio)  auf  all 
seinen  Besitzungen  verlieh,^  beanspruchten  die  Erzbischöfe  über- 
dies landesherrliche  Rechte  auf  ihren  inselartig  über  die  niederöster- 
reichischen Lande  zerstreuten  Besitzungen  Traismauer  und  Arns- 
dorf  in  Österreich  u.  d.  E.,  Friesach,  Altenhofen,  Stall,  St.  Andrse 
in  Kärnten,  Haus  und  Gröbming  im  steirischen  Ennsthal,  Fohns- 
dorf  bei  Judenburg,  das  Vicedomamt  Leibnitz,  Pettau,  das  Save- 
ufer  von  Lichtenwald  abwärts  u.  s.  w.  Manche  dieser  Besitzungen 

*  Kleymayrn,  Jnvavia,  581. 


106      Österreichische  Reichsgeschich to.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  16  und  17. 

giengen  infolge  der  Kriege  verloren,  die  Erzbischof  Bernhard  als  Ver- 
bündeter des  Königs  Matthias  von  Ungarn  gegen  Kaiser  Friedrich  III. 
führte,  andere  erhielt  das  Erzstift  nur  mit  geschmälerten  oder 
streitigen  Gerechtsamen  zurück,  bis  es  im  Jahre  1531  zum  Ver- 
gleiche zwischen  König  Ferdinand  I.  und  dem  Erzbischof  Matthäus 
kam,  welcher  ^alle  landesfnrstliche  Obrigkeit  auf  des  Stift  Salzburg 
Herrschaften,  Schlössern,  Städten,  Märkten  und  Gütern  in  den 
niederösteireichisehen  Landen  gelegen"  dem  Hause  Österreich 
überließ.^ 

Geschichtliche  Übersicht  der  IL  Periode. 

%  17.  Die  Zeit  der  Babenberger  97(i— 1246. 

Büdinger,  I.  —  Gebhardi,  Genealogische  Geschichte  der  erbUchen 
Reichsstände  in  Deutschland.  Bd.  2,  1779.  —  Hub  er,  I,  174  ff.,  Österr.  Reichs- 
geschichte. S.  5ff.  —  Krön  es,  Grundriss  233  ff.  Handbuch,  I,  179  ff.  —  May  er, 
P^ranz  Martin,  Geschichte  Österreichs,  I,  34  ff.  —  Meiller,  Regesten  zur 
Geschichte  der  Babenberger.  1850. 

1.  Nach  dem  entscheidenden  Siege  auf  dem  Lechfelde  (955, 
10.  August)  über  die  Ungarn  begannen  von  neuem  die  Unter- 
nehmungen des  Reichs  gegen  den  Südosten.  Die  Ostmark  rückte 
in  ihr  altes  Gebiet  längs  der  Donau  vor  und  war  um  970  einem 
Markgrafen  namens  Burchard  untergeben,  gleichzeitig  (970)  wird 
uns  ein  karantanischer  Markgraf  das  erstemal  genannt  und  waltete 
Graf  Popo  in  der  Grafschaft  Krain.  (973:  Camiola  .  .  .  quod 
vulgo  Creina  marcha  appellatur.) 

Der  Aufstand  Herzog  Heinrich's  IL  von  Bayern  im  Jahre 
976  hat  folgenreiche  Veränderungen  für  unsere  Lande  gehabt. 
Um  das  übermächtige  Stammesherzogthum  zu  schwächen,  hat 
Kaiser  Otto  IL  Karantanien  nebst  den  italienischen  Marken  der 
Verwaltung  durch  den  bayerischen  Herzog  entzogen  und  einem 
eigenen  Herzog  unterstellt.  Wohl  hat  dies  eine  neuerliche  Ver- 
einigung von  Karantanien  mit  Bayern  nicht  gehindert,  nachhaltig 
in  den  Wirkungen  hingegen  war,  was  der  Kaiser  für  die  Ost- 
mark verfügte.  Zu  seinen  treuesten  Anhängern  hatten  zwei  Brüder, 
Leopold  und  Berchtold,  gehört,  die  nach  alter  FamUienüberlieferung 

Lhf.  von  Kärnten,  188  ff.  Ähnliches  Schicksal  erfuhren  die  salzhurgischen 
Knclaven  in  Bayern.  Richter,  616. 


Die  Ostmark  unter  den  Babcnbergem.  107 

vom  sagenberühmten  Prankenhelden  Adalbert  von  Babenberg 
abstammen  sollten,  wahrscheinlich  jedoch  einem  schv^äbischen  Ge- 
schlechte angehörten,  dass  schon  in  karolingischer  Zeit  in  Franken 
angesiedelt  war.  Der  jüngere  Bruder  erhielt  die  Mark  gegen  die 
Böhmen  (Mark  auf  dem  Nordgau),  Leopold  die  Mark  gegen 
Ungarn,  im  Volksraunde  alsbald  «Osterreich"  genannt.^  Beide 
Gebiete  hatten  bisher  der  Verfügung  der  bayerischen  Herzoge 
unterstanden,  während  von  nun  ab  die  Verleihung  durch  längere 
Zeit  vom  deutschen  König  abhieng. 

2.  Die  Ostmark  nahm  unter  der  neuen  Verwaltung  einen 
raschen  Aufschwung.  Begünstigt  durch  das  gute  Einvernehmen 
Kaiser  Heinrich's  II.  mit  seinem  Schwager,  dem  König  Stephan 
von  Ungarn,  breiteten  sich  die  deutschen  Ansiedlungen  und  damit 
das  unbestimmte  Vorland  der  Reichsmark  allmählich  über  die 
alte  Gebirgsgrenze  von  Noricum  und  Pannonien  aus.  Die  Span- 
nung, die  nach  dem  Tode  Kaiser  Heinrich's  II.  eintrat,  machte 
leider  diesem  friedlichen  Ausbaue  der  Ostmark  ein  Ende.  Der 
Feldzug  Kaiser  Konrad's  II.  gegen  Ungarn  verlief  unglücklich  und 
durch  den  Frieden  gieng  1031  das  Gebiet  zwischen  Leitha  und 
Fischa,  sowie  nördlich  der  Donau  ein  ungefähr  ebenso  breiter 
Landstreifen  im  Westen  der  March  verloren.  Der  siegreiche 
Feldzug  Kaiser  Heinrich's  III.  gegen  Samuel  Aba  brachte  um 
1042 — 43  dieses  Gebiet  wieder  ans  Reich  zurück,  doch  wurde 
es  zunächst  als  selbständige  Mark  eingerichtet  und  erst  dem 
Sohne  des  Markgrafen  Adalbert,  namens  Leopold,  dann  einem 
gewissen  Siegfried  verliehen,  später  —  wahrscheinlich  nach  dem 
Frieden  mit  Ungarn  vom  Jahre  1058  —  erfolgte  wieder  die  Ver- 
einigung, denn  Markgraf  Ernst  erscheint  1063  im  unbestrittenen 
Besitze  sowohl  der  alten  Ostmark  als  auch  dieser  „Neumark 
Österreich*. 

Seit  den  Zeiten  dieses  Markgrafen,  der  im  Jahre  1075  starb, 
wächst  rasch  der  Einfluss  der  Babenberger  im  Reiche.  Der  Über- 
gang der  Ostmark  vom  Vater  auf  den  Sohn,  obwohl  durch  keine 
Satzung  festgestellt,  war  schon  in  thatsächlicher  Übung.  Kaiser- 
liche Gunst  und  eigene  Betriebsamkeit  mehrten  stetig  den  Haus- 
besitz,  welcher  die  materielle  Gmndlage  eines  Ansehens  wurde. 


1  In  regione  vulgari  vocabulo  Ostarrichi  dicto  996.  M  e  11 1  e  r,  B.  R.  S.  2,  Nr.  2. 


108        Österreichische  Reich$geschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  17. 

das  nicht  wenig  durch  Verschwägerung  der  Babenberger  mit  den 
salischen  und  staufischen  Kaisern  an  Olanz  gewann.^  So  kam  es, 
dass  den  Markgrafen  der  Ostmark  Leopold  IV.  (1138 — 1141)  und 
Heinrich  II.  Jasomirgott  (1143 — 1154)  nach  der  ersten  Nieder- 
werfung der  Weifen  die  Verwaltung  des  Herzogsarates  in  Baj^ern 
übertragen  wurde. 

3.  Die  großen  Pläne,  die  Kaiser  Friedrich  I.  in  Italien  ver- 
folgte, nöthigten  ihn  allerdings,  die  Rücksichten  gegen  die  Baben- 
berger hintanzusetzen.  Um  der  Aussöhnung  mit  den  Weifen 
willen  verlor  Heinrich  Jasomirgott  im  Jahre  1154  das  Herzogthum 
Bayern,  das  an  Heinrich  den  Löwen  gegeben  wurde.  Allein  die 
Babenberger  waren  schon  zu  einem  Fürstengeschlecht  ersten 
Ranges  in  Deutschland  herangewachsen,  während  der  Amts- 
charakter des  Herzogthums  und  der  Markgrafschaft  schon  stark 
verdunkelt  war.  Eine  Entschädigung  des  durch  die  Entziehung 
Bayerns  gekränkten  Oheims  erschien  darum  nicht  bloß  billig, 
sondern  aus  politischen  Gründen  geradezu  geboten.  So  kam  es 
am  17.  September  1156  zum  Regensburger  Belehnungsaete, 
welcher  persönlich  den  Babenbergem  eine  Genugthuung  ge- 
währte, sachlich  aber  durch  die  Erhebung  der  Ostmark  zu  einem 
Herzogthum  deren  staatsrechtliche  Stellung  wesentlich  veränderte. 
Die  Förmlichkeiten,  die  dabei  beobachtet  wurden,  um  das  Ab- 
kommen als  ein  endgütiges  gegen  künftige  Anfechtungen  zu 
schützen,  überlieferte  uns  ein  Augenzeuge  dieser  Vorgänge, 
Bischof  Otto  von  Freising,  der  Bruder  Heinrich  Jasomirgott's. 
Dieser  stellte  zuerst  durch  sieben  Fahnen  das  Herzogthum  Bayern, 
W' ie  er  es  besessen  hatte,  dem  Kaiser  Friedrich  zurück,  der  es  sofort 
in  gleichem  Umfange  an  Heinrich  den  Löwen  verlieh.  Hierauf 
verzichtete  dieser  seinerseits  auf  alle  Rechte,  die  den  Herzogen 
von  Bayern  vordem  auf  die  Ostmark  zugestanden  hatten,  und 
gab  diese  nebst  drei  zugehörigen  Grafschaften  durch  zwei  Fahnen 
in  die  Hände  des  Kaisers  zurück.  Kaiser  Friedrich  erhob  dann  das 
so  bezeichnete  Gebiet  zu  einem  Herzogthum  und  belehnte  damit 
den  Herzog  Heinrich  Jasomirgott  und  dessen  Gemahlin  Theodora. 


3  Leopold  III.  (der  HeUigo),  vermählt  mit  Agnes,  der  Tochter  Kaiser 
Heinrich's  IV.,  Witwe  Herzog  Friedrich's  von  Schwaben ;  Heinrich  IL,  Jasomirgott. 
1.  Gemahlin  Gertrade,  Witwe  Heinrich's  des  Stolzen.  —  2.  Theodora,  Nichte  des 
griechischen  Kaisers  Emannel. 


Erhebung  der  Ostmark,  Erwerb  der  Steienuai'k.  109 

4.  Damit  war  das  Vasallenband  gelöst,  das  bisher  die  Baben- 
berger  an  die  Herzoge  von  Bayern  geknüpft  hatte,  denn  nur  dieses 
allein  konnte  dabei  in  Frage  kommen,  da  die  Markgrafen  als  solche 
schon  zum  älteren  Reichsfürstenstande  gehört  hatten.  Die  Baben- 
berger  traten  jetzt  auf  gleiche  Linie  mit  den  Weifen,  ja  sie  über- 
trafen sie  bereits  rücksichtlich  einzelner  Rechte,  die  ihnen  der 
kaiserliche  Freiheitsbrief  vom  17.  September  1156  (das  Privilegium 
minus)  gewährte.  Unbehindert  konnte  sich  daher  die  Thätigkeit 
der.  Herzoge  von  Österreich  der  Befestigung  und  Ausdehnung 
der  Landesherrlichkeit  in  ihrem  Gebiete  zuwenden.  Herzog  Leo- 
pold V.  gewann  bei  der  Zertrümmerung  von  Bayern  im  Jahre  1180 
den  Landstrich  auf  dem  nördlichen  Donauufer  von  der  Hasel  bis 
zur  großen  Mühl,  noch  wichtiger  aber  war  der  Erwerb  des  an- 
grenzenden Herzogthums  Steiermark  im  Jahre  1192.  Verwandt- 
schaftliche Bande  bestanden  zwischen  den  Herrschergeschlechtern 
der  Ostmark  und  der  Steiermark  seit  dem  Ende  des  12.  Jahr- 
hunderts, da  die  Babenbergerin  Elisabeth  (f  um  1104)  als  Gemahlin 
Markgraf  Otakar's  H.  die  Stammutter  der  folgenden  Traungauer 
geworden  war.^  Deren  Urenkel,  Otakar  IV.,  seit  1180  Herzog  von 
Steiermark,  hatte  in  Voraussicht  seines  kinderlosen  Todes  mit 
seinem  Vetter  Leopod  V.,  Herzog  von  Österreich,  schon  im  Jahre 
1186  bindende  Verabredungen  über  seine  reichen  Allode  getroffen, 
kraft  welcher  nach  dem  Hingange  Herzog  Otakar's  (+  1192) 
Herzog  Leopold  V.  sofort  von  dem  Traungauer  Erbe  Besitz  er- 
greifen konnte.  Noch  im  gleichen  Monate  erlangte  dieser  ohne 
Schwierigkeit,  weil  Vereinbarungen  mit  Kaiser  Friedrich  I.  vor- 
lagen,*  die  Belehnung  mit  dem  Herzogthum  Steiermark,  mit  der 

3  Leopold  II.,  Mftrkgraf  der  Ostmark,  f  109«. 


Rliaabetb.  f  am  1104,  vermttlilt  mit  Mark-  Leopold  III..  Markgraf  der  Ostmark,  f  1136. 

f^afeo  OtakMr  II.  von  Steyer,  t  1122.  ^  "^  ^ 

-  Heinrich  IL,  Jasomirgott,  Hertog  seit  1166, 


Leopold  Markgraf  von  Steyer,  t  1129.  t  1177. 


Otakar  III.,  f  1164.  Leopold  V.,  Hersog  von  Österreich,  erwirbt 

Steiermark  1192,  t  U94. 


■.«V. 


Otakar  IV.   Henog  von  Steiermark  IIBO, 
t  1192,  kinderlos. 

*  Die  Contin.  Zwetlensis  altera  (Mon.  Germ.  SS.  IX,  543/4  meldet  aus- 
drücklich zum  Jahre  1186  „Dux  Styrensis  omnem  hereditatem  snam  testatus  est 
liiupoldo  dncl  Austrie,  imperator  etiam  terram  et  ducatum  sibi  ipsius  contradidit" 
nnd  zum  Jahre  1189  weiß  sie  von  Zwistigkeiten  zwischen  Herzog  Leopold  V.  und 


110        österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  17. 

Beschränkung  allerdings,  dass  die  Vereinigung  beider  Herzog- 
thümer  in  einer  Hand  nur  auf  Lebenszeit  des  ersten  Erwerber 
gestattet  wurde.  Nach  dem  Tode  Herzog  Leopold's  V.  (f  31.  De- 
cember  1194)  trat  daher  die  im  Belehnungsaete  vorgesehene 
Trennung  ein:  der  ältere  Sohn  Friedrieh  I.  übernahm  Österreich, 
während  der  jüngere  Leopold  VI.  Herzog  von  Steiermark  wurde. 
Als  jedoch  Herzog  Friedrich  L  inmitten  der  Wirren,  die  Deutsch- 
land nach  dem  Tode  Kaiser  Heinrich's  VI.  erfüllten,  am  16.  April 
1198  kinderlos  starb,  fiel  es  dem  steirischen  Herzog  nicht  schwer, 
von  König  Philipp  die  Zustimmung  zur  neuerlichen  Vereinigung 
beider  Herzogthümer  zu  erlangen.  So  waren  die  Babenberger  in 
Süddeutschland  zur  ersten  Fürstenmacht  geworden,  die  sie  mit  Er- 
folg zu  mehren  bemüht  waren.  Sie  zogen  die  im  Herzogthum 
gelegenen  Besitzungen  abgestorbener  Dynastenfamilien,  wenn  es 
angieng,  als  heimgefallenes  Gut  ein  oder  lösten  sie  von  den  Erben, 
sie  suchten  aber  auch  in  den  Nachbarlanden  durch  Käufe  oder 
Annahme  von  Lehen  festen  Fuß  zu  fassen:  so  kaufte  Herzog 
Leopold  VI.  im  Jahre  1229  das  Obereigenthum  über  mehrere  an 
der  Etsch  gelegene  Güter  der  Grafen  von  Ulten,  von  Bischof 
Gerold  von  Freising  die  Belehnung  mit  dem  feudum  in  raarchia, 
das  nach  dem  Tode  Heinrich's  von  Meranien  dem  Stifte  zugefallen 
war  (Windische  Mark),  Herzog  Friedrich  II.  die  Herrschaft  Por- 
denone  in  Friaul  u.  s.  w. 

5.  Am  bewegtesten  war  die  Regierungszeit  des  letzten  Baben- 
bergers,  Friedrich's  des  IL,  der  als  Gemahl  der  Meranierin  Agnes 
den  Titel  eines  Herrn  in  Krain  angenommen  hatte.  Von  den  Zeit- 
genossen mit  dem  Beinamen  „der  Streitbare"  ausgestattet,  machte 
sich  dieser  Fürst,  der  seine  Ziele  ebenso  schlau  als  gewaltthätig 
und  ausdauernd  verfolgte,  allenthalben  Feinde.  Als  er  selbst 
mit  dem  Kaiser  Friedrich  II.  zerfallen  war,  und  dieser  1236  den 
Reichskrieg  eröffnete,  sagten  sich  Landesadel  und  Clerus  von 
ihrem  Herzoge  los,  der  sich  schließlich  auf  die  Stadt  Wiener- 
Neustadt  und  das  nahe  gelegene  Schloss  Starkenberg  beschränkt 
sah.    Das  Weihnachtsfest  des  Jahres  1236   feierte  der  siegreiche 

dem  nngarischeh  König  zu  berichten,  die  Kaiser  Friedrich  I.  vergebens  beizu- 
legen suchte,  u.  zw.  „de  terra  quam  Styrensis  dux,  nepos  ejus  Otakarus  ele- 
phantica  egritudine  percussus  assignaverat  et  coram  imporio  sibi  (Hz.  Leopold) 
tradiderat". 


Österreich  unter  den  Herzogen  Leopold  VI.  und  Friedrich  II.         111 

Kaiser  zu  Graz  inmitten  der  steirischen  Ministerialen,  denen  er 
damals  jene  Verbriefung  ihrer  Freiheiten  zugestanden  haben 
diu-fte,  die  er  im  folgenden  April  von  Enns  aus  einlöste.  Ostern 
1237  verbrachte  er  in  Wien,  das  er  zur  reichsunmittelbaren  Stadt 
erklärte  und  zum  Sitz  der  Reichsverwaltung  der  babenbergischen 
Lande  machte.  Allein  nach  dem  Hinwegzug  des  Kaisers  wandte 
sich  das  Blatt.  Der  Reichsstatthalter  Bischof  Egbert  von  Bamberg 
starb  und  Herzog  Friedrich  U.  gewann  durch  Energie  und 
Glück  sein  früheres  Herrschergebiet  wieder.  In  den  Weihnachts- 
feiertagen des  Jahres  1239  wurde  das  Fest  der  Aussöhnung  Herzog 
Friedrich's  H.  mit  dem  Kaiser  zu  Wien  feierlich  begangen.  Einige 
Jahre  danach  winkte  sogar  dem  Babenberger  die  Aussicht  auf 
eine  Königskrone.  Friedrich's  Ehen  waren  kinderlos  geblieben,  der 
Mannesstamm  des  Geschlechts  drohte  zu  erlöschen.  Das  bestimmte 
den  Kaiser  Friedrich  U.,  der  kürzlich  Witwer  geworden  war,  um 
die  Hand  der  Babenbergerin  Gertrude  anzuhalten,  wogegen  er 
sich  bereit  erklärte,  dem  Herzog  Friedrich  H.  eine  Stellung  ein- 
zuräumen, wie  sie  die  Pfemysliden  als  Beherrscher  Böhmens  im 
Reiche  schon  erlangt  hatten.  Es  sollten  nämlich  die  Herzogthümer 
Osterreich  und  Steiermark  zu  einem  Königreich  umgeschaflFen, 
Krain  aber  zu  einem  Herzogthum  erhoben  und  als  Lehen  des 
Königs  von  Osterreich  weiter  begeben  werden.^  Die  Thron- 
folge sollte  jeweils  'dem  ältesten  der  ehelichen  Nachkommen  des 
Herrscherhauses  ohne  Mitwirkung  der  Großen  des  Reichs  zustehen, 
die  Krönung  beim  Kaiser  nachzusuchen  sein.*  Allein  die  persön- 
lichen Verhandlungen  zwischen  Kaiser  Friedrich  IL  und  dem 
Herzog,  die  zu  Pfingsten  des  Jahres  1245  zu  Verona  gepflogen 
wurden,  führten  vorerat  nur  zu  einer  Bestätigung  des  s.  g.  Privi- 

^  Weil  nach  damaliger  Vorstellung  die  Würde  es  erforderte,  dass  ein 
König  Herzoge  zn  Vasallen  habe.  Dass  der  in  Aussicht  genommene  Ansei  inus 
»cognatus  tuus,  fidelis  noster*  ein  natürlicher  Sohn  des  Patriarchen  von  Aquileja. 
Berthold  von  Andechs-Meranien,  gewesen  sein  dürfte,  hat  wahrscheinlich  gemacht 
V.  Zahn,  ,Aincili^  (Lit.  Beil.  d.  Wiener  Montags-Revue,  1881,  Nr.  46.) 

®  Der  Entwurf  der  Urkunde  ist  uns  in  Petri  de  Vineis  epistol»,  lib.  VI., 
C.  26,  erhalten.  Aber  auch  die  heimischen  Jahrbücher  wissen  von  diesen  Ver- 
handlungen zu  erzählen.  So  berichtet  die  continuatio  Grarstensis,  dass  Bischof 
Heinrich  von  Bamberg  als  kaiserlicher  Gesandter  (wahrscheinlich  am  23.  April) 
1245  dem  Herzog  Friedrich  „in  Signum  recipiendi  regni  annulum  regalem"  über- 
geben habe.  —  Mon.  Germ.  SS.  IX,  597,  s.  auch  a.  a.  O.  641  die  Cont.  Sancruc«nsis  2. 


112     Österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  17  und  18. 

legium  minus;  Gertrude  wurde  des  Markgrafen  von  Mähren,  Wla- 
dislav  (t  1247),  Gattin,  und  ehe  der  Plan  von  neuem  wieder  auf- 
genommen w^erden  konnte,  bereitete  die  Schlacht  an  der  Leitlia 
(15.  Juni   1246)  dem  Leben  Herzog  Friedrich's  ein  jähes  Ende. 

§  18.  Das  Zwischenreich  1246—1382. 

Huber,  I,  514  ff.  —  Krones,  I,  632  ff.   —  Mayer,  Franz  M.,  I,  57  ff. 

1.  Mit  Friedrich  dem  Streitbaren  war  1246  der  Mannesstamm 
der  Babenberger  erloschen.  Weiblicherseits  vorhanden  waren  des 
Herzogs  Schwester  Margareta,  die  Witwe  des  unglücklichen  Königs 
Heinrich,  zwei  Neffen  von  der  im  Jahre  1243  gestorbenen  Schwester 
Constanze,  weiland  des  Markgrafen  Heinrich  von  Meißen  Gemahlin, 
und  endlich  eine  Nichte  Gertrude,  Tochter  des  vorverstorbenen 
älteren  Bruders  Heinrich  von  Mödling.  Die  Erbberechtigung  dieser 
Verwandten  nach  Landrecht,  d.  h.  so  weit  das  Allodialverraögen 
in  Frage  kam,  war  zweifellos.  Auf  die  Reichslehen  dagegen,  die 
Herzog  Friedrich  besessen  hatte,  waren  sie  ohne  Anspruch  sowohl 
nach  gemeinem  deutschem  Lehenrecht  als  auch  nach  den  Begün- 
stigungen des  Freiheitsbriefes  von  1156,  die  zwar  den  Töchtern, 
nicht  aber  den  weiblichen  Seitenverwandten  des  regierenden 
Herzogs  die  Folge  einräumten.^  Kaiser  Friedrich  H.  behandelte 
daher  Österreich  und  Steiermark  als  heiragefällene  Lehen,  die  er 
durch  Reichsstatthalter  verwalten  ließ.  Der  Papst  aber,  der  den 
Kaiser  im  Jahre  1245  zum  z weitenmale  mit  dem  Kirchenbanne 
belegt  hatte,  vertrat  das  Erbfolgerecht  der  weiblichen  Baben- 
bergerinnen  überhaupt  und  der  Gertrude  insbesondere,  während 
der  höhere  Landesadel  sein  Augenmerk  mehr  auf  Margareta,  die 
Schwester  Herzog  Friedrich's,  gerichtet  hatte.  Da  der  Kaiser  unter 
solchen  Umständen  seinen  alten  Plan,  Österreich  und  Steiermark 
seinem  Hause  zuzuwenden,  nicht  sofort  verwirklichen  konnte,  so 
schob  er  die  Entscheidung  hinaus,  obgleich  ihn  Gesandtschaften 
der  Ministerialen  beider  Lande  wiederholt  um  die  Ernennung 
eines  neuen  Herzogs  ersuchten.  Erst  auf  seinem  Todtenbette  traf 
er  eine  Verfügung,  die  beide  Herzogthümer  seinem  Enkel  Friedrich, 

^  Das  hat  vor  allem  F  i  c  k  e  r  in  seiner  Abhandlung  Über  die  Echtheit  des 
Ivleineren  österr.  Freiheitsbriefes  klar  erwiesen.  Sitzungsberichte,  Bd.  23,  S.  492  ff. 
Anderer  Meinung   sind  mit  Berufung  auf  Berchtold,  S.  45,  Schröder  u.  A. 


Otakar  erwirbt  den  Babenberger  nnd  Sponheimer  Besitz.  113 

dem  Sohne  Margaretens,  überwies.  Dieser  suchte  auch  unsere 
Lande  im  Jahre  1251  auf,  allein  er  verscholl  bald  und  damit 
entschwand  die  Hoffnung  auf  einen  rechtmäßigen  Landesfürsten. 

2.  Dem  herrenlosen  Zustande  machten  Handstreiche  ein  Ende, 
welche  der  böhmische  Kronprinz  Otakar  auf  Österreich,  der 
König  von  Ungarn  auf  Steiermark  ausführten.  In  Österreich 
erfolgte  der  Umschwung  überraschend  schnell:  schon  am  9.  De- 
cember  1251  huldigten  dem  Prinzen  Otakar  die  Wiener,  bald  darauf 
folgte  Wiener-Neustadt.  Waffengewalt  und  Verträge  unterwarfen 
ihm  allmählich  auch  das  übrige  Österreich ;  schließlich  heiratete  er 
am  11.  Februar  1252  die  alternde  Königin-Witwe  Margareta,  um 
sich  der  dynastischen  Gefühle  der  Bevölkerung  zu  versichern. 

Nicht  so  friedlich  liefen  die  Dinge  in  Steiermark  ab.  Hier 
hatten  beide  Bewerber  ihre  Anhänger  gefunden  und  hier  kam  es 
zu  mehrjährigen  Kämpfen,  die  erst  1254  durch  den  Ofen-Press- 
burger Frieden  beigelegt  wurden.  Die  Ungarn  behielten  Steier- 
mark, mussten  jedoch  den  nördlich  vom  Wechsel  und  Semmering 
gelegenen  Püttener  Bezirk  mit  Wiener-Neustadt,  sowie  das  Traun- 
viertel,  die  zu  Steiermark  gehört  hatten,  an  Otakar  abtreten,  der 
beides  mit  Österreich  vereinigte.  Die  so  geschaffene  neue  Landes- 
grenze zwischen  Österreich  und  Steiermark  blieb  fortan  bestehen, 
obwohl  die  Ungarn  im  Jahre  1259  aus  Steiermark  vertrieben 
wurden  und  König  Otakar  den  Besitz  dieses  Landes  nach  der 
Schlacht  bei  Kroissenbrunn  (1260)  behauptete. 

So  hatte  Otakar  —  seit  1253  auch  König  von  Böhmen  —  das 
ganze  babenbergische  Erbe  wieder  vereinigt  und  nun  schien  ihm 
der  Zeitpunkt  gekommen,  sich  seiner  alternden  Gemahlin  zu  ent- 
ledigen. Otakar  freite  hierauf  (October  1261)  die  jugendliche 
Kunigunde  von  Halicz,  eine  Enkelin  König  Bela's  IV.  von  Ungarn, 
und  erwirkte  auch  vom  deutschen  Schattenkönig  Richard  die  Be- 
lehnung mit  Österreich  und  Steiermark,  doch  in  unzulässiger 
Form,  da  Richard  dies  nur  brieflich  that.  Im  Jahre  1270  besetzte 
dann  Otakar  nach  dem  kinderlosen  Tode  Herzog  Ulrich's  III.  von 
Kärnten,  den  er  1268  zu  einem  Erbvertrag  beredet  hatte,  auch 
noch  Kärnten,  Krain  und  die  windische  Mark. 

3.  Dieses  rasche  Wachsen  des  Herrschergebietes  hatte  in- 
dessen seine  Nachtheile,  der  natürliche  Schwerpunkt  des  böhmischen 
Reiches  wurde  dadurch  verrückt  und   es  trat  eine  Verschärfung 

La  seh  In,  österreichische  Reichsgeschichte.  8 


114:     Österreichische  Reichsgeschichto.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  18  und  19. 

nationaler  Gegensätze  ein,  die  der  König  bis  dahin  weniger  be- 
achtet hatte.  Als  die  deutschfreundliche  Partei  am  Hofe,  mit  dem 
staatsklugen  Bischof  Bruno  von  Olmütz  an  der  Spitze,  durch  die 
czechische  unter  Propst  Peter  von  Wyschehrad  verdrängt  wurde, 
war  es  um  das  große  Reich  König  Otakar's  geschehen.  Österreich, 
Steiermark,  Kärnten  und  Krain  fühlten  sich  viel  zu  sehr  als 
deutsche  Länder,  um  diesen  Wechsel  in  Regierungskreisen  ruhig 
hinzunehmen  und  kehrten  sich  gegen  den  slavischen  Landesfürsten, 
als  mit  Rudolf  von  Habsburg  eine  neue  Zeit  im  Reiche  anbrach. 

Bekannt  ist,  dass  König  Rudolf  von  Habsburg  vom  Tage 
seiner  Wahl  an  (29.  September  1273)  entschlossen  war,  die  zer- 
rütteten Zustände  des  Zwischenreichs  in  Ordnung  zu  bringen 
wie  auch,  dass  er  es  als  seine  nächste  Aufgabe  betrachtete, 
die  Ansprüche  des  Reichs  auf  das  Erbe  der  Babenberger  und 
Sponheimer  zur  Geltung  zu  bringen.  Bekannt  ist  ferner,  wie 
planmäßig  und  mit  Beobachtung  aller  vom  Reichsherkommen 
geforderten  Förmlichkeiten  er  dabei  zuwerke  gieng,  um  ja  seinem 
Gegner  jeden  Vorwand  zu  rechtlichem  Einspruch  zu  benehmen. 
So  verflossen  noch  drei  Jahre,  ehe  die  Entscheidung,  zum  Schlüsse 
allerdings  überraschend  schnell  und  unblutig,  erfolgte:  Am 
21.  November  1276  verzichtete  König  Otakar  auf  alle  seine  neuen 
Erwerbungen,  zwei  Jahre  darnach  büßte  er  den  Versuch,  das 
Verlorene  mit  Waffengewalt  wieder  zu  gewinnen,  in  der  Sclilacht 
auf  dem  Marchfelde  (26.  August  1278)  mit  seinem  Leben. 

4.  Die  von  König  Otakar  abgetretenen  Lande:  Osterreich, 
Steiermark,  Kärnten,  Krain  und  das  Egerland  waren  sofort  in 
Reichsverwaltung  übernommen  worden.  Vor  allem  nothwendig 
erschien  die  Herstellung  der  arg  zerrütteten  Ordnung  im  Innern, 
darum  erließ  König  Rudolf  schon  in  den  ersten  Wochen  nach  dem 
Friedensschlüsse  im  Einvernehmen  mit  den  vornehmsten  Landes- 
adeligen einen  Landfrieden  auf  fünf  Jahre  (3.  December  1276) 
Beseitigung  der  widerrechtlichen  Verfügungen  des  Zwischen- 
reichs und  Verdrängung  der  Fehde  durch  den  Rechtsgang  sollten 
dadurch  erreicht  werden.  So  ward  eine  Frist  gewonnen,  inner- 
halb welcher  der  König  über  das  weitere  Schicksal  der  Lande 
schlüssig  zu  werden  hoffte. 

Der  Gedanke,  das  babenbergische  Erbe  seinen  Söhnen  zu- 
zuwenden, ist  dem  König  erst  im  Verlaufe  der  Dinge  gekommen, 


Die  Reichsverwaltung  in  Österreich,  Steiermark  u.  s.  w.  115 

seither  hat  er  dann  zähe  dessen  Verwirklichung  betrieben:  mit 
den  auswärtigen  Hochstiften  wurden  Verträge  abgeschlossen, 
welche  den  Söhnen  des  Königs  Rudolf,  den  Grafen  Albrecht  und 
Rudolf,  die  Stiftsiehen  sicherten,  die  vordem  den  Babenbergem 
zugestanden  hatten.  Der  Einfluss  der  Landesbisthümer  (Seckau, 
Gurk,  Lavant)  und  der  zahlreichen  Klöster  wurde  durch  reichlich 
ertheilte  Privilegien  gewonnen,^  die  Ministerialen  von  Steiermark 
erhielten  eine  Erweiterung  ihrer  Rechte,  die  Bürgerschaft  der 
Städte  sollte  durch  Verwaltungsmaßregeln,  die  die  Hebung  ihres 
Wohlstandes  bezweckten,  vom  Böhmenkönig  abgezogen  werden, 
dem  sie  dankbar  ergeben  war.*  Als  endlich  1279  Graf  Ulrich  von 
Heunburg  und  dessen  Gemahlin  Agnes  (Tochter  Gertrudens  von 
Osterreich  mit  Hermann  von  Baden)  ihre  Ansprüche  auf  das 
babenbergische  Erbe  gegen  6000  Mark  Silber  aufgegeben  hatten, 
schienen  die  letzten  Hindernisse  im  Lande  selbst  beseitigt.  König 
Rudolf  kehrte  1281  ins  Reich  zurück,  nachdem  er  die  Reichs- 
statthalterschaft in  Österreich  seinem  Sohne  Grafen  Albrecht  über- 
tragen hatte.  So  war  alles  bereit,  um  nach  Zustimmung  der  Kur- 
fürsten sofort  die  Belehnung  seiner  Söhne  mit  den  babenbergischen 
Landen  vornehmen  zu  können. 

§  19.  Ton  Herzog  Albrecht  L  bis  zum  Ausgang  des  Mittelalters. 

1282—1493. 

C  h  m  e  U  Geschichte  des  Kaisers  Friedrichs  IV.  2  Bde.  —  H  u  b  e  r,  II,  III.  — 
Haake,  Die  geschichtlichen  Grundlagen  des  Monarchenrechts.  Wien,  1894.  — 
Krones,  II.  —  Die  Monographien  von  F.  Kurz  über  Österreich  unter 
Albrecht  I.,  II.  u.  s.  w.  —  Lichnowsky,  Geschichte  des  Hauses  Habsburg. 
Bd.  1—8.  —  Mayer,  F.  Mart.,  L,  66  ff.  —  Zeißberg,  Dor  österr.  Vormund- 
scbaftsstreit  nach  dem  Tode  Kaiser  Ladislaus*.  Archiv  für  österr.  Geschichte.  Bd.  58. 

1.  Zu  Weihnachten  1282  erhob  König  Rudolf  seine  Söhne, 
die  Grafen  Albrecht  und  Rudolf  von  Habsburg,  in  den  Reichs- 
fürstenstand  und  belehnte  sie  unter  Zustimmung  der  Kurfürsten 

"  Für  Rudolf  waren  namentlich  die  Bettelorden  thätig.  Die  Continuatio 
Pnedicatorura  Vind.  (M.  G.  Ss.  IX,  730,  ad  a.  1276)  rühmt  ausdrücklich,  dass  der 
Abfall  von  Otakar  erfolgt  sei,  „proptor  inforraationom  Praedicatorum  et  Minorum 
fratram  et  aliorum  clericorum,  qui  toUentes  auctoritate  papae  et  episcoporum 
ministerialibus  et  omnibus  Regi  Rudolfe  adesse  volentibus  juramentorum  scelera". 

*  S.  meinen  Akademie- Vortrag :  Handelspolitik  der  österr.  Herrscher  im 
Mittelalter.  Almanach,  1893,  S.  321. 

8* 


116        Osterreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  19. 

mit  Österreich,  Steiermark,  Krain  und  der  windischen  Mark, 
sowie  mit  Kärnten,  das  jedoch  später  (1286)  wieder  abgetrennt 
und  dem  Grafen  Meinhard  von  Qörz  verliehen  wurde.  Man  war 
des  in  den  Landen  wohl  zufrieden,  nur  besorgten  die  Steirer 
als  mögliche  Folge  der  Gesammtbelehnung  künftige  Theilung 
der  Fürstenthümer  und  machten  dieses  Bedenken  geltend.  König 
Rudolf  gab  diesen  Vorstellungen  am  1.  Juni  1283  von  Rhein- 
felden  insofern  statt,  als  er  erklärte,  dass  Österreich,  Steiermark 
und  Krain  dem  Herzog  Albrecht  und  dessen  Nachkommen  allein 
zustehen  sollten,  während  Herzog  Rudolf  mit  Geld  zu  entschädigen 
sei,  falls  er  kein  anderes  Fürsten thum  binnen  vier  Jahren  erhalte.^ 
Die  Stellung  Herzog  Albrecht's  I.  in  den  neugewonnenen 
Landen  Österreich  und  Steiermark  war  anfänglich  ungemein 
schwierig.  Er  stand  der  Bevölkerung  als  Fremder  gegenüber  und 
hatte  hier  niemanden,  auf  den  er  sich  voll  verlassen  konnte,  denn 
der  Landesadel  war  durch  die  Ereignisse  des  Zwischenreichs  über- 
müthig  geworden  und  in  der  Bürgerschaft,  namentlich  unter  den 
WieneiTi  gab  es  noch  zahlreiche  Anhänger  der  böhmischen  Herr- 
schaft. Außerdem  war  Albrecht  bemüht,  nicht  nur  den  früheren 
Territorialbestand  wie  zu  Zeiten  der  Babeuberger  wieder  zu  er- 
reichen, sondern  auch  die  von  Unberechtigten  entzogenen  landes- 
fürstlichen Güter  und  Gefälle  wieder  an  sich  zu  bringen.  Wiewohl  er 
hiezu  durch  den  Ausspruch  völlig  berechtigt  war,  welchen  deutsche 
Reichsfürsten  unter  Zuziehung  von  Landesherren  aus  Österreich 
und  Steiermark  am  Hofe  König  Rudolfs  gefällt  hatten,^  so  verletzte 
doch  dessen  Ausfuhrung  mannigfache  Privatinteressen.  So  blieb 
also  dem  Herzog  Albrecht  I.  nichts  übrig,  als  sich  auf  Ministerialen 
und  Ritter  zu  stützen,  die  er  aus  seinen  Hauslanden  mitgebracht 
hatte;  eben  darum  wurden  diese  „Schwaben"  alsbald  die  einfluss- 
reichsten, aber  auch  die  bestgehassten  Leute  in  Österreich  und 
Steiermark.  Ein  Glück  für  Albrecht,  dass  seine  Gegner,  unter 
sich  uneins,  ihre  Widerstandskraft  auf  vereinzelte  Aufstände 
verzettelten. 

1  Damit  war  das  von  den  Ständen  angestrebte  Ziel  für  den  Augenblick 
erreicht,  eine  allfällige  Theilung  der  Lande  unter  den  Nachkommen  Albrecht's  L 
aber  keineswegs  ausgeschlossen.  Hauke,  10. 

2  Am  14.  April  1288  zu  Basel,  gedruckt  Mon.  Genn.,  Leg.  II,  453  und  Über- 
setzung bei  Schrott  er,  1.  Abhandlung  aus  d.  österr.  Staatsrechte,  S.  104,  Beilage  5. 


di 


Österreich  und  Steiermark  unter  Herzog  Albrecht  I.  117 

2.  Zuerst  begannen  die  Wiener,  deren  früherer  Bürgermeister 
Paltram  den  Schutz  des  Herzogs  Heinrich  von  Bayern  gefunden 
hatte.  Es  galt,  die  reichsunmittelbare  Stellung  zurückzuerobern, 
die  Wien  auf  Grund  kaiserlicher  und  königlicher  Verbriefungen 
für  sich  in  Anspruch  nahm,  während  Albrecht  seine  landesherr- 
lichen Rechte  gewahrt  wissen  wollte.  Der  Aufstand  endete  mit 
bedingungsloser  Unterwerfung  der  Bürgerschaft  und  mit  der  Aus- 
lieferung aller  früheren  Verbriefungen.  Dann  kamen  die  Steirer 
an  die  Reihe.  Unzufrieden  mit  den  Landesbeamten,  zuförderst 
dem  verhassten  Landschreiber  Abt  Heinrich  von  Admont,  un- 
willig über  die  verzögerte  Bestätigung  der  Ministerialen  -  Privi- 
legien, die  man  schon  als  Landesfreiheiten  betrachtete,  ver- 
sammelten sich  die  Missvergnügten  am  Neujahrstage  1292  unter 
Führung  des  Erzbischofs  von  Salzburg  zu  Deutsch-Landsberg  zur 
^Bestätigung  und  zu  Schutz  der  Handfeste  und  der  Freiungen*. 
Allein  das  entschlossene  Vorgehen  des  Herzogs,  der  mitten  im 
Winter  den  Übergang  über  den  verschneiten  Semmering  erzwang, 
si^e  über  die  Verschworenen.  Der  salzburgische  Hauptsitz 
Friesach  wurde  erstürmt,  aber  den  gedemüthigten  Gegnern  gegen- 
über zeigte  sich  der  siegreiche  Herzog  gnädig :  was  er  verweigerte, 
solange  man  es  als  Recht  von  ihm  in  Anspruch  nahm,  das  be- 
wUligte  er  nun  den  Steirern  in  Gnaden,  wenn  auch  mit  Abänderung 
zweier  wichtiger  Stellen.^ 

Drei  Jahre  darauf  brach  in  Österreich  die  zur  Empörung 
gesteigerte  Unzufriedenheit  aus.  Auf  das  Gerücht  hin,  dass  Herzog 
Albrecht  vergiftet  worden  sei,  versammelten  sich  die  Ministerialen. 
Wenzel  von  Böhmen  und  König  Adolf  schürten  die  Bewegung, 
die  Albrecht  indessen  durch  kluge  Nachgiebigkeit  solange  hin- 
hielt, bis.  seine  Getreuen  aus  den  Hauslanden  eingetroffen  waren 
und  er  den  Aufstand  leicht  und  unblutig  niederwarf.  Auch  dies- 
mal zeigte  er  sich  nachträglich  gnädig  und  bewüligte  später 
den  Österreichern  die  Vornahme  von  Revisionsarbeiten  an  ihrem 
Landesrecht,*  als  er  durch  deren  Mitwirkung  1298  die  deutsche 
Krone  sich  erkämpft  hatte.  Bald  darauf,  am  21.  November  1298, 
ertheilte   er   als  römischer  König  seinen  Söhnen  die  Gesammt- 

*  Vgl.  meine  Abhandlung  über  die  steir.  Landhandfesten  in  den  Beiträgen 
zur  Kunde  steir.  Geschichtsquollen,  IX,  S.  149. 

*  Die  aber  aus  unbekannten  Gründen  nur  Entwurf  blieben.  Vgl.  §  21,  8. 136. 


118        Österreichische  Reichsgescbichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  19. 

belehnung  mit  Österreich  und  Steiermark,  thatsächlich  aber  hat 
er  die  Herrschaft  in  den  Hauslanden  bis  zu  seinem  Tode  in 
Händen  behalten. 

3.  Der  Versuch,  die  böhmische  Krone  nach  dem  Aussterben 
der  Pfemysliden  an  die  Habsburger  zu  bringen,  missglückte  aller- 
dings. Rudolf  (III.),  dem  Albrecht  Böhmen  im  Jahre  1306  als 
erledigtes  Reichslehen  verliehen  hatte,  erlangte  zwar  nach  einigen 
Schwierigkeiten  auch  in  Böhmen  Anerkennung,  allein  er  war 
wenig  beliebt  und  starb  schon  am  4.  Juli  1307.  Uneingedenk 
der  Zusage,  beim  Hause  des  verstorbenen  Königs  zu  bleiben, 
wählten  die  böhmischen  Großen  den  Herzog  Heinrich  von  Kärnten 
und  Tirol  zu  ihrem  König  (15.  August  1307),  der  mit  einer 
Schwester  des  letzten  Premysliden  vermählt  war.  Es  kam  nun  zum 
Kriege  und  die  österreichischen  Herzoge  eroberten  Kärnten.  Ehe 
indessen  die  Entscheidung  in  Böhmen  fiel,  wurde  Albrecht  I.  von 
seinem  Neffen  Johann  wegen  einer  Geldforderung  ermordet  (1308, 
1.  Mai).  Herzog  Friedrich  der  Schöne,  als  Haupt  der  österreichischen 
Habsburger,  schloss  hierauf  am  14.  August  1308  mit  Heinrich  von 
Kärnten  Frieden,  verzichtete  auf  Böhmen  und  Mähren  und  ver- 
sprach die  Rückgabe  der  eroberten  Gebiete  in  Kärnten  und  Krain 
gegen  eine  Entschädigung  von  45.000  Mark  Prager  Groschen. 
Diese  Friedensbedingungen  wurden  im  Jahre  1311  durch  ein  neues 
Abkommen  ersetzt,  da  Heinrich  inzwischen  von  den  Böhmen  ver- 
trieben und  an  seinerstatt  Johann  von  Luxemburg  als  König  an- 
erkannt worden  war.  An  eine  bare  Zahlung  jener  großen  Geld- 
summe war  unter  diesen  Umständen  nicht  zu  denken.  Heinrich 
erstattete  dafür  die  ihm  verpfändete  Stadt  Windisch-Feistritz  und 
trat  von  Kärnten  das  Sannthal  ab,  das  nun  mit  Steiermark  ver- 
einigt wurde.  Krain  sollte  auch  fernerhin  an  Heinrich  als  Herzog 
von  Kärnten  verpfändet  bleiben,  allein  der  Pfandschilling  auf 
6000  Mark  ermäßigt  sein. 

4.  Nach  dem  Tode  Kaiser  Heinrich's  VII.  aus  dem  Luxem- 
burger Hause  wurde  Herzog  Friedrich  der  Schöne  zum  deutschen 
König  gewählt,  allein  die  Partei  der  Luxemburger  stellte  sofort 
einen  Gegenkönig  in  der  Person  Herzog  Ludwig's  von  Bayern  auf. 
So  kam  es  zum  Zwiespalt  in  Deutschland.  Der  Adel  hielt  im  all- 
gemeinen zu  König  Friedrich  von  Österreich,  die  Reichsstädte 
ebenso  zu  Ludwig.  Kämpfe  in  der  Schweiz,  in  welche  die  Habs^ 


Die  Söhne  König  Albreciit's  L;  Erwerb  von  Kärnten.  119 

burger  damals  verwickelt  waren  (Niederlage  bei  Morgarten 
am  15.  November  1315,  Waffenstillstand  1318),  erschwerten  König 
Friedrichs  Lage  sehr.  Daher  wurde  auch  der  Krieg  zwischen 
den  Gegenkönigen,  die  beide  persönlich  friedfertig  waren,  lau 
geführt,  bis  ihm  die  Niederlage  und  Gefangennahme  König 
Friedrich's  in  der  Schlacht  bei  Mühldorf  (1322,  28.  September) 
eine  entscheidende  Wendung  gab.  Zum  Frieden  kam  es  dem- 
ungeachtet  nicht  sobald,  obschon  allmählich  eine  persönliche  An- 
näherung zwischen  den  Gegnern  eintrat  und  König  Friedrich 
1325  aus  seiner  Haft  entlassen  wurde.  Verbittert  durch  die  argen 
Wirren,  die  Herzog  Otto  durch  sein  Verlangen  einer  Länder- 
theilung  heraufbeschworen  hatte,  starb  König  Friedrich  1330  auf 
dem  einsamen  Bergschlosse  Guttenstein,  wohin  er  sich  zurück- 
gezogen hatte. 

5.  Nunmehr  schloss  auch  Herzog  Otto  mit  Kaiser  Ludwig  IV. 
Frieden,  da  die  Bestrebungen  der  Luxemburger,  in  Kärnten  und 
Tirol  Fuß  zu  fassen,  beiden  gleich  gefährlich  wurden.  Ein  Schieds- 
gericht, das  zur  Behebung  der  Streitpunkte  zwischen  den  Habs- 
burgem  und  Kaiser  Ludwig  eingesetzt  wurde,  fällte  am  26.  No- 
vember 1330  den  Ausspruch,  dass  Kaiser  Ludwig  beim  Tode 
Herzog  Heinrich's  den  Habsburgern  Kärnten  zu  verleihen  habe, 
wogegen  diese  den  Kaiser  bei  der  Bewerbung  um  Tirol  unter- 
stützen sollten.  Diese  geheim  gehaltene  Verabredung  erlangte 
nach  dem  Tode  Herzog  Heinrich's  (f  2.  April  1335)  ihre  Wirk- 
samkeit. Mit  Ausschluss  der  beiden  Töchter  des  Verstorbenen, 
von  denen  die  ältere  ohnehin  regierungsunfähig,  die  zweite  an 
Johann  von  Luxemburg  vermählt  war,  belehnte  Kaiser  Ludwig  IV. 
am  2.  Mai  1335  zu  Linz  die  Herzoge  von  Österreich  mit  Kärnten, 
dem  südlichen  Tirol  und  der  Vogtei  über  Trient,  während  Nord- 
tirol an  die  Söhne  des  Kaisers  fallen  sollte.  Kärnten  unterwarf 
sich  anfangs  Juni  1335  den  Habsburgern,  die  zugleich  auch  die 
Herrschaft  in  Krain  antraten;  in  Tirol  hingegen  wusste  sich 
Margareta  mit  Hilfe  der  Luxemburger  zu  behaupten,  deren  sie 
sich  indessen  im  Jahre  1341  entledigte,  um  sich  1342  mit  Ludwig 
dem  Brandenburger,  dem  ältesten  Sohne  Kaiser  Ludwg's  IV.,  zu 
vermählen. 

Am  17.  Februar  1339  starb  Herzog  Otto  von  Österreich 
und  da  ihm  auch  seine  Söhne  bald  im  Tode  nachfolgten,  so  ver- 


120        österreichische  Reichsgeachichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §.  19. 

einigte  Herzog  Albrecht  II.  der  Weise  seit  dem  Jahre  1343  alle 
Herrschaft  in  seinen  friedfertigen  Händen.  Als  er  das  Ende  seiner 
Tage  nahe  glaubte,  erließ  er  am  25.  November  1355  eine  Haus- 
ordnung, die  er  zur  Sicherung  durch  die  Landherren  von  Öster- 
reich, Steiermark  und  Kärnten  beschwören  ließ.  Sei  es,  dass  er 
sich  der  trüben  Zeiten  erinnerte,  die  Herzog  Otto  durch  sein 
ungestümes  Begehren  einer  Ländertheilung  über  Österreich  ge- 
bracht hatte^  sei  es,  dass  er  den  ehrgeizigen  Sinn  seines  ältesten 
Sohnes  Rudolf  fürchtete  —  Herzog  Albrecht  verfügte,  dass  die 
Länder  ungetheilt  bleiben  sollten  und  in  brüderlicher  Liebe  von 
seinen  Söhnen  gemeinsam  zu  verwalten  seien.  Nicht  ganz  drei 
Jahre  darnach,  am  20.  Juli  1358,  starb  dieser  verehrungswürdige 
Fürst  mit  Hinterlassung  von  vier  Söhnen:  Rudolf  IV.,  Friedrich  IIL, 
Albrecht  III.  und  Leopold  III.  im  Alter  von  19,  11,  9  und 
7  Jahren. 

6.  Herzog  Rudolf  IV.,  der  auch  im  Namen  seiner  noch  nicht 
regierungsfähigen  Brüder  die  Herrschaft  übernahm,  trug  sich 
trotz  seiner  Jugend  schon  mit  hochfliegenden  Plänen. 

Die  frühere  Machtfülle  des  deutschen  Königs  war  längst 
zur  bloßen  Lehensherrlichkeit  herabgesunken,  denn  was  er  an 
materiellen  Rechten  noch  besaß,  hatte  nur  wenig  Bedeutung, 
während  die  Herrscherrechte,  die  er  in  Lehensform  übertrug, 
zum  erblichen  Anspruch  der  Fürstengeschlechter  geworden  waren. 
Die  Belehnung  war  daher  nur  mehr  leere  Form,  doch  wurde 
damals  und  noch  Jahrhunderte  lang  darauf  hoher  Wert  gelegt, 
weil  so  noch  immer  der  Gedanke  der  Unterwerfung  der  Fürsten 
unter  die  Einheit  des  Reichs  zum  Ausdruck  kam.  Herzog  Rudolf  IV. 
von  Österreich  wollte  aber  dieser  Entwicklung  um  Jahrhunderte 
vorauseUen,  indem  er  eine  solche  Abschwächung  der  Förmlich- 
keiten zu  erreichen  versuchte,  dass  ihn  ein  einziger  Schritt  weiter 
zum  souveränen  Herrn  hätte  machen  müssen. '^ 

Der  unmittelbare  Anstoß  für  das  Vorgehen  Herzog  Rudolfs 
war  die  tiefe,  nach  der  Sachlage  auch  vollkommen  gerecht- 
fertigte, Verstimmung  der  Habsburger  über  die  wesentliche  Ver- 
schlechterung ihrer  Stellung  im  Reiche  seit  Erlassung  der  goldenen 
Bulle,   die   nach  geschichtlichem  Herkommen,   aber  ohne  Rück- 


*  Vgl.  Berchtold,  Die  Landeshoheit  Österreichs,  114 ff. 


Herzog  Rudolf  IV.;  die  österreichischen  Hausprivilegien.  121 

sieht  auf  die  bestehenden  Machtverhältnisse  die  wichtigsten  Reichs- 
geachäfte  den  wenigen  Kurfürsten  vorbehalten  hatte.  Es  ist  bekannt, 
wie  sehr  sich  Österreich  1355  auf  dem  Nürnberger  Reichstag 
gegen  das  Zustandekommen  dieses  Gesetzes  wehrte  und  dass 
infolge  des  Widerspruchs,  den  es  nebst  Bayern  gegen  den  Aus- 
schluss vom  Wahlrecht  erhoben  hatte,  1356  ein  neuer  Reichstag 
nach  Metz  ausgeschrieben  wurde,  der  erst  das  Werk  zu  Ende 
führte.®  Da  auch  eine  sorgfältige  Durchforschung  des  Hausarchivs'' 
keine  Urkunden  zutage  förderte,  die  man  der  goldenen  Bulle  mit 
Erfolg  hätte  entgegensetzen  können,  so  verfiel  Herzog  Rudolf  auf 
ein  bedenkliches  Auskunftsmittel,  das  aber  nach  dem  Maßstabe  der 
damaligen  politischen  Moral  nicht  ungewöhnlich  war:  er  nahm 
durch  eine  Reihe  gefälschter  Privilegien,  die  bis  auf  Julius  Caesar 
und  Nero  zurückgiengen,  von  Kaiser  Heinrich  IV.,  Friedrich  I. 
und  H.,  König  Heinrich  VII.  und  Rudolf  I.  bestätigt  oder  erweitert 
sein  solilen,  für  die  österreichischen  Herzoge  mehr  Rechte  in 
Anspruch,  als  andere  Fürsten  besaßen.  Sein  Schwiegervater,  Kaiser 
Karl  IV.,  dem  er  diese  Hausprivilegien  vorlegte,  verweigerte 
die  Bestätigung  und  es  kam  zum  Bruche  zwischen  beiden. 
Rudolf  IV.,  der  sich  nun  Pfalzerzherzog  nannte,  königliche  Ehren 
für  sich  in  Anspruch  nahm,  seine  Stellung  im  Lande  jener  des 
Kaisers  im  Reiche  verglich  u.  s.  w.,  suchte  sich  erst  durch  Bünd- 
nisse zu  gewaffnetem  Widerstand  zu  stärken,  musste  aber  schließ- 
lich zugestehen,  dass  er  die  Titel  Pfalzerzherzog  und  Fürst  in 
Schwaben  unberechtigt  geführt  habe. 

7.  Unermüdlich  suchte  Rudolf  IV.  den  Glanz  und  die  Macht 
seines  Hauses  zu  mehren.  Für  seinen  jüngsten  Bruder  warb  er 
um  die  Tochter  des  Grafen  Meinhard  von  Görz,  der  ihm  dafür 
aU  seine  Besitzungen  vermachte,  falls  er  ohne  Söhne  sterben  sollte ; 
von  Graf  Albert  von  Görz  erhielt  er  die  Anwartschaft  auf  Istrien 
und  die  windische  Mark ;  mit  König  Ludwig  von  Ungarn  kam  der 
Erbvertrag  zustande,  der  wechselseitige  Erbfolge  zusagte,  falls 
das  österreichische  oder  ungarische  Herrscherhaus  ohne  Nach- 


®  Stobbe,  Deutsche  Rechtsquellen,  I,  471. 

7  Wir  erfahren  von  diesem  Schritt  durch  die  bei  L  i  c  h  o  w  s  k  y  -  B  i  r  k,  III, 
Regest  2006,  angeführte  Zuschrift  Herzog  Albrecht's  II.  an  Kaiser  Karl  IV.  bei 
Cbersendung  zweier  Kaiserurkunden  für  Böhmen,  die  erst  neuerlich  .in  scriniis 
secretorum  nostrorum'  aufgefunden  worden  seien,  ddo.  1358,  2.  April,  Wien. 


122         Österreichische  ßelchsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode,  §  19, 

kommen  auesterbeii  sollte;  im  Jahre  1364  folgte  eine  Erbeinigung 
mit  Böhmen.  Das  Wichtigste  jedoch  war  die  Erwerbung  von  Tirol. 
Auf  die  Nachricht  vom  schwankenden  Gesundheitszustände  Graf 
Meinhard's  III.  (f  13.  Jänner  1363)  war  Rudolf  mitten  im  Winter 
über  die  Tauem  nach  Tirol  geeilt.  Margareta  Maultasch,  die  sich 
schon  in  den  ersten  Wochen  als  unfähig  zur  Regierung  erwiesen 
hatte,  übergab  ihm  am  26.  Jänner  1363  das  Land  Tirol  und  befahl 
ihren  Unterthanen,  dem  Herzog  Kudolf  IV.  zu  huldigen.  Die  Herr- 
schaft wollte  sie  anfänglich  auf  Lebenszeit  selbst  behalten,  sie  ver- 
zichtete jedoch  bald  darauf  gegen  Einräumung  einer  Jahresrente. 
Rudolf  wusate  femer  den  Bischof  von  Trient  beim  Empfange 
der  Stiftslehen  in  eine  dauernde  Unterordnung  unter  den  Landes- 
herra  von  Tirol  zu  bringen,  indem  er  das  Gebiet,  das  Ludwig  der 
Brandenburger  eingezogen  hatte ,  dem  Bischof  nur  unter  Be- 
dingungen erstattete,  die  einer  halben  Säculariaation  gleichkamen.^ 
So  hatte  er  die  Herrschaft  Österreichs  im  Lande  begründet,  die 
er  auch  gegen  Herzog  Stephan  von  Bajem-Landshut  zu  behaupten 
vermochte,  als  dieser  im  November  1363  seine  Ansprüche  auf 
Tirol  mit  Waffengewalt  durchzusetzen  versuchte."  Dagegen  ent- 
sprach der  Krieg,  den  Rudolf  IV.  in  den  Jahren  1360  bis  1365 
mit  dem  Patriarchen  von  Aquileja  um  die  Vorherrschaft  in  Friaul 
führte  in  seinem  Ausgang  keineswegs  den  glücklichen  Erfolgen, 
mit  welchem  er  eingeleitet  worden  war. 

8.  Nicht  minder  kräftig  wusste  Rudolf  seine  landesherrliche 
Stellung  im  Innern  zur  Geltung  zu  bringen.  Von  seiner  Gesetz- 
gebung und  von  seinen  Maßregeln  zur  Hebung  des  Städteweaens 
wird  an  anderer  Stelle  nocli  gehandelt  werden,  hier  sei  erwähnt, 
riaes  er  1361  die  mächtigen  Grafen  von  Schaunberg  im  Lande 
ob  der  Enns  durch  Vorweisung  der  unechten  Privilegien  und  durch 
duB  Anerbieten  einer  bedeutenden  Abfindung  dazu  brachte,  dass 
sie  ihm  ihre  fünf  allodialen  Landgerichte  zu  Lehen  auftrugen,  was 

"  Von  dieser  Zeit  an  konnte  Trient  kaum  noch  als  selbständiges  Fürsten- 
thnra  betrachtet  werden,  sondern  bildete  einen  Thell  von  Tirol,  H  u  b  e  r,  11,  277  ff-, 
ziililt  die  vom  Bischof  ilhernommenen  Verpflicbtni^en  im  einzelnen  auf. 

"  Der  Krieg  mit  den  Herzogen  von  Bayern  dauerte  noch  mehrere  Jahre 
und  wurde  erst  1369  dnrcb  den  Frieden  von  Schärding  beendet,  der  ihnen 
Hnttenbarg  beließ  nnd  das  verprandote  Schärding  nebst  einer  Oeldentschädig:ung 
einräumte,  wogegen  die  Herzoge  ihre  Ansprüche  auf  Tirol  aufgaben. 


Die  Erwerbung  Tirols;  Tod  Herzog  Rudolfs  IV.  123 

der  entscheidende  Schritt  zur  Unterwerfung  dieses  reichsunmittel- 
baren Geschlechts  unter  die  Landeshoheit  der  Habsburger  war. 
Zu  solchen  Erfolgen  war  allerdings  die  Concentration  der  Herrscher- 
gewalt in  einer  einzigen  Hand  nöthig  und  Herzog  Rudolf  wusste 
sich  eine  solche  auch  nach  dem  Eintritt  der  Volljährigkeit  seiner 
Brüder  durch  den  Hausvertrag  vom  18.  November  1364  zu  sichern, 
der  sich  nur  als  Erläuterung  der  Hausordnung  vom  Jahre  1355 
gibt,  in  Wirklichkeit  aber  das  Streben  nach  Vereinigung  des 
Principes  der  Gleichberechtigung  aller  Brüder  mit  dem  des  Vorzugs 
der  Erstgeburt  deutlich  an  sich  trägt.  Die  Brüder  verpflichteten 
sich,  alle  ihre  Länder  ungetheilt  und  gemeinsam  zu  besitzen,  alle 
sollten  den  gleichen  Titel  führen,  keiner  ohne  Zustimmung  der 
übrigen  sich  verheiraten.  Dagegen  wurde  dem  Ältesten  die  oberste 
Herrschaft  und  größte  Gewalt  zugesprochen.  Er  sollte  das  herzog- 
liche Haus  nach  außen  vertreten,  „Vorgeher,  Besorger  und  Ver- 
treter sein  der  ander  aller",  in  dieser  Stellung  die  Lehen  empfangen 
und  verleihen  und  an  die  Zustimmung  der  Brüder  bei  Regierungs- 
handlungen nur  dann  gebunden  sein,  wenn  diese  an  seinem  Hofe 
anwesend  seien.  ^^ 

Mitten  unter  den  glänzendsten  Plänen  starb  Rudolf  IV., 
kaum  26  Jahre  alt,  am  27.  Juli  1365  zu  Mailand,  wohin  er  sich 
verkleidet  begeben  hatte,  um  den  Krieg  gegen  den  Patriarchen 
von  Aquileja  mit  neuen  Mitteln  ins  Werk  zu  setzen. 

9.  Nach  seinem  Tode  brach  eine  düstere  Zeit  über  Österreich 
herein,  die  länger  als  ein  Jahrhundert  dauerte,  eine  Zeit  fort- 
währender Spaltungen  und  Kriege  unter  den  Mitgliedern  des 
Herrscherhauses,  eine  Zeit,  in  der  die  schönsten  Besitzungen  in 
der  Schweiz,  sowie  die  Hoffnung  auf  die  Gewinnung  Friauls  ver- 
loren giengen,  die  Landstände  erstarkten,  und  von  kleinen  Anfängen 
aus  die  Grafen  von  Cilli  zu  übermächtigen  Gegnern  heranwuchsen. 

Rudolfs  Brüder,  die  Herzoge  Albrecht  HI.  und  Leopold  III.. 
die  1366  von  Kaiser  Karl  IV.  die  Gesammtbelehnung  mit  den 
österreichischen  Landen  erhielten,  waren  nach  Denkart  und  Be- 
strebungen zu  sehr  verschieden,  um  lange  die  Regierung  gemein- 
sam führen  zu  können.  Nach  verschiedenen  Versuchen,  durch 
Theilung  der  Einkünfte   oder  der  Verwaltung  zu  einer  befriedi- 


w  Hauke,  S.  14flf. 


124        österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Thoil.  Zweite  Periode.  §  19. 

genden  Lösung  zu  gelangen,  kam  es  in  Neuberg  am  25.  Sep- 
tember 1379  zu  einer  Theilung  des  Hauses  in  zwei  selbständige, 
mit  dem  Rechte  abgesonderten  Erwerbes  ausgestattete  Linien, 
denen  allerdings  für  den  Fall  gänzlichen  Aussterbens  einer  Linie 
wechselseitige  Nachfolge  vorbehalten  war.^^  Herzog  Albrecht  HL 
und  seine  Erben  erhielten  das  Land  Österreich  ob  und  unter 
der  Enns  mit  Einschluss  der  Gebiete  von  Steyer,  Hallstatt  und  Ischl, 
Herzog  Leopold  das  Übrige  mit  Einschluss  von  Wiener-Neustadt 
und  des  alten  Püttener  Bezirkes. 

Herzog  Leopold  HI.  benützte  die  so  gewonnene  Stellung  zu 
weiterem  Ländererwerb,  kaufte  im  Mai  1375  die  Grafschaft  Feld- 
kirch vor  dem  Arlberge,  1381  die  Grafschaft  Hohenberg  in 
Schwaben,  erwarb  pfandweise  die  Landvogtei  in  Ober-  und 
Niederschwaben,  nahm  1382  die  Unterwerfung  der  Stadt  Triest 
an,  die  sich  durch  Anschluss  an  Österreich  vor  der  Übermacht 
der  Venetianer  zu  retten  suchte,  u.  s.  w.  Allein  ein  Krieg  mit 
den  Schweizer  Eidgenossen,  in  den  er  ohne  sein  Zuthun  ver- 
wickelt worden  war,  endete  mit  der  Niederlage  bei  Sempach,  in 
welcher  Herzog  Leopold  HI.  und  die  Blüte  der  österreichisch- 
schwäbischen Ritterschaft  ihr  Leben  verloren  (9.  Juli  1386).  Die 
Schwierigkeit  der  augenblicklichen  Lage  veranlasste  den  ältesten 
Sohn  des  Gefallenen,  Herzog  Wilhelm,  in  eine  Suspension  der 
Wirkungen  der  Neuberger  Theilung  zu  willigen,  so  dass  dem 
Herzog  Albrecht  HL  die  Ausübung  der  Herrschaft  in  allen  habs- 
burgischen  Landen  auf  Lebenszeit  überlassen  wurde. 

10.  Nach  dem  Tode  Herzog  Albrecht's  III.  (f  1395,  29.  August) 
stellte  Herzog*  Wilhelm  als  Senior  de»  Hauses  seinerseits  das 
gleiche  Verlangen,  begegnete  aber  bei  Herzog  Albrecht  IV. 
heftigem  Widerstände.  Der  HoUenburger  Vertrag,  durch  den 
dieser  Zwist  behoben  werden  sollte  (1395,  22.  November),  gestand 
dem  Herzog  Wilhelm  einen  gewissen  Vorrang  zu,  hat  aber  im 
übrigen  die  Linientheilung  nicht  behoben. 

Schon  bei  dieser  Gelegenheit  zeigte  es  sich,  dass  der  Gegen- 
satz im  Herrscherhause  auch  die  Länder  selbst  ergriffen  hatte, 
da  auf  Seite  Herzog  Wühelm's  nicht  bloß  die  Steirer  und  Kärntner, 
sondern   auch   die  Wiener   standen.    In   den   folgenden  zwanzig 

1^  Vgl.  über  die  staatsrechtliche  Bedeutung  dieser  Theüungen:  Hauke, 
S.  18 ff.  Die  Theilungsverträge  selbst  s.  bei  Rauch,  Ss.  Rer.  Austr.  III,  S.  395  ff. 


Ländertheilungen  der  Habsburger  im  14.  und  15.  Jahrhundert.         125 

Jahren  besserten  sich  die  Beziehungen  keineswegs,  ja  die  Un- 
einigkeit in  Österreich  erfasste  schließlich  die  einzelnen  Classen 
der  Gesellschaft,  die  während  des  Streites  der  Brüder  Leopold  IV. 
und  Ernst  um  die  Vormundschaft  über  Herzog  Albrecht  V.,  ge- 
schlossen als  Parteigänger  des  einen  oder  anderen  Leopoldiners 
ihren  Vortheil  verfolgten.  Die  Luxemburger  schürten  die  Zwistig- 
keiten  und  die  Herrschsucht  der  Leopoldiner  erschöpfte  sich  in 
der  Ausklügelung  immer  neuer  Länderzusammenstellungen,,  um 
ja  jedem  seinen  AntheU  an  der  Verwaltung  zuzumessen.  ^^  Den 
Hauptgewinn  zogen  die  Landstände  in  Österreich.  Als  Albrecht  IV. 
am  14.  September  1404  starb,  übernahm  Herzog  Wilhelm  die 
Vormundschaft  über  den  noch  unmündigen  Herzog  Albrecht  V. 
ohne  Schwierigkeit.  Sobald  aber  nach  Herzog  Wilhelm's  Tode 
(t  15.  Juli  1406)  sowohl  Herzog  Leopold  IV.  als  Herzog  Ernst 
der  Eiserne  nach  der  Vormundschaft  strebten,  änderte  sich  die 
Lage,  denn  die  Landschaft  erklärte  am  6.  August  1406,  dass 
Albrecht  V.  ihr  rechter  Erbherr  sei,  dass  aber  in  Bezug  auf 
die  Vormundschaft  und  Regierung  nur  das  zu  gelten  habe,  was 
ihre  Zustimmung  erhalte.  Die  Herzoge  mussten  sich  fügen  und 
Leopold  IV.  übernahm  nach  Vereinbarung  mit  seinem  Bruder 
Ernst  die  Vormundschaft.  Schon  im  December  1407  brach  jedoch 
zwischen  beiden  Brüdern  ein  blutiger  Kampf  los.  Auf  Seite  Herzog 
Emst's  standen  die  Landherren,  für  Herzog  Leopold  IV.  focht 
die  Ritterschaft,  die  ihren  Antheil  an  der  Rechtssprechung  des 
Hoftaidings  verlangte.  Wohl  wurde  dieser  Kampf  im  folgenden 
Jahre  gütlich  beigelegt,  allein  neue  Verwirrungen  drohten,  als 
Herzog  Leopold  am  24.  April  1411  die  für  diesen  Zeitpunkt  den 
Ständen  versprochene  Entlassung  Herzog  Albrecht's  V.  aus  der 
Vormundschaft  verweigerte.  Der  junge  Herzog  wurde  durch 
Reinprecht  von  Walsee  und  Leopold  von  Eckartsau  nach  Eggen- 
burg entführt,  wo  ihn  die  Stände  als  ihren  Herrscher  begrüßten. 
Ein  neuer  Bürgerkrieg  drohte  auszubrechen,  als  Herzog  Leopold  IV. 
unvermuthet  am  3.  Juni  1411  starb.    Albrecht  V.  übernahm  nun 


^  Vom  Jahre  1373  ab  hatte  die  Steiermark  in  einem  Menschenalter 
(bis  1404)  eine  siebenmalige  Ändemng  der  Regierung  erfahren!  Kümmei, 
Zur  Geschichte  Herzog  Ernst  des  Eisernen.  Mitth.  des  historischen  Vereins  für 
Steiermark,  XXV,  S.  8.  —  Darüber,  dass  innerhalb  der  Leopoldinischen  Linie 
nur  Verwaltnngstheilungen  waren,  vgl.  Hauke,  S.  27. 


126        Österreichische  Reichsgeschichte.  1.  Theil.  Zweite  Periode.  §  19. 

die  Regierung  in  Österreich  und  vermählte  sich  1422  mit  der 
Erbtochter  König  Sigismund's,  die  ihm  schon  1411  zur  Frau  ver- 
sprochen worden  war. 

11.  Wirren  zwischen  den  Brüdern  Ernst  und  Friedrich  IV. 
brachen  1415  aus,  als  dieser  dem  abgesetzten  Papste  Johann  XXIII. 
zur  Flucht  aus  Constanz  verholfen  hatte  und  ihn  dafür  die  Reichs- 
acht traf.  Der  Tiroler  Adel,  die  Wolkensteiner  voran,  die  sich  reichs- 
frei machen  wollten,  fiel  damals  von  Friedrich  IV.  ab,  den  auch 
sein  eigener  Bruder  bekriegte ;  allein  die  Tiroler  Bauern  hielten  zähe 
an  ihrem  Herzog,  der  1416  nach  einem  Vertrage  mit  Herzog  Ernst 
wieder  die  Herrschaft  über  Tirol  erlangte  und  durch  seine  Spar- 
samkeit den  Spottnamen  „Friedel  mit  der  leeren  Tasche"  zu- 
schanden  machte.  Er  starb  1439  am  24.  Juni  und  hinterließ  seinem 
minderjährigen  Sohne  Herzog  Sigmund  die  Regierung  in  Tirol. 

Herzog  Albrecht  V.  mischte  sich  in  diese  Händel  der  Leo- 
poldiner nicht,  wohl  aber  wurde  er  als  Schwiegersohn  König 
Sigismund's  in  den  Krieg  gegen  die  Hussiten  verwickelt,  die  vom 
Jahre  1425  ab  wiederholt  in  Österreich  einfielen.  Erst  1436 
wurde  Sigismund  von  den  Böhmen  als  König  anerkannt.  Als  er 
im  Jahre  darnach  starb,  suchte  Herzog  Albrecht  V.  Ungarn, 
Böhmen  und  Mähren  in  seinen  Besitz  zu  bringen,  was  ihm 
schließlich  gelang.  Auch  die  deutsche  Krone  ward  ihm  zutheil 
und  groß  waren  die  Hoffnungen,  die  man  allerorten  auf  diesen 
tüchtigen  Regenten  setzte,  da  raffte  ihn  plötzlich  in  der  Blüte 
seiner  Jahre  eine  Lagerseuche  dahin. 

König  Albrecht  hinterließ  bei  seinem  Tode  (27.  October  1439) 
zwei  Töchter  und  eine  schwangere  Gemahlin.  Zu  seinem  Erben 
in  Österreich  hatte  er  für  den  Fall,  dass  seine  Frau  einer  Tochter 
genesen  würde,  seinen  Vetter  Friedrich  V.,  den  ältesten  Sohn 
des  1424  verstorbenen  Herzogs  Ernst,  ernannt.  Würde  jedoch 
ein  Sohn  und  Erbe  geboren  werden,  so  sollte  die  Vormundschaft 
Herzog  Friedrich  und  jeweilig  der  Älteste  des  Hauses  im  Vereine 
mit  der  Königin  und  einem  ständischen  Ausschusse  führen,  in  den 
vier  Böhmen,  drei  Ungarn  und  zwei  Österreicher  zu  berufen  seien. 

Ladislaus  dem  Nachgeborenen,  dem  am  22.  Februar  1440 
gebornen  Sohne  König  Albrecht's,  wurde  in  dieser  Weise  die 
Herrschaft  in  Österreich  und  Böhmen  gewahrt,  die  Ungarn  dagegen 
beriefen  den  König  Wladislaus  von  Polen  auf  ihren  Thron,    der 


Die  Habsburger  im  15.  Jahrhundert.  127 

sich  bis  zu  seinem  Tode  in  der  Schlacht  bei  Varna  behauptete 
(1444),  dann  allerdings  gelang  es,  die  Ansprüche  des  Ladislaus 
Postumus  auch  hier  zur  Anerkennung .  zu  bringen. 

12.  Die  vormundschaftliche  Regierung,  die  König  Friedrich 
zugleich  über  den  minderjährigen  Herzog  Sigmund  von  Tirol  und 
über  König  Ladislaus  zu  führen  hatte,  kam  der  Entwicklung  der 
ständischen  Macht  da  wie  dort  sehr  zustatten.  Der  Antritt  der 
Vormundschaft  bot  den  Landständen  Gelegenheit,  die  Versicherung 
dynastischer  Treue  und  Anhänglichkeit  an  ihren  Erbherrn  mit 
Bedingungen  zu  verbinden,  die  sie  dem  persönlich  unbeliebten 
Vormunde  umsoleichter  auferlegen  konnten,  als  dessen  Bruder, 
der  ehrgeizige  Herzog  Aibrecht  VI.,  wider  den  König  Friedrich 
stand.  In  Böhmen  und  Ungarn  walteten  nationale  Reichsverweser, 
Georg  von  Podiebrad  und  Johann  Hunyadi,  die  sich  um  Friedrich 
wenig  kümmerten,  in  ÖsteiTeich  ein  ständischer  Ausschuss. 
Schließlich  erzwangen  die  österreichischen  Landstände  unter 
Führung  Eizinger's  und  des  Grafen  Ulrich  von  Cilli  durch  die 
Belagerung  von  Wiener -Neustadt  vom  eingeschlossenen  Kaiser 
eine  Abkürzung  der  Vormundschaft.  König  Ladislaus,  der  den 
Ständeherren  am  4.  September  1452  ausgeliefert  wurde,  zog 
unter  lautem  Jubel  in  Wien  ein,  wo  man  den  Dreizehnjährigen 
alsbald  wie  einen  selbständigen  Herrscher  Regierungsacte  aus- 
üben ließ.  Wirkliche  Herrschergewalt  erlangte  dieser  von  persön- 
lichem Ehrgeiz  und  Thätigkeitsdrang  erfüllte  Fürst  weder  damals 
noch  später,  zumal  ihm  nur  ein  Leben  von  siebzehn  Jahren 
beschieden  war  (f  23.  November  1457). 

13.  Mit  dem  Tode  des  Königs  Ladislaus  zerriss  das  lockere 
Band,  durch  das  Ungarn  und  Böhmen  zum  erstenmale  mit  Öster- 
reich verknüpft  worden  waren.  Nationale  Könige,  Matthias 
Corvin  und  Georg  von  Podiebrad,  kamen  zur  Regierung;  dem 
Kaiser  Friedrich  fiel  es  schwer,  seine  Ansprüche  auf  Österreich 
gegen  seinen  heiTschsüchtigen  Bruder  Albrecht  VI.  zu  wahren, 
gleichwie  ihm  die  Behauptung  der  angefallenen  Cillier  Erbschaft 
nach  Ermordung  des  Grafen  Ulrich  (f  9.  November  1456)  nur 
mühsam  gelang.  Überhaupt  verlief  die  Regierung  Kaiser  Fried- 
rich's  HL  infolge  der  bekannten  Unentschlossenheit  dieses  Herr- 
schers selbst  dann  noch  wenig  glücklich,  als  ihm  nach  dem  Tode 
seines  ehrgeizigen  Bruders  Albrecht  VI.  (f  1463)  die  Vereinigung 


128        österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  19. 

ßämmtlicher  Hauslande,  mit  Ausnahme  von  Tirol  und  den  Vor- 
landen, gelungen  war.  Friedrich,  der  den  Grundsatz  hatte:  Ein  jeder 
Fürst,  der  da  regieren  will  gewaltiglich  nach  seinem  Nutz  und 
Gefallen,  der  huet  sich  vor  Versammlung  der  Landschaft  und  No- 
bilium,  kam  aus  der  Nothwendigkeit,  ständische  Hilfe  in  Anspruch 
zu  nehmen,  gar  nicht  heraus.  In  der  Steiermark  brach  1467—68, 
als  der  Kaiser  eine  Pilgerfahrt  nach  Rom  unternommen  hatte, 
die  verwüstende  Baumkircherfehde  aus,  die  erst  1470  geschlichtet 
wurde  ;  die  Türken  begannen  nach  dem  Falle  Constantinopels  ihre 
rasch  wiederholten  Einfälle  nach  Innerösterreich  ^^  und  bedrohten 
selbst  Tirol.  Zum  Überfluss  ließ  es  Kaiser  Friedrich  in  seinem  Be- 
streben, auf  die  Besetzung  von  Salzburg  Einfluss  zu  gewinnen, 
zum  Kriege  mit  Ungarn  kommen,  in  welchem  König  Matthias 
nicht  bloß  gi'oße  Theile  von  Innerösterreich,  sondern  1485  selbst 
Wien  eroberte,  das  er  nun  zum  Herrschersitz  erkor.  Der  Kaiser 
irrte  mittlerweile,  ein  Bild  tiefster  Erniedrigung,  durch  Deutschland. 
14.  Besser  gestalteten  sich  die  Verhältnisse  erst  seit  dem  Ein- 
greifen seines  Sohnes  Maximilian,  der  sich  1477  mit  Maria  von 
Burgund,  der  Erbtochter  Herzog  Karl's  des  Kühnen,  vermählt 
hatte,  nach  deren  Tode  die  Regierung  des  reichen  burgundischen 
Erbes  für  seinen  Sohn  Philipp  führte  und  seit  1486  zum  römischen 
König  gewählt  war.  Dem  Einflüsse  der  liebenswürdigen  Persön- 
lichkeit des  ritterlichen  Kaisersohnes  gelang  so  manches,  was 
seinem  Vater,  dessen  Widerspiel  er  oft  war,  hartnäckig  ver- 
sagt blieb.  So  hat  man  es  Maximilian  wesentlich  zu  danken,  dass 
der  drohende  Verlust  von  Tirol  verhindert  wurde,  das  der  erben- 
lose Erzherzog  Sigmund  in  seiner  Abneigung  gegen  den  Kaiser 
bereits  an  Herzog  Albrecht  von  Bayern  verschrieben  hatte.  Nur 
wenige  Wochen  nach  Abtretung  der  Herrschaft  in  Tirol  an  König 
Maximilian  (März  1490)  starb  König  Matthias  Corvin ,  vom 
Schlage  gerührt,  in  seiner  Residenz  zu  Wien  (f  6.  April  1490). 
Wieder  war  es  König  Maximilian,  der  in  raschem  Feldzug  den 
Ungarn  die  von  ihnen  besetzten  Gebietstheile  in  Innerösterreich 
und  im  Lande  unter  der  Enns  entriss,  während  der  alternde 
Kaiser  Friedrich  seine  letzten  Lebensjahre  in  stiller  Zurück- 
gezogenheit, mit  astrologischen  und  alchymistischen  Studien  be- 
schäftigt, in  Linz  verlebte,  wo  er  am  19.  August  1493  starb. 

13 1469, 1471, 1473, 1475  u.  s.  w.  II  wo  f,  Mitth.  hist.  Ver.  f.  Steierra.,  Bd.  9ff. 


Kaiser  Friedrich  III.;  Österreichische  Rechtsquelien  im  Mittelalter.     129 


Österreichische  Rechtsquelien  vom  Schlüsse  des  10.  bis 

zum  Ende  des  15.  Jahrhunderts. 

§  20.  Allgemeine  Bemerkungen. 

B  i  s  cho  f  f  F.,  Österr.  Stadtrechte  und  Privilegien.  1857.  Zur  Geschichte  des 
Rechts  in  Österreich.  (Wiener  Zeitg.,  lit.  Beilage  1855  Nr.  52,  1856  Nr.  3, 6, 12.)  — 
Stobbe  0.,  Geschichte  der  deutschen  Rechtsquellen,  I,  1860.  —  Mon.  Germ., 
Fol,  Leg.  n  und  4^  Constitutiones,  I.  —  österr.  Weisthümer,  gesammelt  von 
der  k.  Akad.  d.  Wissenschaften.  Bisher  7  Bde.  1870  ff.  —  Seh  rode  r,  R.  G.,  628.  — 
Werunsky,  §  2. 

1.  Zu  Beginn  dieser  Periode  galt,  nach  den  Professiones  juris 
zu  schließen,  die  in  Südtirol  und  im  Küstenland  bis  ins  13.  Jahr- 
hundert vorkommen,^  das  dem  fränkischen  Reiche  eigenthümliche 
Princip  der  persönlichen  Rechte.  Die  alten  Volksrechte  wurden 
noch  fortwährend  durch  Abschrift  vervielfältigt,^  allein  sie  starben 
allmählich  ab,  weil  deren  zeitgemäße  Fortbildung  im  Wege  der 
Gesetzgebung  unter  den  sächsischen  Kaisern  ganz  aufgehört  hatte. 
In  die  Lücken  trat  der  Rechtsbrauch  ergänzend  ein  und  so  be- 
gann eine  Zeit,  in  welcher  das  Gewohnheitsrecht  ausschließend 
herrschte  und  das  Territorialprincip  nach  und  nach  durchdrang, 
d.  h.  man  gewöhnte  sich,  das  Recht  des  überwiegenden  Theils  der 
Landesbewohner  als  das  Recht  des  Landes  aufzufassen,  so  dass 
für  den  Einzelnen  fortan  nicht  mehr  das  Recht  seines  Geschlechts, 
sondern  das  Recht  seiner  Heimat  maßgebend  wurde.  Daher 
waltete  in  den  altösterreichischen  Landen  während  des  Mittelalters 


^  Ein  paar  Beispiele  für  viele:  1166  heißt  es  im  Bündnisse  von  Perguie 
mit  Vicenza,  der  Podestä  solle  die  Leute  leben  lassen  „suis  usibus,  legibus  et 
consuetudinibus  antiquis  secundum  quod  semper  et  hominum  memoria  et  in 
ante  jara  sunt  centum,  (XJ,  CCCC  annos  vixerunt  et  vivere  volent  tam  ex  lege 
Salica  et  Langobardica."  Zeitschrift  des  Ferdinandcums,  Heft  36,  S.  8,  Anm.  1.  — 
1126  in  einer  am  Isonzo  ausgestellten  Urkunde  „Rudolfus  in  dei  nomine  de  loco 
Tercento  professus  ex  natione  mea  lege  vivere  Romana*.  —  QueUon  zur  bayerischen 
Geschichte,  1, 361.  —  1102  zu  Aquileja,  der  Sohn  des  Markgrafen  Ulrich  von  Istrien 
und  dessen  Frau  ,. . .  professi  sumus  lege  vivere  Boioariorum.  U.-B.  Krain,  I,  73. 

^  Eine  Handschrift  der  Wiener  Hofbibliothek  der  Lex  Alamannorum  ist 
aus  dem  12.  Jahrhundert,  die  Wiener,  Admonter  und  Grazer  Handschriften  der 
liox  Bajuvariorum  gehören  gleichfalls  dem  12.  Jahrhundert  an. 

Los  ob  In,  ötterreiohUcbe  Reichi^schiclite.  9 


130        Österreichische  Reichsgeschiohte.  L  Theil.  Zweite  Periode.  §  20. 

deutsches  Gewohnheitsrecht  vor,  das  nur  zum  kleineren  Theil  auf- 
gezeichnet war.  Berufungen  auf  das  gute  alte  Herkommen,  auf 
den  Landesbrauch  u.  dgl.  sind  uns  in  ungezählter  Menge  über- 
liefert und  dem  fremden  Beobachter,  der  aus  einem  Lande  kam,  in 
dem  bereits  „die  geschriebenen  Rechte"  gepflegt  wurden,  musste 
dieser  Zustand  geradezu  als  Rechtsunsicherheit  erscheinen.  So 
urtheilt  auch  Aeneas  Sylvius,  da  er  von  den  Wienern  berichtet: 
„Vivunt  prseterea  sine  uUa  scripta  lege,  mores  ajunt  se  teuere 
vetustos,  quos  saepe  ad  suum  sensum  adducunt  vel  intei-pretantur".' 

2.  Daher  ist  uns  auch  in  den  schriftlichen  Quellen  zum  guten 
Theil  aufgezeichnetes  Gewohnheitsrecht  überliefert.  So  in  der 
altern  Fassung  des  österreichischen  Landesrechts,  die  nur  ver- 
einzelt auf  Reichs-  oder  Landesgesetze  Bezug  nimmt,  oder  im 
steierraärkischen  Landesrecht  aus  dem  14.  Jahrhundert.  Aber  auch 
in  städtischen  Rechtsquellen,  in  den  Bergwerksordnungen  und  in 
der  Unzahl  von  Rechtsaufzeichnungen  für  bäuerliche  Verhältnisse, 
in  den  Bau-  und  Bergtaidingen,  Rügen,  Dreidingen  und  wie  diese 
Weisthümer  sonst  noch  heißen,  ist  vor  allem  Gewohnheitsrecht 
enthalten. 

Raum  für  gesetzgeberische  Thätigkeit  war  den  Landes- 
herren während  des  Mittelalters  nur  wenig  gelassen.  Sehen  wir 
von  den  Landfrieden  ab,  die  in  größerer  Zahl  für  Österreich,  ver- 
einzelt wie  jener  vom  Jahre  1276,  sogar  für  eine  Ländergruppe,  er- 
lassen wurden,  so  wären  hier  etwa  die  Ordnung  des  Strafverfahrens, 
„Gewissende"  genannt  für  Kärnten  und  Tirol  (1277,  1312,  1349), 
die  kleine  Gerichtsordnung  fdr's  Land  ob  der  Enns  vom  Jahre 
1299,  die  Salzburger  Landesordnung  Erzbischof  Friedrich's  IIL 
vom  Jahre  1328  zu  nennen.  Einen  Gesetzesentwurf,  der  jedoch 
ohne  landesfürstliche  Genehmigung  blieb,  bietet  uns  die  jüngere 
Fassung  des  österreichischen  Landesrechts  (um  1298). 

3.  Zahlreiche  Rechtsquellen  tragen  den  Charakter  von  Privi- 
legien. Für's  Staatsrecht  von  größter  Bedeutung  sind  die  Freiheits- 


8  In  der  Einleitung  zu  seiner  Histor.  Friderici  in,  Imp.  Ich  setze  auch 
die  ungelenke  Übersetzung  dieser  Stelle  hieher,  die  sich  in  der  österr.  Chronik 
Alberts  v.  Bonstetten,  Cap.  9,  findet:  „Über  das  leben  sy  an  allen  gesehriben 
gesatzt,  sprechent,  sich  halten  und  gebruchen  der  alt  sitt^n  und  gewonhaiten, 
die  sie  euch  oft  nach  irera  syn  darthund  und  pflegent*  Gasser,  Beitrag  zur 
deutschen  Sittengeschichte  des  Mittelalters.  Wien  1790,  S.  8. 


Gewohnheitsrecht,  Gesetze,  Satzungen,  Formelbücher.  131 

briefe  des  Herrscherhauses,  femer  die  s.  g.  Landesfreiheiten,  die 
«ch  in  Innerösterreich  aus  Privilegien  entwickelten,  die  ursprünglich 
den  Landesministerialen  und  der  unfreien  Ritterschaft  verliehen 
worden  waren.  Auch  das  Recht  der  Städte,  soweit  es  in  schrift- 
liche Form  gebracht  war,  beruhte  gutentheils  auf  Privilegien;  es 
gab  ferner  Privilegien  für  einzelne  Classen  der  Städtebewohner, 
wie  etwa  die  Hausgenossen  in  Wien,  Enns  und  Neustadt,  die 
Elämminger  in  Wien,  die  Judengemeinden  u.  s.  w.^ 

4.  Autonome  Satzungen  gab  es  in  den  Städten,  zumal  in 
Wien,  wo  der  Bürgerschaft  im  Jahre  1320  König  Friedrich  der 
Schöne  als  Landesherr  die  Anlage  des  s.  g.  Eisenbuchs  erlaubte,  »um 
darein  zu  schreiben  alle  die  Recht,  die  sie  mit  gemainem  Rat  und 
pei  dem  Aide  den  sie  uns  gesworn  habent  erfunden".  Erst  gegen 
Ende  unserer  Periode  begannen  auch  die  Landstände  mit  Satzungen 
polizeilichen  Inhalts,  wie  sie  uns  im  Abschied  des  Tiroler  Land- 
tags vom  Jahre  1420  oder  in  der  „Ordnung  und  Artikel  eines 
gemainen  Nutzes  willen  der  Landschaft  in  Kärnten*  vom  Jahre 
1492  begegnen. 

5.  Nur  gering  ist  dagegen  die  Zahl  österreichischer  Rechts- 
quellen aus  dem  Mittelalter,  die  wir  als  Erzeugnis  wissenschaft- 
licher Thätigkeit  bezeichnen  können.  An  erster  Stelle  ist  hier  das 
Wiener  Stadtrechtsbuch  zu  nennen,  das  ein  Wiener  Vorsprech  im 
14.  Jahrhundert  verfasst  hat.  Ungefähr  um  dieselbe  Zeit  mag  ein 
Qrazer  College  das  schon  erwähnte  steirische  Landrecht  geschrieben 
haben.  Die  Zahl  der  Formelbücher  und  Briefsteller,  die  auf  öster- 
reichischem Boden  entstanden,  ist  sogar  ziemlich  groß,  und  es 
befindet  sich  unter  denselben  auch  der  von  einem  Cistercienser  zu 
Baumgartenberg  Anfang  des  14.  Jahrhunderts  verfasste  „Formu- 
larius  de  modo  prosandi*,  der  als  die  bedeutendste  Leistung  der 
deutschen  Notariatswissenschaft  gilt  und  in  seinem  theoretischen 
Theil    bemerkenswerte   Hinweise    auf  Wiener-    und   mährischen 


3  Zahlreiche  Exemptionsprivilegien  für  die  Landesklöster;  Verbot  des 
Spolienrechts  durch  König  Otakar,  1262,  1266  . .  .  Vgl.  Singer,  Historische 
Studien  über  die  Erbfolge  nach  katholischen  Weltgeistlichen,  1883,  S.  6.  Für 
die  Priesterschaft  in  Krain  seit  Herzog  Wilhelm  (1399),  ungedruckt.  Für  die 
Wiener  Hausgenossen  und  die  Flandrer  im  Österr.  Geschichtsforscher,  I,  H, 
Judenprivilegien  von  1238,  1244,  1254,  1268,  1377,  1396. . .  bei  Stobbe,  Juden, 
in  Deutschland,  S.  295  ff.  Wiener,  Regesten  zur  Geschichte  der  Juden.  S.  232, 
Nr.  HO,  143  .. . 

9* 


132  Österreichische  Reichsgeschichte.  1.  Theil.  Zweite  Periode.  §  20. 

Rechtsbrauch  enthält.  Nach  dem  Inhalt  seines  zweiten  Theils  kann 
jedoch  das  Baumgartenberger  Formelbuch  ebensowenig  zu  den 
österreichischen  Rechtsquellen  im  engeren  Sinne  gerechnet  werden, 
als  die  Summa  Curise  Regis  oder  anderen  Briefsammlungen  au» 
König  Rudolfs  Zeit,  w^elche  für  Zwecke  der  Reichskanzlei  be- 
rechnet waren.*  Die  spätem  Formelbücher  vom  15.  Jahrhundert 
an  haben  als  Beispielsammlungen  für  unsere  Rechtsgeschichte  w^ohl 
einigen  Wert,  sind  aber,  da  sie  nur  für  praktische  Zwecke  zu- 
sammengetragen wurden,  mehr  ein  Zeugnis  für  den  Fleiß,  als  für 
die  wissenschaftliche  Befähigung  ihrer  Verfasser. 

6.  Von  ganz  anderm  Schlage  ist  dagegen  eine  Summa  legum, 
die  zu  Wiener-Neustadt  in  der  ersten  Hälfte  des  14.  Jahrhundert» 
wahrscheinlich  ein  in  den  fremden  Rechten  wohl  bewanderter 
Stadtschreiber  verfasst  hat.^  Im  engen  Anschluss  an  die  Arbeiten 
der  Glossatoren  von  Bologna  behandelt  dies  Rechtsbuch  in  selbst- 
ständiger, systematischer  Reihenfolge  alle  Theile  und  Gebiete  de& 
Rechts,  die  damals  Gegenstand  wissenschaftlicher  Behandlung 
waren,  u.  zw.  derart,  dass  es  auch  deutschrechtliche  Sätze  und 
Anschauungen  mit  dem  römisch-kanonischen  Rechtsstoffe  in  ver- 
ständiger Weise  verarbeitet.  Abgesehen,  dass  diese  Summa  Zeugnis 
gibt,  wie  frühzeitig  die  fremden  Rechte  in  unsern  Gegenden 
Eingang  fanden,®  ist  sie  im  16.  Jahrhundert  auch  von  Stephan 
Verböczi  bei  Abfassung  des  „Opus  tripartitum  juris  consuetudinarii 
regni  Hungarise"  benützt  worden,  das  seinen  eigentlich  juristischen 
Stoff  vor  allem  aus  dieser  Rechtsquelle  geschöpft  hat. 

7.  Noch  ist  einiger  Handschriften  zu  gedenken,  die  als. 
Ergebnisse  ämtlicher  Thätigkeit  einen  Einblick  in  die  Einrichtungen 
mittelalterlicher  Verwaltung  gewähren.^  Hieher  gehören  die  Urbare^ 


^  Kretzschmar,  Die  Formularbücher  ans  der  Kanzlei  Rndolf  v.  Habs- 
burg's,  1889.  Starzer  und  Redlich,  Eine  Wiener  Briefsammlung  (Mitth.  a.  d. 
vaticanischen  Archive,  II).  Vgl.  auch  Fontes  II,  Bd.  6  u.  25.  Archiv,  Bd.  14 
und  Rockinger  über  Formelbticher  vom  13.  bis  16.  Jahrhundert.  1855. 

*  Toniaschek  in  S.  B.,  Bd.  105,  S.  241  ff. 

^  Neben  der  Professiones  juris  kommen,  namentlich  im  Gebiet  von  Trient^ 
seit  dem  12.  Jahrhundert  auch  andere  Berufungen  auf  römisches  Recht  vor. 
Tomaschek  in  S.  B.  Bd.  33,  S.  350  ff.  Über  die  Constitutiones  Patriae  Forojnlii,. 
vgl.  §  24,  1,  S.  146. 

'^  Liber  hubarum  et  redituum  per  totam  Austriam  (aus  den  Jahren  1262  bis- 
1265),  Nb.  V  (1855),  333  ff.  Rationarium  AustriaB  aus  der  Zeit  Herzog  Albrecbt's  L 


Einflass  des  römischen  Rechts  und  des  Schwabenspiegels.  138 

die  sowohl  für  landesherrlichen  als  auch  für  privaten  Grundbesitz 
seit  der  Mitte  des  13.  Jahrhunderts  angelegt  wurden,  Amtsrech- 
nungen, die  uns  für  Tirol  seit  dem  Schlüsse  des  13.  Jahrhunderts 
für  Österreich,  Steiermark  und  Kärnten  aus  dem  ersten  Drittel 
des  14.  Jahrhundert  erhalten  sind,  das  unter  dem  Namen  des 
Frohnbuchs  bekannte  Protokoll  des  herzoglichen  Hoftaidings  zu 
Wien  u.  dgl.  m. 

8.  Endlich  ist  noch  die  große  Bedeutung  hervorzuheben,  die  der 
8.  g.  Schwabenspiegel  in  Österreich  als  »Kaiserrecht"  erlangt 
hat.  Über  hundert  Handschriften  haben  sich  von  diesem  Rechts- 
buch bis  zum  heutigen  Tag  innerhalb  des  Kaiserreichs  erhalten,  im 
Mittelalter  aber  muss  deren  Zahl  hier  noch  unvergleichlich  größer 
gewesen  sein.  Wie  sehr  man  dieses  Rechtsbuch  zur  Ergänzung 
der  heimischen  Rechtsquellen  benützte,  lehrt  die  Beobachtung, 
dass  man  es  sowohl  mit  dem  österreichischen  als  auch  mit  dem 
flteirischen  Landesrecht,  ferner  mit  dem  Wiener  Stadtrechtsbuch 
u.  s.  w.  nicht  selten  handschriftlich  vereinigt  antrifft.  Ebenso  kam 
es  vor,  dass  man  Sätze  desselben  in  hiesige  Rechtsquellen  auf- 
nahm, sowie  es  umgekehrt  Schwabenspiegel -Handschriften  gibt, 
die  durch  Einschaltung  eines  Abschnittes  über  die  kärntische 
Herzogswahl  eine  deutliche  Beziehung  zu  diesem  Lande  auf- 
weisen. Es  ist  daher  nicht  überraschend,  dass  eine  gewisse  Text- 
form dieses  Rechtsbuchs  geradezu  die  österreichische  genannt 
wird  oder  sich  selbst  als  solche  bezeichnet,®   wie   etwa  Hand- 


Rationarium  Styriee  vom  Jahre  1265.  Rauch,  Ss.  II,  1  und  114  ff.,  s.  a.  Meli, 
Die  mittelalterlichen  Urhafe  und  Aufzeichnungen  in  Steiermark,  in  den  Beiträgen 
2ur  Kunde  steierm.  Geschichtsquellen,  XXV,  1893.  —  Die  Rechnungshücher  der 
<)sterr.  Herzoge  von  1326  his  1338  in  Chmel's  Geschichtsforscher,  I,  II.  —  Ein- 
künfte der  Herzoge  1437/8  bei  Chmel,  Materialien,  I,  82;  Amtsrechnungen  über 
die  fürstlichen  Gefälle  in  der  Grafschaft  Tirol  1297  bei  Fr  ei  her  g,  Neue  Bei- 
träge zur  vaterländischen  Geschichte,  München,  1837, 1,  161  ff. ;  von  1303  bis  1305 
in  ChmeTs  Geschichtsforscher,  II,  133  ff.  —  Meinhard's  II.  Urbare  der  Grafschaft 
Tirol  (1288),  Fontes,  R.-A.,  Bd. 45.  —Lehenbücher Herzog Albrecht's  V.,N.  B. VIII, 
IX,  1858,  1859,  des  Königs  Ladislaus,  N.  B.  IV,  1854. 

8  Vgl.  z.  B.  das  Handschriften-Verzeichnis  der  Gießener  Bibliothek  von 
Adrian,  S.  308,  Nr.  MXI,  Fol.  60  ff. :  „Speculum  suevicum  uti  illud  in  Austria  usitatum 
fait",  und  meine  Notiz  in  Bd.  12,  der  Zeitschr.  für  Rechtsgeschichte,  S.  317.  — 
Vom  Cod.  Csesareus,  jetzt  in  der  k.  Hofbibliothek  in  Wien,  Cod.  2695,  wird  er- 
zählt, dass  er  dem  Gebrauch  der  österr.  Herrscher  seit  König  Rudolf  I.  gedient 
habe  (Senckenberg  Visiones  207),  er  gehört  indessen  erst  der  Mitte  des  14.  Jahr- 


134         österreichische  Reichegeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  21. 

ßchrift  78  der  niederosterreichischen  Landes-Bibliothek  zu  Wien, 
welche  unter  dem  Titel  „etlich  schöne  Capitl  aus  den  khaiser- 
lichen  rechten  gezogen  und  wie  di  im  land  Steyr  gehalten 
werden",   73  Artikel  des  sogenannten  Schw^abenspiegels  anführt. 

§  21.  Bechtsquellen  für  Österreich  ob  nnd  unter  der  Enns. 

Ein  ürkundenbuch  für  Österreich  unter  der  Enns  fehlt  noch,  was  so 
heißt,  ist  das  vom  Verein  für  Landeskunde  von  Niederösterreich  seit  1887 
herausgegebene  Ü.-B.  von  St.  Polten;  einigen  Ersatz  bieten  Meiller's  Baben- 
berger  Regesten,  1850,  und  die  von  Birk  gearbeiteten  Regesten  im  Anhang 
zu  Lichno  wsky,  Geschichte  des  Hauses  Habsburg,  die  U.-B.  der  Klöster  Qött- 
weigh,  Heiligenkreuz  u.  s.  w.  in  Fontes  U.  Vom  Ü.-B.  für  Österreich  ob  der  Enns 
sind  8  Bände,  die  bis  1375  reichen,  erschienen. 

> 

1.  Reichs-Privilegien  für  das  Herrscherhaus.  Als  öster- 
reichische Preiheitsbriefe  im  engeren  Sinne  bezeichnet  man  sieben 
Urkunden,  von  welchen  zwei,  das  sogenannte  Privilegium  minus 
von  1156  und  dessen  Bestätigung,  unzweifelhaft  echt  sind,  ob- 
schon  sie  nur  in  alten  Abschriften  überliefert  sind.  Die  fünf 
anderen  mit  den  Daten  1058,  1156  (pr.  majus),  1228,  1245  (Be- 
stätigung des  pr.  majus)  1283,  sind  dagegen  erst  um  1358—59 
auf  Veranlassung  Herzog  Rudolfs  IV.  entstanden^  und  daher  in 
ihrem  Ursprünge  unecht,  wiewohl  sie  später  durch  Kaiser  Fried- 
rich HI.  (1453,  6.  Jänner)  mit  Zustimmung  der  Kurfürsten  be- 
stätigt, und  durch  neue  Vorrechte,  namentlich  die  ausdrückliche 


hundert»  an.  —  Über  die  Öechische  Übersetzung  des  Schwabenspiegels  von  der 
mehr  als  ein  Viertelhundert  Handschriften  bekannt  sind,  s.  die  Notiz  Rockinger's 
in  S.  B.,  Bd.  107,  ß.  16. 

1  Aus  der  zahlreichen  Literatur  über  die  Freiheitsbriefe  hebe  ich  hervor  t 
Wattenbach,  im  Archiv,  Bd.  8;  Huber,  in  S.  B.,  Bd.  35;  Berchtold,  Die 
Landeshoheit  Österreichs  nach  den  echten  und  unechten  Freiheitsbriefen,  1862. 
Die  von  diesem,  S.  36,  Anm.  11,  ausgesprochene  Vermuthung,  dass  sich  auch 
unter  den  Bestätigungsbiiefen  einzelner  Rechte  „noch  manche  unechte  Urkunde* 
befinde,  bezeichnet  Steinherz  in  den  Mitth.  d.  Instituts,  IX,  65,  Anm.  1,  nach 
Einsicht  in  die  Originale  des  Wiener  Staatsarchivs  als  grundlose  Verdächtigung.  — 
Aufgezählt  sind  sie  in  meiner  Geschichte  des  ält^m  Gerichtswesens  in  Öster- 
reich, S.  22  ff.  Der  Entwurf  von  1245  ist  mehrfach  gedruckt,  u.  a.  im  Ü.-B.  für 
Steiermark,  II,  568  ff.  Das  Vidimus  der  österr.  Freiheitsbriefe  vom  11.  Juli  1360 
mit  Urkunden  vom  Jahre  1058  bis  1309,  s.  N.  B.  VI  (1856),  S.  99  flf.,  die  Be- 
lehnungsbriefe, die  Privilegia  de  non  evocando  u.  s.  w.  bei  Schrot ter,  1.  und 
2.  Abhandlung. 


Die  Österrjelchiachen  Freiheitsbrlöfe;  Das  österreichische  Landesrecht.     135 

Verleihung  des  Erzherzogstitels  erweitert,  in  dieser  Gestalt  reichs- 
rechtliche Anerkennung  fanden. 

Außerdem  erwirkten  die  österreichischen  Herzoge  seit 
Albrecht  II.  eine  Reihe  „privilegia  de  non  evocando",  Befreiung 
von  der  Gerichtsbarkeit  der  Vemgerichte  u.  dgl.  m.  Entwurf 
blieb  die  von  Kaiser  Friedrich  IL  dem  Herzog  Friedrich  IL 
angebotene  Erhebung  von  Österreich  und  Steiermark  zu  einem 
Königthum  (1245). 

2.  Unter  den  von  den  Mitgliedern  des  Herrscherhauses  selbst 
getroffenen  Vereinbarungen  über  die  Ausübung  der  Herrscher- 
rechte sind  hervorzuheben,  abgesehen  von  dem  Erlasse  König 
Rudolfs  vom  1.  Juni  1283,  der  Österreich  und  Steiermark  dem 
Herzog  Albrecht  L  sicherte  (Schrötter,  V,  343),  die  Haus- 
ordnungen Herzog  Albrecht's  IL  und  Rudolfs  IV.  von  1355  und 
1364  bei  Steyrer  Commentarii,  185  und  401  flf.  Die  Theilungs- 
verträge  und  Abmachungen  über  die  Vormundschaft  im  Codex 
Coroninus  bei  Rauch,  Ss.  IIL 

3.  Das  österreichische  Landesrecht^  ist  uns  in  zwei 
Fassungen  überliefert.  Die  ältere,  kürzere  Form  mit  70  Artikeln 
bezeichnet  sich  selbst  als  „die  recht  nach  gewonhait  des  landes 
bei  herzog  Lewpolten  von  Österreich"  und  ist  eine  zur  Zeit  der 
Ächtung  Herzog  Friedrich's  IL  durch  den  Landesadel  veranstaltete 
Sanmilung  des  in  Österreich  geltenden  Rechts  (Gewohnheiten, 
Reichs-  und  Landesgesetze),  die  dem  Kaiser  Friedrich  IL  in  den 
Jahren  1236—37  zur  Bestätigung  vorgelegt  wurde.  Unter  den 
bekannten  Handschriften  dieser  Rechtsaufzeichnung  ist  jene  des 
ungarischen  Nationalmuseums  dadurch  bemerkenswert,  dass  sie 
die  land-  und  lehensrechtlichen  Bestimmungen  des  Landesrechtes 
in   systematischer  Umstellung  mit   dem   als  Kaiserrecht  voran- 


3  Die  beste  Ausgabe  bietet  V.  Hasenohr  1,  österr.  Landesrecht  im  13.  und 
14  Jahrhundert.  Wien,  1867.  Zu  den  fünf  von  ihm  beschriebenen  Handschriften, 
die  sämmtlich  dem  15.  Jahrhundert  angehören,  und  dem  Ludwig'schen  Druck 
kommen  noch  hinzu :  eine  Abschrift  aus  dem  16.  Jahrhundert  in  den  s.  g.  Schön- 
kircher  Büchern  (vgl.  Adler  in  den  S.  B.  der  k.  Akad.,  Bd.  126)  und  der  von  mir 
verglichene  Cod.  28.909  des  germanischen  Museums,  der  die  jüngere  Form  ent- 
hält. Rößler  machte  überdies  auf  einen  Gießener  Codex  aufmerksam,  derselbe 
ist  jedoch  lediglich  die  von  Senckenberg  für  den  synoptischen  Druck  in  seinen 
Visiones  angefertigte  Abschrift  des  Harrach'schen  Ms.,  jetzt  Wiener  Hof- 
bibliothek und  des  Ludwig'schen  Drucks. 


136        Österreichische  Roichsgeschichte.  J.  Theil.  Zweite  Periode.  §  21. 

gestellten  Land-  und  Lehensrechte  des  sogenannten  Schwaben- 
spiegels vereinigt. 

Die  längere  Fassung  —  in  einer  Handschrift  als :  „Des  landes 
rechten  in  Österreich"  bezeichnet  —  lässt  mehrere  Artikel  der 
Rechtsaufzeichnung  weg  und  stellt  an  den  Anfang  der  übrigen 
im  Tone  des  Gesetzgebers  ein  „Wir  setzen  und  gepieten*'.  Die 
31  neuen  Bestimmungen,  die  fast  sämmtlich  zwischen  §  35  und 
65  eingeschoben  sind,  haben  durchwegs,  bis  auf  drei,  die  durch 
ein  befehlendes  „Soll"  eingeleitet  sind,  ein  „Wir  setzen  und  ge- 
pieten"  oder  das  gleichwertige  „Wir  wellen  und  gepieten"  an 
ihrer  Spitze. 

Während  man  über  Alter  und  Charakter  der  „Rechts- 
aufzeichnung" des  österreichischen  Landesrechts  einig  ist,  gehen 
die  Ansichten  über  die  Entstehungszeit  und  die  Bedeutung  der 
längeren  Passung  auseinander.  Positive  Zeugnisse  und  innere 
Gründe  sprechen  dafür,  dass  uns  hier  ein  von  den  österreichischen 
Landherren  ums  Jahr  1298  ausgearbeiteter  Gesetzentwurf  des 
Landesrechts  vorliegt,^  dem  König  Albrecht  die  Genehmigung 
versagt  hat.  Demgemäß  ist  auch  der  Wert,  den  die  beiden 
Passungen  für  die  österreichische  Rechtsgeschichte  haben,  ver- 
schieden. Die  Rechtsaufzeichnung  darf  als  ein  getreuer  Spiegel 
des  Rechtszustandes  in  Österreich  im  ersten  Drittel  des  13.  Jahr- 
hundert betrachtet  werden,  die  Zusätze  und  Abänderungen  der 
jungem  Porm  gehören  einem  Entwurf  an,  der  niemals  Gesetzes- 


8  Dies  habe  ich  in  meiner  Abhandlung  .Die  Entstehungszeit  des  österr. 
Landesrechts",  Graz,  1872,  ausgeführt.  Dagegen  ist  neuestens  (1892)  A.  Dopsch 
im  79.  Band  des  Archivs,  S.  1—99,  aufgetreten,  der  es  für  eine  Landesordnung 
hält,  die  König  Otakar  im  Jahre  1266  erlassen  habe,  um  den  Übermuth  der 
Landherren  einzudämmen.  Ich  kann  mich  dieser  neuen  Meinung  umsoweniger 
anschließen,  als  ich  schon  in  der  Auffassung  über  Wesen  und  Zweck  dieser 
jungem  Form  des  österr.  Landesrechts  von  D.  abweiche.  Dass  Stärkung  der 
landesfürstlichen  Macht  die  Triebfeder  zur  Umarbeitung  des  Landesrechts  war, 
ist  eine  Ansicht,  mit  der  D.  ziemlich  vereinzelt  steht.  Die  Mehrzahl  der  Forscher, 
von  Senckenberg  angefangen,  erkannte  gleich  mir  in  den  Zusätzen  das  entgegen- 
gesetzte Bestreben  des  hohem  Adels,  der  nach  Beschränkung  der  Fürstengewalt 
trachtete.  Zuzugeben  ist,  dass  die  jüngere  Form  manches  aus  der  otakarischen 
Gesetzgebung  aufgenommen  hat,  allein  das  war  schon  früher  bekannt.  (Vgl. 
z.  B.  meine  Abhandlung  S.  37.)  Sie  enthält  aber  außerdem  Bestimmungen,  welche 
deutlich  auf  den  Schluss  des  13.  Jahrhunderts  als  frühesten  Termin  für  die 
Entstehung  der  Sammlung  hinweisen,   wie  ich  an  anderm  Orte  darthun  werde. 


östorreichisohes  Landesrecht,  Frohnbuch,  Landfrieden,  Pormelbücher.     137 

kraft  erlangt  hat.  Sie  gewähren  einen  lehrreichen  Einblick  in  die 
Ziele  und  Strebungen  der  österreichischen  Landherren,  kommen 
jedoch  als  Zeugnisse  für  die  spätere  Rechtsentwicklung  nur  soweit 
in  Betracht,  als  ihr  Inhalt  durch  andere  Quellen  bestätigt  wird. 

4.  Das  Frohnbuch  des  Herzogthums  Österreich  unter  der 
Enns  ist  das  Protokoll  des  herzoglichen  Hofgerichts.  Erhalten  ist 
der  Band,  der  die  Jahre  1386  bis  1397  umfasst  und  gedruckt  nur 
ein  ganz  ungenügender  Auszug  in  Schlager's  „Wiener  Skizzen", 
1836,  II,  S.  68—126.  Ein  zweiter  Band,  den  Zeibig  erwähnt 
(Archiv,  Bd.  7,  S.  257,  Anm.  25),  ist  seit  etwa  30  Jahren  verschollen. 

5.  Landfriedensgesetze,  u.  zw.: 

a)  Die  um  1251  erlassene  Forma  pacis  quam  instituit  Otachar 
Dux  in  Austria  (Archiv,  Bd.  1,  55—60); 

b)  Landfrieden  König  Rudolfs:  vom  3.  December  1276,  er- 
lassen auf  fünf  Jahre  für  sämmtliche  Lande,  die  König  Otakar 
dem  Reiche  zm'ückgestellt  hatte  (Mon.  Germ.,  Pol.,  Leg.  II.  410,  u.  ö.) 
und  ein  mit  den  Städten,  Rittern  und  Knappen  Österreichs  ver- 
einbarter ohne  Datum,  der  wahrscheinlich  ins  Jahr  1281  gehört. 
U.-B.  ob  der  Enns  III,  580,  stellt  denselben  zum  Jahre  1277 ; 

c)  Landfrieden  aus  dem  15.  Jahrhundert:  von  Herzog 
Leopold  IV.  vom  2.  Jänner  1407;  Notel  des  Landfrieds,  1443, 
6.  December.  (Kurz,  König  Albrecht  II.,  1.  Bd.,  281,  Kollär, 
Analecta,  II,  1131  ff.)  Landfrieden  vom  Jahre  1464,  in  Strein's 
Landhandfeste,  Buch  II,  Nr.  11,  und  Chmel,  Material.,  II,  280. 

6.  Gerichtsordnung  König  Albrecht's  I.  für  Österreich  ob  der 
Enns,  1299,  23.  März,  Zürich.  (U.-B.  o.  E.,  IV.,  308.) 

Eine  neue  Ordnung  Rechtens  in  Österreich  unter  der  Enns 
von  Kaiser  Friedrich  III.  citiert  Schwabe  in  seinem  Versuch 
über  die  ersten  Grundlinien  des  österreichischen  Landadelrechts. 
(Wien,  1782,  S.  25.)  Das  Manuscript,  das  er  in  der  Windhag'schen 
Bibliothek  gesehen  haben  will,  ist  verschollen,  im  gedruckten 
Katalog  der  Windhagiana  habe  ich.  es  nicht  verzeichnet  gefunden. 

7.  Formelbücher.  Jene  aus  der  Zeit  König  Rudolfs  I.  gehen 
auf  eine  Sammlung  zurück,  die  der  königliche  Notar  Andreas 
von  Rode  in  den  Jahren  1277  bis  1281  zu  Wien  zusammengestellt 
haben  dürfte.  Die  „Summa  de  literis  missUibus"  vollendete  der 
kaiserliche  Notar  Peter  von  Hall  im  Jahre  1337  ebenfalls  zu 
Wien  mit  Benützung  österreichischer  Urkunden;  ungedruckt  ist 


138    .     Österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil,  Zweite  Periode.  §  21. 

ein  etwa  hundert  Jähre  jüngeres  Pormelbuch  (Cod.  238  der  n.-ö. 
Landschaft),  das  Muster  zu  österreichischen  Privaturkunden  und 
Gerichtsbriefen  enthält. 

8.  Stadtrechte.*  Als  das  älteste  und  das  reichhaltigste  Stadt- 
recht in  Österreich  ist  das  Wiener  an  die  Spitze  zu  stellen.  Wahr- 
scheinlich wurde  der  Stadt  vom  Herzog  Leopold  VL  schon  bei 
seinem  Regierungsantritt  (1198)  ein  Privilegium  verliehen,  das  bis 
auf  ein  Bruchstück  bei  Lazius  verloren  gegangen  ist.  Erhalten  ist 
uns  die  umfänglichere  Passung  vom  Jahre  1221,  die  1244  durch 
Herzog  Friedrich  IL  mit  wenig  Änderungen  bestätigt  wurde  und  die 
Grundlage  des  spätem  Privat-  und  Strafrechts  bildete,  während 
die  beiden  Privilegien  Kaiser  Priedrich's  II.  von  1237  und  1247 
ebenso  von  andern  Gesichtspunkten  aus,  öffentliches  Recht  und 
die  städtische  Verfassung  regelten.  Erst  König  Rudolf  L  hat  die 
auseinandergehenden  Richtungen,  in  denen  sich  das  städtische 
Rechtsleben  bisher  bewegt  hatte,  durch  seine  beiden  Handfesten 
vom  24.  Juni  1278  beseitigt  und  der  Rechtsentwicklung  über  das 
Mittelalter  hinaus  eine  einheitliche  Bahn  gewiesen,  die  auch  von 
den  spätem  Handfesten  der  Herzoge  Albrecht  L  und  H.  (1296, 1340) 
eingehalten  wurde. 

Großer  Verbreitung  hat  sich,  nach  den  vielen  Handschriften 
zu  schließen,  das  s.  g.  Wiener  Stadtrechts-  oder  WeichbUdbuch 
erfreut.  Es  zeichnet  sich  durch  eine  für  die  Zeit  seiner  Entstehung 
(vor  1360)  sehr  beachtenswerte  Systematik  in  der  Anordnung  des 
Stoffes  aus  und  ist  die  Privatarbeit  eines  Wiener  Vorsprechers, 
der  Rechtssuchenden  Behelfe  zur  Wahrung  ihrer  Rechte  an  die 
Hand  geben  wollte.  Von  den  151  Artikeln  sind  Artikel  95 — 109 
wörtlich  dem  s.  g.  Schwabenspiegel  entnommen,  jedoch  wahr- 
scheinlich späterer  Einschub.  Bemerkt  mag  werden,  dass  die  aus 

*  Bischoff  a.  a.  0.  unter  den  Ortsnamen  als  Schlagwort.  —  Meiller, 
Österr.  Stadtrechte  und  Satzungen  aus  der  Zeit  der  Babenberger  (Archiv  X).  — 
Winter,  Urkundliche  Beiträge  zur  Rechtsgeschichte  o.  und  n.-ö.  Städte  u.  s.  w. 
1877,  und  Beiträge  zur  n.-ö.  Rechts-  und  Verwaltungsgeschichte  in  den  Blättern 
des  Vereins  für  Landeskunde  von  Nieder  Österreich.  1881/4,  1892.  —  Rechte 
und  Freiheiten  der  Stadt  Wien,  herausgegeben  von  Tomasche k,  1877, 1879.  — 
—  Das  Wiener  Stadtrechts-  oder  W^eichbildbuch,  herausgegeben  von  Schuster, 
1873.  —  Arbeiten  von  Würth  und  Winter  über  das  Stadtrecht  von  Wiener- 
Neustadt  s.  österr.  Zeitschrift  für  Rechts-  und  Staatswissenschaft,  1846,  und 
Archiv,  Bd.  60,  über  das  Komeuburger  Recht,  Archiv,  Bd.  63. 


österreichische  Stadtrechte,  Münzgesetze,  Weisthümer.  139 

Judenburg  stammende  Handschrift  Nr.  138  des  steirischen  Landes- 
archivs vom  Jahre  1498  die  Beziehungen  auf  Wien  tilgt  und 
durch  ein  eingeschaltetes  „Judenburg''  ersetzt. 

Rathsbeschlüsse,  welche  die  Fortbildung  des  Stadtrechta  be- 
treffen, bietet  die  Tomaschek'sche  Ausgabe  der  Rechte  und 
Freiheiten  von  Wien,  die  vom  Rathe  erlassenen  Zunftordnungen, 
der  Auszug  aus  dem  Eid-  und  Innungs-Ordnungenbuch  der  Stadt 
Wien  im  3.  Bande   der  Berichte  des  Wiener  Alterthumsvereins. 

Das  Wiener  Recht  wurde  mit  localer  Anpassung  auf  Enns 
(1212),  Hainburg  (1244),  Eggenburg  (1277),  Krems  (1305),  Komeu- 
burg  (1311),  auf  mährische  Städte  u.  s.  w.  übertragen.  Das  Rechts- 
denkmal für  Wiener-Neustadt,  das  den  Namen  eines  Herzogs 
Leopold  an  der  Spitze  trägt,  ist  wahrscheinlich  eine  aus  echten 
Privilegien,  Rathsschlüssen,  Taidingsaufzeichnungen,  dem  Wiener 
Recht  vom  Jahre  1244  u.  s.  w.  um  1276/77  zusammengestellte  Privat- 
arbeit. Das  umfängliche  Stadtrecht,  das  St.  Polten  im  Jahre  1338 
vom  Bischof  Albrecht  IL  von  Passau  erhielt,  ist  schon  deshalb 
bemerkenswert,  weil  es  die  Rechtsentwicklung  einer  grundherrlichen 
Stadt  in  Österreich  beleuchtet.  —  Im  15.  Jahrhundert  ist  öfters 
von  einem  gemeinen  Recht  der  Städte  in  Österreich  die  Rede, 
80  1463  im  NiederlagsprivUegium  für  Brück  a.  d.  Leitha,  1480  bei 
Erhebung  des  Ortes  Baden  zur  Stadt. 

9.  Münzgesetze.  Das  Münzbuch  Albrechts  von  Eberstorf, 
Obersten  Kämmerers  in  Österreich,  das  um  1450  zusammen- 
getragen wurde,  hat  Karajan  im  Geschichtsforscher  I  heraus- 
gegeben. Ein  kürzeres  Wiener  Münzrecht  von  angeblich  circa 
1450,  das  jedoch  ins  Jahr  1437  gehört,  enthalten  die  Rechte  und 
FreUieiten  der  Stadt  Wien,  II,  65  flf. 

10.  Bäuerliche  Rechtsquellen.^  — Jakob  Grimm  war  noch 
bei  Ausgabe  seiner  Rechtsalterthümer  (1828)  der  Ansicht,  dass 
Weisthümer,  deren  Bedeutung  für  die  Rechtsgeschichte  er  nach- 
drücklich hervorgehoben  hat,  in  unseren  Gegenden  nur  in  geringer 
Zahl,  und  zwar  in  Österreich  ob  der  Enns,  in  Tirol  und  Salzburg 

*  österreichische  Weisthümer,  Bd.  7,  herausgegeben  von  G.  Winter  für 
das  Viertel  unterm  W.  W.  Die  Kaltenhaeok'sche  Ausgabe  der  Bann-  und  Berg- 
taidingbücher  in  Österreich  u.  d.  E.  blieb  unvollendet.  (1846/7.)  Vgl.  auch  Kar aj  an 
im  österr.  Geschichtsf.,  II,  113.  Meiller  und  Zahn  im  Archiv,  Bd.  12,  27, 
Osenbrüggen  in  S.  B.,  Bd.  41. 


140     österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  21  und  22. 

anzutreflfen  sein  dürften.  Seither  hat  die  Erschließung  der  Archive 
und  Bibliotheken  gezeigt,  dass  im  Gegentheil  gerade  die  öster- 
reichischen Lande  gewiss  ebensoviel  von  diesen  bäuerlichen  Rechts- 
quellen  besitzen,  als  in  der  großen  Grimm'schen  Sammlung  aus 
ganz  Deutschland  zusammengebracht  wurde,  wie  denn  beispiels- 
weise allein  aus  dem  Viertel  unterm  Wiener  Wald  Weisthümer 
von  150  Ortschaften  in  die  Ausgabe  der  kaiserlichen  Akademie 
d.  W.  aufgenommen  werden  konnten.  Viele  von  diesen  Bann-  und 
Bergtaidingen,  Schifferrechten,  Pischertaidingen  u.  dgl.  reichen  nicht 
bloß  dem  Inhalt,  sondern  auch  der  Aufzeichnung  nach  ins  Mittel- 
alter zurück,  beispielsweise  die  Weisthümer  von  Kottes,  Straßdorf 
und  Landfriedstetten  die  von  1322,  1348  und  1371  erhalten  sind. 

§  22.  Bechtsquellen  fDr  Innerösterreich. 

Urkundenbticher  für  Steiermark  (Zahn),  I,  II,  bis  1246  und  für  Krain 
(Schumi),  I,  n,  bis  1269.  —  Regesten  zur  Geschichte  Kärntens  (Ankershofen», 
Nr.  1—1318  (bis  zum  Jahre  1269),  im  Archiv  Bd.  1—32.  —  Tomaschek,  im 
Archiv  für  vaterländische  Geschichte,  Bd.  6-9,  785  Stück ;  für  Steiermark:  Gö  th, 
in  Mitth.  des  bist.  Vereines,  Bd.  5—14. 

1.  Ständische  Privilegien.^  Gemeinsame  Grundlage  der 
Landesfreiheiten  von  Innerösterreich,  die  als  Landhandfeste  für 
Steiermark  in  acht  Ausgaben  (zwischen  1523—1842),  für  Krain 
zweimal  (1598  und  1687),  für  Kärnten  1610  erschienen,  ist  die 
Urkunde  Herzog  Otakar's  vom  16.  August  1186,  in  welcher  den 
steirischen  Ministerialen  und  der  unfreien  Ritterschaft  die  her- 
kömmlichen Rechte  bestätigt  und  vermehrt  wurden.  Erweitert 
wurden  diese  Freiheiten  den  Steirern  durch  Kaiser  Friedrich  IL 
(1237)  und  König  Rudolf  I.  (1277)  und  bestätigt  durch  Herzog 
Albrecht  1292.  Die  beiden  Urkunden  von  1277  und  1292  nebst 
dem  Rudolfinischen  Landfrieden  von  1276  w^urden  1414  und 
1424  in  eine  Urkunde  zusammengefasst  und  hießen  die  goldene 
Bulle  der  Steirer,  seitdem  sie  König  Friedrich  IV.  im  Jahre 
1443  unter  Anhängung  eines  goldenen  Siegels  bestätigt  hatte. 

Kärnten  und  Krain  erhielten  am  14.  und  16.  September  1338 
zwei  gleichlautende  Handfesten  von  Herzog  Albrecht  IL,  in  welchen 

1  Ankershofen,  Kämtnerisches  Landrecht  vom  Jahre  1338  (Archiv  für 
vaterländische  Geschichte  und  Topographie,  III,  43).  —  Für  Steiermark:  Beiträge 
zur  Kunde  steir.  Geschichtsquellen:  „Die  steirischen  Landhandfesten". 


Innerösterreichische  Landhandfesten;  Das  steiermärkische  Landesrecht.     141 

den  LandherreD,  Rittern  und  Knechten  die  hergebrachten  Gewohn- 
heiten bestätigt  und  neue  Rechte  verliehen  wurden.  Im  übrigen 
aber  sollten  sie  sich  richten  „nach  dem  recht  als  unser  Herren 
und  Edelleut  in  unserm  Lande  ze  Steyer".  Die  Bestätigung  dieser 
Urkunden  durch  Herzog  Ernst  im  Jahre  1414  wurde  1444  für 
Kärnten,  1460  für  Krain  von  Kaiser  Friedrich  HL  um  13  (be- 
ziehungsweise um  7)  Artikel  aus  der  Handfeste  Herzog  Otakar's 
vom  Jahre  1186  vermehrt  und  hieß  fortan  nach  der  Art  ihrer 
Besiegelung  die  goldene  Bulle  der  Kärntner,  beziehungsweise 
der  Krainer. 

Außerdem  gab  es  für  jede  Landschaft  noch  besondere  Gesetze. 
Für  Steiermark  die  sogenannte  Reformation  der  Landhandfeste  vom 
6.  November  1445,  um  die  Streitigkeiten  zwischen  den  oberen 
Ständen  und  den  Städten  und  Märkten  beizulegen,  was  einem 
kürzeren  Vergleiche  unter  Herzog  Ernst  (vom  12.  Juli  1418)  nicht 
gelungen  war.  Für  Kärnten  wären  die  Einsetzung  des  „Gerichts 
der  Gewizzenden"  (1279,  8.  März),  die  Abschaffung  des  gericht- 
lichen Zwe&ampfes,  1338,  und  Kaiser  Friedrjich's  Bestätigung  der 
Landgerichte  und  des  Landrechtes,  1444,  zu  erwähnen.  Außerdem 
hatten  die  Knechte  und  Ritter  auf  den  görzischen  Besitzungen 
in  der  windischen  Mark  und  Istrien,  die  später  zu  Krain  ge- 
zogen wurden,  im  Jahre  1365  vom  Grafen  Albrecht  von  Görz 
gleichlautende  Verbriefungen  ihrer  Rechte  erlangt,  die  von  den 
habsburgischen  Herrschern  oft  (1374,  1444,  1494  .  .  .)  bestätigt 
wurden. 

2.  Das  steiermärkische  Landesrecht  ist  die  um  die 
Mitte  des  14.  Jahrhunderts  entstandene  Privatarbeit  eines  ge- 
richtskundigen Verfassers,  der  sein  Werk,  wie  es  scheint,  nur 
aus  heimischen  Quellen,  vor  allem  aus  der  Rechtspraxis  geschöpft 
hat  und  das  in  Steiermark  überhaupt  geltende  Recht  darstellen 
wollte.  Von  den  252  Artikeln,  die  das  Werk  enthält,  behandeln 
die  ersten  84  meist  gerichtliches  Verfahren,  Artikel  85 — 120  das 
Herrenrecht,  120—129  die  Bürgschaft,  204—242  Strafrecht, 
245—252  Judenrecht.  In  den  übrigen  Theilen  herrscht  völlige 
Planlosigkeit.  Das  Landrecht  war  in  ganz  Innerösterreich  ver- 
breitet und  mehrere  von  den  dreizehn  bekannten  Handschriften 
bezeichnen  es  ausdrücklich  auch  als  Recht  und  Gewohnheit  der 
Landschaft  Kärnten.  Ausgabe  von  F.  Bisch  off,  Graz,  1873. 


142        Osterreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  22. 

3.  Stadtrechte.  In  Innerösterreich  war  das  Städtewesen 
von  geringerer  Bedeutung  als  im  Lande  ob  und  unter  der  Enns.* 
Die  Stadtrechte  beruhen  fast  durchwegs  auf  den  Privilegien 
der  Stadtherren  und  gehen  nicht  über  die  Zeit  König  Otakar's 
zurück.  Nur  in  Pettau  kam  es  im  Jahre  1376  zu  einer  Weisung 
der  Rathsgeschworenen  in  195  Artikeln  über  das,  was  in  der 
Stadt  rechtens  sei,  welche  nach  dem  Wiener  Rechtsbuche  zu 
den  reichhaltigsten  Stadtrechts-Aufzeichnungen  in  den  deutsch- 
österreichischen Ländern  gehört,  durchaus  deutschen  Charakter 
hat  und  die  Grundlage  für  die  Reformation  des  Pettauer  Rechts 
durch  Erzbischof  Leonhard  im  Jahre  1513  bildete.  In  Judenburg 
scheint  man  die  Einführung  von  Wiener  Recht  versucht  zu 
haben,  darauf  deutet  eine  aus  dem  Stadtarchiv  stammende  Hand- 
schrift, welche  das  Wiener  Rechtsbuch  und  die  Wiener  Handfeste 
von  1340  enthält,  aber  den  darin  vorkommenden  Namen  Wien  auf 
Judenburg  umschreibt. 

In  Kärnten  sind  die  Stadtrechte  von  St.  Veit  (1308),  Klagen- 
furt (1338),  Wolfsberg  (1331),  Gmünd  (1346),  St.  Leonhard  (1325), 
in  Krain  jene  für  Laibach  (seit  1320)  hervorzuheben. 

4.  Bäuerliche  Rechtsquellen.  75  steirische  und 
22  känitische  Taidinge  haben  F.  Bischoff  und  Schönbäch  in 
der  Weisthümersammlung  der  k.  Akademie  d.  W.  (Bd.  VI)  heraus- 
gegeben. Aufzeichnungen  aus  Krain  sind  noch  nicht  bekannt  ge- 
worden, wohl  aber  muss  es  solche  hier  im  Mittelalter  gegeben 
haben,  da  die  Abhaltung  von  Banntaidingen  beispielsweise  in 
Acten  der  Herrschaft  Auersberg  aus  dem  15.  Jahrhundert  er- 
wähnt wird. 

Der  Weinbau  hat  überdies  zur  Sammlung  der  allgemeinen 
Sätze   des    „steirischen  Bergrechts"  Anlass  gegeben,   die  uns  in 

2  Eine  chronologische  Sammlung  der  Privilegien  steir.  Städte  und  Märkte 
in  Zahn's  Geschichtsblätter,  Bd.  1—6,  95  Urkunden  von  1270-1380;  die  Privi- 
legien von  Graz,  Brück,  Eisenerz,  Vordernberg,  Tüffer  hat  Wartinger,  jene 
von  Luttenberg,  Radkersburg,  Pürstenfeld  Hof  rieht  er  herausgegeben.  Ausgabe 
des  Pettauer  Stadtrechts  vom  Jahre  1376  durch  F.  Bischoff,  S.  B.,  Bd.  113, 
S.  695  tr.  ~  Diplomatariura  Labacense  als  Beilage  zu  den  Mitth.  des  bist.  Vereins 
für  Krain,  1855,  107  Urkunden  von  1320—1660.  —  Die  übrigen  Nachweise  bei 
Bischoff,  Stadtrechte.  —  Materialien  zur  inneren  Geschichte  der  Zünfte  in 
Steiermark  (seit  der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts)  bietet  Zahn  in  den 
Beiträgen  zur  Kunde  steirischer  Geschichtsquellen,  XIV,  XV,  XVIII. 


Innerösterr.  Stadtrechte,  Weisthümer,  Bergwerks-  und  Münzordnungen.     143 

mehreren  Handschriften  (älteste  vom  Jahre  1442)  überliefert 
sind.  Daneben  gab  es  in  den  slavischen  Landestheilen  Privilegien 
für  die  sogenannten  EdÜDger  zu  Tüchern,  Sagor,  Moosburg  in 
Kärnten  u.  s,  w.,  welche  in  die  Zeiten  der  letzten  Grafen  von 
Cilli  und  Kaiser  Priedrich's  III.  zurückreichen. 

5.  Rechtsgrundsätze  für  den  Bergbau  haben  in 
Innerösterreich,  wo  die  Gewinnung  von  Metallen  schon  vor  dem 
Jahre  1000  bergmäßig  erfolgte,  sehr  frühzeitig  Aufzeichnung  ge- 
funden. Zu  den  ältesten  Quellen  dieser  Art,  die  es  in  Österreich 
gibt,  zählen  Verträge  seit  etwa  1185,  die  das  Kloster  Admont 
über  den  Abbau  seiner  Silbergruben  am  Zessenberge  in  Kärnten 
geschlossen  hat.  In  der  Folge  gelangte  das  Bergrecht  der  Silber- 
gruben von  Zeiring,  das  im  Jahre  1325  auf  St.  Leonhard  im 
obern  Lavantthale  übertragen  wurde,  zu  großem  Ansehen.  Von 
noch  größerer  Bedeutung  aber  wurde  das  Rechtsweisthum,  das 
1408  der  Bergrichter,  Rath,  Bürgerschaft  und  die  Knappen  von 
Schladming  über  das  dort  herkömmliche  Bergrecht  abgaben,  der 
8.  g.  Schladminger  Bergbrief,  der  in  Tirol,  Salzburg,  Bayern,  ja 
sogar  im  Venezianischen  Eingang  in  die  spätem  Bergordnungen 
gefunden  hat.' 

6.  Formelbücher.  35  Formeln  von  Gerichtsbriefen  der 
Grazer  Landschranne  (1415 — 1433)  hat  F.  Bischoff  in  der  Aus- 
gabe des  steirischen  Landesrechts,  S.  176  flF.,  mitgetheilt.  Das  Formel- 
buch des  Rottenmanner  Bürgers  und  Notars  Ulrich  Klennecker, 
der  zwischen  1452 — 1475  thätig  war,  verwahrt  die  königliche  Biblio- 
thek zu  Dresden  als  Cod.  63.  Ein  Admonter  Formelbuch  aus  dem 
Ende  des  15.  Jahrhunderts,  siehe  Beiträge  zur  Kunde  steirischer 
Geschichtsquellen,  XVII. 

7.  Münzgesetze.  —  Die  Münzordnung  Herzog  Albrecht's  IL 
für  Steiermark  vom  Jahre  1339,  s.  in  ChmeTs  Geschichtsforscher, 
I,  477,  Nr.  LXIIL  Die  Münzconventionen  zwischen  den  Erz- 
hischöfen  von  Salzburg  und  den  Herzogen  von  Kärnten  von  1268, 
1268,  1334  über  gemeinsamen  Umlauf  ihrer  Gepräge  in  Kärnten 
bei  Kleymayrn,  Unparteiische  Abhandlung,  S.  370  flf. 


8  Neue  Ausgabe  von  F.  Bischoff  in  der  Zeitschrift  des  D.-ö.  Alpen- 
vereins XXI  (1891).  Die  Admonter  Verträge  im  Ü.-B.  f.  St.,  I,  11;  das  Zeiringer 
Recht  bei  Zahn,  Geschichtsblätter,  II,  aus  Sperges*  Bergwerksgeschichte  281. 


144        Österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  23. 


§  23.  Die  Bechtsqnellen  der  westlichen  Alpenländer:  Tirol, 

Yorarlberg,  Salzburg. 

Rapp,  Über  das  vaterländische  Statuten wesen  in  den  Beiträgen  zur  Oe- 
schichte  von  Tirol,  Bd.  3,  5,  8.  —  Übersicht  der  Landes-,  Thals-,  Gerichts-  und 
Ortsstatute  bei  Wörz,  Gesetze  in  Bezug  auf  Cultur  des  Bodens  in  Tirol  u.  s.  w. 
I,  6  ff.  und  Sartori,  Die  Thal-  und  Gerichtsgemeinde  Fleiras,  Anh.  2  in  der  Zeit- 
schrift des  Ferdinandeums,  36.  —  Die  Stadtbticher  von  Brixen  und  Sterzing, 
8.  Geschichtsfreund,  I,  1866.  —  Über  die  Statuten  von  Trient  s.  Tomaschek 
in  S.  B.  Bd.  33  und  Archiv,  Bd.  26.  —  Tirolischo  Weisthümer,  herausgegeben 
von  Zingerle  und  Inama-Sternegg,  4  Bde. 

1.  Ständische  Privilegien  beginnen  in  Tirol  mit  dem 
Briefe  Ludwig  des  Brandenburger's  vom  Jahre  1342  und  der 
Landesordnung  von  1352.  Der  Bundesbrief  von  angeblich  1323 
ist  hingegen  nur  ein  Entwurf,  den  der  unruhige  Adel  1423  doch 
ohne  gehoflften  Erfolg  verfasste.  Der  erste  erhaltene  Landtags- 
abschied ist  vom  Jahre  1420.  Ein  Verzeichnis  der  Ulrichen  von 
Frundsberg  anvertrauten  Landesfreiheiten,  die  1502  der  Landschaft 
zurückgestellt  wurden,  siehe  bei  Rapp  (V,  177). 

Wichtige  Quellen  für  die  Geschichte  der  ständischen  Be- 
wegung zu  Anfang  des  15.  Jahrhunderts  bilden  die  Bundbriefe. 
Die  Urkunde  des  Igelbunds  der  salzburgischen  Landschaft  vom 
Jahre  1403,  bei  der  an  allen  vier  Seiten  die  Siegel  der  Bundes- 
mitglieder hängen,  ist  im  Museum  zu  Salzburg.  Den  Wortlaut  des 
Tiroler  Elephantenbunds  von  1406  und  des  großen  Bunds  von  1407 
findet  man  bei  Brandis,  Landeshauptleute  von  Tirol.  S.  151  und  158. 

2.  Landfriedenseinung  zwischen  Bischof  Heinrich  von 
Brixen,  den  Stiftsministerialen  und  dem  Grafen  von  Tirol,  be- 
schworen an  der  Ladritscher  Brücke  1229  bei  Sinnacher,  Beiträge 
zur  Geschichte  Brixens,  IV,  218. 

Ein  Landfrieden  des  Erzbischofs  Rudolf  von  Salzburg  vom 
Jahre  1287  und  die  Landesordnung  Erzbischof  Priedrich's  IIL, 
29.  September  1328,  mit  48  Artikeln  meist  strafrechtlichen  Inhalts 
bei  Rößler,  über  Geschichte  des  Rechts  in  Österreich,  S.  Iff. 
Polizeiliche  Verordnungen  des  Erzbischofs  Johann  von  1440  im 
N.  B.  III  (1853),  S.  213. 

3.  Stadtrechte.  Innsbruck  führte  sein  Stadtrecht  auf  ein 
Privilegium  Herzog  Otto's  von  Meranien  zurück  (1239),  Feldkirch 


Rechtsquellen:  Tirol,  Vorarlberg,  Salzburg.  145 

erhielt  1229  das  Marktrecht  wie  Lindau.  Umfängliche  Aufzeich- 
nungen meist  polizeilichen  Inhalts  gibt  es  für  Brixen  vom  Jahre 
1380  und  für  Sterzing  1417.  Salzburg  erwirkte  1286  eine  Be- 
stätigung seiner  Rechte,  1287  erließ  der  Erzbischof  Rudolf  den  ob- 
erwähnten Friedbrief  zur  Behebung  der  Zwistigkeiten  zwischen 
reichen  und  armen  Bürgern.  Auf  die  freie  Raths-  und  Bürger- 
meister-Wahl, die  Kaiser  Friedrich  III.  im  Jahre  1481  den  Salz- 
burgem  verliehen  hatte,  mussten  diese  1511  und  1523  gegenüber 
den  Erzbischöfen  Leonhard  und  Matthäus  verzichten. 

Trient  hat  alte  Statuten  aus  der  zweiten  Hälfte  deö  13.  Jahr- 
hunderts und  neuere  aus  der  Zeit  des  Bischofs  Bartholomäus 
(1304 — 1307),  beide  in  deutscher  Ausfertigung  und  von  lango- 
bardischem  Recht  beeinflusst.  Umarbeitungen  im  Auftrage  der 
Bischöfe  Alexander  (1425)  und  Ulrich  (1504)  bereiteten  den  Ab- 
schluss  durch  die  s.  g.  Clesischen  Statuten  vor  (1528),  welche  im 
Umfang  des  Bisthums  bis  zur  Einführung  des  Josephinischen  und 
des  allgemeinen  bürgerlichen  Gesetzbuches  in  Anwendung  blieben. 

4.  Bäuerliche  Rechtsquellen.  Ordnung  Herzog  Leo- 
pold's  IV.  für  die  Bauleute  in  Tirol  (1404).  Weisthümer,  Öffnungen, 
Ehaften  kommen  in  Nordtirol  in  großer  Zahl  und  aus  alter  Zeit 
vor:  Pfunds  1303,  Pillersee  (14.  Jahrhundert)  u.  s.  w.  Daneben 
gibt  es,  namentlich  im  Süden,  eine  große  Menge  von  Thal-  und 
Gerichtsstatuten,  die  zum  TheU  gleichfalls  weit  zurückreichen. 
Fendls  im  Oberinnthal  1295,  Passeier  1395.  Unter  den  wälsch- 
tirolischen  Statuten  sind  manche,  wie  das  Fleimser  durch  Mischung 
deutsch-  und  römisch-rechtlicher  Principien  beachtenswert. 

5.  Rattenberg,  Kufstein  und  Kitzbühel  kamen  erst 
1504  von  Bayern  an  Tirol  zurück.  Daraus  erklärt  sich,  dass  in 
diesen  drei  Gerichtsbezirken  das  oberbayerische  Landrecht  Kaiser 
Ludwig's  IV.  vom  Jahre  1346  die  s.  g.  Buchsag  von  alters  galt, 
und  dass  diese  Geltung  auch  nach  Erlassung  der  allgemeinen 
Tiroler  Landesordnung  vertragsmäßig  anerkannt  wurde  (noch  1663). 

6.  Die  Bergwerksordnung  Bischof  Friedrich's  von  Trient 
vom  Jahre  1208,  die  Kink  für  die  älteste  Deutschlands  erklärte, 
8.  Codex  Wangianus  (D.  et  A.,  Bd.  5),  430  ff.  und  bei  Sperges 
Tiroler  Bergwerksgeschichte,  S.  281.  Bergwerksordnungen  der 
Salzburger  Erzbischöfe  von  1342  an  s.  bei  Kleymayrn,  Un- 
parteiische Abhandlung,  §  288  ff. 

Lntchln,  Otterreiditoclie  Reichsgeschlchte.  .  10 


146     österreichische  Reichsgeschiehte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  24  und  25. 


§  24.  Triest,  Görz,  Istrlen,  Dalmatien. 

Statnti  monicipali  del  comune  di  Trieste  che  portano  in  fronte  l'anno  1150. 
Ausgabe  von  P.  Kandier,  1849.  —  Codice  Istriano  —  Atti  Istriani,  I,  II, 
mit  Statuten  von  Pola  und  Parenzo,  1843/46.  Leggi  statutarie  per  il  buon  govemo 
della  Provincia  dlstria»  1757,  mit  Gesetzen  für  Venezianisch-Istrien  seit  1445.  — 
Czörnig,  Görz,  I,  435.  —  Morel  11,  Saggio  Storico  della  Contea  di  Gorizia, 
1773.  —  Reutz,  Verfassung  der  dalmatinischen  Küstenstädte  im  Mittelalter, 
1841.  —  Schwab,  Zur  Rechtsgeschichte  der  Graüschaft  Görz  (Österr.  Blätter 
für  Litteratur  und  Kunst,  1846,  N.  64).  —  Wenzel,  Zur  Quellenkunde  der 
dalmatinischen  Rechtsgeschichte  im  Mittelalter.  (Archiv,  Bd.  3.)  —  Bogi§i6, 
Pisani  zakoni  na  slovenskom  jugu.  1872.  —  Monumenta  histor.  juridica  Slavorum 
meridionalium,  enthaltend  die  Statuten  von  Curzola  und  Spalato,  die  Libri  Re- 
formationum  für  Ragusa  u.  s.  w.  Herausgegeben  auf  Kosten  der  kgl.  südslavischen 
Akademie  zu  Agram  durch  J.  Hanel  u.  a. 

1.  Römisches  Recht,  mit  Berücksichtigung  der  friaulischen 
vielfach  deutschrechtlichen  Rechtsgewohnheiten,  bildet  die  Grund- 
lage der  Constitutiones  Patriae  Forojulii,  die  Patriarch  Marquard 
von  Aquileja  (der  selbst  zu  Bologna  studiert  hatte)  im  Jahre  1366 
ausarbeiten  ließ.  Obwohl  dies  Gesetzbuch,  von  dem  es  eine  alte 
deutsche  Übersetzung  gibt,  zunächst  nur  für  Priaul  erlassen 
wurde,  gelangte  es  in  den  übrigen  Besitzungen  des  Patriarchats, 
namentlich  in  Istrien,  ebenfalls  zur  Anwendung  und  galt  auch  bis 
zum  Jahre  1500  in  der  Grafschaft  Görz. 

Der  Freiheitsbrief  des  Görzer  Grafen  Albrecht  für  seine 
Ritterschaft  in  Istrien  vom  Jahre  1365  ist  gleichlautend  mit  dem 
Briefe  für  die  Ritterschaft  in  der  windischen  Mark  und  wie  dieser 
in  die  Landhandfeste  von  Krain  aufgenommen.  Ein  dritter  Brief, 
ebenfalls  vom  Jahre  1365,  den  Graf  Albert  für  die  Grafschaft 
Görz  erließ,  ist  ungedruckt,  scheint  aber  nach  den  Andeutungen 
bei  Czörnig  (S.  397,  Anra.)  mit  den  beiden  andern  im  Inhalt 
übereinzustimmen. 

2.  Andere  Privilegien  für  größere  Landstriche  gibt  es  in  diesen 
Gegenden  nicht,  desto  zahlreicher  sind  Statute  mit  bloß  localer 
Geltung,  deren  sich  nicht  die  Städte  allein,  sondern  auch  einzelne 
Inseln,  wie  z.  B.  Curzola  (1214—1558)  erfreuten.  Ungedruckt  sind 
die  görzischen  Ortsstatute  z.  B.  für  Cormons  von  1436  und  1460. 
Hervorzuheben  sind  die  gedruckten  Statute  für: 


Rechtsquellen  des  Kttstenlandos.  Ursprung  der  Landesherrlichkeit.      147 

Parenzo,  eine  Eraeuerung  der  alten  Statuten  in  drei  Büchern 
vom  Jahre  1363,  blieb  bis  zur  Einführung  des  Code  Napoleon, 
beziehungsweise  des  a.  b.  G.  B.  in  Kraft ; 

Pirano  besaß  schon  1270  ein  umfängliches  Statut  in  (min- 
destens) drei  Büchern  und  bewahrt  (nach  Kandler's  Angabe)  noch 
die  spätem  Revisionen,  die  von  25  zu  25  Jahren  erfolgten:  1307, 
1332,  1358,  1384.  Im  Jahre  1606  erschien  das  damalige  Statut 
in  Druck; 

Pola,  Statuten  vom  Jahre  1431  in  fünf  Büchern; 

Ragusa,  Statuten  in  acht  Büchern  vom  Jahre  1272,  dazu 
Libri  reformationum  (Rathsbeschlüsse)  vom  Jahre  1306  ab; 

Spalato,  das  statutum  vetus,  schon  1240  vorhanden,  wurde 
1312  revidiert  und  in  sechs  Bücher  getheUt.  Statuta  nova,  vom 
Jahre  1333  bis  1367  und  eine  im  Jahre  1382  angelegte  Sammlung 
von  Rathsbeschlüssen ; 

Triest,  ein  umfängliches  Statut,  das  angeblich  im  Jahre 
1150  zur  Zeit  abgefasst  wurde,  da  Graf  Heinrich  von  Görz  und 
Tirol  (!)  Podestä  war,  in  der  That  aber  erst  um  1300  entstand, 
ist  uns  in  einer  Handschrift  vom  Jahre  1318  überliefert.  Dasselbe 
aerfällt  in  vier  Bücher  und  366  Capitel,  von  denen  namentlich 
das  zweite  viele  privatrechtliche  Bestimmungen  enthält. 


Geschichte  des  öflfentlicheu  Rechts. 

§  25.   Die  Entstehung  der  Landesherrlichkeit. 

Berchtold,  Die  Entwicklung  der  Landeshoheit  in  Deutschland.  1863.  — 
Schröder  R.,  Rechtsgeschiohte,  §  50.  —  Siegel,  Rechtsgeschichte,  §  97 ff.  — 
Waiz,  V.-Q.,  Bd.  7,  C.  9.  —  U Singer,  Das  deutsche  Staatsgebiet  bis  gegen  Ende 
des  11.  Jahrb.  (Hist.  Zeitschrift,  Bd.  27,  S.  398  ff.)  —  S  teurer  Isidor,  Entstehung 
des  Fürstenthum  Bnxen.  1883.  (Gymnasialprogranun  Brixen.)  —  Kleymayrn, 
Unparteiische  Abhandlung  von  dem  Staate  des  h.  Erzstifts  Salzburg,  1770. 

1 .  Die  Landesherrlichkeit  im  deutschen  Reiche  ist  aus  einer 
Umbildung  der  Amtsgewalt  der  Grafen,  Markgrafen  und  Herzoge 
hervorgegangen,  indem  der  Amtsauftrag  in  Befugnisse  aufgelöst 
wurde,  die,  in  Lehensform  ertheilt,  dem  berechtigten  Vasallen 
einen  bleibenden  Anspruch  auf  deren  Inhalt  gewährten.  Auch  die 
Herzoge  von  Karantanien  so  gut  als  die  Markgrafen  der  Ostmark 

10* 


148        österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  25. 

oder  die  Grafen  von  Oberkrain  waren  anfänglich  Reichsbeamte. 
Sie  blieben  es  selbst  dann  noch  längere  Zeit,  als  seit  den 
Ottonen  allmählich  die  Übung  aufkam,  das  Amt  durch  Belehnung 
zu  empfangen,  was  die  Bedeutung  hatte,  dass  der  Inhaber  die 
mit  dem  Amt  verbundenen  Vortheile  für  sich  zog.  Namentlich 
erhielt  sich  diese  Amtseigenschaft  lang  in  Karantanien,  wo  der 
königliche  Wille  innerhalb  der  Jahre  1002—1077  sieben  Herzoge 
aus  fünf  verschiedenen  Geschlechtern  ernannte,  inzwischen  die 
Stelle  zeitweilig  (1039—1047)  unbesetzt  ließ  und  mannigfache 
Veränderungen  des  Verwaltungssprengels  vorkamen.^ 

2.  Die  österreichischen  Lande  standen,  abgesehen  von  ihrer 
bleibenden  Unterordnung  unter  das  Reich,  zeitweilig  auch  in  einer 
gewissen  Abhängigkeit  von  den  bayerischen  Herzogen,  die  im 
10.  Jahrhundert  oft  die  Verwaltung  des  Herzogthums  Karantanien 
als  Nebenamt  versahen  und  überdies  vor  dem  Jahre  976  für  die 
Grenzhut  der  Ostmark  durch  Bestellung  der  Markgrafen  sorgten. 
Zu  Beginn  des  1 1 .  Jahrhunderts  war  diese  Einflussnahme  Bayerns 
hier  beseitigt,  sie  lebte  aber  in  anderer  Form  während  der  Wirren 
des  Investiturstreits  sowohl  in  der  Ostmark  als  in  den  von 
Karantanien  abgetrennten  Markgebieten  wieder  auf.  Die  Baben- 
berger  waren  als  Inhaber  dreier  Grafschaften,  die  mit  der  Ost- 
mark vereinigt  waren,  zugleich  Mannen  der  bayerischen  Herzoge. 
Ebenso  hatten  die  Geschlechter,  welche  die  istrische  und  die  obere 
Kärntner  (Steier-)  Mark  verwalteten,  gleichzeitig  Grafschaften  von 
den  bayerischen  Herzogen  zu  Lehen.  Die  daraus  entspringende 
Abhängigkeit  hatte,  seitdem  die  Schwächung  der  königlichen  Ge- 
walt offenbar  geworden  war,  mehr  zu  bedeuten  als  das  unmittel- 
bare Verhältnis  dieser  Markgrafen  zum  Könige.  Mit  anderen 
Worten,  diese  Markgrafen  erschienen  zunächst  als  bayerische 
Große,  wie  sie  denn  auch  als  Vasallen  zum  Besuch  der  Hoftage 
der  bayerischen  Herzoge  verpflichtet  waren.^  Dies  änderte  sich^ 


^  Istrien  wurde  um  1047  von  Kärnten  abgelöst,  ebenso  Krain,  femer 
Priaul  (1077),  die  Mark  Verona  (1122).  Vgl.  §  15,  S.  90. 

^  Der  im  Jahre  1275  gestorbene  Abt  Hermann  von  Niederaltaich  schreibtr 
„nam  hueusque  quatuor  marchiones  Austrie  et  Styrie  Istrie  et  Chambensis  qui 
dicebatur  de  Vohburch  evocati  ad  celebrationem  curie  ducis  Bawarie  veniebant, 
sicuti  hodie  episcopi  ot  comites  ipsius  terrae  facere  tenentur.  —  Pontes  rer. 
Germ.  ed.  Böhmer,  II,  487. 


Beziehungen  zu  Bayern.  Weltliche  Landesherren.  149 

als  die  genannten  Markgrafen  in  den  Jahren  1156  und  1180  selbst 
herzogliche  Stellung  erlangten,  mit  welcher  sich  eine  lehensrecht- 
liche Unterordnung  unter  den  Herzog  von  Bayern,  dessen  Standes- 
genossen sie  nun  geworden  waren,  nicht  mehr  vertrug.  Die  Vor- 
gänge bei  Erhebung  der  Ostmark  zum  Herzogthum  (die  im  §  17, 
8.  108  des  nähern  angegeben  sind),  zeigen,  welchen  Wert  man 
damals  darauf  legte,  dass  die  Lostrennung  mit  Beobachtung  aller 
Rechtsförmlichkeiten  erfolgte.  Bei  der  Umwandlung  der  Steier- 
mark in  ein  Herzogthum  und  der  Erhebung  der  in  Istrien  herr- 
schenden Andechser  zu  Herzogen  fiel  hingegen  der  ausdrückliche 
Verzicht  des  Bayemfursten  weg,  weil  Bayern  als  verwirktes  Lehen 
vom  Kaiser  damals  eingezogen  war  und  dieser  die  Abtrennungen 
vornahm,  ehe  die  Verleihung  an  Otto  von  Witteisbach  erfolgte. 

3.  Überblickt  man  den  Gang,  welchen  die  Entwicklung  der 
landesherrlichen  Gewalt  in  den  weltlichen  Gebieten  der  nieder- 
und  oberösterreichischen  Landen  nahm,  so  findet  man,  dass  sie 
aus  dem  Zusammenwirken  von  gar  vielerlei  Pactoren  hervor- 
gehen konnte:  erblich  gewordene  Reichsämter  und  Lehen,  allo- 
dialer  Besitz,  Afterlehen,  mannigfache  Vogtei Verhältnisse ,  der 
Glanz  des  Herkommens  haben  dabei  mitgewirkt,  aber  auch  Glück, 
Klugheit  und  List,  Tapferkeit  und  rücksichtslose  Gewalt  der 
Machthaber.  Je  nach  dem  Überwiegen  oder  Fehlen  der  ge- 
schüderten  Ursachen  war  auch  das  Ergebnis  derselben,  die  Aus- 
bildung der  LandesheiTlichkeit  verschieden. 

So  kam  den  Babenbergern  der  Umstand  vor  allem  zu 
statten,  dass  ihre  Amtsgewalt  nur  wenig  Einbuße  durch  Exemtions- 
privilegien erfahren  hatte,  mit  welchen  die  deutschen  Könige  in 
Österreich  gekargt  hatten,  um  die  Vertheidigungsfähigkeit  dieser 
„rechten  Mark  des  Reichs"  nicht  zu  sehr  zu  schwächen.  Den 
Traungauern  diente  ebenso  ihr  ungemein  reicher  Allodialbesitz, 
der  das  Aufkommen  einer  andern  Macht  neben  der  ihrigen  derart 
ausBchloss,  dass  dessen  Zuwendung  an  die  Babenberger  durch 
den  Georgenberger  Vertrag  im  Jahre  1186  thatsächlich  auch  über 
das  Schicksal  des  Herzogsamts  in  Steiermark  entschied.  Typische 
Beispiele  für  das  Aufsteigen  von  Geschlechtern  zu  landesherrlicher 
Stellung  auf  Grund  der  Vogtei  bietet  uns  die  Geschichte  der  Grafen 
von  Tirol  und  Görz,  die  auf  Kosten  der  bevogteten  Hochstifte 
Brixen.  Trient  und  Aquileja  deren  Herren  wurden. 


150     österreichische  Reichsgeschichte.  I.  TheiL  Zweite  Periode.  §  25  und  26. 

4.  Als  eigentlicher  Ausgangspunkt  für  die  spätere  bevorzugte 
Stellung  sowohl  gegenüber  dem  Reich,  als  auch  der  eigenen 
Unterthanen  erscheint  jedoch  immer  ein  Reichsamt:  Grafschaft, 
Markgrafschaft,  Herzogthum,  sei  es  für  sich  allein,  sei  es  in  Ver- 
bindung mit  Immunitätsbesitz.  Dabei  bildeten  die  Grafenrechte 
den  wesentlichen  Kern  für  die  künftige  Landesherrlichkeit,  deren 
Ausbildung  und  Erhaltung  durch  die  etwa  erlangte  markgräfliche 
oder  herzogliche  Gewalt  noch  mehr  begünstigt  wurde,  weil  hier 
mancherlei  Beschränkungen  wegfielen,  denen  die  einfachen  Grafen 
unterlagen.  Da  die  Machthaber  ursprünglich  nur  auf  Widerruf 
ernannte  Beamte  waren,  so  gieng  ihr  Trachten  dahin,  dies  Amt 
in  ihrer  Familie  erblich  zu  machen,  was  sich  auffallend  früh  in 
der  Ostmark  zeigte,'  während  die  Immunitätsherren*  auf  den  Hinzu- 
erwerb anderer  öffentlicher  Rechte,  vor  allem  der  hohen  Gerichts- 
barkeit über  größere  Bezirke  bedacht  waren  und  erst  dadurch 
zu  Landesherren  wurden. 

Wie  in  den  weltlichen  Gebieten,  so  konnte  auch  in  den 
geistlichen  Fürstenthümem  die  Entwicklung  der  Landesherrlichkeit 
sehr  verschieden  verlaufen.  Die  Bischöfe  von  Triest  hatten  infolge 
ihrer  Misswirtschaft  in  Geldsachen  ihre  Herrschermacht  schon  zu 
Anfang  des  14.  Jahrhunderts  an  die  aufstrebende  Stadtgemeinde 
verloren,  1420  fiel  Aquileja  mit  seinen  reichen  Besitzungen  der 
Ländersucht  Venedigs  zum  Opfer,  weil  es  durch  die  Unbotmäßigkeit 
seiner  Vasallen  und  die  Bedrückungen  seiner  Vögte  durchweg 
zerrüttet  war.  Die  Bischöfe  von  Trient  und  Brixen  bewahrten  die 
Reichsunmittelbarkeit  nur  dem  Namen  nach  bis  zum  Jahre  1803, 
da  sie  eigentlich  schon  seit  Jahrhunderten  wenig  mehr  als  privilegierte 
Unterthanen  ihrer  früheren  Vögte,  der  Grafen  von  Tirol,  waren.  Nur 
das  Erzbisthum  Salzburg  hat  bis  zum  Untergang  des  Reiches  im 
heutigen  Kronlande  und  den  unmittelbar  anstoßenden  Besitzungen 


3  Die  Söhne  der  Grenzgrafen  V^ilhelm  und  Engelschalk  drohten  dem  von 
König  Ludwig  dem  Deutschen  in  der  Ostmark  eingesetzten  Markgrafen  Äribo 
mit  Fehde,  „si  non  recederet  de  oomitatu  parentum  suorum".  Ann.  FuldenseB 
zum  Jahre  884  (Mon.  Germ.,  SS.  I,  399)  und  Dümraler  im  Arohiv,  Bd.  10,  S.  47. 

^  Die  Untersuchungen  E.  Richter's  haben  gezeigt,  dass  das  landes- 
herrliche Gebiet  der  Erzbischöfe  von  Salzburg  sich  keineswegs  mit  dem  alten 
Immunitätsbesitz  des  Erzstiftes  deckte,  sondern  auf  den  spätem  Erwerb  von 
Grafschaftsrechten  zurückzuführen  ist  —  Mitth.  des  Instituts,  E.-B.  I,  597  ff. 


Schicksale  geistlicher  Landesherren.  Die  Herzoge  von  Österreich.      151 

« 

die  volle,  zur  Hoheit  gesteigerte  Landeaherrlichkeit  besessen, 
wohl  darum,  weil  es  seit  dem  13.  Jahrhundert  die  erworbenen 
Grafschaftsrechte  in  Händen  zu  behalten  verstand,  während  Brixen 
und  Trient  sie  lehensweise  an  mächtige  Geschlechter  vergabten.^ 

§  26.    Die   Stellung  der  Herzoge  von   Österreich  zum 

Deutschen  Beich. 

Berchtold,  Die  Landeshoheit  östeireichs.  München  1862.  —  Hasenöhr  1, 
Österr.  Landesrecht,  S.  37  ff.  —  Hauke,  C.  1,  2.  —  Hub  er,  Reichsgeschichte, 
S.  27 ff.  —  Seidler,  I,  §  1-4,  H,  §  1-3.  -  Werunsky,  §5. 

1.  Nach  den  früheren  Darlegungen  bedarf  es  keines  weiteren 
Beweises  dafür,  dass  auch  die  Babenberger  die  Verwaltung  der 
Ostmark  als  Reichsbearate  übernahmen.  Alle  Gewalt  im  Lande 
und  über  das  Land,  die  an  die  Markgrafen  nicht  übertragen  war, 
stand  daher  dem  Reichsoberhaupte  zu.  Die  Könige  hatten  von 
den  Markgrafen  nicht  bloß  die  Dienste  treuer  Beamten  zu  fordern, 
sie  sorgten  auch  für  die  Wiederbesetzung  des  erledigten  Amtes, 
dessen  Wirkungskreis  sie  durch  Exemtionsprivilegien  beliebig 
schmälern  konnten;  sie  schalteten  ferner  ebenso  frei  über  erobertes 
Gebiet  (wie  die  Schicksale  der  Neumark  Österreich  zeigen)  als 
über  den  reichen  Kronbesitz,  der  in  der  Mark  lag.  Doch  haben  die 
deutschen  Könige,  abgesehen  von  der  Verfügung  über  Reichsgut, 
Regalien  ^  und  die  Dienste  der  Babenberger  in  der  weit  abliegenden 
Ostmark  von  ihren  Rechten  nur  mäßigen  Gebrauch  gemacht.^  Nur 

*  Die  Erwerbung  der  Grafschaft  durch  ein  Hochstift  enthielt  vorerst  nur 
das  Recht,  künftiglün  selbst  den  Grafen  zu  bestellen.  Die  Erzbischöfe  von  Salz- 
burg halfen  sich,  solange  das  im  Blutbann  gelegene  Hindernis  für  sie  bestand, 
dadurch,  dass  sie  die  Grafschaften  an  Familien  dos  landsäßigen  Adels  verliehen 
und  später  von  diesen  wieder  zurlickerwarben,  während  die  meisten  Graf- 
schaften von  den  Bisthümem  Trient  und  Brixen  schließlich  in  die  Hände  der  Grafen 
von  Tirol  kamen.    Richter,  a.  a.  0.  619  und  oben  §  16,  S.  103/4,  §  19,  S.  122. 

1  1049  schenkt  Kaiser  Heinrich  UI.  an  Passau  ex  nostra  imperiali  auctori- 
tate  ...  ins  et  potestatem  legitlmi  banni  super  venatione  et  foresto  in  predio  (ejus- 
dem  ecclesiee)  in  comitatu  Adalberti  Marchionis  n.  s.  w.  M  ei  Her,  B.  R.  6,  Nr.  14. 

'  Folgende  Übersicht  der  Krongutsschenkungen  in  der  Ostmark  ist  nach 
Meiller's  Babenberger  Regesten  bearbeitet,  die  eingeklammerten  Zahlen  bedeuten 
das  Jahr  der  Verleihung:  a)  Ku'chen  und  Klöster:  Freishig  (1033/34, 1049),  Salzburg 
(1049),  Passau  (977,  995/96,  1014,  1025,  1049, 1063,  1067),  Bamberg,  Dompropstei 
(1015),  Garsten  (1142),  Göttweigh  (1108),  Hainburg  (1051),  Klostemeuburg  (1139), 


152        österreichische  Reichs^eschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  26. 

selten  wurden  Befreiungen  von  der  Amtsgewalt  der  Markgrafen 
gewährt,  weil  man  den  Grenzschutz  nicht  gefährden  wollte,  ebenso 
entschieden  nur  politische  und'  militärische  Erwägungen  dafür, 
dass  das  Gebiet  der  Mark  nicht  verkleinert  wurde  und  dass  die 
Verwaltung  bei  ein  und  demselben  Geschlechte  blieb.  So  erklärt 
es  sich,  dass  die  Ostmark  ungetheilt  vom  Vater  auf  den  Sohn 
übergieng,  ohne  dass  dadurch  ein  Erbanspruch  der  Babenberger 
vom  König  anerkannt  worden  wäre  und  dass  zu  zweienmalen 
bei  Abgang  von  Söhnen  der  Bruder  des  letzten  Markgrafen  zur 
Nachfolge  gerufen  wurde.^  Das  sind  aber  auch  die  Gründe,  wes- 
halb die  Babenberger  eine  um  vieles  kräftigere,  man  möchte 
sagen  verdichtetere  Gewalt  hatten,  als  ihre  Amtsgenossen:  sie 
besaßen  eben  ungeschmälerte  Befugnisse  noch  zu  einer  Zeit, 
da  die  Auflösung  der  Ämterverfassung  anderorten  schon  weit 
vorgeschritten  war  und  walteten  in  einem  Gebiet,  das  sich  all- 
mählig  erweitert  hatte,  dessen  Bevölkerung  durch  den  Ausbau 
der  inneren  Colonisation  gestiegen  war  und  in  dem  sie  durch 
königliche  Schenkungen  Eigenthümer  weiter  Landstrecken  ge- 
worden waren.  Da  sie  als  Markgrafen  nicht  verpflichtet  waren, 
die  mit  der  Mark  vereinigten  Grafschaften  weiter  zu  leihen,  konnten 
sie  die  Grafenrechte  im  ganzen  Amtssprengel  entweder  selbst,  oder 
durch  stellvertretende  Beamte  ausüben.  So  scharten  sie  die  an- 
gesehensten Männer  der  Mark  um  sich  auf  Landtaidingen,  die 
der  Zweck  der  Rechtspflege  erheischte,  oder  auf  Botdingen,  die 
sie  kraft  markgräflicher  Banngewalt*  nach  eigenem  Ermessen  be- 
riefen, so  stand  ihnen  in  Landesnöthen  das  Recht  des  Aufgebots 
zu,  und  zwar  nicht  bloß  der  rittermäßigen,  sondern  überhaupt 
aller  waffentüchtigen  Leute. 


Krerasmünster  (1099),  Metten  (976),  Niederaltaich  (1011,  1019),  St.  Polten  (1058), 
Tegemsee  (1002,  1011,  1020),  Waldhausen  (1147),  Weüienstephan  (1021); 
b)  Markgraf  und  dessen  FamUie  (1002,  1035,  1043,  1048,  1051,  1058),  Herzoge 
von  Bayern  (998),  Grafen  von  Lamhach  (1025);  c)  cuidam  mUiti  Piligrimo  (1002), 
Haderich  (1055),  Luitwin  (1066),  Kanzler  Günther  (1055),  Azo  von  Gobazpurch 
(Stammvater  der  Kuenringe,  1057),  Sigehoto  (1078),  Hugo  von  Kranichberg  (1142). 

8  Nach  dem  Tode  Heinrich's  I.  (994  bis  1018),  Adalbert  (1019  bis  1055), 
nach  dem  Tode  Leopold's  IV.  (f  1141),  Heinrich  H.  (1141  bis  1177). 

*  Die  Verfügung,  welche  Markgraf  Leopold  IV.,  1136  zu  (Kor-)  Neuburg, 
,consiüo  cum  meis  habito  .  .  .  magna  optimatum  frequentia"  getroffen  hatte, 
wurde  secundo  et  tercio  apud  Tulnum  oppidum  et  item  apud  s.  Ypolitum 
promulgata  et  confirmata  consensu  omnium  nobilium*.  M eil  1er,  6.  R.  22,  Nr.  56. 


Die  Erbfolge  im  Herrscherhause.  153 

2.  Durch  die  Erhebung  der  Ostmark  zum  Herzogthum  wurde 
die  Macht  der  Babenberger  sehr  wesentlich  verstärkt,  denn  sie 
behielten  die  Vortheile,  die  sieh  aus  ihrer  Stellung  als  Markgrafen 
bisher  ergeben  hatten,  und  gewannen  neue  wichtige  Vorrechte 
hinzu,  durch  die  sie  über  andere  Fürsten  erhoben  wurden.  Was 
bisher  bei  der  Nachfolge  nur  Übung  gewesen,  das  wurde  nun 
vom  Kaiser  erweitert  und  als  Rechtsanspruch  der  Babenberger 
anerkannt,  weil  das  Herzogthum  Österreich  zu  gesammter  Hand 
an  Heinrich  Jasomirgott  und  dessen  Gemahlin  Theodora  gegeben 
und  die  Erbfolge  nicht  nur  auf  die  Söhne  des  Herzogs,  sondern 
bei  Mangel  solcher  auch  auf  dessen  Töchter  ausgedehnt  wurde. 
Ein  Blick  auf  Bayern,  wo  den  Witteisbachern  die  Vererbung 
der  herzoglichen  Würde  im  Mannesstaram  erst  1208  von  Kaiser 
Otto  IV.  verbrieft  wurde,  dürfte  genügen,  um  die  Größe  des 
kaiserlichen  Zugeständnisses  an  Heinrich  Jasomirgott  zu  ermessen. 
Nicht  genug  an  dem,  wurde  den  ersten  Erwerbern  sogar  das  Recht 
eingeräumt,  für  den  Fall  kinderlosen  Todes  dem  Reiche  ihren 
Nachfolger  in  Vorschlag  zu  bringen  (jus  aflFectandi).  Gleichzeitig 
wurden  die  Pflichten  gegen  das  Reich  stark  eingeschränkt.  Die 
Obliegenheit  der  Babenberger  zum  Besuche  der  bayerischen  Hof- 
tage wurde  in  die  ganz  ausnahmsweise  Begünstigung  gewandelt, 
dass  die  Herzoge  von  Österreich  nur  zum  Erscheinen  an  jenen 
Hoftagen  gehalten  seien,  die  der  Kaiser  innerhalb  des  Umfangs 
des  alten  Herzogthums  Bayern  ausschreiben  würde.  In  gleicher 
Weise  knüpfte  das  PrivUegium  an  die  Zustände  zur  Zeit  der 
Markgrafen  an,  indem  es  die  Verpflichtung  des  Herzogs  zur  Theil- 
nahme  an  Reichskriegen  nur  für  Feldzüge  bestehen  ließ,  welche 
die  unmittelbare  Nachbarschaft  des  Herzogthums  Österreich  be- 
treffen würden.  Vor  allem  wichtig  sowohl  für  die  Stellung  des 
Herzogs  gegenüber  dem  Reich  als  auch  gegenüber  seinen  Unter- 
thanen  war  aber  die  Bestimmung  über  den  Umfang  der  herzog- 
lichen Gerichtshoheit.  Man  hat  aus  den  Worten  „Statuimus  quoque 
ut  nulla  magna  vel  parva  persona  in  ejusdem  ducatus  regimine 
sine  ducis  consensu  vel  permissione  aliquam  justiciam  praesumat 
exercere"  herauslesen  wollen,  dass  fortan  alle  Gerichtsbarkeit  im 
Lande  vom  Herzog  ausgehen  solle,  so  dass  überhaupt  niemand  in 
Österreich  des  Richteramts  walten  dürfe  außer  mit  Ermächtigung  des 
Landesherm.  Allein  damit  wird  in  das  Privilegium  ein  Inhalt  gelegt, 


154        Österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  26. 

den  es  nicht  hatte,  obgleich  zugegeben  ist,  dass  die  spätere  Ent- 
wicklung der  Gerichtshoheit  in  Österreich  die  oben  angegebene 
Richtung  einhielt  und  sich  diesem  Ziele  umsomehr  näherte,  je 
mehr  sich  das  Territorium  abschloss  und  je  mehr  Rechte  der 
Landesherr  über  dasselbe  gewann.  Der  eigentliche  Sinn  jener 
Stelle  war  vielmehr,  dass  fortan  königliche  Schutzbriefe  in  Öster- 
reich nur  mit  Zustimmung  des  Herzogs  bestehende  Immunitäten 
erweitern,  oder  neue  begründen  konnten.  Die  Bedeutung  dieses 
Zugeständnisses  liegt  darin,  dass  die  königlichen  Immunitätsbriefe 
Reichsunmittelbarkeit  zur  Folge  hatten,  während  die  Kirchen  und 
Großgrundbesitzer,  die  der  Herzog  freite,  landsäßig  blieben.  Öster- 
reich trat  also  unmittelbar  aus  der  Reihe  der  alten  Amtssprengel 
in  die  Reihe  der  Reichsterritorien.  Es  konnte  schon  im  13.  Jahr- 
hundert dank  der  Ausdauer  des  Herrschergeschlechts  für  eine 
zusammenhängende,  in  sich  abgeschlossene  Ländermasse  gelten, 
während  andere  Landesherren  eine  lange  Übergangsperiode  des 
Kampfes  mit  den  exterritorialen  Machthabem  innerhalb  ihrer 
Gebiete  durchmachen  mussten,  ehe  sie  mühsam  zu  einiger  Ab- 
rundung  ihres  durch  zahlreiche  Exemtionen  zerstückten  Territoriums 
gelangten.  Es  ist  daher  nicht  überraschend,  dass  Ausdrücke  wie 
princeps  terrae  oder  dominus  terrae,  die  später  zur  tech- 
nischen Bezeichnung  der  Landesherrlichkeit  wurden  im  Deutschen 
Reich  (Lothringen  bei  Seite  gelassen),  zuerst  in  Österreich  und 
Steiermark  auftauchten.^ 

3.  Die  höchste  Gerichtsbarkeit  über  das  Herzogthum  verblieb 
auch  nach  Erlassung  des  Privilegiums  Minus  dem  Kaiser,  das 
lehren  nicht  bloß  Sprüche  des  Reichsgerichts,  wie  jener  vom 
Jahre  1181,  der  zu  Gunsten  von  Kremsmünster  eine  Straße 
cassierte,  das  forderte  auch  das  österreichische  Landesrecht  aus 
Kaiser  Friedrich's  IL  Zeit,  das  dem  Herzog  nur  die  Verfestung 
der  Landesministerialen  zugestand,  die  Oberacht  aber  dem  Reiche 
vorbehielt.    Pfemysl  Otakar  hat  dies  allerdings  in  seinem  Land- 

^  S.  die  Nachweise  hei  F  ick  er,  Reichsfürstenstand,  §  32.  Die  Urkunde 
von  1184,  in  welcher  Herzog  Otakar  die  Absicht  ausspricht:  „terram  Styriao*, 
dem  Herzog  Leopold  V.  von  Österreich  zu  verkaufen,  ist  eine  Fälschung;  in 
der  Georgonberger  Urkunde  1186  nennt  er  die  Herzogthümer  „provincia"  und 
unterscheidet  sie  von  seinem  AUodialbesitz:  „dominicalia,  munitiones  terra, 
ministeriales".  Ü.-B.  für  Steiermark,  I,  Nr.  632,  677. 


Die  Stellung  der  österr.  Herzoge  nach  den  Hausprivilegien.  155 

frieden  vom  Jahre  1251  eigenmächtig  aufgehoben  und  die  Ober- 
acht für  sich  selbst  in  Anspruch  genommen,  allein  Dingungen 
(Appellationen)  an  den  Deutschen  König  kamen  trotzdem  während 
seiner  Herrschaft  vor.*  Unter  Rudolf  L,  der  hier  wie  sonst  auf 
die  unter  dem  letzten  Babenberger  herrschenden  Zustände  zu- 
riickgriff,  wurde  die  frühere  Unterordnung  wieder  hergestellt.^ 

4.  Eine  Minderung  dieser  dem  Reiche  vorbehaltenen  Rechte 
brachte  die  Erwirkung  eines  unbeschränkten  „Privilegiums  de  non 
evocando"  durch  Herzog  Albrecht  IL,  das  nicht  bloß  gegen  Ladungen 
fremder  Territorialgerichte,  sondern  auch  vor  jedes  königliche 
Gericht  schützte.  Noch  darüber  hinaus  giengen  die  Pläne,  die  Herzog 
Rudolf  IV.  durch  die  unechten  Hausprivilegien  zu  verwirklichen 
suchte:  Dem  Herzog  solle  die  oberste  Gerichtsbarkeit  über  alle 
Bewohner  Österreichs  und  über  allen  darin  gelegenen  Grundbesitz 
zukommen,  alle  Gerichtsbarkeit,  alle  Forste,  das  Jagd-  und  Fischerei- 
recht, alle  Lehen  im  Lande  nur  durch  Empfang  vom  Herzog  zu 
erwerben  sein,  der  seinerseits  nicht  verpflichtet  sei,  sich  vor 
dem  Kaiser  auf  erhobene  Klagen  einzulassen.  Der  Besuch  der 
Reichs-  und  Hoftage  und  die  Betheiligung  an  den  Reichslasten 
wird  völlig  ins  Belieben  des  Herzogs  gestellt,  der  nur  zur  Stellung 
von  zwölf  Gewaflheten  während  eines  Monats  bei  Reichskriegen 
gegen  Ungarn  gehalten  sei.  Reichslehen  habe  er  in  seinem 
Lande  unter  auszeichnenden  Förmlichkeiten  zu  empfangen  u.  s.  w. 
Aber  auch  über  die  Nachfolge  und  Regierung  finden  sich  hier 
neue  und  wichtige  Bestimmungen:  Die  Herrschaft  gebüre  unter 
mehreren  männlichen  Mitgliedern  des  Herrscherhauses  dem  Ältesten 
und  vererbe  sich  in  dessen  Linie  jeweilig  auf  den  ältesten  Sohn,  in 
Ermanglung  von  Söhnen  auf  die  Erbtochter,  bei  Abgang  aller  Erben 
stehe  es  dem  Herzog  frei,  an  wen  er  seine  Lande  gelangen  lassen 
wolle.  Im  übrigen  seien  die  Lande  untheilbar  und  was  der  Herzog 
darin  anordne,  das  könne  weder  der  Kaiser  noch  sonst  wer  aufheben. 

•  S.  meine  Geschichte*  des  altern  Gerichtswesens  in  Österreich,  S.  17  ff.  — 
In  den  Streitigkeiten  mit  Ludwig  von  Zelking  wegen  der  Lehen  Hartnid's  von 
Altenhofen  beklagte  sich  Bischof  Berthold  von  Passau  vor  „dem  Herzogen  Otakam 
des  Landesherm",  der  beide  dahin  verglich,  dass  der  Bischof  der  Frau  Zelkings 
einen  Rechtstag  zur  Begründung  ihrer  Ansprüche  zugestand.  Hier  fiel  das  Urtheil 
gegen  die  Frau  aus.  »Der  Urteil  dingt  der  frauwen  vorspreche  anz  riebe".  — 
Mon.  Boica,  XXIX/2,  S.  403.  r 

■^  Gerichtswesen  a.  a.  0.,  20,  Anm.  17. 


156        österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theii.  Zweite  Periode.  §  26. 

5.  Wohl  blieben  dies  zunächst  nur  Ansprüche,  die  vom  Reich 
nicht  anerkannt,  aber  auch  nicht  völlig  abgelehnt  wurden,  da 
Kaiser  Karl  IV.  nur  eine  allgemein  gehaltene  Bestätigung  der 
Rechte  der  Habsburger  zugestand  und  Herzog  Rudolf  IV.  sich 
mit  einer  solchen  aus  guten  Gründen  begnügte.  Allein  innerhalb 
seiner  Territorien  und  selbst  gegenüber  schwächeren  Reichs- 
ständen wusste  Rudolf  seine  Forderungen  durchzusetzen,  wie  u.  a. 
das  Schicksal  der  Grafen  von  Schaunberg  beweist.  Als  dann  im 
15.  Jahrhundert  die  Habsburger  wieder  auf  den  deutschen  Thron 
gelangten,  wurde  der  gesammte  Inhalt  der  österreichischen  Freiheits- 
briefe unter  Einhaltung  aller,  vom  Reichsherkommen  geforderten 
Förmlichkeiten  am  6.  Jänner  1453  vom  Kaiser  Friedrich  III.  be- 
stätigt, 80  dass  sie  von  da  ab  geltendes  Reichsrecht  wurden. 

Die  mit  dem  Titel  Erzherzog  ausgezeichneten  Heirscher 
erapfiengen  fortan  bei  ihrer  Belehnung  vom  Reiche  die  oberste  Ge- 
richtsbarkeit in  einer  Ausdehnung,  die  noch  über  das  den  Kur- 
fürsten eingeräumte  Privilegium  de  non  appellando  hinausgieng. 
Nach  Innen  wurde  der  Satz  des  Privilegium  majus:  „cuncta  etiam 
ssecularia  judicia  in  ducatu  Austriae  debent  jure  feodali  a  duce 
Austrise  dependere*  niemals  außer  Acht  gelassen  und  durch  Be- 
harrlichkeit auch  allgemein  durchgeführt.  Jeder  Inhaber  der 
höhern  Gerichtsbarkeit  musste  beim  Herzog  um  die  Bannleihe 
für  sich  oder  seine  Beamten  einkommen.  Dies  war  bezüglich  der 
weltlichen  Inhaber  von  Landgerichten  seit  dem  Aussterben  der 
Cillier  (1456)  durchwegs  der  Fall,  da  die  Erhebung  landsäßiger 
Geschlechter,  wie  der  Eytjsing,  der  Prueschenk  u.  a.  in  den  Stand 
der  Reichsfreien  oder  Reichsgrafen  nur  unter  Vorbehalt  der  Vor- 
rechte des  Hauses  Österreich  erfolgte.  Aber  auch  die  auswärtigen 
Hochstifte  und  Abteien,  die  lange  Widerstand  leisteten  und  für 
ihren  Besitz  Reichsunmittelbarkeit  beanspruchten,  wurden  mehr 
und  mehr  zu  landsässigen  Herrschaften  herabgedrückt,  über  welche 
dem  Inhaber  höchstens  untergeordnete,  im  Recesswege  ausdrücklich 
vorbehaltene  Regierungsrechte  verblieben.^ 

6.  Die  Stellung  der  österreichischen  Herzoge  hatte  sich  dem- 
nach bis  zum  Schlüsse  des  Mittelalters  in  folgender  Weise  gestaltet : 

^  S.  die  in  meiner  Geschichte  des  Gerichtswesens,  S.  29,  Anm.  28,  mitge- 
theilten  Reverse  der  Eytzinger,  Prueschenk  n.  s.  w.  und  S.  30  ff.  das  über 
exterritoriale  Gerichtsbezirice  Gesagte. 


Die  Stellung  der  österreichischen  Herzoge  seit  1453.  157 

Die  österreichischen  Herzoge  hatten  seit  dem  Jahre  1156 
ihr  Herzogthum  vom  Reiche  mit  dem  Recht  der  erblichen  Nach- 
folge zu  Lehen,  das  bei  Abgang  männlicher  Nachkommen  auf  die 
Töchter  des  letzten  Inhabers  übergieng.  Die  Belehnung  erfolgte, 
wenn  mehrere  Erben  vorhanden  waren,  gewöhnlich  zur  gesammten 
Hand,  doch  hatte  dies  nicht  immer  eine  gemeinsame  Regierung  der 
Belehnten  zur  Folge.®  Die  Ansicht,  dass  durch  das  Privilegium 
minus  bereits  die  dem  langobardischen  Recht  eigene  Erbfolge 
den  Seitenverwandten  für  Österreich  als  Reichslehen  zugestanden 
wurde,  ist  abzuweisen.  Die  Nachfolge  Herzog  Leopold's  VI. 
nach  seinem  Bruder  Friedrich  I.  (f  1198),  auf  die  man  sich  be- 
ruft, ist  gerade  am  wenigsten  zur  Begründung  jener  Behauptung 
geeignet.  Kaiser  Heinrich  VI.  gestattete  nämlich  (vgl.  oben  §  17, 
8.  110)  die  Vereinigung  der  Steiermark  mit  Österreich  nur  für 
die  Person  des  ersten  Erwerbers,  HerzogLeopold's  V.,  und 
hatte,  um  über  seine  Absichten  keinen  Zweifel  bestehen  zu  lassen, 
den  Vater  wohl  mit  beiden  Herzogthümem,  gleichzeitig  aber  auch 
dessen  Söhne  belehnt,  und  zwar  abgesondert,  den  altern,  Friedrich  (L), 
mit  Österreich,  den  Jüngern,  Leopold  (VI.),  ebenso  mit  Steiermark. 
Nach  dem  Tode  Leopold's  V.  1194  übernahm  jeder  der  Söhne  die 
Hen*8diaft  in  dem  Herzogthum,  das  ihm  schon  bei  Lebzeiten  des 
Vaters  vom  Reiche  geliehen  worden  war.  Es  ist  daher  klar,  dass 
nach  dem  kinderlosen  Tode  Herzog  Friedrich's  L,  Herzog  Leopold 
von  Steiermark  einer  eigenen  Belehnung  mit  Österreich  und  daher 
auch  einer  neuen  Vereinbarung  mit  dem  Reichsoberhaupte  bedurfte, 
die  Leopold  allerdings  nach  den  damaligen  Zeitumständen  leicht 
erwirkte,  weil  König  Philipp  sich  nicht  mit  einem  der  mächtigsten 
und  treuesten  Anhänger  seines  Hauses  entzweien  wollte. 

Ebensowenig  wäre  sonst  einzusehen,  weshalb  die  Belehnungen 
nicht  bloß  der  ersten,  sondern  auch  der  späteren  Habsburger  als 
Gesammtbelehnungen  nachgesucht  und  ertheiit  wurden  und  wes- 
halb das  PrivUegium  majus  in  der  dem  Privilegium  minus  ent- 
sprechenden Stelle  nur  von  der  Erbtochter  spricht.   Wer  wollte 

^  Eine  Ausnahme  begründete  die  s.  g.  Rheinfelder  Hausordnung  vom 
Jahre  1283,  durch  welche  König  Rudolf  über  Bitte  der  Steirer  verfügte,  dass 
ungeachtet  der  Gesammtbelehnung  seiner  Söhne  mit  Österreich  und  Steiermark 
die  Herrschaft  bei  Älbrecht  und  dessen  männlicher  Nachkommenschaft  bis  zu 
ihrem  Erlöschen  verbleiben  solle.  Hauke,  10. 


158        österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  26. 

annehmen,  dass  Herzog  Rudolf  IV.  die  Erbberechtigung  seines 
Hauses,  wenn  sie  bestanden  hätte,  absichtlich  eingeschränkt  habe, 
da  ja  das  im  Majus  vertretene  Princip  der  Primogenitur  die  Col- 
lateralenerbfolge  nicht  schlechthin  ausschließt,  sondern  ihrer 
beim  Erlöschen  der  herrschenden  Linie  sogar  bedarf?  Doch  sei 
gleich  bemerkt,  dass  Herzog  Rudolfs  IV.  Absicht,  die  Primo- 
genitur im  Herrscherhause  einzuführen,  selbst  nach  der  reichs- 
gesetzlichen Anerkennung  der  Hausprivilegien  nicht  gleich  durch- 
griff, sondern  erst  im  16.  Jahrhundert  seit  dem  Anfall  von  Böhmen 
vrirksam  wurde.  ^^ 

7.  Während  beim  Belehnungsacte  vom  Jahre  1156  Heinrich 
Jasomirgott  als  Markgraf  schon  dem  Fürstenstand  angehört  hatte 
und  nur  eine  Erhöhung  seines  Amtes  eintrat,  fand  bei  der  Be- 
lehnung der  Habsburger  in  den  Jahren  1282  und  1298  zugleich 
ein  Act  der  Standeserhebung  statt,  weil  nach  der  mittlerweile  ein- 
getretenen  Änderung  der  Voraussetzungen  für  den  Reichsfürsten- 
stand die  Söhne  des  Königs  an  sich  diesem  nicht  mehr  ange- 
hörten. ^^  Da  femer  die  Belehnungen  zur  gesammten  Hand  ge- 
schahen, so  gab  es  nun  in  Österreich  eine  Mehrheit  von  Fürsten, 
aber  in  ungetheiltem  Besitz.  Die  Hausordnung  Herzog  Albrecht's  IL 
vom  Jahre  1355  geht  von  diesem  Fall  als  dem  noimalen  aus  und 
bestimmt  unter  Zuziehung  der  Landherren  als  Garanten,  dass  die 
vier  Söhne  des  Herzogs  ungetheilt  in  Eintracht  mit  einander  leben 
sollten,  und  zwar  ohne  Vorzug  eines  von  ihnen,  während  der 
Hausvertrag,  den  Herzog  Rudolf  IV.  im  Jahre  1364  mit  seinen 
Brüdern  abschloss,  dem  Ältesten  einen  entschiedenen  Vorrang  zu- 
sprach. Dieser  Versuch,  die  Hauptgewalt  dem  Ältesten  zuzuwenden, 
schlug  fehl  und  veranlasste  vielmehr  die  LändertheUungen,  die 
bald  nach  dem  Tode  Herzog  Rudolfs  IV.  begannen  und  durch 
den  Neuberger  Vertrag  vom  Jahre  1379  zu  der  von  König  Wenzel 
im  Jahre  1380  bestätigten  Begründung  zweier  selbständiger,  mit 
dem  Rechte  abgesonderten  Erwerbs  ausgestatteter  Linien  führten. 
Zu  einer  noch  weiter  gehenden  Auflösung  des  Herrscherhauses 
kam   es  jedoch  nicht.   Abgesehen   davon,  dass  die  TheUung  in 


^^  Zuerst  1576,  als  Kaiser  Rudolf  mit  Ausschluss  seiner  Brüder  die  Herr- 
schaft antrat  und  den  Anspruch  des  Erzherzogs  Matthias  auf  die  Herrschaft 
Steyer  zurückwies.  Hauke,  67. 

^^  Ficker,  Reichsfürstenstand,  §  69  mit  75. 


Die  Herrscherrecbte  der  österreichischen  Herzoge.  159 

Österreich  weniger  weit  gieng  wie  in  andern  Fürstenhäusern, 
da  eigentlich  nur  die  mehreren,  dem  Hause  zustehenden  Reichs- 
fürstenthüraer  als  solche  unter  die  Linien  vertheilt  wurden,  bestand 
auch  für  den  Fall  gänzlichen  Erlöschens  einer  Linie  der  Vorbehajt 
wechselseitiger  Nachfolge,  kraft  welcher  dem  König  Maximilian 
nach  dem  Tode  seines  Vaters  (1493)  die  Wiedervereinigung  des 
gesammten  habsburgischen  Besitzes  gelang.  ^^ 

8.  Die  österreichischen  Herzoge  empfiengen  vom  Reich  bei  der 
Belehnung  die  Gerichtsbarkeit,  den  Heerbann  und  eine  Anzahl 
nutzbringender  Rechte  (Regalien).  Daraus  ergaben  sich  für  sie  gegen- 
über den  Unterthanen  folgende  Rechte: 

a)  Die  Gerichtsbarkeit  im  oben  angegebenen  Umfang,  kraft 
welcher  schließlich  alle  Ausübung  der  höheren  Gerichtsbarkeit  in 
ihren  Landen  von  der  Bannleihe  des  Herzogs  abhieng,  während 
andererseits  das  Privilegium  de  non  evocando  und  die  noch  über 
das  PrivUegium  de  non  appellando  hinausgehenden  Vorrechte  der 
HausprivUegien  das  Einschreiten  auswärtiger  und  selbst  der  Reichs- 
gerichte gegen  österreichische  Unterthanen  abschnitten;^® 

b)  die  MUitärhoheit  in  dem  Sinne,  dass  sie  nicht  bloß  ihre 
Vasallen  nach  Maßgabe  der  Lehensverpflichtungen,  sondern  im 
Falle  der  Landesnoth  auch  alle  wehrhaften  Bewohner  gegen  innere 
wie  äußere  Feinde  aufbieten  konnten  und  dass  die  Erbauung  von 
Befestigungen  von  ihrer  Zustimmung  abhängig  gemacht  wurde; 

c)  besaßen  sie  Finanzhoheit  insofern,  als  sie  außer  freier 
Verfügung  über  den  ausgedehnten  Domänenbesitz  und  das  übrige 
Kammergut  bei  der  Ausübung  der  vom  Reiche  lehnbaren  Regalien 
keine  Einsprache  von  Seite  der  Unterthanen  zu  berücksiiehtigen 
brauchten,  wenn  nicht  besondere  Einschränkungen  zu  Recht  be- 
standen, wie  in  Steiermark  rücksichtlich  der  Münzemeuerung ; 

d)  hatten  sie  die  hohe  oder  Schirm vogtei  über  viele  in 
ihren  Landen  gelegene,  oder  doch  begüterte  Hochstifte  und 
Klöster,  die  den  herzoglichen  Schutz  nicht  selten  durch  Hingabe 
bedeutender  Stiftslehen  vergalten. 


^  V^l.  über  die  staatsrechtlichen  Wirkungen  der  habsborgiechen  Länder- 
theilnngen:  Hanke,  Cap.  2.  Die  Theilungen  innerhalb  der  Leopoldmischen  Linie 
waren  nur  Verwaltuugstheilungen,  daher  die  Mitglieder  dieser  Linie  nach  wie 
vor  ungetheilte  Erben  blieben.  A.  a.  0.  27. 

^  Siehe  mein  Gerichtswesen,  S.  27. 


160         österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  27. 

§  27.  Die  Anf&nge  der  Landstände. 

Friefi,  Herzog  Albrecht  I.  und  die  Dienstherren  von  Österreich.  Fest- 
schrift der  Wiener  historischen  Vereine.  1882.  —  Hasenöhr  1,  österr.  Landes- 
recht, 49.  —  Hub  er,  Österr.  Reichsgeschichte,  55  ff.  —  Jäger  A.,  Geschichte  der 
landständischen  Verfassung  Tirols.  3  Bde.  1881—1885.  —  Krones,  Zur  Quellen- 
kunde des  steiermärkischen  Landtagswesens.  Beiträge  zur  Kunde  steirischer  Ge- 
schichtsqu.,  II,  III,  VI.  —  Mein  Aufsatz,  Die  steirischen  Landhandfesten.  A.  a.  0.  IX. 
—  Rockinge r,  in  der  Einleitung  zu  Lerchen feld's  Ausgabe  der  altbayerischen 
landständischen  Freibriefe.  München  1853.  —  Schröder,  Rechtsgeschichte,  §  50, 
S.  595  ff.  —  Unger,  F.  W.,  Geschichte  der  deutschen  Landstände.  2  Bde.  1844. 

1.  Die  Geschichte  der  Landstände  hängt  eng  mit  der  Ent- 
stehung und  Entwicklung  der  Landesherrlichkeit  zusammen.  So 
lange  der  Amtscharakter  der  Grafschaft,  Mark,  des  Herzogthums 
vorwaltete,  gab  es  keine  Landstände,  als  sich  aber  die  Herrengewalt 
über  die  Gebiete  gebildet  hatte,  bestand  sowohl  von  Seiten  des 
Reichs  als  auch  der  Unterthanen  ein  Interesse  an  der  Beschrän- 
kung der  Fürstenmacht,  um  diese  nicht  ungemessen  anwachsen  zu 
lassen.  Es  ist  darum  kein  zufälliges  Zusammentreffen,  sondern  ent- 
spricht einem  tiefern  Zusammenhang,  dass  am  gleichen  Tage,  an  dem 
die  Landesherrlichkeit  durch  das  von  König  Heinrich  verkündete 
„Statutum  in  favorem  Principum**  reichsgesetzliche  Grundlage 
erhalten  hatte,  vor  dem  gleichen  Könige  das  Gesammturtheil  des 
Reichsgerichts  ergieng,  „ut  neque  principes  neque  aln  quilibet 
constitutiones  vel  nova  jura  facere  possint,  nisi  meliorum  et 
majorum  terrae  consensus  primitus  habeatur*".^  Doch  wurde  kein 
neues  Rechtsinstitut  geschaffen,  sondern  nur  bestehendes  Ge- 
wohnheitsrecht, das  die  deutschen  Könige  gelegentlich  schon  früher 
anerkannt  hatten,^  als  allgemein  verbindlich  erklärt.  Wie  in  andern 
deutschen  Gebieten,  so  finden  wir  auch  in  den  altösterreichischen 
Landen  bei  verschiedenen  Regierungshandlungen  der  Landesfürsten 
eine  Betheiligung  von  Clerus  und  Landesadel,  nur  lässt  es  sich 
nicht  genauer  bestimmen,  wieweit  dies  rechtlicher  Anspruch  der 
Mitwirkenden,  wieweit  freier  Wille  der  Fürsten  war. 

1  Sententia  de  jure  statunm  vom  1.  Mai  1231,  M.  G.,  Fol.,  Leg.  U,  283. 

^  So  bestätigte  König  Philipp  im  Jahre  1205  die  Abmachungen,  welche 
der  Bischof  von  Regensburg  und  der  Herzog  von  Bayern  rücksichtlich  ihrer 
gemeinsamen  Gerechtsame  zu  Regensburg:  Zoll,  Münze,  Gericht,  .communicante 
sibi  meliorum  terrae  Baronum  et  Ministeriali  um  consilio"  getroffen  hatten* 
Hund,  Metropolis  Salisburgensis,  I,  155. 


Die  Vorläufer  der  Landtage,  Hof-  und  Gerichtstage.  161 

2.  Gelegenheit,  sieh  dieses  Beiraths  oder  der  Beistimmung  der 
Großen  eines  Gebiets  zu  versichern,  boten  die  Versammlungen, 
welche  die  Fürsten  entweder  kraft  ihrer  lehensherrlichen  Gewalt 
ausschrieben  oder  die  zu  Zwecken  der  Rechtspflege  oder  der  all- 
gemeinen Landessicherheit  unter  ihrem  Vorsitz  abgehalten  wurden. 
Das  waren  nun  allerdings  Versammlungen  grundverschiedener  Art, 
denn  die  einen  mussten  kraft  einer  allgemein  bestehenden  Ver- 
pflichtung besucht  werden,  während  das  Erscheinen  auf  den  Hof- 
tagen von  der  Aufforderung  des  Lehensherrn  abhieng.  Allein 
scharfe  Abgrenzung  der  Zuständigkeit  in  unserem  Sinne  war  dem 
Mittelalter  überhaupt  fremd  und  so  konnten  denn  bei  den  unent- 
wickelten Verfassungszuständen  jener  Zeit  die  gleichen  Angelegen- 
heiten beliebig  bald  in  dieser,  bald  in  jener  Art  von  Versamm- 
lungen vorgebracht  und  entschieden  werden.  Es  war  im  Grunde 
weder  der  Wirkungskreis  dieser  Versammlungen,  soweit  sie  der 
Berathung  von  Landesangelegenheiten  dienen  sollten,  verfassungs- 
mäßig bestimmt,  noch  wer  Zutritt  zu  ihnen  haben  sollte,  d.  h.  es 
blieb  offen,  wer  zu  den  Vertrauenspersonen  zu  rechnen  sei,  auf 
deren  Beirath  oder  Zustimmung  es  dem  Fürsten  gerade  ankam. 
Von  Landtagen  oder  Landständen  kann  daher,  so  lange  dieser 
schwankende  Brauch  anhielt,  nicht  die  Rede  sein,  sondern  höch- 
stens von  Keimen,  aus  welchen  sich  die  spätere  landständische  Ver- 
fassung entwickelte.  Dabei  gewahren  wir,  dass  die  Theilnahme  an 
diesen  meist  unter  Vorsitz  des  Landesherm  abgehaltenen  Tagen  in 
dem  Maße  sich  auf  weitere  Kreise  ausdehnte,  als  es  gewissen 
Classen  der  Bevölkerung  gelang,  sich  politisch  geltend  zu  machen. 
Schließlich  wurden  im  Sinne  jener  Zeit  die  regelmäßig  Berufenen 
zum  Organ  des  Landes,  das  der  selbständigen  Berechtigung  des 
Herrscherhauses  gegenüberstand,  dieselbe  mannigfach  beschränkte, 
auch  wohl  in  außergewöhnlichen  Lagen  die  Regierungsgewalt 
vorübergehend  selbst  übte.  Die  Entscheidung  erfolgte  seitdem, 
soweit  sie  nicht  in  die  Hände  von  Ausschüssen  gelegt  wurde,  auf 
allgemeinen  Versammlungen  der  politisch  berechtigten  Classen, 
auf  „Landtagen",  neben  welchen  für  Zwecke  der  Rechtspflege 
die  altem  Hof-  und  Gerichtstage  (Hof-  und  Landtaidinge,  Hof- 
und  Landsrechten  u.  dgl.)  fortdauerten. 

3.  Die   Entwicklung  der  Landstände  beginnt  in   den   alt- 
österreichischen  Landen  damit,  dass  zuerst  nur  die  Angehörigen 

La  ich  in,  Oiterreictaiactae  ReichsgeBchichte.  IX 


162        Österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theii.  Zweite  Periode.  §  27. 

der  wichtigsten  Geschlechter  des  Landesadels  jene  „majores  vel 
meliores  terrae"  sind,  an  die  sich  der  Landesherr  zu  wenden  hatte, 
wenn  er  neue  Verfügungen  erlassen  wollte,  die  in  deren  Interessen 
eingriffen.  Durch  Anschluss  der  Landesbischöfe  und  der  Landes- 
prälaten erfuhr  der  Kreis  der  „Stände*  eine  Erweiterung,  die 
nach  Abschlag  reichsunmittelbarer  Enclaven  den  gesammten  Groß- 
grundbesitz im  Lande,  soweit  er  nicht  landesfürstlich  war,  um- 
fasste.'  Dann  folgten  die  Vasallen  der  geistüchen  und  welt- 
lichen Großgrundbesitzer  mit  dem  Verlangen  um  Theilnahme, 
„die  Ritter  und  Knechte  die  zu  dem  Land  gehören*  die  com- 
provinciales  oder  Landleute.  Ihre  Zulassung  geschah  hier  früher, 
dort  später,  meist  nur  schrittweise  und  nicht  ohne  heftigen  Wider- 
stand der  Herren,  die  dies  Begehren  ihrer  Lehensleute  anfänglich 
als  Überhebung  zurückwiesen.  Damit  war  die  Zahl  der  obern 
Stände  im  weitern  Sinn  geschlossen.  Doch  vermochten  die  landes- 
fürstlichen Städte  noch  allerlanden  die  Landstandschaft  zu  erringen 
und  ihren  Platz  im  Landtage  durch  entsandte  Vertreter  zu  be- 
haupten, da  sie  sowohl  durch  die  Wehrhaftigkeit  ihrer  Bewohner, 
als  durch  das  bewegliche  Vermögen  der  Bürgerschaft  eine  nicht 
zu  unterschätzende  Bedeutung  gewonnen  hatten.  Der  freien  Bauern- 
schaft dagegen  glückte  es  nur  in  Tirol,  bei  augenscheinlicher  Rück- 
wirkung der  Vorgänge  in  der  Schweiz,  durch  Abgeordnete  der 
Landgerichte  und  Thäler  Sitz  und  Stimme  im  Landtage  zu  erlangen,* 
während  anderwärts  die  Fiction  bestand,  dass  die  Interessen  des 
„armen  Mannes**  durch  dessen  Grundherrn  wahrzunehmen  seien. 
4.  Von  dieser  schematischen  DarsteUung  wich  die  geschicht- 
liche Entwicklung  der  Landstände  in  den  Gebieten  der  öster- 
reichischen Herzoge  insofern  ab,  als  es  den  einzelnen  gesellschaft- 


^  Der  Zeitpunkt,  in  welchem  die  Prälaten  als  eigener  Landstand  neben 
den  übrigen  verzeichnet  wurden,  ist  in  den  einzelnen  Landen  verschieden. 
Der  Ungeldbrief  wurde  1359  in  Österreich  im  Einvernehmen  mit  .allen  geist- 
lichen und  weltlichen  Fürsten,  Prälaten  und  Pfarrern,  Landherren,  Rittern  und 
Knechten  erlassen*,  allein  regelmäßig  wurden  hier  die  Prälaten  erst  seit  dem 
Anfange  des  15.  Jahrhunderts  als  Landstand  hervorgehoben.  Um  dieselbe  Zeit 
wurde  die  Theilnahme  des  Prälatenstandes  an  Landesangelegenheiten  auch  in  Tirol 
offenkundig,  obwohl  sie  später  wieder  verschwanden  und  erst  seit  1458  bleibend 
als  Landstände  betrachtet  wurden.  Jäger,  II,  1,  S.  226,  II,  2. 

*  Man  betrachtet  den  „Großen  Bund"  in  Tirol  vom  Jahre  1407  als  die 
erste  Verbindung  des  Adels,  der  Städte  und  Gerichte.  Jäger,  II,  1,  S.  262. 


Anfänge  der  Landstände  in  Steiermark.  163 

liehen  Ständen  hier  früher,  dort  später  gelang  emporzukommen 
und  als  auch  die  Form,  in  der  sie  ihren  Einfluss  zur  Geltung 
brachten,  verschieden  sein  konnte. 

In  Steiermark,  wo  sich  die  Anfänge  einer  gewissen  ständischen 
Mitwirkung  am  weitesten  zurück  verfolgen  lassen,  war  die  führende 
Rolle  schon  im  12.  Jahrhundert  den  Ministerialen  des  Landesherrn 
zugefallen,  weil  hier  die  freien  Adelsgeschlechter  früh  theils  er- 
loschen, theils  in  den  Stand  der  Ministerialität  übergetreten  waren. 
Die  Erhebung  ihres  Herrn  zum  Herzog  und  bald  darnach  der 
Übergang  des  Landes  an  ein  neues  Herrschergeschlecht,  kamen 
ihnen  dabei  zu  statten.  Da  der  allodiale  Besitz  der  Traungauer 
so  sehr  das  Reichsamt  überwog,  daas  die  dem  Herzoge  frei- 
stehende Verfügung  über  seinen  Besitz  im  Lande  thatsächlich 
auch  über  das  Schicksal  des  Herzogthums  entschied,  so  war  die 
Zustimmung  des  Kaisers  zum  Übergang  der  Steiermark  an  die 
Babenberger  nicht  schwer  zu  erlangen,  als  Herzog  Otakar  die 
Hoffnung  auf  eigene  Nachkommenschaft  gänzlich  verloren  hatte. 
Es  schien  jedoch  gerathen,  sich  auch  der  Willfährigkeit  der 
herzoglich-steirischen  Ministerialen  im  Vorhinein  zu  versichern.  So 
kam  es  zu  Verhandlungen,  die  in  ihrem  Endergebnisse  am 
17.  August  1186  auf  dem  Georgenberge  beiEnns  zur  Ausstellung 
einer  von  beiden  Herzogen  besiegelten  Handfeste  führten,  die  man 
in  der  Folgezeit  als  den  ersten  landständischen  Freiheitsbrief  der 
Steiermark  betrachtete.  In  Wirklichkeit  ist  sie  nur  die  Sicher- 
stellung der  Rechte  der  dem  steirischen  Herzoge  gehörigen  Leute, 
mochten  diese  ministeriales,  provinciales  oder  andere 
proprii  des  Herzogs  oder  claustrales,^  d.  h.  Hintersassen 
jener  Klöster  sein,  über  welche  den  Traungauem  die  Vogtei  zu- 
stand. Gelegenheit  zur  Erweiterung  dieser  Rechte  bot  ihnen  bald 
darauf  der  Antritt  der  Herrechaft  in  Steiermark  durch  Herzog 
Leopold  V.  Die  Ministerialen  des  steirischen  Herzogs  durch  die 
Handfeste  vom  Jahre  1186  als  Körperschaft  anerkannt,  brachten 
auch  als  solche  dem  neuen  Herrn  ihre  Huldigung  dar.  So  fällt  in 
das  Jahr  1192   der  erste  nachweisliche  Erbhuldigungsact ,   eine 


^  Nacti  dem  deutlichen  Wortlaut:  »jura  nostrorum  secundam  petitionem 
ipsorom  scripto  statuimus  comprehendere  ac  privilegio  munire".  —  Die  kleine 
Georgenberger  Urkunde  sagt:  , ministeriales  more  ministerialium,  proprios,  jure 
propriomm  dando".  Ü.-B.  f.  St.,  I,  651,  654. 

11* 


164        österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  27. 

für  die  Folgezeit  vorbildliche  Form  ständischer  Versammlungen, 
in  welchen  die  Anerkennung  der  Landesfreiheiten  durch  den 
neuen  Fürsten,  die  Entgegennahme  der  ständischen  Huldigung, 
Berathung  über  allgemeine  Angelegenheiten  des  Landes,  Er- 
neuerung von  Lehen  u.  s.  w.  vereinigt  waren.**  Dass  Herzog  Leopold 
den  steirischen  Ministerialen  bei  dieser  Gelegenheit  eine  neue 
Verbriefung  ihrer  Rechte  gegeben  hat,  ist  kaum  zweifelhaft. "^ 

5.  So  dürftig  die  erhaltenen  Nachrichten  sind,  sie  bieten  doch 
genügende  Zeugnisse  für  die  Mitwirkung  der  steirischen  und  bald 
auch  der  österreichischen  Ministerialen  bei  Regierungsacten  der 
Herzoge  Leopold  V.  und  VL,  mochte  es  sich  um  Maßregeln  zum 
Schutze  der  bedrohten  Landesgrenze  (Gründung  von  Wr.-Neustadt 
1194)  um  Entscheidung  von  Streitigkeiten,  die  festliche  Bezeugung 
von  Gnadenacten,  feierliche  Verbriefungen  erworbener  Rechte 
u.  dgl.  handeln.  Schon  findet  sich  die  spätere  Abgrenzung  der 
ständischen  Körper  angedeutet,  wenn  1217  Herzog  Leopold  VL 
«praesentibus  prselatis  nostrse  ditionis  et  in  prsesentia  Diepoldi 
marchionis  de  Vohburch,  baronum  quoque  seu  ministerialium 
nostrorum*  die  Befreiung  der  Abtei  Kremsmünster  von  aller  Vogtei 
und  Gerichtsbarkeit  ausspricht.® 

Herzog  Friedrich  H.  war  allerdings  bestrebt,  den  Einfluss 
dieses  Beirathes  so  tief  als  möglich  herabzudrücken,  allein  die 
Erbitterung  im  Lande  über  sein  herrisches  Wesen  fUhrte  zum 
Anschluss  an  Kaiser  Friedrich  H.,  als  dieser  1236  die  Reichsacht 
über  den  Herzog  ausgesprochen  hatte.  Die  Steirer  gewannen  da- 
mals vom  Kaiser  die  Aufnahme  unter  die  Ministerialen  des  Reichs 
und  im  April  1237  nebst  einer  Verbrief ung  ihrer  von  den  Landes- 
fürsten hergebrachten  Privilegien  neue  und  wichtige  Rechte, 
unter  welchen  die  Beschränkung  der  fiscalischen  Münzerneuerungen 

^  »Cum  nobis  omnia  gubemanda  provenissent,  apud  Graece  ministerialium 
nostrorum  magnum  conventum  convocavimus,  illic  de  rebus  nostrls  ac  provincie 
salute,  saniori  consilio  aliquid  tractaturi"  sagt  Herzog  Leopold  V.  in  einer  Ur- 
kunde vom  Jahre  1192.  Meiller,  B.-R.  70,  Nr.  55. 

"^  Der  Freiheitsbrief  Kaiser  Friedrich's  II.  vom  Jahre  1237  botriilt  Jura 
et  consuetudines  approbatas  que  per  Otakarum  Stirie  et  Lupoldum  Austrie  ducero 
ex  eorum  privilegiis  obtinuisse  noscuntur".  U.-B.  f.  St.,  II,  461. 

^  Meiller,  B.-R.  119,  Nr.  141,  s.  a.  1207  Linz  ,presentibus  universis 
ministeriaUbus  Austrie  et  Stirie'  ähnlich  1227,  7.  Nov.  Marburg  a.  a.  O.  S.  97 
und  140,  Nr.  66  und  220. 


Die  steirischen  und  österreichischen  Landherren  im  13.  Jahrhundert.     165 

durch  das  Erfordernis  des  „consilium  commune  ministerialium 
majorum  Stirie''  und  das  Zugeständnis  sich  einen  neuen  Landes- 
herrn erbitten  zu  dürfen,  politisch  am  bedeutendsten  waren. 

6.  Wie  die  Steirer,  so  hatten  auch  die  Österreicher  ihr  Ziel 
nicht  außer  Augen  gelassen  und  so  entstand  um  1236/37  die  Auf- 
zeichnung des  Landesrechts,  wie  es  in  der  guten  alten  Zeit  Herzog 
Leopold's  VL  gegolten  habe,  ein  Rechtsdenkmal,  das  in  Angelegen- 
heiten der  öfTentlichen  Sicherheit,  z.  B.  wenn  es  sich  um  die  Ein- 
leitung der  Landfrage  gegen  schädliche  Leute  (Inquisitionsver- 
fahren,  gegen  Räuber,  Mörder,  Diebe,  Art.  15  fT.)  oder  den  Wieder- 
aufbau einer  zerstörten  Raubburg  (Art.  67)  handelte,  den  Herzog 
an  den  Rath  der  Landherren  band. 

Die  Entwicklung,  welche  so  in  Österreich  und  Steiermark 
begonnen  hatte,  kam  auch  dann  nicht  zum  Stillstande,  als  die 
Wiederversöhnung  des  Herzogs  mit  dem  Kaiser  eine  Wieder- 
herstellung früherer  Zustände  zu  ermöglichen  schien.^  Die  that- 
sächliche  Macht  der  „meliores  terrse**  und  ihr  Streben,  Einfluss 
auf  die  Regierung  zu  gewinnen,  ließ  sich  nicht  kurzer  Hand  be- 
seitigen, doch  konnte  es  zu  völliger  Klärung  der  Lage  nicht 
kommen,  da  die  neue  Richtung  schon  1246  durch  den  kinder- 
losen Tod  Herzog  Priedrich's  IL  unterbrochen  wurde. 

7.  Zu  den  bereits  verbrieften  Rechten  erlangten  die  Mini- 
sterialen in  Steiermark,  denen  sich  um  diese  Zeit  die  zum  Lande 
gehörigen  Grafen-  und  Freiengeschlechter  schon  angeschlossen 
hatten,  durch  thatsächliche  Übung  neue  hinzu.  Der  Mangel  eines 
eigenen  Landesherm,  die  Entfernung  des  Kaisers  und  der  Umstand, 
dass  die  Befehle  seiner  Statthalter  wesentlich  auf  den  guten  Willen 
der  Mächtigen  im  Lande  angewiesen  waren,  mussten  deren  Be- 
deutung sehr  erhöhen,  namentlich  wenn  das,  was  der  Einzelne 
sprach  und  that,  mit  den  Handlungen  der  Genossen  übereinstimmte. 
Gemeinsame  Berathungen  über  die  traurige  Lage  des  Landes 
fanden  unter  den  Ministerialen  unzweifelhaft  öfters  statt  und 
führten  zu  Gesandtschaften  an  den  Kaiser,   um  von  ihm  einen 


^  Daher  wurde  auch,  weil  es  im  Interesse  sowohl  des  Kaisers  als  auch 
des  Herzogs  lag,  in  den  Entwurf  der  Urkunde  über  die  Erhebung  Österreich- 
Steiermarks  zu  einem  Königreich  (1245)  der  Satz  aufgenommen,  dass  der  Nach- 
folger ,non  per  eleotionem  prelatorum,  ducum,  oomitum,  aut  quorumlibet  nobilium", 
sondern  durch  die  Erstgeburt  bestimmt  werde. 


166        österreichische  Roichsgoschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  27. 

neuen  Landesfürsten  zu  erbitten, *°  sowie  zu  der  bekannten  Ein- 
schaltung in  die  Oeorgenberger  Handfeste:  ^Bi  dux  idem  sine 
filio  decesserit,  ministeriales  nostri  ad  quemcunque  velint  divertant" . 
Damit  war  den  einzelnen  Ministerialen,  die  durch  ihre  Geburt 
dem  Landesflirsten  zugehörten,  zunächst  nur  das  Recht  einge- 
räumt, sich  einen  neuen  Herrn  nach  eigenem  Ermessen  zu 
wählen,  wenn  der  Herzog,  wie  im  Falle  Friedrich's  des  Streit- 
baren, sterben  würde  ohne  Söhne  zu  hinterlassen.  Doch  konnte 
dieser  Zusatz  eine  weitergehende  politische  Bedeutung  gewinnen, 
sobald  sich  eine  größere  Zahl  von  Ministerialen  auf  Grund  dieses 
Selbstbestimmungsrechtes  zu  gemeinsamem  Vorgehen  entschloss. 

8.  Nach  dem  Gesagten  ist  es  begreiflich,  dass  die  Großen 
im  Lande  während  des  Zwischenreichs  die  Entscheidung  über  die 
Schicksale  von  Österreich  und  Steiermark  geradezu  in  Händen 
hatten,  solange  es  an  einer  höhern  legitimen  Autorität  gebrach. 
Andererseits  ist  es  klar,  dass  der  von  ihnen  zum  Landesherm 
ausersehene  Fürst  nur  auf  Grund  vorgängiger  Abmachungen 
gewählt  wurde  und  dass  eine  Verletzung  der  von  ihm  dem  Landes- 
adel gemachten  Zusicherungen,  diesem  als  rechtlich  zureichender 
Grund  zur  Lösung  des  Vertragsverhältnisses,  d.  i.  zum  Wechsel 
der  Dynastie  erschien.  So  folgten  unter  den  geschilderten  Voraus- 
setzungen in  den  26  Jahren  nach  dem  Tode  Kaiser  Friedrich's  H. 
in  Steiermark  dem  ungarischen  König  der  böhmische,  diesem 
wieder  das  deutsche  Reich,  wobei  sich  die  Ministerialen  immer 
mehr  als  die  eigentlichen  Vertreter  des  Landes  betrugen. 

Von  Otakar  rührt  das  wichtige  Zugeständnis  an  die  Land- 
herren von  Österreich,  dass  er  zwölf  derselben  in  seinen  Rath 
aufnehmen  wolle,"  eine  Einrichtung,   die  von   den  ersten  Habs- 


^^  Vgl.  die  Ck)ntin.  Garstensis  und  die  Ann.  s.  Rudberti  zum  Jahre 
1248,  zwei  Berichte,  die  sich  ergänzen  in  Mon.  Germ.,  Fol.,  Ss.  IX,  699,  790. 

^^  Im  undatierten  Landfrieden  von  c.  1251:  .Wir  haben  auch  unsem 
(Lüclce)  mit  zwelf  herren  aoz  dem  lande."  Archiv,  Bd.  I,  59.  Die  Conjectur 
„Rath"  rührt  von  Hasenöhrl  her.  Landherren  als  Räthe  Otakar's  nennt  eine 
Göttweiger,  ürk.  von  1264,  D,  et  A.  VIII,  316.  Das  Niederlags-Privilegiura  für 
Wien  vom  Jahre  1281  ertheilte  Graf  Albrecht  als  Reichsverweser  .mit  unserm 
rat  den  lantherren,  die  unsern  rat  geswom  habent*,  folgen  16  Namen;  gleicher- 
weise gestattete  König  Friedrich  1320  den  Wienern  die  Anlage  des  s.  g.  Eisen- 
bnchs  «nach  unser  lanthem  rat,  die  zu  den  zelten  unsers  rates  warn*.  — 
Wiens  Rechte,  I,  64,  89. 


Der  geschwome  Rath  der  Landherren,  Verbriefungen.  167 

burgern  beibehalten  wurde ;  von  König  Rudolf  sind  wichtige  Ver- 
briefungen erhalten.  Schon  den  Landfrieden,  den  er  unmittelbar 
nach  dem  Friedensschlüsse  mit  König  Otakar  am  3.  December  1276 
verkündete,  hatte  er  ,ad  consilium  principum  tarn  ecclesiasticorum 
quam  saecularium,  comitum,  baronum,  ministerialium  terrarum 
Austri»,  Styrise,  Carinthise  ac  Camiolse**  erlassen.  Noch  wichtiger 
war  der  Freiheitsbrief,  welchen  der  König  den  steirischen  Ministe- 
rialen in  Einlösung  seiner  Zusagen  am  18.  Februar  1277  ertheilte, 
^weil  er  eine  großentheils  wörtliche,  aber  mit  wesentlichen  Rechten 
bereicherte  Wiedergabe  der  Handfeste  Kaiser  Friedrich's  II.  ist. 
Abermals  wurden  die  steirischen  Ministerialen  zu  Reichsdienst- 
mannen  bis  zu  dem  Zeitpunkt  erklärt,  da  ihnen  ein  der  Mehrzahl 
genehmer  Herrscher  auf  ihre  Bitte  gegeben  würde.  Dieser  aber 
und  alle  ihm  in  Steiermark  folgenden  Landesfürsten  sollten  ge- 
halten sein,  vorerst  die  Wahrung  der  herkömmlichen  Rechte  zu 
beschwören,  ehe  sie  von  den  Ministerialen  den  Eid  der  Treue  zu 
fordern  berechtigt  wären. ^^ 

9.  Der  geistliche  Großgrundbesitz  in  Steiermark  scheint  sich, 
wenn  auch  nicht  förmlich,  doch  thatsächlich  schon  gegen  Ende 
des  13.  Jahrhunderts  den  Landherren  angeschlossen  zu  haben,  da 
im  Jahre  1291  der  Bischof  von  Seckau  ihr  Wortführer  bei  Herzog 
Albrecht  I.  war.^^  Dagegen  blieb  den  Rittern  und  Knechten,  den 
^miUtes  et  clientes*  die  Landstandschaft  noch  lange  versagt,  denn 
die  Theilnahme  an  den  Land-  und  Hoftaidingen  (Gerichtsversamm- 
lungen) und  am  Inhalt  der  auf  Bitten  der  „ministeriales  et  com- 
provinciales  Styriae**  gewährten  Verbrief ungen  berechtigte  sie  noch 
nicht,  in  Landesangelegenheiten  mitzusprechen.  In  diesen  Dingen 
stand  die  Mitwirkung  zunächst  den  Herren  zu,  die  des  Fürsten 
Rath  geschworen  hatten,  in  weiterer  Linie  den  Landherren  über- 


12  De  quo  pars  major  et  melior  Ministerialium  terra  nobis  duxerit  consulen- 
dum  .  .  .  presenti  precipimus  sanctione,  ut  dum  Princeps,  qui  pro  tempore  fuerit  a 
ministerialibns  Styrie  fldelitatis  exigit  juramentum,  ipsi  ad  prestationem  hujusmodi 
sacramenti  miuime  constringantur,  donec  Princeps  et  dominus  corporaü  suo 
juramento  promittat,  se  presens  Privilegium  in  omnibus  et  singulis  suis  articuiis 
servaturum".  Landhandfeste  1842,  S.  8,9.  So  wurde  es  noch  1728  bei  der  letzten  Erb- 
huldigong  in  Steiermarl^  gehalten.  Auch  die  Kärntner  und  Krainer  nahmen  das 
gleiche  Vorrecht  für  sich  in  Anspruch,  offenbar  auf  Orund  des  letzten  Absatzes 
ihrer  Handfeste  vom  14.  und  16.  September  1838. 

1*  Reimchronik,  Mon.  Germ.,  4^  Deutsche  Chroniken,  V,  v.  55.135. 


168        Osterreichische  Reichsgeschicbte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  27. 

haupt,**  wie  denn  beispielsweise  noch  auf  dem  Ständetag,  den  der 
Landeshauptmann  UWch  von  Walsee  im  Jahre  1309  naxsh  Graz 
wegen  der  Empörung  in  Österreich  berief,  nur  beriethen  und 
beschlossen,  die  man  im  Lande  als  Herren  erkannte. ^^ 

10.  Entgegen  der  Entwicklung  in  Steiermark,  wo  die  politische 
Macht  bis  ins  14.  Jahrhundert  ausschließlich  im  Großgrundbesitze 
lag,  war  in  Österreich  das  Bewusstsein  der  Zusammengehörigkeit 
und  der  ständischen  Gliederung  schon  unter  König  Rudolf  viel 
weiter  vorgeschritten.  Gerade  der  Mangel  an  Verbriefungen,  die 
für  die  späteren  s.  g.  Landesfreiheiten  eine  passende  Grundlage 
geboten  hätten,  förderte  die  Erkenntnis,  dass  man  seit  dem  Jahre 
1192  dem  Landesfürsten  gegenüber  in  weniger  günstiger  Lage  sei, 
als  die  Standesgenossen  in  Steiermark.  Zu  einseitiger  Bevorzugung 
der  Ministerialen  fehlte  in  Österreich  ein  tieferer  Grund,  da  der 
Clerus  zahlreicher  und  rühriger,  das  Städtewesen  bedeutender  und 
die  Anzahl  der  vollfreien  Geschlechter  weit  größer  war  als  in  Steier- 
mark. Deshalb  hat  auch  König  Rudolf  im  Jahre  1281  den  Land- 
friedensbund nicht  mit  den  Landherren  allein  abgeschlossen,  sondern 
demselben  auch  die  Städte  und  die  Ritter  und  Knappen,  die  zu 
dem  Land  gehörten,  beigezogen.  Aus  der  Verschreibung  der 
Städte  und  der  Ritterschaft,  die  uns  erhalten  ist,  geht  hervor, 
dass  sie  sich  nebst  den  Landherren  zur  Aufbringung  von  2500 
Gerüsteten  verpflichtet  hatten,  um  den  auf  zehn  Jahre  be- 
schworenen Landfrieden  aufrecht  zu  erhalten.  Sämmtliche  TheU- 
nehmer  verzichteten  ferner  mit  der  Rechtswirksamkeit  füre  ganze 
Land  und  für  die  Dauer  des  Friedens  auf  das  Einungsrecht,  d.  i. 
auf  die  Befugnis,  mit  Standesgenossen  ohne  höhere  Genehmigung 
zur  Erreichung  selbstgewählter  erlaubter  Zwecke  in  vorübergehende 
oder  bleibende  Verbindung  zu  treten.  Da  nun  die  „prselati  nostrse 
ditionis"  in  Österreich  bereits  im  Jahre  1217  neben  den  Landherren 
als  Berather  des  Herzogs  erscheinen  und  sowohl  durch  ihren 
Grundbesitz  als  durch  ihren  kirchlichen  Einfluss  ein  Factor  waren. 


^^  Dass  dieser  Bath  auch  für  Steiermark  bestand,  zeigen  die  8teUen  der 
steir.  Reimchronilc,  a.  a.  0.,  4^,  v.  73.975,  81.846  ff. 

"  Genannt  werden  a.  a.  0.  v.  98.406  ff.  Die  Grafen  von  Hennbnrg,  Hohenlohe, 
der  Freie  von  Saneck,  die  Stubenberger,  beide  Liechtensteiner  .und  swaz  man 
in  dem  lande  ticrren  erkande  . . .  dar  kam  der  von  Seckouwe  und  die  herren 
von  Pettouwe,  die  herren  allgemein,  wurden  des  enein  u.  s.  w." 


Anfänge  der  Landstände  in  Osterreich  und  Kärnten.  169 

mit  dem  im  Lande  gerechnet  werden  musste,  so  war  hier  in  den 
Tagen  Herzog  Albrecht's  I.  die  Viertheilung  der  Stände  in  Prälaten, 
Landherren,  Ritterschaft  und  Städte  schon  recht  deutlich  erkennbar. 
Es  scheint,  dass  die  Ritterschaft  in  Österreich  diese  günstige  Lage 
benützte  und  schon  ernstlich  nach  politischem  Einfluss  trachtete 
und  dass  gerade  dies  den  großen  Zwiespalt  zwischen  ihr  und  den 
Landherren  heraufbeschwor,  von  welchem  uns  die  Gedichte  des 
kleinen  Lucidarius  (Seifrid  Helbling)  und  die  Vorgeschichte  des 
Aufstandes  der  Landherren  im  Jahre  1295  deutliche  Kunde  geben. 
Doch  gelang  es  damals  dem  Großgrundbesitz,  den  Zutritt  zum 
geschworenen  Rath  und  dadurch  seine  arg  bedrohte  Stellung  zu 
behaupten,  sowie  die  Ansprüche  der  Ritterschaft  und  der  Städte 
auf  TheUnahme  an  Landesangelegenheiten  zunächst  noch  zurück- 
zuweisen. 

11.  In  Kärnten,  scheint  es,  war,  so  lang  die  Sponheimer  re- 
gierten, der  Einfluss  der  „majores  et  meliores  terrse*"  nicht  sehr  groß. 
Zu  den  spärlichen  Nachrichten  die  uns  erhalten  sind,  gehört  die 
Bestätigung  der  Marktgerechtigkeit  von  Weitensfeld  durch  Herzog 
Bernhard,  die  im  Jahre  1211  unter  der  Bedingung  erfolgte,  „ut 
statuta  nostra  quae  nos  communicato  consUio  sapientum  nostrorum 
et  terrae  nostrse  in  emendis  et  vendendis  generaliter  statuerimus 
ipsi  quoque  firmiter  quamdiu  ab  aliis  communiter  observantur, 
observent".^®  Hingegen  gedenkt  der  eigenmächtige  Erb  vertrag 
Herzog  Ulrich's  III.  zu  Gunsten  König  Otakar's  (1268)  weder  der 
Zustimmung,  noch  des  Beirathes  der  Vornehmsten  des  Landes, 
wie  er  denn  auch  von  keinem  Kärntner  bezeugt  erscheint.  ^^ 

Erst  seit  es  mit  König  Otakar*8  Herrschaft  zur  Neige  gieng, 
tritt  die  Bedeutung  des  Landesadels  mehr  hervor.  Am  27.  Februar 
1275  erfloss  von  Nürnberg  aus  König  Rudolfs  Schreiben  an  die 
»comites,  barones,  nobiles  ministeriales,  vasallos  per  Carinthiam 
et  Camiolam  et  Marchiam  constitutos",  dass  er  den  Herzog  Philipp 
mit  allen  genannten  Landen  belehnt  habe,  und  am  24.  September 
des  folgenden  Jahres  ergieng  von  Passau  aus  an  dieselben  der 
königliche  Befehl,  dem  rechtmäßigen  Herzog  zu  gehorchen.  Wenige 
Tage  vorher  hatten  sich  schon  die  angesehensten  Landherren  von 

^"  Ankorshofen,  Reg.  697.  Ein  placitum  generale  in  Vridoloseyche  im 
Jahre  1239,  a.  a.  O.  Reg.  983,  auch  U.-B.  f.  St.  II,  489. 
^"^  Lambaoher,  Interregnum,  Anh.  S.  50. 


170        Osterreichische  Reiehsgescbichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  27. 

Steiermark  und  Kärnten  im  Kloster  Renn  zu  gemeinsamem  Vor- 
gehen gegen  den  Böhmenkönig  geeinigt.^®  Dass  seit  der  Verzicht- 
leistung Otakar's  die  wichtigeren,  das  Land  betreffenden  Maßregeln 
unter  Beirath  der  angesehensten  Kärntner  Ministerialen  erflossen, 
zeigt  nicht  nur  der  Eingang  des  Landfriedens  vom  3.  December 
1276,  sondern  auch  die  Satzung  König  Rudolfs  vom  8.  März  1279, 
durch  welche  zur  Hintanhaltung  gewisser  Verbrechen  das  in 
Österreich  als  „Landfrage'*  bekannte  Inquisitionsverfahren  in 
Kärnten  eingeführt  wurde,  und  zwar  nach  Berathung  mit  Landes- 
ministerialen, die  hiezu  eigens  erfordert  worden  waren.  ^® 

Die  w^eitere  Ausbildung  des  Ständewesens  in  Kärnten  und 
Krain  näherte  sich  den  steirischen  Verhältnissen,  indem  die 
„ministeriales  terrae"  gleichfalls  der  wichtigste  Factor  im  Lande 
wurden,  an  den  sich  erst  spät  die  Prälaten,  die  Ritterschaft  und 
endlich  die  Städte  anschlössen.  Die  Bitte  um's  steirische  Recht 
an  Herzog  Albrecht  IL  erfolgte  1338,  wie  der  Abt  von  Victring 
erzählt,  über  gemeinsamen  Beschluss  der  Ministerialen,  doch  werden 
in  den  herzoglichen  Gnadenbriefen  neben  den  Landherren  auch 
Ritter  und  Knechte  von  Kärnten  und  Krain  als  Bittende  angeführt. 

12.  Die  Landstände  in  Tirol  bezeichnet  Hormayr  „unstreitig 
als  die  ältesten  in  ganz  Deutschland",  er  unterlässt  es  jedoch, 
diese  Behauptung  des  Näheren  zu  begründen.  Neuere  Forschungen 
haben  nur  dargethan,  dass  die  Fürstbischöfe  von  Brixen  und 
Trient  und  auch  die  alten  Grafen  von  Tirol  Hof-  und  Gerichts- 
tage abgehalten  haben.^*^  Da  jedoch  die  einheitliche  Gewalt  der 
«Herrschaft  Tirol"   erst  durch  Meinhard  II.  (f  1295)  begründet 

^8  Die  Grafen  Ulrich  von  Hennbnrg  und  Heinrich  von  Pfannberg,  von 
steirischen  Ministerialen  die  Stnbenberg,  Wildon,  Stadecli,  Liechtenstein,  der 
Pettauer  . . .  von  Kärntnern  und  Krainem,  die  Schenlcon  von  Rabenstein,  zwei 
Schärfenberg,  Gottfried  von  Trixen  . . .  ceterique  ministeriales  Stirle  et  Karinthie 
meliores.  —  1276,  19.  Sept.,  s.  Krön  es,  Beiträge  II,  72. 

^^  Cum  principibus  et  fidelibus  nostris  ac  speciallter  quibusdam  mini- 
steriallbus  terre  predicte  ad  hoc  etiam  vocatis.  Lichnowslcy,  I,  540. 

^  Hormayr,  Archiv  für  SÜddcutschland,  I,  71.  Hoftage  der  Bischöfe  von 
Trient  seit  1163,  der  Brixner  seit  1070,  der  Grafen  von  Tirol  seit  1228.  Hervor- 
zuheben ist  die  Versammlung  an  der  Ladritscher  Brücke  im  Jahre  1229,  die 
gemeinsam  vom  Grafen  Albert  von  Tirol  und  dem  Bischof  Heinrich  von  Brixen 
zur  Aufrichtung  eines  dreijährigen  Landfriedens  einberufen  wurde,  weil  hier  der 
Zustimmung  der  »meliores  et  majores",  insbesonders  des  Domcapit^ls  und  der 
bischöflichen  Ministerialen  gedacht  wird.  —  Jäger,  II,  1,  6.  6  ff.,  13 ff. 


Landstände  in  Krain,  Tirol,  Salzburg,  Aquileja.  171 

wurde  (s.  S.  .103),  so  kann  schon  aus  diesem  Grunde  von  Land- 
ständen der  Grafschaft  Tirol  nicht  vor  dem  Ende  des  13.  Jahr- 
hunderts die  Rede  sein.  In  der  That  fallen  hier  die  Anfänge  des 
Ständewesens  erst  in  die  Regierungszeit  der  Grafen  Otto  und 
Heinrich,  und  zwar  in  die  Zeit  von  1295—1324. 

13.  Von  den  geistlichen  Territorien  haben  Balzburg  und 
Aquileja  unzweifelhaft  ständische  Einrichtungen  gehabt.^^  Der 
Priedebrief  Erzbischof  Rudolfs  für  die  Stadt  Salzburg  wurde  1287 : 
,mit  unsers  Capitels  und  mit  unserer  Dienstmannen  und  mit 
andern  unseres  Rates  Rat  und  mit  unserer  lieben  Bürger 
von  Salzburch  Gunst  und  Willen"*  erlassen  und  den  Dienst- 
mannen, Rittern  und  Knechten  des  Gotteshauses  stellte  Erzbischof 
Friedrich  III.  am  5.  Februar  1327  einen  Schadlosbrief  aus  wegen 
der  gemeinen  Schatzsteuer,  deren  Auflage  auf  ihre  Grundholden 
sie  ihm  zur  Aufbringung  des  Lösegeldes  gestattet  hätten. 

14.  Das  ^Parlament"  der  Patriarchen  von  Aquileja  war  eine 
Einrichtung,  die  ihren  deutschen  Ursprung  schon  dadurch  verräth, 
dass  sie  allen  andern  italienischen  Gebieten  fehlte.  Schon  in  den 
Jahren  1207  bis  1214  finden  wir  Versammlungen  des  Parlaments 
erwähnt  und  im  Jahre  1213  umgab  sich  Patriarch  Wolfger  mit 
12  Parlamentsräthen  die  ihm  in  der  Verwaltung  beistanden. 
Geregelte  Gestalt  scheint  aber  das  Parlament  erst  unter  dem 
Patriarchen  Berthold  (f  1251)  erhalten  zu  haben.  Es  setzte  sich 
unter  dem  Vorsitz  des  Patriarchen  aus  vier  Curien  zusammen: 
den  Prälaten,  den  freien  Herren,  den  Ministerialen  und  Ritter- 
mäßigen  und  den  Abgeordneten  der  Städte.  Ohne  Zustimmung 
des  Parlaments  konnte  der  Patriarch  weder  Krieg  erklären,  noch 
Frieden  schließen,  weder  Steuern  auflegen,  noch  Gesetze  erlassen. 
Das  Parlament  besaß  femer  das  Recht,  zu  prüfen,  ob  nicht  der 
Patriarch  seine  Machtvollkommenheit  überschritten  habe  und  konnte 
solche  Beschlüsse  des  Fürsten  vorkommenden  Falles  aufheben; 
es  bestätigte  die  Statuten  der  Gemeinden,  entschied  Lehens- 
Btreitigkeiten,  war  Appellationsinstanz  und  entsandte  Ausschüsse 
aus  seiner  Mitte,  welche  den  ständigen  Beirath  des  Patriarchen 
bUdeten.*" 


^^  Dass  es  in  Trient  und  Brixen  nicht  zur  Bildung  von  Landständen  kam, 
zeigt  Jäger,  II,  1,  S.  31.  Rößler,  S.  VI.  Kleymayrn,  Juv.  S.  574,  488. 
28  Czörnig,  Görz,  I,  386  ff. 


172        Österreichische  Beichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  28. 


§  28.  Die  Landstände  im  14.  nnd  15.  Jahrhundert. 

Brandis,  J.  A.,  Freih.  v,,  Geschichte  der  Landeshauptleute  von  Tirol. 
Innsbruck  1850.  —  Jäger,  Der  Streit  der  Tiroler  Landschaft  mit  Kaiser 
Friedrich  IIL  wegen  der  Vormundschaft  über  Herzog  Sigmund.  —  Der  übeiigang 
Tirols  von  dem  Erzherzog  Sigmund  an  den  römischen  König  Maximilian. 
Archiv,  Bd.  49,  51.  —  Zeissberg,  Der  österr.  Erbfolgestreit  nach  dem  Tode 
König  Ladislaus  Postumus.  Archiv,  Bd.  58. 

1.  Die  geschichtliche  Entwicklung  der  Landstände  in  Öster- 
reich verläuft  in  keiner  geraden,  stetig  ansteigenden  Linie,  sondern 
weist  mannigfache  Brechungen  auf.  Es  gab  Zeiten,  wo  es  den 
Fürsten  zweckdienlich  erschien,  die  Landstände  zu  begünstigen 
und  andere,  in  welchen  sie  als  Beschränkung  der  landesherrlichen 
Gewalt  übel  gelitten  wurden.  Damit  hängt  zusammen,  dass  auch 
die  Formen,  in  welchen  sich  der  ständische  Einfluss  geltend  machte, 
keineswegs  gleichmäßig  ausgebildet  wurden,  indem  man  z.  B.  das 
Zusammenwirken  in  Versammlungen,  die  schon  nahezu  die  Gestalt 
landtäglicher  Vertretungen  angenommen  hatten,  plötzlich  ohne 
erkennbaren  Grund  wieder  verließ,  um  auf  ältere  Stadien  zurück- 
zugreifen. So  ist  die  Geschichte  der  Landstände  ein  stetig  hin- 
und  herwogender  Kampf  zwischen  ihrer  Entwicklungskraft  und 
der  oft  widerstrebenden  landesherrlichen  Macht,  Schließlich  hat 
ein  Zusammentreffen  verschiedener  Umstände  im  14.  und  15.  Jahr- 
hundert in  allen  altösterreichischen  Landen  einen  bedeutenden 
Aufschwung  der  Landstände  und  eine  sehr  wesentliche  Erweiterung 
ihres  Wirkungskreises  herbeigeführt. 

Die  Untersuchungen  zur  Geschichte  der  Landstände  müssen 
daher  nach  drei  Richtungen  erfolgen:  es  sind  die  Ursachen  fest- 
zustellen, welche  die  Macht  der  Stände  gehoben  haben,  es  sind 
die  Formen  zu  erforschen,  in  welchen  sich  ihr  Einfluss  auf 
die  Regierung  geäußert  hat,  und  es  ist  endlich  zu  zeigen,  welchen 
Inhalt  ihr  Wirkungskreis  gehabt  hat. 

2.  Der  Entwicklung  des  Ständewesens  im  14.  und  15.  Jahr- 
hundert kam  zunächst  zu  statten,  dass  in  dieser  Zeit  die  Herzoge 
von  Österreich  ebensogut  als  die  Herrscher  von  Kärnten  und 
Tirol  oder  die  Erzbischöfe  von  Salzburg  in  böse  finanzielle  Ver- 
legenheiten geriethen.  Zu  Ende  des  13.  Jahrhunderts  war  noch 
die  Lage   der  fürstlichen  Kammer  in  all  diesen  Landen  günstig. 


Ursachen  des  Emporkommens  der  Landstände.  178 

Von  Meinhard  IL  (f  1 295),  dem  Herrscher  in  Kärnten  und  Tirol, 
ist  bekannt,  dass  er  seinem  Schatz  stets  wohl  gefüllt  erhielt,  von 
Herzog  Albrecht  L,  dass  ihm  bei  Übernahme  der  Herrschaft  in 
Österreich  und  Steiermark  die  Früchte  jener  Maßregeln  zugute 
kamen,  durch  welche  Otakar  dem  Landesadel  das  usurpierte 
Kammergut  der  Babenberger  abgenommen  hatte.  Aber  die  Kriege 
der  Habsburger  um  die  deutsche  und  böhmische  Krone  erheischten 
außergewöhnlichen  Geldaufwand  und  machten  die  Verpfändung 
von  Einnahmsquellen  in  großem  Umfang  nöthig.  Unter  Herzog 
Albrecht's  H.  treflflicher  Regierung  wurde  vieles  wieder  eingelöst, 
dagegen  brauchte  Herzog  Rudolf  IV.  bei  seiner  Prachtliebe  und 
für  mancherlei  weit  aussehende  Unternehmungen  große  Geldmittel. 
Die  Folgen  zeigten  sich  später,  namentlich  in  den  Jahren  1370  bis 
1374,  während  welcher  die  Finanzverwaltung  nach  Vorbehalt  von 
jährlich  17.000  Pfd.  Pf.  für  die  Herzoge,  an  Privatpersonen  abge- 
treten wurde.  ^  Nicht  besser  ergieng  es  den  Görzern  in  Kärnten 
und  Tirol,  wo  schon  im  Jahre  1312  König  Heinrich  alle  Geld- 
und  Finanzgeschäfte  dem  Adels-Ausschuss  der  zehn  Landpfleger 
auf  drei  Jahre  übertragen  musste  und  trotzdem  nicht  aus  den 
Geldverlegenheiten  herauskam.* 

Infolge  solcher  Verschuldung  mussten  sich  die  Landesfürsten 
um  außerordentliche  Geldhilfen  umsehen,  die  sie  nur  mit  Zu- 
stimmung der  führenden  Classen  in  ihren  Landen  aufbringen 
konnten.  So  hat  König  Heinrich  durch  die  erwähnten  Landpfleger 
eine  allgemeine  Steuer  in  Tirol  ausschreiben  lassen  und  1315 
einen  Beitrag  zu  den  Kosten  seiner  Hochzeit  verlangt,  Erzbischof 
Friedrich  HL  von  Salzburg,  1327,  sein  Lösegeld  aufgebracht, 
während  Herzog  Rudolf  IV.  im  Einvernehmen  mit  den  Prälaten 
und  Pfarrern,  den  Landherren,  Rittern  und  Knechten  in  Österreich 

^  König  Friedrich  der  Schöne  verpfändete  unmittelbar  vor  seinem  Zag 
an  den  Rhein,  von  Mitte  August  1314  bis  Mitte  September  Güter  um  nahezu 
20.000  Pfd.  Pf.  (darunter  am  15.  August  allein  um  10.309  Pfd.  W.  Pf.)  in 
Beträgen  von  4413  Pfd.  bis  12  Pfd.  herunter.  Chmel,  im  Archiv,  Bd.  2, 
8.  638  ff.,  Nr.  46/7,  52,  56—111.  -  Rudolf  IV.  hinterließ  bei  seinem  Tode  ca. 
60.000  fl.  Schulden.  Bruder,  Studien  über  die  Finanzpolitik  Herzog  Rudolf 's  IV.  — 
1886,  8.  6.  Eine  Aufzählung  von  Schulden  der  Herzoge,  vom  31.  December  1373, 
8.  Kurz,  Albrecht  III.,  1,  Beil.  27,  S.  248 ff.  Das  Abkommen  vom  9.  Juni  1370 
beiLichnowsky-Birk,  IV,  Nr.  979.  —  Lamprecht,  Deutsche  Gesch.,  IV,  338. 

«  Jäger,  n/1,  S.  21ff. 


174        österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  28. 

die  Einnahrnsquelle  der  Münzeraeuerung  im  Jahre  1359  preisgab, 
um  das  „Ungeld''  einen  Getränkeauf  schlag  dafür  einzutauschen. 
Im  15.  Jahrhundert  bewirkten  andere  Ursachen  einen  steigen- 
den Geldbedarf  der  Regierung.  Die  Türkengefahr  wurde  drängender 
und  da  die  Vasallenheere  den  gesteigerten  Anforderungen  nicht 
gewachsen  waren,  so  wurden  Verstärkungen  durch  Söldnerscharen 
nöthig.  Dazu  kamen  die  Nachwirkungen  innerer  Fehden,  für 
Innerösterreich  die  Entschädigung  Baumkircher's,  in  Tirol  die  Ver- 
schwendung Erzherzog  Sigmund's.  All  dies  erforderte  außer- 
gewöhnliche Geldmittel,  die  nur  mit  Hilfe  der  Landstände  aufzu- 
bringen waren. 

3.  Ein  zweiter  Grund  war  der  Wechsel  der  Dj^nastien,  der 
während  des  14.  Jahrhunderts  in  mehreren  österreichischen  Kron- 
landen erfolgte.  Wo  dieser,  wie  1342  in  Tirol,  mit  einer  revo- 
lutionären Bewegung  verbunden  war,  mussten  den  betheiligten 
Landherren  Versprechungen  gemacht  werden,  wie  solche  beispiels- 
weise Markgraf  Ludwig  der  Brandenburger  durch  Erlassung  der 
Landesordnung  einlöste.  Aber  auch  dort,  wo  sich  der  Übergang 
in  gesetzesmäßigen  Formen  vollzog,  gewannen  die  führenden 
Stände  bei  der  Erbhuldigung  zum  mindesten  die  Anerkennung 
ihrer  früheren  Rechte,  meist  aber  noch  darüber  hinausgehende 
Zugeständnisse.  So  folgte  dem  Erwerb  von  Kärnten  und  Krain 
durch  die  Habsburger,  im  Jahre  1338  die  Verbrief ung  der  alten 
Gewohnheiten  und  neuer  Rechte  an  die  Landherren,  Ritter  und 
Knechte.  Ebenso  war  der  Erbvertrag,  den  Graf  Albert  IV.  von 
Görz  im  Jahre  1363  mit  dem  österreichischen  Herzog  abschloss, 
Veranlassung,  dass  er  seinen  Rittern  in  der  windischen  Mark, 
Möttling  und  Istrlen,  die  hergebrachten  Rechte  aufzeichnete.  Am 
weitesten  gediehen  aber  die  Dinge  in  Tirol,  denn  hier  musste 
sich  Herzog  Rudolf  IV.  zufrieden  geben,  dass  er  nach  dem 
Rathe  der  Landherren  zum  Erben  des  Landes  eingesetzt  wurde, 
weil  die  schwache  Markgräfin  Margare ta  ganz  in  die  Hände  der 
Adelspartei  gerathen  war. 

4.  Hauptursache  des  starken  Anwachsens  der  ständischen 
Macht  waren  indessen  die  Zerwürfnisse  im  Herrscherhaus,  die 
1328  mit  dem  Verlangen  Herzog  Otto's  nach  einer  Ländertheilung 
begannen  und  in  den  Vormundschafts-Streitigkeiten  des  15.  Jahr- 
hunderts ihren  Höhepunkt   erreichten.    Eingedenk   der   erlebten 


Ursachen  des  Emporkommens  der  Landstände.  175 

Wirren,  suchte  Herzog  Albrecht  IL  die  Wiederkehr  ähnlicher 
Vorgänge  für  die  Zukunft  dadurch  auszuschließen,  dass  er  seinen 
Söhnen  eine  gemeinsame  und  einträchtige  Regierung  vorschrieb 
und  diese  Hausordnung  am  25.  November  1355  durch  seine  Land- 
herren von  Österreich,  Steiermark  und  Kärnten  beschwören  ließ, 
wobei  er  diese  zugleich  ermächtigte,  unfriedfertigen  Mitgliedern 
des  Herrscherhauses  im  Verein  mit  den  Städten  und  dem  Lande 
durch  Vorstellungen  und  nöthigenfalls  auch  durch  die  That  ent- 
gegenzutreten. Noch  weiter  gieng  Herzog  Rudolf  IV.  in  der  Sorge 
für  die  Aufrechterhaltung  seiner  Hausordnung  (1364),  indem  er 
die  Landherren,  Ritter,  Knechte  und  Städte  überdies  des  Gehorsams 
gegenüber  dem  friedbrüchigen  Mitglied  der  herzoglichen  Familie 
entband.'  Die  Polgen  zeigten  sich,  als  es  trotz  dieser  Vorkehrungen 
zu  Zwistigkeiten  zwischen  den  Herzogen  Albrecht  III.  und 
Leopold  III.  kam.  Die  durch  den  Neuberger  Vertrag  am  25.  Sep- 
tember 1379  herbeigeführte  TheUung  des  Hausbesitzes  wurde 
allerdings  als  innerhalb  der  Herrschermacht  der  Herzoge  gelegen 
behandelt  und  nur  unter  Mitwirkung  der  Räthe  vorgenommen. 
Die  voraufgehenden  Verträge  hingegen  räumen  den  Landherren 
noch  vor  den  fürstlichen  Räthen  den  Platz  ein,*  und  gleiches 
gilt  vom  Verzicht  der  Leopoldiner  auf  die  Ausübung  der  Herr- 
schaft bei  Lebzeiten  Herzog  Albrecht's  III.,  1386,  und  dem  Hollen- 
burger  Vertrag,  1395,  zu  Gunsten  Herzog  Wilhelm's.  Wiederholt 
wurden  dann  die  Stände  oder  ein  Ausschuss  von  ihnen  zu  Sclüeds- 
richtem  unter  den  streitenden  Herzogen  aufgerufen  (1404,  1406), 
allein  die  entscheidende  Wendung  zu  ihren  Gunsten  trat  erst  nach 
dem  Tode  des  Herzogs  WUhelm  ein,  als  am  6.  August  1406  zu 
Wien  15  Bischöfe  und  Äbte,  7  Pröpste  und  2  Prioren,  81  Adelige 
vom  Herren-  und  Ritterstand  und  die  Vertreter  von  20  Städten 
und  Märkten  von  Österreich  ob  und  unter  der  Enns  zum  Schutze 
der  Rechte  ihres  jungen  Herzogs  Albrecht  V.  zusammentraten, 
Ausschüsse  aus  jedem  der  vier  Stände  in  gleicher  Zahl  entsandten 
und  die  Ausführung  der  von  diesen  einhellig  oder  mit  Stimmen- 


»  Steyrer,  Comm.  185,  405.  Lichnowsky-Birk,  III,  Nr.  1821/3. 

*  S.  den  Neuberger  Vertrag  und  die  wichtigsten  nachfolgenden  Verein- 
barungen im  herzoglichen  Hause  von  1389  bis  1411  bei  Rauch,  Ss.  III,  394  ff. 
Die  vorhergehenden  Verträge  von  1373  bis  1376  bei  Kurz,  Albrecht  III., 
1.  Bd.,  Beil.  24,  27,  32,  33.  -  Vgl.  auch  Anm.  6. 


176        Österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  28. 

mehrheit  gefas^ten  Beschlüsse  eidlich  gelobten.  Die  Folge  davon 
war,  dass  die  unter  sich  uneinigen  Leopoldiner  sich  dem  Ausspruch 
der  Landschaft  von  Österreich  unterwarfen  und  ihr  die  Entscheidung 
über  die  Person  des  Vormunds  und  den  Umfang  seiner  Gewalt, 
über  Dauer  der  Vormundschaft  u.  s.  w.  übertrugen.  Die  Stände 
zögerten  nicht,  ihre  günstige  Stellung  auszunützen  und  arbeiteten 
für  die  auf  vier  Jahre  eingeschränkte  Vormundschaft  eine  solche 
Ordnung  aus,  dass  es  ihnen  fiiglich  gleichgiltig  sein  konnte,  ob 
sie  Herzog  Leopold  oder  Ernst  übernehmen  würde,  wie  sie  denn 
auch  die  Lösung  dieser  Frage  den  Brüdern  zuschoben.  Dagegen 
bezeichneten  sie  umsogenauer  die  Aufgaben  und  Pflichten  des 
Vormunds  und  banden  ihn  in  den  meisten  Fällen  an  ihren  Rath 
und  ihre  Zustimmung,  die  u.  a.  bei  AngriflFskriegen,  bei  der  Ver- 
heiratung des  Mündels,  der  Wahl  der  Amtleute  und  des  Hof- 
staats ihres  jungen  Herrn,  der  Verleihung  erledigter  Lehen,  der 
Verwendung  der  Einkünfte  u.  s.  w.  nothwendig  sein  sollte. 

Dieselben  Vorgänge  wiederholten  sich,  als  1439  durch  den 
Tod  Herzog  Friedrich's  IV.  und  König  Albrecht's  U.  die  Herrscher- 
sitze in  Tirol  und  Österreich  erledigt  wurden.  In  beiden  Fällen 
schrieben  die  Landatände  die  Bedingungen  vor,  unter  welchen  die 
Vormundschaft  über  ihren  „angeborenen  Landesfürsten"  geführt 
werden  sollte,  als  dessen  Schützer  sie  sich  betrugen  und  den  sie 
schließlich  durch  Drohung  oder  Anwendung  offener  Gewalt  aus 
den  Händen  des  eigennützigen  Vormunds  befreiten.  (Vgl.  §  19,  12.) 

5.  Als  Vorläufer  der  Landtage  und  Landstände  bezeichnet 
man  oft  die  Hof-  und  Gerichtstage  oder  die  Einungen  politischer 
Stände.  Dass  man  die  Hof-  und  Gerichtstage  nur  sehr  mit  Vor- 
behalt als  Surrogat  der  Landtage  ansehen  kann,  wurde  schon  oben 
(§  27,  2)  ausgeführt.  Ebensowenig  darf  man  Einungen  und  Land- 
stände gleichsetzen,^  wogegen  zuzugeben  ist,  dass  gesellschaftliche 
Classen  nicht  selten  den  corporativen  Zusammenschluss  als  Mittel 
benützten,  um  politische  Stände  zu  werden  und  diese  ebenso  der 
Bündnisse  sich  bedienten,  um  ihre  Machtstellung  zu  befestigen. 
Andererseits  sind  Landstände  und  Landtage  in  ihrer  geschichtlichen 
Entwickelung  keineswegs  untrennbar  verbunden.  Sobald  in  allge- 
meinen Landesangelegenheiten   das  Berathen   des  Fürsten  oder 

^  S.  die  Kritik  der  Einungstheorie  in  Below's  Geschichte  der  landständischen 
Verfassung  in  Jülich  und  Berg,  II,  62  ff. 


Hoftage  und  Einungen,  geschworner  Rath  der  Landherren.  177 

mehr,  gewissen  Classen  der  Bevölkerung  als  Recht  eingeräumt 
ist,  sind  Landstände  da.  Nicht  so  die  Landtage.  Diese  sind  nur 
eine  einzelne  Form,  in  der  sich  der  Einfluss  der  Landstände 
äußert,  und  zwar  eine  solche,  die  nur  ausnahmsweise  früh,  gewöhn- 
lich aber  erst  dann  zu  allgemeinerer  Anwendung  gelangt,  wenn 
sich  der  Kreis  der  politisch  berechtigten  Classen  schon  erheblich 
erweitert  hat.  So  lang  dieser  Fall  noch  nicht  eingetreten  war, 
genügte  es,  wenn  den  Personen,  die  damals  Landstände  waren, 
die  gebürende  Mitwirkung  durch  irgend  eine  bleibende  Einrich- 
tung gesichert  war.  Als  solche  erscheint  in  allen  altösterreichischen 
Landen  der  geschwome  Rath  der  Landherren,  dessen  verfassungs- 
mäßige Stellung  allerdings  bisher  nicht  erkannt  wurde.® 

6.  Dieser  Rath  begegnet  uns  zuerst  im  Landfrieden,  welchen 
Otakar  nach  der  Besitznahme  Oesterreichs  um  1251  erließ  und 
ist  (^'gl*  §  27,  8)  als  vertragsmäßiges  Zugeständnis  an  die  Land- 
herren aufzufassen,  denen  er  die  Auf  nähme'  von  zwölf  der 
Ihrigen  in  den  fürsthchen  Rath  zusicherte.  An  der  Einrichtung, 
nicht  aber  an  der  Zahl  wurde  auch  in  der  Folge  festgehalten. 
Die  MitgUeder  dieses  Raths  befanden  sich  in  einer  Doppelstellung, 
ähnlich  wie  später  die  an  der  Spitze  der  Landschaften  stehenden 
Landeshauptleute  und  Landmarschälle:  sie  waren  VertFauensper- 
sonen  sowohl  des  Landesfürsten  als  auch  der  Landstände,  d.  h. 
ihrer  Genossen,  sie  empfiengen  Aufträge  von  beiden  Seiten  und 
waren  wohl  auch  beiden  Theilen  durch  Eid  verpflichtet.  Der  Rath 
der  Landherren,  dessen  Wirksamkeit  bis  tief  in's  14.  Jahrhundert 
wahrnehmbar  ist,  muss  von  dem  fürstlichen  Rath  im  engeren 
Sinne  wohl  unterschieden  werden.  Denn  jener  ist  eine  Form,  in 
der  sich  der  verfassungsmäßige  Einfluss  der  Landstände  auf  Re- 
gierungsacte  äußert,  während  dieser  Beamtencharakter  hat,  und  wo 
beide  Räthe  zugleich  genannt  werden,  den  Landherren  nachsteht.^ 

^  Das  Beste,  was  über  den  Rath  der  österr.  Landherren  schon  geschrieben 
ist,  bietet  Siegei  in  seiner  Abhandlung  über  die  rechtliche  SteUung  der  Dienst- 
mannen  in  Osterreich.  8.  B.  Bd.  102,  im  Abschnitt  lU,  S.  251  ff.  —  Außerdem 
hat  Hase nöhrl,  österr.  Landesrecht,  52,  einige  bemerkenswerte  Angaben  gemacht, 
8.  auch  mein  Gerichtswesen,  8.  96  ff.  —  Ich  behalte  mir  vor,  die  Frage  von 
der  verfassungsmäßigen  Stellung  des  geschwomen  Raths  der  Landherren  bei 
anderer  Gelegenheit  ausführlicher  zu  behandeln. 

^  Theilungsvertrag  vom  25.  Juli  1373  ....  daz  wir  nach  rat  unser  freunde, 
lantherren  und  rete . . .'  ebenso  1375,   3.  Juni;   1376,  5.  Jänner.   —   Kurz, 

L  QIC  hin,  österreichische  Reichag^schlcbte.  X2 


178        Osterreiohlsche  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  28. 

7.  Der  geschworene  Rath  der  Landherren  war,  wie  gesagt, 
nur  ein  Weg,  auf  welchem  der  Landesherr  mit  den  Landständen 
verkehrte,  wenngleich  er  solange  Zeit  der  gewöhnliche  blieb,  als 
die  Landherren  der  einzig  entscheidende  politische  Stand  waren. 
Er  wurde  auch  späterhin,  als  sich  der  Kreis  der  Berechtigten 
schon  erweitert  hatte  und  die  Landherren  mit  der  „Führung*  sich 
begnügen  mussten,  nicht  so  bald  verlassen,  obschon  in  wichtigeren 
Fällen  eine  Verstärkung  dieses  Rathes  durch  außerhalb  stehende 
Genossen  und  unmittelbarer  Verkehr  des  Landesfürsten  mit  den 
Städten  hinzutrat.  So  ließ  beispielsweise  Herzog  Albrecht  IL  die 
Einhaltung  seiner  Hausordnung  am  25.  November  1355  durch 
36  Landherren  aus  Oesterreich  ob  und  unter  der  Enns,  18  Bteirer 
und  8  Kärntner  beschwören,  die  sich  im  eigenen  Namen  mitsammt 
den  Landen  und  Städten  verpflichteten,  während  der  Erbvertrag 
mit  dem  luxemburgischen  Hause,  den  Herzog  Rudolf  IV.  am 
10.  Februar  1364  abschloss,  nach  „Rath,  Willen  und  Gunst  aller 
unser  Fürsten,  Landherren,  Ritter  und  Knechte,  Bürger  und  Land- 
sassen in  allen  unsern  Landen  und  Städten  die  notdürftig  dazu 
waren",  durch  Gesammtacte  der  Landherren  und  Einzelerklärungen 
der  Städte  eidlich  bekräftigt  wurde.  ® 

8.  Aus  dem  Gesagten  erklärt  sich,  weshalb  uns  für  gewisse 
Zeiten  wenig  Nachrichten  von  Landtagen  überliefert  sind,  obwohl 
es  schon  zweifellos  Landstände  gab:  man  bedurfte  dieser  Ver- 
sammlungen fürs  Gewöhnliche  nicht,  weil  der  Landesfürst  durch 
den  geschwomen  Rath  der  Landherren  oder  in  einer  anderen, 
früher  angegebenen  Weise  den  nämlichen  Zweck  erreichen  konnte. 
Aber  selbst  dann,  wenn  außergewöhnliche  Umstände,  z.  B.  die 
Huldigung,  die  einem  neuen  Landesheren  zu  leisten  war,  eine 
corporative  Versammlung  der  Landstände  erheischten,  wird  man 
weniger  von  einem  Landtag  als  von  einem  Landherrentag  reden 

Albrecht  m.,  Bd.  1,  Beil.  24,  32,  33.  In  diesen  fürstlichen  Rath  wurde  z.  B. 
1413  Bischof  Georg  von  Passau  mit  150  Pfd.  Jahressoid  aufgenommen.  M.-Boica, 
XXXI,  2.  S.  118.  Vgl.  auch  Lichnowsky-Birk,  IV,  Nr.  1153,  Dienstrevers 
Herzog  Friedrich's  von  Teck  u.  A.  vom  Jahre  1374. 

^  Wir  besitzen  die  Erklärungen  der  Landherren  von  Böhmen,  von  Öster- 
reich, der  Landherren  und  Landleute  von  Kärnten  und  der  Burggrafen  und 
Landleute  zu  Windischgraz.  —  Lichnowsky-Birk,  IV,  551,  557,  572,  577. 
Die  Zustimmung  der  Stadt  Prag  (Nr.  559)  und  von  30  verschiedenen  Städten  in 
Österreich,  Steiermark,  Kärnten  und  Krain.  (Nr.  556,  564/6,  570,  573/4,  580/2,  589. 


Erweiterung  des  Kreises  der  Landstände.  179 

können,  da  der  als  Gefolge  mitgebrachten  Ritterschaft  eine  ent- 
scheidende Stimme  nicht  zukam.  * 

Die  Frage,  warum  den  einfachen  Rittermäßigen  ein  maß- 
gebender Einfluss  auf  die  Landesangelegenheiten  so  lang  versagt 
blieb,  obwohl  ihnen  sonst  mancherlei  Vorrechte  in  den  Verbrie- 
fungen der  Landesfreiheiten  schon  gewährt  waren,  hängt  mit  ihrer 
lehensmäßigen  Abhängigkeit  von  den  Landherren  zusammen.  Erst, 
als  durch  wachsende  Begüterung  und  den  Eintritt  der  Ritter  in 
fremde  Dienste  eine  Lockerung  dieser  feudalen  Auffassung  erfolgt 
war,  ließ  sich  die  Ritterschaft,  die  schon  den  gleichen  Gerichts- 
stand mit  ihren  Herren  erkämpft  hatte,  die  Aufnahme  in  die 
Urtheilerbank  und  ein  Antheil  am  politischen  Leben  nicht  länger 
vorenthalten.  Der  Zeitpunkt,  in  dem  das  eintrat,  war  in  den 
einzelnen  Ländern  verschieden.  Die  Verhandlungen  wegen  Ein- 
führung des  Ungelds  (1359)  wurden  «in  einem  gemeinen  offenen 
Gespräch  mit  allen  Landherren,  Rittern  und  Knechten  zu  Oester- 
reich,  die  dazu  gehörten  und  zu  rechter  Zeit  berufen  wurden", 
gepflogen  und  durch  den  Grafen  von  Hardeck,  den  Hauptmann 
ob  der  Enns  und  den  Landrichter  unter  der  Enns  „an  stat  und  im 
Namen  der  andern  unsem  Landherren  allergemeiniglich  in  Oester- 
reich "^  besiegelt;  1363  wurden  durch  die  Landherren  „und  wir 
die  Landschaft  gemainiglich  edel  und  unedel^  arm  und  reich,  die 
zu  der  Herrschaft  zu  Tyrol  gehören*,  die  Bedingungen  festge- 
stellt, unter  welchen  die  Markgräfin  Margareta  die  Regierung  des 
Landes  an  Herzog  Rudolf  IV.  übergab,  1364  beschworen  genannte 
Personen  in  Vertretung  der  Landherren  und  Landleute  von  Kärnten 
die  Einhaltung  des  österreichisch-luxemburgischen  Erbvertrages.^® 
Demungeachtet  finden  wir  später  bei  anderen  Gelegenheiten  wieder 
nur  die  Landherren  als  entscheidend  angeführt,  bis  der  große 
Bund  der  österreichischen  Landschaft  vom  6.  August  1406  und 
zwei  Jahre  darnach  im  offenen  Bürgerkriege  die  Parteinahme 
der   Ritterschaft   für   Herzog  Leopold  IV.   gegenüber  dem  durch 


^  Bin  placitam  generale  celebrandnm  presentibus  ministerialibus  Austrie 
nntversis  1251.  U.-B.  o.  Enns,  III,  178.  Der  Landfriede  von  1281  unterscheidet 
Fälle,  »die  nach  der  lanthcrren  rat  nnd  solche,  die  nach  der  herren  rat,  die  des 
landes  rat  geswom  habent",  zu  entscheiden  waren.  A.  a.  0.  III,  581,  aber  zum 
Jahre  1277  gestellt.  S.  auch  oben  §  27,  Anm.  14,  15,  18. 

w  Kurz,  Rudolf  IV,  321,  381;  Lichnowsky-Birk,  IV,  Nr.  572. 

12* 


180  Österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  28. 

die  Landherren  unterstützten  Herzog  Ernst  dem  Eisernen  ihr  eine 
bleibende  politische  Stellung  verschaflFte. 

9.  Ähnlich  verhält  es  sich  mit  der  Aufnahme  der  Städte 
unter  die  Landstände,  die  zu  sehr  verschiedenen  Zeiten  erfolgte, 
je  nachdem  es  den  Stadtgemeinden  hier  früher,  dort  später  gelang, 
sich  zur  Geltung  zu  bringen.  Dass  in  Österreich  u.  d.  E.  die 
Städte  schon  im  Jahre  1281  neben  den  Landherren  und  Rittern 
im  Landfriedensbunde  erscheinen  und  die  Beistellung  einer  gewissen 
Zahl  Gewaffheter  für  den  Bedarfsfall  übernahmen,  wurde  (§  27,  10) 
erwähnt.  In  Tirol  betheiligten  sie  sich  seit  1362  an  der  Berathung 
öffentlicher  Landesangelegenheiten.  In  Innerösterreich,  wo  das 
Städtewesen  eine  viel  langsamere  Entwicklung  aufwies,  ist  ein 
corporativer  Zusammenschluss  der  landesfürstlichen  Städte  erst 
gegen  Ende  des  14.  Jahrhunderts  bezeugt,  als  es  sich  um  Streitig- 
keiten mit  dem  Adel  und  den  salzburgischen  Städten  handelte.^^  Die 
Erklärung,  durch  welche  sich  Herzog  Ernst  der  Eiserne  im  Jahre 
1408  dem  Ausspruch  der  österreichischen  Landschaft  unterwarf, 
ließ  er  nicht  nur  durch  Herren  und  Ritter,  sondern  auch  durch 
die  Städte  Graz,  Leoben,  Judenburg  und  Marburg  besiegeln.  Vom 
Jahre  1412  ist  uns  bereits  ein  Einberufungsschreiben  des  Herzogs 
Ernst  nach  Graz  zu  einem  Landtag  erhalten,  „wann  wir  Prelaten^ 
Herren  und  ander  Ritter  und  Knecht  und  Stett,  die  wir  auch 
dann  herbesandt  haben,  von  der  und  anderer  unser  merklichen 
Nottür ft  wegen  gnotigs  bedürfen".  Bald  darauf  begann  die  An- 
lage von  ständischen  Verzeichnissen  der  zur  TheUnahme  an  den 
Landtagen  berechtigten  Geschlechter  und  Corporationen,  d.  i.  von 
»Matrikeln",  die  zum  erstenmale  1443  auf  dem  Meraner  Land- 
tag  erwähnt  werden. 

Die  letzte  und  bleibende  Ausgestaltung  der  Landstände  war 
demnach  in  allen  altösterreichischen  Landen  zu  Anfang  des 
15.  Jahrhunderts  schon  eingetreten.  Fortan  gehören  zu  ihnen  so- 
wohl der  geistliche  als  auch  der  weltliche  Großgrundbesitz  (Prä- 
laten und  Landherren),  die  Ritterschaft,  die  landesfurstlichen 
Städte  und  Märkte,  in  Tirol  überdies  die  freie  Bauernschaft  der 
Thäler  und  Gerichte  (sicher  seit  1415),  nun  sind  die  Landtage  die 
übliche  Form,  in  der  sich  der  Wille  der  Landschaft  äußert. 


U  Chroel,  Geschichte  Kaiser  Friedrich's  IV.,  Bd.  I,  BeUage  1. 


Abschluss  der  Landstände,  Landtage  und  Landesconvente.  181 

10.  Im  Gegensatz  zu  den  Versammlungen  der  politischen 
Classen,  die  auf  dem  Einungsrecht  fußten  und  Landes-Convente 
hießen,^*  ruft  die  Landtage  der  Wille  des  Landesherrn  ein.  Von 
den  älteren  Hoftagen  sind  sie  im  Wesen  verschieden:  Diese 
beruhten  auf  der  Pflicht  des  Lehensmannes  zur  Hoffolge,  die 
Landtage,  die  auch  Theilnehmer  zählten,  die  keine  Vasallen  waren 
(Städte,  Bauernschaft),  auf  dem  verfassungsmäßigen  Recht  der 
Landstände  zur  Mitwirkung  in  gewissen  Landesangelegenheiten. 
Folgerichtig  war  die  Anwesenheit  des  Landesfürsten  auf  dem 
Landtage  nicht  nothwendig,  während  sie  für  die  Hoftage  die 
geforderte  Voraussetzung  bildete. 

Bei  dem  im  Vergleich  zu  den  Hoftagen  um  so  viel  größeren 
Einfluss  der  Landtage  auf  die  Regierung  ist  es  begreiflich,  dass 
die  Landesfürsten  die  freien  Versammlungen  der  Landstände  als 
Eingriffe  in  ihr  Regentenrecht  empfanden  und  zu  hindern  suchten. 
In  Tirol  hatten  die  Landstände,  als  König  Friedrich  nach  Ablauf 
seiner  Vormundschaft  über  Herzog  Sigmund  (29.  Juni  1443)  diesen 
nicht  entlassen  wollte,  die  Regierung  des  ganzen  Landes  in  die 
Hand  genommen  und  einem  Ausschuss  von  18  aus  dem  Adel, 
den  Städten  und  den  Gerichten  gewählten  Mitgliedern  über- 
tragen, Rüstungsmaßregeln  getroffen,  die  Einkünfte  der  Ämter 
und  Gerichte  zurückbehalten,  Landtage  ausgeschrieben  u.  dgl.  m. 
Herzog  Sigmund  hat  darum  1445  von  der  Landschaft  das  Ver- 
sprechen gefordert,  dass  sie  in  Zukunft  nicht  mehr  begehre, 
Landtage  zu  halten  in  anderer  Weise  als  wie  solche 
unter  seinen  Vorfahren  und  nach  den  Freiheiten  der  Grafschaft 
Tirol  gehalten  wurden."  In  Innerösterreich  hingegen  kamen  Landes- 
convente noch  später  vor,  obwohl  Kaiser  Friedrich  mit  seinen 
«hohen  Verdrießen"  über  diese  Zusammenkünfte  nicht  zurückhielt. 

11.  Außer  Landtagen  und  Landesconventen,  unter  welchen  die 
eigenmächtige  Zusammenkunft  zu  Leibnitz  im  October  1462  sogar 
alle  drei  innerösterreichischen  Landschaften  vereinigte,  sind  auch 
die  General-Landtage  und  die  ständischen  Ausschüsse  zu  erwähnen. 


^  Häberlin,  Handbuch  des  deutschen  Staatsrechts,  2.  Auf).  (1797),  11,  54. 

^  Jäger,  n,  2,  63.  —  Krones,  in  Beitr.  II,  S.  82  ff.,  Nr.  115,  128  zum 
Jahre  1455,  1462;  in  Kärnten  vereinigten  sich  1482  die  Stände  auf  eigene  Faust, 
nm  den  Frieden  von  den  räuberischen  Söldnerscharen  des  Königs  von  Ungarn 
zu  erkaufen.  —  Aelschker,  Gesch.  Kärntens,  I,  683. 


182        Osterreiohische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  28. 

General-Landtage  hat  zuerst  Kaiser  Friedrich  III.  in  allge- 
meinen Angelegenheiten  von  Innerösterreieh  berufen,  um  sich  die 
Verhandlungen  von  Land  zu  Land  zu  ersparen.  So  wurden  im 
Juli  1453  die  drei  Landschaften  von  Steier,  Kärnten  und  Krain 
wegen  Kriegsrüstung  gegen  Ungarn  nach  Völkermarkt  berufen; 
ebendort  versammelten  sie  sich  im  Jahre  1470  abermals,  um  die 
Steuern  zur  Bezahlung  Baumkircher's  zu  bewilligen;  andere  General- 
Landtage  wurden  1474  und  1475  nach  Marburg,  1476  und  1478 
nach  Graz  ausgesehrieben. 

Die  ständischen  Ausschüsse  waren  noch  keine  bleibende 
Einrichtung;  das  großartige  Gebäude  landschaftlicher  Verwaltung, 
das  im  16.  Jahrhundert  erwuchs,  war  dem  Mittelalter  fremd. 
Man  begnügte  sich,  dass  der  an  der  Spitze  des  Landes  stehende 
landesfürstliche  Beamte  (Landeshauptmann,  Landmarschall)  die 
Pflicht  habe,  der  Landschaft  ebenso  zu  ihren  Rechten  zu  ver- 
helfen, wie  die  gnädige  Herrschaft  selbst,  ^*  und  benützte  im 
übrigen  die  periodischen  Versammlungen  aus  Anlass  der  Gerichts- 
tage (Land-  und  Hoftaidinge,  landmarschallisches  Gericht)  zu 
Vorbesprechungen,^^  oder  zur  Besorgung  der  laufenden  Ange- 
legenheiten. Es  kam  daher  nur  in  außergewöhnlichen  Fällen  zur 
Einsetzung  von  Ausschüssen  mit  gemessenem  Auftrag  zur  Erle- 
digung der  von  einem  Landtag  zum  andern  vorfallenden  Geschäfte, 
wie  etwa  1406  in  Österreich  bei  Abschluss  des  Bündnisses  der 
ganzen  Landschaft,  oder  1443  und  1487  Tirol  zur  Verwaltung  des 
Landes  im  Namen  des  Herzogs  Sigmund. 

12.  Den  Wirkungskreis  der  Landstände  bestimmte  als  oberster 
Grundsatz  die  Regel:  „nil  de  nobis  sine  nobis",  wobei  das 
de  nobis  sehr  weit  gefasst  wurde,  weil  sie  sich  nicht  als  Ver- 
treter bestimmter  Corporations-Interessen,  sondern  des  ganzen 
Landes,  als  Landschaft  betrachteten.  Dazu  kam,  dass  dem  Einfluss 
der  Landstände  während  des  Mittelalters  nicht  durch  die  Paragraphe 
einer  Verfassungsurkunde  gesetzliche  Schranken  gezogen  waren, 
sondern  dass  vor  allem  der  dehnbare  Begriff  des  Herkommens 


1^  Vorgtellnn^en  der  Tiroler  an  den  Landeshauptmann  Grafen  Ulrich  von 
Matsch,  1443.  -  Jäger,  II,  2,  30. 

^  So  wurde  Ende  1455  anf  einem  Hoftaiding  zn  Graz  die  Abhaltung 
eines  Landesconvents  auf  den  11.  Jänner  1456  verabredet.  Krön  es,  in  den 
Beiträgen  zur  Kunde  steirischer  Geschichtsquellen,  2,  S.  82. 


General-Landtage,  Wirkungskreis  der  Landst&nde.  183 

entschied,  so  dass  zwischen  dem  unbestrittenen  Recht  des  Fürsten 
und  dem  der  Stände  ein  weites  Gebiet  lag,  das  je  nach  dem  Stande 
der  Dinge  verschieden  abgegrenzt  sein  konnte.  Daraus  erklärt  es 
sich,  dass  für  den  Umfang  des  ständischen  Einflusses  vor  allem 
der  Umstand  wichtig  war.  ob  an  der  Spitze  des  Landes  ein 
kräftiger  volljähriger  Fürst,  oder  eine  vormundschaftliche  Regierung 
stand.  Lähmte  überdies,  wie  das  leider  im  15.  Jahrhundert  oft 
genug  vorkam,  Zwiespalt  im  Herrscherhause  die  Thatkraft  des 
fürstlichen  Vormunds,  so  konnte  die  Macht  der  Stände  ins  Un- 
gemessene  wachsen,  auch  wohl  unter  Abgabe  loyaler  Erklärungen 
zu  förmlicher  Sequestrierung  der  gesammten  Landesverwaltung 
fuhren,  wie  dies  während  der  Jahre  1443  bis  1445  in  Tirol  vor- 
gekommen ist.  Ähnlichen  Erfolg  konnte  auch  die  durch  üble  Ver- 
waltung und  weitgetriebene  Verschwendung  verursachte  Nothlage 
eines  charakterschwachen  Fürsten  bewirken,  wie  die  Erlassung 
der  Hofordnung  durch  den  Meraner  Landtag  und  die  übrigen  Vor- 
gänge in  den  Jahren  1487  bis  1490  beweisen,  die  der  Abdankung 
Erzherzog  Sigmund's  von  Tirol  vorangiengen. 

Sieht  man  von  solchen  Ausnahmsfällen  ab,  so  findet  sich 
die  Mitwirkung  der  Landstände  vor  allem 

a)  wenn  es  sich  um  Bewilligung  von  Steuern  oder  sonst 
ungewöhnlichen  Auflagen  handelte,  die  entweder  von  den  Ständen 
selbst  oder  von  der  durch  sie  vertretenen  bäuerlichen  Be- 
völkerung getragen  werden  sollten.  ^^  Landtage  sind  Geldtage, 
hieß  es.  Die  Stände  legten  großen  Wert  darauf,  dass  solche  Steuern 
als  Ergebnis  ihres  guten  Willens  und  nicht  als  erzwingbarer  An- 
spruch des  Fürsten  erschienen.  Sie  verlangten  daher  in  der  Regel 
gewisse  Zugeständnisse  vom  Regenten  als  Gegenleistung,  wie  sie 
die  Lage  gab  und  überdies  die  Anerkennung  ihres  Standpunkts 
von  Seite  des  Landesherrn  durch  Ausstellung  von  rechtsverbind- 
lichen Erklärungen  (Schadlosbriefen,  Reversen). ^^  Ganz  ähnlich 
war   es,   wenn  statt  der  Steuern  oder  neben  denselben  außer- 


^^  Es  war  daher  ein  Eingriff  ins  Fürstenrecht  gegenüber  dem  fürstlichen 
Vormund,  als  die  österr.  Stände  1406  die  Ausschreibung  ungewöhnlicher  Juden- 
steuem  von  ihrer  Zustimmung  abhängig  machten,  da  ja  die  Juden  zur  fürst- 
lichen Kammer  gehörten.  —  Rauch,  Ss.  III,  461,  Art.  19. 

^^  In  Steiermark  von  1467, 1461,  1470;  die  österreichischen  beginnen  1420. 
8.  das  4.  Buch  in  der  Strein'schen  Landshandfest  des  Erzherzogthums  Österreich. 


184     österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  28  und  29. 

gewöhnliche  Kriegsrüstungen  verlangt  wurden.  In  Innerösterreich 
hieng  überdies  die  Münzverrufung  von  der  Zustimmung  der  Stände 
ab.  Allmählich  brach  sich  die  Erkenntnis  Bahn,  dass  in  gewissen 
Fällen  die  geforderte  Beihilfe  von  den  Ständen  überhaupt  nicht 
verweigert  werden  könne,  so  bei  Ausheiratung  einer  Tochter  des 
Fürstenhauses  (Prinzessinsteuer)  oder  wenn  von  der  Bewüligung 
das  Wohl  des  Landes  abhieng.  (§  33,  12,  13.) 

b)  Als  Vertreter  des  ganzen  Landes,  als  Landschaft  hielten  sich 
die  Stände  auch  für  berechtigt,  in  dringenden  Fällen  für's  Land 
zu  handeln.  Sie  erschienen  als  Vermittler  bei  Zwistigkeiten  im 
Herrscherhause,  beanspruchten  Antheil  an  der  vormundschaftlichen 
Regierung,  an  ihre  Mitwirkung  war  der  Landesherr  bei  Erlassung 
von  Landfrieden  und  anderer  allgemeiner  Gesetze  gebunden,  mit 
ihrer  Hilfe  waren  Maßregeln  der  Landessicherheit,  wie  die  „Frage* 
nach  schädlichen  Leuten,  oder  das  Gerannen,  durchzuführen 
u.  dgl.  mehr. 

§  29.   Die  Stellang  des  Staates  zur  Kirche  im  Mittelalter 

(1000—1500). 

Literaturangaben  bei  §  10,  außerdem  Friedberg,  Die  Grenzen  zwischen 
Staat  und  Kirche,  1872.  —  Huber,  Österr.  Reichsgeschichte,  54.  —  Jäger,  Land- 
ständische Verfassung,  I,  122  ff.,  mein  Gerichtswesen,  §§  13,  26,  S.  123,  258  ff. 

1.  Die  altösterreichischen  Lande  waren  in  den  Metropolitan- 
Sprengeln  von  Salzburg  und  Aquileja  gelegen,  deren  Abgrenzung 
durch  den  Lauf  der  Drau  auf  eine  Entscheidung  Kaiser  Karl's 
des  Großen  zurückgeht.  (§10,  4.) 

Die  bischöfliche  Gewalt  über  Österreich  ob  und  unter  der 
Enns  bis  an  die  Piesting  stand  dem  Bischof  von  Passau  zu  und 
wurde  erst  1468  durch  die  Errichtung  des  Bisthums  Wien  un- 
bedeutend geschmälert.  Südlich  der  Piesting  und  im  alten  Karan- 
tanien  bis  zur  Drau  übte  der  Erzbischof  von  Salzburg  Diöcesan- 
rechte  aus,  so  weit  er  dieselben  nicht  durch  die  Errichtung  der 
BisthUmer  Gurk  (1072),  Seckau  (1218)  und  Lavant  selbst  beschränkt 
hatte  oder  aber  hiezu  genöthigt  wurde,  wie  es  1468  bei  Errichtung 
des  Bisthums  von  Wr.-Neu8tadt  geschah.  Auch  über  Theile  von 
Nordtirol  erstreckte  sich  seine  bischöfliche  Gewalt,  während  der 
übrige,  und  zwar  der  größere  TheU  dem  Bischof  von  Brixen  unter- 


Die  kirchlichen  Sprengel  in  Österreich,  Landesbisthümer.  185 

• 

geben  war,  der  aber  als  Suflfragan  dem  Salzburger  Erzbisehofe 
unterstand.  Der  Vintschgau  gehörte  zu  Chur,  über  Südtirol  breitete 
sich  das  Bisthum  Trient  aus,  das  dem  Patriarchat  Aquileja  unter- 
worfen war.  Aquileja  selbst  übte  Diöcesanrechte  weit  über  das 
FriauFsche  hinaus,  in  Kärnten  und  Steiermark  südlich  der  Drau 
uod  in  ganz  Krain,  bis  es  im  Jahre  1462  zur  Errichtung  des 
kleinen  Bisthums  Laibach  kam,  dessen  Sprengel  vor  allem  im 
Umfang  des  incorporierten  Benedictinerstifts  Obernburg  im  obem 
Sannthal  gelegen  war.  Im  Küstenland  und  Istrien  walteten  in 
kleinen  Sprengein  als  Suffragane  von  Aquileja  die  Bischöfe  von 
Triest,  Cittanuova,  Pedena,  Pola,  Parenzo,  Capo  d' Istria. 

2.  Die  Beziehungen  zwischen  Staat  und  Kirche  waren  in 
Österreich  während  des  Mittelalters  viel  verwickelter  als  jetzt, 
weil  die  Kirche  noch  vielfach  auf  Gebiete  übergriff,  die  nach 
heutiger  Auffassung  dem  Staat  vorbehalten  sind.  Dazu  kam,  wie 
aus  der  vorhergehenden  Übersieht  entnommen  werden  kann,  dass 
es  in  Österreich  lange  Zeit  keine  Landesbischöfe  gab,  weil  die 
bischöfliche  Gewalt  auswärtigen  Kirchenfürsten  zustand,  welche 
in  ihren  Gebieten  selbst  Landesherren  waren  und  gleiche  Rechte 
auch  über  ihre  in  den  altösterreichischen  Landen  zerstreuten 
Besitzungen  beanspruchten.  Die  bösen  Zwistigkeiten,  die  sich 
daraus  ergaben,^  veranlassten  schon  die  Babenberger  zum  Versuch, 
durch  Errichtung  eines  Landesbisthums  in  Wien  der  drückenden 
Jurisdiction  der  Passauer  Bischöfe  zu  entgehen. ^  Andererseits 
betrachteten  die  Herzoge  die  vom  Salzburger  Erzbischof  Eberhard  IL 
ohne  ihre  Zustimmung  vorgenommene  Errichtung  des  Bisthums 
Seckau  als  einen  Eingriff  in  ihre  landesherrlichen  Rechte,  den 
sie  durch  eine  Beschwerde  beim  Papste  nachdrücklich  rügten. 
Ihren  Bahnen  folgten  die  Habsburger.  Die  Bisthümer  Seckau  und 
Lavant,  die  wenig  mehr  als  den  Titel  und  die  bischöfliche  Gewalt 
für  den  Umfang  eines  Archidiaconats-Sprengels  gewährten,  waren 

*  Vgl.  z.  B.  den  Bericht  der  Contin.  Zwetlensis,  Mon.  Germ.,  8s.  IX,  Pol., 
S.  658,  über  die  Excommanication,  die  der  Erzbischof  von  Salzburg  über  Herzog 
Albreeht  I.  und  den  Abt  von  Admont  wegen  des  Krieges  erhob,  „precipiens 
etiam  suis  co6piscopis  ut  idipsum  faceront*.  Als  einige  dagegen  nach  Rom 
appellierten,  erfolgte  deren  suspensio  a  dlvinis. 

«  Meiller,  B.,  Reg.  98/9,  Nr.  70,  72,  päpstliche  Schreiben  von  1207  und 
1208.  Über  den  Versuch  Herzog  Friedrichs  IL,  a.  a.  0.  180,  Nr.  144  (1245). 
Herzog  Rudolfs  IV.  Ann.  Mattseenses,  1364,  Mon.  Germ.,  Ss.  IX,  832. 


186        Osterreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  29. 

ursprünglich  von  Salzburg  zur  Erhöhung  seines  Ansehens  gegründet 
worden,  wie  sie  auch  in  der  Besetzung  von  den  Erzbischöfen  ab- 
Mengen.  Sie  vermochten  am  wenigsten  auf  die  Dauer  dem  Einfluss 
der  österreichischen  Herzoge  sich  zu  entziehen  und  wurden  un- 
geachtet der  kaiserlichen  Gnadenbriefe  zuerst  zu  österreichischen 
Landesbisthümern.  Später  ereilte  dies  Schicksal  auch  Gurk,'  das 
anfänglich  energisch  für  seine  Reichsunmittelbarkeit  gestritten 
hatte,  endlich  auch  Brixen  und  Trient,  die  ihre  Reichsunmittelbarkeit 
nur  dem  Namen  nach  behielten.  Kaiser  Friedrich  III.  nützte  dann 
seine  Beziehungen  zum  päpstlichen  Stuhl  zur  Errichtung  der  Bis- 
thümer  Laibach  (1462),  Wien  und  Wr.-Neustadt  (1468)  aus,  durch 
welche  eine  Beschränkung  der  Diöcesen  von  Aglai,  Passau  und 
Salzburg  herbeigeführt  wurde,  erlangte  sowohl  für  jene  als  für 
die  Bisthümer  Trient,  Brixen,  Chur,  Gurk,  Triest  und  Pola  das 
Ernennungsrecht,  die  Besetzung  von  300  Beneficien  an  Kathedral- 
und  CoUegiatkirchen  und  das  Visitationsrecht  der  in  seinen  Landen 
gelegenen  Klöster.* 

3.  Die  kirchliche  Gerichtsbarkeit  erstreckte  sich  wie  in 
andern  Territorien  so  auch  in  Österreich  nicht  bloß  auf  die  Mit- 
glieder des  Clerus,  sondern  in  manchen  Fällen,  namentlich  in 
Glaubens-  und  Ehesachen,  Wucherprocessen,  Zehent-  und  Patronats- 
Streitigkeiten  auch  auf  Laien.  Allmählich  begannen  aber  die 
Herzoge  sie  einzuschränken,  wobei  ihnen  die  Strömung  zustatten 
kam,  die  in  den  Kreisen  der  Landherren  und  der  Ritterschaft 
gegen  die  Gerichtsbarkeit  der  kirchlichen  Stellen  sich  bildete. 
Nil  haben  sich  gefriet  die  pfaffen^  swaz  so  si  hegeixt^   daz  si  des 


^  1162,  6.  April,  erwirkte  Bischof  Roman  von  Gurk  vom  Kaiser  Friedrich  I. 
einen  Bestätigungsbrief,  in  dem  er  ,,honorabUid  prinoeps  noster*  genannt  wurde.  — 
Hohenauer,  Kirchengeschichte  von  Kärnten,  S.  87^  behauptet,  dass  Bischof 
Johann  I.  sogar  die  förmliche  Erhebung  von  Gurk  zu  einem  Reichsfürstenthum 
erwirkt  habe.  Vgl.  aber  Meiller,  Salzburger  Regesten,  134/5,  Nr.  31,  32,  34. 

^  All  diese  neuen  Bisthümer  hatten  ungemein  kleine  Diöcesen.  Jene  von 
Wr.-Neustadt  erstreckte  sich  nur  aufs  Stadtgebiet  und  erfolgte  die  Abtretung 
des  Salzburgischen  Wr.-Neustädter  Bezirks  erst  1783.  Die  Wiener  Diöc^se,  seit 
1721  Erzbisthum,  reichte  nur  bis  Schwechat  und  Laxenburg  (Gumpoldskirchen 
und  Heiligenstadt  waren  schon  passauisch)  und  erhielt  erst  1784  den  Wr.-Neu- 
städter Bezirk.  —  Kerschbaumer,  Geschichte  des  Bisthums  St.  Polten,  I,  657  ff. 
und  die  beigegebene  Karte  der  Passauer  Diöoese  vom  Jahre  1723.  Eine  Diöcesan- 
karte  von  Krain  s.  Archiv  für  Landesgeschichte  von  Krain,  1854,  2.  u.  3.  Heft. 


Bescbränkung  der  kirchlichen  G-eriohtsbarkeit,  Amortisationsgesetze.     187 

nicht  ee  rehte  stent  vor  des  landesherren,  des  haben  wir  grozeii  werren^ 
unrehtefi  gewin  si  bringent,  ze  Börne  sie  des  dingent,  rief  im  Jahre 
1292  strafend  der  kleine  Lucidarius  aus.  (II,  776.)  Der  gemein- 
same Vortheil  hat  Adel  und  Bürgerschaft  zum  Begehren  ge- 
drängt, dass  Klagen  um  unbewegliches  Gut  auf  alle  Fälle  von 
weltliehen  Gerichten  zu  entscheiden  seien  und  hat  diese  For- 
derung im  1^.  Jahrhundert  auch  für  den  Fall  durchgesetzt, 
wenn  Kläger  oder  Beklagter  dem  geistlichen  Stande  angehörten.^ 
Das  Wiener  Stadtrecht  vom  Jahre  1340  nahm  dem  Pfarrer 
die  Entscheidung  in  schweren  Ehebruchsfällen  ab,  die  dem 
Stadtrichter  zur  Bestrafung  zugewiesen  wurden.  In  Tirol  ver- 
kündete 1404  Herzog  Leopold  IV.  das  Verbot,  Laien  vor  ein 
geistliches  Gericht  zu  fordern,  es  wäre  denn  in  Zehent-  oder 
Ehestreitigkeiten,  ähnliches  verbriefte  König  Friedrich  IV.  den 
Kärntnern  im  Jahre  1444.  Kurz,  bei  aller  Achtung  vor  den  kirch- 
lichen Satzungen  und  allem  Wohlwollen,  das  die  österreichischen 
Herrscher  der  Geistlichkeit  entgegenbrachten,  finden  wir  sie  dera- 
ungeachtet  einmüthig  in  der  Vertheidigung  der  Hoheitsrechte  des 
Staates  gegenüber  kirchlichen  Übergriffen. 

4.  Außer  Zweifel  steht  femer,  dass  die  Herrscher  in  Österreich 
seit  ältester  Zeit  ein  gewisses  Aufsichtsrecht  über  den  Erwerb  von 
Liegenschaften  durch  den  Clerus  übten  und  dass  schon  zu  Anfang 
des  14.  Jahrhunderts  auswärtige  Klöster  der  herzoglichen  Erlaubnis 
bedurften,  wenn  sie  hierzulande  Weingärten  u.  dgl.  kaufen  wollten. 
Die  Aufzeichnung  der  Wiener  Rechte  für  Krems  und  Stein  vom 
Jahre  1305  enthält  bereits  den  wichtigen  Satz  (der  im  Wiener 
Albrechtinum  vom  Jahre  1340  als  Art.  54  wiederkehrt),  dass  die 
Klöster  das  im  Stadtgebiet  durch  Vei^bungen  gewonnene  liegende 
Gut  binnen  Jahresfrist  an  jemanden  veräußern  müssten,  der  mit 
der  übrigen  Bürgerschaft  Steuern  und  Lasten  zu  tragen  bereit 
sei.  Noch  weiter  gieng  Herzog  Rudolf  IV.,  der  freilich  dafür  von 
den  geistlichen  Chronisten  als  persecutor  cleri  bezeichnet  wurde. 
Durch  den  fingierten  Freiheitsbrief  vom  Jahre  1058  wurden  Salz- 
burg und  Passau  dem  Landesherrn  in  Österreich  schlechtweg 
untergeordnet.    Im  Jahre  1360  verfügte  er  die  Aufhebung  der 

'^  Solche  Klagen  hat  z.  B.  das  herzogliche  Hoftaiding  selbst  in  dem  Fall 
entschieden,  wenn  beide  Streittheile  Geistliche  waren.  Gerichtswesen,  Anm.  131.  ~ 
Vgl.  auch  Ü.-B.  0.  B,,  V,  597  vom  Jahre  1302,  27.  December. 


188     Österreichische  Reichsgesohichte.  I.  Theil.  Zweite  Pedode.  §  29  und  30. 

Grundgerichtsbarkeit  und,  um  das  Aufblühen  der  Städte  zu  be- 
günstigen, die  zwangsweise  Ablösung  der  Burgreehtszinse,  eine 
Maßregel,  die  zumal  die  Kirchen  und  Klöster  schwer  betraf.  Im 
Jahre  1361  hob  er  alle  auf  Privilegien  beruhenden  Befreiungen 
von  der  städtischen  Schatzsteuer  auf,  beschränkte  das  Asyl- 
recht, und  dehnte  überdies  die  Bestimmungen  der  Amortisations- 
gesetze  von  den  Jahren  1805  und  1340  auch  auf  die  weltliche 
Geistlichkeit  und  auf  Vergabungen  von  Pahrhabe  aus. 

5.  Zweifelhaft  ist,  wieweit  die  vom  Clerus  in  Anspruch 
genommene  Steuerfreiheit  kirchlicher  Besitzungen  in  Österreich 
anerkannt  war.  Es  ist  wohl  wahr,  dass  die  Kirchen  und  Klöster 
hier  mancherlei  Begünstigungen  und  Befreiungen  genossen,  allein, 
wie  es  scheint,  nicht  infolge  eines  allgemeinen  Satzes,  sondern 
kraft  besonderer  Begnadungen.  Es  ist  femer  wahr,  dass  Herzog 
Albrecht  III.  mit  dem  Kirchenbann  belegt  und  Ernst  der  Eiserne 
mit  solchem  bedroht  wurde,  weil  sie  ohne  Zustimmung  der  kirch- 
lichen Obern  die  Geistlichkeit  besteuert  hatten.  Andererseits  er- 
wähnen die  uns  zahlreich  überlieferten  Nachrichten  über  die 
Heranziehung  des  Kirchenguts  für  staatliche  Bedürfnisse  so  selten 
einer  kirchlichen  Ermächtigung,  dass  man  ein  selbständiges  Recht 
des  Landesherrn  in  Österreich  zur  Besteuerung  des  Clerus  an- 
nehmen muss.  Darüber,  so  wie  über  das  von  den  österreichischen 
Herzogen  beim  beweglichen  Nachlass  der  Geistlichkeit  in  Anspruch 
genommene  Spolienrecht  wird  noch  im  §  33  gehandelt  werden. 

6.  Soweit  das  Kirchengut  in  Österreich  zum  Großgrundbesitz 
wurde,  nahm  es  auch  an  dessen  Vorrechten  theil.  Bis  zur  Mitte 
des  12.  Jahrhunderts  stand  das  Recht,  Immunitätsprivilegien  zu 
gewähren,  nur  dem  Reichsoberhaupt  zu,  welcher  der  Zustimmung 
der  davon  betroflfenen  Inhaber  der  Grafschaftsrechte  nicht  bedurfte. 
Seit  dem  Privilegium  Minus  (1156)  war  der  König  an  die  vor- 
gängige Zustimmung  des  österreichischen  Herzogs  gebunden,  später 
ertheüten  die  Babenberger  Exemtionen  auf  eigene  Paust  in  der 
Erwartung,  dass  der  König  nachträglich  zustimmen  werde,  eine 
Übung,  die  allmählich  zum  Recht  erwuchs  und  vom  Reiche  stül- 
schweigend  anerkannt  wurde.  Allmählich  kamen  so  alle  älteren 
Klöster  in  den  österreichischen  Landen  in  den  Besitz  der  ge- 
sammten  Gerichtsbarkeit  mit  Ausnahme  der  s.  g.  landgerichtlichen 
Fälle,  ja  einige  erlangten  selbst  den  Blutbann.  Allein  die  Kirche 


Immunitäten  nnd  Vögto;  die  landesfürstliche  Verwaltung.  189 

bedurfte,  sobald  ihr  die  öflfentliche  Gerichtsbarkeit  über  ihre  Hinter- 
sassen übertragen  wurde,  eines  weltlichen  Organs  zur  Ausübung 
derselben,  des  Vogts  (Advocatus),  welcher  den  Frieden  der  ihm 
anvertrauten  Kirche  nach  innen  und  außen  zu  wahren  hatte.  Da 
jedoch  die  Vögte,  auf  ihre  Gerichtsbarkeit  gestützt,  aus  dem  Titel 
des  VogtrechtB  Abgaben  aller  Art  erhoben  und  über  Leute  und 
Güter  der  bevogteten  Kirche  wie  über  ihr  Eigenthum  verfügten, 
Untervögte  bestellten,  die  nicht  minder  arg  wirtschafteten  u.  s.  w., 
80  haben  die  Kirchen  später  ebenso  eifrig  die  Befreiung  von  der 
Gerichtsbarkeit  der  Vögte,  als  früher  von  der  Grafengewalt  er- 
strebt. Der  Umstand,  dass  allmählich  die  Vogtei  über  die  meisten 
und  wichtigsten  Hochstifte  und  Klöster  in  die  Hände  des  Landes- 
herrn gelangt  war,  erleichterte  jenen  dies  Bestreben :  die  Herzoge 
versprachen  den  Schutz  nach  außen  hin  ohne  weiteres  Entgelt; 
die  Untervögte,  auf  Widerruf  bestellt  und  auf  ein  ausgewiesenes 
Maß  von  Abgaben  beschränkt,  übernahmen  die  Vertretung  der 
Kirche  und  der  Kirchenleute  vor  weltlichen  Gerichten.  Die  Ge- 
richtsbarkeit endlich,  die  der  Kirche  laut  der  Exemtionsprivilegien 
zukam,  durfte  sie  fortan  durch  ihre  eigenen  Amtsleute  verwalten. 


Die  landesfürstliche  Verwaltung  im  Mittelalter. 

§  30.  Allgemeine  Bemerkungen. 

Lamp recht,  Deutsche  Geschichte,  IV,  8.  310:  Die  Landesyerwaltung.  — 
Rosenthai,  Geschichte  des  Gerichtswesens  nnd  der  Verwaltnngs-Organisation 
Bayerns,  I,  1889.  —  Seeliger,  Das  deutsche  Hofmeisteramt  im  spätem  Mittel- 
alter, 1885.  —  Sei  dl  er,  Studien,  ni,  Behördensystem  und  Staatsbildung. 

1.  Selbst  in  den  größten  deutschen  Territorien  mangelte 
es  bis  ins  13.  Jahrhundert  an  einer  durchgreifenden  Eintheilung 
des  Landes  und  der  Beamten  zu  Verwaltungszwecken,  die  landes- 
fürstliche Verwaltung  hatte,  auch  wenn  sie  sich  über  mehrere 
Gebiete  erstreckte,  als  einzigen  Vereinigungspunkt  das  regierende 
Haus.  Die  Fülle  der  stetig  auftauchenden  wichtigen  Fragen 
nöthigte  indessen  den  Landesherm  zur  Rücksprache  mit  Männern 
seines  Vertrauens.  Wenn  er  auch  diese  nach  seinem  Belieben  frei 
wählte,  so  musste  doch  stets  eine  Anzahl  geeigneter  Personen  in 
seiner  Nähe  sein,   deren   er  sich  bald   als  Berather,   bald   als 


190        Osterreiohische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  30. 

Gehilfen  in  Ausführung  gefasster  Beschlüsse  bedienen  konnte. 
Bei  dem  rein  persönlichen  Charakter  der  landesfürstlichen  Herr- 
schaft ergab  es  sich,  dass  vorzugsweise  die  Inhaber  der  Hof  ämter 
wegen  ihrer  beständigen  persönlichen  Beziehungen  zum  Herrscher 
zur  Erledigung  staatlicher  Geschäfte  benützt  wurden. 

2.  Der  angesehenste  und  für  die  Landesregierung  wichtigste 
Hofbeamte  war  der  Hofmeister.  Er  kommt  in  Tirol  seit  1277,  in 
Österreich  seit  1293  vor  und  wurde  dort  zum  „Landhofmeister'', 
d.  i.  zu  einer  Erblandeswürde,  während  er  in  Österreich  noch  um 
die  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  lediglich  ein  der  Person  des 
Herzogs  zugewiesener  Beamte  war.  Die  übrigen  wichtigeren 
Hofbeamten,  deren  Amt  ebenfalls  durch  Abspaltung  zerlegt 
wurde,  waren  der  Marschall  (Hofmarschall,  Erbmarschall,  Land- 
marschall), der  obriste  Kämmerer,  endlich  der  Kanzler  (Proto- 
notarius,  Cancellarius),  der  erst  dem  Stande  der  Cleriker,  dann 
der  Juristen  entnommen  wurde  und  die  formelle  Erledigung  der 
wichtigsten  Regierungsgeschäfte  besorgte.  Von  minderer  Bedeutung 
waren  Schenk  und  Küchenmeister,  der  Jäger-  und  Forstmeister  u.  dgl. 

Daneben  gab  es  stets  eine  große  Zahl  von  Personen,  die  am 
Hofe  ohne  bestimmtes  Amt  lebten,  aber  die  Verpflichtung  hatten, 
dem  Herzog,  so  oft  er  es  wünschte,  Rath  zu  ertheilen  und  jene 
Aufgaben  zu  erledigen,  die  ihnen  gerade  übertragen  wurden. 
Hieher  zählen  die  Mitglieder  des  geschwomen  Raths  der  Land- 
herren, von  deren  Doppelstellung  in  §  28,  6,  die  Rede  w^ar, 
während  andere  mehr  Beamtencharakter  hatten.^  Schließlich  gelang 
es  der  gefestigten  landesherrlichen  Gewalt,  die  ständischen  Ele- 
mente aus  dem  Rathe  zu  verdrängen.  Um  die  Mitte  des  15.  Jahr- 


^  Die  Geschichte  dieses  Landesbeamtenthums  ist  noch  wenig  erforscht 
Namenslisten  bieten  die  Register  zu  den  Urkundenbüchern,  außerdem  für  Öster- 
reich 0.  B.:  Hohen  eck,  die  Herren-Stände,  L,  Vorrede;  Prevenhueber  im 
Anhang  zu  den  Annal.  StjTenses.  Für  Steiermark:  Schmutz,  histor.  topogr. 
Lexikon,  H,  unter  den  Schlagworten  Landeshauptleute  u.  s.  w.,  dazu  Beiträge 
zur  Kunde  steir.  GeschichtsqueUen,  XV,  67;  für  Kärnten:  Hermann,  Handbuch 
der  Geschichte,  L,  Tabelle  auf  S.  BOG;  für  Krain:  Valvasor,  Ehre  des  Herzog- 
thimis  Krain,  9.  Buch  (3.  Bd.),  dazu  G.  Kozina  über  die  Hauptleute  und  Vice- 
dome  von  Krain  in  den  Programmen  der  k.  k.  Oberrealschule  zu  Laibach  um 
1864—1869.  (Unbrauchbar  sind  die  Verzeichnisse  im  Archiv  für  Landesge- 
schichte von  Krain.)  Für  Tirol  J.  A.  v.  Brandis,  Geschichte  der  Landeshauptleute 
von  Tirol,  1850. 


Landesfttrstiiohe  Beamte:  Hofmeister,  HaupÜeute  u.  s.  w.  191 

hunderte  empfangen  schon  alle  Räthe  Sold  und  die  Doctoren  be- 
ginnen das  große  Wort  zu  führen. 

3.  Die  Ländervereinigungen  gaben  Anlass  zur  Entstehung 
besonderer  Landeaverwaltungen ,  da  man  die  formelle  Selbst- 
ständigkeit eines  neu  erworbenen  Gebiets  im  Mittelalter  nur  ungern 
antastete.  Die  Babenberger  haben  allerdings  die  Verwaltung  von 
Österreich  und  Steiermark  •  noch  durchaus  in  Person  geleitet,  so 
dass  bezeichnend  genug,  in  ihren  Tagen  der  Gedanke  der  Ver- 
schmelzung beider  Lande  zu  einem  Königreich  auftauchen  konnte, 
aber  seit  dem  Zwischenreich  änderte  sich  die  Lage.  Den  kaiser- 
lichen Reichsstatthaltern  folgten  Hauptleute  der  Könige  von  Ungarn 
und  Böhmen,  in  Steiermark  und  im  Lande  ob  der  Enns.  Diese 
Einrichtung  wurde  von  den  Habsburgern  beibehalten  und  später 
auch  von  den  Görz- Tirolern  eingeführt,  während  in  Österreich 
u.  E.,  das  man  wie  Böhmen  als  Kern  einer  Ländergruppe  betrach- 
tete, allmählich  ein  Hofbeamter,  der  Marschall  dauernd  an  die 
Spitze  der  Landes  Verwaltung  trat  und  als  solcher  zum  „Land- 
marschall* wurde.  Erschien  der  Hauptmann  als  der  eigentliche 
Stellvertreter  des  Herzogs,  so  stand  ihm  für.  die  Verwaltung 
der  landesfürstlichen  Domänen  und  die  Verrechnung  der  Gefalle, 
soweit  diese  länderweise  geschlossen  war,  der  Landesvicedom 
(L»andschreiber,  Hubmeister)  zur  Seite.  Die  Landesverweserschaft 
war  ursprünglich  kein  besonderes  Amt,  sondern  nur  vorüber- 
gehende Vertretung  des  Landeshauptmanns  im  Falle  der  Ver- 
hinderung, oder  wenn  der  Posten  unbesetzt  war,  also  das,  was 
man  später  als  Verwaltung  der  Hauptmannschaft  bezeichnete.  Seit 
dem  Ende  des  14.  Jahrhunderts  wurden  jedoch  bleibende  Landes- 
verweser bestellt,  denen  —  wie  in  Österreich  dem  Land-Unter- 
marschall —  vor  allem  der  gerichtliche  Vorsitz  in  Vertretung 
des  Landeshauptmanns  zukam. 

4.  Im  Laufe  des  15.  Jahrhunderts  war  es  üblich  geworden, 
dass  für  die  Zeit  der  Minderjährigkeit  oder  der  Abwesenheit  des 
Landesfürsten,  in  Stellvertretung  desselben,  die  oberste  Regierung 
im  Lande  einer  Anzahl  Personen  als  Anwälten  oder  Statthaltern 
übertragen  wurde.  Gewöhnlich  wurden  die  Inhaber  der  höchsten 
Hof-  und  Landesstellen  als  Vertrauenspersonen  des  Fürsten  in 
diese  Statthalterschaften  berufen,  die  als  Vorläufer  der  von 
Maximilian   I.    dauernd   begründeten   landesfürstlichen  Behörden 


192  Österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  30. 

mit  coUegialer  Verfassung  erscheinen.  Anders  verhielt  es  sieh  mit 
den  Statthalterschaften  während  der  Zeit,  da  der  König  Fried- 
rich IV.  die  vormundschaftliche  Regierung  über  Sigmund  und 
Ladislaus  Postumus  führte,  denn  diese  sind  vor  allem  nach  dem 
Willen  der  Stände  von  Tirol  und  Österreich  besetzt  worden.* 

5.  Als  Regentenaufgaben  erschienen  nach  mittelalterlicher 
Auffassung  nur  der  Schutz  des  äußern  und  Innern  Friedens, 
während  der  BegriflT  der  Staatswohlfahrts-Pflege  (Polizei)  bis  auf 
geringe  Keime  noch  unentwickelt  war.  Daher  bethätigte  sich  auch 
die  mittelalterliche  Verwaltung  eigentlich  nur  nach  drei  Richtungen: 

a)  Es  erschien  als  Pflicht  des  Regenten,  dafür  zu  sorgen, 
dass  jedermann  im  Lande  zu  seinem  Rechte  kam,  dem  entsprach 
die  Gerichtsverwaltung ; 

b)  den  Schutz  vor  äußern  Feinden  sollten  die  Heeres- 
einrichtungen bieten; 

c)  da  aber  beide  Aufgaben  nur  durch  Aufwand  wirtschaft- 
licher Mittel  gelöst  werden  konnten,  so  musste  es  auch*  eine 
Finanzverwaltung  geben. 


§  31.  Die  Rechtspflege. 

Egger,  Die  Entstehung  der  Gerichtsbezirke  Deutschtirols  (MittheUungen 
des  Instituts  für  österr.  Geschichte,  4.  Ergänzungsband,  8.  373  ff.).  —  Hasen- 
öhrl,  österr.  Landesrecht,  S.  165  ff.  —  Huber,  Reichsg.  50;  —  meine  Geschichte 
des  altem  Gerichtswesens  in  Österreich  und  Sohm's  Besprechung  in  der  Zeit- 
schrift für  Privat-  und  öffentliches  Recht  der  Gegenwart,  1880,  8.  419  ff.  — 
Richter,  Zur  histor.  G^graphie  des  Hochstifts  Salzburg.  —  Rosenthal,  Ge- 
richtswesen Bayerns,  8.  49  ff.  —  Schröder,  R.-G.,  §  50,  4. 

1.  Der  Österreichische  Herzog  besaß  in  all  seinen  Landen  die 
Qerichtshoheit,  die  er  vom  Reiche  ableitete.  (§  26,  8,  a.)  Der  Aus- 
übung nach  stand  aber  die  Gerichtsbarkeit  nicht  bloß  dem  Landes- 
fürsten und  seinen  Beamten  zu,  sondern  auch  vielen  andern 
Personen  und  Corporationen,  die  ihrerseits  die  Berechtigung  vom 
Herzog  durch  die  Bannleihe  empfiengen.  Die  Gerichtshoheit  aus- 
wärtiger Reißhsstände  über  ihre  in  den  österreichischen  Landen 
gelegenen  Besitzungen  war  bestritten  und  wurde  schließlich,  wenn 


^  Adler,  Organisation  der  Central- Verwaltung  unter  Kaiser  Maximilian  L, 
Anh.  I,  S.  486  ff.  —  Seidler,  a.  a.  0.,  90. 


Regentenaufgaben  des  österr.  Herzogs;  Landgerichte.  193 

auch  zum  Theil  erst  im  16.  Jahrhundert,  beseitigt.  Außer  diesen 
Gerichten  öffentlichen  Ursprungs  gab  es  noch  eine  große  Zahl 
privater  Gerichte  mit  beschränkter  Zuständigkeit. 

2.  Zu  den  öffentlichen  Gerichten  gehörten  die  in  allen  alt- 
österreichischen  Landen  vorkommenden  Landgerichte  (judicia  pro- 
vincialia).  Ihr  Zusammenhang  mit  den  alten  Volksgerichten  ist 
offenkundig,  sie  wurden  von  dem  öffentlichen  Gerichtsbeamten 
oder  einer  an  dessen  Stelle  getretenen  Persönlichkeit  mit  der 
Gerichtsgemeinde  abgehalten  und  waren  grundsätzlich,  d.  h.  so 
weit  keine  Einschränkungen  stattgefunden  hatten,  für  alle  Civil- 
und  Criminalsachen  der  Gerichtsangehörigen  competent.  Selbst 
die  größten  dieser  Landgerichte  sind  viel  kleiner,  als  die  alten 
Gaue  und  auch  kiemer  als  die  alten  Grafschaften,  welche  aus 
der  Zertheilung  der  Gaue  unmittelbar  hervorgegangen  sind.  Da- 
gegen scheinen  die  Landgerichte  in  Th'ol  und  Salzburg,  die  bis 
ins  15.  Jahrhundert  mitunter  als  Grafschaften  bezeichnet  wurden, 
den  Unterbezirken  der  früheren  Grafschaften  zu  entsprechen, 
da  die  Übereinstimmung  beider  in  ihrer  Begrenzung  mehrfach 
erwiesen  ist.  In  Steiermark.  Kärnten  und  Krain  ist  der  Auf- 
lÖBungsprocess  der  alten  Gerichtsbezirke  weiter  fortgeschritten, 
die  Landgerichtssprengel  waren  im  Durchschnitt  um  die  Hälfte 
kleiner  als  in  Tirol.  Am  weitesten  aber  gieng  die  Zersplitterung 
in  Österreich,  namentlich  im  Lande  unter  der  Enns,  wo  schließ- 
lich je  ein  Landgericht  mit  dem  Anrecht  auf  Stock  und  Galgen 
auf  iVa  Quadratmeilen  und  4843  Seelen  kam!^ 

3.  In  der  Verwaltung  dieser  Gerichte  bestand  zwischen 
Bayern  und  Österreich  ein  bemerkenswerter  Unterschied,  welcher 
wahrscheinlich  mit  dem  verschiedenen  Gang,  den  die  Entwicklung 
des  Landesf ürstenthums  in  diesen  Landen  genommen  hat,  innig 
zusammenhängt.  In  Bayern,  wo  die  Landgerichte  durch  alle  Jahr- 
hunderte  die   Grundlage   der  territorialen   Organisation  blieben. 


^  Die  Zahl  der  Landgerichte  in  Nord-  und  Mitteltirol  mit  Einschluss  des 
Avisio-Thales  und  des  Unterengadins  gibt  Egg  er  (a.  a.  0.  428)  mit  74  an.  In 
Steiermark  gab  es  nach  Gräff,  (Versuch  einer  Geschichte  der  Criminalgesetz- 
gebung  in  der  Steiermark,  1817,  S.  117)  136,  in  Kärnten  63  (Mayer,  Statistik 
des  Herzogthums  Kärnten,  1796,  S.  135  und  155),  in  Kram  und  kaiserlich  Istrien 
im  Jahre  1801  nach  dem  Instanzen-Schematismus  74  Herrschaften,  in  Öster- 
reich ob  der  Enns  106,  unter  der  Enns  2161  —  Gerichtswesen,  S.  114. 

Laie  hin.  ÖBtorreichische  Reidisgeschiohte.  \^ 


194        Odterreiohische  Reicbsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  31. 

waren  die  Landrichter  landesherrliche  Beamte.  Diese  Einrich- 
tung findet  sich  auch  im  Unterinnthal,  so  lang  es  Bayern  unter- 
stand, ferner  im  Zillerthal  nach  dem  Vertrag  vom  Jahre  1281, 
der  den  Herzogen  von  Bayern  hier  das  „Judicium  comecie  quod 
vulgo  lantgericht  dicitur"  überließ,  endlich  im  Gebiet  der  Erz- 
bischöfe von  Salzburg  bei  jenen  Gerichten,  die  vom  Stifte  zu- 
rückgekauft worden  waren.  Anders  in  den  altösterreichischen 
Landen.  Hier  hatte  die  Landgerichtsbarkeit  ihren  öffentlichen 
Charakter  bis  gegen  Ende  des  Mittelalters  nahezu  gänzlich  ab- 
gestreift und  war  mit  dem  Grundbesitz  als  zufällige  Pertinenz, 
oft  nicht  einmal  bleibend,  sondern  gnadenweise  auf  eine  Anzahl 
Jahre,  verknüpft  worden.  Landgerichtsinhaber  vermochte  daher 
hier  jeder  zu  werden,  der  Unterthanen  besaß,  falls  er  die  Land- 
gerichtsbarkeit über  dieselben  dui'ch  Kauf,  Tausch,  Pfandschaft 
oder  sonstwie  erwerben  wollte  und  konnte,  nur  hatte  er  die  Ver- 
pflichtung, den  Blutbann  vom  Landesfürsten  einzuholen.^  So  gab 
es  schließlich  in  den  altösterreichischen  Landen  landesfürstliche 
Landgerichte  nur  auf  landesfürstlichem  Besitz,  d.  i.  auf  Domänen 
und  in  landesflirstlichen  Städten  und  Märkten,  doch  machte  es 
in  der  Verwaltung  wenig  Unterschied,  wer  Herr  war.  Man  war  im 
Mittelalter  so  sehr  gewöhnt,  die  Gerichtsbarkeit  als  nutzbringendes 
Recht  anzusehen,  dass  auch  die  österreichischen  Herzoge  ihre 
Landrichter  nur  selten  als  entlohnte  Beamte,  wohl  aber  oft  gegen 
einen  Antheü  an  den  Gefällen,  ja  selbst  als  Pächter,  Pfandinhaber 
oder  Nutznießer  der  Gerichtseinkünfte  bestellten. '^ 

4.  Über  allen  Landgerichten  stand  als  Gerichtsherr  der 
Herzog  von  Österreich  infolge  des  früher  erwähnten  Rechtssatzes 
über  die  Bannleihe.  Wie  der  König  im  Reich,  so  war  also  der 
Herzog  in  seinen  Landen  als  Träger  der  Staatsgewalt  eine  Instanz 
über  dem  öffentlichen  Gericht. 

Dies  Gericht,  das*  der  Herzog  entweder  persönlich  oder  durch 
einen  besonders  dazu  bestimmten  Stellvertreter  abhielt,  hat  in  den 
altösterreichischen  Landen  verschiedene  Formen  durchgemacht.  Im 
12.  und  13.  Jahrhundert  erscheint  es  vor  allem  als  Landtaiding 
(placitum  generale,  Judicium  generale),  d.  h.  als  periodisch  wieder- 

*  Rosenthal,  53,  57.  —  Egger,  a.  a.  0.,  387.  —  Richter,  a.  a.  0.,  620, 
mein  Gerichtswesen,  S.  118—120. 

*  Gerichtswesen,  122. 


Landgerichte,  Land-  und  Hoftaidinge,  das  herzogliche  Hofgericht.      195 

kehrende  Versammlung  der  „Landherren*,  die  an  bestimmten  Mal- 
stätten zu  Zwecken  der  Rechtsprechung  mit  dreitägiger  Dauer 
abgehalten  wurde.*  Wir  begegnen  solchen  Landtaidingen  nicht 
bloß  in  Österreich,  sondern  während  des  13.  Jahrhunderts  auch 
in  Steiermark,  Kärnten  und  Tirol  ^  und  ebenso  sind  uns  aus  den 
Tagen  des  letzten  Babenbergers  die  Namen  seiner  stellvertretenden 
Richter  in  Österreich  und  Steiermark  bekannt.* 

In  Österreich  traten  unter  Otakar  an  Stelle  des  obersten 
Landrichters  vier  Oberlandrichter,  welche  zu  zweien  je  auf  einem 
Ufer  der  Donau,  später  ob  und  niederhalb  der  Enns,  ihres  Amtes 
vralten  sollten;  zugleich  wurde  die  Competenz  der  Landtaidinge 
für  todeswürdige  Verbrechen  auf  die  unfreie  Ritterschaft  ausge- 
dehnt. Beide  Neuerungen  w^urden  von  den  Habsburgem  beibehalten. 

Die  Landtaidinge,  welche  allmählich  zu  ständischen  Gerichten 
wurden,  haben  in  Österreich  bis  ins  14.  Jahrhundert,  in  Inner- 
Österreich  unter  dem  Namen  der  „ Landrechte **  bis  zu  den  Reformen 
der  Kaiserin  Maria  Theresia  bestanden. 

5.  Neben  ihnen  gab  es  aber  auch  Hoftaidinge,  d.  h.  der  Herzog 
hielt  Gericht  mit  seinen  Großen,  wo  er  sich  gerade  befand,  oder 
ließ  sich  dabei  durch  seinen  Hofrichter  vertreten.  Größere  Be- 
deutung erlangte  dies  Gericht  erst  unter  Herzog  Albrecht  I.,  der 
die  Entscheidung  von  Besitzstreitigkeiten  ihm  zuwies  und  sich  der 
Hoftaidinge  als  Mittel  bediente,  um  die  landesfürstlichen  Gerecht- 
same auf  Kosten  der  Landtaidinge  zu  heben.  Im  Laufe  des 
14.  Jahrhunderts  nahmen  indessen  die  Hoftaidinge  mehr  und  mehr 
die  Natur  einer  ständischen  Gerichtsstelle  an.  In  dieser  Gestalt 
erhielten  sie  sich  in  Österreich  unter  der  Enns  bis  gegen  das 


«  So  hm,  a.  a.  0.,  S.  420.  erklärt  die  Landtaidinge  für  Landtage,  die  der 
Herzog  mit  den  majores  terrae  abhielt.  Ich  kann  dem  nicht  zustimmen.  Zuge- 
geben, dass  auf  Landtaidingen  auch  allgemeine  Landesangelegenheiten  besprochen 
nnd  beschlossen  wurden,  so  war  doch  zweifellos  die  Rechtsprechung  der  Grund, 
der  ihren  Zusammentritt  veranlasste.  Vgl.  das  zweite  Gedicht  des  kleinen  Luci- 
darius  v.  650  ff.  und  §  27,  2,  über  die  Landtaidinge  als  Vorläufer  der  Landtage. 

*  Ü.-B.  d.  St.,  IL  490,  510;  Ü.-B.  o.  B.,  IV,  411.  Hormayr,  Beiträge  zur 
Geschichte  Tirols,  I,  2,  8.  354/5. 

*  Heinricus  (de  Habsbach)  judex  provincialis  tocius  Austrie  1244;  Comes 
UlricuB  de  Phannberch  qui  auctoritate  d.  Priderici  Ducis  judicio  in  Stiria  presidet. 
D.  et  A.  XI,  108;  U.-B.  d.  St.,  U,  501,  579.  Die  Liste  der  österr.  Oberland- 
richter von  1250—1301  bei  Siegel  in  S.-B.,  Bd.  102.  S.  259  ff. 

13* 


196      Österreichische  Beichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  31  u.  32. 

Jahr  1412,  dann  wurden  sie  hier  durch  das  landmarschallisehe 
Gericht  abgelöst;  in  Innerösterreich,  wo  die  Entwicklung  den 
gleichen  Gang  nahm,  haben  sie  sich  mit  den  aus  den  Landtaidingen 
hervorgegangenen  » Landrechten  **  als  „  Hofrechten  **  bis  gegen  die 
Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  erhalten.  Die  Herzoge  hingegen 
haben  in  dem  mit  geschwomen  Räthen  besetzten  Hofgericht,  das 
in  den  Tagen  Kaiser  Friedrich's  den  Namen  Kammergericht  an- 
nimmt, eine  Gerichtsstelle  geschaffen,  welche  frei  von  ständischem 
Einfluss  blieb,  da  die  zur  Urtheilsfindung  berufenen  Personen  ent- 
weder sämmtlich,  oder  der  Mehrzahl  nach  landesflirstliche  Beamte, 
zum  Theil  sogar  schon  Doctoren  der  Rechte  waren. 

6.  Außer  diesen  öffentlichen  Gerichten  gab  es  in  den  alt- 
österreichischen Landen  Vogtei-,  Dorf-  und  Hofmarkgerichte,  die 
durch  Übertragung  einzelner  Gerechtsame  der  Landgerichte  an 
Immunitätsherren  entstanden  waren,  ferner  Gerichte,  deren  Wirk- 
samkeit auf  einen  bestimmten  Kreis  von  Personen  oder  Rechtsan- 
gelegenheiten eingeschränkt  war :  Juden-,  Berg-  und  Münzgerichte, 
das  Wiener  Universitätsgericht  u.  dgl.  mehr.  Endlich  hat  auch  die 
private  Disciplinargewalt  des  Lehens-  und  Grundherrn  Anlass  zur 
Ausbildung  der  Lehens-  und  Ministerialengerichte,  zur  Patrimonial- 
Gerichtsbarkeit  im  engem  Sinn,  zur  Weinbergs-Gerichtsbarkeit 
u.  s.  w.  gegeben. 

7.  Die  Stadt-  und  Marktgerichte  besaßen  je  nach  den  öflfent- 
lichen  Rechten,  die  dem  Stadtherm  über  das  Stadtgebiet  entweder 
unmittelbar  oder  im  übertragenen  Wirkungskreis  zukamen,  und 
nach  dem  Umfang,  in  welchem  dieser  deren  Ausübung  dem  Stadt- 
richter überließ,  sei  es  das  volle  Landgericht,  sei  es,  was  häufiger 
.vorkam,  nur  die  Hofmarkgerichtsbarkeit.  Die  Erhaltung  der  Ord- 
nung im  Weichbild,  die  Entscheidung  über  die  Benützung  der 
Stadtmark  sowie  in  Marktangelegenheiten  war  Aufgabe  des  Stadt- 
markgerichts, das  in  den  österreichischen  Städten  dem  geschwomen 
Rath  der  Bürger  zustand.  Endlich  beanspruchten  auch  die  Herren 
der  Gründe,  die  im  Weichbild  lagen,  über  ihren  Antheil  am  Stadt- 
gebiet gmndherrliche  Gerichtsbarkeit,  die  sie  aber  allerdings  dort 
einbüßten,  wo  im  Laufe  der  Zeit  die  Pühmng  des  Grundbuchs 
der  Stadtobrigkeit  übertragen  wurde. 


Stadt-  und  Marktgerichte.  —  Heeresmatrikeln.  197 


§  32.   Die  Heeresrerfassnng  nnd  Heeresrerwaltang. 

Hasenöhrl,  österr.  Landrecht,  S.  40ff.  —  Kurz  F.,  Österreichs  Miiitär- 
verfassnng  in  älteren  Zeiten,  1825.  —  Siegel,  Dienstmannen  in  Österreich 
<S.B.,  Bd.  102).  -  Waitz,  Deutsche  Verfassungsgeschichte,  VIII.,  S.  95  ff. 

1.  Der  österreichische  Herzog  verfügte  zu  Kriegszwecken 
in  erster  Linie  über  ein  Lehensheer,  das  sich  aus  den  im  Lande 
seßhaften  rittermäßigen  Leuten  zusammensetzte,  soweit  diese  in 
unmittelbarer  oder  mittelbarer  Lehensabhängigkeit  von  ihm  waren. 
Daneben  bestand,  wie  anderwärts,  die  allgemeine  Verpflichtung 
der  Einwohner  zur  Betheiligung  an  der  Vertheidigung  des  Landes, 
zur  Landwehr.  Über  den  Umfang,  in  welchem  die  Vasallen 
Kriegsdienste  zu  leisten  hatten,  entschied  der  Inhalt  der  Lehens- 
verträge. Sicherlich  durfte  sie  der  Herzog  aufbieten  und  mussten 
sie  ihm  auch  außer  Land  folgen,  soweit  dies  der  Reichsdienst  er- 
forderte. Auch  bei  der  Vertheidigung  des  Landes  mussten  ihm 
alle  Vasallen  beistehen.  Bei  Angriffskriegen  aber,  die  der  Herzog 
auf  eigene  Paust  unternahm,  waren  ihm  nur  jene  Rittermäßigen, 
die  seine  eigenen  Leute  waren,  zur  Heerfolge  außer  Land  ver- 
pflichtet und  musste  die  Theilnahme  der  übrigen  durch  besondere 
Verträge  erkauft  oder  erbeten  werden.^ 

2.  Matrikeln  zur  Übersicht  der  Streitkräfte,  die  man  bei 
einem  Aufgebot  zu  erwarten  hatte,  muss  es  schon  früh  gegeben 
haben.  Im  Jahre  1281  verpflichteten  sich  die  Landherren,  Städte, 
Ritter  und  Knappen  von  Österreich  zum  Schutze  des  Landfriedens, 
den  sie  beschworen  hatten,  durch  zehn  Jahre  erforderlichenfalls 
2500  Gerüstete  aufzubringen;  das  setzt  mit  Noth wendigkeit  eine 
entsprechende  Auftheilung  dieser  Mannschaft  unter  die  einzelnen 
Mitglieder  voraus.  Nahezu  auf  die  gleiche  Zahl  führen  die  Angaben, 
die*  der  kleine  Lucidarius  im  6.  Gedicht  von  der  „Samunge** 
macht,  das  im  Jahre  1291  entstanden  ist.^ 

^  österr.  Landrecht,  Art.  55,  s.  auch  §  28,  Anm.  1. 

3  Seemü]  1er  in  8.  B.,  Bd.  102,  S.  569.  Der  Dichter  setzt  einen  drohenden 
EinfaU  der  Feinde  ins  Land  voraus  und  ruft  .herzöge  Albrecht  . .  .  nu  wil  ich 
umb  des  landes  schaden,  die  besten  ju  ze  helfe  laden*.  Die  angesehensten  Mini- 
sterialen werden  mit  Angabe  der  Mannschaft,  die  sie  zu  stellen  hätten,  ange- 
führt: Der  Rabenswalder  mit  100  Mann,  die  Meissauer  mit  200,  die  Kuenringer 
mit  300  u.  s.  w.,  im  ganzen  2100  Mann,  wobei  aber  zu  beachten  ist,  dass  die 
Aufzählung  wegen  Unvollständigkeit  des  Gedichtes  abbricht. 


198        Osterroichisobe  Relchsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  32. 

Nach  Artikel  55  und  45  des  österr.  LandesrechtB  musste  der 
aufgebotene.  Mann  die  Heerfahrt  perBönlieh  mitmachen,  durfte 
aber  wenn  er  krank  war,  einen  Stellvertreter  schicken.  Unge- 
rechtfertigtes Ausbleiben  verwirkte  eine  Geldbuße  und  den  An- 
spruch auf  Rechtshilfe.  Ausnahmsweise  konnte  sich  der  Aufge- 
botene durch  Bezahlung  einer  Heersteuer  an  seinen  Herrn  lösen, 
wenn  dieser  den  Feldzug  selbst  mitmachte.  Ein  Rittermäßiger 
hatte  in  diesem  Falle  den  halben  Jahresertrag  des  Lehensgutes, 
ein  Bürger  oder  Bauer  den  ganzen  Jahreszins  zu  entrichten. 

3.  Zur  Verstärkung  des  Vasallenheeres  wurden  im  Bedarfs- 
fall Verträge  mit  Einzelnen  abgeschlossen.  Von  der  Mitte  des 
14.  Jahrhunderts  ab  sind  uns  Übereinkünfte  erhalten,  durch  welche 
sich  einzelne  Vasallen  gegen  einen  bestimmten  Sold  zur  Beistellung 
einer  gewissen  Anzahl  Reisiger  verpflichteten.  Seit  der  Beendigung 
der  Hussitenkriege  wurde  die  Aufnahme  fremder  Söldnerscharen 
unter  staatsfremden  Führern  üblich,  die  ihre  Dienste  nach  Art 
der  italienischen  Condottieri  dem  Meistbietenden  zur  Verfügung 
stellten.  Die  Lebensläufe  des  Jiskra  von  Brandeis  oder  des  Cillier 
Feldhauptmanns  Jan  Witowec  von  Hreben,  der  es  vom  armen 
Ritter  bis  zum  reichbegüterten  Freiherrn  und  Banus  von  Slavonien 
brachte,  können  als  Muster  genannt  werden. 

4.  Einen  wichtigen  Bestandtbeil  der  landesfürstlichen  Heere 
bildeten  die  streittüchtigen  Bewohner  der  landesfürstlichen  Städte 
und  Märkte.  Zunächst  hatte  die  Bürgerschaft  allerdings  für  die 
Vertheidigung  des  Ortes  selbst  zu  sorgen,  und  dieser  Erwägung 
entsprach  die  thatsächliche  Vergünstigung,  dass  die  städtische 
Wehrmacht  im  großen  und  ganzen  nur  in  der  Umgebung  der  Stadt 
zur  Verwendung  gelangte.'  Das  schloss  nicht  aus,  dass  ein  Theil 
der  städtischen  Mannschaft  vom  Herzoge  auch  nach  einem  ent- 
fernteren Kriegschauplatz  entsandt  wurde.* 

5.  In  Fällen   allgemeiner  Landesnoth  war  der  Landesherr 

^  Die  Wiener  nahmen  dies  auf  Grund  der  Handfesten  Kaiser  FriedriOi 's  U. 
von  1237  und  1247,  sowie  des  Königs  Rudolfs  vom  24.  Juni  1278  als 
ihr  Recht  in  Anspruch,  das  jedoch  seit  Herzog  Albrecht  I.  nicht  mehr  anerkannt 
wurde.  Die  Wiener-Neustädter  stützten  den  gleichen  Anspruch  auf  die  unechten 
Freiheitsbriefe  von  den  Jahren  1237  und  1247. 

*  Im  Kriege  gegen  König  Johann  von  Böhmen  1336  hatte  Herzog  Otto 
,,de  singuiis  civitatibus  assignatum  numerum  personarum,  qui  oogebantur  sine 
dilacione  pugne  interresse.  Contin.  Noviroontensis.*   Mon.  (ierm.,  8s.  IX.,  671. 


Truppen  der  Städte,  allgemeines  Aufgebot.  199 

berechtigt,  Heeresfolge  von  allen  Bewohnern  des  Landes  zu  fordern. 
Die  Lage  der  Lande,  die  durchwegs  Grenzgebiete  Deutschlands 
waren,  hatte  zur  Folge,  dass  das  Aufgebot  zur  Landwehr,  das 
sich  als  Überrest  der  allgemeinen  Wehrpflicht  erhalten  hatte,  in 
den  Ländern  der  österreichischen  Herzoge  viel  öfters  als  in  anderen 
Theilen  des  Reiches  ergieng.  Schon  zum  Jahre  1082  ist  uns  solch 
ein  Fall  bekannt,  in  welchem  Markgraf  Leopold  der  Heilige  dem 
heranrückenden  Heere  des  böhmischen  Herzogs  alle  Wehrfähigen 
der  Ostmark  bis  zum  Rinder-  und  Schweinehirten  herab,  in  noth- 
dürftiger  Bewaffnung  entgegenstellen  musste.  Ähnliches  wieder- 
holte sich  in  der  Folge.'^  Auch  bei  Empörungen  im  Innern  war 
die  Einberufung  der  Landwehr  statthaft.  Droht  eine  solche,  so 
sollen  nach  Art.  55  des  österreichischen  Landesrechts  dem  Landes- 
herm  „alle  die  in  dem  Land  sind  das  Land  helfen  ze  weren  und 
das  Gemerkch  als  verr  und  als  si  Leib  und  Gut  geweret*. 

6.  Im  15.  Jahrhundert  gaben  die  Hussitenkriege,  später  die 
Türkeneinfälle  öfters  Veranlassung  zum  Aufgebot  der  Landwehr. 
Im  Jahre  1421  ließ  Herzog  Albrecht  V.  eine  Liste  der  gesammten 
männlichen  Bevölkerung  edel  und  unedel  zwischen  16  und  70  Jahren 
und  Verzeichnisse  der  Waffenvorräthe  anfertigen,  vom  Jahre  1426 
hat  sich  die  Ordnung  des  Landaufgebotes  wider  die  Hussiten  er- 
halten. Nach  dieser  setzte  sich  das  herzogliche  Heer  aus  drei 
Gruppen  zusammen: 

a)  Aus  den  Vasallen :  „die  Landleut  all,  wer  vor  Jugend  und 
Alter  mag  in  aigner  Person  und  auf  ir  aigen  Zerung  ain  ganz 
Monaid''  die  übrige  Zeit  gegen  Vergütung  der  Kosten  und  der 
erlittenen  Schäden; 

b)  aus  der  Mannschaft  der  Städte  nach  einem  mit  der  Land- 
schaft vereinbarten  Anschlag,  laut  welches  beispielsweise  die 
Linzer  24  Reisige  zu  stellen  hatten; 

c)  aus  der  Landwehr,  zu  welcher  die  stärksten  und  ge- 
schicktesten Leute  aus  der  Bauernschaft,  u.  z.  jeder  zehnte  Mann 
im  ganzen  Lande  erlesen  wurden.  Jeder  Rotte  von  zwanzig  Land- 
wehrleuten oder  „Zehnem"*  war  von  den  180  daheim  bleibenden 
Bauern  ein  starker  vierspänniger  Wagen,  eine  15'  lange  Kette  und 

^  Cosmas,  IL,  35,  Mon.  Germ.,  Ss.  IX.,  90,  Beispiele  aus  späterer  Zeit: 
1352,  1405.  Kalendarium  Zwetlense,  a.  a.  0.,  693,  697;  Landesaufgebot 
gegen  die  nach  Tirol  vordringenden  Bayern:  Jäger,  Landstände  II.,  1.,  S.  179. 


200     Osterreichische  Reichsgesohichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  32  und  33. 

ein  eiserner  Vorrath  an  Lebensmitteln  beizustellen,  während  die 
Ausrüstung  mit  Waffen  Verpflichtung  der  Zehnerschaft  war,  die 
außerdem  die  Äcker  des  Ausziehenden  zu  bebauen  hatte.  In  jeder 
Rotte  gab  es  einen  Hauptmann  und  einen  Fuhrmann,  drei  Büchsen- 
schützen, acht  Armbrustschützen  und  je  vier  mit  Spießen  und 
Drischein  Bewaffnete;  jeder  sollte  ein  Schwert  oder  Messer  an 
der  Seite  und  an  Schutzwaflfen  einen  leichten  Eisenhut,  einen 
Panzer  oder  eine  Schießjoppe  und  zwei  Eisenhandschuhe  haben. 
Je  zehn  Wägen  mit  den  dazu  gehörigen  zweihundert  Landwehr- 
leuten waren  wieder  unter  einem  höhergestellten  Hauptmann  ver- 
einigt. Fünf  solcher  Hauptleute  mit  ihren  Haufen  unterstanden 
dem  Hauptmann  über  fünfzig  Wägen ;  es  waren  ferner  Hauptleute 
über  hundert  Wägen  u.  s.  w.  bis  zum  obristen  Hauptmann  vorge- 
sehen. Jeder  Rottenhauptmann  erhielt*  sechs  SchUling  Pfennig 
Monatssold  für  jeden  Mann  seiner  Rotte  und  sollte  damit  den 
täglichen  Bedarf  bestreiten.® 

7.  Die  Heereseinrichtungen  in  Steiermark,  Kärnten,  Krain 
und  Tirol  waren  ähnlich  wie  in  Österreich,  nur  mit  der  wichtigen 
Abweichung,  dass  in  jenen  Ländern  die  Verpflichtung  zur  Theil- 
nahme  an  Reichskriegen  ausgedehnter  war.  Für  den  Schutz  der 
geistlichen  Hochstifte  Salzburg,  Brixen,  Trient,   Aglei  hätten  in 

*  erster  Linie  die  Stiftsvögte  zu  sorgen  gehabt.  Allein  da  diese  ihre 
Stellung  oft  zur  Ausbeutung  ihrer  Schutzbefohlenen  benützten  und 
die  Kirchenfürsten  mitunter  sehr  kriegslustig  waren,  so  verfugten 
auch  diese  nicht  selten  persönlich  über  Heere  von  ähnlicher  Zu- 
sammensetzung wie  die  weltlichen  Fürsten.  Die  Patriarchen  von 
Aglei  bestellten,  namentlich  seitdem  ihre  Macht  im  Sinke?  war, 
einen  „Capitaneus  generalis"  meist  in  der  Art  der  späteren  italie- 
nischen Söldnerführer,  so  im  Jahre  1301  den  Grafen  von  Görz, 
1350  Herzog  Albrecht  II.  von  Österreich. 

8.  Die  Vertheidigung  des  Landes  beruhte  gutentheils  auf 
den  vielen  Burgen,  die  theils  dem  Landesfürsten,  theüs  dem  Adel 
gehörten.  Das  Land  durch  geschickt  angelegte  Befestigungen  gegen 
feindliche  Angriffe  zu  sichern,  erschien  als  eine  wesentliche  Pflicht 
des  Landesherrn  und  die  Außerachtlassung  derselben  wurde  dem 


ö  Kurz,  414  ff.,  Beilage  1  und  Archiv  VII.,  S.  246.  Der  ZusamraenliaDg 
mit  Grundsätzen,  die  schon  in  der  karolingischen  Zeit  nachweisbar  sind,  lässt 
sich  nicht  verkennen. 


Heereseinriohtungen  in  Innef-Österreich  und  Tirol,  Burgen.  201 

Herzog  Albrecht  L  im  Jahre  1295  von  den  österreichischen  Land- 
herren nicht  wenig  verübelt.  Die  Adelsburgen,  die  durch  den  unbot- 
mäßigen und  fehdelustigen  Sinn  ihrer  Bewohner  oft  dem  Landes- 
fiirsten  selbst  hätten  gefährlich  werden  können,  wurden  durch 
Öffnungsverträge,  die  beschränkten  oder  unbeschränkten  Zutritt 
einräumten,  zu  militärischen  Stützpunkten  des  landesfürstlichen 
Heeres  umgeschaffen.  Bequeme  Handhabe  zur  Erlangung  dieses 
wichtigen  Rechts  bot  das  «Statutum  in  favorem  principum", 
welches  den  Neubau  von  Burgen  an  die  Genehmigung  durch  den 
Landesherm  band.  Außerdem  wurde  durch  alte  Gebote  der  Fürsten 
von  Österreich  vorgeschrieben,  dass  die  neue  Veste  in  der  Nähe 
schon  bestehender  Städte  oder  Burgen  nur  ohne  Schädigung  und 
mit  Zustimmung  der  betreffenden  Partei  von  jemanden  errichtet 
werden  dürfe,  der  in  der  Umgebung  mindestens  30  Pfund  Gülten 
Einkünfte  besaß.  Bei  Raubburgen,  die  kraft  gerichtlichen  UrtheUs 
zerstört  worden  waren,  mussten  vor  dem  Wiederaufbau  überdies 
die  Landherren  befragt  werden.  Da  jedoch  diese  Anordnungen, 
zumal  in  kriegerischen  Zeiten  oft  übertreten  wurden,  so  ergiengen 
bei  Rückkehr  geregelterer  Zustände  gewöhnlich  allgemeine  Erlässe, 
welche  die  Zerstörung  aller,  während  einer  gewissen  Zeit  in  uner- 
laubter Weise  entstandenen  Burgen  befahlen.  Freigegeben  war  nur 
der  Bau  leichter  Befestigungen  in  der  Ebene,  die  ohne  Zinnen  und 
Mordgänge,  nicht  über  zwei  Geschoße  hoch  erbaut  und  nur  mit 

einem  trockenen  Graben  umgeben  waren. "^ 

« 

§  33.  Die  landesherrlichen  Einkünfte  und  deren  Yerwaltnng. 

Bruder,  Studien  über  die  Finanzpolitik  Herzog  Rudolfs  IV.,  1886.  -< 
Dop  seh,  Beitrag  zur  Geschichte  der  Finanzverwaltung  Österreichs  im  13.  Jahrh. 
vMitth.  des  Instituts  für  österr.  Geschichte  XIV.,  S.  449  ff.)  —  Schalle,  österr. 
Finanzverwaltung  unter  Berthold  v.  Mangen,  1412—1436.  (Blätter  des  Vereins 
für  Landeslcunde  von  Niederösterreich  1881,  S.  277  ff.)  —  Schröder,  Rechtsge- 
schichte, §  50.  —  Seh  rotte r,  4.  Abhandlung  aus  dem  österr.  Staatsrecht.  — 
Schulte,  Reichs-  und  Rechtsgcschichte,  §  7fl.  —  Waitz,  Deutsche  Verfassungs- 
geschichte, VIII.,  216  ff.;  femer  die  oben  §  20,  Anm.  1,  angeführten  Quellen. 

1.  Die  Sonderung  des  Staatsvermögens  und  der  Staatsein- 
künfte vom  Privatvermögen  des  Landsherm  und  seinen  Einkünften 
war  dem  Mittelalter  nahezu  fremd,  dazu  kam,  dass  privatreehtliehe 

"^  Zur  Geschichte  dos  Burgen wesens  in  den  n.-ö.  Landen  vgl.  meine  Ab- 
handlung: ,Die  Entstehungszeit  des  österr.  Landesrechtes".  1872,  S.  11—16,  46  ff. 


202  Österreichische* Reidisgeschiehte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  33. 

Abgaben  und  Einkünfte  die  staatsrechtlichen  weit  überwogen  und 
dass  die  Entwicklung  der  Nutzrechte,  Gefälle  und  Steuern  mit 
der  Erstarkung  des  LandesfUrstenthums  zunahm.  An  erster  Stelle 
sind  darum  die  landesfürstlichen  Kamraergüter,  Domänen,  „domini- 
calia""  zu  nennen.  Sie  konnten  Allode  sein,  die  als  Stammgut 
hergebracht  waren,  oder  durch  kaiserliche  Schenkungen,  allmäh- 
liche AUodisierung  des  Reichsbodens,  Erbschaft  u.  dgl.  erwuchsen, 
oder  sie  waren  Lehen,  sei  es  des  Reichs,  sei  es  der  Kirchenfursten, 
oder  endlich  Pfandbesitz.  Für  die  Verwaltung  der  Domänen  hat 
der  verschiedene  Ursprung  derselben  wenig  ausgemacht. 

Dem  Bedürfnis  nach  Übersicht  über  den  landesfürstlichen  Be- 
sitz und  dessen  Einkünfte  wurde  durch  Hubbücher,  Urbare,  einer- 
seits und  durch  Führung  von  Ausgabe-  und  Einnahmebüchern 
(Rationarien)  andererseits  entsprochen.  Hubbücher  über  den  landes- 
fürstlichen Besitz  gab  es  schon  zu  Zeiten  der  Babenberger,  doch 
sind  sie  uns  nicht  erhalten.  Dagegen  haben  wir  Aufzeichnungen 
aus  der  Zeit  des  Zwischenreichs,  die  König  Otakar  in  Österreich 
um  1262—1265,  in  Steiermark  1265—1267  nach  planmäßiger 
Durchforschung  der  Länder  anlegen  ließ,  um  Einblick  in  die  landes- 
fürstlichen Kammergüter  und  Gefälle  zu  erlangen,  deren, sich  der 
Landesadel  nach  dem  Tode  Herzog  Friedrich's  IL  vielerorten  be- 
mächtigt hatte.  Ähnliche  Verzeichnisse  sind  für  beide  Lande  aus 
der  Zeit  Herzog  Albrecht's  L  vorhanden,  ebenso  Urbare,  die  Herzog 
Meinhard  II.  für  die  Grafschaft  Tirol  im  Jahre  1288  ausarbeiten 
ließ,  während  sie  für  Kärnten  und  Krain  noch  nicht  aufgefunden 
wurden.  Rechnungsbücher  sind  uns  für  Tirol  seit  dem  Ende  des 
13.  Jahrhunderts,  für  Österreich,  Steiermark  und  Kärnten  aus 
den  Jahren  1326—1338  erhalten. 

2.  Die  Einkünfte  aus  den  Domänen  entsprechen  im  ganzen  jenen, 
welche  die  Grundherren  aus  ihrem  Grundbesitz  zogen,  und  waren : 

a)  Naturalabgaben,  und  zwar  theils  Entgelt  für  die  Bodenbe- 
nützung, theils  Zehente,  1  Ehrungen  (Kleinrechte,  Weisat)  oder  Ver- 
gütung für  die  Befreiung  der  Grundholden  vom  Heeresdienst  (March- 
futter),^  Besthaupt  bei  Besitzänderungen  von  Todeswegen  u.  dgl. ; 

'  Die  Babenberger  besaßen  auch  Laienzehente.  Meiller,  B.  R.  20, 
Nr.  52,  zum  Jabre  1152. 

2  Brunner,  Exemtionsrecht  der  Babenberger  in  S.  B.  d.  k.  Akad.  d.  W., 
Bd.  47,  S.  343.  —  Schröder,  §§41,  48,  8.  419,  518  hält  dagegen  das  March- 
fntter  für  eine  Abgabe  von  allen  Neuculturen  an  den  Inhaber  des  Bodenregais. 


Einkünfte  ans  Domänen  und  Regalien:  Mttnzregal.  203 

b)  Naturalleistungen,  d.  i.  Hand-  und  Spanndienste  mancher- 
lei Art; 

c)  Geldabgaben,  u.  z.  sei  es  jährlich  wiederkehrende  (vor- 
nehmlich „der  Gelt"  genannt)  oder  größere  Beträge  beim  Besitz- 
wechsel; An-  und  Ablait,  der  20.,  IQ.  oder  S.Pfennig  des  Kauf- 
schillings u.  dgl.  Übrigens  wurden  mancherlei  Naturalabgaben 
und  Leistungen  seit  dem  13.  Jahrhundert  durch  vereinbarte  Geld- 
beträge abgelöst. 

Das  ganze  Mittelalter  hindurch  wurden  die  Domänen  als 
wichtigste  Einnahmsquelle  des  Fürsten  betrachtet.  Verkäufe,  Ver- 
leihungen und  Verpfändungen  hatten  aber  ihren  Bestand  im  Laufe 
der  Zeit  stark  vermindert  und  der  allmähliche  Übergang  zur  Geld  Wirt- 
schaft machte  die  Gewinnung  neuer  Geldmittel  immer  dringender. 
Nichtsdestoweniger  erwartete  man  noch  in  den  letzten  Jahren  K. 
FYiedrich's  IIL,  ja  selbst  unter  K.  Maximilian  L  eine  Besserung 
der  österreichischen  Finanzen  nicht  sosehr  von  der  Eröffnung 
neuer  Finanzquellen,  als  von  der  Reformierung  des  Kammerguts. 

3.  An  der  Spitze  der  vom  Reiche  abgeleiteten  Regalien 
stehen  die  gerichtlichen  Einkünfte:  Richtergelder,  Sühnen  und 
Bußen,  Wandel,  »denarii  de  judicio,  banna,  placita,  vadia" . . .  Der 
mittelalterlichen  Auffassung  entsprach  es,  dass  die  gerichtlichen 
Gefälle  nur  selten  unmittelbar  für  den  Staat  eingehoben  wurden. 
Oft  wurden  sie  verpfändet  oder  geradezu  verpachtet. 

4.  Das  Münzregal  begriff  das  Recht: 

a)  der  Ausprägung  des  Geldes  nach  einem  Münzfuß,  der  ge- 
wöhnlich von  der  Willkür  des  Berechtigten  abhieng  und  sich  im 
Laufe  der  Zeit  immer  mehr  verschlechterte.  Der  Gewinn,  den  die 
Münze  nach  dieser  Richtung  abwarf,  hieß  der  Schlagschatz; 

b)  aus  dem  Rechte  des  Münzwechsels,  das  auf  dem  Rechts- 
satz  beruhte,  dass  der  Pfennig  nur  dort  gelte,  wo  er  geschlagen 
wurde.  Im  Zusammenhang  damit  stand  die  Befugnis  zur  Münzab- 
würdigung  (— Verrufung,  —  Erneuerung),  d.  h.  zur  Einziehung  der 
alten  Münzen  gegen  Ausgabe  neuer  Gepräge.  In  Steiermark  war 
der  Münzherr  bei  Ausübung  dieses,  den  Verkehr  sehr  belästigenden 
Vorrechts  schon  durch  das  Privilegium  vom  Jahre  1237  an  die 
Zustimmung  der  Landherren  gebunden;  in  Österreich  verzichtete 
Herzog  Rudolf  IV.  auf  dasselbe  im  Jahre  1359  gegen  Einräumung 
des  Ungelds; 


204        österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  83. 

c)  das  Recht  zum  ausschließlichen  Ankauf  alles  im  Lande 
feilgebotenen  Silbers  um  einen  nach  eigenem  Ermessen  festge- 
setzten Preis. 

Eine  ausdrückliche  Verleihung  dieses  Regals  lässt  sich 
während  des  früheren  Mittelalters  fast  nur  bei  geistlichen  Fürsten 
nachweisen.  Die  Herzoge  scheinen,  solange  sie  noch  Reichsbeamte 
waren,  dies  Recht  kraft  Amtsgewalt  des  Königs  in  ihren  Sprengein 
beseßen  zu  haben.  Das  „Statutuminfavorem  principum*  1231  ord- 
nete dann  die  Reichsmünze  dem  Interesse  der  Landesherren  unter. 
Ausgeübt  haben  das  Münzrecht  die  Herzoge  von  Österreich,  Steier- 
mark und  Kärnten,  schon  im  12.,  die  Grafen  von  Qörz  und  Tirol 
seit  dem  Anfang  des  13.  Jahrhunderts. 

5.  Maut  und  Zoll  waren  ein  sehr  einträgliches  Regal,  das 
den  Straßenzwang  zur  Voraussetzung  hatte,  jedoch  durch  Ver- 
pfändung, Verpachtung  oder  Verleihung  vielfach  aus  der  unmittel- 
baren Verwaltung  des  Landesherrn  in  die  Hände  von  Stadtge- 
meinden oder  Privaten  übergieng.  Man  unterschied  Eingangs-, 
Durchgangs-  und  Ausfuhrzölle  und  kannte  schon  frühzeitig  Zoll- 
rückvergütung und  Zollcredit.  Das  österreichische  Landesrecht 
(Art.  68)  gewährte  den  Edelleuten  aus  Rücksicht  auf  deren  Kriegs- 
dienstpflicht Befreiung  von  Mauten  auf  Wasser  und  Land;  auf 
besonderen  herzoglichen  Gunstbriefen  beruhten  die  zahlreichen 
Mautbegünstigungen  für  Kirchen  und  Klöster,  sowie  für  die 
Bürgerschaft  bestimmter  Städte. 

6.  Das  Judenregal  nahmen  die  österreichischen  Herzoge 
schon  im  13.  Jahrhundert  für  sich  in  Anspruch,  wie  die  dem  Frei- 
heitsbriefe Kaiser  Priedrich's  IL  für  die  Wiener  Juden  (1238)  nach- 
folgenden Judenordnungen  Herzog  Priedrich's  II.  (1244)  und  König 
Otakar's  (1254,  1268)  erweisen.  Bestätigt  wurde  es  ihnen  durch 
Kaiser  Ludwig  IV.,  Karl  IV.,  König  Wenzel  u.  s.  w.,  auch  im  un- 
echten „Privilegium  majus"  wird  es  erwähnt.  Wie  im  Lande  unter 
der  Enns  gab  es  auch  in  den  übrigen  altösterreichischen  Landen 
während  des  Mittelalters  seßhafte  Juden.  Das  Judenregal  gab  be- 
deutende Einkünfte,  da  die  Herzoge  für  den  gewährten  Schutz 
ein  unbeschränktes  Recht  auf  Besteuerung  der  Juden  und  mancherlei 
andere  Leistungen  in  Anspruch  nahmen.  Die  mittelalterliche  Auf- 
fassung von  der  Stellung  der  Juden  als  „herzoglichen  Kammer- 
knechten" führte  überdies  zu  willkürlichen  Eingriffen  in  deren 


Zoll,  Judenregal»  Geleitsrecht,  Bergregal.  205 

Privatrechte,  die  sich  mit  der  heutigen  Rechtsansehauung  nicht  ver- 
einigen lassen.*  Mit  der  Austreibung  der  Juden  aus  Österreich  1421, 
aus  Steiermark  und  Kärnten  1496,  versiegten  diese  Einnahmsquellen. 

7.  Durch  die  Unsicherheit  der  Zeiten  hatte  sich  allmählich 
auch  das  Geleitsrecht  als  eine  Einnahmsquelle  herausgebildet, 
die  durch  das  „Statutum  in  favorem  principum''  den  Landesherren 
zugesprochen  wurde.  Wer  sein  Gut  daran  wagen  will,  der  ist  von 
der  Verpflichtung,  Geleite  zu  nehmen,  frei,  erklären  der  Sachsen- 
und  Schwabenspiegel.  (IL,  27  und  §  194.)  Swenne  aber  (der)  here 
geleite  gibt,  der  sol  im  schaderl  beivaren  hinnen  sine  geleite  oder  her 
sal  iz  inne  gelten.  Aus  den  Geleitsbriefen  und  den  späteren  Ge- 
sundheitszeugnissen in  Pestzeiten  hat  sich  in  der  Folge  das  Pass- 
wesen entwickelt. 

8.  Das  Recht  auf  erbloses  Gut,  zu  welchem  auch  der  Nach- 
lass  Unehelicher  gerechnet  wurde,  bestand  für  die  österreichischen 
Herzoge  schon  zur  Zeit  der  Babenberger.  Daneben  gab  es  Ansprüche 
des  Fiscus  auf  gefundene  Schätze  und  auf  die  beweghche  Habe 
im  Nachlass  der  Bischöfe.  Obwohl  die  Kaiser  auf  dieses  sogenannte 
Spolienrecht  schon  im  12.  und  13.  Jahrhundert  zu  Gunsten 
der  Kirche  feierlich  verzichtet  hatten,  so  übten  es  doch  die  öster- 
reichischen Herzoge  noch  in  der  zweiten  Hälfte  des  14.  Jahrhunderts. 

9.  Bergregal.  Schon  seit  dem  Anfang  des  11.  Jahrhunderts 
lassen  sich  Beispiele  aus  unsern  Gegenden  dafür  anführen,  dass 
durch  die  deutschen  Könige  das  Schürfen  auf  Erze  als  Gunst  ge- 
währt wurde.  Seit  Kaiser  Friedrich  L  wurde  die  Gewinnung  edler 
Metalle  als  Vorbehalt  des  Reichsoberhauptes  betrachtet,  der  aber 
sein  Regal  im  Wege  besonderer  Gnade  an  viele  geistliche  und 
weltliche  Große  weiter  gab.  So  kam  es  sowohl  in  die  Hände 
der  Beherrscher  der  altösterreichischen  Lande  als  auch  aus- 
wärtiger Reichsstände,   die  hier  begütert  waren,   ja  es  wurde 

*  Stobbe,  Die  Jaden  in  Deutschland  während  des  Mittelalters.  1866.  —  Ge- 
schichtUches  Material,  das  jedoch  im  Vergleiche  zu  dem  in  Archiven  noch  vor- 
handenen sehr  dürftig  ist,  bietet  Wiener,  Regesten  zur  Geschichte  der  Juden 
in  Deutschland,  L,  S.  217  ff.  —  Die  Herzoge  Albrecht  III.  und  Leopold  111.  schrieben 
einmal  eine  allgemeine  Judenstouer  von  10.000  Pfund  Pfennig  für  Österreich 
aus,  von  deren  Bezahlung  jene  Juden  ausgenommen  waren,  die  sich  auf  jähr- 
liche Pauschbeträge  (bis  zu  200  fl.  für  Einzelne)  verglichen  hatten.  Außerdem 
waren  die  Juden  zur  Lieferung  des  Bettzeuges  an  den  Herzogshof  verpflichtet.  — 
Kurz,  Österreich  unter  Herzog  Albrecht  IV.,  2.  Bd.,  101  ff. 


206         Österreichische  Reiohsgeschichte.  I.  TheiL  Zweite  Periode.  §  33. 

selbst  landsäßigen  Klöstern  und  andern  Grundherren  auf  ihren  Be- 
sitzungen verliehen.  Ebensowenig  wie  der  Bergbau  stand  anfängt 
lieh  der  Salinenbetrieb  den  Herzogen  ausschließend  zu.  Erst  als 
sie  im  Laufe  der  Zeit  in  den  Besitz  der  wichtigsten  Salzlager 
kamen  und  den  Wert  erkannten,  den  diese  Einnahmsquelle  für  die 
landesfürstlichen  Finanzen  hatte,  entstand  gegen  Ende  des  Mittel- 
alters der  Gedanke,  die  Salzerzeugung  zu  monopolisieren,  der  dann 
allmählich  durch  Ablösung  der  privaten  Berechtigungen,  zumal 
durch  Anweisung  bestimmter  Salzmengen  bei  den  landesfürstlichen 
Salinen,  durchgeführt  wurde. 

10.  Zu  nennen  sind  endlich  das  Forst-,  Jagd-  und  Fischerei- 
regal. Die  Bannforste  bestanden  in  landesherrlichen,  der  Gemeinde- 
bentitzung  entzogenen  Waldungen,  über  welche,  soweit  sie  nicht 
durch  Schenkungen  oder  Verkäufe  u.  dgl.  in  die  Hände  von 
Privaten  übergegangen  waren,  durch  Forstbeamte  die  Aufsicht 
geführt  wurde.  Ähnlich  verhielt  es  sich  mit  der  Fischerei  und 
Jagd,  welch  letzere  jedenfalls  mehr  um  des  Vergnügens  denn 
um  des  Ertrags  willen  als  Regal  aufrecht  erhalten  und  meistens 
nur  im  gewissen  Umfange  manchen  Grundherren  überlassen  wurde. 

Das  in  Innerösterreich  vorkommende  Forst-  und  Jäger- 
recht scheint  eine  Abgabe  in  Getreide  oder  Geld  gewesen  zu 
sein,  die  den  Unterthanen  gewisser  Dominien  für  den  Unterhalt  der 
Förster  und  Jäger  auferlegt  war.  Doch  dürfte  die  Entrichtung  des 
Forstrechts  zugleich  Anspruch  auf  Waldnutzung  gegeben  haben 
und  vsrurde  der  Ausdruck  Jägerrecht  auch  im  Sinne  einer  an  den 
Jagdherrn  abzuliefernden  Leistung  angewandt. 

11.  Dagegen  war  das  Steuerwesen*  in  den  altösterreichischen 
Landen  im  Mittelalter  nur  wenig  entwickelt.  Die  Anfänge  der 
landesfürstlichen  Besteuerung  liegen  im  Dunkeln.  Von  alter  Zeit 
her  gab  es  gewisse  öffentliche  Abgaben,  die  insoweit  den  Gebüren 
verglichen  werden  können,  als  sie  Entgelt  für  Übernahme  ge- 
wisser Leistungen  und  Handlungen  durch  den  Landesherrn  oder 
dessen  Organe  waren.  Hieher  gehörten  wohl  ursprünglich  das 
oben  (2)  erwähnte  Marchfutter  und  die  im  österreichischen  Land- 


*  Ad.  Wagner,  Pinanzwissenschaft  III.,  1.  Abth. :  Steuergeschichte  1886.  — 
Hof  f  mann  Ludw.,  Geschichte  der  directen  Steuern  in  Baiern,  1883.  —  Zeumer  K., 
Die  deutschen  Städtesteuom,  1878  (beide  Arbeiten  in  den  Staats-  und  socialwissen- 
schaftlichen  Forschungen  h.  von  Schmoll  er,  Bd.  IV.  und  I.). 


Forst-  und  Jagdre^al,  Steuerwesen.  207 

recht,  Art.  45,  geregeKe  Heersteuer,  ferner  die  Landgerichtspfennige. 
Alle  diese  haben  mit  der  Zeit  ihren  ursprünglichen  Charakter  ver- 
loren, wurden  mit  Grund  und  Boden  verbunden  und  gelangten 
durch  Kauf,  Schenkung,  Leihe  oder  Verpfandung  aus  den  Händen 
öffentlicher  Personen  vielfach  in  die  Hände  der  Grundherren,  oder 
sanken  zu  Sportein  herab. 

Es  gab  aber  auch  ähnliche  Leistungen  privatrechtlichen  Ur- 
sprungs, die  sich  zumal  in  den  Immunitätsgebieten  ausgebildet 
hatten.  Hiftr  wurde  die  Vogtei  Anlass  zu  Heischungen  mancher 
Art  (petitio,  Bede,  exactio,  coUecta),  die  im  13.  Jahrhundert  hin 
und  wieder  schon  zu  regelmäßig  wiederkehrenden  Abgaben  der 
Vogteileute  geworden  waren. 

Auch  die  Grundherren  nahmen  bisweilen  neben  den  herge- 
brachten Diensten  und  Prohnden  ihrer  Unterthanen,  von  diesen 
noch  besondere  Reichnisse  als  ihr  Recht  in  Anspruch.  Dieses  Ur- 
sprungs waren  die  sogenannten  Ehrungen  oder  die  Weisat,  die 
allmählich  zur  bleibenden  Belastung  wurden;  dazu  kam  die  Ab- 
forderung  von  Beihilfen  in  außerordentlichen  Fällen,  wie  bei  Ein- 
hebung des  bischöflichen  cathedraticum,  oder  der  Auflage  von 
päpstlichen  oder  Legatensteuem  auf  die  geistlichen  Grundherren. 

12.  Was  so  die  Grundherren  überhaupt  thaten,  das  bean- 
spruchten umsomehr  die  Landesherren,  soweit  sie  selbst  Grund- 
herren waren,  d.  h.  soweit  ihre  Domänen  und  das  übrige  Kammer- 
gut reichte.  Die  Babenberger  haben  solche  Beden  in  Österreich 
durch  ihre  Büttel  von  den  eigenen  Grundholden  schon  im  12.  Jahrh. 
erhoben;  in  den  Hubbüchern  aus  dem  13.  Jahrh.  werden  diese 
Abforderungen  bereits  zu  den  jährlichen  Abgaben  gerechnet  und 
Steuern  genannt. 

Gewohnheitsrechtlich  hatte  sich  femer  die  Anschauung  heraus- 
gebildet, dass  der  Landesherr  in  Fällen  zwingender  Nothwendig- 
keit  allgemeine  außerordentliche  Hilfen  (Steuern)  ausschreiben  dürfe. 
Dieser  Satz,  den,  soviel  bekannt  ist,  Erzbischof  Konrad  von  Mainz 
im  Jahre  1183  zuerst  verkündete,^  wurde  in  Österreich  seit  Herzog 
Priedrich's  H.  dem  Streitbaren  öfter  zur  Anwendung  gebracht. 

13.  Der  Umfang,  in  welchem  die  Steuerhoheit  den  öster- 
reichischen Herzogen  zukam,   war  nicht  bloß  nach  ihren  Landen 


^  Zeumer,  9. 


208        österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  33. 

verschieden,  sondern  hieng  auch  davon  ab,«  ob  es  sich  um  eine 
ordentliche  oder  außerordentliche  Abgabe  handelte.  Das  Be- 
steuerungsrecht der  Herzoge  war  jedenfalls  in  Österreich  viel 
weniger  beschränkt,  als  in  Steiermark,  wo  die  Bestimmung  ab 
infestationibiis  ei  exactionibus  quas  per  precones  Austrice  fieri  cogno- 
virmts,  terram  nostrce  ditionis  sicut  actenus  extitit  exemptatn  esse 
decemimus  der  1186  bei  Abschluss  des  Erbvertrages  zwischen 
den  Traungauern  und  Babenbergern  ausgestellten  Handfeste,  auch 
in  der  Folgezeit:  1237,  1277,  1292  u.  s.  w.  erneuert  wurde.  Damit 
dürfte  zusammenhängen,  dass  die  Jahrzeitbücher,  die  im  13.  und 
14.  Jahrh.  nicht  selten  die  Auflage  drückender  Steuern  erzählen, 
dies  stets  nur  von  Österreich  und  niemals  von  Steiermark  be- 
richten. 

14.  Der  ordentlichen  Steuer  des  Landesherm,  welche  sich  an 
den  hergebrachten  Satz  hielt  oder  denselben  nur  mäßig  über- 
schritt, unterlagen  wohl  in  allen  altösterreichischen  Landen :  a)  seine 
Hintersassen  auf  den  Domänen,  die  damals  im  engeren  Sinne 
„seine  Unterthanen"  hießen;  b)  die  Hintersassen  der  Kirchen,  über 
welche  dem  Herzog  die  Vogtei  zukam,  die  „Vogtholden" ;  c)  die 
landesfürstlichen  Städte  und  Markt«;  d)  die  Juden. 

Die  außerordentliche  Besteuerung,  welche  vor  allem  die  Klagen 
über  Steuerdruck  veranlasste,  erstreckte  sich  überdies  auf  die  Ein- 
künfte oder  das  Vermögen  der  Kirchen  und  Klöster,  der  Land- 
herren und  der  Ritterschaft  und  der  von  ihnen  abhängigen  Bauern. 
Die  Besteuerung  des  Kirchenvermögens  und  seiner  Einkünfte  sollte 
nach  canonischen  Vorschriften  von  der  Zustimmung  des  kirchlichen 
Obern  abhängen ;  es  scheint  jedoch,  dass  sich  die  österreichischen 
Herzoge  nicht  daran  hielten,  sondern  ein  selbständiges  Besteue- 
rungsrecht ihres  Clerus  für  sich  in  Anspruch  nahmen.® 

Dagegen  bestand  im  Gesammturtheil  des  Reichshofgerichts 
vom  1.  Mai  1231,  das  die  Einführung  neuer  Abgaben  an  die  vor- 
gängige Zustimmung  der  »meliores  et  majores  terrae"  band,  zweifel- 
los eine  Schranke,   sobald  die  außerordentliche  Beitragsleistung 


®  Für  diese  auch  von  F.  Kurz  gotheilte  Ansicht  (Österreich  unter  Herzog 
Albrecht  IV.,  Bd.  2,  S.  228)  spricht  vor  allem,  dass  sich  Kirchen  und  Klöster 
von  den  österr.  Herzogen  das  Recht  verbriefen  ließen,  solche  Steuern  auf  ihre 
Qrundholden  überwälzen  zu  dürfen.  So  z.  B.  das  Stift  Reun  von  König  Friedrich 
dem  Schönen,  den  Herzogen  Albrecht  und  Otto  (1316,  1334,  1337). 


Ordentliehe  und  außerordentliche  Steuern.  209 

auch  auf  die  Herren  und  Ritter  und  auf  die  von  ihnen  abhängige 
Bauernschaft  ausgedehnt  werden  sollte.  (Vgl.  §  28,  12  a.)  Selbst 
für  die  Steuer,  welche  1429  zur  Abwehr  der  Hussiten  „durch 
Rettung  willen  des  Landes ""  bewilligt  worden  war,  musste  folge- 
richtig Herzog  Albrecht  V.  den  Herren  und  Rittern  von  Öster- 
reich die  Erklärung  ausstellen,  dass  sie  ihrem  Steuerbewilligungs- 
rechte keinen  Eintrag  bringen  solle. 

15.  Die  außerordentlichen  Steuern  wurden  vor  allem  als 
Grundsteuer,  Kopfsteuer  oder  Vermögenssteuer  erhoben  und  waren 
meist  contingentiert.  Der  Anschlag  wurde  auf  den  Grundherrn, 
die  Bürgerschaft  emer  Stadt,  die  Juden  eines  Landes  gemacht 
und  diesen  die  Anlage  auf  die  einzelnen  Steuerpflichtigen,  sowie 
die  Einbringung  überlassen.  Steuern,  welche  die  Landstände  be- 
willigt hatten,  wurden  auch  von  diesen  umgelegt  und  eingehoben. 
Bei  der  Grundsteuer  war  Steuereinheit  die  Hube,  deren  Zahl  man 
zuweilen  nach  den  an  einem  Hofe  befindlichen  Pflügen  bemaß, 
und  1237  mit  zwei,  1277  mit  einem  Schilling- 4)  ^^^^  ^^^  einem 
Groldgulden  belegte,  ferner  seit  1277  das  Joch  Weingartengrund 
und  die  Hofstätte.  Auch  die  Abgabe  (1  ß  4)  von  jedem  Mühlrad, 
die  König  Rudolf  im  Jahre  1277  in  Österreich  ausschrieb,  war 
als  Realsteuer  gedacht.  Den  Übergang  zu  Ertragssteuem  bUdete 
die  Besteuerung  der  Weingärten,  nicht  nach  der  Fläche,  sondern 
nach  dem  abgeschätzten  Ertrage,  von  welchem  V^o  als  Steuer 
erhoben  wurde  (1315,  1337,  1353).  Kopfsteuern  gab  es  1336  und 
1339.  Vermögenssteuern  wurden  vor  allem  von  der  Bürgerschaft 
und  den  Juden  erhoben,  die  man  als  steuerkräftiger  ansah  und 
darum  stärker  heranzog,  so  dass  z.  B.  Wien  im  Jahre  1424  außer 
der  gewöhnlichen  Steuer  von  2000  Pfund  Pfennig  auch  noch  mit 
einer  außerordentlichen  von  8000  fl.  und  mit  einem  Zwangs- 
darlehen von  12.000  fl.  belastet  wurde.  Dass  der  Gewerbebetrieb 
auch  ohne  Erlangung  des  Bürgerrechts  die  Steuerpflicht  begründe, 
war  schon  im  14.  Jahrhundert  anerkannt.  Besonders  früh  war  das 
Steuerwesen  in  Tirol  ausgebUdet.  In  den  Amtsrechnungen  vom 
Jahre  1303,  die  im  2.  Bande  von  Chmel's  „Österreicliischem  Ge- 
schichtsforscher* abgedruckt  sind,  erscheinen  neben  einer  allge- 
meinen Landsteuer  (stiura  generalis,  st.  provincialis)  wiederkehrende 
Schatzsteuern  der  Städte,  Vieh-  und  Pferdesteuern  in  Geld  ange- 
schlagen, Küchensteuern,  die  in  Ablieferung  von  Groß-  und  Klein- 

Lascbin,  Osterreichische  Reichsgeschichte.  14 


210        österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  33. 

vieh  bestanden,  und  dgl.  mehr;  1315  ist  hier  von  einer  Hochzeits- 
steuer die  Rede. 

Von  indirecten  Abgaben  ist  außer  den  oben  (5)  erwähnten 
Zöllen  das  Ungeld  zu  nennen,  das  auch  wohl  zu  den  Mauten  im 
weitern  Sinne  gerechnet  wurde.  Es  bestand  in  einer  Abgabe  von 
allem  zum  Ausschank  bestimmten  Getränk  und  kam  in  Unterkrain 
schon  im  J.  1265  vor,  als  „denarius  quem  judex  noster  (des  Herzogs 
von  Kärnten)  consuevit  recipere  pro  urna  vini  vendita  ab  homini- 
bus  ecclesie  Frisingensis".  In  Österreich,  wo  es  in  der  ersten  Hälfte 
des  14.  Jahrh.  nachweislich  ist,  wurde  es  zuerst  in  geschlossenen 
Orten  eingeführt  und  1359  mit  Zustimmung  der  Landschaft  auch  auf 
das  flache  Land  ausgedehnt,  wogegen  Herzog  Rudolf  auf  das  ihm 
zustehende  Recht  der  willkürlichen  Münzemeuerung  verzichtete. 

16.  Bis  zum  Schluss  des  Mittelalters  war  die  Verwaltung 
der  Finanzen  in  Österreich  nur  wenig  entwickelt,  d.  h.  auf  die 
großen  Anläufe  im  13.  Jahrhundert  unter  König  Otakar  und  Herzog 
Albrecht  I.,  die  zu  planmäßiger  Aufzeichnung  der  Kammerguts- 
bestände  und  Einkünfte  geführt  hatten,  folgte  ziemlich  allgemeiner 
Stillstand.  Einem  solchen  entspricht  die  verworrene  Anlage  des 
Einnahmen-  und  Ausgabenbuchs  der  österreichischen  Herzoge  aus 
den  Jahren  1326—1338,  an  dem  aber  bemerkenswert  ist,  dass 
es  sich  nicht  auf  ein  einzelnes  Land  beschränkt,  sondern  die 
Einnahmsquellen  dreier  Länder  berücksichtigt.  Spätere  Aufzeich- 
nungen fehlen  für  die  fünf  niederösterreichischen  Lande  größten- 
theils,  nicht  so  in  Tirol,  wo  abgesehen  von  manchem  Vorläufer 
aus  den  Jahren  1288—1437,  die  Rechnungsbücher  unter  Herzog 
Sigmund  im  Jahre  1460  einsetzen  und  in  ununterbrochener  Folge 
bis  zum  Jahre  1757  reichen.  Sie  enthalten  im  ersten  Theil  sämmt- 
liche  Einnahmen  des  landesfürstlichen  Kammermeisters,  im  zweiten 
alle  Ausgaben  für  den  Hofhalt,  die  Regierung,  für  Sold,  Provi- 
sionen, Gnadengehalte  u,  dgl.  und  verrathen  schon  im  Mittelalter 
eine  hochentwickelte  Buchführung.^ 

17.  Die  österreichische  Finanzverwaltung  entbehrte  während 
des  Mittelalters  einheitlicher  Einrichtungen  sowie  der  Vereinigung 
zu  einem  höheren  Ganzen  und  umfasste  im  günstigsten  Falle  die 

'  Die  Rechnung  vom  Jahre  1484  schließt  z.  B.  mit  150.864  fl.  4  kr.  2Vs 
Vierer  an  ordentlichen  und  außerordentlichen  Einnahmen,  gegen  150.736  fl.  3  ki. 
1  Vierer  Ausgaben  ab. 


Das  Ungeld;  die  Finanzbeamten  der  österr.  Herzoge.  211 

Einnahrasquellen  eines  ganzen  Landes.  Zur  Zeit  König  Otakar's, 
der  Doppelbesetzung  der  Ämter  aus  Verwaltungsrücksichten  liebte, 
werden  je  zwei  Kammergrafen  von  Österreich  und  Steiermark 
genannt,  doch  scheint  es,  dass  nicht  diese,  sondern  die  schon 
früher  vorkommenden  Landschreiber  (scriba  Stiriae  seit  1222, 
scriba  ducis  in  Aneso  seit  1240,  scriba  et  procurator  Austrise  1275) 
die  virichtigste  Stellung  in  der  Pinanzverwaltung  einnahmen.  Die 
Rechnungen  aus  den  Jahren  1326 — 1338  zeigen  indessen,  dass 
mancherlei  Ämter  und  Gerichte,  die  Salinen,  Mauten,  die  Wiener 
Münzstätte,  ihre  Einnahmen  und  Ausgaben  mit  den  Herzogen  un- 
mittelbar verrechneten,  es  waren  mithin  damals  die  verschiedenen 
herzoglichen  Keller-  und  Forstmeister,  die  Hubmeister  zu  Wien  und 
Steiermark,  die  „Marchfutterer**,  ja  selbst  einige  Pfleger  der  landes- 
fürstlichen Domänen  den  Landschreibern,  mit  der  Rechnung  noch 
nicht  unterworfen.  Während  der  zweiten  Hälfte  des  14.  Jahr- 
hunderts kam  dann  in  Österreich  der  Hubmeister  aus  seiner 
früheren  Stellung  als  Einsammler  der  zum  landesfürstlichen  Urbar 
gehörigen  Einkünfte  an  die  Spitze  der  ganzen  Finanzverwaltung. 
Ähnlich  gestaltete  sich  die  Stellung  des  Kammermeisters  in 
Tirol,  während  die  Kammermeister  in  Österreich  wohl  Hof  beamte 
blieben.  Die  Landesvicedome  in  Kärnten  und  Krain  und  der 
Landschreiber  in  Steiermark  waren  zwar  die  ersten  Finanz- 
beamten im  Lande,  hatten  aber  wahrscheinlich  einen  beschränk- 
teren Wirkungskreis  als  die  österreichischen  Hubmeister  seit  Rudolf 
von  Tima  (1388 — 1391).  Nur  die  wenigsten  der  landesfürstlichen 
Finanzorgane  waren  übrigens  Beamte,  viele  waren  Pächter  der 
Amtseinkünfte,  andere  waren  mit  ihren  Ansprüchen  statt  auf  Sold, 
auf  einen  Theil  des  Amtsertrages  angewiesen.  Die  Wahl  der 
HUfskräfte  war  ihnen  meist  freigegeben,  nur  scheint  bei  Mauten 
und  einigen  Ämtern  schon  frühzeitig  die  Bestellung  eines  zweiten 
Beamten  als  Qegenschreibers  üblich  geworden  zu  sein,  ebenso 
stand  dem  Hubmeister  ein  besonderer  Hubschreiber  zur  Seite. 

18.  Noch  weniger  als  die  Verwaltung  der  Einkünfte  war  das 
Ausgabenwesen  der  österreichischen  Herzoge  geregelt.  Da  zwischen 
dem  Staats-  und  dem  herzoglichen  Vermögen  lange  Zeit  nicht  unter- 
schieden wurde,  so  konnte  der  Herzog  nach  seinem  Ermessen  über 
die  Einnahmsquellen  und  deren  Erträge  verfügen.  Ein  großer  Theil 
der  Ausgaben  entfiel  auf  den  persönlichen  Unterhalt  des  Herrschers, 

14* 


2 1 2     österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  33  und  34. 

seines  Hauses  und  der  zahlreichen  Hofleute,  die  sein  Gefolge 
bildeten.  Andere  wurden  für  reine  Regierungszwecke  verausgabt: 
zur  Bezahlung  der  Beamten,  Erbauung  von  Landesburgen,  Aus- 
lösung von  verpfändeten  Domänen,  Abtragung  von  Schulden  u.  s.  w. 
Außerdem  sollte  ein  Schatz  für  unvorhergesehene  Fälle,  zum  An- 
kauf von  Gütern  u.  dgl.  zurückgelegt  werden.  Viele  Auslagen 
wurden  nicht  in  Geld,  sondern  durch  Zuwendung  von  Naturalbe- 
zügen beglichen,  so  namentlich  die  sogenannte  Burghut  (das  ist  die 
Verpflichtung  zum  Schutz  einer  Burg)  theils  durch  die  Lieferungen 
von  Getreide  und  Fleisch,  theils  durch  Einräumung  bestimmter 
Grundstücke  gedeckt.  Fehlte  es  aber  gerade  an  Geld,  so  versetzte 
man  dem  Gläubiger,  wenn  die  Forderung  bedeutend  war  irgend 
ein  unbewegliches  Gut,  oder  Fahrhabe  wenn  es  sich  um  kleinere 
Beträge  handelte,  die  man  bald  zu  tilgen  hoffte.  Die  Pfandlösung, 
^phantloes",  spielt  darum  in  den  Ausgaben  eine  große  Rolle- 
Bestand  der  Gläubiger  auf  Zahlung  in  Geld,  so  wurde  er  ge- 
wöhnlich auf  die  Einkünfte  einer  bestimmten  Einnahmsquelle: 
eines  Amtes,  eines  Gerichts,  einer  Maut,  Münzstätte  u.  dgl.  ange- 
wiesen, mitunter  ihm  auch  diese  selbst  bis  zu  seiner  Befriedigung 
in  Pfand  gegeben.  Dass  bei  Einhaltung  dieser  Gepflogenheiten 
die  Übersichtlichkeit  der  Finanzverwaltung  verloren  gehen  musste, 
lässt  sich  leicht  begreifen.  Es  litt  jedoch  nicht  bloß  das  öffentliche 
Interesse  derunter,  sondern  auch  das  der  privaten  Gläubiger,  die 
nur  in  den  seltensten  Fällen  auf  den  Eingang  ihrer  Forderungen 
zur  richtigen  Zeit  rechnen  konnten. 

§  34.  Die  wirtschaftlichen  Zustände  während  der  Jahre 

1000—1500. 

Literatur  bei  §  11  außerdem :  A  rn  o  Id  W.,  Cultur-  und  Rechtsieben,  1865.  — 
Horawitz  A.,  Zur  Geschichte  der  Klosterwirtschat't.  (Zeitschrift  für  deutsche 
Culturgeschichte,  1872/3,  N.  F.  Bd.  1,  2).  Zur  Geschichte  der  volkswirtschaft- 
lichen Verhältnisse  in  Niederösterreich.  (Bi.  für  Landeskunde  von  N.-Ö.,  Bd.  17.)  -- 
Lamprecht,  Deutsche  Geschichte,  III,  IV.  —  M e i t z e n,  Siedelung  und  Agrar- 
wesen  der  Westgermanen  und  Ostgermanen  u.  s.  w.  3  Bde.  (im  Erscheinen).  — 
Nagl  A.,  Die  Goldwährung  und  handeismäßige  Goldrechnung  im  Mittelalter. 
(Wiener  nura.  Zeitschrift,  Bd.  20,  1895.)  —  S aller.  Zur  Geschichte  der  Preis- 
bewegung in  N.-Ö.  —  Schalk,  Quellenbeiträge  zur  älteren  niederöst.  Verwaltungs- 
und Wirtschaftsgeschichte.  (Beide  in  den  Blatt,  für  Landeskunde.  Bd.  4—6,  21.)  — 
Tille  A.,  Die  bäuerliche  Wirtschafts  Verfassung  des  Vintschgaues.  1895. 


Landesfiirstl.  Ansgalien.  —  Klostergründnngen  vor  dem  Jahre  1200.     213 

1.  Die  altösterreichischen  Lande  waren  ums  Jahr  1000,  das 
Küstengebiet  und  Südtirol  etwa  ausgenommen,  noch  schwach 
bevölkert  und  wirtschaftlich  wenig  entwickelt.  Es  fehlte  an 
Arbeitskräften  und  an  der  für  allgemeines  Gedeihen  unentbehr- 
lichen Sicherheit  nach  innen  und  außen.  Der  Großgrundbesitz 
überwog  und  hatte  den  freien  bäuerlichen  Besitz  schon  nahezu 
aufgesogen.  Dem  ungeachtet  kam  es  nicht  zur  Latifundienwirtschaft 
wie  im  Römerreich,  weil  die  Großgrundbesitzer  den  Überschuss 
an  Grund  und  Boden,  den  sie  nicht  im  Eigenbetrieb  verwerteten, 
durch  die  Landleihe  in  Hände  von  abhängigen  Leuten  gelangen 
ließen,  die  Nutzungsrechte  daran  hatten  und  als  Vergeltung  den 
Herren  gewisse  wiederkehrende  Leistungen  in  Früchten,  Gteld  oder 
Arbeit  entrichteten.  Noch  gab  es  weite  Landstrecken,  die  ohne 
allen  Ertrag,  oder  von  dichtem  Wald  bedeckt  waren  und  selbst 
dem  inselartig  eingesprengten  Ackerboden  wurde  nur  wenig  ab- 
gewonnen, da  es  immer  und  überall  an  Menschen  mangelte.  Die 
erste  Aufgabe,  um  diese  wichtigen  und  zum  TheUe  neugewonnenen 
Grenzgebiete  dem  Reiche  zu  erhalten,  blieb  also  die  Heranziehung 
von  Arbeitskräften.  Allein  die  Zeit  war  vorüber,  in  der  ein  Karl 
der  Große  aus  den  königlichen  Meierhöfen  Musteranstalten  ge- 
macht hatte,  so  wurde  denn  von  reichswegen  kein  ernstlicher 
Versuch  unternommen,  die  Besiedlung  dieser  Gegenden  selbst 
durchzuführen.  Die  Könige  entschieden  sich  vielmehr  für  mittel- 
bare Förderung  dieses  als  wichtig  erkannten  Unternehmens  durch 
Leihe  oder  Schenkung  des  ertraglosen  Bodens  an  geistliche  oder 
weltliche  Große. 

2.  Bis  gegen  das  13.  Jahrhundert  kann  man  nicht  bloß  das 
Jahr  der  königlichen  Landschenkungen,  sondern  noch  mehr  den 
Zeitpunkt  in  welchem  die  Gründung  neuer  Klöster  erfolgte,  zu 
Rückschlüssen  auf  den  Gang  der  Besiedelung  verwerten.  Sieben- 
unddreißig unter  40  Stiftungen  der  Agilolißnger  entfallen  auf  Alt- 
bayern und  Salzburg,  nur  drei:  Mondsee,  Kremsmünster  u^id  das 
von  der  Schamitz  nach  Innichen  übertragene  ChorheiTenstift  auf 
das  Land  ob  der  Enns  und  Tirol ;  an  diese  reihten  sich  bis  gegen 
das  Jahr  1000  nur  noch  St.  Florian  und  St.  l^ölten.  Das  11.  Jahr- 
hundert brachte  in  den  österreichischen  Alpengegenden  zumeist 
den  Benedictinem  ein  Dutzend  neuer  Klöster,  am  ergiebigsten 
aber  waren  die  Jahre  1101  bis  1150,  in  welchen  24  neue  Klöster 


214        österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  34. 

entstanden  und  der  Cistercienserorden  seinen  Einzug  in  Österreich, 
Steiermark  und  Kärnten  hielt ;  diesem  folgten  in  der  zweiten  Hälfte 
des  12.  Jahrhunderts  die  Karthäuser  und  Prämonstratenser  mit 
fünf  Niederlassungen  unter  acht  Klostergründungen. 

3.  Mit  jedem  neuen  Kloster  war  in  jenen  Zeiten  der  Mittel- 
punkt einer  trefflich  eingerichteten  Großwirtschaft  gegeben,  deren 
Einfluss  sich  weit  über  die  nächste  Umgebung  der  Niederlassung 
erstreckte.  Dazu  trug  bei,  dass  von  Anbeginn  die  Ausstattung  eines 
Klosters  Ländereien  an  sehr  verschiedenen  Orten  umfasste,  um 
den  Eigenbedarf  an  Getreide,  Fischen,  Wein,  Holz  u.  s.  w.  nach 
den  Grundsätzen  der  Naturalwirtschaft  sicherzustellen;  spätere 
Schenkungen  haben  dann  den  Streubesitz  noch  vermehrt  Daher 
erwuchs  alsbald  das  Bedürfnis  nach  Übersicht  und  Gliederung 
dieses  Besitzes,  denn  hier  war  man  Obereigenthümer,  dort  hatte 
man  selbst  zu  Zinsen,  auf  jenem  Gute  arbeiteten  eigene  Leute, 
da  gab  es  Zehntner,  dies  Gut  war  auf  Leibgeding  verliehen  u.  s.  w., 
kurz  der  Pater  Kellermeister  (cellerarius)  musste  einen  weiten 
Blick  haben  und  ein  rechtskundiger  Mann  sein,  um  alle  Ansprüche 
des  Klosters  verfolgen  zu  können. 

Erleichtert  wurde  ihm  sein  schweres  Amt  durch  schriftliche 
Behelfe  mancherlei  Art,  die  auf  das  sorgfältig  gehütete  und  schon 
in  alter  Zeit  geordnete  Archiv  zurückführten :  Urbare  verzeichneten 
den  Besitzstand  des  Klosters  und  die  ihm  geschuldeten  Leistungen, 
Register  und  Copialbücher  boten  Auszüge  oder  Abschriften  der 
Rechtstitel,  zu  deren  Geltendmachung  gegen  Ende  des  Mittel- 
alters auch  wohl  ein  eigener  , Jurist"  besoldet  wurde. 

4.  Die  eigentlichen  Sammelplätze  klösterlicher  Einkünfte 
waren  die  Ämter  (officia)  oder  Meierhöfe  (curia,  villa,  bei  den  Cister- 
ciensem  grangia  genannt).  Sie  unterstanden  einem  Amtmann 
(officialis)  oder  Meier  (villicus),  in  slavischen  Gegenden  Supan  ge- 
heißen, der  meist  dem  Laienstande  angehörte.  An  diesen  wurden 
von  den  untergebenen  Bauern  die  schuldigen  Dienste  und  Abgaben 
geleistet,  aus  welchen  zunächst  der  Wirtschaftsbedarf  des  Amtes 
bestritten  wurde.  Der  Überschuss  wanderte  an  den  Pater  Keller- 
meister, der  über  Soll  und  Haben  des  Klosters  (exposita  et  percepta) 
genaue  Aufschreibung  hielt,  auch  wohl  wie  in  Göttweig  neben 
dem  Registrum  majus  zur  Aufnahme  aller  Einzelposten,  ein  Re- 
gistrum minus  führte,  das  der  leichteren  Übersicht  wegen  nur  die 


Wirtschaftsführung  beim  geistlichen  und  weltlichen  Großgrundbesitz.     215 

Summen  verbuchte.  Am  vollendetsten  aber  war  die  Wirtschafts- 
führung bei  den  Cisterciensern  und  Prämonstratensern.  Diese 
Orden  waren  im  Gegensatz  zu  den  Benedictinern,  die  von  ihrer 
Anaiedlung  her  zerstreute  Besitzungen  besaßen,  bestrebt  sofort  ge- 
schlossene Güter  zu  erwerben,  die  sie  im  Eigenbet^ieb  behielten. 
Ihre  Meierhöfe,  als  wirtschaftliche  Mittelpunkte  abgerundeter 
Besitzmassen  eingerichtet,  erfreuten  sich  wohlverdienten  Ansehens, 
wie  denn  die  Cistercienser  in  ihren  Leistungen  auf  dem  Gebiete 
der  Feld-  und  Waldwirtschaft,  des  W^ein-  und  Obstbaues  den 
größten  Ruf  hatten.^ 

5.  Anders  als  die  Klöster  haben  die  adeligen  Herren  ihren 
Großgrundbesitz  eingetheilt  und  verwaltet,  während  die  land- 
säßigen  Bischöfe  ungefähr  die  Mitte  zwischen  beiden  einhielten.  Die 
Verschiedenheit  begann  schon  beim  Besitztitel,  denn  die  Klöster 
hatten  ihre  Güter  großentheUs  zu  Eigenthum,  die  Adeligen  zu  Lehen ; 
nicht  minder  abweichend  war  der  Gebrauch,  der  von  den  Besitzun- 
gen gemacht  wurde.  Bei  den  Klöstern  waltete  anfänglich  die  Wirt- 
schaft im  Eigenbetrieb  vor  und  da  diese  zweckmäßig  ausgebildet 
war,  so  konnte  aus  den  ordentlichen  Einnahmen  trotz  der  großen 
laufenden  Ausgaben  ein  mäßiger  Überschuss  erzielt  werden,  der 
gerne  zur  Erweiterung  des  Besitzstandes  verwendet  wurde.  Die 
weltlichen*  Herren  hingegen,  die  ihr  Gut  mit  der  Auflage  von 
Lehensdiensten  empfangen  hatten,  mussten  ihrerseits  ein  gut 
Stück  davon  an  Rittermäßige  weiterleihen,  um  der  übernommenen 
Verpflichtung  genügen  zu  können.  So  hatten  also  die  weltlichen 
Großgrundbesitzer  als  Herren  zahlreicher  Vasallen  wohl  eine 
mächtigere  Stellung  im  Lande,  aber  verhältnismäßig  geringere 
Einkünfte  als  die  Klöster.  Die  Verwaltung  der  Grundherrschaften, 
die  noch  im  10.  Jahrhundert  nach  hufenmäßig,  jedoch  keineswegs 
räumlich  geschlossenen  Meiereibezirken  eingerichtet  war  und  von 
den  Frohnhöfen  den  Ertrag  des  Bodens  in  Früchten  aller  Art 
bezog,  gerieth  schon  im  11.  Jahrhundert  in  wirtschaftlichen  Ver- 
fall. Seitdem  hörte  die  Grundherrschaft  auf  eine  Musterwirtschaft 
zu  sein,  der  Eigenbetrieb  trat  zurück  und  verwandelte  sich  immer 


1  Der  um  das  Jahr  1300  entstandene  liber  fundationum  des  Klosters  Zwetl 
enthält  aaßer  Urkundenabschriften,  Nachrichten  über  die  Stiftung  und  ein  Urbar, 
das  mancherlei  Vorschriften  über  die  Bewirtschaftung  der  Stiftsgüter  bietet. 
Vgl.  auch  Juritsch,  Geschichte  der  Babenberger,  1894,  S.  473  ff. 


216        Österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theii.  Zweite  Periode.  §  34. 

mehr  in  einen  Anspruch  auf  Renten,   die  dem  Grundherrn  von 
den  Bauern  zu  entrichten  waren.^ 

Nach  Burgen  oder  Herrschaften,  deren  ein  mächtiges  Ge- 
schlecht drei,  vier  und  mehr  besaß,  wurde  nun  der  Besitz  der 
weltlichen  Herren  eingetheilt.'  Zur  Vertheidigung  der  Pesten 
wurden  rittermäßige  Leute  bestimmt,  die  man  als  Zubehör  zur 
Burg  behandelte,  wenn  sie  Burglehen  empfangen  hatten,  oder  es 
wurde  das  Schloss  mit  gewissen  Einkünften  einem  Burggrafen 
Übertragen,  der  dann  die  erforderliche  Mannschaft  beizustellen  hatte. 

6.  Viele  Großgrundbesitzer  gab  es  übrigens  nicht.  Den  größten 
Besitz  im  Lande  hatte  in  der  Regel  der  Landesfürst,  dann  kamen 
auswärtige  Hochstifte,  die,  wie  Salzburg,  Passau,  Freising,  Bamberg, 
Regensburg  u.  s.  w.,  in  ihren  Gebieten  anfänglich  selbst  landes- 
herrliche Rechte  beanspruchten,  und  einige  auswärtige  Klöster. 
Dazu  gesellten  sich  einige  inländische  Bisthümer,  und  wenn  wir 
das  Jahr  1200  als  Grenze  annehmen,  etwa  50  heimische  Klöster, 
sowie  die  Landherren,  d.  h.  die  Geschlechter  der  zum  Lande  ge- 
hörigen Grafen,  Freien  und  Ministerialen,  deren  Zahl  durch  das 
Erlöschen  alter  und  das  Aufkommen  neuer  Familien  schwankte, 
jedoch  niemals  beträchtlich  war.  Man  wird  daher  wohl  annehmen 
dürfen,  dass  sich  der  gesammte  Großgrundbesitz  in  den  altöster- 
reichischen Landen  noch  am  Schlüsse  des  12.  Jahrhunderts  auf 
wenige  hundert  Geschlechter  und  Körperschaften  vertheilte. 

7.  Diesen  standen  zahlreiche  Rittermäßige  und  noch  viel 
mehr  Bauern  gegenüber,  deren  Besitz  man  als  mäßig -mittleren 
und  Kleingrundbesitz  dem  Großgrundbesitz  entgegenstellen  kann. 
Man  hüte  sich  jedoch  vor  der  Vorstellung,  dass  die  Lage  der 
Ritterschaft  schon  damals  wirtschaftlich  günstig  war.  Der  Ritter- 
mäßige hatte  die  Waffenehre  und  passive  Lehensfähigkeit  voraus, 

2  Lamprecht,  Deutsche  Geschichte,  lU,  58 ff. 

8  Reimchronik  Otakar's,LXXXV,v.  9975— 10.025.  —  Das  Urbar  der  Meissauer 
aus  dem  14.  Jahrhundert  zählt  20  Herrschaften  auf,  nicht  viel  weniger  besaß  Heinrich 
von  Rotenburg,  der  Landhofmeister  von  Tirol  um  1400.  Jäger,  Landstände,  II,  1, 
S.  285.  -<  Es  sind  nicht  viele  GUterverzeichnisse  adeliger  Familien  aus  dem  Mittel- 
alter bekannt.  Die  Aufzeichnungen  des  Grafen  Siboto  von  Neuburg  ums  Jahr  1180 
sind  als  Palkensteiner  Codex,  Mon.  Boica  VII,  abgedruckt;  das  Urbar  der  Meissauer 
im  Notizenblatt  der  k.  Akad.  1858 ;  ein  Lehensverzeichnis  desselben  Geschlechts 
a.  a.  0.  1857 ;  ein  Lehenbuch  der  Grafen  von  Cilli  wird  im  steir.  Landesarchiv 
verwahrt  u.  s.  w. 


Geringe  Zahl  der  Großgrundbesitzer;  die  Ritterschaft,  der  Bauernstand.     217 

die  ihn  in  den  Besitz  eines  oder  des  andern  Lehens  brachte,  das  er 
mit  Hilfe  weniger  abhängiger  Leute  bestellte,  im  Lebensaufwand 
unterschied  er  sich  jedoch  nur  wenig  vom  Bauern  oder  blieb  sogar 
hinter  diesem  zurück.  „Manegem  riter  woiient  mit  vil  kint  unde 
noetikeit"^  klagte  man  in  Österreich  noch  ums  Jahr  1300,  und 
daraus  erklärt  es  sich  auch,  weshalb  der  Ritterstand  erst  so  spät 
zu  politischem  Einflüsse  im  Lande  gelangt  ist.  (§  28,  8.) 

8.  Große  Mannigfaltigkeit  wiesen  die  Verhältnisse  in  der 
Bauernschaft  auf.  Nimmt  man  diesen  Ausdruck  im  Sinne  eines 
Berufsstandes  als  Inbegriff  von  Personen,  die  ihren  Lebensunter- 
halt durch  unmittelbare  Bewirtschaftung  des  Bodens  gewinnen, 
so  umfasste  er  ebensogut  Freie  als  Unfreie  und  eine  große  Zahl 
von  Personen,  deren  Zustand  zwischen  Freiheit  und  Unfreiheit 
schwankte.  Nicht  minder  groß  war  die  Verschiedenheit  der  Rechts- 
titeL  welche  dem  Einzelnen  an  dem  bebauten  Grunde  zustanden, 
und  bunt  die  Mischung  der  bäuerlichen  Bevölkerung,  wenn  wir  die 
Volksangehörigkeit  ins  Auge  fassen.  Das  Zusammenwirken  all 
dieser  Umstände  war  Ursache,  dass  in  der  Bauernschaft  nicht 
bloß  in  rechtlicher,  sondern  auch  in  wirtschaftlicher  Beziehung 
große  Gegensätze  vorkamen. 

Dass  es  um  das  Jahr  1000  noch  freie  Bauern  auf  freiem 
Gut  in  den  altösterreichischen  Landen  gegeben  habe,  darf  selbst 
ohne  eingehende  Einzeluntersuchungen  behauptet  werden,  jedoch 
kann  deren  Zahl  keinesfalls  bedeutend  gewesen  sein.  Zu  suchen 
hätte  man  sie  in  jenen  Gegenden,  die  zuerst  von  Bayern  be- 
siedelt wurden:  im  nördlichen  Tirol,  Salzburg,  sowie  den  an- 
grenzenden Theilen  der  Ostmark  und  oberen  Steiermark.  Viel 
größer  war  die  Zahl  jener,  die  persönliche  Freiheit  mit  einem 
gewissen  Maß  von  Abhängigkeit  ihres  Besitzes  verbanden,  oder 
fremden  Boden  gegen  festgesetzte  Leistungen  bebauten.  Zumal 
die  Lage  der  zuletzt  genannten  Bauern  war  je  nach  der  Aus- 
dehnung des  Nutzungsrechts  verschieden,  das  ihnen  am  Grunde 

4  Der  kleine  Lncidarins  (s.  g.  Seifried  Helbling),  VIII,  2*24.  Eine  ungefäiire 
Vorstellnng  können  wir  nns  machen,  wenn  wir  erfaiiren,  dass  der  sclion  ziem- 
Ucb  begüterte  Rudolf  von  Ehingen,  der  sein  Glück  als  Marschall  der  Grafen 
von  CilU  gemacht  hatte,  nach  seiner  Heimkehr  1417  zugleich  mit  vier  anderen 
Vasallen  des  Pfalzgrafen  von  Ttibingen  auf  dem  Bergschlösschen  Hohenentringen 
hauste  und  dass  diese  fünf  Familien  mit  100  Kindern  gesegnet  waren.  —  Bibl. 
d.  lit.  Ver.  Stuttgart,  I,  S.  2. 


218        österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  34. 

zustand,  denn  abgesehen  von  der  Belastung  durch  Zinsen  und 
Arbeiten  konnte  dies  Recht  vererblich  und  veräußerlich  oder 
auf  die  Person  des  Bauern  beschränkt  und  durch  Zeitablauf  be- 
grenzt sein. 

9.  Die  mehr  oder  minder  günstige  wirtschaftliche  Stellung 
dieser  Bauern  hieng  meist  mit  den  Umständen  zusammen,  unter 
welchen  die  Besiedlung  des  Bodens  erfolgt  war.  Darum  war  die 
Bauernschaft  am  übelsten  dort  daran,  wo  die  Grundherren  eine 
arbeitswillige  ansässige  Bevölkerung  in  gedrückter  Lage  vorge- 
funden hatten,  denn  hier  konnte  der  gesteigerte  Bedarf  an  rüstigen 
Händen  meist  durch  unfreie  Knechte  allein  gedeckt  werden,  die 
der  Herr  auf  seinen  übrigen  Besitzungen  zu  entbehren  oder  in 
der  Nachbarschaft  einzutauschen  in  der  Lage  war.  Nicht  minder 
fehlte  der  wirtschaftliche  Antrieb  zu  Zugeständnissen  an  die  Bauern 
dann,  wenn  dem  Herrn  Zwangscolonisten  zur  Verfügung  standen.^ 
Wenn  jedoch  keiner  dieser  Fälle  zutraf,  der  geschenkte  Besitz 
beispielsweise  in  menschenleerer  Öde  lag  oder  unwegsame  WUd- 
nisse  erst  zu  roden  waren,  so  blieb  der  Grundherr  mehr  oder 
minder  auf  Arbeitskräfte  angewiesen,  die  nur  durch  freiwilligen 
Zuzug  zu  gewinnen  waren,  wofern  er  nicht  auf  allen  Ertrag  ver- 
zichten wollte.  Dann  mussten  aber  Vortheile  geboten  werden, 
sowohl  um  solche  Leute  anzulocken,  als  auch  um  sie  festzuhalten. 
Die  Ansiedler  aber  brachten  nicht  nur  ihre  Hände  und  Erfahrung, 
sondern  auch  die  in  ihrer  alten  Heimat  erprobte  Arbeitsweise, 
mancherlei  neue  Geräthe  u.  dgl.  mit,  richteten  Haus  und  Hof, 
sowie  den  in  Anbau  genommenen  Boden  nach  ihrer  Väter  Sitte 
ein  und  vererbten  diese  auf  ihre  Nachkommen.  Darum  vermögen 
wir  noch  heutzutage  nach  dem  Hausbau,  das  rätisch-alpine  Haus 
im  Inn-  und  Salzachgebiet,  von  dem  jüngeren  fränkischen  Hause 
im  Lande  ob  und  unter  der  Enns,  in  Obersteiermark  und  Kärnten, 
oder  nach  den  Eigenthümlichkeiten  in  der  Dorfanlage  und  der 
Austheilung  der  Fluren,  den  slavischen  »Rundling**  vom  deutschen 

^  So  entstand  z.  B.  die  deutsche  Sprachinsel  Gotschee  in  Krain  ums 
Jahr  1350  durch  Ansiedlung  von  300  ostfränkischen  Familien,  die  Kaiser  Karl  IV., 
weU  sie  sich  an  einem  Aufstande  betheiligt  hatten,  zur  Strafe  an  den  Grafen 
Friedrich  von  Ortenburg  als  Knechte  verschenkte.  Die  Niederlassung  erfolgte  in 
Gegenden  ,qu8e  inhabUes  erant  et  incultae  ...  et  nemora  hujusmodi  ac  silvse  ad 
agriculturam  reducta".  —  Valvasor,  Ehre  Krains,  XI,  S.  194,  und  Urkunde 
von  1363,  1.  Mai,  in  S.  B.,  Bd.  60,  S.  177. 


Stellung  der  Bauern;  Bergbau,  Handel.  219 

Reihendorf,  die  flämische  Hufe  von  der  durch  Rodung  entstan- 
denen Waldhufe  zu  unterscheiden  und  können  dadurch  die  Her- 
kunft der  ersten  Ansiedler  einer  Gegend  feststellen. 

10.  Zieht  man  aus  dem  bisher  Gesagten  die  Folgerungen, 
80  wird  es  nicht  überraschen,  dass  im  Lande  unter  der  Enns,  wo 
die  Magyaren  die  zur  Zeit  der  Karolinger  begründete  Ansiedlung 
völlig  vernichtet  hatten  und  diese  seit  der  Mitte  des  10.  Jahr- 
hunderts neu  begonnen  werden  musste,  die  Lage  des  Bauern- 
standes besser  war,  als  in  vielen  anderen  Gegenden.  Erschien  sie 
doch  den  rittermäßigen  Dichtem  noch  im  13.  Jahrhundert  als 
beneidenswert,  wie  die  gehässigen  Schilderungen  Nithart's  von 
Reuenthal  und  des  kleinen  Lucidarius  vom  Übermuth  der  „Dörper" 
in  Österreich  darthun.  Gut  daran  waren  infolge  einer  Verkettung 
von  Umständen  die  Bauern  von  Nordtirol  und  erträglich  jene 
im  Lande  ob  der  Enns  und  in  Obersteiermark.®  Viel  gedrückter 
waren  im  allgemeinen  die  Bauern  in  Untersteiermark,  in  Kärnten 
und  Krain,  namentlich  weU  nur  wenige  ein  vererbliches  und  ver- 
äußerliches Nutzungsrecht  (Kaufrecht,  Burgrecht)  an  dem  bebauten 
Boden  besaßen  und  die  Freidienste  (später  s.  g.  Freistifte)  über- 
wogen, die  längstens  mit  dem  Tode  des  Bauers  endeten.*^ 

11.  Beim  Ackerbau  war  also  bis  gegen  die  Mitte  des  13.  Jahr- 
hunderts schon  eine  ausgedehnte,  wenngleich  noch  nicht  sehr  ein- 
trägliche Bewirtschaftung  der  Bodenfläche  eingetreten.  Auch  der 
Bergbau  kam  allmählich  in  Aufschwung,  wie  die  seit  dem  11.  Jahr- 
hundert zunehmenden  Verleihungen  dieses  Regals  darthun.  Man 
baute  vor  allem  auf  Silber,  ohne  vorerst  auf  reiche  Gruben  zu 
stoßen,  dann  auf  Kupfer  und  Eisen,  die  man  meist  an  Ort  und  Stelle 
verhüttete,  ebenso  wurde  die  Salzgewinnung  eifrig  fortgesetzt.® 

Die  Münzbegnadungen  überliefern  uns,  selbst  dann,  wenn 
sie  nur  den  Anspruch  auf  den  Gewinn  der  Wechselbank  gaben, 

®  ,Di  geburen  alle  frl,  swes  ir  guot  ze  rehte  sl,  si  sitzent  üf  burcrehte". 
Kl.  Lncidarius,  VIII,  155.  —  „Purkchrecht,  raul  und  weingart  ist  ann  lewt  erb", 
sagt  Art.  140  des  steierm.  Landrechts. 

"^  Solche  Freidienste  in  der  Nähe  von  Leoben  verzeichnet  z.  B.  ein  Weis- 
thmn  des  Stiftes  Goß  aus  dem  15.  Jahrhundert;  der  Bauer  hatte  Freizügigkeit, 
kündigte  er  auf  14  Tage,  so  behielt  er  ein  Drittel,  wurde  ihm  vom  Stifte  ebenso 
gekündigt,  zwei  Drittel  seiner  Fahrhabe.  Österr.  WeisthÜraer,  VI,  306. 

8  Der  Hochofen  des  Klosters  Admont  bot  im  Jahre  1137  dem  Abte  Wolfold 
Gelegenheit  zur  Feuerprobe.  Annal.  Admont,  Mon.  Genn.,  Fol.,  Ss.  IX,  579. 


220        Österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  34. 

die  Namen  von  Verkehrsmittelpunkten  jener  Zeit:  Lieding  (975), 
wahrscheinlich  1016  nach  Priesach  tibertragen,  und  Villach  (1060) 
in  Kärnten,  Aquüeja  (1028),  Neunkirchen  auf  dem  Steinfeld  (1130), 
Salzburg  (996),  später  (zwischen  1150 — 1200)  auch  noch  Brixen, 
Trient,  Krems,  Enns  und  Wien.  Dazu  kamen  die  Orte,  die  sich 
mit  dem  Marktrecht  allein  begnügen  mussten:  wie  Judenburg 
(1103).  Der  Handel  lag  übrigens  meist  in  fremden  Händen;  das 
gilt  vor  allem  von  der  wichtigsten  natürlichen  Verkehrsader,  der 
Donau,  auf  welcher  die  Regensburger  lange  Zeit  den  Vorrang 
behaupteten  und  noch  zu  Ende  des  12.  Jahrhunderts  Kaufleute 
aus  Ulm,  Köln,  Aachen,  ja  selbst  aus  Mastricht  Privilegien  für 
die  Ennser  Märkte  erwirkten. 

12.  Große  Veränderungen  auf  wirtschaftlichem  Gebiete  zeigen 
sich  als  Folge  der  Kreuzzüge,  von  welchen  die  drei  ersten  ihren 
Weg  durch  Österreich  und  Ungarn  nahmen.  Sie  erweiterten  den 
Kreis  der  Anschauungen  und  Bedürfnisse  der  Bevölkerung,  boten 
Anlass  zum  Aufschwung  des  Activhandels  und  Gewerbes,  zur 
Einführung  neuer  Nutzpflanzen  (Safranbau  in  Österreich)  u.  s.  w. 
Für  den  Donauhandel  waren  zumal  der  zweite  und  dritte  Kreuz- 
zug von  Bedeutung,  weil  von  den  Sammelplätzen  Regensburg  und 
Wien  aus,  der  Weg  nach  der  Balkanhalbinsel  genommen  wurde, 
wobei  zahlreiche  Flusschiflfe  sowohl  zur  Beförderung  von  Truppen 
als  für  Proviantnachschübe  verwendet  wurden. 

Die  erwähnten  Kreuzzüge  hatten  indessen  für  Österreich 
auch  wirtschaftliche  Wirkungen  anderer  Art.  Die  Betheiligung 
war  hier  namentlich  im  Jahre  1189  sehr  lebhaft  und  der  Abzug 
vieler  streittüchtiger  Männer,  die  sich  auf  eigene  Kosten  ausrüsten 
und  verpflegen  mussten,  erhöhte  mit  einemmale  den  Bedarf  an 
Bargeldraitteln  recht  erheblich.  Da  diese  bei  uns  im  12.  Jahr- 
hundert nur  spärlich  vorhanden  waren,  so  halfen  sich  die  Grund- 
besitzer dui'ch  Veräußerung  von  Liegenschaften,  wobei  vor  allen 
Kirchen  und  Klöster  mit  ihren  kleinen  Gold-  und  SUberschätzen 
als  Käufer  auftraten.  Diesen  Abfluss  von  Edelmetallen ,  durch  die 
heimischen  Kreuzfahrer  musste  man  umso  schwerer  empfinden, 
als  man  außerstande  w^ar,  den  Abgang  durch  eigene  Ur- 
production  zu  decken.  So  trafen  ein  durch  die  Kreuzzüge  er- 
weiterter Kreis  von  Lebensbedürfnissen  und  lebhafter  Verkehr  mit 
großer  Geldknappheit  zusammen,  gerade  als   die  Loslösung  der 


Einllüss  der  Kreuzzüge  auf  wirtschaftlichem  Gebiet.  221 

Ostmark  aus  der  Abhängigkeit  von  Bayern  und  der  Anfall  der 
Steiermark  den  Babenbergem  die  Möglichkeit  einer  neuen  Handels- 
politik bot,  die  schließlich  den  Umschlagplatz  für  den  Donauhandel 
von  Regensburg  nach  Wien  brachte.  Wie  nun  zu  Anfang  dieses 
Jahrhunderts  Privatcapital  in  Form  der  Nationalbank  herangezogen 
wurde,  um  den  durch  das  Bankozettel-Unwesen  zerrütteten  Staats- 
credit  wieder  zu  befestigen,  so  hat  auch  der  Babenberger  Herzog 
Leopold  V.  die  Geldkrise  seinerzeit  dadurch  überwunden,  dass  er 
die  Beschaffung  der  erforderlichen  Barmittel  für  den  Münzbetrieb 
an  die  mit  Vorrechten  aller  Art  ausgestatteten  Münzer  Haus- 
genossen übertrug.  Die  Berufung  der  flämischen  Färber  nach 
Wien  durch  Herzog  Leopold  den  Glorreichen  im  Jahre  1208  war 
ein  erfolgreicher  Versuch,  dieses  blühende  Gewerbe  in  Österreich 
einzubürgern.  Die  Einsetzung  der  hundert  Genannten,  die  als 
qualificierte  Zeugen  bei  allen  wichtigeren  Geschäften  mitzuwirken 
hatten,  hob  die  Bedeutung  des  Wiener  Verkehrs,  bedeutende  Geld- 
vorschüsse des  Herzogs  an  die  Bürgerschaft  erhöhten  die  Betriebs- 
mittel  der  Kaufleute  und  Handwerker.  Auch  das  Aufblühen 
Venedigs,  das  seit  dem  vierten  Kreuzzug  zum  Umschlagplatz  für 
den  abendländischen  Verkehr  mit  der  Levante  geworden  war, 
kam  den  Landen  über  welche  der  Herzog  von  Österreich  gebot 
zu  statten,  da  in  ihnen  die  Durchzugsstraßen  nach  dem  Norden 
lagen.  Dieser  günstige  Umstand  reizte  schon  die  Babenberger 
zu  Maßregeln,  um  den  Landhandel  von  der  Lagunenstadt  nach 
Deutschland  über  Wien  zu  lenken,  das  bereits  die  Vermittelung 
des  Donauhandels  zwischen  Deutschland  und  Ungarn  besaß.  Mit 
vollem  Recht  ist  daher  der  Zustand  der  Herzogthümer  Österreich 
und  Steiermark  zur  Zeit,  da  dieses  thatkräftige  Herrschergeschlecht 
erlosch,  ein  blühender  genannt  worden.  Eine  zahlreiche  Bevöl- 
kerung bewohnte  damals  diese  schönen  Länder,  in  welchen  nach 
urkundlichen  Zeugnissen  schon  der  größere  Theil  der  heutzutage 
darin  vorhandenen  Dörfer,  Märkte  und  Städte  bestand.  Mit  ge- 
rechtem Stolze  durfte  Leopold  der  Glorreiche  von  der  Stadt  Wien 
rühmen,  dass  sie  außer  Köln  keiner  Stadt  des  gesammten  Reiches 
nachstünde.  Es  gab  den  Verhältnissen  und  Anforderungen  jener 
Zeit  entsprechende  allgemeine  Gesetze  und  besondere  Statute.  Ein 
ausgebreiteter  Handel  mit  den  mannigfachen  Erzeugnissen  dieser 
Länder  wurde,  durch  die  damalige  Richtung  der  wichtigsten  Ver- 


222        österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  34. 

kehrswege  begünstigt,  mit  Deutschland,  Polen,  Ungarn  und  Italien 
betrieben.  Laut  preisen  die  Lieder  der  besten  deutschen  Dichter 
jener  Zeit  das  von  Natur  so  herrlich  ausgestattete  und  durch  die 
Betriebsamkeit  seiner  Bewohner  reich  gewordene  Österreich,  sie 
nennen  den  Hof  Herzog  Leopold's  VL  geradezu  den  Glanzpunkt 
Deutschlands,  an  dem  Gesang  und  Dichtung,  Künste  und  Wissen- 
schaften geehrt  und  befördert  würden.  • 

13.  An  Bemühungen,  diese  günstigen  Verhältnisse  zu  erhalten 
und  fortzubilden,  ließen  es  weder  König  Otakar  von  Böhmen,  noch 
die  nachfolgenden  Habsburger  fehlen.  Demungeachtet  war  die 
wirtschaftliche  Lage  der  österreichischen  Lande  gegen  das  Jahr 
1500  weit  weniger  erfreulich,  als  zwei  Jahrhunderte  vorher.  Es 
ist  das  umso  auffälliger,  als  der  Hinzuerwerb  von  Kärnten,  Krain 
und  Tirol  nicht  bloß  eine  Ausdehnung  und  Abrundung  des  Haus- 
besitzes brachte,  wie  sie  in  Deutschland  während  des  Mittelalters 
nur  noch  bei  den  Luxemburgern  vorkam,  sondern  auch  die  Zahl 
und  Mannigfaltigkeit  der  inneren  HUfsquellen  vervielfältigt  hatte. 
Es  verlohnt  darum,  ehe  wir  zur  SchUderung  der  Lage  selbst 
übergehen,  die  Ursachen  dieses  Niedergangs  ins  Auge  zu  fassen ; 
sie  liegen  theils  auf  wirtschaftlichem,  theils  auf  politischem  Gebiet. 

Die  unmittelbare  Folge  des  Aufblühens  der  Städte  war  ein 
gesteigerter  Bedarf  an  Umlaufsmitteln.  Das  bewegliche  Capital, 
dessen  Macht  erst  im  städtischen  Leben  erkannt  wurde,  machte 
sich  alsbald  auch  über  das  Weichbild  hinaus  geltend  und  nöthigte 
den  Großgrundbesitz  zu  einer  Änderung  seiner  Wirtschaftsgrund- 
sätze. Den  Weg  einzuschlagen,  den  die  Bürgerschaft  mit  Glück 
betreten  hatte,  vertrug  sich  nicht  mit  der  Standesauffassung,  die 
in  den  Kreisen  der  Landherren  herrschte.  Anstatt  die  Eigen- 
wirtschaft zu  steigern,  um  deren  Erzeugnisse  im  großen  auf 
den  Markt  zu  liefern,  zogen  sie  es  vor,  den  Eigenbetrieb  einzu- 
schränken und  die  Giebigkeiten  der  Herrschaf tsunterthanen,  soweit 
sie  den  Hausbedarf  überschritten,  in  feste  Geldrenten  zu  wandeln. 
Diese  Ablösung  der  Grunddienste  durch  Geldbeträge  war  in  Öster- 
reich in  der  zweiten  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts  im  vollen  Zuge*® 

^  A.  Meiller,  in  der  Einleitung  zu  den  Regesten  der  Babenberger. 
^0  Zeuge  des  in  Anm.  3  erwähnten  Güterverzeichnisses  des  Grafen  Siboto 
von  Neuburg  vom  Jahre   1180  ungefähr.   Unter  den  Leistungen  an  die  Bor^ 
Hömstein  werden  angeführt:  ,omnium  denariorum  istorum  erunt  talenta  6  et 


Blüte  unter  den  Babenbergern;  Anfange  des  Niederganges.  223 

und  nahm  mit  jedem  Jahrzehnt  mehr  überhand,  so  dass  die  Ab- 
leistung in  Geld  um  die  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  Bieht  bloß  das 
Gewöhnliche  war,  sondern  von  den  Bauern  schon  als  ihr  „Recht* 
angesehen  wurde.  .Auf  diese  Weise  verschafften  sich  die  Grund- 
herren allerdings  sichere  Geldeinkünfte,  doch  nur  zu  ihrem 
doppelten  Schaden,  weil  die  Zahlungsmittel  unaufhaltsam  sowohl 
im  Münzfüße  als  an  der  Kaufkraft  einbüßten. 

14.  Es  kann  als  ein  Zeichen,  wie  wenig  bedeutend  der  Geldum- 
lauf bis  dahin  in  Österreich  gewesen  ist,  angesehen  werden,  dass 
hier  bis  ins  14.  Jahrh.  keine  größere  Münzeinheit  als  der  Pfennig 
geschlagen  wurde,  während  man  in  Italien  schon  seit  dem  Ende  des 
12.,  in  Frankreich  seit  dem  ersten  Drittel  des  13.  Jahrhunderts  zur 
Ausprägung  des  SchUlings  als  Pfennig- Vielfachen  gelangt  war. 

Die  Münzverhältnisse  waren  im  Herzogthum  Österreich  un- 
günstig, da  das  Land  eigener  Silbergruben  entbehrte  und  den 
Herzogen  ein  unbeschränktes  Recht  auf  Erneuerung  der  Münzge- 
präge zu  fiscalischen  Zwecken  zustand.  Die  eine  Folge  davon  war, 
dass  der  Münzfuß  in  Österreich  weit  rascher  sank  als  beispiels- 
weise in  Steiermark,  ^^  wo  die  Münzerneuerung  seit  dem  Privilegium 
Kaiser  Friedrich's  II.  (1237)  an  die  Zustimmung  der  Landes- 
ministerialen gebunden  war,  die  andere  das  Eindringen  fremder 
Gepräge,  wie  der  böhmischen  Groschen  und  der  Goldgulden,  in 
den  Verkehr.  Letztere  kamen  als  Handelsmünze  ins  Land,  bürgerten 
sich  aber  durch  ihre  bequeme  Größe  rasch  in  allen  Kreisen  ein 


nami  15  qui  dantur  pro  40  porcis  et  4  prescriptis.  Super  omnes  porcos  qnos  nunc 
oomputavirnus  reservantur  comiti  45  porci  de  magnis  et  minoribns  ad  opus 
suum."  Die  Ablösungsbeträgo  für  ein  Schwein  schwanken  von  20  bis  90  ^,  Vom 
Honig  heifit  es:  ,ex  his  dantur  30  sol.  pro  30  urnis  mellis  utrum  illorum  voluerit 
aecipere  sive  mel  sive  numos.*'  —  Mon.  Boica,  VII,  454/5.  Urbar  der  freisingischen 
Besitzungen  in  Krain  und  Tirol  vom  Jahre  1160:  duos  porcos  vel  dimidiam 
marcam  . .  .  duas  victimas  que  30  nummos  valeant ...  D.  et  A.,  Bd.  36,  S.  12, 19. 
^^  Gegenüber  den  karolingischen  Pfennigen  mit  1*53  Gramm  Silber  Fein- 
gewicht besaßen  die  Wiener  Pfennige  ums  Jahr  1200  noch  etwa  1  Gramm,  um 
1300  nur  mehr  0*7.  um  1400  nur  0'393  Gramm,  1460  nach  der  Münzreform 
0.18  Gramm  Feingewicht.  Auf  einen  Grazer  Pfennig  rechnete  man  noch  im 
Jahre  1311  anderthalb  Wiener,  um  1336  iVs  Wiener.  Die  Grazer  Münzordnung 
vom  Jahre  1409  stellte  dann  für  Wiener  und  Grazer  Pfennige  den  gleichen  Münz- 
fuß fest.  Vgl.  meine  Abhandlungen:  »Vorschläge  für  eine  Geschichte  der  Preise 
in  Österreich',  1874,  S.  25;  »Wiener  Pfennige",  1877,  S.  182;  .Das  Wert  Verhältnis 
der  Bdelmetalle  in  Deutschland  während  des  Mittelalters",  Brüssel  1892. 


224        Österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  34. 

und  wurden  zumal  bei  großen  Zahlungen  mit  Vorliebe  verwendet. 
Die  Schattenseite  dabei  war,  dass  durch  diese  plötzliche,  vom 
13.  zum  14.  Jahrhundert  in  ganz  Mitteleuropa  nachweisliche 
Bevorzugung  des  gelben  Metalls  ein  erschreckender  Preissturz 
des  Silbers  eintrat,  welcher  um  1330  bis  1340  das  Gold  über  den 
zwanzigfachen  Wert  des  Silbers  hinauftrieb,  weil  die  Golddecke 
zu  kurz  war.  Den  Höhepunkt  hat  diese  Silberkrise  vielleicht  in 
Ungarn  erreicht.  Nicht  viel  weniger  verheerend  hat  sie  in  Alt- 
österreich gewüthet,  obgleich  es  jetzt  unmöglich  ist,  die  Höhe 
der  Mnrtschaftlichen  Verluste  ziffernmäßig  zu  bezeichnen,  welche 
unseren  Silber  producierenden  Landen  mit  dieser  Einbürgerung 
des  Goldumlaufs  zugefügt  worden  sind.  Rascher  noch,  als  es  die 
schwindelnde  Höhe  erklommen,  sank  übrigens  das  Gold  wieder 
bis  auf  ein  Verhältnis  von  1:10  oder  1:11,  in  welchem  es 
dann  bis  zum  Ausgang  des  Mittelalters  verharrte. 

15.  Noch  waren  die  wirtschaftlichen  Folgen  dieser  Geldkrise 
nicht  verwischt,  als  Erdbeben  und  Seuchen  unsere  Lande  heim- 
suchten. Es  war  der  s.  g.  schwarze  Tod,  der  aus  dem  Venezianischen 
kommend,  im  Jahre  1348  nach  Kärnten,  Tirol  und  Steiermark  sich 
verbreitete  und  im  folgenden  Jahre  auch  nach  Österreich  ob  und 
unter  der  Enns  gelangte.  Zehn  Jahre  darnach  wiederholte  sich 
das  große  Sterben,  das  auch  später  noch  (z.  B.  1369  und  1381) 
wiederkehrte  und  dem  ein  Viertel  der  Bevölkerung  des  deutschen 
Reichs  zum  Opfer  gefallen  sein  soll,  besonders  schlimm  waren 
unsere  Länder  daran,  vor  allem  Tirol,  wo  im  Vintschgau  nach 
dem  Zeugnisse  des  Goswin  von  Marienberg  nur  ein  Sechstel  der 
Menschen  das  Pestjahr  1348  überlebte.  Ganze  Dörfer  starben  aus, 
in  den  Städten  standen  die  Häuser  leer,  Wien  verlor  fast  ein 
Drittel  seiner  Einwohner  u.  s.  w.^^ 

16.  Die  österreichischen  Herzoge  ließen  es  an  Maßregeln  nicht 
fehlen,  um  die  furchtbaren  Folgen  dieser  Seuche  zu  bekämpfen. 
Zumal  Herzog  Rudolf  IV.  hat  eine  Reihe  von  Verfügungen  er- 
lassen, die  für  die  Umsicht  und  den  richtigen  Blick  dieses  Fürsten 
in  volkswirtschaftlichen  Fragen  ein  glänzendes  Zeugnis  ablegen. 
Um   die   verödeten   Grundflächen   wieder  in  Anbau  zu  bringen, 

12  Dio  Schilderung  der  Wirkungen  dieser  Pest  in  Österreich  s.  in  den 
Jahrbüchern  von  Mattsee,  Melk,  Neuberg,  Zwetl  u.  s.  w.  Mon.  Germ.,  Ss.  IX,  Fol., 
8.  513,  576,  692,  695,  829,  834  u.  s.  w. 


Volkswirtschaftliche  Maßregeln  Herzog  Rudolfs  IV.  225 

raussten  freiwillige  Arbeitskräfte  durch  Zuwanderung  gewonnen 
werden.  Daram  suchte  er  die  Grundherren  zu  zeitweiligem  Ver- 
zicht auf  die  grundherrlichen  Abgaben  von  neubesiedelten  Hüben 
zu  bestimmen  und  gieng  dabei  selbst  mit  gutem  Beispiel  voran.  ^^ 
Nicht  mindere  Fürsorge  wandte  der  Herzog  seinen  Städten  zu, 
die  den  Verlust  so  vieler  arbeitstüchtiger  Hände  zu  beklagen 
hatten.  Schon  die  Ersetzung  der  ungemein  lästigen  Münz- 
erneuerungen, die  eigentlich  eine  Besteuerung  des  Bargelds  in 
Österreich  waren,  durch  das  Ungeld  (1359)  war  eine  Maßregel,  die 
vor  allem  der  Bürgerschaft  zu  statten  kam.  Das  Jahr  darnach 
erfolgte  die  Verordnung  wegen  Ablösung  der  auf  den  Stadthäusern 
lastenden  Überzinse  und  Burgrechte,  durch  welche  ,  derselben 
Häuser  in  der  Stadt  und  in  den  Vorstädten  zu  Wien  gar  viel 
wüst  worden"  und  zerfallen  seien,  gleich  darauf  das  Gebot, 
dass  in  Hinkunft  alle  Rechtsgeschäfte  über  liegende  Güter  des 
Burgfriedens  vor  dem  Rathe  zu  verhandeln  und  von  diesem 
mit  Ausschluss  der  Grundherren  zu  besiegeln  seien.  Es  folgte  dann 
die  Aufhebung  aller  Innungen  um  des  gemeinen  Nutzens  wUlen, 
damit,  die  Stadt  dester  pas  an  Leuten  und  an  Gut  aufnem,  der 
Vorrechte  der  Laubenherren  u.  s.  w.  Wohl  kamen  diese  Verfügungen 
in  erster  Linie  der  Stadt  Wien  zugute,  die  der  Herzog  selbst  als 
„ein  Haupt  des  Herzogthums  von  Österreich  und  die  obrist  Wohnung 
der  Fürsten  daselbst"  bezeichnete ;  dass  er  jedoch  keine  einseitige 
Bevorzugung  seiner  Residenz  bezweckte,  ergibt  sich  schon  daraus, 
dass  er  die  gleichen  Rechte  auch  den  Bürgern  von  Wels,  Enns, 
Krems  und  Steier,  Klostemeuburg,  Marburg  u.  s.  w.  zukommen  ließ.^* 
Allein  die  unglückseligen  Zerwürfnisse  im  herzoglichen  Hause 
nach  dem  Tode  Herzog  Rudolfs  IV.,  die  zeitweise  bis  zum  offenen 
Bürgerkrieg  führten  und  über  die  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  an- 

^  Herzog  Rudolfs  IV.  an  die  Amtleute  zu  Graz  und  Voitsberg  di  unser 
marchfutter  vessent  und  innement  .  .  .  Verbot  von  den  Holden  des  Klosters  Renn 
das  schuldige  Marchfutter  einzuheben,  y,cd8  lang  und  in  dieselben  gaistlichen  leut 
von  Reun  im  zins  und  dinst  lazzent  von  derselben  holden  Schadens  und  geprestens 
wegen*.  Auch  sollen  sie  von  neu  bestifteten  Hüben  durch  2  bis  3  Jahre  kein  March- 
futter abfordern.  (1360,  31.  Jänner,  Graz.)  Ein  gleicher  Befehl  ergieng  wegen  der 
nvon  des  gemeinen  sterbejis  und  anderr  gepresten  wegen"  öde  gewordenen  Hüben  des 
Stiftes  Seckau  am  26.  Februar  d.  J.  —  Lichnowsky-Birk,  IV,  Nr.  134,  154. 

"  S.  die  Nachweise  in  meinem  „Gerichtswesen",  S.218,  Anm.  397/8,  für 
Marburg  1363,  Steir.  Geschichtsbl,  IV.,  179. 

Laichin,  österreichische  Reichsgeschichte.  15 


226        österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Thoil.  Zweite  Periode.  §  34. 

dauerten,  schlugen  dem  Wohlstand  unserer  Lande  schwere  Wunden. 
Dazu  gesellten  sich  die  Verwüstungen  durch  die  Hussiten  in  Öster- 
reich, seit  der  Unglücksschlacht  von  Nicopolis  (1396)  überdies  die 
Einfälle  der  Türken  nach  Krain,  Kärnten  und  Steiermark.  Endlich 
litt  man  auch  an  den  Folgen  einer  schamlosen  allgemeinen  Münz- 
verschlechterung, die  der  berüchtigten  Kipperei  und  Wipperei  zu 
Anfang  des  dreißigjährigen  Krieges  wenig  nachgab  und  in  den 
Jahren  1457  bis  1459  ihren  Höhepunkt  erreichte.^^  „Hebrenko" 
nannte  das  Volk  diese  neue  Münze,  später  noch  treffender  „Schinder- 
linge* und  nicht  mit  Unrecht  versetzte  es  dieselben  in  eine  Reihe 
mit  Theuerungen,  Pest,  Kriegen  und  andern  allgemeinen  Land- 
plagen. »Und  derselben  Kreuzer  und  Pfennig  wurden  so  viel 
gebracht  gen  Wien",  meldet  ein  ungekannter  Zeitgenosse,  »dass 
zum  letzten  die  Kinder  auf  der  Gassen  so  viel  der  Pfennige 
hatten,  dass  sie  die  von  ihnen  würfen." 

17.  All  dies  in  seinen  Wirkungen  zusammen  genommen  er- 
klärt, dass  und  weshalb  die  wirtschaftliche  Lage  der  österreichischen 
Lande  am  Schlüsse  des  Mittelalters  nichts  weniger  als  günstig 
war.  Eine  neue  Zeit  mit  neuen  Forderungen  hatte  sich  ange- 
meldet, die  Naturalwirtschaft  sollte  durch  die  Geldwirtschaft,  die 
Lehensverfassung  durch  den  Beamtenstaat  abgelöst  werden.  Die 
steten  Unruhen  und  Kriege  hatten  die  Unzulänglichkeit  der 
mittelalterlichen  Heereseinrichtungen  dargethan  und  andererseits 
fehlte  es  den  Regenten  an  genügenden  Einkünften,  um  Sold- 
truppen aufzustellen.  Der  Versuch,  sich  jene  durch  Ausbildung 
der  Staatssteuem  zu  verschaffen,  begegnete  dem  entschiedenen 
Einspruch  der  Landstände,  zu  einer  größeren  Sparsamkeit  in  den 
Ausgaben,  zu  einer  Trennung  der  Staats-  und  Privateinkünfte 
konnten  sich  die  Regenten  nicht  entschließen.  So  griff  man  denn 
zu  den  kleinlichen  Mitteln  der  mittelalterlichen  Staatswirtschaffc, 
die  eine  Zeit  lang  ein  Fortfristen  von  der  Hand  in  den  Mund 
ermöglichten,  verpfändete,  was  man  hatte,  und  lebte  so  auf 
Kosten  des  in  den  Domänen  steckenden  Capitals.  Es  ist  wahrhaft 
eine  Ironie  des  Schicksals,  dass  Erzherzog  Sigmund  von  Tirol,  der 
Regent,  in  dessen  Gebiet  die  schier  unerschöpflichen  Silbergruben 

15  ^er  dies  Unwesen  angefangen  hat,  ist  schwer  zu  sagen,  da  die  öster- 
reicliischen,  bayerischen  und  salzburgischcn  Jahrbücher  offenbar  bemüht  sind,  die 
Schuld  von  ihrem  Lande  abzuwälzen. 


Ursachen  des  wirtschaftlichen  Verfalls  im  15.  Jahrhundert.  227 

von  Schwaz  ausgebeutet  und  in  dessen  Namen  so  viele  und  große 
Geldstücke  geschlagen  wurden,  dass  er  der  „Mtinzreiche"  hieß, 
durch  seine  schlechte  Wirtschaft  schließlich  dahin  gelangte,  dass 
seine  Einkünfte  von  der  Landschaft  sequestriert  wurden.  (§  28, 12.) 
Viele  ritterschaftliche  Familien,  die  später  als  Freiherren-  oder 
Grafengeschlechter  in  Österreich  von  größtem  Einfluss  waren :  die 
Eitzing,  Prueschenk,  Rogendorf,  Herberstein,  die  Hofmann  zum 
Grünbüchel  u.  a.  sind  durch  Pfandschaften  emporgekommen,  die 
ihnen  im  15.  Jahrhundert  für  geleistete  Dienste  und  kleine  Darlehen 
vom  Landesfürsten  zugestanden  wurden.  Überhaupt  kam  die  Ver- 
pfändung der  „Kammergüter"  mehr  dem  aufstrebenden  Ritterstande 
als  den  »Landherren*  zustatten,  bei  welchen  sich  schon  Zeichen 
wirtschaftlichen  Verfalles  bemerklich  machten,  denn  man  wollte 
in  diesen  Kreisen  die  alte  Lebensweise  fortsetzen,  pochte  auch 
wohl  auf  seine  Unabhängigkeit  und  übersah  es,  sich  neue  Ein- 
nahmsquellen zu  schaffen.  So  griffen  auch  die  alten  Herren- 
geschlechter ihrerseits  zum  Verkauf  der  Güter  oder  zur  Ver- 
schuldung, die  zuweilen  schon  eine  recht  bedenkliche  Höhe  er- 
reicht hatte.  ^* 

18.  Geldgeber  und  Geldmacht  waren  in  unseren  Landen 
während  des  Mittelalters  die  Juden,  die  sowohl  mit  eigenem  als 
mit  fremdem  Capital  arbeiteten,  wie  es  auch  keinem  Zweifel  unter- 
liegt, dass  sie  zuweilen  als  Strohmänner  von  Christen,  Klage  und 
Execution  gegen  christliche  Schuldner  durchzuführen  hatten. ^"^  Ein 
seltsames  Gemisch  von  Widersprüchen  zeigt  ihre  Lage,  die  auf  der 
einen  Seite  überaus  gedrückt,  auf  der  andern  sehr  privUegiert  war. 
Geradezu  unheimlich  aber  war  die  Verschuldung,  welche  in  Inner- 
österreich gegen  Ausgang  des  Mittelalters  alle  Stände  der  Gesell- 
schaft umstrickte.  Fast  Jahr  um  Jahr  ertönten  damals  Klagen  über 
die  Juden  in  den  Landtagen,  dass  sie  in  der  That  begründet 
waren,  ersieht  man  aus  dem  Inhalt  der  dem  Kaiser  Friedrich  III. 
abgerungenen  Verfügungen   und  aus  der  übergroßen  Zahl  von 


'•  So  löste  z.  B.  Wolfgang  von  Stubenberg,  abgesehen  von  535  Dncaten, 
welche  seine  Gemahlin  Zymburg  bezahlte,  im  Jahre  1478  sieben  Schuldbriefe 
seines  Vatero  über  3871  Ducaten  ein  und  übernahm  seinerseits  Verpflichtungen 
gegen  Jaden  in  der  Höhe  von  9268  Ducaten.  Notizenblatt  9,  S.  414—416,  428. 

^'^  Einen  Einblick  in  dies  Vorfahren  bieten  die  Urkunden  des  steirischen 
Landesarchivs  von  1442,  5.  März,  12.  April,  19.  Juli,  29.  August,  2.  September. 

15* 


228     Österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  34  und  35. 

Judenschuldbriefen,  die  sieh 'aus  jener  Zeit  in  den  Archiven  er- 
halten haben.  Die  Verarmung  des  Bauernstandes  war  schon  so 
weit  gediehen,  dass  einzelne  Grundherrschaften,  wie  z.  B.  das 
Kloster  Renn  eigene  Bücher  über  ihre  verschuldeten  Bauern  an- 
legten und  in  deren  Namen  Vergleichsverhandlungen  mit  den 
jüdischen  Gläubigern  durchführten.  Wieder  andere  erwirkten 
kaiserliche  PrivUegien,  die  den  Juden  alle  Darlehen  an  Unter- 
thanen  des  Begnadeten  untersagten  oder  mindestens  die  Executions- 
führung  beschränkten  u.  dgl.  mehr.^^ 

Nicht  ohne  eigenes  Verschulden  waren  auch  die  Bewohner 
der  Städte  und  Märkte  übel  daran.  Wie  üppig  die  Wiener  lebten, 
ist  aus  den  Schilderungen  des  Aeneas  Sylvius  bekannt.  Manch 
einer  verlor  darob  Haus  und  Hof.  Geschah  dies  im  Rechtsweg, 
so  gieng  der  neue  Erwerber  sicher,  allein  es  wurden  mitunter 
Häuser  oder  Grundstücke  verkauft,  auf  welche  der  veräußernde 
Jude  kein  erweisliches  Recht  gehabt  hatte.  Solche  Vorkommnisse 
untergruben,  da  sie  sich  öfter  ereigneten,  die  Sicherheit  des  Ver- 
kehrs und  bald  fanden  die  Häuser  in  Judenhänden  keine  Ab- 
nehmer mehr  und  verfielen,  da  sich  niemand  der  Gefahr  der 
Rückforderung  durch  den  Eigenthümer  aussetzen  wollte.  Ganze 
Orte  verödeten  dadurch,  so  dass  Kaiser  Friedrich  HL  sich  endlich 
genöthigt  sah,  dem  weiteren  Niedergang  seiner  Städte  durch 
Verwaltungsmaßregeln  zu  begegnen.^® 

19.  Diese  schier  unleidlich  gewordene  wirtschaftliche  Lage 
drängte  endlich  zur  Lösung ;  die  Landschaften  von  Innerösterreich 
boten  dem  König  Maximilian  eine  Geldentschädigung,  wenn  dieser 
auf  sein  Judenregal  verzichten  und  die  Juden  aus  seinen  Landen, 
wie  es  in  der  damaligen  Kanzleisprache  hieß,  für  immer  „Urlauben" 
würde.  Das  eigentliche  Übel  saß  jedoch  tiefer  und  war  mit  der 
Vertreibung  der  Juden  außer  Landes  keineswegs  behoben.  Nach 
wie  vor  trafen  sowohl  in  den  höheren  Kreisen  als  in  den  breiten 


18  Z.  B.  1463  die  Gebrüder  Ungnad,  1477  das  Kloster  Garsten,  1478  ebenso 
Reun  und  Friedrich  von  Stubenberg.  Wiener,  Regesten  86,  Nr.  55;  Chmel, 
Mon.  Habsb.,  I,  697.  824.  Mitth.  d.  bist.  Ver.  f.  Steiermark,  XI,  196,  Anra.l. 

1®  S.  den  Brief  vom  Jahre  1478  zu  Gunsten  der  Stadt  Judenburg,  die  an 
bürgern  und  hewaem  vaat  in  abnehmen  kamen  ist  ,  .  .  durch  die  judischait .  .  . 
Mon.  Habsb.  I,  2,  S.  800.  Für  Hartberg  bei  Wiener,  a.  a.  0.,  S.  95,  Nr.  108. 
Für  Brück  a.  d.  Mur  1488,  13.  März,  Orig.  im  steirischen  Landesarchiv. 


Die  Jaden  in  Osterreich;  Bauembewegungen.  229 

Schichten  der  Bevölkerung  die  steigenden  Anforderungen  des 
Lebens  und  eines  überhand  nehmenden  Geldverkehrs  mit  unaus- 
gebildeter  Wirtschaft  und  Mangel  an  verfügbaren  Barmitteln  zu- 
sammen. Die  Klagen  über  Theuerung  wollten  nicht  verstummen 
und  die  Beschwerden  wandten  sich,  wie  früher  gegen  die  Praktiken 
der  Juden,  so  nunmehr  gegen  die  Ausbeutung  durch  das  Groß- 
capital  der  Fugger,  Welser,  Paumgartner  u.  A.,  sowie  gegen  die 
^Finanzerei*  der  Handelsgesellschaften.  Die  bäuerlichen  Unter- 
thanen,  auf  welchen  die  drückendsten  Lasten  lagen  und  die  von 
den  Einfällen  der  Türken  und  den  Brandschatzungen  der  Söldner- 
scharen am  meisten  zu  leiden  hatten,  wurden  schwierig.  Selbst 
ein  gerechtfertigtes  Verlangen,  wie  jenes  des  kaiserlichen  Pflegers 
zu  Spital,  der  um  Lichtmess  1478  statt  eines  der  aus  dem  Verkehr 
geschwundenen  Aquilejer  Pfennige,  dem  Wert  entsprechend  zwei 
gemeine  Pfennige  einforderte,  führte  zu  Unruhen  und  in  wenig 
Monaten  zu  einem  großen  Bauernbunde  von  Kärnten  bis  nach  Ober- 
steiermark. Die  Versuche  einzelner  Grundherren,  welche  die  vor 
Jahrhunderten  den  Grundholden  zugestandene  Geldablösung  der 
Dienste  rückgängig  machen  wollten,  um  auf  die  früheren  Natural- 
leistungen zurückgreifen  zu  können,  erzeugten  vollends  dumpfe 
Gährung :  sie  war  die  Vorbereitung  zu  dem  ersten  großen  Bauern- 
krieg der  slavischen  Bevölkerung  in  Innerösterreich,  der  unter  dem 
Schlagwort  des  Kampfes  ums  alte  Recht  (stara  pravda)  in  den 
Tagen  Kaiser  Maximilian's  (1515/6)  blutig  ausgefochten  wurde. 

Die  weltlichen  Stände  der  mittelalterlichen  Gesellschaft. 

§  35.  Landherren  and  Bittermäßige. 

Hasonöhrl,  S.  60ff.  —  Huber,  Relchag.  42.  —  Kurz  H.,  Herzog 
Albrecht  IV.,  1.  Bd.,  8.  261  ff.  —  Schalk,  die  niederöstcrr.  Aveltlichen  Stände  des 
15.  Jahrhunderts  nach  ihren  speciflschen  Eigenthumsformen.  (E.-B.  II.  d.  Mitth. 
d.  Inst.  f.  ö.  G.)  —  Siegel  H.,  Die  rechtliche  Stellung  der  Dienstmannen  in 
Österreich  im  12.  und  13.  Jahrhundert.  8.  B.,  Bd.  102,  8.  235  ff.  —  Waitz, 
Deutsche  Verfassungsgeschichte,  V,  185 ff.  —  v.  Zaliinger,  Ministeriales  und 
Milites.  Innsbruck  1878.  —  Die  ritterlichen  Classen  im  steirischen  Landrecht. 
(Mitth.  des  Institute  für  österr.  Geschichtef.,  IV,  393  ff.) 

1.  Solange  die  Freiheit  die  Stellung  des  Einzelnen  im 
Staate  begründete  (§11,  2),  waren  zwar  alle  Freien  zu  Gehorsam 


r 


230         Österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  35. 

gegen  die  königlichen  Beamten  verpflichtet,  aber  doch  gleich 
diesen  dem  Könige  ohne  Mittel  unterworfen.  Allmählich  hatte 
indessen  die  Freiheit  manches  von  ihrer  ursprünglichen  Bedeutung 
verloren,  namentlich  hörte  für  die  große  Mehrzahl  die  unmittel- 
bare Verbindung  mit  dem  Reichsoberhaupte  auf,  seitdem  die 
Herzoge,  Markgrafen  und  Grafen  aus  königliclij^n  Beamten,  eigen- 
berechtigte Inhaber  von  Ländern  geworden  wAren.  Das  gab  den 
Anstoß  zu  einer  Umbildung  der  Gesellschaft  auf  neuen  Grund- 
lagen. Die  Reichsunmittelbarkeit  als  Vorrecht  einiger  begünstigter 
Geschlechter  wurde  nun  zur  wichtigsten  Voraussetzung  für  die 
Herrschaft  über  die  mittelbar  gewordenen  Bewohner  der  landes- 
herrlichen Gebiete,  während  die  Abstammung  von  freien  Eltern 
nicht  einmal  für  die  Stellung  des  Einzelnen  innerhalb  des  Terri- 
toriums den  früheren  Wert  behielt,  weil  je  nach  der  Art  des 
Besitzes  und  der  Verbindung  mit  Höhergestellten  zu  Schutz  und 
Dienst,  Unterschiede  entstanden  waren.  Nicht  der  Gegensatz  von 
frei  oder  unfrei,  sondern  von  rittermäßig  oder  nicht  rittermäßig 
wurde  jetzt  entscheidend,  daneben  aber  machten  der  Beruf,  den 
jemand  trieb,  das  Leben  in  der  Stadt  oder  auf  dem  Lande,  der 
Besitz  von  Ämtern,  Rechten,  Gütern  und  noch  mancherlei  andere 
Verhältnisse  ihren  Einfluss  geltend.  Ergebung  in  fremde  Gewalt 
hatte  die  Zahl  und  die  Arten  der  abhängigen  Leute  vermehrt, 
Freilassung  die  der  eigentlichen  Knechte  vermindert.  -Die  alten 
Unterschiede  verblassten,  während  die  Lebensweise  neue  schuf, 
so  dass  die  frühere  Sonderung  der  Gesellschaft  nach  der  Geburt, 
jetzt  durch  eine  andere  nach  Berufsständen  ersetzt  wurde.  Nichts 
kennzeichnet  diesen  im  13.  Jahrhundert  schon  eingetretenen  Um- 
schwung besser,  als  der  Umstand,  dass  nunmehr  ein  dem 
Lehensrecht  angehöriger  Begriff,  die  Lehensfähigkeit  oberster  Ein- 
theilungsgrund  für  die  Gliederung  der  Gesellschaft  geworden  war. 
Die  durch  ihren  Beruf  mit  dem  Waffenrecht  Ausgestatteten,  ob 
freigeboren  oder  unfrei,  schlössen  sich  als  Rittermäßige  (im  weiteren 
Sinne)  von  dem  Bauernstande  ab,  der  sowohl  die  freien  als  die 
unfreien  Landbebauer  umfasste,  während  die  Bewohner  der  Städte 
und  Märkte  als  Bürger  zu  einem  besondern  Mittelstande  wurden. 
2.  Innerhalb  der  Rittermäßigen  gab  es  Unterschiede  lehens- 
rechtlicher Natur.  Wer  active  und  passive  Lehensfähigkeit  ohne 
Reichsunmittelbarkeit   hatte,   der   gehörte  zu  den  Herren   »vom 


Umbildung  der  gesellschaftlichen  Stände,  freier  Landesadel.  231 

Lande''  oder  kurzweg  zu  den  „Landherren*.  Die  übrigen,  die  bloß 
passive  LeheuBfähigkeit  besaßen,  nannte  man  die  Rittermäßigen 
schlechtweg,  in  Österreich  auch  sendbare  Leute,  Einschildritter. 

Unter  den  Landherren,  welche  die  Großgrundbesitzer  waren, 
gab  es  sowohl  Freie  als  Unfreie.  Zu  den  ersten  zählten  Grafen 
und  freie  Herren,  zu  den  letzterwähnten  die  Dienstmannen  oder 
Ministerialen.  Als  Freigeborne  standen  die  Grafen  und  freien 
Herren  nach  Landrecht  auf  einer  Stufe  und  dem  entapri(;ht,  dass 
in  den  Urkunden  bis  ins  13.  Jahrhundert  Mitglieder  gräflicher  Ge- 
schlechter in  der  Reihe  der  nobiles  oder  liberi  unter  den  Zeugen 
angeführt  wurden.  Allein  schon  in  der  Urkunde  Herzog  Leopold's  VI. 
für  das  Schottenkloster  in  Wien  vom  Jahre  1200  werden  die 
Zeugen  de  ordine  coraitum,  de  ordine  liberorum  und  de 
ordine  ministerialium  unterschieden  und  dies  Voranstellen  der 
Grafen  wird  Regel  seit  der  zweiten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts. 

3.  Die  in  den  Landen  der  österreichischen  Herzoge  begüterten 
Freien  und  Grafengeschlechter  hatten  der  überwiegenden  Mehr- 
zahl nach  ihre  Reichsuumittelbarkeit  zur  Zeit  der  Babenberger 
schon  eingebüßt.  In  Tirol,  wo  die  Landesherrlichkeit  erst  durch 
Herzog  Meinhard  II.  (f  1295)  begründet  wurde,  fallt  der  Nieder- 
gang der  reichsunmittelbaren  Dynasten  später  und  wurde  durch 
den  Lehensauftrag  der  Vögte  von  Matsch  (1311)  und  der  Herren 
von  Frundsberg  (1319)  vollendet;  im  Jahre  1383  mussten  sich 
auch  die  Grafen  von  Schaunberg  im  Lande  ob  der  Enns  beugen, 
damit  war  die  allgemeine  Unterwerfung  unter  die  Hoheit  der  öster- 
reichischen Herzoge  vollendet.  Übrig  blieben  seit  dem  Ende  des 
14.  Jahrhunderts  nur  noch  die  Grafen  von  Görz  und  von  Cilli, 
von  welchen  die  einen  selbst  Landesherren  waren,  die  zweiten 
dies  Ziel  zweifellos  erreicht  hätten,  wofern  ihr  Geschlecht  nicht 
unvermuthet  erloschen  wäre.  Alle  andern  Grafen  und  Freien- 
geschlechter zählten  fortan  nur  zum  österreichischen  Landesadel 
und  es  änderte  daran  die  Thatsache  nichts,  dass  einzelne,  wie  die 
Grafen  von  Schaunberg,  bei  günstiger  Gelegenheit  wieder  einen 
Schimmer  von  Reichsuumittelbarkeit  erlangten.^    Noch  weniger 

^  Die  Grafen  von  Schaunberg  besuchten  z.  B.  auch  späterhin  Reichstage, 
steuerten  zum  Reichskammergericht  und  standen  in  der  Reichsmatrikel,  aus  der  sie 
erst  1548  (elf  Jahre  vor  dem  Aussterben)  ,aus  Achtung  für  den  Kaiser*  gelöscht 
wurden.    Qebhardi,  111,  314.  —  Die  Bestrebungen  Kaiser  Sigmund's,   die  an- 


232        österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  35. 

wirksam  war  begreiflicherweise  die  rein  formelle  Erhebung  land- 
sässiger  Familien  wie  der  Eitzing,  Prueschenk  u.  a.  in  den  Stand 
der  Reichsfreien  oder  Reichsgrafen,  die  seit  dem  15.  Jahrhundert 
vorkommt.^  Die  einen  wie  die  andern  waren  und  blieben  Unter- 
thanen  der  österreichischen  Herzoge,  die  ihnen  eben  darum  die 
Ebenbürtigkeit  versagten.  Nicht  um  die  Heunburg  zu  ehren,  wie 
der  Reimchronist  vorgibt,  sondern  aus  Staatsrücksichten  wurde 
beispielsweise  im  Jahre  1270  die  letzte  Babenbergerin  Agnes 
durch  König  Otakar  „ad  generis  depressionem"  zur  Heirat 
mit  dem  Grafen  von  Heunburg  genöthigt.'* 

Als  FreigeboiTie  nahmen  übrigens  die  landsässigen  Grafen 
und  Freien  noch  im  13.  Jahrhundert  das  Recht  für  sich  in  Anspruch, 
ihr  Thun  und  Lassen  selbst  zu  bestimmen,  z.  B.  Waflfenbündnisse 
mit  Auswärtigen  abzuschließen,*  soweit  sie  nicht  unmittelbar  gegen 
den  Landesfürsten  gerichtet  waren ;  femer  konnten  gewsse  Güter, 
welchen  die  Eigenschaft  des  s.  g.  freien  Eigens  (quod  vulgo  vocatur 
vreyzaigen)  zukam,  nur  auf  Freigebome  vererbt  werden  und 
giengen  darum  verloren,  wenn  die  Erben  der  unebenbürtigen  Ehe 
eines  freien  Vaters  mit  einer  Ministerialin,  oder  umgekehrt  ent- 
stammten.^ 

Landsässige  Grafen  und  freie  Herren  bildeten  den  frei- 
gebomen  Landesadel.  Das  Waflfenhandwerk  hob  indessen  auch 
Unfreie  zu  ähnlicher  Stellung  empor. 

4.  Der  Mangel  an  zu  Kriegsdiensten  willigen  Freien  hatte 
die  Großen  des  Reiches  schon  früh  zur  Bewaffnung  ihrer  körper- 


gesehensten, auch  landsässigen  Geschlechter  in  Österreich  zur  Unabhängigkeit 
und  Reichsunmittelbarkeit  emporzuheben,  so  die  Cilli,  Kreig,  Walsce  u.  a.  be- 
handelt Chmel,  Geschichte  Kaiser  Priedrich's  IV.,  1.  Bd.,  S.  23. 

^  S.  mein  Gerichtswesen  29,  Anm.  28. 

^  Anonymus  Leobiensis  bei  Pez  8s.  I,  832.  Die  Verbindung  des  Grafen 
Konrad  von  Hardeck  aus  dem  Geschlecht  der  Burggrafen  von  Magdeburg  mit  der 
verwitweten  Tochter  des  verstorbenen  Herzogs  Leopold  ahndete  Herzog  Albrocht  II. 
1348  durch  Verbannung  des  ganzen  Geschlechts.  Mon.  Germ.,  Fol.,  Ss.  IX,  685. 

*  So  erklärte  Graf  Konrad  von  Hardeck  im  Jahre  1260  dem  König  Otakar, 
als  dieser  den  Steirem  die  Hilfe  gegen  die  Ungarn  versagte:  „ich  bin  ein  rehte 
frier  man  von  allen  mlnen  vier  anen,  ich  wil  mich  dez  durch  nieman  ftnen, 
ich  welle  dienen  swem  ich  wil,  auch  sol  mir  nieman  dhaln  zil  mit  gepote  stecken" 
und  schloss  sich  dann  den  Steirem  an.  Steir.  Reimchronik  v.  6437  ff. 

»  Urkunde  über  Schloss  Hömstein  vom  Jahre  1267  in  §  12,  Anm.  31. 


Freier  Landeeadel;  unfreie  Rittermäßige.  233 

lieh  tauglichen  Unfreien  veranlasst,  theils  zu  eigener  Sicherung 
in  Zeiten  innerer  Unruhen,  vornehmlich  aber,  um  ihren  Lehens- 
pflichten  nachkommen  zu  können.  Eine  Folge  dieser  Übung  war, 
dass  sich  das  Ansehen  solcher  Unfreien  hob,  und  zwar  nicht  bloß 
über  Standesgenossen,  sondern  allmählich  auch  über  zahlreiche 
Freie,  welche  Nachsicht  der  Heerespflicht  durch  Übernahme  von 
Gelddiensten  oder  Leistungen  anderer  Art  erkauft  hatten.  Ebenso 
entsprach  es  den  Lebensverhältnissen  des  Mittelalters,  dass  der 
dem  Vater  zugestandene  Beruf  auf  den  Sohn  übergieng  und  dass 
diQ  Fähigeren  aus  dem  Kreise  dieser  Unfreien  zu  ständigen  Be- 
gleitern, ja  zu  Berathem  ihrer  Herren  wurden,  die  ihnen  dann 
mancherlei  Gunstbeweise  zuwandten. 

Das  Ergebnis  der  hier  angedeuteten  Entwicklung  war,  dass 
sich  unter  den  Unfreien  ritterliche  Classen  bildeten,  die  durch 
das  Wafifenhandwerk  dem  Landesadel  angenähert  waren  und 
schließlich  geradezu  als  adelig  betrachtet  wurden.  In  den  alt- 
österreichischen  Landen  waren  dies  die  Ministerialen  und  die 
unfreie  Ritterschaft.  Sosehr  sich  übrigens  ihr  gesellschaftliches 
Ansehen  gehoben  hatte,  so  blieb  doch  die  Erinnerung  an  ihren 
unfreien  Ursprung  lange  Zeit,  bis  tief  in  das  14.  Jahrhundert  herab 
wirksam.®  Sowohl  die  Dienstmannen,  als  die  ihnen  untergeordneten 
Rittermäßigen  zählen  zu  den  eigenen  Leuten,  d.  h.  sie  hatten  einen 
Herrn,  dem  sie  durch  die  Geburt  angehörten.  Dieser  konnte  zwar 
von  ihnen  nicht  mehr  die  Dienste  bäuerlicher  Eigenleute,  sondern 
nur  solche  verlangen,  die  sich  mit  dem  ritterlichen  Beruf  ver- 
trugen, allein  die  von  ihrer  Seite  unlösliche  Abhängigkeit  von  dem 
angebornen  Herrn  machte  sich  oft  genug  in  anderer  Weise  fühl- 
bar. Die  Dienste,  die  sie  für  das  in  lehensähnlicher  Art  em- 
pfangene Gut,  das  „Dienstlehen*  zu  leisten  hatten,  waren  um- 
fassender, als  sie  der  Herr  vom  freien  Vasallen  fordern  konnte, 
die  Verfügung  über  ihre  Habe  beschränkter;  auch  konnten  sie 
mit  ihrem  Gute  vom  Herrn  nach  Belieben  verkauft,  verlehnt  und 
überhaupt  veräußert  werden.    Der  Eheabschluss  war,  sofern  die 


®  1342  verzichtet  Herzog  Albrecht  II.  zu  Gunsten  des  Erzbischofs  Heinrich 
von  Salzburg  auf  „die  eigenschaft  die  wir  an  der  erbern  Ofhneyn  unsers  getreuen 
Gandachers  des  Starchenberger  (die  jetzigen  Fürsten  von  Starhemberg)  tochter, 
des  Velber  von  Salzburg  eliche  wirtin,  von  unsers  landes  wegen  ze  Österreich 
gehabt  haben  ..."  Ludewig  Reliquise,  Mss.  IV,  276. 


234        österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  35. 

Herren  keinen  Heiratszwang  übten,*^  im  allgemeinen  i\ur  unter 
Standesgenossen  freigegeben  die  zum  gleichen  Hofe  gehörten, 
sonst  kam  es  im  günstigsten  Falle  zu  einer  Theilung  der  Nach- 
kommenschaft unter  die  Herren  des  Eltempaares.^ 

6.  Das  Ansehen  dieser  Unfreien  war  je  nach  der  Stellung 
ihrer  Herren  verschieden.  Zu  höchst  standen  die  Dienstmannen 
des  Reichs,  die  jedoch  nicht  nothwendig  reichsunmittelbar  sein 
mussten,  sondern  mit  ihrem  Besitz,  zumal  an  Burgen,  dem  Fürsten- 
thum,  in  dessen  Grenzen  die  Güter  lagen,  als  Zubehör  beigegeben 
sein  konnten,  um  dem  Fürsten  in  Ehren  zu  dienen  und  das  Land 
gegen  die  Feinde  zu  wehren.  So  war  es  in  Österreich,  wo  es 
Dienstmannen  gab^  die  im  Eigenthum  des  Reiches  verblieben  und 
zugleich  im  Lehensbesitz  des  Landesherrn  waren,  während  die 
Ministerialen  des  steirischen  Herzogs^  ursprünglich  dessen  eigene 
Leute,  erst  durch  die  Gnadenbriefe  Kaiser  Friedrich's  IL  und 
König  Rudolfs  L  ;5U  Reichsdienstmannen  erhoben  wurden.*  In 
dem  einen  wie  in  dem  andern  Falle  wurden  diese  Dienstmannen 
ausdrücklich  als  die  zum  Lande  gehörigen  (die  ze  recht  zu  dem 
land  gehorent)  bezeichnet  und  den  Dienstmannen  sowohl  der  aus- 
wärtigen „Gotteshäuser"  als  auch  der  landsässigen  Hochstifte  und 
Abteien,  wie  der  fremden  Fürsten  und  Grafen  gegenübergestellt.  *^ 

■^  Den  Steirem  gelang  es  1237,  durch  den  kaiserlichen  Freiheitsbrief  diese 
inimica  justicie  consuetudo  in  Abfall  zu  bringen  und  zu  erwirken,  ut 
libere  filios  ac  filias  eorum  cui  voluerint  copulare  debeant  in 
futurum.  St.  U.-B.  II,  462.  Bekannt  ist,  dass  Herzog  Albrecht  I.  die  Erbtöchter 
der  österreichischen  Ministerialen  zu  Ehen  mit  seinen  schwäbischen  Günstlingen, 
den  Walsee,  Landenberg  u.  a.  zwang. 

8  Wechselheiraten  zwischen  den  Ministerialen  von  Österreich  und  Steier- 
mark waren  seit  1186  ohneweiters  zulässig.  Der  Vertrag  Herzog  Leopolds  VI. 
mit  Passau  vom  Jahre  1228  gestattete  sie  mit  Vorbehalt  der  Theilung  der 
Knaben,  jener  Herzog  Friedrich's  II.  mit  Freising  bestimmte  ,ut  .  .  .  liberi  ex 
matrimonio  huiusmodi  procrcati  et  possessiones  et  bona  parentum  equaliter 
dividantur."  Mon.  B.  XXVIII,  2,  S.  300.  Cod.  Austr.  Fris.  1,  351.  Bestätigung  vom 
Jahre  1277.  Vertrag  zwischen  dem  Bisthum  Gurk  und  den  Meraniem  1197.  U.-B. 
f.  St.  n,  52.  Vgl.  auch  Anm.  6. 

*  Daher  verfügte  auch  Herzog  Otakar  über  sie  als  Eigenthum  im  Jahre 
1186  ministeriales  more  ministerialium,  proprios  jure  propriorum 
dando.  Ü.-B.  f.  St.  I,  654. 

^^  So  schenkte  z.  B.  im  Jahre  1140  Dyebaldus  nobilis  quidam  de  Chagere 
dem  Kloster  Obern  bürg,  seiner  Stiftung:  ministeriales  utriusque  sexus  prope 
centum  qui  legem  et  jus  Aquilegiensium  dienstmannorum  eorum  oollaudatione 


.    Stellung  der  Dienstmannen  und  Ritter.  235 

7.  Die  gleiche  Unterscheidung  wiederholte  sich  folgerichtig 
bei  den  einfachen  Rittermäßigen.  Jene  Eigenleute,  welche  das 
Reich  als  Wehrmänner  oder  Einschildige  bei  der  Besiedlung  ins 
Oäu  der  Mark  gesetzt  hatte,  hießen  fortan  in  Österreich  die  Ritter 
und  Knappen  die  zu  dem  Land  gehören,  oder  Ritter  des  jeweiligen 
Herzogs,  in  Steiermark,  wo  sie  gleich  den  Dienstmannen  bis  zum 
kaiserlichen  Gnadenbriefe  vom  Jahre  1237  im  Eigen thum  des 
Herzogs  gestanden  hatten,  Landleute  des  Herzogs  oder  Landleute, 
comprovinciales  schlechtweg.  Alle  Übrigen  wurden  je  nach 
ihrem  Herrn  unter  den  Rittern  begriffen  j^die  bischof  angehorent 
oder  andere  gotzheuser  oder  die  herren  von  dem  land*",  sie  hatten 
ein  geringeres  Ansehen  und  mussten  manche  Vorrechte  entbehren, 
deren  sich  die  ,  Landleute ""  erfreuten. 

8.  Sowohl  die  Dienstmannen  (ministeriales)  als  die  einfachen 
Rittermäßigen  (milites  et  clientes)  sind  aus  den  bewafheten.  zum 
Kriegsdienst  verpflichteten  und  verwendeten  Unfreien  hervorge- 
gangen. Die  Scheidung  in  die  erwähnten  Classen  wurde  ange- 
bahnt als  einzelne  nebst  dem  allen  obliegenden  Kriegsdienst  durch 
Zutheilung  an  die  bekannten  vier  Hausämter,  Gelegenheit  zu  ehren- 
vollem Hofdienst  erhielten.  Was  erst  persönliche  Auszeichnung 
war,  das  konnte,  wenn  es  auf  die  Nachkommen  übergieng,  leicht 
einen  bleibenden  Vorzug  des  Hauses  vor  den  alten  Standes- 
genossen begründen.  Von  dem  Augenblicke  an,  wo  die  Fähigkeit 
zur  Bekleidung  dieser  Hofdienste  zum  erblichen  Vorrecht  gewisser 
Geschlechter  wurde,  war  die  Überordung  der  Dienstmannen  über 
die  einfachen  Ritter  entschieden.  Alsbald  erhielt  ihr  höherer 
Rang  auch  noch  andern  Ausdruck,  die  Dienstmannen  gewannen 
theils  von  ihren  eigenen  Herren,  theils  durch  fremde  Lehen  großes 
Gut  und  zahlreiche  Ritter  wurden  ihr  Eigen.  Als  schließlich  die 
Lehensfähigkeit  aller  Rittermäßigen  anerkannt  war,  da  konnten 
die  Dienstmannen  sowohl  Lehen  empfangen  als  weitergeben, 
während  die  Ritter  als  Einschildige  sich  mit  der  Fähigkeit  zum 
Lehensempfang  begnügen  mussten. 


deberent  habere.  U.-B.  f.  St.,  I,  188.  Ministerialen  des  Frauenstiftes  Goeß  um 
1160/70  a.  a.  0.  493,  721.  Daher  erklärt  der  kleine  Lucidarius  VKI.  581,  ,die 
dienstman  in  österrlch  sint  an  wirden  ungellch'  und  die  steirische  Handfeste  vom 
Jahre  1237  begnügt  sich  mit  dem  consilium  commune  ministerlalium 
fußjorum  Styrie  für  den  Fall  der  Münzemeuerung. 


L  I 


236        österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  35. 

9.  Der  oben  erwähnte  Umstand,  dass  die  Zahl  der  freien 
Dynastengeschlechter  in  den  altösterreichischen  Landen  nicht  sehr 
groß  war  und  dass  die  meisten  von  ihnen  bis  gegen  die  Mitte 
des  13.  Jahrhunderts  ausgestorben,  oder  landsässig  geworden 
waren,  hat  hier  die  Stellung  der  Dienstmannen  nicht  wenig  ge- 
hoben. Am  deutlichsten  lässt  sich  dies  in  der  Steiermark  ver- 
folgen,  wo  man  z.  B.  schon  im  Jahre  1165  bei  Strafansätzen 
zwischen  Freien  und  Ministerialen  nicht  mehr  unterschied.*^  Die 
Georgenberger  Urkunde  (1186)  festigte  dann  für  den  Übergang 
an  die  Babenberger  die  bis  dahin  erworbenen,  oder  neu  zuge- 
standenen, Rechte  der  steirischen  Dienstmannen  und  zum  Theil 
auch  der  ritterlichen  Landleute.  Seitdem  waren  jene  sowohl  im 
öffentlichen  als  auch  im  Lehen-  und  Privatrecht  vielfach  günstiger 
gestellt  als  ihre  österreichischen  Standesgenossen.  Gegen  Be- 
drückungen sollte  ihnen  der  Weg  an  den  Kaiser  und  das  Fürsten- 
gericht freistehen,  die  Einforderung  gewisser  in  Österreich  üblicher 
Abgaben  unstatthaft  sein,  das  Anfallsrecht  wurde  aufgehoben, 
die  Vererbung  der  Lehen  auf  die  Töchter  ausgedehnt,  Verwandten- 
erbfolge für  das  übrige  Vermögen  zugesagt.  Außerdem  wurden 
den  steirischen  Ministerialen  unter  sich  die  freie  Veräußerung 
von  Gütern,  sowie  Zuwendungen  an  Klöster  gestattet,  während 
früher  dies  fallweise  der  Zustimmung  des  Herrn  bedurft  hatte. 
Neue  Rechte  brachten  ihnen  die  Gnadenbriefe  Kaiser  Friedrich's  II. 
und  König  Rudolfs  I.  in  den  Jahren  1237  und  1277.  Die  ^ministe- 
riales  und  comprovinciales*  von  Steiermark  wurden  in  das  Eigen- 
thum  des  Reiches  übernommen,  der  Heiratszwang,  der  die  Dienst- 
mannen vor  allem  an  ihre  unfreie  Herkunft  mahnte,  abgeschafft, 
der  Landesfürst,  dem  sie  seit  1277  erst  nach  vorgängiger  An- 
erkennung ihrer  Handfesten  zu  huldigen  brauchten,  wird  in  wich- 
tigen Landesangelegenheiten  an  ihren  Beirath  gewiesen  u.  s.  w. 

10.  So  war  also  die  Stellung  der  Dienstmannen  in  der  ersten 
Hälfte  des  13.  Jahrhunderts  von  jener  der  freien  Herren  nur 
noch  wenig  verschieden.  Schon  gab  es  einzelne  unter  ihnen,  die 
sich  ihre  Frauen  aus  gräflichen  Geschlechtem  geholt  hatten.  Es 
wurden  daher  die  Bezeichnungen   „nobilis"    und   „dominus"  all- 

^^  Die  Gründungsurkunde  der  Karthause  Beiz,  die  vieUeicht  in  etwas 
jüngerer  Ausfertigung  vorliegt,  bedroht:  .si  liber  vel  ministerialis  est  x  libras 
componat,  si  de  ordine  plebeio  est,  30  solides  persolvat".  U.-B.  f.  St.  I,  453. 


Anschluss  der  Dienstmannen  an  den  freien  Landesadel.  237 

mählich  auch  auf  die  Ministerialen  angewandt,  die  bereits  in  der 
Aufzeichnung  des  österreichischen  Landesrechts  mit  den  Grafen 
und  Freien  zum  Landesadel  gerechnet  worden  waren  und  die  man 
seit  den  Tagen  König  Rudolfs  als  Großgrundbesitzer  und  Herren  der 
von  ihnen  abhängigen  Ritterschaft,  zu  den  „Landherren''  schlecht- 
weg zählte.  Seit  dem  14.  Jahf hundert  verschwindet  der  Ausdruck 
Dienstmann  und  wird  als  Standesbezeichnung  durch  das  ehrendere 
^Dienstherr*  ersetzt;  deutet  hier  das  Bestimmungswort  noch  auf 
die  persönliche  Abhängigkeit,  so  verlor  sich  allmählich  auch  diese 
Spur.  Im  steirischen  Landesrecht  aus  dem  14.  Jahrhundert  wird 
der  Ausdruck  „Dienstherr*  ausnahmslos  ohne  besondere  Beziehung 
auf  die  Ministerialen  ganz  allgemein  für  Lehens-  oder  Grundherr 
gesetzt.  Der  nämliche  Sprachgebrauch  lässt  sich  in  den  landes- 
fürstlichen Gnadenbriefen  vom  Jahre  1338  für  Kärnten  und  Krain 
und  in  der  Urkunde  Herzog  Rudolfs  IV.  vom  Jahre  1360  belegen, 
in  welcher  er  der  Äbtissin  von  Goeß  auf  den  Klostergütern  in 
Kärnten  » Dienstherrenrecht *"  verlieh.  Das  Ansehen  und  die  poli- 
tische Bedeutung  dieser  Standesclasse  beruhte  eben  vor  allem 
auf  dem  großen  Grundbesitz,  den  diese  Geschlechter  theils  als 
AUod,  theils  als  Lehen  oder  Pfandschaft  inne  hatten  und  durch 
welchen  sie  seit  Jahrhunderten  mit  dem  Wohl  und  Wehe  des 
Landes  verbunden  waren.  Als  dann  im  15.  Jahrhundert  die  Ent- 
wicklung der  Landstände  in  Altösterreich  zum  Abschluss  gelangte, 
bildeten  die  Landherren,  d.  i.  der  Inbegriff  der  Grafen,  freien 
Herren  und  Dienstmannen  von  ehemals,  die  erste  weltliche  Classe 
unter  den  vier  Ständen  und  wurden  der  Stand  der  Grafen  und 
Herren  oder  schlechtweg  der  Herrenstand  genannt. 

11.  Ungleich  langsamer  hob  sich  das  Ansehen  der  einfachen 
Ritter  und  Edelknechte,  der  rittermäßigen  oder  sendbaren  Leute, 
der  militesetclientes,  wie  sie  in  Österreich  hießen. ^^ Zwar  wurden 
sie  schon  seit  den  Tagen  König  Rudolfs  I.  zu  den  Adeligen  im 
weiteren  Sinne  gerechnet,  weil  sie  das  Waffenrecht  hatten  und 
lebensfähig  waren,  allein  die  Kluft,  die  sie  von  ihren  Herren 
trennte,  mochten  diese  freier  oder  unfreier  Herkunft  sein,  war 
groß.   Der  Stand  war  noch  nicht  geschlossen;  Bürger  und  reiche 

12  Der  Unterschied  zwischen  Rittom  und  Edelknechten  oder  adeligen 
Knappen  war  einzig  durch  den  hohem  Rang  bedingt,  welchen  die  Ertheilung 
des  Ritterschlags  im  allgemeinen  gewährte. 


238        Osterreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  35. 

Bauernsöhne,  die  Lust  am  Waffenhandwerk  hatten,  konnten  sich 
noch  im  13.  Jahrhundert  den  sendbaren  Leuten  anschließen.« 
Wechselheiraten  zwischen  Ministerialen  und  einfachen  Rittern 
galten  darum  als  unstandesgemäfl  und  es  bedurfte  eines  könig- 
lichen Gnadenbriefes,  um  den  Kindern  aus  solchen  Ehen  den  Stand 
der  Dienstmannen  zu  verleihen.  Noch  ums  Jahr  1300  bestritten 
die  Landherren  den  Rittern  das  Recht,  eigene  Burgen  zu  besitzen, 
und  nur  mühsam  erkämpften  sich  diese  den  bevorzugten  Gerichts- 
stand des  höhern  Landesadels :  erst  zu  Anfang  des  15.  Jahrhunderts 
erlangten  sie  allgemein  und  bleibend  Aufnahme  in  die  Urtheiler- 
bank  und  Antheil  an  der  Berathung  der  gemeinen  Landesangelegen- 
heiten auf  den  Landtagen.  (§  28,  8.)  Gemeinsame  Interessen  gegen- 
über dem  aufstrebenden  Bürgerstand  hatten  mittlerweüe  die 
Adeligen  jeden  Ranges  einander  genähert.^'  Die  volle  Ausbildung 
der  Lehensfähigkeit  hatte  endlich  auch  bei  den  einfachen  Rittern 
die  Erinnerung  an  deren  Herkunft  verwischt,  die  Erstarkung  der 
Landesherrlichkeit  die  private  Herrengewalt  gebrochen.  Eintritt 
in  den  Pürstendienst  bot  jetzt  den  Rittern  die  Mittel  zur  Mehrung 
ihres  Besitzes,  ja  einzelnen  Bevorzugten  sogar  die  Möglichkeit  des 
Aufstiegs  in  die. Reihen  der  Landherren.  So  war  also  am  Schlüsse 
des  Mittelalters  die  Scheidung  zwischen  den  Herren  einerseits  und 
den  Rittern  und  Knechten  andererseits  lange  nicht  mehr  so  schroff 
als  in  früheren  Zeiten,  wiewohl  die  Nachwirkungen  der  früheren 
Auffassung  selbst  im  16.  Jahrhundert  noch  nicht  völlig  über- 
wunden waren.  ^* 

12.  Die  Vorrechte,  die  dem  Adel  in  Österreich  im  Mittelalter 
zustanden,  waren  theils  allgemein,  theUs  den  Landherren  vor- 
behalten. Zu  den  erstgenannten  zählte  die  Fähigkeit  zum  Empfang 
rechter  Lehen  und  das  Waffenrecht,   die  Freiheit   von  Mautab- 

18  So  hatte  z.  B.  Markgraf  Albrecht  AchiUes  von  BrandeDburg  1449  zum 
Kriege  gegen  Nürnberg  ein  Bündnis  der  Fürsten  und  des  Adels  zustande  ge- 
bracht, das  ziemlich  das  ganze  Reich  umspannte  und  von  den  Gestaden  der 
Nord-  und  Ostsee  bis  tief  nach  Krain  und  den  windischen  Landen  reichte. 

1^  Der  österreichische  Staatsmann  und  Gelehrte  Richard  Strein  von 
Schwarzenau  (f  1600),  der  Verfasser  der  österr.  Landhandfeste  u.  a.,  hat  noch 
die  Rechte  des  alten  Herrenstandes  ,als  strammer  Aristokrat"  gegen  den  Herrscher 
sowohl,  als  gegen  den  aufstrebenden  Ritterstand  mit  Kraft  verfochten  und  es 
dem  Kaiser  sehr  verübelt,  dass  dieser  die  Ritter  Harrach  und  Jörger  in  den 
Freiherrenstand  erhoben  hatte. 


Vorrechte  der  Landherren  und  der  einfachen  Rittermäßigen.         239 

gaben  für  den  Hausbedarf,  ein  privilegierter  Gerichtsstand  und 
das  Einungsrecht,  d.  h.  die  Befugnis  zur  Erreichung  selbstgewählter 
und  nicht  unerlaubter  Zwecke,  ohne  höhere  Genehmigung  vorüber- 
gehende oder  bleibende  Verbindungen  einzugehen,  ein  Recht,  das 
seinen  Ausdruck  in  mancherlei  Adelsbündnissen,  wie  dem  salz- 
burgischen Igelbund  1403,  dem  Elephanten-  und  dem  groüen  Bund 
in  Tirol  1406/7,  oder  in  den  Landesconventen  fand.  (§  23, 1,  §  28, 10.) 
Den  Landherren  war  active  Lebensfähigkeit  und  grundherr- 
liche Gewalt  vorbehalten.  Theüs  durch  ausdrückliche  Verleihung, 
tbeils  durch  Gewohnheit  hatten  die  Grafen,  Freien  und  die  Landes- 
ministerialen in  Österreich  schon  unter  den  Babenbergem  die 
Niedergerichtsbarkeit  auf  ihren  Gütern  erlangt.  Zur  Zeit  der 
ersten  habsburgischen  Herzoge  stand  dann  sowohl  den  Freien 
als  den  Dienstherren  auf  ihren  als  Herrschaften  bezeichneten 
Besitzungen  die  Landgerichtsbarkeit  zu,  so  dass  im  14.  Jahr- 
hundert zuweilen  die  offenen  Ausschreiben  der  Landesfürsten 
gleichmäßig  an  „alle  Landherren  und  Landrichter''  u.  s.  w.  er- 
lassen wurden.  ^'^  Außerdem  hatten  sie  als  Ausfluss  des  Grund- 
besitzes auf  demselben  die  Fischerei  und  die  niedere  Jagd,  hin 
und  wieder  auch  das  Tafernrecht,  den  Mühlzwang  u.  dgl.  Vor- 
behalten war  ferner  ihrer  Classe  die  Bekleidung  der  Kasten- 
vogtei  bei  Kirchen  und  Klöstern,  der  Zutritt  zum  geschwomen 
Rath  der  Landherren,  der  sowohl  dem  Fürsten  dienen  als  auch 
die  Interessen  der  Standesgenossen  zu  wahren  hatte  (§  28,  6), 
endlich  gewisse  Hofämter.  All  diese  Vorrechte  der  Landherren, 
mit  Ausnahme  des  letztgenannten,  wurden  übrigens  bis  gegen  das 
15.  Jahrhundert  der  Ritterschaft  zugänglich,  als  diese  größeren 
Grundbesitz  erworben  und  Stimme  auf  den  Landtagen  erlangt  hatte, 
wo  sie  fortan  den  zweiten  weltlichen  Stand  bildete.  Was  aber 
die  Hofamter  des  Kämmerers,  Schenken,  Truchsess  und  Marschalls 
anbetrifft,  so  waren  diese  nebst  einer  Ausstattung  an  Gut  und 
Renten  schon  seit  dem  Ende  des  12.  Jahrhunderts  allmählich 
in  den  Lehensbesitz  einzelner  Geschlechter  gekommen.  Während 
des  Zwischenreichs  hatten  sie  sich  dann  in  erbliche  Landesämter 
verwandelt,  die  nur  beim  Erlöschen  des  Geschlechts  oder  im  Fall 
der  Felonie  in  die  Hände  anderer  Landherren  übergehen  konnten. 

1»  Klein.  Lucidarius  VIII,  40.  Dann  im  Preiheitsbrief  Hlr  die  Kärntner  und 
Krainer  1338  ,. . .  waz  onch  dienstherren  ist,  die  stoclc  und  galgen  habent*  n.  s.  w. 


240         österreichische  Keichsgoschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  36. 


§  36.  Das  Stadtewesen  und  der  Bflrgerstand. 

S.  Literatur  in  §  21,  Anm.  4.  Femer  §  22,  Anm.  2,  §  23  und  24  und  die 
ausführlichen  Literaturangahen  hei  Schröder,  Reichsgeschichte,  600  ff.  — 
Hasenöhrl,  86.  —  Huher,  Reichsgeschichte,  82.  —  Jäger,  Landstände,  I, 
622  ff.  —  Keutgen,  Untersuchungen  üher  den  Ursprung  der  deutschen  Stadt- 
verfassung, 1895.  —  Peinlich,  Die  ältere  Ordnung  und  Verfassung  der  Städte 
in  Steiermark.  1879.  —  Pirenne,  l'origine  des  constitutions  urhaines  au 
moyenage.  S.  A.a.d.  Revue  historique,  Bd.  57, 1895.  —  Waitz,  D.  V.-G., VlI,  377  ff. 

1.  Das  Stadtewesen  in  Deutschland  ist  jüngeren  Ursprungs 
und  später  zur  Blüte  gelangt  als  in  Italien  oder  Frankreich,  es 
hat  sich  aber  dann  bis  zur  Reichsstandschaft  emporgeschwungen. 
Noch  später  als  in  Deutschland  insgemein  fällt  die  Entwicklung 
des  Städtewesens  in  Österreich  und  niemals  hat  es  hierzulande 
eine  ähnliche  Bedeutung  erlangt.  Der  Schwerpunkt  lag  hier  in  jenen 
Territorialstädten,  die  bis  gegen  den  Schluss  des  13.  Jahrhunderts 
in  die  Hände  des  Landesfürsten  gekommen  waren.  Reichsstädte 
fehlten  gänzlich,  da  Eger  seine  Reichsstandschaft  verlor,  Wien 
sie  ungeachtet  wiederholter  kaiserlicher  Gnadenbriefe  (1237,  1247, 
1278)  nicht  zu  behaupten  vermochte  und  die  Reichsunmittelbarkeits- 
Erklärungen  von  Tuln  (1276),  Brück  a,  M.  (1277),  Brunn,  Znaim, 
Iglau  (1278)  u.  a.  m.  überhaupt  nur  für  die  Zeit  bis  zur  Be- 
stellung eines  neuen  Herrschers  gelten  sollten.  Es  gab  femer 
wenig  bischöfliche  Städte,  die  sich  eines  größeren  Ansehens  hätten 
rühmen  können.  Außer  Salzburg,  das  in  den  Jahren  1481  bis  1511 
sogar  nach  Reichsunmittelbarkeit  trachtete,  wären  nur  etwa  Trient, 
Brixen,  Vülach,  Friesach  und  Pettau  und  einzelne  Bischofssitze 
im  Küstenland  hervorzuheben.  Durchwegs  unbedeutend  waren  die 
s.  g.  Privat-  oder  Municipalstädte  und  Märkte,  die  einzelnen  land- 
sässigen  Herren  unterstanden. 

2.  Gründungsurkunden  von  Städten  haben  sich  in  Altösterreich 
—  im  Gegensatz  zu  Böhmen  und  Mähren  —  aus  älterer  Zeit  nicht 
erhalten,  selbst  Nachrichten  über  die  Erbauung  oder  Erhebung 
von  Ortschaften  zu  Städten  sind  sehr  selten.  Wir  wissen  beispiels- 
weise, dass  die  Ennsburg  der  Vorläufer  der  Stadt  Enns  ums  Jahr 
900  und  Wiener-Neustadt  zwischen  1192/4  als  Grenzwehren  gegen 
die  Ungarn  erbaut,  dass  Brück  a.  M.  um  1260  zur  Stadt  erhoben 
wurde,  nachdem  es  schon  vorher  als  offener  Markt  Gnadenbriefe 


Anfänge  des  Städtewesens  in  Österreich.  241 

von  Herzog  Friedrich  II.  erwirkt  hatte,  zumeist  sind  wir  jedoch 
auf  zufällige  Nachrichten  angewiesen.  Daher  ist  es  leicht  möglich, 
dass  ein  Ort  schon  lang  die  Eigenschaft  einer  Stadt  hatte,  ehe 
sich  Veranlassung  ergab,  ihrer  in  jener  Urkunde  zu  gedenken,  die 
sich  gerade  bis  zum  heutigen  Tage  erhalten  hat.  So  sind  die 
Anfänge  des  Städtewesens  in  Österreich  in  tiefes  Dunkel  gehüllt 
und  da  manche  unserer  bedeutenderen  Städte  dort  erwuchsen, 
wo  schon  zur  Römerzeit  blühende  Gemeinwesen  bestanden  hatten, 
so  könnte  die  Vermuthung  auftauchen,  ob  nicht  in  einzelnen 
Fällen  ein  Zusammenhang  zwischen  beiden  anzunehmen  sei.  Diese 
Frage  müsste  jedoch  —  wenn  wir  etwa  Südtirol  und  das  Küsten- 
land bei  Seite  lassen  —  für  Österreich  ebenso  entschieden  wie 
für  Deutschland  verneint  werden,  da  zwischen  dem  Abzug  der 
Römer  und  der  Wiederkehr  geordneter  Zustände  in  den  Alpen- 
ländern ein  Zeitraum  von  Jahrhunderten  liegt.  Die  Nennung  einer 
civitas  Carantana,  Pettovia,  Ziup  ad  Sulpam,  Treisima,  Zeizinmure 
u.  dgl.  in  Gegenden,  wo  römische  Ansiedlungen  bestanden  hatten,^ 
die  sich  seit  dem  9./ 10.  Jahrhundert  findet,  bildet  keinen  Gegen- 
beweis. Die  Ausdrücke  civitas  und  urbs  hatten  damals  ihre 
technische  Bedeutung  längst  verloren  und  haben  sie  kaum  vor 
dem  12.  Jahrhundert  wiedergewonnen.  Es  ist  daher  gewagt,  für 
die  frühere  Zeit  aus  der  Anwendung  solcher  Bezeichnungen  allein 
schon  auf  das  Vorhandensein  mittelalterlicher  Städte  allgemein  zu 
schließen,  obgleich  es  im  einzelnen  Falle  ganz  gut  zutreffen  kann, 
beispielsweise  bei  der  im  Jahre  844  genannten  civitas  Trient,  die 
von  der  Langobardenzeit  her  herzoglicher  und  Bischofssitz  war. 
Recht  deutlich  zeigt  sich  hingegen  das  Schwanken  des  Sprach- 
gebrauchs bei  Krems,  das  wohl  die  älteste  Stadt  in  der  Ostmark 
gewesen  sein  dürfte:  es  heißt  im  Jahre  995  schon  urbs,  wird  aber 
bald  darauf  durch  längere  Zeit  abwechselnd  als  villa,  civitas, 
vicus,  locus  bezeichnet.  Tuln,  das  nach  Enenkl  die  erste  Haupt- 
stadt des  Landes  war,  wird  im  Jahre  1014  civitas  genannt.  Im 
Jahre  1053/54  begegnet  uns  eine  urbs  Hengistiburg,  1066,  ein 
castrum  Heingist,  beides  vielleicht  ältere  Namen  für  die  civitas 
Oraze,  die  seit  1138  erscheint;  auch  wird  berichtet,  dass  Bischof 

^  Eine  unmittelbare  Anknüpfung  an  die  römische  Niederlassung  fand  nicht 
einmal  in  Pettau  statt.  Das  römische  Poetovlo  lag  auf  dem  jenseitigen  (rechten) 
Drauufer  in  der  Ebene  bei  Haidin. 

Lmchlii,  Ofterrelchiscbe  Reichigetchichte.  16 


242        österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  36. 

Gebhard  von  Regensburg,  1056,  nach  der  Niederlage  der  Ungarn 
urbem  marehiae  Heimburch  sedificiis  restauratam  mit  kaiser- 
lichen Truppen  besetzt  habe.  Vor  dem  Jahre  1200  werden  uns 
außerdem  in  Urkunden  Wien  (1137),  Enns,  St.  Polten,  Wr.-Neu- 
Stadt,  Wels,  Brixen,  Aquileja,  Triest  und  einige  Orte  in  Istrien  als 
Städte  genannt,  wogegen  sich  Innsbruck,  Bozen,  Friesach,  Juden- 
burg u.  a.  noch  nicht  über  die  Markteigenschaft  erhoben  hatten. 

3.  Die  Unterscheidung  von  Städten  und  Märkten  hat  sich 
erhalten,  wiewohl  die  Voraussetzungen  zum  Theil  gewechselt  haben, 
von  welchen  die  Einreihung  eines  Ortes  in  die  eine  oder  andere 
Ordnung  abhängig  ist.  Die  Städte  des  Mittelalters  waren  privi- 
legierte Gemeinden,  sie  waren  Marktorte,  bildeten  einen  besondem 
Gerichtsbezirk,  genossen  betreffs  der  öffentlichen  Lasten  Vorzüge 
vor  dem  flachen  Lande.  All  dies  konnte  gegebenen  Falles  auch 
Märkten  zukommen,  die  sich  als  Übergangsform  von  der  Land- 
gemeinde zur  Stadt  darstellten,^  aber  der  Ummauerung  entbehrten, 
die  man  damals  für  ein  so  wesentliches  Wahrzeichen  hielt,  dass 
Orte  durch  bleibende  Niederlegung  des  Mauergürtels  der  Stadt- 
eigenschaft entkleidet  wurden.' 

Die  Erhebung  einer  Ortschaft  zur  Stadt  erfolgte  ursprünglich 
durch  den  Kaiser,  später  —  und  dies  trifft  wohl  bei  der  Mehr- 
zahl  der  Städte  in  Altösterreich  zu  —  durch  den  Landesfürsten. 

4.  Schon  die  ältesten  Stadtrechte  unterscheiden  unter  den 
Bewohnern  der  Städte  mehrere  Classen.  An  erster  Stelle  die 
Bürger  (civis,   auch  burgensis),*  das  sind  Personen,   die  durch 


2  So  verleiht  Graf  Meinhard  II.  von  Tirol  im  Jahre  1282  „cum  intentionis 
nostree  sit,  in  oppido  Imbst  facere  forum  et  subsequenter  constmere  civitatem" 
dem  neuen  Markte  das  Niederlagsrecht  u.  s.  ^.  Hormayr,  Beitr.  I,  2,  S.  183. 

^  Das  widerfuhr  z.  B.  der  Stadt  Schladming,  die  zur  Strafe  wegen  ihrer 
Betheiligung  am  Bauernaufstand  1525  zerstört  wurde  und  nur  als  offener  Markt 
wieder  aufgebaut  werden  durfte.  Erst  1629  wurde  die  Errichtung  einer  Ring- 
mauer gestattet.  In  Steiermark  gab  es  übrigens  mehrere  Orte,  welche  die  Stadt- 
eigenschaft nur  vorübergehend  besaßen  und  dauernd  zu  Märkten  herabsanken: 
Feldbach,  Mürzzuschlag,  Neumarkt,  auch  Aussee  sind  darunter  zu  nennen. 
Wartinger  in  Steierm.  Zeitschr.  N.  F.  II  (1835),  2,  S.  92. 

^  Der  Ausdruck  Burgensis  wird  ursprünglich  mit  mercator  gleichgesetzt 
und  bedeutet  die  in  der  Stadt  ansässigen  Kauf  leute  im  Gegensatz  zu  den  übrigen 
Bewohnern  (Pirenne  32) ;  allein  diese  Bedeutung  war  schon  verwischt,  als  es  zor 
Aufzeichnung  der  österr.  Stadtrechte  kam.    In  Tirol  hingegen  war  Burgensis 


Unterschiede  unter  den  Bewohnern  der  Städte  und  Märkte.  243 

Erlangung  des  Bürgerrechts  Mitglieder  einer  vom  Landesfürsten 
befreiten  und  begnadeten  Genossenschaft  geworden  waren;  dann 
Inwohner  (incola,  commansionarius),  Leute  die,  ohne  das  Bürger- 
recht zu  erlangen,  bleibend  in  der  Stadt  verweilten  und  nur  aus- 
nahmsweise zu  den  cives  im  weitem  Sinne  gerechnet  wurden, 
weil  sie  in  den  Verpflichtungen  den  Bürgern  gleichstanden.  Dazu 
kamen  noch  Gäste  (advena,  hospes),  Fremdlinge,  die  sich  im 
Orte  ohne  eigenen  Herd  vorübergehend  aufhielten,  als  solche 
keine  BUrgerlasten  trugen,  aber  auch  nicht  nach  dem  Bürgerrechte 
jus  civitatis,  sondern  nach  dem  Gastrecht,  jus  advenarum,  be- 
handelt wurden.  Gleichfalls  als  Fremdlinge  betrachtet  und  von 
der  Bürgerschaft  geschieden  waren  die  Juden,  die  in  den  Städten, 
wo  sie  sich  in  größerer  Zahl  angesiedelt  hatten,  eine  selbständige, 
örtlich  umgrenzte  Gemeinde  theils  unter  eigener,  theils  unter 
landesfürstlicher  Obrigkeit  bildeten. 

5.  Die  Vermögensverhältnisse  haben  zu  verschiedener  Be- 
handlung der  Städtebewohner  Anlass  gegeben.  Wer  innerhalb 
der  Stadtmauer  und  des  Grabens  ein  Vermögen  von  bestimmter 
Größe  nachweisen  konnte  (in  Enns  von  30  Pfd.,  in  Wien,  Haim- 
burg  u.  a.  von  50  Pfd.  4)7  der  wurde  im  Falle  eines  Todschlags 
ohne  Bürgenstellung  auf  freiem  Fuß  belassen  und  zählte  zu  jenen 
achtbaren  Leuten,  deren  thätliche  Beschimpfung  nach  höherem 
Strafsatz  geahndet  wurde,  während  Lotterbuben  oder  leichtfertige 
Gaukler  die  Prügel,  die  sie  verdient  hatten,  ruhig  einstecken  mussten. 

Gab  das  Vermögen  an  sich  dem  Bürger  rechtliche  Vorzüge, 
80  waren  diese  umso  größer,  wenn  er  über  unbewegliches  Gut 
verfügte,  dessen  Ertrag  zu  seinem  Unterhalt  hinreichte.  Zur  Er- 
werbung von.  Renten  bot  nun  die  Ansammlung  des  beweglichen 
Capitals  in  den  Städten  die  sachliche,  das  Waflfenrecht  der  Bürger, 
seit  sie  für  die  Vertheidigung  ihres  Ortes  zu  sorgen  hatten,  die 
rechtliche  Grundlage.  Solche  „Erbbürger**,  die  weder  Handwerk 
noch  Kleinhandel  betreiben  durften  und  den  deutschen  Patri- 
ziern  entsprachen,^   galten   schon   unter  den   Babenbergern   als 

soviel  wie  anderwärts  Forensis,  d.  i.  Bewohner  eines  Marktes,  burgnm,  ital. 
borgo  =  forum.  Jäger,  I,  668. 

*  Vgl.  die  Schilderung  des  Hans  Enenkl.  wie  Herzog  Friedrich  ü.  die 
jungen  Bürger  von  Wien  ehrte.  Rauch,  I,  322.  —  1253  bestätigte  Otaltar  den 
honorabiles  milites  et  cives  von  Wr.-Neustadt  die  Stadtfreiheiten.  Winter,  1, 11. 

16* 


244         Österroichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  36. 

lebensfähig,  konnten  auf  ihren  Wunsch  in  die  herzogliche  Ritter- 
schaft aufgenommen  werden,  erhielten  auch  wohl  ritterlichen  Titel 
beigelegt,  obgleich  sie  in  der  Stadt  verblieben. 

6.  Die  Kleinkaufleute  und  Handwerker  standen  nicht  bloß 
gesellschaftlich  viel  tiefer,  sondern  entbehrten  auch  mancherlei 
politische  Rechte,  deren  sich  die  Erbbürger  erfreuten.  Niemals 
gelang  es  ihnen,  sich  zu  einer  ähnlich  einflussreichen  Stellung 
wie  in  den  deutschen  Reichsstädten  aufzuschwingen,  stets  blieben 
ihre  genossenschaftlichen  Verbindungen  durch  die  Hilfe  der  Landes- 
fürsten dem  Einfluss  des  Rathes  untergeordnet.  Nur  durch  Zu- 
stimmung des  Rathes,  wo  nicht  landesherrliche  Genehmigung,  er- 
hielten die  Zunftsatzungen  verbindliche  Kraft.  Widersetzlichkeiten 
wurden  durch  Auflösung  der  Innungen  bestraft,  wie  dies  beispiels- 
weise  1364   durch  Herzog  Rudolf  IV.  für  Wien  verfügt  wurde. 

7.  Im  späteren  Mittelalter  galt  auch  in  Österreich  der  Satz: 
Stadtluft  macht  frei.  Man  hüte  sich  aber  vor  der  Vorstellung, 
dass  solches  von  Anbeginn  der  Fall  gewesen  sei.  Die  Städte  sind 
in  ihren  Anfängen  durch  das  Interesse  der  Grundherren  mächtig 
gefördert  worden,  welche  durch  Vorbehalt  bleibender  Zinsungen  bei 
Hingabe  von  Grundstücjcen  zu  städtischen  Anlagen  und  durch  An- 
siedlung  ihrer  geschickteren  Hörigen  in  den  Marktorten,  ihre  Ein- 
künfte steigern  konnten.  Es  sind  demnach  die.  ersten  unfreien  Hand- 
werker mit  Willen  ihrer  Leibherren  nach  den  Städten  gezogen,  so 
dass  das  Gegentheil  erst  dann  häufiger  wurde,  seitdem  die  Gewalt 
der  Grund-  oder  Leibherren  durch  AusbUdung  der  städtischen  Ge- 
richtsbarkeit Einschränkungen  erfahren  hatte.®  König  Otakar,  dem 
das  Städtewesen  in  den  niederösterreichischen  Landen  mächtigen 
Aufschwung  verdankt,  sprach  zuerst  das  gewichtige  Wort,  dass 
jeder  Bewohner  der  Stadt,  auf  wes  immer  Grunde  er  sitze,  nicht 
als  jemandes  Höriger,  sondern  als  Bürger  einer  königlichen  Stadt  zu 
behandeln  und  bloß  dem  Könige  und  nur  in  Gemeinschaft  mit  den 
übrigen  Bürgern  steuerpflichtig  sei.  Allein  dieser  Satz,  obschon 
von  König  Rudolf  bestätigt,*^  wurde  doch  nur  gelegentlich  und  für 

^  Zu  Beginn  des  13.  Jahrhunderts  muss  dies  schon  eingetreten  sein, 
da  unsere  ältesten  Stadtrechte  (Wien,  Enns)  verfügen,  dass  jeder,  der  in  die 
Stadt  konune,  um  das  Bürgerrecht  zu  erlangen,  von  den  Bürgern  gegen  aUe 
Qewaltthat  zu  schützen  sei,  his  des  Herzogs  Entscheidung  eintreffe. 

'  Priv.  für  Tuln  1270:  omnis  in  prefata  civitate  residens  super  cuius- 
cunque  feudum  resideat  non  debet  colonus  aliculus,  sed  civis  regius  appellari,  nee 


Handwerker  und  Zünfte.  245 

eine  einzelne  Stadt  erlassen.  Da  andererseits  Nachwirkungen  der 
Unfreiheit  selbst  für  die  Ministerialen  und  Ritter  bis  ins  14.  Jahr- 
hundert erkennbar  sind,  so  kann  es  nicht  überraschen,  dass  sich 
ebensolang  auch  Nachrichten  von  unfreien  Städtebewohnem  und 
Bürgern  erhalten  haben.® 

8.  Die  Gliederung  der  mittelalterlichen  Gesellschaft  hatte  den 
Bewohnern  der  Städte  und  Märkte  den  Handel  und  das  Gewerbe 
als  Erwerbsgebiet  überwiesen.  Zu  größerer  Ausbildung  der  ge- 
werblichen Fertigkeiten,  wie  auch  zum  Schutz  der  eigenen  Inter- 
essen bildeten  sich  dann  innerhalb  der  Orte  je  nach  der  Beschäf- 
tigung geschlossene  Verbände:  Zünfte,  Innungen,  Zechen.  In 
diesen  Vereinigungen  fand  also  nicht  bloß  das  volkswirtschaftliche 
Princip  der  TheUung  der  Arbeit,  sondern  auch  ein  gesellschaft- 
liches seinen  Ausdruck,  indem  die  Zunfteinrichtungen  durch  Aus- 
scliluss  des  freien  Wettbewerbs  eine  möglichst  gleiche  Vertheilung 
des  Geschäftsertrags  unter  die  Zunftmitglieder  anstrebten.  Das 
war  allerdings  nur  durch  eine,  den  jetzigen  Anschauungen  oft 
widerstrebende  Einengung  des  Einzelnen  und  seiner  Interessen 
erreichbar,  die  man  aber  im  Mittelalter  leichter  ertrug,  weil  damals 
das  Individuum  in  weit  höherem  Grade  dem  bestimmenden  Ein- 
fluss  seines  gesellschaftlichen  Verbandes  unterlag. 

9.  Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  müssen  die  Maßregeln  der 
Landesherren  für  ihre  Städte  und  Märkte  beurtheilt  werden. 
Gedanken,  die  uns  schon  in  der  karolingischen  Ordnung  für  den 
Donauhandel  (§  11,  11)  begegnen,  beherrschten  als  oberste  Grund- 
sätze die  Verfügungen  der  österreichischen  Herzoge  zu  Gunsten 
ihrer  Bürgerschaften  und  führten  zu  einem  Sj^stera  von  Verkehrs- 
beschränkungen, das  uns  sonderbar  anmuthet,  aber  lange  Zeit 
seinen  Zweck  erfüllte:  Man  suchte  die  eigenen  Uuterthanen  auf 
Kosten  staatsfremder  Gäste,  die  ansässigen  Bürger  gegenüber  den 
zureisenden  Händlern,  den  Naheverkehr  statt  des  Femverkehrs 
durch  Erleichterungen  zu  begünstigen.    Schon  unter  den  Baben- 


etiam  debet  alicui  steuram  nisi  regi  solummodo  minidtrare  et  hoc  alüs  civibus 
sociatis.  W^inter,  23,  Nr.  9,  bestätigt  durch  König  Rudolf  1276  a.  a.  0.  26. 

8  1317  Conrad  von  Muer  schenkt  dem  8tift  Seckau  .  . .  »Gertrauden  deu 
Pairinne  genannt,  purgserine  ze  Chnutelvelde*  und  deren  Kinder,  ,di  uns  nach 
dem  leibe  zugehoerent  habent  und  unser  aigen  sint."  War  tinger,  Steierm. 
Zeitschrift  VIU,  161. 


246  Österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  36. 

bergeni  wurde  allen  Fremden  der  Handel  nach  Ungarn  bei  hoher 
Geldstrafe  untersagt  und  dadurch  der  Umschlagsplatz  für  den 
Donauhandel  von  Regensburg  nach  Wien  gebracht,  dann  wurde 
auch  der  Landhandel  von  Venedig  nach  Deutschland  soweit 
möghch  über  Wien  geleitet.  Noch  später  hat  man  im  Stappelrecht 
das  Mittel  erblickt,  um  auch  andern  Orten  auf  Kosten  der  fremden 
Kaufleute  und  in  letzter  Linie  der  Consumenten,  einen  Antheil 
am  Handelsgewinn  zu  verschaffen.  Die  ausführliche  Zollordnung 
Herzog  Friedrich's  H.  für  Wr.-Neustadt  vom  Jahre  1239  enthält 
Zollsätze  für  Kaufleute  aus  Graz,  Leoben,  Judenburg,  Friesach, 
Venedig,  von  Norden  her  für  die  Wiener,  Haimburger  und  für 
die  Handelsleute  aus  Ebenfurt  und  Brück  a.  d.  L.  Es  gestattete 
daher  gegen  Entrichtung  verschieden  abgestufter  Gebüren  un- 
mittelbaren Verkehr  von  Italien  bis  nach  Wien  und  ebenso  auf 
der  Donau.  Monopolisiert  war  für  die  Wiener  nur  der  Handel 
nach  Ungarn.  Allein  die  Könige  Otakar  und  Rudolf  L  verwehrten 
den  wälschen  Kauf  leuten  den  Weg  über  Judenburg  hinaus  durch 
die  Privüegien,  die  sie  der  genannten  Stadt  in  den  Jahren  1276 
und  1277  ertheilten.  Somit  war  es  schon  eine  Abschwächung 
des  strengen  Rechts,  wenn  dem  fremden  Kaufmann  nach  Ablauf 
einer  Frist  das  Weiterziehen  bis  zum  nächsten  Stappelplatz  gestattet 
wurde,  er  also  nicht  zum  Verkauf  seiner  Waren  am  ümschlagsort 
gezwungen  war,  oder  wenn  der  Stappel  nur  einzelne  Waren  traf. 
10.  Die  Vortheile,  welche  die  Bürgerschaft  von  diesem  zwangs- 
weisen Vorkaufsrecht  erhoffte,  hielt  man  für  so  beträchtlich,  dass 
seit  dem  Schluss  des  13.  Jahrhunderts  die  Städte  allgemein  nach 
irgend  einem  NiederlagsprivUegium  trachteten*  und  viele  es  auch 
wirklich  erlangten.  Doch  war  damit  der  Kreis  der  Verkehrsbe- 
hinderungen während  des  Mittelalters  nicht  erschöpft :  da  bestand 
ein  ausgedehnter  Straßenzwang  mit  schweren  Strafen  für  jenen, 
der  von  dem  vorgeschriebenen  Wege  abwich,  um  die  zahlreichen 
Mautstellen  mit  ihren  verwickelten  Zolltarifen,  oder  eine  Nieder- 
lagsstätte zu  umgehen.    Da  erhoben  mit  Erlaubnis  des  Landes- 


»  Als  ältestes  Beispiel  gilt  das  Niederlagsprivilegiran  König  Rudolfs  ffir 
Freistadt  vom  J.  1277  das  noch  im  17.  Jahrhundert  in  voller  Kraft  war.  Steyer 
erhielt  1287  ein  auf  Eisen  und  Holz  während  dreier  Tage  eingeschränktes  Stappel- 
recht, Graz  ein -allgemeines  Niederlagsrecht  im  J.  1281  u.  s.  w.  Auch  Märkte  er- 
hielten dies  Recht,  z.  B.  Imst  im  Jahre  1282  durch  Graf  Memhard  II.  von  Tirol. 


Maßregeln  der  österr.  Herzoge  zur  Hebung  des  Handels.  247 

herrn  bald  diese,  bald  jene  Stadt  „Pürfahrtsgebüren",  Wege- 
gelder von  jedem  durchfahrenden  Wagen  oder  durchgetriebenen 
SaumroBS.  Dazu  rechne  man,  um  Einblick  in  die  zahllosen  Hem- 
mungen zu  erhalten,  welchen  damals  der  Handel  ausgesetzt  war, 
die  notorisch  schlechte  Beschaffenheit  der  Straßen,  die  herrschende 
Unsicherheit,  die  als  Repressalie  übliche  Pfändung  fremder  Kauf- 
leute, den  Zwang,  dass  man  sich  beim  Aufladen  der  Waren  der 
„Hebergenossenschaff*  des  Ortes,  zur  Weiterbeförderung  der  Vor- 
spann mit  Ortspferden  bedienen  musste.  Durch  das  Verbot  alles 
Handels  auf  dem  flachen  Lande,  die  Zeit  der  Jahrmärkte  ausge- 
nommen, wurden  Edelmann  und  Bauer  zu  Einkäufen  an  den 
privilegierten  Orten  gezwungen,  wurden  die  Gewerbetreibenden 
zum  Aufenthalt  in  Städten  und  Märkten,  sowie  zum  Eintritt  in 
die  Zünfte  genöthigt,  wenn  sie  sich  nicht  als  Bönhasen,  Störer 
oder  Fretter  unmöglich  machen  wollten. 

11.  Was  diese  Privilegien  an  Vortheilen  den  einen  boten, 
das  brachen  sie  auf  der  andern  Seite  den  übrigen  Standesgenossen 
ab.  Da  zudem,  wie  es  scheint,  im  15.  Jahrhundert  die  Übung 
aufkam,  dergleichen  Begünstigungen  nur  auf  Widerruf  zu  er- 
theilen,  so  wurde  der  Gegensatz  in  den  Localinteressen  der  Bürger 
in  bedenklicher  Weise  rege  erhalten.  Ein  Gemeingeist  in  den  Städten 
konnte  nur  erwachen,  wo  es  galt,  die  Übergriffe  eines  andern 
Standes  in  den  vorbehaltenen  Beruf  abzuweisen,  oder  zugemuthete 
Auflagen  abzuwälzen.  ^^  Mit  dem  festen  Zusammenschluss  der 
landesfürstlichen  Städte  und  Märkte  zur  Vertheidigung  ihrer  Inter- 
essen wurden  sie  aber  mächtig  genug,  um  ihre  Aufnahme  unter 
die  Landstände  zu  erzwingen.  In  Tirol  gelang  ihnen  dies  schon 
unter  Herzog  Meinhard  III.  (1362),  in  den  übrigen  altösterreichi- 
schen Landen  erreichten  sie  das  nämliche  Ziel  später,  längstens 
aber  zu  Anfang  des   15.  Jahrhunderts. 

12.  Auf  die  vielumstrittene  Frage  nach  dem  Ursprung  der 


^  Ein  ftilhzeitiges  Beispiel  ist  der  Bund  der  drei  If.  Städte  6t.  Veit, 
Kla^nfnrt  und  Vöikermarlct  vom  28.  Jänner  1386:  in  gemeinsamen  Angelegen- 
heiten sollten  sich  Abgeordnete  der  drei  Städte  versammeln,  liquide  Schulden 
wechselseitig  exequierbar  sein  u.  dgl.  Hermann»  Geschichte  von  Kärnten,  I,  2, 
6.  325.  über  eine  Emung  sämmtlicher  Städte  und  Märkte  in  Steiermark  in  den 
Jahren  1433—39.  s.  Beiträge  zur  Kunde  steirischer  Geschichtsquellen,  Xll,  160. 
Städtetag  zu  Enns  im  Jahre  1439,  vgl.  Archiv  für  österr.  Geschichte,  Bd.  27,  S.  52. 


248        Österreichische  Reichsgeäohtchte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  36. 

deutschen  Stadtgemeinde,  welche  man  theils  aus  der  Ertheilung 
von  Marktfreiheiten,  theils  aus  der  Landgemeinde  herleiten  will, 
näher  einzugehen,  ist  hier  nicht  der  Platz.  Es  genügt,  hervorzu- 
heben, dass  schon  die  ersten  Nachrichten,  die  wir  über  die 
Verfassungszustände  unserer  Städte  besitzen,  ein  ausgebildetes 
städtisches  Gemeinwesen:  selbstgewählte  Obrigkeiten  neben  dem 
Stadtrichter,  Bürgerausschüsse  u.  dgl.  erkennen  lassen." 

Die  oberete  Verwaltung  der  Städte  in  Österreich  ruhte  regel- 
mäßig in  den  Händen  des  Stadtherrn  oder  seiner  Organe.  Als 
solches  erscheint  vor  allem  der  Stadtrichter,  der  für  das  Stadt- 
gebiet je  nachdem  den  Wirkungskreis  eines  Land-,  oder  Hofmark- 
richters hatte  und  daher  auch  die  nämlichen  Unterbeamten  und 
Diener  wie  diese  besaß.  Anfänglich  wurden  die  Stadtrichter  durch 
die  Stadtherren  frei  ernannt,  späterhin  wurde  der  Bürgerschaft 
in  den  kleineren  Städten  ein  gewisser  Einfluss  auf  die  Besetzung 
dieses  Amtes  eingeräumt,  der  jedoch  selbst  dann,  wenn  von  freier 
Richterwahl  die  Rede  ist,  auf  ein  bloßes  Vorschlagsrecht  hinaus- 
lief, da  der  Gewählte  beim  Herzog  um  Bestätigung  und  Bannleihe 
einkommen  musste.  Neben  dem  Stadtrichter  gab  es  nach  Bedarf 
noch  andere  Beamte  zur  Wahrnehmung  besonderer  Interessen  des 
Stadtherrn,  den  Burggrafen  oder  Stadthauptmann  für  militärische 
Zwecke,  Judenrichter,  Hansgrafeu,  Stadtanwälte  u.  dgl. 

13.  Die  neuen  Verhältnisse,  welche  das  Leben  in  den  Städten 
schuf,  konnten  jedoch  weder  durch  die  für  Zwecke  des  Stadt- 
herm  bestehende  öffentliche,  noch  durch  die  von  den  Grundherren 
für  ihre  Grundstücke  im  Stadtgebiet  eingerichtete  private  Ver- 
waltung vollauf  berücksichtigt  werden.  So  blieb  denn  ein  großes 
Gebiet  der  Bürgerschaft  zur  Selbstverwaltung  überlassen,  welche 
anfänglich  durch  die  Gesammtheit,  die  universitas  civium, 
besorgt  wurde.  Später  behielt  man  dieser  nur  die  wichtigsten 
Sachen  vor  und  übertrug  die  laufenden  Geschäfte  an  Ausschüsse 
aus  den  vornehmeren  Stadtbewohnern.  So  waren  in  Wels  schon 
im  Jahre  1128  dem  Stadtrichter  in  Brückenangelegenheiten  vier 
cives  meliores  beigeordnet.    Nach  dem  Ennser  Stadtrecht  vom 

"  Die  Urkunde  Bischof  Emhrico's  von  Wirzhurg  für  Wels  vom  Jahre 
1128  spricht  von  einem  Brüclcenmeister  „quem  sanior  pars  civium  in  Wels'  zu 
erwählen  hahe.  In  schwierigen  Fällen  sei  die  Entscheidung  „per  .  .  .  judicem 
civitatis  et  cum  eo  quatuor  cives  meliores'  zu  treffen.  U.  B.  o.  E.  II,  171. 


Die  Stadtverwaltung;  Stadtrichter,  Rath,  Bürgermeister.  249 

Jahre  1212  hatten  sechs  fähige  und  beeidete  Bürger  (ydoneicives) 
nach  bestem  Willen  über  allerlei  hendl  der  Chaufmanschäft 
und  von  allen  andern  dingen  die  zu  er  und  nutz  der  stadt 
gehörend  zu  verfügen,  ohne  dass  der  Stadtrichter  dagegen  eine 
Einsprache  gehabt  hätte.  Die  Wiener  Handfeste  vom  Jahre  1221 
gewährt  die  BUdung  eines  Stadtrathes  von  24  Personen,  den 
klügsten,  die  man  finde,  die  sich  frei  versammeln  durften.  Zu 
Zeiten  König  Otakar's  war  dieser  Stadtrath  in  den  österreichischen 
Städten  schon  eine  allgemeine  Einrichtung.  Von  dem  eidüchen 
Gelöbnis  der  Treue  gegen  den  Stadtherrn  und  der  Gewissenhaftig- 
keit in  der  Amtsführung  erhielten  die  Stadträthe  (consules), 
den  Titel  cives  jurati,  geschworner  Rath.  Die  ersten  Spuren 
einer  freien  Wahl  dieser  Geschwomen  durch  die  Gemeinde  finden 
sich  im  letzten  Viertel  des  13.  Jahrhunderts,  gleichzeitig  dürfte 
die  Wählbarkeit  auf  die  Classe  der  Erbbürger  eingeschränkt 
worden  sein,  die  man  später  in  Hinblick  darauf  als  rathsfähige 
Geschlechter  bezeichnete. 

14.  An  der  Spitze  dieses  geschwornen  Rathes  stand  anfänglich 
der  Stadtrichter,  viel  jünger  war  das  Amt  des  Bürgermeisters, 
magister  civium,  das  unter  Herzog  Albrecht  I.  in  Wien  (um 
1288)  und  Tuln  (1297)  auftaucht.  Konrad  der  PoUe,  der  erste 
sichere  Wiener  Bürgermeister,  dürfte  ursprünglich  nur  die  Leitung 
der  wirtschaftlichen  Angelegenheiten  der  Stadt  in  Händen  gehabt 
haben,  so  dass  ihm  bis  zum  Jahre  1298  nicht  nur  der  Stadt- 
richter, sondern  auch  einzelne  Mitglieder  des  Stadtrathes  im  Range 
vorgiengen.  Aber  schon  wenige  Jahre  darnach  änderte  sich  seine 
Stellung,  er  verdrängte  (vor  1302)  den  Stadtrichter  aus  dem 
Stadtmarkgericht,  das  dem  geschwornen  Rath  zur  Erhaltung  des 
Friedens  im  Weichbüd,  zur  Aufsicht  in  Marktangelegenheiten 
u.  dgl.  zustand,  und  hinterließ  so  seinen  Nachfolgern  im  Amte  die 
Führung  der  Bürgerschaft  in  städtischen  Angelegenheiten.  ^^   Die 


^^  Eine  Geschichte  des  Bürgermeisteramts  in  Wien  wird  erst  auf  Grund 
der  vom  Wiener  Alterthumsverein  herausgegebenen  Quellen  zur  Geschichte  der 
Stadt  Wien  geschrieben  werden  Icönnen.  Für  meine  Auffassung  bestinmiend 
waren  vor  aUem  die  Urkunden  von  1296  und  1302  im  ersten  Baude  der  Quellen, 
Reg.  872,  878,  dann  U.  B.  o.  E.  IV,  Nr.  296  und  504  von  1298  und  1304.  Für 
Tnhi,  wo  aber  um  die  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  kein  Bürgermeister  mehr  ge- 
nannt wird,  vgl.  Melly,  Beiträge  zur  Siegelkunde,  S.  50  £f. 


250     österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  36  nnd  37. 

Bürgermeisterstelle,  die  Polle  lebenslänglich  bekleidete,  wurde 
später  auf  zwei  bis  drei  Jahre  übertragen,  bis  eine  herzogliehe 
Verordnung  vom  Jahre  1396  die  jährliche  Wahl  des  Bürger- 
meisters und  Rathes  durch  die  ganze  Gemeinde  vorschrieb. 

15.  Außer  Wien  und  Tuln  gab  es  frühzeitig  Bürgermeister  auch 
in  Wr.-Neustadt,  die  jedoch  dem  Stadtrichter  noch  im  Jahre  1329 
nachstanden.  Für  andere  Städte  in  Österreich  ob  und  unter  der 
Enns  sind  mir  Bürgermeister  nicht  vor  dem  15.  Jahrhundert  be- 
kannt, und  gleiches  gilt  von  Innerösterreich  und  Tirol,  ^^  während 
wieder  andern  Städten  dies  Amt  über  das  Mittelalter  hinaus  ent- 
zogen war  und  der  Stadtrichter  das  Haupt  der  Bürgerschaft 
blieb.  Der  Bürgermeister,  wo  er  vorkam,  bildete  nebst  dem  Stadt- 
richter und  dem  geschwomen  Rathe  das  s.  g.  Regiment  der 
Stadt.  Die  Quelle  aller  Gewalt  und  aller  obrigkeitlichen  Ämter 
ruhte  demungeachtet  (wenn  man  von  den  Rechten  des  Stadtherrn 
absieht)  nach  wie  vor  in  der  Gesaramtbürgerschaft,  die  jedoch 
nur  mehr  in  besonders  dringlichen  Fällen  durch  die  Volks-  oder 
Sturmglocke  zu  allgemeiner  Versammlung  berufen  wurde,  während 
für  gewöhnlich  ein  zweiter  Bürgerausschuss  als  großer  oder 
äußerer  Rath  dem  geschwornen  innem  oder  kleineren  Rath  an 
die  Seite  trat.  Diese  sowohl  zur  Selbstverwaltung  der  Stadt  als 
auch  zur  Erledigung  gewisser  vom  Stadtherm  ihnen  zugewiesenen 
Aufgaben  berufenen  Bürgerausschüsse  wurden  nach  Zeit  und  Ort 
verschieden  zusammengesetzt.  Der  geschworene  (innere)  Rath 
war  allmählich  wohl  überall  in  die  Hände  der  Vornehmsten  aus 
der  Bürgerschaft  gekommen,  doch  änderte  sich  dies  in  der  Folge. 
Es  kam  zwar  in  Österreich  zu  keinem  Zunftregiment  wie  in  den 
deutschen  Reichsstädten,  wohl  aber  zu  einer  Beschränkung  der 
patrizischen  Vorrechte  durch  den  Grundsatz  der  Interessenver- 
tretung. Klar  und  deutlich  wird  es  in  der  1396  von  den  Herzogen 
für  Wien  erlassenen  Stadtordnung  ausgesprochen,   dass  im  ge- 


^^  Die  Angaben  bei  Peinlich,  91,  dass  Hartberg  nnd  Judenburg  schon 
1310  und  1327  eigene  Bürgermeister  gehabt  hätten,  beruhen  auf  einer  Verwechs- 
lung mit  dem-  Stadtrichter.  Die  Reihe  der  Grazer  Bürgermeister  beginnt  mit 
1446,  in  Brück  a.  M.  1488,  Laibach  erhielt  erst  1504  die  Erlaubnis  zur  Wahl 
eines  Bürgermeisters,  der  zu  schwören  hatte,  «wie  in  andern  unsem  Städten 
unseres  Fürstenthums  Steyer  geschieht."  —  Das  Sterzinger  Stadtbuch  angeblich 
vom  Jahre  1417  handelt  u.  a.  auch  vom  Bürgermeister. 


Innerer  und  äußerer  Rath,  die  Genannten.  251 

Bchwornen  Rathe  die  Erbbürger,  Kaufleute  und  Handwerker  in 
gleicher  Anzahl  vertreten  sein  müssen,  damit  kein  TheU  von  dem 
andern  ^überdrungen"  werde,  wie  es  denn  nicht  angehe,  dass 
Schwiegerväter  und  Eidame  oder  Brüder  und  Vettern  den  Rath 
ausmachen,  oder  dass  darin  lediglich  die  Reichen,  die  Kaufleute 
oder  Erbbürger  oder  'die  Handwerker  allein  Sitz  finden  sollten. 
Andererorten  mag  der  innere  Rath  länger  in  den  Händen  der 
Rathsbürger  geblieben  sein,  doch  fehlte  auch  in  solchen  Fällen 
eine  Vertretung  der  „Gemeine*  in  Form  eines  äußern  Rathes 
keineswegs,  wobei  man  es  liebte,  der  „Gemeine"  einen  Einfluss 
auf  die  Erneuerung  des  innern  Rathes  zu  geben  und  diesem  die 
Ergänzung  des  äußern  Rathes  zu  übertragen.  Übrigens  stand  der 
äußere  Rath  in  jenen  österreichischen  Städten,  in  welchen  es  als 
qualificierte  Vertragszeugen  das  CoUegium  der  „Genannten**  gab, 
mit  diesem  gewöhnlich  in  enger  Verbindung,  weil  zu  „  Genannten ** 
ohne  Beschränkung  der  Wahlfähigkeit  auf  eine  bestimmte  Classe 
überhaupt  die  getreuesten  und  weisesten  der  Bürgerschaft  aus 
allen  Theilen  der  Stadt  gewählt  werden  sollten. 

§  37.  Der  Baaernstand. 

Dimitz,  Die  Edünger  im  Sägor,  Mittheil,  des  hist.  Vereines  für  Krain, 
1864.  —  Hasenöbrl,  88.  —  Heusler,  Institutionen  des  deutsclien  Privatrechts,  I, 
181  ff.  —  Hnher  A.,  Reichsgeschiehte,  49.  —  Hueber,  Darstellung  der  bis  zum 
Jahre  1848  in  Kärnten  bestandenen  Unterthansverbältnisse.  Archiv  des  hist. 
Vereins  für  Kärnten,  VIII  (1863).  —  Jäger,  I,  537.  —  Peinlich,  Zur  Ge- 
schichte der  Leibeigenschaft  und  Höriglceit  in  Steiermark,  1881.  —  Schröder, 
Reichsgeschichte,  §  42,  5,  6.  —  W alt z,  Verfassungsgeschichte,  V,  185  ff. 

1.  Der  Ausdruck  Bauer,  rusticus,  bürgerte  sich  im  13.  Jahr- 
hundert zur  Bezeichnung  des  Landwirtschaft  treibenden  Klein- 
grundbesitzers ein.  Doch  hatte  die  Bauernschaft  in  den  altöster- 
reichischen Landen  während  des  Mittelalters  kein  einheitliches 
GefUge,  sondern  ließ  bei  starker  Mischung  der  Volksangehörigkeit 
zahlreiche  Unterschiede  wirtschaftlicher  wie  rechtlicher  Art  er- 
kennen. Es  gab  die  Gegensätze  von  reich  und  arm,  von  frei  und 
unfrei,  und  die  Umstände,  unter  welchen  die  Besiedlung  des 
Landes  vor  sich  gegangen  war,  bewirkten  es,  dass  unter  den 
Bewohnern  einer  größeren  Gegend  nur  selten  eine  einzige  — 
deutsche,  slavische  oder  romanische  -—  Mundart  herrschte,  oder 
ein  und  dasselbe  Recht  zur  Anwendung  gebracht  wurde. 


252  Osterreiclüsühe  Beichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  37. 

2.  Ungeachtet  der  großen  Einbußen,  welche  der  Stand  der 
freien  Kleingrundbesitzer  durch  die  geänderten  Lebensverhäitnisse 
im  Laufe  der  Jahrhunderte  erfahren  hatte,  war  es  doch  einigen 
wenigen  gelungen,  die  Unabhängigkeit  ihrer  Person  und  ihres 
Besitzes  bis  ins  spätere  Mittelalter  zu  erhalten.  Diese  waren  dann 
nach  Verlust  der  WaflFenf ähigkeit ^  zu  freien  Bauern  geworden; 
die  weitere  Entwicklung  war  freilich  nach  Ländern  verschieden. 
In  Österreich  gab  es  noch  am  Ende  des  13.  Jahrhunderts  manchen 
reichen  Bauer,  der  durch  Ankauf  freier  Ländereien  sein  Besitz- 
thum  mehrte  und  durch  Heiraten  mit  dem  Ritterstande  empor- 
kommen wollte,  aber  Landherren  und  Ritter  traten  diesen  Bestre- 
bungen mit  Erfolg  entgegen.  Bei  der  Revision  des  österreichischen 
Landesrechts  wurde  ausdrücklich  das  Verbot  aufgenommen,  das 
furbas  kain  gebuer  kain  aigen  niht  kaufe  {§  50)  und  der  kleine 
Lucidarius  (VIII,  v.  155)  will  selbst  dem  freien  Bauern  nicht  mehr 
als  Burgrecht  an  Grundstücken  zugestehen.  Während  nun  in  Öster- 
reich wie  in  Steiermark  und  Kärnten^  der  freie  Bauernstand  oder 
mindestens  der  freie  bäuerliche  Grundbesitz  bis  auf  wenige  Frei- 
sassen allmählich  untergieng,'  fand  derselbe  in  Tirol  seit  Meinhard  IL 
an  den  Landesherren  eine  Stütze.  Eine  Reihe  von  Bauernhöfen  er- 
scheint hier  mit  landesfürstlichen  Freibriefen  ausgestattet.*  Der 
Volksmund  bringt  sie  mit  der  von  den  Besitzern  dem  Herzog  Fried- 
rich IV.  bewiesenen  Treue  in  Verbindung ;  sie  müssen  jedoch  zum 
Theil   andern   Ursprungs   sein,   da   einige  bis  in  die   Mitte   des 


^  Bis  ins  13.  Jahrhundert  werden  Freie  erwähnt,  die  sich  oder  ihre  An- 
gehörigen gegen  Übernahme  der  Zinspflicht  in  den  Schutz  der  Kirche  stellten.  Dass 
sich  unter  ihnen  auch  Kleingrundbesitzer  befanden,  ist  sicher,  z.  B.  »Heinricus 
de  Puchkyrchen  homo  libere  condlcionis  tradidit  se  super  aram,  s.  Pancratii 
Martyrls  (Ranshoten)  ad  censum  5  ^  . . .  insuper  predium  suum  in  Rute  positum 
eidem  martiri  delegavit  (ums  Jahr  1180)".  Ü.-B.  o.  B.,  I,  239. 

2  Herzog  Bernhard  schenkt  1213  dem  Kloster  Victring  12  Hüben  zu  Himmel- 
berg „cum  rusticis  liberis,  seu  ipsis  super  manentibus".  Ankershofen,  Rg.  713. 

^  Ältestes  Beispiel  einer  vom  Landesherm  anerkannten  Freisässigkeit  ist 
der  Brief  Herzog  Emst's  für  die  Hüben  des  s.  g.  Herzogbauers  Gregor  Schatter 
in  Kärnten,  die  von  aUer  Steuer  und  Dienstpflicht  gefreit  wurden.  Die  Steuer- 
freiheit erlosch  1823  mit  dem  Aussterben  des  Geschlechts.   Hu  eher,  VÜI,  13. 

*  So  besaß  der  Fineilerhof  die  Befreiung  von  gemeiner  Obrigkeit,  der 
Rofnerhof  das  Asylrecht,  die  Goldecker  Freisassen  hatten  den  Gerichtsstand  des 
Adels,  andere  die  niedere  Jagd  u.  s.  w.  Ladurner,  im  Archiv  für  tirol.  Ge- 
schichte, V,  112;  Tille,  112,  s.  auch  Lamprecht,  V,  84. 


Freie  Banern:  zn  Raxendorf;  die  Edlinger  in  Innerösterreich.        253 

14.  Jahrhunderts  zurückreichen.  Mit  dem  Anfang  des  15.  Jahr- 
hunderts hob  sich  überhaupt  bei  augenscheinlicher  Rückwirkung 
der  Vorgänge  in  der  Schweiz  die  Stellung  der  freien  Bauern  in 
Tirol.  Ihre  Aufnahme  unter  die  Landstände  war  entschieden,  als 
die  große  Adelsvereinigung  vom  Jahre  1408,  um  ihren  Rückhalt 
im  Lande  zu  stärken,  auch  die  freien  Landgemeinden  neben  den 
Städten  zum  Eintritt  in  den  Bund  einlud. 

3.  Privüegierte  Bauemgemeinden  in  eigenthümlicher  Mittel- 
stellung zwischen  Freiheit  und  Abhängigkeit  kamen  auch  außer- 
halb Tirol  vor.  Die  beste  Stellung  unter  diesen  hatten  wohl  die 
60  Freien  von  Raxendorf  bei  Pöggstall  im  Lande  unter  der  Enns. 
Sie  bildeten  unter  einem  selbstgewählten  Richter  ein  eigenes  Land- 
gericht, hatten  im  Dorfgebiet  freie  Jagd  und  fürstliche  Freiung 
(Asylrecht)  und  bezahlten  von  ihren  ausdrücklich  als  „Aigen"  be- 
zeichneten Gütern  nur  mäßige  Vogteiabgaben.  Es  ist  möglich, 
dass  in  den  Freien  von  Raxendorf  der  Überrest  einer  alten  freien 
Bauerngemeinde  fortlebt,  die  sich  als  solche  durch  die  landes- 
fürstliche Anerkennung  ihres  Herkommens^  erhalten  konnte.  Da- 
gegen waren  die  slavischen  Edlinger  in  Untersteiermark,  Kärnten 
und  Krain  ursprünglich  wohl  hörige  Bauerngemeinden,  denen  aber 
der  Landesfürst  als  Grundherr  hinterher  durch  besondere  Freiheits- 
briefe einzelne  Lasten  der  Hörigkeit  abgenommen  und  dafür 
kriegerische  Leistungen  auferlegt  hatte.®  Die  Edlinggüter  könnten 
vielleicht  als  bäuerliche  Form  von  Burglehen  bezeichnet  werden, 
wie  denn  die  Edlinger  von  Tüchern  in  Kriegsgefahren  mit  ihren 
Waffen  zur  Vertheidigung  des  Schlosses  Obercilli  erscheinen 
mnssten.  Da  die  Edlingergemeinden  Immunitätsbezirke  bildeten 
und   unter  selbstgewählten  Richtern  standen,   ein  eigenes  Siegel 


*  Gedruckt  bei  Reil,  Das  Donauländchen,  1835,  S.  368. 

^  Muchar,  Geschichte  Steiermarks,  Vllf,  426.  Solche  Edlinger  gab  es 
n.  a.  in  Tüchern  wohl  von  der  Zeit  der  Grafen  von  Cüli  her,  zu  Mosburg  und 
im  niedem  Amt  zu  Stain  in  Kärnten,  femer  in  Krain  zu  Sagor,  im  Amte  Kreuz, 
8igesdorf,  Rohenberg,  s.  Agnes  na  Breziech,  zu  Presterjach  (schon  1341),  zu 
Langenacker  unter  Weichselberg.  Diese  letzten  vermochten,  »umb  ir  berumbte 
gerechtigkait  des  Edelthumbs  kainen  Schain  so  von  den  .  . .  Fürsten  von  Öster- 
reich, Patriarchen  von  Aglem  oder  den  gewesten  Grauen  von  Cilli  ausgangen' 
vorzubringen  und  sollten  darum  1573  mit  einem  gebürlichen  »Gold-  und  Traid- 
dienst"  in  das  neue  Stockurbar  einverleibt  werden,  wogegen  der  Vitzthum  von 
Laibach  bittliche  Vorstellung  erhob.  Dimitz  und  Statthaltereiarchiv  in  Graz. 


254        Österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  37. 

fuhren  konnten,  die  Frohnden  und  Abgaben  auf  ein  geringes  Maß 
herabgemindert  waren  u.  dgl.,  so  konnte  ihre  Lage  im  Vergleich  zu 
der  Umgebung  immerhin  für  beneidenswert  gelten.  Unter  besonders 
günstigen  Umständen  vermochten  einzelne  selbst  zur  Freisässigkeit 
emporzusteigen,  wie  z.  B.  der  früher  erwähnte  Herzogsbauer,  der  zu 
den  Edlingern  aus  dem  niedern  Amt  zu  Stain  in  Kärnten  gehörte. 

4.  Die  hörigen  Bauern  sind  meistens  aus  zinspflichtigen  Leuten 
(Censuales)  und  den  Barschalken  (§  12,  12)  hervorgegangen.  Er- 
gebungen von  Freien  in  Zinspflichtigkeit,  weU  sie  sich  ohne  den 
Schutz  eines  Mächtigen  nicht  zu  behaupten  wussten,  kommen 
bis  ins  13.  Jahrhundert  vor,*^  ebenso  auch  Freilassungen  von 
Knechten  unter  Auflage  eines  Zinses.^  Tiefer  als  die  Censualen 
standen  die  Barschalke,  die  auf  fremdem  und  daher  auf  zins- 
pflichtigem Grunde  lebten  und  mit  diesem  veräußert  werden 
konnten.®  Der  Name  Barschalk  verschwindet  übrigens  gegen  Ende 
des  12.  Jahrhunderts,  während  das  Verhältnis  selbst  fortdauerte, 
nur  dass  man  solche  Bauern  jetzt  als  „Coloni'',  Holden,  Grundholden, 
in  Tirol  „Bauleute*   oder  schlechtweg  als  , Hörige*   bezeichnete. 

5.  Die  unfreie  Bauernschaft  war  theUs  aus  unfreien  Knechten 
hervorgegangen,  die  der  Herr  dauernd  angesiedelt  hatte,  theils 
aus  Hörigen,  die  zum  Stande  der  Unfreiheit  herabgedrückt  worden 
waren.  Durch  das  Hof  recht  hatten  sie  im  Laufe  der  Zeit  eine  be- 
schränkte Rechtsfähigkeit  gewonnen,  kirchlicher  Einfluss  hatte  die 
Anerkennung  ihrer  Ehen  durchgesetzt  und  die  Bestimmung  in  die 
Rechtsbücher  gebracht,  dass  die  Tödtung  des  eigenen  Knechts 
durch  seinen  Herrn  strafbar  sei.  Demungeachtet  war  die  Gewalt, 
die  dem  Herrn  über  seine  unfreien  Bauern  zustand,  so  groß,  dass 
sie  geradezu  als  sein  Eigenthum  galten  und  seine  eigenen  Leute, 

"^  Melker  Tradition  aus  den  Jahren  1204  bis  1212  ..  .  huius  muUeris 
Adelheidis  parentes,  cum  essent  omnino  liberi  et  nobilos  et  null!  unquam  homi- 
num  jure  famulatus  subjacuerint,  obtulerunt  se  Deo  ...  ad  censum  5  h*^  .  .  .  ut 
8i  quis  eos  voluerit  subjugare  apud  supra  memoratos  sanctos  domum  rofugii 
inveniant.  Koiblinger,  Melk,  S.  1137,  Nr.  5.  Ein  Beispiel  aus  dem  Jahre  1293, 
Ü.-B.  0.  E.,  I,  418,  Nr.  274. 

^  Freilassungen  ad  censum  5  ^  aus  den  Jahren  1263  bis  1267.  U.-B. 
0.  B.  I,  416/7,  Nr.  268/9. 

^ . . .  X  houbas  censuales,  que  vulgariter  Parscalches  houba  dicuntur.  c.  1030. 
Mon.  B.  IX,  359.  —  Femer  a.  a.  0.  VII,  67,  und  die  für  die  Stellung  der  Bar- 
schalke wichtige  Reichersberger  Tradition  von  c.  1180,  Ü.-B.  o.  B.  I,  377,  Nr.  175. 


Unfreie  und  hörige  Bauern.  255 

homines  proprii,  hießen.  Wann  der  Ausdruck  leibeigen  statt 
des  schon  im  österreichischen  Landesrecht  vorkommenden  »aigen 
man''  bei  uns  aufgekommen  ist,  lässt  sich  schwer  sagen,  doch 
war  er  zu  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  schon  üblich;  älter  scheint 
die  gleichwertige  Bezeichnung  Erbhold  zu  sein.^° 

6.  Ein  Recht  auf  den  ihm  vom  Herrn  tiberlassenen  Boden 
hatte  der  Leibeigene  ursprünglich  nicht,  oft  genug  werden  Un- 
freie noch  im  IL  und  12.  Jahrhundert  ohne  Grundstücke  ver- 
kauft, vertauscht,  verschenkt,  zu  Lehen  gegeben  u.  s.  w.,  doch 
kommen  frühzeitig  auch  Knechteshufen,  mansi  serviles,  vor, 
die  in  der  Regel  mit  den  darauf  befindlichen  Eigenleuten  ver- 
äußert worden  sein  dürften.  Dies  kam  nun  der  Stellung  der 
angesiedelten  Unfreien  zu  statten,  denn  die  Abgaben  und  Dienste, 
die  der  Herr  früher  von  ihnen  selbst  ungemessen  fordern  konnte, 
erschienen  nun  auf  den  Grund  und  Boden  gelegt.  Damit  trat  aber 
die  Bedeutung  der  freien  oder  unfreien  Herkunft,  welche  vorher 
die  Standesunterschiede  bestimmt  hatte,  in  den  Hintergrund,  weil 
die  das  Herrenrecht  bildenden  Leistungen  nun  die  Natur  ding- 
licher Lasten  angenommen  hatten  und  daher  vom  jeweiligen 
Inhaber  des  Gutes,  mochte  er  nun  frei  oder  unfrei  sein,  eben- 
mäßig gefordert  werden  konnten. 

7.  Wohl  blieben  für  die  leibeigenen  Bauern  noch  immer 
persönliche  Beschränkungen  übrig.  Ohne  Zustimmung  seines  Herrn 
durfte  er  sich  von  dem  anvertrauten  Grunde  nicht  entfernen;  sein 
mitgenommenes  Gut  konnte  ihm,  wie  es  im  steirischen  Landrecht 
(Art.  120)  heißt,  auf  offener  Straße  von  jedermann  straflos  wegge- 
nommen werden,  und  selbst  die  Mauern  einer  Stadt  sollten  ihn  erst 
nach  einiger  Zeit  vor  der  Auslieferung  an  seinen  Herrn  schützen." 
Ebensowenig  stand  ihm  die  Wahl  seiner  Ehegenossin  frei.  Es 
werden  zwar  in  unsern  Gegenden,  die  anderwärts  Beddemund, 
vadimonium,  maritagium  u.  dgl.  genannten  Gebüren  für  die  Heirats- 


^^  Im  Gegensatz  zu  den  Hörigen  oder  Holden  schlechtweg  hat  der  Erb- 
bold einen  Herrn,  dem  er  erblich,  d.  1.  durch  seine  Geburt  an  angehört.  Der 
Ausdruck  findet  sich  schon  im  Obdächer  Stiftsrecht  vom  Jahre  1891.  —  Österr. 
Weisthümer,  VI,  274/5. 

^^  Nach  dem  Stadtrecht  von  St.  Leonhard  im  Lavantthal  vom  Jahre  1325 
erlangte  jeder  Unfreie  nach  einjährigem  Aufenthalt  das  Recht,  sich  um  60  J^ 
von  seinem  Herrn  zu  lösen. 


256        österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  37. 

erlaubnis  nicht  erwähnt,  allein  schlechtweg  gestattet  waren  nur 
Ehen  mit  Leuten  desselben  Herrn,  sofern  nicht  besondere  Ab- 
machungen bestanden.**  Was  die  Unfreien  hatten,  besaßen  sie 
durch  Herrengunst,  und  da  sie  eigenen  Vermögens  nicht  fähig 
waren,  so  fiel  ihr  Nachlass  an  den  Herrn  zurück,  w^enn  sie  ohne 
einen  zum  Hofe  gehörigen  Leibserben  starben.*® 

8.  All  diese  Beschränkungen  der  Eigenleute  verringerten  sich 
im  Lauf  der  Zeit,  theils  weil  die  Freilassung  von  Knechten  unter 
Auflage  bleibender  Zinspflicht  das  ganze  Mittelalter  hindurch  an- 
hielt, theils  weil  die  Annäherung  an  den  Stand  der  Halbfreien 
überhaupt  fortdauerte.  Mit  der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts 
scheint  die  eigentliche  Leibeigenschaft,  abgesehen  von  Vorarlberg, 
wo  sie  noch  bestand,  in  den  übrigen  altösterreichischen  Landen 
schon  ziemlich  erloschen  zu  sein.  Die  Bauern,  soweit  sie  nicht 
als  Freisassen  davon  ausgenommen  oder  sonstwie  privilegiert 
waren,  zählten  nun  zur  Classe  der  „herrschaftlichen  Unterthanen*, 
d.  h.  sie  waren  der  grundherrlichen  Gewalt,  die  sich  auch  als 
Gerichtsbarkeit  äußerte,  unterworfen.  Die  Ausgleichung  aber  hatte 
sich  auf  Kosten  der  früheren  Halbfreien  in  der  Art  vollzogen, 
dass  die  Lage  dieser  Unterthanen  etwa  die  Mitte  zwischen  den 
früheren  Unfreien  und  den  Halbfreien  einhielt.  Alle  ^Unterthanen* 
saßen  nun  auf  herrschaftlichem  Grund;  je  nach  dem  Nutzungs- 
rechte, das  sie  daran  hatten,  und  nach  ihren  Diensten  und  Abgaben, 
die  jetzt  die  Natur  dinglicher  Lasten  angenommen  hatten,  war 
aber  ihre  Stellung  gegenüber  der  Herrschaft  verschieden. 

9.  Am  besten  daran  waren  nun  jene  Bauern,  die  herrschaft- 
lichen Grund  mit  dem  Recht  der  Vererbung  und  freien  Veräußerung 
zu  Burgrecht,  Kaufrecht,  Baurecht  u.  dgl.  besaßen  und  daher 
Freizügigkeit  hatten.    Sie  schuldeten  der  Herrschaft  festgesetzte 


^^  So  erlaubton  z.  B.  im  Jahre  1139  Erzbischof  Konrad  von  Salzburg  und 
das  Kloster  Admont  Wechselheiraten  zwischen  Ihren  Unfreien  und  bestimmten, 
dass  die  Krau  mit  ihrer  Nachkommenschaft  in  das  Eigenthum  jenes  Herrn,  dem 
der  Mann  gehörte,  übergehen  solle.  U.-B.  f.  St.  I,  184,  Nr.  178. 

^>  Im  Jahre  1379  war  solch  ein  Eigenmann  des  Klosters  Nonnberg  nach 
seinem  Wunsche  im  Peterskloster  zu  Salzburg  begraben  worden,  dem  er  sein 
Vermögen  vermacht  hatte.  Dagegen  trat  nim  die  Äbtissin  auf ...  et  qoia  idem 
erat  proprius  monasterii  Nunburgensis  pretendebat  eum  nee  habuisse  potestatem 
sepulturam  eligendi,  nee  potestatem  . .  .  bona  sua  temporalia  testandi .  .  .  Der 
Streit  wurde  mit  Mühe  beigelegt.  Ann.  Mattseenses,  Mon.  Genn.,  Ss.  DC,  839. 


Besitzrechte  und  Verpflichtungen  der  Bauern.  257 

jährliche  Abgaben,  und  wenn  keine  Ablösung  eingetreten  war, 
auch  gemessene  Frohnden,^^  ferner  beim  Besitzübei^ang  unter 
Lebenden  oder  von  Todeswegen  Gebüren,  deren  Größe  je  nach 
dem  Ortsgebrauch  und  dem  Besitztitel  verschieden  war. 

Die  große  Mehrzahl  der  Bauern  musste  sich  mit  schwächerem 
Recht  begnügen.  Verhältnismäßig  noch  gut  gestellt  waren  jene, 
die  ihr  Gut  zwar  vererblich,  doch  ohne  die  Befugnis,  es  zu  ver- 
äußern, besaßen,  während  der  Anspruch  der  übrigOD,  selbst  wenn 
kein  einfacher  Zeitpacht  vorlag,  als  Freirecht,  Freidienst,  Freistift 
u.  dgl.  längstens  mit  dem  Tode  des  Besitzers  erlosch.  Die  Freiheit 
war  also  hier  auf  Seite  des  Herrn,  der  in  einzelnen  Fällen  die 
Verleihung  schon  bei  Lebzeiten  des  Nutznießers  widerrufen  konnte, 
und  in  dessen  Gnaden  es  jederzeit  stand,  ob  er  der  Witwe  oder 
den  Erben  den  Grund  ferner  belassen  wollte.  An  die  frühere  Un- 
freiheit erinnerten  die  Frohnden,  die  der  Herr  von  diesen  Bauern 
oft  nach  eigenem  Bedarf,  also  ungemessen  fordern  durfte,  femer 
das  Besthaupt  (Sterbvieh,  Sterbochse),  das  im  Falle  der  Vererbung 
als  Abfindung  der  ehedem  noch  weitergehenden  Forderung  dem 
Grundherrn  geliefert  werden  musste.  ^^  Trat  jedoch  Heimfall  ein, 
80  konnte  der  Herr  immer  noch  einen  aliquoten  TheU  der  nach- 
gelassenen Habe,  gewöhnlich  ein  Drittel  beanspruchen.  ^* 

10.  Ziemlich  allgemein  hatte  das  Interesse  der  Grundherren 
Beschränkungen  ihrer  Unter thanen  bei  Heiraten  und  in  der  Frei- 
zügigkeit durchgesetzt.  Wer  ohne  vorgängige  Erlaubnis  sich  nach 
auswärts  verheiratete,  dem  drohte  meist  der  Verlust  seiner 
Nutzungsrechte.    Wer  kein  frei  veräußerliches  Recht  am  Grunde 

1^  Vermerkt  die  nucz  gtilt  und  robat  zu  dem  Schachentum  bey  Soheufling 
(c  1500).  Die  Besitzungen  werden  als  kaufrecht,  freyrecht,  purkrecht  bezeichnet, 
am  Sctilusse  heißt  es:  Dye  obgeschriben  lewt  all  dienen  kain  robat,  dann 
ir  robat,  so  sy.  järlich  tuen  sollen,  ist  in  geslagen  ip  gelt  ain  yedem  in  seiner 
summa  yorgeschriben.  —  Wien,  Hofkammer  Archiv,  M.  239. 

^^  1209  verzichtete  die  Äbtissin  von  Sonnenburg  auf  ihr  Recht,  ,ut  defuncto 
quodlibet  colono  tota  facultas  ejus  in  duas  aequas  divlderetur  partes,  quarum 
altera  cederet  ecclesiBB  altera  viduae  defuncti  et  orphanis  relinqueretur"  und  be- 
gnügte sich  mit  dem  landesüblichen  Sterbeochsen.  Hormayr,  Beitr.  I,  2,  S.  168. 

1^  In  Krain  beanspruchten  die  Bischöfe  von  Freising  1291—1318  als  ge- 
wöhnliche Todfallsgebür  den  Sterbochsen  und  das  beste  Jungschwein.  Blieb  aber 
die  Witwe  nicht  auf  der  Hube,  so  wurde  der  bewegliche  Nachlass  in  drei  Theile 
getheilt  und  so  dem  Bischof,  dem  Seelenheil  des  Verstorbenen  und  den  Erben 
zugewiesen.  Urbare  in  D.  et  A.  XXXVI,  191. 

Las  Chi  n,  Osterreichische  Reichsgeschichte.  17 


258        österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Zweite  Periode.  §  37. 

besaß,  der  hatte  keine  freie  Orts  wähl  ^^,  dem  war  es  nicht  bloß 
verwehrt,  „sich  unter  eine  fremde  Herrschaft  zu  ziehen",  d.  h.  aus 
dem  grundherrlichen  Gebiet  auszuwandern,  sondern  er  durfte 
auch  innerhalb  desselben  nur  auf  den  ihm  angewiesenen  Grunde 
„stiftlich  und  baulich"  sitzen,  damit  keine  Verödung  eintrete. 
An  diesem  Satz  hielt  man  in  Steiermark  so  fest,  dass  man  den 
Bauern  nicht  einmal  den  Besitz  von  Wohngebäuden  in  den  Wein- 
gärten gestattete,  „wann  ez  nur  den  hüben  schad**.^® 

II.  Ein  allgemeines  Verbot,  das  seit  dem  Mainzer  Landfrieden 
von  1235  oft  wiederholt  wurde,  betriflFt  die  Haltung  von  Mund- 
leuten. Damit  war  nicht  jedes  Schutzverhältnis  verboten,  sondern, 
wie  der  Wiener  Landfriede  vom  Jahre  1276  ausführt,  nur  ein 
solches,  das  sich  gegen  den  eigenen  Herrn  des  Schützlings  kehrte.^* 
Trotz  der  hohen  Strafsätze,  die  angedroht  waren,  ließ  sich  die 
Mundmannschaft  oder  Vogtei,  wie  sie  später  hieß,  nicht  ausrotten, 
namentlich  war  sie  in  Krain  so  stark  verbreitet,  dass  sich  z.  B. 
dem  Engelhard  von  Auersberg  in  den  Jahren  1456/58  nicht  weniger 
als  78  Personen  in  die  Vogtei  ergaben.  Infolge  einer  Landtags- 
beschwerde befahl  daher  Kaiser  Maximilian  im  Jahre  1509  seiner 
Regierung,  zu  verhindern,  „dass  durch  etlich  unser  Landleut  und 
unsern  Vitzthum  und  Pfleger  fremde  erbaigen  Lewt  und  Holden 
in  Vogtei,  Schirm  und  ander  Weg  aufgenommen,  gesidelt  und  vor- 
gehalten werden,"  doch  ohne  Erfolg.  Der  Unfug  dauerte  fort, 
obwohl  das  gleiche  Gebot  nicht  bloß  vom  Kaiser,  sondern  auch 
von  seinem  Nachfolger  wiederholt  eingeschärft  wurde. 


^'*  Die  Unterthanen,  denen  die  Freizügiglteit  vertragsmäßig  gegen  Zinson? 
zugestanden  wurde,  hießen  in  Steiermark  Freileute.  —  1380  bekundet  ein  Neu- 
markter  Bürger,  „daz  wir  . . .  Hainreichen  .  . .  ganz  und  gar  ledig  lazzen  haben 
vreirechts  der  unser  geböm  vreiman  gewesen  ist  nach  dem  gut,  daz  gelegen 
ist  daz  Perchach"  gegen  Zahlung  von  5  Pfd.  60  ^ .  1454  bekundet  ein  Höriger, 
„das  ich  mit  willen  meiner  erb^erren  zogen  pin  von  in  under  den  edein . . . 
Jörgen  Wilthowser"  und  verspricht  und  verbürgt  hieftir  jährlich  24  ^  zu  zahlen. 
Steirisches  Landes-Archiv,  Urkunden  Nr.  3386c,  6490a. 

1»  Steir.  L.-R.  A.  202  und  Reformation  der  Landhandfeste  1445. 

^^  Im  Jahre  1333  wurde  die  Burg  Weissenegg  in  Kärnten  verkauft:  mit 
aygen  leuten,  mit  edeln  leuten  und  unedeln  leuten,  die  darzue  gehörent,  mit  vogt- 
leuten,  mit  edlingen,  mit  muntleuten,  swo  die  gesessen  sind  in  den  gerichten. 
Steirisches  Landes-Archiv  Nr.  2u46a. 


Österreich  im  Zeitalter  Kaiser  Maximilian's  I.  259 


m.  Periode :  Der  Übergang  vom  Mittelalter  zur 

Neuzeit. 

(1493  —  1526.) 


§  38.  Geschichtlicher  Überblick. 

Bachmann  A.,  Deutsche  Reichsgeschichte  im  Zeitalter  Friedrich's  III. 
nnd  Maximilian's.  2  Bde.  —  Haber,  Osten*.  Geschichte,  III,  266  ff.  —  Janssen, 
Geschichte  des  deutschen  Volkes,  I.  —  Krön  es,  II,  493  ff.  —  Lamprecht, 
Deutsche  Geschichte,  V.  —  Mayer  Franz  M.,  I,  258  ff.  —  Ranke,  Deutsche 
Geschichte  im  Zeitalter  der  Reformation,  I.  —  Ulm  an n,  Kaiser  Maximilian  I., 
2  Bande. 

1.  In  das  Menschenalter  von  1493 — 1526  fällt  der  Übergang 
von  den  mittelalterlichen  Einrichtungen  der  altösterreichischen 
Lande  zu  einem  wesentlich  erweiterten  und  nach  den  Forderungen 
einer  neuen  Zeit  verwalteten  Staate.  Noch  unter  Kaiser  Friedrich  III. 
waren  die  Erblande  eine  lose  Anhäufung  von  vielen  Gebieten, 
die  nur  in  der  Person  des  Regenten  ihre  Vereinigung  fanden. 
Mit  dem  Regierungsantritt  seines  Nachfolgers  begannen  sofort 
zielbewusste  Veränderungen  in  der  Verwaltung,  um  eine  zeit- 
gemäße Umstaltung  des  ganzen  Staatswesens  herbeizuführen.  An 
diesem  Gedanken  hielt  Kaiser  Maximilian  sein  ganzes  Leben  hin- 
durch fest,  nicht  aber  an  den  gewählten  Formen,  die  sein  beweg- 
lieber  Geist  oft  vorschnell  aufgab,  um  sie  durch  andere  zu  er- 
setzen. Immerhin  hatten  sich  bis  zu  seinem  Tode  manche  Ein- 
richtungen schon  so  eingelebt,  dass  Erzherzog  Ferdinand  an  ihnen 
bei  seinem  Regierungsantritt  festhielt  und  sie  weiter  ausbildete. 
So  waren  die  altösterreichischen  Erblande  auf  dem  Wege,  sich  zu 
dem  größten  und  bestverwalteten  deutschen*  Staatskörper  im 
deutschen  Reiche  zusammenzuschließen,  als  der  unerwartete  An- 
fall von  Böhmen  und  Ungarn  mit  einem  Schlage  die  Stellung  des 
Erzherzogs  von  Grund  aus  veränderte  und  ihm  neue  Regenten- 
aufgaben anwies,  die  im  Laufe  der  Entwicklung  zum  heutigen 
Kaiserthum  Österreich  geführt  haben.  Daher  bildet  die  Regenten- 
tliätigkeit  Kaiser  Maximilian's  mit  den  wenigen  Jahren,  die  sein 

17* 


260         Österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Dritte  Periode.  §  38. 

Enkel  regierte,  ehe  er  König  der  Naehbarreiehe  wurde,  einen  so 
wichtigen  Abschnitt  im  Leben  des  Kaiserthums,  dass  sie  in  der  öster- 
reichischen  Reichsgeschichte  selbständig  behandelt  werden  muss. 

2.  Maximilian  I.  besaß,  als  er  mit  34  Jahren  zur  Herrschaft 
in  seinen  Erblanden  gelangte,  schon  reiche  Regentenerfahrung. 
8ein  Vater  hatte  ihn  allerdings  zeitlebens  nur  wie  einen  Sohn 
vom  Hause  behandelt  und  ihm  nie  mehr  als  die  Grafschaft 
Cilli  eingeräumt,  „denn  das  Übrige  werde  er  doch  Zeit  genug 
bekommen*'.^  Dagegen  hatte  Maximilian  die  bestverwalteten  Lande 
Europas,  das  reiche  Erbe  seiner  Gemahlin,  der  burgundischen 
Prinzessin  Maria,  seit  1477  genau  kennen  gelernt  und  später 
als  Vormund  seines  Sohnes  Philipp  durch  viele  Jahre  beherrscht, 
ferner,  seit  seiner  Wahl  zum  römischen  König  (1486)  die  Geschicke 
des  deutschen  Reichs  mit  Glück  geleitet.  Mit  dem  Jahre  1490 
erhielt  er  Gelegenheit,  seine  Regentenfähigkeiten  auch  in  den  alt- 
österreichischen Landen  zu  bethätigen.  Mitte  März  d.  J.  hatte  ihm 
Erzherzog  Sigmund  durch  seine  Streitigkeiten  mit  der  Landschaft 
ermüdet,  die  Herrschaft  über  Tirol  und  die  Vorlande  unter  Vor- 
behalt einer  Jahresrente  abgetreten.  Drei  Wochen  später  benützte 
Maximilian  den  plötzlichen  Tod  des  Königs  Mathias  Corvinus 
(f  6.  April  1490)  nicht  bloß  zur  Wiedereroberung  der  von  den 
diesem  in  den  fünf  n.-ö.  Landen  besetzten  Orte,  sondern  auch  zu 
einem  kräftigen  Vorstoß  nach  Ungarn,  wo  er  alte  Ansprüche 
seines  Hauses  auf  die  Stephanskrone  zur  Geltung  zu  bringen  suchte. 

Den  anfänglichen  Erfolgen  des  Feldzugs  entsprach  der  Aus- 
gang keineswegs.  Die  Priedensbedingungen,  welche  über  Drängen 
des  Kaisers  am  7.  November  1491  zu  Pressburg  mit  dem  von 
den  Ungarn  zum  Herrscher  erkorenen  böhmischen  König  Vladislav 
vereinbart  wurden,  stimmen  fast  genau  mit  jenen  überein,  unter 
welchen  der  Kaiser  1463  mit  König  Mathias  Frieden  geschlossen 
hatte.  Zwar  durfte  .Maximilian  den  Titel  eines  Königs  von  Ungarn 
auch  ferner  führen,  allein  der  Besitz  des  Reiches  sollte  Vladislav 
und  dessen  ehelichen,  männlichen  Nachkommen  zustehen  und  erst 
nach  deren  Absterben  die  Habsburger  „ipso  facto"  zur  Herrschaft 
in  Ungarn  berufen  sein.  Eine  Verbesserung  gegen  früher  war  nur 
dadurch  eingetreten,  dass  die  Friedensbedingungen,  insbesonders 
auch  der  Artikel  über  die  vorbehaltene  Nachfolge  Maximilian's 

1  Ranke,  I,  65. 


Regierungsantritt  in  Tirol  und  den  n.-ö.  Landen.  261 

und  seiner  Erben  am  27.  März  1492  die  feierliche  Zustimmung  der 
Stände  von  Ungarn,  Siebenbürgen,  Croatien  und  Slavonien  erhielten. 

Die  friedlichen  Beziehungen,  welche  so  zwischen  den  Habs- 
burgern  und  den  jagellonischen  Herrschern  in  Ungarn  und  Böhmen 
geknüpft  worden  waren,  blieben  fortan  bestehen.  Kaiser  Maximilian 
hat  nicht  nur  dem  Könige  Vladislav  thatkräftigen  Beistand  gegen 
die  Umtriebe  des  ehrgeizigen  Johann  Zapolja  geleistet  (1505/6), 
sondern  auch  im  Jahre  1515  jene  Doppelheirat  zwischen  seinem 
und  dem  jagelionischen  Hause  beredet,  deren  volle  Bedeutung 
nach  der  Unglücksschlacht  bei  Mohacs  1526  offenbar  wurde. 

3.  Der  Tod  Kaiser  Friedrich's  HI.  am  19.  August  1493  er- 
öffnete dem  Könige  die  Herrschaft  in  den  übrigen  habsburgischen 
Erblanden:  Österreich,  Steiermark,  Kärnten,  Krain  und  Istrien. 
Die  schädlichen  Folgen  der  Ländertheilungen  erschienen  beseitigt 
und  Länder  von  mehr  als  3000  Quadratmeilen  Fläche,  die  fast 
den  ganzen  Süden  und  Westen  Deutschlands  bedeckten,  gehorchten 
nun  einem  Herrscher,  der  gleichzeitig  die  Krone  des  deutschen 
Reiches  trug.  Maximilian  säumte  nicht,  diesen  Länderbesitz  noch 
zu  er  weitem  und  zu  verdichten.  Dazu  hatte  schon  der  Krieg 
vom  Jahre  1490  Anlass  gegeben,  indem  nach  dem  Friedens- 
schlüsse von  den  Ungarn  auch  jene  salzburgischen  Besitzungen 
geräumt  wurden,  die  ihnen  Erzbischof  Bernhard  im  Kampfe  gegen 
Kaiser  Friedrich  III.  als  feste  Stützpunkte  überlassen  hatte.  Wohl 
gelangten  diese  gemäß  dem  am  29.  November  1482  bei  der  Ab- 
dankung des  Erzbischofs  getroffenen  Abkommen  größtentheils 
wieder  an  das  Erzstift  zurück ;  einzelne  Orte  hingegen  verblieben 
dem  Kaiser,  so  das  militärisch  wichtige  Pettau,  das  jedoch  1506 
als  Pfand  für  20.000  Goldgulden  dem  Hochstifte  wieder  einge- 
räumt wurde.  2  Noch  wichtiger  war  der  durch  Erb  vertrage  seit 
dem    14.   Jahrhundert   vorbereitete  Anfall   der  Grafschaft   Görz 


^  Mayer  F.  M.,  Abdankung  des  Erzbischofs  Bernhard  von  Salzburg. 
Beilage  22.  (Archiv  f.  österr.  G.,  Bd.  55,  S.  244.)  ~  Am  16.  März  d.  J.  ver- 
pfändete König  Maximilian  dem  Andre  von  Weißpriach  die  Hauptmannschaft 
und  das  Vitzthumamt  über  das  salzburgische  Leibnitz.  Am  17.  Mai  1492  er- 
hielten Richter  und  Rath  zu  Pottau  vom  Kaiser  das  Gericht,  Ungeld,  die  Mauth 
u.  s.  w.  auf  ein  Jahr  zur  Verrechnung.  Mitth.  des  bist.  Ver.  für  Steiermark,  XI, 
252,  Nr.  931,  937.  —  Zur  landesfürstl.  Kammerstadt  wurde  Pettau  1565  durch 
Rückzahlung  der  Pfandsumme  an  Salzburg.  Bischoff  in  S.  B.  113,  S.  701. 


262        Österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Thoil.  Dritte  Periode.  §  38  und  39. 

(§  15,  6)  nach  dem  Tode  des  letzten  Grafen  Leonhard  (f  12.  April 
1500).  Die  Landbrücke  zwischen  Kärnten  und  Tirol  und  ein 
eigener  Zugang  nach  der  friaulischen  Ebene  kamen  dadurch  in 
die  Hände  Maximilian's.  Bald  darauf  (1505)  brachte  ihm  seine 
Vermittlung  im  bayerischen  Erbfolgestreit  die  Städte  und  Gerichte 
Kufstein,  Kitzbüchel,  Rattenberg  und  den  bayerischen  Antheil  des 
Zillerthals  zu,  während  der  im  Jahre  1508  gegen  Venedig  begonnene 
Krieg  bei  seiner  Beendigung  zu  einer  militärisch  haltbaren  Be- 
grenzung von  Südtirol  führte  und  dem  Lande  Tirol  außer  Riva, 
das  an  den  Bischof  von  Trient  kam,  die  Stadt  Roveredo,  die  s.  g. 
vier  Vicariate  und  die  Gebiete  von  Cortina  d'  Ampezzo,  Peutel- 
stein  u.  s.  w.  anschloss. 

4.  Die  Regierungsacte  des  Kaisers  Maximilian,  soweit  sie 
die  Umgestaltung  der  Verwaltungseinrichtungen  und  sein  Ver- 
hältnis zu  den  Landständen  der  Erblande  betreffen,  werden  in 
den  §§  39  und  40  besprochen  werden.  Jene  hingegen,  die  sich 
auf  sein  Verhältnis  zum  Deutschen  Reich  und  sein  Eingreifen  in 
die  europäische  Politik  beziehen,  können  hier  nur  soweit  Gegenstand 
der  Darstellung  sein,  als  sie  von  unmittelbarer  Rückwirkung  auf  die 
österreichischen  Lande  waren.  Darum  genügt  es,  hervorzuheben, 
dass  die  burgundischen  Angelegenheiten  oft  genug  in  die  Ausfüh- 
rung der  Pläne  Kaiser  Maximilian's  hindernd  eingriffen^  namentlich 
seitdem  die  Herrschaft  sein  Sohn  Philipp  und  später  sein  Enkel 
Erzherzog  Karl  persönlich  übernommen  hatten,  wie  denn  beispiels* 
weise  die  Rückerstattung  von  Verona  an  die  Republik  Venedig 
dem  Kaiser  durch  die  burgundischen  Räthe  aufgedrängt  \iiirde, 
welche  1516  den  Frieden  von  Noyon  herbeiführten,  um  selbst 
Ruhe  vor  Frankreich  zu  haben. 

Die  im  Jahre  1495  verabredete  und  in  den  beiden  nach- 
folgenden Jahren  zur  Ausführung  gebrachte  Doppelheirat  zwischen 
den  Kindern  Maximilian's  und  des  spanischen  Königshauses  brachte 
den  Erzherzog  Philipp  im  Jahre  1506  auf  den  Thron  von  Kastilien 
und  dessen  Sohn  Erzherzog  Karl  1516  auf  den  Thron  des  ver- 
einigten Spaniens.  Weniger  glücklich  war  hingegen  MaximUian's 
zweite  Ehe  mit  Bianca  Maria  Sforza,  mit  der  er  sich  je  länger 
je  weniger  verstand,  auch*  verwickelte  ihn  diese  Heirat  in  die 
mailändischen  Wirren,  denen  allerdings  Maximilian  schon  um  der 
Ansprüche  des  Reiches  willen  nicht  hätte  fern  bleiben  können. 


Erwerb  von  Görz,  Abrundung  Tirols,  Fehlschlagen  anderer  Pläne.      263 

5.  Die  politischen  Pläne  des  Kaisers,  häufig  ungenügend  vor- 
bereitet und  mit  unzureichenden  Mitteln  unternommen,  missglückten 
oft,  aber  die  Schuld  lag  doch  weniger  an  ihm,  als  an  jenen,  die 
ihn  trotz  der  Zusagen  nicht  genügend  unterstützt  hatten.  Es  ist 
ein  eigenthümliches  Schauspiel,  dass  Maximilian,  die  volksthüm- 
lichste  Erscheinung  seiner  Zeit,  bei  Fürsten  und  Ständen  so  wenig 
Verständnis  für  seine  Absichten  fand.  Der  Kaiser,  der  sich  mit 
dem  Wahlspruch:  ,Mein'  Ehr'  ist  deutsch  und  deutsch  mein'  Ehr'" 
aus  ganzer  Seele  den  Aufgaben  des  Gesammtwohls  widmete  und 
unablässig  bemüht  war,  die  deutsche  Volkskraft  von  innerem 
Hader  auf  hohe  nationale  Ziele  zu  lenken,^  fand  bei  dem  Reichs- 
tag so  wenig  Entgegenkommen,  dass  er  mehr  als  einmal  in  die 
bittersten,  berechtigten  Vorwürfe  ausbrach.  Die  Kriege,  die  er  um 
des  Reiches  Ehre  und  Frommen  gegen  Frankreich  und  Venedig 
führte,  verliefen  unglücklich.  Sein  Lieblingsgedanke,  die  Türken 
zur  Sicherung  des  Reiches  und  der  Erblande  aus  Europa  zu  ver- 
treiben, gelangte  weder  1493  noch  später  (z.  B.  1517)  zur  Aus- 
führung. Die  Umwandlung  Tirols  in  ein  Kurfürstenthum,  das  er 
seinem  Sohne  Philipp  überlassen  wollte,  vereitelte  (1504)  der 
Widerspruch  der  Kurfürsten.  Nicht  minder  vergeblich  erwiesen 
sich  1518  seine  Bemühungen,  als  er  seinem  Enkel,  dem  König 
Karl  von  Spanien,  die  Nachfolge  im  Reich  verschaffen  wollte. 
Wohl  aber  hat  der  Kaiser  Triumphe  auf  ander m  Gebiet  gefeiert 
und  durch  seine  schöpferische  Umgestaltung  der  Verwaltung  dem 
Reiche,  wie  den  einzelnen  Reichslanden  neue  Bahnen  eröffnet. 


§  39.  Kaiser  Maximilian's  ümgestaltang  des  Behördenwesens 

und  der  Terwaltang. 

Adler  S.,  Die  Organisation  der  Centralverwaltung  unter  Kaiser  Maximilian  I. 
1886.  —  Bidermann.  Geschichte  der  landesfürstlichen  Behörden  in  und  für 
Tirol.  1490—1749.  Innsbruck  1867.  --  Pellner  Th.,  Zur  Geschichte  der  österr. 
Central-Verwaltung.  1493—1848.  Mitth.  des  Inst,  für  österr.  Geschichte,  Vm,  2.  — 
Huber  A.,  Geschichte  der  österr.  Verwaltungs-Organisation  bis  zum  Ausgang 
des  18.  Jahrhunderts.  Innsbrucl^  1884.  Geschichte  Österreichs,  lü,  450;  Reichs- 
geschichte, 63.  —  Kalten baeck,  Österr.  Zeitschrift,  1836.  Nr.  67.  —  Mein 
, Gerichtswesen",   S.   273 ff.    —   Schmoller   G.,   über   Behördenorganisation, 

*  Janssen,  I,  547;  Lamprecht,  V,  45 ff. 


264        Österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Dritte  Perlode.  §  39. 

Amtswesen  und  Beamtenthum  im  allgemeinen  und  speciell  in  Deutschland  und 
Preußen  bis  zum  Jahre  1713.  (Einleitung  zu  den  Acta  Borussica,  Behörden- 
Organisation,  1.  Bd.)  1894.  —  Ulraann,  I,  804  fr. 

1.  Kaiser  Friedrich  III.  hatte  sowohl  die  Regierung  des 
Reiches  wie  der  Erblande  noch  rein  persönlich  geführt.  Wie  dürftig 
die  Einrichtungen  der  Verwaltung  damals  waren,  ist  schon  in  den 
§§  30—33  ausgeführt  worden.  Raum  für  landesfürstliche  Behörden 
bot  nur  das  Finanzwesen,  doch  war  auch  dieses  nach  den  ein- 
zelnen Ländern  streng  abgeschlossen,  da  es  an  einer  zusammen- 
fassenden Behörde  fehlte.  Selbst  wenn  der  Kaiser  in  seinem  Ab- 
wesen  Räthe  zur  Besorgung  laufender  Regierungsgeschäfte  vor- 
übergehend in  die  Erblande  entsandte,  so  gewährte  er  ihnen  nur 
einen  räumlich  und  sachlich  sehr  eingeschränkten  Wirkungskreis. 
Alle  Regierungshandlungen,  welche  über  den  Bereich  des  Erb- 
landes hinausgriflfen,  sowie  alle  Processe,  die  vor  das  Hofgericht 
gehörten,  mussten  daher  dem  wandernden  Hofe  des  Kaisers  folgen, 
der  sich  sosehr  um  alle  Einzelheiten  kümmerte,  dass  er  es  nicht 
verschmähte,  zu  Zeiten  sein  eigener  Kanzler  und  Taxator  zu  sein, 
wie  der  Frankfurter  Gesandte  Dr.  Gelthuß  im  Jahre  1470  von 
Graz  aus  nach  Hause  berichtete.  In  Maximilian  hingegen  hatten 
sich,  wie  dies  häufig  geschieht,  eben  angesichts  der  misslichen 
Umstände,  in  die  sein  Vater  gerathen  war,  entgegengesetzte  An- 
schauungen entwickelt.  Hatte  der  Kaiser  seine  Stellung  in  zäher 
Erhaltung  des  Bestehenden  zu  wahren  gesucht  und  auch  manche 
Erfolge  dadurch  errungen,  so  hatte  Maximilian  andererseits  die 
Einsicht  gewonnen,  das  vieles  von  dem  Althergebrachten  schon 
rettungslos  dem  Untergang  verfallen  war.  Eine  neue  Zeit  mit 
neuen  Verhältnissen  war  angebrochen :  die  Buchdruckerkunst  hatte 
das  Lesen  und  Schreiben  in  Kreise  verbreitet,  denen  dies  ein 
Menschenalter  vorher  noch  ganz  fremd  war,  der  Humanismus  war 
in  Deutschland  aufgeblüht,  zahlreicher  denn  je  wandten  sich  Laien 
dem  Studium  des  römischen  Rechts  und  der  alten  Sprachen  zu. 
Auf  anderer  Seite  zeigte  sich  das  hergebrachte  System  der  Natural- 
wirtschaft durch  die  von  Jahr  zu  Jahr  anwachsende  Menge  von 
Umlaufsmitteln  aufs  tiefste  erschüttert.  So  galt  es  allerorten,  die 
veralteten  Formen  zu  sprengen  und  durch  neue,  besser  geeignete 
zu  ersetzen.  Die  ganze  Regierung  Maximilian's  war  der  Lösung 
dieser  Aufgabe  gewidmet. 


RegierangsgTundsätze  Kaiser  Friedrich's  III.  und  Maximilians  I.       265 

2.  Man  unterschätzt  den  persönlichen  Antheil  dieses  Herrschers 
an  dem  Reformwerk,  wenn  man  dasselbe  vorwiegend  auf  Ein- 
wirkung der  gleichzeitigen  Einrichtungen  in  Burgund  zurückführt. 
Sicher  hat  auf  einen  für  Eindrücke  aller  Art  so  empfänglichen 
Geist,  wie  Maximilian,  der  Einblick  in  das  Getriebe  der  durch- 
gebildeten Verwaltung  befruchtend  gewirkt,  den  er  während 
seiner  Regentschaft  in  den  burgundischen  Landen  gewann.  An- 
dererseits fand  Maximilian  in  Tirol  bei  Übernahme  der  Herr- 
schaft (1490)  eine  auf  ganz  anderen  Grundlagen  erwachsene  und 
gleichfalls  hoch  entwickelte  Verwaltung  schon  vor;  er  hat  jedoch 
diese  ebensowenig  als  die  burgundische  wahllos  verallgemeinert. 
Seine  schöpferische  That  war  es,  dass  er  die  erhaltenen  An- 
regungen mit  den  im  Reich  wie  in  den  Erblanden  vorgefundenen 
Verhältnissen  in  Einklang  brachte  und  dadurch  die  Entwicklung 
des  Behördenwesens  hier  wie  dort  auf  Jahrhunderte  bestimmte. 
Stärkung  seiner  Stellung  als  König  im  Reich,  als  Landesherr  in 
seinen  Erblanden  sollte  durch  Anpassung  der  Verwaltung  an  die 
Forderungen  der  Zeit  erreicht  werden.  Lassen  wir  die  Thätigkeit 
des  Herrschers  außer  Betracht,  soweit  sie  sich  auf  das  Reich  allein 
bezog,  und  wenden  wir  uns  den  Zuständen  in  den  Erblanden  zu. 

3.  Die  mittelalterliche  Anschauung  betrachtete  den  Staat  als 
einen  durch  das  Lehensband  lose  zusammengehaltenen  Körper  und 
Ueß  eigentlich  nur  den  Schutz  des  Innern  und  äußern  Friedens  als 
Regierungszwecke  gelten.  (§  30, 5.)  Diese  Auffassung  hatte  zu  großer 
Schmälerung  der  landesfürstlichen  Gewalt  geführt.  Vieles,  was  wir 
heute  als  Regentenaufgabe  ansehen,  war  ganz  regellos  in  die  Hände 
der  Grundherren,  der  Stände  oder  anderer  Körperschaften  über- 
gegangen, während  das,  was  dem  Landesfüraten  noch  verblieben 
war,  ohne  Bedacht  auf  die  Verschiedenheit  der  örtlich  zusammen- 
treffenden Staatsaufgaben  meist  einem  ungenügend  überwachten 
Ortsbeamten  überlassen  blieb.  Maximilian  erkannte  in  der  daraus 
folgenden  Unübersichtlichkeit  der  Verwaltung  den  eigentlichen  Sitz 
des  Übels  und  suchte  dem  abzuhelfen,  indem  er  die  verschiedenen, 
in  einer  Hand  vereinigten  Aufgaben,  wo  es  nöthig  schien,  trennte 
und  neuen,  nach  fachlichen  Gesichtspunkten  geschaffenen  Behörden 
mit  größeren  Amtssprengeln  überwies.  Durch  Regelung  des  gegen- 
seitigen Verhältnisses,  durch  Einsetzung  eigener  Aufsichtsämter, 
endlich  durch  Übertragung  der  obersten  Leitung  an  Ämter  mit 


266         Österreichische  Reichsgeschichte.  L  Theil.  Dritte  Periode.  §  39. 

collegialer  Besetzung,  sollte  eine  bessere  Überwachung  und  ver- 
lässlichere Verwaltung  herbeigeführt  werden. 

4.  Eine  so  gründliche  Umstaltung  des  ganzen  Ämterwesens 
konnte  an  den  Grenzen  der  einzelnen  Erblande  nicht  Halt  machen, 
sie  rausste  im  Gegentheil  den  Versuch  wagen,  ob  es  nicht  möglich 
wäre,  die  an  sich  getrennten  Gebiete,  die  schon  seit  Jahrhunderten 
unter  einem  Herrscherhause  gestanden  hatten,  durch  Verwaltungs- 
maßregeln zu  einer  höheren  staatlichen  Einheit  umzubilden.  Maxi- 
milian gieng  dabei'  ebenso  planmäßig  als  bedächtig  vor  und  be- 
nützte den  Begriff  der  Staatswohlfahrtspflege,  der  sich  damals  in 
größeren  Kreisen  einzubürgern  begann,  um  die  Schranken  provin- 
zieller Abgeschlossenheit  zu  durchbrechen  und  die  Lande  „um  des 
gemeinen  Nutzens  willen''  einander  näher  zu  bringen.  Er  machte 
ferner,  um  der  geschichtlichen  Entwicklung  Rechnung  zu  tragen, 
die  nach  dem  Donaulauf  bezeichneten  Ländergruppen  der  ober- 
und  niederösterreichischen  Lande,  in  welche  der  Hausbesitz  durch 
die  Theilungen  der  Leopoldiner  schließlich  zerfallen  war,  zu  Ver- 
waltungssprengeln  nächsthöherer  Ordnung  und  unterstellte  eret 
diese  nach  Bedarf  eigentlichen  Centralbehörden. 

5.  Als  König  Maximilian  1490  in  die  Geschicke  der  alt- 
österreichischen Lande  zuerst  eingriff,  war  seine  Stellung  in 
beiden  Ländergruppen  verschieden.  In  Tirol  und  den  Vorlanden 
war  er  schon  Landesfürst,  die  fünf  n.-ö.  Lande  hingegen  gehörten 
noch  seinem  Vater,  der  ihm  bloß  deren  Einkünfte  zur  Bestreitung 
der  Kriegskosten  überwiesen  hatte.  Die  organisatorischen  Fähig- 
keiten des  Königs  zeigten  sich  jedoch  darin,  dass  er  nicht  bloß  in 
Tirol,  wo  er  schon  kraft  eigenen  Rechtes  verfügte,  sondern  auch 
in  den  n.-ö.  Landen  sofort  solche  Einrichtungen  schuf,  an  welche 
er  später  unmittelbar  anknüpfen  konnte.  Er  begann  1490  in  Tirol 
mit  der  Einsetzung  einer  coUegialen  Regierungsbehörde,  welcher 
Anfang  1491  ein  KammercoUegium  zur  Besorgung  des  Finanz- 
wesens an  die  Seite  trat.  Ungefähr  um  dieselbe  Zeit  wurde  auch 
für  die  n.-ö.  Lande  durch  die  , Statthalter  und  Räthe  des  Römischen 
Königs"  ein  BehördencoUegium  zu  Wien  errichtet,  welchem  wesent- 
lich Finanzangelegenheiten  zugewiesen  waren.  Im  August  1491  er- 
folgte dann  der  erste  Versuch  einer  Vereinigung  des  gesamraten 
Einnahmen-  und  Ausgabenwesens  durch  Ernennung  eines  General- 
schatzmeisters für  alle  aus  dem  Reich  und  den  Erblanden  dem 


Beginn  der  Reformen:  Die  .Regimente*  und  deren  Gewalt.  267 

König  Maximilian  zufließenden  Einkünfte.  Ein  oberster  Auf- 
seher und  Gegenschreiber,  dem  insbesonders  der  Rent- 
meister für  alle  Aufschläge  unterstellt  wurde,  sollte  seit  1492 
den  erforderlichen  Überblick  über  das  Kammerwesen,  die  Steuern 
und  die  Aufschläge  in  Österreich  ob  und  unter  der  Enns  liefern. 
Auf  dem  betretenen  Wege  schritt  Maximilian  fort,  als  er  nach 
dem  Tode  Kaiser  Friedrich's  freie  Hand  für  seine  Reformen  über- 
haupt erlangt  hatte.  Alsbald  ernannte  er  auch  für  die  fünf  n.-ö. 
Lande,  da  er  ihnen  durch  Angelegenheiten  des  heiligen  römischen 
Reiches  und  gemeiner  Christenheit  längere  Zeit  fem  bleiben  müsse, 
ein  Regierungscollegium  mit  umfassenderem  Wirkungskreis.  So  war 
nun  in  gleicher  Weise  für  die  obern  wie  für  die  n.-ö.  Erblande  vor- 
gesorgt. Diese  Behörden  oder  „Regimente*  bestanden  aus  mehreren 
besoldeten  Räthen,  welche  des  Königs  St^itthalter  und  Regenten 
hießen,  ein  oder  zwei  Secretären  und  den  erforderlichen  Hilfskräften. 
Sie  hatten  die  laufenden  Regierungsgeschäfte  im  Sinne  der  empfan- 
genen Instruction  zu  erledigen  und  galten  nur  als  Verweser  der 
Lande  während  der  Abwesenheit  des  Herrschers.  Trotz  dieser  Auf- 
fassung, die  es  mit  sich  brachte,  dass  bei  Ankunft  des  Landesfürsten 
ihre  Befugnisse,  soweit  sie  nicht  ausdrücklich  erneuert  wurden,  von 
selbst  auf  die  fürstliche  Hofkanzlei  übergiengen,  gestalteten  sich 
doch  die  Regimente  zu  einer  bleibenden  Einrichtung.  Was  nur 
thatsäcUiche  Übung  war,  wurde  1501  bei  Erneuerung  dieser  Be- 
hörde für  die  fünf  n.-ö.  Lande  zuerst  als  Grundsatz  für  die  Zukunft 
hingestellt,  als  der  König  erklärte,  dass  das  Regiment  nach  Inhalt 
der  erlassenen  Ordnung  vorzugehen  habe,  »Wir  seyen  inner- 
halb oder  außerhalb  unser  Fürstenthum  und  Lande"".  Noch 
immer  behielt  sich  aber  Maximilian  das  Recht  vor,  diese  Behörden 
ihrer  Zusammensetzung  und  dem  Wirkungskreise  nach  beliebig  zu 
gestalten,  wie  er  denn  beispielsweise  1510  das  im  Anschluss  an 
die  Vereinbarungen  mit  den  n.-ö.  Landschaften  umgeänderte  Re- 
giment nur  mit  einer  auf  Widerruf  ertheilten  Vollmacht  ausstattete.^ 
6.  Die  Aufgabe  und  Zusammensetzung  der  Regimente  unter- 
l:ig  mithin  sowohl  in  den  ober-  als  in  den  n.-ö.  Landen  während  der 
Regierung  Kaiser  Maximilian's  mancherlei  Änderungen.  Anfänglich 

^  Gleiches  geschah  1518:  »Dem  Regiment  will  Se.  Majestät  vollkommen 
Gewalt  geben  nach  vemiugen  des  Libels  von  Augspurg,  doch  nit  anders,  dann 
solang   kay.  Mt.  solch  Regierung  gevelt  und  die  nit  widerruft*.   L.-A.  Krain. 


268         österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Dritte  Periode.  §  39. 

ist  nur  von  Statthaltern  und  Regenten  die  Rede,  die  am  Amtssitze 
ihren  Wohnort  haben  mussten  und  in  dringenden  Fällen  sich  durch 
Zuziehung  der  gleichfalls  ernannten  Räthe  von  Haus  aus  (d.  h.  ohne 
Residenzpflicht)  verstärken  konnten.  Später  werden  ein  Präsident  — 
in  den  fünf  niederösterreichischen  Landen  erst  obrister  Hauptmann 
seit  1514,  wie  schon  früher  in  Tirol,  „Landhofmeister"  geheißen  — 
Marschall,  Kanzler  und  Räthe  unterschieden.  Als  dann  der  Kaiser 
durch  die  Kriege  in  Geldnoth  gerathen,  größere  Leistungen  von 
den  Erblanden  verlangte,  musste  er  dem  Drängen  der  Stände, 
dass  das  Regiment  mit  Landleuten  besetzt,  d.  i.  ihnen  ausgeliefert 
werde,  soweit  nachgeben,  dass  er  1506  im  oberösterreichischen 
Regiment  vier  und  1510  im  n.-ö.  fünf  Stellen  für  Mitglieder  der 
Landschaften  offenhielt  und  diese  bei  Erledigungen  mit  Landleuten 
„von  demselben  Stand  und  Land"  wieder  zu  besetzen  versprach. 
Im  Grunde  hatte  dies  Zugeständnis  nicht  soviel  zu  bedeuten,  da 
der  Kaiser  unter  den  vorgeschlagenen  „Landleuten"  jene  wählte, 
die  er  am  ehesten  für  das  landesf üratliche  Interesse  zu  gewinnen 
hoffte  und  die  Ernennung  jederzeit  widerruflich  blieb.  Darüber 
hinaus  ließ  sich  Maximilian  nicht  einmal  auf  dem  Innsbrucker  Aus- 
schusstage drängen :  oberster  Haupttfiann  in  dem  Regimente,  er- 
klärte er,  wolle  er  selbst  sein,  wogegen  die  Lande  wohl  nichts 
einwenden  dürften,  und  wenn  er  auch  das  Regiment  zum  größten 
Theile  aus  Landleuten  ernennen  wolle,  so  sei  es  doch  nothwendig 
und  gut,  dass  auch  einige  Ausländer  darin  aufgenommen  werden. 
Die  Bitte  der  Städte  um  Vertretung  im  Regiment  wurde  als 
ungerechtfertigt  sogar  gänzlich  abgeschlagen.^ 

7.  Die  Regimente  als  stellvertretende  Behörden  besaßen  die 
Gewalt  des  Fürsten.  Ihre  mit  Stimmenmehrheit  gefassten  Be- 
schlüsse galten  als  Mandate  des  Landesherrn,  und  dieser  ver- 
pflichtete sich,  sie  nicht  umzustoßen.  Sie  waren  Verwaltungsbe- 
hörde und  Verwaltungsgericht,  hatten  das  mUitärische  Aufgebot 
wenn  Unruhen  eintraten,  und  durften  auch  alle  Erblehen  verleihen, 
nur  die  Verleihung  heimgefallener  streitiger,  oder  geistlicher  Lehen 
behielt  sich  Maximilian  vor.  Das  o.-ö.  Regiment  besorgte  überdies 


Den  Gewaltbrief  des  Kaisers  vom  20.  Mai  1510  und  den  Eid  des  ernannten 
Reg^iments  s.  im  Schönkircherbuch  F,  Fol.  184/5. 

^  Innsbrucker  Verhandlungen  vom  Jahre  1518  mit  den  ftlnf  nieder(>ster- 
reichischen  Landen  bei  Zeibig,  Archiv  f  Ur  österr.  Geschichte,  Xlli,  255, 283, 304, 310. 


ZusammensetzuDg  und  Wirkungskreis  der  Eegimente.  269 

seit  1499  die  Rechtssprechung  in  Fällen,  »welche  Eigen,  Lehen, 
Bergwerke  und  anderes  betreffen,  das  sich  hier  zu  rechtfertigen 
gebührt'',  das  n.-ö.  erhielt  die  Justizhoheit  des  Landesfürsten  erst 
1510  nach  Aufhebung  des  1502  als  Appellations-  und  Lehenshof 
eingerichteten  Hofgerichts  zu  Wr.-Neustadt. 

8.  Der  Schwerpunkt  der  Regimentsordnungen  von  1499  und 
1502  lag  darin,  dass  sie  den  Gedanken,  der  LandesfUrst  sei  väter- 
licher Beschützer  aller  Bewohner  des  Landes,  deutlich  zum  Aus- 
druck brachten.  Denn  es  sollten  die  Regiraente  nicht  nur  im  all- 
gemeinen jedem  jenen  Beistand  leisten,  ,den  ein  Landesfürst 
seinen  Unterthanen  zu  thun  schuldig  und  pflichtig  ist'^  sondern 
über  Anrufen  eines  Theils  auch  in  allen  Streitigkeiten  vermittelnd 
einschreiten.  Sachen  der  landesfürstlichen  Behörden  mit  den  Ge- 
richten des  Adels  und  der  Geistlichkeit,  mit  eigenen  oder  fremden 
Unterthanen,  Processe  der  Unterthanen  untereinander,  der  Ein- 
heimischen gegen  Auswärtige  und  noch  viel  anderes,  konnte  dem- 
nach vor  die  ländesfürstlichen  Regimente  gebracht  werden.  Dabei 
blieb  es,  trotz  der  Vorstellungen  der  Stände,  die  in  den  Kaiser 
drangen,  dass  „die  vom  Adel,  Bürger  und  Andere  ein  jeder  bei 
seinem  ordentlich  Gericht  bleiben  und  nicht  vor  andere  Obrigkeit 
oder  Gericht  gezogen  noch  umbgeführt  werden*.  Der  Kaiser  ant- 
wortete 1510,  „dass  männiglich  in  der  ersten  Instanz  bei  seinem 
ordentlichen  Gericht  bleiben  und  darvon  nicht  gezogen  oder  ge- 
laden werden  solle,"  und  behielt  durch  dies  scheinbare  Nachgeben 
umso  sicherer  die  zweite  Instanz  in  Unterthanen- Angelegenheiten.* 

9.  Ein  oberster  Grundsatz  der  von  K.  Maximilian  beobachteten 
Verwaltungspolitik  war,  die  Absonderung  des  Finanzwesens  von 
andern  Zweigen  der  Verwaltung*  und  die  Ersetzung  des  führenden 
Einzelbeamten  durch  ein  verwaltendes  oder  abrechnendes  CoUegi um. 
Das  Innsbrucker  KammercoUegium,  schon  am  28.  Februar  1491 
an  Stelle  des  „obersten  Amtmanns*"  errichtet,  fand  durch  Ernennung 
des  Buchhalters,  Kammermeisters  und  Kammerschreibers  seine 


«  Gerichtswesen,  186.  Als  sich  1618  die  Krainer  beschwerten,  dass  der 
Kaiser  ^auf  unförmlich  und  streng  (an)halten  der  Pawm"  Befehle  ergehen  lasse 
»das  die  Landleut  gegen  iren  armen  und  aigen  Leuten  vor  dem  Landshauhtmann 
oder  Commissarien  zu  Verhör  sten  muessen,  was  wider  die  Landesfreiheiten  sei", 
erlclärte  der  Kaiser,  dass  er  „solichs  zu  thun  wohl  Macht  habe,  auch  solichs 
not  sey",  um  Empörungen  wie  der  kürzlich  erlebten  vorzubeugen.  L.-A.  Krain. 


270        österreichische  Beichsgeschichte.  I.  Theil.  Dritte  Periode.  §  39. 

Ergänzung.  Dem  n.-  ö.  Regiment  hingegen  entzog  Maximilian  gleich 
nach  seinem  Regierungsantritt  die  Finanzgeschäfte,  da  seit  1494 
eine  Schatz-  und  eine  Rechenkammer  zu  Wien  erwähnt  werden. 
Bald  darauf  übertrug  der  König  die  Verwaltung  aller  landes- 
fürstlichen  Einkünfte  der  im  Februar  1498  zu  Innsbruck  errich- 
teten Schatzkammer.  Tirol  und  die  Vorlande  sollte  sie  „  durch 
sich  selbst  oder  die,  welche  sie  dazu  bestellt,  verwalten  lassen' ; 
die  fünf  n.-ö.  Lande  erhielten  je  einen  Vicedom  als  obersten  Finanz- 
beamten, welcher  die  Überschüsse  aller  ihm  untergeordneten  Ämter 
an  die  Kammer  zu  Innsbruck  zu  senden  hatte. 

Die  Innsbrucker  Schatzkammer  als  oberste  Finanzbehörde  in 
den  Erblanden  war  dann  der  Hofkammer  unterstellt  und  musste 
dieser,  die  auch  die  Einnahmen  aus  dem  Reiche  empfieng  und 
den  gesammten  Ausgabendienst  überwachte,  die  Gelder  übermachen. 

10.  Diese  Unterordnung,  obwohl  vorübergehend,  hatte  nicht 
bloß  eine  finanzielle,  sondern  auch  eine  politische  Bedeutung:  sie 
bildet  den  ersten  Versuch  die  nieder-  und  oberösterreichische 
Ländergruppe  im  Wege  der  Verwaltung  zu  einem  Gemeinwesen 
zu  verbinden.  Die  Umwandlung  der  allgemeinen  Schatzkammer  in 
eine  Raitkammer  für  Tirol  und  die  Vorlande  entzog  zwar  1499 
der  Innsbrucker  Behörde  die  Leitung  der  Finanzen  in  den  fünf 
n.-ö.  Landen,  für  welche  seit  1501  eine  Hofkammer  zu  Wien  und 
später  am  Sitze  des  n.-ö.  Regiments  errichtet  wurde,  aber  sie 
beließ  ihr  noch  das  Recht  der  allgemeinen  Controle.  Diese  übte 
sie,  selbst  nach  der  Einrichtung  einer  eigenen  n.-ö.  Rechenkammer, 
durch  Abhaltung  außerordentlicher  Rechnungstage,  zu  welchen 
die  n.-ö.  Vicedome  und  die  „exemten"  Amtleute  durch  besondere 
Befehle  Maxirailian's  berufen  wurden,  bis  endlich  dem  thatsäch- 
lichen  Zustande  durch  das  „Innsbrucker  Libell"  gesetzlicher  Aus- 


*  Die  Abgrenzung  des  Machtbereichs  zwischen  Verwaltungs-,  Justiz-  und 
Finanzbohörden  erfolgte  schon  1496  bei  Errichtung  der  Schatzkammer  zu  Inns- 
bruck. Das  o.-ö.  Regiment  solle  sich  des  Karamerwesens  gänzlich  entschlagen, 
„waz  aber  Gericht  und  Recht,  Ordnung  und  Regierung  unser  Lande  antrifft, 
darin  sullet  Ir  nicht  dest  mynder  furbasser  von  unsera  wegen  auch  handin, 
inmassen  Ir  bisher  gethan  habt.''  Geschäft  von  Hof  1496,  f.  1,  I.  A.  —  Den 
Competenzstreit  zwischen  Landeshauptmann  und  Vicedom  in  Krain  betreffs  der 
Juden  entscheidet  der  König  1502:  ,daz  dicselb  wie  ander  unser  judischait 
billichen  in  unser  Camergut  gehören,  doch  mit  der  Obrigkeit  und  andern  dir  unserm 
Hauptmann  unterworfen  sein  sollen."  Gedenkbuch,  12,  f.  160,  H.  K.  A.,  Wien. 


Umänderung  der  Finanzverwaltung:  Central-  und  Landesbehörden.        271 

druck  gegeben  und  die  Innsbrueker  Reehenkammer  zur  einzigen 
für  alle  Erblande  erklärt  wurde. 

11.  Mit  der  Einsetzung  der  Regierungs-  und  FinanzcoUegien 
für  die  beiden  Ländergruppen  waren  die  auf  Vereinheitlichung 
und  bessere  Überwachung  der  Verwaltung  abzielenden  Pläne 
des  Königs  noch  nicht  abgeschlossen.  Maximilian  war  auch  bemüht, 
die  Verschiedenheiten,  die  er  im  Behördenwesen  der  Erblande 
von  früher  her  vorgefunden  hatte,  dadurch  auszugleichen,  dass 
er  erprobte  Einrichtungen  verallgememerte  und  wenn  möglich, 
einer  gemeinsamen  Oberleitung  unterordnete.  So  wurde  das  in 
Kärnten  und  Krain  schon  seit  Jahrhunderten  eingebürgerte  Amt 
des  Vicedoms  1498  auch  in  Österreich  und  Steiermark  mit  Ver- 
drängung des  Uubmeisters  und  des  Landschreibers  an  die  Spitze 
der  Pinanz-Landesverwaltung  gestellt.  Mit  Ausnahme  weniger 
exemter  Ämter  (Salinen,  Bergwerke,  Maut  zu  Engelhardszell), 
welche  der  Pinanz-Centralstelle  unmittelbar  untergeordnet  waren, 
unterstand  jedem  Vicedom  das  gesammte  fürstliche  Kammer- 
gut des  Landes.  Er  empfieng  von  den  Amtleuten,  Pflegern  u.  s.  w. 
alle  landesfürstlichen  Einkünfte  nach  Abzug  der  auf  jedem  Amte 
besonders  lastenden  Verwaltungskosten,  bestritt  daraus  Zahlungen 
nach  Anweisung  der  übergeordneten  Behörde  und  lieferte  dieser 
die  Überschüsse  ab.  Er  überwachte  ferner  unter  Beiziehung  der 
„Landräthe''  die  Amtsgebarung  der  untergebenen  Beamten.  Außer- 
dem waren  die  Vicedome  gerichtliche  Instanz  in  Streitigkeiten 
der  landesfürstlichen  Grund-Unterthanen,  dann  der  Städte  und 
Märkte,  unterstanden  aber  in  dieser  Beziehung  dem  n.-ö.  Regiment. 

12.  Der  Versuch,  die  Vicedome  einem  obersten  Vicedom 
unterzuordnen,  ist  allerdings  bald  aufgegeben  Verden.  Unbekannt 
ist,  wielange  sich  die  Ämter  eines  obristen  Aichmeisters  (General- 
Zymenter  1496),  obristen  Hansgrafen  (1501),  obristen  Jägermeisters 
(1509),  obristen  Hauszeugmeisters,  obristen  Bergmeisters  für  die 
fünf  n.-ö.  Lande  (1494—1511)  u.  s.  w.  erhalten  haben.  Dagegen 
ist  noch  mit  einigen  Worten  der  Central-Hof  behörden  zu  gedenken. 

Die  Hofkammer  und  der  Hofrath,  die  mit  den  gleichbe- 
nannten, n.-ö.  Landesbehörden  nicht  verwechselt  werden  dürfen, 
waren  Behördencollegien,  die  dem  wandernden  Hofe  des  Königs 
angehörten  und  daher  keinen  festen  Sitz  hatten.  In  der  Hof- 
kammer,  wie   sie    1498   errichtet   wurde,   sollten   die   Einkünfte 


272        österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Dritte  Periode.  §  39. 

sowohl  der  Erblande  als  des  Reiches  zusammenfließen  und  über- 
wacht werden,  der  Hofrath  als  oberste  Regierungs-  und  Justiz- 
behörde des  Königs,  sowohl  in  erbländischen  als  in  Reichsangelegen- 
heiten zuständig  sein.  Nach  mancherlei  Umbildungen,  zu  welchen 
auch  die  im  Jahre  1 502  erwähnte  Finanz-  und  Kriegskammer  ge- 
hörte, wurden  1518  die  Geschäfte  der  Hofkammer  durch  das  Inns- 
brucker Libell  dem  Hofrathe  zugewiesen.  Dieser  sollte  aus  18  Mit- 
gliedern bestehen,  von  welchen  fünf  aus  dem  Reich,  neun  nach 
dem  Rath  der  Landschaften  zu  ernennen  waren.  Die  eigenen 
„geheimen  großen  Sachen "^  behielt  übrigens  Kaiser  Maximilian 
sich  selbst  vor,  um  sie  allein,  oder  mit  den  vertrautesten  Räthen  — 
den  Anfängen  des  geheimen  Raths  —  zu  erledigen. 

Zur  Durchführung  der  Ansprüche  des  Landesfürsten  im  Klags- 
wege bediente  sich  MaximUian  wie  schon  Kaiser  Friedrich  IIL 
und  Erzherzog  Sigmund  des  Fiscals,  der  seit  dem  Jahre  1510 
KammeiT)rocurator  genannt  wurde.^  Zur  Ausfertigung  der  Be- 
schlüsse des  Hofraths  und  der  Regimente  waren  dem  Hofkanzler, 
beziehungsweise  dem  o.-ö.  und  dem  n.-ö.  Regimentskanzler  mehrere 
Secretäre  nebst  den  erforderlichen  Schreibkräften  beigegeben. 

13.  So  stößt  der  Forscher  auf  dem  Gebiet  der  österreichischen 
Reichsgeschichte  überall  auf  Spuren  der  organisatorischen  Thätig- 
keit  Kaiser  Maximilian's.  Vieles,  was  damals  geschaffen  wurde 
ist  noch  unvollkommen,  manches  verschwindet  als  unbrauchbar 
schon  nach  wenig  Jahren,  nicht  immer  wurde  die  geeignete  Form 
im  ersten  Umriss  gefunden,  der  entgegenstrebeiide  Widerstand 
im  ersten  Anlauf  niedergeworfen.  Aber  die  sichern  Grundlagen 
sind  gelegt :  der  Kern  eines  geschulten  und  pflichteifrigen  Beamten- 
standes ist  vorhanden,  die  Verwaltung  der  landesherrlichen  Ge- 
rechtsame erfolgt  nach  einheitlichen  Grundsätzen  und  macht  nicht 
an  den  Landesgrenzen  halt,  sondern  ist  durch  die  Landregimente 
gegliedert.  Sie  erzieht  so  den  Sinn  für  die  Zusammengehörigkeit 
gegenüber  den  provinziellen  Sonderwünschen  der  Stände,  kurz,  es 
sind  Einrichtungen  geschaffen,  die  den  Ausgangspunkt  für  die 
spätere  Entwicklung  bilden  konnten. 

^  Erzherzog  Sigmund  bediente  sich  schon  1460  des  Michael  Sor,  Fiskals.  — 
Maximilian  schon  1478  des  Fiskals  Meister  Hans,  ein  Kammerprocurator- Fiscal 
Friedrich's  ÜL,  kommt  1482  vor.  —  Kraus,  Maximilian *s  Briefwechsel  mit 
Sigmund  Prüschenk,  37.  —  I.  A.,  Schatzarchiv  lü,  983;  Maximiliana,  I,  19. 


Hofrath  und  Hofkammer;  die  Landstände  und  die  landesfürstl.  Beamten.     273 

§  40.   Die  österreichischen  Landstände  zn  Zeiten  Kaiser 

Maximilian's. 

Literatur  bei  §  27,  28,  ferner  Jäger,  II,  2,  377  ff;  Krones,  in  den  Beitr. 
Zur  Kunde  steir.  Geschieh tsquellen,  II,  VI,  XVIII,  XIX.  —  Z eibig.  Der  Ausschuss- 
Landtag  zu  Innsbruclc  1518.  Archiv  XÜI. 

1.  Die  Errichtung  neuer  Behörden  mit  ausgedehntem  Wir- 
kungskreise sowie  deren  Besetzung  durch  besoldete,  absetzbare 
und  daher  vom  Landesfürsten  abhängige  Beamte  konnte  nicht 
ohne  gewaltige  Rückwirkung  auf  die  Landstände  bleiben,  welche 
in  Österreich  zu  Ende  des  Mittelalters  einen  an  Mitregierung 
streifenden  Einfluss  auf  die  Landesverwaltung  erlangt  hatten.  (§  28.) 
Die  Bemühungen  Kaiser  Maximilian's,  seine  landesherrliche  Gewalt 
im  Wege  der  Verwaltung  zu  erweitern  und  das  lose  Nebeneinander 
der  beherrschten  Gebiete  in  organischer  Weise  zusammenzufassen, 
mussten  darum  das  Misstrauen  der  Landstände  erregen,  welche 
ihre  Stellung  durch  zähe  Behauptung  der  provinziellen  Abge- 
schlossenheit zu  wahren  suchten.  Im  Kampfe  um  die  Herrschaft, 
der  nun  entbrannte,  kam  dem  Landesfürsten  die  in  weiteren 
Kreisen  durchgedrungene  Erkenntnis  zustatten,  dass  den  Aufgaben 
des  Staates  und  zumal  der  Wohlfahrtspflege  (§  39,  4)  durch  die 
früheren  Einrichtungen  nicht  genügt  werden  und  das  Wichtige 
derselben,  namentlich  auch  der  Schutz  gegen  äußere  Feinde,  nur 
durch  Vereinigung  der  in  den  Erblanden  zerstreuten  Kräfte  erfüllt 
werden  könnte.  Die  Werkzeuge  aber,  deren  Maximilian  sich  dabei 
mit  Erfolg  bediente,  waren  Berufsbeamte,  welche  alsbald  mit  den 
Sätzen  des  römischen  Rechts  für  die  Ansprüche  ihres  Herrn  stritten. 
Die  Landstände  ihrerseits  beriefen  sich  gegenüber  all  diesen  „un- 
erhörten Neuerungen"  auf  den  Landesbrauch  und  fanden  an 
der  stets  vorhandenen  und  mit  den  Jahren  zunehmenden  Geldnoth 
des  Landesfürsten  ihren  wirksamsten  Helfer. 

2.  Die  Stände  begannen  mit  scharfem  Widerspruch  gegen 
einzelne  Neuerungen,  da  sie  die  von  Maximilian  klug  ausgedachten 
Maßregeln  als  Ganzes  nicht  anzufechten  wagten.  Später  kehrten 
sie  ihre  Angriffe  unmittelbar  gegen  den  Bestand  einiger  besonders 
verhassten  Behörden,  bis  sie  den  geringen  Erfolg  dieser  Anstren- 
gungen erkannten.  Nunmehr  fanden  sie  sich  mit  den  neuen  Ein- 
richtungen ab,  die  sie  nicht  rückgängig  machen  konnten,  suchten 
sie  aber  ihrem  Einfluss  unterzuordnen.    Zuletzt  entschlossen  sie 

Las  Chi  D,  österreichische  Reichsg^escbichte.  18 


274         österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Dritte  Periode.  §  40. 

sich,  gleiches  mit  gleichem  zu  bekämpfen  und  den  landesftirst- 
liehen  Behörden  eine  reich  gegliederte  Verwaltung  im  landstän- 
dischen Wirkungskreise  entgegenzustellen. 

3.  Die  Beschwerden  richteten,  sich  zunächst  gegen  das 
römische  Recht.  „Vor  Zeiten *",  so  ließ  1499  sich  die  Landschaft 
unter  der  Enns  vernehmen,  „hat  ein  Freund  dem  andern  sein 
Wort  treulich  und  kürzlich  fürbracht,  als  in  umbliegenden  Khünig- 
reichen  und  Landen  noch  beschieht.  So  wir  aber  in  Supplicierung 
und  Appellation  gefuert  werden  in  die  kayserlichen  Recht,  mießen 
wir  mit  großen  schweren  Unkosten  die  Doctores  erlangen.  **  Im 
Jahre  1509  wiederholten  die  Österreicher  die  gleiche  Klage  gegen 
die  „Doctores  und  Procuratores"  und  die  Einführung  der  gelehrten 
geschriebenen  Rechte,  durch  welche  die  Unterthanen  «swerlich 
in  Irrung  und  Schaden"  geführt  würden,  und  im  Jahre  1515  wiesen 
sie  die  Unbilligkeiten,  denen  sie  dadurch  ausgesetzt  seien,  an  einem 
packenden  Beispiel  nach.  Seit  Alters  habe  der  Adel  von  dem 
eigenen  Wein,  den  er  auf  seinen  Besitzungen  vom  Zapfen  abgab, 
niemals  Ungeld  entrichtet,  das  könnten  viele  auf  50  bis  70  Jahre 
zurück  erzeugen.  Dennoch  wolle  dies  dem  Regimente  nicht  ge- 
nügen. Dies  verlange  vielmehr  über  Anrathen  der  Gelehrten 
sieben  Zeugen,  welche  von  einem  neunzigjährigen  Gebrauche 
Kenntnis  haben  müssten,  „daraus  Euere  kaiserliche  Majestät  höher 
denn  wir  verstehen,  wie  gar  gefährlich  solcher  der  Gelehrten 
Anschlag  ist,  dieweil  bei  unsem  Zeiten  nicht  viel  Menschen  ge- 
funden werden,  die  zu  solchem  Alter  kommen.*^ 

4.  Abhilfe  erwarteten  die  Landstände  von  einer  durch  den 
Landesherm  selbst  anerkannten  Sammlung  des  Landesbrauchs, 
die  Tiroler  beschlossen  überdies  im  Jahre  1508,  dass  alle  Freiheiten 
und  Privilegien  zusammengefasst,  durch  kaiserliche  Majestät  be- 
stätigt, in  fünf  Libellen  geschrieben  und  jedem  Stande  eines,  das 
fünfte  aber  nach  Schloss  Tirol  zur  Aufbewahrung  gegeben  werden 
sollte.  Diese  Bemühungen  hatten  indessen,  solange  MaximUian 
lebte,  wenig  Erfolg.  So  vorsichtig  die  Österreicher  ihre  Bitte  im 
Jahre  1499  vorbrachten  —  die  Arbeit  sollte  von  landesfürstlichen 
Räthen  und  Mitgliedern  der  Landschaft  gemeinsam  gemacht  und  auf 
Artikel  eingeschränkt  werden,  „die  Euer  königliche  Majestät  Obrig- 

1  Mainzer  Libeli  im  Schönkircher  Buch  AA.  Fol.  312  v.;  Zeibig,  325 
Adler,  S.  306,  Anm.  2. 


Kampf  der  Landstände  gegen  das  römische  Recht  und  die  L-f.  Behörden.     275 

keit  unabbrUchig  sein*  —  sie  wurde  ihnen  doch  nicht  gewährt.  Erst 
ein  Jahrzehnt  später  erhielten  sie  die  erbetene  Erlaubnis  mit  der 
Versicherung,  dass  der  Kaiser  ^\e  Rechte  und  Landesgebräuche  in 
allen  Erblanden  zu  reformieren  gedenke.  Da  jedoch  vorerst  noch 
die  Ernennung  des  neuen  Regiments  abgewartet  werden  sollte, 
so  wissen  wir  nicht,  ob  um  das  Jahr  1510  mit  der  Sammlung 
des  österreichischen  Gewohnheitsrechts  auch  wirklich  begonnen 
wurde.^  Nicht  besser  ergieng  es  den  Tirolern.  Wohl  war  für  dies 
Land  auf  Betreiben  der  Stände  und  mit  Zustimmung  des  Regiments 
im  Jahre  1506  die  Malefizordnung  vom  Jahre  1499  nebst  mehreren 
polizeilichen  Verordnungen  Erzherzog  Sigmund's  und  König  Maxi- 
milian's  als  eine  Art  Landesordnung  gedruckt  worden,  allein  dem 
oft  wiederholten  Verlangen  der  Landschaft  um  eine  „Besserung" 
jener  Ordnung  wich  der  Kaiser  aus.  Erst  im  Jahre  1518  gestattete 
er  die  Benennung  von  Vertrauensmännern  aus  den  vier  Ständen, 
welche  mit  der  Regierung  den  Inhalt  der  Landesordnung  berathen 
und  eine  „Erläuterung"  dazu  verfassen  sollten. 

5.  Der  Kampf  der  Stände  gegen  die  neuen  Behörden  als 
solche  begann  erst  um  das  Jahr  1501.  Bis  dahin  waren  die 
Regimente  durch  einseitiger  Verordnung  des  Landesherrn  —  zu 
dessen  persönlicher  Vertretung  während  seiner  Abwesenheit  — 
bestellt  und  nach  Bedarf  erneuert  worden,  ohne  dass  dies  Ver- 
fahren Widerspruch  erweckt  hätte.  Seit  der  umfassenden  Reor- 
ganisation in  den  Jahren  1501/2  erscheint  jedoch  die  Sachlage 
geändert.  Unmerklich  war  aus  der  Statthalterschaft  eine  Anzahl 
von  coUegialen  Behörden  erwachsen,  welche  nach  dem  Willen 
des  Königs  bleibend  sein  sollten  und  die  nun  ihren  Amtskreis  auf 
Kosten  der  Stände  zu  erweitern  suchten.  Da  erwachte  mit  einem- 
male  in  den  Landschaften  das  klare  Bewusstsein  von  der  drohen- 
den Gefahr  und  es  beginnt  ein  Ringen  um  die  Behörden,  das  mit 
wechselndem  Erfolge  bis  zum  Tode  Maximilian's  fortdauerte. 

Auf  die  amtliche  Mittheilung  der  neuen  Regimentsordnung 
an  den  steirischen  Landtag  folgte  nach  drei  Tagen  (15.  Mai  1501) 

3  Z  ei  big,  325.  —  Man  könnte  an  eine  Vorarbeit  zu  dem  s.  g.  Institntum 
Ferdinandi  I.  denken,  dessen  Entwurf  im  Jahre  1528  schon  vollendet  war.  Auch 
die  Gerichtsordnung,  welche  die  steirische  Landschaft  im  October  1503  aus- 
arbeitete, scheint  in  keiner  der  zwei  belutunten  Fassungen  die  landesherrliche 
Genehmigung  erlangt  zu  haben.  —  Bischoff,  Steierm.  Landesrecht,  71,  Anm.  1. 

18* 


276         Österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Dritte  Periode.  §  40. 

eine  merkwürdige  Erwiderung,  welche  unter  Beibehaltung  der 
Ausdrucksweise  der  Regierungsvorlage  in  parodierender  Wendung 
dem  Behördenwesen  des  Landesfürsten  das  ständische  Recht  als 
eine  gleichfalls  allen  unverborgene  Thatsache  gegenüberstellte. 
Jede  Maßregel,  welche  dies  Recht  verletze,  sei  durch  die  Be- 
stätigungen der  Landesfüroten  im  vorhinein  für  ungiltig  erklärt 
worden,  darum  wollten  sie  auch  die  Appellationen,  die  sie  bisher 
vor  den  königlichen  Regenten  in  Wien  vorgebracht  hätten,  nun- 
mehr, wo  der  König  wieder  in  den  Erblanden  sei,  nach  altem 
Brauch  wieder  vor  ihm  persönlich  ausführen,  woran  der  König 
zweifellos  Gefallen  finden  werde."  So  richtete  sich  der  Haupt- 
sturm gegen  die  Übertragung  der  dem  Landesfürsten  vorbehal- 
tenen Gerichtsbarkeit  ans  Hofgericht  zu  Wiener-Neustadt,  dem 
auch  die  übrigen  n.-ö.  Landschaften  mit  gleicher  Abneigung  be- 
gegneten und  das  im  Jahre  1510  endlich  dem  vereinigten  Angriff 
geopfert  wurde.  Trotzdem  hatten  die  Stände  nur  der  Form  nach 
einen  Erfolg  errungen,  indem  der  Kaiser,  anknüpfend  an  eine 
unvorsichtige  Anregung  der  Landschaften,  den  Wirkungskreis  des 
aufgehobenen  Hof-  oder  Kammergerichts  fortan  seinem  n.-ö.  Re- 
giment übertrug.  Die  Beschwerden  gegen  die  Wirksamkeit  des 
Fiskals,  des  bestgehassten  aller  Beamten,  beantwortete  der  Kaiser 
gar  nur  mit  einer  Namensänderung.  Er  brauche,  hieß  es,  jemanden 
für  die  gerichtliche  Vertretung  seiner  Ansprüche,  wolle  ihn  aber 
fortan  Kammerprocurator  nennen,  weil  der  Name  Fiskal  befremde. 
6.  Die  unleugbare  Gewandtheit,  mit  welcher  Maximilian  solche 
Angriffe  zurückwies,  nöthigte  die  Stände  zu  einer  Änderung  in 
ihrem  Vorgehen.  Da  man  die  unbequemen  landesfürstlichen  Be- 
hörden nicht  schlankweg  beseitigen  konnte,  so  versuchten  nun 
die  Stände,  festen  Fuß  in  den  Regimenten  zu  fassen,  um  sie  so 
landschaftlichen  Zwecken  dienstbar  zu  machen.  Man  bestürmte 
den  Kaiser  mit  Klagen  gegen  die  eigennützigen  Ausländer  und 
beschwor  ihn,  die  an  Fremde  verpfändeten  Städte  und  Schlösser 
einzulösen  und  mit  „Landleuten*  zu  besetzen,  um  Errichtung 
eines  aufrichtigen  ordentlichen  guten  Regiments  „mit  Landleuten 
aus  den  Landen*  u.  dgl.  Die  steten  Geldnöthen  zwangen  Maximilian 
zur  Nachgiebigkeit;  in   das  o.-ö.  Regiment   wurden    schon  1506 


8  Adler,  249 ff. 


Die  Stände  suchec  Zutritt  zu  den  landesfürstl.  Behörden  zu  erlangen.        277 

vier  Mitglieder  aus  der  Landschaft  vorerst  auf  drei  Jahre  auf- 
genommen und  dies  in  der  Folge  1508,  1512  u.  s.  w.  wieder- 
holt. Die  fünf  n.-ö.  Lande  stellten  das  nämliche  Ansinnen  1508 
/  und  erhielten  es  1510  durch  das  Augsburger  Libell  bewilligt. 
Selbst  auf  den  Hofrath  suchten  die  Stände  auf  gleichem  Wege 
Einfluss  zu  erlangen  (1518).  Maximilian  wusste  jedoch  auch  dies- 
mal, trotz  aller  Nachgiebigkeit  in  der  Form,  die  Regimente  als 
landesfürstliche  Behörden  zu  erhalten.  (§  39,  6.) 

7.  So  blieb  also  den  Ständen  nichts  übrig,  als  die  Gegen- 
wehr mit  gleichen  Waffen  aufzunehmen,  d.  h.  sie  mussten  trachten, 
dem  landesfürstlichen  Behördenwesen  eine  ebenso  lebensfähige 
landschaftliche  Verwaltung  entgegenzusetzen.  Groß  genug  war  der 
Wirkungskreis,  der  ihnen  noch  unbestritten  geblieben  war  und  zu 
dessen  Weiterentwicklung  die  ewig  wiederkehrenden  Geldforde- 
rungen der  Regierung  den  besten  Anlass  boten.  Es  wurde  schon 
erwähnt  (§  28,  11),  dass  im  Mittelalter  die  wenigen  ständischen 
Angelegenheiten  die  nicht  auf  Landtagen,  Landesconventen  oder 
den  periodisch  wiederkehrenden  Gerichtsversammlungen  ausge- 
tragen wurden,  zumeist  dem  Landmarschall  oder  Landeshaupt- 
mann und  dem  zugeordneten  Untermarschall  oder  Landesverweser 
zufielen,  so  dass  nur  in  außergewöhnlichen  Fällen  ständische  Aus- 
schüsse mit  gemessenem  Auftrag  eingesetzt  wurden.  Solange  dieser 
Zustand  dauerte,  bedurfte  die  Landschaft  als  solche  keines  eigenen 
Heims,  denn  die  Landtage  wurden  bald  da,  bald  dort  im  Lande  ab- 
gehalten, die  an  der  Spitze  des  Landes  und  der  Landschaft  stehen- 
den Beamten  aber  walteten  kraft  ihrer  Doppelstellung  in  irgend 
einem  landesfürstlichen  Gebäude,  in  dem  auch  die  Sitzungen  des 
Landrechts  abgehalten  werden  konnten.  Ebensowenig  brauchte 
man  ein  eigenes  Archiv,  denn  man  pflegte  die  ständischen  Frei- 
heitsbriefe und  Acten  der  größeren  Sicherheit  wegen  von  Zeit  zu 
Zeit  gegen  Empfangsbescheinigung  unter  die  angesehensten  Stände- 
mitglieder zur  Aufbewahrung  auszutheilen.  Das  alles  änderte  sich 
nun  und  so  sehen  wir,  dass  die  österreichischen  Landschaften  in 
den  Tagen  Maximilian's  eigene  Amtsgebäude  für  ihren  Gebrauch 
erwerben:  1494  kauften  die  Steirer,  vor  1511  die  Krainer  ihr  Land- 
haus, am  besten  aber  richteten  sich  die  Kärntner  Landstände  ein, 
die  nach  ihrem  Zwiespalt  mit  der  alten  Landeshauptstadt  St.  Veit 
sich  vom  Kaiser  Maximilian  die  im  Jahre  1514  durch  Brand  ver- 


278         österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Dritte  Periode.  §  40. 

Ödete  Stadt  Klagenfurt  nebst  der  kaiserlichen  Burg  zu  Geschenk 
erbaten,  um  hier  ihren  Sitz  aufzuschlagen. 

8.  Anlass  zu  landständischer  Verwaltung  boten  also  vor 
allem  die  Jahr  um  Jahr  wiederkehrenden  Ansuchen  Maximilian's 
um  außerordentliche  Hilfen.  Dieser  bedurfte  er  umsomehr,  als 
er  die  mangelhafte  Unterstützung,  die  er  für  seine  hohe  Politik 
beim  Reiche  fand,  durch  stärkere  Inanspruchnahme  seiner  Erb- 
länder auszugleichen  suchte.  Dass  man  den  neuen  Anforderungen, 
die  nun  das  Kriegswesen  stellte,  nicht  mehr  durch  das  herge- 
brachte Aufgebot  der  Vasallen  allein  entsprechen  könne,  das 
fühlten  die  weltlichen  wie  die  geistlichen  Großgrundbesitzer,  auf 
welchen  diese  Last  vor  allem  lag.  Ehe  sie  sich  indessen  zu  per- 
sönlicher Übernahme  erhöhter  Leistungen  verstehen  mochten,  willig- 
ten sie  immerhin  noch  lieber  in  eine  Besteuerung  ihres  Grundbe- 
sitzes und  der  auf  demselben  sesshaften  Leute,  um  Geld  zur  An- 
werbung von  Knechten  zu  beschaffen.  Einen  ähnlichen  Standpunkt 
nahmen  auch  die  Bürger  ein.  Allein,  wenn  man  auch  aus  diesen 
Gründen  die  unbequemen  Forderungen  des  Regenten  nicht  leicht 
zurückweisen  konnte,^  so  waren  doch  die  Landschaften  weit  davon 
entfernt,  bedingungslos  Folge  zu  leisten.  Manch  Zugeständnis  von 
politischer  Bedeutung,  z.  B.  die  Zusicherung,  AngriflFskriege  nur 
mit  Zustimmung  der  Landschaften  beginnen  zu  wollen,  wurde 
bei  solchem  Anlasse  gewonnen.  Außerdem  galt  es  als  selbstver- 
ständlich, dass  die  Vertheilung  und  Aufbringung  der  übernom- 
menen Leistungen  nur  durch  die  Landschaften  selbst  erfolgen 
könne  und  dürfe.  So  entwickelten  sich  als  die  wichtigsten  Zweige 
der  land ständischen  Verwaltung  das  Steuer-  und  das  Kriegswesen. 

9.  Die  landständische  Steuerverwaltung  erstreckte  sich  nur 
auf  jene  außerordentlichen  Hilfen,  zu  deren  Ausschreibung  und 
Einhebung  verfassungsmäßig  die  Zustimmung  der  Landstände  er- 
forderlich war.  (§  33,  14.)  Verhältnismäßig  in  der  günstigsten  Lage 
waren  die  innerösterreichischen  Herzogthümer,  die  auf  eine  mehr- 
fach verbriefte  Steuer-  und  Abgabenfreiheit  sich  berufen  konnten. 
Als  sich  jedoch  Steiermark  und  Kärnten  im  Jahre  1495  mit  König 
Maximilian  über  die  Ablösung  des  Judenregals  geeinigt  hatten, 

*  Bezeichnend  genug  wurde  schon  unter  Kaiser  Maximilian  die  principieUe 
Frage  aufgeworfen,  ob  die  Bewilligung  der  Steuern  etwas  Freiwilliges  oder 
Gebotenes  sei.  1517  gegenüber  den  Landständen  von  Tirol.  Jäger,  II,  2.  S.  489. 


Die  landschaftliche  Verwaltung:  Steuern  und  Kriegswesen.  279 

iDussten  sie  die  versprochenen  Summen  im  Wege  der  Selbst- 
besteuerung aufbringen,  hatten  aber  dabei  auf  das  Zusammen- 
treffen mit  einer  vom  Wormser  Reichstag  auf  vier  Jahre  be- 
willigten Reichssteuer  Rücksicht  zu  nehmen.  Während  dieser  „ge- 
meine Pfennig*,  ein  Gemisch  von  Vermögens-Einkommens-  und 
Kopfsteuer,  nach  Pfarrbezirken  unter  Mitwirkung  der  Pfarrer  von 
landesf  Urstlichen  Beamten  eingetrieben  und  den  Abgesandten  des 
Reichsschatzmeisters  abgeliefert  wurde,^  beschlossen  die  Stände, 
ihre  Summen  durch  einen  Anschlag  auf  die  Gültenbesitzer,  d.  i. 
contingentiert  einzuheben.  Mit  der  Durchführung  wurden  fünf  Mit- 
glieder der  Landschaft,  denen  für  ihre  Mühewaltung  ein  Wochen- 
sold ausgeworfen  wurde,  betraut;  diese  forderten  die  Bekenntnisse 
des  steuerpflichtigen  Vermögens  ein  und  bemaßen  darnach  den  auf 
den  einzelnen  Gültenbesitzer  entfallenden  Betrag,  wobei  sie  diesem 
die  Auftheüung  der  Quote  auf  seine  Grundholden  und  die  Einhebung 
bei  persönlicher  Haftung  überließen. 

10.  Auf  diesem  Wege  und  bei  oberwähnter  Gelegenheit  sind 
also  die  Landschaften  Steiermark  und  Kärnten  in  den  Besitz  eines 
Verzeichnisses  der  im  Lande  vorhandenen  „Pfunde  Herrengült" 
gelangt.  Die  übrigen  Landschaften  waren  ungefähr  um  dieselbe 
Zeit  zu  ähnlichen  Steuerkatastem  gekommen,  so  dass  schließlich 
in  den  Tagen  Kaiser  Maximilian's  das  Pfund  Herrengült  in  den 
fünf  n.-ö.  Erblanden  die  übereinstimmende  Grundlage  für  die  von 
den  Landständen  ausgeschriebenen  Steuern  geworden  ist.*  In  Tirol 
wurde  schließlich  die  für  den  Kriegsfall  von  einem  Grundbesitz 
verlangte  Mannschaft  zur  Steuereinheit,  und  man  brachte  hier 
nach  „Raitknechten"  die  bewUligten  Summen  auf. 

Die  Pfunde  Herrengült,  schlechthin  Steuerpfunde  genannt, 
bUdeten  aber  in  den  fünf  n.-ö.  Landen  auch  den  Maßstab  zur  Ver- 
theilung  der  übernommenen  außerordentlichen  KriegshUfen,  indem 
man  auf  je  100  (bisweilen  auch  200)  Pfunde  Herrengült  einen 
Reiter  und  einige  Fußknechte  veranschlagte.  Wer  über  100  (oder  200) 
Pfunde  Gülten  besaß,  dem  blieb  das  Recht  gewahrt,  die  auf  sein 
Einkommen  entfallende  Mannschaft  in  kriegstauglicher  Beschaffen- 

s  ülmann,  I,  380;  Adler,  76. 

•  Der  Landschaft  in  Österreich  u.  E.  wurde  schon,  1509  die  Mitwirkung 
des  Landesfürsten  bei  Zwangsmaßregcln  gegen  säumige  Landschaftsmitglieder  it 
Aussicht  gestellt,  „so  noch  ire  Urbar  und  Register  nicht  eingelegt."  Zeibig,  322. 


280     Österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Dritte  Periode.  §  40  und  41. 

heit  selbst  zu  stellen  und  die  bewilligte  Zeit  hindurch  auch  selbst 
zu  erhalten.  Den  kleinern  Gültenbesitzer  dagegen  traf  ein  nach 
der  Anzahl  seiner  Pfunde,  Schillinge  und  Pfennige  Herrengült 
bemessener  Beitrag  zum  Unterhalt  der  Mannschaft.  Wieder  in 
andern  Fällen  wurde  überhaupt  nur  der  Sold  für  eine  bestimmte 
Truppenmacht  auf  einige  Monate  bewilligt.  Die  Mannschaft  wurde 
dann  von  der  Landschaft  angeworben,  ausgerüstet,  gemustert  und 
unter  landschaftlichen  Befehlshabern  dem  Landesfürsten  auf  Landes- 
kosten zur  Verfügung  gestellt. 

So  haben  sowohl  das  Steuer-  als  das  Kriegswesen  dazu  bei- 
getragen, dass  die  Landstände  bleibende  Organe  zur  Besorgung 
ihrer  laufenden  Angelegenheiten  bestellten.  Im  Zeitalter  Maximilian's 
kam  man  noch  mit  Landtags- Ausschüssen,  den  Verordneten,  aus, 
die  der  Landtag  aus  seiner  Mitte  unter  Anweisung  eines  Gehalts 
auf  ein  oder  mehrere  Jahre  ernannte  und  an  die  gegebene  In- 
struction band.  Allmählich  sah  man  sich  indessen  zur  Anstellung 
von  landschaftlichen  Berufsbeamten  genöthigt,  so  hatte  die  Land- 
schaft von  Krain  schon  im  Jahre  1514  einen  eigenen  Landleibarzt. 

11.  Die  Ausschreibung  der  Landtage  war  und  blieb  dem 
Ermessen  des  Landesf  ürst^n  vorbehalten  und  es  wurde  als  Eigen- 
mächtigkeit gerügt,  dass  in  Fällen  drängender  Landesnoth  1499 
Bürgermeister  und  Käthe  von  Bozen  und  Meran  und  1508  die 
kaiserlichen  obristen  Feldhauptleute  die  Landstände  von  Tirol 
entboten.  Maximilian  machte  indessen  von  seinem  Einberufungs- 
recht so  häufig  Gebrauch,  dass  die  Stände  von  Tirol  im  März 
1513  die  Bitte  stellten,  „Eure  kay serliche  Majestät  wolle  ein  ehr- 
same Landschaft  mit  der  Menge  von  Landtagen  in  Gnaden  ver- 
schonen", ohne  damit  die  gehoflfte  Einschränkung  zu  erreichen, 
da  sie  im  nämlichen  Jahre  noch  viermal  zu  Landtagen  einbe- 
rufen wurden  und  am  6.  Jänner  1514  ein  fünfter  folgte.^  Kaiser 
Maximüian  wusste  übrigens  seinen  auf  innigere  Vereinigung  der 
Erblande  abzielenden  Plänen  sogar  die  spröde  widerstrebenden 
Landstände  dienstbar  zu  machen,  indem  er  sie  auf  die  Gemein- 
samkeit so  mancher  Landesinteressen  verwies  und  dadurch  bei- 
spielsweise seinen  Lieblingsgedanken  einer  „brüderlichen  Ver- 
einigung der  Lande"  zu  wechselseitiger  Unterstützung,  falls  ein 
Land   oder   eine  *Ländergruppe   von  Feinden   überfallen  w^erden 

•  Jäger,  II,  2,  419,  447,  474. 


Landschaftliche  Organe.  —  Landtage  nnd  Ansschuss-Landtage.        281 

würde,  zur  principiellen  Anerkennung  brachte.  Die  Form,  welcher 
Bich  Maximilian  zu  diesem  Zwecke  mit  Erfolg  bediente,  waren 
die  8.  g.  AusschuBS-Landtage,  die  er  an  Stelle  der  zu  Bchwer- 
falligen  General-Landtage  (§  28,  II)  treten  ließ.  Die  einzelnen  Land- 
schaften wurden  unter  allgemeiner  Angabe  der  Verhandlungs- 
gegenstände  zur  Entsendung  von  bevollmächtigten  Vertretern  auf- 
gefordert, mit  welchen  dann  die  bindenden  Verabredungen  ge- 
troffen wurden.  Besondere  Wünsche  einzelner  Länder,  die  auf 
solchen  Ausschusstagen  immer  vorgebracht  werden  konnten,  wurden 
für  sich  verhandelt  und  erledigt.  Demgemäß  ergiengen  auch  all- 
gemeine und  besondere  Landtagsabschiede,  die  man  nun  nach  ihrer 
Buchgestalt  als  Libelle  bezeichnete.  Die  wichtigsten  darunter  sind 
die  Augsburger  Libelle  vom  10.  April  1510  über  die  Verhandlungen 
mit  den  fünf  n.-ö.  Landen  und  die  Innsbrucker  Libelle  vom  24.  Mai 
1518,  welche  sogar  für  die  Gesammtheit  der  altösterreichischen 
Lande  ergiengen.^ 


§  41.  Das  Zwischenreich  der  Stände  nach  dem  Tode 
Kaiser   Maximllian's   und   die   Anfänge   Erzherzog  Ferdinand's 

(1519-1526). 

Bucholtz,  Gesch.  der  Regierung  Ferdinand  des  I.,  8 Bde.  —  Huber,  III, 479  f. 
—  V.  Kraus,  Zur  Geschichte  Österreichs  unter  Ferdinand  I,  1519—22.  1873.  — 
Mayr  M.,  Der  General-Landtag  der  österr.  Erbländer  zu  Augsburg.  1525/26.  (Zeit- 
schrift des  Ferdinandeums,  III.  Folge,  38.  Heft.  1894.) 

1.  In  den  Verhandlungen,  welche  mit  den  Ausschüssen  sämmt- 
licher  Erblande  im  December  1517  zu  Wels  begannen  und  erst 
am  24.  Mai  1518  zu  Innsbruck  ihren  ämtlichen  Abschluss  fanden, 
hatte  Kaiser  Maximilian  den  Wünschen  der  Stände  mehr  nach- 
geben müssen,  als  je  vorher.  Jedes  Land  hatte  für  sich  in  Yer- 
waltungs-,  Rechts-  und  Finanzangelegenheiten  größere  Bewegungs- 
freiheit erlangt,  als  nach  des  Kaisers  Art  zu  ferwarten  war.   Bis 


^  Gedruckt  sind  die  genannten  Libelle  in  den  Landhandfesten  der  drei 
innerösterr.  Lande.  Ober  die  staatsrechtliche  Bedeutung  des  Innsbrucker  Land- 
tags, auf  welchem  zum  erstenmal  sämmtliche  Erblande  durch  bevollmächtigte 
Abgeordnete  vertreten  waren,  vgl.  Adler,  445  ff,  Pellner,  267.  Die  Anregung 
zu  diesem  Ausschusstag  gab  eine  Beschwerde  der  Tiroler.  Jäger,  II,  477. 


282         Österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Dritte  Periode.  §  41. 

zum  Hofrath  hinauf  sollte  sich  nun  ihr  Einfluss  auf  Regierungs- 
maßregeln erstrecken  und  auch  die  Erneuerung  der  R«gimente 
nach  ihrem  Sinne  stattfinden.  Voll  bester  Hoffnungen  waren  darum 
die  Ausschüsse  im  Juni  1518  heimwärts  gezogen;  nichts  fehlte,  seit 
sie  in  den  Besitz  der  vom  Kaiser  unterzeichneten  Libelle  gelangt 
waren,  als  —  freilich  die  Hauptsache  —  die  Ausführung  der  beider- 
seitigen Zusagen.  Eine  Verkettung  von  Umständen  ließ  es  jedoch 
dazu  nicht  kommen.  Die  zahllosen  Enttäuschungen,  die  der  Kaiser 
erlitten  hatte,  zehrten  an  seinem  Lebensmarke.  Als  er  nach  ver- 
geblichen Verhandlungen  mit  den  Reichsständen  wegen  der  Wahl 
seines  Enkels  zum  römischen  König  anfangs  October  1518  nach 
Tirol  zurückkehrte,  gieng  es  mit  seiner  Kraft  zu  Ende.  Die  Rück- 
legung  des  Amtes  durch  die  Mitglieder  der  Tiroler  Regierung, 
die  sich  nur  auf  dringendes  Bitten  Maximilian's  dazu  verstanden, 
bis  Weihnachten  dem  Namen  nach  Regenten  zu  bleiben,  hatte 
ihn  schwier  getroffen,  und  der  Ärger  über  die  unwürdige  Behand- 
lung seines  Hofgesindes  durch  die  Innsbrucker  Wirte  beschleunigte 
den  Ausbruch  eines  im  Keime  schon  vorhandenen  Leidens.  Die 
Weiterreise  nach  Österreich  musste  gegen  Ende  November  zu  Wels 
unterbrochen  werden ;  hier  verschlimmerte  sich  die  Krankheit.  Am 
30.  December  1518  errichtete  der  Kaiser  sein  Testament  (welchem 
bis  zum  6.  Jänner  zwei  Zusätze  angehängt  wurden)  und  am  12.  Jänner 
1519  verschied  er  sanft  in  seinem  60.  Lebensjahre. 

2.  Die  Erben  der  Lande,  des  Kaisers  Enkel,  König  Karl  I. 
von  Spanien  und  Erzherzog  Ferdinand,  weilten  am  Todestage 
Maximilians  in  Spanien  und  den  Niederlanden.  Der  Eintritt  einer 
Zwischenherrschaft  war  daher  unvermeidlich,  wer  aber  sollte 
sie  bis  zur  Ankunft  der  neuen  Herrscher  führen,  das  war  die 
große  Frage? 

Schon  seit  Jahren  hatten  die  Stände,  ihrer  Rolle  zu  Zeiten 
König  Ladislaus  des  Nachgebornen  und  Herzog  Sigmund's  ein- 
gedenk, für  den  Todesfall  des  Kaisers  Besprechungen  gepflogen, 
so  1508  zu  Mürzzuschlag,  1509  zu  Salzburg,  1515  zu  Wien.  Auf 
dem  Innsbrucker  Tage  1518  hatten  sie  überdies  den  Kaiser  aus- 
drücklich gebeten,  dass  er  die  Erbschaftsangelegenheiten  seiner 
Enkel  hinsichtlich  der  Erblande  noch  bei  Lebzeiten  ordne,  um 
»Irrungen  nach  seinem  Tode  zu  vermeiden** ;  Maximilian  hatte 
jedoch  ausweichend  geantwortet  und  gemeint,   er  werde  die  An- 


Kaiser  Maximilian's  I.  Testament  und  Tod.  283 

gelegenheit  bei  passender  Zeit  wieder  hervorziehen.^  Nun  war  der 
lange  vorausgesehene  Fall  eingetreten,  ehe  der  Kaiser  Gelegenheit 
gehabt  hatte,  die  Beschlüsse  der  Innsbrucker  Libelle  auszuführen. 
In  seinem  Testamente  hatte  er  beide  Enkel  zur  Nachfolge  in  den 
Erblanden  berufen,^  aber  keine  Übergangsbestimmungen  getroffen. 
Erst  in  einem  Nachtrag  aus  den  letzten  Lebenstagen  wurde  all- 
gemein die  Verwaltung  bis  zur  Ankunft  der  neuen  Herrscher  den 
jetzigen  Inhabern  der  Ämter  im  Umfang  der  früher  ertheilten  Voll- 
machten übertragen  und  nur  ins  Ermessen  der  Testamentsexecu- 
toren gestellt,  „dieselben  unser  Regiment,  Haubtleut  und  Amtleut 
zu  mäßigen  oder  die  mit  etlichen  unseni  Räthen  und  Landleuten 
zu  sterckhen".  Das  war  nun  freilich  eine  bisher  nicht  dagewesene 
Neuerung  und  widersprach  gänzlich  den  Vereinbarungen,  welche 
die  Stände  unter  sich  getroffen  hatten.  Nur  mit  Unwillen  hatte 
man  in  diesen  Kreisen  noch  bei  Lebzeiten  des  Kaisers  es  ertragen, 
dass  die  Verwaltung  und  damit  der  Einfluss  im  Lande  -mehr  und 
mehr  in  die  Hände  von  Berufsbeamten  übergieng.  „Auf  diese  Ge- 
Bchrift weisen,"  klagt  der  Zeitgenosse  Kirchmair,  „ist  dem  Kayser 
ein  unmäßig  Gelt  gangen.  Man  sol  mir  nit  verweisen,  dass  ich  in 
meiner  Vermerkung  die  Secretari  und  Schreiber  vorsetz  und  erst 
hernach  die  edlen  Rät,  denn  also  ist  es  auch  im  Wesen  gewesen."' 
3.  Um  die  weiteren  Vorgänge  richtig  zu  beurtheilen,  muss 
man  erwägen,  wie  sehr  persönlich  verhasst  den  Ständen  die 
Männer  waren,  die  damals  an  der  Spitze  des  n.-ö.  Regiments 
standen,  vor  allem  der  Kanzler  Dr.  Johann  Schneidpöck  und  der 
Vicedom  Lorenz  Saurer,  dem  man  groben  Amtsmissbrauch  vor- 
warf. Dazu  kam,  dass  während  der  Krankheit  des  Kaisers  dessen 
Umgebung,  in  der  die  Secretäre,  Vogt,  Pinsterwalder  u.  a.  das 
große  Wort  führten,  alle  Vertrauenspersonen  der  Stände  geflissent- 
lich entfernt  hielt,  endlich  waren  nach  dem  Tode  Maximilian's 
in  der  kaiserlichen  Kanzlei  Ungehörigkeiten  vorgekommen,   die 


1  Zeibig,  229,274,  Libell  derlSBlätter,  Punkt  11.  Die  Stände  scheinen  schon 
damals  an  Erzherzog  Ferdinand  als  ihren  ktinttigen  Herrscher  gedacht  zu  haben. 

*  .NachvoJgend  bevelhen  und  übergeben  Wir  nach  Unserm  Abgang  aU 
unser  Land  und  Leut  unsem  lieben  Sunen,  Kunig  Karin  von  Hyspanien  und 
Ertzherzog  Ferdinanden  Prinzen  daselbs  als  unsein  rechten  naturlichen  Erben."  Das 
Testament  ist  bei  Buch  holt z  nach  einer  Abschrift  gedruckt,  l,  Urkunden- Anhang. 

*  D.  et  A.  Scriptores,  I,  442. 


284        österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Dritte  Periode.  §  41. 

das  Gerücht,  dass  das  Testament  gefälscht  sei,  leicht  entstehen 
lassen  konnten.^ 

Es  liegt  auf  der  Hand,  dass  unter  solchen  Umständen  an 
eine  widerspruchslose  Befolgung  der  Anordnung  im  kaiserlichen 
Testamente,  welche  den  Regimenten  ihre  Amtswirksamkeit  bis 
auf  weiteres  verlängerte,  nicht  zu  denken  war.  Die  Stände  hielten 
sich  vielmehr  an  die  Vereinbai-ungen,  welche  sie  für  den  Todes- 
fall des  Kaisers  längstens  im  Jahre  1515  unter  sich  schon  ge- 
troffen hatten,  und  richteten  im  übrigen  ihr  Betragen  gegen  die 
landesfürstlichen  Behörden  ein,  je  nachdem  größere  oder  geringere 
Abneigung  herrschte.  Am  wenigsten  Schwierigkeiten  gab  es,  wie 
es  scheint,  in  Tirol,  am  weitesten  im  Widerstände  gegen  das 
alte  Regiment  gieng  man  im  Lande  unter  der  Enns.  Dabei  be- 
trugen sich  die  Stände  allerlanden  als  diejenigen,  denen  es  vor 
allem  zukomme,  zu  erwägen  und  zu  handeln,  dass  „die  Lande  bei 
Ihrer  Majestät  Enkeln  als  ihren  rechten  Erben  und  diese  bei  den 
Landen  bleiben  mögen''.  Zur  Berathung  gemeinsamer  Schritte  ver- 
sammelten sich  vom  13.  bis  27.  März  ständische  Abgeordnete  aller 
Erblande  und  vom  9.  bis  21.  Mai  solche  aus  den  fünf  n.-ö.  Landen 
zu  Brück  a.  d.  Mur.  Maßregeln  zum  Schutz  gegen  einen  drohenden 
Türkeneinfall  und  die  Entsendung  einer  Huldigungsbotschaft  an 
König  Karl  L  von  Spanien  wurden  u.  a.  bei  dieser  Gelegenheit 
verabredet.  Im  übrigen  giengen  die  Lande,  ohne  sich  um  das 
nach  Wr.-Neustadt  vertriebene  n.-ö.  Regiment  irgend  zu  kümmern, 
unter  ständischer  Führung  jedes  seine  eigenen  Wege  und  waren 
darauf  bedacht,  die  Kosten  der  Verwaltung  in  gemeinsamen  An- 
gelegenheiten womöglich  auf  den  Nachbar  zu  überwälzen. 

4.  Am  spanischen  Hofe  war  man  von  diesem  Auftreten  der 
österreichischen  Stände,  in  dem  man  eine  gefährliche  Selbstüber- 
hebung erblickte,  nichts  weniger  als  erbaut  und  suchte  sowohl 
dem  alten  n.-ö.  Regiment  Gehorsam  zu  verschaffen,  als  die  be- 
schlossene Gesandtschaftsreise  zu  hintertreiben,  beides  ohne  Erfolg; 
zuletzt  musste  man  sich  entschließen,  dem  Willen  der  Land- 
schaften nachzugeben,  die  auf  ihren  Verbriefungen  bestanden. 
Das  von  König  Karl  schon  am  23.  Juli  1519  ernannte  obriste 
Regiment  für  die  Verwaltung  der  österreichischen  Erblande  berief 

*  Die  actenmäßige  Begründung  dieser  Schilderung  gedenke  ich  in  den 
Schriften  der  historischen  Landes-Commlssion  für  Steiermark  zu  liefern. 


i 


Die  landschaftliche  Zwischenregiernng;  Erbhuldignngs-Landtage.        285 

die  Landschaften  zu  Erbhuldigungs-Landtagen  im  Jahre  1520  ein 
und  ermahnte  insbesonders  die  fünf  n.-ö.  Lande  vom  Kammergut 
abzulassen,  die  hiefür  bestellten  Beamten  zu  entfernen  und  Ab- 
rechnung zu  pflegen,  „damit  8e.  Majestät  nit  geursacht  werde, 
gegen  den  Ungehorsamen  anders  furzunemen  und  zu  handeln".  Bis 
auf  Österreich  unter  der  Enns  fügten  sich  die  übrigen  Lande  und 
leisteten  den  Eid  der  Treue,  wenn  auch  unter  Vorbehalt,  in  der 
Zeit  vom  25.  Jänner  bis  11.  Juli  1520. 

5.  Die  Stände  hatten  die  Erbhuldigung  nach  dem  Inhalt  des 
kaiserlichen  Testaments  sowohl  dem  König  Karl  als  dem  Erzherzog 
Ferdinand  als  ihre  rechten  Erbherren  geleistet.  Allein  die  Herr- 
schaft in  beider  Fürsten  Namen  zeigte  sich  bald  als  unausführbar; 
überdies  drängte  die  mit  dem  jagelionischen  Hause  besprochene 
Heirat  zur  Regelung  der  unklaren  Verhältnisse.  An  eine  Vermählung 
Karls  V.  mit  der  Prinzessin  Anna  war  nicht  zu  denken,  da  er 
mit  der  Tochter  des  französischen  Königs  verlobt  war,  den  er  sich 
damals  nicht  zum  Feinde  machen  durfte.  Karl  gab  daher  auf  Drängen 
der  ungarischen  Stände  am  7.  November  1520  die  Erklärung  ab, 
dass  er  die  Ehe  mit  Prinzessin  Anna  seinem  Bruder  überlasse. 
Zugleich  erbot  er  sich,  die  fünf  n.-ö.  Lande  zu  einem  Königreich 
zu  erheben  und  an  Erzherzog  Ferdinand  abzutreten.  Am  28.  April 

1521  vereinigten  sich  beide  Brüder  auf  dem  Wormser  Reichstage 
über  die  besprochene  Ländertheilung,  und  vier  Wochen  darnach 
feierte  Erzherzog  P'erdinand  zu  Linz  seine  Vermählung  mit  der 
ungarischen  Königstochter.  Er  empfieng  nun  die  Huldigung  seiner 
Unterthanen  persönlich,  und  als  es  sich  um  die  Errichtung  einer 
neuen  Regierungsbehörde  handelte,  konnte  man  alsbald  sehen,  dass 
die  Verhandlungen  mit  den  Ständen  in  einem  anderen  Tone  ge- 
führt werden  würden.  Dennoch  kam  dem  Erzherzog  Ferdinand  die 
Weigerung  der  Kärntner  und  Krainer,  die  sich  dem  Wormser 
Vertrag  nicht  fügen  wollten,  weU  er  ihr  Landesgebiet  zerreiße, 
sehr  gelegen,  weil  sie  ihm  den  Anlass  bot,  eine  günstigere  Erb- 
theilung  zu  erlangen.  Durch  den  Brüsseler  Vertrag  vom  7.  Februar 

1522  verzichtete  dann  Kaiser  Karl  V.  nicht  bloß  auf  die  in  An- 
spruch genommenen  innerösterreichischen  Landstriche,  sondern 
überließ  dem  Erzherzog  Ferdinand  überdies  aus  „aufrichtiger 
brüderlicher  Liebe"  Tirol  und  die  Vorlande,  nur  sollte  dieser 
Theil    des  Vertrages    durch    sechs  Jahre  geheim   bleiben    und 


286        österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Dritte  Periode.  §  41. 

der  Erzherzog  hier  zunächst  nur   als  Stattlialter  seines  Bruders 
auftreten. 

6.  Erst  jetzt  fühlte  sich  Erzherzog  Ferdinand  als  Herr  in 
den  Erblanden,  und  nun  beschloss  er,  die  verschobene  Abrechnung 
mit  dem  noch  widerstrebenden  Bruchtheil  der  Stände  von  Öster- 
reich unter  der  Enns  eintreten  zu  lassen.  Sie  erfolgte  in  Form 
eines  gerichtlichen  Urtheiles  über  die  Vorfrage,  ob  nach  dem  Tode 
des  Kaisers  Maximilian  das  alte  n.-  ö.  Regiment  oder  dessen  Gegner 
mit  ihren  Ansprüchen  im  Recht  gewesen  seien.  Die  Ständepartei 
wurde  schuldig  erkannt  und  ihr  namentlich  zum  Verbrechen  an- 
gerechnet, dass  sie  sich  in  das  landesfürstliche  Kammergut  ein- 
gemengt, die  »Heimlichkeit"  des  landesfürstlichen  Einkommens 
ausgeforscht,  die  Pfleger  und  Amtleute  in  Eid  und  Pflicht  ge- 
nommen und  den  Blutbann  verliehen  habe,  dass  sie  gemünzt 
habe  u.  s.  w.  Erzherzog  Ferdinand  ließ  auf  dies  Erkenntnis  hin 
sofort  die  Anstifter  der  ständischen  Bewegung  verhaften  und  acht 
derselben  nach  durchgeführtem  Verfahren  am  9.  und  11.  August 
1522  zu  Wr.-Neustadt  öffentlich  hinrichten. 

7.  Ungemein  erschütternd  wirkte  dieses  blutige  Schauspiel 
auf  die  Zeitgenossen,  vor  allem  auf  die  leichtlebigen  Wiener,  die 
sich  an  der  ständischen  Bewegung  sosehr  betheiligt  hatten.  „  Das 
Volk  in  der  Stadt  ist  ganz  verzagt  und  stUl  gewest  mit  großen 
Sorgen  und  Trauern",  schreibt  Herberstein.  In  der  That  hatten 
die  Wiener  allen  Grund,  besorgt  zu  sein.  Die  beiden  Collegien 
der  Münzer  (Hausgenossen)  und  der  Genannten  wurden  am 
4.  October  1522  aufgehoben,  das  Stadtgericht  gleichzeitig  mit 
zwölf  ständigen,  vom  Landesfürsten  besoldeten  und  diesem  eidlich 
verpflichteten  Beisitzern  besetzt.  Wenige  Jahre  später  (am  12.  März 
1526)  wurde  durch  eine  neu  erlassene  Stadtordnung,  die  beschö- 
nigend „Der  Stadt  Wien  neue  Freiheit"  hieß,  die  alte  Stadtver- 
fassung vollends  über  den  Haufen  gestürzt,  die  städtische  Autonomie, 
bisher  die  Hauptquelle  der  Rechtsentwicklung,  auf  ein  sehr  be- 
scheidenes Maß  eingeschränkt  und  überall  das  Oberaufsichtsrecht 
des  Staates  hervorgekehrt. 

8.  Kein  Wunder,  dass  sich  Erzherzog  Ferdinand  durch  dies 
strenge  Auftreten  die  Gemüther  vieler  Österreicher  entfremdete 
und  dass  man  seinem  Auftreten  in  autonomen  Körperschaften 
mit  unverhohlenem  Misstrauen  begegnete.  In  Steiermark  ließ  der 


Das  Blutgericht  zu  Wr.-Neustadt.  Sturz  Salamanca's.  287 

Landeshauptmann,  Sigmund  Freiherr  von  Dietrichstein,  sofort  und 
für  alle  Fälle  eine  actenmäßige  Darstellung  der  beiden  Erb- 
huldigungen von  1520  und  1521  durch  den  Landschrannenschreiber 
Hans  Hofmann  abfassen  und  im  Jahre  1523  zu  Augsburg  drucken, 
die  erste  Ausgabe  der  später  s.  g.  Landshandfesten,  da  hier,  ab- 
gesehen von  den  übrigen  Belegen  auch  die  wichtigsten  Landes- 
freiheiten, die  „goldene  Bulle  der  Steirer",  die  s.  g.  Reformation 
der  Landshandfest  u.  s.  w.  mitgetheUt  wurden.  Die  Wiener  Uni- 
versität, welche  der  Erzherzog  im  Jahre  1523  aufgefordert  hatte, 
ihm  Vorschläge  zu  erstatten,  wie  etwa  dem  eingerissenen  Nieder- 
gang gesteuert  werden  könnte,  lehnte  seine  HUfe  ab,  „quia  omnia 
agit  ex  sua  auctoritate",  wie  es  in  akademischen  Kreisen  hieß 
und  weil  man  von  seinem  Eingreifen  eine  Schmälerung  der  herge- 
brachten Stellung  befürchtete.*  Auch  in  Tirol,  wohin  sich  Ferdinand 
im  Frühjahr  1523  begab,  war  die  Stimmung  keine  bessere,  geradezu 
allgemein  aber  war  die  Abneigung  gegen  den  Spanier  Gabriel  Sala- 
manca,  der  unbedingten  Einfluss  über  den  Erzherzog  besaß.  Zumal 
im  Volke  murrte  man  über  den  Schatzmeistergeneral  und  über  den 
zunehmenden  Steuerdruck  den  man  seinen  Rathschlägen  zuschrieb. 
Selbst  der  Kaiser  wirkte  schließlich  auf  die  Beseitigung  Salamanca's 
hin,  denn  man  fürchtete,  wenn  nicht  bald  Abhilfe  getroffen  würde, 
„so  möchte  wohl  Schweiz  Tirols  HeiT  und  Meister  werden".  Als  im 
Jahre  1525  die  Wogen  des  deutschen  Bauernkriegs  nach  Tirol 
hereinschlugen  und  die  nach  Salzburg  und  Obersteiermark  ver- 
breitete Bewegung  nur  mit  größter  Anstrengung  niedergeworfen 
war,  fiel  endlich  der  verhasste  Mann.  Auf  dem  allgemeinen  Aus- 
schusstage  der  Erblande  zu  Augsburg  (December  1525 — 1526) 
setzten  die  Landschaften  unter  der  Führung  der  Tiroler  durch 
ihre  Festigkeit  die  Entfernung  des  Günstlings  durch.  Es  war  die 
höchste  Zeit,  dass  zwischen  dem  Herrscher  und  den  Erblanden 
bessere  Beziehungen  angeknüpft  wurden,  denn  wenige  Monate 
später  hat  die  Schlacht  bei  Mohacs  den  Erzherzog  vor  Aufgaben 
gestellt,  die  er  nur  durch  einmüthige  Unterstützung  seiner  Unter- 
thanen  in  Altösterreich  zu  lösen  vermochte. 

^  Vgl.  meinen  Aufsatz  über  die  steirischen  Landshandfesten  in  den  Beitr. 
zur  Kunde  steir.  Qe»ohichtsquelien  IX,  196  und  Kink,  Geschichte  der  Uni- 
versität, Wien,  I,  25(5.  Anm.  301. 


288  Österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Anhang  I. 


Anliang  I. 


Übersicht  der  geschichtlichen  Entwicklung  in  Böhmen, 
Mähren  und  Schlesien  bis  zum  Jahre  1526. 

Übersichten  der  geschichtlichen  Literatur  für  die  böhmische  Ländergmppe 
beiKrones,  Grundriss  10,  30,  86ff.  —  Dudik,  Mährens  allg.  Geschichte,  Bd.  VIII 
bis  IX,  Mährens  Culturgeschichte,  1197—1306  (Land  und  Volle,  Staat  und  Volks- 
thum).  1878/80.  —  d'Blvert,  österr.  Verwaltungsgeschichte  mit  besonderer  Rück- 
sicht auf  die  böhmischen  Länder.  1880.  —  Hub  er,  österr.  Reichsgeschichte,  66.  — 
Jireöek,  H.,  Das  Recht  in  Böhmen  und  Mähren,  I,  1866.  —  Kalousek  J.,  Einige 
Grundlagen  des  böhmischen  Staatsrechtes,  1871,  und  sein  umfassendes  Werk: 
Öeskä  stÄtni  prävo,  2.  Aufl.  1892.  —  Macieiowski,  Slavische  Rechtsgeschichte, 
4  Bde.,  1835—39.  —  Paucker,  Das  alte  Recht  der  Czechen  (Arbeiten  der  kurländ. 
Gesellschaft  für  Literatur  und  Kunst.  Mitau  1847,  1.  Heft).  —  Pernice,  Ver- 
fas^ungsrechte  der  im  Reichsrathe  vertretenen  Königreiche  und  Länder  der  österr. - 
ung.  Monarchie.  1.  Heft,  1872.  —  Rachfahl,  Die  Organisation  der  Gesammt- 
Staatsverwaltung  Schlesiens  vor  dem  30jähr.  Kriege.  1894.  —  TomaschekJ.  A., 
Recht  und  Verfassung  der  Markgrafschaft  Mähren  im  15.  Jahrhundert.  1863. 

1.  Die  Slaven,  welche  im  6.  Jahrhundert  den  bayerischen 
Stamm  aus  den  Sudetenländern  gegen  Westen  verdrängten,  bildeten 
weder  eine  nationale,  noch  eine  staatliche  Einheit,  sondern  zerfielen 
in  viele  getrennte  Völkerschaften,  die  unter  eigenen  Fürsten  standen 
und  noch  auf  Jahrhunderte  hinaus  kein  gemeinsames  Oberhaupt 
anerkannten.  Die  Gründung  eines  größeren  Reiches  gelang  erst 
im  Laufe  des  10.  Jahrhunderts  dem  nach  seinem  sagenhaften 
Ahnherrn  genannten  Geschlecht  der  Pfemysliden,  das  den  im 
Herzen  Böhmens  wohnenden  Stamm  der  Czechen  beherrschte. 
Bis  zur  Ausrottung  des  Fürstenhauses  der  Slavnik  im  Jahre  995 
stand  jedoch  die  weißchrovatische  Bevölkerung  der  Osthälfte 
Böhmens  immer  noch  unter  unabhängigen  Herrschern.  Erst  von 
da  ab  gewann  das  Herrschaftsgebiet  der  Premysliden  ungefähr 
den  Umfang  des  heutigen  Böhmen,  wobei  es  im  Westen  bis  zum 
Egerländchen,^  nordöstlich  aber  bis  Glatz  reichte.  Spuren  der  ver- 
schiedenen slavischen  Völkerstärame,  die  sich  in  Böhmen  nieder- 
gelassen hatten,  finden  sich  noch  später,  ja  die  Erinnerung  an  die 

^  Dasselbe,  vorühergehend  (1266—76)  schon  von  König  Otakar  H.  besetzt, 
gelangte  1322  als  Pfandhesitz  dauernd  an  die  Könige  von  Böhmen. 


Beziehungen  Böhmens  zu  Mähren,  Schlesien  und  dem  Reiche.  289 

einst  bestandene  Vielherrschaft  war  selbst  im   12.  Jahrhundert 
noch  nicht  geschwunden. 

2.  Von  den  Schicksalen  des  großmährischen  Reiches  ist  schon 
früher  (§  5,  5)  die  Rede  gewesen.  Dasselbe  erstreckte  sich  gegen 
das  Ende  des  9.  Jahrhunderts  nicht  bloß  über  das  heutige  Mähren, 
sondern  auch  über  ansehnliche  Gebiete  an  der  Waag,  Neutra, 
Oder  und  Weichsel,  endlich  seit  dem  Übereinkommen  mit  König 
Arnulf  zu  Omuntesberg  (890)  auch  noch  über  Böhmen,  das  sich 
jedoch  nach  Herzog  Svatopluk's  Tode  wieder  losriss.  Seit  Herzog 
Boieslav  I.  (935—967)  herrschten  umgekehrt  die  Pfemysliden 
einige  Zeit  über  Mähren,  Schlesien  und  Westgalizien,  verloren 
aber  diese  Gebiete  um  das  Jahr  1000  an  Polen.  Mähren  wurde 
um  das  Jahr  1029  durch  Herzog  Bfetislav  wieder  zurückgewonnen 
und  bildete  von  da  ab  ein  Nebenland  von  Böhmen,  das,  in  TheU- 
fürstenthümer  zerlegt,  vor  allem  zur  Versorgung  der  jüngeren 
Mitglieder  des  herrschenden  Hauses  diente.  Im  Jahre  1182  wurde 
Mähren  durch  Kaiser  Friedrich  I.  zu  einer  reichsunmittelbaren 
Markgrafschaft  erhoben;  es  verlor  jedoch  diesen  Charakter  im 
Jahre  1349,  als  König  Karl  I.  dies  Land  seinem  Bruder  Johann 
als  böhmisches  Manneslehen  übertrug.  Mit  dem  Tode  des  Mark- 
grafen Jodok  (t  1411)  fiel  schließlich  Mähren  wieder  an  den 
König  von  Böhmen  zurück.  Schlesien  hingegen  blieb  etwa  160 
Jahre  mit  Polen  vereint  und  stand  auch  nach  seiner  Loslösung 
von  diesem  Reiche  unter  plastischen  Herrschern.  Seit  dem  Jahre 
1163  zerfiel  es  in  drei  Herrschaftsgebiete,  welche  durch  fort- 
gesetzte Theilungen  in  immer  kleinere  Fürstenthümer  zerlegt 
wurden  und  schließlich  um  die  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  unter 
die  Oberlehensherrlichkeit  der  Könige  von  Böhmen  kamen. 

3.  Eine  viel  umstrittene  Frage  ist  die  nach  dem  Verhältnis 
von  Böhmen  zum  Deutschen  Reiche.  Von  den  Verfechtern  des 
neuem  böhmischen  Staatsrechts  wird  die  Behauptung  aufgestellt, 
dass  Böhmen  niemals  ein  Reichslehen  gewesen  sei,  und  —  als 
ob  dies  ehrender  wäre  —  nur  ein  tributäres  Verhältnis  zu 
Deutschland  zugegeben.^  Allein  weder  der  Schluss  ist  richtig, 
dass  die  Tributzahlung  die  Lehensabhängigkeit  jedesmal  ausschließe, 
noch  die  Voraussetzung  begründet,  dass  in  ersterer  Leistung  keine 

^  So  noch  Kalousek,  Öeske  stÄtni  prävo,  S.  7  ff. 

LvschlB,  Oiterreichliche  Reichtgesobiotate.  19 


290  österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Thell.  Anhang  I. 

Unterwerfung  begründet  sei.  Vielmehr  kann  auf  Grund  so  zahl- 
reicher Beweisstellen,  wie  sie  namentlich  Pernice  gesammelt  hat, 
nicht  bezweifelt  werden,  dass,  wenn  auch  nicht  schon  in  karolin- 
gischer  Zeit,  so  doch  angebahnt  durch  Heinrich  I.  (929)  und 
jedenfalls  seit  Otto  I.  (950),  ein  unzweifelhaftes  Lehensverhältnis 
Böhmens  als  eines  zum  Deutschen  Reiche  gehörigen  Herzogthums 
sich  entwickelte,  welches  von  dem  anderer  Reichslande  qualitativ 
gar  nicht  verschieden  war  und  deshalb  auch  genau  dieselben 
Rechte  und  Pflichten  wie  für  andere  Reichsfürsten  erzeugte.  Die 
böhmischen  Herzoge  oder  Könige  hatten  von  Alters  her  und  jeder- 
zeit die  Pflicht,  sich  mit  ihrem  Herzog-  und  dann  Königthum 
Böhmen  (seit  1356  als  mit  einem  deutschen  Kurf  ürstenthum)  vom 
deutschen  König  oder  Kaiser  für  das  Deutsche  Reich  belehnen 
zu  lassen,  wofern  nicht  sie  ihres  Besitzes  Felonie  halber  verlustig 
gehen  wollten.  Sie  genossen  im  Zusammenhang  damit  schon  von 
frühe  her  das  Recht  der  Theilnahme  an  der  deutschen  Königs- 
wahl und  übten  mindestens  seit  Rudolf  von  Habsburg  das  Recht 
und  die  Pflicht  des  Erzschenkenamtes.  Sie  hatten  gleich  andern 
großen  Vasallen  das  Recht  und  die  Pflicht,  auf  gebotenen  Reichs- 
tagen zu  erscheinen,  obschon  sie  gleich  den  Herzogen  von  Öster- 
reich nur  zum  Besuch  der  Hoftage  in  nächster  Umgebung  ihres 
Landes  verpflichtet  waren.  Sie  waren  ferner  wie  andere  Vasallen 
und  Stände  zur  Theilnahme  am  Römerzuge  und  überhaupt  dem 
deutschen  König  zur  Heeresfolge  verpflichtet,  wie  sie  auch  in 
mannigfacher  Beziehung  seiner  Gerichtsbarkeit  unterworfen  waren. 
Mit  all  diesen  Verpflichtungen  vertrug  sich  aber  ein  großer  Grad  von 
Selbständigkeit,  denn  in  die  innem  Landesangelegenheiten  Böhmens 
griff  das  Reich  nicht  ein  und  schon  früh  wurde  hier  durch  Her- 
kommen und  umfassende  Privüegien  der  in  andern  Reichsgebieten 
erst  weit  später  zur  Anwendung  gebrachte  Satz  des  deutschen 
Staatsrechts  bewahrheitet :  „  Quisque  Status  tantum  potest  in  terri- 
torio  suo,  quantum  Imperator  in  imperio*.' 

4.  Aus  den  Umständen,  unter  welchen  die  Pfemysliden  die 
Oberherrschaft  in  Böhmen  errangen  und  sich  bewahrten,  erklären 
sich  auch  die  Grundsätze,*  welche  in  diesem  Reiche  für  die  Thron- 

8  Pernice,  S.  30,  17.  21  ff. 

*  Loserth,  Das  angebliche  Senioratsgesetz  des  Herzogs  Bfetislav  I.  — 
Die  Krönungsordnung  der  Könige  von  Böhmen.  Archiv  Bd.  64  und  54. 


Böhmen  ein  deutsches  Reichslehen,  die  Thronfolge.  291 

folge  maßgebend  wurden.  Es  erscheint  bei  den  slavischen  Völker- 
schaften das  Herkommen  ziemlich  allgemein,  dass  innerhalb  der 
regierungsfähigen  Mitglieder  des  Herrscherhauses  nicht  die  Nähe 
des  Grades,  sondern  das  reifere  Alter  einen  Vorzug  für  die 
Thronfolge  begründete.  Bei  den  Premysliden  äußerte  sich  dies 
darin,  dass  der  regierende  Fürst,  wie  er  selbst  Senior  des  Ge- 
schlechtes war,  es  seinerseits  als  Gewissenspflicht  ansah,  den 
ihm  an  Alter  Nächststehenden  zur  Thronfolge  vorzuschlagen. 
Aber  dem  Erbanspruch  des  Fürstengeschlechts  auf  die  Herrschaft 
stand  —  ähnlich  wie  bei  den  Franken  das  Recht  des  Volkes  — 
so  in  Böhmen  das  Recht  der  Großen  des  Reiches  entgegen,  das 
die  Wirksamkeit  des  Vorschlags  an  ihre  Zustimmung  baud.*^  Aus 
der  Abhängigkeit  vom  Deutschen  Reiche,  in  welche  die  Premysliden 
gerathen  waren,  ergab  sich  überdies  ein  Bestätigungsrecht  des 
deutschen  Reichsoberhauptes :  „Alle  drei  Hauptmomente:  Die  Nomi- 
nation  seitens  des  regierenden  Fürsten,  die  Wahl  seitens  der  Großen 
und  seit  dem  11.  Jahrhundert  auch  die  Confirmation  des  Kaisers 
gehörten  demnach  zu  den  nothwendigen  Vorbedingungen  der  recht- 
lichen Giltigkeit  einer  Succession,  und  eine  Thronbesteigung  ohne 
vorhergegangene  Wahl  gehörte  zu  den  Ausnahmen,  ebenso  wie 
jene,  welcher  die  Confirmation  des  Kaisers  gefehlt  hat."  In  beiden 
Fällen  wurde  sie  sowohl  von  den  böhmischen  Großen  als  von 
dem  Kaiser  angefochten.® 

5.  Nach  dem  Gesagten  ergibt  sich,  dass  es  irrig  ist,  die 
Senioratserbfolge  in  Böhmen  auf  ein  Gesetz  vom  Jahre  1055 
zurückzuführen;  sie  ist  wohl  ein  altslavischer  Brauch,  und  Herzog 
Bfetislav  hat  auf  seinem  Sterbebette  keine  Neuerung  vorgenommen, 
sondern  lediglich  die  Wahl  seines  Nachfolgers  in  der  von  Alters 
üblichen  Form  eingeleitet.  Im  12.  Jahrhundert  ist  dann  allerdings 
bei  den  wiederholten  Thronkämpfen  und  durch  das  Eingreifen 
der  Kaiser  von  dem  Grundsatz  der  Senioratserbfolge  oft  abge- 
gangen worden.    Gerade    in   der  Zeit  der  kraftvollsten  Fürsten 


*  Vgl.  die  Belege  bei  Loserth,  Sonioratsgesetz,  S.  61  ff.,  die  bezeichnenden 
Vorgänge  beim  Tode  Herzog  Viadislav's,  I.  S.  65.  —  Macieiowski,  I.  §  42,  ist 
ungeachtet  der  von  ihm  beigebrachten  Nachrichten  anderer  Meinung,  muss  aber 
zugeben,  dass  nach  allgememer  Ansicht  im  ältesten  russischen  Recht  nach  dem 
Tode  des  Fürsten  nicht  die  Söhne  sondern  die  Brüder  folgten. 

«  Jireöelc,  I,  2,  S.  49.  —  Loserth,  77. 

19* 


292  österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Anhang  I. 

Böhmens  entwickelte  sich  vielmehr  das  Bestreben,  der  Primo- 
genitur in  der  Thronfolge  Eingang  zu  verschafifen,  aber  man  hat 
doch  in  der  Folge  noch  wiederholt  auf  den  Altersvorzug  gebürende 
Rücksicht  genommen.  Da  jedoch  Ptemysl  Otakar's  I.  (f  1230) 
und  seine  Nachfolger  bis  auf  König  Wenzel  II.  (f  1305)  nur  je 
einen  Sohn  hinterließen,  so  bürgerte  sich  nun  von  selbst  im  Wege 
der  Gewohnheit  die  Frimogenitur-Erbfolge  ein. 

6.  Die  Stellung  des  regierenden  Seniors  war  die  eines  Groß- 
herzogs, dem  die  mit  Theilf  ürstenthümem  in  Mähren  ausgestatteten 
jüngeren  Mitglieder  des  Geschlechts  untergeordnet  waren.  Zur 
Belohnung  der  im  Investiturstreit  bewiesenen  Treue  verlieh  Kaiser 
Heinrich  IV.  im  Jahre  1086  dem  Großherzog  Vratislav  II.  für 
seine  Person  den  Titel  eines  Königs  von  Böhmen  und  Polen  und 
ließ  ihn  durch  den  Erzbischof  von  Trier  in  Prag  krönen.  Später 
(1158)  erhielt  durch  Kaiser  Friedrich  I.  wegen  treu  und  ausgiebig 
geleisteter  Heerfolge  gegen  die  lombardischen  Städte,  Qroßherzog 
Vladislav  II.  für  sich  und  seine  Nachfolger  die  Königskrone,  wurde 
ihrer  aber  wieder  beraubt,  als  er  im  Jahre  1173  mit  Umgehung 
der  altern  Pfemysliden  eigenmächtig  seinem  Sohne  Friedrich  die 
Herrschaft  zuwenden  wollte.  Erst  Pfemysl  Otakar  I.  erwarb  die 
Königswürde  bleibend  für  seine  Nachfolger  im  Reiche  und  sicherte 
sich  durch  die  Schaukelpolitik,  die  er  in  dem  Kampfe  zwischen  den 
Staufen  und  Weifen  beobachtete,  neue  Vorrechte.  Er  so  gut  wie 
seine  Nachkommen  nahmen  an  der  Erwählung  der  deutschen  Könige 
thätigen  Antheil,  obschon  der  Verfasser  des  Sachsenspiegels  den 
stammfremden  König  Böhmens  von  der  Wahlhandlung  ausge- 
schlossen wissen  wollte.  Im  Jahre  1290  wurde  ihnen  ihr  Platz 
im  KurfürstencoUegium  auf  Grund  des  Erzschenkenamtes,  das 
sie  besaßen,  ausdrücklich  zugebilligt,  durch  die  goldene  Bulle 
ihnen  nebst  den  übrigen  Vorrechten  der  Kurfürsten  der  erste 
Rang  nach  den  geistlichen  Mitgliedern  gesichert. 

7.  Der  Mannsstamm  der  Pfemysliden  erlosch  mit  Wenzel  III. 
im  Jahre  1306.  König  Albrecht  I.  verlieh  Böhmen  und  Mähren 
als  erledigtes  Reichslehen  seinem  ältesten  Sohne  Rudolf  und  setzte 
es  bei  den  Standesherren  durch,  dass  sie  ihn  nicht  bloß  als  ihren 
König  anerkannten,  sondern  auch  eidlich  gelobten,  bei  dem  Hause 
der  Habsburger  zu  bleiben.  (§  19,  3.)  Allein  die  böhmischen  Großen 
vergaßen  nach  dem  Tode  König  Rudolfs  (4.  Juli  1307)  ihres  Wortes 


Böhmen  wird  ein  Königreich;  die  Luxemburger  und  Habsburger.        293 

und  wählten  erst  den  Gemahl  der  ältesten  Schwester  des  ermordeten 
Königs  Wenzel  III.,  den  Herzog  Heinrich  von  Kärnten  zum  König 
und  boten,  als  auch  dieser  ihre  Gunst  verloren  hatte,  die  Hand 
der  Jüngern  Schwester  Elisabeth  nebst  der  Krone  dem  deutschen 
König  Heinrich  VII.  an.  Dieser  wies  sie  an  seinen  Sohn  Johann 
von  Luxemburg  und  belehnte  diesen  am  31.  August  1310  mit 
Böhmen  und  Mähren. 

So  kam  das  deutsche  Fürstenhaus  der  Luxemburger  durch 
Wahl  zur  Herrschaft  in  Böhmen ;  allein  es  bildete  sich  alsbald  die 
Erblichkeit  wieder  aus  und  Kaiser  Karl  IV.  (als  böhmischer  König  I.) 
beschränkte  durch  die  als  goldene  Bulle  Böhmens  bezeichnete 
Thronfolgeordnung  vom  7.  April  1348  das  Wahlrecht  der  Stände  auf 
den  Fall,  wenn  „de  genealogia,  progenie,  vel  semine,  aut  prosapia 
regali  Bohemise  masculus  vel  femella  superstes  legitimus  .  .  .  nuUus 
fuerit  oriundus".  Nach  dem  Wortlaut  dieses  Staatsgrundgesetzes 
war  daher  das  Erbrecht  der  an  Herzog  Albrecht  V.  von  Österreich 
vermählten  einzigen  Tochter  des  Kaisers  Sigmund  nicht  zweifel- 
haft, allein  die  Abneigung,  die  gegen  den  Kaiser  in  hussitischen 
Kreisen  bestand,  führte  dazu,  dass  Albrecht  V.  nur  von  den  Katho- 
liken und  den  gemäßigten  Utraquisten  als  König  anerkannt  wurde, 
während  die  andern  den  polnischen  Prinzen  Kasimir  wählten.  Nach 
Albrecht's  II.  Tode  (1439)  wurden  Elisabeth  und  deren  Sohn  Ladis- 
laus  Posthumus  nur  von  den  Schlesiern,  den  Lausitzern  und  den 
Mährern  anerkannt.^  Die  Böhmen  hingegen  bequemten  sich  erst 
nachdem  Herzog  Albrecht  von  Bayern  die  Krone  abgelehnt  hatte, 
zur  Einsetzung  einer  Reichsverweserschaft,  die  Georg  von  Podie- 
brad  im  Namen  des  legitimen  Herrschers  führte.  Dem  unge- 
achtet wurde  Ladislaus,  als  er  1452  aus  der  Vormundschaft  seines 
Vetters,  des  Kaisers  Friedrich  III.  entlassen  war,  in  Böhmen  nur 
als  Wahlkönig  anerkannt,  weil  die  Mehrzahl  des  Landtages  jener 

■^  Wegen  dieser  einseitigen  Anerkennung,  die  „dreist"  und  „unbesonnen" 
gescholten  wurde,  machten  die  Böhmen  den  mährischen  Ständeherren  auf  der 
Iglaner  Znsammonkxmft  (1453,  29.  Sept.)  heftige  Vorwürfe,  verlangten  die  Wieder- 
holung des  Actes,  da  Mähren  als  Glied  des  Königreichs  Böhmen  sich  nach  dem 
Haupte  richten  müsse  und  die  mährischen  Herren  Vasallen  der  Krone  Böhmens 
seien.  Die  Mährer  beharrten  auf  ihrem  Recht,  verweigerten  die  Erneuerung  und 
Mriesen  die  Behauptungen,  dass  Mähren  ein  Glied  des  Königreichs  Böhmen  und 
sie  böhmische  Vasallen  seien,  so  entschieden  zurUck,  dass  die  Böhmen  dies 
alles  zurücknahmen.  —  Tomasche k,  Mähren,  27. 


294  ÖsteiTeichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Anhang  I. 

Partei  angehörte,  die  seinen  Vater  nicht  als  rechtmäßigen  König 
ansah.  Daher  kam  es  auch,  dass  nach  dem  Tode  des  unvermählten 
Königs  Ladislaus  (1457)  weder  das  Erbrecht  seiner  Schwestern 
noch  ein  männlicher  Habsburger  berücksichtigt,  sondern  dass  der 
frühere  Reichsverweser  Georg  Podiebrad  aus  dem  Hause  Kunstat 
zum  Könige  gewählt  wurde.  Diesem  folgte  in  gleicher  Weise  1471 
Prinz  Vladislav  von  Polen,  der  im  Jahre  1516  mit  Hinterlassung 
seines  Sohnes  Ludwig  und  einer  Tochter  Anna  starb.  Ludwig 
folgte  seinem  Vater  in  der  HeiTSchaft  über  Böhmen,  ohne  dass 
ihm  sein  Erbrecht  bestritten  worden  wäre,  Prinzessin  Anna  hin- 
gegen wurde  im  Jahre  1521  mit  Erzherzog  Ferdinand  von  Öster- 
reich vermählt. 

8.  Die  Umstände,  unter  welchen  der  Thronwechsel  in  Böhmen 
vor  sich  gieng,  brachten  es  mit  sich,  dass  die  Macht  des  Herrschers 
hier  niemals  ganz  unbeschränkt  war.  Solange  in  der  Bevölkerung 
die  Erinnerung  an  die  früheren  Stämme  lebendig  geblieben  war,  er- 
schienen unzweifelhaft  die  Stammeshäupter  der  Lufcaner,  Böliner, 
Lütomerici,  Defianer  u.  s.  w.  als  geborene  Wähler  und  Berather  des 
Großfüreten.  Später,  als  diese  Unterschiede  verblassten  und  durch 
die  Bekanntschaft  mit  dem  Lehenswesen  eine  Annäherung  an  die 
Verhältnisse  im  Deutschen  Reiche  herbeigeführt  war,  traten  neben 
den  Nachkommen  der  alten  Stammeshäupter  auch  jene  Geschlechter 
hervor,  welche  sich  durch  größeren  Grundbesitz  im  Lande  bemerk- 
bar machten.®  Seit  der  Zeit,  als  Böhmen  dem  Christenthum  gewonnen 
war,  besaßen  femer  die  Bischöfe  von  Prag  und  Olmütz  eine  hervor- 
ragende Stellung,  die  sich  immer  mehr  hob,  bis  sie  es  eine  Zeit  lang 
wagen  durften,  sich  selbst  mit  dem  regierenden  Landesfürsten  in 
eine  Linie  zu  stellen.  Wenn  wir  von  den  Herrscherwahlen  absehen, 
so  ist  uns  über  die  Form  und  den  Umfang,  in  welchem  sich  der 
Einfluss  der  Großen  des  Reiches  auf  die  Regierung  während  der 
ältesten  Zeit  äußerte,  nur  wenig  bekannt.  Angenommen  wird, 
dass  dem  regierenden  Fürsten,  soweit  die  geschichtlichen  Erinne- 
rungen zurückreichen,  der  Landtag  als  eine  von  Zeit  zu  Zeit  zu- 
sammentretende Versammlung  und  der  Landeskmeten  Rath', 


^  Zemanö  genannt,  ganz  in  dem  Sinne,  wie  in  den  aitösterreichischen 
Landen  von  , Landleuten "  gesprochen  wird.  (§  35,  7.) 

»  Jireöelc,  I,  72  «f.  —  Vgl.  auch  Kalousek,  Öeske  st&tni  priyo,  304, 
über  Generallandtage,  128. 


König  und  Stände,  der'  Rath  der  Landeskmeten.  295 

^8  ständiger  Beirath  zur  Verwaltung  des  Landes  zur  Seite  stand. 
Der  Landtag  (snöm)  war  ursprünglich  eine  Vereinigung  der  Lechen, 
als  der  Stammes-  und  der  Wladyken  als  der  Geschleehtshäupter, 
seit  dem  11.  bis  12.  Jahrhundert  eine  Versammlung  der  nobilös 
und  milites  oder  der  nobiles  primi  et  secundi  ordinis, 
d.  h.  der  Lehensherren  (Senioren)  und  ihrer  Mannen.  Zu  diesen 
gesellten  sich  als  Vertreter  des  Großgrundbesitzes,  der  sich  in  den 
Händen  der  Geistlichkeit  befand,  die  Bischöfe  und  die  Vorstände 
der  wichtigeren  Landesklöster.  Sitz  und  Stimme  behauptete  jedoch 
die  Geistlichkeit  nur  in  Mähren,  während  sie  aus  den  böhmischen 
Landtagen  nach  Karl  IV.  verschwand.  Daher  gab  es  im  15.  Jahr- 
hundert in  Böhmen  auf  den  Landtagen  nur  drei,  in  Mähren  da- 
gegen vier  Stände.  Bei  Auflage  einer  Steuer  auf  den  Besitz  der 
Geistlichkeit  verhandelte  der  König  auf  besonderen  Versammlungen, 
ebenso  auf  Städtetagen,  wenn  eine  eigene  Stadtsteuer  gefordert 
wurde.  Nur  in  Ausnahmsfällen,  bei  sehr  dringlichen  Landesange- 
legenheiten wurden  Vertreter  der  Städte  schon  seit  der  zweiten 
Hälfte  des  13.  Jahrhunderts  zu  allgemeinen  Landtagen  berufen, 
Sitz  und  Stimme  darin  gewannen  sie  unbestritten  erst  seit  der 
Hussitenzeit.  Gegenstände  der  Landtagsverhandlungen  waren  die 
Wahl  und  die  Huldigung  des  Landesfürsten  (eine  Zeit  hindurch 
auch  die  Wahl  der  Prager  Bischöfe),  Beschlüsse  über  Kriegszüge 
in  fremde  Länder  und  allgemein  verbindliche  Gesetze,  später  vor 
allem  die  BewUligung  außerordentlicher  GeldhUfen.  Auch  als 
Gericht  waren  die  Landtagsversammlungen  thätig:  in  Fällen  des 
Hochverraths  und  bei  Streitigkeiten  über  liegendes  Gut. 

9.  Der  Schwerpunkt  des  Einflusses  der  Stände  auf  die 
Regierung  ruhte  indessen  anfänglich  weniger  in  den  Landtagen, 
als  in  dem  Beirath  der  Landeskmeten,  der  den  Regenten  ständig 
umgab  und  im  Wesen  mit  dem  durch  Pfemysl  Otakar  IL  in 
Österreich  eingeführten  „geschwomen  Rath  der  Landherren"  zu- 
sammenfiel (§27,  8;  §28,  6).  Der  Zusammenhang  zwischen  den 
Kmeten  (das  Wort  hat  noch  heutzutage  im  Czechischen  die 
Hauptbedeutung  , Greis")  und  den  Senioren -- Lehensherren  ist 
ganz  augenfällig.  Sie  wurden  auch  in  lateinischen  Quellen  nicht 
bloß  natu  majores,  sondern  geradezu  seniores  genannt,  und 
wir  dürfen  annehmen,  dass  der  Ausdruck  kmet  dereinst  den 
Lehensherrn  überhaupt  bezeichnete.    Im  Laufe  der  Zeit  gewinnt 


296  Österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Anhang  I. 

er  aber  eine  andere,  technische  Bedeutung,  indem  einige  Kmet^ 
{kmetones)  zu  Landeskmeten,  d.  h.  Landessenioren  in  dem  Sinne 
wurden,  wie  wir  noch  heutzutage  von  einem  „Seniorenconvent* 
reden.  Derartige  Kmeten  begegnen  uns  vom  11.  bis  13.  Jahr- 
hundert als  Mitglieder  der  vornehmsten  Linien  der  »Lechen"  oder 
Herrengeschlechter.  Da  die  großen  Familiengüter  der  Herren- 
geschlechter durch  Jahrhunderte  festen  Bestand  hatten,  so  bildete 
sich  im  Laufe  der  Zeit  die  Übung  aus.  dass  die  Kmetenwürde 
den  vornehmsten  Adelsgeschlechtem  in  den  alten  Stammsitzen 
derselben  zustehe.  Schon  im  13.  Jahrhundert  wird  deren  Zahl 
stetig,  während  sie  für  die  frühere  Zeit  unbestimmbar  ist;  im 
14.  Jahrhundert  gab  es  in  Böhmen  zwölf  Kmeten  nach  den  zwölf 
Landeskreisen. ^°  Gegen  Ausgang  des  14.  Jahrhunderts  scheint 
sich  die  frühere  Bedeutung  des  Kmetenrathes  für  die  Landesver- 
waltung geändert  zu  haben,  da  Kmei  jetzt  nicht  mehr  einen  Be- 
rather des  Landesfürsten,  sondern  die  Abkunft  von  jener  Linie 
eines  Herrengeschlechts  bezeichnet,  welche  die  Kmetenstellung 
im  Kreise  hatte.^^  Damit  stimmt  überein,  dass  bald  darauf 
die  Adelsgeschlechter  namentlich  aufgezählt  werden,  denen  die 
Kmetenwürde  zukam  und  dass  nach  dem  Tobitschauer  Rechts- 
buch  aus  der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  in  Mähren 
der  Landesrath  (rada  zemskä)  vom  Landesfürsten  sowohl  aus  dem 
Herren-  als  aus  dem  Ritterstande  genommen  werden  konnte. 

10.  Ungeachtet  dieser  Veränderung  im  Wesen  des  Landes- 
rathes,  wusste  der  Herrenstand  (in  dem  damals  die  führenden 
national-slavischen  Elemente  verkörpert  waren)  die  durch  die 
Hussitenkriege  gegen  den  deutschen  Bürgerstand  eingeleitete  Be- 
wegung sosehr  zu  seinem  Vortheil  zu  lenken,  dass  ihm  nahezu 
ausschließlich  die  Früchte  zufielen.  ^^  Bei  der  Schwäche  der  landes- 
herrlichen Gewalt  und  der  Ohnmacht  der  übrigen  Stände  ruhte 

10  Vgl.  damit  das  Zugeständnis  Otakar's  II.  an  die  Österreicher  im  Jahre 
1251,  dass  er  einen  Rath  mit  12  Herren  vom  Lande  haben  wolle.  (§  27,  8.) 

i>  So  verstehe  ich  die  bei  Jireöek,  I,  77,  mitgetheilte  Stelle  aus  dem 
Rechtsbuch  des  Andreas  von  Duba,  Art.  60:  »Den  Boschluss  der  Herren  kann 
nur  jener  von  den  Herren  austragen,  welchen  der  Landrichter  dazu  aufruft,  und 
dieser  Herr  muss  ein  Kmet  sein  von  seinen  Vorfahren  her,  und  was  Kmet  ist, 
das  wissen  die  Herren." 

'2  Vgl.  für  das  Nachfolgende  vor  allem  Tomasche k,  Recht  und  Ver- 
fassung von  Mähren.  S.  49  ff. 


Herrenstand  und  Ritterschaft.  297 

fortan  die  Regierung  des  Landes,  die  nun  ein  oligarchisch- 
aristokratisches  Gepräge  bekam,  fast  allein  in  den  Händen  der 
Landherren,  ebenso  der  VoUgenuss  der  Privatrechte,  auch  übten 
sie  jetzt  die  früher  landesherrlichen  Rechte :  Gerichtsbarkeit,  Jagd 
und  Fischerei,  den  Bergbau,  das  Heimfallsrecht  u.  s.  w.  auf  ihren 
Gütern  als  bloßen  Ausfluss  ihrer  Grundherrlichkeit  zu  eigenem 
Rechte  aus. 

Zum  Herrenstande  wurden  nun  diejenigen  Geschlechter  ge- 
zählt, die  von  altersher  (wenigstens  durch  drei  Generationen)  im 
Landtag  gesessen  hatten  und  als  Boten  zur  Landtafel  verwendet 
worden  waren.  In  Mähren  gab  es  nach  der  Vereinbarung  vom 
Jahre  1480,  die  als  Grundgesetz  in  die  Landtafel  eingetragen  wurde, 
nur  15  Familien  des  alten  Herren  Standes.  Neuaufnahmen  konnten 
nur  durch  die  Herren  selbst  erfolgen  und  hatten  u.  a.  das  eidliche 
Gelöbnis  zur  Voraussetzung,  dass  das  neu  erhobene  Geschlecht 
erst  in  dritter  Generation  den  ihm  nach  dem  Alter  gebürenden 
Sitz  und  Rang  unter  den  alten  Geschlechtem  einnehmen  werde.  *** 
Damit  schloss  sich  der  Herrenstand  als  Geburtsstand  gegen  den 
Wladykenstand  in  einer  scharf  gezeichneten  Grenzlinie  ab,  während 
es  bis  dahin  einem  Wladyken  oder  Panoö  möglich  gewesen 
war,  durch  das  Ansehen,  das  ihm  sein  großer  Ginindbesitz  oder 
seine  im  Kriege  oder  bei  Hofe  erworbene  Bedeutung  gab,  that- 
sächlich  als  „Herr*  zu  gelten. 

11.  Neben  den  Herren  wurden  —  wie  schon  erwähnt  —  seit 
ältester  Zeit  Wladj^ken,  nobiles  secundi  ordinis,  als  niederer 
Adel  unterschieden.  Die  Einführung  des  deutschen  Lehenswesens 
in  Böhmen  und  Mähren  in  der  zweiten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts 
hatte  dann  die  Ausbildung  der  Ritterschaft  als  Berufsstandes  un- 
gemein begünstigt.  Obwohl  jedoch  die  wichtigsten  politischen 
Rechte  bis  zum  Schluss  des  Mittelalters  dem  Herrenstande  vor- 
behalten blieben,  so  betrachteten  sich  doch  die  Ritter,  stolz  auf 
die  Ehre  des  Kriegerberufs,  die  sie  mit  dem  Herrenstande  theilten, 
als  eine  dem  Bürger  und  Bauer  übergeordnete  Classe.  Im  15.  Jahr- 
hundert schloss  sich  dann  die  Ritterschaft  (rytierstvo)  als  ein- 
heitlicher Geburtsstand  gegen  die  Nichtadeligen  ab,  was  seinen 
äußerlichen  Ausdruck  darin   fand,  dass  die  bisher  verschiedenen 

^^  Offenbar  das  Vorbild  für  ähnliche  Beschränkungen,  die  im  16.  Jahrb.  in 
den  fdnf  n.-ö.  Landen  nach  Aufstellung  der  Landmannschafts- Matrikeln  vorkommen. 


298  österreichische  Keichsgescfaichte.  1.  Theil.  Anhang  I. 

Titulaturen  einer  einheitlichen  Bezeichnung  Platz  machten.  Ihre 
Stellung  unter  dem  Herrenstande  wird  am  besten  dadurch  ge- 
kennzeichnet, dass  im  Jahre  1492  der  mährischen  Ritterschaft  auf 
den  Hinweis,  dass  sie  an  Geburt  nicht  niedriger  stehe  als  in 
Böhmen,  von  den  Herren  als  Act  der  Gnade  Antheil  an  der 
Besetzung  des  Landrechts  zugestanden  wurde,  so  dass  nunmehr 
zu  den  14  Beisitzern  des  Herrenstandes  noch  sechs  Ritter  hinzu- 
kommen sollten.  Auf  dem  Prager  Landtag  vom  Jahre  1497  hat 
dann  König  Vladislav  II.  ein  für  allemal  den  Stand  bestimmt, 
dem  die  höhern  Landesbeamten  angehören  sollten ;  dass  die  Mehr- 
zahl und  die  wichtigeren  dem  Herrenstande  vorbehalten  wurden, 
ist  nach  dem  Gesagten  leicht  begreiflich. 

12.  Das  deutsche  Bürgei-thum  in  Böhmen  und  Mähren  dankt 
seine  Entstehung  vor  allem  den  böhmischen  Königen  seit  Pf  emysl 
Otakar  L,  die  sich  dadurch  ein  Gegengewicht  gegen  die  auf  Be- 
schränkung der  landesfürstlichen  Macht  gerichteten  Bestrebungen 
der  mächtigen  Adelsgeschlechter  schaffen  wollten.^*  Es  wurden 
nämlich  entweder  Niederlassungen  von  Handwerkern  und  Kauf- 
leuten, die  sich  in  der  Umgebung  landesfürstlicher  Burgen  ge- 
büdet  hatten,  zu  Städten  erhoben,  oder  Städte  an  passenden  Orten 
geradezu  gegründet.  Obwohl  der  Adel  das  Beispiel  der  Könige 
nachahmte  und  namentlich  in  den  Tagen  König  Otakar's  IL  die 
Deutschen  im  wohlverstandenen  Interesse  der  Bewirtschaftung  und 
des  Ertrags  seiner  Besitzungen  begünstigte,  so  überwogen  doch 
lange  die  landesfürstlichen  Städte  die  andern  nicht  bloß  nach 
ihrer  Bedeutung,  sondern  auch  der  Zahl  nach.  In  der  Majestas 
Carolina  werden  für  Böhmen  allein  32  königliche  Städte  (civitates 
regui)  aufgezählt,  trotzdem  namentlich  zur  Zeit  des  Königs  Johann 
von  Luxemburg  viele  Städte  in  den  Besitz  der  Großen  des  Landes 
übergegangen  waren.  Nicht  viel  weniger  gab  es  nach  dem  Testament 
des  Markgrafen  Johann  noch  im  Jahre  1371  in  Mähren.  Bald 
darauf  nahm  aber  deren  Zahl  reißend  ab.  In  Mähren  waren  sie 
bis  zum  Jahre  1413  auf  11,  im  Jahre  1440  auf  8  herabgesunken, 
schließlich  blieben  hier  nur  Olmütz,  Brunn,  Znaim,  Iglau,  Neustadt 
und  Hradisch  als  freie  königliche  Städte  übrig,  während  alle 
andern  sich  schon  im  Besitz  der  Landherren  befanden.    Nur  die 


"  Hanel  in  Grünhut's  Zeitschrift,  XX,  S.  375  flf. 


Stellung  der  Deutschen  in  Böhmen  und  Mähren.  299 

ereteren  behielten  die  ihnen  durch  ihre  alten  Privilegien  ge- 
währte Autonomie;  bei  den  übrigen  hieng  es  thatsächlich  vom 
guten  Willen  ihrer  Grundherren  ab,  welches  Maß  von  Rechten 
sie  ihnen  zugestehen  wollten. 

Die  deutschen  Bürger  bildeten  an  den  Orten  ihrer  Nieder- 
lassungen ursprünglich  besondere,  von  der  übrigen  Bevölkerung 
geschiedene  Gemeinden,  die  nach  eigenem  Rechte  lebten,  doch 
verbreitete  sich  das  deutsche  Recht  auch  über  die  Stadtgebiete 
hinaus  auf  das  flache  Land. 

13.  Es  waren  vor  allem  wirtschaftliche  Rücksichten,  welche 
—  zunächst  die  geistlichen  Grundherren  —  zur  Berufung  deutscher 
Ansiedler  nach  den  waldreichen  Grenzbezirken  von  Böhmen  und 
Mähren  bewogen:  die  deutschen  Einwanderer  rodeten  dort  Wald- 
grund und  verwandelten  den  bisher  ertraglosen  Boden  in  frucht- 
bares Ackerland.  Dadurch  waren  am .  Schlüsse  des  12.  und  zu 
Beginn  des  13.  Jahrhunderts  schon  große  Streifen  dieses  Grenz- 
landes mit  deutschen  Ackerbauern  besetzt,  und  nun  folgten  dem 
von  den  Klöstern  gegebenen  Beispiele  in  der  Besiedlung  wüster 
Landstriche  durch  Deutsche  die  böhmischen  Könige,  die  Markgrafen 
von  Mähren,  sowie  die  slavischen  Großen  des  Landes. 

Auf  die  Verhältnisse  des  Bauernstandes  in  Böhmen  und 
Mähren  hatte  die  Einführung  des  deutschen  Rechts  wichtigen  und 
wohlthuenden  Einfluss.  Man  hat  zwar  die  Sache  umgekehrt  und 
behauptet,  dass  Hörigkeit  und  Leibeigenschaft  in  der  böhmischen 
Ländergruppe  von  Hause  aus  gar  nicht  vorgekommen,  sondern 
erst  mit  den  deutschen  Ansiedlem  eingeschleppt  worden  seien. 
Es  \^airde  also  indirect  den  Deutschen  und  dem  deutschen  Rechte 
die  Schuld  an  den  späteren  beklagenswerten  Zuständen  der  bäuer- 
lichen Bevölkerung  zugeschrieben.  Diese  Ansicht  ist  jetzt  wohl 
allgemein  aufgegeben,  ^^  denn  sie  steht  in  geradem  Gegensatz  zur 
gedrückten  Lage  des  böhmischen  Bauers  im  12./ 13.  Jahrhundert  vor 
Einführung  des  deutschen  Rechts,   welches  den  Zinspflichtigen 


i&  Tomaschek,  a.  a.  0.  54,  Anm.  1.  Während  Macieiowski,  I,  §  70, 
noch  den  Satz  aufstellt,  dass  ßclaverei  den  Slaven  erst  durch  Christen  ge- 
lehrt worden  sei,  gibt  Jire<:^ek  zu  d,  §  18,  U,  §  7),  dass  sie  bei  den  böhmischen 
Slaven  bis  ins  9.  Jahrhundert  zurück  als  Folge  von  Kriegsgefangenschaft,  gericht- 
Ucher  Zuweisung  des  Schuldners,  verbrecherischer  That,  Macht  der  Eltern  über 
ihre  leiblichen  Kinder,  vorkam. 


300  Österreichische  Roichsgoschichte.  I.  Theil.  Anhang  I. 

und  Grundholden  eine  rechtlich  geschlitzte  und  geordnete  Stellung 
gewährte.  In  der  That  kamen  in  Böhmen  und  Mähren  für  die 
Lage  der  bäuerlichen  Bevölkerung  dieselben  wirtschaftlichen  Er- 
wägungen zur  Geltung,  wie  in  anderen  Colonisationsgebieten :  es 
musste  eben  der  fremde  Zuzügler  durch  Vortheile  angelockt  und 
festgehalten  werden,  weil  die  heimischen  Kräfte  nicht  reichten 
(§  34,  9).  An  die  Stelle  eines  ungemessenen,  der  Willkür  des  Grund- 
herrn gänzlich  preisgegebenen  Abhängigkeitsverhältnisses  mit  un- 
geregelten Zinsen  und  Frohndiensten  trat  nun  ein  geordnetes  ver- 
erbliches und  mit  Zustimmung  des  Herrn  verkäufliches  Besitzrecht 
mit  festbestimmten  Leistungen,  das  Burgrecht  (jus  teutonicum, 
j.  civile,  j.  emphyteuticum).  Das  konnte  nicht  ohne  günstige 
Rückwirkung  auch  auf  die  slavischen  Bauern  bleiben.  Aber  schon 
unter  König  Wenzel  IL  begann  der  nationale  Rückschlag  und  die 
Abschließung  des  Adels  gegen  deutschen  Einfluss :  Die  Grundherren 
fiengen  an,  die  Freizügigkeit  der  Bauern  zu  beschränken,  um  die 
Auswanderung  ihrer  fleißigsten  Leute  nach  den  Städten  zu  hindern, 
unterließen  es  aber,  ihre  Hörigen  besser  zu  behandeln. 

14.  In  der  zweiten  Hälfte  des  14.  Jahrhunderts  wurden  unter 
der  bäuerlichen  Bevölkerung  noch  Rustici,  d.  i.  kleine  Grundbe- 
sitzer, die  ein  freies  Eigen  hatten  und  weder  einer  Stadt  schoßten, 
noch  Hofhörige  eines  Grundherrn  waren,  von  den  Emphytexitce, 
die  ihre  Güter  zu  Burgrecht  besaßen,  unterschieden  und  den 
AgricoloB  entgegengesetzt.  Diese  selbst  waren  entweder  censiti, 
d.  h.  solche,  die  von  einer  Herrschaft  Land  gegen  Zinsungen, 
Naturalleistungen  und  Frohndiensten  zu  lebenslänglicher  Benützung 
erhalten  hatten,  ohne  vom  Sterbfall  und  andern  Lasten  der 
Hörigkeit  befreit  zu  sein,  oder  glehce  adscripti^  d.  i.  solche,  welche 
die  Höfe  des  Herrn  bloß  als  sein  Gesinde  in  seinem  Namen 
und  für  seine  Rechnung  ohne  jeden  eigenen  Genuss  bearbeiteten 
und  daher  als  Zubehör  des  Bodens  galten.*®  Im  15.  Jahrhundert 
verschlechterte  sich  als  Nachwirkung  der  Hussitenkriege  die  Stellung 
der  ländlichen  Bevölkerung  ganz  ungemein.  Der  rechtliche  Unter- 
schied zwischen  den  verschiedenen  Classen  der  Zinsigen  er- 
scheint thatsächlich  verwisöht,  auch  des  Burgrechtpflichtigen,  er 


^^  Aufzählung  im  Testamente  des  Markgrafen  Johann  von  Mähren,  das 
Kaiser  Karl  IV.  im  Jahre  1366  bestätigte.  Tomaschek,  a.  a.  0.,  53. 


Gedrückte  Lage  der  Bauern;  Staat  und  Kirche.  301 

mochte  auf  dem  Lande  oder  in  der  Stadt  wohnen,  konnte  sich 
nun  der  Herr  als  seines  eigenen  Mannes  versichern  oder  ihn  wie 
seine  eigenen  Leute  verpfänden,  ihm  Frohndienste  auferlegen  u.  s.  w. 
Die  wirtschaftlichen  Polgen  solcher  Zustände  blieben  nicht  aus: 
Die  maßlose  Ausdehnung  des  Heimfallsrechts,  die  nun  auch 
den  Inhaber  nach  Burgrecht  traf,  falls  er  ohne  Kinder  war  und 
die  Verfügungsfreiheit  nicht  vom  Herrn  erkaufte,  lähmte  das 
Interesse  an  dem  guten  Stande  des  Bodens.  Als  nun  der  Adel 
die  Bebauung  seiner  Gründe  durch  harte  Frohnarbeit  zu  erzwingen 
suchte,  flüchteten  die  Bauern.  So  wurden  die  Dörfer  immer  kleiner 
und  unansehnlicher,  obwohl  sich  die  Haftung  an  der  Scholle  in 
ihrer  ganzen  Strenge  ausbildete  und  die  Entlassung  aus  einer 
Grundherrschaft  in  die  andere  mit  den  größten  Schwierigkeiten 
umgeben  wurde.  Es  bildete  sich  also  unter  der  schwachen  Regierung 
der  Könige  Vladislav  II.  und  Ludwig  jene  Form  der  Leibeigen- 
schaft aus,  welche  im  16.  Jahrhundert  den  ärgsten  Grad  erreichte. 

15.  Auch  der  geistliche  Stand  hatte  durch  die  Hussitenkriege 
eine  bedeutende  Verringerung  seiner  früheren  Bedeutung  erfahren 
und  namentlich  viel  am  Grundbesitze  eingebüßt,  der  theils  von 
den  Großen  in  Besitz  genommen,  theils  von  dem  Könige  ver- 
pfändet worden  war.  Überhaupt  standen  den  Königen  in  Böhmen 
mehr  Rechte  der  Kirche  gegenüber  zu,  als  den  österreichischen 
Herzogen.  Die  Majestas  Carolina  wahrte  den  Königen  das  Ober- 
eigenthum  über  das  Kirchengut,  die  Vladislaische  Landesordnung 
vom  Jahre  1500  verbot  den  Klöstern  und  Geistlichen  die  Ver 
pfändung  oder  Veräußerung  ihrer  Güter  ohne  Vorwissen  des 
Königs.  Nicht  minder  bezeichnend  ist  der  von  König  Johann  im 
Jahre  1330  den  Pragern  ertheilte  Freiheitsbrief,  der,  die  Rechts- 
verweigerung ausgenommen,  jede  Vorladung  eines  Prager  Bürgers 
vor  ein  geistliches  Gericht,  mag  es  sich  nun  um  weltliche  oder 
geistliche  Angelegenheiten  handeln,  schlechtweg  verbot.  ^"^ 

Die  Prager  Bischöfe  wurden  bis  zum  Ende  des  12.  Jahrhunderts 
über  Vorschlag  des  Herzogs  durch  Volk  und  Clerus  gewählt  und 
galten  als  deutsche  Reichsfürsten,  weil  sie  die  Temporalien  aus 
den  Händen  des  Kaisers  empfiengen.  Dies  änderte  sich  im  Jahre 

^^  ÖeiakoYsky  privilegia  civitatnm  Pragensium  (C.  jur.  munic.  I.)  S.  33, 
Nr.  17.  ~  Ober  die  kirchliche  Jurisdiction  in  Böhmen,  s.  0  tt,  Beitr.  zur  Receptions- 
geschichte  des  röm.-canon.  Processes  in  den  böhmischen  Ländern.  1879,  8. 1  ff. 


302  Österreichische  Beichsgeschichte.  I.  Theil.  Anhang  I. 

1197  und  Prag  .wurde  nach  Verlust  der  Reichsunmittelbarkeit 
ein  Landesbisthum.  Im  Jahre  1344  wurde  Böhmen  überdies 
in  kirchlicher  Beziehung  von  Deutschland  gelöst,  indem  Prag 
zum  Erzbisthum  erhoben  wurde  mit  Einräumung  der  Metropolitan- 
rechte über  01m  ütz  und  das  neugegründete  Bisthum  Leitomischl. 

16.  Die  älteste  Verwaltung  von  Böhmen  und  Mähren  beruhte 
auf  der  Eintheilung  des  Landes  in  Bezirke,  die  den  Namen  2upa 
trugen.  Jede  !^upa  hatte  ihre  Burg,  die  der  ständige  Sitz  der 
^upenbehörden,  Zufluchtsstätte  in  Kriegsnöthen,  Sammelplatz  des 
Aufgebots  u.  dgl.  m.  war  und  durch  die  Arbeit  der  Äupenbewohner 
in  gutem  Stand  erhalten  werden  musste.  Auf  diesen  Umstand  ist 
die  Entstehung  gewisser  öffentlicher  Lasten  zurückzuführen,  die 
schon  im  12,  Jahrhundert  nach  Vernichtung  der  Äupenautonomie 
von  den  landesfürstlichen  Beamten  gefordert  wurden,  welche  nun- 
mehr die  Angelegenheiten  dieser  Kreise  verwalteten.^®  Mit  der 
Ausbreitung  des  Lehens-  und  Immunitätswesens  gieng  die  Äupen- 
einrichtung  ganz  zugrunde,  namentlich  seitdem  Pf emysl  Otakar  II. 
ein  oberstes  Landgericht  in  Prag  aufgestellt  hatte,  an  welches  man 
von  den  ^upengerichten  appellieren  konnte,  und  die  Landgerichte 
in  Brunn  und  Olmütz  die  gleiche  Stellung  für  Mähren  erlangt  hatten. 

Der  Landesfürst  übte  die  ihm  zukommende  Verwaltung  theUs 
durch  Hof-,  theils  durch  Landesbeamte  aus.  Unter  ersteren  ragen 
der  Marschall  und  Kämmerer  besonders  hervor,  neben  ihnen  waren 
ferner  der  Hofrichter  und  Kanzler  am  fürstlichen  Hofe  thätig. 
Dagegen  war  der  Landeshauptmann  (capitaneus  terrae)  in  Mähren 
ein  stellvertretender  Beamte  des  Königs  für  das  Land;  gleiches 
gilt  von  den  schon  erwähnten  obristen  Landrichtern,  dem  obristen 
Landschreiber  und  den  mährischen  obersten  Landeskämmerern  zu 
Olmütz  und  Brunn,  deren  Stellen  im  Jahre  1493  vereinigt  wurden. 
Der  Verfügung  vom  Jahre  1497,  durch  welche  ein  für  allemal 
der  Stand  bestimmt  wurde,  welchem  diese  obersten  Landesbeamten 
angehören  mussten,  wurde  schon  oben  (Abschnitt  11)  gedacht. 

17.  Die  Stellung  des  Landesfürsten  in  Böhmen  und  Mähren 
entsprach  im  allgemeinen  jener  der  österreichischen  Herzoge  in 
ihren  Landen  (26,  8),  nur  war  sie  seit  dem  Erlöschen  der  Pfemis- 
liden  einer  beständigen  Abbröckelung  ausgesetzt.  Der  König  war 

18  Jireöek,  I,.  2,  §  5,  S.  12,  macht  36  ^upenborgen  in  Böhmen  and  19  in 
Mähren  namhaft.  Vgl.  anch  d'Blvert,  Verwaltungsgeschichte.  13  ff. 


Die  2upen;  Rechte  des  Königs  und  die  landesförstiiche  Verwaltung.     303 

oberster  Gerichts-  und  Kriegsherr,  besaß  wichtige  Rechte  über  die 
im  Lande  begüterten  Hochstifte  und  Klöster  (Abschnitt  15).  Er 
hatte  femer  freie  Verfügung  über  die  Domänien  und  das  übrige 
Kammergut,  sowie  einträgliche  Regalien.  Außerdem  hatte  er  An- 
spruch auf  mancherlei  Gefälle,  wie  das  Ungeld  in  den  Städten 
und  ein  ausgebildetes  Heimfallsrecht.  Ferner  durfte  er  außer  Stadt- 
steuern, zur  Deckung  der  Auslagen  bei  seiner  Krönung  und  bei 
Verheiratung  seiner  Söhne  und  Töchter  allgemeine  Landessteuern 
{bemä)  ausschreiben,  während  er  in  andern  Fällen  der  Zu- 
stimmung des  Landtags  bedurfte.  Allein  die  königlichen  Güter 
und  Städte  wurden  zumal  im  14.  Jahrhundert  durch  Verpfändung 
und  Nichtwiedereinlösung,  Schenkungen,  AUodialisierung  des  Lehen- 
gutes u.  s.  w.  sehr  vermindert,  und  die  Hussitenkriege  ließen  gar 
nur  wenige  Überbleibsel  zurück,  daher  das  Tobitschauer  Rechts- 
buch (Cap.  28)  von  den  markgräflichen  Schlössern  in  Mähren  wie 
von  einer  verschollenen  Sache  spricht.  Nicht  minder  arg  ergieng 
es  den  übrigen  Einnahmsquellen,  so  dass  die  Könige  Vladislav  IL 
und  Ludwig  in  beständigen  Finanznöthen  waren,  ein  Umstand, 
der  nicht  wenig  zur  Untergrabung  der  königlichen  Macht  beitrug. 
18.  Noch  erübrigen  einige  Worte  über  die  Rechtsquellen  in 
Böhmen,  Mähren  und  Schlesien.  Die  Rechtsentwickelung  in  diesen 
Ländern  bietet  die  EigenthümUchkeit,  dass  das  Stadtrecht  hier 
keineswegs  aus  dem  Stammesrecht  erwachsen  ist  und  daher  nicht 
die  einer  wirtschaftlieh  vorgeschritteneren  Stufe  entsprechende 
Umbildung  des  Landrechts  darstellt,^®  sondern  von  Anbeginn 

^*Literatur-Übersichten:Rößler,  Quelionkunde  der  Rechtsgeschichte 
Böhmens  (Schmidl'sche  Bl.  f.  Lit,  1846,  Nr.  46);  Legis-Glückselig,  Literatur- 
geschichte des  böbm.  Staats-  und  Privatrechts  (Österr.  Zeitschr.  für  Rechts- 
nnd  Staatswissenschaft.  1847,  S.  177,  261  ff);  Tomaschek,  Recht  Mährens.  8  ff; 
Celakoysk>^  Ponäechnö  öeskö  döjiny  prävni.  1892.  S.  6.  —  QuellendesLand- 
rechts:  Jireöek,  Codex  juris  Bohemici  (C.  j.  B.),  unvollendet,  1867  ff;  das 
Tobitschauer  Buch,  Ausgaben  von  Demuth  und  Brandl;  Kniha  Dmovska,  h. 
Brand],  1868;  Reliquise  tabularum  regni  BohemieB  ed.  Emier,  1870;  Landtafol 
der  Markgrafschaft  Mähren,  h.  D emut  h  und  V^ o  1  f  sk r on,  1854 ;  Libri  citationum 
et  sentenclarum  ed.  Brandl,  1872.  —  Als  Hilfswerk :  Brand  1,  Glossarium  illustrans 
bohemico-moravicae  historise  fontes,  1876.  —  Stadtrechte:  Prag:  ÖelakovskJ', 
Codex  jur.  municipalis  regni  Bohemise,  1886 ;  Rößler,  Alt-Prager  Stadtrecht,  1845 ; 
Eger:  Privilegien,  h.  Gradl,  1879;  Stadtgesetze,  h.  Khull,  1881,  G.  Pr.,  s.  auch 
Mayer  F.  M.  im  Archiv,  Bd.  60;  Brunn:  Stadtrechte,  h.  Rößler,  1852; 
Liber  informationum  (Schöffen Weisungen  f.  Hradisch,  heransgeb.  Tkaö,  1882; 


304  Österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Anhang  I. 

in  einem  unversöhnlichen,  weil  nationalen  Oegensatz  zu  diesem 
steht.  Stadt-  und  Landrecht  haben  hier  einen  von  einander  wesent- 
lich verschiedenen  Ursprung,  jedes  wurzelt  in  einer  andern  Volks- 
thümlichkeit,  daher  blieben  auch  beide  Rechtssysteme  von  einander 
für  die  ganze  Zukunft  getrennt,  so  dass  kein  einheitliches  Recht 
für  die  Gesammtbevölkerung  dieser  Länder  entstehen  konnte.  Denn 
es  kam  neben  dem  deutschen  Rechte,  das  für  deutsche  Bürger 
ausschließliehe  Geltung  hatte,  das  auf  slavischer  Grundlage  er- 
wachsene Landrecht  überall  zur  Anwendung,  wo  das  deutsche  Recht 
durch  besondere  landesf üretliche  Verfügung  ausgeschlossen  war. 
Nichtsdestoweniger  sind  Spuren  wechselseitiger  Einwirkung  vor- 
handen, wobei  aber  das  deutsche  Recht  mehr  als  das  Gebende, 
denn  als  das  Empfangende  erscheint.  Gar  bald  und  im  umfassenden 
Maße  wurden  deutschrechtliche  Einrichtungen  im  Landrecht  ein- 
gebürgert, auch  wohl  deutsche  Rechtsbücher  wie  das  sächsische 
WeichbUdrecht  oder  der  s.  g.  Schwabenspiegel  ins  Czechische 
übersetzt  und  in  vielen  Handschriften  verbreitet,  während  um- 
gekehrt Grundsätze  des  slavischen  Landrechts  nur  allmählich  und 
sehr  vereinzelt  den  Weg  in  die  deutschen  Stadt-  und  Dorfrechte 
Böhmens  und  Mährens  fanden.^^ 

^19.  Eine  der  Hauptursachen  der  raschen  Ausbreitung  des 
deutschen  Rechts  bildete  gewiss  die  Bestimmtheit  seiner  Grundsätze, 
die  in  vielen  verhältnismäßig  leicht  zugänglichen  Sammlungen 
niedergelegt  waren.  Um  einem  diesfalls  bestehenden  Mangel  beim 
Landrechte  abzuhelfen  und  das  heimische  Recht  vor  Vergessenheit 
zu  schützen,  verfassten  einzelne  Mitglieder  des  Herren-  und  Ritter- 
standes Rechtsbücher  in  czechischer  Sprache.  Hiehergehören: 
a)  Das  weit  verbreitete  Buch  des  alten  Herrn  Peter  von 
Rosenberg,  das  nach  dem  Muster  eines  italienischen  ordo  judiciarius 
in  den  Jahren  1320  bis  1330  in  36  Capiteln  mit  289  Abschnitten 
verfasst  wurde  (C.  j.  B.  H,  2,  Nr.  7); 

Olmütz:  Bischoff,  Deutsches  Recht  in  Olmütz,  1855;  Stadtbuch  (in  den  S.-B., 
Bd.  85),  Auszüge  daraus  durch  S  a  1  i  g  e  r,  1882 ; /(^tott;  T  0  m  a  8  c  h  e  k,  Deutsches  Recht 

in  Österreich  im  13.  Jahrhundert,  1859,  Schöflfensprtioho,  1868;  s.  auch  d'Blvert, 
Zur  Geschichte  der  kaiserl.  Städte  Mährens,  1860.  —  Bäuerliche  Rechts- 
quellen: Chluraecky,  Dorfweisthümer  aus  Mähren  (Archiv,  Bd.  17);Rößler, 
Zwei  Vorträge,  S.  XXX ;  Kaiser  Karl's  IV.  Weinbau- Statut  für  die  Umgebung 
von  Prag,  1358,  bei  Weingarten,  Fasclculi  diversorum  jurium. 
20  Haue l,  377,  379,  408. 


Quellen  des  Landrechts  in  Böhmen,  Mähren  und  Schlesien.  305 

h)  das  Rechtsbuch  des  Herrn  Andreas  von  Duba.  Der  Ver- 
fasser, der  bis  zum  Jahre  1 394  Oberstlandrichter  von  Böhmen  war, 
führte  sein  Werk  vorerst  bis  Art.  82  und  fügte  später  zwischen 
1402  bis  1410  noch  den  Rest,  Art.  83—122  bei; 

c)  die  neun  Bücher  des  Victorin  von  Vöehrd  vom  böhmischen 
Landrecht  und  der  Landtafel  aus  den  Jahren  1495  bis  1499 
(C.  j.  B.  IIL  3) ; 

d)  für  Mähren  das  Tobitschauer  Rechtsbuch,  das  Herr  Ctibor 
von  Cimburg  während  der  Jahre  1480  bis  1 494  verfasste ;  dasselbe 
begreift  ohne  Systematik  das  ganze  öffentliche  und  Privatrecht 
in  186  Capiteln  und  bildet  die  Grundlage  der  ersten  gedruckten 
Landesordnung  vom  Jahre  1535; 

e)  eine  jüngere  Arbeit  des  Ctibor  von  Drnovitz.  die  um 
1523  begonnen  wurde,  ist  eine  Sammlung  von  alten  mährischen 
Landesgewohnheiten  und  Gerichtsbriefen; 

f)  Ein  ordo  judicii  terrae,  von  einem  Unbekannten  vor  dem 
Jahre  1350  in  lateinischer  Sprache  verfasst  und  bald  darnach  ins 
Czechische  übersetzt.  (C.  j.  B.  II,  2,  Nr.  10.) 

20.  Gesetze  und  Gesetzentwürfe.  Schon  König  Wenzel  II. 
(1283 — 1305)  ließ  durch  den  Romanisten  Gozzius  von  Orvieto  ein 
umfassendes  Gesetz  verfassen,  das  Entwurf  blieb,  weil  es  vom 
Adel  abgelehnt  wurde.  Nicht  besser  ergieng  es  der  Majestas 
Carolina,  die  Kaiser  Karl  IV.  um  1346  ausarbeiten  ließ  und  die 
im  Jahre  1355  von  den  Ständen  verworfen  wurde.  Ihr  Inhalt 
betrifft  vornehmlich  das  Staatsrecht  und  zerfällt  in  127  Rubriken 
mit  Paragraphen-EintheUung.  (C.  j.  B.  II,  2,  Nr.  9.)  Als  in  der  zweiten 
Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  die  königliche  Macht  nahezu  ge- 
brochen war,  drangen  die  Landstände  selbst  auf  Codificierung  des 
Rechts.  Über  Beachluss  des  Landtags  vom  Jahre  1497  arbeiteten 
zwei  Herren  von  Stemberg  und  der  königliche  Procurator,  Wladyk 
Albrecht  Rendl  von  Auscha  den  Entwurf  einer  Landesordnung 
aus,  den  König  Vladislav  IL  im  Jahre  1500  genehmigte  und  der 
als  wichtigste  Ergänzung  im  Jahre  1517  den  s.  Wenzel's  Vertrag 
über  den  Umfang  der  städtischen  Gerichtsbarkeit,  erhielt.  (Gedruckt 
1500  und  C.  j.  B.  IV,  1.  sectio  1.) 

Constitutiones  juris  metallici  König  Wenzel's  IL  vom 
Jahre  1300  für  die  Silbergruben  von  Kuttenberg.  Das  Gesetz  wurde 
mit  Benützung  des  Iglauer  Rechts  wahrscheinlich  durch  Gozzius  von 

L  nie  hin,  österreichiiche  Reichsgeschichte.  20 


306  österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Anhang  I. 

Orvieto  ausgearbeitet  und  nach  dem  Vorbild  der  Institutionen  in 
\aer  Bücher  mit  Capiteleintheilung  zerlegt.  Im  15.  Jahrhundert 
wurde  das  lateinische  Original  ins  Czechische  übersetzt.  (Beide 
Texte  C.  j,  B.  I,  Nr.  102.) 

21.  Landtafeln,  Gerichtsprotokolle  u.  dgl.  Die  ersten 
Anfänge  des  Landtafel-Instituts^  das  in  Anlehnung  an  die  deutsche 
Auflassung  in  der  böhmischen  Ländergruppe  eine  eigenthümliche 
Ausgestaltung  erfuhr,  werden  in  die  Tage  König  Pfemysl  Otakar's  II. 
verlegt.  Erhalten  haben  sich  in  Böhmen  nur  Bruchstücke  aus 
älterer  Zeit  (seit  1287),  da  die  Landtafel  bei  dem  Brande  des 
königlichen  Schlosses  zu  Prag  im  Jahre  1541  verbrannte.  Für 
Mähren  wurden  die  Landtafeln  seit  dem  Jahre  1348  zu  Brunn  und 
Olmütz  geführt  und  sind  von  da  ab  in  ununterbrochener  Reihen- 
folge vorhanden.  Vom  9.  Februar  1359  gibt  es  ein  Organisations- 
gesetz Kaiser  Karl's  IV.  für  die  mährische  Landtafel.  Die  Ein- 
träge in  die  Landtafel  erfolgten  anfänglich  in  lateinischer  Sprache, 
seit  1480  in  Mähren,  seit  1495  in  Böhmen  bis  zum  Jahre  1618 
ausnahmslos  czechisch.  Vom  14.  Jahrhundert  an  sind  die  durch 
Gewohnheit  oder  Präjudizien  für  die  Landtafeln  festgestellten 
Grundsätze  von  Unbekannten  gesammelt  worden  als:  „Nota,  quse 
occurrunt  circa  officium  regni  Bohemise  circa  tabulas"  .  .  .  (C.  j. 
B.  II,  2,  Nr.  11,  14,  15),  femer  in  czechischer  Sprache  Sammlungen 
landrichterlicher  Entscheidungen  u.  dgl.  (C.  j.  B.  III,  2.) 

22.  Die  Stadtrechte  in  Böhmen,  Mähren  und  Schlesien 
haben  sich  größtentheils  auf  Grundlage  des  sächsischen,  insbe- 
sonders  des  magdeburgischen  Rechts  entwickelt,  so  z.  B.  in  Mährisch- 
Neustadt,  Unfeow,  Freudenthal,  Leitmeritz,  Teschen.  Andere,  wie 
das  Recht  von  Eger,  Graslitz,  Karlsbad,  Schlackenwerth,  Falkenau, 
Elbogen,  endlich  auch  das  der  Altstadt  Prag  sind  fränkisch  und 
gehen  auf  das  Nürnberger  Recht  zurück,  noch  andere,  wie  das 
Brünner  und  das  Iglauer,  sind  im  Lande  erwachsen,  verrathen 
aber  verwandtschaftliche  Beziehungen  zu  dem  Wiener  Recht. 
Pfemysl  Otakar  11.,^^  der  große  Förderer  des  Städtewesens,  fasste 


^^  Beneä  Minorita  ad  a.  1272:  ,(rex)  per  totam  quadragesimam  in  castellom 
se  recepit  et  de  jure  Magdebnrgensium  et  aliarum  terrarum  et  regionum  meliora 
quse  sibi  et  suis  fidelibus  videbatur  erigere  et  jus  formare  et  confirmare  in 
regno  suo,  jura  vilia  et  inutilia  amputando,  consuetudines  malas  in  melius  commn- 
tando  (cogitavit),  quod  suis  baronibos  displicuit.*   Gitat  bei  Ott,  163. 


Landtafeln;  Stadtrechte  in  Böhmen,  Mähren  und  Schlesien.  307 

schon  1272  den  Plan  eiiffer  Codificierung  des  Stadtrechts  für  sein 
Reich,  der  jedoch  leider  an  dem  Widerstand  der  Ständeherren 
scheiterte.  Hervorzuheben  sind  im  einzelnen  die  Stadtrechte: 

a)  Iglau.  Auf  dem  der  Stadt  wahrscheinlich  1249  durch 
König  Wenzel  I.  und  Pfemysl  Otakar  IL  verliehenen  Privilegium 
erwuchs  ein  autonom  ausgestaltetes  Recht,  das  in  mehreren 
Fassungen  aus  dem  13.  bis  14.  Jahrhundert  vorliegt  und  die 
Grundlage  der  Stadtrechte  von  Deutschbrod,  Brunn,  Prag  und 
Schemnitz  in  Ungarn  wurde.  Von  der  Thätigkeit  Iglau's  als  Oberhof 
zeugen  die  vielen  Schöflfensp  rüche,  die  sich  erhalten  haben. 

h)  In  Prag  lebte  man  auf  der  Kleinseite  nach  Magdeburger 
Recht,  während  die  Altstadt  ursprünglich  Nürnberger  Recht  er- 
hielt, dasselbe  aber  selbständig  ausgestaltete,  wie  es  mancherlei 
Privataufzeichnungen  des  Altprager  Rechts  aus  dem  13.  bis 
14.  Jahrhundert  darthun.  Später  fand  jedoch  hier  das  Iglauer 
Recht  Eingang. 

c)  Brunn  erhielt  1243  von  König  Wenzel  IL  die  jura  origi- 
nal ia,  ein  umfangreiches  Stadtrecht,  das  vielfach  mit  dem  Wiener 
Recht  übereinstimmt  und  die  G  rundlage  des  Znay mer  Rechts  vom 
Jahre  1314  ist.  Zu  Anfang  des  14.  Jahrhunderts  wurde  jedoch  das 
Iglauer  Recht  materiell  recipiert.  Dazu  kamen  dann  königliche 
Privilegien,  autonome  Satzungen  und  Rechtsbelehrungen  der  Stadt 
als  Oberhof.  Diese  letzteren  verarbeitete  um  1353  der  roraanistisch 
geschulte  Stadtschreiber  Johannes  zum  Brünner  SchöflFenbuch, 
das  später  in  ganz  Böhmen  und  Mähren  verbreitet  war  und 
namentlich  den  Umarbeitungen  des  Prager  Rechts  zugrunde 
gelegt  wurde. 

.  d)  Teschen  und  Troppau  besaßen  mancherlei  landesfürst- 
liche Privilegien,  hielten  sich  aber  im  übrigen  an  das  Magdeburger 
Recht,  das  den  Troppauern  im  Jahre  1301  von  Breslau  aus  rait- 
getheUt  worden  war. 

Abgesehen  von  den  deutschen  Stadtrechten,  gibt  es  auch 
eine  Anzahl  bäuerlicher  Rechtsquellen  gleicher  Herkunft.  Deutsche 
Dorfweisthümer  findet  man  sowohl  in  Böhmen  als  in  Mähren 
und  Schlesien,  sie  hießen  Dreidingsordnungen,  Jahrdingsartikel, 
Rügen.  Als  „Artikel"  kommen  sogar  czechische  Weisthümer  vor. 


on* 


20 


308  österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Anhang  IL 


Anhang  n. 


Geschichte  des  UDgarischeii  Reichs  und  seiner  Staats- 
verfassung bis  zum  Jahre  J526. 

Literatur,  vgL  §  3,  9;  dann:  Endlicher,  Gesetze  des  h.  Stephan.  1849.  — 
Horv&th,  Geschichte  der  Ungarn,  L  —  Huber,  I-  III;  Österr.  Reichsg.  92  ff.  — 
Krajner,  B.  v.,  Die  ursprüngliche  Staatsverfassung  Ungarns.  Wien,  1872.  — 
Krones,  I,  II.  —  Mayer  F.  M.,  Bd.  L  —  Meynert  H.,  Das  Kriegswesen  der 
Ungarn.  1876.  —  Schuler-Libloy,  Siebenbürgische  Rechtsgesciiichte.  1867.  — 
Sz  alay,  Geschichte  Ungarns,  deutsch  von  W  ögerer,  I— III.  —  Anonym:  Das  hist- 
dipL Verhältnis  des  Königreichs  Croatien  zu  der  ung.St.  Stephanskrone.  Agram,  1860. 

1.  Als  die  Magyaren  um  das  Jahr  895  durch  die  Petschenegen 
von  ihren  früheren  Sitzen  am  Dnjepr  abgedrängt,  ihre  Zelte  im 
Tiefland  der  Donau  und  Theiß  aufsehlugen,  waren  sie  kein  ein- 
heitliches Volk,  sondern  eine  lose  Vereinigung  von  sieben  ugrischen 
Horden,  denen  sich  als  achte  der  türkische  Stamm  der  Kabaren 
angeschlossen  hatte.  Erst  nach  dem  Zusammenbruch  des  groß- 
mährischen Reiches  (um  905/6)  und  der  Niederlage  der  Bayern 
am  Inn  (907)  entschieden  sie  sich  zu  dauernder  Niederlassung  im 
alten  Pannonien,  von  wo  aus  sie  nach  Süden,  Westen  und  Norden 
plündernd  auszogen,  bis  sie  durch  die  Niederlage  am  Lech  955 
bleibend  zurückgeworfen  wurden.  Geordnetere  Zustände  begannen 
in  Ungarn  erst  gegen  Ende  des  10.  Jahrhunderts,  als  der  im  Jahre 
995  auf  den  Namen  Stephan  getaufte  Sohn  des  Großherzogs  Geisa 
zur  Herrschaft  gelangte  und  im  Jahre  1000  aus  den  Händen  des 
Papstes  die  Königskrone  erhielt.  Bald  darauf  (1003)  vernichtete 
Stephan  die  letzten  nationalen  Fürstenthümer  des  Gylas  Procui 
und  des  Achtum,  Fürsten  von  Csanad,  und  dehnte  dadurch  seine 
Macht  über  den  Südosten  Ungarns  bis  nach  Siebenbürgen  aus. 

In  den  Thronwirren  nach  seinem  Tode  begründete  Kaiser 
Heinrich  III.  die  Lehensoberherrlichkeit  des  Reiches  über  Ungarn, 
die  sich  jedoch  nicht  erhielt.^  Schon  unter  König  Ladislaus  L 
(1077 — 1095)  wurde  Croatien   mit  Slavonien,  unter  dessen  Nach- 

1  Noch  weniger  wirksam  war  der  Lehenseid,  den  König  Bela  IV.  im  Jahre 
1241  dem  Kaiser  Friedrich  II.  durch  den  Bischof  von  Waitzen  leistete,  um  Hilfe 
gegen  die  Mongolen  zu  erlangen. 


Ungarn  vor  dem  Jahre  1528:  geschichtlicher  Überblick.  309- 

folger  Coloman  auch  ein  Theil  von  Dalmatien  von  den  Ungarn 
erobert.  Unter  Bela  II.  (1131—41)  erscheinen  dann  der  Nordwesten 
der  heutigen  Herzegovina  als  Königreich  Rama  und  Bosnien  unter 
der  Oberherrschaft  der  ungarischen  Könige,  die  sich  überdies  1202 
die  Titel  von  Serbien,  1206  von  Galizien  und  Lodomerien,  endlich 
unter  Bela  IV.  und  Stephan  V.  (1235—70, 1272)  auch  von  Kumanien 
und  Bulgarien  beilegten.  Wirkliche  Herrscherrechte  standen  jedoch 
den  Arpäden,  als  sie  im  Jahre  1301  erloschen,  nur  in  Ungarn, 
Siebenbürgen,  Croatien,  Slavonien  und  in  Theilen  von  Dalmatien, 
Serbien  und  der  Wallachei  zu.  In  diesem  Umfang  wurden  sie 
auch  von  König  Karll.  (1301 — 42),  mit  welchem  das  Haus  Anjou 
in  Ungarn  zur  Herrschaft  gelangte,  behauptet. 

Karl's  I.,  Sohn  und  Nachfolger  Ludwig  I.  der  Große  (1342—82), 
seit  1370  überdies  König  von  Polen,  wusste  seine  Herrschaft  über 
manche  Lande  auszudehnen,  die  bisher  nur  dem  Titel  nach  zu 
Ungarn  gehört  hatten.  Nach  seinem  Tode  trat  indessen  ein  all- 
gemeiner Verfall  ein.  Sein  Schwiegersohn  Sigismund  büßte  im 
Kriege  mit  Venedig  1420  fast  ganz  Dalmatien  ein  und  verpfändete 
in  seiner  Geldnoth  dreizehn  von  den  24  Zipserstädten  an  Polen. 
Noch  verhängnisvoller  gestalteten  sich  aber  die  Kriege  mit  den 
nach  Europa  vordringenden  Türken,  die  seit  der  Niederlage  bei 
Nicopolis  (1396)  weder  Sigismund  selbst,  noch  seine  Nachfolger 
zurückzuweisen  vermochten.  Im  Jahre  1439  gieng  Serbien,  1463 
Bosnien,  bald  darauf  auch  die  Herzegovina  an  die  Türken  ver- 
loren, die  im  Jahre  1521  Sabac  und  Belgrad,  die  letzten  Stütz- 
punkte der  Ungarn  auf  dem  serbischen  Ufer  eroberten.  Nach  dem 
Tode  König  Ludwig's  IL  aus  dem  Hause  der  Jagelionen,  der  am 
29.  August  1 526  bei  Mohacs  in  der  Schlacht  gegen  die  Türken  zu 
Grunde  gieng,  gelangte  Ungarn  an  das  Haus  Habsburg. 

2.  Die  Magyaren  lebten  anfänglich  unter  der  Oberherrlichkeit 
der  Chasaren  in  einfacher  Geschlechterverfassung:  jede  der  acht 
Horden  zerfiel  in  eine  Anzahl  Geschlechter  (deren  es  im  ganzen 
108  gegeben  haben  soll),  war  von  den  andern  räumlich  getrennt 
und  stand  unter  ihrem  eigenen  Führer.  Die  Wahl  Arpäds  zum  Groß- 
herzog änderte  an  diesen  Verhältnissen  nur  soviel,  dass  fortan  ein 
gemeinsamer  Oberbefehlshaber  für  den  Kriegsfall  vorhanden  war. 
Diese  Würde  war  an  Arpads  Geschlecht  gebunden  und  scheint 
jeweilig  durch  Wahl  verliehen  worden  zu  sein. 


310  Österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Anhang  II. 

Die  Umstände,  unter  denen  König  Stephan  die  Krone  erhielt 
und  seine  Macht  befestigte,  wurden  auch  für  die  Thronfolge  und 
deren  Ordnung  entscheidend.  Das  Königthum  war  nun  im  Ge- 
schlechte Arpäds  erblich  und  gebürte  dem  Mannesstamme,  solange 
derselbe  bestand.  Dem  Könige  folgte  immer  der  älteste  Sohn,  in 
Ermanglung  männlicher  Nachkommen  der  ältere  Bruder  des  Königs, 
thatsächliche  Störungen  dieser  Erbfolgeordnung  begründeten  kein 
Recht.  Nach  dem  Erlöschen  des  männlichen  Stammes  (1301) 
kamen  die  Abkömmlinge  der  weiblichen  Linie  zur  Herrschaft, 
wobei  nach  dem  Ausspruch  des  Papstes  die  Gradesnähe  für 
Karl  Robert  von  Anjou  gegen  König  Wenzel  IL  von  Böhmen 
entschied.  So  war  also  Ungarn  bis  zum  Erlöschen  der  Anjou  ein 
Erbreich  und  folgte  noch  1382  die  Tochter  Ludwig's  des  Großen, 
die  Königin  Maria  ihrem  Vater  als  Erbin  in  der  Herrschaft. 

3.  Dies  Erbrecht  bewirkte  jedoch  für  sich  allein  noch 
nicht  den  Übergang  der  königlichen  Machtvollkommenheit  auf 
den  berechtigten  Thronanwärter.  Damit  solches  eintrete,  war 
überdies  die  Anerkennung  des  Erbberechtigten  durch  Adel  und 
Geistlichkeit  und  der  feierliche  Krönungsact  nöthig,  der  u.  a. 
den  Eid  des  neuen  Königs:  das  Reich  zu  mehren  und  nicht  zu 
mindern  und  bei  den  hergebrachten  Freiheiten  zu  erhalten,  ein- 
schloss.  Solche  Einschränkungen  begünstigten  die  Anschauung, 
dass  die  Mitwirkung  der  Großen  des  Reiches  und  die  Krönung 
bei  einem  Thronwechsel  die  Hauptsache  seien,  und  bereiteten 
der  Partei  die  Wege,  die  Ungarn  zu  einem  Wahlreich  machen 
wollte.  Dieselbe  trat  mit  ihren  Ansprüchen  schon  1308  hervor, 
als  es  sich  um  die  Anerkennung  der  Anjou  handelte;  sie  be- 
ruhigte sich  aber  bei  der  Erklärung  des  päpstlichen  Legaten, 
dass  er  Karl  Robert,  dem  die  Krone  kraft  seiner  Abstammung 
rechtmäßig  gebüre,  nur  auf  Bitten  und  mit  ausdrücklicher  Zu- 
stimmung der  Prälaten,  Barone  und  Edeln  als  König  bestätigt 
habe.  Die  Wirren,  die  nach  der  Thronbesteigung  der  Königin 
Maria  ausbrachen,  und  der  Umstand,  dass  sie  im  Jahre  1386 
sogar  in  die  Gefangenschaft  der  Aufständischen  gerieth,  bewogen 
die  ungarischen  Stände  im  Jahre  1387,  dem  Rathe  des  veneziani- 
schen Gesandten  Barbo  zu  folgen  und  deren  Gemahl,  den  Luxem- 
burger Sigismund,  Markgrafen  von  Brandenburg,  zu  ihrem  König 
zu  w^ählen.    So  herrschte  also,  als  Maria  im  Jahre  1395  kinder- 


Umbildung  des  Erbreiches  Ungarn  in  ein  Wahlreich.  311 

los  starb,  ein  Wahlkönig  über  Ungarn,  dem  es  gelang,  sich  so- 
wohl gegen  die  Erbanspriiche  seiner  Schwägerin  Hedwig,  als  der 
neapolitanischen  Anjou  zu  behaupten.  Da  ihjn  aber  auch  in  zweiter 
Ehe  ein  männlicher  Erbe  versagt  war,  so  blieb  ihm  nur  der 
Weg  des  Übereinkommens  mit  den  Großen  übrig,  um  für  die 
Nachfolge  vorzusorgen.  Auf  dem  Reichstag  zu  Pressburg  erlangte 
er  1402  eine  von  110  geistlichen  und  weltlichen  Herren  und  den 
Abgeordneten  der  Städte  Pressburg  und  Ödenburg  im  Namen  der 
übrigen  Städte  ausgestellte  Erklärung,  dass  sie,  im  Falle  Sigismund 
ohne  männliche  Erben  sterben  würde,  den  Herzog  Albrecht  IV. 
von  Österreich,  dem  er  sein  Reich  schenke,  als  ihren  König  an- 
nehmen und  krönen  würden,  und  1410  die  Anerkennung  des 
Erbrechts  seiner  Tochter  Elisabeth,  die  er  1421  dem  Herzog 
Albrecht  V.  von  Österreich  vermählte. 

4.  Durch  diese  Erklärungen  wurde  der  Einfluss  der  Stände 
auf  die  Thronbesetzung  in  erste  Linie  gerückt,  und  die  nationale 
Partei  säumte  nun  nicht,  sich  Wahlfreiheit  beizulegen.  Wohl 
leisteten  diesem  Bestreben  die  Anhänger  des  Erblichkeits-Grund- 
satzes Widerstand,  allein  ihren  Bemühungen  war  der  Umstand 
entgegen,  dass  die  folgenden  Könige  keine  Dynastie  begründen 
konnten,  weU  ihre  Nachkommenschaft  vorzeitig  erlosch.  So  wurde 
nach  Sigismund's  Tode  (1437)  zwar  das  Erbrecht  seiner  Tochter 
Elisabeth  anerkannt  und  deren  Mann,  Herzog  Albrecht  V.  von 
Österreich,  zum  König  erkoren,  nach  dessen  Tode  aber,  wie 
es  hieß  der  Türkengefahr  wegen,  weder  auf  Elisabeth  noch  auf 
deren  —  nachgeborenen  —  Sohn  Ladislaus  Rücksicht  genommen, 
sondern  Prinz  Vladislav  von  Polen  zum  König  gewählt.  Als  dieser 
nach  wenigen  Jahren  im  Kampfe  gegen  die  Türken  fiel,  erinnerte 
man  sich  zwar  der  Rechte  des  Erben  aus  dem  habsburgischen 
Hause;  da  indessen  König  Ladislaus  Posthumus  im  Jahre  1457  un- 
vermählt starb,  so  bot  dies  Gelegenheit  zur  Erhebung  des  Mathias 
Corvinus,  der  als  Sohn  des  früheren  Reichsverwesers  Johann 
Huniady  sich  im  Lande  sehr  verbreiteter  Beliebtheit  erfreute. 

Kaiser  Friedrich  III.,  für  den  als  Verwandten  des  verstorbenen 
Königs  Ladislaus  sich  ein  Theil  der  Reichsstände  erklärt  hatte, 
vermochte  sich  gegen  seinen  Gegner  nicht  zu  behaupten,  erhielt 
jedoch  durch  den  Ödenburger  Friedensschluss  den  Anspruch  der 
Habsburger  auf  Ungarn,  sofern  König  Mathias  ohne  rechtmäßige 


312  Österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Anhang  II. 

Erben  sterben  sollte,  aufrecht.  Ungeachtet  diese  Friedensbedin- 
gungen  im  Jahre  1463  die  Zustimmung  des  ungarischen  Reichs- 
tags gefunden  hatten,  nahm  die  nationale  Partei  nach  dem  Tode  des 
Königs  Mathias  (1490)  für  sich  das  Recht  der  freien  Wahl  in  An- 
spruch und  wollte  von  des  Kaisers  Sohne,  Maximilian,  eben  aus  dem 
Grunde  nichts  wissen,  weil  er  die  Krone  „als  Gerechtigkeit"  forderte. 

So  kamen  die  Jagelionen  ein  zweitesmal  durch  Wahl  auf  den 
ungarischen  Thron.  König  Maximilian  musste  sich  im  Pressburger 
Frieden  (7.  November  1491)  mit  einer  abermaligen  Anerkennung 
der  habs burgischen  Ansprüche  nach  dem  Aussterben  des  neuen 
Herrscherhauses  begnügen,  wusste  sie  aber  durch  die  Anknüpfung 
naher  Familienbeziehungen  erheblich  zu  verstärken.  (§  38,  3.) 

5.  Das  über  die  Thronfolge  Gesagte  erklärt  auch  die  Wand- . 
lungen,  die  der  Umfang  der  königlichen  Gewalt  im  Laufe  der 
Zeit  erfuhr.  Solange  der  Grundsatz  der  Erblichkeit  vorwaltete, 
stand  den  Königen  die  Majestcts,  die  plenitudo  Regice  potestatis 
nicht  bloß  als  leerer  Titel  zu,  und  die  Antastung  derselben  wurde 
1330  als  detestahile  crimen  Icesce  Majestatis  geahndet.  Das  den 
fränkischen  Königen  zugeschriebene,  doch  bestrittene  Bodenregal 
haben  die  Arpäden  thatsächlich  gehandhabt.  Sie  waren  Obereigen- 
thümer  alles  Bodens,  der  nach  der  ursprünglichen  Landnahme 
übrig  geblieben  war,  so  dass  aller  spätere  Grunderwerb  aus  der 
Verleihung  öffentlicher  Ländereien  hervorgieng  und  mit  gewissen 
Leistungen  belastet  war.  Außerdem  hat  König  Stephan  I.  auch 
über  das  Niederlassungsland  (descensus,  szäläs)  oberherrliche  Rechte 
geltend  gemacht  und  aus  königlicher  Machtvollkommenheit  zu 
Gunsten  der  Inhaber  solcher  Güter  die  Beschränkungen  aufgehoben, 
die  der  Gemeinbesitz  der  Geschlechtsgenossen  der  freien  Veräußerung 
bereitete.*  Der  König  hatte  ferner  die  oberste  richterliche  Gewalt, 
w-ar  oberster  Kriegsherr  und  verfügte  frei  über  das  königliche 
Gut  sowie  über  die  Einkünfte  aus  den  ordentlichen  öffentlichen  Ab- 
gaben, welchen  wir  unter  dem  Namen  der  liberi  denarii,  tributa, 
lucrum  camerse  u.  dgl.  begegnen,  wobei  es  jedoch  oft  genug  vor- 
kam, dass  sowohl  eigene,  als  Verfügungen  der  Vorgänger  hinter- 
her widerrufen  wurden.  Leider  sank  jedoch  die  königliche  Macht 
ungeachtet  der  Bemühungen  einzelner  kraftvoller  Regenten  seit 


2  Belege  bei  Endlicher,  S.  130  ff.  —  Krajner,  464  ff. 


Die  Stellung  des  Königs  in  Ungarn.  Das  „Consilium  regni".  313 

dem  Erlöschen  der  Anjou  unaufhörlich,  his  sie  während  der,  wie 
ein  ungarischer  Geschichtsschreiber  sagt,  in  jeder  Beziehung  schäd- 
lichen Regierung  der  Jagelionen  ihren  tiefsten  Stand  eireichte. 
Da  wurde  der  Glanz  des  Königthums  verdunkelt,  sein  Ansehen 
zu  Boden  getreten,  seine  Kraft  zugleich  mit  seinen  Einkünften 
verschwendet.  In  alle  Zweige  der  Verwaltung  nisteten  sich  Ver- 
wirrung, Betrügerei  und  Pflichtvergessenheit  ein." 

6.  Die  Macht  der  Könige  in  Ungarn  war  niemals  unbe- 
schränkt. Abgesehen  von  gewissen  Verpflichtungen,  die  durch 
die  Entgegennahme  der  Königskrone  aus  den  Händen  des  Papstes 
begründet  waren  und  beim  Regierungsantritt  beschworen  werden 
mussten,  findet  sich,  dass  die  Könige  seit  je  ihre  Entschließungen 
nach  Berathung  mit  den  geistlichen  und  weltlichen  Großen  gefasst 
haben.  Wieweit  der  Einfluss  dieser  Personen  auf  die  Regierungs- 
acte  des  Königs  von  rechtswegen  bestand,  wieweit  er  thatsächlich 
reichte,  das  lässt  sich  für  die  älteste  Zeit  nicht  bestimmen.  Die 
goldene  Bulle  vom  Jahre  1222  setzt  das  Bestehen  eines  consilium 
regni  voraus  (Art.  II)  und  weist  den  König  an  dasselbe,  im  Falle 
er  ein  hohes  Amt  einem  Ausländer  übertragen  wollte.  Gleich- 
zeitig wurden  in  diesem  Reichsgrundgesetz,  das  auf  die  von 
König  Stephan  dem  Heiligen  verliehenen  Freiheiten  Bezug  nimmt 
(libertas  a  sancto  Rege  concessa),  Bestimmungen  mancherlei  Art 
über  den  Umfang  der  Heeres-  und  Abgabenpflicht  getroffen,  ferner 
die  Amtsbefugnisse  der  wichtigsten  Beamten  geregelt,  die  Send- 
gerichte eingeschränkt,  zugesichert,  dass  niemand  ohne  vorher- 
gehende Vorladung  verurtheilt  werden  dürfe  u.  s.  w.  Den  Schluss 
bildet  die  berüchtigte  Widerstandsklausel,  welche  den  Verletzten 
Selbsthilfe  sine  nota  alicuius  infidelitatis  gestattete,  jedoch  in 
die  Neuausfertigung  der  goldenen  Bulle  nicht  übergieng,  die  König 
Andreas  II.  1231  mit  einigen  Abänderungen  der  früheren  ausstellte.* 

Zur  Beobachtung  dieser  verfassungsmäßigen  Schranken  ver- 
pflichtete den  König  der  Krönungseid,  über  dessen  Inhalt  wir 
Nachrichten  haben,  die  bis  in  das  Jahr  1205  zurückreichen.^ 

7.  Das  consilium  regni,  das  nach  der  goldenen  Bulle  einen 


a  Horv&th,  I,  497. 

*  Über  das  Verhältnis  der  beiden  Ausfertigungen  der  goldenen  Bulle  von 
1222  und  1231  zu  einander  vgl.  Krajner,  604,  und  Anm.  zu  §  23  auf  S.  656  ff. 

*  Krajner,  471. 


314  österreichische  Roichsgeschichte.  I.  Theil.  Anhang  IL 

verfassungsmäßigen  Einfluss  auf  gewisse  Regierungsacte  des 
Königs  zu  üben  berufen  war  und  später  das  juratura  consilium, 
auch  wohl  senatus  regalis  hieß,  entspricht  im  Wirkungskreise 
dem  geschwornen  Rath  der  Landherren  in  Österreich,  der  Landes- 
kmeten  in  Böhmen  (§  27,  8,  §  28,  6,  Anhang  I,  9),  unterscheidet 
sich  aber  in  der  Zusammensetzung,  da  nicht  nur  die  Landherren, 
sondern  auch  die  hohe  Geistlichkeit  darin  vertreten  waren.*  Es 
wiederholt  sich  demnach  in  Ungarn,  was  schon  für  Österreich 
und  Böhmen  nachgewiesen  wurde,  dass  ursprünglich  nur  der 
Großgrundbesitz  als  politischer  Factor  in  Betracht  kam.  Land- 
Er  wusste  sogar  hier  seine  Macht  über  das  Maß  der  böhmischen 
herren  zu  steigern,  so  dass  Ungarn  mit  seinen  Nebenländem  im 
15.  Jahrhundert  geradezu  der  Oligarchie  einiger  hervorragen- 
der Geschlechter  ausgeliefert  war.^  Eine  Änderung  in  der  Zu- 
sammensetzung des  Reichsraths  trat  erst  1500  ein,  als  er  mit  dem 
königlichen  Hofgerichte  verbunden  wurde,  in  welches  4  Prälaten, 
4  Barone  und  16  Adelige  durch  König  und  Reichstag  entsandt 
wurden,  die  von  beiden  in  Eid  genommen  waren.  Die  Gewählten 
sollten  rechtsverständig  (jurisperiti)  sein  und  je  12  derselben  durch 
ein  halbes  Jahr  das  consilium  regni  bilden,  doch  blieb  die  Zu- 
ziehung noch  anderer  Prälaten  und  Barone  in  den  Reichsrath  auch 
fernerhin  more  alias  consueto  gestattet.® 

8.  Die  Land-  oder  Reichstage  sind  in  Ungarn  ebenso  wie 
in  Österreich  und  Böhmen  eine  spätere  Erscheinung  des  ständi- 
schen Lebens,  die  sich  erst  zeigt,  seitdem  andere  gesellschaftliche 
Classen  neben  dem  Großgrundbesitze  zu  einer  gewissen  Bedeutung 
gelangt  sind.  Die  Erzählung  des  Anonymus  Belos  von  dem  Land- 
tag zu  Arpäd's  Zeiten  hat  Krajner  (S,  585  flf)  mit  Recht  ins 
Gebiet  der  Fabel  verwiesen.  Ebensowenig  lässt  sich  Art.  1  der 
goldenen  Bulle  als  Zeugnis  für  die  frühe  Existenz  und  die  regel- 

^1351 de  consilio  nostrorum  fldelium  ecclesiasticorum  et  secularinm 

principum  ac  baronnm  nostri  juratl  consilü."  —  Krajner,  468. 

"^  Horväth  kennzeichnet  die  Regierung  der  JageUonen  durch  die  Über- 
schrift :  Zeitraum  der  Gefahr,  in  welcher  die  Nation  durch  den  slavischen  Einfluss 
und  durch  die  oligarchische  Zügellosigkeit  schwebte.  1,396.  —  Sz  al  ay,  II,  499,  über 
die  Oligarchie  zu  Zeiten  Sigismund's  und  der  Ausspruch  des  Verancsics  a.  a.  0.  III, 
2,  S.  15.  Materialien  bietet  das  Schriftchen  von  Franz  Neuwirth:  Mehrhundert- 
jähriger Kampf  der  Adelsaristoicratie  gegen  das  Königthum  u.  s.  w.  Augsburg,  1857. 

8  Decr.  297,  Art.  X. 


Wirkungskreis  des  „consilium  regni'';  die  Landtage.  315 

mäßige  Wiederkehr  ungarischer  Reichstage  verwerten,  da  in 
demselben  nur  von  der  Abhaltung  eines  „Hoftages*  zu  Stuhl- 
weißenburg an  jedem  Stephansfeste  die  Rede  ist,  bei  welchem 
sich  jeder  Vasall  einfinden  dürfe,  um  seine  Angelegenheiten  vor 
dem  König  oder  dem  Palatin  als  dessen  Stellvertreter  vorzubringen 
(die  später  s.  g.  solennia  albensia).  Es  gab  also  im  13.  und  auch 
noch  im  14.  Jahrhundert  keine  Verpflichtung,  die  dem  König  die 
Abhaltung  von  Landtagen  auferlegt  hätte.  König  Ludwig  der  Große, 
den  man  als  den  größten  König  Ungarns  bezeichnet,  hat  während 
seiner  40jährigen  Regierung  nur  einmal,  im  Jahre  1351,  einen 
Landtag  gehalten  und  die  wichtigsten  Angelegenheiten  des  Reiches 
nur  mit  Zuziehung  seines  juratum  consilium  entschieden.  Nur 
wenn  das  Land  am  Rande  des  Abgrundes  war,  kam  es  damals 
zur  Abhaltung  eines  Landtages.  „Je  schlechter  die  Zeiten  waren, 
desto  mehr  Landtage  finden  wir,  die  aber  die  Zustände  nicht 
änderten",  wie  Krajner  (S.  595)  bemerkt.  Erst  im  Jahre  1471  ver- 
pflichtete sich  König  Mathias,  fortan,  so  oft  esNothseinwürde, 
einen  Reichstag  um  den  Himmelfahrtstag  nach  Rath  seiner  geist- 
lichen und  weltlichen  Großen  auszuschreiben  und  1498  wurde  dem 
König  Vladislav  die  jährliche  Abhaltung  eines  allgemeinen  Reichs- 
tags um  den  St.  Georgstag  (24.  April)  auf  dem  Felde  Rakos  durch 
vier  Jahre  und  später  jedes  dritte  Jahr,  zur  Pflicht  gemacht.' 

9.  Mitglieder  dieser  allgemeinen  Ständeversammlungen  (con- 
gregatio  generalis,  seit  1486  auch  dieta  genannt^®  waren  vorerst 
nur  die  Geistlichkeit  und  der  bessere  Adel,  Unadelige  und  wohl 
auch  der  Comitatsadel  blieben  lange  davon  ausgeschlossen.  Erst 
König  Sigismund  hat  im  Jahre  1405  die  Städte,^^  um  sie  als  Gegen- 


^  Decr.  271.  Das  Versprechen  des  Königs  Mathias  vom  Jahre  1471  lautete: 
,Quod  singulis  annis  circa  festum  ascensionis  domini  de  consilio  prselatorum 
etbaronum  nostrorum  edicamus  generalem  conventum  omnibus  regnicolis  nostris 
et  hoc  si  exigit  necessitas."  —  Decr.  150. 

*^  Die  Ausdrücke  wechseln :  1405  prEelatorum  ac  baronum  et  regni  nostri 
procerum ;  baronum,  procerura,  nobilium ;  preelati,  magnates,  proceresque  et  nobiles 
regni  nostri.  Decr.  73,  75,  77 ;  im  selben  Jahre  aber  auch:  convocatis  omnibus  regni 
nostri  comitatibus  ac  districtibus  civitatum,  oppidorum  et  liberarum  villarum  .  .  . 
de  prselatorum  baronum  et  potiorum  regni  nostri  procerum  ipsorum  etiam  lega- 
torum  consilio.  Decr.  81. 

11  Vereinzelt  wurden  Städte  schon  früher  (1397, 1402)  zum  Reichstag  geladen. 
8  zalay,  II,  364,  A.  3;  378,  A.  2;  498 ff.  Ein  Städtebund  vom  Jahre  1381  a.  a.  0. 316. 


316  österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Anhang  II. 

gewicht  gegen  die  Oligarchie  des  hohen  Adels  zu  benützen,  in  den 
Reichstag  bleibend  aufgenommen,  und  seit  dieser  Zeit  werden 
auch  die  Abgeordneten  der  Comitate  ausdrücklich  genannt. 

Früher  als  in  andern  Landen  scheint  in  Ungarn  die  Scheidung 
der  Reichsversammlung  in  zwei  abgesondert  verhandelnde  Körper- 
schaften aufgekommen  zu  sein,  denn  auf  der  allgemeinen  Ver- 
sammlung, die  König  Andreas  IIL  1298  in  größter  Landesnoth  berief, 
beschlossen  prout  moris  est  die  Geistlichkeit  nee  non  et  nohiles  huius 
regni  exclusis  qxiibuscunque  baronibus.  Der  Einfluss  der  geist- 
lichen und  weltlichen  StändeheiTen,  welcher  im  consilium  regni 
fortdauernd  sein  eigenes  Organ  besaß,  hat,  als  die  Bedeutung  der 
allgemeinen  Reichsversammlungen  anwuchs,  seit  dem  Jahre  1500 
nothwendig  auf  die  Ausbildung  des  Zweikammersj^stems  in  Ungarn 
hinarbeiten  müssen. 

10.  Ein  klares  BUd  von  den  gesellschaftlichen  Ständen  in 
Ungarn  zu  gewinnen,  ist  mit  Schwierigkeiten  verbunden,  zu  welchen 
die  mannigfache  Verwendung  des  Ausdruckes  lobbagio  nicht  wenig 
beiträgt.  ^2  Die  ursprüngliche  Bedeutung  scheint  zu  melior  natu 
zu  stimmen,  man  pflegte  aber  mit  iobbagiones  überhaupt  die  in 
einer  Classe  oder  Stellung  Hervorragenderen  zu  bezeichnen. 
Darum  heißen  die  Erzbischöfe,  Bischöfe  und  die  höchsten  Staats- 
und Hofbeamten  des  Königs  iobbagiones^  aber  mit  dem  Zusatz 
regni.  Es  gab  ferner  iobbagiones  castri,  ecclesice,  udvomicorum^ 
tavemicorum  u.  s.  w.  bis  herunter  zu  den  freien  Bauern  eines 
Herrn,  im  Gegensatz  zu  den  unfreien  Leuten  desselben. 

Unadelige  Freie  gab  es  in  Ungarn  seit  der  Gründung  des 
Königreichs.  Solch  einen  Freien  durfte  kein  Herr  als  seinen  eigenen 
Mann  in  Anspruch  nehmen,  so  dass  er  nach  seinem  Belieben  bleiben 
oder  gehen  konnte,  wo  und  wohin  er  wollte.  Unbeschadet  seiner 
Freiheit  mochte  der  Freie  auch  Dienste  nehmen;  am  ehrendsten 
waren  Kriegs-  und  Hofdienste  (iobbagianes  nobiles),  tiefer  standen 
die  zur  Zinszahlung  Vei-pflichteten,  am  tiefsten  jene  Freien,  die 
knechtische  Dienste  und  Verrichtungen  übernommen  hatten.  Die 
beiden  letzteren  wurden  als  iobbagiones  conditiorarii  bezeichnet. 

11.  Über  den  Adel,  den  die  Ungarn  zur  Zeit  besaßen,  als 
sie  noch  unter  Herzogen  standen,  mangeln  nähere  Nachrichten. 

^^  Ich  folge  hier  hauptsächlich  den  Ausführungen  Krajner*s,  8. 163,  176, 
225,  259,  317  ff.,  vgl.  aber  auch  Bndlicher,  S.  60 ff. 


Ausbildung  des  Zweikaramersystems;  Stftndeverhältnisse.  317 

Seit  König  Stephan  durch  seine  Gesetze  die  Verhältnisse  in  seinem 
Reiche  neu  ordnete,  gab  es  nur  einen  Dienstadel,  so  zwar,  dass 
der  Ausdruck  Serviens  zur  technischen  Bezeichnung  des  Edel- 
manns wurde.  Der  König  galt,  wie  schon  benierkt  (Abschnitt  5), 
als  Eigenthümer  alles  nicht  verliehenen  Landes  und  gewährte 
den  Adel  durch  Überweisung  eines  Grundes  nach  adeligem  Rechte, 
oder,  wenn  ein  Unadeliger  einen  Grund  schon  besaß,  dadurch, 
dass  dieser  Grund  mit  den  Rechten  eines  Adeligen  ausgestattet 
wurde.  Auf  diesem  Grunde  ruhte  dann  die  Dienstverpflichtung. 
Der  König  war  übrigens  in  der  Ertheilung  des  Adels  nicht  be- 
schränkt, gewährte  ihn  auch  eingewanderten  Ausländern,  und  es 
ist  ja  bekannte  Thatsache,  dass  eine  größere  Zahl  der  ange- 
sehensten Magnatenfamilien  deutschen  Ursprunges  ist. 

12.  Die  Unterscheidung  von  Landherren  und  einfachen  Ade- 
ligen (Rittermäßigen),  die  in  Altösterreich  und  Böhmen  auf  den 
lehensrechtlichen  Grundsatz  der  Unterordnung  des  Vasallen  unter 
seinen  Senior  zurückgeht,  trifft  in  Ungarn  nicht  zu.  Der  höher 
gestellte  Baro  unterscheidet  sich  vom  privattis  nobiles  dadurch, 
dass  er  irgend  eine  Hofwürde  oder  die  Stelle  eines  Comitats- 
vorstandes  bekleidete.  Allein  diese  Auszeichnungen  waren  ur- 
sprünglich nur  vorübergehend  und  konnten  keine  bleibende  Ab- 
stufung bilden,  weil  in  Ungarn  die  Würdenträger  des  Reichs  im 
ganzen  immer  absetzbare  Beamte  blieben.  Dem  ungeachtet  kam 
es  vor,  dass  einzelne  Würden  oder  Grafschaften  jemandem  erb- 
lich übertragen  wurden,  was  freilich  Art.  16  der  goldenen  Bulle 
im  Interesse  der  einfachen  Edelleute  zu  verhindern  suchte. 
Rechnet  man  hinzu,  dass  einzelne  Geschlechter  durch  Schenkungen 
oder  in  anderm  Wege  in  den  Besitz  besonders  ausgedehnter 
Ländereien  und  dadurch  zu  großem  Einfluss  gelangt  waren,  so 
hat  man  die  Ursachen  kennen  gelernt,  welche  die  Büdung  eines 
erblichen  Magnatenstandes  allmählich  angebahnt  haben.  Immerhin 
w^ar  aber  der  Unterschied  zwischen  einem  Magnaten  und  einem 
einfachen  Edelmann  in  Ungarn  mehr  thatsächlicher  Natur;  in 
rechtlicher  Beziehung  standen  sie  sich,  was  die  Standesvorrechte 
betraf,  gleich  und  so  konnte  es  noch  um  die  Mitte  des  15.  Jahr- 
hunderts vorkommen,  dass  man  die  Reichs  verweserschaft  einem 
einfachen  Edelmann,  Johann  Hunyadi,  übertrug. 

Von  dem  Adel  der  milites  und  set-vientes  regis  von  dem  wir 


318  österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Anhang  IL 

bisher  gesprochen  haben,  und  der  zu  unmittelbarem  Dienst  unter 
königlichem  Banner  verpflichtet  war,  unterschied  sich  die  Classe  der 
Burgministerialen  der  iobbagiones  castri,  der  spätere  Comitatsadel. 

Mag  nun  die  ungarische  Comitatsverfassung,  die  in  den  ver- 
schiedenen Theilen  des  Reiches  unter  sehr  verschiedenen  Ein- 
flüssen entstanden  ist,  älter  als  das  Königthum  sein,  mag  sie 
unter  König  Stephan  ihre  Ausbildung  erhalten  haben,  so  sind  Be- 
ziehungen zu  der  slavischen  Äupenverfassung  nicht  abzuweisen." 
Das  ganze  Land  war  schließlich  in  Comitate  als  Verwaltungs- 
bezirke getheilt;  jedes  Comitat  hat  dann  je  nachdem  eine  oder 
mehrere  königliche  Burgen  gehabt,  denen  bestimmte  Ländereien 
und  Leute  zugewiesen  waren.  Letztere  waren  in  mehrere  Classen 
getheilt.  Die  vornehmsten  unter  ihnen  waren  die  iobbagiones  castri, 
auch  milites  castri^  nobiles  iobbagiones  castri,  d.  i.  die  der  Burg 
dienstbaren  Kriegsleute.  Sie  hüteten  und  vertheidigten  die  Burg, 
zogen  aber  auch  unter  dem  Banderium  des  Grafen  in  den  Krieg. 
Aus  ihrer  Mitte  wurden  die  Burgbeamten  entnommen,  die  nach 
Aufhören  der  Amtierung  in  die  Reihen  der  Burgmannen  zurück- 
kehrten. Diese  iobbagiones  castri  waren  Freie,  aber  in  der  Regel 
nicht  adelig,^*  waren  jedoch  in  Hinsicht  des  Eides  den  Edlen 
gleichgestellt  und  genossen  auch  Steuererleichterungen.  Sie  er- 
hielten Burggründe  in  einem  bestimmten  Ausmaß,  die  sie  an 
ihre  Nachkommen  mit  der  Verpflichtung  zum  Kriegsdienst  ver- 
erbten und  auch  an  Genossen  veräußern  durften,  im  übrigen 
aber  durch  Hintersassen  und  Knechte  bearbeiten  ließen.  Doch 
geschah  es  allmählich,  und  sind  solche  Beispiel^  namentlich  aus 
der  Zeit  König  Ludwig's  L  bekannt,  dass  den  gesammten  Burg- 
mannen eines  königlichen  Schlosses  der  Adel  verliehen  wurde. 
In  Nothfällen  schon  1385  und  1397  berufen,  war  dann  dieser 
Comitatsadel,  der  aus  geadelten  Burgmannen  bestand,  seit  1405 
bleibend  durch  Abgeordnete  auf  den  Reichstagen  vertreten. 

Die  übrigen  Bewohner  des  Burgbezirkes,  die  castrenses,  auch 
castellani  villani,  nistici,  die  in  den  zur  Burg  gehörigen  Dörfern 
und  den  etwa  vorhandenen  Burgflecken  (suburbium)  lebten,  waren 


^^  Aus  Ispany,  der  angarischen  ümbildong:  des  slavischen  Wortes  inpan, 
ist  das  deutsche  Span,  Gespan,  Gespaoschaft  entstanden. 

^^  Krajner,  183,  Note  24,  weist  nach,  dass  Einzelne  in  den  Adel  er 
hoben  wurden. 


Ständeverhältnisse:  lobbagiones  castri,  Bauern,  Bürger.  319 

in  der  Regel  unfrei  und  zu  verschiedenen  Diensten  und  Abgaben 
an  die  Burg  verpflichtet. 

Wie  sehr  privilegiert  in  Ungarn  die  Stellung  des  Adels  gegen- 
über der  misera  contribuens  plebs  war,  ist  bekannt.  Richter  des 
Adels  war  nur  der  König,  Urtheiler  im  Gericht  des  Königs,  des 
Palatins,  des  iudex  curice  und  in  den  Comitatsgerichten  waren 
nur  Adelige;  Vorstände  und  Beamte  des  Comitats  konnten  nur 
Adelige  sein,  nur  der  Adelige  war  fähig,  einen  adeligen  Grund 
mit  vollem  Rechte  und  im  eigenen  Namen  zu  besitzen,  er  war 
von  Steuern  befreit,  sein  Eid  hatte  erhöhte  Beweiskraft,  gegen 
wirkliche  oder  vermeintliche  Verletzung  seiner  Privilegien  nahm 
er  das  Recht  bewaffneten  Widerstandes  für  sich  in  Anspruch  u.  s.  w. 

13.  Nächst  dem  Adel  hatten  die  beste  Stellung  die  Bürger 
der  königlichen  freien  Städte.  Befreiung  von  den  Leistungen  an 
die  Burg  und  von  der  Gerichtsbarkeit  des  Grafen,  verbunden  mit 
der  Berechtigung  sich  einen  eigenen  Richter  zu  wählen,  erhob 
die  in  den  Flecken  wohnenden  Burghörigen  (civiles)  zu  Bürgern 
(cives,  bolgär),  durch  Abmarkung  eines  vom  Burglande  ausge- 
schiedenen Gebiets  wurde  der  Burgflecken  zur  freien  Stadt  (civi- 
tas  libera)  die  nur  dem  König  unterthan  war  und  deshalb  auch 
civitas  regia  genannt  wurde. 

Die  königlichen  freien  Städte  sind  theils  dadurch  entstanden, 
dass  schon  vorhandenen  Gemeinden  städtische  Rechte  beigelegt 
wurden,  oder  durch  Neugründung.  Mitunter  lehnten  sie  sich  an 
eine  königliche  Burg  an,  dann  behielt  diese  ihre  Einrichtungen, 
aber  die  Bürgerschaft  war  neben  den  iobbagiones  castri  zur  Ver- 
theidigung  der  Burg  berufen,  unterstand  jedoch  im  übrigen  ihrem 
selbstgewählten  Richter.  Der  Mauergürtel  gehörte  später  auch 
in  Ungarn  zu  den  wesentlichen  Merkmalen  einer  Stadt  (civitas 
murata)  im  Gegensatz  zu  den  offenen  Märkten,  den  liberce  villas^ 
deren  Bewohner  bis  auf  einzelne  Lasten  den  Stadtbürgem  gleich- 
gestellt sein  konnten.  ^^ 

Die  Bürger  waren  Freie;  Unfreie,  die  der  König  in  einer 
Stadt  ansiedelte,    erlangten  dadurch  Freiheit.    Von  diesem  Fall 

^  So  verstehe  ich  die  von  Kr aj  ner  323/4,  Anm.  18,  mitgetheilten  Quellen- 
steUen.  Es  erhöh  z.  B.  König  Ludwig  ün  Jahre  1351  „ah  omnihus  iohhagionibus 
nostris  ...  in  quibusUbet  villis  liheris . . .  uxceptis  civitatibus  muratis"  den 
Nennten  von  aUem  Grundertrag. 


320  Österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Anhang  n. 

abgesehen,  scheint  nur  Freien  der  Zuzug  in  die  Städte  erlaubt 
gewesen  zu  sein,  sie  übernahmen  damit  (in  Güns  selbst,  wenn 
sie  adelig  waren)  alle  Pflichten  der  Bürger,  deren  Rechte  ihnen 
im  vollen  Umfang  erst  durch  die  Aufnahme  in  den  Bürgerverband 
zutheU  wurden. 

Die  königlichen  Städte  waren  auf  königlichem  Grund  erbaut, 
daher  wurde  der  Grundzins  an  den  König  als  Grundherrn  ent- 
richtet, der  die  Städte  mit  ihrem  Gebiet  verschenken,  verpfänden 
oder  sonst  veräußern  konnte,  wogegen  sich  die  Städte  durch  aus- 
gewirkte Privilegien  vergeblich  zu  schützen  suchten.  Den  Städten 
des  Königs  standen  jene  der  Königin  gleich. 

14.  Die  Leistungen  der  freien  königlichen  Städte  richteten 
sich  nach  den  Stadtprivilegien.  Oft  wird  ohne  nähere  Erklärung 
nur  allgemein  servifium  und  exactio^  Stadtsteuer,  erwähnt,  manch- 
mal Kriegsdienste  und  descensus,  d.  i.  Verpflegung  des  königlichen 
Hofes,  noch  besonders  hervorgehoben,  auch  munera  kommen  vor. 
Die  Kriegsdienste  waren  wohl  immer  gemessen,  da  die  Bürger- 
schaft zunächst  für  die  Vertheidigung  der  Stadt  selbst  zu  sorgen 
hatte;  so  stellte  Pest,  die  magna  et  ditissima  theutonica  villa^  nur 
10  Mann,  Eisenstadt  2  Mann.  Glücklich  die  Stadt,  wenn  auch  der 
descensus  beschränkt  war.  Agram  hatte  z.  B.  dem  Könige  12  Ochsen, 
1000  Brote,  4  Fass  Wein,  dem  Herzog  von  Slavonien,  wenn  er 
ein  königlicher  Prinz  war,  halb  soviel  zu  liefern;  wo  aber  dies 
nicht  der  Fall  war,  musste  die  Stadt  bluten,  so  z.  B,  Pressburg, 
das  den  König  Sigismund  mitsammt  den  Prälaten  und  Magnaten 
seines  Gefolges  fast  ein  Jahr  lang  durch  reichliche  Lieferung  von 
Lebensmitteln  unterhalten  musste,  wie  der  König  selbst  bei  Be- 
stätigung der  Stadtprivilegien  (1436)  bekundete. 

15.  Die  vielen  Vortheüe,  welche  die  Städte  den  Königen 
boten,  haben  diese  zu  einer  starken  Förderung  des  Städtewesens 
veranlasst.  Da  jedoch  der  herrschende  Stamm  in  Ungarn  von  An- 
beginn nicht  sehr  zahlreich  war,  so  war  das  Augenmerk  der 
ungarischen  Könige  von  den  Zeiten  des  h.  Stephan  her  auf  die 
Heranziehung  von  Fremden  (hospites)  gerichtet,  denen  mancherlei 
Vortheüe  geboten  werden  mussten,  um  sie  zur  Ansiedlung  zu  be- 
wegen. Solche  hospites  konnten  im  Verband  von  Burgen  vor- 
kommen; es  waren  dies  Freie,  die  an  die  Burg  und  den  comes 
castri  Abgaben,   mitunter  auch  Kriegsdienste  zu  leisten  hatten, 


Die  Deutschen  in  Ungarn  und  Siebenbürgen;  Staat  und  Kirche.      321 

aber  zu  keinen  knechtischen  Diensten  verpflichtet  waren;  sie 
konnten  aber  auch  mehr  minder  geschlossene  Bezirke  bilden,  wie 
die  Deutschen  in  Siebenbürgen  oder  in  der  Zips,  und  dann  richtete 
sich  ihre  Stellung  nach  den  Privilegien,  die  ihnen  bei  der  Nieder- 
lassung und  späterhin  im  Laufe  der  Zeit  ertheilt  wurden.^®  Am 
besten  daran  waren  auch  in  solchen  Fällen  die  Städtebewohner. 

So  kam  es,  dass  die  Bevölkerung  der  Städte  in  Ungarn 
vorwiegend  aus  zugewanderten  Staatsfremden  und  deren  Nach- 
kommenschaft bestand.  In  Gran  wurden  im  13.  Jahrhundert 
Italiener  und  Armenier  unterschieden,  die,  wie  es  scheint,  zu 
eigenen  Gemeinden  abgeschlossen  waren  und  (wie  die  Armenier) 
auch  besondere  Privilegien  hatten;  in  Agi'am  wurden  ^ie  Be- 
wohner de  lingua  hungarica^  theiitonica^  italica  und  sdavonica  unter- 
schieden und  dementsprechend  auch  die  jurati,  der  Stadtrath 
gewählt.  Aber  im  großen  und  ganzen  überwiegen  in  den  Städten 
Ungarns  und  seiner  Nebenländer  (Dalmatien  ausgenommen)  die 
Deutschen  unter  den  Bewohnern  so  sehr,  dass  man  das  Städte- 
wesen geradezu  als  deutsch  bezeichnen  muss. 

16.  Eigenthümliche  Beziehungen  zwischen  Staat  und  Kirche 
ergaben  sich  in  Ungarn  daraus,  dass  der  h.  Stephan  sein  Land 
dem  Papste  aufgetragen  und  von  diesem  als  Königreich  zurück- 
erhalten hatte.*''  Der  Papst  gewährte  dem  König  und  dem  Reiche 
seinen  Schutz,  verlangte  aber  von  Stephan  und  seinen  Nach- 
folgern Gehorsamserklärungen,  die  ,in  der  That  auch  späterhin 
eidlieh  geleistet  wurden.  Der  Papst  nahm  ferner  wiederholt  un- 
mittelbar oder  durch  seine  Legaten  auf  die  Innern  Angelegen- 
heiten des  Königreichs  Einfluss.  Er  legte  z.  B.  sowohl  im  11. 
als  im  13.  Jahrhundert  entschieden  Einspruch  dagegen  ein,  als 
die  Oberherrlichkeit  des  Deutschen  Reichs  von  den  ungarischen 
Königen  vorübergehend  gegenüber  Kaiser  Heinrich  III.  und  Fried- 
rich IL  zugestanden  wurde,  denn  Ungarn  sei  vom  h.  Stephan 
dem  h.  Petrus    mit    allen  Rechten    und  Gewalten    aufgetragen 


*•  über  die  Stellung  der  Sachsen  In  Siebenbürgen  und  in  der  Zips,  vgl. 
Krajner,  344 ff,  386 ff. 

"  Die  Echtheit  der  Bulle  des  Papstes  Silvester  vom  Jahre  1000  ist  als 
der  Ehre  des  Königreichs  widerstreitend  bekämpft  worden.  Ich  folge  hier 
den  Ausführungen  Szalay's  I,  90,  Anm.  1,  und  Krajner's  (S.  95  ff),  welche  an 
der  Echtheit  festhalten. 

La  Schill,  ÖBterrelchische  Reichigeschichte.  21 


322  Österreichische  Reichsgeschichte.  I.  Theil.  Anhang  II. 

worden;  er  entachied  für  das  Erbrecht  der  Anjou  gegenüber 
König  Wenzel  von  Böhmen  u.  dgl.  Andererseits  besaß  aber  der 
apostolische  König  von  Ungarn  als  päpstliches  Zugeständnis  nicht 
bloß  kirchliche  Ehrenrechte,  sondern  auch  das  wichtige  Besetzungs- 
recht der  erledigten  Bisthümer. 

17.  Ähnlich  wie  in  Böhmen,  läuft  auch  in  Ungarn  der  Gegen- 
satz von  Land-  und  Stadtrecht  auf  die  nationale  Verschiedenheit 
der  Bewohner  hinaus,  nur  dass  die  Verhältnisse  verwickelter  sind. 
In  Böhmen  steht  dem  slavischen  Landrecht,  das  mancherlei  Ein- 
wirkungen des  deutschen  Rechtes  zeigt,  ein  deutsches  Stadtrecht 
gegenüber.  Die  ungarische  Sprache  hingegen  hat  soviele  Aus- 
drücke für  die  Grundbegriflfe  von  Recht,  für  Rechtsverhältnisse, 
Verträge,  die  Bezeichnungen  für  Steuern  und  Abgaben,  die 
Functionen  der  öffentlichen  Gewalt,  die  Stände-  und  Familien- 
verhältnisse u.  dgl.  aus  dem  Slavischen  entlehnt,  dass  man  das 
ungarische  Landrecht  als  ein  den  Bedürfnissen  der  Magyaren 
angepasstes  slavisches  Recht  bezeichnen  muss,^^  welches  später 
durch  die  Gesetzgebung  der  ungarischen  Könige  mit  zahlreichen 
deutschen  Elementen  durchsetzt  wurde.^®  Diesem  Landrecht  trat 
dann  das  nationale  Recht  der  Einwanderer  entgegen,  das  diesen 
von  den  ungarischen  Königen  unter  den  Niederlassungsbedingungen 
ausdrücklich  zugestanden  worden  war.  Es  ist  dies  weit  über- 
wiegend deutsches  Recht  und  vor  allem  das  Recht  der  städtischen 
Ansiedlungen. 

18.  Als  Quellen^^  des  ungarischen  Landrechts  sind,  da  es  keine 


18  H  an  e  lin  Grünhut's  Zeitschr.,  XX,  398  ff.  Dass  in  Croatien  und  Slavonien 
sich  das  Landrecht  auf  slavischer  Grundla^  aufhaute,  ist  wohl  unhestritten. 

*®  Eine  unmittelhare  Übertra^ng  der  Lex  Bajuvariorum  auf  Ungarn  hat 
jedoch  trotz  der  bestimmt  lautenden  Zeugnisse  nicht  stattgefunden.  Vgl.  oben  §  6, 4. 

2'^  Endlicher,  Monumenta  Arpadiana.  1849,  2  Bde.  —  Decreta,  Constitu- 
tiones  et  Articuli  Regura  inclyti  Regni  üngarieB  ab  A.  D.  1035  ad  A.  1583.  Timau 
1584  u.  ö.  (von  mir  Decr.  citiert).  —  Bogiäiß,  V.  Pisani  zakonl  na  slovenskom 
jugu.  Agram  1872,\  ferner  die  Literatur  hei  §  24.  —  Deutsches  Recht: 
Privilegien  für  Deutsche  und  andere  hospites  in  Ungarn,  Siebenbürgen,  Croatien, 
Slavonien  und  Dalmatien  bei  C zornig,  Ethnographie,  U,  Beilage  S.  311  ff., 
28  Urk.  —  Ofner  Stadt  recht  von  1244—1421,  herausgegeben  von  A.  Mich  na  y 
und  Paul  Lichner.  1845.  (Mit  mancherlei  Beilagen.)  —  Krön  es,  Deutsdie 
Geschichts-  und  Rechtsquellen  aus  Oberungam  (Archiv,  Bd.  34,  vgl.  auch  Bd.  31 
und  81).  —  Kukuljeviö,  Monumenta  historica  Slavorum  meriJionalimu.  5  Bde. 


Rechtsquellen  des  Land-  und  Stadtrechts  in  Ungarn.  323 

Sammlungen  des  ungarischen  Gewohnheitsrechts  aus  dem  Mittel- 
alter gibt,  nur  die  Gesetze  der  ungarischen  Könige  zu  nennen. 
An  ihrer  Spitze  stehen  die  Decreta  s.  Stephani,  die  in  2  Bücher 
mit  35  und  21  Abschnitten  zerfallen;  dann  folgen  in  der  Zeit 
von  1077  bis  1095  die  Decreta  des  Königs  Ladislaus  in  3  Büchern, 
mit  welchen  die  schriftlich  aufbewahrte  Gesetzgebung  der  un- 
garischen Könige  einen  Ruhepunkt  erreichte,  da  das  Decretum 
Colomani  regis  die  Privatarbeit  eines  Mönches  Albricus  ist.  Es 
folgt  dann  die  bekannte  goldene  Bulle  König  Andreas'  II.,  des 
Jerusalemers,  vom  Jahre  1222  und  in  einer  abändernden  Neu- 
ausfertigung vom  Jahre  1231,  die  man  als  „Magna  Charta"  des  un- 
garischen Adels  zu  bezeichnen  pflegt,  und  eine  größere  Anzahl 
von  Gesetzen  und  genehmigten  Reichstagsbeschlüssen,  von  der 
Zeit  der  Anjou  angefangen. 

Beinahe  aufs  Jahr,  als  die  böhmischen  Ständeherren  den 
Beschluss  auf  Sammlung  und  Aufzeichnung  des  Landesrechts 
fassten,  um  ihr  Übergewicht  über  die  fast  vernichtete  königliche 
Gewalt  gesetzlich  zu  sichern,  beschlossen  auch  die  ungarischen 
Stände  aus  gleichem  Grunde  eine  Sammlung  der  im  Lande  üb- 
lichen Rechts-  und  Gerichtsgewohnheiten  (1498).  Obwohl  dieser 
Beschluss  auf  den  Rakoscher  Versammlungen  in  den  Jahren  1504 
uad  1507  betrieben  wurde,  so  wurde  doch  erst  1514  durch  den 
Protonotar  Stephan  Verböczi  ein  in  3  Theile  zerfallendes  Werk 
als  Sammlung  der  einheimischen  Rechtsgewohnheiten  vorgelegt,  das 
sogenannte  „Tripartitum  opus  iuris  consuetudinarii  incliti  Regni 
Hungarise",  das  zwar  vom  Könige  Vladislav  genehmigt  worden 
sein  soll,  aber  weder  besiegelt  noch  publiciert  worden  ist,  und 
daher  gesetzlicher  Verbindlichkeit  entbehrte.^^ 

19.  Das  deutsche  Recht,  das  in  Ungarn  zur  Anwendung 
kam,  gehörte  überwiegend  dem  sächsischen  Rechtskreise  an.  „Hye 
hebet  sich  an  das  rechtpuech  nach  Ofner  statrechten  und  mit 
helet  in  etlichen  dingen  oder  stugken  Maidpurgerischem  rechten", 
fängt  darum  bezeichnender  Weise  das  Ofner  Stadtrechtsbuch  an, 
das   eine  umfängliche,   in  Ungarn  entstandene  deutsche  Rechts- 

2*  Ober  die  Schicksale  des  Tripartitum  und  dessen  Ausgaben  s.  End- 
licher, Gesetze  des  h.  Stephan,  Einleitung,  S.  1—12.  —  Ober  die  Summa  legum 
eines  Wr.-Neustädter  Stadtschreibers  die  den  eigentlich  juristischen  Stoff  für 
das  Tripartitum  geliefert  hat,  vgl.  oben  §  20,  6. 

21* 


324  Österreichische  Rechtsgeschichte.  I.  Theil.  Anhang  II. 

quelle  ist,  deren  erste  Hälfte  (Art.  1 — 162)  vor  dem  Jahre  1413, 
das  übrige  (Art.  163—441)  im  Jahre  1421  abgefasst  wurde. 
Vereinzelt,  wie  in  Kaschau,  scheint  man  sich  des  s.  g.  Schwaben- 
spiegels  bedient  zu  haben.  Das  Recht  der  ungarischen  Bergstädte, 
wie  es  uns  auf  Grund  eines  Privilegiums  König  Bela's  IV.  als 
Satzung  der  Schemnitzer  Schöffen  überliefert  ist,  beruht  hingegen 
auf  dem  Recht  der  mährischen  Städte,  insbesonders  auf  dem 
Iglauer  und  Brünner  Recht.  Das  Stadtrechtbuch,  welches  Kovachieh 
in  seinem  „Codex  authenticus  juris  tavemicales"  unter  Nr.  XVII 
als  „vetusta  jura  civitatura  sive  jura  civUia*  der  Städte  Ofen,  Pest, 
Kaschau,  Tirnau  u.  s.  w.  veröffentlichte,  verweisen  die  Heraus- 
geber des  Ofner  Stadtrechts  in  das  letzte  Viertel  des  15.  oder 
das  erste  des  16.  Jahrhunderts. 

'  Außer  deutschem  Stadtrecht  gibt  es  auch  Rechtsquellen 
für  mehr  minder  ausgedehnte  Landstriche  mit  deutscher  Bevöl- 
kerung, so  die  Privilegien  für  die  Siebenbürger  Sachsen  (1224), 
die  Freiheiten  der  deutschen  Gesammtheit  von  Karpfen  (erneuert 
1243),  das  Privilegium  für  die  Zipser  von  1243,  die  umfängliche 
Willkür  der  Sachsen  in  dem  Zips  vom  Jahre  1370.  In  den  an 
Österreich  angrenzenden  Comitaten  kommen  auch  Weisthümer 
als  deutsche  Rechtsquellen  für  bäuerliche  Kreise  vor. 

20.  Das  Recht  der  Juden  beruhte  während  des  Mittelalters 
in  Österreich,  Ungarn  und  Böhmen  übereinstimmend  auf  der  sehr 
gnädigen  Judenordnung  Herzog  Friedrich's  des  Streitbaren  vom 
Jahre  1244,  die  mit  geringen  Abänderungen  1251  von  König 
Bela  IV.  für  Ungarn,  von  Pfemysl  Otakar  II.  in  den  Jahren  1254 
und  1268  für  Böhmen  als  Gesetz  erlassen  wurde. 


Zweiter  Theil. 
Österreichische  Reichsgeschichte  seit  J526. 

Stammtafeln. 

Diese  sind  nach  den  Grundsätzen  gearbeitet,  die  Ottokar  Lorenz  in  seinem 
genealogischen  Handbuch  der  europäischen  Staatengeschichte  aufgestellt  hat. 
Die  kleine  Nebentafel  schließt  an  die  im  §  19  gebotene  geschichtliche  Übersicht 
an  und  bringt  die  unter  den  Nachkommen  Herzog  Albrecht's  des  Weisen  (f  1358) 
vorgenommenen  Ländertheilnngen,  sowie  die  allmähliche  Wiedervereinigung  des 
Besitzes  am  Schlüsse  des  Mittelalters  in  der  Hand  K.  Maximilian's  L,  zur  An- 
schauung. Zugleich  weist  sie,  dass  alle  späteren  Habsburger  ,  Leopoldiner'  sind, 
und  zwar  von  der  durch  Herzog  Ernst  den  Eisernen  gestifteten  älteren  i.-ö.  Linie 
abstammen.  Die  Haupttafel,  die  in  13  Geschlechterfolgen  von  K.  Maximilian  L  bis 
zur  Gegenwart  reicht,  zeigt  zunächst,  wie  in  drei  Generationen  (Maximilian  L, 
Philipp  L,  Ferdinand  L)  der  Besitzstand  der  Habsburger  durch  Vermählung  mit 
Erbtöchtem  zur  europäischen  Großmacht  anwuchs  (daher  das  Sprichwort:  Bella 
gerant  alii,  tn  felix  Austria  nube),  dann  aber  zur  Theilung  in  eine  spanische  und 
österreichische  Linie  führte.  Sie  lässt  femer  die  von  K.  Ferdinand  L  1 564  verfügte 
Ländertheilung,  welche  u.  a.  auch  auf  die  Ausgestaltung  des  Behördenwesens 
zurückwirkte,  in  ihren  Folgen  bis  zur  Wiedervereinigung  unter  K.  Leopold  L  (1665) 
erkennen  und  erläutert  die  nach  Erlöschen  der  spanischen  Linie  im  Jahre  1700 
auf  deren  Besitz  vom  K.  Leopold  L,  Bayern  und  Frankreich  erhobenen  Ansprüche, 
die  ihren  Austrag  durch  den  spanischen  Erb  folgekrieg  fanden.  Endlich  sind  daraus 
ersichtlich,  die  nach  dem  Aussterben  des  habsburgischen  Mannesstammes  1740  vom 
Kurfürsten  Karl  Albert  von  Bayern  kraft  der  Abs^tammung  von  der  Regredient- 
erbin  Anna  und  der  Vermählung  mit  einer  Tochter  K.  Josefs  L  gegenüber  der 
Erbtochter  Maria  Theresia  geltend  gemachten  Anrechte,  die  zum  österreichischen 
Erbfolgekrieg  geführt  haben,  sowie  der  Übergang  der  Herrschaft  an  das  jetzt 
regierende  Haus  der  Habsburg-Lothringer. 

Die  rothen  Linien  auf  der  Haupt-  und  Nebentafel  bedeuten  die  gleichzeitig 
zur  Lebenswirksamkeit  berufenen  Geschlechterreihen,  ihre  Zählung  soll  durch 
die  an  den  Rändern  angebrachten  Ziffern  1— XHI,  sowie  die  Buchstaben  A— D  bei 
der  Nebentafel  erleichtert  werden.  |  bedeutet  die  unmittelbare  Abstammung, 
T.  =  Tochter,  *  —  geboren,  f  =  gestorben.  Die  Herrscher  in  Österreich  sind  durch 
die  kräftige  Schrift  hervorgehoben.  ^  ^  verbindet  Geschwister,  <^ 
Ehegatten,  der  Übergang  von  Ländern  von  einer  Linie  auf  die  andere  ist  durch 
die  Richtung  eines  Pfeils  gekennzeichnet. 


21' 


I. 


MaxiiMiliaii  I., 

•U69,  EniherBOg:  von  österrelcli, 
deutscher  König  seit  1486,  Kaiser  seit  1508, 

t  1519. 


Ter« 


IL 


PhUii 

Heno?  TOB  B 

8piii 


III. 


Karly  Isabelli  von  Portugal, 

•  1500,  König  von  Spanien  nnd  Neapel  (I.),  1 1589. 

Henog  von  B  n  r  g  n  n  d,  als  dentscher  Kaiser  (V.)  1519,  f  1568, 
Stifttr  d«r  spanisdien  Uni«. 


IV. 


T 


Philipp  II., 

•  1527,  erwirbt  Mailand  1540, 1 1698. 


Anni, 

T.  K.  MaximiUans  n.,  1 1580. 


T. 


PhUipp  m. 

•  1578,  t  1621. 


Illargiratha,^ 

T.  Erah.  Karls  von  I.-Ö..  t  1599. 


VI. 


Isabelli,  Philipp  IV., 

T.  Kg.  Heinrichs  IV.  von  Prankreich,  •1605,  f  1666. 

t  1644. 


Miril  Anni, 

T.  K.  Ferdinands  lU.,  verm.  1649, 

t  1696. 


\ 


£ 


VII.  M.  Th^TMia,  Karl  II., 

*  1638,  t  1683,        ,     ,  ,  •  1661,  f  Icinderlos  1700, 
Oenialil  Ludwig  XIV.  v.  Frankreich  ' '        ^ 

seit  1660.  erloschen. 

-« 


liargtf«thi  Theresii,  vermühlt  1666  mit 


vm. 


V 


Ludwig  Diuphin, 

•  1661,  t  1711. 


IX. 


larfl 

•1« 

Oemahl  Uäi 


ir 


Philipp  V.  von  Bourbon, 

•  1683,  König  von  Spanien,  1 1'-*«- 


Josef  Ferdinand, 

*  1692,  anerkannter  Thronfolger  is  ^ 


A. 


Die  Ländertheilung  der  Söhne  Herzog  Albrechts  IL  (t  i358). 


Albrecht  III.,  1 1895, 

besitat  beide  Österreich, 
Stammvater  der  Albrechtiner. 


Br&der 


B. 


Leopold  III.,  t  1886, 

besitst  I.-Ö.,  Tirol  nnd  die  Vorlande, 
Stammvater  der  Leopoldiner. 

1  


Albrecht  IV., 

t  14(.^4. 


C.  Albrecht  "V-j  t  i439. 

als  deutscher  König  II., 

vermählt  mit  Elisabeth  von  Bolunen 

und  Ungarn. 


Ernst  der  Eiserne,  t  h28,  Friedrich  IV.,  t  h3^ 

besitzt  Innerösterreich,  besitzt  Tirol  und  die  VoriAsd^. 

Stammvater  der  Siteren  L4>.  Linie.         Stifter  der  UterMi  Tiroler  Usie. 


Friedrich  V., 

als  deutscher  König  IV., 
^      als  Kaiser  III.,  f  149S. 


/ 


Sigismiind, 

U  versichtet  1490,  t  1496, 


I>. 


/ 


/ 


Ladislans  Postumug,  ^' 

t  1457, 
erloschen. 


Maximilian  L, 

t  1519, 
siehe  oben. 


/ 


V 


Maria, 

Erbin  von  Bargnnd, 
t  1482. 


I. 


l  Koni«:  Ton 


vennühlt  U96 
mit 


Johanna, 

*  1479,  Erbin  von  Spanien, 
tl555. 


II. 


rAlaand  I«,   erhUt   1521/22  von  seinem  Bruder 
]tö<t4>rreirhischen  Lande.  1526  König  von  BOlimen  und 
Brarn,  1531  devtacher  König,  1558  Kaiser,  f  1564, 
Stifttr  der  OstMreicMsche»  Unie. 


vermählt  1521 
mit 


Anna, 

Erbin  von  Böhmen  und  Ungarn, 
t  1547. 


IIL 


ximllian  IL, 

".  erb. Österreich, 
irAfn.  Böhmen, 
u#4T  l>i4,  t  1576, 
fdcf  ItaiNnwIiM  Liiila« 


Maria, 

Tochter 

K.  Karls  V., 

tl603. 


=:t 


Anna,  FerAinanA,              Karl» 

vermählt  mit  '  1529,                                 •  1540, 

Hb.  Albrecht  V.  erhftUTlrolu.  die  erhält  InnerOxterreich 

von  Bayern  Vorlande,  f  1595            und  Görs,  f  1590, 

(Regredient-  ohne  ebenbürtige       Stammvatar  der  jongeren 

Erbin).  Bohne.                ianerötterreichiMheii  Unie. 


IV. 


«oirii., 

•  15:>2, 

Qh-T  1Ö76, 

♦  1612. 
iV4>nDihlt. 


Matthias, 

.    *  1657, 
erbült  1008  Öster- 
reich, Ungarn« 
Mähren.  1611  Böh- 
men, Kaiser  1C12, 
t  ohne  Erben  1919. 


Maximilian,  Albreclit, 

Hoch-  u.  Deutsch-  f  kinderlos 
meister,  verwaltet         1621. 
Tirol,  t  1618. 


Ferdlnandll., 

•  1578, 

König  von  Böhmen  1617, 

von  Ungarn  1618, 

Kaiser  1619,  1 1637. 

_l 


•  158.5,,  t  1632, 
seit   1623  Landesherr 

in  Tirol, 

Stifter  der  IQngeren 

Tiroler  Linie. 


Ferdlnaiiil  III.,    Maria  Anna,       Leopold  Willielm,  FerAlnanA   SifirtsimiiiA 

•160«,              T.  Kg.  Philipp  111.                •1614,  Karl.            FraBE. 

Kaiser  1637.  f  1657.          v.  Spanien,  1 1646.  Hoch- n.Deutschmeister.f  1662.  •  i«2h   1 1662             ♦  1630  f  iS 
I                                                                               "~j <    eriotchen. 

Leopold  I.,       -^       vermahlt  in  aweiter  Ehe  1673  mit  Clandia  Felicitas,  •  166S,  f  1«76,  kinderlos. 
*»  KaiH*r.  erwirbt  Tirol  1665,     ^  ^^ .     „^      .  ^.            ^    ^i  , 
lebeabfirren  IBM   4- 170^          In  dritter  Ehe  mit  Eleonora  Magdalena 
lepeppurgen  Acw.  t  l7Uf>.             von  Pfalz-Neuburg,  1076,  f  1720. 


lia, 

l  Korfürüt 

le-.'i. 


^ 


«losef  I., 

•  1678, 
Kaiser  1705,  f  1711. 


Karl  ¥1., 

•  1686,  König  von  Spanien  1703,  Kaiser  1711, 
erwirbt  die    spanischen   Niederlande,   Mai- 
land, Neapel  (verloren  1738),  f  1740. 


id. 


Maria  Josefa, 

•  1699,  t  1757, 

Gemahl  Friedrich  Aninut 

von  Sachsen  seit  1730. 


Maria  Amalia, 

*  1701,  t  17Ö6, 

Qemahl  Karl  Albert  von 
Bayern  seit  1722. 


IMarla  Theresia, 

Krbtochter,  vermählt  1736  mit 
Hersog  von  Lothringen,  Orossherzog  von  Tos 
cana,  Kaiser  1746,  f  1766. 


•  1717,  t 1780, 
Franz  Stephan, 


3t 


T. 


Tl. 


VII. 


VIII. 


IX. 


«loser  II., 

•  1741, 

Kaiser  17«5,  f  179(>, 

ohne  Kinder. 


lieopolA  II., 

*  1747,  Orossherzog  v.Tc«- 
caiia.  Kaiser  1790,  f  1792. 
Stammvater  der  heute  re- 
gierenden Unie. 


i 


Ferdinand, 

*  I7&i,  vermählt  mit 

M.  Beatrix  von  Este, 

Stitter  der  Linie  tu 

Hodena-Eate,  t  1806. 

erioMhe«. 


X. 


u. 


Frani  I., 

•  12.  Febmar  1768,  t  2.  März  1835, 
Kaiser  von  Österreich  seit  lH(Vi. 


k 


Ferdinand, 

erbt  Toscana, 
6.  Mai  1769.  f  17.  Juni  1624, 
Stifter  der  Linie  xu  Toscana. 


XL 


D. 


FerAlnan«  I., 

•  1(».  April    17M.  t  2«.  Jnni   1875, 
verzichtet  184tf,  2.  December. 


Franz  Karl, 

•  7.  December  1802,  1 8.  März  187H. 


D. 


XII. 


^  Frans  «loser  I., 

*  IH.  August  18S0, 
Kaiser  seit  2.  Decembur  1848. 


XIII. 


328         Österreichische  Reichsgeschichte.  IL  Theil.  Vierte  Periode.  §  42. 


IV.  Periode :  GescMclite  des  Gesammtstaates  vor 
Erlöscliezi  des  liabsburgiscliezi  Manns- Stammes. 

(1526—1740.) 
§  42.  Gesehiehtlicher  Überblick. 

Arneth,  Prinz  Eugen  von  Savoyen,  3  Bde.  —  Bucholtz,  Geschichte 
der  Regierung  Ferdinands  I.,  9  Bde.  —  Huber,  III— V;  Österr.  Reichsgeschichte 
llöflf.  —  Hurter,  Geschichte  Kaiser  Ferdinand's  IL,  11  Bde.  —  Krön  es,  UL IV. 
—  May  er  IL  und  viele  Einzelarbeiten,  z.  B.  in  der  Österr.  Geschichte  für  das  Volk 
die  Bde.  VII— X  von  Pa^out  und  Tupetz,  Österreich  im  Reformationsalter 
1526-1617;  Gindely,  Der  30jährige  Krieg;  Zahn,  Ferdinand  IlL  und 
Leopold  L  1648—1699;  A.  Mayer,  Die  letzten  Habsburger  1700—1740. 

1.  Durch  die  fortschreitende  Auflösung  der  Reichsgewalt 
waren  die  größeren  landesherrlichen  Gebiete  in  Deutschland  schon 
gegen  Ausgang  des  Mittelalters  in  voller  Umbildung  zu  Territorial- 
staaten. Dies  gilt  zumal  von  den  Besitzungen  der  großen  rivali- 
sierenden Geschlechter  im  Reiche,  der  Luxemburger  in  Böhmen 
und  Mähren  und  der  Habsburger  in  den  altösterreichischen  Landen. 
Diesen  gegenüber  befanden  sich  im  Osten  der  Reichsgrenze  zwei 
unabhängige  Staaten  mittlerer  Größe,  Polen  und  Ungarn.  Theils 
das  Bestreben  dieser  nicht  deutschen  Staaten  durch  Vereinigung 
unter  einem  Herrscher  ein  Gegengewicht  gegen  das  deutsche  Reich 
zu  bilden,  theils  der  Wunsch  nach  Gebietserweiterung  brachte  im 
Laufe  des  Mittelalters  mannigfache,  jedoch  nicht  dauernde  Länder- 
verbindungen unter  den  genannten  vier  Staaten  zustande.^  Schließlich 
war  1471  mit  Vladislav  Jagello  ein  polnischer  Prinz  auf  den  böhmi- 
schen Thron  gelangt,  der  1491  auch  die  Krone  von  Ungarn  hinzu- 
erlangte und  beide  Reiche  auf  seinen  Sohn  vererbte. 

2.  Die  Ausdehnung  der  Herrschaft  über  die  Nachbarlande 
hatte  schon  König  Albrecht  L  ins  Auge  gefasst,  und  nach  dem 
Aussterben  der  Pfemysliden  die  Wahl  seines  Sohnes  Rudolf  in 
Böhmen  durchgesetzt,  obgleich  ohne  nachhaltigen  Erfolg  (§19,3). 


1  Ungarn  mit  Polen  vereint:  1370—1382,  1440—1444;  Ungarn  mit  Böhmen : 
1420—1437,  1491-1526;  Österreich  mit  Böhmen:  1306-1307,  1437-1457; 
Österreich  mit  Böhmen  und  Ungarn:  1437—1440,  1444—1457. 


Versuche  der  Habsburger  Böhmen  und  Ungarn  zu  erwerben.  329 

Die  Erbverträge,  die  Herzog  Rudolf  IV.  mit  den  Anjou  und  den 
Luxemburgern  abschloss  (§  19,  7),  sollten  den  Anfall  von  Ungarn 
und  Böhmen  vorbereiten,  die  Vermählung  Herzog  Wühelm's  mit 
Hedwig  von  Anjou  hätte  die  Habsburger  zur  Herrschaft  in  Polen 
gebracht,  woferne  es  dem  Großfürsten  von  Litauen  Jagello  nicht 
gelungen  wäre,  sich  der  jungen  Königin  zu  bemächtigen  (1386). 
Die  Vermählung  Herzog  Albrechts  V.  mit  Elisabeth  der  Erbtochter 
des  luxemburgischen  Hauses  hatte  dann  im  Jahre  1437  zur 
Personalunion  von  Österreich  mit  Ungarn  und  Böhmen  geführt, 
doch  war  dieselbe  nach  dem  vorzeitigen  Tode  des  Königs  Ladislaus 
Postumus  (f  1457)  wieder  zerfallen.  Immerhin  aber  hatten  sich 
die  Habsburger  durch  die  Frieden  von  Ödenburg  (1463)  und 
Pressburg  (1491)  die  Nachfolge  in  Ungarn  für  den  Fall  des  erb- 
losen Todes  der  Wahlkönige  oder  ihres  Geschlechts  gesichert.  Beide 
Verträge  waren  von  den  ungarischen,  jener  vom  Jahre  1491  überdies 
von  den  croatischen  und  slavonischen  Ständen  genehmigt  worden. 
Dazu  gesellten  sich  nähere  Beziehungen  zwischen  den  Herrscher- 
häusern, welche  auf  dem  Wiener  Congress  vom  Jahre  1515  zur  Ver- 
abredung einer  Doppelhochzeit  führten,  die  in  den  Jahren  1521/22 
durch  die  Vermählung  des  Erzherzogs  Ferdinand  mit  der  einzigen 
Schwester  des  ungarischen  Königs  Ludwig  und  dieses  mit  Maria, 
der  Schwester  Erzherzog  Ferdinand's  ihre  Ausführung  fand. 

3.  Die  Fälligkeit  dieser  sorgfältig  begründeten  Ansprüche 
trat  unerwartet  früh  ein,  da  König  Ludwig  II.  von  Ungarn  und 
Böhmen  am  29.  August  1526  in  der  Schlacht  bei  Mohacs  seinen 
unbeerbten  Tod  fand.  Es  ist  nun  ebenso  begreiflich,  dass  Erzherzog 
Ferdinand  die  Nachfolge  nach  seinem  Schwager  in  Ungarn  und 
Böhmen  als  seines  Hauses  und  seiner  Gemahlin  Recht  verlangte, 
als  dass  die  Stände  dieser  Reiche  an  der  letzten  Entwicklung,  fest- 
hielten und  ein  unbeschränktes  Wahlrecht  behaupteten.  Dabei 
waren  die  Umstände,  unter  welchen  Erzherzog  Ferdinand  in  Böhmen, 
in  Ungarn  zum  König  gewählt  wurde,  wogegen  die  Mährer  und 
Schlesier  am  Erbrechte  seiner  Gemahlin  festhielten  und  die  Croaten 
überdies  seinen  vertragsmäßigen  Anspruch  auf  die  Nachfolge 
anerkannten,  so  verschieden,  dass  sie  eine  abgesonderte  Darstellung 
erfordern. 

4.  Glaubten  sich  die  österreichischen  Stände  im  Jahre  1519 
zur  Verwaltung   der  Lande  bis  zur  Ankunft  der  unzweifelhaften 

21** 


330        Österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  42. 

Erben,  selbst  wider  den  Wortlaut  des  kaiserlichen  Testaments  für 
berechtigt,  so  war  ein  gleiches  Vorgehen  der  Stände  in  den  von 
König  Ludwig  IL  hinterlassenen  Reichen  umso  mehr  zu  erwarten, 
als  die  Frage,  wem  die  Nachfolge  gebüre,  hier  keineswegs  so  klar 
und  entschieden  war,  als  es  Erzherzog  Ferdinand  l.  voraussetzte. 

Die  vom  böhmischen  Landeshauptmann,  Karl  Herzog  von 
Münsterberg  auf  die  Nachricht  vom  Tode  des  Königs  einberufene 
Versammlung  der  obersten  Beamten  des  Königreichs  beschloss 
darum  die  Ausschreibung  eines  allgemeinen  Landtags  nach  Prag, 
welchem  man  die  Entscheidung  unter  den  zahlreichen  Thron- 
bewerbern überlassen  wollte.  Erzherzog  Ferdinand  hoffte  anfänglich 
im  Vertrauen  auf  die  böhmisch-österreichischen  Erbverträge  und 
das  Erbrecht  seiner  Frau  seine  „  Annahme "^  zum  König  ohne  förm- 
liche Wahl  durchzusetzen,  allein  er  überzeugte  sich  bald,  dass  er 
die  Ansprüche  aus  den  Erbveilrägen  fallen  lassen  müsse.  Als  dann 
der  Landtag  am  12.  October  nach  Verlesung  der  Landesprivilegien 
auch  den  Erbanspruch  Anna's  mit  der  Begründung  verworfen  hatte, 
dass  sie  ihn  durch  die  bei  Lebzeiten  König  Vladislav's  erfolgte 
Ausstattung  und  ihre  spätere  Vermählung  verloren  habe,  war  Erz- 
herzog Ferdinand  auch  zur  Annahme  der  Wahl  bereit,  sofern  ihm 
keine  ungünstigeren  Bedingungen  gestellt  würden,  als  seinen  beiden 
Vorgängern.  Am  24.  October  wurde  er  dann  von  dem  mit  der 
Vornahme  der  Wahl  betrauten  Ausschusse  einstimmig  zum  König 
erkoren  und  nach  Ausstellung  dreier  Majestätsbriefe  (13.  und 
15.  December  1526)  deren  einer  die  Erklärung  erhielt,  dass  ihn 
die  Stände  aus  freiem  Willen  und  nicht  aus  Verpflichtung  gewählt 
hätten,  am  24.  Februar  1527  zu  Prag  gekrönt.  ^ 

Viel  glatter  vollzog  sich  der  Herrscherwechsel  in  Mähren, 
Schlesien  und  der  Lausitz.  Die  mährischen  Stände  erkannten  im 
November  1526  die  Königin  Anna  als  echte  und  geborene  Erbin 
der  Markgrafschaft  an,  weil  sie  ihrem  Vater  dem  König  Vladislav 
und  seinen  Erben  den  Eid   der  Unterthänigkeit  geleistet  hätten. 


2  Den  Wortlaut  dieser  drei  Majestätsbriefe  bei  Kalousek,  Ceslc6  st&tni 
prüvo,  2.  Aufl.  S.  577  ff.  Ober  die  Wahlvorgänge  vgl.  0.  Gluth,  Die  Wahl 
Ferdinand's  I.  zum  König  von  Böhmen  (Mitth.  des  Vereins  für  Geschichte  der 
Deutschen  in  Böhmen,  XV,  1877)  und  A.  Rezek,  Geschichte  der  Regierung 
Ferdinands  I.  in  Böhmen,  I.,  1878.  Rezek  behauptet  (57,  Anm.  3)  mit  Berufung 
auf  Palacky  Archiv  C.  IV.  109,  dass  die  früheren  Brbverträge  der  Habsburger 


Ferdinand  I.  Wahl  zum  König  von  Böhmen  und  Ungarn.  331 

Eben  darum  nahmen  sie  nicht  nur  Anna,  sondern  auch  deren  Gemahl 
zu  ihren  Herrschern  ohne  Wahlhandlung  an  und  stellten  nur 
die  Bedingung,  dass  ihnen  alle  ihre  Freiheiten  bestätigt  würden. 
Den  gleichen  Verlauf  nahm  die  Anerkennung  Perdinand's  in 
Schlesien  (5.  December)  und  in  der  Lausitz.  „So  kam  ein  herrliches 
Reich  ohne  Schwertstreich  in  die  Hände  eines  neuen  Herrn." 

5.  Weit  ungünstiger  lagen  die  Dinge  fiir  Ferdinand  in  Ungarn, 
weil  sich  hier  der  ehrgeizige  Woiwode  von  Siebenbürgen,  Johann 
Zäpolya  an  die  Spitze  der  nationalen  Partei  gestellt  hatte,  die  von 
einem  fremden  Könige  nichts  wissen  wollte.  Fast  alle  Bischöfe, 
eine  große  Zahl  von  Magnaten  und  vieler  Kleinadel  ließen  sich  für 
Zapolya  gewinnen,  der  auf  dem  eigenmächtig  ausgeschriebenen 
Reichstage  zu  Stuhl weißenburg  am  10.  November  1526  zum  König 
ausgerufen  und  tags  darauf  gekrönt  wurde.  An  eine  schlichte 
Anerkennung  der  formell  nicht  anzufechtenden  Ansprüche,  die 
Ferdinand  gestützt  auf  den  Ödenburger  und  Pressburger  Frieden 
erhob,  war  unter  solchen  Umständen  nicht  zu  denken,  doch  brachte 
die  österreichisch  gesinnte  Partei  einen  Reichstag  zu  Pressburg 
zustande,  auf  welchem  Ferdinand  am  16.  Dec.  1526  zum  König  von 
Ungarn  gewählt  wurde.  So  gab  es  nun  zwei  Könige  im  Lande 
und  die  Entscheidung  hieng  von  der  Schärfe  des  Schwertes  ab. 

Von  den  Nebenländem  der  ungarischen  Kit)ne  befand  sich 
Siebenbürgen  in  Händen  Zäpolya's,  der  auch  von  den  Ständen 
Slavoniens  am  3.  Jänner  1527  zum  König  gewählt  wurde.  Die 
croatischen  Stände  hingegen,  die  sich  um  dieselbe  Zeit  zu  Czettin 
(bei  Sluin)  versammelt  hatten,  fassten  am  Neujahrstage  1527  den 
Beschluss,  Ferdinand  in  Anbetracht  seiner  Rechte,  der  voran- 
gegangenen Pressburger  Wahl,  sowie  seiner  Verdienste  um  die 
Vertheidigung  des  Landes,  als  ihren  erblichen  Herrn  anzuerkennen.  * 

mit  den  Lnxemburgorn  durch  Rückgabe  der  Ürkiuidon  an  Georg  Podiebrad 
im  Jahre  1462  kraftlos  geworden  seien.  Er  zeigt  femer  S.  53,  dass  die  Zurück- 
weisung des  Erbrechts  Anna's  durch  die  Stände  sich  durch  den  Majestätsbrief 
König  Vladislav's  vom  11.  Jänner  1510  begründen  lässt,  obgleich  es  auffällig 
ist,  dass  die  Stände  auf  diese  Urkunde  nicht  Bezug  nahmen. 

•  Vgl.  Smolka,  Ferdinand's  I.  Bemühungen  um  die  Krone  von  Ungarn, 
Archiv  Bd.  57 ;  histor.  dipl.  Verhältnis  des  Königreichs  Croatiens  zur  s.  Stephans- 
krone, 82.  Die  Actenstücke  des  croatischen  Landtags  bei  Chmel,  Hab^burgisches 
Archiv,  II,  S.  33  flf.,  auch  bei  Knkuljevic,  Jura  rogni  Croatioe,  11,  20  ff. 


332        österreichische  Reichsgeschichte.  IL  Theil.  Vierte  Periode.  §  42. 

6.  Der  erste  Waflfengang  zwischen  beiden  Gegnern  war  bald 
zu  Gunsten  Ferdinand's  I.  entschieden,  der  am  Tage  des  hl.  Stephan 
(20.  August  1527)  siegreich  in  Ofen  einzog  und  am  3.  November 
zu  Stuhlweißenburg  gekrönt  wurde.  Nun  warb  aber  Zäpolya  in 
Constantinopel  um  Hilfe  und  erhielt  diese.  Sein  mit  den  Türken 
vereinigtes  Heer  eroberte  Ofen  und  der  Sultan  rückte  sogar  vor 
Wien,  das  er  vom  27.  September  bis  zum  15.  October  1529  erfolg- 
los berannte.  Nach  Ofen  zurückgekehrt,  gab  Solyman  H.  die  in 
Visegrad  erbeutete  Stephanskrone  an  Zäpolya,  den  er  zum  König 
von  Ungarn  ernannte  und  kehrte  mit  Hinterlassung  einer  Besatzung 
in  seine  Hauptstadt  zurück.  Der  Krieg  in  Ungarn  dauerte  indessen 
zwischen  beiden  Königen  fort,  da  Frankreich  alle  Mühe  aufbot, 
um  einen  Ausgleich  zwischen  den  Gegnern  zu  vereiteln.  Erat  am 
24.  Februar  1538  kam  es  zu  Großwardein  auf  Grundlage  des 
damaligen  Besitzstandes  zum  Friedensschlüsse,  der  aber  vor  dem 
Sultan  geheim  gehalten  wurde.  Zäpolya  wurde  von  Kaiser  Karl  V. 
und  Ferdinand  auf  Lebenszeit  als  König  von  Ungarn  und  Dalmatien 
anerkannt,  Ferdinand  behielt  vorerst  nur  die  Gebiete  westlich  der 
Theiß,  sowie  Croatien  und  Slavonien,  sollte  aber  nach  König 
Johann's  Tode  auch  das  übrige  Ungarn  nebst  Siebenbürgen  erlangen 
und  dessen  Sohn  mit  dem  Herzogthum  Zips  ausstatten.  Aber  diese 
Friedensbestiramungen  wurden  von  der  Partei  Zäpolya' s  nicht 
gehalten,  die  nach  dem  Tode  des  Königs  (f  22.  Juli  1540)  dessen 
Sohn  Johann  Sigmund  zum  König  ausrief  und  sich  der  Unter- 
stützung durch  die  Türken  versicherte.  So  kam  es  neuerdings  zum 
Kampfe,  der  nach  sieben  wechselvollen  Jahren  mit  der  Zerreißung 
Ungarns  in  drei  Theile  endete:  im  Osten  herrschte  nun  Isabella 
für  ihren  Sohn  Johann  Sigmund,  im  Westen  Ferdinand,  die  Mitte 
befand  sich  in  der  Gewalt  des  Sultans,  der  sein  ungarisches  Gebiet  in 
14  Sandschake  theüte,  die  unter  dem  Ofner  Beglerbeg  standen.* 

7.  Mittler weUe  waren  auch  im  Westen  wichtige  Ereignisse 
eingetreten.  Anfang  1531  war  Ferdinand  I.  auch  zum  römischen 
König  gewählt  worden,  dagegen  gieng  ihm  ein  paar  Jahre  später 
(r534)  Wirtemberg  verloren,   das  Kaiser  Karl  V.  im  Jahre  1522 


*  Über  den  1547  mit  dem  Sultan  gegen  ein  jährliches  »Geschenk*  von 
30.000  Ducaten  auf  5  Jahre  geschlossenen  Waffenstillstand  Ferdinand's  vgl. 
Hammer,  Geschichte  des  osmanischen  Reichs,  2.  Aufl.,  II,  198  ff,  über  die  Er- 
werbung Siebenbürgens  1551,  s.  Huber  im  Archiv,  Bd.  75. 


Kriege  mitZäpolya;  Anfange  des  Protestantismus  in  Österreich.       333 

abgetreten  hatte.  Am  folgenreichsten  aber  wurde  die  Ausbreitung 
des  Protestantismus  über  ganz  Österreich,  welche  allmählich  jedoch 
unaufhaltsam  vor  sich  gieng.  Die  Bergknappen  in  den  Alpenländern 
gehörten  zu  den  ersten  Anhängern  der  neuen  Lehre,  dann  fühlten 
sich  die  Adeligen  zu  ihr  hingezogen,  es  folgten  die  Bürger  und 
endlich  auch  die  Bauern,  die  Klöster  leerten  sich  und  auch  viele 
Weltgeistliche  schlössen  sich  der  Bewegung  an.  Fast  schien  es, 
als  sollte  die  katholische  Kirche  auch  in  Österreich  allen  Boden 
verlieren,  denn  es  dauerte  nicht  lange,  so  hatten  die  Evangelischen 
unter  den  Landständen  das  Übergewicht  erhalten  und  ständische 
wie  städtische  Ämter  gelangten  zumeist  in  ihre  Hände.  Dadurch 
gewann  aber  der  Protestantismus  in  Österreich  eine  über  die 
religiöse  Seite  hinausgehende  politische  Bedeutung  und  wurde, 
da  sich  der  Herrscher  gegen  ihn  ablehnend  verhielt,  damals  zur 
Fahne,  unter  welcher  sich  alle  oppositionellen  Elemente  zusammen- 
fanden. Schon  1525/26  hatten  die  Stände  der  altösterreichischen 
Lande  das  Begehren  gestellt,  dass  die  Verkündigung  des  lauteren 
Evangeliums  gestattet  werden  möge,  sie  drangen  jedoch  mit  dieser 
Forderung  ebenso  wenig  durch,  als  bei  deren  Wiederholung  in 
den  Jahren  1541  und  1548.  Anderseits  erwiesen  sich  aber  die 
von  Ferdinand  gegen  den  Protestantismus  ergriffenen  Maßregeln 
(z.  B.  Verbote  der  Schriften  Luthers,  1523,  Gebot  die  Ketzerei 
als  Verbrechen  zu  bestrafen  1528,  Verbot  des  Besuchs  auswärtiger 
deutscher  Universitäten  1539,  1548)  als  ungeeignet,  um  dessen 
weitere  Ausbreitung  in  der  Bevölkerung  hintanzuhalten.  Schließlich 
bequemte  sich  Ferdinnad  das,  was  er  in  Deutschland  dulden  musste, 
auch  in  seinen  Landschaften  zu  ertragen.  An  seinem  Hofe,  in  seinem 
Hause  selbst  hatte  er  Lutherische,  er  schien  es  nicht  zu  bemerken. 
Es  war  ihm  genug,  wenn  man  von  reinen  Sitten  und  unbescholtenem 
Wandel  war,  darüber  aber  hielt  er.  ^ 

8.  Ferdinand  machte  nach  seiner  Erwerbung  von  Böhmen 
und  Ungarn  kein  Hehl  daraus,  dass  er  sie  mit  den  altösterreichischen 
Landen  womöglich  zu  einem  G es ammt Staat  zu  vereinigen  und 
in  ihren  gemeinsamen  Angelegenheiten  einheitlich  zu  verwalten 
gewUlt  sei.  Umsomehr  fällt  es  auf,  dass  er  durch  sein  Testament 
vom  1.  Juni  1543  und  seine  Hausordnung  vom  25.  Februar  1554 


^  Ranke,  Zur  deutsehen  Gescbiehto  (sämnitl.  Werke  VJI),  24. 


334        österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  42. 

selbst  gegen  den  Willen  einzelner  Landschaften  eine  neue  Theilung 
der  österreichischen  Länder  anordnete,  welche  nach  seinem  Tode 
(25.  Juli  1564)  wirksam  wurde.  Danach  erhielt  sein  ältester  Sohn, 
der  römische  König  und  spätere  Kaiser  Maximilian  IL  Böhmen, 
Ungarn  und  beide  Österreich  mit  dem  Anspruch  der  Gesammt- 
Vertretung  des  Hauses  nach  außen,  Ferdinand  der  mittlere,  Tirol 
nebst  den  Vorlanden,  der  jüngste  Sohn  Erzherzog  Karl  die  inner- 
österreichischen Lande  nebst  Görz.  So  entstanden  drei  regierende 
Linien,  deren  jüngste  im  Jahre  1619  nach  Wegfall  der  beiden 
älteren  den  Gesammtbesitz  der  österreichischen  Habsburger  wieder 
vereinigte.  (S.  die  Stammtafel.)  * 

9.  Die  Entwickelung  der  Dinge  in  Oesterreich  nach  Kaiser 
Ferdinand's  L  Tode  war  vornehmlich  durch  die  schwankenden 
Verhältnisse  in  Ungarn  und  die  Türkenkriege,  andererseits  durch 
die  noch  immer  zunehmende  Ausbreitung  des  Protestantismus  in 
den  Erbländern  und  die  Gegenmaßregeln  der  Regenten  bedingt. 
Kaiser  MaximUian  H,  war  allerdings  den  neuen  Lehren  mehr  geneigt, 
so  dass  man  nach  Kaiser  Ferdinand's  Tode  sogar  seinen  Über- 
tritt erwartete,  seine  beiden  Brüder  hingegen  waren  eifrige  Anhänger 
der  alten  Kirche.  Dem  Erzherzog  Ferdinand  gelang  es  in  Tirol, 
zumal  durch  Berufung  von  geistlichen  Orden,  der  kirchlichen 
Bewegung  nahezu  völlig  Meister  zu  werden,  sein  Bruder  Erz- 
herzog Karl  hingegen  wurde  durch  drohende  Türken  einfalle  an 
einem  gleichen  Vorgehen  gehindert  und  musste  den  protestantischen 
Landständen  in  Innerösterreich  -mehrfach  Duldung  in  Religions- 
sachen gewähren.  Doch  beschränkte  er  seine  Zugeständnisse  auf 
die  Zeit  seiner  Regierung  und  auf  die  adeligen  FamUien  der  Land- 
stände, er  behielt  dagegen  sich  freie  Verfügung  in  den  Städten  und 
Märkten  vor,  die  man  als  landesfürstliches  Kammergut  ansah,  sowie 
auf  seinen  Gütern  (selbst  wenn  sie  verpfändet  waren,  s.  g.  Pfand- 


ö  Die  Gründe  dieser  Ländertheiliing,  die  eine  bedenkliche  Rückwirkung  auf 
die  Einheit  der  landesftirstlichen  Behördenorganisation  Übte,  sind  noch  nicht 
klargestellt.  Hurt  er  (I,  2,)  erblickt  in  dieser  Maßregel  eine  beabsichtigte  De- 
centralisation  der  Verwaltung,  um  die  landesfürstliche  Gewalt  im  Kampfe  gegen 
die  Stände  vorerst  in  kleineren  Gebietsgruppen  erstarken  zu  lassen.  Hub  er, 
IV,  218,  scheint  sie  auf  eine  Vorliebe  des  Kaisers  für  seine  jüngeren  Söhne 
zurückzuführen.  Wieder  andere  begnügen,  sich  mit  der  Erzählung  der  Thatsache. 
Über  die  rechtlichen  Wirkungen  dieser  Theilung  s.  Hauke,  56  ff. 


Die  Ländertheilung  von  1564;  Gegenreformation  in  Tirol  und  I.-Ö.     335 

Schäften).  Ungeachtet  der  scharfen  Maßregeln,  die  Karl  hier  traf, 
nahm  der  Protestantismus  doch  in  den  Städten  und  auf  dem 
ilachen  Lande  noch  immer  zu,  so  dass  damals  wohl  die  größere 
Hälfte  der  Gesammtbevölkerung  der  neuen  Lehre  anhieng.  Erst 
sein  Sohn,  Erzherzog  Ferdinand  IL  machte  von  dem  ihm  nach 
dem  Augsburger  Religionsfrieden  zustehenden  „jus  reformandi" 
entschieden  Gebrauch.  Am  13.  September  1598  befahl  er  die  Aus- 
weisung aller  protestantischen  Prädicanten,  Rectoren  und  Schul- 
diener aus  Graz  und  aus  allen  landesfürstlichen  Städten  und 
Märkten  in  Steiermark,  später  durchzogen  „Reformations-Commis- 
sionen"  unter  militärischer  Bedeckung  die  innerösterreichischen 
Lande,  um  bei  Bürgern  und  Bauern  die  Rückkehr  zum  katholischen 
Glauben  zu  betreiben.  Wer  dies  verweigerte,  musste  gegen  Bezahlung 
des  zehnten  Pfennigs  als  Abfahrtsgeld  die  Lande  räumen,  nur  die 
landständischen  Adelsgeschlechter  blieben  von  diesen  Maßregeln 
vorerst  ausgenommen,  „wider  welche  Ihre  Fürstliche  Durchlaucht 
nichts  anders  attentiert,  als  dass  sie  bei  denselben  die  Prädicanten 
abgeschafft  und  alles  Exercitium  augsburgischer  Confession  verboten 
und  eingestellt,  wie  Roselenz  in  seiner  Vertheidigung  der  Gegner- 
reformation (Gründlicher  Gegenbericht,  F.  34  ^)  hervorhebt. 

10.  Erzherzog  Ferdinand  hatte  bei  diesen  Verfügungen  nicht 
bloß  das  Interesse  der  Kirche,  sondern  ebenso  sehr  auch  die 
Kräftigung  seines  landesfürstlichen  Ansehens  im  Auge.  Die 
Gegenreformation  ist  daher  auch  als  politische  Maß- 
regel zu  beurtheilen.  So  hart  die  Gebote  des  Erzherzogs  den 
Einzelnen  trafen,  so  bedenklich  sie  in  ihren  staatswirtschaftlichen 
Folgen  waren,  so  wenig  ließen  sie  sich  vom  Standpunkte  des 
formellen  Rechts  anfechten.  Da  zudem  die  Regierung  in  dieser 
Sache  mit  großer  Umsicht  und  Ernst  zuvVerke  gieng,  so  wagten 


7  Es  ist  beachtenswert,  wie  sehr  Erzherzog  Ferdinand  II.  in  den  Jahren  1598 
bis  1000  bei  Durchführung  der  Gegenreformation  in  Innoröstcrroich  auf  Fremde, 
d.  b.  solche  Personen,  die  nicht  als  seine  Unterthanen  geboren  wurden,  ange- 
wiesen war.  Bischof  Georg  von  Lavant  (Stoboeus  von  Palmburg),  auf  dessen 
Antreiben  und  Anrathen  der  erste  Schlag  fiel,  war  ein  gebürtiger  Preuße,  der 
streitbare  Bischof  von  Seckau,  der  ,Kotzerhanuner*  Martin  Brenner,  oin  Schwabe 
aus  Dietenheim,  der  Propst  von  Stainz  Jakob  Rosolenz,  dem  die  publicistische 
Rechtfertigung  zufiel,  ein  Kölner,  der  Anführer  der  Executionstruppen  Paar  ein 
Italiener.  Unter  den  Landeskindem  ist  hier  an  hervorragender  Stelle  nur  der 
Bischof  von  Laibach  Thoraas  Chrön  (seit  1599)  zu  nennen. 


336        Österreichische  Rcichsgeschichte.  ü.  Theil.  Vierte  Periode.  §  42. 

die  Betroffenen  auch  keinen  bewaffneten  Widerstand,  an  den  in 
der  ersten  Aufregung  so  mancher  gedacht  hatte.  Die  Widerstands- 
kraft der  protestantischen  Landstände  in  Innerösterreich  wurde  so  zu 
einer  Zeit  gebrochen,  in  der  die  Österreicher  mit  Benützung  des  un- 
seligen Bruderzwistes  im  Herrscherhause  durch  die  Capitulations- 
Resolution  des  Königs  Matthias  (19.  März  1609)  Zugeständnisse 
erhielten,  die  über  die  Vergünstigungen  Kaiser  Maximilians  II. 
hinausgiengen  und  Kaiser  Rudolph  IL  den  Böhmen  und  Schlesiern 
den  Majestätsbrief  ausstellte.  (1609,  9.  Juli,  für  Schlesien  20.  August.) 

11.  Der  Schwerpunkt  liegt  von  da  ab  in  den  Ereignissen, 
die  sich  in  Böhmen  vorbereiteten.  Kaiser  Matthias  hatte  sich  der 
Protestanten  bedient,  um  den  regierungsunfähig  gewordenen  Bruder 
aus  der  Herrschaft  zu  verdrängen,  allein  er  hätte  am  liebsten  die 
Zugeständnisse  in  Religionssachen  wieder  zurückgenommen,  die  er 
hatte  machen  müssen.  Das  gieng  nun  freilich  nicht  und  so  befand 
er  sich  in  einer  wirklich  üblen  Lage.  Nur  durch  äußerste  Nach- 
giebigkeit, so  klagte  er  in  einem  vertrauten  Schreiben  an  Erz- 
herzog Ferdinand  von  Steiermark,  (1613,  10.  November)  habe  er 
bisher  die  Stände  in  Osterreich  von  offener  Empörung  zurück- 
gehalten, in  Ungarn  thue  der  Palatin,  was  er  wolle,  in  Böhmen  könne 
er  keinen  Landtag  berufen,  wenn  er  nicht  die  Confoderation  der 
Stände  zugeben:  wolle,  daher  aber  auch  keine  Steuern  erheben, 
Mähren  gleiche  mehr  einer  Republik,  als  einem  Fürstenthum  u.  s.  w. 
Dazu  beherrschte  den  kinderlosen  Matthias  die  Sorge  für  die  Nach- 
folge in  den  Erblanden  die  er  seinem  Neffen  Ferdinand  II.  aus 
der  innerösterreichischen  Linie  zuwenden  wollte.  Nur  mit  Mühe 
wurde  1617  auf  dem  böhmischen  Landtage  das  Erbrecht  des 
Hauses  anerkannt,  Ferdinand  jedoch  erst  gekrönt,  nachdem  er  den 
Majestätsbrief  bestätigt  hatte.  In  Ungarn  hingegen  bestand  der 
niedere  Adel  hartnäckig  auf  der  Anerkennung  seines  unbeschränkten 
Wahlrechts  und  ließ  sich  erst  nach  vielen  Verhandlungen  am 
16.  Mai  1618  zur  Formel  herbei,  „dass  Ferdinand  von  den  Ständen 
nach  ihrer  alten  Gewohnheit  und  immer  beobachteten  Freiheit 
einstimmig  zum  König  gewählt  worden  sei". 

Nur  wenige  Tage  später  drängten  die  hochgespannten  Gegen- 
sätze zwischen  den  Wünschen  der  protestantischen  Stände  in 
Böhmen  und  den  Absichten  des  Kaisei*3  Matthias  zum  Ausbruch 
einer  verhängnisvollen  Bewegung.    Die  strengen  Maßregeln  des 


K.  Rudolf  II.  Majestätsbrief;  der  Prager  Fenstersturz  und  seine  Folgen.    337 

Kaisers  gegen  die  protestantischen  Bürger  von  Braunau,  welche 
die  Auslieferung  ihrer  Kirchenschlüssel  verweigerten,  wurden  am 
23.  Mai  1618  durch  den  Prager  Fenstersturz  beantwortet,  die 
böhmischen  Stände  ernannten  eine  provisorische  Regierung  aus 
30  Directoren,  Graf  Thum  warb  in  ihrem  Auftrag  ein  Heer,  mit 
dem  er  bis  Wien  streifte.  Gleichzeitig  wurden  mit  den  Protestanten 
in  Mähren,  im  Lande  ob  und  unter  der  Enns  aber  auch  mit  der 
Union,  mit  Savoyen,  Venedig  und  dem  König  Jakob  von  England 
Verbindungen  angeknüpft,  während  Sachsen  und  Polen  für  den 
Frieden  thätig  waren.  Während  dieser  Verhandlungen  starb  Kaiser 
Matthias  am  20.  März  1619. 

12.  Die  Directoren  schrieben  nun  einen  Generallandtag  nach 
Prag  aus,  welcher  auch  von  den  Abgeordneten  der  protestantischen 
Stände  von  Osterreich  ob  und  unter  der  Enns  beschickt  wurde, 
und  am  31.  Juli  eine  neue  Verfassung  (Conföderationsacte)  annahm. 
In  derselben  wurde  Böhmen  förmUch  zu  einem  Wahlreich  erklärt 
und  das  schwache  Band  noch  mehr  gelockert,  durch  welches  es 
mit  den  Nachbarlanden  Mähren  und  Schlesien  verbunden  war.  Am 
16.  August  wurde  mit  den  Protestanten  in  Österreich  ob  und  unter 
der  Enns  eine  „Conföderation**  gegen  alle  Feinde  abgeschlossen, 
welche  die  Privilegien  der  Stände  und  deren  Religion  angreifen 
würden,  am  19.  August  König  Ferdinand  II.  seiner  Herrscherrechte 
in  Böhmen  verlustig  erklärt.  Die  böhmischen  Herren  standen 
damals  auf  dem  Höhenpunkte  ihrer  Macht.  Diese  zu  brechen  und 
der  monarchischen  Gewalt  zum  Siege  zu  verhelfen  w^ar  die  Auf- 
gabe K.  Ferdinands  IL,  die  er  auch  gelöst  hat. 

Die  Böhmen  hatten  am  26.  August  1619  den  Pfalzgrafen 
Fiiedrich  V.,  das  Haupt  der  Union  zum  König  gewählt  und  am 
4.  November  auch  gekrönt,  allein  die  Schlacht  auf  dem  Weißen 
Berge  machte  nach  Jahresfrist  (8.  November  1620)  seinem  Reiche 
wie  auch  der  ständischen  Adelsherrschaft  ein  jähes  Ende.  Kaiser 
Ferdinand  II.  hielt  nun  ein  blutiges  Strafgericht.  Am  20.  Februar  . 
1621  wurden  48  von  den  Führern  {der  Bewegung  ergriffen  und 
27  von  ihnen  am  21.  Juni  1621  hingerichtet,  die  übrigen  zu 
schimpflichen  Strafen  verurtheilt.  Im  Februar  1622  ergieng  die 
Aufforderung  an  alle  Schuldigen  um  Verzeihung  zu  bitten,  der  s.  g. 
Generalpardon.  Den  728  Mitgliedern  des  Herren-  und  Ritterstandes, 
die  sich  meldeten,  wurde  das  Leben  geschenkt,  aber  sie  verloren 

LuBchin,  ÖBterreichiscbe  Reichsgeschictate.  22 


338         Österreichische  Roichsgeschichte.  U.  Theil.  Vierte  Periode.  §  42. 

ihre  Güter  zum  größten  Theile.  Nun  beganaen  auch  in  Böhmen 
die  Maßregeln  der  Gegenreformation.  Schon  1621  waren  jene 
Prediger,  welche  sich  in  politische  Umtriebe  eingelassen  hatten,  des 
Landes  verwiesen  worden.  Im  Jahre  1624  traf  das  gleiche  Los 
auch  die  übrigen,  zugleich  sollten  Zwangsmaßregeln  aller  Art, 
namentlich  lästige  Einquartierungen  von  Soldaten  (s.  g.  Seligmacher) 
die  protestantischen  Bewohner  zum  alten  Glauben  zurückführen. 
Im  Jahre  1627  wurde  dann  durch  Erlassung  der  verneuerten  Landes- 
ordnung für  Böhmen  —  im  Jahre  1628  für  Mähren  —  die  Landes- 
verfassung gründlich  geändert,  die  Erblichkeit  in  der  männlichen 
und  weiblichen  Linie  des  Hauses  Habsburg  ausgesprochen,  der 
Geistlichkeit  die  erste  Stelle  unter  den  Landständen  angewiesen, 
die  Gesetzgebung  der  Krone  vorbehalten  u.  s.  w. 

13.  Nun  schien  auch  der  Augenblick  gekommen,  um  die 
schon  weit  gediehene  Gegenreformation  vollends  durchzuführen, 
denn  bisher  hatte  dieselbe  den  landständischen  Adel  noch  nicht 
unmittelbar  berührt,  da  sich  die  Maßregeln  vor  allen  gegen  den 
protestantischen  Bürger  und  Bauern  gekehrt  hatten,  von  denen 
überdies  manch  einer  den  Verfolgungen  entgangen  war.  Da  erließ 
der  Kaiser  Edicte  am  31.  Juli  1627  für  Böhmen,  1.  August  1628 
für  die  i.-ö.  Lande,  welche  auch  die  Mitglieder  des  Herren-  und 
Ritteratandes,  die  sich  nicht  bekehren  wollten,  zur  Veräußerung 
ihrer  Güter  und  zum  Verlassen  der  Heimat  zwang.  Auf  mehr 
als  30.000  Familien  schätzte  Slavata  den  Verlust,  den  Böhmen 
damals  durch  die  unfreiwilligen  Auswanderer  erlitt,  darunter 
befanden  sich  185  Geschlechter  des  Herren-  und  Ritterstandes  aus 
Böhmen,  150  adelige  Familien  mit  nahezu  800  Gliedern  aus  Inner- 
östen-eich.  ®  Vielfach  waren  es  die  tüchtigsten,  kenntnisreichsten  und 
unternehmendsten  Männer,  die  so  außer  Landes  getrieben  wurden 
und  in  Sachsen,  Brandenburg,  Holland  und  der  Schweiz,  oder 
anderswo  in  protestantischen  Landen  ihr  Fortkommen  suchten. 
„Eine  Menge  von  Vermögen,  Kraft  und  Intelligenz  war  dadurch 
für  Österreich  verloren  gegangen",  an  die  Stelle  eines  mit  den 
Geschicken  des  Landes  seit  Jahrhunderten  verflochtenen  Adels 

^  3*2  Angehörige  der  Familie  Windisehgrätz,  29  Dietrichstein,  26  Welzer, 
je  24  Egkh  und  Khevenhüllor,  17  Racknitz,  15  GaUer,  13  Herritsch,  12  Herber- 
v<«tein,  11  Prank  u.  a.  m.,  zusammen  425  Personen  verließen  damals  allein  vom 
i.-ö.  Uerrenstand  die  Heimat.  Exulanten- Verzeichnis:  Zahn,  Geschichtsbl.,  II,  75  ff. 


Die  neuen  Landesordnungen;  Durchfühning  der  (iegenreformation.     339 

traten  Emporkömmlinge  oder  fremde  Geschlechter,  allein  die 
Männer  der  Wissenschaft  und  Kunst  ließen  sich  nicht  so  leicht 
ereetzen.  Schwer  hielt  es  schon,  die  Lücken  auszufüllen,  die  durch 
den  Abgang  so  vieler  geschäftsgewandter  Kaufleute,  erfahrener 
Gewerken  und  fachtüchtigen  Handwerksleute  auf  Kosten  des 
österreichischen  Volkswohlstandes  entstanden  waren.  Der  wirt- 
schaftliche Verfall  ließ  in  der  That  nicht  lange  auf  sich  warten. 

14.  Im  Jahre  1629  erließ  Kaiser  Ferdinand  II.  auf  dem 
Gipfel  seiner  Macht,  das  s.  g.  Restitutions-Edict,  ungeachtet  es  ihm 
widerrathen  worden  war,  das  die  Rückstellung  aller  seit  dem 
Passauer  Vertrag  wider  den  geistlichen  Vorbehalt  eingezogenen 
Kirchengüter  an  die  Katholiken  befahl.  Wallenstein  mit  seinen 
gefürchteten  Scharen  soUte  es  durchführen,  an  einen  Wideretand 
war  da  nicht  zu  denken.  Aüein  schon  im  August  des  Jahres  1630 
ließ  der  Kaiser  seinen  Generalissimus  fallen,  gegen  den  auf  dem 
Kurfüretentage  die  schwersten  Anklagen  laut  geworden  waren. 
Grollend  zog  sich  nun  Wallenstein  auf  seine  Güter  zurück,  des 
Augenblicks  harrend,  da  man  seiner  wieder  bedürfen  würde.  Und 
diese  Zeit  kam  bald  genug,  denn  der  Kaiser  war  mit  dem  Tage 
der  Entlassung  seines  bewährten  Feldherm  im  Reiche  machtlos 
geworden.  Nur  auf  vielfältige  Bitten  ließ  sich  dieser  im  December 
1631  herbei,  ein  neues  Heer  für  den  Kaiser  aufzustellen,  dessen 
Oberbefehl  er  eret  nach  neuerlichen  Bitten  K.  Ferdinands  II.  im  Früh- 
jahr 1632  gegen  Einräumung  der  weitestgehenden  Befugnisse  und 
Verpfändung  des  Füretenthums  Groß-Glogau,  bis  er  wieder  in  den 
Besitz  Mecklenburgs  gesetzt,  oder  in  anderer  Weise  durch  ein 
gleichartiges  Land  entschädigt  werden  würde,  übernahm.  ® 

15.  Nach  Wallenstein's  Ermordung  (25.  Februar  1 634)  übergieng 
der  Oberbefehl  auf  des  Kaisers  ältesten  Sohn,  König  Ferdinand  (IIL), 
der  seinem  Vater  im  Jahre  1637  auch  in  der  Regierung  folgte. 
Der  Krieg  hatte  mittlerweile  seinen  ursprünglichen  Charakter  und 
Zweck  schon  längst  verloren,  namentlich  seitdem  Frankreich  sich 
offen  auf  Seite  der  Schweden  gestellt  hatte,  und  wurde  ohne  große 
Waffenthaten  verheerend  fortgesetzt.  Schon  in  den  Jahren  1640/41 
wurden  Friedensunterhandlungen  angeknüpft,  jedoch  ohne  Ernst 

®  Die  angeblichen  Bedingungen  Wallensteins,  bei  Khevenhiiller  in  seinen 
Ann.  Perdinandi,  die  man  eben  daswegen  für  authentisch  gehalten  hat,  sind  es 
nicht.    Hu  her,  V.,  406,  Anm.  2,  mit  Berufimg  auf  Ranke  und  Schebek. 

2*2* 


340        österreichische  Reichsgeschichte.  IL  Theil.  Viert«  Periode.  §  42. 

betrieben,  weil  jeder  Theil  noch  Vortheile  über  den  Gegner  zu 
erringen  suchte.  In  der  That  gelang  auch  den  Schweden  noch 
im  letzten  Augenblicke  die  Überrumpelung  der  Prager  Kleinseite, 
so  dass  der  Krieg  an  dem  Orte,  von  dem  er  ausgegangen  war, 
nach  dreißig  Jahren  (1648)  sein  Ende  erreichte. 

Grauenvoll  waren  die  Wirkungen  dieser  verheerenden  Kriegs- 
züge in  den  Landen,  die  unmittelbar  davon  betroffen  waren,  Böhmen, 
Mähren  und  Schlesien  standen  am  Rande  des  Verderbens,  Tausende 
von  Dörfern  waren  niedergebrannt,  viele  sind  gar  nicht  wieder 
erstanden ;  in  Böhmen  war  die  Bevölkerung  auf  ein  Viertel  zurück- 
gegangen. Aber  auch  die  Leistungsfähigkeit  der  übrigen  Erblande 
war  erschöpft,  als  endlich  die  Friedensglocken  läuteten. 

16.  Auf  Kaiser  Ferdinand  IIL  (+  1657)  folgte,  da  ihm  sein 
ältester  Sohn  König  Ferdinand  IV.  schon  1654  im  Tode  voran- 
gegangen war,  sein  jüngerer  Sohn  Kaiser  Leopold  L  (1657 — 1705), 
der  während  seiner  48jährigen  Regierung,  ungeachtet  seiner  persön- 
lichen Friedfertigkeit  in  eine  Reihe  langdauenider  Kriege  mit  der 
Türkei,  mit  Frankreich  und  in  Ungarn  verwickelt  wurde. 

Den  ersten  Türkenkrieg  brachte  die  Parteinahme  des  Kaiser 
in  Siebenbürgen  zum  Ausbruch,  wo  er  die  beiden  Kemenji  gegen 
die  von  den  Türken  eingesetzten  Fürsten  Achaz  Barcsai  und 
Michael  ApaflFy  I.  unterstützte.  Der  Sieg  den  Montecuculi  am 
31.  Juli  1664  zu  St.  Gotthard  an  der  Raab  erfocht,  brachte  jedoch 
nicht  die  gehoflften  Früchte,  denn  durch  den  Frieden  von  Vasvär 
wurde  nur  die  Verwandlung  Siebenbürgens  in  eine  türkische  Provinz 
verhindert,  wogegen  Neuhäusel  und  Großwardein  den  Türken,  die 
sie  erobert  hatten,  verbleiben  sollten.  Man  war  darum  mit  diesem 
Frieden  vielfach  unzufrieden,  namentlich  in  Ungarn,  wo  man  sich 
darüber  beschwerte,  dass  der  Reichstag  nicht  befragt  worden 
sei.  Zudem  mehrten  sich  die  Klagen,  als  die  siebenbürgischen 
Besatzungen  vertragsmäßig  nach  Ungarn  zurückgezogen  wurden. 
Die  Unzufriedenen  sammelten  sich  um  den  Palatin  Vesselönyi,  und 
als  dieser  1667  gestorben  war,  um  den  herrschsüchtigen  Peter  Zrinyi, 
dem  sich  der  judex  curife  Franz  Nädasdy,  Franz  Christoph  Graf 
Frangepan  und  der  innerösten^eichische  Regimentsrath  Erasem  Graf 
Tattenbach  anschlössen.  Zrinyi  machte  sich  immer  mehr  mit  dem 
Gedanken  vertraut,  König  von  Ungarn  zu  werden  und  seinen 
Schwiegersohn  Raköczy  in  Siebenbürgen  zum  Fürsten  zu  erheben. 


Polgen  des  30jähr.  Krieges;  Türkenkriege  1664,  1683  ff.  341 

Die  Verschworenen  unterhandelten  mit  Apaflfy,  mit  der  Türkei,  Polen 
und  Frankreich,  doch  wurde  der  Anschlag  rechtzeitig  entdeckt  und 
die  Häupter  der  Anzettelung  fielen  nach  durchgeführtem  Hoch- 
verrat hsprocesse  unter  dem  Beile  des  Henkers  (1671). 

17.  Die  ungarischen  Verhältnisse  beruhigten  sich  demunge- 
achtet  nicht.  Nach  der  Niederwerfung  des  Zrinyi-Frangepani'schen 
Aufstandes  waren  viele  Edelleute  vor  ein  zu  Pressburg  unter  dem 
Vorsitze  des  Grafen  Rotal  tagendes  Kriegsgericht  vorgeladen, 
manche  auch  hingerichtet  worden.  Später  1673/74  machte  man 
den  evangelischen  Predigern  in  den  Bergstädten  den  Process,  da 
man  sie  des  Einverständnisses  mit  den  Türken  beschuldigte.  Ungarn 
wurde  wie  ein  erobertes  Land  behandelt  und  des  Kaisers  erster 
Rathgeber,  Fürst  Lobkowitz,  dachte  daran,  die  alte  Verfassung  abzu- 
schaffen, das  Palatinat  und  die  Stände  aufzuheben  und  das  Recht 
der  Gesetzgebung  an  die  Krone  zu  bringen. 

An  die  Spitze  der  Unzufriedenen  in  Ungarn  stellte  sich  1677 
Graf  Eraerich  Tökölyi,  der  von  Polen  und  Frankreich  unterstützt, 
nach  und  nach  alle  Bergstädte  eroberte.  Nun  berief  zwar  Kaiser 
Leopold  im  Frühjahr  1681  einen  Reichstag,  auf  welchem  er  den 
Ungarn  die  in  dem  Wiener  Frieden  (1606)  zugestandene  freie 
Religionsübung  bestätigte  und  auf  die  übrigen  Wünsche :  Wieder- 
herstellung nationaler  Ämter  (Palatin,  Banus  von  Croatien)  Neu- 
«rrichtung  der  Miliz,  Abschaflfung  der  neuen  Steuern  u.  s.  w.  eingieng. 
Er  erreichte  jedoch  seine  Absichten  nicht,  da  König  Ludwig  XIV. 
von  Frankreich  gerade  damals  alles  daran  setzte,  die  Macht  des 
Kaisera  durch  Unruhen  in  Ungarn  lahm  zu  legen,  um  für  seine 
Vergewaltigungen  am  Rhein  (Reunionskammern,  Überfall  von  Straß- 
burg 1681,  30.  September)  freie  Hand  zu  erhalten.  So  kam  es, 
dass  die  Türkei  nun  offen  auf  Tökölyi's  Seite  trat,  der  1682  zum 
König  von  Ungarn  ausgerufen  wurde  und  dass  der  kriegslustige 
Großvezier  Kara  Mustapha  den  Krieg  gegen  den  Kaiser  selbst 
beschloß.  Am  13.  Juli  1683  begann  das  bis  an  die  Mauern  Wiens 
vorgedrungene  Türkenheer  mit  der  Belagerung  der  Stadt,  die  erst 
am  12.  September  durch  den  Sieg  des  Entsatzheeres  am  Kahlen- 
berge  beendet  wurde. 

Nunmehr  wandte  sich  das  Blatt  zu  Gunsten  Kaiser  Leopold's  L 
Im  Jahre  1686  wurde  Ofen  erobert,  das  durch  145  Jahre  in  türkischen 
Händen  gewesen  war,  das  Jahr  darauf  (12.  August  1687)  wurde 


342         Österreichische  Reichsgeschichte.  IL  Thcil.  Vierte  Periode.  §  4*2. 

der  Großvezier  beim  Berge  Härkäny  in  der  Nähe  von  Mohäc» 
entscheidend  geschlagen  und  der  gewandte  kaiserliche  General 
Caraflfa  brachte  die  Stände  Siebenbürgens  dazu,  dass  sie  dera 
Bündnisse  mit  der  Türkei  entsagten  und  den  Kaiser  als  ihren 
Schutzherrn  annahmen  (9.  Mai  1688). 

18.  Jetzt,  nachdem  der  größere  TheU  von  Ungarn  durch  Blut- 
und  Geldopfer  der  kaiserlichen  Erblande  und  Deutschlands  dem 
Türkenjoch  wieder  entrissen  war,  fehlte  es  nicht  an  Stimmen,  welche 
den  mit  Waffengewalt  gewonnenen  Boden  der  Lehensherrlichkeit 
des  deutschen  Reiches  unterworfen  wissen  wollten,  da  derselbe 
während  der  langen  türkischen  Oberherrschaft  den  Charakter  eines 
ungarischen  Gebiets  verloren  habe.  Wieder  andere  suchten  dem 
allmählich  erstarkenden  Gedanken,  dass  man  einem  großen  Staats- 
wesen angehöre,  Ausdruck  zu  geben  und  verlangten,  dass  aus 
Anlass  der  Wiedergewinnung  mindestens  eine  Annäherung  in  der 
Länderverfassung  eintrete  und  der  Gegensatz  beseitigt  werde,  dass 
innerhalb  derselben  Staatsgrenzen  der  Herrscher  auf  der  einen 
Seite  Erb-,  auf  der  andern  Seite  Wahlfürst  sein  solle.  Im  Sinne 
dieser  entschied  der  Kaiser  und  berief  auf  den  18.  October  1087 
einen  Reichstag  nach  Pressburg.  Zwar  könnte  er,  erklärte  Kaiser 
Leopold  in  der  Vorlage,  das  aus  den  Händen  der  Türken  und 
Rebellen  eroberte  Land  in  absoluter  Weise  beherrschen,  doch 
wolle  er  die  Verfassung  bestehen  lassen,  wenn  der  Reichstag  das 
Erbrecht  des  Hauses  Habsburg  in  Ungarn  anerkenne  und  die  s.  g. 
Widerstandsklausel  aus  der  goldenen  Bulle  beseitige.  Beide  Forde- 
rungen fanden  wenig  Widerstand,  und  am  9.  December  1687 
wurde  die  erste  Krönung  eines  erblichen  ungarischen  Königs 
an  Erzherzog  Josef  L  vollzogen. 

19.  Das  Kriegsglück  blieb  den  kaiserlichen  Fahnen  treu. 
1688  wurde  vorübergehend  Belgrad,  und  weiterhin  Serbien,  Bosnien, 
die  Wallachei  und  ein  Theü  von  Albanien  erobert,  1691  wurden 
die  Türken  bei  Salankemen  geschlagen,  1696  entsagte  Fürst  Michael 
Apaffy  II.  zu  Gunsten  des  Kaisere  auf  Siebenbürgen,  Entscheidung 
brachte  aber  erst  der  vom  Prinzen  Eugen  von  Savoyen  bei  Zenta  1 697 
erfochtene  Sieg,  durch  welchen  die  hohe  Pforte  zum  Frieden  von 
Karlovitz  (1699,  26.  Jänner)  genöthigt  wurde,  in  welchem  sie 
Siebenbürgen,  ganz  Ungarn  mit  Ausnahme  des  Temeser  Banats. 
Croatien  und  Slavonien  an  den  Kaiser  abtrat.  Die  türkischen  Grenz- 


Friede  von  Karlovitz,  1699;  spanischer  Erfolgekrieg.  34B 

posten  gegen  die  Erblande,  die  vor  16  Jahren  noch  zu  Gran  und 
Neuhäusel  gestanden  hatten,  waren  jetzt  bis  Belgrad  und  Temesvär 
zurückgedrängt. 

20.  Der  endlich  hergestellte  Friede  währte  jedoch  nicht  lange. 
Am  12.  November  1700  erlosch  mit  König  Karl  IL  die  Linie  der 
spanischen  Habsburger  und  der  Vei'such  Kaiser  Leopolds  L,  das 
Erbrecht  seines  Hauses  geltend  zu  machen,  führte  den  Ausbruch 
des  8.  g.  spanischen  Erbfolgekriegs  herbei,  in  welchem  Osten-eich 
mit  Frankreich  sowohl  in  Deutschland,  als  in  Italien  zusammen- 
stieß. Zugleich  brachen  in  Ungarn,  w^o  es,  wie  der  venezianische 
Gesandte  schon  1699  berichtete,  nur  einer  geschickten  Hand  bedurfte, 
um  die  Flammen  des  Aufmhrs  wieder  auflodern  zu  lassen,  Unruhen 
aus,  die  von  Frankreich  geschürt  wurden.  An  die  Spitze  der 
«Malcontenten"  trat  1703  Franz  Räköczy  IL,  der  sich  im  Kampfe 
gegen  die  kaiserlichen  Truppen,  seit  1708  allerdings  mit  sinkendem 
Glücke,  bis  zum  Jahre  1711  erhielt.  Mittlerweile  waren  nicht  bloß 
Kaiser  Leopold  I.  (5.  Mai  1705),  sondern  auch  dessen  Nachfolger, 
Kaiser  Josef  L  (17.  April  1711)  gestorben,  ein  kluger  und  kraft- 
voller Regent,  auf  den  man  große  Hoffnungen  setzte  und  der  sich 
mit  Plänen  einer  weitreichenden  Umgestaltung  nicht  nur  der  äußern 
Politik,  sondern  auch  der  inneren  Verwaltung  trug. 

21.  Da  Kaiser  Josef  bei  seinem  unerwarteten  Hinscheiden 
keinen  Sohn,  sondern  nur  zwei  Töchter  hinterlassen  hatte,  so 
folgte  ihm  in  der  Herrschaft  über  die  Erblande  sein  Bruder  Karl. 
Dieser  kämpfte  damals  gerade  in  Spanien  um  die  Krone,  die  ihm 
Vater  und  Bruder  im  Jahre  1703  abgetreten  hatten,  kehrte  aber 
auf  die  Meldung  vom  Tode  seines  Bruders  so  bald  als  möglich 
nach  Österreich  zurück,  während  seine  Gemahlin  vorerst  noch  als 
Regentin  in  Spanien  zurückblieb.  In  Mailand  erreichte  ihn  die 
Nachricht  von  seiner  Wahl  zum  deutschen  Kaiser  und  auch  in 
Ungarn  wurde  er  ohne  Schwierigkeiten  gekrönt.  Dagegen  gelang 
es  ihm  nicht  den  Besitz  von  Spanien  gegen  Philipp  V.  von  Bourbon 
zu  behaupten,  weil  jetzt  die  Seemächte,  insbesonders  England, 
für  eine  Theilung  der  spanischen  Erbschaft  eintraten  und  am 
11.  April  1713  mit  Frankreich  den  Frieden  von  Utrecht  schlössen. 
Kaiser  Karl  VI.  setzte  zwar  den  Krieg  noch  einige  Zeit  allein 
fort,  musste  sich  aber  endlich  (1714)  zum  Rastatter  Frieden  ent- 
schließen, der  ihm  nur  die  spanischen  Nebenlande  in  Europa,  d.  i. 


344     österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  42  u.  43. 

Neapel,  Mailand,  Sardinien  und  die  spanischen  Niederlande  zubrachte. 
Nicht  lange  darauf  führte  die  Parteinahme  des  Kaisers  für  Venedig, 
dem  die  Türken  das  im  Karlovitzer  Frieden  abgetretene  Morea 
streitig  machten,  zum  ersten  Türkenkrieg,  der  aber  dank  dem  Feld- 
herrntalente des  Prinzen  Eugen  nach  der  türkischen  Niederlage 
zu  Peterwardein  und  der  Eroberung  von  Temesvar  und  Belgrad 
1718  durch  den  Passarovitzer  Frieden  beendigt  wurde,  durch 
welchen  der  Kaiser  den  Banat,  die  Wallachei  bis  zur  Aluta  und 
Theile  von  Serbien  und  Bosnien  erhielt. 

22.  Die  wichtigste  innere  Angelegenheit,  welche  den  Kaiser 
beschäftigte,  war  aber  die  Regelung  der  Thronfolge.  Kaiser  Karl  VI. 
war  nach  dem  Tode  seines  Bruders  der  einzige  Habsburger,  seine 
Ehe  mit  Elisabeth  Christina  von  Braunschweig-Blankenburg  längere 
Zeit  kinderlos.  Die  Möglichkeit  des  Erlöschens  des  Habsburgischen 
Mannsstammes  war  also  nahe  gerückt  und  damit  der  Übergang 
des  Reiches  an  die  weiblichen  Nachkommen.  Nun  hatte  aber  der 
im  März  1712  von  dem  croatisch-slavonischen  Ständen  gefasste 
Beschluss,  in  solchem  Falle  jene  Prinzessin  mit  ihrer  Nachkommen- 
schaft als  zur  Thronfolge  berufen  anzusehen,  welche  die  fünf  n.-ö. 
Lande  besitzen  und  im  Erzherzogthum  Österreich  Hof  halten  würde, 
diese  Frage  in  Bewegung  gebracht.  Die  Ungarn  über  das  einseitige 
Vorgehen  der  Croaten  aufs  höchste  erbittert,  weigerten  sich  nicht 
nur  eine  ähnliche  Erklärung  abzugeben,  sondern  stellten  überhaupt 
auf  die  Anfrage,  unter  welchen  Bedingungen  sie  im  Falle  des  Aus- 
sterbens des  Mannsstarames  auf  ihr  Wahlrecht  zu  verzichten  bereit 
wären,  unannehmbare  Bedingungen.  Kaiser  Karl  VI.  antwortete 
darauf  durch  die  am  19.  April  1713  im  Kreise  seiner  geheimen 
Räthe  zu  Protokoll  gegebenen  Erklärung,  dass  nach  der  in  seinem 
Hause  beobachteten  Ordnung  sämmtliche  ihm  von  seinem  Vater 
und  Bruder  angefallene  Erbländer  nebst  den  spanischen  Erwer- 
bungen, als  ungetheiltes  Ganze  erst  auf  seine  männliche  Nach- 
kommenschaft und  in  deren  Ermangelung  auf  seine  „ehelich 
hinterlassende  Töchter",  in  deren  Abgang  auf  Kaiser  Josefs  I. 
Töchter,  dann  auf  seine  Schwestern  und  so  fort  auf  die  übrigen 
Linien  des  Erzhauses  „nach  dem  iure  primogeniturse*  überzugehen 
hätten.  Die  Veröflfentlichung  unterblieb  jedoch  bis  zum  Jahre  1720. 
Damals  ergieng  das  Protokoll  vom  19.  April  1713  als  Regierungs- 
vorlage an  alle  Landtage  um  von  ihnen  Zustimmungserklärungen  zu 


Passarovitzer  Friede  1718;  die  Pragfmatische  Sanction.  345 

dieser  „Sanctio  pragmatica",  zu  erlangen.  Von  keiner  Seite  erfolgte 
eine  Ablehnung,  den  Schluss  des  Ganzen  bildete  die  Kundmachung 
der  so  vereinbarten  Erbfolge-Ordnung  in  den  Niederlanden  (6.  De- 
cember  1724)  und  in  der  Lombardei  (am  14.  März  1725). 

23.  Gegen  den  Rath  des  Prinzen  Eugen,  welcher  sich  mit 
diesen  Anerkennungen  der  Erbländer  begnügen  und  nur  zu  deren 
Durchfuhrung  ein  starkes  Heer  aufstellen  wollte,  suchte  der  Kaiser 
auch  die  Zustimmung  der  europäischen  Mächte  zu  gewinnen.  Dies 
verwickelte  ihn  in  mancherlei  Schwierigkeiten,  so  z.  B.  um  die 
Stimme  Kursachsens  zu  gewinnen  in  den  sächsisch-polnischen  Erb- 
folgekrieg 1733—1735,  in  welchem  der  Kaiser  Neapel  und  Sicilien 
verlor  und  dafür  Parma  und  Piacenza  erhielt.  Beinahe  gleichzeitig 
wurde  auch  der  zweite  Türkenkrieg  so  unglücklich  gefuhrt,  dass 
durch  den  Belgrader  Frieden  (1739)  die  meisten  Vortheile  des 
Passarovitzer  Friedens  schwanden  und  Donau  und  Save  die  Grenzen 
des  Reiches  wurden.  Diese  Unglücksfälle  schwächten  die  Gesundheit 
des  Kaisers,  der  auf  einer  Jagd  im  October  1740  erkrankte  und  am 
26.  October  mit  Hinterlassung  zweier  Töchter  starb.  Mit  ihm  er- 
losch der  Mannsstamm  der  habsburgischen  Regenten  in  Österreich. 


Österreichische  Rechtsquellen  vom  Schlüsse  des  Mittelalters 

bis  zum  Jahre  1740. 

§  43.  Die  landesfarstliche  Gesetzgebung  im  16.  Jahrhundert. 

Ritter  M.,  Das  deutsche  Fürstenthuni  in  der  Mitte  des  16.  Jahrhunderts. 
(Zeitsch.  f.  allg.  Gesch.  1885.)  —  Schröder.  Rechtsgesoh.  §  87  ff.  —  St  ebbe, 
Oe.<chichte  der  deutschen  Rechtsquellen,  2.  Abtheilg.,  §  70 ff.  —  Sar  tori  T.  v. 
Beiträge  zur  österr.  Reichs-  und  Rechtsgeschichte.  Innsbruck  1895.  —  K  r  o  n  e  s, 
Die  landesfUrstl.  und  landschaftl.  Patente  der  Herrscherzeit  Maximilian's  I.  und 
Ferdinand'»  I.  (1493—1564.)  Beitr.  zur  Kunde  steir.  Geschichtsquellen,  XVIII,  XIX. 

1.  Der  große  Umschwung  ia  allen  Lebensverhältnissen,  der 
bis  gegen  das  Ende  des  15.  Jahrhunderts  eingetreten  war  und  zur 
Unterscheidung  des  „Mittelalters"  von  der  beginnenden  „neueren 
Zeit"*  Anlass  gab,  kam  sowohl  in  der  Art  der  nun  maßgebenden 
Rechtsquellen,  als  in  ihrem  Inhalt  zur  Erscheinung.  Hatte  bisher 
Gewohnheit  als  ungeschriebenes  Recht  vorgeherrscht  und  seine  spär- 
liche Ergänzung  fast  nur  in  Privilegien  und  autonomen  Satzungen 


346        österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  43. 

gefunden,  so  kehrte  sich  in   dem  folgenden  Zeitraum  das  Ver- 
hältnis um:  gesetztes  Recht  rückte  jetzt  in  die  erste  Reihe,  vor 
allem    als    Erzeugnis    landesfürstlicher    Gesetzgebung,    wogegen 
Autonomie  und  Gewohnheitsrecht  zurücktraten.    Für  den  Inhalt 
der  Rechtsquellen  der  neueren  Zeit  wurden  aber  die  Reception 
der  fremden  Rechte  und  die  Erweiterung  des  landesfürstlichen 
Wirkungskreises  von  größter  Bedeutung.  So  gab  es  an  Stelle  des 
früheren  Mangels,  nun  eine  Überfülle  von  gesetztem  Recht,  sei  es 
in  den  mehr  minder  umfänglichen  Landesgesetzen,  sei  es  in  den 
zahllosen    »Patenten,   Generalien,   Mandaten"   pder   wes  Namens 
sonst  die  landesherrlichen  und  obrigkeitlichen  Verordnungen  waren. 
2.  Dieser  plötzliche  Reichthum  an  Gesetzen  zu  Anbruch  der 
neuern  Zeit  war  in  Deutschland  eine  ganz  allgemeine  Erscheinung 
und  wurde  zumal  durch  die  Rechtsunsicherheit  veranlasst,  die  seit 
der  Reception  der  fremden  Rechte  stärker  fühlbar  war,  denn  je. 
Was  im   einzelnen   Falle   rechtens   war,   ließ   sich   nicht   selten 
schwer  bestimmen,  weü  über  das  Gewohnheitsrecht  sogar  in  den 
Kreisen,  in  welchen  es  zur  Anwendung  kommen  sollte,  oft  weniger 
ein  klares  Bewusstsein,  als  nur  ein  dunkles  Rechtsgefühl  herrscht«. 
Das  wurde   noch  viel  schlimmer,   als  die   Juristen  zum   W^orte 
kamen,  die  nun  das  zu  aushilfsweiser  Geltung  angenommene  fremde 
Recht   mit   Beiseiterückung    der    ihnen   unbekannten   Sätze  des 
partikulären  heimischen  Brauchs  an  erster  Stelle  zur  Anwendung 
brachten.    So   entsprang  also  die  Gesetzgebung  zum  Theil  dem 
Bestreben,  den  Landesbrauch  vor  gänzlicher  Verdrängung  zu  be- 
wahren.   Nicht  minder  gab  auch  die  Natur  der  fremden  Rechte 
dazu  Anlass,  da  es  bei  aller  inner.en  Vortreflflichkeit  dennoch  das 
Recht  eines  fremden  Volkes  blieb,  das  vor  einem  Jahrtausend 
unter  theilweise  ganz  andern  sittlichen  Anschauungen  und  Lebens- 
verhältnissen seine  Aufzeichnung   erfahren   hatte.    Unter  diesen 
Umständen  bot  den  Landesherren  der  neu  entwickelte  Begriff  von 
den  Aufgaben  des  Staates  die  Möglichkeit  zu  gesetzgeberischem 
Eingreifen.    Hatten  sich  die  Ansichten  über  recht  und  billig  im 
Lauf  der  Zeit  mehrfach  geändert,  so  erschien  die  Beseitigung  der 
Ungleichheit  und  Mannigfaltigkeit  der  Rechtssätze,  bei  dem  jetzt 
beginnenden  Streben  nach  größerer  Gleichförmigkeit  innerhalb  der 
Territorien,  als  neue  Pflicht  des  Landeshen-n,  der  er  durch  Er- 
lassung von  Gesetzen  genügen  konnte.  So  folgte  dem  Aufschwung 


Ui^achen  der  landesf.  Gesetzgebung  im  16.  Jahrhundert.  347 

der  Reichsgesetzgebung  seit  Kaiser  Maximilian  die  noch  ergiebigere 
Landesgesetzgebung,  welcher  der  Vortritt  überall  gelassen  war, 
soweit  nicht  das  Reich  absolute  Verfügungen  getroffen  hatte. 

3.  Der  geschilderte  Vorgang  lässt  sich  in  den  österreichischen 
Landen  ebenso  verfolgen.  Mit  Maximilian  L  beginnen  hier  nicht 
bloß  umfänglichere  Landesgesetze  wie  die  Malefizordnung  für  Tirol 
vom  Jahre  1499  oder  die  Landgerichtsordnung  für  das  Land  unter 
der  Enns  (1514),  sondern  werden  auch  Anläufe  zu  einer  mehreren 
Landen  gemeinsamen  Gesetzgebung,  ja  selbst  zu  förmlicher 
Codiflcierung  bemerklich.  Wir  besitzen  die  Nachricht  eines  Zeit- 
genossen, dass  sich  der  Kaiser  mit  dem  Gedanken  trug,  quo  jus 
civile  in  ordinem  et  ccmpendnim  resecatis  snpef'ßuis  redigeret,  und 
dass  er  zu  dem  Zwecke  bereits  ein  Verzeichnis  der  tüchtigsten 
Rechtsgelehrten  angelegt  hatte. ^  Wollte  man  diese  Nachricht  aus- 
schließend auf  eine  geplante  Reichsgesetzgebung  beziehen,  so  Hegen 
für  die  Erblande  noch  besondere  Zeugnisse  vor:  Schon  1498  sprach 
Kaiser  Maximilian  von  einer  Gerichtsordnung,  „so  wir  in  unserm 
Fürstenthumb  Steyr  aufzurichten  Willens  sein**,  und  1509  eröffnete 
er  den  Ausschüssen  der  fünf  n.-ö.  Lande,  dass  er  die  Absicht 
hege,  ^in  yedem  derselben  unser  Land  die  Recht  und  Landgebrauch 
(zu)  reformieren*.  Im  Jahre  1514  erließ  er  für  die  Stadt  Laibach, 
wo  bisher  in  peinlichen  Sachen  lediglich  nach  der  Rechtssprecher 
Gewissen  ohne  irgendwelche  gesetzliche  Richtschnur  geurtheilt 
worden  war,  eine  eigene  Malefizordnung,  im  Jahre  1517  ertheilte 
er  um  der  zur  Zeit  nöthigen  Reformen  willen  der  Stadt  Wien 
ein  neues  Stadtrecht  mit  dem  fortan  üblichen  Vorbehalt,  diese 
Artikel  aus  landesfürstlicher  Machtvollkommenheit  künftig  nach 
Gutdünken  aufzuheben,  zu  mehren  oder  zu  mindern.^  Vom  gleichen 
Jahre  ist  ferner  die  Bergordnung  Kaiser  Maximilian's  für  'die 
fünf  n.-ö.  Lande,  das  erste  Gesetz  in  Österreich,  das  mit  Geltung 
über  die  Grenzen  eines  Erblandes  hinaus  für  den  Umfang  einer 
Ländergruppe  erlassen  wurde.^  Dagegen  scheint  die  über  Betreiben 

*  Sebastian  Deirer  in  der  an  Kaiser  Karl  V.  gerichteten  Vorrede  seines 
Jnrispmdentieo  über  primus  (1540),  vgl.  Stobbe,  II,  142,  Anm.  95. 

3  Mein  Gericlitswesen,  S.  231,  283,  Anm.  523.  Klun,  Dipl.  carniol.  S.  61. 

^  1517,  12.  Jänner,  mit  271  Artikeln  über  alle  Gegenstände,  die  man 
damals  zum  Bereich  der  Berggesetzgebung  rechnete.  Gedruckt  bei  Wagner, 
Corpus  juris  metallici  col.  33—70. 


348        österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  43. 

der  Stände,  sowohl  der  nieder-  als  der  oberösterreichischen  Lande, 
auf  dem  Ausschusstage  zu  Innsbruck  zugestandene  Polizei-  oder 
gemeine  Landesordnung  mit  Bestimmungen  Über  Gotteslästerung, 
Schwören  und  Zutrinken,  Kleideraufwand  u.  s.  w.^  als  Ganzes  nicht 
ins  Leben  getreten  zu  sein.  Wohl  aber  sind  einzelne  Verfügungen 
daraus,  wie  z.  B.  jene  über  die  Absager  und  Heckenreiter  noch  bei 
Lebzeiten  des  Kaisere  durch  besondere  Patente  eingeschärft  worden. 
4.  So  gieng  also  der  Anstoß  zur  Gesetzgebung  zu  Beginn 
des  16.  Jahrhunderts  in  Österreich,  sowohl  vom  Landesfüraten 
als  von  den  Landständen  aus,  wenngleich  in  verschiedener  Absicht. 
Denn  der  Landesfürst  suchte  auf  diesem  Wege  mit  Hilfe  der 
Sätze  des  römischen  Rechts  seine  Macht  zu  erweitern,  die  Stände 
dagegen  hofften  ihre  vom  Mittelalter  hergebrachte  Stellung  zu 
behaupten.  Dabei  ist  jedoch  ein  recht  erheblicher. Unterschied  in  den 
Maclitverhältnissen  beider  Factoren  nicht  zu  übersehen,  der  sich 
bei  Vergleichung  der  altösterreichischen  Lande  mit  Böhmen  und 
Ungarn  ergibt.  In  Böhmen  reichte  der  Einfluss  der  Stände  während 
des  Mittelalters  soweit,  dass  sie  die  Codificationsversuche  der 
früheren  Könige  wiederholt  vereiteln  konnten  und  es  kam  zur 
Erlassung  einer  Landesordnung  erst  in  einer  Zeit,  in  der  die  Land- 
stände entschieden  die  Oberhand  gewonnen  hatten.  Da  nun  diese 
„Vladislai'sche  Landesordnung*"  durch  einen  Landtagsbeschluas 
vom  Jahre  1497  hervorgerufen  wurde  (Anhang  I,  20).  so  kann 
der  im  Jahre  1500  ertheilten  Sanction  des  von  den  Ständen  aus- 
gearbeiteten Entwurfs  durch  den  König  nur  formelle  Bedeutung 
beigemessen  werden.  Ganz  ähnlich  verhält  es  sich  auch  bei  dem 
Tripartitum  in  Ungarn  (Anhang  U,  18),  falls  dieses  überhaupt  die 
königliche  Genehmigung  erhalten  hat.  In  den  altösterreichischen 
Landen  hingegen  entbehrten  die  Stände  von  Anfang  an  des  Rechts 
der  Initiative  und  mussten  die  Zustimmung  des  LandesfUrsten 
haben,  wenn  sie  mit  der  Ausarbeitung  eines  Gesetzentwurfes  be- 
ginnen wollten.  (§  40,  4.)^   War  nun  das  Zustandekommen  von 


*  Erwähnt  im  3.  Innsbrucker  Libell  über  die  Particular-Gravamina  aller 
n.-Ö.  und  o.-ö.  Lande.  Lhf.  Kärnten  S.  129  und  die  einschlägigen  Verhandluagen 
mit  den  Ausschüssen  bei  Zeibig,  Archiv  Xtll,  S.  292  flf.  Erhalten  haben  sich 
diese  „Landesordnungen*  im  Archiv  der  La.  Krain  und  Österreich  ob  der  Enns. 

*  Den  Tiroler  Ständen  wurde  selbst  ihr  Begehren,  die  alten  und  neuen 
Freiheiten  und  Privilegien  der  Stände  in  ein  LibeU  bringen  und  drucken  zu 


Einfliiss  der  Stände  auf  die  Gesetzgebung,  Ziele  K.  Ferdinands  I.      349 

Gesetzen,  sofern  sie  ihrem  Gegenstand  nach  in  den  anerkannten 
Bereich  der  Landstände  eingriffen,  an  die  Übereinstimmung  von 
LandesfUrst  und  Landschaft  gebunden,  so  war  dafür  der  Landes- 
herr in  allen  andern  Fällen  bei  Erlassung  von  Gesetzen  oder 
Verordnungen  ganz  unbehindert.  Dies  gilt  schon  für  die  Zeiten 
Kaiser  Maximilian's,  der  z.  B.  die  oberwähnte  Bergordnung  für  die 
fünf  n.-ö.  Lande  im  Jahre  1517  aus  eigener  Machtvollkommenheit 
gab,  weil  sie  ein  Regal  betraf,  dessen  Ausübung  durch  den  Landes- 
herrn dem  Einspruch  der  Landstände  entzogen  war.  Noch  viel 
schärfer  brachte  jedoch  MaximUian's  Nachfolger,  Ferdinand  L,  den 
Standpunkt  des  Herrschers  zum  Ausdruck.  Als  Herr  und  Landes- 
fUrst fühlte  er  sich  berechtigt  und  verpflichtet,  nach  Bedarf 
Gesetze  und  Verordnungen,  sei  es  mit  Beirath  der  Stände,  sei  es 
allein  zu  erlassen.  Als  „des  Rechtes  Haupt  und  Gipfel*  nahm  er  die 
Sanctionierung  der  von  den  Landständen  ausgearbeiteten  Gesetze 
in  Anspruch  und  verbot  er  eigenmächtige  Änderungen  an  den- 
selben (beispielsweise  1535  und  1540  gegenüber  den  mährischen 
Ständen),  während  er  für  sich  den  Vorbehalt  machte,  derartige 
Gesetze  zu  mehren,  zu  mindern  oder  selbst  aufzuheben. 

5.  Ferdinand  I.  hat  noch  in  anderer  Beziehung  an  die  Be- 
strebungen seines  Großvaters  angeknüpft,  indem  er  allmähliche 
Ersetzung  des  Gewohnheitsrechts  durch  Gesetze  und  Verordnungen 
(die  nun  schon  durch  den  Druck  allgemein  zugänglich  gemacht 
w^urden),  sowie  die  Verdrängung  des  particulären  Provinzialrechts 
durch  ein  mehreren  Erblanden  gemeinsames  Recht  anstrebte.  Solche 
für  mehrere  Länder  erlassene  „Generalien  oder  Patente**  erstreckten 
sich  ihrem  Inhalt  nach  vorwiegend  auf  das  Verwaltungsgebiet, 
auf  w^elchem  der  Regent  am  freiesten  verfügen  konnte.  Wo  nicht 
die  Anfänge  eines  gesammtösterreichischen  Reichsrechte,  sind 
doch  auf  diesem  Wege  durch  Ferdinand  L  zum  mindesten  ge- 
meinsame Einrichtungen  für  all  seine  „erblichen  Königreiche, 
Fürstenthümer  und  Lande",  also  wahre  Reichsinstitutionen 
geschaffen  worden,®  wobei  als  Beispiel  die  einheitliche  Ausmünzung 

lassen,  .damit  männiglich  im  Land  derselben  Wissen  tragen  mnge"  1523  vom 
Erzherzog  Ferdinand  I.  abgeschlagen.  Sartori  9. 

®  Es  ist  bisher  Übersehen  worden,  dass  diese  Tendenz  schon  in  der 
Gesetzgebung  K.  Maximilian's  hervortritt,  rücksichtlich  Ferdinand's  I.  hat  zuerst 
Bidermann,  Gesammtstaatsidee  I,  14,  15,  auf  die  Absicht  des  Regenten,  ein 


350     Öi^terreichische  Reichsjreschichte.  IL  Theil,  Vierte  Periode.  §  43  u.  44. 

nach  den  Bestimmungeil  der  ReichsmUnzordnung  von  1551  und  1559 
genannt  sei,  die  auch  in  Ungarn  durchgeführt  wurde.^ 

Für  den  Umfang  der  fünf  n.-ö.  Lande  einflössen  aber  auch 
Mandate  und  Gesetze,  die  tief  ins  Privat-  und  Strafrecht,  ins 
Gerichtswesen  u.  dgl.  eingriffen.  So  1544  und  1545  Verfügungen 
über  den  Nachlass  von  Geistlichen,  1544,  28.  Juni,  das  Verbot,  in 
Österreich  gelegene  Lehen  auswärtiger  Landesfürsten  außer  Landes 
zu  empfangen,  1555,  4.  März,  mit  auadrücklicher  Aufhebung  des 
entgegenstehenden  Landesbrauchs  in  den  fünf  n.-ö.  Landen  und 
in  der  Grafschaft  Görz,  eine  Abänderung  der  Urfehde-Formel 
Hieher  gehören  ferner  „Die  Neu  Policey  und  Ordnung  der  Hand- 
wercker  und  Dienstvolk  der  n.-ö.  Lande**  vom  Jahre  1527  und 
die  beiden  Polizeiordnungen  von  den  Jahren  1542  und  1552,  die 
König  Ferdinand  „zu  Abstellung  der  gemeinen  Laster  nach  zeit- 
lichem wolbedächtiglichem  Rath  der  Ausschüsse**  seiner  fünf  n.-ö. 
Lande  (beziehungsweise  auch  der  Grafschaft  Görz)  als  christlicher 
König,  Herr  und  Landesfürst  kraft  des  ihm  obliegenden  Amtes 
mit  Vorbehalt  künftiger  Abänderungen  erließ.  Sie  enthalten  neben 
Vorschriften  polizeilicher  Natur  (gegen  Gotteslästerung,  Kleider- 
luxus, Vorkauf  u.  dgl.)  eine  Gesindeordnung  und  Bestimmungen 
über  «Fürleyen  auf  künftig  Frucht",  jene  vom  Jahre  1552  neben 
zahlreichen  Verfügungen  aus  dem  Gewerberecht  überdies  die  erste 
umfangreiche  Vormundschaftsordnung  in  Österreich. 

Die  Einführungsbestimmungen  für  die  Reichsmünzordnung 
vom  Jahre  1559  in  den  nieder-,  ober-  und  vorderösterreichischen 


Reichsrecht  für  Österreich  zu  schaffen,  hingewiesen.  Besonder?  bezeichnend  ist, 
dass  Kg.  Ferdinand  1553  die  Tiroler  Landstände  zur  Annahme  einer  vorgelegten 
Polizeiordnung  mit  der  Bemerkung  zu  bestimmen  suchte,  er  hätte  sich  dem 
Kaiser  und  den  Reichsständen  gegenüber  zur  Aufrichtung  einer  geraeinen  Polizei- 
ordnung in  allen  Erblanden  verpflichtet,  dieselbe  sei  in  den  n.-ö.  Landen  schon 
eingeführt  und  solle  auch  in  Böhmen  und  Ungarn  nächstens  eingeführt  werden. 
Sartori,  S.  44ff.  Dadurch  wird  die  Ansicht  von  Harrasowsky,  Gesch.  der 
Codification  des  österr.  Civilrechts,  S.  17,  berichtigt,  dass  die  Idee,  für  mehrere 
Länder  ein  gleiches  Recht  zu  schaffen,  erst  im  18.  Jahrhundert  planmäßig  ver- 
folgt worden  sei. 

"^  Decr.  1553,  Art.  23.  Zustimmung  des  ungarischen  Reichstags,  dass  bis 
auf  weiteres  die  Hälfte  des  Münzsilbei-s  in  Thalern  und  Halbthalern  ausge- 
bracht werde.  Decr.  1563,  Art.  74,  moneta  ungarica  liga  reducatur  ad  gradum 
monetaB  imperialis.  (S.  554,  645.) 


Gemeinsaroe  Gesetze  ftir  die  n.-ö.  Ländergruppe.  351 

Landen  ergiengen  1560  ohne  Befragen  der  Stände,  ebenso  die 
208  Artikel  umfassende  Bergordnung  für  die  fünf  n.-ö.  Lande 
vom  1.  Mai  1553,  die  eine  Revision  der  MaximUianischen  Ordnung 
vom  Jahre  1517  ist  und  bis  zum  Jahre  1854  in  Kraft  blieb. 

6.  Die  solchergestalt  von  Kaiser  Ferdinand  L  für  die  fünf 
n.-ö.  Lande  angebahnte  Rechtsausgleichung  erlitt  durch  die  Länder- 
theilung  vom  Jahre  1564  zwar  eine  Unterbrechung,  allein  die 
Grundgedanken  wirkten  fort.  Die  Verordnung,  welche  König 
Ferdinand  1550  für  Österreich  unter  der  Enns  zur  Hintanhaltung 
von  s.  g.  leichtfertigen  Winkelheiraten  erlassen  hatte,  dehnte  Erz- 
herzog Karl  1567  und  1585  auf  ganz  Inneröstejreich  aus.  Ebenso 
hat  er  die  Hofrechts-Ordnung  K.  Ferdinand's  L  vom  3.  April  1563 
über  das  auf  drei  Termine  gestellte  ordentliche  Verfahren  vor  der 
n.-ö.  Regierung  in  Wien,  im  Jahre  1567  der  i.-ö.  Regierung  zu 
Graz  zur  Vorschrift  gemacht.  Das  Generale  wegen  Abkürzung  des 
Verfahrens  für  Österreich  unter  der  Enns  vom  Jahre  1573  wurde 
schon  im  Jahre  1574  auf  Anlangen  der  Landstände  auch  aufs  Land 
ob  der  Enns  ausgedehnt,  ebenso  1593  das  im  Jahre  1589  ergangene 
Gesetz,  das  der  Codex  Austriacus  II,  297,  unter  dem  Schlagwort 
S.  G.  Macedonianum  anführt.  Für  ganz  Innerösterreich  ergiengen 
1587  die  Feststellung  des  Zinsfußes  auf  5  bis  6  Procent  und  das 
Verbot,  geistliche  Güter  ohne  Zustimmung  der  Regierung  anzu- 
kaufen, 1574  das  Verbot,  den  Nachlass  der  Geistlichkeit  zu 
schmälern.  Man  erkennt  in  diesen  und  dergleichen  Verordnungen 
deutlich  das  Bestreben  des  Herrschers,  die  Lande  im  Wege  der 
Verwaltung  einander  zu  nähern  und  die  Absicht,  durch  ein  gemein- 
sames Verwaltungsrecht  die  Rechtseinheit  im  Reiche  anzubahnen. 

§  44.  Die  Landesgesetzgebung  bis  zur  Mitte  des  17.  Jahrhunderts. 

1.  Die  Bemühungen  der  österreichischen  Herrscher  seit  Kaiser 
Maximilian  I.,  eine  Ausgleichung  der  in  ihren  Gebieten  bestehenden 
Rechtsverschiedenheiten  herbeizuführen,  trafen  in  den  Landen 
selbst  mit  einer  entgegengesetzten  Strömung  zusammen,  die  vor 
allem  von  den  Landständen  ausgieng.  Auch  von  dieser  Seite  drängte 
man  zur  Erlassung  von  Gesetzen,  doch  der  Beweggrund  war  ein 
anderer  und  die  Erhaltung  der  provinziellen  Rechtseigenthümlich- 
keiten  ausgesprochener  Zweck.  Daher  weist  die  Richtung,  in  der 


352         Österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  44. 

sich  die  österreichische  Gesetzgebung  seit  dem  16.  Jahrhundert 
bewegte,  keine  Gerade  auf,  sondern  eine  vielfach  gebrochene  Linie, 
je  nach  dem  Vorwalten  der  auf  den  Antrieb  gerichteten  Kraft  des 
LandesfUrsten,  der  die  Ausgleichung  auf  dem  Boden  des  gemeinen 
Rechts  suchte,  oder  nach  dem  Überwiegen  der  Mächte  des  Be- 
harrens, die  für  den  Landesbrauch  eintraten.  So  kommt  auch 
in  der  Geschichte  unserer  Gesetzgebung  das  Ringen  zwischen  der 
auf  den  Einheitsstaat  lossteuernden  Politik  der  Landesfürsten  und 
dem  zähen  Widerstreben  der  Landstände  zum  Ausdruck  und  darum 
fällt  das  Gelingen  der  Codification  des  Reichsrechts  zeitlich  mit 
dem  Niedergang  der  ständischen  Macht  zusammen. 

2.  Diese  Gesetzgebung,  die  auf  die  Anregung  durch  die  Land- 
stände zurückgeht,  kann  man  als  österreichische  Landes- 
gesetzgebung im  engern  Silin  bezeichnen.  Sie  erscheint  am 
frühesten  in  Tirol,  wo  1487  auf  dem  Meraner  Landtag  der  erste 
Antrag  auf  Abfassung  einer  Landesordnung  vorkam,  und  König 
Maximilian  im  Jahre  1499  aus  fürstlicher  Macht  auf  demüthige  Bitte 
und  nach  zeitigem  Rath  der  Landschaft  „eine  Halsgerichtsordnung* 
erließ,  die  im  Jahre  1506  nebst  einigen  polizeilichen  Verfügungen 
Erzherzog  Sigmund's  und  Maximilian's  als  , Gesetz  und  Ordnungen 
der  Inzichten,  Malefizrechten  und  anderer  nothdürftiger  Händel  des 
Landes  und  der  Grafschaft  Tirol"  gedruckt  wurde.  Dann  folgten 
1497  die  Böhmen  und  1498  die  Stände  in  Ungarn,  mit  ihren 
auf  die  Codificierung  des  Landesrechts  abzielenden  Beschlüssen 
(Anhang  I,  20,  H,  18  und  §  43,  4),  1499  die  österreichischen  Stände, 
deren  Bitte  um  Abordnung  einiger  königlicher  Käthe,  „die  mit 
sambt  uns  mit  zeitigem  Rat  unser  Landsrecht  die  notturftigisten 
und  treflichisten  Artickhl  auf  das  rechtmäßigist  in  ain  Puech  ver- 
fassen sollten*,  vorerst  unerfüllt  blieb,  bis  sie  1509  eine  noch 
sehr  unbestimmt  lautende  Ermächtigung  zur  Vornahme  von  Vor- 
arbeiten erwirkten,  als  deren  nächstes  Ergebnis  die  im  Jahre  1514 
vom  Kaiser  MaximUian  L  für  das  Land  unter  der  Enns  genehmigte 
Landgerichtsordnung  zu  betrachten  ist.  (§  40,  4.)  Um  dieselbe  Zeit 
hatten  auch  schon  in  Innerösterreich  die  Landschaften  begonnen, 
sich  mit  der  Gesetzgebung  zu  beschäftigen.  Landtagsbeschltisse, 
denen  zum  Theil  durch  Kaiser  Friedrich  III.  die  Genehmigung 
versagt  wurde,  sind  die  „Ordnung  und  Artikel  eines  gemeinen 
Nutzes  willen  von  einer  ers.  Landschaft  in  Kärnten",  vorgenommen 


Antheil  der  Landstände  an  der  Landesgesetzgebung.  353 

auf  dem  am  2,8.  December  1491  eröffneten  Landtage.^  Am  Samstag 
nach  St.  Colomanstage,  d.  i.  am  14.  October  1503,  beschloss  man  im 
steirischen  Landtag  zu  Graz  „eine  Ordnung  des  Landsreehten  in 
Steier  wider  die  miebrauchten  Gewonhaiten  so  eine  Zeit  her  dabei 
gewesen  sein  sollen'',  doch  scheint  diese  die  landesherrliche 
Genehmigung  ebensowenig  gefunden  zu  haben,  als  der  spätere 
Entwurf  der  „Neu  Ordnung  Rechtens'',  der  ebenfalls  der 
Regierungszeit  Kaiser  Maximilian's  I.  angehört.  (§  40,  Anm.  2.) 

3.  Nach  dem  Gesagten  kann  es  nicht  befremden,  dass  die 
landesfürstliche  Genehmigung  manchem  Gesetzentwurf  der  Stände 
nur  zögernd  ertheUt  wurde,  andern  ganz  versagt  blieb.  Die  Tiroler 
hatten  nach  vielem  Drängen  im  Jahre  1518  die  Bewilligung  zu 
Berathungen  über  den  Inhalt  einer  Landesordnung  vorläufig  er- 
halten, allein  der  Beginn  der  Arbeit  selbst  wurde  erst  1525 
angesichts  des  Bauernaufstandes  gestattet,  und  nur  unter  dem 
Eindruck  dieser  Bewegung  erfolgte  auch  am  1.  Mai  1526  die 
Genehmigung  dieser  rasch  entworfenen  „Bauernlandordnung".  Die 
Steiermärker  hatten  im  Jahre  1531  dem  König  Ferdinand  I.  drei 
Gesetzentwürfe  vorgelegt,  von  welchen  nur  die  Neue  Reformation 
des  Landsrechtens,  die  sich  nach  Form  und  Inhalt  an  die 
früher  erwähnte  „Neu  Ordnung  Rechtens"  eng  anschließt,  in  den 
nächsten  Jahren  (1533)  erledigt  wurde,  während  der  Entwurf 
des  Bergbücheis  (Weinbergrecht)  erst  1543  genehmigt  wurde  und 
die  Landgerichtsordnung  wohl  nie  Gesetzeskraft  erhielt.  Nicht 
besser  ergieng  es  den  Österreichern  mit  der  von  ihnen  um  das  Jahr 
1 528  ausgearbeiteten  Landtafel,  auch  Institutum  Ferdinandi  I.  oder 
Zeiger  ins  Landrechtsbuch  genannt,  über  welche  man  bis  zum 
Jahre  1 537  erfolglos  verhandelte  und  die  für  immer  Entwurf  blieb, 
weil  sich  König  und  Landstände  wegen  der  Appellation  nicht 
einigen  konnten. 

4.  Im  Kampfe  für  den  Landesbrauch  und  gegen  das  Ein- 
dringen des  römischen  Rechts  haben  die  Landstände  von  Tirol, 
dem  Buchstaben  nach,  den  größten  Erfolg  gehabt.  Die  Landes- 
ordnung vom  Jahre  1 526  lässt  in  ihren  Bestimmungen  nur  höchst 
vereinzelte  Spuren  einer  Einwirkung  des  römischen  Rechts  er- 
kennen.   Die   im  Landtagsabschied   vom  Jahre  1525   enthaltene 


1  Vgl.  §  20,  4.  —  Megiser  annal.  Carinthise  zum  Jahre  1492.  (X.  B.  8. 1239.) 

Lnscbin,  österreichische  Reichsgeschichte.  23 


354        Österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  44. 

Forderung,  man  solle  in  Tirol  „nicht  nach  den  geschrieben  Rechten, 
sondern  nach  Satzung,  Gebrauch  und  Herkommen  des  Landes*' 
urtheilen,  fand  zwar  keine  Aufnahme  in  den  genehmigten  Text, 
allein  die  Subsidiarität  des  gemeinen  Rechts  wurde  mindestens 
in  Strafsachen  durch  die  Vorschrift  ausgeschlossen,  dass  Richter 
und  Geschworene  in  Fällen,  wo  sie  in  der  Landesordnung  keine 
passende  Bestimmung  fänden,  nach  ihrem  besten  Verstand  und 
Gewissen  zu  urtheilen,  oder  andere  Stadt-  und  Landgerichte  um  ein 
Gutachten  anzugehen  hätten.  Auch  die  späteren  Landesordnungen 
von  1532  und  1573  hielten  trotz  des  Eindringens  einzelner  Bestim- 
mungen aus  dem  römischen  Recht  die  deutschrechtliche  Grund- 
lage fest  und  wiederholten  obigen,  gegen  die  hilfsweise  Anwendung 
des  gemeinen  Rechts  gerichteten  Satz.  Im  Leben  sah  es  jedoch 
anders  aus.  Geti'agen  von  der  Gunst  der  Landesfürsten  und  ge- 
fördert durch  die  Amtsthätigkeit  der  Regierungsbehörden,  gewann 
das  römische  Recht  trotz  alles  Widerstrebens  der  Landstände 
immermehr  Boden  im  Lande.  Der  entscheidende  Wendepunkt 
trat  im  Jahre  1619  ein,  als  der  Gubernator  Erzherzog  Leopold 
die  wieder  vorgebrachte  Beschwerde  der  Landschaft  durch  die 
Erklärung  abschnitt:  „dass  man  aber,  wo  die  Landesordnung  und 
sonderbare  Satzungen  aufhören,  jeweilen  ad  jus  comune  recurriert, 
be vorab  wo  die  Gebrauch  etwan  der  Billigkeit  und  Vernunft  nit 
allerdings  ähnlich,  das  ist  bei  allen  wohlbestellten  Regiraenten 
und  Policeien  üblich",  denn  hiemit  war  die  Subsidiarität  des 
römisch-canonischen  Rechtes  auch  für  Tirol,  selbst  gegen  die  Vor- 
schrift und   den  Geist  der  Landesordnung  officiell  sanctioniert.- 

Noch  weit  w^eniger  günstig  verlief  der  Widerstand  der  Land- 
stände gegen  das  Eindringen  des  römischen  Rechts  in  den  andern 
altösterreichischen  Landen. 

5.  Man  w^ürde  den  Landständen  dieser  Zeit  schwer  Unrecht 
thun,  wenn  man  ihren  Kampf  gegen  das  Eindringen  des  geraeinen 
Rechts  auf  eine  Stufe  mit  der  kleinlichen  Opposition  stellen  wollte, 
die  manche  Landstände  seit  der  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  den 
Gesetzgebungs vorschlagen  entgegensetzten.  Im  16.  Jahrhundert 
war  es  keineswegs  eine  schroffe  Zurückweisung  jedes  von  der 
Regierung  beantragten  Fortschrittes  und  jeder  Neuerung,  sondern 


2  Sartori  ()3.  7(5. 


Kampf  f.  d.  Landesbraiich  g.  d.  gemeine  Recht;  Landesordnungen.     3^5 

ein  berechtigtes  Widerstreben  gegen  die  Art  und  Weise,  wie  die 
Juristen  jener  Zeit  das  'gemeine  Recht  ohne  Rücksicht  auf  diö 
geschichtliche  Entwicklung  ins  Leben  eindrängten.  Man  braucht 
nur  auf  das  früher  erwähnte  s.  g.  Institutum  Perdinandi  I.,  hinzu- 
weisen, welches  das  Bestreben  verfolgte,  den  in  Österreich  her- 
kömmlichen Landesbrauch  mit  den  Sätzen  des  römischen  Rechts 
in  angemessenen  Einklang  zu  bringen.  Nicht  gegen  das  römische 
Recht  als  solches  wendet  sich  dieser  Gesetzentwurf,  nur  gegen  die 
Gedankenlosigkeit  der  Juristen,  die  es  „albeg  dem  Pueßstapfen  irer 
Lernung  nach"  zur  Anwendung  bringen  wollten,  „damit  sie  nit 
gesehen  wurden  aus  dem  Weg  irer  Puecher  zu  geen".  Man  glaubt 
eine  Stimme  aus  unsern  Tagen  zu  hören,  wenn  im  weiteren  Verlauf 
den  Juristen  der  Vorwurf  gemacht  wird,  dass  sie  „wenig  Aufsehen 
gehabt  unserer  Zeiten  Regierung,  Schicklichait  und  Geschichten, 
derselben  Übung,  gemainer  Gebrauch  und  Erforschung  der  Händl, 
dann  unser  Wesen  und  Gepreuch  der  römischen  Zeit  Wesen  und 
Handlung,  denen  das  geschrieben  Recht  aufgesetzt  worden,  ganz 
ungleich,  ungemäß  und  verr  davon  sein**.^ 

6.  Nach  ihrem  Inhalt  lassen  sich  die  Erzeugnisse  dieser  Landes- 
gesetzgebung in  folgende  Gruppen  zusammenfassen; 

a)  Landesordnungen.  Gesetze,  welche  das  vom  Landesherrn 
den  Ständen  als  Vertretern  des  Landes  verbriefte  Recht  enthalten. 
Sie  sind  immer  Quellen  für  die  Landesverfassung,  berücksichtigen 
aber  neben  öflFentlichem  Recht  in  der  Regel  mehr  minder  aus- 
führlich auch  Privatrecht,  Strafrecht  und  Process.  Einzelne,  wie 
die  Landesordnungen  von  Tirol  (von  1532, 1573)  oder  die  erneuerten 
Fassungen  für  Böhmen  (1627),  Mähren  (1628),  können  geradezu 
als  umfassende  Codificationen  des  Landesrechts  bezeichnet  werden. 
Ähnliches  war  für  Österreich  ob  und  unter  der  Enns  durch  die 
Ausarbeitung  des  Institutum  Perdinandi  und  der  s.  g.  Landtafeln 
beabsichtigt,  die  jedoch  als  solche  niemals  Gesetzeskraft  erlangten. 


3  Vorrede  zum  3.  Buch.  Man  vergleiche  damit  die  Worte  H.  Brunner*s  in 
Holtzendorffs  Kncydopädie  d.  Rechtswissenschaft,  2.  Aufl.  S.  204,  §  26:  .Was 
stets  Tadel  und  Vorwurf  hervorrufen  wird,  ist  die  Art,  wie  die  Reception  durch- 
geführt wurde.  Ein  nationales  Unglück  war  jenes  engherzige  Ignorieren  des 
deutschon  Rechts,  jenes  geistlose  und  rein  äußerliche  Aufpfropfen  römischer 
Rechtssätze  auf  einheimische  Verhältnisse,  die  Unkenntnis  des  Gegensatzes  zwischen 
diesem  und  dem  römischen  Rechte"  u.  s.  w. 

23* 


356     österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  44  u.  45. 

Zu  nennen  wären  überdies  die  Constitutiones  lUustrissimi  Comi- 
tatus  Goritise  vom  Jahre  1604  (im  Drucke  1605),  die  Consuetudines 
Gradiscanse  (1575),  das  Eigen-Landrecht  der  Siebenbürger  Sachsen 
(1583),  das  Tripartitum  und  Quadripartitum  für  Ungarn,  die  Landes- 
ordnung für  Teschen  (1592),  da  die  Troppauer  (1563,  1678)  sowenig 
gesetzliche  Verbindlichkeit  als  die  Salzburger  (1526)  erlangte. 

b)  Landhandfesten.  Dieser  Ausdruck  erscheint  in  Inner- 
österreich als  technische  Bezeichnung  der  vom  Landesfürsten 
beschworenen  Landesfreiheiten,  auf  welchen  die  landständische 
Verfassung  der  drei  HerzogthUmer  beruhte.  Seit  dem  16.  Jahr- 
hundert nannte  man  ebenso  die  auf  Veranlassung  der  Landstände 
von  Steiermark  (seit  1523),  Kärnten  (1610)  und  Krain  (1598,  1687) 
gedruckte  Sammlung  von  Rechtsurkunden,  landesfürstlichen  Be- 
stätigungsbriefen, Entscheidungen,  Verträgen  u.  dgl.,  in  welchen  man 
den  Hort  der  Landesfreiheit  erblickte.  Gleichen  Charakter  hat  die 
vom  Preiherm  Reichard  Strein  von  Schwarzenau  auf  Veranlassung 
der  Landstände  begonnene,  aber  unvollendete  Landhandfeste  für 
das  Erzherzogthum  Österreich  unter,  beziehungsweise  ob  der  Enns. 
die  nur  in  zahlreichen  Abschriften  verbreitet  ist. 

c)  Landrechtsordnungen,  welche  das  Verfahren  in  den 
ständischen  Land-  und  Hofrechten  ordneten  und  nebenbei  mancherlei 
privatrechtliche  Bestimmungen  enthielten.  Sie  finden  sich  in  allen 
fünf  n.-ö.  Landen. 

rf)  Landgerichtsordnungen.  Sie  regelten  das  Strafrecht 
und  zwar  seit  der  Publication  der  Carolina  wesentlich  im  Sinne 
derselben  und  kommen  in  allen  fünf  n.-ö.  Landen  vor. 

e)  Polizeiordnungen  mit  vielen  privat-  und  strafrechtlichen 
Bestimmungen,  gewerblichen  Vorschriften  u.  dgl.  erflossen  theils 
als  gemeinsames  Recht  für  die  fünf  n.-ö.  Lande  (1527,  1542,  1552, 
dann  1671  und  1676),  theils  für  einzelne  Erbländer,  z.B.  Tirol (1573), 
Kärnten  (1577),  Steiermark  (1577),  auch  wohl  für  einzelne  Städte. 
wie  Wien  (1538). 

f)  Gesetze  im  Unterthanenfach  ergiengen  ungemein  zahl- 
reich. Hieher  gehören  die  Zehentordnungen,  das  steirische  Berg- 
büchel,  der  Tractatus  de  iuribus  incorporalibus  u.  s.  w. 

g)  Die  Fortentwickelung  der  Gesetzgebung  für  die 
Städte  erfolgte,  da  die  Autonomie  ganz  in  den  Hintergrund 
gedrängt  war,  nur  durch  den  Landesherrn.  Für  Wien  erließ  Erz- 


Landhandfesten,  Landrechts-  u.  Landgerichtsordnnn^^cn,  Stadtrechte.     357 

herzog  Ferdinand  am  12.  März  1526  „neue  Freiheiten",  die  einen 
völligen  Bruch  mit  der  Vergangenheit  bedeuteten  und  bis  zum 
Jahre  1783  in  Kraft  blieben,  für  Laibach  Erzherzog  Karl  am 
22.  November  1582  eine  neu  reformierte  Gerichtsordnung,  die  noch 
1638  und  1666  aufgelegt  wurde.  —  In  Triest  gaben  Streitigkeiten, 
zwischen  dem  landesfürstlichen  Stadthauptmann  und  den  städti- 
schen Behörden,  bei  welchen  sich  beide  Theile  auf  die  alten 
Statuten  beriefen,  dem  König  Ferdinand  I.  den  Anlass  zu  einer 
Revision  derselben.  Königliche  Beamte  wurden  zur  Einsichtnahme 
der  alten  Statuten  nach  Triest  geschickt  und  deren  Vorschläge  vom 
König  (1550)  genehmigt,  der  sich  die  Entscheidung  zweifelhafter 
Fälle,  sowie  Abänderungen  für  die  Zukunft  vorbehielt. 

In  Böhmen  wurde  das  im  Jahre  1536  gedruckte  Rechtsbuch 
des  königlichen  Kammergerichtsschreibers  Mag.  Bricclus  von  Licsko 
in  der  Überarbeitung  durch  den  Kanzler  der  Altstadt  Prag,  Paul 
Christian  von  Koldin,  im  Jahre  1579  vom  Landtag  als  Landesgesetz 
für  den  Bürgerstand  Böhmens  angenommen.  Unter  Kaiser  Leopold  I. 
wurde  es  zur  allgemeinen  Rechtsquelle  des  Bürger-  und  Bauern- 
standes in  der  böhmischen  Ländergruppe  und  hat  hier  gesetzliche 
Wirksamkeit  bis  zum  Erscheinen  der  allgemeinen  bürgerlichen 
Gesetzbücher  von  1787  und  1811  behalten. 

%  45.    Anfänge   materieller    Bechtselnhelt   seit    dem   17.  Jahr- 
hundert. 

V.  Canstein,  Lehrbuch  d.  österr.  Civil-Processrechts,  1.  Aufl.  §8flf. — 
V.  Harrasowsky,  Gesch.  d.  Codiflcation  d.  öst.  Civilrechts.  1868.  —  v.  Schmidt- 
Bergenhold,  Geschichte d. Privatrechts-Gesetzgebung im Königr. Böhmen.  1866. 

1.  In  der  Geschichte  der  österreichischen  Landesgesetzgebung 
bildet  die  Erlassung  der  verneuerten  Landesordnungen  für  Böhmen 
und  Mähren  (1627  und  1628)  einen  wichtigen  Wendepunkt.  Lang- 
jährige Codificationsarbeiten  erhielten  dadurch  einen  raschen, 
unvermutheten  Abschluss  und  die  Ausgleichung  der  zwischen  den 
altösterreichischen  Ländern  und  der  böhmischen  Ländergruppe 
bestehenden  Rechtsverschiedenheiten  wurde  der  künftigen  Ent- 
-wicklung  als  Ziel  vorgezeichnet.  ^  Zugleich  gelangte  die  landes- 

^  In  der  verneuerten  Landesordnung  seien  «die  Jura  privatem m  zwar  so 
viel  möglich  bey  dem  alten  Herkommen  gelassen,  jedoch  theils  nach  dem  jetzigen 
des  Königreichs  Zustand,  als  welches  von  unterschiedenen  Völkern  und  Zungen 


358         Österreichische  Reichsgeschichte.  11.  Theil.  Vierte  Periode.  §  45. 

fürstliche  Machtvollkommenheit  in  Böhmen,  Mähren  und  Schlesien 
auf  dem  Gebiet  der  Gesetzgebung  nicht  bloß  zu  jener  Anerkennung^ 
die  ihr  in  den  altösteiTeichischen  Landen  schon  früher  zukam^ 
sondern  noch  darüber  hinaus.  Ausdrücklich  wird  erklärt,  dass  alles, 
was  das  jus  legis  ferendtie  mit  sich  bringe,  einzig  und  allein  dem 
Landesfürsten  zustehe,  der  es  sich  auch  vorbehalte,  dasjenige  ,8a 
in  dieser  Landesordnung  nicht  begriffen  und  hiebevor  nicht  durch 
geschriebenes  Recht,  sondern  vielmehr  nach  Befund  der  Rechts- 
(beijsitzer  und  etwan  auf  vorhergegangene  Prsejudicia  erörtert 
worden"  durch  Constitutiones  Regias  zu  entscheiden  und  die 
Unterschiede  zwischen  dem  Stadt-  und  Landrecht  auszugleichen. 
Nur  gnadenweise  w^urde  den  mährischen  Ständen  in  Aussicht 
gestellt,  dass  sie  der  Landesfürst  bei  künftigen  Gesetzen  „in  einem 
und  andern  zuvorhero  zu  vernehmen''  gedenke,  den  Böhmen  wurde 
nicht  einmal  dies  Zugeständnis  gemacht.^ 

2.  Da  um  dieselbe  Zeit  die  widerstrebenden  Elemente  dea 
erbgesessenen  Großgrundbesitzes  aus  den  altösterreichischen  Landen 
durch  die  rücksichtslose  Durchführung  der  Gegenreformation  ent- 
fernt wurden,  so  stand  jetzt  die  gesetzgebende  Gewalt  des  Landes- 
fürsten auch  hier  vor  viel  geringeren  Hemmungen.  Daher  konnte 
die  auf  Herbeiführung  der  Reichseinheit  im  Wege  der  Gesetz- 
gebung gerichtete  Arbeit,  die  unter  Kaiser  Ferdinand  L  an  der 
ablehnenden  Haltung  der  Stände,  zumal  der  böhmischen,  gescheitert 
w^ar,  seit  Kaiser  Ferdinand  II.  mit  mehr  Aussicht  auf  Erfolg  wieder 
aufgenommen  w^erden.  Ganz  glatt  giengen  indessen  die  Dinge  noch 
nicht,  denn  der  Umschwung  in  den  Machtverhältnissen  bestimmte 
die  Landstände  zu  einem  geänderten  Verhalten  in  Fragen  der  Gesetz- 
gebung. Wir  haben  gesehen  (§  44),  dass  es  im  IG.  Jahrhundert 
vor  allem  die  Landstände  waren,  welche  auf  Erlassung  von  Landes- 
gesetzen drangen,  der  Landesfüret  verhielt  sich  ihren  Entwürfen 
gegenüber  zögernd  und  hat  manche  gar  nicht,  andere  erst  nach 
jahrelangen  Verhandlungen  genehmigt.  Allmählich  kehrte  sich  aber 
das  Verhältnis  um,  der  frische  Zug,  der  das  landständische  Wesen 

bewohnet  wird  gerichtet,  auch  etlicherniassen  nach  unseren  Kayserlichen  und 
anderen  im  h.  Köm.  Reich,  und  unseren  Königreichen  und  Ländern  gewöhnlichen 
Satzungen  corrigiert .  .  .**  heißt  es  in  dem  Publinationspatent  für  Böhmen  und 
Mähren. 

2  Mähr.  L.-0.  I,  Tit.  4,  §  .Wir  behalten";  böhm.  L.-O.  A.  VIII. 


Vorwaltender  Einrtu^s  des  Herrschers  auf  die  Gesetzgebung.  ^Sy 

im  16.  Jahrhundert  kennzeichnet,  verschwand,  das  Interesse  an 
der  zeitgemäßen  Fortbildung  der  Gesetze  erlahmte,  und  man  hielt 
nun  aus  Misstrauen  gegen  die  Regierung  ai;  den  früheren  Gesetzen 
umso  zäher  fest,  je  mehr  man  darin  das  erreichbare  Maß  von 
Sicherung  des  Landesbrauchs  zu  erblicken  glaubte. 

3.  Diese  Spuren  von  Ermüdung  zeigen  sich  bei  den  Ständen 
des  Landes  unter  der  Enns  schon  zu  Beginn  des  17.  Jahrhunderts. 
Die  Arbeiten  zur  Codiflcierung  des  Landesrechts,  die  man  nach  dem 
Scheitern   des  Versuches  mit  dem  Institutura  Perdinandi  L   im 
Jahre  1565  wieder  frisch  aufgenommen  hatte,  geriethen  mit  der 
zunehmenden  Gebrechlichkeit  des  Vertrauensmanns  der  Stände, 
des  Freiherrn  Reichard  Strein  von  Schwarzenau  (f  1600)  immer 
mehr  ins  Stocken.    Schon  im  Februar  1599  erinnerte  Erzherzog 
Matthias  die  Landstände,  „wie  oft  und  vielmals  in  den  verschienen 
Landtagen  wegen  Vergleichung  der  Landtafel  und  Publicierung  der- 
selben tractiert,  so  nicht  weniger  als  die  Polizeiordnung  dem  ganzen 
Land  hoch  von  nöthen'',  doch  hat  die  Mahnung  nicht  gefruchtet, 
obwohl  die  Fertigstellung  der  Landüifel  von  der  Regierung  bis 
zum   Jahre    1628   „vast   in    allen  hievor  gehaltenen   Landtagen 
bei   den  löblichen   Ständen  urgirt  worden".  Ni(;ht  viel   besseren 
Erfolg   hatten  die   Bemühungen   der   Regierung   gegenüber   den 
Ständen  der  übrigen  Erblande.  Bis  in  die  2.  Hälfte  des  17.  Jahr- 
hunderts gewahrt  man  noch  eine  laue  Bethätigung  an  den  vor- 
geschlagenen Revisiousarbeiten,  allein  seit  Beginn  des  18.  Jahr- 
hunderts wuchs  mit  der  zunehmenden  Ohnmacht  der  Landstände 
auch  ihr  Misstrauen  so  sehr,  dass  eine  Taktik  des  Verschleppens 
eingeschlagen  wui'de,   die  oft  nur   durch  äußersten  Hochdruck, 
oft    überhaupt  nicht  beseitigt  werden  konnte.   So  kam  es,   dass 
man   sich  in  Krain   mit  der  im  Jahre   1571  verbesserten  Land- 
schrannenordnung   bis  in  die  Tage  der  Kaiserin  Maria  Theresia 
behalf,  obgleich   „CoUecta  einer  vorhabenden  neuen  Schrannen- 
ordnung''  vorhanden  waren.   In  Tirol   blieb  die  von   Erzherzog 
Leopold  1626  vorgeschlagene  Revision  der  Landesordnung  vom 
Jahre  1573   ergebnislos,  während   in  Steiermark  die  von  Kaiser 
Leopold  I.   im  Jahre   1658   angeregte   und  im  Jahre   1705   von 
Kaiser  Josef  I.   befohlene   Aufrichtung  öffentlicher   Bücher   (der 
Landtafel),  erst  nach  Überwindung  eines  zähen  passiven  Wider- 
standes der  Stände  im  Jahre  1730  Gesetz  wurde. 


360        österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  45. 

4.  An  dem  geringen  Erfolg  der  Gesetzgebungsarbeiten  war 
freilich  auch  die  Umatändlichkeit  viel  Schuld,  mit  welcher  die 
Berathungen  ins  Werk  gesetzt  wurden.  Die  Protokolle  der  Landea- 
ordnunga-Commisaion,  die  in  Österreich  unter  der  Enns  in  der 
zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  tagte,'  geben  uns  über  den 
eingeschlagenen  Weg  genauen  Aufschluss.  Da  wurde  zunächst 
mit  den  Ständen  als  solchen  verhandelt,  dann  kam  der  Entwurf  an 
die  aus  Vertrauensmännern  des  Kaisers  und  der  Stände  zusammen- 
gesetzte Landesordnungs-Commission,  die  ihn  an  die  aus  ihrer 
Mitte  bestellten  „Corapilatoren"  verwies.  Der  von  diesen  vorge- 
legte Referenten-Entwurf  wurde  in  der  Commission  selbst  in 
Sitzungen,  die  bis  zu  dreimal  wöchentlich  stattfanden,  eingehend 
durchberathen,  und  gelangte  nun  an  die  n.-ö.  Regierung,  die  ihn 
gleichfalls  gründlich  erörterte  und  endlich  dem  Kaiser  vorlegte. 
Die  Dinge  liefen  jedoch  selten  so  glatt  ab,  meist  ergaben  sich 
Zweifel,  die  eine  Rückverweisung  des  Entwurfs  an  die  tiefere 
Stelle,  oder  mindestens  Verhandlungen  in  kurzem  Wege  nöthig 
machten.  Erwägt  man,  wie  oft  die  Berathungen  des  Kaisers  mit 
seinen  Vertrauensmännern  durch  politische  Verwickelungen  aller 
Art  unterbrochen  wurden  und  dass  bei  deren  Wiederaufnahme 
nach  Jahren  sich  die  Voraussetzungen  des  Gesetzes  so  verändert 
hatten,  dass  die  Verhandlungen  von  vorne  wieder  beginnen  mussten, 
so  wird  es  erklärlich,  weshalb  der  in  der  Landesordnungs-Com- 
mission 1669  durchberathene  „Tractatus  de  juribus  incorporalibus* 
erst  zehn  Jahre  später,  der  1667  schon  an  die  Regierung  abgegebene 


°  Erhalten  sind  im  n.-ö.  Landesarchiv,  Fase.  B.  4,  die  Protokolle  des 
Dr.  Joh.  Q.  Hart  mann,  1653—1669  und  des  Dr.  Franz  Beck.  Bei  diesem 
findet  sich  zum  26.  Augast  1667  ein  Verzeichnis  „wo  die  seithero  ausgearbeitete 
tractatus  zu  finden.  Tractatus  de  testamentis  et  contractibus  befinden  sich  bei 
Hof.  Bei  Regierung  liegt  tractatus  de  successionibus  ab  intestato,  die  Qerhab- 
Schaftsordnung,  Judicium  mercantile,  der  Advocaten  juramentum  calamni»  in 
Appellations-  und  Revisionssachen,  ein  Quetachten  wegen  des  Cammerprocurator^ 
juramentum  calumni»,  Bericht  und  Quetachten  in  puncto  fatalium  appeliationis, 
item  in  puncto  revisionis  übsr  die 'mündliche  Vorhören.  Bei  der  Landsordnungs- 
Commission:  tractatus  de  juribus  incorporalibus,  item  der  Tractat  de  feudts 
so  nach  der  neue.i  Lehensgnad  eingerichtet.  In  der  Compilatorn  Händen 
beflndt  sich  die  neue  Einrichtung  .der  Revision-^ordnung,  hat  Anstand,  bis  die 
hierzue  gehörige  Puncta  bei  Hof  resolviert  sein.  Die  Jägerordnung  ist  noch  bei 
den  löblichen  Ständen."  Fol.  26b;  Sammlung  Chorinsky,  S.  154. 


Schleppender  G-ang  der  Gesetzgebaagsarbeiten.  361 

^Tractatua  de  succeaaionibus  ab  intestato*"  gar  erst  1720  als  «Neue 
Satz  und  Ordnung  vom  Erbrecht  außer  Testament**  genehmigt 
wurde.  Ließ  man  sich  bei  Hofe  so  lange  Zeit  zur  Überlegung, 
trotzdem  man  die  Gesetzgebung  in  Österreich  unter  der  Enns  zu 
beschleunigen  Ursache  hatte,  da  man  deren  Ergebnisse  zur  Herbei- 
führung größerer  Rechtsgleichheit  in  den  Erblanden  verwenden 
wollte,  so  gieng  es  in  den  andern  Provinzen  noch  länger  her,  weil 
hier  die  Verhandlungen  von  der  Regierung  erst  durch  Vermittlung 
der  i.-ö.  oder  der  o.-ö.  geheimen  Stelle  an  den  Kaiser  gelangten, 
also  von  einer  l.-f.  Behörde  mehr  begutachtet  wurden. 

5.  Die  Wiederaufnahme  der  auf  Herbeiführung  einer  größern 
Rechtsübereinstimmung  gerichteten  Codificationsarbeiten  fällt  schon 
in  die  Regierung  Kaiser  Perdinand's  IL,  da  wenige  Monate  nach 
dessen  Tode  Kaiser  Ferdinand  HL,  am  14.  November  1637,  den 
Entwurf  einer  neuen  Gerichtsordnung  für  Kärnten  genehmigte  und 
die  seiner  „Intention  gemäß  mit  der  steyerischen  Gerichtsordnung  zu 
beeder  Länder  besseren  Einträchtigkeit  und  Vereinigung  gebrauchte 
Gleichförmigkeit  zu  allergnädigstem  Wohlgefallen"  aufnahm.  Port- 
gesetzt in  größerem  Umfang  wurden  sie  unter  Kaiser  Leopold  I. 
Wie  weit  dieser  dabei  den  Anregungen  des  berühmten  Polyhistors 
Gottfried  von  Leibniz  folgte,  der  seit  dem  Jahre  1671  den  Kaiser 
durch  Vertrauensmänner,  wie  den  Hofkanzler  Hocher,  oder  den 
Grafen  von  Windhag,   für   den  Gedanken  zu  gewinnen   suchte, 
dass  er  als  ein  zweiter  Justinian  für  alle  seiner  Herrschaft  unter- 
worfene Gebiete  ein  neues  Civilgesetzbuch  zusammentragen  lasse,  * 
ist  nicht  festgestellt.  Am  Fürsten  Wenzel  Lobkowitz  besaß  der 
Kaiser  einen  Minister,  der  ein  Anhänger  der  modernen  Staatsform 
die  Einheit  Österreichs  durch  die  absolute  Macht  der  Krone  zu 
verwirklichen  strebte  und  das  Gesetzgebungsrecht  für  diese  in 
Anspruch  nahm.   Auch  Ungarn  sollte  auf  den  Fuß  der  übrigen 
Länder   gebracht    werden,  und   namentlich   Cardinal    KoUonitsch 
arbeitete    unablässig    darauf  hin,     dass    die    im    Erzherzogthum 
Österreich  geltenden  Civil-  und  Criminalgeaetze  jenseits  der  Leitha 


*  Poucher  deCareil  in  S.  B.,  Bi.  25,  134.  Den  gleichen  Wunsch  sprach 
auch  der  i.-ö.  Regimentsrath  Nik.  v.  Beckmann  in  seiner  dem  Kaiser  Leopold 
Uiy^S  gewidmeten  «Idea  juris  statutarii  et  consuetudinarii  Stiriaci  et  Austriaci" 
aus,  sowohl  S.  205  als  auch  in  der  Zueignung,  die  sogar  den  Plan  zur  Aus- 
arbeitung eines  Corpus  Loopoidinum  in  12  BUchern  enthält,  vgl.  §  46,  Anm.  6. 


362        Österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  45. 

eingeführt  würden.  Dazu  ist  es  nun  allerdings  nicht  gekommen, 
da  der  Kaiser  später  von  dem  Gedanken  abgieng,  die  Verwirkungs- 
theorie  gegenüber  Ungarn  durchzuführen.  Wohl  aber  hat  er  in 
den  übrigen  Erblanden  die  Rechtsausgleichung  gefordert  und  bei 
Generalpatenten  höchstens  darauf  Bedacht  genommen,  dass  die 
Texte  den  eigenthüralichen  Verhältnissen  der  einzelnen  Länder- 
gruppen angepasst  wurden.^  Die  im  Jahre  1671  zur  Abstellung 
der  Verschwendung  für  beide  Österreich  erlassene  allgemeine 
Polizeiordnung  wurde  im  Jahre  1673  ohne  weiters  auch  auf 
Innerösterreich  ausgedehnt.  Mit  den  mährischen  Ständen  schwebten 
seit  1680  Verhandlungen,  wegen  Ausdehnung  der  Prager  Stadt- 
rechte auf  die  mährischen  Städte,  »damit  durchgehends  ein  all- 
gemeines Recht  und  Ordnung  eingepflanzt  werden  möchte".  Als 
des  Kaisers  Geduld  erschöpft  war,  führte  er  diese  Stadtrechte 
durch  Rescript  vom  7.  Juni  1697  ohne  weiters  in  den  königlichen 
Städten  Olmütz,  Brunn,  Iglau  u.  s.  w.  ein,  da  „Unser  allerhöchstes 
Richteramt  und  Justizwesen  diesem  Saumsal  der  Gerechtigkeit 
zum  Abbruch  länger  nachzusehen  nicht  gestattet."  ^ 

6.  Noch  entschiedener  trat  Kaiser  Josef  I.  auf.  Einen  einzelnen 
Fall,  den  Concurs  in  den  das  Stift  Rottenmann  gerathen  war, 
benützte  er,  um  die  Errichtung  einer  dem  „publico  heilsambisten 
Landtafel  nach  der  königlich  Böhmischen  Landtafel  -  Norma* 
nicht  bloß  in  ganz  Innerösterreich,  sondern  auch  in  Tirol  anzu- 
regen. ^  Für  Böhmen,  Mähren  und  Schlesien  erließ  er  am  16.  JuH 
1707  zu  besserer  Einbürgerung  des  „dem  allgemeinen  Wesen 
sehr  nutzbaren  Inquisitionsprocesses"  aus  kaiserlicher  und  könig- 
licher Macht  und  Gewalt  eine  peinliche  Halsgerichtsordnung  in 
23  Artikeln,  die  einen  unverkennbaren  Zusammenhang  mit  der 
für  Österreich  unter  der  Enns  von  Kaiser  Ferdinand  III.  im 
Jahre  1656  erlassenen  Landgerichtsordnung  aufweist.  Zwei  Jahre 
darnach  (1709)  setzte  der  Kaiser  zu  Prag  und  Brunn  CompUations- 


*  So  wurde  1676  der  Entwurf  des  zur  Einführung  in  aUen  Ländern  vor- 
bereiteten Stempelpatents  an  die  o.-ö.  Regierung  und  Kammer  gesandt,  um  die 
technischen  Ausdrücke  mit  dem  gerichtlichen  Sprachgebrauch  von  Ober-  und 
Vorderösterreich  in  Einklang  zu  bringen,  weil  bei  der  Abfassung  zunächst  die 
in  Böhmen  üblichen  berücksichtigt  worden  seien.  B id ermann,  I,  141,  Anm.  81. 

0  Weingarten,  Cod.  F.  L.  J.  C,  Nr.  545. 

"Biderraann,  II,  135,  Anm.  49. 


Einführung  d.  Landtafel  in  L-Ö.  Die  Weciisel  u.  Erbrechtsordnungen.     363 

Commissionen  ein,  um  „eine  Uniformitas  juris  statutarii"  durch 
Combination  der  Landesordnungen  mit  den  Stadtrechten  zu  erzielen.^ 
7.  üer  unerwartete  Tod  Kaiser  Josefs  I.  (1711)  unterbrach 
allerdings  diese  auf  Herbeiführung  des  Einheitsstaates  gerichtete 
Gesetzgebung  und  die  kriegerischen  Verwickelungen,  unter  welchen 
Kaiser  Karl  VI.  seine  Herrschaft  antrat,  machten  erst  später  eine 
Wiederaufnahme  derselben  möglich.  Am  17.  September  1721  ver- 
fügte er  für  ganz  L-Ö.  eine  Annäherung  an  das  in  Österreich  u.  d.  Enns 
vorgeschriebene  peinliche  Verfahren,  im  Jahre  1722  wurde  die  1717 
für  Österreich  unter  der  Enns  nach  Einvernehmung  des  Handels- 
standes erlassene  Wechselordnung  —  bis  auf  kleine  Änderungen 
wortwörtlich  —  auf  Steiermark,  Kärnten,  Krain,  Görz,  Gradisca, 
Triest  und  Fiume  ausgedehnt.  Weniger  glatt  gieng  es  mit  dem 
Landtafelpatent.  Die  nach  langem  Stocken  im  Jahre  1725  mit  den 
Ständen    von    Steiermark    wieder    angeknüpften    Verhandlungen 
führten  erat  1730  zum  Ziele,  obwohl  den  Ständen  nur  Erörterungen 
..quoad  qusestionem  q  uo m o  do"  und  nicht  mehr  „super  quaestionem 
an"  gestattet  wnirden,  für  Kärnten  und  Krain  erflossen  die  mit 
dem  steirischen  Gesetz  gutentheils  übereinstimmenden  Patente  erst 
unter  der  Kaiserin  Maria  Theresia  in  den  Jahren  1746  und  1747.® 
Den   entschiedensten  Fortschritt  zur  Rechtseinheit   hat  in- 
dessen unter  der  Regierung  Kaiser  Karl's  VL  die  Gesetzgebung 
über   das  Erbrecht  gemacht.   Durch  das  Zurückgreifen  auf  den 
schon  1667  durchberathenen  Tractatus  de  successionibus 
ab   intestato,  der  nach  einer  neuen  Berathung  und  geringer 
Umarbeitung  im  Jahre   1720  als  neue  „Satz  und  Ordnung  vom 
Erbrecht  außer  Testament**  für  Österreich  unter  der  Enns  ergieng, 
wurde  für  die  fünf  n.-ö.  Lande  ein  materiell  übereinstimmendes 
gesetzliches  Erbrecht  geschaffen^^  indem  derselbe  Gesetzestext  (mit 
Ausnahme  der  Sätze  über  die  Regredient-Erbinnen)  nach  Berathung 
durch  die  Landstände  in  den  Jahren  1729  und  1737  für  Steier- 


^  Über  den  weiteren  Verlauf  der  Berathiingen  s.  Harrasowsky,S.  17  ff. 

»  V.  Haan,  Studien  über  Landtafeiwesen  1866,  S.  19,21. 

1^  Im  Jahre  1729  hatte  auch  die  Compilations-Commi&sion  für  die  böhmi- 
schen Länder  das  Erbrecht  bis  auf  den  letzten  Titel  fertiggestellt.  Die  unabhängig 
von  einander  verlaufenden  Codiflcierungsarbeiten  fUr  Böhmen  und  Österreich, 
suchten  beide  die  Bevorzugimg  der  männlichen  gegenüber  den  weiblichen  Erben, 
der  Agnaten  gegenüber  den  Cognaten,  zu  mildern.  Harrasowsky,  26. 


364        österreichische  Reichsgeichichte.  IL  Theil.  Vierte  Periode.  §  46. 

mark  und  Krain  und  mit  geringen  Zusätzen  auch  für  Österreich 
ob  der  Enns  1729  und  für  Kärnten  1747  als  Landesgeaetz  er- 
lassen wurde.  Die  zu  diesen  Erbrechtsordnungen  gehörenden  Kund- 
machungspatente stellen  die  bestehenden  „ungleichen  Landes- 
beobachtungen auch  theils  irrigen  Landesgewohnheiten"  als  Quelle 
unnöthiger  Streitigkeiten  dar,  die  der  Kaiser  durch  Einführung 
klarer  Satz-  und  Ordnungen  zu  beseitigen  suche.  Als  nothwendig 
wird  ferner  (auch  in  der  Ordnung  für  Krain)  bezeichnet,  dass 
das  Gesetz  in  deutscher  Sprache  zu  eines  jeden  gemeinen 
Mannes  Belehrung  abgefasst  sei. 


§.  46.  Die  rechtswissenschaftliche  Literatur  iu  Österreich  Tom 

16.  bis  zur  Mitte  des  18.  Jahrhunderts. 

Canstein,  I,  94.  —  Chorinsky,  Das  Vormundschaftsrecht  Niederöster- 
reichs, 1878;  Beitr.  z.  Erforsch?,  öst.  Rechtsquell,  (allg.  öst.  Gerichtszeitg.  1896. 
Nr.  3),  mit  vielen  Literaturangaben.  —  KinkR.,  Die  Rechtslehre  an  der  Wiener 
Universität  1853.  —  Kreutzer  J.,  Versuch  e.  Literargeschichte  d.  österr.  Privat- 
rechts, 1804;  Handbuch  1808.  —  Legis  Glückselig  in  d.  Öst.  Zeitschr.  f.  Rechfc- 
u.  Staatswissensch.  1847.  —  De  Luca,  Justizcodex,  Bd.  V.,  s.  v.  Bibliothek 
—  Mein  Aufsatz  .Österreicher  an  ital.  Universitäten  z.  Zeit  d.  Reception  d.  röm. 
Rechts"  in  den  Bl.  d.  Vereins  f.  Landeskunde  von  N.-Ö.,  1880—1885.  —  Rößler. 
Gesch.  d.  Rechts  in  Ö.,  1847.  —  Stintzing,  Gesch.  d.  deutschen  Rechtswissen- 
schaft, 2  Bde.,  1880/81.  —  Stubenrauch,  Bibliotheca  juridica  Austriaca,  1847. 

1.  Die  Rechtssehriftsteller,  die  in  Österi'eich  im  16.  Jahr- 
hundert auftraten,  sind  durchwegs  mit  'dem  römischen  Recht 
vertraut,  haben  jedoch  von  ihren  Kenntnissen  gegenüber  dem 
heimischen  Recht  in  sehr  verschiedener  Weise  Gebrauch  ge- 
macht. Es  gibt  Männer  unter  ihnen,  die  ihre  Arbeitskraft  nur 
der  kritischen  Bearbeitung  und  Erweiterung  des  Quellenmaterials 
widmeten,  wie  der  Wiener  Professor  Georg  Tanner  (f  um  1580), 
der  eine  neue  Ausgabe  der  Novellen  vorbereitete.  Andere,  wie 
sein  College  Joh.  B.  Schwarzenthaler  (f  um  1614),  oder  der 
als  hochfUrstlich  Salzburgischer  Rath  um  das  Jahr  1590  gestorbene 
Krainer  Dr.  Martin  Pegius,  suchten  durch  Schriften  für  die  Praxis 
dem  römischen  Rechte  immer  allgemeinere  Geltung  im  Leben  zu 
verschaffen,  da  sie  es  nicht  begreifen  konnten,  weshalb  man  sich 
bei  Gericht  noch  immer  auf  unerhebliche  Argumente  und  Eiafälle 
berufe,  obgleich  der  Rechtsstoff  in  zahllosen  lateinischen  Rechts- 


Pflege  d.  Landesbrauchs  neben  d.  gemeinep  Recht,  Bernhard  Walther.     365 

büchern  nahezu  für  alle  Fälle  schon  so  „vorgekaut*  zu  finden 
sei,  «das  ainer  nit  mer  dörft  wie  die  Bawren  sagend,  dann  daß 
ers  in  den  Mund  trüg  und  schlickts  hinab **.^ 

Diesen  gegenüber  stehen  Männer,  die  ungeachtet  ihrer 
romanistischen  Schulung  den  heimischen  Rechtsbrauch  hoch  hielten 
und  bemüht  waren,  ihm  seinen  Platz  neben  dem  gemeinen  Recht 
zu  erhalten.  Hierher  gehörten  der  unbekannte  Verfasser  des  früher 
erwähnten  Institutum  Ferdinandi  I.,  das  im  Jahre  1528  schon 
vollendet  war,  der  Staatsmann  und  Gelehrte  Freiherr  Reichard 
Strein  von  Schwarzenau  (f  1600)  und  vor  allem  der  Vater  der 
österreichischen  Jurisprudenz,  Dr.  Bernhard  Walther  (f  1584  zu 
Graz),  der  Verfasser  der  berühmten  „aurei  tractatus  juris  Austriaci' 
die  nebst  anderen  ungedruckten  Arbeiten  dieses  fruchtbaren  Schrift- 
stellers in  zahlreichen  Abschriften  verbreitet,  die  spätere  Rechts- 
entwickelung in  Österreich  wesentlich  beeinflussten.  ^ 

Ob  im  Falle  der  Annahme  das  Anerbieten  geglückt  wäre, 
das  der  kaiserliche  Bibliothekar  Dr.  Hugo  Flermann,  genannt 
Biotins,  1576  der  Landschaft  machte:  im  Verein  mit  dem  Be- 
arbeiter der  österreichischen  Landtafel,  Professor  W.  Püdler,  das 
jus  consuetudinarium  Austriacum  durch  Heranziehung  gewisser  in 

^Pegius,  Vorrede  »Von  vorbehaltenen  Widerkaufen  (Einstandrecht, 
Fol.  37).  Ueber  Pegius,  der  1551  zu  Ingolstadt  Doctor  wurde  und  den  sein  Zeit- 
genosse Rotmar  einen  ,vir  tamin  Theologia  quam  in  jure  peritlssimus  ac  pene 
etiam  ä'jToot^axToc'  nennt,  s.  Radios  in  den  Verhandlungen  der  jur.  Gesellschaft 
in  Laibach,  Bd.  2  (1866),  181,  217,  mit  Angabe  seiner  zahlreichen  Werke. 
Über  Tanner  s.  Stintzing,  I.,  233,  über  Schwarzenthaler,  Chorinsky,  S.  16, 
Anm.  10.  Ein  Sammelband  mit  84  Disputationen  über  Fragen  des  römischen 
Rechts,  die  in  den  Jahren  1594/96  von  27  Rechtscandidaten  an  der  Universität, 
Wien  gehalten  wurden,  bei  Mayer,  Wiens  Buchdruckergesehichte,  I,  188. 

2  Über  Strem  s.  Bl.  d.  Ver.  f.  Landeskunde  v.  N.-Ö.,  1868,  S.  89  ff. 
Jöcher,  IV,  878.  über  Walther,  dessen  Name  in  Stintzing's  Werk  fehlt, 
Chorinsky,  Beitr.  z.  Erforschg.  öst.  Rechtsquell.  C.  —  Walther  um  1520  zu 
Leipzig  geboren,  stammte  aus  dem  schweizerischen  Geschlecht  der  W.  von 
Waltersweil  ab,  studierte  in  Bologna  und  Pavia,  wurde  1547  n.-  ö.  Regimentsrath, 
ir>56  n.-ö.  Kanzler,  und  stand  seit  1564  in  Diensten  Brzh.  Karl's  v.  Innerösterreich. 
Die  Capitalbuchstaben  im  Text  der  Tractatus  A,  B,  C  verweisen  auf  Belegstellen 
aus  dem  Corpus  juris  u.  s.  w.,  die  im  Drucke  wegblieben.  Rein  romanistisch  und 
textkritisch  sind  W.'s  Miscellaneorum  ad  jus  pertinentium  libri  IV.  Graz  1574,  in 
welchen  u.  a.  Plautus  zur  Erklärung  von  Stellen  des  Corpus  juris  herangezogen 
ist  (I,  c.  23,  27),  das  dominium  directum  als  in  den  Quellen  nicht  begründet 
(III,  c.  5)  bezeichnet  wird  u.  s.  w. 


366        ÖsterreichLsche  ReiohsKeschirhte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  4<». 

italieniachen  und  deutschen  Städten  geltender  Sätze  zu  ergänzen 
und  in  ein  System  zu  bringen,  das  an  der  Universität  gelehrt 
werden  sollte,^  das  bleibe  dahingestellt.  Für  die  Bedeutung,  die  man 
dem  heimischen  Rechte  in  Österreich  neben  dem  gemeinen  bei- 
maß, ist  es  bezeichnend  genug,  dass  solch  ein  Vorschlag  zu  Ende 
des  16.  Jahrhunderts  überhaupt  auftauchen  konnte. 

2.  Unter  den  Zerrüttungen,  welche  den  30jährigen  Krieg 
begleiteten,  litt  auch  die  Jurisprudenz  in  Österreich  gar  sehr.  In 
einem  Gutachten,  das  die  Wiener  Universität  im  Jahre  1631  über  die 
Mängel  des  bisherigen  Gerichtswesens  in  Österreich  der  Regierung 
erstattete,  wird  die  Rechtsunsicherheit  ganz  offen  einbekannt.  Alle 
Juristen,  heißt  es  darin,  auch  jene  die  schon  über  20  Jahre  prakticieren, 
könnten  sich  nicht  erinnern,  dass  in  Österreich  je  eine  gedruckte  oder 
auch  nur  stetige  Gerichtsordnung  publiciert  worden  sei.  Sie  hätten 
den  Gerichtsgebrauch  nur  per  traditionem  longo  et  quotidiano  usu 
erlernt.  Ein  großer  Übelstand  sei,  dass  diejenigen  die  von  den  Studien 
oder  anders  woher  kommen,  die  österreichischen  Landsgebräuche 
so  wenig  verstehen,  dass  sie  in  desperationem  gerathen.  Um  die 
Mitte  des  17.  Jahrhunderts  besserten  sich  diese  Zustände,  allein 
keiner  der  folgenden  Juristen  reicht  an  die  Bedeutung  Bernhard 
Walther's  heran,  obwohl  sich  darunter  Joh.  B.  Suttinger  von  Thurn- 
hof,  der  sehr  verdienstliche  Sammler  der  „  Consuetudines  Austriaca  ** 
und  Verfasser  der  oft  aufgelegten  „Observationes  practicae"  befindet, 
der  auch  an  der  Ausarbeitung  der  peinlichen  Landgerichtsordnuiig 
Kaiser  Ferdinand's  III.  für  Österreich  unter  der  Enns  (1656)  und 
an  andern  Gesetzgebungsarbeiten  dieser  Zeit  thätigen  Antheü 
genommen  hat.* 

3.  Hatte  sich  in  Österreich  schon  in  der  2.  Hälfte  des 
16.  Jahrhunderts  neben  der  auf  Ausbreitung  der  Lehren  des 
römischen  Rechts  abzielenden  Thätigkeit  eines  Schwarzenthaler 
und  Pegius  eine  zweite  Richtung  bemerklich  gemacht,  welche 
dem  Landesbrauch  neben  dem  gemeinen  Rechte  seinen  Platz 
sichern  wollte,  so  kamen  dieser  nun  außerdem  die  Anregungen 
zustatten,  durch  welche  Hermann  Conring  der  Jurisprudenz  in 
ganz  Deutschland  neue  Bahnen  wies.  Denn   sobald  es  feststand. 


^Kink,  Rechtslohre,  41. 

*  Über  Suttinger,  f  ^(^^y%  s.  Chorinsky,  Beitr.  I. 


Zunehmende  Berücksichtigung  d.  Landesbrauchs;  die  „Differentife".     367 

dass  das  justinianische  Recht  nicht  auf  Grund  eines  kaiserlichen 
Befehls,   also  nicht  durch   kaiserliche  Autorität  eingeführt  war, 
sondern  nur  galt,  „weil  es  thatsächlich  in  Übung  gekommen  und 
kraft   langjährigen  Gebrauchs,  so  w^ar  damit  die  Gewohnheit  als 
Grundlage  des  gesamraten  Rechtszustandes  historisch  erwiesen  und 
dem  Gewohnheitsrechte,  der  frei  schaffenden  Arbeit  des  Rechts- 
lebens  eine  Bedeutung  zuerkannt,  welche  sie  als  Bildnerin  des 
positiven  Rechts  über  die  Gesetzgebung  erhob.  Und  da  die  Träger 
dieser  Umgestaltung  nicht  das  Volk,   sondern  der  Juristenstand 
nachweislich  gewesen,   so  war  damit  seine  thatsächlich  geübte 
Macht  als  rechtszeugende  Potenz  anerkannt",  ein  Ergebnis,  welches 
ihm  auch  für  die  Zukunft  seine  umgestaltende  Thätigkeit  sicherte.^ 
Damit  war  in  Österreich  die  Zeit  für  die  Literatur  der  s.  g.  Diffe- 
rentise  gekommen,  welche  die  Abweichungen  des  heimischen  Rechts- 
braiichs  von  den  Sätzen  des  römischen  Rechts  verfolgten  und  bisher 
fast  nur  im  Gebiet  des  sächsischen  Rechts  vorgekommen  waren. 
4.  Zuerst  und  sehr  lebhaft  wurde  die  Frage  der  Differentise 
in  Böhmen  aufgegriffen.   Gegen  das  Werk  des  Prager  Professors 
Christoph  Kyblin  von  Waffenburg  „de  differentiis  juris  communis 
et   patrii*'    Prag,    1663,   das  in  247    Punkten  Abweichungen  des 
Landesbrauchs  vom  römischen  Rechte  behauptete,  ließ  ein  Vertreter 
der  Praxis,  der  Prager  Appellationsrath  Joh.  Heinrich  Proßkowsky 
von  Crohenstein,  1664  und  1668  zwei  Entgegnungen  erscheinen, 
welche  die  größere  Übereinstimmung  des  böhmischen  mit  dem 
geraeinen  Rechte  erweisen  sollten.   Im  Jahre  1674  veröffentlichten 
gleichzeitig  Joh.  Heinr.  Reutter  seine  25  «tabulse  juridicse  quibus 
accesserunt  varise  differentise  juris  communis  et  Austriaci"  in  Form 
von  Stammtafeln  und  Joh.  Weingärtier  seine  ^Con-  et  discordantia 
juris  consuetudinarii  Austriaci  supra  Anasum  cum  jure  communi" 
im  Anschluss  ans  System  der  Institutionen.    Nun  trat  auch  der 
i.-ö.  Regimentsrath  Nikolaus  von  Beckmann,  der  nach  einer  sehr 
bewegten  Vergangenheit   1678  in   kaiserliche  Dienste   war  auf- 
genommen worden,  mit  seinen  Reform- Vorschlägen  auf.  Schon  in 
seiner  Reformata  doctrina  juris  (1681)  will  er  „rejectis  antiquorum 
Ictorum  fabulis  et  obsoletis  juris  Romani  apertis**  nur  das  jetzt 
bei  Gericht  anwendbare  Recht  darstellen  und  bezeichnete  er  die 


*  Stintzing,  II.,  5. 


368         österreichische  Reichsgeschichte.  IT.  TheiJ.  Vierte  Periode.  §  46. 

Titel  der  Pandekten,   die  als  veraltet  wegzulassen  wären.  Viel 
weiter  noch  gieüg  er  in  seiner  1688  erschienenen  „Idea  juris  statutarii 
et  consuetudinarii  Styriaci  etAustriaci  cum  jure  Romano  coUati*'. 
Hier  ist  das  frühere  Verhältnis  beider  Rechte  geradezu  umgekehrt, 
das  Landesrecht  tritt  überall  in  den  Vordergrund,  das  römische 
Recht  wird  nur  zur  AushUfe  zugelassen,  der  Kaiser  zur  Erlassung 
eines  umfassenden  Gesetzbuches   aufgefordert  und  sogleich  der 
Plan  zu  einem  Corpus  Leopoldinum  in  12  Büchern  entwickelt.* 
5.  Bei  dieser  Wertschätzung,   welche  nun  die  Juristen  mit 
einemmale    dem  heimischen  Recht    entgegenbrachten,    erwachte 
naturgemäß  das  Bedürfnis  nach  Sammlungen  des  Landesbrauchs 
und  der  landesfürstlichen  Gesetze.  Nach  beiden  Richtungen  hat  der 
früher  erwähnte  n.-ö.  Regierungskanzler  J o h.  B.  Suttinger  von 
Thurnhof  den  Anfang  gemacht,   doch  haben  nur  seine  nach 
Art  eines  Lehrbuchs  gearbeiteten  und  den  Ständen  von  Österreich 
u.  d.  Eons  zugeeigneten   „Observationes   practicae   oder  gewisse 
Gerichtsgebräuche",  auf  die  Zeitgenossen  nachhaltiger  gewirkt,  da 
sie  nicht  bloß  in  den  Jahren  1650—1713  mindestens  fünf  Auflagen 
erlebten,  sondern  auch  unter  gleichem  Titel  Arbeiten  von  Finster- 
wal der,   Erberg,   Rechbach   über  das  Gerichtswesen   und 
andern  Landesbrauch  in  Österreich  ob  der  Enns,  Krain  und  Steier- 
mark hervorriefen.  Dagegen  kamen  die  übrigen  Arbeiten  Suttinger's 
zunächst  nur  kleineren  Kreisen  zugute,  so  die  wichtigen   „Con- 
suetudinesAustriacse*  (eine  Art  Rechtslexikon),  die  großentheils  aus 
dem  bei  der  n.-  ö.  Regierung  um  1650  angelegten  Consuetudinarium 
geschöpft  sind  und  erst  1716 — 1718  gedruckt  wurden,  während 
sein  „Codex  Ferdinand eus,   oder  kurzer  Begriff  von  allen  landes- 
fürstlichen Generalienmandaten,  soviel  deren  bis  auf  diese  Zeit  bei 
allen  Registraturen  zu  finden"  (1656),  sowie  sein  1657  den  Land- 
ständen  übergegebenes  Gedenkbuch  der  n.-ö.  Landschaft,  unge- 
druckt blieben.  Der  praktische  Jurist  war  daher  nach  wie  vor  auf 

^  . . .  cum  quilibet  incertns  hsereat,  nnm  jus  statutarium,  in  Ulo  casu 
observetur  sitque  norma  illius,  vel  utruni  consuctudo  contrariuni  Yelit,  aut  an 
utroque  defieiente  jus  Romanum  in  illo  casu  prsedominetur  Vorrede.  —  Über  B.V 
früheres  Leben,  s.  Allg.  deutsche  Biogr.,  II,  239,  über  sein  Wirken  zu  Graz  s. 
Leitner  und  Bischoff:  Mitth.  d.  bist.  Ver.  f.  Steierm.,  IX,  45 ;  S.  DC. - B. flö^S 
zu  Graz.  —  Differentiae  zwischen  dem  Tiroler  und  gemeinem  Recht,  s.§47;  füis 
Schlesische  Recht:  ab  Hohberg:  Dissertatio  de  Legibus  Silesiorum  earumque 
inprimis  et  juris  communis  differentia  in  appellationum  fatalibus.  Leipzig  1720. 


Sammlungen  der  If.  Gesetze  u.  Verordnungen:  Codex  Austriacus.     369 

die  mühsame  Erwerbung  der  in  zahllosen  Einzeldrucken  zerstreuten 
Landesgesetze  und  landesfürstliche  Generalmandate  (Patente),  sowie 
auf  Abschriften  der  Waltherischen  Tractate  und  Processordnungen, 
der  Consuetudines  Austria<Jöe,  der  österreichischen  Landtafeln,  von 
Resolutionen  und  anderem,  was  sich  auf  den  Stylus  Curise  bezog, 
angewiesen.  Es  ist  nun  ebenso  begreiflich,  dass  jemand,  der  solch 
eine  Sammlung  hatte,  dieselbe  nicht  leicht  jemand  andern  mit- 
theilte, weil  ja  nicht  selten  die  persönliche  Überlegenheit  nur  auf 
dem  Besitz  des  vollständigeren  Materials  beruhte,  als  auch,  dass 
solch  ein  Zustand  dringend  Abhilfe  erheischte. 

6.  Eine  solche  erfolgte  zunächst  für  die  böhmische  Länder- 
gruppe durch  Serponte,  der  1678  in  seinem  Promptuarium  über 
beide  vemeuerte  Landesordnungen  und  die  Stadtrechte  eine 
alphabetische  Übersicht,  nebst  Parallelstellen  aus  dem  geraeinen 
Recht  und  synoptischen  Zusammenstellungen  darbot,  die  ein  Nach- 
schlagen der  Texte  entbehrlich  machen  sollten.  Noch  entscheidender 
aber  griff  hier  Johann  Jakob  Ritter  von  Weingarten  (*  1629, 
•f  1701)  der  fruchtbarste  Rechtsschriftsteller  Böhmens  "^  ein,  vor 
allem  durch  seinen  im  Jahre  1701  erschienenen  Codex  Ferdinandeo- 
Leopoldinus  pro  hsereditario  Regno  Bohemise,  Marchionatu  Moravise, 
et  ducatu  Silesiae,  der  eine  chronologisch  angelegte  und  mit  einem 
guten  Register  ausgestattete  Sammlung  von  Urkunden,  Ordnungen, 
Privilegien  u.  s.  w.  vom  Jahre  1347  herwärts  brachte  und  nach 
des  Verfassers  Tode  1720  als  Codex  Ferdinandeo-Leopoldino- 
Josephino-Carolinus  bis  zum  Jahre  1719  erweitert  wurde.® 

Unter  dem  Eindruck,  den  das  Erscheinen  von  Weingarten's 
Codex  unter  den  österreichischen  Juristen  hervorbrachte,  reifte 
auch  für  Österreich  ob  und  unter  der  Enns  ein  ähnliches  Sammel- 
werk, der  Codex  Austriacus  des  Hofraths  Franz  Antoni  von 
Guarient,  den  dieser  schon  vor  Jahren,  als  er  noch  n.-ö.  Land- 
schreiber war,  begonnen  hatte  und  der  nun  1704  in  zwei  Folio- 
bänden mit  mehr  als  1300  Seiten  erschien.  Bald  darauf,  wahr- 
scheinlich  im  Jahre  1712,   begann  auch  der  Breslauer  Verleger 


7  Wurzbach,  Biogr.  Lexikon,  Bd.  54,  8.  36.  Stubenrauch,  S.  344  ff., 
zählt  24  Werke  W.'s  auf,  von  denen  es  einige  auf  4  Auflagen  brachten. 

^  Zusammen  753  Nummern.  5  kleinere  Nachträge  erschienen  als  continuatio 
Codlcis  U.8.W.  in  den  Jahren  1710—1735.  Legis  278.  Ober  die  von  Kittlitz 
verfasste  handschriftliche  Fortsetzung,  s.  de  Luca  I,  260—286. 

Läse  hin,  Österreicbische  ReichsKeschictate.  24 


370        ÖsteiTeichische  Roichsgeschichte.  IL  Theil.  Vierte  Periode.  §  46. 

Brachvogel  mit  einer  Ausgabe  der  k.  u.  k.  das  Erbherzogthum 
Schlesien  concernierenden  Privilegia,  Statuta  und  Sanctiones 
Pragmaticse,  die  sich  den  vorhergenannten  Werken  in  der  Anlage 
anschloss  und  im  Jahre  1730  bis  zum  6.  Bande  gediehen  war. 

7.  Auf  die  Periode  des  Aufschwungs,  den  die  österreichische 
Jurisprudenz  in  der  Zeit  von  etwa  1650—1700  genommen  hatte, 
folgte  ein  reichlich  ebenso  langer  Niedergang.  Abgesehen  von 
Tirol  versiegt  die  Production  in  den  übrigen  Kronländern  mit  dem 
Erscheinen  der  großen  Sammelwerke  Weingarten's  und  Guarients. 
Die  Praxis  behalf  sich  mit  diesen  Fundgruben  landesfürstlicher 
Gesetze  und  Erlässe,  sowie  mit  den  handschriftlich  verbreiteten 
Consuetudines  Austriacae  die  nun  von  einem  Unbekannten  unter 
Anfügung  einiger  Waltherischer  Tractate  (1716,  1718)  in  Druck 
gelangten,  bei  welcher  Gelegenheit  alle  Berufungen  auf  das 
Corpus  juris  als  überflüssig  gestrichen  wurden.  Es  beschränkt  sich 
daher  die  Aufzählung  der  in  dieser  Zeit  auftretenden  Autoren 
auf  wenige  Namen.  Thasser  mit  seinen  Progymnasmata  Actionura 
(1707)  und  der  Advocat  Johann  Gerard  Peez,  der  im  Jahre  1731 
dem  Kaiser  Karl  VI.  das  Project  einer  allgemeinen  Process-  und 
Gerichtsordnung  widmete,  behandelten  das  Gerichtswesen.  Eine 
Dissertation  über  den  Tractatus  de  juribus  incorporalibus  ver- 
öffentlichte Greneck  der  Ä.,  Wegelin  (1719)  Anmerkungen  über 
das  österreichische  Wechselrecht,  Neumann  von  Puchholz,  Ab- 
handlungen über  das  böhmische  Recht.  Großer  Beliebtheit 
erfreuten  sich  endlich  die  Institutionen- Vorlesungen  des  Wiener 
Professors  Joh.  Georg  von  Kees  (*  1673  f  1754),  die  hie  und  da 
auf  österreichischen  Landesbrauch  Bezug  nahmen  und  in  den 
Jahren  1711—1746  vier  bis  fünf  Auflagen  erlebten. 

8.  Verhältnismäßig  wenig  gepflegt  war  die  Literatur  des 
öffentlichen  Rechts,  wiewohl  Erwähnung  verdient,  dass  die  Wiener 
Universität  im  Jahre  1632  den  Antrag  auf  Einführung  des  Jus 
publicum  stellte,  zwei  Jahre  nachdem  sich  die  Leipziger  Pacultät 
tlir  die  WiederabschaflFung  der  „Professio  juris  publici"  ausge- 
sprochen hatte.^  Die  Erwerbung  von  Ungarn  und  Böhmen  hat 
Anlass  zu  einigen  Deductionsschriften  gegeben,  so  schon  1527 
zur  Ausführung  des  Dr.  Beatus  Widmann  „was  das  Haus  Oester- 


^  Kink,  Rechtslehre,  50:  Stintzing,  II,  29. 


Verfall  d.  österr.  Jurisprudenz  seit  1700;  Tiroler  Juristen.  371 

reich  für  Erbgerechtigkeit  zu  dem  Königreich  Hungern  von  alters 
gehabt*,  1599  zu  dem  Gutachten  des  Freiherm  Reichard  Strein 
von  Schwarzenau  über  die  Frage,  ob  Böhmen  ein  Erb-  oder 
Wahlreich  sei,  1627  zu  der  von  Melchior  Goldast  im  Auftrage 
Kaiser  Ferdinand's  IL  verfassten  Parteischrift  de  Boheraise  Regni 
u.  s.  \v.  juribus,  v^elcher  Paul  Stransky  1634  seine  Respublica 
Bojema  entgegensetzte.  Aus  späterer  Zeit  gibt  es  nebst  einigen 
Dissertationen,  die  an  heimischen  oder  auswärtigen  Universitäten 
von  Richter  (1666),  Kieffer  (1671),  Frankenstein  (1727),  Garb  de 
Gilbelli  (1721),  Kemenyi  (1731)  u.  A.  über  die  Rechte  des  Herrscher- 
hauses veröffentlicht  wurden,  auch  eine  größere  Abhandlung  über 
dasselbe  Thema  von  einem  ungenannten  Autor,  der  in  den  Jahren 
1678  bis  1685  schrieb.^®  Noch  sind  Joh.  J.  Moser's  Acta  publica,  die 
österreichische  Succession  und  Sanctionem  pragmaticam  betreffend 
(1732),  Oheimb's  Abhandlung  über  die  böhmische  Kurstimme  (1719), 
zu  nennen.  Auch  der  Krainer  Franz  Albert  Freiherr  Pelzhoffer  von 
Schönau  (+  1710^  ist  Verfasser  mehrerer  Schriften  politischen  und 
völkerrechtlichen  Inhalts.  Sein  Hauptwerk,  Arcanorum  Status  libri 
decem  (1709,  1710),  ist  übrigens  der  Confiscation  im  Jahre  1711 
verfallen,  obwohl  es  dem  Kaiser  Josef  I.  zugeeignet  war. 

9.  Eine  von  den  Rechtsschriftstellern  in  den  altösterreichischen 
und  böhmischen  Landen  unterschiedene  Stellung  nehmen  in  dieser 
Zeit  die  Tiroler  Juristen  ein.  Um  dieselbe  zu  verstehen,  muss  man 
sich  gegenwärtig  halten,  dass  in  Tirol  zwar  dem  Buchstaben  der 
Landesordnung  nach  die  Geltung  der  gemeinen  Rechte  ausge- 
schlossen war,  dass  diese  aber  von  der  Regierung  begünstigt 
demungeachtet  immer  mehr  ins  Leben  eindrangen.  Die  Entwicklung 
der  Rechtsliteratur  in  Tirol  ist  daher  jener  in  den  übrigen  Kron- 
landen, was  das  Verhältnis  zum  römischen  Recht  betrifft,  entgegen- 
gesetzt verlaufen,  namentlich  fiel  der  Aufschwung  weg,  welcher 
hier  nach  dem  Auftreten  Conring's  der  landesfürstlichen  Gesetz- 
gebung  und   dem  Landesbrauch   zustatten  kam.  Es  scheint  viel- 

^•^  Handschrift  (Foliant  von  526  S.)  in  meinem  Besitz,  bezeichnet:  Be- 
j^chreibung  des  durchlautigsten  Haus  von  (isterreich.  Das  Werk  hat  3  Theile, 
<lie  insgesammt  48  Fragen  mit  Berufung  auf  römisches  und  canonisches  Recht, 
Klassiker  und  Juristen  behandeln.  Die  erste  Fra^re  lautet:  ^Ob  rechtmäßiger 
AVeiß  neben  dem  römischen  Kaiser  das  Reich  hochheilig  benahmet  werde.*  Der 
A'erfasser  dürfte  ein  Geistlicher  gewesen  sein. 

24* 


K 


372     Österreichische  Reichägeschicbte.  II.  Theil.  Vierte  Perlode.  §  46  n.  47. 

mehr,  dasa  die  Annäherung  an  die  übrigen  Kronländer  vor  allem 
dadurch  angestrebt  wurde,  daas  man  das  eigenthUmliche.  in  der 
Landesordiiung  enthaltene  Tiroler  Recht  durch  Anwendung  von 
möglichst  viel  gemeinem  Recht  planmäßig  verdrängte. 

An  dieser  Durchsetzung  des  Tiroler  Landrarechts  mit  roma- 
nistischen Elementen  nahm  neben  der  Gerichtepraxis  vor  allem 
die  im  Jahre  1670  gegründete  LandeBuniversität  thätigen  Antheil, 
an  welcher  schon  1672  die  vier  Hauptfächer:  Institutionen,  Codex. 
Pandekten  und  Jus  canonicum  durch  je  einen  Profesaor  vertreten 
waren."  Die  Innabrueker  Universität  wirkte  nun  in  mehrfacher 
Weise  zu  Gunsten  der  Einbürgerung  des  gemeinen  Rechts  in  Tirol : 
einmal  durch  Heranbildung  von  Rechtsgelehrten  im  Lande  selbst, 
dann  griff  sie  durch  Rechtsgutachten,  um  welche  sie  von  allea 
Seiten  angegangen  wurde,  unmittelbar  in  die  Praxis  ein,  vor  allem 
aber  fällt  ihr  Einfluss  auf  die  literarische  Thätigkeit  ins  Gewicht, 
indem  die  auf  gemeinrechtlicher  Grundlage  betriebene  wissen- 
schaftliche Behandlung  des  heimischen  Statutarrechts  eben  voa 
dort  ihren  Ausgang  nahm. 

10.  So  erklärt  es  sich,  daaa  die  Verfasser  der  älteren 
tirolischen  Reehtsliteratur  fast  ausnahmslos  auf  dem  Standpunkt 
der  Reception  stehen,  indem  das  gemeine  Recht  in  ihren  Werken 
regelmäßig  die  Grundl^e  für  die  Betrachtung  des  einheimischen 
Rechtes  bildet.  In  allen  Fällen,  die  weder  durch  die  Landes- 
ordnung  noch  durch  rechtmäßig  eingeführte  Consuetudines  ent- 
schieden werden  könnten,  heißt  es  in  dem  Corethischen  Commentar, 
sei  das  Jus  comune  anzuwenden.  Die  Landesordnung  sollte,  wie 
der  Regimentsrath  J.  B.  Moser  in  seinen  Annotationea  Über  dies 
Gesetz  ausspricht,  in  dubio  so  stricte  ausgelegt  werden,  daas  dem 
gemeinen  Recht  so  wenig  als  möglich  Abbruch  geschehe,  und 
soweit  aus  dem  gemeinen  Recht  heraus  erklärt  und  ergänzt  werden, 
dass  die  Bestimmungen  des  letzteren  überall  zu  gelten  hätten, 
soweit  sie  nicht  durch  die  Statuten  ausdrücklich  ausgeschlossen 
seien.  Da  kann  es  uns  freilich  nicht  Wunder  nehmen,  dass  neben 
rt^n  Kommentaren  der  Landesordnung  die  vom  Hofkanzler  Paul 
Fn-ilierm    von    Hocher   (f  1668),    den    Innebrucker    Professoren 

"  Erst  später  wurden  auch  öffentliches  Reclit,  ProcesH-  und  Lehenreclit 
hior  gelehrt  und  atich  die  Landesstatute  berücksichtigt.  Für  diese  und  di?  nach- 
ätchonden  Auefühningen  s.  Sartori,  S2  ff. 


Die  Rechtsquellen  der  einzelnen  Kronländer  von  1500—1750.         373 

Johann  Christoph  von  Fröhlich  (t  1729)  und  Thomas  Hermanin 
von  Reichenfeld  (t  1734),  dem  Pfleger  von  Landeck,  Abraham 
Stöckel,  dem  Dr.  Joh.  Jos.  Grueber  u.  A.  verfasst  wurden,  auch  — 
des  Mevius  Commentar  ad  jus  Lubecense,  als  ein  auf  die  Tiroler 
Landesordnung  „sehr  anwendbares  Buch*"  gelten  konnte.^* 

j)  47.    Übersicht  der  Bechtsquellen  in  Österreich-Ungarn  nach 

den  einzelnen  Kronländem* 

Literatur  bei  den  §§  43—46,  außerdem  v.  Benign  1,  Handbuch  d.  Statistik 
und  Geographie  des  Großherzogtbums  Siebenbürgen,  2.  Heft,  1837.  —  Bogi^iö, 
Pisani  Zal^oni,  1872.  —  Öelakowsky,  Poväechnö  öeskö  döjini  PriLvni,  1892.  — 
Kukuljeviö,  Jura  Regni  Croatise,  Dalmatiaa  et  Slavoniae,  3  Bde.  —  Morelli, 
Istoria  della  Qorizia,  1855,  neue  Ausgabe  in  4  Bdn.  —  Motloch  und  Rieger. 
im  ^Österr.  Staatswörterbuch "  II  unter  »Landesordnungen  u.  Landbandfesten". 
—  Schenk,  Obersicht  d.  österr.  Gesetzgebung  über  Civilprocessrecht  bis  zum 
Schlüsse  des  16.  Jahrhunderts,  1864.  —  Schuler-Libloy,  Siebenbürgische 
Rechtfisgeschichte,  18r)5/68,  3  Bde.  —  Stuben  rauch,  Bibliotheca  juridica 
Austriaca,  1847.  —  Virozsil,  Staatsrecht  d.  Königreichs  Ungarn,  I,  §  5  u.  s.  w. 

Aus  den  vorausgehenden  Darlegungen  geht  hervor,  dass  in 
der  Zeit  von  1500—1750  von  einer  Reichsgesetzgebung  fUr  die 
Erblande  eigentlich  nicht  die  Rede  sein  kann,  dass  Landesgesetz- 
gebung, Landesbrauch  und  eine  beiden  sich  anschließende  Rechts- 
literatur vorwalten.  Nur  wenige  Gesetze,  wie  die  Bergordnungen 
von  1517  und  1553  oder  die  Polizeiordnungen  (1527,  1542,  1552) 
ergiengen  formell  gleichzeitig  für  mehrere  Lande,  im  übrigen 
wurde  höchstens  materielle  Rechtsübereinstimmung  dadurch  her- 
gestellt, dass  mehrere  gleichlautende  Gesetze  als  besondere  Landes- 
gesetze in  mehreren  Erblanden  zur  Annahme  gebracht  wurden. 
Diese  Erwägung  allein  schon  rechtfertigt  die  Beigabe  einer  nach 
Kronländern  gearbeiteten  Übersicht  der  Rechtsquellen,  abgesehen 
davon  gelangt  man  nur  auf  diesem  Wege  zu  einer  richtigen 
Würdigung  des  Riesenwerkes,  welches  die  mit  der  Kaiserin  Maria 
Theresia  beginnende  Codification  des  österreichischen  Rechts  in 
der  Zeit  von  sechzig  Jahren  vollbracht  hat. 

Die  nun  folgende  Übersicht  bietet  den  in  den  §§  43—46 
nach  seiner  geschichtlichen  Entwickelung  behandelten  Stoff,  unter 

^=*  WÖrz,  Gresetze  und  Verordnungen  in  Bezug  auf  die  Cultur  des 
Bodens  u.  s.  w.,  Innsbruelc  1884,  I,  S.  8. 


374        österreichische  Reichsgeschichte.  II.  TheiJ.  Vierte  Perlode.  §  47. 

dem  Gesichtspunkt  des  Geltungsgebietes  der  Rechtsquellen  nach 
einzelnen  Kronländeni,  und  ist  daher  weniger  für  Zwecke  von 
Studierenden  als  für  solche  berechnet,  die  sich  zu  einer  selbst- 
ständigen Weiterforschung  auf  dem  Boden  der  österreichischen 
Rechtsgeschichte  angeregt  fühlen  sollten.  Absolute  Vollständigkeit 
ist  nicht  erstrebt  und  wäre  derzeit  auch  nicht  erreichbar.  Bei  Hand- 
schriften und  seltenen  Drucken  ist  der  mir  bekannte  Aufbewahrungs- 
ort angegeben.  Die  k.  Hofbibliothek,  das  alte  Hofkammer-  und 
das  Staatsarchiv  sind  durch  Wien  H.  B.,  H.  K  A,  und  St.  Ä.  nebst 
der  Ordnungszahl  der  Handschrift  citiert,  das  k.  k.  Statthalterei- 
archiv und  die  Dipauliana  im  Museum  durch  Innsbruck  St.  und  B.  T., 
die  Landesarchive  in  Graz  und  Laibach,  sowie  das  Museum  zu 
Klagenfurt  durch  den  Ortsnamen  bezeichnet,  e.  S.  bedeutet  meine 
Btichersammlung.  S.  Ch.  die  auf  Veranlassung  Sr.  Excellenz  des 
Grafen  Dr.  Karl  Chorinsky  unter  Überwachung  durch  Dr.  Th.  Motloch 
hergestellten  Autogi*aphien  österreichischer  Rechtsquellen. 

A.  Österreich  ob  und  unter  der  Enns. 

Beide  Kronländer  besitzen  weder  sauctionierte  Landesordnuneen 
noch  Laudhandfesten,  wohl  aber  handschriftliche  Entwürfe. 

Als  solche  sind  zu  nennen: 

a)  das  Institutum  (oder  Landrechtsbuch  Ferdinaudi  L,  das  um 
1 528  von  den  Ständen  ausgearbeitet  und  vom  König  dann  ungenannten 
Vertrauensmännern  zur  Begutachtung  zugeschickt  wurde.  (Wien.  St.  386. 
u.  ö.  S,  Ch.) 

b)  Nach  längerer  Unterbrechung  wurden  die  Arbeiten  an  der 
Landesordnung  oder  Landtafel  in  Österreich  u.  d.  Enns  (seit  1505) 
wieder  aufgenommen,  ob  der  Enns  (seit  1560)  neu  begonnen  und  auch 
mehrere  Entwürfe  durch  Dr.  Püdler,  Dr.  Linsmeier  und  Freihemi 
von  Strein,  bezw.  Dr.  Abraham  Schwarz  ausgearbeitet.  Nach  1630 
geriethen  in  beiden  Landen  die  Arbeiten  ins  Stocken,  wurden  aber  in 
den  Jahren  163Ö  und  1650  wieder  aufgenommen.  Sanctioniert  wurden 
nur  Bruchtheile  der  damals  revidierten  Landtafel  von  Österreich  unter 
der  Enns,  so  1656  die  Landgerichtsordnung,  1669  die  Gerhabsehafts- 
ordnung,  1679  der  Tractatus  de  juribus  incorporalibus,  1720  die  Erb- 
folgeordnung außer  Testament.  Die  Landtafeln  sind  in  zahlreichen 
Handschriften  verbreitet  und  die  verschiedenen  Fassungen  in  der  S.  Ch 

c)  Landhandvest  oder  Freyhaiten  des  löblichen  Erz- 
herzogthumb  Österreich  mit  der  näheren  Bezeichung  ob,  oder  unter 
der  Enns,  obwohl  beide  gleichlautend  sind.   Eine  im  Auftrag  der  Land- 


Eechtsquellen  von  1500—1750:  Österreich  ob  u.  unter  der  Enus.      375 

stände  durch  den  Rechtsgelehrten  und  Staatsmann  Reicliard  Strein 
von  Schwarzenau  gemachte  Zusammenstellung  von  Urkunden  und  Ver- 
briefungen, die  auf  6  Bücher  berechnet  war,  von  welchen  jedoch  nur 
vier  vollendet  wurden,  die  in  zahlreichen  Handschriften  verbreitet  sind 
(z.  B.  Wien  H,  B,  7670), 

d)  Gerichtsordnungen:  für  das  Landrecht  des  Landes  unter  der 
Enns  vom  12.  April  1540,  revidiert  als  Gerichtsprocess  und  Ordnung 
des  Landrechtens  1557,  fonnell  niemals  abgeschafft  und  oft  gedruckt, 
dennoch  schließlich  vergessen.  Die  Ordnung  des  Landrechtens  ob  der 
Enns  vom  16.  September  1535  wurde  U)21  und  1B75  revidiert. 

Handschriftliche  Entwürfe  zu  Gerichtsordnungen  in  den  Landtafeln. 

,, Formular  und  Bericht,  wie  bei  der  löblichen  Landeshauptmann- 
schaft in  rechtlichen  und  guetlichen  Sachen  procediert  wird"  und  „Allerlei 
übliche  Gerichtliche  Gebräuche  diß  Lands  ob  der  Enns**.  (16./ 17.  Jahrb.). 
Wien,  H.  B.  766^.   München,  StaatsbibL  Co<L  gerni.  1175. 

Nur  in  handschriftlicher  Überlieferung  besitzen  wir  die  Ordnungen 
des  gerichtlichen  Processes  vor  der  landesfürstlichen  Regierung  in 
Ordinari-  und  Extraordinari-Sachen,  die  nach  dem  Ms.  der  Thinnfeld'schen 
Bibliothek  zu  Deutsch-Feistritz  in  den  Jahren  1552  und  1558  von 
Dr.  Bernhard  Walther  verfasst  sind.  Die  erste  von  beiden,  der  einige 
vom  n.-ö.  Regierungs-Secretär  Onophrius  Reutter  1552  verfasste  Ab- 
änderungsvorschläge beigegeben  sind,  soll  nach  der  friiher  genannten 
Quelle  durch  Kaiser  Maximilian  II.  genehmigt  worden  und  sowohl  bei 
der  n.-ö.  als  der  o.-ö.  Regierung  in  Übung  gewesen  sein. 

Revisionsordnung  für  die  n.-ö.  Regienmg  und  das  Hofmarschall- 
Gericht  K.  Ferdinand's  III.,  genehmigt  1637,  neuberathen  1655;  1669. 
Neue  Executionsordnung  1655  im  Cod.  Austr. 

e)  Landgerichtsordnungen:  fürs  Land  unter  der  Enns  vom 
Jahre  1514  (ein  umfänglicherer  Entwurf  S.  Cli,),  reformiert  1540,  12. /l., 
vom  König  Ferdinand  I.  Eine  neue  peinliche  Landgerichtsordnung  erließ 
Kaiser  Ferdinand  III.  am  30.  December  1^)56.  Es  gibt  von  ihr  viele 
Ausgaben  und  auch  einen  gedruckten  Commentar  vom  n.-ö.  Regierungs- 
rath  Dr.  Franz  Josef  Bratsch  (1751). 

Fürs  Land  ob  der  Enns  wurde  die  erste  gedruckte  Landgerichts- 
ordnuug  auf  Antrag  der  Stände  1559  erlassen  und  diese  1627  unter 
Kaiser  Ferdinand  II.  reformiert.  Unter  den  Ausgaben  der  neuen,  vom 
Kaiser  Leopold  I.  am  14.  August  1675  genehmigten  Landgerichtsordnung 
bietet  die  1736  zu  Linz  erschienene  ein  Compendium  der  im  Lande 
geltenden  Gesetze:  Adeliches  Criminal- Privilegium  von  1675,  Zehent- 
ordnung vom  Jahre  1641,  Bettlerordnungen,  Jägerordnung  von  1727,  die 
Erbfolgeordnung  vom  Jahre  1729,  die  Fallitenordnung  für  beide  Herzog- 
thümer  vom  Jahre  1734,  überdies  eine  Auswahl  von  Amtsgebräuchen 
(Stylus)   der  n.-ö.  Regierung,   des  Hofmarschallischen  Gerichts  u.  s.  w. 

Als  Sammelwerk  der  landesfürstlichen  Gesetze  und  Verordnungen 
bis  zum  Jahre  1740,  deren  Aufzählung  zu  weit  führen  würde,   ist  für 


376        Österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  47. 

Österreich  ob  und  unter  der  Enns  der  Codex  Austriacus,  nebst  der 
1.  und  2.  Portsetzung  durch  S.  G.  Herrenleben  (1748,  1752)  zu  nennen. 
Es  sind  das  nahezu  3500  Folioseiten.  Eine  handschriftliche  Sammlung, 
8093  Seiten,  Fol.,  aus  dem  17.  Jahrhundert  ähnlichen  Inhalts  in 
Wien,  St,  Ä.  75  und  ein  von  A.  Beck  und  J.  P.  Kaltenbeeck  im 
Jahre  1846  zum  Drucke  vorbereiteter  Codex  Austriacus  mit  Gesetzen 
Kaiser  Ferdinand's  I.,   1521—1564.   Wien,  H.  B.  14369, 

Literatur:  12  Tractate  Bernhard  Walther's  sind  im  Anhang  zu 
Suttinger's  Consuetudines  Austriaca  (1716  und  1718)  gedruckt.  Andere 
sind  nur  handschriftlich  verbreitet,  so  außer  den  obgenannten  Process- 
ordnungen  eine  Grundbuchsordnung  (Wien,  H.  B,  8084,  8189,  St  A.  1H7}, 
, »etliche  Rechtsregeln",  H,  B,  8252  u.  a. 

J.  B.  Schwarzenthaler,  Tractatus  judiciarii  ordinis  1592:  de 
pignoribus  et  hypothecis  1594  {e,  S.), 

J,  Gobler's  Verteutschte  Institutiones  sammt  Gerichtsprocess  des 
Erzherzogthums  Österreich.    Wien,  1539  (Stubenrauch  Nr.  1434). 

Dr.  Wolfg.  Schwanser,  n.-ö.  Kammerprocurator  (f  um  1605),  Theile 
seines  Berichtbuchs,  das  Suttinger  so  oft  erwähnt.  Wien  H.  K,  Ä,  —  S.  Ch. 

Veit  Stahel,  Notar  und  Stadtschreiber  zu  Freistadt:  Information  f.  die 
nider  Gericht  1.  Instanz.  1566.  Wien,  H.  B,  8084,  Klagenfurt  XXVII,  d,  H. 
Gerichtsordnung,  Process,  wie  man  in  bürgerl.  Verhörssachen  im  Erzh. 
Österreich  o.  E.  verfahren  soll.  1555.  München,  Cod.  geinn,  1167,  Von 
Weisungen,  ehendort  1175, 

Joh.  Ba.  Suttinger  v.  Thurnhof,  f  1662,  Consuetudines  Austriacse» 
Nürnberg  1716,  1718,  gehen  auch  unter  Walther's  Namen;  Observationes 
practicee  oder  gewisse  Gerichtsgebräuch  .  .  .  beim  landmarschall.  Gericht 
in  ö.  u.  E.  1650,  1656,  1678,  1703,  1713.  üngedruckt  sein  Cod.  Ferdi- 
nandeus  {Wien,  H.  B,  7547);  sein  Gedenkbuch  der  n.-ö.  Landschaft  S,  Ch. 

Reutter  Joh.  Heinr.:  Vigintiquinque  Tabulfie  juridic»,  Regensburg 
1674.  Graz,    Universitätsbibliothek. 

Weingärtier,  Con-  et  Discordantia  juris  consuetudinarii  Austriaci 
supra  Anasum,  Linz,   1674,   1719. 

Finsterwalder  B.,  Practicarum  Observationum  ad  consuetudines 
Archiducatus  Austrise  superioris  libri  IV.,  Salzburg,   1687 — 1703. 

Thaßer  J.  F.,  Progymnasmata  Actionum  forensium,  Wien,   1708. 

Peez  Joh.  Gerard,  Allg.  Process-  und  Gerichtsordnung,  nach  welcher 
man  sich  bey  denen  Wienerischen  Gerichtern  gleichförmig  zu  halten 
hat.   Dem  König  Karl  VI.  gewidmetes  Project,  1731  gednickt. 

B.  Innerösterreich. 

Landesordnungen  sind  nicht  vorhanden,  auch  keine  Sammlung 
der  landesfürstlichen  Verordnungen  aus  älterer  Zeit.  Die  landesfürstlichen 
Patente  von  1493 — 1564  verzeichnet  Krones  in  den  Beitr.  z.  Kd.  steir. 
Geschq.,  XVIII,  XIX,  über  die  Landhandfesten  mein  Aufsatz  a.  a.  o.  IX. 


Rechtsquellen  von  1500—1750:  Innerösterreich.  377 

a)  Landhandfesten.  Steiermark.  Die  erste  Ausgabe  vom 
Jahre  1523  wurde  durch  den  Schrannenschreiber  Hans  Hofmann  zu- 
sammengestellt und  zweimal  nachgedruckt.  Viel  umfassender  ist  die 
1583  durch  den  la.  Secretär  Amman  und  den  Schrannschreiber  Venediger 
im  Auftrag  der  Stände  gemachte  Zusammenstellung,  die  1635  und  mit 
Register  1697,  gedruckt  wurde.  Abweichend  davon  bietet  die  Ausgabe 
von  1842  den  Text  der  Verbriefung  Kaiser  KarFs  VI.  vom  Jahre  1731. 

Die  Landhandfeste  für  Kärnten,  durch  den  Historiker  Hieronymus 
Megiser  zusanmiengestellt,  erschien  1610,  jene  für  Krain,  die  der 
la.  Kriegssecretär  Balthasar  Guralt  besorgte,  in  den  Jahren  1598  und  1687. 

h)  Gerichtsordnungen.  Steiermark.  Die  von  der  Landschaft 
im  Jahre  1503  beschlossene  Ordnung  des  Landsrechten  in  Steyer 
bei  BischofT,  steierm.  Landrecht,  S.  194.  Eine  Überarbeitung  als  „neu 
Ordnung  Rechtens"  aus  der  Zeit  Kaiser  Maximilian's  ("LatftocÄ,  Lyceal- 
hiUiothek  Ms.  198)  schließt  sich  ihrem  Inhalt  nach  schon  ziemlich  genau  an 
des  löbl.  Fürstenthum  Steyr  Bestätung  der  Newen  Reformation 
des  Landrechtens  vom  Jahre  1533  an.  (Gedruckt  gleich  den  nach- 
folgenden Gesetzen.)  Im  Jahre  1574  folgte  die  Neu  verfasste 
Reformation  des  Landts-  und  Hofrechts,  1618,  7.  November  eine 
Gerichtsordnung,  wie  vor  der  Landtshauptmannschaft  und  dem 
Schrannengericht  procediert  werden  solle  (gedruckt  1620),  die  bald  einige 
Abänderungen  erfuhr  und  nunmehr  1 622,  30.  März,  vom  Kaiser  Ferdinand  IL 
neu  genehmigt  wurde.  Diese  blieb  bis  zur  Einführung  der  allgemeinen 
Gerichtsordnung  vom  Jahre  1781  für  Steiermark  in  Kraft  (neue  Ausgabe 
vom  Jahre  1761),  obwohl  unter  Kaiser  Leopold  I.  1674  der  Entwurf 
einer  „Neuen  Gerichts-  und  Landrechtsordnung  in  Steyer 
(Wien  St.  A,  26,)  fertiggestellt  war  und  Verhandlungen  der  Regierung 
mit  den  Ständen  wegen  Revision  der  alten  Gerichtsordnung  bis  zum 
Jahre  1748  fortgesetzt  wurden. 

Kärnten.  Es  ist  unbekannt,  wann  und  in  welcher  Form  die  erste 
Landrechtsordnung,  deren  Erneuerung  1577  (gedruckt  1578)  die 
landesfürstliche  Genehmigung  erhielt,  aufgerichtet  wurde.  Über  das  Ver- 
fahren selbst  gibt  Aufschluss  das  1544  „aus  Hannsen  Ampfinger's  mund- 
liehen Anzaigen  beschriebene  Vertzaichnuß,  wie  die  Ordnung  und 
der  Gericlitsproceß  in  Landsrechten  zu  Kärnten  ungeverlich 
gehalten  wierdet",  (e.  S.  aus  Föhringer's  Nachlass  und  ungedruckt 
gleich  den  nachfolgenden  Ordnungen).  Mit  der  am  1.  Jänner  1582 
erlassenen  Pfiindungs-  oder  Spänordnung  (Wien,  St.  Ä.  897)  steht  mög- 
licherweise in  Zusanunenhang  der  durch  den  la.  Advocaten  Johann  Khrause 
verfasste  Aufsatz  über  den  summarischen  Landrechtsprocess,  der  1585  im 
Landtag  durch  ein  ganze  ersame  Landschaft  in  vollkommentlicher  Ver- 
samblung  approbirt  wurde.  (Klagen  fürt,  33,  XXVII  c.  13.)  Die  bei  den  Land- 
schaften von  Kärnten  und  Krain  in  der  ersten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts 
vorhandene  Neigung,  ihr  Gerichtsverfahren  der  steirischen  Gerichtsordnung 
vom  Jahre  1622  anzunähern,  wurde  von  der  Regiemng  mit  Freuden  begrüßt 


378         österreichische  Keichsgeschichte.  IL  Theil.  Vierte  Periode.  §  47. 

und  führte  zu  Revisionsarbeiten,  die  jedoch  nicht  immer  zum  Ziele  gelangten. 
So  entstand  die  Gerichtsordnung  des  löblichen  Erzherzogthums  Khämdten, 
nach  welcher  bey  der  Landtshaubtmannschaft,  Schrannengericht  und  andern 
des  Landts  Instantien  procediert  werden  solle.  Aufs  neue  reformiert  und 
verbessert  im  Jahre  1638.  (Wien,  St.  Ä.  H9,  40:  Klagenfurt  XXYIL  r.  U.) 

Gerichts-  und  Landrechtsordnung  des  löbl.  Erzherzogthums  Khärntheu 
aufs  neue  reformiert  und  verbessert  im  Jahre  1669.  (Wien.  St.  Ä.  41.) 

In  den  Sammlungen  des  historischen  Vereins  für  Kärnten  zu 
Klagenfurt  befinden  sich  femer  handschriftlich  Observationes  der 
kärntnerischen  Practica  1680—1706  (XXVIL  r.  IS)  und  die  älteren 
„Landsgebräuch  in  Steyer  und  Kärndten**   (XXVIL  c,  13), 

Krain.  Einer  ,, uralten  Landschrannenordnung"  vom  Jahre  1531 
gedenkt  Erberg  Observatio  27,  §  8.  Eine  Revision  derselben  durch  die 
Stände,  die  1564,  24.  Jänner,  vom  Kaiser  Ferdinand  I.  und  1565, 
16.  Mai,  vom  Erzherzog  Karl  bestätigt  wurde,  befriedigte  nicht  imd 
führte  zu  neuen  Umarbeitungen,  welche  die  1571  von  neuem  verbesserte 
Landschrannenordnung  einer  ers.  Landschaft  in  Krain  in  34  Abschnitten 
ergaben.  Gedruckt  1571,  1688  und  1707.  Im  17.  Jahrhundert  beschäftigte 
man  sich  auch  in  Krain  viel  mit  Revisionsarbeiten  und  brachte  „CoUecta 
zu  der  vorhabenden  neuen  Schrannenordnung**  zuwegen  (zwei  verschiedene 
Entwürfe  e.  5.),  die  jedoch  nicht  Gesetz  wurden,  wie  die  Neuauflagen  der 
Landschrannenordnung  vom  Jahre  1571  darthun. 

Für  die  „gemaine**  Stadt  Laibach  erließ  Erzherzog  Karl  am 
22.  November  1582  eine  neu  reformierte  Gerichtsordnung,  welche  noch 
1638  und  1666  aufgelegt  wurde. 

Bei  der  i.-ö.  Regierung  in  Graz  soll  der  von  Bernhard  Walther 
im  Jahre  1552  ausgearbeitete  Process  in  Ordinari-  und  Extraordinari- 
Sachen  (s.  oben  A.)  in  Anwendung  gewesen  sein.  Die  kurze  Gerichtsordnung, 
wie  die  Procuratores  vor  der  Regierung  zu  Grätz  in  Hofrechten  procedieren 
sollen,  vom  16.  Juli  1567  ist  nur  die  Ausdehnung  der  1563  am 
3.  April  für  Österreich  unter  der  Enns  erlassenen  Vorschriften  auf  Inner- 
österreich. (Laibachy  Lyc.  BibL  Cod.  77,  als  Gräzerische  Gerichtsordnung.) 

Landgerichtsordnungen.  Steiermark.  Der  Entwurf  einer 
Landgerichtsordnung,  welchen  die  Landschaft  im  Jahre  1531  dem  König 
Ferdinand  vorgelegt  hatte,  ist  uns  möglicherweise  in  einer  Handschrift 
des  Klosterarchivs  von  Reun  erhalten  (Beitr.  z.  Kde.  steir.  Geschqu. 
XI,  140).  Sanctioniert  wurde  1574  des  löblichen  Fürstenthumbs  Steyer 
Land-  und  peinliche  Gerichtsordnung  (gedruckt  1575,  1583,  163^), 
die  im  Wesentlichen  mit  der  Carolina  übereinstimmt.  Durch  die  Novelle 
Kaiser  Karl's  VI.  vom  17.  September  1721  wurde  für  Innerösterreich 
eine  Annähenmg  an  das  in  Österreich  unter  der  Enns  übliche  Verfahren 
in  Strafsachen  vorgeschrieben. 

Kärnten  bekam  eine  neu  aufgerichtete  Landgerichtsordnung 
1577  (gednickt  1578),  die  nur  polizeiliche  Bestimmungen  enthält,  ün 
übrigen  richtete  man  sich   im  Verfahren  und  bei  den  Strafsätzen  nach 


Rechtsquellen  von  15<)0— 1750:  Innerösterreich.  379 

der  ßteirischen  Landgerichtsordnung  vom  Jahre  1574.  (Hermann,  Gesch. 
V.  Kärnten,  11,  2,  126.) 

Krain  erhielt  unter  König  Ferdinand  1.  am  18.  Februar  15*35 
eine  kleine  Landgerichtsordnung,  welche  bis  ins  18.  Jahrhundert  in  Übung 
blieb.  (Ausgaben  ohne  O.  u.  J.,  lf>85,   1707.) 

Polizeiordnungen.  Nebenden  allgemeinen  Polizeiordnungen  von 
1527,  1542  und  1552,  für  alle  fünf  n.-ö.  Lande  und  Görz  gab  es  be- 
sondere Polizeiordnungen  für  Steiermark  und  Kärnten  (beide  1577  und 
gedruckt).  Unsicher  ist,  ob  der  vom  Erzherzog  Karl  der  Landschaft  Krain 
im  Jahre  1570  zur  Berathung  übersandte  Entwurf  Gesetzeskraft  erlangte. 
Stadtrechte:  Pettau  Reformation  des  Stadtrechts  durch  Erzb. 
Leonhard  v.  Salzburg.  1513.  (Graz,)  Villach  Verbriefung  durch  B.  Joh. 
Gottfried  V.  Bamberg.  1612.  (Klagen fürt  XXV,  b.  12,)  Das  Klagenfurter 
Stadtrecht  (Process  vor  dem  Stadtgericht)  in  Reimen  (ehendoH), 

Gesetze  undVorordnungen  inUnterthanensachener- 
giengen,  sehr  zahlreich ;  hierher  gehören  die  Zehntordnungen  für  Steier- 
mark 1605,  für  Kärnten  1577,  Krain  (1551,  1573  ungednickt,  e,  S,).  Das 
1543  für  die  Weingärten  erflossene  steirische  Bergrechtsbüchel,  das 
auch  in  Kärnten  und  Krain  zur  Anwendung  kam,  ist  das  einzige  Gesetz, 
von  dem  mir  Übersetzungen  ins  Slavische  (Windische)  aus  alter  Zeit 
bekannt  sind  (z.  B.  1582  durch  den  Pfarrer  von  Arch,  Andreas  Rezl, 
eine  jüngere  von  1644  u.  s.  w.  zum  Theil  herausgegeben  durch  V.  Oblak, 
Letopis  matice  Slovenske  1888/89).  Die  steirischen  und  kärntnischen 
Taidinge,  durch  Bischoff  als  6.  Band  der  österr.  Weisthümer  heraus- 
gegeben, enthalten  neben  Dorfrechten  auch  Marktordnungen  für  Voran 
(1603),  Hartberg  (nach  1618),  Pöllau  (1547),  Hermagor  (1562)  u.  s.  w. 

Aus  der  übergroßen  Zahl  von  Ordnungen,  landesfürstlichen  Generalien, 
Resolutionen  u.  s.  w.,  die  für  Innerösterreich  ergiengen  und   höchstens 
durch  Einzeldrucke  verbreitet  wurden,  zum  Theil  nur  in  handschriftlichen 
Sammlungen   (z.  B.  Wint,  St.  A.  46)  vereinigt  sind,   seien  genannt:    für 
Steiermark  die  Erbfolgeordnung  1729,  Ordnung  adeliger  Vormundschaft 
lt>87,  Landtafel-und  Grundbuchspatente  1730,  1731,1736,  i.-ö.  Wechsel- 
ordnung 1722,  Executionsordnung  1702,  Wald-  (1695,  1721)  und  Jäger- 
ordnungen 1716,  1723,  Bauordnung  1724,  Gesindeordnung  1734,  die  Erb- 
ordnungen   für   Krain   1737  (auch  mit  slavischer  Übersetzung  gedruckt 
1775)  und  Kärnten  1746,  Eisenordnungen  für  Hüttenberg  1567,  Krain 
und  Görz  1575,  Müllerordnungen  für  Steiermark  1576,  für  Kärnten  1562, 
Hallamtsordnungen  für  Aussee  1523,  reformiert  1568  u.  s.  w. 

Literatur.  Ziemhch  verbreitet  sind  Handschriften  mit  40  Rechts- 
fragen aus  dem  steirischen  Recht  und  deren  Beantwortung.  Erste  Frag, 
wie  im  Herzogthum  Steyr  einer  Civilaction  der  Anfang  zu  machen 
gepflegt  wirdet  u.  s.  w.  (Wün,  St.  A.  HU7,  H.  B.  14282,  Graz]  L.- Archiv  9L 
J^ailaeh.  BiU,  Ms:  77.)  Sie  werden  als  Landtsgebräuch  im  Herzogthum 
Steyr  ja  Felbf^t  als  ,,Neue  Landgerichtsordnung  in  Steyr"  bezeichnet. 
In    der  Handschrift   der  Wiener  Hofbibliothek   heißen  sie  «Institutiones 


380        Österreichische  Reichsgeschichte.  IL  Theil.  Vierte  Periode.  §  47. 

juris  Styriaei  oder  praktische  Observationes  zu  Lieb  allen  Principianten, 
so  in  Steyer  die  Jura  zu  prakticiren  gesünet. . .  .  Durch  Herrn  W.  vor  Jahren 
gewesten  Landselireiber  gezogen''.  Sie  sind  möglicherweise  identisch  mit 
dem  „modus  procedendi  im  Fürsteuthum  Steiermark  des  Dr.  Grünpach'',  der 
bisweilen  erwähnt  wird.  Verschieden  davon  sind  die  in  einer  Handschrift 
des  Klosters  Kremsmünster  (Cod.  22^  N.)  erhaltenen  gerichtlichen  Anmer- 
kungen über  die  steyerischenLandgebräuch,  welche  sich  auf  den  bei  der  Re- 
gierung in  Hofrechten  üblichen  Ordinari  undExtraordinari  Process  Bernhard 
Walthers  beziehen  und  auch  diesem  geradezu  zugeschrieben  werden. 

Als  handschriftliche  Beigaben  zu  den  Drucken  der  wichtigeren 
steirischen  Gesetze  finden  sich  bisweilen  kleinere  Arbeiten  über  das 
steirische  Gerichtswesen,  z.  B.  ein  kurzer  ,, Processus  edictalis  im  Landt 
Steyr**  (Sammlung  Dr,  Holzinger)  oder  Bericht  etlicher  gerichtlicher 
Solennitäten  so  bey  den  Landschrannen  in  Steyr  gehalten  werden  (von 
der  Hand  des  nachgesetzten  Schrannschreibers  Erasam  Khurzleb  um 
1590,  (Sammlung  Hofrath  Dr.  Bischoff),  Aufzeichnungen  über  die  Förmlich- 
keiten des  ,, endhaften  Tages''  in  Kriminalprocessen  u.  dgl. 

,,Des  Fürstenthumbs  Steyr  neu  aufgerichte  Landrechtsordnung",  die 
man  gewöhnlich  am  Schlüsse  des  unter  Kaiser  Leopold  L  ausgearbeiteten 
Entwurfs  der  neuen  Gerichtsordnung  findet,  ist  ein  erbrechtlicher  Tractat 
in  7  Artikeln.  In  der  Handschrift  14.282  der  Wiener  H.  B.  ist  ihm  die 
Bemerkung  beigerückt,  dass  diese  Ordnung  noch  giltig  sei,  soweit  sie 
nicht  durch  die  vom  Jahre  1729  abgeändert  wurde. 

Ein  treffliches  Werk,  von  welchem  mehrere  Handschriften  vor- 
handen sind  (Original  nebst  Vorarbeiten  im  Ijandesarchiv  zu  Laibach), 
sind  die  ^Observationes  Practicse  Inclyti  Prsetorialium,  aulicorumque 
judiciorumque  dicasterii  .  .  Ducatus  Carnioliee,  opus  posthumum  Joannis 
Danielis  L.  B.  ab  Erberg**.  38  an  Zahl  ums  Jahr  1700  verfasst  und 
durch  J.  B.  von  Preschem  nach  dem  Jahre  1733  durch  eine  39.  Obser- 
^vation  „Von  Zeugen  Examiue''  vermehrt.  Gedruckt  ist  Erberg*s  Disputatio 
juridica  de  officio  judicis,  Wien  1671. 

Johann  Wendtseißen,  gewesener  Stadtrichter  und  Stadtsyndicus 
zu  Radkersburg:  Tractatus  judiciarius  (Hexenprocesse),  17.  Jahrhundert 
(Abschrift  aus  dem  Jahre  1699  e,  S.), 

Gedruckt  sind  erschienen:  Ferd.  de  Rechbach  Observationes  ad 
Stylum  Curise  Grcecensis  1680  mit  einer  kurzen  Schilderung  des 
Behörden  Wesens  in  Innerösterreich,  femer  vom  Jahre  1682  ein  Appendix 
mit  Inhaltsangaben  landesfürstlicher  Resolutionen  von  1614 — 16S2. 
Ungleich  wichtiger  ist:  Nicolai  de  Beckmann,  „Idea  juris  statutarii  et 
consuetudinarii  Stiriaci  et  Austriaci  cum  jure  Romano  coUati  1688. 

Unmittelbar  praktischen  Zwecken  waren  einige  Rechtsausführungen 
gewidmet,  die  zu  Ende  des  17.  Jahrhunderts  veröffentlicht  wurden,  so  die 
ohne  Druckort  und  Jahr  (c.  1695)  erschienene  ^Gründliche  Ausführung 
auf  die  von  H.  Landshaubtmann  des  Herzogthums  Steyer  in  Tniek 
gegebene,  so  benambste  Erläuterung'*  und  die  von  Johann  Georg  Lorber 


Rechtsqnellen  von  1500—1750:  Innorösteireich;  Küstenland.  381 

im  Namen  der  sehr  bedrängten  Bergholden  gegen  die  Bergherrschaften 
in  Steiermark  wegen  des  10.  Pfennings  eingereichte  „Beschwär-Schrift** 
und  deren  „Verthätigung"  1699,  1700. 


C.  Görz,  Triest,  Istrien. 

In  Görz  wurde  über  Andringen  der  Stände  im  Jahre  1556  mit 
der  Sammlung  des  Landesbrauchs  begonnen.  Diese  Arbeit  eines  aus 
je  zwei  Mitgliedern  von  der  Regierung  und  den  Landständen  gebildeten 
Ausschusses  zerfiel  in  186  Abschnitte  und  war  bis  zu  Anfang  des  17.  Jahr- 
hunderts in  Übung.  1597  lieferte  der  mit  der  Umarbeitung  betraute 
Kanzler  der  Stände  Gasparo  Bertis  einen  andern  Entwurf,  der  zwar 
durch  die  Stände  sogleich  der  Regierung  zur  Bestätigung  vorgelegt  wurde, 
jedoch  erst  nach  wiederholtem  Betreiben  und  einigen  Abänderungen  am 
27.  December  1604  durch  Erzherzog  Ferdinand  IL  genehmigt  wurde. 
Diese  „Constitutiones  111.  Comitatus  Goriti»",  welche  in  sechs  Abschnitte 
,,de  personis,  de  ordine  judiciorum  de  contractibus,  de  successionibus, 
de  delictis  et  poenis,  de  salariis"  mit  insgesammt  93  Capiteln  zerfallen 
und  allgemeine  Geltung  haben  sollten,  wurden  1605  gedruckt,  gaben 
aber,  da  man  sie  mancherorten  zurückwies,  zu  solchem  Zwiespalt  Anlass, 
dass  die  Stände  selbst  im  Jahre  1608  die  Zurücknahme  des  Gesetzes 
beantragten,  was  die  Regierung  freilich  ablehnte.  Es  begannen  nun 
Berathungen  wegen  einer  Umarbeitung,  die  sich  bis  zum  Jahre  1634 
hinzogen,  aber  ergebnislos  blieben,  wie  die  unveränderten  späteren 
Ausgaben  der  Constitutiones  (1620,  1651,  1670,  1688  und  1697)  darthun. 

Den  heftigsten  und  erfolgreichen  Widerstand  gegen  die  Görzer 
Landesordnung  leistete  das  Gebiet  von  Gradisca,  für  welches  der  erz- 
herzogliche Rath  Hieronymus  Garzoni  um  1575/76  ein  eigenes  Statut 
in  47  Capiteln  verfasst  hatte.  Diese  ,,Consuetudines  Gradiscanse  antiquitus 
et  per  novos  ordines  introductse"  erhielten  sich  ohne  landesfürstliche 
Bestätigung  bis  zu  Anfang  unseres  Jahrhunderts  in  Übung  und  wurden 
im  Jahre  1879  per  le  Nozze  Braida  Strassoldo-Soffumberg,  zu  Udine 
das  erstemal  gedruckt. 

Tri  est.  Streitigkeiten  zwischen  dem  landesfürstlichen  Stadthaupt- 
mann, dem  Preiherrn  Johann  von  Hoyos  und  den  städtischen  Behörden 
bewogen  den  König  Ferdinand  I.  zur  Abordnung  einiger  Räthe  der 
Wiener  Hofstelle,  der  n.-ö.  und  der  o.-ö.  Regierung  nach  Triest,  um 
die  erforderlich  scheinende  Revision  der  Statuten  an  Ort  und  Stelle 
auszuarbeiten.  Der  von  ihnen  vorgelegte  Entwurf  wurde  vom  König 
am  12.  November  1550  genehmigt  und  zum  Theil  unterm  17.  October 
1551  erläutert.  Die  Statuten  enthalten  in  vier  Büchern  Vorschriften 
über  den  Wirkungskreis  der  Behörden,  bürgerliches  und  peinliches  Ver- 
fahren und  Verwaltungsvorschriften.  Gedruckt  wurden  sie  unter  Bei- 
füg:ung  einiger  späterer  Erlässe  Erzherzog  KarVs  u.  s.  w.  als  Statuta 
iiiclytce   civitatis   Tergesti   1625,    1727.    Dem   lateinischen   Originaltext 


382         Österreichische  Roichsjreschichte.  II.  Theil.  Vierte  I^eriode.  g  47. 

sind  Randbemerkungen«  sowie   eine  Übersetzung   ins  Italienische  durch 
Dr.  Csesar  Cagnaroni  beigegeben  worden. 

Das  Küstengebiet  von  Istrien  und  auch  von  Dalmatien  war 
venezianischen  Gesetzen  und  Verordnungen  unterworfen.  „Leggi  statutarie 
per  il  buon  governo  della  provincia  d' Istria"  wurden  über  Auftrag  des 
Senates  durch  den  Podestä  von  Capo  d'Istria,  Lorenzo  Paruta  gesammelt 
imd  1757  in  vier  Bücher  getheilt  herausgegeben.  Ausgaben  der  Statuten 
von  Curzola  1648,  Lesiua  1048,  Cattaro  1615,  Trau  1708,  Zara  15f>4, 
Capo  d'Istria  1608,  Pago   1687  führt  Stubenrauch  Nr.  3945  ff.   an. 


D.  Die  westlichen  Alpenländer:  Tirol,  Vorarlberg,  Salzburg. 

Landesordnungen.  Die  1526  unter  dem  Eindruck  des  Bauern- 
aufstandes genehmigte  Bauern-Landordnung  wurde  im  gleichen  Jahre  zu 
Augsburg  gedruckt.  Sie  zerfällt  in  zwei  Bücher  mit  sieben,  beziehungsweise 
zwei  ,,Theilen''  und  hat  eine  Empörungsordnung  im  Anhang.  Handschriftlich 
ist  bisweilen  eine  Ordnung  des  geistlichen  Standes  in  16  Rubriken  bei- 
gegeben. Ausführliche  Inhaltsangabe  bietet  Oberweis  in  der  österreichischen 
Vierteljahrschrift  für  Rechts-  und  Staatswissenschaft  1866. 

Als  Ergebnis  der  schon  1529  begonnenen  Revisionsarbeiten  erschien 
1 582  eine  durch  den  Kammerprocurator  Dr.  Jakob  Frankfurter  umgearbeitete 
Landesordnung  (Ausgaben  ohne  Jahr  und  von  1538,  1568,  1570),  die 
in  Form  und  Inhalt  von  der  früheren  abweicht.  Sie  ist  in  neun  Bücher 
getheilt  und  sind  darin  die  grundherrlichen  Verhältnisse  unbeschadet 
der  inzwischen  unter  den  Parteien  geschlossenen  Verträge  auf  die 
Zustände  vor  1525  zurück  geführt.  Obgleich  sich  eine  Zunahme 
römischrechtlicher  Elemente  nicht  leugnen  lässt,  so  beruht  doch  die 
Landesordnung  vom  Jahre  1532  im  wesentlichen  auf  deutschrechtlicher 
Grundlage.  Schon  1555  kam  die  Revision  dieses  Gesetzes  zur  Sprache, 
doch  dauerte  es  bis  1578,  ehe  die  „Neu  reformierte  Landes- 
ordnung der  fürstlichen  Grafschaft  Tirol**  mit  landesherrlicher  Ge- 
nehmigung publiciert  wurde.  (Ausgabe  ohne  Jahr  und  1603,  1624.) 
Dieselbe  stimmt  mit  der  Landesordnung  vom  Jahre  1582  in  der  äußern 
Anordnung  und  Eintheilung  des  Stoffes  überein,  ist  jedoch  inhaltlich 
durch  44:  Titel  und  viele  erläuternde  Zusätze  vermehrt  und  hat  noch 
den  Charakter  eines  volksthümlichen  Gesetzes,  da  bei  deren  Abfassung 
Vertreter  aller  Stände  mitgewirkt  haben. 

Angehängt  ist  dieser  Laudesordnung  eine  Polizeiordnuug  vom 
Jahre  1573,  welche  vor  allem  Luxusgesetze  und  Bußbestimmungen  für 
die  einzelnen  Stände  enthält  und  mit  Wefi:lassung  der  schon  in  der 
Landesordnung  getroffenen  Bestimmungen  den  Inhalt  der  Polizeiordnung 
für  die  fünf  n.-ö.  Lande  vom  Jahre  1552  wiedergibt. 

Die  Landesordnung  galt  in  Deutsch-Tirol  und  selbst  in  den 
italienisch  sprechenden  (ierichtsbezirkeii  Kronmetz  und  KasteU  in 
Fleims,  ferner  subsidiär  in  den  Herrschaften  Rattenbers:,   Kufstein  und 


Rpchtequelleu  von  1500—1750:  Istrien,  Tirol.  383 

Kitzbüchel,  denen  der  Gebrauch  der  bayrischen  „Buchsag"  noch  durch 
Eescript  des  Erzherzogs  Sigismund  Franz  vom  9.  August  1663  verstattet 
wurde.  Endlich  wirkte  sie  auch  im  Fürstenthum  Brixen,  wo  sie  still- 
schweigend oder,  wie  man  sagte,  ,, imitative**  angenommen  wurde.  Da 
die  von  der  Regierung  unternonmfienen  Versuche  die  Landstände  für 
eine  Revision  der  Landesordnung  vom  Jahre  1573  zu  gewinnen 
sowohl  unter  der  Erzherzogin -Vormünderin  Claudia  Felicitas,  als  unter 
Kaiser  Leopold  I.  ergebnislos  verliefen,  so  blieb  dieselbe  in  Gebrauch 
bis  zur  Einführung  des  Josefinischen  allg.  b.  G.-B.,  das  mit  a.  h.  Patent 
vom  1.  November  1786  kundgemacht  wurde,  beziehungsweise  bis  zur 
Einführung  des  noch  geltenden  a.  b.  G.-B.,  vom  Jahre  1811,  das  in 
Tirol  von  1814 — 1816  zu  verschiedenen  Zeitpunkten  in  Geltung  kam. 
Von  der  Landesordnung  aus  dem  Jahre  1532  gibt  es  eine  Über- 
setzung ins  Lateinische,  die  Joh.  Jak.  Römer  vom  Marötsch  auf  Bitten 
italienischer  Doctoren  besorgte  und  dem  K.  Ferdinand  I.  widmete. 
/Univf^rffifätshibL  zu  Innsbruck  Mh,  Nr,  896.)  Außerdem  übersetzte  Dr.  Bart. 
Panarino  1582  das  zweite  Buch  der  neu  reformierten  Landesordnung 
ins  Italienische,  erhielt  jedoch  nicht  die  Erlaubnis  zur  Drucklegung. 

Da  der  Inhalt  der  Landesordnung  viel  umfassend  ist,  so  ist  die 
Zahl  der  Tiroler  Sondergesetze  nur  gering.  Zu  nennen  wären  die  nach 
der  Reichskammergerichtsordnung  vom  Jahre  1555  ausgearbeitete  neue 
Kammergerichtsordnung  der  ober-  und  vorderösterreichischen  Lande 
des  Erzherzogs  Ferdinand  (B,  T.  CLV.  CCXIX  alt,  ohne  Jahresangabe), 
das  s.  g.  ,,Mandatum  Claudianum'*  wegen  Execution  und  Revision 
der  Urtheile  vom  16.  Juni  1641  (gedruckt;  der  1727  nach  Wien 
gesandte  Entwurf  einer  Gerichtsordnung  wurde  nicht  genehmigt) 
erneuerte  Curatel-  und  Pupillarordnung  1738  (gedruckt),  ferner  Fisch- 
(1575,  1615),  Jäger-  (1619  u,  ö,),  Waldordnungen  (1586)  u.  s.  w.  Eine 
vom  o.-ö.  Gubemial-Registranten  Ignaz  A,  von  Ehrenport  angelegte 
Sammlung  landesfürstlicher  Gesetze  und  Verordnungen  für  Tirol  aus 
den  Jahren  1574  bis  1783  in  zehn  Bänden  sammt  Register  verwahrt 
die  B.  T,  CCCLXXX—CCCXC  alt. 

Desto  bedeutender  ist  die  Literatur,  die  sich  in  Tirol  au  den 
Inhalt  der  Landesordnung  anschloss,  jedoch  fast  nur  handschriftliche 
Verbreitung  fand;  dass  dieselbe  größtentheils  den  Zweck  verfolgte,  das 
gemeine  Recht  im  Lande  einzubürgern,  wurde  schon  bemerkt.  (§46,9, 10.) 

Genannt  seien  hier: 

(i)  Des  Dr.  Joh.  Paul  Ho  eher,  gewesenen  Advocaten  zu  Bozen, 
nachhin  o.-ö.  Regierungskanzlers  und  endlich  des  Kaiser  Leopold  I. 
obersten  Hofkanzlers,  Responsiones  und  Gerichtshändel.  Mehrere  Hand- 
schriften von  verschiedenem  Umfang,  B.  T,  LXXIII:  CLVIII:  CMXCI: 
MCCLXXIX  alt.   Innsbruck,  Univ.-Bibl.  807,  877: 

h)  des  Pflegers  zu  Landeck,  Dr.  Abraham  Stiickhl :  Etwelche 
Anmerkungen  yber  die  Tyrolische  Landsordnung  (nach  1715,  vor  1759 
verfasst)    B,  T,  LXXIII  (wohl  auch  CXGVll:  DCCXaVTl): 


384        Österreichische  Reichsgeschichte.  IL  Theil.  Vierte  Periode.  §  47. 

c)  des  Innsbrucker  Professors  und  später  o.-ö.  Kanzlers  Job. 
Christoph  von  Prölich :  Abhandlungen  über  einzelne  Theile  der  Landes- 
ordnung, z.  B.  Commentarius  ad  statuta  Tyrolensia.  (Inmbruck,  Umv.- 
BibL  806),  Tyroliseh  Obrigkheitliehe  Instruction,  geschrieben  im  Jahre  1723 
(ebendort  858;  B,  T.  CLVII:  MCCLXXIX;  MLXXXVIII  alt.) 

Hauptexceptiones  über  die  Tyroler  Landesordnung,  in  welchen 
Punkten  sie  denen  gemeinen  Rechten  zuwider  (B.  T,  997  neu).  Prie- 
cipuee  Differentise  Statut,  juris  Tyrolensis  a  jure  communi  collect»  fFe)'di- 
nandeum  8  a,  88,) 

Coreth  zu  Starkenberg,  Commentarii  theorico-politico-practici 
in  jus  statutarium  Tyrolense  p.  I.,  1716  gedruckt.  An  Umfang  über- 
trifft alle  übrigen  Dr.  Jos.  Gruber's  Commentar  zur  Landesordnimg  in 
11  Foliobänden  (Ferd,  IV,  /'.  1),  der  nach  dem  Jahre  1737  verfa^st  \^iirde. 

Manche  Handschriften  beziehen  sich  auf  die  beabsichtigten  Revisions- 
arbeiten an  der  Landesordnung,  so  B,  T,  XCIL  LXXIII,  DCCXLIIL 
alt,  Urnv.-Bibl.  Ms.  806,  oder  der  Discursus  apolegeticus  inter  causidicum 
Tyrolensem  et  Disiderium  super  statutum  Tyrolense   (TJniv,'BibL  895). 

Ganz  anderer  Art  ist  das  kleine,  aber  durch  Handschriften  (B,  T. 
CLVII;  DCCVIII n\t,  u.  s.  w.)  ziemlich  verbreitete  Schriftchen:  Kurzester 
Begriff  Neu  Reformiert- Tyrolischer  Landtsordnung  .  .  einsmahls  durch 
Gregorium  Stainer  anno  1587  in  Reimen  verfasst,  nachgehents  aber 
durch  Franciscum  Xav.  Barth  von  Amwaßegg  durchaus  geändert  .  . 
Anno  1678,  das  den  Inhalt  der  Landesordnung  in  knappen  Rechtsreimeu 
wiedergibt.  Erwähnt  seien  noch:  Ordnung  und  Process  umb  Dienstpar- 
khaiten  auf  Grundt  und  Poden  .  .  auf  die  Tyrolische  Landesordnung 
gericht (B,  T.  CXXV,  MXLVIII),  verschiedene  Abhandlungen  über  Zehent- 
recht, von  welchen  jene  des  o.-ö.  Regierungsrathes  Dr.  Joh.  von  Werndle 
in  den  Jahren  1617 — 1722  fünf  Auflagen  erlebte.  Gedruckt  ist  ferner 
der  Manipulus  decimarum  des  Jesuiten  P.  Jakob  Wex  (Innsbruck  1602, 
ungedruckt  die  „Tyrolischen  Zehentgewohnheiten" .  B,  T.  CCXCIV),  endlich 
die  von  Fröhlich 'sehen  Werke:  Nemesis  romano  austriaco  Tyrolensis  (169()), 
Tractatus  juridicus  de  .  .  prtescriptionibus  statutariis  Tyrolensibus  (1702). 

Neben  der  Landesordnung  galten  in  Tirol  zahlreiche  Statute  für 
einzelne  Landstriche  oder  Orte.  Über  das  wichtigste  derselben,  das  Statut  des 
Cardinais  Bernhard  von  Cles  für  die  Stadt  und  Fürstenthum  Trient  vom 
Jahre  1527,  das  seit  1528  mit  mancherlei  Zugaben  bis  zum  Jahre  1765 
oftmalen  gedruckt  wurde,  ist  schon  §  23,  3  kurz  berichtet  worden. 
Eine  Bibliographie  der  italienisch  -  tirolischen  Statute  von  110  Orteu 
bietet  Sartori  im  Anhang  II  seiner  Ausgabe  des  Statuts  von  Fleims. 
Von  Deutschtirol  und  Voralberg  seien  genannt: 

die  Bozner  Marktstatute  und  zwar  Privilegium  der  Erzherzogiu 
Claudia  für  die  Bozener  Märkte  1635,  desgleichen  Kaiser  Karl's  M. 
vom   Jahre  1719;  beide  gedruckt. 

Brixen:     Stadtordnungen   mit   Satzungen,    Landesordnimg  und 


Rechtequellen  von  1500—1750;  Tirol,  Vorai'lberg,  Salzbiu'g.  385 

Strafen,  renoviert  1527,  1595,  1604.  Hofgerichtsordnung  des  Fürst- 
bischofs Christoph  Andreas,  1604. 

Brunneck:  Neue  Stadtordnung  des  Fürstbischofs  Anton  vom 
17.  April  1649. 

Buchenstein:    Statutserneuerung  vom  14.  October  1541. 

Innsbruck:  Ausgabe  der  Rechte  und  Privilegien  der  Stadt  1610; 
Feuerordnung  1698,  1728. 

In  Vorarlberg  galt  gemeines  Recht,  wie  aus  der  Antwort  Erzherzog 
Ferdinand's  vom  20.  Mai  1525  erhellt,  in  welcher  er  auf  die  beim  Tiroler 
Landtage  vorgebrachten  Beschwerden  über  die  Aufnahme  von  Juristen 
ins  Regiment  erklärte,  dass  er  ein  bis  zwei  Doctoren  behalten  müsse, 
weil  dasselbe  zugleich  Appellationsbehörde  für  die  vordem  Lande  sei, 
und  in  diesen,  wie  über  die  wälischen  und  görzischen  Sachen,  nach 
kaiserlichen  geschriebenen  Rechten  erkannt  werden  müsse.  Bemerkens- 
wert ist,  dass  die  in  Österreich  unter  der  Enns  eingeführten  Pupillen- 
ordnungen vom  24.  December  1725  und  3.  April  1727  mit  a.  h. 
Entschließung  vom  6.  September  1732  „zur  Adaptierung  nach  der  Orts- 
beschaffenheit''  und  sohin  Publicierung  in  den  vorderösterreichischen 
Landen,  insbesonders  aber  in  Voralberg  bestimmt  wurden. 

Unter  den  Ortsstatuten  sind  u.  a.  die  Landgerichtsordnung  für 
Rankweil  vom  Jahre  1579  (gedruckt  bei  Rusch,  das  Gaugericht  auf  der 
Müsinerwiese,  1870),  die  Landesordnung  der  freien  Hofjunker  von 
Montafun,  1601  (e,  S.),  der  Landsbrauch  des  Innerbregenzer  Waldes 
(Aufzeichnung  vom  Jahre  1744,  die  jedoch  auf  älteres  Recht  Bezug 
nimmt,  autographierte  Ausgabe)  hervorzuheben. 

Für  Salzburg  waren  die  Gesetze  und  Verordnungen  der  Salzburger 
Erzbischöfe  als  Landesherren  in  diesem  Zeitraum  maßgebend.  Eine  bequeme 
Uebersicht  über  diese  Gesetzgebung  bietet  uns  der  von  Judas  Thaddeeus 
Zauner  verfasste:  Auszug  der  wichtigsten  hochfürstlich  Salzburgischen 
Landesgesetze,  4  Bde.  1785 — 1805.  Bemerkenswert  ist  der  im  Jahre  1526 
ausgearbeitete  Entwurf  einer  Landesordnung  des  löblichen  Erzstifts  Salz- 
burg, welcher  Gegenstände  des  bürgerlichen  und  peinlichen  Rechts, 
polizeiliche  Vorschriften  u.  s.  w.  ohne  Gliederung  nach  Büchern  und 
Titeln  enthält  und  handschriftlich  verbreitet  war.  (Wien,  St  Ä.  Anhang 
Nr.  54;  ein  zweites  Exemplar  mit  abweichenden  Bemerkungen  e,  S.), 
Diese  sehr  umfangreiche  Landesordnung  wurde  niemals  Gesetz,  wohl 
aber  einzelne  Abschnitte  daraus,  so  stimmen  z.  B.  die  42  Vitzthums- 
und  Hauptmannshändl  mit  dem  Inhalt  der  Hofrathsverordnung  vom 
9.  August  1645  (Zauner  II,  106  ff.)  überein. 

Für  die  Stadt  Salzburg  erließ  Erzbischof  Matthäus  im  Jahre  1524 
eine  Polizeiordnung  mit  sehr  vielen  Bestimmungen ;  vom  gleichen  Fürsten 
rührten  die  Bergwerksordnung  vom  Jahre  1532  und  eine  Hauptmann- 
schaftsordnung (1533)  her.  Von  den  zahlreichen  Forstordnungen  aus 
den  Jahren  1524 — 1755  erschien  1796  eine  Gesammtausgabe. 

Die  zahlreichen   Aufzeichnungen  des  Ortsgebrauchs,  die  sich  in 

Lasch  in,  öiterreichische  Reichsgeschicht«.  25 


386        österreichische  Roichsgeschichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  47. 

Deutsch-Tirol  und  im  Salzburgischen  fiuden,  sind,  soweit  sie  die  Form 
von  Weißthüraern  haben,  in  die  von  der  k.  Akademie  der  Wissenschaft 
herausgegebene  große  Sammlung  der  österreichischen  Weisthümer, 
Bd.  1 — 5,  aufgenommen  worden. 


E.  Böhmen,  Mähren,  Schlesien. 

a)  Landesordnungen. .  Die  im  Jahre  1500  noch  vor  der  Ge- 
nehmigung durch  König  Vladislav  gedruckte  Landesordnung,  ist  eine  nach 
willkürlicher  Reihenfolge  aus  den  Landtafelquaternen  und  Urtheilsbüchern 
gezogene  Mischung  von  554  Artikeln  Staats-  und  privatrechtlichen  Inhalts, 
die  zum  Theil  unter  Überschriften  in  größere  oder  kleinere  Gruppen 
zusammengefasst  wurden.  Einen  Neudruck  des  auf  562  Artikel  er- 
weiterten czechischen  Originals  mit  Gegenüberstellung  der  lateinischen 
Übersetzung,  die  Dr.  Roderich  Dubravus  a  Dubrava  im  Jahre  1527  für 
König  Ferdinand  L  besorgte,  bietet  Palacky  im  5.  Bd.  des  Archiv  Cesk>-. 

Die  im  Jahre  1523  vom  Landtag  beschlossene  Umarbeitung 
wurde  kaum  zur  Hälfte  durchgeführt  und  bildet  unter  Beigabe  des  unge- 
änderten  Theiles  und  des  s.  Wenzel  Vertrags  den  Text  der  im  Jahre  1530 
gedruckten  Landesordnung.  Nach  Niederwerfung  des  Aufstandes  zur  Zeit 
des  schmalkaldischen  Krieges,  erfolgte  über  königlichen  Auftrag  durch 
Ulrich  Humpolec  von  Prostibor  abermals  eine  Umarbeitung,  die  von  den 
Ständen  angenommen,  vom  König  Ferdinand  im  Jahre  1549  genehmigt 
und  1550  gedruckt  wurde.  Hier  erscheint  zuerst  die  fernerhin  für  die 
böhmischen  Landesordnungen  bezeichnende  Eintheilung  des  Textes  in 
größere  Abschnitte,  die  unter  den  Buchstaben  A — Z  bis  zu  44  durch 
Ordnungszahlen  unterschiedene  Artikel  umfassen.  (Beide  L.-O.  im  C.  j. 
B.  IV.,  1.  Sect.  1.) 

Schon  1557  begannen  neue  Revisionsarbeiten,  die  zu  der  durch 
den  Oberstlandschreiber  Wolf  von  Vresovic  verfassten  und  dem  König 
Maximilian  II.  gewidmeten  Form  der  Landesordnung  vom  Jahre  1564 
führten.  C.  j.  B.  IV.,  1.  Sect.  1.  Die  Zahl  der  Artikel  ist  hier  durch 
Aufnahme  späterer  Landtagsschlüsse  bis  auf  928  angewachsen.  Den 
czechischen  Ausgaben  von  1564  und  1594  folgten  1604  und  1617  Drucke 
einer  deutschen  Übersetzung,  die  der  Bürger-  und  Stadtschreiber  von 
Kaaden,  Peter  St^rba,  im  Jahre  1566  besorgt  hatte. 

Als  nach  der  Schlacht  am  Weißen  Berge  die  Macht  der  böhmischen 
Ständeherren  gebrochen  war,  machte  Kaiser  Ferdinand  II.  von  der 
Verwirkungstheorie  erfolgreich  Gebrauch.  Ohne  vorher  das  Gutachten 
der  Stände  einzuholen,  erließ  er  am  10.  Mai  1627  aus  königlicher 
Machtvollkommenheit,  um  das  jus  regium  zu  sal vieren  „und  ein  eequabile 
jus  privatorum  zwischen  denen  eingeborenen  Böhmen  und  denen  Aus- 
ländern so  unter  der  Zeit  eingenommen  oder  künftig  ins  Land  kommen 
möchten"  herzustellen,  ein  neues,  nur  nach  dem  Beirath  seiner  eigenen 
Beamten     entworfenes,    Staats-    und    privatrechtliches  Grundgesetz   in 


Rechtsquellen  von  1500—1750:  Böhmen,  Mäliren,  Schlesien.  387 

deutscher  Sprache  unter  dem  Namen  der  „Verneuerten  Landesordnung 
des  Königreichs  Böhmen  (oft  gedruckt  1627 — 1796).  Ergänzt  wurde 
dieselbe  1640  durch  die  umfänglichen  Novellen  und  Declaratorien 
Kaiser  Ferdinand's  III.  Von  den  unter  Kaiser  Josef  I.  im  Jahre  1709 
begonnenen  Revisionsarbeiten,  um  ein  gemeinsames  Recht  für  die  böhmische 
Ländergruppe  herbeizuführen,  war  schon  im  §  45,  6,  die  Rede.  Der 
Entwurf  der  „neu  projectierten  Landesordnung  des  Königreichs  Böheimb 
und  Markgrafenthumbs  Mähren  nebst  dem  modo  exequendi  und  kaiser- 
lichen Privilegien  des  Herzogthumbs  Schlesien  vom  Jahre  1710*  befindet 
sich  zu   Wien,  St  A.  210, 

Mähren.  Auf  Andringen  der  Stände  (1531)  wurde  der  im 
Tobitschauer  Rechtsbuch  enthaltene  Landesbrauch  zu  einer  Landesordnung 
umgearbeitet,  der  vom  König  Ferdinand  I.  genehmigt  und  im  Jahre 
1535  gedruckt  wurde.  Neue  Ausgaben  erschienen  unter  Aufnahme 
einiger  Abänderungen  und  Zusätze  in  den  Jahren  1545,  1562,  1604. 
Ein  Jahr  nach  der  verneuerten  Landesordnung  für  Böhmen  erließ 
Kaiser  Ferdinand  II.  eine  solche  (am  10.  Mai  1628)  aus  königlicher 
Machtvollkommenheit  auch  für  Mähren,  die  1638  auf  Anlangen  der 
Landstände  durch  eine  Declaratio  dubiorum  ergänzt  wurde.  (Gedruckt 
1628,  aber  mit  Datum  Znaym,  1.  Juli  1628,  1711  .und  o.  J.,  eine 
1632  besorgte  authentische  Übersetzung   ins  (Sechische   C.  j.  B.  V,  3.) 

Schlesien.  König  Ferdinand  bestätigte  1528  als  König  von 
Böhmen  und  obrister  Herzog  von  Schlesien  den  Troppauer  Ständen 
(Herren,  Rittern,  Wladyken  und  Bürgern)  die  hergebrachten  Privilegien, 
ebenso  Kaiser  Maximilian  II.  am  9.  December  1563.  Im  Jahre  1673 
entwarfen  die  Troppauer  Stände  eine  eigene,  von  der  mährischen 
Observanz  abweichende  Landesordnung,  die  jedoch  nie  in  Wirksamkeit 
trat,  obwohl  nach  dem  kaiserlichen  Rescript  vom  15.  October  1681 
die  Genehmigung  des  Entwurfs  in  naher  Aussicht  stand.  (Cod.  Ferdin.- 
Leop.-Jos.-Carolinus,  S.  390;  461.) 

Jägerndorf.  Auf  Befehl  Kaiser  Leopold's  I.  wurde  im  Jahre  1673 
mit  Vorwissen  des  Fürsten  Eusebius  von  Liechtenstein  als  regierenden 
Herzogs  zu  Troppau  und  Jägerndorf  von  den  Landständen  nach  des 
Fürstenthums  Jägerndorf  Zustand  und  hergebrachten  Gewohnheiten  eine 
Landesordnung  eingerichtet,  die  eine  Umarbeitung  der  alten  mährischen 
Landesordnung  vom  Jahre  1535  ist.  Sie  wurde  vom  Kaiser  nur  nach 
einigen  Abänderungen  am  20.  November  1675  genehmigt.  Ausgabe 
von  d'Elvert  im  17.  Bd.  der  Schriften  der  historischen  statistischen 
^^ection,  Briinn  1868. 

Teschen  erhielt  1573  durch  Herzog  Wenzel  Adam  eine  Landes- 
ordnung (gedruckt  bei  Weingarten  Fasciculi  diversorum  juriuni,  2.  Buch, 
S.  300—337  ;  bei  Stubenrauch  Nr.  3262  e.  Olmützer  Ausgabe  v.  J.  1592.) 

Halsgerichtsordnung,  Kaiser  Joseph  I.  für  Böhmen,  Mähren  und 
Schlesien,  vom  16.  Juli  1707,  gedruckt  1708  im  deutschen  Original- 
text und  in  öechischer  Übersetzung  u.  ö,  bis  1762.  Eine  Vergleichung 

2r>* 


388        Österreichische  Reichsgeschichte.  IL  Theil.  Vierte  Periode.  §  47. 

derselben  mit  der  Carolina  liefert  die  Dissertation  des  Georg  Gottlieb 
Klose:  „Collatio  constitutionis  criminalis  Caroli  V  cum  sanctione  criminali 
a  Josepho  I.  .  .  .  lata.  Frankfurt  a.  0.  1731. 

£ine    Processordnung    für    die    Landshauptmannschaft    oder   das 
königliche  Tribunal  in  Mähren  erließ  Kaiser  Leopold  am  3.  Jänner  1659. 

Das  Verfahren  in  Grenzstreitigkeiten  behandelte  Jakob  Mensik  in 
einem  1600  in  czechischer  Sprache  erschienenen  Werke.  C.  j.  B.  IV.,  5. 

S  tadtrechte.  Schon  früher  (Anh.1, 18)  wurde  auf  den  nationalen 
Gegensatz  hingewiesen,  der  in  der  böhmischen  Ländergruppe  das  Stadt- 
recht vom  Landrecht  trennte  und  ein  einheitliches  Recht  für  die  Gesammt- 
bevölkerung  nicht  aufkommen  ließ.  Die  vemeuerten  Landesordnungen  für 
Böhmen  und  Mähren  waren  als  Fortbildung  des  alten  Landesrechts  Gesetz- 
bücher für  die  s.  g.  hohem  Stände,  während  für  die  Rechtsordnung  des 
Bürgerstandes  besonders  vorgesorgt  werden  musste.  Noch  um  die  Mitte 
des  16.  Jahrhunderts  richtete  sich  die  Mehrzahl  der  Städte  in  Böhmen 
theils  nach  dem  Magdeburger,  theils  nach  dem  in  der  Altstadt  Prag^ 
üblichen  Rechte.  Auf  Grund  des  letzteren,  des  Brünner  Schöffenrechts, 
des  Joannes  Andrere  Lectura  arboris  consanguinitatis  u.  s.  w.,  stellte 
Mag.  Briccius  von  Licsko  den  Entwurf  eines  allgemeinen  Stadtrechts 
in  72  Capiteln  her,  der  aber  die  Autonomie  der  Städte  stark  einge- 
schränkt haben  würde.  Er  wurde  daher  von  den  Städten  bekämpft 
und  wurde  zwar  1536  gedruckt,  erhielt  jedoch  niemals  Gesetzeskraft. 
Erst  die  Umarbeitung  desselben  mit  einer  der  Landesordnung  nach- 
gebüdeten  Gliederung  nach  Buchstaben  A — T  und  römischen  Zahlen 
für  die  Unterabtheilungen,  die  der  Prager  Kanzler  Paul  Christian  von 
Koldin  im  Jahre  1569  den  Landständen  vorlegte,  erhielt  zehn  Jahre 
später  die  Genehmigung  als  allgemeines  Gesetz  für  den  Bürgerstand  iu 
Böhmen  und  später,  seit  1697,  in  Mähren  und  Schlesien.  Übrigens  stieß 
dies  Stadtrecht  bei  seiner  Einführung  selbst  in  Böhmen  dort  wo  mau 
nach  Magdeburger  Recht  lebte,  auf  Widerstand,  der  z.  B.  bei  Laun  und 
Leitmeritz  erst  im  Jahre  1610  nach  Genehmigung  eines  neuerlichen 
Landtagsbeschlusses  durch  K.  Rudolf  IL,  überwunden  wurde. 

Ausgaben.  Briccius  von  Licsko  Präva  M^stsk^,  1536  zu  Leitomischl, 
neu  in  C.  j.  B.  IV,  3  Sectio  1,  Koldinische  Bearbeitung:  öechischer 
Originaltext:  1579,  1613,  1711,  1755,  neu  C.  j.  B.  IV,  3,  Sectio  2. 
Eine  Uebersetzung  ins  Deutsche  besorgte  schon  im  16.  Jahrhundert  der 
Kaadener  Bürger  Peter  St^rba,  auch  Sturba  (Ms,  WieUj  St.  A.  197^ 
vielleicht  auch  199,  H.  B.  7676)  dem  wir  die  Übertragimg  der  Maxi- 
milianischen Landesordnung  ebenfalls  verdanken.  Eine  andere  Über- 
setzung wurde  1721  zu  Wien  als  „vollständige  teutsche  Stadtrecht  im 
Erb-Königreich  Böheim  und  Markgrafthum  Mähren''  gedruckt. 

Schon  Paul  von  Koldin  hat  einen  böhmischen  Auszug  aus  dem 
Stadtrecht  verfasst,  der  vom  Jahre  1581  ab  14  Auflagen  erlebte  und  in 
deutscher  Übersetzung  1607  und  1614  zu  Leipzig  als:  ^ das  böhmische 
Recht"    und    ^das   Böhmische  Stadtrecht "    erschien.    „Kurze  Extracte* 


Recht^uellen  von  1500^1750:  Böhmen,  Mähren,  Schlesien.  389 

aus  dem  böhmischen  Stadtrecht  in  deutscher  Sprache  veröffentlichten 
femer  Adam  Gramer,  Bürger  und  Advocat  zu  Plan  (1609,  neue  Aus- 
gabe 1671),  und  der  Prager  Bürger  Jakob  Ferdinand  Wrba  Nymbursty 
(1693,  1707,  auch  czechisch  1700),  ferner  Joh.  Jakob  von  Weingarten, 
der  nicht  bloß  eine  „Manuductio  zum  Rechtsprocess  beym  Stadtgerichten'', 
sondern  auch  einen  Auszug  der  königlichen  Stadtrechte  verfasste.  (Fünf 
Auflagen  von  1668—1718.) 

Eine  ziemlich  umfangreiche  Abhandlung  über  Prager  Recht  ersclüen 
1746  als  Doctor -Dissertation  des  Wenzeslaus  Hildt,  sub  prsesidio  Nicolai 
Ignatii  Königsmann,  unter  dem  Titel:  Thesis  historico-politico-juridica 
de  jure  civitatum  in  genere,  de  tri-urbis  Prägen»  juribus  .  .  in  specie. 

Eine  vergleichende  Zusammenstellung  der  wichtigsten  Unterschiede 
zwischen  dem  Magdeburger  und  dem  Prager  Recht,  lieferten  die  nach 
sächsischem  Rechte  lebenden  böhmischen  Städte  im  J.  1571.  C.  j.  B.  IV.,  5. 
^Extract  hlavnöjsich  .  .  artikulüv"  sammt  der  Entgegnung  der  Prager. 

Das  Gerichtsverfahren  nach  Prager  Recht  in  bürgerlichen  und 
peinlichen  Fällen  des  Vitus  Ophthalmius,  das  in  den  J.  1585  und  1608 
als  „Processus  juris  municipalis  Pragensis"  gedruckt  wurde  und  neben 
dem  Stadtrecht  auch  die  Landesordnung  und  das  römische  Recht  be- 
rücksichtigte, kommt  nicht  bloß  in  der  durch  Georg  BydÄovsky  im  J.  1607 
besorgten  Übertragung  ins  Czechische,  sondern  handschriftlich  auch  in 
alter  deutscher  Übersetzung  vor.  (e,  S.) 

Ganz  einen  anderen  Charakter  haben  die  „Zusamengetragene  Artikel 
in  Form  eines  rechtlichen  Process,  wie  dieselben  von  alters  her  bei 
dieser  kgl.  Stadt  Olomuntz  bei  Gericht  und  auch  in  . . .  gehegter  Bank  in 
Übung  waren",  die  sich  in  dem  Olmützer  Stadtbuch  Nr.  64  vom  J.  1550 
ünden.  Hier  sind  neben  dem  römischen  und  canonischen  Recht  auch  die 
in  Mähren  angewandten  sächsichen  Rechtsquellen  berücksichtigt. 

Die  Fortbildung  sowohl  des  Land-  als  des  Stadtrechts  in  der 
böhmischen  Ländergruppe  war  seit  den  verneuerten  Landesordnungen  dem 
Regenten  vorbehalten,  von  welchem  nicht  bloß  im  Jahre  1707  eine  allen 
drei  Ländern  gemeinsame  peinliche  Gerichtsordnung  ergieng,  sondern 
noch  weitergehende  Pläne  durch  Einsetzung  einer  Compilations-Commission 
verfolgt  wurden  (§  45,  6).  Die  zahlreichen  landesfürstlichen  Verordnungen 
sind  in  den  Sammelwerken  von  Joh.  Jakob  von  Weingarten:  Codex 
Ferdinandeo-Leopoldino-Josepliino-Carolinus  (1701,  1720),  für  Schlesien 
in  der  s.  g.  Brachvogel'schen  Ausgabe  der  k.  k.  das  Erbherzogthum 
Schlesien  concernierenden  Privilegien,  nachzusuchen.  Auszüge  für  Mähren 
bietet  Wekebrod  in  seiner  Sammlung  der  seit  dem  Jahre  1600 — 1740 
ergangenen  a.  h.  Gesetze,  Brunn  o.  J. 

Deutschböhmische  Dorfweisthümer  aus  den  Jahren  1536 — 1697 
bietet  L.  Schlesinger  in  den  Mittheilungen  des  Vereines  der  Deutschen 
üi  Böhmen  XV.,  Bann-  und  Bergtaidinge  aus  Mähren  Chlumeck^  im 
Archiv  für  österreichische  Geschichte,  Bd.   17. 

Die    Literärgeschichte    des   böhmischen   Staats-   und   Privatrechts 


390         Öüiterreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  47. 

hat  Dr.  Legis  Glückselig  in  der  s.  g.  Wagnerischen  Zeitschrift  für  Rechts- 
und Staatswissenschaft  1847,  1.  Band,  ausführlich  behandelt.  Da  über 
den  gleichen  Gegenstand  oben  in  §  46  schon  manches  mitgetheilt 
wurde,  so  sei  nur  noch  erwähnt,  dass  Briccius  von  Licsko  1540  Re^hts- 
sprichwörter  und  1541  eine  aus  dem  römischen  Rechte  geschöpfte  Samm- 
lung von  Rechtsregeln  veröffentlichte,  ferner  dass  es  eine  Übersetzung 
der  Institutionen  Kaiser  Justinian's  ins  Cechische  vom  Jahre  1562  giM> 
welche  Jireöek  im  Jahre  1H67  drucken  ließ. 


F.  Die  Länder  der  ungarischen  Krone. 

Es  wurde  schon  (Anhang  II,  18)  mitgetheilt,  dass  die  Sammlung 
des  ungarischen  Landesbrauchs,  die  der  Protonotar  Stephan  Verböczi 
im  Jahre  1514  dem  Könige  Vladislav  II.  vorgelegt  hatte,  keine  formelle 
Genehmigung  und  Verlautbarung  erfuhr.  Es  scheint,  dass  Verböczi  e^ 
auch  in  der  Folge  unter  König  Ludwig  IL  unterließ,  sein  Werk  durch 
Nachtragung  der  mangelnden  Förmlichkeiten  zum  Gesetze  zu  erheben,  wohl 
aber  entschloss  er  sich  zur  Verbreitung  durch  die  Presse.  Am  8.  Mai 
1517  war  nach  40  Tagen  der  71  Bogen  starke  Band  unter  dem  später 
so  bekannt  gewordenen  Titel  Tripartitum  opus  juris  consue- 
tudinarii  inclyti  regni  Hungarise  in  der  damals  unglaublich  thätigen 
Druckerei  des  Johann  Singriener  zu  Wien  vollendet. 

Das  Tripartitum  ist  seither  noch  oft,  z.  B.  1545,  1581,  1628  .  .  . 
auch  in  der  Übersetzung  ins  Ungarische  (1565,  1571,  1589),  ins 
Croatische  (durch  PergoSiö  1574)  und  Deutsche  (1599)  gedinickt  worden, 
hat  jedoch  nur  im  Wege  der  Übung  Eingang  bei  den  Gerichten  gefunden, 
u.  z.  zuerst  in  den  östlichen  Theilen  Ungarns,  während  man  im  Westen 
an  die  Herstellung  einer  anderen  Sammlung  dachte  und  zu  diesem  Zwecke 
1527  einen  Sechzehner- Ausschuss  einsetzte;  diesem  folgte  1548  ein 
Siebner-Ausschuss,  der  1552  das  s.  g.  Quadripartitum  juris  con- 
suetudinarii  Hungarici  opus  vorlegte,  das  jedoch  vom  König 
Ferdinand  I.  missbilligt  wurde  und,  da  man  sich  über  die  Aufnahme 
gewisser  staatsrechtlicher  Bestimmungen  nicht  einigen  konnte,  gleich- 
falls Entwurf  blieb  (gedruckt  erst  1798  zu  Agram).  Die  Arbeiten 
am  Quadripartitum  hatten  die  Aufmerksamkeit  auf  die  ältere  Gesetz- 
gebung des  Landes  gelenkt.  Es  wurden  nun  Sammlungen  königlicher 
Decrete  angelegt,  unter  welchen  zumal  jener  des  Erlauer  Großpropstes 
Stephan  lUosvai  hervorzuheben  ist  (Orig.  Ms.  in  Wietty  H,  B,  S496),  Weil 
sie  die  Quelle  ist,  aus  welcher  später  (1581,  1583  u.  ö.)  diese  alten 
Gesetze  herausgegeben  wurden.  Nachdem  sie  in  der  Folge  als  Ergänzung 
dem  Verböczi'schen  Werke  beigedruckt  worden  waren,  nahm  das  so 
erweiterte  Tripartitum  seit  1690  den  Titel  eines  Corpus  juris 
Hungarici  an,  und  wurde  als  solches  unter  Zugabe  der  späteren 
Landtagsabschiede  (articuli  dietales)  bis  in  unser  Jahrhundert  aufj^legt. 
Eine  neue  Sammlung  der  ständischen  Verhandlungen  von  Ungarn  und 


Rechtsquellen  von  1500—1750:  Die  Länder  der  ungarischen  Krone.     391 

Siebenbürgen  bieten  die  im  Auftrag  der  königliehen  Akademie  von 
Fraknöi  herausgegebenen  Monumenta  comitialia  Regni  Hungarise,  1  — 10, 
(1526 — 160-1),  bezw.  die  M.  com.  Regni  Transylvanise  (herausg.  durch 
Szilägyi,  Bd.   1—8  Jo40— 1629). 

Unter  Kaiser  Leopold  I.  war  allerdings  der  Plan  aufgetaucht, 
auch  in  Ungarn  die  Dinge  nach  österreichischem  Muster  einzurichten 
(§  45,  5):  namentlich  betrieb  Cardinal  Kollonitsch  unausgesetzt  die 
Einführung  der  im  Laude  unter  der  Enns  geltenden  Gesetze,  deren 
Übersetzungen  ins  Lateinische  er  für  alle  Fälle  bereit  hielt.  Er  ließ 
zuletzt,  da  man  in  Wien  mittlerweile  anderes  Sinnes  geworden  war, 
seine  Übersetzung  der  österreichischen  Landgerichtsordnung  Kaiser 
Ferdinand's  III.  vom  Jahre  1656  auf  seine  Kosten  drucken  {16H7), 
und  es  gelangte  dieser  Text  in  Ungarn  alsbald  zu  solchem  Ansehen, 
dass  er  wie  ein  Landesgesetz  angesehen  und  in  die  Ausgaben  des  Corpus 
juris  Hungarici  bis  1779  aufgenommen  wurde. 

In  diese  Zeit  fällt  nicht  bloß  die  Erlassung  einer  Advocatenordnung 
für  Ungarn  durch  Kaiser  Leopold  I.  nach  erbländischem  Muster  (1693), 
sondern  auch  das  Compendium  der  Haupt-Relation  über  die  Einrichtung 
des  Königreichs  Ungarn  de  ao.  16H8  nebst  einer  ähnlichen  Handschrift 
vom  Jahre  1689.  (St.  Ä.  Wien,  Nr.  S07/8.)  Ältere  Arbeit  sind  der  1553  zu 
Wien  durch  Sebastian  Listhi  aus  Hermannstadt,  Secretär  des  ungarischen 
Kanzlers  Nikolaus  Olahi,  begonnene  Stilus  cancellari»  Hungaricw  (Wien, 
St.  A.  277 y  B(L  2)  und  des  J.  Kitonich:  Directio  methodica  processus 
judiciarii  juris  consuetudinarii  incl.  regni  Hungarite,  die  seit  dem 
Jahre  1619  öfter,  und  zwar  später  als  ein  Theil  des  Corpus  juris 
Hungarici,  gedruckt  wurden. 

Auch  in  Siebenbürgen  galten  im  allgemeinen  die  für  Ungarn 
erlassenen  Gesetze,  sowie  das  Verböczi'sche  Tripartitum,  außerdem  die 
Beschlüsse  der  siebenbürgischen  Landtage,  die  sich  zum  Theil  wider- 
sprachen und  oft  nur  mangelhaft  überliefert  waren.  Der  daraus  ent- 
springenden Rechtsunsicherheit  zu  begegnen,  erließ  Fürst  Gabriel  Bethlen 
im  Jahre  1619  sein  Specimen  processus  juridici.  Fürst  Georg  I.,  Räkoczy, 
fasste  dann  den  Entschluss,  sämmtliche  vom  Jahre  1540  an  ergangene 
und  noch  rechtskräftige  Vorschriften  in  ein  Ganzes  zusammenzufassen, 
doch  gelang  es  erst  seinem  Sohne  Georg  II.,  dies  Werk  zu  vollenden; 
es  sind  dies  die  s.  g.  Approbatie  Constitutiones  Regni  Transylvanise  et 
partium  Ungarite  eidem  adnexarum,  die  auf  dem  am  15.  März  1653 
abgehaltenen  Landtage  Gesetzeskraft  erlangten.  Diesen  folgten  unter 
Michael  I.  Apaflfy  die  in  gleicher  Weise  bearbeiteten  Compilatie  Con- 
stitutiones Regni  Transylvanifie  u.  s.  w.,  welche  die  Gesetze  von  1653 
bis  1669  enthielten  und  am  4.  März  1669  vom  Landtag  angenommen 
wurden.  Die  Artikel  aus  den  Jahren  1669- -1742  sind  nicht  gesammelt, 
wohl  aber  die  späteren  von  1743 — 1792  als  Novellares  Articuli. 

Von  den  drei  in  Siebenbürgen  anerkannten  Nationen  lebten  die 
Sachsen  nach  ihrem  „Eigen-Landrecht",  d.   i.  nach    einem   vom  Krön- 


392     österreichische  Reichsgesschichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  47  u.48. 

Städter  geschworenen  Rath  Matthias  Frone  (Fronius)  verfassten  „Büchlein 
ihres  alten  herkommenden  Rechtens  und  Gewohnheiten*',  das  König 
Stephan  Bathory  im  Jahre  1583  bestätigte.  Dasselbe  behandelt  in  vier 
Büchern  von  6 — 12  Titeln  mit  Paragrapheneintheüung  1.  das  gericht- 
liche Verfahren,  2.  Familien-  und  Erbrecht,  3.  Verträge,  4.  Strafrecht 
und  ist  in  mehreren  Ausgaben  mit  und  ohne  Jahr  erschienen,  u.  a.  im 
Anhang  zu  G.  Reiszner's  Commentatio  succ.  ad  jus  statutarium  Saxonum 
in  Transylvania.  Leipzig  1744. 

Auch  die  Nation  der  Sz^kler  besaß  ihr  eigenes,  besonders  im 
Erbrechte  und  in  der  Verjährung  von  den  ungarischen  Gesetzen  stark 
abweichendes  Gewohnheitsrecht,  das  auf  den  am  28.  April  1555  zu 
Udvarhely  gefassten  Beschlüssen  beruhte,  jedoch  in  die  gedruckte  Sammlung 
der  Landesgesetze  nicht  aufgenommen  wurde.  Außerdem  bestanden  in 
den  königlichen  Freistädten,  Taxalorten  und  andern  freien  Ortschaften 
mancherlei  durch  langjährigen  Gebrauch  oder  besondere  Privilegien 
anerkannte  Localstatute  und  Gewohnheiten,  welche  sich  mitunter  bis 
in  unser  Jahrhundert  in  Geltung  erhalten  haben. 

In  Croatien  galten  wie  in  Siebenbürgen  neben  Beschlüssen  des 
eigenen  Landtags  im  allgemeinen  die  ungarischen  Gesetze  und  das 
Tripartitum,  von  dessen  Übersetzung  ins  Croatische  schon  oben  dfe 
Rede  war.  Eine  Übersicht  über  diese  „Articuli  dominorum  et  nobilium 
statuumque  et  ordinum  regnorum  Croatiee  et  Sclavoniee'S  die  zum  Theil 
bei  Kukuljeviö,  Jura  regni  Dalmatise,  Croatise  et  Slavonise  Bd.  II  gedruckt 
sind,  bietet  Bogiäiö  pisani  zakoni  na  slovenskom  jugu,  S.  149  ff. 

Für  die  seit  dem  IH.  Jahrhundert  unter  dem  Namen  der 
Vlachen  in  Croatien  und  Slavonien  angesiedelten  serbischen  Flüchtlinge 
ergiengen  mehrfach  kaiserliche  Privilegien.  Unter  diesen  hat  jenes  Kaiser 
Ferdinand's  II.  vom  Jahre  1630,  das  auch  von  seinen  Nachfolgern 
bis  auf  Kaiser  Josef  I.  (1642,  1659,  1708)  bestätigt  wurde,  die  Gestalt 
eines  Statuts,  da  es  in  fünf  Abschnitten  mit  ArtikeltheUung  de  magi- 
stratibus,  de  judiciis,  de  rerum  dominio,  de  delictis  privatis  et  publicis 
und  de  re  militari  handelt.  (Gedruckt  bei  Czörnig,  Ethnographie  II. 
365  ff.,  andere  Privilegien  a.  a.  0.,  S.  361  ff.  und  III,  Beilagen  62  ff.) 

Das  städtische  Recht  in  Ungarn,  in  welchem  die  deutschen  Elemente 
vorwalteten,  hatte  durch  die  Bestimmung  König  Sigismund's,  dass  die 
Berufungen  von  den  Stadtgerichten,  wo  nicht  an  den  König,  an  den 
Magister  Tavernicorum  zu  richten  seien,  eine  feste  Stütze  erhalten,  so 
dass  sich  auf  ungarischem  Boden  noch  spät  Rechtsbücher  bildeten, 
deren  innerer  Zusammenhang  mit  ähnlichen  deutschen  Arbeiten  leicht 
nachzuweisen  ist.  Articuli  juris  Tavernicalis,  die  K.  Rudolf  II.  im  J.  1602 
bestätigte,  finden  sich  im  Anhang  des  Corpus  jur.  Hungarici.  Was  endlich 
das  Statut  für  Fiume  vom  29.  Juli  1530  betrifft,  so  ist  es  von  Ferdinand  I. 
in  seiner  Eigenschaft  als  Landesherr  von  Krain  und  den  davon  abhängigen 
Gebieten  erlassen  worden,  da  die  Stadt  erst  unter  der  Kaiserin  Maria 
Theresia  (1776)  mit  dem  Severiner  Coraitate  vereinigt  wurde. 


Ungarische  Rechtsquellen.  Stellung  der  österreichischen  Herrscher.     393 


Geschichte  des  öffentlichen  Rechts. 

§  •IrS.  Die  Stellnng  der  österreichischen  Herrscher  im  allgemeinen. 

Beksics,  Der  Dualismus  (Zeitschr.  f.  ungar.  öffentl.  u.  Privatrecht.  1, 1895.) 

—  Bidermann,  Gesch.  d.  österr.  Gesammtstaatsiiiee.  2  Bde.  —  Gindely,  Über 
die  Erbrechte  des  Hauses  Habsburg  auf  die  Krone  von  Ungarn.  1526—1687.  Archiv 
f.  öst.  Gesch.,  Bd.  51.  —  Huber,  Rg.,  128  ff.  —  Steputat  W.,  Die  verfassungs- 
rechtl.  Stellung  der  deutschen  Landesherren  z.  deutschen  Gerichtsbarkeit.  1892. 

—  Tom  an  H.,  Das  böhmische  Staatsrecht  vom  Jahre  1527—1848.   1872. 

1.  Je  nachdem  die  öaterreichischen  Herrscher  als  Könige 
von  Ungarn,  von  Böhmen,  oder  als  Erzherzoge  von  Österreich 
auftraten,  war  ihre  Stellung  sowohl  nach  außen  als  nach  innen 
hin  verschieden.  Als  Könige  von  Ungarn  waren  sie  dem  Reiche 
gegenüber  Monarchen  eines  fremden  unabhängigen  Staats,  als 
Könige  von  Böhmen  deutsche  Kurfürsten,  durch  die  goldene  Bulle 
besonders  privilegiert  und  mit  einem  Gebiete  ausgestattet,  das 
nur  in  loser  Lehensabhängigkeit  von. Deutschland  stand,  wie  es 
beispielsweise  in  die  Reichs-Kreiseintheilung  gar  nicht  einbezogen 
war.  Als  Erzherzoge  von  Österreich  endlich  erfreuten  sie  sich 
der  weitestgehenden  Vorrechte  in  den  übrigen  Erblanden,  die  nebst 
einigen  zugeordneten  Reichsständen  (Brixen,  Trient .  .  .)  von  reichs- 
wegen  den  österreichischen  Kreis  bildeten. 

2.  In  diesen  Landen  stand  den  Erzherzogen,  seitdem  die 
österreichischen  Preiheitsbriefe  im  Jahre  1453  mit  Beobachtung 
aller  Förmlichkeiten  unter  Zustimmung  der  Kurfürsten  vom  Kaiser 
Friedrich  IIL  bestätigt  worden  waren,  außer  der  obersten  Gerichts- 
barkeit auch  das  Recht  zu,  „neue  Aufschläge,  Mauten  und  Zölle 
und  ander  Mehrung  ihrer  Nutz  und  Renf*  zu  machen,  den  Adel 
bis  zum  Grafen  hinauf  zu  verleihen  u.  s.  w.,  kurz  sie  hatten 
namentlich  seit  der  Bestätigung  der  Privilegien^  durch  Kaiser 
Karl  V.  (1530,  8.  September)  dem  Reich  gegenüber  so  ziemlich 
alles  errungen,  was  überhaupt  gewährt  werden  konnte. 

1  Aus  Vorsicht  wurden  Anerkennungen  dieser  Privileirien  auch  bei  den 
spätem  Kaisern  nachgesucht,  so  1599  durch  Erzherzog  Matthias  bei  Kaiser 
Rudolf  II.,  1620  und  1623  bei  Kaiser  Ferdinand  u.  s.  w.,  bis  auf  Kaiser  Karl  VL, 
der  sie  1729  bestätigte.  Schrötter,  l.  Abhandig.,  Beil.  XXXV.  ff. 


*il>4         Österreich i.^fhe  Reichsges«chichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  48. 

Dem  Reiche  verblieb  demnach  in  dieser  Periode  über  die 
altÖBterreichischen  Lande  die  Lehensheniichkeit,  die  von  Fall  zu 
Fall  (80  noch  am  9.  April  1728)  durch  Einholung  der  Lehensbriefe 
anerkannt  wurde,'-  der  Anspruch  auf  ausgeschriebene  Reichssteuern, 
die  Beistellung  von  Truppen  nach  den  Matilcular- Anschlägen,^ 
endlich  waren  auch  allgemeine  Reichsgesetze  für  Österreich  ver- 
bindlich, soweit  nicht  besondere  Umstände  deren  Wirksamkeit 
ausschlössen.  Zumal  König  Ferdinand  L  war  bemüht,  die  Rechts- 
ausgleichung in  seinen  Gebieten  im  Sinne  einer  Annäherung  an 
die  Reichsgesetzgebung  durchzuführen  (§  43,  5). 

3.  Die  Beziehungen  zu  auswärtigen  Reichsständen,  die  in  den 
österreichischen  Landen  begütert  waren,  wurden  gleichfalls  nach 
den  Bestimmungen  der  österreichischen  Freiheitsbriefe  geregelt, 
d.  h.  die  Erzherzoge  nahmen  auch  über  diese  Besitzungen  die 
landesfürstliche  Obrigkeit  in  Anspruch,  ließen  sich  aber  im  übrigen 
zu  mancherlei  Zugeständnissen  herbei,  so  dass  eine  Classe  zwar 
landsäßiger,  doch  mannigfach  privilegierter  Grundherrschaften 
daraus  entstand.  So  gab  Salzburg  durch  das  Übereinkommen 
zwischen  dem  Erzbischof  Matheeus  und  König  Ferdinand  L  im 
Jahre  1535  seine  landesherrlichen  Ansprüche  über  die  in  den  fünf 
n.-ö.  Landen  zerstreuten  Stiftsgüter  auf  und  behielt  solche  nur 
in  Tirol,  in  den  an  das  Salzburgische  unmittelbar  angrenzenden 
Gegenden.  Ungünstiger  war  schon  damals  die  Lage  der  Bamberger 
Besitzungen  in  Kärnten.  Das  Abkommen,  das  1535  zwischen  dem 
B.  Weigand  und  König  Ferdinand  getroffen  wurde,  hat  die  Foiin 
einer  von  diesem  in  Gnaden  auf  101  Jahre  bewiUigten  ^Ordnung", 
wie  es  auch  bezeichnend  ist,  dass  dasselbe  schon  1611  auf  An- 
suchen des  Bischofs  Johann  Gottfried  auf  weitere  101  Jahre, 
d.  i.  bis  1737  verlängert  wurde.**  Ähnlich  verhielt  es  sich  mit  den 


-Suttinger,  Consuetudines  552 :  Des  Hauses  Österreich  Lehens- 
empfahung;  jene  von  1728  erwähnt  K.  Karl  VI.  selbst  in  seiner  Bestätigung  der 
Haujprivilcgien.  Schrö tter  I,  259.  S.  auch  Häberlin,  Kl.  Schriften,  1775  I.  '28. 

3  Nach  der  W^ormser  Matrikel  von  1521 :  120  Reiter,  600  Fuilgänger  für 
Österreich,  400  Reiter,  600  Fußgänger  für  Böhmen. 

•*  Die  Recesse  mit  Salzburg  und  Bamberg  s.  Landshf.  f.  Kärnten,  S.  188  flf. 
Bamberg  nahm  allerdings  1654  vor  dem  Reichstag  die  Unmittelbarkeit  für  seine 
Besitzungen  in  Kärnten  wieder  in  Anspruch,  entsagte  ihr  aber  durch  den 
Recess  vom  24.  April  1675  für  immer.  Hermann,  Gesch.  v.  Kärnten  II,  2,  S.  20. 


Stellung  der  Hen*scher  zum  deutschen  Reich  und  zu  ihren  Landen.     395 

Besitzungen  der  Bischöfe  von  Passau,  Freising,  Brixen  u.  s.  w., 
die  alle  gleich  Salzburg  und  Bamberg  von  ihren  Besitzungen  in 
Österreich,  mit  den  übrigen  Landständen  den  österreichischen 
Herrschern  Steuern  und  Truppen  zu  stellen  hatten. 

Diese  Mediatisierung  hat  jedoch  die  Verpflichtung  der  öster- 
reichischen Herrscher  zum  Lehensempfang,  soweit  sie  von  aus- 
wärtigen Hochstiften  Lehen  im  Land  besaßen,  nicht  aufgehoben.^ 

4.  Für  die  Stellung  der  österreichischen  Herrscher  in 
ihren  Landen  waren  die  Landesverfassungen  maßgebend,  welche 
mancherlei  Verschiedenheiten  aufwiesen.  Anfänglich  waren  Erb- 
lande nur  die  Fürstenthümer  der  altösterreichischen  Gruppe  und 
jene  Nebenlande  von  Böhmen  und  Ungarn,  die  wie  Mähren, 
Schlesien,  oder  Croatien  die  Erbansprüche  Ferdinand's  und  seiner 
Gemahlin  für  den  Regierungsantritt  gelten  ließen.  In  Böhmen 
und  Ungarn  kam  Ferdinand  nur  durch  Wahl  der  Stände  zur 
HeiTschaft.  Doch  hat  schon  er  in  beiden  Reichen  Beschränkungen 
der  von  den  Ständen  behaupteten  Wahlfreiheit  durchgesetzt.  In 
Böhmen  stellte  er,  als  es  1545  zur  Enieuerung  der  durch  den 
Brand  des  Prager  Schlosses  (1541)  zerstörten  Landtafel  kam, 
statt  des  früheren  Wahlreverses  vom  Jahre  1526  einen  neuen  aus, 
in  den  er  die  Erklärung  aufnahm,  dass  die  Stände  gemäß  der 
Bulle  Kaiser  KarFs  IV.  vom  Jahre  1348  und  dem  Briefe  Vladislav's 
vom  Jahre  1510  seine  Gemahlin  Anna  als  Erbin  der  Krone 
anerkannt  und  angenommen  und  daneben  ihn,  Ferdinand  L,  zum 
König  und  Herrn  gutwUlig  gewählt  hätten.  Die  verrätherische  Auf- 
lehnung der  böhmischen  Ständeherren  zur  Zeit  des  schmalkaldischen 
Krieges  bot,  als  sie  niedergeworfen  war,  Ferdinand  I.  Gelegenheit, 
1547  beim  Landtage  den  Umtausch  des  Wahlreverses  von  1526 
gegen  den  neuern  von  1545,  sowie  die  Zurücknahme  mehrerer 
anderer,  die  königliche  Macht  einschränkender  Anfordeiningen 
durchzusetzen.  Im  ganzen  blieb  jedoch  die  frühere  Landesver- 
fassung noch  unberührt.  Desto  größer  waren  die  Veränderungen, 
welche  Kaiser  Ferdinand  IL  als  Besieger  des  großen  Aufstandes 
nach  der  Schlacht  auf  dem  Weißen  Berge  vornahm.  Die  verneuerte 
Landesordnung  vom  Jahr  1627,  welche  fortan  nebst  den  ergänzenden 
Novellen  und  Declaratorien  Kaiser  Ferdinand's  III.  (1640)  bis  zum 

5  Suttinger,  567:  Lehensempfang  der  regensburg.  Herrschaft  Ort.  1654. 


396        österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  48. 

Jahre  1848  die  Grundlage  der  Landesverfassung  bildete,  erklärte 
Böhmen  für  ein  Erbkönigreich,  untersagte  alle  eigenmächtigen 
Versammlungen  der  Landstände  bei  Strafe  des  Hochverraths, 
nahm  das  Recht  der  Gesetzgebung  ausschließlich  für  den  Herrscher 
in  Anspruch,  gewährte  dem  Deutschen  gleiches  Recht  wie  der 
czechischen  Sprache  und  strebte  überhaupt  eine  Annäherung 
Böhmens  an  die  Einrichtungen  der  altösterreichischen  Lande  an. 

5.  Auch  in  Ungarn  wurde  eine  Einschränkung  des  Wahl- 
rechts von  den  Ständen  schon  bei  Lebzeiten  König  Ferdinand's  1. 
mehrmals  ausgesprochen,  namentlich  im  Jahre  1547,  als  der 
Reichstag  seine  Bitte,  König  Ferdinand  möge  dem  Erzherzog 
Maximilian  die  Residenz  in  Ungarn  gewähren,  mit  den  Worten 
begründete,  dass  sich  die  Stände  ja  nicht  bloß  dem  Könige,  sondern 
auch  der  Herrschaft  seiner  Erben  für  alle  Zeiten  unterworfen 
hätten.®  Zum  Erbreich  wurde  jedoch  Ungarn  erst  durch  den 
Gesetzesartikel  2  vom  Jahre  1687,  welcher  das  Erbrecht  der 
männlichen  Mitglieder  des  Hauses  Habsburg  nach  dem  Vorrang 
der  Erstgeburt  anerkannte,  was  durch  die  Zustimmung  zur 
pragmatischen  Sanction  (Gesetzartikel  2  vom  J.  1722/23)  auch  auf 
weibliche  Linien  ausgedehnt  wurde.  Nur  für  den  Fall  des  gänzlichen 
Erlöschens  der  Habsburger  in  männlicher  und  weiblicher  Linie 
behielten  die  Stände  auch  fernerhin  das  Recht  der  Königswahl. 

6.  Die  Absicht  der  österreichischen  Herrschier,  an  Stelle 
einer  losen  Vereinigung  von  Ländern  einen  Gesammtstaat  zu  setzen, 
ließ  sich  nur  durch  eine  allmähliche  Ausgleichung  der  in  den  Länder- 
verfassungen vorhandenen  Verschiedenheiten  erreichen.  Diesen  Plan 
konnten  sie  einzig  bei  der  altösterreichischen  und  der  böhmischen 
Ländergruppe  verwirklichen  und  auch  dazu  wäre  es  nicht  ge- 
kommen, wenn  nicht  die  Herrschergewalt  in  diesem  Zeiträume  durch 
ein  Zusammentreffen  verschiedener  Umstände  ganz  ungemein  er- 
starkt wäre.  Zu  nennen  sind  als  solche: 

a)  die  geänderte  Auffassung  von  der  Aufgabe  des  Staates, 
durch  Aufstellung  des  Begriffs  der  Staatswohlfahrtspflege  (Polizei), 
welcher  der  Regierungsgewalt  neue  Wirkungskreise  eröffnete: 


®  Mon.  Comihalia  regni  Hungarise  III  134,  Art.  5,  nam  cum  sese  Ordine:^ 
et  Status  Regni  non  solum  Majestät!  subb,  sed  ctiam  suorum  haBredum  imperio 
et  potestati  in  omne  tempus  subdiderint,  so  würden  sie  dem  Erzhei*zog  ebenso 
Gehoream  leisten,  wie  dem  Könige  selbst.  S.  auch  G.  A.  1,  1550, 1,  1552, 1,  u.  s.  w. 


Ursachen  der  wachsenden  Horrschergewalt.  397 

h)  die  Einbürgerung  des  römischen  Rechts,  welches  an  sich 
der  unbeschränkten  Pürstenmacht  um  so  viel  günstiger  war  als 
der  Landesbrauch.  Im  weiteren  Verlaufe  wurden  theils  mit  Absicht, 
theilfl  ohne  solche,  römischrechtliche  Constructionen  auch  ins  Staats- 
recht getragen.  So  wurde  beispielsweise  der  deutschrechtliche 
BegriflF  der  zweiseitig  verbindlichen  „Handfeste*"  durch  „ Privi- 
legium **,  also  einen  einseitigen  Gnadenact  ersetzt; 

c)  die  Veränderungen  im  Heereswesen  seit  dem  30jährigen 
Kriege  die  zur  bleibenden  Aufstellung  eines  größeren  kaiserlichen 
Heeres  neben  den  Truppenkörpem  der  Landschaften  und  schließlich 
zur  Militärhoheit  führten,  während  andererseits  die  Bedeutung  der 
Vasallendienste  schwand,  seitdem  der  s.  g.  persönliche  Auszug  des 
Herrschers  an  der  Spitze  der  Lehensmannen  wegfiel.  (In  Steiermark 
zuletzt  im  Jahre  1601  gegen  Kanisa); 

d)  auch  die  Gegenreformation,  so  sehr  sie  ih  anderen  Beziehungen 
den  Staat  geschädigt  und  namentlich  den  Staatswohlstand  zerrüttet 
hat,  bot  den  Herrschern  die  verlockende  Gelegenheit  zu  einem  Macht- 
zuwachs, da  sie  sich  so  mit  einem  Schlage  vieler  widerstrebender 
Unterthanen  entledigen  und  überdies  die  landesfürstlichen  Rechte 
gegenüber  der  katholischen  Kirche  erweitem  konnten.  Außerdem  hat 
erst  die  Vernichtung  des  mächtigen  erbgesessenen  Landes-Adels  durch 
diese  Maßregel  dem  Fürsten  es  möglich  gemacht,  jenen  durch  ge- 
fügigere Geschlechter  zu  ersetzen  und  so  Herr  der  Stände  zu  werden. 

§  49.  Die  Erbfolgeordnung  im  Herrscherhause  und  die  Länder- 

theilnngen. 

Bach  mann  A.,  Die  pragmatische  Sanction  (Pra^rer  Jurist.  VieiHieljahres- 
Schrift,  Bd.  26).  —  Bidermann,  Entstehung  und  Bedeutung  der  pragmatischen 
Sanction  (Zeitschr.  f.  Privat  u.  öffentl.  Recht,  II,  1875);  Gesaramtstaatsidee 
II,  41  ff.  —  Fournier,  Histor.  Studien  u.  Skizzen.  1885,  I.  —  Hauke, 
16,  42  ff.  —  Huber,  Rg.,  128  ff.  —  Häberlin,  Kl.  Schriften,  I,  8. 12  ff.  (1775). 
—  Schrötter  F.,  5.  Abhandlung  1766.  (Als  Fortsetzung:  Hormayr,  Über 
Minderjährigkeit  1808.)  —  Zwiedineck,  Die  Anerkennung  der  pragmatischen 
Sanction  Karl's  VI.  durch  das  Deutsche  Reich.  (Mitth.  d.  Instit.  f.  öst.  Gesch.  XVI.) 

1.  Die  Nachfolge  in  der  Regierung  richtete  sich  innerhalb 
der  drei  Gruppen  Altösterreich,  Böhmen  und  Ungarn  nach  ver- 
schiedenen Grundsätzen.  Der  Besitz,  welchen  die  Enkel  Kaiser 
Maximilian's  in  den  Jahren  1519—1522  in  Händen  hatten,  Spanien 


398        Österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  49. 

Burgund  und  Altösterreich,  war  durchaus  mit  Vorzug  des  Manns- 
stammes auch  in  weiblicher  Linie  vererblich,  allein  er  war  zu  ver- 
schiedenartig  in  seinen  Bestandtheilen  und  zu  entlegen,  um  auf 
die  Dauer  geraeinsam  verwaltet  zu  werden.  Eine  Theilung  des- 
selben erwies  sich  darum  als  politische  Nothwendigkeit  und  eine 
solche  erfolgte  schließlich  am  7.  Februar  1522  durch  den  Brüssler 
Verti*ag,  der  an  die  Stelle  des  bisher  einheitlichen  Herrscherhauses 
zwei  habsburgische  Dynastien  mit  durchaus  selbständiger  Rechts- 
stellung setzte.  Für  die  Nachfolge  in  den  altösterreichischen 
Landen,  die  dem  Erzherzog  Ferdinand  zugefallen  waren,  gab  es 
(nebst  späteren  Theilungsverträgen)  das  Übereinkommen  Herzog 
Rudolfs  IV.  mit  seinen  Brüdern  vom  Jahre  1364,  nach  welchem 
das  belehnte  Haus  als  Träger  der  Landeshoheit  erscheint,  während 
in  Ausübung  der  Hoheitsrechte  dem  Ältesten  nur  „die  oberste  Herr- 
schaft und  die  größte  Gewalt*  zugesprochen  und  dies  dahin  erklärt 
wird,  dass  er  als  Stellvertreter  der  übrigen  zu  betrachten  sei. 

In  Böhmen  galt  seit  der  Erneuerung  des  Wahlreverses  im 
Jahre  1545,  beziehungsweise  seit  Erlassung  der  vemeuerten  Landes- 
ordnung im  Jahre  1627,  Primogenitur  mit  unbedingtem  Vorzug  des 
männlichen  Stammes ;  in  Ungarn  konnte  es  selbst  nach  der  theil- 
weisen  Beschränkung  des  Wahlrechts  nur  eine  Individual-Nach- 
folge  geben,  die  durch  die  Gesetzartikel  2  vom  Jahre  1687  zur 
Erbfolge  der  männlichen  Habsburger  nach  dem  Rechte  der  Erst- 
geburt wurde. 

2.  Während  in  Ungarn  und  Böhmen  die  Einzelerbfolge  als 
verfassungsmäßig  seit  Kaiser  Ferdinand  I.  durchaus  beobachtet 
wurde,  war  dies  in  den  altösterreichischen  Landen  noch  keineswegs 
der  Fall.  Kaiser  MaximUian  hatte  die  österreichischen  Erblande 
durch  Testament  seinen  beiden  Enkeln  „als  unsern  rechten  natür- 
lichen Erben*"  zur  gesammten  Hand  hinterlassen  und  auf  diesen 
Umstand  gestützt,  hat  auch  Erzherzog  Ferdinand  sein  Theiluags- 
begehren  bei  seinem  Bruder  durchgesetzt.  Nun  war  allerdings 
im  Jahre  1530  die  Bestätigung  der  Hausprivilegien  durch  Kaiser 
Karl  V.  erfolgt,  welche  sich  u.  a.  auch  auf  die  Bestimmung 
des  Privilegium  majus  erstreckte:  ,.der  ältist  unter  denen  Herzogen 
soll  die  Herrschaft  des  Lands  haben,  und  nach  ihm  sein  ältister 
Sohn  erblich,  doch  also,  dass  es  von  dem  Stammen  des  Bluts 
nicht   komme  und   daß  diß   Erzherzogthumb  nimmermehr 


Grundsätze  der  Erbfolgeordnung.  Die  Theilung  vom  Jahre  1554.       399 

getheilt  soll  werden.  Wo  aber  bemelte  Fürsten  ohne  Erbsohn 
abgiengen,  so  soll  das  Herzogthumb  und  die  Land  an  sein  älteste 
verlassene  Tochter  fallen".  Demungeachtet  dauerte  es  geraume 
Zeit,  bis  diese  Grundsätze  ins  Verfassungsrecht  der  altösterreichischen 
Lande  Eingang  fanden*  Die  Privilegien  waren  ja  nicht  den  Landen, 
sondern  dem  Herrscherhause  gegeben,  und  dieses  mochte  wohl, 
wenn  es  wollte,  auf  einzelne  kaiserliche  Zugeständnisse  ver- 
zichten, ohne  dass  die  Lande  einen  Einspruch  dagegen  gehabt 
hätten.  Dies  war  mindestens  die  Auffassung  Kaiser  Perdinand's  L, 
der  sein  Recht,  aus  landesfürstlicher  Macht  Verfügungen  über 
die  Nachfolge  zu  treflfen  und  Theilung  der  Lande  anzuordnen, 
den  steirischen  Ständen  gegenüber  in  nachdrücklichster  Weise 
geltend  machte.^  In  der  That  entschloss  er  sich  am  25.  Februar  1554 
mit  Zustimmung  seiner  Söhne  eine  „Auszaigung"  vorzunehmen, 
d.  i.  eine  weitgehende  Verwaltungstheilung  anzuordnen,  durch 
welche  er  Böhmen,  wo  das  Erstgeburtsrecht  galt,  und  Ungarn, 
wo  die  Einzelnachfolge  verfassungsmäßig  war,  seinem  Ältesten 
nebst  dem  Erzherzogthum  Österreich  überließ,  auf  welches  das 
in  den  bestätigten  Hausprivilegien  ausgesprochene  Erstgeburtsrecht 
und  die  Untheilbarkeit  in  einschränkender  Auslegung  bezogen 
wurden.  Abgesehen  von  einigen  Vorrechten  MaximiHan's  als 
des  Ältesten,  an  dessen  Rath  die  beiden  Brüder  verwiesen 
wurden,  waren  jedoch  Erzherzog  Ferdinand  in  Tirol  und  den  Vor- 
landen und  Erzherzog  Karl  in  Inneröstereich  in  der  Regierung 
nur  soweit  beschränkt,  dass  weitere  Theilungen  untersagt  waren. 
Da  beim  Erlöschen  des  Mannsstammes  einer  dieser  drei  Linien  die 
andern  zur  Nachfolge  berufen  waren,  so  verlangte  nach  dem  Tode 
Erzherzog  Ferdinand's  von  Tirol  (f  1595)  die  steirische  Linie  ihren 
Antheil  in  Form  einer  neuen  „Auszeigung",  einigte  sich  aber  durch 
den  Prager  Vergleich  vom  5.  Februar  1602,  nach  dem  Grundsatze 
des  gleichen  Rechts  beider  Linien  mit  dem  Kaiser  über  die  Be- 
stellung eines  Gubernators,  der  Tirol  und  die  Vorlande  im  Namen 


^  1564:  So  habt  Ir  auch  selbstverstendiglich  zu  ermessen,  dass  euch  als 
unsern  Erbunterthanen  gar  nichte  geburen  wurde,  über  unser  väterliche  Disposition 
und  Taylung  die  wir  aus  landesfürstlicher  Autorität  und  Macht  unserm  genedigsten 
Wohlgefallen  nach  zwischen  unsern  geliebten  dreyen  Sünen  unserer  ....  Land 
khünfcigen  Succession  ....  halber ....  gemacht .  .  .  erst  vil  zu  disputiren  u.  s.  w. 
Die  Stände  gaben  kloin  bei.  Beitr.  z.  Kde.  st.  Geschq.  IX,  155.  Anm.  91. 


400        Österreichische  Reichsgeschichte.  IL  Theil.  Vierte  Periode.  §  49. 

des  ganzen  Hauses  regieren  und  abwechselnd  aus  der  einen  und 
andern  Linie  genommen  werden  sollte. 

Als  das  Erlöschen  der  kaiserlichen  Linie  näher  rückte, 
giengen  dem  Übergang  der  Herrschaft  auf  Erzherzog  Ferdinand 
von  Innerösterreich  die  Verzichte  der  spanischen  Linie  (1617) 
und  des  kinderlosen  Erzherzog  Albrecht  (1619)  voraus.  Ferdinand, 
der  nun  den  Besitz  der  ältesten  und  der  jüngsten  Linie  vereinigte, 
sah  sich  jedoch  veranlasst,  Tirol  und  die  Vorlande,  wo  sein  Binder 
Erzherzog  Leopold  seit  1619  als  Gubernator  waltete,  diesem  mit 
dem  Rechte  eines  „Aigenthumbsherm"  und  der  Vererblichkeit 
auf  den  Mannsstamm  abzutreten,  durch  welchen  Act  die  jüngate 
Tiroler  Linie  ins  Leben  gerufen  wurde,  die  1665  erlosch  (s.  Stamm- 
tafel). Damit  enden  die  Ländertheilungen  im  Hause  Habsburg, 
denn  die  von  Kaiser  Leopold  I.  in  seinem  Testamente  vom 
26.  AprU  1705  für  seinen  jüngeren  Sohn  Karl  vorgesehene  Aus- 
zaigung  von  Tirol  und  den  Vorlanden,  falls  er  sich  in  Spanien 
nicht  würde  behaupten  können,  kam  nicht  zur  Ausführung,  da  Karl 
nach  dem  Tode  seines  Bruders  Kaiser  Joseph's  I.  als  einzig  lebender 
Habsburger  zur  Herrschaft  in  den  gesammten  Erblanden  gelangte. 

3.  Die  Ländertheilungen  brachten  den  Gedanken,  dass  durch 
die  Gesammtbelehnung  der  Anspruch  auf  die  Regierung  dem 
ganzen  Herrscherhause  zustehe,  in  einer  Zeit  zum  Ausdruck, 
in  der  die  Erinnerung  an  den  einheitlichen  Ursprung  der  über- 
tragenen landesherrlichen  Gewalt  —  an  das  untheilbare  Fürsten- 
amt —  schon  verblasst  war.  Erwägungen  staatsrechtlicher  Natur 
drängten  jedoch  im  Interesse  der  Gesammtstellung  des  Herrscher- 
geschlechts seit  dem  Übergang  zur  Neuzeit  immer  entschiedener 
zu  einer  Beschränkung  der  Rechte  der  einzelnen  Mitglieder  durch 
Einführung  der  Primogenitur.  Erst  dadurch,  dass  nun  eine  feste 
unstreitige  Erbfolgeordnung  nach  Linien  geschaffen  wurde,  kraft 
welcher  der  Erstgeborene  der  ältesten  Linie  gegenüber  allen 
anderen  als  Nachgebornen  allein  zur  Herrschaft  berufen  er- 
scheint, konnte  die  Monarchie  als  moderne  Staatsform  begründet 
werden. 

4.  Die  ganze  Tragweite  dieser  Einrichtungen  hat  in  Österreich 
als  Erster  der  Herzog  Rudolf  IV.  erkannt,  der  bei  seinem  Scharf- 
blick in  staatsrechtlichen  Dingen  sofort  nach  Verkündigung  der 
Goldenen  Bulle  die  darin  für  die  Kurfürstenthümer  ausgesprochenen 


Ende  der  Ländertheilungen ;  die  Pragmatische  Sanction.  401 

Grundsätze  der  Untheilbarkeit  und  der  Nachfolge  nach  dem  Rechte 
der  Erstgeburt  durch  das  Privilegium  majus  auch  für  seine  Erb- 
lande aufstellte.  Später  hat  sich  Kaiser  Maximilian  mit  der  gleichen 
Frage  beschäftigt  und  dabei  die  Dienste  des  bekannten  Humanisten 
Dr.  Konrad  Peutinger,  sowie  des  Dompropstes  von  Brixen  in  An- 
spruch genommen,^  allein  er  hat,  vom  Tode  überrascht,  die  Ent- 
scheidung seinen  Nachfolgern  überlassen.  Erst  Erzherzog  Karl 
von  Innerösterreich  hat  mit  Berufung  auf  des  Hauses  Österreich 
wohl  hergebrachte  Freiheiten  (Priv.  majus)  durch  das  Testament 
vom  Jahre  1584  für  sein  Ländergebiet  Untheilbarkeit  und  Primo- 
genitur eingeführt  und  die  nachgebornen  Söhne  auf  eine  Jahres- 
rente gesetzt.  Kaiser  Ferdinand  IL  hat  dann  in  seinem  Testamente 
vom  10.  Mai  1621  die  gleichen  Grundsätze  kraft  kaiserlicher 
und  landesfürstlicher  Hoheit  fortan  für  alle  seine  „Erbkönigreich, 
Erzherzogthümer,  Fürstenthümer  Land  und  Leute"  angeordnet  und 
dieselben  auch  durch  Nachgiebigkeit  gegen  die  Ansprüche  seines 
Bruders  Leopold  in  der  Tiroler  Linie  zur  Anerkennung  gebracht. 
5.  Zum  Abschluss  gelangten  diese  auf  Sicherung  der  Nach- 
folge und  Untheilbarkeit  des  Reiches  gerichteten  Bestrebungen 
früherer  Herrscher  unter  Kaiser  Karl  VI.  durch  die  pragmatische 
Sanction.  Diese  ist  jedoch  weder  ein  bloßes  Hausgesetz,  noch  ein 
einheitliches  Staatsgrundgesetz.  Sie  besteht  vielmehr  aus  ver- 
schiedenen Urkunden,  nämlich  aus  der  vom  Kaiser  am  19.  April  1713 
im  geheimen  Staatsrath  zu  Protokoll  gegebenen  Feststellung,  dass 
die  von  ihm  beherrschten  Lande  ungetheilt  nach  dem  Recht  der 
Erstgeburt  im  Mannsstamme  und  nach  dessen  Erlöschen  ebenso 
in  weiblicher  Linie  zu  vererben  seien,  und  aus  den  darüber  von 
den  Landen  und  kleineren  Gebieten  später  (1720  flF.)  eingeholten 
Annahme-Erklärungen.  Diese  entbehren  zwar  einer  alle  Theile  der 
Monarchie  gleichmäßig  verpflichtenden  Textierung,  bringen  jedoch 
den  Grundgedanken  zu  verfassungsmäßiger  Anerkennung,  dass  einer- 
seits Böhmen  und  die  übrigen  Erblande,  andererseits  die  Länder  der 
ungarischen  Krone  einen  untrennbaren  und  untheilbaren  Verband 
zu  bilden  haben. 

-  Eigenhändige  Entwürfe  Peutinger's  über  die  Umgestaltung  der  Osten*. 
Lande  in  ein  nach  dem  Rechte  der  Erstgeburt  vererbliches  Königreich,  Wien,  H.  B. 
Cod.  8117,  f.  45.  Die  Hauptstellc  über  die  Nachfolge  des  als  König  in  Aussieht 
genommenen  Erzherzog's  Ferdinand'»  bei  Schrötter,  V,  198,  Anm.  a. 

Lage  hin,  österreichische  Reichsgeschichte.  26 


402        Österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  41». 

6.  Die  pragmatische  Sanction  ist  f  Ur  die  Länder  der  ungarischen 
Krone  ein  zwischen  dem  Herrenhaus  und  den  Ständen  als  Ver- 
tretern des  Landes  abgeschlossener  Grund  vertrag,  durch  den 
das  Erbrecht  der  weiblichen  Linien  in  Ungarn  erat  zur  Aner- 
kennung gelangte.  Für  die  übrigen  Erblande  hatte  aber  die  prag- 
matische Sanction  in  diesem  Punkte  nur  den  Wert  einer  Declaration, 
well  die  Primogenitur  in  männlicher  und  weiblicher  Linie,  sowie 
die  Untheilbarkeit  hier  im  Testament  Kaiser  Ferdinand's  IL  vom 
10.  Mai  1621  schon  als  Hausgesetz  vorgeschrieben  war.  Allein 
die  zustimmenden  Erklärungen  der  Stände  zu  der  von  Kaiser  Karl  VI. 
im  Jahre  1713  verkündeten  Thronfolgeordnung  hatten  auch  eine 
staatsrechtliche  Wirkung,  die  sich  auf  alle  Erblande  erstreckte,  die 
Begründung  einer  Kealunion  in  dem  Sinne,  dass  kein  Land 
sich  fürderhin  von  den  übrigen  lossagen  kann,  ohne  dem  damals 
gegebenen  Worte  untreu  zu  werden.  Der  Fürst.*  welcher  bis  dahin 
jedes  einzelne  Land  in  anderer  Eigenschaft  beherrscht  hatte,  stand 
nunmehr  jedem  derselben  bis  zu  einem  gewissen  Herrschaftsgrade 
in  gleicher  Eigenschaft  als  anerkannter  gemeinsamer  Fürst 
gegenüber.  Dem  Verzichte  auf  spontane  Trennung,  welcher  in 
den  Zustimmungserklärungen  der  einzelnen  Länder  ausgesprochen 
wurde,  der  InseparahlUtas  entsprach  so  die  seitens  des  Herrscher- 
hauses gegebene  Zusicherung,  dass  es  von  seinem  Theilungsrechte 
fortan  keinen  Gebrauch   mehr  machen   werde,  die  Indivisibilitas. 

7.  An  der  Thronfolgeordnung  selbst  wurde  durch  die  prag- 
matische Sanction  —  entgegen  einer  sehr  verbreiteten  Ansicht  — 
in  der  That  nichts  geändert.  Der  Vorzug  der  Erbtochter  vor 
den  Regredienterbinnen  war  in  Österreich  —  seit  der  Anerkennung 
des  Privilegium  majus  durch  das  Reich  —  ein  für  das  Herrscher- 
haus verbindlicher  Rechtssatz,  der  weder  durch  das  viel  berufene 
Pactum  mutuce  successionis  vom  Jahre  1703,  noch  durch  das 
Testament  K.  Leopold's  I.  aufgehoben  wurde.  Dies  war  die  Uber- 

3  Zu  wesentlich  gleichem  Ergebnis  gelangt  auch  Beksics,  a.  a.  O.  187  ff., 
obgleich  er  der  Ansicht  ist,  dass  das  Verliältnis  zwischen  üngani  und  den 
übrigen  Erblandcn  auch  fernerhin  Personalunion  geblieben  sei,  „nur  mit  dem 
Untei-schiedo,  dass  die  Personalunion  durch  die  pragmatische  Sanction  noth- 
wendig  und  unauflöslich  wurde,  die  Monarchie  selbst  aber  in  beiden  Staaten 
zusammen  besessen  werden  musste".  Daraus  folge  eine  .wechselseitige  und 
solidarische  Vertheidigungspflicht,  S.  197  u.  s.  w.  Ähnlich  Vi rozsil,   HI,  §00' 


Die  Erbfolgeordnung  dnrch  die  Pragmatische  Sanction  nicht  geändert.    403 

Zeugung,  die  K.  Karl  VI.  hegte,  der  darum  in  der  feierlichen  Sitzung 
des  Staatsraths  voreret  das  Pactum  mutuae  successionis  verlesen 
ließ,  ehe  er  seine  daraus  abgeleitete  Thronfolgeordnung  als  Sanctio 
Pragmatica  verkündete,  sowie  er  auch  Abschriften  des  Pactums  mit 
dem  Protokolle  der  Sitzung  den  Ständen  zur  Kenntnisnahme  sandte,* 
als  er  die  Zustimmungserklärungen  der  Lande  verlangte. 

Vollends  unverständlich  aber  wäre  die  Haltung  der  verwitweten 
Kaiserin  zu  der  Feststellung  der  Thronfolgeordnung  durch  die 
pragmatische  Sanction,  wenn  den  Töchtern  Kaiser  Josefs  I.  ein 
unbedingter  Vorzug  vor  jenen  K.  Karl's  durch  das  Pactum  mutuae 
successionis  eingeräumt  gewesen  wäre.  Denn  die  Kaiserin -Witwe 
war,  wie  der  preußische  Resident,  Rath  Mörlin,  vier  Tage  nach 
<lem  feierlichen  Staatsacte  an  seinen  König  berichtete,  „wie  leicht 
zu  ermessen  über  diesen  allerhand  Difficultäten  unterworfen  ge- 
wesenen Ausspruch,  wodurch  nunmehr  das  Successionsrecht  der 
beiden,  von  dem  Kaiser  Josepho  erzeugten  Erzherzoginnen  fest- 
gestellt sehr  erfreut,  und  dieses  zwar  um  so  viel  mehr,  weil 
man  zweifeln  wollte  dasä  Ihre  Kaiserliche  Majestät  auf  dergleichen 
Art  sobald  etwas  Gewisses  resolvieren  würden*". 

§  50.  Die  Landstände. 

Historische  Actenstücke  über  das  Ständewesen  in  Österreich,  I—  VI,  1847/48. 

—  Die  böhmischen  Landtagsverhandlungen  und  Landtagsboschlüsse  vom  J.  1526 
an;  bisher  8  Bde.  bis  1594.  —  Monura.  comitialia  regni  Hungarise,  10  Bde., 
1526—1604;  desgl.  regni  Transylvanise.  8  Bde.,  1540-1629.  —  Chlumecky, 
Carl  V.  Zierotin,  1862/79,  2  Bde.  —  Jäger  A.,  Die  alte  ständische  Verfassung 
Tirols.  1848.  —  Kalchberg,  Ursprung  und  Verfassung  der  Stände  Steiermarks, 
ges.  Sehr.  III.  —  Krön  es,  in  den  Beitr.  z.  Kde.  stoir.  Geschqu.,  I— IV,  VI.  — 
Loser th,  Die  steir.  Religions-Paciflcation,  1572—1578,  a.  a.  0.  XXVII.  - 
Oberieitner,  Die  evangol.  Stände  im  Lande  ob  der  Enns  1564—97  (1862).  — 
PMbram,  Die  n.-ö.  Stände  und  die  Krone  in  der  Zeit  K.  Leopold's  L  (Mitth.  d. 
Instit.  f.  ö.  G.,  XIV).  —  Riegger,  Materialien  z.  Statistik  v.  Böhmen,  XI  (1793). 

—  Simon  H.,  Die  ständischen  Verhältnisse   des  Königreichs  Böhmen,  1848. 

1 .  Eine  Geschichte  der  österreichischen  Landstände  seit  dem 
Jahre  1526  in  zusammenhängender  Darstellung  ist  bisher  nicht 

*  Der  Abdruck  des  Pactum  m.  s.  bei  Fournier  ist  nach  der  den  Ständen 
von  Österr.  u.  d.  E.  gemachten  Vorlage.  Die  Hschr.  695,  der  Grazor  Universitäts- 
bibliothek, enthält  es  ebenfalls  unter  den  zur  Mittheilung  an  die  i.-ö.  Stände  und 
die  Communitäten  Triest  und  Fiume  bestimmten  ActenstUcken. 

26* 


404        österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  50. 

einmal  für  ein  einzelnes  Kronland,  geschweige  denn  für  das  ganze 
Reich  geliefert  worden.  Vorhanden  sind  neben  Quellenausgaben  für 
Böhmen,  Ungarn  und  Siebenbürgen,  die  noch  nicht  zum  Abschluss 
gebracht  sind,  fast  nur  Bearbeitungen  einzelner  Perioden,  oder  Ab- 
handlungen über  einzelne  Landtage  dieses  oder  jenes  Kronlands.  Bei 
solchem  Stande  der  Vorarbeiten  kann  eine  allseitig  gerundete  Dar- 
stellung dieses  Gegenstandes  nicht  Aufgabe  eines  Lehrbuches 
sein,  es  muss  sich  vielmehr  darauf  beschränken,  einzelne  große 
Gesichtspunkte  aufzustellen,  von  welchen  aus  das  Wirken  und  die 
Geschicke  der  Stände  in  Österreich  zu  beurtheilen  sind. 

2.  Die  Macht  der  Landstände  hieng  während  dieses  Zeitraumes^ 
enge  zusammen  mit  den  Schicksalen,  die  der  Protestantismus  in  Öster- 
reich erlebte.  Um  dies  zu  verstehen  muss  man  davon  ausgehen,  dass 
der  Gegensatz  zwischen  den  Absichten  des  Erzherzogs  Ferdinand  und 
den  auf  größeren  Einfluss  in  Regierungsangelegenheiten  gerichteten 
Plänen  der  Landstände,  bis  auf  die  Zeit  seines  Heri-scherantritt* 
zurückgeht.  Das  W.- Neustädter  Blutgericht  (§  41,  6)  hatte  die 
Landstände  wohl  eingeschüchtert,  allein  da  sie  weit  davon  entfernt 
waren,  die  Ansprüche  aufzugeben,  auf  welche  sie  nach  dem  Lauf 
der  geschichtlichen  Entwicklung  ein  Recht  zu  haben  vermeinten, 
so  waren  sie  auf  Sammlung  ihrer  Kräfte  und  Veretärkung  ihrer 
Stellung  angewiesen.  Dies  konnten  sie  am  besten  erreichen,  wenn 
es  ihnen  gelang,  festen  Rückhalt  für  ihre  Bestrebungen  in  breiten 
Schichten  der  Bevölkerung  zu  gewinnen.  So  kam  ihnen  das  Miss- 
trauen zustatten,  mit  dem  man  vielerorten  die  auf  Einschränkung 
der  früheren  Autonomie  abzielenden  Maßregeln  des  Erzherzogs 
betrachtete,  noch  mehr  aber  die  große  religiöse  Bewegung,  welche 
gerade  damals  in  ihren  ersten  Anfängen  aus  Deutschland  nach 
Osterreich  herübergriflf  und  deren  Volksthümlichkeit  die  Stände  sofort 
scharfsichtig  erkannten.  Wer  kann  es  wissen,  wie  sich  die  Dinge 
gestaltet  hätten,  wenn  in  diesem  Augenblicke  Erzherzog  Ferdinand 
offen  auf  die  Seite  der  kirchlichen  Reformation  getreten  wäre? 
Undenkbar  ist  es  nicht,  dass  dann  die  Prälatenbank  den  Krystalli- 
sationskern  für  die  widerstrebenden  Stände  abgegeben  hätte  und 
dass  der  Kampf  um  die  Vorherrschaft  der  fürstlichen  Gewalt  von 
Ferdinand  im  Verein  mit  dem  Bürger-  und  Bauernstand  gegen  Adel 
und  katholische  Geistlichkeit  hätte  ausgefochten  werden  müssen. 
Es  lag  indessen  für  Ferdinand  keine  Veranlassung  vor,  sein  Ver- 


Der  Protestantismus  als  politisches  Mittel  der  Landstände.  405 

halten  in  dieser  Frage  von  seinem  Bruder  Kaiser  Karl  V.  zu  trennen, 
und  dieser  hatte  sich  für  den  Versuch  entschieden,  die  Neuerungen 
im  Bunde  mit  der  alten  Kirche  zu  bekämpfen,  auf  deren  bewährte 
Organisation  er  vertraute.  So  hielten  also  die  Habsburger  unentwegt 
zum  Katholicismus  und  suchten  mit  dessen  Hilfe  ihre  Herrscher- 
ge\valt  zu  befestigen,  während  die  Landstände  sich  ebenso  in  ihrer 
großen  Mehrzahl  für  Luther  entschieden.  Da  aber  der  Kaiser  seit 
dem  Wormser  Edict  die  Bekämpfung  der  religiösen  Neuerungen 
von  reichswegen  verfügte  und  Erzherzog  Ferdinand  Gleiches  für 
seine  Erblande  verkündete,  so  wurde  das  protestantische  Bekenntnis 
in  Österreich  zu  einem  Act  der  Opposition  gegen  den  Willen  des 
Landesfürsten  und  erhielt  dadurch  einen  politischen  Inhalt, 
der  ihm  an  sich  nicht  zukam. 

3.  Angesichts  des  drohenden  Bauernaufstandes  in  Tirol  wurde 
1525  nebst  der  Landesordnung  auch  eine  provisorische  Ordnung 
des  geistlichen  Standes  genehmigt,  die  in  manchen  Bestimmungen 
der  religiösen  Bewegung  angepasst  war.  Schon  das  Jahr  darnach 
gelangte  auf  dem  Augsburger  General -Landtage  von  den  Aus- 
schüssen aller  Erblande  an  den  Erzherzog  die  Bitte,  er  möge,  wie 
er  es  für  Tirol  schon  bewilligt  habe,  auch  in  den  übrigen  Erb- 
landeu  gestatten,  dass  das  lautere  Evangelium  ohne  allen  Zusatz 
durch  geschickte  Prediger  frei  von  Furcht  und  Sorge  verkündet 
werden  dürfe.  Erzherzog  Ferdinand  antwortete  ablehnend,  allein 
von  diesem  Augenblicke  an  ertönten  nahezu  durch  ein  Jahrhundert 
bei  jeder  Gelegenheit  die  Bitten,  Beschwörungen,  auch  wohl 
Drohungen  und  Forderungen  der  evangelischen  Stände  um  Ge- 
währung ungestörter  Ausübung  und  Ausbreitung  der  evangelischen 
Religion  in  Österreich.  Die  Stände  beriefen  sich  zur  Begründung 
ihrer  Ansprüche  selbst  auf  den  Augsburger  Religionsfrieden,  aller- 
dings sehr  mit  Unrecht,  wie  ihnen  von  der  Regierung  sofort  entgegnet 
wurde,  da  dieser  die  reichsmittelbaren  Unterthanen  ausdrücklich 
dem  jub'  reformandi  hrer  Landesherren  unterwarf  und  den  Anders- 
gläubigen nur  das  ^flehile  Privilegium  emigrationis"  einräumte. 

Der  formale  Rechtsgrund,  auf  den  sich  die  Protestanten 
damals  in  Österreich  stützen  konnten,  waren  lediglich  die  Zu- 
geständnisse des  Landesherrn.  Gelegenheit,  solche  zu  erlangen 
boten  die  ewigen  Geldnöthen  des  Fürsten  und  der  Staatsverwaltung, 
indem  die  Landstände,  bei  welchen  die  Protestanten  entschiedenes 


406         österreichische  Reichsgeschichte.  IL  Theil.  Viei-te  Periode.  §  50. 

Übergewicht  erlangt  hatten,  die  Bewilligung  größerer  Hilfen  von  der 
Erfüllung  ihrer  Wünsche  abhängig  machten.  Über  den  Inhalt  und 
Umfang  der  so  erreichten  landesfdrstlichen  Zusagen  gab  es  jedoch 
fortwährend  Streit,  weil  ihnen  die  Stände  in  ihrem  Sinn  eine 
möglichst  ausdehnende  Auslegung  gaben,  während  die  Erzherzoge 
den  strengen  Wortlaut  betonten,  diesen  aber,  von  Fällen  der  Ver- 
wirkung  abgesehen,  allerdings  einhielten. 

4.  In  den  böhmischen  Landen,  wo  das  Übergewicht  des 
Herrenstandes  gegenüber  den  machtlosen  Jagellonen  zum  Wort- 
spiel Anlass  gab:  „Du  bist  unser  König,  wir  sind  deine  Herren", 
fanden  die  gemeinsamen  Interessen  der  akatholischen  Bevölkerung 
bei  dem  Kampfe  der  Stände  gegen  die  königliche  Macht,  seit 
Ferdinand  I.  umfassenden  Ausdruck  im  Ringen  nach  Gewissens- 
freiheit. Ihrer  Gesammtheit  kamen  die  Zugeständnisse  des  Majestäts- 
briefes zustatten,  dass  fortan  niemand,  weder  von  den  höheren 
Ständen,  noch  aus  den  Städten,  Märkten  oder  vom  Bauernvolk^ 
sei  es  durch  seine  Obrigkeit  oder  andere  geistliche  und  weltliche 
Standespersonen,  „von  seiner  Religion  abgewendet  und  zu  des 
Gegentheils  Religion  mit  Gewalt  oder  einiger  anderer  erdachten 
Weis  gedrungen  werden"  dürfe.  Vielen  von  ihnen  frommte  übei- 
dies  das  Recht,  neue  Kirchen  zu  bauen  oder  Schulen  zu  errichten. 
Darüber  hinaus  gieng  jedoch  die  Opferwilligkeit  der  oberen  Stände 
in  Böhmen  nicht,  die  in  ihrer  Kurzsichtigkeit  lieber  alle  früheren 
Erfolge  aufs  Spiel  setzten,  statt  auf  die  Vorschläge  des  staats- 
klugen Führers  der  österreichischen  Protestanten,  Georg  Erasera 
von  TschernembI,  einzugehen,  der  ihnen  im  Jahre  1620  als  einzige 
Rettung  in  ihrer  verzweifelten  Lage  die  Gewinnung  des  kleinen 
Mannes  durch  Aufhebung  der  Leibeigenschaft  und  gerechtere 
Steuer vertheilung  empfahl.^ 

5.  Weiter  als  in  Böhmen  giengen  die  oberen  Stände  in  den 
fünf  n.-ö.  Landen,  indem  sie  auch  gemeinnützige  Einrichtungen 
schufen,  die  allen  Bewohnern  des  Landes  zustatten  kamen.  Die 
Landschaften  in  Innerösterreich  z.  B.  öffneten  ihre  Schulen  auch 
talentvollen  Bürger-  und  Bauernsöhnen  und  statteten  diese  über- 
dies mit  Stipendien  zum  Besuche  auswärtiger  Universitäten  aus. 
um  sich  den  Nachwuchs  tüchtiger  Prediger  unter   den  Landes- 

1  Gindely,  Dreißigjähriger  Krieg,  I,  206. 


Sorge  des  protestantischen  Adels  für  seine  Glaubensgenossen.         407 

kindeni  zu  sichern.^  Die  slavische  Bevölkerung  in  Innerösterreich 
dankt  ebenso  den  deutschen  evangelisclien  Ständen  die  erste  Pflege 
der  Volkssprache;  nicht  bloß  die  Bibel,  sondern  auch  viele  Er- 
bauungsschriften wurden  mit  Unterstützung,  sei  es  einzelner  Stände- 
mitglieder,  sei  es  der  Landschaften  von  Steiermark,  Kärnten  und 
Krain,  ins  Windische  und  Croatische  übersetzt,  allerdings  mit  der 
trügerischen  Hoffnung,  dass  man  durch  solche  Mittel  auch  dem 
Wüthen  der  Türken  auf  der  Balkanhalbinsel  steuern  könnte.^ 

6.  Bei  dem  harten  Ringen  um  das  politische  Übergeviricht,  das 
zwischen  den  Landschaften  und  der  Regierung  bis  zum  Jahre  1620 
mit  wechselndem  Erfolge  wogte,  kamen  den  Landständen  die 
Einrichtungen  ihrer  hochentwickelten  Verwaltung  (§  54)  sehr  zu- 
statten. Auch  gewahren  wir  Avährend  dieser  Zeit  überall  einen 
Zusammenschluss  zwischen  dem  protestantischen  Adel  und  den 
Glaubensverwandten  in  den  landesfürstlichen  Städten  und  Märkten, 
der  selbst  zu  förmlichen  Bündnissen  führte.  Noch  darüber  hinaus 
giengen  die  Verabredungen  von  Land  zu  Land  zur  Erhaltung  des 
Glaubens  und  die  Werbungen  um  Fürsprache  bei  evangelischen 
Reichsständen.  Die  Regierung  hat  allerdings  die  Gesetzlichkeit 
solcher  Schritte  nie  anerkannt.  Sie  bestritt,  dass  die  dem  Adel 
gemachten  Vergünstigungen  in  Glaubenssachen  auch  den  im  l.-f. 
Eigenthum  stehenden  Städten  und  dem  übrigen  Kammergut  (ein- 
schließlich der  Pfandschaften)  ertheilt  worden  seien,  und  weigerte 
sich,  die  Abgeordneten  der  l.-f.  Städte  und  Märkte  in  solchen  An- 
gelegenheiten neben  den  obern  Ständen  zu  empfangen,  in  Inner- 
österreich mit  Erfolg,  nicht  so  in  Österreich  und  Böhmen.  In 
Österreich  setzten  die  obern  Stände  ungeachtet  aller  Gegenvorstel- 
lungen Khlesl's  durch,  dass  König  Matthias  am  21.  Februar  1610 
die  landesfürstlichen  Städte  und  Märkte  ausdrücklich  als  vierten 

3  E  Iz  e.  Die  Universität  Tübingen  u.  die  Studenten  aus  Krain,  1877,  S.  60  ff. 
—  Peinlich  im  Jahresber.  des  I.  Staatsgyran.  Graz,  1875,  S.  46 ff. 

^  Zeugnis  der  Sachverständigen,  dass  Stephan  Consuls  Übersetzung  gut 
croatisch  sei  v.  J.  1559,  bei  Kos  treu  öiC,  Urk.  Beitr.  z.  Gesch.  d.  protest.  Südsiaven, 
1874,  8.  2.  ,  Damit  wirdet  verhoffentlich  die  recht  christlich  Religion  and  das 
wäre  heilsam  Gvangeli  durch  die  ganz  Türkhey  gefürdert,  Türkhenherz  und 
Gemuct  zu  christlichem  Glauben  emewert,  ihrem  Wueten  gewert"  u.  s.  w.,  vergl. 
auch  S.  10,  49  u.  ö.  über  den  Antheil  der  Stände  an  diesen  Übersetzungen  vgl. 
die  Arbeiten  von  Th.  Elze  in  dem  Jahrbuch  der  Geselischaft  für  Geschichte  des 
Protestantij'raus  in  Österreich,  1880  ff. 


408        Östen*eichische  Reichsgeschichte.  11.  Theil.  Vierte  Periode.  §  50. 

Stand  anerkannte  und  ihnen  die  früheren  Versprechungen  in 
Glaubenssachen  erneuerte;  in  Böhmen  kam,  wie  schon  erwähnt,  der 
Majestätsbrief  auch  den  königlichen  Städten  zugute.  Aber  auch  die 
Verbote  der  eigenmächtigen  Adelsversammlungen  und  Bündnisse 
durch  den  Landesherrn  haben  —  selbst  in  Innerösterreich  —  lange 
Zeit  nicht  gefruchtet.  Erzherzog  Ferdinand  II.  erhielt  noch  1605 
auf  seine  Erklärung  im  steirischen  Landtag,  dass  er  alle  „Con> 
ventus  der  Herren  und  Landleute",  die  ohne  seine  Bewilligung 
geschehen,  bei  großer  Ungnad  und  Strafe  verbiete,  nur  die  aus- 
weichende Antwort,  „weilen  dergleichen  Con ventus  umb  Rettung 
des  lieben  Vaterlands  willen  und  anderer  Justicien  necessarie  sein 
muessten",  so  möchte  sie  der  Erzherzog  „in  keinem  andern  Ver- 
stand explicieren  und  vermerkhen**. 

7.  Hat  in  solcher  Weise  der  feste  Zusammenschluss  des 
protestantischen  Adels  mit  der  gleichgesinnten  Bürgerschaft  manchen 
schwerwiegenden  Erfolg  dem  Landesfürsten  abgerungen,  so  lag 
andererseits  in  der  Thatsache,  dass  der  politische  Gegensatz 
zwischen  der  Autorität  des  Herrschers  und  den  Ansprüchen  der 
Landstände  zuletzt  mit  der  Verschiedenheit  des  Glaubensbekennt- 
nisses zusammenfiel,  auch  eine  große  Gefahr  für  die  Verfechter 
der  alten  Autonomie.  Zunächst  musste  es,  als  der  Kampf  um  den 
neuen  Glauben  zur  Hauptsache  wurde,  auch  innerhalb  der  Land- 
stände zu  einer  Spaltung  nach  Bekenntnissen  kommen,  die  sich 
in  dem  Maße  erweiterte,  als  die  Angriffe  heftiger  wurden.  Immer 
lockerer  wurde  das  Band  der  Interessengemeinschaft,  das  bishin 
den  geistlichen  und  weltlichen  Großgrundbesitz  vereinigt  hatte, 
bis  es  auch  wohl  zu  förmlicher  Trennung  kam.  Die  Stände  erUtten 
dadurch  einen  nicht  unbedeutenden  Verlust  an  Kraft,  denn  die 
Prälatenbank  trat  schließlich  entschieden  auf  die  Seite  der  Re- 
gierung und  zog  auch  manchen  Adeligen  mit  sich,  der  beim  alten 
Glauben  geblieben  war  und  nun  in  die  Reihen  des  Hofadels  eintrat. 
Die  so  verstärkte  Macht  des  Landesfürsten  konnte  nunmehr  von  den 
Befugnissen  Gebrauch  machen,  die  ihr  durch  den  Augsburger 
Religionsfrieden  schon  seit  langem  verliehen  worden  waren  und 
durch  die  Gegenreformation  zu  einem  vernichtenden  Schlage  gegen 
die  ständische  Opposition  ausholen. 

8.  Die  Gegenreformation,  die  weit  mehr  zu  politischen  Zwecken, 
als  um  kirchlicher  Interessen  willen   erfolgte,*  wurde  lange  vor- 


Die  Gegenreformation  als  politische  Maßregel  des  Fürsten.  409 

bereitet  und  in  der  Art  darchgeführt,  dass  die  Widerstandskraft 
der  Stände  erst  geschwächt  wurde  und  dass  dann  noch  Jahre  ver- 
strichen, ehe  der  Hauptschlag  fiel.  In  Innerösterreich  traf  diese 
Maßregel  seit  1598  die  landesfürstlichen  Städte  und  Märkte,  während 
die  Ausweisung  der  akatholischen  Herren  und  Landleute  erst  1628 
erfolgte.  In  Österreich  rieth  Khlesl  dem  König  Matthias  im  Jahre 
1609,  er  möge  die  österreichischen  Städte  durch  Privilegien  an  sich 
ziehen,  jedoch  die  Privilegien  jener,  die  nicht  recht  katholisch  wären, 
vorerst  unbestätigt  lassen.  In  Böhmen,  wo  der  Gegensatz  bis  zur 
offenen  Empörung  der  Stände  gediehen  war,  erlitten  nach  der  Schi  acht 
auf  dem  Weißen  Berge  die  Schuldigen  erst  Gilterconfiscationen, 
dann  traf  die  Gegenreformation  die  Städte  und  Märkte  und  erst 
zum  Schlüsse  auch  den  Adel. 

9.  Mit  der  Durchführung  der  Gegenreformation  war  die 
Niederlage  des  ständischen  Princips  in  Österreich  der  Hauptsache 
nach  entschieden;  die  Erlassung  der  verneuerten  Landesordnungen 
gab  diesem  Umschwung  offenkundigen  Ausdruck.  Böhmen  rückte 
nun  in  die  Reihe  der  übrigen  Erbländer  ein:  das  Recht  der  Gesetz- 
gebung wurde  dem  König  vorbehalten,  die  hohe  Geistlichkeit,  seit 
den  Tagen  Kaiser  Karl's  IV.  aus  dem  Landtage  geschieden,  wurde 
zum  ersten  politischen  Stand  des  Königreichs  erklärt.  Wohl  gab 
es  auch  weiterhin  in  den  österreichischen  Landen  sowohl  einen 
Herren-  als  Ritterstand,  die  eiferaüchtig  ob  ihren  Vorrechten  wachten, 
allein  beide  setzten  sich  jetzt  vorwiegend  aus  zugewanderten 
fremden  Geschlechtern  oder  geadelten  Beamtenfamilien  zusammen, 
sie  hatten  daher  weder  das  Selbstgefühl,  noch  die  Widerstands- 
kraft des  alten  erbgesessenen  Landesadels,  der  mit  den  Geschicken 
seines  Landes  seit  Jahrhunderten  verwachsen  war.  Und  nun  vollends 
die  landesfürstlichen  Städte  und  Märkte.  Seit  der  Gegenreformation 
und  dem  dreißigjährigen  Kriege  durchwegs  verarmt,  wurden  sie 
fortan,  da  die  früher  wirksamen  Beweggründe  weggefallen  waren, 
von  den  obern  Ständen  kaum  mehr  im  Landtag  geduldet. 

10.  So  zeigen  also  die  Landstände  in  Österreich  nach  dem 
Jahre  1630  sowohl  in  ihrer  Zusammensetzung  als  in  ihrer  Wirk- 
samkeit gegen  früher  ein  ganz  verändertes  Bild.  Jene  Größe  in 
der  Auffassung  ihrer  Stellung,  welche  die  Landstände  im  16.  Jahr- 
hundert auszeichnete,  als  sie  im  Kampfe  um  die  Autonomie  und 
den  Glauben  allgemeine  Interessen  im  Lande  vertraten,  war  nun 


410         Österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  50. 

einer  gewissen  Müdigkeit  und  zunehmenden  Engherzigkeit  gewichen. 
Von  wahrhaft  gemeinnützigen  Anstalten  und  Einrichtungen,  die 
sie  seitdem  neu  geschaffen  hätten,  finden  sich  kaum  Spuren,  viel- 
mehr sanken  jetzt  die  Landschaften  immer  mehr  zur  einseitigen 
Vertretung  der  Interessen  des  Großgrundbesitzes,  sowie  zur  Ver- 
sorgunganstalt für  die  verarmenden  landständischen  Familien  und 
die  landschaftlichen  Bediensteten  herab.  Nur  das  Misstrauen  gegen 
die  Regierung  war  ihnen  geblieben  und  sogar  gesteigert,  denn  wer 
sich  schwach  fühlt,  wird  leicht  auch  die  wohlmeinende  Absicht 
eines  Mächtigern  mit  Besorgnis  betrachten.  Daher  der  Widerstand 
gegen  alle  Neuerungen,  selbst  wenn  sie  berechtigt  waren  und  die 
Verschleppung  der  von  den  Herrschern  zur  Herbeiführung  einer 
größeren  Rechtsübereinstimmung  (§  45,  3)  geforderten  Gesetz- 
gebung. Wie  leicht  begreiflich,  verloren  darum  „die  Herren  Stände" 
fortwährend  an  Boden  in  der  Bevölkerung.  Das  war  der  Regierung 
sehr  wohl  bekannt,  zumal  sich  dieselbe  mit  der  Zeit  auch  die 
streng  gehüteten  Ausweise  über  die  Finanzgebarung  der  Land- 
schaften zu  verschafl'en  gewusst  hatte.* 

1 1 .  Wäre  die  Regierung  nicht  fortwährend  in  Geldverlegen- 
heiten gewesen,  durch  welche  sie  an  den  Credit  der  Landschaften 
angewiesen  blieb,  so  wäre  das  .Ende  der  Landesfreiheiten-, 
das  von  den  Landständen  erst  in  den  Tagen  der  Kaiserin  Maria 
Theresia  und  Kaiser  Josefs  IL  beklagt  wurde,  wohl  weit  früher 
eingetreten.  So  begnügten  sich  die  Herrscher,  mit  dem  Anwachsen 
der  Geldauslagen  auch  ihre  Anforderungen  an  die  Stände  zu 
steigern,  führten  selbständig  indirecte  Abgaben  (Apalti,  Stempel, 
Tabak)  ein  und  schritten  in  verzweifelten  Fällen  sogar  zu  eigen- 
mächtiger Aueschreibung  von  directen  Auflagen,  wie  der  Türken- 
steuer im  Jahre  1682.  Mochte  gleich  die  Steuerfreiheit,  wie  in 
Steiermark,  e.n  Artikel  der  bestätigten  Landesfreiheiten  sein,  so 
war  doch   die  Steuerbewilligung  an  sich  schon  zur  Förmlichkeit 

*  So  enthält  z.  B.  Fase.  18.353  a  des  HotTtararaerarchivs  in  Wien  u.  a. 
eine  Speciflcation,  was  von  Anno  1625—1717  in  Krain  auf  Gnadengaben,  Ver- 
ehrungen, Ritterzebrungen  und  Hochzcit«präsenten  verwendet  worden,  dann 
gethaner  Nachlass  und  ausgeworfene  Grundsteuern.  Jeder  Buchstabe  hat  sein 
Heft  und  am  Schlüsse  ziffernmäßige  Zusaramcnstellungen.  Personen  mit  dem 
Anfangsbuchstaben  A  hatten  z.  B.  in  den  93  Jahren  von  1625—1717  nicht  weniger 
als  330.154  fl.  54  lir.  IV2  Pf-  aus  obigen  Titeln  an  Landschaftsgeldem  beliomraen. 


Sinkende  Macht  der  Landständo  seit  der  Gegenreformation.  411 

herabgesunken,  nur  das  Ausmaß  der  ^Contribution"  und  die  Art 
der  Bedeckung  kamen  für  die  Stände  noch  ernstlich  in  Betracht.^ 
Man  begniigte  sich  die  Form  der  Steuerfreiheit  zu  retten,  indem 
die  Landschaft,  wie  bespielsweise  1682  in  Steiermark,  statt  der 
durch  den  Kaiser  ausgeschriebenen  Türkensteuer  „nach  Proportion 
jedwederen  seines  Vermögens  eine  freiwillige  Gab,  Türkensteur 
oder  Hilf  zum  Türkenkrieg,  aus  eigenem  Beutel  ohne  Entgelt  des 
Unterthans"  anbot  und  nur  um  einen  Schadlosbrief  sowie  die 
Steuereinhebung  durch  landschaftliche  Organe  bat.  Und  selbst 
diese  Vorbehalte  ließen  sich  nicht  mehr  lange  aufrecht  halten. 
Die  Schadlosbriefe,  auf  deren  pünktliche  Einhändigung  die  Stände 
anfangs  so  streng  bestanden,  wurden  immer  unregelmäßiger  aus- 
gestellt und  verscliwanden  seit  Kaiser  Josef  I.  gänzlich.^  Dafür 
begannen  nun  die  s.  g.  Recesse,  d.  h.  Vereinbarungen  zwischen 
der  Regierung  und  den  Ständen,  welche  für  eine  längere  Reihe 
von  Jahren  die  jährliche  Beitragsleistung  der  Landschaften  in  vor- 
hinein feststellten  und  somit  einer  alljährlichen  Bewilligung  ent- 
zogen.^ Allerdings  vermochten  die  Landschaften  selbst  in  dieser 
gedrückten  Lage  immer  noch  der  Regierung  durch  ihr  Wider- 
streben ernstliche  Verlegenheiten  zu  bereiten,  nur  darf  man  diese 
nicht  zum  Maßstab  der  vorhandenen  Stärke  des  ständischen  Ein- 
flusses machen,  da  sie  sich  viel  eher  als  Folgen  großer  Mängel 
in  der  staatlichen  Finanzverwaltung  darstellen. 

12.  Ganz  anders  war  freilich  die  Lage  der  Stände  in  Ungarn. 
Hier  hatte  der  Wiener  Friede  vom  Jahre  1606  die  religiösen  Ver- 
hältnisse durch  Gleichstellung  der  christlichen  Bekenntnisse  dauernd 
geregelt.  Nicht  bloß  der  hohe  und  niedere  Adel,  sondern  auch 
alle  Bewohner  der  landesfdrstlichen  Städte  und  Märkte  hatten  so 

^  So  in  Innerösterreich ;  aber  auch  in  Böhmen  war  es  nicht  anders.  Vergl. 
Tom  an,  73.  Darum  Icann  ich  mich  keineswegs  der  Ansicht  anschließen:  dass  man 
noch  zu  K.  Leopold's  Zeiten  in  den  Erblanden  und  speciell  in  Österreich  u.  d.  E. 
von  bedeutenden  Erfolgen  der  Krone  gegenüber  den  obern  Ständen  nicht  gut 
sprechen  könne,  die  PMbram  in  seiner  angeführten  Abhandlung  vertritt. 

^  Der  letzte  Schadlosbrief  für  Steiermark,  den  Kaiser  Leopold  I.  ausstellte, 
ist  vom  Jahre  1701,  3.  Dec.  Dann  folgte  noch  einer  unter  Kaiser  Josef  I.  am 
13.  August  1707,  mit  dem  diese  Urkundenreihe  schließt. 

^  In  Österreich  wurde  schon  1689  mit  den  Ständen  ein  Recess  auf  zwölf 
Jahre,  in  Steiermark  1715  ein  solcher  auf  zehn  Jahre  geschlossen.  Pf-ibram, 
8.  628,  Anm.  1.,  und  steir.  L.-A. 


412        Österreichische  Reichsgeschichte.  IL  Theil.  Vierte  Periode.  §  50. 

das  Recht  der  freien  Religionswahl  und  -Übung  erhalten.  Damit 
fiel  in  Ungarn  jener  Interessen-Gegensatz  zwischen  den  katholischen 
und  akatholischen  Ständen  hinweg,  welcher  in  den  altösterreichi- 
schen Landen  dem  Herrscher  vor  allem  die  thatsächliche  Möglich- 
keit geboten  hatte,  die  Gegenreformation  durclizuführen  und  die 
Macht  der  Stände  zu  brechen.  Dazu  kam  ihnen  die  Gunst  der 
politischen  Lage  zustatten,  denn  gegenüber  den  Aufreizungen  durch 
Frankreich  und  bei  der  Nachbarschaft  des  Türken  war  die  Re- 
gierung vielfach  zur  Rücksichtnahme  auf  den  zu  großer  Unge- 
bundenheit  neigenden  Sinn  der  Bewohner  genöthigt,  was  anderwärts 
wegfiel.  Dies  die  Gründe,  weshalb  selbst  nach  den  glücklichen  Feld- 
zügen gegen  die  Türken,  die  mit  österreichischem  und  deutschem 
Blut  und  Geld  ausgefochten  wurden,  den  Ungarn  gegenüber  niemals 
von  der  Theorie  der  Verwirkung  Gebrauch  gemacht  wurde,  ob- 
gleich dazu  die  Aufstände  unter  Tökölyi  und  Rakoczy  äußeren 
Anlass  genug  geboten  hätten.  Daher  behielt  Ungarn  innerhalb  der 
habsburgischen  Besitzungen  eine  Sonderstellung,  die  seinen  Ständen 
auch  durch  den  Gesetzartikel  III  vom  Jahre  1722/23  zugesichert 
wurde,  wogegen  diese  im  Jahre  1687  dem  unbeschränkten  Wahl- 
recht, in  dessen  Besitz  sie  seit  Matthias  IL  gekommen  waren,  zu 
Gunsten  der  männlichen  Habsburger  und  durch  die  pragmatische 
Sanction  auch  für  die  Dauer  der  weiblichen  Linien  entsagten. 

13.  Die  verfassungsmäßige  Zusammensetzung  und  bis  zu 
einem  gewissen  Grade  auch  der  Wirkungskreis  der  Stände  hatte 
in  den  habsburgischen  Landen  bei  mancher  Verschiedenheit  im 
einzelnen,  im  ganzen  doch  übereinstimmende  Zuge.  Sieht  man 
von  Vorarlberg  ab,  wo  der  Landtag  nur  aus  Abgeordneten  der 
Städte  und  der  Gerichte  bestand,  so  ist  überall  die  Sonderung 
der  Obern  von  den  untern  Landständen  nachweisbar,  die  mit 
dem  Unterschied  zusammenfällt,  ob  jemand  kraft  eines  ihm  per- 
sönlich zustehenden  Rechts,  also  ungebunden®  am  Landtage  theil- 
nehraen  konnte,  oder  aber  als  gewählter  Vertreter  einer  Körper- 
schaft durch  die  Vollmacht  seiner  Auftraggeber  beschränkt  war. 
Dabei  konnte  selbst  der  Umstand,  ob  jemand  auf  eigene  Kosten 
anwesend  war  oder   ob   ihm  Tagegelder  vergütet  wurden,  von 

^  Eifersüchtig  vertheidigten  die  Steirer  ia  den  J.  1582/82  ihr  Recht,  dass 
ein  jeder  Herr  und  Landmann  »in  denen  offenen  Landtagen  mit  seiner  Stimb  frei 
sein  und  darumben  von  Niemantes  ihme  soll  eingesprengt  werden".  St.  L.-A. 


Die  Unterscheidung  von  obem  und  untern  Landständen.  418 

Bedeutung  werden.**  So  betrachtet,  erschienen  die  abgegebenen 
Stimmen  nicht  als  gleichwertig  und  dadurch  erklärt  es  sich,  dass 
Vollversammlungen  und  schon  gar  VoUberathungen  im  Landtage 
nur  ausnahmsweise  vorkamen.  Regel  war,  dass  nach  Entgegen- 
nahme der  landesfiirstlichen  Botschaft  die  obern  wie  die  untern 
Stände  für  sich  allein  beriethen,  mochten  die  Vorlagen  gemeinsam 
sein,  oder  die  Ständegruppe  als  solche  betreffen. 

14.  Diese  Eintheilung  der  Landstände  entsprach  aber  auch 
der  vom  Mittelalter  übernommenen  Gliederung  der  Gesellschaft. 
Noch  gab  der  Besitz  von  unbeweglichem  Gut  ein  solches  Über- 
gewicht, dass  jeder  Großgrundbesitzer  im  Lande  in  dieser  Eigen- 
schaft ohne  weiters  schon  zu  den  obern  Landständen  gehörte,  bis 
durch  die  Aufstellung  des  Begriffs  der  Landmannschaft  (Incolat) 
gewisse  Grenzen  gezogen  wurden.  Daher  gehörten  die  Inhaber 
höherer  Kirchenämter  überall  (in  Böhmen  allerdings  erst  wieder 
seit  1627,  vergl.  Anhang  I,  8  und  §  42,  12)  gleich  den  Angehörigen 
der  8.  g.  Herrengeschlechter  zu  den  höhern  Ständen,  ebenso  in 
den  altösterreichischen  und  böhmischen  Landen  der  rittermäßige 
Adel,  der  in  dem  Maße,  als  seine  lehensrechtliche  Abhängigkeit 
von  den  Herren  an  Bedeutung  verlor,  reicher  wurde  und  für  seine 
Güter  allmählich  die  Vorzüge  des  Großgrundbesitzes  erlangte.^® 
Somit  zählten  hier  nur  die  landesfürstlichen  Städte  und  Märkte, 
in  Tirol  überdies  die  Vertreter  der  Bauernschaft  in  den  freien 
Gerichten,  zu  den  untern  Landständen.  Anders  in  Ungarn,  wo  im 
Jahre  1608  durch  den  1.  Gesetzesartikel  nach  der  Krönung  des 
Königs  Matthias  IL  die  schon  früher  angebahnte  Theilung  des 
Reichstages  in  ein  Oberhaus  mit  persönlichem  Stimmrecht  der 
anwesenden  Prälaten  und  Herrenstandsmitglieder  (Prselati  et  Ba- 
rones  seu  Magnates)  und  in  ein  Unterhaus  mit  den  Abgeordneten 

^  Nur  in  Tirol  bezogen  alle  Landtagsraitgliedcr  „Liefergeldcr"  anderwärts 
hatten  nur  die  gewählten  Vertreter  auf  Kostenersatz  Anspruch.  Der  Versuch 
der  Ritterschaft  in  Böhmen,  bei  den  Landtagen  auf  Kreiskosten  zu  erscheinen, 
wurde  unter  Ferdinand  I.  aufgegeben. 

^^  Ob  der  Enns  hatten  im  Jahre  1567  die  Erben  des  rittermäßigen  Hans  Jörger 
zu  Nentharting  das  höchste  struerpflichtige  Einkoramen  im  Lande  1685  11.,  gegen 
14<J0  fl.  der  Abtei  Kremsmünster  oder  935  fl.  der  Gräfin  von  Schaumberg.  Auch  die 
Einkünfte  des  Ritters  Hiilebrand  Jörger  zu  Brandegg  (560  fl.)  und  der  Erben 
nach  Georg  von  Bergheim  (775  fl.)  waren  höher  als  bei  der  Mehrzahl  der  Abteien 
und  Herrengeschlechter.  Ober  leitner,  16. 


414        österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  50. 

des  Comitatsadels  (nobiles),  der  freien  königliehen  Städte  und 
endlich  der  im  Landtag  nicht  selbst  erschienenen  Magnaten  bleibend 
gefestigt  wurde." 

15.  Diese  Absonderung  der  untern  von  den  obern  Ständen 
führte  jedoch  hüben  und  drüben  der  Leitha  zu  ganz  verschiedenen 
Ergebnissen.  In  Ungarn  gelangte  im  Laufe  der  Zeit  das  Schwer- 
gewicht des  Einflusses  an  das  Unterhaus  (Ständetafel),  so  dass 
selbst  Mitglieder  der  Magnatentafel  Anträge  oder  Beschwerden 
imr  im  Wege  der  Ständetafel  vorbringen  konnten,  während  in 
den  altösterreichischen  und  böhmischen  Landen  die  Entscheidung 
durchwegs  den  obern  Ständen  verblieb.  Zumal  dann,  wenn  sich 
die  Städte  mit  den  Prälaten  und  dem  Adel  ein  für  allemal  über 
ein  bestimmtes  Ausmaß  ihrer  Beiträge  zu  den  Landeslasten  geeinigt 
hatten  (im  Lande  ob  der  Enns  ein  Fünftel,  in  Steiermark  ein  Viertel, 
seit  1543  ein  Sechstel  später  noch  weniger)  konnte  dies  zu  einer  noch 
stärkeren  Zurückdrängung  der  untern  Stände  führen,  die  dann  von 
der  eigentlichen  Berathung  ganz  ausgeschlossen  wurden  und  nur 
die  Mittheilung  von  der  im  Namen  der  Landschaft  gemachten  Be- 
willigung nebst  der  Aufforderung  zur  Einzahlung  der  auf  sie  ent- 
lällenden  Summe  erhielten.  Die  seit  dem  dreißigjährigen  Kriege 
eintretende  Verarmung  der  landesfürstlichen  Stählte  und  Märkte 
trug  gleichfalls  das  Ihrige  dazu  bei:  um  an  den  Kosten  zu  sparen 
entsandte  nun  manche  Gemeinde  nicht  mehr  einen  eigenen  Ver- 
treter, sondern  bevollmächtigte  auch  ihrerseits  den  Abgeordneten 
eines  anderen  Ortes.  So  sank  die  Bedeutung  der  untern  Stände 
immer  mehr,  und  wenig  half  es,  dass  man  in  Steiermark  einen 
«Marschall  der  landesfürstlichen  Städte  und  Märkte"  aufstellte  und 
demselben  zur  Wahrung  der  Interessen  der  Bürgerschaft  Zutritt 
zu  den  Sitzungen  der  obeni  Stände  und  eine  Stimme  einräumte, 
im  Gegentheil,  dies  zeitigte  die  Ansicht,  dass  dem  vierten  Stande 
überhaupt  nur  diese  eine  Stimme  im  Landtag  gebüre. 

16.  Das  Recht  zur  Ausschreibung  von  Landtagen  stand 
nach  allen  Landesverfassungen  dem  Herrscher  zu,  der  die  Aus- 
führung im    einzelneu   Falle   seinen  Behörden  übertrug.   Dieser 

1^  Virozsil,  III,  31.  Anra.  k.  Er  widerlegt  ferner  hier  durch  Anführung 
tiüherer  Beispiele  die  Ansicht,  als  ob  die  Trennung  des  Reichstiiges  erst  10dl 
durch  zufällige  Umstände  veranlasst  worden  sei.  Die  Bcrathungen  der  obern  und 
untern  Stände  fanden  sogar  in  verschiedenen  Häusern  statt,  so  1565,  1608. 


stände  in  Ungarn;  Einberufung  der  Landtage.  415 

Aufforderung  gegenüber  liatten  die  Eingeladenen  die  Pflicht,  zu 
erecheinen  oder  ihr  Ausbleiben  hinreichend  zu  entschuldigen.  In 
besonders  dringlichen  Zeiten  kam  es  vereinzelt  sowohl  in  den 
altösterreichischen  als  in  den  böhmischen  Landen  (§  40,  11,  §  42,  4) 
vor,  dass  die  Anregung  zu  landtäglicher  Versammlung  auch 
von  anderer  Seite  ausgieng,  in  Ungarn  stand  sogar  dem  Palatin 
bei  Thronerledigungen  die  Ausschreibung  des  Wahl  -  Landtages 
gesetzlich  zu.  Davon  abgesehen,  war  überall  jede  Berufung  des 
Landtages  von  anderer  Seite  als  Eingriff  iii  die  Herrscherrechte 
erklärt  und  mit  strenger  Ahndung  bedroht.  Selbst  das  Einungsrecht, 
das  die  einzelnen  Mitglieder  der  Landschaften  vom  Mittelalter  her 
für  sich  in  Anspruch  nahmen,  wurde  ihnen  von  der  Regierung  ent- 
schieden bestritten,  lange  Zeit  allerdings  ohne  Erfolg,  wie  namentlich 
die  Geschichte  der  Jahre  1600—1620  zeigt. 

17.  Wie  die  Einberufung  selbst,  so  war  auch  die  Bestimmung 
der  Zeit  und  des  Ortes,  wo  sich  der  Landtag  zu  versammeln  habe, 
ins  freie  Ermessen  des  Herrschers  gestellt;  da  jedoch  diese  Ver- 
sammlungen vor  allem  Geldtage  waren,  so  hieng  die  Zeit  von 
dem  einen  bis  zum  nächsten  Landtage  vor  allem  von  den  Um- 
standen der  früheren  Bewilligung  und  den  augenblicklichen  Staats- 
bedürfnissen ab.  Kaiser  Maximilian  I.  hatte  auf  dem  Innsbrucker 
Ausschusstage  eine  Geldhilfe  auf  vier  Jahre  hinaus  erhalten  und 
Ahnliches  strebte  auch  Kaiser  Ferdinand  I.  an,  der  jedoch  nicht 
einmal  Bewilligungen  auf  zwei  Jahre  bleibend  durchsetzen  konnte. 
So  wurde  endlich  die  jährliche  Einberufung  der  Landstände  im 
ganzen  zur  Regel,  bis  unter  Kaiser  Leopold  I.  und  Karl  VI.  der 
Abschluss  von  Recessen  mit  längerer  Dauer  aufkam.  Auch  in  Ungarn 
stand,  wenige  gesetzlich  vorgesehene  Fälle  abgerechnet,  die  Aus- 
schreibung der  Landtage  gänzlich  im  Willen  des  Königs,  bis  endlich 
den  Ständen  auf  ihre  dringende  Bitte  durch  den  1 4.  Gesetzesartikel 
vom  Jahre  1715  die  Abhaltung  von  Landtagen  mit  längstens  drei 
Jahren  Zwischenzeit  zugesichert  wurde. 

18.  Neben  den  eigentlichen  Landtagen,  den  in  der  böhmischen 
Ländergruppe  ab  und  zu  noch  vorkommenden  General-Landtagen 
und  den  zum  Fürstentage  vereinigten  Generalständen  der  schlesi- 
sehen  Herzogthümer^'-^   (die  s.  g.  F'ürsten  und  Stände  Schlesiens) 

12  über  Zusammensetzung  und  Competenz  des  Fürstenta^es  s.  Räch  f  ah  1, 
Organisation  der  Gcsammt-Staatsverwaltung  Schlesiens,  144  ff. 


416         Österreichische  Reichsges^hichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  50. 

kamen  auch  Versammlungen  von  Landtagsmitgliedem  anderer  Art 
vor.  Schon  Kaiser  Maximilian  I.  hatte  Ausschusstage  eingeführt, 
um  eine  größere  Annäherung  seiner  Laude  anzubahnen,  und  in 
dem  Innsbrucker  Ausschusstage,  auf  welchem  er  1518  mit  den 
Abgeordneten  aller  seiner  Pürstenthümer  gemeinsam  verhandelt 
hatte,  schien  der  Keim  zu  einer  künftigen  gesammt-österreichischen 
Vertretung  zu  liegen.  Kaiser  Ferdinand  I.  wollte  auf  diesem,  von 
seinem  Großvater  gelegten  Grunde  weiterbauen  und  hat  nicht  bloß 
allgemeine  Ausschusstage  seiner  Erblande  öfter  einberufen,  sondern 
nach  dem  Anfall  von  Böhmen  und  Ungarn  auch  diese  Reiche 
zu  gemeinsamer  Verhandlung  mit  den  altösterreichischen  Landen 
heranzuziehen  gesucht,  leider  ohne  Erfolg,  w^eil  die  Ländergruppen 
von  ihrem  Herkommen  nicht  weichen  wollten.^^  Selbst  auf  der  Prager 
Zusammenkunft  von  1541/42,  welche  aus  Anlass  drohender  Türken- 
gefahr in  der  That  von  allen  Landen  beschickt  worden  war,  hielten 
sich  nicht  bloß  die  Ungarn,  sondern  auch  die  Tiroler  von  gemein- 
samen Verhandlungen  abseits. 

19.  Nach  dem  Tode  Kaiser  Ferdinand's  I.  ruhten  die  Versuche, 
eine  Gesammtvertretung  der  habsburgischen  Lande  zu  schaffen, 
bis  in  die  Tage  des  Kaisers  Matthias,  der,  im  Jahre  1614  zu  Linz 
inmitten  von  Vertretern  aller  österreichischen  Lande  (auch  von 
Innerösterreich  und  Tirol,  die  nicht  unter  seiner  unmittelbaren 
Herrschaft  standen),  über  die  Mittel  zu  einem  Kriege  gegen  die 
Türken  und  Bethlen  Gabor  berathen  ließ,  wobei  die  Abgeordneten 
der  einzelnen  Länder  ihre  Antworten  getrennt  und  schriftlich  über- 
gaben. Der  Erfolg  entsprach  jedoch  nicht  den  gehegten  Erwartungen 
und  so  dauerte  es  an  40  Jahre,  ehe  es  wieder  zu  Gesammt- 
berathungen  ständischer  Ausschüsse  aus  allen  deutschböhmischen 
Erblanden  kam,  die  sich  mit  dem  Ausmaße  beschäftigten,  nach 
welchem  die  beiden  Ländergruppen  zu  den  von  der  Regierung 
geforderten  Summen  beizutragen  hätten  (1655).  Die  Verhandlungen 
über   die  Decennalrecesse  (1714)  wurden  von  der  Regierung  mit 


13  Bid ermann,  Gesammt-Staatsidee,  I,  3flf.  Gindely,  Der  erste  österr. 
Reichstag  in  Linz,  1614,  S.  B.  40.  Toman,  96.  —  Auf  die  große  Gefahr  für  die 
Krone,  falls  es  damals  schon  gelungen  wäre,  die  Stände  zu  einem  Körper  zu 
verschmelzen  und  diese  später  in  geeinter  Gegnerschaft  dem  Königthnm  entgegen- 
getreten wären,  macht  Rachfahl  aufmerksam,  137.  Vielleicht  hat  eben  die«^ 
Ferdinand  I.  bewogen,  seine  Einigungsvei  suche  aufzugeben. 


Allgemeine  Ausschiisstago;  Rechte  der  Landstände.  417 

den  Ständen  zwar  an  ein  und  demselben  Orte,  nämlich  zu  Wien, 
jedoch  mit  den  Ausschüssen  jedes  Landes  abgesondert  geführt. 

20.  In  Böhmen  und  Mähren  gab  es  neben  den  allgemeinen 
Landtagen  auch  Kreistage.  Eine  ähnliche  Einrichtung  waren  in 
Ungarn  die  General-,  beziehungsweise  Particular  -  Congi'egationen 
der  Comitate.  Außerdem  ergab  sich  in  allen  Erblanden  seit  dem 
16.  Jahrhundert  die  Nothwendigkeit,  eine  dauernde  Vertretung  der 
Landschaft  von  dem  einen  Landtag  zum  andern  zu  schaffen,  sei  es 
zur  Besorgung  der  laufenden  Angelegenheiten,  sei  es  zur  Durch- 
führung bestimmter  Landtagsbeschlüsse,  sei  es  als  Vertrauens- 
männer, wenn  in  dringenden  Fällen  mit  der  Regierung  Verhandlungen 
zu  pflegen  waren  und  die  Zeit  zur  Einberufung  des  Landtages 
mangelte.  Näheres  über  diese  als  Verordnete,  Ausschüsse,  Raitherren 
u,  dgl.  bezeichneten  Organe  der  Landschaft,  sowie  über  die  Kreis- 
tage und  Comitatsversammlungen  wird  des  sachlichen  Zusammen- 
hanges wegen  erst  später  (§  54)  bei  Besprechung  der  landschaft- 
lichen Verwaltung  mitgetheüt  werden. 

21.  Als  die  wichtigsten  verfassungsmäßigen  Rechte  der  Land- 
stände erscheinen  überall  die  Bewilligung  außerordentlicher  Geld- 
mittel und  die  Stellung  landschaftlicher  Truppen,  an  deren  statt 
später  die  Bewilligung  zur  Anwerbung  einer  Anzahl  Recruten  trat. 
Die  Forderungen  der  Regierung  gaben  den  Ständen  Gelegenheit, 
auch  ihrerseits  Wünsche  und  Beschwerden  vorzubringen,  und  oft 
genug  haben  sie  diese  mit  geschickter  Benützung  der  Zwangslage 
schließlich  doch  durchgesetzt,  wenn  auch  der  Herrscher  anfänglich 
widerstrebte.  Allein  ein  principielles  Recht,  die  Bewilligungen  von 
der  Erfüllung  der  landtäglichen  Wünsche  abhängig  zu  machen,  wurde 
von  der  Regiemng  niemals  anerkannt.  Andere  Rechte  der  Land- 
schaften waren  die  Aufnahme  neuer  Ständemitglieder  (Ertheilung  der 
Landmannschaft,  des  Incolats)  und  Mitwirkung  bei  der  Gesetzgebung, 
soweit  diese  die  Rechte  der  Landstände  berührte  und  nicht  dem 
Landesfürsten  vorbehalten  war.  Letzteres  w^ar  nach  der  veraeuerten 
Landesordnung  in  Böhmen  der  Fall,  nur  wurde  den  Ständen  durch 
die  Novellen  und  Declaratorien  Kaiser  Ferdinand's  IIL  vom  Jahre 
1640  (Aa.  IX)  das  Recht  zurückgegeben,  „sich  in  geringeren  Sachen 
die  da  unser  Person,  Hoheit,  Autorität  und  Regalien  nicht  betreffen, 
zu  unterreden  und  Beschlüsse  zu  fassen '',  die  jedoch  erst  nach 
königlicher  Genehmigung  verkündet  werden  durften. 

Lose  hin,  Öiterreichische  ReichBgeschichte.  27 


418     österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  50  u.  51. 

In  den  Wirkungskreis  des  ungarischen  Reichstages  fielen 
außer  den  schon  angeführten  Angelegenheiten  bis  zum  Jahre  1687 
(beziehungsweise  1722/23)  auch  die  Wahl  des  Königs,  ferner  die 
Wahl  des  Palatins,  endlich  auch  noch  die  Beilegung  von  Grenz- 
streitigkeiten, aus  welchem  Grunde  Friedensschlüsse  mit  Gebiets- 
veränderungen den  Ständen  vorzulegen  waren. 

§  51.  Das  Yerhältnis  des  Staates  zur  Kirche  (1500—1740). 

Literatur  bei  §  29.  Zur  Gesch.  der  kirchlichen  Bewegung:  die  älteren 
Werke  von  Rungius,  Rosolenz,  Raupach,  aus  neuerer  Zeit :  Czerwenka, 
Geschichte  der  evangel.  Kirche  in  Böhmen.  2  Bde.,  1869/70.  —  Jahrbuch  der 
Gesellsch.  f.  d.  Geschichte  des  Protestantismus  in  Österreich  (seit  1880,  16  Bde.). 
—  D'  Blvert,  Gegenreformation  in  Mähren  und  Schlesien  (Bd.  30  der  Schriften 
der  histor.  Statist.  Scction,  Brunn,  1895).  —  Hammer,  KhlesVs  Leben,  1847  bis 
1851,  4  Bde.  —  Hub  er,  R.-G.,  175.  —  Robitsch,  Protestantismus  in  Steier-" 
mark,  1859.  —  Sammlung  d.  altern  k.  k.  landesf.  Gesetze  und  Verordnungen  in 
Publico-Ecclesiasticis  v.  J.  1518—1740  (1785).  —  Scherer,  im  österr.  Staat«- 
wörterbuch,  Bd.  IL,  unterm  Schlagwort  »Juden*.  —  Singer,  Histor.  Studien  ü.  d. 
Erbfolge  nach  kathol.  Weltgeistlichen,  1883.  ~  Väzsonyi  W.,  das  Placetura 
regium  nach  ungar. Staatsrecht  (Zeitschr.  f.  ung.  Recht,  I.).  —  Wiedemann  Th., 
Gesch.  d.  Reformation  u.  Gegenreformation  im  Lande  u.  d.  Bnns,  1879—1886, 5  Bde. 

1 .  Das  entschiedene  Eintreten  der  Habsburger  für  die  katho- 
lische Religion,  zu  deren  Wiederherstellung  und  Erhaltung  in 
Österreich  sie  selbst  die  Durchführung  der  Gegenreformation  nicht 
scheuten,  hat  die  Meinung  erzeugt,  dass  der  österreichische  Staat 
seine  Kräfte  völlig  in  den  Dienst  der  Kirche  gestellt  habe.  Was 
schien  wohl  überzeugender  als  die  Sorgfalt,  mit  welcher  späterhin 
der  kirchliche  Lebenswandel  der  Neubekehrten  von  Staatswegen 
überwacht  wurde,  die  Einschärfung  der  Pastengebote  und  der 
österlichen  Beicht  durch  kaiserliche  Gebote  u.  dgl.  m.  Ungeachtet 
dieses  Anscheins  ist  jedoch  obige,  von  vielen  getheilte  Ansicht 
nicht  zutreffend.  Die  Habsburger  waren  überzeugungstreue  An- 
hänger des  alten  Glaubens,  aber  ebensosehr  auch  von  den  Pflichten 
durchdrungen,  die  ihnen  ihre  Herrscherstellung  auferlegte  und 
darum  nicht  gewillt,  ihren  Herrscherrechten  zu  Gunsten  der  geist- 
lichen Gewalt  irgendwie  zu  vergeben.  Sie  haben  im  Gegentheil  die 
Lage  der  katholischen  Kirche  zur  Zeit  der  Reformation  und  Gegen- 
reformation zu  ausgiebiger  Erweiterung  des  jus  circa  sacra  benützt. 
Kaiser  Ferdinand  IL,  der  Vertreiber  der  Protestanten  aus  Öster- 


Erweiterung  des  jus  circa  sacra  seit  dem  Mittelalter.  419 

reich,  ist  nach  dem  richtigen  Urtheile  eines  kirchlichen  Schriftstellers 
zugleich  auch  „der  Grundleger  des  s.  g.  Josephinismus''. ^ 

2.  Begonnen  wurde  allerdings  schon  weit  früher  (§  29,  3) 
mit  der  Einengung  des  kirchlichen  Wirkungskreises,  der  während 
des  Mittelalters  übermäßig  auf  weltliches  Gebiet  sich  vorgeschoben 
hatte.  Als  z.  B.  Guidettus  de  Guidettis  in  seinem  Streite  mit  dem 
Grafen  Heinrich  v.  Hardeck  gegen  diesen  eine  päpstliche  Bannbulle 
erwirkt  hatte,  verbot  Maximüian  I.  im  Jahre  1504  die  Kundmachung 
derselben  in  den  Erblanden  ganz  entschieden,  „dieweU  dieser  Handl 
nit  zu  Rom  sonder  vor  uns  als  Römischen  König,  rechten  Herrn 
und  Landsfürsten  zu  rechtfertigen  gebürt"  und  er  keineswegs 
gewillt  sei,  „um  des  gemelten  Walhen  Fümemen  willen"  an  seinen 
königlichen  und  fürstlichen  Obrigkeiten  Schaden  zu  leiden.* 

3.  An  den  Grundsätzen,  wie  sie  hier  vom  Kaiser  Maximilian  I. 
über  die  Abgrenzung  der  geistlichen  und  weltlichen  Gerichtsbarkeit 
ausgesprochen  wurden,  hielten  in  Österreich  alle  seine  Nachfolger 
fest.  Dem  Bischöfe  von  Wien  wurde  1521  in  einer  Streitsache 
mit  der  Universität  geboten,  „daß  du  hierüber  in  kein  Weg  zu  Rom 
weiter  procedierest,  dann  wo  das  gleich  geschehen,  wurden  wir 
davon  nichts  halten",  und  zwar  mit  vollem  Erfolg,  wie  die  un- 
angefochtene Entscheidung  eines  ähnlichen  Falles  durch  König 
Ferdinand  I.  im  Jahre  1537  beweist.  Im  Jahre  1624  wurde  von 
Kaiser  Ferdinand  IL  mit  Berufung  auf  „gemessene  Resolutionen "" 
Kaiser  Rudolfs  IL  ein  für  allemal  erklärt,  dass  Streitigkeiten  wegen 
geistlicher  Güter  „allein  nacher  Hof  und  vor  Ihro  Majestät  Selbsten 
zM  ziehen  und  zu  entscheiden  seien",  und  dieser  Befehl  in  den 
Jahren  1634  und  1639  neuerdings  eingeschärft.  Im  Jahre  1652 
wurde  der  principielle  Ausspruch  gethan,  welcher  der  geistlichen 
Obrigkeit  nur  die  pure  spiritualia  vorbehielt,  während  mixta  vor 
Räthen  geistlicher  und  weltlicher  Behörden  und  pure  temporcUia 
vor  der  weltlichen  Obrigkeit  allein  auszutragen  seien,  in  den 
Jahren  1655,  1688,  1702  jeder  Eingriff  der  Geistlichkeit  in  die 
landesfürstliche  Instanz  mit  Strafe  bedroht.  Im  Jahre  1695  wurde 
mit  Berufung  auf  eine  Resolution  Kaiser  Ferdinand's  L  vom 
Jahre  1549  „daß  hinfüran  die  Appellationen  so  nicht  Ehe  und 
dergleichen  pur  lauter  geistliche  Sachen  berühren,  nicht  aus  dem 

1  Wiedemann,  I,  629. 

^Hammer,  I,  Beilag.  3—5,  s.  auch  mein  Gerichtswesen,  S.  273,  Anm.  512. 

27* 


420        österreichische  Reicbsgeschichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  51. 

Land  gezogen,  sondern  der  N.-Ö.  Regierung  als  Ihix)  Majestät 
nachgesetzter  Obrigkeit  überantwortet  werden  sollen**,  die  n.-ö. 
Regierung  als  Appellations-Instanz  für  die  bischöflichen  Consistorien 
extra  causas  pure  spirituales  erklärt  und  auch  nicht  zu  Gunsten 
des  päpstlichen  Nuntius  eine  Ausnahme  veratattet  (1715).' 

4.  Zu  den  Gegenständen,  welche  so  dem  Bereich  der  landes- 
fürstlichen Obrigkeit  gewahrt  blieben,  gehörten  nicht  bloß  Processe 
zwischen  Laien  und  Geistlichen  um  Kirchen  und  deren  Güter,  um 
geistliche  Lehenschaft,  Vogtei,  Zehente  u.  dgl.,  sondern  auch  die 
Abhandlung  der  Verlässe  nach  Geistlichen  (1544,  1562,  1689,  1702, 
1721,  1732,  1733)  und  eine  gewisse  Mitwirkung  bei  Besetzung^ 
landesfürstlicher  Pfarren  (1648,  1731).  Die  staatliche  Aufsicht 
erstreckte  sich  außerdem  auf  geistliche  Stiftungen  (1725,  1726^ 
1729,  1733)  und  auf  die  Erhaltung  des  Kirchenvermögens,  ein- 
schließlich der  kirchlichen  Gebäude  (1545,  1552,  1575,  1634,  1675. 
1704,  1733).  Schon  beginnt  der  Staat  auf  dem  Gebiet  des  Ehe- 
rechts, des  Ordenswesens  und  des  Volksschul-Unterrichts  seineu 
Einfluss  geltend  zu  machen :  es  ergehen  staatliche  Eheverbote  vou 
Winkelheiraten  (1550,  1703),  dem  passauischen  Consistorium  wird 
die  Erstattung  von  Berichten  auferlegt,  ob  die  Kinderlehren  fleißig 
gehalten  werden  und  die  Abhaltung  solcher  allen  Klostergeistlichen 
vorgeschrieben  (1701, 1732),  Kinder  dürfen  vor  Erreichung  gewisser 
Jahre  nicht  in  Klöster  aufgenommen  werden  (1526),  1735  eine 
Reform  der  Jesuiten -Gymnasien  unter  dem  Titel  einer  Ordnung 
und  Einrichtung  der  Schulen  erlassen  u.  s.  w.  Aus  Gründen  der 
Gesundheitspflege  ergehen  allgemeine  Gebote,  denen  sich  auch  die 
weltliche  und  Ordensgeistlichkeit  fügen  muss  (1630,  1645),  und 
wurde  im  Jahre  1732  die  Sperrung  des  Friedhofs  zu  St.  Stephan 
in  Wien  angeordnet.* 


®  Vei"gl.  in  obangeführter  Sammlung  die  Actenstücke  Nr.  2  (1521),  6- 
(1537),  21  (1624),  23  (1634),  25  (1689),  29-31  (1652),  34  (1655),  39  (1669 1, 
47  (1688),  49  1695),  53,  54  (1702),  61  (1716),  66  (1721),  72  (1728),  80  (1731), 
82  (1732),  90  (1735). 

^  Ordenswesen-Sammlung  Nr.  4,  63,  65,  86;  Nachlass  der  Geistlichkeit 
Nr.  7,  16,  46,  52,  66,  85,  87 ;  Besetzung  von  Pfarren  u.  s.  w.  Nr.  28,  79,  81 ; 
Stiftungen  Nr.  69,  70,  73,  88;  Kirchenvermögen  Nr.  8,  9,  13,  17,  24,  43,  56,  89; 
Verbot  von  Winkelheiraton  Nr.  12,  55;  Kinderlehre  Nr.  51,  86;  Sperrung  des 
Kirchhofs  Nr.  83;  Geistliche  sind  der  Infectionsordnung  unterworfen:  Wiede- 
mann,  V,  3,  Anm.  1.  Gymnasial-Reform:  Cod.-Au8tr.  IV,  887. 


Stiftungen:  Amortisationsgesetze;  Besteuerung  des  Clerus.  421 

5.  Amortisationsgesetze  gab  es  in  Österreich  schon  seit  dem 
Anfang  des  14.  Jahrhunderts.  Kaiser  Maximilian  I.  hat  dieselben 
im  Jahre  1518  zur  Bestimmung  erweitert,  dass  liegende  Güter  an 
<lie  Geistlichkeit  nur  mit  Zustimmung  der  zuständigen  weltlichen 
Obrigkeit  übertragen  werden  dürften  und  dass  sie  binnen  Jahres- 
frist den  nächsten  weltlichen  Personen  um  einen  angemessenen 
Preis  wieder  zu  verkaufen  seien,  eine  Vorschrift,  die  in  den 
Jahren  1524,  1669,  1716  und  öfters  erneuert  und  im  Jahre  1736 
^uch  auf  die  Erwerbung  von  Ungeld  und  anderen  „trockenen 
<jefällen,  quce  inmobilium  loco  habentur''  ausgedehnt  wurde. ^ 

6.  In  gleicherweise  war  auch  die  landesfürstliche  Besteuerung 
<les  Clerus  durch  die  österreichischen  Landesfürsten  vom  Mittel- 
iilter  her  in  Übung.  Die  n.-ö.  Regierung  berichtete  1523  dem  Erz- 
herzog Ferdinand,  „daß  die  Fürsten  von  Österreich  dermassen  mit 
-<len  Geistlichen  in  allen  Auslagen  und  gemeinen  Hilfen  zu  handeln 
herbracht  und  Gewalt  haben,  daß  Sy  alle  Prelaten  und  ander 
geistliche  Personen  alweg  für  und  als  Ir  Cammergut  in  solchen 
Iren  Anslägen  und  anderen  nach  Irem  Gefallen  und  Notdurft  ge- 
halten". Eben  darum  gab  auch  diese  Behörde  ihrer  Besorgnis  offen 
Ausdruck,  dass  die  Einholung  der  päpstlichen  Zustimmung  zur 
Ausschreibung  einer  Türkenhilfe  von  dem  Einkommen  der  öster- 
reichischen Geistlichkeit  der  landesfürstlicheu  Autorität  zu  schwerem 
Abbruch  gereichen  könnte,  denn  bisher  habe  „kein  Fürst  von 
Österreich  bei  Menschen  Gedächtnus  von  solcher  Hilf  wegen"  sich 
um  eine  päpstliche  Erlaubnis  bemüht,  nun  aber  sei  zu  besorgen, 
<ia8S  in  Zukunft  die  Geistlichkeit  mit  Berufung  auf  den  jetzigen 
Fall  ihre  Leistungen  von  der  Zustimmung  des  Papstes  werde 
abhängig  machen.® 

Die  Auffassung,  dass  die  Besitzungen  der  Geistlichkeit  Kammer- 
gut seien,  begegnet  uns  seit  dieser  Zeit  noch  öfter.  Sie  war  für 
die  böhmischen  Länder  wohl  begründet  (Anhang  I,  15),  kam  jedoch 
auch  anderwärts  vor,  beispielsweise  in  der  Antwort  des  steirischen 
Landtages  auf  die  Vorlage  König  Ferdinand's  im  Jahre  1529,  „die 
Bruderschaften  und  geistlichen  Pfründen  sein  als  Ir  Mt.  Cammerguet 

^  Amortisationsgesetzc :  Sammlung  Nr.  1,  40,  C2,  64,  74,  91. 

^  Buchholtz,  VlII,  142.  Zwei  päpstUche  Bullen  von  1457  und  1459,  die  dem 
Kaiser  Friedrich  III.  eine  mäßige  Besteuerung  des  Clerus  einräumten,  s.  Hammer, 
Khlesrs  Leben,  I,  Beilage  Nr.  11. 


422        österreichische  Reichsgeschichte.  IL  Theil.  Vierte  Periode.  §  51. 

ZU  betrachten*  und  wurde  schließlich  vom  Könige  selbst  geltend 
gemacht,  der  den  Ständen  im  Jahre  1537  androhte,  die  Prälaten 
und  Städte  als  Kammergut  von  den  übrigen  Ständen  abzusondern^ 
falls  diese  die  begehrten  Mittel  verweigern  sollten."^ 

7.  Verhandlungen  mit  dem  Papste  um  außerordentliche  Hilfen 
aus  dem  Kirchenvermögen  oder  dessen  Einkünften  zu  erlangen,, 
hat  König  Ferdinand  noch  1529,  1532  und  1537  geführt.  Dagegen 
unterlag  es  keinem  Zweifel,  dass  die  Geistlichkeit  von  ihren 
liegenden  Gütern  nach  Maßgabe  der  landschaftlichen  Bewilligungen 
ebenso  wie  der  weltliche  Großgrundbesitz  zu  steuern  hatte.  In 
Hinblick  darauf  befahl  auch  König  Ferdinand  L  unterm  20.  März  lo4a 
in  einem  offenen  Ausschreiben  an  alle  Pfründeninhaber  in  den 
fünf  n.-ö.  Landen  die  jährliche  Bezahlung  des  Steueranschlages  an 
die  landschaftlichen  Einnehmer  und  drohte  den  Saumseligen  mit 
„Entsetzung  euerer  inhabenden  Bisthumben,  Prälaturen,  Pfarren^ 
Beneficien".  Als  später  die  Regierung  zur  Ausschreibung  außer- 
ordentlicher Hilfen  ohne  vorgängige  Landtagsbewilligungen  schritt 
(§50,  11),  wurden  diese,  wie  die  einpercentige  Vermögenssteuer 
im  Jahre  1707,  ohne  weiters  auch  der  Geistlichkeit  auferlegt  und 
ungeachtet  der  dagegen  erhobenen  Vorstellungen  erhoben.^ 

8.  Das  Asylrecht,  das  den  bürgerlichen  und  adeligen  Frei- 
häusern um  diese  Zeit  aus  Gründen  allgemeiner  Sicherheit  schon 
stark  eingeschränkt  wurde,  blieb  den  Kirchen  und  Klöstern  noch 
gewahrt,  doch  unter  der  Voraussetzung,  dass  sie  nicht  Receptacula 
der  Übelthäter  seien  (1644).  Nach  einem  unliebsamen  Vorfalle 
führte  dies  1680  zu  dem  Übereinkommen,  dass  Flüchtlinge  bis 
zur  Prüfung  des  Falles  super  capacitate  immunitatis  eccl€siastic(B 
in  dem  ihnen  angewiesenen  Zimmer  unter  dem  Namen  einer  »geist- 
lichen Verwachtung"  durch  Leute  des  weltlichen  Richtere  fest- 
gehalten wurden.® 

9.  Das  Placetum  regium  reicht  in  Ungarn  bis  auf  ein  Decret 
König  Sigismund's  vom  Jahre  1404  zurück  und  bildete  hier  eine 

7  Beitr.  f.  Kde.  st.  Geschqu.  IV,  16.  Buchholtz,  VIII,  143. 

8  Sammlung  Nr.  10,  58.  Der  Erlass  K.  Josefs  I.  vom  15.  Oct.  1707,  mit 
welchem  die  angesnclite  Befreiung  abgeschlagen  wurde,  endet  mit  der  Drohung,, 
die  Qeistllchkeit  möge  dem  Kaiser  keinen  Anlass  geben,  „auf  den  Znwaclis 
primeevarum  Fundationum  zu  inquiriren  und  wie  mit  denen  geistlichen  Einkünften 
und  Fundationibus  gewaltet  werde". 

«  Sammlung  Nr.  27,  44. 


Das  kirehlicho  Asylrecht;  das  Placeluin  regiuiu.  423 

Schutzwehr  der  ungarischen  Nationalkirche  gegenüber  päpstlichen 
Eingriffen.  In  Österreich  hingegen  diente  es  von  Anbeginn  un- 
mittelbar staatlichen  Zwecken.  Als  beispielsweise  im  Jahre  1549 
das  Provinzialconcil  zu  Salzburg  seine  Beschlüsse  de  immunitatihiis 
et  privilegiis  ecclesiai'um  gegen  angebliche  Eingriffe  der  Staats- 
gewalt gefasst  hatte,  verboten  die  landesfürstlichen  Commissäre 
deren  Verlautbarung  bis  zur  Genehmigung  durch  den  König. 
Ferdinand  billigte  nicht  bloß  das  Vorgehen  seiner  Gewaltträger, 
sondern  erklärte  in  einer  Zuschrift  an  die  Synode,  dass  er  keines- 
wegs gewillt  sei,  unter  dem  Vorwand  dieser  viel  missbrauchten 
und  weiter  als  recht  und  billig  ausgelegten  geistlichen  Freiheiten 
Eingriffe  in  seine  landesfürstliche  Obrigkeit  zu  gestatten,  wie  es 
ihn  überhaupt  befremde,  „das  die  Geistlichen  ob  iren  Canonen  ir 
geistlich  Ambt,  Leben  und  Wandl  betreffend  so  gering  halten  und 
aber  auf  die  ienen  Canones  so  hart  dringen,  die  zue  Erweiterung 
irer  weltlichen  Obrigkait,  Gewalts  und  Vortails  reichen". 

An  dieser  Auffassung  des  Verhältnisses  zwischen  Staat  und 
Kirche  hielten  auch  die  späteren  Herrscher  fest.  Kaiser  Maxi- 
mUian  IL  verbot  1568  dem  Erzbischof  von  Prag  die  Abhaltung 
einer  Synode,  zu  welcher  der  Papst  und  dessen  Nuntius  wiederholt 
aufgefordert  hatten,  Kaiser  Rudolf  IL  im  Jahre  1586  die  Ver- 
lautbarung der  Bulle  in  coena  domini,  die  Kaiser  Ferdinand  IIL 
und  Leopold  I.  machten  die  Publicierung  päpstlicher  Bullen 
schlechthin  von  ihrer  Genehmigung  abhängig  (1641,  1681).  Ebenso 
wurde  die  Vorlage  eines  Gesammtverzeichnisses  des  österreichischen 
Clerus  nach  Rom,  dem  Bischof  von  Passau  abgeschlagen  (1675),  weil 
sie  den  Privilegien  des  Erzhauses  abträglich  sei.  Die  Visitation  der 
Cisterzienserklöster  durch  den  Ordensgeneral  ohne  landesfürstliche 
Erlaubnis  wurde  untersagt  (1654)  und  im  Jahre  1670  der  Grundsatz 
aufgestellt,  dass  Ausländer  nicht  zu  Vorstehern  österreichischer 
Klöster  zu  machen  seien. '" 

10.  Am  merkwürdigsten  aber  ist  die  Erscheinung,  dass  die 
Verfügungen  österreichischer  Herrscher  mitunter  in  unbezweifelt 
kirchliches  Gebiet  eingriffen.  Das  Gebot  König  Ferdinand 's  I.  an 

1^  Placetura,  s.  Sammlung  Nr.  26,  32,  41,  42,  45.  —  V&zsonyi,  Fried- 
berg, 119.  Den  Breslauer  Minoriten-Provincial,  der,  gestützt  auf  einen  Befehl  der 
Curie  das  Minoritenkloster  in  Wien,  ohne  l.-f.  Erlaubnis  visitieren  wollte,  ließ 
Kaiser  Ferdinand  III.  1648  verhaften  und  in  Arrei^t  setzen.  Wiedemann,  V,  2. 


424        Österreichische  Reichsgeschichte.  IL  TheiL  Vierte  Periode.  §  51. 

die  Geistlichkeit,  sie  solle  das  arme  gemeine  Volk  nicht  mit  den 
Gottsrechten,  Opfeiii,  Seelgeräthen  u.  dgl.  beschweren  (1528),  lässt 
sich  noch  als  Vorläufer  der  späteren  staatlichen  Stolordnung  auf- 
fassen ;^^  die  Visitationen  der  Kirchen  und  Klöster  in  den  Jahren 
1555,  1562,  1566  hiengen  mit  dem  beanspruchten  Aufsichtsrecht 
des  Landesfürsten  zusammen.  Anders  verhält  es  sich  schon  mit 
der  von  Kaiser  Maximilian  IL  im  Jahre  1567  erlassenen  General- 
ordnung für  die  Stifte  und  Klöster  und  mit  jenen  häufigen  landes- 
fürstlichen  Befehlen,  welche  die  Vornahme  kirchlicher  Handlungen 
verfügten.  Zugegeben,  dass  in  vielen  solchen  Fällen  der  Staat 
lediglich  seinen  Arm  der  Durchführung  kirchlicher  Gebote  geliehen 
hat,  so  ist  doch  diese  Auffassung  dort  nicht  zutreffend,  wo  der- 
gleichen Handlungen  gegen  den  ausgesprochenen  Willen  der  geist- 
lichen Obrigkeiten  vom  Staate  erzwungen  wurden.  Das  geschah 
nicht  bloß  1631  bei  Anordnung  eines  allgemeinen  zehnstündigen 
Gebets  wider  alle  Verfolger  der  katholischen  Kirche  und  Religion, 
sondern  zuweUen  auch  bei  den  vielberufenen  kaiserlichen  Mandaten 
wegen  Einhaltung  der  Fastengebote  und  Ablieferung  von  Beicht- 
zetteln. Vollends  in  den  Cultus  griff  die  landesfürstliche  Anordnung 
kirchlicher  Landesfeste  ein,  unter  welchen  jenes  der  unbefleckten 
Empfängnis  Mariens  durch  Kaiser  Ferdinand  HL  selbst  wider  den 
Willen  des  Papstes  eingeführt  wurde. ^^ 

1 1 .  Diese  Zusammenstellung  erweist,  dass  das  kirchlicherseits 
als  „Josephinismus"  bekämpfte  Verhältnis  des  Staates  zur  Kirche 
mit  seinen  Anfängen  bis  in  die  Regierungszeit  des  Kaisers  Fer- 
dinand I.  zurückreicht,  sowie  dass  es  von  allen  seinen  Nachfolgern 
ohne  Ausnahme  festgehalten  und  weiter  entwickelt  wurde.  Es 
darf  keineswegs  als  Act  von  Feindseligkeit  gegen  die  Kirche  auf- 
gefasst  werden,  vielmehr  ergab  sich  als  Folge  der  geänderten 
Auffassung  über  Zweck  und  Wesen  des  Staates,  seit  Beginn  der 
Neuzeit  für  die  Herrscher  überall  die  Nothwendigkeit,  den  staat- 
lichen Wirkungskreis  zu   erweitern.   Da  ihnen  zugleich  die  Aus- 

^1  Auch  die  f.-b.  passanische  Stolordnung  vom  Jahre  1689  wurde  erst 
nach  Genehmigung  Kaiser  Leopold's  I.  durch  diesen  im  Jahre  1690  für  das  Land 
u.  d.  Enns  publiciert.  Cod.  Austr.  I,  2,  S.  315. 

*2  Viele  Belege  aus  den  Consistorialacten  bei  Wiedemann,  I,  63,  137, 
621,  624,  647,  V.,  1  ff.,  79  ff.  Sammlung  Nr.  5,  11,  36,  38,  48,  50,  59,  60, 
75,  77,  78. 


Der  Kathollcismus  Staatsreli^ion;  Stellung  der  Andersgläubigen.       425 

bildung  eines  geschulten  Beamtenstandes  nun  erst  die  Möglichkeit 
gewährte,  den  vielen  neuen  Aufgaben  nachzukommen,  so  kam 
es  von  selbst,  dass  jetzt  Gegenstände  in  den  Bereich  des  Staates 
gezogen  wurden,  die  er  während  des  Mittelalters  der  Kirche  hatte 
überlassen  müssen,  weil  diese  sie  damals  allein  infolge  ihrer  um- 
fassenden  Organisation  pflegen  konnte.  In  den  zuletzt  erwähnten 
staatlichen  Anordnungen  auf  kirchlichem  Gebiet  hingegen  erkennen 
wir,  dass  sich  selbst  die  eifrigsten  katholischen  Fürsten  der  Ein- 
wirkung der  protestantischen  Landeskirchenverfassung  nicht  ganz 
zu  entziehen  vermochten,  die  dem  Landesherrn  Episcopalrechte 
übertrug. 

12.  So  war  denn  der  Katholicismus  in  den  habsburgischen 
landen,  abgesehen  von  Ungam,  wo  die  Gleichberechtigung  der 
christlichen  Confessionen  herrschte,  zur  unbestrittenen  Staatsreligion 
geworden,  während  der  Protestantismus  nur  in  Schlesien  und  in 
Österreich  unter  der  Enns  eine  beschränkte  Duldung  genoß.  Ton- 
angebende Rathgeber  der  Herrscher  blieben  bis  ins  18.  Jahrhundert 
die  Jesuiten,  auf  deren  Betreiben  die  Gegenreformation  vor  allem 
ins  Werk  gesetzt  wurde.  Der  Orden  war  darum  nicht  bloß  in  Ungarn 
tief  verhasst,  auch  in  Österreich  und  Steiermark  sprach  man  es 
1683  unverholen  aus,  dass  die  Societät  Jesu  unwidersprechlich  die 
Hauptui*sache  der  Religionsverfolgung  in  Ungarn  und  somit  auch 
des  Türkenkrieges  sei,  dass  sie  kurzsichtig  nur  ihr  eigenes  Gedeihen 
verfolge  und  dabei  den  Ruin  des  Staates  nicht  berücksichtige. 

13.  Von  andern  christlichen  Bekenntnissen  kam  jetzt  in  Öster- 
reich-Ungarn auch  schon  das  griechisch-orientalische  in  Betracht, 
da  den  als  Uskoken  oder  Wlahen  seit  dem  16.  Jahrhundert  an- 
gesiedelten slavischen  Flüchtlingen  aus  der  Türkei,  in  Croatien 
und  Krain  die  Ausübung  ihrer  Religion  freigegeben  wurde.  Ins- 
besonders  den  serbischen  Flüchtlingen,  die  im  Jahre  1690  an 
36.000—40.000  Famüien  stark  nach  Ungarn  übertraten,  wurden 
durch  Privilegien  Kaiser  Leopold's  I.  das  Recht,  sich  selbst  den 
Patriarchen  zu  wählen,  eingeräumt. 

1 4.  Den  Juden  war  während  dieses  Zeitraumes  in  der  Mehrzahl 
der  österreichischen  Lande  nur  ein  beschränktes  Niederlassungs- 
recht eingeräumt  und  selbst  dieses  wurde  ihnen  ab  und  zu  durch 
Ausweisungsbefehle  entzogen.  Ganz  ausgeschlossen  waren  sie  aus 
iSteiermark. 


426         Österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  52. 


Geschichte  der  Verwaltung  in  neuerer  Zeit.  1526 — 1740. 

§  52.  Die  Organisation  der  Yerwaltnng. 

Literatur  bei  §§  30  und  S9.  —  Bid ermann,  Gesanimt-Staatsidee,  I,  IL 
und  Ergänzung  in  Grünhut's  Zeitschr.  f.  Privat-  u.  öflfentl.  Recht,  XXI  (1894). 
—  D'Elvert,  Zur  österr.  Verwaltungsgeschichte,  1880.  —  Fei  In  er,  i.  d.  Mitth. 
d.  Inst.  f.  österr.  Gesch.,  Bd.  VIII  und  XV.  —  Hintze,  Der  österr.  Staatsrath 
im  16.  und  17.  Jahrh.  (Zeitschr.  d.  Savigny-ßtiftung,  VIII,  1887).  —  Huber, 
R-G.,  137  ff.  --  Räch  fahl,  Organisation  d.  Gesammt-Staatsverwaltung  Schlesiens 
vor  dem  dreißigjähr. Kriege,  1894.  —  Rechbach,  Observationes  ad stylum curise 
Gr»censis.  1680.  —  Rosenthal,  Behördenorganisation  K.  Ferdinand's  I.  {Archiv 
f.  österr.  Gesch.,  Bd.  69).  Seydler,  S.  70  ff. 

1.  Vom  Mittelalter  zur  Neuzeit  hatte  sich  die  Vorstellung 
vom  Zwecke  des  Staates  unter  dem  Einfluss  des  Humanismus 
wesentlich  verändert:  zu  dem  Schutz  der  Gemeinschaft  vor  äußeren 
Feinden,  des  Einzelnen  vor  der  Vergewaltigung  durch  Unrecht 
gesellte  sich  nun  die  Forderung,  dass  der  Staat  auch  für  das 
allgemeine  Wohl  Vorsorge.  Zu  gleicher  Zeit  gewahren  wir  ein 
Zurücktreten  der  dem  Mittelalter  eigenthümlichen  Auffassung  der 
Herrschergewalt,  als  eines  Gemenges  von  Lehens-  und  Grundherr- 
lichkeit mit  landesfürstlichen  Hoheitsrechten,  gegenüber  einer  all- 
mählich alle  Verhältnisse  des  Lebens  durchdringenden  Staatsgewalt. 
Unter  dem  Einfluss  des  römischen  Rechts  erwuchs  der  Begriff  der 
absoluten  Majestät  der  Krone  und  wurde  diese  mit  gewissen, 
zu  ihrem  Wesen  untrennbar  gehörigen  Hoheitsrechten  ausgestattet. 
Schon  in  den  Actenstücken  Kaiser  Ferdinand's  L  kehrt  immer  und 
immer  wieder  die  Berufung  auf  die  „volkomliche  Macht,  Hoheit, 
Obmäßigkeit  und  Majestät",  die  ihm  über  seine  Lande  zustehe. 

2.  Diesem  Anwachsen  der  staatlichen  Aufgaben  gegenüber 
erwiesen  sich  zu  deren  Bewältigung  die  alten  Einrichtungen  un- 
zulänglich. Deshalb  entwickelten  sich  in  dem  Maße,  als  die  Ansprüche 
an  den  Staat  wuchsen  und  die  Herrschergewalt  erstarkte,  neue  Be- 
hörden, und  zwar  nicht  bloß  staatliche,  sondern  auch  bei  autonomen 
Körperschaften,  die  auf  solche  Weise  ihre  frühere  Stellung  zu 
behaupten  suchten.  Neben  diesen  großen  Kreisen  der  Staats-  und 
körperschaftlichen  Selbstverwaltung,  bot  auch  die  vom  Mittelalter 


Übersicht  der  Verwaltungsbehörden.  427 

her  bestehende  Verbindung  vieler  öffentlicher  Aufgaben  mit  dem 
Grundbesitz  Anlass  zu  einer  besonderen  grundherrliehen  Verwaltung. 
Die  Organe  der  Verwaltung  in  Österreich  zerfallen  demnach 
in  dieser  Zeit  in  folgende  Haupt-  und  Untergruppen: 

A,  Landesförstliche  Behörden  und  Ämter: 
a)  Centralbehörden, 

h)  Behörden  für  Ländergruppen, 

c)  Landesbehörden  und  untergeordnete  Ämter. 

B.  Organe  der  körperschaftlichen  Selbstverwaltung: 

a)  der  Landschaften, 

b)  der  Städte  und  Märkte, 

c)  der  Vereinsverwaltung. 
C  Grundherrliche  Verwaltung. 

3.  Für  die  Ausgestaltung  des  landesfürstlichen  Behörden- 
wesens war  die  Ländertheilung  vom  Jahre  lö64  von  großer  Be- 
deutung, weü  nun  die  Wirksamkeit  der  Wiener  Centralbehörden 
für  die  Lande  der  jüngeren  und  jüngsten  Linie  aufhörte  und  in 
Graz  und  Innsbruck  neue  Centralorgane  für  Innerösterreich  und 
für  Tirol  nebst  den  Vorlanden  eingerichtet  wurden.  Für  die  im 
Zuge  befindlichen,  auf  Vereinheitlichung  der  Verwaltung  abzielenden 
Bestrebungen  des  Herrscherhauses  bedeutete  diese  Maßregel  nicht 
bloß  eine  kurze  Hemmung,  sondern  eine  förmliche  Auflösung, 
deren  letzte  Wirkungen  erst  unter  Kaiser  Josef  IL  beseitigt  wurden. 

4.  Die  Einrichtung  und  Besetzung  der  Centralbehörden  und 
vielfach  auch  der  unteren  Ämter  war  ein  Hoheitsrecht  des  Herr- 
schers, das  dieser  unbeschränkt  übte.  Anders  verhielt  es  sich  mit 
jenen  Ämtern,  deren  Bestand  und  Besetzung  mit  den  vom  Mittel- 
alter hergebrachten  Landeseinrichtungen  zusammenhieng  ^  und  die 
darum  geradezu  als  ein  BestandtheU  der  Länderverfassung  galten. 
Die  HeiTscher  trachteten  diese  Einschränkungen*  ihrer  Verfügungs- 

^  6o  stand  in  Ungarn  dem  Könige  nur  das  Recht  zu,  für  den  Posten  eines 
Paiatins  vier  Personen  vorzuschlagen,  unter  denen  der  Reichstag  die  Wahl  hatte. 
Die  nachfolgende  Bestätigung  durch  den  König  galt  als  Förmlichkeit,  das  Amt 
wurde  auf  Lebenszeit  verliehen.  Virozsil,  II,  §  64. 

3  So  gab  es  in  Böhmen  von  früher  her  eine  Reihe  von  hohen  Ämtern, 
welche  zugleich  königliche  und  ständische  Stellen  waren,  auf  Lebenszeit  besetzt 
wurden  und  gewissen  Classen  der  Landstände  vorbehalten  waren.  Ferdinand  II. 
behielt  sich  in  der  vemeuerten  L.-O.  das  Recht  vor,  die  Ämter  beliebig  mit 
Personen  zu  besetzen,  die  im  Lande  ansässig  waren  u.  s.  w.  Vgl.  Absatz  15. 


428     Österreichische  Reichsgeschichte.  IL  Theil.  Vierte  Periode.  §  52  u.  53. 

gewalt  bei  zutreffender  Gelegenheit  zu  beseitigen  und  vielfach  ist 
ihnen  dies,  wenn  wir  Ungarn  dabei  ausnehmen,  im  Laufe  dieses 
Zeitraumes  schon  gelungen. 

5.  Die  Beamten  an  der  Spitze  der  Landesverwaltung,  bei 
deren  Auswahl  der  Landesfürst  durch  die  Landesverfassung  be- 
schränkt war,  erachienen  gleichzeitig  als  Vertrauensmänner  der 
Stände.  Es  entsprach  dieser  Doppelstellung,  dass  sie  nach  beiden 
Seiten  eidlich  verpflichtet  waren,  doch  wurden  sie  für  die  Dauer  der 
Landtagsverhandlungen  gewöhnlich  vom  Herrscher  ihres  besonderen 
Diensteides  entbunden.  Im  übrigen  aber  erscheinen  sie  gleich  allen 
anderen  nicht  als  Staatsbeamte,  sondern  als  Diener  des  Landes- 
fürsten. Nur  für  die  Stellen,  welche  den  Rechtsgelehrten  vor- 
behalten waren  (die  s.  g.  Doctorenbänke),  bestand  der  Nachweis 
eines  akademischen  Titels;  davon  abgesehen,  gab  es  bis  ins  18.  Jahr- 
hundert noch  keine  Vorschriften  für  den  Bildungsgang  der  Beamten. 
Mit  dem  wachsenden  Einfluss  der  Juristen  kam  es  aber  von  selbst, 
dass  späterhin  die  Mehrzahl  der  Beamten  Universitätsstudien  hatte. 
Wer  sich  dabei  auf  den  Besuch  auswärtiger,  vor  allem  italienischer 
Hochschulen  berufen  konnte,  war  umsomehr  geachtet.*  Feste 
Gehaltssätze  gab  es  lange  Zeit  nicht,  ebensowenig  allgemeine  Fest- 
setzungen über  die  Dauer  der  Dienstzeit,  die  mitunter  vertrags- 
mäßig auf  wenige  Jahre  beschränkt  wurde.  Dem  Beamten  wurde 
bei  seiner  Aufnahme,  je  nachdem  er  zum  Dienst  „von  Hause  aus*, 
d.  h.  nur  im  Bedarfsfall,  oder  zu  dauernder  Anwesenheit  verpflichtet 
vmrde,  vom  Landesfürsten  ein  Gehalt  nach  seinem  Ermessen  aus- 
gesetzt und  dieses  nach  Maßgabe  der  Zufriedenheit  erhöht,  auch 
wohl  durch  mancherlei  „Gnadengaben"  vermehrt.  Beim  Austritt 
nach  langjähriger  treuer  Dienstzeit,  in  deren  Verlauf  Unadelige 
oft  durch  Wappenbriefe  oder  Adelsverleihung  geehrt  wurden, 
durfte  der  Beamte  auf  eine  Versorgung  im  Gnadenwege  durch 
eine  Provision  hoffen.  Neben  dem  Gehalt,  das  noch  in  der  zweiten 
Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  alle  Quatember  nachhinein  fällig  war 
und  oft  genug  unregelmäßig  bezahlt  wurde,   hatten  die  Beamten 


^  Vgl.  in  meinem  Aufsatz  ,  Österreich  er  an  ital.  Universitäten*  die  Ab- 
schnitte .Ergebnisse",  Bl.  d.  Ver.  f.  Ldlcde.  v.  N.-Ö.  1880—1885.  Über  Amts- 
pflichten, Amtsstunden,  Urlaubszeit,  Verschwiegenheit  der  Beamten  u.  dgl.  finden 
sich  zerstreute  Nachrichten  in  den  Amtsordnungen  seit  dem  16.  Jahrh.  Kino 
gute  Zusammenstellung  bei  Rachfahl,  429  ff,  dazu  S.  328  ff. 


Stellung  der  Beamten;  landesfürstl.  Gentralbehörden :  der  Uofrath.     429 

meist  noch  Anspruch  auf  Sportein,  auch  war  die  Annahme  von 
Geschenken  nach  pflichtgemäß  vollbrachter  Amtshandlung  zum 
mindesten  nicht  untersagt,  wohl  aber  bei  den  s.  g.  Procureyen 
verboten,  unter  welchen  man  die  Vermittlung  von  Amtserledigungen" 
verstand.^  Der  Grundsatz,  dass  niemand  zwei  Herren  dienen  dürfe, 
war  nicht  strenge  durchgeführt  und  es  kam  namentlich  vor,  dass 
jemand  als  »Rath  vom  Haus"  aus  auch  von  auswärtigen  Fürsten 
Besoldungen  empfieng. 

§  53.  Die  landesffirstlichen  Behörden  nnd  Amter. 

A.  Centralbehörden. 

1.  Aus  der  Thatsache,  dass  die  Stellung  der  habsburgischen 
Besitzungen  zum  Deutschen  Reich  in  den  alten  Erblanden,  in 
Böhmen  und  Ungarn  verschieden  war,  ergab  sich  eine  dreifache 
Art  von  Centralbehörden :  Für  das  Reich  und  die  Erblande  bestand 
durch  geraume  Zeit  der  Hofrath  als  gemeinsame  oberste  Behörde ; 
die  Hofkammer  und  der  Hofkriegsrath  waren  Centralbehörden  für 
die  Erblande,  Böhmen  und  Ungarn ;  noch  andere  w  ie  der  geheime 
Rath  und  die  Hofkanzlei  hatten  einen  Wirkungskreis,  der  sich 
soweit,  als  der  Regierungswille  des  Herrschers  erstreckte,  also  auf 
das  Deutsche  Reich,  auf  die  Erblande,  Böhmen  und  Ungarn. 

2.  Der  Hofrath,  der  zu  Anfang  des  Jahres  1527  schon 
vorhanden  war,  folgte  dem  Hofe  des  Hen^schers  und  war  daher 
anfänglich  ohne  festen  Amtssitz.  Er  bestand  aus  den  Inhabern  der 
obersten  Hofämter  und  einer  Anzahl  von  Räthen  aus  den  Erb- 
landen und  dem  Reich ;  Vorsitzender  war  zuerst  der  Hofkanzler 
Cardinal  Bernhard  von  Cles,  später  der  Hofmarschall,  seit  1559 
ein  Hofrathspräsident.  Der  Hofrath  hatte  als  oberste  Regierungs- 
behörde in  Verwaltungssachen  nur  das  Recht  zu  Vorschlägen, 
dagegen  fällte  er  als  Revisionsbehörde  in  Rechtsstreitigkeiten  die 


^  Snttinger,  s.v.  Regiernngsbesoldung.  Als  die  steir.  Landschaft  1593  die 
Bestätigung  der  Landesfreiheiten  beim  K.  Rudolf  IL  erwirkt  hatte,  bat  sie  den 
Hofkammerpräsidenten,  unter  der  Hand  zu  erforschen,  ob  man  die  Freiherren 
Rumpf  und  Kurz  für  ihre  Mühe  ,mit  parem  Gelt  oder  sonst  einem  zugerichten 
Honorario  am  besten"  gratifleieren  könne.  Das  Verbot  der  Qeldannahmo  bei 
Procureyen  s.  im  2.  Innsbrucker  Libell  1518.  Eine  Aufzählung  von  Geschenken 
der  Stadt  Graz  an  l.-f.  Beamte  s.  Mitth.  d.  h.  V.  f.  Steiermark,  Heft  29,  S.  91. 


430        Österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theii.  Vierte  Periode.  §  58. 

Entscheidung  selbst,  es  wäre  denn,  dass  sich  die  Räthe  nicht 
einigen  konnten,  oder  dass  ihnen  die  Angelegenheit  so  wichtig 
schien,   dass   sie  dieselbe  dem  votiim  ad  imperatarem  zuführten. 

Der  Zeitpunkt,  in  welchem  der  Hofrath  aufhörte,  gemeinsame 
oberste  Behörde  für  Reich  und  für  die  Erblande  zu  sein,  lässt 
sich  nicht  genau  angeben;  zur  reinen  Reichsbehörde  wurde  er 
vermutlilich  erst  durch  die  veränderte  Zusammenstellung,  die  er 
infolge  des  westfälischen  Friedens  erhielt.  Die  Revisionsordnung 
vom  Jahre  1669  bestimmt,  dass  zur  Bearbeitung  der  einlaufenden 
Revisionen  „taugliche  und  wohlqualificierte,  in  Rechten  und  hiesigen 
Gerichts-  und  Landesbrauch  erfahrene  Personen  als  Commissäre 
zu  bestellen  seien*.  Zur  Leitung  der  Regierungsgeschäfte  im  engeren 
Sinn  scheint  dagegen  erst  der  geheime  Rath  und  seit  der  Mitte 
des  17.  Jahrhunderts  die  Hofkanzlei  berufen  worden  zu  sem. 

3.  Das  Collegium  des  geheimen  Rathes  oder  schlechtweg  der 
„geheime  Rath"  genannt,  wurde  von  Erzherzog  Ferdinand  I.  schon 
zur  Zeit  errichtet,  da  er  bloß  Statthalter  der  österreichischen  Erb- 
lande war.  Es  wurde  als  ein  „Ausbruch  aus  dem  Hofrath*  an- 
gesehen, war  aber  anfänglich  kein  geschlossenes  Collegium,  sondern 
es  wurden  außer  den  obersten  Hofbeamten,  die  regelmäßig  er- 
schienen, von  Fall  zu  Fall  auch  andere  Vertrauenspersonen  des 
Herrschers  zum  geheimen  Rath  berufen,  namentlich  der  böhmische 
Kanzler.  Aufgabe  des  geheimen  Rathes  war  die  Berathung  des 
Herrschers  in  „allen  hochschweren  und  geheimen  Sachen,  ins- 
besonders  in  auswärtigen  Angelegenheiten".  Mit  der  Erweiterung 
des  Reichsumfanges  dehnte  sich  der  Wirkungskreis  dieses  CoUegiums 
aus,  das  zuerst,  wie  es  scheint,  nur  fünf  Mitglieder  zählte  (1547, 
1554,  1614),  unter  Kaiser  Ferdinand  IL,  nach  dem  ersten  öster- 
reichischen Staatshandbuch,  dem  „Status  particularis  Regiminis 
S.  C.  Mai.  Ferdinandi  IL"  vom  Jahre  1637,  aber  schon  auf  fünfzehn 
gestiegen  war.  Wir  finden  darunter  die  Vorstände  aller  Central- 
behörden  und  oberste  Beamte  aus  allen  Ländergruppen.  Verhandelt 
wurde  täglich  vor  dem  Kaiser  durch  einige  nach  Erfordernis 
berufene  Geheimräthe  in  allen  wichtigen  Staatsangelegenheiten. 
Verreiste  der  Kaiser  aus  Wien,  das  seit  Matthias  erklärte  Residenz- 
stadt war,  so  wurde  für  die  Zeit  der  Abwesenheit  ein  „deputiertes 
Geheimraths-CoUegium"  hier  zurückgelassen,  an  welches  dann  die 
wichtigsten  Aufträge  vom  Hofe  gelangten. 


Landesftirstliche  Centralbehörden:  der  geheime  Rath,  die  Hofkaazlei.     431 

4.  Unter  Kaiser  Ferdinand  III.  gieng  die  Bedeutung  des 
geheimen  Rathes  zurück,  zugleich  ist  ein  weiteres  Steigen  der 
Mitgliederzahl  zu  beobachten.  Kaiser  Leopold  I.  schuf  darum  im 
Jahre  1669  die  s.  g.  geheime  Conferenz,  d.  h.  er  wählte  sich  aus 
den  geheimen  Käthen  eine  kleine  Anzahl  wirklicher  Berather 
(erst  4,  die  später  bis  auf  13  stiegen),  während  im  übrigen  die 
Würde  des  geheimen  Rathes  zum  bloßen  Ehrentitel  wurde.  Die 
geheime  Conferenz  war  nicht  als  einheitliche  Behörde  thätig, 
sondern  es  wurden  aus  ihr  sowohl  für  die  Beziehungen  zu  einzelnen 
auswärtigen  Mächten,  als  für  besondere  Verwaltungszwecke  „Special- 
commissionen" gebildet.  Einheit  in  die  so  vielfach  zersplitterte 
Leitung  der  auswärtigen  Angelegenheiten  brachte  nur  die  Person 
des  Hofkanzlers,  der  als  Vorstand  der  Hofkanzlei  für  die  Aus- 
fertigung der  Beschlüsse  zu  sorgen  hatte  und  dessen  Ansehen 
darum  jetzt  stark  anwuchs.  Unter  Kaiser  Josef  I.  wurde  die 
geheime  Conferenz  erst  auf  vier  Mitglieder  eingeschränkt,  später 
wieder  verstärkt,  im  Jahre  1709  in  eine  engere  und  weitere  Con- 
ferenz getheilt.  Außerdem  wurde  der  Obristhofmeister,  der  schon 
früher  den  Titel  Director  des  geheimen  Rathes  geführt  und  den 
Monarchen  beim  Vorsitze  in  den  Staatsconferenzen  vertreten  hatte, 
im  Jahre  1705  als  Premierminister  zur  obersten  Leitung  aller 
Staatsangelegenheiten  ernannt.  Unter  Kaiser  Karl  VI.  blieben  diese 
Einrichtungen  im  wesentlichen  aufrecht. 

5.  Zur  Ausfertigung  der  Beschlüsse  des  geheimen-  und  des 
Hofraths  standen  dem  Hofkanzler  oder  dessen  Stellvertreter  HUfs- 
arbeiter  zur  Seite,  welche  die  allgemeine  Hofkanzlei  ausmachten. 
Dieselbe  zerfiel  in  mehrere  theils  nach  Fächern,  theils  nach  Länder- 
gruppen gegliederte  Abtheilungen  mit  je  einem  Secretär  an  der 
Spitze,  und  war  zu  Zeiten  die  allgemeine  Schreibstelle  für  die 
habsburgischen  Besitzungen  und  das  Deutsche  Reich.  Eine  selbst- 
ständige Entscheidung  stand  ihr  anfänglich  nicht  zu  und  der  Einfluss 
des  Hofkanzlers,  dem  seit  dem  Jahre  1538  Vicekanzler  folgten, 
war  weniger  durch  die  Ausführung  der  Kanzleigeschäfte,  als  durch 
seine  Mitgliedschaft  im  geheimen-  und  Hofrath  begründet. 

6.  Schon  in  der  Reichskaozleiordnung  vom  Jahre  1559  war 
die  Trennung  der  erbländischen  von  den  Reichsangelegenheiten 
grundsätzlich  anerkannt  worden,  wiewohl  der  Ersparnis  wegen 
einige  Schreibkräfte  noch  gemeinsam  blieben.  Kaiser  Ferdinand  IL 


432        Österreichischo  Reichsgesohichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  58. 

schritt  zur  völligen  Absonderung  und  errichtete  im  Jahre  1620, 
unabhängig  von  der  Reichshofkanzlei,  eine  eigene  österreichische 
Hofkanzlei,   der   er  die  Ausfertigung  für  alle  seine  Länder  über- 
trug. Unter  Kaiser  Ferdinand  III.  wurde  dann  die  österreichische 
Hofkanzlei  mit  dem  Recht  der  Beschlussfassung  ausgestattet  und 
1654  als  collegiale  Behörde  eingerichtet,   welche  namentlich  die 
Vorberathung  von  Vorlagen  an  den  geheimen  Rath  besorgte.  Sie 
vereinigte  in  dieser  Zeit  Aufgaben  der  Ministerien  des  Äußeren, 
des  Inneren  und  der  Justiz  mit  jenen  eines  obersten  Gerichtshofes. 
Allgemach  verlor  jedoch  die  österreichische  Hofkanzlei  einen  Theil 
ihres  auf  alle  Besitzungen  des  Kaisers  ausgedehnten  Wirkungs- 
kreises und  behielt  ungeschmälert  nur  die  Angelegenheiten  der 
altösterreichischen   Lande.    Gefördert    wurde   diese   Entwicklung 
dadurch,  dass  bei  dem  Wiederanfall  der  Lande  die  Hofkanzleien 
für  Innerösterreich  und  Tirol,  die  nach  dem  Jahre  1564  errichtet 
worden  waren,  zwar  nach  Wien  gezogen  und  dem  österreichischen 
Hofkanzler  unterstellt,  jedoch  nicht  formell  aufgehoben  wurden. 
Dies  erleichterte  die  Umwandlung  der  für  Böhmen  und  Ungarn 
bestehenden  Abtheilungen  der  österreichischen  Hofkanzlei  zu  selbst- 
ständigen Behörden.  Der  ungarischen  Hofkanzlei  wurde  im  Jahre 
1690   eine  collegiale  Verfassung  gegeben,  für  Siebenbürgen  auf 
Drängen  der  dortigen  Stände  1695  eine  eigene  siebenbürgische 
Hofkanzlei  errichtet.  Unter  Karl  VI.  kamen  noch  eine  italienische 
und  niederländische  Hofkanzlei  hinzu.  Seit  Kaiser  Josef  I.  wurden 
zwei  österreichische  Hofkanzler  ernannt,  von  welchen  der  eine 
die  Leitung  der  Politica,  der  andere  die  der  Juridica  zu  besorgen 
hatte ;  unter  Kaiser  Karl  VI.  übernahm  nach  der  Instruction  vom 
Jahre  1720  der  erste  Hofkanzler  die  Geschäfte  eines  Ministers  des 
kaiserlichen  Hauses  und  der  auswärtigen  Angelegenheiten,  während 
der  zweite   die  Leitung  der  »Provincialia  et  Judicialia"  erhielt; 
damit  war  die  von  der  Kaiserin  Maria  Theresia  später  verfugte 
Theilung  dieser  Behörde  schon  vorbereitet. 

7.  Die  allgemeine  Hofkammer  hat  König  Ferdinand  I.  zu 
Anfang  des  Jahres  1527  als  Centralbehörde  für  die  Erblande  und 
die  neuerworbenen  Königreiche  Böhmen  und  Ungarn  ins  Leben 
gerufen.  Sie  organisierte  und  überwachte  die  Länderkammem  ohne 
sich  in  die  Einzelheiten  der  Finanzverwaltung  zu  mengen.  Der 
Vorstand,  der  mit  dem  Monarchen  unmittelbar  verkehrte  und  in 


L.-f.  Centralbehörden :  Hofkanzlei,  Hofkammer,  Hofkrlegsrath.         438 

wichtigeren  Finanzfragen  die  Beschlüsse  des  geheimen  Raths 
unmittelbar  ins  Werk  setzte,  hieß  bis  1568  Schatzmeister,  später 
standen  ein  Präsident  und  Vicepräsident  an  der  Spitze  der  aus 
mehreren  Hofkammerräthen  und  sehr  zahlreichem  Personal  be- 
stehenden Hofkammer,  deren  Wirksamkeit  viel  zu  wünschen  ließ. 
Unter  Kaiser  Ferdinand  IL  wurde  1635  die  n.-ö.  Kammer  ad 
interim  mit  der  Hofkammer  vereinigt ;  die  Unterordnung  der  i.-ö. 
und  der  o.-ö.  Hofkammer  [unter  die  Wiener  erfolgte  erst  unter 
Kaiser  Josef  I.  (1709)  nicht  ohne  heftigen  Widerspruch  dieser 
Behörden  sowie  der  der  i.-ö.  und  Tiroler  Landstände.  Unter  Kaiser 
Karl  VI.  wurde  1714  die  Hofkammer  reorganisiert  und  zugleich 
die  Universal-Bankalität  eingesetzt;  da  außerdem  eine  ständige 
geheime  Finanz-Conferenz  eingerichtet  wurde,  die  bis  1741  bestand, 
so  gab  es  nun  eigentlich  drei  oberste  Finanzstellen. 

8.  Schon  anfangs  des  Jahres  1529  wurde  unter  dem  Eindruck 
der  Türkennoth  über  die  Errichtung  eines  beständigen  Kriegsrathes 
am  Hofe  König  Ferdinand's  berathen  und  es  soll  auch  unterm 
26.  Februar  1531  eine  Instruction  für  diese  Behörde  erflossen  sein.^ 
Zur  dauernden  Einrichtung  wurde  jedoch  der  Kriegsrath  erst  im 
Jahre  1556.  Er  erhielt  einen  Wirkungskreis,  der  sich  auch  auf 
Ungarn  erstreckte,  und  sollte  Einheit  in  die  Kriegsführung  bringen, 
für  die  Beschaffung,  Ausrüstung  und  Verpflegung  des  Kriegsvolkes 
Sorge  tragen,  den  Zustand  der  Befestigungen  überwachen  u.  s.  w. 
Er  war  seit  Kaiser  Leopold  I.  die  einzige  umfassende  Centralstelle 
in  Österreich-Ungarn,  die  ungeachtet  mancher  Veränderungen  ihren 
Namen  bis  zum  Jahre  1848  behielt. 

9.  Die  LändertheUung  vom  Jahre  1564  hatte  zur  Folge,  dass 
die  von  Kaiser  Ferdinand  I.  für  die  Ländergesammtheit  gewählte 
Organisation  der  obersten  Verwaltung  nun  für  die  Besitzungen 
jeder  Linie  besonders  eingerichtet  wurde.  So  kam  es,  dass  Inns- 
bruck und  Graz  als  Residenzen  der  Erzherzoge  Ferdinand  und 
Karl  ebenfalls  Sitze  von  Centralstellen  für  die  o.-ö.  Lande  (Tirol, 
Vorarlberg  u.  s.  w,)  und  für  Innerösterreich  wurden.  Es  entstanden 
eine  o.-ö.,  beziehungsweise  i.-ö.  Hofkanzlei,  Hofkammer  und  ge- 
heime SteUe,  für  Innerösterreich  überdies  ein  i.-ö.  Hofkrlegsrath, 
für  welchen   den  Landschaften  das  Vorschlagsrecht  eingeräumt 


1  Firnhaber  im  Arcliiv  f.  österr.  Gesell.,  Bd.  30,  S.  96. 

Luschin,  österreichische  Reichsgesohichte.  28 


484        Osterreichische  Reichsgeschichte.  H.  Theil.  Vierte  Periode.  §  5B. 

wurde.  Nach  der  Wieden^ereinigung  der  Lande  kamen  die  o.-ö. 
und  i.-ö.  Centralstellen  keineswegs  zu  Gunsten  der  Wiener  Be- 
hörden in  Wegfall,  sondern  es  wurden,  wie  schon  bemerkt,  nur 
die  Hofkanzleien  1619  und  1665  nach  Wien  als  den  Sitz  des  Hofes 
gezogen  und  Aem  Hofkanzler  unterstellt.  Die  Qeheimraths-Collegien 
und  die  Hofkammern  blieben  aber  in  Innsbruck  und  Graz,  ebenso 
der  i.-ö.  Hofkriegsrath  und  versahen  noch  weiterhin  den  Dienst 
von  obersten  Behörden  für  die  o.-ö.  und  i.-ö.  Ländergruppe.  Die 
beiden  Hofkammern  und  der  i.-ö.  Hofkriegsrath  wurden  wohl  unter 
Kaiser  Josef  L  der  Wiener  Stelle  unterworfen  und  dadurch  zu 
Mittelbehörden,  während  das  o.-ö.  und  i.-ö.  Geheimraths-CoUegium, 
denen  vor  allem  die  Revision  in  Rechtssachen  übertragen  war, 
als  unabhängige  oberste  Behörden  noch  fortbestanden. 

B.  Mittelbehörden. 

10.  Den  Übergang  von  diesen  obersten  zu  den  Landes- 
behörden vermittelten  die  über  Ländei'gruppen  gesetzten  Mittel- 
behörden. In  Altösterreich  erscheinen  sie  in  Fortsetzung  der 
Maximilianischen  Einrichtungen  (§  39)  als  die  o.-ö.  Regierung 
und  Kammer  zu  Innsbruck  und  die  n.-ö.  mit  dem  Sitz  zu  Wien. 
Während  die  o.-ö.  Behörden  ihren  Wirkungskreis  auch  nach  der 
Ländertheilung  behielten,  wurden  bei  diesem  Anlass  die  Wiener 
Behörden  dauernd  auf  Österreich  ob  und  unter  der  Enns  beschränkt, 
weil  Erzherzog  Karl  im  Jahre  1565  eine  besondere  Regierung  und 
Kammer  für  die  abgetrennten  i.-ö.  Lande  errichtete.  Diese  Grazer 
Behörden  führten  vorerst  die  alte  Benennung  als  „ niederöster- 
reichische *",  so  dass  es  der  Angabe  des  Amtssitzes  bedarf,  um 
Verwechslungen  zu  vermeiden.  Wohl  aus  diesem  Grunde  ließ  man 
im  Jahre.  1620  die  frühere  Ausdrucksweise  fallen  und  bezeichnete 
fortan  die  Grazer  Behörde  als  die  i.-ö.  Regierung.  Diese  galt  als 
das  „höchste  Tribunal  Justitise*  für  Innerösterreich,  war  ferner 
zuständig  in  Publice  Ecclesiasticis  und  Sanitätsangelegenheiten, 
bestellte  Bürgermeister  und  Richter  in  den  landesfürstlich'en  Städten 
in  Steiermark,  beziehungsweise  bestätigte  die  Gewählten  u.  s.  w. 
Sie  bestand  aus  einem  Statthalter,  Vice-Statthalter,  dem  Regiments- 
kanzler und  acht  Mitgliedern  der  adeligen  Bank,  die  nach  Vorschlägen 
der  Landschaften  (3  für  Steiermark,  je  2  für  Kärnten  und  Krain, 


LandesfUrstliche  Mittelbehörden,  Landesbehörden  und  Ämter.         435 

1  für  Görz)  vom  Landesfüreten  ernannt  wurden,  sowie  aus  vier 
rechtsgelehrten  Käthen. 

Die  mit  der  i.-ö.  Regierung  zugleich  emchtete  i.-ö.  Kammer,  zu 
welcher  eine  eigene  „Buchhalterei"  schon  im  Jahre  1566  gehörte, 
verschwindet  später;  offenbar  wurde  sie  nach  1619  der  i.-ö.  Hof- 
kammer einverleibt,  ganz  so  wie  dies  im  Jahre  1635  der  n.-ö. 
Kammer  ergieng,  die  mit  der  Wiener  Hofkammer  vereinigt  wurde. 

Ähnlich  wie  in  Innerösterreich  waren  auch  Regierung  und 
Kammer  für  Tirol  und  die  Vorlande  eingerichtet. 

11.  Als  Mittelpunkte  für  die  Verwaltung  aller  königlichen 
Finanzrechte  in  den  angefallenen  Königreichen  Böhmen  und  Ungarn 
hat  König  Ferdinand  I.  in  den  Jahren  1527  und  1528  nach  dem 
Vorbild  der  n.-ö.  Raitkammer  die  böhmische  und  ungarische 
Kammer  eingerichtet.  Beide  erhielten  von  Anbeginn  die  Stellung 
von  Mittelbehörden,  d.  h.  sie  bekamen  einen  Wirkungskreis,  der 
sich  auch  über  die  mit  Böhmen  und  Ungarn  verbundenen  Lande 
erstreckte,  wurden  aber  andererseits  der  Hof kammer  untergeordnet. 
Dabei  verblieb  es  trotz  der  Gegenbemühungen  der  Stände,  da 
König  Ferdinand  I.  sein  Recht,  über  das  Kammergut  frei  zu  ver- 
fügen, den  Ständen  von  Ungarn  und  Böhmen  gegenüber  behauptete. 
Aus  der  böhmischen  Landeskammer  wurde  später  (1558)  die  . 
öchlesische  Kammer  abgezweigt  und  ebenfalls  der  Wiener  Hof- 
kammer unmittelbar  unterstellt. 

Die  Stellung  einer  Mittelbehörde  nahm  außerdem  das  Prager 
Appellationsgericht  ein,  das  König  Ferdinand  im  Jahre  1548  als 
übergeordnete  Instanz  für  alle  Stadtgerichte  in  Böhmen,  Mähren 
und  Schlesien  errichtete. 

C.  LandesfUrstliche  LandesbehSrden  und  Amter. 

12.  Den  Central-  und  Mittelbehörden,  durch  deren  Einsetzung 
die  Herrscher  im  Wege  der  Verwaltung  eine  größere  Annäherung 
ihrer  Länder  herbeizuführen  suchten,  unterstanden  Landesbehörden. 
Bei  einer  Vergleichung  der  altösterreichischen  Erblande  mit  den 
Einrichtungen  in  Ungarn  und  Böhmen  zeigen  sich  da  manche  Ver- 
schiedenheiten. Übereinstimmend  findet  sich  dagegen  überall  als 
Abschluss  der  Entwicklung  vom  Mittelalter  her  eine  eigenthüm- 
liche  Doppelstellung  für  gewisse,  an  der  Spitze  des  Landes  stehende 

28* 


436        österreichische  Reichsgeschichto.  IL  TheiL  Vierte  Periode.  §  53. 

Beamte,  welche  diese  sowohl  als  Vertrauenspersonen  des  Herrscher* 
wie  der  Stände  erscheinen  lässt,  mag  der  Beamte  nun  Land« 
marschall,  Landeshauptmann  oder  Palatin  geheißen  haben. 

13.  Sowohl  der  Landmarschall  in  Österreich  unter  der  Enns 
als  die  Landeshauptleute  im  Lande  ob  der  Enns,  in  Innerösterreich 
und  Tirol  wurden  vom  Landesfiirsten  aus  den  Mitgliedern  des 
Herrenstandes  frei  eniannt,  waren  jedoch  sowohl  diesem  als  den 
Landständen  durch  Eid  verpflichtet.  Durchwegs  kam  ihnen  der 
Vorsitz  in  den  ständischen  Gerichten  (Landmarschallisches  Gericht, 
Landschrannen  u.  dgl.)  zu,  den  sie  jedoch  gewöhnlich  ihren  Stell- 
vertretern, Land  Untermarschall,  Landesverweser,  mitunter  auch  den 
Landesverwaltern,  überließen,  femer  die  Einleitung  von  Criminal- 
processen  gegen  adelige  Mitglieder  der  Landschaft.  Die  übrigen 
Aufgaben  wechselten  nach  den  Ländern. 

Als  oberste  Pinanz-Landesbehörde  gab  es  in  allen  fünfn.-ö. 
Landen  seit  Kaiser  MaximUian  L  die  Landes- Vicedomämter.  Diese 
führten  über  den  landesfürstlichen  Grundbesitz  (auch  wenn  er 
verpfändet  war)  nicht  minder  über  andere,  zur  landesfürstlichen 
Kammer  gehörende  Rechte  und  Gefälle  die  Aufsicht  und  Recht- 
sprechung, besorgten  die  Inventur  und  Installation  auf  den  kaiser- 
lichen Pfarren  und  waren  mit  der  Verrechnung  an  die  zuständige 
Landeskammer  gewiesen.  Die  Beisitzer  des  Landes-Vicedoms,  die 
vom  Landesfürsten  aus  dem  Kreise  der  obern  Stände  (in  Krain  auf 
Lebenszeit)  ernannt  wurden,  hießen  Landräthe. 

Neben  den  genannten  gab  es  in  den  Ländern  nach  Bedarf 
noch  andere  landesfürstliche  Behörden  und  Ämter:  Kammer- 
procuratoren  zur  anwaltschaftlichen  Vertretung  der  Ansprüche  des 
Landesherren,  Kellergerichte  in  Weinbergstreitigkeiten,  Bergwerks- 
behörden, Jägermeister,  Waldmeister,  Bannrichter,  landesfürstliche 
Hauptleute  zu  Triest,  Fiume,  Görz,  Gradiska,  Flitsch,  u.  s.  w. 

14.  In  Böhmen  und  Ungarn  hatte  die  königliche  Gewal  t  zur 
Zeit,  da  Ferdinand  I.  die  Regierung  antrat,  nur  wenig  zu  bedeuten. 
Das  Kammergut  war  erschöpft,  die  wichtigsten  Gerechtsame  in 
den  Händen  der  Stände.  König  Ferdinand  war  nun  entschlossen, 
dem  Königthum  die  thatsächlich  entzogenen  Rechte  im  Wege  der 
Verwaltung  zu  erkämpfen.  Dazu  reichte  die  Organisation  der  alten 
Behörden  nicht  aus,  die  im  wesentlichen  eine  ständische  war,  und 
darum  suchte  er  seinen  Einfluss   durch  Schaffung  neuer  Amter 


Landesfürstl.  Landesbehörden  n.  Ämter  in  Altösterreich  u.  Böhmen.     437 

und  Behörden  sicherzustellen,  die  er  soviel  als  möglich  nach  dem 
in  den  deutschen  Erblanden  erprobten  Muster  einrichtete.  Mit 
richtigem  Regentenblick  erkannte  er,  dass  zuvörderst  mit  der 
Besserung  der  Finanzverhältnisse  begonnen  werden  müsse,  nicht 
minder,  dass  das  königliche  Kammergut  und  die  Regalien  das 
Gebiet  seien,  auf  welchem  Neuerungen  in  der  Verwaltung  am 
erfolgreichsten  gegen  einen  in  der  Landesverfassung  nicht  be- 
gründeten Widerspruch  der  Stände  zu  behaupten  waren.  So  ist 
denn  die  Errichtung  von  Landeskammem  mit  coUegialer  Verfassung 
und  Unterordnung  unter  die  Hofkammer  einer  der  ersten  Regierungs- 
acte  gewesen,  die  Ferdinand  I.  als  König  von  Böhmen  und  Ungarn 
vornahm.  Doch  beschränkte  er  sich  nicht  auf  die  Einsetzung  von 
Mittelbehörden  nach  österreichischem  Muster,  sondern  ernannte 
1554  auch  einen  Vicedom  für  Schlesien,  bestellte  Kammerprocu- 
ratoren  in  Mähren  und  Schlesien,  übertrug  das  Amt  des  Hansgrafen 
nach  Mähren  u.  s.  w.  Andere  Behörden  wurden  unter  Anpassung 
an  die  im  Lande  bestehenden  Verhältnisse  ganz  neu  geschaffen, 
wieder  andere,  die  Ferdinand  schon  vorgefunden  hatte,  erhielten 
eine  den  Bedürfnissen  des  Herrschers  besser  entsprechende  Gestalt. 
15.  Zu  diesen  Reformen  bot  in  Böhmen  insbesonders  die 
erfolgreiche  Bekämpfung  der  ungesetzlichen  Widerstandsversuche 
die  Handhabe.  Die  ständische  Bewegung  zu  Zeiten  des  schmal- 
kaldischen  Krieges  beantAvortete  König  Ferdinand  I.  mit  der  Ein- 
setzung der  königlichen  Richter  in  den  böhmischen  Städten  und 
des  Prager  Appellationsgerichts.  Noch  weiter  aber  gieng  Kaiser 
Ferdinand  H.  nach  der  Schlacht  auf  dem  Weißen  Berge.  Der 
Obristkanzler  in  Mähren  begutachtete  die  an  ihn  gestellte  Frage, 
„wie  etwa  das  Guberno  und  Justizwesen  widerumb  von  neuem 
bestellt  werden  möge",  dahin,  dass  die  Stände  auch  in  Mähren  allen 
Anspruch  auf  das  „bisher  besonders  gehabte  Landrecht**  und  die 
übrigen  Freiheiten  eingebüßt  hätten,  so  dass  der  Kaiser  seinem 
Gefallen  nach  ein  neues  Guberno  oder  Regiment  verfassen  oder 
mindestens  das  mährische  zum  böhmischen  Landrecht  transferieren 
lassen  könne,  obgleich  letzteres  zu  widerrathen  sei  sowohl  wegen 
der  Entfernung,  als  auch  weil  die  böhmischen  und  mährischen 
Rechte,  Statuten  und  Gewohnheiten  einen  merklich  großen  Unter- 
schied aufwiesen.  Kaiser  Ferdinand  IL  gieng  nicht  so  weit,  er 
machte  aber  die  an  der  Spitze  des  Landes  stehenden  Beamten  aus 


438        Österreichische  Reiohsgeschichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §63. 

Vertretern  der  Stände  zu  Dienern  des  Landesherrn,  die  er  „nach 
Einziehung  genügsamen  Berichtes"   nach  seinem  Gutdünken  au& 
den  im  Lande  begüterten  ständischen  Familien  auf  Zeit  ernannte. 
Der  Aratseid,  den  sie  früher  nicht  nur  dem  Könige,  sondern  aufeh 
dem  ganzen  Lande  leisteten,  wurde  nun  allein  auf  den  König 
und  seine  Erben  gestellt,  auch  sollten  sie  nicht  mehr  „oberste 
Landesofficiere   des   Königreichs   Böhmen",   sondern    „königliche 
oberste  Landesofficiere  im  Königreich  Böhmen"  heißen  und  in  Ab- 
wesenheit des  Königs  dessen  Statthalter  im  Lande  sein.  Schon 
früher  waren  dergleichen  Statthalter  (1577,  1617)  vorübergehend 
zur  Besorgung  der  wichtigsten  Angelegenheiten  im  Lande  ein- 
gesetzt worden,  nun  bildeten  sie  eine  bleibende  Behörde,   deren 
Mitglieder  als  solche  zunächst  unbesoldet  waren,  die  königliche  Statt- 
halterei  in  Böhmen.  Die  nach  Wien  berufenen  Landesofficiere  wurden 
aber  zu  Räthen  der  böhmischen  Hofkanzlei,  die  als  Vermittlerin 
des  Verkehrs  zwischen  dem  Hofe  und  den  Landesbehörden  all- 
mählich zu   einem  Landesministerium  für  Böhmen  aufstieg.   In 
ähnlicher   Weise   wurden   coUegiale   Behörden   für   die   Landes- 
verwaltung von  Schlesien  und  Mähren  eingesetzt  und  dadurch  die 
obersten  Landesbeamten  aus  ständischen  Organen  zu  königlichen 
Beamten  gemacht:  in  Schlesien  durch  das  königliche  Oberamt  (1630), 
das  im  Jahre  1641  zur  königlichen  Statthalterei  in  Glatz  wurde 
und  politische,  Justiz-  und  Kammeralsachen  zu  erledigen  hatte,  in 
Mähren  1636   durch  das  königliche  Tribunal  oder  das  königliche 
Amt  der  Landeshauptmannschaft. 

16.  Ebenso  wurde  die  in  Böhmen  von  den  Landständen  ent- 
wickelte Kreiseintheilung  mit  ihren  Organen  in  den  Kreis  der 
königlichen  Behörden  gezogen  und  im  Jahre  1642  auf  Mähren 
übertragen.  Die  Kreise  wurden  dadurch  zu  landesfüi-stlichen  Ver- 
waltungsbezirken, in  welchen  die  ernannten  Kreishauptleute  das 
„Landesgubernium*  in  der  Obsorge  über  die  landesfürstliehen 
Regalien,  bei  der  Eintreibung  der  Steuerrückstände,  in  der  Auf- 
sicht über  Maß  und  Gewicht  u.  s.  w.  vertraten,  und  es  wurde 
so  die  Grundlage  für  die  einschneidende  Umgestaltung  der  Ver- 
waltung unter  der  Kaiserin  Maria  Theresia  gelegt. 

In  noch  größere  Abhängigkeit  von  der  Regierung,  wurde  die 
Selbstverwaltung  der  Städte  durch  Einsetzung  königlicher  Richter 
gebracht,   denen  die  Überwachung  zukam,   dass  in  den  Bürger- 


Die  Organe  der  landesfürstl.  Verwaltung  in  BÖlimen  und  Ungarn.     439 

Versammlungen  nichts  gegen  den  König  beschlossen  werde.  König 
Ferdinand  I.  hat  diese  königlichen  Commissäre  nach  dem  Auf- 
standsversuche vom  Jahre  1 547  in  Böhmen  eingeführt,  Kaiser  Fer- 
dinand IL  das  Institut  im  Jahre  1621  auf  Mähren  ausgedehnt. 

17.  Die  Landesverwaltung  in  den  Ländern  der  ungarisclien 
Krone  war,  abgesehen  von  der  Einrichtung  der  ungarischen  (1528) 
und  später  (1567)  auch  der  Zipser  Kammer,  an  Stelle  des  früheren 
.Thesauriats"  bis  zum  Jahre  1722/23  im  wesentlichen  unverändert. 
Die  Vertretung  des  abwesenden  Königs  in  allem,  was  ihm  nicht 
ausdrücklich  vorbehalten  war,  stand  verfassungsmäßig  dem  Palatin 
zu,  der  von  den  Ständen  nach  den  Vorschlägen  des  Königs  auf 
Lebenszeit  erwählt  wurde ;  die  allzu  große  MachtfuUe  des  Palatins 
bewog  jedoch  die  Könige,  dies  Amt  von  1531 — 1681  (mit  Aus- 
nahme der  Jahre  1608—1667)  meist  unbesetzt  zu  lassen.^  Die 
Stellvertretung,  die  sonst  in  Fällen  der  Palatinalvacanz  dem  Judex 
Curise  zukam,  wurde  in  dieser  Zeit  getheilt  und  vom  Könige  nach 
seinem  Ermessen  in  Verwaltungsangelegenheiten  gewöhnlich  einem 
Kirchenfürsten  als  „Locum  tenens  Regius"  unter  Beiordnung  einiger 
Räthe  übertragen,  während  für  die  richterlichen  und  militärischen 
Befugnisse  durch  Ernennung  eines  „Propalatins''  und  zweier 
„Landescapitäne"  vorgesorgt  wurde.  Der  nächste  nach  dem  Palatin 
war  der  Judex  Curise  als  oberster  Landesrichter  in  Ungarn,  als 
dritter  folgte  der  Ban  von  Croatien  und  Slavonien,  der  in  diesen 
Landen  der  oberste  Beamte  in  Civil-  und  MiUtärangelegenheiten 
war,  diesem  der  „Reichs-Tavernicus"  oder  Erzschatzmeister,  dem 
die  königlichen  Freistädte  unterstellt  waren,  u.  s.  w. 

18.  Siebenbürgen,  für  das  am  Wienerhofe  eine  eigene  Hof- 
kanzlei seit  1691  bestand,  wurde,  als  Fürst  Michael  II.  Apaffy  das 
Land  im  Jahre  1696  dem  Kaiser  Leopold  I.  gegen  ein  Jahresgehalt 
abgetreten  hatte,  auf  dem  Fuße  eines  altösterreichischen  Kronlandes 
eingerichtet.  Es  erhielt  ein  eigenes  Gubemium  und  als  Unter- 
behörde der  Hofkammer  ein  Thesauriat.  Ebenso  wurden  noch 
einige  andere  Gebiete,  die  den  Türken  durch  Rückeroberung  zuletzt 
entrissen  worden  waren,  nicht  mit  Ungarn  oder  Croatien  vereinigt, 
sondern  zunächst  der  Wiener  oder  Grazer  Hofkammer  unmittelbar 
unterstellt,  weil  sie  nach   der  Ansicht  Kaiser  Leopold's  I.  und 

2  Virozsil,  I,  §35,  II,  §  64  ff,  III,  §  78  flf. 


HO     Osterreicbiscbe  Reiobsgeschichte.  IL  Theil.  ^'ie^te  Periode.  §  53  u.  54. 

seiner  Nachfolger  als  Pfänder  mit  ihren  Ertr^aissen  dafUr  haften 
sollten,  „d&as  die  altösterreiehischen  und  die  böhmischen  Erblande 
weiterhin  mit  unverhältnisraäßigen  Opfern  für  die  Vertheidigung 
jener  Länder  verschont  bleiben'.  Sie  wurden  daher  tbeils  als  ,Greiiz- 
länder'  militärisch  eingerichtet,  theils,  wie  das  Temeser  Banat,  zu 
besonderen  Verwattungasprengeln  gemacht. 

19.  Durch  die  Gesetzeaartikel  97/98,  101/2  vom  Jahre  1723 
wurde  für  die  Verwaltung  des  eigentlichen  Ungarn  nach  dem 
Muster  der  königlichen  Statthalteret  in  Böhmen  ein  „Consilium 
Regium  Locum  tenentiale'  für  alle  innem  Angelegenheiten  —  aus- 
genommen reine  Justiz-  und  Kammeralsachen  —  eingesetzt.  Es  sollte 
aus  22,  vom  König  aus  den  obern  Ständen  frei  gewälilten  Räthen 
unter  dem  Voraitae  des  Palatins  oder  seines  Vertreters  bestehen, 
zu  Presaburg  seinen  Sitz  haben  und  ohne  Unterordnung  unter 
eine  fremde  Hofstelle  durch  die  ungarische  Hofkanzlei  mit  dem 
Könige  verkehren.  Nach  unten  hin  beruhte  dann  die  Geschäfts- 
führung auf  dem  Grundsatze  der  Selbstverwaltung  und  wurde 
theils  durch  die  gewählten  Comitateausschüsse  unter  Vorsitz  des 
Ober-  oder  Vicegespana,  theils  durch  die  Organe  der  königlichen 
freien  Städte,  oder  der  piivileglerten  Districte  des  Landes  besoi^ 

%  54.  Die  Einrichtungen  körperschaftlicher  Selbstreriraltniig. 

Inforruation  aus  dem  Tirolor  Landschalts-Ai'chiv  die  Landesfrey heiten  und 
.  .  alle  seit  13-23  abgehaltenen  Au^schusM  betreffend.  —  Instructionen  filr  die  Ver- 
ordneten, die  Raitberren  und  den  Einnolimer  des  Landes  ob  der  Enns  Tiirs  Jahr 
1661  (Mas.  f.  S.).  -  Kümmel  E.,  Die  la.  Ausgabebilcbor  (Beitr.  z.  Kde.  eUlr. 
Oeschqu.,  XIVJ.  —  Rieger,  Kreisverfassung  in  Böbmen  (im  österr.  Staatswörter- 
buch). —  Steoger,  Rechte  der  königl.  Städte  In  Ungarn,  2  Bde.  —  Valvasor. 
Bliro  des  Herzogthuras  Crain,  IX.  Buch.  -  Virozail,  §  80.  —  Über  die  Ver- 
waltung der  Städte  und  Zünfte,  s.  Literatur  bei  g  36,  auQerdem  Böheim.  Über 
Wiener-Neustadt:  Hermann,  über  St.  Veit  und  Klagenfurt;  Peinlich,  i.  d. 
Mittb.  d.b.  Ver.  f.  Stmk.,  Heft  25,  29:  Hormayr,  Weiß,  über  Wien:  Preven- 
huebor,  Anoales Styrenses,  Erben,  Die  Primatoren  der  b.  Altstadt  Prag  1858: 
H'Elvert,  Beitr.  b.  Gesch.  d.  kgl.  Städte  In  Muhren,  u.  s,  w. 

A.  LandständisGhe  BehSrden  und  Amter. 
I .  Die  Wahl  von  LandtagsausschUssen  zur  Besorgung  gewisser, 
langer  dauernder  Angelegenheiten  der  Landschaft,  die  vereinzelt 
fiiiluT  schon  vorgekommen  war,  wurde  in  den  altösterreichischen 


Landschaftliche  Behörden:  die  Verordneten,  der  Ansschuss.  441 

Landen  seit  der  Zeit  Kaiser  Maximilian's  I.  eine  bleibende  Ein- 
richtung (§  40,  7).  Sowohl  die  Zahl  als  auch  die  Zusammensetzung 
und  die  Amtsdauer  dieser  Ausschüsse  konnten  wechseln,  ebenso 
waren  die  Aufgaben  und  Vollmachten  verschieden,  die  ihnen  der 
Landtag  als  Auftraggeber  ei*theilte. 

In  den  fünf  n.-ö.  Landen  fielen  die  wichtigsten  Aufgaben 
dem  Ausschuss  der  Verordneten  zu.  Diese  waren  die  bleibenden 
Geschäftsführer  des  Landes  und  hatten  so  ziemlich  die  Stellung, 
die  heute  den  „ Landesausschüssen "^  zukommt.  Namentlich  hatten 
die  Verordneten  das  ganze  Wirtschaftswesen  des  Landes  „zu  be- 
sorgen, der  Herren  Stände  Schlüsse  zu  exequieren  und  deroselben 
Gerechtsame  und  Privilegia  zu  conservieren".  Sie  waren  die  Vor- 
gesetzten der  landschaftlichen  Kanzlei  und  hatten  alljährlich  dem 
Landtag  eine  „Relation"'  über  ihre  Thätigkeit  im  abgelaufenen 
Jahre,  den  Stand  des  Landschaftsvermögens,  eine  Art  Voranschlag 
u.  8.  w.  zu  erstatten.  Selbständiges  Verfügungsrecht  besaßen  sie 
nur  in  sehr  beschränktem  Maße,  ihres  Amtes  war  nur,  die  Landtags- 
beschlüsse auszuführen,  nicht  aber  solche  zu  ändern.  Darum  war 
es  ihnen  auch  verwehrt,  s.  g.  Anticipationen,  d.  h.  Vorausbezahlungen 
noch  nicht  bewUligter  Steuern,  aus  eigenem  der  Regierung  zu 
bewilligen.  Ihre  Zahl  wechselte  selbst  in  ein  und  demselben  Lande 
und  ebenso  die  Amtsdauer,  die  meistens  einige  (3  bis  4)  Jahre 
betrug.  Entnommen  wurden  die  Verordneten  fast  nur  den  höheren 
Ständen,  mit  Ausnahme  von  Krain,  wo  auch  Bürger  bis  zum 
Jahre  1579  zu  diesem  Amte  vereinzelt  gewählt  wurden,  und  von 
Österreich  ob  der  Enns,  wo  nach  der  Instruction  vom  Jahre  1661 
auf  acht  Verordnete  zwei  Vertreter  der  landesfürstlichen  Städte 
und  Märkte  kamen,  die  sich  aber  mit  dem  halben  Gehalt  der 
übrigen  begnügen  mussten. 

2.  Neben  den  Verordneten  gab  es  den  vorzugsweise  soge- 
nannten ständischen  Ausschuss  als  stellvertretenden  Ersatz  des 
Landtages.  Derselbe  beanspruchte  darum  den  Vorrang  vor  den 
Verordneten,  die  z.  B.  nach  der  Instruction  vom  Jahre  1661  im 
Lande  ob  der  Enns  den  Ausschuss-Sitzungen  nur  in  solchen  An- 
gelegenheiten beiwohnen  konnten,  zu  welchen  sie  durch  einen 
Landtagsbeschluss  gerufen  waren.  Doch  machte  sich  im  ganzen 
das  Übergewicht  der  Verordneten  über  den  ständischen  Aus- 
schuss geltend,  indem  ihnen  für  zwingende  Fälle,  bei  drohender 


L 


442         Österreiohiache  Reich^geschichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode,  g  54. 

Feindesgefahr  oder  wenn  die  R^ierung  dringlich  die  Voraus- 
bezahlung von  Steuern  begehrte,  die  Einberufung  des  AusBChusees 
und  selbst  deasen  Verstärkung  durch  Einladung  noch  anderer 
Landtagsmitglieder  eingeräumt  wurde. 

Von  den  Landtagen  wurden  zu  besonderen  Zwecken  noch 
Ausschüsse  aiidei-er  Art,  bisweilen  Commissionen  genannt,  erwälilt, 
so  zur  BerathuDg  von  Gesetzentwürfen,  als  Vertreter  des  Landes 
bei  AuBachuaatagen,  als  Beisitzer  der  ständischen  Gerichtsstellen 
u.dgl.  In  Österreich  ob  der  Enns  war  im  17.  Jahrhundert  die 
Überprüfung  der  Rechnungen  des  ständischen  Generaleinnehmers 
einem  CoUegium  von  acht  Raitherren  mit  sechsjähriger  Amtsdauer 
übertragen,  welches  aus  Mitgliedern  aller  \ier  Stände  zusammen- 
gesetzt wurde.  Residenzpflicht  hatten  jedoch  nur  die  Verordneten, 
die  daher  von  Anbeginn  besoldet  wurden.  Besoldet  wurden  femer 
die  Beisitzer  bei  den  Landes-  und  Hofrechten,  In  Österreich  ob  der 
Enne  auch  die  Raitherren,  während  die  übrigen  höchstens  auf  Ent- 
schädigung der  Reiaeauslagen  und  auf  Tagegelder  Anspruch  hatten. 

3.  Andere  als  in  den  fünf  n.-ö,  Landen  hatte  die  Landschaft 
in  Tirol  die  Leitung  ihrer  Angelegenheiten  geordnet.  Einen  ständigen 
Ausachuss  mit  Residenzpflicht  wie  die  Verordneten  gab  es  hier 
nicht  vor  dem  ersten  Viertel  des  18.  Jahrhunderts,  sondern  man 
begnügte  sich  mit  Ausschüssen,  die  nach  Bedarf  zur  Besorgung 
der  Landesgeschäfte  zusammentraten.  Als  solche  erscheinen  mit 
bald  kürzerer,  bald  längerer  Amtsdauer  —  die  Erneuerung  der  im 
Jahre  1573  gewählten  Ausschüsse  fand  z.B.  erst  1594  statt  — 
vor  allem  der  große  und  der  kleine  Ausschusa,  die  als  Ersatz  für 
den  Landtag  mit  der  Regierung  gewöhnlich  verhandelten  und 
kleinere  Regierungabegehren  selbständig  bewilligen  konnten;  ferner 
die  8.  g.  Steuercompromissare,  welche  für  die  Veranlagung  der 
Steuern  zu  sorgen  hatten  und  noch  am  ehesten  einen  Wirkungs- 
kreis hatten,  der  an  jenen  der  Verordneten  erinnerte.  Eine  Folge 
dieser  Einrichtungen  war,  dass  in  all  diese  Ausschüsse  grund- 
siitziich  Mitglieder  aller  vier  Stände;  der  Geistlichkeit,  des  Adels. 
der  Städte  und  der  freien  Bauern  berufen  wurden  und  dass  diese 
lür  ihre  Mühewaltung  Tagegelder  bezogen,  die  in  dem  einen  oder 
;iiiilern  Falle  selbst  von  der  Regierung  gezahlt  wurden.  E^  herraciite 
eben  in  Tirol  eine  große  Abneigung  gegen  die  Vollversammlungen 
<k^s  Landtages  in  den  Kreisen  der  Stände  selbst.  Dies  hat  sciion 


Landschaftliobe  Behörden  in  Tirol,  Böhmen,  Mähren.  443 

im  16.  Jahrhundert  nicht  bloß  zur  Anweisung  von  Tagegeldern 
für  alle  zum  Landtag  erschienenen  Mitglieder,  sondern  wiederholt 
zur  Bitte  an  den  Regenten  geführt,  er  möge  doch  das  Land  mit 
häufigen  Landtagen  verschonen.^ 

Erst  im  Jahre  1716  dachten  die  Stände  an  die  Errichtung 
der  s.  g.  „ständischen  Activität"  nach  dem  Muster  der  „Verordneten- 
Stellen".  Wie  sehr  jedoch  der  Einfluss  der  Stände  in  jener  Zeit 
schon  gesunken  war,  kann  man  daraus  ermessen,  dass  der  Er- 
öffnung dieser  ständischen  Behörde  die  Genehmigung  durch  Kaiser 
Karl  VI.  vorangehen  musste,  welche  erst  ums  Jahr  1722  erfolgte.^ 

4.  In  Böhmen  und  Mähren  fiel  die  Vertretung  des  Landes 
bei  nicht  versammeltem  Landtage  in  der  Zeit  vor  Ausbruch  des 
dreißigjährigen  Krieges  den  obersten  Landesbeamten  zu,  welche  bis 
dahin  sowohl  dem  Lande  als  dem  Könige  durch  Eid  verpflichtet 
waren.  Außerdem  wurden  nach  Bedürfnis  in  den  Landtagen  Com- 
missionen  gewählt,  die  in  einzelnen  bestimmten  Angelegenheiten 
für  das  Land  verbindliche  Beschlüsse  fassen  konnten.  Als  jedoch 
die  obersten  Landesofficiere  durch  die  vemeuerten  Landesordnungen 
zu  rein  königlichen  Beamten  geworden  waren,  machte  sich  der 
Mangel  eines  bleibenden  Organs  für  die  Ausfuhrung  der  Landtags- 
beschlüsse immer  fühlbarer.  In  Böhmen  behalf  man  sich  seit  1652 
mit  einer  von  Landtag  zu  Landtag  erneuerten  Hauptcommission, 
die  jedoch  im  Jahre  1674  plötzlich  aufhörte.  Den  Mährem  erlaubte 
Kaiser  Leopold  L  im  Jahre  1686  die  Erwählung  von  je  zwei 
Landesdeputierten  aus  jedem  der  vier  Stände,  welche  unter  dem 
Vorsitz  des  Landeshauptmannes  als  Landesausschuss  die  „Oecono- 
mica  domestica*'  zu  besorgen  hatten  und  von  drei  zu  drei  Jahren 
erneuert  wurden.  Ganz  nach  diesem  Muster  wurde  dann  mit  Ge- 
nehmigung Kaiser  Karl's  VI.  im  Jahre  1714  auch  in  Böhmen  ein 
Landesausschuss  eingerichtet. 


1  S.  §  40,  11.  Bei  Übernahme  von  1,600.<)00  fl.  Kammerschulden  verlangte 
der  Landtag  im  Jahre  1573,  dass  fortan  durch  20  Jahre  kein  Landtag  gehalten 
werde.  Wirklich  erlangte  1577  die  Landschaft  die  Zusicherung  des  Erzherzogs, 
er  'werde  sie  „nicht  mehr  mit  ferneren  Hilfen  und  Landtagen  behelligen*.  — 
Über  die  Einrichtungen  der  Tiroler  Landschaft  s.  Egger,  II,  217,  386,  438,  555; 
Hirn,  Erzh.  Ferdinand  IL,  2.  Bd.,  S.  59  ff. 

^  Diese  Activität  bestand  aus  acht  Mitgliedern,  je  zwei  aus  jedem  Stande 
mit  verschieden  abgestuftem  Qehalt.  S.  die  Instruction  bei  Egger,  II,  556. 


444        Österreichische  Reichsgeschichte.  IL  Theil.  Vierte  Periode.  §  54. 

5.  Keine  der  österreichischen  Landschaften  hat  jedoch  ihre 
Verwaltung  mit  ihren  Ausschüssen  allein  zu  besorgen  vermocht, 
die  Zahl  der  von  Jahrzehnt  zu  Jahrzehnt  steigenden  Geschäfte  hat 
vielmehr  allerlanden  die  Anstellung  besonderer  landschaftlicher 
Beamten  nöthig  gemacht.  Solche  gab  es  namentlicli  überall  für 
die  Einhebung  der  Einnahmen  und  Verrechnung  der  Ausgaben, 
und  zwar  mit  einem  Einnehmer  oder  Generaleinnehmer  an  der 
Spitze,  der  aus  der  Reihe  der  Ständemitglieder  genommen  wurde. 
Ebenso  allgemein  finden  wir  Juristen  als  Vorstände  der  landschaft- 
lichen Kanzleien,  mochten  sie  nun  den  Titel  Secretär  oder  Syndicus 
haben.  Officiere  für  die  landschaftlichen  Truppen  und  Kriegs- 
commissäre  zur  Sorge  für  durchziehende  kaiserliche  Soldaten,  wurden 
ebenfalls  aus  dem  Landesadel  genommen,  zum  TheU  bleibend 
besoldet,  zum  Theil  nach  Bedarf  ernannt.  Andere  landschaftliche 
Bedienstungen  richteten  sich  je  nach  den  Aufgaben,  auf  welche 
sich  die  Verwaltung  der  Landstände  erstreckte.  Solange  in  den 
Landen  der  Protestantismus  vorherrschte,  fehlten  weder  landschaft- 
liche Prediger,  noch  Schulmeister  und  Lehrer.  Durch  den  Land- 
schaftsprofoßen  und  dessen  Knechte  wurde  (in  Steiermark  1578) 
eine  Art  Landesgensdarmerie  geschaffen,  die  Gesundheitspflege 
gab  Anlass  zur  Bestellung  landschaftlicher  Ärzte  und  Hebammen, 
die  Einräumung  der  Münzerzeugung  an  die  i.-ö.  Landschaften 
zur  Bestellung  landschaftlicher  Münzmeister  und  Gesellen.  Aber 
auch  Buchdrucker,  Baumeister,  Maler,  Reit-  und  Tanzlehrer, 
Ballenmeister  u.  s.  w.  bis  zum  landschaftlichen  Koch  herunter 
finden  sich  in  den  Listen  der  Landschaftsbediensteten. 

6.  Im  Zusammenhang  mit  der  landschaftlichen  Verwaltung 
steht  auch  die  EintheUung  des  Landes  in  Kreise  oder  Viertel,  an 
deren  Spitze,  zumal  für  Zwecke  der  Landesvertheidigung  ein  land- 
schaftlicher Kreis-  oder  Viertelhauptmann  gestellt  wurde.  In  Öster- 
reich ob  und  unter  der  Enns  erfolgte  die  Eintheilung  des  Landes 
in  je  vier  Viertel  zu  leichterer  Aufbringung  des  ständischen  Auf- 
gebots schon  zu  Anfang  des  15.  Jahrhunderts,  zu  gleichen  Zwecken 
ist  sie  auch  in  Tirol  und  Steiermark  nachweisbar,  wo  später  durch 
die  Einverleibung  der  Grafschaft  CUli  ein  fünftes  Viertel  zuwuchs. 
In  fünf  Viertel  zerfiel  auch  Krain  mit  Istrien.  Ein  selbständiges 
politisches  Leben  hat  sich  jedoch  im  Anschluss  an  diese  Viertel- 
eintheilung  nicht  entwickelt. 


Eintheilung  der  Lande  in  Viertel,  Kreise,  Comitate.  445 

7.  Anders  in  Böhmen,,  wo  die  Eintheilung  des  Landes  in 
Kreise  bis  auf  König  Ottakar  II.  zurückgeht.  Dieselbe  diente 
während  des  Mittelalters  vor  allem  Landesfriedenszwecken,  gerieth 
aber  in  der  Hussitenzeit  unter  den  Einfluss  der  Stände.  Unter  den 
jagelionischen  Königen  war  den  Kreisen  ein  bedeutendes  Maß  von 
Selbstverwaltung  überlassen,  namentlich  die  Veranlagung  der  auf 
den  Kreis  entfallenden  Steueni  und  Mannschaften.  Verhandelt  wurde 
auf  eigenen  Kreistagen.  Diese  konnten  bis  ins  16.  Jahrhundert 
von  den  Kreishauptleuten  nach  eigenem  Ermessen  berufen  werden 
und  hatten  vor  allem  die  Handhabung  des  Friedens  und  der  Polizei 
im  Kreise  zum  Gegenstande,  wiewohl  nicht  selten  auch  Angelegen- 
heiten des  ganzen  Landes  in  die  Besprechung  einbezogen  wurden. 
Ferdinand  I.  wusste  es  jedoch  schon  früh  durchzusetzen,  dass  die 
Stände  die  Berufung  der  Kreistage  dem  König  gänzlich  überließen. 
Seitdem  nahm  die  Bedeutung  der  Kreistage  ab  und  sie  wurden  in  der 
Folge  nur  kraft  eines  Landtagsbeschlusses  zur  Verhandlung  über  be- 
stimmte, ihnen  arugewiesene  Gegenstände  einberufen,  während  eigen- 
mächtiger Zusammentritt  bei  strengster  Ahndung  verboten  war. 
Vollends  unter  königlichen  Einfluss  kam  die  Kreisverwaltung  seit  Er- 
lassung der  verneuerten  Landesordnungen  in  Böhmen  und  Mähren. 

Die  Zahl  der  Kreise  schwankte  in  Böhmen  zwischen  12—15, 
Mähren  wurde  im  Jahre  1527  von  den  Ständen  in  vier  Viertel 
zerlegt,  unter  Kaiser  Ferdinand  III.  aber  zu  Zwecken  staatlicher 
Verwaltung  in  fünf  oder  eigentlich  sechs  Kreise  aufgetheilt,  welche 
unter  königlichen  Kreishauptleuten  standen. 

Den  älteren  Kreisen  in  Böhmen  entsprachen  als  Selbst- 
verwaltungskörper die  Comitate  in  Ungarn.*  Während  die  Kreistage 
in  Böhmen  seit  der  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  ihre  Unabhängigkeit 
einbüßten  und  aufhörten,  eine  ständische  Einrichtung  zu  sein, 
haben  sich  in  Ungarn  die  General-  und  Particular-Congregationen, 
in  welchen  alle  im  Bezirke  begüterten  Mitglieder  der  vier  Stände 
des  Reiches  Sitz  und  Stimme  hatten,  als  universitates  statuum  bis 
in  die  neueste  Zeit  erhalten.  Sie  besassen  eigene  Magistrate,  wurden 
regelmäßig  von  Zeit  zu  Zeit  durch  die  Obergespäne  berufen  und 
verhandelten  sowohl  in  militärischen  als  politisch-ökonomischen  und 
gerichtlichen  Angelegenheiten. 


8  Virozsil,  UI,  §79,  8.  Oöflf. 


446        Österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Tholl.  Vierte  Periode.  §  54. 


B.  Die  Verwaltungseinrichtungen  in  den  Städten  und  Märkten. 

8.  Der  Selbstverwaltung  waren  in  den  österreichischen  Städten 
schon  vom  Mittelalter  her  engere  Grenzen  gesteckt,  weil  Reichs- 
städte gänzlich  fehlten  und  die  Stadtherren  ihre  Rechte  über  die 
Städte  durchwegs  zu  behaupten  verstanden  hatten.  Selbst  in  Wien, 
welche  Stadt  alle  übrigen  an  Bedeutung  weit  überragte,  hatte 
schon  Kaiser  MaxiraUianl.  durch  sein  Stadtrecht  vom  Jahre  1517 
Beschränkungen  bei  der  Wahl  des  Bürgermeisters  und  der  Raths- 
herren  in  der  Art  eingeführt,  dass  die  Bestätigung  der  Wahlen 
von  einer  Untersuchung  durch  die  Regierungsbehörde,  ob  die 
Gewählten  zu  „solchen  Ämbtern  geschickt,  nutzlichen  und  guet* 
seien,  abhängig  gemacht  wurde.  Die  Aufhebung  der  Körper- 
schaften der  Genannten  und  der  Münzer  Hausgenossen  und  die 
Besetzung  des  Wiener  Stadtgerichts  mit  ständigen  und  besoldeten 
Beisitzern,  brachten  die  Stadt  1522  in  noch  größere  Abhängigkeit 
vom  Landesfürsten,  bis  endlich  die  Stadtordnung  Erzherzog  Fer- 
dinand's  I.  vom  12.  März  1526  die  städtische  Verwaltung  in  jene 
engen  Formen  zwängte,  die  bis  zur  Regelung  des  Wiener  Magistrats 
durch  Kaiser  Josef  IL  im  Jahre  1783  in  Wirksamkeit  gebheben  sind. 

9.  Die  Wiener  Gemeindevertretung  bestand  seit  der  neuen 
Stadtordnung  Erzherzog  Ferdinand's  aus  hundert  Personen,  von 
welchen  zwölf  als  Beisitzer  des  Stadtgerichts  vom  Landesfürsten 
frei  ernannt,  zwölf  als  Stadtrath  aus  der  Mitte  der  behausten 
Bürger,  die  aber  kein  Handwerk  betreiben  durften,  genommen 
wurden.  Den  Handwerkern  blieb  nur  der  Zutritt  zum  äußeren 
Rath  von  76  Personen  ofifen,  der  jetzt  die  Wirksamkeit  eines 
Beirathes  besaß,  da  er  dem  Stadtrath  untergeordnet,  den  Be- 
rathungen  bloß  nach  dessen  Ermessen  in  außerordentlichen  Fällen 
und  bei  wichtigen  Verhandlungen  zugezogen  wurde.  Jedes  dritte 
Jahr  fand  die  s.  g.  Rathserneuerung  statt,  d.  h.  es  traten  mit  Ge- 
nehmigung der  Regierung  einige  Mitglieder  des  Innern  Rathes  in 
den  äußern  ein,  und  umgekehrt ;  im  übrigen  beschränkte  man  sich 
auf  Ausfüllung  der  Lücken,  die  durch  Tod,  Krankheit  oder  sonst- 
wie in  den  Reihen  der  Gemeindevertreter  entstanden  waren,  wobei 
den  Mitgliedern  des  Innern  Rathes  ein  als  „Wahl*  bezeichnetes 
Vorschlagsrecht  für  die  erledigten  Stellen  im  äußern  Rathe  und 


Wieus  Verwaltung  seit  der  Stadtordnung  vom  Jahre  1526.  447 

umgekehrt  zustand,  die  Auswahl  unter  den  Vorgeschlagenen  aber 
vom  Landesfürsten  abhieng.  Ebenso  lief  die  „Bürgermeisterwahl" 
darauf  hinaus,  dass  von  den  drei  Gruppen  der  Gemeindevertretung  : 
dem  Stadtrath,  den  Stadtgerichtsbeisitzern  und  dem  äußern  Rathe 
jährlich  am  St.  Thomastag  je  ein  Vorschlag  für  den  Bürgermeister- 
posten erstattet  wurde,  unter  welchen  die  Regierung  die  Wahl 
hatte.  Länger  als  zwei  Jahre  hintereinander  sollten  weder  Bürger- 
meister noch  Stadtrichter  im  Amt  bleiben,  seit  der  zweiten  Hälfte 
des  17.  Jahrhunderts  wurde  jedoch  eine  vierjährige  Amtszeit  üblich. 

10.  Dem  Bürgermeister  zur  Seite,  welcher  an  der  Spitze 
der  Gemeindeverwaltung  stand,  gab  es  in  Wien  vom  Mittelalter 
her  noch  zwei  landesfürstliche  Beamte:  den  Stadtrichter  für  den 
Vorsitz  im  Stadtgericht  und  den  Stadtanwalt  als  Vertreter  der 
Regierung  im  Stadtrathe.  Als  solcher  hatte  dieser  Sitz  in  den 
wöchentlich  zum  mindestens  dreimal  stattfindenden  Sitzungen  des 
Stadtraths,  die  ihm  sämmtlich  angesagt  werden  mussten,  und  seine 
Aufgabe  war  es,  die  Verwaltung  der  Stadt  im  allgemeinen  und 
der  Gesundheits-  und  Sicherheitspolizei  insbesonders  zu  überwachen, 
sowie  für  die  Befolgung  der  landesfürstlichen  Anordnungen  zu 
sorgen.  Aus  der  Instruction  vom  Jahre  1564  ergibt  sich,  dass  der 
Kaiser  damals  die  Absicht  hatte,  die  Stelle  eines  Stadtanwalts, 
durch  einen  Stadthauptraann  zu  ersetzen,  was  „aus  etlichen  be- 
irrlichen  Ursachen"  jedoch  unterblieb. 

Im  allgemeinen  galt  der  Grundsatz,  dass  die  Pereonen  des 
Stadtraths  nicht  mit  andern  Ämtern  zu  beladen  seien.  Daher  war 
nur  das  Amt  des  Stadtkämmerers  einem  Mitglied  des  Innern  Rathes 
anvertraut,  während  die  Stellen  der  vier  „Raitpersonen"  zur  Über- 
prüfung der  städtischen  Rechnungen  und  die  Steueranschläger 
aus  den  Mitgliedern  des  äußern  Rathes  genommen  wurden  und 
der  Unterkämmerer,  die  Kirch-  und  Viertelmeister  aus  der  »ge- 
meinen Bürgerschaff"  besetzt  wurden.  Ein  Stadtschreiber,  der 
später  Syndicus  hieß  und  nicht  zur  Stadtvertretung  gehörte,  stand 
an  der  Spitze  der  städtischen  Kanzlei.  Außerdem  gab  es  noch 
mancherlei  städtische  Bedienstete  mehr  untergeordneter  Art. 

11.  Nach  dem  Vorbilde  von  Wien,  nur  entsprechend  ver- 
einfacht und  den  örtlichen  Bedürfnissen  angepasst,  war  die  Ver- 
waltung der  meisten  Städte  in  den  altösterreichischen  Landen 
eingerichtet.  Durchwegs  fehlte  hier  der  Stadtanwalt,  da  die  Ge- 


448        Österreichische  Reichsgeschichte.  IL  Theil.  Vierte  Periode.  §  54. 

meinwesen  umso  viel  kleiner  waren,  so  erschien  eine  strenge 
Überwachung  derselben  dem  Landesherrn  weniger  nöthig,  außer 
wo,  wie  in  Triest,  Fiume,  Gradiska  u.  s.  w.,  militärische  Rücksichten 
die  Einsetzung  eines  Hauptmannes  erheischten,  der  mit  der  Stellung 
eines  Pestungscommandanten  die  Aufgaben  des  Stadtanwalts  ver- 
einigte. Auch  das  Bürgermeisteramt  war  keineswegs  schon  all- 
gemein. In  Steiermark  waren  nur  Graz,  Judenburg,  Brück  und 
Leoben  (seit  1446,  1481,  1488,  1541)  mit  dem  Recht  der  Bürger- 
meisterwahl ausgestattet,  in  Kärnten  gab  es  solche  zu  St.  \^eit 
Villach,  Klagenfurt  (seit  1547,  1584,  1587),  Wels  erhielt  sie 
1569  nach  dem  Vorbüde  von  Linz  und  Steyer.  Der  Gewählte 
bedurfte  zum  Amtsantritt  der  Bestätigung  durch  die  landesfurst- 
' liehe  Behörden.*  Wo  es  keine  Bürgermeister  gab,  und  dies  war 
noch  in  der  Mehrzahl  der  Städte  und  bei  allen  Märkten  der  Fall 
stand  der  Richter  an  der  Spitze,  der  sich  sonst  mit  der  zweiten 
Stelle  begnügen  musste.  Dieser  war  immer  ein  landesfürstliches 
Organ,  selbst  dort,  wo  er  bei  s.  g.  freier  Richterwahl  durch  die 
Bürgerschaft  bestellt  wurde,  und  hatte,  wenn  der  Ort  die  Land- 
gerichtsbarkeit besaß,  „Acht  und  Bann"  oder  die  Ermächtigung, 
„über  das  menschliche  Blut  zu  richten",  bei  den  vorgesetzten 
landesfürstlichen  Behörden  einzuholen  (§  56,  4). 

12.  Das  Schwergewicht  der  Gemeindevertretung  lag  im  innern 
Rath,  der  gewöhnlich  aus  zwölf  Mitgliedern  bestand.  Der  äußere 
Rath,  in  Kärnten  noch  mit  dem  alten  Namen  der  «Genannten** 
bezeichnet,  war  hie  und  da,  z.  B.  in  Graz,  wohl  in  Zusammenhang 
mit  der  Gegenreformation  aufgehoben  worden  und  durch  einen 
Bürgerausschuss  ersetzt.  Als  Mittelspersonen  zwischen  dem  Innern 
Rath  und  der  Gemeinde  kamen  überdies  von  früher  her  als  Aus- 
schuss  die  s.  g.  Vierer  vor,  die  man  aber  jetzt  missverständüch 
„Führer"  schrieb  und  als  „Führer  der  Gemeinde"  ansah.  Es  fehlt 
ferner  nicht  der  Stadtschreiber  als  Vorstand  der  städtischen  Kanzlei 
und  eine  mehr  minder  große  Anzahl  städtischer  Bediensteter, 
unter  welchen  beispielsweise  zu  Graz  im  Jahre  1740  auch  ein 


^  In  Steiermark  bei  der  i.-ö.  Regiemng,  in  Kärnten  und  Krain  beim  Landes- 
Vicedom.  Rechbach,  Observationes,  S.  14.  In  den  grundherrUchen  Städten  und 
Märkten  fiel  die  Bestätigung  dem  Gnmdherm  zu.  In  Klagenfurt,  das  den  Ständen 
von  Kärnten  gehörte,  gieng  der  Wahlvorschlag  an  die  Verordnetenstelle;  den 
Erkorenen  setzte  der  landständ.  Burggraf  durch  ein  Decret  ein.  Hermann,  S.82. 


Die  Verwaltung  der  übrigen  Städte  in  Österreich  und  Böhmen.       449 

^Stadtanrescher"    und   ein    „Schattenklauber*    besoldet    wurden, 
deren  Verrichtungen  schwer  zu  errathen  sind. 

13.  Die  städtische  Verwaltung  in  Triest  war  nach  italienischem 
Muster  eingerichtet  und  dabei  so  zersplittert,  dass  Rechbach  im 
17.  Jahrhundert  spottend  bemerken  konnte,  es  gebe  da  beinahe 
mehr  städtische  Officianten  als  Bürger  oder  Häuser.  Die  Regierung 
ernannte  einen  Stadthauptmann  als  ihren  Stellvertreter.  Der  „Vica- 
rius  so  in  civilibus  judex  Ordinarius  ist",  und  der  Strafrichter 
wurden  jährlich  von  der  Stadt  gewählt,  mussten  aber  Fremde  sein ; 
der  kleine  Rath  zählte  40,  der  große  sogar  224  Mitglieder.  Manche 
der  vielen  städtischen  Ämter  erforderten  überdies  eine  mehrfache 
Besetzung,  da  sie  nur  auf  vier  Monate  verliehen  wurden. 

14.  Dieser  Wechsel  im  Stadtamte  innerhalb  des  Jahres  findet 
sich  auch  in  Böhmen.  Hier  war  es  in  vielen  Städten  üblich,  dass 
das  Amt  des  Bürgermeisters  im  Kreise  der  Rathsmitglieder  von 
Monat  zu  Monat  wechselte.  Der  jeweilig  an  der  Spitze  des  Rathes 
Stehende  wurde  früher  Protoconsul,  primus  magister  civium,  erster 
Bürgermeister,  später  Primator  genannt.  Seit  dem  Regierungsantritt 
König  Perdinand's  I.  wird  die  Stelle  des  Protoconsul  durch  Er- 
nennung des  Königs  auf  eine  Reihe  von  Jahren  verliehen. 

Bedeutende  Veränderungen  in  der  Gemeindeverwaltung  hatte 
die  Betheiligung  der  böhmischen  Städte  an  dem  Aufstand  vom 
Jahre  1547  im  Gefolge.  Die  schuldigen  Städte  verloren  nicht  bloß 
viele  Privilegien  und  Besitzungen,  sondern  mussten  sich  auch  die 
Auflage  des  ewigen  Biergelds  gefallen  lassen  und  erhielten  nach 
dem  in  Wien  erprobten  Muster  je  einen  Stadtanwalt  unter  dem 
Titel  eines  königlichen  Richters,  ohne  dessen  EinwUligung  nun 
keine  Gemeindeversammlung  berufen  werden  durfte,  und  der 
namentlich  darauf  zu  sehen  hatte,  dass  weder  bei  den  Rathmannen, 
noch  sonst  wo  in  der  Stadt  irgend  „einige  Verbindnuß  oder  Con- 
spiration"  gegen  die  landesfürstliche  Hoheit  unternommen  werde. 
Das  Jahr  darauf  wurde  den  böhmischen  Städten  durch  Einsetzung 
des  Prager  Appellationsgerichts  der  Rechtszug  an  die  Oberhöfe  außer 
Landes  abgeschnitten.  Auch  das  Amt  des  Protoconsuls  erlitt  in 
seinem  Verhältnis  zum  Bürgermeister  und  Stadtrathe  und  in  seiner 
Wirksamkeit  eine  Veränderung:  es  wurde  im  Range  über  den 
Bürgermeister  gestellt  und  erhielt  die  oberste  Leitung  des  städti- 
schen Ökonomiewesens. 

La  Schill,  OsterrelchiBCbe  Reidugeschichte.  29 


450        österreichische  Reiohsgeschlchte.  IL  Theil.  Vierte  Periode.  §  54. 

15.  Die  Einschränkungen,  welche  die  städtische  Verwaltung 
in  Böhmen  schon  im  Jahre  1547  erlitt,  wurden  nach  der  Schlacht 
auf  dem  Weißen  Berge  auch  auf  Mähren  ausgedehnt ;  insbesonders 
verfügte  Kaiser  Ferdinand  IL  im  Jahre  1621  die  Einsetzung  von 
königlichen  Richtern  in  allen  königlichen  Städten  in  Mähren,  das 
einzige  kleine  Qaya  ausgenommen.  Wie  in  Böhmen,  so  waren 
auch  in  Mähren  die  königlichen  Richter  von  den  eigentlichen 
Stadtrichtern  wohl  zu  unterscheiden.  Sie  hatten  dem  Landesfürsten 
einen  Eid  zu  leisten,  waren  dem  königlichen  Landeshauptmann  wie 
dem  gesammten  königlichen  Amt  zu  gehorchen  verbunden,  hatten 
den  ersten  Sitz  im  Stadtratli,  wo  sie  die  Befolgung  der  landesfürst- 
lichen Gesetze  und  Hoheitsrechte  der  öffentlichen  Sicherheit, 
Gemeindewirtschaft  u.  dgl.  m.  zu  überwachen  hatten. 

16.  Auch  in  Ungarn  war  die  Verwaltung  der  königlichen 
Freistädte  nach  dem  Muster  der  Städte  in  Westösterreich  ein- 
gerichtet. Die  Gemeindevertretung  setzte  sich  aus  einem  Innern 
und .  einem  äußern  Rath  zusammen,  welch  letzterer  in  kleinereu 
Städten  einem  Bürgerausschuss  gewichen  war.  Der  innere  Rath 
bestand  aus  dem  Stadtrichter,  dem  Bürgermeister  und  dem  Stadt- 
hauptmann, welche  die  richterlichen,  ökonomischen  und  polizei- 
lichen Angelegenheiten  der  Stadt  zu  besorgen  hatten,  und  aus  den 
übrigen  Rathsherren  oder  Senatoren  in  der  Höchstzahl  zwölf. 
Der  äußere  Rath,  der  20  bis  100  Mitglieder  zählen  konnte,  umfasste 
die  gewählten  Vertrauenspersonen  der  ganzen  Gemeinde  unter  der 
Führung  ihres  s.  g.  Sprechers  oder  Vormunds  (tribunus  plebis). 
Die  Stadtkanzlei  besaß  ihren  Notar,  daran  schlössen  sich  die  übrigen 
Stadtbeamten.  Die  Rathserneuerung  beschränkte  sich  darauf,  dass 
nach  Ablauf  von  einem  bis  drei  Jahren  die  Stellen  des  Stadt- 
richters und  Bürgermeisters  zur  Wiederbesetzung,  beziehungsweise 
zur  Bestätigung  kamen,  während  das  Amt  der  Rathsherren  ein 
lebenslängliches  war. 

17.  In  allen  österreichischen  Städten  machten  sich  im  Laufe 
des  17.  Jahrhunderts  die  Spuren  eines  großen  wirtschaftlichen 
Verfalls  bemerklich.  Die  Gegenreformation  hatte  die  Melirzahl  der 
geschäftstüchtigsten  Bürger  zum  Verlassen  der  Heimat  genöthigt 
danüt  verkümmerte  das  blühende  Gewerbe  und  verarmten  die 
Städte.  Dazu  kamen  arge  Mifsstände  in  der  Verwaltung.  Diese 
lag  fast  ausschließlich  in  den  Händen  der  bestbegüterten  Claase 


Missbräuche  in  der  städtischen  Verwaltung.  451 

der  Stadtbewohner,  deren  Gebarung  jedoch  durch  den  äußern 
Rath  unter  Aufsicht  der  ganzen  Bürgerschaft  stand.  Als  jedoch 
vom  16.  Jahrhundert  an  der  äußere  Rath  theils  verkümmert  wurde, 
theils  ganz  wegfiel  und  auch  die  jährliche  Erneuerung  des  Innern 
Rathes  mehr  und  mehr  beschränkt  wurde,  konnte  sich  der  eng- 
herzige Geist  der  Vetterschaften  innerhalb  der  Gemeindeverwaltung 
ungestört  entfalten.  Von  selbst  ergab  sich  nun,  dass  die  Raths- 
stellen  durchwegs  mit  Gehalt  und  Nebeneinkünften  aller  Art  aus- 
gestattet wurden  und  dass  den  Rathsherren  umsomehr  alle 
Neuwahlen  vom  Übel  schienen.  Schon  1576  fassten  die  Stadträthe 
von  Leoben  den  Beschluss,  dass  es  „vieler  Ursachen  halber  nützlich" 
wäre,  die  Rathserneuerung  ganz  zu  beseitigen,  und  in  der  That 
wurden  sie  1598  ihrem  Begehren  nach  vom  Landesfürsten  „privi- 
legiert* in  Ansehung  ihrer  treuen  Dienste  und  weil  dieser 
^perpetuirliche*  Rath  zur  Vermehrung  des  Kammergutes  förderlich 
und  der  Stadt  zum  Nutzen  sein  würde.  Aus  ähnlichen  Gründen 
wurden  auch  zu  Graz,  Brück,  Judenburg,  Fürstenfeld  und  andern 
Orten  „ewige"  Räthe  eingeführt,  die  aber  begreiflicherweise  den 
Rückgang  des  städtischen  Wesens  nicht  aufhalten  konnten.  Gegen- 
über den  steigenden  Anforderungen  des  Staates  versiegte  immer 
mehr  die  Steuerkraft  der  Städte  und  Märkte.  Ihr  Beitrag  zu  den 
Landesanlagen,  der  in  Steiermark  noch  zu  Beginn  des  16.  Jahr- 
hunderts ein  Viertel  betrug,  musste  schon  1603  auf  ein  Zwölftel 
herabgesetzt  werden,  und  konnte  demungeachtet  nicht  voll  herein- 
gebracht werden,  so  dass  die  Rückstände  der  Städte  an  die  Land- 
schaft im  Jahre  1699  schon  wieder  200.000  fl.  ausmachten  und 
nun  ein  fester  Beitrag  von  31.000  fl.  fürs  Jahr  verabredet  wurde. 
18.  Die  Klagen  über  die  schlechte  städtische  Verwaltung 
ertönten  so  allgemein,  dass  die  Regierung  eine  Prüfung  des  Wirt- 
ßchaftsWesens  in  den  Städten  nicht  umgehen  konnte.^  Die  Instruction 
für    den   Stadtanwalt   zu  Wien   vom   Jahre    1656   bietet    „einen 

^  Die  Stadt  Graz  hatte  im  acht-  und  neunjährig.  Durchschnitt  jährl.  in  der  Zeit 
Ton  1653—1660  Einnahmen  .  31.856  fl.;  Ausgaben  .  32.761  fl.;   Abgang  .  905  fl. 
„      1703—1711  .  .  28.420  fl.;  ,  .  29.275  fl.;         „        .  855  fl. 

hätte  jedoch  activ  sein  müssen,  wenn  „der  Magistrat  nicht  allzu  liberal  mit  der 
Casse  umgegangen"  wäre,  wie  die  Regierungscommissäre  bemerkten,  denn  auf 
die  Jahre  1653—1660  entfallen  allein  5000  fl.  an  „Presenten  und  Verehrungen* 
theils  in  Geld,  theils  durch  Nachsicht  schuldiger  Steuern. 

29* 


452     Österreichischo  Reichsgeschichte.  IL  Theil.  Vierte  Periode.  §  54  u.  55. 

traurigen  Einblick  in  die  Verwaltungszustände  der  Gemeinde,  ins- 
besondere in  die  tief  eingerissene  Corruption"  und  stellte  dem 
Anwalt  die  Aufgabe,  die  bestehenden  Gebrechen  und  Missbräuche 
zu  beseitigen.  Seine  Bemühungen  des  Übels  Herr  zu  werden, 
waren  jedoch  ebensowenig  von  Erfolg  begleitet,  als  die  von  der 
Regierung  über  die  Beschwerden  der  Bürgerschaft  da  und  dort 
gegen  die  Stadträthe  eingeleiteten  Untersuchungen.  Schließlich 
wurden  unter  Kaiser  Karl  VI.  städtische  Wirtschafts- Directorieu 
eingeführt,  die  unabhängig  vom  Stadtrathe  das  Gemeindevermögen 
unter  Oberaufsicht  und  Leitung  einer  vom  Kaiser  eingesetzten 
kaiserlichen  Okonomie-Commission  verwalteten. 

C.  Die  Selbstverwaltung  der  Zünfte. 

19.  Die  Unterordnung  der  Zünfte  unter  den  städtischen  Rath 
hatten  die  österreichischen  Herzoge  schon  während  des  Mittelalters 
zu  einem  Grundsatz  der  Verwaltung  erhoben  (§  36,  6).  Durch  ^die 
neu  PoUicey  und  Ordnung  der  Hanndtwercher"  in  den  n.-ö.  Landen 
vom  Jahre  1527,  die  auch  in  die  allgemeine  Polizeiordnung  vom 
Jahre  1552  aufgenommen  wurde,  und  durch  die  Landesordnungen 
für  Tirol,  wurde  festgehalten,  dass  Zunftsatzungen  und  Versamm- 
lungen von  der  obrigkeitlichen  Genehmigung  abhängig  seien,  femer 
dass  niemand  „seiner  Ehren  oder  Handwerchs  durch  die  Hand- 
werchsmeister  und  Gesellen  unervolgt  Rechtens  entsetzt,  noch 
gescheucht  oder  gemieden  werden"  solle.  Von  einer  eigenen 
Gerichtsbarkeit  der  Zünfte  war  daher  in  Österreich  keine  Rede ;  die 
Zunftvorstände,  die  vom  Handwerk  aus  den  Meistern  und  Gesellen 
gewählt  wurden  und  „geschworene  Meister  und  Gesellen*"  hießen,, 
mussten  sich  mit  einer  Überwachung  der  Zunftordnungen  im  all- 
gemeinen und  mit  der  Anzeige  der  erkundeten  Übertretungen  und 
Gebrechen  bei  der  zuständigen  Obrigkeit  begnügen,  während  die 
Entscheidung  selbst  den  Stadtbehörden  verblieb. 

Durch  die  Verordnung  Kaiser  Leopold's  I.  vom  Jahre  1689 
gegen  Handwerksmissbräuche  und  die  Handwerkerordnung  Kaiser 
Karl's  VI.  vom  Jahre  1732,  wurden  noch  weitergehende  Ein- 
schränkungen verfügt,  namentlich  stellte  die  letzterwähnte  alle 
Handwerks-Zusammenkünfte  unter  Aufsicht  eines  von  der  Obrigkeit 
entsandten  „  Com  missarii " . 


Selbstverwaltung  der  Zünfte;  grandherrliche  Verwaltung.  453 


§  55.  Die  grandherrliche  Yerwaltang. 

Literatur  bei  §  37,  dazu  Orttnberg,  Die  Bauernbefreiung  in  Böhmen, 
Mähren  nnd  Schlesien.  1894,  2  Bde.  —  Hohberg,  Georgica  curiosa.  1682,  u.  ö., 
2  Bde.  —  Ludwig,  Die  Umwälzung  in  der  ländlichen  Verfassung  Böhmens  seit 
1618  (Schmoller's  Jahrb.  f.  Gesetzgbg.  XX.),  mein  Gerichtswesen,  §  12—14,  16, 17. 
—  Meli,  in  den  Mittheil.  d.  histor.  Ver.  f.  Stmk.,  XL,  XLL  und  Beitr.  z.  Kde. 
st.  Geschqu.,  XXV,  XXVII).  —  Sixsey,  ünterösterreichischerLandcompass.  1678, 
u.  ö.  —  Wegen  er,  Oeconomia  Boheme- Austriaca,  1666. 

1.  Wichtige  öflFentliche  Rechte  waren  vom  Mittelalter  her 
mit  dem  Besitz  von  Grund  und  Boden  verknüpft.  Jeder  Besitzer 
eines  Grundes,  auf  welchem  von  ihm  abhängige  Leute  als  Hörige 
saßen,  hatte  über  diese  als  seine  Gutsunterthanen  die  Gerichts- 
barkeit, wenn  auch  in  verschiedenem  Maße,  je  nachdem  ihm  bloß 
<lie  grundherrlichen  Rechte  im  engeren  Sinne  zustanden,  oder  mit 
seinem  Gute  überdies  die  Gerechtsame  der  Dorf-,  der  Hofmarks- 
oder selbst  der  Landgerichtsbarkeit  verbunden  waren. 

2.  Dem  Grundherrn  waren  als  solchem  seine  Unterthanen  in 
erster  Instanz  unterworfen,  und  zwar  sowohl  in  allen  bürgerlichen, 
sei  es  streitigen,  sei  es  nicht  streitigen  Angelegenheiten,  als  auch 
in  allen  Strafsachen,  die  nicht  landgerichtsmäßig  waren  und  in 
seinem  oder  seiner  Unterthanen  Hausfrieden  sich  zugetragen  hatten. 
Die  Aufgaben  der  nicht  streitigen  Gerichtsbarkeit,  das  s.  g.  adelige 
Richteramt  berechtigten  und  verpflichteten  den  Grundherrn  zur 
Führung  des  Grundbuchs,  in  welchem  alle  Besitzveränderungen 
innerhalb  des  Kreises  seiner  Unterthanen  eraichtlich  zu  machen 
waren.  Er  hatte  ferner  für  Sperre  und  Inventur  und  Einantwortung 
des  Nachlasses  seiner  verstorbenen  Unterthanen  zu  sorgen,  Vor- 
münder für  deren  Kinder  zu  bestellen  u.  dgl.  m. 

3.  War  mit  seinem  Gute  die  Dorfobrigkeit,  oder  die  Hofmarks- 
gerichtsbarkeit  verbunden,  so  war  seine  obrigkeitliche  Wirksamkeit 
noch  größer.  Er  besaß  dann  polizeUiche  Gewalt,  die  Aufsicht  auf 
Dorfmärkten,  hatte  die  Anordnungen  wegen  Beherbergung  und 
Verpflegung  durchziehender  Truppen  zu  treffen  und  selbständige 
Strafgerichtsbarkeit  bei  allen  geringeren  Vergehungen,  die  außer- 
halb des  Hauses  und  Hofes,  auf  den  Gassen  und  Straßen  in  und 
außerhalb  des  Dorfes  vorfielen,  ferner  bei  schwereren,  s.  g.  land- 
gerichtlichen Fällen   die  Voruntersuchung  bis  zur  Auslieferung 


454        Österreichische  Reichsgeschichte.  IL  Thell.  Vierte  Periode.  §  55. 

des  Thäters  ins  Landgericht.  War  endlich  die  grundherrliche  Be- 
sitzung eine  „Herrschaft",  d.  h.  ein  Gebiet,  mit  welchem  die  Land- 
gerichtsbarkeit für  einen  bestimmten  räumlichen  Umfang  verbunden 
war,  so  hatte  der  Grundherr  selbst  die  hohe  Gerichtsbarkeit  über 
Leben  und  Tod,  zu  deren  Ausübung  er  allerdings  der  Ermächtigung 
durch  den  Landesherrn,  der  Bannleihe  bedurfte,  abgesehen  von 
manch  anderen  Beschränkungen,  die  mit  der  Zeit  aufkamen  (§  56,  5). 

4.  Überblickt  man,  wie  umfassend  die  Macht,  wie  zahlreich 
die  Aufgaben  waren,  die  dem  Grundherrn  zukamen,  so  wird  man 
es  begreifen,  dass  sich  nicht  bloß  auswärtige  Reichsstände  auf 
ihren  mediatisierten  Besitzungen  in  Österreich,  sondern  auch  die 
landöässigen  Herrschaftsinhaber  noch  im  16.  und  17.  Jahrhundert 
als  eine  Art  von  Regenten  ihrer  Gebiete  betrachteten  und  die 
Bethätigung  ihres  grundherrlichen  Willens  geradezu  als  „Regierungs- 
acte"  bezeichneten,^  zumal  sie  bei  Besitzveränderungen  von  ihren 
Hörigen  das  eidliche  Gelöbnis  der  gutsherrlichen  Unterthänigkeit 
und  Treue,  die  s.  g.  Huldigung  fordern  konnten. 

5.  Zu  dieser  Erweiterung  des  grundherrlichen  Wirkungs- 
kreises hat  namentlich  der  Aufschwung  der  landschaftlichen  Selbst- 
verwaltung im  16.  Jahrhundert  viel  beigetragen.  Dadurch,  dass  die 
Grundherren  mit  wenig  Ausnahmen  auch  Mitglieder  der  Landschaft 
waren  und  darum  an  den  Landtagen  theilnehmen  konnten,  ergab 
es  sich  von  selbst,  dass  man  sich  ihrer  auch  bei  der  Ausführung 
der  Landtagsbeschlüsse  bediente.  So  wurden  also  die  Grundherr- 
schaften für  ihre  Bezirke  zu  ausführenden  Organen  der  Landschaft, 
mussten  namentlich  die  angeschlagenen  Landsteuern  auf  ihre  Unter- 
thanen  umlegen  und  bei  eigener  Haftung  einbringen,  bei  der 
Aushebung  des  Aufgebots  mitwirken  und  was  Aufträge  noch  mehr 
waren,  die  ihnen  vom  Lande  zukamen. 

6.  In  dem  Maße,  als  die  Bedeutung  der  Stände  abnahm  und 
die  landesfürstlichen  Behörden  ihren  Wirkungskreis  erweiterten^ 
geriethen  jedoch  die  Grundherrschaften  diesen  gegenüber  in  die 


^  Testament  des  Wolf  von  Stubenberg  vom  J.  1053  im  steir.  L.-A. . .  Sachen^ 
die  sich  bey  meiner  Regierung  und  Innhabung  meiner  Gschlösser  und  Guetera 

zuetragen  haben Noch  1666  behandelt  Joh.  Erasem  Wegen  er,  der  sich  selbst 

des  Grafen  Losy  Hauptmann  nennt,  in  seiner  Oeconomla  Bobemo  -  Austriaca 
sowohl  was  zur  .Begierung  einer  Herrschaft"  nöthig,  als  die  Personen  die  zu 
einem  gräflichen  Hofstaat  gehören. 


Grundherrliche  Beamte  als  Organe  der  landesfürstl.  Verwaltung.      ^^^ 

Stellung  von  Unterbehörden.  Die  auf  Veranlassung  der  i.-ö.  Re- 
gierung im  Jahre  1724  herausgegebene  „Instruction,  wie  die  Land- 
gerichtsverwalter in  diesem  Herzogthumb  Steyer  sich  sowohl  bey 
denen  General-  und  Particular- Visitationen,  als  auch  in  Schub-  und 
Versorgung  deren  Armen,  Aufhebung  deren  Müssiggehem ...  zu 
verhalten  haben",  sowie  die  nachfolgende  steirische  Schubordnung 
vom  Jahre  1726  behandeln  z.  B.  nicht  bloß  die  Landgerichts- 
Verwalter,  sondern  auch  die  übrigen  grundherrlichen  Beamten  in 
Sachen  der  Landessicherheit  schon  als  den  Befehlen*  der  i.-ö.  Re- 
gierung unmittelbar  uijtergebene  Organe. 

7.  Auch  die  eigenen  Aufgaben  des  Großgrundbesitzes,  die 
vom  Hause  aus  ökonomischer  Natur  waren,  vermehrten  sich  recht 
stark,  als  allmählich  der  Übergang  vom  älteren  grundherrlichen 
Betriebe  zum  jüngeren  gutsherrschaftlichen  eintrat.^  Hatte  der 
Grundherr  früher  über  seinen  Hausbedarf  hinaus  keinen  land- 
schaftlichen Eigenbetrieb  gehabt,  sondern  seinen  Landüberschuss 
durch  Hingabe  gegen  Zinsungen  verwertet,  so  änderte  sich  dies, 
seit  der  Großgrundbesiter  sich  für  die  wirtschaftliche  Ausnützung 
seines  Vermögens  in  den  Formen  der  Gutsherrschaft  entschieden 
hatte,  bei  welcher  der  eigene  landwirtschaftliche  Großbetrieb  zur 
Haupteinnahmsquelle  gemacht  wird.  Während  vorhin  die  auf  der 
Grundherrdchaft  ansässigen  abhängigen  Bauern  vor  allem  zu  Zinsen 
hatten,  ihre  Arbeitskraft  aber  entweder  gar  nicht,  oder  nur  in 
geringem  Maße  für  den  Grundherrn  in  Anspruch  genommen  wurde, 
schlug  dies  beim  Übergange  zur  Gutsherrschaft  ins  Gegentheil  um : 
den  Hauptgewinn  versprach  nun  die  Arbeitskraft  der  Unterthanen 
und  die  Reichnisse  verloren  für  die  Herren  ihre  frühere  Bedeutung. 

8.  Dieser  Übergang  ist  weder  überall  zur  selben  Zeit  ein- 
getreten^ noch  sind  wir  über  seine  Einzelheiten  unterrichtet,  es 
scheint  nur,  dass  er  im  Gefolge  der  großen  Besitzveränderungen 
während  des  dreißigjährigen  Krieges  auftrat.  In  der  zweiten  Hälfte 
des  17.  und  18.  Jahrhunderts  finden  wir  ihn  in  den  böhmischen 


3  Die  Verwaltung  der  hochstiftlichen  Besitzungen  von  Salzburg,  Bamberg 
n.  8.  w.  mit  Vicedomen  an  der  Spitze  war  ganz  nach  Art  der  Landesherren 
eingerichtet.  Besonderen  Rufes  erfreuten  sich  in  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahr- 
hunderts nach  Hohberg  s  Zeugnis  die  Wirtschafts-Einrichtungen  auf  den  Gütern 
des  fürstlich  Liechtenstein'schen  Hauses  in  Österreich,  Böhmen,  Mähren  und 
Schlesien.  Im  übrigen  vgl.  Grünberg,  I,  86  fr. 


456     Österreichische  Reichsgeschichte.  IL  Theil.  Vierte  Periode.  §  55  u.  56. 

Ländern  ebenso,  ja  in  noch  höherem  Maße  entmckelt,  als  in  dem 
ganzen  Gebiete  Deutschlands  östlich  der  Elbe.  Die  meisten  dieser 
oft  weit  ausgedehnten  Güter  befanden  sich  in  Händen  des  Herren- 
standes, dessen  Mitglieder  vielfach  in  Staats-  und  Hofdiensten  standen 
und  sich  daher  persönlich  um  ihre  Besitzungen  wenig  kümmern 
konnten.  Das  hatte  zur  Folge,  dass  die  Herren  die  Verwaltung  ihrer 
Güter  meist  eigenen  Beamten  überließen.  Auf  kleineren  Gütern  war 
oft  nur  ein  Pfleger  oder  Verwalter  mit  einem  Hof  schreiber  vorhanden, 
auf  größeren*  Herrschaften  gab  es  ein  eigenes  Wirtschaftsamt  mit 
einem  Hauptmann,  Amtmann,  Wirtschafts-Director  oder  Inspector 
an  der  Spitze  zur  Leitung  sowohl  des  gutsherrlichen  Betriebs,  als 
auch  zur  Erhebung  der  grundherrlichen  Einnahmen.  Diesem  unter- 
stellt waren  dann  die  übrigen  gutsherrlichen  Beamten  und  Diener : 
die  Rentmeister  (Kastner  und  Kellermeister),  Förster,  Jäger,  Heger, 
Fischraeister  u.  s.  w.  Da  dem  Wirtschaftsamte  außer  diesen  öko- 
nomischen Angelegenheiten  auch  die  Besorgung  der  vielen  öffent- 
lichen Aufgaben  zufiel,  die  mit  herrschaftlichem  Besitz  verbunden 
waren,  so  fehlten  auch  Amtsschreiber  und  Amtsdiener  nicht.  Nur 
selten  war  ein  eigener  Justitiar  für  die  Handhabung  der  Justiz 
vorhanden,  gewöhnlich  war  auch  diese  dem  Wirtschaftsamte  zu- 
gewiesen. Da  die  gutsherrlichen  Beamten  nur  schlecht  bezahlt 
wurden  und  ihr  Haupteinkommen  in  Amtstaxen  bestand,  die  ihnen 
von  den  Unterthanen  bei  Acten  der  freiwUligen  oder  streitigen 
Gerichtsbarkeit  zu  entrichten  waren,  so  hat  dies  zu  schweren  Be- 
drückungen der  Bauern  Anlass  gegeben. 

9.  Ähnlich  wie  in  Böhmen,  nur  später,  hat  sich  der  guts- 
herrschaftliche Betrieb  der  Großgrundbesitzer  auch  in  den  n.-ö. 
Landen  eingebürgert,  wie  aus  den  Schriften  von  Sixsey  und 
Wegener  und  vor  allem  aus  der  landwirtschaftlichen  Encyclopädie 
des  Freiherrn  Wolf  Helmhard  von  Hohberg,  über  das  adelige  Land- 
und  Peldleben  hervorgeht,  die  sämmtlich  in  der  Zeit  Kaiser 
Leopold's  L  (zwischen  1666—1682)  erschienen  sind.  Wie  schwer 
man  sich  indessen  in  diesen  Kreisen  mit  der  neuen  Wirtschafts- 
weise befreundete,  kann  man  aus  den  lobenden  Bemerkungen 
Sixsey 's  entnehmen,  dass  im  Viertel  ob  dem  Wiener  Wald  noch 
nicht  so  „gar  alles  in  gefährlichen  Wirtschaften,  sondern  fast  auf 
die  Land  ob  der  Ennsische  Art  und  Manier  in  vielen  trackenen 
Gefdhlen  und  baarem  Einkommen"  stehe. 


Stellung  der  Wirtschaftsämter;  landesftLrstl.  Gerichtsbehörden.        457 


§  5(k  Die  GerichtsYerwaltung. 

Äuersperg,  Geschichte  des  kgl.  böhmischen  Appellationsgerichtes.  1805, 
2  Bde.  —  D'Blvert,  Zur  österr.  Verwaltungsgesch.,  32  ff.,  192  ff.  —  Mein 
Gerichtswesen.  —  Domin-Petrushevecz,  Neuere  österr.  Rechtsgeschichte. 
1869,  S.  1—31.  —  Gräff,  Versuch  e.  Geschichte  der  Criminal- Gesetzgebung  in 
der  Steiermark,  1817.  —  Schraidt-Bergenhold,  S.  75  ff.,  247  ff. 

1.  Die  österreichische  Qerichtsverwaltung  litt  in  der  Zeit  vor 
der  Kaiserin  Maria  Theresia  an  einer  übergroßen  Zersplitterung, 
da  nahezu  jede  der  vielen  Behörden,  die  in  den  vorhergehenden 
§§  53—55  aufgezählt  worden  sind,  neben  ihrer  eigentlichen  Ver- 
waltungsaufgabe auch  Gerichtsbarkeit  beanspruchte.  So  kam  es, 
dass  landesfUrstliche,  landschaftliche,  städtische  und  grundherrliche 
Beamte  sich  in  die  Ausübung  der  Gerichtsbarkeit  theilten.  Hier 
seien  nur  die  wichtigsten  Gerichtsbehörden  hervorgehoben. 

2.  Unter  den  landesfürstlichen  Ämtern,  die  sich  mit  Rechts- 
sprechung befassteU;  sind  an  erster  Stelle  die  Regierungen  zu 
nennen,  die  zu  Wien,  Graz  und  Innsbruck  ihren  Sitz  hatten.  Sie 
galten  im  allgemeinen  als  zweite  Instanz  für  alle  Gerichtsstellen, 
von  welchen  eine  Appellation  überhaupt  statt  hatte,  bildeten  aber 
zugleich  für  gewisse  Personen,  z.  B.  den  nicht  landständischen 
Adel,  die  erste  Instanz.  Dem  Landmarschallamt,  beziehungsweise 
der  Landeshauptmannsstelle  stand  nach  den  adeligen  Criminal- 
Privilegien  die  Strafgerichtsbarkeit  über  den  Landesadel  zu,^  und 
zwar  in  der  Art,  dass  eine  mit  Landleuten  besetzte  Gerichtsbank 
in  geringeren  Vergehen  auf  eine  Geldstrafe  erkannte,  während  der 
eines  schweren  Verbrechejis  schuldig  Befundene  in  des  „Kaisers 
Straf  und  Ungnad**  erklärt,  aus  dem  Stande  ausgeschlossen  und 
sodann  dem  Stadt-  als  Landgericht  zur  AburtheUung  übergeben 
wurde.  Die  Landeshauptmannschaft  war  ferner  die  zweite  Instanz 
für  Beschwerden  der  grundherrlichen  Unterthanen  gegen  ihre 
Herrschaft,  sowie  Vormundschaftsbehörde  für  den  landständischen 
Adel.  Außerdem  sind  die  Landes-Vicedomämter  zu  nennen,  welche 
für  die  Bewohner  der  landesfürstlichen  Städte  und  Märkte,  sowie 


^  In  Tirol  unterstand  der  Adel  in  Strafsachen  unmittelbar  der  Jurisdiction  des 
Landesfiirsten.  in  den  fünf  n.-ö.  Landen  nur  in  Fällen  des Hochverraths.  Sartori, 
Beitr.  z.  österr.  Rg.,  37.  Suttinger,  Cons.-Austr.,  128  AT.  Rechbach,  Observ.,  67. 


458         Österreichische  Roichsgeschichte.  U.  Theil.  Vierte  Periode.  §  56. 

für  die  landesfürstlichen  Bauern  auf  den  Domänen  mit  Einschluss 
der  s.  g'.  Pfandschaftsgüter  die  erste  Instanz  büdeten. 

3.  Eine  Mitwirkung  der  Landstände  war  bei  allen  bisher 
genannten  Gerichtsstellen  vorhanden,  da  auch  bei  den  Regierungen 
die  s.  g.  Ordinari-Repräsentanten  nach  den  Vorschlägen  der  Land- 
tage besetzt  wurden.  Vollends  als  landständische  Stellen  wurden 
aber  die  s.  g.  Lands-  und  Hofrechte  (in  Österreich  unter  der  Enns 
das  landmarschallische  Gericht,  in  Tirol  das  s.  g.  adelige  Hof- 
gericht) betrachtet.  Diese  traten  unter  dem  Vorsitz  des  Landes- 
hauptmanns (beziehungsweise  des  Landmarschalls)  oder  seines  Stell- 
vertreters als  Gericht  der  Genossen  über  Standesgenossen  in  allen 
bürgerlichen  Klagen  gegen  landständische  Adelige  und  in  Angelegen- 
heiten-des  später  landtäflichen  Grundbesitzes  periodisch  wieder- 
kehrend (alle  Quatemberzeiten,  von  acht  zu  acht  Wochen  u.  dgl.) 
zusammen.  Vom  Mittelalter  her  dienten  sie  zugleich  als  Vereinigungs- 
punkt der  ständischen  Vertreter  überhaupt,  so  dass  bei  solchen 
Lands-  und  Hofrechten  die  verschiedensten  Angelegenheiten  des 
Landes  zur  Sprache  kommen  konnten.  Diese  Aufgabe  der  Lands- 
und Hofrechte  verlor  sich  in  dem  Maße,  als  es  zur  Bildung  blei- 
bender Ausschüsse  zur  Besorgung  der  laufenden  Angelegenheiten 
der  landschaftlichen  Verwaltung  kam,  sie  erhielt  sich  daher  in 
Tirol  (vgl.  §  54,  3)  am  längsten.  Die  Beisitzer  wurden  zuletzt 
überall  für  ihre  Mühewaltung  durch  Besoldung  oder  Tagegelder 
entschädigt  und  in  den  fünf  n.-ö.  Landen  aus  dem  landständischen 
Adel  allein  genommen.  In  Tirol  waren  auch  die  Städte  durch  je 
zwei  Bürger  von  Bozen  und  Meran  im  adeligen  Hofgericht  vei- 
treten.  Zur  Besetzung  dieser  ständischen  Stellen  gehörte  überall 
ein  bleibend  angestellter  Gerichtsschreiber,  der  auch  im  Landtag 
und  bei  der  Geschäftsführung  der  landschaftlichen  Ausschüsse 
Verwendung  fand. 

4.  Die  städtischen  Verwaltungskörper  waren  zunächst  die 
erste  Instanz  für  den  Bürgerstand,  und  zwar  der  innere  Kath 
unter  dem  Vorsitze  des  Bürgermeisters  (beziehungsweise  des  Rich- 
ters) in  Civilsachen  streitiger  wie  unstreitiger  Art,  während  der 
Stadtrichter  mit  den  ihm  zugeordneten  Beisitzern  die  dem  Orte 
zustehende  Strafgerichtsbarkeit  ausübte.  Die  größeren  Städte 
hatten  durchwegs  die  Blutgerichtsbarkeit,  waren  also,  wie  man 
sich  damals  ausdrückte,  Stadt-  und  Landgerichte  zugleich  und 


Die  Gerichtsvcr waltung  in  den  aitösterreichischen  Landen.  ^59 

konnten  in  letzterem  Falle  einen  Wirkungskreis  haben,  der  über 
das  Stadtgebiet  hinausgieng.  Der  Richter  bedurfte  jedoch  zur 
Ausübung  der  hohen  Gerichtsbarkeit  der  landesfürstlichen  Ermäch- 
tigung, die  anfänglich  alljährlich,  später  nach  Maßgabe  seiner 
Amtsperiode  bei  der  landesfüratlichen  Obrigkeit  einzuholen  war. 
Gleiches  mussten  auch  die  Grundherren  rücksichtlich  der  mit 
ihren  HeiTschaften  verbundenen  Landgerichte  beobachten. 

5.  Die  Ausübung  der  Blutgerichtsbarkeit  in  den  Städten  wie 
auf  dem  Lande  wurde  jedoch  scTion  im  16.  Jahrhundert  durch 
Ernennung  landesfürstlicher  Bannrichter  in  größere  Abhängigkeit 
von  den  Regierungsbehörden  gebracht.  Am  freiesten  noch  konnten 
sich  die  Landgerichtsinhaber  in  Österreich  unter  der  Enns  bewegen, 
die  sich  selbst  nach  der  Landgerichtsordnung  vom  Jahre  1656 
(Art.  I  41,  II  100)  bei  Fällung  des  Urtheüs  durch  ihren  Verwalter 
oder  Pfleger  vertreten  lassen  konnten.  Doch  mussten  selbst  hier 
die  Urtheile  bei  gewissen  Verbrechen  vor  ihrer  Vollstreckung  sammt 
allen  Acten  der  n.-ö.  Regierung  „zu  deren  weitern  Erkanntnus" 
vorgelegt  werden.  In  anderen  Ländern,  z.  B.  in  Steiermark,  im 
Lande  ob  der  Enns  u.  s.  w.  war  jedoch  der  Landgerichtsherr  ge- 
nöthigt,  entweder  persönlich  Recht  ergehen  zu  lassen,  oder  aber 
sich  des  landesfürstlichen  Bannrichters  zu  bedienen,  der  nebst 
einem  Gerichtsschreiber,  einem  landesfürstlichen  Ankläger  und 
dem  Scharfrichter  auf  Kosten  des  Landgerichtsinhabers  herbei- 
zurufen war.  Daraus  entwickelte  sich  mit  der  Zeit  die  Unter- 
scheidung der  Landgerichte  in  privilegierte  und  nicht  privilegierte. 
Die  ersteren,  zu  welchen  die  Mehrzahl  der  landesfürstlichen  Städte, 
dann  einige  Märkte  und  Herrschaften  gehörten,  konnten  peinliche 
Processe  durch  ihre  eigenen  Richter  durchführen,  letztere  bedurften 
der  Mitwirkung  des  Bannrichters,  während  der  Vollzug  der  Todes- 
urtheUe  von  der  Bestätigung  durch  die  Regierung  abhieng. 

6.  Daneben  waren  noch  manch  andere  Körperschaften  oder 
Beamte  an  der  Rechtssprechung  betheUigt.  Es  gab  eigene  Gerichte 
in  Wechselsachen  und  für  Universitätsangehörige,  besondere  jüdische 
Gerichte  für  die  Israehten  auf  dem  Lande.  Die  bischöflichen  Con- 
sistorien,  die  Berg-,  Wald-,  Forst-  und  Jägerämter,  die  Haus-  und 
Spielgrafen,  die  Ministerialbanco-Deputation  beanspruchten  gleich- 
falls eigene  Gerichtsbarkeit.  Dazu  kamen  das  kaiserliche  Wasser- 
gericht und  Wassergrafenamt  in  Österreich,  das  Kellergericht  in 


460        Österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  56. 

Steiermark,  die  Militärgerichte,  das  obersthofmarschallische  Gerieht 
u.  8.  w.,  kurz,  es  herrschte  ein  solcher  Reichthum  an  Gerichtsstellen, 
d  ass  es  zu  zahlreichen  Competenz-Conflicten  kam  und  mancher  Rechts- 
streit nur  darum  verloren  gieng,  weil  die  Instanz  verfehlt  worden  war. 

7.  In  Böhmen,  Mähren  und  Schlesien  herrschte  gleichfalls 
eine  ungemeine  Zersplitterung  der  Gerichtsverwaltung.  Bei  ab- 
weichender Ausgestaltung  der  Behörden  und  Ämter  im  einzelnen, 
finden  sich  auch  hier  wie  in  den  altösterreichischen  Landen  landes- 
fiirstliche,  ständische  und  grundherrliche  Beamte  und  Behörden 
mit  der  Rechtsprechung  betraut  und  als  königliche  Hofgerichte 
beziehungsweise  als  Landes-  und  als  privilegierte  Gerichte  be- 
zeichnet. Mit  dem  Anwachsen  der  königlichen  Gewalt,  sind  nament- 
lich seit  Erlassung  der  verneuerten  Landesordnungen,  hier  die 
ständischen  Gerichte  zu  königlichen  geworden.  Die  Mehrzahl  der 
wichtigsten  Gerichte  trat  nur  einigemale  im  Jahr  zu  periodisch 
wiederkehrenden  Sitzungen  zusammen.    Hervorgehoben  seien: 

a)  das  königlich  böhmische  Kammerrecht  unter  dem  Landes- 
hofmeister als  Vorsitzenden  mit  Beisitzern  aus  dem  Herren-  und 
Ritterstande,  die  der  König  ernannte.  Der  Umfang  des  Wirkungs- 
kreises lässt  sich  für  dieses  königliche  Gericht  nur  im  allgemeinen 
so  bezeichnen,  dass  alle  Streitgegenstände,  welche  nicht  einem 
anderen  Gerichtsstande  ausdrücklich  zugewiesen  waren,  bei  dem 
königlichen  Kammergerichte  anhängig  gemacht  werden  durften: 

h)  das  größere  und  kleinere  Landrecht  waren  die  eigent- 
lichen Adelsgerichte.  Sie  hatten  unverkennbare  Ähnlichkeit  mit 
den  Lands-  und  Hofrechten  (beziehungsweise  dem  landmarschal- 
lischen  Gerichte)  in  den  altösterreichischen  Provinzen  und  waren 
Civil-  und  Criminalgerichtsstellen  für  die  höheren  Stände  und  auch 
bei  Streitigkeiten  über  Liegenschaften  der  Geistlichkeit  zuständig: 

c)  die  königlichen  Landtafeln,  welche  früher  nur  im  Zu- 
sammenhang mit  den  Sitzungen  des  Landrechts,  nach  den  könig- 
lichen Instructionen  vom  2.  Jänner  1640  für  Mähren  und  21.  No- 
vember 1652,  für  Böhmen,  aber  das  ganze  Jahr  geöffiiet  waren. 
Seit  Erlassung  der  verneuerten  Landesordnungen  waren  auch  Ein- 
tragungen in  deutscher  Sprache  zulässig.  Da  ferner  vor  der  Ein- 
tragung die  „HabUitierung  zum  Lande"  nachgewiesen  werden 
musste,  um  den  Besitz  durch  Landtafelunfähige  auszuschließen, 
so  ergab  sich  jetzt  ein  Intabulationszwang. 


GerichtsverwaltuDg  in  Böhmen  und  Ungarn.  461 

8.  Die  Patrimonialgerichte  und  die  Gerichte  in  den  Städten 
und  Märkten  wiesen  so  ziemlich  dieselben  Einrichtungen  auf,  wie 
in  den  altösterreichischen  Landen,  nur  bestand  seit  1548  für  die 
Städte  in  Böhmen  und  später  auch  in  Mähren  die  königliche 
Appellationskammer  in  Prag  sowohl  flir  die  Belehrungen,  welche 
nach  der  verneuerten  Landesordnung  in  Criminalsachen  bei  der 
königlichen  Appellation  zu  nehmen  waren,  als  auch  in  Justizsachen 
der  königlichen  Städte.  Seit  1651  war  sie  auch  als  deutsche 
Lehenshauptmannschaft  für  Böhmen  thätig.  Außer  den  besonderen 
Gerichtsständen  der  bischöflichen  Consistorien,  der  Universität,  dem 
Oberstburggrafengericht  u.  dgl.  gab  es  noch  eine  Anzahl  Ämter,  wie 
das  Grenzgericht,  das  Ufergericht  der  beeideten  Müller  in  der  Alt- 
stadt, das  Rossgericht  in  der  Neustadt  Prag  u.  s.  w.,  bei  denen 
polizeiliche  und  gerichtliche  Wirksamkeit  vielfach  in  einander 
flössen. 

9.  Das  Verfahren  war  sowohl  bei  den  Gerichts-  als  den  Ver- 
waltungsbehörden ungemein  schleppend,  gegen  viele  Personen, 
zumal  den  landständischen  Adel,  durch  mannigfache  Privilegien 
und  Exemtionen  mit  besonderen  Schwierigkeiten  verbunden.  Viele 
Gerichte  hatten  sowohl  im  streitigen  wie  nicht  streitigen  Verfahren 
ihre  eigenen  Instructionen,  die  oft  genug  nur  handschriftlich  vor- 
handen waren.  So  kam  es,  dass  selbst  innerhalb  desselben  Landes, 
von  Stadt  zu  Stadt,  ja  von  Gericht  zu  Gericht  verschiedenes  Recht 
galt.  Die  Folgen,  die  daraus  entstanden,  kann  man  sich  leicht  aus- 
malen (§  46,  2).  Die  Justizpflege  war  von  einem  Kronland  zum 
anderen  mit  größeren  Schwierigkeiten  verbunden,  als  wir  sie  heute 
im  Verkehr  der  Gerichte  fremder  Staaten  finden.  Waren  alle  Aus- 
flüchte und  Verschleppungen  einer  verworrenen  Gerichtspflege 
erschöpft,  dann  genügte  für  den  säumigen  Schuldner  nicht  selten 
eme  Spazierfahrt  von  wenigen  Stunden,  um  über  den  dienst- 
freundlichen Verkehr  der  Hofkanzleien  für  den  Rest  seines  Lebens 
vor  seinen  Gläubigem  sicher  zu  sein.  ^ 

10.  In  Ungarn  galt  als  höchste  Instanz  die  Curia  Regis,  welche 
die  Septemviral  und  die  königliche  Tafel  umfasste.  Die  Septem- 
viraltafel  unter  dem  Vorsitz  des  Palatins  oder  des  Judex  Curiae 


^  Dom  in,  27.  —  Um  so  höher  ist  anzuschlagen,  dass  die  i.-ö.  Stände  schon 
1590  sich  wechselseitig  die  Execution  der  in  den  Landschrannen  zn  Graz, 
Klagenflirt  und  Laihach  gefeiten  Urtheilo  zusicherten.  Lhf.  Kärnten,  S.  264. 


462     Österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  56  u.  57. 

war  die  höchste  Instanz,  gegen  deren  Urtheile  es  kein  Rechts- 
mittel weiter  gab;  die  königliche  Tafel  (tabula  Regis  judiciaria) 
war  allgemeine  Appellationsinstanz,  die  jedoch  in  gewissen  Fällen 
auch  als  erste  Instanz  richtete.  Zu  ihrer  Erleichterung  wurden  im 
Jahre  1723  vier  Districtualtafeln  als  Civilgerichtshöfe  zu  Güns, 
Tyrnau,  Eperies  und  Debreczin  bestellt.  Alle  übrigen  Civil-  und 
Strafsachen  wurden  von  den  coUegialen  Comitatsgerichten  (Sedrien, 
sedes  judiciariae)  oder  von  Stuhlrichtern  als  Einzelrichtem  ver- 
handelt. In  den  Städten  gab  es  Magistrate  und  Stadtgerichte, 
welche  wie  die  Sedrien  durch  Wahl  besetzt  wurden. 

Ähnliche  Einrichtungen  bestanden  auch  in  den  Nebenlanden, 
von  welchen  Siebenbürgen  und  Croatien  eigene  Gerichtsbehörden 
zweiter  Instanz,  die  königliche  Tafel,  beziehungsweise  die  Banal- 
tafel, besaßen. 

§  57.  Heereswesen  und  Heeresverwaltang. 

Bidermann,  Gesaiumt-Staatsidee,  I,  li,  dann:  Zeitschrift  für  Privat- und 
öffentl.  Recht,  XXI  und  in  den  Mitth.  d.  h.  Ver.  f.  Stmk.,  Bd.  31,  39.  —  Huher, 
R.-G.,  161.  —  Kurz,  Gesch.  der  Landwehr  in  österr.  ob  der  Enns.  1811.  — 
Meynert  H.,  Gesch.  der  k.  k.  österr.  Armee,  1852;  Gesch.  des  Kriegswesens 
u.  d.  Heeresverfassungen  in  Europa.  3  Bde.,  1868 ;  das  Kriegswesen  der  Ungarn. 
1876.  —  Oberleitnor,  im  Archiv  f.  österr.  Gesch.,  Bd.  19,  22.  —  Vanißek, 
Specialgeschichte  der  Militärgrenze.  1875,  4  Bde.  —  Virozsil,  III,  §  89.  - 
Zahn,  Das  Jahr  1683  in  Steiermark,  und  Zwiedineck,  Das  steir.  Aufgebot 
vom  J.  1565,  in  den  Mitth.  d.  bist.  Ver.  f.  Stmk.,  Bd.  31  und  25. 

1.  Das  österreichische  Heeres wesen  der  neueren  Zeit  nahm 
seinen  Ausgang  von  den  Reformen  Kaiser  Maximilian's  I.,  verdankt 
eine  bemerkenswerte  Erweiterung  den  Grenzeinrichtungen  seit 
Kaiser  Ferdinand  I.  und  erfuhr  erst  dadurch,  dass  nach  dem  dreißig- 
jährigen Kriege  einige  Regimenter  nicht  entlassen  wurden,  seine 
Umbildung  zum  stehenden  Heer. 

2.  Es  wurde  schon  angedeutet  (§  40,  8),  dass  Kaiser  Maxi- 
milian I.  bei  seinen  weit  aussehenden  politischen  Plänen  vor  allem 
auf  die  Kräfte  seiner  Erblande  angewiesen  war,  wobei  ihm  seine 
Doppelstellung  einerseits  als  Reichsoberhaupt,  andererseits  als 
Landesherr  nicht  wenig  zu  statten  kam.  Da  die  Verpflichtung 
der  Vasallen  zu  Reichsdiensten  mit  geringen  Beschränkungen  all- 
gemein bestand,  so  konnte  Maximilian  I.  als  oberster  Lehensherr 


Reformen  des  Heereswesens  durch  Kaiser  Maximilian  I.  463 

im  Reiche  und  in  seinen  Erblanden  von  seinen  Vasallen  den  per- 
sönlichen Zuzug  zu  Reichskriegen  verlangen  und  daneben  zu 
Zwecken  der  Landesvertheidigung  die  gesammte  waffenfähige  Be- 
völkerung aufbieten  (§  32,  1).  Zumal  die  Kriege  gegen  Venedig, 
die  ebensogut  die  Grenzen  der  fünf  n.-ö.  als  der  o.-ö.  Lande  be- 
drohten, haben  den  Kaiser  sowohl  zur  Aufstellung  eines  starken 
Angriffsheeres,  als  auch  zur  Rückendeckung  durch  das  Aufgebot 
genöthigt.  Die  Mängel  der  bestehenden  Heeresverfassung  wurden 
dadurch  so  offenkundig,  dass  die  Stände  gewisse  Vorschläge  des 
Kaisers,  die  eine  größere  StreittUchtigkeit  des  Angriffsheeres  her- 
beiführen sollten,  nicht  abzulehnen  wagten. 

3.  Um  den  Venezianern,  welche  durch  ihr  Geld  über  die 
tüchtigsten  Söldnerführer  mit  erprobten  Mietstruppen  verfügten, 
wirksam  zu  begegnen,  hätte  der  persönliche  Zuzug  der  Vasallen 
in  einem  Umfang  und  in  einer  Dauer  geleistet  werden  müssen, 
die  zum  Verderben  der  davon  betroffenen  Adelsgeschlechter  und 
Körperschaften  geführt  hätten.  Maximilian  verlangte  nun,  ohne 
sein  Recht  den  persönlichen  Zuzug  zu  fordern  ganz  aufzugeben, 
von  den  Ständen  die  Bewilligung  von  Geldern  zur  Anwerbung 
von  Soldtruppen  und  für  den  Unterhalt  des  Aufgebots,  falls  ein 
solches  nothwendig  würde.  Da  dies  allen  kriegstauglichen  und 
kriegslustigen  Unterthanen  Gelegenheit  gab,  die  Rolle  eines  auf- 
gebotenen Lehens-  oder  Landwehrmannes  mit  der  eines  gewor- 
benen Soldaten  zu  vertauschen  und  die  übrigen  ihren  Verpflich- 
tungen lieber  durch  eine  Geldabfindung  entsprachen,  welche  die 
Aufstellung  von  Soldtruppen  ermöglichte,  so  hat  sich  seit  Maxi- 
raüian  L  die  Kriegspflicht  der  Vasallen  immer  mehr  in  eine  Steuer- 
pflicht gewandelt.  Das  persönliche  Aufgebot  seiner  Mannen  blieb 
zwar  dem  Landesfürsten  auch  ferner  vorbehalten,  allein  es  wurde  im 
16.  Jahrh.  auf  jene  seltenen  Ausnahmsfälle  beschränkt,  in  welchen 
der  Herrscher  selbst  oder  ein  Mitglied  seines  Hauses  an  die  Spitze 
des  ausziehenden  Heeres  trat  (der  s.  g.  persönliche  Anzug)  und 
verlor  sich  zu  Anfang  des  folgenden  Jahrhunderts  gänzlich.  ^ 

4.  Das  Heereswesen  beruhte  demnach  in  Österreich  seit 
Kaiser  Maximilian  L,  in  Böhmen  seit  Ferdinand  L  auf  der  Ver- 
wendung geworbener  Truppen,  zu  Landesvertheidigungszwecken 

^  Das  letzte  Lehensaufgebot  fand  in  Innerösterreich  1601,  im  Lande  unter 
der  Enns  1605  statt. 


464        Österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  57. 

Überdies  auf  dem  Landwehraufgebot.  Von  einem  kaiserlichen 
Heere  kann  man  aber  noch  lange  nicht  sprechen,  obwohl  die 
österreichischen  Herrscher  die  Rechte  eines  obersten  Kriegsherrn 
niemals  preisgaben  und  seit  Kaiser  Ferdinand  I.  auch  immer 
entschiedener  durchsetzten.  Die  Landstände  ließen  sich  eben  nur 
zur  Beistellung  einer  gewissen  Truppenzahl  herbei,  die  sie  auf 
ihre  Kosten  anwarben,  ausrüsteten  und  besoldeten  und  unter 
landschaftlichen  Officieren  dem  Landesfürsten  zu  einer  mehr  oder 
minder  beschränkten  Verwendung  während  einiger  Monate  zuführten, 
oder  sie  bewilligten  die  s.  g.  Gültpferde,  d.  h.  Reisige,  welche 
von  den  Grundherren  nach  Maßgabe  ihres  Besitzes  ausgewählt, 
gerüstet  und  erhalten  werden  raussten.  In  dem  einen  wie  in  dem 
anderen  Falle  betrachteten  sie  die  von  ihnen  aufgebrachte  Mann- 
schaft auch  als  ^ihre",  d.  h.  landschaftliche  Truppen,  und  es  hat 
mehr  als  einmal  Sti-eit  darüber  gegeben,  wie  weit  die  Unter- 
ordnung derselben  unter  einfiu  vom  HeiTscber  bestellten  Ober- 
befehlshaber reiche.  Von  einem  landesfürstlichen  Heer  konnte 
darum  bis  zum  dreißigjährigen  Kriege  nur  soweit  die  Rede  sein,  als 
der  Herrscher  aus  seinen  beschränkten  Mitteln  gleichfalls  einige 
Soldaten  anwarb  und  bezahlte. 

5.  Kaiser  Ferdinand  L  war  jedoch  keineswegs  geneigt,  seine 
Militärhoheit  mit  den  Ständen  zu  theilen  und  wusste  auch  seinen 
Standpunkt  zur  Geltung  zu  bringen.  Zu  diesem  Zweck  lehnte  er 
z.  B.  im  Jahre  1529  die  ihm  vom  Lande  ob  der  Enns  zur  Ver- 
fügung gestellten  Soldtruppen  ab  und  bestand  auf  dem  persön- 
lichen Zuzug,  durch  den  er  den  widerstrebenden  Großgrundbesitz 
mürbe  zu  machen  hoffte.  In  der  That  fiel  dann  der  nächste  Land- 
tagsschluss  nach  dem  Willen  des  Herrschers  aus :  Ferdinand  er- 
hielt die  bewilligten  Soldtruppen  auf  fünf  Monate  zu  freier  Ver- 
wendung gegen  den  Feind,  während  für  die  Landesvertheidigung 
durch  das  Landesaufgebot  vorgesorgt  wurde.  Die  steiermärkischen 
Stände,  welche  in  mehrjährigen  Verhandlungen  ihn  zu  überzeugen 
suchten,  dass  die  von  ihnen  bezahlten  Truppen  von  rechtswegen 
auch  als  die  ihrigen  anerkannt  werden  sollten,  mussten  sich 
schließlich  (1555)  mit  der  nachdrücklichen  Zurückweisung  ihrer 
Ansprüche  zufrieden  geben,  indem  Ferdinand  L  erklärte,^   „dass 


2  Kurz,  I,  92;  Bidermann  in  Mitth.,  39,  8.  91. 


Kein  landesfürstl.  Heer  vor  dem  dreißigjähr.  Kriege;  Tmppenwerbung.  465 

solche  Aufnembung  und  Urlaubung  beruerten  Kriegsvolks  uns 
oder  wemb  wirs  befehlen  und  sonst  niemand  andern  zuesteh/ 

6.  Wie  Kaiser  Ferdinand  I.,  so  haben  auch  seine  Nachfolger 
an  dem  Satze,  dass  die  Militärhoheit  ihnen  allein,  zustehe,  fest- 
gehalten. Demungeachtet  hat  es  lange  Zeit  gedauert,  ehe  diese 
Auffassung  zur  unbestrittenen  Anerkennung  gelangte.  Noch  bei  Aus- 
bruch des  dreißigjährigen  Krieges  haben  nicht  bloß  die  böhmischen 
Stände,  die  vom  Herrscherhause  oflFen  abgefallen  waren,  dem  Kaiser 
Ferdinand  II.  ihre  Truppen  entgegengestellt,  sondern  auch  die 
Regimenter  der  protestantischen  Stände  von  Österreich  ob  und 
unter  der  Enns  an  deren  Seite  mitgekämpft.  Erst  seit  Wallen- 
stein's  Auftreten,  namentlich  aber  seit  der  Katastrophe  von  Eger, 
trat  der  entscheidende  Umschwung  ein,  der  mit  der  Art  und 
Weise  der  Heeresaufstellung  eng  zusammenhängt. 

7.  Seit  Kaiser  Maximilian  I.  »das  Geschlecht  der  streitbaren 
Landsknechte"  aufgebracht  hatte,  bot  die  Werbung  ein  bequemes 
Mittel  zur  raschen  Sammlung  von  Soldtruppen.  Instruction  und  Be- 
stallungsbrief, die  sich  aus  dem  Jahre  1498  für  die  Aufstellung  von 
vier  Fähnlein  schwerer  Reiter  (Kyrisser)  erhalten  haben,  zeigen,  dass 
Maximilian  nicht  nur  die  Hauptleute  und  deren  Lieutenants,  sondern 
auch  die  Fähnriche,  kurz  alle  Ofßciere  selbst  ernannte,  wogegen  dem 
Fähnrich  die  Anwerbung  der  Speerreiter  und  Trabanten  zufiel.  In 
der  Folge  kam  aber  der  Brauch  auf,  dass  der  Kriegsherr  nur  den 
obersten  Befehlshaber  des  neu  zu  errichtenden  Truppenkörpers 
(Fähnlein,  Regiment)  ernannte  und  diesem  die  Besetzung  der  Officiers- 
posten  sowie  die  Beschaffung  der  Mannschaft  überließ.  In  dem  einen 
wie  dem  anderen  Falle  handelte  es  sich  um  keine  bleibende  Truppe, 
Stab  wie  Soldaten  waren  nur  auf  Zeit,  in  der  Regel  auf  einige  Monate, 
geworben  und  verloren  ihren  Dienst,  sowie  das  Fähnlein  abgedankt 
wurde,  was,  wenn  nicht  früher,  in  der  Regel  gegen  den  Winter  hin 
erfolgte.  Beauftragte  der  Kriegsherr  im  nächsten  Frühling  etwa 
wieder  denselben  Obersten  mit  der  Aufstellung  eines  Regiments, 
so  kam  doch  nicht  mehr  die  vorige  Truppe  zusammen :  der  Oberst 
mochte  sich  andere  Officiere  wählen  und  diese  warben  an,  wen 
sie  gerade  fanden.  Es  konnte  aber  auch  vorkommen,  dass  der 
Kriegsherr  auf  ganz  andere  Befehlshaber  griff. 

8.  Schon  das  Gesagte  lässt  erkennen,  wie  einflussreich  die 
Stellung  dieser  Obriste  sein  musste,   die  auf  verabredete  Bedin- 

Luschin,  österreichische  Reichsgeschicbte.  30 


466        österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  57. 

gungen  hin  für  den  Kriegsherrn  Regimenter  anwarben,  abdankten 
und  wieder  errichteten.  Je  größer  Eines  militärischer  Ruf,  desto 
größer  der  Zulauf,  den  er  erwarten  konnte,  desto  kriegstüchtiger 
die  Mannschaft,  die  er  aufbrmgen  konnte,  zumal  es  ihm  in  solchem 
Falle  an  einem  Stabe  ei'probter  Ober-  und  Unterofficiere  nicht 
fehlte. 

Der  Oberste  war  Herr  über  Leben  und  Tod,  aus  seiner 
Hand  empfieng  der  auf  die  Kriegsartikel  verpflichtete  Söldner 
Strafe  wie  Belohnung. 

9.  Der  dreißigjährige  Krieg  bewirkte  im  Kriegswesen  tief 
eingreifende  Veränderungen.  Hier  handelte  es  sich  nicht  um  Unter- 
nehmungen von  absehbarer  Dauer;  schon  nach  den  ersten  Jahren 
wusste  man,  dass  die  Austragung  der  emmal  entfesselten  Gegen- 
sätze langwierig  sein  werde.  Nothgedrungen  behielt  man  jetzt 
auch  den  Winter  über  größere  Truppenmengen  unter  den  Fahnen. 
Dazu  kam  die  Ernennung  Wallenstein's  zum  Generalissimus.  Das 
Heer,  dem  er  vorstand,  war  nur  dem  Namen  nach  ein  kaiser- 
liches; durch  die  Geldmittel  und  den  Ruf  des  großen  Kriegs- 
mannes geschaffen^  zerfiel  es  sofort  mit  seiner  Entlassung  und 
konnte  nur  wieder  durch  ihn  selber  erhoben  werden.  Umso 
wichtiger  war  es,  dass  die  nach  der  zum  zweitenmale  beschlos- 
senen Absetzung  Wallenstein's  ergriffenen  Maßregeln,  sich  seines 
Heeres  für  den  Kaiser  zu  versichern,  von  Erfolg  begleitet  waren. 

10.  Schon  unter  Wallenstein  hatte  sich  die  früher  unmittel- 
bare Abhängigkeit  der  Regimenter  von  ihren  Obristen  in  eine 
bloß  mittelbare  verwandelt,  weü  der  Generalissimus,  wie  er  über- 
haupt die  höchste  Kriegsgewalt  in  seinen  Händen  vereinigte,  so 
sich  auch  alle  Ernennungen  vorbehielt  und  aus  eigener  Machtvoll- 
kommenheit die  Obriste  einsetzte  und  entfernte.  Dieselbe  Unter- 
ordnung der  Obriste  blieb  nach  dem  Sturze  Wallenstein's  bestehen, 
wiewohl  die  kaiserlichen  Generale,  die  nun  den  Befehl  über  die 
treugebliebenen  Regimenter  übernahmen,  in  einer  ganz  anderen 
Abhängigkeit  vom  Kaiser  sich  befanden,  als  ihr  Vorgänger.  Die 
Regimenter  gehörten  jetzt  nicht  mehr  ihren  Werbeherren,  sondern 
dem  Kaiser  an,  sie  verschwanden  nicht  mehr,  wie  ehedem,  mit 
ihrem  ersten  Obersten,  sondern  blieben  auch  nach  dessen  Entfernung 
beisammen  und  im  Dienste  des  Kaisers,  wenn  man  höheren  Orts 
es  wollte.   Aus  diesen  jetzt  stehenden  Regimentern  wurde  folge- 


Anfänge  eines  stehenden  landesfUrstl.  Heeres;  die  Militärgrenze.       467 

recht  auch  ein  wirklich  stehendes  Heer.*  Von  welchem  Jahre  an 
ilieees  in  Österreich  zu  rechnen  ist,  lässt  sich  nicht  gut  sagen,  da 
«s  lange  dauerte,  ehe  man  von  der  Gepflogenheit,  die  Regimenter 
zeitweilig  abzudanken  und  nach  Bedarf  wieder  aufzustellen,  ganz 
abgieng.*  Vor  allem  war  es  Montecuculi,  der  in  einer  umfang- 
reichen Denkschrift  an  Kaiser  Leopold  I.  vom  Jahre  1664  auf  die 
Nothwendigkeit  einer  stehenden  Armee  hinwies;  allein  erst  die 
Türkenkriege  seit  1683  und  die  unausgesetzten  Bemühungen  des 
Prinzen  Eugen  von  Savoyen  haben  die  letzten  Hindernisse  über- 
wunden, welche  sich  der  Erhaltung  einer  bleibenden  kaiserlichen 
Armee  entgegensetzten. 

11.  Um  das  Jahr  1680  waren  die  landschaftlichen  Truppen- 
körper, der  Ersatz  des  früheren  Lehensaufgebots,  aus  der  öster- 
reichischen Feldarmee  schon  verschwunden  und  die  Aufgaben  einer 
solchen  dem  stehenden  kaiserlichen  Heere  zugefallen.  Länger  er- 
hielten sich  landschaftliche  Truppen  bei  der  Landesvertheidigung 
und  in  der  damit  in  Zusammenhang  stehenden  s.  g.  Militärgrenze, 
für  beides  aber  waren  vor  allem  die  Einfälle  der  Türken  bestim- 
mend. Innerösterreich  hatte  schon  im  15.  Jahrhundert  von  dem 
Erbfeind  der  Christenheit  viel  zu  leiden  gehabt  und  wohl  unter 
dem  Eindrucke  der  dabei  gemachten  Erfahrungen  war  es  Kaiser 
Maximilian  L  gelungen,  seine  Lande  zur  „brüderlichen  Vereini- 
gung" zu  bestimmen,  welche  dem  vom  Feinde  Überfallenen  Gebiete 
die  Unterstützung  von  Seite  der  übrigen  Erblande  zusagte.  Nach 
der  Niederlage  bei  Mohacs  und  der  Wahl  Zäpolyas  zum  Gegen- 
könig in  Ungara  erschienen  aber  auch  Österreich,  Böhmen  und 
Mähren  durch  die  Türken  gefährdet,  die  sich  schließlich  jenseits 
einer  Grenze  festgesetzt  hatten,  die  bei  Zeng  das  Meer  berührte, 
über  das  Gebiet  von  Licca  und  Corbavia  entlang  der  Unna  die 
Save.  bei  Veröcze  die  Drau  erreichte,  nordwärts  bei  der  Raab  an 


3  Meynert,  II,  46. 

*  Nach  den  im  Staatshandbuch  bei  den  einzelnen  Re^mentem  ange- 
gebenen Jahren  der  Errichtung  waren  zwei  Reiter-  und  vier  Infanterie-Regi- 
menter (Dragoner  Nr.  8,  Darapierre  1618,  und  Nr.  10,  1640,  Inf.  Nr.  8,  11,  13, 
24  von  1647,  1630,  1630,  1632),  der  vom  dreißigjähr.  Kriege  übernommene  Kern 
-des  kaiserlichen  stehenden  Heeres,  das  von  1655—75  durch  drei  Reiter-  und  vier 
Infanterie-Regimenter  (Dragoner  Nr.  2,  4,  7,  Inf.  17,  25,  42,  54)  erweitert  wurde. 
Namhafte  Vergrößerung  brachten  seit  1682  die  Türkenkriege. 

30* 


468        Österreichische  Reichsgeschlohte.  IL  Theil.  Vierte  Periode.  §  57. 

die  Donau  kam,  an  deren  linken  Ufer  stromabwärts  bis  Komorn 
gieng  und  endlieh  entlang  der  Neutra  und  Gran  nordwärts  verlief. 

12.  Kaiser  Ferdinand  I.  hatte  die  Innerösterreicher  schon 
bald  nach  seinem  Regierungsantritte  in  Ungarn  zu  überzeugen  ge- 
wusst,  dass  für  die  Sicherung  ihrer  Lande  besser  vorgesorgt  sei^ 
wenn  die  Vertheidigung  noch  jenseits  der  Landesgrenzen  durch 
Unterstützung  der  Croaten  und  Slavonier  beginne.  Dies  geschah 
zunächst  in  der  Art,  dass  croatische  und  slavonische  Edelleute 
in  Kriegsdienste  der  i.-ö.  Landschaften  traten,  später,  namentlich 
nachdem  der  ungarische  Landtag  1546  (Art.  42)  seine  Zustimmung 
dazu  gegeben  hatte,  auch  durch  Besetzung  fester  Orte  mit  deut- 
schen Knechten  und  slavischen  Haramien,  die  aber  gleichfalls  von 
den  i.-  ö.  Landschaften  besoldet  wurden.  Das  immer  gefährlichere  Vor- 
dringen der  Türken  machte  jedoch  umfassendere  Maßregeln  nöthig 
und  so  griff  man  um  das  Jahr  1577  auf  einen  Vorschlag  zurück, 
den  die  Innerösterreicher  schon  im  Jahre  1544  auf  dem  Prager 
Ausschusstage  gemacht  hatten,  der  dahin  gieng,  dass  im  Gebiet 
der  ungarischen  Krone  ein  Landgürtel  von  der  mährischen  Grenze 
bis  zur  Adria  auf  Kosten  der  Erblande  und  Böhmens  dauernd 
mit  Besatzungen  versehen  werden  möge.  Böhmen  vertheidigte 
die  Grenze  bei  Komorn,  Österreich  unter  der  Enns  vor  allem 
Raab,  das  Land  ob  der  Enns  lieferte  die  Mittel  zur  Proviantbe- 
schaffung. Dem  Erzherzoge  Karl  aber  wurde  vom  Kaiser  Rudolf  IL 
im  Jahre  1578  mit  Zustimmung  des  ungarischen  und  croatischen 
Landtags  das  s.  g.  ewige  Generalat  über  die  windische  und  croa- 
tische Grenze  verliehen. 

13.  Die  Ausführung  dieser  Grenzvertheidigung  übernahmen 
die  i.-ö.  Landschaften  nach  den  Beschlüssen  des  Brucker  Land- 
tags vom  Jahre  1578  und  behielten  sie  bis  zur  Reform  der  Grenz- 
einrichtungen durch  die  Kaiserin  Maria  Theresia.  Steiermark  be- 
sorgte die  s.  g.  windische  oder  Warasdiner  Grenze,  welche  nach 
den  Brucker  Beschlüssen  mit  650  Reitern  und  2100  Pußknechten 
besetzt  werden  sollte,  Kärnten  und  Krain  übernahmen  ebenso  die 
Auslagen  und  die  Verwaltung  der  croatischen  Grenze.  Zur  Be- 
streitung der  mit  dieser  Ausgabe  verbundenen  Kosten  wurde  den 
Landschaften  die  Erhebung  von  Steuern  zugestanden,  der  Steier- 
mark im  17.  Jahrhundert  beispielsweise  der  Gesammtbetrag  des 
Ordinariums  der  s.  g.  vierfachen  Gült  mit  320.000  fl. 


Die  Militärgrenze;  das  Landesaufgebot.  469 

14.  Die  Grenzeinrichtung  hat  sich  als  Schutz  gegen  unvor- 
hergesehene Überfälle  gut  bewährt  und  manchen  Streifzug  auf- 
gehalten, der  sonst  tief  ins  Innere  der  Lande  gedrungen  wäre. 
Das  Landesaufgebot  ist  daher  glücklicherweise  nur  selten  einbe- 
rufen worden,  obwohl  es  aus  Vorsicht  Jahr  um  Jahr  in  die  Land- 
tagsbewilligungen aufgenommen  wurde. 

15.  Die  Landesvertheidigung  beruhte  im  16.  Jahrhundert  in 
<ien  fünf  n.-ö.  Landen  im  wesentlichen  auf  den  Grundlagen,  die 
schon  in  der  Defensionsordnung  des  Landes  ob  der  Enns  vom 
Jahre  1530  ausgesprochen  sind.  Alle  Grundherrschaften  hatten 
ihre  waffenfähigen  Unterthanen  vorzufordern,  zu  mustern  und 
dann  der  landtäglichen  Bewilligung  gemäß  die  Wehrleute  zu  be- 
zeichnen, die  im  Bedarfsfalle  aufgeboten  und  nach  bestimmten 
Sammelplätzen  abgefertigt  wurden.  Gewöhnlich  wurde  die  etwa 
nothwendig  werdende  Verstärkung  dadurch  vorgesehen,  dass  neben 
dem  Aufgebot  des  30.  oder  20.  Mannes  nach  Bedarf  auch  das 
Aufgebot  des  10.  oder  5.  Mannes  offen  gehalten  wurde ;  bisweilen 
begnügte  man  sich  mit  weniger,  selbst  mit  dem  100.  Mann.  Da 
indessen  mit  den  schlecht  bewaffneten  und  ungeübten  Landwehr- 
leuten nicht  viel  anzufangen  war,  so  ergriff  man  in  Steiermark 
das  Auskunftsmittel,  statt  des  30.  Mannes  die  Anwerbung  von 
2000  Büchsenschützen  zu  beschließen,  für  welche  die  Bauern  ein  ent- 
sprechendes Büchsenschützengeld  zu  bezahlen  hatten.  Da  Kärnten 
und  Krain  es  ähnlich  hielten,  so  führte  dies  schließlich  dazu, 
dass  es  trotz  lange  dauernder  Kriegsjahre  zu  keiner  Musterung 
der  Landwehrleute  kam,  was  Erzherzog  Ferdinand  in  einer  im 
Jahre  1606  an  seine  Lande  gerichteten  Zuschrift  ernstlich  beklagte. '^ 
Andererseits  hatte  aber  die  Umwandlung  der  Landwehrpflicht  in 
eine  Geldablösung  auch  eine  Veränderung  der  Bemessungsgrund- 
lage zur  Folge.  Nicht  die  wirkliche  Zahl  der  wehrhaften  Bauern, 
sondern  die  Größe  der  Gülteneinlage  des  Herrn  bestimmte  später, 
wie  viel  als  30.,  10.,  5.  Mann  von  dieser  zu  stellen  oder  abzu- 
lösen seien.®  Damit  war  man  bei  demselben  Schlüssel  angelangt, 

^  Hnrter,  Ferdinand  II.,  Bd.  5,  S.  15.  Das  Aufgebot  des  10.  u.  5.  Mannes 
wird  liier  allein  fUr  die  Steiermark  auf  11.000  Krieger  geschätzt. 

®  So  wurde  in  Steiermark  1683  der  10.  Mann  einberufen,  „d.  i.  der 
10.  Pfundt  Gelt  im  Gültbuch  hat  soll  aio  Mann,  also  der  100  Pfundt  Gelt  hat, 
soU  10  Mann  stellen".  Zahn  in  Mitth.  des  bist.  Ver.  f.  Stmk.,  31,  S.  103. 


470         österreichische  Reichsgeschichte.  IL  Theil.  Vierte  Periode.  §  57. 

nach  welchem  man  von  Anbeginn  die  für  die  Landesvertheidigung 
erforderliche  Reiterei,  die  s.  g.  Gliltpferde,  aufgebracht  hatte.' 

16.  Die  Städte  und  Märkte  hatten  ihre  besondeni  „Fähndl- 
aufzubringen,  was  gewöhnlich  durch  Werbung  von  Knechten 
geschah.  Erleichtert  wurde  ihnen  dies  durch  die  n.-ö.  Polizeiordnung 
vom  Jahre  1 552,  die  aus  der  Handwerkerordnung  für  die  fünf  n.-ü. 
Lande  vom  Jahre  1527  die  Bestimmung  übernommen  hat,  dass  die 
Handwerker  in  Fällen  der  Feindesnoth  verpflichtet  seien,  um  ge- 
bürlichen  Sold  gegen  den  Feind  zu  dienen,  bei  Strafe  der  Landes- 
verweisung. Zur  Landesvertheidigung  hatten  auch  die  Städte  nach 
Maßgabe  des  Aufgebots  den  30.,  10.,  5.  Mann  auszurüsten  und 
zu  stellen,  wie  wohl  ihnen  in  erster  Linie  die  Vertheidigung  der 
eigenen  Mauern  oblag.  In  welch  rühmlicher  Weise  die  Bürger  von 
Wien  1529  und  1683  in  den  Belagerungen  durch  die  Türken,  die 
Prager  und  Brünner  während  des  dreißigjährigen  Krieges  dieser 
Pflicht  nachgekommen  sind,  ist  bekannt.  Neben  dieser  Bürgerwelir 
gab  es  in  größeren  Städten  eigene  Stadtsoldaten  als  Polizeiwache, 
in  Wien  z.  B.  die  s.  g.  Rumorsoldaten,  während  die  Stadtquardia 
hier  zur  landesfürstlichen  Besatzung  gehörte. 

17.  In  Tirol  beruhte  die  Heeres  Verfassung  vor  allem  auf  den 
Bestimmungen  des  s.  g.  elfjährigen  Landlibells  (vom  Jahre  1511). 
Die  beschränkende  Einwirkung  der  Stände  auf  die  landesfürstliche 
Gewalt  trat  hier  beinahe  noch  stärker  hervor  als  anderwärts.  Da 
jedoch  Tirol  nach  Beilegung  des  Krieges  mit  Venedig  im  Jahre 
1516  lange  Zeit  keine  unmittelbare  Bedrohung  durch  Feinde  er- 
fuhr, so  erklärt  sich  daraus,  weshalb  das  Land  verhältnismäßig 
große  Truppenkörper  dem  Landesherrn  zu  freier  Verfügung  be- 
willigte.^ Daneben  wurde  dann  für  den  Fall  eines  feindlichen 
Angriffs  das  Landesaufgebot  in  größerer  Zahl  in  Bereitschaft  ge- 
halten. 

18.  Auch  in  Ungarn  beruhte  das  Heerwesen  vom  Mittelalter 
her  theils  auf  der  Lehenspflicht  des  Adels  (der  servientes.  An- 


■^  Man  rechnete  von  200  Pfund  Gülten  ein  Pferd  als  halbe,  von  UK»  Ffiind 
Gülten  ein  Pferd  als  ganze  Gült.  Wer  weniger  besaß,  hatte  für  den  Unterhalt 
des  in  Bereitschaft  gehaltenen  Pferdes  ein  Wartgeld,  im  Falle  des  Auszugs  auch 
noch  ein  Rüstgeld  nach  der  Anzahl  seiner  Pfunde  zu  bezahlen. 

8  Meynert,  II,  136.  Z.  B.  1526:  5000  Mann  auf  4  Monate  lang,  wohin  es 
der  Erzherzog  verlange. 


Heerescinrichtnngen  in  Tirol  und  Ungara.  471 

hang  II,  11),  theils  auf  der  Landwehr  infolge  allgemeiner  Unter- 
thanenpflieht.  Der  Lehensgehorsam  legte  nun  zweierlei  Kriegslasten 
auf:  a)  den  persönlichen  Zuzug,  die  s.  g.  perso7ialis  insurrectio  im 
Kriege  und  b)  den  ständigen  Unterhalt  von  Mannschaften  zur  Be- 
setzung jener  Burgen  und  Schlösser,  auf  welchen  die  Vertheidigung 
des  Königreichs  beruhte,  die  s.  g.  Portalmiliz.  Beide  Verpflich- 
tungen trafen  die  Kronvasallen,  sie  mochten  nun  weltlich  oder 
geisthch  sein.  Sah  sich  der  König  außerstande,  die  Kosten  der 
Vertheidigung  aus  seinen  Einkünften  zu  bestreiten,  so  konnte  er 
nach  Art.  2  vom  Jahre  1458  die  Banderien  der  Prälaten  und  Ba- 
rone, d.  i.  die  obgenannte  Portalmiliz,  und  in  letzter  Linie  jeden 
waffenfähigen  Mann  aufrufen.  Diesen  Bestimmungen  gemäß  hat 
schon  König  Matthias  Corvinus  mit  Aufwand  von  mehr  als  einer 
Million  Ducaten  jährlich  ein  stehendes  Heer  gehalten,  dessen  Kern, 
die  berühmte  schwarze  Schar,  vornehmlich  aus  angeworbenen 
Böhmen,  Mährem  und  Serben  bestand. 

19.  Unter  den  schwachen  Jagelionen  sank  jedoch  der  krie- 
gerische Geist  in  Ungarn.  Prälaten  wie  Magnaten  erfanden 
unaufhörlich  neue  Mittel,  um  sich  der  Kriegspflichten  zu  ent- 
ledigen; auf  Rechnung  dieses  Verfalls  ist  die  furchtbare  Niederlage 
bei  Mohäcs  zu  schreiben.  König  Ferdinand  übernahm  daher  mit 
seinem  Regierungsantritte  in  Ungarn  auch  die  Aufgabe,  das  zer- 
rüttete Heereswesen  im  Lande  wieder  aufzurichten.  Die  Gesetzes- 
artikel 1  und  8  Vom  Jahre  1528  schärfen  den  Prälaten  und 
dem  Adel  die  Pflicht  des  persönlichen  Zuzugs  ein  und  bestimmen 
zugleich,  dass  unter  allen  Umständen  von  je  zwanzig  Bauernhöfen 
(portae)  ein  ausgerüsteter  Reiter  (daher  „Hußar")  zu  beständiger 
Vertheidigung  des  Landes  bereit  zu  halten  sei.  Daneben  ließ 
König  Ferdinand  das  für  dringende  Kriegsfälle  berechnete  Auf- 
gebot nicht  abkommen,  das  er  in  den  alten  Formen  (durch  Umher- 
tragen eines  blutigen  Säbels)  zusammenrief. 

Auf  diesen  Grundlagen  blieb  das  Heerwesen  in  Ungarn  bis 
auf  Kaiser  Karl  VI.  Durch  den  Gesetzesartikel  8  vom  Jahre  1715 
wurde  dann  die  „persönliche  Insurrection"  auf  außerordentliche 
Fälle  beschränkt,  im  übrigen  aber  die  Aufstellung  einer  stabilen, 
disciplinierten  Miliz  bewilligt,  die  aus  In-  wie  Ausländern  bestehen 
konnte  und  im  Kriege  wie  im  Frieden  durch  Besteuerung  der  Un- 
adeligen erhalten  werden  sollte. 


472        Österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  58. 


§  58.  Finanzwesen  und  -Terwaltnng  yon  1526 — 1740. 

Literatur  bei  §  33,  ferner:  Bidermann,  Gesammt-Staatsidee,  I,  II,  und 
im  Archiv  f,  öst.  Gesch.,  BJ.  20.  —  D'El  vert,  Zur  österr.  Pinanzgeschichto,  1881. 
—  Gindely,  Gesch.  d.  böhm.  Finanzen,  1526—1618.  Denlcschriften  d.  k.  Akad. 
d.  Wiss.,  Bd.  18.  —  Hu  her,  Rg.  157  und  im  Ergänzungsband  IV  der  Mitth.  d. 
Inst.  f.  österr.  Gesch.  —  Kaltenbaeck,  im  Universalkalender  Austria,  1851.  — 
Mensi,  Die  Finanzen  Österreichs  von  1701—1740  und  im  österr.  Staatswörter- 
buch II.  unter  „Finanzgeschichte".  —  Oberieitner,  im  Archiv  f.  österr.  Gesch., 
Bd.  19,  22,  30.  --  Schwabe  V.  Waisenfreund,  Versuch  e.  Gesch.  d.  österr. 
Staatscredits-  u.  Schulden wesens,  1860.  —  Stelzer,  Anleitung  zur  Verfassung 
aller.  .  .  Ab-  und  Zuschreibungsoperate,  1846.  —  Tschinkowitz,  Darstellung 
des  politischen  Verhältnisses  der . .  Hen*schaften  zur  Staatsverwaltung,  6  Bde., 
1827—1839.  —  Wagner  A.,  Finanz  Wissenschaft,  3.  Theil,  Specielle  Steuerlehre, 
1889.  —  Wolf  A.,  Die  Hofkararaer  unter  K.  Leopold  I.,  S.-B.,  Bd.  XL 

1.  Die  Pinanzverwaltung  in  Österreich  war  zu  den  Zeiten,  als 
Kaiser  Maximilian  I.  die  Regierung  antrat,  noch  ganz  in  den 
Formen  eines  mittelalterlichen  Staates :  noch  galten  der  landesfürst- 
liche Grundbesitz  und  die  Regalien  als  Haupteinnahmsquellen  des 
Fürsten,  noch  hoffte  man,  durch  „Reformierung  des  Kammerguts", 
die  auf  die  möglichste  Erhöhung  der  grundherrlichen  Einkünfte 
hinauslief,  den  gesteigerten  Ansprüchen  abzuhelfen,  welche  der 
Übergang  von  der  Natural-  zur  Qeldwirtschaft  nothwendig  mit 
sich  brachte.  Auch  bestand  noch  keinerlei  Trennung  der  persön- 
lichen Einnahmen  und  Ausgaben  des  Fürsten  von  jenen  des 
Staates,  noch  galten  die  aufgenommenen  Schulden  als  persönliche 
Verpflichtung  des  Herrschers  und  mithaftender  Privatpersonen. 

2.  Wie  auf  dem  Gebiete  der  Verwaltung  überhaupt,  so  hat 
Kaiser  Maximilian  auch  in  die  Verwaltung  des  Finanzwesens  mit  um- 
staltender  Hand  eingegriffen.  Er  hat  dasselbe  von  anderen  Zweigen 
der  Verwaltung  abgesondert  und  der  Leitung  von  FinanzcoUegien 
unterstellt,  Gegenschreiber  den  Einzelbeamten,  die  Buchhaltung 
den  Kammern  als  Controlorgan  beigeordnet,  den  Kammerprocurator 
als  allgemeinen  Anwalt  für  die  laudesfürstlichen  Ansprüche  ein- 
gesetzt. Schon  wird  eine  Centralisation  des  Finanzwesens  durch  eine 
Hofkammer  zur  obersten  Verwaltung  aller  Einkünfte  des  Reiches 
wie  der  Erblande  angestrebt  und  diese  den  n.-ö.  und  o.-ö.  Länder- 
kammern übergeordnet,  gleichwie  diese  den  obersten  Finanzlandes- 
behörden ihrer  Ländergruppe  vorgesetzt  waren.  (§  39,  9 — 12.) 


Die  Steuer  als  Ablösung  der  Vasallenpflicht.  473 

Auf  diesen  Grundlagen  haben  dann  Erzherzog  Ferdinand  I. 
und  dessen  Nachfolger  die  Organisation  des  landesfiirstlichen 
F'inanzdienstes  aufgebaut,  welche  im  §  53  schon  besprochen 
worden  ist. 

3.  Neben  der  s.  g.  Cameralverwaltung  der  landesfürstlichen 
Domänen  und  Regalien,  über  deren  Ertrag  der  Herrscher  zu 
staatlichen  und  persönlichen  Zwecken  frei  verfügen  konnte,  so 
weit  dieser  nicht  durch  Verpfändung  oder  besondere  Widmungen 
in  Anspruch  genommen  war,  gewinnt  aber  das  Steuerwesen  seit 
den  Tagen  Kaiser  Maximilian's  I.  für  die  Befriedigung  der  Staats* 
bedürfnisse  eine  immer  steigende  Bedeutung. 

Es  wurde  schon  (§  57)  auf  den  inneren  Zusammenhang  hin- 
gewiesen, der  zwischen  der  Entwicklung  des  Steuerwesens  und 
der  von  Kaiser  Maximüian  I.  eingeleiteten  Umänderung  des  Heeres- 
wesens besteht.  Die  Vasallen,  an  welche  der  Landesfürst  den  An- 
trag auf  Ablösung  des  Lehensaufgebots  durch  Übernahme  der 
Soldzahlung  richtete,  waren  jedoch  gleichzeitig  der  einflussreichste 
Theü  der  Landschaft  und  da  kam  es  ihnen  dem  Herrscher  gegen- 
über zu  statten,  dass  zur  Ausschreibung  ungewöhnlicher  Auflagen 
vom  Mittelalter  her  verfassungsmäßig  die  Zustimmung  der  Land- 
stände erforderlich  war.  Wenn  sie  auch  der  Ablösung  der  lästigen 
Lehenspflicht  umso  weniger  widerstrebten,^  als  sie  die  Zahlung 
großentheils  auf  ihre  hörigen  Bauern  überwälzen  konnten,  so 
hielten  sie  umso  zäher  an  der  Form  fest  und  verlangten  die  An- 
erkennung vom  Fürsten,  dass  sie  die  Leistung  nicht  aus  Pflicht, 
sondern  nur  aus  freiem  Willen  übernommen  hätten  und  dass  er 
somit  eine  Wiederholung  derselben  nicht  als  sein  Recht  bean- 
anspruchen  könne. 

4.  So  sind  also  die  seit  dem  16.  Jahrhundert  in  Österreich 
aufgekommenen  Ländersteuern,  obwohl  aus  einer  Ablösung  des 
Lehensaufgebotes  hervorgegangen,  doch  an  die  Zustimmung  der 
Landschaften   geknüpft  geblieben.   Die  Folge  davon  war,   dass 

*  Seit  dem  zweiten  Viertel  des  16.  Jahrh.  wird  die  Anforderung  der  Besteuerung 
zu  Zwecken  der  Landesvertheidigung  nicht  mehr  bestritten,  nachdem  Kaiser 
Maximilian  I.  schon  1517  die  principielle  Frage  aufgeworfen  hatte,  ob  die  Be- 
willigung der  Steuern  etwas  Freiwilliges  oder  Gebotenes  sei.  §  40,  Anm,  4.  — 
In  Steiermark  beginnen  z.  B.  die  Steueranschläge  im  J.  1516  und  laufen  vom 
J.  1525  ab  in  ununterbrochener  Folge. 


>4  K'  Kt^ichsgeschichte.  D.  Theil.  Vierte  Periode.  §  58. 

. ......>,y 'vie  überdies  die  Pestsetzung  der  Ziffer,  die  Art 

.    V*  *^  ^^*^  ^*®  Einhebung  derselben  vorbehielten,  mit 

V   .  t «.  ditös  sich  die  Steuerverwaltung  in  Österreich  als 

; .  >v-  der  Landschaften  entwickelte.   Das  hat  nun  für  die 

•,  X    vu?5$^>st^vltung  des  Steuerwesens  seine  große  Bedeutung 

.   vuul  hat  namentlich  dazu  geführt,  dass  die  Steuerpflicht 

;t  a  wirtschaftlich  schwächsten  Theil  der  Bevölkerung  über- 

:>.  Geht  man  davon  aus,  dass  die  Steuern  aufkamen,  um 
v.,o  Mittel  zur  Ablösung  des  Lehensaufgebotes  aufzubringen,  so 
w.uv  wohl  die  Beitragsleistung  der  Vasallen  nach  der  Größe  ihrer 
Lohenspflicht  der  richtige  Maßstab  für  die  Auftheilung  der  Steuern 
lijt^wesen.  In  Tirol,  wo  neben  den  obern  Ständen  und  den  Städten 
auch  die  freie  Bauernschaft  ihren  Platz  unter  den  Landständen 
und  in  der  Wehrmacht  gefunden  hatte,  ist  auch  ursprünglich  der 
Vertheilung  der  Landsteuern,  das  Ausmaß  der  Wehrpflicht  zu  Grunde 
gelegt  worden.  Man  hat  nämlich  die  im  Libell  vom  Jahre  1511 
für  die  Landesvertheidigung  bewilligten  5000  Kriegsknechte  als 
Steuereinheiten  behandelt  und  den  Monatssold  von  4  fl.  für  jeden 
angeschlagenen  „Steuer-  oder  Raitknecht"  dem  Steuerpflichtigen 
vorgeschrieben.  Diese  Form  des  Anschlags  hat  man  in  Tirol  auch 
beibehalten,  nachdem  man  das  Verhältnis  für  die  Umlage  unter 
Berücksichtigung  der  Bevölkerungszahl  und  des  Wertes  der  Rea- 
litäten geändert  hatte.  Auch  der  auf  einen  Steuerknecht  entfallende 
Betrag  wurde  allmählich  erhöht,  1573  aus  Anlass  der  Übernahme 
landesfürstlicher  Schulden  auf  neun  Monatssolde  oder  36  fl. 

6.  In  den  übrigen  Erblanden  ist  es  vorerst  zu  einer  Be- 
steuerung nach  dem  unbeweglichen  Vermögen  gekommen.  Auf 
das  größere  oder  geringere  Maß  der  Verpflichtung  zu  Kriegsdiensten 
kam  es  weiter  nicht  an,  ebensowenig  darauf,  ob  es  allodiales  Gut 
oder  Lehensbesitz  war,  sondern  nur  auf  die  Menge  und  Größe  der 
ausersehenen  Steuerobjecte,  die  jemand  hatte.  Als  solche  griff 
man  zunächst  die  grundherrlichen  Einkünfte  heraus,  die  vom 
Mittelalter  her  Gülten,  oder  Herrengülten  hießen.  Es  wurde  daher 
von  den  Einzelnen  neben  einer  Selbsteinschätzung  auch  die  Vor- 
lage von  Nachweisen  durch  Gültenverzeichnisse  gefordert  und 
darnach  die  Steuerschuldigkeit  bemessen.  Diese  „Gülteneinlagen" 
nebst  den  letztvorhergegangenen  Steueranschlägen  bildeten  dann 


Steuerwesen  der  Landschaften:  Stenerobject  und  Steuereinheiten.      475 

• 

das  Steuergrundbuch  (Kataster),  auf  welches  hin  die  nächste 
Ausschreibung  erfolgte.  Da  Änderungen  im  Besitz  von  Steuer- 
objecten  nur  dann  Berücksichtigung  fanden,  wenn  sie  der  Steuer- 
behörde zur  Kenntnis  gebracht  wurden,  so  ergab  sich  daraus  für 
den  Veräuflerer  und  den  Erwerber  von  Gülten  die  Anzeigepflicht, 
die  mit  der  Bitte  um  Ab-  beziehungsweise  Zuschreibung  der  ver- 
äußerten Gülten  im  Steuer -Grundbuch  verbunden  war.  Dadurch 
übernahm  in  den  fünf  n.-ö.  Landen  der  landschaftliche  Gülten- 
kataster nebenher  einen  Theil  jener  Aufgaben,  die  in  Böhmen  und 
Mähren  durch  die  Landtafel  in  \yeit  vollkommenerer  Weise  be- 
sorgt wurden. 

7.  Die  Steuerpflicht  ruhte  ureprünglich  auf  den  Qrundherren 
als  Gültenbesitzern,  eine  Überwälzung  der  Steuer  auf  die  herr- 
schaftlichen Unterthanen,  die  sich  soeben  im  Bauernkriege  von 
1515  im  Kampfe  um  ihr  „altes  Recht*"  gegen  Neubelastungen 
sehr  schwierig  erwiesen  hatten,  war  von  rechtswegen  nicht  ge- 
stattet. Es  blieb  daher  den  Landständen,  wenn  sie  eine  solche 
erlangen  wollten,  nichts  übrig,  als  die  landesfürstliche  Ermäch- 
tigung dazu  einzuholen.  Eine  solche  erwirkten  sie  im  Jahre  1518 
bei  den  Verhandlungen  des  allgemeinen  Ausschusstages  zu  Inns- 
bruck von  Kaiser  MaximiUan  I.,  der,  um  die  Aufbringung  des 
Hilfsgelds  von  400.000  fl.  zu  erleichtern,  den  Landständen  erlaubte, 
.die  gemainen  Menschen  durchaus  in  ziemlichen  Mitleiden  nach 
jedes  Lands  Gelegenheit  und  Vermögen  darin  zu  ziehen".  Die 
Grundherren  säumten  nicht,  dies  Zugeständnis  auszunützen.  In 
Steiermark  war  beispielweise  schon  1526  nur  mehr  die  Hälfte 
der  damaligen  Steuern  von  den  Herren  ..ohne  der  armen  Leute 
Beschwerde*"  zu  bezahlen,  später  fiel  zeitweise  das  Ganze  den 
Unterthanen  zu  und  die  Herrschaft  hatte  nur  Gereisige  zu 
stellen  oder  das  dafür  nach  der  Anzahl  der  Gültpfunde  ent- 
fallende Rüst-  und  Wartgeld  aus  ,  eigenem  Säckl""  zu  bestreiten. 

8.  Bei  dem  Umstände,  als  die  Kosten  des  Kriegswesens 
und  der  Verwaltung  von  Jahr  zu  Jahr  stiegen,  suchten  sich  die 
Landstände  zunächst  durch  eine  Erweiterung  des  Kreises  der 
Steuerpflichtigen  zu  helfen.  Schon  1527  hatten  sie  die  Aner- 
kennung der  Realsteuerpflicht  des  Clerus  durchgesetzt,  allmählich 
erwirkten  sie  überdies  beim  Landesfürsten  die  Erlaubnis  zur  Be- 
steuerung der  Domänen,  zumal  jener,  welche  sich  in  den  Händen 


476        österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  58. 

9 

von  „  Pfandschaf tern'',  d.  h.  Pfandgläubigern  befanden.  Da  jedoch 
diese  Mittel  nicht  ausreichten,  so  griff  man  zu  einer  Änderung 
der  bisherigen  Steuergrundlage.  Es  geschah  dies  infolge  der  Be- 
schlüsse des  Prager  allgemeinen  Ausschusstages  vom  Jahre  1542, 
auf  welchem  nach  einer  vorläufigen  Schätzung^  des  Wertes  der 
Güter-  und  Realrechte  Böhmen  425.000,  Mähren  200.000  fl.,  Schle- 
sien mit  Schweidnitz  und  der  Lausitz  300,000,  die  fünf  n.-ö.  Lande 
400.000  fl.,  vorbehaltlich  des  Ergebnisses  der  endgiltigen  Schätzung, 
übernommen  hatten.  Zu  diesem  Zweck  wurde  der  Kreis  des 
steuerpflichtigen  Vermögens  nach  Abforderung  ergänzterSchätzungs- 
einlagen  neu  bestimmt  und  von  dem  ermittelten  Vermögenswerte 
den  Unterthanen  Veo,  den  Grundherrschaften  Vioo  als  Steuer  an- 
geschlagen. * 

9.  Diese  dominicalen  und  rusticalen  Steuerpfunde,  w^elche 
bei  wachsendem  Geldbedürfnisse  mit  dem  doppelten,  drei-  und 
selbst  vierfachen  Steuersatz  beschwert  wurden,  bildeten  bis  in 
die  Tage  der  Kaiserin  Maria  Theresia  die  Hauptgrundlage  für  die 
directen  Steuern  in  den  fünf  n.-ö.  Landen.  Zur  Ergänzung  wählte 
man  als  Steuerobject  die  Häuser  und  Hausgründe  der  Unterthanen, 
die  den  s.  g.  Hausgulden,  Rauchfänggulden,  auch  Urbarsteuer  ge- 
nannt, entrichten  mussten;  daneben  gab  es  schon  im  16.  Jahr- 
hundert außerordentliche  Türkensteuern,  Kopfsteuern  u.  dgl.  ra. 

Neben  der  Landsteuer  und  dem  Hausgulden  kam  auch  eine 
von  den  Herrschaften  selbst  zu  zahlende  außerordentliche  Gült 
gebür  vor. 

10.  Auch  in  Böhmen  begann  das  Steuerwesen  mit  einer 
Vermögenssteuer,  die  anfänglich  nur  die  Mitglieder  der  oberen 
Stände  treffen  sollte,  aber  meistens  auf  die  Unterthanen  über- 
wälzt wurde.  1542  wurde  jedoch  im  Zusammenhang  mit  den  Be- 

^  Die  sich  auf  zusammen  971.000  Gültenpfunde  belief;  davon  entfielen 
auf  die  böhmischen  Länder  700.000,  aufs  Land  unter  der  Enns  96.000»  ob  der 
Enns  47.000,  auf  Steiermark  72.000,  Kärnten  34.000,  auf  Krain  22.000  Pfund 
Gülten.  Tschinkowitz,  I,  5. 

3  Die  Art  der  Berechnung  s.  bei  Tschinkowitz,  I,  6  ff.  u.  Stelzer,  S.  19fr. 
Das  Gülteneinkommen  der  Herrschaften  zu  treffen,  wurde  ihnen  jedes  auf  die 
Güter  ihrer  Unterthanen  angeschlagene  Steuerpfund  als  25  Pfund  Capital  ange- 
rechnet und  hievon  1%  als  Steuer  vorgeschrieben.  Durch  den  Brucker  Ver- 
gleich vom  J.  1578  wurde  in  Innerösterreich  eine  neue  Grundlage  für  die  Be- 
messung der  Gültenpfunde  eingeführt. 


Steuerwesen  i.  d.  fünf  n.-ö.  Landen,  in  Böhmen,  Mähren,  Schlesien.     47  7 

Schlüssen  des  Prager  allgemeinen  Ausschusstages  die  Steuerpäicbt 
unmittelbar  auf  die  Unterthanen  ausgedehnt  und  diesen  seit  1555 
sogar  ein  höheres  Steuerprocent  vorgeschrieben,  als  es  die  Herren 
bezahlten.  Durch  die  Steuerreform  vom  Jahre  1567,  welche  an 
Stelle  der  Vermögenssteuer  eine  in  vier  Classen  abgestufte  Be- 
steuerung der  Ansässigkeit  setzte,  wusste  der  Adel  sogar  seinen 
ländlichen  Realbesitz  ganz  steuerfrei  zu  machen,  so  dass  er  nur 
durch  die  gleichzeitig  eingeführte  Capitalsteuer  getroffen  wurde; 
im  Jahre  1593  wurde  aber  sein  Steuerprivüegium  soweit  einge- 
schränkt, dass  er  nun  nach  der  Zahl  der  auf  seinen  Gütern  be- 
findlichen Bauernansässigkeiten  besteuert  wurde.  Erst  im  Jahre 
1654  kam  es  auf  Grund  behördlich  überprüfter  Einlagen  zur  Anlage 
eines  einheitlichen  Katasters  für  Böhmen,  welcher  76.000  Ansässig- 
keiten mit  je  3  fl.  Anschlag  umfasste.  Seit  1705  war  die  Con- 
tribution  für  das  bewilligte  Ordinarium  von  den  Unterthanen,  für 
das  Extraordinarium  von  den  Herrschaften  zu  tragen.  Aber  die 
schweren  Kriegszeiten  hatten  die  Zahl  der  Ansässigkeiten  erheb- 
lich vermindert,  so  dass  es  deren  im  Jahre  1711  nur  mehr  54.539 
gegen  72.240  gab,  die  im  Jahre  1682  verzeichnet  worden  waren. 
Es  kam  darum  neuerlich  zu  einer  Steuerreform,  welche  1725  die 
Steuerschuldigkeit  von  einer  bäuerlichen  Ansässigkeit  mit  60  fl. 
ermittelte,  während  die  in  ihrer  Höhe  schwankende  Steuer  vom 
herrschaftlichen  Besitz  kaum  das  Viertel  dieses  Betrags  erreichte. 

Das  Steuerwesen  in  Mähren  schloss  sich  in  seiner  älteren 
Form,  sowie  in  seiner  letzten  Entwickelung  seit  1659  im  allge- 
meinen dem  böhmischen  an,  während  in  der  Zwischenzeit  von 
1531 — 1659  die  Steuereinrichtungen  der  fünf  n.-ö.  Lande  nachge- 
ahmt erscheinen.  In  Schlesien  wurden  auf  Grund  von  Vermögens- 
schätzungen seit  1527  s.  g.  Schatzungssteuern  in  wechselnden 
Beträgen  erhoben. 

11.  So  hat  also  die  directe  Besteuerung  den  Landschaften 
vor  allem  die  Mittel  geliefert,  um  nicht  nur  ihren  Beitrag  zu  den 
Kosten  der  Staatsverwaltung  zu  decken,  sondern  auch  ihre  eigenen 
Auslagen  zu  bestreiten.  Diese  aber  waren  so  bedeutend,  dass 
auch  die  Zuhüfenahme  von  indirecten  Steuern,  wie  Tranksteuem, 
die  man  Taz,  Zapfenmaß,  Biergeld  u.  dgl.  nannte,  von  Aufschlägen 
auf  Verbrauchsgegenstände  bei  der  Einfuhr  in  geschlossene  Orte 
u.   dgl.   nicht  hinreichte,    um  die  Jahresrechnungen  ohne  Fehl- 


478        österreichische  Reichsgoschichte.  IL  Thell.  Vierte  Periode.  §  58. 

betrag  abzuschließen.  Die  Folge  war,  dass  nach  und  nach  die 
Landschaften  in  arge  Verachuldung  geriethen,*  denn  die  Leistungs- 
fähigkeit des  kleinen  Mannes  war  erschöpft  und  die  Privilegien  der 
steuerkräftigeren  Classen  wurden  geschont,  ersparen  konnte  oder 
wollte  man  nicht  viel,  und  die  Geldnoth  der  Regierung  drängte 
fort  und  fort  zu  Vorausleistungen  (Anticipationen),  die  nur  mit 
Hilfe  des  Credita  der  Landschaften  durchzuführen  waren. 

12.  Es  gab  jedoch  die  ganze  Zeit  her  neben  dem  landschaft- 
lichen auch  ein  staatliches  Steuerwesen.  Von  der  Besteuerung  des 
Clerus  durch  den  Landesfürsten  war  schon  die  Rede  (§  51,  6), 
ebenso  von  den  landesfürstlichen  Stadtsteuem  (§  33,  14)  die  später 
auch  als  Gewerbesteuern  erhoben  wurden,  Judensteuem  kamen 
als  Kopf-  oder  Vermögenssteuern,  Toleranzgeld,  Leibmauth  u.  dgl. 
vor.  Dazu  gesellten  sich  außer  dem  als  Regal  behandelten  Zolle 
auch  indirecte  Abgaben  an  den  Landesfürsten,  vor  allem  das  in 
Österreich  in  das  14.  Jahrhundert  zurückreichende  Ungeld  (auch 
Umgeld,  Ohmgeld),  eine  Tranksteuer  von   10  Procent  von  allem 
zum  Ausschank  kommenden  Weine,  in  Böhmen  der  landesfürstliche 
Biergroschen,  den  König  Ferdinand  den  Städten  im  Jahre  1547 
als  Strafe  für  die  Betheiligung  an  dem  Aufstandsversuche  auf- 
erlegt hatte.  Vor  allem  beliebt  war  aber  die  Form  der  s.  g.  landes- 
fürstlichen  Aufschläge  auf  die  verschiedensten  Gegenstände  des 
täglichen  Gebrauchs  und  Verbrauchs,  weil   zur  Einführung  der- 
selben ohne  Zustimmung  der  Landstände  den  Erzherzogen  die 
Anerkennung  der  österreichischen  Freiheitsbriefe  durch  das  Reich 
eine  willkommene  Handhabe  bot.   (§  48,  2.)   Zu  diesen  Abgaben, 
welche  oft  Ausfuhrzölle,  später  auch  Einfuhrzölle  enthielten,  ge- 
hörten die  Viehaufschläge  (Dreißigste),  die  Fleischkreuzer,  Auf- 
schläge auf  Leder,  Wachs,  Honig,  Unschlitt  u.  s.  w.  Dazu  kamen 
seit  1670  noch  das  Tabaks-  und  1686  das  Stempelgefälle.   Unter 
Kaiser  Leopold  I.  begannen  sogar  schon  Versuche  zu  einheitlicher 
und  systematischer  Ausgestaltung  der  Verbrauchsabgaben  durch 
Einführung  einer  Universalaccise,   die  jedoch  Verhandlungen  mit 
den   Ständen  nöthig  machten  und  nur  in  Schlesien  (1705)  und 
Böhmen  mehr  oder  minder  zum  Ziele  führten. 

^  Nicht  immer  durch  eigene  Schuld.  So  hat  z.  B.  die  Landschaft  von 
Steiermark  durch  die  Verrufung  der  Kippermünze  an  ihrem  Cassenbestand  von 
811.11411.  nicht  weniger  als  685.724fl.  eingebüßt.  —  Mitth.  d.h.Ver.f.Stmk.,38,8.34. 


Staatssteuern :  Aufschläge,  Stempel,  directe  »TUrkensteuern*.         479 

13.  Der  steigende  Aufwand  des  Staates  und  die  mangelhafte 
Art,  in  der  ihm  die  Mittel  zur  Bestreitung  der  Ausgaben  darge- 
boten wurden,  drängte  jedoch  den  Kaiser  Leopold  zur  Einführung 
directer  landesfüratlicher  Steuern,  die  neben  den  landschaftlichen 
.Contributionen''  allgemein  erhoben  werden  sollten.  Dem  Kaiser 
kam  dabei  zustatten,  dass  sich  unter  dem  Eindrucke  der  von  Frank- 
reich aus  verbreiteten  absolutistischen  Ideen  die  Vorstellung  von 
der  Überlegenheit  des  Staates  über  die  ständischen  Privilegien 
schon  einzuleben  begann.  Zudem  hatten  die  Landstände  die  Steuer- 
hoheit dem  Staate,  ohne  es  zu  wollen,  dadurch  zugestanden,  dass 
sie  in  einzelnen  Fällen  dessen  Hilfe  in  Steuersachen  beansprucht 
hatten,  so  als  es  sich  um  die  Ausdehnung  der  Steuerpflicht  auf 
die  herrschaftlichen  Unterthanen  handelte,  nicht  minder  zur  Er- 
wirkung der  politischen  Execution  von  Steuerrückständen.  Als 
nun  der  Vicepräsident  der  Hofkammer,  Graf  Job.  Quintin  v.  Jörger, 
in  seinem  berühmten  Gutachten  vom  14.  April  1679  dem  Kaiser 
vorstellte,  dass  die  unumgängliche  Nothdurft  „ein  importirliches, 
extraordinäres  Mittel  in  supplementum  publicae  pecuniae  zu  er- 
greifen'' erfordere  und  als  solches  eine  allgemeine  gleiche  Be- 
steuerung vorschlug,  fiel  diese  Anregung  auf  fruchtbaren  Boden. 
Schon  drei  Jahre  darauf  wurde  unter  dem  Eindrucke  des  bevor- 
stehenden Türkenkrieges  zur  Ergänzung  der  durch  die  Landes- 
contributionen  aufgebrachten  Mittel  eine  allgemeine  Vermögens- 
steuer für  die  Gesammtheit  der  Erblande  nach  gleichen  Grund- 
sätzen und  ohne  Befragung  der  Stände  ausgeschrieben  (Türken- 
steuer vom  Jahre  1682)  und  dieser  Vorgang  auch  späterhin, 
namentlich  während  des  spanischen  Erbfolgekrieges  wiederholt. 

14.  Die  geschilderte  Entwickelung  des  Steuerwesens  in  Öster- 
reich erklärt  manche  Eigenthümlichkeiten  der  österreichischen 
Finanzverwaltung,  welche  sich  durch  lange  Zeit  erhalten  haben. 
Hieher  gehört,  dass  man  die  wichtigsten  von  den  Landschaften 
bewilligten  Steuern,  für  welche  der  Name  „Contribution''  seit  1621 
vorkommt,  als  Bedeckung  für  den  Heeresaufwand  auffasste,  wäh- 
rend man  die  Auslagen  des  Hofstaats  und  der  Verwaltung  vor 
allem  aus  den  „Cameraleinkünften''  bestritt.  Da  man  jedoch  mit 
diesen  auf  die  Länge  der  Zeit  nicht  auskam,  so  wurde  neben  der 
gewöhnlichen  Militärbewilligung  (der  „OrdinariLändercontribution'*), 
die   später    durch   Recesse   auf  längere   Zeit   festgelegt   wurde. 


480         Österreichische  Reichggeschichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  58. 

noch  eine  ^Extraordinari*' -Bewilligung  zur  freien  Verwendung  für 
Staatsbedürfnisse  begehrt. 

Ziemlich  früh  hatte  man  auch  ein  rohes  System  der  (Kon- 
tingentierung in  der  Art  eingeführt,  dass  man  einen  allgemeinen 
Schlüssel  zur  Vertheilung  der  geforderten  Gesammtsumme  auf  die 
einzelnen  Länder  anwandte.  Auf  dem  Generalausschusstag  zu  Prag 
1542  wurde  das  Verhältnis  Vs  zu  Vs  (seit  1682:  ^^72  zu  ^Vts) 
für  die  Antheile  der  böhmischen  und  der  fünf  n.-ö.  Lande  ermittelt, 
Tirol  blieb  dabei  außer  Betracht.  Von  der  ersten  Quote  über- 
nahm Böhmen  V»?  Mähren  7«»  Schlesien  V»^  von  der  letzteren 
das  Land  unter  der  Enns  Va,  ob  der  Enns  V«,  die  i.-ö.  Herzogthümer 
die  Hälfte.  Dies  Verhältnis  blieb  bis  gegen  Ende  des  17.  Jahr- 
hunderts für  die  landesfürstlichen  Steueranforderungen  (Postulate), 
nicht  aber  für  die  Länderbewilligungen  maßgebend,  da  die  böh- 
mischen Länder  gewöhnlich  etwas  weniger  zugestanden. 

15.  Die  Verwaltung  der  landesfürstlichen  Finanzen  in  den 
Erblanden  war  während  dieses  Zeitraumes  der  wundeste  Punkt, 
an  dem  der  Staatskörper  krankte.  Bekannt  ist,  wie  zerrüttet  der 
Staatshaushalt  unter  Kaiser  Maximilian  L  war,  der  in  seiner  ver- 
zweifelten Lage  sogar  zum  Auskunfsmittel  griff,  einen  Theil  seiner 
Einkünfte  durch  den  Gossenbrot'schen  Vertrag  (1502)  unter  Sequester 
zu  stellen.  Die  Verlässlichkeit  der  Behörden  wie  auch  einzelner 
Beamten  kann  nur  gering  gewesen  sein,  wenn  auch  nur  ein  Theil 
der  Vorschläge  und  Vorwürfe  begründet  ist,  die  im  Jahre  1 52 1 
dem  Erzherzog  Ferdinand  L  durch  eine  Denkschrift  eröffnet 
wurden.^  Seit  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  mussten 
wiederholt  mit  den  Landständen  Verhandlungen  wegen  Übernahme 
von  Hof  schulden  unter  drückenden  Bedingungen  gepflogen  werden. 
Gründliche  Abhilfe  hat  diese  Erleichterung  nicht  gebracht.  „Aller- 
gnädigster  Khayser  und  Herr,  ich  schreie  immerzue  Kammer, 
Kammer,  Kammer,  sonst  sein  wier  so  wahr  Gott  ist  ruinirt*',  be- 
ginnt 1613  ein  Vortrag  Khlesl's  an  Kaiser  Matthias  L  Die  Leere  in 
den  Staatscassen  bei  Ausbruch  des  böhmischen  Aufstandes  drängte 
zur  Münz  Verschlechterung,  um  nur  die  Mittel  für  den  Beginn 
des  dreißigjährigen  Krieges  zu  beschaffen.  Der  Zusammenbruch 

5  Über  den  Vertrag  mit  Gossenbrot  s.  Adler,  101  und  536  ff.;  über  die 
Denkschrift  von  1521  wird  S.  424  die  Vermuthung  ausgesprochen,  dass  sie  vom 
Salzamtmann  Oder  herrühre. 


Schlechte  Verwaltung  der  landesfüi-stl.  Finanzen,  Geldnöthe.         481 

dieses  Scheingeldes  Ende  1623.  brachte  den  Staat  um  den  wirt- 
schaftlichen Erfolg  der  Vermögensconfiscationen  in  Böhmen,  welche 
dem  Kaiser  die  größere  Hälfte  des  Adelsbesitzes  in  die  Hände 
geliefert  hatte.  Am  schlimmsten  aber  war  es  wohl  mit  den  öster- 
reichischen Finanzen  unter  der  Regierung  Kaiser  Leopold's  I.  be- 
stellt, dessen  wohlwollende,  aber  schwache  Persönlichkeit  von 
Bittstellern  aller  Art  in  der  unverschämtesten  Weise  ausgebeutet 
wurde,  während  gleichzeitig  Graf  Georg  Ludwig  von  Sinzendorf 
als  Hofkammerpräsident  durch  22  Jahre  an  der  Spitze  der  Ver- 
waltung stand,  dem  nach  seiner  Entlassung  (1679)  Unterschleife 
von  nahezu  zwei  Millionen  nachgewiesen  wurden.  Ungetreu  wie 
dieser  waren  viele  seiner  Untergebenen,  es  fehlte  auch  an  Amts- 
instructionen  und  regelmäßigen  Abrechnungen.  Die  Verluste,  die 
der  Staat  allein  durch  uneinbringliche  Forderungen  an  die  Nach- 
lässe seiner  Finanzbeamten  erlitten  hatte,  schätzte  ein  wohl- 
erfahrener Gewährsmann  für  die  Zeit  von  1611—1658  auf  ein 
paar  Millionen.  Dazu  fehlte  es  an  aller  Übersicht  über  den  eigenen 
Schuldenstand.  Kaiser  Leopold  hatte  aus  der  Zeit  von  1643  bis 
1656  veraltete  Hofschulden  im  Betrage  von  767.463  fl.  übernommen, 
die  man  früher  mit  40.000—50.000  fl.  hätte  ablösen  können  und  die 
man  später  mit  den  Zinsen  für  voll  annehmen  musste.  Das  Zu- 
sammentreffen dieser  mangelhaften  Verwaltung  mit  einem  durch 
die  häufigen  Kriege  gesteigerten  Staatsaufwand  brachte  einen 
solchen  Geldmangel  und  eine  derartige  Nothlage  mit  sich,  dass 
oft  keine  Couriere  mehr  geschickt  werden  konnten,  weil  die  Fi- 
nanzen das  Reisegeld  für  dieselben  nicht  aufzubringen  vermochten, 
dass  man  Anlehen  nicht  anders  als  zu  18  bis  24  Procent  aufzu- 
bringen vermochte.  Die  wichtigsten  Einnahmsquellen  hatte  man  ver- 
pfändet, einzelne  indirecte  Steuern,  wie  der  Weinaufschlag,  waren 
gegen  geringe  Abfindungssuramen  den  Landständen  ganz  oder 
theilweise  verkauft  worden  und  geriethen  schließlich  durch  Weiter- 
verkauf der  Landstände  in  die  Hände  von  Privaten,  in  welchen 
sie  bis  1829  verblieben,  die  Kriegserfordernisse  musste  man  großen- 
theils  mit  Anweisungen  auf  die  Provinzen  gegen  Einlass  von 
mindestens  30  Procent  bezahlen  u.  dergl.  „Ja  wenn  die  ganze 
Monarchie  auf  der  äußersten  Spitze  stehen  und  wirklich  zugrunde 
gehen  sollte,  man  aber  nur  mit  50.000  fl.  oder  noch  wemger  in  der 
Eile  aufhelfen  könnte,  so  musste  man  es  eben  geschehen  lassen  und 

La  sohl  D,  Österreichische  Reichsgeschichte.  31 


482     österreichische  Keichs^eschichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  58  u.  59. 

vermöchte  dem  Übel  nicht  zu  steuern**,  urtheilte  Prinz  Eugen  im 
Jahre  1703  ebenso  scharf  als  treffend.®  Was  für  eine  Lebenskmft 
hatte  Österreich,  dass  es  trotz  dieser  Misswirtschaft  langjährige 
europäische  Kriege  überstehen  konnte,  und  was  wären  seine  Erfolge 
gewesen,  wenn  es  in  der  Zeit  dieser  Verwickelungen  geordnete 
Finanzen  besessen  hätte! 

§59.  Wirtschaftliche  Zustände  in  den  Jahren  1500—1750. 

m 

Bid ermann.  Die  technische  Bildung  in  Österreich.  1854.  —  Ratsche li. 
Das  Manufacturhaus  auf  dem  Tabor  in  Wien,  1887.  —  Horneck,  Österreieii 
über  alles,  wenn  es  nur  will,  1684  u.  ö.  —  Janssen,  Geschichte  des  deutschen 
Volkes,  Bd.  8.  —  Mein  Aufsatz  über  »das  lange  Geld"  in  den  Mitth.  des  histor. 
Ver.  f.  Strak.,  Heft  38.  —  Mayer  Fz.  M.,  Die  .Anfänge  des  Handels  und  der 
Industrie  in  Österreich  und  die  oriental.  Compagnie,  1882.  —  Newald,  Die 
lange  Münze  in  Österreich,  Wien,  Numismat.  Zeitschrift,  1881,  Bd.  XEI.  — 
Rosoher  in  Hildebrand's  Jahrbüchern  für  Nationalöconomie,  II,  18&4.  — 
Scheichl,  Bilder  aus  der  Zeit  der  Gegenreformation  in  Österreich,  1890.  Bei- 
trag zur  Gesch.  d.  gemeinen  Arbeitslohnes  vom  Jahre  1500  bis  auf  die  Gegen- 
wart, 1885.  —  Wi  ehe,  Zur  Gesch.  d.  Preisrevolution  des  16.  u.  17.  Jahrb.,  1895. 

1.  Die  wirtschaftliehe  Lage  in  den  altösterreichischeu  und 
böhmischen  Landen,  welche  gegen  den  Schluss  des  Mittelalters 
stark  gedrückt  war,  nahm  außerhalb  der  landwirtschaftlichen  Kreise 
im  16,  Jahrhundert  eine  Wendung  zum  Bessern,  die  mehrere  Jahr- 
zehnte anhielt.  Noch  förderten  die  Bergwerke  in  Tirol  und  Böhmen 
reiche  Silbererze  und  die  Menge  der  Umlaufsmittel  wuchs  von 
Jahr  zu  Jahr.  Das  war  die  Zeit,  da  die  Tiroler  Münze  den  Ruf 
hatte,  die  beste  der  Christenheit  zu  sein  und  die  Joachimsthaler 
Gepräge  der  Grafen  von  Schlick  das  Vorbild  für  die  grobe  Silber- 
münze im  Deutschen  Reiche  abgaben.  Das  Gewerbe  nimmt  seinen  Auf- 
schwung :  berühmt  sind  die  Erzeugnisse  der  Innsbrucker  Plattner 
und  Harnisch- Schmiede  zu  Zeiten  Kaiser  Maximilian's  und  schon  ent- 
stehen Großmanufacturen  wie  etwa  die  WaflFenerzeugung  des 
Sebald  Pögl  bei  Thörl,  die  im  Jahre  1502  vertragsmäßig  80  Gesellen 

ö  Vgl.  über  die  Einzelheiten  Wolf,  Kaltenbaeck's  Aufsatz,  welcher 
Jörger's  Angaben  und  andere  Handschriften  verwertete,  und  Schwabe,  der  die 
Angaben  wiederholt  durch  Berufung  auf  Acten  des  Hofkamiuerarchivs  bestätigt. 
Die  oft  erwähnte  „Geheime  Instruction  vor  einen  neu  angehenden  Hofcammer- 
Rath  zu  Wien"  ist  nach  der  Handschrift,  die  ich  besitze,  vom  J.  1658. 


Wirtschaftlicher  Aufschwung  im  16.  Jahrh.:  Bergwerke,  Glashütten.     483 

für  den  König  beschäftigen  sollte  und  die  Grundlage  des  Reiehthums 
war,  zu  welchem  die  neugeadelten  Freiherren  von  Pögl  zum  Reifen- 
stein und  Arberjg  nach  wenigen  Jahrzehnten  emporstiegen. 

2.  So  haben  vor  allem  Fleiß  und  Betriebsamkeit  des  Bürger- 
standes durch  Handel  und  Gewerbe  Reichthümer  geschaflFen,  die 
für  jene  Zeit  bedeutend  waren.  Auch  fehlte  es  nicht  an  Versuchen, 
neue  Industrien  emporzubringen.^  Ein  eingewanderter  Italiener, 
Niklas  Walch,  hatte  schon  1486  bei  Wien  in  der  s.  g.  Venediger  Au 
(später  Jägerzeile)  eine  Glasschmelze  nach  Venezianer  Art  erbaut. 
1534  erwirkte  der  Bürger  Wolfgang  Vitl  zu  Hall  für  seine  zur 
Erzeugung  weißer  Gläser  eingerichtete  Glashütte  ein  Privilegium, 
das  ihn  vor  einer  Concurrenz  im  Innthal  auf  20  Jahre  hinaus 
schützte.  Wie  groß  sein  Unternehmungsgeist  dabei  war,  mag  man 
daraus  ermessen,  dass  Vitl  die  zur  Glasarbeit  benöthigte  Asche 
und  andere  Rohmaterialien  aus  Spanien  zu  beziehen  gedachte. 
Eben  dies  brachte  ihn  aber  mit  den  Laibacher  Bürgern  Veit 
Kissl  und  Hans  Weilheiraer,  die  bereits  früher  eine  Glashütte  bei 
Laibach  in  Betrieb  gesetzt  hatten,  in  Widerstreit  und  war  Ver- 
anlassung, dass  Vitl  im  Jahre  1536  daran  gieng,  auch  die  Pottasche 
selbst  zu  erzeugen,  was,  wie  König  Ferdinand  I.  in  einem  neuen  Privi- 
legium für  Vitl  hervorhob,  nicht  bloß  für  Glashütten,  sondern  auch 
für  Schmelzwerke,  Seifensieden  u.  a.  von  großem  Nutzen  sein 
werde.  Veit  Kissl  oder  Khisl  aber,  der  Stammvater  eines  zu  Ende 
des  17.  Jahrhunderts  im  Grafenstande  erloschenen  Geschlechts, 
wählte  zu  den  österreichischen  Großindustriellen  seiner  Zeit,  lieferte 

^  Eine  Geschichte  der  älteren  Industrie  in  Österreich  fehlt  und  die  Mate- 
rialien dazu  sind  sehr  zerstreut.  In  Böhmen  kommt  der  Name  Glashütte  als 
Ortäbezeichnung  auf  den  Herrschaften  Winterberg  imd  Semil  schon  im  14.  Jahr- 
hundert, auf  den  Rosenberger  Herrschaften  Wittingshausen,  Krumau-Goldonkron 
seit  dem  15.  Jahrhundert  vor.  Mar  es  in  den  Rozpravy  der  böhm.  Akad.  d.  W., 
Sect.  1,  Jahrg.  2,  Heft  1,  S.  9  ff.  —  Tschischka,  Wien,  257;  dann  Schönherr 
im  Jahrbuch  der  Kunstsammlungen  des  a.  h.  Kaiserhauses,  Bd.  II,  Urk.-Regg. 
Nr.  1955,  1960—62,  1669,  2006,  2015,  2100,  2130  u.  ö.  So  kostspielig  waren 
noch  1538  die  Fensterscheiben,  dass  die  o.-ö.  Regierung  erwog,  ob  man  die 
Fenster  der  in  der  königl.  Burg  zu  Innsbruck  neu  eingerichteten  Räume  nicht 
-etwa  mit  geölter  Leinwand  überziehen  sollte!  —  Khisl's  Kupferhammer:  Archiv 
der  La.  Krain,  Fase.  546.  —  Über  steierm.  Eisenindustrie:  Hohberg,  I,  C.  78  u.  a. 
Für  Mähren  hahen :  Ruby,  Das  Iglauer  Handwerk,  1887  und  namentlich 
D'Elvert  manches  veröffentlicht. 

13* 


484        österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  59. 

aus  Krain  Eisenkugeln  für  die  Geschütze  Kaiser  Karl's  V.  zu  Neapel 
und  besaß  mit  seinem  Geschäftsfreund  Weilheimer  überdies  einen 
neuen  Kupferhammer  bei  Laibach  (1530),  für  dessen  Betrieb  er 
15  Meister  in  Italien  angeworben  hatte.  Blühend  war  die  Eisen- 
industrie von  Stadt  Steyr,  deren  Erzeugnisse  nach  Venedig  ver- 
handelt, süsse  Weine,  Spezereien  und  Gewürze,  Öl  und  Seiden- 
waren als  vielbegehrte  Rückfracht  brachten.  Allen  anderen  Städten 
weit  voraus  blieb  aber  Wien,  als  es  sich  von  dem  Schrecken  der 
ersten  Türkenbelagerung  erholt  hatte. 

3.  Umso  tiefer  war  nach  diesem  Aufschwünge  der  Verfall  der 
Städte  im  17.  Jahrhundert,  weil  er  aus  dem  Zusammentreffen 
verschiedener  Umstände  hervorgieng.  Als  allgemeine  Ursache  ist 
hier  zuerst  der  Rückgang  des  Landhandels  mit  Venedig  zu  nennen, 
durch  den  die  österreichischen  Lande  wie  auch  Deutschland  schwer 
getroffen  wurden.  Hatten  sich  die  neuen  Welthandelswege  die  den 
westlichen  Seemächten  zustatten  kamen,  schon  ums  Jahr  1500 
im  wichtigen  Gewürzhandel  bemerklich  gemacht,  so  war  doch  der 
Republik  an  der  Adria,  solange  sie  Cypern  behaupten  konnte,  die 
Möglichkeit  geboten,  durch  kluge  Maßregeln  mancherlei  Art  den 
Zwischenhandel  nach  Oberdeutschland  wieder  an  sich  zu  bringen 
und  durch  Jahrzehnte  zu  behaupten.  Allein  seit  dem  Verluste  der 
levantinischen  Besitzungen  war  es  mit  der  Blüte  Venedigs  end- 
giltig  vorbei.  Die  gewerblichen  Erzeugnisse,  die  man  theils  über 
den  Brenner,  theüs  durch  Friaul  nach  Venedig  verfrachtet  hatte, 
fanden  hier  keinen  Absatz  mehr  und  waren  fortan  fast  allein  auf 
den  inländischen  Markt  angewiesen,  was  einen  starken  Rückgang 
der  Gewerbe  zur  Folge  hatte. 

4.  Viel  verderblicher  noch  hat  in  Österreich  die  rücksichtslose 
Durchführung  der  Gegenreformation  gewirkt.  Sie  hat  namentlich 
die  Städte  zeitweise  entvölkert  und  Tausende  und  aber  Tausende 
von  Bürgern,  darunter  die  tüchtigsten  Gewerbetreibenden,  über 
die  Landesgrenzen  gedrängt.  Dass  der  wirtschaftliche  Verfall  der 
Lande  unausbleiblich  sei,  wenn  die  begonnene  Gegenreformation 
rücksichtslos  zu  Ende  geführt  würde,  darüber  konnte  kaum  eine 
Täuschung  bestehen.  In  einem  Briefe,  den  Erzherzog  Ferdinand  IL 
an  seinen  Vetter,  Herzog  Maximilian  von  Bayern,  bald  nach 
Beginn  der  Gegenreformation  in  Innerösterreich  schrieb,  legte  er 
selbst  das  Geständnis  ab:    „Die  Auswanderung  ist  mehr  uns  als 


Ureachen  des  wirtsch.  Verfalls  im  17.  Jahrh.:  die  Gegenreformation.     485 

den  Abgezogenen  nachtheilig,  denn  sie  waren  fast  die  Vermög- 
lichsten  und  nahmen  viel  Geld  hinaus.''  Als  die  Regierung  ein 
Jahrzehnt  später  über  den  erschreckenden  J^iedergang  der  Städte 
Nachforschungen  anstellte,  wurde  von  der  katholischen  Bürgerschaft 
bei  aller  Vorsicht  im  Ausdruck  doch  die  ^heUsambe  fürkherte 
Religions-Reformation"  als  Ursache  der  Zerrüttung  der  städtischen 
Steuerkraft  erklärt,  weil  «zur  selbigen  Zeit  vil  der  vermüglichsten 
Bürger  aus  dem  Land  gereist  und  merklichen  Reichthumb  mit 
sich  geführt,  der  hohe  Steueranschlag  aber  ein  als  andern  Weg 
continuiert".^  Alles  vergeblich!  Der  von  den  Jesuiten  geleitete 
Fürst,  dem  die  Aussicht  eröffnet  war,  durch  sein  gottgefälliges 
Werk  gleichzeitig  die  ständische  Opposition  in  seinen  Landen  mit 
einem  Schlage  zu  vernichten,  ließ  sich  von  seinem  Vorhaben 
nicht  mehr  abbringen,  wiewohl  Warnungsrufe  von  gut  katholischer 
Seite  auf  die  Schäden  hinwiesen.  So  meinte  Cardinal  Klilesl,  als 
Kaiser  Ferdinand  IL  am  12.  Februar  1628  den  Ständen  ob  der 
Enns  befahl,  katholisch  zu  werden  oder  auszuwandern,  „man  ent- 
wende dadurch  dem  Landesfürsten  die  Liebe  der  Unterthanen, 
dem  Lande  das  Geld  und  viele  Seelen",  und  der  Benedictiner 
David  Corner,  dem  die  Bekehrung  der  Bewohner  von  Freistadt 
zur  katholischen  Kirche  aufgetragen  war,  schrieb  an  seinen  Abt : 
„Der  Vorgang,  wie  er  in  [Freistadt  und  im  ganzen  Lande  jetzt 
eingehalten  werde,  dass  man  nämlich  die  Reichen  fortziehen  lasse 
und  die  Armen  behalte,  komme  ihm  widersinnig  vor,  es  sei  keine 
Religions-Reformation,  sondern  eine  Ausraubung  der  Provinz.  Nicht 
allein  die  Reichthümer  und  die  Bewohner  ziehen  hinweg,  sondern 
was  noch  schädlicher  sei,  der  einst  blühende  Handel  und  Verkehr 
verfalle  und  die  Provinz  gehe  ihrem  Ruin  entgegen.  *" 

5.  Eine  ziflFermäßige  Schätzung  auch  nur  der  wirtschaftlichen 
Verluste,  die  Österreich  durch  die  Gegenreformation  erlitten  hat, 
ist  nach  den  vorhandenen  Vorarbeiten  unmöglich.  Selbst  das  Wenige, 
was  darüber  actenmäßig  vorliegt,  lässt  erkennen,  dass  man  den 
Schaden  kaum  hoch  genug  ansetzen  wird.  Tirol,  wo  die  Gegen- 
reformation schon  am  Schlüsse  des  16.  Jahrhunderts  durchgeführt 
erscheint,   war  ^vom  zahlungsfähigsten  zum  ärmsten  aller  Erb- 

2  Abschrift  der  Stat  Judonburg  grundtlicher  Verantwortung  auf  der  Herren 
landesfürstl.  Commissarien  an  diesolbig  abgogangne  Punkt  vom  18.  Marty  Anno 
1612.  Punct.  15.  Steiemi.  La.-Arch. 


486        Österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  59. 

lande"  gemacht  worden.  Mehr  als  ein  halbes  Jahrhundert  nach  den 
letzten  Ausweisungen,  urtheilte  der  Verfasser  von  „Österreich  über 
alles,  wenn  es  nur  will'',  Hörnigk,  mit  sichtlicher  Hindeutung  auf 
die  Jesuiten  als  Rathgeber :  „Wegen  der  Reformation  lasse  ich  mich 
nicht  ein,  sondern  sage  allein,  wann  soviel  Leute  gewesen,  die 
ohne  Zweifel  aus  guter  Intention  dem  Landesfürsten  zu  seinem 
und  der  Länder  unschätzbaren  Schaden  die  Leut  sambt  denen 
Manufacturen  und  der  Narung  aus  dem  Land  zu  schaflFen  einge- 
rathen,  ....  so  sollten  auch  hingegen  mit  nicht  weniger  Billig- 
mäßigkeit Leute  sein,  die  aus  ebenso  guter  Meinung  sich  angelegen 
sein  ließen,  Mittel  auszufinden,  wie  andere  Leute  widerumb  dafür 
hineinzubringen. "  ^ 

6.  Die  Gegenreformation  war  noch  im  Gange,  als  die  all- 
gemeine Münzkrise  der  Kipper-  und  Wipperzeit  über  ganz  Deutsch- 
land und  Österreich  hereinbrach.  Schon  seit  langem  war  das 
Münzwesen  im  Deutschen  Reiche  durch  das  Überhandnehmen 
unterwertiger  Scheidemünze  ernstlich  gefährdet ;  nun  aber  wurde 
sogar  das  Feingewicht  des  groben  Geldes  bedenklich  augegriffen. 
In  den  österreichischen  Landen  hat  das  böhmische  Directorium 
zueret  die  verhängnisvolle  Bahn  der  Münzentwertung  beschritten 
(1619),  König  Friedrich  folgte  und  Kaiser  Ferdinand  IL  sah  sich 
genöthigt,  dem  gegebenen  Beispiel  nachzuleben,  um  nur  Geld  in  die 
völlig  erschöpften  Kriegscassen  zu  bringen.  So  nahm  die  Über- 
schwemmung des  Verkehi-s  mit  wertlosem  Geld  reißenden  Fortgang; 
die  Zeitgenossen  wunderten  sich  nur,  weshalb  alles  und  namentlich 
das  alte  Geld  so  theuer  w^erde,  denn  die  Ducaten,  die  erst  Ende 
1618  auf  den  Nennwert  von  2  fl.  45  kr.  erhöht  worden  waren, 
stiegen  auf  15  fl.  und  20  fl.,  der  der  neuen  ^langen**  Münze,  die 
alten  guten  Reichsthaler  von  1  fl.  32  kr.  auf  10  fl.  und  die  übrigen 
Stücke  im  Verhältnis.  Bis  zu  86  fl.  50  kr.  sollte  die  feine  Wiener 
Mark  Silber  in  der  Prager  Münzstätte  nach  den  Weisungen  des 
kaiserlichen  Statthalters  Fürsten  Karl  zu  Liechtenstein  ausgebracht 
werden,  in  Wirklichkeit  verschlechterte  man  sie  noch  viel  mehr. 
So  gieng  es  dritthalb  Jahre,  dann  war  der  Zusammenbruch  nicht 
mehr  aufzuhalten;  es  kam  zur  großen  ^Münzcalada",  die  den  Wert 
des  kaiserlichen  .langen**  Geldes  auf  ein  Achtel  des  Nennwertes 

3  Ahschnitt  17.    -  Scheichl,  S.  3,  4,  7  ff .  Wiedemann,  I,  616. 


Ui'sachen  des  wirtschaftlichen  Verfalls:  das  Kippergeld.  487 

herabsetzte.  ^Ist  ein  solcher  Schwurbel  gewest,  daß  des  Gelts  wenig 
genug  worden,  ist  mancher  in  großen  Schaden  und  Verlust 
kommen.  Hat  oft  einer  vermeint,  im  langen  Gelt  reich  zu  sein, 
hernach  ist  ihme  bey  zweimaligen  Abfall  das  Gelt  unter  den 
Händen  verschwunden",  schreibt  der  Zeitgenosse  Zetl  in  seinen 
Jahrbüchern  von  Stadt  Steyr,  und  der  Correspondent  der  Fugger, 
Friedrich  David  Schaller,  berichtet  unterm  24.  Februar  1624  aus 
Graz:  ;,alhir  ist  es  summa  miseria,  äusserister  Mangl  an  Geld,  dann 
die  lange  Münz  in  Abschlag  zue  nemen,  will  sich  Niemand  über- 
reden lassen  .  .  ist  kein  Brot,  Flaisch  oder  andere  Victualien  zu 
bekommen,  .  .  die  großen  Herren  mueßen  jetzt  Schwarzbrot  essen, 
die  Armen  haben  gar  keins,  iutto  benedetü  fniiti  di  arte  monetaria. 
Die  Bauern  kennen  jetzt  die  Wappen  der  Fürsten  auf  den  Münzen 
besser,  als  zuvor  mennicher  kunstlicher  Siegelschneider,  also  ist 
die  Welt  durch  der  Münz  Verderben  affiniert  worden.'' 

7.  Und  nun  rechne  man  zu  alle  dem  die  Kosten  und  die 
Verheerungen  des  dreißigjährigen  Krieges.  Ende  October  1623, 
als  eben  die  Verhandlungen  wegen  der  „Münzcalada"*  im  Zuge 
waren,  drohte  ein  Einfall  Bethlen  Gabors;  man  musste  eilends 
Truppen  anwerben,  diese  aber  wollten  nur  mit  Reichsthalern 
bezahlt  sein,  woher  diese  nehmen?  Der  Secretär  der  steier- 
märkischen  Landschaft,  Wolf  Khaltenhauser,  fasste  in  einem 
Schreiben  vom  15.  Jänner  1624  an  Bischof  Thomas  Chrön  von 
Laibach  die  verzweifelte  Lage  in  die  Worte  zusammen:  ,Das 
verwürte  und  von  gottlosen  Leuten  erdachte  und  Ihrer  Kays. 
Majestät  aber  für  guet  eingebilde  Münzwesen  verursacht  solchen 
Jammer  und  Schaden,  davon  nit  zu  sagen,  und  mueß  allein 
ein  er:  Landschaft  in  Steyer  an  ihrer  habenden  Parschaft  verlihren 
646.666  fl.  und  sollten  anjetzo  in  alter  Reichsmünz  auch  bewilligen 
Inhalt  der  Landtags-Proposition  außer  des  Landaufpots  und  per- 

sendlichen  Anzugs 752.478  fl. 

Geltverlust 646.666  fl. 

Facit  Verderben  .  1,399.144  fl." 
Ungeheure  Summen  für  jene  Zeiten,  und  so  gieng  es  auch  den 
übrigen  Erblanden,  selbst  in  Tirol,  das  sonst  bei  dieser  Münz- 
krise am  glimpflichsten  fuhr,  waren  die  Vermögensverluste  ganz 
ungeheuer.  Am  bösesten  aber  wurde  Böhmen  mitgenommen,  das 
einen  Theil  des  Kriegsschauplatzes  bildete.   Hier  trat  durch  das 


488        Österreichische  Reichsgeschichte.  IL  Theil.  Vierte  Periode.  §  59. 

Zusammenwirken  aller  angeführten  Ursachen  völlige  Verödung 
ein.  Von  etwa  2V2  Millionen  Einwohnern,  die  man  da  zu  Ende 
des  16.  Jahrhunderts  zählte,  sollen  nach  dem  Kriege  nur  700.000 
übrig  gebUeben  sein,  statt  der  782  größeren  und  kleinen  Städte 
und  Märkte  und  der  36.000  Dörfer  und  Höfe  zählte  man  jetzt 
deren  230  und  6000.  Die  150.000  Ansässigkeiten,  die  es  vor  dem 
Aufstande  von  1618  gab,  waren  nach  einer  Eingabe  der  Stände  an 
Kaiser  Ferdinand  III.  im  Jahre  1645  auf  30.000  herabgesunken! 
Noch  nach  vielen  Jahrzehnten  waren  die  Spuren  dieser  wirtschaft- 
lichen Zerstörung  kaum  gemildert.  Den  Krieg  betreffend,  schreibt 
Hörnigk  1684  im  17.  Abschnitt  seines  obenerwähnten  Buches:  «so 
haben  die  teutsche  Erbländer  nun  in  34  Jahren,  außer  was  sich 
neulich  in  Unterösterreich  zugetragen,  keinen  Feind  im  Eingeweid 
gehabt.  Und  gleichwol  ist  viler  Orten  der  elende  Anblick  noch  so 
frisch,  ob  wäre  der  Feind  erst  gestern  oder  vorgestern  abgezogen. 
So  gar  wo  auch  in  hundert  Jahren  kein  Krieg  hinkommen,  glaubt 
man,  zw^ei-  oder  dreihundert  Bürger,  gutentheils  arme  Taglöhner 
seien  etwas  in  einer  Landstadt." 

8.  Dieser  wirtschaftliche  Verfall  heischte  dringend  Abhilfe. 
In  Prag  hatten  um  die  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  noch  an  1200 
Handwerker  gelebt,  im  Jahre  1674  gab  es  deren  noch  —  355! 
Iglau  zählte  damals  im  ganzen  300  Bürger,  während  es  vor  dem 
Kriege  allein  im  Tuchgewerbe  7000 — 8000  Personen  beschäftigt 
hatte.  Selbst  die  Residenz  Wien,  deren  Bevölkerung  man  an 
100.000  Seelen  schätzte,  besaß  nur  noch  1679  Handwerksmeister! 
Dabei  war  der  Bevölkerung  das  Vertrauen  in  die  eigenen  Kräfte  und 
Fertigkeiten  ganz  abhanden  gekommen.  Nur  die  fremden  Erzeug- 
nisse galten  als  gut,  alle  heimischen  hielt  man  für  schlecht,  roh, 
bäuerisch.  Von  innen  heraus,  aus  der  Mitte  des  Volkes  und  der 
Gewerbetreibenden,  war  keine  Besserung  zu  erwarten,  hat  doch 
Hörnigk  noch  1684  eine  ausführliche  Untersuchung  der  Frage  ge- 
widmet: »ob  die  Teutschen  in  specie  die  kaiserlichen  Erbländer 
zu  den  Commercien  und  Manufacturen  nicht  natürlichen  Verstandes 
und  Geschicklichkeit  genug  besitzen",  um  die  entgegenstehenden 
Einwände  aus  dem  Weg  zu  räumen?  Ebensowenig  fiel  Hohberg's 
Vorschlag  auf  fruchtbaren  Boden,  der  durch  sein  1682  erschienenes 
„Adeliges  Landleben"  den  Großgrundbesitz  für  den  Betrieb  von  Glas- 
hütten, Papier-  und  Sägemühlen,  Walkereien  u.  dgl.  zu  gewinnen 


Verödung  Böhmens:  der  Merkantilismus;  Becher,  Schröder,  Hörnlgk.     489 

suchte.  Unter  diesen  Umständen  war  es  ein  großes  Glück,  dass 
der  Anstoß  zur  Schaffung  einer  Industrie  in  Österreich,  der  von 
außen  kam,  das  persönUche  Interesse  des  Herrschers  erregte, 
denn  in  den  Kreisen  »der  Bevölkerung  und  selbst  bei  jenen, 
welche  diese  Anregung  nach  des  Kaisers  Willen  hätten  unter- 
stützen sollen,  haben  die  neuen  Vorschläge  wenig  Wohlwollen 
gefunden. 

9.  Der  erste  Schritt  zur  Besserung  geschah  Ende  1665 
oder  anfangs  1666  durch  die  Errichtung  eines  Coramercien- 
coUegiums  zu  Wien  nach  [den  Vorschlägen  Johann  Joachim 
Bechers,  der  damals  als  Nationalökonom  in  Deutschland  nicht 
geringes  Ansehen  genoss.  Dies  CoUegium  sollte  sich  „des  Zustands 
und  der  BeschaflFenheit,  Handels  und  Wandels,  roher  Waaren 
und  Manufacturen  so  hinein-  als  hinausgehend  in  den  kayser- 
lichen  Erblanden  erkündigen,  die  Ursachen  derer  Auf-  und 
Abnehmen  gründlich  erforschen",  überhaupt  darauf  sehen,  dass 
..die  Commerzien  Land  und  Leuten  zum  besten  in  besseren  Stand 
und  Flor  gesetzt  und  darinnen  erhalten  werden".  Bald  ist  auch 
Becher  mit  Vorschlägen  mannigfacher  Art  zur  Hand,  um  die 
Manufactur  und  den  Handel  in  Osterreich  zu  beleben :  erst 
schlägt  er  die  Errichtung  einer  österreichischen  Seidencompagnie 
vor,  dann  eine  Compagnie  zum  Handel  mit  österreichischen 
Weinen  und  Brantwein  nach  Holland,  um  1675  endlich  betrieb 
er  die  Errichtung  eines  Manufacturhauses,  d.  i.  eines  womöglich 
rasch  wachsenden  staatlichen  Gewerbeunternehmens,  das  zugleich 
als  Musteranstalt  und  zum  Theil  auch  als  praktische  Lehranstalt 
gedacht  war.  Dies  Manufacturhaus  wurde  wirklich  errichtet  und 
kam  nach  Becher's  Abgang  aus  Österreich  im  Jahre  1677  an  den 
Verfasser  der  .,rür8tlichen  Schatz-  und  Rentkammer**,  Wilhelm 
Freiherrn  von  Schröder,  gelangte  aber  nach  der  Zerstörung 
während  der  zweiten  Türkenbelagerung  (1683)  nicht  mehr  zum 
Aufbau. 

10.  Auf  Becher  und  Schröder  folgte  Ph.  W.  von  Hörnigk. 
Sein  von  warmer  Liebe  für  Österreich  eingegebener  Weckruf: 
.Österreich  über  alles,  wenn  es  nur  will,  d.  i.  wolmeinender 
Fürschlag,  wie  mittelst  einer  wolbestellten  Landsökonomie  die 
kaiserlichen  Erbland  in  kurzem  über  alle  andere  Staat  von  Europa 
zu  erheben"  (1684  und  öfter),    wurde  endlich  gehört.    Nur  fünf 


490        Österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  59. 

Jahre  darnach  erschien  in  Laibach  des  Freiherrn  Johann  Weichard 
Valvasor's  „Ehre  des  Herzogthums  Krain*",  eine  erschöpfende 
historisch-topographische  Beschreibung  des  Landes,  seiner  Natur- 
schätze und  Ortschaften,  seiner  Bewohner  und  deren  Einrichtungen, 
ein  Werk,  dem  nach  Anlage  und  Verlässlichkeit  für  diese  Zeit 
kaum  Seinesgleichen  in  ganz  Deutschland  an  die  Seite  gestellt 
werden  könnte.* 

11.  Im  Publicum  hatte  man  allerdings  noch  durch  längere 
Zeit  kein  Verständnis  für  dergleichen  „Schreier  und  Commercien- 
prediger,  Reichmacher  des  Kaisers  und  der  Länder*',  die  seit 
zwanzig  Jahren  (wie  man  in  Wien  mit  einer  Anspielung  auf  das 
sogenannte  Lärenpecheramt  oder  Wasserrecht,  witzelte)  am  Ende 
doch  nichts  »als  einen  lähren  Becher  zur  Welt  gebracht '^  hätten. 
Aber  auch  die  Behörden  waren,  wie  Hörnigk  hervorhob,  zwar 
darauf  eingerichtet,  „den  nermim  refiim  gerendamm  aus  der 
Unterthanen  Beutel  zu  erheben, . .  diesen  aber  zur  Erbauung  beydes, 
der  Sicherheit  und  der  Bequemlichkeit  des  Lebens,  in  die  Beutel 
der  Lands-Inwohner  wiederum  zu  verschaffen,  das  wird  an  viel 
Orten  als  ein  bloßes  Parergon  gehandelt''.  Der  Gründe  für  die 
Abneigung  gegen  diese  von  Becher  und  dessen  Nachfolgern 
gemachten  Bestrebungen  zur  Hebung  der  Industrie  (während 
man  die  Nothwendigkeit  einer  Verbesserung  der  Bodenverhältnisse 
schon  weit  früher  ahnte) ^  gab  es  mehrere:  das  Misstrauen  in 
die  heimischen  Kräfte,  die  Vorliebe  fürs  Fremde,  die  an  der 
Mode  einen  großen  Rückhalt  hatte,  die  offene  Feindseligkeit  der 
Kaufleute  und  Gewerbetreibenden,   die  sich  in  ihrem  Erwerbe 

*  Vier  Foliobände  mit  vielen  Kupfern,  die  auf  des  Verfassers  Schlosse 
Wagensberg  gestochen  wurden.  Überall,  wo  es  angeht,  hebt  er  die  Tüchtiglceit 
der  heimischen  Erzeugnisse  hervor.  Vgl.  z.  B.  im  3.  Buch  das  über  die  Berg- 
werke und  Hochöfen  Gesagte,  namentlich  S.  392  über  den  geschickten  Büchsen- 
macher und  ELsenschn eider  Peter  Botti,  vulgo  Dagöl  zu  Sava. 

^  In  Tirol  beschloss  der  Landtag  schon  im  J.  1619:  die  Gesnndheitswäsjjer 
und  Bäder  sollen  visitiert,  deren  Kraft  und  Tugend  beschrieben  und  gedi'uckt 
werden.  Die  Moser,  so  faul  und  ungesund,  sollen  ausgedrucknet  werden.  —  In 
Krain  beschäftigte  man  sich  in  der  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  mit  der  Aus- 
trocknung des  Laibacher  Moors.  S.  Valvasor,  11.  Buch,  S.  674,  mit  zwei  aus- 
führlichen Vorschlägen  von  1554  und  etwa  1660—1670.  Der  Mais  wurde  zu 
Hohberg's  Zeiten  (1682)  in  Österreich  .mehr  Lusts  wegen  in  die  Gärten  als  in 
die  Felder  gebaut".  VII,  c.  28.  Kartoffeln  waren  noch  um  1730  ein  , Herrenessen'. 


Anfänge  der  Industrie  in  Österreich,  Freihäfen.  491 

bedroht  fühlten.  Zu  'alle  dem  kam,  dasa  man  durch  Errichtung 
von  Fabriken  die  Landstreich  erfrage  unmittelbar  zu  lösen  suchte, 
indem  man  die  Fabriken  gleichzeitig  als  Zwangsarbeitshäuser  zu 
verwenden  gedachte. •  Bei  dieser  unglückseligen  Verquickung 
zweier  verschiedener  Aufgaben  darf  es  nicht  wundernehmen, 
dass  man  in  den  Städten  dergleichen  neuen  Unternehmungen 
nichts  weniger  als  freundlich  entgegenkam.  Der  im  Jahre  1672 
errichteten  Schafwollfabrik  zu  Linz,  die  im  Jahre  1722  von  der 
orientalischen  Compagnie  angekauft  wurde,  bereitete  man  noch 
später  die  unglaublichsten  Schwierigkeiten :  Die  Stadtrepräsentanz 
verbot  z.  B.  den  Bürgern  wie  den  Einwohnern  überhaupt,  Arbeiter 
oder  Beamte  der  Fabrik  in  Wohnung  zu  nehmen,  ja  sie  über- 
redete sogar  den  Dechant,  dass  er  keinen  Arbeiter  traue!  Die 
Compagnie  musste  schließlich  einen  Theü  der  verheirateten  Fabriks- 
arbeiter entlassen  und  den  ledigen  das  Heiraten  verbieten! 

12.  So  ist  die  Industrie  in  Österreich  nur  durch  das  ent- 
schiedene Eintreten  der  Regenten  gegen  den  Willen  der  Bevölkerung 
wieder  ins  Leben  gerufen  worden.  Während  der  Regierung  Kaiser 
Karl's  VI.  gab  es  bereits  neben  der  althergebrachten  Eisenindustrie 
eine  kleine  Zahl  von  Tuch-,  Kattun-,  Glas-,  Seidenfabriken  u.  s.  w. 
Der  Staatscredit  hatte  sich  etwas,  wenn  auch  nicht  viel,  durch  die 
Wiener  Stadtbank  gehoben,  es  waren  Wechselordnungen  erlassen, 
mit  der  Türkei  beim  Passarowitzer  Frieden  ein  Handelsvertrag  ge- 
schlossen '^  und  zu  dessen  Ausbeutung  die  orientalische  Compagnie 
errichtet  worden,  gegenüber  den  Venezianern  wurde  die  Freiheit 
des  adriatischen  Meeres  für  den  Seehandel  in  Anspruch  genommen 
und  durchgesetzt.  Zu  Triest  und  Fiume  entstanden  Freihäfen  (1719), 
die  Mauttarife  wurden  vereinfacht  um  den  Verkehr  dahin  zu  beleben, 
die  Schutzzölle  für  die  Industrie  eingeführt,  kurz  es  wurden  staat- 
licherseits  alle  Mittel,  die  man  damals  kannte,   einschließlich  der 


**  Schon  HÖmigk  zweifelt  (Cap.  XXX),  ob  zu  Prag  der  vielen  Obrig- 
keiten u.  8.  w.  wegen  eine  Tuchfabrik  angelegt  worden  könnte.  Unmittelbar 
auf  eine  Vereinigung  mit  einem  Zwangsarbeitshaus  war  es  1721  bei  Errichtung 
einer  Tuchfabrik  in  Graz  abgesehen.  Das  Fabriksgebäude,  hieß  es,  müsse  ge- 
mauert und  mit  Mauern  eingefasst  sein,  damit  das  , schlechte  Gesindel*  nicht 
ausbrechen  könne.  Darum  dachte  man  an  die  Karlau  (das  jetzige  Strafhaus). 
Mayer,  62tr. 

'  Ebenso  mit  Spanion  1726,  1.  Mai. 


492     österreicliische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  59  u.  60. 

Erwerbung  einer  Factorei  in  Ostindien®  in  Anwendung  gebracht, 
um  Handel  und  Gewerbe  und  damit  den  Wohlstand  in  Österreich 
zu  heben.  Für  die  Weiterentwicklung  sollte  allerdings  dann  der 
Einzelne  selbst  eintreten.  Von  den  kleinlichen  Mittelchen,  von 
welchen  die  zerrütteten  Städteverwaltungen  Abhilfe  erwarteten, 
namentlich  von  einem  Zurückgreifen  auf  die  den  Verkehr  so  viel- 
fach einengenden  Sonderprivilegien  wollte  Kaiser  Karl  VI.  nichts 
mehr  wissen,  der  vielmehr  ein  dahin  abzielendes  Ansuchen  der 
Grazer  Stadtvertretung  im  Jahre  1733  mit  der  bezeichnenden 
Begründung  abwies:  .Natürliche  Mittel  einer  Stadt  aufzuhelfen, 
bestehen  darin,  dass  die  Bürger  selbst  sich  allerhand  Handwerks- 
künsten und  deren  Perfectionierung  befleißigen,  sodann  damit 
dermaßen  hantieren,  dass  nicht  allein  das  in  der  Stadt  einmahl 
befindliche  Geld  darin  erhalten,  sondern  auch  noch  raehreres  Geld 
gegen  allerhand  gute  verfertigte  Waaren  vom  eigenen  Land  und 
von  der  Fremde  hereingezogen  werde *".  Wären  die  letzten  sieben 
Jahre  der  Regierung  Kaiser  Karl's  VI.  nicht  den  zerrüttenden 
Wirkungen  zweier  unglücklich  geführter  Kriege  ausgesetzt  gewesen, 
die  den  Erfolg  der  bisherigen  Bemühungen,  die  natürlichen  Hilfs- 
quellen des  Reiches  zu  erschließen,  wieder  in  Frage  stellten,  mit 
welch  anderen  Mitteln  wäre  die  große  Kaiserin  in  den  entschei- 
denden Erbfolgekrieg  eingetreten! 

§  60.  Die  weltlichen  Stände  in  den  Jahren  1500—1750. 

Literatur  bei  §  35—37,  54,  55.  —  Öindely,  Die  Lage  des  böhm.  Bauern- 
standes 1648— 1.S48,  Allg.  Zeitg.,  1880,  Beilage  168ff.  —  Grünberg,  Bauern- 
befreiung, L  —  Hof  man  F.,  Fideicommisse  (im  östorr.  Staats  Wörterbuch  mit 
Literaturangaben).  —  Mein  Aufsatz:  Zur  Gesch.  des  stcir.  Adels  im  16.  Jahrb., 
Mitth.  d.  h.  Ver.  f.  Stnik.,  XXIIL  —  Mayer,  H,  123  ff.  —  Pangerl,  Die  Choden 
von  Taus.,  in  den  Mitth.  d.  Ver.  f.  Gesch.  d.  Deutschen  in  Böhmen,  XIII.  — 
Sehr  Ott  er,  Österr.  Staatsrecht,  1775,  Absatz  18.  —  Schwabe,  Versuch  über 
die  ersten  Grundlinien  des  Ö.storr.  Landadelsrechts,  1782.  —  Zahn,  Styriaca,  I. 

1.  Der  während  des  Mittelalters  auf  dem  Gegensatz  von 
lehensfähig  und  nicht  lebensfähig  aufgeführte  Bau  des  Staates 
wie  der  Gesellschaft,  erfuhr  beim  Übergange  zur  Neuzeit  wesent- 

®  Namens  Kowolon  oder  Coblon  in  der  Nähe  von  Madras.  Dieselbe  dauerte, 
wie  aus  den  ungedruckten  Tagebüchern  Raigersfeld's  hervorgeht,. bis  üi  die 
Anfangsjahre  der  Kaiserin  Maria  Theresia. 


Umbildung  der  raittelalterlichen  Gesellschaft:  Der  Briefadel.         493 

liehe  Veränderungen  in  seinem  Gefüge.  Gegenüber  der  im  Grund- 
besitze verkörperten  wirtschaftlichen  Macht  des  Mittelalters  trat 
nun  die  steigende  Bedeutung  des  Geldcapitals  immer  stärker 
hervor,  während  zugleich  ein  von  der  Zugehörigkeit  zu  einem  be- 
stimmten Geburtsstande  befreiter  Beamtenstand  im  Staate  zu  immer 
größerem  Einfluss  gelangte.  Dazu  kamen  in  Österreich  noch  die  Ver- 
schiebungen in  der  Bevölkerung  als  allgemeine  Folge  der  Gegen- 
reformation, in  Böhmen  überdies  die  unmittelbaren  Wirkungen  des 
dreißigjährigen  Krieges. 

A.  Der  Adel. 

2.  Seit  den  Tagen  Kaiser  Maximilian's  I.  wird  die  Zersetzung 
des  landschaftlichen  Uradels  mit  seiner  in  dem  langererbten  Grund- 
besitze fußenden  Bedeutung  durch  einen  neuen  Briefadel  merklicher. 
Reich  gewordene  Bürger  und  vor  allem  Beamte  erwirken  nun 
durch  Diplome  Adelsqualität  und  rücken  in  kurzer  Zeit  aus  unter- 
geordnetem Stande  in  die  besten  Stellungen  der  Gesellschaft.  „Auf 
diese  Geschriftweysen  ist  dem  Kaiser  (Maximilian)  ein  unmäßig 
Geld  gangen.  Man  soll  mir  nit  verweisen,  daß  ich  in  meiner  Ver- 
merkung die  Secretari  und  Schreiber  vorsetz  und  hernach  die 
edlen  Räth,  dann  es  ist  auch  also  im  Wesen  gewesen",  schreibt 
ärgerlich  in  seinen  Denkwürdigkeiten  der  dem  Tiroler  Uradel 
angehörige  Stiftsamtmann  des  Klosters  Neustift,  Georg  Kirchmair. 
Man  begreift  seinen  Verdruss,  wenn  man  die  Lebensbahn  des 
Kemptner  Bürgersohnes  Dr.  Max  Beckh,  Stammvaters  der  Frei- 
herren zu  Leopoldsdorf  ins  Auge  fasst,  oder  jene  des  Innsbrucker 
Plattnersohnes  Marx  Treitzsaurwein  zu  Ehrentreiz  oder  die  des 
Barbiersohnes  und  spätem  Reichs -Vicekanzlers  Hans  Adler  be- 
trachtet. Schon  in  den  Tagen  Kaiser  Ferdinand's  L  war  der 
Beamtenstand  so  angesehen,  dass  nunmehr  Mitglieder  der  alten 
Adelsgeschlechter  zahlreich  in  dessen  Reihen  traten  und  um  dies 
zu  können,  häufiger  als  vordem  auswärtige  Hochschulen  besuchten. 
So  widerhaarig  die  alten  Geschlechter  gegen  die  neuen  Empor- 
kömmlinge auch  sein  mochten,  die  Adelsqualität  selbst  wagten 
sie  ihnen  nicht  zu  bestreiten,  und  so  sehr  man  in  jenen  Kreisen 
über  den  Briefadel  spottete,  so  musste  man  doch  den  gleichen 
Weg  einschlagen,  um  sich  den  Vorrang  zu  wahren. 


494        Österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  6(). 

3.  Die  Unterscheidung  des  Herren-  und  Ritterstandes,  die 
vom  Hause  aus  auf  der  lehensreehtlichen  Unterordnung  der  Ritter 
beruhte  (§  35,  11 ;  Anh.  I,  8  flf),  hatte  schon  gegen  Ausgang  des 
Mittelalters  an  Schärfe  verloren.  Immerhin  erschien  selbst  in  Alt- 
österreich gegenüber  wenigen  landsässigen  Familien  mit  dem  Qrafen- 
titel  und  den  Nachkommen  der  alten  Ministerialengeschlechter, 
die  sich  nun  „Herren"  schrieben  und  nannten,  der  ganze  übrige 
Adel  als  niederer,  als  rittermäßiger  Landesadel.  Seit  dem  16.  Jahr- 
hundert mehren  sich  jedoch  die  Fälle,  in  welchen  Mitglieder  des 
rittermäßigen  Uradels  um  Besserung  ihrer  Wappen  und  Titel  sich 
bewarben,  auch  wohl  in  den  Reichsfreiherrnstand  oder  selbst  Reiclis- 
grafenstand  erhoben  wurden,  ohne  dadurch  der  Gerechtsame  der 
freien  Herren  im  Deutschen  Reiche  im  vollen  Umfange  theUhaft 
zu  werden,  auf  welche  sie  vielmehr  zu  Gunsten  der  Erzherzoge 
von  Öaterreich  in  besonderen  Gegenbriefen  ausdrücklich  Verzicht 
leisten  mussten.  Im  16.  Jahrhundert  war  übrigens  die  Verleihung 
dieser  Titel  noch  selten,  allein  im  17.  Jahrhundert  wurde  sie  schon 
sehr  gewöhnlich  und  noch  allgemeiner  im  18.  Jahrhundert.^ 

4.  Diese  eigenthümliche  Stellung  des  landsässigen,  aber  mit 
Titeln  des  Deutschen  Reichs  ausgestatteten  Adels  ergab  sich  aus 
der  Doppelstellung,  als  Landesfürst  und  Reichsoberhaupt,  welche 
in  dieser  Zeit  die  Mehrzahl  der  österreichischen  Herrscher  ein- 
nahm. In  Deutschland  stand  das  Recht,  den  Adel  zu  ertheilen, 
dem  Kaiser  als  Reservratrecht  zu,  das  nur  infolge  der  von  ihm 
verliehenen  größeren  Comitiv  von  den  Landesfürsten  geübt  werden 
konnte.  Die  österreichischen  Erzherzoge  aber  besaßen  das  Recht 
infolge  der  1453  vom  Reiche  anerkannten  Freiheitsbriefe,^  bei 
deren  Bestätigung  Kaiser  Karl  V.  1530  erklärt  hatte,  dass  die 
Adelsertheilung  an  einen  österreichischen  Landsassen,  selbst  wenn 
sie  durch  den  Kaiser  erfolge,  der  österreichischen  Landeshoheit 
über  den  Begnadeten  zu  keinem  Abbruch  gereichen  könne. 

1  Das  erste  Grafendiplom,  das  man  in  Österreich  kennt,  erhielten  die 
Schlick  in  Böhmen  1438;  Maximilian  erhob  die  Lodron  1482  die  Fraeschenk. 
späteren  üardegg  1489  zu  Grafen,  Karl  V.  die  Thum  1530,  die  Roggendorf  1537. 

-  So  wurden  die  steirischen  Stadl  im  Jahre  1597  von  Erzh.  Ferdinand  II. 
in  die  Ehr,  Schaar  .  . .  unseres  löbl.  Haus  Österreich  Freiherren  erhoben,  und 
1609  ein  Mitglied  dieses  Hauses  überdies  vom  K.  Rudolf  IL  mit  dem  Reichs- 
freiherrnstand begnadet. 


Reichsadel,  österreichischer,  böhmischer,  ungarischer  Adel.  495 

Neben  dem  erbländisch- österreichischen  Adel  gab  es  selbst- 
verständlich einen  besonderen  ungarischen  und  außerdem  einen 
eigenen  böhmischen  Adel,  welcher  von  den  Habsburgern  als 
Königen  von  Ungarn  und  Böhmen  verliehen  wurde.  Die  Erhebung 
eines  Unadeligen  in  den  Reichsadelsstand  hatte  als  solche  weder 
in  Böhmen  noch  in  Ungarn  Wirkung. 

5.  Seit  dem  Erwerb  von  Ungarn  und  Böhmen  durch  König 
Ferdinand  I.  beginnt  sich  ein  österreichischer  Gesammtadel  zu 
bilden.  Am  Hofe  des  Königs  und  in  dessen  Diensten  verkehrten 
neben  einander  Adelige  aus  den  altösterreichischen  Landen,  aus 
Böhmen,  Ungarn  und  dem  Deutschen  Reiche.  Vielfach  ergaben  sich 
daraus  nähere  Beziehungen  unter  den  Angehörigen  verschiedener 
Lande,  die  zu  Verschwägerungen  und  wechselseitig  zu  Gütererwerb 
und  schließlich  auch  zur  Landmannschaft  in  fremden  Landen 
führten.  Schon  im  Mittelalter  waren  die  kärntnischen  Perger  nach 
dem  Lande  ob  der  Enns  gewandert,  wo  sie  die  Herren  von  Clam 
hießen,  und  die  Tschernembl  aus  der  windischen  Mark  waren 
ihnen  gefolgt,  während  die  steirischen  Gradner  und  die  Trapp 
aus  Murau  ihr  Glück  in  Tirol  machten,  die  Tachy  und  Zaggl 
aus  Croatien  nach  der  Steiermark  kamen.  Nunmehr  begann  ein  viel 
regerer  Austausch  und  es  ist  auffällig,  wie  vielfach  und  wie  rasch 
die  Innerösterreicher  an  Gütererwerb  in  Böhmen  dachten.  Die 
steirischen  Stubenberg  waren  hier  schon  im  ersten  Jahrzehnt  nach 
der  Krönung  König  Perdinand's  L  begütert;  welche  Rolle  dann  zu 
Anfang  des  17.  Jahrhunderts  die  krainischen  Thum,  die  kärntnischen 
Kreig  und  Dietrichstein,  die  Tiroler  Colonna-Fels  in  Böhmen  und 
Mähren  gespielt  haben,  ist  bekannt. 

6.  Der  Ansässigmachung  folgte  wohl  auch  die  Aufnahme 
unter  den  Landesadel,  das  Indigenat:  So  haben  die  Tiroler  Arco 
schon  1559,  die  Ungnad  und  Harrach  1563,  die  Dietrichstein 
1583,  die  Rueber  1572  das  Indigenat  in  Ungarn  erhalten,  während 
die  Trautson,  Herberstein,  Rottal,  Eggenberg  u.  a.  zu  Anfang 
des  17.  Jahrhunderts  folgten.  Umgekehrt  waren  die  Erdödy  seit 
1593,  die  Petkö  seit  1604,  die  Draschkowitz  1606,  die  Thurozi 
1614  der  steirischen  Landmannschaft  theilhaft  geworden.  Ab- 
gesehen davon  hatten  die  drei  innerösterreichischen  Landschaften 
auf  dem  Brucker  Landtag  vom  Jahre  1578  das  Übereinkommen 
unter  sich  getroffen,   die  in  einem  der  Lande  anerkannte  Land- 


496         Östen*eichische  Reichsgeschichte.  IL  Theil.  Vierte  Periode.  §  60. 

mannschaft   ohne  weiters   auch    für   die   beiden    anderen  gelten 
z\x  lassen. 

7.  Die  österreichischen  Herrscher  haben  diese  Ausgleichung 
innerhalb  der  Adelskreise  angestrebt  und  sehr  gefördert.  Bei  der 
großen  Verschiedenheit  der  von  ihnen  beherrschten  Völkerschaften 
erschien  die  Verschmelzung  derselben  zu  einer  einheitlichen  öster- 
reichischen Gesammtnation  ausgeschlossen.  Wohl  aber  war  die 
Entstehung  eines  österreichischen  Gesammtadels  möglich,  den 
sie  als  Unterlage  des  Staates  bei  ihrer,  auf  Annäherung  der  Erb- 
lande und  Ausgleichung  der  provinziellen  Verschiedenheiten 
abzielenden,  Herrscheraufgabe  zu  benützen  gedachten.  Daraus 
erklärt  sich  auch  die  schwerwiegende  Bedeutung,  welche  der 
österreichische  Staat  immer  seinem  Adel,  zumal  dem  hohen  Adel 
eingeräumt  hat^  und  der  besondere  Einfluss  jener  Geschlechter, 
welche  jeweilig  den  Hofadel  im  engeren  Sinne  ausmachten. 

8.  Der  auf  seinen  Sitzen  im  Lande  verbliebene  Uradel  war 
mit  dieser  Entwicklung  der  Dinge,  von  der  er  eine  Minderung  seiner 
politischen  Bedeutung  befürchtete,  keineswegs  einverstanden.  Um 
die  Zersetzung  seines  Standes  durch  die  Neugeadelten  zu  hindern, 
wurden  Landmannschafts-Matrikeln  (in  Steiermark  1563)  eingeführt 
und  die  Theilnehmer  am  Landtag  und  der  Landesverwaltung  von 
dem  Eintrag  in  diese  Matrikeln  abhängig  gemacht.  Allein  der 
Schutz,  den  dieses  Auskunftsmittel  gewährte,  war  nicht  dauernd, 
selbst  wenn  eine  solche  „zu  Erhaltung  der  Geschlechter  Her- 
kommen, Stand  und  Reputation,  nützliche  Ordnung"  vom  Landes- 
fürsten ausdrücklich  bestätigt  wurde.*  Es  war  nicht  immer  leicht, 
ein  von  dem  Landesfürsten  ausgehendes  Bittschreiben  um 
»Admission"  dieses  oder  jenes  geadelten  Staatsdieners  abzulehnen; 
als  jedoch  die  Regierungsgewalt  mehr  erstarkte,  nahm  der  Landes- 
herr die  Verleihung  der  Landmannschaft  geradezu  als  sein  Recht 
für  sich  in  Anspruch  (§  64,  4). 

9.  Durch  die  Gegenreformation  wurde  die  politische  Bedeutung 
des  für  die  Opposition  der  Stände  in  den  Landschaften  maßgebenden 
Uradels  gebrochen.  Da  derselbe,  wie  schon  bemerkt  wurde,  mit 
wenigen  Ausnahmen   dem  Protestantismus  anhieng,  so  wurde  er 

8  Röscher  in  Hildebrand's  Jahrbüchern,  II,  31. 

^  Wie  z.  B.  in  Öst^iTeich  n.  E.  durch  Kaiser  Maximilian  II.,  1572, 
10.  Februar.  Suttinger,  393. 


österreichischer  Gesaninitadel ;  Wirkungen  der  Gegenreformation.      497 

seiner  Überzeugungstreuesten  Mitglieder  durch  die  landesfürstliehen 
Ausweisungsbefehle  beraubt.  In  die  so  entstehenden  Lücken  drangen 
neue  Elemente,  vielfach  selbst  fremder,  romanischer  Nationalität^ 
ein,  die  sich  jedoch  an  Einfluss  und  Bedeutung  im  Lande  mit  dem 
ausgewanderten  Uradel  nicht  messen  konnten.  So  ist  also  seit  der 
Gegenreformation  die  frühere  Bedeutung  des  Adels  als  Corporation 
dem  Herrscher  gegenüber  im  Schwinden,  das  Übergewicht  der 
Regierung  über  die  Landschaften  entschieden  (§  50,  9). 

10.  Geradezu  vernichtet  wurde  der  nationale  Uradel  in 
Böhmen  und  Mähren,  als  dieser  in  den  Jahren  1618-1620  den 
letzten  Versuch  zur  Wiederaufrichtung  der  alten  Adelsherrschaft 
gemacht  hatte,  aber  damit  gescheitert  war.  Schon  der  Aufstand 
vom  Jahre  1547  hatte  zu  einer  empfindlichen  Schwächung  seiner 
wirtschaftlichen  Macht  geführt,  da  König  Ferdinand  L  die  daran 
Betheiligten  zu  strafweiser  Abtretung  vieler  Herrschaften,  zur 
Umwandlung  von  Alloden  in  Lehensgut  u.  dgl.  nöthigte.® 

Nach  der  Schlacht  auf  dem  Weißen  Berge  wiederholte  sich 
das  Gleiche,  nur  in  größerem  Maß.  Es  waren  meist  fremde 
Geschlechter,  welche  die  eingezogenen  Güter  vom  Piscus  erwarben 
und  dadurch  einen  neuen  Großgrundbesitz  im  Lande  begründeten, 
während  der  protestantische  Landesadel  schließlich  durch  das 
Religionsedict  vom  Jahre  1627  vollends  außer  Land  gedrängt 
wurde.  Den  wenigen  Zurückgebliebenen,  wie  den  Zugewanderten 
nahm  dann  die  verneuerte  Landesordnung  gutentheüs  ihre  politische 
Bedeutung,  und  seitdem  näherte  sich  die  Stellung  des  Adels  in 
Böhmen  mehr  und  mehr  jener  des  Landesadels  in  Altösterreich. 

11.  Ungeachtet  der  Einbuße  an  politischen  Rechten  seit  der 
Gegenreformation  blieb  jedoch  der  Adel  noch  immer  der  erste 
unter  den  weltlichen  Ständen  und  als  solcher  im  Besitz  gewisser 
Vorrechte,  die  man  auch  wohl  als  besonderes  Adelsrecht  zusammen- 
fasste.  Hieher  gehörte: 

a)  die  gewissen  Grundstücken  und  Gütern  beigelegte  recht- 
liche Eigenschaft,   dass  sie  nur  von  Adeligen  besessen   werden 


6  Vehse,  Geschichte  des  österreichischen  Hofes  und  Adels,  ni,  28  ff. 
,Die  Italiener  am  Kaiserhofe "  behandelt  diesen  Punkt  allzu  einseitig.  Sehr  hübsch 
hingegen  thut  dies  v.  Zahn,  Styriaca,  S.  158  ff.  im  Aufsatz  »Wälsche  Gäste". 

^  Vergl.  die  amtliche  Zusammenstellung  in  den  böhmischen  Landtags- 
verhandlungen. II,  420,  422  ff. 

Luschin,  Österreichische  Reichsgeschichte.  32 


498        ÖsteiTeichische  Reichsgeschichte.  IL  Theil.  Vierte  Periode.  §  60. 

konnten.  Dieselbe  wurde  in  Böhmen  durch  den  Eintrag  in  die 
Landtafel  bestimmt  und  ersichtlich  gemacht  (daher  die  sogenannten 
„landtäf liehen**  Güter)  in  Innerösterreich,  wo  die  Landtafeln  erst 
seit  Kaiser  Karl  VL  eingerichtet  wurden,  vertrat  bis  dahin  deren 
Stelle  der  ständische  Gültenkataster.  Von  diesen  „adeligen"  oder 
„Dominical^-Gütern  wurde  gemeiniglich  eine  geringere  landes- 
fürstliche  Steuer  (Contribution)  bezahlt,  als  von  den  sogenannten 
unterthänigen  oder  Rusticalbesitzungen. 

Um  diese  adeligen  Güter  in  ihrer  Gesammtheit  dem  land- 
schaftlichen Adel  zu  erhalten,  war  diesem  sowohl  ein  Vorkaufs-  als 
das  Einstandsrecht  rücksichtlich  der  Dominicalgüter  eingeräumt. 
Dies  Einstandsrecht,  kraft  dessen  ein  nichtadeliger  Erwerber  das 
Gut  gegen  Vergütung  seiner  Kosten  einem  Adeligen  abzutreten 
verpflichtet  war,  bestand  sogar  bei  Zw^angsveräußerungen,  aofeiii 
sich  nicht  der  Käufer  durch  Auswirkung  eines  landesfürstlichen 
Privilegiums  possidendi '',  etwa  unter  Verzicht  auf  die  Steuer- 
begünstigung, dagegen  gesichert  hatte. 

b)  Die  Befreiung  von  minderen  Abgaben,  z.  B.  vom  landes- 
fürstlichen Fleischkreuzer  für  jenes  Vieh,  das  sie  im  eigenen  Haus- 
halt verbrauchten,  vom  Ross-  und  Pferdeaufschlag  bei  Einkauf 
und  Verkauf  von  Pferden,  von  der  Maut  u.  s.  w. 

c)  Mit  dem  Besitz  von  Dominicalgütem  war  auch  das 
Jagdrecht  auf  denselben  gegeben,  das  sich  jedoch  anfänglich  nur 
auf  die  sogenannte  Niederjagd,  das  Reisgejaid  erstreckte. 

d)  Lehensfähigkeit  hinsichtlich  der  landesfürstlichen  ritter- 
lichen Lehen. 

e)  Gewisse  Rechte  als  Grundherrschaft  gegenüber  den  Guts- 
unterthanen,  welche  weiter  unten  im  Absatz  14  besprochen  werden. 

fj  Gewisse  persönliche  Vorrechte  in  Titeln  und  Kleidung, 
Eignung  zu  Hofämtern,  besonderer  Gerichtsstand,  Freiheit  vom 
Zeugeneid  u.  dgl.  Die  erwachsenen  männlichen  Mitglieder  land- 
ständischer Familien  hatten  überdies  als  solche  das  Recht  zur  Theil- 
nahme  an  den  Landtagen  und  landständischen  Ämtern. 

g)  Auch  im  Privatrecht,  vornehmlich  im  Gebiete  des  Ehe-, 
Familien-  und  Erbrechts  machte  sich  der  Adelsstand  geltend. 
In  dem  Maße,  als  das  römische  Recht  seine  Geltung  ausbreitete, 

"'  Einstandsprivilegien:  für  Steiermark  von  1613  und  1630  auf  drei  Jahre, 
vom  Tag  der  Zuschreibung  im  la.  Gültenbucli.  Für  Österreich  seit  1565. 


Vorrechte  des  Adels.  Der  Bürgci'stand.  499 

suchte  der  Adel  sein  nationales  deutsches  —  in  Bölimen  sla- 
visches  —  Recht  durch  „löblichen  Landesbrauch",  Privilegien, 
Farailienübereinkünfte  u.  dgl.  zu  bewahren.  In  Böhmen  erhielten 
sich  z.  B.  die  sogenannten  Parailiencommunionen,  durch  welche 
Familien  als  solche  im  ungetheilten  Besitz  landtäflicher  Güter 
durch  Generationen  verblieben,  in  großer  Anzahl  das  ganze  16.  Jahr- 
hundert hindurch,  bis  zur  Schlacht  auf  dem  Weißen  Berge,  während 
die  Errichtung  von  Testamenten  stark  eingeschränkt  war.  In  den 
altösterreichischen  Landen  suchte  man  durch  Erbverträge,  Familien- 
fideicommisse  (in  deren  Errichtung  der  Adel  bis  auf  Kaiser  Fer- 
dinand III.  keiner  Beschränkung  unterlag),  durch  Erbverzichte  der 
Töchter  und  Beschränkung  derselben  auf  standesgemäße  Aussteuer 
u.  8.  w.  das  Stammvermögen  bei  den  Trägern  des  Namens  zu 
erhalten,  doch  hat  auch  hier  das  römische  Recht  mit  der  Zeit  an 
Einfluss  gewonnen.^ 

B.  Der  Bürgerstand. 

12.  Die  Bewohner  der  Städte  und  Märkte  erfreuten  sich 
als  Bürger,  meist  unter  selbstgewählten  Obrigkeiten,  einer  Mittel- 
stellung. Antheil  an  der  Landes  Vertretung  hatten  sie  jedoch  nur 
dann,  wenn  sie  einem  landesfürstlichen  Orte  angehörten,  da  nur 
diese,  nicht  aber  die  übrigen,  unter  einem  anderen  Herrn  stehenden 
„Privat-  oder  Municipalstädte"  und  Märkte  das  Recht  besaßen,  Ver- 
treter in  den  Landtag  zu  entsenden.  (§  50,  14,  15.) 

Städte  und  Märkte  hielten  sich  an  die  Rechte  und  Freiheiten, 
welche  ihnen  ihr  Herr  verliehen  hatte,  doch  machte  sich  schon 
zu  Anfang  des  16.  Jahrhunderts,  ja  theilweise  schon  früher  eine 
gewisse  Ausgleichung  der  geltenden  Grundsätze  bemerklich. 
Handel  und  Gewerbe  galten  als  Lebensberuf  der  Bürger  und  sie 
achteten  eifersüchtig,  dass  sie  kein  Unberufener  darin  beein- 
trächtige. Darum  waren  Handel  und  Gewerbe,  für  welche  neben 
wenigen  allgemeinen  Satzungen  eine  Unzahl  localer  Ordnungen 
galt,    vielfach   beschränkt,    denn   immer   und   immer   kehrt    der 


«  Im  Bilrgei-stande  hieß  es  schon  zu  Beckman's  Zeiten  (1688):  ,Es  sind 
alle  meine  Kinder,  deren  das  eine  Kind  nicht  mehr  mein  Kind  ist,  als  das 
andere.*  Dagegen  suchten  der  stcirische  Adel  noch  1790  die  portio  statutana 
durch  Anerbieten  einer  Verdoppellung  auf  4000,  bzw.  2000  fl.  zu  retten. 

32* 


500        Österreichische  Reichsgeschichto.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  60. 

Gedanke  wieder,  dass  der  Erwerb  möglichst  gleichmäßig  unter 
die  berechtigten  Mitglieder  der  Zunft  vertheilt  und  dass  der 
Ausbeutung  gesteuert  werden  sollte,  zu  welcher  das  größere 
Capital  die  Möglichkeit  gewähren  würde.  Daher  mancherlei 
Beschränkungen  in  der  Zahl  und  bei  der  Aufnahme  von  Lehr- 
lingen und  Gesellen,  Verbot  nicht  zunftgemäßer  Arbeit  und  der 
Widerstand  gegen  die  Einbürgerung  neuer  Industrien,  von  welchen 
schon  die  Rede  war  (§  59,  11).  Außerdem  war  die  Erlangung  der 
Meisterschaft  in  einem  Gewerbe  von  einer  gewissen  Lehrlings- 
und Gesellenzeit,  der  Anfertigung  eines  Meisterstücks  und,  sofern 
nicht  der  Hof  oder  eine  privilegierte  Körperschaft,  wie  die 
Universität,  schützend  eingriff,  auch  noch  von  der  Zustimmung 
der  Zunftgenossen  abhängig.  Mit  der  Wanderpflicht  der  Gesellen 
hieng  zusammen,  dass  die  Bürgerschaft  der  Herkunft  nach  eine 
bunte  Mischung  aufwies.® 

Der  Bürgerstand  war  noch  im  16.  Jahrhundert  wohlhabend, 
allein  seitdem  trat  infolge  der  schon  oben  (§  59,  3  ff)  besprochenen 
Ursachen  ein  tiefer  wirtschaftlicher  Verfall  ein.  Um  das  Jahr 
1700  „gab  es  kaum  eine  Stadt  im  weiten  Bereich  der  Monarchie, 
die  nicht  auf  Jahrzehnte  hinaus  tief  verschuldet  und  theilweise 
verarmt  gewesen  wäre"  und  auch  die  Mehrzahl  der  Städte- 
bewohner befand  sich  in  sehr  gedrückter  Lage. 

C.  Der  Bauernstand. 

13.  Die  Lage  des  Bauernstandes  (§  37)  hatte  vom  Mittelalter 
her  im  allgemeinen  eine  bedeutende  Verschlechterung  erfahren. 
Die  mit  der  Ausbreitung  der  Geldwirtschaft  überhandnehmenden 
Steuern  lasteten  vor  allem  auf  den  Bauern  und  die  seit  Beendigung 
des  dreißigjährigen  Krieges  von  den  Gutsherren  allmählich  gesteigert« 
Bewirtschaftung  der  Güter  im  Eigenbetrieb  hatte  eine  starke  Er- 
höhung der  Privatfrohnden  zu  Gunsten  der  Herrschaften  im  Gefolge. 
Dabei  blieb  der  Bauernstand  die  ganze  Zeit  über  der  gutsherrlichen 
Gewalt  als  seiner  Obrigkeit  unterworfen  und  hatte  mit  verschwin- 
denden Ausnahmen  nur  Nutzungsrechte  an  dem  Boden,  den  er  baute. 
Die  Abhängigkeit  von  der  Herrschaft,  in  der  er  stand,  die  „Unter- 

ö  Vergl.,  was  Valvasor  XI,  705,  über  das  Geraisch  von  Nationalitaten 
unter  den  Bürgern  von  Laibach  mittheilt. 


Gedrückte  Lage  des  Bürgerstandes  und  der  Bauern.  oOl 

thänigkeit*  war  mannigfach  abgestuft.  Wenn  auch  allen  Bauern 
Vermögensfähigkeit  und  einige  andere  Rechte  zuerkannt  wurden,  sie 
daher  dem  Rechte  nach  besser  als  Sclaven  gestellt  waren,  so  blieb 
doch  der  rechtlich  anerkannten  Beschränkungen  und  Bedrückungen 
genug  übrig,  um  den  Zustand  vieler  geradezu  als  Leibeigenschaft  zu 
bezeichnen.  ^°  Besonders  in  Böhmen  und  Mähren  waren  die  Bauern 
in  ihrer  Mehrzahl  arg  daran.  Es  ändert  an  dieser  Thatsache  nichts, 
wenn  man  neuestens  den  Nachweis  versucht  hat,  dass  ihr  Zu- 
stand eigentlich  nicht  Leibeigenschaft,  sondern  Erbunterthänigkeit 
gewesen  sei.  Der  Grundherr  war  der  Herr  der  gesammten,  auf 
seinen  Gütern  geborenen  ländlichen  Bevölkerung,  kein  Mitglied 
derselben  durfte  ohne  seine  Zustimmung  wegziehen  oder  heiraten, 
oder  seine  Söhne  dem  Handwerk  widmen.  Bis  in  die  zweite 
Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  galt  das  Schulhaus  wie  die  Pfarre 
als  freies  Haus,  so  dass,  wer  darin  geboren  wurde,  nicht  leib- 
eigen war;  seit  dieser  Zeit  wurde  selbst  diese  geringe  Ausnahme 
vielfach  bekämpft.  Wenngleich  in  anderen  Kronländem  die  Bauern 
theilweise  besser  standen,  hier  die  Freizügigkeit  vorherrschte,  die 
Landesherren  seit  dem  16.  Jahrhundert  mancherlei  Verfügungen 
gegen  die  Bedrückung  der  Bauern  erließen,  ihnen  durch  Verkauf- 
rechtung  erbliche  Nutzungsrechte  einräumten  und  die  Bauern  in 
Tirol  sogar  durch  Abgeordnete  der  freien  Gerichte  im  Landtag 
vertreten  waren,  so  war  doch  die  Lage  selbst  dieser  bevorzugten 
Bauern  im  ganzen  wenig  befriedigend.  Bei  aller  Mannigfaltigkeit, 
die  gerade  im  Bauernrechte  von  Land  zu  Land  herrschte,  gab  es 
in  dem  einen  Punkte  allgemeine  Übereinstimmung,  dass  sie  als 
rustica  gens  auch  die  misera  contribiiens  plebs  waren. 

14.  Die  wichtigsten  Verpflichtungen  der  Bauern  in  diesem 
Zeiträume  waren: 

a)  Als  äußerliches  Kennzeichen,  welches  die  unterthänigen 
von  den  wenigen  freien  Bauern  unterschied,  galt  namentlich  in 
Böhmen  die  Verpflichtung  zur  Robot,  d.  i.  zu  Prohnden  für 
die  (Jrundherrschaft.  Diese  waren  entweder  gemessene,  d.  h. 
durch  Angabe  des  Werkes,  das  zu  verrichten  war,  oder  bloß  der 
Zeit  nach  in  jährlichen  oder  wöchentlichen  Arbeitstagen  bestimmt, 

^'^  Der  Ausdruck  Leibeij?enschaft  zur  Bezeichnung:  der  Abhäns^igkeit  dos 
Einzelnen  von  seinem  Leibherrn  kommt  namentlich  in  Vorarlberg  noch  im 
16./ 17.  Jahrh.  vor. 


502        Österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Vierte  Periode.  §  60. 

oder  ungeraeasene.^^  Man  unterachied  Handdienate  von  der  Zugrobot^ 
bei  welcher  auch  Zugthiere  vom  Pröhner  beizuatellen  waren.  Nur 
auanahmaweiae  hatten  die  Fröhner  auf  eine  „Ergötzlichkeit'',  d.  i. 
auf  eine  kleine  Gegenleiatung  in  Brot,  Bier,  Erbaen,  Pleiach  oder 
dergl.  von  Seite  der  Grundherrachaft  Anapruch ; 

h)  die  aogenannten  Waiaenjahre,  d.  h.  daa  Recht,  alle  Waiaen 
von  Unterthanen  bia  zu  ihrem  14.  Jahre  bloß  gegen  Gewährung 
von  Koat  und  Kleidung  zu  Dienatleiatungen  verwenden  zu  dürfen ; 

c)  konnte  die  Grundherrachaft  verlangen,  daaa  jene  Kinder 
von  Unterthanen,  die  in  fremde  Dienate  treten  aollten,  vorerat 
Dienate  bei  ihr  durch  drei  Jahre  gegen  übliche  Bezahlung 
ableiateten ; 

d)  von  den  Grundatücken,  auf  welchen  die  Bauern  aaßen, 
muaate  der  Herrachaft  eine  gewiaae,  durch  daa  Stockurbar  vor- 
geachriebene  Abgabe  in  Geld  oder  Früchten  (der  Zina  oder 
Dienat),  biaweilen  auch  der  Vieh-  oder  Kornzehent  gereicht  werden; 

e)  bei  Beaitzveränderungen  war  den  Herrachaften  ein  An- 
und  Abfahrtageid,  Todfallageld  u.  dgl.  zu  entrichten.  Die 
Schreib-  und  Siegeltaxen,  d.  i.  Gebüren  für  daa  Anachreiben  an 
die  Gewere,  die  Auafertigung  von  Urkunden  u.  a.  w.  w^urden 
von  der  Herrachaft  nicht  aelten  iliren  Wirtachaftabeamten  ala 
Nebeneinkommen  überlaaaen ; 

f)  dem  Landeafüraten  war  die  landeafüratliche  Steuer,  daa 
„Contributionale"  von  den  bäuerlichen  Gütern  in  einem  höheren 
Auamaß,  ala  vom  adeligen  Beaitz  (dem  a.  g.  Dominieale)  zu  ent- 
richten ; 

g)  die  Gerichtabarkeit  über  die  Bauern  atand  bei  der  Grund- 
herrachaft (§  55,  2).  Ala  Auafluaa  deraelben  hatte  die  Herrachaft 
namentlich  auch  die  Verlaaaenachafta-Abhandlung  nach  ihren  ver- 
atorbenen  Unterthanen  zu  pflegen,  Vormünder  zu  beateilen  u.  a.  w. 
Wollte  die  Herrachaft  den  Bauerngrund  wegen  aäumiger  Zina- 
zahlung  einziehen,  ao  muaate  ein  aogenanntea  uuparteiiachea 
Gericht  von  bäuerlichen  Nachbarn  niedergeaetzt  und  der  Spruch 
von  der  landeafüratlichen  Behörde  beatätigt  werden. 

*^  Als  Maximum  setzte  der  Tractatus  de  juribus  incorporalibus,  1679: 
104  Tage  im  Jahr,  bzw.  3  in  der  Woche  fest.  —  Die  gesetzliche  Terminologie 
für  Böhmen  hingegen,  begreift  unter  gemessen  (odmera)  nur  jene  Frohnden,. 
welche  dem  Werke  nach  bestimmt  sind.  Grün  borg,  I,  76. 


Lasten  des  Bauernstandes,  die  Bauernkriege.  503 

15.  Druck  erzeugt  Gegendruck.  Die  verzweifelte  Lage  der 
Bauern,  die  sich  ungeachtet  der  Bemühungen  mancher  Regenten 
nur  wenig  besserte,  führte  zu  gewaltsamen  Auflehnungen,  die 
im  16.  Jahrhundert  oft  einen  religiösen  Anstrich  hatten.  Dem 
windischen  Aufstand  der  stara  pt-avda  vom  Jahre  1515  folgten 
von  1523—1525  Bauernkriege  in  Tirol,  im  Salzburgischen  und 
in  Obersteiermark.  Der  zweite  große  windische  Bauernaufstand, 
den  die  Bedrückungen  des  Franz  von  Tahy  hervorgerufen  hatten, 
wüthete  1573  in  Croatien  und  Untersteiermark.  In  den  Jahren 
1594  und  1596  ergossen  sich  Aufstände  über  das  Land  ob  und 
unter  der  Enns,  1626  war  wieder  Österreich  ob  der  Enns,  1631 
Oberungarn,  1635  waeder  Südsteiermark  der  Schauplatz  von 
Bauernaufständen,  Böhmen  erlebte  1680  das  blutige  Schauspiel 
eines  Bauernkrieges.  All  diese  Bewegungen  wurden  gewaltsam 
niedergeworfen,  waren  aber  andererseits  Veranlassung,  dass  die 
Regierung  Untersuchungen  einleitete  und  ein  oder  den  anderen 
Mifsstand  abstellte. 

16.  Eine  wesentliche  Verschlimmerung  erfuhr  die  Lage  des 
Bauernstandes  in  jenen  Gegenden,  in  welchen  der  dreißigjährige 
Krieg  gewüthet  hatte.  Viele  freie  Bauern,  welche  bis  dahin  ihre 
Stellung  mühsam  bewahrt  hatten,  geriethen  nunmehr  in  Abhängig- 
keit. Ein  Beispiel  für  viele  bieten  die  Geschicke  der  Choden- 
dörfer  bei  Taus.  Weil  sich  dieser  in  einem  gewissen  Abhängigkeits- 
verhältnis von  der  Stadt  Taus  befanden,  welche  zum  Winterkönig 
gehalten  hatte,  weil  sie  Protestanten  waren  und  vor  allem  darum, 
weil  sie  die  Habsucht  des  kaiserlichen  Reichshofraths,  des  Freiherrn 
Wolf  Wilhelm  Lamminger  von  Albenreut,  erregt  hatten,  wusste 
es  dieser  im  Jahre  1628  dahin  zu  bringen,  dass  ihm  die  Choden 
um  35.000  fl.  verpfändet  und  1630  für  den  Betrag  von  56.000  fl. 
sogar  „erbeigenthümlich"  verkauft  wurden.  Und  bei  dieser  Leib- 
eigenschaft verblieb  es  in  der  Folge,  trotz  aller  Supplicationen 
dieser  armen  Bauern. 


504        österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Fünfte  Periode.  §  61. 


V.  Periode :  Die  Ausbildung  des  heutigen  Staats- 
wesens, 

(1740—1867.) 
§  6L  Die  yeräiiderangeii  des  Staatsgebiets  ron  1740—1867. 

Literatur  im  allgemeinen:  Krones,  Grundriss,  755  ff.  —  Berghaus: 
Deutschland  seit  hundert  Jahren.  5  Theile.  —  Daniels  Handbuch  d.  deutschen 
Reichs-  und  Staatengeschi chto,  11,  3.  Bd.  1808,  -  Hub  er,  Rg.,  180,  219,  245  ff. 

1.  Nach  dem  Tode  Kaiser  KarFs  VI.  (+  20.  October  1740),  mit 
welchem  der  männliche  Stamm  der  Habsburger  erlosch,  übernahm 
nach  den  Bestimmungen  der  pragmatischen  Sanction  (§  49,  5)  dessen 
Erbtochter  Maria  Theresia  die  Regierung  der  Erblande.  Die  Gesammt- 
fläche  derselben  überstieg  schon  10.000  Quadratmeilen,  doch  war  ein 
geschlossenes  Staatsgebiet  noch  nicht  vorhanden.  Die  zusammen- 
hängende Hauptmasse  bildeten  die  altösterreichischen  Erblande 
nebst  Böhmen,  Mähren,  Ober-  und  Niederschlesien  und  den  Ländern 
der  ungarischen  Krone.  Die  österreichischen  Niederlande  und  die 
italienischen  Herzogthümer  Mailand,  Mantua,  Parma  und  Piacenza 
bildeten  ein  zweites  und  drittes,  ebenfalls  ziemlich  geschlossenes 
Ländergebiet,  dagegen  waren  die  schwäbischen  Besitzungen  des 
Hauses,  die  man  zu  Verwaltungszwecken  unter  dem  Namen  Vorder- 
österreich zusammenfasste,  vom  Zusammenfluss  der  Donau  mit  dem 
Lech  bis  an  den  Oberrhein  als  schmaler  unzusammenhängender 
Streifen  zerstreut. 

2.  Die  pragmatische  Sanction  war  durch  die  Bemühungen 
Kaiser  Karl's  VL  zwar  unter  die  Garantie  der  europäischen  Mächte 
gestellt,  allein  im  entscheidenden  Augenblicke  zeigte  es  sich,  dass 
Kaiser  Karl  VI.  wohl  besser  daran  gethan  hätte,  dem  staatsklugen 
Rathe  des  Prinzen  Eugen  zu  folgen,  d.  h.  wenn  er  durch  die 
Zustimmung  der  Erblande  befriedigt,  im  übrigen  durch  geordnete 
Finanzen  und  ein  schlagfertiges  Heer  für  die  Aufrechterhaltung 
der  Thronfolgeordnung  vorgesorgt  hätte.  Denn  kaum  hatte  der 
Kaiser  seine  Augen  geschlossen,  so  erhoben  Sardinien,  Preußen, 
Bayern,  Sachsen  und  Spanien  theüs  auf  einzelne  Gebiete,   oder 


Der  österreichische  Erbfolgekrieg.  Verlust  von  Schlesien.  505 

selbst  auf  das  ganze  Erbe  Karl's  VI.  Anspruch.  Namentlich  für 
den  Kurfürsten  Karl  Albert  von  Bayern,  der  seine  Ansprüche  auf 
seine  Abstammung  von  der  Regredienterbin  Erzherzogin  Anna 
(siehe  die  Stammtafel)  vor  allem  stützte,  war  man  vielfach  in  den 
Erblanden  eingenommen,  da  man  selbst  in  Wien  vom  Erbrechte 
der  Erbtochter  nicht  fest  überzeugt  war. 

3.  Den  Kampf  gegen  Österreich  eröffnete  König  Friedrich  II. 
von  Preußen,  indem  er  Ansprüche  auf  die  schlesischen  Herzog- 
thümer  Liegnitz,  Brieg,  Wohlau  und  Jägerndorf  erneuerte,  obwohl 
dieselben  von  seinem  Urgroßvater  im  Jahre  1686  gegen  Abtretung 
des  Schwiebuser  Kreises  endgiltig  aufgegeben  waren,  und  die 
freiwillige  Rückgabe  dieses  Kreises  durch  den  Kurfürsten  und 
spätem  König  Friedrich  I.  (1695)  gegen  Einräumung  anderer  Vor- 
theile,  an  dem  Verzichte  nichts  änderte.  Schon  am  16.  December 
1740  rückten  die  Truppen  König  Friedrich's  IL  ohne  Kriegs- 
erklärung in  Schlesien  ein,  wo  sie  sich  nach  dem  Siege  über  die 
Österreicher  bei  Mollwitz  (1741,  10.  April)  behaupteten.  Die  Lage 
der  Königin  Maria  Theresia  war  nun  umso  gefährdeter,  als  Preußens 
Vorgehen  das  Zeichen  zum  allgemeinen  Angriff  auf  Österreich 
abgab.  Bayern  mit  Frankreich  im  Bunde,  besetzte  das  Land  ob  der 
Enns  und  Böhmen  und  Kurfürst  Karl  Albert  nahm  am  2.  October 
zu  Linz,  am  19.  December  1741  zu  Prag,  die  Huldigung  entgegen. 
Bald  darauf  trat  jedoch  ein  Umschwung  ein.  Maria  Theresia,  von 
den  Ständen  aller  übrigen  Erblande  treu  unterstützt,  ließ  Bayern 
besetzen  und  schloss,  um  sich  ihres  gefährlichsten  Gegners  zu  ent- 
ledigen, mit  dem  Könige  Friedrich  IL  von  Preußen  den  Präli- 
minarfrieden von  Breslau  am  11.  Juni  1742,  dem  am  28.  Juli  der 
endgiltige  Friede  zu  Berlin  folgte,  durch  welchen  Österreich  ganz 
Niederschlesien  und  Oberschlesien  mit  Ausnahme  von  Teschen, 
Troppau  und  des  Landes  diesseits  der  Oppa  an  Preußen  abtrat.  So 
schwer  die  Königin  Maria  Theresia  dies  Opfer  brachte,  so  war 
es  doch  unabwendbar.  Weder  der  zweite  schlesische  Krieg,  den 
König  Friedrich  IL  im  Jahre  1744  begann,  weil  ihn  die  Fort- 
schritte der  österreichischen  Waffen  gegenüber  Frankreich  und  in 
Italien  um  den  Besitz  von  Schlesien  besorgt  machten,  noch  der 
im  Jahre  1756  ausgebrochene  siebenjährige  Krieg  änderten  den 
Besitzstand,  der  durch  die  Frieden  von  Dresden,  25.  December 
1745,  und  Hubertsburg,  15.  Februar  1763,  bestät%t  wurde. 


506         Österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Fünfte  Periode.  §  61. 

4.  Der  österreichische  Erbfolgekrieg  mit  Bayern  endete  durch 
den  Frieden  von  Füssen  (1745,  22.  April),  der  den  früheren  Zu- 
stand wiederherstellte,  gegenüber  Frankreich  und  Spanien  1748, 
18.  October,  durch  den  Frieden  von  Aachen,  der  die  Abtretung  von 
Parma,  Piacenza  und  Guastalla  an  den  spanischen  Infanten  Don 
Philipp  zur  Folge  hatte,  ßis  auf  den  Verlust  von  Niederechlesien, 
den  Maria  Theresia  vor  allem  schwer  ertrug,  weil  er  deutsches  Land 
betraf,  und  der  erwähnten  italienischen  Fürstenthümer  hatte  also 
die  Kaiserin  die  gesaramten  Erblande  in  einem  europäischen  Kriege 
behauptet. 

5.  Diesem  Abgang  gegenüber  ist  wälirend  der  vierzigjährigen 
Regierung  der  Kaiserin  ein  namhafter  Gebietszuwachs  auf  anderen 
Seiten  zu  verzeichnen.  Der  Versuch,  das  durch  Abtretung  von 
Niederschlesien  gestörte  Gleichgewicht  zwischen  der  deutschen  und 
der  nicht  deutschen  Bevölkerung  der  Monarchie  durch  Erwerb  eines 
andern  deutschen  Landes  wieder  herzustellen,  schlug  allerdings 
fehl,  weil  Preußen  das  nach  dem  Aussterben  des  bayrischen  Kur- 
hauses (1777)  mit  dem  erbberechtigten  Nachfolger,  dem  Kurfürsten 
Karl  Theodor  von  der  Pfalz,  getroffene  Übereinkommen  wegen 
Abtretung  von  Bayern  an  Österreich  hintertrieb.^  Der  Tescbner 
Friede  (13.  Mai  1779)  brachte  nur  die  Abrundung  des  Landes  ob 
der  Enns  durch  das  Innviertel,  außerdem  gelangte  1760  die  Graf- 
schaft Hohenems  im  Lande  Vorarlberg  nach  dem  Erlöschen  des 
herrschenden  Geschlechts  als  Reichslehen  an  die  Kaiserin  Maria 
Theresia.  Keinen  Landzuwachs  im  staatsrechtlichen  Sinne  brachte 
der  Ankauf  der  bischöflich  bambergischen  Besitzungen  in  Kärnten 
im  Jahre  1759,  da  diese  Gebiete,  Villach  und  das  Canalthal,  das 
obere  Lavantthal  von  Wolfsberg  bis  Reichenfels,  Feldkirchen,  Griffen 
u.  8.  w.  kraft  der  Recesse  mit  dem  Hochstift  schon  vorher  unter 
österreichischer  Landeshoheit  standen.  Desto  beträchtlicher  war 
der  Zuwachs,  den  Österreich  bei  der  ersten  Theilung  Polens  (1772) 
erhielt. 

6.  Die  Königreich  heißende  Adelsrepublik  Polen,  durch 
inneren  Hader  längst  zerrüttet,  war  nach  dem  Tode  König  Friedrich 
August's  IL  (t  1763)  vollends  unter  den  Einfluss  Russlands  ge- 
rathen.    Alle  Anstrengungen,  dem  Staatswesen  durch  zeitgemäße 

*  Ebenso  deii  zweiten  Versuch,  den  Kaiser  Josef  II.  im  Jahre  1785  macJite. 


Erwerbung  von  Hohenems,  des  Inn vierteis,  Galiziens.  507 

Urastaltung  neue  Lebenskraft  einzuflößen,  die  von  polnischen  Vater- 
landsfreunden gemacht  wurden,  scheiterten,  weil  sie  Russland  selbst- 
süchtiger Weise  vereitelte,  um  sich  die  sichere  Beute  nicht  entgehen 
zu  lassen.  Als  nun  in  Polen  1768  ein  Bürgerkrieg  ausbrach  und  die 
Türkei  von  Frankreich  angestiftet,  an  Russland  den  Krieg  erklärte, 
um  den  russischen  Einfluss  im  Nachbarlande  zu  brechen,  wurde 
von  Maria  Theresia  eine  Truppenaufstellung  längs  der  ungarisch- 
polnischen Grenze  angeordnet,  um  diese  gegen  jede  Benach- 
theiligung durch  die  in  ihrer  Nähe  kämpfenden  Heere  zu  sichern. 
Im  Jahre  1769  wurden  dann  auch  die  Grenzen  des  im  Jahre  1412 
durch  König  Sigismund  von  Ungarn  an  Polen  verpfändeten  Zipser 
Districtes  von  österreichischen  Truppen  besetzt  und  zugleich  die 
Erklärung  abgegeben,  dass  dies  den  Rechten  Polens  nicht  abträglich 
sein  solle.  Da  man  jedoch  in  Wien  ernstlich  an  die  Wiedergewinnung 
der  Zips  dachte,  so  lag  ,die  Versuchung  nahe,  dies  in  einer  so 
großen  Ausdehnung  durchzuführen,  als  es  überhaupt  erreichbar 
erschien**.  Daher  wurden  auf  Grund  der  Behauptung,  dass  das 
verpfändete  Zipser  Gebiet  noch  weiter  nördlich  gereicht  habe,  die 
österreichischen  Grenzzeichen  in  die  südlichen  Theile  der  Starostien 
Sandec,  Neumarkt  und  Czorsztyn  vorgerückt.  An  eine  Vergewalti- 
gung Polens  dachte  jedoch  niemand  in  Österreich,  wie  denn  auch 
der  Titel  „Administrator  Provinciae  reincorporatse*",  den  der  mit 
der  Verwaltung  der  neubesetzten  Gebietstheile  betraute  Hofrath 
Török  angenommen  hatte,  auf  Befehl  der  Kaiserin  Maria  Theresia 
aufgegeben  werden  musste.  Wohl  aber  lag  dem  Staatskanzler 
Kaunitz  alles  daran,  Frieden  zwischen  Russland  und  der  Türkei 
herbeizuführen  um  eine  zu  weit  gehende  Schwächung  derselben  zu 
verhindern.  Dagegen  war  König  Friedrich  IL  seit  Anfang  1771 
unausgesetzt  bemüht,  ein  Einverständnis  zwischen  Russland,  Öster- 
reich und  Preußen  über  eine  Vergrößerung  auf  Kosten  Polens 
herbeizuführen.  Als  sich  nun  Preußen  und  Russland  im  Jahre  1772 
in  dieser  Frage  schon  geeinigt  hatten,  und  die  Vorschläge  Öster- 
reichs, gegen  Rückgabe  von  Glatz  und  eines  Theiles  von  Schlesien 
auf  die  zugedachten  polnischen  Gebiete  verzichten  zu  wollen,  von 
Preußen  abgelehnt  worden  waren,  verlangte,  wie  sich  Kaiser 
Joseph  II.  später  ausdrückte,  „die  Nothwendigkeit  und  die  Sorge 
für  die  eigene  Sicherheit,  dass  man  sich  nach  ihnen  richte".  Am 
1.  Mai  1772  bekamen  die  österreichischen  Truppen  den  Befehl  zum 


508        Österreichische  Reichsgeschichte.  IL  Theil.  Fünfte  Periode.  §  61. 

Vorrücken.  Am  2.  August  1772  fand  in  St.  Petersburg  die  Unter- 
zeichnung des  Theiiungsvertrags  zwischen  Österreich,  Russland 
und  Preußen  statt,  der  am  18.  September  1773  die  durch  die  Um- 
stände erzwungene  Zustimmung  des  pohlischen  Reichstags  erhielt. 

7.  Der  Ländererwerb  Österreichs  bei  der  ersten  Theiiung 
Polens  umfasste  die  13  Zipser  Städte  und  so  ziemlich  genau  das 
heutige  Königreich  Galizien  mit  Ausnahme  von  Krakau,  im  ganzen 
rund  1300  Quadratmeilen.  Die  genauere  Abgrenzung  machte 
jedoch  nocli  langwierige  Verhandlungen  nöthig,  die  sich  bis  zum 
Jahre  1776  hinzogen. 

Eine  Folge  der  Erwerbung  Galizieiis  war  auch  die  Einver- 
leibung der  Bukowina,  um  die  Landbrücke  mit  Siebenbürgen 
herzustellen.  Sie  erfolgte  durch  Besetzung  eines  Theiles  der  Moldau 
nach  dem  Abmarsch  der  russischen  Truppen  (September  1774) 
und  durch  Verhandlungen  mit  der  Türkei,  welche  der  österreichische 
Internuntius  Thugut  am  7.  Mai  1775  zu  günstigem  Abschluss 
brachte.  Am  10.  October  1777  nahm  dann  General  Spleny  zu 
Czemowitz  die  Huldigung  namens  der  Kaiserin  entgegen.  ^ 

8.  In  die  Zeit  der  Kaiserin  Maria  Theresia  fällt  auch  die 
Entstehung  einer  österreichischen  Secundo-  und  Tertiogenitur  in 
Italien  und  deren  Ausstattung  mit  Gebieten,  die  nicht  durch  das 
Band  der  pragmatischen  Sanction  mit  Österreich  verbunden  waren. 
Kaiser  Franz  I.,  Gemahl  der  Kaiserin  Maria  Theresia,  bestimmte 
nämlich  das  Großherzogthum  Toscana,  das  er  als  Ersatz  für  sein 
väterliches  Herzogthum  Lothringen  1738  erhalten  hatte,  mit 
Zustimmung  seines  Erstgeborenen  zur  Ausstattung  seines  Zweit- 
ältesten Sohnes  (1763),  während  die  Vermählung  des  dritten,  Erz- 
herzog Ferdinand's,  mit  M.  Beatrix,  der  Erbtochter  des  Hauses  Este, 
(1771)  das  Herzogthum  Modena  an  dessen  Nachkommen  brachte. 

9.  Die  Kaiserin  Maria  Theresia  hatte  772  Quadratmeilen  ab- 
getreten und  1618  Quadratmeilen  hinzu  gewonnen,  so  dass  sie  bei 
ihrem  Tode  ein  Reich  von  11.070  Quadratmeilen  Umfang  mit  mehr  als 
zwanzig  Millionen  Bevölkerung  hinterließ.  Während  der  Regierungs- 
zeit ihrer  Söhne  Kaiser  Joseph  II.  1780-1790  und   Leopoldll. 

-  Ich  bin,  was  die  Erwerbung  Galiziens  und  der  Bukowina  betrifft,  der 
DarsteUung  Arneth's,  Gesch.  M.  Theresia's,  Bd.  8,  gefolgt.  Vgl.  überdia^  Bider- 
mann,  Die  Bukowina  unter  österr.  Verwaltung  1775—1875,  S.  A.  aus  der 
Wiener  Zeitung,  1875. 


Erwerbung  der  Bukowina,  VerluBte  während  der  Coalitionskriege.     500 

1790—1792  erfuhr  dasselbe  keine  nennenswerte  Veränderung, 
da  der  Versuch  Joseph's  IL,  gegen  Abtretung  der  Niederlande 
Bayern  einzutauschen  an  dem  Widerspruche  König  Friedrich's  II. 
von  Preußen  und  des  von  ihm  gegen  den  Kaiser  zustande  gebrachten 
„Fürstenbundes"  scheiterte  (1785)  und  die  Eroberungen  des  letzten 
Türkenkrieges  durch  den  Frieden  von  Sistowo  1791  verloren 
giengen.  Desto  bedeutender  waren  innerhalb  der  zwanzig  Jahre 
1795—1815  die  Umgestaltungen  des  österreichischen  Staatsgebiets 
unter  Kaiser  Franz  II.  (I.)  als  Folge  der  mit  Frankreich  geführten 
Kriege.  Nur  vorübergehend  war  der  Erwerb  von  „Westgalizien"*, 
den  Österreich  1795  bei  der  dritten  TheUung  Polens  (die  zweite 
wurde  1793  von  Russland  und  Preußen  allein  durchgeführt)  machte. 
Dasselbe  umfasste  bei  einer  Größe  von  843  QuadratmeUen  mit 
etwa  einer  Million  Einwohnern  alles  Land  zwischen  der  PUica,  der 
Weichsel  und  dem  Bug,  die  Umgebung  von  Warschau  ausgenommen, 
wurde  jedoch  infolge  des  Friedens  von  Schönbrunn  1809  an  den 
König  von  Sachsen  als  Großherzog  von  Warschau  abgetreten. 

10.  Die  Gebietsveränderungen,  welche  Österreich  infolge  der 
Coalitionskriege  gegen  Frankreich  erlebte,  sind  folgende: 

a)  Durch  den  Frieden  von  Campo  Formio  1797  und  den 
nachfolgenden  Frieden  von  Lüneville  1801  trat  Österreich  die 
Niederlande  und  Mailand  an  Frankreich  ab  und  erhielt  dafür  das 
venezianische  Festland  östlich  vom  Gardasee,  venezianisch  Istrien 
und  Dalmatien  sammt  der  Bocche  di  Cattaro.  Der  Breisgau  sollte  als 
Entschädigung  an  den  Herzog  von  Modena  fallen. 

h)  Der  Reichsdeputations-Hauptschluss  vom  Jahre  1 803  unter- 
warf die  weltlichen  Gebiete  der  Bisthümer  Brixen  und  Trient 
vollends  der  österreichischen  Staatshoheit. 

c)  Durch  den  Frieden  von  Pressburg  am  26.  December  1805 
verlor  Österreich  (infolge  der  unglücklichen  Schlacht  bei  Austerlitz 
2.  December)  alle  Entschädigungen,  die  ihm  der  Friede  von  Campo 
Formio  gebracht  hatte,  an  das  neu  errichtete  Königreich  Italien, 
ferner  den  Rest  der  vorderösterreichischen  Besitzungen,  Vorarlberg 
und  Tirol  zumeist  an  Bayern,  zum  Theil  an  Baden  und  Württem- 
berg und  erhielt  als  einzige  Entschädigung  Salzburg  mit  Berchtes- 
gaden  zugesprochen. 

d)  Die  größte  Schmälerung  erfuhr  es  durch  den  am 
14.  October  1809  zu  Schönbrunn  mit  Napoleon  abgeschlossenen 


5 1 0     Österreich  ische  Reichsgeschichte.  IL  Theil .  Fünfte  Periode.  §  6 1  u.  62. 

Frieden :  Österreich  verlor  nach  all  den  vorhergehenden  Abtretungen 
noch  die  Gebiete  von  Salzburg  und  Berchtesgaden,  das  Innviertel 
und  einen  Theil  des  Hausruckviertels  an  Bayern,  die  Grafschaft 
Görz,  Triest,  Krain,  den  Villacher  Kreis  und  alle  Landestheile  auf 
dem  rechten  Ufer  der  Save  (die  s.  g.  illyrischen  Provinzen)  an 
Prankreich,  endlich  das  1795  erworbene  Westgalizien  und  den 
Zamosker  Kreis  von  Ostgalizien  an  das  Großherzogthum  Warschau, 
ein  Stück  von  Ostgalizien  mit  400.000  Einwohnern  (die  Kreise 
Tarnopol  und  Czortkow)  an  Russland. 

11.  Die  Betheiligung  Österreichs  an  den  Freiheitskriegen  hat 
durch  den  Pariser  Frieden  vom  30.  Mai  1814  und  die  Beschlüsse 
des  Wiener  Congresses  dem  Reiche  jenen  Umfang  gegeben,  den 
es,  abgesehen  von  den  Veränderungen  durch  die  Kriege  seit  1859, 
bis  zum  Schlüsse  dieser  Periode  behauptet  hat.  Österreich  erhielt 
in  der  Begrenzung  durch  den  Lago  Maggiore  den  Tessin  und  Po 
das  lombardisch-venezianische  Königreich  in  Italien  nebst  dem 
Veltlin,  ferner  die  in  den  Jahren  1805  und  1809  abgetretenen 
„illyrischen  Provinzen"  nebst  Dalmatien  und  Ragusa,  von  Bayern 
wurde  Tirol,  Vorarlberg,  Salzburg,  das  Hausruck-  und  Innviertel, 
von  Russland  der  Tarnopoler  Kreis  zurückgegeben.  Es  wurden 
ferner  die  österreichische  Secundogenitur  in  Toscana  und  die 
Tertiogenitur  in  Modena  wieder  hergestellt.  Dagegen  verzichtete 
Osterreich  auf  Westgalizien  mit  Krakau  und  alle  übrigen,  vor  dem 
Jahre  1792  besessenen  Gebiete. 

12.  Krakau  war  auf  dem  Wiener  Congresse  nebst  emem 
kleinen  Gebiet  zur  Freistadt  erklärt  und  dem  Schutze  von  Österreich, 
Preußen  und  Russland  unterstellt  worden.  Infolge  des  galizischen 
Aufstandes  im  Jahre  1846  wurde  jedoch  Krakau  an  Österreich 
überlassen  und  1849  mit  Galizien  vereinigt. 

Der  unglückliche  Feldzug  gegen  Frankreich  und  Sardinien 
im  Jahre  1859  hatte  die  Abtretung  der  Lombardei  und  den  Verlust 
der  Gebiete  der  Secundo-  und  Tertiogenitur:  Toscana  und  Modena 
zur  Folge,  da  diese  Lande,  entgegen  den  Bestimmungen  des 
Züricher  Friedens,  ihren  Fiirsten  nicht  mehr  zurückgegeben  wurden. 
Durch  den  Frieden  von  Wien,  welcher  den  Krieg  Österreichs  mit 
Preußen  und  Italien  am  3.  October  1866  beendete,  wurde  das  vene- 
i  zianische  Festland  mit  Friaul  an  Italien  abgetreten,  überdies  schied 

Österreich  aus  dem  deutschen  Bunde  aus. 


i: 


Das  Osten*.  Staatsgebiet  seit  1H15;  Gesetzgebung  um  1740.  511 


§  63. .  Die  östeiTeichische  Oesetzgebang  seit  den  großen  Godifl- 
cationsarbeiten  unter  der  Kaiserin  Maria  Theresia  (1740—1867). 

Literatur  bei  §  45,  46,  ferner  Banniza,  Abhandlung  von  den  sämmtlichen 
Osten*.  Gerich täötellen,  1767.  —  Beidtel,  Gesch.  der  österr.  Staatsverwaltung, 
1740—1848,  herausg.  v.  A.  Huber,  I,  1895.  —  C  an  stein,  Lehrbuch  des  österr. 
Civil-Processrechts,  I,  §  13—15.  —  Codex  Theresianus,  herausg.  v.  Harrasowsky, 
ö  Bde.,  1883—1886.  —  Dorain-Petrushevecz,  S.  32  fr.  —  Maasburg. 
Processordnung  für  Böhmen  vom  23.  Jänner  1753;  Zur  Entstehungsgesch.  der 
Theresian.  Halsgerichtsordnung;  Gutächtl.  Äußerung  des  ö:?terr.  Staatsrathes  über 
den  Codex  Theresianus  (Wien,  1880—1886).  —  Ofner,  ürentwurf  und  die  Be- 
rat hungsprotolcoUe  des  österr.  allg.  b.  G.-B.,  1889,  2  Bde.  (dazu  Pfaff  in  den 
Jurist  Bl.,  1889,  Nr.  26  ff.)  —  Pfaff,  Rede  auf  Franz  v.  Zeiiler,  1891;  Zur  Bnt- 
stehungsgesch.  des  westgal.  Gesetzb.  (Jur.  Bl.,  1890,  Nr.  34 ff.)  —  Pfaff  und 
Hof  mann,  Commentar  zum  österr.  allg.  b.  G.-B.,  I  und  Excurse  1.  —  Siegel, 
Deutsche  Rechtsgeschichte,  3.  Aufl.,  §  55ff.  —  Wahlberg,  Gesammelte Itleinere 
Schriften,  Bd.  2,  3,  1877,  1882.  —  Gesetze  Maria  Theresia's  im  Sappl.  des  Codex 
Austriacus  (1740—1770),  dann  in  der  s.  g.  Kropatschek'schen  Sammlung 
aller  k.  k.  Verordnungen  u.  s.  w.  —  Gesetze  und  Vorfassungen  im  Justizfach  seit 
1780  und  politische  Gesetze  und  Verordnungen  seit  1790,  beide  seit  1849  im 
Reichsgesetzblatt  fortgesetzt.  —  Verschiedene  Provinzial-Gesetzsammlungen. 

1.  Die  Bemühungen  Kaiser  KarFs  VI.,  die  Rechtsverachieden- 
heiten  von  einem  Erblande  zum  andern,  die  in  dem  „Landesbrauch" 
ihre  Stütze  hatten,  thunlichst  zu  beseitigen,  waren  zum  Theile  von 
Erfolg  begleitet  und  hatten  auf  einzelnen  Rechtsgebieten  materielle 
Übereinstimmung  herbeigeführt.  Man  darf  wohl  annehmen,  dass 
sich  eben  dadurch  die  Überzeugung  von  der  Eraprießlichkeit  einer 
größeren  Rechtseinheit  in  weiteren  Kreisen  eingebürgert  hat. 

Beim  Regierungsantritt  der  Königin  Maria  Theresia  waren 
nun  mancherlei  Arbeiten  der  Gesetzgebung  in  der  Schwebe.  Die 

■  ■  

Stände  von  Osterreich  unter  der  Enns  hatten  um  eine  Erläuterung 
ihrer  in  vielen  Punkten  „unklaren  Landesordnung"  gebeten,  die 
zu  manchem  Rechtsstreite  Anlass  gegeben  hatte,  mit  der  steirischen 
Landschaft  schwebten  Unterhandlungen  wegen  Revision  der  Ge- 
richtsordnung vom  Jahre  1622,  außerdem  waren  in  Prag  und  Brunn 
Compilations-Commissionen  thätig. 

2.  Maria  Theresia  hat  diese  Arbeiten  trotz  der  bis  zum 
Jahre  1748  währenden  Kriege  niemals  außer  Aug  gelassen.  Die 
mit  dem  steirischen  Gesetz  gutentheils  übereinstimmenden  Land- 


512        Österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Fünfte  Periode.  §  62. 

tafelpatente  für  Kärnten  und  Krain  ergiengen  in  den  Jahren  1740 
und  1747,  ebenso  1747  die  Erbrechtsordnung  für  Kärnten,  die  auf 
der  österreichischen  vom  Jahre  1720  beruht.  Sie  behielt  sich  ferner 
in  ihrem  Rescript  vom  8.  April  1746  an  den  Landeshauptmann  und 
das  Schrannengericht  in  Krain  vor,  „demselben  nächstens  eine  neue 
Gerichtsordnung  vorzuschreiben".  Freiherr  Benjamin  von  Erberg 
wurde  mit  der  Verfassung  des  Entwurfs  betraut,  der  dem  Schrannen- 
gericht nur  zum  „Übersehen'',  der  königlichen  Repräsentation  und 
Kammer  hingegen  zur  Begutachtung  vorzulegen  war.^ 

3.  Die  Friedensjahre  nach  dem  österreichischen  Erbfolge- 
krieg kamen  den  Gesetzgebungsarbeiten  umsomehr  zustatten,  als 
Maria  Theresia  auf  diesem  Wege  die  Herbeiführung  einer  Reichs- 
einheit an  Stelle  der  vielgestaltigen  Ländergruppe,  ein  Hauptziel 
ihrer  Regententhätigkeit,  wesentlich  zu  fördern  gedachte.  Zudem 
war  Abhilfe  auf  dem  Gebiet  des  Justizwesens  dringend  geboten. 
In  zahlreichen  Denkschriften,  die  der  Kaiserin  überreicht  wurden, 
klagte  man  über  das  Darniederliegen  der  Rechtspflege,  Richter 
und  Advocaten  seien  die  Quelle  aller  Übel,  das  n.-ö.  Landrecht  sei 
z.  B.  so  verachtet,  dass  jeder  trachte,  sobald  als  möglich  von  dieser 
Stelle  wegzukommen  u.  dgl.  m.  Es  wurden  darum  1748  und  1751 
die  Compilations-Commissionen  für  Böhmen  und  Mähren  neu 
zusammengestellt  und  der  Prager  Advocat  Josef  Azzoni  in  erstere 
berufen;  1751  auch  eine  CompUations - Commission  zu  Wien  zur 
Revision  des  Tractatus  de  jurihis  incorporaläms  eingesetzt,  1752 
eine  vereinigende  Bearbeitung  der  im  Lande  unter  der  Enns  und 
in  Böhmen  geltenden  peinlichen  Gerichtsordnungen  befohlen.  Im 
Jahre  1753  erfloss  dann  am  23.  Jänner  eine  umfangreiche  Process- 
novelle  für  Böhmen,  die  nicht  nur  mit  kleinen  Abänderimgen  noch  im 
gleichen  Jahre  in  Schlesien  und  1760  in  Mähren  zur  Einführung 
gelangte,  sondern  auch  nach  Krain  als  Grundlage  für  die  früher 
erwähnte  neue  Schrannenordnung  gesandt  wurde.^ 

^  L.'A.  Laibach,  Erberg 's  che  Schriften.  Der  Entwurf,  in  24  Rubriken 
am  2.  Dec.  1748  eingereicht,  wurde  am  11.  Dec.  von  Wien  aus  an  die  Repräsen- 
tation zu  Laibach  zur  Berathung  gesandt,  die  am  15.  Jänner  1749  begann. 

2  Maasburg,  Processordnung,  bietet  den  Text,  der  in  23  Art.  zerfällt. 
Ein  Ms.  mit  dem  Preesentatum  15.  JuU  (1753)  nebst  Anmerkungen  des  Freiherm 
Benjamin  von  Erberg,  wie  dies  Gesetz  für  Krain  „soviel  nur  immer  thunlici» 
nach  daslger  Landesverfassung,  Gesätzt  und  Generalien  nutzlich  zu  adaptieren 
wäre*,  zu  Laibach, 


Beginn  d.  Codiflcationsarbeiten :   Compilationscommission  in  Briinn.     513 

4.  Alle  die  erwähnten  Arbeiten  hatten  jedoch,  von  der  Ver- 
besserung der  Justizangelegenheiten  abgesehen,  nur  die  Herbei- 
führung materieller  Rechtsübereinstimmung  zum  Ziele;  nun  genügte 
aber  ein  an  sich  geringer  Anlass,  um  darüber  hinaus  der  Gesetz- 
gebung auch  die  Herbeiführung  formeller  Rechtseinheit  zur  Aufgabe 
zu  stellen.  Diesen  Anstoß  gab  ein  anfangs  1753  von  einem 
ungenannten  i.-ö.  Appellationsrathe  überreichter  Vorschlag  einer 
allgemeinen  Gerichtsordnung  und  eines  gleichen  Landrechtes  in 
allen  Erbländern. ^  Der  Vicepräsident  der  obersten  Justizstelle,  Graf 
Frankenberg,  gieng  auf  den  Gedanken  ein,  erstattete  am  3.  Februar 
darüber  der  Kaiserin  seinen  befürwortenden  Bericht,  welcher  schon 
am  14.  Februar  1753  die  Billigung  Maria  Theresia^s  erhielt;  am 
3.  Mai  wurde  mit  der  Arbeit  selbst  in  feierlicher  Sitzung  begonnen, 
zu  welcher  fünf  aus  Böhmen,  Mähren,  Schlesien,  Österreich  unter 
der  Enns  und  Innerösterreich  berufene  Compilatoren  erschienen 
waren.*  Man  beschloss,  dass  alles,  was  mit  dem  öffentlichen  Recht 
und  den  bestehenden  Jurisdictionsverhältnissen  zusammenhänge,  un- 
verändert zu  erhalten  sei,  theilte  den  Stoff  in  drei  Abschnitte  von 
Personen,  Sachen  und  Obligationen  und  berieth  binnen  Monatsfrist 
den  genaueren  Plan  durch,  den  der  zum  Hauptreferenten  ernannte 
Prager  Professor  Josef  Azzoni  entworfen  hatte.  Die  Vorfrage,  ob 
ein  ganz  neues,  bloß  aus  der  gesunden  Vernunft  abgeleitetes  Recht 
zu  verfassen,  oder  ob  die  vorhandenen  Landesgesetze  zu  compilieren 
und  bloß  die  Lücken  aus  dem  Natur-  und  Völkerrecht  zu  ergänzen 
seien,  beantwortete  die  Compilations-Commission  in  letzterem  Sinne 
und  auch  die  Kaiserin  stimmte  dem  zu.^ 

5.  Mit  der  Berathung  des  Gesetzwerkes  selbst  wurde  am 
10.  December  1753  zu  Brunn  begonnen,  wohin  die  CompUations- 
Commission  nach  dem  Tode  des  ersten  Vorsitzenden,  des  Grafen 
von  Frankenberg,  übersiedelte,  weil  nunmehr  der  Präsident  der 
mährischen  Repräsentation,  Blümegen,  an  dessen  Stelle  getreten 


8  „Von  mir  H.  de  a.  1753",  nun  gedruckt.  Cod.  Theres.:  I,  S.  14—16. 

■*  Die  Namen  s.  Cod.  Theres. :  I,  2,  Anm.  4,  später  kam  noch  Hormayr  für 
VorderösteiTeich  hinzu. 

*  Die  Gefahr,  naturrechtliche  Abstractionen  als  Gesetz  zu  erhalten,  war 
umso  größer,  als  kurz  vorher  (1746,  31.  December)  König  Friedrich  II.  von 
Preußen  nach  Coccej's  Antrag  befohlen  hatte  „ein  deutsches  allgemeines  Land- 
recht, welches  sich  bloß  auf  die  V^emunftund  Landesverfassung  gründe",  abzufassen. 

Luschin,  ÖHterreinhischc  Reichsgeschichte.  33 


514        östen*eichische  Reichsgeschichte.  IL  Theil.  Fünfte  Periode.  §  62. 

war.  Nach  Verlauf  eines  Jahres  wurde  ein  starker  Folioband,  im 
Februar  1755  ein  zweiter  und  im  Juni  1755  ein  dritter  vorgelegt, 
welche  den  ersten,  dem  Personenrecht  gewidmeten  Theil  er- 
schöpften. Diese  Weitläufigkeit  des  Entwurfs  hatte  die  Einsetzung 
einer  Coramission  zur  Überprüfung  der  Vorlage  im  Gefolge.  Da 
sich  diese  in  eine  förmliche  Umarbeitung  einließ,  während  die 
Compilatoren  zu  Brunn  ihr  Werk  in  ausführlichen  Gegenausführungen 
vertheidigten,  so  geriethen  die  Arbeiten  bald  ins  Stocken.  Auf  ein 
ungnädiges  Schreiben  der  Kaiserin  (29.  Mai  1756)  wurde  die  Auf- 
lösung der  Brünner  Commission  beantragt  und  genehmigt,  Azzoni 
und  Holger  traten  in  die  Wiener  Commission  ein,  welcher  fortan  die 
Compilierung  übertragen  wurde.  Azzoni  übernahm  die  Ausarbeitung 
des  Entwurfs,  Holger  die  Sammlung  des  Materials.  1758  wurde  der 
umgearbeitete  erste  Theil  der  Kaiserin  wieder  vorgelegt. 

6.  Die  Arbeiten  am  zweiten  Theile,  obgleich  noch  zu  Brunn 
begonnen,  gelangten  erst  viel  später  zum  Abschluss,  da  Azzoni 
kränkelte  und  im  Jahre  1761  starb.  Die  Fortsetzung  übernahm  nun 
Zenker,  der  seit  1760  als  HUfskraft  thätig  war.  Dieser  begann 
mit  dem  dritten  Theile,  brachte  dann  den  unvollendeten  zweiten 
zu  Ende  und  schloss  mit  einer  Umarbeitung  des  schon  vor- 
gelegten ersten  Theiles.  Am  25.  November  gelangte  die  letzte 
Abtheilung  sammt  dem  als  Proemium  bezeichneten  Kundmachungs- 
patent in  die  Hände  der  Kaiserin. 

Obwohl  sofort  die  Übersetzung  des  Entwurfs  ins  Czechische 
und  Italienische  angeordnet  wurde  und  diese  Arbeiten  erst  im  Jahre 
1771  eingestellt  wurden,  so  erfolgte  doch  die  erwartete  Sanction 
nicht.  Die  Kaiserin  betraute  vielmehr  den  Oberst-Landschreiber  von 
Mähren,  Hajek  von  Waldstädten,  der  schon  1753  der  Compilations- 
Commission  angehört  hatte,  mit  einem  Gutachten  und  legte  dies,  die 
Gegenbemerkungen  der  Compilations-Commission  und  den  Entwurf 
im  Jahre  1769  dem  Staatsrath  zur  Beurtheilung  vor.®  Hier  sprach  sich 
die  Mehrzahl  gegen  die  Arbeit  aus  und  erklärte  sie  „höchstens  als 
Material  für  eine  künftige  Gesetzgebung  brauchbar. "  Entscheidend 
für  den  Entschluss  der  Kaiserin  wurde  das  am  14.  October  1770 

®  Der  Staatsrath  hat  sich  von  seiner  Errichtung  an  mit  Fragen  der  Gesetz- 
gebung beschäftigt.  Schon  am  30.  Jänner  1761  beantragte  Stupan,  ,dass  mit  Zu- 
ziehung verständiger  Kaufleute  ein  gleichförmiges  Handels-  und  Wechselrecht  für 
alle  Erblande  ausgearbeitet  werden  möge.*  Arneth.  M.  Theresia,  VI[,  21. 


Compilationscommission  in  Wien:  Arbeiten  nach  Azzoni's  Tode.       515 

Tora  Staatskanzler  Kaunitz  abgegebene  Urtheil,  das  mit  unbarm- 
herziger Schärfe  die  schwachen  Seiten  des  Codex  Theresianus 
herausfand  und  namentlich  vor  der  Vermengung  eines  Lehrbuchs 
mit  einem  Gesetze  warnte. 

7.  Nun  folgten  zunächst  im  Auftrag  des  Staatsrathes  Um- 
arbeitungen des  ersten  Theiles  durch  den  Stadtrathsconcipisten 
Johann  Bernhart  Horten.  Dieser  musste  nicht  bloß  Zenker's  Arbeit 
gegen  viele  Angriffe  in  Schutz  nehmen,  sondern  auch  mancherlei 
Anträge  abwehren,  die  das  Zustandekommen  des  Werkes  in  unabseh- 
bare Ferne  zu  verschieben  suchten.  Am  4.  August  1772  befahl  die 
Kaiserin  nochmals  eine  Umarbeitung  des  Ganzen  und  ertheilte 
zugleich  eine  Instruction,  welche  fortan  für  die  Redactoren  dieses 
Oesetzes  bis  zu  seiner  Vollendung  maßgebend  blieb.  Die  in  ein  Lehr- 
buch gehörigen  Theile  und  die  casus  rariores  sollten  ausgeschieden 
und  das  Ganze  so  viel  möglich  gekürzt  und  simplificiert  werden, 
auch  sollte  das  Gesetz  nicht  ans  römische  Recht  gebunden  sein, 
sondern  überall  die  natürliche  Billigkeit  zugrunde  gelegt  werden. 

Allein  die  Arbeiten  geriethen  demungeachtet  ins  Stocken  und 
wurden  im  August  1776  ganz  abgebrochen,  ehe  sie  ans  Ende  des 
2  weiten  TheUes  gelangt  waren.  Erst  unter  Kaiser  Joseph  IL  wurden  sie 
wieder  aufgenommen;  Horten  besorgte  die  Umarbeitung  des  ersten 
Theiles,  der  1785  dem  Kaiser  vorgelegt  und  nach  einer  Revision 
des  StUs  durch  Sonnenfels,  am  31.  März  1786  sanctioniert  wurde. 

8.  Unter  Kaiser  Leopold  IL  wurde  die  frühere  Compüations- 
Commission  aufgelöst  und  eine  neue  unter  Vorsitz  des  Preiherrn  von 
Martini  zunächst  mit  der  Revision  des  Josephinischen  Gesetzes 
betraut,  sodann  ein  Auszug,  der  nur  die  Abweichungen  vom  früheren 
Gesetz  enthielt,  den  Appellationsgerichten  und  den  Universitäten 
zur  Begutachtung,  ob  der  Entwurf  „den  besonderen  wesentlichen 
Landesgesetzen  zuwider",  vorgelegt.  Hofrath  von  Kees,  der  schon 
nach  Horten's  Tode  (f  1786)  das  Referat  einmal  gehabt,  dasselbe 
jedoch  später  (1791)  an  den  Hofrath  von  Haan  abgetreten  hatte, 
und  Martini  verarbeiteten  die  eingelangten  Gutachten  und  legten 
einen  neuen  Entwurf  des  Ganzen  in  den  Jahren  1794 — 1796  dem 
Kaiser  Franz  IL  vor.  Dieser  genehmigte  denselben  und  erklärte  ihn 
durch  Patent  vom  13.  Februar  1797  zum  Gesetz  für  das  erst  kürzlich 
bei  der  dritten  Theilung  Polens  erworbene  Gebiet  von  Westgalizien, 
unter  Aufhebung  der  früheren  Privatrechtsgesetze  und  Gewohnheits- 


516         Österreichische  Reichsgeschichto.  II.  Theil.  Fünfte  Periode.  §  62. 

rechte.  Durch  Patent  vom  18.  September  1797  wurde  die  Geltung 
auch  auf  das  heutige  Königreich  Qalizien  ausgedehnt,  das  damals 
Ostgalizien  genannt  wurde.  (§  61,  9.) 

9.  Die  Einfülirung  in  Galizien  war  nur  versuchsweise  zur 
Erprobung  des  Entwurfs  erfolgt,  man  rechnete  darauf,  dass  sich  bei 
der  praktischen  Anwendung  noch  mancherlei  Zweifel  ergeben  würden 
und  bildete  eine  neue  Commission,  in  welche  der  Appellationsrath 
und  Professor  Franz  Alois  von  Zeiller*^  als  Referent  berufen  wurde. 
In  132  Sitzungen  vom  21.  December  1801  bis  22.  December  1806 
wurde  die  erste  Lesung  zu  Ende  gebracht,  die  einen  vom  west- 
galizischen  Gesetz  vielfach  abweichenden  Entwurf  lieferte,  obwohl 
Veränderungen  nur  aus  dringenden  Gründen  vorgenommen  werden 
sollten.  Die  zweite  Lesung  vom  4.  Mai  1807  bis  14.  Jänner  1808  in 
28  Sitzungen  ergab  wieder  einen  neuen  Entwurf.  Obwohl  die 
Redactoren  damit  so  ziemlich  ans  Ende  ihrer  Arbeit  gelangt  zu 
sein  hofften,  wurde  noch  eine  „Superrevision*  angeordnet,  die  in 
14  Sitzungen  vom  13.  November  1809  bis  22.  Jänner  1810  vor- 
genommen wurde.  Erst  als  die  Anstände  behoben  waren,  welche 
die  Hofkammer  in  Hinblick  auf  den  unausweichlichen  Staats- 
bankerott gegen  den  Wortlaut  der  Abschnitte  über  das  Darlehen 
erhoben  hatte,  erfolgte  am  1.  Juni  1811  die  kaiserliche  Sanction  des 
Gesetzes,  worauf  die  Kundmachung  in  den  deutschen  Erblanden  im 
damaligen  Umfange  mit  der  Wirkung  vom  1.  Jänner  1812  ergieng.  In 
den  übrigen  österreichischen  Gebieten,  welche  dazumal  zu  Bayern 
oder  zum  Königreich  Italien  gehörten,  wurde  das  Gesetz  erst  nach 
deren  Rückerlangung  in  den  Jahren  1814 — 1820,  durch  k.  Patent 
vom  7.  März  1852  in  Krakau  und  am  folgenden  29.  November  auch  in 
Ungarn  und  dessen  Nebenländern  eingeführt.  In  Ungarn  ist  dasselbe 
allerdings  schon  nach  wenigen  Jahren  außer  Kraft  gesetzt  worden, 
nicht  aber  in  dessen  Nebenländern  Siebenbürgen  und  Croatien,  wo 
das  a.  b.  G.-B.,  allerdings  ohne  die  neueren  österreichischen  Nach- 
tragsgesetze, die  Grundlage  des  geltenden  Privatrechts  geblieben  ist.* 

'  Geb.  14.  Jänner  1751  zu  Graz,  wo  er  auch  durch  drei  Jahre  Jura 
studierte,  1774  Substitut  des  Freiherm  v.  Martini,  1782  als  Ordinarius  Nach- 
folger desselben  für  Naturrecht  und  Institutionen,  1787  Ordinarius  für  Strafrecht,, 
seit  1804  wirklicher  Hofrath  bei  der  obersten  Justizstelle,  t  10*28,  23.  August  zu 
Hietzing  bei  Wien.  Wurzbach,  Bd.  59,  283. 

»  Pfaff  und  Hofmann,  S.  44. 


Publication  des  a.  b.  G.-B.  Gerichtsordnung  von  1781.  517 

10.  Nach  dem  ursprünglichen  Plane  sollte  der  Codex  There- 
sianus  als  vierten  Theil  eine  Gerichtsordnung  enthalten.  Dies 
war  der  Grund,  weshalb  die  Verfassung  einer  Gerichtsordnung 
der  schon  erwähnten  Compilations-Commission  zugewiesen  wurde. 
Referent  war  Holger,  der  an  seiner  Aufgabe  schier  verzweifelte, 
als  auf  seine  am  4.  April  1768  gestellte  Vorfrage,  ob  man  sich 
mit  zwei  Instanzen  begnügen  könne  und  bloß  gegen  verschieden 
ausgefallene  Entscheidungen  die  Revision  an  die  oberste  Justiz- 
stelle zulassen  solle,  aus  allen  Ländern  die  Antwort  eintraf,  dass 
man  an  der  Gerichtsverfassung  nichts  ändern  könne,  weü  sie  mit 
der  Länderverfassung  eng  verknüpft  sei.  Holger  ersuchte  darum  im 
Jahre  1772  mit  Anführung  seines  Alters  und  seiner  Beschäftigung 
mit  dem  Codex  Criminalis  um  Ersetzung  durch  eine  jüngere  Kraft. 
Abschlägig  beschieden,  legte  er  am  22.  Juli  1772  das  Inhaltsver- 
zeichnis der  künftigen  Gerichtsordnung  vor  und  erbat  sich  zugleich 
die  Entscheidung  über  10  Punkte,  in  welchen  österreichisches  und 
böhmisches  Processrecht  sich  gegenüber  standen;  noch  andere 
24  Vorfragen  folgten  im  Verlauf  der  Arbeit.  Auf  ein  neuerliches 
Ersuchen  Holger's  um  Enthebung  erfolgte  dann  im  Jahre  1774  die 
Ernennung  des  Regierungsrathes  Jos.  Hyazinth  Froidevo®  zum 
Referenten.  Damit  war  ein  entscheidender  Wendepunkt  in  der 
Arbeit  eingetreten.  Am  19.  April  1774  eretattete  dieser  sein  erstes 
Referat  in  der  Compilations-Commission,  die  übrigen  in  rascher 
Folge,  so  dass  der  fertige  Entwurf  in  446  Paragraphen  schon  am 
5.  September  1775  der  Kaiserin  vorgelegt  w^erden  konnte.  Obwohl 
die  Genehmigung  durch  die  Kaiserin  am  5.  September  1776  erfolgte 
und  die  Drucklegung  des  Gesetzes  mit  dem  Datum  31.  October  1776 
schon  angeordnet  war,  wussten  doch  die  Gegner  einer  einheitlichen 
Gesetzgebung  in  Österreich,  die  bis  in  die  oberste  Justizstelle 
reichten,  die  Kaiserin  zur  Rücknahme  ihrer  Sanction  zu  bewegen. 
Die  Publication  der  allgemeinen  Gerichtsordnung  als  Gesetz  für 
die  altösterreichischen  und  böhmischen  Erblande  erfolgte  darum 
erst  durch  Kaiser  Joseph  II.  nach  neuerlichen  Berathungen  am 
1.  Mai  1781. 

11.  Schon  bald  nach  dem  Erscheinen  der  allgemeinen  Gerichts- 
ordnung machten  sich  gewisse  Mängel  derselben  bemerklich,  welche 

^  Geb.  1735,  15.  Aug.,  zu  Arlesheira  in  der  Schweiz,  1764  österr.  Fisc.-Adj., 
1782  Hofrath,  f  1811,  15.  August,  zu  Weidling  bei  Wien.  -  Wurzbach,  IV,  381. 


518         Österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Fünfte  Periode.  §  62. 

unter  Kaiser  Leopold  II.  den  Auftrag  zum  Entwurf  eines  neuen 
Gesetzes  veranlassten.  Derselbe  kam  erst  nach  dessen  Tode  zu- 
stande, wurde  den  Universitäten  und  Gerichten  zur  Begutachtung 
mitgetheilt  und  nach  neuerlicher  Durchsicht  durch  die  Gesetz- 
gebungs-Hofcommission  vom  Kaiser  Franz  IL  am  19.  December  1796^ 
vorläufig  für  Westgalizien  publiciert.  Principielle  Unterschiede 
zwischen  der  allgemeinen  und  der  westgalizischen  Gerichtsordnung 
bestehen  nicht,  die  bedeutend  größere  Paragraphenzahl  (619  gegen 
437  Paragraphe)  erklärt  sich  durch  Beifügung  von  vier  neuen  Haupt- 
stücken (über  Fristen,  Process  in  Wechsel-  und  Bergwerksstreitig- 
keiten und  vor  Militärgerichten),  sowie  dadurch,  dass  die  bi& 
Ende  1796  ergangenen  Nachträge  zur  allgemeinen  Gerichtsordnung 
in  den  Text  der  westgalizischen  unmittelbar  aufgenommen  wurden. 
Man  kann  darum  sagen,  dass  in  Österreich,  wie  bezüglich  der 
Gerichtsverfassung  und  der  meisten  Processarten  Rechtseinheit,  so 
bezüglich  des  ordentlichen  schriftlichen  und  mündlichen  Procesaes 
und  des  Verfahrens  in  Handels-  und  Bergstreitigkeiten  Gleich- 
förmigkeit hergestellt  wurde.  ^° 

Im  heutigen  Königreich  Galizien  und  der  Bukowina  w^urde 
die  westgalizische  Gerichtsordnung  erst  durch  das  Patent  vom 
15.  Jänner  1807  zum  Gesetz,  sie  w^urde  ferner  1814  in  Tirol  und 
Vorarlberg,  1815  in  Istrien  und  Dalmatien,  im  Jahre  1816  in  Salzburg 
eingeführt  und  erlangte  für  Krakau  neuerdings  Gesetzeskraft  im 
Jahre  1852. 

12.  Die  Idee,  ein  gemeinsames  österreichisches  Straf  recht  zu 
schaffen,  bestand  im  Jahre  1752  noch  nicht.  Sie  ergab  sich  erst  im 
Verlauf  der  Thätigkeit  der  Compilations-Commission,  die  sich  an- 
fänglich auf  eine  Combinierung  der  peinlichen  Gerichtsordnungen 
für  Österreich  unter  der  Enns,  der  Ferdinandea,  mit  der  für  Böhmen 
erlassenen  Josephina  beschränkte  und  bei  dieser  Gelegenheit  auf 
einen  Reformentwurf  der  Ferdinandea  Rücksicht  nahm,  der  infolge 
eines  Hofbefehls  vom  Jahre  1726  durch  Bartenstein  und  Dobblhof 
ausgearbeitet  worden  war.  Als  Referenten  waren  zuerst  Azzoni  und 
Pöck,  seit  1759  Pelser  und  Mühlendorf  thätig.  Nach  Azzoni's  Tode 
wurde  dies  Amt   1761   auf  Holger  übertragen,   ^weil  er  ein  ge- 

^"  Can stein,  204,  ebcndort  S.  187  die  wichtigsten  Untei-schiede  beider 
Gericlitsoi'dnungen.  Vorübergehende  Bedeutung  hatte  eine  kleine  Gerichtsordnung, 
die  am  15.  Juni  1774  für  Galizien  erlassen  wurde.  S.  184.  Doniin,  51. 


Die  Strafgesetzgebung:  Theresiaiia,  Gesetze  Joseph's  II.  519 

schwinder  Arbeiter  ist",  der  den  ersten  Theil  am  11.  März  1766 
und  ein  Jahr  darnach  den  zweiten  Theil  vorlegte.  Die  Publication 
dieser  „Theresiana"*  genannten  Halsgerichtsordnung  als  Gesetz  fiir 
die  altösterreichischen  und  böhmischen  Erblande  und  für  die  Militär- 
gerichte erfolgte  am  31.  Deceraber  1768  mit  der  Wirksamkeit  vom 
1.  Jänner  1770  an.  Bald  zeigte  sich  jedoch  die  Noth wendigkeit,  das 
Strafrecht  auf  neue  Grundlagen  zu  stellen.  Am  2.  Jänner  1776 
wurde  die  Folter  auf  Betreiben  von  Sonnenfels  und  des  Tiroler 
Kanzlers  Hormayr  aufgehoben,  am  17.  Februar  1777  ergieng  der 
kaiserliche  Auftrag,  Arbeitsstrafen  als  Ersatz  der  Todesstrafe  in 
Vorschlag  zu  bringen.  Beides  wurde,  vom  Standpunkt  der  Ab- 
schreckungstheorie, aus  in  dem  Josephinischen  „allgemeinen  Gesetz- 
buch über  Verbrechen  und  derselben  Bestrafung"  vom  13.  Jänner 
1787  in  grausamer  Härte  verwirklicht.  In  grundlegender  Weise 
wurde  in  diesem  Gesetze  die  von  Zeiller  und  Sonnenfels  vertretene 
Scheidung  des  criminellen  Unrechts  vom  polizeilichen  anerkannt. 
Gegenstand  des  Gesetzes  waren  im  ersten  Theil  „Criminal-Ver- 
brechen",  d.  h.  Handlungen,  bei  welchen  die  Absicht  auf  Verletzung 
der  Sicherheit  im  gemeinen  Wesen  gerichtet  war,  während  schwere 
polizeiliche  Vergehen,  damals  „politische  Verbrechen  genannt", 
im  zweiten  Theil  behandelt  wurden.  Am  17.  Juni  1788  wurde 
eine  „Criminalgerichtsordnung"  in  304  Paragraphen  kundgemacht, 
nachdem  schon  vorher  (12.  Februar  1787)  eine  „Instruction  für 
die  politischen  Behörden  über  die  Anstrengung  einer  Inquisition, 
Aburtheilung  und  Strafvollziehung  wider  einen  eines  politischen 
Verbrechens  Beschuldigten"  ergangen  war. 

13.  Das  Bedürfnis  nach  einem  neuen  Strafgesetz  stellte  sich 
indessen  bald  genug  heraus,  weil  die  eingeführten  Strafver- 
schärfungen allgemeinem  Unwillen  begegneten.  Schon  wenige 
Monate  nach  dem  Tode  Kaiser  Joseph's  II.  hob  das  Hofdecret  vom 
7.  Mai  1790  die  öffentliche  Züchtigung  mit  Schlägen,  die  Brand- 
markung und  Anschmiedung  auf,  das  Schiffziehen  als  Strafe  wurde 
am  19.  Juli  desselben  Jahres  aufgehoben,  am  12.  März  1792  ano- 
nyme Anzeigen  für  verworfen  erklärt,  dagegen  die  Todesstrafe 
1795  wieder  eingeführt.  Inzwischen  war  die  Umarbeitung  gefördert 
worden  und  am  1.  Juni  1796  wurden  die  vorgelegten  Entwürfe 
eines  Strafgesetzes  und  einer  Strafprocessordnung,  die  sich  beide 
nur  auf  „Verbrechen''  bezogen,  für  Westgalizien  als  Gesetz  kund- 


520        Österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Fünfte  Periode.  §  62. 

gemacht.  Zugleich  wurden  in  den  übrigen  Erblanden  außer  Ungarn 
Commissionen  zur  Begutaclitung  des  Gesetzes  ernannt  und  deren 
Äußerungen  der  Hofcommission  zur  Erwägung  übermittelt.  Referent 
für  den  ersten  Theil,  der  in  28  Hauptstücken  das  Strafrecht,  in 
19  Hauptstücken  den  Straf process  für  Verbrechen  behandelte,  war 
Zeiller,  den  zweiten  Theil  über  , schwere  Polizeiübertretungen",  die 
im  Josephinischen  Gesetz  „politische  Verbrechen*  hießen,  arbeitete 
Sonnenfels  aus.  Am  3.  September  1803  wurde  das  Ganze  unter 
dem  Titel  ,  Gesetzbuch  über  Verbrechen  und  schwere  Polizeiüber- 
tretungen" für  alle  deutschen  Erblande  kundgemacht. 

14.  Mit  den  drei  Hauptgesetzen  von  1781,  1803  und  1811  hat 
in  ÖsteiTeich  die  mit  der  Regierung  der  Kaiserin  Maria  Theresia 
beginnende  Periode  der  großen  Codificationen  ihren  vorläufigen 
Abschluss  gefunden.  Das  allgemeine  bürgerliche  Gesetzbuch,  dessen 
Berathungen  sich  nahezu  über  sechzig  Jahre  ausdehnen,  beherrscht 
noch  heute,  fünfundachtzig  Jahre  nach  seiner  Kundmachung  durch 
Gesetzgebung,  Wissenschaft  und  Praxis  zeitgemäß  weiter  entwickelt, 
in  voller  Frische  unser  Leben.  Die  allgemeine  Gerichtsordnung  hat 
selbst  in  der  revidierten  jüngeren  Form  für  Westgalizien  ein  volles 
Jahrhundert  gegolten,  ehe  sie  durch  die  auf  anderen  Grundsätzen 
aufgebauten  Civilprocessgesetze  vom  1.  August  1895  abgelöst  wurde. 

Am  meisten  überrascht,  dass  auch  das  Strafgesetz  vom  Jahre 
1803  in  seiner  Wesenheit  sich  bis  zum  heutigen  Tage  erhalten  hat. 
Obwohl  schon  Zeiller  daran  erinnert  hatte,  dass  Strafgesetze  rascher 
veralten  und  darum  wenigstens  alle  zehn  Jahre  revidiert  werden 
sollten,  auch  die  Hofcommission  in  Justizsachen  seit  1820  mit  Vor- 
arbeiten zu  einer  Revision  beschäftigt  war,  so  begnügte  man  sich 
mit  einem  Flick  werk  von  nachträglichen  Verordnungen  bis  zum 
Erscheinen  des  noch  gegenwärtig  in  Kraft  stehenden  Strafgesetzes 
vom  27.  Mai  1852,  das  sich  jedoch  selbst  als  eine  „mit  Einschaltung 
der  durch  spätere  Gesetze  verfügten  Abänderungen  und  mit  Auf- 
nahme mehrerer  neuen  Bestimmungen"  erweiterte  neue  Ausgabe 
des  Strafgesetzes  vom  3.  September  1803  bezeichnet. 

16.  Auf  die  Zeit  dieser  großen  Gesetzgebungsarbeiten  sind 
Jahrzehnte  gefolgt,  die  sich  als  legislativ  steril  erwiesen.  Die 
Überzeugung,  nach  langjährigen  Mühen  zu  einem  guten  Gesetzbuch 
gelangt  zu  sein,  verleitet  nur  allzu  leicht,  dass  man  die  immer 
erforderliche  Fortbildung  versäumt,  auf  welcher  die  dauernde  An- 


Strafgesetz  vom  J.  1803;  Aufschwang  der  Gesetzgebung  seit  1848.     521 

wendbarkeit  eines  Gesetzes  mitten  im  unausgesetzt  wechselnden 
Leben  beruht  Auch  die  inneren  politischen  Verhältnisse  in  Öster- 
reich wirkten  ungünstig.  Die  Censur  und  der  vormärzliche  Rechts- 
unterricht führten  dazu,  dass  man  die  Mängel  der  Gesetze  entweder 
gar  nicht  oder  nur  obenhin  berührte  und  bloß  die  Vorzüge  der- 
selben preisend  hervorhob,  der  lebendige  Zusammenhang  mit  den 
Portschritten  der  Rechtswissenschaft  des  Auslands,  vor  allem 
Deutschlands  gieng  dabei  verloren.  Zwar  hatte  sich  der  Staat  schon 
1790  ein  bleibendes  Organ  für  Gesetzgebungszwecke  geschaffen, 
die  .Gesetzgebungs-Hofcommission",  die  seit  1808  überdies  in  zwei 
Abtheilungen :  für  Justiz-  und  für  politische  Gesetze  zerlegt  wurde, 
allein  dieselbe  war  so  zurückhaltend,  dass  sie  wiederholte  Anfragen 
der  Gerichte  einfach  durch  Hinweisung  auf  die  im  Gesetze  aus- 
gesprochenen Grundsätze  erledigte,  oder  nach  langen  Verhand- 
lungen „beschloss,  nichts  zu  beschließen  und  diesen  Gegenstand  auf 
sich  beruhen  zu  lassen".  In  diesem  Sinne  hat  sie  beispielsweise  den 
Entwurf  einer  Vorschrift  vom  Jahre  1821  über  Ungarns  Verhältnis 
zu  Österreich  in  strafrechtlicher  Beziehung  im  Jahre  1841 !  erledigt." 
17.  Eine  Wendung  zum  Bessern  bereitete  sich  in  den  Vierziger 
Jahren  langsam  vor.  Das  kaiserliche  Patent  vom  19.  October  1846 
zum  Schutze  des  literarischen  und  artistischen  Eigenthums,  das 
erst  durch  das  Gesetz  vom  26.  December  1895  außer  Kraft  trat, 
rauss,  nach  der  Zeit  und  den  Umständen  seiner  Entstehung  beurtheilt, 
als  ein  bedeutendes  Werk  der  Gesetzgebung  anerkannt  werden.  Noch 
erfreulicher  war,  dass  man  in  Österreich  seit  dem  Jahre  1848  die 
frühere  Sonderstellung  theilweise  aufgab  und  mit  den  Forderungen 
der  in-  und  ausländischen  Jurisprudenz  in  Fühlung  trat.  Das  Jahr 
1850  brachte  die  Publication  der  allgemeinen  deutschen  Wechsel- 
ordnung für  Österreich  nebst  einem  Gesetz  über  das  Wechsel- 
verfahren, ferner  eine  Strafprocessordnung  auf  neuen  Grundlagen : 
Öffentlichkeit,  Mündlichkeit  und  Ausspruch  der  Geschworenen,  die 
aber  allerdings  schon  nach  drei  Jahren  in  der  Strafprocessordnung 
vom  29.  Juli  1853  wieder  gutentheUs  verlassen  und  erst  durch  das 
geltende  Gesetz  vom  23.  Mai  1873  wieder  eingeführt  wurden.  1852 
wurde  eine  Jurisdictionsnorm  und  1853  eine  Gerichtsinstruction 
für  die  neu  eingerichteten  Justizbehörden  erlassen,  1854  erflossen 

11  Wahlberg,  11,  164. 


522     österreichische  Reichsgeschiehte.  II.  Theil.  Fünfte  Periode.  §  62  u.  63. 

das  geltende  allgemeine  Berggesetz  und  die  Vorschrift  über  das 
Verfahren  außer  Streitsachen,  1850,  1855  und  1871  Notariats- 
ordnungen, 1855  und  1859  die  Normen  für  den  Mandatsprocess, 
1858  für  das  Verfahren  in  Bestandstreitigkeiten,  1871  das  neue 
Grundbuchsgesetz,  1873  das  Bagatell-  und  Mahnverfahren  u.  s.  w. 

1 8.  Diese  größere  Lebhaftigkeit  der  österreichischen  Gesetz- 
gebung seit  dem  Jahre  1848  erklärt  sich  durch  den  in  den  Staats- 
einrichtungen eingetretenen  Umschwung.  Hatten  die  großen  Codi- 
ficationen  von  der  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  an,  dem  Chaos 
der  Provinzialrechte  ein  Ende  bereitet  und  zu  einem  in  den  alt- 
österreichischen und  den  böhmischen  Erblanden,  wie  auch  in 
Galizien  und  der  Bukowina  allgemein  giltigen  Reichsrecht  geführt, 
so  glaubte  man  nach  1852  die  gleichen  Gesetze  und  Einrichtungen 
auch  auf  Ungarn  ausdehnen  zu  können.  So  gelangten  also  das 
allgemeine  bürgerliche  Gesetzbuch,  die  Gerichtsordnung,  die  Aus- 
gabe des  Strafgesetzes  vom  Jahre  1852  und  die  meisten  vor- 
erwähnten Gesetze  auch  in  den  Ländern  der  ungarischen  Krone 
zur  Einführung.  Nach  dem  Jahre  1860  verloren  jedoch  diese 
österreichischen  Gesetze  ihre  Geltung  in  Ungarn,  während  sie 
in  den  ungarischen  Nebenlanden:  Siebenbürgen,  Croatien  und 
Slavonien  großentheils  noch  rechtsverbindlich  blieben,  ohne  an 
der  Weiterbüdung  durch  Acte  der  österreichischen  Gesetzgebung 
theilzunehmen. 

19.  Während  der  Codificationsarbeiten  und  durch  dieselben 
war  die  gesetzgebende  Gewalt  in  Österreich  vollends  in  die  Hände 
des  Herrschers  gekommen,  der,  eine  vorübergehende  Episode  ab- 
gerechnet, bis  zum  Jahre  1860  als  absoluter  Monarch  regierte.  Seit 
dem  Gctober-Diplom  (20.  October  1860)  ist  jedoch  die  Mitwirkung 
des  Reichsraths,  beziehungsweise  der  Landtage  bei  Acten  der  Gesetz- 
gebung verfassungsmäßig  erforderlich. 

20.  Die  mit  der  Einführung  der  allgemeinen  deutschen 
Wechselordnung  im  Jahre  1850  hoffnungsvoll  eingeleitete  Gesetz- 
gebung, welche  Rechtseinheit  zwischen  Deutschland  und  Österreich 
herzustellen  suchte,  schloss  1862  mit  der  Publication  des  aUgeraeinen 
deutschen  Handelsgesetzes  ab,  da  die  Arbeiten  zur  Herbeiführung 
einer  gemeinsamen  Civilprocessordnung  und  eines  gemeinsamen 
Obligationenrechts  im  Jahre  1866  durch  den  Austritt  Österreichs 
aus  dem  deutschen  Bunde  begraben  wurden. 


Ausdehnung  der  österr.  Gesetze  auf  Ungarn.  Österreich  um  1740.     523 


$  63.  Die  Reformen  der  österreichischen  Staatsyerwaltung  durch 

die  Kaiserin  Maria  Theresia. 

Arn  e  t  h,  Maria  Theresia,  10  Bde.,  1863—79 ;  zwei  Denkschriften  d.  Kaiserin 
Maria  Theresia  (Archiv  f.  österr.  Gesch.,  Bd.  47).  —  BeerA.,  Finanzverwaltung 
Österreichs  1749—1816  (Mitth.  d.  Inst.  f.  österr.  Geschf.,  Bd.  15,  s.  auch  Bd.  14 
und  Archiv  f.  österr.  Gesch.,  Bd.  79,  81,  82  über  Volkswirtschaft  unter  Maria 
Theresia).  —  Beidtel  J.,  Geschichte  d.  österr.  Staatsverwaltung  I  (1740—1792), 
1896,  s.  auch  S.  B.,  Bd.  7—9.  —  D'Elvert,  Zur  österr.  Verwaltungsgesch.,  1880, 
S.  339  ff. —  Dom in,  S.  32  ff.  —  Herrmann  A.,  Maria  Theresia  als  Gesetzgeberin, 
1888.  —  Hock-Bidermann,  Der öst.  Staatsrath,  1879.  —  Huber,  Rg.,  180ff.  — 
Kern,  Die  Reformen  der  Kaiserin  Maria  Theresia  (im  Histor.  Taschenbuch  1869). 
—  V.  Maasburg,  Geschichte  d.  obersten  Justizstelle  in  Wien,  1749—1848 
(1879).  —  Seidler,  147  ff.  —Wolf  A.,  Österreich  unter  Maria  Theresia,  1855. 

1 .  Unter  der  Regierung  Kaiser  Karl's  VI.  mangelte  es  nicht 
an  Anläufen  zur  Consolidierung  des  österreichischen  Staatswesens. 
Die  pragmatische  Sanction  hatte  die  mannigfachen  habsburgischen 
Erblande  in  zwei  große  Gruppen  zusammengezogen  und  diese  im 
Wege  der  Verfassung  dauernd  verbunden.  Die  Versuche  zu  noch 
größerer  Annäherung  durch  Herstellung  materieller  Rechtseinheit 
innerhalb  der  durch  geschichtliche  Entwicklung  einander  näher 
stehenden  Lande  w^aren  im  besten  Zuge,  das  Bollwerk  des  Parti- 
cularismus,  die  Macht  der  alten  Stände,  schon  stark  erschüttert. 
Die  Vereinheitlichung  der  Verwaltung  hatte  bereits  unter  Kaiser 
Joseph  I.  manchen  Fortschritt  gemacht,  nun  aber  war  infolge  der 
Steuerreformen  und  der  ersprießlichen  Wirksamkeit  der  Wiener 
Stadtbank  sogar  im  Finanzwesen  unverkennbare  Erholung  ein- 
getreten, im  Jahre  1724  selbst  das  , chronische  Deficit"  vorüber- 
gehend geschwunden.  Durch  die  unglücklichen  Kriege  des  Kaisers 
in  der  zweiten  Hälfte  seiner  Regierung  giengen  jedoch  diese  Vor- 
theile  großentheils  verloren  und  zur  Zeit,  da  Maria  Theresia  ganz 
unvorbereitet  zum  Antritt  der  Herrschaft  nach  ihrem  Vater  berufen 
wurde,  waren  die  Zustände  in  Österreich  zerrütteter  als  schon 
lange.  In  diesem  Augenblick  erwiesen  sich  die  alten  Stützen  des 
habsburgischen  Regiments,  auf  welche  man  noch  eben  erst  bei 
Aufrichtung  der  pragmatischen  Sanction  vertraut  hatte,  als  un- 
brauchbar. Das  Reich  musste,  um  überhaupt  fortbestehen  zu  können, 


524        österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Fünfte  Periode.  §  63. 

auf  eigene  Füße  gestellt  werden.  Mittel  und  Wege  zu  diesem 
Übergang  zu  finden,  war  die  große  Aufgabe,  die  der  Kaiserin 
Maria  Theresia  zufiel  und  die  sie  mit  großem  Geschick  und  Glück 
löste.  Auf  den  von  ihr  errichteten  Grundlagen  beruht  noch  heute 
gutentheils  die  Verwaltung  des  KaiseiTeiehs. 

2.  Schon  w^ährend  des  Erbfolgekrieges  hatte  Maria  Theresia  in 
den  Jahren  1742/44  die  Organisierung  des  behaupteten  Theiles  von 
Obei-schlesien  angeordnet,  indem  sie  ein  ihre  Pei-son  repräsentie- 
rendes Landesguberniura  mit  coUegialer  Verfassung  zur  Besorgung 
„des  Provinciale,  Contributionale  und  aller  anderen  Publica"  ein- 
setzte. Die  eigentlichen  Reformen  begannen  jedoch  erst  nach  dem 
Aachener  Frieden.  In  dem  Kampfe  gegen  Europa  hatte  die  Kaiserin 
ihre  Erblande  bis  auf  den  Verlust  von  Schlesien  und  Parma  behauptet, 
aber  auch  die  Einsicht  gew^onnen,  dass  eine  gründliche  Umstaltung 
der  Staatseinrichtungen  unbedingte  Nothwendigkeit  sei.  In  einer 
für  ihre  Kinder  aus  „mütterlicher  Wohlmeinung"  ausgearbeiteten 
Denkschrift  spricht  sie  es  offen  aus,  dass  sie  schon  nach  dem 
Dresdener  Frieden  (1745)  ihre  „Gedenkens  Art  geändert  und  solche 
allein  auf  das  Innerliche  deren  Länder  gewendet,  um  die  erforder- 
lichen Maaß-Reguln  zu  ergreifen,  wie  die  Teutschen  Erblande  von 
denen  so  mächtigen  beiden  Feinden,  Preußen  und  Türeken  bey 
ermangelnden  Festungen  und  haaren  Gelde  auch  geschwächten 
Armeen  noch  zu  erhalten  und  zu  beschützen  wären"*.  In  der  That 
hatte  ja  gerade  der  König  von  Preußen  der  Kaiserin  Maria  Theresia 
gegenüber  am  eindringlichsten  bewiesen,  welche  politisch-militä- 
rische Kraft  selbst  ein  verhältnismäßig  kleiner  und  schlecht  ver- 
theilter  Staat,  bei  guter  Verwaltung  in  den  Händen  eines  absoluten 
Monarchen  zu  entfalten  vermöge. 

3.  So  trafen  also  der  Zwang  der  augenblicklichen  Lage,  die 
Erkenntnis  der  Fehler  an  welchen  das  Staatswesen  krankte,  und 
der  vor  tiefgreifenden  Änderungen  nicht  zurückschreckende  kräftige 
Wille  der  Herrscherin  zusammen,  und  auch  der  richtige  Rathgeber 
war  vorhanden,  Graf  Friedrich  Wilhelm  von  Haugwitz,  der,  wie  die 
Kaiserin  selbst  schreibt,  ihr  ,  wahrhaftig  durch  die  Providenz  zu- 
geschicket  worden;  dann  just  umb  durchbrechen  zu  können  (ich) 
einen  solchen  Mann  haben  mußte,  der  ehrlich  ohne  Absicht  noch 
praedilection  und  ohne  ambition  noch  Anhang,  der  das  Gute  weil 
es  gut  erkennet  wird,  soutenieret". 


Beginn  der  Reformen  M.  Theresia'»,  Graf  Haugwitz.  525 

4.  Die  Neuerungen  begannen  zunächst  dort,  wo  sie  unab- 
weislich  waren,  beim  Heereswesen.  Es  zeigte  sich  jedoch  bald,  dass 
dem  ersten  Schritte  tiefeingreifende  Maßregeln  auf  andern  Gebieten 
zu  folgen  hatten.  Um  den  Unterhalt  des  erhöhten  Truppenstandes 
sicherzustellen,  mussten  einerseits  die  Staatseinkünfte  erhöht,  anderer- 
seits neue  staatliche  Organe  bestellt  werden.  Ersteres  von  beiden 
führte  im  weiteren  Verlauf  zur  Regelung  des  Steuer wesens  unter 
Zurückdrängung  des  ständischen  Einflusses  und  zur  Erleichterung 
der  Lage  des  Bauernstandes,  letzteres  zu  einer  Reorganisierung 
des  landesfUrstlichen  Behördenwesens.  Mit  und  neben  ergaben  sich 
Anlässe,  die  staatlichen  Gerechtsame  gegenüber  den  Ansprüchen 
der  Kirche  schärfer  heiTorzukehren,  das  gesammte  Unterrichts- 
wesen der  staatlichen  Obsorge  zuzuwenden,  die  Arbeiten  zu  ein- 
heitlicher Codificierung  des  Rechts  zu  beginnen,  die  Aufgaben  der 
staatlichen  Wohlfahrtspflege  zu  verfolgen  u.  dgl.  m.  So  dehnte  sich 
der  Kreis  der  Umstaltungen  auf  dem  Boden  der  altösterreichischen 
Erblande  und  in  der  durch  den  Verlust  von  Schlesien  verkleinerten 
böhmischen  Ländergruppe  stetig  aus,  bis  durch  eine  Häufung  von 
Verwaltungsmaßregeln  die  Macht  der  Stände  völlig  gebrochen  wurde. 
Von  da  ab  standen  der  Ausbildung  eines  einheitlich  organisierten 
und  verwalteten  Staatswesens  in  den  nun  s.  g.  „deutschen  Erb- 
landen" keine  wesentlichen  Hindernisse  mehr  im  Wege.  Die  bunt- 
scheckigen Einrichtungen  in  dem  Ländermosaik  der  habsburgischen 
Erblande  verschwanden  und  es  erhoben  sich  die  gesicherten  Grund- 
lagen eines  zunächst  im  Geiste  des  aufgeklärten  Absolutismus^ 
regierten  Einheitsstaates  Österreich. 

5.  Entscheidend  für  die  weitere  Entwickelung  des  Reiches 
war,  dass  Maria  Theresia  Ungarn  bei  ihren  auf  Umstaltung  der 
bestehenden  Verwaltungs  -  Einrichtungen  abzielenden  Maßregeln 
außer  Spiel  ließ.  Sie  erkannte  sofort  bei  ihrer  Thronbesteigung, 
dass  ihre  Stellung  diesem  Lande  gegenüber  eine  ganz  andere 
sei,  als  gegenüber  den  deutschen  und  böhmischen  Erblanden  und 
richtete  sich  darnach.  Maßgebend  für  sie  waren  die  Umstände,  unter 
welchen  die  pragmatische  Sanction,  die  Grundlage  ihrer  Herrscher- 
rechte in  Ungarn,  hier  zur  Annahme  gelangt  war.  Lag  schon  in 
der  Art  und  Weise,  wie  nach  dem  Begehren  der  ungarischen  Stände 
alle  westlichen  Erblande  einerseits  und  Ungarn  andererseits  als 
Paciscenten  auftraten,  eine  Zweitheilung  der  Verfassung  und  Ver- 


526        Österreichische  Reichsgeschichte.  II.  ThoU.  Fünfte  Periode.  §  63. 

waltung  vorgebildet,  so  hatte  Gesetzartikel  III  vom  Jahre  1722/23 
überdies  den  Ungarn  die  Aufrechthaltung  der  hergebrachten  Rechte 
in  einer  auch  die  Nachfolger  bindenden  Weise  anerkannt.  Maria 
Theresia  erklärte  darum  schon  im  Entwurf  des  Inauguraldiploraa 
ihre  Bereitwilligkeit,  in  diesem  Sinne  den  Krönungseid  zu  leisten. 
Sie  gieng  jedoch  noch  weiter  und  suchte  durch  offen  gezeigtes 
Zutrauen  das  Gefühl  dynastischer  Anhänglichkeit  in  Ungarn  zu 
befestigen,  um  jener  Politik  auswärtiger  Mächte,  zumal  Frankreichs 
den  Boden  zu  entziehen,  die  mit  der  schwankenden  Treue  dieses 
Volkes  als  politischem  Factor  bisher  gerechnet  hatten. 

6.  Leicht  gemacht  wurde  ihr  übrigens  die  Erfüllung  dieser 
Aufgabe  nicht,  denn  auf  dem  ungarischen  Reichstag  vom  Jahre  1741 
herrschte  die  Absicht  vor,  den  günstigen  Augenblick  zu  einer  aus- 
giebigen Einschränkung  der  Regierungsgewalt  zu  nützen.  Maria 
Theresia  „fühlte  die  ganze  Gefahr  ihrer  Lage  und  empfand  es 
schmerzlich,  dass  die  Ungarn  ungroßmüthig  genug  w^aren,  die 
Bedrängnis  ihrer  Königin  zur  Erpressung  neuer  Zugeständnisse 
ausbeuten  zu  wollen."  Sie  so  gut,  wie  ihre  deutschen  Berather 
sträubten  sich,  jene  nothwendigen  Zugeständnisse  an  die  Interessen 
des  Gesammtreiches  aufzugeben,  die  selbst  die  Regierung  ihrer 
Vorgänger  zu  erringen  und  zu  behaupten  wusste,  und  die  man  jetzt 
anfocht.  Noch  weniger  sollte  die  Herrschergewalt  der  ungarischen 
Könige  über  das  bisherige  Maß  hinaus  eingeschränkt  werden. 

Nach  langen  Verhandlungen  musste  die  Königin,  gegen  ihre 

^  Überzeugung,  so  manchen  Forderungen  nachgeben,  so  wenig  auch 

einige,  wie  das  Privilegium  der  immerwährenden  Steuerfreiheit  des 

Adels,  mit  den  wahren  Interessen  des  Staates  vereinbar  erschienen, 

allein  sie  war  zu  gewissenhaft,  um  selbst  diese  später  anzufechten.^ 

7.  Die  Reformthätigkeit  der  Kaiserin  hat  sich  daher  auf  ihre 
deutschen  und  böhmischen  Erblande  beschränkt.  Hier  sind  nun 
zuerst  die  Umstaltungen  des  Behördenwesens  zu  erwähnen,  die 
von  den  obersten  Stellen  bis  zu  den  Unterbehörden  sich  erstreckten. 
In  ihrer  vorerwähnten  Denkschrift  beklagt  sich  Maria  Theresia 
wiederholt  über  die  Zerfahrenheit  des  Dienstes,  die  sie  bei  ihrem 
Regierungsantritte    vorgefunden    habe.     „Die   Disharmonie   zum 

1  Arneth,  I,  Cap.  10,  11.  —  Im  königl.  Rescript  vom  23.  Juni  174:1  ver- 
sprach Maria  Theresia  nochmals  (wie  schon  1723  geschehen),  y,q%iod  ad  nonnam 
aliarum  provinciarum  non  guhemantur*^ .  Kern,  101  ff.,  197,  Anm.  6. 


M.  Theresia  und  Ungarn.  Trennung  der  Justiz  v.  d.  Verwaltung.       527 

Schaden  meines  Dienstes  wäre  so  groß  zwischen  denen  sämmt- 
lichen  Stellen",  bemerkt  sie  einmal,  „daß  ich  wie  meine  Vorfahren 
bemüßiget  wäre,  meine  mehreste  Zeit  zu  Schlichtung  dieser  dienst- 
schädlichen Disputen  anzuwenden.  Die  größte  Erbitterung  wurde 
von  Seiten  der  Ministerii  allezeit  gegen  die  Hof-Cammer  gerichtet, 
und  fast  alle  in  Uneinigkeit  stehende  Ministri  kämmen  darinnen 
überein,  solche  zu  unterdrucken".  Als  das  Hauptübel  aber  be- 
zeichnete sie,  „daß  schon  zu  selbigen  Zeiten  mehrere  Ministri  nur 
auf  ihr  eigenes  Land  gesehen.  Es  wäre  femers  ein  großer  dienst- 
schädlicher Mißbrauch,  daß  die  Capi  und  Vorsteher  von  denen 
Ständen  bezahlet  und  beliebig  remuneriret  worden**,  wodurch  diese 
in  eine  „beständige  Dependenz"  von  den  Ständen  geriethen,  auch 
hätten  sich  die  Ministri  ihrer  Vorfahren  „nur  des  erworbenen 
starken  Credits,  weniger  einer  zu  Beförderung  des  Dienstes  ge- 
reichenden Politique"  als  dazu  „bedienet,  um  das  eigene  Convenienz 
zu  befördern  und  die  Ministerial- Chargen  auf  ihre  Familie  und 
Befreundte  fortzupflanzen". 

8.  Am  15.  Jänner  1749  erfloss  das  kaiserliche  Handschreiben, 
das  den  wichtigen  Grundsatz :  Trennung  der  Justiz  von  der  poli- 
tischen Verwaltung  aufstellte,  „damit  sowohl  die  Publica  als  Judi- 
cialia  künftighin  mehrer  befördert  würden "" ;  am  1.  Mai  erfolgte,  um 
den  ewigen  Zänkereien  zu  begegnen,  die  Aufhebung  der  öster- 
reichischen und  böhmischen  Hofkanzleien  und  die  Einrichtung 
zweier  neuer  Centralstellen  für  die  Erblande  und  Böhmen,  der 
obersten  Justizstelle  als  Revisionsinstanz  und  höchste  Behörde  in 
Angelegenheiten  der  Justizverwaltung  anstatt  der  Hofkanzleien 
und  des  Directorium  in  Internis  (auch  Directorium  in  Publicis  et 
Cameralibus)  als  höchste  Verwaltungsbehörde  in  allen  Angelegen- 
heiten mit  Ausnahme  der  auswärtigen  und  des  Militärs.  Weit 
genug  war  der  Wirkungskreis  des  Directoriums,  dem  als  Organe  der 
Landesverwaltung  in  den  Provinzen  die  sogenannten  Repräsen- 
tationen (siehe  unten  11)  untergeordnet  waren.  Lange  Zeit  erstreckte 
er  sich  selbst  auf  das  Finanzwesen  und  einen  Theil  der  Steuer- 
verwaltung, da  die  Hofkammer  auf  Ungarn  und  den  Hofstaat 
beschränkt  wurde.  Für  Handel  und  Gewerbe  bestand  eine  eigene 
Commerzien-Hofcommission,  für  das  Heer  der  Hofkriegsrath,  der 
im  Jahre  1753  reorganisiert  wurde;  die  auswärtigen  Angelegen- 
heiten wurden  von  der  Staatakanzlei  geleitet,  welche  1742  von  der 


528        Österreichische  Reichsgeschiehte.  II.  TheiL  Fünfte  Periode.  §  63. 

Österreichischen  Hofkanzlei  (§  53,  6)  als  selbständige  Behörde 
abgetrennt  worden  war  und  1753  nach  den  Vorschlägen  des  neu- 
ernannten Staatskanzlers  Grafen  Kaunitz  zur  k.  k.  geheimen  Haua-, 
Hof-  und  Staatskanzlei  umgestaltet  wurde. 

9.  Neben  Haugwitz  machte  sich  in  den  Reformen  der  Kaiserin 
allmählich  der  Einfluss  des  Staatskanzlers  Grafen  (seit  1763  Fürsten) 
Kaunitz  immer  stärker  geltend.  Auf  sein  Betreiben  wurde  Ende 
1760  der  österreichische  Staatsrath  ins  Leben  gerufen,  damit  dieser 
als  „Baudirector"  dem  Bauherrn  bei  der  Neuherstellung  des  alten 
Hauses  zur  Seite  stehe.  Wiewohl  Haugwitz,  so  lang  er  lebte  (+  1765) 
die  Seele  dieses  neuen  Staatsrathes  war,  so  erfolgte  die  Neu- 
gestaltung der  Centralbehörden  doch  im  ganzen  nach  den  Vor- 
schlägen des  Staatskanzlers,  die  am  20.  November  1761  dem 
Staatsrathe  vorgelegt  wurden.  Bei  aller  Anerkennung  der  von 
Haugwitz  in  der  Verwaltung  eingeführten ,  Verbesserungen  **,  welche 
Kaunitz  auch  später  noch,  z.B.  1763  gegenüber  den  Bemühungen 
des  böhmischen  Adels  um  Wiederherstellung  des  alten  ständischen 
Regiments  nachdrücklich  in  Schutz  nahm,  wies  er  auf  die  Un- 
übersichtlichkeit des  Systems  als  Hauptmangel  hin.  Früher  habe 
es  nur  vier  Hofstellen:  die  österreichische  und  böhmische  Hof- 
kanzlei, Hof kammer  und  Hofkriegsrath  gegeben,  seither  sei  deren 
Zahl  auf  18  angewachsen.  Trotz  dieser  Zersplitterung  habe  man 
andererseits  wieder  Dinge  vereinigt,  wie  z.  B.  die  Hof  kammer  mit 
der  Banco-Deputation,  die  besser  getrennt  geblieben  wären.  Die  Tren- 
nung der  Justiz  von  der  Verwaltung  sei  beizubehalten,  andererseits 
sei  nothwendig  die  Beschränkung  des  Directoriums  auf  die  eigenen 
Verwaltungssachen,  die  Einrichtung  einer  Hof  kammer,  General- 
casse  und  einer  Rechnungskammer,  eine  Reorganisation  des  Hof- 
kriegsrathes  und  eine  solche  des  Commerzdirectoriums,  bei  welcher 
aber  den  Kauf  leuten  und  Industriellen  wenigstens  einiger  Einfluss 
auf  die  Leitung  der  sie  selbst  betreffenden  Geschäfte  gegönnt 
werden  sollte. 

10.  Seit  Beginn  des  Jahres  1762  gab  es  daher  für  die  deutsch- 
böhmischen Erblande  folgende  oberste  Verwaltungsbehörden: 

a)  Die  geheime  Haus-,  Hof-  und  Staatskanzlei  als  Ministerium 
des  Äußern  und  des  kaiserlichen  Hauses.  Demselben  untergeordnet 
waren  auch  das  im  Jahre  1749  errichtete  Haus-,  Hof-  und  Staats- 
archiv und  die  orientalische  Akademie  (1754). 


Oberste  Verwaltungsbehörden;  die  Landes  Verwaltung.  529 

b)  Der  Hof  kriegsrath  mit  seinen  drei  Abtheilungen :  Militare 
publico-politicum,  Militare  judiciale  und  Militare  oeconomicum. 

c)  Das  Directorium  in  publicis  et  caraeralibus,  das  seine  Wirk- 
samkeit in  Finanzsachen  verlor,  wurde  als  oberste  Verwaltungs- 
behörde imter  dem  Titel  einer  vereinigten  k.  k.  böhmisch-öster- 
reichischen Hofkanzlei  eingerichtet.  Im  Jahre  1776  wurden  ihr 
überdies  die  Geschäfte  der  1774  eingesetzten,  aber  nach  zwei  Jahren 
wieder  aufgehobenen  galizisch-lodomerischen  Hof  kanzlei  übertragen. 

d)  Die  seit  1749  bestehende  oberste  Justizstelle  vereinigte 
die  Aufgaben  des  obersten  Gerichtshofes  mit  jenen  des  Justiz- 
ministeriums und  sollte  namentlich  auch  in  Sachen  der  bürger- 
lichen und  Strafgesetzgebung  wirksam  sein. 

e)  Die  k.  k.  Hof  kammer  zur  Oberaufsicht,  Leitung  und  Ver- 
besserung sämmtlicher  Cameralgefälle  und  Landtagscontributionen. 

f)  Die  deutsch-erbländische  Creditsdeputation  zur  Leitung  des 
gesammten  Staatsschulden-  und  Creditwesens,  übernahm  vorerst 
auch  die  Aufgaben  einer  Generalcasse. 

g)  Die  Hofrechnungskammer  zur  Controle  der  Einnahmen  und 
Ausgaben  des  Staates  und  obersten  Leitung  des  ganzen  Staats- 
rechnungswesens. 

h)  Der  Staatsrath  als  berathende  Behörde  ohne  Executive. 

11.  Hand  in  Hand  mit  der  Reform  der  Centralbehörden  gieng 
auch  die  Umstaltung  der  Landesverwaltung,  die  jetzt  völlig  neue 
Grundlagen  erhielt.  Die  geheime  Stelle,  beziehungsweise  der  ge- 
heime Rath  zu  Graz  und  Innsbruck  wurden  aufgehoben  und  die 
Trennung  der  Justiz  von  den  politischen  Gegenständen  in  der  Art 
vollzogen,  dass  die  Justiz  den  früheren  Behörden  verblieb,  die  poli- 
tischen und  Cameralsachen  aber  ausgeschieden  und  neuen  Landes- 
behörden übertragen  wurden.  Diese,  welchen  die  Kaiserin  den 
Charakter  einer  Vertretung  der  Person  des  Herrschers  selbst  bei- 
legte, waren  der  obersten  Verwaltungsbehörde  in  Wien  (erst 
dem  Directorium,  später  der  vereinigten  böhmisch-österreichischen 
Hofkanzlei)  unmittelbar  untergeordnet  und  hießen  anfänglich  De- 
putation, dann  durch  längere  Zeit  Repräsentation  und  Kammer. 
Später  wurden  sie  in  Böhmen,  Mähren,  Steiermark  und  Tirol 
^Gubernium",  in  Österreich  unter  der  Enns  „Regierung**,  im  Lande 
ob  der  Enns,  Kärnten  und  Krain  „Landeshauptmannschaft**  genannt. 
Ihre  Einrichtung  blieb  unter  Maria  Theresia  insofern  unverändert, 

Luschin,  österreichische  Reichsgeschichte.  34 


530        österreichisclie  Reichsgeschichte.  II.  Theii.  Fünfte  Periode.  §  63. 

als  man  die  Gliederung  der  bei  ihnen  angestellten  Räthe  nach  dem 
HeiTen-,  Ritter-  und  Gelehrtenstande  noch  beibehielt,  obgleich  man 
sie  bei  den  sogenannten  Hofstellen  oder  Ministerien  als  widersinnig 
und  unzweckmäßig  schon  aufgegeben  hatte.^ 

12.  Den  Unterbau  der  politischen  Verwaltung  bildeten  die 
Kreisämter.  Es  wurde  bereits  (§  53,  t6)  erwähnt,  dass  die  in 
Böhmen  von  den  Landständen  getroffene  Kreiseintheilung  nebst  den 
Kreishauptleuten  allmählich  den  Zwecken  staatlicher  Verwaltung 
dienstbar  gemacht  wurde.  Seit  1747  begann  Maria  Theresia  auch 
eigene  Kreisämter  zu  errichten,  welche  sie  bis  zum  Jahre  1756  nach 
und  nach  in  allen  deutschen  Erblanden  einführte.  Während  die 
Landesbehörden  CoUegial  -Verfassung  hatten,  war  bei  den  Kreis- 
ämtern bloß  der  Kreishauptmann  für  den  Geschäftsgang  verant- 
wortlich, daher  ihm  auch  anfänglich  die  Aufnahme  und  Bezahlung 
des  Hilfspersonals  überlassen  blieb ;  später  wurde  dasselbe  vermehrt 
und  besser  bezahlt,  zugleich  aber  1766  die  Kenntnis  der  Polizei- 
wissenschaften, auch  „kreisämtliche  Wissenschaften*"  genannt'  für 
die  Bedienstungen  an  den  Kreisämtern  vorgeschrieben. 

Die  Kreisämter  waren  Mittelbehörden  zwischen  der  Landes- 
stelle und  den  Ortsobrigkeiten.  Sie  hatten  als  Hauptaufgabe  zu 
sorgen,  dass  die  von  den  Centralstellen  und  den  Landesbehörden 
ausgehenden  Anordnungen  im  Kreise  pünktlich  ausgeführt  wurden 
und  namentlich  den  bäuerlichen  Unterthanen  Schutz  gegen  Be- 
drückungen durch  die  Grundherrschaft  angedeihen  zu  lassen.  Da 
nun  die  Reformthätigkeit  der  Kaiserin  sich  auf  Schul-  und  Straßen- 
wesen, Handel  und  Gewerbe,  geistliche  Angelegenheiten,  die 
Landescultur,  die  Lage  des  Bauernstandes,  Auswanderung  u.  s.  w. 
erstreckte,  so  wuchsen  die  Geschäfte  der  Kreishauptleute  und  all- 
mählich auch  jene  der  Landesbehörden  immer  mehr  an,  während 
die  Kreisämter  eine  von  Pfarrern,  Klöstern,  Herrschaftsbesitzern 
und  Privatbeamten  sehr  gefürchtete  Behörde  wurden.* 

2  Arneth,  IX.  337,  Seidler,  154,  Wolf,  239. 

3  Dieselben  waren  Gegenstand  von  Lehrvorträgen  und  erschien  1776  zu 
Prag  eine  Einleitung  z.  „ki'eisämtlichen  Wissenschaft"  von  Joh.  v.  Mayern  mit 
den  Abtheilungen  „in  contributionali  in  publicis  und  in  militari,"' 

*  Die  anonym  erschienene,  ungemein  bissige  Satyre ;  Pontius  Pilatus,  Land- 
pfleger im  Judenlande  oder:  Ein  kleiner  Beitrag  zu  kreisämtlichen  Wissen- 
schaften (2.  Aufl.  1786)  schildert  diese  Verhältnisse  in  Böhmen. 


Kreisämter,  die  königl.  Repräsentation  und  die  Landstände.  531 

13.  Wie  die  Kreisämter  den  Grundherrschaften,  so  war  die 
königliche  Repräsentation  und  Kammer  den  Landständen  aufs  tiefste 
verhasst.  Mit  ohnmächtigem  Grimm  sahen  diese  ihren  Einfluss  im 
Lande  unaufhaltsam  schwinden  und  den  Wirkungskreis  der  landes- 
furstlichen  Behörden  wachsen.  Fühlten  sich  die  Landstände  durch 
das  zielbewusste  Vorgehen  der  Kaiserin  erst  bloß  beschränkt  in 
ihrer  Thätigkeit,  so  fehlte  es  später  nicht  an  Klagen  über  Ein- 
griffe in  die  Landesverfassung.  Maria  Theresia  hingegen  glaubte 
annehmen  zu  dürfen,  dass  es  mit  den  Privilegien  und  Landes- 
freiheiten, die  ja  damals  thatsächlich  auf  eine  Privilegierung  des 
landständischen  Adels  und  des  kirchlichen  Großgrundbesitzes  hinaus- 
liefen, denn  doch  nicht  so  weit  her  sei,  als  es  von  den  Lands- 
mann-Ministem, „denen  Landesfürsten  so  schreckhaft  vorgebildet" 
werde.  Denn  diese  „so  hoch  angerühmte  Privilegia  fundiren  sich 
bey  der  Sachen  genauer  Einsicht  meistens  nur  auf  denenselben 
werkthätig  nur  connivendo  eingestandene  und  von  denen  ante- 
cessoribus  confirmirte  Gewohnheiten"  und  da  in  den  Bestätigungs- 
briefen „die  Wörter  wohlhergebrachte  Gewohnheiten  sich  aus- 
gedruckter befinden,  so  kann  derenselben  Beybehaltung  mit  guten 
Recht  nur  auf  die  gute,  nicht  aber  die  übel  hergebrachte  Gewohn- 
heiten verstanden  werden."  Auch  sei  es  „gewiss,  dass  in  keinem 
Lande  die'Stände  ihre  Freiheiten  jemals  so  hoch  angezogen  haben 
würden,  wann  nicht  selbige  von  denen  Ministris,  da  deren  Autorität 
und  Ansehen  lediglich  davon  abgehangen,  kräfftigst  wären  unter- 
stützt worden." 

14.  Die  Formen  des  Ständewesens  blieben  demungeachtet 
während  der  Regierung  der  Kaiserin  erhalten,  ja  sie  wurden  sogar 
1775  in  dem  neuerworbenen  Galizien  nach  dem  Muster  der  deutschen 
Erblande  neu  eingeführt.  Allein  es  fiel  Maria  Theresia  nicht  so 
schwer,  die  Stände  ihrem  Einflüsse  zu  unterwerfen,  da  sie  von 
Anbeginn  ein  freies  Ernennungsrecht  der  „Capi"  der  Landstände 
für  sich  in  Anspruch  nahm  und  nur  solche  Personen  an  die  Spitze 
der  ständischen  Verwaltung  berief,  deren  sie  völlig  sicher  war.  So 
wurde  schon  1742  in  Krain  Graf  Anton  Josef  von  Auersperg  „ohne 
vorgehenden  Vorschlag  der  löblichen  Landstände"  zum  Landes- 
hauptmann ernannt,  der  nach  den  handschriftlichen  Mittheilungen 
eines  Zeitgenossen  so  tief  verschuldet  war,  dass  er  den  Forderungen 
des  Grafen  Haugwitz  gegenüber  keinen  ernstlichen  Widerstand  zu 

34* 


532        Osterreichische  Rcichsgeschichte.  II.  Theil.  Fünfte  Periode.  §  63. 

leisten  wagte.^  „Bei  der  im  März  1747  angeordneten  Landes- 
einrichtung ist  er  zwar  Landeshauptmann  verblieben,  aber  die  ganze 
politische  Regierung  des  Landes  an  die  aufgestellte  Repräsentation 
und  Kammer,  die  Herrn  Joh.  Seyfrid  Grafen  von  Herberstein  zum 
Prsesidenten  hatte,  übertragen  worden",  meldet  ein  zweiter.  In 
anderen  Fällen  wie  in  Mähren  besetzte  sie  diese  Posten  mit  Per- 
sonen, auf  deren  persönliche  Ergebenheit  sie  bauen  konnte,  stieß 
sie  aber  auf  Widerstand,  wie  1748  in  Österreich  ob  und  unter  der 
Enns,  so  kam  es  selbst  zur  Einsetzung  eines  landesftiratlichen 
Commissärs.  Am  schärfsten  gieng  wohl  die  Kaiserin  gegen  die 
Stände  in  Kärnten  vor,  von  welchen  sie  im  Jahre  1748  eine  Er- 
höhung des  bisherigen  Militär-Beitrags  von  200.000  fl.  auf  mehr 
als  das  Doppelte  verlangte.  Als  die  Stände,  die  schon  zugestimmt 
hatten,  dies  hinterher  widerriefen  und  der  Kaiserin  vorschlugen, 
die  ganze  Mehrlast  dem  Landmann  allein  aufzubürden,  erklärte  sie, 
dass  solch  ein  Vorschlag  nur  in  Unwissenheit  oder  Bosheit  seinen 
Ursprung  haben  könne,  und  verfügte  kurzweg  die  Sequestrierung 
der  Landeseinnahmen  und  Einhebung  der  Abgaben  jtire  regio.  Dies 
dauerte  durch  zweiundzwanzig  Jahre  bis  1770  und  dabei  zeigte 
es  sich,  dass  Maria  Theresia  den  Landständen  keine  übermäßige 
Auflage  zugemuthet  hatte,  denn  nach  Abzug  der  für  den  Staat 
erhobenen  Militärcontributionsquote  mit  451.507  fl.  30  kr/ und  Aus- 
zahlung aller  gebürenden  Bezüge  an  die  Landstände,  verblieb  noch 
immer  ein  Überschuss  von  162.331  fl.  8  kr.,  w^elcher  zur  Amorti- 
sation der  zwischen  drei  bis  vier  Millionen  betragenden  Landes- 
schulden (Domesticalschulden)  verwendet  wurde.  Dies  Beispiel 
wirkte.  Als  das  Jahr  darnach  die  Krainer  eine  Jahresquote  von 
242.457  fl.  18  kr.  auf  längere  Zeit  hinaus  zugestehen  sollten,  und  die 
an  Graf  Chotek  abgeschickten  Vertrauensmänner  der  Stände  es  als 
unmöglich  hinstellten,  ^dem  Hof  abverlangtes  obgedachtes  Quantum 
per  recessum  zu  bewilligen,  sie  wollten  aber,  sofern  es  der  Hof 
befiehlt,  schuldigstermaßen  alles  bewilligen*',  erklärte  ihnen 
Chotek  trocken,  „dass  der  Hof  expresse  befiehlt,  die  Stände  sollten 


*  Ms.  des  Franz  Freiherrn  von  Raigersfold  im  L.-Ä.  Laibach  s.  d.  1748, 
12.  Jänner  und  18.  April  1749,  dazu  die  Bemerkungen  Breckerfeld's  in  dem 
Ms.  von  Erberg's  Observationes  practica?,  das  in  den  Mitth.  d.  Jurist.  GeseUschaft 
zu  Laibach,  Bd.  II,  Heft  9,  beschrieben  ist. 


Kaiserin  Maria  Theresia  und  die  Landstände.  533 

€s  freiwillig  bewilligen,  welche  Contradictio  in  Terminis",  wie 
Raigersfeld  in  seinen  Aufzeichnungen  bemerkt, .  „sich  nicht  wohl 
combinieren  lasse".  Allein  der  Zweck  wurde  erreicht,  die  Krainer 
Landstände  bewilligten  am  30.  September  1749  die  verlangte  Summe 
im  Recesswege  und  die  Kärntnischen  hatten  wenige  Tage  vorher 
sich  zu  einem  Beitrag  von  460.000  fl.  bereit  finden  lassen. 

15.  Auf  solclie  Weise  wurden  die  Landstände  nach  und  nach 
zu  völliger  Bedeutungslosigkeit  herabgedrückt.  Die  Recesse  banden 
das  Bewilligungsrecht  auf  Jahre  hinaus  und  die  landschaftliche 
Verwaltung  verkümmerte  in  dem  Maße,  als  ihr  die  Staatsbehörden 
eine  Angelegenheit  nach  der  andern  abnahmen.  Beschleunigt  wurde 
dies  durch  die  Neugestaltung,  welche  die  kaiserlichen  Landes- 
behörden seit  dem  Jahre  1762  erfuhren.  Wohl  erhoben  die  Stände 
mehrerer  Erblande  scharfen  Widerspruch  gegen  die  noch  stärkere 
Überantwortung  der  Landesangelegenheiten  an  die  vom  Staat  be- 
soldeten und  daher  auch  nur  von  diesem  abhängigen  Beamten, 
vor  allem  die  böhmischen  Stände,  welche  sich  der  Hoffnung  hin- 
gaben, das  im  Jahre  1749  eingeführte  System  umstoßen  zu  können 
und  die  Leitung  wieder  in  die  Hand  zu  bekommen.  Allein  dieser 
Ansturm  scheiterte  an  dem  Gutachten  des  Staatsrathes,  vor  allem 
an  der  Erklärung  des  Grafen  Kaunitz,  welcher  es  offen  aussprach, 
dass  durch  eine  Begünstigung  der  Stände  wohl  seinem  persönlichen 
Vortheil  gedient  wäre,  „allein  wenn  man  Eid  und  Pflichten  vor 
Augen  hat,  so  denkt  man  zuerst  an  seinen  Souverän  und  an  die 
allgemeine  Wohlfahrt**.  Diese  aber  erfordere  eine  immer  größere 
Beschränkung  des  Adels,  „weil  die  wahre  Stärke  des  Staates  in 
dem  größten  Theil  der  Menschen,  nämlich  in  dem  gemeinen  Manne 
besteht  und  dieser  die  vorzüglichste  Rücksicht  verdient,  in  Böhmen 
aber  mehr  als  in  anderen  Ländern  unterdrückt  ist."® 

16.  Damit  war  das  Übergewicht  des  Staates  über  die  Stände 
in  der  gesammten  Landesverwaltung  entschieden.  In  einigen  Erb- 
landen, wie  in  Böhmen,  Mähren,  Tirol,  Österreich  ob  der  Enns  u.  s.  w\, 
legte  die  Kaiserin  sogar  die  staatliche  wie  die  ständische  Verwaltung 
insofern  in  die  gleichen  Hände,  als  der  Gubernial-Präsident,  der 
an  der  Spitze  der  staatlichen  Landesbehörde  stand,  gleichzeitig  als 
Oberstburggraf  oder  Landeshauptmann  auch  das  Haupt  der  Land- 

«  Arneth,  VII,  30,  Votum  dos  Grafen  Kaunitz  vom  1.  Mai  1763. 


534        Österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Fünfte  Periode.  §  63. 

Stände  war.  Anderwärts,  wie  in  Österreich  unter  der  Enns  oder  in 
Steiermark,  gieng  die  Vereinigung  nicht  so  weit/ 

Die  Landtage  wurden  noch  immer  regelmäßig  abgehalten, 
da  jedoch  durch  die  s.  g.  Steuerrecesse  vom  Jahre  1748  die  Höhe 
der  Steuern  schon  auf  eine  Reihe  von  Jahren  (meist  zehn)  fest- 
gesetzt war,  so  hatte  es  nur  formelle  Bedeutung,  dass  die  Regierung 
alljährlich  ihr  „Postulat"  um  Bewilligung  der  Steuer  in  der  ver- 
einbarten Höhe  beim  Landtage  einbrachte.  So  sanken  die  Landtage 
zur  leeren  Form  herab  und  auch  der  Wirkungskreis  der  ständi- 
schen Ausschüsse  beschränkte  sich  zum  Schluss  auf  die  Führung 
des  Giltenbuchs,  die  Einhebung  der  directen  Steuern  und  der 
zusammenschmelzenden  ständischen  Oefälle,  das  landschaftliche 
Schulden wesen,  einige  Stiftungssachen  u.  dgl.  Schon  ums  Jahr  1765 
wurde  es  als  streitig  angesehen,  ob  die  ständischen  Ausschüsse  der 
politischen  Landesstelle  coordiniert,  oder  untergeordnet  seien. 

17.  Es  wurde  früher  erwähnt,  dass  nach  dem  Aachener 
Frieden  es  nothwendig  erschien,  den  Friedensstand  des  öster- 
reichischen Heeres  zu  erhöhen  und  dass  diese  Erkenntnis  den 
unmittelbaren  Anstoß  zur  Einleitung  der  Reformen  der  Kaiserin 
Maria  Theresia  gegeben  hat.  Nach  den  Berathungen  eines  Marschall- 
rathes  war  die  Aufstellung  eines  Heeres  von  108.000  Mann  in 
Friedenszeiten  für  die  deutschen  und  ungarischen  Erblande  be- 
schlossen worden,  das  seine  Ergänzung  in  herkömmlicher  Weise  durch 
Werbung  einerseits,  durch  Stellung  von  Recruten  durch  die  Stände 
andererseits  erhalten  sollte.  Allein  schon  1753  wurde  den  Erblanden 
die  Stellung  einer  Ersatzmannschaft  von  24.000  Mann,  der  s.  g. 
perpetuirlichen  Completierungsmannschaft,  auferlegt.  Diese  Reserve- 
mannschaft wurde  in  Friedenszeiten  nach  ihrer  „Assentierung* 
bei  Haus  und  Hof  belassen,  konnte  auch  nach  vorgängiger  An- 
meldung beim  Kriegscommissariate  von  den  Landesobrigkeiten 
in  Privatdienste  übernommen  werden  und  erhielt  als  einziges  Ab- 
zeichen eine  rothe  Halsbinde.  Von  drei  zu  drei  Jahren  sollten 
Ergänzungen  der  Lücken  stattfinden,  inzwischen  aber  in  vier 
Monaten  des  Jahres  an  allen  Sonn-   und  Feiertagen  militärische 


7  Toman,  Böhm.  Staatsrecht,  107  flf,  114.  D'Elvert,  Zur  österr.  Ver- 
waltungsgeschichte, 397;  k.  k.  Staats-  und  Standeskalender  für  1765;  k.  k.  i.-ö. 
Instanzenkalender  für  1777;  k.  k.  o.-ö.  Hof-  und  Landesstellen  -  Schematismus 
von  1780.  —  Beer,  in  d.  Mitth.  d.  Instit.,  XV,  275. 


Reformen  des  Heerwesens,  die  Militärgrenze.  535 

Exercitien  vorgenommen  werden.  In  Kriegszeiten  war  diese  Reserve- 
mannschaft in  den  Kreisstädten  zusammen  zu  ziehen  und  in  die 
ausrückenden  deutschen  Infanterieregiraenter  einzutheilen. 

18.  Zur  Vergrößerung  des  Feldheeres  wurde  auch  eine  gründ- 
liche Umstaltung  der  Einrichtungen  in  der  Militärgrenze  vorge- 
nommen: Zuerst  (November  1743)  wurde  der  i.-ö  Hofkriegsrath 
aufgehoben  und  in  Graz  ein  Militärdirectorium  aufgestellt,  das  nebst 
dem  i.-  ö.  Generalcoramando  dem  Feldmarschall  Prinzen  von  Sachsen- 
Hildburghausen  übertragen  wurde.  Nicht  ohne  heftigen  Widerspruch 
wurde  die  Grenzverwaltung  den  i.-ö.  Ständen  abgenommen  und 
nach  seinem  neuen  Plane  eingerichtet.  Der  Anfang  wurde  1746  in 
Croatien  gemacht.  Die  in  den  Grenzlanden  angesiedelten  Serben, 
Wallachen,  Amanten  u.  s.  w.,  die  schon  vorher  Dienste  als  Grenz- 
miliz geleistet  hatten,  wurden  nun  districtsweise  zu  Regimentern 
zusammengefasst  und  erhielten  ihre  Officiere  auch  für  die  Friedens- 
zeiten, sie  waren  also  zugleich  Landbauern  und  Soldaten.  Im  ganzen 
wurden  so  siebzehn  Infanterie-  und  sechs  Husarenregimenter  ge- 
schaffen, welche  sich  selbst  ergänzten  und  in  Fried enszeiten  nur 
geringe  Auslagen  machten.  Bedeutende  Veränderungen  im  öster- 
reichischen Heerwesen  traten  nach  Beendigung  des  siebenjährigen 
Krieges  ein :  Die  Recrutierung  wurde  jetzt  als  ordentliche  Ergänzung 
des  Heeres  erklärt,  die  „Seelenconscription"  eingeführt  und  jedem 
Regiment  sein  besonderer  „Werbbezirk**  angewiesen.  Die  früher 
übüchen  Dienstcapitulationen  wurden  für  „angeworbene"  Unter- 
thanen  abgeschafft,  diesen  also  beständige  Dienstpflicht  auferlegt, 
wobei  allerdings  zu  berücksichtigen  ist,  dass  für  Dienstuntaugliche 
durch  Einrichtung  des  „General-Invaliden-Systema"  vom  Jahre  1750 
einigermaßen  vorgesorgt  war  und  dass  der  einzelne  Soldat  durch 
Stellung  eines  Ersatzmannes  seinen  Abschied  erlangen  konnte.  Zur 
Ergänzung  auf  den  Kriegsfuß  hatte  überdies  in  Friedenszeiten  jedes 
Regiment  640  Mann  in  seinem  Werbbezirk  auf  unbestimmten  Urlaub 
zu  führen.® 

19.  Als  nothwendige  Folge  der  Umgestaltungen  der  Kriegs- 
macht ergab  sich  auch  eine  Reorganisation  des  gesammten  Finanz- 
wesens. Schon  die  Erhöhung  des  Heeresstandes  in  Friedenszeiten  auf 
108.000  Mann  war  nur  unter  der  Voraussetzung  möglich,  dass  die 


ö  Meynert,  Gesch.  d. Kriegswesens  in  Europa,  III,  127  ff.  283  ff. Wolf,  225 flf. 


536        Österreichische  Reichsgeschichte.  IL  Theil.  Fünfte  Periode.  §  63. 

dem  Unterhalt  der  Truppen  gewidmeten  Länder-Contributionen  sehr 
bedeutend  —  nach  dem  ersten  Ansehlag  von  9  auf  14  Millionen  — 
gesteigert  werden  könnten,  was  wieder  ohne  eine  Einschränkung  der 
bestehenden  Steuerprivilegien  des  Adels  undenkbar  war.  Wider 
das  Erwarten  der  Meisten  gelang  es  dem  Grafen  Haugwitz,  die  über- 
wiegende Mehrzahl  der  Stände  den  Wünschen  der  Kaiserin  gefügig 
zu  machen,  so  dass  die  deutschen  Erblande  durch  Recesse,  die  mit 
jedem  Land  besonders  geschlossen  wurden,  je  auf  zehn  Jahre  hinaus 
zusammen  12,734.000  fl.  jährlich  bewilligten.  Zur  Erleichterung  der 
übernommenen  Mehrlast  wurden  einzelne  landesfurstliche  Gefälle 
auf  die  Recessdauer  sei  es  aufgehoben,  sei  es  den  Ständen  über- 
wiesen, auch  manchen  Ländern  die  Einhebung  einer  ständischen 
Vermögenssteuer  gestattet,  außerdem  auf  alle  üblichen  Natural- 
leistungen der  Länder  für  Militärzwecke,  die  Einquartierungen  aus- 
genommen, verzichtet.  Bei  der  Erneuerung  der  Recesse  im  Jahre 
1 758  wurden  diese  Contributionssummen  abermals  erhöht  und  bald 
darauf  einige  der  oberwähnten  Gefälle  den  Ständen  wieder  ab- 
genommen und  „incammeriert". 

20.  Die  Reformen  der  Kaiserin  Maria  Theresia  auf  dem  Gebiet 
der  Realsteuern  haben  zu  keiner  völligen  Neugestaltung,  sondern 
nur  zur  Beseitigung  der  gröbsten  Mängel  geführt.  Die  Grundlagen 
dieser  Steuern,  die  von  Provinz  zu  Provinz  verschieden  waren, 
blieben  demnach  noch  unberührt.  Anders  verhält  es  sich  mit  den 
Personalsteuern.  Hier  geschah  unter  Maria  Theresia  der  Fortschritt 
von  den  überkommenen  Formen  der  Vermögens-  und  der  classifi- 
cierten  Kopfsteuer  zu  richtigeren  Steuerarten,  d.  i.  zur  classificierten 
und  selbst  zur  reinen  Einkommensteuer.  Ebenso  erfuhren  die 
indirecten  Abgaben  und  Verkehrssteuern  eine  entsprechende  Fort- 
bildung. Es  zeigt  sich  das  Bestreben,  Ordnung  in  das  Wirrnis  der 
alten  Aufwandsteuern  zu  bringen  und  diese  durch  einfachere, 
technisch  wie  steuerpolitisch  zweckmäßigere,  neue  Steuern  zu  er- 
setzen, diese  letzteren  aber,  sowie  insbesonders  das  ganze  Zoll- 
wesen für  die  Gesammtheit  der  Erblande  möglichst  einheitlich  zu 
gestalten,  ja  überhaupt  die  wirtschaftliche  Verschmelzung  dieser 
Länder  durch  die  Steuergesetzgebung  in  jeder  Weise  zu  fordern. 
Die  Erkenntnis,  dass  man  bei  Vertheilung  der  Steuerlast  auf  die 
Leistungsfähigkeit  der  verschiedenen  Bevölkerungsclassen  Rück- 
sicht nehmen  müsse,   führte  zur  Erhöhung  der  Steuer-  und  Zoll- 


Reformen  im  Finanzwesen.  Sorge  für  Handel  und  Industrie.  537 

Sätze  für  Bedarfsartikel  der  höheren  Classen  und  zu  stärkerer 
Heranziehung  bei  Qebüren  und  Verkehrssteuern  (Erbsteuer,  1759) 
sowie  zur  Aufhebung  der  Befreiungsprivilegien  des  Adels.® 

21.  Die  Staatseinnahmen  in  Österreich -Ungarn,  deren  Rein- 
ertrag raa»  im  Jahre  1754  auf  weniger  als  30  Millionen  schätzte, 
haben  sich  auf  diese  Weise  während  der  Regierung  der  Kaiserin  wohl 
verdoppelt,  der  Staatshaushalt  war  geordnet,  man  konnte  in  den 
letzten  Jahren  Maria  Theresias  sogar  mit  Rückzahlungen  der  Staats- 
schuld beginnen.  ^°  Allein  Maria  Theresia  suchte  auf  der  anderen 
Seite  auch  die  Steuerkraft  der  Unterthanen  durch  zweckmäßige  Ver- 
waltungsmaßregeln zu  erhöhen  und  namentlich  durch  Belebung  der 
Industrie  einen  wirtschaftlichen  Aufschwung  Österreichs  herbeizu- 
führen. Seit  1746  bestand  für  Handelsangelegenheiten  ein  Commerz- 
directorium,  das  im  Jahre  1753  zu  einer  mit  dem  Directorio  in  publicis 
et  cameralibus  vereinigten  Hofstelle  erklärt,  im  Jahre  1762  vorüber- 
gehend sogar  zu  einer  selbständigen  Hofstelle  erhoben  wurde,  der 
als  Aufgabe  zukam,  „wie  das  Wachsthum  der  inländischen  Cultur, 
die  Erhebung  der  Manufacturen,  die  Emporbringung  des  Commercii, 
mithin  die  wesentliche  Wohlfahrt  dero  getreuesten  Erblande  und 
Unterthanen  zu  befördern  sei.""  In  den  einzelnen  Ländern  wurden 
seit  1749  Commerzconsesse  und  Commerz-Commissionen  gebüdet, 
iaPrag  1753  ein  eigenes  Manufactur-Collegium  gegründet,  später 
seit  1772  aber  deren  Aufgaben  den  Landesgubernien  übertragen. 
Es  wurden  ferner  in  Böhmen,  Mähren  und  in  Österreich  unter  der 
Enns,  wo  sich  die  Industrie  zueret  entwickelt  hatte,  staatliche 
Manufactur-,  beziehungsweise  Fabriksinspectoren  seit  1757  ernannt, 
welche  ihre  Bezirke  zu  bereisen  und  ihre  Wahrnehmungen  über  die 
Zahl  und  den  Betrieb  der  Fabriken,  den  Absatz  ihrer  Erzeugnisse 
u.  s.  w.  an  die  politischen  Landesstellen  zu  berichten  hatten,  Auf- 
gaben, welche  später  (1772)  an  die  Kreisämter  kamen.  Bei  diesen 
industriefreundlichen  Bemühungen  gieng  sogar  der  Staat  noch  viel 
weiter  als  heutzutage,  indem  er  Dinge  in  den  Bereich  seiner  Ver- 
ordnungen  zog,   die  man  jetzt  ruhig  dem  Fabrikanten  überlässt. 


®  Mensi  im  Staatswörterbuch  II  unter  Finanzgeschichte ,  Tschinko- 
witz,  I;  Wagner,  §  40  ff ;  Wolf,  277  ff. 

>o  Pütter,  Handbuch  d.  deutschen  Staaten,  1758,  S.  219,  Anm.  4,  schätzt 
die  Österr.  Einkünfte  unter  Kaiser  Karl  VI.  auf  25  Mili.  —  M  en  si  a.  a.  0.,  S.  479, 
beziffert  sie  fürs  J.  1781  auf  57,660.000  fl.   —    Andere  Ziffern  bei  Wolf,  283. 


538         Österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Fünfte  Periode.  §  63. 

Man  denke  nur  an  die  verschiedenen  Garn-  und  Leinwandordnungen, 
welche  nicht  bloß  Anweisungen  über  den  Flachsbau  überhaupt, 
sondern  auch  über  dessen  Behandlung  beim  Rösten,  Spinnen  u.  s.  w. 
enthalten,  oder  an  die  Belehrung  über  Papier  -  Erzeugung,  die 
mit  dem  Abschnitte  „von  dem  Unterschiede,  Aussuchen  und  der 
Zubereitung  der  Lumpen,  Fetzen  und  Hadern"  beginnt  und  den 
ganzen  Gang  der  Papierfabrication  beschreibt  u.  dgl.  m., 

22.  Ergänzt  wurden  diese  auf  Hebung  des  Volkswohlstandes 
abzielenden  Anordnungen  durch  eine  umfassende  Regelung  des 
Verkehrswesens.  Zur  Behebung  der  Schiffahrts-Hindernisse  auf  der 
Donau  wurde  ein  eigener  Navigationsdirector  bestellt,  dem  entlang 
des  Flusslaufes  mit  Wohnsitzen  von  Linz  bis  Semlin  acht  Navi- 
gations-Ingenieure untergeben  waren.  Treppelwege  wurden  nicht 
bloß  längs  der  Donau  unterhalten,  sondern  entstanden  auch  an  der 
Save  und  anderwärts.  In  Landesculturangelegenheiten  wurde  die 
Hegung  der  Wälder  angeordnet,  die  Anpflanzung  von  Maulbeer- 
bäumen und  Hopfenplantagen  begünstigt,  die  Bienenzucht  ge- 
fördert u.  s.  w.^^ 

23.  Nicht  minder  als  die  Hebung  der  -materiellen  Cultur  ließ 
sich  Maria  Theresia  auch  die  Förderung  des  Unterrichtswesens 
angelegen  sein.  An  ihrem  Leibarzte  Gerhard  van  Swieten  hatte  sie 
einen  Reformator  des  höheren  Unterrichtswesens  gefunden.  Das  alfe 
corporative  Gefüge  der  Universitäten  wurde  geändert  und  diese 
dem  Geiste  der  Aufklärungsperiode  entsprechend  zu  öffentlichen 
Anstalten  umgebildet,  deren  Zustände  vom  Staate  geregelt  wurden; 
Auch  die  Wissenschaft  trat  in  den  Dienst  des  Staates ;  jeder  Professor 
hatte  nicht  mehr  und  nicht  anders  zu  lehren,  als  es  der  Staat 
anordnete,  das  Vorlesebuch  war  ihm  vorgeschrieben  wie  seine 
Amtsinstruction,  welche  er  eigenmächtig  nicht  ändern  durfte.  Eine 
Reform  des  Gymnasialunterrichts  folgte  und  da  Maria  Theresia  es 
als  Regentenaufgabe  ansah,  „dass  jedem  Unterthan  nach  seinem 
Stand  und  Beruf  der  nöthige  Unterricht  ertheüt  werde",  so  nahm 
sie  auch  die  Organisation  des  Volksschulwesens  für  den  Staat  in 
Anspruch,  die  sie  durch  den  Abt  Felbiger  aus  Sagan  in  Preußisch- 


"  Arneth,  IX,  447  ff.  —  Beer,  Österr.  Industriepolitik  im  Archiv,  Bd.  Si. 
und  Mitth.  XV,  273  ff.  —  Mischlerim  österr.  Staats  Wörterbuch  U  unter  Gewerbe- 
Inspection  —  Unparteiische  Gedanken  über  die  österr.  Landesökonomie,  1750 
(Anhang  zu  Hörnigk's  Österreich  über  alles,  Ausgabe  1750). 


Sorge  fürs  Unterrichts wesen ;  Verhältnis  zwischen  Staat  u.  Kirche.     539 

Schlesien  entwerfen  ließ.  Sofort  nach  der  Genehmigung  seines  Planes 
am  6.  Dec.  1774  wurden  in  allen  östen^eichischen  Ländern  Schul- 
commissionen aus  Staatsbeamten,  Geistlichen  und  Schulmännern 
gebildet,  in  den  Provinzial-Hauptstädten  Normalschulen,  dann  in 
andern  Städten  Hauptschulen,  auf  dem  Lande  aber  Trivialschulen 
errichtet.  Die  oberste  Leitung  des  ganzen  Studienwesens  aber  war 
seit  1760  einer  eigenen  Studien-Hofcommission  übertragen,  die 
jedoch  1778  ihren  Wirkungskreis  als  selbständige  Behörde  verlor 
und  der  Hofkanzlei  untergeordnet  wurde. ^^ 

24.  Schon  die  Reformen  im  Unterrichtswesen  berührten  ein 
Gebiet,  auf  dem  sich  die  Interessen  des  Staates  und  der  Kirche 
mannigfach  kreuzten.  Die  Universitäten  waren  anfangs  bis  auf 
wenige  Lehrstühle  noch  in  den  Händen  der  Jesuiten,  die  Gym- 
nasien hatten  Jesuiten  und  Piaristen  zu  Lehrern,  die  Volks- 
schulen unterstanden  früher  ausschließlich  geistlicher  Leitung.  So 
tief  religiös  die  Kaiserin  gesinnt  war,  sosehr  sie  jedes  schroflfe  Auf- 
treten gegen  kirchliche  Personen  und  Einrichtungen  vermied,  war 
sie  doch  weit  davon  entfernt,  etwas  von  den  Rechten  aufzugeben, 
die  der  Staat  im  Laufe  der  Zeit  der  Kirche  gegenüber  erworben 
hatte.  Schon  1752  erklärte  Maria  Theresia,  dass  sie  als  suprema 
advocata  ecclesiarum  den  Unordnungen  in  der  Verwaltung  des 
Kirchenvermögens '  ein  Ende  machen  müsse.  Sie  verfügte  darum 
die  Vorlage  der  Kirchenrechnungen  und  befahl  1756  eine  Unter- 
suchung des  Vermögensstandes  aller  geistlichen,  wie  weltlichen 
milden  Stiftungen.  Das  Asylrecht  der  geweihten  Plätze  wurde  1775 
aufgehoben,  die  Auflage  äußerlicher  Kirchenbußen  von  der  Erlaubnis 
der  Regierung  abhängig  gemacht  1779.  Schon  vorher,  1755,  hatte 
sie  Anzeige  bei  Hof  von  jeder  beabsichtigten  Excommunication 
verlangt,  die  Wallfahrten  wurden  eingeschränkt,  mit  Zustimmung 
des  Papstes  eine  zweimalige  Verminderung  der  kirchlichen  Feier- 
tage angeordnet.  Man  sieht,  die  kirchliche  Gesetzgebung  der  großen 
Kaiserin  unterscheidet  sich  von  der  als  Josephinismus  bezeichneten 
Richtung  ihres  Sohnes  kaum  in  ihrem  Inhalt,  allein  sie  wählte 
weniger  verletzende  Formen  und  war  auch  nicht  überhastet.^^ 


»2  Arneth,  Bd.  9:  H eifert,  Die  Gründung  d.  österr.  Volksschule  durch 
Maria  Theresia,  1860;  Wolf,  438  ff. 

18  Friedber^,  Grenzen,  I,  137;  Kern,  S.  142  f;  Wolf,  376. 


540     österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Fünfte  Periode.  §  68  u.  64. 

25.  Und  noch   auf  einem  Gebiete,  auf  welchem   man  den 
Namen  ihres  Sohnes  vor  allem  nennt,  hat  Maria  Theresia  schon 
Großes  geleistet :  gemeint  sind  ihre  Bemühungen,  die  sich  auf  die 
Erleichterung  der  gedrückten  Lage  des  Bauernstandes  bezogen. 
Dass  die  Steuerreformen  vor  allem  auf  eine  stärkere  Belastung 
der  wirtschaftlich  kräftigeren  oberen  Classen  abzielten,  wurde  schon 
hervorgehoben.  Bald  wurden  jedoch  auch  die  Schuldigkeiten  und 
Dienste  der  Unterthanen  an  ihre  Herrschaften  der  staatlichen  Auf- 
sicht und  Einschränkung  unterzogen.  Zur  Untersuchung  der  Be- 
drückungen der  Unterthanen  durch  die  Wirtschaftsämter  wurde  1748 
in  Böhmen  insonderheit  in  re  tributaria  das  Judicium  delegcUum  in 
causis  mbditoriim  eingerichtet,  später  waren  namentlich  die  Kreis- 
ämter mit  dem  Schutze  der  Unterthanen  betraut.  Es  ergiengen  für 
Böhmen,  Mähren  und  Schlesien  in  den  Jahren  1771  -1775  Robot- 
patente, um  die  ärgsten  Missbräuche  zu  beseitigen,  ja  es  scheint, 
dass  Maria  Theresia  zu  noch  entschiedeneren  Maßregeln  neigte,  die 
aber  durch  die  adeligen  Grundherren  vereitelt  wurden,  denen  die 
Umstimmung  des  Kaisers  Joseph  IL  gelungen  war.  „Ich  glaube**, 
schrieb  sie  am  30.  Jänner  1777  über  die  in  Böhmen  ausgebrochenen 
Unruhen  an  ihren  dritten  Sohn,  Erzherzog  Ferdinand,  „dass,  wenn 
der  Kaiser,  ich  sage  nicht  mich  unterstützen,  sondern  nur  neutral 
bleiben  wollte,  ich  es  noch  erreichen  könnte,  die  Leibeigensehaft 
und  die  Prohnen  abzuschaflFen.   Dann  würde  sich  noch  alles  bei- 
legen lassen.  Aber  unglücklicherweise  haben  sich  diese  Herren,  als 
sie  sahen,  dass  ich  mir  nicht  mehr  imponieren  lasse,  auf  die  Seite 
des   Kaisers   geworfen".    Vierzehn  Tage  darnach   berichtete  sie 
an   dieselbe  Adresse:    ., Die 'Unterdrückung  der  armen  Leute  sei 
erwiesen,   man  hätte  also  billigere  Grundsätze  aufstellen  müssen. 
Ich  war  auf  dem  Punkte  ihrer  Durchführung,  als  die  Grundherren, 
zu  denen,  nebenbei  bemerkt,  alle  Minister  geliören,  den  Kaiser 
wieder  schwankend  zu  machen  wussten.  Schritt  für  Schritt  haben 
sie  es  verstanden,   das  ganze   Reformwerk  von  zwei  Jahren  zu 
vernichten. ''^^ 

„Durch  eine  Menge  theil  weise  sich  kreuzender  Strebungen 
und  Gegenstrebungen,  durch  eine  rastlos  schaffende,  zuweUen  sich 
gegenseitig  aufhebende  Thätigkeit",  bemerkt  Kern,  „ist  der  Aus- 

1*  Fournier,  Histor.  Studien,  1885,  S.  40.  —  Grünberg,  Die  Bauern- 
befreiung in  Böhmen  u.  s.  w.,  I,  142  ff. 


Sorge  für  den  Bauernstand.  Anfange  Kaiser  Josephs  IL  541 

gang  von  Maria  Theresia  s  Regierung  gekennzeichnet.  Es  war  eine 
gährende  Welt,  welche  zu  jener  Stagnation,  die  vor  1740  in  Öster- 
reich herrschte,  in  einem  keineswegs  unerfreulichen  Gegensatz  stand. 
Wohl  schien  durch  die  sich  überstürzende  Hast  und  die  unreife 
Leidenschaftlichkeit  der  bald  ausschließlich  tonangebenden  Männer 
das  große  Werk  der  Theresianischen  Reformjahre  gefährdet.  In 
Wahrheit  aber  haben  alle  folgenden  Stürme  diese  dauerhafte  Grund- 
lage des  österreichischen  Staatsbaues  nicht  zu  verwüsten  vermocht." 

§  64.  Die  Reformen  Kaiser  Joseph's  U.  (1780-1790.) 

Literatur  b.  Krones,  Grundriss,  755  flf.  —  Beidt  el,  1, 193  ff.  —  Domin,  89  ff. 
—  D*Elvert,  Verwaltungsgeschichte,  436  ff.  —  Fournier,  Studien,  129  ff.  — 
Huber,  Rg.,  205,  Die  Politik  Kaiser  Joseph's  IL,  beurtheilt  von  seinem  Bruder 
Leopold,  1877.  —  Seidler,  167  ff.  --  Springer  A.,  Geschichte  Österreichs 
seit  18C9,  Bd.  L,  1863.  —  Wendrinsky,  K.  Joseph  IL,  1880.  —  Wolf  und 
Zwiedineck,  Österreich  unter  Maria  Theresia,  Joseph  IL  u.  Leopold  II.,  1884 
(in  Onckens  allg.  Geschichte,  3.  Hauptabtheilung,  9.  Bd.). 

1.  Am  29.  November  1780  starb  Österreichs  große  Herrscherin, 
die  Kaiserin  Maria  Theresia.  Ihr  Sohn  und  Nachfolger  Joseph  IL, 
seit  1764  römischer  König,  seit  1765  römisch  -  deutscher  Kaiser 
und  Mitregent  in  den  Erblanden,  stand  damals  im  vierzigsten  Jahre, 
hatte  jedoch  bisher  größeren  Einfluss  nur  in  Militärsachen  und  zum 
Theil  in  der  auswärtigen  Politik  gehabt,  während  die  Leitung  der 
inneren  Angelegenheiten  seine  Mutter,  solange  sie  lebte,  fest  in  der 
Hand  behielt.  Allein,  wir  wissen,  dass  Joseph  IL  dies  nur  schwer 
ertrug.  Als  er  sich  in  seiner  Hoffnung,  seine  eigenen  Ansichten 
einführen  zu  können,  getäuscht  sah,  ; opponierte  er,  wo  er  konnte, 
und  verweigerte  es  endlich,  seinen  Namen  unter  Decrete  zu  setzen, 
die  seinen  Überzeugungen  widersprachen.  Es  entstand  ein  Zwiespalt, 
der  sich  im  Laufe  der  anderthalb  Jahrzehnte  bis  an  den  Tod  der 
Kaiserin  immer  mehr  verschärfte  und  nur  dadurch  ohne  schädliche 
Wirkung  auf  die  Geschäfte  blieb,  dass  Maria  Theresia  fest  bei  ihrer 
Regierungspraxis  verharrte,  Kaunitz,  der  einflussreichste  Minister, 
vermittelte  und  Joseph  in  den  meisten  Fällen  nachgab,"  dabei  aber 
seine  Meinung  über  die  Schäden  der  Verwaltung  und  ihre  mögliche 
Heilung  in  Denkschriften  seiner  Mutter  gegenüber  aussprach. 

2.  Es  ließ  sich  wohl  erwarten,  dass  Kaiser  Joseph  IL,  einmal 
zur  Alleinherrschaft  gelangt,  mit  seinen  Reformplänen  nicht  lange 


542        Österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Fünfte  Periode.  §  64. 

zurückhalten  würde.  „Die  Kaiserin  ist  nicht  mehr,  eine  neue  Ord- 
nung der  Dinge  beginnt",  sagte  König  Friedrich  IL  von  Preußen 
auf  die  Nachricht  vom  Tode  Maria  Theresia's,  und  so  verhielt  es  sich 
auch  in  der  That.  Das  altösterreichische  Regierungssyatem  hatte 
das  aus  so  verschiedenen  Volks-  und  Staatselementen  bestehende 
Reich  bei  möglichst  geringer  Schädigung  der  historischen  Sonder- 
rechte der  einzelnen  Länder,  durch  eine  starke  dynastische  Regierung 
unter  Mithüfe  eines  bevorrechteten  Gesaramtadels  und  einer  reich 
bedachten  katholischen  Priesterschaft  als  ausgleichenden  Elementen, 
zusammenzuhalten  gesucht.  Davon  war  bereits  Maria  Theresia, 
obschon  in  demselben  aufgewachsen,  mehrfach  abgewichen.  Der 
Ausgang  des  Erbfolgekrieges  und  das  Beispiel  Preußens,  hatten  der 
Kaiserin  die  Erkenntnis  gebracht,  dass  Österreich  in  der  bisherigen 
Weise  nicht  mehr  weiter  regiert  werden  könne.  Darum  entschloss 
sie  sich  zu  Reformen  im  Sinne  einer  straflFeren  Vereinigung  der  Ver- 
waltung, allein  sie  gieng  dabei  behutsam  zuwerke,  wie  ein  Bauherr, 
der  ein  zerfallendes  weitläufiges  Gebäude  bei  möglichster  Schonung 
der  gesunden  Bauglieder,  durch  theilweisen  Wiederaufbau  und  Hin- 
zufügung neuer  Bautheile  dauerhaft  und  wohnlich  herstellt.  So  hatte 
Maria  Theresia  zwar  den  Landständen  die  wichtigsten  Rechte  that- 
sächlich  abgenommen,  jedoch  die  früheren  Formen  landständischer 
Verwaltung  bestehen  lassen.  Die  Stellung  des  Adels  hatte  mancherld 
Beschränkungen  zu  Gunsten  der  Allgemeinheit  erfahren  und  doch 
war  er  der  weitaus  bevorzugte  Stand  im  Staate  geblieben;  der 
katholischen  Kirche  gegenüber  hatte  die  Kaiserin  die  staatlichen 
Rechte  schärfer  betont  als  irgend  einer  ihrer  Vorgänger  und  doch 
wurde  noch  immer  die  Duldung  akatholischer  Bekenntnisse  als  staats- 
gefährlich betrachtet.  Scheinbare  und  selbst  wirkliche  Widersprüche 
ließen  sich  bei  diesem  Regierungssystem  nicht  ganz  vermeiden,  das 
kein  Werk  nach  einheitlichem,  übei-sichtlichem  Plane  liefern  konnte. 
Joseph  dagegen  war  selbst  von  den  Ideen  der  Aufklärung  erfasst, 
die  das  alte  Feudalitätsprincip  durch  den  Unterthanenverband  mit 
gleichen  Rechten  und  Pflichten  für  alle  ersetzen  wollte  und  Gleich- 
stellung der  Confessionen,  sowie  Freiheit  des  Gewissens  und  des 
Meinungsausdruckes  forderte.  Nicht  selten  hatte  der  principielle 
Gegensatz  in  den  Auffassungen  von  Mutter  und  Sohn  über  eine 
vorliegende  Frage  zu  unerquicklichen  Auseinandersetzungen  geführt 
und  wir  wissen,  dass  Joseph  öfter  auf  dem  Punkte  war,  seine  Mit- 


Allgemeiner  Charakter  der  Reformen  Kaiser  Joseph's  IL  543 

regentschaft  niederzulegen.  Man  kann  sich  leicht  denken,  mit  welcher 
Macht  in  ihm  als  er  zur  Alleinherrschaft  gelangt  war,  die  so  ungern 
vertagten  Reformideen  losbrachen.  „Überzeugung,  Ehrgeiz  und 
Temperament  trafen  hier  mit  einem  schrankenlosen  Eigenwillen 
zusammen,  um  eine  Flut  von  Neuerungen  zu  erzeugen,  die  dem 
lüstorisch  Gewordenen  keinerlei  Rechnung  trugen  und  in  einem 
Staate  von  der  Eigenart  Österreichs  urasoweniger  leicht  Wurzel 
fassen  konnten,  als  sie  mit  jener  unruhigen  Hast  ins  Leben  gerufen 
wurden,  mit  welcher  der  Kaiser  in  allem,  was  er  unternahm,  auch 
gleich  die  Wirkung  verspüren  wollte.*" 

3.  Alle  Erblande,  ohne  Rücksicht  auf  ihre  Vergangenheit,  zu 
einem  Staat  von  gleicher  Gesetzgebung  und  Verfassung  zu  ver- 
schmelzen, alle  an  Sitten,  Sprache  und  Cultur  so  sehr  verschiedenen 
Bewohner  zu  einer  Nation  zu  machen  und  den  ganzen  Staat  dem 
unbeschränkten  Herrscherwillen  zu  unterwerfen,  das  war  das  Ziel, 
das  Joseph  sich  setzte.  „Die  ganze  Monarchie  wird  nur  eine,  auf 
die  gleiche  Weise  gelenkte  Masse  bilden",  schrieb  er  an  seinen 
Bruder  Leopold.  „Mein  Reich  muss  nach  meinen  Grundsätzen  be- 
heiTscht  werden",  erklärte  er  ein  andermal.  So  wurde  denn  über- 
stürzt ein  Versuch  straffster  Centralisation  gewagt,  und  nicht  etwa 
auf  die  deutschböhmischen  Erblande  beschränkt,  wo  die  vierzig- 
jährige Regenten thätigkeit  seiner  Mutter  die  Ausgleichung  der 
Verschiedenheiten  schon  angebahnt  hatte,  sondern  sofort  auch  auf 
Ungarn  und  das  femabliegende  Belgien  ausgedehnt. 

4.  Eine  rasche  Ausgleichung  so  verschieden  gearteter  Ver- 
hältnisse, wie  sie  Joseph  bei  seinem  Regierungsantritt  in  den 
Erblanden  antraf,  ließ  sich  ohne  mancherlei  Gewaltsamkeit  nicht 
durchführen.  Maria  Theresia  hatte  die  Erbhuldigungen  ihrer  Lande 
noch  in  alter  Weise  entgegengenommen  und  war  in  Ungarn  und 
Böhmen  gekrönt  worden,  Joseph  unterließ  dies  alles  und  hat 
außerdem  den  ungarischen  Reichstag  niemals  einbemfen. 

In  dieser  Beziehung  waren  scheinbar  die  deutschen  Erblande 
besser  daran,  denn  hier  wurden  immer  noch  ab  und  zu  Landtage 
abgehalten,  allein  in  Wirklichkeit  hatte  es  wenig  zu  bedeuten, 
weil  die  Widerstandskraft  der  Stände  schon  früher  gebrochen  war. 
Selbst  die  Tiroler  Stände  verloren  nun  die  Vorrechte  hinsichtlich 
der  Selbstbesteuerung,  Militäreinquartierung  und  Recrutenstellung, 
in   deren  Besitz   sie  sich  bisher  erhalten  hatten.   Die  Stellen  der 


544        Österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Fünfte  Periode.  §  64. 

obersten  „Landesofficiere"  gelangten  durchwegs  an  hohe  Staats- 
beamte, denen  dadurch  eine  Gehaltszulage  verschaflFt  wurde,  dabei 
kam  es  weiter  nicht  darauf  an,  ob  der  Betreffende  zum  land- 
ständischen Adel  gehörte,  fehlte  ihm  bisher  das  Indigenat,  so  wurde 
es  ihm  vom  Hofe  ohne  weiters  verliehen. 

5.  Mit  dem  Jahre  1782  wurde  die  s.  g.  neue  Länderverfassung 
durchgeführt,  d.  h.  es  wurden  nach  und  nach  alle  ständischen 
CoUegien  bis  auf  zwei  Verordnete  vom  Herrenstand  aufgehoben. 
Diese  erhielten  Sitz  und  Stimme  bei  der  politischen  Landesstelle, 
zu  welcher  auch  der  ständische  Syndicus  als  Secretär  übernommen 
wurde,  während  die  ständische  Buchhaltung  mit  der  staatlichen 
Landesbuchhaltung  vereinigt  wurde.  Auch  die  historische  Indivi- 
dualität der  Länder  wurde  nicht  weiter  beachtet,  indem  diese  aus 
Verwaltungsrücksichten  nach  Gutdünken  des  Kaisers  zu  dreizehn 
größeren  Regierungsbezirken  oder  Gouvernements  zusammengelegt 
wurden.  So  wurden  in  den  Jahren  1782/83  die  Landeshauptraann- 
schaften  von  Steiermark,  Kärnten  und  Krain  mit  dem  errichteten 
i.-ö.  Gubernium  vereinigt  und  daher  auch  die  Verordneten  von 
Kärnten  und  Krain  nebst  den  ständischen  Buchhaltungen  nach  Graz 
berufen.  Ebenso  wurde  die  Landeshauptmannschaft  von  Görz  und 
Qradiska  mit  dem  Gubernium  von  Triest,  die  Bukowina  mit 
Galizien,  Schlesien  mit  Mähren  verbunden.  Ungarn  hingegen  erfuhf 
nach  Aufhebung  der  Comitatsverfassung  (1785)  eine  Eintheilung 
in  zehn  Districte  mit  je  einem  Regierungs-Commissär  an  der  Spitze, 
welche  der  von  Pressburg  nach  Ofen  verlegten  königl.  ungar. 
Statthalterei  unterstanden. 

6.  Diese  von  vielen  beklagte  neue  Länderverfassung  wurde, 
um  die  Verwaltung  besser  centralisieren  zu  können,  eingeführt.  Dem 
gleichen  Zwecke  diente  auch  die  Urastaltung  der  Central-  und 
Länderstellen.  Mit  Hofdecret  vom  14.  October  1782  schuf  Kaiser 
Joseph  II.  aus  der  böhmisch-österreichischen  Hofkanzlei,  der  Hof- 
kammer und  der  Ministerial  -  Banco  -  Deputation  die  „vereinigte 
Hofstelle",  die  er  einem  Chef  untergab.  Nur  der  Widerspruch  des 
Staatsrathes  hatte  ihn  abgehalten,  die  durch  Maria  Theresia  ein- 
geführte Trennung  der  Justiz  von  der  Verwaltung  wieder  auf- 
zuheben. Doch  wurde  auch  hier  centralisiert :  Die  Revisionsstellen 
in  Graz  und  Innsbruck  wurden  aufgehoben  und  die  oberste  Justiz- 
stelle  auch  zum   obersten   Gerichtshof  gemacht.   Eine   älmliche 


Centraliäsationsniaßrcgeln ;  Handschreiben  über  Pflichten  der  Beamten.     545 

Ei'weiterung  des  Wirkungskreises  erfuhr  die  Hofrechenkammer, 
der  auch  die  städtischen  und  ständischen  und  überdies  die  ungarische 
und  niederländische  Buchhalterei  unterstellt  wurden.  Die  Censur- 
behörden  in  den  einzelnen  Ländern  wurden  aufgehoben  und  eine 
Censur  -  Hauptcommission  in  Wien  errichtet,  der  ungarischen 
Hofkanzlei  die  Leitung  der  ungarischen,  banatischen  und  sieben- 
bürgischen  Cameralgegen stände,  die  bisher  der  allgemeinen  Hof- 
kammer zustand,  übertragen  und  endlich  auch  noch  die  sieben- 
bürgische  Hofkanzlei  mit  der  ungarischen  vereinigt.  Dabei  ließ 
Joseph  IL  seinen  Ministern  nur  geringen  Spielraum,  mengte  sich 
selbst  in  Einzelheiten  der  Geschäftsführung  und  umgab  sich  mit 
Persönlichkeiten,  die  ihm  blindlings  dienten,  seinen  ^Secretären", 
um  sich  gegen  Beeinflussung  zu  schützen. 

7.  Zur  Durchführung  seiner  Ideen  schuf  sich  der  Kaiser  in 
allen  Landen  und  für  alle  Verwaltungszweige  Organe  seines  un- 
mittelbaren Willens  „und  lehrte  so  Österreich  die  bis  dahin  nur 
nothdürftig  bekannte  Beamtenherrschaft  kennen."  Zahl  undEinfluss 
der  Staatsbeamten,  die  im  ganzen  schlecht  besoldet  waren,  wurden 
darum  sehr  vermehrt,  dabei  waren  aber  die  Anforderungen  un- 
gemein hoch,  die  der  Kaiser  an  den  Pflichteifer,  die  Unbestechlichkeit 
und  die  Leistungsfähigkeit  des  Einzelnen  stellte.  In  seinem  als  ^Hirten- 
brief* bekannten  Handschreiben,  das  der  Kaiser  Ende  1783  an  die 
Spitzen  der  Länderverwaltung  richtete,  entwarf  er  mit  glänzenden 
Farben  das  Walten  der  landesfürstlichen  Beamten,  wie  sie  es  nach 
seiner  Erwartung  sein  sollten,  mit  ihrer  Opferliebe,  ihrer  genialen 
Auffassung  des  Staatsiebens,  dem  pünktlichen  und  verständigen 
Geschäftsgang,  Gesetzeskenntnis,  Liebe  zum  Dienst,  fürs  Vaterland 
und  die  Mitbürger.  Verbannung  aller  nationalen  und  confessionellen 
Eifersucht  sollte  bei  ihnen  zu  finden  sein,  nicht  aber  Eigennutz 
und  Bestechlichkeit,  handwerksmäßige  Behandlung  der  Geschäfte 
und  mechanische  Auffassung  ihrer  Aufgaben. 

Leider  waren  jedoch  die  Mittel,  die  der  Kaiser  anwandte,  keines- 
wegs geeignet,  derartige  Musterbeamte  zu  erziehen.  Wohl  wurde 
ein  bestimmter  Studiengang  für  die  Beamten  vorgeschrieben  und 
deren  Zukunft  durch  Zuerkennung  der  Pensionsfähigkeit  einiger- 
maßen sichergestellt,  auch  sollten  nicht  Rang  und  Geburt,  sondern 
die  Fähigkeiten  allein  für  die  Erlangung  von  Ämtern  maßgebend 
sein.  Gerade  dieser  richtige  Grundsatz  verleitete  jedoch  den  Kaiser 

Luschin,  Österreichische  Relchistreschichte.  35 


546        österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Ftinfte  Periode.  §  64. 

zur  Anwendung  eines  durchaus  verkehrten,  verderblich  wirkenden 
Mittels,  zur  Einführung  geheimer  Berichte  über  das  Betragen  der 
Beamtenschaft.  Da  der  Kaiser  kein  Hehl  daraus  machte,  dass  nach 
diesen  „Conduitlisten''  die  Beförderungen  erfolgen  würden,  sohieng 
in  der  That  das  ganze  Fortkommen  und  selbst  der  Ruf  eines 
Beamten  von  der  Schilderung  ab,  die  er  in  diesen  Listen  fand. 
Dabei  gieng  dieses  System  der  Überwachung  von  oben  bis  ganz 
herunter:  „so  schrieb  in  der  administrativen  Sphäre  der  Kanzler  die 
Conduitlisten  der  Gouverneure  und  seiner  Riithe,  der  Gouverneur  die 
der  Kreishauptleute,  der  Kreishauptmann  die  der  Bürgermeister,  der 
Bürgermeister  die  seiner  Untergebenen."  Daher  wurde  der  Schutz 
gegen  Willkür,  den  in  einem  unumschränkt  regierten  Staate  die 
CoUegialverfassung  der  Behörden  noch  einigermaßen  gewähren 
kann  ganz  vernichtet.  Dazu  kam,  dass  der  Kaiser  bald  darauf 
(18.  Mai  1781)  den  „Länderchefs"  die  Befugnis  einräumte,  „die 
Geschäfte  ohne  alle  Formalität,  mithin  in  und  außer  den  Raths- 
sitzungen  nach  eigenem  Wissen  zu  leiten  und  hiebei  das  bestimmte 
Personal  nach  Wohlgefallen  anzuwenden".  Wohl  wurde  auch  die 
Verantwortlichkeit  der  leitenden  Beamten  entsprechend  erhöht,  die 
zwar  nicht  für  jede  Handlung  ihrer  Untergebenen,  wohl  aber  für 
die  richtige  Leitung  und  Anweisung  deraelben  zu  haften  hatten, 
allein  dies  gab  alle  Besetzungen  in  die  Hände  der  Länderchefs  und 
begründete  einen  früher  ungekannt  gewesenen  Terrorismus. 

8.  Vereinfachung  des  schwerfälligen  Geschäftsganges  bewog 
den  Kaiser,  die  eben  geschUderten  Verfügungen  zu  treffen.  In 
gleicher  Absicht  erklärte  er  auch  das  Deutsche  zur  allgemeinen 
Amtssprache.  „Wie  viele  Vortheile",  heißt  es  im  Rescript  vom 
11.  Mai  1784,  „dem  allgemeinen  Besten  erwachsen,  wenn  nur  eine 
einzige  Sprache  in  der  ganzen  Monarchie  gebrauchet  wird  und  in 
dieser  allein  alle  Geschäfte  besorgt  werden,  wie  dadurch  alle 
Theüe  der  Monarchie  fester  unter  einander  verbunden  und  die 
Einwohner  durch  ein  stärkeres  Band  der  Bruderliebe  verknüpft 
werden,  wird  Jedermann  leicht  einsehen  und  durch  das  Beispiel 
der  Franzosen,  Engländer  und  Russen  davon  überzeugt  werden."  In 
der  böhmischen  Ländergruppe  stieß  die  Einführung  des  Deutschen 
als  Amtssprache  auf  keine  augenfälligen  Hindernisse,  da  hier  der 
Boden  dafür  schon  unter  Maria  Theresia  geebnet  worden  war. 
Der  böhmische  Adel  sprach  nicht  mehr  das  Czechische  und  es 


Conduitlisten,  deutsche  Amtssprache,  Organisation  der  Justiz.         547 

herrschte,  wie  sich  der  Oberst-Burggraf  Graf  Wieschnik  ausdrückte, 
schon  lange  fühlbarer  Mangel  „an  böhmischen  Subjecten"  für  die 
höheren  Stellen.  Anders  lag  die  Sache  in  Ungarn,  wo  bisher  das 
Lateinische  als  Amtssprache  geherrscht  hatte.  Nur  ein  kleiner, 
wenn  auch  ein  einflussreicher  Bruchtheil  der  Bevölkerung  war  hier 
des  Deutschen  mächtig,  die  große  Masse  der  Bevölkerung  sprach 
in  Nordtmgarn  slovakisch  und  ruthenisch,  im  Innern  ungarisch,  im 
Osten  rumänisch.  Allein  gerade  auf  die  Sprachmischung  baute  der 
Kaiser  die  Ausführbarkeit  seines  Plans,  den  er  übrigens  gleich- 
zeitig durch  den  Zuzug  deutscher  Colonisten  nach  Ungarn  zu 
fördern  suchte.  Er  übersah  dabei  leider  ganz,  dass  ein  logisches 
Raisonnement  allein  nicht  hinreicht,  um  Völker  zum  Abgehen 
von  ihren  Sitten  und  Gewohnheiten  zu  bestimmen  und  dass  so  tief- 
greifende Veränderungen  im  günstigsten  Falle  erst  nach  mehreren 
Generationen  Erfolge  aufweisen  können.  Es  war  daher  die  Über- 
stürzung, mit  der  er  seine  wohlgemeinte  Absicht  ins  Werk  setzte, 
der  ärgste  Missgrifif,  den  er  überhaupt  begehen  konnte :  Innerhalb 
weniger  Monate  sollte  das  Deutsche  als  Amtssprache  bei  den 
Central-  und  Provinzialbehörden,  binnen  wenig  mehr  als  Jahres- 
frist auch  bei  allen  Gespanschaften,  städtischen  Behörden  und 
Gerichtsstühlen  eingeführt  werden,  in  Zukunft  niemand  ohne 
genügende  Kenntnis  des  Deutschen  zu  öffentlichen  Bedienstungen 
zugelassen  werden.  Das  griff  tief  in  alle  Verhältnisse  ein.  Kein 
Wunder,  dass  daher  in  Ungarn  nicht  bloß  von  Seite  der  Magyaren, 
auf  deren  Opposition  der  Kaiser  gerechnet  hatte,  sondern  auch  von 
Seite  der  übrigen  nichtdeutschen  Nationalitäten  sich  einmtithiger 
Widerstand  gegen  diese  Anordnung  erhob. 

9.    Die    Organisation    der   Justizverfassung    durch    Kaiser 
Joseph  IL,  welche  theilweise  bis  zur  Gegenwart  maßgebend  blieb,! 
trennte  soviel  als  möglieb  die  Justiz  von  der  Administration,  theiltei  ^-e*  ^  • 
die  Gerichtsbarkeit  erster  Instanz  zwischen  dem  Landrecht  und  den!         ä^</ 
Ortsgerichten  und  beseitigte  alle  übrigen  ersten  Instanzen  bis  auf  fi^ 

die  MUitär-,  Mercantil-,  Wechsel-  und  Berggerichte,  beschränkte  die 
Strafgerichtsbarkeit  auf  einzelne  Gerichte  größerer  Gemeinden  und 
verminderte  die  Zahl  der  Ortsgerichte  überhaupt.  Auch  von  den 
bestehenden  Appellationsstellen  giengen  manche  ein.  Dafür  wurden 
theUs  ganz  selbständige,  theils  von  den  Administrativbehörden 
wenigstens  für  die  Behandlung  der  Justizgeschäfte  gänzlich  ge- 

35* 


548        Österreichische  Reichsgeschichte.  IL  Theil.  Fünfte  Periode.  §  64. 

trennte  und  gleichmäßig  organisierte  zweite  Instanzen  für  Civil-  und 
Strafrechtsangelegenheiten  errichtet.  Die  Centralisation  in  dritter 
Instanz  wurde  erreicht,  durch  Aufhebung  aller  Revisionsinstanzea 
in  den  Provinzen  und  Zuweisung  ihrer  Geschäfte  an  die  zur  gemein- 
samen dritten  Instanz  für  alle  deutschen  Erblande  bestimmte 
oberste  Justizstelle.  Dabei  war  die  Ausübung  der  Rechtspflege  durch 
alle  Instanzen  —  von  den  Ortsgerichten  und  wenigen  Ausnahmen 
abgesehen  —  in  die  Hände  von  Richtern  gelegt,  die  der  Kaiser  er- 
nannte und  die  ihre  Besoldung  aus  dem  Staatsschatze  empfiengen. 

10.  Aus  diesem  Grunde  wurden  die  bisher  bei  den  Landes- 
regierungen und  Gubernien  vorhandenen  Justizsenate  endgiltig  auf- 
gehoben und  erstere  zu  reinen  Verwaltungsbehörden  gemacht.  Die 
Justizgeschäfte  aber  giengen,  so  weit  sie  die  erste  Instanz  betrafen, 
an  die  Landrechte  und  Ortsgerichte,  die  übrigen  an  die  Appellations- 
gerichte,  beziehungsweise  an  die  oberste  Gerichtsstelle  über. 

Die  Landrechte  blieben  noch  ferner  im  wesentlichen  Forum 
der  Stände,  dem  jedoch  die  übrigen  Adeligen  und  endlich  auch 
jene  Unadeligen  unterworfen  wurden,  die  durch  den  Besitz  ständi- 
scher Gülten  zur  Ausübung  der  Ortsgerichtsbarkeit  selbst  berechtigt 
waren.  Alle  anderen  Unadeligen  unterstanden  hinfort  den  Stadt-. 
Markt-,  Dorf-,  Grund-  oder  Ortsgerichten  jenes  Ortes,  an  welchem 
sie  wohnten.  Im  Jahre  1786  wurde  dann  sämratlichen  landesfürs^ 
liehen  Städten  und  Märkten,  sofern  sie  bei  ihren  Magistraten  ge- 
prüfte Richter  hatten,  die  Strafgerichtsbarkeit  in  leichteren  Fällen, 
die  eine  Strafe  bis  zu  einem  Jahr  nach  sich  zogen,  übertragen, 
und  rücksichtlich  der  Städte  mit  Criminalgerichtsbarkeit  die  be- 
sondere Bann-  und  Achtverleihung  an  den  Stadtrichter  abgeschaflft. 

11.  Mit  den  Justizreformen  Kaiser  Joseph's  IL  steht  auch  die 
Umgestaltung  der  städtischen  Verwaltung  in  engem  Zusammenhang. 
Die  Organisation  des  Wiener  Magistrats  vom  1.  November  1783, 
welche  für  die  Magistrate  der  Provinzialhauptstädte  vorbüdlich 
wurde,  theilte  die  Stadtvertretung  in  drei  Senate  für  politische. 
Civil-  und  Strafrechtsangelegenheiten.  Bürgermeister  und  zwei 
Vicebürgermeister,  die  vom  Bürgerausschusse,  doch  nur  aus  dem 
Kreise  von  Personen,  die  ein  behördliches  ^Eligibilitätsdecret* 
besassen,  auf  vier  Jahre  gewählt,  und  fernerhin  vom  Hofe  beliebig 
bestätigt  werden  konnten,  standen  an  der  Spitze  von  42  Magistrats- 
räthen,  die  gleichfalls  durch  den  Bürgerausschuss  gewählt  wurden. 


Organisation  der  Städte  und  des  Finanzwesens.  549 

Es  gab  ferner  eine  entsprechende  Anzahl  von  städtischen  Beamten 
und  Dienern,  die  alle,  nebst  den  Käthen,  dem  Bürgermeister  und 
dessen  Stellvertretern  ihre  Besoldung  vom  Staate  empfiengen,  der 
dafür  alle  „Magistratualtaxen"  eingezogen  hatte. 

12.  An  der  Organisation  der  Finanzbehörden  hatte  der  Kaiser 
schon  zur  Zeit  seiner  Mitregentschaft  thätigen  Antheil  gehabt.  Es 
verblieb  daher  im  allgemeinen  bei  dem  von  seiner  Mutter  ein- 
geführten System.  Die  directen  Steuern  unterstanden  der  Ver- 
waltung durch  die  politischen  Behörden,  für  die  indirecten  Steuern 
und  Gefälle,  deren  Verpachtung  nun  ganz  aufgegeben  wurde,  gab 
«s  unter  der  Wiener  Finanzhofstelle  in  den  Provinzen  besondere 
Behörden.  Im  einzelnen  herrschte  bei  der  Finanzverwaltung 
viel  Ordnung,  doch  machten  die  steigenden  Staatsausgaben  eine 
Steigerung  der  Staatseinkünfte  nothwendig,  zu  denen  in  Ungarn 
nach  Aufhebung  der  früheren  Verfassung  der  steuerfreie  Adel  und 
die  Geistlichkeit  beizutragen  hatten. 

Nicht  um  einer  Erhöhung  der  Staatseinkünfte  willen,  sondern 
um  die  ungleichmäßige  Belastung  der  Steuerträger  gerechter  zu 
vertheilen,  wurde  1785  für  die  deutschen  Erblande  (mit  Ausnahme 
von  Tirol)  und  für  Galizien  eine  Regulierung  der  Grundsteuer 
befohlen.  In  etwa  vier  Jahren  wurde  die  Vermessung  des  Bodens 
und  eine  Schätzung  des  Grundertrags  vorgenommen  und  hierauf  am 
10.  Februar  1789  das  neue  Grundsteuerpatent,  das  mit  1.  November 
d.  J.  in  Kraft  treten  sollte,  veröfifentlicht  Die  ganze  bisher  unter  dem 
Namen  Contribution  erhobene  Entrichtung  sollte  fortan  einzig  und 
allein  als  Grundsteuer  auf  dem  Grund  und  Boden  ruhen.  Auf  Stand 
und  Eigenschaft  des  Besitzei-s,  hieß  es,  könne  bei  der  Bemessung 
keine  Rücksicht  genommen  werden,  vielmehr  sei  dabei  „eine  durch- 
gängige Gleichheit  zu  beobachten.  Um  zugleich  eine  Steuerüber- 
wälzung auf  die  Bauern  zu  verhindern  wurde  befohlen,  dass  dem 
Unterthan  vom  richtig  befundenen  Rohertrag  mindestens  70  Procent 
freizulassen  und  nur  das  übrige  zur  Bedeckung  der  landesfürst- 
lichen  Grundsteuer  mit  12  fl.  ISVa  kr.  vom  Hundert  und  zur  Ab- 
tragung der  obrigkeitlichen  Forderungen,  sowie  des  Zehenten  an 
die  Geistlichkeit  im  Höchstausmaß  von  zusammen  17  fl.  4673  kr. 
vom  Hundert,  aufzulegen  sei. 

13.  Diese  Steuerregulierung,  welche  bei  den  Grundherrschaften 
einen  Sturm  von  Entrüstung  erregte,  sollte  den  Schlusstein  der  vom 


550        österreichische  Reichsgeschichte.  IL  Theil.  Fünfte  Periode.  §  64. 

Kaiser  zur  Hebung  des  Bauenistandes  getroflFenen  Maßregeln  bilden. 
Begonnen  wurden  diese  alsbald  nach  dem  Regierungsantritt  durch 
Erlassung  des  Unterthanenpatents  (1.  September  1781),  das  zwar 
den  Einzelnen  anwies,  die  Beschwerden  zunächst  zu  gütlicher  Bei- 
legung der  Grundobrigkeit  vorzutragen,  für  den  Fall  der  Weigerung 
oder  Verzögerung  aber  den  Unterthan  zur  Anrufung  des  Kreisamtes 
ermächtigte,  das  die  Streitigkeit  entweder  im  Verwaltungswege 
entschied,  oder  der  Kammerprocuratur  zur  Vertretung  im  Rechts- 
wege überwies.  Dadurch  war  also  den  Bauern  eine  unentgeltliche 
Rechtsvertretung  gesichert,  und  die  Inanspruchnahme  dieser  führte 
alsbald  zu  einer  solchen  Vermehrung  der  Geschäfte,  dass  in  der 
Regel  bei  den  Pisealämtern  ein  Fiscaladjunct  als  „Unterthans- 
advocat"  vollauf  Beschäftigung  fand. 

Zugleich  mit  dem  Unterthanenpatent  erschien  auch  das  so- 
genannte Strafpatent,  das  die  Disciplinargewalt  der  Grundobrig- 
keiten erheblich  einschränkte,  Geldstrafen  völlig  abschaffte,  jede 
Bestrafung  von  der  Aufnahme  eines  Strafprotokolls  mit  Angabe  der 
Gründe  abhängig  machte.  Verhängung  größerer  Strafen  oder  Ab- 
stiftung  an  die  Genehmigung  durchs  Kreisamt  band  u.  dgl.  m. 
Endlich  kam  es  auch  zur  Aufhebung  der  Leibeigenschaft,  die  in 
Böhmen,  Mähren,  Krain  und  Galizien  noch  weit  verbreitet  war.^ 
Die  Leibeigenen  oder  Erbunterthanen,  wie  sie  auch  genannt  wurden, 
erhielten  nun  Freizügigkeit,  das  Recht  der  freien  Verehelichung, 
bedurften  zur  Erlernung  des  Handwerks  keines  Losbriefes  und 
hatten,  soweit  sie  auf  unterthänigen  Gütern  saßen,  nur  die  in 
den  Urbarialpatenten  festgestellten  Leistungen  an  die  Grundherr- 
schaft zu  entrichten,  der  sie  im  übrigen  in  den  Formen  einer 
gemäßigten  Unterthänigkeit  zu  Gehorsam  verpflichtet  blieben. 
1786  wurden  dann  die  Robotleistungen  in  Galizien,  1787  auch 
in  Ungarn  nach  dem  Robotpatent  für  Böhmen  vom  Jahre  1775 
geregelt  und  so  noch  mancherlei  zur  Besserung  der  bäuerlichen 
Besitzrechte  verfügt. 

1  Es  ergiengen  für  jede  Provinz,  in  der  die  Leiboigensciiaft  bestand,  eigene, 
die  Landesverliältnisse  genau  beachtende  Patente  u.  zw.  fürs  Inn viertel  1780, 
15.  März;  Böhmen  und  im  Lande  unter  der  Enns  1781,  1.  November;  Mähren, 
6.  December;  Galizien  1782,  5.  April;  Karaten  5.  August;  Krain  13.  September; 
Vorlande  20.  December;  Ungarn  1785,  22.  August.  —  Beidtel,  I,  315:  bei  de 
Luca,  Politischer  Codex,  V,  283,  die  Patente;  Grtinborg,  I,  272. 


Maßregeln  zu  Gunsten  des  Bauernstandes;  Generalseminare.  551 

14.  In  diesen  Maßregeln  zu  Gunsten  des  Bauenistandes 
gelangten  nicht  bloß  allgemeine  politische  Erwägungen,  sondern 
auch  die  volkswirtschaftlichen  Anschauungen  des  Kaisers  zum 
Ausdruck.  Als  Anhänger  der  durch  Sonnenfels  an  der  Wiener 
Universität  vertretenen  „Populationistenschule",  die  als  „verbessei-te 
Auflage  des  Mercantilsystems"  bezeichnet  wird,  aber  auch  von 
physiokratischen  Lehren  beeinflusst,  die  schon  1773  bei  den  Ver- 
handlungen über  die  Ordnung  des  Steuer-  und  Urbarialwesens  in 
Galizien  zutage  traten,  begünstigte  Joseph  II.  nicht  bloß  Ein- 
wanderungen, sondern  auch  die  Zerstückelung  der  Großbauern- 
wirtschaften, um  so  die  Zahl  der  Bevölkerung  und  dadurch  der 
verfügbaren  Arbeitskräfte  zu  heben.  In  Galizien,  der  Bukowina  und 
Ungarn  wurden  Colonisationsversuche  im  größeren  Umfang  durch- 
geführt, die  nebenbei  Stützpunkte  für  das  Deutschthum  in  der 
Monarchie  abgeben  sollten.  Die  Zollgesetzgebung  wurde  der  Hebung 
der  inländischen  Industrie  dienstbar  gemacht  (1784)  und  durch  all 
diese  Bemühungen  in  der  That  der  Erfolg  erreicht,  dass  die  Zahl 
der  Fabriken  in  Böhmen  von  50  im  Jahre  1780  auf  172  mit 
400.000  Arbeitern  im  Jahre  1786,  gestiegen  war. 

1 5.  Überhaupt  wurden  die  Zwecke  materieller  Volksbeglückung 
überall  in  den  Vordergrund  gestellt.  Daraus  erklärt  sich,  dass  vom 
Staate  aus  vor  allem  jene  Seiten  der  Wissenschaft  gepflegt  wurden, 
welche  man  für  praktische  Zwecke  unmittelbar  brauchte,  sowie  die 
größere  Vorliebe  für  das  niedere  Schulwesen,  als  für  das  höhere. 
Während  die  Volksschulen  einen  raschen  Aufschwung  erfuhren  und 
beispielsweise  in  Böhmen  die  Zahl  der  Schüler  auf  dem  flachen 
Lande  innerhalb  eines  Jahrzehents  (1775 — 1785)  von  14.000  auf 
117.000  stieg,  wurden  die  Universitäten  zu  Graz,  Innsbruck  und 
Brunn  aufgehoben,  Prag  und  Wien  aber  nebst  der  neuerrichteten 
zu  Lemberg,  lediglich  als  Anstalten  zur  Heranbildung  von  Staats- 
beamten, praktischen  Ärzten  und  eines  dem  Staate  unbedingt  er- 
gebenen Clerus  behandelt.  Wie  den  übrigen  Universitätshörern  so 
wurde  jetzt  auch  den  Theologen  durch  die  Regierung  der  genaue 
Lehrplan  nebst  Lehrbüchern,  Methode,  Classificationsgi'undsätzen 
u.  dgl.  vorgeschrieben.  Noch  größeres  Aufsehen  aber  erregte  1784 
die  Errichtung  staatlicher  Generalseminarien,  für  Hörer  der  Theo- 
logie zu  Wien,  Prag,  Olmütz,  Lemberg,  Graz,  Innsbruck  und  Pavia, 
die  aus  den  Fonds  der  eingezogenen  Stiftungen  erhalten  wurden. 


552        Österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Fünfte  Periode.  §  64. 

16.  Kirchlicherseits  war  man  auf  den  Kaiser  von  Anbeginn 
seiner  Regierung  äußerst  schlecht  zu  sprechen.  Nicht  daas  Joseph  II. 
etwa  glaubenslos,  oder  erklärter  Feind  der  Geistlichkeit  gewesen 
wäre,  niemand  geringerer  als  Papst  Pius  VT.  hat  einmal  die  Über- 
zeugung ausgesprochen,  der  Kaiser  „habe  einen  großen  Fond  von 
Religion  und  sei  der  beste  Katholik  von  der  Welt'*.  Allein  bei  seinen 
Bemühungen,  die  Kräfte  des  Staates  zu  erhöhen  und  dessen  An- 
sehen und  Macht  zu  stärken,  gelangte  er  zu  Maßregeln,  die  man 
in  der  Geistlichkeit  als  schwere  Schädigungen  empfand.  Schon  das 
Toleranzpatent  vom  13.  October  1781  erregte  in  diesen  Kreisen 
Sturm,  obwohl  dadurch  dem  Katholicismus  das  „Prärogativum  der 
dominanten  Religion  "^  nicht  genommen  werden  sollte.  Den  Akatho- 
liken  wurde  nämlich  nur  das  Privatexercitium  ihrer  Confeasion 
gestattet  und  der  Nachdruck  der  Verfügung  lag  darauf,  dass  diese 
zu  Häuser-  und  Güterkäufen,  zu  Bürger-  und  Meisterrechten, 
akademischen  Würden  und  öffentlichen  Diensten  zugelassen  seien, 
um  dem  Staate  neue  Talente  und  neue  ökonomische  Quellen  zu 
eröffnen.  Aus  Rücksicht  auf  das  praktische  Staatsinteresse  wurden 
auch  den  Juden,  die  man  zu  Ackerbau  und  Handwerken  heranzu- 
ziehen hoffte,  bürgerliche  Rechte  verliehen.  Besonders  schmerzlich 
aber  wurde  von  der  Kirche  die  Aufhebung  aller  Bruderschaften 
und  von  nahezu  achthalb  Hundert  Klöstern  empfunden.  Sie  betraf 
Mönche,  die  „keine  Jugend  erziehen,  keine  Schule  halten  und  keine 
Kranken  warten  und  welche  bloß  vitam  contemplativam  führen*". 
Der  Besuch  des  Papstes  in  Wien,  um  den  Kaiser  persönlich  um- 
zustimmen, misslang,  auf  eine  Erörterung  der  Frage,  ob  der  Staat 
das  Recht  habe,  das  Eigenthum  der  Orden  einzuziehen,  gieng 
Joseph  gar  nicht  ein,  der  nur  in  einzelnen  streng  geistlichen  Punkten 
nachgab  und  im  wesentlichen  doch  bei  den  gefassten  Entschlüssen 
blieb.  Im  übrigen  hielt  Joseph  bei  seinen  Anordnungen  gegenüber 
der  Kirche  die  Bahnen  ein,  die  schon  seine  Vorfahren  (§  51)  und 
namentlich  seine  Mutter^  gewandelt,  nur  dass  er  die  staatlichen 

*^  In  der  oberwähnten  Denkschrift  der  Kaiserin  für  ihre  Kinder  (Archiv 
Bd.  47,  295)  erklärt  sie,  sie  hielte  es  nicht  allein  nicht  für  löblich,  sondern  ,.viel 
mehr  für  sträflich,  wann  an  die  Geistlichkeit  niehrers  gegeben  und  abgetreten 
würde,  weilen  einerseits  sie  solche«  nicht  bedürfen,  andererseits  aber  jenes  so 
selbte  besitzen,  leider  nicht  so  anwenden  wie  sie  sollten"  u.  s.  w.  und  deutet  an. 
dass  dies  .alles  eine  große  Reraedur  noch  erfordern  wird*  und  dass  sie  darüber 
nachdenken  wolle. 


Toleranzpatent,  Aufhebung  von  Klöstern;  Polizeidirectionen.  553 

Vorrechte  noch  schärfer  hervorhob  und  bei  seiner  Geringschätzung 
der  Form,  durch  die  Art  und  Weise  wie  seine  Befehle  gegeben 
wurden,  oft  unnöthig  verletzte. 

17.  Das  Schlussergebnis  so  vieler  gutgemeinter  aber  über- 
stürzt ins  Werk  gesetzter  Reformen,  war  aber  ein  ganz  anderes, 
als  es  der  Kaiser  erwartet  hatte.  Mit  jedem  neuen  Schritte  nach 
vorwärts  wuchs  die  Zahl  der  Gegner  und  minderten  sich  die  An- 
hänger, so  zwar,  dass  zuletzt  beinahe  das  ganze  Reich  zur  Klage 
und  zum  Widerstände  sich  vereinigte,  obgleich  jede  einzelne 
Neuerung  in  diesem  oder  jenem  Kreise  großen  Beifall  fand  und  die 
Vergötterung  des  Monarchen  hervorrief.  Dem  Kaiser  waren  die 
Anzeichen  einer  sich  mehrenden  Unzufriedenheit  nicht  entgangen, 
die  zum  Theil  so  oflfen  lagen,  dass  im  Jahre  1786  die  Frage, 
„warum  Joseph  nicht  geliebt  werde",  in  Flugschriften  für  und 
wider  erörtert  wurde  und  Geiger  in  seiner  Patriotenfrage:  „Sind 
die  k.  k.  peinlichen  Strafgesetze  der  Politik  und  dem  Staats-  und 
Naturrechte  gemäß"*  (1788)  mit  den  Worten  schließen  konnte: 
Möchte  der  Kaiser  „klugen  Köpfen  seines  Landes  mehr  und  seiner 
eigenen  Einsicht  weniger  zutrauen!  möchte  er  endlich  einsehen, 
dass  etwas  mehr  dazu  gehört,  Gesetze  zu  geben  und  ein  Volk  zu 
regieren,  als  eine  Armee  zu  commandieren,  dass  man  ein  sehr 
guter  Kriegsmann  und  ein  sehr  mittelmäßiger  Fürst  sein  kann""  .  .  . 
Vom  Bestreben  geleitet,  über  alle  Vorgänge  sichere  Nachricht  zu 
erhalten,  hatte  er  darum  das  von  der  Kaiserin  Maria  Theresia  im 
Jahre  1754  zu  Wien  eingeführte  Institut  der  Polizei-Commissäre 
alsbald  in  eine  Polizei-Direction  umgewandelt,  welcher  seit  1784 
die  Errichtung  von  Polizei-Directionen  in  den  Provinzialhauptstädten 
und  die  Ernennung  des  Grafen  Pergen  zum  Polizeiminister  folgte. 
In  einem  umfassenden  Vortrage,  den  dieser  am  13.  Jänner  1790  dem 
Kaiser  erstattete,  werden  nun  mit  schonungsloser  Offenheit  all  die 
wirklichen  oder  scheinbaren  Missgrifife  in  der  Regierung  aufgezählt, 
um  die  allgemeine  Unzufriedenheit  im  Reiche  zu  erklären.  „Die 
plötzliche  Umstaltung  aller  Landesverfassungen  —  heißt  es  darin 
—  hat  nothwendig  auch  alles  erschüttern  und  eine  allgemeine 
Gährung  veranlassen  müssen.  Der  Adel  ist  mit  Rechte  unzufrieden, 
weil  derselbe  durch  das  bürgerliche  sowohl  als  Criminal-Gesetz- 
buch,  durch  die  neue  Steuer-Rectification  in  seinem  Eigenthum 
ohne  Verschulden  äußerst  gekränket  und   so  erniedrigt  worden. 


554     österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Fünfte  Periode.  §  64  u.  65. 

daß  zwischen  dem  Bürger-  und  Bauernstand  mit  dem  seinigen 
ein  sehr  geringer  Unterschied  mehr  sich  zeiget.  Die  noch  bestehende 
Geistlichkeit  ist  unzufrieden,  weil  ihre  Einkünfte  auf  das  höchste 
geschmälert  und  die  Stifter,  welche  als  Güterbesitzer  anzusehen, 
auch  in  dieser  Eigenschaft  den  ersten  Platz  unter  den  Ständen 
hatten,  nebst  gleichmäßiger  Kränkung  ihres  Eigenthums,  beynahe 
dieses  genossenen  Vorzugs  entsetzet  worden.  Der  Bürgerstand 
wird  durch  die  Vervielfältigung  desselben  mittelst  Erleichterung 
der  Gesellen  zum  Bürger-  und  Meisterrechte  in  seinem  Verdienste 
merklich  geschmälert  und  ist  durch  die  Entkräftung  des  Adels  und 
der  Geistlichkeit  gleichsam  ärmer  geworden;  er  ist  also  überhaupt, 
dermalen  aber  umso  mehr  mißvergnügt,  als  die  Art,  mit  welcher 
die  Kriegssteuer,  die  ihm  ohnehin  sehr  lästig  ist,  von  demselben 
vorschriftsmäßig  eingetrieben  werden  muß,  die  meisten,  d.  i.  die 
Ärmeren  gänzlich  danieder  schlägt.  Der  Bauer,  welcher  zwar  in 
der  That  einer  Erleichterung  würdig  war,  von  Eu.  Mt.  aber  zu 
der  glücklichsten  Klasse  aller  ihrer  Unterthanen  gemacht  worden, 
mithin  alle  Ursache  hat,  Eu.  Mt.  Großmuth  zu  preisen,  ist  stolz 
auf  diesen  gnädigsten  Vorzug,  dennoch  unzufrieden,  weil  er  von 
allen  Schuldigkeiten  gegen  seinen  Herrn  frei  sein  vdll  und  auch 
wirklich  in  dem  Irrwahn  ist,  von  allen  entledigt  zu  sein  .  .  .''^ 

18.  Als  Kaiser  Joseph  diese  Zeilen  empfieng,  war  er  ein  tod- 
kranker, gebrochener  Mann:  die  Niederlande  standen  in  hellem 
Aufruhr,  Ungarn  war  am  Vorabende  eines  solchen,  der  Krieg  mit  der 
Türkei  im  Zuge,  ein  zweiter  mit  Preußen  nahe  bevorstehend.  Ob  es 
die  Vorstellungen  Graf  Pergens,  ob  die  dringenden  Mahnungen  seines 
Bruders  Leopold  von  Toscana  waren,  die  den  Kaiser  zur  Erkenntnis 
seiner  Misserfolge  brachten,  genug  an  dem,  Joseph  II.  entschloss  sich 
zum  schmerzlichsten  Schritte,  den  er  thun  konnte,  zum  Widerruf 
seiner  Reformen,  mit  Ausnahme  des  Toleranzedicts,  der  Regelung  der 
Pfarreien  und  der  Vorschriften  in  Unterthanensachen.  Den  Ungarn 
sicherte  ein  Decret  vom  28.  Jänner  1790  die  Widerherstellung  ihrer 
Verfassung  zu.  Am  6.  Februar  berief  er  dringend  seinen  Bruder 
Leopold  nach  Wien  zur  Übernahme  der  Mitregentschaft,  allein  ehe 
dieser  seine  Angelegenheiten  in  Toscana  regeln  und  nach  Wien 
abreisen  konnte,  verschied  Kaiser  Joseph  IL  am  20.  Februar  1790. 


»  Vollständig  gedruckt  bei  Fournier.  Studien,  S.  167  ff. 


WideiTuf  von  Refoionen;  Einlenken  unter  Kaiser  Leopold  II.         555 


§  65.  Tom  Tode  Katoer  Joseph's  II.  bis  zum  Jahre  1848. 

Literatur:  Krön  es,  Grondriss,  755  ff.  —  Bachmann,  Lehrbuch  d.  österr. 
Reichsgeschichte,  1896,  §  43  ff.  —  Domin,  197  ff.  —  D'Elvert,  Verwaltungs- 
geschichte, 503  ff.  —  Hart  ig,  Genesis  der  Revolution  in  Österreich  im  J.  1848. 
—  Hu  her,  Rg.,  205  ff.  —  Kudler,  Versuch  einer  tabellarischen  Darstellung  des 
Organismus  der  österr.  Staatsverwaltung,  1834.  —  Mages  v.  Kompillan,  Die 
Justizverwaltung  in  Tirol  und  Vorarlberg  in  den  letzten  hundert  Jahren,  1887.  — 
Österreich  im  Jahre  1840,  4  Bde.  —  Seydler,  176  ff.  —  Springer,  Geschichte 
Österreichs  seit  1809,  2  Bde.  —  Tom  an.  Das  böhmische  Staatsrecht,  181  ff. 

1.  In  der  Ausbildung  Österreichs  zum  modernen  Einheitsstaat 
füllen  die  Regierungen  der  Kaiserin  Maria  Theresia  und  ihres  ältesten 
Sohnes,  1740—1790,  gerade  ein  halbes  Jahrhundert  aufsteigender 
Bewegung.  Ein  neuer  Abschnitt,  der  um  acht  Jahre  länger  dauerte, 
hebt  mit  dem  Tode  Kaiser  Joseph's  IL  an.  Er  begann  mit  einem 
theilweisen  Einlenken  in  die  Zustände  vor  1780,  das  durch  die 
Hast,  mit  welcher  Kaiser  Joseph  seine  Reformen  ins  Werk  gesetzt 
hatte,  nothwendig  geworden  war,  geht  über  in  eine  zu  jeder  ge- 
deihlichen Entwicklung  aus  sich  selbst  heraus  unfähige  Erstarrung 
und  endet  mit  dem  , tollen  Jahr**  1848,  das  zu  jähem  Bruch  mit 
der  Vergangenheit  führte. 

2.  Ungemein  schwierig  waren  die  Umstände,  unter  welchen 
Leopold  IL,  der  erst  am  12.  März  1790  in  Wien  eintraf,  die  Herr- 
schaft über  Österreich  antrat.  Wohl  gieng  ihm  der  beste  Ruf  voraus, 
denn  während  einer  fündundzwanzigjährigen  Regierung  hatte  er  in 
Toscana  nicht  viel  geringere  Reformen  in  Frieden  durchgeführt,  als 
jene,  an  denen  Kaiser  Joseph  IL  in  Österreich  gescheitert  war.  Doch 
ließ  sich  mit  Sicherheit  erwarten,  dass  die  Rückgabe  der  alten  Ver- 
fassung an  Ungarn,  gleiches  Verlangen  bei  den  Landständen  aller 
Erblande  wachrufen  werde,  und  dass  sich  der  Sturmlauf  nicht 
gegen  die  Reformen  des  letzten  Jahrzehnts  allein  richten  würde. 
Die  Wiedergewinnung  Belgiens,  Beruhigung  Ungarns  und  der 
übrigen  Erblande,  und  dabei  möglichste  Aufrechthaltung  der  seit 
Maria  Theresia  sosehr  geförderten  Staatseinheit  und  Regierungs- 
gewalt, das  waren  die  Ziele,  die  sich  Leopold  setzte. 

3.  Um  sich  den  Innern  Verhältnissen  mit  ganzer  Kraft  widmen 
zu  können,  mussten  vorerst  die  äußeren  Verwicklungen  beigelegt 
werden.  Durch  den  Reichenbacher  Vertrag  und  den  Frieden  von 


556        Österreichische  Reichsgeschichte.  IL  Theil.  Fünfte  Periode.  -§  65. 

Sistowo  giengen  zwar  die  Eroberungen  des  letzten  Tiirkenkrieges 
verloren,  dafüi-  erhielt  jedoch  Leopold  freie  Hand  im  Innern.  Die 
Ungarn,  der  Aussicht  auf  auswärtige  Hilfe  beraubt,  ließen  ihre 
überspannten  Forderungen  fallen.  Am  15.  November  1790  fand  die 
Krönung  Leopold's  IL  statt  und  König  wie  Stände  einigten  sich  auf 
dem  Reichstag  von  1790/91  darüber,  dass  Ungarn  sammt  seinen 
Nebenlanden,  den  partes  adnexce,  auf  Grund  der  pragmatischen 
Sanction  als  eigenes  Reich  nach  seinen  eigenen  Gesetzen  und  Ge- 
wohnheiten, nicht  aber  nach  Art  der  übrigen  Provinzen  zu  regieren 
sei.  Wurde  auf  solche  Weise  die  Verfassung  Ungarns  auf  den 
Stand  vom  Jahre  1780  zurückgeführt,  so  that  dies  Leopold  IL 
folgerichtig  auch  bei  jenen  Maßregeln  seines  Vorgängers,  welche 
die  Verwaltung  der  Nebenlande  betroffen  hatten.  Darum  wurde  die 
Trennung  Siebenbürgens  von  Ungarn  wieder  angeordnet  und  wie 
die  siebenbürgische  Hofkanzlei,  so  über  die  Bitte  des  serbischen 
Kirchencongresses  für  das  Temeser  Banat  auch  eine  illyrische  Hof- 
kanzlei errichtet. 

4.  Nicht  minder  gelang  es  Leopold,  die  Bewegung  in  den  deut- 
schen Erblanden  in  ruhigere  Bahnen  zu  leiten.  Hier  hatten  wenige 
Wochen  genügt,  um  das  von  Kaiser  Joseph  eingeführte  Regierungs- 
system  in  unzusaramenhängendes  Stückwerk  zu  wandeln.  Vor  allem 
eifrig  zeigten  sich  die  Provinzialstände,  um  ihren  verlorenen  Einfluss 
wieder  zurückzugewinnen  und  der  Wiederkehr  „Josephmischer 
Zeiten  "^  vorzubeugen.  In  der  That  wurden  auch  alsbald  in  allen  Erb- 
landen Landtage  einberufen,  allein  die  von  den  Ständen  ausgearbei- 
teten weitschweifigen  Elaborate,  durch  welche  sie  ihre  Rechte  zu 
begründen  suchten,  hatten  nur  geringen  Erfolg.  Kaiser  Leopold  er- 
klärte sich  schließlich  für  das  Jahr  1764  als  Normaljahr  und  wies 
alle  darüber  hinausgehenden  Ansprüche  der  Stände  zurück.^  Die 
absolute  Gewalt  der  Krone  blieb  daher  unberührt,  die  Staatsgewalt 
centralisiert  und  Träger  des  öffentlichen  Staatslebens,  die  Josephi- 

^  über  die  ständische  Bewegung  nach  Kaiser  Joseph 's  Tode  in  Böhmen: 
Histor.  Actenstücke  über  das  Ständewesen  in  Österreich,  Heft  ü,  Springer  L 
25flf.;  Tom  an,  181.  Für  Mähren:  D'Elvert  im  14.  Bd.  der  Schriften  d.  histor. 
Section.  Für  Steiermark :  Zahn,  Geschichtsblätter,  VI,  und  Bidermann 
Heft  XXI  der  Mitth.  d.  hist.  Ver.  f.  Strak.  Für  Krain:  Costa  in  Mitth.  d.  bist. 
Ver.  f.  Krain,  1859;  das  Ms.  der  kärntnischen  Desideria  liegt  jetzt  im  Archiv 
des  Museums  zu  Görz.  Für  Tirol:  Egger,  III,  128. 


Paciflcierung  Ungarns;  die  Stände  und  das  Nonnaljahr  17(54.        557 

nischen  Agrar-,  Justiz-  und  Verwaltungsgesetze,  soweit  sie  nicht  schon 
früher  widerrufen  worden  waren,  hielt  Kaiser  Leopold  II.  unbedingt 
aufrecht.  Die  Josephinische  Steuerverfassung  wurde  nur  unter  dem 
Vorbehalt  späterer  Durchführung  zurückgezogen,  weil  bei  den  Vor- 
arbeiten F'ehler  unterlaufen  seien.  Die  Qeneralserainarien  wurden 
zwar  aufgehoben,  jedoch  die  Geistlichen  demungeachtet  als  „Beamte 
des  Staates  in  der  Kirche**  angesehen,  die  Conduitlisten  wurden 
aufgegeben,  die  Strafe  des  Schiflfziehens  abgeschafft  u.  dgL,  aber 
im  übrigen  blieb  es  beim  alten.  Das  freie  Versammlungsrecht  der 
Landstände,  die  Wiedereinführung  der  Mautfreiheit,  des  alten  Jagd- 
rechts, des  eigenen  Gerichtsstandes,  die  Aufhebung  der  Toleranz- 
gesetze, die  Wiederherstellung  der  Klöster,  die  Übergabe  des  Re- 
ligionsfonds an  die  Kirche  u.  s.  w.,  dies  alles  wurde  ein-  für  allemal 
abgelehnt. 

5.  So  bekamen  also  die  Stände  nur  ein  sehr  bescheidenes 
Maß  ihrer  früheren  Gerechtsame  zurück.  Die  Regierung  gab  z.  B. 
den  stehischen  Ständen  einen  Landeshauptmann  als  besonderes 
Haupt  zurück  und  verzichtete  auf  das  unbeschränkte  Ernennungs- 
recht, allein  sie  behielt  das  Wahlrecht  unter  zwölf  vorgeschlagenen 
Candidaten  und  der  Erwählte  durfte  nicht  ihnen,  sondern  musste 
ausschließlich  dem  Monarchen  den  Gehorsamseid  leisten.  Die  Wahl 
von  Verordneten  und  Ausschüssen  wurde  wohl  den  Landständen 
wieder  verstattet,  allein  sie  musste  jetzt  curienweise  erfolgen  und 
außerdem  war  dem  Bürgerstande  der  Posten  eines  Verordneten 
und  von  zehn  Verti'etern  im  Landtag  vom  Kaiser,  aller  Gegen- 
bemühungen der  alten  Stände  ungeachtet,  zugestanden  worden. 
Dabei  unterlagen  die  Sitzungsprotokolle  und  Rechnungsausweise 
der  Landschaft  fortan  einer  strengen  Untersuchung  durch  die 
Staatsbehörden,  was  ebenso  gegen  das  geschichtliche  Recht  war, 
als  die  Bemessung  der  Gehalte  für  die  Verordneten  und  Bedien- 
steten der  Landschaft  durch  die  Regierung,  ja  den  Ständen  war 
überhaupt  jede  noch  so  kleine  Ausgabe  untersagt,  sofern  nicht 
Pauschalsummen  dafür  ausgeworfen  waren. 

6.  Auch  auf  dem  Gebiete  der  Verwaltung  wurden  im  ganzen 
die  Zustände  wieder  hergestellt,  wie  sie  unter  der  Kaiserin  Maria 
Theresia  bestanden  hatten.  Die  historische  Individualität  der  Erb- 
lande kam  wieder  zur  Geltung;  an  Stelle  des  i.-ö.  Guberniums 
traten  besondere  Länderstellen  in  Steiermark,  Kärnten  und  Krain^ 


558        österreichische  Reichsgeschichte.  IL  Theil.  Fünfte  Periode.  §  65. 

auch  in  Görz  wurde  eine  solche  errichtet  und  die  Bukowina  von 
Galizien  getrennt.*  Was  diese  Justiz  Verfassung  betrifft,  so  wurde  das 
inner-  und  oberösterreichische  Appellationsgericht  mit  Patent  vom 
27.  Deceraber  1790  getheilt  und  für  Tirol  und  Vorarlberg  ein  eigener 
Gerichtshof  zu  Innsbruck  errichtet,  während  das  Appellationsgericht 
zu  Klagenfurt  seinen  Wirkungskreis  für  Innerösterreich  behielt. 
Ebenso  wurden  unter  Aufhebung  der  Justizadministrationen  eigene 
Landrechte  für  Görz,  Kärnten,  Krain  u.  s.  w.  eingerichtet,  die  hinfort 
fast  ausschließlich  Civilgerichte  für  den  Adel  blieben.  Nicht  weniger 
als  achtzehn  Hofdecrete  aus  den  Jahren  1791—1792  bestimmten 
jene  Magistrate,  denen  nach  einzelnen  Provinzen  und  Kreisen  die 
unadelige  Geistlichkeit  hinfort  unterstehen  sollte.  Bei  den  Central- 
stellen  verfügte  das  Hofrescript  vom  31.  Jänner  1791  die  Auflösung 
der  „vereinigten  Hof  stelle**  und  wurde  die  Wiedererrichtung  der 
böhmisch-österreichischen  Hofkanzlei  einerseits,  der  Hofkammer 
andererseits  angeordnet,  welch  letzterer  sowohl  die  Finanzver- 
waltung als  die  Leitung  der  Handelsangelegenheiten  übertragen 
wurde. 

7.  Es  war  ein  Unglück  für  Österreich,  dass  Kaiser  Leopold  IL, 
welcher  den  Ruf  eines  der  weisesten  Fürsten  seiner  Zeit  hatte,  schon 
nach  zwei  Jahren  starb  (1792,  1.  März),  ehe  es  ihm  gelungen  war, 
hier  die  fortgeschrittenen  constitutionellen  Anschauungen,  ins  Leben 
einzuführen,  die  er  als  Großherzog  vertreten  hatte,  denn  „Leopold 
wäre  vielleicht  wohl  befähigt  und  entschlossen  gewesen,  in  ruhigen 
Zeiten  die  verfassungsmäßigen  Zustände  in  Österreich  auf  einer 
den  modernen  Verhältnissen  und  Anschauungen  entsprechenden 
Basis  fortzubilden **.  Mit  der  Thronbesteigung  seines  Nachfolgers 
schwand  leider  diese  Hoffnung  und  damit  die  Aussicht  auf  eine 
stetige  und  ruhige  Entwicklung  der  inneren  Verhältnisse.  Kaiser 
Franz  IL,  von  Natur  aus  zu  Misstrauen  neigend,  entwickelte  sich 
unter  dem  Eindruck  der  Schreckenszeit  in  Frankreich  und  der  Napo- 
leonischen Kriege,  die  er  als  Polgen  der  Freiheitsbewegung  ansah, 
zu  einem  Herrscher,  welcher  allen  durchgreifenden  Änderungen 
abhold  war.  Auch  seine  Schwerfälligkeit,  zu  einem  bestimmten 
Entschlüsse  zu  gelangen,  hielt  ihn  von  Reformen  ab,  deren  Ende 
man  nicht  vorhersehen  konnte.  Er  begnügte  sich,  anzuordnen,  was 
gerade  das  augenblickliche  Bedürfnis  verlangte,  verlor  sich  dabei 
selbst  in  kleinliche  Einzelheiten  und  so  wurde  denn  Österreich 


Tod  Kaiser  Leopold's  IL;  Österreich  unter  Kaiser  Franz  I[.  559 

nach  einem  Ausspruche  Metternich's  „zwar  verwaltet,  aber  nicht 
regiert".  Vor  allem  gefährlich  erschien  dem  Kaiser  Franz  jede 
Volksbewegung  und  darum  verstrich  auch  die  günstige  Gelegenheit 
der  Freiheitskriege  ungenützt  und  ohne  jeden  Versuch,  sich  mit 
dem  Volke  in  einer  der  Macht  des  Reiches  frommenden  Weise  zu 
verständigen.  Wohl  hatte  Artikel  13  der  deutschen  Bundesacte 
die  Einführung  einer  landständischen  Verfassung  für  alle  Bundes- 
staaten angeordnet,  allein  dem  war  in  Österreich  nach  Ansicht  des 
Kaisers  durch  die  Wiederherstellung  der  alten  ständischen  Länder- 
verfassungen bereits  entsprochen,  die  Kaiser  Leopold  IL  verfügt 
hatte  und  die  Kaiser  Franz  dort,  wo  die  Franzosenkriege  Än- 
derungen bewirkt  hatten,  wieder  einführte.^  Der  Verauch  des 
Staatskanzlers  Fürsten  Metternich  im  Jahre  1832,  den  Kaiser  für 
eine  neue  Verfassung  zu  gewiimen,  um  den  „Gegensatz  zwischen 
dem  monarchischen  Princip  und  dem  der  Volksherrschaft ""  auf- 
zulösen und  ein  System  des  „regelmäßigen  Fortschrittes"*  anzu- 
bahnen, scheiterte  und  es  blieb  alles  beim  alten.  Einen  noch  ärgeren 
Grad  erreichte  die  Versumpfung  alles  öffentlichen  Lebens  unter 
seinem  Sohne  und  Nachfolger,  Kaiser  Ferdinand  L,  einem  Fürsten 
von  unbegrenzter  Gutmüthigkeit  und  unerschöpflichem  Wohlwollen, 
den  indessen  seh were  Erkrankungen  von  der  Regierung  ausschlössen, 
welche  in  seinem  Namen  durch  die  „Staatsconferenz""  thatsächlich 
geführt  wurde. 

8.  Die  Verfassung  Österreichs  ist  in  sämmtlichen  Provinzen  mit 
einziger  Ausnahme  Ungarns  und  Siebenbürgens  rein  monarchisch. 
„Ich  bin  derjenige,  welcher  etc.",  ist  der  eigentliche  Wahlspruch 
der  Monarchie,  so  beginnt  der  ungenannte  österreichische  Staats- 
mann seine  SchUderung  von  Österreich  im  Jahre  1840.  Die  alte 
ständische  Verfassung  bestand  nur  noch  den  Namen  nach  und 
war  zum  Zerrbild  geworden.  Der  permanente  Landesausschuss,  das 
Verordneten  -  CoUegium  oder  welchen  Namen  sonst  der  geschäfts- 
führende Ausschuss  der  Landstände  hatte,  bestand  aus  ein  oder 
zwei  Mitgliedern  des  Prälaten-,  Herren-,  Ritter-  und  Bürger- 
standes (in  Tirol  auch  der  Bauernschaft),  die  auf  den  Landtagen 
mehr  mit  Rücksicht  auf  ihre  Vermögensverhältnisse  als  auf  ihre 
Fähigkeiten  gewählt  wurden  und  der  kaiserlichen  Bestätigung  be- 

2  In  Tirol  1816,  öalizion  und  Bukowina  1817,  in  Krain  1818,  Salzburg  1826. 


560        Österreichische  Reich?geschichte.  II.  Theil.  Fünfte  Periode.  §  65. 

durften.  Ihre  Hauptaufgabe  war  die  gleichmäßige  Vertheilung  und 
die  Einbringung  der  Steuern  und  Landesabgaben,  wofür  ihnen 
während  ihrer  sechsjährigen  Amtsdauer  jährlich  2000  fl.  Remune- 
ration mit  Bewilligung  des  Staates  angewiesen  wurden.  Nicht  selten 
waren  einzelne  Verordnete  nebenbei  auch  Staatsbeamte.  Die  übrigen 
Landstände  traten  über  kaiserliche  Berufung  einmal  im  Jahre  unter 
Entfaltung  veralteten  Pompes  zum  allgemeinen  Landtag  zusammen, 
um  über  die  Bewilligung  der  fürs  laufende  Jahr  vom  Kaiser  ge- 
forderten Steuern  und  Abgaben  zu  berathen,  eine  inhaltslose  Förm- 
lichkeit, da  von  Seite  der  Regierung  auch  nicht  das  geringste 
Widerstreben  geduldet  wurde.  „Eine  \'ertretung  der  Unterthanen, 
eine  eigenmächtige  Abstellung  von  Missbräuchen,  eine  Beschwerde- 
führung und  Ähnliches  liegt  nicht  in  der  Berechtigung  dieser  Stände 
und  würde  es  ja  irgend  ein  großherziges  Mitglied  der  Versammlung 
wagen,  dem  stillschweigend  zustimmenden  Resultate  dieser  öffent- 
lichen Berathung  missbilligend  in  den  Weg  zu  treten,  er  dürfte  nur 
stummen  Gestalten  gegenübei'stehen'',  urtheilt  der  ungenannte 
Staatsmann  vom  Jahre  1840. 

9.  Ganz  anders  waren  allerdings  die  Dinge  auch  zu  dieser 
Zeit  in  Ungarn.  Hier  lag  bloß  die  executive  Gewalt  in  den  Händen 
des  Königs,  während  der  größere  Theil  der  Majestätsrechte  und 
deren  Ausübung  an  die  Zustimmung  der  Reichstände  gebunden  war, 
die  von  drei  zu  drei  Jahren  berufen  werden  sollten.  Kaiser  Franz 
suchte  sich  dadurch  zu  helfen,  dass  er  den  ungarischen  Reichstag 
so  selten  als  möglich  berief,  allein  dies  führte  nur  zu  lauten  Klagen 
und  zu  passivem  Widerstand  der  Comitate.  Zur  Beschwichtigung  der 
Gemüther  wurden  dann  —  oft  nur  stillschweigend  —  Zugeständnisse 
gemacht,  die  sich  hinterher  von  großer  Tragw^eite  erwiesen.  Schon 
auf  dem  Landtag  von  1825  und  noch  mehr  auf  den  folgenden,  ge- 
schah es,  dass  durch  Stillschweigen  der  Regierung  bei  Übergriffen 
der  Stände  oder  bei  Missgriffen  von  Seite  der  königlichen  Vertreter 
die  Grundlage  der  ungarischen  Verfassung  in  einer  der  Krone  un- 
günstigen Weise  geändert  wurde,  ohne  dass  man  es  in  Wien  geahnt 
hätte.  So  wurde  aus  Anlass  einiger,  bei  Comitatsversammlungen 
vorgekommener  Anstände  das  Majoritätsprincip  stillschweigend  ein- 
geführt und  dadurch  ein  dem  Grundgesetz  entgegenstehender 
„Usus"  begründet,  denn  jenes  legte  auf  die  vota  mnioia,  nicht  auf 
die  vota  majora  Gewicht  und  verfügte   vota  non  numerctntnr  .^ed 


Die  Landtage  in  Ungarn  ;  Umstaltnngen  der  Verwaltung.  56 1 

x 

ponderantii7\  Die  Folgen  dieser  gesetzwidrigen  Neuerung  kamen 
zumeist  der  Bewegungspartei  zustatten,  welche  auf  diese  Weise 
das  verfassungsmäßige  Übergewicht  der  Notabilitäten  durch  jenes 
der  Zahl  beseitigen  konnte,  betrüblich  aber  waren  sie  vor  allem  für 
die  Städte,  deren  Abgeordneten,  als  es  auf  dem  Reichstage  vom 
Jahre  1830  zum  erstenmal  zur  Abstimmung  nach  der  Zahl  kam, 
der  Präsident  der  Ständetafel  nur  eine  Stimme  beilegte  und  da- 
durch einen  neuen  „Usus"  begründete.  Ähnliche  Versehen  traten 
auch  in  vielen  anderen  Fällen  ein,  wurden,  da  sie  von  Seite  der 
Krone  ungerügt  blieben,  sofort  als  „Usus"  gedeutet  und  unter- 
gruben so  die  hergebrachte  Verfassung. 

10.  Und  doch  sollte  nach  des  Kaisers  Willen  alles  beim  alten 
bleiben,  dem  er  gegenüber  jedem  noch  so  bescheidenen  Wunsche 
nach  Neuerungen,  fort  und  fort  das  Wort  redete.  Von  Anbeginn  fehlte 
daher  jeglicher  Antrieb  zum  Ausbau  der  von  Kaiser  Leopold  IL 
unvollendet  hinterlassenen  Grundlagen  des  Staates.  Nur  auf  dem 
Gebiete  der  Verwaltung  geschah  einiges  und  das  mit  keiner 
glücklichen  Hand.  So  bestand  die  vornehmste  Thätigkeit  der 
Regierung  anfangs  in  einem  Zusammen-  und  wieder  Auseinander- 
schieben der  von  der  Zeit  seiner  Vorgänger  überlieferten  Ministerien. 
Das  Princip  der  Trennung  der  Justiz  von  der  Verwaltung  wurde 
zeitweilig  aufgegeben,  indem  1797  die  höchsten  politischen  und 
Justizgeschäfte  der  böhmisch  -  österreichischen  Hofkanzlei  über- 
tragen wurden,  welche  seit  1801  auch  noch  das  ganze  Finanz-  und 
Commerzwesen  mit  Ausnahme  der  Creditgegenstände  besorgen 
sollte,  gleich  darauf  der  Staatsrath  in  ein  dreispaltiges  Staats-  und 
Conferenz-Ministerium  umgew-andelt,  vierteljährige  Administrations- 
berichte den  Länderbehörden  auferlegt,  um  eine  Übersicht  des 
Zusammenhangs  der  Geschäfte,  des  Gedeihens  oder  Rückgangs  zu 
erhalten.  Aber  schon  1802  kam  eine  neue  Organisation  der  Hof- 
stellen zustande:  Justiz  und  Finanz  wurden  von  der  politischen  Ver- 
waltung durch  Wiedererrichtung  der  obersten  Justizstelle  und  der 
Hof  kammer  getrennt,  1808  auch  der  Staatsrath  in  friiherer  Weise 
erneuert.  Dass  infolge  dieses  ziellosen  Schwankens  in  den  Ein- 
richtungen der  obersten  Verwaltung  eine  gräuliche  Unordnung  in 
der  Geschäftsführung  eintreten  musste,  ist  klar. 

11.  Der  Verwaltungsapparat  in  Österreich,  der  sich  zum 
Schlüsse  dieser  Übergangszeit  herausbildete  und  dann  durch  Jahr- 

Lttschin,  österreichische  Reichsgeschichte.  3ö 


562        österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Fünfte  Periode.  §  65. 

zehente  bia  zum  Jahre  1848  im  wesentlichen  unverändert  erhielt, 
war  folgendermaßen  gestaltet: 

Für  die  oberste  Leitung  der  Staatsgeschäfte  gab  es  eine 
Anzahl  von  „Hofstellen",  welche  meist  collegial  eingerichtet  waren, 
d.  h.  ihre  Entscheidungen  wurden  in  Sitzungen  mit  Stimmenmehrheit 
der  Räthe  beschlossen  und  der  Präsident  hatte  nur  das  Recht, 
vor  Ausfertigung  wichtiger  Beschlüsse  noch  die  Entscheidung  des 
Kaisers  einzuholen.  Einige  dieser  Hofstellen  waren  Behörden  für 
den  Gesammtstaat,  so  die  geheime  Haus-,  Hof-  und  Staatskanzlei 
in  Angelegenheiten  des  Äußern,  der  Hofkriegsrath  für  das  gesammte 
Militärwesen,  die  allgemeine  Hofkammer  in  Finanz-,  Handels-  und 
Industriesachen  und  das  Generalrechnungsdirectorium.  Für  die 
Leitung  der  politischen  Angelegenheiten  einschließlich  des  Polizei- 
wesens, sowie  als  höchste  Justizstelle  in  Ungarn  und  Siebenbürgen 
bestand  die  königliche  ungarische,  beziehungsweise  siebenbürgische 
Hofkanzlei.  Für  die  übrigen  Kronländer  gab  es  die  k.  k.  vereinigte 
Hofkanzlei  als  Ministerium  des  Innern,  Cultus  und  Unterricht,  die 
oberste  Justizstelle  zugleich  Justizministerium  und  eine  Polizei- 
und  Censurhofstelle. 

12.  In  der  Länderverwaltung  erhielten  sich  im  wesentlichen 
die  Josephinischen  Einrichtungen.  Fürs  Politische  gab  es  coUegiale 
Gubernien  mit  einem  Gouverneur  an  der  Spitze,  der  manche  Ge- 
schäfte „prsesidialiter*"  erledigen  konnte.  Unter  den  Gubernien 
standen  Kreisämter,  welche  zum  Theile  einen  eigenen  Wirkungs- 
kreis erhalten  hatten,  und  die  städtischen  Magistrate  gleich  den 
Patrimonialbehörden  als  Vollzugsorgane  für  Acte  der  landesfürst- 
lichen Verwaltung  benützten.  Die  erwähnten  städtischen  und  grund- 
herrlichen Beamten  besorgten  in  gleicher  Weise  für  den  Staat  auch 
die  Justiz-  und  Finanzverwaltung,  soweit  diese  nicht  den  landes- 
fürstlichen Cameralbehörden  oder  den  k.  k.  Landrechten,  beziehungs- 
weise Appellationsgerichten  überwiesen  waren.  Daneben  gab  es 
noch  eigene  k.  k.  Polizeidirectionen  und  hatten  die  landständischen 
Behörden  die  Besorgung  der  Steuereinhebung  für  den  Staat. 

13.  Die  Verwaltung  Österreichs  krankte  in  dieser  Zeit  an  dem 
völligen  Mangel  eines  inneren  Zusammenhangs.  Kaiser  Franz  war 
seiner  Gesinnung  nach  so  sehr  Centralist  und  Autokrat,  dass  er 
alle  Fäden  der  Staatsverwaltung  persönlich  zusammenhalten  wollt«, 
indem  er  dazu  die  Hilfe  bald  des  einen,  bald  des  andern  Staats- 


Die  Verwaltung  vor  1848,  Mangel  an  innerm  Zusammenhang.        563 

und  Conferenzministers  oder  Staats-  und  Conferenzrathes,  immer 
aber  nur  zeit-  und  theilweise  in  Anspruch  nahm.  »So  sanken  all- 
mählich die  Hofstellen  von  Theilnehmern  an  der  Staatsregierung  zu 
bloßen  Verwaltungsbehörden  herab ;  eine  jede  bewegte  sich  in  ihrem 
Kreise,  ohne  Rücksicht  auf  die  Bewegung  der  andern,  ein  soli- 
darisches Zusammenwirken  für  den  allgemeinen  Staatszweck  unter- 
blieb." Darunter  litt  natürlich  die  Qualität  des  Beamtenstandes, 
zumal  der  Kaiser  seine  Anforderungen  auf  Fleiß  und  gesunden 
Menschenverstand  beschränkte  und  alle  „Gelehrten"  als  von  Übel 
erklärte.*  Das  Endergebnis  war,  dass  es  eine  vielgliedrige  schwer- 
fällige Bureaukratie  gab,  von  der  man  sagen  möchte,  dass  sie  aus 
lauter  Händen  und  gar  keinen  Köpfen  bestand,  aus  Menschen,  die 
ideenlos,  ohne  Interesse  an  den  Zuständen  des  Ganzen,  ihre  In- 
structionen beobachteten,  nach  den  Normalien  administrierten  und 
mit  stumpfer  Ergebung  die  nach  dem  Altersrang  unfehlbar  ein- 
tretende „Vorrückung"  erwarteten.  Dabei  kam  es  in  der  Verwaltung 
selbst  zu  unglaublichen  Widersinnigkeiten.  Die  Abgrenzung  des 
Wirkungskreises  war  oft  mehr  auf  Grundlage  der  Form,  als  der 
Wichtigkeit  des  Gegenstandes  gefasst.  Was  nicht  aus  bestehenden 
Vorschriften  abgeleitet  werden  konnte,  musste  in  der  Regel  vor  den 
Kaiser  gelangen,  dasjenige  aber,  was  innerhalb  einer  solchen  Vor- 
schrift lag,  wurde  von  der  Hofstelle,  deren  Wirkungskreis  es  betraf, 
unmittelbar  entschieden.  W^ährend  nur  der  Kaiser  den  einzelnen 
Mann  vom  Soldatendienst  befreien  konnte,  hieng  die  Bemessung 
der  Recrutenzahl,  die  in  jedem  Jahr  verschieden  war,  ganz  vom 
Hofkriegsrath  ab.  Bei  Staatsbauten  verwendete  Arbeiter  konnten 
auch  nach  langjähriger  treuer  Verwendung  nur  durch  kaiserliche 
Entschließung  zur  kleinsten  Gnadengabe  gelangen,  weil  zu  einer 
Versorgung  vom  Staate  nach  den  bestehenden  Vorschriften  nur  die 
Beeidigung  Anspmch  gab,  aber  die  einschneidendsten  Finanzmaß- 
regeln führte  die  Hofkammer  selbständig  aus  u.  s.  w. 


^  So  erzählte  der  Brünner  Appellationspräsident  Graf  Bubna  im  Jahre  1836 
bei  einer  gegebenen  Veranlassung,  Kaiser  Franz  habe  zu  ihm  im  Jahre  1833 
gesagt:  «Mit  den  s.  g.  Genies  und  Gelehrten  kommt  nichts  heraus,  sie  wollen 
immer  alles  besser  wissen  und  halten  die  Geschäfte  auf,  oder  die  Alltagsgeschäfte 
wollen  ihnen  nicht  gefallen.  Gesunder  Menschenverstand  ujid  brav  Sitzfleisch, 
dies  ist  das  Beste."  —  Beidtel,  Geschichte  d.  österreichischen  Staatsverwaltung, 
I,  S.  XXIX,  Anm.  1. 

36* 


564        Österreichische  Reichsgeschichte.  IL  Theil.  Fünfte  Periode.  §  65. 

14.  Auch  die  Annahme  des  österreichischen  Kaisertitels  im 
Jahre  1804  war  vor  nlleni  aus  Rücksichten  auf  die  Form  erfolgt. 
Der  voraussichtliche  Zusammenbruch  des  römisch-deutschen  Reichs 
und  die  Anwendung  des  Kaisertitels  in  Russland,  bestimmten  Kaiser 
Franz  IL,  als  Napoleon  am  18.  Mai  1804  den  Kaisertitel  von  Frank- 
reich angenommen  hatte,  ein  Gleiches  riicksichtlich  seiner  Erblande 
zu  thun.  Am  10.  August  1804  eröffnete  Kaiser  Franz  diesen  seinen 
p]ntschlus8  einer  Versammlung  von  Staatswürdenträgern,  unter 
welchen  sich  Erzherzoge,  die  Vorstände  der  österreichischen  Hof- 
stellen, der  Palatin  und  ungarische  Würdenträger  befanden.  Am  fol- 
genden Tage  verkündete  ein  Patent,  dass  der  römisch-deutsche  Kaiser 
auch  den  Titel  eines  Erbkaisers  angenommen  habe,  aber  feierlich 
verkündet  wurde  die  Neuerung  in  Wien  erst  am  7.  December  1804, 
während  die  ungarischen  Behörden  bereits  durch  ein  Rescript  vom 
17.  August  davon  benachrichtigt  wurden;  eine  besondere  Krönung 
fand  nicht  statt.  Als  Franz  IK  1806  die  Würde  eines  römisch- 
deutschen Kaisers  niederlegte,  enthob  er  seine  Provinzen,  die 
Reichsländer  waren,  aller  Verpflichtungen,  die  sie  bisher  gegen  das 
Deutsche  Reich  gehabt  hatten,  und  erklärte  am  6.  August,  er  wolle 
dieselben  weiterhin  „in  Vereinigung  mit  dem  ganzen  österreichi- 
schen Staatskörper  als  Kaiser  von  Österreich"  regieren.  Zugleich 
wurden  in  der  Wappenfrage  die  schon  im  Jahre  1804  gefasstea 
Beschlüsse  zur  Ausführung  gebracht  und  der  Doppeladler  als 
Sinnbild  des  „auf  den  ganzen  Complex  der  Erbkönigreiche  und 
Länder  radicierten  österreichischen  Kaiserthums"  erklärt.  Weitere 
Folgerungen  aus  der  Annahme  des  Kaisertitels  unterblieben,  ob- 
wohl  der  Staatskanzler  in  den  Jahren  1815  und  1835  zu  einer 
feierlichen  Kaiserkrönung  drängte,  bei  welcher  ständische  Ab- 
ordnungen aus  allen  Theilen  des  Reiches  einen  Act  gemeinsamer 
Huldigung  dem  gemeinsamen  Oberhaupt  hätten  darbringen  sollen.* 
Die  Vornahme  einer  solchen  wurde  ebenso  abgelehnt,  wie  der  Vortrag 
der  vereinigten  Hofkanzlei  vom  Jahre  1806,  welcher  die  Beseitigung 
der  Verschiedenheiten  bei  den  Adelsdiplomen  innerhalb  der  Mon- 
archie beantragte,  um  die  durch  Annahme  der  österreichischen 
Kaiserwürde  ausgedrückte  Einheit  der  Monarchie  zu  verwirklichen. 
„Nur  zu    leisen  Demonstrationen  wurden  die  hiezu  gewidmeten 


*  Über  den  Kaisertitel:  Bidermann  in  Grünhut's Zeitschr.,  XXI,  368  ff. 


Der  österreichische  Kaisertitel ;  Wachsende  Unzufriedenheit.  565 

Insignien  benützt,  gleich  als  wollte  man  vorerst  die  Ungarn  und 
Böhmen  an  deren  Anblick  gewöhnen." 

15.  Die  Unzufriedenheit  der  Völker  Österreichs  über  ihre 
Regierung  nach  dem  „System"  des  Kaisers  Franz,  das  man  auch 
„System  Metternich"  nannte,  obwohl  der  Staatskanzler  in  den 
inneren  Angelegenheiten  des  Reiches  bis  zum  Jahre  1835  wenig 
Einfluss  hatte,  wuchs  indessen  von  Jahr  zu  Jahr.  Was  dies 
^System",  das  auch  den  Beamten  als  Richtschnur  ihres  Handelns 
eingeschärft  wurde,  abgesehen  von  „ungeschmälerter  Aufrecht- 
haltung der  Souveränitätsrechte  und  Verneinung  eines  jeden  An- 
spruches der  Völker  auf  Theilnahme  an  jenen  Rechten"^  noch 
sonst  für  einen  Inhalt  habe,  wusste  eigentlich  niemand  zu  sagen, 
allein  man  empfand  die  Wirkung  desselben  als  unerträglichen 
Druck  in  allen  Kreisen  und  Ständen.  So  war  denn  bald  alles,  was 
nur  überhaupt  in  Österreich  an  intelligenten  und  patriotischen 
Elementen  vorhanden  war,  instinctiv  wie  zu  einem  großen  Geheim- 
bund vereinigt,  um  einer  solchen  Regierung  entgegenzutreten,  wo  es 
gieng,  nationale  und  politische  Bestrebungen  zu  wecken  und  einer 
besseren  Zukunft  vorzuarbeiten.  MissgriflFe  der  Verwaltung,  w^elche 
umso  leichter  vorkamen,  als  die  Beamten  über  die  eigentlichen  Ab- 
sichten der  Regierung  nicht  genügend  unterrichtet  wurden,^  haben 
ihr  ebenfalls  den  Boden  untergraben.  Endlich  war  auch  die  Finanz- 
verwaltung schlecht.  „Die  Verlosung  der  älteren  Staatsschuld  ver- 
größerte von  Jahr  zu  Jahr  die  Zinsenlast  des  Staates,  ohne  ihm 
neues  Capital  zur  Aufschließung  neuer  Quellen  des  National reich- 
thums  dafür  darzubieten",  dazu  kam  der  Druck  der  Steuern  über- 
haupt, der  Verzehrungssteuer  und  des  im  Jahre  1840  erschienenen 
unklaren  Stempelpatents  insbesonders.  In  Galizien  war  es  schon 
1846  zu  einem  nationalen  Aufstand  des  Adels  gekommen,  der  Re- 
gierung und  Militär  gänzlich  überraschte  und  eigentlich  durch  die 

^  Hartig,  Genesis  50,  gibt  an:  Dieser  Maxime  standen  noch  zwei  andere 
zur  Seite  und  sollten  ihr  als  Stütze  dienen.  Die  eine  war  Bewahrung  des  väter- 
lichen Charaktere  der  Regierung,  die  andere  Vertretung  und  Begünstigung  des 
Katholicismus. 

*'  So  enthielten  z.  B.  die  a.  h.  Cabinetsschreiben  nur  kurz  den  Beschluss 
de.s  Kaisers  ohne  alle  Begründung,  «weil  es  mit  der  absoluten  Herrschergewalt 
nicht  verträglich  schien,  Rechenschaft  über  die  Motive  eines  kaiserlichen  Be- 
schlusses zu  geben."  Die  Hofstollen  wussten  daher  bei  Abänderung  ihrer  Anträge 
niemals,  woran  sie  sich  in  Zukunft  halten  sollten.  Hartig,  Genesis,  36. 


566     Österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Fünfte  Periode,  g  65  u.  66. 

Bauern,  die  ihren  Herren  nicht  folgen  wollten,  erdrückt  wurde. 
Österreichisch -Italien  war  durch  Geheimbünde  völlig  unterwühlt^ 
in  Ungarn  begann  auf  den  Landtagen  unter  Kossuth's  Führung^ 
die  radicale  Partei  Oberwasser  zu  erhalten,  die  auf  völlige  Ma- 
gyarisierung  und  möglichste  Selbständigkeit  Ungarns  losarbeitete, 
in  Böhmen  regten  sich  die  Czechen  und  selbst  die  zahmen  Land- 
stände der  deutschösterreichischen  Erblande  fiengen  an  auf  den 
Postulat-Landtagen  schwierig  zu  werden.  Unter  solchen  Zuständea 
bedurfte  es  nur  irgend  eines  äußeren  oder  inneren  Anstoßes,  um 
die  lang  verhaltene  Gährung  zu  offenem  Ausbruch  zu  bringen. 


§  66.  Ton  1848-1867. 

Literatur  bei  Krön  es,  Grundriss,  775  ff.  —  Bach  mann,  Rg..  446  ff.  — 
D'Elvert,  Verwaltungsgeschichte,  548  ff.  —  Czörnig,  Osten*.  Neugestaltung,. 
1848—1858.  —  Hart  ig,  Genesis  der  Revolution  im  Jahre  1848.  —  Hu  her, 
Rg.,  245  ff.  --  Anonym,  Österreichs  Desorganisation  u.  Reorganisation.  Rechts- 
geschichtlich-poUtische  Studien,  I,  1861.  —  Ruby,  Zeittafeln  zur  öst.  Geschichte» 
1895  (zur  raschen  Übersicht  über  die  Zeitereignisse).  —  Stubenranch,  Tabellar. 
Darstellg.  des  Organismus  der  österr.  Staatsverwaltung,  1855.  —  Ulbrich, 
Lehrbuch  des  österr.  Staatsrechts,  1883. 

1.  Der  zündende  Funke  ins  Pulverfass  war  die  Nachricht  vom 
Siege  der  Februarrevolution  in  Paris,  die  den  Wienern  am  1.  März  1848 
bekannt  wurde.  Adressen  und  Petitionen,  von  Tag  zu  Tag  schärfer 
gefasst,  wurden  vorbereitet,  um  sie  den  für  den  13.  März  einberufenen 
Landständen  des  Erzherzogthums  als  dem  ^verfassungsmäßigen 
Organ  für  die  Bedürfnisse  des  Volkes"  zur  Vertretung  vor  dem 
Thron  zu  übergeben,  darunter  eine  vom  juridisch-politischen  Lese- 
verein,  die,  auch  von  hohen  Staatsbeamten  unterschrieben,  eine 
Reichsvertretung,  Abschaffung  der  Censur,  Öffentlichkeit  der  Rechts- 
pflege verlangte,  eine  andere  der  Studentenschaft  um  Press-  und 
Redefreiheit,  Lehr-  und  Lemfreiheit  u.  dgl.  Daneben  bestand  eine 
socialdemokratische  Strömung,  welche  ihre  Werkzeuge  der  zahl- 
reichen, unzufriedenen  Arbeiterbevölkerung  entnahm.  Doch  herrschte 
die  ersten  Tage  noch  die  Ruhe  vor  dem  Ausbruch  des  Gewitters,  wie- 
wohl man  vom  10.  März  ab  oft  das  Scherzwort  hören  konnte:  „auf 
den  13.  sei  die  Revolution  angesagt".  Nur  die  Regierung  wiegte  sich 
in  Sicherheit  und  befürchtete  höchstens  einen  unbedeutenden  Straßen- 


Ausbrach  der  Revolution  im  Jahre  1848.  567 

krawall,  während  die  socialdemokratische  Bewegungspartei  auf  alle 
Fälle  für  einen  entsprechenden  Zuzug  von  Genossen  vorgesorgt  hatte. 

2.  Die  Bewegung  der  Wiener  Märztage  war,  wie  ein  con- 
servativer  Augenzeuge  urtheilt,  „von  der  ständischen  und  Geld- 
aristokratie im  Löwenbündnisse  mit  der  sogenannten  Intelligenz  für 
die  Sonderzwecke  der  einzelnen  Verbündeten  vorbereitet,  von  der 
Bureaukratie  nicht  verhindert  und  von  verlockten  Volksmassen 
zum  Ausbruche  gebracht  worden;"^  ihr  Erfolg  übertraf  alle  Er- 
wartungen: Mettemich  war  gestürzt,  Nationalgarde  und  Bewaffnung 
der  Studenten  bewilligt,  die  Censur  aufgehoben  und  die  Einberufung 
der  Provinzialstände  mit  verstärkter  Vertretung  des  Bürgerstandes 
zur  Berathung  der  vom  Kaiser  beschlossenen  Constitution  des  Vater- 
lands verfügt.  Die  kühnsten  Träume,  die  man  seit  Jahrzehnten  ge- 
hegt, hatten  über  Nacht  scheinbar  Erfüllung  gefunden,  kein  Wunder, 
dass  die  Bevölkerung  in  ihrem  Freudentaumel  alle  Besonnenheit 
verlor,  ins  Schlepptau  der  zielbewusst  arbeitenden  Radicalen  ge- 
rieth  und  von  diesen  immer  weiter  fortgerissen  wurde.  „Die 
Revolution  hätte  durch  das  kaiserliche  Patent  vom  15.  März  1848 
zu  einer  Reformation  umgestaltet  werden  können,  wenn  die  Be- 
stimmungen dieses  Patents  mit  Consequenz,  Klugheit  und  Festig- 
keit in  Ausführung  gebracht  worden  wären."  Allein  die  einseitige 
Erlassung  einer  Constitution  durch  Kaiser  Ferdinand  am  25.  April 
war  eine  unüberlegte  Abweichung  von  der  frühereu  Zusage  und 
ein  politischer  MissgriflF,  der  den  Polen  und  Czechen  sofort  Anlass 
zu  einer  Verwahrung  gab,  weil  dieses  Gesetz  ohne  Befragen  der 
Landstände  erflossen  sei. 

3.  Inzwischen  hatte  die  Bewegung  alle  Provinzen  erfüllt  und 
zugleich  ihren  anfänglichen  Charakter  geändert.  In  dem  Wunsche, 
das  verhasste  Metternich'sche  System  zu  stürzen,  hatten  sich  alle 
Nationalitäten  und  gesellschaftlichen  Classen  verbunden  gefühlt:  als 


^  Harti  g,  Genesis,  880.  An  der  planmäßigen  Mobilisierung  des  Proletariats 
durch  socialdemokratische  Führer  kann  nach  dem,  was  Ernst  Vloland  (die 
sociale  Gesch.  der  Revolution  in  Österreich,  1850,  S.  69  ff.)  als  in  diesem  Falle 
gewiss  unverdächtiger  Augenzeuge  über  die  Erlebnisse  vom  13.  März  berichtet, 
kein  Zweifel  sein.  In  Graz  wurden  schon  am  Morgen  des  6.  März  Maueranschläge, 
die  zum  Tyrannenmord  aufforderten,  verbreitet.  Gatti,  Die  Ereignisse  des  Jahres 
1848  in  Steiermark,  1850,  S.  7.  Siehe  auch  Weidmannes  Schilderung  der 
Wiener  Revolution  im  Kalender  .Austria*,  1849,  S.  307. 


568        Österreichische  Reichsgeschichte.  IL  Theil.  Fünfte  Periode.  §  66. 

dies  Ziel  erreicht  war,  traten  sofort  die  Sonderbestrebungen  scharf 
hervor.  Die  Deutschösterreicher,  von  kosmopolitischer  Sehosucht 
nach  Freiheit,  Gleichheit  und  Völkerverbrüderung  erfüllt,  die  alles 
preisgibt,  um  alles  zu  gewinnen,  erinnerten  sich  der  Zugehörigkeit 
zum  alten  Deutschen  Reich  und  sahen  dem  Zusammentritt  des 
deutschen  Nationalparlaments  zu  Prankfurt  mit  Begeisterung  ent- 
gegen. Sie  jubelten  aber  nicht  minder  mit  Wort  und  Tliat  den 
magyarischen  Bestrebungen  zu,  die,  nachdem  einmal  das  selbst- 
ständige Ministerium  eingesetzt  war,  kein  anderes  Ziel  haben 
konnten,  als  Ungarn  mit  seinen  Nebenländern  vollständig  von 
Österreich  zu  trennen.  In  Böhmen,  wo  schon  vor  dem  Jahre  1848 
eine  von  den  Ständen  geleitete  politische  Bewegung  mit  dem 
Schlagwort,  dass  die  czechische  Nationalität  mit  der  deutschen  in 
Schule,  Gericht  und  Verwaltung  gleichberechtigt  sein  solle,  be- 
gonnen hatte,  gieng  man  jetzt  weiter  und  nach  einer  kurzlebigen 
Verständigung  der  Deutschen  mit  den  Czechen  erhielt  die  slavi- 
sche  Strömung  Oberwasser.  Ein  allgemeiner  Slaven-Congress  wurde 
nach  Prag  berufen,  der  trotz  deutscher  Verhandlungssprache  eine 
ausgesprochene  deutschfeindliche  Haltung  hatte.  Er  beschloss  An- 
erkennung der  böhmischen  Länder  als  eines  unabhängigen  Staates, 
einen  Nationalitäten-Congress  der  nordungarischen  Slaven,  Schaffung 
eines  Königreichs  Slovenien  und  Bestätigung  der  Karlowitzer  Be- 
schlüsse für  die  Serben.  Kurz  darauf  kam  es  zu  blutigen  Zusammen- 
stößen zwischen  national- fanatisierten  Czechen  und  der  Prager 
Garnison,  welcher  sich  während  der  Kämpfe  der  größte  Theil  der 
deutschen  Bevölkerung  anschloss. 

4.  Wieder  andere  Ziele  verfolgte  man  in  Galizien.  Die  Polen 
verhehlten  in  ihren  Petitionen  nicht,  dass  die  Wiederherstellung 
eines  unabhängigen  polnischen  Reiches  der  Wunsch  der  Nation 
bleibe.  Auf  Abschlag  verlangten  sie  die  Bewilligung  eines  Gomites 
von  Vertrauensmännern  zur  Berathung  der  inneren  Reorganisation 
des  Landes,  Entfernung  der  fremden  Beamten,  Einführung  des 
Polnischen  in  den  Schulen  und  als  Amtssprache,  die  Rückberufung 
der  galizischen  Regimenter  u.  s.  w.  Dass  es  zu  blutigen  Aufständen 
in  Krakau  und  Lemberg  kam,  ist  nicht  überraschend,  ebensowenig 
auch  die  Gegenströmung,  die  unter  den  Ruthenen  entstand,  die 
sich  zu  Erhaltung  ihrer  Nationalität  der  kaiserlichen  Regierung 
anschlössen. 


Die  politischen  Ziele  der  Deutschösterreicher,  Slaven,  Ungarn.        569 

5.  Am  ärgsten  tobte  aber  der  Nationalitätenhader  in  den 
Ländern  der  ungarischen  Krone.  Auf  dem  Pressburger  Landtage 
1847/48  hatte  die  radicale  Partei  eine  Anzahl  von  Anträgen  durch- 
gesetzt, um  die  alte  ungarische  und  siebenbürgische  ständisch- 
aristokratische Verfassung  in  eine  repräsentative  mit  Einführung 
des  demokratischen  Elements  umzuwandeln  und  zugleich  die  Ver- 
bindung der  Osthälfte  mit  der  Westhälfte  des  Kaiserstaats  zu  lockern. 
Da  es  ihr  durch  Ausnützung  der  in  den  Wiener  Märztagen  einge- 
tretenen Verwirrung  gelang,  zu  diesen  vom  Landtage  „votierten 
Repräsentationen"  auch  die  entsprechenden  „königlichen  Resolu- 
tionen* zu  erwirken,  so  traten  diese  „Achtundvierziger  Beschlüsse** 
nach  bisherigem  Herkommen  mit  Schluss  des  Landtags  durch  das 
königl.  Patent  vom  11.  April  1848  in  der  Weise  in  Wirksamkeit, 
wie  sie  in  den  Gesetzartikeln  des  ungarischen  Landtags  vom  Jahre 
1847/48  enthalten  waren.  Es  erkannten  jedoch  die  neben  den 
Magyaren  in  Ungarn  und  den  Nebenländern  wohnenden  Volks- 
stämme,  insbesonders  die  Slaven  sogleich  die  Endabsicht  dieser 
Umstaltungen,  die  auf  eine  völlige  Verschmelzung  der  übrigen 
Nationalitäten  mit  der  magyarischen  abzielte  und  diese  Überzeugung, 
auf  frühere  Erfahrungen  gestützt,  brachte  bald  den  entschlossen- 
sten Widerstand  zum  Ausbruch.  Durch  die  Rücksichtslosigkeit,  mit 
der  sie  behandelt  wurden,  zum  Äußersten  gebracht,  erhoben  sich 
im  Laufe  des  Jahres  1848  Serben,  Croaten,  Slovaken  und  Rumänen 
mit  den  Waffen  gegen  das  neue  ungarische  Ministerium  und  die 
Magyarisierung,  die  sächsischen  Abgeordneten  traten  aus  dem  neu- 
berufenen Reichstag  aus  u.  s.  w. 

6.  In  Wien  war  mittlerweile  die  Verwirrung  aufs  höchste 
gestiegen;  in  Regierungskreisen  herrschte  völlige  Rathlosigkeit. 
Straßenkrawalle  genügten,  um  Minister  zu  stürzen,  die  „Sturm- 
petition" erzwang  am  15.  Mai  den  Fortbestand  des  aufgelösten 
Centralcomit6s  der  Nationalgarden  und  die  Erklärung,  dass  der 
erste  Reichstag  als  Constituante  mit  einer  Kammer  zu  berufen  sei. 
Das  Ministerium  Doblhof,  das  am  15.  Juli  folgte,  „bei  dessen  Bil- 
dung der  nach  dem  Barrikadentag  (26.  Mai)  eingesetzte  Sicherheits- 
ausschuss  und  der  demokratische  Verein  thätig  mitgewirkt,  durfte  auf 
den  Namen  einer  revolutionären,  demokratischen  Regierung  vollen 
Anspruch  erheben".  Auf  dem  am  22.  Juli  eröffneten  constituierenden 
Reichstag,  der  sich  als  souverän  betrachtete,  herrschte  aber  eine 


570        österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Fünfte  Periode.  §  66. 

solche  Zerfahrenheit,  dass  zu  dem  bekannten  Antrage  von  Hans 
Kudlich  auf  Aufhebung  des  grundherrliehen  Unterthanenverhält- 
nisses  und  der  daraus  entsprungenen  Rechte  und  Pflichten,  vom 
26.  Juli  bis  17.  August  73  Verbesserungsanträge  entfielen,  wobei  die 
schließlich  zur  Abstimmung  verbliebenen  55  Amendements  ein  statt- 
liches Polioheft  in  20  Capiteln  mit  159  Fragen  darstellten!  Am 
6.  October  erreichte  die  Anarchie  ihren  Höhepunkt.  Die  sogenannte 
October  -  Revolution  brach  aus,  die  Czechen,  welche  die  Rechte 
bildeten,  traten  unter  Protest  aus  dem  Reichstag  und  versuchten 
ein  slavisches  Sonderparlament  ins  Leben  zu  rufen.^  Bis  zum 
16.  October  blieb  übrigens  die  zur  Beschlussfassung  erforderliche 
Zahl  von  Abgeordneten  noch  in  Wien,  Sitzungen  wurden  sogar  noch 
bis  zum  22.  October  abgehalten.  Damals  war  aber  die  Einschließung 
der  Stadt  schon  nahezu  vollendet,  die  nach  hartnäckigem  Kampfe 
der  Mobilgarden  und  bewaffneten  Proletarier  durch  die  kaiserlichen 
Truppen  besetzt  wurde.  Am  15.  November  wurde  der  nach  Kremsier 
verlegte  constituierende  Reichstag  wieder  eröflhet,  der  20.  November 
brachte  das  Ministerium  Schwarzenberg-Stadion,  der  2.  December 
die  Abdankung  des  Kaisers  Ferdinand  und  die  Thronbesteigung 
durch  Se.  Majestät  den  regierenden  Kaiser  Franz  Joseph  L 

7.  Die  Siege  des  kaiserlichen  Heeres  in  Italien,  die  Wieder- 
gewinnung Wiens,  endlich  die  im  Sommer  1849  mit  Beihilfe  Russ- 
lands durchgeführte  Unterwerfung  Ungarns  (wo  am  14.  April  1849 
durch  Beschluss  des  Debrecziner  Reichstags  das  Haus  Habsburg  des 
Königsthrones  verlustig  und  das  Land  zu  einer  Republik  erklärt 
worden  war)  hatten  den  drohenden  Verfall  des  Reiches  verhindert. 
Die  schwierigste  Aufgabe,  die  Reorganisation  des  bis  in  seine 
Grundfesten  aufgewühlten  Staates  war  aber  dadurch  keineswegs 
gelöst.  Nur  in  einer,  allerdings  sehr  wichtigen  Frage,  hatte  sich 
bei  allen  Volksstämmen  des  weiten  Reiches  Übereinstimmung  ge- 

*^  Wie  weit  die  Verwirrung  der  Begriffe  im  J.  1848  auch  in  den  Provinzen 
um  sich  griff,  bezeugt  die  eigenmächtige  Einsetzung  einer  »provisorischen  Re- 
gierung" für  Böhmen  durch  den  Statthalter  Grafen  Leo  Thun,  30.  Mai,  von  der 
die  Wiener  Regierung  erst  durch  die  Prager  Zeitungen  zufällig  Kunde  erhielt. 
In  Steiermark  zog  ein  zum  General  ernannter  k.  k.  Oberst  die  Stelle  eines  Ober- 
commandanten der  steiermärkischen  Nationalgarde  vor  und  führte  den  vom  Gou- 
verneur aufgebotenen  Landsturm,  die  akademische  Legion  und  Nationalgarden 
am  11./12.  October  der  Wiener  Nationalgarde  zu  Hilfe.  —  Hart  ig,  Genesis. 
S.  311,  403.  Gatti,  237,  259  ff. 


Unterwerfung  Ungarns;  die  Reichsverfassung  vom  4.  März  1849.      571 

zeigt  und  hatte  die  Regierung  auch  zugestimmt :  in  der  Beseitigung 
der  letzten  Reste  des  Lehensstaates,-  der  Aufhebung  von  Robot  und 
Zehent,  der  patrimonialen  Gerichtsbarkeit  und  des  politischen  Ver- 
waltungsrechts der  Grundherrschaften.  Das  große  Übergewicht,  das 
bis  dahin  dem  Großgrundbesitze  in  den  Landesvertretungen  ver- 
fassungsmäßig und  damit  im  ganzen  politischen  Leben  zukam, 
war  damit  geschwunden,  Adel  und  Geistlichkeit  hatten  aufgehört, 
die  politischen  Stände  im  Staate  zu  sein  und  waren  zu  socialen 
Ständen  geworden.  So  ergab  sich  die  Nothwendigkeit,  einen  neuen 
Maßstab  für  die  politische  Berechtigung  aufzustellen,  und  es  lag 
nahe,  dass  man  als  solchen  die  werterzeugende  Kraft  im  Staate, 
das  Vermögen  des  Einzelnen  und  dessen  Steuerfähigkeit  annahm. 
Was  die  Verfassung  anbelangt,  mussten  also  die  alten  Stände  der 
deutschen  Erbländer  fallen  und  andere  Bildungen,  auf  neue  Grund- 
lagen gestützt,  an  deren  Stelle  treten.  In  der  Verwaltung  aber  war 
die  große  Lücke  auszufüllen,  die  durch  Beseitigung  der  den  Grund- 
herren früher  zukommenden  politischen  Leitung  und  der  Patrimonial- 
gerichtsbarkeit entstanden  war. 

8.  Begründung  einer  einheitlichen  starken  Centralgewalt  im 
Kaiserreiche  durch  gänzlichen  Bruch  mit  den  alten  historischen 
Sonderstellungen  und  Sonderverfassungen  einzelner  Landestheile, 
durch  Herstellung  einer  festgegliederten,  vom  Centralsitz  der  Re- 
gierung geleiteten  Bureaukratie,  zugleich  Aufrechthaltung  der 
Gleichheit  aller  Staatsbürger  vor  dem  Gesetz,  Gleichstellung  aller 
Nationalitäten  und  Sprachen  in  Kirche,  Schule  und  Amt  und  ge- 
mäßigter Constitutionalismus,  erschienen  nun  als  die  Grundgedanken, 
nach  welchen  der  Wiederaufbau  des  Staates  erfolgen  sollte.  Diesen 
entsprach  auch  die  nach  Auflösung  des  unfruchtbaren  Kremsierer 
Reichstages  octroyierte  Reichsverfassung  vom  4.  März  1849.  Die 
Reichsvertretung  sollte  aus  einem  gewählten  Unter-  und  Oberhaus 
bestehen,  zu  Reichsgesetzen  die  Zustimmung  beider  Häuser  und 
des  Kaisers,  zu  Landesgesetzen  die  Zustimmung  des  Landtages 
und  des  Statthalters  erforderlich  sein,  die  vollziehende  Gewalt  der 
Kaiser  durch  verantwortliche  Minister  üben,  alle  Gerichtsbarkeit 
vom  Reiche  ausgehen.  Justiz  und  Verwaltung  erscheinen  getrennt, 
für  das  Gerichtsverfahren  gelten  die  Grundsätze  der  Öfifentlichkeit 
und  Mündlichkeit,  in  Strafsachen  Anklageprocess  und  Schwur- 
gerichte. Für  Streitfragen  zwischen  dem  Reich  und  einzelnen  Krön- 


572         österreichische  Reichsgeschichte.  II.  Theil.  Fünfte  Periode.  §  66. 

ländern  oder  der   einzelnen   Kronländer   untereinander  war   die 
Errichtung  eines  Reichsgerichts  vorgesehen. 

9.  Die  Organisation  der  Verwaltung  gieng  von  dem  Grund- 
satz aus,  dass  die  freie  Gemeinde  die  Grundfeste  des  freien  Staates 
sei,  und  überwies  derselben  als  natürlichen  Wirkungskreis  die 
eigenen  corporativen  Angelegenheiten,  im  übertragenen  aber  ge- 
wisse Aufgaben  der  öflfentlichen  Verwaltung.  Von  der  Ortsgemeinde 
aufsteigend,  waren  als  Gemeinden  höherer  Ordnung  Bezirks-  und 
Kreisgemeinden  mit  gewählten  Bezirks-  und  Kreisgemeinde- Aus- 
schüssen vorgesehen.  Die  autonome  Verwaltung  der  Landschaften 
wurde  bis  zum  Augenblicke,  da  die  Landesverfassungen  mit  ihren 
Landesausschüssen  ins  Leben  treten  würden,  durch  a.  h.  Ent- 
schließung vom  30.  December  1849  den  ständischen  Ausschuss- 
und  Verordnetencollegien  nach  ihrer  früheren  Einrichtung  belassen. 

Als  Organe  der  landesfürstlichen  politischen  Verwaltung, 
deren  Wirksamkeit  sich  im  allgemeinen  auf  Kundmachung  und 
Vollziehung  der  Gesetze,  Aufrechterhaltung  und  Herstellung  der 
Sicherheit,  öffentlichen  Ordnung  und  Ruhe  erstreckte,  gab  es  die  an 
Stelle  der  grund herrschaftlichen  Verwaltung  tretenden  k.  k.  Bezirks- 
ämter mit  einem  k.  k.  Bezirkshauptmaun  an  der  Spitze,  k.  k.  Kreis- 
behörden  unter  Kreispräsidenten,  für  die  früheren  Kreise  und 
Statthaltereien  mit  CoUegialverfassung  unter  einem  k.  k.  Statthalter 
an  der  Spitze  der  Länderverwaltung.  Als  Landessicherheits wache 
wurde  durch  kaiserliche  Verordnung  vom  8.  Juni  1849  die  Gen- 
darmerie eingeführt. 

10.  Die  Grundzüge  der  neuen  Gerichtsverfassung  brachte  die 
kaiserliche  Entschließung  vom  14.  Juni  1849.  In  Civilsachen  sind 
in  der  Regel  Bezirksgerichte  als  Einzelgerichte  die  erste,  collegiale 
Landes-  und  Ober-Landesgerichte  die  zweite,  beziehungsweise  dritte 
Instanz.  In  Angelegenheiten,  die  den  Landes-  oder  besonderen 
Causalgerichten  vorbehalten  waren,  bildeten  die  Ober -Landes- 
gerichte die  zweite,  der  oberste  Gerichtshof  die  dritte  Instanz.  Die 
Strafgerichtsbarkeit  sollte,  wo  Schwurgerichte  entscheiden,  von 
Landesgerichten,  in  den  übrigen  Fällen  von  Bezirksgerichten  und 
Bezirks -Collegialgerichten,  beziehungsweise  von  Landesgerichten 
als  Bezirks-CoUegialgerichten  ausgehen.  In  diesen  drei  Fällen  hatten 
die  Landesgerichte  als  Berufungsinstanz  zu  erkennen,  während  im 
weiteren  Zuge  die  Ober-Landesgerichte  und  der  oberste  Gerichtshof 


Aufhebung  der  Reichsverfassung  vom  4.  Mäi'z  1849;  Gründe.        573 

einzutreten  hatten.  Außerdem  wurden  Staatsanwälte  für  die  Landes- 
gerichte, Ober-  und  General-Staatsanwälte  für  den  Dienst  bei  Ober- 
Landesgeriehten  und  dem  obersten  Gerichtshof  bestellt.  Ähnlich 
waren  auch  die  für  Ungarn  getroffenen  Einrichtungen. 

11.  So  war  die  Organisation  der  Behörden  bis  zum  Jahre  1851 
schon  w^eit  fortgeschritten,  das  Unterrichtswesen  durch  den  Grafen 
Leo  Thun  nach  bewährten  deutschen  Mustern  umstaltet  und  auch 
auf  dem  Gebiet  der  Finanzverwaltung  manches  verbessert  worden. 
Die  Verfassungsentwürfe  für  die  meisten  Kronländer  waren  ge- 
geben, nur  für  Ungarn  und  die  Nebenlande  sowie  das  lombardisch- 
venezianische  Königreich  waren  diese  noch  nicht  erflossen ;  da  trat 
mit  einemmale  eine  Wendung  ein,  die  sich  durch  das  Statut  des 
in  der  Reichsverfassung  als  Berather  der  Krone  vorgesehenen 
„Reichsrathes"  (kaiserl.  Patent  vom  13.  April  1851)  ankündigte, 
am  31.  December  1851  ergiengen  dann  die  organisatorischen  Ver- 
fügungen, welche  die  Verfassung  vom  4.  März  1849  außer  Kraft 
setzten,  die  Grundrechte  aufhoben,  die  Schwurgerichte  beseitigten, 
die  Gemeindeverfassung  einschränkten,  dem  ständischen  und  dem 
mit  einem  gewissen  Grundbesitze  ausgestatteten  Erbadel  eigene 
Statuten  über  dessen  Rechte  und  Pflichten  zusicherten,  den  Kreis- 
behörden und  Statthaltereien  berathende  Ausschüsse  aus  dem 
besitzenden  Erbadel,  dem  großen  und  kleinen  Grundbesitze  und 
der  Industrie  beiordneten  u.  s.  w. 

12.  Die  Reichsverfassung  vom  4.  März  1849  war  gescheitert, 
weil  der  Regierung  die  Möglichkeit  fehlte,  sie  ins  Leben  zu  setzen. 
In  UngJirn  hatte  sie  überhaupt  niemanden,  auf  den  sie  sich  stützen 
konnte,  sie  vermochte  nicht  einmal  ungarische  Beamte  zur  Durch- 
führung ihrer  Organisation  zu  finden.  Die  specifisch  liberale 
Partei,  von  der  die  Bewegung  im  Jahre  1848  ausgegangen  war, 
wollte  weder  die  Sprengung  des  Reichstags,  noch  den  einseitigen 
Erlass  der  sehr  gemäßigten  Verfassung  vergessen,  die  nationalen 
Parteien  standen  getheilt,  Armee  und  Clerus  hatten  ebensowenig 
Ursache  für  die  neue  Verfassung  zu  schwärmen,  es  war  in  der 
That  buchstäblich  nur  die  neue  constitutionelle  Beamtenwelt,  die 
man  als  Stütze  des  neuen  Verfassungswerkes  hätte  benützen 
können.®  Da  entschloss  man  sich  in  den  Kreisen  der  Regierung 

B  Siehe  für  das  Gesagte  den  eingehenden  Nachweis  in  »Österreichs  Des- 
organisation* u.  s.  w.  S.  192  ff. 


574        Österreichische  Reichsgeschichte.  IL  Theil.  Fünfte  Periode.  §  66. 

ZU  einer  Schwenkung.  Die  Idee  der  Centralisation  wurde  festge- 
halten; da  sie  sieh  jedoch  im  Wege  einer  gemäßigt  constitutionellen 
Reichsverfassung  nicht  durchsetzen  ließ,  so  vereuchte  man  es 
mit  einer  gemäßigt  absolutistischen  Regierungsform.  Die  Stützen, 
welchen  man  das  Gebälke  des  neuen  Staatsgebäudes  anvertraute, 
waren  die  gesammte  katholische  Geistlichkeit  Österreichs,  die 
Bureaukratie  und  die  Armee.  Die  an  Ansehen  und  Bedeutung 
wichtigste  von  allen,  die  katholische  Geistlichkeit,  sollte  durch  das 
Concordat  vom  18.  August  1855  ganz  in  das  Interesse  eines  cen- 
tralistischen  Österreich  gezogen  werden ;  sie  w-ar  bestimmt,  den 
Geist  der  Unterwürfigkeit  im  Kaiserreiche  zu  verbreiten,  die  Be- 
amtenschaft hinwieder  sollte  vom  Mittelpunkt  der  Regierung  bis  zu 
den  äußersten  Marken  des  Reichs,  über  alle  Länder  und  Sprach- 
grenzen hin,  über  alle  Bildungsstufen  und  Bedürfnisse  hinweg,  in 
jedem  Zweige  der  Verwaltung  und  in  jedem  Theile  der  Justiz 
vom  Statthalter  und  Präsidenten  der  Obergerichte  angefangen,  ein 
und  derselbe  Geist  durchdringen.  Gewissenhafteste  Achtung  und 
Schonung  aller  Privatrechte  bei  völliger  Versagung  aller  öffent- 
lichen, aller  Staatsbürgerrechte,  war  allen  Regierungsorganen  zur 
Richtschnur  ihres  Handelns  vorgeschrieben.  Die  dritte  jener  Stützen 
war  die  Armee,  die  in  allen  Waffengattungen  reorganisiert  und  an 
Zahl  ungemein  verstärkt  worden  war.  Von  der  Civilbevölkerung 
durch  die  Erinnerungen  der  Revolutionsjahre,  durch  ihre  eigene 
Verwaltung  und  Justiz  getrennt,  sollte  sie  den  starken  Arm  der 
absoluten  Monarchie  bilden,  der  nie  zögern  durfte,  wenn  das 
Haupt  befahl  und  stets  die  Ausführung  verbürgte.  In  dreifacher 
Weise  sollte  sonach  der  Bestand  und  die  Einheit  des  Staates 
gefestigt,  in  dreifacher  Weise  sollten  die  Gefahren,  wie  sie  die 
Revolutionsjahre  1848—1849  gebracht  hatten,  für  alle  Zeiten  be- 
seitigt werden.  Und  dennoch  versagten  alle  diese  Stützen  in  der 
Stunde  der  Gefahr.  Als  es  im  Jahre  1859  zum  Kriege  mit  Frank- 
reich und  Sardinien  kam,  da  stand  der  lombardische  Clerus  bei 
dem  Feinde,  der  magyarische  bei  der  Opposition  im  Lande.  Die 
Bureaukratie  sah  sich  ohne  Halt  im  Volke,  die  Armee  durch  eine 
unselige  Verpflegswirtschaft  und  durch  jenen  noch  unseligeren 
Nepotismus,  der  den  Unfähigen  zu  den  höchsten  Posten  verhalf, 
bei  all  ihrer  mannhaften  Tapferkeit  gelähmt.  Mit  den  Nieder- 
lagen in  den  italienischen  Gefilden  und  dem  Friedensschlüsse  von 


Gemäßigter  Absolutismus ;  das  Concordat;  das  October-Diplom.        575 

» 

Villafranca  brach  auch  das  absolute  Regierungssystem  in  Öster- 
reich zusammen. 

13.  Im  Priedensmanifeste  vom  15.  Juli  1859  hatte  die  kaiser- 
liche Regierung  die  gebieterische  Nothwendigkeit  öffentlich  an- 
erkannt, nunmehr  ihre  ganze  Aufmerksamkeit  und  Sorgfalt  der 
Entwicklung  der  geistigen  und  materiellen  Kräfte  des  Staates  und 
zeitgemäßen  Verbesserungen  in  Gesetzgebung  und  Verwaltung  zu 
widmen.  Kunde  vom  eingetretenen  Umschwung  gab  das  Prote- 
stantenpatent vom  1.  September  1859,  das  den  Bekennem  beider 
Bekenntnisse  bürgerliche  Rechtsgleichheit  mit  den  Katholiken  und 
ungehinderte  Ausübung  des  Glaubens-  und  Gemeindelebens  zu- 
sicherte, ferner  die  Einführung  der  Gewerbefreiheit  (20.  December). 
Der  Pinanzminister  Brück  hatte  als  Mittel  zur  Hebung  des  zer- 
rütteten Staatshaushalts  und  des  Staatscredits  die  Rückkehr  zum 
constitutionellen  System  empfohlen,  demungeachtet  konnte  man 
sich  dazu  nicht  sobald  entschließen.  Erst  wurde  es  mit  dem  „ver- 
stärkten Reichsrath"  versucht,  der  am  31.  Mai  1860  zur  Berathung 
des  Staatshaushalts  und  wichtiger  Gesetzesvorlagen  zusammentrat, 
jedoch  kein  Recht  der  Initiative  besaij  und  erst  später  (17.  Juli)  eine 
etwas  erweiterte  Competenz,  namentlich  die  Mitwirkung  bei  Ein- 
führung neuer  Steuern  und  Anlehen  erhielt.  Drei  Strömungen 
machten  sich  in  dieser  Körperschaft  bemerkbar:  die  ungarische, 
welche  mit  zäher  Festigkeit  die  Wiederherstellung  der  Selbst- 
ständigkeit Ungarns  auf  Grund  der  1848er  Gesetze  anstrebte, 
eine  föderalistische,  welche  Länderautonomie  mit  Rückgreifen  auf 
frühere  Einrichtungen  forderte,  und  die  liberale  mit  centralistischem 
Programm,  Wahrung  der  Reichseinheit,  einheitliche  Gesetzgebung 
und  Regierungsgewalt,  freie  Selbstverwaltung  für  die  Länder, 
Controle  über  den  Staatshaushalt,  dann  Gemeinde-  und  Reichsver- 
tretung. Im  Sinne  der  föderalistischen  Majorität  wurde  nun  am 
20.  October  1860  das  sogenannte  October-Diplom  als  beständiges 
und  unwiderrufliches  Staatsgrundgesetz  erlassen.  Principiell  ist 
darin  anerkannt,  dass  „nur  solche  Institutionen  und  Rechtszustände, 
welche  dem  geschichtlichen  Rechtsbewusstsein,  der  bestehenden 
Verschiedenheit  der  Königreiche  und  Länder  und  den  Anforde- 
rungen ihres  untheilbaren  und  unzertrennlichen  kräftigen  Verbandes 
gleichmäßig  entsprechen,  die  nöthigen  Bürgschaften  für  die  Macht- 
stellung des  Reiches  zu  bieten  imstande  seien".  Dementsprechend 


576         österreichische  Reichsgeschichte  IL  Theil.  Fünfte  Periode.  §  66. 

sollte  der  Schwerpunkt  der  Vertretung  in  den  Landtagen  liegen 
und  waren  nur  gewisse  Gegenstände  der  Gesetzgebung,  w- eiche 
sich  auf  Rechte,  Pflichten  und  Interessen  beziehen,  die  allen  König- 
reichen und  Ländern  gemeinschaftlich  sind,  der  Mitwirkung  des 
„Reichsraths"  vorbehalten,  der  durch  Wahlen  der  Landtage  zu- 
sammengesetzt und  das  verfassungsmäßige  Organ  für  die  ganze 
Monarchie  sein  sollte,  neben  welchem  für  Angelegenheiten  der 
nicht  ungarischen  Länder,  soweit  diese  bisher  eine  gemeinsame 
Behandlung  und  Entscheidung  gefunden  haben,  „die  Zuziehung  der 
Reichsräthe  dieser  Länder",  also  eine  Art  engerer  Reichsrath  vor- 
gesehen war.  Hinsichtlich  Ungarns  verfügte  das  October-Diplom 
die  Wiederherstellunf  der  verfassungsmäßigen  Einrichtungen  des 
Königreichs  und  die  Berufung  eines  Landtags  nach  den  Be- 
Stimmungen  des  Gesetzes  von  1608  mit  den  Erweiterungen  der 
Wahlfähigkeit  nach  den  Artikeln  8,  9,  10  und  13  vom  Jahre  1848, 
während  die  Revision  der  übrigen  ^Achtundvierziger- Artikel"  vor- 
behalten war. 

14.  Das  October-Diplom  befriedigte  jedoch  niemanden.  Derauf 
den  2.  Aprü  1861  einberufene  ungarische  Reichstag  verweigerte 
die  Anerkennung  des  Gesammtreichsrathes  und  beharrte  auf  der 
Giltigkeit  der  sanctionierten  Gesetzesartikel  vom  Jahre  1848,  sowie 
auf  der  staatsrechtlichen  und  administrativen  Selbständigkeit  der 
Länder  der  ungarischen  Krone.  In  den  übrigen  Ländern  herrschte 
nicht  minder  Misstimmung,  denn  die  mit  dem  October  -  Patent 
gleichzeitig  erlassenen  Landesstatute  für  Steiermark,  Kärnten,  Salz- 
burg und  Tirol,  grififen  auf  das  ständische  Princip  zurück  und 
räumten  dem  begüterten  Adel  wie  der  Geistlichkeit  das  Über- 
gewicht in  den  Landtagen  ein.  Graf  Goluchowski,  der  „Vater  des 
October-Diploms**,  nahm  darum  seine  Entlassung  und  erhielt  in 
Schmerling  seinen  Nachfolger.  Dieser  entschiedene  Vertreter  des 
reichseinheitlichen  Gedankens  arbeitete  neue  Verfassungsgesetze 
aus,  w^elche  durch  das  kaiserliche  Patent  vom  26.  Februar  1861 
sanctioniert  wurden.  Der  bestehende  Reichsrath  wurde  aufgelöst 
und  durch  einen  Staatsrath  ersetzt.  Die  Reichsvertretung  aber 
sollte  aus  einem  Herren-  und  Abgeordnetenhause  bestehen  und 
für  alle  Verhandlungsgegenstände  competent  sein,  soweit  diese 
nicht  ausdrücklich  den  Landtagen  zugewiesen  waren.  Bei  der  feier- 
lichen Eröfl'nung  am  1.  Mai  1861  fehlten  jedoch  die  Vertreter  von 


Februar- Verfassung,  Widerstand  der  Ungarn ;  Ausgleich  vom  J.  1H07.     577 

Ungarn,  Croatien,  Siebenbürgen  und  Venetien,  in  welchen  Ländern 
die  Vornahme  der  Wahlen  verweigert  worden  war.  Die  Regierung 
erklärte  daher  diesen  Reichsrath  als  „engeren"  und  nahm  den 
Ungarn  gegenüber  den  Standpunkt  ein,  dass  die  ungarische  Ver- 
fassung „durch  revolutionäre  Gewalt  von  Rechtswegen  verwirkt 
und  auch  faktisch  beseitigt"  sei. 

15.  Die  Hoffnung,  die  Ungarn  zur  Nachgiebigkeit  zu  bewegen, 
schlug  jedoch  fehl.  Wohl  traten  (1863)  die  siebenbürgischen  Ab- 
geordneten in  den  Reichsrath  ein,  dafür  verlor  dieser  die  Czechen, 
die  ihn  bei  der  Aussichtslosigkeit,  ihr  Föderativ-  Programm  durch- 
zusetzen, mit  der  Erklärung  verließen,  dass  sie  den  unvollständigen 
Reichsrath  nicht  als  Vertretung  des  Reiches  ansehen  könnten.  Im 
Juli  1865  trat  Schmerling  vom  Staatsministerium  zurück  und  es 
kam  zur  Einsetzung  des  s.  g.  Drei  Grafen-Ministeriums  (Belcredi- 
Larisch-Buol),  dem  vor  allem  die  Erzielung  des  vom  Kaiser  per- 
sönlich lebhaft  gewünschten  Ausgleichs  mit  Ungarn  zur  Aufgabe 
gemacht  wurde.  Mit  kaiserlichem  Patent  vom  20.  September  1865 
wurde  die  Vorlage  des  October  -  Diploms  und  der  Februar -Ver- 
fassung an  den  ungarischen  und  croatischen  Landtag  angeordnet, 
um  darüber  zu  einer  Verständigung  zu  gelangen,  gleichzeitig  aber 
auch  die  Wirksamkeit  dieser  Grundgesetze  für  die  übrigen  im 
Reichsrath  vertretenen  Länder  sistiert,  da  es  unmöglich  schien, 
ein  und  dasselbe  Grundgesetz  in  einem  Theüe  des  Reiches  zum 
Gegenstand  der  Verhandlung  zu  machen  und  gleichzeitig  in  anderen 
Theilen  dasselbe  als  bindendes  Reichsgesetz  anzuerkennen.  Wirklich 
stellte  sich  auch  der  auf  den  lO.-December  1865  einberufene  neue 
ungarische  Reichstag  zum  Theil  auf  einen  anderen  Standpunkt  als 
der  im  Jahre  1861  aufgelöste,  indem  er  aus  der  pragmatischen 
Sanction  als  einem  wechselseitig  wirkenden  Schutzbündnis  die 
Pflicht  des  wechselseitigen  Beistandes  für  die  beiden  Reichshälften 
und  daraus  den  Bestand  geraeinsamer  Angelegenheiten  folgerte. 
Aber  erst  unter  dem  Eindruck  der  Niederlagen  vom  Jahre  1866 
und  Österreichs  Ausscheidens  aus  dem  deutschen  Bunde  kam  es 
zur  endlichen  Feststellung  des  Ausgleichs  mit  Ungarn.  Die  mit 
dem  ungarischen  Reichstag  durch  den  in  österreichische  Dienste 
getretenen,  vormals  sächsischen  Staatsmiuister  von  Beust  geleiteten 
Verhandlungen  führten  zu  einem  durch  Seine  Majestät  genehmigten 
Abschluss.  Die  ungarische  Verfassung  wurde  wieder  hergestellt, 
die  ungarische  Statthalterei  nebst  der  ungarischen  und  sieben- 

Ltt Schill,  Österreichische  Beichsgeschicbte.  37 


578        österreichische  Reichsgeschichte.  IL  Theil.  Fünfte  Periode.  §  66. 

bürgischen  Hofkanzlei  aufgelöst,  ein  selbständiges  ungarisches 
Ministerium  eingesetzt  und  die  Einverleibung  Siebenbürgens  in 
Ungarn  verfügt.  Daran  schloss  sich  die  Einberufung  des  ungarischen 
Reichstags,  welcher  am  3.  April  1867  die  vereinbarten  Ausgleichs- 
bestimmungen annahm,  mehrere  Gesetzartikel  vom  Jahre  1848 
abänderte  und  durch  Artikel  XII  den  Kreis  der  dem  ganzen  Reiche 
gemeinsamen  Angelegenheiten  und  die  Art  ihrer  Behandlung  be- 
stimmte. In  Österreich  wurde  gleichzeitig  mit  der  Entlassung  des 
Ministeriums  Belcredi  (7.  Februar  1867)  die  Sistierung  der  Ver- 
fassung als  nun  nicht  mehr  nothwendig  aufgehoben  und  der  Reichs- 
rath  zur  Berathung  des  mit  Ungarn  vereinbarten  Abkommens  auf 
den  20.  Mai  berufen.  Mit  der  Annahme  der  Ausgleichsgesetze  durch 
den  österreichischen  Reichsrath  waren  die  Grundlagen  der  gegen- 
wärtigen Verfassung  der  österreichisch-ungarischen  Monarchie  ge- 
schaffen. 

Hoffen  wir,  dass  es  fürderhin  der  Weisheit  der  Lenker  und 
einer  einsichtigen  Selbstbeschränkung  der  Völker  gelinge,  Öster- 
reichs größten  Feind,  den  durch  die  Bewegung  des  Jahres  1848 
entfesselten  Nationalitätenhader,  wieder  zu  beseitigen  und  Mittel 
und  Wege  zu  finden,  die  dem  Staatswesen  auf  lange  hinaus  eine 
gedeihliche,  allseitig  befriedigende  Entwickelung  verbürgen.  Denn 
heute  noch  wie  vor  zweihundert  Jahren  gilt  Hörnigk's  Wahrwort: 

Österreich  über  alles,  wenn  es  nur  will. 


REGISTER 


Die  fett  gedruckten  Zahlen  geben  die  Zahl  des  Paragraphen,  die  übrigen  die  Unterabschnitte  der 

ParagraphMi  an. 


Adel,  12  10,  11,  85  1,  «0  2;  bei  den 
Bayern  12  3;  langobardischer  12  6; 
slavischer  12  8;  in  Böhmen  1  8,  60 
4,  10;  in  Ungarn  II 11,  60  4;  Reichs- 
adei  60  4;  Landcsadol  60  4;  freier 
85  2,  3;  unfreier  85  4 ff;  Briefadel 
60  2;  Hofadel  60  7;  Uradel  60  8; 
Österr.  Qesammtadel  60  6,  s.  auch 
Landherren,  Ritter,  Landstände. 

Alamannen  5  5;  Rechtsquellen  6  7; 
Stände  12  6. 

Albrecht  I.  19  1,  II.  19  5,  lü.  19  9, 
IV.  19  10,  V.  19  10;  Albrechtiner- 
Leopoldiner  19  9  u.  Stammtafel  6. 325. 

Amortisationsrecht  29  4,  51  8. 

Amtssprache,  deutsche  64  8. 

Ansiedluneen  11  5,  34  2,  9,  10,  I  13. 

Appellationsgerichte  64  9,  65  6 ;  Prager 
56  8. 

Aquileja,  Sprengel  10  4 ;  gräfliche  Rechte 
in  Istrien  und  Krain  15  7;  Rechts- 
quellen 24  1 ;  Parlament  27  14;  Capi- 
taneus  generalis  82  7. 

Aufgebot,  (persönlicher  Anzug)  57  2,  3. 

Aufstände  der  Wiener  19  2.  66,1,  2; 
in  Steiermark  19  2,  13;  der  Öster- 
reicher 19  2,  41  3;  Böhmen  42  11, 
58  15;  Tirol  50  3;  der  Bauern  60  15; 
der  Niederlande  64  18;  in  Galizien 
65  15,  66  4. 

Ausgabewesen,  l.-f.  88  18. 

Ausgleich  mit  Ungarn  66  15. 

Autonomie  20  4. 

Avaren  5  2. 

B 

Babenberger  als  Markgrafen  der  Ost- 
mark 17  1;  als  Herzoge  von  Öster- 
reich 3  und  Steiermark  4,  Herren  in 
Krain  5. 

Bamberg,  Besitzungen  in  Kärnten  15  7, 
48  8,  61  5;  in  Tirol  16  1. 


I 


I 


Bannrichter,  l.-f.  56  5. 

Barschalken  12  12. 

Bauern  87 ;  als  Landstände  in  Tirol  28 
9;  freie  84  8fir;  87  2,  3;  hörige  87 
4 ;  unfreie  87  5 ;  Rechte  und  Pflichten 
der  87  9  fif,  I  14,  H  12,  60  13. 

Bayern  8  3,  5  3  fl';  Stände  12  2-4; 
Landgerichte  81  3;  Münzwesen  11 
12;  Herzoge  8,  25  2;  Rechtsquelle  i 

6,  7,  28  5 ;  Kirche  in  10  6. 
Beamte  80  2  ff,  52  4,  5,  64  7,  65  13; 

in  Ungarn  66  12;  Conduitlisten  64  7. 

Behörden,  l.-f.  89;  Collegial  89  5,  9; 
Central  51  4, 58  1-9;  Mittelbehörden 
58  10—11,  68  12;  Landesbehörden 
58  12—18;  Reformen  M.  Theresias 
68  7;  s.  auch  64  7,  65  10,  66  9. 

Bergbau  11  10,  84  11,  59  1;  Rechts- 
quellen 22  5,  28  6 ;  Bergregal  88  9 ; 
Bergbehörden  89  11,  64  9. 

Bezirksämter  66  9;  Bezirksgemeinde 
66  9 ;  Bezirksgerichte  66  10 ;  Bczirks- 
hauptlcute  66  9. 

Bodenre^gal  II  5. 

Böhmen  I;  Ländergruppe  2  3 ;  Geschichte 
1  4,  7,  18  2,  4,  19  4,  42  2-4, 11-13. 
15;  Anfall  an  Österreich  19  3,  11,  I 

7,  42  2,  3,  4 ;  Verhältnis  z.  Deutschen 
Reich  I  3;  Thronfolge  I  4,  5,  49  1. 
2;  Stellung  d.  Königs  I  6,  8,  17; 
Landstände  18,  54  4;  Städte  I  12, 
44  6,  54  14 ;  RechtsqncUen  1 18,  47  K; 
Steuern  I  17,  58  10;  Kammer  58  11, 
14;  Gerichte  I  16,  56  7;  Aufstände 
42  11,  58  15. 

Brixen,  Besitz  in  Krain  15  7 ;  in  Tirol 
16  1 ;  Stadtordnung  23  3. 

Bürger  86  4  ff ,  I  12,  II  13,  86^  60  12; 
-Ausschüsse  86  13,  54  9,  12 ;  Bürger- 
meister  86  14,  15,  54  19,  11. 

Bukowina  61  7,  64  5,  65  6. 

Burgen  82  8,  34  5. 

37* 


580 


Censualen,  Zinspflichtige  13  12. 
Censur  64  6,  60  1,  2. 
Cilli,  Grafen  15  7,  19  13,  85  3. 
Codex   Austriacus  46  6;  Ferdinandeo- 

Leopoldinus  46  6 ;  Theresianus  62  6. 
Codiftcationsarbeiten  45  1,  5  ff,  68. 
Colonisationen  8  4,  11  5,  84  2.  64  14. 
Comitate  I  12,  50  20,  54  7,  64  5. 
Coramendatio  12  10. 
Concordat  66  12. 
Conduitlisten  64  7,  65  4. 
Contributionen,  s.  Ländersteuern. 
Constitution    vom   Jahre   1848  66  2; 

1849  66  8,  11,  12. 
Croaten,  Croatien  3  6,  51  13,  67  12, 

66  5 ;  Landtage  42  2,  5,  22 ;  Rechts- 

quellon  47  F ;  Grenze  57  13. 
Czechen  8  7,  I  1 ;  Bewegung  im  Jahre 

1848  66  3. 


Dalmatien,  Rechtsquellen  24  2. 

Decania  18  1. 

Deutsche  in  OesterreichS  3— 5,  5  1,  3; 
Deutsches  Recht  in  Böhmen  I  22; 
Ungarn  II  19;  deutsch  als  Amts- 
sprache 64  8. 

Deutschland,  Verhältnis  Oe&«terreichs 
zu  —  25^  26. 

Directorium  in  Intemis  68  8,  10. 

Domänen  88  1,  58  3;  Einlcünfte  88  2; 
Besteuerung  58  8. 

Dorfobngkeit  55  3,  64  10. 


Edlinger  87  3. 
Brbrechtsordnungen   45   7. 
Erbfolgeordnung  im  Herrscherhaus  49. 
Erbhuldigung  41  5. 


Fabrilcen,  Fabriksinspectoren  68  21. 
Februar- Verfassung  66  14. 
Ferdinand  I.  41  2,  42  3-8;  IL  42,  9 

bis  15;  IIL  42  15,  16. 
Finanzwesen  -Verwaltung  28  2,  88  1  ff., 

89  9,  58  15,  68  19,  64  12. 
Formelbücher,  östeiT.  21  7 ;  i.-ö.  22  6. 
Forstregal  88  10. 
Freie,  Grundbesitz  117;  Bauern  84  8 ; 

Adelige  85  2. 
Freigelassene  12  5,  87  8. 


Freising,  Besitzungen  in  Oesterreich 
14  2;   in  I.-Ö.  15  7;    in  Tirol  16  1. 

Freizügigkeit  87  10. 

Fremde,  Fremdenrecht  12  1. 

Friedrich,   Herzog  I.  17  4;    IL   17    5; 

Friedrich,  Kaiser  IIL  (IV.,  V.)  19  12, 
88  1,  3. 

Frohnbuch  21,  4. 

Frohndienst«  (Robot)  87  9,  68  25,  66  7. 

O 

Galizien,  Erwerbung  61  6,  64  5,  65  6; 
Aufstand  65  15 ;  im  Jahre  1848  66  4. 

Gaueintheilung  18;  in  TiroL  Salzburg, 
der  Ostmark  18  2;  in  InnerÖsterreich 
18  3. 

Gesrenreformation  42  10,  13,  45  2,  50 
8.  9,  51  1,  59  4. 

Geldumlauf  84  14;  Goldkrise  84  14.  16, 
58  15,  59  6. 

GeleitBrecht  88  7. 

Gemeindeverfassung  66  9. 

Generalseminarien  64  15,  65  4. 

Gerichte  81 ;  Einkünfte  88  3 ;  besondere 
56  6,  8 ;  in  Böhmen  56  7 ,  in  Ungarn 
56  10;  Gerich  tsver  waltung  81,  56: 
Gerichtsordnung,  allgeme'me  Bi  lf>, 
westgalizische  62  11; 

Gesammtstaatsidee  42  8,  48  5,  48  6, 
64  2,  65  12,  66  8,  14. 

Gewohnheiten,  gute  68  13. 

Gewohnheitsrecht  20  2. 

Gesetzbuch,  Josephinische;^  62  7 ;  west- 
galizisches  62  8;  a.  b.  G.  B.  62  9: 
Gesetzesrecht  20  2;  Gesetzgebunsr,  If. 
48,  44,  45  62. 

Görz,  Geschichte  15  6;  Rechtsquellen 
24  1,  47  C;  Grafen  v.  85  3. 

Grafongeschlechter  im  Erzh.  Österreich 
14  2,  85  3 ;  in  Innerösterreich  15  7, 
85  3 ;  Tirol  85  3 ;  Grafschaften  18  4. 

Großgrundbesitz  in  Österreich  84  h 
66  7 ;  Entstehung  11  3 ;  als  Mittel  z. 
Colonisierung  11  5,  84  2 ;  Gliedemn? 
11  6,  8,  34  4,  5;  Bewirtschaftung  11 
9;  die  Großgrundbesitzer  als  Land- 
stände 27  3 ;  geistlicher  —  in  Steier- 
mark 27  9;  weltlicher  —  84  5,  geringe 
Zahl  84  6. 

Grundbesitz,  Bewirtschaftung  11  9,  81 
2  ff;  erhöhte  Bedeutung  12  11 ;  bäuer- 
licher 84  7  ff;  Grundbuch  56  2;  Grund- 
herrschaft  55,  68  12,  64  13,  66  6,  7 ; 
eigene  VerwaJtung  55  5;  übertragene 
Verwaltung  55  7, 56. 8;  Zerstückelung 
64  14. 


581 


Grundsteuerregulierunpr  64  12. 
Gubemium  68  16,  64  5,  65  6,  12. 
Oültenbuch  58  6,  68  16. 
Gut,  erbloses  88  7 ;  Gutsherrschaft  55  7. 


Habsburger,  Rudolf  I.  18  3 ;  von 
Albrecht  I.  bis  Friedrich  III.  19; 
Rudolf  IV.  19  6;  Siegmund  in  Tirol 
19  12;  König  Ladislaus  19  12; 
K.  Fiiedrich  lU.  19  12,  88  1,  3; 
Maximilian  I.  19  14,  88  2  ff; 
Ferdinand  I.  41  2,  42  3-8 ;  Karl  V. 

41  2,  4;  Erzh.  Karl  42  9;  Ferdinand  II. 

42  9  ff,  III  15,  16 ;  Leopold  I.  42  16  ff ; 
Joseph  I.  42  20;  Karl  VI.  42  21  ff; 
M.  Theresia  61  1,  62,  68;  Länder- 
theilungen  19  9;  Albrechtiner  — 
Leopoldinor  19  9 ;  s.  auch  S.  325. 

Habsburg  -  Lothringer,  Joseph  IL  64; 
Leopold  L  65 ;  Franz  I.  (U.)  65 ;  Fer- 
dinand I.  65;  Franz  Joseph  I.  66; 
Secundo  u.  Tertio  Genitur  61  8. 

Handel  84  11,  86  8  ff ,  59  3;  Donau- 
handel,  Ordnung  von  906  6  5,  11  11; 
Commerz  -  Collegium  59  6;  -Direc- 
torium  68  21. 

Handwerker  86  6,  59  8. 

Hausordnungen  des  Herrscherhauses  21 
2,  42  8,  22,  23. 

Hausprivilegien,  österreichische  19  6; 
21  1,  26  4  ff,  49  4. 

Heerwesen  82,  57,  68  4,  17 ;  Matrikeln 
82  2 ;  Landwehr  82  5,  6 ;  Verwaltung 
57;  stehendes  Heer  57  1. 

HeimfaUsrecht  88  7. 

Heiratsfahigkeit,  Beschränkungen  87 10. 

Herrengülten  40  10,  58  6,  68  16. 

Herrenstand  1,10,  60  3. 

Herrscher  in  Österreich:   Haben  berger 
17  1,  3—5;  Zwischenreich  18;  Habs- 
burger  18   8,   19,   88,   41,   42,   61;   . 
Habsburg-Lothringer  64—66. 

Herrscher,  österreichische.  Rechte  26 
2  ff,  48 ;  Stellung  z.  Deutschen  Reich 
26,  48  1;  zu  auswärtigen  Reichs- 
ständen 48  3;  Erbfolgeordnung  49. 

Hörige  12  13;  Bauern  87  4. 

Hof-  und  Gerichtstage  28  5. 

Hofgericht,  adeliges  (Tirol)  56  3. 

Hofkammer  89  9,  58  7,  68  7,  8,  10, 
64  6,  65  11;   i.-ö.  58  9;  o.-ö.  58  9. 

Hofkanzlei  53  5,  68  8,  10,  65  11; 
i.-ö.  58  9;   o.-ö.  58  9. 

Hofkriegsrath  53  K,  68  8,  10;  i.-ö.  58 
9,  63  18,  65  11. 


Hofmarkgerichtsbarkeit  55  1,  3. 

Hofrath  89  12,  58  2. 

Hofrechte  56  3. 

Hofschulden  58  15. 

Hofstellen  63  9,  64  6,  65  6,  11. 

Hoftaidinge  81  5. 

Hubbücher,  Urbarien  20  7,  88  1,  84  3. 

Hubmeister  38  17. 

Hussitenkriege  82  6. 


Indigenat  60  6,  64  4. 

Industrie  in  Österreich,  Anfänge  59  1, 
9  ff,  68  21,  64  14. 

Innerösterreich  2  2 ;  Gaue  18  3;  Rechts- 
quellen 22,  47  B;  CentralstoUen  58 
9;  s.  Steiermark,  Kärnten,  Krain. 

Istrien,  Gebietseintheiiung  18  5;  Städte 
18  5 ;  Geschichte  15  4 ;  Rechtsquellen 
24  2,  47  C. 

Italiener,  s.  Romanen. 


Jagd  11  9  u.  Fischereiregal  38  10. 

Jobbagio  II  10,  12. 

Joseph  I.  42  20 ;  Joseph  II.  61  9,  62  7, 

10,  64;  Josephinismus  51  11,  68  24. 
Juden  in  Österreich  3  11,  84  IS,  51  4; 

-Regal  88  6 ;  -Recht  ü  20, 56  6,  64  l(i. 
Justiz,  Trennung  v.  d.  Verwaltung  63 

8,  65  10 ;  Justizsenate  bei  Gubemien 

64  10 ;  Justizstelle,  oberste  68  8,  10, 

65  11;  JustizverfassuDg  64  9. 


Kaisortitel,  östeiT.  65,  14. 

Kärnten  (Karantanien),  Grenzen  9  1, 
15  1;  Bekehrung  10  4;  Gaue  18  3; 
landesherrl.  Gebiete  15;  Geschichte 
15  2;  fremde  Enclaven  15  7,  48  3, 
61  5;  Anfall  an  Österreich  19  5; 
Rechtsquellen  22,  44  2,  47  B;  Ver- 
hältnis zu  BayeiTi  25  2 ;  Landstände 
27  11,  68  14;  Heereseinrichtungen 
82  7,  8.  Innerösterreich, 

Kammer,  1.  f.  58  11,  58  3,  68  11; 
Kammergut,  1.  f.  58  1;  Kammer- 
Procurator  89  12,  40  5,  64  13;  Kam- 
merrecht, böhm.  56  7;  Kammeral- 
verwaltung  58  3. 

Kirche,  Stellung  in  Bayern  10;  Christia- 
nisierung 10  1,  2;  Bischofssprengel 
10  3,  29  1 ;  Stellung  im  Mittelalter 
29;    neuere   Zeit    51;    unter  Maria 


•  * 


582 


Theresia  68  24;  Joseph  IL  64  16;  Ge- 
richtsbarkeit 29  8,  51  3 ;  todte  Hand 
29  4,  61  5;  Steuerfreiheit  29  5,  61  6; 
Immunitäten  29  6,  61  8 ;  Stellung  in 
Böhmen  I  15;  Ungarn  II  16:  Con- 
cordat  66  12. 

Klöster-Aufhebung  64  16 ;  Gründungen 
11  4,  84  2 ;  Wirtschaft  84  3  flf. 

Kmet  I  8,  9. 

Knechte,  unfreie  12  4 ;  Freilassung  37  8. 

Krain,  Geschichte  16  3;  Rechtsquellen 
22,  47  B,  s.  Innerösterreich. 

Kreis  68  16,  54  6,  7;  Kreistage  60  20, 
54  7;  Kroisämter  68  12,  64  13,  66 
12;  Kreisgeraeinden  66  9. 

Kreuzzüge,  Binfluss  aufs  Wirtschafts- 
leben 84  12. 

Kriege:  Ttirkenkriege  19  13,  42  6,  16, 
17,  19 ;  dreißigjähriger  42  11,  59  7, 
60  16;  spanischer  Erbfolgekrieg  42 
20;  österreichischer  Erbfolgekrieg  61. 


Ladislaus  Postumus,  König  19  12. 

Ländersteuem  68  4,   68  19. 

Ländertheilungen  28  4,  41  5,  42  8, 
49  2  ff,  52  3. 

Länderverfassung,  neue  64  5,  66  6. 

Länderverwaltung  80  3,  68  12,  68  11, 
64  5,  6,  66  6,  10,  12. 

Landesausschüsse  66  9,  s.  Landstände. 

Landesbisthümcr  29  2. 

Landesbrauch  40  1,  4,  46  1.  4,  5,  62  1. 

Landesconvente  28  10,  40  7. 

Landesgesetzgebiuig  44,  46. 

Landeshauptleute  80  3,  68  13,  68 14, 16. 

Landeshauptmaunschaft  66  2, 68 1 1 ,  64  5. 

Landesherrlichkeit  26,  27  1 ;  Aufgaben 
80  5;  Wechsel  der  Dynastien  28  3; 
Verwaltung  80,  89,  62;  Finanzver- 
waltung 28  2,  88  1  ff.,  89  9;  Hof- 
bearate  80  2 ;  s.  Herrscher. 

Landeskmet^n  I,  8,  9. 

Landesordnungen  44  6. 

Landesrecht,  österr.,  13.  Jahrb.,  21  3; 
steiermärkisches,  14.  Jahrb.,  22  2; 
in  Böhmen  I  19 ;  in  Ungarn  II  17,  18. 

Landesverfassung  48  4,  52  4,  5. 

Landes-Vicedom  88  17,  39  11,  58  13, 
66  2. 

Landfrieden,  österr.  21  5;  tirol.  28  2; 
Salzburg.  28  2. 

Landgerichte  80  2,  56  3,  66  5;  -Ord- 
nungen 44  6.  66  5. 

Landhandfesten  41  8,  44  6. 

Landhaus  40  7. 


Landherren  27  3,  85,  I  9,  II  12 :  Rath 
der  27  «,  I  8,  II  6,  7. 

Landmarschall  80  3,  58  13;  -Gericht 
66  3. 

Landräthe  89  11. 

Landrecht,  adeliges  64  10,  65  6 ;  böhm. 
66  7 :  -Oi*dnungen  44  6. 

Lands-  und  Hofrechte  66  3. 

Landsknechte  67  7. 

Landschenkungen  an  Kirchen  10  3,  4; 
an  Klöster  84  2:  als  Mittel  zur 
Colonisierung  10  5,  84  2. 

Landschreiber  88  17,  89  11. 

Landstände  27,  28,  40,  41,  50,  68  4, 
13-16,  64  4,  65  4,  5;  Privilegien 
22  1,  28  1,  68  13 :  Geschichte  27, 
28;  in  Böhmen  I  8  ff,  50  4;  in 
Ungarn  II  9;  Rechte,  Wirkungs- 
kreis 28  12,  60  21 ;  Verwaltung  40  7. 
41  2  ff,  60  6,  64,  68  16;  Ausschüsse 
28  11,  54  2;  Verordnete  64  1,  64  5, 
66  8,  66  9 ;  Beamte  64  5 ;  Gerichte 
66  3;  Antheil  an  der  Gesetzgebung 
43  2-4,  44,  45  2,  3:  Niedergang 
60  10;  protestantische  60  2  ff,  12: 
obere,  untere  60  13,  14,  15. 

Landtafeln  I  21,  45  6,  7,  66  7. 

Landtage  40  7,  11,  I  8,  II  8,  50  16, 
64  4,  66  8 ;  Unterschied  von  den  Hof- 
und  Gerichtstagen  28  5.  10;  seit 
Anf.  d.  15.Jahrh.288;  General- Land- 
tage 28  11 ;  50  18;  Ausschusstage 
40  11,  41  1,  8,  60  18.  19. 

Landtaidinge  31  4. 

Landwehr  82  2,  5 ;  67  2,  4.  15. 

Langobarden  6  5;  Rechtsquellen  6  8; 
Stände  12  6. 

Lehensaufgebot  57  2,  3.  68  3 :  Lebens- 
fähigkeit 86  1,  12;  -Hauptmann- 
schaft 66  8. 

Leibeigenschaft  87  6  ff,  I  14;  Auf- 
hebung 68  25,  64  13. 

ML 

Mähren,  s.  auch  Böhmen:    Großmähr. 

Reich  8  7,  6  5,  12;  Bekehrung  zum 

Christenthum     10    5;      Verwaltung 

116:  Stellung  des  Markgrafen  I  17 ; 

Rechtsquellen  1 18,  47  E :  Landstände 

I  8,  64  4. 
Märkte  86,   60   12:   Unterschied   von 

Städten  86  3. 
Majores  terrae,  s.  Landstände. 
Matrikeln,   Adels-,   (Landmannschafts-) 

28  9,  60  8 ;  Heeres-  82  2. 
Maut  u.  Zoll  88  5.  86  10,  68  12,  63  20. 


583 


Maximilian  L,  Geschichte  88;  Reformen 
89;   und  die  Stände  40;  Tod  41  1. 

Meierhöfe  84  4.  5. 

Merkantilismus  in  Österreich  59  9,  M 14. 

MiUtärgrenze  57  1,  11  ff,  68  18;  -hoheit 
57  5,  6,  s.  Heerwesen. 

Ministerialen  85  4  ff. 

Münzwesen  11  12;  Einkünfte  88  4,  84 
11,  14;  lange  Münze  58  15,  59  6. 

Münzgesetze,  österr.  21  9;  i.-ö.  22  7. 

1¥ 

Nationalitäten  in  Österreich  8,  12. 
Niederösterreichische  (n.-ö.)  Lande  2  2. 

O 

Oberösterreich,  o.-  ö.  Lande  2  2,  s.  Tirol. 

October-Diplom  66  IB. 

Österreich,  Monarchie,  Schema  des 
Wachsthums  2;  Land  und  Leute  8; 
in  römischer  Verwaltung  4,  11  1; 
Geschichte  bis  976  5,  bis  1246  17, 
bis  12^<2  18,  bis  1493  19,  bis  1526 
38,  bis  1740  42,  bis  1867  61,  Rechts- 
quellen  6,  7,  20-24,  48-47,  62; 
Christianisierung  10;  Landnahme, 
Besiedlung  11  2,  84  9  ff;  Gaue  18; 
Heerwesen  82;  wii*tschaftlicher  Auf* 
Schwung  84  12  ff,  59  1,  9  ff,  68  21, 
64  14;  wirtschaftlicher  Verfall  84  17 ; 
Entvölkerung  34  15,  42  15,  59  7 ; 
Reichsrecht  48  5;  Rechtsausgleichung 
48  5,  6;  Staatsgebiet  61;  Kaisertitel 

.  65  14:  Wappen  65  14. 

Österreich,  Erzherzogthum  ob  u.  unter 
d.  Enns,  Bildung  des  Territoriums  14; 
fremde  Enclavon  14  2;  Reichsver- 
waltung 18  1;  Zwischenreich  18; 
Aufstände  19  2;  Rechtsquellen  21, 
47  A ;  Verhältnis  z.  Bayern  25  2 ; 
Stellung  z.  Deutschen  Reich  26,  48 
1 ;  Erhebung  zum  Herzogthum  26  2 ; 
Rechte  des  Herzogs  26  2  ff,  48;  Erb- 
folge d.  Herrscher  49  2;  Gerichts- 
barkeit d.  Herzogs  81  1;  Belehnung 
der  Habsburger  26  7;  Landstände 
27  6,  8,  10,  .54  1,  2. 

Ostmark,  s.  Österreich,  Erzh.,  Ver- 
waltung 800—976  9;  Gaue  18  2. 

Otakar,  Herzog  v.  Steiermark,  17  4; 
König  V.  Böhmen  18  1—4. 

Otto  Herzog  von  Österreich  19  5. 


Pannonien    unter   den   Römern   4  2; 
unter  den  Karolingern  9  2. 


Passau,  Besitzungen  in  Österreicli  14  2. 
Patrimonialgerichte  56  8,  66  7. 
Personalltätsprincip  12  1,  20  1. 
Pfandschafter  50  6,  58  8. 
Polen  8  6,  61  6,  s.  Galizien. 
Polizeidirectionen  64  17  ;   Ministerium 

64  17  ;  -Ordnungen  44  6 ;  -gewalt  d. 
Grundherrschaft  55  3. 

Postulate,  landtägliche  58   14,  68  16, 

65  8,  15. 

Pragmatische  Sanction  42  22,  23,  49 

5,  61  1. 
Privilegien  20  3;  des  Herrscherhauses 

21  1;  26  4  ff;  der  Stände  22  1. 
Professiones  juris  20  1. 
Protestantenpatent  64  16,  66  13;  Pi-ote- 

stantische    Landstände  50   2  ff,    s. 

Reformation  und  Gegenreformation. 

R 

Rath,  innerer  —  äußerer  (in  Städten) 
86  15,  54  12,  56  4 ;  ereheimer  58  3 ; 
der  Landherren  27,  28  5,  I,  8,  II  6, . 

Rechnungsbehörden  89  9  ff,  68  10,  64  5. 

Rechtsbücher,  Schwabenspiegel  20  8; 
böhm.-mähr.  1 19,  44  6 ;  ungar.  II  19. 

Rechtspflege  81,  56  9. 

Rechtsquellen  6,  7,  20—24.  I  18  ff,  11 
17,  48-47,  62. 

Rechtswissenschaft  i.  Österreich  20  5, 46. 

Recesse  50  11,  63  15,  19. 

Recrutierung  68  18. 

Reformation,  Ausbreitung  in  Österreich 
4    7,  9,  50  2  ff,  s.  Gegenreformation. 

Regalien  88  3  ff'. 

Regimente,  Regierungen,  l.-f.  89  5  ff, 
40  5,  41  3,  58  10,  56  2 :  Regiments- 
ordnungen 89  8 ;  -Räthe  40  6 ;  (Mlütär) 
57  7. 

Reichsgeschichte,  österr.,  Eintheilung, 
Perioden  1. 

Roichsrath  66  11;  verstärkter  66  13; 
engerer  66  14. 

Reichstag,  österr.  66  6,  8;  ungar.  II  8, 
42  5,  17,  68  6,  65  3,  9,  66  5,  7,  13. 

Repräsentation,  k.  68  11. 

Richter,  Stadt-  86  12,  54  10,11,  56  4; 
königl.  in  böhm.  Städten  58  16,  54  15. 

Rittermäßige  85  7  ff,  I  11:  als  Land- 
stände 28  8;  Grundbesitz  34  7 ;  Ritter- 
stand  I  11,  60  3,  s.  Adel. 

Römer  4;  Römisches  Recht  in  Öster- 
reich 20  6,  40  3,  48  2,  4,  44  4,  5, 
46  1,  10.  62  7;  in  Friaul  24  1. 

Romanen  8  10:  Rechtsquellon  6  9; 
Stände  12  7. 


584 


Rudolf  I.,  Kg.  18  3;  III.  19  3;  IV.  19  6. 
Rumänen  in  Österreich  8  10,  66  5. 
Rutbenen  3  6,  66  4. 

Salzburg,  Rechtsquellen  7, 28, 47  D ;  Erz- 
bisthum,  Gründung  10  2  ff;  Sprengel 
10  5;  Gaue  13  2;  Herrschaftsgebiet 
16  4;  Besitzungen  in  Österreich  14  2; 
in  Innerösterreich  16  7 ;  in  Tirol  16 1 ; 
Landstände  27  13;  Heereseinrichlun- 
gen  32  7. 

Satzungen,  autonome  20  4. 

Schlesien,  Rechtsquellen  47  E;  Stadt- 
rechte I  22;  Privilegien  46  6;  Kam- 
mer 53 11 ;  Verlust  61  3 ;  Organisation 
d.  Verwaltung  63  2,  s.  auch  Böhmen. 

Serben  3  6,  8,  51  13,  65  3,  66  5. 

Schwurgerichte  62  17,  66  10. 

Serviens  II  11. 

Schiffahrt,  Navigations-Director,  -In- 
genieure 68  22;  Strafe  des  Schiff- 
ziehens 65  4. 

Siebenbürgen,  Geschichte  42  5;  Ver- 
fassung 65  5;  Verwaltung  53  18. 
65  3,  66  15;  Rechfe^quellen  47  F. 

Slaven,  österr.  3  6—8, 5  2;  Rechtsquellen 
6  10;  Stände  12  8;  Decanien  13  1. 

Slavonien  42  5,  22,  57  12. 

Slovaken  3  6,  66  5. 

Spolienrecht  33  7. 

Staatsanwaltschaft  66  10. 

Staatseinnahmen  63  21. 

Staatskanzlei  63  8,  10,  65  11. 

Staatsrath  63  9,  10;   65  10. 

Staatsschuld  65  15. 

Städte  36,  64  11;  in  Istrien  13  5; 
Böhmen  I  12;  üngara  II  13  ff, 
54  16;  als  Landstände  28  9,  36  11, 
65  5,  9;  Steuern  83  14,  I  17,  II  14; 
Heerespflicht  32  4,  57  16;  Blüte 
84  13;  Verfall  59  3;  Maßregeln  zu 
Gunsten  34  16,  86  9,  54  17,  18; 
Gründung  36  2 ;  Eintheilungen  36  1 ; 
Unterschied  von  Märkten  86  3;  Be- 
wohner 36  4  ff,  I  12,  n  13;  Ver- 
waltung 36  12,  54  8  ff,  64  11,  65  12; 
Richter  36  12,  54  10,  56  4;  kgl.  in 
Böhmen,  Mähren  53  16,  54  15 ;  Stadt- 
rath  36  15,  56  4;  Bürgermeister 
36  14,  15,  54  9,  11;  Gerichte  8612, 
54  10,  56  4 ;  Stadtrechte  36  4 ;  in 
Österreich  21  8;  i.-ö.  22  3,  47  B; 
Tirol,  Salzburg  23  3;  Böhmen,  Mähren, 
Schlesien  I  22,  47  E;  Ungarn  II  17, 
19,  47  F ;  Gesetzgebung  44  6,  47  C. 


Stände  12,  85—37,  60;  bei  den  Bayern 
12  2—5;  Alamannen,  Langobarden 
12  6 ;  Romanen  12  7 ;  Slaven  12  8 ; 
Umbildung  im  11.  Jahrh.  12  9;  in 
Böhmen  I  10  ff;  in  Ungarn  II  10  ff. 

Stammtafeln :  Babenberger,Tranngauer, 
Seite  109 ;  der  Habsburger  Seite  325. 

Stappelrechte  36  9. 

Statthalter  1.  f.   30  4,    53  15;    Statt- 

■  halterei  in  Böhmen  53  15;  in 
Ungarn  53  19,  66  15. 

Steiermark,  Entstehung  15  2 ;  Aufstand 
1292 19  2 ;  Verhältnis  zu  Bayern  25  2 ; 
Landstände  27  4  ff;  Heereseinrich- 
tungen 82  7 ;  Rechtsquellen  22,  44  % 
47  B.  s.  Innerösterreich. 

Stempel  58  12. 

Steuern  I  17,  88  11,  40  8,  58,  68  20, 
64  12,  13,  65  4;  Contingentierung 
58  14;  directe  63  20;  indirecte 
58  11;  grundherrliche  33  11;  land- 
schaftliche40  8, 9, 50  21, 58  3  ff;  staat- 
liche 33  14,  58  12 ;  der  GeistUchkeit 
51  6;  der  Städte  38  14,  I  17,  II 14; 
Steuerknecht  58  5;  Steuerpflicht  58  7. 

Strafgesetz,  der  Kaiserin  Maria  Theresia 
62  12;  Josephinisches  62  13:  vom 
Jahre  1803  62  13. 


Tabaksgefäll  58  12. 

Territorien  14—16. 

Tirol,  Gaue  13  3;  Grafen  16  2;  Ge- 
schichte; Anfall  an  Oesterreich  19  7; 
Herzog  Friedrich  IV.  19  11;  Erz- 
herzog Siegmund  19  12;  Rechts- 
quellen 23,  44  2  ff;  47  D;  Land- 
stände 27  12,  28  2,  9,  54  3,  64  4 ; 
Heereseinrichtungen  32  7,  57  17; 
Adelsgeschlechter  35  3 ;  Verwaltung 
33  16,  39  2;  Steuerwesen  40  10, 
58  5;  -er  Juristen  46  9;  Centralstellen 
53  9,  64  4. 

Toleranzpatent  64  16,  18,  65  4. 

Trient,  Gebiet  16  1 ;  Statuten  28  3. 

Triest,  Geschichte  15  5 ;  Rechtsquellen 
24  2,  44  6,  47  C;  Verwaltung  54  13. 

Truppen,  l.-f.  57  4,  9,  63  18  land- 
schaftliche 57  4;  städtische  57  16. 

Türkensteuer  58  13. 

IJ 

Unfreie  bei  den  Bajuvaren  12  4;  Ade- 
lige 85  4  ff ;  Bürger  86  7 ;  Bauern 
87  5,  s.  Leibeigenschaft. 


585 


üngeld  88  15,  84  16,  51  5,  58  11,  1 17. 

Ungarn,  Länder  d.  ung.  Krone  2  3; 
Magyaren  8  9,  5  5 ;  Ansiedlnng  H  1 ; 
Verfassung  II  2 ;  Thronfolge  II  2,  3, 
40  1,  2;  Stellung  d.  Königs  II  5,  0, 
48  5;  Anfall  an  Österreich  42  1,  5, 
6;  Geschichte  I  1,  42  5,  6,  16  fr. 
Rechtsquellen  II  17flf,  47  P;  Stände 
11 6  ff,  60  12 ;  Kammer  58  1 1, 14 :  Ver- 
waltung 58  17  flf;  Städte  II  13,  54  16; 
Heerwesen  11  11,  57  19;  unter  Maria 
Theresia  68  5;  u.  Joseph  IL  Ö4,  4,  8; 
u.  Leopold  II.  65,  3;  u.  Franz  I.  65,  9: 
seit  1848  66,  3,  5;  Ausgleich  66  15. 

Univei-sitäten  68  24.  64,  15,  66  11. 

Unterrichtswesen  68  23,  64  15,  66  11. 

Untprthanen,  heiTschaftl.  87  8 ;  -Pflichten 
55  2,  58  7;  -Advocat  64  13;  -üesetz- 
gebiing  44  6,  68  25.  64  13,  66  6,  7. 


Verordnete,  la.  54  1,  64  5,  65  8,  66  9. 

Verwaltung  52  ;  landesherrl.  0, 80—84, 
39,  58,  56-58,  68  7  ff,  64  3  ff,  65  11, 
66  7  flf;  landschaftl.  40  7,  54  1—7,  68 
13,  64  5.  65  5,  m  9 ;  städtische  54  8  ff, 
66  9;  grundherrliche  11 6,  8,  84  4,  55. 


Viertel   la.  54  6. 

Vögte  29  6;  Schutzvögte  82  7 ;  Vogtei 
87  11. 
!  Vorarlberg,    Geschichte,    Zusammen- 
I      Setzung  16  3 ;  Rechtsquellen  28, 47  D. 

W 

Wallenstein  42  14,  57  9. 
Weisthümer,   österr.  21   10;   i.-österr. 

22  4,  Tiroler  28  4. 
Werbbezirko  68  18. 
Wien,  Aufstand  gegen  H.  Albrecht  1. 19. 

2;  im  J.  1848  66  1  ff;  neue  Freiheit 

41  7,  54  9 ;  Stadtverwaltung  54  9  ff, 

64  11. 
Wirtschaftliche  Zustände  vor  dem  Jahro 

1000   11;   zwischen   1000—1500  84, 

1500-1750  59. 
Wladyken  I  11. 


Zehnorschaften  18  1. 

Zoll  88  5,  86  10,  58  12,  68  20. 

Zünfte  86  8;  Selbstverwaltung  54  19. 
Zupenverfassung  I  16. 


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Luschin  y.  Ebengreuth,  Arnold,   Österreiehische  Reiehs- 

gesehichte  (Geschichte  der  Staatsbildung,  der  Rechtsquellen  und 
des  öffentlichen  Rechts).  Ein  Lehrbuch.  Bamberg,  C.  C.  Buchner 
Verlag  1896.  XVI,  585  8.  8^. 

LllSChin  T.  Ebengreuth,  Arnold,  Österrelehlsehe  Beichs- 

geschiehte  (Geschichte  der  Staatsbildung,  der  Rechtsquellen  und 
des  öffentlichen  Rechts).  Ein  Lehrbuch.  Bamberg,  C.  C.  Buchner 
Verlag  1896.  XVI,  585  S.  8°. 

Luschin  y«  Ebengreuth,  Arnold,  Österreiehisehe  Reichs- 

gesehiehte  (Geschichte  der  Staatsbildung,  der  Rechtsquellen  und 
des  öffentlichen  Rechts).  Ein  Lehrbuch.  Bamberg,  C.  C.  Buchner 
Verlag  1896.  XVI,  585  S.  8^ 

Luschin  T.  Ebengreuth,  Arnold,  österreichische  Beichs- 

gesehichte  (Geschichte  der  Staatsbildung,  der  Rechtsquellen  und 
des  öffentlichen  Rechts).  Ein  Lehrbuch.  Bamberg,  C.  C.  Buchner 
Verlag  1896.  XVI,  585  8.  8^ 


Luschin  y.  Ebengreuth,  Arnold,  österreichische  Reichs- 
gesehiehte  (Geschichte  der  Staatsbildung,  der  Rechtsquellen  und 
des  öffentlichen  Rechts).  Ein  Lehrbuch.  Bamberg,  C.  C.  Büchner 
Verlag  1896.  XVI,  585  S.  8°. 


Luschin  y.  Ebengreuth,  Arnold,  österreichische  Reichs- 

gesehiehte  (Geschichte  der  Staatsbildung,  der  Rechtsquellen  und 
des  öffentlichen  Rechts).  Ein  Lehrbuch.  Bamberg,  C.  C.  Buchner 
Verlag  1896.  XVI,  585  S.  S^. 


Luschin  y.  Ebengreuth^  Arnold,  österreichische  Beichs- 

geschichte  (Geschichte  der  Staatsbildung,  der  Rechtsquellen  und 
des  öffentlichen  Rechts).  Ein  Lehrbuch.  Bamberg,  C.  C.  Buchner 
Verlag  1896,  XVI,  585  S.  8°, 

Luschin  y.  Ebengreuth,  Arnold,  österreichische  Beichs- 
gescliichte  (Geschichte  der  Staatsbildung,  der  Rechtsquellen  und 
des  öffentlichen  Rechts).  Ein  Lehrbuch.  Bamberg,  C.  C.  Buchner 
Verlag  1896.  XVI,  585  S.  8°. 


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