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fearbacD CoUese librars
ruifa THB
J. HUNTINGTON, WOLCÖtT FUND
Eaublithed by Room Wolcott (H. U. 1870), in memory
»r hli r>Uicr, Tor " tfac puTChuc of booki of per.
muwat vkluc» Ihe prcfereDce to bc gireD cd
WDiki of HI1U117, Politicil Ecsnomr,
und Sociolo^." (Letter of Roger
Woleolt, June i, 1891.)
R.«i..d i.-QisJiJL, „L'5 .(CO.,
1
ÖSTERREICHISCHE
REICHSGESCHICHTE.
(ÖB8CHICHTB DER STAATSBILDÜNG, DER RECHTSQÜELLEN
UND DBS ÖFFENTLICHEN RECHTS.)
EIN LEHRBUCH
VON
Dr. ARNOLD LUSCHIN ;,von EBENGREÜTH
PROFESSOR DER RECHTE AN DER K. K. UNIVERSITÄT Zu GRAZ.
BAMBERG.
C. C. BUCHNER VERLAG
(INHABER RUDOLF KOCH).
1896.
APR 6 19UI
\-
Bachdruckerei Robert Withalm & Co., Graz.
INHALTS-ÜBERSICHT.
Einleitung.
^ 1 (8.1—3). Aufgabe der Österr. Reichsgeschichte, Anordnung
des Stoffes: Perioden der Österr. Reichsgeschichte 2.
§ 2 (6. 3— 6). Terminologie: Wachsthum des Staatskörpers 4.
§ 3 (S. 7—15). Land und Leute: Bodengestaltung des Reichs 7: Die Deut-
schen 8, Nord- und Südslaven 12, Magyaren, Rumänen, Juden 14.
§ 4 (S. 15—21). Die österr. Lande unter römischer Verwaltung:
Die römischen Donauprovinzen 16; Heerwesen, Straßenzüge, Städte zur
Römerzeit 18; römische Finanz Verwaltung 20.
Erster Theil.
I« Periode : Tom Sturz der Bomerherrschaft bis zum Jahre 976.
§ 5 (S. 22— 27). Geschichtlicher Überblick: Österreich im Zeitalter der
Völkerwanderung 22 ; Bayern unter den Agilolflngem 24 ; die Ostmark unter
den Karolingern 26, im 10. Jahrhundert 28.
Die Rechtsquellen bi8 zum Schlu88 de« 10. Jahrhunderte.
§ 6 (S. 29—37). Volksrechte: Das bayrische Volksrecht 30; dessen Geltungs-
gebiet und Fortbildung 32 ; fränkische Reichsgesetze, das Alamannenrecht 34 ;
Volksrechte der Langobarden und Romanen 36.
§ 7 (S, 38—40). Formelbücher und Urkunden.
Geschichte des öffentlichen Rechts bis zum Jahre 976.
§8(8.40—46). Die Stellung der bayerischen Stammesherzoge :
A, Zur Zeit der Agilolflnger : deren Stellung zum Frankenreich 40; Einnahms-
quellen 42; B. im 10. Jahrhundert 44.
§ 9 (S.47— 49). Die Verwaltung der Ostmark in den Jahren 800—976.
§ 10 (S. 49— 55). Die Stellung der Kirche in Bayern: Bekehrung der
Bayern und Slaven 50 ; Erzbischof Methodius in Mähren ; die Stellung der
Kirche in Bayern 52; Gerichtsstand des Clerus, Kirchen vermögen 54.
$ 11 (S. 55—67). Die wirtschaftlichen Zustände vor dem Jahre 1000:
Die Landnahme in Bayern, herzoglicher Grundbesitz 56; Klostergründungen,
IV
Entstehung des Großgrundbesitzes* 58, dessen Gliederung, bäuerlicher
Besitz 60 ; wirtschaftliches Übergewicht des Großgrundbesitzes, Ansied-
lungen 62; Wälder und Gärten, Bergbau, Handel und Gewerbe 64; Münz-
Verhältnisse: lange und kurze Schillinge 66.
§ 12 (S. 67— 81). Nationalitäten und Stände: Das Personaütätsprincip, voll-
freie und adelige Bayern 68 ; Unfreie, Entstehung der Knechtschaft, Stellung'
der Knechte 70 ; Freigelassene, Aldiones, Tabularii, Denariales 72 ; Standes-
verhälnisse bei den Alamannen, Langobarden, Romanen, Slaven 74; adelige
Slaven, Übergänge in der Gesellschaftsbildung 76 ; Commendationen, wach-
sende Bedeutung des freien Grundbesitzes 78 ; Barschalken, Censualen 80.
n. Periode: Tom Regierangsantritt der Babenberger bis zum Tode
Kaiser Friedrich's IH. (976—1493).
Die Grundlagen der territorialen Entwicklung.
§ 13 (S. 82 — 86). Die Zeit der Gaueintheilung: Gaue in Vorarlberg und
Tirol 82, in Karantanien, Grafschaften 84; Stadtbezirke im Küstenland 86.
§ 14 (S. 87— 89). Landesherrliche Gebiete: Österreich ob und unter
der Enns: Hochstifte und Dynasten in Osterreich 88.
§ 15 (S. 89— 101). Karantanien (Innerösterreich und Küstenland) :
Karantaniens Marken, Steiermark 90; Entstehung des Herzogthums Krain 92 ;
Istrien 95, Triest 97 ; Besitzungen der Grafen von Görz 98 ; geistlicher und
Dynasten-Besitz in Karantanien 100.
§ 16 (B. 102—106). Die westlichen Alpenländer: Tirol, Vorarlberg,.
Salzburg: Trient, Brixen und die Grafen von Tirol 102; Dynasten in
Tirol; Vorarlberg, Salzburg 104.
Geschiohtllche Übersicht der II. Periode.
§ 17 (S.106— 112). Die Zeit der Babenberger 976— 1246: Die Ostmark 106;
Erhebung zum Herzogthura, Erwerb der Steiermark 108; die Herzoge
Leopold VI. und Friedrich 11., die Reichsverwaltung von 1236/39 110.
§ 18 (S. 112— 115). Das Zwischenreich 1246—1282: Otakar erwirbt den
Babenberger und Sponheimer Besitz 112; die Reichsverwaltnng 114.
§ 19 (S. 115—128). Von Herzog Albrecht I. bis zum Ausgang des
Mittelalters: Herzog Albrecht I. 115; die Söhne Albrecht's 1., Erwerb
von Kärnten 118; Herzog Rudolf IV., die österr. Hausprivilegien 120;
Erwerbung Tirols, sein Tod 122; Ländertheilungen im 14. und 15. Jahr-
hundert 124 ; die Habsburger im 15. Jahrhundert 126.
österreichische Rechtsqueilen vom Schlüsse des 10. bis zum Ende des 15. Jahrhunderts.
§ 20 (S. 129 — 134). Allgemeine Bemerkungen: Professiones juris 129;
Gewohnheitsrecht, Gesetze, Satzungen, Formelbücher 130; Einfluss des.
römischen Rechts und des Schwabenspiegels 132.
V
§ 21 (S. 134— 140). Rechtsquellen für Österreich ob und unter der
Enns: Die österr. Freiheitsbriefe 134; das österr. Landesrecht 135; Frohn-
buch, Landfrieden» Formelbücher 137 ; österr. Stadtrechte 138, Münzgesetze,
Weisthümer 139.
§ 22 (8.140—143). Rechtsquellen für Innerösterreioh: Innerösterr.
Landhandfesten, das steierm. Landesrecht 140; Innerösterr. Stadtrechte,
Weisthümer, Bergwerks- und Münzordnungen 142.
§ 23 (S. 144— 145). Die Rechtsquellen der westlichen Alpenländer:
Tirol, Vorarlberg, Salzburg: Landesfreiheiten, Stadtrechte 144.
§24(8.146-147). Triest, Görz, Istrien, Dalmatien: Constitutiones
Patriffi Forojulii 146; Stadtrechte 147.
Geschichte des ^StTentllohen Rechts.
f 25 (8.147—151). Die Entstehung der Landesherrlichkeit: Ursprung
der Landesherrlichkeit 147; Beziehungen zu Bayern, weltliche Landes-
herren 148; Schicksale geistlicher Landesherren, Triest, Aglei u. s.w. 150.
§ 26 (S. 151— 159). Die Stellung der Herzoge von Österreich zum
Deutschen Reich: Die Markgrafen der Ostmark 151; Die Erbfolge im
Herrscherhause 153; die Stellung der österr. Herzoge nach den Haus-
privilegien 154, seit 1453 156 ; die Herrscherrechte der österr. Herzoge 159.
§ 27 (S. 160—171). Die Anfänge der Landstände: Die Vorläufer der Land-
tage, Hof- und Gerichtstage 161 ; Anfänge der Landstände in Steiermark 163 ;
die steirlschen und österr. Landherren im 13. Jahrhundert 164; der ge-
schwome Rath der Landherren, Verbriefnngen 166; Prälatenstand, Ritter-
schaft 167; Anfänge der Landstände in Osterreich und Kärnten 168; Land-
stände in Krain, Tirol 170; Salzburg, Aquileja 171.
§ 28 (8.172-184). Die Landstände im 14. und 15. Jahrhundert: Ur-
sachen des Emporkommens der Landstände 172 ; Hoftage und Einungen 176 ;
geschworner Rath der Landherren 177 ; Erweiterung des Kreises der Land-
stände 178; Abschluss der Landstände, Landtage und Landesconvente 180;
General-Landtage, Wirkungskreis der Landstände 182.
§ 29 (8. 184—189). Die Stellung des Staates zur Kirche im Mittel-
alter (1000—1500): Die kirchlichen Sprengel in Österreich, Landesbisthümer
184; Beschränkimg der kirchlichen Gerichtsbarkeit, Amortisationsgesetze 186 ;
Immunitäten und Vögte 188.
Die landesfiirstllche Verwaltung im Mittelalter.
§ 30 (S. 189— 192). Allgemeine Bemerkungen: Die landesfürstliche Ver-
waltung 189; landesfürstliche Beamte: Hofmeister, Hauptleute u. s. w. 190;
Regentenaufgaben des österr. Herzogs 192.
§ 31 (8. 192—196). Die Rechtspflege: Landgerichte 192; Land- und Hof-
taidinge, das herzogliche Hofgericht 194; Stadt- und Marktgerichte 196.
§ 32 (8.197—201). Die Heeresverfassung und Heeresverwaltung:
Heeresmatrikeln 197; Truppen der Städte 198; allgemeines Aufgebot 199;
Heereseinrichtungen in Inner-Österreich und Tirol, Burgen 200.
/
VI
§ 33 (S. 201— 212). Die landesherrlichen Einkünfte und deren Ver-
waltung: Einkünfte aus Domänen 202; Regalien: Münzregal 203; Zoll^
Judenregal, Qeleitsrecht, Bergregal 204; Forst- und Jagdregal, Steuer-
-wesen 206; ordentliche und außerordentliche Steuern 208; das Ungeld, die
Finanzbeamten der österr. Herzoge 210; landesfürstliche Ausgaben 212.
§ 34 (S. 212-229). Die wirtschaftlichen Zustände während der
Jahre 1000—1500: Klostergründungen vor dem 13. Jahrhundert 213; Wirt-
schaftsfühning beün geistlichen und weltlichen Großgrundbesitz 214; ge-
ringe Zahl der Großgrundbesitzer, die Ritterschaft, der Bauernstand 216;
Stellung der Bauern, Bergbau, Handel 218; Einfluss der Kreuzzüge auf
wirtschaftlichem Gebiet 220; Blüte unter den Babenbergem, Anfönge des
Niederganges 222; volkswirtschaftliche Maßregeln Herzog Rudolfs IV. 224;
Ursachen des wirtschaftlichen Verfalls im 15. Jahrhundert 226 ; die Juden
in Österreich, Bauernbewegungen 228.
Die weltlichen Stftnde der mittelalterilchen Gesellscbaft.
§ 35 (S. 229— 239). Landherren und Rittermäßige: Umbildung der gesell-
schaftlichen Stände 229; freier Landesadel 231, unfreie Rittermäßige 232;
Stellung der Dienstmannen und Ritter 234; Anschluss der Dienstmannen
an den freien Landesadel 236; Vorrechte der Landherren und der ein-
fachen Rittermäßigen 238.
§ 36 (S. 240— 251). Das Städtewesen und der Bürgerstand: Anfänge
des Städtewesens in Österreich 240; Unterschiede unter den Bewohnern
der Städte und Märkte 242; Handwerker und Zünfte 244; Maßregeln der
österr. Herzoge zur Hebung des Handels 246; die Stadtverwaltung, Stadt-
richter, Rath, Bürgermeister 248; innerer u. äußerer Rath, die Genannten 250.
§ 37 (S. 251—258). Der Bauernstand: Freie Bauern: in Tirol 252; zu Raxen-
dorf in Österreich, die Edlinger in Innerösterroich 253; Unfreie und hörige
Bauern 254; Besitzrechte und Verpflichtungen der Bauern 256.
III. Periode: Der Übergang Tom Mittelalter zur Neuzeit.
(1493—1626.)
§ 38 (S. 259—263). Geschichtlicher Überbliclc: Österreich unter Kaiser
Maximilian*s I. 259 ; Regierungsantritt in Tirol und den n.- ö. Landen 260; Er-
werb von Görz 261, Abrundung Tirols, Fehlschlagen anderer Pläne 263.
§ 39 (S. 263-272). Kaiser Maximilian's Umgestaltung des Behörden-
wesens und der Vorwaltung: Regierungsgrundsätze Kaiser Fried-
rieh's HI. und Maximilian's I. 264; Beginn der Reformen: Die «Regimente"
und deren Gewalt 266; Zusammensetzung und Wirkungskreis der Re-
gimente 268; Umänderung der Finanzverwaltung : Central- und Landes-
behörden 270; Hofrath und Hofkamroer 272.
§ 40 (S. 273— 281). Die österr. Landstände zu Zeiten Kaiser Maxi-
milian's: Die Landstände und die landesfürstlichen Beamten 273; Kampf
VII
der Landstände gegen das römische Recht und die landesfürstlichen Be-
hörden 274; die Stände suchen Zutritt zu den landesfiirstlichen Behörden
zu erlangen 276; die landschaftliche Verwaltung: Steuern und Kriegs-
wesen 278 ; landschaftliche Organe, Landtage und Ausschuss-Landtage 280.
§ 41 (8.281—287). Das Zwischenreich der Stände nach dem Tode
Kaiser Maximilian's und die Anfänge ErzherzogFerdinand's
(1519—1526): Kaiser Maximilian's L Testament und Tod 282; die landschaft-
liche Zwischenregierung, Erbhuldigungs-Landtage 284 ; das Blutgericht zu
Wr.- Neustadt 286; Sturz Salamanca*s 287.
Anhang I.
UberBicIit der geschichtlichen Entwicklung in Böhmen, Mfthren und Schlesien bis zum
Jahre 1526.
Beziehungen Böhmens zu Mähren, Schlesien und dem Reiche 288; Böhmen ein
deutsches Reichslehen 289, die Thronfolge 290: Böhmen wird ein König-
reich, die Luxemburger und Habsburger 292 ; König und Stände, der Rath
der Landeskmeten 294; Herrenstand und Ritterschaft 296; Stellung der
Deutschen in Böhmen und Mähren 298; gedrückte Lage der Bauern 300;
Staat und Kirche 301 ; die ^upen. Rechte des Königs, landesfürstliche Ver-
waltung 302; Quellen des Landrechts in Böhmen, Mähren uud Schlesien
304; Landtafeln, Stadtrechte in Böhmen, Mähren und Schlesien 306.
Anhang II.
Gesehlcbte das ungarischen Reichs und seiner Staatsverfassung bis zum Jahre 1526.
Ungarn vor dem Jahre 1526, geschichtlicher Überblick 308; Umbildung des Brb-
reiches Ungarn in ein Wahlreich 310; die Stellung des Königs in Ungarn,
das .consilium regni' 313; Wirkungskreis des „consilium regni", die Land-
tage 314; Ausbildung des Zweikammersystems, Ständeverhältnisse 316;
Servientes, milites, barones 317: lobbagiones castri, Bauern, Bürger 318;
die Städte 320; Deutsche in Ungarn und Siebenbürgen, Staat und Kirche
321 ; Rechtsquellen des Land- und Stadtrechts in Ungarn 322.
Z'weiter Theil.
österreichische Relchsgescbichte seit 1526.
Stammtafeln 325—327.
IT. Periode: Geschichte des Gesammtstaates toi* Erlöschen des
habsbnrgischen Manns-Stammes (1526—1740).
$ 42 (S. 328— 345). Geschichtlicher Überbliclc: Versuche der Habsburger,
Bölimen und Ungarn zu erwerben 328; Ferdinand's L Wahl zum König von
Böhmen und Ungarn 330; Kriege mit Z&polya. Anfänge des Protestantismus
vni
in Österreich 332; die Ländertheilung von 1564, Gegenreformatioii in Tirol
und Innerösterreich 334; Kaiser Rudolf IL Majestätsbrief, der Prager
Fenstersturz und seine Folgen 336; die neuen Landesordnungen, Durch-
führung der Gegenreformation 338; Folgen des dreißigjährigen Krieges,
Türkenkriege 1664, 1683 «f. 340 ; Friede von Karlovitz, 1699, spanischer
Brbfolgekrieg 342; Passarovitzer Friede 1718, die Pragmatische Sanction 344.
Österreichische Rechtsquellen vom Schlüsse dee Mittelalters his zum Jahre 1740.
§ 43 (S. 345— 351). Die landesfürstliche Gesetzgebung im 16. Jahr-
hundert: Ursachen der landesfürstlichen Gesetzgebung im 16. Jahr-
hundert 346; Einfluss der Stände auf die Gesetzgebung, Ziele Kaiser
Ferdinand's I. 348; gemeinsame Gesetze für die n.-ö. Ländergruppe 350.
§ 44 (S. 351— 357). Die Landesgesetzgebung bis zur Mitte des
17. Jahrhunderts: Antheil der Landstände an der Landesgesetzgebung
352; Kampf für den Landesbrauch gegen das gemeine Recht 353; Landes-
ordnungen 355; Landhandfesten, Landrechts- und Landesgerichtsordnungen,
Polizeiordnungen, Stadtrechte 356.
§ 45 (S. 357— 364). Anfänge materieller Rechtseinheit seit dem
17. Jahrhundert: Vorwaltender Einfluss des Herrschers auf die Gesetz-
gebung 358; Ermüdung der Stände 359; schleppender Gang der Gesetz-
gebungsarbeiten 360; Einführung der Landtafel in Inner-Osterreich 362; die
Wechsel- und Brbrechtsordnungen 363.
§ 46 (S. 364— 373). D i e rechtswissenschaftliche Literatur in Öster-
reich vom 16. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts: Pflege des
Landesbrauchs neben dem gemeinen Recht 364; Bernhard Walther 365;
Zunehmende Berücksichtigung des Landesbrauchs 366; die .Differentias" 367 ;
Sammlungen der landesfürstlichen Gesetze und Verordnungen, die ,Obser-
vationes" 368; Codex Austriacus 369; Verfall der österr. Jurisprudenz im
18. Jahrhundert 370; Tiroler Juristen 371.
§ 47 (S. 373— 392). Übersicht der Rechtsquellen in Österreich-
Ungarn nach den einzelnen Kronländern: Rechtsquellen
von 1500—1750 für: Österreich ob und unter der Bnns 374, Innerösterreich
376, Görz, Triest, Istrien 381, Tirol 382, Vorarlberg, Salzburg 385, Böhmen,
Mähren und Schlesien 386, die Länder der ungarischen Krone 390.
Geschichte dee tttrentlichen Rechts.
§ 48 (S. 393—397). Die Stellung der österreichischen Herrscher im
allgemeinen: als Erzherzoge, als Könige von Böhmen und Ungarn 398;
Stellung zum Deutschen Reich und zu ihren Landen 394; Ursachen der
wachsenden Herrschergewalt 396.
§ 49 (S. 397—403). Die Erbfolgeordnung im Herrscherhause und
die Lände rtheilungen: Grundsätze der Erbfolgeordnang 398; die
Theilung vom Jahre 1554 399; Aufhören der Ländertheilungen 400; die
IX
Pragmatische Sanotion 401; die Erbfolgeordnung durch die Pragmatische
Sanction nicht geändert 402.
§ 50 (S. 403—418). Die Landstände: Der Protestantismus als politisches
Mittel der Landstände 404; Sorge des protestantischen Adels für seine
Glaubensgenossen 406; die Gegenreformation als politische Maßregel des
Fürsten 408; sinkende Macht der Landstände seit der Gegenreformation 409 ;
landesfürstliche .Türkensteuem", die Recesse 411« die Unterscheidung von
obem und untern Landständen 412; Stände in Ungarn, Einberufung der
Landtage 414; allgememe Ausschusstage, Rechte der Landstände 417.
§ 51 (S. 418— 425), Das Verhältnis des Staates zur Kirche (1500-1700):
Erweiterung des jus circa aacra seit dem Mittelalter 418; Stiftungen 420 ;
Amortisationsgesetze, Besteuerung des Glerus 421 ; das kirchliche Asylrecht,
422; das Placetum regium 423; der Katholicismus Staatsreligion, Stellung
der Andersgläubigen 425.
Geschichte der Verwaltung in neuerer Zeit 1526—1740.
§ 52 (S. 426— 429). Die Organisation der Verwaltung: Übersicht der
Verwaltungsbehörden 427; Stellung der Beamten 428.
§53(8.429—440). Die landesfürstlichen Behörden und Ämter:
LandesfürstlicheCentralbehörden: Der Hofrath 429, der geheime Rath 4<)0,
die Hofkanzlei 431, die Hofkammer 432, Hofkriegsrath 433 ; landesfürstliche
Mittelbehörden 434; Landesbehörden und Ämter 435; landesfürstliche
Landesbehörden und Ämter in Altösterreich und Böhmen 436 ; Organe der
landesfürstl. Verwaltung in Böhmen und Ungarn 438; Siebenbürgen 439.
§ 54 (S. 440— 452). Die Einrichtungen körperschaftlicher Selbst-
verwaltung: Landschaftliche Behörden: die Verordneten, der Ausschuss
440; landschaftl. Behörden in Tirol 442, in Böhmen, Mähren 443; EintheUung
der Lande in Viertel, Kreise, Cdmitate 444; Wiens Verwaltung seit der
Stadtordnung vom Jahre 1526 446; die Verwaltung der übrigen Städte in
Osterreich und Böhmen 447; Missbräuche in der städtischen Verwaltung
450; Selbstverwaltung der Zünfte 452.
5 55 (S. 453— 456). Die grundherrliche Verwaltung: Aufgaben der-
selben 453; grundherrliche Beamte als Organe der landesfürstl ichen Ver-
waltung 454 ; Stellung der Wirtschaftsämter 455. •
§ 56 (S. 457— 462). Die Gerichtsverwaltung: Landes fürstliche Gerichts-
behörden 457; die Gerichtsverwaltung in den altösterreichischen Landen
458; Gerichtsverwaltung in Böhmen 460, in Ungarn 461.
§ 57 (S. 462— 471). Heereswesen und Heeresverwaltung: Reformen
des Heereswesens durch Kaiser Maximilian L 462; kein landesfürstliches
Heer vor dem 30jährigen Kriege 464; Truppen Werbung 465; Anfänge
eines stehenden landesfürstlichen Heeres 466; die Militärgrenze 467; das
Landesaufgebot 469; Heereseinrichtungen in Tirol und Ungarn 470.
§ 58 (S. 472— 482). Finanzwesen und -Verwaltung von 1526—1740:
Die Steuer als Ablösung der Vasallenpflicht 473; Steuerwesen der Land-
schaften 474; Steuerobject und Steuereinheiten 475; Steuerwesen in den
fünf niederö»terreichischcn Landen 476, in Böhmen, Mähren und Schlesien
477; Staatssteuern: Aufschläge, Stempel 478, directe „Ttirkensteuern" 479;
schlechte Verwaltung der landesfürstlichen Finanzen 480; Geldnöthe 481.
§ 59 (S. 482-492). Die wirtschaftlichen Zustände 1500-1750: Wirt-
schaftlicher Aufschwung im 16. Jahrhundeit: Bergwerke 482, Glashütten
483; Ursachen des wirtschaftlichen Verfalls im 17. Jahrhundert 484; die
Gegenreformation 485; das Kippergeld 486; Verödung Böhmens 488; der
Merkantilismus: Becher, Schröder, Hömigk 489; Anfänge der Industrie
in Österreich 490; Freihäfen, Handelsverträge 491.
§ 60 (S. 492— 503). Die weltlichen Stände 1500—1750: Umbildung der
mittelalterlichen Gesellschaft 492; der Briefadel 493; Reichsadel, österr.
Adel 494; böhmischer, ungarischer Adel, österr. Gesammtadel 495; Land-
mannschafts-Matrikeln, Wirkungen der Gegenreformation 496; Vorrechte
des Adels 497; der Bürgerstand 499; gedrückte Lage des Bürgerstandes
und der Bauern 500 ; Lasten des Bauernstandes 502, die Bauernkriege 503.
y . Periode : Die Aasbildang des heutigen Staatswesens.
(1740—1867.)
§ 61 (S. 504— 510). Die Veränderungen des Staatsgebietes von
1740—1867: Der österr. Brbfolgekrieg 504: Verlust von Schlesien 505;
Erwerbung von Hohenems, des Innviertels, Galiziens 506; Erwerbung der
Bukowina 508; Verluste während der Coalitionskriege 609; das österr.
Staatsgebiet seit 1815 510.
§ 62 (S. 511—522). Die österreichische Gesetzgebung seit den
großen Codificationsarbeiten unter der Kaiserin Maria The-
resia (1740—1867): Gesetzgebungsarbeiten um 1740 511; Beginn der
Codificationsarbeiten : Compilationscommission in Brunn 518 ; Gompilations-
commission in Wien; Arbeiten nach Azzoni's Tode 514; Publication des
allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches 516; Gerichtsordnung von 1781 517;
die Strafgesetzgebung 518; Theresiana, Gesetze Joseph's IL 519; Straf-
gesetz vom Jahre 1803 520; Aufschwung der Gesetzgebung seit 1848 521;
Ausdehnung der österr. Gesetze auf Ungarn 522.
§ 63 (S. 523—541). Die Reformen der österreichischen Staatsver-
waltung durch die Kaiserin Maria Theresia: Osterreich um
1740 523; Beginn der Reformen Maria Theresia's, Graf Haugwitz 524;
Maria Theresia und Ungarn 525; Trennung der Justiz von der Verwaltung
527; oberste Verwaltungsbehörden 528; die Landesverwaltung 529 ; Kreis-
ämter 530; die königliche Repräsentation und die Landstände 531: Kaiserin
Maria Theresia und die Landstände 532; Reformen des Heerwesens 534;
die Militärgrenze 535; Reformen im Finanzwesen 536; Sorge für Handel
und Industrie 537; Sorge fürs Unterrichtswesen 538; Verhältnis zwischen
Staat und Kirche 539; Sorge für den Bauernstand 540.
XI
§ 64 (S. 541-554). Die Reformen Kaiser Joseph's II. (1780-1790): An-
fänge Kaiser Joseph*s II. 541; allgemeiner Charakter der Reformen Kaiser
Joseph'sII. 543; Centralisationsmaßregeln 544, Handschreiben über Pfliohten
der Beamten 545; Conduitliston, deutsche Amtssprache 540; Organisation
der Justiz 547; Organisation der Städte 548; des Finanzwesens 549; Maß-
regeln zu Gunsten des Bauernstandes 550; Qeneralseminare 551; Toleranz-
patent, Anfhebung von Kiöstem 552; Polizei-Directionen 553; Widerruf
von Reformen 554.
§ 65 (S. 555— 566). Vom Tode Kaiser Josoph'sII. bis zum Jahre 1848:
Einlenken unter Kaiser Leopold IL 555 ; Paciflciening Ungarns ; die Stände
und das Normaljahr 1764 556; Tod Kaiser Leopold's IL, Osterreich unter
Kaiser Frana-II. 558; die Landtage in Ungarn 560; Umstaltungen der
Verwaltung 561 ; Mangel an innerm Zusammenhang 562 ; der österr. Kaiser-
titel 564; wachsende Unzufriedenheit 565.
§ 66 (S. 566—578). Von 1848—1867: Ausbruch der Revolution im Jahre 1848
566; die politischen Ziele der Deutschösterreicher, Slaven, Ungarn 568;
der ungarische Reichstag 569; Unterwerfung Ungarns 570; die Reichs-
verfassung vom 4. März 1849 571 ; Organisation der Verwaltung 572 ; Auf-
hebung der Reichsverfassung vom 4. März 1849, Gründe 573; gemäßigter
Absolutismus, das Concordat 574; das October - Diplom 575 Februar-
Verfassimg 576 ; Widerstand der Ungarn, Ausgleich vom Jahre 1867 577 ;
Schluss 578.
Vorwort.
«Es ist die Rechtsgeschichte Österreichs, an deren Ansarbeltnng
gegangen werden miiss. Diese Aufgabe ist wohl eine der schwierig-
sten, die es gibt, und ihre LOsnng dfirfte noch manches Jahr auf
sich warten lassen, da die nnerlttssUchen Unterbauten in der bisher
kanm in Angriff genommenen Abfassung von Rechtsgeschichten der
einielnen Kronlftnder bestehen.* — ünger In Schletter's Jahrb. der
deutschen Rechtswissenschaft, 1866; (System des österr. allg. Privat-
rechts, I, 3. Aufl., 1868, Anh. 8. 647.)
U ber die Ziele der österreichischen Rechtsgeschichte und die
Wege und Mittel, die erforderlich sein dürften, um zu einer be-
friedigenden Lösung dieser schwierigen Aufgabe zu gelangen, habe
ich mich schon vor siebzehn Jahren in der Vorrede zu meiner
Geschichte des älteren Gerichtswesens in Österreich ob und unter
der Enns (Weimar, Böhlau 1879) ausführlich geäußert. Nach wie
vor halte ich den Gedanken fest, dass die österreichische Rechts-
geschichte ihre größte Förderung noch durch Arbeiten auf enger
umgrenztem Gebiet zu erwarten hat. Wenn ich mich demungeachtet
entschlossen habe, in diesem Buche den Versuch einer Geschichte
des öffentlichen Rechts und der Rechtsquellen, also eines wichtigen
Theils der österreichischen Reichs- und Rechtsgeschichte in einer
das ganze Reich umfassenden Darstellung zu bieten, so geschah es
in einer Zwangslage. Durch die neue Studienordnung vom 20. April
1893 ist dem österreichischen Juristen das Studium der Geschichte
der Staatsbildung und des öffentlichen Rechts zur Pflicht gemacht
worden. Als dies Gesetz erschien, gab es zwar hinreichend viele
und gute Hand- und Lehrbücher der Geschichte des österreichi-
schen Kaiserstaats, dagegen fehlte noch jede zusammenfassende
Darstellung der Geschichte unserer Reichs- und Länder- Verfassung
und -Verwaltung.
Bei dieser Sachlage hielt ich mich als derzeit ältester Ver-
treter 'des Lehrfachs der österreichischen Reichs- und Rechts-
geschichte für verpflichtet, diesem dringenden Mangel nach Kräften
XIV
abzuhelfen. So entstand das hier vorliegende Lehrbuch. Der nach
den Erfahrungen meiner Lehrthätigkeit entworfene Plan reifte unter
den frischen Anregungen, die mir der deutsche Historikertag zu
Leipzig und die persönliche Bekanntschaft mit Herrn Rudolf Koch,
dem aufopfernden Verleger dieses Werkes, darboten, im April des
Jahres 1894. Nach meiner Rückkehr nach Graz machte ich mich
sofort an die Ausarbeitung, die indessen langsamer fortschritt, als
mein Wunsch. In der That stellten sich meinem Unternehmen große
Hindernisse entgegen. Eine Compilation aus den bisherigen Vor-
arbeiten allein hätte ein durch seine Lückenhaftigkeit unbrauchbares
Werk geliefert, so blieb nichts übrig, als die fehlenden Bausteine
durch eigene mühsame Durchforschung des vielfach ungedruckten
Quellenmaterials zu gewinnen. Ganze Abschnitte, wie die wirt-
schaftsgeschichtlichen, jener über die Anfänge der Landstände,
das Verhältnis zwischen Staat und Kirche bis zum Jahre 1750,
die österreichische Rechtsliteratur u. a., fußen gutentheils auf
selbständigen Untersuchungen und dürften wohl Anregung zu
weitergehenden Forschungen bieten. Dabei war ich bemüht, nach
Feststellung der Einzelheiten, wenn möglich, gewisse allgemeinere
Gesichtspunkte für die Behandlung des Gegenstands zu gewinnen,
um dadurch den Zwecken eines Lehrbuchs besser zu entsprechen.
Viele der erkundeten Nachrichten, so interessant sie an sich
waren, blieben darum in der Darstellung weg, wenn sie entweder
nur eine örtliche oder rasch vorübergehende Bedeutung hatten,
andere wurden benützt, weil sie ein schlagendes Beispiel der ge-
schilderten Zustände und Einrichtungen darboten. Stets aber war
meine Absicht darauf gerichtet, alles das aus der geschichtlichen
Vergangenheit aufzunehmen, was in irgend einer Form noch in der
Gegenwart fortlebt und zu den Dingen gehört, die einen, sei es
henunenden oder fördernden Einfluss auf unser Staatsleben nehmen.
Eben aus diesem Grunde musste die Darstellung über den vom Ge-
setze geforderten Umfang durch Aufnahme einer Geschichte der öster-
reichischen Rechtsquellen erweitert werden, denn weder die frühere
Länderverfassung, noch die Länderverwaltung können in Österreich,
wo das geschichtliche Recht selbst heute seine Rolle spielt, ohne ein-
gehendere Berücksichtigung der Rechtsquellen verstanden werden.
Dass ich als Rechtshistoriker vor allem die besonderen Zwecke
des Juristen zu berücksichtigen suchte, versteht sich von selbst.
XV
Eben dies wird, wie ich hoffe, meinem Werke neben den bisher
ereehienenen Lehrbüchern der österreichischen Reichsgeschichte von
Huber und dem bei Druck der letzten Bogen ausgegebenen von
Bachmann, seinen Platz sichern, in welchen wieder die politische
Geschichte des Kaiserstaats mehr zur Geltung kommt. Aus dem
gleichen Grunde erklärt sich, weshalb gewisse ältere Perioden aus-
führlicher behandelt sind, als die neueste Zeit. Je größer die Ver-
schiedenheit der Verhältnisse einer bestimmten Zeit von jenen der
Gegenwart ist, umso weniger kann beim Leser ein klares Verständnis
derselben vorausgesetzt werden, umso eingehender musste daher
die Darstellung werden. Ich hoffe dadurch, dass ich die Grenze
der ausführlicheren Behandlung bis ins 18. Jahrhundert einhielt,
einem Wunsche entsprochen zu haben, der mir gegenüber von
Rechtshistorikern öfter, namentlich auch von einem wohlwollenden
Beurtheiler der ersten Hälfte des Lehrbuchs, geäußert worden ist.
Diese Nöthigung fällt für die neueste Zeit weg und darum wurden
die letzten hundert Jahre viel kürzer gefasst, zumal sie das Gebiet
sind, in welches die dogmatische Behandlung des geltenden Staats-
rechts nothwendig zurückgreifen muss.
Dankbar muss ich die Förderung anerkennen, welche meine
Arbeit in ihrem Verlauf von so mancher Seite erfahren hat. Um
nicht durch eine Aufzählung von Namen zu ermüden, hebe ich hier
nur hervor, dass mir die ungemeine Güte Se. Excellenz des Herrn
Oberlandesgerichts-Präsidenten Dr. Karl Grafen v. Chorinski, sowie
die Selbstlosigkeit des Herrn Landesgerichts-Rathes Dr. Theodor
Motloch den reichen Schatz österreichischer Rechtsquellen zugäng-
lich gemacht haben, der für die Sammlung Chorinski's autographisch
vervielfältigt wurde. Wertvolle Winke über die Rechtsquellen von
Böhmen und Ungarn verdanke ich Herrn Professor Dr. Hanel in
Prag und zum Theil auch Herrn Scriptor Dr. Peisker in Graz,
für Mähren den Herren Dr. Schober und Dr. Bretholz. Vor allen
Dank muss ich aber meinem verehrten Freunde und CoUegen,
Herrn Hofrath Dr. Ferdinand Bischoff sagen, der sich vom Beginn
der Drucklegung an der Mühe unterzog, die Correcturen des Werkes
mitzulesen, dem ich außerdem manch fördernde Anregung beim
Durchsprechen des Plans und manch eine wertvolle Bereicherung
aus seinen Vormerken und Arbeiten über österreichische Rechts-
geschichte verdanke. Die schöne Ausstattung des Buches, das im
XVI
Umfange den ersten Anschlag beinahe ums Doppelte überstieg,
schulde ich der Willfährigkeit des Herrn Verlegers, den correcten ,
Druck vor allen den Bemühungen des Herrn Factors E. Klepp. ,
Die systematische Inhaltsübersicht und das Register werden,
wie ich hoffe, die Brauchbarkeit des Buches erhöhen. Von der Bei-
gabe eines Verzeichnisses der benützten Literatur musste ich aber
aus Gründen der Raumersparnis diesmal absehen. Mit Archiv oder
S. B. schlechtweg sind das von der kaiserl. Akademie der Wissen-
schaften zu Wien herausgegebene „Archiv für österreichische Ge-
schichte" sowie die „Sitzungsberichte" gemeint, mit M. G. sind ab
und zu die Monumenta Germani» citiert worden. Die übrigen Werke
wurden mit mehr minder vollständigem Titel theils in den Literatur-
Übersichten, theils in den Anmerkungen angeführt.
Die Beigabe des letzten Blattes ist ein Beitrag zur Lösung
der Frage, wie am leichtesten gedruckte Bücherkataloge beschafft
werden könnten. Durch Einigung einer Anzahl deutscher Verleger
über diese oder eine ähnliche Form dürfte diese wahrhafte Lebens-
frage für größere Bibliotheken ohne merkliche Kosten gelöst werden. \
In dieser Erwägung beschloss ich mit meinem Versuche voran- !
zugehen, um Besseres nachfolgen zu lassen. |
GRAZ, in den Pfingstfeiertagen 1896.
A. Lusehin v. Ebengreuth.
EINLEITUNG.
§ 1. Aufgabe der österreichischen Keichsgeschichte, Anordnung
des Stoffes.
Rößler E. F., Über die Bedeutung und Behandlung der Geschichte des
Rechts in Österreich. Prag 1847. — Hanel J., Über Begriff, Aufgabe und
Darstellung derösterr. Rechtsgeschichte» Wien 1893. (S. A. aus Grünhut's Zeitschr.
für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart.) Bd. 22, S. 365—454.
Chabert Aug., Bruchstück einer Staats- und Rechtsgeschichte der deutsch-österr.
Länder. (Im 3. und 4. Bande d. Denkschriften d. k. Akademie der Wissensch.) —
Kink, Rechtslehre an der Wiener Universität. 1853. S. VII ff. — Huber,
Geschichte Österreichs, I, Vorrede ; Österr. Reichsgoschichte, Vorrede. — K r o n e s,
Handbuch der Geschichte Österreichs, I, 79 ff. — Werunsky, Österr. Reichs-
und Rechtsgeschichte § 1. — Gumplowicz, Einleitung in das Staatsrecht. 1889.
Die österreichische Reichsgeschichte soll einer doppelten Auf-
gabe genügen : Sie soll zunächst einen Einblick in den geschicht-
lichen Werdeprocess des Staates vermitteln und zeigen, aus welchen
Bestandtheilen und unter welchen Umständen sich der Staatskörper
des Kaiserthums gebildet hat. Sie soll feiner den geschichtlichen
Verlauf schildern, den das öffentliche Recht in Österreich genommen
hat, und dadurch das Verständnis des gegenwärtig geltenden Staats-
rechts erleichtern.
Nach beiden Richtungen stellen sich der Darstellung größere
Schwierigkeiten entgegen, als bei Behandlung der Reichsgeschichte
anderer Staaten zu überwinden sind, die unter einfacheren Ver-
hältnissen entstanden, als Österreich. Denn unser Kaiserreich
ist nicht etwa auf einheitlich nationaler Grundlage erwachsen,
sondern ein künstlicher Bau, das Ergebnis einer durch Jahrhunderte
fortgesetzten, zielbewussten Thätigkeit seines Herrscherhauses, dem
die dauenide Verbindung seiner deutschen Territorien mit benach-
barten, nicht deutschen Reichen zu einer Zeit gelang, als diese in
ihrer Vereinzelung ihre staatlichen Aufgaben für sich allein nicht
mehr zu erfüllen vermochten. Für einen besonderen Staatszweck
LoBcltiD, österreichische Reicbsgeschicbte. \
2 Österreichische Reichsgeschichte. Einleitung. § 1.
geschafTen, mit einer klar vorgezeichneten Mission ausgestattet,
trat Österreich gleich mit einer staatsrechtlichen Frage in die Ge-
schichte. An die richtige Lösung derselben hat sich sodann die
ganze Entwicklung des Reiches gehängt.
So ist also die Geschichte Österreichs nicht sosehr eine Volks-
oder Landesgeschichte, als eine Staatsgeschichte, und darum spielt
das Recht in ihr eine so große Rolle. Sie bewegt sich zwischen den An-
griffspunkten zweier entgegengesetzt wirkender Mächte, deren eine,
die dynastische, alles zum Mittelpunkt drängt, während die andere,
die nationale, von diesem abdrängt, so dass sich die jeweihg einge-
schlagene Richtung als die Resultierende ihrer Kräfte ergibt.
Für die zeitliche Abgrenzung der östeiTeichischen Reclits-
geschichte überhaupt ist die Eintheilung in Vorgeschichte, Rechts-
entwicklung im früheren und späteren Mittelalter, dann der neueren
und neuesten Zeit durch Rößler in Vöi*schlag gebracht und im
allgemeinen angenommen worden, obschon die Marksteine im
einzelnen nicht übereinstimmen und Hub er, sowie Werunsky
die ganze Zeit vor 1526 als Vorgeschichte behandeln.^
Für die österreichische Reichsgeschichte, die sich auf die Ge-
schichte der Reichsbildung, der Rechtsquellen und des öffentlichen
Rechtes beschränkt, wurden nun folgende Zeitabschnitte gewählt :
L Vorgeschichte. Rößler rechnete sie bis zum Jahre
771, in dem Karl der Große die Alleinherrschaft gewann, Chabert
1 Perioden : I. II. III. IV. V.
Rößler: — 771; 771-1283; 1283-1526; 1526-1740; seit 1740.
Chabert: — 955; 955-1282; 1282-1519; 1519—1740; seit 1740.
Huber: 907—1526; 1526-1740; 1740-1792; 1792—1848; 1848—1879.
Werunsky: -1526; 1526-1740; 1740-1867.
Eine Eintheilung nach andern Gesichtspunkten hat J. Hanel vorgeschlagen:
1. Periode: Ausbreitung des deutschen Rechts auf östeiTeichisch -ungarischem
Boden. 2. Rückschlag der in ihrem Bestände bedrohten nationalen Rechte. 3. Die
Roception des römischen, canonischen und Lehonrechtes. Als Ergebnis dieser
drei Pactoren wäre das gegenwärtige Recht zu betrachten. — Abgesehen davon,
dass es zweierlei ist, mit geschickter Hand in kühnem Umriss den Carton zu
einem Mosaikbiid zu entwerfen und dasselbe auch gut auszuführen (namentlich
wenn man noch nicht über die erforderliche Menge farbiger Steinchen verfügt),
so passt H an eis Voi-schlag für dieses Lehrbuch schon aus dem Grunde weniger,
weil für das Gesammtgebiet der österr. Rechtsgeschichte, das er im Auge hat,
andere Momente als Eintheilungsgründe bestimmend sind, als für die Geschichte
der Staatsbildung und des öffentlichen Rechts allein.
Perioden der österreichischen Reichsgeschichte. 3
bis zur Lechfeldschlacht 955. Richtiger erscheint es, sie bis 976.
auszudehnen, da mit der Übertragung des Markgrafenarates an
den Babenberger Luitpold und Karantaniens an eigene Herzoge
die Lockerung des Bandes begann, das die Alpenlande seit Jahr-
hunderten mit Bayern verbunden hatte.
IL Die Zeit des Mittelalters. Rößler und Chabert
zerlegen sie in zwei Zeiti'äume, von welchen der jüngere die
Belehnung der Habsburger mit Österreich und Steiermark 1282
als Ausgangspunkt hat. Chabert nimmt als untere Begrenzung
den Anfall der altösterreichischen Lande an die spanische Linie
der Habsburger 1519, Rößler den Anfall von Böhmen und
Ungarn 1526. Bleibt man bei der Untertheilung des Mittelalters
in zwei Perioden, so kann diese auch in der Art erfolgen, dass
die eine Österreich als mittelalterliche Verbindung von Territorien
des deutschen Reichs, die zweite im Übergang zum europäischen
Staat der Neuzeit behandelt. Die erste ist ungleich länger und
reicht bis zum Tode Kaiser Friedrichs IIL (f 1493), die zweite
fällt in die Regierungszeit Kaiser Maximilians L und die Jahre Erz-
herzog Ferdinands L vor seiner Krönung in Böhmen und Ungarn.
UL Die österreichische Reichsgeschichte seit dem
Mittelalter zerfällt abermals in zwei Perioden, in jene der neueren
Zeit, die bis zum Aussterben des Habsburgischen Herrscherhauses
im Mannesstamme reicht (1740) und in jene der neuesten Zeit,
die mit dem Regierungsantritte der großen Kaiserin Maria Theresia
anhebt, deren Reformen auf dem Gebiete der Verwaltung und
Gesetzgebung die Grundlagen geschaffen haben, auf welchen unser
Staat noch heute ruht. Als Abschluss dieser fünften und letzten
Periode kann man entweder das ereignisreiche Jahr 1848 wählen,
in welchem die vormärzlichen Einrichtungen zusammenbrachen und
damit der Anstoß zu neuer Organisation des Reiches gegeben war,
oder aber, wenn man bis zur äußersten Grenze gehen will, das Jahr
1867, in welchem die Zweitheilung des Staates als österreichisch-
ungarische Monarchie gesetzliche Anerkennung gefunden hat.
§ 2. Terminologie.
1. Die amtliche Bezeichnung Kaiserthum Österreich für den
Länderbesitz des allerhöchsten Herrscherhauses stammt aus dem
Jahre 1804. Bis dahin behalf man sich mangels eines CoUectiv-
4 österreichische Reichsgeschichte. Einleitung. § 2.
namens mit verschiedenen Umschreibungen, deren bekannteste
„Haus Österreich* lautete.^
Da sich im Lauf der Darstellung oft genug Anlass ergeben
wird, eine Mehrzahl von österreichischen Provinzen unter einem um-
fassenden Namen zu begreifen, so ist es erforderlich, diese Aus-
drücke mit einigen Worten zu erläutern, weil sie zum Theil der
altern Kanzleisprache angehören und nicht allgemein bekannt sind.
Zur Verdeutlichung sei auf das folgende Schema hingewiesen,
das in großen Umrissen das Anwachsen unserer Monarchie bis zu
ihrem gegenwärtigen Umfang zeigen ^oU, soweit dies zur Klar-
stellung des rechtsgeschichtlichen Zusammenhanges erforderlich ist.
Die Zahlen geben die Jahre an, von welchen ab die einzelnen
Lande — sei es ganz, sei es zum größeren Theil — mit dem
Stammlande Österreich in dauernde Verbindung traten. Kleinere
Erwerbungen des Staates blieben unberücksichtigt, ebenso alle aus
dem Staatskörper ausgeschiedenen Gebiete.
2. Das Kernland des Staates ist das im Jahre 1156 aus
der Ostmark hervorgegangene Herzogthum Österreich, das seit
den Tagen König Otakars von Böhmen zu Verwaltungszwecken
in das Land ob und unter der Enns zerlegt wurde.^ Obwohl man
heutzutage diese, zu zwei besondern Kronländeren mit eigener
landesfürstlicher wie autonomer Verwaltung erwachsenen, Gebiete
Ober- und Unter- oder Niederösterreich zu nennen pflegt, so werden
sie in diesem Lehrbuche doch nur als Österreich (oder das Land)
ob und unter der Enns bezeichnet, weil jene Ausdrücke durch
Jahrhunderte eine andere, und zwar umfassendere Bedeutung
hatten, die durch Kaiser Maximilian I. eingeführt worden ist.
Die Rechtsausgleichung zwischen Österreich und Steiermark
beginnt schon 1192 unter den Babenbergem und sie machte um
so größere Fortschritte, als in der Folge nicht unbeträchtliche
^ Auch in Staatsschriften sowie in amtlichen Erlässen wurde bis dahin
niemals vom österreichischen Staate und nur selten von der , Monarchie" gesprochen.
Für den Gosammtverband hatte sich die allgemein übliche Bezeichnung der
„Erbländer* gebildet. C zornig, Ethnographie der österreichischen Monarchie,
I, 225, Anmerkung \
2 Dies hervorgehoben zuhaben, Ist ein Verdienst J. Strnadt's, das
auch dann anzuerkennen ist, wenn man im einzelnen mit seinen Folgerungen
im Werke: „Die Geburt des Landes ob der Enns", Lüiz 1886, nicht übereinstimmt.
Wachsthum des Staatskörpers.
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6 Österreichische Reichsgeschichte. Einleitung. § 2 und 3.
Gebietstheile des Herzogthums Steiermark zum Lande ob und
unter der Enns geschlagen wurden. Auf anderer Seite bestanden
aber auch zwischen den drei Alpenländern Steiermark, Kärnten
und Krain, die seinerzeit zum Herzogthum Karantanien gehört
hatten, von altersher Beziehungen, die infolge der ähnlichen
Lebensverhältnisse und ähnlicher Bevölkerung nach dem Anfall
vom Jahre 1335 sofort wieder auflebten. Wie im politischen Leben,
so übernahm nun Steiermark auch auf dem Rechtsgebiet die
Führung der drei Lande, die man — allerdings weit später —
als Innerösterreich (L 0.) zusammengefasst hat.
Das Land ob und unter der Enns, sowie die drei i. ö. Herzog-
thümer Steiermark, Kärnten und Krain hat Maximilian „Nieder-
österreich" oder die fünf n. ö. Lande benannt-
Geringer waren die Beziehungen mit Tirol, das 1363 den Habs-
burgeni zufiel, mit Vorarlberg, das seit 1375 allmählich durch Kauf
erworben wurde, und mit dem von Maximilian L im Jahre 1500 be-
setzten Görz. Sowohl die Mischung der Bevölkerung mit romani-
schen und alamannischen Elementen, als auch der geschichtliche
Zusammenhang, wiesen dieser von Maximilian als „Oberösterreich"
zusammengefassten Ländergruppe vielfach eine andere Rechts-
entwicklung, als den fünf niederösterreichischen Landen.
Die Gesammtheit der von Kaiser Maximilian seinen Enkeln
Karl und Ferdinand hinterlassenen Lande, soweit sie der heutigen
Monarchie angehören, also die ober- und niederösterreichischen
Lande zusammen, kann man Altösterreich, jenen Theil von Alt-
österreich aber, w-elcher ausschließlich oder doch vorwiegend von
Deutschen bewohnt wird, auch deutschösterreichische Lande nennen.
3. Diesen gegenüber stehen die von Ferdinand L kraft be-
stehender Famüienverträge und des Erbrechtes seiner Frau 1526
in Anspruch genommenen Königreiche Böhmen mit Mähren und
Schlesien einerseits und Ungarn nebst Croatien, Slavonien und
Siebenbürgen andererseits. Während der Ausdruck „die Länder
der ungarischen Krone" heutzutage anerkannte staatsrechtliche
Beziehungen von Ungarn zu seinen genannten Nebenländern be-
kundet, kommt eine solche Bedeutung der Benennung ^böhmische
Ländergruppe" jetzt nicht mehr zu, die nur der Kürze wiegen
gebraucht werden mag, um die Länder des böhmisch-mährisch-
Bchlesischen Rechts zu bezeichnen.
Terminologie; Bodengestaltung des Reiclis. 7
§ 3« Land und Leute.
»Die östeiT. - Ungar. Monarchie in Wort und Bild", Wien 1H87 ff. das
sogenannte »Kronprinzen -Werk". Bisher sind 13 vollständige Bände erschienen:
2 Bände naturwissenschaftliche und geschichtliche Übersicht, je 1 Band, Wien,
Öst<»rreich unter der Enns, ob der Enns und Salzburg, Steiermark, Karaten,
Krain, Küstenland, Dalmatien, Tirol und Voralberg, 3 Bände Ungara. —
Etlinographie Österreichs, im Verein mit mehreren Fachmännern herausgegeben
von Czörnig, 1855—1857, 3 Bände, unvollendet. — Die Völker Österreich-
Ungarns (Procbaska in Wien und Teschen 1881—1884), 12 Bände. — Krön es,
Handbuch der Geschichte Österreichs, I. 2. Buch, S. 82 ff.
1. Da das Recht seinen Inhalt aus dem durch persönliche
und örtliche Umstände beherrschten Leben der Menschen empfängt,
so ist zum Verständnis der Rechtseutwickelung in einem Staate,
der weder in der Bodengestaltung noch in der Bevölkerung ein-
fache Verhältnisse aufweist, eine kurze Schilderung von Land und
Leuten erforderlich.
In der That bietet Österreich, wiewohl es keinen Colonial-
besitz hat, dem Beobachter ebenso in geographischer als in ethno-
gi-aphischer Hinsicht das Bild großer Mannigfaltigkeit.
Dies wurde schon iih 17. Jahrhundert als Eigenthümlichkeit
unseres Staates hervorgehoben, obschon damals weder Galizien,
noch die Bukovina, noch Siebenbürgen zu Österreich gehörten,
in Ungarn der Türke gebot und die istrisch- dalmatinische Küste
den Venezianern untei-stand. Der ungenannte Verfasser der be-
kannten Schrift „Österreich über Alles, wenn es nur will" be-
gründet sogar gerade aus dieser Fülle von Gegensätzen das Über-
gewicht Österreichs über die anderen europäischen Staaten,^ da
von den aneinander grenzenden, von Gott und Natur so hoch-
gesegneten weiterstreckten Erbkönigreichen und Ländern eines
des andern Mangel und Nothdurft mit seinem Überfluss ersetzen
kann, so dass sie sich mit Fug rühmen könnten, woferne einigem
Staat in Europa es fürwahr ihnen zukommen müsste, beinahe wie
eine kleine Welt in sich selbst zu bestehen und ohne fremdes
Zuthun nicht nur nach Nothdurft, sondern auch nach der Bequem-
lichkeit (wenn nur die rechte, wohl mögliche Anstalt ihnen zu
HUfe käme) versehen zu sein.
1 1. Aufl. 1684, 2. Aufl. 1705, S. 7, Abschnitt 2. Als Verfasser gilt Paul
Wilh. von Hörnigl£, Sohn eines kurfürstlich raainzischen Hofrathes.
8 österreichische Reichsgeschichte. Einleitung. § 3.
2. Der österreichisch-ungar. Monarchie kommt im Vergleich mit
anderen europäischen Staaten ihre centrale Lage, die wohl abgerundete
Gestalt und die entsprechende Ausdehnung des Staatsgebietes sehr
zu statten. Sie besitzt einen Umfang von 10.244 km, von dem
ein Fünftel auf Küstenentwickelung entfällt, und reicht vom IP
ll73'--24.^ 97^' der östlichen Länge von Paris und vom 42.° oVa'
bis 51.° 3' der nördlichen Breite (gemäßigte Zone). An dem Ge-
sammtflächenraum : 624.231 □Arm hat jede der Reichshälften un-
gefähr gleichen Antheil : 300.226 km^ gehören den im Reichsrathe
vertretenen Ländern, 324.005 Ungarn, Siebenbürgen, Croatien und
Slavonien zu.
Das System der Wasserläufe, die unser Reich durchziehen,
hat die Richtung des Verkehrs seit uralter Zeit beeinflusst, die
Gliederung des Bodens durch Gebirgsgruppen und Thäler hingegen
hat die Ansiedlung der Bewohner nach ihrer ethnographischen
Zusammengehörigkeit bestimmt. Noch heutzutage überwiegen die
Deutschen in den Alpenländern, die Slaven in den Sudeten und
dem Nordkarpathenlande. Die Magyaren bewohnen die Donau-
Tiefebene, auf dem Karst- und dem Küstenboden erscheint der
Italiener neben dem Slaven, im Ostkarpathengebiet ist vor allem
der Rumäne seßhaft.
3. Die Deutschen in Österreich^ gehören vorwiegend dem
bayerischen Stamme an.^ Als die Bajuvaren zu Anfang des 6. Jahr-
hunderts am Oberlauf der Donau neue Sitze gefunden hatten,
verbreiteten sie sich über das Land ob der Enns und Salzburg
gegen Südost, dann, dem Innflusse folgend, über Nordtirol. Unter
ihnen verschwand die frühere romanisierte rätisch-keltische Be-
völkerung. Später gelangte das Bayernvolk über die Wasser-
scheide des Brenners nach Süden und den Eisack aufwärts auch
gegen Osten. So verdrängte es gegen Ende des 6. Jahrhunderts
* Kämmel 0., Die Anfänge deutschen Lebens in Österreich. Leipzig 187i>.
— Schober K., Die Deutschen in Nieder- und Ober-Österreich, Steiennarlf, Kärnten
und Krain. 1881. — Egg er J., Die Tiroler und Vorarlbergcr. 1882. — Bendel
Josef, Die Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien. 1885. — Schwiclcer J. H.,
Die Deutschen in Ungarn und Siebenbürgen. 1881. (Völker I— IV.) — d'Elvert,
Geschichte des Deutschthuras in Österreich-Ungarn. 1884.
8 R i e z 1 e r S., Geschichte Bayerns, I, 7 (1878), schätzt den österreichischen
Antheil am bayerischen Stamme auf 6V2— 7Va Mill. allerdings zu hoch.
Land und Leute: Die Deutschen. 9
die Slaven aus dem Pusterthal nach Karantanien und stieß zwischen
Bozen und Trient mit der Reichsgrenze der Langobarden zu-
sammen. (8. Jahrhundert.)
Österreich unter der Enns hat oberdeutsche Bevölkerung.
Als Ostmark war es im 9. und 10. Jahrhundert ein den Avaren
abgenommenes Grenzgebiet, in welchem die Besiedlung theils
massenhaft und plangerecht, theils versuchsweise in zerstreuten,
oft weit vorgeschobenen Gruppen erfolgte. Vorzugsweise haben
sich^hier Bayern, aber auch Schwaben, Franken und Sachsen nieder-
gelassen.
Das Deutschthum in Steiermark hat ebenfalls bayerischen
Grundzug und ist seit dem 9. Jahrhundert durch ununterbrochene
Einwanderung im Oberlande bis südwärts zur Drau erwachsen.
Die Massenansiedlung , vornehmlich durch große Schenkungen
von Grund und Boden an Kirchen und Laien eingeleitet, zehrte
die dünne Slavenschichte auf, die das Land bis an die Enns und
über den Semmering bedeckt hatte, und eroberte mit Axt, Feuer
und Pflug die ungeheuren Wildnisse zwischen den Hauptthälern,
in welchen der Deutsche als der ursprüngliche Bewohner erscheint.
Kräftiger noch als in Steiermark ist die deutsche Colonisation in
Kärnten aufgetreten, und zwar dadurch, dass sich deutsche Groß-
grundbesitzer in slavischen Niederlassungen festsetzten und in
deren Nähe neue Hüben durch Rodung gewannen. Dagegen sind
die vielen deutschen Ansiedler auf geistlichem Besitz in Krain
(Freising 973 . . ., Brixen 1004 . . .),* mit Ausnahme der Städte
und einiger weniger Landstriche (Gottschee, Weißenfels), durch-
wegs der Slavisierung erlegen.
Schwächer als der bayerische ist der alemannische Stamm
vertreten, und zwar im westlichen Tirol und Vorarlberg.
4. In die Sudetenländer, wohin nach Verdrängung der
keltischen Bojer die Markomannen gelangt waren, drangen ums
Jahr 500 slavische Völkerschaften ein. Möglich, dass sich im
waldigen Randgebirge Reste der altdeutschen Bevölkerung erhalten
haben, allein der Hauptstock der jetzigen Deutschen in Böhmen,
•* Froisinger Güterverzeichnis von 1160 bei Lack: Carentani possident
U hobas. Bavari possident 94 hobas cum simmanis. De Sclavis 153 hobas (also
108 : 153 oder wie 2 : 3). — Im Steuerbuch der Stadt Laibach vom Jahre 1600
zählte ich 443 Familiennamen, darunter 247 deutsche, 154 slavische, 41 italienische.
10 österreichische Reichsgcschichte. Einleitung. § 3.
Mähren und Schlesien stammt von deutschen Einwanderern, deren
Ansiedlung durch die slavischen Herrscher seit dem 11. — 12. Jahr-
hundert begünstigt wurde.'^ Die Deutschen traten hier entweder:
a) in schon bestehende slavische Niederlassungen ein und
erwuchsen zu städtischer Bürgergemeinde : Prag, Budweis, Pilsen,
Leitmeritz, Olmütz, Brunn, Znaim, Teschen, Troppau . . ., oder
b) es entwickelten sich aus Ansiedlungen von Bergleuten
rein deutsche königliche Montanstädte: Kuttenberg, Eule, Deutsch-
brod, Iglau . . ., oder
c) sie rodeten WUdnisgrund (Freidörfer und Märkte nach
deutschem Recht), oder endlich
d) sie erhielten größere Landstrecken inmitten slavischer
Bevölkerung, z. B. die Bezirke Saaz, Elbogen, Trautenau in den
Tagen König Otakars IL
Nur das Egerland, welches Ende des 13. Jahrhunderts zuerst in
Verbindung mit Böhmen tritt, im 14. Jahrhundert von den Luxem-
burgern pfandweise erworben und erst unter Kaiser Karl VL zum
königlichen böhmischen Bezirk gemacht wurde, hat eine originär
deutsche, und zwar fränkische Bevölkerung.
5. In Ungarn sind die Deutschen verschiedener Herkunft,
im Westen finden sich vorgeschobene Posten vorzugsweise
bayerischen Volksthums aus alter Zeit, im Norden hat der Berg-
bau in den sieben sogenannten niederungarischen Bergstädteu
(Schemnitz, Kremnitz u. s. w.) und in den 24 Zipserstädten deutsche
Ansiedlungen veranlasst, die sich ehemals weit ins flache Land
hinaus erstreckten. Ebenso gab es in den ältesten und wichtigsten
Städten Ungarns, in Ofen, Pest, Stuhlweißenburg, Pressburg u. s. w\,
in den Bischofsresidenzen Gran, Neutra, Raab, Erlau, Veszprim,
Fünfkirchen u. s. w. deutsclies Altbürgerthum, wogegen die zer-
streuten, durchaus gemischten deutschen Colonien an der mittleren
Donau, der Bacska und des Temeser Banats jüngeren Ursprungs
sind^ und besonders der theresianisch-josefinischen Zeit angehören.
^ Zwischen 1174—1178 bestätigte Herzog Sobeslav „Theotonicis vivere
secundum legem et jiisticiam Thcotonicorura, quam habucnint a tempore avi mei
regis Wratislai.** (f 1092.) /
ö Unmittelbar nach der Eroberung des Banats hatte man in Wien volles
Zutrauen nur zu Katholiken und Deutschen. So wurde die Verwaltung des
Banats von Kaiser Karl VI. angewiesen, in Teraesvar nur Deutsche und Katholiken
Land und Leute; Die Deutschen. 11
In Croatien und Slavonien hat sich das deutsche Colonisten-
thum, das während des Mittelalters in den Städten Agram/ Valpo,
Warasdin u. s. w. bezeugt ist, verloren. Dagegen haben sich die
Siebenbürger Sachsen bis zum heutigen Tage behauptet.
Die älteste Einwanderung nach Böhmen, Mähren, Schlesien,
Ostungarn und Siebenbürgen (wahrscheinlich auch nach der Zips)
etwa vom Schluss des 11. bis anfangs des 13. Jahrhunderts scheint
vom Xieden-hein her erfolgt zu sein, wo die Einbrüche der Nordsee
(himals zahlreiche Bewohner aus dem Lande trieben.® Massenhafter
ist die Colonisation der zweiten Epoche (13. Jahrhundert) im
Sudetenland, Kleinpolen, Oberungarn und Siebenbürgen, welche
mitteldeutsch oder sächsisch genannt werden muss. Die letzten
deutschen Ansiedlungen lieferte der schwäbische Stamm ins
ungarische Flachhind und nach Galizien im 18. Jahrhundert, vor-
nehmlieh unter der Kaiserin Maria Theresia (1765—1776) und
Kaiser Josef II. (1782—1789).
Die Zahl der Deutschen in den Alpenländern beträgt jetzt
an 4,900.000 auf 108.526 km^.^ Rechnet man die Deutschen in
Böhmen, Mähren, Schlesien und den übrigen, im Reichsrathe ver-
tretenen Gebieten (1890 3,588.326 auf 191.700 A■m^ sowie in
Ungarn und seinen Nebenländern 1890 2,106.298 auf 324.005 /m^)
hinzu, so erhebt sich derzeit die Zahl der Deutschen in Österreich-
Ungarn auf rund 10,570.000.
6. Diesen stehen 19 Millionen österreichische Slaven gegen-
über, allerdings in zw'ei Hauptgruppen : Nord- und Südslaven ge-
aiä Bürger anzunehmen. Ja, ein kaiserlicher Befehl vom Jahre 1724 über die
<jcroein(]everwaltung des deutschen Belgrad befahl, die deutsche Sprache als
Unterrichts- und Muttersprache einzuführen. — Landau, Serbien unter öster-
reichischer Herrschaft, ^ Münchener Allgemeine Zeitg.*, 1889, B. 283.
"* Die Not» seu Protocollon civitatis Zagrabiensis de a. 1412 — 1509
(Cod. 150 im Museum zu Agram) enthalten Jahr um Jahr die Wahl der jurati in
nachstehender Reihenfolge: de lingua hungarica, 1. theutonica, 1. italica, 1. scla-
vonica.
" Schon Geyza II. (1141— UGl) berief Flandrer in die wüste Gegend des
Hermannstädter Stuhles (detcrtum de Cibinio), C zornig, Ethnographie, 1, 15. —
Eine Zusammenstellung von Privilegien für deutsche und andere hospites in
Ungarn, Siebenbürgen, Croatien u. s. w., a. a. 0. II, S. 311 flf.
® Dies das Flächenmaß von (isterreich unter und ob der Bnns, Steiermark,
Kärnten, Krain, Salzburg und Tirol, die nach der Zählung vom 31. December 1890
von 4,873.254 Deutschen bewohnt waren.
12 österreichische Reichsgeschichte. Einleitung. § 3.
Bpalten, von denen eine jede wieder aus mehreren Völkerschaften
zusammengesetzt ist.^°
Die österreichischen Nordslaven gehören zu jenem Völker-
zuge, der sich im Anschluss an die Wanderung deutscher Völker-
schaften von der Weichsel westwärts an die Oder und Elbe vor-
schob. An die polabischen Slaven reihten sich damals die Czechen,
die Chorvaten^* und Serben im heutigen Schlesien und West-
galizien, östlicher noch die Polen oder Lochen und Ruthenen oder
Kleinrussen.
Die Croaten und Serben wandten sich — etwa um der
Herrschaft der Avaren auszuweichen — schon in der ersten
Hälfte des 7. Jahrhunderts südwärts und tiberließen ihre früheren
Sitze, die noch auf lange hinaus Weiß-Croatien hießen, an die
Polen. Außerdem rückten die Ruthenen vor und füllten das östliche
Karpathengelände zu beiden Seiten bis an die Tatra und nördlich
bis über den Sanfluss. Zu diesen Altruthenen kam im 14. Jahr-
hundert die Ansiedlung podolischer Ruthenen in der Marmarosch.
Die Gesammtzahl der Ruthenen in Österreich-Ungarn über-
steigt jetzt 3,480.000.
Die Polen, über 3,726.000 an Zahl, bewohnen geschlossen
das Gebiet zwischen dem San, der Weichsel und den Karpathen
und verbreiten sich, mit Czechen gemischt, als Wasserpolen bis
nach Schlesien.
7. Czechen, Mährer und Slovaken, deren Sprache nur mund-
artliche Verschiedenheit aufweist, bewohnen das Innere von
^^Bidormann, Die unj^arischen Ruthenen. Innsbruck 1 862. — S z u i s k i J.,
Die Polen und Ruthenen in Galizien. (Völker IX) 1882. Die Volkszählung von
1890 ergab 3,101.497 und 383.323 als Zahl der Ruthenen in heidon Reichs-
hälften. — Vlach, Dr. Jaroslav, Die Ceehoslaven. (Völker, VIII, 1883.) —
Roesler über den Zeitpunkt der slavischen Ansiedlung an der unteren Donau.
(Sitzungsber. d. k. Akad. d. W. Bd. 73, 1873, S. 75—126.) — Öuraan J., Die
Slovenen. 1881 (Völker X, 1). — Star 6, Die Croaten im Königreich Croatien
und Slavonien. 1882 (Völker X., 2). — Stefanowiö-Vilovsky Th. v.. Die
Serben im südlichen Ungarn, inDalmatien, Bosnien und der Herzegowina. 1884.
(Völker XI.) Nach der Volkszählung vom Jahre 1890 bekannten sich zur slo-
venischen Umgangssprache: 1,176.535, in Ungarn 94.425, zum serbocroatischen
644.769 und 2,604,176, zusammen 3,248.945.
11 Hu her, Geschichte Österreichs, I, 59, erklärt die Angabe, dass die
Croaten vorher in Galizien oder Nordböhracn gewesen seien, für eine aus
Namensähnlichkeiten geschöpfte Hypothese des Kaisers Constantin Porphyrogenitos.
Land und Leute: Nord- und Südslaven. 13
Böhmen und Mähren, einen Theil von Schlesien und das west-
liche Oberungarn. Unter den slavischen Völkern, weiche in das
erst von keltischen Bojem, dann durch Jahrhunderte von deutschen
Markomannen bewohnte Böhmen (spätestens um 551) eindrangen,
erlangte jenes mit der Prager Äupa als Mittelpunkt der Nieder-
lassung die Oberherrschaft, machte seinen Namen zum allgemein
giltigen, breitete sich dann über Nordmähren und nach dem
Untergang des großmährischen Reiches auch in Südmähren aus
Die Überreste der alten Großmährer sind die heutigen Slo-
vaken. Nach der Volkszählung vom Jahre 1890 belief sich die
Zahl der böhmisch, mährisch oder slovakisch Sprechenden auf.
5,473.578 in der westlichen, auf 1,937.517 in der östlichen
Reichshälfte, d. i. rund 7,411.000.
8. Die Südslaven zerfallen in
a) Slovenen (Alpenslaven), Nachkommen der pannonischen
Slaven, welche nach dem Abzug der Langobarden aus der
Donau-Tiefebene (568), entlang den Verzweigungen der Flussläufe
westwärts bis zu den Quellen der Drau vorgedrungen waren, wo
sie, seit 592 hartnäckige Kämpfe mit den vom Westen kom-
menden Bajuvaren zu bestehen hatten und schließlich das Puster-
thal aufgeben mussten. Sie verbreiten sich, 1,270.000 stark, über
ein geschlossenes Gebiet von etwa 15.000 /cw^ vom Görzischen
ül)er Krain, das südliche Kärnten und Steiermark bis ins Zalaer
Comitat in Westungarn;
b) Croaten zwischen Kulpa, Drau und Save (Czörnig, Sloveno-
croaten), hervorgegangen aus einer Mischung der südlicheren,
pannonischen Slaven jener Gegenden mit den dalmatinischen und
libumischen Serbocroaten,^^ die im Kampfe mit den Avaren das
binnenländische Dalmatien, türkisch Croatien, Bosnien, die Herze-
gowina und Serbien behauptet hatten;
c) größere Ansiedlungen von Serben auf österreichischem
Boden fanden erst nach dem Niedergang der türkischen Herr-
schaft (seit 1690) durch Einwanderung nach Slavonien und der
Voivodina statt. Die Gesammtzahl der Serben und Croaten in
Österreich-Ungarn stellt sich jetzt auf rund 3,250.000.
^^ Ira 9. Jahrhundert käropfon die dalmatinischen Croaten mit den panno-
nisichen Slaven Herzog Liudevits, dessen Hauptsitz Sissek war.
14 Österreichische Reichsgeschichte. Einleitung. § 3.
9. Die Magyaren,^' eine der merkwürdigsten ethnographischen
Erscheinungen Europas, uralisch-finnischer Herkunft. Von ihren
Wohnsitzen am westlichen Fuße des Ural durch nachrückende
Völkerschaften abgedrängt, hatten sie endlich ihre Zelte am
Dnjepr aufgeschlagen, von wo aus sie bis gegen die Donau-
mündungen ausschwärmten. Im Jahre 862 berührten sie zuerst
die Grenzen des Frankenreichs, im Jahre 892 machten sie ihren
ersten Angriff auf Großmähren, nach dessen Zertrümmerung sie
auf Jahrzehnte hinaus der Schrecken Westeuropas wurden.
Während eines Beutezuges der waffenfähigen Magyaren über-
fielen, durch die Bulgaren aufgereizt, die wilden Petschenegen
die Lager am Dnjepr und zerstörten sie völlig. Die Furcht vor
diesen Gegnern nöthigte die Magyaren, sich nach neuen Sitzen
umzusehen, die sie ihren Bedürfnissen entsprechend in der großen
Donau- und Theißebene fanden. Erst der Zusammenbruch des
großmährischen Reiches (um 905/6) und die Niederlage des
bayerisch- karantanischen Heeres am Inn (907) entschieden end-
giltig über die Besitznahme des alten Pannonieu durch die
Magyaren. Heutzutage bilden diese die Bevölkerung der unga-
rischen Tiefebene und geschlossene Bestände, die Szeklerdistricte,
in Siebenbürgen. Die Annahme, dass diese Szekler Nachkommen
jener Magyaren seien, denen beim Angriff der Petschenegen
auf die Lager am Dnjepr die Flucht gegen Westen gelang, hat
viel für sich. — Nach der Volkszählung vom Jahre 1890 beläuft
sich die Zahl der magyarisch Redenden auf rund 7,440.000.
10. Rumänen, Wallachen, Ostromanen in Ostungarn, Sieben-
bürgen und der Bukowina, 2,800.000 an der Zahl. Die Boden
ständigkeit, die sie beanspruchen, ward ihnen bestritten, da nach-
Auflassung der Provinz Dacia Trajana die romanisierten Provin-
zialen nach Moesia H., der heutigen Wallachei übergetreten
seien. Gegen Roesler, der darum die österreichischen Rumänen
als Einwanderer des späteren Mittelalters erklärte, hat indessen
Jung mit überzeugenden Gründen ihren unmittelbaren Zusammen-
hang mit der romanisierten Bevölkeining Daciens nachgewiesen,
was nicht ausschließt,^* dass zwischen Siebenbürgen, der Moldau-
*3 Hanfalvy Paul, Die Ungern oder Magyaren. (Völker V, 1.^81.)
^^ Bid ermann H. J., Die Romanen und ihre Verbreitung in Öster-
reich. 1877. — Slanici Joann., Die Rumänen. 1881. (Völker VI.) — Roesler,
Land und Leute: Magyaren, Rumänen, Juden. 15
Wallache! und den süddanubischen Gegenden wirklieh zu wieder-
holtenmalen ein Bevölkerungswechsel eingetreten ist.
Die Westromanen, Italiener und Ladiner erreichen in Öster-
reich heutzutage kaum die Zahl 700.000. Sie verbreiten sich
über die istrische und dalmatinische Küste, übel* einzelne Inseln,
wie Lesina und Curzola, im Süden von Görz und Gradiska,
endlich am dichtesten über Südtirol. Während die Romanen in
Tirol meist von romanisierten Provinzialen oder Langobarden ab-
stanunen, sind im Küstengebiet und Dalmatien auch starke Bei-
mengungen von Venezianern nachweislich.
1 1 . Juden. ^^ Die erste Erwähnung von Juden in den Donau-
ländern macht im Mittelalter wohl die Raffelstädter Zollordnung.
(903—906.) Niederlassungen von Juden in den Alpenländern sind
seit 1075 durch Ortsnamen, wie Judenburg, Judendorf ultra
Mure, juxta Turrach, den locus qui dicitur via Judeorum bei
Friesach (1143) u. s.w. bezeugt. Um dieselbe Zeit sind sie auch
schon in Böhmen und Ungarn nachzuweisen, um 1200 in Polen
in sehr einflussreicher Stellung. Heutzutage steigt ihre Zahl in
Österreich-Ungarn auf mehr als 1,860.000.^*
§ 4, Die österreichlsehen Lande unter romischer Yerwaltnng.
Jung, Römer und Romanen in den Donaulandon. 1877. — Marquardt,
Römische Staatsverwaltung I, II, 2. Aufl. 1881. — Rietschel S., Die Civitas
auf deutschem Boden bis zum Ausgang der Karolingerzeit. Leipzig 1894. —
Chabert, § 3 fT. — Büdingor, Österreichische Geschichte (1858), I, 3 ff. —
Kämmel, I, 46 fT. — Huber, I, 3 ff., 13 ff. — Krones, I, 140 ff., 154 fT. -
Werunsky, § 3.
1. Die ersten Begründer höherer Gesittung auf dem Boden
des heutigen Osterreich waren die Römer, die alle Lande südlieh
der Donau während der Kaiserzeit durch Jahrhunderte beherrscht
und die unterworfenen Völker sich gleich oder doch ähnlich gemacht
Romanische Studien. 1871, id. Dacior und Rumänen, Sitzungsber. d. k. Akad.
d. W., Bd. 53, S. 9 ff. — J u n g, Römer und Romanen in den Donauländem. 1877.
'* Wolf, Gerson, Die Juden. 1883. (Völker VII.)
w In Österreich 1890 -= 1,135.518, in Ungarn (1890) = 724.588. Da dio
Volkszählung in Österreich nur dio Umgangssprache berücksichtigt, so sind
die Juden in den Ziffern der übrigen Nationalitäten begriffen. Am meisten
macht sich dies bei den Polen und Ruthenen fühlbar, da in Galizien über
770.000 Juden wohnen = ll-ö^ der Bevölkerung.
16 Österreichische Reichsgeschichte. Einleitung. § 4.
haben. So verheerend der Strom der Völkerwanderung unsere
Gegenden durchbrauste, so gründlich er die Bevölkerung umge-
staltete, alle Spuren des untergegangenen Römerthums hat er
doch nicht ausgetilgt. Mittelalterliche Städte erhoben sich aus
den Trümmern römischer Ansiedlungen und Römerwege w^aren
es, die dem Handel und Verkehr durch unsere Alpen die Bahn
wiesen, als wieder einige Ruhe eingetreten war. Wo der Römer
herrschte, dort hat er auch in großartiger Weise organisiert.
Darum gehört ein Bild der römischen Verwaltung in unseren
Landen, an den Anfang der österreichischen Reichsgeschichte.
Ungesucht wird es sich dabei ergeben, dass manche Einrich-
tungen des römischen Staates unserer Zeit näher stehen, als dem
Mittelalter.
2. Die Römer hatten die eroberten Donauländer zunächst zu
Illyricum geschlagen, später in größere Provinzen aufgelöst, deren
Grenzen im Laufe der Zeit mancherlei Veränderungen erfuhren.
Das heutige Tirol bildete einen Theil von Rätien, das östlich
bis zur Wasserscheide auf dem Toblacher Felde reichte. Auf
Rätien folgte Noricum vom Inn bis zum Kahlenberg (Mons
Cetius) und von der Donau südwärts bis an die Karawanken.
Ostlich von Noricum lag Pannonien, im Norden und Osten von
der Donau umflossen, im Süden von der Save begrenzt, seit
Trajan in Ober- und Unter-Pannonien getheilt. Noch später
wurden auch Valerien und Savien (von Sissek aufwärts das Land
zwischen Save und Drau) unterschieden. Ostw-ärts der Theiß lag
Dacien, seit ungefähr 112 als Provinz eingerichtet und später
mehrfach getheilt. Es dehnte sich über Ostungarn, den Banat,
Siebenbürgen, die Moldau und Walachei aus, gieng jedoch unter
Aurelian (271—275) den Römern verloren.
3. Den Donauprovinzen war nach ihrer Eroberung ein
gewisser Grad von Selbständigkeit belassen worden. Noricum,
das fast kampflos gewonnen worden war, behielt zunächst den
stolzen Namen Königreich, nur dass der Herrscher jetzt der
römische Kaiser war und dass ein kaiserlicher Hausbeamter
(Procurator) die Verwaltung mit viceköniglicher IVlacht von Celeja
aus leitete. Erst M. Aurel, durch den Markomannenkrieg zur
Vorsicht gemalmt, verwandelte Noricum in eine Provinz und
stellte es unter den Legaten der neu errichteten zweiten italischen
Die römischen Donauprorvinzen. 17
Legion, die ihr Standlager in Laureacum (bei Enns) aufschlug. Den
Pannoniern und Dalmatiern hingegen waren Landtage zugestanden/
die von Vertretern der einzelnen Stadtgemeinden beschickt, zu-
nächst den Cuitus der Kaiser -Gottheit nebst den damit zu-
sammenhängenden persönlichen und finanziellen Angelegenheiten
besorgen sollten, daneben aber das wichtige Recht besaßen, Peti-
tionen und Beschwerden unmittelbar an den Kaiser zu richten.
Die innere Organisation der neu erworbenen Provinzen be-
rulite zunächst nicht auf den Stadtgemeinden, die ja Rom erst
ins Leben rufen musste, sondern auf Landkreisen, die man nicht
mit den Stammesgebieten verwechseln darf, da sie durch will-
kürliches Theilen solcher und durch Zusammenlegen von Ort-
schaften gebildet wurden.^ Während in Noricum, in dessen süd-
östlichem Theil das städtische Wesen schon upter Claudius und
den Flaviern völlig durchdrang, diese Eintheilung in Gaue bald
aufhörte, hat sich dieselbe in Pannonien umsolänger behauptet.
Viel gewaltiger griff dagegen von Anfang an die militärische
Organisation des Gebietes ein,
4. Seit Augustus deckten die Grenzen feste Standlager allein.
So schützte zuerst die Stellung von Poetovio, zeitweilig mit drei
Legionen besetzt, das völlig provinzialisierte Savegebiet und die
Ostgrenze von Noricum, während man das Land nördlich der
Drau nur in Abhängigkeit erhielt und die Donau durch eine Flo-
tille beobachtete. Erst Vespasian schob die römische Kriegsmacht
bis an die Donau vor, indem er zwei Legionen zu Vindobona
(Wien) und Carnuntum (Petronell) Standlager anwies und die
Stromflotte verstärkte. Die Vollendung der großartigen Grenzver-
theidigung fällt dann in die erste Hälfte des zweiten Jahr-
^ Für Oberpannonien zu Savaria (Steinamanger), für Unterpannonien zu
Aquincum (Ofen). In Dalmatien war Scardona der Sammelort der Japoden und
d<»r 14 libumischen Städte, Salona für mehrere hundert Decurien der Dalmaten,
der Decuni u. s. w. — Narona ebenso für die Cerauner, Diocleaten u. s. w. —
Plinius, Hist. nat, IH, c. 26. Ähnliche Landtage bestanden auch in Unter-
mösien und Dacien. — Marquardt, I, 503 ff.
2 Dies geschah, um die ursprünglichen Völkerverbindungen zu zerreißen,
soweit dies im römischen Interesse lag. Marquardt, 1, 501. So bildeten die
ÄzaUer mit ihren bojischen Nachbarn eine civitas unter einem römischen Prä-
fectcn, der früher eine norische Cohorte commandiort hatte. Eine civitas Sir-
miensiuni et Amantinonim gab es noch unter Vespasian.
La seh tu, öttcrreicbische Reicbagc schichte. 2
18 österreichische Reichsgeschichte. Einleitung. § 4.
hunderts. Von Laureacum (bei Enns) bis Citium (Zeiselmauer)
deckten das norische Ufer in der Ausdehnung von etwa 100.000
Schritten oder fünf Tagmärschen ein Legionslager und bei zehn
Castelle, während für die pannonische Front ungleich größere
Machtmittel herangezogen waren. Schon die kurze Strecke vom
Wiener Wald bis zur Leitha war durch zwei Legionen, zu Vindo-
bona und Carnuntum, vertheidigt; dazu kamen weiter östlich die
Standlager von Aquincum (Ofen unter Trajan) und zwischen
hinein seit Hadrian jenes von Brigetio (gegenüber von Komorn).
Noch stärker waren dann die Befestigungen in Obermösien an
der unteren Donau. ^
Im engen Zusammenhang mit der Anlage römischer Festungen
stand der Bau großartiger Straßenzüge, welche für Noricum und
Pannonien ihren Ausgangspunkt von der im Jahre 183 v. Chr.
angelegten Colonie Aquileja nahmen und, durch mannigfache
Querstraßen und eine entlang der Grenze verlaufende Heerstraße
verbunden, in ihren Abzweigungen Sissek, Petronell, Wels und
Salzburg als Endpunkte erreichten.
5. Seine größte Leistung hat jedoch das römische. Heer-
system durch Ausgleichung der Gegensätze in der» Bevölkerung
und durch Förderung römischer Gemeinden vollbracht. Ersteres
wurde befördert, indem Angehörige der verschiedensten Völker-
schaften in ein und denselben Truppenkörper eingestellt und mit
diesem ohne Rücksicht auf ihre Herkunft in die Grenzlandschaften
zu dauernder Garnison verlegt wurden,* letzteres hieng theüs
unmittelbar mit den Lageranlagen, theils mit den Fortschritten
der Provinzialisierung zusammen.
Nur selten ist die directe Begründung römischer Gemeinden
durch Ansiedlung von Veteranen vorgekommen (wie in Pettau
das unter Trajan als Colonia Ulpia an die Stelle des Legionslagers
Poetovio ti-at), Regel w-ar die Erhebung eines schon wesentlich
^ Von Belgrad bis zum Timok fand Kanitz einen ungemein dichten Be-
festigungsgürtel von 72 Castellen. Denkschriften der k. Akad. d. W. 1892, Bd. 41,
S. 2, Römische Studien in Serbien.
^ Beispiele bieten die erhaltenen Inschriften. So verkehrten in der zweiten
Legion zu Brigotio Syrer, Makedonier, Apulier und Norditaliker als Kameraden.
Über die Ursachen der Ausgleichung der nationalen Gegensätze im römischen
Reiche, s. Marquardt, I, 564.
Heerwesen, Straßenzüge, Städte zur Römerzeit. 19
romanisierten Ortes zum Range eines Municipiums oder einer
Colonie.^ So hat schon Augustus Aemona zur Colonia Julia er-
hoben, so erwuchsen zu Municipien seit Claudius: Virunum,
Celeja, Savaria, Teurnia, Aguntum, Juvavo, unter den Flaviern
Flavia Solva, Scarabantia (Ödenburg), Neviodunum (bei Gurkfeld).
Mit Aelium Cetiura (St. Polten) unter Hadrian und der Colonia
Aurelia Antoniniana = Ovilava, Wels, war um die Mitte des zweiten
Jahrhunderts die städtische Organisation in ganz Noricum und
Westpannonien durchgeführt.
Langsamer gieng die Bildung von Gemeinden im Anschluss
an bestehende Grenzbefestigungen von statten. Aus den Ansied-
langen der Wirte und Kaufleute, deren Buden, canabae, den
Standplatz vor der porta decumana hatten, erwuchsen nicht
selten stattliche Ortschaften, die im Laufe des ersten Jahr-
hunderts als vici canabarum Corporationsrechte erhielten, oder,
wo sich Veteranen ansiedelten, auch als veteranes et cives
Komani consistentes ad legionem N. N. bezeichnet wurden und
einem curator veteranorum unterstanden. Mit ihrer wachsenden
Bedeutung empfahl sich die Umwandlung solcher Lagerorte zu
wirklichen Stadtgemeinden, was bei den meisten im Zeitalter
Hadrians und der Antonine erfolgt ist. So entstanden an der
Donau Carnuntum und Aquincum als municipia Aelia, denen etwas
später Vindobona und Brigetio folgten.
In all diesen Städten standen an der Spitze der Gemeinde
Behörden, die den Magistraten von Rom mehr minder genau
nachgebildet waren: Duumviri jure dicundo, den Consulen der
ältesten Zeit entsprechend, und unter ihnen die Aediles als Polizei-
beamte, oder es waren beide Behörden zu einem Viermänner-
Collegium vereinigt, dessen Mitglieder dann die Geschäfte unter
sich theilten. Dem römischen Senat entsprach der städtische Ge-
meinderath der Decurionen, die Mittelstellung der römischen
Equites nahmen in vielen Municipien und Colonien die zwischen
* Über die politische Stellung der Provinzialstädte, s. Marquardt, I, 69 ff.
Municipien-Freistädte unter selbst gewählten Obrigkeiten, die entweder volles
römisches Bürgerrecht hatten und nach römischen Gesetzen regiert wurden
(M. cum suffragio) oder nur Ortsbürgerrecht hatten und nach eigenen Gesetzen
lebten. Die Colonien wurden durch Ansiedlung römischer Bürger begründet,
welche ihr Recht behielten, aber das Colonialgebiet zu beschützen hatten.
2*
20 Österreichische Reichsgeschichte. Einleitung. § 4.
ordo und plebs eingeschobenen Augustalen ein. (Nachweisbar zu
Emona, Poetovio, Carnuntum u. s. w.) Ganz nach römischem Vorbilde
waren auch die geistlichen Behörden gestaltet, daneben gab es
Genossenschaften, Collegia, zu verschiedenen Zwecken : zum Cultus
einzelner Gottheiten (zu Virunum ein c. lamm, in Cetium collegia
des Hercules und der Diana), für einzelne Gewerbe (c. Fabrum
zu Cetium, Vindobona, Emona, veteranorura centonariorum =
Schneider, zu Camuntum), zur Wahrnehmung der Interessen be-
sonderer Classen u. s. w. Kein Zw^eifel, dass die Bevölkerung
dieser so völlig römisch erscheinenden Gemeinden in über-
wiegender Menge aus Einheimischen bestand; den Fortgang der
allmählichen Latinisierung erkennt man indessen aus vielen In-
schriften, in denen neben den barbarischen Namen der Eltern^
römische Namen für die jüngere Generation vorkommen.
Die rasche Entwicklung der städtischen Gemeinden war
ebensogut Folge, als auch Ursache des wirtschaftlichen Auf-
schwunges, den die Donauprovinzen, begünstigt durch langjährigen
Frieden und kluge Maßregeln der römischen Verwaltung, zunächst
erlebten. Die großen Heerstraßen, w^elche selbst die unweg-
samsten Gebirge überwanden, dienten wie dem Krieger, so auch
dem bürgerlichen Verkehr. Der große Gedanke eines einheitlichen
mitteleuropäischen Zollgebietes war damals verwirklicht,® Handel
und Gewerbe blühten auf, aber es waren auch schon die Keime
künftigen Verderbens vorhanden.
6. Weniger günstig ist das Bild, das uns die römische
Finanzverwaltung gewährt.^ Nach altitalischer Sitte war das ganze
eroberte Land der Verfügung des Staates unterworfen, der das-
selbe, soweit er es nicht zur Ausstattung von Colonien verwendete,
oder an den Meistbietenden veräußerte, als ager vectigalis gegen
Abgaben den Provinzialen überließ. Da diese nur Besitzer des
Bodens auf Widerruf wurden, und das Eigenthum dem Kaiser
^ Dasselbe umfasste alle römischen Lande entlang der Donau und war
gegen Gallien abgeschlossen durch Zollstätten bei Zürich und Maienfeld, gegen
Italien: der Brennerpass bei Brixen, der Weg durchs Fella-Thal bei Saifnitz^
der Übergang über den Trojanaberg bei St. Oswald (Atrans). Das HauptzoUamt
scheint in Poetovio gewesen zu sein. Jung, 22 ff.; Marquardt, 11, 269 ff.
' Über die Provinzialsteuern, s. Marquardt, II, 180 ff.; Jung, 31 ff.,.
Monopole und Regalien, s. Marquardt, II, 280.
Römische Finanzverwaltung. 21
verblieb, so konnte dieser durch Androhung der Grundentziehung
den Besitzer zur Übernahme erhöhter Leistungen zwingen.
Auf diese Weise sind die Steuern im Laufe der Iraperatoren-
herrschaft zu ungeheuren Beträgen angewachsen, in Gallien z. B.
zu Zeiten Constantins auf mehr als das vierzigfache des ur-
sprünglichen Betrags. Wie viel die Donauprovinzen zalilten,
wissen wir nicht. Wohl aber ist bekannt, dass Noricum und
Pannonien unter zwei Steuerdirectoren standen, dass hier der
Boden (unter Trajan) in fünf Katastralclassen eingeschätzt war,
dass neben der gewöhnlichen Grundsteuer Naturallieferungen
(annona) an die Truppen und Beamten vorkamen, dass Händler,
Fabrikanten u. s. w., die keinen Grundbesitz hatten, eine Ge-
werbesteuer entrichten raussten, dass die Selbsteinschätzung
strenger Nachprüfung, zuweilen selbst mit Anwendung der Folter
unterlag, dass die Zahl der privilegierten und staatlichen Betriebe
erheblich w^ar u. dgl. Dem Staate gehörten die äußerst ergiebigen
Goldbergwerke im altnorischen Gebirgslande, die berühmten nori-
schen Eisengruben, die Marmorbrüche bei Sirmium, er hatte das
Salinenw^esen zumeist in Händen, er betrieb, wenn auch nicht
ausschließlich, die Tuchfabrication u. s. w. Da zu all dem sich
noch directe Beraubungen der Städte gesellten, so führte dies
allmählich deren wirtschaftlichen Untergang und die Auflösung
ihrer Verfassung herbei. Vergeblich suchte man seit dem 3. Jahr-
hundert durch Defensoren Abhilfe zu treffen, welche die Armen
gegen Bedrückungen durch die Beamten schützen und diese beim
Prsefectus Praetorio anzeigen sollten, der Stand der Decurionen
sank immer tiefer, so dass es endlich als Strafe galt, demselben
angehören zu müssen.
Erster Theil.
I. Periode : Vom Sturz der Römerherrscliaft bis
zum Jahre 976.
§ 5. Geschichtlicher Überblick.
Büdinger, I, 37 ff. — Gfrörer, Byzantinische Geschichten, II. —
Huber, I, 47-140. - Krones, I, 207-296. - Karamel, 1, 142-206, 238 ff. —
Mayer, I, 18 ff. — Riezler, I. — Roosier, Sitzungsberichte d. Akad. d. W.,
Bd. 43. — Werunsky, § 3.
1. Was man gewöhnlich das Zeitalter der Völkerwanderung
nennt, umspannt die Zeit vom Einbruch der Hunnen nach Europa
bis zum Abzug der Langobarden nach Italien. Die Verschiebung
der Völkerschaften begann aber schon Jahrhunderte vorher und
ist für unsere Gegenden erst mit dem Einbruch der Magyaren
im 9. Jahrhundert beendet. Der Niedergang der Römer-Herrschaft
in den Donauländern machte nach der unglücklichen Schlacht bei
Adrianopel (378) immer raschere Fortschritte. Pannonien gieng nach
wechselvollen Schicksalen an die Hunnen gänzlich verloren und
wurde nach Attila's Tode von Ostgothen besetzt, welche ihre Herr-
schaft auch über Mösien ausbreiteten. Noricum verblieb allerdings
den westlichen Kaisern, noch Aetius hat es gegen germanische
Angriffe erfolgreich vertheidigt, allein auch hier begann man um
die Mitte des 5. Jahrhunderts die Folgen dieser allgemeinen Um-
wälzung schwer zu empfinden. Von einem Einfluss der italischen
Regierung auf Ufernoricum war längst nicht mehr die Rede,
selbst der Sold für die Grenztruppen blieb aus und nur das per-
sönliche Ansehen eines Privatmannes, der ebenso verehrt von den
Provinzialen als geachtet bei den Barbaren war, vermochte die
Ordnung nothdürftig zu erhalten. Mit dem Tode des heiligen
Severin (f 482) brach in den Donaulanden die letzte Stütze des
sinkenden Römerthums. Der neue germanische Beherrscher Italiens,
Österreich im Zeitalter der Völkerwanderung:. 23
König Odoaker, machte zwar dem Rugier-Reich auf dem jenseitigen
Donauufer ein Ende (um 487 — 488), sah aber auch die Unmöglichkeit
ein, Ufernoricum ferner zu behaupten. Nach dem Beispiel, das
Aurelian in Dacien vor zwei Jahrhunderten gegeben hatte,
ordnete auch er den Abzug der Römer aus der aufgegebenen
Provinz an, und sicher hat damals Italien den wohlhabenderen
Theil der Bevölkerung von Noricum aufgenommen. Doch ist
keine völlige Verödung des Landes eingetreten: w^estlich von der
Enns gelang es den Bayern, wahrscheinlich von Lorch aus, das
herrenlose Land zwischen Inn und Enns dauernd zu besetzen
und dass sie dabei namhafte Reste der früheren Provinzialen vor-
fanden, muss man aus zahlreichen Romanen (Walchen) schließen,
die noch nach Jahrhunderten im Salzburgischen und im Lande
ob der Enns vorkamen.
2. Die Völkeransiedlungen auf österreichischem Boden ge-
winnen erst nach dem Abzug der Langobarden (aus den Gebirgen
Oberpannoniens und der Donauebene) nach Italien (568) einige
Stetigkeit. Es sind durchaus neue Namen, denen wir hier begegnen.
Den Osten von Noricum bis über die Theiß ins ehemalige
Dacien erfüllten die Avaren, ein türkisch-finnischer Nomadenstamm,
wegen seiner Raubzüge ringsum von seinen Nachbarn gefürchtet.
Zwischen und neben ihnen wohnten Slaven, die während der
Jahre 568—592 Pannonien im ganzen Umfang zur Zeit der Römer,
Noricum und alles Land von der Donau bis nach Istrien besetzten,
auch mit den Avaren vereint in den Jahren 602 — 611 in Dalmatien
einfielen. Andere Slaven brachen damals aus dem Dnjeprbecken
entlang dem Pripet nach Westen vor, besetzten die Weichsel-
und Oderlandschaften und mögen durch die Karpathenpässe
nach Oberungarn, durch die Oderpforte nach Mähren gelangt
sein. Dass diese Ausbreitung der Slaven nach dem Westen mit
Wissen und Willen der Avaren geschah, ist nicht zu bezweifeln,
herrschten doch diese damals in Gegenden, w^elche einzunehmen
die Slaven sich gedrängt sahen. Die Avaren bedurften eben
ackerbautreibender Unterthanen, um die verödeten Landstriche
(Deserta Bojorum) zu bebauen und fanden diese in den Slaven,
deren Zuwanderung sie unterstützten, um sie dann zu Feldknechten
und jeglidien Diensten zu pressen. Noch war der Slaven Wider-
standskraft nicht soweit erstarkt, um ohne äußeren Anstoß das
24 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Erste Periode. § 5.
Joch der Avaren abschütteln zu können. Dies geschah erst unter
Samo's, eines fränkischen Kaufmanns, Führung, der ums Jahr 622
einen großen slavischen Völkerbund im Norden und Süden der
Donau ins Leben rief und durch 40 Jahre zusammenhielt. Ob
die Karantaner Slaven zu diesem Reiche gehört haben, das erst
gegen die avarische Zwingherrschaft gerichtet, später sowohl den
Franken als auch den Langobarden bedrohlich schien, ist ungewiss,
sicher ist, dass sie nach dem Zerfalle von Samo's Schöpfung ihre
Selbständigkeit gegenüber den Avaren bis ins 8. Jahrhundert
zu wahren wussten.
3. Langobarden und Alamannen hielten einzelne Landstriche
im Süden und Westen der deutsch-österreichischen Lande besetzt,
allein den Hauptantheil erhielt der bayerische Stamm, der aus einer
Verbindung der Markomannen mit Quaden und anderen benach-
barten Sueven erw^achsen ist. Die Salzburger Jahrbücher verlegen
diese Besitzergreifung ins Jahr 508 und es ist immerhin möglich,
dass dieser Angabe alte Überlieferung zugrunde liegt, jedenfalls
entfernt sie sich nicht sehr weit von der Wahrheit, da man dies
Ereignis mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit zwischen 488 und 520
ansetzen darf. Bald nach der Niederlassung in ihren neuen
Sitzen geriethen die Bayern — vermuthlich durch Übereinkommen
— unter die Schutzhoheit der Franken, doch bleibt bis gegen
das Ende des 7. Jahrhunderts ihre Geschichte sagenhaft und
dunkel. Ungeachtet des anw^achsenden fränkischen Einflusses, der
sich auch der ausgesandten christlichen Glaubensboten bediente,
um einen engeren Anschluss des Landes ans Frankenreich vor-
zubereiten, wusste das damals über Bayern herrschende Haus
der Agilolfinger die Grenzen seines Herzogthums gegen Südosten
erfolgreich vorzuschieben. Um 680 saß der bayerische Grenzgraf
in Bozen und mag die Grenze bei Welschmetz (meta Langobar-
dorum) schon länger bestanden haben. Noch bedeutender war
die Erweiterung des herzoglichen Gebiets durch die fi'eiwillige
Unterwerfung des Karantaner Herzogs Borut (um 738), der die
bayerische Hilfe gegen die Avaren durch Annahme des Christen-
thums und Abhängigkeit erkaufte. Diese Stärkung der agUol-
fingischen Macht war jedoch den Frankenkönigen keineswegs
willkommen; „auf Befehl der Franken '^ musste Herzog*Odilo den
Sohn Borut's nach des \^aters Tode heimschicken, und als dieser
Bayern unter den Agilolllngem. 25
junge Slavenfürst bald verstarb, gebot der fränkische Hof (zum
zweitenmale innerhalb dreier Jahre) Gleiches bezüglich Chrotimir's.
Die Verwirrungen in Bayern nach Herzog Odilo's Tode (f 748)
benützte der fränkische Hausmeier, um den unmündigen Herzogs-
sohn Tassilo III. unter seine Vormundschaft zu zwingen. Tassilo III.,
an den fränkischen Hof gebracht, musste den Karolingern
Vasallentreue schwören und wurde demungeachtet festgehalten,
bis ihm im Jahre 763 während eines Feldzugs König Pipin's gegen
die Aquitaner die Flucht nach der Heimat gelang. Hier regierte
er dann, unabhängiger als seine Vorfahren, durch eine Reihe von
Jahren, doch die fränkische Vergeltung war bloß aufgeschoben.
Der Sturz des Langobarden reiches, 774, machte seine Stellung im
Frankenreiche auf die Länge unhaltbar. Nach verschiedenen Ver-
mittelungsversucheu erfolgte die Entscheidung 787 — 788, als ge-
ringfügige Streitigkeiten an der baj^erischen Südgrenze den un-
mittelbaren Anlass zum Kriege geboten hatten.
Vergeblich rief Tassilo in seiner Verzweiflung die Avaren
zu Hilfe; die Bayern wandten sich nun selbst von ihrem Herzog
ab, der des Reiches Feinde ins Land gerufen hatte, und dieser
überlieferte sich Karl dem Großen zu Ingelheim, um seinen als
Geißel gestellten Sohn Theodo zu retten. Wegen Desertion (harisliz
im Jahre 763) zum Tode verurtheilt und zum Kloster begnadigt,
endete der Bayemherzog sein Leben zu Lorsch, w^oliin er sich
nach seiner Freilassung (794) begeben hatte.
4. Die Eroberung Bayerns war für die karolingische Herrschaft
ein Ereignis von größter Wichtigkeit und wurde als solches auch
im Lande selbst empfunden, wo man nach dem Jahre zu datieren
begann, in welchem Karl das Volk der Bayern gewann.^ Ja, der
Einfall der Avaren wurde nicht bloß zurückgewiesen, sondern der
Kampf ins Feindesland verlegt. Mit Nachdruck geführte Kriege
(791 — 797) zertrümmerten das morsche Staatswesen der Avaren.*
1 Regnante d. Charlo rege Franchorum et Langupartonun et patrieio
Romanorom in primo anno quando adquisivit gentem Bajuvariorum Mon.
Boica XXVillb., S. 13, 17, 20.
' Nur kurze Zeit hat sich der Name Avaria für die Gegend von der
Enns bis zur Leitha erhalten: in provincia Avarorum 811, 832, 838, 836 ver-
einzelt noch 979, in terra Hunnorura 823. — Felicetti in den Beiträgen zur
Kunde stcir. Geschiehtsquellen, Bd. 9, 8. 7.
26 Osterreichische Reiohsgeschichte. I. Theil. Erste Periode. § 5.
Die Grenzen des Prankenreiches rückten von der Enns bis jenseits
der Donau vor, beide Pannonien wurden Karl dem Großen unter-
than, der gerade damals auch Istrien den Byzantinern abgewonnen
hatte. Während Istrien seine alte Verfassung unter einem Dux
behielt und nur den Tributherrn wechselte,* richtete Karl der
Große im ehemaligen Avarengebiet ums Jahr 803 zwei Markgraf-
schaften zum Schutze des Reiches einT die nördliche Mark im
Ostlande, welche vom Wienerwald tief in altbayerische Be-
sitzungen hineinreichte, und die südliche Friauler Mark, die auch
einen Theil von Untei-pannonien umfasste. Beide Marken waren
der Obhut von Grenzgrafen untergeben, die sich auf ein zur
Behauptung des neugewonnenen Landes ausreichendes Gebiet
stützten, dessen Grenzen auf lange hinaus von politischer Be-
deutung waren.
5. Durch den kaiserlichen Theilungsact vom Jahre 817 erhielt
Ludwig der Deutsche nebst Bayern auch Karantanien und die
Länder der Böhmen, Avaren und Slaven, deren Regierung er erst
825 — 828 nach erlangter männlicher Reife antrat. Fast gleich-
zeitig erfolgte die Auflassung der Friauler Mark. Markgraf
Balderich, dem man zur Last legte, dass durch sein Verschulden
die Bulgaren die Grenzen von Oberpannonien überschreiten konnten,
wurde abgesetzt, sein Gebiet in vier Verwaltungsbezirke einge-
theilt und diese nach Art der Grafschaften im übrigen Franken-
reich eingerichtet. Seitdem stand ganz Unterpannonien in mehr
minder hervortretender Abhängigkeit von Karantanien, das nun
größere Bedeutung erlangte. Schon Karlmann, Ludwig des
Deutschen Sohn, unzufrieden mit der im Jahre 856 erlangten
Leitung der Ostmark, versuchte in wiederholten Aufständen seinem
Vater Karantanien zu entreißen, bis ihn die Regensburgers Reichs-
theilung vom Jahre 865 ans Ziel seiner Wünsche brachte. Noch
wichtiger wurde Karantanien unter der Verwaltung seines un-
ehelichen Sohnes Arnulf. Um seinen Einfluss in der Ostmark zur
Geltung zu bringen, unterstützte dieser die Erbansprüche der fünf
Söhne der beiden, vom Mährerfürsten Svatopluk erschlagenen
Grenzgrafen Wilhelm und Engelbrecht. Im Königstettner Vergleich
3 Der nach Byzanz gezahlte Tribut war 344 Goldstücke jährlich. Schon 791
kämpft der istrische Herzog Johannes unter König Pipin gegen die Avaren.
Die Ostmark zur Zeit der Karolinger. 27
vom Jahre 884 setzte Kaiser Karl III. dem verheerenden Kriege
zwischen Arnulf und den Mährern* ein Ende, aber seitdem be-
gann eine Annäherung der früheren Gegner, die dem Kaiser
verhängnisvoll wurde. Als Arnulf im Jahre 887 zu den WaflFen
greift, um den unthätigen Kaiser vom Throne zu stoßen, leisten
jenem auch Hilfstruppen Svatopluks Gefolgschaft.
Nach seiner Wahl zum Könige richtete Arnulf die Verwaltung
der südöstlichen Marken im ganzen so ein, wie sie unter seinem
Vater gewesen war, nur dass die Oberleitung der Marken durch
königliche Prinzen fortfiel und die Grafen jetzt unmittelbar dem
Könige unterstanden. Die pannonischen Slaven blieben unter
Herzog Brazlavo, dem sie Arnulf mit Rücksicht auf das Vor-
dringen der Ungarn anvertraut hatte. Denn schon machten sich
diese neuen Reichsfeinde furchtbar: 894 waren sie verwüstend
nach Pannonien eingefallen und nur den pannonischen Slaven
zwischen Drau und Save gelang es sich zu behaupten, unbekannt
unter welchen Umständen.
Aber auch Svatopluk bereute es bald, dass er dem Kärntner
Herzog zum Throne verholfen hatte. Aniulf war nicht gewillt,
einen Vasallenkönig von des Mährere Art ungehindert walten zu
lassen, die Schwächung und Zersetzung Großmährens stand in
seinem Plane. Wohl wusste sich Svatopluk gegen Arnulf und
Brazlavo, sowie gegen die Magyaren, die als ungerufene Bundes-
genossen vom Südosten her einfielen, mit Erfolg zu wehren.
Als er jedoch 894 gestorben war und seine Söhne in inneren
Fehden die Kraft des großmährischen Reiches erschöpften, erlag
es dem Anstürme der Bayern und Magyaren, wahrscheinlich um
905—906. Mit dem Falle Großmährens sank indessen auch die
schützende Vormauer Deutschlands gegen Osten. Die mörderische
Schlacht an der Donau im Jahre 907, in welcher Markgraf Luitpold
mit dem Kern des bayerisch-pannonischen Heeres fiel, riss vollends
die letzte Schranke nieder, Luitpold's Sohn, Arnulf, an den in dieser
* Die fränkischen Reiclisannalen nennen seit 822 die Mälirer als Naclibarn
der böhmischen Slaven. Die Mährer waren damals zwischen March, Donau und
Drau seßhaft. Während Fürst Mol mir. der die westlichen Mährer beherrschte,
846 die Herrschaft an seinen Neffen Rastislav abtreten musste, dem nach
30 Jahren Svatopluk folgte, erfreuten sich Privina, der Fürst der östlichen
Mährer, und sein Sohn Kozel beständig der Gunst der Frankenkönige.
28 Österreichische Reichsg-eschichte. I. Theil. Erste Periode. § 5.
Zeit der Verwirrung die oberste Gewalt in Bayern kam, zog sich
nach Regensburg zurück, den Ungarn aber sicherte erst dieser Sieg
ihre Sitze in der Donautiefebene, wo sie sich niedergelassen hatten.
6. Sehr bestritten ist die Frage, ob nach dieser Unglücks-
schlacht die Ostmark gänzlich eingieng. Sicher ist, dass sich die
Herrechaft der Magyaren nicht über die Enns erstreckte, denn die
aus den Trümmern des alten Laureacum erbaute Ennsburg trotzte
all ihren Angriffen. Nicht einmal im Lande unter der Enns ist es
zur Begründung einer förmlichen Magyarenherrschaft gekommen.
Das flache Land, vielfach verwüstet, war herrenloses Gebiet ge-
worden, das die Raubzüge der Reichsfeinde unbehindert nach
allen Seiten durchquerten. Weniger als die Ostmark hatte das
abseits liegende Karantanien zu leiden, hier wurden auch die
Magyaren im Jahre 901 auf ihrer Rückkehr aus Italien geschlagen.
Ein Umschw-ung zum Bessern trat allmählich seit dem
Siege König Heinrich's über die Magyaren ein (933). Später als
nach Arnulfs von Bayern Tode König Otto daran gieng, die könig-
liche Macht im Herzogthume zu heben, wurde 938 Karantanien mit
der Veroneser Mark von Bayeni abgetrennt, noch wichtiger war in
ihren Folgen die Schlacht auf dem Lechfelde 955. Seitdem be-
ginnen wieder Unternehmungen der Deutschen gegen den Osten,
auch treten eigene Markgrafen in Kai'antanien und der Ostmark auf:
970 ein Marchwart mit einer Grafschaft im Leibnitzer Felde, 974
Markgraf Popo in Krain, Burchard in der Ostmark (bis 972—973).
Dieselben unterstanden dem Herzog von Bayern, bis dessen Auf-
stand im Jahre 976 den König zu durchgreifenden Änderungen
in der Verwaltung nöthigte.
In beiden Pannonien behaupteten die Magyaren ihre Herr-
schaft bis auf den zwischen dem Wiener Walde und der Leitha
gelegenen Theil, sowie einige an Karantanien anstoßende Land-
striche. Die unter den einheimischen Fürsten Privina und Kozel
zahlreich gew^ordene Slaven-Bevölkerung wurde von den Ungarn
gutentheils verdrängt, wiihrend sie sich im Gebiet zwischen Save
und Drau stets behauptete. Damals giengen auch dem Erzstift Salz-
burg jene großen pannonischen Besitzungen verloren, die es später
durch eine Reihe verfälschter Bestätigungs-Urkunden (angeblich
von Otto l.) vergeblich zu retten suchte.
Die Ostmark im 10. Jahrhundert; Rechtsquellen. 29
Die Rechtsquellen bis zum Schluss des 10. Jahrhuiiderts.
§ 6. Yolksrechte.
Stobbe, Rechtsquellen, I. — Qengler, Beiträge zur Rechtsgeschichte
Bayerns, I, Capitel 1. — Brunn er, Deutsche Rechtsgeschichte, I, § 33 ff. —
Schröder, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte, 2. A., S. 239 flf.
1. Da die Frankenkönige zu Gunsten der Reichsangehörigen
das sogenannte Personalitätsprincip aufstellten und daher der Ein-
zelne auch außerhalb seiner Stamraesheimat nach dem Rechte
behandelt wurde, in dem er geboren war, so unterliegt es keinem
Zweifel, dass auf österreichischem Boden in fränkischer Zeit
je nach Umständen die Rechte der verschiedensten deutschen
Stämme zur Anwendung kommen konnten und auch wirklich
kamen. ^ Sieht man indessen von Einzelfällen ab und stellt man
die Pi-age, welche Stammesrechte haben die spätere Rechtsent-
wicklung in Österreich zumeist beeinflusst, so wird man an erster
Stelle bayerische, dann aber schwäbische und langobardische Rechts-
quellen zu berücksichtigen haben. Erstere zwei kommen für den
größten Theil der österreichischen Alpenländer in Betracht, das
Alamannenrecht für Vorarlberg und das westliche Nordtirol, das
langobardische für Welschtirol und das Küstenland.
2. Lex Bajuvariorum. — Drucke seit Sichard (1530)
bis auf die Folio-Ausgabe in den Mon. Germaniae, leges III,
183—496, die Quart-Ausgabe als LL. V. wird vorbereitet. Er-
halten sind 30 Handschriften (einschließlich der neuerlich aufge-
fundenen Klitschdorfer), welche meist dem 9.— 10. Jahrhundert
angehören.
* Man denke nur an die Ansiedlungen von Frankefi, Sachsen, Schwaben
U.S. w., die in karol in gi scher Zeit nach Österreich, Steiermark, Kärnten . ..
kamen und deren Andenken hier zum Theil in Ortsnamen, wie Frankenberg,
Frankenburg, Frankenmarkt, Sachsenburg, Sachsen feld, Sachsengang, Schwabeck
u. s. w. fortlebt. S. ferner die Stiftungsurkundo von St. Georgen am Längssee ums
Jahr 1000, bei welcher testcs tracti per aures, also Bayern, von den testes
sclavenicAC institutlonis, oder die Urkunde für Aquileja vom Jahre 1102 in der
Baiuariorura rogati testcs, Histrieiises testes und Forulienses testes unterschieden
werden. Archiv für Süddcutschland, II, S. 243, »Die Sachsen in Innerösterieich" im
1. Heft der Beiträge zur Lösung der Preisfrage des Erzh. Johann, 1S19, S. Ib7 ff.
30 Österreichische Roichsgoschichte. I. Theil. Erste Periode. § 6.
Als Bestandtheile dieses Volksrechtes, das sich selbst pactus,
lex oder ewa Bajuvariorum nennt, sind uns überliefert:
a) ein Prolog, zusammengesetzt aus Stellen, die den „Origines"
des Isidor von Sevilla entnommen sind und einem Bericht über
die Gesetzgebung der Franken, Alamannen und Baj^ern.
b) ein Register in drei verschiedenen Fassungen, von denen
eine den ganzen Inhalt unter 54 Rubriken vertheilt;
c) der eigentliche Gesetzestext in 21—22 Titeln. Die Aus-
gabe der Mon. Germanire bietet ihn in drei Formen, die jedoch nicht
auf verschiedene Gesetzgebungsacte, sondern auf Verbesserungen
der Schreiber zurückzuführen sind.
Dass die Nachrichten des Prologs über die Gesetzgebung
der fränkischen Könige für die Bayern, so bestimmt sie auch
lauten, unglaubwürdig, mindestens aber zu ungenau sind, um für
die Geschichte der Lex Bajuvariorum verwertbar zu sein, ist
jetzt allgemein anerkannt. Wir sind deshalb, wenn wir das Alter
und die Art der Entstehung dieses Gesetzes ergründen wollen,
lediglich auf innere Gründe angewiesen und dies erklärt die sehr
verschiedenen Ansichten, die schon geäußert w^orden sind.
Während Eichhorn und ältere Schriftsteller die Lex Baju-
variorum als Ergebnis einer einmaligen Satzung hinstellen, haben
neuere Forscher die Entstehung auf drei oder mehr Acte ver-
theüen wollen, die sie vom 6. — 8. Jahrhundert ansetzten. In der
handschriftlichen Überlieferung findet diese, namentlich seit der
Ausgabe Merkels, in den Mon. Germanise herrschende Ansicht keine
Stütze. Auch der Nachweis, dass die beiden ersten Titel frühestens
aus der Zeit Karl Martells stammen, kann nicht länger als Zeugnis
für eine öftere Satzung angeführt werden, seitdem es erwiesen
ist, dass die in allen Theilen des bayerischen Volksrechts benützte
Lex Alamannorun\ der Zeit Herzog Landfried's (f 730) angehört.
Die einmalige Satzung der Lex Bajuvariorum kann also frühestens
ums Jahr 730 erfolgt sein. Sie fällt jedoch nach 739, weil die
kirchenrechtlichen Artikel schon die Durchführung der Bonifazi'-
schen Reform des bayerischen Kirchenwesens voraussetzen; sie
fällt anderereeits vor den Regierungsantritt Herzog Tassilo's III.
(748), weil im Jahre 756 die Synode von Aschheim das Gesetz
dem Herzoge als „precessorum vestrorum depicta pactus" be-
zeichnet. Die lex ist also unter Herzog Odilo, wahrscheinlich in
Das bayerische Volksrecht. 31
den Jahren 744—748 entstanden, als dieser nach seiner Aus-
söhnung mit den Söhnen Karl Martell's wieder in sein Herzog-
thum eingesetzt worden war. Bei Abfassung der kirchlichen
Bestimmungen dürfte die Kirche, bei Redaction der staatsrecht-
lichen Vorschriften die fränkische Regierung betheiligt gewesen
sein. Dagegen wurden Strafrecht, Privatrecht und der Rechtsgang
als innere bayerische Angelegenheiten, ausschließlich von heimi-
schen Kräften mit Hilfe der judice^ zusammengestellt, auf welche
einmal ausdrücklich Bezug genommen wird.^
3. Bei Abfassung der Lex Bajuvariorum wurden die alten,
wohl noch aus der Urheimat Bojoheim (Baia) in die neuen Wohn-
sitze mitgebrachten Stammgebräuche aufgezeichnet und außerdem
noch benützt:
a) die Lex Alamannorum Landfridiana an sechzig Stellen,
die über alle Titel des bayerischen Gesetzes vertheilt sind, hat
bei der Rechtssatzung geradezu als Mustervorlage gedient, weil
in vielen Dingen zwischen den stammverwandten Alamannen und
Bayern von altersher Rechtsgleichheit bestand;
b) an zweiunddreißig Stellen, vorzüglich im letzten Abschnitte
westgothisches Recht in der Passung der sogenannten Antiqua
coUectio König Rekkared's (586—601) oder Eurichs (466—484);
c) vereinzelt sind Spuren fränkischen Einflusses zu erkennen,
so wenn bei der Grundübereignung sowohl die bayerische Form
durch Behändigung des Briefes (T. L, 1 ; XVI, 2), als auch die
fränkische Investitur (T. XVI, 17), vestita manus, erwähnt werden.
Nach den behandelten Gegenständen zerfällt der Text der
Lex Bajuvariorum in drei ungleiche Abschnitte:
a) einen kirchenrechtlichen = Tit. I, quae ad clerum pertinent,
seu de ecclesiastico jure;
b) das Staats- und Adelsrecht bUden der (auch besonders
als „edictum" bezeichnete) Tit. II, de duce et de ejus causis, und
Tit. III, de genealogiis et eorum compositione, der als privilegien-
artiges königliches Sondergesetz erscheint;
c) Tit. IV— XXII über die Rechtsverhältnisse der nach den
Adelsgeschlechtem folgenden Geburtsstände und die übrigen straf-
wie privatrechtlichen Bestimmungen.
* Tit. XVII, 5, sed hie discordant judices de pacto.
32 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Erste Periode. § 6.
In allen drei Abschnitten finden sich Erläuteningen des
lateinischen Textes durch Ausdrücke der altbayerischen Rechts-
sprache (. . quod Baiwarii dicunt, . . . quod dicimus u. s. w.)
4. Das Geltungsgebiet der Lex Bajuvariorum erstreckte sich,
wenn wir die Wohnsitze der Bayern ins Auge fassen, im Süden
bis an die Etsch und den Eisack, im Westen bis an den Lech,
im Osten über Kärnten, Steiermark, Krain, Österreich bis nach
Westungarn, im Norden nach Hinzuerwerbung des Nordgaues fast
bis an den Main und das Fichtelgebirge. Im 1 1 . Jahrhundert soll
sie noch weiter nach Osten vorgedrungen sein, da Kaiser Heinrich III.
den Ungarn auf ihre Bitte im Jahre 1044 die Anwendung des
Bayernrechtes zugestanden haben soll.* Eine nähere Untersuchung
der ungarischen Gesetzgebung König Stephan's I. und seiner
Nachfolger Ladislaus (1080—1095) und Kolomann's (1095—1114)*
ergibt indessen keine Bestätigung dieser Nachricht. Wenn sich hie
und da ähnliche oder selbst gleiche Verfügungen finden, so war
es unverkennbar kirchlicher Einfluss, auf den sie beidemale zurück-
zuführen sind; im übrigen waren die ungarischen Gesetze von
anderen Principien beherrscht als die Lex Bajuvariorum. Sieht
man z. B. davon ab, dass Verbrechen an Freien strenger bestraft
wurden, als solche, die an Unfreien begangen worden sind, so
war nach den ungarischen Gesetzen die Person des Beschädigten
für die Höhe des Strafsatzes ohne Belang, während mit dem
höheren Rang des Thäters für diesen gewöhnlich eine Straf-
verschärfung verbunden war u. a. m. Vermuthlich sind daher die
obenerwähnten Nachrichten deutscher Geschichtsschreiber auf
Landfriedensbestimmungen einzuschränken,^ die damals in Bayern
^ Ungarios petentes lege Bajoarica donavit. (Hermann i Augiensis chron.
in Mon. Germanir© Ss. VII, 125), illis etiara petentibus scita Teutonica concessit
(Ann. Altahenses majores M. G. XX, 8(X)). Thuroczy corrigierte um 1490 diese
Stelle, die seinem Nationalgefühl widersprach, um in «concessit petentibus
Hungaris hungarica scita servari et consuetudinibus judicari".
^ Rer. Hungaricarum monum. Arpadiana ed. Stephan Endlicher. II, Logos»
St. Gallon 1848. — Derselbe: Die Gesetze des heil. Stephan's. Wien 1849.
* Gi esobrecht macht auf die Analogie mit der Nachricht in B c r n o 1 d i
Monachi chronicon ^Mon. Germ., Ss. V., 458) zum Jahre 1094 aufmerksam, dass
die Landfriedensordnung für Schwaben vom Jahre 1093 nicht nur nach Franken,
sondern .usque Bajoariam immo usque Hungariam* sich verbreitet habe.
Geltungsgebiet und FortbUdung des bayerischen Volksrechts. 33
galten und die für das vom Bürgerkriege zerfleischte Ungarn
von unmittelbarer Anwendbarkeit waren.
5. Die Lex Bajuvariorum hat im Laufe der Zeit Fortbildung
und mancherlei Zusätze theils durch Landes-, theils durch Reichs-
gesetzgebung erfahren. Hieher gehören:
a) Beschlüsse bayerischer Synoden, d. h. der Versamm-
lungen von Bischöfen, Äbten und weltlichen Großen, mitunter
auch der gesammten Volksfreien unter Vorsitz des Herzogs, in
Merkels Ausgabe als additio IV flf. Mon. Germ., Leg. HI, 8. 457 flf.
a) Capitula synodi Aschheimensis unter Herzog Tassilo HL,
wahrscheinlich vom Jahre 756, geistlichen Inhalts. C. 15 verlangt
die Anwesenheit von Geistlichen an den herzoglichen Gerichtstagen
^nt sit sententia vestra dei seile condita^i
ß) die Dingolflnger Beschlüsse von 772 mit einer in C. 8
enthaltenen wichtigen Bestimmung über Vererbung von Lehen ;
Y) die als populäres leges bezeichneten 18—20 Capitel der
Neuchinger Synode von 774—775 durchaus bürgerlichen Inhalts.
ß und f erscheinen zuweilen als Decreta Tassilonis zu einem
kleinen, das Volksrecht erläuternden Gesetz zusammengefasst, ein-
zelne Bestimmungen daraus wurden auch von den Schreibern
unmittelbar in den Text des Volksrechts aufgenommen;
8) die Reisbacher, Freisinger und Salzburger Beschlüsse, die
außer rein geistlichen auch weltliche Angelegenheiten behandeln,
fallen in die karolingische Zeit (zwischen 796—801), die Dingol-
flnger von 932 und die Regensburger von 938 — 968 in die Periode
des wieder erstandenen Stammesherzogthums ;
e) die bedeutendste Fortbildung erfuhr das Bayernrecht im
10. Jahrhundert durch die s. g. Ranshofer Beschlüsse, welche Herzog
Heinrich I. oder IL zuzuschreiben sind. Ihr Inhalt ist rein straf-
rechtlich, sehr grausam und betrifft den widerrechtlichen Schutz
flüchtiger Knechte, Geächteter und Diebe, die Haftung des Haus-
wirts für aufgenommene Gäste u. dgl. m. Sie sprechen noch
von compositio und Wergeid, stellen aber Leibes- und Freiheits-
strafen in den Vordergrund, bilden also den Übergang von der
altem zur neuern Gestaltung des Strafrechts in Bayern.*
* (i engl er, § 14, schreibt sie der zweiten Regierung Herzog Heinrichs II.
(985—995) zu. Strafen sind: depUatio et excorticatio (Kopf abscherung mit
Geißelung) percnssio, incarceratio, externiinatio (Landesverweisung).
Laschili, ÖBterretchische Reiebigeschichte. 3
34 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Erste Periode. §. 6.
h) Die fränkische Reichsgesetzgebung:
a) Nach Tassilo's III. Sturz, den Karl der Große inv Jahre
788 wegen einer im Jahre 763 begangenen Dersertion verurtheilen
ließ, wurde die Novelle: „de duce si protervus et elatus . .
decretum regis contempserit" für künftige Fälle erlassen, die auch
im Text des Volksrechts als T. II, C. 9 erscheint;
ß) „capitula quae ad legem Bajuvariorum d. Karolus Serenissi-
mus Imperator addere jussit" mit Androhung des Königsbannes in
angegebenen acht Bannfällen (zw'ischen 801—813), und
7) capitulare Bajoaricum, eine Sendboten - Instruction vom
Jahre 803 oder 810 (Mon. Germ., Leg. III, 477—478);
8) „decretum Hludovici I. de ordinatione servorum", gerichtet
an Erzbischof Adalram von Salzburg mit dem Verbot, Unfreie
ohne vorgängige Freilassung durch ihre Herren zu Priestern zu
weihen. (Kleimayrn Juvavia, Anhang Nr. 24, S. 78);
8) die Ordnung für den Donauhandel vom Jahre 906 (Mon.
Germ., Leg. III, 480, U.-B. o. Enns II, 54), ein Weisthum über ZoU-
und Mautwesen an der Donau, das auf Befehl König Ludwig's IV.
zu RaflFelstetten (zwischen der Zizlau und Enns) unter Vorsitz
des Markgrafen Aribo in Gegenwart des Grafen Otachar, des Erz-
bischofs Theotmar von Salzburg und B. Burkhard's von Passau
durch sachkundige „judices orientalium" aufgenommen wurde. Auf
Grund eidlicher Aussagen sollte dadurch der Zustand wieder herge-
stellt werden, wie er von den Zeiten Ludwig's des Deutschen bis
auf König Arnulf bestanden hatte. Die Bestimmungen über den
Gegenstand und die Richtung des Verkehrs gehen ins einzelne;
es werden deutsche und sla\ische Unterthanen erwähnt, die gleich
zu behandeln waren, ferner Juden und fremde Kauf leute, die ver-
schieden abgestuften Zoll zu bezahlen hatten.
6. Die Zeit, während welcher die Lex Bajuvariorum in
Österreich in Anw^endung blieb, lässt sich nur annähernd bestimmen.
Einigen Anhaltspunkt bietet das Alter der Handschriften, indem man
im Mittelalter Rechtshandschriften meistens nur zu praktischen
Zwecken abschrieb. Insofern wäre der Admonter Handschrift dieser
Lex aus dem 12. Jahrhundert größere Bedeutung beizulegen, wenn
sie, wie Wattenbach meint, zum ältesten Bestand der Kloster-
bibliothek gehören sollte. Ein positives Zeugnis aus dem Jahre 1055
bietet die Verurtheilung des Markgrafen Otto (wohl von Karantanien)
Fränkische Reichsgesetze« das Alamannenrocht. 35
durch Kaiser Heinrich III. wegen Incest mit ausdrücklicher Berufung
auf Lex Bajuvoriorum, T. VII, C. 1.'^ Im übrigen sind wir, um die
Zeit und das Geltungsgebiet der Lex Bajuvariorum in den öster-
reichischen Landen festzustellen, auf die Erwähnung von testes
per aures tracti angewiesen. Dies Berühren jedes Einzelnen am
Ohre durch die Partei, der er künftighin als Zeuge dienen sollte,
war unzweifelhaft altbayerischer Rechtsbrauch, wie er denn auch
als „mos baioarius seu noricus''® bezeichnet wurde und schon
der Lex Bajuvariorum bekannt war (z. B. XVI, 2, XVII, 3, 6).
Unsere Urkunden erwähnen solche Zeugen bis ins 13. Jahrhundert.
7. Pactus und Lex Alamannorum. Ausgaben seit Sichard 1530 ;
in den Mon. Germaniae, Fol., Leg. III, 1 — 182, durch Merkel,
in Quart (1888) als Leg. V, 1 — 175, durch Lehmann besorgt.
Der ums Jahr 580 gestorbene griechische Schriftsteller
Agathias berichtet von volksthümlichen Gesetzen der Alamannen.
Möglicherweise sind uns diese im sogenannten Pactus Alamannorum
erhalten, von dem wir fünf Bruchstücke besitzen.®
Weit häufiger (53 Handschriften) ist die Lex Alamannorum,
die man früher als L. Chlotariana„ Lantfridiana und Karolina
unterschied und auf drei Satzungen vom Anfang des 7.-9. Jahr-
hunderts vertheilte; jetzt ist die Einheitlichkeit jener drei Text-
formen anerkannt. Die Lex ist ein Herzogsgesetz, das auf Be-
öchluss der Landesversammlung während der Regierungszeit König
Chlotars IV. (717—719) wahrscheinlich durch Herzog Landfried
(t 730) erlassen wurde. Von den 97 Capiteln entfallen die ersten 23
auf kirchliche Bestimmungen, Capitel 24—44 „de causis quae ad
ducem pertinent behandeln die Stellung des Herzogs, die Capitel
45 — 97 „de causis quae sempe solent contingere in populo" sind
verschiedenen Inhalts.
Als Geltungsgebiet dieser Lex auf österreichischem Boden
ist Vorarlberg und der Nordwesten von Tirol zu bezeichnen.
" Codex Austriaco - Frisingensis ed. Zahn, I, 79, Nr. 77.
^ Gen gl er, I, 15, Anm. 24. — Ein sehr spätes Beispiel ist die Urkunde
Reimbert's von Murock für das Kloster Renn vom Jahre 1212. Testium igitur per
anrem traetomm ista sunt nomina ipse nobilis et illustris dux Austrie et Stirie,
Dns. Linpoldus u. s. w. U.-B. der Steiermark, II, 185.
® Brunner, I, § 41, versetzt den Pactus mit Wahrscheinlichkeit in die
erste Hälfte des 7., frühestens in den Ausgang des 6. Jahrhunderts. Als Satzung
ist der Pactus durch die Eingangsworte „et sie convenit" gekennzeichnet.
3*
36 Österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Erste Periode. § 6.
8. Auf dem Südabhaug unserer Alpenländer traf mit der
Lex Bajuvariorum das Langobardenrecht zusammen, das in den
Gebieten der Kirehenfürsten von Trient und Aquileja die spätere
Reehtsbildung nachhaltig beeinflusst hat Anerkannt ist der hohe
innere Wert^^ des 643 von König Rothari (dem König Rother
der deutschen Volkssage) erlassenen Edicts in 388 Abschnitten,
dem die umfängliche Gesetzgebung König Liutprands (713— 735),
Novellen einiger Nachfolger bis auf Aistulf (755) und schließlich
Gesetze der fränkischen und deutschen Könige folgten. Von allen
deutschen Volksrechten haben allein die langobardischen Königs-
gesetze im frühen Mittelalter durch die Schule eine wissenschaft-
liche Behandlung und Weiterbildung erfahren.
In karolingischer Zeit (829—832) erfolgte durch einen ge-
wissen Lupus eine Bearbeitung für den Grafen Eberhard von
Friaul und Rätien, als sogenannte Concordia de singulis causis.*^
Später (1019—1054) entstand an der Rechtsschule zu Pavia zu
Schulzwecken der sogenannte Liber Papiensis, eine chronologische
Sammlung der langobardischen Gesetzgebung und der als „Capi-
tulare" zusammengefassten fränkischen und deutschen Reichs-
gesetze für Italien nebst Glossen und proeessualen Formeln,
während die sogenannte Expositio (um 1070) ein für die Praxis
berechneter Gesetzcommentar war. Gegen Ende des 11. Jahr-
hunderts wurde der Liber Papiensis durch systematische Bear-
beitung seines Stoffes zum Liber Legum Langobardorum, , der
s. g. Lombarda umgestaltet, an welche sich zahlreiche Glossen,
Summen und Commentare anschlössen.
9. Für die romanische Bevölkerung unserer Gegenden blieb
nach dem Persönlichkeitsprincip das römische Recht in Geltung,
wobei jedoch nicht an reines römisches Recht, sondern an ein
durch mancherlei provinzielle Verhältnisse beeinflusstes Vulgärrecht
zu denken ist. Abgesehen von mehreren Verfügungen der Ostgothen-
könige zumal für Südtirol und Istrien, die uns in den »Variae" des
^® Ausgabe in der Mon. Genn., Leg. IV, Folio.
11 Gedruckt als Liber legis regum Langobardorum Ck)iicordia dictus, Mon.
Germ., Leg. IV, 235—288. Die Concordia stellt in den ersten 40 Titeln nach be-
stimmten Rubriken die Gesetze von Rothar bis Aistulf zusammen, Titel 47—60
enthalten die übrigen Gesetze, doch wird durch diese Redaction der Inhalt der
Königsgesetze weder vollständig, noch durchaus dem Originale treu wiedergegeben.
Volksrechto der Langobarden und Romanen. 37
Cassiodor erhalten sind, kommt hier vor allem die Lex Romana
Curiensis aus der Mitte des 9. Jahrhunderts in Betracht, welche
nicht nur an sich die wichtigste Fundgrube für das römische
Vulgärrecht ist, sondern auch nachweislich auf österreichischem
Boden gegolten hat.^^ j)\q Ansicht, dass diese Lex in Istrien ent-
standen sei, lässt sich nach den neueren Untersuchungen, die auf
Churrätien als Heimat hinweisen, zwar nicht aufrecht erhalten.
Dem ungeachtet ist es nicht unwahrscheinlich, dass sie in dem
gesammten rätisch-romanischen Gebiete und darüber hinaus bis
nach Istrien in Geltung war, da nicht nur die ethnographische
Zusammengehörigkeit der Ladiner mit den Friauleni anerkannt
ist,^' sondern auch eine der drei Handschriften, die wir von der
Lex besitzen, aus Aquileja stammt.
10. Für die österreichischen Slaven sind uns aus der Zeit vor
dem Jahre 1000 keinerlei echte Rechtsquellen überliefert. Wohl
gibt es ein „Statutum qualiter Slavi vel ceterae Nationes, qui nee
pacto nee lege sancta utuntur post perceptam baptismi gratiam
constringendi sint^*das echt ist, allein dasselbe betrifft nicht unsere
Gegenden, sondern ist als Sendrecht der Main- und Regnizwenden
nachgewiesen worden. Dass die noch von Jirefeek an die Spitze
seines Codex juris Bohemici gestellten Fragmente der sogenannten
Grünberger Handschrift über das Urtheil der Libussa gefälscht
seien, wird jetzt selbst von czechischer Seite zugegeben.^^ Des
kärntnerischen Herzogs Ingo Gesetze vom Jahre 791, die Megiser
in seinen Annalen von Kärnten (I, 495) auä „Ammonius Salassus
und anderen alten kärnfcnerischen Verzeichnissen* bringt, sind ein
Machwerk unbekannter Herkunft und selbst der Herzogsstuhl in
Kärnten, der in seinen Bestandtheilen zur Zeit des Ingo schon
existierte, ist durch seine Aufschriften VERI und MASVETI VERI
kein Slavendenkmal, da er aus Bruchstücken römischer .Inschrift-
steine zusammengesetzt wurde. ^®
'^ B r u n n e r, I, 363. Eine in den Jahren 852 oder 859 zu Rankweil im
beutigen Vorarlberg ausgestellte Urkunde beruft sich mit den Worten sicut lex
continet auf eine Stelle der Lex Romana Curiensis.
1^ Jung, Römer und Romanen in den Donauländern, 206.
" Mon. Germ., Fol., Leg. III, 486, dazu Dove in der Zeitschrift für
Kirchenrecht, IV, 155.
^ Mittheilungen des österreichischen Instituts, I, 1880, 160.
w Corp. Inscript. Lat., III, 2, S. 613, Nr. 4041.
38 Österreichische Reich^geschichtc. I. Theil. Erste Periode. § 7.
§ 7. Formelbficher nnd IJrknnden.
Rockinger in den Quellen zur bayerischen und deutschen Geschichte,
Vn, S. 45—186. — Gongler, Beiträge zur Rechtsgeschichte Bayerns, I, 103, § 11.
1 . Als Erkenntnisquellen des Rechts kommen außer den an-
geführten Volksrechten auch noch Formelbticher und Urkunden
in Betracht. Beide dienen sowohl zur Erläuterung des Inhalts der
Hauptquellen, als auch zur Ausfüllung von Lücken, die Urkunden
sind überdies unsere wichtigsten Zeugnisse für die Anwendung
der Rechtasätze im Leben.
2. Die Formelsammlungen sind Musterbücher, um die
Abfassung von Urkunden und Briefen zu erleichtem. Die voll-
ständigste Sammlung von Formeln aus fränkischer Zeit bietet
Zeumer in der Quartausgabe der Mon. Germanise 1886. Unter
den dort angeführten Sammlungen kommen für unsere Gegenden
vornehmlich die bayerischen Formeln in Betracht, welche übrigens
vorwiegend fränkischen Inhalts sind, mit dem sich das bayerische
Rechtselement nur in sehr beschränktem Maße gemischt hat:
a) Formulse Salzburgenses oder Liber breviarius unius cuius-
que rei. (Zeumer 439), ein auf Anordnung des Erzbischofs Arn
von Salzburg zum Gebrauche in den Gerichten und Kanzleien
des Erzstiftes in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts angefertigtes
Musterbuch. Vorbilder zu Urkunden (cartae) über Mundschatz-
Bestellung, Enkelerb folge, Frauenraub und Mordsühne u. s. w.
finden sich in Nr. 1—24, 45 — 54, 58 — 59, das übrige sind Brief-
formulare epistolse oder indiculi. Die Mehrzahl der 126 Muster
ist fränkischen Sammlungen entlehnt und wurde daher in der
Zeumer'schen Ausgabe w^eggelassen ;
h) die Pormulse Patavienses, seu epistolse Alati, vermuthlich
durch Bischof Emmerich von Passau, der vorher längere Zeit in
der fränkischen Königskanzlei beschäftigt war, mitgebracht, als er
865 das Passauer Bisthum übernahm;
c) gleich den beiden vorhergehenden Sammlungen sind
fränkischen Inhalts auch die Formulse codicis s. Emmeramensis
aus der Zeit König Ludwigs des Deutschen, als er noch bei Leb-
zeiten seines Vaters in Bayern herrschte.
3. Die Urkunden und Acten bis zum Ausgang des 10. Jahrh.
betreffen mit wenig Ausnahmen Schenkungen an die Kirche, doch
Formelsammlungen und Urkunden. 39
sind darin des gegenständlichen Zusammenhanges wegen auch
mancherlei andere Staats- und privatrechtliche Punkte berührt.^
Hieher gehören für Salzburg:
ä) „Indiculus Arnonis", eine von diesem Kirchenfüreten bald
nach Tassilos Absetzung (788) mit Zustimmung Karls des Großen
veranlasste Zusammenstellung der aus dem bayerischen Herzogsgut
gemachten Qüterzuwendungen an die Salzburger Kirche;
b) die „Breves notitise de constructione ecclesise sive
sedis episcopatus in loco qui dicitur Juvavo* in 24 Abschnitten
(nicht vor der Mitte des 9. Jahrhunderts entstanden). Indiculus
Amonis und Breves notitise bieten die vollständigste Übersicht
der bayerischen und der österreichischen Gaue in karolingischer
Zeit. Gedruckt im Anhang der Juvavia, neue Ausgabe von
Kainz, München 1869;
c) fünf Codices Traditionum der Erzbischöfe Adalbert
(923 bis 935) bis Balduin (1041—1060), auszüglich im Anhang
der Juvavia, besprochen von Hauthaler und E. Richter in
den Mittheilungen des Instituts für österreichische Geschichte,
m (1882);
d) keine Urkundensamralung, wohl aber eine Begründung
salzburgischer Ansprüche, die sich durchwegs auf Urkunden und
andere Aufzeichnungen der Kirche stützt, ist die sogenannte
Conversio Bagoariorum et Carantanorum. Sie wurde 871 dem
König Ludwig dem Deutschen als Protest gegen das durch
Metöodius erwirkte selbständige mährische Erzbisthum überreicht.
(Ausgabe Mon. Germanise, Script. XI, 1—17);
^ Österreich ob und unter der Enns. In Betracht kommen die im 1. und
2. Band des Urkandenbuches o. £. abgedruckten Urkunden, namentlich Traditionen
von Mondsee (seit Tassilo HI.) und Passau, Urkunden für Kremsmünster u. s. w. —
Innerösterreich. Ankershof en, Urkunden regesten zur Geschichte Kärntens
von 770—1000, 84 Nummern im Archiv für österreichische Geschichte 1849, 3. Heft.
-- Urkundenbuch für Steiermark, 1. Band, mit Urkunden von 798 ab; Urkunden-
buch fiirKrain, herausgegeben von Schumi, 1, 10 Nummern, 811—989; Codice
diplom. Istriano, herausgegeben auf einzelnen Blättern von Kandier als Bei-
lage zur Zeitschrift „Istria" mit mehr als 50 Nummern vom 6.— 10. Jahr-
hundert. — Tirol. Acta Tirolensia, I: Die Traditionsbücher des Hochstiftes
Brixen vom 10.— 14. Jahrhundert, herausgegeben von 0. Redlich, Innsbruck 1886
(mit Urkunden von B. Meginbert, 907—927 bis B. Mathceus, 1343). ■— Hormayr,
Geschichte von Tirol I, 2, Urkundenbuch bietet nur vier Urkunden von 833—974.
40 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Erste Periode. § 7 und 8.
e) kaiserliche Gnadenbriefe von 790, 816, 837 u. s. w. für
Salzburg mit Gewährung der Immunität und anderer Vorrechte,
siehe Juvavia, Anhang 50, 65, 86;
f) zwei päpstliche Decretalen des Papstes Nicolaus I. an
den salzburgischen Chorbischof Oswald, der zu Zeiten der Erz-
bischöfe Liupram und Adalwin lebte (836—873), finden sich im
Decretum Gratiani Dist. L., Capitel 6 und 39, nur heißt er episcopus
Quadrantinus statt Quarantanus,
Geschichte des öffentlichen Rechts bis zum Jahre 976.
§ 8. Die Stellung der bayerischen Stammesherzoge.
A, Zur Zeit der Agilolfinger.
Quitzmann, Die älteste Rechtsverfassung der Bai waren, Nürnberg 1866,
S. 53 ff. — Gengier, Beiträge zur Rechtsgeschichte Bayerns, I, S. 20, Anmerkung
46 ff., 128, Anmerkung 14. — Bornhak C, Das Stamraesherzogthum im frän-
kischen Reiche, besonders nach der L. Alaraannorum und L. Bajuvariorura,
Forschungen XXIII, 1883, S. 165 ff. - Riezler, I, 70 ff.
1 . Wahrscheinlich wurden die Bayern dereinst von Königen
regiert seit ihrem Anschluss ans Frankenreich unterstehen sie
Herzogen, deren Gewalt nach ihrem äußern wie innern Umfang
ein ziemlich getreues Abbild der königlichen Machtfülle war.
Die Herzogswürde erscheint in Bayern ebenso als erblicher
Anspruch des Geschlechts der Agilolfinger, das geradezu das
herzogliche heißt, wie das Königthum bei den Franken den Mero-
wingern gebürte. Diese Erblichkeit schließt aber weder die Wahl
des Volkes, noch die Einsetzung durch den König aus, vielmehr
erscheint nach dem Volksrecht das Zusammentreffen aller drei
Umstände als Voraussetzung für die Erlangung der herzoglichen
Stellung in Bayern.^ In Wirklichkeit lag jedoch auf der schon
von Tassilo I. berichteten »regis ordinatio" der Schwerpunkt, so
1 L. B., III, 1 . . prirai post Agilolvingas, qui sunt de genere ducali . . .
Dux vero qui prseest in populo ille semper de genere AgUolvingarum fuit et debet
esse, quia sie reges antecessores nostri concesserunt eis . . . II, 1. Si quis contra
ducem suura, quem rex ordinaverit in provincia illa aut populus sibi elegerit
ducem . . . Das „aut" ist hier für ,et" gebraucht, siehe Mon. Gerra., Leg. lü,
281, Anmerkung 87. — Die Erinnerung an das Wahlrecht des Volks lebte
lange fort, noch die Kaiser Heinrich II. und IV. haben es anerkannt a. a. O.
Die Stellung der Agilolflnger zum Frankenreiche. 41
das8 erat diese — das stillschweigende Einverständnis des Volkes
vorausgesetzt — dem sippschaftlich Qualificierten die rechtliche
Möglichkeit verlieh, die Fülle der herzoglichen Gerechtsame aus-
zuüben. Wofern Regierungsfähigkeit vorhanden war, zu welcher
Gehorsam gegen den König gehörte, war mit der Erhebung
ein lebenslänglicher Anspruch auf die Herzogsgewalt verbunden.
Gewitzigt durch die Vorgänge unter Tassilo III. hat jedoch Karl
der Große nach dem Jahre 788 eine Ergänzung des Volksrechtes
in diesem Punkte für nöthig gehalten und durch einen Zusatz den
Prankenkönigen ausdrücklich das Recht der Absetzung gewahrt,
falls sich der bayerische Herzog unbotmäßig betragen würde.^
2. Außer verfassungsmäßiger Unverletzlichkeit der Person,
die durch Androhung von Tod und Vermögensverlust gegen jeden
Mordanschlag gesichert war,' standen den Agilolfingem als Herzogen
noch folgende Rechte zu, kraft ihrer Banngewalt:
a) der Heerbann, den sie nicht nur im königlichen Auftrag,
gondern auch nach eigenem Ermessen aufbieten konnten. Daraus
ergab sich die weitere Befugnis, nach durchgeführtem Kriege
Frieden zu schließen und Bündnisse mit anderen Völkern ein-
zugehen;^
b) eine der königlichen Machtvollkommenheit gewissermaßen
parallel laufende Gerichtsbarkeit, als deren Ausflüsse die Vor-
ladung vor den Herzog, sein Recht, zu strafen und zu begnadigen,
hervorgehoben werden (L. B. I, 10, II, 1, 4);
c) außerdem übte der Herzog das Recht der Gesetzgebung,
soweit der Anstoß nicht vom fränkischen Könige ausgieng, in
2 Dem Alamannenrechte nachgebildet (Mon. Gerra., 4^, Leg. V, 9-2, C. 35)
ist die Aufzählung der Erfordernisse für die Regierungsfähigkeit in L. B. II, 9.
Obwohl diese vor allem körperliche Eigenschaften des Herzogs betreffen, so
wird doch schon hier Nachdruck darauf gelegt, ob er „in omnibus jussionem
regis potest implere". Die schuldige Treue gegen den König als Voraussetzung
für die herzogliche Stellung nennt aucli L. B. III, 1 in der obencitierten Stelle.
Die Novelle Karls des Großen, die eine Handschrift in den Gesetzestext auf-
genommen hat, „de duce si protervus et elatus vel super bus atque rebellis
fuerif, dndet siQh Mon. Germ., Leg. III, 336, als Appendix 2.
« L. B. II, C. 1, 2. Wer durch Zufall oder Fahrlässigkeit den Herzog
tödtete, verwirkte ein Wergeid von 900 Schillingen L. B. III, 1.
* L. B. II, 4 mit XVI, 11. So hat z. B. Herzog Theodebert um 712 auf
eigene Faust sich in die langobardischen Thronstreitigkeiten eingemischt.
42 Österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Erste Periode. § 8.
Verbindung mit den Großen und theilweise selbst mit dem Volke
auf Landtagen;
d) wie im Frankenreiche, so kamen auch in Bayern bei
den Agilolflngern Theilungen des Herzogthums unter mehrere
Mitglieder des Geschlechts vor. So erhob z. B. Herzog Theodo
(t 717) während einer Krankheit seinen ältesten Sohn Theodebert
zum Mitregenten und theilte später die Regierung auch noch mit
Grimoald, Tassilo II. und vielleicht Theodebald.^ Da solche Thei-
lungen die Macht des Herzogthums schwächten, so stießen sie
beim Frankenkönig auf keinen Widerstand und wurden daher bei
Abfassung des bayerischen Volksrechtes durch die öfter vor-
kommende Redewendung „dux illius provincise" als möglich vor-
ausgesetzt. (L. B. II, C. 1, 4, 8 u. s. w.)
3. Die wichtigste Einnahmsquelle der Agilolfinger war ihr
Grundbesitz. Auf dessen Ausdehnung lässt schließen, dass sie
nicht weniger als fünf Bisthümer und 35 Abteien im Lande
gegründet und ausgestattet haben und dass Herzog Tassilo III.
772 überdies auf dem Dingolfinger Landtage die Erblichkeit
zahlreicher Lehen zugestehen konnte. Trotz solcher Verschwen-
dung erwarben die Karolinger nach dem Sturze Tassilo's III.
noch ungeheuere Kammergüter, zumal im Nordgaue, deren an-
sehnlicher Rest nach fortgesetzten Vergabungen erst durch die
Dotierung des Bisthums Bamberg (nach dem Jahre 1007) er-
schöpft wurde.
Als Herrschersitz erscheint Regensburg, das darum im
Gegensatze zu allen übrigen Orten civitas oder urbs heißt, in der
vita s. Emmerami sogar ohne Beifügung des Ortsnamens kurzweg
als die bayerische „urbs" bezeichnet wird. Das hinderte die
Agilolfinger nicht, sich vorübergehend auf ihren Kammergütem
aufzuhalten, aus deren Ertrag sie den größten Theil der eigenen
und der Staatsbedürfnisse deckten, Landtage dahin einzuberufen
u. dgl. m., allein während die Frankenkönige regierten, indem sie
unstet von Ort zu Ort, von Pfalz zu Pfalz zogen, gab es damals
^ Die Grenzen dieser Landestheile mögen mit den späteren Bisthums-
sprengein Regensburg, Salzburg, Freising und Passau zusammengefallen sein.
Riezler, I, 79. Eine Mehrzahl bayerischer Theilfilrstenthümer setzt auch
Gapitel 3 der Instruction Papst Gregors II vom Jahre 716 voraus. Mon. Germ.,
Leg. III, 452.
Einnahmsquellen der Agilolflnger. 43
in Bayern schon eine wirkliche Hauptstadt als bleibenden Sitz der
Herzoge.* Befand sich der Herzog auf Reisen, so wollte es
alter Brauch, dass er mit seinem Hofstaat gastlich verpflegt und
weiter befördert wurde; gleiches Vorrecht beanspruchten auch
seine Sendboten.^
4. Ob die Agilolflnger Einkünfte im Sinne der späteren
Regalien hatten, bleibt zweifelhaft. Namentlich gilt dies vom
Münzregal, denn das baj^erische Volksrecht lässt durchgehends
fränkische Münzverhältnisse erkennen, auch sind noch keinerlei
Stücke gefunden worden, die man den Agilolflngern mit Sicher-
heit zuschreiben könnte. Wohl aber hat sich im Verkehr der
Donauländer länger als in andern Theilen des Frankenreichs
die Goldwährung erhalten und dies hat dann in Bayern und
Osterreich zu einer abweichenden Eintheilung des Münzpfundes
geführt.^
Eher heße sich das Zollregal den Agilolflngern zuschreiben.
2^11e werden zwar in bayerischen Urkunden erst seit dem
9. Jahrhundert erwähnt, sie erscheinen aber sogleich in solcher
Ausbildung, dass man auf ihr langes Bestehen schließen muss. Es
gab da Eingangs-, Ausgangs- und Durchgangszölle mit mancherlei
Befreiungen und die Abgabestätten hießen schon damals Mauten.
Dagegen unterlagen Bergbau und Wald noch nicht der
Regalität, sondern waren Ausfluss des Grundbesitzes. Der Berg-
bau wurde, wie große Vergabungen der Agilolflnger beweisen,
vorzugsweise auf Salz betrieben, doch wird auch schon Gold-
gewinnung im Pongau erwähnt. Weitgedehnte Wälder waren
nach dem Untergang der Römerherrschaft in unseren Gegenden
• Rietschel, Civitas, 54.
" Die regis tractatoria missis domini (data) im salzburgischen Formel buch
aus der Karolinger Zeit vergisst bei schomatischer Aufzählung der Reichnisse
nicht einmal auf Mandeln und Datteln, ist jedoch der Marculf'schen Sammlung
entlehnt. Mon. Germ., 4^ Zeumer, Formulee, S. 49, Nr. 11.
8 Das fränkische Mtinzpfund zerfiel seit den Karolingern in 20 Schillinge
zu 12 Pfennigen = 240 Pf.; in Bayern und Österreich zerlegte man, vielleicht schon
zu Anfang des 9. Jahrhunderts, das Pfund in 8 Schillinge zu 30 Pfennige = 240 Pf.
Dass das MUnzpfund später zur Rechnungsmünze, das ist zum Inbegriff von
240 Pfennigen ohne Rücksicht auf deren Schwere wurde, ist bekannt. Vgl.
Wiener numism. Zeitschrift, II, 60 ff., und meinen Vortrag über die Handelspolitik
der österreichischen Herrscher im M.-A. 1893, Alraanach d. k. Akad. d.W. S. 312 ff.
44 Österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Erste Periode. § 8.
nichts seltenes, sie gehörten, soweit nicht Ausscheidungen zu
Gunsten von Gemeinden oder Privaten stattgefunden hatten, dem
Herzoge, der sie u. a. auch zu Vergabungen und Verpfändungen
benützte.® Jagd vorbehalte scheinen noch nicht üblich gewesen
zu sein.
5. Als öffentliche Einnahmsquelle des Herzogs sind Straf-
gelder und Vermögenseinziehung zu nennen. Die Friedensgelder
(Fredus) im Betrage von 40 Schillingen wurden als Sühne für den
Bruch des allgemeinen Friedens vom Thäter in gewissen Fällen
neben der an den Beschädigten fallenden Strafsumme (Faidus,
compositio) zu Gunsten des herzoglichen Schatzes (fiscus, publicum,
dominicum) erhoben und in karolingischer Zeit auf 60 Schillinge
erhöht. (L. B. I, C. 7, 9, H, 10, VII, 4, VHI, 6, 7, IX, 4.) Geld-
strafen, die ganz dem Herzoge zufielen, verwirkte, wer sich an
einem Aufstand im Heere betheiligte (L. B. II, 3, 4) Gütereinziehung
(confiscatio), wer sich in Anschläge gegen die Person des Herzogs
oder Landesverrath einließ (L. B. II, C. 1, 2), seit den Beschlüssen
des Landtages zu Dingolfing auch, wer einen Vertrauten des
Herzogs ^ob injuriam principis" tödtete. Endlich bestand der An-
spruch des Herzogs auf den erblosen Nachlass (L. B. XV, C. 10)
und auf das Wergeid solcher Personen, die keine näheren
Angehörigen hinterließen, also namentlich auch erschlagener
Fremder. (L. B. II, C. 28, 30, 31.)
B. Die bayerischen Herzoge im 10. Jahrhundert.
Riezler, I, 313 ff. — Giesebrecht, Geschichte der deutschen Kaiserzeit,
I, 178 ff. — Gengier, I, 128 ff. — Waiz, Verfassungs-Geschichte, Bd. 5, 36 ff.
6. Karl der Große hatte dem Stammesherzogthum der
Agilolfinger um der Reichseinheit wülen ein Ende gemacht. Unter
seinen Nachfolgern verfiel die königliche Macht, und als sie in
den Tagen innerer Noth und äußerer Bedrängnis den nöthigen Schutz
dem Reiche nicht mehr gewähren konnten, da gewannen Männer,
die sich als Hüter der Lande erprobt hatten, was das KÖnigthum
an Einfluss verloren hatte, das heißt, es erstand auf neuer Grund-
^ So schenkte Herzog Theodo den meilenweiten Forst von den Trümmern
Juvavos bis ans Hochgebirge dem Peterstift in Salzburg. S. a. Richter, Zur
Geschichte des Waldes in den Ostalpen. (Ausland 1882, Nr. 10, 11.)
Die Stellung der bayerischen Herzoge im 10. Jahrhundert. 45
läge wieder das Stammesherzogthum in Deutschland. In Bayern
ist es aus der markgräflichen Gewalt erwachsen. Schon in den
Tagen König Ludwigs des Deutschen (f 875) wird ein gewisser
Ernst, der die Mark gegen die Böhmen unter sich hatte, der erste
unter den bayerischen Großen, wie er denn geradezu als Herzog
bezeichnet wird. Später wurde dem unehelichen Sohne Karlmans,
Arnulf, Kärnten und Pannonien unter dem Titel eines Herzogs
übertragen ; als dieser zur königlichen Würde emporstieg, hat ein
gewisser Luitpold die Grenzhut gegen Böhmen und die Verwaltung
von Kärnten und Pannonien übernommen. Im Donaugau, zu beiden
Seiten des Flusses, hatte er die Grafschaft; abwechselnd Graf
oder Markgraf wird er genannt, allein seine Stellung war schon
eine herzogliche, wie er denn auch den Oberbefehl über alle
Streitkräfte Bayerns und der Nebenlande innehatte. Nach seinem
Tode in der unglücklichen Schlacht gegen die Ungarn am Inn
(907) ist ihm sein Sohn mit herzoglichem Titel in Bayern und
Kärnten ohne weiteres nachgefolgt und hat sich bis an sein
Lebensende behauptet. ^°
7. Die herzoglichen Befugnisse dieser jungem Stammes-
herzoge in Bayern deckten sich zumeist mit jenen der Agilolflnger,
nur dass jetzt die Unterordnung unter die königliche Oberhoheit
klarer hervortrat. Als dergleichen herzogliche Gewalten, die vor-
wiegend zugleich die rechtliche Natur von Obliegenheiten an
sich tragen, sind zu nennen:
a) der Heerbann, mit welchem die Verfügung über die Streit-
kräfte des Herzogthums zu Angriffskriegen verbunden war;
h) der Gerichts bann : kraft der in der herzoglichen Gewalt
zurückgebliebenen Befugnisse der karolingischen Sendboten, konnte
der Herzog als judex provincise jederzeit, an jedem beliebigen
Orte seines Herzogthums, unbeirrt von dem sonst zuständigen
Richter in erster und zweiter Instanz Recht sprechen und die
weiteren Amtshandlungen vornehmen (placitum ducis im Gegen-
satz zu den placita comitum);
c) polizeiliche Gewalt zur Aufrechthaltung innerer Ordnung
und Sicherheit: Unterdrückung von Räuberei, Aufruhr u. dgl.;
^^ ,Amolfu9 divina ordinante Providentia dux Bajoarionim et etiam ad-
jacentiam regionum'' nennt er sich 908 in einer Freisinger Urkunde.
46 Österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Erste Periode. § 8 und 9.
d) das Recht, die Fürsten und Grafen innerhalb seines Gebietes
zu Hoftagen zu entbieten und die Lehensherrlichkeit gegenüber
allen, die Lehen vom Herzogthume Bayern trugen;
e) eine Art Oberaufsicht über die Wirksamkeit gewisser
Reichsbeamten in Bayern. So wurden die Markgrafen bei der
Grenzhut, die Grafen und deren Unterbeamten in ihrer richter-
lichen Thätigkeit durch den Herzog überwacht;
f) Herzog Arnulf nahm überdies eine weitgehende Verfügung
über das Kirchengut in Bayern für sich in Anspruch, wie ihm
denn auch durch Zugeständnis König Heinrich's L die Besetzung
der Bisthümer im Lande übertragen worden war.
8. Das jüngere Stammesherzogthum in Bayern, während der
Regierungszeit König Ludwig's des Kindes und Konrad's L neu-
erstanden und erstarkt, wurde von König Heinrich L als hohes
Reichsamt anerkannt. Damals erschien das Reich fast nur als ein
Bund der deutschen Stämme unter der Vorstandschaft des von
ihnen gewählten Königs und blieben die eigenen Angelegenheiten
jedem Stamme für sich überlassen, unter König Otto L änderte
sich die Stellung der Herzoge. Durch wiederholte Aufstände gleich
zu Beginn seiner Regierung belehrt, nützte Otto L seinen Sieg,
um die königliche Gewalt auf Kosten des Herzogthums zu er-
weitern. So wurde den Herzogen das Recht über Krieg ab-
genommen, außer, wenn es den Schutz der Reichsgrenzen galt;
so verlor jener in Bayern den vertragsmäßig zugestandenen Ein-
fluss auf die Bischofstühle im Lande. Streng sah Otto L auf
die Erhaltung des Amtscharakters, darum besetzte er Bayern in
den Jahren 938 und 945 nach freiem Ermessen, um nicht einmal
den Schein der Vererblichkeit des Amtes aufkommen zu lassen.
Aber noch immer blieb die dem Herzog belassene Gewalt so
groß, dass er als der eigentliche Regent des Landes erschien und
immer noch blieben die Stammesinteressen so wirksam, dass
der Zwiespalt zwischen dem was man im Lande wünschte und
was dem Reiche frommte, selbst die Männer des besondem Ver-
trauens, die der König den Landen vorgesetzt hatte, mitunter zu
offener Empörung gegen das Reich und dessen Herrn ge-
trieben hat.
Die Stellung der bayer. Herzoge. Die Ostmark im 9. u. 10. Jahrhundert. 47
§ 9. Die Terwaltang der Ostmark in den Jahren 800—976.
Kämrael, I, 207. Huber, I, 82 ff. — Büdinger, 154 ff. - Dümmler,
Über die südöstlichen Marken des fränkischen Reiches unter den Karolingern
(795—907). Im Archiv für österr. Geschichte, Bd. 10, S. 1—86. — Chaber t, § 22 ff.
1 . Dem Ansturm der Völkerwanderung war mit dem römischen
Weltreiche auch der hochentwickelte Organismus der römischen
Verwaltung (siehe § 4) zum Opfer gefallen. Es galt daher, von
Grund auf neu zu bauen, als die Donaulande nach dem Zu-
sammenbruche der Avarenherrschaft unter die fränkische Bot-
mäßigkeit kamen.
Die Grenzen der von Karl dem Großen zum Schutze des
Reiches errichteten Ostmark, auch wohl Pannonia genannt, wurden
sowohl nach Süden als nach Norden durch einen breiten Wald-
gürtel gebildet, der ohne scharfe Grenze verlief, sine termini
conclusione, wie es in einer Urkunde vom Jahre 853 im Hinblicke
auf den Böhmerwald heißt. Im Westen trennte die Enns das neue
Gebiet vom altbayerischen Traungau, der aber dem Markgrafen
der Ostmark unterstellt war. Nördlich der Donau verlief die
Grenze viel weiter westlich als heute, im Osten aber über den
Rücken des Wiener Waldes, der alten Grenzscheide von Norikum
und Pannonien. Innerhalb der Ostmark gab es kleinere Bezffke,
erwähnt werden der unsichere Grunzwitigau, das Treismafeld.
Südwestlich von der Ostmark lag Karantanien, dessen letzter
slavischer Herzog Voinimir im Jahre 795 genannt wird. Es reichte
vom Pusterthal bis an die steirisch-ungarische Grenze und um-
fasste im Norden über die österreichisch-steirischen Grenzgebirge
hinaus da« Steinfeld bei Wiener-Neustadt. Ob und inwieweit es
im Süden die Draugrenze überschritt, bleibt ungewiss; die Land-
schaft zwischen der Save und Friaul wird 820^ als Carniola von
Karantanien ausdrücklich unterschieden.
1 Einhard*s Annalen zum Jahre 820 . . . Dem Markgrafen von Friaul
Balderich, unterwarfen sich Camiolenses qul circa Savuni fluvium habitant et
Forojuliensibus paene contigui sunt, idem et pars Carantanorum quae ad Luideviti
partes a nobis dofecerat. Den Namen Carniola braucht zuerst Paulus Diaconus im
Bericht« über die Feldzuge des Friauler Herzogs Ratchis „in Camiolam Sdavorum
patriam cum suis ingressus" . . . Mon. Germ., 4^. Ss. rerum Langobardicarum,
48 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Erste Periode. § 9 nnd 10.
Pannonien gi'enzte im Norden und Osten an die Donau,
westlich an Karantanien, südlieh an die Drau. Auch das Gebiet
südlich der Drau wurde zu Pannonien gerechnet, doch stand es
unter abhängigen croatischen Fürsten.
2. Dies ganze Gebiet wurde nun durch Karl den Großen
zunächst in zwei große Grenzmarken zerlegt:
a) in die Mark Friaul, welche Priaul, Karantanien, Istrien,
den Croatenstaat in Dalmatien, »Liburnien** nebst der Oberauf-
sicht über den Croatenstaat zwischen Drau und Save einschloß,
im Jahre 828 aber in vier Grafdchaftsbezirke getheilt wurde;
b) die Ostmark mit beiden Pannonien wurde als Nebenland
Bayerns behandelt und unterstand der Oberleitung eines Beamten,
der direct nur das central gelegene Oberpannonien unter sich hatte,
dem aber in oberer Instanz sowohl der Markgraf der Ostmark,
als auch die unter einheimischen Fürsten verbliebenen Avaren
und Slaven in Ober- und Unterpannonien untergeben waren.
Der Schwager Karl's des Großen, Gerold I. (f 799), war der
erate jener Grafen, die hier eine so machtvolle Stellung, wie
etwa ein Statthalter des römischen Kaisers, einnahmen; ihm
folgte nach fünf Vorgängern aus verschiedenen Familien ums
Jahr 830 der Huosier Ratbod. Als dieser (ums Jahr 856) wegen
Untreue abgesetzt wurde, hörte die Unterordnung der Ostmark
unter die Obergi'afen von Pannonien auf und werden Anzeichen
beginnender Erblichkeit des Grafenamts bemerkbar.
3. Die Gewalt der Markgrafen, der „strenui comites terminales*,
war in der Ostmark ebenso umfassend wie anderwärts, die Unter-
ordnung unter den Obergrafen von Oberpannonien abgerechnet,
doch sind uns wenig Zeugnisse über ihre Thätigkeit erhalten.
Unter diesen ist hervorzuheben die Feststellung der Zölle für den
Donauhandel, die Markgraf Aribo im königlichen Auftrag ums
Jahr 906 unter Mitwirkung dreier Sendboten zu RafiFelstetten in
einer Versammlung der eidlich befragten „judices orientalium"
vornahm.
Als Versammlungen von Dingpflichtigen in Ausübung der
Gerichtsbarkeit dürften das placitum von Puchenau 827 und das im
183 zum Jahre 738. — L in hart, Geschichte von Krain, II (1791), S. 154, sucht
dies Carniola im kärntnischen Gailthale und erklärt es als Deminutivum von
Camia, dem früheren Namen von Friaul.
Verwaltung der Ostmark im 9. u. 10. Jahrh. Die Kirche in Bayern. 49
Jahre 888 erwähnte publicum mallura comitis aufzufassen sein. Wie
in der Versammlung zu Puchenau, an der nur deutsche und slavische
Bauern theilnahmen, die locale Begrenzung eines Pfan-sprengels
verhandelt wurde, so fasste im Jahre 864 das Volk von Karantanien
(populus istius terrae) im Einvernehmen mit dem Grafen Gundakar
den Beschluss, dem Erzbischof von Salzburg eine übliche CoUecte
durch eine Ausstattung an Land und Leuten abzulösen.
Als Gerichtsbeamte bezogen die Grafen auch in der Ostmark
ein Drittel von den Friedensgeldern. Nicht diese, sondern die in
Civilsaehen zu entrichtenden Gebüren sind unter der »tertia pars
bannorum . . . qui dicuntur civiles banni"* zu verstehen, welche
König Arnulf im Jahre 888 seinem Hofdiener Heimo schenkte,
als er ihm die Erlaubnis zur Erbauung einer befestigten Nieder-
lassung im heutigen Dorfe Heimberg nächst Melk ertheüte.^
§ 10. Die Stellung der Kirche in Bayern.
Rettberg, Kirchengeschichte Deutschlands, II. — Chabert, § 101
bis 111. — Quitzmann, Rechtsverfassung, 118—126. — Kämmel, I, 225 ff. —
Krones, Handbuch, I, 240, 256 ff. — Riezler, I, 70 ff. - Huber, I, 67, 82 ff. —
Büdinger, I, 30, 83 ff. - Nißl, Der Gerichtsstand des Clerus im fränkischen
Roiehe. Innsbruck 1886. — Dum ml er, Archiv, Bd. 10, 20 ff. — Klein A., Geschichte
des Christenthums in Österreich und Steiermark. Wien 1840—1842, 7 Bände.
1. Das Christenthum hatte in Norikum und Pannonien seit
der diocletianischen Verfolgung festen Fuß gefasst und das Leben
des heiligen Severin zeigt mit Anschaulichkeit, dass in den letzten
Tagen der Römerherrschaft die Kirche der einzige widerstands-
fähige Factor inmitten des allgemeinen Zusammenbruches war.
Die Völker, welche dann die Donaulande erfüllten, waren Heiden,
deren Ausbreitung vernichtete daher bei uns allmählich die Überreste
kirchlicher Organisation, die sich nur in Tirol, Friaul, Istrien und
Dalmatien länger erhielten.^ Als der heilige Rupert, der Apostel
2 Archiv für österr. Geschichte, Bd. 26, 8. 258. Mühlbacher, 1751. -
Waitz, V. G. Bd. 4, 457, Anm. 3.
^ Noch 579 betheiligten sich Johannes episcospus Celejanaa ecclesiae und
Leonianus, Bischof von Teumia in Kärnten neben den Bischöfen von Triest, Pola,
Piben (Pedena), Parenzo an der Synode von Grado. Cod. Istr. aus Ughelli und
Chronica Patriarcharum Gradensium in Mon. Germ., 4^, Ss. rer. Langobardicarum,
S. 393. Vom Jahre 591 gibt es dann eine Beschwerde von acht istrischen
Los eil in, Ö8t«rreic)iiscbe Reichsgeschichte. 4
50 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Erste Periode. § 10.
der Bayern, im Jahre 696 seine Bekehrungsthätigkeit begann,
waren die alten Bischofssitze Celeja, Poetovio, Laureacum, Teumia
u. 8. w. längst verschwunden oder lagen in Trümmern wie die
Römerstadt Juvavo, die zur Residenz erkoren, als Salzburg die
Wiedererstehung feierte. Doch wäre die Annahme irrig, dass
Rupert in ein ganz heidnisches Land gekommen sei. Heidnisch
war nur das herrschende Volk; die Reste der romanisierten
Provinzialbevölkerung, die im Salzburgischen ziemlich zahlreich
waren, hiengen dem Christenthum wohl großentheils an und auch
im bayerischen Herzogshause scheint es sthon früher Eingang
gefunden zu haben, da die bayerische Prinzessin Theodelinde als
Gemahlin des Langobardenkönigs Authari (589) den Übertritt der
arianischen Langobarden zum Katholicismus veranlasst hatte.
2. Die zweite Christianisierung unserer Gegenden kam nicht
vom Süden her, wie die frühere, sondern gieng vom Westen aus.
Zuerst erfolgte die Bekehrung der Alamannen durch die irischen
Glaubensboten Fridolin, Columban (f 615), Gallus (f 646). Als
später, nach der Sclilacht von Testri (687), die australischen
Hausmeier machtvoll in die Verhältnisse des zerfallenden fränkischen
Reichs eingriffen, war ihnen die Ausbreitung des Christenthums
unter den heidnischen Bayern als politisches Mittel erwünscht,
um diesen Volksstamm in nähere Verbindung zum Reiche zu
bringen. Wenn der h. Rupert Verwandter der fränkischen Könige
genannt wird, so sind damit Beziehungen zum karolingischen Hause
angedeutet, das den eigentlichen Anstoß zur Bekehrungsreise des
Wormser Bischofs gegeben haben dürfte, obwohl die alte Lebens-
beschreibung dem Bayernherzog Theodo die Berufung zuschreibt.
Bei der Suche nach einer passenden Residenz war B. Ruprecht
sichtlich bestrebt, an christliche Erinnerungen aus der Römerzeit
anzuknüpfen. Darum reiste er von Regensburg erst nach dem
verlassenen Bischofssitze Lorch, von da an den nach den zahl-
reich anwohnenden Romanen benannten Walchen- oder Wallersee
bis er endlich einen geeigneten Ort in der Trümmerstätte des alten
Juvavo fand. Hier gründete er das St. Peterskloster und das Frauen-
stift auf dem Nonnberg und hier ist er auch ums Jahr 710 gestorben.
Bischöfen an Kaiser Mauritius, „dass vor Jahren" die Franken mit ihren Priestern
die „beconensische, tibumische und augustanische" Kirche besetzt hätten.
Krones, I, 243.
• Die Bekehrung der Bayern und Slaven. . 51
Ihm folgte etwa 712—715 der Begründer des Regensburger
Bisthums, der Franke Emmeram, der durch den Herzogssohn
Lambert ermordet wurde; die Romfahrt des Herzogs Theodo im
Jahre 716 wird wohl mit dieser Blutthat in Zusammenhang stehen.
Als dritter Glaubensbote trat wieder ein Franke auf, Corbinian
(+ 730), der Stifter von Freising., der die Bayern als ein erst
kürzlieh zum Christenglauben bekehrtes Volk antraf. Nun war
endlich die Zeit zu kirchlichen Einrichtungen gekommen, die Papst
Gregor IL früher (716) durch Abordnung einer Gesandtschaft nach
Bayern vergeblich anzubahnen versucht hatte.
3. Dem Angelsachsen Winfried, genannt Bonifacius, gelang
es, das Christenthum in Bayern der römischen Führung zu unter-
werfen. Als er unter Herzog Hugbert, etwa 735, einen längeren
Aufenthalt in Bayern nahm, ließ die kirchliche Ordnung hier noch
alles zu wünschen übrig. Ein einziger Bischof, VivUo, schrieb er
dem Papst, sei im Herzogthum vorhanden und selbst dieser in
Sachen der römischen Tradition mancher Belehrung bedürftig.
Bald darnach (vor 739) gab ihm ein Auftrag Herzog Odüo's
Gelegenheit, vier Bischofssprengel in Bayern zu schaffen: Regens-
burg, Freising, Salzburg und Lorch-Passau. Nun war es Sache der
Bischöfe, auch die kleineren kirchlichen Bezirke, Archidiaconate
und Pfarreien einzurichten : die Beschlüsse der Reisbacher Synode
vom Jahre 799 zeigen diese Gliederung der Diöcesen bereits
durchgeführt. Den Abschluss der kirchlichen Organisation in
Bayern bildete die Einfügung der Bisthümer in den Metropolitan-
verband durch die Erhebung Salzburgs zum Erzbisthum (798).
4. Neuen Anlass zur Aufnahme der Missionsthätigkeit in
unseren Gegenden bot die Eroberung des Avarenreiches durch
Karl den Großen. Die Bekehrung fiel zunächst dem Erzbischof
Am von Salzburg zu, dessen Vorgänger bereits mit der Predigt
des Christenthums unter den Karantaner Slaven begonnen
hatten. Schon 796 war an Salzburg die kirchliche Gewalt in
Unterpannonien zwischen der Rabniz und Drau übertragen worden,
was Karl der Große im Jahre 803 bestätigte. Die Christianisierung
der nördlichen Theile Avariens übernahmen die Bischöfe von
Passau, auf Karantanien aber machten auch die Patriarchen von
AquUeja Anspruch. Die Entscheidung, die Karl der Große am
U.Juni 811 in der Pfalz zu Aachen traf, hat die Metropolitan-
4'
52 Österreichische Roichsgeschichte. I. Theil. Erste Periode. § 10.
Sprengel von Salzburg und Aquileja auf viele Jahrhunderte hinaus
abgegrenzt und ist eine der Ursachen, denen das Slaventhum in
den Alpenländem seine Erhaltung verdankt.* Von nun an erstreckte
sich der Einfluss der Patriarchen über das südliche Karantanien
bis zu Drau, das Übrige, sowie das anstoßende Unterpannonien
fiel Salzburg zu, während die Ostmark und Oberpannonien bis
zur Raab den Bischöfen von Passau unterstellt wurden.'
5. Auch den Mährem war das Christenthum zuerst durch
deutsche Geistliche gepredigt worden. Die Diöcese Passau grenzte
ja an ihr Land und in Neutra hatte Erzbischof Adalrara von
Salzburg (821—836) für den Slavenfürsten Privina eine Kirche
geweiht.* Die Sorge um polititische Unabhängigkeit drängte in-
dessen den Mährerfürsten Rastislav zum Versuche, einen eigenen
Kirchensprengel zu begründen. Darum wandte er sich nach seinem
Abfall vom Frankenreich an den griechischen Kaiser um Glaubens-
boten, die dem Volke das Christenthum in seiner Sprache zu
lehren vermöchten, welcher Bitte ums Jahr 863 durch Absendung
der Brüder Methodius und CyrUlus (der ursprünglich Constantin
hieß) entsprochen wurde. Im Kampfe, der nun zwischen der in
ihrem Besitzstand bedrohten deutschen Geistlichkeit und den
griechischen Missionären entbrannte, gelang es diesen, die An-
^ Das Patriarchat Aquileja begann seinen Einfluss für die Erhaltung des
Slaventhuras in den österreichischen Alpenländem einzusetzen, so vrie es aus
deutschen Händen endgiltig an die Romanen übergegangen war (d. i. namentlich
seit der Besitzergreifung Friauls durch die Venezianer im 15. Jahrhundert), weil
man der Slaven als Schutzdamm gegen das gefürchtete Deut;!chthum bedurfte.
Vgl. auch Kämmel, I, 269.
^ Die Erhebung Salzburgs zum Erzbisthum und die Abgrenzung von
Aquileja siehe U.-B. der Steiermark, I, Nr. 1—5. Die ältesten Passauer Urkunden
Bind allerdings Fälschungen, allein die Ausdehnung des Passauer Sprengeis Über
Oberpannonien ergibt sich aus einer Beschwerdeschrift der bayerischen Geist-
lichkeit vom Jahre 900 wider den Mährerherzog Moimir und daraus, dass später
auf drei Synoden, zu Lorch, Mautem und Mistelbach (983—991), die Zehnton im
Lande unter der Enns dem Bischof von Passau durch rechtliches Erkenntnis
zugesprochen wurden. Dumm 1er, S. 23.
^Büdinger, I, 182, siehe auch den von Kopitar in ChmeFs Österr.
Gesdüchtsforscher, I, 501 ff., nicht bloß aus historischen, sondern auch aus sprach-
lichen Gründen erbrachten Nachweis, dass die Bekehrung der pannonischen
Slaven durch Deutsche, und zwar Bayern erfolgt sei, Cyrill und Mothod daher
schon eine christliche Bevölkerung angetroffen haben.
Erzbischof Methodius in Mähren; die Stellang der Kirche in Bayern. 53
erkennung ihres Wirkungskreises unter den Slaven und selbst
das Zugeständnis einer nationalen Liturgie beim Papste durch-
zusetzen. Wohl beseitigte der Alamanne Wiching, der als Suf-
fragan seinen Sitz zu Neutra hatte, nach dem Tode seines Erz-
bischofs Methodius (f 885) die slavische Liturgie in Mähren,
die Einbuße hingegen, welche Salzburg durch die Abtrennung
von Unterpannonien erlitten hatte, war nicht mehr rückgängig zu
machen: die Früchte langjähriger Bemühungen, die uns in dem
871 dem König Ludwig vorgelegten Proteste der s. g. Conversio
Bagoariorum et Carantanorum aufgezählt werden, giengen ver-
loren und vergeblich blieben die Anstrengungen, wieder zum
alten Besitze zu gelangen, die Salzburg unter Kaiser Otto I. nach
der Wiederherstellung der Ostmark gemacht hat.
6. Die Stellung der Kirche war in Bayern seit dem Anfange
des 8. Jahrhunderts hoch geachtet und einflussreich. Das Volks-
recht, das bald nach der Regelung des bayerischen Kirchenwesens
durch Bonifaz abgefasst wurde, begünstigt nicht bloß die Zu-
wendung von Geschenken an die Kirche (L. B. I, C. 1 , 2), sondern
schirmt auch alles, was irgend mit ihr in Verbindung ist durch
erhöhte — meist verdoppelte Strafsätze. Das kam nicht bloß dem
Besitze der Kirche zu statten,, die Steigerung der Bußen für
Körperverletzungen und der Wergeidansätze entschied nach den
Anschauungen jener Zeit überdies für die höhere gesellschaftliche
Stellung des Clerus. Die niederen Weihen und der Mönchsstand
gaben auf eine Verdoppelung, die Diacons- und Priesterweihe
auf eine Verdreifachung der sonst üblichen Bußsätze Anspruch.
War ein Diacon oder Priester erschlagen w^orden, so war das
Wergeid von 200, beziehungsweise 300 Schülingen in Gold zu
entrichten, w^as gegenüber den Ansätzen in Silberschillingen eine
Verdreifachung bedeutete.^ Auch der Fall der Tödtung eines
Bischofs ist vorgesehen: in Anlehnung an Rechtsbräuche der
ältesten germanischen Zeit bemisst das Volksrecht hier das Wer-
^ L. B. I, C. 9 . . . solvat 300 solldos auro adpreciatos, si aurum non
habet donet alia pecunia, mancipia terra vel quidqaid habet, usque dum impleat,
d. h. affective Goldschillinge, Je einer zu 40 fränkischen Denaren oder deren
Gegenwert, nicht aber die durch Pippin für Bußzahlungen als Rechnungs-
niünze eingeführten Silberschillinge zu 12 Pfennigen. Vgl. auch Schröder,
§ 26, S. 185.
54 Österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Erste Periode. § 10 und 11,
geld nach der Größe des Erachlagenen, über den man einen Blei-
mantel breitete, der mit Gold aufzuwiegen war.*
Wurde so die Standesehre als Ehrerbietung gegen Gott {ut
reverentia sit Dei) in den Vordergrund gestellt, so wurde aus
demselben Grunde auch die Unverletzliehkeit des Gotteshauses
und das Asylrecht abgeleitet. (L. B. T. I, C. 7.) Wer immer die
Kirchenschwelle überschritten hatte, der durfte nicht ohne Zu-
stimmung des kirchlichen Vorstandes verhaftet werden. Übrigens
blieb der Flüchtige selbst nach der Ausliefeining unter kirch-
lichem Schutze, sein Leben sollte ihm gewahrt werden und die
Bestrafung nur nach Anhörung des Geistlichen erfolgen. Außerdem
erfreute sich die Kirche in Bayern auch jener Vorrechte, die ihr
im fränkischen Reiche allgemein zugestanden waren. Es war
nicht bloß ihre Zuchtgewalt über Laien und Priester anerkannt
(L. B. I, 2, 12), sondern es galt hier sicher auch die Bestimmung
des Chlotarischen Edicts vom Jahre 614, welche die Criminalfälle
der Priester und Diacone vor die Synode und den König, seit
803 vor den Bischof und Grafen verwies. Dass dieser Vorgang
zu beobachten sei, wenn gegen den Bischof selbst schwere
Beschuldigungen erhoben würden, spricht L. B. I, 10 unter Ver-
werfung der Selbsthilfe bestimmt aus. Streitigkeiten von Geist-
lichen unter sich sollten nach den Beschlüssen der bayerischen
Synoden nur vor den kirchlichen Obern ausgetragen werden. Die
Aschheimer Synode gieng noch weiter und verlangte vom Herzog
Tassilo III. geradezu, dass zu den ordentlichen Gerichts vei-samm-
lungen Geistliche als Überwachung der weltlichen Richter Zutritt
haben sollten.^ Dagegen war dem Clerus die Entscheidung in Ehe-
sachen noch nicht eingeräumt. Zwar trug das Volksrecht durch die
Bestimmungen „de nuptiis prohibendis inlicitis" (L. B. VII, C. 1—3)
dem Bestreben der Kirche auf Einschränkung der Ehen unter
Verwandten und Verschwägerten Rechnung, allein es haben
weltliche Richter gegen die Schuldigen einzuschreiten und die
Strafen verfallen zu Gunsten des Fiscus.
2 L. B. I, C. 10. Grimm, Rechtsalterthtimer, 670, macht auf den Zu-
sammenhang mit der in der Edda vorkommenden Otr-Sage aufmerksam.
^ Mit der doppelten Begründung: „ut sit sententia vestra dei sale condita*
und „ne judices terreni propter premias causas torquantur et innocentes ob-
primantur aut nocentes justiflcentur." Mon. Genn., Leg. III, 459, C. 15.
Gerichtss^tand des Clerus, Kirchenverraögen, wirtschaftliche Zustände. 55
7. Die Agilolfinger nahmen in Baj^ern gegenüber der Kirche
gleiche Rechte in Anspruch, wie sie die Frankenkönige im Reiche
übten.* Im Kirchengebet wurde ihr Name genannt und das Kirchen-
vermögen, das großentheils auf herzogliche Schenkungen zu-
rückzufuhren war, erschien fast nur als ein bestimmten Zwecken
gewidmetes Staatsvermögen. Wenn man erwägt, dass noch im
10. Jahrhundert dem Herzog Arnulf die Besetzung der Bisthümer
in Bayern vom König Heinricli I. zugestanden wurde, so muss
dies Recht umsomehr den Agilolfingem als Stiftern von fünf
Bisthümern zugekommen sein, obwohl das Volksrecht (II, C. 10)
nur von der Wahl durchs Volk und der Ernennung durch den
König redet. Noch freier war die Verfügung über das Klostergut.
Eben der erwähnte Herzog Arnulf, dem die Geistlichkeit begreif-
lichen^eise den Beinamen des Bösen beUegte, hat in den Tagen
äußerer Bedrängnis, wie dereinst Karl Martell im Kampfe gegen
die Araber, so hier zur Abwehr magyarischer Raubzüge das
Nothrecht des Staates geltend gemacht und den Klöstern fast
alles weggenommen, um wehrhafte Streiter zu gewinnen. Mehr
als 11.000 Bauernhöfe will Kloster Tegernsee vorher besessen
haben, nur 114 hatte es aus der Confiscation in das 11. Jahr-
hundert hinüber gerettet.^
§ 11, Die wirtschaftliclien Zustände vor dem Jahre 1000.
Inama-Stern egg, Deutsche Wirtschaftsgeschichte, I, II, 1879. Aus-
bildung der großen Grundherrschaften in Deutschland während der Karolinger-
zeit. 1878. Untersuchungen über das Hofsystem im Mittelalter. 1872. Femer
in den Sitzungsberichten der k. Akad. d. W. Wien. Bd. 84. Über die Quellen
der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Bd. 111. Zur Verfassungsgeschichte der
deutschen Salinen im Mittelalter. — Karamel, I, 238 ff. und: Zur Entwicklungs-
geschichte der weltlichen Grundherrschaften in den deutschen Südostmarken
während des 10. und 11. Jahrhunderts. S.-A. — Riezler, I, 135 ff.
1 . Welch hohen Grad wirtschaftlicher Entfaltung die Donau-
lande unter der römischen Herrschaft erreicht hatten, ist schon
früher (§ 4) angedeutet worden. Die Besiedlung des Bodens war
damals sehr ausgedehnt, Räter und Noriker wohnteji nach dem
Zeugnisse des Strabo bis zu den Höhen der Alpen hinauf. Mit
* Synodus Aschaimensis a. a. 0. 457, C. 1; — Schröder, § 24, 160.
^Riezler, I, 325 ff., wo auch Angaben über die Gtiterverluste anderer
bayerischer Klöster zu finden sind.
56 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Erste Periode. § 11.
dem Niedergange des römischen Reichs trat ein Rückschlag zur
alten Uncultur ein, denn das Aufgeben von Ufernorikum durch
Odovaker und die Einberufung der Pro\inzialen nach Italien war
der unmittelbare Anlass zu einer Entvölkerung der Lande, die sich
besonders auf wirtschaftlichem Gebiete äußerte. Zurückblieb, wer
nichts zu verlieren hatte oder in abgeschiedenen Gegenden der
Aufmerksamkeit der Feinde zu entgehen hoffte. Die Wohlhabenden
hingegen verließen sicherlich in Menge mit Graf Pierius den
schutzlosen Boden, ebenso jene Handwerker, die sich befähigt
glaubten, ihren Unterhalt auch anderorten zu gewinnen. Die Berg-
werke standen still und geriethen in Vergessenheit, manche waren
geradezu beim Abzug verdeckt worden, um besseren Zeiten bewahrt
zu bleiben.^ Die Städte^ verödeten und zerfielen, die Handelswege
kamen ab und über weite Flächen einst hochculti vierten Landes
breitete sich wieder das grüne undurchdringliche Dickicht uner-
messener Waldungen.
Weniger als Norikum hatte Rätien gelitten, dessen südliche
Landstriche dauernd unter den in Italien begründeten germanischen
Herrschaften Odovakers, der Ostgothen und Langobarden ver-
blieben, bis sie unter Karl dem Großen den Prankenkönigen
unterthan wurden.
2. Für die Besiedlung und die Landvertheilung war — ab-
gesehen von der natürlichen BodenbeschaflFenheit — entscheidend,
dass der bayerische Volksstamm schon feste Wohnsitze gewonnen
hatte, als er in unsere Gegenden einzuströmen begann. Die Land-
striche im heutigen Osterreich ob der Enns, im Salzburgischen, in
Nordtirol, die vom 6. Jahrhunderte herwärts von den Bayern besetzt
wurden, hatten daher nur den Überschuss aufzunehmen, der in
der neuen Heimat keine Sitze gefunden hatte oder seine Lage
durch Auswanderung zu verbessern . suchte. Noch jünger ist die
^ Als man im Jahre 1865 das vorgeschichtliche Kupferbergwerk am
Mitterberg im Salzburgischen daduich entdeckte, dass man die Verhaue des
„alten Manns" seitlich anfuhr, zeigte sich bei näherer Untersuchung, dass der
StoUeneingaug^ vorlängst von außen kunstgerecht verlegt und versteckt worden
war. Siehe den Aufsatz von Dr. Much in den Mittheilungen der k. k. Central-
commission für Kunst und historische Denkmale. N. F. IV. (1878.) S. CLL
^ Das alte Scarabantia erhielt daher, als es unter den Karolmgem wieder
besiedelt wurde, geradezu den Namen „öde Stadt", Ödenburg. (^Odinburch a. 860;
Deserta civitas a. 1055.) Kämmel, I, 272.
Die Landnahme der Bayern» herzoglicher Grundbesitz. 57
Ansiedlung in Innerösterreich und im Lande unter der Enns. Sie
beginnt in Karantanien um die Mitte des 8. Jahrhunderts, in der
Ostmark als Colonisation im Anschlüsse an die Avarenkriege
KarFs des Großen und musste nach der Mitte des 10. Jahrhunderts
von neuem aufgenommen werden, wo die früheren Ansiedlungen
durch die verheerenden Magyaren vernichtet worden waren.
Ob ursprünglich die Hofanlage gewählt wurde, die noch
heute im Gebirge vorherrscht und ein Nebeneinander mehrerer
Höfe zulässt, oder das geschlossene Dorf, das hieng von mancherlei
Verhältnissen ab, die örtlich den Ausschlag gaben. Beide Formen
kommen bei uns seit den ältesten Zeiten vor; die häufige Be-
zeichnung von Orten nach Personennamen macht es wahrschein-
lich, dass viele Dörfer erst später aus Einzelansiedlungen er-
wachsen sind.
3. Schon das Gesagte lässt erkennen, dass in den altöster-
reichischen Landen die Vertheilung des Grundbesitzes von Anfang
an sehr ungleich gewesen sein muss. Selbst angenommen, dass
dem freien Ansiedler überall nach seinem Bedürfnisse ein ungefähr
gleiches Maß von Grund und Boden zugewiesen wurde, so hat
dies das eroberte Land bei weitem nicht erschöpfen können, so
dass dem Staatsoberhaupt ein großer Überschuss zur Verfügung
blieb. Nach Unterwerfung der Reste der römischen Bevölkerung
in den Alpen war daher der Grundbesitz der Agilolfinger wahr-
haft unennesslich geworden : Fünf Bisthümer und 35 Klöster haben
sie gestiftet und so reichlich ausgestattet, dass beispielsweise das
Hochstift Salzburg allein — abgerechnet die Geschenke an Wald
und uncultivierten Flächen — über 1000 Hüben von den Herzogen
erhielt.^ Trotz dieser Freigebigkeit und trotzdem Tassilo HI. auf
dem Landtage zu Dingolfing seinen Vasallen die Vererblichkeit
ihrer Beneficien bewilligte, hinterließ das Herzogsgeschlecht den
Karolingern ein Krongut, das noch durch Jahrhunderte den uner-
schöpften Born für königliche Landschenkungen bUdete.
^ Die Breve» Notitiee (Anf. 9. Jahrh.) verzeichnen nach den Zusammen-
BtcUangen Inama's im (ganzen 1613 Mansi und 17 Herrenhöfe als Grund-
besitz des Erzbisthums Salzburg; davon waren 855 Hüben und 10 Herren-
böfe unmittelbares Geschenk der Agilolßnger, 102 Hüben, das Geschenk von
32 Edeln, bedurften der Zustimmung dos Herzogs, waren also wohl herzogliches
Beneflcialgut.
58 Österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Erste Periode. § 11.
4. Da die Deutschen schon zu Zeiten des Tacitus den Boden
secijindum dignationem theilten, so ist auch zu vermuthen, dass
die fünf bayerischen Adelsgeschlechter bei der Landnahme sofort
einen größeren Antheil zugemessen erhielten, der im Laufe der
Zeit durch Schenkungen der Herzoge, wohl auch durch Lehngut
gemehrt wurde. Viel erheblicher war aber die Bildung eines
geistlichen Großgrundbesitzes, der überdies von Anfang an mit
der Colonisation des Landes eng verbunden war. Die überreichen
Schenkungen der bayerischen Herzoge an Hochstifte und Klöster
w^aren nämlich nicht bloß Acte freigebiger Frömmigkeit, sondern
ebensosehr das Ergebnis staatswirtpchaftlicher Erwägungen. Noch
war das in Besitz genommene Land nur zum geringsten Theile
urbar, weitaus die größere Fläche deckten Wald und uncultivierter
Boden. Diesen ertragsfähig zu machen, war umso schwieriger,
als es an verfügbaren Arbeitskräften zur Bestellung gebrach. Nur
inselartig wurden einzelne Flächen durch die wenig zahlreichen
Bewohner in roher Weise bebaut, während im dichter bevölkerten
fränkischen Westen schon der Übergang zu intensiverer Bewirt-
schaftung begonnen hatte.
Urbarmachung wüsten Landes mit Hilfe fleißiger Mönche,
denen die Ordensregel körperliche Arbeiten vorschrieb, war neben
der Förderung religiöser Zwecke der staatswirtschaftliche Vortheil,
der durch Klostergründungen damals zu erzielen w-ar und der
dadurch erreicht wurde, dass man die Ansiedlung in öde Gegenden
verlegte oder mit ertraglosem Lande ausstattete.*
5. Noch ausgiebiger haben die Karolinger und die späteren
deutschen Könige den Großgrundbesitz als Mittel zur Colonisierung
unserer Gegenden benützt. Das den Avaren und Slaven abge-
genommene Land galt nach fränkischem Reichsrecht als Eigenthum
der Krone; den früheren Besitzern ist der Grund nicht geradezu
entzogen worden, und wenn auch viele von ihnen dem König
* So hatte z. B. ein gewisser Reginhert mit Zustimmung Herzog Tassilo's HL
im Jahre 763 in der Einöde des Scharnitzpasses (in solitudine Scarantiense) ein
Kloster gegründet, das der Herzog mit der Aufgabe, die ungläubigen Slaven zu
bekehren, im Jahre 770 nach Innichen übertrug, welche Gegend er von früher
her als öde und unbewohnbar (inanem atque inhabitabilem) kannte. Cod. Austr.
Pris., I, N. 1, 2. — Kremsmünster erhält 777 bei der Gründung alles bebaute
Land üi der nächsten Umgebung sammt den hörigen Bewohnern de incultis
vero ex omni parte quantum voluerint, cultum faciant. U.-6. o. Enns, U, S. 2.
Entstehung des Großgrandbesitzes, Klostergründungen. 59
zinspflichtig wurden, so gab es daneben auch freie Slaven, die
beispielsweise 828 bei der Schenkung eines Landstriches ans Stift
Kremsmünster in ihren Rechten sorglich geschützt wurden.^
Ebenso ist bezeugt, dass bei uns damals Ansiedlungen auf eigene
Faust von Deutschen und Slaven erfolgten,® die sich um keinen
Besitztitel kümmerten. Sehr groß dürfte indessen die Zahl dieser
Squatters kaum gewesen sein, weU der Erfolg ihrer Hände Arbeit
nicht gesichert war und der Einzelne früher oder später vor die
Wahl gestellt w^urde, entweder den gerodeten Boden fahren zu
lassen oder Zinspflichtiger desjenigen zu werden, der sich als be-
rechtigter Grundherr auswies.^ Dagegen scheint es, dass Karl der
Große unmittelbar nach der Eroberung des Avarenreiches den geist-
lichen wie weltlichen Großen vorläufigen Zugriff auf uncultiviertes
Land erlaubte und es ist anzunehmen, dass hinterher in den
meisten Fällen der Erwerb die königliche Bestätigung erhielt.*
Was so unter den Karolingern geschah, dürfte sich in der zweiten
Hälfte des 10. Jahrhunderts in der Ostmark wiederholt haben,
als nach der Lechfeld- Schlacht 955 die Zurückdrängung der Ma-
gyaren begann und der seit einem halben Jahrhundert verwil-
derte Boden neuerdings dem Fleiße deutscher Hände überant-
wortet wurde. Ungleich mehr Land wurde aber an weltliche oder
^ U.-B. o. Enns, II, 11. Die Schenkung erfolgt salvis tarnen proprietatibus
liberomm ßclavorum.
^ Cceperunt populi sive Sclavl vel äagoani inhabitare terram unde es-
polsi snnt Hunni et multiplicari. Conversio Bagoariorum Mon. Germ. Ss. XI, 11. Die
Güter in der Wachau wurden schon vor Beendigung der Avarenkriege besiedelt.
Büdinger, I, 140.
'' So schenkte Tassilo III. 777 dem Kloster Kremsmünster terram quam
illi Sclavi cultam fecerunt sine consensu nostro infra qui vocatur Forst ad
Todicha et Simicha. Die Bestätigung Karl's des Großen vom Jahre 791 wieder-
holt dies und fügt bezüglich Eporestal, wo dem Kloster 777 die Rodungs-
bewilligung ertheilt worden war, hinzu: „Similiter terram Ulam, quee simiU
modo absque licentia Tassilonis ducis fuit stirpata . . . Homines tamen in ipso
Eporestal super ipsam terram conmianentes si voluerint jam fatam terram
tonere ad proserviendum contra ipsam casam dei teneant, si vero noluerint,
liberi dlscedant. — Ü.-B. o. Enns, II, 3, 5. — Ü.-B. am Kremsmünster, 6.
8 In der Urkunde Ludwig's des Frommen für Niederaltaich vom Jahre 863
heiBt es: «Avus noster Carolus ]icentiam tribuit suis fidelibns in augmontatione
rerom ecclesiarum Dei in Pannonia carpere et possldere hereditatem, quod per
licentiam ipsius in multis locis et ad istud etiam monasterium factum esse
dinoscitur. Mon. Boica, XI, 120. S. a. Büdinger, I, 161.
60 Osterreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Erste Periode. § 11.
geistliche Große unmittelbar vergeben, sei es durch Zuwendung
ganzer Ortschaften, sei es durch Gestattung, ein gewisses Maß
aus dem Krongute frei wählen zu dürfen. Sache dieser Grund-
herren und ihr Interesse war es dann, diesen Besitz nach und
nach ertragsfähig zu machen. Zu dem Ende wurden die Arbeits-
kräfte, die man an Ort und Stelle vorfand, durch solche verstärkt,
die man auf anderen, besser ausgestatteten Besitzungen entbehren
oder etwa in der Nachbarschaft eintauschen konnte.® Wer beson-
ders begünstigt wurde, erhielt \vohl auch Strafcolonisten zuge-
wiesen, welche zur Zeit KarUs des Großen vor allem dem Sachsen-
stamme entnommen wurden. ^°
6. Die Gliederung des Grundbesitzes, soweit es eine solche
schon gab, knüpfte ans Verhältnis des heri-schaftlichen Gutes zu
den dienenden Grundstücken an. Wer mehr besaß, als er für
seine Hauswirtschaft brauchte, der behielt gewöhnlich nur den
Herrenhof in eigener Verwaltung, die curtis oder villa dominica
mit dazugehörigem Acker-, Wiesen-, oft auch Weide- und Wald-
land. Hier vereinigte der Grundherr die ihm unbedingt zur Ver-
fügung stehenden Arbeitskräfte seines Hausgesindes (mancipia
non casata, domestica), hieher schaffte er, was ihm an Vieh, Ge-
räthschaften, Rohstoffen und Vorräthen zur Vervollkommnung zu
Gebote stand, hier fand auch seine Unternehmerleistung das Feld
ihrer Wirksamkeit, so dass eine beträchtliche Überlegenheit der
Wirtschaft des Dominical-Larides wohl außer Zweifel steht. ^^
Der übrige Theil des Besitzthumes war als Zinsland au
Freie oder Hörige oder auch an Unfreie (servi casati) hintan-
* So vertauschte B. Anno von Freising (870) seine Magd Waldpurc mit ihren
zwei Söhnen an Abt Megilo. der dafür den Knecht Wolfram, zwei Ochsen und
einen Ballen Tuch gab. 932 tauschte Erzb. Adalbert 106 Leibeigene im Salzburggau
gegen ebensoviele im Nordgau ein. Meichelbeck, I, 2, S. 361. — Juv. A., 168.
^0 Über die Ansiedlung sächsischer Scharen auf fränkischem und alaman-
nischem Boden, s. Inama, W. G., I., 209. Sachsenburg m Kärnten, Sachsen-
feld in Steiermark gelten als sächsische Niederlassungen aus Karl's des Großen
Zeit. S. § 6, Anm. 1 und Büdinger, I, 160.
^^ Die Agilolflnger schenkten dem Hochstifte Salzburg u. a. zehn Villen
mit zusammen 329 abhängigen Leuten: coloni, tributales, servi. Es treffen
demnach, abgesehen vom Herrenhof, durchschnittlich 33 Colonengtiter auf eine
Villa. Inama, Grundherrschaften, S. 25 ff. — Freie Dienerschaft erwähnt 888
König Arnulfs Gnadenbrief für Heimo, § 9, Anra. 2.
Gliederung des Großgrundbesitzes, bäuerlicher Besitz. 61
gegeben. Es war dies die — namentlich von den Hochstiften
bevorzugte — Art der Bewirtschaftung solcher Güter, die der
Grundherr nicht in eigener Pflege behalten konnte oder wollte.^*
Ursprünglich schied man nach dem Stande des Zinsmannes die
Hufe als mansus ingenuilis, lidilis, servilis, später verstand man
unter solchen Ausdrücken nur Güter mit verschieden abgestuften
Leistungen, ohne Rücksicht auf den jeweiligen Inhaber. War ein
Zinsgut mit einem Zinsraanne ordentlich besetzt, so nannte man
es raansus vestitus, fehlte ihm der Colone aus was immer für
einem Grunde, so war es ein mansus absus, der dann nothgedrungen
vom Herrenhofe aus bewirtschaftet werden musste.^^
7. Gegenüber dem Großgrundbesitze, der, wie gezeigt wurde,
in Deutsch-Österreich seit frühester Zeit auf die wirtschaftliche
Entwicklung des Landes bestimmenden Einfluss übte, treten hier
die Hufen gemeinfreier Ansiedler stark zurück. Die Hufe war
anfanglich kein Flächen-, sondern ein wirtschaftliches Maß, nämlich
Ausdruck für den zum standesgemäßen Unterhalt einer gemein-
freien Familie erforderlichen Grundbesitz. Eben darum wurden
die Hufen als gleichwertig behandelt, obschon sie im einzelnen
je nach Verschiedenheit der Lage und der Güte der Grundstücke
von wechselnder Größe waren und zwischen 20 — 40 Tagwerken
schwankten.^* Die Hufe umfasste sowohl die Hofstätte mit Wohn-
haus und Wirtschaftsgebäuden, Garten, Ackerland, als den Antheil
an der gemeinen Mark; sie war ferner je nach der Ansiedlung
von verschiedener Gestalt. Sie hat z. B. bei der Hofanlage ge-
wöhnlich die Wohngebäude rings umgeben, während geschlossene
Dörfer größere Mannigfaltigkeit zeigen, so dass oft aus der noch
1- So hatte z. B. das Bisthum Augsburg um's Jahr 812 nur 8 Herren-
höfe in Eigenbetrieb und 80 mansi absi bei einem Besitz von 1041 mansi
ingenuiies und 466 mansi serviles. Mon. Genn., Fol., Leg. I, 177.
*» Inama, Wirtschaftsgeschichte, I, 127 ff.
** Die mittlere Größe waren 30 Tagwerke. Die Königshufe zu 60 Tag-
werken ist späteren Ursprungs. Auch das Tagwerk war ursprünglich kein
Flächenmaß, sondern bezeichnete nur soviel Land, als man an einem Tage mit
dem Pfluge bauen konnte. — Schröder, 201, Inama, I, 312. Jumale als
Ackermaß, s. Monseer Traditionen vom Jahre 823: «jumales X in longitudinem
et virgas VII et in latitudinem jumales Vil in pago Mataccauue ..." U.-B. o. E.,
I. S. 6, Nr. 8. Die Andecena der L. B. 1, 13, sollte 4 Ruten (zu 10 Schuh) breit
und 40 Ruten lang sein.
62 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Erste Periode. § 11.
gegenwärtig bestehenden Vertheilung des Grundbesitzes ein Rück-
schluss auf die ursprünglichen Ansiedler zulässig ist. Hervor-
gehoben sei, dass auch in unseren Gegenden, wie in Deutsch-
land eine Zerlegung in drei Felder nach Culturperioden vorkam
und dass dem einzelnen Hüfner sein Antheil in langen und
schmalen Streifen nach den Gewannen zerstreut angewiesen
wurde. ^* Leider fehlen fast alle Anhaltspunkte, um die Verthei-
lung des Grundbesitzes unter gemeinfreie Ansiedler, Großgrund-
besitzer und den Staat genauer zu bestimmen, man ist lediglich
auf Angaben über den Besitzerwerb einiger Hochstifte und Klöster
und auf die Rückschlüsse angewiesen, die man aus einzelnen
darin mitgetheilten Fällen ableiten kann. Fasst man nun diese
für Salzburg, Freising, Passau, Mondsee u. s. w. überlieferten
Nachrichten zusammen, so erhält* man den Eindruck, dass in
Bayern und den damit verbundenen Landen zur Zeit der Karo-
linger die Bevölkerung sehr ungleich angesiedelt war und dass
damit auch eine sehr verschiedene Vertheilung des Grundbesitzes
zusammenhieng. Namentlich scheint der Grundbesitz in den süd-
licheren Gegenden, besonders am Fuße der Alpen, zum Theile
auch im Gebirge, stark zersplittert gewesen zu sein, so dass es
hier neben einigen größeren Grundherren eine Menge von klei-
neren Eigenthümem gab, die freilich dem Großgrundbesitze leicht
erlagen.^®
8. Die wirtschaftliche Überlegenheit des Großgrundbesitzes
über den freien Bauembesitz machte sich vor allem in
Zeiten allgemeiner Landesnoth fühlbar. Die Gmndherren hatten
das Land, das sie in Eigenbetrieb nahmen, nicht in einem oder
in einigen wenigen Gütern vereinigt, sondern wirtschafteten mei-
stens mit zahlreichen Herrenhöfen mittlerer Größe, denen eine
^^ Ein paar geradezu typische Beispiele der durch diese Ansiedlung
bedingten Zersplitterung bietet die mit Plänen herausgegebene Denkschrift des
k. k. Ackerbauministeriums über die 1889 bis 1891 durchgeführte »Zusammen-
legung der landwirtschaftlichen Grundstücke in den Gemeinden Ober-Sieben-
brunn und Raasdorf in Österreich unter der Enns." (Wien 1892.) In Ober-
Siebenbrunn waren die Grundstücke von 108 Besitzern auf 1926 Stellen des
Gemeindegebiets zerstreut, die Länge dieser Streifen schwankte zwischen
70 und 2300 Meter. Die durchschnittliche Breite war 15*8 Meter. Der Besitz
des Lorenz Neuhauser = 58*4 h. war in 45 Theile zerlegt u. s. w.
lö Inama, Wirtschaftsgeschichte, 1, 116.
Wirtschaftliches Übergewicht des Großgrundbesitzes, Ansiedinngen. 68
Anzalil abhängiger Leute zu Zins und Frohnden überwiesen waren.
So gab es inmitten unentwickelter bäuerlicher Wirtschaften eine
große Zahl von Gütern, deren Besitzer nicht von der Hand in
den Mund lebten, die zum Theile gute Kenntnis von den Ein-
richtungen, Früchten, Viehsorten reicher entwickelter Gegenden
hatten und deren Zinsleute in Nothjahren, wo man die Über-
schüsse aus anderen Gegenden heranziehen konnte, vor dem
Verhungern gesichert waren. Die Höfe der Klöster und der vor-
nehmen weltlichen Herren waren damals vielfach Musterwirt-
schaften und ihnen ist es namentlich zu danken, dass ein Theil der
unermesslichen Wald- und Heideflächen in Anbau genommen
wurde ; sie waren aber andererseits auch das Werkzeug, um den
freien Bauernstand in wirtschaftliche Abhängigkeit vom Groß-
grundbesitz zu bringen.
9. Über die Art der Ansiedlung und die Bewirtschaftung
des Bodens durch die alten Bayern gibt uns das um die Mitte
des 8. Jahrhunderts aufgezeichnete Volksrecht mancherlei Auf-
schlüsse. Haus und Hof, die Hausthiere, Saat und Bäume hatten
ihren gesetzlich geschützten Frieden. Steinbauten gab es anfäng-
lich wohl nur da, wo sich solche aus römischer Zeit erhalten
hatten. Die Häuser waren mit verschwindenden Ausnahmen von
Holz und jeder Balken daran war nach seiner baulichen Be-
deutung durch einen Bußsatz geschützt. Neben dem Wohnhause
lagen gesondert die kleineren Wirtschaftsgebäude, den Hofraum
umgab ein Zaun, der einem mittleren Manne bis zur Brust reichen
sollte. Schon war hie und da das Ackerland nach den Grund-
sätzen der Dreifelderwirtschaft in drei Fluren (Zeigen) für Winter-
und Sommerfrucht und für Brache getheilt.^^ Die Grenzen der
Mark waren durch Gräben oder Marksteine gesichert, auch in
Bäume schnitt man Grenzzeichen ein,^® ein Strohwisch — WiflFa
1' Die Worte in L. B. I, 13 : „a tremisse unusquisque acoola ad duo
modia sationis excoUigere . . . debet" werden gewöhnlich durch „von der
Sommerfnicht" tibersetzt. — Salzburgor Urltunde um 935, Juv. A. 175 : Exceptis
in unaquaque parte quam celga vocamus jugeribus tribus.
18 L. B. XU, 8: „. . . ubi evidentia Signa non apparcnt in arboribus aut
montibus." M. B. XXVIII, A, 21. ürlcunde vom Jahre 832. König Ludwig schenkt
dem Regensburger Bisthum in provincia Avarorum locum ubi antiquitus castrum
fuit, qui dicltur Herilungoburg (nächst der Krlafmündung) . . . usque ... ubi
m duabus arboribus evidentia signa monstrantur . . .
64 Österreichische Beichsgeschichte. I. Theil. Erste Periode. § 11.
genannt — dessen widerrechtliche Entfernung einen Schilling
kostete, diente wie noch heute zur Warnung vor dem Betreten
eines Weges oder einer Flur. Schon war der Wald geschützt.
Es gab Forste, die sich der Herzog gewahrt hatte, und Forste,
die anderen gehörten,^® es gab Haine und Waldgehege im Privat-
besitze, gerodetes Waldland wird neben Äckern und Wiesen
hervorgehoben, Bim- und Apfelbäume waren zu Obstgärten
vereinigt, Weinbau ^^ und Bienenzucht wurden betrieben. Neben
Großvieh gab es große Schweineherden,*^ an Rossen werden die
Mähre das Kriegspferd, vom Zugpferde „Wilz** und dem noch
geringeren Gaule „Angargnago" unterschieden. Die große Bedeu-
tung der Jagd erhellt aus den Bußsätzen für Jagdfalken und
Hunde, die je nach der Dressur und Art als Kranich-, Gänse-
und Entenfalken, als Leithunde, Triebhunde, Spürhunde, Biber-
hunde, Windhunde u. s. w. bezeichnet wurden. Auf den Höfen
der Adeligen aber gab es auch gezähmte Waldvögel, die dort
zum Prunk oder um ihres Gesanges willen gehegt wurden.
10. Neben Landwirtschaft und Jagd treten die übrigen
Zweige der Urproduction stark in den Hintergrund. Verhältnis-
mäßig früh wurde man auf den Gold führenden Sand der Alpen-
flüsse aufmerksam ; schon um's Jahr 700 wusch man Gold im
Pongau und hinterher haben sich die Hochstifte von Salzburg
und Passau ihr Anrecht auf Waschgold ausdrücklich bestätigen
lassen.22 Aber der Bergbau selbst wurde offenbar erst bedeutend
1^ Forste in Privatbesitz werden z. B. In den ältesten Traditionen des
Klosters Mondsee genannt. U.-B. o. E., I, 25, Nr. 40.
^ Vineas plantare nennt L. B. I, 18 unter den Obliegenheiten der coloni
vel servi ecclesiee. Zwei Weingärten in der Nähe von Regensburg schenkte
schon Herzog Theodo (f um 717) an Salzburg. Als dann später TassUo III. in
deren Nähe zu Kruckenberg einen Landstrich dem gleichen Hochstifte überließ,
wurden sofort Weingärten daraus gemacht. Indiculus Amonis I, 7, V, 2, in
quo nunc sunt plantagines vinearum institutae.
21 Schafzucht wurde auf Alpen weiden betrieben. Ind. Am. I, 6 . . .
alpes ... in quo sunt tantum modo pascua ovlum.
22 Ind. Arnonis, VIII: 1 . . . ibant duo fratres ... in locum . . . Pon-
gauui ... in venatione et ad aurum faciendum. Das gegen Ende des 10. Jahr-
hunderts gefälschte Immunitäts-Diplom Kaiser Arnulfs für Passau von angeblich
898, 9. September (Mon. B. XXVIUa, 121, Mühlbacher 1891) enthält den Satz:
«aurifices autem eorum quoscunque permiserit prsefatae sedis antistes non aliter
quam nostri omnibus üuminum arenis absque contradictione utantur ..."
Wäldor und Gärten, Bergbau, Handel und Gewerbe. 65
später aufgenommen. Die bei den Römern hochgerühmten nori-
schen Bergwerke auf dem Erzberge zwischen Vordernberg und
Eisenerz, die noch heute im Tagbau betrieben werden, sollen
nach einer alten Überlieferung im Jahre 712 wieder eröffnet
worden sein; das erste sichere Zeugnis indessen betrifft das
Eisenvorkommen im oberen Lavantthal in Monte Gamanara
nächst Reichenfels im Jahre 931.*^ Bedeutend war nur die Ver-
wertung der Salinen, die zwar großentheils den Agilolfingem
selbst gehörten, aber auch im Besitze anderer Grundherren vor-
kommen.2* Ganz unentwickelt war das Gewerbe. Zimmerleute,
Schmiede, Maurer, Müller u. s. w., die erwähnt werden, waren
entweder als Leibeigene für den Hausbedarf der Herrenhöfe
thätig oder stellten als Mönche oder Geistliche ihre Fertigkeiten
in den Dienst der Kirche, wie jene muratores, pictores, fabri
et lignarii, die Erzbischof Luipram (836 — 859) aus Salzburg dem
Privina hehufs Herstellung einer Kirche zusandte.^*
11. Wenig entwickelt war der Handel während der AgUol-
finger Zeit, doch unterschied das Volksrecht {L. B. X, 19—21)
bereits die herzogliche oder Königsstraße von öffentlichen und
Gemeindewegen und Gemeindepfaden. Die Eroberung des Avaren-
reichs durch Karl den Großen kam auch dem Verkehre zustatten,
es hob sich namentlich der Handel auf der Donau ganz beträcht-
lich; die Zollverordnungen, die um 906 auf einer Versammlung
zu RaflfelstettQU zwischen der Zitzelau und Enns bekundet wurden,
beziehen sich ausdrücklich auf Einrichtungen zur Zeit Ludwig's
Schenkungs-Urkunde Kg. Ludwig's vom Jahre 908, 17. Dec., an Salzburg, be-
treffend Reichenhau : ,. . . circa fluvios Sala et Saizaha vocatos in auro et sale.*"
Juv. A., 120.
^ Über die Lage von Gamanara siehe Beiträge zur Kunde steirischer
Geschichtsqnellen, VUI, 121 ff. Die Urkunde König Arnulfs vom Jahre 890,
welche Gamanara unter den Salzburger Besitzungen aufführt, ist eine Fälschung
ans der Zeit Kaiser Otto's I.
'^ Aus der Saline von Reichenhall vergabte Herzog Theodo dem h. Ruprecht
20 Pfannstätten mit ebensoviel Pfannen und ein Drittel des Salzbrunnens. Das
lässt auf einen Gesammtbestand von 60 Pfannen zu Reichenhall um*8 Jahr 700
schließen. Später schenkte Herzog Tassilo III. an Salzburg ein ganzes Schöpf-
werk zu »Hai". Ind. Arnonis, I, 3, V, 5. Keinz bezieht beide Schenkungen
auf ReichenhalL
2* Conv. Bagoariorum, Mon. Germ. SS, XI, 11, ebendort wird auch ein
Priester Aitfrid, magister ciiiuscunque artis, genannt.
LttBchin, ÖBterreichi6che Reicbsgescbicbte. 5
66 Österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Erste Periode. § 11 und 12.
des Deutschen und Karlmann's und enthalten manche Grundsätze,
die später in der Handelspolitik der österreichischen Herzoge
wiederkehren. Die nächsten Anwohner wurden vor den weiter her
kommenden Staatsangehörigen begünstigt, letztere hingegen, mögen
sie nun Bayern oder Slaven sein, erfreuten sich ebenmäßig ge-
wisser Zollvortheile gegenüber fremden Kaufleuten, zu welchen
auch die Juden gerechnet wurden. Salz, der wichtigste Handels-
artikel der Bayern, war bei der Ausfuhr nach dem mährischen
Reiche mit einem Schilling Zoll vom SchiflF belegt, während die
Rückfracht zollfrei gieng. Gegenstände der Einfuhr waren vor
allem Wachs, Pferde und Sclaven.^^
12. Es ist unwahrscheinlich, dass schon die Agilolflnger
eigene Münzen prägen ließen, wie dies alsbald nach der Wieder-
aufrichtung des bayerischen Stammesherzogthums durch die Luit-
poldinger geschah. Mit dem fi-änkischen Münzwesen wurde auch
der durch Pipin als Rechnungsmünze für Bußzahlungen einge-
führte Schilling zu zwölf Pfennigen in Bayern bekannt. Während
indessen das westliche Frankenreich zu jener Zeit wegen Erschö-
pfung des Goldvorrathes schon zur Silberwährung übergieng, hielt
man in Bayern weit länger am Golde fest.^^ Es scheint, dass hier
durch den Donauhandel vor allem oströmische Goldstücke, die an
Schwere etwas herabgekommen waren (s. g. mancosi),^® im Um-
2ß Mon. Germ., Leg. III, 480. Die Ausstellung erfolgte zwischen 903 bis 906.
Der Sclavenhandel bestand in den Alpengegenden, wo Noth an Arbeitskräften
war, über das Jahr 1000 hinaus. — Chabert, § 57, Anm. 1, macht auf die
Ansätze des Churer Salbuchs aus dem 11. Jahrhundert aufmerksam: Zu
Wallenstadt amWallensee: „do unoquoque mancipio, quodibi venditur2 similiter
et de caballo." Hormayr, sämmtl. Werke II, Urkundenbuch, S. XXXV. —
Im Süden war der Sclavenhandel um jene Zeit schon durch Decrete der vene-
zianischen Dogen abgeschafft, so wird 960 den venezianischen Schiffern verboten :
„levare mancipia neque de Venecils neque de Histria neque de Dalmatia neque
de aliis locis per nuUum Ingenium nee etiam aliquis hominem negotiantera vel
Judeum in navi sua levare non dobeat ..." Kauf von Sdavcn zu eigenem
Gebrauch blieb statthaft. Kandier, Cod. Istr., 960, Juni.
^^ Vergleiche die Bußansätze in Gold (solidi auro adpreciati) im bayerischen
Volksrecht. — Der h. Rupert bezahlte dem Hz. Theodo für die Villa Plding „. . .de
proprio conquestu suo in auro et argento solidos mille**. Breves, Not., 11,4.
^ Über die Mancosi, s. Soetbeer in den Forschungen zur deutschen
Geschichte, II, 359 ff., insbesonders S. 363 der Nachweis, dass der Mancosus
zu Zeiten Ludwig's des Frommen auf 30 karolingische Denare veranschlagt
Handel, Münz Verhältnisse, Nationalitäten und Stände in Bayern. 67
laufe blieben und dasa man diesen abgeschwächten byzantinischen
solidus ' nach dem damaligen Wertverhältnisse der Edelmetalle
auf dreißig karolingische Silberpfennige veranschlagte, ludem
man das karolingische Zählpfund zu 240 Pfennigen mit Benützung
der im Verkehre befindlichen Münze durch acht Goldstücke be-
gleichen konnte, gelangte man zu einer anderen Eintheilung und
rechnete acht Schillinge oder solidi zu dreißig Pfennigen aufs
Pfund statt der zwanzig Schillinge zu zwölf Pfennigen des frän-
kischen Münzsystems.2^ Es ist möglich, dass diese abweichende
Zählweise nach „langen" Schillingen zu dreißig Pfennigen statt
der „kurzen*" fränkischen Schillinge zu zwölf Pfennigen in
Bayern schon während des 9. Jahrhunderts aufgekommen ist.
Beglaubigt ist sie in Abschrift einer älteren Vorlage durch eine
Glosse im Grazer Codex des bayerischen Volksrechts, die in der
zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts niedergeschrieben wurde,
in unseren Gegenden hatte sie sich schon vor der Erhebung der
Ostmark zum Herzogthume eingebürgert und lässt sich dann ver-
folgen, so lang die Rechnung nach Pfunden, Schillingen und
Pfennigen in Übung blieb.
§ 12. Nationalitaten und Stande.
Quitzmann, 24 ff. — Häberlin, 162 ff. — Brunner, Bd. 1, $ 14,
29-32, 34. - Cliabert, § 11, 54 ff. — Qengler, Beiträge, Bd. 1, S. 30,
Anm. 68, 193, Anra. 13, 221, Anm. 47. — Maurer Konrad, Über das Wesen des
ältesten Adels der deutschen Stämme, 1846.
1. Einer noch unentwickelten Rechtsauf fassung entspricht,
dass die Rechtsfähigkeit schlechtweg auf die Angehörigen des
eigenen Volkes eingeschränkt wird, so dass der Volksfremde
lediglich auf den Schutz durch seinen Gastfreund angewiesen ist.
Ganz folgerichtig ist, solange diese Anschauung besteht, die Ver-
knechtuug des schutzlosen Fremdlings eine erlaubte Handlung und
^Mirde. Unter den a. a. 0., S. 335, mitgetheiiten Quellenstellen erscheinen
mehrfach solidi de argento, 815 docem argenti solidos franciscos . . . 816 . . .
annis singulus unum solidum de auro solvere aut XXX Denarios. (Moichel-
beck, I, 2, Nr. 323, 349.)
29 Wiener num. Zeitschrift, VIII, 279 ff. — Muffat, In den Ab-
handlungen der III. Cl. der kgl. bayer. Akad. d. W., XI, I. Abtheilung, S. 205 ff.,
bringt Zeugnisse für die Anwendung des solidus longus zu 30 Pfennig bei aus
dem 10. und 12. Jahrhundert.
5*
68 österreichische Reichsgeschichte. L Theil. Erste Periode. § 11.
Einzelnen gegenüber ist von diesem „Recht" sicherlich oft Ge-
brauch gemacht worden. Dagegen konnte es bei Unterwerfung
ganzer Völkerschaften leicht vorkommen, dass ihnen eine gemin-
derte Rechtsfähigkeit verblieb, dass sie als Staatsbürger zweiter
Classe anerkannt wurden. So war es fast in allen germanischen
Staaten, die auf römischem Boden begründet wurden. Die unter-
worfenen Provinzialen mussten gewöhnlich einen Theil ihres
Landbesitzes abtreten und vom übrigen Abgaben an den König
entrichten, allein sie behielten ihre persönliche Freiheit und lebten
nach eigenem Recht, das ihnen die germanischen Herrscher
sogar aufzeichnen ließen. Zur Anerkennung ihrer Persönlichkeit
und als Ausdruck des Rechtsschutzes wurde ihnen ein Wergeid
beigelegt, obwohl geringer bemessen, als dem herrschenden Volke.
Verwickelter war die Frage, wie es mit den Angehörigen anderer
germanischer Völkerschaften gehalten wurde, die im Staate Auf-
nahme gefunden hatten. Galten sie nur als geschützte Fremde,
so lebten sie nach dem persönlichen Recht des Schutzherm,
d. i. im Langobardenreiche des Königs, in Bayern des Herzogs.^
Für den Verkehr mehrerer Nationalitäten untereinander, die dem-
selben Reiche angehörten, hatte sich aber bei den Franken das
Personalitätsprincip entwickelt, d. h. es trug jeder Staatsange-
hörige sein angeborenes Recht mit sich und hatte den Anspruch,
überall im Reiche nach demselben beurtheilt zu werden.
Dieser Grundsatz des fränkischen Staatsrechtes kam selbst-
verständlich auch in unseren Gegenden zur Anwendung und
außer bayerischem, schwäbischem, langobardischem Recht sind
hier (wie § 6, 1, erwähnt) zweifellos auch andere Volksrechte
vereinzelt zur Anwendung gekommen. Man könnte nun erwarten,
dass ähnlich wie anderwärts im Volksrechte der Romanen als
der zweiten Nationalität gedacht wird, auch das bayerische Volks-
recht Bestimmungen über Romanen und Slaven enthalte, die im
Herzogthume an mehreren Orten sesshaft waren ; dies ist jedoch
nicht der Fall.
2. Im bayerischen Volksrechte werden Adelige, Gemein-
freie. Halbfreie und eigene Leute unterschieden. Die Freien,
1 Dalier gilt für den langobardischen Waregang das langobardische Recht,
es müsste ihm denn der König durch Privileg den Qenuss eines andern Rechts
verstattet haben. Brunn er, II, 274.
Das Personalitätsprincip ; vollfreie und adelige Bayern. 69
,liberi*, „liberi Baioarii**, in den aus dem Westgothenrechte
genommenen Stellen „ingenui" genannt, bildeten mit den Ade-
ligen die politisch berechtigte Bevölkerung. Die Angehörigen
dieser Stände erkannten keinen Herrn über sich, als den allen
gemeinsamen und konnten voll wirksame Ehen untereinander ab-
schließen. Sie hatten durch die Landnahme Anspruch auf den zu
ihrem Unterhalte nothwendigen Boden erhalten, hatten das
Waffenrecht und konnten ihre Aussage durch gerichtlichen Zwei-
kampf vertreten. Durch strenge Bußen des Volksrechtes waren
sie nicht bloß gegen Verletzungen an Leib und Vermögen, son-
dern auch gegen jede unerlaubte Behinderung ihrer Freiheit ge-
schützt.
Der Stand der Vollfreiheit wurde durch Geburt von freien
Eltern erworben. Die Freilassung Unfreier gewährte diesen nur
mindere Rechte, es wäre denn der Act vom Staatsoberhaupte
selbst vorgenommen worden. Das Wergeid des Vollfreien betrug
bei den Baj^ern ursprünglich 80 Schillinge,^ wurde aber durch
fränkischen Einfluss auf 160 Schillinge erhöht. Da außer dem
Wergeide im Falle der Tödtung auch noch ein Friedensgeld von
40 Schillingen zu entrichten war, das im fränkischen Wergeide
zu 200 Schillingen schon inbegriffen ist, so stimmten die Ansätze
der Wergeldbuße bei den Franken und Bayern materiell über-
ein. Die größere Schutzbedürftigkeit des weiblichen Geschlechts
wurde durch Verdoppelung der Bußsätze anerkannt, eben darum
fiel diese Erhöhung weg, wenn die Überfallene zu den Waffen
griff und in ihrer Herzhaftigkeit wie ein Mann kämpfte.
3. Über die gewöhnlichen Freien, die in ihrer Gesammt-
heit auch als minor populus zusammengefasst wurden (L. B. IL 3),
erhoben sich Adelsgeschlechter in Bayern. Das Volksrecht nennt
uns im Titel III „de Genealogiis et eorum compositione" die Huosi,
Drozza, Fagana, Hahiligga, Aniona und verleiht ihnen, da sie
den ersten Rang nach den herzoglichen Agilolfingern hätten, er-
höhte Ehren und doppeltes Wergeid der Gemeinfreien. Jedenfalls
war das Ansehen, dessen sie sich erfreuten, geschichtlich her-
gebracht und es ist nicht unwahrscheinlich, dass diese Adeligen
* L. B. IV, de liberis quomodo compontintur, C. 1—29, Quitzmann, 279,
und nach ihm O engl er, I, 36, d, nehmen 40 Schillinge als ursprüngliche Höhe
des Wergeides bei den Bayern an. — Brunn er, I, 225 ff.
70 Öt^ten-eichische Reichsgeschichte. I. Theil. Erste Periode. § 12.
die Nachkommen von mediatisierten Herrscherfamilien jener
Völkerschaften waren, die sich zum bayerischen Volksstamme
vereinigt hatten." Daher mag auch die größere Begüterung
an Land stammen, die bei ihnen nachweisbar ist.^ Im übrigen
aber bestand zwischen ihnen und den Gemeinfreien, das könig-
liche Zugeständnis einer Erhöhung des Wergeides abgerechnet,
volle Rechtsgleichheit, nur scheint es, dass bei Ehen zwischen
Adeligen und Gemeinfreien die Mitgift der Braut nach dem
Stande der Eltern verschieden war.^
4. Den Gegensatz zu den politisch berechtigten Freien und
Adeligen bilden die rechtlosen Knechte, die so völlig im Eigen-
thum ihres Herrn standen, dass sie häufig jeder Sache oder dem
Vieh gleichgestellt wurden. Daher sind auch die auf widerrecht-
liche Verletzung oder Tödtung fremder Knechte angedrohten
Bußsätze kein beschränkter Schutz ihrer Pei-sönlichkeit, sondern
wie die Viehbußen im Titel XIV des Volksrechtes, nur der für
die Beschädigung oder Vernichtung eines wertvollen Vermögens-
stückes ihrem Herrn gebürende Schadenersatz von gesetzlich
begrenzter Höhe.® Begieng ein Knecht widerrechtliche Hand-
lungen, so haftete folgerichtig nicht er, sondern sein Herr für den
daraus erwachsenden Schaden, und zwar im selben Umfang,
^\i. B. IlT, 1: .. . . isti sunt quasi primi post Agiloivingas qui sunt de genere
ducali; illis enim duplum honorem conc^danius et sie duplam compositionem
accipiant." Die Namen lauten in den Handschriften verschieden. S. Zeitschrift
für Rechtsgeschichte, I, 270. Die Aniona sollen nach Huschberg und Quitzmann
(S. 34) mit dem Tiroler Adelsgeschlecht der Enna zusammen fallen. Außer den
fünf genannten Geschlechtem wird auch noch andern, wie den Moohingara
und Feringa In Urkunden der Beisatz „de genealogia"" gegohen. Roth, Zur Ge-
schichte des bayerischen Volksrechts (S. 16), hält auch diese für adelig.
* Inama, Deutsche Wirtschaftsgeschichte, I, 116.
5 Daher verordnet T. VIll, C. 14: „. . . si quis über liberam uxorem per
invidiam dimiserit . . . mulieri autera dotem suam secxmdum genealogiam solvat
legitime." Schon im 11. Jahrhundert suchte man dergleichen Heiraten durch
Familienverträge zu erschweren. Vgl. das pactum maritale Adalperti Prisingensis
Vicedomini von 1070 bis 1075 bei Gen gier, I, 193 ff.
ö L. B. XVI, I: Si quis vendiderit res alienas aut servum aut ancillam,
aut qualemcunque rem. Noch deutlicher als bei den Bayern tritt der Gedanke
der Sachwertvergütung im Älemannenrecht hervor. Im Pactus werden 40 sol.
für einen Knecht angesetzt, der gewöhnliche Schmiedearbeit leisten kann,
50 sol. für einen Goldschmied. Mon. Germ., 4^^, Leg. V, 2i Fragmentum 111, 27, 28.
Unfreie: Entstehung der Knechtschaft, Stellung der Knechte. 71
wie dieser für BeBchädigungen aufkommen musste, die sein Vieh
jemandem zugefügt hatte ; doch konnte sieh der Herr in beiden
Fällen durch Hingabe des schuldtragenden Thiers oder Knechts
von der Haftung befreien.^
Entstehungsgründe der Unfreiheit waren:
a) Gefangenschaft im Kriege (L. B. XVI, 11);
h) Abstammung von leibeigenen Eltern ;
c) Verheiratung mit Leibeigenen, doch blieb der freigeborenen
Frau der Rücktritt in den früheren Stand durch drei Jahre ge-
sichert, falls sie den Knecht verließ;^
d) Verstoßung in Knechtschaft infolge sti-af barer Handlungen
(L. B. XVI, 11 und Appendix I.).
Dagegen hat die freiwillige Hingabe von Gut und Person
an einen Mächtigen, die namentlich an Kirchen und Klöster auch
aus frommen Drang geschah, wohl niemals völlige Knechtschaft,
Bondem mehr minder gelinde Hörigkeit zur Folge gehabt. *
Der Strenge des Gesetzes nach war der Knecht eine Sache,
er konnte daher keine Ehe eingehen, weder Verträge sehließen
noch Eigenthum erwerben, ebenso waren die Dienste ungemessen,
die ihm sein Herr nach Belieben aufzuerlegen vermochte. Die täg-
liche Übung nahm es milder; schon das Volksrecht setzt voraus,
dass der Knecht ein ^peculium** habe.^® Jene Knechte nun, denen
ihr Herr Land zur Bebauung gegeben hatte, wurden geradezu als
Colonen angesehen, so dass man zwischen freien und unfreien Zins-
bauern zu unterscheiden begann. Solche „servi casati" oder „ma-
nentes* waren namentlich dann günstig gestellt, wenn sie im Eigen-
thum einer Kirche standen. Sie besaßen nicht bloß Hab und Gut,
* L. B. Vm, C. 9. — Brunn er, II, § 126.
^ Diese Bestimmung des Alamannenrechts wurde in mehrere Handschriften
der Leges populäre Tassilo's III. aufgenommen. Die Kinder aus solcher Ehe
folgten der ärgern Hand, d. h. sie blieben Knechte, selbst wenn die Mutter
die Freiheit zurücicgewann. Mon. Genn., Fol., Leg. III, 466, nach C. 10.
^ Lantft'id nobilis vir tradidit semetipsum et proprietatem suaro ad
eandem sedem . . . Isinhart vir nobilis tradidit fliium suum Wolchenhardum . . .
Adelfrid vir nobUis dedit semet ipsum et fliium suum ad eandem sedem Salz-
burg et totum quod habuit u. s. w. Breves Notitee XIV, 7 bis 11.
^ö L. B. XVI, 7. Aus dem Westgothenrecht herübergenommen. Verboten
wird der Missbrauch, den Knecht ohne Vorwissen des Herrn mittelst dieses
Peculiums freizukaufen, „quianon pretium sed res servi sui, dum ignorat accepit".
72 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Erste Periode. § 12.
sondern hatten selbst wieder Leibeigene, die sie freilassen konnten,
und die verliehene Hufe vererbte sich thatsächlich in ihrer Fa-
milie.^^ Die bischöflich Freisingischen, „servi ecclesiae", schlössen
mit ihrem Bischof Verträge ab, hatten ein Erbrecht unter Ver-
wandten und waren außer gewissen Abgaben und Diensten nur
bei Eingehung der Ehe und bei Verfügungen über ihre Pei-son und
ihr Vermögen soweit beschränkt, dass sie weder sich noch ihr
Gut aus der Gew^alt der Kirche bringen konnten. ^^
Der WaflFenehre war der Unfreie ursprünglich nicht theil-
haft, er musste darum zur Feuer- oder Wasserprobe greifen,
um seine angegriffene Unschuld darzuthun. Demungeachtet hat
es bei den Bayern frühzeitig w^aflfengeübte Knechte gegeben. Das
bayerische Volksrecht regelt den Fall, wenn ein Unfreier mit
Vor wissen seines Herrn den Zweikampf als Kämpfer ausficht,
spätere Zusätze handeln vom ^servus fiscalinus in hoste*' und die
Jahrbücher berichten zum Jahre 832 von einem Feldzuge, „cum
Omnibus Baioariis liberis et senis.^^
5. Aus der Knechtschaft, die, weü sie Rechtsunfähigkeit
ist, nicht sowohl als Stand, denn als ein Zustand der Standes-
losigkeit aufgefasst w^erden muss,^* vermochte der Unfreie durch
den Act der Freilassung in die Reihe der volksrechtlich aner-
kannten Stände einzutreten. Die Wirkungen der Freilassung waren
jedoch je nach der Form, die dabei beobachtet wurde, verschieden.
Am tiefsten standen die „Aldiones", die zuweilen in Freisinger
Urkunden, vor allem aber bei den Langobarden vorkommen, sie
waren zwar rechtsfähig, im übrigen aber an den Willen ihres
^^ Mondseer Tradition vom Jahre 769 : Hildiroh schenkt im Quinzinggau
„cidlarios meos 2 servos, unus est über et alter est servus, uxores vero ejus
ambo ancillas." (!) U.-B. o. E. I, 23, Nr. 38: «... manentes servos 4 cum coloniis
suis" Breves Not. XII, 3; L. B. I, C. 13, de colonis vel servis ecclesiae qualiter
serviant vel quale tributum reddant.
^^ Häberlin, 165. Das Salzburger Formelbuch enthält u. a. auch die
Formel einer Ingenuitas quam potest servus servum suum facere, die den s. g.
Lindenbrog 'sehen Formeln entnommen ist. (Mon. Germ., 4^\ Form. 8. 273.) Ein
Beispiel solcher Freilassung bietet die Frei^ger Urkunde bei Meichelbeek,
I, 2, Nr. 1168, aus den Jahren 1006 bis 1039.
18 Ann. Bertiniani, M. G. Ss. I, 425. Im Jahre 804 beklagen sich die Be-
wohner von Istrien über ihren Dux Joannes, „liberos homines non nos habere
permittit, sed tantum cum nostris ser\is facit nos in hoste ambulare".
" Brunn er, I, 108.
Freigelassene: Aldiones, Tabularii, Denariales. 73
Herrn gebunden, der sie vor Gericht vertrat und ohne dessen
Zustimmung sie nichts veräußern durften. Die Freilassung zum
,Aldio* erfolgte durch formlose Erklärung des Leibherrn, sollte
jedoch zu besserem Gedächtnis niedergeschrieben werden. In
ähnlicher Lage befanden sich jene, die dem Herrn abgekauft
wurden oder ihm den Kaufpreis abgedient hatten.
Persönliche Freiheit unter der Schutzgewalt der Kirche ge-
währte die Freilassung vor dem Altar. Der frühere Knecht trat
nun in den Stand der Censualen, d. h. er war nur zu einer
jährlichen, aber geringen Abgabe in Wachs oder Geld verpflichtet.**
Die Stellung des freien Römers erlangte, wer per cartam
ingenuitatis freigelassen und keiner Kirche zum Schutze em-
pfohlen wurde. Ein solcher wurde, wie eine Wessobrunner Urkunde
vom Jahre 792 bemerkt (Mon. Boica VII, 373), ^liber inter liberos"
und erhielt „licentiam ire, redire, \;endere, negociare sicut ceteris
liberis licitum est, ac si ab ingenuis parentibus procreatus fuisset*.
Noch höher standen jene, welche ihre Freiheit durch den vom
Herzog vorgenommenen Schatzwurf empfiengen, die s. g. „Dena-
riales*". — Sie galten fortan als freie Volksgenossen und waren
zur Theilnahme am öffentlichen Gericht verpflichtet.^®
Das bayerische Volksrecht gestand den „liberi qui dicuntur
frilaz* gemeiniglich die halbe Freienbuße und ein Wergeid von
40 sol. zu. Der Neuchinger Landtag vom Jahre 772 hat dann
nach dem Vorbild des Alamannenrechts den Tabularii und den
Denariales das Wergeid auf 80 solidi erhöht, die der Kirche,
beziehungsweise den Kindern des Denarialis zufallen sollten."
1^ Gewöhnlich wurde durch den Freilassenden die Bedingung beigesetzt,
dass bei Verweigerung dieses Zinses durch drei Jahre, Rückfall in die aUo
Knechtschaft eintreten soUte. Juvavia A., 303 ff., Nr. 65, 72-75. Als Zins
wurden 5 Pfennige und weniger bestimmt, z. B. pro uno denario solvendo vel
quanti valet denarius in pretio cerse singulis annis.
^* Qui ducali manu diraissi sunt, ad eadem cogantur judicia, quae Baiuvarii
urteila dicunt. De popularib. leg. C. 8. Mon. Germ., Leg. III, 465. Sowohl die
Freilassung per cartam als jene per denarium sind fränkische Formen, die in
Bayern seit der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts eingebürgert sind. Beispiele
der denariatio aus den Jahren 898 bis 1107 s. Mon. Boica XXXI a, S. 153, 288,
337, 383. Ober den Unterschied des weltlichen cartularius von dem geistlicher
Sehutzherrschaft unterstellten tabularius s. Brunner, I, § 31, 8. 243 ff.
1^ Diese Bestimmung findet sich übrigens nicht in allen Handschriften.
Mon. Genn., Leg. III, 468, zu C. 10.
74 Österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Erste Periode. § 12.
Die Freilassungen wurden durch die kirchliche Auffassung, dass
der Act dem Seelenheile des Heirn fromme, wenn er vor dem
Altare geschehe, nicht wenig gefördert. Durch unwürdiges Be-
tragen oder unsühnbare Vergehen konnte aber auch die so er-
langte Freiheit wieder verwirkt werden. ^^
6. Bei den Alamannen und den Langobarden lassen die Wer-
geldansätze eine dreifache Gliederung der freien Bevölkerung
erkennen. Bei den Alamannen werden die Gemeinfreien, welche
das normale Maß von Grund und Boden besitzen, als minofledi
oder minoflidi mit einem Wergeid von 160 sol., bei den Lango-
barden der „arimannus", die „minima persona, quae exercitalis
homo invenitur esse" mit 150 sol. bedacht. Dem „medianus Ala-
mannus" mit 200 sol. entspricht der langobardische „mediocris**
mit wahrscheinlich gleich hohem Wergeid, dem primus oder
„meliorissimus Alamannus" mit 240 sol. Wergeid, der primus oder
»nobilis* der Langobarden mit 300 sol. Wergeid. Die alaman-
nischen „mediani" gelten als alter Geschlechtsadel, der aber durch
die Herrschaft der Frankenkönige seinen politischen Einfluss ver-
loren hatte, den nur die „primi** noch eine Zeit lang behaupteten,
später aber an das Herzogsgeschlecht abgeben mussten.
Besser verstanden es die langobardischen primi oder nobiles,
ihr Ansehen zu wahren. Dieser in Priesterwürde und kriegerischer
Tüchtigkeit wurzelnde Adel bestand nach dem Zeugnisse des Paul
Warnefried schon vor Ausbildung des Königthums und erhielt
sich lange, da er im Besitze der Herzogthümer und so mächtig
war, dass kurz nach der Eroberung Italiens die 35 Herzoge das
Land durch zehn Jahre ohne König beheri-schten.^®
7. Außer Angehörigen der deutschen Stämme gab es in
dieser Zeit auch Romanen und Slaven in unseren Gegenden.
Die Romanen,2o Nachkommen der romanisierten Bevölkerung
der Provinzen Rätien und Norjkum, erscheinen meist in der herab-
gedrückten Stellung von Zinsbauern und werden dann als „tribu-
tales" oder «tributarii*' sowohl den unfreien Knechten als den
18 A. a. 0. C. 9. — Urkunde von 823, Juvavia A. 79, Nr. 24.
1® Zwei von diesen Herzogthümern, Trient und theilweise auch Friaul,
erstreckten sich über Gegenden, die heute zum österr. Kaiserstaat gehören.
^ Waiz, II, 184. Von den Romanen, die am Fischbach nächst dem
Wallersee hausten, heißt es Brev. Not., XI V, 54: «... voluerunt illam silvam
Standesverhältnisso: Alamannen, Langobarden, Romanen, Slaven. 75
freien Volksgenossen entgegengesetzt. Nach der häufigen Er-
wähnung im Indiculus Arnonis und den Breves Notitise zu schließen,
müssen solche „Romani tributales" bis ins 9. Jahrhundert in
beträchlicher Menge im Chiemgau, Salzburggau und Traungau
vorhanden gewesen sein, zwei Jahrhunderte später werden sie
hier nur mehr vereinzelt genannt.
Günstiger als im ehemaligen Norikum, wo wahrscheinlich
nur jener Theil der Provinzialen zurückgeblieben war, der kein
eigenes Land mehr besaß, war die Lage der Romanen in Rätien.
Zwar geriethen auch hier viele in Zinspflichtigkeit, andere hingegen
behaupteten eine geachtetere Stellung und hatten gegen Abtretung
eines gewissen Theiles, z. B. des Drittels, das Übrige als eigenen
Grundbesitz behalten. So kann es nicht überraschen, dass einzelne
von ihnen als „nobiles" bezeichnet werden, was allerdings nur
eine hervorragende Stellung in der Gesellschaft bedeutet, da das
spätere Römerreich keinen wahren Adel, sondern nur Bevon'ech-
tungen mancher Art und Bedeutung kannte.^^
8. Auch die Slaven, die aus der Donautiefebene längs der
Flussläufe gegen Nordwest bis ins Pusterthal und das Land ob
der Enns aufgestiegen waren, traf in verschiedenen Gegenden ver-
schiedenes Los. 2^ Jene Slaven, die schon den Avaren gefrohndet
hatten, verblieben auf gleich tiefer Stufe unter den Pranken und
juxta Fischaha habere in proprio" und Erzbischof Am hatte seine Mühe, diesen
Wald für das Peterskloster zu erstreiten. Demselben Kloster schenkte ums
Jahr 1100 quidam Latinus nomine Johannes servum suum nomine Megingoz.
Juvavia A. 302. Es ist das eines der letzten Zeugnisse für das Vorhandensein
von Romanen in diesen Gegenden.
31 Walz, II, 290. So erwähnt die Vita Corblniani einen „nobilis Romanus
nomine Dominicus Breonensium plebis civis*, der im ersten Drittel des 8. Jahr-
hunderts in Tirol lebt«. In den Jahren 827 und 828 widmete dann ein „Quartl**
oder ^ Quartin US nationis Noric^rum et Pregnariorum* seine Liegenschaften
zu Sterzing, Stilfs, Tschötsch, bei Bozen u. s. w. dem Kloster Innichen. Den
Acten wurden nicht bloß Bayern, sondern nach den Namen Socundo, Urso, Lupo,
Minigo u. s. w zu schließen, auch Romanen als Zeugen beigezogen. — Cod.
Austr. Pris. I, Nr. 11—13, S. 13 ff.
22 Wichtig ist die Urkunde über eine Schenkung König Ludwig*8 an
Kremsmünster, ddo. 828, 22. März, Aachen. (U.-B. o. Enns, II, 11): „. . . in pago
Grunzwiti juxta montem Sumerberch, quod usque modo servi vel Kclavi
ejnsdem monasterii ad censum tenuerant, qui ad partem comitis solvebatur . . .
salvis tarnen proprietatibus liberornm Sclavorum ..."
76 Österreichisclie Reichsgeschichte. I. Theil. Erste Periode. § 12.
mögen Anlass gegeben haben, dass dem Deutschen der Volks-
name als Bezeichnung der tiefsten Knechtschaft geläufig wurde.
Gleiches Schicksal oder mindestens zinspflichtige Abhängigheit
ereilte viele andere Volksgenossen, die sich in ihrer Vereinzelung
nicht zu behaupten vermochten. Wo hingegen, wie in Karantanien
und in beiden Pannonien, die Slaven dichter angesiedelt waren
und sie zugleich einen gewissen Grad von Selbständigkeit sich be-
wahrt hatten, dort behielten sie diese günstige Lage auch unter den
deutschen Herren, die den reichsangehörigen Slaven dem Baj'er
in den Handelsbegünstigungen vielfiich gleichstellten.^^ Freie sla-
vische Grundbezitzer gab es im heutigen Oesterreich ob der Enns
noch zur Zeit der Karolinger, viel länger natürlich in Karan-
tanien. Darum blieben hier die Verhältnisse des slavischen Adels,
so viel sich erkennen lässt, auch nach der Unterwerfung unter
die Bayern und Franken ungeändert. Es zeigen sich Spuren, die
auf das Dasein vieler kleiner Fürsten (Lechen, primi) unter dem
Großsupan als Volksoberhaupt schließen lassen. Dass die Baj'ern
Vater, Sohn und Bruder nach einander zu dieser Würde erhoben,
dass dem Privina sein Sohn Kozel als Fürst folgte, spricht für
die Erblichkeit dieser Stellung.
Commendation an den König hat jedem Reichsangehörigen
größeres Ansehen gesichert. Edle Slaven dieser Art werden nicht
selten erwähnt. Eine Urkunde König Arnulfs vom Jahre 898
nennt den Zuentibolch . . . „progenie bonse nobilitatis exortum^
als Vasallen des Markgrafen Luitbald, im 10. Jahrhundert kommen
ein „Moirair Comes'^ (926) und ein zweiter „Zuentilpolcho nobilis vir"
(932) in Salzburger Urkunden vor; 965 ein Vasall König Otto's I.,
namens Negomir, im Mürzthal waltete 1023 ein comes Turdo-
gowü u. s. W.2*
9. Die geschilderte Gesellschaftsordnung entspricht den Vor-
schriften der Volksrechte und Königsgesetze, die vor dem
Jahre 1000 für Altösterreich in Betracht kommen. Dabei muss
23 S. die Bestimmung der Raflfelstettner ZoUordnung für den Donau-
handel um 906 .. . Si autera Bavarl vel Sclavi istius patrie ipsara regionem
intraverint . . . entgegengesetzt den Sclavi qiii de Rugis vel de Boemanis mercandi
causa exeunt. Mon. Germ., Fol., Leg. III, 481, § 4, 6.
« Juvavia A., 148, 170, Nr. 48, 85. — U.-B. Steierm. I, 50, Nr. 41. —
Cod. Austr. Fris. I, 32, Nr. 33.
k
Adelige Slaven; Übergänge in der Gesellschaftsordnung. 77
jedoch bedacht werden, wie viel davon abhieng, ob ein zahlreicher
Stand freier Bauern vorhanden war, der auf eigenem Grunde,
frei von privaten Lasten wirtschaftete und nur zu Staatsfrohnden,
sowie durch die allgemeine Gerichts- und Wehrpflicht zu unmittel-
barer Befriedigung staatlicher Aufgaben herangezogen w'erden
konnte. Jene Voraussetzung traf nun für unsere Gegenden keines-
wegs zu, da hier von Anbeginn — das nördliche Tirol und Öster-
reich ob der Enns etwa abgerechnet — der Großgrundbesitz
überwog (s. § 11, 3). Die unausbleibliche Folge davon war, dass
der freie Bauernstand bei uns früher, als man es nach der geogra-
phischen Lage erwarten sollte, der Zersetzung erlag, die im
Frankenreiche ihren Weg von Westen gegen Osten nahm. Gegen-
über den stetig wachsenden Anforderungen des Staates, der miss-
bräuchlichen Ausnützung der Amtsgewalt durch Beamte zur
Befestigung ihres Hauses in den Amtsbezirken, endlich gegen-
über dem wirtschafthchen Drucke, den der Großgrundbesitz
durch reichere Mittel und sorgfältigere Ausnützung seiner Kräfte
auszuüben vermochte, konnten die freien Bauern ihre Stellung
nur schwer behaupten. Beschleunigt wurde der Process durch
die allmählich steigenden Lebensbedürfnisse und die zuneh-
mende Schwächung der königlichen Gewalt. Als in den Tagen
Ludwig's des Kindes das Reich von inneren Fehden erfüllt war,
die Magj'aren durch den Zusammenbruch des großmährischen
Reiches und die Niederlage der Bayern am Inn (907) Herren der
Donautiefebenen und für lange Zeit furchtbare Reichsfeinde ge-
worden waren und als zu dem allen mehrjähriger Misswachs sich
gesellte, da war es mit dem freien Bauernstande bei uns im
ganzen vorbei. Das bittere Elend zw^ang die einzelnen Kleingrund-
besitzer, die sich gegen die Drangsale des Lebens nicht zu be-
haupten vermochten, zum Anschluss an irgend einen Mächtigen,
um inmitten allgemeiner Unsicherheit und Noth Schutz für Hin-
gabe des freien Besitzes, Brot für Arbeit zu erlangen.
10. Der allgemeine Ausdruck, mit welchem diese Ergebung
an einen Mächtigeren bezeichnet wurde: „commendatio", umschloss
allerdings die verschiedenartigsten Verhältnisse, da der Act dem
Commendierten je nach den Personen und Umständen, unter welchen
er vorkam, ebensogut die Pforte zu Macht und Ansehen, als
zu mühselig gefristetem Leben eröffnete. Mit dem Erstarken der
78 Östen-eichische Reichsgeschichte. L Theil. Erste Periode. § 12.
fränkischen Oberherrschaft drang auch dies früher unbekannte
Institut in Bayern ein,*^ im Jahre 757 musste Tassilo III. mit den
vornehmsten Bayern dem König Pippin zu Compiegne den Vasallen-
eid leisten. Die bayerischen Herzoge ahmten in diesem wie in
so vielen andern Punkten den fränkischen Hof nach, nahmen
Adelige und Freie, ja selbst Unfreie — die servi principis qui
dicuntur Adelschalk^* — in ihren Treueverband auf und erhöhten
ihnen ebenfalls das Wergeid. Wollten Mitglieder der alten Adels-
geschlechter ihr ehemaliges Ansehen behaupten, so mussten auch
sie den Bedingungen entsprechen, die für die neue Aristokratie
galten, sonst sanken sie von ihrer gesellschaftlichen Höhe herab,
wie die Nachkommen der bayerischen Fagana und Huosier, die
uns später im Ministerialenstande begegnen.*^
Auf Abstammung und ein gewisses Ansehen des Geschlechts
wurde allerdings noch immer Wert gelegt, allein an einen be-
stimmten rechtlichen Vorzug ist dabei nicht zu denken. Der Aus-
druck nobilis, in Salzburger Urkunden des 8. und 9. Jahrhundei-ts
geradezu häufig, ändert seine Bedeutung und wird nur angewandt,
um die volle, mit freiem Grundbesitze verbundene Freiheit zu
bezeichnen. Nicht einmal Ausdrücke, wie „pernobilis, nobüissimus.
vir illustris, clarissimus, prseclarus" lassen mit Sicherheit auf die
Abstammung von altadeligen Geschlechtern schließen, sondern
sind oft nur Folge der amtlichen Stellung oder der Größe des
Besitzes.^^ Kurz, man sieht, der alte Adel hat seine rechtliche
^ Schon das bayerische Volksrecht kennt dieses Verhältnis, ohne dass der
commendierte Freie vom Vollfroien geschieden wäre. T. IV, 28, si quis liberum
hominem occiderit solvat parentibus, si autera non habet solvat duci vel cui
commendatus fnit cum vixit bis LXKX sol. id sunt CLX.
26 D. TassU. C. 7. M. G., Leg. III, 460. Die Bedeutung des Ausdrucks ist
nicht sichergestellt. Das Grundwort »Adal** wird auch in andern Zusammen-
setzungen gebraucht; z. B. „Adalporo", so heißen wahrscheinlich die herzog-
lichen Salinenarboiter zu Reichenball. Ind. Arn. VII, 6. Ich halte das »quod"*
a. a. 0. für einen Schreibfehler statt „qui".
27 Merkel in Zeitschrift für Rechtsgeschichte, I, 255.
38 Waiz, IV, 278. In 706 Freisinger Urkunden vom 8. und 9. Jahrhundert
wird in Cozroh's Auszug nobilis vir 41mal, nobilis femina dreimal erwähnt. —
Qui tz mann, 29. — Homines boni generis. Aachener Capit. vom Jahre 801, 13,
C. 12. Mon. Germ., 4^, Capitularia I, 171, vir progenie bonos nobilitatis exortus.
ürk. 898; nobilitatem libertatis a prioribus suis trahens parentibus. Mondseer
Tradition vom Jahre 1002. U.-B. o. Enns, I, 100, Nr. 187. S. a. den Nachweis
Commendationen, wachsende Bedeutung des freien Grundbesitzes. 79
Anerkennung als Stand verloren und eine Classe angesehener
Männer, deren Stellung auf verschiedenen Grundlagen beruhte,
hat diesen Platz eingenommen. Eine Passauer Urkunde vom Ende
des 8. Jahrhunderts macht uns diesen Übergang besonders an-
schaulich, sie erzählt von einem sicheren Tagadeo, der da war
„nobilis, sicuti in provincia solent fieri.*^^
11. Unter solchen Umständen gewann der Grundbesitz neue
Bedeutung für die Stellung der Volksangehörigen. Ursprünglich
war er auch bei den Bayern nur Folge, nicht aber Voraussetzung
der Freiheit. Seitdem jedoch massenhafte Commendationen die
Reihen der Freien mit unabhängigem Immobilarbesitz gelichtet
hatten, erschien als Ausnahme und Auszeichnung, was früher
Regel und gewöhnlich war. Man betont nun bei Verfügungen
über Erb- und Eigengut (allodium), dass es frei sei in jeder
Beziehung und denkt dabei an Freiheit von Zins und Diensten
aUer Art, von Verpflichtungen gegen eine Vogtei, von Lehens-
abhängigkeit. Bei größerem Besitze in einer Hand erscheint ein
bestimmtes Gut als „prsedium libertatis" oder Handgemal, auf
dessen Unabhängigkeit sich dann die Vollfreiheit des Geschlechts
stützte.'*^ Hießen früher schon einzelne Hufen oder Äcker frei, so
wurde nun der Ausdruck nobilis auch auf diese angewandt : aus
der ^hoba unius nobilis" wurde nun die „nobilis hoba". Man ver-
stand darunter Land, wie es als regelmäßiger Besitz von Freien
angesehen wurde, später wohl auch solches Gut, das kraft recht-
licher Qualification nur von Freien besessen werden konnte.^^
bei Heck, Alt friesische Gerichtsvorfassung ^1894). S. 223 ff., dass die friesischen
Elhclinge nicht Adeüge, sondern freie vollberechtigte Grundbesitzer waren und
die Mehrzahl des Volkes ausmachten.
» Mon. Boica XXVIUb, S. 23, aus den Jahren 785 bis 797. Auch bei den
Langobarden trat an die Stelle des älteren Geburtsadels ein Dienstadel, der
seine Stellung der Verbindung mit dem Könige verdankte.
^ Juvavia A., 145, 194: „. . . excepta lege sua quod vulgus hantgimali
vocat* (zwischen 923—32); Luitolf schenkt dem Brzbischof Friedrich (963—76)
Güter zu Hüttig „. . . et dempsit partem unam pro übertäte tuenda."
"* Beispiele, Cod. Austr. Fris., I, 42; Juvavia Anh. 195. Daraus entwickelte
sich in Östeireich später die Qualillcation des s. g. freien Eigens (Vreizaigen)
das nur von Vollfreien besessen werden konnte. Im Processe um die Burg
Hömstein beruft sich Bischof Konrad von Freising auf das commune Jus Austriae
ab antiquis teraporibus obsorvatura, dass Kinder aus unebenbürtiger Ehe
keinen Anspruch hätten in praediis seu proprietatibus, quae ab antiquo respiciebant
80 Österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Erste Periode. § 12.
Kein Stand hat durch Commendationen größere Verluste er-
litten, als die Gemeinfreien. Vergleichsweise wenige schwangen
sich durch den Eintritt in das Treueverhältnis zum König oder
Herzog empor, die Mehrzahl sank in Abhängigkeit von mächtigen
Vasallen und verlor ihre Unabhängigkeit mit einer Einbuße an Ehre.
12. Unter letzteren sind an erster Stelle die Barschalken
zu nennen, deren Name in Salzburger Urkunden vom Anfang des
8. Jahrhunderts an als Parservi, Pariinge, Parlutte, Parmanni oft
genug vorkommt. Sie werden ausdrücklich als freie Leute be-
zeichnet, bewirtschafteten fremden Grund und Boden gegen ver-
tragsmäßige Dienste und Abgaben, besaßen eigene Habe, nament-
lich auch Sclaven, über die sie frei verfügen konnten und werden
als Zeugen unter den Freien angeführt. Da es eine Standesver-
besserung war, wenn ein Leibeigener Barschalk wurde und um-
gekehrt der Barschalk durch Ehe mit einer Leibeigenen zum Eigen-
mann herabsank, so sind sie mit nichten unter die eigenen Leute
zu stellen. Nichtsdestoweniger drückte man sie in ihrer Stellung
immer tiefer herab, bis man sie endlich als Zugehör der Grund-
stücke verkaufen oder vertauschen konnte gleich den römischen
Colonen, mit deren Namen sie zuweüen bezeichnet wurden.'^
Ruhte bei den Barschalken die Abgabepflicht auf dem
Boden, den sie bauten, so gab es eine nicht minder zahlreiche
Classe von Leuten, die in mannigfacher Abstufung von ihrem
Kopfe zu steuern hatten, die Censualen, von denen schon oben
(Absatz 5) die Rede war. In dieser Stellung lebten nicht nur
Freigelassene, sondern auch nicht wenige, die "vordem vollfrei
gewesen waren. Geistlichen Stiften nicht bloß sein Gut, sondern
auch seine Person aufzuopfern, galt als ein Gott wohlgefälliges
Werk. Wieder andere verpflichteten sich aus Dankbarkeit tür
solummodo homines libere condicionis, h. e. quod vulgo vocatur vreyzaygen.
Cod. Austr. Fris. I, 289, Nr. 267. Darum stellt auch das österr. Landesrecht,
Art. 19, das Erfordernis auf, dass man „des aigens Hausgenoß** sein müsste,
um es erwerben zu können.
^ Von den libori coloni ecclesise heißt es L. Alam. Hlo. 8, B : »sicut alii
Alamanni componuntur' über die Stellung des römischen Colonus, s. Brunner I,
§ 7, 33. Zahlreiches Material über die Stellung der Barschalicen bieten die
Mon. Germ., Fol., Leg. UI, 359 in Note 1, da zwei Handschriften des bayerischen
Volksrechts statt der Rubrik I, 13, »de colonis vel servis ecclesiee" u. s. w.,
»de parschalchis vel servis eccl.* u. s. w. aufweisen.
Barschalken, Gensualen, Hörigo. 81
empfangene Wohlthaten zu einer bleibenden Abgabe an die
Kirche. Wenn auch die Bewahrung der alten Freiheit oder des
alten Rechts dabei ausdrücklich bedungen wurde, so war es
doch nicht mehr die volle Freiheit, w^as sie besaßen, da sie einer
Gewalt unterlagen, die Rechte über sie hatte. Nicht besser er-
gieng es den abhängigen Leuten auf den königlichen Gütern, den
Fiscalinen im älteren Sinne des Wortes, und jenen, die den
Schutz weltlicher Großen erkauft hatten. Das Verhältnis, um das
es sich in all diesen Fällen handelte, war zwar ein persönliches,
da es in keiner Weise vom Besitze von Land abhängig war, aber
zugleich ein dauerndes, da es die gesammte Nachkommenschaft
umfasste. Die Höhe des Jahreszinses, von dem die Censualen ihren
Namen hatten, war ungemein verschieden. Im Salzburgischen
findet sich vereinzelt ein Zins von 60 Pfennigen, allein auch
der häufigere Zins von 80 Pfennigen oder einem langen Schil-
ling, den in Bayern der Hiltischalk (etwa Kriegsgefangener) zu
zahlen hatte, galt als hoch. Meist betrug die Abgabe weniger, bis
auf einen einzigen Pfennig herunter. Im Salzburgischen kommen
auch Abgaben in Salz vor, doch konnten sie meist gegen Geld
oder Wachs umgetauscht werden.
13. Der gesellschaftlichen Bewegung, durch welche eine
gi'oße Zahl von Volksgenossen im Besitzstande und der früheren
Freiheit geschmälert wurde , begegnete eine entgegengesetzte
Strömung, welche die rechtlose Classe der Knechte zu beschränkter
Rechtsfähigkeit emporhob. Geburtsfreie und unfreie Elemente
standen nun oft in ähnlicher Lage demselben Herrn gegenüber.
Die Ausgleichung, welche allmählich, und zwar auf Kosten der
früheren Freien erfolgte, führte vom lO./ll. Jahrhundert an zur
Ausbildung des mittelalterlichen Standes der Hörigkeit, als deren
bezeichnende Merkmale nach Gengier anzusehen sind : a) die Unter-
werfung unter eine weltliche oder geistliche, mit grundherrlichen
Elementen untermischte Schirmgewalt (raundiburdium, tuitio, pro-
tectio); h) Vergeltung des Schutzes durch ständige Zinsreichung ;
c) Auflegung dieses Zinses auf ein bestimmtes Grundbesitzthum
mit der Wirkung der Gebundenheit des Nichtigen an letzteres
als unwandelbaren Ansitz und d) Hofgenossenschaft, d. h. Theil-
iiahme am Hofrechte und Hofgerichte.
Lasch in, Osterreichische Reichsgescbichte. (5
82 Österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § Vi.
n. Periode: Vom Regierungsantritt der Baben-
berger bis zum Tode Kaiser Friedricli m.
(976—1493.)
Die Griiudlagen der territorialen Entwicklung.
§ 13. Die Zeit der Gaueintheilung.
B es sei, Chronicon Gottwicense T. I pars altera S. 527 flf. de pagis
Germaniee mediee. — Chabert, § 32 flf. — Gebhardi, Genealogische Geschichte
der erblichen Reichsstände in Deutschland, 2„ 3. Band, 1779, 178ö. — Gengier,
Beiträge I, 69. Anm. 11. — Hub er, I, 207 ff. und österr. Reichsgeschichte,
5 ff. — Krone s, Geschichte, I, 297 ff. und Grundriss 197 ff. — Riezler, 1,
841, Anh. 2, 3. — Sprunner-Menke, Handatlas zur Geschichte des Mittel-
alters und der neuem Zeit. 1880, Taf. 35 ff.
1. Die Annahme, dass das Deutsche Reich eine gleich-
mäßige Eintheilung des Reichsbodens in Gaue und Hundert-
schaften als Erbe der karolingischen Verwaltung übernommen
habe, ist jetzt aufgegeben. Wiesen die älteren Einrichtungen an
sich schon manche Verschiedenheit auf, so wurde die Mannig-
faltigkeit jetzt noch größer, als stammesmäßige, staatliche und
dynastische Interessen in vielfacher Kreuzung wirksam wurden.^
Gaue werden auch auf österreichischem Boden genannt, allein
es ist hier ebensowenig wie in Bayern erforscht, wie sie weiter
zerfielen und wie die Unterabtheilungen ursprünglich hießen. Fest
steht, dass bei uns keine Hundertschaften und nur in Istrien
Hundertschaftsbeamte genannt werden. Dagegen kommen, wo
Slaven selihaft waren, im Lande ob der Enns so gut wie in
Kärnten oder Krain Zehnerschaften, Decanien, die anderwärts
unbekannt sind , als Gerichtsverwaltungsbezirke innerhalb der
Grafschaften vor.-
1 Waitz, V. G., Bd. 2, 322, Bd. 5, 183. — Brunn er, II, 146. — Anderer
Meinung ist B. Richter, Mitth. des Instituts für österr. Gesch., E.-Bd. I, 599.
2 777. Stiftung von Kremsmünster.].Tassilo schenkt u. a. DecAniara Sclavoruni
cum opere flscali seu tributo justo. Die Grenzauszeigung übemimrat Jopan
qui vocatur Physso. Ü.-B. o. Enns, II, 3. — 965. Kaiser Otto schenkt seinem
Die Gaue in Vorarlberg und Tirol. 83
2. Um festzustellen, wie weit die Gaueintheilung in den
Alpenländern durchgeführt wurde, rauss man beachten, dass der
Ausdruck Gau in sehr verschiedenem Sinne angewandt wird. Bald
ist dadurch das gerodete Land im Gegensatz zu Wald, Sumpf und
Fels bezeichnet (pagus Varna, p. Puch, p. Tuveres in Tirol), bald
ein durch die Bodengestaltung zu örtlicher Einheit zusammen-
gefasster Landstrich gemeint (Zillerthalgau, Passeiergau), bald
wird pagus schlechtweg für Verwaltungssprengel gesetzt, wie denn
vom pagus Osterriche, p. orientalis, p. Creina nominatus u. dgl.
die Rede ist, obschon in diesen Marken die Gaueintheilung gar
nicht durchgeführt war.^
Führt man die Ausscheidung in erwähnter Weise durch, so
bleiben uns folgende pagi als Gaue im politischen Sinne:
a) Der Rheingau im äußersten Westen, der den größten
Theil von Vorarlberg umfasste, lag noch auf alamannischem
Boden ;
h) c) bayerisch hingegen waren schon die Gaue des oberen
und des unteren Innthales (Poapinthal und pagus Intal) durch
den Mattenbach und die Martinswand geschieden;
d) der Vinstgau oder Vintschgau, benannt nach dem rätischen
Stamme der Venosten;
e) vom Passeierthale gehörte das, rechte Ufer noch zum
Vinstgau, das linke dagegen zum Norithalgau, „vallis Norica**;
der das Etschthal von der Mündung der Passer bis zur Mündung
des Noce und das Eisackgebiet bis zum Brenner umfasste. Es
war der südlichste bayerische Gau;
f) das Rienzthal und das obere Drauthal bis zur karanta-
nischen Grenze bildeten den Pusterthalgau (vallis Pustrissa = das
öde Thal), den einzigen bayerischen Gau mit slavischem Namen;
Vasallen Negomir Güter zu Wiertschach in Kärnten „in comitatu Hartuuigi comitis
qui et ipse inibi Waltpoto dicitur ac in decania Wolframmi decani". — 989, Kaiser
Otto III. bestätigt dem B. Freising den Güterbesitz in Krain und gebietet ,ut nullus
comes vel judex sive decanus ... jus habeat se intromittendi". — Cod. Austr. Fris. I,
32, 44. Dagegen heißt es in den Beschwerden gegen den istrischen Herzog Johannes
<804), dieser hätte die herkömmlichen Tribunati, Domestici u. s. w. abgeschafft.
,.Modo äutem dux noster Johannes constituit nobis centarchos" — Cod. Istriano.
» Riezler, I, 841; Waitz, V.-G., Bd. 5, 177; Richter, 605. Zumal
in Tirol, dient Gau als Gegendbezeichnung überhaupt. In 743 Brixner Traditions-
Urkunden aus den Jahren 907—1362 werden an 40 solche pagi genannt.
6*
84 Österreichische Reichsgeschichtd. 1. Theil. Zweite Periode. § 13.
g) h) nordöstlich vom Pusterthal grenzte an Karantanien der
„Pinzgau" (Bisontio quod nunc dicitur Pinzgow), in dessen Namen
der rätische oder norische Stamm der Ambisonten fortlebt, und
anstoßend daran h) der „Pongau"*;
i) abwärts von Werfen bis über Tittraoning hinaus längs der
Salzach der Salz-, Salzach- oder Salzburggau, pagus Juvavensis;
Ic) daran stieß östlich der Attergau in der Umgebung dea
Attersees und nördlich von beiden
l) der Matachgau, benannt nach der Matach, einem Seiten-
flusse des Inn, der den Matsee durchströmt;
m) das untere Innviertel zwischen der Donau, dem Inn und
dem Traungau gehörte zum Rotachgau, dessen Hauptmasse auf
dem linken Immfer lag;
n) der östlichste, noch zu Bayern gehörige Gau, der Traun-
gau, erstreckte sich vom Salzburg- und Attergau bis zur Enns,.
nördlich bis an die Donau und südlich bis an die Nordgrenze
von Karantanien, das Karintigescheide, das der heutigen Grenze
zwischen Österreich ob der Enns und Steiermark entspricht. Das
Stück vom westlichen Ufer der unteren Traun bis zum Haus-
ruck heißt auch der Ufgau d. h. der obere Gau;*
o) das Land im Norden der Donau, im Nordwald genannt,
gehörte theils zum altbayerischen Schweinachgau, theils zur Ost-
mark; die Grenze erreichte zwischen Ottensheim und Puchenau
ob Linz die Donau ;^
p) in der Ostmark ist die Gaueintheilung weder auf dem
rechten noch auf dem linken Donauufer durchgeführt worden,
obwohl für den Landstrich niederhalb der Enns bis zum TuUner-
felde in ein paar Urkunden des 9. Jahrhunderts die Ausdrücke
pagus Grunzwiti und pagus Dreisma gebraucht werden.
3. Dagegen sind in Innerösterreich, das unter dem Namen
Karantanien zusammeugefasst wurde, folgende Gaue nachweisbar :
a) — e) Im heutigen Oberkärnten der „Lurngau" und östlich
davon, durch den Gurkfluss geschieden, die pagi »Gurcathal*" und
^Chrovati"; noch östlicher die Gaue des Lavant- und Jaunthales.
Diese fünf Gaue bedeckten so ziemlich den Umfang des heutigen
* Nach S tmad t eine Hundertschaft des Traungaues. Geburt d. L. o. B., 23.
^ Strnadt, a. a. 0., 30.
Gaue in Tirol und Karantanien; Grafschaften. 85
Herzogthums Karaten. Zu Karantanien gehörte ferner f) der salz-
burgische Lungau und im Bereiche der heutigen Steiermark:
g) der Ennsthalgau vom Mandlingpasse an bis zum Hoehwart
und vom Pflindsberge im Norden bis zum Nagelbach am Roten-
manner Tauern. Südöstlich schlössen sich an den Ennsthalgau an
h) i) der Undrimathalgau und der Leobnergau (pagus Liu-
benetal) ;
k) der Mürzgau (pagus Müriza) umfasste das ganze Fluss-
gebiet der Mürz. Als Gaue werden uns ferner genannt:
l) der pagus Zitilinesfeld zu beiden Seiten der Drau, südlich
des Unterlaufes der Mur;
m) zu beiden Seiten der Sann der pagus Souna, im Süden
meist durch die Save, im Osten durch die Sottla begrenzt.
Das heutige Mittelsteiermark wird die Grafschaft Hengist
genannt und es scheint, dass deren Mittelpunkt Hengistiburg auf
dem Schlossberge von Graz zu suchen ist.
4. Um die Namen, die Gegend und die Ausdehnung der
alten Verwaltungssprengel zu erforschen, bedient man sich, wenn
Grenzbeschreibungen fehlen , anderer geeigneter Ortsangaben.
Dabei gewahrt man, dass frühzeitig neben dem pagus auch der
Ausdruck comitatus zur näheren Bezeichnung der Ortslage ver-
wendet wird und dass schließlich in den Urkunden nur mehr von
Grafschaftsbezirken, nicht aber von Gauen die Rede ist. Dieser
Wechsel im Sprachgebrauche hängt mit einer Zersetzung des
älteren Reichsgefüges zusammen, die man gemeiniglich die Auf-
lösung der Gauverfassung nennt.
Schon unter den Karolingern kam es bei zunehmender
Dichte der Bevölkerung aus Gründen der Staatsklugheit zu einer
\'erkleinerung der Verwaltungsbezirke. Die Grafschaften, die im
Umfange häufig mit den Gauen zusammengefallen waren, wurden
nun mitunter auf das Gebiet einer früheren Hundertschaft
beschränkt, und da die Bezeichnung pagus auch auf den neuen
Sprengel übertragen werden konnte, so stellte man wohl
diesen als pagus minor dem alten Gau als pagus major ent-
gegen. In Bayern, wo die Bevölkerung weniger dicht war als
im Westen — theils wegen der Bodenverhältnisse, theils weil
dem inneren Ausbau des Landes der beständige Abfluss des
Bevölkerungs - Überschusses in die angrenzenden Colonisations-
8G Österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 13 und 14.
gebiete Karantanien und Ostmark entgegenwirkte — erhielten sich
darum die alten Gaue länger als Verwaltungssprengel. Immerhin
lässt sich in einzelnen altbayerischen Gauen schon zu Beginn de&
10. Jahrhunderts die Amtswirksamkeit zweier Grafen neben ein-
ander beobachten, was den RUckschluss auf die vorangegangene
Auftheilung des Gaues ergibt.® Doch herrschte in diesem Punkte
keineswegs Gleichförmigkeit. So deckten sich z. B. die Grenzen de»
Ennsthalgaues, soweit unsere Nachrichten zurückgehen, mit der
gleichnamigen Grafschaft, die bis zum Aussterben der Baben-
berger un verkleinert blieb. ^ Man hat diesen Unterschied in der
Entwicklung auf allgemeinere Gründe zurückfuhren wollen, wahr-
scheinlicher ist, dass er durch die besonderen örtlichen Verhält-
nisse bedingt ist, namentlich auch durch jene Umstände, unter
welchen die Landesherrlichkeit jeweils entstand und erstarkte.
5. Es gab aber in unseren Landen auch weite Gebiete,,
w'o die Gaueintheilung gar nicht durchgeführt war, vor allem die
Marken, ferner die Landstriche, die der Botmäßigkeit der Lango-
barden oder — wie Istrien bis ins 9. Jahrhundert — der Byzan-
tiner unterstanden hatten. Hier behaupteten sich die Städte als
Mittelpunkte der Verwaltung und des öffentlichen Lebens. Durch
Unterwerfung von Städten hat Venedig in Istrien zuerst festen
Fuß gefasst. Städte waren es, die 933 neben dem Markgrafen
Winthpr Frieden mit dem Dogen Candiano schlössen, und auch die
Rechtspflege, das Abgaben- und Heerwesen und das kirchliche
Leben waren hauptsächlich nach Stadtbezirken geregelt. So kam
es, dass fast jede bedeutendere Stadt in Istrien und Dalmatien
zugleich Bischofssitz war und dass die Grenzen des Bischofs-
sprengeis bei Pola, Parenzo, Triest, Pedena (Piben), Cittanuova
(Emonia), auf den Inseln, wie: Veglia, Arbe, in Dalmatien (Nona^
Zara . . . ) wahrscheinlich mit dem Stadtgebiete zusammenfielen.
^ Vom locus Grabanastat im Chiemgau heißt es sogar 959, dass er in
«comitatibus Otacharii, Sigihardi ac Willihalmi comitum* gelegen sei. Wahrschein-
lich war Hauptgegenstand der Schenkung ein großer Wald. — Richter, 640.
' Feiice tti, X, 35. — Riezler, I, 848, macht aufmerksam, dass in
Schwaben noch im 13. Jahrhundert die meisten Grafschaften einem alten Gau
entsprachen, während für Bayern schon im 12. Jahrhundert das Gegentheil gilt»
Verwaltungsbezirke im Küstenland; landesherrliche Gebiete. 87
§ U. Laiide$hen*liche Gebiete: Österreich ob nnd unter der Enns.
LampelJ., Die Einleitung zu Jans Enenkel's Fürstenbuch. Wien, 1883. —
Die Landesgrenze von 1254 und das stcirische Ennsthal. Archiv, Bd. 71, S. 297 ff.
S. a. Blätter des Vereins für Landeskunde von Nieder-Österreich, Bd. 20—22
und ebendort Bd. 11—16, die Abhandlungen von Kopal über Hardegg,
Wendrinsky über die Herren von Schwarzenburg-Nöstach, die Grafen von
Raabs, von Plaien-Hardegg u. s. w. — Strnadt, Die Geburt des Landes ob der
Enns 1886 ; Peuerbach, Beiträge zur Landeskunde von Österreich o. Enns. (Lief. 22.)
— Stülz, Zur Geschichte der Grafen von Schaunberg. (Denkschriften, Bd. 12.)
1. An die Stelle der zu Zwecken der Reichsverwaltung
geschaffenen Eintheilung Deutschlands in Gaue, Grafschaften,
Marken u. s. w. trat im weiteren Verlaufe des Mittelalters eine
große Menge von Territorien der verschiedensten Art und Größe,
über w^elche der dem Reiche lehenspflichtige Gebietsherr die
Verwaltung zu eigenem Rechte führte. Nur wenige Lande ver-
mochten sich aber in ungestörter Entwicklung zu behaupten : Viele
Gebiete wurden mit anderen nach dem Aussterben des herr-
schenden Geschlechtes kraft Belehnung, Erbgang u. s. w. ver-
einigt, andere verloren ihre Selbständigkeit schon früher, da das
Interesse des Stärkeren auf die Unterwerfung des schwächeren
Nachbarn gieng, um selbst widerstandsfähiger zu werden. Daraus
folgt, dass man ohne Kenntnis der Hochstifte und Geschlechter,
die dereinst auf jetzt österreichischem Boden landesherrliche
Rechte geübt haben, weder das allmähliche Anwachsen des
Staatsgebiets , noch die damit eng zusammenhängende Aus-
gestaltung der landesfürstlichen Gewalt erfassen kann.
2. Das Kernland unseres Reiches, 1156 auf dem Regens-
burger Tage durch kaiserlichen Willen als Herzogthum Öster-
reich aus der alten Ostmark und einigen bayerischen Gebieten
geschaffen, reichte im Westen erst bis zur Enns und bis zum
Haselgraben, der gegenüber von Linz in die Donau mündet. Die
Zertrümmerung des bayerischen Stammesherzogthums im Jahre 1 180
brachte den Landstrich auf dem linken Donauufer von der Hasel
bis zur großen Mühl dem Herzog Leopold V. zu» während das
Land zwischen der Enns und dem Hausruck zum neuen Herzog-
thum Steiermark geschlagen wurde und in deren Verband bis
über die Mitte des 13. Jahrhunderts verblieb. Erat der Ofner
88 ödterroiehisehe Reichsgeschichte. I. Theii. Zweite Periode. § 14 and 15.
Friede vom Jahre 1254, der die Steiermark zwischen den Königen
von! Böhmen und Ungarn theilte, machte eine neue Abgrenzung
nötmg, die sich bis zum heutigen Tage erhalten hat. In die Zeit
desN^ischenreiches fällt auch die Trennung von Österreich in
das Land ob und unter der Enns, indem Konig Ottokar wahr-
scheinlich nach dem Sieg bei Kroissenbrunn um 1260 die Längs-
theilung des Landes durch den Donaulauf aufgab und durch eine
Quertheilung ersetzte. Seit dem Jahre 1264 findet sich in Urkunden
die Bezeichnung Austria superior, Austna süpra Anasum, districtus
supra Anasum, während für das alte Herzogthum Österreich Austria
inferior, gewöhnlich sogar Austria schlechtweg gesetzt wird.
Das ursprüngliche Herrschergeschlecht der Babenberger
erlosch 1246 im Mannesstamme, ihm folgten seit 1282 durch
Belehnung auf dem Reichstage zu Augsburg die Habsburger in
der Regierung über Österreich.
Neben dem Herzoge beanspruchte hier eine Anzahl anderer
Machthaber ebenfalls Regierungsrechte über mehr minder aus-
gedehnte Gebiete. Sehr bedeutend war der kirchliche Besitz. Das
Bisthum Pa'ssau, in dessen Sprengel die Ostmark lag, gebot als
Landesherr zwischen der Ranna und Mühl und war auch bei Enns,
in der Wachau, in Tulln u. s. w. begütert; Salzburg besaß Arns-
dorf in der Wachau und Traismauer, Regensburg die Umgebung
des Attersees, Fr ei sing das Gelände um Holenburg^ Ulmerfeld,
Waidhofen an der Yps, Sachsengang, Enzersdorf u. s. V.
Von weltlichen Großen seien beispielsweise geuannt die
Grafen von Plaien-Hardeck, die PeUenstein, die von Schala und
Burghausen, die von Falkenstein und Hömstein, die Wels-Lam-
bacher, die Grafen von Putten, die Formbach-Neuburger u. s. \v.
Sowohl die Herkunft als die staatsrechtliche Stellung dieser
Dynastenfamilien im Lande ist noch mancher Aufklärung bedürftig.
Die Mehrzahl von ihnen erlosch bis gegen die Mitte des 13. Jahr-
hunderts, worauf ihre Güter, sei es durch Erbgang, sei es als
heimgefallenes Gut, in die Hände der Babenberger gelangten.
Zur Zeit der Habsburger gab es nur noch zwei reichsunraittelbare
weltliche Gebiete^ in Österreich: die Herrschaft Seefeld an der
^ Mit der Vergün8tlg:ung «quod ipsum castrum cum suis pertinenciis tarn
diu a nobis et a Romano Imperio teneat et possideat titulo feudaii, quosquo
ipsum a pr»fatis ftliis nostris reclpere jubeamus". — Urkunde ddo. 1286. 7. Juli.
Landesherrliche Gebiete in Österreich and Karantanien. 89
mährischen Grenze, die König Rudolf dem Burggrafen von Nürn-
berg, Friedrich von Zollern, verliehen hatte, und der ausgedehnte
Besitz der Freien von Julbach oder Grafen von Schaunberg
an der Donau mit Efferding als Mittelpunkt.^ Die Schaunberg
wurden, nachdem sie Herzog Rudolf IV. zur Auftragung ihrer
allodialen Landgerichte bestimmt hatte, noch im Laufe des 14. Jahr-
hunderts zu österreichischen Landsassen ; die Reichsunmittelbarkeit
von Seefeld und der übrigen burggräflichen Lehen, sowie der
geistlichen Territorien in Österreich war gleichfalls unhaltbar ge-
worden, seitdem die österreichischen Freiheitsbriefe, u. z. das Majus
und dessen angebliche Bestätigung vom Jahre 1245, die Anerkennung
des Reiches im Jahre 1453 erlangt hatten.
§ 15. LandesheiTliche Gebiete: Karantanien. (Inuerosterreich
and Küstenland.)
C zornig, Görz I. — Felicetti, Pagus Chrouuat; Steiermark im 8. bis
12. Jahrhundert. (Beiträge zur Kunde steirischer Geschq. Bd. 5, 9, 10). — Huber,
in den Mit^heilungen des Instituts. Bd. 6, S. 383 ff. — Krön es. Die Freien von
Saneck 1883. — Meli, Die Entwicklung Krains vom 10. bis 13. Jahrhundert.
Graz. 1888. — Schumi, im Archiv für Heimatkunde. I, 97 ff. — Tangl, Die
Grafen . . . von Eppenstein, von Heunburg, von Pfannberg, von Ortenbiirg. (Archiv.
Bd. 11, 17—19, 30, 36). — Zahn, Styriaca, 1891, S. 1: Wann Steiermark entstand.
1. Unter dem Gesammtnamen Karantanien begriff man
durch Jahrhunderte die innerösterreichische Ländergruppe : Kärnten,
Steiermark und Krain. Die Begrenzung wich indessen von der
heutigen vielfach ab. Sie reichte ins halbe Pusterthal bis in die
Nähe der Drauquelle, sie umschloss den Lungau und das Land
zu beiden Seiten der Enns vom Mandlingpasse bis zur Einmündung
der Steyer und ragte auch ins Land unter der Enns viel nörd-
licher, als die heutige Landesgrenze, die erst im Jahre 1254 ge-
zogen wurde und das Gebiet zwischen Seramering, Wechsel, Leitha
und Piesting u. a. zu Österreich brachte. Gegen Osten hin wurde
Die Reichsunmittelbarkeit der burggräflichen Lehen in Österreich hat noch Kaiser
Karl IV. entgegen den Bestrebungen Herzog Rudolfs IV. bestätigt. 1363, 30. Nov.
Frag. — Spieß, Archivische Nebenarbeiten, 1785, II, 23, 27.
2 Strnadt, Peuerbach. — Wendrinsky, Heinrich v. Dewin (1877, S. 207
nitd 270) meint, dass die Schaunberge aus der Stellung von Ministerialen erst zur
Zeit des Zwischenreichs zur Reichsunmittelbarkeit aufgestiegen seien.
/
90 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 15.
die heutige steirisch-ungarische Grenze nur sehr allmählich ge-
wonnen, ebenso die SUdgrenze. da das gegen Ende des 10. Jahr-
hunderts zuerst genannte Land Krain nur das heutige Oberkrain
war, andererseits aber die Mark an der Sann auf das rechte Ufer
der Save von Ratschach bis an die Neuring hinübergriflF.
Karantanien, schon in den Tagen der letzten Karolinger
Herzogen untergeben, wurde bis zum Schlüsse des ersten Jahr-
tausends mit geringen Unterbrechungen (97G— 983, 985—989)
durch die Herzoge von Bayern verwaltet. Als ums Jahr 1002 die
bleibende Absonderung von Bayern erfolgte, erhielt Karantanien
Herzog Otto der Wormser, der seit 995 über die Mark Verona,
Friaul und Istrien gebot. Noch war das Herzogthum ein Amt,
noch war die königliche Macht stark genug, die aufstrebende
Gewalt der Herzoge zurückzudäramen. Darum kam es hier erst in
den Tagen König Heinrich's IV. zur Entstehung eines Herrscher-
geschlechts. Ums Jahr 1073 scheint es Markward dem Sohne des
(1035) entsetzten Herzogs Adalbero gelungen zu sein, sich der
obei-sten Gewalt in Kärnten zu bemächtigen, 1077 ward dann
seinem Sohne Liutold das Herzogthum vom Könige förmlich über-
tragen. Von da ab herrschten in Kärnten die Eppensteiner bis zu
ihrem Aussterben im Jahre 1122. Ihnen folgte in der Herzogs-
würde das rheinfränkische Geschlecht der Sponheim-Lavanter,
das im Jahre 1269 mit Ulrich III. endete und nach dem Zwischen-
reich im Jahre 1286 die Grafen von Görz. Als nun von diesem
dritten Herzogsgeschlecht der Mannesstamm der regierenden Linie
mit dem Titularkönig Heinrich von Böhmen (2. April 1335) erlosch,
gelangte Kärnten infolge Belehnung durch Kaiser Ludwig IV. an
die Habsburger, die schon in den angrenzenden Herzogthümern
Österreich und Steiermark herrschten.
9. Was wir heute das Herzogthum Kärnten nennen, ist nur das
Herz Karantaniens, das nach Abtrennung ausgedehnter Landstriche
den alten Namen behielt. Eingeleitet wurde die Verkleinerung
dadurch, dass die Grenzgebiete des Herzogthums am Ende des
10. und im Laufe des 11. Jahrhunderts eigene Markgrafen und
dadurch eine größere Selbständigkeit gegenüber dem Herzoge
erhielten. Ein Kärntner Markgraf wird 970 erwähnt, sein Gebiet
erstreckte sich von Rötheistein ob Frohnleiten längs der mittleren
Mur und der oberen Raab bis zum Poßruck und den windischen
Karantanien und seine Marken, Steiermark. 91
Büheln. Von dieser Mark aus ist später das Herzogthum Steier-
mark erwachsen, wogegen es zweifelhaft ist, ob es aucli in den
Gegenden längs der mittleren Drau und an der Sann, die^ eben-
falls mit dem Beisatz „in Marchia* erscheinen, zur Bildung be-
sonderer Markgrafschaften gekommen ist.^ Genau im Jahre 1000
erscheint der Eppensteiner Adalbero als Markgraf der Kärntner
Mark und er behielt sie auch bei, als er 1012 auf den Herzogs-
stuhl von Kärnten berufen wurde. Nach seinem Sturze im Jahre 1035
wurde die Mark erst den Grafen Arnold und Gottfried von Lambach,
dann aber (1056) an deren Vetter Otakar übertragen, mit welchem
die älteste steiermärkische Dynastie der Traungauer zum ersten-
raale die Herrschaft im Lande erlangte. Nicht auf lange Zeit, denn
als es in den Siebziger jähren des 11. Jahrhunderts zur Aussöhnung
der Eppensteiner mit Kaiser Heinrich IV. kam, erhielten diese
neben dem Herzogthum wohl die Mark wieder, die sie von alters-
her besessen hatten und in der sie nachweislich einen ungemein
großen Theil des Bodens als Eigenthum beanspruchen konnten.
Bleibend und unter weit günstigeren Verhältnissen kehrten die
Traungauer erst nach dem Aussterben der Eppensteiner (1122) in
die kärntnische Mark zurück. Markgraf Otakar IL, ein Sohn des
oben Genannten, erbte nach seinem Schwager Herzog Heinrich II.
von Kärnten-Eppenstein dessen wahrhaft fürstlichen Landbesitz
in der Mark und da er überdies das Enns- und Paltenthal von
Salzburg zu Lehen trug, so hatte er schon ganz Obersteiermark
und außerdem das Land bis gegen das linke Drauufer hin in
Händen. Von nun an reihten sich Ergänzungen von Jahrzehnt
zu Jahrzehnt. Um 1 1 48 erbte Otakar III. nach seinem Oheim, dem
Grafen Bernhard von Sponheim, einen ausgedehnten Landstrich
längst der Drau, von der heutigen kärntnischen Grenze bis gegen
Pettau hin und Güter im Sannthal; 1158 wurde der Püttner Besitz
zwischen dem Semmering, Wechsel und der Piesting erworben;
das Jahr 1180 brachte als eine Folge der Demüthigung Heinrich's
des Löwen, dem Markgrafen Otakar IV., der sich nach seiner
Hauptburg von Steyer nannte, die Erhebung zum Herzog und
1 Felicetti, Beiträge, IX, 40 ff. Am ehesten könnte man noch das Vor-
handensein einer eigenen Mark im Sannthal annehmen, da ja seit dem Jahro
1103 Starchand und später Günther Marchio de Soune genannt werden. Dieser
Ansieht ist auch Waitz, VII, 72, Anm. 6.
92 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 15.
außerdem das bayerische Gebiet zwischen der Enns und dem
Hausruck. Der erste Herzog der Steiermark, zugleich der letzte
seines Geschlechts, hinterließ • bei seinem Tode sein Land dem
Babenberger, Herzog Leopold V. So ist seit dem Jahre 1192 die
Steiermark mit Österreich vereinigt und hat fortan dessen Geschicke
getheüt.
3. Auch das Herzogthum Krain hat sich auf karantanischem
Boden entwickelt, doch hat es seinen jetzigen Umfang und den
herzoglichen Titel erst spät erhalten; Urkunden nennen uns vom
Jahre 973 herwärts eine Grafschaft Krain (Carniola, Craina) und
eine Marchia Slavonise, auch Camiolise oder Marchia schlechtweg,
die man später die windische Mark nannte. Die Grafschaft Krain
entsprach dem heutigen Oberkrain, umschloss aber bedeutenden
Immunitätsbesitz. Die Mark, in welcher gleichfalls mehrere Hoch-
fitifte stark begütert waren, erstreckte sich über Unterkrain mit
Ausschluss der Landschaft auf dem rechten Gurkufer, die bis ins
12. und 13. Jahrhundert zu Croatien gerechnet wurde,^ und des
rechten Saveufers von der Sannmündung bis zur Neuring, das
zur Grafschaft des Sannthaies gehörte. Der Karstboden endlich,
das heutige Innerkrain, bildete einen Theü der Mark Istrien.^
Im Jahre 973 unterstand die Grafschaft Krain einem sichern
Popo, dem bis zum Jahre 1011 die Grafen Waltilo und Ulrich
folgten. Die Grenzhut wurde vom Herzoge Karantaniens unmittelbar
verwaltet, wie solches auch in der Kärntner Mark während der
Jahre 1012 bis 1035 geschah. Allein dieselben politischen Ev-
wägungen, die den Kaiser Konrad II. nach dem Sturze des Eppen-
steiners Adalbero zur Ablösung der Kärntner Mark vom Herzogs-
amte und zur Einsetzung eigener Markgrafen bestimmten, ver-
anlassten auch die Errichtung einer besonderen Markgrafschaft
Krain, welche wir während der Jahre 1040 bis 1070 den Mark-
grafen E Gerhard und Ulrich unterstellt finden. Nach dem Tode
2 König Ladislaus von Ungarn schenkte um 1090 Sichelburg, MÖttling und
Tschernembl dem Bisthnm Agram, das diese Gegenden dem croatischen Erz-
diaconat vom Gurkfluss überwies. — Schumi, Archiv I, 49 flf. — Meli, 82 ff.
* A. Huber bekämpft in den Mittheilungen des Instituts für österr. Ge-
schichtsforschung, VI, S. 388 ff., die Unterscheidung der Marchia Carniole vom
Comitatus Carniole, mit beiden Ausdrücken werde das Gleiche bezeichnet. S. da-
gegen inistrien, wo analoge Verhältnisse obwalteten, die zweifellose Unterscheidung
der Mark von der Grafschaft und die Ausführungen Mell's, S. 39 ff., 65.
Die Entstehung des Herzogthums Krain. D3
des Letztgenannten blieb das Amt unbesetzt, bis König Heinrieh IV.
im Jahre 1077 die Markgrafschaft an Aquileja schenkte, um die
guten Dienste des Patriarchen Sieghard zu belohnen. Der Abfall
des Nachfolgers von der kaiserlichen Sache hatte den Widerruf
der Schenkung und die Bestellung des Heinrich von Eppenstein
als Markgrafen zur Folge. Erst die Erneuerung der Vergabung
im Jahre 1093 brachte das Patriarchat auf längere Zeit in den
vielbegehrten Besitz, der sich auf Unterkrain beschränkte und
später auf die Andechs-Meranier übergieng. Die Grafschaft Ober-
krain hingegen war als solche nach dem Tode des Markgrafen
Ulrich verschwunden, denn zwei Drittel des früheren Amtssprengeis
waren als Immunitätsgebiet an Brixen und Freising gekommen,
während das Übrige, vom großen Eigenbesitz der Weimar-Orlamünde
erfüllt, bei deren Aussterben (nach 1141) an die verschwägerten
Sponheimer, die Grafen von Bogen und die Andechs-Meranier
gelangte. Durch etwa dreißig Jahre (... 1180 bis 1209) geboten
hier die Andechs-Meranier, bis das Verhängnis über das Geschlecht
hereinbrach und dem geächteten Markgrafen von Istrien, Heinrich,
alle Würden, Lehen und Eigen abgesprochen wurden. Obwohl ihm
später sein Familiengut in Kärnten, Steiermark und Krain zurück-
gegeben >^iirde, blieben doch die Markgrafschaften Krain und
Istrieii verloren, die das Patriarchat Aquileja auch gegen An-
sprüche zu behaupten verstand, die Otto VII. von Meranien nach
dem Tode Heinrich's von Istrien (f 18. Juli 1228) erhoben hatte.
Der Tod des Markgrafen Heinrich gab indessen anderen
Machthabern Gelegenheit, festen Fuß in Krain zu fassen, denen
das Patriarchat schließlich unterlegen ist , und zwar den
Babenbergern und den Sponheimern. Bekannt ist, dass Herzog
Leopold VI. der Glorreiche am 5. April 1229 vom Bischof Gerold
von Freising die Belehnung mit den erledigten Kirchenlehen der
Andechser in Unterkrain (das Feudum in Marchia) gegen eine
bedeutende Summe erkaufte und dass sein Sohn Friedrich IL
der Streitbare, wohl auf Grund seiner Vermählung mit Agnes
von Meranien, den Titel eines Dominus Carniolae annahm. Gleiches
Ziel verfolgten auch die Sponheimer, von welchen Herzog Bern-
hard schon 1228 die Gurker Lehen weiland Markgraf Heinrich's
erwarb und nach dem Aussterben der Babenberger sich auch
des Feudum in Marchia bemächtigte, während Erbprinz Uh'ich nach
04 Österreichische Roichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 15.
seiner Verlobung mit der Domina Caniioliae der Witwe Friedrich"3
des Streitbaren, Agnes von Meranien, ebenfalls den Titel eines
Herrn in Krain führte.* „Für Aquileja's Herrschaft in Krain be-
deutete Ulrich von Sponheim das Ende.** Schon vor 1256 begann
er aquUejischen Besitz zu usurpieren, im Juni 1258 kam es zur
Verkündung des Bannes über päpstlichen Auftrag, aber erst
im November 1261 erfolgte der Ausgleich zwischen beiden
Theilen, und zwar zu offenbarem Nachtheü des Patriarchats.
Herzog Ulrich erhielt gegen Auftragung seiner Allode in der
Mark diese, sowie die gesammten Herrscherrechte über die Marchia
CarniolisB zu Lehen, so dass er sich fortan mit Fug Dominus
Camiolise et Marchise nennen konnte, während die Patriarchen
nur mehr Herren in ihrem Eigenbesitze und Titularherren der
Mark blieben.
Seither theilten Ober- und Unterkrain die Schicksale von
Kärnten und giengen namenthch 1286 auch an Herzog Meinhard
über, obgleich die Belehnung der Habsburger mit Krain vom
Jahre 1282 in Kraft blieb. Die Erkenntnis, dass dies wichtige
und bedrohte Grenzland zu seiner Behauptung der mUitärischen
Anlehnung an Kärnten bedürfe, die Besorgnis, dass Meinhard den
Sponheimischen Besitz als Zugehör seines Herzogthums einfordern
könnte, endlich die Erwägung, dass die Grafen von Görz schon
von früher her (1248) als Erben der Meranier in der Mark reich
begütert waren, mögen die Herzoge von Österreich zu einstweiligem
Verzicht auf Krain bestimmt haben, wobei sie die Form der
Verpfändung wählten, um ihre Ansprüche nicht ganz aufgeben
zu müssen.
^ Herzog Bernhard beschränkte sich auf das ihm zukommende »Dei gratia
Dux Karinthie". Die Urk. von 1235 (Schumi, Archiv I, 175), in welcher er
auch „dominus Kamiole ac Marchie'' heißt, möchte ich im günstigsten Falle für
eine spätere Erneuerung ansehen, da das schlecht erhaltene Original nach Schrift
und Ausdruck manch Ungewöhnliches zeigt, jene von 1243 mit gleichem Titel
ist uns nur in späten Auszügen erhalten. Die päpstliche Dispens zur Vermählung
Ulrich's mit Agnes erfolgte 1248, 16. Nov. Ulrich bediente sich aber schon im
Jahr vorher (1247, 24. Sept.) des Titels „Dominus Camiole". — Schumi, U.-B. I,
122 und 113. Den Titel „Dominus Camiole ac Marchie" führte er seit 1261.
a. a. 0. S. 220. Unbegründet ist der Titel „D. Camiolie nee non Istriie et
Karsti" im Cod. Istr. 1260, 1. Nov. (Stiftungs-Urkunde von Preudenthal.) Der
bessere Abdruck bei Schumi, U.-B., II, 211, hat nur „Dominus Camiole**.
Karantanien und seine Marken: Krain, Istrien. 95
Mit dem Anfalle von Kärnten im Jahre 1335 gelangte auch
Krain in den Besitz der Habsburger, die sich Herren von Krain
und der windischen Mark nannten, bis unter Rudolf IV. im
Jahre 1364 der Titel Herzog von Krain aufkam.^ Zehn Jahre
darnach fielen die Görzer Besitzungen in der windisclien Mark
und dem Möttlinger Boden, sowie das obere Karstgebiet mit
Einschluss von Adelsberg an Krain infolge eines von Herzog
Rudolf IV. mit Graf Albert IV. von Görz abgeschlossenen Erb-
schaftsvertrages.^
4. Das benachbarte Istrien hat im Mittelalter vielfach die
Schicksale von Krain getheilt. Durch Kaiser Otto I. waren Istrien
und Priaul im Jahre 952 dem bayerischen Herzog untergeben
worden. Als es zur Trennung Kärntens von Bayern kam, blieb
Istrien mit jenem so nahe verbunden, dass die Herzoge von
Kärnten bei den Geschichtsschreibern in der ersten Hälfte des
11. Jahrhunderts geradezu auch Herzoge von Istrien hießen.*
Später wurde Istrien von Kärnten getrennt und (um 1047?)
eigenen Markgrafen anvertraut, von welchen wir Ulrich I. aus
dem Hause Weimar-Orlamünde 1060 schon im Amte finden.
Neben der Markgrafschaft gab es aber auch eine Grafschaft
Istrien. Diese wurde 1077 dem Patriarchen Sieghard von Aquileja
geschenkt und gelangte in der Folge an die Grafen von Görz.^
Die Markgrafschaft hingegen erhielten 1077 der Eppensteiner
Heinrich, nach dessen Erhebung auf den Kärntner Herzogstuhl
1093 Ulrich IL von Weimar-Orlamünde, seit 1122 die Krainburger
* Und zwar im Monat Mai. Vgl. Kürschner, Die Urkunden Herzog
Rudolfs IV. im Archiv, Bd. 49, S. 16.
® C zornig, Görz, I, 550.
^ Waitz, VII, 71, N. 4. Umgekehrt heißt dann bei den Chronisten Mark-
graf Ulrich I. von Istrien „Marchio Carentinorum". — Meli, 28.
^ G Zorn ig, I, 513, meint im Jahre 124S als Erbe der Andechs-Meranier.
Indessen ist zu erwägen, dass 1186, 24. Oct., Castel Lorenzo, ein Adalpertus
Comes Istrie genannt wird, der nach Kandier Cod. Istr. dem Hause Orten-
burg angehörte und dass eine Mathilde Gräfin von Pisino (dem Hauptort der
Grafschaft) die Gemahlin des 1220 verstorbenen Grafen Engelbert III. von Görz
war. A. a. 0. ürk. 1222, 24. Febr. Pisino. — Hub er in Mitth., IV, 394, bestreitet
mit Berufung auf eine Urkunde vom Jahre 1102, dass es in Istrien neben der
Markgrafschaft auch eine besondere Grafschaft gegeben habe, doch mit Unrecht.
Die erwähnten Orte lagen in der That in der Grafschaft Istrten, deren Gebiet
sich allerdings weit über die Umgebung von Pisino erstreckte. S. Anm. 10.
1>G ÖsteiTcichis>Ghe Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 15.
Linie der Sponheimer, seit 1173 die Andechs-Meranier. 1209 nach der
Ächtung des Markgrafen Heinrich IV. bekam Aquileja die Mark
Istrien und ließ sie durch Stellvertreter mit kurzer Amtsdauer
verwalten, die Markgrafen hießen und zu Capo d'Istria ihren Sitz
hatten." Den Patriarchen machte übrigens die Behauptung dieses
Besitzes viel zu schaffen. Die Mark bestand aus einem ziemlich
breiten Küstenstreifen, der die im Herzen der Halbinsel gelegene
und den Grafen von Görz unterthänige Grafschaft von Muggia
bei Triest bis an den Quamero umgab.^® Wohl waren in der
Mark die wichtigsten Städte der Halbinsel, allein da diese sich
von altersher größerer Autonomie erfreuten und durch den See-
handel auf gute Beziehungen zu Venedig angewiesen waren, so
begegnete der Versuch der Patriarchen, ihren lehensherrlichen
Rechten volle Geltung zu verschaffen, hartnäckigem Widerstände.^^
Das ganze 13. Jahrhundert war daher von Innern Fehden erfüllt,
die nur zeitweilig durch kurze Waffenruhe unterbrochen waren.
Den Vortheil aus diesen Zerwürfnissen zog Venedig, dem jede
Gelegenheit, in Istrien festen Fuß zu fassen, willkommen war.
Im Jahre 1267 unterwarf sich Parenzo der Republik, um der
Vergewaltigung durch Capo d'Istria zu entgehen, das damals an
die Spitze der istrischen Städte treten wollte, 1269 folgte Umago,
1270 Cittanova, 1271 San Lorenzo. Seit der Eroberung von Capo
d'Istria durch die Venezianer 1279, erlangten deren Anhänger in
der ganzen Mark die Oberhand und den Patriarchen gieng eine
Küstenstadt nach der anderen (zuletzt 1331 Pola) an die Dogenstadt
verloren. Schließlich einigte man sich auf einen geringen Zins,
^ Kandier, Ck)d. Istr., S. 39 zu 1275, 5. Mai, behauptet, dass das Amt auf
Jahresfrist verliehen wurde. Im Jahre 1275 bekleidete es Wilhelm von Civldale.
lö Hauptort der Grafschaft war Pisino-Mitterburg. Sie erstreckte sich über
das ganze Gebiet dieser Stadt bis zum Monte Maggiore und zu den obem Thälem
der Dragogna des Quieto und der Arsa, bestand vorwiegend aus bischöflichen
Lehen, Schlössern von Adeligen und Landgemeinden und bildete auch durch die
slavische Bevölkerung einen Gegensatz zur vorwiegend italienischen Mark.
Benussi, im Band „Küstenland", S. 14'2 (österr.-ungar. Monarchie, Bd. 10). Im
Cod. Istr., 1275, 5. Mai, findet sich eine Abgrenzung der Grafschaft vom Besitz
der Patriarchen und Venedigs in Istrien, leider nicht in authentischer Fassung.
^^ Die Patriarchen verboten ihren Untorthanen bei Androhung von Krieg
und Acht an Venedig Tribut zu entrichten, untersagten den Gemeinden die freie
Wahl der Bürgermeister und besclminkten ihre Selbständigkeit. Benussi, 142.
Mark und Grafschaft Istrien; Triest. 97
welchen die Republik an die Patriarehen für die Ausübung der
Herrseherrechte in den besetzten Städten der Mark Istrien jähr-
lieh zu bezahlen hatte, und dabei blieb es.^^
Der Versuch des Patriarchen Marquard, Istrien im Bunde
mit König Ludwig von Ungarn, Herzog Leopold IIL von Öster-
reich, den Genuesen und den Herren von Padua zurückzuerobern
(1378—1381), endete mit der Anerkennung des früheren Besitz-
standes und beschleunigte bloß den Verfall der weltlichen Macht
der Patriarchen von Aquileja, welche in den Jahren 1411—1420
den Rest ihrer istrischen Besitzungen (Muggia, Buje, Albona,
Fianona u. s. w.) an Venedig verloren. Damit war in Istrien ein
Besitzstand geschaffen, der sich im wesentlichen unverändert bis
zum Frieden von Campo Pormio (1797) erhalten hat. Die istrische
Küste — die alte Markgrafschaft — war in den Händen der
\'enezianer, das Binnenland — die verkleinerte alte Grafschaft,
die nur am Monte Maggiore bei Abbazia-Volosca das Meer erreichte
— blieb in den Händen der österreichischen Herzoge, die es 1374
als Erbe nach Graf Albert von Görz besetzt hatten und nebst
Triest und dem 1471 von den Walsee erkauften Piume (S. Veit
am Pflaum) von Krain aus verwalteten.
5. Eng verknüpft mit der Geschichte Istriens ist jene von
Triest. Die Herrscherrechte über Stadt und Gebiet übten die
Bischöfe auf Grund königlicher und kaiserlicher Gnadenbriefe,
die sie vom Beginn des 10. Jahrhunderts an hatten.^'^ Als im
Jahre 1289 die Venezianer Triest belagerten und der Bischof
auf die Hilfe von Aquileja angewiesen war, musste er allerdings
erklären, dass er sein Gebiet von den Patriarchen zu Lehen
trage, allein damals waren die Tage weltlicher Regierung für
das Bisthum schon gezählt. Dieselben Vorgänge, die in so vielen
italienischen Städten den Übergang der Macht aus den Händen
der geistlichen Reichsvasallen au die aufstrebende Stadtgemeinde
bewirkt haben, entschieden auch in Triest: Die überschuldeten
Bischöfe wurden von ihren Unterthanen ausgekauft, die ihnen
eine Gerechtsame nach der anderen gegen Bargeld abnahmen.
So geschah es 1253 unter Bischof Ulrich, der nebst vielen
*=* Diese Abpachtung wurde schon 1280, 4. Oct., vorgeschlagen. Cod. Istr.
" Cod. Istr., 911, 929 u. ö. Das Hauptprivilegiiim ertheilto König Lothar
von Italien 948, 8. Aug., bestätigt wurde es durch Kaiser Friedrich IL, 1230, Sept.
Luichin. Österreichische Reichsgeschichte. 7
98 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 15.
anderen Herrscherrechten" die Wahl der Stadtöbrigkeit und die
niedere Gerichtsbarkeit der Stadt preisgab, so 1257 unter Bischof
Arlongus, der diese Übertragung bestätigte, so 1295, als Bischof
Brissa die Blutgerichtsbarkeit um den Betrag von jährlich 200 Mark
neuer Priesacher für die Dauer seiner Regierung hintangab und
sich nur mehr Mauth, Münze, Zehente und Lehensherrlichkeit
vorbehielt. Anfangs des folgenden Jahrhunderts fiel die Ent-
scheidung. Die Bischöfe, deren Rechte durch Geld, Machtmittel
und durch Fälschung von Diplomen ^^ bekämpft wurden, verloren
endlich alle Herrschergewalt an die Stadtgemeinde. Da sich
jedoch diese in ihrer Vereinzelung gegenüber Venedig nicht zu
behaupten vermochte, so wählte sie im Jahre 1382 die Unter-
werfung unter die Herzoge von Österreich, die ohnehin seit
dem Anfalle der Grafschaft Istrien (1374) unmittelbare Grenz-
nachbarn des Stadtgebietes geworden waren.
6. Görz, nach welchem Orte sich später ein mächtiges Grafen-
geschlecht nannte, wird im Jahre 1001 zuerst erwähnt. Damals
schenkte Kaiser Otto III. dem Patriarchen Johann von Aquileja
u. a. das halbe Schloss Salcano „et medietatem unius. villae quse
sclavonica lingua vocatur Gorizia** sammt der Hälfte aller Grund-
stücke, Wälder und Gewässer, sowie allen damit verbundenen
Gerechtigkeiten zwischen demlsonzo und der Wippach; die andere
Hälfte erhielt bald darauf Graf Verihen (Weriand) von Friaul.
In den Besitz dieser Hälfte scheinen später die Eppensteiner
gelangt zu sein, welche als Herzoge von Kärnten durch geraume
Zeit das Reichsamt in Friaul und die Vogtei des Patriarchats
bekleideten. Mit dem Beginn des 12. Jahrhunderts tritt ein neues
Geschlecht auf, dessen MitgUeder bis zum Aussterben im Jahre
14 Die Urk. vom 26. Mai 1253 im Cod. Iser. schildert die Nothlage des
Bisthums in bilderreicher Sprache: ,et cum falces ygantum foeneratoruin
et aliorum credltorum velut tinoae dictam ecclesiara Tergestinam quotidie de-
moliantur . . . nee in dicto episcopatu sunt aliqua mobilia cum quibus possit dict^i
debita expederi", so habe sich der Bischof zu folgenden Veräußerungen ent-
schlossen, „de quibus ecclesia minus laederetur". Folgen die veräußerten Rechte.
15 Die Fälschung mit dem Datum 948, 8. Aug., eine Umschreibung dos
Gnadenbriefs, den Bischof Johann an diesem Tage erhalten hatte, auf die Stadt
ist nach Kandier, Cod. Istr., zur Zeit der Kämpfe mit Bischof Rudolf Pedrazzani
(1313—1320) entstanden. Derselben Zeit dürfte auch das Machwerk von an-
geblich 949 angehören, dessen Unechthoit Ch aber t (111,150) nachgewiesen hat.
Triest; Besitzungen der Grafen von Görz. 99
1500 die Herrscher von Görz und dem zugehörigen Gebiete waren.
Wann und woher sie kamen, wissen wir nicht genau; nach der
von Hormayr ausgesprochenen Meinung sollen sie von den Grafen
des Lurn- und Pusterthals abstammen. Ausgangspunkt für die
Machtstellung der Görzer im Küstenlande war die Vogtei über
das Patriarchat AquUeja, die sie von den Peilsteinern ^® zu Lehen
trugen und rücksichtslos auf Kosten des bevogteten Hochstiftes
ausnützten. Die Besitzungen der Grafen von Görz fielen indessen
mit den heutigen Grenzen der gefürsteten Grafschaft keineswegs
zusammen. Einigermaßen geschlossen war nur das Gebiet vom
Wippachfluss bis zum Isonzo im Umkreise der Stadt (welche 1202
durch Verzicht der Patriarchen ganz an die Grafen kam) und
nördlich bis in die Thalenge ob Ronzina. Westwärts bis Cormons
gehorchten ohne feste Grenzen viele vereinzelte Besitzungen den
Grafen, die auch in der friaulischen Ebene bis an den Taglia-
mento begütert waren. Der Oberlauf des Isonzo mit Tolmein. als
dem Mittelpunkt der Verwaltung, kam wahrscheinlich erst nach
dem Sturze der Patriarchenherrschaft zur Grafschaft. Zahlreiche
Besitzungen auf dem Karste: Duino, Senosetsch, Prem u. s. w.
leiteten zur Grafschaft Istrien hinüber, die schon im 12. Jahrhundert
in den Händen der Görzer Grafen war; noch weiter östlich lag
jenes Gebiet in der windischen Mark und im Möttlinger Boden,
das 1374 nach dem Tode des Grafen Albert nebst der Grafschaft
Istrien zu Krain kam. Uralter Familienbesitz lag im Pusterthale
und in Oberkärnten, hieran reihte sich die Pfalzgrafschaft von
Kärnten, zu welcher fast das ganze Gaüthal gehörte, u. s. w. Den
Höhepunkt seiner Macht erreichte das Geschlecht um die Mitte
des 13. Jahrhunderts, als dem Grafen Meinhard III. das halbe
Erbe nach Albert, dem letzten Grafen von Tirol, zufiel. Allein
dessen Söhne theilten (1267—1272) den Besitz: Meinhard IV. (in
Tirol IL) erhielt Tirol bis zur Haslacher Klause und erwarb hiezu
1286 auch Kärnten, der jüngere Albert die Güter im Puster-
thale von der Haslacher Klause abwärts, die Pfalzgrafschaft in
Kärnten, die Grafschaften Görz und Istrien und die Besitzungen
^^ Ez hat ouch die grafschaft zu Peilnstain ain grafschaft zu Friol und
die vogtay über das patriarchtum zu Aglay die die von Gorcz in ir Gewalt
haben und gehört zu Peilnstain, davon habent si ez zu lechen und haissent ir man.
Rauch, SS. I, 260. Über die Besitzungen der Görzer C zornig, I, 610 ff.
7*
100 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 15.
in Krain und der windischen Mark. Meinbard's Linie erlosch 1335-
im Mannesstamme, doch gelang es den Görzem weder damal»
noch später, ihre Ansprüche auf Tirol durchzusetzen. Durch wieder-
holte Gütertheilungen in ihrer Macht geschwächt, durch schiechte
Geldwirtschaft in steigende Verlegenheiten gebracht, endete mit
Graf Leonhard das Geschlecht im Jahre 1500 ruhmlos, worauf
Kaiser Maximilian die stark geschmälerten und tief verschuldeten
Görzer Besitzungen auf Grund bestehender Erbverträge an Öster-
reich brachte.
7. Während in Österreich dem Markgrafen als Träger de»
Reichsamtes größere Machtmittel dadurch erhalten blieben, das»
hier die deutschen Kaiser nur sparsam Exemtionen ertheilt hatten,
wiesen die Verhältnisse in Karantanien umsogrößere Mannig-
faltigkeit in der Vertheilung der Gewalten auf, da schließlich
dem Herzog im heutigen Oberkämten nahezu kein Gebiet gehörte.
Unter den Hochstiften, die in Karantanien reichsunmittel-
bares Gebiet während des Mittelalters besaßen, ist Salzburg an
erster Stelle zu nennen, das über die heutige Grenze ins Möllthal
und Maltathal reichte und große Enclaven von Unterdrauburg
bis Sachsenburg, in der Umgebung von Friesach und zu St. Andre»
im Lavantthale besaß, die noch auf Karten aus dem Schlüsse des
vorigen Jahrhunderts als hochstiftlich bezeichnet wurden.^' Im
Kronlande Steiermark, der alten karantanischen Mark, waren das
Enns- und Paltenthal salzburgische Lehen an den Markgrafen
und behielten die Erzbischöfe Haus und Gröbming. Der Besitz
im oberen Murboden wurde von Fohnsdorf, jener in Mittel-
steiermark von Leibnitz aus verwaltet, im Drauboden gehörten
Pettau, an der Save das steirische Ufergelände von Lichtenwald
bis Rann und das gegenüberliegende Gurkfeld nach Salzburg.
Bamberg besaß in Kärnten die „Grafschaft Villach*" mit der
wichtigen Handelsstraße über Tarvis-Malborghet bis Pontafel, das
obere Lavantthal von der steirischen Grenze bis zum salzburgischen
St. Andre«, den Markt Griffen; in Steiermark: Rottenmann.
Freising verfügt^j in Steiermark über Oberwölz und St. Peter
am Kammersberg, in Krain außer vielem verlehntem Gut über
die großen Hofmarken Bischoflack und Gutenwört. Brixen besaß.
1" Z. B. bei Reilly, Schauplatz der fünf Theilc der Welt, Wien 1791,
2. Theil, Karte 137, 189, ir)6.
Geistlicher und Dynasten-Besitz in Karantanien. 101
bedeutendes Schenkungsgut im Jaunthale, das zum Theile au die
Görzer Grafen übergieng, in Krain das ganze Land zwischen der
Wurzener und der Wocheiner Save nebst dem Schlosse Veldes.
Das Patriarchat Aquileja endlich beanspruchte auf Grund kaiser-
licher Gunstbriefe in Krain und Istrien gräfliche und markgräfliche
Rechte, in Steiermark das Gebiet von Windisch-Graz als Erbe
nach dem Patriarchen Berthold von Meranien (f 1251).
Nicht minder ausgedehnt waren in Innerösterreich die Be-
sitzungen weltlicher Dynasten. Von den Andechs-Meraniern
und den Grafen von Görz war schon die Rede. Die früh er-
loschenen Grafen von Treffen vererbten ihr Gebiet an Aquileja,
die Grafen von Friesach und Zeltschach an Salzburg und Gurk,
•die Grafen von Stemberg verkauften um 1330 ihre Grafschaft
^n die Ortenburger, die bei ihrem Aussterben im Jahre 1420 in
Kärnten und Krain an vierzig Quadratmeilen besaßen. Zu nennen
sind ferner die Grafen von Heunburg (erloschen 1322), die Freien
von Peggau, die seit 1237 Grafen von Pfannberg hießen und
an deren Stelle später die Grafen von Montfort traten. All diese
Geschlechter — die Görzer und Montforter ausgenommen — über-
lebten die thatkräftigen Freien von Saneck oder Grafen von
€illi, wie sie seit dem 14. Jahrhundert hießen. Erben der Grafen
Ton Heunburg und Ortenburg, ausgestattet mit einem Güter-
besitz in Innerösterreich, der 1436 zur gefürsteten Grafschaft
Oilli erhoben wurde, Herren der Grafschaft Zagorien, erstreckten
die CiUier ihre durch Verschwägerung mit Kaiser Sigismund,
den Piasten, Jagelionen und den Königen von Bosnien ge-
festigte Herrschaft von der MöU und Drau in Oberkärnten über
Krain und Südsteiermark bis tief nach Croatien. Noch war das
Haus in stetem Aufschwung, als Graf Ulrich IL, der letzte
dieses unbändigen Geschlechts, zu Belgrad unversehens einem
Mordanschlage der Hunyadischen Partei erlag (9. November 1456).
Kaiser Friedrich III. hat so einen unermüdlichen Feind, König
Ladislaus Postumus einen erfahrenen Berather verloren. Das
reiche Cillier Gut — der Keim zu einem unabhängigen Groß-
Croatien — zersplitterte, die Besitzungen in Innerösterreich fielen
an Kaiser Friedrich III., die Grafschaft Zagorien verblieb im
staatsrechtlichen Verband mit Croatien.
102 österreichische Relchsgoschichte. I. Theil, Zweite Periode. § 16.
§ 16. Die westlichen Alpenländer Tirol, Yorarlberg, Salzbarg.
Bergmann, Abhandlungen über die Grafen von Montfort, in den Denk-
schriften, Bd. 4, und S.-B. der k. Akad. d. W., Bd. 9, S. 791 ff., Geschichts-
forscher (Chrael) I, IL — Egg er, Geschichte Tirols. I, und Mitth. des Instituts,
E.-Bd. 4, S. 373 ff. — Jäger A., Geschichte der landständischen Verfassung-
Tirols, I. — Richter E., Untersuchungen zur historischen Geographie von
Salzburg. Mitth. des Instituts, E.-Bd. 1, 590 ff. — Zillner, Die Grafschaften und
die kirchliche Frei im Salzburggau, Mitth. für Salzburger Landeskunde, 1883.
1. Aus kleinen Anfängen und unter sehr schwierigen Ver-
hältnissen erwuchs das Kronland Tirol. Schon der Umstand, das»
die längste Zeit eine einheitliche Bezeichnung fehlte und das»
man noch zu Ende des 13. Jahrhunderts nur unbestimmt vom
„Lande im Gebirge* sprach, lässt erkennen, dass die Herrscher-
gewalt hier unter viele Machthaber zersplittert war.
Vor allem gab es in Tirol viel und ausgedehnten Kirchen-
besitz. Dem Erzstifte Salzburg gehörten das Zillerthal und das
Deffereggenthal. Das Bisthum Chur gebot im Vintschgau, Regens-
burg im Unterinnthal; Freising war in mehreren Thäleni begütert
und namentlich im Besitze des Klosters Innichen. Daneben wären
noch die Bisthümer Bamberg und Augsburg, sowie zahlreiche
bayerische Klöster zu nennen, die sämmtlich für ihren Besitz
größere oder geringere „Freiheiten" in Anspruch nahmen. Noch
wichtiger war, dass die beiden im Lande befindlichen Bisthümer
Brixen und Trient allmählich zu reichsunmittelbaren Territorien
von beträchtlichem Umfange anwuchsen.
Trient, das sein Gebiet auch als Herzogthum bezeichnete^
erhielt von Kaiser Konrad IL am 31. Mai 1027 die gleichnamige
Grafschaft mit allen Gerechtsamen, die den Herzogen von Kärnten
und den Markgrafen von Verona zugestanden hatten, das Val
Sugana ausgenommen, das dem Bischof von Feltre gegeben
wurde. Dazu kamen tags darauf die Grafschaften Bozen und
Vintschgau nebst dem Engadin bis Pontalt hinauf, so dass de»
Bischofs weltliches Gebiet über seinen kirchlichen Sprengel hin-
ausreichte. Brixen bekam am 7. Juni 1027 die Grafschaft im
Inn- und Eisackthale, die dem Grafen Weif wegen Hochverrath
abgesprochen worden war. Kaiser Heinrich IV. übertrug dann
1091 seinem treuen Anhänger Bischof Altwin die Grafschaft im
Trient, Brixen und die Grafen von Tirol. 103
Pusterthale von Mühlbach bis zur Grenze der freisingischen
Herrschaft Innichen, Kaiser Friedrich II. fügte 1217 das Berg-
werksregal hinzu, 1240 heißt das bischöfliche Gebiet »Ducatus'*.
Die Tiroler Bischöfe behielten die erworbenen Grafschaften
nicht unmittelbar in Händen, wie es die Salzburger Erzbischöfe
thaten, sondern haben sie an Adelsgeschlechter weitergegeben.
Dies hatte zur Folge, dass sich die Dinge hier anders entwickelten
als zu erwarten gewesen wäre, d. h. dass sich statt zweier geist-
licher Fürstenthümer, die weltliche Grafschaft Tirol bUdete.
2. Der Ursprung der Grafen von Tirol ist nicht sichergestellt,
fest steht, dass es seit 1140 Grafen gab, die sich so nach ihrer
an der Stätte des römischen Teriolis erbauten Burg nannten.
Spätestens um die Mitte des 12. Jahrhunderts waren die Grafen
von Tirol Vögte von Trient und im Besitze der Grafschaft
\'intschgau, während sie die Grafschaft Bozen mit den Bischöfen
von Trient gemeinsam verwalteten. Vom Hochstifte Brixen trugen
sie zunächst die Grafschaft im Eisackthale zu Lehen, nach der
Ächtung Heinrich's von Meranien erwarben sie 1214 die Vogtei
über das Hochstift. Der letzt« Graf von Tirol, Albert III., hatte
nur zwei Töchter, die ums Jahr 1236 an den Grafen Meinhard
von Görz und an Herzog Otto II. von Meranien vermählt wurden.
Nach dem Tode Herzog Otto's II. von Meranien (1248) fielen
an Graf Albert III. kraft der am 20: März 1241 dem Bischöfe
von Brixen abgedrungenen Gesammtbelehnung die Grafschaften
Pusterthal und Unterinnthal, sowie die übrigen Besitzungen der
Andechser, die sie „im Gebirge"* gehabt hatten. So umfasste das
Gebiet in welchem Graf Albert die oberste Gewalt übte, bereits
einen bedeutenden Theil des heutigen Tirol. Als er am 22. Juli 1253
starb, theilten seine Schwiegersöhne Graf Meinhard von Görz und
Gebhard von Hirschberg, der die Witwe Otto's IL von Meranien
geheiratet hatte, das Erbe in der Art, dass die nördhche Hälfte
mit der Vogtei über Brixen an die Hirschberger, das Übrige an
die Grafen von Görz kam. Diese erwarben 1263 auch noch die
zweite Hälfte, und da zudem schon Graf Meinhard dem Bischof
Egno von Trient die Belehnung mit den erledigten Stiftslehen
der Grafen von Eppan abgenöthigt hatte, so vereinigten sie in
ihren Händen die meisten Lehen der hervorragendsten Tiroler
Geschlechter. Der eigentliche Begründer der Landesherrlichkeit
104 Österreichische Reichsgoschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 16.
in Tirol war aber Graf Meinhard IL, der das Land 1271 bei der
Theilung mit seinem Bruder Albert erhalten hatte. Die Mehrzahl
der Dynastengeschlechter, die es vordem in Tirol gegeben hatte,
war schon erloschen, so die Weifen, die Andechs-Meranier,
die Grafen von Eppan, Greifenstein, ülten und die Herren von
Tarasp. Andere Geschlechter machte Meinhard II. durch Ablösung
ihrer Herrscherrechte oder Ankauf ihrer Tiroler Besitzungen un-
gefährlich, so die Grafen von Flavon, die ihre Grafschaf tsrechte
auf dem Nonsberge aufgaben, die bayerischen Grafen von Eschen-
loch und Moosburg und viele andere. Außer den südtirolischen
Grafen von Arco und den HeiTen von Castelbarco blieben nur
die Herren von Wanga und Taufers, die schon zu Anfang des
14. Jahrhunderts erloschen, und die Vögte von Matsch, die ihre
Reichsunmittelbarkeit verloren, seit sie die Vogtei über die Abtei
Marienberg dem Landesherrn von Tirol aufgetragen hatten (1311).
Die Macht der Bischöfe von Brixen und Trient war gebrochen,
die Theilung des Landes an der Etsch und im Innthale in zwei
geistliche Fürstenthümer beseitigt, die einheitliche Gewalt der
„Herrachaft Tirol" damit begründet.
Der Mannesstamm der in Tirol regierenden Görzer Grafen
erlosch 1335 mit Heinrich, Herzog von Kärnten und Titularkönig
von Böhmen. Tirol blieb seiner Tochter Margareta gewahrt,
wurde aber nach dem Tode ihres einzigen Sohnes Meinhard III.
im Jahre 1363 an Herzog Rudolf IV. von Österreich übertragen.
3. Was heute das Land Vorarlberg heißt, das hatte im
Mittelalter weder einen Gesammtnamen noch ein eigenes Landes-
wappen, ^ da es die lose Vereinigung vordem reichsunmittelbarer
Gebiete war, die man in Österreich nach ihrer Lage als die vier
(seit 1765 fünf) „Herrschaften vor dem Arlberg" bezeichnete.
Sie hatten den Montfortern und den verwandten Grafen von
Werdenberg gehört, die zu den mächtigsten Dynastengeschlechtern
am Bodensee zählten, aber allmählich durch schlechte Wirtschaft
und fortgesetzte Theilungen völlig verarmten.
Aus deren Besitze haben nun die Herzoge von Österreich
gekauft :
^ Das heute übliche wurde erst vor etwa 30 Jahren nach dem Entwürfe
Jos. V. Bergmann's genehmigt, der schon 1863 einen Vorschlag für das Qesammt-
wappen von Vorarlberg gemacht hatte. Sitzungsberichte der k. Akad. d. W., TX, 801.
Dynasten in Tirol; Vorarlberg, Salzburg. 105
a) Die Herrschaft Peldkirch, die am 22. Mai 1375 bedingungs-
weise, 1390 endgiltig erworben wurde;
h) die Grafschaft Bludenz mit dem Thale Montavon im innern
Wallgau, ebenso am 5. April 1394, beziehungsweise am 2. Sept. 1413;
c) die Grafschaft Bregenz wurde zur Hälfte durch Erzherzog
Sigmund von Tirol am 12. Juli 1451, zur andern Hälfte m\
5. September 1523 durch Erzherzog Ferdinand von den Grafen
von Montfort-Bregenz gekauft.
Die vierte Herrschaft Sonnenberg mit dem Hauptorte Nüziders,
von Kaiser Friedrich HL im Jahre 1463 zur Grafschaft erhoben,
kaufte vorerst Eberhard von Waldburg von den Werdenbergern,
überließ sie aber später (1474, 31. August) dem Erzherzog Sigmund.
Die freie Herrschaft Blumenegg im Wallgau, inmitten der
vier früher genannten Herrschaften vor dem Arlberg, kam erst
1804 durch Kauf an Österreich, das außerdem vom Reiche die
Grafschaft Hohenems nach dem Aussterben der Grafen im Jahre
1765 zu Lehen erhalten hatte.
4. Zum Schlüsse sei des Erzstiftes Salzburg gedacht, das
zwar Reichsstandschaft bis in die Zeit der Auflösung des h. römischen
Reichs behielt und zuerst im Jahre 1805 mit dem Kaiserthum
Osterreich vereinigt wurde, das aber durch seinen ausgedehnten
Güterbesitz seit seiner Gründung mit den altösterreichischen Landen
eng verbunden war. Die Erzbischöfe geboten als Landesherren
nicht bloß innerhalb der Grenzen des heutigen Kronlands Salzburg,
sondern darüber hinaus, so namentlich auf tirolischem Boden im
angrenzenden ZUlerthal und dem Deffereggenthal, ferner in Kärnten
im Moll- und Maltathal. Auf Grund kaiserlicher Diplome und nament-
lich der Urkunde Kaiser Friedrich's I. vom Jahre 1178, die dem
Hochstift volle obrigkeitliche Gewalt (plena jurisdictio) auf all
seinen Besitzungen verlieh,^ beanspruchten die Erzbischöfe über-
dies landesherrliche Rechte auf ihren inselartig über die niederöster-
reichischen Lande zerstreuten Besitzungen Traismauer und Arns-
dorf in Österreich u. d. E., Friesach, Altenhofen, Stall, St. Andrse
in Kärnten, Haus und Gröbming im steirischen Ennsthal, Fohns-
dorf bei Judenburg, das Vicedomamt Leibnitz, Pettau, das Save-
ufer von Lichtenwald abwärts u. s. w. Manche dieser Besitzungen
* Kleymayrn, Jnvavia, 581.
106 Österreichische Reichsgeschich to. I. Theil. Zweite Periode. § 16 und 17.
giengen infolge der Kriege verloren, die Erzbischof Bernhard als Ver-
bündeter des Königs Matthias von Ungarn gegen Kaiser Friedrich III.
führte, andere erhielt das Erzstift nur mit geschmälerten oder
streitigen Gerechtsamen zurück, bis es im Jahre 1531 zum Ver-
gleiche zwischen König Ferdinand I. und dem Erzbischof Matthäus
kam, welcher ^alle landesfnrstliche Obrigkeit auf des Stift Salzburg
Herrschaften, Schlössern, Städten, Märkten und Gütern in den
niederösteireichisehen Landen gelegen" dem Hause Österreich
überließ.^
Geschichtliche Übersicht der IL Periode.
% 17. Die Zeit der Babenberger 97(i— 1246.
Büdinger, I. — Gebhardi, Genealogische Geschichte der erbUchen
Reichsstände in Deutschland. Bd. 2, 1779. — Hub er, I, 174 ff., Österr. Reichs-
geschichte. S. 5ff. — Krön es, Grundriss 233 ff. Handbuch, I, 179 ff. — May er,
P^ranz Martin, Geschichte Österreichs, I, 34 ff. — Meiller, Regesten zur
Geschichte der Babenberger. 1850.
1. Nach dem entscheidenden Siege auf dem Lechfelde (955,
10. August) über die Ungarn begannen von neuem die Unter-
nehmungen des Reichs gegen den Südosten. Die Ostmark rückte
in ihr altes Gebiet längs der Donau vor und war um 970 einem
Markgrafen namens Burchard untergeben, gleichzeitig (970) wird
uns ein karantanischer Markgraf das erstemal genannt und waltete
Graf Popo in der Grafschaft Krain. (973: Camiola . . . quod
vulgo Creina marcha appellatur.)
Der Aufstand Herzog Heinrich's IL von Bayern im Jahre
976 hat folgenreiche Veränderungen für unsere Lande gehabt.
Um das übermächtige Stammesherzogthum zu schwächen, hat
Kaiser Otto IL Karantanien nebst den italienischen Marken der
Verwaltung durch den bayerischen Herzog entzogen und einem
eigenen Herzog unterstellt. Wohl hat dies eine neuerliche Ver-
einigung von Karantanien mit Bayern nicht gehindert, nachhaltig
in den Wirkungen hingegen war, was der Kaiser für die Ost-
mark verfügte. Zu seinen treuesten Anhängern hatten zwei Brüder,
Leopold und Berchtold, gehört, die nach alter FamUienüberlieferung
Lhf. von Kärnten, 188 ff. Ähnliches Schicksal erfuhren die salzhurgischen
Knclaven in Bayern. Richter, 616.
Die Ostmark unter den Babcnbergem. 107
vom sagenberühmten Prankenhelden Adalbert von Babenberg
abstammen sollten, wahrscheinlich jedoch einem schv^äbischen Ge-
schlechte angehörten, dass schon in karolingischer Zeit in Franken
angesiedelt war. Der jüngere Bruder erhielt die Mark gegen die
Böhmen (Mark auf dem Nordgau), Leopold die Mark gegen
Ungarn, im Volksraunde alsbald «Osterreich" genannt.^ Beide
Gebiete hatten bisher der Verfügung der bayerischen Herzoge
unterstanden, während von nun ab die Verleihung durch längere
Zeit vom deutschen König abhieng.
2. Die Ostmark nahm unter der neuen Verwaltung einen
raschen Aufschwung. Begünstigt durch das gute Einvernehmen
Kaiser Heinrich's II. mit seinem Schwager, dem König Stephan
von Ungarn, breiteten sich die deutschen Ansiedlungen und damit
das unbestimmte Vorland der Reichsmark allmählich über die
alte Gebirgsgrenze von Noricum und Pannonien aus. Die Span-
nung, die nach dem Tode Kaiser Heinrich's II. eintrat, machte
leider diesem friedlichen Ausbaue der Ostmark ein Ende. Der
Feldzug Kaiser Konrad's II. gegen Ungarn verlief unglücklich und
durch den Frieden gieng 1031 das Gebiet zwischen Leitha und
Fischa, sowie nördlich der Donau ein ungefähr ebenso breiter
Landstreifen im Westen der March verloren. Der siegreiche
Feldzug Kaiser Heinrich's III. gegen Samuel Aba brachte um
1042 — 43 dieses Gebiet wieder ans Reich zurück, doch wurde
es zunächst als selbständige Mark eingerichtet und erst dem
Sohne des Markgrafen Adalbert, namens Leopold, dann einem
gewissen Siegfried verliehen, später — wahrscheinlich nach dem
Frieden mit Ungarn vom Jahre 1058 — erfolgte wieder die Ver-
einigung, denn Markgraf Ernst erscheint 1063 im unbestrittenen
Besitze sowohl der alten Ostmark als auch dieser „Neumark
Österreich*.
Seit den Zeiten dieses Markgrafen, der im Jahre 1075 starb,
wächst rasch der Einfluss der Babenberger im Reiche. Der Über-
gang der Ostmark vom Vater auf den Sohn, obwohl durch keine
Satzung festgestellt, war schon in thatsächlicher Übung. Kaiser-
liche Gunst und eigene Betriebsamkeit mehrten stetig den Haus-
besitz, welcher die materielle Gmndlage eines Ansehens wurde.
1 In regione vulgari vocabulo Ostarrichi dicto 996. M e 11 1 e r, B. R. S. 2, Nr. 2.
108 Österreichische Reich$geschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 17.
das nicht wenig durch Verschwägerung der Babenberger mit den
salischen und staufischen Kaisern an Olanz gewann.^ So kam es,
dass den Markgrafen der Ostmark Leopold IV. (1138 — 1141) und
Heinrich II. Jasomirgott (1143 — 1154) nach der ersten Nieder-
werfung der Weifen die Verwaltung des Herzogsarates in Baj^ern
übertragen wurde.
3. Die großen Pläne, die Kaiser Friedrich I. in Italien ver-
folgte, nöthigten ihn allerdings, die Rücksichten gegen die Baben-
berger hintanzusetzen. Um der Aussöhnung mit den Weifen
willen verlor Heinrich Jasomirgott im Jahre 1154 das Herzogthum
Bayern, das an Heinrich den Löwen gegeben wurde. Allein die
Babenberger waren schon zu einem Fürstengeschlecht ersten
Ranges in Deutschland herangewachsen, während der Amts-
charakter des Herzogthums und der Markgrafschaft schon stark
verdunkelt war. Eine Entschädigung des durch die Entziehung
Bayerns gekränkten Oheims erschien darum nicht bloß billig,
sondern aus politischen Gründen geradezu geboten. So kam es
am 17. September 1156 zum Regensburger Belehnungsaete,
welcher persönlich den Babenbergem eine Genugthuung ge-
währte, sachlich aber durch die Erhebung der Ostmark zu einem
Herzogthum deren staatsrechtliche Stellung wesentlich veränderte.
Die Förmlichkeiten, die dabei beobachtet wurden, um das Ab-
kommen als ein endgütiges gegen künftige Anfechtungen zu
schützen, überlieferte uns ein Augenzeuge dieser Vorgänge,
Bischof Otto von Freising, der Bruder Heinrich Jasomirgott's.
Dieser stellte zuerst durch sieben Fahnen das Herzogthum Bayern,
W' ie er es besessen hatte, dem Kaiser Friedrich zurück, der es sofort
in gleichem Umfange an Heinrich den Löwen verlieh. Hierauf
verzichtete dieser seinerseits auf alle Rechte, die den Herzogen
von Bayern vordem auf die Ostmark zugestanden hatten, und
gab diese nebst drei zugehörigen Grafschaften durch zwei Fahnen
in die Hände des Kaisers zurück. Kaiser Friedrich erhob dann das
so bezeichnete Gebiet zu einem Herzogthum und belehnte damit
den Herzog Heinrich Jasomirgott und dessen Gemahlin Theodora.
3 Leopold III. (der HeUigo), vermählt mit Agnes, der Tochter Kaiser
Heinrich's IV., Witwe Herzog Friedrich's von Schwaben ; Heinrich IL, Jasomirgott.
1. Gemahlin Gertrade, Witwe Heinrich's des Stolzen. — 2. Theodora, Nichte des
griechischen Kaisers Emannel.
Erhebung der Ostmark, Erwerb der Steienuai'k. 109
4. Damit war das Vasallenband gelöst, das bisher die Baben-
berger an die Herzoge von Bayern geknüpft hatte, denn nur dieses
allein konnte dabei in Frage kommen, da die Markgrafen als solche
schon zum älteren Reichsfürstenstande gehört hatten. Die Baben-
berger traten jetzt auf gleiche Linie mit den Weifen, ja sie über-
trafen sie bereits rücksichtlich einzelner Rechte, die ihnen der
kaiserliche Freiheitsbrief vom 17. September 1156 (das Privilegium
minus) gewährte. Unbehindert konnte sich daher die Thätigkeit
der. Herzoge von Österreich der Befestigung und Ausdehnung
der Landesherrlichkeit in ihrem Gebiete zuwenden. Herzog Leo-
pold V. gewann bei der Zertrümmerung von Bayern im Jahre 1180
den Landstrich auf dem nördlichen Donauufer von der Hasel bis
zur großen Mühl, noch wichtiger aber war der Erwerb des an-
grenzenden Herzogthums Steiermark im Jahre 1192. Verwandt-
schaftliche Bande bestanden zwischen den Herrschergeschlechtern
der Ostmark und der Steiermark seit dem Ende des 12. Jahr-
hunderts, da die Babenbergerin Elisabeth (f um 1104) als Gemahlin
Markgraf Otakar's H. die Stammutter der folgenden Traungauer
geworden war.^ Deren Urenkel, Otakar IV., seit 1180 Herzog von
Steiermark, hatte in Voraussicht seines kinderlosen Todes mit
seinem Vetter Leopod V., Herzog von Österreich, schon im Jahre
1186 bindende Verabredungen über seine reichen Allode getroffen,
kraft welcher nach dem Hingange Herzog Otakar's (+ 1192)
Herzog Leopold V. sofort von dem Traungauer Erbe Besitz er-
greifen konnte. Noch im gleichen Monate erlangte dieser ohne
Schwierigkeit, weil Vereinbarungen mit Kaiser Friedrich I. vor-
lagen,* die Belehnung mit dem Herzogthum Steiermark, mit der
3 Leopold II., Mftrkgraf der Ostmark, f 109«.
Rliaabetb. f am 1104, vermttlilt mit Mark- Leopold III.. Markgraf der Ostmark, f 1136.
f^afeo OtakMr II. von Steyer, t 1122. ^ "^ ^
- Heinrich IL, Jasomirgott, Hertog seit 1166,
Leopold Markgraf von Steyer, t 1129. t 1177.
Otakar III., f 1164. Leopold V., Hersog von Österreich, erwirbt
Steiermark 1192, t U94.
■.«V.
Otakar IV. Henog von Steiermark IIBO,
t 1192, kinderlos.
* Die Contin. Zwetlensis altera (Mon. Germ. SS. IX, 543/4 meldet aus-
drücklich zum Jahre 1186 „Dux Styrensis omnem hereditatem snam testatus est
liiupoldo dncl Austrie, imperator etiam terram et ducatum sibi ipsius contradidit"
nnd zum Jahre 1189 weiß sie von Zwistigkeiten zwischen Herzog Leopold V. und
110 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 17.
Beschränkung allerdings, dass die Vereinigung beider Herzog-
thümer in einer Hand nur auf Lebenszeit des ersten Erwerber
gestattet wurde. Nach dem Tode Herzog Leopold's V. (f 31. De-
cember 1194) trat daher die im Belehnungsaete vorgesehene
Trennung ein: der ältere Sohn Friedrieh I. übernahm Österreich,
während der jüngere Leopold VI. Herzog von Steiermark wurde.
Als jedoch Herzog Friedrich L inmitten der Wirren, die Deutsch-
land nach dem Tode Kaiser Heinrich's VI. erfüllten, am 16. April
1198 kinderlos starb, fiel es dem steirischen Herzog nicht schwer,
von König Philipp die Zustimmung zur neuerlichen Vereinigung
beider Herzogthümer zu erlangen. So waren die Babenberger in
Süddeutschland zur ersten Fürstenmacht geworden, die sie mit Er-
folg zu mehren bemüht waren. Sie zogen die im Herzogthum
gelegenen Besitzungen abgestorbener Dynastenfamilien, wenn es
angieng, als heimgefallenes Gut ein oder lösten sie von den Erben,
sie suchten aber auch in den Nachbarlanden durch Käufe oder
Annahme von Lehen festen Fuß zu fassen: so kaufte Herzog
Leopold VI. im Jahre 1229 das Obereigenthum über mehrere an
der Etsch gelegene Güter der Grafen von Ulten, von Bischof
Gerold von Freising die Belehnung mit dem feudum in raarchia,
das nach dem Tode Heinrich's von Meranien dem Stifte zugefallen
war (Windische Mark), Herzog Friedrich II. die Herrschaft Por-
denone in Friaul u. s. w.
5. Am bewegtesten war die Regierungszeit des letzten Baben-
bergers, Friedrich's des IL, der als Gemahl der Meranierin Agnes
den Titel eines Herrn in Krain angenommen hatte. Von den Zeit-
genossen mit dem Beinamen „der Streitbare" ausgestattet, machte
sich dieser Fürst, der seine Ziele ebenso schlau als gewaltthätig
und ausdauernd verfolgte, allenthalben Feinde. Als er selbst
mit dem Kaiser Friedrich II. zerfallen war, und dieser 1236 den
Reichskrieg eröffnete, sagten sich Landesadel und Clerus von
ihrem Herzoge los, der sich schließlich auf die Stadt Wiener-
Neustadt und das nahe gelegene Schloss Starkenberg beschränkt
sah. Das Weihnachtsfest des Jahres 1236 feierte der siegreiche
dem nngarischeh König zu berichten, die Kaiser Friedrich I. vergebens beizu-
legen suchte, u. zw. „de terra quam Styrensis dux, nepos ejus Otakarus ele-
phantica egritudine percussus assignaverat et coram imporio sibi (Hz. Leopold)
tradiderat".
Österreich unter den Herzogen Leopold VI. und Friedrich II. 111
Kaiser zu Graz inmitten der steirischen Ministerialen, denen er
damals jene Verbriefung ihrer Freiheiten zugestanden haben
diu-fte, die er im folgenden April von Enns aus einlöste. Ostern
1237 verbrachte er in Wien, das er zur reichsunmittelbaren Stadt
erklärte und zum Sitz der Reichsverwaltung der babenbergischen
Lande machte. Allein nach dem Hinwegzug des Kaisers wandte
sich das Blatt. Der Reichsstatthalter Bischof Egbert von Bamberg
starb und Herzog Friedrich U. gewann durch Energie und
Glück sein früheres Herrschergebiet wieder. In den Weihnachts-
feiertagen des Jahres 1239 wurde das Fest der Aussöhnung Herzog
Friedrich's H. mit dem Kaiser zu Wien feierlich begangen. Einige
Jahre danach winkte sogar dem Babenberger die Aussicht auf
eine Königskrone. Friedrich's Ehen waren kinderlos geblieben, der
Mannesstamm des Geschlechts drohte zu erlöschen. Das bestimmte
den Kaiser Friedrich U., der kürzlich Witwer geworden war, um
die Hand der Babenbergerin Gertrude anzuhalten, wogegen er
sich bereit erklärte, dem Herzog Friedrich H. eine Stellung ein-
zuräumen, wie sie die Pfemysliden als Beherrscher Böhmens im
Reiche schon erlangt hatten. Es sollten nämlich die Herzogthümer
Osterreich und Steiermark zu einem Königreich umgeschaflFen,
Krain aber zu einem Herzogthum erhoben und als Lehen des
Königs von Osterreich weiter begeben werden.^ Die Thron-
folge sollte jeweils 'dem ältesten der ehelichen Nachkommen des
Herrscherhauses ohne Mitwirkung der Großen des Reichs zustehen,
die Krönung beim Kaiser nachzusuchen sein.* Allein die persön-
lichen Verhandlungen zwischen Kaiser Friedrich IL und dem
Herzog, die zu Pfingsten des Jahres 1245 zu Verona gepflogen
wurden, führten vorerat nur zu einer Bestätigung des s. g. Privi-
^ Weil nach damaliger Vorstellung die Würde es erforderte, dass ein
König Herzoge zn Vasallen habe. Dass der in Aussicht genommene Ansei inus
»cognatus tuus, fidelis noster* ein natürlicher Sohn des Patriarchen von Aquileja.
Berthold von Andechs-Meranien, gewesen sein dürfte, hat wahrscheinlich gemacht
V. Zahn, ,Aincili^ (Lit. Beil. d. Wiener Montags-Revue, 1881, Nr. 46.)
® Der Entwurf der Urkunde ist uns in Petri de Vineis epistol», lib. VI.,
C. 26, erhalten. Aber auch die heimischen Jahrbücher wissen von diesen Ver-
handlungen zu erzählen. So berichtet die continuatio Grarstensis, dass Bischof
Heinrich von Bamberg als kaiserlicher Gesandter (wahrscheinlich am 23. April)
1245 dem Herzog Friedrich „in Signum recipiendi regni annulum regalem" über-
geben habe. — Mon. Germ. SS. IX, 597, s. auch a. a. O. 641 die Cont. Sancruc«nsis 2.
112 Österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 17 und 18.
legium minus; Gertrude wurde des Markgrafen von Mähren, Wla-
dislav (t 1247), Gattin, und ehe der Plan von neuem wieder auf-
genommen w^erden konnte, bereitete die Schlacht an der Leitlia
(15. Juni 1246) dem Leben Herzog Friedrich's ein jähes Ende.
§ 18. Das Zwischenreich 1246—1382.
Huber, I, 514 ff. — Krones, I, 632 ff. — Mayer, Franz M., I, 57 ff.
1. Mit Friedrich dem Streitbaren war 1246 der Mannesstamm
der Babenberger erloschen. Weiblicherseits vorhanden waren des
Herzogs Schwester Margareta, die Witwe des unglücklichen Königs
Heinrich, zwei Neffen von der im Jahre 1243 gestorbenen Schwester
Constanze, weiland des Markgrafen Heinrich von Meißen Gemahlin,
und endlich eine Nichte Gertrude, Tochter des vorverstorbenen
älteren Bruders Heinrich von Mödling. Die Erbberechtigung dieser
Verwandten nach Landrecht, d. h. so weit das Allodialverraögen
in Frage kam, war zweifellos. Auf die Reichslehen dagegen, die
Herzog Friedrich besessen hatte, waren sie ohne Anspruch sowohl
nach gemeinem deutschem Lehenrecht als auch nach den Begün-
stigungen des Freiheitsbriefes von 1156, die zwar den Töchtern,
nicht aber den weiblichen Seitenverwandten des regierenden
Herzogs die Folge einräumten.^ Kaiser Friedrich H. behandelte
daher Österreich und Steiermark als heiragefällene Lehen, die er
durch Reichsstatthalter verwalten ließ. Der Papst aber, der den
Kaiser im Jahre 1245 zum z weitenmale mit dem Kirchenbanne
belegt hatte, vertrat das Erbfolgerecht der weiblichen Baben-
bergerinnen überhaupt und der Gertrude insbesondere, während
der höhere Landesadel sein Augenmerk mehr auf Margareta, die
Schwester Herzog Friedrich's, gerichtet hatte. Da der Kaiser unter
solchen Umständen seinen alten Plan, Österreich und Steiermark
seinem Hause zuzuwenden, nicht sofort verwirklichen konnte, so
schob er die Entscheidung hinaus, obgleich ihn Gesandtschaften
der Ministerialen beider Lande wiederholt um die Ernennung
eines neuen Herzogs ersuchten. Erst auf seinem Todtenbette traf
er eine Verfügung, die beide Herzogthümer seinem Enkel Friedrich,
^ Das hat vor allem F i c k e r in seiner Abhandlung Über die Echtheit des
Ivleineren österr. Freiheitsbriefes klar erwiesen. Sitzungsberichte, Bd. 23, S. 492 ff.
Anderer Meinung sind mit Berufung auf Berchtold, S. 45, Schröder u. A.
Otakar erwirbt den Babenberger nnd Sponheimer Besitz. 113
dem Sohne Margaretens, überwies. Dieser suchte auch unsere
Lande im Jahre 1251 auf, allein er verscholl bald und damit
entschwand die Hoffnung auf einen rechtmäßigen Landesfürsten.
2. Dem herrenlosen Zustande machten Handstreiche ein Ende,
welche der böhmische Kronprinz Otakar auf Österreich, der
König von Ungarn auf Steiermark ausführten. In Österreich
erfolgte der Umschwung überraschend schnell: schon am 9. De-
cember 1251 huldigten dem Prinzen Otakar die Wiener, bald darauf
folgte Wiener-Neustadt. Waffengewalt und Verträge unterwarfen
ihm allmählich auch das übrige Österreich ; schließlich heiratete er
am 11. Februar 1252 die alternde Königin-Witwe Margareta, um
sich der dynastischen Gefühle der Bevölkerung zu versichern.
Nicht so friedlich liefen die Dinge in Steiermark ab. Hier
hatten beide Bewerber ihre Anhänger gefunden und hier kam es
zu mehrjährigen Kämpfen, die erst 1254 durch den Ofen-Press-
burger Frieden beigelegt wurden. Die Ungarn behielten Steier-
mark, mussten jedoch den nördlich vom Wechsel und Semmering
gelegenen Püttener Bezirk mit Wiener-Neustadt, sowie das Traun-
viertel, die zu Steiermark gehört hatten, an Otakar abtreten, der
beides mit Österreich vereinigte. Die so geschaffene neue Landes-
grenze zwischen Österreich und Steiermark blieb fortan bestehen,
obwohl die Ungarn im Jahre 1259 aus Steiermark vertrieben
wurden und König Otakar den Besitz dieses Landes nach der
Schlacht bei Kroissenbrunn (1260) behauptete.
So hatte Otakar — seit 1253 auch König von Böhmen — das
ganze babenbergische Erbe wieder vereinigt und nun schien ihm
der Zeitpunkt gekommen, sich seiner alternden Gemahlin zu ent-
ledigen. Otakar freite hierauf (October 1261) die jugendliche
Kunigunde von Halicz, eine Enkelin König Bela's IV. von Ungarn,
und erwirkte auch vom deutschen Schattenkönig Richard die Be-
lehnung mit Österreich und Steiermark, doch in unzulässiger
Form, da Richard dies nur brieflich that. Im Jahre 1270 besetzte
dann Otakar nach dem kinderlosen Tode Herzog Ulrich's III. von
Kärnten, den er 1268 zu einem Erbvertrag beredet hatte, auch
noch Kärnten, Krain und die windische Mark.
3. Dieses rasche Wachsen des Herrschergebietes hatte in-
dessen seine Nachtheile, der natürliche Schwerpunkt des böhmischen
Reiches wurde dadurch verrückt und es trat eine Verschärfung
La seh In, österreichische Reichsgeschichte. 8
114: Österreichische Reichsgeschichto. I. Theil. Zweite Periode. § 18 und 19.
nationaler Gegensätze ein, die der König bis dahin weniger be-
achtet hatte. Als die deutschfreundliche Partei am Hofe, mit dem
staatsklugen Bischof Bruno von Olmütz an der Spitze, durch die
czechische unter Propst Peter von Wyschehrad verdrängt wurde,
war es um das große Reich König Otakar's geschehen. Österreich,
Steiermark, Kärnten und Krain fühlten sich viel zu sehr als
deutsche Länder, um diesen Wechsel in Regierungskreisen ruhig
hinzunehmen und kehrten sich gegen den slavischen Landesfürsten,
als mit Rudolf von Habsburg eine neue Zeit im Reiche anbrach.
Bekannt ist, dass König Rudolf von Habsburg vom Tage
seiner Wahl an (29. September 1273) entschlossen war, die zer-
rütteten Zustände des Zwischenreichs in Ordnung zu bringen
wie auch, dass er es als seine nächste Aufgabe betrachtete,
die Ansprüche des Reichs auf das Erbe der Babenberger und
Sponheimer zur Geltung zu bringen. Bekannt ist ferner, wie
planmäßig und mit Beobachtung aller vom Reichsherkommen
geforderten Förmlichkeiten er dabei zuwerke gieng, um ja seinem
Gegner jeden Vorwand zu rechtlichem Einspruch zu benehmen.
So verflossen noch drei Jahre, ehe die Entscheidung, zum Schlüsse
allerdings überraschend schnell und unblutig, erfolgte: Am
21. November 1276 verzichtete König Otakar auf alle seine neuen
Erwerbungen, zwei Jahre darnach büßte er den Versuch, das
Verlorene mit Waffengewalt wieder zu gewinnen, in der Sclilacht
auf dem Marchfelde (26. August 1278) mit seinem Leben.
4. Die von König Otakar abgetretenen Lande: Osterreich,
Steiermark, Kärnten, Krain und das Egerland waren sofort in
Reichsverwaltung übernommen worden. Vor allem nothwendig
erschien die Herstellung der arg zerrütteten Ordnung im Innern,
darum erließ König Rudolf schon in den ersten Wochen nach dem
Friedensschlüsse im Einvernehmen mit den vornehmsten Landes-
adeligen einen Landfrieden auf fünf Jahre (3. December 1276)
Beseitigung der widerrechtlichen Verfügungen des Zwischen-
reichs und Verdrängung der Fehde durch den Rechtsgang sollten
dadurch erreicht werden. So ward eine Frist gewonnen, inner-
halb welcher der König über das weitere Schicksal der Lande
schlüssig zu werden hoffte.
Der Gedanke, das babenbergische Erbe seinen Söhnen zu-
zuwenden, ist dem König erst im Verlaufe der Dinge gekommen,
Die Reichsverwaltung in Österreich, Steiermark u. s. w. 115
seither hat er dann zähe dessen Verwirklichung betrieben: mit
den auswärtigen Hochstiften wurden Verträge abgeschlossen,
welche den Söhnen des Königs Rudolf, den Grafen Albrecht und
Rudolf, die Stiftsiehen sicherten, die vordem den Babenbergem
zugestanden hatten. Der Einfluss der Landesbisthümer (Seckau,
Gurk, Lavant) und der zahlreichen Klöster wurde durch reichlich
ertheilte Privilegien gewonnen,^ die Ministerialen von Steiermark
erhielten eine Erweiterung ihrer Rechte, die Bürgerschaft der
Städte sollte durch Verwaltungsmaßregeln, die die Hebung ihres
Wohlstandes bezweckten, vom Böhmenkönig abgezogen werden,
dem sie dankbar ergeben war.* Als endlich 1279 Graf Ulrich von
Heunburg und dessen Gemahlin Agnes (Tochter Gertrudens von
Osterreich mit Hermann von Baden) ihre Ansprüche auf das
babenbergische Erbe gegen 6000 Mark Silber aufgegeben hatten,
schienen die letzten Hindernisse im Lande selbst beseitigt. König
Rudolf kehrte 1281 ins Reich zurück, nachdem er die Reichs-
statthalterschaft in Österreich seinem Sohne Grafen Albrecht über-
tragen hatte. So war alles bereit, um nach Zustimmung der Kur-
fürsten sofort die Belehnung seiner Söhne mit den babenbergischen
Landen vornehmen zu können.
§ 19. Ton Herzog Albrecht L bis zum Ausgang des Mittelalters.
1282—1493.
C h m e U Geschichte des Kaisers Friedrichs IV. 2 Bde. — H u b e r, II, III. —
Haake, Die geschichtlichen Grundlagen des Monarchenrechts. Wien, 1894. —
Krones, II. — Die Monographien von F. Kurz über Österreich unter
Albrecht I., II. u. s. w. — Lichnowsky, Geschichte des Hauses Habsburg.
Bd. 1—8. — Mayer, F. Mart., L, 66 ff. — Zeißberg, Dor österr. Vormund-
scbaftsstreit nach dem Tode Kaiser Ladislaus*. Archiv für österr. Geschichte. Bd. 58.
1. Zu Weihnachten 1282 erhob König Rudolf seine Söhne,
die Grafen Albrecht und Rudolf von Habsburg, in den Reichs-
fürstenstand und belehnte sie unter Zustimmung der Kurfürsten
" Für Rudolf waren namentlich die Bettelorden thätig. Die Continuatio
Pnedicatorura Vind. (M. G. Ss. IX, 730, ad a. 1276) rühmt ausdrücklich, dass der
Abfall von Otakar erfolgt sei, „proptor inforraationom Praedicatorum et Minorum
fratram et aliorum clericorum, qui toUentes auctoritate papae et episcoporum
ministerialibus et omnibus Regi Rudolfe adesse volentibus juramentorum scelera".
* S. meinen Akademie- Vortrag : Handelspolitik der österr. Herrscher im
Mittelalter. Almanach, 1893, S. 321.
8*
116 Osterreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 19.
mit Österreich, Steiermark, Krain und der windischen Mark,
sowie mit Kärnten, das jedoch später (1286) wieder abgetrennt
und dem Grafen Meinhard von Qörz verliehen wurde. Man war
des in den Landen wohl zufrieden, nur besorgten die Steirer
als mögliche Folge der Gesammtbelehnung künftige Theilung
der Fürstenthümer und machten dieses Bedenken geltend. König
Rudolf gab diesen Vorstellungen am 1. Juni 1283 von Rhein-
felden insofern statt, als er erklärte, dass Österreich, Steiermark
und Krain dem Herzog Albrecht und dessen Nachkommen allein
zustehen sollten, während Herzog Rudolf mit Geld zu entschädigen
sei, falls er kein anderes Fürsten thum binnen vier Jahren erhalte.^
Die Stellung Herzog Albrecht's I. in den neugewonnenen
Landen Österreich und Steiermark war anfänglich ungemein
schwierig. Er stand der Bevölkerung als Fremder gegenüber und
hatte hier niemanden, auf den er sich voll verlassen konnte, denn
der Landesadel war durch die Ereignisse des Zwischenreichs über-
müthig geworden und in der Bürgerschaft, namentlich unter den
WieneiTi gab es noch zahlreiche Anhänger der böhmischen Herr-
schaft. Außerdem war Albrecht bemüht, nicht nur den früheren
Territorialbestand wie zu Zeiten der Babeuberger wieder zu er-
reichen, sondern auch die von Unberechtigten entzogenen landes-
fürstlichen Güter und Gefälle wieder an sich zu bringen. Wiewohl er
hiezu durch den Ausspruch völlig berechtigt war, welchen deutsche
Reichsfürsten unter Zuziehung von Landesherren aus Österreich
und Steiermark am Hofe König Rudolfs gefällt hatten,^ so verletzte
doch dessen Ausfuhrung mannigfache Privatinteressen. So blieb
also dem Herzog Albrecht I. nichts übrig, als sich auf Ministerialen
und Ritter zu stützen, die er aus seinen Hauslanden mitgebracht
hatte; eben darum wurden diese „Schwaben" alsbald die einfluss-
reichsten, aber auch die bestgehassten Leute in Österreich und
Steiermark. Ein Glück für Albrecht, dass seine Gegner, unter
sich uneins, ihre Widerstandskraft auf vereinzelte Aufstände
verzettelten.
1 Damit war das von den Ständen angestrebte Ziel für den Augenblick
erreicht, eine allfällige Theilung der Lande unter den Nachkommen Albrecht's L
aber keineswegs ausgeschlossen. Hauke, 10.
2 Am 14. April 1288 zu Basel, gedruckt Mon. Genn., Leg. II, 453 und Über-
setzung bei Schrott er, 1. Abhandlung aus d. österr. Staatsrechte, S. 104, Beilage 5.
di
Österreich und Steiermark unter Herzog Albrecht I. 117
2. Zuerst begannen die Wiener, deren früherer Bürgermeister
Paltram den Schutz des Herzogs Heinrich von Bayern gefunden
hatte. Es galt, die reichsunmittelbare Stellung zurückzuerobern,
die Wien auf Grund kaiserlicher und königlicher Verbriefungen
für sich in Anspruch nahm, während Albrecht seine landesherr-
lichen Rechte gewahrt wissen wollte. Der Aufstand endete mit
bedingungsloser Unterwerfung der Bürgerschaft und mit der Aus-
lieferung aller früheren Verbriefungen. Dann kamen die Steirer
an die Reihe. Unzufrieden mit den Landesbeamten, zuförderst
dem verhassten Landschreiber Abt Heinrich von Admont, un-
willig über die verzögerte Bestätigung der Ministerialen - Privi-
legien, die man schon als Landesfreiheiten betrachtete, ver-
sammelten sich die Missvergnügten am Neujahrstage 1292 unter
Führung des Erzbischofs von Salzburg zu Deutsch-Landsberg zur
^Bestätigung und zu Schutz der Handfeste und der Freiungen*.
Allein das entschlossene Vorgehen des Herzogs, der mitten im
Winter den Übergang über den verschneiten Semmering erzwang,
si^e über die Verschworenen. Der salzburgische Hauptsitz
Friesach wurde erstürmt, aber den gedemüthigten Gegnern gegen-
über zeigte sich der siegreiche Herzog gnädig : was er verweigerte,
solange man es als Recht von ihm in Anspruch nahm, das be-
wUligte er nun den Steirern in Gnaden, wenn auch mit Abänderung
zweier wichtiger Stellen.^
Drei Jahre darauf brach in Österreich die zur Empörung
gesteigerte Unzufriedenheit aus. Auf das Gerücht hin, dass Herzog
Albrecht vergiftet worden sei, versammelten sich die Ministerialen.
Wenzel von Böhmen und König Adolf schürten die Bewegung,
die Albrecht indessen durch kluge Nachgiebigkeit solange hin-
hielt, bis. seine Getreuen aus den Hauslanden eingetroffen waren
und er den Aufstand leicht und unblutig niederwarf. Auch dies-
mal zeigte er sich nachträglich gnädig und bewüligte später
den Österreichern die Vornahme von Revisionsarbeiten an ihrem
Landesrecht,* als er durch deren Mitwirkung 1298 die deutsche
Krone sich erkämpft hatte. Bald darauf, am 21. November 1298,
ertheilte er als römischer König seinen Söhnen die Gesammt-
* Vgl. meine Abhandlung über die steir. Landhandfesten in den Beiträgen
zur Kunde steir. Geschichtsquollen, IX, S. 149.
* Die aber aus unbekannten Gründen nur Entwurf blieben. Vgl. § 21, 8. 136.
118 Österreichische Reichsgescbichte. I. Theil. Zweite Periode. § 19.
belehnung mit Österreich und Steiermark, thatsächlich aber hat
er die Herrschaft in den Hauslanden bis zu seinem Tode in
Händen behalten.
3. Der Versuch, die böhmische Krone nach dem Aussterben
der Pfemysliden an die Habsburger zu bringen, missglückte aller-
dings. Rudolf (III.), dem Albrecht Böhmen im Jahre 1306 als
erledigtes Reichslehen verliehen hatte, erlangte zwar nach einigen
Schwierigkeiten auch in Böhmen Anerkennung, allein er war
wenig beliebt und starb schon am 4. Juli 1307. Uneingedenk
der Zusage, beim Hause des verstorbenen Königs zu bleiben,
wählten die böhmischen Großen den Herzog Heinrich von Kärnten
und Tirol zu ihrem König (15. August 1307), der mit einer
Schwester des letzten Premysliden vermählt war. Es kam nun zum
Kriege und die österreichischen Herzoge eroberten Kärnten. Ehe
indessen die Entscheidung in Böhmen fiel, wurde Albrecht I. von
seinem Neffen Johann wegen einer Geldforderung ermordet (1308,
1. Mai). Herzog Friedrich der Schöne, als Haupt der österreichischen
Habsburger, schloss hierauf am 14. August 1308 mit Heinrich von
Kärnten Frieden, verzichtete auf Böhmen und Mähren und ver-
sprach die Rückgabe der eroberten Gebiete in Kärnten und Krain
gegen eine Entschädigung von 45.000 Mark Prager Groschen.
Diese Friedensbedingungen wurden im Jahre 1311 durch ein neues
Abkommen ersetzt, da Heinrich inzwischen von den Böhmen ver-
trieben und an seinerstatt Johann von Luxemburg als König an-
erkannt worden war. An eine bare Zahlung jener großen Geld-
summe war unter diesen Umständen nicht zu denken. Heinrich
erstattete dafür die ihm verpfändete Stadt Windisch-Feistritz und
trat von Kärnten das Sannthal ab, das nun mit Steiermark ver-
einigt wurde. Krain sollte auch fernerhin an Heinrich als Herzog
von Kärnten verpfändet bleiben, allein der Pfandschilling auf
6000 Mark ermäßigt sein.
4. Nach dem Tode Kaiser Heinrich's VII. aus dem Luxem-
burger Hause wurde Herzog Friedrich der Schöne zum deutschen
König gewählt, allein die Partei der Luxemburger stellte sofort
einen Gegenkönig in der Person Herzog Ludwig's von Bayern auf.
So kam es zum Zwiespalt in Deutschland. Der Adel hielt im all-
gemeinen zu König Friedrich von Österreich, die Reichsstädte
ebenso zu Ludwig. Kämpfe in der Schweiz, in welche die Habs^
Die Söhne König Albreciit's L; Erwerb von Kärnten. 119
burger damals verwickelt waren (Niederlage bei Morgarten
am 15. November 1315, Waffenstillstand 1318), erschwerten König
Friedrichs Lage sehr. Daher wurde auch der Krieg zwischen
den Gegenkönigen, die beide persönlich friedfertig waren, lau
geführt, bis ihm die Niederlage und Gefangennahme König
Friedrich's in der Schlacht bei Mühldorf (1322, 28. September)
eine entscheidende Wendung gab. Zum Frieden kam es dem-
ungeachtet nicht sobald, obschon allmählich eine persönliche An-
näherung zwischen den Gegnern eintrat und König Friedrich
1325 aus seiner Haft entlassen wurde. Verbittert durch die argen
Wirren, die Herzog Otto durch sein Verlangen einer Länder-
theilung heraufbeschworen hatte, starb König Friedrich 1330 auf
dem einsamen Bergschlosse Guttenstein, wohin er sich zurück-
gezogen hatte.
5. Nunmehr schloss auch Herzog Otto mit Kaiser Ludwig IV.
Frieden, da die Bestrebungen der Luxemburger, in Kärnten und
Tirol Fuß zu fassen, beiden gleich gefährlich wurden. Ein Schieds-
gericht, das zur Behebung der Streitpunkte zwischen den Habs-
burgem und Kaiser Ludwig eingesetzt wurde, fällte am 26. No-
vember 1330 den Ausspruch, dass Kaiser Ludwig beim Tode
Herzog Heinrich's den Habsburgern Kärnten zu verleihen habe,
wogegen diese den Kaiser bei der Bewerbung um Tirol unter-
stützen sollten. Diese geheim gehaltene Verabredung erlangte
nach dem Tode Herzog Heinrich's (f 2. April 1335) ihre Wirk-
samkeit. Mit Ausschluss der beiden Töchter des Verstorbenen,
von denen die ältere ohnehin regierungsunfähig, die zweite an
Johann von Luxemburg vermählt war, belehnte Kaiser Ludwig IV.
am 2. Mai 1335 zu Linz die Herzoge von Österreich mit Kärnten,
dem südlichen Tirol und der Vogtei über Trient, während Nord-
tirol an die Söhne des Kaisers fallen sollte. Kärnten unterwarf
sich anfangs Juni 1335 den Habsburgern, die zugleich auch die
Herrschaft in Krain antraten; in Tirol hingegen wusste sich
Margareta mit Hilfe der Luxemburger zu behaupten, deren sie
sich indessen im Jahre 1341 entledigte, um sich 1342 mit Ludwig
dem Brandenburger, dem ältesten Sohne Kaiser Ludwg's IV., zu
vermählen.
Am 17. Februar 1339 starb Herzog Otto von Österreich
und da ihm auch seine Söhne bald im Tode nachfolgten, so ver-
120 österreichische Reichsgeachichte. I. Theil. Zweite Periode. §. 19.
einigte Herzog Albrecht II. der Weise seit dem Jahre 1343 alle
Herrschaft in seinen friedfertigen Händen. Als er das Ende seiner
Tage nahe glaubte, erließ er am 25. November 1355 eine Haus-
ordnung, die er zur Sicherung durch die Landherren von Öster-
reich, Steiermark und Kärnten beschwören ließ. Sei es, dass er
sich der trüben Zeiten erinnerte, die Herzog Otto durch sein
ungestümes Begehren einer Ländertheilung über Österreich ge-
bracht hatte^ sei es, dass er den ehrgeizigen Sinn seines ältesten
Sohnes Rudolf fürchtete — Herzog Albrecht verfügte, dass die
Länder ungetheilt bleiben sollten und in brüderlicher Liebe von
seinen Söhnen gemeinsam zu verwalten seien. Nicht ganz drei
Jahre darnach, am 20. Juli 1358, starb dieser verehrungswürdige
Fürst mit Hinterlassung von vier Söhnen: Rudolf IV., Friedrich IIL,
Albrecht III. und Leopold III. im Alter von 19, 11, 9 und
7 Jahren.
6. Herzog Rudolf IV., der auch im Namen seiner noch nicht
regierungsfähigen Brüder die Herrschaft übernahm, trug sich
trotz seiner Jugend schon mit hochfliegenden Plänen.
Die frühere Machtfülle des deutschen Königs war längst
zur bloßen Lehensherrlichkeit herabgesunken, denn was er an
materiellen Rechten noch besaß, hatte nur wenig Bedeutung,
während die Herrscherrechte, die er in Lehensform übertrug,
zum erblichen Anspruch der Fürstengeschlechter geworden waren.
Die Belehnung war daher nur mehr leere Form, doch wurde
damals und noch Jahrhunderte lang darauf hoher Wert gelegt,
weil so noch immer der Gedanke der Unterwerfung der Fürsten
unter die Einheit des Reichs zum Ausdruck kam. Herzog Rudolf IV.
von Österreich wollte aber dieser Entwicklung um Jahrhunderte
vorauseUen, indem er eine solche Abschwächung der Förmlich-
keiten zu erreichen versuchte, dass ihn ein einziger Schritt weiter
zum souveränen Herrn hätte machen müssen. '^
Der unmittelbare Anstoß für das Vorgehen Herzog Rudolfs
war die tiefe, nach der Sachlage auch vollkommen gerecht-
fertigte, Verstimmung der Habsburger über die wesentliche Ver-
schlechterung ihrer Stellung im Reiche seit Erlassung der goldenen
Bulle, die nach geschichtlichem Herkommen, aber ohne Rück-
* Vgl. Berchtold, Die Landeshoheit Österreichs, 114 ff.
Herzog Rudolf IV.; die österreichischen Hausprivilegien. 121
sieht auf die bestehenden Machtverhältnisse die wichtigsten Reichs-
geachäfte den wenigen Kurfürsten vorbehalten hatte. Es ist bekannt,
wie sehr sich Österreich 1355 auf dem Nürnberger Reichstag
gegen das Zustandekommen dieses Gesetzes wehrte und dass
infolge des Widerspruchs, den es nebst Bayern gegen den Aus-
schluss vom Wahlrecht erhoben hatte, 1356 ein neuer Reichstag
nach Metz ausgeschrieben wurde, der erst das Werk zu Ende
führte.® Da auch eine sorgfältige Durchforschung des Hausarchivs''
keine Urkunden zutage förderte, die man der goldenen Bulle mit
Erfolg hätte entgegensetzen können, so verfiel Herzog Rudolf auf
ein bedenkliches Auskunftsmittel, das aber nach dem Maßstabe der
damaligen politischen Moral nicht ungewöhnlich war: er nahm
durch eine Reihe gefälschter Privilegien, die bis auf Julius Caesar
und Nero zurückgiengen, von Kaiser Heinrich IV., Friedrich I.
und H., König Heinrich VII. und Rudolf I. bestätigt oder erweitert
sein solilen, für die österreichischen Herzoge mehr Rechte in
Anspruch, als andere Fürsten besaßen. Sein Schwiegervater, Kaiser
Karl IV., dem er diese Hausprivilegien vorlegte, verweigerte
die Bestätigung und es kam zum Bruche zwischen beiden.
Rudolf IV., der sich nun Pfalzerzherzog nannte, königliche Ehren
für sich in Anspruch nahm, seine Stellung im Lande jener des
Kaisers im Reiche verglich u. s. w., suchte sich erst durch Bünd-
nisse zu gewaffnetem Widerstand zu stärken, musste aber schließ-
lich zugestehen, dass er die Titel Pfalzerzherzog und Fürst in
Schwaben unberechtigt geführt habe.
7. Unermüdlich suchte Rudolf IV. den Glanz und die Macht
seines Hauses zu mehren. Für seinen jüngsten Bruder warb er
um die Tochter des Grafen Meinhard von Görz, der ihm dafür
aU seine Besitzungen vermachte, falls er ohne Söhne sterben sollte ;
von Graf Albert von Görz erhielt er die Anwartschaft auf Istrien
und die windische Mark ; mit König Ludwig von Ungarn kam der
Erbvertrag zustande, der wechselseitige Erbfolge zusagte, falls
das österreichische oder ungarische Herrscherhaus ohne Nach-
® Stobbe, Deutsche Rechtsquellen, I, 471.
7 Wir erfahren von diesem Schritt durch die bei L i c h o w s k y - B i r k, III,
Regest 2006, angeführte Zuschrift Herzog Albrecht's II. an Kaiser Karl IV. bei
Cbersendung zweier Kaiserurkunden für Böhmen, die erst neuerlich .in scriniis
secretorum nostrorum' aufgefunden worden seien, ddo. 1358, 2. April, Wien.
122 Österreichische ßelchsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode, § 19,
kommen auesterbeii sollte; im Jahre 1364 folgte eine Erbeinigung
mit Böhmen. Das Wichtigste jedoch war die Erwerbung von Tirol.
Auf die Nachricht vom schwankenden Gesundheitszustände Graf
Meinhard's III. (f 13. Jänner 1363) war Rudolf mitten im Winter
über die Tauem nach Tirol geeilt. Margareta Maultasch, die sich
schon in den ersten Wochen als unfähig zur Regierung erwiesen
hatte, übergab ihm am 26. Jänner 1363 das Land Tirol und befahl
ihren Unterthanen, dem Herzog Kudolf IV. zu huldigen. Die Herr-
schaft wollte sie anfänglich auf Lebenszeit selbst behalten, sie ver-
zichtete jedoch bald darauf gegen Einräumung einer Jahresrente.
Rudolf wusate femer den Bischof von Trient beim Empfange
der Stiftslehen in eine dauernde Unterordnung unter den Landes-
herra von Tirol zu bringen, indem er das Gebiet, das Ludwig der
Brandenburger eingezogen hatte , dem Bischof nur unter Be-
dingungen erstattete, die einer halben Säculariaation gleichkamen.^
So hatte er die Herrschaft Österreichs im Lande begründet, die
er auch gegen Herzog Stephan von Bajem-Landshut zu behaupten
vermochte, als dieser im November 1363 seine Ansprüche auf
Tirol mit Waffengewalt durchzusetzen versuchte." Dagegen ent-
sprach der Krieg, den Rudolf IV. in den Jahren 1360 bis 1365
mit dem Patriarchen von Aquileja um die Vorherrschaft in Friaul
führte in seinem Ausgang keineswegs den glücklichen Erfolgen,
mit welchem er eingeleitet worden war.
8. Nicht minder kräftig wusste Rudolf seine landesherrliche
Stellung im Innern zur Geltung zu bringen. Von seiner Gesetz-
gebung und von seinen Maßregeln zur Hebung des Städteweaens
wird an anderer Stelle nocli gehandelt werden, hier sei erwähnt,
riaes er 1361 die mächtigen Grafen von Schaunberg im Lande
ob der Enns durch Vorweisung der unechten Privilegien und durch
duB Anerbieten einer bedeutenden Abfindung dazu brachte, dass
sie ihm ihre fünf allodialen Landgerichte zu Lehen auftrugen, was
" Von dieser Zeit an konnte Trient kaum noch als selbständiges Fürsten-
thnra betrachtet werden, sondern bildete einen Thell von Tirol, H u b e r, 11, 277 ff-,
ziililt die vom Bischof ilhernommenen Verpflicbtni^en im einzelnen auf.
" Der Krieg mit den Herzogen von Bayern dauerte noch mehrere Jahre
und wurde erst 1369 dnrcb den Frieden von Schärding beendet, der ihnen
Hnttenbarg beließ nnd das verprandote Schärding nebst einer Oeldentschädig:ung
einräumte, wogegen die Herzoge ihre Ansprüche auf Tirol aufgaben.
Die Erwerbung Tirols; Tod Herzog Rudolfs IV. 123
der entscheidende Schritt zur Unterwerfung dieses reichsunmittel-
baren Geschlechts unter die Landeshoheit der Habsburger war.
Zu solchen Erfolgen war allerdings die Concentration der Herrscher-
gewalt in einer einzigen Hand nöthig und Herzog Rudolf wusste
sich eine solche auch nach dem Eintritt der Volljährigkeit seiner
Brüder durch den Hausvertrag vom 18. November 1364 zu sichern,
der sich nur als Erläuterung der Hausordnung vom Jahre 1355
gibt, in Wirklichkeit aber das Streben nach Vereinigung des
Principes der Gleichberechtigung aller Brüder mit dem des Vorzugs
der Erstgeburt deutlich an sich trägt. Die Brüder verpflichteten
sich, alle ihre Länder ungetheilt und gemeinsam zu besitzen, alle
sollten den gleichen Titel führen, keiner ohne Zustimmung der
übrigen sich verheiraten. Dagegen wurde dem Ältesten die oberste
Herrschaft und größte Gewalt zugesprochen. Er sollte das herzog-
liche Haus nach außen vertreten, „Vorgeher, Besorger und Ver-
treter sein der ander aller", in dieser Stellung die Lehen empfangen
und verleihen und an die Zustimmung der Brüder bei Regierungs-
handlungen nur dann gebunden sein, wenn diese an seinem Hofe
anwesend seien. ^^
Mitten unter den glänzendsten Plänen starb Rudolf IV.,
kaum 26 Jahre alt, am 27. Juli 1365 zu Mailand, wohin er sich
verkleidet begeben hatte, um den Krieg gegen den Patriarchen
von Aquileja mit neuen Mitteln ins Werk zu setzen.
9. Nach seinem Tode brach eine düstere Zeit über Österreich
herein, die länger als ein Jahrhundert dauerte, eine Zeit fort-
währender Spaltungen und Kriege unter den Mitgliedern des
Herrscherhauses, eine Zeit, in der die schönsten Besitzungen in
der Schweiz, sowie die Hoffnung auf die Gewinnung Friauls ver-
loren giengen, die Landstände erstarkten, und von kleinen Anfängen
aus die Grafen von Cilli zu übermächtigen Gegnern heranwuchsen.
Rudolfs Brüder, die Herzoge Albrecht HI. und Leopold III..
die 1366 von Kaiser Karl IV. die Gesammtbelehnung mit den
österreichischen Landen erhielten, waren nach Denkart und Be-
strebungen zu sehr verschieden, um lange die Regierung gemein-
sam führen zu können. Nach verschiedenen Versuchen, durch
Theilung der Einkünfte oder der Verwaltung zu einer befriedi-
w Hauke, S. 14flf.
124 österreichische Reichsgeschichte. I. Thoil. Zweite Periode. § 19.
genden Lösung zu gelangen, kam es in Neuberg am 25. Sep-
tember 1379 zu einer Theilung des Hauses in zwei selbständige,
mit dem Rechte abgesonderten Erwerbes ausgestattete Linien,
denen allerdings für den Fall gänzlichen Aussterbens einer Linie
wechselseitige Nachfolge vorbehalten war.^^ Herzog Albrecht HL
und seine Erben erhielten das Land Österreich ob und unter
der Enns mit Einschluss der Gebiete von Steyer, Hallstatt und Ischl,
Herzog Leopold das Übrige mit Einschluss von Wiener-Neustadt
und des alten Püttener Bezirkes.
Herzog Leopold HI. benützte die so gewonnene Stellung zu
weiterem Ländererwerb, kaufte im Mai 1375 die Grafschaft Feld-
kirch vor dem Arlberge, 1381 die Grafschaft Hohenberg in
Schwaben, erwarb pfandweise die Landvogtei in Ober- und
Niederschwaben, nahm 1382 die Unterwerfung der Stadt Triest
an, die sich durch Anschluss an Österreich vor der Übermacht
der Venetianer zu retten suchte, u. s. w. Allein ein Krieg mit
den Schweizer Eidgenossen, in den er ohne sein Zuthun ver-
wickelt worden war, endete mit der Niederlage bei Sempach, in
welcher Herzog Leopold HI. und die Blüte der österreichisch-
schwäbischen Ritterschaft ihr Leben verloren (9. Juli 1386). Die
Schwierigkeit der augenblicklichen Lage veranlasste den ältesten
Sohn des Gefallenen, Herzog Wilhelm, in eine Suspension der
Wirkungen der Neuberger Theilung zu willigen, so dass dem
Herzog Albrecht HL die Ausübung der Herrschaft in allen habs-
burgischen Landen auf Lebenszeit überlassen wurde.
10. Nach dem Tode Herzog Albrecht's III. (f 1395, 29. August)
stellte Herzog* Wilhelm als Senior de» Hauses seinerseits das
gleiche Verlangen, begegnete aber bei Herzog Albrecht IV.
heftigem Widerstände. Der HoUenburger Vertrag, durch den
dieser Zwist behoben werden sollte (1395, 22. November), gestand
dem Herzog Wilhelm einen gewissen Vorrang zu, hat aber im
übrigen die Linientheilung nicht behoben.
Schon bei dieser Gelegenheit zeigte es sich, dass der Gegen-
satz im Herrscherhause auch die Länder selbst ergriffen hatte,
da auf Seite Herzog Wühelm's nicht bloß die Steirer und Kärntner,
sondern auch die Wiener standen. In den folgenden zwanzig
1^ Vgl. über die staatsrechtliche Bedeutung dieser Theüungen: Hauke,
S. 18 ff. Die Theilungsverträge selbst s. bei Rauch, Ss. Rer. Austr. III, S. 395 ff.
Ländertheilungen der Habsburger im 14. und 15. Jahrhundert. 125
Jahren besserten sich die Beziehungen keineswegs, ja die Un-
einigkeit in Österreich erfasste schließlich die einzelnen Classen
der Gesellschaft, die während des Streites der Brüder Leopold IV.
und Ernst um die Vormundschaft über Herzog Albrecht V., ge-
schlossen als Parteigänger des einen oder anderen Leopoldiners
ihren Vortheil verfolgten. Die Luxemburger schürten die Zwistig-
keiten und die Herrschsucht der Leopoldiner erschöpfte sich in
der Ausklügelung immer neuer Länderzusammenstellungen,, um
ja jedem seinen AntheU an der Verwaltung zuzumessen. ^^ Den
Hauptgewinn zogen die Landstände in Österreich. Als Albrecht IV.
am 14. September 1404 starb, übernahm Herzog Wilhelm die
Vormundschaft über den noch unmündigen Herzog Albrecht V.
ohne Schwierigkeit. Sobald aber nach Herzog Wilhelm's Tode
(t 15. Juli 1406) sowohl Herzog Leopold IV. als Herzog Ernst
der Eiserne nach der Vormundschaft strebten, änderte sich die
Lage, denn die Landschaft erklärte am 6. August 1406, dass
Albrecht V. ihr rechter Erbherr sei, dass aber in Bezug auf
die Vormundschaft und Regierung nur das zu gelten habe, was
ihre Zustimmung erhalte. Die Herzoge mussten sich fügen und
Leopold IV. übernahm nach Vereinbarung mit seinem Bruder
Ernst die Vormundschaft. Schon im December 1407 brach jedoch
zwischen beiden Brüdern ein blutiger Kampf los. Auf Seite Herzog
Emst's standen die Landherren, für Herzog Leopold IV. focht
die Ritterschaft, die ihren Antheil an der Rechtssprechung des
Hoftaidings verlangte. Wohl wurde dieser Kampf im folgenden
Jahre gütlich beigelegt, allein neue Verwirrungen drohten, als
Herzog Leopold am 24. April 1411 die für diesen Zeitpunkt den
Ständen versprochene Entlassung Herzog Albrecht's V. aus der
Vormundschaft verweigerte. Der junge Herzog wurde durch
Reinprecht von Walsee und Leopold von Eckartsau nach Eggen-
burg entführt, wo ihn die Stände als ihren Herrscher begrüßten.
Ein neuer Bürgerkrieg drohte auszubrechen, als Herzog Leopold IV.
unvermuthet am 3. Juni 1411 starb. Albrecht V. übernahm nun
^ Vom Jahre 1373 ab hatte die Steiermark in einem Menschenalter
(bis 1404) eine siebenmalige Ändemng der Regierung erfahren! Kümmei,
Zur Geschichte Herzog Ernst des Eisernen. Mitth. des historischen Vereins für
Steiermark, XXV, S. 8. — Darüber, dass innerhalb der Leopoldinischen Linie
nur Verwaltnngstheilungen waren, vgl. Hauke, S. 27.
126 Österreichische Reichsgeschichte. 1. Theil. Zweite Periode. § 19.
die Regierung in Österreich und vermählte sich 1422 mit der
Erbtochter König Sigismund's, die ihm schon 1411 zur Frau ver-
sprochen worden war.
11. Wirren zwischen den Brüdern Ernst und Friedrich IV.
brachen 1415 aus, als dieser dem abgesetzten Papste Johann XXIII.
zur Flucht aus Constanz verholfen hatte und ihn dafür die Reichs-
acht traf. Der Tiroler Adel, die Wolkensteiner voran, die sich reichs-
frei machen wollten, fiel damals von Friedrich IV. ab, den auch
sein eigener Bruder bekriegte ; allein die Tiroler Bauern hielten zähe
an ihrem Herzog, der 1416 nach einem Vertrage mit Herzog Ernst
wieder die Herrschaft über Tirol erlangte und durch seine Spar-
samkeit den Spottnamen „Friedel mit der leeren Tasche" zu-
schanden machte. Er starb 1439 am 24. Juni und hinterließ seinem
minderjährigen Sohne Herzog Sigmund die Regierung in Tirol.
Herzog Albrecht V. mischte sich in diese Händel der Leo-
poldiner nicht, wohl aber wurde er als Schwiegersohn König
Sigismund's in den Krieg gegen die Hussiten verwickelt, die vom
Jahre 1425 ab wiederholt in Österreich einfielen. Erst 1436
wurde Sigismund von den Böhmen als König anerkannt. Als er
im Jahre darnach starb, suchte Herzog Albrecht V. Ungarn,
Böhmen und Mähren in seinen Besitz zu bringen, was ihm
schließlich gelang. Auch die deutsche Krone ward ihm zutheil
und groß waren die Hoffnungen, die man allerorten auf diesen
tüchtigen Regenten setzte, da raffte ihn plötzlich in der Blüte
seiner Jahre eine Lagerseuche dahin.
König Albrecht hinterließ bei seinem Tode (27. October 1439)
zwei Töchter und eine schwangere Gemahlin. Zu seinem Erben
in Österreich hatte er für den Fall, dass seine Frau einer Tochter
genesen würde, seinen Vetter Friedrich V., den ältesten Sohn
des 1424 verstorbenen Herzogs Ernst, ernannt. Würde jedoch
ein Sohn und Erbe geboren werden, so sollte die Vormundschaft
Herzog Friedrich und jeweilig der Älteste des Hauses im Vereine
mit der Königin und einem ständischen Ausschusse führen, in den
vier Böhmen, drei Ungarn und zwei Österreicher zu berufen seien.
Ladislaus dem Nachgeborenen, dem am 22. Februar 1440
gebornen Sohne König Albrecht's, wurde in dieser Weise die
Herrschaft in Österreich und Böhmen gewahrt, die Ungarn dagegen
beriefen den König Wladislaus von Polen auf ihren Thron, der
Die Habsburger im 15. Jahrhundert. 127
sich bis zu seinem Tode in der Schlacht bei Varna behauptete
(1444), dann allerdings gelang es, die Ansprüche des Ladislaus
Postumus auch hier zur Anerkennung . zu bringen.
12. Die vormundschaftliche Regierung, die König Friedrich
zugleich über den minderjährigen Herzog Sigmund von Tirol und
über König Ladislaus zu führen hatte, kam der Entwicklung der
ständischen Macht da wie dort sehr zustatten. Der Antritt der
Vormundschaft bot den Landständen Gelegenheit, die Versicherung
dynastischer Treue und Anhänglichkeit an ihren Erbherrn mit
Bedingungen zu verbinden, die sie dem persönlich unbeliebten
Vormunde umsoleichter auferlegen konnten, als dessen Bruder,
der ehrgeizige Herzog Aibrecht VI., wider den König Friedrich
stand. In Böhmen und Ungarn walteten nationale Reichsverweser,
Georg von Podiebrad und Johann Hunyadi, die sich um Friedrich
wenig kümmerten, in ÖsteiTeich ein ständischer Ausschuss.
Schließlich erzwangen die österreichischen Landstände unter
Führung Eizinger's und des Grafen Ulrich von Cilli durch die
Belagerung von Wiener -Neustadt vom eingeschlossenen Kaiser
eine Abkürzung der Vormundschaft. König Ladislaus, der den
Ständeherren am 4. September 1452 ausgeliefert wurde, zog
unter lautem Jubel in Wien ein, wo man den Dreizehnjährigen
alsbald wie einen selbständigen Herrscher Regierungsacte aus-
üben ließ. Wirkliche Herrschergewalt erlangte dieser von persön-
lichem Ehrgeiz und Thätigkeitsdrang erfüllte Fürst weder damals
noch später, zumal ihm nur ein Leben von siebzehn Jahren
beschieden war (f 23. November 1457).
13. Mit dem Tode des Königs Ladislaus zerriss das lockere
Band, durch das Ungarn und Böhmen zum erstenmale mit Öster-
reich verknüpft worden waren. Nationale Könige, Matthias
Corvin und Georg von Podiebrad, kamen zur Regierung; dem
Kaiser Friedrich fiel es schwer, seine Ansprüche auf Österreich
gegen seinen heiTschsüchtigen Bruder Albrecht VI. zu wahren,
gleichwie ihm die Behauptung der angefallenen Cillier Erbschaft
nach Ermordung des Grafen Ulrich (f 9. November 1456) nur
mühsam gelang. Überhaupt verlief die Regierung Kaiser Fried-
rich's HL infolge der bekannten Unentschlossenheit dieses Herr-
schers selbst dann noch wenig glücklich, als ihm nach dem Tode
seines ehrgeizigen Bruders Albrecht VI. (f 1463) die Vereinigung
128 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 19.
ßämmtlicher Hauslande, mit Ausnahme von Tirol und den Vor-
landen, gelungen war. Friedrich, der den Grundsatz hatte: Ein jeder
Fürst, der da regieren will gewaltiglich nach seinem Nutz und
Gefallen, der huet sich vor Versammlung der Landschaft und No-
bilium, kam aus der Nothwendigkeit, ständische Hilfe in Anspruch
zu nehmen, gar nicht heraus. In der Steiermark brach 1467—68,
als der Kaiser eine Pilgerfahrt nach Rom unternommen hatte,
die verwüstende Baumkircherfehde aus, die erst 1470 geschlichtet
wurde ; die Türken begannen nach dem Falle Constantinopels ihre
rasch wiederholten Einfälle nach Innerösterreich ^^ und bedrohten
selbst Tirol. Zum Überfluss ließ es Kaiser Friedrich in seinem Be-
streben, auf die Besetzung von Salzburg Einfluss zu gewinnen,
zum Kriege mit Ungarn kommen, in welchem König Matthias
nicht bloß gi'oße Theile von Innerösterreich, sondern 1485 selbst
Wien eroberte, das er nun zum Herrschersitz erkor. Der Kaiser
irrte mittlerweile, ein Bild tiefster Erniedrigung, durch Deutschland.
14. Besser gestalteten sich die Verhältnisse erst seit dem Ein-
greifen seines Sohnes Maximilian, der sich 1477 mit Maria von
Burgund, der Erbtochter Herzog Karl's des Kühnen, vermählt
hatte, nach deren Tode die Regierung des reichen burgundischen
Erbes für seinen Sohn Philipp führte und seit 1486 zum römischen
König gewählt war. Dem Einflüsse der liebenswürdigen Persön-
lichkeit des ritterlichen Kaisersohnes gelang so manches, was
seinem Vater, dessen Widerspiel er oft war, hartnäckig ver-
sagt blieb. So hat man es Maximilian wesentlich zu danken, dass
der drohende Verlust von Tirol verhindert wurde, das der erben-
lose Erzherzog Sigmund in seiner Abneigung gegen den Kaiser
bereits an Herzog Albrecht von Bayern verschrieben hatte. Nur
wenige Wochen nach Abtretung der Herrschaft in Tirol an König
Maximilian (März 1490) starb König Matthias Corvin , vom
Schlage gerührt, in seiner Residenz zu Wien (f 6. April 1490).
Wieder war es König Maximilian, der in raschem Feldzug den
Ungarn die von ihnen besetzten Gebietstheile in Innerösterreich
und im Lande unter der Enns entriss, während der alternde
Kaiser Friedrich seine letzten Lebensjahre in stiller Zurück-
gezogenheit, mit astrologischen und alchymistischen Studien be-
schäftigt, in Linz verlebte, wo er am 19. August 1493 starb.
13 1469, 1471, 1473, 1475 u. s. w. II wo f, Mitth. hist. Ver. f. Steierra., Bd. 9ff.
Kaiser Friedrich III.; Österreichische Rechtsquelien im Mittelalter. 129
Österreichische Rechtsquelien vom Schlüsse des 10. bis
zum Ende des 15. Jahrhunderts.
§ 20. Allgemeine Bemerkungen.
B i s cho f f F., Österr. Stadtrechte und Privilegien. 1857. Zur Geschichte des
Rechts in Österreich. (Wiener Zeitg., lit. Beilage 1855 Nr. 52, 1856 Nr. 3, 6, 12.) —
Stobbe 0., Geschichte der deutschen Rechtsquellen, I, 1860. — Mon. Germ.,
Fol, Leg. n und 4^ Constitutiones, I. — österr. Weisthümer, gesammelt von
der k. Akad. d. Wissenschaften. Bisher 7 Bde. 1870 ff. — Seh rode r, R. G., 628. —
Werunsky, § 2.
1. Zu Beginn dieser Periode galt, nach den Professiones juris
zu schließen, die in Südtirol und im Küstenland bis ins 13. Jahr-
hundert vorkommen,^ das dem fränkischen Reiche eigenthümliche
Princip der persönlichen Rechte. Die alten Volksrechte wurden
noch fortwährend durch Abschrift vervielfältigt,^ allein sie starben
allmählich ab, weil deren zeitgemäße Fortbildung im Wege der
Gesetzgebung unter den sächsischen Kaisern ganz aufgehört hatte.
In die Lücken trat der Rechtsbrauch ergänzend ein und so be-
gann eine Zeit, in welcher das Gewohnheitsrecht ausschließend
herrschte und das Territorialprincip nach und nach durchdrang,
d. h. man gewöhnte sich, das Recht des überwiegenden Theils der
Landesbewohner als das Recht des Landes aufzufassen, so dass
für den Einzelnen fortan nicht mehr das Recht seines Geschlechts,
sondern das Recht seiner Heimat maßgebend wurde. Daher
waltete in den altösterreichischen Landen während des Mittelalters
^ Ein paar Beispiele für viele: 1166 heißt es im Bündnisse von Perguie
mit Vicenza, der Podestä solle die Leute leben lassen „suis usibus, legibus et
consuetudinibus antiquis secundum quod semper et hominum memoria et in
ante jara sunt centum, (XJ, CCCC annos vixerunt et vivere volent tam ex lege
Salica et Langobardica." Zeitschrift des Ferdinandcums, Heft 36, S. 8, Anm. 1. —
1126 in einer am Isonzo ausgestellten Urkunde „Rudolfus in dei nomine de loco
Tercento professus ex natione mea lege vivere Romana*. — QueUon zur bayerischen
Geschichte, 1, 361. — 1102 zu Aquileja, der Sohn des Markgrafen Ulrich von Istrien
und dessen Frau ,. . . professi sumus lege vivere Boioariorum. U.-B. Krain, I, 73.
^ Eine Handschrift der Wiener Hofbibliothek der Lex Alamannorum ist
aus dem 12. Jahrhundert, die Wiener, Admonter und Grazer Handschriften der
liox Bajuvariorum gehören gleichfalls dem 12. Jahrhundert an.
Los ob In, ötterreiohUcbe Reichi^schiclite. 9
130 Österreichische Reichsgeschiohte. L Theil. Zweite Periode. § 20.
deutsches Gewohnheitsrecht vor, das nur zum kleineren Theil auf-
gezeichnet war. Berufungen auf das gute alte Herkommen, auf
den Landesbrauch u. dgl. sind uns in ungezählter Menge über-
liefert und dem fremden Beobachter, der aus einem Lande kam, in
dem bereits „die geschriebenen Rechte" gepflegt wurden, musste
dieser Zustand geradezu als Rechtsunsicherheit erscheinen. So
urtheilt auch Aeneas Sylvius, da er von den Wienern berichtet:
„Vivunt prseterea sine uUa scripta lege, mores ajunt se teuere
vetustos, quos saepe ad suum sensum adducunt vel intei-pretantur".'
2. Daher ist uns auch in den schriftlichen Quellen zum guten
Theil aufgezeichnetes Gewohnheitsrecht überliefert. So in der
altern Fassung des österreichischen Landesrechts, die nur ver-
einzelt auf Reichs- oder Landesgesetze Bezug nimmt, oder im
steierraärkischen Landesrecht aus dem 14. Jahrhundert. Aber auch
in städtischen Rechtsquellen, in den Bergwerksordnungen und in
der Unzahl von Rechtsaufzeichnungen für bäuerliche Verhältnisse,
in den Bau- und Bergtaidingen, Rügen, Dreidingen und wie diese
Weisthümer sonst noch heißen, ist vor allem Gewohnheitsrecht
enthalten.
Raum für gesetzgeberische Thätigkeit war den Landes-
herren während des Mittelalters nur wenig gelassen. Sehen wir
von den Landfrieden ab, die in größerer Zahl für Österreich, ver-
einzelt wie jener vom Jahre 1276, sogar für eine Ländergruppe, er-
lassen wurden, so wären hier etwa die Ordnung des Strafverfahrens,
„Gewissende" genannt für Kärnten und Tirol (1277, 1312, 1349),
die kleine Gerichtsordnung fdr's Land ob der Enns vom Jahre
1299, die Salzburger Landesordnung Erzbischof Friedrich's IIL
vom Jahre 1328 zu nennen. Einen Gesetzesentwurf, der jedoch
ohne landesfürstliche Genehmigung blieb, bietet uns die jüngere
Fassung des österreichischen Landesrechts (um 1298).
3. Zahlreiche Rechtsquellen tragen den Charakter von Privi-
legien. Für's Staatsrecht von größter Bedeutung sind die Freiheits-
8 In der Einleitung zu seiner Histor. Friderici in, Imp. Ich setze auch
die ungelenke Übersetzung dieser Stelle hieher, die sich in der österr. Chronik
Alberts v. Bonstetten, Cap. 9, findet: „Über das leben sy an allen gesehriben
gesatzt, sprechent, sich halten und gebruchen der alt sitt^n und gewonhaiten,
die sie euch oft nach irera syn darthund und pflegent* Gasser, Beitrag zur
deutschen Sittengeschichte des Mittelalters. Wien 1790, S. 8.
Gewohnheitsrecht, Gesetze, Satzungen, Formelbücher. 131
briefe des Herrscherhauses, femer die s. g. Landesfreiheiten, die
«ch in Innerösterreich aus Privilegien entwickelten, die ursprünglich
den Landesministerialen und der unfreien Ritterschaft verliehen
worden waren. Auch das Recht der Städte, soweit es in schrift-
liche Form gebracht war, beruhte gutentheils auf Privilegien; es
gab ferner Privilegien für einzelne Classen der Städtebewohner,
wie etwa die Hausgenossen in Wien, Enns und Neustadt, die
Elämminger in Wien, die Judengemeinden u. s. w.^
4. Autonome Satzungen gab es in den Städten, zumal in
Wien, wo der Bürgerschaft im Jahre 1320 König Friedrich der
Schöne als Landesherr die Anlage des s. g. Eisenbuchs erlaubte, »um
darein zu schreiben alle die Recht, die sie mit gemainem Rat und
pei dem Aide den sie uns gesworn habent erfunden". Erst gegen
Ende unserer Periode begannen auch die Landstände mit Satzungen
polizeilichen Inhalts, wie sie uns im Abschied des Tiroler Land-
tags vom Jahre 1420 oder in der „Ordnung und Artikel eines
gemainen Nutzes willen der Landschaft in Kärnten* vom Jahre
1492 begegnen.
5. Nur gering ist dagegen die Zahl österreichischer Rechts-
quellen aus dem Mittelalter, die wir als Erzeugnis wissenschaft-
licher Thätigkeit bezeichnen können. An erster Stelle ist hier das
Wiener Stadtrechtsbuch zu nennen, das ein Wiener Vorsprech im
14. Jahrhundert verfasst hat. Ungefähr um dieselbe Zeit mag ein
Qrazer College das schon erwähnte steirische Landrecht geschrieben
haben. Die Zahl der Formelbücher und Briefsteller, die auf öster-
reichischem Boden entstanden, ist sogar ziemlich groß, und es
befindet sich unter denselben auch der von einem Cistercienser zu
Baumgartenberg Anfang des 14. Jahrhunderts verfasste „Formu-
larius de modo prosandi*, der als die bedeutendste Leistung der
deutschen Notariatswissenschaft gilt und in seinem theoretischen
Theil bemerkenswerte Hinweise auf Wiener- und mährischen
3 Zahlreiche Exemptionsprivilegien für die Landesklöster; Verbot des
Spolienrechts durch König Otakar, 1262, 1266 . . . Vgl. Singer, Historische
Studien über die Erbfolge nach katholischen Weltgeistlichen, 1883, S. 6. Für
die Priesterschaft in Krain seit Herzog Wilhelm (1399), ungedruckt. Für die
Wiener Hausgenossen und die Flandrer im Österr. Geschichtsforscher, I, H,
Judenprivilegien von 1238, 1244, 1254, 1268, 1377, 1396. . . bei Stobbe, Juden,
in Deutschland, S. 295 ff. Wiener, Regesten zur Geschichte der Juden. S. 232,
Nr. HO, 143 .. .
9*
132 Österreichische Reichsgeschichte. 1. Theil. Zweite Periode. § 20.
Rechtsbrauch enthält. Nach dem Inhalt seines zweiten Theils kann
jedoch das Baumgartenberger Formelbuch ebensowenig zu den
österreichischen Rechtsquellen im engeren Sinne gerechnet werden,
als die Summa Curise Regis oder anderen Briefsammlungen au»
König Rudolfs Zeit, w^elche für Zwecke der Reichskanzlei be-
rechnet waren.* Die spätem Formelbücher vom 15. Jahrhundert
an haben als Beispielsammlungen für unsere Rechtsgeschichte w^ohl
einigen Wert, sind aber, da sie nur für praktische Zwecke zu-
sammengetragen wurden, mehr ein Zeugnis für den Fleiß, als für
die wissenschaftliche Befähigung ihrer Verfasser.
6. Von ganz anderm Schlage ist dagegen eine Summa legum,
die zu Wiener-Neustadt in der ersten Hälfte des 14. Jahrhundert»
wahrscheinlich ein in den fremden Rechten wohl bewanderter
Stadtschreiber verfasst hat.^ Im engen Anschluss an die Arbeiten
der Glossatoren von Bologna behandelt dies Rechtsbuch in selbst-
ständiger, systematischer Reihenfolge alle Theile und Gebiete de&
Rechts, die damals Gegenstand wissenschaftlicher Behandlung
waren, u. zw. derart, dass es auch deutschrechtliche Sätze und
Anschauungen mit dem römisch-kanonischen Rechtsstoffe in ver-
ständiger Weise verarbeitet. Abgesehen, dass diese Summa Zeugnis
gibt, wie frühzeitig die fremden Rechte in unsern Gegenden
Eingang fanden,® ist sie im 16. Jahrhundert auch von Stephan
Verböczi bei Abfassung des „Opus tripartitum juris consuetudinarii
regni Hungarise" benützt worden, das seinen eigentlich juristischen
Stoff vor allem aus dieser Rechtsquelle geschöpft hat.
7. Noch ist einiger Handschriften zu gedenken, die als.
Ergebnisse ämtlicher Thätigkeit einen Einblick in die Einrichtungen
mittelalterlicher Verwaltung gewähren.^ Hieher gehören die Urbare^
^ Kretzschmar, Die Formularbücher ans der Kanzlei Rndolf v. Habs-
burg's, 1889. Starzer und Redlich, Eine Wiener Briefsammlung (Mitth. a. d.
vaticanischen Archive, II). Vgl. auch Fontes II, Bd. 6 u. 25. Archiv, Bd. 14
und Rockinger über Formelbticher vom 13. bis 16. Jahrhundert. 1855.
* Toniaschek in S. B., Bd. 105, S. 241 ff.
^ Neben der Professiones juris kommen, namentlich im Gebiet von Trient^
seit dem 12. Jahrhundert auch andere Berufungen auf römisches Recht vor.
Tomaschek in S. B. Bd. 33, S. 350 ff. Über die Constitutiones Patriae Forojnlii,.
vgl. § 24, 1, S. 146.
'^ Liber hubarum et redituum per totam Austriam (aus den Jahren 1262 bis-
1265), Nb. V (1855), 333 ff. Rationarium AustriaB aus der Zeit Herzog Albrecbt's L
Einflass des römischen Rechts und des Schwabenspiegels. 138
die sowohl für landesherrlichen als auch für privaten Grundbesitz
seit der Mitte des 13. Jahrhunderts angelegt wurden, Amtsrech-
nungen, die uns für Tirol seit dem Schlüsse des 13. Jahrhunderts
für Österreich, Steiermark und Kärnten aus dem ersten Drittel
des 14. Jahrhundert erhalten sind, das unter dem Namen des
Frohnbuchs bekannte Protokoll des herzoglichen Hoftaidings zu
Wien u. dgl. m.
8. Endlich ist noch die große Bedeutung hervorzuheben, die der
8. g. Schwabenspiegel in Österreich als »Kaiserrecht" erlangt
hat. Über hundert Handschriften haben sich von diesem Rechts-
buch bis zum heutigen Tag innerhalb des Kaiserreichs erhalten, im
Mittelalter aber muss deren Zahl hier noch unvergleichlich größer
gewesen sein. Wie sehr man dieses Rechtsbuch zur Ergänzung
der heimischen Rechtsquellen benützte, lehrt die Beobachtung,
dass man es sowohl mit dem österreichischen als auch mit dem
flteirischen Landesrecht, ferner mit dem Wiener Stadtrechtsbuch
u. s. w. nicht selten handschriftlich vereinigt antrifft. Ebenso kam
es vor, dass man Sätze desselben in hiesige Rechtsquellen auf-
nahm, sowie es umgekehrt Schwabenspiegel -Handschriften gibt,
die durch Einschaltung eines Abschnittes über die kärntische
Herzogswahl eine deutliche Beziehung zu diesem Lande auf-
weisen. Es ist daher nicht überraschend, dass eine gewisse Text-
form dieses Rechtsbuchs geradezu die österreichische genannt
wird oder sich selbst als solche bezeichnet,® wie etwa Hand-
Rationarium Styriee vom Jahre 1265. Rauch, Ss. II, 1 und 114 ff., s. a. Meli,
Die mittelalterlichen Urhafe und Aufzeichnungen in Steiermark, in den Beiträgen
2ur Kunde steierm. Geschichtsquellen, XXV, 1893. — Die Rechnungshücher der
<)sterr. Herzoge von 1326 his 1338 in Chmel's Geschichtsforscher, I, II. — Ein-
künfte der Herzoge 1437/8 bei Chmel, Materialien, I, 82; Amtsrechnungen über
die fürstlichen Gefälle in der Grafschaft Tirol 1297 bei Fr ei her g, Neue Bei-
träge zur vaterländischen Geschichte, München, 1837, 1, 161 ff. ; von 1303 bis 1305
in ChmeTs Geschichtsforscher, II, 133 ff. — Meinhard's II. Urbare der Grafschaft
Tirol (1288), Fontes, R.-A., Bd. 45. —Lehenbücher Herzog Albrecht's V.,N. B. VIII,
IX, 1858, 1859, des Königs Ladislaus, N. B. IV, 1854.
8 Vgl. z. B. das Handschriften-Verzeichnis der Gießener Bibliothek von
Adrian, S. 308, Nr. MXI, Fol. 60 ff. : „Speculum suevicum uti illud in Austria usitatum
fait", und meine Notiz in Bd. 12, der Zeitschr. für Rechtsgeschichte, S. 317. —
Vom Cod. Csesareus, jetzt in der k. Hofbibliothek in Wien, Cod. 2695, wird er-
zählt, dass er dem Gebrauch der österr. Herrscher seit König Rudolf I. gedient
habe (Senckenberg Visiones 207), er gehört indessen erst der Mitte des 14. Jahr-
134 österreichische Reichegeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 21.
ßchrift 78 der niederosterreichischen Landes-Bibliothek zu Wien,
welche unter dem Titel „etlich schöne Capitl aus den khaiser-
lichen rechten gezogen und wie di im land Steyr gehalten
werden", 73 Artikel des sogenannten Schw^abenspiegels anführt.
§ 21. Bechtsquellen für Österreich ob nnd unter der Enns.
Ein ürkundenbuch für Österreich unter der Enns fehlt noch, was so
heißt, ist das vom Verein für Landeskunde von Niederösterreich seit 1887
herausgegebene Ü.-B. von St. Polten; einigen Ersatz bieten Meiller's Baben-
berger Regesten, 1850, und die von Birk gearbeiteten Regesten im Anhang
zu Lichno wsky, Geschichte des Hauses Habsburg, die U.-B. der Klöster Qött-
weigh, Heiligenkreuz u. s. w. in Fontes U. Vom Ü.-B. für Österreich ob der Enns
sind 8 Bände, die bis 1375 reichen, erschienen.
>
1. Reichs-Privilegien für das Herrscherhaus. Als öster-
reichische Preiheitsbriefe im engeren Sinne bezeichnet man sieben
Urkunden, von welchen zwei, das sogenannte Privilegium minus
von 1156 und dessen Bestätigung, unzweifelhaft echt sind, ob-
schon sie nur in alten Abschriften überliefert sind. Die fünf
anderen mit den Daten 1058, 1156 (pr. majus), 1228, 1245 (Be-
stätigung des pr. majus) 1283, sind dagegen erst um 1358—59
auf Veranlassung Herzog Rudolfs IV. entstanden^ und daher in
ihrem Ursprünge unecht, wiewohl sie später durch Kaiser Fried-
rich HI. (1453, 6. Jänner) mit Zustimmung der Kurfürsten be-
stätigt, und durch neue Vorrechte, namentlich die ausdrückliche
hundert» an. — Über die Öechische Übersetzung des Schwabenspiegels von der
mehr als ein Viertelhundert Handschriften bekannt sind, s. die Notiz Rockinger's
in S. B., Bd. 107, ß. 16.
1 Aus der zahlreichen Literatur über die Freiheitsbriefe hebe ich hervor t
Wattenbach, im Archiv, Bd. 8; Huber, in S. B., Bd. 35; Berchtold, Die
Landeshoheit Österreichs nach den echten und unechten Freiheitsbriefen, 1862.
Die von diesem, S. 36, Anm. 11, ausgesprochene Vermuthung, dass sich auch
unter den Bestätigungsbiiefen einzelner Rechte „noch manche unechte Urkunde*
befinde, bezeichnet Steinherz in den Mitth. d. Instituts, IX, 65, Anm. 1, nach
Einsicht in die Originale des Wiener Staatsarchivs als grundlose Verdächtigung. —
Aufgezählt sind sie in meiner Geschichte des ält^m Gerichtswesens in Öster-
reich, S. 22 ff. Der Entwurf von 1245 ist mehrfach gedruckt, u. a. im Ü.-B. für
Steiermark, II, 568 ff. Das Vidimus der österr. Freiheitsbriefe vom 11. Juli 1360
mit Urkunden vom Jahre 1058 bis 1309, s. N. B. VI (1856), S. 99 flf., die Be-
lehnungsbriefe, die Privilegia de non evocando u. s. w. bei Schrot ter, 1. und
2. Abhandlung.
Die Österrjelchiachen Freiheitsbrlöfe; Das österreichische Landesrecht. 135
Verleihung des Erzherzogstitels erweitert, in dieser Gestalt reichs-
rechtliche Anerkennung fanden.
Außerdem erwirkten die österreichischen Herzoge seit
Albrecht II. eine Reihe „privilegia de non evocando", Befreiung
von der Gerichtsbarkeit der Vemgerichte u. dgl. m. Entwurf
blieb die von Kaiser Friedrich IL dem Herzog Friedrich IL
angebotene Erhebung von Österreich und Steiermark zu einem
Königthum (1245).
2. Unter den von den Mitgliedern des Herrscherhauses selbst
getroffenen Vereinbarungen über die Ausübung der Herrscher-
rechte sind hervorzuheben, abgesehen von dem Erlasse König
Rudolfs vom 1. Juni 1283, der Österreich und Steiermark dem
Herzog Albrecht L sicherte (Schrötter, V, 343), die Haus-
ordnungen Herzog Albrecht's IL und Rudolfs IV. von 1355 und
1364 bei Steyrer Commentarii, 185 und 401 flf. Die Theilungs-
verträge und Abmachungen über die Vormundschaft im Codex
Coroninus bei Rauch, Ss. IIL
3. Das österreichische Landesrecht^ ist uns in zwei
Fassungen überliefert. Die ältere, kürzere Form mit 70 Artikeln
bezeichnet sich selbst als „die recht nach gewonhait des landes
bei herzog Lewpolten von Österreich" und ist eine zur Zeit der
Ächtung Herzog Friedrich's IL durch den Landesadel veranstaltete
Sanmilung des in Österreich geltenden Rechts (Gewohnheiten,
Reichs- und Landesgesetze), die dem Kaiser Friedrich IL in den
Jahren 1236—37 zur Bestätigung vorgelegt wurde. Unter den
bekannten Handschriften dieser Rechtsaufzeichnung ist jene des
ungarischen Nationalmuseums dadurch bemerkenswert, dass sie
die land- und lehensrechtlichen Bestimmungen des Landesrechtes
in systematischer Umstellung mit dem als Kaiserrecht voran-
3 Die beste Ausgabe bietet V. Hasenohr 1, österr. Landesrecht im 13. und
14 Jahrhundert. Wien, 1867. Zu den fünf von ihm beschriebenen Handschriften,
die sämmtlich dem 15. Jahrhundert angehören, und dem Ludwig'schen Druck
kommen noch hinzu : eine Abschrift aus dem 16. Jahrhundert in den s. g. Schön-
kircher Büchern (vgl. Adler in den S. B. der k. Akad., Bd. 126) und der von mir
verglichene Cod. 28.909 des germanischen Museums, der die jüngere Form ent-
hält. Rößler machte überdies auf einen Gießener Codex aufmerksam, derselbe
ist jedoch lediglich die von Senckenberg für den synoptischen Druck in seinen
Visiones angefertigte Abschrift des Harrach'schen Ms., jetzt Wiener Hof-
bibliothek und des Ludwig'schen Drucks.
136 Österreichische Roichsgeschichte. J. Theil. Zweite Periode. § 21.
gestellten Land- und Lehensrechte des sogenannten Schwaben-
spiegels vereinigt.
Die längere Fassung — in einer Handschrift als : „Des landes
rechten in Österreich" bezeichnet — lässt mehrere Artikel der
Rechtsaufzeichnung weg und stellt an den Anfang der übrigen
im Tone des Gesetzgebers ein „Wir setzen und gepieten*'. Die
31 neuen Bestimmungen, die fast sämmtlich zwischen § 35 und
65 eingeschoben sind, haben durchwegs, bis auf drei, die durch
ein befehlendes „Soll" eingeleitet sind, ein „Wir setzen und ge-
pieten" oder das gleichwertige „Wir wellen und gepieten" an
ihrer Spitze.
Während man über Alter und Charakter der „Rechts-
aufzeichnung" des österreichischen Landesrechts einig ist, gehen
die Ansichten über die Entstehungszeit und die Bedeutung der
längeren Passung auseinander. Positive Zeugnisse und innere
Gründe sprechen dafür, dass uns hier ein von den österreichischen
Landherren ums Jahr 1298 ausgearbeiteter Gesetzentwurf des
Landesrechts vorliegt,^ dem König Albrecht die Genehmigung
versagt hat. Demgemäß ist auch der Wert, den die beiden
Passungen für die österreichische Rechtsgeschichte haben, ver-
schieden. Die Rechtsaufzeichnung darf als ein getreuer Spiegel
des Rechtszustandes in Österreich im ersten Drittel des 13. Jahr-
hundert betrachtet werden, die Zusätze und Abänderungen der
jungem Porm gehören einem Entwurf an, der niemals Gesetzes-
8 Dies habe ich in meiner Abhandlung .Die Entstehungszeit des österr.
Landesrechts", Graz, 1872, ausgeführt. Dagegen ist neuestens (1892) A. Dopsch
im 79. Band des Archivs, S. 1—99, aufgetreten, der es für eine Landesordnung
hält, die König Otakar im Jahre 1266 erlassen habe, um den Übermuth der
Landherren einzudämmen. Ich kann mich dieser neuen Meinung umsoweniger
anschließen, als ich schon in der Auffassung über Wesen und Zweck dieser
jungem Form des österr. Landesrechts von D. abweiche. Dass Stärkung der
landesfürstlichen Macht die Triebfeder zur Umarbeitung des Landesrechts war,
ist eine Ansicht, mit der D. ziemlich vereinzelt steht. Die Mehrzahl der Forscher,
von Senckenberg angefangen, erkannte gleich mir in den Zusätzen das entgegen-
gesetzte Bestreben des hohem Adels, der nach Beschränkung der Fürstengewalt
trachtete. Zuzugeben ist, dass die jüngere Form manches aus der otakarischen
Gesetzgebung aufgenommen hat, allein das war schon früher bekannt. (Vgl.
z. B. meine Abhandlung S. 37.) Sie enthält aber außerdem Bestimmungen, welche
deutlich auf den Schluss des 13. Jahrhunderts als frühesten Termin für die
Entstehung der Sammlung hinweisen, wie ich an anderm Orte darthun werde.
östorreichisohes Landesrecht, Frohnbuch, Landfrieden, Pormelbücher. 137
kraft erlangt hat. Sie gewähren einen lehrreichen Einblick in die
Ziele und Strebungen der österreichischen Landherren, kommen
jedoch als Zeugnisse für die spätere Rechtsentwicklung nur soweit
in Betracht, als ihr Inhalt durch andere Quellen bestätigt wird.
4. Das Frohnbuch des Herzogthums Österreich unter der
Enns ist das Protokoll des herzoglichen Hofgerichts. Erhalten ist
der Band, der die Jahre 1386 bis 1397 umfasst und gedruckt nur
ein ganz ungenügender Auszug in Schlager's „Wiener Skizzen",
1836, II, S. 68—126. Ein zweiter Band, den Zeibig erwähnt
(Archiv, Bd. 7, S. 257, Anm. 25), ist seit etwa 30 Jahren verschollen.
5. Landfriedensgesetze, u. zw.:
a) Die um 1251 erlassene Forma pacis quam instituit Otachar
Dux in Austria (Archiv, Bd. 1, 55—60);
b) Landfrieden König Rudolfs: vom 3. December 1276, er-
lassen auf fünf Jahre für sämmtliche Lande, die König Otakar
dem Reiche zm'ückgestellt hatte (Mon. Germ., Pol., Leg. II. 410, u. ö.)
und ein mit den Städten, Rittern und Knappen Österreichs ver-
einbarter ohne Datum, der wahrscheinlich ins Jahr 1281 gehört.
U.-B. ob der Enns III, 580, stellt denselben zum Jahre 1277 ;
c) Landfrieden aus dem 15. Jahrhundert: von Herzog
Leopold IV. vom 2. Jänner 1407; Notel des Landfrieds, 1443,
6. December. (Kurz, König Albrecht II., 1. Bd., 281, Kollär,
Analecta, II, 1131 ff.) Landfrieden vom Jahre 1464, in Strein's
Landhandfeste, Buch II, Nr. 11, und Chmel, Material., II, 280.
6. Gerichtsordnung König Albrecht's I. für Österreich ob der
Enns, 1299, 23. März, Zürich. (U.-B. o. E., IV., 308.)
Eine neue Ordnung Rechtens in Österreich unter der Enns
von Kaiser Friedrich III. citiert Schwabe in seinem Versuch
über die ersten Grundlinien des österreichischen Landadelrechts.
(Wien, 1782, S. 25.) Das Manuscript, das er in der Windhag'schen
Bibliothek gesehen haben will, ist verschollen, im gedruckten
Katalog der Windhagiana habe ich. es nicht verzeichnet gefunden.
7. Formelbücher. Jene aus der Zeit König Rudolfs I. gehen
auf eine Sammlung zurück, die der königliche Notar Andreas
von Rode in den Jahren 1277 bis 1281 zu Wien zusammengestellt
haben dürfte. Die „Summa de literis missUibus" vollendete der
kaiserliche Notar Peter von Hall im Jahre 1337 ebenfalls zu
Wien mit Benützung österreichischer Urkunden; ungedruckt ist
138 . Österreichische Reichsgeschichte. I. Theil, Zweite Periode. § 21.
ein etwa hundert Jähre jüngeres Pormelbuch (Cod. 238 der n.-ö.
Landschaft), das Muster zu österreichischen Privaturkunden und
Gerichtsbriefen enthält.
8. Stadtrechte.* Als das älteste und das reichhaltigste Stadt-
recht in Österreich ist das Wiener an die Spitze zu stellen. Wahr-
scheinlich wurde der Stadt vom Herzog Leopold VL schon bei
seinem Regierungsantritt (1198) ein Privilegium verliehen, das bis
auf ein Bruchstück bei Lazius verloren gegangen ist. Erhalten ist
uns die umfänglichere Passung vom Jahre 1221, die 1244 durch
Herzog Friedrich IL mit wenig Änderungen bestätigt wurde und die
Grundlage des spätem Privat- und Strafrechts bildete, während
die beiden Privilegien Kaiser Priedrich's II. von 1237 und 1247
ebenso von andern Gesichtspunkten aus, öffentliches Recht und
die städtische Verfassung regelten. Erst König Rudolf L hat die
auseinandergehenden Richtungen, in denen sich das städtische
Rechtsleben bisher bewegt hatte, durch seine beiden Handfesten
vom 24. Juni 1278 beseitigt und der Rechtsentwicklung über das
Mittelalter hinaus eine einheitliche Bahn gewiesen, die auch von
den spätem Handfesten der Herzoge Albrecht L und H. (1296, 1340)
eingehalten wurde.
Großer Verbreitung hat sich, nach den vielen Handschriften
zu schließen, das s. g. Wiener Stadtrechts- oder WeichbUdbuch
erfreut. Es zeichnet sich durch eine für die Zeit seiner Entstehung
(vor 1360) sehr beachtenswerte Systematik in der Anordnung des
Stoffes aus und ist die Privatarbeit eines Wiener Vorsprechers,
der Rechtssuchenden Behelfe zur Wahrung ihrer Rechte an die
Hand geben wollte. Von den 151 Artikeln sind Artikel 95 — 109
wörtlich dem s. g. Schwabenspiegel entnommen, jedoch wahr-
scheinlich späterer Einschub. Bemerkt mag werden, dass die aus
* Bischoff a. a. 0. unter den Ortsnamen als Schlagwort. — Meiller,
Österr. Stadtrechte und Satzungen aus der Zeit der Babenberger (Archiv X). —
Winter, Urkundliche Beiträge zur Rechtsgeschichte o. und n.-ö. Städte u. s. w.
1877, und Beiträge zur n.-ö. Rechts- und Verwaltungsgeschichte in den Blättern
des Vereins für Landeskunde von Nieder Österreich. 1881/4, 1892. — Rechte
und Freiheiten der Stadt Wien, herausgegeben von Tomasche k, 1877, 1879. —
— Das Wiener Stadtrechts- oder W^eichbildbuch, herausgegeben von Schuster,
1873. — Arbeiten von Würth und Winter über das Stadtrecht von Wiener-
Neustadt s. österr. Zeitschrift für Rechts- und Staatswissenschaft, 1846, und
Archiv, Bd. 60, über das Komeuburger Recht, Archiv, Bd. 63.
österreichische Stadtrechte, Münzgesetze, Weisthümer. 139
Judenburg stammende Handschrift Nr. 138 des steirischen Landes-
archivs vom Jahre 1498 die Beziehungen auf Wien tilgt und
durch ein eingeschaltetes „Judenburg'' ersetzt.
Rathsbeschlüsse, welche die Fortbildung des Stadtrechta be-
treffen, bietet die Tomaschek'sche Ausgabe der Rechte und
Freiheiten von Wien, die vom Rathe erlassenen Zunftordnungen,
der Auszug aus dem Eid- und Innungs-Ordnungenbuch der Stadt
Wien im 3. Bande der Berichte des Wiener Alterthumsvereins.
Das Wiener Recht wurde mit localer Anpassung auf Enns
(1212), Hainburg (1244), Eggenburg (1277), Krems (1305), Komeu-
burg (1311), auf mährische Städte u. s. w. übertragen. Das Rechts-
denkmal für Wiener-Neustadt, das den Namen eines Herzogs
Leopold an der Spitze trägt, ist wahrscheinlich eine aus echten
Privilegien, Rathsschlüssen, Taidingsaufzeichnungen, dem Wiener
Recht vom Jahre 1244 u. s. w. um 1276/77 zusammengestellte Privat-
arbeit. Das umfängliche Stadtrecht, das St. Polten im Jahre 1338
vom Bischof Albrecht IL von Passau erhielt, ist schon deshalb
bemerkenswert, weil es die Rechtsentwicklung einer grundherrlichen
Stadt in Österreich beleuchtet. — Im 15. Jahrhundert ist öfters
von einem gemeinen Recht der Städte in Österreich die Rede,
80 1463 im NiederlagsprivUegium für Brück a. d. Leitha, 1480 bei
Erhebung des Ortes Baden zur Stadt.
9. Münzgesetze. Das Münzbuch Albrechts von Eberstorf,
Obersten Kämmerers in Österreich, das um 1450 zusammen-
getragen wurde, hat Karajan im Geschichtsforscher I heraus-
gegeben. Ein kürzeres Wiener Münzrecht von angeblich circa
1450, das jedoch ins Jahr 1437 gehört, enthalten die Rechte und
FreUieiten der Stadt Wien, II, 65 flf.
10. Bäuerliche Rechtsquellen.^ — Jakob Grimm war noch
bei Ausgabe seiner Rechtsalterthümer (1828) der Ansicht, dass
Weisthümer, deren Bedeutung für die Rechtsgeschichte er nach-
drücklich hervorgehoben hat, in unseren Gegenden nur in geringer
Zahl, und zwar in Österreich ob der Enns, in Tirol und Salzburg
* österreichische Weisthümer, Bd. 7, herausgegeben von G. Winter für
das Viertel unterm W. W. Die Kaltenhaeok'sche Ausgabe der Bann- und Berg-
taidingbücher in Österreich u. d. E. blieb unvollendet. (1846/7.) Vgl. auch Kar aj an
im österr. Geschichtsf., II, 113. Meiller und Zahn im Archiv, Bd. 12, 27,
Osenbrüggen in S. B., Bd. 41.
140 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 21 und 22.
anzutreflfen sein dürften. Seither hat die Erschließung der Archive
und Bibliotheken gezeigt, dass im Gegentheil gerade die öster-
reichischen Lande gewiss ebensoviel von diesen bäuerlichen Rechts-
quellen besitzen, als in der großen Grimm'schen Sammlung aus
ganz Deutschland zusammengebracht wurde, wie denn beispiels-
weise allein aus dem Viertel unterm Wiener Wald Weisthümer
von 150 Ortschaften in die Ausgabe der kaiserlichen Akademie
d. W. aufgenommen werden konnten. Viele von diesen Bann- und
Bergtaidingen, Schifferrechten, Pischertaidingen u. dgl. reichen nicht
bloß dem Inhalt, sondern auch der Aufzeichnung nach ins Mittel-
alter zurück, beispielsweise die Weisthümer von Kottes, Straßdorf
und Landfriedstetten die von 1322, 1348 und 1371 erhalten sind.
§ 22. Bechtsquellen fDr Innerösterreich.
Urkundenbticher für Steiermark (Zahn), I, II, bis 1246 und für Krain
(Schumi), I, n, bis 1269. — Regesten zur Geschichte Kärntens (Ankershofen»,
Nr. 1—1318 (bis zum Jahre 1269), im Archiv Bd. 1—32. — Tomaschek, im
Archiv für vaterländische Geschichte, Bd. 6-9, 785 Stück ; für Steiermark: Gö th,
in Mitth. des bist. Vereines, Bd. 5—14.
1. Ständische Privilegien.^ Gemeinsame Grundlage der
Landesfreiheiten von Innerösterreich, die als Landhandfeste für
Steiermark in acht Ausgaben (zwischen 1523—1842), für Krain
zweimal (1598 und 1687), für Kärnten 1610 erschienen, ist die
Urkunde Herzog Otakar's vom 16. August 1186, in welcher den
steirischen Ministerialen und der unfreien Ritterschaft die her-
kömmlichen Rechte bestätigt und vermehrt wurden. Erweitert
wurden diese Freiheiten den Steirern durch Kaiser Friedrich IL
(1237) und König Rudolf I. (1277) und bestätigt durch Herzog
Albrecht 1292. Die beiden Urkunden von 1277 und 1292 nebst
dem Rudolfinischen Landfrieden von 1276 w^urden 1414 und
1424 in eine Urkunde zusammengefasst und hießen die goldene
Bulle der Steirer, seitdem sie König Friedrich IV. im Jahre
1443 unter Anhängung eines goldenen Siegels bestätigt hatte.
Kärnten und Krain erhielten am 14. und 16. September 1338
zwei gleichlautende Handfesten von Herzog Albrecht IL, in welchen
1 Ankershofen, Kämtnerisches Landrecht vom Jahre 1338 (Archiv für
vaterländische Geschichte und Topographie, III, 43). — Für Steiermark: Beiträge
zur Kunde steir. Geschichtsquellen: „Die steirischen Landhandfesten".
Innerösterreichische Landhandfesten; Das steiermärkische Landesrecht. 141
den LandherreD, Rittern und Knechten die hergebrachten Gewohn-
heiten bestätigt und neue Rechte verliehen wurden. Im übrigen
aber sollten sie sich richten „nach dem recht als unser Herren
und Edelleut in unserm Lande ze Steyer". Die Bestätigung dieser
Urkunden durch Herzog Ernst im Jahre 1414 wurde 1444 für
Kärnten, 1460 für Krain von Kaiser Friedrich HL um 13 (be-
ziehungsweise um 7) Artikel aus der Handfeste Herzog Otakar's
vom Jahre 1186 vermehrt und hieß fortan nach der Art ihrer
Besiegelung die goldene Bulle der Kärntner, beziehungsweise
der Krainer.
Außerdem gab es für jede Landschaft noch besondere Gesetze.
Für Steiermark die sogenannte Reformation der Landhandfeste vom
6. November 1445, um die Streitigkeiten zwischen den oberen
Ständen und den Städten und Märkten beizulegen, was einem
kürzeren Vergleiche unter Herzog Ernst (vom 12. Juli 1418) nicht
gelungen war. Für Kärnten wären die Einsetzung des „Gerichts
der Gewizzenden" (1279, 8. März), die Abschaffung des gericht-
lichen Zwe&fes, 1338, und Kaiser Friedrjich's Bestätigung der
Landgerichte und des Landrechtes, 1444, zu erwähnen. Außerdem
hatten die Knechte und Ritter auf den görzischen Besitzungen
in der windischen Mark und Istrien, die später zu Krain ge-
zogen wurden, im Jahre 1365 vom Grafen Albrecht von Görz
gleichlautende Verbriefungen ihrer Rechte erlangt, die von den
habsburgischen Herrschern oft (1374, 1444, 1494 . . .) bestätigt
wurden.
2. Das steiermärkische Landesrecht ist die um die
Mitte des 14. Jahrhunderts entstandene Privatarbeit eines ge-
richtskundigen Verfassers, der sein Werk, wie es scheint, nur
aus heimischen Quellen, vor allem aus der Rechtspraxis geschöpft
hat und das in Steiermark überhaupt geltende Recht darstellen
wollte. Von den 252 Artikeln, die das Werk enthält, behandeln
die ersten 84 meist gerichtliches Verfahren, Artikel 85 — 120 das
Herrenrecht, 120—129 die Bürgschaft, 204—242 Strafrecht,
245—252 Judenrecht. In den übrigen Theilen herrscht völlige
Planlosigkeit. Das Landrecht war in ganz Innerösterreich ver-
breitet und mehrere von den dreizehn bekannten Handschriften
bezeichnen es ausdrücklich auch als Recht und Gewohnheit der
Landschaft Kärnten. Ausgabe von F. Bisch off, Graz, 1873.
142 Osterreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 22.
3. Stadtrechte. In Innerösterreich war das Städtewesen
von geringerer Bedeutung als im Lande ob und unter der Enns.*
Die Stadtrechte beruhen fast durchwegs auf den Privilegien
der Stadtherren und gehen nicht über die Zeit König Otakar's
zurück. Nur in Pettau kam es im Jahre 1376 zu einer Weisung
der Rathsgeschworenen in 195 Artikeln über das, was in der
Stadt rechtens sei, welche nach dem Wiener Rechtsbuche zu
den reichhaltigsten Stadtrechts-Aufzeichnungen in den deutsch-
österreichischen Ländern gehört, durchaus deutschen Charakter
hat und die Grundlage für die Reformation des Pettauer Rechts
durch Erzbischof Leonhard im Jahre 1513 bildete. In Judenburg
scheint man die Einführung von Wiener Recht versucht zu
haben, darauf deutet eine aus dem Stadtarchiv stammende Hand-
schrift, welche das Wiener Rechtsbuch und die Wiener Handfeste
von 1340 enthält, aber den darin vorkommenden Namen Wien auf
Judenburg umschreibt.
In Kärnten sind die Stadtrechte von St. Veit (1308), Klagen-
furt (1338), Wolfsberg (1331), Gmünd (1346), St. Leonhard (1325),
in Krain jene für Laibach (seit 1320) hervorzuheben.
4. Bäuerliche Rechtsquellen. 75 steirische und
22 känitische Taidinge haben F. Bischoff und Schönbäch in
der Weisthümersammlung der k. Akademie d. W. (Bd. VI) heraus-
gegeben. Aufzeichnungen aus Krain sind noch nicht bekannt ge-
worden, wohl aber muss es solche hier im Mittelalter gegeben
haben, da die Abhaltung von Banntaidingen beispielsweise in
Acten der Herrschaft Auersberg aus dem 15. Jahrhundert er-
wähnt wird.
Der Weinbau hat überdies zur Sammlung der allgemeinen
Sätze des „steirischen Bergrechts" Anlass gegeben, die uns in
2 Eine chronologische Sammlung der Privilegien steir. Städte und Märkte
in Zahn's Geschichtsblätter, Bd. 1—6, 95 Urkunden von 1270-1380; die Privi-
legien von Graz, Brück, Eisenerz, Vordernberg, Tüffer hat Wartinger, jene
von Luttenberg, Radkersburg, Pürstenfeld Hof rieht er herausgegeben. Ausgabe
des Pettauer Stadtrechts vom Jahre 1376 durch F. Bischoff, S. B., Bd. 113,
S. 695 tr. ~ Diplomatariura Labacense als Beilage zu den Mitth. des bist. Vereins
für Krain, 1855, 107 Urkunden von 1320—1660. — Die übrigen Nachweise bei
Bischoff, Stadtrechte. — Materialien zur inneren Geschichte der Zünfte in
Steiermark (seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts) bietet Zahn in den
Beiträgen zur Kunde steirischer Geschichtsquellen, XIV, XV, XVIII.
Innerösterr. Stadtrechte, Weisthümer, Bergwerks- und Münzordnungen. 143
mehreren Handschriften (älteste vom Jahre 1442) überliefert
sind. Daneben gab es in den slavischen Landestheilen Privilegien
für die sogenannten EdÜDger zu Tüchern, Sagor, Moosburg in
Kärnten u. s, w., welche in die Zeiten der letzten Grafen von
Cilli und Kaiser Priedrich's III. zurückreichen.
5. Rechtsgrundsätze für den Bergbau haben in
Innerösterreich, wo die Gewinnung von Metallen schon vor dem
Jahre 1000 bergmäßig erfolgte, sehr frühzeitig Aufzeichnung ge-
funden. Zu den ältesten Quellen dieser Art, die es in Österreich
gibt, zählen Verträge seit etwa 1185, die das Kloster Admont
über den Abbau seiner Silbergruben am Zessenberge in Kärnten
geschlossen hat. In der Folge gelangte das Bergrecht der Silber-
gruben von Zeiring, das im Jahre 1325 auf St. Leonhard im
obern Lavantthale übertragen wurde, zu großem Ansehen. Von
noch größerer Bedeutung aber wurde das Rechtsweisthum, das
1408 der Bergrichter, Rath, Bürgerschaft und die Knappen von
Schladming über das dort herkömmliche Bergrecht abgaben, der
8. g. Schladminger Bergbrief, der in Tirol, Salzburg, Bayern, ja
sogar im Venezianischen Eingang in die spätem Bergordnungen
gefunden hat.'
6. Formelbücher. 35 Formeln von Gerichtsbriefen der
Grazer Landschranne (1415 — 1433) hat F. Bischoff in der Aus-
gabe des steirischen Landesrechts, S. 176 flF., mitgetheilt. Das Formel-
buch des Rottenmanner Bürgers und Notars Ulrich Klennecker,
der zwischen 1452 — 1475 thätig war, verwahrt die königliche Biblio-
thek zu Dresden als Cod. 63. Ein Admonter Formelbuch aus dem
Ende des 15. Jahrhunderts, siehe Beiträge zur Kunde steirischer
Geschichtsquellen, XVII.
7. Münzgesetze. — Die Münzordnung Herzog Albrecht's IL
für Steiermark vom Jahre 1339, s. in ChmeTs Geschichtsforscher,
I, 477, Nr. LXIIL Die Münzconventionen zwischen den Erz-
hischöfen von Salzburg und den Herzogen von Kärnten von 1268,
1268, 1334 über gemeinsamen Umlauf ihrer Gepräge in Kärnten
bei Kleymayrn, Unparteiische Abhandlung, S. 370 flf.
8 Neue Ausgabe von F. Bischoff in der Zeitschrift des D.-ö. Alpen-
vereins XXI (1891). Die Admonter Verträge im Ü.-B. f. St., I, 11; das Zeiringer
Recht bei Zahn, Geschichtsblätter, II, aus Sperges* Bergwerksgeschichte 281.
144 Österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 23.
§ 23. Die Bechtsqnellen der westlichen Alpenländer: Tirol,
Yorarlberg, Salzburg.
Rapp, Über das vaterländische Statuten wesen in den Beiträgen zur Oe-
schichte von Tirol, Bd. 3, 5, 8. — Übersicht der Landes-, Thals-, Gerichts- und
Ortsstatute bei Wörz, Gesetze in Bezug auf Cultur des Bodens in Tirol u. s. w.
I, 6 ff. und Sartori, Die Thal- und Gerichtsgemeinde Fleiras, Anh. 2 in der Zeit-
schrift des Ferdinandeums, 36. — Die Stadtbticher von Brixen und Sterzing,
8. Geschichtsfreund, I, 1866. — Über die Statuten von Trient s. Tomaschek
in S. B. Bd. 33 und Archiv, Bd. 26. — Tirolischo Weisthümer, herausgegeben
von Zingerle und Inama-Sternegg, 4 Bde.
1. Ständische Privilegien beginnen in Tirol mit dem
Briefe Ludwig des Brandenburger's vom Jahre 1342 und der
Landesordnung von 1352. Der Bundesbrief von angeblich 1323
ist hingegen nur ein Entwurf, den der unruhige Adel 1423 doch
ohne gehoflften Erfolg verfasste. Der erste erhaltene Landtags-
abschied ist vom Jahre 1420. Ein Verzeichnis der Ulrichen von
Frundsberg anvertrauten Landesfreiheiten, die 1502 der Landschaft
zurückgestellt wurden, siehe bei Rapp (V, 177).
Wichtige Quellen für die Geschichte der ständischen Be-
wegung zu Anfang des 15. Jahrhunderts bilden die Bundbriefe.
Die Urkunde des Igelbunds der salzburgischen Landschaft vom
Jahre 1403, bei der an allen vier Seiten die Siegel der Bundes-
mitglieder hängen, ist im Museum zu Salzburg. Den Wortlaut des
Tiroler Elephantenbunds von 1406 und des großen Bunds von 1407
findet man bei Brandis, Landeshauptleute von Tirol. S. 151 und 158.
2. Landfriedenseinung zwischen Bischof Heinrich von
Brixen, den Stiftsministerialen und dem Grafen von Tirol, be-
schworen an der Ladritscher Brücke 1229 bei Sinnacher, Beiträge
zur Geschichte Brixens, IV, 218.
Ein Landfrieden des Erzbischofs Rudolf von Salzburg vom
Jahre 1287 und die Landesordnung Erzbischof Priedrich's IIL,
29. September 1328, mit 48 Artikeln meist strafrechtlichen Inhalts
bei Rößler, über Geschichte des Rechts in Österreich, S. Iff.
Polizeiliche Verordnungen des Erzbischofs Johann von 1440 im
N. B. III (1853), S. 213.
3. Stadtrechte. Innsbruck führte sein Stadtrecht auf ein
Privilegium Herzog Otto's von Meranien zurück (1239), Feldkirch
Rechtsquellen: Tirol, Vorarlberg, Salzburg. 145
erhielt 1229 das Marktrecht wie Lindau. Umfängliche Aufzeich-
nungen meist polizeilichen Inhalts gibt es für Brixen vom Jahre
1380 und für Sterzing 1417. Salzburg erwirkte 1286 eine Be-
stätigung seiner Rechte, 1287 erließ der Erzbischof Rudolf den ob-
erwähnten Friedbrief zur Behebung der Zwistigkeiten zwischen
reichen und armen Bürgern. Auf die freie Raths- und Bürger-
meister-Wahl, die Kaiser Friedrich III. im Jahre 1481 den Salz-
burgem verliehen hatte, mussten diese 1511 und 1523 gegenüber
den Erzbischöfen Leonhard und Matthäus verzichten.
Trient hat alte Statuten aus der zweiten Hälfte deö 13. Jahr-
hunderts und neuere aus der Zeit des Bischofs Bartholomäus
(1304 — 1307), beide in deutscher Ausfertigung und von lango-
bardischem Recht beeinflusst. Umarbeitungen im Auftrage der
Bischöfe Alexander (1425) und Ulrich (1504) bereiteten den Ab-
schluss durch die s. g. Clesischen Statuten vor (1528), welche im
Umfang des Bisthums bis zur Einführung des Josephinischen und
des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches in Anwendung blieben.
4. Bäuerliche Rechtsquellen. Ordnung Herzog Leo-
pold's IV. für die Bauleute in Tirol (1404). Weisthümer, Öffnungen,
Ehaften kommen in Nordtirol in großer Zahl und aus alter Zeit
vor: Pfunds 1303, Pillersee (14. Jahrhundert) u. s. w. Daneben
gibt es, namentlich im Süden, eine große Menge von Thal- und
Gerichtsstatuten, die zum TheU gleichfalls weit zurückreichen.
Fendls im Oberinnthal 1295, Passeier 1395. Unter den wälsch-
tirolischen Statuten sind manche, wie das Fleimser durch Mischung
deutsch- und römisch-rechtlicher Principien beachtenswert.
5. Rattenberg, Kufstein und Kitzbühel kamen erst
1504 von Bayern an Tirol zurück. Daraus erklärt sich, dass in
diesen drei Gerichtsbezirken das oberbayerische Landrecht Kaiser
Ludwig's IV. vom Jahre 1346 die s. g. Buchsag von alters galt,
und dass diese Geltung auch nach Erlassung der allgemeinen
Tiroler Landesordnung vertragsmäßig anerkannt wurde (noch 1663).
6. Die Bergwerksordnung Bischof Friedrich's von Trient
vom Jahre 1208, die Kink für die älteste Deutschlands erklärte,
8. Codex Wangianus (D. et A., Bd. 5), 430 ff. und bei Sperges
Tiroler Bergwerksgeschichte, S. 281. Bergwerksordnungen der
Salzburger Erzbischöfe von 1342 an s. bei Kleymayrn, Un-
parteiische Abhandlung, § 288 ff.
Lntchln, Otterreiditoclie Reichsgeschlchte. . 10
146 österreichische Reichsgeschiehte. I. Theil. Zweite Periode. § 24 und 25.
§ 24. Triest, Görz, Istrlen, Dalmatien.
Statnti monicipali del comune di Trieste che portano in fronte l'anno 1150.
Ausgabe von P. Kandier, 1849. — Codice Istriano — Atti Istriani, I, II,
mit Statuten von Pola und Parenzo, 1843/46. Leggi statutarie per il buon govemo
della Provincia dlstria» 1757, mit Gesetzen für Venezianisch-Istrien seit 1445. —
Czörnig, Görz, I, 435. — Morel 11, Saggio Storico della Contea di Gorizia,
1773. — Reutz, Verfassung der dalmatinischen Küstenstädte im Mittelalter,
1841. — Schwab, Zur Rechtsgeschichte der Graüschaft Görz (Österr. Blätter
für Litteratur und Kunst, 1846, N. 64). — Wenzel, Zur Quellenkunde der
dalmatinischen Rechtsgeschichte im Mittelalter. (Archiv, Bd. 3.) — Bogi§i6,
Pisani zakoni na slovenskom jugu. 1872. — Monumenta histor. juridica Slavorum
meridionalium, enthaltend die Statuten von Curzola und Spalato, die Libri Re-
formationum für Ragusa u. s. w. Herausgegeben auf Kosten der kgl. südslavischen
Akademie zu Agram durch J. Hanel u. a.
1. Römisches Recht, mit Berücksichtigung der friaulischen
vielfach deutschrechtlichen Rechtsgewohnheiten, bildet die Grund-
lage der Constitutiones Patriae Forojulii, die Patriarch Marquard
von Aquileja (der selbst zu Bologna studiert hatte) im Jahre 1366
ausarbeiten ließ. Obwohl dies Gesetzbuch, von dem es eine alte
deutsche Übersetzung gibt, zunächst nur für Priaul erlassen
wurde, gelangte es in den übrigen Besitzungen des Patriarchats,
namentlich in Istrien, ebenfalls zur Anwendung und galt auch bis
zum Jahre 1500 in der Grafschaft Görz.
Der Freiheitsbrief des Görzer Grafen Albrecht für seine
Ritterschaft in Istrien vom Jahre 1365 ist gleichlautend mit dem
Briefe für die Ritterschaft in der windischen Mark und wie dieser
in die Landhandfeste von Krain aufgenommen. Ein dritter Brief,
ebenfalls vom Jahre 1365, den Graf Albert für die Grafschaft
Görz erließ, ist ungedruckt, scheint aber nach den Andeutungen
bei Czörnig (S. 397, Anra.) mit den beiden andern im Inhalt
übereinzustimmen.
2. Andere Privilegien für größere Landstriche gibt es in diesen
Gegenden nicht, desto zahlreicher sind Statute mit bloß localer
Geltung, deren sich nicht die Städte allein, sondern auch einzelne
Inseln, wie z. B. Curzola (1214—1558) erfreuten. Ungedruckt sind
die görzischen Ortsstatute z. B. für Cormons von 1436 und 1460.
Hervorzuheben sind die gedruckten Statute für:
Rechtsquellen des Kttstenlandos. Ursprung der Landesherrlichkeit. 147
Parenzo, eine Eraeuerung der alten Statuten in drei Büchern
vom Jahre 1363, blieb bis zur Einführung des Code Napoleon,
beziehungsweise des a. b. G. B. in Kraft ;
Pirano besaß schon 1270 ein umfängliches Statut in (min-
destens) drei Büchern und bewahrt (nach Kandler's Angabe) noch
die spätem Revisionen, die von 25 zu 25 Jahren erfolgten: 1307,
1332, 1358, 1384. Im Jahre 1606 erschien das damalige Statut
in Druck;
Pola, Statuten vom Jahre 1431 in fünf Büchern;
Ragusa, Statuten in acht Büchern vom Jahre 1272, dazu
Libri reformationum (Rathsbeschlüsse) vom Jahre 1306 ab;
Spalato, das statutum vetus, schon 1240 vorhanden, wurde
1312 revidiert und in sechs Bücher getheUt. Statuta nova, vom
Jahre 1333 bis 1367 und eine im Jahre 1382 angelegte Sammlung
von Rathsbeschlüssen ;
Triest, ein umfängliches Statut, das angeblich im Jahre
1150 zur Zeit abgefasst wurde, da Graf Heinrich von Görz und
Tirol (!) Podestä war, in der That aber erst um 1300 entstand,
ist uns in einer Handschrift vom Jahre 1318 überliefert. Dasselbe
aerfällt in vier Bücher und 366 Capitel, von denen namentlich
das zweite viele privatrechtliche Bestimmungen enthält.
Geschichte des öflfentlicheu Rechts.
§ 25. Die Entstehung der Landesherrlichkeit.
Berchtold, Die Entwicklung der Landeshoheit in Deutschland. 1863. —
Schröder R., Rechtsgeschiohte, § 50. — Siegel, Rechtsgeschichte, § 97 ff. —
Waiz, V.-Q., Bd. 7, C. 9. — U Singer, Das deutsche Staatsgebiet bis gegen Ende
des 11. Jahrb. (Hist. Zeitschrift, Bd. 27, S. 398 ff.) — S teurer Isidor, Entstehung
des Fürstenthum Bnxen. 1883. (Gymnasialprogranun Brixen.) — Kleymayrn,
Unparteiische Abhandlung von dem Staate des h. Erzstifts Salzburg, 1770.
1 . Die Landesherrlichkeit im deutschen Reiche ist aus einer
Umbildung der Amtsgewalt der Grafen, Markgrafen und Herzoge
hervorgegangen, indem der Amtsauftrag in Befugnisse aufgelöst
wurde, die, in Lehensform ertheilt, dem berechtigten Vasallen
einen bleibenden Anspruch auf deren Inhalt gewährten. Auch die
Herzoge von Karantanien so gut als die Markgrafen der Ostmark
10*
148 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 25.
oder die Grafen von Oberkrain waren anfänglich Reichsbeamte.
Sie blieben es selbst dann noch längere Zeit, als seit den
Ottonen allmählich die Übung aufkam, das Amt durch Belehnung
zu empfangen, was die Bedeutung hatte, dass der Inhaber die
mit dem Amt verbundenen Vortheile für sich zog. Namentlich
erhielt sich diese Amtseigenschaft lang in Karantanien, wo der
königliche Wille innerhalb der Jahre 1002—1077 sieben Herzoge
aus fünf verschiedenen Geschlechtern ernannte, inzwischen die
Stelle zeitweilig (1039—1047) unbesetzt ließ und mannigfache
Veränderungen des Verwaltungssprengels vorkamen.^
2. Die österreichischen Lande standen, abgesehen von ihrer
bleibenden Unterordnung unter das Reich, zeitweilig auch in einer
gewissen Abhängigkeit von den bayerischen Herzogen, die im
10. Jahrhundert oft die Verwaltung des Herzogthums Karantanien
als Nebenamt versahen und überdies vor dem Jahre 976 für die
Grenzhut der Ostmark durch Bestellung der Markgrafen sorgten.
Zu Beginn des 1 1 . Jahrhunderts war diese Einflussnahme Bayerns
hier beseitigt, sie lebte aber in anderer Form während der Wirren
des Investiturstreits sowohl in der Ostmark als in den von
Karantanien abgetrennten Markgebieten wieder auf. Die Baben-
berger waren als Inhaber dreier Grafschaften, die mit der Ost-
mark vereinigt waren, zugleich Mannen der bayerischen Herzoge.
Ebenso hatten die Geschlechter, welche die istrische und die obere
Kärntner (Steier-) Mark verwalteten, gleichzeitig Grafschaften von
den bayerischen Herzogen zu Lehen. Die daraus entspringende
Abhängigkeit hatte, seitdem die Schwächung der königlichen Ge-
walt offenbar geworden war, mehr zu bedeuten als das unmittel-
bare Verhältnis dieser Markgrafen zum Könige. Mit anderen
Worten, diese Markgrafen erschienen zunächst als bayerische
Große, wie sie denn auch als Vasallen zum Besuch der Hoftage
der bayerischen Herzoge verpflichtet waren.^ Dies änderte sich^
^ Istrien wurde um 1047 von Kärnten abgelöst, ebenso Krain, femer
Priaul (1077), die Mark Verona (1122). Vgl. § 15, S. 90.
^ Der im Jahre 1275 gestorbene Abt Hermann von Niederaltaich schreibtr
„nam hueusque quatuor marchiones Austrie et Styrie Istrie et Chambensis qui
dicebatur de Vohburch evocati ad celebrationem curie ducis Bawarie veniebant,
sicuti hodie episcopi ot comites ipsius terrae facere tenentur. — Pontes rer.
Germ. ed. Böhmer, II, 487.
Beziehungen zu Bayern. Weltliche Landesherren. 149
als die genannten Markgrafen in den Jahren 1156 und 1180 selbst
herzogliche Stellung erlangten, mit welcher sich eine lehensrecht-
liche Unterordnung unter den Herzog von Bayern, dessen Standes-
genossen sie nun geworden waren, nicht mehr vertrug. Die Vor-
gänge bei Erhebung der Ostmark zum Herzogthum (die im § 17,
8. 108 des nähern angegeben sind), zeigen, welchen Wert man
damals darauf legte, dass die Lostrennung mit Beobachtung aller
Rechtsförmlichkeiten erfolgte. Bei der Umwandlung der Steier-
mark in ein Herzogthum und der Erhebung der in Istrien herr-
schenden Andechser zu Herzogen fiel hingegen der ausdrückliche
Verzicht des Bayemfursten weg, weil Bayern als verwirktes Lehen
vom Kaiser damals eingezogen war und dieser die Abtrennungen
vornahm, ehe die Verleihung an Otto von Witteisbach erfolgte.
3. Überblickt man den Gang, welchen die Entwicklung der
landesherrlichen Gewalt in den weltlichen Gebieten der nieder-
und oberösterreichischen Landen nahm, so findet man, dass sie
aus dem Zusammenwirken von gar vielerlei Pactoren hervor-
gehen konnte: erblich gewordene Reichsämter und Lehen, allo-
dialer Besitz, Afterlehen, mannigfache Vogtei Verhältnisse , der
Glanz des Herkommens haben dabei mitgewirkt, aber auch Glück,
Klugheit und List, Tapferkeit und rücksichtslose Gewalt der
Machthaber. Je nach dem Überwiegen oder Fehlen der ge-
schüderten Ursachen war auch das Ergebnis derselben, die Aus-
bildung der LandesheiTlichkeit verschieden.
So kam den Babenbergern der Umstand vor allem zu
statten, dass ihre Amtsgewalt nur wenig Einbuße durch Exemtions-
privilegien erfahren hatte, mit welchen die deutschen Könige in
Österreich gekargt hatten, um die Vertheidigungsfähigkeit dieser
„rechten Mark des Reichs" nicht zu sehr zu schwächen. Den
Traungauern diente ebenso ihr ungemein reicher Allodialbesitz,
der das Aufkommen einer andern Macht neben der ihrigen derart
ausBchloss, dass dessen Zuwendung an die Babenberger durch
den Georgenberger Vertrag im Jahre 1186 thatsächlich auch über
das Schicksal des Herzogsamts in Steiermark entschied. Typische
Beispiele für das Aufsteigen von Geschlechtern zu landesherrlicher
Stellung auf Grund der Vogtei bietet uns die Geschichte der Grafen
von Tirol und Görz, die auf Kosten der bevogteten Hochstifte
Brixen. Trient und Aquileja deren Herren wurden.
150 österreichische Reichsgeschichte. I. TheiL Zweite Periode. § 25 und 26.
4. Als eigentlicher Ausgangspunkt für die spätere bevorzugte
Stellung sowohl gegenüber dem Reich, als auch der eigenen
Unterthanen erscheint jedoch immer ein Reichsamt: Grafschaft,
Markgrafschaft, Herzogthum, sei es für sich allein, sei es in Ver-
bindung mit Immunitätsbesitz. Dabei bildeten die Grafenrechte
den wesentlichen Kern für die künftige Landesherrlichkeit, deren
Ausbildung und Erhaltung durch die etwa erlangte markgräfliche
oder herzogliche Gewalt noch mehr begünstigt wurde, weil hier
mancherlei Beschränkungen wegfielen, denen die einfachen Grafen
unterlagen. Da die Machthaber ursprünglich nur auf Widerruf
ernannte Beamte waren, so gieng ihr Trachten dahin, dies Amt
in ihrer Familie erblich zu machen, was sich auffallend früh in
der Ostmark zeigte,' während die Immunitätsherren* auf den Hinzu-
erwerb anderer öffentlicher Rechte, vor allem der hohen Gerichts-
barkeit über größere Bezirke bedacht waren und erst dadurch
zu Landesherren wurden.
Wie in den weltlichen Gebieten, so konnte auch in den
geistlichen Fürstenthümem die Entwicklung der Landesherrlichkeit
sehr verschieden verlaufen. Die Bischöfe von Triest hatten infolge
ihrer Misswirtschaft in Geldsachen ihre Herrschermacht schon zu
Anfang des 14. Jahrhunderts an die aufstrebende Stadtgemeinde
verloren, 1420 fiel Aquileja mit seinen reichen Besitzungen der
Ländersucht Venedigs zum Opfer, weil es durch die Unbotmäßigkeit
seiner Vasallen und die Bedrückungen seiner Vögte durchweg
zerrüttet war. Die Bischöfe von Trient und Brixen bewahrten die
Reichsunmittelbarkeit nur dem Namen nach bis zum Jahre 1803,
da sie eigentlich schon seit Jahrhunderten wenig mehr als privilegierte
Unterthanen ihrer früheren Vögte, der Grafen von Tirol, waren. Nur
das Erzbisthum Salzburg hat bis zum Untergang des Reiches im
heutigen Kronlande und den unmittelbar anstoßenden Besitzungen
3 Die Söhne der Grenzgrafen V^ilhelm und Engelschalk drohten dem von
König Ludwig dem Deutschen in der Ostmark eingesetzten Markgrafen Äribo
mit Fehde, „si non recederet de oomitatu parentum suorum". Ann. FuldenseB
zum Jahre 884 (Mon. Germ., SS. I, 399) und Dümraler im Arohiv, Bd. 10, S. 47.
^ Die Untersuchungen E. Richter's haben gezeigt, dass das landes-
herrliche Gebiet der Erzbischöfe von Salzburg sich keineswegs mit dem alten
Immunitätsbesitz des Erzstiftes deckte, sondern auf den spätem Erwerb von
Grafschaftsrechten zurückzuführen ist — Mitth. des Instituts, E.-B. I, 597 ff.
Schicksale geistlicher Landesherren. Die Herzoge von Österreich. 151
«
die volle, zur Hoheit gesteigerte Landeaherrlichkeit besessen,
wohl darum, weil es seit dem 13. Jahrhundert die erworbenen
Grafschaftsrechte in Händen zu behalten verstand, während Brixen
und Trient sie lehensweise an mächtige Geschlechter vergabten.^
§ 26. Die Stellung der Herzoge von Österreich zum
Deutschen Beich.
Berchtold, Die Landeshoheit östeireichs. München 1862. — Hasenöhr 1,
Österr. Landesrecht, S. 37 ff. — Hauke, C. 1, 2. — Hub er, Reichsgeschichte,
S. 27 ff. — Seidler, I, § 1-4, H, § 1-3. - Werunsky, §5.
1. Nach den früheren Darlegungen bedarf es keines weiteren
Beweises dafür, dass auch die Babenberger die Verwaltung der
Ostmark als Reichsbearate übernahmen. Alle Gewalt im Lande
und über das Land, die an die Markgrafen nicht übertragen war,
stand daher dem Reichsoberhaupte zu. Die Könige hatten von
den Markgrafen nicht bloß die Dienste treuer Beamten zu fordern,
sie sorgten auch für die Wiederbesetzung des erledigten Amtes,
dessen Wirkungskreis sie durch Exemtionsprivilegien beliebig
schmälern konnten; sie schalteten ferner ebenso frei über erobertes
Gebiet (wie die Schicksale der Neumark Österreich zeigen) als
über den reichen Kronbesitz, der in der Mark lag. Doch haben die
deutschen Könige, abgesehen von der Verfügung über Reichsgut,
Regalien ^ und die Dienste der Babenberger in der weit abliegenden
Ostmark von ihren Rechten nur mäßigen Gebrauch gemacht.^ Nur
* Die Erwerbung der Grafschaft durch ein Hochstift enthielt vorerst nur
das Recht, künftiglün selbst den Grafen zu bestellen. Die Erzbischöfe von Salz-
burg halfen sich, solange das im Blutbann gelegene Hindernis für sie bestand,
dadurch, dass sie die Grafschaften an Familien dos landsäßigen Adels verliehen
und später von diesen wieder zurlickerwarben, während die meisten Graf-
schaften von den Bisthümem Trient und Brixen schließlich in die Hände der Grafen
von Tirol kamen. Richter, a. a. 0. 619 und oben § 16, S. 103/4, § 19, S. 122.
1 1049 schenkt Kaiser Heinrich UI. an Passau ex nostra imperiali auctori-
tate ... ins et potestatem legitlmi banni super venatione et foresto in predio (ejus-
dem ecclesiee) in comitatu Adalberti Marchionis n. s. w. M ei Her, B. R. 6, Nr. 14.
' Folgende Übersicht der Krongutsschenkungen in der Ostmark ist nach
Meiller's Babenberger Regesten bearbeitet, die eingeklammerten Zahlen bedeuten
das Jahr der Verleihung: a) Ku'chen und Klöster: Freishig (1033/34, 1049), Salzburg
(1049), Passau (977, 995/96, 1014, 1025, 1049, 1063, 1067), Bamberg, Dompropstei
(1015), Garsten (1142), Göttweigh (1108), Hainburg (1051), Klostemeuburg (1139),
152 österreichische Reichs^eschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 26.
selten wurden Befreiungen von der Amtsgewalt der Markgrafen
gewährt, weil man den Grenzschutz nicht gefährden wollte, ebenso
entschieden nur politische und' militärische Erwägungen dafür,
dass das Gebiet der Mark nicht verkleinert wurde und dass die
Verwaltung bei ein und demselben Geschlechte blieb. So erklärt
es sich, dass die Ostmark ungetheilt vom Vater auf den Sohn
übergieng, ohne dass dadurch ein Erbanspruch der Babenberger
vom König anerkannt worden wäre und dass zu zweienmalen
bei Abgang von Söhnen der Bruder des letzten Markgrafen zur
Nachfolge gerufen wurde.^ Das sind aber auch die Gründe, wes-
halb die Babenberger eine um vieles kräftigere, man möchte
sagen verdichtetere Gewalt hatten, als ihre Amtsgenossen: sie
besaßen eben ungeschmälerte Befugnisse noch zu einer Zeit,
da die Auflösung der Ämterverfassung anderorten schon weit
vorgeschritten war und walteten in einem Gebiet, das sich all-
mählig erweitert hatte, dessen Bevölkerung durch den Ausbau
der inneren Colonisation gestiegen war und in dem sie durch
königliche Schenkungen Eigenthümer weiter Landstrecken ge-
worden waren. Da sie als Markgrafen nicht verpflichtet waren,
die mit der Mark vereinigten Grafschaften weiter zu leihen, konnten
sie die Grafenrechte im ganzen Amtssprengel entweder selbst, oder
durch stellvertretende Beamte ausüben. So scharten sie die an-
gesehensten Männer der Mark um sich auf Landtaidingen, die
der Zweck der Rechtspflege erheischte, oder auf Botdingen, die
sie kraft markgräflicher Banngewalt* nach eigenem Ermessen be-
riefen, so stand ihnen in Landesnöthen das Recht des Aufgebots
zu, und zwar nicht bloß der rittermäßigen, sondern überhaupt
aller waffentüchtigen Leute.
Krerasmünster (1099), Metten (976), Niederaltaich (1011, 1019), St. Polten (1058),
Tegemsee (1002, 1011, 1020), Waldhausen (1147), Weüienstephan (1021);
b) Markgraf und dessen FamUie (1002, 1035, 1043, 1048, 1051, 1058), Herzoge
von Bayern (998), Grafen von Lamhach (1025); c) cuidam mUiti Piligrimo (1002),
Haderich (1055), Luitwin (1066), Kanzler Günther (1055), Azo von Gobazpurch
(Stammvater der Kuenringe, 1057), Sigehoto (1078), Hugo von Kranichberg (1142).
8 Nach dem Tode Heinrich's I. (994 bis 1018), Adalbert (1019 bis 1055),
nach dem Tode Leopold's IV. (f 1141), Heinrich H. (1141 bis 1177).
* Die Verfügung, welche Markgraf Leopold IV., 1136 zu (Kor-) Neuburg,
,consiüo cum meis habito . . . magna optimatum frequentia" getroffen hatte,
wurde secundo et tercio apud Tulnum oppidum et item apud s. Ypolitum
promulgata et confirmata consensu omnium nobilium*. M eil 1er, 6. R. 22, Nr. 56.
Die Erbfolge im Herrscherhause. 153
2. Durch die Erhebung der Ostmark zum Herzogthum wurde
die Macht der Babenberger sehr wesentlich verstärkt, denn sie
behielten die Vortheile, die sieh aus ihrer Stellung als Markgrafen
bisher ergeben hatten, und gewannen neue wichtige Vorrechte
hinzu, durch die sie über andere Fürsten erhoben wurden. Was
bisher bei der Nachfolge nur Übung gewesen, das wurde nun
vom Kaiser erweitert und als Rechtsanspruch der Babenberger
anerkannt, weil das Herzogthum Österreich zu gesammter Hand
an Heinrich Jasomirgott und dessen Gemahlin Theodora gegeben
und die Erbfolge nicht nur auf die Söhne des Herzogs, sondern
bei Mangel solcher auch auf dessen Töchter ausgedehnt wurde.
Ein Blick auf Bayern, wo den Witteisbachern die Vererbung
der herzoglichen Würde im Mannesstaram erst 1208 von Kaiser
Otto IV. verbrieft wurde, dürfte genügen, um die Größe des
kaiserlichen Zugeständnisses an Heinrich Jasomirgott zu ermessen.
Nicht genug an dem, wurde den ersten Erwerbern sogar das Recht
eingeräumt, für den Fall kinderlosen Todes dem Reiche ihren
Nachfolger in Vorschlag zu bringen (jus aflFectandi). Gleichzeitig
wurden die Pflichten gegen das Reich stark eingeschränkt. Die
Obliegenheit der Babenberger zum Besuche der bayerischen Hof-
tage wurde in die ganz ausnahmsweise Begünstigung gewandelt,
dass die Herzoge von Österreich nur zum Erscheinen an jenen
Hoftagen gehalten seien, die der Kaiser innerhalb des Umfangs
des alten Herzogthums Bayern ausschreiben würde. In gleicher
Weise knüpfte das PrivUegium an die Zustände zur Zeit der
Markgrafen an, indem es die Verpflichtung des Herzogs zur Theil-
nahme an Reichskriegen nur für Feldzüge bestehen ließ, welche
die unmittelbare Nachbarschaft des Herzogthums Österreich be-
treffen würden. Vor allem wichtig sowohl für die Stellung des
Herzogs gegenüber dem Reich als auch gegenüber seinen Unter-
thanen war aber die Bestimmung über den Umfang der herzog-
lichen Gerichtshoheit. Man hat aus den Worten „Statuimus quoque
ut nulla magna vel parva persona in ejusdem ducatus regimine
sine ducis consensu vel permissione aliquam justiciam praesumat
exercere" herauslesen wollen, dass fortan alle Gerichtsbarkeit im
Lande vom Herzog ausgehen solle, so dass überhaupt niemand in
Österreich des Richteramts walten dürfe außer mit Ermächtigung des
Landesherm. Allein damit wird in das Privilegium ein Inhalt gelegt,
154 Österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 26.
den es nicht hatte, obgleich zugegeben ist, dass die spätere Ent-
wicklung der Gerichtshoheit in Österreich die oben angegebene
Richtung einhielt und sich diesem Ziele umsomehr näherte, je
mehr sich das Territorium abschloss und je mehr Rechte der
Landesherr über dasselbe gewann. Der eigentliche Sinn jener
Stelle war vielmehr, dass fortan königliche Schutzbriefe in Öster-
reich nur mit Zustimmung des Herzogs bestehende Immunitäten
erweitern, oder neue begründen konnten. Die Bedeutung dieses
Zugeständnisses liegt darin, dass die königlichen Immunitätsbriefe
Reichsunmittelbarkeit zur Folge hatten, während die Kirchen und
Großgrundbesitzer, die der Herzog freite, landsäßig blieben. Öster-
reich trat also unmittelbar aus der Reihe der alten Amtssprengel
in die Reihe der Reichsterritorien. Es konnte schon im 13. Jahr-
hundert dank der Ausdauer des Herrschergeschlechts für eine
zusammenhängende, in sich abgeschlossene Ländermasse gelten,
während andere Landesherren eine lange Übergangsperiode des
Kampfes mit den exterritorialen Machthabem innerhalb ihrer
Gebiete durchmachen mussten, ehe sie mühsam zu einiger Ab-
rundung ihres durch zahlreiche Exemtionen zerstückten Territoriums
gelangten. Es ist daher nicht überraschend, dass Ausdrücke wie
princeps terrae oder dominus terrae, die später zur tech-
nischen Bezeichnung der Landesherrlichkeit wurden im Deutschen
Reich (Lothringen bei Seite gelassen), zuerst in Österreich und
Steiermark auftauchten.^
3. Die höchste Gerichtsbarkeit über das Herzogthum verblieb
auch nach Erlassung des Privilegiums Minus dem Kaiser, das
lehren nicht bloß Sprüche des Reichsgerichts, wie jener vom
Jahre 1181, der zu Gunsten von Kremsmünster eine Straße
cassierte, das forderte auch das österreichische Landesrecht aus
Kaiser Friedrich's IL Zeit, das dem Herzog nur die Verfestung
der Landesministerialen zugestand, die Oberacht aber dem Reiche
vorbehielt. Pfemysl Otakar hat dies allerdings in seinem Land-
^ S. die Nachweise hei F ick er, Reichsfürstenstand, § 32. Die Urkunde
von 1184, in welcher Herzog Otakar die Absicht ausspricht: „terram Styriao*,
dem Herzog Leopold V. von Österreich zu verkaufen, ist eine Fälschung; in
der Georgonberger Urkunde 1186 nennt er die Herzogthümer „provincia" und
unterscheidet sie von seinem AUodialbesitz: „dominicalia, munitiones terra,
ministeriales". Ü.-B. für Steiermark, I, Nr. 632, 677.
Die Stellung der österr. Herzoge nach den Hausprivilegien. 155
frieden vom Jahre 1251 eigenmächtig aufgehoben und die Ober-
acht für sich selbst in Anspruch genommen, allein Dingungen
(Appellationen) an den Deutschen König kamen trotzdem während
seiner Herrschaft vor.* Unter Rudolf L, der hier wie sonst auf
die unter dem letzten Babenberger herrschenden Zustände zu-
riickgriff, wurde die frühere Unterordnung wieder hergestellt.^
4. Eine Minderung dieser dem Reiche vorbehaltenen Rechte
brachte die Erwirkung eines unbeschränkten „Privilegiums de non
evocando" durch Herzog Albrecht IL, das nicht bloß gegen Ladungen
fremder Territorialgerichte, sondern auch vor jedes königliche
Gericht schützte. Noch darüber hinaus giengen die Pläne, die Herzog
Rudolf IV. durch die unechten Hausprivilegien zu verwirklichen
suchte: Dem Herzog solle die oberste Gerichtsbarkeit über alle
Bewohner Österreichs und über allen darin gelegenen Grundbesitz
zukommen, alle Gerichtsbarkeit, alle Forste, das Jagd- und Fischerei-
recht, alle Lehen im Lande nur durch Empfang vom Herzog zu
erwerben sein, der seinerseits nicht verpflichtet sei, sich vor
dem Kaiser auf erhobene Klagen einzulassen. Der Besuch der
Reichs- und Hoftage und die Betheiligung an den Reichslasten
wird völlig ins Belieben des Herzogs gestellt, der nur zur Stellung
von zwölf Gewaflheten während eines Monats bei Reichskriegen
gegen Ungarn gehalten sei. Reichslehen habe er in seinem
Lande unter auszeichnenden Förmlichkeiten zu empfangen u. s. w.
Aber auch über die Nachfolge und Regierung finden sich hier
neue und wichtige Bestimmungen: Die Herrschaft gebüre unter
mehreren männlichen Mitgliedern des Herrscherhauses dem Ältesten
und vererbe sich in dessen Linie jeweilig auf den ältesten Sohn, in
Ermanglung von Söhnen auf die Erbtochter, bei Abgang aller Erben
stehe es dem Herzog frei, an wen er seine Lande gelangen lassen
wolle. Im übrigen seien die Lande untheilbar und was der Herzog
darin anordne, das könne weder der Kaiser noch sonst wer aufheben.
• S. meine Geschichte* des altern Gerichtswesens in Österreich, S. 17 ff. —
In den Streitigkeiten mit Ludwig von Zelking wegen der Lehen Hartnid's von
Altenhofen beklagte sich Bischof Berthold von Passau vor „dem Herzogen Otakam
des Landesherm", der beide dahin verglich, dass der Bischof der Frau Zelkings
einen Rechtstag zur Begründung ihrer Ansprüche zugestand. Hier fiel das Urtheil
gegen die Frau aus. »Der Urteil dingt der frauwen vorspreche anz riebe". —
Mon. Boica, XXIX/2, S. 403. r
■^ Gerichtswesen a. a. 0., 20, Anm. 17.
156 österreichische Reichsgeschichte. I. Theii. Zweite Periode. § 26.
5. Wohl blieben dies zunächst nur Ansprüche, die vom Reich
nicht anerkannt, aber auch nicht völlig abgelehnt wurden, da
Kaiser Karl IV. nur eine allgemein gehaltene Bestätigung der
Rechte der Habsburger zugestand und Herzog Rudolf IV. sich
mit einer solchen aus guten Gründen begnügte. Allein innerhalb
seiner Territorien und selbst gegenüber schwächeren Reichs-
ständen wusste Rudolf seine Forderungen durchzusetzen, wie u. a.
das Schicksal der Grafen von Schaunberg beweist. Als dann im
15. Jahrhundert die Habsburger wieder auf den deutschen Thron
gelangten, wurde der gesammte Inhalt der österreichischen Freiheits-
briefe unter Einhaltung aller, vom Reichsherkommen geforderten
Förmlichkeiten am 6. Jänner 1453 vom Kaiser Friedrich III. be-
stätigt, 80 dass sie von da ab geltendes Reichsrecht wurden.
Die mit dem Titel Erzherzog ausgezeichneten Heirscher
erapfiengen fortan bei ihrer Belehnung vom Reiche die oberste Ge-
richtsbarkeit in einer Ausdehnung, die noch über das den Kur-
fürsten eingeräumte Privilegium de non appellando hinausgieng.
Nach Innen wurde der Satz des Privilegium majus: „cuncta etiam
ssecularia judicia in ducatu Austriae debent jure feodali a duce
Austrise dependere* niemals außer Acht gelassen und durch Be-
harrlichkeit auch allgemein durchgeführt. Jeder Inhaber der
höhern Gerichtsbarkeit musste beim Herzog um die Bannleihe
für sich oder seine Beamten einkommen. Dies war bezüglich der
weltlichen Inhaber von Landgerichten seit dem Aussterben der
Cillier (1456) durchwegs der Fall, da die Erhebung landsäßiger
Geschlechter, wie der Eytjsing, der Prueschenk u. a. in den Stand
der Reichsfreien oder Reichsgrafen nur unter Vorbehalt der Vor-
rechte des Hauses Österreich erfolgte. Aber auch die auswärtigen
Hochstifte und Abteien, die lange Widerstand leisteten und für
ihren Besitz Reichsunmittelbarkeit beanspruchten, wurden mehr
und mehr zu landsässigen Herrschaften herabgedrückt, über welche
dem Inhaber höchstens untergeordnete, im Recesswege ausdrücklich
vorbehaltene Regierungsrechte verblieben.^
6. Die Stellung der österreichischen Herzoge hatte sich dem-
nach bis zum Schlüsse des Mittelalters in folgender Weise gestaltet :
^ S. die in meiner Geschichte des Gerichtswesens, S. 29, Anm. 28, mitge-
theilten Reverse der Eytzinger, Prueschenk n. s. w. und S. 30 ff. das über
exterritoriale Gerichtsbezirice Gesagte.
Die Stellung der österreichischen Herzoge seit 1453. 157
Die österreichischen Herzoge hatten seit dem Jahre 1156
ihr Herzogthum vom Reiche mit dem Recht der erblichen Nach-
folge zu Lehen, das bei Abgang männlicher Nachkommen auf die
Töchter des letzten Inhabers übergieng. Die Belehnung erfolgte,
wenn mehrere Erben vorhanden waren, gewöhnlich zur gesammten
Hand, doch hatte dies nicht immer eine gemeinsame Regierung der
Belehnten zur Folge.® Die Ansicht, dass durch das Privilegium
minus bereits die dem langobardischen Recht eigene Erbfolge
den Seitenverwandten für Österreich als Reichslehen zugestanden
wurde, ist abzuweisen. Die Nachfolge Herzog Leopold's VI.
nach seinem Bruder Friedrich I. (f 1198), auf die man sich be-
ruft, ist gerade am wenigsten zur Begründung jener Behauptung
geeignet. Kaiser Heinrich VI. gestattete nämlich (vgl. oben § 17,
8. 110) die Vereinigung der Steiermark mit Österreich nur für
die Person des ersten Erwerbers, HerzogLeopold's V., und
hatte, um über seine Absichten keinen Zweifel bestehen zu lassen,
den Vater wohl mit beiden Herzogthümem, gleichzeitig aber auch
dessen Söhne belehnt, und zwar abgesondert, den altern, Friedrich (L),
mit Österreich, den Jüngern, Leopold (VI.), ebenso mit Steiermark.
Nach dem Tode Leopold's V. 1194 übernahm jeder der Söhne die
Hen*8diaft in dem Herzogthum, das ihm schon bei Lebzeiten des
Vaters vom Reiche geliehen worden war. Es ist daher klar, dass
nach dem kinderlosen Tode Herzog Friedrich's L, Herzog Leopold
von Steiermark einer eigenen Belehnung mit Österreich und daher
auch einer neuen Vereinbarung mit dem Reichsoberhaupte bedurfte,
die Leopold allerdings nach den damaligen Zeitumständen leicht
erwirkte, weil König Philipp sich nicht mit einem der mächtigsten
und treuesten Anhänger seines Hauses entzweien wollte.
Ebensowenig wäre sonst einzusehen, weshalb die Belehnungen
nicht bloß der ersten, sondern auch der späteren Habsburger als
Gesammtbelehnungen nachgesucht und ertheiit wurden und wes-
halb das PrivUegium majus in der dem Privilegium minus ent-
sprechenden Stelle nur von der Erbtochter spricht. Wer wollte
^ Eine Ausnahme begründete die s. g. Rheinfelder Hausordnung vom
Jahre 1283, durch welche König Rudolf über Bitte der Steirer verfügte, dass
ungeachtet der Gesammtbelehnung seiner Söhne mit Österreich und Steiermark
die Herrschaft bei Älbrecht und dessen männlicher Nachkommenschaft bis zu
ihrem Erlöschen verbleiben solle. Hauke, 10.
158 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 26.
annehmen, dass Herzog Rudolf IV. die Erbberechtigung seines
Hauses, wenn sie bestanden hätte, absichtlich eingeschränkt habe,
da ja das im Majus vertretene Princip der Primogenitur die Col-
lateralenerbfolge nicht schlechthin ausschließt, sondern ihrer
beim Erlöschen der herrschenden Linie sogar bedarf? Doch sei
gleich bemerkt, dass Herzog Rudolfs IV. Absicht, die Primo-
genitur im Herrscherhause einzuführen, selbst nach der reichs-
gesetzlichen Anerkennung der Hausprivilegien nicht gleich durch-
griff, sondern erst im 16. Jahrhundert seit dem Anfall von Böhmen
vrirksam wurde. ^^
7. Während beim Belehnungsacte vom Jahre 1156 Heinrich
Jasomirgott als Markgraf schon dem Fürstenstand angehört hatte
und nur eine Erhöhung seines Amtes eintrat, fand bei der Be-
lehnung der Habsburger in den Jahren 1282 und 1298 zugleich
ein Act der Standeserhebung statt, weil nach der mittlerweile ein-
getretenen Änderung der Voraussetzungen für den Reichsfürsten-
stand die Söhne des Königs an sich diesem nicht mehr ange-
hörten. ^^ Da femer die Belehnungen zur gesammten Hand ge-
schahen, so gab es nun in Österreich eine Mehrheit von Fürsten,
aber in ungetheiltem Besitz. Die Hausordnung Herzog Albrecht's IL
vom Jahre 1355 geht von diesem Fall als dem noimalen aus und
bestimmt unter Zuziehung der Landherren als Garanten, dass die
vier Söhne des Herzogs ungetheilt in Eintracht mit einander leben
sollten, und zwar ohne Vorzug eines von ihnen, während der
Hausvertrag, den Herzog Rudolf IV. im Jahre 1364 mit seinen
Brüdern abschloss, dem Ältesten einen entschiedenen Vorrang zu-
sprach. Dieser Versuch, die Hauptgewalt dem Ältesten zuzuwenden,
schlug fehl und veranlasste vielmehr die LändertheUungen, die
bald nach dem Tode Herzog Rudolfs IV. begannen und durch
den Neuberger Vertrag vom Jahre 1379 zu der von König Wenzel
im Jahre 1380 bestätigten Begründung zweier selbständiger, mit
dem Rechte abgesonderten Erwerbs ausgestatteter Linien führten.
Zu einer noch weiter gehenden Auflösung des Herrscherhauses
kam es jedoch nicht. Abgesehen davon, dass die TheUung in
^^ Zuerst 1576, als Kaiser Rudolf mit Ausschluss seiner Brüder die Herr-
schaft antrat und den Anspruch des Erzherzogs Matthias auf die Herrschaft
Steyer zurückwies. Hauke, 67.
^^ Ficker, Reichsfürstenstand, § 69 mit 75.
Die Herrscherrecbte der österreichischen Herzoge. 159
Österreich weniger weit gieng wie in andern Fürstenhäusern,
da eigentlich nur die mehreren, dem Hause zustehenden Reichs-
fürstenthüraer als solche unter die Linien vertheilt wurden, bestand
auch für den Fall gänzlichen Erlöschens einer Linie der Vorbehajt
wechselseitiger Nachfolge, kraft welcher dem König Maximilian
nach dem Tode seines Vaters (1493) die Wiedervereinigung des
gesammten habsburgischen Besitzes gelang. ^^
8. Die österreichischen Herzoge empfiengen vom Reich bei der
Belehnung die Gerichtsbarkeit, den Heerbann und eine Anzahl
nutzbringender Rechte (Regalien). Daraus ergaben sich für sie gegen-
über den Unterthanen folgende Rechte:
a) Die Gerichtsbarkeit im oben angegebenen Umfang, kraft
welcher schließlich alle Ausübung der höheren Gerichtsbarkeit in
ihren Landen von der Bannleihe des Herzogs abhieng, während
andererseits das Privilegium de non evocando und die noch über
das PrivUegium de non appellando hinausgehenden Vorrechte der
HausprivUegien das Einschreiten auswärtiger und selbst der Reichs-
gerichte gegen österreichische Unterthanen abschnitten;^®
b) die MUitärhoheit in dem Sinne, dass sie nicht bloß ihre
Vasallen nach Maßgabe der Lehensverpflichtungen, sondern im
Falle der Landesnoth auch alle wehrhaften Bewohner gegen innere
wie äußere Feinde aufbieten konnten und dass die Erbauung von
Befestigungen von ihrer Zustimmung abhängig gemacht wurde;
c) besaßen sie Finanzhoheit insofern, als sie außer freier
Verfügung über den ausgedehnten Domänenbesitz und das übrige
Kammergut bei der Ausübung der vom Reiche lehnbaren Regalien
keine Einsprache von Seite der Unterthanen zu berücksiiehtigen
brauchten, wenn nicht besondere Einschränkungen zu Recht be-
standen, wie in Steiermark rücksichtlich der Münzemeuerung ;
d) hatten sie die hohe oder Schirm vogtei über viele in
ihren Landen gelegene, oder doch begüterte Hochstifte und
Klöster, die den herzoglichen Schutz nicht selten durch Hingabe
bedeutender Stiftslehen vergalten.
^ V^l. über die staatsrechtlichen Wirkungen der habsborgiechen Länder-
theilnngen: Hanke, Cap. 2. Die Theilungen innerhalb der Leopoldmischen Linie
waren nur Verwaltuugstheilungen, daher die Mitglieder dieser Linie nach wie
vor ungetheilte Erben blieben. A. a. 0. 27.
^ Siehe mein Gerichtswesen, S. 27.
160 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 27.
§ 27. Die Anf&nge der Landstände.
Friefi, Herzog Albrecht I. und die Dienstherren von Österreich. Fest-
schrift der Wiener historischen Vereine. 1882. — Hasenöhr 1, österr. Landes-
recht, 49. — Hub er, Österr. Reichsgeschichte, 55 ff. — Jäger A., Geschichte der
landständischen Verfassung Tirols. 3 Bde. 1881—1885. — Krones, Zur Quellen-
kunde des steiermärkischen Landtagswesens. Beiträge zur Kunde steirischer Ge-
schichtsqu., II, III, VI. — Mein Aufsatz, Die steirischen Landhandfesten. A. a. 0. IX.
— Rockinge r, in der Einleitung zu Lerchen feld's Ausgabe der altbayerischen
landständischen Freibriefe. München 1853. — Schröder, Rechtsgeschichte, § 50,
S. 595 ff. — Unger, F. W., Geschichte der deutschen Landstände. 2 Bde. 1844.
1. Die Geschichte der Landstände hängt eng mit der Ent-
stehung und Entwicklung der Landesherrlichkeit zusammen. So
lange der Amtscharakter der Grafschaft, Mark, des Herzogthums
vorwaltete, gab es keine Landstände, als sich aber die Herrengewalt
über die Gebiete gebildet hatte, bestand sowohl von Seiten des
Reichs als auch der Unterthanen ein Interesse an der Beschrän-
kung der Fürstenmacht, um diese nicht ungemessen anwachsen zu
lassen. Es ist darum kein zufälliges Zusammentreffen, sondern ent-
spricht einem tiefern Zusammenhang, dass am gleichen Tage, an dem
die Landesherrlichkeit durch das von König Heinrich verkündete
„Statutum in favorem Principum** reichsgesetzliche Grundlage
erhalten hatte, vor dem gleichen Könige das Gesammturtheil des
Reichsgerichts ergieng, „ut neque principes neque aln quilibet
constitutiones vel nova jura facere possint, nisi meliorum et
majorum terrae consensus primitus habeatur*".^ Doch wurde kein
neues Rechtsinstitut geschaffen, sondern nur bestehendes Ge-
wohnheitsrecht, das die deutschen Könige gelegentlich schon früher
anerkannt hatten,^ als allgemein verbindlich erklärt. Wie in andern
deutschen Gebieten, so finden wir auch in den altösterreichischen
Landen bei verschiedenen Regierungshandlungen der Landesfürsten
eine Betheiligung von Clerus und Landesadel, nur lässt es sich
nicht genauer bestimmen, wieweit dies rechtlicher Anspruch der
Mitwirkenden, wieweit freier Wille der Fürsten war.
1 Sententia de jure statunm vom 1. Mai 1231, M. G., Fol., Leg. U, 283.
^ So bestätigte König Philipp im Jahre 1205 die Abmachungen, welche
der Bischof von Regensburg und der Herzog von Bayern rücksichtlich ihrer
gemeinsamen Gerechtsame zu Regensburg: Zoll, Münze, Gericht, .communicante
sibi meliorum terrae Baronum et Ministeriali um consilio" getroffen hatten*
Hund, Metropolis Salisburgensis, I, 155.
Die Vorläufer der Landtage, Hof- und Gerichtstage. 161
2. Gelegenheit, sieh dieses Beiraths oder der Beistimmung der
Großen eines Gebiets zu versichern, boten die Versammlungen,
welche die Fürsten entweder kraft ihrer lehensherrlichen Gewalt
ausschrieben oder die zu Zwecken der Rechtspflege oder der all-
gemeinen Landessicherheit unter ihrem Vorsitz abgehalten wurden.
Das waren nun allerdings Versammlungen grundverschiedener Art,
denn die einen mussten kraft einer allgemein bestehenden Ver-
pflichtung besucht werden, während das Erscheinen auf den Hof-
tagen von der Aufforderung des Lehensherrn abhieng. Allein
scharfe Abgrenzung der Zuständigkeit in unserem Sinne war dem
Mittelalter überhaupt fremd und so konnten denn bei den unent-
wickelten Verfassungszuständen jener Zeit die gleichen Angelegen-
heiten beliebig bald in dieser, bald in jener Art von Versamm-
lungen vorgebracht und entschieden werden. Es war im Grunde
weder der Wirkungskreis dieser Versammlungen, soweit sie der
Berathung von Landesangelegenheiten dienen sollten, verfassungs-
mäßig bestimmt, noch wer Zutritt zu ihnen haben sollte, d. h. es
blieb offen, wer zu den Vertrauenspersonen zu rechnen sei, auf
deren Beirath oder Zustimmung es dem Fürsten gerade ankam.
Von Landtagen oder Landständen kann daher, so lange dieser
schwankende Brauch anhielt, nicht die Rede sein, sondern höch-
stens von Keimen, aus welchen sich die spätere landständische Ver-
fassung entwickelte. Dabei gewahren wir, dass die Theilnahme an
diesen meist unter Vorsitz des Landesherm abgehaltenen Tagen in
dem Maße sich auf weitere Kreise ausdehnte, als es gewissen
Classen der Bevölkerung gelang, sich politisch geltend zu machen.
Schließlich wurden im Sinne jener Zeit die regelmäßig Berufenen
zum Organ des Landes, das der selbständigen Berechtigung des
Herrscherhauses gegenüberstand, dieselbe mannigfach beschränkte,
auch wohl in außergewöhnlichen Lagen die Regierungsgewalt
vorübergehend selbst übte. Die Entscheidung erfolgte seitdem,
soweit sie nicht in die Hände von Ausschüssen gelegt wurde, auf
allgemeinen Versammlungen der politisch berechtigten Classen,
auf „Landtagen", neben welchen für Zwecke der Rechtspflege
die altem Hof- und Gerichtstage (Hof- und Landtaidinge, Hof-
und Landsrechten u. dgl.) fortdauerten.
3. Die Entwicklung der Landstände beginnt in den alt-
österreichischen Landen damit, dass zuerst nur die Angehörigen
La ich in, Oiterreictaiactae ReichsgeBchichte. IX
162 Österreichische Reichsgeschichte. I. Theii. Zweite Periode. § 27.
der wichtigsten Geschlechter des Landesadels jene „majores vel
meliores terrae" sind, an die sich der Landesherr zu wenden hatte,
wenn er neue Verfügungen erlassen wollte, die in deren Interessen
eingriffen. Durch Anschluss der Landesbischöfe und der Landes-
prälaten erfuhr der Kreis der „Stände* eine Erweiterung, die
nach Abschlag reichsunmittelbarer Enclaven den gesammten Groß-
grundbesitz im Lande, soweit er nicht landesfürstlich war, um-
fasste.' Dann folgten die Vasallen der geistüchen und welt-
lichen Großgrundbesitzer mit dem Verlangen um Theilnahme,
„die Ritter und Knechte die zu dem Land gehören* die com-
provinciales oder Landleute. Ihre Zulassung geschah hier früher,
dort später, meist nur schrittweise und nicht ohne heftigen Wider-
stand der Herren, die dies Begehren ihrer Lehensleute anfänglich
als Überhebung zurückwiesen. Damit war die Zahl der obern
Stände im weitern Sinn geschlossen. Doch vermochten die landes-
fürstlichen Städte noch allerlanden die Landstandschaft zu erringen
und ihren Platz im Landtage durch entsandte Vertreter zu be-
haupten, da sie sowohl durch die Wehrhaftigkeit ihrer Bewohner,
als durch das bewegliche Vermögen der Bürgerschaft eine nicht
zu unterschätzende Bedeutung gewonnen hatten. Der freien Bauern-
schaft dagegen glückte es nur in Tirol, bei augenscheinlicher Rück-
wirkung der Vorgänge in der Schweiz, durch Abgeordnete der
Landgerichte und Thäler Sitz und Stimme im Landtage zu erlangen,*
während anderwärts die Fiction bestand, dass die Interessen des
„armen Mannes** durch dessen Grundherrn wahrzunehmen seien.
4. Von dieser schematischen DarsteUung wich die geschicht-
liche Entwicklung der Landstände in den Gebieten der öster-
reichischen Herzoge insofern ab, als es den einzelnen gesellschaft-
^ Der Zeitpunkt, in welchem die Prälaten als eigener Landstand neben
den übrigen verzeichnet wurden, ist in den einzelnen Landen verschieden.
Der Ungeldbrief wurde 1359 in Österreich im Einvernehmen mit .allen geist-
lichen und weltlichen Fürsten, Prälaten und Pfarrern, Landherren, Rittern und
Knechten erlassen*, allein regelmäßig wurden hier die Prälaten erst seit dem
Anfange des 15. Jahrhunderts als Landstand hervorgehoben. Um dieselbe Zeit
wurde die Theilnahme des Prälatenstandes an Landesangelegenheiten auch in Tirol
offenkundig, obwohl sie später wieder verschwanden und erst seit 1458 bleibend
als Landstände betrachtet wurden. Jäger, II, 1, S. 226, II, 2.
* Man betrachtet den „Großen Bund" in Tirol vom Jahre 1407 als die
erste Verbindung des Adels, der Städte und Gerichte. Jäger, II, 1, S. 262.
Anfänge der Landstände in Steiermark. 163
liehen Ständen hier früher, dort später gelang emporzukommen
und als auch die Form, in der sie ihren Einfluss zur Geltung
brachten, verschieden sein konnte.
In Steiermark, wo sich die Anfänge einer gewissen ständischen
Mitwirkung am weitesten zurück verfolgen lassen, war die führende
Rolle schon im 12. Jahrhundert den Ministerialen des Landesherrn
zugefallen, weil hier die freien Adelsgeschlechter früh theils er-
loschen, theils in den Stand der Ministerialität übergetreten waren.
Die Erhebung ihres Herrn zum Herzog und bald darnach der
Übergang des Landes an ein neues Herrschergeschlecht, kamen
ihnen dabei zu statten. Da der allodiale Besitz der Traungauer
so sehr das Reichsamt überwog, daas die dem Herzoge frei-
stehende Verfügung über seinen Besitz im Lande thatsächlich
auch über das Schicksal des Herzogthums entschied, so war die
Zustimmung des Kaisers zum Übergang der Steiermark an die
Babenberger nicht schwer zu erlangen, als Herzog Otakar die
Hoffnung auf eigene Nachkommenschaft gänzlich verloren hatte.
Es schien jedoch gerathen, sich auch der Willfährigkeit der
herzoglich-steirischen Ministerialen im Vorhinein zu versichern. So
kam es zu Verhandlungen, die in ihrem Endergebnisse am
17. August 1186 auf dem Georgenberge beiEnns zur Ausstellung
einer von beiden Herzogen besiegelten Handfeste führten, die man
in der Folgezeit als den ersten landständischen Freiheitsbrief der
Steiermark betrachtete. In Wirklichkeit ist sie nur die Sicher-
stellung der Rechte der dem steirischen Herzoge gehörigen Leute,
mochten diese ministeriales, provinciales oder andere
proprii des Herzogs oder claustrales,^ d. h. Hintersassen
jener Klöster sein, über welche den Traungauem die Vogtei zu-
stand. Gelegenheit zur Erweiterung dieser Rechte bot ihnen bald
darauf der Antritt der Herrechaft in Steiermark durch Herzog
Leopold V. Die Ministerialen des steirischen Herzogs durch die
Handfeste vom Jahre 1186 als Körperschaft anerkannt, brachten
auch als solche dem neuen Herrn ihre Huldigung dar. So fällt in
das Jahr 1192 der erste nachweisliche Erbhuldigungsact , eine
^ Nacti dem deutlichen Wortlaut: »jura nostrorum secundam petitionem
ipsorom scripto statuimus comprehendere ac privilegio munire". — Die kleine
Georgenberger Urkunde sagt: , ministeriales more ministerialium, proprios, jure
propriomm dando". Ü.-B. f. St., I, 651, 654.
11*
164 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 27.
für die Folgezeit vorbildliche Form ständischer Versammlungen,
in welchen die Anerkennung der Landesfreiheiten durch den
neuen Fürsten, die Entgegennahme der ständischen Huldigung,
Berathung über allgemeine Angelegenheiten des Landes, Er-
neuerung von Lehen u. s. w. vereinigt waren.** Dass Herzog Leopold
den steirischen Ministerialen bei dieser Gelegenheit eine neue
Verbriefung ihrer Rechte gegeben hat, ist kaum zweifelhaft. "^
5. So dürftig die erhaltenen Nachrichten sind, sie bieten doch
genügende Zeugnisse für die Mitwirkung der steirischen und bald
auch der österreichischen Ministerialen bei Regierungsacten der
Herzoge Leopold V. und VL, mochte es sich um Maßregeln zum
Schutze der bedrohten Landesgrenze (Gründung von Wr.-Neustadt
1194) um Entscheidung von Streitigkeiten, die festliche Bezeugung
von Gnadenacten, feierliche Verbriefungen erworbener Rechte
u. dgl. handeln. Schon findet sich die spätere Abgrenzung der
ständischen Körper angedeutet, wenn 1217 Herzog Leopold VL
«praesentibus prselatis nostrse ditionis et in prsesentia Diepoldi
marchionis de Vohburch, baronum quoque seu ministerialium
nostrorum* die Befreiung der Abtei Kremsmünster von aller Vogtei
und Gerichtsbarkeit ausspricht.®
Herzog Friedrich H. war allerdings bestrebt, den Einfluss
dieses Beirathes so tief als möglich herabzudrücken, allein die
Erbitterung im Lande über sein herrisches Wesen fUhrte zum
Anschluss an Kaiser Friedrich H., als dieser 1236 die Reichsacht
über den Herzog ausgesprochen hatte. Die Steirer gewannen da-
mals vom Kaiser die Aufnahme unter die Ministerialen des Reichs
und im April 1237 nebst einer Verbrief ung ihrer von den Landes-
fürsten hergebrachten Privilegien neue und wichtige Rechte,
unter welchen die Beschränkung der fiscalischen Münzerneuerungen
^ »Cum nobis omnia gubemanda provenissent, apud Graece ministerialium
nostrorum magnum conventum convocavimus, illic de rebus nostrls ac provincie
salute, saniori consilio aliquid tractaturi" sagt Herzog Leopold V. in einer Ur-
kunde vom Jahre 1192. Meiller, B.-R. 70, Nr. 55.
"^ Der Freiheitsbrief Kaiser Friedrich's II. vom Jahre 1237 botriilt Jura
et consuetudines approbatas que per Otakarum Stirie et Lupoldum Austrie ducero
ex eorum privilegiis obtinuisse noscuntur". U.-B. f. St., II, 461.
^ Meiller, B.-R. 119, Nr. 141, s. a. 1207 Linz ,presentibus universis
ministeriaUbus Austrie et Stirie' ähnlich 1227, 7. Nov. Marburg a. a. O. S. 97
und 140, Nr. 66 und 220.
Die steirischen und österreichischen Landherren im 13. Jahrhundert. 165
durch das Erfordernis des „consilium commune ministerialium
majorum Stirie'' und das Zugeständnis sich einen neuen Landes-
herrn erbitten zu dürfen, politisch am bedeutendsten waren.
6. Wie die Steirer, so hatten auch die Österreicher ihr Ziel
nicht außer Augen gelassen und so entstand um 1236/37 die Auf-
zeichnung des Landesrechts, wie es in der guten alten Zeit Herzog
Leopold's VL gegolten habe, ein Rechtsdenkmal, das in Angelegen-
heiten der öfTentlichen Sicherheit, z. B. wenn es sich um die Ein-
leitung der Landfrage gegen schädliche Leute (Inquisitionsver-
fahren, gegen Räuber, Mörder, Diebe, Art. 15 fT.) oder den Wieder-
aufbau einer zerstörten Raubburg (Art. 67) handelte, den Herzog
an den Rath der Landherren band.
Die Entwicklung, welche so in Österreich und Steiermark
begonnen hatte, kam auch dann nicht zum Stillstande, als die
Wiederversöhnung des Herzogs mit dem Kaiser eine Wieder-
herstellung früherer Zustände zu ermöglichen schien.^ Die that-
sächliche Macht der „meliores terrse** und ihr Streben, Einfluss
auf die Regierung zu gewinnen, ließ sich nicht kurzer Hand be-
seitigen, doch konnte es zu völliger Klärung der Lage nicht
kommen, da die neue Richtung schon 1246 durch den kinder-
losen Tod Herzog Priedrich's IL unterbrochen wurde.
7. Zu den bereits verbrieften Rechten erlangten die Mini-
sterialen in Steiermark, denen sich um diese Zeit die zum Lande
gehörigen Grafen- und Freiengeschlechter schon angeschlossen
hatten, durch thatsächliche Übung neue hinzu. Der Mangel eines
eigenen Landesherm, die Entfernung des Kaisers und der Umstand,
dass die Befehle seiner Statthalter wesentlich auf den guten Willen
der Mächtigen im Lande angewiesen waren, mussten deren Be-
deutung sehr erhöhen, namentlich wenn das, was der Einzelne
sprach und that, mit den Handlungen der Genossen übereinstimmte.
Gemeinsame Berathungen über die traurige Lage des Landes
fanden unter den Ministerialen unzweifelhaft öfters statt und
führten zu Gesandtschaften an den Kaiser, um von ihm einen
^ Daher wurde auch, weil es im Interesse sowohl des Kaisers als auch
des Herzogs lag, in den Entwurf der Urkunde über die Erhebung Österreich-
Steiermarks zu einem Königreich (1245) der Satz aufgenommen, dass der Nach-
folger ,non per eleotionem prelatorum, ducum, oomitum, aut quorumlibet nobilium",
sondern durch die Erstgeburt bestimmt werde.
166 österreichische Roichsgoschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 27.
neuen Landesfürsten zu erbitten, *° sowie zu der bekannten Ein-
schaltung in die Oeorgenberger Handfeste: ^Bi dux idem sine
filio decesserit, ministeriales nostri ad quemcunque velint divertant" .
Damit war den einzelnen Ministerialen, die durch ihre Geburt
dem Landesflirsten zugehörten, zunächst nur das Recht einge-
räumt, sich einen neuen Herrn nach eigenem Ermessen zu
wählen, wenn der Herzog, wie im Falle Friedrich's des Streit-
baren, sterben würde ohne Söhne zu hinterlassen. Doch konnte
dieser Zusatz eine weitergehende politische Bedeutung gewinnen,
sobald sich eine größere Zahl von Ministerialen auf Grund dieses
Selbstbestimmungsrechtes zu gemeinsamem Vorgehen entschloss.
8. Nach dem Gesagten ist es begreiflich, dass die Großen
im Lande während des Zwischenreichs die Entscheidung über die
Schicksale von Österreich und Steiermark geradezu in Händen
hatten, solange es an einer höhern legitimen Autorität gebrach.
Andererseits ist es klar, dass der von ihnen zum Landesherm
ausersehene Fürst nur auf Grund vorgängiger Abmachungen
gewählt wurde und dass eine Verletzung der von ihm dem Landes-
adel gemachten Zusicherungen, diesem als rechtlich zureichender
Grund zur Lösung des Vertragsverhältnisses, d. i. zum Wechsel
der Dynastie erschien. So folgten unter den geschilderten Voraus-
setzungen in den 26 Jahren nach dem Tode Kaiser Friedrich's H.
in Steiermark dem ungarischen König der böhmische, diesem
wieder das deutsche Reich, wobei sich die Ministerialen immer
mehr als die eigentlichen Vertreter des Landes betrugen.
Von Otakar rührt das wichtige Zugeständnis an die Land-
herren von Österreich, dass er zwölf derselben in seinen Rath
aufnehmen wolle," eine Einrichtung, die von den ersten Habs-
^^ Vgl. die Ck)ntin. Garstensis und die Ann. s. Rudberti zum Jahre
1248, zwei Berichte, die sich ergänzen in Mon. Germ., Fol., Ss. IX, 699, 790.
^^ Im undatierten Landfrieden von c. 1251: .Wir haben auch unsem
(Lüclce) mit zwelf herren aoz dem lande." Archiv, Bd. I, 59. Die Conjectur
„Rath" rührt von Hasenöhrl her. Landherren als Räthe Otakar's nennt eine
Göttweiger, ürk. von 1264, D, et A. VIII, 316. Das Niederlags-Privilegiura für
Wien vom Jahre 1281 ertheilte Graf Albrecht als Reichsverweser .mit unserm
rat den lantherren, die unsern rat geswom habent*, folgen 16 Namen; gleicher-
weise gestattete König Friedrich 1320 den Wienern die Anlage des s. g. Eisen-
bnchs «nach unser lanthem rat, die zu den zelten unsers rates warn*. —
Wiens Rechte, I, 64, 89.
Der geschwome Rath der Landherren, Verbriefungen. 167
burgern beibehalten wurde ; von König Rudolf sind wichtige Ver-
briefungen erhalten. Schon den Landfrieden, den er unmittelbar
nach dem Friedensschlüsse mit König Otakar am 3. December 1276
verkündete, hatte er ,ad consilium principum tarn ecclesiasticorum
quam saecularium, comitum, baronum, ministerialium terrarum
Austri», Styrise, Carinthise ac Camiolse** erlassen. Noch wichtiger
war der Freiheitsbrief, welchen der König den steirischen Ministe-
rialen in Einlösung seiner Zusagen am 18. Februar 1277 ertheilte,
^weil er eine großentheils wörtliche, aber mit wesentlichen Rechten
bereicherte Wiedergabe der Handfeste Kaiser Friedrich's II. ist.
Abermals wurden die steirischen Ministerialen zu Reichsdienst-
mannen bis zu dem Zeitpunkt erklärt, da ihnen ein der Mehrzahl
genehmer Herrscher auf ihre Bitte gegeben würde. Dieser aber
und alle ihm in Steiermark folgenden Landesfürsten sollten ge-
halten sein, vorerst die Wahrung der herkömmlichen Rechte zu
beschwören, ehe sie von den Ministerialen den Eid der Treue zu
fordern berechtigt wären. ^^
9. Der geistliche Großgrundbesitz in Steiermark scheint sich,
wenn auch nicht förmlich, doch thatsächlich schon gegen Ende
des 13. Jahrhunderts den Landherren angeschlossen zu haben, da
im Jahre 1291 der Bischof von Seckau ihr Wortführer bei Herzog
Albrecht I. war.^^ Dagegen blieb den Rittern und Knechten, den
^miUtes et clientes* die Landstandschaft noch lange versagt, denn
die Theilnahme an den Land- und Hoftaidingen (Gerichtsversamm-
lungen) und am Inhalt der auf Bitten der „ministeriales et com-
provinciales Styriae** gewährten Verbrief ungen berechtigte sie noch
nicht, in Landesangelegenheiten mitzusprechen. In diesen Dingen
stand die Mitwirkung zunächst den Herren zu, die des Fürsten
Rath geschworen hatten, in weiterer Linie den Landherren über-
12 De quo pars major et melior Ministerialium terra nobis duxerit consulen-
dum . . . presenti precipimus sanctione, ut dum Princeps, qui pro tempore fuerit a
ministerialibns Styrie fldelitatis exigit juramentum, ipsi ad prestationem hujusmodi
sacramenti miuime constringantur, donec Princeps et dominus corporaü suo
juramento promittat, se presens Privilegium in omnibus et singulis suis articuiis
servaturum". Landhandfeste 1842, S. 8,9. So wurde es noch 1728 bei der letzten Erb-
huldigong in Steiermarl^ gehalten. Auch die Kärntner und Krainer nahmen das
gleiche Vorrecht für sich in Anspruch, offenbar auf Orund des letzten Absatzes
ihrer Handfeste vom 14. und 16. September 1838.
1* Reimchronik, Mon. Germ., 4^ Deutsche Chroniken, V, v. 55.135.
168 Osterreichische Reichsgeschicbte. I. Theil. Zweite Periode. § 27.
haupt,** wie denn beispielsweise noch auf dem Ständetag, den der
Landeshauptmann UWch von Walsee im Jahre 1309 naxsh Graz
wegen der Empörung in Österreich berief, nur beriethen und
beschlossen, die man im Lande als Herren erkannte. ^^
10. Entgegen der Entwicklung in Steiermark, wo die politische
Macht bis ins 14. Jahrhundert ausschließlich im Großgrundbesitze
lag, war in Österreich das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit
und der ständischen Gliederung schon unter König Rudolf viel
weiter vorgeschritten. Gerade der Mangel an Verbriefungen, die
für die späteren s. g. Landesfreiheiten eine passende Grundlage
geboten hätten, förderte die Erkenntnis, dass man seit dem Jahre
1192 dem Landesfürsten gegenüber in weniger günstiger Lage sei,
als die Standesgenossen in Steiermark. Zu einseitiger Bevorzugung
der Ministerialen fehlte in Österreich ein tieferer Grund, da der
Clerus zahlreicher und rühriger, das Städtewesen bedeutender und
die Anzahl der vollfreien Geschlechter weit größer war als in Steier-
mark. Deshalb hat auch König Rudolf im Jahre 1281 den Land-
friedensbund nicht mit den Landherren allein abgeschlossen, sondern
demselben auch die Städte und die Ritter und Knappen, die zu
dem Land gehörten, beigezogen. Aus der Verschreibung der
Städte und der Ritterschaft, die uns erhalten ist, geht hervor,
dass sie sich nebst den Landherren zur Aufbringung von 2500
Gerüsteten verpflichtet hatten, um den auf zehn Jahre be-
schworenen Landfrieden aufrecht zu erhalten. Sämmtliche TheU-
nehmer verzichteten ferner mit der Rechtswirksamkeit füre ganze
Land und für die Dauer des Friedens auf das Einungsrecht, d. i.
auf die Befugnis, mit Standesgenossen ohne höhere Genehmigung
zur Erreichung selbstgewählter erlaubter Zwecke in vorübergehende
oder bleibende Verbindung zu treten. Da nun die „prselati nostrse
ditionis" in Österreich bereits im Jahre 1217 neben den Landherren
als Berather des Herzogs erscheinen und sowohl durch ihren
Grundbesitz als durch ihren kirchlichen Einfluss ein Factor waren.
^^ Dass dieser Bath auch für Steiermark bestand, zeigen die 8teUen der
steir. Reimchronilc, a. a. 0., 4^, v. 73.975, 81.846 ff.
" Genannt werden a. a. 0. v. 98.406 ff. Die Grafen von Hennbnrg, Hohenlohe,
der Freie von Saneck, die Stubenberger, beide Liechtensteiner .und swaz man
in dem lande ticrren erkande . . . dar kam der von Seckouwe und die herren
von Pettouwe, die herren allgemein, wurden des enein u. s. w."
Anfänge der Landstände in Osterreich und Kärnten. 169
mit dem im Lande gerechnet werden musste, so war hier in den
Tagen Herzog Albrecht's I. die Viertheilung der Stände in Prälaten,
Landherren, Ritterschaft und Städte schon recht deutlich erkennbar.
Es scheint, dass die Ritterschaft in Österreich diese günstige Lage
benützte und schon ernstlich nach politischem Einfluss trachtete
und dass gerade dies den großen Zwiespalt zwischen ihr und den
Landherren heraufbeschwor, von welchem uns die Gedichte des
kleinen Lucidarius (Seifrid Helbling) und die Vorgeschichte des
Aufstandes der Landherren im Jahre 1295 deutliche Kunde geben.
Doch gelang es damals dem Großgrundbesitz, den Zutritt zum
geschworenen Rath und dadurch seine arg bedrohte Stellung zu
behaupten, sowie die Ansprüche der Ritterschaft und der Städte
auf TheUnahme an Landesangelegenheiten zunächst noch zurück-
zuweisen.
11. In Kärnten, scheint es, war, so lang die Sponheimer re-
gierten, der Einfluss der „majores et meliores terrse*" nicht sehr groß.
Zu den spärlichen Nachrichten die uns erhalten sind, gehört die
Bestätigung der Marktgerechtigkeit von Weitensfeld durch Herzog
Bernhard, die im Jahre 1211 unter der Bedingung erfolgte, „ut
statuta nostra quae nos communicato consUio sapientum nostrorum
et terrae nostrse in emendis et vendendis generaliter statuerimus
ipsi quoque firmiter quamdiu ab aliis communiter observantur,
observent".^® Hingegen gedenkt der eigenmächtige Erb vertrag
Herzog Ulrich's III. zu Gunsten König Otakar's (1268) weder der
Zustimmung, noch des Beirathes der Vornehmsten des Landes,
wie er denn auch von keinem Kärntner bezeugt erscheint. ^^
Erst seit es mit König Otakar*8 Herrschaft zur Neige gieng,
tritt die Bedeutung des Landesadels mehr hervor. Am 27. Februar
1275 erfloss von Nürnberg aus König Rudolfs Schreiben an die
»comites, barones, nobiles ministeriales, vasallos per Carinthiam
et Camiolam et Marchiam constitutos", dass er den Herzog Philipp
mit allen genannten Landen belehnt habe, und am 24. September
des folgenden Jahres ergieng von Passau aus an dieselben der
königliche Befehl, dem rechtmäßigen Herzog zu gehorchen. Wenige
Tage vorher hatten sich schon die angesehensten Landherren von
^" Ankorshofen, Reg. 697. Ein placitum generale in Vridoloseyche im
Jahre 1239, a. a. O. Reg. 983, auch U.-B. f. St. II, 489.
^"^ Lambaoher, Interregnum, Anh. S. 50.
170 Osterreichische Reiehsgescbichte. I. Theil. Zweite Periode. § 27.
Steiermark und Kärnten im Kloster Renn zu gemeinsamem Vor-
gehen gegen den Böhmenkönig geeinigt.^® Dass seit der Verzicht-
leistung Otakar's die wichtigeren, das Land betreffenden Maßregeln
unter Beirath der angesehensten Kärntner Ministerialen erflossen,
zeigt nicht nur der Eingang des Landfriedens vom 3. December
1276, sondern auch die Satzung König Rudolfs vom 8. März 1279,
durch welche zur Hintanhaltung gewisser Verbrechen das in
Österreich als „Landfrage'* bekannte Inquisitionsverfahren in
Kärnten eingeführt wurde, und zwar nach Berathung mit Landes-
ministerialen, die hiezu eigens erfordert worden waren. ^®
Die w^eitere Ausbildung des Ständewesens in Kärnten und
Krain näherte sich den steirischen Verhältnissen, indem die
„ministeriales terrae" gleichfalls der wichtigste Factor im Lande
wurden, an den sich erst spät die Prälaten, die Ritterschaft und
endlich die Städte anschlössen. Die Bitte um's steirische Recht
an Herzog Albrecht IL erfolgte 1338, wie der Abt von Victring
erzählt, über gemeinsamen Beschluss der Ministerialen, doch werden
in den herzoglichen Gnadenbriefen neben den Landherren auch
Ritter und Knechte von Kärnten und Krain als Bittende angeführt.
12. Die Landstände in Tirol bezeichnet Hormayr „unstreitig
als die ältesten in ganz Deutschland", er unterlässt es jedoch,
diese Behauptung des Näheren zu begründen. Neuere Forschungen
haben nur dargethan, dass die Fürstbischöfe von Brixen und
Trient und auch die alten Grafen von Tirol Hof- und Gerichts-
tage abgehalten haben.^*^ Da jedoch die einheitliche Gewalt der
«Herrschaft Tirol" erst durch Meinhard II. (f 1295) begründet
^8 Die Grafen Ulrich von Hennbnrg und Heinrich von Pfannberg, von
steirischen Ministerialen die Stnbenberg, Wildon, Stadecli, Liechtenstein, der
Pettauer . . . von Kärntnern und Krainem, die Schenlcon von Rabenstein, zwei
Schärfenberg, Gottfried von Trixen . . . ceterique ministeriales Stirle et Karinthie
meliores. — 1276, 19. Sept., s. Krön es, Beiträge II, 72.
^^ Cum principibus et fidelibus nostris ac speciallter quibusdam mini-
steriallbus terre predicte ad hoc etiam vocatis. Lichnowslcy, I, 540.
^ Hormayr, Archiv für SÜddcutschland, I, 71. Hoftage der Bischöfe von
Trient seit 1163, der Brixner seit 1070, der Grafen von Tirol seit 1228. Hervor-
zuheben ist die Versammlung an der Ladritscher Brücke im Jahre 1229, die
gemeinsam vom Grafen Albert von Tirol und dem Bischof Heinrich von Brixen
zur Aufrichtung eines dreijährigen Landfriedens einberufen wurde, weil hier der
Zustimmung der »meliores et majores", insbesonders des Domcapit^ls und der
bischöflichen Ministerialen gedacht wird. — Jäger, II, 1, 6. 6 ff., 13 ff.
Landstände in Krain, Tirol, Salzburg, Aquileja. 171
wurde (s. S. .103), so kann schon aus diesem Grunde von Land-
ständen der Grafschaft Tirol nicht vor dem Ende des 13. Jahr-
hunderts die Rede sein. In der That fallen hier die Anfänge des
Ständewesens erst in die Regierungszeit der Grafen Otto und
Heinrich, und zwar in die Zeit von 1295—1324.
13. Von den geistlichen Territorien haben Balzburg und
Aquileja unzweifelhaft ständische Einrichtungen gehabt.^^ Der
Priedebrief Erzbischof Rudolfs für die Stadt Salzburg wurde 1287 :
,mit unsers Capitels und mit unserer Dienstmannen und mit
andern unseres Rates Rat und mit unserer lieben Bürger
von Salzburch Gunst und Willen"* erlassen und den Dienst-
mannen, Rittern und Knechten des Gotteshauses stellte Erzbischof
Friedrich III. am 5. Februar 1327 einen Schadlosbrief aus wegen
der gemeinen Schatzsteuer, deren Auflage auf ihre Grundholden
sie ihm zur Aufbringung des Lösegeldes gestattet hätten.
14. Das ^Parlament" der Patriarchen von Aquileja war eine
Einrichtung, die ihren deutschen Ursprung schon dadurch verräth,
dass sie allen andern italienischen Gebieten fehlte. Schon in den
Jahren 1207 bis 1214 finden wir Versammlungen des Parlaments
erwähnt und im Jahre 1213 umgab sich Patriarch Wolfger mit
12 Parlamentsräthen die ihm in der Verwaltung beistanden.
Geregelte Gestalt scheint aber das Parlament erst unter dem
Patriarchen Berthold (f 1251) erhalten zu haben. Es setzte sich
unter dem Vorsitz des Patriarchen aus vier Curien zusammen:
den Prälaten, den freien Herren, den Ministerialen und Ritter-
mäßigen und den Abgeordneten der Städte. Ohne Zustimmung
des Parlaments konnte der Patriarch weder Krieg erklären, noch
Frieden schließen, weder Steuern auflegen, noch Gesetze erlassen.
Das Parlament besaß femer das Recht, zu prüfen, ob nicht der
Patriarch seine Machtvollkommenheit überschritten habe und konnte
solche Beschlüsse des Fürsten vorkommenden Falles aufheben;
es bestätigte die Statuten der Gemeinden, entschied Lehens-
Btreitigkeiten, war Appellationsinstanz und entsandte Ausschüsse
aus seiner Mitte, welche den ständigen Beirath des Patriarchen
bUdeten.*"
^^ Dass es in Trient und Brixen nicht zur Bildung von Landständen kam,
zeigt Jäger, II, 1, S. 31. Rößler, S. VI. Kleymayrn, Juv. S. 574, 488.
28 Czörnig, Görz, I, 386 ff.
172 Österreichische Beichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 28.
§ 28. Die Landstände im 14. nnd 15. Jahrhundert.
Brandis, J. A., Freih. v,, Geschichte der Landeshauptleute von Tirol.
Innsbruck 1850. — Jäger, Der Streit der Tiroler Landschaft mit Kaiser
Friedrich IIL wegen der Vormundschaft über Herzog Sigmund. — Der übeiigang
Tirols von dem Erzherzog Sigmund an den römischen König Maximilian.
Archiv, Bd. 49, 51. — Zeissberg, Der österr. Erbfolgestreit nach dem Tode
König Ladislaus Postumus. Archiv, Bd. 58.
1. Die geschichtliche Entwicklung der Landstände in Öster-
reich verläuft in keiner geraden, stetig ansteigenden Linie, sondern
weist mannigfache Brechungen auf. Es gab Zeiten, wo es den
Fürsten zweckdienlich erschien, die Landstände zu begünstigen
und andere, in welchen sie als Beschränkung der landesherrlichen
Gewalt übel gelitten wurden. Damit hängt zusammen, dass auch
die Formen, in welchen sich der ständische Einfluss geltend machte,
keineswegs gleichmäßig ausgebildet wurden, indem man z. B. das
Zusammenwirken in Versammlungen, die schon nahezu die Gestalt
landtäglicher Vertretungen angenommen hatten, plötzlich ohne
erkennbaren Grund wieder verließ, um auf ältere Stadien zurück-
zugreifen. So ist die Geschichte der Landstände ein stetig hin-
und herwogender Kampf zwischen ihrer Entwicklungskraft und
der oft widerstrebenden landesherrlichen Macht, Schließlich hat
ein Zusammentreffen verschiedener Umstände im 14. und 15. Jahr-
hundert in allen altösterreichischen Landen einen bedeutenden
Aufschwung der Landstände und eine sehr wesentliche Erweiterung
ihres Wirkungskreises herbeigeführt.
Die Untersuchungen zur Geschichte der Landstände müssen
daher nach drei Richtungen erfolgen: es sind die Ursachen fest-
zustellen, welche die Macht der Stände gehoben haben, es sind
die Formen zu erforschen, in welchen sich ihr Einfluss auf
die Regierung geäußert hat, und es ist endlich zu zeigen, welchen
Inhalt ihr Wirkungskreis gehabt hat.
2. Der Entwicklung des Ständewesens im 14. und 15. Jahr-
hundert kam zunächst zu statten, dass in dieser Zeit die Herzoge
von Österreich ebensogut als die Herrscher von Kärnten und
Tirol oder die Erzbischöfe von Salzburg in böse finanzielle Ver-
legenheiten geriethen. Zu Ende des 13. Jahrhunderts war noch
die Lage der fürstlichen Kammer in all diesen Landen günstig.
Ursachen des Emporkommens der Landstände. 178
Von Meinhard IL (f 1 295), dem Herrscher in Kärnten und Tirol,
ist bekannt, dass er seinem Schatz stets wohl gefüllt erhielt, von
Herzog Albrecht L, dass ihm bei Übernahme der Herrschaft in
Österreich und Steiermark die Früchte jener Maßregeln zugute
kamen, durch welche Otakar dem Landesadel das usurpierte
Kammergut der Babenberger abgenommen hatte. Aber die Kriege
der Habsburger um die deutsche und böhmische Krone erheischten
außergewöhnlichen Geldaufwand und machten die Verpfändung
von Einnahmsquellen in großem Umfang nöthig. Unter Herzog
Albrecht's H. treflflicher Regierung wurde vieles wieder eingelöst,
dagegen brauchte Herzog Rudolf IV. bei seiner Prachtliebe und
für mancherlei weit aussehende Unternehmungen große Geldmittel.
Die Folgen zeigten sich später, namentlich in den Jahren 1370 bis
1374, während welcher die Finanzverwaltung nach Vorbehalt von
jährlich 17.000 Pfd. Pf. für die Herzoge, an Privatpersonen abge-
treten wurde. ^ Nicht besser ergieng es den Görzern in Kärnten
und Tirol, wo schon im Jahre 1312 König Heinrich alle Geld-
und Finanzgeschäfte dem Adels-Ausschuss der zehn Landpfleger
auf drei Jahre übertragen musste und trotzdem nicht aus den
Geldverlegenheiten herauskam.*
Infolge solcher Verschuldung mussten sich die Landesfürsten
um außerordentliche Geldhilfen umsehen, die sie nur mit Zu-
stimmung der führenden Classen in ihren Landen aufbringen
konnten. So hat König Heinrich durch die erwähnten Landpfleger
eine allgemeine Steuer in Tirol ausschreiben lassen und 1315
einen Beitrag zu den Kosten seiner Hochzeit verlangt, Erzbischof
Friedrich HL von Salzburg, 1327, sein Lösegeld aufgebracht,
während Herzog Rudolf IV. im Einvernehmen mit den Prälaten
und Pfarrern, den Landherren, Rittern und Knechten in Österreich
^ König Friedrich der Schöne verpfändete unmittelbar vor seinem Zag
an den Rhein, von Mitte August 1314 bis Mitte September Güter um nahezu
20.000 Pfd. Pf. (darunter am 15. August allein um 10.309 Pfd. W. Pf.) in
Beträgen von 4413 Pfd. bis 12 Pfd. herunter. Chmel, im Archiv, Bd. 2,
8. 638 ff., Nr. 46/7, 52, 56—111. - Rudolf IV. hinterließ bei seinem Tode ca.
60.000 fl. Schulden. Bruder, Studien über die Finanzpolitik Herzog Rudolf 's IV. —
1886, 8. 6. Eine Aufzählung von Schulden der Herzoge, vom 31. December 1373,
8. Kurz, Albrecht III., 1, Beil. 27, S. 248 ff. Das Abkommen vom 9. Juni 1370
beiLichnowsky-Birk, IV, Nr. 979. — Lamprecht, Deutsche Gesch., IV, 338.
« Jäger, n/1, S. 21ff.
174 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 28.
die Einnahrnsquelle der Münzeraeuerung im Jahre 1359 preisgab,
um das „Ungeld'' einen Getränkeauf schlag dafür einzutauschen.
Im 15. Jahrhundert bewirkten andere Ursachen einen steigen-
den Geldbedarf der Regierung. Die Türkengefahr wurde drängender
und da die Vasallenheere den gesteigerten Anforderungen nicht
gewachsen waren, so wurden Verstärkungen durch Söldnerscharen
nöthig. Dazu kamen die Nachwirkungen innerer Fehden, für
Innerösterreich die Entschädigung Baumkircher's, in Tirol die Ver-
schwendung Erzherzog Sigmund's. All dies erforderte außer-
gewöhnliche Geldmittel, die nur mit Hilfe der Landstände aufzu-
bringen waren.
3. Ein zweiter Grund war der Wechsel der Dj^nastien, der
während des 14. Jahrhunderts in mehreren österreichischen Kron-
landen erfolgte. Wo dieser, wie 1342 in Tirol, mit einer revo-
lutionären Bewegung verbunden war, mussten den betheiligten
Landherren Versprechungen gemacht werden, wie solche beispiels-
weise Markgraf Ludwig der Brandenburger durch Erlassung der
Landesordnung einlöste. Aber auch dort, wo sich der Übergang
in gesetzesmäßigen Formen vollzog, gewannen die führenden
Stände bei der Erbhuldigung zum mindesten die Anerkennung
ihrer früheren Rechte, meist aber noch darüber hinausgehende
Zugeständnisse. So folgte dem Erwerb von Kärnten und Krain
durch die Habsburger, im Jahre 1338 die Verbrief ung der alten
Gewohnheiten und neuer Rechte an die Landherren, Ritter und
Knechte. Ebenso war der Erbvertrag, den Graf Albert IV. von
Görz im Jahre 1363 mit dem österreichischen Herzog abschloss,
Veranlassung, dass er seinen Rittern in der windischen Mark,
Möttling und Istrlen, die hergebrachten Rechte aufzeichnete. Am
weitesten gediehen aber die Dinge in Tirol, denn hier musste
sich Herzog Rudolf IV. zufrieden geben, dass er nach dem
Rathe der Landherren zum Erben des Landes eingesetzt wurde,
weil die schwache Markgräfin Margare ta ganz in die Hände der
Adelspartei gerathen war.
4. Hauptursache des starken Anwachsens der ständischen
Macht waren indessen die Zerwürfnisse im Herrscherhaus, die
1328 mit dem Verlangen Herzog Otto's nach einer Ländertheilung
begannen und in den Vormundschafts-Streitigkeiten des 15. Jahr-
hunderts ihren Höhepunkt erreichten. Eingedenk der erlebten
Ursachen des Emporkommens der Landstände. 175
Wirren, suchte Herzog Albrecht IL die Wiederkehr ähnlicher
Vorgänge für die Zukunft dadurch auszuschließen, dass er seinen
Söhnen eine gemeinsame und einträchtige Regierung vorschrieb
und diese Hausordnung am 25. November 1355 durch seine Land-
herren von Österreich, Steiermark und Kärnten beschwören ließ,
wobei er diese zugleich ermächtigte, unfriedfertigen Mitgliedern
des Herrscherhauses im Verein mit den Städten und dem Lande
durch Vorstellungen und nöthigenfalls auch durch die That ent-
gegenzutreten. Noch weiter gieng Herzog Rudolf IV. in der Sorge
für die Aufrechterhaltung seiner Hausordnung (1364), indem er
die Landherren, Ritter, Knechte und Städte überdies des Gehorsams
gegenüber dem friedbrüchigen Mitglied der herzoglichen Familie
entband.' Die Polgen zeigten sich, als es trotz dieser Vorkehrungen
zu Zwistigkeiten zwischen den Herzogen Albrecht III. und
Leopold III. kam. Die durch den Neuberger Vertrag am 25. Sep-
tember 1379 herbeigeführte TheUung des Hausbesitzes wurde
allerdings als innerhalb der Herrschermacht der Herzoge gelegen
behandelt und nur unter Mitwirkung der Räthe vorgenommen.
Die voraufgehenden Verträge hingegen räumen den Landherren
noch vor den fürstlichen Räthen den Platz ein,* und gleiches
gilt vom Verzicht der Leopoldiner auf die Ausübung der Herr-
schaft bei Lebzeiten Herzog Albrecht's III., 1386, und dem Hollen-
burger Vertrag, 1395, zu Gunsten Herzog Wilhelm's. Wiederholt
wurden dann die Stände oder ein Ausschuss von ihnen zu Sclüeds-
richtem unter den streitenden Herzogen aufgerufen (1404, 1406),
allein die entscheidende Wendung zu ihren Gunsten trat erst nach
dem Tode des Herzogs WUhelm ein, als am 6. August 1406 zu
Wien 15 Bischöfe und Äbte, 7 Pröpste und 2 Prioren, 81 Adelige
vom Herren- und Ritterstand und die Vertreter von 20 Städten
und Märkten von Österreich ob und unter der Enns zum Schutze
der Rechte ihres jungen Herzogs Albrecht V. zusammentraten,
Ausschüsse aus jedem der vier Stände in gleicher Zahl entsandten
und die Ausführung der von diesen einhellig oder mit Stimmen-
» Steyrer, Comm. 185, 405. Lichnowsky-Birk, III, Nr. 1821/3.
* S. den Neuberger Vertrag und die wichtigsten nachfolgenden Verein-
barungen im herzoglichen Hause von 1389 bis 1411 bei Rauch, Ss. III, 394 ff.
Die vorhergehenden Verträge von 1373 bis 1376 bei Kurz, Albrecht III.,
1. Bd., Beil. 24, 27, 32, 33. - Vgl. auch Anm. 6.
176 Österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 28.
mehrheit gefas^ten Beschlüsse eidlich gelobten. Die Folge davon
war, dass die unter sich uneinigen Leopoldiner sich dem Ausspruch
der Landschaft von Österreich unterwarfen und ihr die Entscheidung
über die Person des Vormunds und den Umfang seiner Gewalt,
über Dauer der Vormundschaft u. s. w. übertrugen. Die Stände
zögerten nicht, ihre günstige Stellung auszunützen und arbeiteten
für die auf vier Jahre eingeschränkte Vormundschaft eine solche
Ordnung aus, dass es ihnen fiiglich gleichgiltig sein konnte, ob
sie Herzog Leopold oder Ernst übernehmen würde, wie sie denn
auch die Lösung dieser Frage den Brüdern zuschoben. Dagegen
bezeichneten sie umsogenauer die Aufgaben und Pflichten des
Vormunds und banden ihn in den meisten Fällen an ihren Rath
und ihre Zustimmung, die u. a. bei AngriflFskriegen, bei der Ver-
heiratung des Mündels, der Wahl der Amtleute und des Hof-
staats ihres jungen Herrn, der Verleihung erledigter Lehen, der
Verwendung der Einkünfte u. s. w. nothwendig sein sollte.
Dieselben Vorgänge wiederholten sich, als 1439 durch den
Tod Herzog Friedrich's IV. und König Albrecht's U. die Herrscher-
sitze in Tirol und Österreich erledigt wurden. In beiden Fällen
schrieben die Landatände die Bedingungen vor, unter welchen die
Vormundschaft über ihren „angeborenen Landesfürsten" geführt
werden sollte, als dessen Schützer sie sich betrugen und den sie
schließlich durch Drohung oder Anwendung offener Gewalt aus
den Händen des eigennützigen Vormunds befreiten. (Vgl. § 19, 12.)
5. Als Vorläufer der Landtage und Landstände bezeichnet
man oft die Hof- und Gerichtstage oder die Einungen politischer
Stände. Dass man die Hof- und Gerichtstage nur sehr mit Vor-
behalt als Surrogat der Landtage ansehen kann, wurde schon oben
(§ 27, 2) ausgeführt. Ebensowenig darf man Einungen und Land-
stände gleichsetzen,^ wogegen zuzugeben ist, dass gesellschaftliche
Classen nicht selten den corporativen Zusammenschluss als Mittel
benützten, um politische Stände zu werden und diese ebenso der
Bündnisse sich bedienten, um ihre Machtstellung zu befestigen.
Andererseits sind Landstände und Landtage in ihrer geschichtlichen
Entwickelung keineswegs untrennbar verbunden. Sobald in allge-
meinen Landesangelegenheiten das Berathen des Fürsten oder
^ S. die Kritik der Einungstheorie in Below's Geschichte der landständischen
Verfassung in Jülich und Berg, II, 62 ff.
Hoftage und Einungen, geschworner Rath der Landherren. 177
mehr, gewissen Classen der Bevölkerung als Recht eingeräumt
ist, sind Landstände da. Nicht so die Landtage. Diese sind nur
eine einzelne Form, in der sich der Einfluss der Landstände
äußert, und zwar eine solche, die nur ausnahmsweise früh, gewöhn-
lich aber erst dann zu allgemeinerer Anwendung gelangt, wenn
sich der Kreis der politisch berechtigten Classen schon erheblich
erweitert hat. So lang dieser Fall noch nicht eingetreten war,
genügte es, wenn den Personen, die damals Landstände waren,
die gebürende Mitwirkung durch irgend eine bleibende Einrich-
tung gesichert war. Als solche erscheint in allen altösterreichischen
Landen der geschwome Rath der Landherren, dessen verfassungs-
mäßige Stellung allerdings bisher nicht erkannt wurde.®
6. Dieser Rath begegnet uns zuerst im Landfrieden, welchen
Otakar nach der Besitznahme Oesterreichs um 1251 erließ und
ist (^'gl* § 27, 8) als vertragsmäßiges Zugeständnis an die Land-
herren aufzufassen, denen er die Auf nähme' von zwölf der
Ihrigen in den fürsthchen Rath zusicherte. An der Einrichtung,
nicht aber an der Zahl wurde auch in der Folge festgehalten.
Die MitgUeder dieses Raths befanden sich in einer Doppelstellung,
ähnlich wie später die an der Spitze der Landschaften stehenden
Landeshauptleute und Landmarschälle: sie waren VertFauensper-
sonen sowohl des Landesfürsten als auch der Landstände, d. h.
ihrer Genossen, sie empfiengen Aufträge von beiden Seiten und
waren wohl auch beiden Theilen durch Eid verpflichtet. Der Rath
der Landherren, dessen Wirksamkeit bis tief in's 14. Jahrhundert
wahrnehmbar ist, muss von dem fürstlichen Rath im engeren
Sinne wohl unterschieden werden. Denn jener ist eine Form, in
der sich der verfassungsmäßige Einfluss der Landstände auf Re-
gierungsacte äußert, während dieser Beamtencharakter hat, und wo
beide Räthe zugleich genannt werden, den Landherren nachsteht.^
^ Das Beste, was über den Rath der österr. Landherren schon geschrieben
ist, bietet Siegei in seiner Abhandlung über die rechtliche SteUung der Dienst-
mannen in Osterreich. 8. B. Bd. 102, im Abschnitt lU, S. 251 ff. — Außerdem
hat Hase nöhrl, österr. Landesrecht, 52, einige bemerkenswerte Angaben gemacht,
8. auch mein Gerichtswesen, 8. 96 ff. — Ich behalte mir vor, die Frage von
der verfassungsmäßigen Stellung des geschwomen Raths der Landherren bei
anderer Gelegenheit ausführlicher zu behandeln.
^ Theilungsvertrag vom 25. Juli 1373 .... daz wir nach rat unser freunde,
lantherren und rete . . .' ebenso 1375, 3. Juni; 1376, 5. Jänner. — Kurz,
L QIC hin, österreichische Reichag^schlcbte. X2
178 Osterreiohlsche Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 28.
7. Der geschworene Rath der Landherren war, wie gesagt,
nur ein Weg, auf welchem der Landesherr mit den Landständen
verkehrte, wenngleich er solange Zeit der gewöhnliche blieb, als
die Landherren der einzig entscheidende politische Stand waren.
Er wurde auch späterhin, als sich der Kreis der Berechtigten
schon erweitert hatte und die Landherren mit der „Führung* sich
begnügen mussten, nicht so bald verlassen, obschon in wichtigeren
Fällen eine Verstärkung dieses Rathes durch außerhalb stehende
Genossen und unmittelbarer Verkehr des Landesfürsten mit den
Städten hinzutrat. So ließ beispielsweise Herzog Albrecht IL die
Einhaltung seiner Hausordnung am 25. November 1355 durch
36 Landherren aus Oesterreich ob und unter der Enns, 18 Bteirer
und 8 Kärntner beschwören, die sich im eigenen Namen mitsammt
den Landen und Städten verpflichteten, während der Erbvertrag
mit dem luxemburgischen Hause, den Herzog Rudolf IV. am
10. Februar 1364 abschloss, nach „Rath, Willen und Gunst aller
unser Fürsten, Landherren, Ritter und Knechte, Bürger und Land-
sassen in allen unsern Landen und Städten die notdürftig dazu
waren", durch Gesammtacte der Landherren und Einzelerklärungen
der Städte eidlich bekräftigt wurde. ®
8. Aus dem Gesagten erklärt sich, weshalb uns für gewisse
Zeiten wenig Nachrichten von Landtagen überliefert sind, obwohl
es schon zweifellos Landstände gab: man bedurfte dieser Ver-
sammlungen fürs Gewöhnliche nicht, weil der Landesfürst durch
den geschwomen Rath der Landherren oder in einer anderen,
früher angegebenen Weise den nämlichen Zweck erreichen konnte.
Aber selbst dann, wenn außergewöhnliche Umstände, z. B. die
Huldigung, die einem neuen Landesheren zu leisten war, eine
corporative Versammlung der Landstände erheischten, wird man
weniger von einem Landtag als von einem Landherrentag reden
Albrecht m., Bd. 1, Beil. 24, 32, 33. In diesen fürstlichen Rath wurde z. B.
1413 Bischof Georg von Passau mit 150 Pfd. Jahressoid aufgenommen. M.-Boica,
XXXI, 2. S. 118. Vgl. auch Lichnowsky-Birk, IV, Nr. 1153, Dienstrevers
Herzog Friedrich's von Teck u. A. vom Jahre 1374.
^ Wir besitzen die Erklärungen der Landherren von Böhmen, von Öster-
reich, der Landherren und Landleute von Kärnten und der Burggrafen und
Landleute zu Windischgraz. — Lichnowsky-Birk, IV, 551, 557, 572, 577.
Die Zustimmung der Stadt Prag (Nr. 559) und von 30 verschiedenen Städten in
Österreich, Steiermark, Kärnten und Krain. (Nr. 556, 564/6, 570, 573/4, 580/2, 589.
Erweiterung des Kreises der Landstände. 179
können, da der als Gefolge mitgebrachten Ritterschaft eine ent-
scheidende Stimme nicht zukam. *
Die Frage, warum den einfachen Rittermäßigen ein maß-
gebender Einfluss auf die Landesangelegenheiten so lang versagt
blieb, obwohl ihnen sonst mancherlei Vorrechte in den Verbrie-
fungen der Landesfreiheiten schon gewährt waren, hängt mit ihrer
lehensmäßigen Abhängigkeit von den Landherren zusammen. Erst,
als durch wachsende Begüterung und den Eintritt der Ritter in
fremde Dienste eine Lockerung dieser feudalen Auffassung erfolgt
war, ließ sich die Ritterschaft, die schon den gleichen Gerichts-
stand mit ihren Herren erkämpft hatte, die Aufnahme in die
Urtheilerbank und ein Antheil am politischen Leben nicht länger
vorenthalten. Der Zeitpunkt, in dem das eintrat, war in den
einzelnen Ländern verschieden. Die Verhandlungen wegen Ein-
führung des Ungelds (1359) wurden «in einem gemeinen offenen
Gespräch mit allen Landherren, Rittern und Knechten zu Oester-
reich, die dazu gehörten und zu rechter Zeit berufen wurden",
gepflogen und durch den Grafen von Hardeck, den Hauptmann
ob der Enns und den Landrichter unter der Enns „an stat und im
Namen der andern unsem Landherren allergemeiniglich in Oester-
reich "^ besiegelt; 1363 wurden durch die Landherren „und wir
die Landschaft gemainiglich edel und unedel^ arm und reich, die
zu der Herrschaft zu Tyrol gehören*, die Bedingungen festge-
stellt, unter welchen die Markgräfin Margareta die Regierung des
Landes an Herzog Rudolf IV. übergab, 1364 beschworen genannte
Personen in Vertretung der Landherren und Landleute von Kärnten
die Einhaltung des österreichisch-luxemburgischen Erbvertrages.^®
Demungeachtet finden wir später bei anderen Gelegenheiten wieder
nur die Landherren als entscheidend angeführt, bis der große
Bund der österreichischen Landschaft vom 6. August 1406 und
zwei Jahre darnach im offenen Bürgerkriege die Parteinahme
der Ritterschaft für Herzog Leopold IV. gegenüber dem durch
^ Bin placitam generale celebrandnm presentibus ministerialibus Austrie
nntversis 1251. U.-B. o. Enns, III, 178. Der Landfriede von 1281 unterscheidet
Fälle, »die nach der lanthcrren rat nnd solche, die nach der herren rat, die des
landes rat geswom habent", zu entscheiden waren. A. a. 0. III, 581, aber zum
Jahre 1277 gestellt. S. auch oben § 27, Anm. 14, 15, 18.
w Kurz, Rudolf IV, 321, 381; Lichnowsky-Birk, IV, Nr. 572.
12*
180 Österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 28.
die Landherren unterstützten Herzog Ernst dem Eisernen ihr eine
bleibende politische Stellung verschaflFte.
9. Ähnlich verhält es sich mit der Aufnahme der Städte
unter die Landstände, die zu sehr verschiedenen Zeiten erfolgte,
je nachdem es den Stadtgemeinden hier früher, dort später gelang,
sich zur Geltung zu bringen. Dass in Österreich u. d. E. die
Städte schon im Jahre 1281 neben den Landherren und Rittern
im Landfriedensbunde erscheinen und die Beistellung einer gewissen
Zahl Gewaffheter für den Bedarfsfall übernahmen, wurde (§ 27, 10)
erwähnt. In Tirol betheiligten sie sich seit 1362 an der Berathung
öffentlicher Landesangelegenheiten. In Innerösterreich, wo das
Städtewesen eine viel langsamere Entwicklung aufwies, ist ein
corporativer Zusammenschluss der landesfürstlichen Städte erst
gegen Ende des 14. Jahrhunderts bezeugt, als es sich um Streitig-
keiten mit dem Adel und den salzburgischen Städten handelte.^^ Die
Erklärung, durch welche sich Herzog Ernst der Eiserne im Jahre
1408 dem Ausspruch der österreichischen Landschaft unterwarf,
ließ er nicht nur durch Herren und Ritter, sondern auch durch
die Städte Graz, Leoben, Judenburg und Marburg besiegeln. Vom
Jahre 1412 ist uns bereits ein Einberufungsschreiben des Herzogs
Ernst nach Graz zu einem Landtag erhalten, „wann wir Prelaten^
Herren und ander Ritter und Knecht und Stett, die wir auch
dann herbesandt haben, von der und anderer unser merklichen
Nottür ft wegen gnotigs bedürfen". Bald darauf begann die An-
lage von ständischen Verzeichnissen der zur TheUnahme an den
Landtagen berechtigten Geschlechter und Corporationen, d. i. von
»Matrikeln", die zum erstenmale 1443 auf dem Meraner Land-
tag erwähnt werden.
Die letzte und bleibende Ausgestaltung der Landstände war
demnach in allen altösterreichischen Landen zu Anfang des
15. Jahrhunderts schon eingetreten. Fortan gehören zu ihnen so-
wohl der geistliche als auch der weltliche Großgrundbesitz (Prä-
laten und Landherren), die Ritterschaft, die landesfurstlichen
Städte und Märkte, in Tirol überdies die freie Bauernschaft der
Thäler und Gerichte (sicher seit 1415), nun sind die Landtage die
übliche Form, in der sich der Wille der Landschaft äußert.
U Chroel, Geschichte Kaiser Friedrich's IV., Bd. I, BeUage 1.
Abschluss der Landstände, Landtage und Landesconvente. 181
10. Im Gegensatz zu den Versammlungen der politischen
Classen, die auf dem Einungsrecht fußten und Landes-Convente
hießen,^* ruft die Landtage der Wille des Landesherrn ein. Von
den älteren Hoftagen sind sie im Wesen verschieden: Diese
beruhten auf der Pflicht des Lehensmannes zur Hoffolge, die
Landtage, die auch Theilnehmer zählten, die keine Vasallen waren
(Städte, Bauernschaft), auf dem verfassungsmäßigen Recht der
Landstände zur Mitwirkung in gewissen Landesangelegenheiten.
Folgerichtig war die Anwesenheit des Landesfürsten auf dem
Landtage nicht nothwendig, während sie für die Hoftage die
geforderte Voraussetzung bildete.
Bei dem im Vergleich zu den Hoftagen um so viel größeren
Einfluss der Landtage auf die Regierung ist es begreiflich, dass
die Landesfürsten die freien Versammlungen der Landstände als
Eingriffe in ihr Regentenrecht empfanden und zu hindern suchten.
In Tirol hatten die Landstände, als König Friedrich nach Ablauf
seiner Vormundschaft über Herzog Sigmund (29. Juni 1443) diesen
nicht entlassen wollte, die Regierung des ganzen Landes in die
Hand genommen und einem Ausschuss von 18 aus dem Adel,
den Städten und den Gerichten gewählten Mitgliedern über-
tragen, Rüstungsmaßregeln getroffen, die Einkünfte der Ämter
und Gerichte zurückbehalten, Landtage ausgeschrieben u. dgl. m.
Herzog Sigmund hat darum 1445 von der Landschaft das Ver-
sprechen gefordert, dass sie in Zukunft nicht mehr begehre,
Landtage zu halten in anderer Weise als wie solche
unter seinen Vorfahren und nach den Freiheiten der Grafschaft
Tirol gehalten wurden." In Innerösterreich hingegen kamen Landes-
convente noch später vor, obwohl Kaiser Friedrich mit seinen
«hohen Verdrießen" über diese Zusammenkünfte nicht zurückhielt.
11. Außer Landtagen und Landesconventen, unter welchen die
eigenmächtige Zusammenkunft zu Leibnitz im October 1462 sogar
alle drei innerösterreichischen Landschaften vereinigte, sind auch
die General-Landtage und die ständischen Ausschüsse zu erwähnen.
^ Häberlin, Handbuch des deutschen Staatsrechts, 2. Auf). (1797), 11, 54.
^ Jäger, n, 2, 63. — Krones, in Beitr. II, S. 82 ff., Nr. 115, 128 zum
Jahre 1455, 1462; in Kärnten vereinigten sich 1482 die Stände auf eigene Faust,
nm den Frieden von den räuberischen Söldnerscharen des Königs von Ungarn
zu erkaufen. — Aelschker, Gesch. Kärntens, I, 683.
182 Osterreiohische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 28.
General-Landtage hat zuerst Kaiser Friedrich III. in allge-
meinen Angelegenheiten von Innerösterreieh berufen, um sich die
Verhandlungen von Land zu Land zu ersparen. So wurden im
Juli 1453 die drei Landschaften von Steier, Kärnten und Krain
wegen Kriegsrüstung gegen Ungarn nach Völkermarkt berufen;
ebendort versammelten sie sich im Jahre 1470 abermals, um die
Steuern zur Bezahlung Baumkircher's zu bewilligen; andere General-
Landtage wurden 1474 und 1475 nach Marburg, 1476 und 1478
nach Graz ausgesehrieben.
Die ständischen Ausschüsse waren noch keine bleibende
Einrichtung; das großartige Gebäude landschaftlicher Verwaltung,
das im 16. Jahrhundert erwuchs, war dem Mittelalter fremd.
Man begnügte sich, dass der an der Spitze des Landes stehende
landesfürstliche Beamte (Landeshauptmann, Landmarschall) die
Pflicht habe, der Landschaft ebenso zu ihren Rechten zu ver-
helfen, wie die gnädige Herrschaft selbst, ^* und benützte im
übrigen die periodischen Versammlungen aus Anlass der Gerichts-
tage (Land- und Hoftaidinge, landmarschallisches Gericht) zu
Vorbesprechungen,^^ oder zur Besorgung der laufenden Ange-
legenheiten. Es kam daher nur in außergewöhnlichen Fällen zur
Einsetzung von Ausschüssen mit gemessenem Auftrag zur Erle-
digung der von einem Landtag zum andern vorfallenden Geschäfte,
wie etwa 1406 in Österreich bei Abschluss des Bündnisses der
ganzen Landschaft, oder 1443 und 1487 Tirol zur Verwaltung des
Landes im Namen des Herzogs Sigmund.
12. Den Wirkungskreis der Landstände bestimmte als oberster
Grundsatz die Regel: „nil de nobis sine nobis", wobei das
de nobis sehr weit gefasst wurde, weil sie sich nicht als Ver-
treter bestimmter Corporations-Interessen, sondern des ganzen
Landes, als Landschaft betrachteten. Dazu kam, dass dem Einfluss
der Landstände während des Mittelalters nicht durch die Paragraphe
einer Verfassungsurkunde gesetzliche Schranken gezogen waren,
sondern dass vor allem der dehnbare Begriff des Herkommens
1^ Vorgtellnn^en der Tiroler an den Landeshauptmann Grafen Ulrich von
Matsch, 1443. - Jäger, II, 2, 30.
^ So wurde Ende 1455 anf einem Hoftaiding zn Graz die Abhaltung
eines Landesconvents auf den 11. Jänner 1456 verabredet. Krön es, in den
Beiträgen zur Kunde steirischer Geschichtsquellen, 2, S. 82.
General-Landtage, Wirkungskreis der Landst&nde. 183
entschied, so dass zwischen dem unbestrittenen Recht des Fürsten
und dem der Stände ein weites Gebiet lag, das je nach dem Stande
der Dinge verschieden abgegrenzt sein konnte. Daraus erklärt es
sich, dass für den Umfang des ständischen Einflusses vor allem
der Umstand wichtig war. ob an der Spitze des Landes ein
kräftiger volljähriger Fürst, oder eine vormundschaftliche Regierung
stand. Lähmte überdies, wie das leider im 15. Jahrhundert oft
genug vorkam, Zwiespalt im Herrscherhause die Thatkraft des
fürstlichen Vormunds, so konnte die Macht der Stände ins Un-
gemessene wachsen, auch wohl unter Abgabe loyaler Erklärungen
zu förmlicher Sequestrierung der gesammten Landesverwaltung
fuhren, wie dies während der Jahre 1443 bis 1445 in Tirol vor-
gekommen ist. Ähnlichen Erfolg konnte auch die durch üble Ver-
waltung und weitgetriebene Verschwendung verursachte Nothlage
eines charakterschwachen Fürsten bewirken, wie die Erlassung
der Hofordnung durch den Meraner Landtag und die übrigen Vor-
gänge in den Jahren 1487 bis 1490 beweisen, die der Abdankung
Erzherzog Sigmund's von Tirol vorangiengen.
Sieht man von solchen Ausnahmsfällen ab, so findet sich
die Mitwirkung der Landstände vor allem
a) wenn es sich um Bewilligung von Steuern oder sonst
ungewöhnlichen Auflagen handelte, die entweder von den Ständen
selbst oder von der durch sie vertretenen bäuerlichen Be-
völkerung getragen werden sollten. ^^ Landtage sind Geldtage,
hieß es. Die Stände legten großen Wert darauf, dass solche Steuern
als Ergebnis ihres guten Willens und nicht als erzwingbarer An-
spruch des Fürsten erschienen. Sie verlangten daher in der Regel
gewisse Zugeständnisse vom Regenten als Gegenleistung, wie sie
die Lage gab und überdies die Anerkennung ihres Standpunkts
von Seite des Landesherrn durch Ausstellung von rechtsverbind-
lichen Erklärungen (Schadlosbriefen, Reversen). ^^ Ganz ähnlich
war es, wenn statt der Steuern oder neben denselben außer-
^^ Es war daher ein Eingriff ins Fürstenrecht gegenüber dem fürstlichen
Vormund, als die österr. Stände 1406 die Ausschreibung ungewöhnlicher Juden-
steuem von ihrer Zustimmung abhängig machten, da ja die Juden zur fürst-
lichen Kammer gehörten. — Rauch, Ss. III, 461, Art. 19.
^^ In Steiermark von 1467, 1461, 1470; die österreichischen beginnen 1420.
8. das 4. Buch in der Strein'schen Landshandfest des Erzherzogthums Österreich.
184 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 28 und 29.
gewöhnliche Kriegsrüstungen verlangt wurden. In Innerösterreich
hieng überdies die Münzverrufung von der Zustimmung der Stände
ab. Allmählich brach sich die Erkenntnis Bahn, dass in gewissen
Fällen die geforderte Beihilfe von den Ständen überhaupt nicht
verweigert werden könne, so bei Ausheiratung einer Tochter des
Fürstenhauses (Prinzessinsteuer) oder wenn von der Bewüligung
das Wohl des Landes abhieng. (§ 33, 12, 13.)
b) Als Vertreter des ganzen Landes, als Landschaft hielten sich
die Stände auch für berechtigt, in dringenden Fällen für's Land
zu handeln. Sie erschienen als Vermittler bei Zwistigkeiten im
Herrscherhause, beanspruchten Antheil an der vormundschaftlichen
Regierung, an ihre Mitwirkung war der Landesherr bei Erlassung
von Landfrieden und anderer allgemeiner Gesetze gebunden, mit
ihrer Hilfe waren Maßregeln der Landessicherheit, wie die „Frage*
nach schädlichen Leuten, oder das Gerannen, durchzuführen
u. dgl. mehr.
§ 29. Die Stellang des Staates zur Kirche im Mittelalter
(1000—1500).
Literaturangaben bei § 10, außerdem Friedberg, Die Grenzen zwischen
Staat und Kirche, 1872. — Huber, Österr. Reichsgeschichte, 54. — Jäger, Land-
ständische Verfassung, I, 122 ff., mein Gerichtswesen, §§ 13, 26, S. 123, 258 ff.
1. Die altösterreichischen Lande waren in den Metropolitan-
Sprengeln von Salzburg und Aquileja gelegen, deren Abgrenzung
durch den Lauf der Drau auf eine Entscheidung Kaiser Karl's
des Großen zurückgeht. (§10, 4.)
Die bischöfliche Gewalt über Österreich ob und unter der
Enns bis an die Piesting stand dem Bischof von Passau zu und
wurde erst 1468 durch die Errichtung des Bisthums Wien un-
bedeutend geschmälert. Südlich der Piesting und im alten Karan-
tanien bis zur Drau übte der Erzbischof von Salzburg Diöcesan-
rechte aus, so weit er dieselben nicht durch die Errichtung der
BisthUmer Gurk (1072), Seckau (1218) und Lavant selbst beschränkt
hatte oder aber hiezu genöthigt wurde, wie es 1468 bei Errichtung
des Bisthums von Wr.-Neu8tadt geschah. Auch über Theile von
Nordtirol erstreckte sich seine bischöfliche Gewalt, während der
übrige, und zwar der größere TheU dem Bischof von Brixen unter-
Die kirchlichen Sprengel in Österreich, Landesbisthümer. 185
•
geben war, der aber als Suflfragan dem Salzburger Erzbisehofe
unterstand. Der Vintschgau gehörte zu Chur, über Südtirol breitete
sich das Bisthum Trient aus, das dem Patriarchat Aquileja unter-
worfen war. Aquileja selbst übte Diöcesanrechte weit über das
FriauFsche hinaus, in Kärnten und Steiermark südlich der Drau
uod in ganz Krain, bis es im Jahre 1462 zur Errichtung des
kleinen Bisthums Laibach kam, dessen Sprengel vor allem im
Umfang des incorporierten Benedictinerstifts Obernburg im obem
Sannthal gelegen war. Im Küstenland und Istrien walteten in
kleinen Sprengein als Suffragane von Aquileja die Bischöfe von
Triest, Cittanuova, Pedena, Pola, Parenzo, Capo d' Istria.
2. Die Beziehungen zwischen Staat und Kirche waren in
Österreich während des Mittelalters viel verwickelter als jetzt,
weil die Kirche noch vielfach auf Gebiete übergriff, die nach
heutiger Auffassung dem Staat vorbehalten sind. Dazu kam, wie
aus der vorhergehenden Übersieht entnommen werden kann, dass
es in Österreich lange Zeit keine Landesbischöfe gab, weil die
bischöfliche Gewalt auswärtigen Kirchenfürsten zustand, welche
in ihren Gebieten selbst Landesherren waren und gleiche Rechte
auch über ihre in den altösterreichischen Landen zerstreuten
Besitzungen beanspruchten. Die bösen Zwistigkeiten, die sich
daraus ergaben,^ veranlassten schon die Babenberger zum Versuch,
durch Errichtung eines Landesbisthums in Wien der drückenden
Jurisdiction der Passauer Bischöfe zu entgehen. ^ Andererseits
betrachteten die Herzoge die vom Salzburger Erzbischof Eberhard IL
ohne ihre Zustimmung vorgenommene Errichtung des Bisthums
Seckau als einen Eingriff in ihre landesherrlichen Rechte, den
sie durch eine Beschwerde beim Papste nachdrücklich rügten.
Ihren Bahnen folgten die Habsburger. Die Bisthümer Seckau und
Lavant, die wenig mehr als den Titel und die bischöfliche Gewalt
für den Umfang eines Archidiaconats-Sprengels gewährten, waren
* Vgl. z. B. den Bericht der Contin. Zwetlensis, Mon. Germ., 8s. IX, Pol.,
S. 658, über die Excommanication, die der Erzbischof von Salzburg über Herzog
Albreeht I. und den Abt von Admont wegen des Krieges erhob, „precipiens
etiam suis co6piscopis ut idipsum faceront*. Als einige dagegen nach Rom
appellierten, erfolgte deren suspensio a dlvinis.
« Meiller, B., Reg. 98/9, Nr. 70, 72, päpstliche Schreiben von 1207 und
1208. Über den Versuch Herzog Friedrichs IL, a. a. 0. 180, Nr. 144 (1245).
Herzog Rudolfs IV. Ann. Mattseenses, 1364, Mon. Germ., Ss. IX, 832.
186 Osterreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 29.
ursprünglich von Salzburg zur Erhöhung seines Ansehens gegründet
worden, wie sie auch in der Besetzung von den Erzbischöfen ab-
Mengen. Sie vermochten am wenigsten auf die Dauer dem Einfluss
der österreichischen Herzoge sich zu entziehen und wurden un-
geachtet der kaiserlichen Gnadenbriefe zuerst zu österreichischen
Landesbisthümern. Später ereilte dies Schicksal auch Gurk,' das
anfänglich energisch für seine Reichsunmittelbarkeit gestritten
hatte, endlich auch Brixen und Trient, die ihre Reichsunmittelbarkeit
nur dem Namen nach behielten. Kaiser Friedrich III. nützte dann
seine Beziehungen zum päpstlichen Stuhl zur Errichtung der Bis-
thümer Laibach (1462), Wien und Wr.-Neustadt (1468) aus, durch
welche eine Beschränkung der Diöcesen von Aglai, Passau und
Salzburg herbeigeführt wurde, erlangte sowohl für jene als für
die Bisthümer Trient, Brixen, Chur, Gurk, Triest und Pola das
Ernennungsrecht, die Besetzung von 300 Beneficien an Kathedral-
und CoUegiatkirchen und das Visitationsrecht der in seinen Landen
gelegenen Klöster.*
3. Die kirchliche Gerichtsbarkeit erstreckte sich wie in
andern Territorien so auch in Österreich nicht bloß auf die Mit-
glieder des Clerus, sondern in manchen Fällen, namentlich in
Glaubens- und Ehesachen, Wucherprocessen, Zehent- und Patronats-
Streitigkeiten auch auf Laien. Allmählich begannen aber die
Herzoge sie einzuschränken, wobei ihnen die Strömung zustatten
kam, die in den Kreisen der Landherren und der Ritterschaft
gegen die Gerichtsbarkeit der kirchlichen Stellen sich bildete.
Nil haben sich gefriet die pfaffen^ swaz so si hegeixt^ daz si des
^ 1162, 6. April, erwirkte Bischof Roman von Gurk vom Kaiser Friedrich I.
einen Bestätigungsbrief, in dem er ,,honorabUid prinoeps noster* genannt wurde. —
Hohenauer, Kirchengeschichte von Kärnten, S. 87^ behauptet, dass Bischof
Johann I. sogar die förmliche Erhebung von Gurk zu einem Reichsfürstenthum
erwirkt habe. Vgl. aber Meiller, Salzburger Regesten, 134/5, Nr. 31, 32, 34.
^ All diese neuen Bisthümer hatten ungemein kleine Diöcesen. Jene von
Wr.-Neustadt erstreckte sich nur aufs Stadtgebiet und erfolgte die Abtretung
des Salzburgischen Wr.-Neustädter Bezirks erst 1783. Die Wiener Diöc^se, seit
1721 Erzbisthum, reichte nur bis Schwechat und Laxenburg (Gumpoldskirchen
und Heiligenstadt waren schon passauisch) und erhielt erst 1784 den Wr.-Neu-
städter Bezirk. — Kerschbaumer, Geschichte des Bisthums St. Polten, I, 657 ff.
und die beigegebene Karte der Passauer Diöoese vom Jahre 1723. Eine Diöcesan-
karte von Krain s. Archiv für Landesgeschichte von Krain, 1854, 2. u. 3. Heft.
Bescbränkung der kirchlichen G-eriohtsbarkeit, Amortisationsgesetze. 187
nicht ee rehte stent vor des landesherren, des haben wir grozeii werren^
unrehtefi gewin si bringent, ze Börne sie des dingent, rief im Jahre
1292 strafend der kleine Lucidarius aus. (II, 776.) Der gemein-
same Vortheil hat Adel und Bürgerschaft zum Begehren ge-
drängt, dass Klagen um unbewegliches Gut auf alle Fälle von
weltliehen Gerichten zu entscheiden seien und hat diese For-
derung im 1^. Jahrhundert auch für den Fall durchgesetzt,
wenn Kläger oder Beklagter dem geistlichen Stande angehörten.^
Das Wiener Stadtrecht vom Jahre 1340 nahm dem Pfarrer
die Entscheidung in schweren Ehebruchsfällen ab, die dem
Stadtrichter zur Bestrafung zugewiesen wurden. In Tirol ver-
kündete 1404 Herzog Leopold IV. das Verbot, Laien vor ein
geistliches Gericht zu fordern, es wäre denn in Zehent- oder
Ehestreitigkeiten, ähnliches verbriefte König Friedrich IV. den
Kärntnern im Jahre 1444. Kurz, bei aller Achtung vor den kirch-
lichen Satzungen und allem Wohlwollen, das die österreichischen
Herrscher der Geistlichkeit entgegenbrachten, finden wir sie dera-
ungeachtet einmüthig in der Vertheidigung der Hoheitsrechte des
Staates gegenüber kirchlichen Übergriffen.
4. Außer Zweifel steht femer, dass die Herrscher in Österreich
seit ältester Zeit ein gewisses Aufsichtsrecht über den Erwerb von
Liegenschaften durch den Clerus übten und dass schon zu Anfang
des 14. Jahrhunderts auswärtige Klöster der herzoglichen Erlaubnis
bedurften, wenn sie hierzulande Weingärten u. dgl. kaufen wollten.
Die Aufzeichnung der Wiener Rechte für Krems und Stein vom
Jahre 1305 enthält bereits den wichtigen Satz (der im Wiener
Albrechtinum vom Jahre 1340 als Art. 54 wiederkehrt), dass die
Klöster das im Stadtgebiet durch Vei^bungen gewonnene liegende
Gut binnen Jahresfrist an jemanden veräußern müssten, der mit
der übrigen Bürgerschaft Steuern und Lasten zu tragen bereit
sei. Noch weiter gieng Herzog Rudolf IV., der freilich dafür von
den geistlichen Chronisten als persecutor cleri bezeichnet wurde.
Durch den fingierten Freiheitsbrief vom Jahre 1058 wurden Salz-
burg und Passau dem Landesherrn in Österreich schlechtweg
untergeordnet. Im Jahre 1360 verfügte er die Aufhebung der
'^ Solche Klagen hat z. B. das herzogliche Hoftaiding selbst in dem Fall
entschieden, wenn beide Streittheile Geistliche waren. Gerichtswesen, Anm. 131. ~
Vgl. auch Ü.-B. 0. B,, V, 597 vom Jahre 1302, 27. December.
188 Österreichische Reichsgesohichte. I. Theil. Zweite Pedode. § 29 und 30.
Grundgerichtsbarkeit und, um das Aufblühen der Städte zu be-
günstigen, die zwangsweise Ablösung der Burgreehtszinse, eine
Maßregel, die zumal die Kirchen und Klöster schwer betraf. Im
Jahre 1361 hob er alle auf Privilegien beruhenden Befreiungen
von der städtischen Schatzsteuer auf, beschränkte das Asyl-
recht, und dehnte überdies die Bestimmungen der Amortisations-
gesetze von den Jahren 1805 und 1340 auch auf die weltliche
Geistlichkeit und auf Vergabungen von Pahrhabe aus.
5. Zweifelhaft ist, wieweit die vom Clerus in Anspruch
genommene Steuerfreiheit kirchlicher Besitzungen in Österreich
anerkannt war. Es ist wohl wahr, dass die Kirchen und Klöster
hier mancherlei Begünstigungen und Befreiungen genossen, allein,
wie es scheint, nicht infolge eines allgemeinen Satzes, sondern
kraft besonderer Begnadungen. Es ist femer wahr, dass Herzog
Albrecht III. mit dem Kirchenbann belegt und Ernst der Eiserne
mit solchem bedroht wurde, weil sie ohne Zustimmung der kirch-
lichen Obern die Geistlichkeit besteuert hatten. Andererseits er-
wähnen die uns zahlreich überlieferten Nachrichten über die
Heranziehung des Kirchenguts für staatliche Bedürfnisse so selten
einer kirchlichen Ermächtigung, dass man ein selbständiges Recht
des Landesherrn in Österreich zur Besteuerung des Clerus an-
nehmen muss. Darüber, so wie über das von den österreichischen
Herzogen beim beweglichen Nachlass der Geistlichkeit in Anspruch
genommene Spolienrecht wird noch im § 33 gehandelt werden.
6. Soweit das Kirchengut in Österreich zum Großgrundbesitz
wurde, nahm es auch an dessen Vorrechten theil. Bis zur Mitte
des 12. Jahrhunderts stand das Recht, Immunitätsprivilegien zu
gewähren, nur dem Reichsoberhaupt zu, welcher der Zustimmung
der davon betroflfenen Inhaber der Grafschaftsrechte nicht bedurfte.
Seit dem Privilegium Minus (1156) war der König an die vor-
gängige Zustimmung des österreichischen Herzogs gebunden, später
ertheüten die Babenberger Exemtionen auf eigene Paust in der
Erwartung, dass der König nachträglich zustimmen werde, eine
Übung, die allmählich zum Recht erwuchs und vom Reiche stül-
schweigend anerkannt wurde. Allmählich kamen so alle älteren
Klöster in den österreichischen Landen in den Besitz der ge-
sammten Gerichtsbarkeit mit Ausnahme der s. g. landgerichtlichen
Fälle, ja einige erlangten selbst den Blutbann. Allein die Kirche
Immunitäten nnd Vögto; die landesfürstliche Verwaltung. 189
bedurfte, sobald ihr die öflfentliche Gerichtsbarkeit über ihre Hinter-
sassen übertragen wurde, eines weltlichen Organs zur Ausübung
derselben, des Vogts (Advocatus), welcher den Frieden der ihm
anvertrauten Kirche nach innen und außen zu wahren hatte. Da
jedoch die Vögte, auf ihre Gerichtsbarkeit gestützt, aus dem Titel
des VogtrechtB Abgaben aller Art erhoben und über Leute und
Güter der bevogteten Kirche wie über ihr Eigenthum verfügten,
Untervögte bestellten, die nicht minder arg wirtschafteten u. s. w.,
80 haben die Kirchen später ebenso eifrig die Befreiung von der
Gerichtsbarkeit der Vögte, als früher von der Grafengewalt er-
strebt. Der Umstand, dass allmählich die Vogtei über die meisten
und wichtigsten Hochstifte und Klöster in die Hände des Landes-
herrn gelangt war, erleichterte jenen dies Bestreben : die Herzoge
versprachen den Schutz nach außen hin ohne weiteres Entgelt;
die Untervögte, auf Widerruf bestellt und auf ein ausgewiesenes
Maß von Abgaben beschränkt, übernahmen die Vertretung der
Kirche und der Kirchenleute vor weltlichen Gerichten. Die Ge-
richtsbarkeit endlich, die der Kirche laut der Exemtionsprivilegien
zukam, durfte sie fortan durch ihre eigenen Amtsleute verwalten.
Die landesfürstliche Verwaltung im Mittelalter.
§ 30. Allgemeine Bemerkungen.
Lamp recht, Deutsche Geschichte, IV, 8. 310: Die Landesyerwaltung. —
Rosenthai, Geschichte des Gerichtswesens nnd der Verwaltnngs-Organisation
Bayerns, I, 1889. — Seeliger, Das deutsche Hofmeisteramt im spätem Mittel-
alter, 1885. — Sei dl er, Studien, ni, Behördensystem und Staatsbildung.
1. Selbst in den größten deutschen Territorien mangelte
es bis ins 13. Jahrhundert an einer durchgreifenden Eintheilung
des Landes und der Beamten zu Verwaltungszwecken, die landes-
fürstliche Verwaltung hatte, auch wenn sie sich über mehrere
Gebiete erstreckte, als einzigen Vereinigungspunkt das regierende
Haus. Die Fülle der stetig auftauchenden wichtigen Fragen
nöthigte indessen den Landesherm zur Rücksprache mit Männern
seines Vertrauens. Wenn er auch diese nach seinem Belieben frei
wählte, so musste doch stets eine Anzahl geeigneter Personen in
seiner Nähe sein, deren er sich bald als Berather, bald als
190 Osterreiohische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 30.
Gehilfen in Ausführung gefasster Beschlüsse bedienen konnte.
Bei dem rein persönlichen Charakter der landesfürstlichen Herr-
schaft ergab es sich, dass vorzugsweise die Inhaber der Hof ämter
wegen ihrer beständigen persönlichen Beziehungen zum Herrscher
zur Erledigung staatlicher Geschäfte benützt wurden.
2. Der angesehenste und für die Landesregierung wichtigste
Hofbeamte war der Hofmeister. Er kommt in Tirol seit 1277, in
Österreich seit 1293 vor und wurde dort zum „Landhofmeister'',
d. i. zu einer Erblandeswürde, während er in Österreich noch um
die Mitte des 15. Jahrhunderts lediglich ein der Person des
Herzogs zugewiesener Beamte war. Die übrigen wichtigeren
Hofbeamten, deren Amt ebenfalls durch Abspaltung zerlegt
wurde, waren der Marschall (Hofmarschall, Erbmarschall, Land-
marschall), der obriste Kämmerer, endlich der Kanzler (Proto-
notarius, Cancellarius), der erst dem Stande der Cleriker, dann
der Juristen entnommen wurde und die formelle Erledigung der
wichtigsten Regierungsgeschäfte besorgte. Von minderer Bedeutung
waren Schenk und Küchenmeister, der Jäger- und Forstmeister u. dgl.
Daneben gab es stets eine große Zahl von Personen, die am
Hofe ohne bestimmtes Amt lebten, aber die Verpflichtung hatten,
dem Herzog, so oft er es wünschte, Rath zu ertheilen und jene
Aufgaben zu erledigen, die ihnen gerade übertragen wurden.
Hieher zählen die Mitglieder des geschwomen Raths der Land-
herren, von deren Doppelstellung in § 28, 6, die Rede w^ar,
während andere mehr Beamtencharakter hatten.^ Schließlich gelang
es der gefestigten landesherrlichen Gewalt, die ständischen Ele-
mente aus dem Rathe zu verdrängen. Um die Mitte des 15. Jahr-
^ Die Geschichte dieses Landesbeamtenthums ist noch wenig erforscht
Namenslisten bieten die Register zu den Urkundenbüchern, außerdem für Öster-
reich 0. B.: Hohen eck, die Herren-Stände, L, Vorrede; Prevenhueber im
Anhang zu den Annal. StjTenses. Für Steiermark: Schmutz, histor. topogr.
Lexikon, H, unter den Schlagworten Landeshauptleute u. s. w., dazu Beiträge
zur Kunde steir. GeschichtsqueUen, XV, 67; für Kärnten: Hermann, Handbuch
der Geschichte, L, Tabelle auf S. BOG; für Krain: Valvasor, Ehre des Herzog-
thimis Krain, 9. Buch (3. Bd.), dazu G. Kozina über die Hauptleute und Vice-
dome von Krain in den Programmen der k. k. Oberrealschule zu Laibach um
1864—1869. (Unbrauchbar sind die Verzeichnisse im Archiv für Landesge-
schichte von Krain.) Für Tirol J. A. v. Brandis, Geschichte der Landeshauptleute
von Tirol, 1850.
Landesfttrstiiohe Beamte: Hofmeister, HaupÜeute u. s. w. 191
hunderte empfangen schon alle Räthe Sold und die Doctoren be-
ginnen das große Wort zu führen.
3. Die Ländervereinigungen gaben Anlass zur Entstehung
besonderer Landeaverwaltungen , da man die formelle Selbst-
ständigkeit eines neu erworbenen Gebiets im Mittelalter nur ungern
antastete. Die Babenberger haben allerdings die Verwaltung von
Österreich und Steiermark • noch durchaus in Person geleitet, so
dass bezeichnend genug, in ihren Tagen der Gedanke der Ver-
schmelzung beider Lande zu einem Königreich auftauchen konnte,
aber seit dem Zwischenreich änderte sich die Lage. Den kaiser-
lichen Reichsstatthaltern folgten Hauptleute der Könige von Ungarn
und Böhmen, in Steiermark und im Lande ob der Enns. Diese
Einrichtung wurde von den Habsburgern beibehalten und später
auch von den Görz- Tirolern eingeführt, während in Österreich
u. E., das man wie Böhmen als Kern einer Ländergruppe betrach-
tete, allmählich ein Hofbeamter, der Marschall dauernd an die
Spitze der Landes Verwaltung trat und als solcher zum „Land-
marschall* wurde. Erschien der Hauptmann als der eigentliche
Stellvertreter des Herzogs, so stand ihm für. die Verwaltung
der landesfürstlichen Domänen und die Verrechnung der Gefalle,
soweit diese länderweise geschlossen war, der Landesvicedom
(L»andschreiber, Hubmeister) zur Seite. Die Landesverweserschaft
war ursprünglich kein besonderes Amt, sondern nur vorüber-
gehende Vertretung des Landeshauptmanns im Falle der Ver-
hinderung, oder wenn der Posten unbesetzt war, also das, was
man später als Verwaltung der Hauptmannschaft bezeichnete. Seit
dem Ende des 14. Jahrhunderts wurden jedoch bleibende Landes-
verweser bestellt, denen — wie in Österreich dem Land-Unter-
marschall — vor allem der gerichtliche Vorsitz in Vertretung
des Landeshauptmanns zukam.
4. Im Laufe des 15. Jahrhunderts war es üblich geworden,
dass für die Zeit der Minderjährigkeit oder der Abwesenheit des
Landesfürsten, in Stellvertretung desselben, die oberste Regierung
im Lande einer Anzahl Personen als Anwälten oder Statthaltern
übertragen wurde. Gewöhnlich wurden die Inhaber der höchsten
Hof- und Landesstellen als Vertrauenspersonen des Fürsten in
diese Statthalterschaften berufen, die als Vorläufer der von
Maximilian I. dauernd begründeten landesfürstlichen Behörden
192 Österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 30.
mit coUegialer Verfassung erscheinen. Anders verhielt es sieh mit
den Statthalterschaften während der Zeit, da der König Fried-
rich IV. die vormundschaftliche Regierung über Sigmund und
Ladislaus Postumus führte, denn diese sind vor allem nach dem
Willen der Stände von Tirol und Österreich besetzt worden.*
5. Als Regentenaufgaben erschienen nach mittelalterlicher
Auffassung nur der Schutz des äußern und Innern Friedens,
während der BegriflT der Staatswohlfahrts-Pflege (Polizei) bis auf
geringe Keime noch unentwickelt war. Daher bethätigte sich auch
die mittelalterliche Verwaltung eigentlich nur nach drei Richtungen:
a) Es erschien als Pflicht des Regenten, dafür zu sorgen,
dass jedermann im Lande zu seinem Rechte kam, dem entsprach
die Gerichtsverwaltung ;
b) den Schutz vor äußern Feinden sollten die Heeres-
einrichtungen bieten;
c) da aber beide Aufgaben nur durch Aufwand wirtschaft-
licher Mittel gelöst werden konnten, so musste es auch* eine
Finanzverwaltung geben.
§ 31. Die Rechtspflege.
Egger, Die Entstehung der Gerichtsbezirke Deutschtirols (MittheUungen
des Instituts für österr. Geschichte, 4. Ergänzungsband, 8. 373 ff.). — Hasen-
öhrl, österr. Landesrecht, S. 165 ff. — Huber, Reichsg. 50; — meine Geschichte
des altem Gerichtswesens in Österreich und Sohm's Besprechung in der Zeit-
schrift für Privat- und öffentliches Recht der Gegenwart, 1880, 8. 419 ff. —
Richter, Zur histor. G^graphie des Hochstifts Salzburg. — Rosenthal, Ge-
richtswesen Bayerns, 8. 49 ff. — Schröder, R.-G., § 50, 4.
1. Der Österreichische Herzog besaß in all seinen Landen die
Qerichtshoheit, die er vom Reiche ableitete. (§ 26, 8, a.) Der Aus-
übung nach stand aber die Gerichtsbarkeit nicht bloß dem Landes-
fürsten und seinen Beamten zu, sondern auch vielen andern
Personen und Corporationen, die ihrerseits die Berechtigung vom
Herzog durch die Bannleihe empfiengen. Die Gerichtshoheit aus-
wärtiger Reißhsstände über ihre in den österreichischen Landen
gelegenen Besitzungen war bestritten und wurde schließlich, wenn
^ Adler, Organisation der Central- Verwaltung unter Kaiser Maximilian L,
Anh. I, S. 486 ff. — Seidler, a. a. 0., 90.
Regentenaufgaben des österr. Herzogs; Landgerichte. 193
auch zum Theil erst im 16. Jahrhundert, beseitigt. Außer diesen
Gerichten öffentlichen Ursprungs gab es noch eine große Zahl
privater Gerichte mit beschränkter Zuständigkeit.
2. Zu den öffentlichen Gerichten gehörten die in allen alt-
österreichischen Landen vorkommenden Landgerichte (judicia pro-
vincialia). Ihr Zusammenhang mit den alten Volksgerichten ist
offenkundig, sie wurden von dem öffentlichen Gerichtsbeamten
oder einer an dessen Stelle getretenen Persönlichkeit mit der
Gerichtsgemeinde abgehalten und waren grundsätzlich, d. h. so
weit keine Einschränkungen stattgefunden hatten, für alle Civil-
und Criminalsachen der Gerichtsangehörigen competent. Selbst
die größten dieser Landgerichte sind viel kleiner, als die alten
Gaue und auch kiemer als die alten Grafschaften, welche aus
der Zertheilung der Gaue unmittelbar hervorgegangen sind. Da-
gegen scheinen die Landgerichte in Th'ol und Salzburg, die bis
ins 15. Jahrhundert mitunter als Grafschaften bezeichnet wurden,
den Unterbezirken der früheren Grafschaften zu entsprechen,
da die Übereinstimmung beider in ihrer Begrenzung mehrfach
erwiesen ist. In Steiermark. Kärnten und Krain ist der Auf-
lÖBungsprocess der alten Gerichtsbezirke weiter fortgeschritten,
die Landgerichtssprengel waren im Durchschnitt um die Hälfte
kleiner als in Tirol. Am weitesten aber gieng die Zersplitterung
in Österreich, namentlich im Lande unter der Enns, wo schließ-
lich je ein Landgericht mit dem Anrecht auf Stock und Galgen
auf iVa Quadratmeilen und 4843 Seelen kam!^
3. In der Verwaltung dieser Gerichte bestand zwischen
Bayern und Österreich ein bemerkenswerter Unterschied, welcher
wahrscheinlich mit dem verschiedenen Gang, den die Entwicklung
des Landesf ürstenthums in diesen Landen genommen hat, innig
zusammenhängt. In Bayern, wo die Landgerichte durch alle Jahr-
hunderte die Grundlage der territorialen Organisation blieben.
^ Die Zahl der Landgerichte in Nord- und Mitteltirol mit Einschluss des
Avisio-Thales und des Unterengadins gibt Egg er (a. a. 0. 428) mit 74 an. In
Steiermark gab es nach Gräff, (Versuch einer Geschichte der Criminalgesetz-
gebung in der Steiermark, 1817, S. 117) 136, in Kärnten 63 (Mayer, Statistik
des Herzogthums Kärnten, 1796, S. 135 und 155), in Kram und kaiserlich Istrien
im Jahre 1801 nach dem Instanzen-Schematismus 74 Herrschaften, in Öster-
reich ob der Enns 106, unter der Enns 2161 — Gerichtswesen, S. 114.
Laie hin. ÖBtorreichische Reidisgeschiohte. \^
194 Odterreiohische Reicbsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 31.
waren die Landrichter landesherrliche Beamte. Diese Einrich-
tung findet sich auch im Unterinnthal, so lang es Bayern unter-
stand, ferner im Zillerthal nach dem Vertrag vom Jahre 1281,
der den Herzogen von Bayern hier das „Judicium comecie quod
vulgo lantgericht dicitur" überließ, endlich im Gebiet der Erz-
bischöfe von Salzburg bei jenen Gerichten, die vom Stifte zu-
rückgekauft worden waren. Anders in den altösterreichischen
Landen. Hier hatte die Landgerichtsbarkeit ihren öffentlichen
Charakter bis gegen Ende des Mittelalters nahezu gänzlich ab-
gestreift und war mit dem Grundbesitz als zufällige Pertinenz,
oft nicht einmal bleibend, sondern gnadenweise auf eine Anzahl
Jahre, verknüpft worden. Landgerichtsinhaber vermochte daher
hier jeder zu werden, der Unterthanen besaß, falls er die Land-
gerichtsbarkeit über dieselben dui'ch Kauf, Tausch, Pfandschaft
oder sonstwie erwerben wollte und konnte, nur hatte er die Ver-
pflichtung, den Blutbann vom Landesfürsten einzuholen.^ So gab
es schließlich in den altösterreichischen Landen landesfürstliche
Landgerichte nur auf landesfürstlichem Besitz, d. i. auf Domänen
und in landesflirstlichen Städten und Märkten, doch machte es
in der Verwaltung wenig Unterschied, wer Herr war. Man war im
Mittelalter so sehr gewöhnt, die Gerichtsbarkeit als nutzbringendes
Recht anzusehen, dass auch die österreichischen Herzoge ihre
Landrichter nur selten als entlohnte Beamte, wohl aber oft gegen
einen Antheü an den Gefällen, ja selbst als Pächter, Pfandinhaber
oder Nutznießer der Gerichtseinkünfte bestellten. '^
4. Über allen Landgerichten stand als Gerichtsherr der
Herzog von Österreich infolge des früher erwähnten Rechtssatzes
über die Bannleihe. Wie der König im Reich, so war also der
Herzog in seinen Landen als Träger der Staatsgewalt eine Instanz
über dem öffentlichen Gericht.
Dies Gericht, das* der Herzog entweder persönlich oder durch
einen besonders dazu bestimmten Stellvertreter abhielt, hat in den
altösterreichischen Landen verschiedene Formen durchgemacht. Im
12. und 13. Jahrhundert erscheint es vor allem als Landtaiding
(placitum generale, Judicium generale), d. h. als periodisch wieder-
* Rosenthal, 53, 57. — Egger, a. a. 0., 387. — Richter, a. a. 0., 620,
mein Gerichtswesen, S. 118—120.
* Gerichtswesen, 122.
Landgerichte, Land- und Hoftaidinge, das herzogliche Hofgericht. 195
kehrende Versammlung der „Landherren*, die an bestimmten Mal-
stätten zu Zwecken der Rechtsprechung mit dreitägiger Dauer
abgehalten wurde.* Wir begegnen solchen Landtaidingen nicht
bloß in Österreich, sondern während des 13. Jahrhunderts auch
in Steiermark, Kärnten und Tirol ^ und ebenso sind uns aus den
Tagen des letzten Babenbergers die Namen seiner stellvertretenden
Richter in Österreich und Steiermark bekannt.*
In Österreich traten unter Otakar an Stelle des obersten
Landrichters vier Oberlandrichter, welche zu zweien je auf einem
Ufer der Donau, später ob und niederhalb der Enns, ihres Amtes
vralten sollten; zugleich wurde die Competenz der Landtaidinge
für todeswürdige Verbrechen auf die unfreie Ritterschaft ausge-
dehnt. Beide Neuerungen w^urden von den Habsburgem beibehalten.
Die Landtaidinge, welche allmählich zu ständischen Gerichten
wurden, haben in Österreich bis ins 14. Jahrhundert, in Inner-
Österreich unter dem Namen der „ Landrechte ** bis zu den Reformen
der Kaiserin Maria Theresia bestanden.
5. Neben ihnen gab es aber auch Hoftaidinge, d. h. der Herzog
hielt Gericht mit seinen Großen, wo er sich gerade befand, oder
ließ sich dabei durch seinen Hofrichter vertreten. Größere Be-
deutung erlangte dies Gericht erst unter Herzog Albrecht I., der
die Entscheidung von Besitzstreitigkeiten ihm zuwies und sich der
Hoftaidinge als Mittel bediente, um die landesfürstlichen Gerecht-
same auf Kosten der Landtaidinge zu heben. Im Laufe des
14. Jahrhunderts nahmen indessen die Hoftaidinge mehr und mehr
die Natur einer ständischen Gerichtsstelle an. In dieser Gestalt
erhielten sie sich in Österreich unter der Enns bis gegen das
« So hm, a. a. 0., S. 420. erklärt die Landtaidinge für Landtage, die der
Herzog mit den majores terrae abhielt. Ich kann dem nicht zustimmen. Zuge-
geben, dass auf Landtaidingen auch allgemeine Landesangelegenheiten besprochen
nnd beschlossen wurden, so war doch zweifellos die Rechtsprechung der Grund,
der ihren Zusammentritt veranlasste. Vgl. das zweite Gedicht des kleinen Luci-
darius v. 650 ff. und § 27, 2, über die Landtaidinge als Vorläufer der Landtage.
* Ü.-B. d. St., IL 490, 510; Ü.-B. o. B., IV, 411. Hormayr, Beiträge zur
Geschichte Tirols, I, 2, 8. 354/5.
* Heinricus (de Habsbach) judex provincialis tocius Austrie 1244; Comes
UlricuB de Phannberch qui auctoritate d. Priderici Ducis judicio in Stiria presidet.
D. et A. XI, 108; U.-B. d. St., U, 501, 579. Die Liste der österr. Oberland-
richter von 1250—1301 bei Siegel in S.-B., Bd. 102. S. 259 ff.
13*
196 Österreichische Beichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 31 u. 32.
Jahr 1412, dann wurden sie hier durch das landmarschallisehe
Gericht abgelöst; in Innerösterreich, wo die Entwicklung den
gleichen Gang nahm, haben sie sich mit den aus den Landtaidingen
hervorgegangenen » Landrechten ** als „ Hofrechten ** bis gegen die
Mitte des vorigen Jahrhunderts erhalten. Die Herzoge hingegen
haben in dem mit geschwomen Räthen besetzten Hofgericht, das
in den Tagen Kaiser Friedrich's den Namen Kammergericht an-
nimmt, eine Gerichtsstelle geschaffen, welche frei von ständischem
Einfluss blieb, da die zur Urtheilsfindung berufenen Personen ent-
weder sämmtlich, oder der Mehrzahl nach landesflirstliche Beamte,
zum Theil sogar schon Doctoren der Rechte waren.
6. Außer diesen öffentlichen Gerichten gab es in den alt-
österreichischen Landen Vogtei-, Dorf- und Hofmarkgerichte, die
durch Übertragung einzelner Gerechtsame der Landgerichte an
Immunitätsherren entstanden waren, ferner Gerichte, deren Wirk-
samkeit auf einen bestimmten Kreis von Personen oder Rechtsan-
gelegenheiten eingeschränkt war : Juden-, Berg- und Münzgerichte,
das Wiener Universitätsgericht u. dgl. mehr. Endlich hat auch die
private Disciplinargewalt des Lehens- und Grundherrn Anlass zur
Ausbildung der Lehens- und Ministerialengerichte, zur Patrimonial-
Gerichtsbarkeit im engem Sinn, zur Weinbergs-Gerichtsbarkeit
u. s. w. gegeben.
7. Die Stadt- und Marktgerichte besaßen je nach den öflfent-
lichen Rechten, die dem Stadtherm über das Stadtgebiet entweder
unmittelbar oder im übertragenen Wirkungskreis zukamen, und
nach dem Umfang, in welchem dieser deren Ausübung dem Stadt-
richter überließ, sei es das volle Landgericht, sei es, was häufiger
.vorkam, nur die Hofmarkgerichtsbarkeit. Die Erhaltung der Ord-
nung im Weichbild, die Entscheidung über die Benützung der
Stadtmark sowie in Marktangelegenheiten war Aufgabe des Stadt-
markgerichts, das in den österreichischen Städten dem geschwomen
Rath der Bürger zustand. Endlich beanspruchten auch die Herren
der Gründe, die im Weichbild lagen, über ihren Antheil am Stadt-
gebiet gmndherrliche Gerichtsbarkeit, die sie aber allerdings dort
einbüßten, wo im Laufe der Zeit die Pühmng des Grundbuchs
der Stadtobrigkeit übertragen wurde.
Stadt- und Marktgerichte. — Heeresmatrikeln. 197
§ 32. Die Heeresrerfassnng nnd Heeresrerwaltang.
Hasenöhrl, österr. Landrecht, S. 40ff. — Kurz F., Österreichs Miiitär-
verfassnng in älteren Zeiten, 1825. — Siegel, Dienstmannen in Österreich
<S.B., Bd. 102). - Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte, VIII., S. 95 ff.
1. Der österreichische Herzog verfügte zu Kriegszwecken
in erster Linie über ein Lehensheer, das sich aus den im Lande
seßhaften rittermäßigen Leuten zusammensetzte, soweit diese in
unmittelbarer oder mittelbarer Lehensabhängigkeit von ihm waren.
Daneben bestand, wie anderwärts, die allgemeine Verpflichtung
der Einwohner zur Betheiligung an der Vertheidigung des Landes,
zur Landwehr. Über den Umfang, in welchem die Vasallen
Kriegsdienste zu leisten hatten, entschied der Inhalt der Lehens-
verträge. Sicherlich durfte sie der Herzog aufbieten und mussten
sie ihm auch außer Land folgen, soweit dies der Reichsdienst er-
forderte. Auch bei der Vertheidigung des Landes mussten ihm
alle Vasallen beistehen. Bei Angriffskriegen aber, die der Herzog
auf eigene Paust unternahm, waren ihm nur jene Rittermäßigen,
die seine eigenen Leute waren, zur Heerfolge außer Land ver-
pflichtet und musste die Theilnahme der übrigen durch besondere
Verträge erkauft oder erbeten werden.^
2. Matrikeln zur Übersicht der Streitkräfte, die man bei
einem Aufgebot zu erwarten hatte, muss es schon früh gegeben
haben. Im Jahre 1281 verpflichteten sich die Landherren, Städte,
Ritter und Knappen von Österreich zum Schutze des Landfriedens,
den sie beschworen hatten, durch zehn Jahre erforderlichenfalls
2500 Gerüstete aufzubringen; das setzt mit Noth wendigkeit eine
entsprechende Auftheilung dieser Mannschaft unter die einzelnen
Mitglieder voraus. Nahezu auf die gleiche Zahl führen die Angaben,
die* der kleine Lucidarius im 6. Gedicht von der „Samunge**
macht, das im Jahre 1291 entstanden ist.^
^ österr. Landrecht, Art. 55, s. auch § 28, Anm. 1.
3 Seemü] 1er in 8. B., Bd. 102, S. 569. Der Dichter setzt einen drohenden
EinfaU der Feinde ins Land voraus und ruft .herzöge Albrecht . . . nu wil ich
umb des landes schaden, die besten ju ze helfe laden*. Die angesehensten Mini-
sterialen werden mit Angabe der Mannschaft, die sie zu stellen hätten, ange-
führt: Der Rabenswalder mit 100 Mann, die Meissauer mit 200, die Kuenringer
mit 300 u. s. w., im ganzen 2100 Mann, wobei aber zu beachten ist, dass die
Aufzählung wegen Unvollständigkeit des Gedichtes abbricht.
198 Osterroichisobe Relchsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 32.
Nach Artikel 55 und 45 des österr. LandesrechtB musste der
aufgebotene. Mann die Heerfahrt perBönlieh mitmachen, durfte
aber wenn er krank war, einen Stellvertreter schicken. Unge-
rechtfertigtes Ausbleiben verwirkte eine Geldbuße und den An-
spruch auf Rechtshilfe. Ausnahmsweise konnte sich der Aufge-
botene durch Bezahlung einer Heersteuer an seinen Herrn lösen,
wenn dieser den Feldzug selbst mitmachte. Ein Rittermäßiger
hatte in diesem Falle den halben Jahresertrag des Lehensgutes,
ein Bürger oder Bauer den ganzen Jahreszins zu entrichten.
3. Zur Verstärkung des Vasallenheeres wurden im Bedarfs-
fall Verträge mit Einzelnen abgeschlossen. Von der Mitte des
14. Jahrhunderts ab sind uns Übereinkünfte erhalten, durch welche
sich einzelne Vasallen gegen einen bestimmten Sold zur Beistellung
einer gewissen Anzahl Reisiger verpflichteten. Seit der Beendigung
der Hussitenkriege wurde die Aufnahme fremder Söldnerscharen
unter staatsfremden Führern üblich, die ihre Dienste nach Art
der italienischen Condottieri dem Meistbietenden zur Verfügung
stellten. Die Lebensläufe des Jiskra von Brandeis oder des Cillier
Feldhauptmanns Jan Witowec von Hreben, der es vom armen
Ritter bis zum reichbegüterten Freiherrn und Banus von Slavonien
brachte, können als Muster genannt werden.
4. Einen wichtigen Bestandtbeil der landesfürstlichen Heere
bildeten die streittüchtigen Bewohner der landesfürstlichen Städte
und Märkte. Zunächst hatte die Bürgerschaft allerdings für die
Vertheidigung des Ortes selbst zu sorgen, und dieser Erwägung
entsprach die thatsächliche Vergünstigung, dass die städtische
Wehrmacht im großen und ganzen nur in der Umgebung der Stadt
zur Verwendung gelangte.' Das schloss nicht aus, dass ein Theil
der städtischen Mannschaft vom Herzoge auch nach einem ent-
fernteren Kriegschauplatz entsandt wurde.*
5. In Fällen allgemeiner Landesnoth war der Landesherr
^ Die Wiener nahmen dies auf Grund der Handfesten Kaiser FriedriOi 's U.
von 1237 und 1247, sowie des Königs Rudolfs vom 24. Juni 1278 als
ihr Recht in Anspruch, das jedoch seit Herzog Albrecht I. nicht mehr anerkannt
wurde. Die Wiener-Neustädter stützten den gleichen Anspruch auf die unechten
Freiheitsbriefe von den Jahren 1237 und 1247.
* Im Kriege gegen König Johann von Böhmen 1336 hatte Herzog Otto
,,de singuiis civitatibus assignatum numerum personarum, qui oogebantur sine
dilacione pugne interresse. Contin. Noviroontensis.* Mon. (ierm., 8s. IX., 671.
Truppen der Städte, allgemeines Aufgebot. 199
berechtigt, Heeresfolge von allen Bewohnern des Landes zu fordern.
Die Lage der Lande, die durchwegs Grenzgebiete Deutschlands
waren, hatte zur Folge, dass das Aufgebot zur Landwehr, das
sich als Überrest der allgemeinen Wehrpflicht erhalten hatte, in
den Ländern der österreichischen Herzoge viel öfters als in anderen
Theilen des Reiches ergieng. Schon zum Jahre 1082 ist uns solch
ein Fall bekannt, in welchem Markgraf Leopold der Heilige dem
heranrückenden Heere des böhmischen Herzogs alle Wehrfähigen
der Ostmark bis zum Rinder- und Schweinehirten herab, in noth-
dürftiger Bewaffnung entgegenstellen musste. Ähnliches wieder-
holte sich in der Folge.'^ Auch bei Empörungen im Innern war
die Einberufung der Landwehr statthaft. Droht eine solche, so
sollen nach Art. 55 des österreichischen Landesrechts dem Landes-
herm „alle die in dem Land sind das Land helfen ze weren und
das Gemerkch als verr und als si Leib und Gut geweret*.
6. Im 15. Jahrhundert gaben die Hussitenkriege, später die
Türkeneinfälle öfters Veranlassung zum Aufgebot der Landwehr.
Im Jahre 1421 ließ Herzog Albrecht V. eine Liste der gesammten
männlichen Bevölkerung edel und unedel zwischen 16 und 70 Jahren
und Verzeichnisse der Waffenvorräthe anfertigen, vom Jahre 1426
hat sich die Ordnung des Landaufgebotes wider die Hussiten er-
halten. Nach dieser setzte sich das herzogliche Heer aus drei
Gruppen zusammen:
a) Aus den Vasallen : „die Landleut all, wer vor Jugend und
Alter mag in aigner Person und auf ir aigen Zerung ain ganz
Monaid'' die übrige Zeit gegen Vergütung der Kosten und der
erlittenen Schäden;
b) aus der Mannschaft der Städte nach einem mit der Land-
schaft vereinbarten Anschlag, laut welches beispielsweise die
Linzer 24 Reisige zu stellen hatten;
c) aus der Landwehr, zu welcher die stärksten und ge-
schicktesten Leute aus der Bauernschaft, u. z. jeder zehnte Mann
im ganzen Lande erlesen wurden. Jeder Rotte von zwanzig Land-
wehrleuten oder „Zehnem"* war von den 180 daheim bleibenden
Bauern ein starker vierspänniger Wagen, eine 15' lange Kette und
^ Cosmas, IL, 35, Mon. Germ., Ss. IX., 90, Beispiele aus späterer Zeit:
1352, 1405. Kalendarium Zwetlense, a. a. 0., 693, 697; Landesaufgebot
gegen die nach Tirol vordringenden Bayern: Jäger, Landstände II., 1., S. 179.
200 Osterreichische Reichsgesohichte. I. Theil. Zweite Periode. § 32 und 33.
ein eiserner Vorrath an Lebensmitteln beizustellen, während die
Ausrüstung mit Waffen Verpflichtung der Zehnerschaft war, die
außerdem die Äcker des Ausziehenden zu bebauen hatte. In jeder
Rotte gab es einen Hauptmann und einen Fuhrmann, drei Büchsen-
schützen, acht Armbrustschützen und je vier mit Spießen und
Drischein Bewaffnete; jeder sollte ein Schwert oder Messer an
der Seite und an Schutzwaflfen einen leichten Eisenhut, einen
Panzer oder eine Schießjoppe und zwei Eisenhandschuhe haben.
Je zehn Wägen mit den dazu gehörigen zweihundert Landwehr-
leuten waren wieder unter einem höhergestellten Hauptmann ver-
einigt. Fünf solcher Hauptleute mit ihren Haufen unterstanden
dem Hauptmann über fünfzig Wägen ; es waren ferner Hauptleute
über hundert Wägen u. s. w. bis zum obristen Hauptmann vorge-
sehen. Jeder Rottenhauptmann erhielt* sechs SchUling Pfennig
Monatssold für jeden Mann seiner Rotte und sollte damit den
täglichen Bedarf bestreiten.®
7. Die Heereseinrichtungen in Steiermark, Kärnten, Krain
und Tirol waren ähnlich wie in Österreich, nur mit der wichtigen
Abweichung, dass in jenen Ländern die Verpflichtung zur Theil-
nahme an Reichskriegen ausgedehnter war. Für den Schutz der
geistlichen Hochstifte Salzburg, Brixen, Trient, Aglei hätten in
* erster Linie die Stiftsvögte zu sorgen gehabt. Allein da diese ihre
Stellung oft zur Ausbeutung ihrer Schutzbefohlenen benützten und
die Kirchenfürsten mitunter sehr kriegslustig waren, so verfugten
auch diese nicht selten persönlich über Heere von ähnlicher Zu-
sammensetzung wie die weltlichen Fürsten. Die Patriarchen von
Aglei bestellten, namentlich seitdem ihre Macht im Sinke? war,
einen „Capitaneus generalis" meist in der Art der späteren italie-
nischen Söldnerführer, so im Jahre 1301 den Grafen von Görz,
1350 Herzog Albrecht II. von Österreich.
8. Die Vertheidigung des Landes beruhte gutentheils auf
den vielen Burgen, die theils dem Landesfürsten, theüs dem Adel
gehörten. Das Land durch geschickt angelegte Befestigungen gegen
feindliche Angriffe zu sichern, erschien als eine wesentliche Pflicht
des Landesherrn und die Außerachtlassung derselben wurde dem
ö Kurz, 414 ff., Beilage 1 und Archiv VII., S. 246. Der ZusamraenliaDg
mit Grundsätzen, die schon in der karolingischen Zeit nachweisbar sind, lässt
sich nicht verkennen.
Heereseinriohtungen in Innef-Österreich und Tirol, Burgen. 201
Herzog Albrecht L im Jahre 1295 von den österreichischen Land-
herren nicht wenig verübelt. Die Adelsburgen, die durch den unbot-
mäßigen und fehdelustigen Sinn ihrer Bewohner oft dem Landes-
fiirsten selbst hätten gefährlich werden können, wurden durch
Öffnungsverträge, die beschränkten oder unbeschränkten Zutritt
einräumten, zu militärischen Stützpunkten des landesfürstlichen
Heeres umgeschaffen. Bequeme Handhabe zur Erlangung dieses
wichtigen Rechts bot das «Statutum in favorem principum",
welches den Neubau von Burgen an die Genehmigung durch den
Landesherm band. Außerdem wurde durch alte Gebote der Fürsten
von Österreich vorgeschrieben, dass die neue Veste in der Nähe
schon bestehender Städte oder Burgen nur ohne Schädigung und
mit Zustimmung der betreffenden Partei von jemanden errichtet
werden dürfe, der in der Umgebung mindestens 30 Pfund Gülten
Einkünfte besaß. Bei Raubburgen, die kraft gerichtlichen UrtheUs
zerstört worden waren, mussten vor dem Wiederaufbau überdies
die Landherren befragt werden. Da jedoch diese Anordnungen,
zumal in kriegerischen Zeiten oft übertreten wurden, so ergiengen
bei Rückkehr geregelterer Zustände gewöhnlich allgemeine Erlässe,
welche die Zerstörung aller, während einer gewissen Zeit in uner-
laubter Weise entstandenen Burgen befahlen. Freigegeben war nur
der Bau leichter Befestigungen in der Ebene, die ohne Zinnen und
Mordgänge, nicht über zwei Geschoße hoch erbaut und nur mit
einem trockenen Graben umgeben waren. "^
«
§ 33. Die landesherrlichen Einkünfte und deren Yerwaltnng.
Bruder, Studien über die Finanzpolitik Herzog Rudolfs IV., 1886. -<
Dop seh, Beitrag zur Geschichte der Finanzverwaltung Österreichs im 13. Jahrh.
vMitth. des Instituts für österr. Geschichte XIV., S. 449 ff.) — Schalle, österr.
Finanzverwaltung unter Berthold v. Mangen, 1412—1436. (Blätter des Vereins
für Landeslcunde von Niederösterreich 1881, S. 277 ff.) — Schröder, Rechtsge-
schichte, § 50. — Seh rotte r, 4. Abhandlung aus dem österr. Staatsrecht. —
Schulte, Reichs- und Rechtsgcschichte, § 7fl. — Waitz, Deutsche Verfassungs-
geschichte, VIII., 216 ff.; femer die oben § 20, Anm. 1, angeführten Quellen.
1. Die Sonderung des Staatsvermögens und der Staatsein-
künfte vom Privatvermögen des Landsherm und seinen Einkünften
war dem Mittelalter nahezu fremd, dazu kam, dass privatreehtliehe
"^ Zur Geschichte dos Burgen wesens in den n.-ö. Landen vgl. meine Ab-
handlung: ,Die Entstehungszeit des österr. Landesrechtes". 1872, S. 11—16, 46 ff.
202 Österreichische* Reidisgeschiehte. I. Theil. Zweite Periode. § 33.
Abgaben und Einkünfte die staatsrechtlichen weit überwogen und
dass die Entwicklung der Nutzrechte, Gefälle und Steuern mit
der Erstarkung des LandesfUrstenthums zunahm. An erster Stelle
sind darum die landesfürstlichen Kamraergüter, Domänen, „domini-
calia"" zu nennen. Sie konnten Allode sein, die als Stammgut
hergebracht waren, oder durch kaiserliche Schenkungen, allmäh-
liche AUodisierung des Reichsbodens, Erbschaft u. dgl. erwuchsen,
oder sie waren Lehen, sei es des Reichs, sei es der Kirchenfursten,
oder endlich Pfandbesitz. Für die Verwaltung der Domänen hat
der verschiedene Ursprung derselben wenig ausgemacht.
Dem Bedürfnis nach Übersicht über den landesfürstlichen Be-
sitz und dessen Einkünfte wurde durch Hubbücher, Urbare, einer-
seits und durch Führung von Ausgabe- und Einnahmebüchern
(Rationarien) andererseits entsprochen. Hubbücher über den landes-
fürstlichen Besitz gab es schon zu Zeiten der Babenberger, doch
sind sie uns nicht erhalten. Dagegen haben wir Aufzeichnungen
aus der Zeit des Zwischenreichs, die König Otakar in Österreich
um 1262—1265, in Steiermark 1265—1267 nach planmäßiger
Durchforschung der Länder anlegen ließ, um Einblick in die landes-
fürstlichen Kammergüter und Gefälle zu erlangen, deren, sich der
Landesadel nach dem Tode Herzog Friedrich's IL vielerorten be-
mächtigt hatte. Ähnliche Verzeichnisse sind für beide Lande aus
der Zeit Herzog Albrecht's L vorhanden, ebenso Urbare, die Herzog
Meinhard II. für die Grafschaft Tirol im Jahre 1288 ausarbeiten
ließ, während sie für Kärnten und Krain noch nicht aufgefunden
wurden. Rechnungsbücher sind uns für Tirol seit dem Ende des
13. Jahrhunderts, für Österreich, Steiermark und Kärnten aus
den Jahren 1326—1338 erhalten.
2. Die Einkünfte aus den Domänen entsprechen im ganzen jenen,
welche die Grundherren aus ihrem Grundbesitz zogen, und waren :
a) Naturalabgaben, und zwar theils Entgelt für die Bodenbe-
nützung, theils Zehente, 1 Ehrungen (Kleinrechte, Weisat) oder Ver-
gütung für die Befreiung der Grundholden vom Heeresdienst (March-
futter),^ Besthaupt bei Besitzänderungen von Todeswegen u. dgl. ;
' Die Babenberger besaßen auch Laienzehente. Meiller, B. R. 20,
Nr. 52, zum Jabre 1152.
2 Brunner, Exemtionsrecht der Babenberger in S. B. d. k. Akad. d. W.,
Bd. 47, S. 343. — Schröder, §§41, 48, 8. 419, 518 hält dagegen das March-
fntter für eine Abgabe von allen Neuculturen an den Inhaber des Bodenregais.
Einkünfte ans Domänen und Regalien: Mttnzregal. 203
b) Naturalleistungen, d. i. Hand- und Spanndienste mancher-
lei Art;
c) Geldabgaben, u. z. sei es jährlich wiederkehrende (vor-
nehmlich „der Gelt" genannt) oder größere Beträge beim Besitz-
wechsel; An- und Ablait, der 20., IQ. oder S.Pfennig des Kauf-
schillings u. dgl. Übrigens wurden mancherlei Naturalabgaben
und Leistungen seit dem 13. Jahrhundert durch vereinbarte Geld-
beträge abgelöst.
Das ganze Mittelalter hindurch wurden die Domänen als
wichtigste Einnahmsquelle des Fürsten betrachtet. Verkäufe, Ver-
leihungen und Verpfändungen hatten aber ihren Bestand im Laufe
der Zeit stark vermindert und der allmähliche Übergang zur Geld Wirt-
schaft machte die Gewinnung neuer Geldmittel immer dringender.
Nichtsdestoweniger erwartete man noch in den letzten Jahren K.
FYiedrich's IIL, ja selbst unter K. Maximilian L eine Besserung
der österreichischen Finanzen nicht sosehr von der Eröffnung
neuer Finanzquellen, als von der Reformierung des Kammerguts.
3. An der Spitze der vom Reiche abgeleiteten Regalien
stehen die gerichtlichen Einkünfte: Richtergelder, Sühnen und
Bußen, Wandel, »denarii de judicio, banna, placita, vadia" . . . Der
mittelalterlichen Auffassung entsprach es, dass die gerichtlichen
Gefälle nur selten unmittelbar für den Staat eingehoben wurden.
Oft wurden sie verpfändet oder geradezu verpachtet.
4. Das Münzregal begriff das Recht:
a) der Ausprägung des Geldes nach einem Münzfuß, der ge-
wöhnlich von der Willkür des Berechtigten abhieng und sich im
Laufe der Zeit immer mehr verschlechterte. Der Gewinn, den die
Münze nach dieser Richtung abwarf, hieß der Schlagschatz;
b) aus dem Rechte des Münzwechsels, das auf dem Rechts-
satz beruhte, dass der Pfennig nur dort gelte, wo er geschlagen
wurde. Im Zusammenhang damit stand die Befugnis zur Münzab-
würdigung (— Verrufung, — Erneuerung), d. h. zur Einziehung der
alten Münzen gegen Ausgabe neuer Gepräge. In Steiermark war
der Münzherr bei Ausübung dieses, den Verkehr sehr belästigenden
Vorrechts schon durch das Privilegium vom Jahre 1237 an die
Zustimmung der Landherren gebunden; in Österreich verzichtete
Herzog Rudolf IV. auf dasselbe im Jahre 1359 gegen Einräumung
des Ungelds;
204 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 83.
c) das Recht zum ausschließlichen Ankauf alles im Lande
feilgebotenen Silbers um einen nach eigenem Ermessen festge-
setzten Preis.
Eine ausdrückliche Verleihung dieses Regals lässt sich
während des früheren Mittelalters fast nur bei geistlichen Fürsten
nachweisen. Die Herzoge scheinen, solange sie noch Reichsbeamte
waren, dies Recht kraft Amtsgewalt des Königs in ihren Sprengein
beseßen zu haben. Das „Statutuminfavorem principum* 1231 ord-
nete dann die Reichsmünze dem Interesse der Landesherren unter.
Ausgeübt haben das Münzrecht die Herzoge von Österreich, Steier-
mark und Kärnten, schon im 12., die Grafen von Qörz und Tirol
seit dem Anfang des 13. Jahrhunderts.
5. Maut und Zoll waren ein sehr einträgliches Regal, das
den Straßenzwang zur Voraussetzung hatte, jedoch durch Ver-
pfändung, Verpachtung oder Verleihung vielfach aus der unmittel-
baren Verwaltung des Landesherrn in die Hände von Stadtge-
meinden oder Privaten übergieng. Man unterschied Eingangs-,
Durchgangs- und Ausfuhrzölle und kannte schon frühzeitig Zoll-
rückvergütung und Zollcredit. Das österreichische Landesrecht
(Art. 68) gewährte den Edelleuten aus Rücksicht auf deren Kriegs-
dienstpflicht Befreiung von Mauten auf Wasser und Land; auf
besonderen herzoglichen Gunstbriefen beruhten die zahlreichen
Mautbegünstigungen für Kirchen und Klöster, sowie für die
Bürgerschaft bestimmter Städte.
6. Das Judenregal nahmen die österreichischen Herzoge
schon im 13. Jahrhundert für sich in Anspruch, wie die dem Frei-
heitsbriefe Kaiser Priedrich's IL für die Wiener Juden (1238) nach-
folgenden Judenordnungen Herzog Priedrich's II. (1244) und König
Otakar's (1254, 1268) erweisen. Bestätigt wurde es ihnen durch
Kaiser Ludwig IV., Karl IV., König Wenzel u. s. w., auch im un-
echten „Privilegium majus" wird es erwähnt. Wie im Lande unter
der Enns gab es auch in den übrigen altösterreichischen Landen
während des Mittelalters seßhafte Juden. Das Judenregal gab be-
deutende Einkünfte, da die Herzoge für den gewährten Schutz
ein unbeschränktes Recht auf Besteuerung der Juden und mancherlei
andere Leistungen in Anspruch nahmen. Die mittelalterliche Auf-
fassung von der Stellung der Juden als „herzoglichen Kammer-
knechten" führte überdies zu willkürlichen Eingriffen in deren
Zoll, Judenregal» Geleitsrecht, Bergregal. 205
Privatrechte, die sich mit der heutigen Rechtsansehauung nicht ver-
einigen lassen.* Mit der Austreibung der Juden aus Österreich 1421,
aus Steiermark und Kärnten 1496, versiegten diese Einnahmsquellen.
7. Durch die Unsicherheit der Zeiten hatte sich allmählich
auch das Geleitsrecht als eine Einnahmsquelle herausgebildet,
die durch das „Statutum in favorem principum'' den Landesherren
zugesprochen wurde. Wer sein Gut daran wagen will, der ist von
der Verpflichtung, Geleite zu nehmen, frei, erklären der Sachsen-
und Schwabenspiegel. (IL, 27 und § 194.) Swenne aber (der) here
geleite gibt, der sol im schaderl beivaren hinnen sine geleite oder her
sal iz inne gelten. Aus den Geleitsbriefen und den späteren Ge-
sundheitszeugnissen in Pestzeiten hat sich in der Folge das Pass-
wesen entwickelt.
8. Das Recht auf erbloses Gut, zu welchem auch der Nach-
lass Unehelicher gerechnet wurde, bestand für die österreichischen
Herzoge schon zur Zeit der Babenberger. Daneben gab es Ansprüche
des Fiscus auf gefundene Schätze und auf die beweghche Habe
im Nachlass der Bischöfe. Obwohl die Kaiser auf dieses sogenannte
Spolienrecht schon im 12. und 13. Jahrhundert zu Gunsten
der Kirche feierlich verzichtet hatten, so übten es doch die öster-
reichischen Herzoge noch in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts.
9. Bergregal. Schon seit dem Anfang des 11. Jahrhunderts
lassen sich Beispiele aus unsern Gegenden dafür anführen, dass
durch die deutschen Könige das Schürfen auf Erze als Gunst ge-
währt wurde. Seit Kaiser Friedrich L wurde die Gewinnung edler
Metalle als Vorbehalt des Reichsoberhauptes betrachtet, der aber
sein Regal im Wege besonderer Gnade an viele geistliche und
weltliche Große weiter gab. So kam es sowohl in die Hände
der Beherrscher der altösterreichischen Lande als auch aus-
wärtiger Reichsstände, die hier begütert waren, ja es wurde
* Stobbe, Die Jaden in Deutschland während des Mittelalters. 1866. — Ge-
schichtUches Material, das jedoch im Vergleiche zu dem in Archiven noch vor-
handenen sehr dürftig ist, bietet Wiener, Regesten zur Geschichte der Juden
in Deutschland, L, S. 217 ff. — Die Herzoge Albrecht III. und Leopold 111. schrieben
einmal eine allgemeine Judenstouer von 10.000 Pfund Pfennig für Österreich
aus, von deren Bezahlung jene Juden ausgenommen waren, die sich auf jähr-
liche Pauschbeträge (bis zu 200 fl. für Einzelne) verglichen hatten. Außerdem
waren die Juden zur Lieferung des Bettzeuges an den Herzogshof verpflichtet. —
Kurz, Österreich unter Herzog Albrecht IV., 2. Bd., 101 ff.
206 Österreichische Reiohsgeschichte. I. TheiL Zweite Periode. § 33.
selbst landsäßigen Klöstern und andern Grundherren auf ihren Be-
sitzungen verliehen. Ebensowenig wie der Bergbau stand anfängt
lieh der Salinenbetrieb den Herzogen ausschließend zu. Erst als
sie im Laufe der Zeit in den Besitz der wichtigsten Salzlager
kamen und den Wert erkannten, den diese Einnahmsquelle für die
landesfürstlichen Finanzen hatte, entstand gegen Ende des Mittel-
alters der Gedanke, die Salzerzeugung zu monopolisieren, der dann
allmählich durch Ablösung der privaten Berechtigungen, zumal
durch Anweisung bestimmter Salzmengen bei den landesfürstlichen
Salinen, durchgeführt wurde.
10. Zu nennen sind endlich das Forst-, Jagd- und Fischerei-
regal. Die Bannforste bestanden in landesherrlichen, der Gemeinde-
bentitzung entzogenen Waldungen, über welche, soweit sie nicht
durch Schenkungen oder Verkäufe u. dgl. in die Hände von
Privaten übergegangen waren, durch Forstbeamte die Aufsicht
geführt wurde. Ähnlich verhielt es sich mit der Fischerei und
Jagd, welch letzere jedenfalls mehr um des Vergnügens denn
um des Ertrags willen als Regal aufrecht erhalten und meistens
nur im gewissen Umfange manchen Grundherren überlassen wurde.
Das in Innerösterreich vorkommende Forst- und Jäger-
recht scheint eine Abgabe in Getreide oder Geld gewesen zu
sein, die den Unterthanen gewisser Dominien für den Unterhalt der
Förster und Jäger auferlegt war. Doch dürfte die Entrichtung des
Forstrechts zugleich Anspruch auf Waldnutzung gegeben haben
und vsrurde der Ausdruck Jägerrecht auch im Sinne einer an den
Jagdherrn abzuliefernden Leistung angewandt.
11. Dagegen war das Steuerwesen* in den altösterreichischen
Landen im Mittelalter nur wenig entwickelt. Die Anfänge der
landesfürstlichen Besteuerung liegen im Dunkeln. Von alter Zeit
her gab es gewisse öffentliche Abgaben, die insoweit den Gebüren
verglichen werden können, als sie Entgelt für Übernahme ge-
wisser Leistungen und Handlungen durch den Landesherrn oder
dessen Organe waren. Hieher gehörten wohl ursprünglich das
oben (2) erwähnte Marchfutter und die im österreichischen Land-
* Ad. Wagner, Pinanzwissenschaft III., 1. Abth. : Steuergeschichte 1886. —
Hof f mann Ludw., Geschichte der directen Steuern in Baiern, 1883. — Zeumer K.,
Die deutschen Städtesteuom, 1878 (beide Arbeiten in den Staats- und socialwissen-
schaftlichen Forschungen h. von Schmoll er, Bd. IV. und I.).
Forst- und Jagdre^al, Steuerwesen. 207
recht, Art. 45, geregeKe Heersteuer, ferner die Landgerichtspfennige.
Alle diese haben mit der Zeit ihren ursprünglichen Charakter ver-
loren, wurden mit Grund und Boden verbunden und gelangten
durch Kauf, Schenkung, Leihe oder Verpfandung aus den Händen
öffentlicher Personen vielfach in die Hände der Grundherren, oder
sanken zu Sportein herab.
Es gab aber auch ähnliche Leistungen privatrechtlichen Ur-
sprungs, die sich zumal in den Immunitätsgebieten ausgebildet
hatten. Hiftr wurde die Vogtei Anlass zu Heischungen mancher
Art (petitio, Bede, exactio, coUecta), die im 13. Jahrhundert hin
und wieder schon zu regelmäßig wiederkehrenden Abgaben der
Vogteileute geworden waren.
Auch die Grundherren nahmen bisweilen neben den herge-
brachten Diensten und Prohnden ihrer Unterthanen, von diesen
noch besondere Reichnisse als ihr Recht in Anspruch. Dieses Ur-
sprungs waren die sogenannten Ehrungen oder die Weisat, die
allmählich zur bleibenden Belastung wurden; dazu kam die Ab-
forderung von Beihilfen in außerordentlichen Fällen, wie bei Ein-
hebung des bischöflichen cathedraticum, oder der Auflage von
päpstlichen oder Legatensteuem auf die geistlichen Grundherren.
12. Was so die Grundherren überhaupt thaten, das bean-
spruchten umsomehr die Landesherren, soweit sie selbst Grund-
herren waren, d. h. soweit ihre Domänen und das übrige Kammer-
gut reichte. Die Babenberger haben solche Beden in Österreich
durch ihre Büttel von den eigenen Grundholden schon im 12. Jahrh.
erhoben; in den Hubbüchern aus dem 13. Jahrh. werden diese
Abforderungen bereits zu den jährlichen Abgaben gerechnet und
Steuern genannt.
Gewohnheitsrechtlich hatte sich femer die Anschauung heraus-
gebildet, dass der Landesherr in Fällen zwingender Nothwendig-
keit allgemeine außerordentliche Hilfen (Steuern) ausschreiben dürfe.
Dieser Satz, den, soviel bekannt ist, Erzbischof Konrad von Mainz
im Jahre 1183 zuerst verkündete,^ wurde in Österreich seit Herzog
Priedrich's H. dem Streitbaren öfter zur Anwendung gebracht.
13. Der Umfang, in welchem die Steuerhoheit den öster-
reichischen Herzogen zukam, war nicht bloß nach ihren Landen
^ Zeumer, 9.
208 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 33.
verschieden, sondern hieng auch davon ab,« ob es sich um eine
ordentliche oder außerordentliche Abgabe handelte. Das Be-
steuerungsrecht der Herzoge war jedenfalls in Österreich viel
weniger beschränkt, als in Steiermark, wo die Bestimmung ab
infestationibiis ei exactionibus quas per precones Austrice fieri cogno-
virmts, terram nostrce ditionis sicut actenus extitit exemptatn esse
decemimus der 1186 bei Abschluss des Erbvertrages zwischen
den Traungauern und Babenbergern ausgestellten Handfeste, auch
in der Folgezeit: 1237, 1277, 1292 u. s. w. erneuert wurde. Damit
dürfte zusammenhängen, dass die Jahrzeitbücher, die im 13. und
14. Jahrh. nicht selten die Auflage drückender Steuern erzählen,
dies stets nur von Österreich und niemals von Steiermark be-
richten.
14. Der ordentlichen Steuer des Landesherm, welche sich an
den hergebrachten Satz hielt oder denselben nur mäßig über-
schritt, unterlagen wohl in allen altösterreichischen Landen : a) seine
Hintersassen auf den Domänen, die damals im engeren Sinne
„seine Unterthanen" hießen; b) die Hintersassen der Kirchen, über
welche dem Herzog die Vogtei zukam, die „Vogtholden" ; c) die
landesfürstlichen Städte und Markt«; d) die Juden.
Die außerordentliche Besteuerung, welche vor allem die Klagen
über Steuerdruck veranlasste, erstreckte sich überdies auf die Ein-
künfte oder das Vermögen der Kirchen und Klöster, der Land-
herren und der Ritterschaft und der von ihnen abhängigen Bauern.
Die Besteuerung des Kirchenvermögens und seiner Einkünfte sollte
nach canonischen Vorschriften von der Zustimmung des kirchlichen
Obern abhängen ; es scheint jedoch, dass sich die österreichischen
Herzoge nicht daran hielten, sondern ein selbständiges Besteue-
rungsrecht ihres Clerus für sich in Anspruch nahmen.®
Dagegen bestand im Gesammturtheil des Reichshofgerichts
vom 1. Mai 1231, das die Einführung neuer Abgaben an die vor-
gängige Zustimmung der »meliores et majores terrae" band, zweifel-
los eine Schranke, sobald die außerordentliche Beitragsleistung
® Für diese auch von F. Kurz gotheilte Ansicht (Österreich unter Herzog
Albrecht IV., Bd. 2, S. 228) spricht vor allem, dass sich Kirchen und Klöster
von den österr. Herzogen das Recht verbriefen ließen, solche Steuern auf ihre
Qrundholden überwälzen zu dürfen. So z. B. das Stift Reun von König Friedrich
dem Schönen, den Herzogen Albrecht und Otto (1316, 1334, 1337).
Ordentliehe und außerordentliche Steuern. 209
auch auf die Herren und Ritter und auf die von ihnen abhängige
Bauernschaft ausgedehnt werden sollte. (Vgl. § 28, 12 a.) Selbst
für die Steuer, welche 1429 zur Abwehr der Hussiten „durch
Rettung willen des Landes "" bewilligt worden war, musste folge-
richtig Herzog Albrecht V. den Herren und Rittern von Öster-
reich die Erklärung ausstellen, dass sie ihrem Steuerbewilligungs-
rechte keinen Eintrag bringen solle.
15. Die außerordentlichen Steuern wurden vor allem als
Grundsteuer, Kopfsteuer oder Vermögenssteuer erhoben und waren
meist contingentiert. Der Anschlag wurde auf den Grundherrn,
die Bürgerschaft emer Stadt, die Juden eines Landes gemacht
und diesen die Anlage auf die einzelnen Steuerpflichtigen, sowie
die Einbringung überlassen. Steuern, welche die Landstände be-
willigt hatten, wurden auch von diesen umgelegt und eingehoben.
Bei der Grundsteuer war Steuereinheit die Hube, deren Zahl man
zuweilen nach den an einem Hofe befindlichen Pflügen bemaß,
und 1237 mit zwei, 1277 mit einem Schilling- 4) ^^^^ ^^^ einem
Groldgulden belegte, ferner seit 1277 das Joch Weingartengrund
und die Hofstätte. Auch die Abgabe (1 ß 4) von jedem Mühlrad,
die König Rudolf im Jahre 1277 in Österreich ausschrieb, war
als Realsteuer gedacht. Den Übergang zu Ertragssteuem bUdete
die Besteuerung der Weingärten, nicht nach der Fläche, sondern
nach dem abgeschätzten Ertrage, von welchem V^o als Steuer
erhoben wurde (1315, 1337, 1353). Kopfsteuern gab es 1336 und
1339. Vermögenssteuern wurden vor allem von der Bürgerschaft
und den Juden erhoben, die man als steuerkräftiger ansah und
darum stärker heranzog, so dass z. B. Wien im Jahre 1424 außer
der gewöhnlichen Steuer von 2000 Pfund Pfennig auch noch mit
einer außerordentlichen von 8000 fl. und mit einem Zwangs-
darlehen von 12.000 fl. belastet wurde. Dass der Gewerbebetrieb
auch ohne Erlangung des Bürgerrechts die Steuerpflicht begründe,
war schon im 14. Jahrhundert anerkannt. Besonders früh war das
Steuerwesen in Tirol ausgebUdet. In den Amtsrechnungen vom
Jahre 1303, die im 2. Bande von Chmel's „Österreicliischem Ge-
schichtsforscher* abgedruckt sind, erscheinen neben einer allge-
meinen Landsteuer (stiura generalis, st. provincialis) wiederkehrende
Schatzsteuern der Städte, Vieh- und Pferdesteuern in Geld ange-
schlagen, Küchensteuern, die in Ablieferung von Groß- und Klein-
Lascbin, Osterreichische Reichsgeschichte. 14
210 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 33.
vieh bestanden, und dgl. mehr; 1315 ist hier von einer Hochzeits-
steuer die Rede.
Von indirecten Abgaben ist außer den oben (5) erwähnten
Zöllen das Ungeld zu nennen, das auch wohl zu den Mauten im
weitern Sinne gerechnet wurde. Es bestand in einer Abgabe von
allem zum Ausschank bestimmten Getränk und kam in Unterkrain
schon im J. 1265 vor, als „denarius quem judex noster (des Herzogs
von Kärnten) consuevit recipere pro urna vini vendita ab homini-
bus ecclesie Frisingensis". In Österreich, wo es in der ersten Hälfte
des 14. Jahrh. nachweislich ist, wurde es zuerst in geschlossenen
Orten eingeführt und 1359 mit Zustimmung der Landschaft auch auf
das flache Land ausgedehnt, wogegen Herzog Rudolf auf das ihm
zustehende Recht der willkürlichen Münzemeuerung verzichtete.
16. Bis zum Schluss des Mittelalters war die Verwaltung
der Finanzen in Österreich nur wenig entwickelt, d. h. auf die
großen Anläufe im 13. Jahrhundert unter König Otakar und Herzog
Albrecht I., die zu planmäßiger Aufzeichnung der Kammerguts-
bestände und Einkünfte geführt hatten, folgte ziemlich allgemeiner
Stillstand. Einem solchen entspricht die verworrene Anlage des
Einnahmen- und Ausgabenbuchs der österreichischen Herzoge aus
den Jahren 1326—1338, an dem aber bemerkenswert ist, dass
es sich nicht auf ein einzelnes Land beschränkt, sondern die
Einnahmsquellen dreier Länder berücksichtigt. Spätere Aufzeich-
nungen fehlen für die fünf niederösterreichischen Lande größten-
theils, nicht so in Tirol, wo abgesehen von manchem Vorläufer
aus den Jahren 1288—1437, die Rechnungsbücher unter Herzog
Sigmund im Jahre 1460 einsetzen und in ununterbrochener Folge
bis zum Jahre 1757 reichen. Sie enthalten im ersten Theil sämmt-
liche Einnahmen des landesfürstlichen Kammermeisters, im zweiten
alle Ausgaben für den Hofhalt, die Regierung, für Sold, Provi-
sionen, Gnadengehalte u, dgl. und verrathen schon im Mittelalter
eine hochentwickelte Buchführung.^
17. Die österreichische Finanzverwaltung entbehrte während
des Mittelalters einheitlicher Einrichtungen sowie der Vereinigung
zu einem höheren Ganzen und umfasste im günstigsten Falle die
' Die Rechnung vom Jahre 1484 schließt z. B. mit 150.864 fl. 4 kr. 2Vs
Vierer an ordentlichen und außerordentlichen Einnahmen, gegen 150.736 fl. 3 ki.
1 Vierer Ausgaben ab.
Das Ungeld; die Finanzbeamten der österr. Herzoge. 211
Einnahrasquellen eines ganzen Landes. Zur Zeit König Otakar's,
der Doppelbesetzung der Ämter aus Verwaltungsrücksichten liebte,
werden je zwei Kammergrafen von Österreich und Steiermark
genannt, doch scheint es, dass nicht diese, sondern die schon
früher vorkommenden Landschreiber (scriba Stiriae seit 1222,
scriba ducis in Aneso seit 1240, scriba et procurator Austrise 1275)
die virichtigste Stellung in der Pinanzverwaltung einnahmen. Die
Rechnungen aus den Jahren 1326 — 1338 zeigen indessen, dass
mancherlei Ämter und Gerichte, die Salinen, Mauten, die Wiener
Münzstätte, ihre Einnahmen und Ausgaben mit den Herzogen un-
mittelbar verrechneten, es waren mithin damals die verschiedenen
herzoglichen Keller- und Forstmeister, die Hubmeister zu Wien und
Steiermark, die „Marchfutterer**, ja selbst einige Pfleger der landes-
fürstlichen Domänen den Landschreibern, mit der Rechnung noch
nicht unterworfen. Während der zweiten Hälfte des 14. Jahr-
hunderts kam dann in Österreich der Hubmeister aus seiner
früheren Stellung als Einsammler der zum landesfürstlichen Urbar
gehörigen Einkünfte an die Spitze der ganzen Finanzverwaltung.
Ähnlich gestaltete sich die Stellung des Kammermeisters in
Tirol, während die Kammermeister in Österreich wohl Hof beamte
blieben. Die Landesvicedome in Kärnten und Krain und der
Landschreiber in Steiermark waren zwar die ersten Finanz-
beamten im Lande, hatten aber wahrscheinlich einen beschränk-
teren Wirkungskreis als die österreichischen Hubmeister seit Rudolf
von Tima (1388 — 1391). Nur die wenigsten der landesfürstlichen
Finanzorgane waren übrigens Beamte, viele waren Pächter der
Amtseinkünfte, andere waren mit ihren Ansprüchen statt auf Sold,
auf einen Theil des Amtsertrages angewiesen. Die Wahl der
HUfskräfte war ihnen meist freigegeben, nur scheint bei Mauten
und einigen Ämtern schon frühzeitig die Bestellung eines zweiten
Beamten als Qegenschreibers üblich geworden zu sein, ebenso
stand dem Hubmeister ein besonderer Hubschreiber zur Seite.
18. Noch weniger als die Verwaltung der Einkünfte war das
Ausgabenwesen der österreichischen Herzoge geregelt. Da zwischen
dem Staats- und dem herzoglichen Vermögen lange Zeit nicht unter-
schieden wurde, so konnte der Herzog nach seinem Ermessen über
die Einnahmsquellen und deren Erträge verfügen. Ein großer Theil
der Ausgaben entfiel auf den persönlichen Unterhalt des Herrschers,
14*
2 1 2 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 33 und 34.
seines Hauses und der zahlreichen Hofleute, die sein Gefolge
bildeten. Andere wurden für reine Regierungszwecke verausgabt:
zur Bezahlung der Beamten, Erbauung von Landesburgen, Aus-
lösung von verpfändeten Domänen, Abtragung von Schulden u. s. w.
Außerdem sollte ein Schatz für unvorhergesehene Fälle, zum An-
kauf von Gütern u. dgl. zurückgelegt werden. Viele Auslagen
wurden nicht in Geld, sondern durch Zuwendung von Naturalbe-
zügen beglichen, so namentlich die sogenannte Burghut (das ist die
Verpflichtung zum Schutz einer Burg) theils durch die Lieferungen
von Getreide und Fleisch, theils durch Einräumung bestimmter
Grundstücke gedeckt. Fehlte es aber gerade an Geld, so versetzte
man dem Gläubiger, wenn die Forderung bedeutend war irgend
ein unbewegliches Gut, oder Fahrhabe wenn es sich um kleinere
Beträge handelte, die man bald zu tilgen hoffte. Die Pfandlösung,
^phantloes", spielt darum in den Ausgaben eine große Rolle-
Bestand der Gläubiger auf Zahlung in Geld, so wurde er ge-
wöhnlich auf die Einkünfte einer bestimmten Einnahmsquelle:
eines Amtes, eines Gerichts, einer Maut, Münzstätte u. dgl. ange-
wiesen, mitunter ihm auch diese selbst bis zu seiner Befriedigung
in Pfand gegeben. Dass bei Einhaltung dieser Gepflogenheiten
die Übersichtlichkeit der Finanzverwaltung verloren gehen musste,
lässt sich leicht begreifen. Es litt jedoch nicht bloß das öffentliche
Interesse derunter, sondern auch das der privaten Gläubiger, die
nur in den seltensten Fällen auf den Eingang ihrer Forderungen
zur richtigen Zeit rechnen konnten.
§ 34. Die wirtschaftlichen Zustände während der Jahre
1000—1500.
Literatur bei § 11 außerdem : A rn o Id W., Cultur- und Rechtsieben, 1865. —
Horawitz A., Zur Geschichte der Klosterwirtschat't. (Zeitschrift für deutsche
Culturgeschichte, 1872/3, N. F. Bd. 1, 2). Zur Geschichte der volkswirtschaft-
lichen Verhältnisse in Niederösterreich. (Bi. für Landeskunde von N.-Ö., Bd. 17.) --
Lamprecht, Deutsche Geschichte, III, IV. — M e i t z e n, Siedelung und Agrar-
wesen der Westgermanen und Ostgermanen u. s. w. 3 Bde. (im Erscheinen). —
Nagl A., Die Goldwährung und handeismäßige Goldrechnung im Mittelalter.
(Wiener nura. Zeitschrift, Bd. 20, 1895.) — S aller. Zur Geschichte der Preis-
bewegung in N.-Ö. — Schalk, Quellenbeiträge zur älteren niederöst. Verwaltungs-
und Wirtschaftsgeschichte. (Beide in den Blatt, für Landeskunde. Bd. 4—6, 21.) —
Tille A., Die bäuerliche Wirtschafts Verfassung des Vintschgaues. 1895.
Landesfiirstl. Ansgalien. — Klostergründnngen vor dem Jahre 1200. 213
1. Die altösterreichischen Lande waren ums Jahr 1000, das
Küstengebiet und Südtirol etwa ausgenommen, noch schwach
bevölkert und wirtschaftlich wenig entwickelt. Es fehlte an
Arbeitskräften und an der für allgemeines Gedeihen unentbehr-
lichen Sicherheit nach innen und außen. Der Großgrundbesitz
überwog und hatte den freien bäuerlichen Besitz schon nahezu
aufgesogen. Dem ungeachtet kam es nicht zur Latifundienwirtschaft
wie im Römerreich, weil die Großgrundbesitzer den Überschuss
an Grund und Boden, den sie nicht im Eigenbetrieb verwerteten,
durch die Landleihe in Hände von abhängigen Leuten gelangen
ließen, die Nutzungsrechte daran hatten und als Vergeltung den
Herren gewisse wiederkehrende Leistungen in Früchten, Gteld oder
Arbeit entrichteten. Noch gab es weite Landstrecken, die ohne
allen Ertrag, oder von dichtem Wald bedeckt waren und selbst
dem inselartig eingesprengten Ackerboden wurde nur wenig ab-
gewonnen, da es immer und überall an Menschen mangelte. Die
erste Aufgabe, um diese wichtigen und zum TheUe neugewonnenen
Grenzgebiete dem Reiche zu erhalten, blieb also die Heranziehung
von Arbeitskräften. Allein die Zeit war vorüber, in der ein Karl
der Große aus den königlichen Meierhöfen Musteranstalten ge-
macht hatte, so wurde denn von reichswegen kein ernstlicher
Versuch unternommen, die Besiedlung dieser Gegenden selbst
durchzuführen. Die Könige entschieden sich vielmehr für mittel-
bare Förderung dieses als wichtig erkannten Unternehmens durch
Leihe oder Schenkung des ertraglosen Bodens an geistliche oder
weltliche Große.
2. Bis gegen das 13. Jahrhundert kann man nicht bloß das
Jahr der königlichen Landschenkungen, sondern noch mehr den
Zeitpunkt in welchem die Gründung neuer Klöster erfolgte, zu
Rückschlüssen auf den Gang der Besiedelung verwerten. Sieben-
unddreißig unter 40 Stiftungen der Agilolißnger entfallen auf Alt-
bayern und Salzburg, nur drei: Mondsee, Kremsmünster u^id das
von der Schamitz nach Innichen übertragene ChorheiTenstift auf
das Land ob der Enns und Tirol ; an diese reihten sich bis gegen
das Jahr 1000 nur noch St. Florian und St. l^ölten. Das 11. Jahr-
hundert brachte in den österreichischen Alpengegenden zumeist
den Benedictinem ein Dutzend neuer Klöster, am ergiebigsten
aber waren die Jahre 1101 bis 1150, in welchen 24 neue Klöster
214 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 34.
entstanden und der Cistercienserorden seinen Einzug in Österreich,
Steiermark und Kärnten hielt ; diesem folgten in der zweiten Hälfte
des 12. Jahrhunderts die Karthäuser und Prämonstratenser mit
fünf Niederlassungen unter acht Klostergründungen.
3. Mit jedem neuen Kloster war in jenen Zeiten der Mittel-
punkt einer trefflich eingerichteten Großwirtschaft gegeben, deren
Einfluss sich weit über die nächste Umgebung der Niederlassung
erstreckte. Dazu trug bei, dass von Anbeginn die Ausstattung eines
Klosters Ländereien an sehr verschiedenen Orten umfasste, um
den Eigenbedarf an Getreide, Fischen, Wein, Holz u. s. w. nach
den Grundsätzen der Naturalwirtschaft sicherzustellen; spätere
Schenkungen haben dann den Streubesitz noch vermehrt Daher
erwuchs alsbald das Bedürfnis nach Übersicht und Gliederung
dieses Besitzes, denn hier war man Obereigenthümer, dort hatte
man selbst zu Zinsen, auf jenem Gute arbeiteten eigene Leute,
da gab es Zehntner, dies Gut war auf Leibgeding verliehen u. s. w.,
kurz der Pater Kellermeister (cellerarius) musste einen weiten
Blick haben und ein rechtskundiger Mann sein, um alle Ansprüche
des Klosters verfolgen zu können.
Erleichtert wurde ihm sein schweres Amt durch schriftliche
Behelfe mancherlei Art, die auf das sorgfältig gehütete und schon
in alter Zeit geordnete Archiv zurückführten : Urbare verzeichneten
den Besitzstand des Klosters und die ihm geschuldeten Leistungen,
Register und Copialbücher boten Auszüge oder Abschriften der
Rechtstitel, zu deren Geltendmachung gegen Ende des Mittel-
alters auch wohl ein eigener , Jurist" besoldet wurde.
4. Die eigentlichen Sammelplätze klösterlicher Einkünfte
waren die Ämter (officia) oder Meierhöfe (curia, villa, bei den Cister-
ciensem grangia genannt). Sie unterstanden einem Amtmann
(officialis) oder Meier (villicus), in slavischen Gegenden Supan ge-
heißen, der meist dem Laienstande angehörte. An diesen wurden
von den untergebenen Bauern die schuldigen Dienste und Abgaben
geleistet, aus welchen zunächst der Wirtschaftsbedarf des Amtes
bestritten wurde. Der Überschuss wanderte an den Pater Keller-
meister, der über Soll und Haben des Klosters (exposita et percepta)
genaue Aufschreibung hielt, auch wohl wie in Göttweig neben
dem Registrum majus zur Aufnahme aller Einzelposten, ein Re-
gistrum minus führte, das der leichteren Übersicht wegen nur die
Wirtschaftsführung beim geistlichen und weltlichen Großgrundbesitz. 215
Summen verbuchte. Am vollendetsten aber war die Wirtschafts-
führung bei den Cisterciensern und Prämonstratensern. Diese
Orden waren im Gegensatz zu den Benedictinern, die von ihrer
Anaiedlung her zerstreute Besitzungen besaßen, bestrebt sofort ge-
schlossene Güter zu erwerben, die sie im Eigenbet^ieb behielten.
Ihre Meierhöfe, als wirtschaftliche Mittelpunkte abgerundeter
Besitzmassen eingerichtet, erfreuten sich wohlverdienten Ansehens,
wie denn die Cistercienser in ihren Leistungen auf dem Gebiete
der Feld- und Waldwirtschaft, des W^ein- und Obstbaues den
größten Ruf hatten.^
5. Anders als die Klöster haben die adeligen Herren ihren
Großgrundbesitz eingetheilt und verwaltet, während die land-
säßigen Bischöfe ungefähr die Mitte zwischen beiden einhielten. Die
Verschiedenheit begann schon beim Besitztitel, denn die Klöster
hatten ihre Güter großentheUs zu Eigenthum, die Adeligen zu Lehen ;
nicht minder abweichend war der Gebrauch, der von den Besitzun-
gen gemacht wurde. Bei den Klöstern waltete anfänglich die Wirt-
schaft im Eigenbetrieb vor und da diese zweckmäßig ausgebildet
war, so konnte aus den ordentlichen Einnahmen trotz der großen
laufenden Ausgaben ein mäßiger Überschuss erzielt werden, der
gerne zur Erweiterung des Besitzstandes verwendet wurde. Die
weltlichen* Herren hingegen, die ihr Gut mit der Auflage von
Lehensdiensten empfangen hatten, mussten ihrerseits ein gut
Stück davon an Rittermäßige weiterleihen, um der übernommenen
Verpflichtung genügen zu können. So hatten also die weltlichen
Großgrundbesitzer als Herren zahlreicher Vasallen wohl eine
mächtigere Stellung im Lande, aber verhältnismäßig geringere
Einkünfte als die Klöster. Die Verwaltung der Grundherrschaften,
die noch im 10. Jahrhundert nach hufenmäßig, jedoch keineswegs
räumlich geschlossenen Meiereibezirken eingerichtet war und von
den Frohnhöfen den Ertrag des Bodens in Früchten aller Art
bezog, gerieth schon im 11. Jahrhundert in wirtschaftlichen Ver-
fall. Seitdem hörte die Grundherrschaft auf eine Musterwirtschaft
zu sein, der Eigenbetrieb trat zurück und verwandelte sich immer
1 Der um das Jahr 1300 entstandene liber fundationum des Klosters Zwetl
enthält aaßer Urkundenabschriften, Nachrichten über die Stiftung und ein Urbar,
das mancherlei Vorschriften über die Bewirtschaftung der Stiftsgüter bietet.
Vgl. auch Juritsch, Geschichte der Babenberger, 1894, S. 473 ff.
216 Österreichische Reichsgeschichte. I. Theii. Zweite Periode. § 34.
mehr in einen Anspruch auf Renten, die dem Grundherrn von
den Bauern zu entrichten waren.^
Nach Burgen oder Herrschaften, deren ein mächtiges Ge-
schlecht drei, vier und mehr besaß, wurde nun der Besitz der
weltlichen Herren eingetheilt.' Zur Vertheidigung der Pesten
wurden rittermäßige Leute bestimmt, die man als Zubehör zur
Burg behandelte, wenn sie Burglehen empfangen hatten, oder es
wurde das Schloss mit gewissen Einkünften einem Burggrafen
Übertragen, der dann die erforderliche Mannschaft beizustellen hatte.
6. Viele Großgrundbesitzer gab es übrigens nicht. Den größten
Besitz im Lande hatte in der Regel der Landesfürst, dann kamen
auswärtige Hochstifte, die, wie Salzburg, Passau, Freising, Bamberg,
Regensburg u. s. w., in ihren Gebieten anfänglich selbst landes-
herrliche Rechte beanspruchten, und einige auswärtige Klöster.
Dazu gesellten sich einige inländische Bisthümer, und wenn wir
das Jahr 1200 als Grenze annehmen, etwa 50 heimische Klöster,
sowie die Landherren, d. h. die Geschlechter der zum Lande ge-
hörigen Grafen, Freien und Ministerialen, deren Zahl durch das
Erlöschen alter und das Aufkommen neuer Familien schwankte,
jedoch niemals beträchtlich war. Man wird daher wohl annehmen
dürfen, dass sich der gesammte Großgrundbesitz in den altöster-
reichischen Landen noch am Schlüsse des 12. Jahrhunderts auf
wenige hundert Geschlechter und Körperschaften vertheilte.
7. Diesen standen zahlreiche Rittermäßige und noch viel
mehr Bauern gegenüber, deren Besitz man als mäßig -mittleren
und Kleingrundbesitz dem Großgrundbesitz entgegenstellen kann.
Man hüte sich jedoch vor der Vorstellung, dass die Lage der
Ritterschaft schon damals wirtschaftlich günstig war. Der Ritter-
mäßige hatte die Waffenehre und passive Lehensfähigkeit voraus,
2 Lamprecht, Deutsche Geschichte, lU, 58 ff.
8 Reimchronik Otakar's,LXXXV,v. 9975— 10.025. — Das Urbar der Meissauer
aus dem 14. Jahrhundert zählt 20 Herrschaften auf, nicht viel weniger besaß Heinrich
von Rotenburg, der Landhofmeister von Tirol um 1400. Jäger, Landstände, II, 1,
S. 285. -< Es sind nicht viele GUterverzeichnisse adeliger Familien aus dem Mittel-
alter bekannt. Die Aufzeichnungen des Grafen Siboto von Neuburg ums Jahr 1180
sind als Palkensteiner Codex, Mon. Boica VII, abgedruckt; das Urbar der Meissauer
im Notizenblatt der k. Akad. 1858 ; ein Lehensverzeichnis desselben Geschlechts
a. a. 0. 1857 ; ein Lehenbuch der Grafen von Cilli wird im steir. Landesarchiv
verwahrt u. s. w.
Geringe Zahl der Großgrundbesitzer; die Ritterschaft, der Bauernstand. 217
die ihn in den Besitz eines oder des andern Lehens brachte, das er
mit Hilfe weniger abhängiger Leute bestellte, im Lebensaufwand
unterschied er sich jedoch nur wenig vom Bauern oder blieb sogar
hinter diesem zurück. „Manegem riter woiient mit vil kint unde
noetikeit"^ klagte man in Österreich noch ums Jahr 1300, und
daraus erklärt es sich auch, weshalb der Ritterstand erst so spät
zu politischem Einflüsse im Lande gelangt ist. (§ 28, 8.)
8. Große Mannigfaltigkeit wiesen die Verhältnisse in der
Bauernschaft auf. Nimmt man diesen Ausdruck im Sinne eines
Berufsstandes als Inbegriff von Personen, die ihren Lebensunter-
halt durch unmittelbare Bewirtschaftung des Bodens gewinnen,
so umfasste er ebensogut Freie als Unfreie und eine große Zahl
von Personen, deren Zustand zwischen Freiheit und Unfreiheit
schwankte. Nicht minder groß war die Verschiedenheit der Rechts-
titeL welche dem Einzelnen an dem bebauten Grunde zustanden,
und bunt die Mischung der bäuerlichen Bevölkerung, wenn wir die
Volksangehörigkeit ins Auge fassen. Das Zusammenwirken all
dieser Umstände war Ursache, dass in der Bauernschaft nicht
bloß in rechtlicher, sondern auch in wirtschaftlicher Beziehung
große Gegensätze vorkamen.
Dass es um das Jahr 1000 noch freie Bauern auf freiem
Gut in den altösterreichischen Landen gegeben habe, darf selbst
ohne eingehende Einzeluntersuchungen behauptet werden, jedoch
kann deren Zahl keinesfalls bedeutend gewesen sein. Zu suchen
hätte man sie in jenen Gegenden, die zuerst von Bayern be-
siedelt wurden: im nördlichen Tirol, Salzburg, sowie den an-
grenzenden Theilen der Ostmark und oberen Steiermark. Viel
größer war die Zahl jener, die persönliche Freiheit mit einem
gewissen Maß von Abhängigkeit ihres Besitzes verbanden, oder
fremden Boden gegen festgesetzte Leistungen bebauten. Zumal
die Lage der zuletzt genannten Bauern war je nach der Aus-
dehnung des Nutzungsrechts verschieden, das ihnen am Grunde
4 Der kleine Lncidarins (s. g. Seifried Helbling), VIII, 2*24. Eine ungefäiire
Vorstellnng können wir nns machen, wenn wir erfaiiren, dass der sclion ziem-
Ucb begüterte Rudolf von Ehingen, der sein Glück als Marschall der Grafen
von CilU gemacht hatte, nach seiner Heimkehr 1417 zugleich mit vier anderen
Vasallen des Pfalzgrafen von Ttibingen auf dem Bergschlösschen Hohenentringen
hauste und dass diese fünf Familien mit 100 Kindern gesegnet waren. — Bibl.
d. lit. Ver. Stuttgart, I, S. 2.
218 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 34.
zustand, denn abgesehen von der Belastung durch Zinsen und
Arbeiten konnte dies Recht vererblich und veräußerlich oder
auf die Person des Bauern beschränkt und durch Zeitablauf be-
grenzt sein.
9. Die mehr oder minder günstige wirtschaftliche Stellung
dieser Bauern hieng meist mit den Umständen zusammen, unter
welchen die Besiedlung des Bodens erfolgt war. Darum war die
Bauernschaft am übelsten dort daran, wo die Grundherren eine
arbeitswillige ansässige Bevölkerung in gedrückter Lage vorge-
funden hatten, denn hier konnte der gesteigerte Bedarf an rüstigen
Händen meist durch unfreie Knechte allein gedeckt werden, die
der Herr auf seinen übrigen Besitzungen zu entbehren oder in
der Nachbarschaft einzutauschen in der Lage war. Nicht minder
fehlte der wirtschaftliche Antrieb zu Zugeständnissen an die Bauern
dann, wenn dem Herrn Zwangscolonisten zur Verfügung standen.^
Wenn jedoch keiner dieser Fälle zutraf, der geschenkte Besitz
beispielsweise in menschenleerer Öde lag oder unwegsame WUd-
nisse erst zu roden waren, so blieb der Grundherr mehr oder
minder auf Arbeitskräfte angewiesen, die nur durch freiwilligen
Zuzug zu gewinnen waren, wofern er nicht auf allen Ertrag ver-
zichten wollte. Dann mussten aber Vortheile geboten werden,
sowohl um solche Leute anzulocken, als auch um sie festzuhalten.
Die Ansiedler aber brachten nicht nur ihre Hände und Erfahrung,
sondern auch die in ihrer alten Heimat erprobte Arbeitsweise,
mancherlei neue Geräthe u. dgl. mit, richteten Haus und Hof,
sowie den in Anbau genommenen Boden nach ihrer Väter Sitte
ein und vererbten diese auf ihre Nachkommen. Darum vermögen
wir noch heutzutage nach dem Hausbau, das rätisch-alpine Haus
im Inn- und Salzachgebiet, von dem jüngeren fränkischen Hause
im Lande ob und unter der Enns, in Obersteiermark und Kärnten,
oder nach den Eigenthümlichkeiten in der Dorfanlage und der
Austheilung der Fluren, den slavischen »Rundling** vom deutschen
^ So entstand z. B. die deutsche Sprachinsel Gotschee in Krain ums
Jahr 1350 durch Ansiedlung von 300 ostfränkischen Familien, die Kaiser Karl IV.,
weU sie sich an einem Aufstande betheiligt hatten, zur Strafe an den Grafen
Friedrich von Ortenburg als Knechte verschenkte. Die Niederlassung erfolgte in
Gegenden ,qu8e inhabUes erant et incultae ... et nemora hujusmodi ac silvse ad
agriculturam reducta". — Valvasor, Ehre Krains, XI, S. 194, und Urkunde
von 1363, 1. Mai, in S. B., Bd. 60, S. 177.
Stellung der Bauern; Bergbau, Handel. 219
Reihendorf, die flämische Hufe von der durch Rodung entstan-
denen Waldhufe zu unterscheiden und können dadurch die Her-
kunft der ersten Ansiedler einer Gegend feststellen.
10. Zieht man aus dem bisher Gesagten die Folgerungen,
80 wird es nicht überraschen, dass im Lande unter der Enns, wo
die Magyaren die zur Zeit der Karolinger begründete Ansiedlung
völlig vernichtet hatten und diese seit der Mitte des 10. Jahr-
hunderts neu begonnen werden musste, die Lage des Bauern-
standes besser war, als in vielen anderen Gegenden. Erschien sie
doch den rittermäßigen Dichtem noch im 13. Jahrhundert als
beneidenswert, wie die gehässigen Schilderungen Nithart's von
Reuenthal und des kleinen Lucidarius vom Übermuth der „Dörper"
in Österreich darthun. Gut daran waren infolge einer Verkettung
von Umständen die Bauern von Nordtirol und erträglich jene
im Lande ob der Enns und in Obersteiermark.® Viel gedrückter
waren im allgemeinen die Bauern in Untersteiermark, in Kärnten
und Krain, namentlich weU nur wenige ein vererbliches und ver-
äußerliches Nutzungsrecht (Kaufrecht, Burgrecht) an dem bebauten
Boden besaßen und die Freidienste (später s. g. Freistifte) über-
wogen, die längstens mit dem Tode des Bauers endeten.*^
11. Beim Ackerbau war also bis gegen die Mitte des 13. Jahr-
hunderts schon eine ausgedehnte, wenngleich noch nicht sehr ein-
trägliche Bewirtschaftung der Bodenfläche eingetreten. Auch der
Bergbau kam allmählich in Aufschwung, wie die seit dem 11. Jahr-
hundert zunehmenden Verleihungen dieses Regals darthun. Man
baute vor allem auf Silber, ohne vorerst auf reiche Gruben zu
stoßen, dann auf Kupfer und Eisen, die man meist an Ort und Stelle
verhüttete, ebenso wurde die Salzgewinnung eifrig fortgesetzt.®
Die Münzbegnadungen überliefern uns, selbst dann, wenn
sie nur den Anspruch auf den Gewinn der Wechselbank gaben,
® ,Di geburen alle frl, swes ir guot ze rehte sl, si sitzent üf burcrehte".
Kl. Lncidarius, VIII, 155. — „Purkchrecht, raul und weingart ist ann lewt erb",
sagt Art. 140 des steierm. Landrechts.
"^ Solche Freidienste in der Nähe von Leoben verzeichnet z. B. ein Weis-
thmn des Stiftes Goß aus dem 15. Jahrhundert; der Bauer hatte Freizügigkeit,
kündigte er auf 14 Tage, so behielt er ein Drittel, wurde ihm vom Stifte ebenso
gekündigt, zwei Drittel seiner Fahrhabe. Österr. WeisthÜraer, VI, 306.
8 Der Hochofen des Klosters Admont bot im Jahre 1137 dem Abte Wolfold
Gelegenheit zur Feuerprobe. Annal. Admont, Mon. Genn., Fol., Ss. IX, 579.
220 Österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 34.
die Namen von Verkehrsmittelpunkten jener Zeit: Lieding (975),
wahrscheinlich 1016 nach Priesach tibertragen, und Villach (1060)
in Kärnten, Aquüeja (1028), Neunkirchen auf dem Steinfeld (1130),
Salzburg (996), später (zwischen 1150 — 1200) auch noch Brixen,
Trient, Krems, Enns und Wien. Dazu kamen die Orte, die sich
mit dem Marktrecht allein begnügen mussten: wie Judenburg
(1103). Der Handel lag übrigens meist in fremden Händen; das
gilt vor allem von der wichtigsten natürlichen Verkehrsader, der
Donau, auf welcher die Regensburger lange Zeit den Vorrang
behaupteten und noch zu Ende des 12. Jahrhunderts Kaufleute
aus Ulm, Köln, Aachen, ja selbst aus Mastricht Privilegien für
die Ennser Märkte erwirkten.
12. Große Veränderungen auf wirtschaftlichem Gebiete zeigen
sich als Folge der Kreuzzüge, von welchen die drei ersten ihren
Weg durch Österreich und Ungarn nahmen. Sie erweiterten den
Kreis der Anschauungen und Bedürfnisse der Bevölkerung, boten
Anlass zum Aufschwung des Activhandels und Gewerbes, zur
Einführung neuer Nutzpflanzen (Safranbau in Österreich) u. s. w.
Für den Donauhandel waren zumal der zweite und dritte Kreuz-
zug von Bedeutung, weil von den Sammelplätzen Regensburg und
Wien aus, der Weg nach der Balkanhalbinsel genommen wurde,
wobei zahlreiche Flusschiflfe sowohl zur Beförderung von Truppen
als für Proviantnachschübe verwendet wurden.
Die erwähnten Kreuzzüge hatten indessen für Österreich
auch wirtschaftliche Wirkungen anderer Art. Die Betheiligung
war hier namentlich im Jahre 1189 sehr lebhaft und der Abzug
vieler streittüchtiger Männer, die sich auf eigene Kosten ausrüsten
und verpflegen mussten, erhöhte mit einemmale den Bedarf an
Bargeldraitteln recht erheblich. Da diese bei uns im 12. Jahr-
hundert nur spärlich vorhanden waren, so halfen sich die Grund-
besitzer dui'ch Veräußerung von Liegenschaften, wobei vor allen
Kirchen und Klöster mit ihren kleinen Gold- und SUberschätzen
als Käufer auftraten. Diesen Abfluss von Edelmetallen , durch die
heimischen Kreuzfahrer musste man umso schwerer empfinden,
als man außerstande w^ar, den Abgang durch eigene Ur-
production zu decken. So trafen ein durch die Kreuzzüge er-
weiterter Kreis von Lebensbedürfnissen und lebhafter Verkehr mit
großer Geldknappheit zusammen, gerade als die Loslösung der
Einllüss der Kreuzzüge auf wirtschaftlichem Gebiet. 221
Ostmark aus der Abhängigkeit von Bayern und der Anfall der
Steiermark den Babenbergem die Möglichkeit einer neuen Handels-
politik bot, die schließlich den Umschlagplatz für den Donauhandel
von Regensburg nach Wien brachte. Wie nun zu Anfang dieses
Jahrhunderts Privatcapital in Form der Nationalbank herangezogen
wurde, um den durch das Bankozettel-Unwesen zerrütteten Staats-
credit wieder zu befestigen, so hat auch der Babenberger Herzog
Leopold V. die Geldkrise seinerzeit dadurch überwunden, dass er
die Beschaffung der erforderlichen Barmittel für den Münzbetrieb
an die mit Vorrechten aller Art ausgestatteten Münzer Haus-
genossen übertrug. Die Berufung der flämischen Färber nach
Wien durch Herzog Leopold den Glorreichen im Jahre 1208 war
ein erfolgreicher Versuch, dieses blühende Gewerbe in Österreich
einzubürgern. Die Einsetzung der hundert Genannten, die als
qualificierte Zeugen bei allen wichtigeren Geschäften mitzuwirken
hatten, hob die Bedeutung des Wiener Verkehrs, bedeutende Geld-
vorschüsse des Herzogs an die Bürgerschaft erhöhten die Betriebs-
mittel der Kaufleute und Handwerker. Auch das Aufblühen
Venedigs, das seit dem vierten Kreuzzug zum Umschlagplatz für
den abendländischen Verkehr mit der Levante geworden war,
kam den Landen über welche der Herzog von Österreich gebot
zu statten, da in ihnen die Durchzugsstraßen nach dem Norden
lagen. Dieser günstige Umstand reizte schon die Babenberger
zu Maßregeln, um den Landhandel von der Lagunenstadt nach
Deutschland über Wien zu lenken, das bereits die Vermittelung
des Donauhandels zwischen Deutschland und Ungarn besaß. Mit
vollem Recht ist daher der Zustand der Herzogthümer Österreich
und Steiermark zur Zeit, da dieses thatkräftige Herrschergeschlecht
erlosch, ein blühender genannt worden. Eine zahlreiche Bevöl-
kerung bewohnte damals diese schönen Länder, in welchen nach
urkundlichen Zeugnissen schon der größere Theil der heutzutage
darin vorhandenen Dörfer, Märkte und Städte bestand. Mit ge-
rechtem Stolze durfte Leopold der Glorreiche von der Stadt Wien
rühmen, dass sie außer Köln keiner Stadt des gesammten Reiches
nachstünde. Es gab den Verhältnissen und Anforderungen jener
Zeit entsprechende allgemeine Gesetze und besondere Statute. Ein
ausgebreiteter Handel mit den mannigfachen Erzeugnissen dieser
Länder wurde, durch die damalige Richtung der wichtigsten Ver-
222 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 34.
kehrswege begünstigt, mit Deutschland, Polen, Ungarn und Italien
betrieben. Laut preisen die Lieder der besten deutschen Dichter
jener Zeit das von Natur so herrlich ausgestattete und durch die
Betriebsamkeit seiner Bewohner reich gewordene Österreich, sie
nennen den Hof Herzog Leopold's VL geradezu den Glanzpunkt
Deutschlands, an dem Gesang und Dichtung, Künste und Wissen-
schaften geehrt und befördert würden. •
13. An Bemühungen, diese günstigen Verhältnisse zu erhalten
und fortzubilden, ließen es weder König Otakar von Böhmen, noch
die nachfolgenden Habsburger fehlen. Demungeachtet war die
wirtschaftliche Lage der österreichischen Lande gegen das Jahr
1500 weit weniger erfreulich, als zwei Jahrhunderte vorher. Es
ist das umso auffälliger, als der Hinzuerwerb von Kärnten, Krain
und Tirol nicht bloß eine Ausdehnung und Abrundung des Haus-
besitzes brachte, wie sie in Deutschland während des Mittelalters
nur noch bei den Luxemburgern vorkam, sondern auch die Zahl
und Mannigfaltigkeit der inneren HUfsquellen vervielfältigt hatte.
Es verlohnt darum, ehe wir zur SchUderung der Lage selbst
übergehen, die Ursachen dieses Niedergangs ins Auge zu fassen ;
sie liegen theils auf wirtschaftlichem, theils auf politischem Gebiet.
Die unmittelbare Folge des Aufblühens der Städte war ein
gesteigerter Bedarf an Umlaufsmitteln. Das bewegliche Capital,
dessen Macht erst im städtischen Leben erkannt wurde, machte
sich alsbald auch über das Weichbild hinaus geltend und nöthigte
den Großgrundbesitz zu einer Änderung seiner Wirtschaftsgrund-
sätze. Den Weg einzuschlagen, den die Bürgerschaft mit Glück
betreten hatte, vertrug sich nicht mit der Standesauffassung, die
in den Kreisen der Landherren herrschte. Anstatt die Eigen-
wirtschaft zu steigern, um deren Erzeugnisse im großen auf
den Markt zu liefern, zogen sie es vor, den Eigenbetrieb einzu-
schränken und die Giebigkeiten der Herrschaf tsunterthanen, soweit
sie den Hausbedarf überschritten, in feste Geldrenten zu wandeln.
Diese Ablösung der Grunddienste durch Geldbeträge war in Öster-
reich in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts im vollen Zuge*®
^ A. Meiller, in der Einleitung zu den Regesten der Babenberger.
^0 Zeuge des in Anm. 3 erwähnten Güterverzeichnisses des Grafen Siboto
von Neuburg vom Jahre 1180 ungefähr. Unter den Leistungen an die Bor^
Hömstein werden angeführt: ,omnium denariorum istorum erunt talenta 6 et
Blüte unter den Babenbergern; Anfange des Niederganges. 223
und nahm mit jedem Jahrzehnt mehr überhand, so dass die Ab-
leistung in Geld um die Mitte des 15. Jahrhunderts Bieht bloß das
Gewöhnliche war, sondern von den Bauern schon als ihr „Recht*
angesehen wurde. .Auf diese Weise verschafften sich die Grund-
herren allerdings sichere Geldeinkünfte, doch nur zu ihrem
doppelten Schaden, weil die Zahlungsmittel unaufhaltsam sowohl
im Münzfüße als an der Kaufkraft einbüßten.
14. Es kann als ein Zeichen, wie wenig bedeutend der Geldum-
lauf bis dahin in Österreich gewesen ist, angesehen werden, dass
hier bis ins 14. Jahrh. keine größere Münzeinheit als der Pfennig
geschlagen wurde, während man in Italien schon seit dem Ende des
12., in Frankreich seit dem ersten Drittel des 13. Jahrhunderts zur
Ausprägung des SchUlings als Pfennig- Vielfachen gelangt war.
Die Münzverhältnisse waren im Herzogthum Österreich un-
günstig, da das Land eigener Silbergruben entbehrte und den
Herzogen ein unbeschränktes Recht auf Erneuerung der Münzge-
präge zu fiscalischen Zwecken zustand. Die eine Folge davon war,
dass der Münzfuß in Österreich weit rascher sank als beispiels-
weise in Steiermark, ^^ wo die Münzerneuerung seit dem Privilegium
Kaiser Friedrich's II. (1237) an die Zustimmung der Landes-
ministerialen gebunden war, die andere das Eindringen fremder
Gepräge, wie der böhmischen Groschen und der Goldgulden, in
den Verkehr. Letztere kamen als Handelsmünze ins Land, bürgerten
sich aber durch ihre bequeme Größe rasch in allen Kreisen ein
nami 15 qui dantur pro 40 porcis et 4 prescriptis. Super omnes porcos qnos nunc
oomputavirnus reservantur comiti 45 porci de magnis et minoribns ad opus
suum." Die Ablösungsbeträgo für ein Schwein schwanken von 20 bis 90 ^, Vom
Honig heifit es: ,ex his dantur 30 sol. pro 30 urnis mellis utrum illorum voluerit
aecipere sive mel sive numos.*' — Mon. Boica, VII, 454/5. Urbar der freisingischen
Besitzungen in Krain und Tirol vom Jahre 1160: duos porcos vel dimidiam
marcam . . . duas victimas que 30 nummos valeant ... D. et A., Bd. 36, S. 12, 19.
^^ Gegenüber den karolingischen Pfennigen mit 1*53 Gramm Silber Fein-
gewicht besaßen die Wiener Pfennige ums Jahr 1200 noch etwa 1 Gramm, um
1300 nur mehr 0*7. um 1400 nur 0'393 Gramm, 1460 nach der Münzreform
0.18 Gramm Feingewicht. Auf einen Grazer Pfennig rechnete man noch im
Jahre 1311 anderthalb Wiener, um 1336 iVs Wiener. Die Grazer Münzordnung
vom Jahre 1409 stellte dann für Wiener und Grazer Pfennige den gleichen Münz-
fuß fest. Vgl. meine Abhandlungen: »Vorschläge für eine Geschichte der Preise
in Österreich', 1874, S. 25; »Wiener Pfennige", 1877, S. 182; .Das Wert Verhältnis
der Bdelmetalle in Deutschland während des Mittelalters", Brüssel 1892.
224 Österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 34.
und wurden zumal bei großen Zahlungen mit Vorliebe verwendet.
Die Schattenseite dabei war, dass durch diese plötzliche, vom
13. zum 14. Jahrhundert in ganz Mitteleuropa nachweisliche
Bevorzugung des gelben Metalls ein erschreckender Preissturz
des Silbers eintrat, welcher um 1330 bis 1340 das Gold über den
zwanzigfachen Wert des Silbers hinauftrieb, weil die Golddecke
zu kurz war. Den Höhepunkt hat diese Silberkrise vielleicht in
Ungarn erreicht. Nicht viel weniger verheerend hat sie in Alt-
österreich gewüthet, obgleich es jetzt unmöglich ist, die Höhe
der Mnrtschaftlichen Verluste ziffernmäßig zu bezeichnen, welche
unseren Silber producierenden Landen mit dieser Einbürgerung
des Goldumlaufs zugefügt worden sind. Rascher noch, als es die
schwindelnde Höhe erklommen, sank übrigens das Gold wieder
bis auf ein Verhältnis von 1:10 oder 1:11, in welchem es
dann bis zum Ausgang des Mittelalters verharrte.
15. Noch waren die wirtschaftlichen Folgen dieser Geldkrise
nicht verwischt, als Erdbeben und Seuchen unsere Lande heim-
suchten. Es war der s. g. schwarze Tod, der aus dem Venezianischen
kommend, im Jahre 1348 nach Kärnten, Tirol und Steiermark sich
verbreitete und im folgenden Jahre auch nach Österreich ob und
unter der Enns gelangte. Zehn Jahre darnach wiederholte sich
das große Sterben, das auch später noch (z. B. 1369 und 1381)
wiederkehrte und dem ein Viertel der Bevölkerung des deutschen
Reichs zum Opfer gefallen sein soll, besonders schlimm waren
unsere Länder daran, vor allem Tirol, wo im Vintschgau nach
dem Zeugnisse des Goswin von Marienberg nur ein Sechstel der
Menschen das Pestjahr 1348 überlebte. Ganze Dörfer starben aus,
in den Städten standen die Häuser leer, Wien verlor fast ein
Drittel seiner Einwohner u. s. w.^^
16. Die österreichischen Herzoge ließen es an Maßregeln nicht
fehlen, um die furchtbaren Folgen dieser Seuche zu bekämpfen.
Zumal Herzog Rudolf IV. hat eine Reihe von Verfügungen er-
lassen, die für die Umsicht und den richtigen Blick dieses Fürsten
in volkswirtschaftlichen Fragen ein glänzendes Zeugnis ablegen.
Um die verödeten Grundflächen wieder in Anbau zu bringen,
12 Dio Schilderung der Wirkungen dieser Pest in Österreich s. in den
Jahrbüchern von Mattsee, Melk, Neuberg, Zwetl u. s. w. Mon. Germ., Ss. IX, Fol.,
8. 513, 576, 692, 695, 829, 834 u. s. w.
Volkswirtschaftliche Maßregeln Herzog Rudolfs IV. 225
raussten freiwillige Arbeitskräfte durch Zuwanderung gewonnen
werden. Daram suchte er die Grundherren zu zeitweiligem Ver-
zicht auf die grundherrlichen Abgaben von neubesiedelten Hüben
zu bestimmen und gieng dabei selbst mit gutem Beispiel voran. ^^
Nicht mindere Fürsorge wandte der Herzog seinen Städten zu,
die den Verlust so vieler arbeitstüchtiger Hände zu beklagen
hatten. Schon die Ersetzung der ungemein lästigen Münz-
erneuerungen, die eigentlich eine Besteuerung des Bargelds in
Österreich waren, durch das Ungeld (1359) war eine Maßregel, die
vor allem der Bürgerschaft zu statten kam. Das Jahr darnach
erfolgte die Verordnung wegen Ablösung der auf den Stadthäusern
lastenden Überzinse und Burgrechte, durch welche , derselben
Häuser in der Stadt und in den Vorstädten zu Wien gar viel
wüst worden" und zerfallen seien, gleich darauf das Gebot,
dass in Hinkunft alle Rechtsgeschäfte über liegende Güter des
Burgfriedens vor dem Rathe zu verhandeln und von diesem
mit Ausschluss der Grundherren zu besiegeln seien. Es folgte dann
die Aufhebung aller Innungen um des gemeinen Nutzens wUlen,
damit, die Stadt dester pas an Leuten und an Gut aufnem, der
Vorrechte der Laubenherren u. s. w. Wohl kamen diese Verfügungen
in erster Linie der Stadt Wien zugute, die der Herzog selbst als
„ein Haupt des Herzogthums von Österreich und die obrist Wohnung
der Fürsten daselbst" bezeichnete ; dass er jedoch keine einseitige
Bevorzugung seiner Residenz bezweckte, ergibt sich schon daraus,
dass er die gleichen Rechte auch den Bürgern von Wels, Enns,
Krems und Steier, Klostemeuburg, Marburg u. s. w. zukommen ließ.^*
Allein die unglückseligen Zerwürfnisse im herzoglichen Hause
nach dem Tode Herzog Rudolfs IV., die zeitweise bis zum offenen
Bürgerkrieg führten und über die Mitte des 15. Jahrhunderts an-
^ Herzog Rudolfs IV. an die Amtleute zu Graz und Voitsberg di unser
marchfutter vessent und innement . . . Verbot von den Holden des Klosters Renn
das schuldige Marchfutter einzuheben, y,cd8 lang und in dieselben gaistlichen leut
von Reun im zins und dinst lazzent von derselben holden Schadens und geprestens
wegen*. Auch sollen sie von neu bestifteten Hüben durch 2 bis 3 Jahre kein March-
futter abfordern. (1360, 31. Jänner, Graz.) Ein gleicher Befehl ergieng wegen der
nvon des gemeinen sterbejis und anderr gepresten wegen" öde gewordenen Hüben des
Stiftes Seckau am 26. Februar d. J. — Lichnowsky-Birk, IV, Nr. 134, 154.
" S. die Nachweise in meinem „Gerichtswesen", S.218, Anm. 397/8, für
Marburg 1363, Steir. Geschichtsbl, IV., 179.
Laichin, österreichische Reichsgeschichte. 15
226 österreichische Reichsgeschichte. I. Thoil. Zweite Periode. § 34.
dauerten, schlugen dem Wohlstand unserer Lande schwere Wunden.
Dazu gesellten sich die Verwüstungen durch die Hussiten in Öster-
reich, seit der Unglücksschlacht von Nicopolis (1396) überdies die
Einfälle der Türken nach Krain, Kärnten und Steiermark. Endlich
litt man auch an den Folgen einer schamlosen allgemeinen Münz-
verschlechterung, die der berüchtigten Kipperei und Wipperei zu
Anfang des dreißigjährigen Krieges wenig nachgab und in den
Jahren 1457 bis 1459 ihren Höhepunkt erreichte.^^ „Hebrenko"
nannte das Volk diese neue Münze, später noch treffender „Schinder-
linge* und nicht mit Unrecht versetzte es dieselben in eine Reihe
mit Theuerungen, Pest, Kriegen und andern allgemeinen Land-
plagen. »Und derselben Kreuzer und Pfennig wurden so viel
gebracht gen Wien", meldet ein ungekannter Zeitgenosse, »dass
zum letzten die Kinder auf der Gassen so viel der Pfennige
hatten, dass sie die von ihnen würfen."
17. All dies in seinen Wirkungen zusammen genommen er-
klärt, dass und weshalb die wirtschaftliche Lage der österreichischen
Lande am Schlüsse des Mittelalters nichts weniger als günstig
war. Eine neue Zeit mit neuen Forderungen hatte sich ange-
meldet, die Naturalwirtschaft sollte durch die Geldwirtschaft, die
Lehensverfassung durch den Beamtenstaat abgelöst werden. Die
steten Unruhen und Kriege hatten die Unzulänglichkeit der
mittelalterlichen Heereseinrichtungen dargethan und andererseits
fehlte es den Regenten an genügenden Einkünften, um Sold-
truppen aufzustellen. Der Versuch, sich jene durch Ausbildung
der Staatssteuem zu verschaffen, begegnete dem entschiedenen
Einspruch der Landstände, zu einer größeren Sparsamkeit in den
Ausgaben, zu einer Trennung der Staats- und Privateinkünfte
konnten sich die Regenten nicht entschließen. So griff man denn
zu den kleinlichen Mitteln der mittelalterlichen Staatswirtschaffc,
die eine Zeit lang ein Fortfristen von der Hand in den Mund
ermöglichten, verpfändete, was man hatte, und lebte so auf
Kosten des in den Domänen steckenden Capitals. Es ist wahrhaft
eine Ironie des Schicksals, dass Erzherzog Sigmund von Tirol, der
Regent, in dessen Gebiet die schier unerschöpflichen Silbergruben
15 ^er dies Unwesen angefangen hat, ist schwer zu sagen, da die öster-
reicliischen, bayerischen und salzburgischcn Jahrbücher offenbar bemüht sind, die
Schuld von ihrem Lande abzuwälzen.
Ursachen des wirtschaftlichen Verfalls im 15. Jahrhundert. 227
von Schwaz ausgebeutet und in dessen Namen so viele und große
Geldstücke geschlagen wurden, dass er der „Mtinzreiche" hieß,
durch seine schlechte Wirtschaft schließlich dahin gelangte, dass
seine Einkünfte von der Landschaft sequestriert wurden. (§ 28, 12.)
Viele ritterschaftliche Familien, die später als Freiherren- oder
Grafengeschlechter in Österreich von größtem Einfluss waren : die
Eitzing, Prueschenk, Rogendorf, Herberstein, die Hofmann zum
Grünbüchel u. a. sind durch Pfandschaften emporgekommen, die
ihnen im 15. Jahrhundert für geleistete Dienste und kleine Darlehen
vom Landesfürsten zugestanden wurden. Überhaupt kam die Ver-
pfändung der „Kammergüter" mehr dem aufstrebenden Ritterstande
als den »Landherren* zustatten, bei welchen sich schon Zeichen
wirtschaftlichen Verfalles bemerklich machten, denn man wollte
in diesen Kreisen die alte Lebensweise fortsetzen, pochte auch
wohl auf seine Unabhängigkeit und übersah es, sich neue Ein-
nahmsquellen zu schaffen. So griffen auch die alten Herren-
geschlechter ihrerseits zum Verkauf der Güter oder zur Ver-
schuldung, die zuweilen schon eine recht bedenkliche Höhe er-
reicht hatte. ^*
18. Geldgeber und Geldmacht waren in unseren Landen
während des Mittelalters die Juden, die sowohl mit eigenem als
mit fremdem Capital arbeiteten, wie es auch keinem Zweifel unter-
liegt, dass sie zuweilen als Strohmänner von Christen, Klage und
Execution gegen christliche Schuldner durchzuführen hatten. ^"^ Ein
seltsames Gemisch von Widersprüchen zeigt ihre Lage, die auf der
einen Seite überaus gedrückt, auf der andern sehr privUegiert war.
Geradezu unheimlich aber war die Verschuldung, welche in Inner-
österreich gegen Ausgang des Mittelalters alle Stände der Gesell-
schaft umstrickte. Fast Jahr um Jahr ertönten damals Klagen über
die Juden in den Landtagen, dass sie in der That begründet
waren, ersieht man aus dem Inhalt der dem Kaiser Friedrich III.
abgerungenen Verfügungen und aus der übergroßen Zahl von
'• So löste z. B. Wolfgang von Stubenberg, abgesehen von 535 Dncaten,
welche seine Gemahlin Zymburg bezahlte, im Jahre 1478 sieben Schuldbriefe
seines Vatero über 3871 Ducaten ein und übernahm seinerseits Verpflichtungen
gegen Jaden in der Höhe von 9268 Ducaten. Notizenblatt 9, S. 414—416, 428.
^'^ Einen Einblick in dies Vorfahren bieten die Urkunden des steirischen
Landesarchivs von 1442, 5. März, 12. April, 19. Juli, 29. August, 2. September.
15*
228 Österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 34 und 35.
Judenschuldbriefen, die sieh 'aus jener Zeit in den Archiven er-
halten haben. Die Verarmung des Bauernstandes war schon so
weit gediehen, dass einzelne Grundherrschaften, wie z. B. das
Kloster Renn eigene Bücher über ihre verschuldeten Bauern an-
legten und in deren Namen Vergleichsverhandlungen mit den
jüdischen Gläubigern durchführten. Wieder andere erwirkten
kaiserliche PrivUegien, die den Juden alle Darlehen an Unter-
thanen des Begnadeten untersagten oder mindestens die Executions-
führung beschränkten u. dgl. mehr.^^
Nicht ohne eigenes Verschulden waren auch die Bewohner
der Städte und Märkte übel daran. Wie üppig die Wiener lebten,
ist aus den Schilderungen des Aeneas Sylvius bekannt. Manch
einer verlor darob Haus und Hof. Geschah dies im Rechtsweg,
so gieng der neue Erwerber sicher, allein es wurden mitunter
Häuser oder Grundstücke verkauft, auf welche der veräußernde
Jude kein erweisliches Recht gehabt hatte. Solche Vorkommnisse
untergruben, da sie sich öfter ereigneten, die Sicherheit des Ver-
kehrs und bald fanden die Häuser in Judenhänden keine Ab-
nehmer mehr und verfielen, da sich niemand der Gefahr der
Rückforderung durch den Eigenthümer aussetzen wollte. Ganze
Orte verödeten dadurch, so dass Kaiser Friedrich HL sich endlich
genöthigt sah, dem weiteren Niedergang seiner Städte durch
Verwaltungsmaßregeln zu begegnen.^®
19. Diese schier unleidlich gewordene wirtschaftliche Lage
drängte endlich zur Lösung ; die Landschaften von Innerösterreich
boten dem König Maximilian eine Geldentschädigung, wenn dieser
auf sein Judenregal verzichten und die Juden aus seinen Landen,
wie es in der damaligen Kanzleisprache hieß, für immer „Urlauben"
würde. Das eigentliche Übel saß jedoch tiefer und war mit der
Vertreibung der Juden außer Landes keineswegs behoben. Nach
wie vor trafen sowohl in den höheren Kreisen als in den breiten
18 Z. B. 1463 die Gebrüder Ungnad, 1477 das Kloster Garsten, 1478 ebenso
Reun und Friedrich von Stubenberg. Wiener, Regesten 86, Nr. 55; Chmel,
Mon. Habsb., I, 697. 824. Mitth. d. bist. Ver. f. Steiermark, XI, 196, Anra.l.
1® S. den Brief vom Jahre 1478 zu Gunsten der Stadt Judenburg, die an
bürgern und hewaem vaat in abnehmen kamen ist , . . durch die judischait . . .
Mon. Habsb. I, 2, S. 800. Für Hartberg bei Wiener, a. a. 0., S. 95, Nr. 108.
Für Brück a. d. Mur 1488, 13. März, Orig. im steirischen Landesarchiv.
Die Jaden in Osterreich; Bauembewegungen. 229
Schichten der Bevölkerung die steigenden Anforderungen des
Lebens und eines überhand nehmenden Geldverkehrs mit unaus-
gebildeter Wirtschaft und Mangel an verfügbaren Barmitteln zu-
sammen. Die Klagen über Theuerung wollten nicht verstummen
und die Beschwerden wandten sich, wie früher gegen die Praktiken
der Juden, so nunmehr gegen die Ausbeutung durch das Groß-
capital der Fugger, Welser, Paumgartner u. A., sowie gegen die
^Finanzerei* der Handelsgesellschaften. Die bäuerlichen Unter-
thanen, auf welchen die drückendsten Lasten lagen und die von
den Einfällen der Türken und den Brandschatzungen der Söldner-
scharen am meisten zu leiden hatten, wurden schwierig. Selbst
ein gerechtfertigtes Verlangen, wie jenes des kaiserlichen Pflegers
zu Spital, der um Lichtmess 1478 statt eines der aus dem Verkehr
geschwundenen Aquilejer Pfennige, dem Wert entsprechend zwei
gemeine Pfennige einforderte, führte zu Unruhen und in wenig
Monaten zu einem großen Bauernbunde von Kärnten bis nach Ober-
steiermark. Die Versuche einzelner Grundherren, welche die vor
Jahrhunderten den Grundholden zugestandene Geldablösung der
Dienste rückgängig machen wollten, um auf die früheren Natural-
leistungen zurückgreifen zu können, erzeugten vollends dumpfe
Gährung : sie war die Vorbereitung zu dem ersten großen Bauern-
krieg der slavischen Bevölkerung in Innerösterreich, der unter dem
Schlagwort des Kampfes ums alte Recht (stara pravda) in den
Tagen Kaiser Maximilian's (1515/6) blutig ausgefochten wurde.
Die weltlichen Stände der mittelalterlichen Gesellschaft.
§ 35. Landherren and Bittermäßige.
Hasonöhrl, S. 60ff. — Huber, Relchag. 42. — Kurz H., Herzog
Albrecht IV., 1. Bd., 8. 261 ff. — Schalk, die niederöstcrr. Aveltlichen Stände des
15. Jahrhunderts nach ihren speciflschen Eigenthumsformen. (E.-B. II. d. Mitth.
d. Inst. f. ö. G.) — Siegel H., Die rechtliche Stellung der Dienstmannen in
Österreich im 12. und 13. Jahrhundert. 8. B., Bd. 102, 8. 235 ff. — Waitz,
Deutsche Verfassungsgeschichte, V, 185 ff. — v. Zaliinger, Ministeriales und
Milites. Innsbruck 1878. — Die ritterlichen Classen im steirischen Landrecht.
(Mitth. des Institute für österr. Geschichtef., IV, 393 ff.)
1. Solange die Freiheit die Stellung des Einzelnen im
Staate begründete (§11, 2), waren zwar alle Freien zu Gehorsam
r
230 Österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 35.
gegen die königlichen Beamten verpflichtet, aber doch gleich
diesen dem Könige ohne Mittel unterworfen. Allmählich hatte
indessen die Freiheit manches von ihrer ursprünglichen Bedeutung
verloren, namentlich hörte für die große Mehrzahl die unmittel-
bare Verbindung mit dem Reichsoberhaupte auf, seitdem die
Herzoge, Markgrafen und Grafen aus königliclij^n Beamten, eigen-
berechtigte Inhaber von Ländern geworden wAren. Das gab den
Anstoß zu einer Umbildung der Gesellschaft auf neuen Grund-
lagen. Die Reichsunmittelbarkeit als Vorrecht einiger begünstigter
Geschlechter wurde nun zur wichtigsten Voraussetzung für die
Herrschaft über die mittelbar gewordenen Bewohner der landes-
herrlichen Gebiete, während die Abstammung von freien Eltern
nicht einmal für die Stellung des Einzelnen innerhalb des Terri-
toriums den früheren Wert behielt, weil je nach der Art des
Besitzes und der Verbindung mit Höhergestellten zu Schutz und
Dienst, Unterschiede entstanden waren. Nicht der Gegensatz von
frei oder unfrei, sondern von rittermäßig oder nicht rittermäßig
wurde jetzt entscheidend, daneben aber machten der Beruf, den
jemand trieb, das Leben in der Stadt oder auf dem Lande, der
Besitz von Ämtern, Rechten, Gütern und noch mancherlei andere
Verhältnisse ihren Einfluss geltend. Ergebung in fremde Gewalt
hatte die Zahl und die Arten der abhängigen Leute vermehrt,
Freilassung die der eigentlichen Knechte vermindert. -Die alten
Unterschiede verblassten, während die Lebensweise neue schuf,
so dass die frühere Sonderung der Gesellschaft nach der Geburt,
jetzt durch eine andere nach Berufsständen ersetzt wurde. Nichts
kennzeichnet diesen im 13. Jahrhundert schon eingetretenen Um-
schwung besser, als der Umstand, dass nunmehr ein dem
Lehensrecht angehöriger Begriff, die Lehensfähigkeit oberster Ein-
theilungsgrund für die Gliederung der Gesellschaft geworden war.
Die durch ihren Beruf mit dem Waffenrecht Ausgestatteten, ob
freigeboren oder unfrei, schlössen sich als Rittermäßige (im weiteren
Sinne) von dem Bauernstande ab, der sowohl die freien als die
unfreien Landbebauer umfasste, während die Bewohner der Städte
und Märkte als Bürger zu einem besondern Mittelstande wurden.
2. Innerhalb der Rittermäßigen gab es Unterschiede lehens-
rechtlicher Natur. Wer active und passive Lehensfähigkeit ohne
Reichsunmittelbarkeit hatte, der gehörte zu den Herren »vom
Umbildung der gesellschaftlichen Stände, freier Landesadel. 231
Lande'' oder kurzweg zu den „Landherren*. Die übrigen, die bloß
passive LeheuBfähigkeit besaßen, nannte man die Rittermäßigen
schlechtweg, in Österreich auch sendbare Leute, Einschildritter.
Unter den Landherren, welche die Großgrundbesitzer waren,
gab es sowohl Freie als Unfreie. Zu den ersten zählten Grafen
und freie Herren, zu den letzterwähnten die Dienstmannen oder
Ministerialen. Als Freigeborne standen die Grafen und freien
Herren nach Landrecht auf einer Stufe und dem entapri(;ht, dass
in den Urkunden bis ins 13. Jahrhundert Mitglieder gräflicher Ge-
schlechter in der Reihe der nobiles oder liberi unter den Zeugen
angeführt wurden. Allein schon in der Urkunde Herzog Leopold's VI.
für das Schottenkloster in Wien vom Jahre 1200 werden die
Zeugen de ordine coraitum, de ordine liberorum und de
ordine ministerialium unterschieden und dies Voranstellen der
Grafen wird Regel seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts.
3. Die in den Landen der österreichischen Herzoge begüterten
Freien und Grafengeschlechter hatten der überwiegenden Mehr-
zahl nach ihre Reichsuumittelbarkeit zur Zeit der Babenberger
schon eingebüßt. In Tirol, wo die Landesherrlichkeit erst durch
Herzog Meinhard II. (f 1295) begründet wurde, fallt der Nieder-
gang der reichsunmittelbaren Dynasten später und wurde durch
den Lehensauftrag der Vögte von Matsch (1311) und der Herren
von Frundsberg (1319) vollendet; im Jahre 1383 mussten sich
auch die Grafen von Schaunberg im Lande ob der Enns beugen,
damit war die allgemeine Unterwerfung unter die Hoheit der öster-
reichischen Herzoge vollendet. Übrig blieben seit dem Ende des
14. Jahrhunderts nur noch die Grafen von Görz und von Cilli,
von welchen die einen selbst Landesherren waren, die zweiten
dies Ziel zweifellos erreicht hätten, wofern ihr Geschlecht nicht
unvermuthet erloschen wäre. Alle andern Grafen und Freien-
geschlechter zählten fortan nur zum österreichischen Landesadel
und es änderte daran die Thatsache nichts, dass einzelne, wie die
Grafen von Schaunberg, bei günstiger Gelegenheit wieder einen
Schimmer von Reichsuumittelbarkeit erlangten.^ Noch weniger
^ Die Grafen von Schaunberg besuchten z. B. auch späterhin Reichstage,
steuerten zum Reichskammergericht und standen in der Reichsmatrikel, aus der sie
erst 1548 (elf Jahre vor dem Aussterben) ,aus Achtung für den Kaiser* gelöscht
wurden. Qebhardi, 111, 314. — Die Bestrebungen Kaiser Sigmund's, die an-
232 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 35.
wirksam war begreiflicherweise die rein formelle Erhebung land-
sässiger Familien wie der Eitzing, Prueschenk u. a. in den Stand
der Reichsfreien oder Reichsgrafen, die seit dem 15. Jahrhundert
vorkommt.^ Die einen wie die andern waren und blieben Unter-
thanen der österreichischen Herzoge, die ihnen eben darum die
Ebenbürtigkeit versagten. Nicht um die Heunburg zu ehren, wie
der Reimchronist vorgibt, sondern aus Staatsrücksichten wurde
beispielsweise im Jahre 1270 die letzte Babenbergerin Agnes
durch König Otakar „ad generis depressionem" zur Heirat
mit dem Grafen von Heunburg genöthigt.'*
Als FreigeboiTie nahmen übrigens die landsässigen Grafen
und Freien noch im 13. Jahrhundert das Recht für sich in Anspruch,
ihr Thun und Lassen selbst zu bestimmen, z. B. Waflfenbündnisse
mit Auswärtigen abzuschließen,* soweit sie nicht unmittelbar gegen
den Landesfürsten gerichtet waren ; femer konnten gewsse Güter,
welchen die Eigenschaft des s. g. freien Eigens (quod vulgo vocatur
vreyzaigen) zukam, nur auf Freigebome vererbt werden und
giengen darum verloren, wenn die Erben der unebenbürtigen Ehe
eines freien Vaters mit einer Ministerialin, oder umgekehrt ent-
stammten.^
Landsässige Grafen und freie Herren bildeten den frei-
gebomen Landesadel. Das Waflfenhandwerk hob indessen auch
Unfreie zu ähnlicher Stellung empor.
4. Der Mangel an zu Kriegsdiensten willigen Freien hatte
die Großen des Reiches schon früh zur Bewaffnung ihrer körper-
gesehensten, auch landsässigen Geschlechter in Österreich zur Unabhängigkeit
und Reichsunmittelbarkeit emporzuheben, so die Cilli, Kreig, Walsce u. a. be-
handelt Chmel, Geschichte Kaiser Priedrich's IV., 1. Bd., S. 23.
^ S. mein Gerichtswesen 29, Anm. 28.
^ Anonymus Leobiensis bei Pez 8s. I, 832. Die Verbindung des Grafen
Konrad von Hardeck aus dem Geschlecht der Burggrafen von Magdeburg mit der
verwitweten Tochter des verstorbenen Herzogs Leopold ahndete Herzog Albrocht II.
1348 durch Verbannung des ganzen Geschlechts. Mon. Germ., Fol., Ss. IX, 685.
* So erklärte Graf Konrad von Hardeck im Jahre 1260 dem König Otakar,
als dieser den Steirem die Hilfe gegen die Ungarn versagte: „ich bin ein rehte
frier man von allen mlnen vier anen, ich wil mich dez durch nieman ftnen,
ich welle dienen swem ich wil, auch sol mir nieman dhaln zil mit gepote stecken"
und schloss sich dann den Steirem an. Steir. Reimchronik v. 6437 ff.
» Urkunde über Schloss Hömstein vom Jahre 1267 in § 12, Anm. 31.
Freier Landeeadel; unfreie Rittermäßige. 233
lieh tauglichen Unfreien veranlasst, theils zu eigener Sicherung
in Zeiten innerer Unruhen, vornehmlich aber, um ihren Lehens-
pflichten nachkommen zu können. Eine Folge dieser Übung war,
dass sich das Ansehen solcher Unfreien hob, und zwar nicht bloß
über Standesgenossen, sondern allmählich auch über zahlreiche
Freie, welche Nachsicht der Heerespflicht durch Übernahme von
Gelddiensten oder Leistungen anderer Art erkauft hatten. Ebenso
entsprach es den Lebensverhältnissen des Mittelalters, dass der
dem Vater zugestandene Beruf auf den Sohn übergieng und dass
diQ Fähigeren aus dem Kreise dieser Unfreien zu ständigen Be-
gleitern, ja zu Berathem ihrer Herren wurden, die ihnen dann
mancherlei Gunstbeweise zuwandten.
Das Ergebnis der hier angedeuteten Entwicklung war, dass
sich unter den Unfreien ritterliche Classen bildeten, die durch
das Wafifenhandwerk dem Landesadel angenähert waren und
schließlich geradezu als adelig betrachtet wurden. In den alt-
österreichischen Landen waren dies die Ministerialen und die
unfreie Ritterschaft. Sosehr sich übrigens ihr gesellschaftliches
Ansehen gehoben hatte, so blieb doch die Erinnerung an ihren
unfreien Ursprung lange Zeit, bis tief in das 14. Jahrhundert herab
wirksam.® Sowohl die Dienstmannen, als die ihnen untergeordneten
Rittermäßigen zählen zu den eigenen Leuten, d. h. sie hatten einen
Herrn, dem sie durch die Geburt angehörten. Dieser konnte zwar
von ihnen nicht mehr die Dienste bäuerlicher Eigenleute, sondern
nur solche verlangen, die sich mit dem ritterlichen Beruf ver-
trugen, allein die von ihrer Seite unlösliche Abhängigkeit von dem
angebornen Herrn machte sich oft genug in anderer Weise fühl-
bar. Die Dienste, die sie für das in lehensähnlicher Art em-
pfangene Gut, das „Dienstlehen* zu leisten hatten, waren um-
fassender, als sie der Herr vom freien Vasallen fordern konnte,
die Verfügung über ihre Habe beschränkter; auch konnten sie
mit ihrem Gute vom Herrn nach Belieben verkauft, verlehnt und
überhaupt veräußert werden. Der Eheabschluss war, sofern die
® 1342 verzichtet Herzog Albrecht II. zu Gunsten des Erzbischofs Heinrich
von Salzburg auf „die eigenschaft die wir an der erbern Ofhneyn unsers getreuen
Gandachers des Starchenberger (die jetzigen Fürsten von Starhemberg) tochter,
des Velber von Salzburg eliche wirtin, von unsers landes wegen ze Österreich
gehabt haben ..." Ludewig Reliquise, Mss. IV, 276.
234 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 35.
Herren keinen Heiratszwang übten,*^ im allgemeinen i\ur unter
Standesgenossen freigegeben die zum gleichen Hofe gehörten,
sonst kam es im günstigsten Falle zu einer Theilung der Nach-
kommenschaft unter die Herren des Eltempaares.^
6. Das Ansehen dieser Unfreien war je nach der Stellung
ihrer Herren verschieden. Zu höchst standen die Dienstmannen
des Reichs, die jedoch nicht nothwendig reichsunmittelbar sein
mussten, sondern mit ihrem Besitz, zumal an Burgen, dem Fürsten-
thum, in dessen Grenzen die Güter lagen, als Zubehör beigegeben
sein konnten, um dem Fürsten in Ehren zu dienen und das Land
gegen die Feinde zu wehren. So war es in Österreich, wo es
Dienstmannen gab^ die im Eigenthum des Reiches verblieben und
zugleich im Lehensbesitz des Landesherrn waren, während die
Ministerialen des steirischen Herzogs^ ursprünglich dessen eigene
Leute, erst durch die Gnadenbriefe Kaiser Friedrich's IL und
König Rudolfs L ;5U Reichsdienstmannen erhoben wurden.* In
dem einen wie in dem andern Falle wurden diese Dienstmannen
ausdrücklich als die zum Lande gehörigen (die ze recht zu dem
land gehorent) bezeichnet und den Dienstmannen sowohl der aus-
wärtigen „Gotteshäuser" als auch der landsässigen Hochstifte und
Abteien, wie der fremden Fürsten und Grafen gegenübergestellt. *^
■^ Den Steirem gelang es 1237, durch den kaiserlichen Freiheitsbrief diese
inimica justicie consuetudo in Abfall zu bringen und zu erwirken, ut
libere filios ac filias eorum cui voluerint copulare debeant in
futurum. St. U.-B. II, 462. Bekannt ist, dass Herzog Albrecht I. die Erbtöchter
der österreichischen Ministerialen zu Ehen mit seinen schwäbischen Günstlingen,
den Walsee, Landenberg u. a. zwang.
8 Wechselheiraten zwischen den Ministerialen von Österreich und Steier-
mark waren seit 1186 ohneweiters zulässig. Der Vertrag Herzog Leopolds VI.
mit Passau vom Jahre 1228 gestattete sie mit Vorbehalt der Theilung der
Knaben, jener Herzog Friedrich's II. mit Freising bestimmte ,ut . . . liberi ex
matrimonio huiusmodi procrcati et possessiones et bona parentum equaliter
dividantur." Mon. B. XXVIII, 2, S. 300. Cod. Austr. Fris. 1, 351. Bestätigung vom
Jahre 1277. Vertrag zwischen dem Bisthum Gurk und den Meraniem 1197. U.-B.
f. St. n, 52. Vgl. auch Anm. 6.
* Daher verfügte auch Herzog Otakar über sie als Eigenthum im Jahre
1186 ministeriales more ministerialium, proprios jure propriorum
dando. Ü.-B. f. St. I, 654.
^^ So schenkte z. B. im Jahre 1140 Dyebaldus nobilis quidam de Chagere
dem Kloster Obern bürg, seiner Stiftung: ministeriales utriusque sexus prope
centum qui legem et jus Aquilegiensium dienstmannorum eorum oollaudatione
. Stellung der Dienstmannen und Ritter. 235
7. Die gleiche Unterscheidung wiederholte sich folgerichtig
bei den einfachen Rittermäßigen. Jene Eigenleute, welche das
Reich als Wehrmänner oder Einschildige bei der Besiedlung ins
Oäu der Mark gesetzt hatte, hießen fortan in Österreich die Ritter
und Knappen die zu dem Land gehören, oder Ritter des jeweiligen
Herzogs, in Steiermark, wo sie gleich den Dienstmannen bis zum
kaiserlichen Gnadenbriefe vom Jahre 1237 im Eigen thum des
Herzogs gestanden hatten, Landleute des Herzogs oder Landleute,
comprovinciales schlechtweg. Alle Übrigen wurden je nach
ihrem Herrn unter den Rittern begriffen j^die bischof angehorent
oder andere gotzheuser oder die herren von dem land*", sie hatten
ein geringeres Ansehen und mussten manche Vorrechte entbehren,
deren sich die , Landleute "" erfreuten.
8. Sowohl die Dienstmannen (ministeriales) als die einfachen
Rittermäßigen (milites et clientes) sind aus den bewafheten. zum
Kriegsdienst verpflichteten und verwendeten Unfreien hervorge-
gangen. Die Scheidung in die erwähnten Classen wurde ange-
bahnt als einzelne nebst dem allen obliegenden Kriegsdienst durch
Zutheilung an die bekannten vier Hausämter, Gelegenheit zu ehren-
vollem Hofdienst erhielten. Was erst persönliche Auszeichnung
war, das konnte, wenn es auf die Nachkommen übergieng, leicht
einen bleibenden Vorzug des Hauses vor den alten Standes-
genossen begründen. Von dem Augenblicke an, wo die Fähigkeit
zur Bekleidung dieser Hofdienste zum erblichen Vorrecht gewisser
Geschlechter wurde, war die Überordung der Dienstmannen über
die einfachen Ritter entschieden. Alsbald erhielt ihr höherer
Rang auch noch andern Ausdruck, die Dienstmannen gewannen
theils von ihren eigenen Herren, theils durch fremde Lehen großes
Gut und zahlreiche Ritter wurden ihr Eigen. Als schließlich die
Lehensfähigkeit aller Rittermäßigen anerkannt war, da konnten
die Dienstmannen sowohl Lehen empfangen als weitergeben,
während die Ritter als Einschildige sich mit der Fähigkeit zum
Lehensempfang begnügen mussten.
deberent habere. U.-B. f. St., I, 188. Ministerialen des Frauenstiftes Goeß um
1160/70 a. a. 0. 493, 721. Daher erklärt der kleine Lucidarius VKI. 581, ,die
dienstman in österrlch sint an wirden ungellch' und die steirische Handfeste vom
Jahre 1237 begnügt sich mit dem consilium commune ministerlalium
fußjorum Styrie für den Fall der Münzemeuerung.
L I
236 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 35.
9. Der oben erwähnte Umstand, dass die Zahl der freien
Dynastengeschlechter in den altösterreichischen Landen nicht sehr
groß war und dass die meisten von ihnen bis gegen die Mitte
des 13. Jahrhunderts ausgestorben, oder landsässig geworden
waren, hat hier die Stellung der Dienstmannen nicht wenig ge-
hoben. Am deutlichsten lässt sich dies in der Steiermark ver-
folgen, wo man z. B. schon im Jahre 1165 bei Strafansätzen
zwischen Freien und Ministerialen nicht mehr unterschied.*^ Die
Georgenberger Urkunde (1186) festigte dann für den Übergang
an die Babenberger die bis dahin erworbenen, oder neu zuge-
standenen, Rechte der steirischen Dienstmannen und zum Theil
auch der ritterlichen Landleute. Seitdem waren jene sowohl im
öffentlichen als auch im Lehen- und Privatrecht vielfach günstiger
gestellt als ihre österreichischen Standesgenossen. Gegen Be-
drückungen sollte ihnen der Weg an den Kaiser und das Fürsten-
gericht freistehen, die Einforderung gewisser in Österreich üblicher
Abgaben unstatthaft sein, das Anfallsrecht wurde aufgehoben,
die Vererbung der Lehen auf die Töchter ausgedehnt, Verwandten-
erbfolge für das übrige Vermögen zugesagt. Außerdem wurden
den steirischen Ministerialen unter sich die freie Veräußerung
von Gütern, sowie Zuwendungen an Klöster gestattet, während
früher dies fallweise der Zustimmung des Herrn bedurft hatte.
Neue Rechte brachten ihnen die Gnadenbriefe Kaiser Friedrich's II.
und König Rudolfs I. in den Jahren 1237 und 1277. Die ^ministe-
riales und comprovinciales* von Steiermark wurden in das Eigen-
thum des Reiches übernommen, der Heiratszwang, der die Dienst-
mannen vor allem an ihre unfreie Herkunft mahnte, abgeschafft,
der Landesfürst, dem sie seit 1277 erst nach vorgängiger An-
erkennung ihrer Handfesten zu huldigen brauchten, wird in wich-
tigen Landesangelegenheiten an ihren Beirath gewiesen u. s. w.
10. So war also die Stellung der Dienstmannen in der ersten
Hälfte des 13. Jahrhunderts von jener der freien Herren nur
noch wenig verschieden. Schon gab es einzelne unter ihnen, die
sich ihre Frauen aus gräflichen Geschlechtem geholt hatten. Es
wurden daher die Bezeichnungen „nobilis" und „dominus" all-
^^ Die Gründungsurkunde der Karthause Beiz, die vieUeicht in etwas
jüngerer Ausfertigung vorliegt, bedroht: .si liber vel ministerialis est x libras
componat, si de ordine plebeio est, 30 solides persolvat". U.-B. f. St. I, 453.
Anschluss der Dienstmannen an den freien Landesadel. 237
mählich auch auf die Ministerialen angewandt, die bereits in der
Aufzeichnung des österreichischen Landesrechts mit den Grafen
und Freien zum Landesadel gerechnet worden waren und die man
seit den Tagen König Rudolfs als Großgrundbesitzer und Herren der
von ihnen abhängigen Ritterschaft, zu den „Landherren'' schlecht-
weg zählte. Seit dem 14. Jahf hundert verschwindet der Ausdruck
Dienstmann und wird als Standesbezeichnung durch das ehrendere
^Dienstherr* ersetzt; deutet hier das Bestimmungswort noch auf
die persönliche Abhängigkeit, so verlor sich allmählich auch diese
Spur. Im steirischen Landesrecht aus dem 14. Jahrhundert wird
der Ausdruck „Dienstherr* ausnahmslos ohne besondere Beziehung
auf die Ministerialen ganz allgemein für Lehens- oder Grundherr
gesetzt. Der nämliche Sprachgebrauch lässt sich in den landes-
fürstlichen Gnadenbriefen vom Jahre 1338 für Kärnten und Krain
und in der Urkunde Herzog Rudolfs IV. vom Jahre 1360 belegen,
in welcher er der Äbtissin von Goeß auf den Klostergütern in
Kärnten » Dienstherrenrecht *" verlieh. Das Ansehen und die poli-
tische Bedeutung dieser Standesclasse beruhte eben vor allem
auf dem großen Grundbesitz, den diese Geschlechter theils als
AUod, theils als Lehen oder Pfandschaft inne hatten und durch
welchen sie seit Jahrhunderten mit dem Wohl und Wehe des
Landes verbunden waren. Als dann im 15. Jahrhundert die Ent-
wicklung der Landstände in Altösterreich zum Abschluss gelangte,
bildeten die Landherren, d. i. der Inbegriff der Grafen, freien
Herren und Dienstmannen von ehemals, die erste weltliche Classe
unter den vier Ständen und wurden der Stand der Grafen und
Herren oder schlechtweg der Herrenstand genannt.
11. Ungleich langsamer hob sich das Ansehen der einfachen
Ritter und Edelknechte, der rittermäßigen oder sendbaren Leute,
der militesetclientes, wie sie in Österreich hießen. ^^ Zwar wurden
sie schon seit den Tagen König Rudolfs I. zu den Adeligen im
weiteren Sinne gerechnet, weil sie das Waffenrecht hatten und
lebensfähig waren, allein die Kluft, die sie von ihren Herren
trennte, mochten diese freier oder unfreier Herkunft sein, war
groß. Der Stand war noch nicht geschlossen; Bürger und reiche
12 Der Unterschied zwischen Rittom und Edelknechten oder adeligen
Knappen war einzig durch den hohem Rang bedingt, welchen die Ertheilung
des Ritterschlags im allgemeinen gewährte.
238 Osterreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 35.
Bauernsöhne, die Lust am Waffenhandwerk hatten, konnten sich
noch im 13. Jahrhundert den sendbaren Leuten anschließen.«
Wechselheiraten zwischen Ministerialen und einfachen Rittern
galten darum als unstandesgemäfl und es bedurfte eines könig-
lichen Gnadenbriefes, um den Kindern aus solchen Ehen den Stand
der Dienstmannen zu verleihen. Noch ums Jahr 1300 bestritten
die Landherren den Rittern das Recht, eigene Burgen zu besitzen,
und nur mühsam erkämpften sich diese den bevorzugten Gerichts-
stand des höhern Landesadels : erst zu Anfang des 15. Jahrhunderts
erlangten sie allgemein und bleibend Aufnahme in die Urtheiler-
bank und Antheil an der Berathung der gemeinen Landesangelegen-
heiten auf den Landtagen. (§ 28, 8.) Gemeinsame Interessen gegen-
über dem aufstrebenden Bürgerstand hatten mittlerweüe die
Adeligen jeden Ranges einander genähert.^' Die volle Ausbildung
der Lehensfähigkeit hatte endlich auch bei den einfachen Rittern
die Erinnerung an deren Herkunft verwischt, die Erstarkung der
Landesherrlichkeit die private Herrengewalt gebrochen. Eintritt
in den Pürstendienst bot jetzt den Rittern die Mittel zur Mehrung
ihres Besitzes, ja einzelnen Bevorzugten sogar die Möglichkeit des
Aufstiegs in die. Reihen der Landherren. So war also am Schlüsse
des Mittelalters die Scheidung zwischen den Herren einerseits und
den Rittern und Knechten andererseits lange nicht mehr so schroff
als in früheren Zeiten, wiewohl die Nachwirkungen der früheren
Auffassung selbst im 16. Jahrhundert noch nicht völlig über-
wunden waren. ^*
12. Die Vorrechte, die dem Adel in Österreich im Mittelalter
zustanden, waren theils allgemein, theUs den Landherren vor-
behalten. Zu den erstgenannten zählte die Fähigkeit zum Empfang
rechter Lehen und das Waffenrecht, die Freiheit von Mautab-
18 So hatte z. B. Markgraf Albrecht AchiUes von BrandeDburg 1449 zum
Kriege gegen Nürnberg ein Bündnis der Fürsten und des Adels zustande ge-
bracht, das ziemlich das ganze Reich umspannte und von den Gestaden der
Nord- und Ostsee bis tief nach Krain und den windischen Landen reichte.
1^ Der österreichische Staatsmann und Gelehrte Richard Strein von
Schwarzenau (f 1600), der Verfasser der österr. Landhandfeste u. a., hat noch
die Rechte des alten Herrenstandes ,als strammer Aristokrat" gegen den Herrscher
sowohl, als gegen den aufstrebenden Ritterstand mit Kraft verfochten und es
dem Kaiser sehr verübelt, dass dieser die Ritter Harrach und Jörger in den
Freiherrenstand erhoben hatte.
Vorrechte der Landherren und der einfachen Rittermäßigen. 239
gaben für den Hausbedarf, ein privilegierter Gerichtsstand und
das Einungsrecht, d. h. die Befugnis zur Erreichung selbstgewählter
und nicht unerlaubter Zwecke, ohne höhere Genehmigung vorüber-
gehende oder bleibende Verbindungen einzugehen, ein Recht, das
seinen Ausdruck in mancherlei Adelsbündnissen, wie dem salz-
burgischen Igelbund 1403, dem Elephanten- und dem groüen Bund
in Tirol 1406/7, oder in den Landesconventen fand. (§ 23, 1, § 28, 10.)
Den Landherren war active Lebensfähigkeit und grundherr-
liche Gewalt vorbehalten. Theüs durch ausdrückliche Verleihung,
tbeils durch Gewohnheit hatten die Grafen, Freien und die Landes-
ministerialen in Österreich schon unter den Babenbergem die
Niedergerichtsbarkeit auf ihren Gütern erlangt. Zur Zeit der
ersten habsburgischen Herzoge stand dann sowohl den Freien
als den Dienstherren auf ihren als Herrschaften bezeichneten
Besitzungen die Landgerichtsbarkeit zu, so dass im 14. Jahr-
hundert zuweilen die offenen Ausschreiben der Landesfürsten
gleichmäßig an „alle Landherren und Landrichter'' u. s. w. er-
lassen wurden. ^'^ Außerdem hatten sie als Ausfluss des Grund-
besitzes auf demselben die Fischerei und die niedere Jagd, hin
und wieder auch das Tafernrecht, den Mühlzwang u. dgl. Vor-
behalten war ferner ihrer Classe die Bekleidung der Kasten-
vogtei bei Kirchen und Klöstern, der Zutritt zum geschwomen
Rath der Landherren, der sowohl dem Fürsten dienen als auch
die Interessen der Standesgenossen zu wahren hatte (§ 28, 6),
endlich gewisse Hofämter. All diese Vorrechte der Landherren,
mit Ausnahme des letztgenannten, wurden übrigens bis gegen das
15. Jahrhundert der Ritterschaft zugänglich, als diese größeren
Grundbesitz erworben und Stimme auf den Landtagen erlangt hatte,
wo sie fortan den zweiten weltlichen Stand bildete. Was aber
die Hofamter des Kämmerers, Schenken, Truchsess und Marschalls
anbetrifft, so waren diese nebst einer Ausstattung an Gut und
Renten schon seit dem Ende des 12. Jahrhunderts allmählich
in den Lehensbesitz einzelner Geschlechter gekommen. Während
des Zwischenreichs hatten sie sich dann in erbliche Landesämter
verwandelt, die nur beim Erlöschen des Geschlechts oder im Fall
der Felonie in die Hände anderer Landherren übergehen konnten.
1» Klein. Lucidarius VIII, 40. Dann im Preiheitsbrief Hlr die Kärntner und
Krainer 1338 ,. . . waz onch dienstherren ist, die stoclc und galgen habent* n. s. w.
240 österreichische Keichsgoschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 36.
§ 36. Das Stadtewesen und der Bflrgerstand.
S. Literatur in § 21, Anm. 4. Femer § 22, Anm. 2, § 23 und 24 und die
ausführlichen Literaturangahen hei Schröder, Reichsgeschichte, 600 ff. —
Hasenöhrl, 86. — Huher, Reichsgeschichte, 82. — Jäger, Landstände, I,
622 ff. — Keutgen, Untersuchungen üher den Ursprung der deutschen Stadt-
verfassung, 1895. — Peinlich, Die ältere Ordnung und Verfassung der Städte
in Steiermark. 1879. — Pirenne, l'origine des constitutions urhaines au
moyenage. S. A.a.d. Revue historique, Bd. 57, 1895. — Waitz, D. V.-G., VlI, 377 ff.
1. Das Stadtewesen in Deutschland ist jüngeren Ursprungs
und später zur Blüte gelangt als in Italien oder Frankreich, es
hat sich aber dann bis zur Reichsstandschaft emporgeschwungen.
Noch später als in Deutschland insgemein fällt die Entwicklung
des Städtewesens in Österreich und niemals hat es hierzulande
eine ähnliche Bedeutung erlangt. Der Schwerpunkt lag hier in jenen
Territorialstädten, die bis gegen den Schluss des 13. Jahrhunderts
in die Hände des Landesfürsten gekommen waren. Reichsstädte
fehlten gänzlich, da Eger seine Reichsstandschaft verlor, Wien
sie ungeachtet wiederholter kaiserlicher Gnadenbriefe (1237, 1247,
1278) nicht zu behaupten vermochte und die Reichsunmittelbarkeits-
Erklärungen von Tuln (1276), Brück a, M. (1277), Brunn, Znaim,
Iglau (1278) u. a. m. überhaupt nur für die Zeit bis zur Be-
stellung eines neuen Herrschers gelten sollten. Es gab femer
wenig bischöfliche Städte, die sich eines größeren Ansehens hätten
rühmen können. Außer Salzburg, das in den Jahren 1481 bis 1511
sogar nach Reichsunmittelbarkeit trachtete, wären nur etwa Trient,
Brixen, Vülach, Friesach und Pettau und einzelne Bischofssitze
im Küstenland hervorzuheben. Durchwegs unbedeutend waren die
s. g. Privat- oder Municipalstädte und Märkte, die einzelnen land-
sässigen Herren unterstanden.
2. Gründungsurkunden von Städten haben sich in Altösterreich
— im Gegensatz zu Böhmen und Mähren — aus älterer Zeit nicht
erhalten, selbst Nachrichten über die Erbauung oder Erhebung
von Ortschaften zu Städten sind sehr selten. Wir wissen beispiels-
weise, dass die Ennsburg der Vorläufer der Stadt Enns ums Jahr
900 und Wiener-Neustadt zwischen 1192/4 als Grenzwehren gegen
die Ungarn erbaut, dass Brück a. M. um 1260 zur Stadt erhoben
wurde, nachdem es schon vorher als offener Markt Gnadenbriefe
Anfänge des Städtewesens in Österreich. 241
von Herzog Friedrich II. erwirkt hatte, zumeist sind wir jedoch
auf zufällige Nachrichten angewiesen. Daher ist es leicht möglich,
dass ein Ort schon lang die Eigenschaft einer Stadt hatte, ehe
sich Veranlassung ergab, ihrer in jener Urkunde zu gedenken, die
sich gerade bis zum heutigen Tage erhalten hat. So sind die
Anfänge des Städtewesens in Österreich in tiefes Dunkel gehüllt
und da manche unserer bedeutenderen Städte dort erwuchsen,
wo schon zur Römerzeit blühende Gemeinwesen bestanden hatten,
so könnte die Vermuthung auftauchen, ob nicht in einzelnen
Fällen ein Zusammenhang zwischen beiden anzunehmen sei. Diese
Frage müsste jedoch — wenn wir etwa Südtirol und das Küsten-
land bei Seite lassen — für Österreich ebenso entschieden wie
für Deutschland verneint werden, da zwischen dem Abzug der
Römer und der Wiederkehr geordneter Zustände in den Alpen-
ländern ein Zeitraum von Jahrhunderten liegt. Die Nennung einer
civitas Carantana, Pettovia, Ziup ad Sulpam, Treisima, Zeizinmure
u. dgl. in Gegenden, wo römische Ansiedlungen bestanden hatten,^
die sich seit dem 9./ 10. Jahrhundert findet, bildet keinen Gegen-
beweis. Die Ausdrücke civitas und urbs hatten damals ihre
technische Bedeutung längst verloren und haben sie kaum vor
dem 12. Jahrhundert wiedergewonnen. Es ist daher gewagt, für
die frühere Zeit aus der Anwendung solcher Bezeichnungen allein
schon auf das Vorhandensein mittelalterlicher Städte allgemein zu
schließen, obgleich es im einzelnen Falle ganz gut zutreffen kann,
beispielsweise bei der im Jahre 844 genannten civitas Trient, die
von der Langobardenzeit her herzoglicher und Bischofssitz war.
Recht deutlich zeigt sich hingegen das Schwanken des Sprach-
gebrauchs bei Krems, das wohl die älteste Stadt in der Ostmark
gewesen sein dürfte: es heißt im Jahre 995 schon urbs, wird aber
bald darauf durch längere Zeit abwechselnd als villa, civitas,
vicus, locus bezeichnet. Tuln, das nach Enenkl die erste Haupt-
stadt des Landes war, wird im Jahre 1014 civitas genannt. Im
Jahre 1053/54 begegnet uns eine urbs Hengistiburg, 1066, ein
castrum Heingist, beides vielleicht ältere Namen für die civitas
Oraze, die seit 1138 erscheint; auch wird berichtet, dass Bischof
^ Eine unmittelbare Anknüpfung an die römische Niederlassung fand nicht
einmal in Pettau statt. Das römische Poetovlo lag auf dem jenseitigen (rechten)
Drauufer in der Ebene bei Haidin.
Lmchlii, Ofterrelchiscbe Reichigetchichte. 16
242 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 36.
Gebhard von Regensburg, 1056, nach der Niederlage der Ungarn
urbem marehiae Heimburch sedificiis restauratam mit kaiser-
lichen Truppen besetzt habe. Vor dem Jahre 1200 werden uns
außerdem in Urkunden Wien (1137), Enns, St. Polten, Wr.-Neu-
Stadt, Wels, Brixen, Aquileja, Triest und einige Orte in Istrien als
Städte genannt, wogegen sich Innsbruck, Bozen, Friesach, Juden-
burg u. a. noch nicht über die Markteigenschaft erhoben hatten.
3. Die Unterscheidung von Städten und Märkten hat sich
erhalten, wiewohl die Voraussetzungen zum Theil gewechselt haben,
von welchen die Einreihung eines Ortes in die eine oder andere
Ordnung abhängig ist. Die Städte des Mittelalters waren privi-
legierte Gemeinden, sie waren Marktorte, bildeten einen besondem
Gerichtsbezirk, genossen betreffs der öffentlichen Lasten Vorzüge
vor dem flachen Lande. All dies konnte gegebenen Falles auch
Märkten zukommen, die sich als Übergangsform von der Land-
gemeinde zur Stadt darstellten,^ aber der Ummauerung entbehrten,
die man damals für ein so wesentliches Wahrzeichen hielt, dass
Orte durch bleibende Niederlegung des Mauergürtels der Stadt-
eigenschaft entkleidet wurden.'
Die Erhebung einer Ortschaft zur Stadt erfolgte ursprünglich
durch den Kaiser, später — und dies trifft wohl bei der Mehr-
zahl der Städte in Altösterreich zu — durch den Landesfürsten.
4. Schon die ältesten Stadtrechte unterscheiden unter den
Bewohnern der Städte mehrere Classen. An erster Stelle die
Bürger (civis, auch burgensis),* das sind Personen, die durch
2 So verleiht Graf Meinhard II. von Tirol im Jahre 1282 „cum intentionis
nostree sit, in oppido Imbst facere forum et subsequenter constmere civitatem"
dem neuen Markte das Niederlagsrecht u. s. ^. Hormayr, Beitr. I, 2, S. 183.
^ Das widerfuhr z. B. der Stadt Schladming, die zur Strafe wegen ihrer
Betheiligung am Bauernaufstand 1525 zerstört wurde und nur als offener Markt
wieder aufgebaut werden durfte. Erst 1629 wurde die Errichtung einer Ring-
mauer gestattet. In Steiermark gab es übrigens mehrere Orte, welche die Stadt-
eigenschaft nur vorübergehend besaßen und dauernd zu Märkten herabsanken:
Feldbach, Mürzzuschlag, Neumarkt, auch Aussee sind darunter zu nennen.
Wartinger in Steierm. Zeitschr. N. F. II (1835), 2, S. 92.
^ Der Ausdruck Burgensis wird ursprünglich mit mercator gleichgesetzt
und bedeutet die in der Stadt ansässigen Kauf leute im Gegensatz zu den übrigen
Bewohnern (Pirenne 32) ; allein diese Bedeutung war schon verwischt, als es zor
Aufzeichnung der österr. Stadtrechte kam. In Tirol hingegen war Burgensis
Unterschiede unter den Bewohnern der Städte und Märkte. 243
Erlangung des Bürgerrechts Mitglieder einer vom Landesfürsten
befreiten und begnadeten Genossenschaft geworden waren; dann
Inwohner (incola, commansionarius), Leute die, ohne das Bürger-
recht zu erlangen, bleibend in der Stadt verweilten und nur aus-
nahmsweise zu den cives im weitem Sinne gerechnet wurden,
weil sie in den Verpflichtungen den Bürgern gleichstanden. Dazu
kamen noch Gäste (advena, hospes), Fremdlinge, die sich im
Orte ohne eigenen Herd vorübergehend aufhielten, als solche
keine BUrgerlasten trugen, aber auch nicht nach dem Bürgerrechte
jus civitatis, sondern nach dem Gastrecht, jus advenarum, be-
handelt wurden. Gleichfalls als Fremdlinge betrachtet und von
der Bürgerschaft geschieden waren die Juden, die in den Städten,
wo sie sich in größerer Zahl angesiedelt hatten, eine selbständige,
örtlich umgrenzte Gemeinde theils unter eigener, theils unter
landesfürstlicher Obrigkeit bildeten.
5. Die Vermögensverhältnisse haben zu verschiedener Be-
handlung der Städtebewohner Anlass gegeben. Wer innerhalb
der Stadtmauer und des Grabens ein Vermögen von bestimmter
Größe nachweisen konnte (in Enns von 30 Pfd., in Wien, Haim-
burg u. a. von 50 Pfd. 4)7 der wurde im Falle eines Todschlags
ohne Bürgenstellung auf freiem Fuß belassen und zählte zu jenen
achtbaren Leuten, deren thätliche Beschimpfung nach höherem
Strafsatz geahndet wurde, während Lotterbuben oder leichtfertige
Gaukler die Prügel, die sie verdient hatten, ruhig einstecken mussten.
Gab das Vermögen an sich dem Bürger rechtliche Vorzüge,
80 waren diese umso größer, wenn er über unbewegliches Gut
verfügte, dessen Ertrag zu seinem Unterhalt hinreichte. Zur Er-
werbung von. Renten bot nun die Ansammlung des beweglichen
Capitals in den Städten die sachliche, das Waflfenrecht der Bürger,
seit sie für die Vertheidigung ihres Ortes zu sorgen hatten, die
rechtliche Grundlage. Solche „Erbbürger**, die weder Handwerk
noch Kleinhandel betreiben durften und den deutschen Patri-
ziern entsprachen,^ galten schon unter den Babenbergern als
soviel wie anderwärts Forensis, d. i. Bewohner eines Marktes, burgnm, ital.
borgo = forum. Jäger, I, 668.
* Vgl. die Schilderung des Hans Enenkl. wie Herzog Friedrich ü. die
jungen Bürger von Wien ehrte. Rauch, I, 322. — 1253 bestätigte Otaltar den
honorabiles milites et cives von Wr.-Neustadt die Stadtfreiheiten. Winter, 1, 11.
16*
244 Österroichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 36.
lebensfähig, konnten auf ihren Wunsch in die herzogliche Ritter-
schaft aufgenommen werden, erhielten auch wohl ritterlichen Titel
beigelegt, obgleich sie in der Stadt verblieben.
6. Die Kleinkaufleute und Handwerker standen nicht bloß
gesellschaftlich viel tiefer, sondern entbehrten auch mancherlei
politische Rechte, deren sich die Erbbürger erfreuten. Niemals
gelang es ihnen, sich zu einer ähnlich einflussreichen Stellung
wie in den deutschen Reichsstädten aufzuschwingen, stets blieben
ihre genossenschaftlichen Verbindungen durch die Hilfe der Landes-
fürsten dem Einfluss des Rathes untergeordnet. Nur durch Zu-
stimmung des Rathes, wo nicht landesherrliche Genehmigung, er-
hielten die Zunftsatzungen verbindliche Kraft. Widersetzlichkeiten
wurden durch Auflösung der Innungen bestraft, wie dies beispiels-
weise 1364 durch Herzog Rudolf IV. für Wien verfügt wurde.
7. Im späteren Mittelalter galt auch in Österreich der Satz:
Stadtluft macht frei. Man hüte sich aber vor der Vorstellung,
dass solches von Anbeginn der Fall gewesen sei. Die Städte sind
in ihren Anfängen durch das Interesse der Grundherren mächtig
gefördert worden, welche durch Vorbehalt bleibender Zinsungen bei
Hingabe von Grundstücjcen zu städtischen Anlagen und durch An-
siedlung ihrer geschickteren Hörigen in den Marktorten, ihre Ein-
künfte steigern konnten. Es sind demnach die. ersten unfreien Hand-
werker mit Willen ihrer Leibherren nach den Städten gezogen, so
dass das Gegentheil erst dann häufiger wurde, seitdem die Gewalt
der Grund- oder Leibherren durch AusbUdung der städtischen Ge-
richtsbarkeit Einschränkungen erfahren hatte.® König Otakar, dem
das Städtewesen in den niederösterreichischen Landen mächtigen
Aufschwung verdankt, sprach zuerst das gewichtige Wort, dass
jeder Bewohner der Stadt, auf wes immer Grunde er sitze, nicht
als jemandes Höriger, sondern als Bürger einer königlichen Stadt zu
behandeln und bloß dem Könige und nur in Gemeinschaft mit den
übrigen Bürgern steuerpflichtig sei. Allein dieser Satz, obschon
von König Rudolf bestätigt,*^ wurde doch nur gelegentlich und für
^ Zu Beginn des 13. Jahrhunderts muss dies schon eingetreten sein,
da unsere ältesten Stadtrechte (Wien, Enns) verfügen, dass jeder, der in die
Stadt konune, um das Bürgerrecht zu erlangen, von den Bürgern gegen aUe
Qewaltthat zu schützen sei, his des Herzogs Entscheidung eintreffe.
' Priv. für Tuln 1270: omnis in prefata civitate residens super cuius-
cunque feudum resideat non debet colonus aliculus, sed civis regius appellari, nee
Handwerker und Zünfte. 245
eine einzelne Stadt erlassen. Da andererseits Nachwirkungen der
Unfreiheit selbst für die Ministerialen und Ritter bis ins 14. Jahr-
hundert erkennbar sind, so kann es nicht überraschen, dass sich
ebensolang auch Nachrichten von unfreien Städtebewohnem und
Bürgern erhalten haben.®
8. Die Gliederung der mittelalterlichen Gesellschaft hatte den
Bewohnern der Städte und Märkte den Handel und das Gewerbe
als Erwerbsgebiet überwiesen. Zu größerer Ausbildung der ge-
werblichen Fertigkeiten, wie auch zum Schutz der eigenen Inter-
essen bildeten sich dann innerhalb der Orte je nach der Beschäf-
tigung geschlossene Verbände: Zünfte, Innungen, Zechen. In
diesen Vereinigungen fand also nicht bloß das volkswirtschaftliche
Princip der TheUung der Arbeit, sondern auch ein gesellschaft-
liches seinen Ausdruck, indem die Zunfteinrichtungen durch Aus-
scliluss des freien Wettbewerbs eine möglichst gleiche Vertheilung
des Geschäftsertrags unter die Zunftmitglieder anstrebten. Das
war allerdings nur durch eine, den jetzigen Anschauungen oft
widerstrebende Einengung des Einzelnen und seiner Interessen
erreichbar, die man aber im Mittelalter leichter ertrug, weil damals
das Individuum in weit höherem Grade dem bestimmenden Ein-
fluss seines gesellschaftlichen Verbandes unterlag.
9. Von diesem Gesichtspunkte aus müssen die Maßregeln der
Landesherren für ihre Städte und Märkte beurtheilt werden.
Gedanken, die uns schon in der karolingischen Ordnung für den
Donauhandel (§ 11, 11) begegnen, beherrschten als oberste Grund-
sätze die Verfügungen der österreichischen Herzoge zu Gunsten
ihrer Bürgerschaften und führten zu einem Sj^stera von Verkehrs-
beschränkungen, das uns sonderbar anmuthet, aber lange Zeit
seinen Zweck erfüllte: Man suchte die eigenen Uuterthanen auf
Kosten staatsfremder Gäste, die ansässigen Bürger gegenüber den
zureisenden Händlern, den Naheverkehr statt des Femverkehrs
durch Erleichterungen zu begünstigen. Schon unter den Baben-
etiam debet alicui steuram nisi regi solummodo minidtrare et hoc alüs civibus
sociatis. W^inter, 23, Nr. 9, bestätigt durch König Rudolf 1276 a. a. 0. 26.
8 1317 Conrad von Muer schenkt dem 8tift Seckau . . . »Gertrauden deu
Pairinne genannt, purgserine ze Chnutelvelde* und deren Kinder, ,di uns nach
dem leibe zugehoerent habent und unser aigen sint." War tinger, Steierm.
Zeitschrift VIU, 161.
246 Österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 36.
bergeni wurde allen Fremden der Handel nach Ungarn bei hoher
Geldstrafe untersagt und dadurch der Umschlagsplatz für den
Donauhandel von Regensburg nach Wien gebracht, dann wurde
auch der Landhandel von Venedig nach Deutschland soweit
möghch über Wien geleitet. Noch später hat man im Stappelrecht
das Mittel erblickt, um auch andern Orten auf Kosten der fremden
Kaufleute und in letzter Linie der Consumenten, einen Antheil
am Handelsgewinn zu verschaffen. Die ausführliche Zollordnung
Herzog Friedrich's H. für Wr.-Neustadt vom Jahre 1239 enthält
Zollsätze für Kaufleute aus Graz, Leoben, Judenburg, Friesach,
Venedig, von Norden her für die Wiener, Haimburger und für
die Handelsleute aus Ebenfurt und Brück a. d. L. Es gestattete
daher gegen Entrichtung verschieden abgestufter Gebüren un-
mittelbaren Verkehr von Italien bis nach Wien und ebenso auf
der Donau. Monopolisiert war für die Wiener nur der Handel
nach Ungarn. Allein die Könige Otakar und Rudolf L verwehrten
den wälschen Kauf leuten den Weg über Judenburg hinaus durch
die Privüegien, die sie der genannten Stadt in den Jahren 1276
und 1277 ertheilten. Somit war es schon eine Abschwächung
des strengen Rechts, wenn dem fremden Kaufmann nach Ablauf
einer Frist das Weiterziehen bis zum nächsten Stappelplatz gestattet
wurde, er also nicht zum Verkauf seiner Waren am ümschlagsort
gezwungen war, oder wenn der Stappel nur einzelne Waren traf.
10. Die Vortheile, welche die Bürgerschaft von diesem zwangs-
weisen Vorkaufsrecht erhoffte, hielt man für so beträchtlich, dass
seit dem Schluss des 13. Jahrhunderts die Städte allgemein nach
irgend einem NiederlagsprivUegium trachteten* und viele es auch
wirklich erlangten. Doch war damit der Kreis der Verkehrsbe-
hinderungen während des Mittelalters nicht erschöpft : da bestand
ein ausgedehnter Straßenzwang mit schweren Strafen für jenen,
der von dem vorgeschriebenen Wege abwich, um die zahlreichen
Mautstellen mit ihren verwickelten Zolltarifen, oder eine Nieder-
lagsstätte zu umgehen. Da erhoben mit Erlaubnis des Landes-
» Als ältestes Beispiel gilt das Niederlagsprivilegiran König Rudolfs ffir
Freistadt vom J. 1277 das noch im 17. Jahrhundert in voller Kraft war. Steyer
erhielt 1287 ein auf Eisen und Holz während dreier Tage eingeschränktes Stappel-
recht, Graz ein -allgemeines Niederlagsrecht im J. 1281 u. s. w. Auch Märkte er-
hielten dies Recht, z. B. Imst im Jahre 1282 durch Graf Memhard II. von Tirol.
Maßregeln der österr. Herzoge zur Hebung des Handels. 247
herrn bald diese, bald jene Stadt „Pürfahrtsgebüren", Wege-
gelder von jedem durchfahrenden Wagen oder durchgetriebenen
SaumroBS. Dazu rechne man, um Einblick in die zahllosen Hem-
mungen zu erhalten, welchen damals der Handel ausgesetzt war,
die notorisch schlechte Beschaffenheit der Straßen, die herrschende
Unsicherheit, die als Repressalie übliche Pfändung fremder Kauf-
leute, den Zwang, dass man sich beim Aufladen der Waren der
„Hebergenossenschaff* des Ortes, zur Weiterbeförderung der Vor-
spann mit Ortspferden bedienen musste. Durch das Verbot alles
Handels auf dem flachen Lande, die Zeit der Jahrmärkte ausge-
nommen, wurden Edelmann und Bauer zu Einkäufen an den
privilegierten Orten gezwungen, wurden die Gewerbetreibenden
zum Aufenthalt in Städten und Märkten, sowie zum Eintritt in
die Zünfte genöthigt, wenn sie sich nicht als Bönhasen, Störer
oder Fretter unmöglich machen wollten.
11. Was diese Privilegien an Vortheilen den einen boten,
das brachen sie auf der andern Seite den übrigen Standesgenossen
ab. Da zudem, wie es scheint, im 15. Jahrhundert die Übung
aufkam, dergleichen Begünstigungen nur auf Widerruf zu er-
theilen, so wurde der Gegensatz in den Localinteressen der Bürger
in bedenklicher Weise rege erhalten. Ein Gemeingeist in den Städten
konnte nur erwachen, wo es galt, die Übergriffe eines andern
Standes in den vorbehaltenen Beruf abzuweisen, oder zugemuthete
Auflagen abzuwälzen. ^^ Mit dem festen Zusammenschluss der
landesfürstlichen Städte und Märkte zur Vertheidigung ihrer Inter-
essen wurden sie aber mächtig genug, um ihre Aufnahme unter
die Landstände zu erzwingen. In Tirol gelang ihnen dies schon
unter Herzog Meinhard III. (1362), in den übrigen altösterreichi-
schen Landen erreichten sie das nämliche Ziel später, längstens
aber zu Anfang des 15. Jahrhunderts.
12. Auf die vielumstrittene Frage nach dem Ursprung der
^ Ein ftilhzeitiges Beispiel ist der Bund der drei If. Städte 6t. Veit,
Kla^nfnrt und Vöikermarlct vom 28. Jänner 1386: in gemeinsamen Angelegen-
heiten sollten sich Abgeordnete der drei Städte versammeln, liquide Schulden
wechselseitig exequierbar sein u. dgl. Hermann» Geschichte von Kärnten, I, 2,
6. 325. über eine Emung sämmtlicher Städte und Märkte in Steiermark in den
Jahren 1433—39. s. Beiträge zur Kunde steirischer Geschichtsquellen, Xll, 160.
Städtetag zu Enns im Jahre 1439, vgl. Archiv für österr. Geschichte, Bd. 27, S. 52.
248 Österreichische Reichsgeäohtchte. I. Theil. Zweite Periode. § 36.
deutschen Stadtgemeinde, welche man theils aus der Ertheilung
von Marktfreiheiten, theils aus der Landgemeinde herleiten will,
näher einzugehen, ist hier nicht der Platz. Es genügt, hervorzu-
heben, dass schon die ersten Nachrichten, die wir über die
Verfassungszustände unserer Städte besitzen, ein ausgebildetes
städtisches Gemeinwesen: selbstgewählte Obrigkeiten neben dem
Stadtrichter, Bürgerausschüsse u. dgl. erkennen lassen."
Die oberete Verwaltung der Städte in Österreich ruhte regel-
mäßig in den Händen des Stadtherrn oder seiner Organe. Als
solches erscheint vor allem der Stadtrichter, der für das Stadt-
gebiet je nachdem den Wirkungskreis eines Land-, oder Hofmark-
richters hatte und daher auch die nämlichen Unterbeamten und
Diener wie diese besaß. Anfänglich wurden die Stadtrichter durch
die Stadtherren frei ernannt, späterhin wurde der Bürgerschaft
in den kleineren Städten ein gewisser Einfluss auf die Besetzung
dieses Amtes eingeräumt, der jedoch selbst dann, wenn von freier
Richterwahl die Rede ist, auf ein bloßes Vorschlagsrecht hinaus-
lief, da der Gewählte beim Herzog um Bestätigung und Bannleihe
einkommen musste. Neben dem Stadtrichter gab es nach Bedarf
noch andere Beamte zur Wahrnehmung besonderer Interessen des
Stadtherrn, den Burggrafen oder Stadthauptmann für militärische
Zwecke, Judenrichter, Hansgrafeu, Stadtanwälte u. dgl.
13. Die neuen Verhältnisse, welche das Leben in den Städten
schuf, konnten jedoch weder durch die für Zwecke des Stadt-
herm bestehende öffentliche, noch durch die von den Grundherren
für ihre Grundstücke im Stadtgebiet eingerichtete private Ver-
waltung vollauf berücksichtigt werden. So blieb denn ein großes
Gebiet der Bürgerschaft zur Selbstverwaltung überlassen, welche
anfänglich durch die Gesammtheit, die universitas civium,
besorgt wurde. Später behielt man dieser nur die wichtigsten
Sachen vor und übertrug die laufenden Geschäfte an Ausschüsse
aus den vornehmeren Stadtbewohnern. So waren in Wels schon
im Jahre 1128 dem Stadtrichter in Brückenangelegenheiten vier
cives meliores beigeordnet. Nach dem Ennser Stadtrecht vom
" Die Urkunde Bischof Emhrico's von Wirzhurg für Wels vom Jahre
1128 spricht von einem Brüclcenmeister „quem sanior pars civium in Wels' zu
erwählen hahe. In schwierigen Fällen sei die Entscheidung „per . . . judicem
civitatis et cum eo quatuor cives meliores' zu treffen. U. B. o. E. II, 171.
Die Stadtverwaltung; Stadtrichter, Rath, Bürgermeister. 249
Jahre 1212 hatten sechs fähige und beeidete Bürger (ydoneicives)
nach bestem Willen über allerlei hendl der Chaufmanschäft
und von allen andern dingen die zu er und nutz der stadt
gehörend zu verfügen, ohne dass der Stadtrichter dagegen eine
Einsprache gehabt hätte. Die Wiener Handfeste vom Jahre 1221
gewährt die BUdung eines Stadtrathes von 24 Personen, den
klügsten, die man finde, die sich frei versammeln durften. Zu
Zeiten König Otakar's war dieser Stadtrath in den österreichischen
Städten schon eine allgemeine Einrichtung. Von dem eidüchen
Gelöbnis der Treue gegen den Stadtherrn und der Gewissenhaftig-
keit in der Amtsführung erhielten die Stadträthe (consules),
den Titel cives jurati, geschworner Rath. Die ersten Spuren
einer freien Wahl dieser Geschwomen durch die Gemeinde finden
sich im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts, gleichzeitig dürfte
die Wählbarkeit auf die Classe der Erbbürger eingeschränkt
worden sein, die man später in Hinblick darauf als rathsfähige
Geschlechter bezeichnete.
14. An der Spitze dieses geschwornen Rathes stand anfänglich
der Stadtrichter, viel jünger war das Amt des Bürgermeisters,
magister civium, das unter Herzog Albrecht I. in Wien (um
1288) und Tuln (1297) auftaucht. Konrad der PoUe, der erste
sichere Wiener Bürgermeister, dürfte ursprünglich nur die Leitung
der wirtschaftlichen Angelegenheiten der Stadt in Händen gehabt
haben, so dass ihm bis zum Jahre 1298 nicht nur der Stadt-
richter, sondern auch einzelne Mitglieder des Stadtrathes im Range
vorgiengen. Aber schon wenige Jahre darnach änderte sich seine
Stellung, er verdrängte (vor 1302) den Stadtrichter aus dem
Stadtmarkgericht, das dem geschwornen Rath zur Erhaltung des
Friedens im Weichbüd, zur Aufsicht in Marktangelegenheiten
u. dgl. zustand, und hinterließ so seinen Nachfolgern im Amte die
Führung der Bürgerschaft in städtischen Angelegenheiten. ^^ Die
^^ Eine Geschichte des Bürgermeisteramts in Wien wird erst auf Grund
der vom Wiener Alterthumsverein herausgegebenen Quellen zur Geschichte der
Stadt Wien geschrieben werden Icönnen. Für meine Auffassung bestinmiend
waren vor aUem die Urkunden von 1296 und 1302 im ersten Baude der Quellen,
Reg. 872, 878, dann U. B. o. E. IV, Nr. 296 und 504 von 1298 und 1304. Für
Tnhi, wo aber um die Mitte des 14. Jahrhunderts kein Bürgermeister mehr ge-
nannt wird, vgl. Melly, Beiträge zur Siegelkunde, S. 50 £f.
250 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 36 nnd 37.
Bürgermeisterstelle, die Polle lebenslänglich bekleidete, wurde
später auf zwei bis drei Jahre übertragen, bis eine herzogliehe
Verordnung vom Jahre 1396 die jährliche Wahl des Bürger-
meisters und Rathes durch die ganze Gemeinde vorschrieb.
15. Außer Wien und Tuln gab es frühzeitig Bürgermeister auch
in Wr.-Neustadt, die jedoch dem Stadtrichter noch im Jahre 1329
nachstanden. Für andere Städte in Österreich ob und unter der
Enns sind mir Bürgermeister nicht vor dem 15. Jahrhundert be-
kannt, und gleiches gilt von Innerösterreich und Tirol, ^^ während
wieder andern Städten dies Amt über das Mittelalter hinaus ent-
zogen war und der Stadtrichter das Haupt der Bürgerschaft
blieb. Der Bürgermeister, wo er vorkam, bildete nebst dem Stadt-
richter und dem geschwomen Rathe das s. g. Regiment der
Stadt. Die Quelle aller Gewalt und aller obrigkeitlichen Ämter
ruhte demungeachtet (wenn man von den Rechten des Stadtherrn
absieht) nach wie vor in der Gesaramtbürgerschaft, die jedoch
nur mehr in besonders dringlichen Fällen durch die Volks- oder
Sturmglocke zu allgemeiner Versammlung berufen wurde, während
für gewöhnlich ein zweiter Bürgerausschuss als großer oder
äußerer Rath dem geschwornen innem oder kleineren Rath an
die Seite trat. Diese sowohl zur Selbstverwaltung der Stadt als
auch zur Erledigung gewisser vom Stadtherm ihnen zugewiesenen
Aufgaben berufenen Bürgerausschüsse wurden nach Zeit und Ort
verschieden zusammengesetzt. Der geschworene (innere) Rath
war allmählich wohl überall in die Hände der Vornehmsten aus
der Bürgerschaft gekommen, doch änderte sich dies in der Folge.
Es kam zwar in Österreich zu keinem Zunftregiment wie in den
deutschen Reichsstädten, wohl aber zu einer Beschränkung der
patrizischen Vorrechte durch den Grundsatz der Interessenver-
tretung. Klar und deutlich wird es in der 1396 von den Herzogen
für Wien erlassenen Stadtordnung ausgesprochen, dass im ge-
^^ Die Angaben bei Peinlich, 91, dass Hartberg nnd Judenburg schon
1310 und 1327 eigene Bürgermeister gehabt hätten, beruhen auf einer Verwechs-
lung mit dem- Stadtrichter. Die Reihe der Grazer Bürgermeister beginnt mit
1446, in Brück a. M. 1488, Laibach erhielt erst 1504 die Erlaubnis zur Wahl
eines Bürgermeisters, der zu schwören hatte, «wie in andern unsem Städten
unseres Fürstenthums Steyer geschieht." — Das Sterzinger Stadtbuch angeblich
vom Jahre 1417 handelt u. a. auch vom Bürgermeister.
Innerer und äußerer Rath, die Genannten. 251
Bchwornen Rathe die Erbbürger, Kaufleute und Handwerker in
gleicher Anzahl vertreten sein müssen, damit kein TheU von dem
andern ^überdrungen" werde, wie es denn nicht angehe, dass
Schwiegerväter und Eidame oder Brüder und Vettern den Rath
ausmachen, oder dass darin lediglich die Reichen, die Kaufleute
oder Erbbürger oder 'die Handwerker allein Sitz finden sollten.
Andererorten mag der innere Rath länger in den Händen der
Rathsbürger geblieben sein, doch fehlte auch in solchen Fällen
eine Vertretung der „Gemeine* in Form eines äußern Rathes
keineswegs, wobei man es liebte, der „Gemeine" einen Einfluss
auf die Erneuerung des innern Rathes zu geben und diesem die
Ergänzung des äußern Rathes zu übertragen. Übrigens stand der
äußere Rath in jenen österreichischen Städten, in welchen es als
qualificierte Vertragszeugen das CoUegium der „Genannten** gab,
mit diesem gewöhnlich in enger Verbindung, weil zu „ Genannten **
ohne Beschränkung der Wahlfähigkeit auf eine bestimmte Classe
überhaupt die getreuesten und weisesten der Bürgerschaft aus
allen Theilen der Stadt gewählt werden sollten.
§ 37. Der Baaernstand.
Dimitz, Die Edünger im Sägor, Mittheil, des hist. Vereines für Krain,
1864. — Hasenöbrl, 88. — Heusler, Institutionen des deutsclien Privatrechts, I,
181 ff. — Hnher A., Reichsgeschiehte, 49. — Hueber, Darstellung der bis zum
Jahre 1848 in Kärnten bestandenen Unterthansverbältnisse. Archiv des hist.
Vereins für Kärnten, VIII (1863). — Jäger, I, 537. — Peinlich, Zur Ge-
schichte der Leibeigenschaft und Höriglceit in Steiermark, 1881. — Schröder,
Reichsgeschichte, § 42, 5, 6. — W alt z, Verfassungsgeschichte, V, 185 ff.
1. Der Ausdruck Bauer, rusticus, bürgerte sich im 13. Jahr-
hundert zur Bezeichnung des Landwirtschaft treibenden Klein-
grundbesitzers ein. Doch hatte die Bauernschaft in den altöster-
reichischen Landen während des Mittelalters kein einheitliches
GefUge, sondern ließ bei starker Mischung der Volksangehörigkeit
zahlreiche Unterschiede wirtschaftlicher wie rechtlicher Art er-
kennen. Es gab die Gegensätze von reich und arm, von frei und
unfrei, und die Umstände, unter welchen die Besiedlung des
Landes vor sich gegangen war, bewirkten es, dass unter den
Bewohnern einer größeren Gegend nur selten eine einzige —
deutsche, slavische oder romanische -— Mundart herrschte, oder
ein und dasselbe Recht zur Anwendung gebracht wurde.
252 Osterreiclüsühe Beichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 37.
2. Ungeachtet der großen Einbußen, welche der Stand der
freien Kleingrundbesitzer durch die geänderten Lebensverhäitnisse
im Laufe der Jahrhunderte erfahren hatte, war es doch einigen
wenigen gelungen, die Unabhängigkeit ihrer Person und ihres
Besitzes bis ins spätere Mittelalter zu erhalten. Diese waren dann
nach Verlust der WaflFenf ähigkeit ^ zu freien Bauern geworden;
die weitere Entwicklung war freilich nach Ländern verschieden.
In Österreich gab es noch am Ende des 13. Jahrhunderts manchen
reichen Bauer, der durch Ankauf freier Ländereien sein Besitz-
thum mehrte und durch Heiraten mit dem Ritterstande empor-
kommen wollte, aber Landherren und Ritter traten diesen Bestre-
bungen mit Erfolg entgegen. Bei der Revision des österreichischen
Landesrechts wurde ausdrücklich das Verbot aufgenommen, das
furbas kain gebuer kain aigen niht kaufe {§ 50) und der kleine
Lucidarius (VIII, v. 155) will selbst dem freien Bauern nicht mehr
als Burgrecht an Grundstücken zugestehen. Während nun in Öster-
reich wie in Steiermark und Kärnten^ der freie Bauernstand oder
mindestens der freie bäuerliche Grundbesitz bis auf wenige Frei-
sassen allmählich untergieng,' fand derselbe in Tirol seit Meinhard IL
an den Landesherren eine Stütze. Eine Reihe von Bauernhöfen er-
scheint hier mit landesfürstlichen Freibriefen ausgestattet.* Der
Volksmund bringt sie mit der von den Besitzern dem Herzog Fried-
rich IV. bewiesenen Treue in Verbindung ; sie müssen jedoch zum
Theil andern Ursprungs sein, da einige bis in die Mitte des
^ Bis ins 13. Jahrhundert werden Freie erwähnt, die sich oder ihre An-
gehörigen gegen Übernahme der Zinspflicht in den Schutz der Kirche stellten. Dass
sich unter ihnen auch Kleingrundbesitzer befanden, ist sicher, z. B. »Heinricus
de Puchkyrchen homo libere condlcionis tradidit se super aram, s. Pancratii
Martyrls (Ranshoten) ad censum 5 ^ . . . insuper predium suum in Rute positum
eidem martiri delegavit (ums Jahr 1180)". Ü.-B. o. B., I, 239.
2 Herzog Bernhard schenkt 1213 dem Kloster Victring 12 Hüben zu Himmel-
berg „cum rusticis liberis, seu ipsis super manentibus". Ankershofen, Rg. 713.
^ Ältestes Beispiel einer vom Landesherm anerkannten Freisässigkeit ist
der Brief Herzog Emst's für die Hüben des s. g. Herzogbauers Gregor Schatter
in Kärnten, die von aUer Steuer und Dienstpflicht gefreit wurden. Die Steuer-
freiheit erlosch 1823 mit dem Aussterben des Geschlechts. Hu eher, VÜI, 13.
* So besaß der Fineilerhof die Befreiung von gemeiner Obrigkeit, der
Rofnerhof das Asylrecht, die Goldecker Freisassen hatten den Gerichtsstand des
Adels, andere die niedere Jagd u. s. w. Ladurner, im Archiv für tirol. Ge-
schichte, V, 112; Tille, 112, s. auch Lamprecht, V, 84.
Freie Banern: zn Raxendorf; die Edlinger in Innerösterreich. 253
14. Jahrhunderts zurückreichen. Mit dem Anfang des 15. Jahr-
hunderts hob sich überhaupt bei augenscheinlicher Rückwirkung
der Vorgänge in der Schweiz die Stellung der freien Bauern in
Tirol. Ihre Aufnahme unter die Landstände war entschieden, als
die große Adelsvereinigung vom Jahre 1408, um ihren Rückhalt
im Lande zu stärken, auch die freien Landgemeinden neben den
Städten zum Eintritt in den Bund einlud.
3. Privüegierte Bauemgemeinden in eigenthümlicher Mittel-
stellung zwischen Freiheit und Abhängigkeit kamen auch außer-
halb Tirol vor. Die beste Stellung unter diesen hatten wohl die
60 Freien von Raxendorf bei Pöggstall im Lande unter der Enns.
Sie bildeten unter einem selbstgewählten Richter ein eigenes Land-
gericht, hatten im Dorfgebiet freie Jagd und fürstliche Freiung
(Asylrecht) und bezahlten von ihren ausdrücklich als „Aigen" be-
zeichneten Gütern nur mäßige Vogteiabgaben. Es ist möglich,
dass in den Freien von Raxendorf der Überrest einer alten freien
Bauerngemeinde fortlebt, die sich als solche durch die landes-
fürstliche Anerkennung ihres Herkommens^ erhalten konnte. Da-
gegen waren die slavischen Edlinger in Untersteiermark, Kärnten
und Krain ursprünglich wohl hörige Bauerngemeinden, denen aber
der Landesfürst als Grundherr hinterher durch besondere Freiheits-
briefe einzelne Lasten der Hörigkeit abgenommen und dafür
kriegerische Leistungen auferlegt hatte.® Die Edlinggüter könnten
vielleicht als bäuerliche Form von Burglehen bezeichnet werden,
wie denn die Edlinger von Tüchern in Kriegsgefahren mit ihren
Waffen zur Vertheidigung des Schlosses Obercilli erscheinen
mnssten. Da die Edlingergemeinden Immunitätsbezirke bildeten
und unter selbstgewählten Richtern standen, ein eigenes Siegel
* Gedruckt bei Reil, Das Donauländchen, 1835, S. 368.
^ Muchar, Geschichte Steiermarks, Vllf, 426. Solche Edlinger gab es
n. a. in Tüchern wohl von der Zeit der Grafen von Cüli her, zu Mosburg und
im niedem Amt zu Stain in Kärnten, femer in Krain zu Sagor, im Amte Kreuz,
8igesdorf, Rohenberg, s. Agnes na Breziech, zu Presterjach (schon 1341), zu
Langenacker unter Weichselberg. Diese letzten vermochten, »umb ir berumbte
gerechtigkait des Edelthumbs kainen Schain so von den . . . Fürsten von Öster-
reich, Patriarchen von Aglem oder den gewesten Grauen von Cilli ausgangen'
vorzubringen und sollten darum 1573 mit einem gebürlichen »Gold- und Traid-
dienst" in das neue Stockurbar einverleibt werden, wogegen der Vitzthum von
Laibach bittliche Vorstellung erhob. Dimitz und Statthaltereiarchiv in Graz.
254 Österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 37.
fuhren konnten, die Frohnden und Abgaben auf ein geringes Maß
herabgemindert waren u. dgl., so konnte ihre Lage im Vergleich zu
der Umgebung immerhin für beneidenswert gelten. Unter besonders
günstigen Umständen vermochten einzelne selbst zur Freisässigkeit
emporzusteigen, wie z. B. der früher erwähnte Herzogsbauer, der zu
den Edlingern aus dem niedern Amt zu Stain in Kärnten gehörte.
4. Die hörigen Bauern sind meistens aus zinspflichtigen Leuten
(Censuales) und den Barschalken (§ 12, 12) hervorgegangen. Er-
gebungen von Freien in Zinspflichtigkeit, weU sie sich ohne den
Schutz eines Mächtigen nicht zu behaupten wussten, kommen
bis ins 13. Jahrhundert vor,*^ ebenso auch Freilassungen von
Knechten unter Auflage eines Zinses.^ Tiefer als die Censualen
standen die Barschalke, die auf fremdem und daher auf zins-
pflichtigem Grunde lebten und mit diesem veräußert werden
konnten.® Der Name Barschalk verschwindet übrigens gegen Ende
des 12. Jahrhunderts, während das Verhältnis selbst fortdauerte,
nur dass man solche Bauern jetzt als „Coloni'', Holden, Grundholden,
in Tirol „Bauleute* oder schlechtweg als , Hörige* bezeichnete.
5. Die unfreie Bauernschaft war theUs aus unfreien Knechten
hervorgegangen, die der Herr dauernd angesiedelt hatte, theils
aus Hörigen, die zum Stande der Unfreiheit herabgedrückt worden
waren. Durch das Hof recht hatten sie im Laufe der Zeit eine be-
schränkte Rechtsfähigkeit gewonnen, kirchlicher Einfluss hatte die
Anerkennung ihrer Ehen durchgesetzt und die Bestimmung in die
Rechtsbücher gebracht, dass die Tödtung des eigenen Knechts
durch seinen Herrn strafbar sei. Demungeachtet war die Gewalt,
die dem Herrn über seine unfreien Bauern zustand, so groß, dass
sie geradezu als sein Eigenthum galten und seine eigenen Leute,
"^ Melker Tradition aus den Jahren 1204 bis 1212 .. . huius muUeris
Adelheidis parentes, cum essent omnino liberi et nobilos et null! unquam homi-
num jure famulatus subjacuerint, obtulerunt se Deo ... ad censum 5 h*^ . . . ut
8i quis eos voluerit subjugare apud supra memoratos sanctos domum rofugii
inveniant. Koiblinger, Melk, S. 1137, Nr. 5. Ein Beispiel aus dem Jahre 1293,
Ü.-B. 0. E., I, 418, Nr. 274.
^ Freilassungen ad censum 5 ^ aus den Jahren 1263 bis 1267. U.-B.
0. B. I, 416/7, Nr. 268/9.
^ . . . X houbas censuales, que vulgariter Parscalches houba dicuntur. c. 1030.
Mon. B. IX, 359. — Femer a. a. 0. VII, 67, und die für die Stellung der Bar-
schalke wichtige Reichersberger Tradition von c. 1180, Ü.-B. o. B. I, 377, Nr. 175.
Unfreie und hörige Bauern. 255
homines proprii, hießen. Wann der Ausdruck leibeigen statt
des schon im österreichischen Landesrecht vorkommenden »aigen
man'' bei uns aufgekommen ist, lässt sich schwer sagen, doch
war er zu Anfang des 16. Jahrhunderts schon üblich; älter scheint
die gleichwertige Bezeichnung Erbhold zu sein.^°
6. Ein Recht auf den ihm vom Herrn tiberlassenen Boden
hatte der Leibeigene ursprünglich nicht, oft genug werden Un-
freie noch im IL und 12. Jahrhundert ohne Grundstücke ver-
kauft, vertauscht, verschenkt, zu Lehen gegeben u. s. w., doch
kommen frühzeitig auch Knechteshufen, mansi serviles, vor,
die in der Regel mit den darauf befindlichen Eigenleuten ver-
äußert worden sein dürften. Dies kam nun der Stellung der
angesiedelten Unfreien zu statten, denn die Abgaben und Dienste,
die der Herr früher von ihnen selbst ungemessen fordern konnte,
erschienen nun auf den Grund und Boden gelegt. Damit trat aber
die Bedeutung der freien oder unfreien Herkunft, welche vorher
die Standesunterschiede bestimmt hatte, in den Hintergrund, weil
die das Herrenrecht bildenden Leistungen nun die Natur ding-
licher Lasten angenommen hatten und daher vom jeweiligen
Inhaber des Gutes, mochte er nun frei oder unfrei sein, eben-
mäßig gefordert werden konnten.
7. Wohl blieben für die leibeigenen Bauern noch immer
persönliche Beschränkungen übrig. Ohne Zustimmung seines Herrn
durfte er sich von dem anvertrauten Grunde nicht entfernen; sein
mitgenommenes Gut konnte ihm, wie es im steirischen Landrecht
(Art. 120) heißt, auf offener Straße von jedermann straflos wegge-
nommen werden, und selbst die Mauern einer Stadt sollten ihn erst
nach einiger Zeit vor der Auslieferung an seinen Herrn schützen."
Ebensowenig stand ihm die Wahl seiner Ehegenossin frei. Es
werden zwar in unsern Gegenden, die anderwärts Beddemund,
vadimonium, maritagium u. dgl. genannten Gebüren für die Heirats-
^^ Im Gegensatz zu den Hörigen oder Holden schlechtweg hat der Erb-
bold einen Herrn, dem er erblich, d. 1. durch seine Geburt an angehört. Der
Ausdruck findet sich schon im Obdächer Stiftsrecht vom Jahre 1891. — Österr.
Weisthümer, VI, 274/5.
^^ Nach dem Stadtrecht von St. Leonhard im Lavantthal vom Jahre 1325
erlangte jeder Unfreie nach einjährigem Aufenthalt das Recht, sich um 60 J^
von seinem Herrn zu lösen.
256 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 37.
erlaubnis nicht erwähnt, allein schlechtweg gestattet waren nur
Ehen mit Leuten desselben Herrn, sofern nicht besondere Ab-
machungen bestanden.** Was die Unfreien hatten, besaßen sie
durch Herrengunst, und da sie eigenen Vermögens nicht fähig
waren, so fiel ihr Nachlass an den Herrn zurück, w^enn sie ohne
einen zum Hofe gehörigen Leibserben starben.*®
8. All diese Beschränkungen der Eigenleute verringerten sich
im Lauf der Zeit, theils weil die Freilassung von Knechten unter
Auflage bleibender Zinspflicht das ganze Mittelalter hindurch an-
hielt, theils weil die Annäherung an den Stand der Halbfreien
überhaupt fortdauerte. Mit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts
scheint die eigentliche Leibeigenschaft, abgesehen von Vorarlberg,
wo sie noch bestand, in den übrigen altösterreichischen Landen
schon ziemlich erloschen zu sein. Die Bauern, soweit sie nicht
als Freisassen davon ausgenommen oder sonstwie privilegiert
waren, zählten nun zur Classe der „herrschaftlichen Unterthanen*,
d. h. sie waren der grundherrlichen Gewalt, die sich auch als
Gerichtsbarkeit äußerte, unterworfen. Die Ausgleichung aber hatte
sich auf Kosten der früheren Halbfreien in der Art vollzogen,
dass die Lage dieser Unterthanen etwa die Mitte zwischen den
früheren Unfreien und den Halbfreien einhielt. Alle ^Unterthanen*
saßen nun auf herrschaftlichem Grund; je nach dem Nutzungs-
rechte, das sie daran hatten, und nach ihren Diensten und Abgaben,
die jetzt die Natur dinglicher Lasten angenommen hatten, war
aber ihre Stellung gegenüber der Herrschaft verschieden.
9. Am besten daran waren nun jene Bauern, die herrschaft-
lichen Grund mit dem Recht der Vererbung und freien Veräußerung
zu Burgrecht, Kaufrecht, Baurecht u. dgl. besaßen und daher
Freizügigkeit hatten. Sie schuldeten der Herrschaft festgesetzte
^^ So erlaubton z. B. im Jahre 1139 Erzbischof Konrad von Salzburg und
das Kloster Admont Wechselheiraten zwischen Ihren Unfreien und bestimmten,
dass die Krau mit ihrer Nachkommenschaft in das Eigenthum jenes Herrn, dem
der Mann gehörte, übergehen solle. U.-B. f. St. I, 184, Nr. 178.
^> Im Jahre 1379 war solch ein Eigenmann des Klosters Nonnberg nach
seinem Wunsche im Peterskloster zu Salzburg begraben worden, dem er sein
Vermögen vermacht hatte. Dagegen trat nim die Äbtissin auf ... et qoia idem
erat proprius monasterii Nunburgensis pretendebat eum nee habuisse potestatem
sepulturam eligendi, nee potestatem . . . bona sua temporalia testandi . . . Der
Streit wurde mit Mühe beigelegt. Ann. Mattseenses, Mon. Genn., Ss. DC, 839.
Besitzrechte und Verpflichtungen der Bauern. 257
jährliche Abgaben, und wenn keine Ablösung eingetreten war,
auch gemessene Frohnden,^^ ferner beim Besitzübei^ang unter
Lebenden oder von Todeswegen Gebüren, deren Größe je nach
dem Ortsgebrauch und dem Besitztitel verschieden war.
Die große Mehrzahl der Bauern musste sich mit schwächerem
Recht begnügen. Verhältnismäßig noch gut gestellt waren jene,
die ihr Gut zwar vererblich, doch ohne die Befugnis, es zu ver-
äußern, besaßen, während der Anspruch der übrigOD, selbst wenn
kein einfacher Zeitpacht vorlag, als Freirecht, Freidienst, Freistift
u. dgl. längstens mit dem Tode des Besitzers erlosch. Die Freiheit
war also hier auf Seite des Herrn, der in einzelnen Fällen die
Verleihung schon bei Lebzeiten des Nutznießers widerrufen konnte,
und in dessen Gnaden es jederzeit stand, ob er der Witwe oder
den Erben den Grund ferner belassen wollte. An die frühere Un-
freiheit erinnerten die Frohnden, die der Herr von diesen Bauern
oft nach eigenem Bedarf, also ungemessen fordern durfte, femer
das Besthaupt (Sterbvieh, Sterbochse), das im Falle der Vererbung
als Abfindung der ehedem noch weitergehenden Forderung dem
Grundherrn geliefert werden musste. ^^ Trat jedoch Heimfall ein,
80 konnte der Herr immer noch einen aliquoten TheU der nach-
gelassenen Habe, gewöhnlich ein Drittel beanspruchen. ^*
10. Ziemlich allgemein hatte das Interesse der Grundherren
Beschränkungen ihrer Unter thanen bei Heiraten und in der Frei-
zügigkeit durchgesetzt. Wer ohne vorgängige Erlaubnis sich nach
auswärts verheiratete, dem drohte meist der Verlust seiner
Nutzungsrechte. Wer kein frei veräußerliches Recht am Grunde
1^ Vermerkt die nucz gtilt und robat zu dem Schachentum bey Soheufling
(c 1500). Die Besitzungen werden als kaufrecht, freyrecht, purkrecht bezeichnet,
am Sctilusse heißt es: Dye obgeschriben lewt all dienen kain robat, dann
ir robat, so sy. järlich tuen sollen, ist in geslagen ip gelt ain yedem in seiner
summa yorgeschriben. — Wien, Hofkammer Archiv, M. 239.
^^ 1209 verzichtete die Äbtissin von Sonnenburg auf ihr Recht, ,ut defuncto
quodlibet colono tota facultas ejus in duas aequas divlderetur partes, quarum
altera cederet ecclesiBB altera viduae defuncti et orphanis relinqueretur" und be-
gnügte sich mit dem landesüblichen Sterbeochsen. Hormayr, Beitr. I, 2, S. 168.
1^ In Krain beanspruchten die Bischöfe von Freising 1291—1318 als ge-
wöhnliche Todfallsgebür den Sterbochsen und das beste Jungschwein. Blieb aber
die Witwe nicht auf der Hube, so wurde der bewegliche Nachlass in drei Theile
getheilt und so dem Bischof, dem Seelenheil des Verstorbenen und den Erben
zugewiesen. Urbare in D. et A. XXXVI, 191.
Las Chi n, Osterreichische Reichsgeschichte. 17
258 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Zweite Periode. § 37.
besaß, der hatte keine freie Orts wähl ^^, dem war es nicht bloß
verwehrt, „sich unter eine fremde Herrschaft zu ziehen", d. h. aus
dem grundherrlichen Gebiet auszuwandern, sondern er durfte
auch innerhalb desselben nur auf den ihm angewiesenen Grunde
„stiftlich und baulich" sitzen, damit keine Verödung eintrete.
An diesem Satz hielt man in Steiermark so fest, dass man den
Bauern nicht einmal den Besitz von Wohngebäuden in den Wein-
gärten gestattete, „wann ez nur den hüben schad**.^®
II. Ein allgemeines Verbot, das seit dem Mainzer Landfrieden
von 1235 oft wiederholt wurde, betriflFt die Haltung von Mund-
leuten. Damit war nicht jedes Schutzverhältnis verboten, sondern,
wie der Wiener Landfriede vom Jahre 1276 ausführt, nur ein
solches, das sich gegen den eigenen Herrn des Schützlings kehrte.^*
Trotz der hohen Strafsätze, die angedroht waren, ließ sich die
Mundmannschaft oder Vogtei, wie sie später hieß, nicht ausrotten,
namentlich war sie in Krain so stark verbreitet, dass sich z. B.
dem Engelhard von Auersberg in den Jahren 1456/58 nicht weniger
als 78 Personen in die Vogtei ergaben. Infolge einer Landtags-
beschwerde befahl daher Kaiser Maximilian im Jahre 1509 seiner
Regierung, zu verhindern, „dass durch etlich unser Landleut und
unsern Vitzthum und Pfleger fremde erbaigen Lewt und Holden
in Vogtei, Schirm und ander Weg aufgenommen, gesidelt und vor-
gehalten werden," doch ohne Erfolg. Der Unfug dauerte fort,
obwohl das gleiche Gebot nicht bloß vom Kaiser, sondern auch
von seinem Nachfolger wiederholt eingeschärft wurde.
^'* Die Unterthanen, denen die Freizügiglteit vertragsmäßig gegen Zinson?
zugestanden wurde, hießen in Steiermark Freileute. — 1380 bekundet ein Neu-
markter Bürger, „daz wir . . . Hainreichen . . . ganz und gar ledig lazzen haben
vreirechts der unser geböm vreiman gewesen ist nach dem gut, daz gelegen
ist daz Perchach" gegen Zahlung von 5 Pfd. 60 ^ . 1454 bekundet ein Höriger,
„das ich mit willen meiner erb^erren zogen pin von in under den edein . . .
Jörgen Wilthowser" und verspricht und verbürgt hieftir jährlich 24 ^ zu zahlen.
Steirisches Landes-Archiv, Urkunden Nr. 3386c, 6490a.
1» Steir. L.-R. A. 202 und Reformation der Landhandfeste 1445.
^^ Im Jahre 1333 wurde die Burg Weissenegg in Kärnten verkauft: mit
aygen leuten, mit edeln leuten und unedeln leuten, die darzue gehörent, mit vogt-
leuten, mit edlingen, mit muntleuten, swo die gesessen sind in den gerichten.
Steirisches Landes-Archiv Nr. 2u46a.
Österreich im Zeitalter Kaiser Maximilian's I. 259
m. Periode : Der Übergang vom Mittelalter zur
Neuzeit.
(1493 — 1526.)
§ 38. Geschichtlicher Überblick.
Bachmann A., Deutsche Reichsgeschichte im Zeitalter Friedrich's III.
nnd Maximilian's. 2 Bde. — Haber, Osten*. Geschichte, III, 266 ff. — Janssen,
Geschichte des deutschen Volkes, I. — Krön es, II, 493 ff. — Lamprecht,
Deutsche Geschichte, V. — Mayer Franz M., I, 258 ff. — Ranke, Deutsche
Geschichte im Zeitalter der Reformation, I. — Ulm an n, Kaiser Maximilian I.,
2 Bande.
1. In das Menschenalter von 1493 — 1526 fällt der Übergang
von den mittelalterlichen Einrichtungen der altösterreichischen
Lande zu einem wesentlich erweiterten und nach den Forderungen
einer neuen Zeit verwalteten Staate. Noch unter Kaiser Friedrich III.
waren die Erblande eine lose Anhäufung von vielen Gebieten,
die nur in der Person des Regenten ihre Vereinigung fanden.
Mit dem Regierungsantritt seines Nachfolgers begannen sofort
zielbewusste Veränderungen in der Verwaltung, um eine zeit-
gemäße Umstaltung des ganzen Staatswesens herbeizuführen. An
diesem Gedanken hielt Kaiser Maximilian sein ganzes Leben hin-
durch fest, nicht aber an den gewählten Formen, die sein beweg-
lieber Geist oft vorschnell aufgab, um sie durch andere zu er-
setzen. Immerhin hatten sich bis zu seinem Tode manche Ein-
richtungen schon so eingelebt, dass Erzherzog Ferdinand an ihnen
bei seinem Regierungsantritt festhielt und sie weiter ausbildete.
So waren die altösterreichischen Erblande auf dem Wege, sich zu
dem größten und bestverwalteten deutschen* Staatskörper im
deutschen Reiche zusammenzuschließen, als der unerwartete An-
fall von Böhmen und Ungarn mit einem Schlage die Stellung des
Erzherzogs von Grund aus veränderte und ihm neue Regenten-
aufgaben anwies, die im Laufe der Entwicklung zum heutigen
Kaiserthum Österreich geführt haben. Daher bildet die Regenten-
tliätigkeit Kaiser Maximilian's mit den wenigen Jahren, die sein
17*
260 Österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Dritte Periode. § 38.
Enkel regierte, ehe er König der Naehbarreiehe wurde, einen so
wichtigen Abschnitt im Leben des Kaiserthums, dass sie in der öster-
reichischen Reichsgeschichte selbständig behandelt werden muss.
2. Maximilian I. besaß, als er mit 34 Jahren zur Herrschaft
in seinen Erblanden gelangte, schon reiche Regentenerfahrung.
8ein Vater hatte ihn allerdings zeitlebens nur wie einen Sohn
vom Hause behandelt und ihm nie mehr als die Grafschaft
Cilli eingeräumt, „denn das Übrige werde er doch Zeit genug
bekommen*'.^ Dagegen hatte Maximilian die bestverwalteten Lande
Europas, das reiche Erbe seiner Gemahlin, der burgundischen
Prinzessin Maria, seit 1477 genau kennen gelernt und später
als Vormund seines Sohnes Philipp durch viele Jahre beherrscht,
ferner, seit seiner Wahl zum römischen König (1486) die Geschicke
des deutschen Reichs mit Glück geleitet. Mit dem Jahre 1490
erhielt er Gelegenheit, seine Regentenfähigkeiten auch in den alt-
österreichischen Landen zu bethätigen. Mitte März d. J. hatte ihm
Erzherzog Sigmund durch seine Streitigkeiten mit der Landschaft
ermüdet, die Herrschaft über Tirol und die Vorlande unter Vor-
behalt einer Jahresrente abgetreten. Drei Wochen später benützte
Maximilian den plötzlichen Tod des Königs Mathias Corvinus
(f 6. April 1490) nicht bloß zur Wiedereroberung der von den
diesem in den fünf n.-ö. Landen besetzten Orte, sondern auch zu
einem kräftigen Vorstoß nach Ungarn, wo er alte Ansprüche
seines Hauses auf die Stephanskrone zur Geltung zu bringen suchte.
Den anfänglichen Erfolgen des Feldzugs entsprach der Aus-
gang keineswegs. Die Priedensbedingungen, welche über Drängen
des Kaisers am 7. November 1491 zu Pressburg mit dem von
den Ungarn zum Herrscher erkorenen böhmischen König Vladislav
vereinbart wurden, stimmen fast genau mit jenen überein, unter
welchen der Kaiser 1463 mit König Mathias Frieden geschlossen
hatte. Zwar durfte .Maximilian den Titel eines Königs von Ungarn
auch ferner führen, allein der Besitz des Reiches sollte Vladislav
und dessen ehelichen, männlichen Nachkommen zustehen und erst
nach deren Absterben die Habsburger „ipso facto" zur Herrschaft
in Ungarn berufen sein. Eine Verbesserung gegen früher war nur
dadurch eingetreten, dass die Friedensbedingungen, insbesonders
auch der Artikel über die vorbehaltene Nachfolge Maximilian's
1 Ranke, I, 65.
Regierungsantritt in Tirol und den n.-ö. Landen. 261
und seiner Erben am 27. März 1492 die feierliche Zustimmung der
Stände von Ungarn, Siebenbürgen, Croatien und Slavonien erhielten.
Die friedlichen Beziehungen, welche so zwischen den Habs-
burgern und den jagellonischen Herrschern in Ungarn und Böhmen
geknüpft worden waren, blieben fortan bestehen. Kaiser Maximilian
hat nicht nur dem Könige Vladislav thatkräftigen Beistand gegen
die Umtriebe des ehrgeizigen Johann Zapolja geleistet (1505/6),
sondern auch im Jahre 1515 jene Doppelheirat zwischen seinem
und dem jagelionischen Hause beredet, deren volle Bedeutung
nach der Unglücksschlacht bei Mohacs 1526 offenbar wurde.
3. Der Tod Kaiser Friedrich's HI. am 19. August 1493 er-
öffnete dem Könige die Herrschaft in den übrigen habsburgischen
Erblanden: Österreich, Steiermark, Kärnten, Krain und Istrien.
Die schädlichen Folgen der Ländertheilungen erschienen beseitigt
und Länder von mehr als 3000 Quadratmeilen Fläche, die fast
den ganzen Süden und Westen Deutschlands bedeckten, gehorchten
nun einem Herrscher, der gleichzeitig die Krone des deutschen
Reiches trug. Maximilian säumte nicht, diesen Länderbesitz noch
zu er weitem und zu verdichten. Dazu hatte schon der Krieg
vom Jahre 1490 Anlass gegeben, indem nach dem Friedens-
schlüsse von den Ungarn auch jene salzburgischen Besitzungen
geräumt wurden, die ihnen Erzbischof Bernhard im Kampfe gegen
Kaiser Friedrich III. als feste Stützpunkte überlassen hatte. Wohl
gelangten diese gemäß dem am 29. November 1482 bei der Ab-
dankung des Erzbischofs getroffenen Abkommen größtentheils
wieder an das Erzstift zurück ; einzelne Orte hingegen verblieben
dem Kaiser, so das militärisch wichtige Pettau, das jedoch 1506
als Pfand für 20.000 Goldgulden dem Hochstifte wieder einge-
räumt wurde. 2 Noch wichtiger war der durch Erb vertrage seit
dem 14. Jahrhundert vorbereitete Anfall der Grafschaft Görz
^ Mayer F. M., Abdankung des Erzbischofs Bernhard von Salzburg.
Beilage 22. (Archiv f. österr. G., Bd. 55, S. 244.) ~ Am 16. März d. J. ver-
pfändete König Maximilian dem Andre von Weißpriach die Hauptmannschaft
und das Vitzthumamt über das salzburgische Leibnitz. Am 17. Mai 1492 er-
hielten Richter und Rath zu Pottau vom Kaiser das Gericht, Ungeld, die Mauth
u. s. w. auf ein Jahr zur Verrechnung. Mitth. des bist. Ver. für Steiermark, XI,
252, Nr. 931, 937. — Zur landesfürstl. Kammerstadt wurde Pettau 1565 durch
Rückzahlung der Pfandsumme an Salzburg. Bischoff in S. B. 113, S. 701.
262 Österreichische Reichsgeschichte. I. Thoil. Dritte Periode. § 38 und 39.
(§ 15, 6) nach dem Tode des letzten Grafen Leonhard (f 12. April
1500). Die Landbrücke zwischen Kärnten und Tirol und ein
eigener Zugang nach der friaulischen Ebene kamen dadurch in
die Hände Maximilian's. Bald darauf (1505) brachte ihm seine
Vermittlung im bayerischen Erbfolgestreit die Städte und Gerichte
Kufstein, Kitzbüchel, Rattenberg und den bayerischen Antheil des
Zillerthals zu, während der im Jahre 1508 gegen Venedig begonnene
Krieg bei seiner Beendigung zu einer militärisch haltbaren Be-
grenzung von Südtirol führte und dem Lande Tirol außer Riva,
das an den Bischof von Trient kam, die Stadt Roveredo, die s. g.
vier Vicariate und die Gebiete von Cortina d' Ampezzo, Peutel-
stein u. s. w. anschloss.
4. Die Regierungsacte des Kaisers Maximilian, soweit sie
die Umgestaltung der Verwaltungseinrichtungen und sein Ver-
hältnis zu den Landständen der Erblande betreffen, werden in
den §§ 39 und 40 besprochen werden. Jene hingegen, die sich
auf sein Verhältnis zum Deutschen Reich und sein Eingreifen in
die europäische Politik beziehen, können hier nur soweit Gegenstand
der Darstellung sein, als sie von unmittelbarer Rückwirkung auf die
österreichischen Lande waren. Darum genügt es, hervorzuheben,
dass die burgundischen Angelegenheiten oft genug in die Ausfüh-
rung der Pläne Kaiser Maximilian's hindernd eingriffen^ namentlich
seitdem die Herrschaft sein Sohn Philipp und später sein Enkel
Erzherzog Karl persönlich übernommen hatten, wie denn beispiels*
weise die Rückerstattung von Verona an die Republik Venedig
dem Kaiser durch die burgundischen Räthe aufgedrängt \iiirde,
welche 1516 den Frieden von Noyon herbeiführten, um selbst
Ruhe vor Frankreich zu haben.
Die im Jahre 1495 verabredete und in den beiden nach-
folgenden Jahren zur Ausführung gebrachte Doppelheirat zwischen
den Kindern Maximilian's und des spanischen Königshauses brachte
den Erzherzog Philipp im Jahre 1506 auf den Thron von Kastilien
und dessen Sohn Erzherzog Karl 1516 auf den Thron des ver-
einigten Spaniens. Weniger glücklich war hingegen MaximUian's
zweite Ehe mit Bianca Maria Sforza, mit der er sich je länger
je weniger verstand, auch* verwickelte ihn diese Heirat in die
mailändischen Wirren, denen allerdings Maximilian schon um der
Ansprüche des Reiches willen nicht hätte fern bleiben können.
Erwerb von Görz, Abrundung Tirols, Fehlschlagen anderer Pläne. 263
5. Die politischen Pläne des Kaisers, häufig ungenügend vor-
bereitet und mit unzureichenden Mitteln unternommen, missglückten
oft, aber die Schuld lag doch weniger an ihm, als an jenen, die
ihn trotz der Zusagen nicht genügend unterstützt hatten. Es ist
ein eigenthümliches Schauspiel, dass Maximilian, die volksthüm-
lichste Erscheinung seiner Zeit, bei Fürsten und Ständen so wenig
Verständnis für seine Absichten fand. Der Kaiser, der sich mit
dem Wahlspruch: ,Mein' Ehr' ist deutsch und deutsch mein' Ehr'"
aus ganzer Seele den Aufgaben des Gesammtwohls widmete und
unablässig bemüht war, die deutsche Volkskraft von innerem
Hader auf hohe nationale Ziele zu lenken,^ fand bei dem Reichs-
tag so wenig Entgegenkommen, dass er mehr als einmal in die
bittersten, berechtigten Vorwürfe ausbrach. Die Kriege, die er um
des Reiches Ehre und Frommen gegen Frankreich und Venedig
führte, verliefen unglücklich. Sein Lieblingsgedanke, die Türken
zur Sicherung des Reiches und der Erblande aus Europa zu ver-
treiben, gelangte weder 1493 noch später (z. B. 1517) zur Aus-
führung. Die Umwandlung Tirols in ein Kurfürstenthum, das er
seinem Sohne Philipp überlassen wollte, vereitelte (1504) der
Widerspruch der Kurfürsten. Nicht minder vergeblich erwiesen
sich 1518 seine Bemühungen, als er seinem Enkel, dem König
Karl von Spanien, die Nachfolge im Reich verschaffen wollte.
Wohl aber hat der Kaiser Triumphe auf ander m Gebiet gefeiert
und durch seine schöpferische Umgestaltung der Verwaltung dem
Reiche, wie den einzelnen Reichslanden neue Bahnen eröffnet.
§ 39. Kaiser Maximilian's ümgestaltang des Behördenwesens
und der Terwaltang.
Adler S., Die Organisation der Centralverwaltung unter Kaiser Maximilian I.
1886. — Bidermann. Geschichte der landesfürstlichen Behörden in und für
Tirol. 1490—1749. Innsbruck 1867. -- Pellner Th., Zur Geschichte der österr.
Central-Verwaltung. 1493—1848. Mitth. des Inst, für österr. Geschichte, Vm, 2. —
Huber A., Geschichte der österr. Verwaltungs-Organisation bis zum Ausgang
des 18. Jahrhunderts. Innsbrucl^ 1884. Geschichte Österreichs, lü, 450; Reichs-
geschichte, 63. — Kalten baeck, Österr. Zeitschrift, 1836. Nr. 67. — Mein
, Gerichtswesen", S. 273 ff. — Schmoller G., über Behördenorganisation,
* Janssen, I, 547; Lamprecht, V, 45 ff.
264 Österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Dritte Perlode. § 39.
Amtswesen und Beamtenthum im allgemeinen und speciell in Deutschland und
Preußen bis zum Jahre 1713. (Einleitung zu den Acta Borussica, Behörden-
Organisation, 1. Bd.) 1894. — Ulraann, I, 804 fr.
1. Kaiser Friedrich III. hatte sowohl die Regierung des
Reiches wie der Erblande noch rein persönlich geführt. Wie dürftig
die Einrichtungen der Verwaltung damals waren, ist schon in den
§§ 30—33 ausgeführt worden. Raum für landesfürstliche Behörden
bot nur das Finanzwesen, doch war auch dieses nach den ein-
zelnen Ländern streng abgeschlossen, da es an einer zusammen-
fassenden Behörde fehlte. Selbst wenn der Kaiser in seinem Ab-
wesen Räthe zur Besorgung laufender Regierungsgeschäfte vor-
übergehend in die Erblande entsandte, so gewährte er ihnen nur
einen räumlich und sachlich sehr eingeschränkten Wirkungskreis.
Alle Regierungshandlungen, welche über den Bereich des Erb-
landes hinausgriflfen, sowie alle Processe, die vor das Hofgericht
gehörten, mussten daher dem wandernden Hofe des Kaisers folgen,
der sich sosehr um alle Einzelheiten kümmerte, dass er es nicht
verschmähte, zu Zeiten sein eigener Kanzler und Taxator zu sein,
wie der Frankfurter Gesandte Dr. Gelthuß im Jahre 1470 von
Graz aus nach Hause berichtete. In Maximilian hingegen hatten
sich, wie dies häufig geschieht, eben angesichts der misslichen
Umstände, in die sein Vater gerathen war, entgegengesetzte An-
schauungen entwickelt. Hatte der Kaiser seine Stellung in zäher
Erhaltung des Bestehenden zu wahren gesucht und auch manche
Erfolge dadurch errungen, so hatte Maximilian andererseits die
Einsicht gewonnen, das vieles von dem Althergebrachten schon
rettungslos dem Untergang verfallen war. Eine neue Zeit mit
neuen Verhältnissen war angebrochen : die Buchdruckerkunst hatte
das Lesen und Schreiben in Kreise verbreitet, denen dies ein
Menschenalter vorher noch ganz fremd war, der Humanismus war
in Deutschland aufgeblüht, zahlreicher denn je wandten sich Laien
dem Studium des römischen Rechts und der alten Sprachen zu.
Auf anderer Seite zeigte sich das hergebrachte System der Natural-
wirtschaft durch die von Jahr zu Jahr anwachsende Menge von
Umlaufsmitteln aufs tiefste erschüttert. So galt es allerorten, die
veralteten Formen zu sprengen und durch neue, besser geeignete
zu ersetzen. Die ganze Regierung Maximilian's war der Lösung
dieser Aufgabe gewidmet.
RegierangsgTundsätze Kaiser Friedrich's III. und Maximilians I. 265
2. Man unterschätzt den persönlichen Antheil dieses Herrschers
an dem Reformwerk, wenn man dasselbe vorwiegend auf Ein-
wirkung der gleichzeitigen Einrichtungen in Burgund zurückführt.
Sicher hat auf einen für Eindrücke aller Art so empfänglichen
Geist, wie Maximilian, der Einblick in das Getriebe der durch-
gebildeten Verwaltung befruchtend gewirkt, den er während
seiner Regentschaft in den burgundischen Landen gewann. An-
dererseits fand Maximilian in Tirol bei Übernahme der Herr-
schaft (1490) eine auf ganz anderen Grundlagen erwachsene und
gleichfalls hoch entwickelte Verwaltung schon vor; er hat jedoch
diese ebensowenig als die burgundische wahllos verallgemeinert.
Seine schöpferische That war es, dass er die erhaltenen An-
regungen mit den im Reich wie in den Erblanden vorgefundenen
Verhältnissen in Einklang brachte und dadurch die Entwicklung
des Behördenwesens hier wie dort auf Jahrhunderte bestimmte.
Stärkung seiner Stellung als König im Reich, als Landesherr in
seinen Erblanden sollte durch Anpassung der Verwaltung an die
Forderungen der Zeit erreicht werden. Lassen wir die Thätigkeit
des Herrschers außer Betracht, soweit sie sich auf das Reich allein
bezog, und wenden wir uns den Zuständen in den Erblanden zu.
3. Die mittelalterliche Anschauung betrachtete den Staat als
einen durch das Lehensband lose zusammengehaltenen Körper und
Ueß eigentlich nur den Schutz des Innern und äußern Friedens als
Regierungszwecke gelten. (§ 30, 5.) Diese Auffassung hatte zu großer
Schmälerung der landesfürstlichen Gewalt geführt. Vieles, was wir
heute als Regentenaufgabe ansehen, war ganz regellos in die Hände
der Grundherren, der Stände oder anderer Körperschaften über-
gegangen, während das, was dem Landesfüraten noch verblieben
war, ohne Bedacht auf die Verschiedenheit der örtlich zusammen-
treffenden Staatsaufgaben meist einem ungenügend überwachten
Ortsbeamten überlassen blieb. Maximilian erkannte in der daraus
folgenden Unübersichtlichkeit der Verwaltung den eigentlichen Sitz
des Übels und suchte dem abzuhelfen, indem er die verschiedenen,
in einer Hand vereinigten Aufgaben, wo es nöthig schien, trennte
und neuen, nach fachlichen Gesichtspunkten geschaffenen Behörden
mit größeren Amtssprengeln überwies. Durch Regelung des gegen-
seitigen Verhältnisses, durch Einsetzung eigener Aufsichtsämter,
endlich durch Übertragung der obersten Leitung an Ämter mit
266 Österreichische Reichsgeschichte. L Theil. Dritte Periode. § 39.
collegialer Besetzung, sollte eine bessere Überwachung und ver-
lässlichere Verwaltung herbeigeführt werden.
4. Eine so gründliche Umstaltung des ganzen Ämterwesens
konnte an den Grenzen der einzelnen Erblande nicht Halt machen,
sie rausste im Gegentheil den Versuch wagen, ob es nicht möglich
wäre, die an sich getrennten Gebiete, die schon seit Jahrhunderten
unter einem Herrscherhause gestanden hatten, durch Verwaltungs-
maßregeln zu einer höheren staatlichen Einheit umzubilden. Maxi-
milian gieng dabei' ebenso planmäßig als bedächtig vor und be-
nützte den Begriff der Staatswohlfahrtspflege, der sich damals in
größeren Kreisen einzubürgern begann, um die Schranken provin-
zieller Abgeschlossenheit zu durchbrechen und die Lande „um des
gemeinen Nutzens willen'' einander näher zu bringen. Er machte
ferner, um der geschichtlichen Entwicklung Rechnung zu tragen,
die nach dem Donaulauf bezeichneten Ländergruppen der ober-
und niederösterreichischen Lande, in welche der Hausbesitz durch
die Theilungen der Leopoldiner schließlich zerfallen war, zu Ver-
waltungssprengeln nächsthöherer Ordnung und unterstellte eret
diese nach Bedarf eigentlichen Centralbehörden.
5. Als König Maximilian 1490 in die Geschicke der alt-
österreichischen Lande zuerst eingriff, war seine Stellung in
beiden Ländergruppen verschieden. In Tirol und den Vorlanden
war er schon Landesfürst, die fünf n.-ö. Lande hingegen gehörten
noch seinem Vater, der ihm bloß deren Einkünfte zur Bestreitung
der Kriegskosten überwiesen hatte. Die organisatorischen Fähig-
keiten des Königs zeigten sich jedoch darin, dass er nicht bloß in
Tirol, wo er schon kraft eigenen Rechtes verfügte, sondern auch
in den n.-ö. Landen sofort solche Einrichtungen schuf, an welche
er später unmittelbar anknüpfen konnte. Er begann 1490 in Tirol
mit der Einsetzung einer coUegialen Regierungsbehörde, welcher
Anfang 1491 ein KammercoUegium zur Besorgung des Finanz-
wesens an die Seite trat. Ungefähr um dieselbe Zeit wurde auch
für die n.-ö. Lande durch die , Statthalter und Räthe des Römischen
Königs" ein BehördencoUegium zu Wien errichtet, welchem wesent-
lich Finanzangelegenheiten zugewiesen waren. Im August 1491 er-
folgte dann der erste Versuch einer Vereinigung des gesamraten
Einnahmen- und Ausgabenwesens durch Ernennung eines General-
schatzmeisters für alle aus dem Reich und den Erblanden dem
Beginn der Reformen: Die .Regimente* und deren Gewalt. 267
König Maximilian zufließenden Einkünfte. Ein oberster Auf-
seher und Gegenschreiber, dem insbesonders der Rent-
meister für alle Aufschläge unterstellt wurde, sollte seit 1492
den erforderlichen Überblick über das Kammerwesen, die Steuern
und die Aufschläge in Österreich ob und unter der Enns liefern.
Auf dem betretenen Wege schritt Maximilian fort, als er nach
dem Tode Kaiser Friedrich's freie Hand für seine Reformen über-
haupt erlangt hatte. Alsbald ernannte er auch für die fünf n.-ö.
Lande, da er ihnen durch Angelegenheiten des heiligen römischen
Reiches und gemeiner Christenheit längere Zeit fem bleiben müsse,
ein Regierungscollegium mit umfassenderem Wirkungskreis. So war
nun in gleicher Weise für die obern wie für die n.-ö. Erblande vor-
gesorgt. Diese Behörden oder „Regimente* bestanden aus mehreren
besoldeten Räthen, welche des Königs St^itthalter und Regenten
hießen, ein oder zwei Secretären und den erforderlichen Hilfskräften.
Sie hatten die laufenden Regierungsgeschäfte im Sinne der empfan-
genen Instruction zu erledigen und galten nur als Verweser der
Lande während der Abwesenheit des Herrschers. Trotz dieser Auf-
fassung, die es mit sich brachte, dass bei Ankunft des Landesfürsten
ihre Befugnisse, soweit sie nicht ausdrücklich erneuert wurden, von
selbst auf die fürstliche Hofkanzlei übergiengen, gestalteten sich
doch die Regimente zu einer bleibenden Einrichtung. Was nur
thatsäcUiche Übung war, wurde 1501 bei Erneuerung dieser Be-
hörde für die fünf n.-ö. Lande zuerst als Grundsatz für die Zukunft
hingestellt, als der König erklärte, dass das Regiment nach Inhalt
der erlassenen Ordnung vorzugehen habe, »Wir seyen inner-
halb oder außerhalb unser Fürstenthum und Lande"". Noch
immer behielt sich aber Maximilian das Recht vor, diese Behörden
ihrer Zusammensetzung und dem Wirkungskreise nach beliebig zu
gestalten, wie er denn beispielsweise 1510 das im Anschluss an
die Vereinbarungen mit den n.-ö. Landschaften umgeänderte Re-
giment nur mit einer auf Widerruf ertheilten Vollmacht ausstattete.^
6. Die Aufgabe und Zusammensetzung der Regimente unter-
l:ig mithin sowohl in den ober- als in den n.-ö. Landen während der
Regierung Kaiser Maximilian's mancherlei Änderungen. Anfänglich
^ Gleiches geschah 1518: »Dem Regiment will Se. Majestät vollkommen
Gewalt geben nach vemiugen des Libels von Augspurg, doch nit anders, dann
solang kay. Mt. solch Regierung gevelt und die nit widerruft*. L.-A. Krain.
268 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Dritte Periode. § 39.
ist nur von Statthaltern und Regenten die Rede, die am Amtssitze
ihren Wohnort haben mussten und in dringenden Fällen sich durch
Zuziehung der gleichfalls ernannten Räthe von Haus aus (d. h. ohne
Residenzpflicht) verstärken konnten. Später werden ein Präsident —
in den fünf niederösterreichischen Landen erst obrister Hauptmann
seit 1514, wie schon früher in Tirol, „Landhofmeister" geheißen —
Marschall, Kanzler und Räthe unterschieden. Als dann der Kaiser
durch die Kriege in Geldnoth gerathen, größere Leistungen von
den Erblanden verlangte, musste er dem Drängen der Stände,
dass das Regiment mit Landleuten besetzt, d. i. ihnen ausgeliefert
werde, soweit nachgeben, dass er 1506 im oberösterreichischen
Regiment vier und 1510 im n.-ö. fünf Stellen für Mitglieder der
Landschaften offenhielt und diese bei Erledigungen mit Landleuten
„von demselben Stand und Land" wieder zu besetzen versprach.
Im Grunde hatte dies Zugeständnis nicht soviel zu bedeuten, da
der Kaiser unter den vorgeschlagenen „Landleuten" jene wählte,
die er am ehesten für das landesf üratliche Interesse zu gewinnen
hoffte und die Ernennung jederzeit widerruflich blieb. Darüber
hinaus ließ sich Maximilian nicht einmal auf dem Innsbrucker Aus-
schusstage drängen : oberster Haupttfiann in dem Regimente, er-
klärte er, wolle er selbst sein, wogegen die Lande wohl nichts
einwenden dürften, und wenn er auch das Regiment zum größten
Theile aus Landleuten ernennen wolle, so sei es doch nothwendig
und gut, dass auch einige Ausländer darin aufgenommen werden.
Die Bitte der Städte um Vertretung im Regiment wurde als
ungerechtfertigt sogar gänzlich abgeschlagen.^
7. Die Regimente als stellvertretende Behörden besaßen die
Gewalt des Fürsten. Ihre mit Stimmenmehrheit gefassten Be-
schlüsse galten als Mandate des Landesherrn, und dieser ver-
pflichtete sich, sie nicht umzustoßen. Sie waren Verwaltungsbe-
hörde und Verwaltungsgericht, hatten das mUitärische Aufgebot
wenn Unruhen eintraten, und durften auch alle Erblehen verleihen,
nur die Verleihung heimgefallener streitiger, oder geistlicher Lehen
behielt sich Maximilian vor. Das o.-ö. Regiment besorgte überdies
Den Gewaltbrief des Kaisers vom 20. Mai 1510 und den Eid des ernannten
Reg^iments s. im Schönkircherbuch F, Fol. 184/5.
^ Innsbrucker Verhandlungen vom Jahre 1518 mit den ftlnf nieder(>ster-
reichischen Landen bei Zeibig, Archiv f Ur österr. Geschichte, Xlli, 255, 283, 304, 310.
ZusammensetzuDg und Wirkungskreis der Eegimente. 269
seit 1499 die Rechtssprechung in Fällen, »welche Eigen, Lehen,
Bergwerke und anderes betreffen, das sich hier zu rechtfertigen
gebührt'', das n.-ö. erhielt die Justizhoheit des Landesfürsten erst
1510 nach Aufhebung des 1502 als Appellations- und Lehenshof
eingerichteten Hofgerichts zu Wr.-Neustadt.
8. Der Schwerpunkt der Regimentsordnungen von 1499 und
1502 lag darin, dass sie den Gedanken, der LandesfUrst sei väter-
licher Beschützer aller Bewohner des Landes, deutlich zum Aus-
druck brachten. Denn es sollten die Regiraente nicht nur im all-
gemeinen jedem jenen Beistand leisten, ,den ein Landesfürst
seinen Unterthanen zu thun schuldig und pflichtig ist'^ sondern
über Anrufen eines Theils auch in allen Streitigkeiten vermittelnd
einschreiten. Sachen der landesfürstlichen Behörden mit den Ge-
richten des Adels und der Geistlichkeit, mit eigenen oder fremden
Unterthanen, Processe der Unterthanen untereinander, der Ein-
heimischen gegen Auswärtige und noch viel anderes, konnte dem-
nach vor die ländesfürstlichen Regimente gebracht werden. Dabei
blieb es, trotz der Vorstellungen der Stände, die in den Kaiser
drangen, dass „die vom Adel, Bürger und Andere ein jeder bei
seinem ordentlich Gericht bleiben und nicht vor andere Obrigkeit
oder Gericht gezogen noch umbgeführt werden*. Der Kaiser ant-
wortete 1510, „dass männiglich in der ersten Instanz bei seinem
ordentlichen Gericht bleiben und darvon nicht gezogen oder ge-
laden werden solle," und behielt durch dies scheinbare Nachgeben
umso sicherer die zweite Instanz in Unterthanen- Angelegenheiten.*
9. Ein oberster Grundsatz der von K. Maximilian beobachteten
Verwaltungspolitik war, die Absonderung des Finanzwesens von
andern Zweigen der Verwaltung* und die Ersetzung des führenden
Einzelbeamten durch ein verwaltendes oder abrechnendes CoUegi um.
Das Innsbrucker KammercoUegium, schon am 28. Februar 1491
an Stelle des „obersten Amtmanns*" errichtet, fand durch Ernennung
des Buchhalters, Kammermeisters und Kammerschreibers seine
« Gerichtswesen, 186. Als sich 1618 die Krainer beschwerten, dass der
Kaiser ^auf unförmlich und streng (an)halten der Pawm" Befehle ergehen lasse
»das die Landleut gegen iren armen und aigen Leuten vor dem Landshauhtmann
oder Commissarien zu Verhör sten muessen, was wider die Landesfreiheiten sei",
erlclärte der Kaiser, dass er „solichs zu thun wohl Macht habe, auch solichs
not sey", um Empörungen wie der kürzlich erlebten vorzubeugen. L.-A. Krain.
270 österreichische Beichsgeschichte. I. Theil. Dritte Periode. § 39.
Ergänzung. Dem n.- ö. Regiment hingegen entzog Maximilian gleich
nach seinem Regierungsantritt die Finanzgeschäfte, da seit 1494
eine Schatz- und eine Rechenkammer zu Wien erwähnt werden.
Bald darauf übertrug der König die Verwaltung aller landes-
fürstlichen Einkünfte der im Februar 1498 zu Innsbruck errich-
teten Schatzkammer. Tirol und die Vorlande sollte sie „ durch
sich selbst oder die, welche sie dazu bestellt, verwalten lassen' ;
die fünf n.-ö. Lande erhielten je einen Vicedom als obersten Finanz-
beamten, welcher die Überschüsse aller ihm untergeordneten Ämter
an die Kammer zu Innsbruck zu senden hatte.
Die Innsbrucker Schatzkammer als oberste Finanzbehörde in
den Erblanden war dann der Hofkammer unterstellt und musste
dieser, die auch die Einnahmen aus dem Reiche empfieng und
den gesammten Ausgabendienst überwachte, die Gelder übermachen.
10. Diese Unterordnung, obwohl vorübergehend, hatte nicht
bloß eine finanzielle, sondern auch eine politische Bedeutung: sie
bildet den ersten Versuch die nieder- und oberösterreichische
Ländergruppe im Wege der Verwaltung zu einem Gemeinwesen
zu verbinden. Die Umwandlung der allgemeinen Schatzkammer in
eine Raitkammer für Tirol und die Vorlande entzog zwar 1499
der Innsbrucker Behörde die Leitung der Finanzen in den fünf
n.-ö. Landen, für welche seit 1501 eine Hofkammer zu Wien und
später am Sitze des n.-ö. Regiments errichtet wurde, aber sie
beließ ihr noch das Recht der allgemeinen Controle. Diese übte
sie, selbst nach der Einrichtung einer eigenen n.-ö. Rechenkammer,
durch Abhaltung außerordentlicher Rechnungstage, zu welchen
die n.-ö. Vicedome und die „exemten" Amtleute durch besondere
Befehle Maxirailian's berufen wurden, bis endlich dem thatsäch-
lichen Zustande durch das „Innsbrucker Libell" gesetzlicher Aus-
* Die Abgrenzung des Machtbereichs zwischen Verwaltungs-, Justiz- und
Finanzbohörden erfolgte schon 1496 bei Errichtung der Schatzkammer zu Inns-
bruck. Das o.-ö. Regiment solle sich des Karamerwesens gänzlich entschlagen,
„waz aber Gericht und Recht, Ordnung und Regierung unser Lande antrifft,
darin sullet Ir nicht dest mynder furbasser von unsera wegen auch handin,
inmassen Ir bisher gethan habt.'' Geschäft von Hof 1496, f. 1, I. A. — Den
Competenzstreit zwischen Landeshauptmann und Vicedom in Krain betreffs der
Juden entscheidet der König 1502: ,daz dicselb wie ander unser judischait
billichen in unser Camergut gehören, doch mit der Obrigkeit und andern dir unserm
Hauptmann unterworfen sein sollen." Gedenkbuch, 12, f. 160, H. K. A., Wien.
Umänderung der Finanzverwaltung: Central- und Landesbehörden. 271
druck gegeben und die Innsbrueker Reehenkammer zur einzigen
für alle Erblande erklärt wurde.
11. Mit der Einsetzung der Regierungs- und FinanzcoUegien
für die beiden Ländergruppen waren die auf Vereinheitlichung
und bessere Überwachung der Verwaltung abzielenden Pläne
des Königs noch nicht abgeschlossen. Maximilian war auch bemüht,
die Verschiedenheiten, die er im Behördenwesen der Erblande
von früher her vorgefunden hatte, dadurch auszugleichen, dass
er erprobte Einrichtungen verallgememerte und wenn möglich,
einer gemeinsamen Oberleitung unterordnete. So wurde das in
Kärnten und Krain schon seit Jahrhunderten eingebürgerte Amt
des Vicedoms 1498 auch in Österreich und Steiermark mit Ver-
drängung des Uubmeisters und des Landschreibers an die Spitze
der Pinanz-Landesverwaltung gestellt. Mit Ausnahme weniger
exemter Ämter (Salinen, Bergwerke, Maut zu Engelhardszell),
welche der Pinanz-Centralstelle unmittelbar untergeordnet waren,
unterstand jedem Vicedom das gesammte fürstliche Kammer-
gut des Landes. Er empfieng von den Amtleuten, Pflegern u. s. w.
alle landesfürstlichen Einkünfte nach Abzug der auf jedem Amte
besonders lastenden Verwaltungskosten, bestritt daraus Zahlungen
nach Anweisung der übergeordneten Behörde und lieferte dieser
die Überschüsse ab. Er überwachte ferner unter Beiziehung der
„Landräthe'' die Amtsgebarung der untergebenen Beamten. Außer-
dem waren die Vicedome gerichtliche Instanz in Streitigkeiten
der landesfürstlichen Grund-Unterthanen, dann der Städte und
Märkte, unterstanden aber in dieser Beziehung dem n.-ö. Regiment.
12. Der Versuch, die Vicedome einem obersten Vicedom
unterzuordnen, ist allerdings bald aufgegeben Verden. Unbekannt
ist, wielange sich die Ämter eines obristen Aichmeisters (General-
Zymenter 1496), obristen Hansgrafen (1501), obristen Jägermeisters
(1509), obristen Hauszeugmeisters, obristen Bergmeisters für die
fünf n.-ö. Lande (1494—1511) u. s. w. erhalten haben. Dagegen
ist noch mit einigen Worten der Central-Hof behörden zu gedenken.
Die Hofkammer und der Hofrath, die mit den gleichbe-
nannten, n.-ö. Landesbehörden nicht verwechselt werden dürfen,
waren Behördencollegien, die dem wandernden Hofe des Königs
angehörten und daher keinen festen Sitz hatten. In der Hof-
kammer, wie sie 1498 errichtet wurde, sollten die Einkünfte
272 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Dritte Periode. § 39.
sowohl der Erblande als des Reiches zusammenfließen und über-
wacht werden, der Hofrath als oberste Regierungs- und Justiz-
behörde des Königs, sowohl in erbländischen als in Reichsangelegen-
heiten zuständig sein. Nach mancherlei Umbildungen, zu welchen
auch die im Jahre 1 502 erwähnte Finanz- und Kriegskammer ge-
hörte, wurden 1518 die Geschäfte der Hofkammer durch das Inns-
brucker Libell dem Hofrathe zugewiesen. Dieser sollte aus 18 Mit-
gliedern bestehen, von welchen fünf aus dem Reich, neun nach
dem Rath der Landschaften zu ernennen waren. Die eigenen
„geheimen großen Sachen "^ behielt übrigens Kaiser Maximilian
sich selbst vor, um sie allein, oder mit den vertrautesten Räthen —
den Anfängen des geheimen Raths — zu erledigen.
Zur Durchführung der Ansprüche des Landesfürsten im Klags-
wege bediente sich MaximUian wie schon Kaiser Friedrich IIL
und Erzherzog Sigmund des Fiscals, der seit dem Jahre 1510
KammeiT)rocurator genannt wurde.^ Zur Ausfertigung der Be-
schlüsse des Hofraths und der Regimente waren dem Hofkanzler,
beziehungsweise dem o.-ö. und dem n.-ö. Regimentskanzler mehrere
Secretäre nebst den erforderlichen Schreibkräften beigegeben.
13. So stößt der Forscher auf dem Gebiet der österreichischen
Reichsgeschichte überall auf Spuren der organisatorischen Thätig-
keit Kaiser Maximilian's. Vieles, was damals geschaffen wurde
ist noch unvollkommen, manches verschwindet als unbrauchbar
schon nach wenig Jahren, nicht immer wurde die geeignete Form
im ersten Umriss gefunden, der entgegenstrebeiide Widerstand
im ersten Anlauf niedergeworfen. Aber die sichern Grundlagen
sind gelegt : der Kern eines geschulten und pflichteifrigen Beamten-
standes ist vorhanden, die Verwaltung der landesherrlichen Ge-
rechtsame erfolgt nach einheitlichen Grundsätzen und macht nicht
an den Landesgrenzen halt, sondern ist durch die Landregimente
gegliedert. Sie erzieht so den Sinn für die Zusammengehörigkeit
gegenüber den provinziellen Sonderwünschen der Stände, kurz, es
sind Einrichtungen geschaffen, die den Ausgangspunkt für die
spätere Entwicklung bilden konnten.
^ Erzherzog Sigmund bediente sich schon 1460 des Michael Sor, Fiskals. —
Maximilian schon 1478 des Fiskals Meister Hans, ein Kammerprocurator- Fiscal
Friedrich's ÜL, kommt 1482 vor. — Kraus, Maximilian *s Briefwechsel mit
Sigmund Prüschenk, 37. — I. A., Schatzarchiv lü, 983; Maximiliana, I, 19.
Hofrath und Hofkammer; die Landstände und die landesfürstl. Beamten. 273
§ 40. Die österreichischen Landstände zn Zeiten Kaiser
Maximilian's.
Literatur bei § 27, 28, ferner Jäger, II, 2, 377 ff; Krones, in den Beitr.
Zur Kunde steir. Geschieh tsquellen, II, VI, XVIII, XIX. — Z eibig. Der Ausschuss-
Landtag zu Innsbruclc 1518. Archiv XÜI.
1. Die Errichtung neuer Behörden mit ausgedehntem Wir-
kungskreise sowie deren Besetzung durch besoldete, absetzbare
und daher vom Landesfürsten abhängige Beamte konnte nicht
ohne gewaltige Rückwirkung auf die Landstände bleiben, welche
in Österreich zu Ende des Mittelalters einen an Mitregierung
streifenden Einfluss auf die Landesverwaltung erlangt hatten. (§ 28.)
Die Bemühungen Kaiser Maximilian's, seine landesherrliche Gewalt
im Wege der Verwaltung zu erweitern und das lose Nebeneinander
der beherrschten Gebiete in organischer Weise zusammenzufassen,
mussten darum das Misstrauen der Landstände erregen, welche
ihre Stellung durch zähe Behauptung der provinziellen Abge-
schlossenheit zu wahren suchten. Im Kampfe um die Herrschaft,
der nun entbrannte, kam dem Landesfürsten die in weiteren
Kreisen durchgedrungene Erkenntnis zustatten, dass den Aufgaben
des Staates und zumal der Wohlfahrtspflege (§ 39, 4) durch die
früheren Einrichtungen nicht genügt werden und das Wichtige
derselben, namentlich auch der Schutz gegen äußere Feinde, nur
durch Vereinigung der in den Erblanden zerstreuten Kräfte erfüllt
werden könnte. Die Werkzeuge aber, deren Maximilian sich dabei
mit Erfolg bediente, waren Berufsbeamte, welche alsbald mit den
Sätzen des römischen Rechts für die Ansprüche ihres Herrn stritten.
Die Landstände ihrerseits beriefen sich gegenüber all diesen „un-
erhörten Neuerungen" auf den Landesbrauch und fanden an
der stets vorhandenen und mit den Jahren zunehmenden Geldnoth
des Landesfürsten ihren wirksamsten Helfer.
2. Die Stände begannen mit scharfem Widerspruch gegen
einzelne Neuerungen, da sie die von Maximilian klug ausgedachten
Maßregeln als Ganzes nicht anzufechten wagten. Später kehrten
sie ihre Angriffe unmittelbar gegen den Bestand einiger besonders
verhassten Behörden, bis sie den geringen Erfolg dieser Anstren-
gungen erkannten. Nunmehr fanden sie sich mit den neuen Ein-
richtungen ab, die sie nicht rückgängig machen konnten, suchten
sie aber ihrem Einfluss unterzuordnen. Zuletzt entschlossen sie
Las Chi D, österreichische Reichsg^escbichte. 18
274 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Dritte Periode. § 40.
sich, gleiches mit gleichem zu bekämpfen und den landesftirst-
liehen Behörden eine reich gegliederte Verwaltung im landstän-
dischen Wirkungskreise entgegenzustellen.
3. Die Beschwerden richteten, sich zunächst gegen das
römische Recht. „Vor Zeiten *", so ließ 1499 sich die Landschaft
unter der Enns vernehmen, „hat ein Freund dem andern sein
Wort treulich und kürzlich fürbracht, als in umbliegenden Khünig-
reichen und Landen noch beschieht. So wir aber in Supplicierung
und Appellation gefuert werden in die kayserlichen Recht, mießen
wir mit großen schweren Unkosten die Doctores erlangen. ** Im
Jahre 1509 wiederholten die Österreicher die gleiche Klage gegen
die „Doctores und Procuratores" und die Einführung der gelehrten
geschriebenen Rechte, durch welche die Unterthanen «swerlich
in Irrung und Schaden" geführt würden, und im Jahre 1515 wiesen
sie die Unbilligkeiten, denen sie dadurch ausgesetzt seien, an einem
packenden Beispiel nach. Seit Alters habe der Adel von dem
eigenen Wein, den er auf seinen Besitzungen vom Zapfen abgab,
niemals Ungeld entrichtet, das könnten viele auf 50 bis 70 Jahre
zurück erzeugen. Dennoch wolle dies dem Regimente nicht ge-
nügen. Dies verlange vielmehr über Anrathen der Gelehrten
sieben Zeugen, welche von einem neunzigjährigen Gebrauche
Kenntnis haben müssten, „daraus Euere kaiserliche Majestät höher
denn wir verstehen, wie gar gefährlich solcher der Gelehrten
Anschlag ist, dieweil bei unsem Zeiten nicht viel Menschen ge-
funden werden, die zu solchem Alter kommen.*^
4. Abhilfe erwarteten die Landstände von einer durch den
Landesherm selbst anerkannten Sammlung des Landesbrauchs,
die Tiroler beschlossen überdies im Jahre 1508, dass alle Freiheiten
und Privilegien zusammengefasst, durch kaiserliche Majestät be-
stätigt, in fünf Libellen geschrieben und jedem Stande eines, das
fünfte aber nach Schloss Tirol zur Aufbewahrung gegeben werden
sollte. Diese Bemühungen hatten indessen, solange MaximUian
lebte, wenig Erfolg. So vorsichtig die Österreicher ihre Bitte im
Jahre 1499 vorbrachten — die Arbeit sollte von landesfürstlichen
Räthen und Mitgliedern der Landschaft gemeinsam gemacht und auf
Artikel eingeschränkt werden, „die Euer königliche Majestät Obrig-
1 Mainzer Libeli im Schönkircher Buch AA. Fol. 312 v.; Zeibig, 325
Adler, S. 306, Anm. 2.
Kampf der Landstände gegen das römische Recht und die L-f. Behörden. 275
keit unabbrUchig sein* — sie wurde ihnen doch nicht gewährt. Erst
ein Jahrzehnt später erhielten sie die erbetene Erlaubnis mit der
Versicherung, dass der Kaiser ^\e Rechte und Landesgebräuche in
allen Erblanden zu reformieren gedenke. Da jedoch vorerst noch
die Ernennung des neuen Regiments abgewartet werden sollte,
so wissen wir nicht, ob um das Jahr 1510 mit der Sammlung
des österreichischen Gewohnheitsrechts auch wirklich begonnen
wurde.^ Nicht besser ergieng es den Tirolern. Wohl war für dies
Land auf Betreiben der Stände und mit Zustimmung des Regiments
im Jahre 1506 die Malefizordnung vom Jahre 1499 nebst mehreren
polizeilichen Verordnungen Erzherzog Sigmund's und König Maxi-
milian's als eine Art Landesordnung gedruckt worden, allein dem
oft wiederholten Verlangen der Landschaft um eine „Besserung"
jener Ordnung wich der Kaiser aus. Erst im Jahre 1518 gestattete
er die Benennung von Vertrauensmännern aus den vier Ständen,
welche mit der Regierung den Inhalt der Landesordnung berathen
und eine „Erläuterung" dazu verfassen sollten.
5. Der Kampf der Stände gegen die neuen Behörden als
solche begann erst um das Jahr 1501. Bis dahin waren die
Regimente durch einseitiger Verordnung des Landesherrn — zu
dessen persönlicher Vertretung während seiner Abwesenheit —
bestellt und nach Bedarf erneuert worden, ohne dass dies Ver-
fahren Widerspruch erweckt hätte. Seit der umfassenden Reor-
ganisation in den Jahren 1501/2 erscheint jedoch die Sachlage
geändert. Unmerklich war aus der Statthalterschaft eine Anzahl
von coUegialen Behörden erwachsen, welche nach dem Willen
des Königs bleibend sein sollten und die nun ihren Amtskreis auf
Kosten der Stände zu erweitern suchten. Da erwachte mit einem-
male in den Landschaften das klare Bewusstsein von der drohen-
den Gefahr und es beginnt ein Ringen um die Behörden, das mit
wechselndem Erfolge bis zum Tode Maximilian's fortdauerte.
Auf die amtliche Mittheilung der neuen Regimentsordnung
an den steirischen Landtag folgte nach drei Tagen (15. Mai 1501)
3 Z ei big, 325. — Man könnte an eine Vorarbeit zu dem s. g. Institntum
Ferdinandi I. denken, dessen Entwurf im Jahre 1528 schon vollendet war. Auch
die Gerichtsordnung, welche die steirische Landschaft im October 1503 aus-
arbeitete, scheint in keiner der zwei belutunten Fassungen die landesherrliche
Genehmigung erlangt zu haben. — Bischoff, Steierm. Landesrecht, 71, Anm. 1.
18*
276 Österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Dritte Periode. § 40.
eine merkwürdige Erwiderung, welche unter Beibehaltung der
Ausdrucksweise der Regierungsvorlage in parodierender Wendung
dem Behördenwesen des Landesfürsten das ständische Recht als
eine gleichfalls allen unverborgene Thatsache gegenüberstellte.
Jede Maßregel, welche dies Recht verletze, sei durch die Be-
stätigungen der Landesfüroten im vorhinein für ungiltig erklärt
worden, darum wollten sie auch die Appellationen, die sie bisher
vor den königlichen Regenten in Wien vorgebracht hätten, nun-
mehr, wo der König wieder in den Erblanden sei, nach altem
Brauch wieder vor ihm persönlich ausführen, woran der König
zweifellos Gefallen finden werde." So richtete sich der Haupt-
sturm gegen die Übertragung der dem Landesfürsten vorbehal-
tenen Gerichtsbarkeit ans Hofgericht zu Wiener-Neustadt, dem
auch die übrigen n.-ö. Landschaften mit gleicher Abneigung be-
gegneten und das im Jahre 1510 endlich dem vereinigten Angriff
geopfert wurde. Trotzdem hatten die Stände nur der Form nach
einen Erfolg errungen, indem der Kaiser, anknüpfend an eine
unvorsichtige Anregung der Landschaften, den Wirkungskreis des
aufgehobenen Hof- oder Kammergerichts fortan seinem n.-ö. Re-
giment übertrug. Die Beschwerden gegen die Wirksamkeit des
Fiskals, des bestgehassten aller Beamten, beantwortete der Kaiser
gar nur mit einer Namensänderung. Er brauche, hieß es, jemanden
für die gerichtliche Vertretung seiner Ansprüche, wolle ihn aber
fortan Kammerprocurator nennen, weil der Name Fiskal befremde.
6. Die unleugbare Gewandtheit, mit welcher Maximilian solche
Angriffe zurückwies, nöthigte die Stände zu einer Änderung in
ihrem Vorgehen. Da man die unbequemen landesfürstlichen Be-
hörden nicht schlankweg beseitigen konnte, so versuchten nun
die Stände, festen Fuß in den Regimenten zu fassen, um sie so
landschaftlichen Zwecken dienstbar zu machen. Man bestürmte
den Kaiser mit Klagen gegen die eigennützigen Ausländer und
beschwor ihn, die an Fremde verpfändeten Städte und Schlösser
einzulösen und mit „Landleuten* zu besetzen, um Errichtung
eines aufrichtigen ordentlichen guten Regiments „mit Landleuten
aus den Landen* u. dgl. Die steten Geldnöthen zwangen Maximilian
zur Nachgiebigkeit; in das o.-ö. Regiment wurden schon 1506
8 Adler, 249 ff.
Die Stände suchec Zutritt zu den landesfürstl. Behörden zu erlangen. 277
vier Mitglieder aus der Landschaft vorerst auf drei Jahre auf-
genommen und dies in der Folge 1508, 1512 u. s. w. wieder-
holt. Die fünf n.-ö. Lande stellten das nämliche Ansinnen 1508
/ und erhielten es 1510 durch das Augsburger Libell bewilligt.
Selbst auf den Hofrath suchten die Stände auf gleichem Wege
Einfluss zu erlangen (1518). Maximilian wusste jedoch auch dies-
mal, trotz aller Nachgiebigkeit in der Form, die Regimente als
landesfürstliche Behörden zu erhalten. (§ 39, 6.)
7. So blieb also den Ständen nichts übrig, als die Gegen-
wehr mit gleichen Waffen aufzunehmen, d. h. sie mussten trachten,
dem landesfürstlichen Behördenwesen eine ebenso lebensfähige
landschaftliche Verwaltung entgegenzusetzen. Groß genug war der
Wirkungskreis, der ihnen noch unbestritten geblieben war und zu
dessen Weiterentwicklung die ewig wiederkehrenden Geldforde-
rungen der Regierung den besten Anlass boten. Es wurde schon
erwähnt (§ 28, 11), dass im Mittelalter die wenigen ständischen
Angelegenheiten die nicht auf Landtagen, Landesconventen oder
den periodisch wiederkehrenden Gerichtsversammlungen ausge-
tragen wurden, zumeist dem Landmarschall oder Landeshaupt-
mann und dem zugeordneten Untermarschall oder Landesverweser
zufielen, so dass nur in außergewöhnlichen Fällen ständische Aus-
schüsse mit gemessenem Auftrag eingesetzt wurden. Solange dieser
Zustand dauerte, bedurfte die Landschaft als solche keines eigenen
Heims, denn die Landtage wurden bald da, bald dort im Lande ab-
gehalten, die an der Spitze des Landes und der Landschaft stehen-
den Beamten aber walteten kraft ihrer Doppelstellung in irgend
einem landesfürstlichen Gebäude, in dem auch die Sitzungen des
Landrechts abgehalten werden konnten. Ebensowenig brauchte
man ein eigenes Archiv, denn man pflegte die ständischen Frei-
heitsbriefe und Acten der größeren Sicherheit wegen von Zeit zu
Zeit gegen Empfangsbescheinigung unter die angesehensten Stände-
mitglieder zur Aufbewahrung auszutheilen. Das alles änderte sich
nun und so sehen wir, dass die österreichischen Landschaften in
den Tagen Maximilian's eigene Amtsgebäude für ihren Gebrauch
erwerben: 1494 kauften die Steirer, vor 1511 die Krainer ihr Land-
haus, am besten aber richteten sich die Kärntner Landstände ein,
die nach ihrem Zwiespalt mit der alten Landeshauptstadt St. Veit
sich vom Kaiser Maximilian die im Jahre 1514 durch Brand ver-
278 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Dritte Periode. § 40.
Ödete Stadt Klagenfurt nebst der kaiserlichen Burg zu Geschenk
erbaten, um hier ihren Sitz aufzuschlagen.
8. Anlass zu landständischer Verwaltung boten also vor
allem die Jahr um Jahr wiederkehrenden Ansuchen Maximilian's
um außerordentliche Hilfen. Dieser bedurfte er umsomehr, als
er die mangelhafte Unterstützung, die er für seine hohe Politik
beim Reiche fand, durch stärkere Inanspruchnahme seiner Erb-
länder auszugleichen suchte. Dass man den neuen Anforderungen,
die nun das Kriegswesen stellte, nicht mehr durch das herge-
brachte Aufgebot der Vasallen allein entsprechen könne, das
fühlten die weltlichen wie die geistlichen Großgrundbesitzer, auf
welchen diese Last vor allem lag. Ehe sie sich indessen zu per-
sönlicher Übernahme erhöhter Leistungen verstehen mochten, willig-
ten sie immerhin noch lieber in eine Besteuerung ihres Grundbe-
sitzes und der auf demselben sesshaften Leute, um Geld zur An-
werbung von Knechten zu beschaffen. Einen ähnlichen Standpunkt
nahmen auch die Bürger ein. Allein, wenn man auch aus diesen
Gründen die unbequemen Forderungen des Regenten nicht leicht
zurückweisen konnte,^ so waren doch die Landschaften weit davon
entfernt, bedingungslos Folge zu leisten. Manch Zugeständnis von
politischer Bedeutung, z. B. die Zusicherung, AngriflFskriege nur
mit Zustimmung der Landschaften beginnen zu wollen, wurde
bei solchem Anlasse gewonnen. Außerdem galt es als selbstver-
ständlich, dass die Vertheilung und Aufbringung der übernom-
menen Leistungen nur durch die Landschaften selbst erfolgen
könne und dürfe. So entwickelten sich als die wichtigsten Zweige
der land ständischen Verwaltung das Steuer- und das Kriegswesen.
9. Die landständische Steuerverwaltung erstreckte sich nur
auf jene außerordentlichen Hilfen, zu deren Ausschreibung und
Einhebung verfassungsmäßig die Zustimmung der Landstände er-
forderlich war. (§ 33, 14.) Verhältnismäßig in der günstigsten Lage
waren die innerösterreichischen Herzogthümer, die auf eine mehr-
fach verbriefte Steuer- und Abgabenfreiheit sich berufen konnten.
Als sich jedoch Steiermark und Kärnten im Jahre 1495 mit König
Maximilian über die Ablösung des Judenregals geeinigt hatten,
* Bezeichnend genug wurde schon unter Kaiser Maximilian die principieUe
Frage aufgeworfen, ob die Bewilligung der Steuern etwas Freiwilliges oder
Gebotenes sei. 1517 gegenüber den Landständen von Tirol. Jäger, II, 2. S. 489.
Die landschaftliche Verwaltung: Steuern und Kriegswesen. 279
iDussten sie die versprochenen Summen im Wege der Selbst-
besteuerung aufbringen, hatten aber dabei auf das Zusammen-
treffen mit einer vom Wormser Reichstag auf vier Jahre be-
willigten Reichssteuer Rücksicht zu nehmen. Während dieser „ge-
meine Pfennig*, ein Gemisch von Vermögens-Einkommens- und
Kopfsteuer, nach Pfarrbezirken unter Mitwirkung der Pfarrer von
landesf Urstlichen Beamten eingetrieben und den Abgesandten des
Reichsschatzmeisters abgeliefert wurde,^ beschlossen die Stände,
ihre Summen durch einen Anschlag auf die Gültenbesitzer, d. i.
contingentiert einzuheben. Mit der Durchführung wurden fünf Mit-
glieder der Landschaft, denen für ihre Mühewaltung ein Wochen-
sold ausgeworfen wurde, betraut; diese forderten die Bekenntnisse
des steuerpflichtigen Vermögens ein und bemaßen darnach den auf
den einzelnen Gültenbesitzer entfallenden Betrag, wobei sie diesem
die Auftheüung der Quote auf seine Grundholden und die Einhebung
bei persönlicher Haftung überließen.
10. Auf diesem Wege und bei oberwähnter Gelegenheit sind
also die Landschaften Steiermark und Kärnten in den Besitz eines
Verzeichnisses der im Lande vorhandenen „Pfunde Herrengült"
gelangt. Die übrigen Landschaften waren ungefähr um dieselbe
Zeit zu ähnlichen Steuerkatastem gekommen, so dass schließlich
in den Tagen Kaiser Maximilian's das Pfund Herrengült in den
fünf n.-ö. Erblanden die übereinstimmende Grundlage für die von
den Landständen ausgeschriebenen Steuern geworden ist.* In Tirol
wurde schließlich die für den Kriegsfall von einem Grundbesitz
verlangte Mannschaft zur Steuereinheit, und man brachte hier
nach „Raitknechten" die bewUligten Summen auf.
Die Pfunde Herrengült, schlechthin Steuerpfunde genannt,
bUdeten aber in den fünf n.-ö. Landen auch den Maßstab zur Ver-
theilung der übernommenen außerordentlichen KriegshUfen, indem
man auf je 100 (bisweilen auch 200) Pfunde Herrengült einen
Reiter und einige Fußknechte veranschlagte. Wer über 100 (oder 200)
Pfunde Gülten besaß, dem blieb das Recht gewahrt, die auf sein
Einkommen entfallende Mannschaft in kriegstauglicher Beschaffen-
s ülmann, I, 380; Adler, 76.
• Der Landschaft in Österreich u. E. wurde schon, 1509 die Mitwirkung
des Landesfürsten bei Zwangsmaßregcln gegen säumige Landschaftsmitglieder it
Aussicht gestellt, „so noch ire Urbar und Register nicht eingelegt." Zeibig, 322.
280 Österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Dritte Periode. § 40 und 41.
heit selbst zu stellen und die bewilligte Zeit hindurch auch selbst
zu erhalten. Den kleinern Gültenbesitzer dagegen traf ein nach
der Anzahl seiner Pfunde, Schillinge und Pfennige Herrengült
bemessener Beitrag zum Unterhalt der Mannschaft. Wieder in
andern Fällen wurde überhaupt nur der Sold für eine bestimmte
Truppenmacht auf einige Monate bewilligt. Die Mannschaft wurde
dann von der Landschaft angeworben, ausgerüstet, gemustert und
unter landschaftlichen Befehlshabern dem Landesfürsten auf Landes-
kosten zur Verfügung gestellt.
So haben sowohl das Steuer- als das Kriegswesen dazu bei-
getragen, dass die Landstände bleibende Organe zur Besorgung
ihrer laufenden Angelegenheiten bestellten. Im Zeitalter Maximilian's
kam man noch mit Landtags- Ausschüssen, den Verordneten, aus,
die der Landtag aus seiner Mitte unter Anweisung eines Gehalts
auf ein oder mehrere Jahre ernannte und an die gegebene In-
struction band. Allmählich sah man sich indessen zur Anstellung
von landschaftlichen Berufsbeamten genöthigt, so hatte die Land-
schaft von Krain schon im Jahre 1514 einen eigenen Landleibarzt.
11. Die Ausschreibung der Landtage war und blieb dem
Ermessen des Landesf ürst^n vorbehalten und es wurde als Eigen-
mächtigkeit gerügt, dass in Fällen drängender Landesnoth 1499
Bürgermeister und Käthe von Bozen und Meran und 1508 die
kaiserlichen obristen Feldhauptleute die Landstände von Tirol
entboten. Maximilian machte indessen von seinem Einberufungs-
recht so häufig Gebrauch, dass die Stände von Tirol im März
1513 die Bitte stellten, „Eure kay serliche Majestät wolle ein ehr-
same Landschaft mit der Menge von Landtagen in Gnaden ver-
schonen", ohne damit die gehoflfte Einschränkung zu erreichen,
da sie im nämlichen Jahre noch viermal zu Landtagen einbe-
rufen wurden und am 6. Jänner 1514 ein fünfter folgte.^ Kaiser
Maximüian wusste übrigens seinen auf innigere Vereinigung der
Erblande abzielenden Plänen sogar die spröde widerstrebenden
Landstände dienstbar zu machen, indem er sie auf die Gemein-
samkeit so mancher Landesinteressen verwies und dadurch bei-
spielsweise seinen Lieblingsgedanken einer „brüderlichen Ver-
einigung der Lande" zu wechselseitiger Unterstützung, falls ein
Land oder eine *Ländergruppe von Feinden überfallen w^erden
• Jäger, II, 2, 419, 447, 474.
Landschaftliche Organe. — Landtage nnd Ansschuss-Landtage. 281
würde, zur principiellen Anerkennung brachte. Die Form, welcher
Bich Maximilian zu diesem Zwecke mit Erfolg bediente, waren
die 8. g. AusschuBS-Landtage, die er an Stelle der zu Bchwer-
falligen General-Landtage (§ 28, II) treten ließ. Die einzelnen Land-
schaften wurden unter allgemeiner Angabe der Verhandlungs-
gegenstände zur Entsendung von bevollmächtigten Vertretern auf-
gefordert, mit welchen dann die bindenden Verabredungen ge-
troffen wurden. Besondere Wünsche einzelner Länder, die auf
solchen Ausschusstagen immer vorgebracht werden konnten, wurden
für sich verhandelt und erledigt. Demgemäß ergiengen auch all-
gemeine und besondere Landtagsabschiede, die man nun nach ihrer
Buchgestalt als Libelle bezeichnete. Die wichtigsten darunter sind
die Augsburger Libelle vom 10. April 1510 über die Verhandlungen
mit den fünf n.-ö. Landen und die Innsbrucker Libelle vom 24. Mai
1518, welche sogar für die Gesammtheit der altösterreichischen
Lande ergiengen.^
§ 41. Das Zwischenreich der Stände nach dem Tode
Kaiser Maximllian's und die Anfänge Erzherzog Ferdinand's
(1519-1526).
Bucholtz, Gesch. der Regierung Ferdinand des I., 8 Bde. — Huber, III, 479 f.
— V. Kraus, Zur Geschichte Österreichs unter Ferdinand I, 1519—22. 1873. —
Mayr M., Der General-Landtag der österr. Erbländer zu Augsburg. 1525/26. (Zeit-
schrift des Ferdinandeums, III. Folge, 38. Heft. 1894.)
1. In den Verhandlungen, welche mit den Ausschüssen sämmt-
licher Erblande im December 1517 zu Wels begannen und erst
am 24. Mai 1518 zu Innsbruck ihren ämtlichen Abschluss fanden,
hatte Kaiser Maximilian den Wünschen der Stände mehr nach-
geben müssen, als je vorher. Jedes Land hatte für sich in Yer-
waltungs-, Rechts- und Finanzangelegenheiten größere Bewegungs-
freiheit erlangt, als nach des Kaisers Art zu ferwarten war. Bis
^ Gedruckt sind die genannten Libelle in den Landhandfesten der drei
innerösterr. Lande. Ober die staatsrechtliche Bedeutung des Innsbrucker Land-
tags, auf welchem zum erstenmal sämmtliche Erblande durch bevollmächtigte
Abgeordnete vertreten waren, vgl. Adler, 445 ff, Pellner, 267. Die Anregung
zu diesem Ausschusstag gab eine Beschwerde der Tiroler. Jäger, II, 477.
282 Österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Dritte Periode. § 41.
zum Hofrath hinauf sollte sich nun ihr Einfluss auf Regierungs-
maßregeln erstrecken und auch die Erneuerung der R«gimente
nach ihrem Sinne stattfinden. Voll bester Hoffnungen waren darum
die Ausschüsse im Juni 1518 heimwärts gezogen; nichts fehlte, seit
sie in den Besitz der vom Kaiser unterzeichneten Libelle gelangt
waren, als — freilich die Hauptsache — die Ausführung der beider-
seitigen Zusagen. Eine Verkettung von Umständen ließ es jedoch
dazu nicht kommen. Die zahllosen Enttäuschungen, die der Kaiser
erlitten hatte, zehrten an seinem Lebensmarke. Als er nach ver-
geblichen Verhandlungen mit den Reichsständen wegen der Wahl
seines Enkels zum römischen König anfangs October 1518 nach
Tirol zurückkehrte, gieng es mit seiner Kraft zu Ende. Die Rück-
legung des Amtes durch die Mitglieder der Tiroler Regierung,
die sich nur auf dringendes Bitten Maximilian's dazu verstanden,
bis Weihnachten dem Namen nach Regenten zu bleiben, hatte
ihn schwier getroffen, und der Ärger über die unwürdige Behand-
lung seines Hofgesindes durch die Innsbrucker Wirte beschleunigte
den Ausbruch eines im Keime schon vorhandenen Leidens. Die
Weiterreise nach Österreich musste gegen Ende November zu Wels
unterbrochen werden ; hier verschlimmerte sich die Krankheit. Am
30. December 1518 errichtete der Kaiser sein Testament (welchem
bis zum 6. Jänner zwei Zusätze angehängt wurden) und am 12. Jänner
1519 verschied er sanft in seinem 60. Lebensjahre.
2. Die Erben der Lande, des Kaisers Enkel, König Karl I.
von Spanien und Erzherzog Ferdinand, weilten am Todestage
Maximilians in Spanien und den Niederlanden. Der Eintritt einer
Zwischenherrschaft war daher unvermeidlich, wer aber sollte
sie bis zur Ankunft der neuen Herrscher führen, das war die
große Frage?
Schon seit Jahren hatten die Stände, ihrer Rolle zu Zeiten
König Ladislaus des Nachgebornen und Herzog Sigmund's ein-
gedenk, für den Todesfall des Kaisers Besprechungen gepflogen,
so 1508 zu Mürzzuschlag, 1509 zu Salzburg, 1515 zu Wien. Auf
dem Innsbrucker Tage 1518 hatten sie überdies den Kaiser aus-
drücklich gebeten, dass er die Erbschaftsangelegenheiten seiner
Enkel hinsichtlich der Erblande noch bei Lebzeiten ordne, um
»Irrungen nach seinem Tode zu vermeiden** ; Maximilian hatte
jedoch ausweichend geantwortet und gemeint, er werde die An-
Kaiser Maximilian's I. Testament und Tod. 283
gelegenheit bei passender Zeit wieder hervorziehen.^ Nun war der
lange vorausgesehene Fall eingetreten, ehe der Kaiser Gelegenheit
gehabt hatte, die Beschlüsse der Innsbrucker Libelle auszuführen.
In seinem Testamente hatte er beide Enkel zur Nachfolge in den
Erblanden berufen,^ aber keine Übergangsbestimmungen getroffen.
Erst in einem Nachtrag aus den letzten Lebenstagen wurde all-
gemein die Verwaltung bis zur Ankunft der neuen Herrscher den
jetzigen Inhabern der Ämter im Umfang der früher ertheilten Voll-
machten übertragen und nur ins Ermessen der Testamentsexecu-
toren gestellt, „dieselben unser Regiment, Haubtleut und Amtleut
zu mäßigen oder die mit etlichen unseni Räthen und Landleuten
zu sterckhen". Das war nun freilich eine bisher nicht dagewesene
Neuerung und widersprach gänzlich den Vereinbarungen, welche
die Stände unter sich getroffen hatten. Nur mit Unwillen hatte
man in diesen Kreisen noch bei Lebzeiten des Kaisers es ertragen,
dass die Verwaltung und damit der Einfluss im Lande -mehr und
mehr in die Hände von Berufsbeamten übergieng. „Auf diese Ge-
Bchrift weisen," klagt der Zeitgenosse Kirchmair, „ist dem Kayser
ein unmäßig Gelt gangen. Man sol mir nit verweisen, dass ich in
meiner Vermerkung die Secretari und Schreiber vorsetz und erst
hernach die edlen Rät, denn also ist es auch im Wesen gewesen."'
3. Um die weiteren Vorgänge richtig zu beurtheilen, muss
man erwägen, wie sehr persönlich verhasst den Ständen die
Männer waren, die damals an der Spitze des n.-ö. Regiments
standen, vor allem der Kanzler Dr. Johann Schneidpöck und der
Vicedom Lorenz Saurer, dem man groben Amtsmissbrauch vor-
warf. Dazu kam, dass während der Krankheit des Kaisers dessen
Umgebung, in der die Secretäre, Vogt, Pinsterwalder u. a. das
große Wort führten, alle Vertrauenspersonen der Stände geflissent-
lich entfernt hielt, endlich waren nach dem Tode Maximilian's
in der kaiserlichen Kanzlei Ungehörigkeiten vorgekommen, die
1 Zeibig, 229,274, Libell derlSBlätter, Punkt 11. Die Stände scheinen schon
damals an Erzherzog Ferdinand als ihren ktinttigen Herrscher gedacht zu haben.
* .NachvoJgend bevelhen und übergeben Wir nach Unserm Abgang aU
unser Land und Leut unsem lieben Sunen, Kunig Karin von Hyspanien und
Ertzherzog Ferdinanden Prinzen daselbs als unsein rechten naturlichen Erben." Das
Testament ist bei Buch holt z nach einer Abschrift gedruckt, l, Urkunden- Anhang.
* D. et A. Scriptores, I, 442.
284 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Dritte Periode. § 41.
das Gerücht, dass das Testament gefälscht sei, leicht entstehen
lassen konnten.^
Es liegt auf der Hand, dass unter solchen Umständen an
eine widerspruchslose Befolgung der Anordnung im kaiserlichen
Testamente, welche den Regimenten ihre Amtswirksamkeit bis
auf weiteres verlängerte, nicht zu denken war. Die Stände hielten
sich vielmehr an die Vereinbai-ungen, welche sie für den Todes-
fall des Kaisers längstens im Jahre 1515 unter sich schon ge-
troffen hatten, und richteten im übrigen ihr Betragen gegen die
landesfürstlichen Behörden ein, je nachdem größere oder geringere
Abneigung herrschte. Am wenigsten Schwierigkeiten gab es, wie
es scheint, in Tirol, am weitesten im Widerstände gegen das
alte Regiment gieng man im Lande unter der Enns. Dabei be-
trugen sich die Stände allerlanden als diejenigen, denen es vor
allem zukomme, zu erwägen und zu handeln, dass „die Lande bei
Ihrer Majestät Enkeln als ihren rechten Erben und diese bei den
Landen bleiben mögen''. Zur Berathung gemeinsamer Schritte ver-
sammelten sich vom 13. bis 27. März ständische Abgeordnete aller
Erblande und vom 9. bis 21. Mai solche aus den fünf n.-ö. Landen
zu Brück a. d. Mur. Maßregeln zum Schutz gegen einen drohenden
Türkeneinfall und die Entsendung einer Huldigungsbotschaft an
König Karl L von Spanien wurden u. a. bei dieser Gelegenheit
verabredet. Im übrigen giengen die Lande, ohne sich um das
nach Wr.-Neustadt vertriebene n.-ö. Regiment irgend zu kümmern,
unter ständischer Führung jedes seine eigenen Wege und waren
darauf bedacht, die Kosten der Verwaltung in gemeinsamen An-
gelegenheiten womöglich auf den Nachbar zu überwälzen.
4. Am spanischen Hofe war man von diesem Auftreten der
österreichischen Stände, in dem man eine gefährliche Selbstüber-
hebung erblickte, nichts weniger als erbaut und suchte sowohl
dem alten n.-ö. Regiment Gehorsam zu verschaffen, als die be-
schlossene Gesandtschaftsreise zu hintertreiben, beides ohne Erfolg;
zuletzt musste man sich entschließen, dem Willen der Land-
schaften nachzugeben, die auf ihren Verbriefungen bestanden.
Das von König Karl schon am 23. Juli 1519 ernannte obriste
Regiment für die Verwaltung der österreichischen Erblande berief
* Die actenmäßige Begründung dieser Schilderung gedenke ich in den
Schriften der historischen Landes-Commlssion für Steiermark zu liefern.
i
Die landschaftliche Zwischenregiernng; Erbhuldignngs-Landtage. 285
die Landschaften zu Erbhuldigungs-Landtagen im Jahre 1520 ein
und ermahnte insbesonders die fünf n.-ö. Lande vom Kammergut
abzulassen, die hiefür bestellten Beamten zu entfernen und Ab-
rechnung zu pflegen, „damit 8e. Majestät nit geursacht werde,
gegen den Ungehorsamen anders furzunemen und zu handeln". Bis
auf Österreich unter der Enns fügten sich die übrigen Lande und
leisteten den Eid der Treue, wenn auch unter Vorbehalt, in der
Zeit vom 25. Jänner bis 11. Juli 1520.
5. Die Stände hatten die Erbhuldigung nach dem Inhalt des
kaiserlichen Testaments sowohl dem König Karl als dem Erzherzog
Ferdinand als ihre rechten Erbherren geleistet. Allein die Herr-
schaft in beider Fürsten Namen zeigte sich bald als unausführbar;
überdies drängte die mit dem jagelionischen Hause besprochene
Heirat zur Regelung der unklaren Verhältnisse. An eine Vermählung
Karls V. mit der Prinzessin Anna war nicht zu denken, da er
mit der Tochter des französischen Königs verlobt war, den er sich
damals nicht zum Feinde machen durfte. Karl gab daher auf Drängen
der ungarischen Stände am 7. November 1520 die Erklärung ab,
dass er die Ehe mit Prinzessin Anna seinem Bruder überlasse.
Zugleich erbot er sich, die fünf n.-ö. Lande zu einem Königreich
zu erheben und an Erzherzog Ferdinand abzutreten. Am 28. April
1521 vereinigten sich beide Brüder auf dem Wormser Reichstage
über die besprochene Ländertheilung, und vier Wochen darnach
feierte Erzherzog P'erdinand zu Linz seine Vermählung mit der
ungarischen Königstochter. Er empfieng nun die Huldigung seiner
Unterthanen persönlich, und als es sich um die Errichtung einer
neuen Regierungsbehörde handelte, konnte man alsbald sehen, dass
die Verhandlungen mit den Ständen in einem anderen Tone ge-
führt werden würden. Dennoch kam dem Erzherzog Ferdinand die
Weigerung der Kärntner und Krainer, die sich dem Wormser
Vertrag nicht fügen wollten, weU er ihr Landesgebiet zerreiße,
sehr gelegen, weil sie ihm den Anlass bot, eine günstigere Erb-
theilung zu erlangen. Durch den Brüsseler Vertrag vom 7. Februar
1522 verzichtete dann Kaiser Karl V. nicht bloß auf die in An-
spruch genommenen innerösterreichischen Landstriche, sondern
überließ dem Erzherzog Ferdinand überdies aus „aufrichtiger
brüderlicher Liebe" Tirol und die Vorlande, nur sollte dieser
Theil des Vertrages durch sechs Jahre geheim bleiben und
286 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Dritte Periode. § 41.
der Erzherzog hier zunächst nur als Stattlialter seines Bruders
auftreten.
6. Erst jetzt fühlte sich Erzherzog Ferdinand als Herr in
den Erblanden, und nun beschloss er, die verschobene Abrechnung
mit dem noch widerstrebenden Bruchtheil der Stände von Öster-
reich unter der Enns eintreten zu lassen. Sie erfolgte in Form
eines gerichtlichen Urtheiles über die Vorfrage, ob nach dem Tode
des Kaisers Maximilian das alte n.- ö. Regiment oder dessen Gegner
mit ihren Ansprüchen im Recht gewesen seien. Die Ständepartei
wurde schuldig erkannt und ihr namentlich zum Verbrechen an-
gerechnet, dass sie sich in das landesfürstliche Kammergut ein-
gemengt, die »Heimlichkeit" des landesfürstlichen Einkommens
ausgeforscht, die Pfleger und Amtleute in Eid und Pflicht ge-
nommen und den Blutbann verliehen habe, dass sie gemünzt
habe u. s. w. Erzherzog Ferdinand ließ auf dies Erkenntnis hin
sofort die Anstifter der ständischen Bewegung verhaften und acht
derselben nach durchgeführtem Verfahren am 9. und 11. August
1522 zu Wr.-Neustadt öffentlich hinrichten.
7. Ungemein erschütternd wirkte dieses blutige Schauspiel
auf die Zeitgenossen, vor allem auf die leichtlebigen Wiener, die
sich an der ständischen Bewegung sosehr betheiligt hatten. „ Das
Volk in der Stadt ist ganz verzagt und stUl gewest mit großen
Sorgen und Trauern", schreibt Herberstein. In der That hatten
die Wiener allen Grund, besorgt zu sein. Die beiden Collegien
der Münzer (Hausgenossen) und der Genannten wurden am
4. October 1522 aufgehoben, das Stadtgericht gleichzeitig mit
zwölf ständigen, vom Landesfürsten besoldeten und diesem eidlich
verpflichteten Beisitzern besetzt. Wenige Jahre später (am 12. März
1526) wurde durch eine neu erlassene Stadtordnung, die beschö-
nigend „Der Stadt Wien neue Freiheit" hieß, die alte Stadtver-
fassung vollends über den Haufen gestürzt, die städtische Autonomie,
bisher die Hauptquelle der Rechtsentwicklung, auf ein sehr be-
scheidenes Maß eingeschränkt und überall das Oberaufsichtsrecht
des Staates hervorgekehrt.
8. Kein Wunder, dass sich Erzherzog Ferdinand durch dies
strenge Auftreten die Gemüther vieler Österreicher entfremdete
und dass man seinem Auftreten in autonomen Körperschaften
mit unverhohlenem Misstrauen begegnete. In Steiermark ließ der
Das Blutgericht zu Wr.-Neustadt. Sturz Salamanca's. 287
Landeshauptmann, Sigmund Freiherr von Dietrichstein, sofort und
für alle Fälle eine actenmäßige Darstellung der beiden Erb-
huldigungen von 1520 und 1521 durch den Landschrannenschreiber
Hans Hofmann abfassen und im Jahre 1523 zu Augsburg drucken,
die erste Ausgabe der später s. g. Landshandfesten, da hier, ab-
gesehen von den übrigen Belegen auch die wichtigsten Landes-
freiheiten, die „goldene Bulle der Steirer", die s. g. Reformation
der Landshandfest u. s. w. mitgetheUt wurden. Die Wiener Uni-
versität, welche der Erzherzog im Jahre 1523 aufgefordert hatte,
ihm Vorschläge zu erstatten, wie etwa dem eingerissenen Nieder-
gang gesteuert werden könnte, lehnte seine HUfe ab, „quia omnia
agit ex sua auctoritate", wie es in akademischen Kreisen hieß
und weil man von seinem Eingreifen eine Schmälerung der herge-
brachten Stellung befürchtete.* Auch in Tirol, wohin sich Ferdinand
im Frühjahr 1523 begab, war die Stimmung keine bessere, geradezu
allgemein aber war die Abneigung gegen den Spanier Gabriel Sala-
manca, der unbedingten Einfluss über den Erzherzog besaß. Zumal
im Volke murrte man über den Schatzmeistergeneral und über den
zunehmenden Steuerdruck den man seinen Rathschlägen zuschrieb.
Selbst der Kaiser wirkte schließlich auf die Beseitigung Salamanca's
hin, denn man fürchtete, wenn nicht bald Abhilfe getroffen würde,
„so möchte wohl Schweiz Tirols HeiT und Meister werden". Als im
Jahre 1525 die Wogen des deutschen Bauernkriegs nach Tirol
hereinschlugen und die nach Salzburg und Obersteiermark ver-
breitete Bewegung nur mit größter Anstrengung niedergeworfen
war, fiel endlich der verhasste Mann. Auf dem allgemeinen Aus-
schusstage der Erblande zu Augsburg (December 1525 — 1526)
setzten die Landschaften unter der Führung der Tiroler durch
ihre Festigkeit die Entfernung des Günstlings durch. Es war die
höchste Zeit, dass zwischen dem Herrscher und den Erblanden
bessere Beziehungen angeknüpft wurden, denn wenige Monate
später hat die Schlacht bei Mohacs den Erzherzog vor Aufgaben
gestellt, die er nur durch einmüthige Unterstützung seiner Unter-
thanen in Altösterreich zu lösen vermochte.
^ Vgl. meinen Aufsatz über die steirischen Landshandfesten in den Beitr.
zur Kunde steir. Qe»ohichtsquelien IX, 196 und Kink, Geschichte der Uni-
versität, Wien, I, 25(5. Anm. 301.
288 Österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Anhang I.
Anliang I.
Übersicht der geschichtlichen Entwicklung in Böhmen,
Mähren und Schlesien bis zum Jahre 1526.
Übersichten der geschichtlichen Literatur für die böhmische Ländergmppe
beiKrones, Grundriss 10, 30, 86ff. — Dudik, Mährens allg. Geschichte, Bd. VIII
bis IX, Mährens Culturgeschichte, 1197—1306 (Land und Volle, Staat und Volks-
thum). 1878/80. — d'Blvert, österr. Verwaltungsgeschichte mit besonderer Rück-
sicht auf die böhmischen Länder. 1880. — Hub er, österr. Reichsgeschichte, 66. —
Jireöek, H., Das Recht in Böhmen und Mähren, I, 1866. — Kalousek J., Einige
Grundlagen des böhmischen Staatsrechtes, 1871, und sein umfassendes Werk:
Öeskä stÄtni prävo, 2. Aufl. 1892. — Macieiowski, Slavische Rechtsgeschichte,
4 Bde., 1835—39. — Paucker, Das alte Recht der Czechen (Arbeiten der kurländ.
Gesellschaft für Literatur und Kunst. Mitau 1847, 1. Heft). — Pernice, Ver-
fas^ungsrechte der im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder der österr. -
ung. Monarchie. 1. Heft, 1872. — Rachfahl, Die Organisation der Gesammt-
Staatsverwaltung Schlesiens vor dem 30jähr. Kriege. 1894. — TomaschekJ. A.,
Recht und Verfassung der Markgrafschaft Mähren im 15. Jahrhundert. 1863.
1. Die Slaven, welche im 6. Jahrhundert den bayerischen
Stamm aus den Sudetenländern gegen Westen verdrängten, bildeten
weder eine nationale, noch eine staatliche Einheit, sondern zerfielen
in viele getrennte Völkerschaften, die unter eigenen Fürsten standen
und noch auf Jahrhunderte hinaus kein gemeinsames Oberhaupt
anerkannten. Die Gründung eines größeren Reiches gelang erst
im Laufe des 10. Jahrhunderts dem nach seinem sagenhaften
Ahnherrn genannten Geschlecht der Pfemysliden, das den im
Herzen Böhmens wohnenden Stamm der Czechen beherrschte.
Bis zur Ausrottung des Fürstenhauses der Slavnik im Jahre 995
stand jedoch die weißchrovatische Bevölkerung der Osthälfte
Böhmens immer noch unter unabhängigen Herrschern. Erst von
da ab gewann das Herrschaftsgebiet der Premysliden ungefähr
den Umfang des heutigen Böhmen, wobei es im Westen bis zum
Egerländchen,^ nordöstlich aber bis Glatz reichte. Spuren der ver-
schiedenen slavischen Völkerstärame, die sich in Böhmen nieder-
gelassen hatten, finden sich noch später, ja die Erinnerung an die
^ Dasselbe, vorühergehend (1266—76) schon von König Otakar H. besetzt,
gelangte 1322 als Pfandhesitz dauernd an die Könige von Böhmen.
Beziehungen Böhmens zu Mähren, Schlesien und dem Reiche. 289
einst bestandene Vielherrschaft war selbst im 12. Jahrhundert
noch nicht geschwunden.
2. Von den Schicksalen des großmährischen Reiches ist schon
früher (§ 5, 5) die Rede gewesen. Dasselbe erstreckte sich gegen
das Ende des 9. Jahrhunderts nicht bloß über das heutige Mähren,
sondern auch über ansehnliche Gebiete an der Waag, Neutra,
Oder und Weichsel, endlich seit dem Übereinkommen mit König
Arnulf zu Omuntesberg (890) auch noch über Böhmen, das sich
jedoch nach Herzog Svatopluk's Tode wieder losriss. Seit Herzog
Boieslav I. (935—967) herrschten umgekehrt die Pfemysliden
einige Zeit über Mähren, Schlesien und Westgalizien, verloren
aber diese Gebiete um das Jahr 1000 an Polen. Mähren wurde
um das Jahr 1029 durch Herzog Bfetislav wieder zurückgewonnen
und bildete von da ab ein Nebenland von Böhmen, das, in TheU-
fürstenthümer zerlegt, vor allem zur Versorgung der jüngeren
Mitglieder des herrschenden Hauses diente. Im Jahre 1182 wurde
Mähren durch Kaiser Friedrich I. zu einer reichsunmittelbaren
Markgrafschaft erhoben; es verlor jedoch diesen Charakter im
Jahre 1349, als König Karl I. dies Land seinem Bruder Johann
als böhmisches Manneslehen übertrug. Mit dem Tode des Mark-
grafen Jodok (t 1411) fiel schließlich Mähren wieder an den
König von Böhmen zurück. Schlesien hingegen blieb etwa 160
Jahre mit Polen vereint und stand auch nach seiner Loslösung
von diesem Reiche unter plastischen Herrschern. Seit dem Jahre
1163 zerfiel es in drei Herrschaftsgebiete, welche durch fort-
gesetzte Theilungen in immer kleinere Fürstenthümer zerlegt
wurden und schließlich um die Mitte des 14. Jahrhunderts unter
die Oberlehensherrlichkeit der Könige von Böhmen kamen.
3. Eine viel umstrittene Frage ist die nach dem Verhältnis
von Böhmen zum Deutschen Reiche. Von den Verfechtern des
neuem böhmischen Staatsrechts wird die Behauptung aufgestellt,
dass Böhmen niemals ein Reichslehen gewesen sei, und — als
ob dies ehrender wäre — nur ein tributäres Verhältnis zu
Deutschland zugegeben.^ Allein weder der Schluss ist richtig,
dass die Tributzahlung die Lehensabhängigkeit jedesmal ausschließe,
noch die Voraussetzung begründet, dass in ersterer Leistung keine
^ So noch Kalousek, Öeske stÄtni prävo, S. 7 ff.
LvschlB, Oiterreichliche Reichtgesobiotate. 19
290 österreichische Reichsgeschichte. I. Thell. Anhang I.
Unterwerfung begründet sei. Vielmehr kann auf Grund so zahl-
reicher Beweisstellen, wie sie namentlich Pernice gesammelt hat,
nicht bezweifelt werden, dass, wenn auch nicht schon in karolin-
gischer Zeit, so doch angebahnt durch Heinrich I. (929) und
jedenfalls seit Otto I. (950), ein unzweifelhaftes Lehensverhältnis
Böhmens als eines zum Deutschen Reiche gehörigen Herzogthums
sich entwickelte, welches von dem anderer Reichslande qualitativ
gar nicht verschieden war und deshalb auch genau dieselben
Rechte und Pflichten wie für andere Reichsfürsten erzeugte. Die
böhmischen Herzoge oder Könige hatten von Alters her und jeder-
zeit die Pflicht, sich mit ihrem Herzog- und dann Königthum
Böhmen (seit 1356 als mit einem deutschen Kurf ürstenthum) vom
deutschen König oder Kaiser für das Deutsche Reich belehnen
zu lassen, wofern nicht sie ihres Besitzes Felonie halber verlustig
gehen wollten. Sie genossen im Zusammenhang damit schon von
frühe her das Recht der Theilnahme an der deutschen Königs-
wahl und übten mindestens seit Rudolf von Habsburg das Recht
und die Pflicht des Erzschenkenamtes. Sie hatten gleich andern
großen Vasallen das Recht und die Pflicht, auf gebotenen Reichs-
tagen zu erscheinen, obschon sie gleich den Herzogen von Öster-
reich nur zum Besuch der Hoftage in nächster Umgebung ihres
Landes verpflichtet waren. Sie waren ferner wie andere Vasallen
und Stände zur Theilnahme am Römerzuge und überhaupt dem
deutschen König zur Heeresfolge verpflichtet, wie sie auch in
mannigfacher Beziehung seiner Gerichtsbarkeit unterworfen waren.
Mit all diesen Verpflichtungen vertrug sich aber ein großer Grad von
Selbständigkeit, denn in die innem Landesangelegenheiten Böhmens
griff das Reich nicht ein und schon früh wurde hier durch Her-
kommen und umfassende Privüegien der in andern Reichsgebieten
erst weit später zur Anwendung gebrachte Satz des deutschen
Staatsrechts bewahrheitet : „ Quisque Status tantum potest in terri-
torio suo, quantum Imperator in imperio*.'
4. Aus den Umständen, unter welchen die Pfemysliden die
Oberherrschaft in Böhmen errangen und sich bewahrten, erklären
sich auch die Grundsätze,* welche in diesem Reiche für die Thron-
8 Pernice, S. 30, 17. 21 ff.
* Loserth, Das angebliche Senioratsgesetz des Herzogs Bfetislav I. —
Die Krönungsordnung der Könige von Böhmen. Archiv Bd. 64 und 54.
Böhmen ein deutsches Reichslehen, die Thronfolge. 291
folge maßgebend wurden. Es erscheint bei den slavischen Völker-
schaften das Herkommen ziemlich allgemein, dass innerhalb der
regierungsfähigen Mitglieder des Herrscherhauses nicht die Nähe
des Grades, sondern das reifere Alter einen Vorzug für die
Thronfolge begründete. Bei den Premysliden äußerte sich dies
darin, dass der regierende Fürst, wie er selbst Senior des Ge-
schlechtes war, es seinerseits als Gewissenspflicht ansah, den
ihm an Alter Nächststehenden zur Thronfolge vorzuschlagen.
Aber dem Erbanspruch des Fürstengeschlechts auf die Herrschaft
stand — ähnlich wie bei den Franken das Recht des Volkes —
so in Böhmen das Recht der Großen des Reiches entgegen, das
die Wirksamkeit des Vorschlags an ihre Zustimmung baud.*^ Aus
der Abhängigkeit vom Deutschen Reiche, in welche die Premysliden
gerathen waren, ergab sich überdies ein Bestätigungsrecht des
deutschen Reichsoberhauptes : „Alle drei Hauptmomente: Die Nomi-
nation seitens des regierenden Fürsten, die Wahl seitens der Großen
und seit dem 11. Jahrhundert auch die Confirmation des Kaisers
gehörten demnach zu den nothwendigen Vorbedingungen der recht-
lichen Giltigkeit einer Succession, und eine Thronbesteigung ohne
vorhergegangene Wahl gehörte zu den Ausnahmen, ebenso wie
jene, welcher die Confirmation des Kaisers gefehlt hat." In beiden
Fällen wurde sie sowohl von den böhmischen Großen als von
dem Kaiser angefochten.®
5. Nach dem Gesagten ergibt sich, dass es irrig ist, die
Senioratserbfolge in Böhmen auf ein Gesetz vom Jahre 1055
zurückzuführen; sie ist wohl ein altslavischer Brauch, und Herzog
Bfetislav hat auf seinem Sterbebette keine Neuerung vorgenommen,
sondern lediglich die Wahl seines Nachfolgers in der von Alters
üblichen Form eingeleitet. Im 12. Jahrhundert ist dann allerdings
bei den wiederholten Thronkämpfen und durch das Eingreifen
der Kaiser von dem Grundsatz der Senioratserbfolge oft abge-
gangen worden. Gerade in der Zeit der kraftvollsten Fürsten
* Vgl. die Belege bei Loserth, Sonioratsgesetz, S. 61 ff., die bezeichnenden
Vorgänge beim Tode Herzog Viadislav's, I. S. 65. — Macieiowski, I. § 42, ist
ungeachtet der von ihm beigebrachten Nachrichten anderer Meinung, muss aber
zugeben, dass nach allgememer Ansicht im ältesten russischen Recht nach dem
Tode des Fürsten nicht die Söhne sondern die Brüder folgten.
« Jireöelc, I, 2, S. 49. — Loserth, 77.
19*
292 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Anhang I.
Böhmens entwickelte sich vielmehr das Bestreben, der Primo-
genitur in der Thronfolge Eingang zu verschafifen, aber man hat
doch in der Folge noch wiederholt auf den Altersvorzug gebürende
Rücksicht genommen. Da jedoch Ptemysl Otakar's I. (f 1230)
und seine Nachfolger bis auf König Wenzel II. (f 1305) nur je
einen Sohn hinterließen, so bürgerte sich nun von selbst im Wege
der Gewohnheit die Frimogenitur-Erbfolge ein.
6. Die Stellung des regierenden Seniors war die eines Groß-
herzogs, dem die mit Theilf ürstenthümem in Mähren ausgestatteten
jüngeren Mitglieder des Geschlechts untergeordnet waren. Zur
Belohnung der im Investiturstreit bewiesenen Treue verlieh Kaiser
Heinrich IV. im Jahre 1086 dem Großherzog Vratislav II. für
seine Person den Titel eines Königs von Böhmen und Polen und
ließ ihn durch den Erzbischof von Trier in Prag krönen. Später
(1158) erhielt durch Kaiser Friedrich I. wegen treu und ausgiebig
geleisteter Heerfolge gegen die lombardischen Städte, Qroßherzog
Vladislav II. für sich und seine Nachfolger die Königskrone, wurde
ihrer aber wieder beraubt, als er im Jahre 1173 mit Umgehung
der altern Pfemysliden eigenmächtig seinem Sohne Friedrich die
Herrschaft zuwenden wollte. Erst Pfemysl Otakar I. erwarb die
Königswürde bleibend für seine Nachfolger im Reiche und sicherte
sich durch die Schaukelpolitik, die er in dem Kampfe zwischen den
Staufen und Weifen beobachtete, neue Vorrechte. Er so gut wie
seine Nachkommen nahmen an der Erwählung der deutschen Könige
thätigen Antheil, obschon der Verfasser des Sachsenspiegels den
stammfremden König Böhmens von der Wahlhandlung ausge-
schlossen wissen wollte. Im Jahre 1290 wurde ihnen ihr Platz
im KurfürstencoUegium auf Grund des Erzschenkenamtes, das
sie besaßen, ausdrücklich zugebilligt, durch die goldene Bulle
ihnen nebst den übrigen Vorrechten der Kurfürsten der erste
Rang nach den geistlichen Mitgliedern gesichert.
7. Der Mannsstamm der Pfemysliden erlosch mit Wenzel III.
im Jahre 1306. König Albrecht I. verlieh Böhmen und Mähren
als erledigtes Reichslehen seinem ältesten Sohne Rudolf und setzte
es bei den Standesherren durch, dass sie ihn nicht bloß als ihren
König anerkannten, sondern auch eidlich gelobten, bei dem Hause
der Habsburger zu bleiben. (§ 19, 3.) Allein die böhmischen Großen
vergaßen nach dem Tode König Rudolfs (4. Juli 1307) ihres Wortes
Böhmen wird ein Königreich; die Luxemburger und Habsburger. 293
und wählten erst den Gemahl der ältesten Schwester des ermordeten
Königs Wenzel III., den Herzog Heinrich von Kärnten zum König
und boten, als auch dieser ihre Gunst verloren hatte, die Hand
der Jüngern Schwester Elisabeth nebst der Krone dem deutschen
König Heinrich VII. an. Dieser wies sie an seinen Sohn Johann
von Luxemburg und belehnte diesen am 31. August 1310 mit
Böhmen und Mähren.
So kam das deutsche Fürstenhaus der Luxemburger durch
Wahl zur Herrschaft in Böhmen ; allein es bildete sich alsbald die
Erblichkeit wieder aus und Kaiser Karl IV. (als böhmischer König I.)
beschränkte durch die als goldene Bulle Böhmens bezeichnete
Thronfolgeordnung vom 7. April 1348 das Wahlrecht der Stände auf
den Fall, wenn „de genealogia, progenie, vel semine, aut prosapia
regali Bohemise masculus vel femella superstes legitimus . . . nuUus
fuerit oriundus". Nach dem Wortlaut dieses Staatsgrundgesetzes
war daher das Erbrecht der an Herzog Albrecht V. von Österreich
vermählten einzigen Tochter des Kaisers Sigmund nicht zweifel-
haft, allein die Abneigung, die gegen den Kaiser in hussitischen
Kreisen bestand, führte dazu, dass Albrecht V. nur von den Katho-
liken und den gemäßigten Utraquisten als König anerkannt wurde,
während die andern den polnischen Prinzen Kasimir wählten. Nach
Albrecht's II. Tode (1439) wurden Elisabeth und deren Sohn Ladis-
laus Posthumus nur von den Schlesiern, den Lausitzern und den
Mährern anerkannt.^ Die Böhmen hingegen bequemten sich erst
nachdem Herzog Albrecht von Bayern die Krone abgelehnt hatte,
zur Einsetzung einer Reichsverweserschaft, die Georg von Podie-
brad im Namen des legitimen Herrschers führte. Dem unge-
achtet wurde Ladislaus, als er 1452 aus der Vormundschaft seines
Vetters, des Kaisers Friedrich III. entlassen war, in Böhmen nur
als Wahlkönig anerkannt, weil die Mehrzahl des Landtages jener
■^ Wegen dieser einseitigen Anerkennung, die „dreist" und „unbesonnen"
gescholten wurde, machten die Böhmen den mährischen Ständeherren auf der
Iglaner Znsammonkxmft (1453, 29. Sept.) heftige Vorwürfe, verlangten die Wieder-
holung des Actes, da Mähren als Glied des Königreichs Böhmen sich nach dem
Haupte richten müsse und die mährischen Herren Vasallen der Krone Böhmens
seien. Die Mährer beharrten auf ihrem Recht, verweigerten die Erneuerung und
Mriesen die Behauptungen, dass Mähren ein Glied des Königreichs Böhmen und
sie böhmische Vasallen seien, so entschieden zurUck, dass die Böhmen dies
alles zurücknahmen. — Tomasche k, Mähren, 27.
294 ÖsteiTeichische Reichsgeschichte. I. Theil. Anhang I.
Partei angehörte, die seinen Vater nicht als rechtmäßigen König
ansah. Daher kam es auch, dass nach dem Tode des unvermählten
Königs Ladislaus (1457) weder das Erbrecht seiner Schwestern
noch ein männlicher Habsburger berücksichtigt, sondern dass der
frühere Reichsverweser Georg Podiebrad aus dem Hause Kunstat
zum Könige gewählt wurde. Diesem folgte in gleicher Weise 1471
Prinz Vladislav von Polen, der im Jahre 1516 mit Hinterlassung
seines Sohnes Ludwig und einer Tochter Anna starb. Ludwig
folgte seinem Vater in der HeiTSchaft über Böhmen, ohne dass
ihm sein Erbrecht bestritten worden wäre, Prinzessin Anna hin-
gegen wurde im Jahre 1521 mit Erzherzog Ferdinand von Öster-
reich vermählt.
8. Die Umstände, unter welchen der Thronwechsel in Böhmen
vor sich gieng, brachten es mit sich, dass die Macht des Herrschers
hier niemals ganz unbeschränkt war. Solange in der Bevölkerung
die Erinnerung an die früheren Stämme lebendig geblieben war, er-
schienen unzweifelhaft die Stammeshäupter der Lufcaner, Böliner,
Lütomerici, Defianer u. s. w. als geborene Wähler und Berather des
Großfüreten. Später, als diese Unterschiede verblassten und durch
die Bekanntschaft mit dem Lehenswesen eine Annäherung an die
Verhältnisse im Deutschen Reiche herbeigeführt war, traten neben
den Nachkommen der alten Stammeshäupter auch jene Geschlechter
hervor, welche sich durch größeren Grundbesitz im Lande bemerk-
bar machten.® Seit der Zeit, als Böhmen dem Christenthum gewonnen
war, besaßen femer die Bischöfe von Prag und Olmütz eine hervor-
ragende Stellung, die sich immer mehr hob, bis sie es eine Zeit lang
wagen durften, sich selbst mit dem regierenden Landesfürsten in
eine Linie zu stellen. Wenn wir von den Herrscherwahlen absehen,
so ist uns über die Form und den Umfang, in welchem sich der
Einfluss der Großen des Reiches auf die Regierung während der
ältesten Zeit äußerte, nur wenig bekannt. Angenommen wird,
dass dem regierenden Fürsten, soweit die geschichtlichen Erinne-
rungen zurückreichen, der Landtag als eine von Zeit zu Zeit zu-
sammentretende Versammlung und der Landeskmeten Rath',
^ Zemanö genannt, ganz in dem Sinne, wie in den aitösterreichischen
Landen von , Landleuten " gesprochen wird. (§ 35, 7.)
» Jireöelc, I, 72 «f. — Vgl. auch Kalousek, Öeske st&tni priyo, 304,
über Generallandtage, 128.
König und Stände, der' Rath der Landeskmeten. 295
^8 ständiger Beirath zur Verwaltung des Landes zur Seite stand.
Der Landtag (snöm) war ursprünglich eine Vereinigung der Lechen,
als der Stammes- und der Wladyken als der Geschleehtshäupter,
seit dem 11. bis 12. Jahrhundert eine Versammlung der nobilös
und milites oder der nobiles primi et secundi ordinis,
d. h. der Lehensherren (Senioren) und ihrer Mannen. Zu diesen
gesellten sich als Vertreter des Großgrundbesitzes, der sich in den
Händen der Geistlichkeit befand, die Bischöfe und die Vorstände
der wichtigeren Landesklöster. Sitz und Stimme behauptete jedoch
die Geistlichkeit nur in Mähren, während sie aus den böhmischen
Landtagen nach Karl IV. verschwand. Daher gab es im 15. Jahr-
hundert in Böhmen auf den Landtagen nur drei, in Mähren da-
gegen vier Stände. Bei Auflage einer Steuer auf den Besitz der
Geistlichkeit verhandelte der König auf besonderen Versammlungen,
ebenso auf Städtetagen, wenn eine eigene Stadtsteuer gefordert
wurde. Nur in Ausnahmsfällen, bei sehr dringlichen Landesange-
legenheiten wurden Vertreter der Städte schon seit der zweiten
Hälfte des 13. Jahrhunderts zu allgemeinen Landtagen berufen,
Sitz und Stimme darin gewannen sie unbestritten erst seit der
Hussitenzeit. Gegenstände der Landtagsverhandlungen waren die
Wahl und die Huldigung des Landesfürsten (eine Zeit hindurch
auch die Wahl der Prager Bischöfe), Beschlüsse über Kriegszüge
in fremde Länder und allgemein verbindliche Gesetze, später vor
allem die BewUligung außerordentlicher GeldhUfen. Auch als
Gericht waren die Landtagsversammlungen thätig: in Fällen des
Hochverraths und bei Streitigkeiten über liegendes Gut.
9. Der Schwerpunkt des Einflusses der Stände auf die
Regierung ruhte indessen anfänglich weniger in den Landtagen,
als in dem Beirath der Landeskmeten, der den Regenten ständig
umgab und im Wesen mit dem durch Pfemysl Otakar IL in
Österreich eingeführten „geschwomen Rath der Landherren" zu-
sammenfiel (§27, 8; §28, 6). Der Zusammenhang zwischen den
Kmeten (das Wort hat noch heutzutage im Czechischen die
Hauptbedeutung , Greis") und den Senioren -- Lehensherren ist
ganz augenfällig. Sie wurden auch in lateinischen Quellen nicht
bloß natu majores, sondern geradezu seniores genannt, und
wir dürfen annehmen, dass der Ausdruck kmet dereinst den
Lehensherrn überhaupt bezeichnete. Im Laufe der Zeit gewinnt
296 Österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Anhang I.
er aber eine andere, technische Bedeutung, indem einige Kmet^
{kmetones) zu Landeskmeten, d. h. Landessenioren in dem Sinne
wurden, wie wir noch heutzutage von einem „Seniorenconvent*
reden. Derartige Kmeten begegnen uns vom 11. bis 13. Jahr-
hundert als Mitglieder der vornehmsten Linien der »Lechen" oder
Herrengeschlechter. Da die großen Familiengüter der Herren-
geschlechter durch Jahrhunderte festen Bestand hatten, so bildete
sich im Laufe der Zeit die Übung aus. dass die Kmetenwürde
den vornehmsten Adelsgeschlechtem in den alten Stammsitzen
derselben zustehe. Schon im 13. Jahrhundert wird deren Zahl
stetig, während sie für die frühere Zeit unbestimmbar ist; im
14. Jahrhundert gab es in Böhmen zwölf Kmeten nach den zwölf
Landeskreisen. ^° Gegen Ausgang des 14. Jahrhunderts scheint
sich die frühere Bedeutung des Kmetenrathes für die Landesver-
waltung geändert zu haben, da Kmei jetzt nicht mehr einen Be-
rather des Landesfürsten, sondern die Abkunft von jener Linie
eines Herrengeschlechts bezeichnet, welche die Kmetenstellung
im Kreise hatte.^^ Damit stimmt überein, dass bald darauf
die Adelsgeschlechter namentlich aufgezählt werden, denen die
Kmetenwürde zukam und dass nach dem Tobitschauer Rechts-
buch aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in Mähren
der Landesrath (rada zemskä) vom Landesfürsten sowohl aus dem
Herren- als aus dem Ritterstande genommen werden konnte.
10. Ungeachtet dieser Veränderung im Wesen des Landes-
rathes, wusste der Herrenstand (in dem damals die führenden
national-slavischen Elemente verkörpert waren) die durch die
Hussitenkriege gegen den deutschen Bürgerstand eingeleitete Be-
wegung sosehr zu seinem Vortheil zu lenken, dass ihm nahezu
ausschließlich die Früchte zufielen. ^^ Bei der Schwäche der landes-
herrlichen Gewalt und der Ohnmacht der übrigen Stände ruhte
10 Vgl. damit das Zugeständnis Otakar's II. an die Österreicher im Jahre
1251, dass er einen Rath mit 12 Herren vom Lande haben wolle. (§ 27, 8.)
i> So verstehe ich die bei Jireöek, I, 77, mitgetheilte Stelle aus dem
Rechtsbuch des Andreas von Duba, Art. 60: »Den Boschluss der Herren kann
nur jener von den Herren austragen, welchen der Landrichter dazu aufruft, und
dieser Herr muss ein Kmet sein von seinen Vorfahren her, und was Kmet ist,
das wissen die Herren."
'2 Vgl. für das Nachfolgende vor allem Tomasche k, Recht und Ver-
fassung von Mähren. S. 49 ff.
Herrenstand und Ritterschaft. 297
fortan die Regierung des Landes, die nun ein oligarchisch-
aristokratisches Gepräge bekam, fast allein in den Händen der
Landherren, ebenso der VoUgenuss der Privatrechte, auch übten
sie jetzt die früher landesherrlichen Rechte : Gerichtsbarkeit, Jagd
und Fischerei, den Bergbau, das Heimfallsrecht u. s. w. auf ihren
Gütern als bloßen Ausfluss ihrer Grundherrlichkeit zu eigenem
Rechte aus.
Zum Herrenstande wurden nun diejenigen Geschlechter ge-
zählt, die von altersher (wenigstens durch drei Generationen) im
Landtag gesessen hatten und als Boten zur Landtafel verwendet
worden waren. In Mähren gab es nach der Vereinbarung vom
Jahre 1480, die als Grundgesetz in die Landtafel eingetragen wurde,
nur 15 Familien des alten Herren Standes. Neuaufnahmen konnten
nur durch die Herren selbst erfolgen und hatten u. a. das eidliche
Gelöbnis zur Voraussetzung, dass das neu erhobene Geschlecht
erst in dritter Generation den ihm nach dem Alter gebürenden
Sitz und Rang unter den alten Geschlechtem einnehmen werde. ***
Damit schloss sich der Herrenstand als Geburtsstand gegen den
Wladykenstand in einer scharf gezeichneten Grenzlinie ab, während
es bis dahin einem Wladyken oder Panoö möglich gewesen
war, durch das Ansehen, das ihm sein großer Ginindbesitz oder
seine im Kriege oder bei Hofe erworbene Bedeutung gab, that-
sächlich als „Herr* zu gelten.
11. Neben den Herren wurden — wie schon erwähnt — seit
ältester Zeit Wladj^ken, nobiles secundi ordinis, als niederer
Adel unterschieden. Die Einführung des deutschen Lehenswesens
in Böhmen und Mähren in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts
hatte dann die Ausbildung der Ritterschaft als Berufsstandes un-
gemein begünstigt. Obwohl jedoch die wichtigsten politischen
Rechte bis zum Schluss des Mittelalters dem Herrenstande vor-
behalten blieben, so betrachteten sich doch die Ritter, stolz auf
die Ehre des Kriegerberufs, die sie mit dem Herrenstande theilten,
als eine dem Bürger und Bauer übergeordnete Classe. Im 15. Jahr-
hundert schloss sich dann die Ritterschaft (rytierstvo) als ein-
heitlicher Geburtsstand gegen die Nichtadeligen ab, was seinen
äußerlichen Ausdruck darin fand, dass die bisher verschiedenen
^^ Offenbar das Vorbild für ähnliche Beschränkungen, die im 16. Jahrb. in
den fdnf n.-ö. Landen nach Aufstellung der Landmannschafts- Matrikeln vorkommen.
298 österreichische Keichsgescfaichte. 1. Theil. Anhang I.
Titulaturen einer einheitlichen Bezeichnung Platz machten. Ihre
Stellung unter dem Herrenstande wird am besten dadurch ge-
kennzeichnet, dass im Jahre 1492 der mährischen Ritterschaft auf
den Hinweis, dass sie an Geburt nicht niedriger stehe als in
Böhmen, von den Herren als Act der Gnade Antheil an der
Besetzung des Landrechts zugestanden wurde, so dass nunmehr
zu den 14 Beisitzern des Herrenstandes noch sechs Ritter hinzu-
kommen sollten. Auf dem Prager Landtag vom Jahre 1497 hat
dann König Vladislav II. ein für allemal den Stand bestimmt,
dem die höhern Landesbeamten angehören sollten ; dass die Mehr-
zahl und die wichtigeren dem Herrenstande vorbehalten wurden,
ist nach dem Gesagten leicht begreiflich.
12. Das deutsche Bürgei-thum in Böhmen und Mähren dankt
seine Entstehung vor allem den böhmischen Königen seit Pf emysl
Otakar L, die sich dadurch ein Gegengewicht gegen die auf Be-
schränkung der landesfürstlichen Macht gerichteten Bestrebungen
der mächtigen Adelsgeschlechter schaffen wollten.^* Es wurden
nämlich entweder Niederlassungen von Handwerkern und Kauf-
leuten, die sich in der Umgebung landesfürstlicher Burgen ge-
büdet hatten, zu Städten erhoben, oder Städte an passenden Orten
geradezu gegründet. Obwohl der Adel das Beispiel der Könige
nachahmte und namentlich in den Tagen König Otakar's IL die
Deutschen im wohlverstandenen Interesse der Bewirtschaftung und
des Ertrags seiner Besitzungen begünstigte, so überwogen doch
lange die landesfürstlichen Städte die andern nicht bloß nach
ihrer Bedeutung, sondern auch der Zahl nach. In der Majestas
Carolina werden für Böhmen allein 32 königliche Städte (civitates
regui) aufgezählt, trotzdem namentlich zur Zeit des Königs Johann
von Luxemburg viele Städte in den Besitz der Großen des Landes
übergegangen waren. Nicht viel weniger gab es nach dem Testament
des Markgrafen Johann noch im Jahre 1371 in Mähren. Bald
darauf nahm aber deren Zahl reißend ab. In Mähren waren sie
bis zum Jahre 1413 auf 11, im Jahre 1440 auf 8 herabgesunken,
schließlich blieben hier nur Olmütz, Brunn, Znaim, Iglau, Neustadt
und Hradisch als freie königliche Städte übrig, während alle
andern sich schon im Besitz der Landherren befanden. Nur die
" Hanel in Grünhut's Zeitschrift, XX, S. 375 flf.
Stellung der Deutschen in Böhmen und Mähren. 299
ereteren behielten die ihnen durch ihre alten Privilegien ge-
währte Autonomie; bei den übrigen hieng es thatsächlich vom
guten Willen ihrer Grundherren ab, welches Maß von Rechten
sie ihnen zugestehen wollten.
Die deutschen Bürger bildeten an den Orten ihrer Nieder-
lassungen ursprünglich besondere, von der übrigen Bevölkerung
geschiedene Gemeinden, die nach eigenem Rechte lebten, doch
verbreitete sich das deutsche Recht auch über die Stadtgebiete
hinaus auf das flache Land.
13. Es waren vor allem wirtschaftliche Rücksichten, welche
— zunächst die geistlichen Grundherren — zur Berufung deutscher
Ansiedler nach den waldreichen Grenzbezirken von Böhmen und
Mähren bewogen: die deutschen Einwanderer rodeten dort Wald-
grund und verwandelten den bisher ertraglosen Boden in frucht-
bares Ackerland. Dadurch waren am . Schlüsse des 12. und zu
Beginn des 13. Jahrhunderts schon große Streifen dieses Grenz-
landes mit deutschen Ackerbauern besetzt, und nun folgten dem
von den Klöstern gegebenen Beispiele in der Besiedlung wüster
Landstriche durch Deutsche die böhmischen Könige, die Markgrafen
von Mähren, sowie die slavischen Großen des Landes.
Auf die Verhältnisse des Bauernstandes in Böhmen und
Mähren hatte die Einführung des deutschen Rechts wichtigen und
wohlthuenden Einfluss. Man hat zwar die Sache umgekehrt und
behauptet, dass Hörigkeit und Leibeigenschaft in der böhmischen
Ländergruppe von Hause aus gar nicht vorgekommen, sondern
erst mit den deutschen Ansiedlem eingeschleppt worden seien.
Es \^airde also indirect den Deutschen und dem deutschen Rechte
die Schuld an den späteren beklagenswerten Zuständen der bäuer-
lichen Bevölkerung zugeschrieben. Diese Ansicht ist jetzt wohl
allgemein aufgegeben, ^^ denn sie steht in geradem Gegensatz zur
gedrückten Lage des böhmischen Bauers im 12./ 13. Jahrhundert vor
Einführung des deutschen Rechts, welches den Zinspflichtigen
i& Tomaschek, a. a. 0. 54, Anm. 1. Während Macieiowski, I, § 70,
noch den Satz aufstellt, dass ßclaverei den Slaven erst durch Christen ge-
lehrt worden sei, gibt Jire<:^ek zu d, § 18, U, § 7), dass sie bei den böhmischen
Slaven bis ins 9. Jahrhundert zurück als Folge von Kriegsgefangenschaft, gericht-
Ucher Zuweisung des Schuldners, verbrecherischer That, Macht der Eltern über
ihre leiblichen Kinder, vorkam.
300 Österreichische Roichsgoschichte. I. Theil. Anhang I.
und Grundholden eine rechtlich geschlitzte und geordnete Stellung
gewährte. In der That kamen in Böhmen und Mähren für die
Lage der bäuerlichen Bevölkerung dieselben wirtschaftlichen Er-
wägungen zur Geltung, wie in anderen Colonisationsgebieten : es
musste eben der fremde Zuzügler durch Vortheile angelockt und
festgehalten werden, weil die heimischen Kräfte nicht reichten
(§ 34, 9). An die Stelle eines ungemessenen, der Willkür des Grund-
herrn gänzlich preisgegebenen Abhängigkeitsverhältnisses mit un-
geregelten Zinsen und Frohndiensten trat nun ein geordnetes ver-
erbliches und mit Zustimmung des Herrn verkäufliches Besitzrecht
mit festbestimmten Leistungen, das Burgrecht (jus teutonicum,
j. civile, j. emphyteuticum). Das konnte nicht ohne günstige
Rückwirkung auch auf die slavischen Bauern bleiben. Aber schon
unter König Wenzel IL begann der nationale Rückschlag und die
Abschließung des Adels gegen deutschen Einfluss : Die Grundherren
fiengen an, die Freizügigkeit der Bauern zu beschränken, um die
Auswanderung ihrer fleißigsten Leute nach den Städten zu hindern,
unterließen es aber, ihre Hörigen besser zu behandeln.
14. In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts wurden unter
der bäuerlichen Bevölkerung noch Rustici, d. i. kleine Grundbe-
sitzer, die ein freies Eigen hatten und weder einer Stadt schoßten,
noch Hofhörige eines Grundherrn waren, von den Emphytexitce,
die ihre Güter zu Burgrecht besaßen, unterschieden und den
AgricoloB entgegengesetzt. Diese selbst waren entweder censiti,
d. h. solche, die von einer Herrschaft Land gegen Zinsungen,
Naturalleistungen und Frohndiensten zu lebenslänglicher Benützung
erhalten hatten, ohne vom Sterbfall und andern Lasten der
Hörigkeit befreit zu sein, oder glehce adscripti^ d. i. solche, welche
die Höfe des Herrn bloß als sein Gesinde in seinem Namen
und für seine Rechnung ohne jeden eigenen Genuss bearbeiteten
und daher als Zubehör des Bodens galten.*® Im 15. Jahrhundert
verschlechterte sich als Nachwirkung der Hussitenkriege die Stellung
der ländlichen Bevölkerung ganz ungemein. Der rechtliche Unter-
schied zwischen den verschiedenen Classen der Zinsigen er-
scheint thatsächlich verwisöht, auch des Burgrechtpflichtigen, er
^^ Aufzählung im Testamente des Markgrafen Johann von Mähren, das
Kaiser Karl IV. im Jahre 1366 bestätigte. Tomaschek, a. a. 0., 53.
Gedrückte Lage der Bauern; Staat und Kirche. 301
mochte auf dem Lande oder in der Stadt wohnen, konnte sich
nun der Herr als seines eigenen Mannes versichern oder ihn wie
seine eigenen Leute verpfänden, ihm Frohndienste auferlegen u. s. w.
Die wirtschaftlichen Polgen solcher Zustände blieben nicht aus:
Die maßlose Ausdehnung des Heimfallsrechts, die nun auch
den Inhaber nach Burgrecht traf, falls er ohne Kinder war und
die Verfügungsfreiheit nicht vom Herrn erkaufte, lähmte das
Interesse an dem guten Stande des Bodens. Als nun der Adel
die Bebauung seiner Gründe durch harte Frohnarbeit zu erzwingen
suchte, flüchteten die Bauern. So wurden die Dörfer immer kleiner
und unansehnlicher, obwohl sich die Haftung an der Scholle in
ihrer ganzen Strenge ausbildete und die Entlassung aus einer
Grundherrschaft in die andere mit den größten Schwierigkeiten
umgeben wurde. Es bildete sich also unter der schwachen Regierung
der Könige Vladislav II. und Ludwig jene Form der Leibeigen-
schaft aus, welche im 16. Jahrhundert den ärgsten Grad erreichte.
15. Auch der geistliche Stand hatte durch die Hussitenkriege
eine bedeutende Verringerung seiner früheren Bedeutung erfahren
und namentlich viel am Grundbesitze eingebüßt, der theils von
den Großen in Besitz genommen, theils von dem Könige ver-
pfändet worden war. Überhaupt standen den Königen in Böhmen
mehr Rechte der Kirche gegenüber zu, als den österreichischen
Herzogen. Die Majestas Carolina wahrte den Königen das Ober-
eigenthum über das Kirchengut, die Vladislaische Landesordnung
vom Jahre 1500 verbot den Klöstern und Geistlichen die Ver
pfändung oder Veräußerung ihrer Güter ohne Vorwissen des
Königs. Nicht minder bezeichnend ist der von König Johann im
Jahre 1330 den Pragern ertheilte Freiheitsbrief, der, die Rechts-
verweigerung ausgenommen, jede Vorladung eines Prager Bürgers
vor ein geistliches Gericht, mag es sich nun um weltliche oder
geistliche Angelegenheiten handeln, schlechtweg verbot. ^"^
Die Prager Bischöfe wurden bis zum Ende des 12. Jahrhunderts
über Vorschlag des Herzogs durch Volk und Clerus gewählt und
galten als deutsche Reichsfürsten, weil sie die Temporalien aus
den Händen des Kaisers empfiengen. Dies änderte sich im Jahre
^^ ÖeiakoYsky privilegia civitatnm Pragensium (C. jur. munic. I.) S. 33,
Nr. 17. ~ Ober die kirchliche Jurisdiction in Böhmen, s. 0 tt, Beitr. zur Receptions-
geschichte des röm.-canon. Processes in den böhmischen Ländern. 1879, 8. 1 ff.
302 Österreichische Beichsgeschichte. I. Theil. Anhang I.
1197 und Prag .wurde nach Verlust der Reichsunmittelbarkeit
ein Landesbisthum. Im Jahre 1344 wurde Böhmen überdies
in kirchlicher Beziehung von Deutschland gelöst, indem Prag
zum Erzbisthum erhoben wurde mit Einräumung der Metropolitan-
rechte über 01m ütz und das neugegründete Bisthum Leitomischl.
16. Die älteste Verwaltung von Böhmen und Mähren beruhte
auf der Eintheilung des Landes in Bezirke, die den Namen 2upa
trugen. Jede !^upa hatte ihre Burg, die der ständige Sitz der
^upenbehörden, Zufluchtsstätte in Kriegsnöthen, Sammelplatz des
Aufgebots u. dgl. m. war und durch die Arbeit der Äupenbewohner
in gutem Stand erhalten werden musste. Auf diesen Umstand ist
die Entstehung gewisser öffentlicher Lasten zurückzuführen, die
schon im 12, Jahrhundert nach Vernichtung der Äupenautonomie
von den landesfürstlichen Beamten gefordert wurden, welche nun-
mehr die Angelegenheiten dieser Kreise verwalteten.^® Mit der
Ausbreitung des Lehens- und Immunitätswesens gieng die Äupen-
einrichtung ganz zugrunde, namentlich seitdem Pf emysl Otakar II.
ein oberstes Landgericht in Prag aufgestellt hatte, an welches man
von den ^upengerichten appellieren konnte, und die Landgerichte
in Brunn und Olmütz die gleiche Stellung für Mähren erlangt hatten.
Der Landesfürst übte die ihm zukommende Verwaltung theUs
durch Hof-, theils durch Landesbeamte aus. Unter ersteren ragen
der Marschall und Kämmerer besonders hervor, neben ihnen waren
ferner der Hofrichter und Kanzler am fürstlichen Hofe thätig.
Dagegen war der Landeshauptmann (capitaneus terrae) in Mähren
ein stellvertretender Beamte des Königs für das Land; gleiches
gilt von den schon erwähnten obristen Landrichtern, dem obristen
Landschreiber und den mährischen obersten Landeskämmerern zu
Olmütz und Brunn, deren Stellen im Jahre 1493 vereinigt wurden.
Der Verfügung vom Jahre 1497, durch welche ein für allemal
der Stand bestimmt wurde, welchem diese obersten Landesbeamten
angehören mussten, wurde schon oben (Abschnitt 11) gedacht.
17. Die Stellung des Landesfürsten in Böhmen und Mähren
entsprach im allgemeinen jener der österreichischen Herzoge in
ihren Landen (26, 8), nur war sie seit dem Erlöschen der Pfemis-
liden einer beständigen Abbröckelung ausgesetzt. Der König war
18 Jireöek, I,. 2, § 5, S. 12, macht 36 ^upenborgen in Böhmen and 19 in
Mähren namhaft. Vgl. anch d'Blvert, Verwaltungsgeschichte. 13 ff.
Die 2upen; Rechte des Königs und die landesförstiiche Verwaltung. 303
oberster Gerichts- und Kriegsherr, besaß wichtige Rechte über die
im Lande begüterten Hochstifte und Klöster (Abschnitt 15). Er
hatte femer freie Verfügung über die Domänien und das übrige
Kammergut, sowie einträgliche Regalien. Außerdem hatte er An-
spruch auf mancherlei Gefälle, wie das Ungeld in den Städten
und ein ausgebildetes Heimfallsrecht. Ferner durfte er außer Stadt-
steuern, zur Deckung der Auslagen bei seiner Krönung und bei
Verheiratung seiner Söhne und Töchter allgemeine Landessteuern
{bemä) ausschreiben, während er in andern Fällen der Zu-
stimmung des Landtags bedurfte. Allein die königlichen Güter
und Städte wurden zumal im 14. Jahrhundert durch Verpfändung
und Nichtwiedereinlösung, Schenkungen, AUodialisierung des Lehen-
gutes u. s. w. sehr vermindert, und die Hussitenkriege ließen gar
nur wenige Überbleibsel zurück, daher das Tobitschauer Rechts-
buch (Cap. 28) von den markgräflichen Schlössern in Mähren wie
von einer verschollenen Sache spricht. Nicht minder arg ergieng
es den übrigen Einnahmsquellen, so dass die Könige Vladislav IL
und Ludwig in beständigen Finanznöthen waren, ein Umstand,
der nicht wenig zur Untergrabung der königlichen Macht beitrug.
18. Noch erübrigen einige Worte über die Rechtsquellen in
Böhmen, Mähren und Schlesien. Die Rechtsentwickelung in diesen
Ländern bietet die EigenthümUchkeit, dass das Stadtrecht hier
keineswegs aus dem Stammesrecht erwachsen ist und daher nicht
die einer wirtschaftlieh vorgeschritteneren Stufe entsprechende
Umbildung des Landrechts darstellt,^® sondern von Anbeginn
^*Literatur-Übersichten:Rößler, Quelionkunde der Rechtsgeschichte
Böhmens (Schmidl'sche Bl. f. Lit, 1846, Nr. 46); Legis-Glückselig, Literatur-
geschichte des böbm. Staats- und Privatrechts (Österr. Zeitschr. für Rechts-
nnd Staatswissenschaft. 1847, S. 177, 261 ff); Tomaschek, Recht Mährens. 8 ff;
Celakoysk>^ Ponäechnö öeskö döjiny prävni. 1892. S. 6. — QuellendesLand-
rechts: Jireöek, Codex juris Bohemici (C. j. B.), unvollendet, 1867 ff; das
Tobitschauer Buch, Ausgaben von Demuth und Brandl; Kniha Dmovska, h.
Brand], 1868; Reliquise tabularum regni BohemieB ed. Emier, 1870; Landtafol
der Markgrafschaft Mähren, h. D emut h und V^ o 1 f sk r on, 1854 ; Libri citationum
et sentenclarum ed. Brandl, 1872. — Als Hilfswerk : Brand 1, Glossarium illustrans
bohemico-moravicae historise fontes, 1876. — Stadtrechte: Prag: ÖelakovskJ',
Codex jur. municipalis regni Bohemise, 1886 ; Rößler, Alt-Prager Stadtrecht, 1845 ;
Eger: Privilegien, h. Gradl, 1879; Stadtgesetze, h. Khull, 1881, G. Pr., s. auch
Mayer F. M. im Archiv, Bd. 60; Brunn: Stadtrechte, h. Rößler, 1852;
Liber informationum (Schöffen Weisungen f. Hradisch, heransgeb. Tkaö, 1882;
304 Österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Anhang I.
in einem unversöhnlichen, weil nationalen Oegensatz zu diesem
steht. Stadt- und Landrecht haben hier einen von einander wesent-
lich verschiedenen Ursprung, jedes wurzelt in einer andern Volks-
thümlichkeit, daher blieben auch beide Rechtssysteme von einander
für die ganze Zukunft getrennt, so dass kein einheitliches Recht
für die Gesammtbevölkerung dieser Länder entstehen konnte. Denn
es kam neben dem deutschen Rechte, das für deutsche Bürger
ausschließliehe Geltung hatte, das auf slavischer Grundlage er-
wachsene Landrecht überall zur Anwendung, wo das deutsche Recht
durch besondere landesf üretliche Verfügung ausgeschlossen war.
Nichtsdestoweniger sind Spuren wechselseitiger Einwirkung vor-
handen, wobei aber das deutsche Recht mehr als das Gebende,
denn als das Empfangende erscheint. Gar bald und im umfassenden
Maße wurden deutschrechtliche Einrichtungen im Landrecht ein-
gebürgert, auch wohl deutsche Rechtsbücher wie das sächsische
WeichbUdrecht oder der s. g. Schwabenspiegel ins Czechische
übersetzt und in vielen Handschriften verbreitet, während um-
gekehrt Grundsätze des slavischen Landrechts nur allmählich und
sehr vereinzelt den Weg in die deutschen Stadt- und Dorfrechte
Böhmens und Mährens fanden.^^
^19. Eine der Hauptursachen der raschen Ausbreitung des
deutschen Rechts bildete gewiss die Bestimmtheit seiner Grundsätze,
die in vielen verhältnismäßig leicht zugänglichen Sammlungen
niedergelegt waren. Um einem diesfalls bestehenden Mangel beim
Landrechte abzuhelfen und das heimische Recht vor Vergessenheit
zu schützen, verfassten einzelne Mitglieder des Herren- und Ritter-
standes Rechtsbücher in czechischer Sprache. Hiehergehören:
a) Das weit verbreitete Buch des alten Herrn Peter von
Rosenberg, das nach dem Muster eines italienischen ordo judiciarius
in den Jahren 1320 bis 1330 in 36 Capiteln mit 289 Abschnitten
verfasst wurde (C. j. B. H, 2, Nr. 7);
Olmütz: Bischoff, Deutsches Recht in Olmütz, 1855; Stadtbuch (in den S.-B.,
Bd. 85), Auszüge daraus durch S a 1 i g e r, 1882 ; /(^tott; T 0 m a 8 c h e k, Deutsches Recht
in Österreich im 13. Jahrhundert, 1859, Schöflfensprtioho, 1868; s. auch d'Blvert,
Zur Geschichte der kaiserl. Städte Mährens, 1860. — Bäuerliche Rechts-
quellen: Chluraecky, Dorfweisthümer aus Mähren (Archiv, Bd. 17);Rößler,
Zwei Vorträge, S. XXX ; Kaiser Karl's IV. Weinbau- Statut für die Umgebung
von Prag, 1358, bei Weingarten, Fasclculi diversorum jurium.
20 Haue l, 377, 379, 408.
Quellen des Landrechts in Böhmen, Mähren und Schlesien. 305
h) das Rechtsbuch des Herrn Andreas von Duba. Der Ver-
fasser, der bis zum Jahre 1 394 Oberstlandrichter von Böhmen war,
führte sein Werk vorerst bis Art. 82 und fügte später zwischen
1402 bis 1410 noch den Rest, Art. 83—122 bei;
c) die neun Bücher des Victorin von Vöehrd vom böhmischen
Landrecht und der Landtafel aus den Jahren 1495 bis 1499
(C. j. B. IIL 3) ;
d) für Mähren das Tobitschauer Rechtsbuch, das Herr Ctibor
von Cimburg während der Jahre 1480 bis 1 494 verfasste ; dasselbe
begreift ohne Systematik das ganze öffentliche und Privatrecht
in 186 Capiteln und bildet die Grundlage der ersten gedruckten
Landesordnung vom Jahre 1535;
e) eine jüngere Arbeit des Ctibor von Drnovitz. die um
1523 begonnen wurde, ist eine Sammlung von alten mährischen
Landesgewohnheiten und Gerichtsbriefen;
f) Ein ordo judicii terrae, von einem Unbekannten vor dem
Jahre 1350 in lateinischer Sprache verfasst und bald darnach ins
Czechische übersetzt. (C. j. B. II, 2, Nr. 10.)
20. Gesetze und Gesetzentwürfe. Schon König Wenzel II.
(1283 — 1305) ließ durch den Romanisten Gozzius von Orvieto ein
umfassendes Gesetz verfassen, das Entwurf blieb, weil es vom
Adel abgelehnt wurde. Nicht besser ergieng es der Majestas
Carolina, die Kaiser Karl IV. um 1346 ausarbeiten ließ und die
im Jahre 1355 von den Ständen verworfen wurde. Ihr Inhalt
betrifft vornehmlich das Staatsrecht und zerfällt in 127 Rubriken
mit Paragraphen-EintheUung. (C. j. B. II, 2, Nr. 9.) Als in der zweiten
Hälfte des 15. Jahrhunderts die königliche Macht nahezu ge-
brochen war, drangen die Landstände selbst auf Codificierung des
Rechts. Über Beachluss des Landtags vom Jahre 1497 arbeiteten
zwei Herren von Stemberg und der königliche Procurator, Wladyk
Albrecht Rendl von Auscha den Entwurf einer Landesordnung
aus, den König Vladislav IL im Jahre 1500 genehmigte und der
als wichtigste Ergänzung im Jahre 1517 den s. Wenzel's Vertrag
über den Umfang der städtischen Gerichtsbarkeit, erhielt. (Gedruckt
1500 und C. j. B. IV, 1. sectio 1.)
Constitutiones juris metallici König Wenzel's IL vom
Jahre 1300 für die Silbergruben von Kuttenberg. Das Gesetz wurde
mit Benützung des Iglauer Rechts wahrscheinlich durch Gozzius von
L nie hin, österreichiiche Reichsgeschichte. 20
306 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Anhang I.
Orvieto ausgearbeitet und nach dem Vorbild der Institutionen in
\aer Bücher mit Capiteleintheilung zerlegt. Im 15. Jahrhundert
wurde das lateinische Original ins Czechische übersetzt. (Beide
Texte C. j, B. I, Nr. 102.)
21. Landtafeln, Gerichtsprotokolle u. dgl. Die ersten
Anfänge des Landtafel-Instituts^ das in Anlehnung an die deutsche
Auflassung in der böhmischen Ländergruppe eine eigenthümliche
Ausgestaltung erfuhr, werden in die Tage König Pfemysl Otakar's II.
verlegt. Erhalten haben sich in Böhmen nur Bruchstücke aus
älterer Zeit (seit 1287), da die Landtafel bei dem Brande des
königlichen Schlosses zu Prag im Jahre 1541 verbrannte. Für
Mähren wurden die Landtafeln seit dem Jahre 1348 zu Brunn und
Olmütz geführt und sind von da ab in ununterbrochener Reihen-
folge vorhanden. Vom 9. Februar 1359 gibt es ein Organisations-
gesetz Kaiser Karl's IV. für die mährische Landtafel. Die Ein-
träge in die Landtafel erfolgten anfänglich in lateinischer Sprache,
seit 1480 in Mähren, seit 1495 in Böhmen bis zum Jahre 1618
ausnahmslos czechisch. Vom 14. Jahrhundert an sind die durch
Gewohnheit oder Präjudizien für die Landtafeln festgestellten
Grundsätze von Unbekannten gesammelt worden als: „Nota, quse
occurrunt circa officium regni Bohemise circa tabulas" . . . (C. j.
B. II, 2, Nr. 11, 14, 15), femer in czechischer Sprache Sammlungen
landrichterlicher Entscheidungen u. dgl. (C. j. B. III, 2.)
22. Die Stadtrechte in Böhmen, Mähren und Schlesien
haben sich größtentheils auf Grundlage des sächsischen, insbe-
sonders des magdeburgischen Rechts entwickelt, so z. B. in Mährisch-
Neustadt, Unfeow, Freudenthal, Leitmeritz, Teschen. Andere, wie
das Recht von Eger, Graslitz, Karlsbad, Schlackenwerth, Falkenau,
Elbogen, endlich auch das der Altstadt Prag sind fränkisch und
gehen auf das Nürnberger Recht zurück, noch andere, wie das
Brünner und das Iglauer, sind im Lande erwachsen, verrathen
aber verwandtschaftliche Beziehungen zu dem Wiener Recht.
Pfemysl Otakar 11.,^^ der große Förderer des Städtewesens, fasste
^^ Beneä Minorita ad a. 1272: ,(rex) per totam quadragesimam in castellom
se recepit et de jure Magdebnrgensium et aliarum terrarum et regionum meliora
quse sibi et suis fidelibus videbatur erigere et jus formare et confirmare in
regno suo, jura vilia et inutilia amputando, consuetudines malas in melius commn-
tando (cogitavit), quod suis baronibos displicuit.* Gitat bei Ott, 163.
Landtafeln; Stadtrechte in Böhmen, Mähren und Schlesien. 307
schon 1272 den Plan eiiffer Codificierung des Stadtrechts für sein
Reich, der jedoch leider an dem Widerstand der Ständeherren
scheiterte. Hervorzuheben sind im einzelnen die Stadtrechte:
a) Iglau. Auf dem der Stadt wahrscheinlich 1249 durch
König Wenzel I. und Pfemysl Otakar IL verliehenen Privilegium
erwuchs ein autonom ausgestaltetes Recht, das in mehreren
Fassungen aus dem 13. bis 14. Jahrhundert vorliegt und die
Grundlage der Stadtrechte von Deutschbrod, Brunn, Prag und
Schemnitz in Ungarn wurde. Von der Thätigkeit Iglau's als Oberhof
zeugen die vielen Schöflfensp rüche, die sich erhalten haben.
h) In Prag lebte man auf der Kleinseite nach Magdeburger
Recht, während die Altstadt ursprünglich Nürnberger Recht er-
hielt, dasselbe aber selbständig ausgestaltete, wie es mancherlei
Privataufzeichnungen des Altprager Rechts aus dem 13. bis
14. Jahrhundert darthun. Später fand jedoch hier das Iglauer
Recht Eingang.
c) Brunn erhielt 1243 von König Wenzel IL die jura origi-
nal ia, ein umfangreiches Stadtrecht, das vielfach mit dem Wiener
Recht übereinstimmt und die G rundlage des Znay mer Rechts vom
Jahre 1314 ist. Zu Anfang des 14. Jahrhunderts wurde jedoch das
Iglauer Recht materiell recipiert. Dazu kamen dann königliche
Privilegien, autonome Satzungen und Rechtsbelehrungen der Stadt
als Oberhof. Diese letzteren verarbeitete um 1353 der roraanistisch
geschulte Stadtschreiber Johannes zum Brünner SchöflFenbuch,
das später in ganz Böhmen und Mähren verbreitet war und
namentlich den Umarbeitungen des Prager Rechts zugrunde
gelegt wurde.
. d) Teschen und Troppau besaßen mancherlei landesfürst-
liche Privilegien, hielten sich aber im übrigen an das Magdeburger
Recht, das den Troppauern im Jahre 1301 von Breslau aus rait-
getheUt worden war.
Abgesehen von den deutschen Stadtrechten, gibt es auch
eine Anzahl bäuerlicher Rechtsquellen gleicher Herkunft. Deutsche
Dorfweisthümer findet man sowohl in Böhmen als in Mähren
und Schlesien, sie hießen Dreidingsordnungen, Jahrdingsartikel,
Rügen. Als „Artikel" kommen sogar czechische Weisthümer vor.
on*
20
308 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Anhang IL
Anhang n.
Geschichte des UDgarischeii Reichs und seiner Staats-
verfassung bis zum Jahre J526.
Literatur, vgL § 3, 9; dann: Endlicher, Gesetze des h. Stephan. 1849. —
Horv&th, Geschichte der Ungarn, L — Huber, I- III; Österr. Reichsg. 92 ff. —
Krajner, B. v., Die ursprüngliche Staatsverfassung Ungarns. Wien, 1872. —
Krones, I, II. — Mayer F. M., Bd. L — Meynert H., Das Kriegswesen der
Ungarn. 1876. — Schuler-Libloy, Siebenbürgische Rechtsgesciiichte. 1867. —
Sz alay, Geschichte Ungarns, deutsch von W ögerer, I— III. — Anonym: Das hist-
dipL Verhältnis des Königreichs Croatien zu der ung.St. Stephanskrone. Agram, 1860.
1. Als die Magyaren um das Jahr 895 durch die Petschenegen
von ihren früheren Sitzen am Dnjepr abgedrängt, ihre Zelte im
Tiefland der Donau und Theiß aufsehlugen, waren sie kein ein-
heitliches Volk, sondern eine lose Vereinigung von sieben ugrischen
Horden, denen sich als achte der türkische Stamm der Kabaren
angeschlossen hatte. Erst nach dem Zusammenbruch des groß-
mährischen Reiches (um 905/6) und der Niederlage der Bayern
am Inn (907) entschieden sie sich zu dauernder Niederlassung im
alten Pannonien, von wo aus sie nach Süden, Westen und Norden
plündernd auszogen, bis sie durch die Niederlage am Lech 955
bleibend zurückgeworfen wurden. Geordnetere Zustände begannen
in Ungarn erst gegen Ende des 10. Jahrhunderts, als der im Jahre
995 auf den Namen Stephan getaufte Sohn des Großherzogs Geisa
zur Herrschaft gelangte und im Jahre 1000 aus den Händen des
Papstes die Königskrone erhielt. Bald darauf (1003) vernichtete
Stephan die letzten nationalen Fürstenthümer des Gylas Procui
und des Achtum, Fürsten von Csanad, und dehnte dadurch seine
Macht über den Südosten Ungarns bis nach Siebenbürgen aus.
In den Thronwirren nach seinem Tode begründete Kaiser
Heinrich III. die Lehensoberherrlichkeit des Reiches über Ungarn,
die sich jedoch nicht erhielt.^ Schon unter König Ladislaus L
(1077 — 1095) wurde Croatien mit Slavonien, unter dessen Nach-
1 Noch weniger wirksam war der Lehenseid, den König Bela IV. im Jahre
1241 dem Kaiser Friedrich II. durch den Bischof von Waitzen leistete, um Hilfe
gegen die Mongolen zu erlangen.
Ungarn vor dem Jahre 1528: geschichtlicher Überblick. 309-
folger Coloman auch ein Theil von Dalmatien von den Ungarn
erobert. Unter Bela II. (1131—41) erscheinen dann der Nordwesten
der heutigen Herzegovina als Königreich Rama und Bosnien unter
der Oberherrschaft der ungarischen Könige, die sich überdies 1202
die Titel von Serbien, 1206 von Galizien und Lodomerien, endlich
unter Bela IV. und Stephan V. (1235—70, 1272) auch von Kumanien
und Bulgarien beilegten. Wirkliche Herrscherrechte standen jedoch
den Arpäden, als sie im Jahre 1301 erloschen, nur in Ungarn,
Siebenbürgen, Croatien, Slavonien und in Theilen von Dalmatien,
Serbien und der Wallachei zu. In diesem Umfang wurden sie
auch von König Karll. (1301 — 42), mit welchem das Haus Anjou
in Ungarn zur Herrschaft gelangte, behauptet.
Karl's I., Sohn und Nachfolger Ludwig I. der Große (1342—82),
seit 1370 überdies König von Polen, wusste seine Herrschaft über
manche Lande auszudehnen, die bisher nur dem Titel nach zu
Ungarn gehört hatten. Nach seinem Tode trat indessen ein all-
gemeiner Verfall ein. Sein Schwiegersohn Sigismund büßte im
Kriege mit Venedig 1420 fast ganz Dalmatien ein und verpfändete
in seiner Geldnoth dreizehn von den 24 Zipserstädten an Polen.
Noch verhängnisvoller gestalteten sich aber die Kriege mit den
nach Europa vordringenden Türken, die seit der Niederlage bei
Nicopolis (1396) weder Sigismund selbst, noch seine Nachfolger
zurückzuweisen vermochten. Im Jahre 1439 gieng Serbien, 1463
Bosnien, bald darauf auch die Herzegovina an die Türken ver-
loren, die im Jahre 1521 Sabac und Belgrad, die letzten Stütz-
punkte der Ungarn auf dem serbischen Ufer eroberten. Nach dem
Tode König Ludwig's IL aus dem Hause der Jagelionen, der am
29. August 1 526 bei Mohacs in der Schlacht gegen die Türken zu
Grunde gieng, gelangte Ungarn an das Haus Habsburg.
2. Die Magyaren lebten anfänglich unter der Oberherrlichkeit
der Chasaren in einfacher Geschlechterverfassung: jede der acht
Horden zerfiel in eine Anzahl Geschlechter (deren es im ganzen
108 gegeben haben soll), war von den andern räumlich getrennt
und stand unter ihrem eigenen Führer. Die Wahl Arpäds zum Groß-
herzog änderte an diesen Verhältnissen nur soviel, dass fortan ein
gemeinsamer Oberbefehlshaber für den Kriegsfall vorhanden war.
Diese Würde war an Arpads Geschlecht gebunden und scheint
jeweilig durch Wahl verliehen worden zu sein.
310 Österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Anhang II.
Die Umstände, unter denen König Stephan die Krone erhielt
und seine Macht befestigte, wurden auch für die Thronfolge und
deren Ordnung entscheidend. Das Königthum war nun im Ge-
schlechte Arpäds erblich und gebürte dem Mannesstamme, solange
derselbe bestand. Dem Könige folgte immer der älteste Sohn, in
Ermanglung männlicher Nachkommen der ältere Bruder des Königs,
thatsächliche Störungen dieser Erbfolgeordnung begründeten kein
Recht. Nach dem Erlöschen des männlichen Stammes (1301)
kamen die Abkömmlinge der weiblichen Linie zur Herrschaft,
wobei nach dem Ausspruch des Papstes die Gradesnähe für
Karl Robert von Anjou gegen König Wenzel IL von Böhmen
entschied. So war also Ungarn bis zum Erlöschen der Anjou ein
Erbreich und folgte noch 1382 die Tochter Ludwig's des Großen,
die Königin Maria ihrem Vater als Erbin in der Herrschaft.
3. Dies Erbrecht bewirkte jedoch für sich allein noch
nicht den Übergang der königlichen Machtvollkommenheit auf
den berechtigten Thronanwärter. Damit solches eintrete, war
überdies die Anerkennung des Erbberechtigten durch Adel und
Geistlichkeit und der feierliche Krönungsact nöthig, der u. a.
den Eid des neuen Königs: das Reich zu mehren und nicht zu
mindern und bei den hergebrachten Freiheiten zu erhalten, ein-
schloss. Solche Einschränkungen begünstigten die Anschauung,
dass die Mitwirkung der Großen des Reiches und die Krönung
bei einem Thronwechsel die Hauptsache seien, und bereiteten
der Partei die Wege, die Ungarn zu einem Wahlreich machen
wollte. Dieselbe trat mit ihren Ansprüchen schon 1308 hervor,
als es sich um die Anerkennung der Anjou handelte; sie be-
ruhigte sich aber bei der Erklärung des päpstlichen Legaten,
dass er Karl Robert, dem die Krone kraft seiner Abstammung
rechtmäßig gebüre, nur auf Bitten und mit ausdrücklicher Zu-
stimmung der Prälaten, Barone und Edeln als König bestätigt
habe. Die Wirren, die nach der Thronbesteigung der Königin
Maria ausbrachen, und der Umstand, dass sie im Jahre 1386
sogar in die Gefangenschaft der Aufständischen gerieth, bewogen
die ungarischen Stände im Jahre 1387, dem Rathe des veneziani-
schen Gesandten Barbo zu folgen und deren Gemahl, den Luxem-
burger Sigismund, Markgrafen von Brandenburg, zu ihrem König
zu w^ählen. So herrschte also, als Maria im Jahre 1395 kinder-
Umbildung des Erbreiches Ungarn in ein Wahlreich. 311
los starb, ein Wahlkönig über Ungarn, dem es gelang, sich so-
wohl gegen die Erbanspriiche seiner Schwägerin Hedwig, als der
neapolitanischen Anjou zu behaupten. Da ihjn aber auch in zweiter
Ehe ein männlicher Erbe versagt war, so blieb ihm nur der
Weg des Übereinkommens mit den Großen übrig, um für die
Nachfolge vorzusorgen. Auf dem Reichstag zu Pressburg erlangte
er 1402 eine von 110 geistlichen und weltlichen Herren und den
Abgeordneten der Städte Pressburg und Ödenburg im Namen der
übrigen Städte ausgestellte Erklärung, dass sie, im Falle Sigismund
ohne männliche Erben sterben würde, den Herzog Albrecht IV.
von Österreich, dem er sein Reich schenke, als ihren König an-
nehmen und krönen würden, und 1410 die Anerkennung des
Erbrechts seiner Tochter Elisabeth, die er 1421 dem Herzog
Albrecht V. von Österreich vermählte.
4. Durch diese Erklärungen wurde der Einfluss der Stände
auf die Thronbesetzung in erste Linie gerückt, und die nationale
Partei säumte nun nicht, sich Wahlfreiheit beizulegen. Wohl
leisteten diesem Bestreben die Anhänger des Erblichkeits-Grund-
satzes Widerstand, allein ihren Bemühungen war der Umstand
entgegen, dass die folgenden Könige keine Dynastie begründen
konnten, weU ihre Nachkommenschaft vorzeitig erlosch. So wurde
nach Sigismund's Tode (1437) zwar das Erbrecht seiner Tochter
Elisabeth anerkannt und deren Mann, Herzog Albrecht V. von
Österreich, zum König erkoren, nach dessen Tode aber, wie
es hieß der Türkengefahr wegen, weder auf Elisabeth noch auf
deren — nachgeborenen — Sohn Ladislaus Rücksicht genommen,
sondern Prinz Vladislav von Polen zum König gewählt. Als dieser
nach wenigen Jahren im Kampfe gegen die Türken fiel, erinnerte
man sich zwar der Rechte des Erben aus dem habsburgischen
Hause; da indessen König Ladislaus Posthumus im Jahre 1457 un-
vermählt starb, so bot dies Gelegenheit zur Erhebung des Mathias
Corvinus, der als Sohn des früheren Reichsverwesers Johann
Huniady sich im Lande sehr verbreiteter Beliebtheit erfreute.
Kaiser Friedrich III., für den als Verwandten des verstorbenen
Königs Ladislaus sich ein Theil der Reichsstände erklärt hatte,
vermochte sich gegen seinen Gegner nicht zu behaupten, erhielt
jedoch durch den Ödenburger Friedensschluss den Anspruch der
Habsburger auf Ungarn, sofern König Mathias ohne rechtmäßige
312 Österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Anhang II.
Erben sterben sollte, aufrecht. Ungeachtet diese Friedensbedin-
gungen im Jahre 1463 die Zustimmung des ungarischen Reichs-
tags gefunden hatten, nahm die nationale Partei nach dem Tode des
Königs Mathias (1490) für sich das Recht der freien Wahl in An-
spruch und wollte von des Kaisers Sohne, Maximilian, eben aus dem
Grunde nichts wissen, weil er die Krone „als Gerechtigkeit" forderte.
So kamen die Jagelionen ein zweitesmal durch Wahl auf den
ungarischen Thron. König Maximilian musste sich im Pressburger
Frieden (7. November 1491) mit einer abermaligen Anerkennung
der habs burgischen Ansprüche nach dem Aussterben des neuen
Herrscherhauses begnügen, wusste sie aber durch die Anknüpfung
naher Familienbeziehungen erheblich zu verstärken. (§ 38, 3.)
5. Das über die Thronfolge Gesagte erklärt auch die Wand- .
lungen, die der Umfang der königlichen Gewalt im Laufe der
Zeit erfuhr. Solange der Grundsatz der Erblichkeit vorwaltete,
stand den Königen die Majestcts, die plenitudo Regice potestatis
nicht bloß als leerer Titel zu, und die Antastung derselben wurde
1330 als detestahile crimen Icesce Majestatis geahndet. Das den
fränkischen Königen zugeschriebene, doch bestrittene Bodenregal
haben die Arpäden thatsächlich gehandhabt. Sie waren Obereigen-
thümer alles Bodens, der nach der ursprünglichen Landnahme
übrig geblieben war, so dass aller spätere Grunderwerb aus der
Verleihung öffentlicher Ländereien hervorgieng und mit gewissen
Leistungen belastet war. Außerdem hat König Stephan I. auch
über das Niederlassungsland (descensus, szäläs) oberherrliche Rechte
geltend gemacht und aus königlicher Machtvollkommenheit zu
Gunsten der Inhaber solcher Güter die Beschränkungen aufgehoben,
die der Gemeinbesitz der Geschlechtsgenossen der freien Veräußerung
bereitete.* Der König hatte ferner die oberste richterliche Gewalt,
w-ar oberster Kriegsherr und verfügte frei über das königliche
Gut sowie über die Einkünfte aus den ordentlichen öffentlichen Ab-
gaben, welchen wir unter dem Namen der liberi denarii, tributa,
lucrum camerse u. dgl. begegnen, wobei es jedoch oft genug vor-
kam, dass sowohl eigene, als Verfügungen der Vorgänger hinter-
her widerrufen wurden. Leider sank jedoch die königliche Macht
ungeachtet der Bemühungen einzelner kraftvoller Regenten seit
2 Belege bei Endlicher, S. 130 ff. — Krajner, 464 ff.
Die Stellung des Königs in Ungarn. Das „Consilium regni". 313
dem Erlöschen der Anjou unaufhörlich, his sie während der, wie
ein ungarischer Geschichtsschreiber sagt, in jeder Beziehung schäd-
lichen Regierung der Jagelionen ihren tiefsten Stand eireichte.
Da wurde der Glanz des Königthums verdunkelt, sein Ansehen
zu Boden getreten, seine Kraft zugleich mit seinen Einkünften
verschwendet. In alle Zweige der Verwaltung nisteten sich Ver-
wirrung, Betrügerei und Pflichtvergessenheit ein."
6. Die Macht der Könige in Ungarn war niemals unbe-
schränkt. Abgesehen von gewissen Verpflichtungen, die durch
die Entgegennahme der Königskrone aus den Händen des Papstes
begründet waren und beim Regierungsantritt beschworen werden
mussten, findet sich, dass die Könige seit je ihre Entschließungen
nach Berathung mit den geistlichen und weltlichen Großen gefasst
haben. Wieweit der Einfluss dieser Personen auf die Regierungs-
acte des Königs von rechtswegen bestand, wieweit er thatsächlich
reichte, das lässt sich für die älteste Zeit nicht bestimmen. Die
goldene Bulle vom Jahre 1222 setzt das Bestehen eines consilium
regni voraus (Art. II) und weist den König an dasselbe, im Falle
er ein hohes Amt einem Ausländer übertragen wollte. Gleich-
zeitig wurden in diesem Reichsgrundgesetz, das auf die von
König Stephan dem Heiligen verliehenen Freiheiten Bezug nimmt
(libertas a sancto Rege concessa), Bestimmungen mancherlei Art
über den Umfang der Heeres- und Abgabenpflicht getroffen, ferner
die Amtsbefugnisse der wichtigsten Beamten geregelt, die Send-
gerichte eingeschränkt, zugesichert, dass niemand ohne vorher-
gehende Vorladung verurtheilt werden dürfe u. s. w. Den Schluss
bildet die berüchtigte Widerstandsklausel, welche den Verletzten
Selbsthilfe sine nota alicuius infidelitatis gestattete, jedoch in
die Neuausfertigung der goldenen Bulle nicht übergieng, die König
Andreas II. 1231 mit einigen Abänderungen der früheren ausstellte.*
Zur Beobachtung dieser verfassungsmäßigen Schranken ver-
pflichtete den König der Krönungseid, über dessen Inhalt wir
Nachrichten haben, die bis in das Jahr 1205 zurückreichen.^
7. Das consilium regni, das nach der goldenen Bulle einen
a Horv&th, I, 497.
* Über das Verhältnis der beiden Ausfertigungen der goldenen Bulle von
1222 und 1231 zu einander vgl. Krajner, 604, und Anm. zu § 23 auf S. 656 ff.
* Krajner, 471.
314 österreichische Roichsgeschichte. I. Theil. Anhang IL
verfassungsmäßigen Einfluss auf gewisse Regierungsacte des
Königs zu üben berufen war und später das juratura consilium,
auch wohl senatus regalis hieß, entspricht im Wirkungskreise
dem geschwornen Rath der Landherren in Österreich, der Landes-
kmeten in Böhmen (§ 27, 8, § 28, 6, Anhang I, 9), unterscheidet
sich aber in der Zusammensetzung, da nicht nur die Landherren,
sondern auch die hohe Geistlichkeit darin vertreten waren.* Es
wiederholt sich demnach in Ungarn, was schon für Österreich
und Böhmen nachgewiesen wurde, dass ursprünglich nur der
Großgrundbesitz als politischer Factor in Betracht kam. Land-
Er wusste sogar hier seine Macht über das Maß der böhmischen
herren zu steigern, so dass Ungarn mit seinen Nebenländem im
15. Jahrhundert geradezu der Oligarchie einiger hervorragen-
der Geschlechter ausgeliefert war.^ Eine Änderung in der Zu-
sammensetzung des Reichsraths trat erst 1500 ein, als er mit dem
königlichen Hofgerichte verbunden wurde, in welches 4 Prälaten,
4 Barone und 16 Adelige durch König und Reichstag entsandt
wurden, die von beiden in Eid genommen waren. Die Gewählten
sollten rechtsverständig (jurisperiti) sein und je 12 derselben durch
ein halbes Jahr das consilium regni bilden, doch blieb die Zu-
ziehung noch anderer Prälaten und Barone in den Reichsrath auch
fernerhin more alias consueto gestattet.®
8. Die Land- oder Reichstage sind in Ungarn ebenso wie
in Österreich und Böhmen eine spätere Erscheinung des ständi-
schen Lebens, die sich erst zeigt, seitdem andere gesellschaftliche
Classen neben dem Großgrundbesitze zu einer gewissen Bedeutung
gelangt sind. Die Erzählung des Anonymus Belos von dem Land-
tag zu Arpäd's Zeiten hat Krajner (S, 585 flf) mit Recht ins
Gebiet der Fabel verwiesen. Ebensowenig lässt sich Art. 1 der
goldenen Bulle als Zeugnis für die frühe Existenz und die regel-
^1351 de consilio nostrorum fldelium ecclesiasticorum et secularinm
principum ac baronnm nostri juratl consilü." — Krajner, 468.
"^ Horväth kennzeichnet die Regierung der JageUonen durch die Über-
schrift : Zeitraum der Gefahr, in welcher die Nation durch den slavischen Einfluss
und durch die oligarchische Zügellosigkeit schwebte. 1,396. — Sz al ay, II, 499, über
die Oligarchie zu Zeiten Sigismund's und der Ausspruch des Verancsics a. a. 0. III,
2, S. 15. Materialien bietet das Schriftchen von Franz Neuwirth: Mehrhundert-
jähriger Kampf der Adelsaristoicratie gegen das Königthum u. s. w. Augsburg, 1857.
8 Decr. 297, Art. X.
Wirkungskreis des „consilium regni''; die Landtage. 315
mäßige Wiederkehr ungarischer Reichstage verwerten, da in
demselben nur von der Abhaltung eines „Hoftages* zu Stuhl-
weißenburg an jedem Stephansfeste die Rede ist, bei welchem
sich jeder Vasall einfinden dürfe, um seine Angelegenheiten vor
dem König oder dem Palatin als dessen Stellvertreter vorzubringen
(die später s. g. solennia albensia). Es gab also im 13. und auch
noch im 14. Jahrhundert keine Verpflichtung, die dem König die
Abhaltung von Landtagen auferlegt hätte. König Ludwig der Große,
den man als den größten König Ungarns bezeichnet, hat während
seiner 40jährigen Regierung nur einmal, im Jahre 1351, einen
Landtag gehalten und die wichtigsten Angelegenheiten des Reiches
nur mit Zuziehung seines juratum consilium entschieden. Nur
wenn das Land am Rande des Abgrundes war, kam es damals
zur Abhaltung eines Landtages. „Je schlechter die Zeiten waren,
desto mehr Landtage finden wir, die aber die Zustände nicht
änderten", wie Krajner (S. 595) bemerkt. Erst im Jahre 1471 ver-
pflichtete sich König Mathias, fortan, so oft esNothseinwürde,
einen Reichstag um den Himmelfahrtstag nach Rath seiner geist-
lichen und weltlichen Großen auszuschreiben und 1498 wurde dem
König Vladislav die jährliche Abhaltung eines allgemeinen Reichs-
tags um den St. Georgstag (24. April) auf dem Felde Rakos durch
vier Jahre und später jedes dritte Jahr, zur Pflicht gemacht.'
9. Mitglieder dieser allgemeinen Ständeversammlungen (con-
gregatio generalis, seit 1486 auch dieta genannt^® waren vorerst
nur die Geistlichkeit und der bessere Adel, Unadelige und wohl
auch der Comitatsadel blieben lange davon ausgeschlossen. Erst
König Sigismund hat im Jahre 1405 die Städte,^^ um sie als Gegen-
^ Decr. 271. Das Versprechen des Königs Mathias vom Jahre 1471 lautete:
,Quod singulis annis circa festum ascensionis domini de consilio prselatorum
etbaronum nostrorum edicamus generalem conventum omnibus regnicolis nostris
et hoc si exigit necessitas." — Decr. 150.
*^ Die Ausdrücke wechseln : 1405 prEelatorum ac baronum et regni nostri
procerum ; baronum, procerura, nobilium ; preelati, magnates, proceresque et nobiles
regni nostri. Decr. 73, 75, 77 ; im selben Jahre aber auch: convocatis omnibus regni
nostri comitatibus ac districtibus civitatum, oppidorum et liberarum villarum . . .
de prselatorum baronum et potiorum regni nostri procerum ipsorum etiam lega-
torum consilio. Decr. 81.
11 Vereinzelt wurden Städte schon früher (1397, 1402) zum Reichstag geladen.
8 zalay, II, 364, A. 3; 378, A. 2; 498 ff. Ein Städtebund vom Jahre 1381 a. a. 0. 316.
316 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Anhang II.
gewicht gegen die Oligarchie des hohen Adels zu benützen, in den
Reichstag bleibend aufgenommen, und seit dieser Zeit werden
auch die Abgeordneten der Comitate ausdrücklich genannt.
Früher als in andern Landen scheint in Ungarn die Scheidung
der Reichsversammlung in zwei abgesondert verhandelnde Körper-
schaften aufgekommen zu sein, denn auf der allgemeinen Ver-
sammlung, die König Andreas IIL 1298 in größter Landesnoth berief,
beschlossen prout moris est die Geistlichkeit nee non et nohiles huius
regni exclusis qxiibuscunque baronibus. Der Einfluss der geist-
lichen und weltlichen StändeheiTen, welcher im consilium regni
fortdauernd sein eigenes Organ besaß, hat, als die Bedeutung der
allgemeinen Reichsversammlungen anwuchs, seit dem Jahre 1500
nothwendig auf die Ausbildung des Zweikammersj^stems in Ungarn
hinarbeiten müssen.
10. Ein klares BUd von den gesellschaftlichen Ständen in
Ungarn zu gewinnen, ist mit Schwierigkeiten verbunden, zu welchen
die mannigfache Verwendung des Ausdruckes lobbagio nicht wenig
beiträgt. ^2 Die ursprüngliche Bedeutung scheint zu melior natu
zu stimmen, man pflegte aber mit iobbagiones überhaupt die in
einer Classe oder Stellung Hervorragenderen zu bezeichnen.
Darum heißen die Erzbischöfe, Bischöfe und die höchsten Staats-
und Hofbeamten des Königs iobbagiones^ aber mit dem Zusatz
regni. Es gab ferner iobbagiones castri, ecclesice, udvomicorum^
tavemicorum u. s. w. bis herunter zu den freien Bauern eines
Herrn, im Gegensatz zu den unfreien Leuten desselben.
Unadelige Freie gab es in Ungarn seit der Gründung des
Königreichs. Solch einen Freien durfte kein Herr als seinen eigenen
Mann in Anspruch nehmen, so dass er nach seinem Belieben bleiben
oder gehen konnte, wo und wohin er wollte. Unbeschadet seiner
Freiheit mochte der Freie auch Dienste nehmen; am ehrendsten
waren Kriegs- und Hofdienste (iobbagianes nobiles), tiefer standen
die zur Zinszahlung Vei-pflichteten, am tiefsten jene Freien, die
knechtische Dienste und Verrichtungen übernommen hatten. Die
beiden letzteren wurden als iobbagiones conditiorarii bezeichnet.
11. Über den Adel, den die Ungarn zur Zeit besaßen, als
sie noch unter Herzogen standen, mangeln nähere Nachrichten.
^^ Ich folge hier hauptsächlich den Ausführungen Krajner*s, 8. 163, 176,
225, 259, 317 ff., vgl. aber auch Bndlicher, S. 60 ff.
Ausbildung des Zweikaramersystems; Stftndeverhältnisse. 317
Seit König Stephan durch seine Gesetze die Verhältnisse in seinem
Reiche neu ordnete, gab es nur einen Dienstadel, so zwar, dass
der Ausdruck Serviens zur technischen Bezeichnung des Edel-
manns wurde. Der König galt, wie schon benierkt (Abschnitt 5),
als Eigenthümer alles nicht verliehenen Landes und gewährte
den Adel durch Überweisung eines Grundes nach adeligem Rechte,
oder, wenn ein Unadeliger einen Grund schon besaß, dadurch,
dass dieser Grund mit den Rechten eines Adeligen ausgestattet
wurde. Auf diesem Grunde ruhte dann die Dienstverpflichtung.
Der König war übrigens in der Ertheilung des Adels nicht be-
schränkt, gewährte ihn auch eingewanderten Ausländern, und es
ist ja bekannte Thatsache, dass eine größere Zahl der ange-
sehensten Magnatenfamilien deutschen Ursprunges ist.
12. Die Unterscheidung von Landherren und einfachen Ade-
ligen (Rittermäßigen), die in Altösterreich und Böhmen auf den
lehensrechtlichen Grundsatz der Unterordnung des Vasallen unter
seinen Senior zurückgeht, trifft in Ungarn nicht zu. Der höher
gestellte Baro unterscheidet sich vom privattis nobiles dadurch,
dass er irgend eine Hofwürde oder die Stelle eines Comitats-
vorstandes bekleidete. Allein diese Auszeichnungen waren ur-
sprünglich nur vorübergehend und konnten keine bleibende Ab-
stufung bilden, weil in Ungarn die Würdenträger des Reichs im
ganzen immer absetzbare Beamte blieben. Dem ungeachtet kam
es vor, dass einzelne Würden oder Grafschaften jemandem erb-
lich übertragen wurden, was freilich Art. 16 der goldenen Bulle
im Interesse der einfachen Edelleute zu verhindern suchte.
Rechnet man hinzu, dass einzelne Geschlechter durch Schenkungen
oder in anderm Wege in den Besitz besonders ausgedehnter
Ländereien und dadurch zu großem Einfluss gelangt waren, so
hat man die Ursachen kennen gelernt, welche die Büdung eines
erblichen Magnatenstandes allmählich angebahnt haben. Immerhin
w^ar aber der Unterschied zwischen einem Magnaten und einem
einfachen Edelmann in Ungarn mehr thatsächlicher Natur; in
rechtlicher Beziehung standen sie sich, was die Standesvorrechte
betraf, gleich und so konnte es noch um die Mitte des 15. Jahr-
hunderts vorkommen, dass man die Reichs verweserschaft einem
einfachen Edelmann, Johann Hunyadi, übertrug.
Von dem Adel der milites und set-vientes regis von dem wir
318 österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Anhang IL
bisher gesprochen haben, und der zu unmittelbarem Dienst unter
königlichem Banner verpflichtet war, unterschied sich die Classe der
Burgministerialen der iobbagiones castri, der spätere Comitatsadel.
Mag nun die ungarische Comitatsverfassung, die in den ver-
schiedenen Theilen des Reiches unter sehr verschiedenen Ein-
flüssen entstanden ist, älter als das Königthum sein, mag sie
unter König Stephan ihre Ausbildung erhalten haben, so sind Be-
ziehungen zu der slavischen Äupenverfassung nicht abzuweisen."
Das ganze Land war schließlich in Comitate als Verwaltungs-
bezirke getheilt; jedes Comitat hat dann je nachdem eine oder
mehrere königliche Burgen gehabt, denen bestimmte Ländereien
und Leute zugewiesen waren. Letztere waren in mehrere Classen
getheilt. Die vornehmsten unter ihnen waren die iobbagiones castri,
auch milites castri^ nobiles iobbagiones castri, d. i. die der Burg
dienstbaren Kriegsleute. Sie hüteten und vertheidigten die Burg,
zogen aber auch unter dem Banderium des Grafen in den Krieg.
Aus ihrer Mitte wurden die Burgbeamten entnommen, die nach
Aufhören der Amtierung in die Reihen der Burgmannen zurück-
kehrten. Diese iobbagiones castri waren Freie, aber in der Regel
nicht adelig,^* waren jedoch in Hinsicht des Eides den Edlen
gleichgestellt und genossen auch Steuererleichterungen. Sie er-
hielten Burggründe in einem bestimmten Ausmaß, die sie an
ihre Nachkommen mit der Verpflichtung zum Kriegsdienst ver-
erbten und auch an Genossen veräußern durften, im übrigen
aber durch Hintersassen und Knechte bearbeiten ließen. Doch
geschah es allmählich, und sind solche Beispiel^ namentlich aus
der Zeit König Ludwig's L bekannt, dass den gesammten Burg-
mannen eines königlichen Schlosses der Adel verliehen wurde.
In Nothfällen schon 1385 und 1397 berufen, war dann dieser
Comitatsadel, der aus geadelten Burgmannen bestand, seit 1405
bleibend durch Abgeordnete auf den Reichstagen vertreten.
Die übrigen Bewohner des Burgbezirkes, die castrenses, auch
castellani villani, nistici, die in den zur Burg gehörigen Dörfern
und den etwa vorhandenen Burgflecken (suburbium) lebten, waren
^^ Aus Ispany, der angarischen ümbildong: des slavischen Wortes inpan,
ist das deutsche Span, Gespan, Gespaoschaft entstanden.
^^ Krajner, 183, Note 24, weist nach, dass Einzelne in den Adel er
hoben wurden.
Ständeverhältnisse: lobbagiones castri, Bauern, Bürger. 319
in der Regel unfrei und zu verschiedenen Diensten und Abgaben
an die Burg verpflichtet.
Wie sehr privilegiert in Ungarn die Stellung des Adels gegen-
über der misera contribuens plebs war, ist bekannt. Richter des
Adels war nur der König, Urtheiler im Gericht des Königs, des
Palatins, des iudex curice und in den Comitatsgerichten waren
nur Adelige; Vorstände und Beamte des Comitats konnten nur
Adelige sein, nur der Adelige war fähig, einen adeligen Grund
mit vollem Rechte und im eigenen Namen zu besitzen, er war
von Steuern befreit, sein Eid hatte erhöhte Beweiskraft, gegen
wirkliche oder vermeintliche Verletzung seiner Privilegien nahm
er das Recht bewaffneten Widerstandes für sich in Anspruch u. s. w.
13. Nächst dem Adel hatten die beste Stellung die Bürger
der königlichen freien Städte. Befreiung von den Leistungen an
die Burg und von der Gerichtsbarkeit des Grafen, verbunden mit
der Berechtigung sich einen eigenen Richter zu wählen, erhob
die in den Flecken wohnenden Burghörigen (civiles) zu Bürgern
(cives, bolgär), durch Abmarkung eines vom Burglande ausge-
schiedenen Gebiets wurde der Burgflecken zur freien Stadt (civi-
tas libera) die nur dem König unterthan war und deshalb auch
civitas regia genannt wurde.
Die königlichen freien Städte sind theils dadurch entstanden,
dass schon vorhandenen Gemeinden städtische Rechte beigelegt
wurden, oder durch Neugründung. Mitunter lehnten sie sich an
eine königliche Burg an, dann behielt diese ihre Einrichtungen,
aber die Bürgerschaft war neben den iobbagiones castri zur Ver-
theidigung der Burg berufen, unterstand jedoch im übrigen ihrem
selbstgewählten Richter. Der Mauergürtel gehörte später auch
in Ungarn zu den wesentlichen Merkmalen einer Stadt (civitas
murata) im Gegensatz zu den offenen Märkten, den liberce villas^
deren Bewohner bis auf einzelne Lasten den Stadtbürgem gleich-
gestellt sein konnten. ^^
Die Bürger waren Freie; Unfreie, die der König in einer
Stadt ansiedelte, erlangten dadurch Freiheit. Von diesem Fall
^ So verstehe ich die von Kr aj ner 323/4, Anm. 18, mitgetheilten Quellen-
steUen. Es erhöh z. B. König Ludwig ün Jahre 1351 „ah omnihus iohhagionibus
nostris ... in quibusUbet villis liheris . . . uxceptis civitatibus muratis" den
Nennten von aUem Grundertrag.
320 Österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Anhang n.
abgesehen, scheint nur Freien der Zuzug in die Städte erlaubt
gewesen zu sein, sie übernahmen damit (in Güns selbst, wenn
sie adelig waren) alle Pflichten der Bürger, deren Rechte ihnen
im vollen Umfang erst durch die Aufnahme in den Bürgerverband
zutheU wurden.
Die königlichen Städte waren auf königlichem Grund erbaut,
daher wurde der Grundzins an den König als Grundherrn ent-
richtet, der die Städte mit ihrem Gebiet verschenken, verpfänden
oder sonst veräußern konnte, wogegen sich die Städte durch aus-
gewirkte Privilegien vergeblich zu schützen suchten. Den Städten
des Königs standen jene der Königin gleich.
14. Die Leistungen der freien königlichen Städte richteten
sich nach den Stadtprivilegien. Oft wird ohne nähere Erklärung
nur allgemein servifium und exactio^ Stadtsteuer, erwähnt, manch-
mal Kriegsdienste und descensus, d. i. Verpflegung des königlichen
Hofes, noch besonders hervorgehoben, auch munera kommen vor.
Die Kriegsdienste waren wohl immer gemessen, da die Bürger-
schaft zunächst für die Vertheidigung der Stadt selbst zu sorgen
hatte; so stellte Pest, die magna et ditissima theutonica villa^ nur
10 Mann, Eisenstadt 2 Mann. Glücklich die Stadt, wenn auch der
descensus beschränkt war. Agram hatte z. B. dem Könige 12 Ochsen,
1000 Brote, 4 Fass Wein, dem Herzog von Slavonien, wenn er
ein königlicher Prinz war, halb soviel zu liefern; wo aber dies
nicht der Fall war, musste die Stadt bluten, so z. B, Pressburg,
das den König Sigismund mitsammt den Prälaten und Magnaten
seines Gefolges fast ein Jahr lang durch reichliche Lieferung von
Lebensmitteln unterhalten musste, wie der König selbst bei Be-
stätigung der Stadtprivilegien (1436) bekundete.
15. Die vielen Vortheüe, welche die Städte den Königen
boten, haben diese zu einer starken Förderung des Städtewesens
veranlasst. Da jedoch der herrschende Stamm in Ungarn von An-
beginn nicht sehr zahlreich war, so war das Augenmerk der
ungarischen Könige von den Zeiten des h. Stephan her auf die
Heranziehung von Fremden (hospites) gerichtet, denen mancherlei
Vortheüe geboten werden mussten, um sie zur Ansiedlung zu be-
wegen. Solche hospites konnten im Verband von Burgen vor-
kommen; es waren dies Freie, die an die Burg und den comes
castri Abgaben, mitunter auch Kriegsdienste zu leisten hatten,
Die Deutschen in Ungarn und Siebenbürgen; Staat und Kirche. 321
aber zu keinen knechtischen Diensten verpflichtet waren; sie
konnten aber auch mehr minder geschlossene Bezirke bilden, wie
die Deutschen in Siebenbürgen oder in der Zips, und dann richtete
sich ihre Stellung nach den Privilegien, die ihnen bei der Nieder-
lassung und späterhin im Laufe der Zeit ertheilt wurden.^® Am
besten daran waren auch in solchen Fällen die Städtebewohner.
So kam es, dass die Bevölkerung der Städte in Ungarn
vorwiegend aus zugewanderten Staatsfremden und deren Nach-
kommenschaft bestand. In Gran wurden im 13. Jahrhundert
Italiener und Armenier unterschieden, die, wie es scheint, zu
eigenen Gemeinden abgeschlossen waren und (wie die Armenier)
auch besondere Privilegien hatten; in Agi'am wurden ^ie Be-
wohner de lingua hungarica^ theiitonica^ italica und sdavonica unter-
schieden und dementsprechend auch die jurati, der Stadtrath
gewählt. Aber im großen und ganzen überwiegen in den Städten
Ungarns und seiner Nebenländer (Dalmatien ausgenommen) die
Deutschen unter den Bewohnern so sehr, dass man das Städte-
wesen geradezu als deutsch bezeichnen muss.
16. Eigenthümliche Beziehungen zwischen Staat und Kirche
ergaben sich in Ungarn daraus, dass der h. Stephan sein Land
dem Papste aufgetragen und von diesem als Königreich zurück-
erhalten hatte.*'' Der Papst gewährte dem König und dem Reiche
seinen Schutz, verlangte aber von Stephan und seinen Nach-
folgern Gehorsamserklärungen, die ,in der That auch späterhin
eidlieh geleistet wurden. Der Papst nahm ferner wiederholt un-
mittelbar oder durch seine Legaten auf die Innern Angelegen-
heiten des Königreichs Einfluss. Er legte z. B. sowohl im 11.
als im 13. Jahrhundert entschieden Einspruch dagegen ein, als
die Oberherrlichkeit des Deutschen Reichs von den ungarischen
Königen vorübergehend gegenüber Kaiser Heinrich III. und Fried-
rich IL zugestanden wurde, denn Ungarn sei vom h. Stephan
dem h. Petrus mit allen Rechten und Gewalten aufgetragen
*• über die Stellung der Sachsen In Siebenbürgen und in der Zips, vgl.
Krajner, 344 ff, 386 ff.
" Die Echtheit der Bulle des Papstes Silvester vom Jahre 1000 ist als
der Ehre des Königreichs widerstreitend bekämpft worden. Ich folge hier
den Ausführungen Szalay's I, 90, Anm. 1, und Krajner's (S. 95 ff), welche an
der Echtheit festhalten.
La Schill, ÖBterrelchische Reichigeschichte. 21
322 Österreichische Reichsgeschichte. I. Theil. Anhang II.
worden; er entachied für das Erbrecht der Anjou gegenüber
König Wenzel von Böhmen u. dgl. Andererseits besaß aber der
apostolische König von Ungarn als päpstliches Zugeständnis nicht
bloß kirchliche Ehrenrechte, sondern auch das wichtige Besetzungs-
recht der erledigten Bisthümer.
17. Ähnlich wie in Böhmen, läuft auch in Ungarn der Gegen-
satz von Land- und Stadtrecht auf die nationale Verschiedenheit
der Bewohner hinaus, nur dass die Verhältnisse verwickelter sind.
In Böhmen steht dem slavischen Landrecht, das mancherlei Ein-
wirkungen des deutschen Rechtes zeigt, ein deutsches Stadtrecht
gegenüber. Die ungarische Sprache hingegen hat soviele Aus-
drücke für die Grundbegriflfe von Recht, für Rechtsverhältnisse,
Verträge, die Bezeichnungen für Steuern und Abgaben, die
Functionen der öffentlichen Gewalt, die Stände- und Familien-
verhältnisse u. dgl. aus dem Slavischen entlehnt, dass man das
ungarische Landrecht als ein den Bedürfnissen der Magyaren
angepasstes slavisches Recht bezeichnen muss,^^ welches später
durch die Gesetzgebung der ungarischen Könige mit zahlreichen
deutschen Elementen durchsetzt wurde.^® Diesem Landrecht trat
dann das nationale Recht der Einwanderer entgegen, das diesen
von den ungarischen Königen unter den Niederlassungsbedingungen
ausdrücklich zugestanden worden war. Es ist dies weit über-
wiegend deutsches Recht und vor allem das Recht der städtischen
Ansiedlungen.
18. Als Quellen^^ des ungarischen Landrechts sind, da es keine
18 H an e lin Grünhut's Zeitschr., XX, 398 ff. Dass in Croatien und Slavonien
sich das Landrecht auf slavischer Grundla^ aufhaute, ist wohl unhestritten.
*® Eine unmittelhare Übertra^ng der Lex Bajuvariorum auf Ungarn hat
jedoch trotz der bestimmt lautenden Zeugnisse nicht stattgefunden. Vgl. oben § 6, 4.
2'^ Endlicher, Monumenta Arpadiana. 1849, 2 Bde. — Decreta, Constitu-
tiones et Articuli Regura inclyti Regni üngarieB ab A. D. 1035 ad A. 1583. Timau
1584 u. ö. (von mir Decr. citiert). — Bogiäiß, V. Pisani zakonl na slovenskom
jugu. Agram 1872,\ ferner die Literatur hei § 24. — Deutsches Recht:
Privilegien für Deutsche und andere hospites in Ungarn, Siebenbürgen, Croatien,
Slavonien und Dalmatien bei C zornig, Ethnographie, U, Beilage S. 311 ff.,
28 Urk. — Ofner Stadt recht von 1244—1421, herausgegeben von A. Mich na y
und Paul Lichner. 1845. (Mit mancherlei Beilagen.) — Krön es, Deutsdie
Geschichts- und Rechtsquellen aus Oberungam (Archiv, Bd. 34, vgl. auch Bd. 31
und 81). — Kukuljeviö, Monumenta historica Slavorum meriJionalimu. 5 Bde.
Rechtsquellen des Land- und Stadtrechts in Ungarn. 323
Sammlungen des ungarischen Gewohnheitsrechts aus dem Mittel-
alter gibt, nur die Gesetze der ungarischen Könige zu nennen.
An ihrer Spitze stehen die Decreta s. Stephani, die in 2 Bücher
mit 35 und 21 Abschnitten zerfallen; dann folgen in der Zeit
von 1077 bis 1095 die Decreta des Königs Ladislaus in 3 Büchern,
mit welchen die schriftlich aufbewahrte Gesetzgebung der un-
garischen Könige einen Ruhepunkt erreichte, da das Decretum
Colomani regis die Privatarbeit eines Mönches Albricus ist. Es
folgt dann die bekannte goldene Bulle König Andreas' II., des
Jerusalemers, vom Jahre 1222 und in einer abändernden Neu-
ausfertigung vom Jahre 1231, die man als „Magna Charta" des un-
garischen Adels zu bezeichnen pflegt, und eine größere Anzahl
von Gesetzen und genehmigten Reichstagsbeschlüssen, von der
Zeit der Anjou angefangen.
Beinahe aufs Jahr, als die böhmischen Ständeherren den
Beschluss auf Sammlung und Aufzeichnung des Landesrechts
fassten, um ihr Übergewicht über die fast vernichtete königliche
Gewalt gesetzlich zu sichern, beschlossen auch die ungarischen
Stände aus gleichem Grunde eine Sammlung der im Lande üb-
lichen Rechts- und Gerichtsgewohnheiten (1498). Obwohl dieser
Beschluss auf den Rakoscher Versammlungen in den Jahren 1504
uad 1507 betrieben wurde, so wurde doch erst 1514 durch den
Protonotar Stephan Verböczi ein in 3 Theile zerfallendes Werk
als Sammlung der einheimischen Rechtsgewohnheiten vorgelegt, das
sogenannte „Tripartitum opus iuris consuetudinarii incliti Regni
Hungarise", das zwar vom Könige Vladislav genehmigt worden
sein soll, aber weder besiegelt noch publiciert worden ist, und
daher gesetzlicher Verbindlichkeit entbehrte.^^
19. Das deutsche Recht, das in Ungarn zur Anwendung
kam, gehörte überwiegend dem sächsischen Rechtskreise an. „Hye
hebet sich an das rechtpuech nach Ofner statrechten und mit
helet in etlichen dingen oder stugken Maidpurgerischem rechten",
fängt darum bezeichnender Weise das Ofner Stadtrechtsbuch an,
das eine umfängliche, in Ungarn entstandene deutsche Rechts-
2* Ober die Schicksale des Tripartitum und dessen Ausgaben s. End-
licher, Gesetze des h. Stephan, Einleitung, S. 1—12. — Ober die Summa legum
eines Wr.-Neustädter Stadtschreibers die den eigentlich juristischen Stoff für
das Tripartitum geliefert hat, vgl. oben § 20, 6.
21*
324 Österreichische Rechtsgeschichte. I. Theil. Anhang II.
quelle ist, deren erste Hälfte (Art. 1 — 162) vor dem Jahre 1413,
das übrige (Art. 163—441) im Jahre 1421 abgefasst wurde.
Vereinzelt, wie in Kaschau, scheint man sich des s. g. Schwaben-
spiegels bedient zu haben. Das Recht der ungarischen Bergstädte,
wie es uns auf Grund eines Privilegiums König Bela's IV. als
Satzung der Schemnitzer Schöffen überliefert ist, beruht hingegen
auf dem Recht der mährischen Städte, insbesonders auf dem
Iglauer und Brünner Recht. Das Stadtrechtbuch, welches Kovachieh
in seinem „Codex authenticus juris tavemicales" unter Nr. XVII
als „vetusta jura civitatura sive jura civUia* der Städte Ofen, Pest,
Kaschau, Tirnau u. s. w. veröffentlichte, verweisen die Heraus-
geber des Ofner Stadtrechts in das letzte Viertel des 15. oder
das erste des 16. Jahrhunderts.
' Außer deutschem Stadtrecht gibt es auch Rechtsquellen
für mehr minder ausgedehnte Landstriche mit deutscher Bevöl-
kerung, so die Privilegien für die Siebenbürger Sachsen (1224),
die Freiheiten der deutschen Gesammtheit von Karpfen (erneuert
1243), das Privilegium für die Zipser von 1243, die umfängliche
Willkür der Sachsen in dem Zips vom Jahre 1370. In den an
Österreich angrenzenden Comitaten kommen auch Weisthümer
als deutsche Rechtsquellen für bäuerliche Kreise vor.
20. Das Recht der Juden beruhte während des Mittelalters
in Österreich, Ungarn und Böhmen übereinstimmend auf der sehr
gnädigen Judenordnung Herzog Friedrich's des Streitbaren vom
Jahre 1244, die mit geringen Abänderungen 1251 von König
Bela IV. für Ungarn, von Pfemysl Otakar II. in den Jahren 1254
und 1268 für Böhmen als Gesetz erlassen wurde.
Zweiter Theil.
Österreichische Reichsgeschichte seit J526.
Stammtafeln.
Diese sind nach den Grundsätzen gearbeitet, die Ottokar Lorenz in seinem
genealogischen Handbuch der europäischen Staatengeschichte aufgestellt hat.
Die kleine Nebentafel schließt an die im § 19 gebotene geschichtliche Übersicht
an und bringt die unter den Nachkommen Herzog Albrecht's des Weisen (f 1358)
vorgenommenen Ländertheilnngen, sowie die allmähliche Wiedervereinigung des
Besitzes am Schlüsse des Mittelalters in der Hand K. Maximilian's L, zur An-
schauung. Zugleich weist sie, dass alle späteren Habsburger , Leopoldiner' sind,
und zwar von der durch Herzog Ernst den Eisernen gestifteten älteren i.-ö. Linie
abstammen. Die Haupttafel, die in 13 Geschlechterfolgen von K. Maximilian L bis
zur Gegenwart reicht, zeigt zunächst, wie in drei Generationen (Maximilian L,
Philipp L, Ferdinand L) der Besitzstand der Habsburger durch Vermählung mit
Erbtöchtem zur europäischen Großmacht anwuchs (daher das Sprichwort: Bella
gerant alii, tn felix Austria nube), dann aber zur Theilung in eine spanische und
österreichische Linie führte. Sie lässt femer die von K. Ferdinand L 1 564 verfügte
Ländertheilung, welche u. a. auch auf die Ausgestaltung des Behördenwesens
zurückwirkte, in ihren Folgen bis zur Wiedervereinigung unter K. Leopold L (1665)
erkennen und erläutert die nach Erlöschen der spanischen Linie im Jahre 1700
auf deren Besitz vom K. Leopold L, Bayern und Frankreich erhobenen Ansprüche,
die ihren Austrag durch den spanischen Erb folgekrieg fanden. Endlich sind daraus
ersichtlich, die nach dem Aussterben des habsburgischen Mannesstammes 1740 vom
Kurfürsten Karl Albert von Bayern kraft der Abs^tammung von der Regredient-
erbin Anna und der Vermählung mit einer Tochter K. Josefs L gegenüber der
Erbtochter Maria Theresia geltend gemachten Anrechte, die zum österreichischen
Erbfolgekrieg geführt haben, sowie der Übergang der Herrschaft an das jetzt
regierende Haus der Habsburg-Lothringer.
Die rothen Linien auf der Haupt- und Nebentafel bedeuten die gleichzeitig
zur Lebenswirksamkeit berufenen Geschlechterreihen, ihre Zählung soll durch
die an den Rändern angebrachten Ziffern 1— XHI, sowie die Buchstaben A— D bei
der Nebentafel erleichtert werden. | bedeutet die unmittelbare Abstammung,
T. = Tochter, * — geboren, f = gestorben. Die Herrscher in Österreich sind durch
die kräftige Schrift hervorgehoben. ^ ^ verbindet Geschwister, <^
Ehegatten, der Übergang von Ländern von einer Linie auf die andere ist durch
die Richtung eines Pfeils gekennzeichnet.
21'
I.
MaxiiMiliaii I.,
•U69, EniherBOg: von österrelcli,
deutscher König seit 1486, Kaiser seit 1508,
t 1519.
Ter«
IL
PhUii
Heno? TOB B
8piii
III.
Karly Isabelli von Portugal,
• 1500, König von Spanien nnd Neapel (I.), 1 1589.
Henog von B n r g n n d, als dentscher Kaiser (V.) 1519, f 1568,
Stifttr d«r spanisdien Uni«.
IV.
T
Philipp II.,
• 1527, erwirbt Mailand 1540, 1 1698.
Anni,
T. K. MaximiUans n., 1 1580.
T.
PhUipp m.
• 1578, t 1621.
Illargiratha,^
T. Erah. Karls von I.-Ö.. t 1599.
VI.
Isabelli, Philipp IV.,
T. Kg. Heinrichs IV. von Prankreich, •1605, f 1666.
t 1644.
Miril Anni,
T. K. Ferdinands lU., verm. 1649,
t 1696.
\
£
VII. M. Th^TMia, Karl II.,
* 1638, t 1683, , , , • 1661, f Icinderlos 1700,
Oenialil Ludwig XIV. v. Frankreich ' ' ^
seit 1660. erloschen.
-«
liargtf«thi Theresii, vermühlt 1666 mit
vm.
V
Ludwig Diuphin,
• 1661, t 1711.
IX.
larfl
•1«
Oemahl Uäi
ir
Philipp V. von Bourbon,
• 1683, König von Spanien, 1 1'-*«-
Josef Ferdinand,
* 1692, anerkannter Thronfolger is ^
A.
Die Ländertheilung der Söhne Herzog Albrechts IL (t i358).
Albrecht III., 1 1895,
besitat beide Österreich,
Stammvater der Albrechtiner.
Br&der
B.
Leopold III., t 1886,
besitst I.-Ö., Tirol nnd die Vorlande,
Stammvater der Leopoldiner.
1
Albrecht IV.,
t 14(.^4.
C. Albrecht "V-j t i439.
als deutscher König II.,
vermählt mit Elisabeth von Bolunen
und Ungarn.
Ernst der Eiserne, t h28, Friedrich IV., t h3^
besitzt Innerösterreich, besitzt Tirol und die VoriAsd^.
Stammvater der Siteren L4>. Linie. Stifter der UterMi Tiroler Usie.
Friedrich V.,
als deutscher König IV.,
^ als Kaiser III., f 149S.
/
Sigismiind,
U versichtet 1490, t 1496,
I>.
/
/
Ladislans Postumug, ^'
t 1457,
erloschen.
Maximilian L,
t 1519,
siehe oben.
/
V
Maria,
Erbin von Bargnnd,
t 1482.
I.
l Koni«: Ton
vennühlt U96
mit
Johanna,
* 1479, Erbin von Spanien,
tl555.
II.
rAlaand I«, erhUt 1521/22 von seinem Bruder
]tö<t4>rreirhischen Lande. 1526 König von BOlimen und
Brarn, 1531 devtacher König, 1558 Kaiser, f 1564,
Stifttr der OstMreicMsche» Unie.
vermählt 1521
mit
Anna,
Erbin von Böhmen und Ungarn,
t 1547.
IIL
ximllian IL,
". erb. Österreich,
irAfn. Böhmen,
u#4T l>i4, t 1576,
fdcf ItaiNnwIiM Liiila«
Maria,
Tochter
K. Karls V.,
tl603.
=:t
Anna, FerAinanA, Karl»
vermählt mit ' 1529, • 1540,
Hb. Albrecht V. erhftUTlrolu. die erhält InnerOxterreich
von Bayern Vorlande, f 1595 und Görs, f 1590,
(Regredient- ohne ebenbürtige Stammvatar der jongeren
Erbin). Bohne. ianerötterreichiMheii Unie.
IV.
«oirii.,
• 15:>2,
Qh-T 1Ö76,
♦ 1612.
iV4>nDihlt.
Matthias,
. * 1657,
erbült 1008 Öster-
reich, Ungarn«
Mähren. 1611 Böh-
men, Kaiser 1C12,
t ohne Erben 1919.
Maximilian, Albreclit,
Hoch- u. Deutsch- f kinderlos
meister, verwaltet 1621.
Tirol, t 1618.
Ferdlnandll.,
• 1578,
König von Böhmen 1617,
von Ungarn 1618,
Kaiser 1619, 1 1637.
_l
• 158.5,, t 1632,
seit 1623 Landesherr
in Tirol,
Stifter der IQngeren
Tiroler Linie.
Ferdlnaiiil III., Maria Anna, Leopold Willielm, FerAlnanA SifirtsimiiiA
•160«, T. Kg. Philipp 111. •1614, Karl. FraBE.
Kaiser 1637. f 1657. v. Spanien, 1 1646. Hoch- n.Deutschmeister.f 1662. • i«2h 1 1662 ♦ 1630 f iS
I "~j < eriotchen.
Leopold I., -^ vermahlt in aweiter Ehe 1673 mit Clandia Felicitas, • 166S, f 1«76, kinderlos.
*» KaiH*r. erwirbt Tirol 1665, ^ ^^ . „^ . ^. ^ ^i ,
lebeabfirren IBM 4- 170^ In dritter Ehe mit Eleonora Magdalena
lepeppurgen Acw. t l7Uf>. von Pfalz-Neuburg, 1076, f 1720.
lia,
l Korfürüt
le-.'i.
^
«losef I.,
• 1678,
Kaiser 1705, f 1711.
Karl ¥1.,
• 1686, König von Spanien 1703, Kaiser 1711,
erwirbt die spanischen Niederlande, Mai-
land, Neapel (verloren 1738), f 1740.
id.
Maria Josefa,
• 1699, t 1757,
Gemahl Friedrich Aninut
von Sachsen seit 1730.
Maria Amalia,
* 1701, t 17Ö6,
Qemahl Karl Albert von
Bayern seit 1722.
IMarla Theresia,
Krbtochter, vermählt 1736 mit
Hersog von Lothringen, Orossherzog von Tos
cana, Kaiser 1746, f 1766.
• 1717, t 1780,
Franz Stephan,
3t
T.
Tl.
VII.
VIII.
IX.
«loser II.,
• 1741,
Kaiser 17«5, f 179(>,
ohne Kinder.
lieopolA II.,
* 1747, Orossherzog v.Tc«-
caiia. Kaiser 1790, f 1792.
Stammvater der heute re-
gierenden Unie.
i
Ferdinand,
* I7&i, vermählt mit
M. Beatrix von Este,
Stitter der Linie tu
Hodena-Eate, t 1806.
erioMhe«.
X.
u.
Frani I.,
• 12. Febmar 1768, t 2. März 1835,
Kaiser von Österreich seit lH(Vi.
k
Ferdinand,
erbt Toscana,
6. Mai 1769. f 17. Juni 1624,
Stifter der Linie xu Toscana.
XL
D.
FerAlnan« I.,
• 1(». April 17M. t 2«. Jnni 1875,
verzichtet 184tf, 2. December.
Franz Karl,
• 7. December 1802, 1 8. März 187H.
D.
XII.
^ Frans «loser I.,
* IH. August 18S0,
Kaiser seit 2. Decembur 1848.
XIII.
328 Österreichische Reichsgeschichte. IL Theil. Vierte Periode. § 42.
IV. Periode : GescMclite des Gesammtstaates vor
Erlöscliezi des liabsburgiscliezi Manns- Stammes.
(1526—1740.)
§ 42. Gesehiehtlicher Überblick.
Arneth, Prinz Eugen von Savoyen, 3 Bde. — Bucholtz, Geschichte
der Regierung Ferdinands I., 9 Bde. — Huber, III— V; Österr. Reichsgeschichte
llöflf. — Hurter, Geschichte Kaiser Ferdinand's IL, 11 Bde. — Krön es, UL IV.
— May er IL und viele Einzelarbeiten, z. B. in der Österr. Geschichte für das Volk
die Bde. VII— X von Pa^out und Tupetz, Österreich im Reformationsalter
1526-1617; Gindely, Der 30jährige Krieg; Zahn, Ferdinand IlL und
Leopold L 1648—1699; A. Mayer, Die letzten Habsburger 1700—1740.
1. Durch die fortschreitende Auflösung der Reichsgewalt
waren die größeren landesherrlichen Gebiete in Deutschland schon
gegen Ausgang des Mittelalters in voller Umbildung zu Territorial-
staaten. Dies gilt zumal von den Besitzungen der großen rivali-
sierenden Geschlechter im Reiche, der Luxemburger in Böhmen
und Mähren und der Habsburger in den altösterreichischen Landen.
Diesen gegenüber befanden sich im Osten der Reichsgrenze zwei
unabhängige Staaten mittlerer Größe, Polen und Ungarn. Theils
das Bestreben dieser nicht deutschen Staaten durch Vereinigung
unter einem Herrscher ein Gegengewicht gegen das deutsche Reich
zu bilden, theils der Wunsch nach Gebietserweiterung brachte im
Laufe des Mittelalters mannigfache, jedoch nicht dauernde Länder-
verbindungen unter den genannten vier Staaten zustande.^ Schließlich
war 1471 mit Vladislav Jagello ein polnischer Prinz auf den böhmi-
schen Thron gelangt, der 1491 auch die Krone von Ungarn hinzu-
erlangte und beide Reiche auf seinen Sohn vererbte.
2. Die Ausdehnung der Herrschaft über die Nachbarlande
hatte schon König Albrecht L ins Auge gefasst, und nach dem
Aussterben der Pfemysliden die Wahl seines Sohnes Rudolf in
Böhmen durchgesetzt, obgleich ohne nachhaltigen Erfolg (§19,3).
1 Ungarn mit Polen vereint: 1370—1382, 1440—1444; Ungarn mit Böhmen :
1420—1437, 1491-1526; Österreich mit Böhmen: 1306-1307, 1437-1457;
Österreich mit Böhmen und Ungarn: 1437—1440, 1444—1457.
Versuche der Habsburger Böhmen und Ungarn zu erwerben. 329
Die Erbverträge, die Herzog Rudolf IV. mit den Anjou und den
Luxemburgern abschloss (§ 19, 7), sollten den Anfall von Ungarn
und Böhmen vorbereiten, die Vermählung Herzog Wühelm's mit
Hedwig von Anjou hätte die Habsburger zur Herrschaft in Polen
gebracht, woferne es dem Großfürsten von Litauen Jagello nicht
gelungen wäre, sich der jungen Königin zu bemächtigen (1386).
Die Vermählung Herzog Albrechts V. mit Elisabeth der Erbtochter
des luxemburgischen Hauses hatte dann im Jahre 1437 zur
Personalunion von Österreich mit Ungarn und Böhmen geführt,
doch war dieselbe nach dem vorzeitigen Tode des Königs Ladislaus
Postumus (f 1457) wieder zerfallen. Immerhin aber hatten sich
die Habsburger durch die Frieden von Ödenburg (1463) und
Pressburg (1491) die Nachfolge in Ungarn für den Fall des erb-
losen Todes der Wahlkönige oder ihres Geschlechts gesichert. Beide
Verträge waren von den ungarischen, jener vom Jahre 1491 überdies
von den croatischen und slavonischen Ständen genehmigt worden.
Dazu gesellten sich nähere Beziehungen zwischen den Herrscher-
häusern, welche auf dem Wiener Congress vom Jahre 1515 zur Ver-
abredung einer Doppelhochzeit führten, die in den Jahren 1521/22
durch die Vermählung des Erzherzogs Ferdinand mit der einzigen
Schwester des ungarischen Königs Ludwig und dieses mit Maria,
der Schwester Erzherzog Ferdinand's ihre Ausführung fand.
3. Die Fälligkeit dieser sorgfältig begründeten Ansprüche
trat unerwartet früh ein, da König Ludwig II. von Ungarn und
Böhmen am 29. August 1526 in der Schlacht bei Mohacs seinen
unbeerbten Tod fand. Es ist nun ebenso begreiflich, dass Erzherzog
Ferdinand die Nachfolge nach seinem Schwager in Ungarn und
Böhmen als seines Hauses und seiner Gemahlin Recht verlangte,
als dass die Stände dieser Reiche an der letzten Entwicklung, fest-
hielten und ein unbeschränktes Wahlrecht behaupteten. Dabei
waren die Umstände, unter welchen Erzherzog Ferdinand in Böhmen,
in Ungarn zum König gewählt wurde, wogegen die Mährer und
Schlesier am Erbrechte seiner Gemahlin festhielten und die Croaten
überdies seinen vertragsmäßigen Anspruch auf die Nachfolge
anerkannten, so verschieden, dass sie eine abgesonderte Darstellung
erfordern.
4. Glaubten sich die österreichischen Stände im Jahre 1519
zur Verwaltung der Lande bis zur Ankunft der unzweifelhaften
21**
330 Österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Vierte Periode. § 42.
Erben, selbst wider den Wortlaut des kaiserlichen Testaments für
berechtigt, so war ein gleiches Vorgehen der Stände in den von
König Ludwig IL hinterlassenen Reichen umso mehr zu erwarten,
als die Frage, wem die Nachfolge gebüre, hier keineswegs so klar
und entschieden war, als es Erzherzog Ferdinand l. voraussetzte.
Die vom böhmischen Landeshauptmann, Karl Herzog von
Münsterberg auf die Nachricht vom Tode des Königs einberufene
Versammlung der obersten Beamten des Königreichs beschloss
darum die Ausschreibung eines allgemeinen Landtags nach Prag,
welchem man die Entscheidung unter den zahlreichen Thron-
bewerbern überlassen wollte. Erzherzog Ferdinand hoffte anfänglich
im Vertrauen auf die böhmisch-österreichischen Erbverträge und
das Erbrecht seiner Frau seine „ Annahme "^ zum König ohne förm-
liche Wahl durchzusetzen, allein er überzeugte sich bald, dass er
die Ansprüche aus den Erbveilrägen fallen lassen müsse. Als dann
der Landtag am 12. October nach Verlesung der Landesprivilegien
auch den Erbanspruch Anna's mit der Begründung verworfen hatte,
dass sie ihn durch die bei Lebzeiten König Vladislav's erfolgte
Ausstattung und ihre spätere Vermählung verloren habe, war Erz-
herzog Ferdinand auch zur Annahme der Wahl bereit, sofern ihm
keine ungünstigeren Bedingungen gestellt würden, als seinen beiden
Vorgängern. Am 24. October wurde er dann von dem mit der
Vornahme der Wahl betrauten Ausschusse einstimmig zum König
erkoren und nach Ausstellung dreier Majestätsbriefe (13. und
15. December 1526) deren einer die Erklärung erhielt, dass ihn
die Stände aus freiem Willen und nicht aus Verpflichtung gewählt
hätten, am 24. Februar 1527 zu Prag gekrönt. ^
Viel glatter vollzog sich der Herrscherwechsel in Mähren,
Schlesien und der Lausitz. Die mährischen Stände erkannten im
November 1526 die Königin Anna als echte und geborene Erbin
der Markgrafschaft an, weil sie ihrem Vater dem König Vladislav
und seinen Erben den Eid der Unterthänigkeit geleistet hätten.
2 Den Wortlaut dieser drei Majestätsbriefe bei Kalousek, Ceslc6 st&tni
prüvo, 2. Aufl. S. 577 ff. Ober die Wahlvorgänge vgl. 0. Gluth, Die Wahl
Ferdinand's I. zum König von Böhmen (Mitth. des Vereins für Geschichte der
Deutschen in Böhmen, XV, 1877) und A. Rezek, Geschichte der Regierung
Ferdinands I. in Böhmen, I., 1878. Rezek behauptet (57, Anm. 3) mit Berufung
auf Palacky Archiv C. IV. 109, dass die früheren Brbverträge der Habsburger
Ferdinand I. Wahl zum König von Böhmen und Ungarn. 331
Eben darum nahmen sie nicht nur Anna, sondern auch deren Gemahl
zu ihren Herrschern ohne Wahlhandlung an und stellten nur
die Bedingung, dass ihnen alle ihre Freiheiten bestätigt würden.
Den gleichen Verlauf nahm die Anerkennung Perdinand's in
Schlesien (5. December) und in der Lausitz. „So kam ein herrliches
Reich ohne Schwertstreich in die Hände eines neuen Herrn."
5. Weit ungünstiger lagen die Dinge fiir Ferdinand in Ungarn,
weil sich hier der ehrgeizige Woiwode von Siebenbürgen, Johann
Zäpolya an die Spitze der nationalen Partei gestellt hatte, die von
einem fremden Könige nichts wissen wollte. Fast alle Bischöfe,
eine große Zahl von Magnaten und vieler Kleinadel ließen sich für
Zapolya gewinnen, der auf dem eigenmächtig ausgeschriebenen
Reichstage zu Stuhl weißenburg am 10. November 1526 zum König
ausgerufen und tags darauf gekrönt wurde. An eine schlichte
Anerkennung der formell nicht anzufechtenden Ansprüche, die
Ferdinand gestützt auf den Ödenburger und Pressburger Frieden
erhob, war unter solchen Umständen nicht zu denken, doch brachte
die österreichisch gesinnte Partei einen Reichstag zu Pressburg
zustande, auf welchem Ferdinand am 16. Dec. 1526 zum König von
Ungarn gewählt wurde. So gab es nun zwei Könige im Lande
und die Entscheidung hieng von der Schärfe des Schwertes ab.
Von den Nebenländem der ungarischen Kit)ne befand sich
Siebenbürgen in Händen Zäpolya's, der auch von den Ständen
Slavoniens am 3. Jänner 1527 zum König gewählt wurde. Die
croatischen Stände hingegen, die sich um dieselbe Zeit zu Czettin
(bei Sluin) versammelt hatten, fassten am Neujahrstage 1527 den
Beschluss, Ferdinand in Anbetracht seiner Rechte, der voran-
gegangenen Pressburger Wahl, sowie seiner Verdienste um die
Vertheidigung des Landes, als ihren erblichen Herrn anzuerkennen. *
mit den Lnxemburgorn durch Rückgabe der Ürkiuidon an Georg Podiebrad
im Jahre 1462 kraftlos geworden seien. Er zeigt femer S. 53, dass die Zurück-
weisung des Erbrechts Anna's durch die Stände sich durch den Majestätsbrief
König Vladislav's vom 11. Jänner 1510 begründen lässt, obgleich es auffällig
ist, dass die Stände auf diese Urkunde nicht Bezug nahmen.
• Vgl. Smolka, Ferdinand's I. Bemühungen um die Krone von Ungarn,
Archiv Bd. 57 ; histor. dipl. Verhältnis des Königreichs Croatiens zur s. Stephans-
krone, 82. Die Actenstücke des croatischen Landtags bei Chmel, Hab^burgisches
Archiv, II, S. 33 flf., auch bei Knkuljevic, Jura rogni Croatioe, 11, 20 ff.
332 österreichische Reichsgeschichte. IL Theil. Vierte Periode. § 42.
6. Der erste Waflfengang zwischen beiden Gegnern war bald
zu Gunsten Ferdinand's I. entschieden, der am Tage des hl. Stephan
(20. August 1527) siegreich in Ofen einzog und am 3. November
zu Stuhlweißenburg gekrönt wurde. Nun warb aber Zäpolya in
Constantinopel um Hilfe und erhielt diese. Sein mit den Türken
vereinigtes Heer eroberte Ofen und der Sultan rückte sogar vor
Wien, das er vom 27. September bis zum 15. October 1529 erfolg-
los berannte. Nach Ofen zurückgekehrt, gab Solyman H. die in
Visegrad erbeutete Stephanskrone an Zäpolya, den er zum König
von Ungarn ernannte und kehrte mit Hinterlassung einer Besatzung
in seine Hauptstadt zurück. Der Krieg in Ungarn dauerte indessen
zwischen beiden Königen fort, da Frankreich alle Mühe aufbot,
um einen Ausgleich zwischen den Gegnern zu vereiteln. Erat am
24. Februar 1538 kam es zu Großwardein auf Grundlage des
damaligen Besitzstandes zum Friedensschlüsse, der aber vor dem
Sultan geheim gehalten wurde. Zäpolya wurde von Kaiser Karl V.
und Ferdinand auf Lebenszeit als König von Ungarn und Dalmatien
anerkannt, Ferdinand behielt vorerst nur die Gebiete westlich der
Theiß, sowie Croatien und Slavonien, sollte aber nach König
Johann's Tode auch das übrige Ungarn nebst Siebenbürgen erlangen
und dessen Sohn mit dem Herzogthum Zips ausstatten. Aber diese
Friedensbestiramungen wurden von der Partei Zäpolya' s nicht
gehalten, die nach dem Tode des Königs (f 22. Juli 1540) dessen
Sohn Johann Sigmund zum König ausrief und sich der Unter-
stützung durch die Türken versicherte. So kam es neuerdings zum
Kampfe, der nach sieben wechselvollen Jahren mit der Zerreißung
Ungarns in drei Theile endete: im Osten herrschte nun Isabella
für ihren Sohn Johann Sigmund, im Westen Ferdinand, die Mitte
befand sich in der Gewalt des Sultans, der sein ungarisches Gebiet in
14 Sandschake theüte, die unter dem Ofner Beglerbeg standen.*
7. Mittler weUe waren auch im Westen wichtige Ereignisse
eingetreten. Anfang 1531 war Ferdinand I. auch zum römischen
König gewählt worden, dagegen gieng ihm ein paar Jahre später
(r534) Wirtemberg verloren, das Kaiser Karl V. im Jahre 1522
* Über den 1547 mit dem Sultan gegen ein jährliches »Geschenk* von
30.000 Ducaten auf 5 Jahre geschlossenen Waffenstillstand Ferdinand's vgl.
Hammer, Geschichte des osmanischen Reichs, 2. Aufl., II, 198 ff, über die Er-
werbung Siebenbürgens 1551, s. Huber im Archiv, Bd. 75.
Kriege mitZäpolya; Anfange des Protestantismus in Österreich. 333
abgetreten hatte. Am folgenreichsten aber wurde die Ausbreitung
des Protestantismus über ganz Österreich, welche allmählich jedoch
unaufhaltsam vor sich gieng. Die Bergknappen in den Alpenländern
gehörten zu den ersten Anhängern der neuen Lehre, dann fühlten
sich die Adeligen zu ihr hingezogen, es folgten die Bürger und
endlich auch die Bauern, die Klöster leerten sich und auch viele
Weltgeistliche schlössen sich der Bewegung an. Fast schien es,
als sollte die katholische Kirche auch in Österreich allen Boden
verlieren, denn es dauerte nicht lange, so hatten die Evangelischen
unter den Landständen das Übergewicht erhalten und ständische
wie städtische Ämter gelangten zumeist in ihre Hände. Dadurch
gewann aber der Protestantismus in Österreich eine über die
religiöse Seite hinausgehende politische Bedeutung und wurde,
da sich der Herrscher gegen ihn ablehnend verhielt, damals zur
Fahne, unter welcher sich alle oppositionellen Elemente zusammen-
fanden. Schon 1525/26 hatten die Stände der altösterreichischen
Lande das Begehren gestellt, dass die Verkündigung des lauteren
Evangeliums gestattet werden möge, sie drangen jedoch mit dieser
Forderung ebenso wenig durch, als bei deren Wiederholung in
den Jahren 1541 und 1548. Anderseits erwiesen sich aber die
von Ferdinand gegen den Protestantismus ergriffenen Maßregeln
(z. B. Verbote der Schriften Luthers, 1523, Gebot die Ketzerei
als Verbrechen zu bestrafen 1528, Verbot des Besuchs auswärtiger
deutscher Universitäten 1539, 1548) als ungeeignet, um dessen
weitere Ausbreitung in der Bevölkerung hintanzuhalten. Schließlich
bequemte sich Ferdinnad das, was er in Deutschland dulden musste,
auch in seinen Landschaften zu ertragen. An seinem Hofe, in seinem
Hause selbst hatte er Lutherische, er schien es nicht zu bemerken.
Es war ihm genug, wenn man von reinen Sitten und unbescholtenem
Wandel war, darüber aber hielt er. ^
8. Ferdinand machte nach seiner Erwerbung von Böhmen
und Ungarn kein Hehl daraus, dass er sie mit den altösterreichischen
Landen womöglich zu einem G es ammt Staat zu vereinigen und
in ihren gemeinsamen Angelegenheiten einheitlich zu verwalten
gewUlt sei. Umsomehr fällt es auf, dass er durch sein Testament
vom 1. Juni 1543 und seine Hausordnung vom 25. Februar 1554
^ Ranke, Zur deutsehen Gescbiehto (sämnitl. Werke VJI), 24.
334 österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Vierte Periode. § 42.
selbst gegen den Willen einzelner Landschaften eine neue Theilung
der österreichischen Länder anordnete, welche nach seinem Tode
(25. Juli 1564) wirksam wurde. Danach erhielt sein ältester Sohn,
der römische König und spätere Kaiser Maximilian IL Böhmen,
Ungarn und beide Österreich mit dem Anspruch der Gesammt-
Vertretung des Hauses nach außen, Ferdinand der mittlere, Tirol
nebst den Vorlanden, der jüngste Sohn Erzherzog Karl die inner-
österreichischen Lande nebst Görz. So entstanden drei regierende
Linien, deren jüngste im Jahre 1619 nach Wegfall der beiden
älteren den Gesammtbesitz der österreichischen Habsburger wieder
vereinigte. (S. die Stammtafel.) *
9. Die Entwickelung der Dinge in Oesterreich nach Kaiser
Ferdinand's L Tode war vornehmlich durch die schwankenden
Verhältnisse in Ungarn und die Türkenkriege, andererseits durch
die noch immer zunehmende Ausbreitung des Protestantismus in
den Erbländern und die Gegenmaßregeln der Regenten bedingt.
Kaiser MaximUian H, war allerdings den neuen Lehren mehr geneigt,
so dass man nach Kaiser Ferdinand's Tode sogar seinen Über-
tritt erwartete, seine beiden Brüder hingegen waren eifrige Anhänger
der alten Kirche. Dem Erzherzog Ferdinand gelang es in Tirol,
zumal durch Berufung von geistlichen Orden, der kirchlichen
Bewegung nahezu völlig Meister zu werden, sein Bruder Erz-
herzog Karl hingegen wurde durch drohende Türken einfalle an
einem gleichen Vorgehen gehindert und musste den protestantischen
Landständen in Innerösterreich -mehrfach Duldung in Religions-
sachen gewähren. Doch beschränkte er seine Zugeständnisse auf
die Zeit seiner Regierung und auf die adeligen FamUien der Land-
stände, er behielt dagegen sich freie Verfügung in den Städten und
Märkten vor, die man als landesfürstliches Kammergut ansah, sowie
auf seinen Gütern (selbst wenn sie verpfändet waren, s. g. Pfand-
ö Die Gründe dieser Ländertheiliing, die eine bedenkliche Rückwirkung auf
die Einheit der landesftirstlichen Behördenorganisation Übte, sind noch nicht
klargestellt. Hurt er (I, 2,) erblickt in dieser Maßregel eine beabsichtigte De-
centralisation der Verwaltung, um die landesfürstliche Gewalt im Kampfe gegen
die Stände vorerst in kleineren Gebietsgruppen erstarken zu lassen. Hub er,
IV, 218, scheint sie auf eine Vorliebe des Kaisers für seine jüngeren Söhne
zurückzuführen. Wieder andere begnügen, sich mit der Erzählung der Thatsache.
Über die rechtlichen Wirkungen dieser Theilung s. Hauke, 56 ff.
Die Ländertheilung von 1564; Gegenreformation in Tirol und I.-Ö. 335
Schäften). Ungeachtet der scharfen Maßregeln, die Karl hier traf,
nahm der Protestantismus doch in den Städten und auf dem
ilachen Lande noch immer zu, so dass damals wohl die größere
Hälfte der Gesammtbevölkerung der neuen Lehre anhieng. Erst
sein Sohn, Erzherzog Ferdinand IL machte von dem ihm nach
dem Augsburger Religionsfrieden zustehenden „jus reformandi"
entschieden Gebrauch. Am 13. September 1598 befahl er die Aus-
weisung aller protestantischen Prädicanten, Rectoren und Schul-
diener aus Graz und aus allen landesfürstlichen Städten und
Märkten in Steiermark, später durchzogen „Reformations-Commis-
sionen" unter militärischer Bedeckung die innerösterreichischen
Lande, um bei Bürgern und Bauern die Rückkehr zum katholischen
Glauben zu betreiben. Wer dies verweigerte, musste gegen Bezahlung
des zehnten Pfennigs als Abfahrtsgeld die Lande räumen, nur die
landständischen Adelsgeschlechter blieben von diesen Maßregeln
vorerst ausgenommen, „wider welche Ihre Fürstliche Durchlaucht
nichts anders attentiert, als dass sie bei denselben die Prädicanten
abgeschafft und alles Exercitium augsburgischer Confession verboten
und eingestellt, wie Roselenz in seiner Vertheidigung der Gegner-
reformation (Gründlicher Gegenbericht, F. 34 ^) hervorhebt.
10. Erzherzog Ferdinand hatte bei diesen Verfügungen nicht
bloß das Interesse der Kirche, sondern ebenso sehr auch die
Kräftigung seines landesfürstlichen Ansehens im Auge. Die
Gegenreformation ist daher auch als politische Maß-
regel zu beurtheilen. So hart die Gebote des Erzherzogs den
Einzelnen trafen, so bedenklich sie in ihren staatswirtschaftlichen
Folgen waren, so wenig ließen sie sich vom Standpunkte des
formellen Rechts anfechten. Da zudem die Regierung in dieser
Sache mit großer Umsicht und Ernst zuvVerke gieng, so wagten
7 Es ist beachtenswert, wie sehr Erzherzog Ferdinand II. in den Jahren 1598
bis 1000 bei Durchführung der Gegenreformation in Innoröstcrroich auf Fremde,
d. b. solche Personen, die nicht als seine Unterthanen geboren wurden, ange-
wiesen war. Bischof Georg von Lavant (Stoboeus von Palmburg), auf dessen
Antreiben und Anrathen der erste Schlag fiel, war ein gebürtiger Preuße, der
streitbare Bischof von Seckau, der ,Kotzerhanuner* Martin Brenner, oin Schwabe
aus Dietenheim, der Propst von Stainz Jakob Rosolenz, dem die publicistische
Rechtfertigung zufiel, ein Kölner, der Anführer der Executionstruppen Paar ein
Italiener. Unter den Landeskindem ist hier an hervorragender Stelle nur der
Bischof von Laibach Thoraas Chrön (seit 1599) zu nennen.
336 Österreichische Rcichsgeschichte. ü. Theil. Vierte Periode. § 42.
die Betroffenen auch keinen bewaffneten Widerstand, an den in
der ersten Aufregung so mancher gedacht hatte. Die Widerstands-
kraft der protestantischen Landstände in Innerösterreich wurde so zu
einer Zeit gebrochen, in der die Österreicher mit Benützung des un-
seligen Bruderzwistes im Herrscherhause durch die Capitulations-
Resolution des Königs Matthias (19. März 1609) Zugeständnisse
erhielten, die über die Vergünstigungen Kaiser Maximilians II.
hinausgiengen und Kaiser Rudolph IL den Böhmen und Schlesiern
den Majestätsbrief ausstellte. (1609, 9. Juli, für Schlesien 20. August.)
11. Der Schwerpunkt liegt von da ab in den Ereignissen,
die sich in Böhmen vorbereiteten. Kaiser Matthias hatte sich der
Protestanten bedient, um den regierungsunfähig gewordenen Bruder
aus der Herrschaft zu verdrängen, allein er hätte am liebsten die
Zugeständnisse in Religionssachen wieder zurückgenommen, die er
hatte machen müssen. Das gieng nun freilich nicht und so befand
er sich in einer wirklich üblen Lage. Nur durch äußerste Nach-
giebigkeit, so klagte er in einem vertrauten Schreiben an Erz-
herzog Ferdinand von Steiermark, (1613, 10. November) habe er
bisher die Stände in Osterreich von offener Empörung zurück-
gehalten, in Ungarn thue der Palatin, was er wolle, in Böhmen könne
er keinen Landtag berufen, wenn er nicht die Confoderation der
Stände zugeben: wolle, daher aber auch keine Steuern erheben,
Mähren gleiche mehr einer Republik, als einem Fürstenthum u. s. w.
Dazu beherrschte den kinderlosen Matthias die Sorge für die Nach-
folge in den Erblanden die er seinem Neffen Ferdinand II. aus
der innerösterreichischen Linie zuwenden wollte. Nur mit Mühe
wurde 1617 auf dem böhmischen Landtage das Erbrecht des
Hauses anerkannt, Ferdinand jedoch erst gekrönt, nachdem er den
Majestätsbrief bestätigt hatte. In Ungarn hingegen bestand der
niedere Adel hartnäckig auf der Anerkennung seines unbeschränkten
Wahlrechts und ließ sich erst nach vielen Verhandlungen am
16. Mai 1618 zur Formel herbei, „dass Ferdinand von den Ständen
nach ihrer alten Gewohnheit und immer beobachteten Freiheit
einstimmig zum König gewählt worden sei".
Nur wenige Tage später drängten die hochgespannten Gegen-
sätze zwischen den Wünschen der protestantischen Stände in
Böhmen und den Absichten des Kaisei*3 Matthias zum Ausbruch
einer verhängnisvollen Bewegung. Die strengen Maßregeln des
K. Rudolf II. Majestätsbrief; der Prager Fenstersturz und seine Folgen. 337
Kaisers gegen die protestantischen Bürger von Braunau, welche
die Auslieferung ihrer Kirchenschlüssel verweigerten, wurden am
23. Mai 1618 durch den Prager Fenstersturz beantwortet, die
böhmischen Stände ernannten eine provisorische Regierung aus
30 Directoren, Graf Thum warb in ihrem Auftrag ein Heer, mit
dem er bis Wien streifte. Gleichzeitig wurden mit den Protestanten
in Mähren, im Lande ob und unter der Enns aber auch mit der
Union, mit Savoyen, Venedig und dem König Jakob von England
Verbindungen angeknüpft, während Sachsen und Polen für den
Frieden thätig waren. Während dieser Verhandlungen starb Kaiser
Matthias am 20. März 1619.
12. Die Directoren schrieben nun einen Generallandtag nach
Prag aus, welcher auch von den Abgeordneten der protestantischen
Stände von Osterreich ob und unter der Enns beschickt wurde,
und am 31. Juli eine neue Verfassung (Conföderationsacte) annahm.
In derselben wurde Böhmen förmUch zu einem Wahlreich erklärt
und das schwache Band noch mehr gelockert, durch welches es
mit den Nachbarlanden Mähren und Schlesien verbunden war. Am
16. August wurde mit den Protestanten in Österreich ob und unter
der Enns eine „Conföderation** gegen alle Feinde abgeschlossen,
welche die Privilegien der Stände und deren Religion angreifen
würden, am 19. August König Ferdinand II. seiner Herrscherrechte
in Böhmen verlustig erklärt. Die böhmischen Herren standen
damals auf dem Höhenpunkte ihrer Macht. Diese zu brechen und
der monarchischen Gewalt zum Siege zu verhelfen w^ar die Auf-
gabe K. Ferdinands IL, die er auch gelöst hat.
Die Böhmen hatten am 26. August 1619 den Pfalzgrafen
Fiiedrich V., das Haupt der Union zum König gewählt und am
4. November auch gekrönt, allein die Schlacht auf dem Weißen
Berge machte nach Jahresfrist (8. November 1620) seinem Reiche
wie auch der ständischen Adelsherrschaft ein jähes Ende. Kaiser
Ferdinand II. hielt nun ein blutiges Strafgericht. Am 20. Februar .
1621 wurden 48 von den Führern {der Bewegung ergriffen und
27 von ihnen am 21. Juni 1621 hingerichtet, die übrigen zu
schimpflichen Strafen verurtheilt. Im Februar 1622 ergieng die
Aufforderung an alle Schuldigen um Verzeihung zu bitten, der s. g.
Generalpardon. Den 728 Mitgliedern des Herren- und Ritterstandes,
die sich meldeten, wurde das Leben geschenkt, aber sie verloren
LuBchin, ÖBterreichiscbe Reichsgeschictate. 22
338 Österreichische Roichsgeschichte. U. Theil. Vierte Periode. § 42.
ihre Güter zum größten Theile. Nun beganaen auch in Böhmen
die Maßregeln der Gegenreformation. Schon 1621 waren jene
Prediger, welche sich in politische Umtriebe eingelassen hatten, des
Landes verwiesen worden. Im Jahre 1624 traf das gleiche Los
auch die übrigen, zugleich sollten Zwangsmaßregeln aller Art,
namentlich lästige Einquartierungen von Soldaten (s. g. Seligmacher)
die protestantischen Bewohner zum alten Glauben zurückführen.
Im Jahre 1627 wurde dann durch Erlassung der verneuerten Landes-
ordnung für Böhmen — im Jahre 1628 für Mähren — die Landes-
verfassung gründlich geändert, die Erblichkeit in der männlichen
und weiblichen Linie des Hauses Habsburg ausgesprochen, der
Geistlichkeit die erste Stelle unter den Landständen angewiesen,
die Gesetzgebung der Krone vorbehalten u. s. w.
13. Nun schien auch der Augenblick gekommen, um die
schon weit gediehene Gegenreformation vollends durchzuführen,
denn bisher hatte dieselbe den landständischen Adel noch nicht
unmittelbar berührt, da sich die Maßregeln vor allen gegen den
protestantischen Bürger und Bauern gekehrt hatten, von denen
überdies manch einer den Verfolgungen entgangen war. Da erließ
der Kaiser Edicte am 31. Juli 1627 für Böhmen, 1. August 1628
für die i.-ö. Lande, welche auch die Mitglieder des Herren- und
Ritteratandes, die sich nicht bekehren wollten, zur Veräußerung
ihrer Güter und zum Verlassen der Heimat zwang. Auf mehr
als 30.000 Familien schätzte Slavata den Verlust, den Böhmen
damals durch die unfreiwilligen Auswanderer erlitt, darunter
befanden sich 185 Geschlechter des Herren- und Ritterstandes aus
Böhmen, 150 adelige Familien mit nahezu 800 Gliedern aus Inner-
östen-eich. ® Vielfach waren es die tüchtigsten, kenntnisreichsten und
unternehmendsten Männer, die so außer Landes getrieben wurden
und in Sachsen, Brandenburg, Holland und der Schweiz, oder
anderswo in protestantischen Landen ihr Fortkommen suchten.
„Eine Menge von Vermögen, Kraft und Intelligenz war dadurch
für Österreich verloren gegangen", an die Stelle eines mit den
Geschicken des Landes seit Jahrhunderten verflochtenen Adels
^ 3*2 Angehörige der Familie Windisehgrätz, 29 Dietrichstein, 26 Welzer,
je 24 Egkh und Khevenhüllor, 17 Racknitz, 15 GaUer, 13 Herritsch, 12 Herber-
v<«tein, 11 Prank u. a. m., zusammen 425 Personen verließen damals allein vom
i.-ö. Uerrenstand die Heimat. Exulanten- Verzeichnis: Zahn, Geschichtsbl., II, 75 ff.
Die neuen Landesordnungen; Durchfühning der (iegenreformation. 339
traten Emporkömmlinge oder fremde Geschlechter, allein die
Männer der Wissenschaft und Kunst ließen sich nicht so leicht
ereetzen. Schwer hielt es schon, die Lücken auszufüllen, die durch
den Abgang so vieler geschäftsgewandter Kaufleute, erfahrener
Gewerken und fachtüchtigen Handwerksleute auf Kosten des
österreichischen Volkswohlstandes entstanden waren. Der wirt-
schaftliche Verfall ließ in der That nicht lange auf sich warten.
14. Im Jahre 1629 erließ Kaiser Ferdinand II. auf dem
Gipfel seiner Macht, das s. g. Restitutions-Edict, ungeachtet es ihm
widerrathen worden war, das die Rückstellung aller seit dem
Passauer Vertrag wider den geistlichen Vorbehalt eingezogenen
Kirchengüter an die Katholiken befahl. Wallenstein mit seinen
gefürchteten Scharen soUte es durchführen, an einen Wideretand
war da nicht zu denken. Aüein schon im August des Jahres 1630
ließ der Kaiser seinen Generalissimus fallen, gegen den auf dem
Kurfüretentage die schwersten Anklagen laut geworden waren.
Grollend zog sich nun Wallenstein auf seine Güter zurück, des
Augenblicks harrend, da man seiner wieder bedürfen würde. Und
diese Zeit kam bald genug, denn der Kaiser war mit dem Tage
der Entlassung seines bewährten Feldherm im Reiche machtlos
geworden. Nur auf vielfältige Bitten ließ sich dieser im December
1631 herbei, ein neues Heer für den Kaiser aufzustellen, dessen
Oberbefehl er eret nach neuerlichen Bitten K. Ferdinands II. im Früh-
jahr 1632 gegen Einräumung der weitestgehenden Befugnisse und
Verpfändung des Füretenthums Groß-Glogau, bis er wieder in den
Besitz Mecklenburgs gesetzt, oder in anderer Weise durch ein
gleichartiges Land entschädigt werden würde, übernahm. ®
15. Nach Wallenstein's Ermordung (25. Februar 1 634) übergieng
der Oberbefehl auf des Kaisers ältesten Sohn, König Ferdinand (IIL),
der seinem Vater im Jahre 1637 auch in der Regierung folgte.
Der Krieg hatte mittlerweile seinen ursprünglichen Charakter und
Zweck schon längst verloren, namentlich seitdem Frankreich sich
offen auf Seite der Schweden gestellt hatte, und wurde ohne große
Waffenthaten verheerend fortgesetzt. Schon in den Jahren 1640/41
wurden Friedensunterhandlungen angeknüpft, jedoch ohne Ernst
® Die angeblichen Bedingungen Wallensteins, bei Khevenhiiller in seinen
Ann. Perdinandi, die man eben daswegen für authentisch gehalten hat, sind es
nicht. Hu her, V., 406, Anm. 2, mit Berufimg auf Ranke und Schebek.
2*2*
340 österreichische Reichsgeschichte. IL Theil. Viert« Periode. § 42.
betrieben, weil jeder Theil noch Vortheile über den Gegner zu
erringen suchte. In der That gelang auch den Schweden noch
im letzten Augenblicke die Überrumpelung der Prager Kleinseite,
so dass der Krieg an dem Orte, von dem er ausgegangen war,
nach dreißig Jahren (1648) sein Ende erreichte.
Grauenvoll waren die Wirkungen dieser verheerenden Kriegs-
züge in den Landen, die unmittelbar davon betroffen waren, Böhmen,
Mähren und Schlesien standen am Rande des Verderbens, Tausende
von Dörfern waren niedergebrannt, viele sind gar nicht wieder
erstanden ; in Böhmen war die Bevölkerung auf ein Viertel zurück-
gegangen. Aber auch die Leistungsfähigkeit der übrigen Erblande
war erschöpft, als endlich die Friedensglocken läuteten.
16. Auf Kaiser Ferdinand IIL (+ 1657) folgte, da ihm sein
ältester Sohn König Ferdinand IV. schon 1654 im Tode voran-
gegangen war, sein jüngerer Sohn Kaiser Leopold L (1657 — 1705),
der während seiner 48jährigen Regierung, ungeachtet seiner persön-
lichen Friedfertigkeit in eine Reihe langdauenider Kriege mit der
Türkei, mit Frankreich und in Ungarn verwickelt wurde.
Den ersten Türkenkrieg brachte die Parteinahme des Kaiser
in Siebenbürgen zum Ausbruch, wo er die beiden Kemenji gegen
die von den Türken eingesetzten Fürsten Achaz Barcsai und
Michael ApaflFy I. unterstützte. Der Sieg den Montecuculi am
31. Juli 1664 zu St. Gotthard an der Raab erfocht, brachte jedoch
nicht die gehoflften Früchte, denn durch den Frieden von Vasvär
wurde nur die Verwandlung Siebenbürgens in eine türkische Provinz
verhindert, wogegen Neuhäusel und Großwardein den Türken, die
sie erobert hatten, verbleiben sollten. Man war darum mit diesem
Frieden vielfach unzufrieden, namentlich in Ungarn, wo man sich
darüber beschwerte, dass der Reichstag nicht befragt worden
sei. Zudem mehrten sich die Klagen, als die siebenbürgischen
Besatzungen vertragsmäßig nach Ungarn zurückgezogen wurden.
Die Unzufriedenen sammelten sich um den Palatin Vesselönyi, und
als dieser 1667 gestorben war, um den herrschsüchtigen Peter Zrinyi,
dem sich der judex curife Franz Nädasdy, Franz Christoph Graf
Frangepan und der innerösten^eichische Regimentsrath Erasem Graf
Tattenbach anschlössen. Zrinyi machte sich immer mehr mit dem
Gedanken vertraut, König von Ungarn zu werden und seinen
Schwiegersohn Raköczy in Siebenbürgen zum Fürsten zu erheben.
Polgen des 30jähr. Krieges; Türkenkriege 1664, 1683 ff. 341
Die Verschworenen unterhandelten mit Apaflfy, mit der Türkei, Polen
und Frankreich, doch wurde der Anschlag rechtzeitig entdeckt und
die Häupter der Anzettelung fielen nach durchgeführtem Hoch-
verrat hsprocesse unter dem Beile des Henkers (1671).
17. Die ungarischen Verhältnisse beruhigten sich demunge-
achtet nicht. Nach der Niederwerfung des Zrinyi-Frangepani'schen
Aufstandes waren viele Edelleute vor ein zu Pressburg unter dem
Vorsitze des Grafen Rotal tagendes Kriegsgericht vorgeladen,
manche auch hingerichtet worden. Später 1673/74 machte man
den evangelischen Predigern in den Bergstädten den Process, da
man sie des Einverständnisses mit den Türken beschuldigte. Ungarn
wurde wie ein erobertes Land behandelt und des Kaisers erster
Rathgeber, Fürst Lobkowitz, dachte daran, die alte Verfassung abzu-
schaffen, das Palatinat und die Stände aufzuheben und das Recht
der Gesetzgebung an die Krone zu bringen.
An die Spitze der Unzufriedenen in Ungarn stellte sich 1677
Graf Eraerich Tökölyi, der von Polen und Frankreich unterstützt,
nach und nach alle Bergstädte eroberte. Nun berief zwar Kaiser
Leopold im Frühjahr 1681 einen Reichstag, auf welchem er den
Ungarn die in dem Wiener Frieden (1606) zugestandene freie
Religionsübung bestätigte und auf die übrigen Wünsche : Wieder-
herstellung nationaler Ämter (Palatin, Banus von Croatien) Neu-
«rrichtung der Miliz, Abschaflfung der neuen Steuern u. s. w. eingieng.
Er erreichte jedoch seine Absichten nicht, da König Ludwig XIV.
von Frankreich gerade damals alles daran setzte, die Macht des
Kaisera durch Unruhen in Ungarn lahm zu legen, um für seine
Vergewaltigungen am Rhein (Reunionskammern, Überfall von Straß-
burg 1681, 30. September) freie Hand zu erhalten. So kam es,
dass die Türkei nun offen auf Tökölyi's Seite trat, der 1682 zum
König von Ungarn ausgerufen wurde und dass der kriegslustige
Großvezier Kara Mustapha den Krieg gegen den Kaiser selbst
beschloß. Am 13. Juli 1683 begann das bis an die Mauern Wiens
vorgedrungene Türkenheer mit der Belagerung der Stadt, die erst
am 12. September durch den Sieg des Entsatzheeres am Kahlen-
berge beendet wurde.
Nunmehr wandte sich das Blatt zu Gunsten Kaiser Leopold's L
Im Jahre 1686 wurde Ofen erobert, das durch 145 Jahre in türkischen
Händen gewesen war, das Jahr darauf (12. August 1687) wurde
342 Österreichische Reichsgeschichte. IL Thcil. Vierte Periode. § 4*2.
der Großvezier beim Berge Härkäny in der Nähe von Mohäc»
entscheidend geschlagen und der gewandte kaiserliche General
Caraflfa brachte die Stände Siebenbürgens dazu, dass sie dera
Bündnisse mit der Türkei entsagten und den Kaiser als ihren
Schutzherrn annahmen (9. Mai 1688).
18. Jetzt, nachdem der größere TheU von Ungarn durch Blut-
und Geldopfer der kaiserlichen Erblande und Deutschlands dem
Türkenjoch wieder entrissen war, fehlte es nicht an Stimmen, welche
den mit Waffengewalt gewonnenen Boden der Lehensherrlichkeit
des deutschen Reiches unterworfen wissen wollten, da derselbe
während der langen türkischen Oberherrschaft den Charakter eines
ungarischen Gebiets verloren habe. Wieder andere suchten dem
allmählich erstarkenden Gedanken, dass man einem großen Staats-
wesen angehöre, Ausdruck zu geben und verlangten, dass aus
Anlass der Wiedergewinnung mindestens eine Annäherung in der
Länderverfassung eintrete und der Gegensatz beseitigt werde, dass
innerhalb derselben Staatsgrenzen der Herrscher auf der einen
Seite Erb-, auf der andern Seite Wahlfürst sein solle. Im Sinne
dieser entschied der Kaiser und berief auf den 18. October 1087
einen Reichstag nach Pressburg. Zwar könnte er, erklärte Kaiser
Leopold in der Vorlage, das aus den Händen der Türken und
Rebellen eroberte Land in absoluter Weise beherrschen, doch
wolle er die Verfassung bestehen lassen, wenn der Reichstag das
Erbrecht des Hauses Habsburg in Ungarn anerkenne und die s. g.
Widerstandsklausel aus der goldenen Bulle beseitige. Beide Forde-
rungen fanden wenig Widerstand, und am 9. December 1687
wurde die erste Krönung eines erblichen ungarischen Königs
an Erzherzog Josef L vollzogen.
19. Das Kriegsglück blieb den kaiserlichen Fahnen treu.
1688 wurde vorübergehend Belgrad, und weiterhin Serbien, Bosnien,
die Wallachei und ein Theü von Albanien erobert, 1691 wurden
die Türken bei Salankemen geschlagen, 1696 entsagte Fürst Michael
Apaffy II. zu Gunsten des Kaisere auf Siebenbürgen, Entscheidung
brachte aber erst der vom Prinzen Eugen von Savoyen bei Zenta 1 697
erfochtene Sieg, durch welchen die hohe Pforte zum Frieden von
Karlovitz (1699, 26. Jänner) genöthigt wurde, in welchem sie
Siebenbürgen, ganz Ungarn mit Ausnahme des Temeser Banats.
Croatien und Slavonien an den Kaiser abtrat. Die türkischen Grenz-
Friede von Karlovitz, 1699; spanischer Erfolgekrieg. 34B
posten gegen die Erblande, die vor 16 Jahren noch zu Gran und
Neuhäusel gestanden hatten, waren jetzt bis Belgrad und Temesvär
zurückgedrängt.
20. Der endlich hergestellte Friede währte jedoch nicht lange.
Am 12. November 1700 erlosch mit König Karl IL die Linie der
spanischen Habsburger und der Vei'such Kaiser Leopolds L, das
Erbrecht seines Hauses geltend zu machen, führte den Ausbruch
des 8. g. spanischen Erbfolgekriegs herbei, in welchem Osten-eich
mit Frankreich sowohl in Deutschland, als in Italien zusammen-
stieß. Zugleich brachen in Ungarn, w^o es, wie der venezianische
Gesandte schon 1699 berichtete, nur einer geschickten Hand bedurfte,
um die Flammen des Aufmhrs wieder auflodern zu lassen, Unruhen
aus, die von Frankreich geschürt wurden. An die Spitze der
«Malcontenten" trat 1703 Franz Räköczy IL, der sich im Kampfe
gegen die kaiserlichen Truppen, seit 1708 allerdings mit sinkendem
Glücke, bis zum Jahre 1711 erhielt. Mittlerweile waren nicht bloß
Kaiser Leopold I. (5. Mai 1705), sondern auch dessen Nachfolger,
Kaiser Josef L (17. April 1711) gestorben, ein kluger und kraft-
voller Regent, auf den man große Hoffnungen setzte und der sich
mit Plänen einer weitreichenden Umgestaltung nicht nur der äußern
Politik, sondern auch der inneren Verwaltung trug.
21. Da Kaiser Josef bei seinem unerwarteten Hinscheiden
keinen Sohn, sondern nur zwei Töchter hinterlassen hatte, so
folgte ihm in der Herrschaft über die Erblande sein Bruder Karl.
Dieser kämpfte damals gerade in Spanien um die Krone, die ihm
Vater und Bruder im Jahre 1703 abgetreten hatten, kehrte aber
auf die Meldung vom Tode seines Bruders so bald als möglich
nach Österreich zurück, während seine Gemahlin vorerst noch als
Regentin in Spanien zurückblieb. In Mailand erreichte ihn die
Nachricht von seiner Wahl zum deutschen Kaiser und auch in
Ungarn wurde er ohne Schwierigkeiten gekrönt. Dagegen gelang
es ihm nicht den Besitz von Spanien gegen Philipp V. von Bourbon
zu behaupten, weil jetzt die Seemächte, insbesonders England,
für eine Theilung der spanischen Erbschaft eintraten und am
11. April 1713 mit Frankreich den Frieden von Utrecht schlössen.
Kaiser Karl VI. setzte zwar den Krieg noch einige Zeit allein
fort, musste sich aber endlich (1714) zum Rastatter Frieden ent-
schließen, der ihm nur die spanischen Nebenlande in Europa, d. i.
344 österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Vierte Periode. § 42 u. 43.
Neapel, Mailand, Sardinien und die spanischen Niederlande zubrachte.
Nicht lange darauf führte die Parteinahme des Kaisers für Venedig,
dem die Türken das im Karlovitzer Frieden abgetretene Morea
streitig machten, zum ersten Türkenkrieg, der aber dank dem Feld-
herrntalente des Prinzen Eugen nach der türkischen Niederlage
zu Peterwardein und der Eroberung von Temesvar und Belgrad
1718 durch den Passarovitzer Frieden beendigt wurde, durch
welchen der Kaiser den Banat, die Wallachei bis zur Aluta und
Theile von Serbien und Bosnien erhielt.
22. Die wichtigste innere Angelegenheit, welche den Kaiser
beschäftigte, war aber die Regelung der Thronfolge. Kaiser Karl VI.
war nach dem Tode seines Bruders der einzige Habsburger, seine
Ehe mit Elisabeth Christina von Braunschweig-Blankenburg längere
Zeit kinderlos. Die Möglichkeit des Erlöschens des Habsburgischen
Mannsstammes war also nahe gerückt und damit der Übergang
des Reiches an die weiblichen Nachkommen. Nun hatte aber der
im März 1712 von dem croatisch-slavonischen Ständen gefasste
Beschluss, in solchem Falle jene Prinzessin mit ihrer Nachkommen-
schaft als zur Thronfolge berufen anzusehen, welche die fünf n.-ö.
Lande besitzen und im Erzherzogthum Österreich Hof halten würde,
diese Frage in Bewegung gebracht. Die Ungarn über das einseitige
Vorgehen der Croaten aufs höchste erbittert, weigerten sich nicht
nur eine ähnliche Erklärung abzugeben, sondern stellten überhaupt
auf die Anfrage, unter welchen Bedingungen sie im Falle des Aus-
sterbens des Mannsstarames auf ihr Wahlrecht zu verzichten bereit
wären, unannehmbare Bedingungen. Kaiser Karl VI. antwortete
darauf durch die am 19. April 1713 im Kreise seiner geheimen
Räthe zu Protokoll gegebenen Erklärung, dass nach der in seinem
Hause beobachteten Ordnung sämmtliche ihm von seinem Vater
und Bruder angefallene Erbländer nebst den spanischen Erwer-
bungen, als ungetheiltes Ganze erst auf seine männliche Nach-
kommenschaft und in deren Ermangelung auf seine „ehelich
hinterlassende Töchter", in deren Abgang auf Kaiser Josefs I.
Töchter, dann auf seine Schwestern und so fort auf die übrigen
Linien des Erzhauses „nach dem iure primogeniturse* überzugehen
hätten. Die Veröflfentlichung unterblieb jedoch bis zum Jahre 1720.
Damals ergieng das Protokoll vom 19. April 1713 als Regierungs-
vorlage an alle Landtage um von ihnen Zustimmungserklärungen zu
Passarovitzer Friede 1718; die Pragfmatische Sanction. 345
dieser „Sanctio pragmatica", zu erlangen. Von keiner Seite erfolgte
eine Ablehnung, den Schluss des Ganzen bildete die Kundmachung
der so vereinbarten Erbfolge-Ordnung in den Niederlanden (6. De-
cember 1724) und in der Lombardei (am 14. März 1725).
23. Gegen den Rath des Prinzen Eugen, welcher sich mit
diesen Anerkennungen der Erbländer begnügen und nur zu deren
Durchfuhrung ein starkes Heer aufstellen wollte, suchte der Kaiser
auch die Zustimmung der europäischen Mächte zu gewinnen. Dies
verwickelte ihn in mancherlei Schwierigkeiten, so z. B. um die
Stimme Kursachsens zu gewinnen in den sächsisch-polnischen Erb-
folgekrieg 1733—1735, in welchem der Kaiser Neapel und Sicilien
verlor und dafür Parma und Piacenza erhielt. Beinahe gleichzeitig
wurde auch der zweite Türkenkrieg so unglücklich gefuhrt, dass
durch den Belgrader Frieden (1739) die meisten Vortheile des
Passarovitzer Friedens schwanden und Donau und Save die Grenzen
des Reiches wurden. Diese Unglücksfälle schwächten die Gesundheit
des Kaisers, der auf einer Jagd im October 1740 erkrankte und am
26. October mit Hinterlassung zweier Töchter starb. Mit ihm er-
losch der Mannsstamm der habsburgischen Regenten in Österreich.
Österreichische Rechtsquellen vom Schlüsse des Mittelalters
bis zum Jahre 1740.
§ 43. Die landesfarstliche Gesetzgebung im 16. Jahrhundert.
Ritter M., Das deutsche Fürstenthuni in der Mitte des 16. Jahrhunderts.
(Zeitsch. f. allg. Gesch. 1885.) — Schröder. Rechtsgesoh. § 87 ff. — St ebbe,
Oe.<chichte der deutschen Rechtsquellen, 2. Abtheilg., § 70 ff. — Sar tori T. v.
Beiträge zur österr. Reichs- und Rechtsgeschichte. Innsbruck 1895. — K r o n e s,
Die landesfUrstl. und landschaftl. Patente der Herrscherzeit Maximilian's I. und
Ferdinand'» I. (1493—1564.) Beitr. zur Kunde steir. Geschichtsquellen, XVIII, XIX.
1. Der große Umschwung ia allen Lebensverhältnissen, der
bis gegen das Ende des 15. Jahrhunderts eingetreten war und zur
Unterscheidung des „Mittelalters" von der beginnenden „neueren
Zeit"* Anlass gab, kam sowohl in der Art der nun maßgebenden
Rechtsquellen, als in ihrem Inhalt zur Erscheinung. Hatte bisher
Gewohnheit als ungeschriebenes Recht vorgeherrscht und seine spär-
liche Ergänzung fast nur in Privilegien und autonomen Satzungen
346 österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Vierte Periode. § 43.
gefunden, so kehrte sich in dem folgenden Zeitraum das Ver-
hältnis um: gesetztes Recht rückte jetzt in die erste Reihe, vor
allem als Erzeugnis landesfürstlicher Gesetzgebung, wogegen
Autonomie und Gewohnheitsrecht zurücktraten. Für den Inhalt
der Rechtsquellen der neueren Zeit wurden aber die Reception
der fremden Rechte und die Erweiterung des landesfürstlichen
Wirkungskreises von größter Bedeutung. So gab es an Stelle des
früheren Mangels, nun eine Überfülle von gesetztem Recht, sei es
in den mehr minder umfänglichen Landesgesetzen, sei es in den
zahllosen »Patenten, Generalien, Mandaten" pder wes Namens
sonst die landesherrlichen und obrigkeitlichen Verordnungen waren.
2. Dieser plötzliche Reichthum an Gesetzen zu Anbruch der
neuern Zeit war in Deutschland eine ganz allgemeine Erscheinung
und wurde zumal durch die Rechtsunsicherheit veranlasst, die seit
der Reception der fremden Rechte stärker fühlbar war, denn je.
Was im einzelnen Falle rechtens war, ließ sich nicht selten
schwer bestimmen, weü über das Gewohnheitsrecht sogar in den
Kreisen, in welchen es zur Anwendung kommen sollte, oft weniger
ein klares Bewusstsein, als nur ein dunkles Rechtsgefühl herrscht«.
Das wurde noch viel schlimmer, als die Juristen zum W^orte
kamen, die nun das zu aushilfsweiser Geltung angenommene fremde
Recht mit Beiseiterückung der ihnen unbekannten Sätze des
partikulären heimischen Brauchs an erster Stelle zur Anwendung
brachten. So entsprang also die Gesetzgebung zum Theil dem
Bestreben, den Landesbrauch vor gänzlicher Verdrängung zu be-
wahren. Nicht minder gab auch die Natur der fremden Rechte
dazu Anlass, da es bei aller inner.en Vortreflflichkeit dennoch das
Recht eines fremden Volkes blieb, das vor einem Jahrtausend
unter theilweise ganz andern sittlichen Anschauungen und Lebens-
verhältnissen seine Aufzeichnung erfahren hatte. Unter diesen
Umständen bot den Landesherren der neu entwickelte Begriff von
den Aufgaben des Staates die Möglichkeit zu gesetzgeberischem
Eingreifen. Hatten sich die Ansichten über recht und billig im
Lauf der Zeit mehrfach geändert, so erschien die Beseitigung der
Ungleichheit und Mannigfaltigkeit der Rechtssätze, bei dem jetzt
beginnenden Streben nach größerer Gleichförmigkeit innerhalb der
Territorien, als neue Pflicht des Landeshen-n, der er durch Er-
lassung von Gesetzen genügen konnte. So folgte dem Aufschwung
Ui^achen der landesf. Gesetzgebung im 16. Jahrhundert. 347
der Reichsgesetzgebung seit Kaiser Maximilian die noch ergiebigere
Landesgesetzgebung, welcher der Vortritt überall gelassen war,
soweit nicht das Reich absolute Verfügungen getroffen hatte.
3. Der geschilderte Vorgang lässt sich in den österreichischen
Landen ebenso verfolgen. Mit Maximilian L beginnen hier nicht
bloß umfänglichere Landesgesetze wie die Malefizordnung für Tirol
vom Jahre 1499 oder die Landgerichtsordnung für das Land unter
der Enns (1514), sondern werden auch Anläufe zu einer mehreren
Landen gemeinsamen Gesetzgebung, ja selbst zu förmlicher
Codiflcierung bemerklich. Wir besitzen die Nachricht eines Zeit-
genossen, dass sich der Kaiser mit dem Gedanken trug, quo jus
civile in ordinem et ccmpendnim resecatis snpef'ßuis redigeret, und
dass er zu dem Zwecke bereits ein Verzeichnis der tüchtigsten
Rechtsgelehrten angelegt hatte. ^ Wollte man diese Nachricht aus-
schließend auf eine geplante Reichsgesetzgebung beziehen, so Hegen
für die Erblande noch besondere Zeugnisse vor: Schon 1498 sprach
Kaiser Maximilian von einer Gerichtsordnung, „so wir in unserm
Fürstenthumb Steyr aufzurichten Willens sein**, und 1509 eröffnete
er den Ausschüssen der fünf n.-ö. Lande, dass er die Absicht
hege, ^in yedem derselben unser Land die Recht und Landgebrauch
(zu) reformieren*. Im Jahre 1514 erließ er für die Stadt Laibach,
wo bisher in peinlichen Sachen lediglich nach der Rechtssprecher
Gewissen ohne irgendwelche gesetzliche Richtschnur geurtheilt
worden war, eine eigene Malefizordnung, im Jahre 1517 ertheilte
er um der zur Zeit nöthigen Reformen willen der Stadt Wien
ein neues Stadtrecht mit dem fortan üblichen Vorbehalt, diese
Artikel aus landesfürstlicher Machtvollkommenheit künftig nach
Gutdünken aufzuheben, zu mehren oder zu mindern.^ Vom gleichen
Jahre ist ferner die Bergordnung Kaiser Maximilian's für 'die
fünf n.-ö. Lande, das erste Gesetz in Österreich, das mit Geltung
über die Grenzen eines Erblandes hinaus für den Umfang einer
Ländergruppe erlassen wurde.^ Dagegen scheint die über Betreiben
* Sebastian Deirer in der an Kaiser Karl V. gerichteten Vorrede seines
Jnrispmdentieo über primus (1540), vgl. Stobbe, II, 142, Anm. 95.
3 Mein Gericlitswesen, S. 231, 283, Anm. 523. Klun, Dipl. carniol. S. 61.
^ 1517, 12. Jänner, mit 271 Artikeln über alle Gegenstände, die man
damals zum Bereich der Berggesetzgebung rechnete. Gedruckt bei Wagner,
Corpus juris metallici col. 33—70.
348 österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Vierte Periode. § 43.
der Stände, sowohl der nieder- als der oberösterreichischen Lande,
auf dem Ausschusstage zu Innsbruck zugestandene Polizei- oder
gemeine Landesordnung mit Bestimmungen Über Gotteslästerung,
Schwören und Zutrinken, Kleideraufwand u. s. w.^ als Ganzes nicht
ins Leben getreten zu sein. Wohl aber sind einzelne Verfügungen
daraus, wie z. B. jene über die Absager und Heckenreiter noch bei
Lebzeiten des Kaisere durch besondere Patente eingeschärft worden.
4. So gieng also der Anstoß zur Gesetzgebung zu Beginn
des 16. Jahrhunderts in Österreich, sowohl vom Landesfüraten
als von den Landständen aus, wenngleich in verschiedener Absicht.
Denn der Landesfürst suchte auf diesem Wege mit Hilfe der
Sätze des römischen Rechts seine Macht zu erweitern, die Stände
dagegen hofften ihre vom Mittelalter hergebrachte Stellung zu
behaupten. Dabei ist jedoch ein recht erheblicher. Unterschied in den
Maclitverhältnissen beider Factoren nicht zu übersehen, der sich
bei Vergleichung der altösterreichischen Lande mit Böhmen und
Ungarn ergibt. In Böhmen reichte der Einfluss der Stände während
des Mittelalters soweit, dass sie die Codificationsversuche der
früheren Könige wiederholt vereiteln konnten und es kam zur
Erlassung einer Landesordnung erst in einer Zeit, in der die Land-
stände entschieden die Oberhand gewonnen hatten. Da nun diese
„Vladislai'sche Landesordnung*" durch einen Landtagsbeschluas
vom Jahre 1497 hervorgerufen wurde (Anhang I, 20). so kann
der im Jahre 1500 ertheilten Sanction des von den Ständen aus-
gearbeiteten Entwurfs durch den König nur formelle Bedeutung
beigemessen werden. Ganz ähnlich verhält es sich auch bei dem
Tripartitum in Ungarn (Anhang U, 18), falls dieses überhaupt die
königliche Genehmigung erhalten hat. In den altösterreichischen
Landen hingegen entbehrten die Stände von Anfang an des Rechts
der Initiative und mussten die Zustimmung des LandesfUrsten
haben, wenn sie mit der Ausarbeitung eines Gesetzentwurfes be-
ginnen wollten. (§ 40, 4.)^ War nun das Zustandekommen von
* Erwähnt im 3. Innsbrucker Libell über die Particular-Gravamina aller
n.-Ö. und o.-ö. Lande. Lhf. Kärnten S. 129 und die einschlägigen Verhandluagen
mit den Ausschüssen bei Zeibig, Archiv Xtll, S. 292 flf. Erhalten haben sich
diese „Landesordnungen* im Archiv der La. Krain und Österreich ob der Enns.
* Den Tiroler Ständen wurde selbst ihr Begehren, die alten und neuen
Freiheiten und Privilegien der Stände in ein LibeU bringen und drucken zu
Einfliiss der Stände auf die Gesetzgebung, Ziele K. Ferdinands I. 349
Gesetzen, sofern sie ihrem Gegenstand nach in den anerkannten
Bereich der Landstände eingriffen, an die Übereinstimmung von
LandesfUrst und Landschaft gebunden, so war dafür der Landes-
herr in allen andern Fällen bei Erlassung von Gesetzen oder
Verordnungen ganz unbehindert. Dies gilt schon für die Zeiten
Kaiser Maximilian's, der z. B. die oberwähnte Bergordnung für die
fünf n.-ö. Lande im Jahre 1517 aus eigener Machtvollkommenheit
gab, weil sie ein Regal betraf, dessen Ausübung durch den Landes-
herrn dem Einspruch der Landstände entzogen war. Noch viel
schärfer brachte jedoch MaximUian's Nachfolger, Ferdinand L, den
Standpunkt des Herrschers zum Ausdruck. Als Herr und Landes-
fUrst fühlte er sich berechtigt und verpflichtet, nach Bedarf
Gesetze und Verordnungen, sei es mit Beirath der Stände, sei es
allein zu erlassen. Als „des Rechtes Haupt und Gipfel* nahm er die
Sanctionierung der von den Landständen ausgearbeiteten Gesetze
in Anspruch und verbot er eigenmächtige Änderungen an den-
selben (beispielsweise 1535 und 1540 gegenüber den mährischen
Ständen), während er für sich den Vorbehalt machte, derartige
Gesetze zu mehren, zu mindern oder selbst aufzuheben.
5. Ferdinand I. hat noch in anderer Beziehung an die Be-
strebungen seines Großvaters angeknüpft, indem er allmähliche
Ersetzung des Gewohnheitsrechts durch Gesetze und Verordnungen
(die nun schon durch den Druck allgemein zugänglich gemacht
w^urden), sowie die Verdrängung des particulären Provinzialrechts
durch ein mehreren Erblanden gemeinsames Recht anstrebte. Solche
für mehrere Länder erlassene „Generalien oder Patente** erstreckten
sich ihrem Inhalt nach vorwiegend auf das Verwaltungsgebiet,
auf w^elchem der Regent am freiesten verfügen konnte. Wo nicht
die Anfänge eines gesammtösterreichischen Reichsrechte, sind
doch auf diesem Wege durch Ferdinand L zum mindesten ge-
meinsame Einrichtungen für all seine „erblichen Königreiche,
Fürstenthümer und Lande", also wahre Reichsinstitutionen
geschaffen worden,® wobei als Beispiel die einheitliche Ausmünzung
lassen, .damit männiglich im Land derselben Wissen tragen mnge" 1523 vom
Erzherzog Ferdinand I. abgeschlagen. Sartori 9.
® Es ist bisher Übersehen worden, dass diese Tendenz schon in der
Gesetzgebung K. Maximilian's hervortritt, rücksichtlich Ferdinand's I. hat zuerst
Bidermann, Gesammtstaatsidee I, 14, 15, auf die Absicht des Regenten, ein
350 Öi^terreichische Reichsjreschichte. IL Theil, Vierte Periode. § 43 u. 44.
nach den Bestimmungeil der ReichsmUnzordnung von 1551 und 1559
genannt sei, die auch in Ungarn durchgeführt wurde.^
Für den Umfang der fünf n.-ö. Lande einflössen aber auch
Mandate und Gesetze, die tief ins Privat- und Strafrecht, ins
Gerichtswesen u. dgl. eingriffen. So 1544 und 1545 Verfügungen
über den Nachlass von Geistlichen, 1544, 28. Juni, das Verbot, in
Österreich gelegene Lehen auswärtiger Landesfürsten außer Landes
zu empfangen, 1555, 4. März, mit auadrücklicher Aufhebung des
entgegenstehenden Landesbrauchs in den fünf n.-ö. Landen und
in der Grafschaft Görz, eine Abänderung der Urfehde-Formel
Hieher gehören ferner „Die Neu Policey und Ordnung der Hand-
wercker und Dienstvolk der n.-ö. Lande** vom Jahre 1527 und
die beiden Polizeiordnungen von den Jahren 1542 und 1552, die
König Ferdinand „zu Abstellung der gemeinen Laster nach zeit-
lichem wolbedächtiglichem Rath der Ausschüsse** seiner fünf n.-ö.
Lande (beziehungsweise auch der Grafschaft Görz) als christlicher
König, Herr und Landesfürst kraft des ihm obliegenden Amtes
mit Vorbehalt künftiger Abänderungen erließ. Sie enthalten neben
Vorschriften polizeilicher Natur (gegen Gotteslästerung, Kleider-
luxus, Vorkauf u. dgl.) eine Gesindeordnung und Bestimmungen
über «Fürleyen auf künftig Frucht", jene vom Jahre 1552 neben
zahlreichen Verfügungen aus dem Gewerberecht überdies die erste
umfangreiche Vormundschaftsordnung in Österreich.
Die Einführungsbestimmungen für die Reichsmünzordnung
vom Jahre 1559 in den nieder-, ober- und vorderösterreichischen
Reichsrecht für Österreich zu schaffen, hingewiesen. Besonder? bezeichnend ist,
dass Kg. Ferdinand 1553 die Tiroler Landstände zur Annahme einer vorgelegten
Polizeiordnung mit der Bemerkung zu bestimmen suchte, er hätte sich dem
Kaiser und den Reichsständen gegenüber zur Aufrichtung einer geraeinen Polizei-
ordnung in allen Erblanden verpflichtet, dieselbe sei in den n.-ö. Landen schon
eingeführt und solle auch in Böhmen und Ungarn nächstens eingeführt werden.
Sartori, S. 44ff. Dadurch wird die Ansicht von Harrasowsky, Gesch. der
Codification des österr. Civilrechts, S. 17, berichtigt, dass die Idee, für mehrere
Länder ein gleiches Recht zu schaffen, erst im 18. Jahrhundert planmäßig ver-
folgt worden sei.
"^ Decr. 1553, Art. 23. Zustimmung des ungarischen Reichstags, dass bis
auf weiteres die Hälfte des Münzsilbei-s in Thalern und Halbthalern ausge-
bracht werde. Decr. 1563, Art. 74, moneta ungarica liga reducatur ad gradum
monetaB imperialis. (S. 554, 645.)
Gemeinsaroe Gesetze ftir die n.-ö. Ländergruppe. 351
Landen ergiengen 1560 ohne Befragen der Stände, ebenso die
208 Artikel umfassende Bergordnung für die fünf n.-ö. Lande
vom 1. Mai 1553, die eine Revision der MaximUianischen Ordnung
vom Jahre 1517 ist und bis zum Jahre 1854 in Kraft blieb.
6. Die solchergestalt von Kaiser Ferdinand L für die fünf
n.-ö. Lande angebahnte Rechtsausgleichung erlitt durch die Länder-
theilung vom Jahre 1564 zwar eine Unterbrechung, allein die
Grundgedanken wirkten fort. Die Verordnung, welche König
Ferdinand 1550 für Österreich unter der Enns zur Hintanhaltung
von s. g. leichtfertigen Winkelheiraten erlassen hatte, dehnte Erz-
herzog Karl 1567 und 1585 auf ganz Inneröstejreich aus. Ebenso
hat er die Hofrechts-Ordnung K. Ferdinand's L vom 3. April 1563
über das auf drei Termine gestellte ordentliche Verfahren vor der
n.-ö. Regierung in Wien, im Jahre 1567 der i.-ö. Regierung zu
Graz zur Vorschrift gemacht. Das Generale wegen Abkürzung des
Verfahrens für Österreich unter der Enns vom Jahre 1573 wurde
schon im Jahre 1574 auf Anlangen der Landstände auch aufs Land
ob der Enns ausgedehnt, ebenso 1593 das im Jahre 1589 ergangene
Gesetz, das der Codex Austriacus II, 297, unter dem Schlagwort
S. G. Macedonianum anführt. Für ganz Innerösterreich ergiengen
1587 die Feststellung des Zinsfußes auf 5 bis 6 Procent und das
Verbot, geistliche Güter ohne Zustimmung der Regierung anzu-
kaufen, 1574 das Verbot, den Nachlass der Geistlichkeit zu
schmälern. Man erkennt in diesen und dergleichen Verordnungen
deutlich das Bestreben des Herrschers, die Lande im Wege der
Verwaltung einander zu nähern und die Absicht, durch ein gemein-
sames Verwaltungsrecht die Rechtseinheit im Reiche anzubahnen.
§ 44. Die Landesgesetzgebung bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts.
1. Die Bemühungen der österreichischen Herrscher seit Kaiser
Maximilian I., eine Ausgleichung der in ihren Gebieten bestehenden
Rechtsverschiedenheiten herbeizuführen, trafen in den Landen
selbst mit einer entgegengesetzten Strömung zusammen, die vor
allem von den Landständen ausgieng. Auch von dieser Seite drängte
man zur Erlassung von Gesetzen, doch der Beweggrund war ein
anderer und die Erhaltung der provinziellen Rechtseigenthümlich-
keiten ausgesprochener Zweck. Daher weist die Richtung, in der
352 Österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Vierte Periode. § 44.
sich die österreichische Gesetzgebung seit dem 16. Jahrhundert
bewegte, keine Gerade auf, sondern eine vielfach gebrochene Linie,
je nach dem Vorwalten der auf den Antrieb gerichteten Kraft des
LandesfUrsten, der die Ausgleichung auf dem Boden des gemeinen
Rechts suchte, oder nach dem Überwiegen der Mächte des Be-
harrens, die für den Landesbrauch eintraten. So kommt auch
in der Geschichte unserer Gesetzgebung das Ringen zwischen der
auf den Einheitsstaat lossteuernden Politik der Landesfürsten und
dem zähen Widerstreben der Landstände zum Ausdruck und darum
fällt das Gelingen der Codification des Reichsrechts zeitlich mit
dem Niedergang der ständischen Macht zusammen.
2. Diese Gesetzgebung, die auf die Anregung durch die Land-
stände zurückgeht, kann man als österreichische Landes-
gesetzgebung im engern Silin bezeichnen. Sie erscheint am
frühesten in Tirol, wo 1487 auf dem Meraner Landtag der erste
Antrag auf Abfassung einer Landesordnung vorkam, und König
Maximilian im Jahre 1499 aus fürstlicher Macht auf demüthige Bitte
und nach zeitigem Rath der Landschaft „eine Halsgerichtsordnung*
erließ, die im Jahre 1506 nebst einigen polizeilichen Verfügungen
Erzherzog Sigmund's und Maximilian's als , Gesetz und Ordnungen
der Inzichten, Malefizrechten und anderer nothdürftiger Händel des
Landes und der Grafschaft Tirol" gedruckt wurde. Dann folgten
1497 die Böhmen und 1498 die Stände in Ungarn, mit ihren
auf die Codificierung des Landesrechts abzielenden Beschlüssen
(Anhang I, 20, H, 18 und § 43, 4), 1499 die österreichischen Stände,
deren Bitte um Abordnung einiger königlicher Käthe, „die mit
sambt uns mit zeitigem Rat unser Landsrecht die notturftigisten
und treflichisten Artickhl auf das rechtmäßigist in ain Puech ver-
fassen sollten*, vorerst unerfüllt blieb, bis sie 1509 eine noch
sehr unbestimmt lautende Ermächtigung zur Vornahme von Vor-
arbeiten erwirkten, als deren nächstes Ergebnis die im Jahre 1514
vom Kaiser MaximUian L für das Land unter der Enns genehmigte
Landgerichtsordnung zu betrachten ist. (§ 40, 4.) Um dieselbe Zeit
hatten auch schon in Innerösterreich die Landschaften begonnen,
sich mit der Gesetzgebung zu beschäftigen. Landtagsbeschltisse,
denen zum Theil durch Kaiser Friedrich III. die Genehmigung
versagt wurde, sind die „Ordnung und Artikel eines gemeinen
Nutzes willen von einer ers. Landschaft in Kärnten", vorgenommen
Antheil der Landstände an der Landesgesetzgebung. 353
auf dem am 2,8. December 1491 eröffneten Landtage.^ Am Samstag
nach St. Colomanstage, d. i. am 14. October 1503, beschloss man im
steirischen Landtag zu Graz „eine Ordnung des Landsreehten in
Steier wider die miebrauchten Gewonhaiten so eine Zeit her dabei
gewesen sein sollen'', doch scheint diese die landesherrliche
Genehmigung ebensowenig gefunden zu haben, als der spätere
Entwurf der „Neu Ordnung Rechtens'', der ebenfalls der
Regierungszeit Kaiser Maximilian's I. angehört. (§ 40, Anm. 2.)
3. Nach dem Gesagten kann es nicht befremden, dass die
landesfürstliche Genehmigung manchem Gesetzentwurf der Stände
nur zögernd ertheUt wurde, andern ganz versagt blieb. Die Tiroler
hatten nach vielem Drängen im Jahre 1518 die Bewilligung zu
Berathungen über den Inhalt einer Landesordnung vorläufig er-
halten, allein der Beginn der Arbeit selbst wurde erst 1525
angesichts des Bauernaufstandes gestattet, und nur unter dem
Eindruck dieser Bewegung erfolgte auch am 1. Mai 1526 die
Genehmigung dieser rasch entworfenen „Bauernlandordnung". Die
Steiermärker hatten im Jahre 1531 dem König Ferdinand I. drei
Gesetzentwürfe vorgelegt, von welchen nur die Neue Reformation
des Landsrechtens, die sich nach Form und Inhalt an die
früher erwähnte „Neu Ordnung Rechtens" eng anschließt, in den
nächsten Jahren (1533) erledigt wurde, während der Entwurf
des Bergbücheis (Weinbergrecht) erst 1543 genehmigt wurde und
die Landgerichtsordnung wohl nie Gesetzeskraft erhielt. Nicht
besser ergieng es den Österreichern mit der von ihnen um das Jahr
1 528 ausgearbeiteten Landtafel, auch Institutum Ferdinandi I. oder
Zeiger ins Landrechtsbuch genannt, über welche man bis zum
Jahre 1 537 erfolglos verhandelte und die für immer Entwurf blieb,
weil sich König und Landstände wegen der Appellation nicht
einigen konnten.
4. Im Kampfe für den Landesbrauch und gegen das Ein-
dringen des römischen Rechts haben die Landstände von Tirol,
dem Buchstaben nach, den größten Erfolg gehabt. Die Landes-
ordnung vom Jahre 1 526 lässt in ihren Bestimmungen nur höchst
vereinzelte Spuren einer Einwirkung des römischen Rechts er-
kennen. Die im Landtagsabschied vom Jahre 1525 enthaltene
1 Vgl. § 20, 4. — Megiser annal. Carinthise zum Jahre 1492. (X. B. 8. 1239.)
Lnscbin, österreichische Reichsgeschichte. 23
354 Österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Vierte Periode. § 44.
Forderung, man solle in Tirol „nicht nach den geschrieben Rechten,
sondern nach Satzung, Gebrauch und Herkommen des Landes*'
urtheilen, fand zwar keine Aufnahme in den genehmigten Text,
allein die Subsidiarität des gemeinen Rechts wurde mindestens
in Strafsachen durch die Vorschrift ausgeschlossen, dass Richter
und Geschworene in Fällen, wo sie in der Landesordnung keine
passende Bestimmung fänden, nach ihrem besten Verstand und
Gewissen zu urtheilen, oder andere Stadt- und Landgerichte um ein
Gutachten anzugehen hätten. Auch die späteren Landesordnungen
von 1532 und 1573 hielten trotz des Eindringens einzelner Bestim-
mungen aus dem römischen Recht die deutschrechtliche Grund-
lage fest und wiederholten obigen, gegen die hilfsweise Anwendung
des gemeinen Rechts gerichteten Satz. Im Leben sah es jedoch
anders aus. Geti'agen von der Gunst der Landesfürsten und ge-
fördert durch die Amtsthätigkeit der Regierungsbehörden, gewann
das römische Recht trotz alles Widerstrebens der Landstände
immermehr Boden im Lande. Der entscheidende Wendepunkt
trat im Jahre 1619 ein, als der Gubernator Erzherzog Leopold
die wieder vorgebrachte Beschwerde der Landschaft durch die
Erklärung abschnitt: „dass man aber, wo die Landesordnung und
sonderbare Satzungen aufhören, jeweilen ad jus comune recurriert,
be vorab wo die Gebrauch etwan der Billigkeit und Vernunft nit
allerdings ähnlich, das ist bei allen wohlbestellten Regiraenten
und Policeien üblich", denn hiemit war die Subsidiarität des
römisch-canonischen Rechtes auch für Tirol, selbst gegen die Vor-
schrift und den Geist der Landesordnung officiell sanctioniert.-
Noch weit w^eniger günstig verlief der Widerstand der Land-
stände gegen das Eindringen des römischen Rechts in den andern
altösterreichischen Landen.
5. Man w^ürde den Landständen dieser Zeit schwer Unrecht
thun, wenn man ihren Kampf gegen das Eindringen des geraeinen
Rechts auf eine Stufe mit der kleinlichen Opposition stellen wollte,
die manche Landstände seit der Mitte des 17. Jahrhunderts den
Gesetzgebungs vorschlagen entgegensetzten. Im 16. Jahrhundert
war es keineswegs eine schroffe Zurückweisung jedes von der
Regierung beantragten Fortschrittes und jeder Neuerung, sondern
2 Sartori ()3. 7(5.
Kampf f. d. Landesbraiich g. d. gemeine Recht; Landesordnungen. 3^5
ein berechtigtes Widerstreben gegen die Art und Weise, wie die
Juristen jener Zeit das 'gemeine Recht ohne Rücksicht auf diö
geschichtliche Entwicklung ins Leben eindrängten. Man braucht
nur auf das früher erwähnte s. g. Institutum Perdinandi I., hinzu-
weisen, welches das Bestreben verfolgte, den in Österreich her-
kömmlichen Landesbrauch mit den Sätzen des römischen Rechts
in angemessenen Einklang zu bringen. Nicht gegen das römische
Recht als solches wendet sich dieser Gesetzentwurf, nur gegen die
Gedankenlosigkeit der Juristen, die es „albeg dem Pueßstapfen irer
Lernung nach" zur Anwendung bringen wollten, „damit sie nit
gesehen wurden aus dem Weg irer Puecher zu geen". Man glaubt
eine Stimme aus unsern Tagen zu hören, wenn im weiteren Verlauf
den Juristen der Vorwurf gemacht wird, dass sie „wenig Aufsehen
gehabt unserer Zeiten Regierung, Schicklichait und Geschichten,
derselben Übung, gemainer Gebrauch und Erforschung der Händl,
dann unser Wesen und Gepreuch der römischen Zeit Wesen und
Handlung, denen das geschrieben Recht aufgesetzt worden, ganz
ungleich, ungemäß und verr davon sein**.^
6. Nach ihrem Inhalt lassen sich die Erzeugnisse dieser Landes-
gesetzgebung in folgende Gruppen zusammenfassen;
a) Landesordnungen. Gesetze, welche das vom Landesherrn
den Ständen als Vertretern des Landes verbriefte Recht enthalten.
Sie sind immer Quellen für die Landesverfassung, berücksichtigen
aber neben öflFentlichem Recht in der Regel mehr minder aus-
führlich auch Privatrecht, Strafrecht und Process. Einzelne, wie
die Landesordnungen von Tirol (von 1532, 1573) oder die erneuerten
Fassungen für Böhmen (1627), Mähren (1628), können geradezu
als umfassende Codificationen des Landesrechts bezeichnet werden.
Ähnliches war für Österreich ob und unter der Enns durch die
Ausarbeitung des Institutum Perdinandi und der s. g. Landtafeln
beabsichtigt, die jedoch als solche niemals Gesetzeskraft erlangten.
3 Vorrede zum 3. Buch. Man vergleiche damit die Worte H. Brunner*s in
Holtzendorffs Kncydopädie d. Rechtswissenschaft, 2. Aufl. S. 204, § 26: .Was
stets Tadel und Vorwurf hervorrufen wird, ist die Art, wie die Reception durch-
geführt wurde. Ein nationales Unglück war jenes engherzige Ignorieren des
deutschon Rechts, jenes geistlose und rein äußerliche Aufpfropfen römischer
Rechtssätze auf einheimische Verhältnisse, die Unkenntnis des Gegensatzes zwischen
diesem und dem römischen Rechte" u. s. w.
23*
356 österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Vierte Periode. § 44 u. 45.
Zu nennen wären überdies die Constitutiones lUustrissimi Comi-
tatus Goritise vom Jahre 1604 (im Drucke 1605), die Consuetudines
Gradiscanse (1575), das Eigen-Landrecht der Siebenbürger Sachsen
(1583), das Tripartitum und Quadripartitum für Ungarn, die Landes-
ordnung für Teschen (1592), da die Troppauer (1563, 1678) sowenig
gesetzliche Verbindlichkeit als die Salzburger (1526) erlangte.
b) Landhandfesten. Dieser Ausdruck erscheint in Inner-
österreich als technische Bezeichnung der vom Landesfürsten
beschworenen Landesfreiheiten, auf welchen die landständische
Verfassung der drei HerzogthUmer beruhte. Seit dem 16. Jahr-
hundert nannte man ebenso die auf Veranlassung der Landstände
von Steiermark (seit 1523), Kärnten (1610) und Krain (1598, 1687)
gedruckte Sammlung von Rechtsurkunden, landesfürstlichen Be-
stätigungsbriefen, Entscheidungen, Verträgen u. dgl., in welchen man
den Hort der Landesfreiheit erblickte. Gleichen Charakter hat die
vom Preiherm Reichard Strein von Schwarzenau auf Veranlassung
der Landstände begonnene, aber unvollendete Landhandfeste für
das Erzherzogthum Österreich unter, beziehungsweise ob der Enns.
die nur in zahlreichen Abschriften verbreitet ist.
c) Landrechtsordnungen, welche das Verfahren in den
ständischen Land- und Hofrechten ordneten und nebenbei mancherlei
privatrechtliche Bestimmungen enthielten. Sie finden sich in allen
fünf n.-ö. Landen.
rf) Landgerichtsordnungen. Sie regelten das Strafrecht
und zwar seit der Publication der Carolina wesentlich im Sinne
derselben und kommen in allen fünf n.-ö. Landen vor.
e) Polizeiordnungen mit vielen privat- und strafrechtlichen
Bestimmungen, gewerblichen Vorschriften u. dgl. erflossen theils
als gemeinsames Recht für die fünf n.-ö. Lande (1527, 1542, 1552,
dann 1671 und 1676), theils für einzelne Erbländer, z.B. Tirol (1573),
Kärnten (1577), Steiermark (1577), auch wohl für einzelne Städte.
wie Wien (1538).
f) Gesetze im Unterthanenfach ergiengen ungemein zahl-
reich. Hieher gehören die Zehentordnungen, das steirische Berg-
büchel, der Tractatus de iuribus incorporalibus u. s. w.
g) Die Fortentwickelung der Gesetzgebung für die
Städte erfolgte, da die Autonomie ganz in den Hintergrund
gedrängt war, nur durch den Landesherrn. Für Wien erließ Erz-
Landhandfesten, Landrechts- u. Landgerichtsordnnn^^cn, Stadtrechte. 357
herzog Ferdinand am 12. März 1526 „neue Freiheiten", die einen
völligen Bruch mit der Vergangenheit bedeuteten und bis zum
Jahre 1783 in Kraft blieben, für Laibach Erzherzog Karl am
22. November 1582 eine neu reformierte Gerichtsordnung, die noch
1638 und 1666 aufgelegt wurde. — In Triest gaben Streitigkeiten,
zwischen dem landesfürstlichen Stadthauptmann und den städti-
schen Behörden, bei welchen sich beide Theile auf die alten
Statuten beriefen, dem König Ferdinand I. den Anlass zu einer
Revision derselben. Königliche Beamte wurden zur Einsichtnahme
der alten Statuten nach Triest geschickt und deren Vorschläge vom
König (1550) genehmigt, der sich die Entscheidung zweifelhafter
Fälle, sowie Abänderungen für die Zukunft vorbehielt.
In Böhmen wurde das im Jahre 1536 gedruckte Rechtsbuch
des königlichen Kammergerichtsschreibers Mag. Bricclus von Licsko
in der Überarbeitung durch den Kanzler der Altstadt Prag, Paul
Christian von Koldin, im Jahre 1579 vom Landtag als Landesgesetz
für den Bürgerstand Böhmens angenommen. Unter Kaiser Leopold I.
wurde es zur allgemeinen Rechtsquelle des Bürger- und Bauern-
standes in der böhmischen Ländergruppe und hat hier gesetzliche
Wirksamkeit bis zum Erscheinen der allgemeinen bürgerlichen
Gesetzbücher von 1787 und 1811 behalten.
% 45. Anfänge materieller Bechtselnhelt seit dem 17. Jahr-
hundert.
V. Canstein, Lehrbuch d. österr. Civil-Processrechts, 1. Aufl. §8flf. —
V. Harrasowsky, Gesch. d. Codiflcation d. öst. Civilrechts. 1868. — v. Schmidt-
Bergenhold, Geschichte d. Privatrechts-Gesetzgebung im Königr. Böhmen. 1866.
1. In der Geschichte der österreichischen Landesgesetzgebung
bildet die Erlassung der verneuerten Landesordnungen für Böhmen
und Mähren (1627 und 1628) einen wichtigen Wendepunkt. Lang-
jährige Codificationsarbeiten erhielten dadurch einen raschen,
unvermutheten Abschluss und die Ausgleichung der zwischen den
altösterreichischen Ländern und der böhmischen Ländergruppe
bestehenden Rechtsverschiedenheiten wurde der künftigen Ent-
-wicklung als Ziel vorgezeichnet. ^ Zugleich gelangte die landes-
^ In der verneuerten Landesordnung seien «die Jura privatem m zwar so
viel möglich bey dem alten Herkommen gelassen, jedoch theils nach dem jetzigen
des Königreichs Zustand, als welches von unterschiedenen Völkern und Zungen
358 Österreichische Reichsgeschichte. 11. Theil. Vierte Periode. § 45.
fürstliche Machtvollkommenheit in Böhmen, Mähren und Schlesien
auf dem Gebiet der Gesetzgebung nicht bloß zu jener Anerkennung^
die ihr in den altösteiTeichischen Landen schon früher zukam^
sondern noch darüber hinaus. Ausdrücklich wird erklärt, dass alles,
was das jus legis ferendtie mit sich bringe, einzig und allein dem
Landesfürsten zustehe, der es sich auch vorbehalte, dasjenige ,8a
in dieser Landesordnung nicht begriffen und hiebevor nicht durch
geschriebenes Recht, sondern vielmehr nach Befund der Rechts-
(beijsitzer und etwan auf vorhergegangene Prsejudicia erörtert
worden" durch Constitutiones Regias zu entscheiden und die
Unterschiede zwischen dem Stadt- und Landrecht auszugleichen.
Nur gnadenweise w^urde den mährischen Ständen in Aussicht
gestellt, dass sie der Landesfürst bei künftigen Gesetzen „in einem
und andern zuvorhero zu vernehmen'' gedenke, den Böhmen wurde
nicht einmal dies Zugeständnis gemacht.^
2. Da um dieselbe Zeit die widerstrebenden Elemente dea
erbgesessenen Großgrundbesitzes aus den altösterreichischen Landen
durch die rücksichtslose Durchführung der Gegenreformation ent-
fernt wurden, so stand jetzt die gesetzgebende Gewalt des Landes-
fürsten auch hier vor viel geringeren Hemmungen. Daher konnte
die auf Herbeiführung der Reichseinheit im Wege der Gesetz-
gebung gerichtete Arbeit, die unter Kaiser Ferdinand L an der
ablehnenden Haltung der Stände, zumal der böhmischen, gescheitert
w^ar, seit Kaiser Ferdinand II. mit mehr Aussicht auf Erfolg wieder
aufgenommen w^erden. Ganz glatt giengen indessen die Dinge noch
nicht, denn der Umschwung in den Machtverhältnissen bestimmte
die Landstände zu einem geänderten Verhalten in Fragen der Gesetz-
gebung. Wir haben gesehen (§ 44), dass es im IG. Jahrhundert
vor allem die Landstände waren, welche auf Erlassung von Landes-
gesetzen drangen, der Landesfüret verhielt sich ihren Entwürfen
gegenüber zögernd und hat manche gar nicht, andere erst nach
jahrelangen Verhandlungen genehmigt. Allmählich kehrte sich aber
das Verhältnis um, der frische Zug, der das landständische Wesen
bewohnet wird gerichtet, auch etlicherniassen nach unseren Kayserlichen und
anderen im h. Köm. Reich, und unseren Königreichen und Ländern gewöhnlichen
Satzungen corrigiert . . .** heißt es in dem Publinationspatent für Böhmen und
Mähren.
2 Mähr. L.-0. I, Tit. 4, § .Wir behalten"; böhm. L.-O. A. VIII.
Vorwaltender Einrtu^s des Herrschers auf die Gesetzgebung. ^Sy
im 16. Jahrhundert kennzeichnet, verschwand, das Interesse an
der zeitgemäßen Fortbildung der Gesetze erlahmte, und man hielt
nun aus Misstrauen gegen die Regierung ai; den früheren Gesetzen
umso zäher fest, je mehr man darin das erreichbare Maß von
Sicherung des Landesbrauchs zu erblicken glaubte.
3. Diese Spuren von Ermüdung zeigen sich bei den Ständen
des Landes unter der Enns schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts.
Die Arbeiten zur Codiflcierung des Landesrechts, die man nach dem
Scheitern des Versuches mit dem Institutura Perdinandi L im
Jahre 1565 wieder frisch aufgenommen hatte, geriethen mit der
zunehmenden Gebrechlichkeit des Vertrauensmanns der Stände,
des Freiherrn Reichard Strein von Schwarzenau (f 1600) immer
mehr ins Stocken. Schon im Februar 1599 erinnerte Erzherzog
Matthias die Landstände, „wie oft und vielmals in den verschienen
Landtagen wegen Vergleichung der Landtafel und Publicierung der-
selben tractiert, so nicht weniger als die Polizeiordnung dem ganzen
Land hoch von nöthen'', doch hat die Mahnung nicht gefruchtet,
obwohl die Fertigstellung der Landüifel von der Regierung bis
zum Jahre 1628 „vast in allen hievor gehaltenen Landtagen
bei den löblichen Ständen urgirt worden". Ni(;ht viel besseren
Erfolg hatten die Bemühungen der Regierung gegenüber den
Ständen der übrigen Erblande. Bis in die 2. Hälfte des 17. Jahr-
hunderts gewahrt man noch eine laue Bethätigung an den vor-
geschlagenen Revisiousarbeiten, allein seit Beginn des 18. Jahr-
hunderts wuchs mit der zunehmenden Ohnmacht der Landstände
auch ihr Misstrauen so sehr, dass eine Taktik des Verschleppens
eingeschlagen wui'de, die oft nur durch äußersten Hochdruck,
oft überhaupt nicht beseitigt werden konnte. So kam es, dass
man sich in Krain mit der im Jahre 1571 verbesserten Land-
schrannenordnung bis in die Tage der Kaiserin Maria Theresia
behalf, obgleich „CoUecta einer vorhabenden neuen Schrannen-
ordnung'' vorhanden waren. In Tirol blieb die von Erzherzog
Leopold 1626 vorgeschlagene Revision der Landesordnung vom
Jahre 1573 ergebnislos, während in Steiermark die von Kaiser
Leopold I. im Jahre 1658 angeregte und im Jahre 1705 von
Kaiser Josef I. befohlene Aufrichtung öffentlicher Bücher (der
Landtafel), erst nach Überwindung eines zähen passiven Wider-
standes der Stände im Jahre 1730 Gesetz wurde.
360 österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Vierte Periode. § 45.
4. An dem geringen Erfolg der Gesetzgebungsarbeiten war
freilich auch die Umatändlichkeit viel Schuld, mit welcher die
Berathungen ins Werk gesetzt wurden. Die Protokolle der Landea-
ordnunga-Commisaion, die in Österreich unter der Enns in der
zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts tagte,' geben uns über den
eingeschlagenen Weg genauen Aufschluss. Da wurde zunächst
mit den Ständen als solchen verhandelt, dann kam der Entwurf an
die aus Vertrauensmännern des Kaisers und der Stände zusammen-
gesetzte Landesordnungs-Commission, die ihn an die aus ihrer
Mitte bestellten „Corapilatoren" verwies. Der von diesen vorge-
legte Referenten-Entwurf wurde in der Commission selbst in
Sitzungen, die bis zu dreimal wöchentlich stattfanden, eingehend
durchberathen, und gelangte nun an die n.-ö. Regierung, die ihn
gleichfalls gründlich erörterte und endlich dem Kaiser vorlegte.
Die Dinge liefen jedoch selten so glatt ab, meist ergaben sich
Zweifel, die eine Rückverweisung des Entwurfs an die tiefere
Stelle, oder mindestens Verhandlungen in kurzem Wege nöthig
machten. Erwägt man, wie oft die Berathungen des Kaisers mit
seinen Vertrauensmännern durch politische Verwickelungen aller
Art unterbrochen wurden und dass bei deren Wiederaufnahme
nach Jahren sich die Voraussetzungen des Gesetzes so verändert
hatten, dass die Verhandlungen von vorne wieder beginnen mussten,
so wird es erklärlich, weshalb der in der Landesordnungs-Com-
mission 1669 durchberathene „Tractatus de juribus incorporalibus*
erst zehn Jahre später, der 1667 schon an die Regierung abgegebene
° Erhalten sind im n.-ö. Landesarchiv, Fase. B. 4, die Protokolle des
Dr. Joh. Q. Hart mann, 1653—1669 und des Dr. Franz Beck. Bei diesem
findet sich zum 26. Augast 1667 ein Verzeichnis „wo die seithero ausgearbeitete
tractatus zu finden. Tractatus de testamentis et contractibus befinden sich bei
Hof. Bei Regierung liegt tractatus de successionibus ab intestato, die Qerhab-
Schaftsordnung, Judicium mercantile, der Advocaten juramentum calamni» in
Appellations- und Revisionssachen, ein Quetachten wegen des Cammerprocurator^
juramentum calumni», Bericht und Quetachten in puncto fatalium appeliationis,
item in puncto revisionis übsr die 'mündliche Vorhören. Bei der Landsordnungs-
Commission: tractatus de juribus incorporalibus, item der Tractat de feudts
so nach der neue.i Lehensgnad eingerichtet. In der Compilatorn Händen
beflndt sich die neue Einrichtung .der Revision-^ordnung, hat Anstand, bis die
hierzue gehörige Puncta bei Hof resolviert sein. Die Jägerordnung ist noch bei
den löblichen Ständen." Fol. 26b; Sammlung Chorinsky, S. 154.
Schleppender G-ang der Gesetzgebaagsarbeiten. 361
^Tractatua de succeaaionibus ab intestato*" gar erst 1720 als «Neue
Satz und Ordnung vom Erbrecht außer Testament** genehmigt
wurde. Ließ man sich bei Hofe so lange Zeit zur Überlegung,
trotzdem man die Gesetzgebung in Österreich unter der Enns zu
beschleunigen Ursache hatte, da man deren Ergebnisse zur Herbei-
führung größerer Rechtsgleichheit in den Erblanden verwenden
wollte, so gieng es in den andern Provinzen noch länger her, weil
hier die Verhandlungen von der Regierung erst durch Vermittlung
der i.-ö. oder der o.-ö. geheimen Stelle an den Kaiser gelangten,
also von einer l.-f. Behörde mehr begutachtet wurden.
5. Die Wiederaufnahme der auf Herbeiführung einer größern
Rechtsübereinstimmung gerichteten Codificationsarbeiten fällt schon
in die Regierung Kaiser Perdinand's IL, da wenige Monate nach
dessen Tode Kaiser Ferdinand HL, am 14. November 1637, den
Entwurf einer neuen Gerichtsordnung für Kärnten genehmigte und
die seiner „Intention gemäß mit der steyerischen Gerichtsordnung zu
beeder Länder besseren Einträchtigkeit und Vereinigung gebrauchte
Gleichförmigkeit zu allergnädigstem Wohlgefallen" aufnahm. Port-
gesetzt in größerem Umfang wurden sie unter Kaiser Leopold I.
Wie weit dieser dabei den Anregungen des berühmten Polyhistors
Gottfried von Leibniz folgte, der seit dem Jahre 1671 den Kaiser
durch Vertrauensmänner, wie den Hofkanzler Hocher, oder den
Grafen von Windhag, für den Gedanken zu gewinnen suchte,
dass er als ein zweiter Justinian für alle seiner Herrschaft unter-
worfene Gebiete ein neues Civilgesetzbuch zusammentragen lasse, *
ist nicht festgestellt. Am Fürsten Wenzel Lobkowitz besaß der
Kaiser einen Minister, der ein Anhänger der modernen Staatsform
die Einheit Österreichs durch die absolute Macht der Krone zu
verwirklichen strebte und das Gesetzgebungsrecht für diese in
Anspruch nahm. Auch Ungarn sollte auf den Fuß der übrigen
Länder gebracht werden, und namentlich Cardinal KoUonitsch
arbeitete unablässig darauf hin, dass die im Erzherzogthum
Österreich geltenden Civil- und Criminalgeaetze jenseits der Leitha
* Poucher deCareil in S. B., Bi. 25, 134. Den gleichen Wunsch sprach
auch der i.-ö. Regimentsrath Nik. v. Beckmann in seiner dem Kaiser Leopold
Uiy^S gewidmeten «Idea juris statutarii et consuetudinarii Stiriaci et Austriaci"
aus, sowohl S. 205 als auch in der Zueignung, die sogar den Plan zur Aus-
arbeitung eines Corpus Loopoidinum in 12 BUchern enthält, vgl. § 46, Anm. 6.
362 Österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Vierte Periode. § 45.
eingeführt würden. Dazu ist es nun allerdings nicht gekommen,
da der Kaiser später von dem Gedanken abgieng, die Verwirkungs-
theorie gegenüber Ungarn durchzuführen. Wohl aber hat er in
den übrigen Erblanden die Rechtsausgleichung gefordert und bei
Generalpatenten höchstens darauf Bedacht genommen, dass die
Texte den eigenthüralichen Verhältnissen der einzelnen Länder-
gruppen angepasst wurden.^ Die im Jahre 1671 zur Abstellung
der Verschwendung für beide Österreich erlassene allgemeine
Polizeiordnung wurde im Jahre 1673 ohne weiters auch auf
Innerösterreich ausgedehnt. Mit den mährischen Ständen schwebten
seit 1680 Verhandlungen, wegen Ausdehnung der Prager Stadt-
rechte auf die mährischen Städte, »damit durchgehends ein all-
gemeines Recht und Ordnung eingepflanzt werden möchte". Als
des Kaisers Geduld erschöpft war, führte er diese Stadtrechte
durch Rescript vom 7. Juni 1697 ohne weiters in den königlichen
Städten Olmütz, Brunn, Iglau u. s. w. ein, da „Unser allerhöchstes
Richteramt und Justizwesen diesem Saumsal der Gerechtigkeit
zum Abbruch länger nachzusehen nicht gestattet." ^
6. Noch entschiedener trat Kaiser Josef I. auf. Einen einzelnen
Fall, den Concurs in den das Stift Rottenmann gerathen war,
benützte er, um die Errichtung einer dem „publico heilsambisten
Landtafel nach der königlich Böhmischen Landtafel - Norma*
nicht bloß in ganz Innerösterreich, sondern auch in Tirol anzu-
regen. ^ Für Böhmen, Mähren und Schlesien erließ er am 16. JuH
1707 zu besserer Einbürgerung des „dem allgemeinen Wesen
sehr nutzbaren Inquisitionsprocesses" aus kaiserlicher und könig-
licher Macht und Gewalt eine peinliche Halsgerichtsordnung in
23 Artikeln, die einen unverkennbaren Zusammenhang mit der
für Österreich unter der Enns von Kaiser Ferdinand III. im
Jahre 1656 erlassenen Landgerichtsordnung aufweist. Zwei Jahre
darnach (1709) setzte der Kaiser zu Prag und Brunn CompUations-
* So wurde 1676 der Entwurf des zur Einführung in aUen Ländern vor-
bereiteten Stempelpatents an die o.-ö. Regierung und Kammer gesandt, um die
technischen Ausdrücke mit dem gerichtlichen Sprachgebrauch von Ober- und
Vorderösterreich in Einklang zu bringen, weil bei der Abfassung zunächst die
in Böhmen üblichen berücksichtigt worden seien. B id ermann, I, 141, Anm. 81.
0 Weingarten, Cod. F. L. J. C, Nr. 545.
"Biderraann, II, 135, Anm. 49.
Einführung d. Landtafel in L-Ö. Die Weciisel u. Erbrechtsordnungen. 363
Commissionen ein, um „eine Uniformitas juris statutarii" durch
Combination der Landesordnungen mit den Stadtrechten zu erzielen.^
7. üer unerwartete Tod Kaiser Josefs I. (1711) unterbrach
allerdings diese auf Herbeiführung des Einheitsstaates gerichtete
Gesetzgebung und die kriegerischen Verwickelungen, unter welchen
Kaiser Karl VI. seine Herrschaft antrat, machten erst später eine
Wiederaufnahme derselben möglich. Am 17. September 1721 ver-
fügte er für ganz L-Ö. eine Annäherung an das in Österreich u. d. Enns
vorgeschriebene peinliche Verfahren, im Jahre 1722 wurde die 1717
für Österreich unter der Enns nach Einvernehmung des Handels-
standes erlassene Wechselordnung — bis auf kleine Änderungen
wortwörtlich — auf Steiermark, Kärnten, Krain, Görz, Gradisca,
Triest und Fiume ausgedehnt. Weniger glatt gieng es mit dem
Landtafelpatent. Die nach langem Stocken im Jahre 1725 mit den
Ständen von Steiermark wieder angeknüpften Verhandlungen
führten erat 1730 zum Ziele, obwohl den Ständen nur Erörterungen
..quoad qusestionem q uo m o do" und nicht mehr „super quaestionem
an" gestattet wnirden, für Kärnten und Krain erflossen die mit
dem steirischen Gesetz gutentheils übereinstimmenden Patente erst
unter der Kaiserin Maria Theresia in den Jahren 1746 und 1747.®
Den entschiedensten Fortschritt zur Rechtseinheit hat in-
dessen unter der Regierung Kaiser Karl's VL die Gesetzgebung
über das Erbrecht gemacht. Durch das Zurückgreifen auf den
schon 1667 durchberathenen Tractatus de successionibus
ab intestato, der nach einer neuen Berathung und geringer
Umarbeitung im Jahre 1720 als neue „Satz und Ordnung vom
Erbrecht außer Testament** für Österreich unter der Enns ergieng,
wurde für die fünf n.-ö. Lande ein materiell übereinstimmendes
gesetzliches Erbrecht geschaffen^^ indem derselbe Gesetzestext (mit
Ausnahme der Sätze über die Regredient-Erbinnen) nach Berathung
durch die Landstände in den Jahren 1729 und 1737 für Steier-
^ Über den weiteren Verlauf der Berathiingen s. Harrasowsky,S. 17 ff.
» V. Haan, Studien über Landtafeiwesen 1866, S. 19,21.
1^ Im Jahre 1729 hatte auch die Compilations-Commi&sion für die böhmi-
schen Länder das Erbrecht bis auf den letzten Titel fertiggestellt. Die unabhängig
von einander verlaufenden Codiflcierungsarbeiten fUr Böhmen und Österreich,
suchten beide die Bevorzugimg der männlichen gegenüber den weiblichen Erben,
der Agnaten gegenüber den Cognaten, zu mildern. Harrasowsky, 26.
364 österreichische Reichsgeichichte. IL Theil. Vierte Periode. § 46.
mark und Krain und mit geringen Zusätzen auch für Österreich
ob der Enns 1729 und für Kärnten 1747 als Landesgeaetz er-
lassen wurde. Die zu diesen Erbrechtsordnungen gehörenden Kund-
machungspatente stellen die bestehenden „ungleichen Landes-
beobachtungen auch theils irrigen Landesgewohnheiten" als Quelle
unnöthiger Streitigkeiten dar, die der Kaiser durch Einführung
klarer Satz- und Ordnungen zu beseitigen suche. Als nothwendig
wird ferner (auch in der Ordnung für Krain) bezeichnet, dass
das Gesetz in deutscher Sprache zu eines jeden gemeinen
Mannes Belehrung abgefasst sei.
§. 46. Die rechtswissenschaftliche Literatur iu Österreich Tom
16. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts.
Canstein, I, 94. — Chorinsky, Das Vormundschaftsrecht Niederöster-
reichs, 1878; Beitr. z. Erforsch?, öst. Rechtsquell, (allg. öst. Gerichtszeitg. 1896.
Nr. 3), mit vielen Literaturangaben. — KinkR., Die Rechtslehre an der Wiener
Universität 1853. — Kreutzer J., Versuch e. Literargeschichte d. österr. Privat-
rechts, 1804; Handbuch 1808. — Legis Glückselig in d. Öst. Zeitschr. f. Rechfc-
u. Staatswissensch. 1847. — De Luca, Justizcodex, Bd. V., s. v. Bibliothek
— Mein Aufsatz .Österreicher an ital. Universitäten z. Zeit d. Reception d. röm.
Rechts" in den Bl. d. Vereins f. Landeskunde von N.-Ö., 1880—1885. — Rößler.
Gesch. d. Rechts in Ö., 1847. — Stintzing, Gesch. d. deutschen Rechtswissen-
schaft, 2 Bde., 1880/81. — Stubenrauch, Bibliotheca juridica Austriaca, 1847.
1. Die Rechtssehriftsteller, die in Österi'eich im 16. Jahr-
hundert auftraten, sind durchwegs mit 'dem römischen Recht
vertraut, haben jedoch von ihren Kenntnissen gegenüber dem
heimischen Recht in sehr verschiedener Weise Gebrauch ge-
macht. Es gibt Männer unter ihnen, die ihre Arbeitskraft nur
der kritischen Bearbeitung und Erweiterung des Quellenmaterials
widmeten, wie der Wiener Professor Georg Tanner (f um 1580),
der eine neue Ausgabe der Novellen vorbereitete. Andere, wie
sein College Joh. B. Schwarzenthaler (f um 1614), oder der
als hochfUrstlich Salzburgischer Rath um das Jahr 1590 gestorbene
Krainer Dr. Martin Pegius, suchten durch Schriften für die Praxis
dem römischen Rechte immer allgemeinere Geltung im Leben zu
verschaffen, da sie es nicht begreifen konnten, weshalb man sich
bei Gericht noch immer auf unerhebliche Argumente und Eiafälle
berufe, obgleich der Rechtsstoff in zahllosen lateinischen Rechts-
Pflege d. Landesbrauchs neben d. gemeinep Recht, Bernhard Walther. 365
büchern nahezu für alle Fälle schon so „vorgekaut* zu finden
sei, «das ainer nit mer dörft wie die Bawren sagend, dann daß
ers in den Mund trüg und schlickts hinab **.^
Diesen gegenüber stehen Männer, die ungeachtet ihrer
romanistischen Schulung den heimischen Rechtsbrauch hoch hielten
und bemüht waren, ihm seinen Platz neben dem gemeinen Recht
zu erhalten. Hierher gehörten der unbekannte Verfasser des früher
erwähnten Institutum Ferdinandi I., das im Jahre 1528 schon
vollendet war, der Staatsmann und Gelehrte Freiherr Reichard
Strein von Schwarzenau (f 1600) und vor allem der Vater der
österreichischen Jurisprudenz, Dr. Bernhard Walther (f 1584 zu
Graz), der Verfasser der berühmten „aurei tractatus juris Austriaci'
die nebst anderen ungedruckten Arbeiten dieses fruchtbaren Schrift-
stellers in zahlreichen Abschriften verbreitet, die spätere Rechts-
entwickelung in Österreich wesentlich beeinflussten. ^
Ob im Falle der Annahme das Anerbieten geglückt wäre,
das der kaiserliche Bibliothekar Dr. Hugo Flermann, genannt
Biotins, 1576 der Landschaft machte: im Verein mit dem Be-
arbeiter der österreichischen Landtafel, Professor W. Püdler, das
jus consuetudinarium Austriacum durch Heranziehung gewisser in
^Pegius, Vorrede »Von vorbehaltenen Widerkaufen (Einstandrecht,
Fol. 37). Ueber Pegius, der 1551 zu Ingolstadt Doctor wurde und den sein Zeit-
genosse Rotmar einen ,vir tamin Theologia quam in jure peritlssimus ac pene
etiam ä'jToot^axToc' nennt, s. Radios in den Verhandlungen der jur. Gesellschaft
in Laibach, Bd. 2 (1866), 181, 217, mit Angabe seiner zahlreichen Werke.
Über Tanner s. Stintzing, I., 233, über Schwarzenthaler, Chorinsky, S. 16,
Anm. 10. Ein Sammelband mit 84 Disputationen über Fragen des römischen
Rechts, die in den Jahren 1594/96 von 27 Rechtscandidaten an der Universität,
Wien gehalten wurden, bei Mayer, Wiens Buchdruckergesehichte, I, 188.
2 Über Strem s. Bl. d. Ver. f. Landeskunde v. N.-Ö., 1868, S. 89 ff.
Jöcher, IV, 878. über Walther, dessen Name in Stintzing's Werk fehlt,
Chorinsky, Beitr. z. Erforschg. öst. Rechtsquell. C. — Walther um 1520 zu
Leipzig geboren, stammte aus dem schweizerischen Geschlecht der W. von
Waltersweil ab, studierte in Bologna und Pavia, wurde 1547 n.- ö. Regimentsrath,
ir>56 n.-ö. Kanzler, und stand seit 1564 in Diensten Brzh. Karl's v. Innerösterreich.
Die Capitalbuchstaben im Text der Tractatus A, B, C verweisen auf Belegstellen
aus dem Corpus juris u. s. w., die im Drucke wegblieben. Rein romanistisch und
textkritisch sind W.'s Miscellaneorum ad jus pertinentium libri IV. Graz 1574, in
welchen u. a. Plautus zur Erklärung von Stellen des Corpus juris herangezogen
ist (I, c. 23, 27), das dominium directum als in den Quellen nicht begründet
(III, c. 5) bezeichnet wird u. s. w.
366 ÖsterreichLsche ReiohsKeschirhte. II. Theil. Vierte Periode. § 4<».
italieniachen und deutschen Städten geltender Sätze zu ergänzen
und in ein System zu bringen, das an der Universität gelehrt
werden sollte,^ das bleibe dahingestellt. Für die Bedeutung, die man
dem heimischen Rechte in Österreich neben dem gemeinen bei-
maß, ist es bezeichnend genug, dass solch ein Vorschlag zu Ende
des 16. Jahrhunderts überhaupt auftauchen konnte.
2. Unter den Zerrüttungen, welche den 30jährigen Krieg
begleiteten, litt auch die Jurisprudenz in Österreich gar sehr. In
einem Gutachten, das die Wiener Universität im Jahre 1631 über die
Mängel des bisherigen Gerichtswesens in Österreich der Regierung
erstattete, wird die Rechtsunsicherheit ganz offen einbekannt. Alle
Juristen, heißt es darin, auch jene die schon über 20 Jahre prakticieren,
könnten sich nicht erinnern, dass in Österreich je eine gedruckte oder
auch nur stetige Gerichtsordnung publiciert worden sei. Sie hätten
den Gerichtsgebrauch nur per traditionem longo et quotidiano usu
erlernt. Ein großer Übelstand sei, dass diejenigen die von den Studien
oder anders woher kommen, die österreichischen Landsgebräuche
so wenig verstehen, dass sie in desperationem gerathen. Um die
Mitte des 17. Jahrhunderts besserten sich diese Zustände, allein
keiner der folgenden Juristen reicht an die Bedeutung Bernhard
Walther's heran, obwohl sich darunter Joh. B. Suttinger von Thurn-
hof, der sehr verdienstliche Sammler der „ Consuetudines Austriaca **
und Verfasser der oft aufgelegten „Observationes practicae" befindet,
der auch an der Ausarbeitung der peinlichen Landgerichtsordnuiig
Kaiser Ferdinand's III. für Österreich unter der Enns (1656) und
an andern Gesetzgebungsarbeiten dieser Zeit thätigen Antheü
genommen hat.*
3. Hatte sich in Österreich schon in der 2. Hälfte des
16. Jahrhunderts neben der auf Ausbreitung der Lehren des
römischen Rechts abzielenden Thätigkeit eines Schwarzenthaler
und Pegius eine zweite Richtung bemerklich gemacht, welche
dem Landesbrauch neben dem gemeinen Rechte seinen Platz
sichern wollte, so kamen dieser nun außerdem die Anregungen
zustatten, durch welche Hermann Conring der Jurisprudenz in
ganz Deutschland neue Bahnen wies. Denn sobald es feststand.
^Kink, Rechtslohre, 41.
* Über Suttinger, f ^(^^y% s. Chorinsky, Beitr. I.
Zunehmende Berücksichtigung d. Landesbrauchs; die „Differentife". 367
dass das justinianische Recht nicht auf Grund eines kaiserlichen
Befehls, also nicht durch kaiserliche Autorität eingeführt war,
sondern nur galt, „weil es thatsächlich in Übung gekommen und
kraft langjährigen Gebrauchs, so w^ar damit die Gewohnheit als
Grundlage des gesamraten Rechtszustandes historisch erwiesen und
dem Gewohnheitsrechte, der frei schaffenden Arbeit des Rechts-
lebens eine Bedeutung zuerkannt, welche sie als Bildnerin des
positiven Rechts über die Gesetzgebung erhob. Und da die Träger
dieser Umgestaltung nicht das Volk, sondern der Juristenstand
nachweislich gewesen, so war damit seine thatsächlich geübte
Macht als rechtszeugende Potenz anerkannt", ein Ergebnis, welches
ihm auch für die Zukunft seine umgestaltende Thätigkeit sicherte.^
Damit war in Österreich die Zeit für die Literatur der s. g. Diffe-
rentise gekommen, welche die Abweichungen des heimischen Rechts-
braiichs von den Sätzen des römischen Rechts verfolgten und bisher
fast nur im Gebiet des sächsischen Rechts vorgekommen waren.
4. Zuerst und sehr lebhaft wurde die Frage der Differentise
in Böhmen aufgegriffen. Gegen das Werk des Prager Professors
Christoph Kyblin von Waffenburg „de differentiis juris communis
et patrii*' Prag, 1663, das in 247 Punkten Abweichungen des
Landesbrauchs vom römischen Rechte behauptete, ließ ein Vertreter
der Praxis, der Prager Appellationsrath Joh. Heinrich Proßkowsky
von Crohenstein, 1664 und 1668 zwei Entgegnungen erscheinen,
welche die größere Übereinstimmung des böhmischen mit dem
geraeinen Rechte erweisen sollten. Im Jahre 1674 veröffentlichten
gleichzeitig Joh. Heinr. Reutter seine 25 «tabulse juridicse quibus
accesserunt varise differentise juris communis et Austriaci" in Form
von Stammtafeln und Joh. Weingärtier seine ^Con- et discordantia
juris consuetudinarii Austriaci supra Anasum cum jure communi"
im Anschluss ans System der Institutionen. Nun trat auch der
i.-ö. Regimentsrath Nikolaus von Beckmann, der nach einer sehr
bewegten Vergangenheit 1678 in kaiserliche Dienste war auf-
genommen worden, mit seinen Reform- Vorschlägen auf. Schon in
seiner Reformata doctrina juris (1681) will er „rejectis antiquorum
Ictorum fabulis et obsoletis juris Romani apertis** nur das jetzt
bei Gericht anwendbare Recht darstellen und bezeichnete er die
* Stintzing, II., 5.
368 österreichische Reichsgeschichte. IT. TheiJ. Vierte Periode. § 46.
Titel der Pandekten, die als veraltet wegzulassen wären. Viel
weiter noch gieüg er in seiner 1688 erschienenen „Idea juris statutarii
et consuetudinarii Styriaci etAustriaci cum jure Romano coUati*'.
Hier ist das frühere Verhältnis beider Rechte geradezu umgekehrt,
das Landesrecht tritt überall in den Vordergrund, das römische
Recht wird nur zur AushUfe zugelassen, der Kaiser zur Erlassung
eines umfassenden Gesetzbuches aufgefordert und sogleich der
Plan zu einem Corpus Leopoldinum in 12 Büchern entwickelt.*
5. Bei dieser Wertschätzung, welche nun die Juristen mit
einemmale dem heimischen Recht entgegenbrachten, erwachte
naturgemäß das Bedürfnis nach Sammlungen des Landesbrauchs
und der landesfürstlichen Gesetze. Nach beiden Richtungen hat der
früher erwähnte n.-ö. Regierungskanzler J o h. B. Suttinger von
Thurnhof den Anfang gemacht, doch haben nur seine nach
Art eines Lehrbuchs gearbeiteten und den Ständen von Österreich
u. d. Eons zugeeigneten „Observationes practicae oder gewisse
Gerichtsgebräuche", auf die Zeitgenossen nachhaltiger gewirkt, da
sie nicht bloß in den Jahren 1650—1713 mindestens fünf Auflagen
erlebten, sondern auch unter gleichem Titel Arbeiten von Finster-
wal der, Erberg, Rechbach über das Gerichtswesen und
andern Landesbrauch in Österreich ob der Enns, Krain und Steier-
mark hervorriefen. Dagegen kamen die übrigen Arbeiten Suttinger's
zunächst nur kleineren Kreisen zugute, so die wichtigen „Con-
suetudinesAustriacse* (eine Art Rechtslexikon), die großentheils aus
dem bei der n.- ö. Regierung um 1650 angelegten Consuetudinarium
geschöpft sind und erst 1716 — 1718 gedruckt wurden, während
sein „Codex Ferdinand eus, oder kurzer Begriff von allen landes-
fürstlichen Generalienmandaten, soviel deren bis auf diese Zeit bei
allen Registraturen zu finden" (1656), sowie sein 1657 den Land-
ständen übergegebenes Gedenkbuch der n.-ö. Landschaft, unge-
druckt blieben. Der praktische Jurist war daher nach wie vor auf
^ . . . cum quilibet incertns hsereat, nnm jus statutarium, in Ulo casu
observetur sitque norma illius, vel utruni consuctudo contrariuni Yelit, aut an
utroque defieiente jus Romanum in illo casu prsedominetur Vorrede. — Über B.V
früheres Leben, s. Allg. deutsche Biogr., II, 239, über sein Wirken zu Graz s.
Leitner und Bischoff: Mitth. d. bist. Ver. f. Steierm., IX, 45 ; S. DC. - B. flö^S
zu Graz. — Differentiae zwischen dem Tiroler und gemeinem Recht, s.§47; füis
Schlesische Recht: ab Hohberg: Dissertatio de Legibus Silesiorum earumque
inprimis et juris communis differentia in appellationum fatalibus. Leipzig 1720.
Sammlungen der If. Gesetze u. Verordnungen: Codex Austriacus. 369
die mühsame Erwerbung der in zahllosen Einzeldrucken zerstreuten
Landesgesetze und landesfürstliche Generalmandate (Patente), sowie
auf Abschriften der Waltherischen Tractate und Processordnungen,
der Consuetudines Austria<Jöe, der österreichischen Landtafeln, von
Resolutionen und anderem, was sich auf den Stylus Curise bezog,
angewiesen. Es ist nun ebenso begreiflich, dass jemand, der solch
eine Sammlung hatte, dieselbe nicht leicht jemand andern mit-
theilte, weil ja nicht selten die persönliche Überlegenheit nur auf
dem Besitz des vollständigeren Materials beruhte, als auch, dass
solch ein Zustand dringend Abhilfe erheischte.
6. Eine solche erfolgte zunächst für die böhmische Länder-
gruppe durch Serponte, der 1678 in seinem Promptuarium über
beide vemeuerte Landesordnungen und die Stadtrechte eine
alphabetische Übersicht, nebst Parallelstellen aus dem geraeinen
Recht und synoptischen Zusammenstellungen darbot, die ein Nach-
schlagen der Texte entbehrlich machen sollten. Noch entscheidender
aber griff hier Johann Jakob Ritter von Weingarten (* 1629,
•f 1701) der fruchtbarste Rechtsschriftsteller Böhmens "^ ein, vor
allem durch seinen im Jahre 1701 erschienenen Codex Ferdinandeo-
Leopoldinus pro hsereditario Regno Bohemise, Marchionatu Moravise,
et ducatu Silesiae, der eine chronologisch angelegte und mit einem
guten Register ausgestattete Sammlung von Urkunden, Ordnungen,
Privilegien u. s. w. vom Jahre 1347 herwärts brachte und nach
des Verfassers Tode 1720 als Codex Ferdinandeo-Leopoldino-
Josephino-Carolinus bis zum Jahre 1719 erweitert wurde.®
Unter dem Eindruck, den das Erscheinen von Weingarten's
Codex unter den österreichischen Juristen hervorbrachte, reifte
auch für Österreich ob und unter der Enns ein ähnliches Sammel-
werk, der Codex Austriacus des Hofraths Franz Antoni von
Guarient, den dieser schon vor Jahren, als er noch n.-ö. Land-
schreiber war, begonnen hatte und der nun 1704 in zwei Folio-
bänden mit mehr als 1300 Seiten erschien. Bald darauf, wahr-
scheinlich im Jahre 1712, begann auch der Breslauer Verleger
7 Wurzbach, Biogr. Lexikon, Bd. 54, 8. 36. Stubenrauch, S. 344 ff.,
zählt 24 Werke W.'s auf, von denen es einige auf 4 Auflagen brachten.
^ Zusammen 753 Nummern. 5 kleinere Nachträge erschienen als continuatio
Codlcis U.8.W. in den Jahren 1710—1735. Legis 278. Ober die von Kittlitz
verfasste handschriftliche Fortsetzung, s. de Luca I, 260—286.
Läse hin, Österreicbische ReichsKeschictate. 24
370 ÖsteiTeichische Roichsgeschichte. IL Theil. Vierte Periode. § 46.
Brachvogel mit einer Ausgabe der k. u. k. das Erbherzogthum
Schlesien concernierenden Privilegia, Statuta und Sanctiones
Pragmaticse, die sich den vorhergenannten Werken in der Anlage
anschloss und im Jahre 1730 bis zum 6. Bande gediehen war.
7. Auf die Periode des Aufschwungs, den die österreichische
Jurisprudenz in der Zeit von etwa 1650—1700 genommen hatte,
folgte ein reichlich ebenso langer Niedergang. Abgesehen von
Tirol versiegt die Production in den übrigen Kronländern mit dem
Erscheinen der großen Sammelwerke Weingarten's und Guarients.
Die Praxis behalf sich mit diesen Fundgruben landesfürstlicher
Gesetze und Erlässe, sowie mit den handschriftlich verbreiteten
Consuetudines Austriacae die nun von einem Unbekannten unter
Anfügung einiger Waltherischer Tractate (1716, 1718) in Druck
gelangten, bei welcher Gelegenheit alle Berufungen auf das
Corpus juris als überflüssig gestrichen wurden. Es beschränkt sich
daher die Aufzählung der in dieser Zeit auftretenden Autoren
auf wenige Namen. Thasser mit seinen Progymnasmata Actionura
(1707) und der Advocat Johann Gerard Peez, der im Jahre 1731
dem Kaiser Karl VI. das Project einer allgemeinen Process- und
Gerichtsordnung widmete, behandelten das Gerichtswesen. Eine
Dissertation über den Tractatus de juribus incorporalibus ver-
öffentlichte Greneck der Ä., Wegelin (1719) Anmerkungen über
das österreichische Wechselrecht, Neumann von Puchholz, Ab-
handlungen über das böhmische Recht. Großer Beliebtheit
erfreuten sich endlich die Institutionen- Vorlesungen des Wiener
Professors Joh. Georg von Kees (* 1673 f 1754), die hie und da
auf österreichischen Landesbrauch Bezug nahmen und in den
Jahren 1711—1746 vier bis fünf Auflagen erlebten.
8. Verhältnismäßig wenig gepflegt war die Literatur des
öffentlichen Rechts, wiewohl Erwähnung verdient, dass die Wiener
Universität im Jahre 1632 den Antrag auf Einführung des Jus
publicum stellte, zwei Jahre nachdem sich die Leipziger Pacultät
tlir die WiederabschaflFung der „Professio juris publici" ausge-
sprochen hatte.^ Die Erwerbung von Ungarn und Böhmen hat
Anlass zu einigen Deductionsschriften gegeben, so schon 1527
zur Ausführung des Dr. Beatus Widmann „was das Haus Oester-
^ Kink, Rechtslehre, 50: Stintzing, II, 29.
Verfall d. österr. Jurisprudenz seit 1700; Tiroler Juristen. 371
reich für Erbgerechtigkeit zu dem Königreich Hungern von alters
gehabt*, 1599 zu dem Gutachten des Freiherm Reichard Strein
von Schwarzenau über die Frage, ob Böhmen ein Erb- oder
Wahlreich sei, 1627 zu der von Melchior Goldast im Auftrage
Kaiser Ferdinand's IL verfassten Parteischrift de Boheraise Regni
u. s. \v. juribus, v^elcher Paul Stransky 1634 seine Respublica
Bojema entgegensetzte. Aus späterer Zeit gibt es nebst einigen
Dissertationen, die an heimischen oder auswärtigen Universitäten
von Richter (1666), Kieffer (1671), Frankenstein (1727), Garb de
Gilbelli (1721), Kemenyi (1731) u. A. über die Rechte des Herrscher-
hauses veröffentlicht wurden, auch eine größere Abhandlung über
dasselbe Thema von einem ungenannten Autor, der in den Jahren
1678 bis 1685 schrieb.^® Noch sind Joh. J. Moser's Acta publica, die
österreichische Succession und Sanctionem pragmaticam betreffend
(1732), Oheimb's Abhandlung über die böhmische Kurstimme (1719),
zu nennen. Auch der Krainer Franz Albert Freiherr Pelzhoffer von
Schönau (+ 1710^ ist Verfasser mehrerer Schriften politischen und
völkerrechtlichen Inhalts. Sein Hauptwerk, Arcanorum Status libri
decem (1709, 1710), ist übrigens der Confiscation im Jahre 1711
verfallen, obwohl es dem Kaiser Josef I. zugeeignet war.
9. Eine von den Rechtsschriftstellern in den altösterreichischen
und böhmischen Landen unterschiedene Stellung nehmen in dieser
Zeit die Tiroler Juristen ein. Um dieselbe zu verstehen, muss man
sich gegenwärtig halten, dass in Tirol zwar dem Buchstaben der
Landesordnung nach die Geltung der gemeinen Rechte ausge-
schlossen war, dass diese aber von der Regierung begünstigt
demungeachtet immer mehr ins Leben eindrangen. Die Entwicklung
der Rechtsliteratur in Tirol ist daher jener in den übrigen Kron-
landen, was das Verhältnis zum römischen Recht betrifft, entgegen-
gesetzt verlaufen, namentlich fiel der Aufschwung weg, welcher
hier nach dem Auftreten Conring's der landesfürstlichen Gesetz-
gebung und dem Landesbrauch zustatten kam. Es scheint viel-
^•^ Handschrift (Foliant von 526 S.) in meinem Besitz, bezeichnet: Be-
j^chreibung des durchlautigsten Haus von (isterreich. Das Werk hat 3 Theile,
<lie insgesammt 48 Fragen mit Berufung auf römisches und canonisches Recht,
Klassiker und Juristen behandeln. Die erste Fra^re lautet: ^Ob rechtmäßiger
AVeiß neben dem römischen Kaiser das Reich hochheilig benahmet werde.* Der
A'erfasser dürfte ein Geistlicher gewesen sein.
24*
K
372 Österreichische Reichägeschicbte. II. Theil. Vierte Perlode. § 46 n. 47.
mehr, dasa die Annäherung an die übrigen Kronländer vor allem
dadurch angestrebt wurde, daas man das eigenthUmliche. in der
Landesordiiung enthaltene Tiroler Recht durch Anwendung von
möglichst viel gemeinem Recht planmäßig verdrängte.
An dieser Durchsetzung des Tiroler Landrarechts mit roma-
nistischen Elementen nahm neben der Gerichtepraxis vor allem
die im Jahre 1670 gegründete LandeBuniversität thätigen Antheil,
an welcher schon 1672 die vier Hauptfächer: Institutionen, Codex.
Pandekten und Jus canonicum durch je einen Profesaor vertreten
waren." Die Innabrueker Universität wirkte nun in mehrfacher
Weise zu Gunsten der Einbürgerung des gemeinen Rechts in Tirol :
einmal durch Heranbildung von Rechtsgelehrten im Lande selbst,
dann griff sie durch Rechtsgutachten, um welche sie von allea
Seiten angegangen wurde, unmittelbar in die Praxis ein, vor allem
aber fällt ihr Einfluss auf die literarische Thätigkeit ins Gewicht,
indem die auf gemeinrechtlicher Grundlage betriebene wissen-
schaftliche Behandlung des heimischen Statutarrechts eben voa
dort ihren Ausgang nahm.
10. So erklärt es sich, daaa die Verfasser der älteren
tirolischen Reehtsliteratur fast ausnahmslos auf dem Standpunkt
der Reception stehen, indem das gemeine Recht in ihren Werken
regelmäßig die Grundl^e für die Betrachtung des einheimischen
Rechtes bildet. In allen Fällen, die weder durch die Landes-
ordnung noch durch rechtmäßig eingeführte Consuetudines ent-
schieden werden könnten, heißt es in dem Corethischen Commentar,
sei das Jus comune anzuwenden. Die Landesordnung sollte, wie
der Regimentsrath J. B. Moser in seinen Annotationea Über dies
Gesetz ausspricht, in dubio so stricte ausgelegt werden, daas dem
gemeinen Recht so wenig als möglich Abbruch geschehe, und
soweit aus dem gemeinen Recht heraus erklärt und ergänzt werden,
dass die Bestimmungen des letzteren überall zu gelten hätten,
soweit sie nicht durch die Statuten ausdrücklich ausgeschlossen
seien. Da kann es uns freilich nicht Wunder nehmen, dass neben
rt^n Kommentaren der Landesordnung die vom Hofkanzler Paul
Fn-ilierm von Hocher (f 1668), den Innebrucker Professoren
" Erst später wurden auch öffentliches Reclit, ProcesH- und Lehenreclit
hior gelehrt und atich die Landesstatute berücksichtigt. Für diese und di? nach-
ätchonden Auefühningen s. Sartori, S2 ff.
Die Rechtsquellen der einzelnen Kronländer von 1500—1750. 373
Johann Christoph von Fröhlich (t 1729) und Thomas Hermanin
von Reichenfeld (t 1734), dem Pfleger von Landeck, Abraham
Stöckel, dem Dr. Joh. Jos. Grueber u. A. verfasst wurden, auch —
des Mevius Commentar ad jus Lubecense, als ein auf die Tiroler
Landesordnung „sehr anwendbares Buch*" gelten konnte.^*
j) 47. Übersicht der Bechtsquellen in Österreich-Ungarn nach
den einzelnen Kronländem*
Literatur bei den §§ 43—46, außerdem v. Benign 1, Handbuch d. Statistik
und Geographie des Großherzogtbums Siebenbürgen, 2. Heft, 1837. — Bogi^iö,
Pisani Zal^oni, 1872. — Öelakowsky, Poväechnö öeskö döjini PriLvni, 1892. —
Kukuljeviö, Jura Regni Croatise, Dalmatiaa et Slavoniae, 3 Bde. — Morelli,
Istoria della Qorizia, 1855, neue Ausgabe in 4 Bdn. — Motloch und Rieger.
im ^Österr. Staatswörterbuch " II unter »Landesordnungen u. Landbandfesten".
— Schenk, Obersicht d. österr. Gesetzgebung über Civilprocessrecht bis zum
Schlüsse des 16. Jahrhunderts, 1864. — Schuler-Libloy, Siebenbürgische
Rechtfisgeschichte, 18r)5/68, 3 Bde. — Stuben rauch, Bibliotheca juridica
Austriaca, 1847. — Virozsil, Staatsrecht d. Königreichs Ungarn, I, § 5 u. s. w.
Aus den vorausgehenden Darlegungen geht hervor, dass in
der Zeit von 1500—1750 von einer Reichsgesetzgebung fUr die
Erblande eigentlich nicht die Rede sein kann, dass Landesgesetz-
gebung, Landesbrauch und eine beiden sich anschließende Rechts-
literatur vorwalten. Nur wenige Gesetze, wie die Bergordnungen
von 1517 und 1553 oder die Polizeiordnungen (1527, 1542, 1552)
ergiengen formell gleichzeitig für mehrere Lande, im übrigen
wurde höchstens materielle Rechtsübereinstimmung dadurch her-
gestellt, dass mehrere gleichlautende Gesetze als besondere Landes-
gesetze in mehreren Erblanden zur Annahme gebracht wurden.
Diese Erwägung allein schon rechtfertigt die Beigabe einer nach
Kronländern gearbeiteten Übersicht der Rechtsquellen, abgesehen
davon gelangt man nur auf diesem Wege zu einer richtigen
Würdigung des Riesenwerkes, welches die mit der Kaiserin Maria
Theresia beginnende Codification des österreichischen Rechts in
der Zeit von sechzig Jahren vollbracht hat.
Die nun folgende Übersicht bietet den in den §§ 43—46
nach seiner geschichtlichen Entwickelung behandelten Stoff, unter
^=* WÖrz, Gresetze und Verordnungen in Bezug auf die Cultur des
Bodens u. s. w., Innsbruelc 1884, I, S. 8.
374 österreichische Reichsgeschichte. II. TheiJ. Vierte Perlode. § 47.
dem Gesichtspunkt des Geltungsgebietes der Rechtsquellen nach
einzelnen Kronländeni, und ist daher weniger für Zwecke von
Studierenden als für solche berechnet, die sich zu einer selbst-
ständigen Weiterforschung auf dem Boden der österreichischen
Rechtsgeschichte angeregt fühlen sollten. Absolute Vollständigkeit
ist nicht erstrebt und wäre derzeit auch nicht erreichbar. Bei Hand-
schriften und seltenen Drucken ist der mir bekannte Aufbewahrungs-
ort angegeben. Die k. Hofbibliothek, das alte Hofkammer- und
das Staatsarchiv sind durch Wien H. B., H. K A, und St. Ä. nebst
der Ordnungszahl der Handschrift citiert, das k. k. Statthalterei-
archiv und die Dipauliana im Museum durch Innsbruck St. und B. T.,
die Landesarchive in Graz und Laibach, sowie das Museum zu
Klagenfurt durch den Ortsnamen bezeichnet, e. S. bedeutet meine
Btichersammlung. S. Ch. die auf Veranlassung Sr. Excellenz des
Grafen Dr. Karl Chorinsky unter Überwachung durch Dr. Th. Motloch
hergestellten Autogi*aphien österreichischer Rechtsquellen.
A. Österreich ob und unter der Enns.
Beide Kronländer besitzen weder sauctionierte Landesordnuneen
noch Laudhandfesten, wohl aber handschriftliche Entwürfe.
Als solche sind zu nennen:
a) das Institutum (oder Landrechtsbuch Ferdinaudi L, das um
1 528 von den Ständen ausgearbeitet und vom König dann ungenannten
Vertrauensmännern zur Begutachtung zugeschickt wurde. (Wien. St. 386.
u. ö. S, Ch.)
b) Nach längerer Unterbrechung wurden die Arbeiten an der
Landesordnung oder Landtafel in Österreich u. d. Enns (seit 1505)
wieder aufgenommen, ob der Enns (seit 1560) neu begonnen und auch
mehrere Entwürfe durch Dr. Püdler, Dr. Linsmeier und Freihemi
von Strein, bezw. Dr. Abraham Schwarz ausgearbeitet. Nach 1630
geriethen in beiden Landen die Arbeiten ins Stocken, wurden aber in
den Jahren 163Ö und 1650 wieder aufgenommen. Sanctioniert wurden
nur Bruchtheile der damals revidierten Landtafel von Österreich unter
der Enns, so 1656 die Landgerichtsordnung, 1669 die Gerhabsehafts-
ordnung, 1679 der Tractatus de juribus incorporalibus, 1720 die Erb-
folgeordnung außer Testament. Die Landtafeln sind in zahlreichen
Handschriften verbreitet und die verschiedenen Fassungen in der S. Ch
c) Landhandvest oder Freyhaiten des löblichen Erz-
herzogthumb Österreich mit der näheren Bezeichung ob, oder unter
der Enns, obwohl beide gleichlautend sind. Eine im Auftrag der Land-
Eechtsquellen von 1500—1750: Österreich ob u. unter der Enus. 375
stände durch den Rechtsgelehrten und Staatsmann Reicliard Strein
von Schwarzenau gemachte Zusammenstellung von Urkunden und Ver-
briefungen, die auf 6 Bücher berechnet war, von welchen jedoch nur
vier vollendet wurden, die in zahlreichen Handschriften verbreitet sind
(z. B. Wien H, B, 7670),
d) Gerichtsordnungen: für das Landrecht des Landes unter der
Enns vom 12. April 1540, revidiert als Gerichtsprocess und Ordnung
des Landrechtens 1557, fonnell niemals abgeschafft und oft gedruckt,
dennoch schließlich vergessen. Die Ordnung des Landrechtens ob der
Enns vom 16. September 1535 wurde U)21 und 1B75 revidiert.
Handschriftliche Entwürfe zu Gerichtsordnungen in den Landtafeln.
,, Formular und Bericht, wie bei der löblichen Landeshauptmann-
schaft in rechtlichen und guetlichen Sachen procediert wird" und „Allerlei
übliche Gerichtliche Gebräuche diß Lands ob der Enns**. (16./ 17. Jahrb.).
Wien, H. B. 766^. München, StaatsbibL Co<L gerni. 1175.
Nur in handschriftlicher Überlieferung besitzen wir die Ordnungen
des gerichtlichen Processes vor der landesfürstlichen Regierung in
Ordinari- und Extraordinari-Sachen, die nach dem Ms. der Thinnfeld'schen
Bibliothek zu Deutsch-Feistritz in den Jahren 1552 und 1558 von
Dr. Bernhard Walther verfasst sind. Die erste von beiden, der einige
vom n.-ö. Regierungs-Secretär Onophrius Reutter 1552 verfasste Ab-
änderungsvorschläge beigegeben sind, soll nach der friiher genannten
Quelle durch Kaiser Maximilian II. genehmigt worden und sowohl bei
der n.-ö. als der o.-ö. Regierung in Übung gewesen sein.
Revisionsordnung für die n.-ö. Regienmg und das Hofmarschall-
Gericht K. Ferdinand's III., genehmigt 1637, neuberathen 1655; 1669.
Neue Executionsordnung 1655 im Cod. Austr.
e) Landgerichtsordnungen: fürs Land unter der Enns vom
Jahre 1514 (ein umfänglicherer Entwurf S. Cli,), reformiert 1540, 12. /l.,
vom König Ferdinand I. Eine neue peinliche Landgerichtsordnung erließ
Kaiser Ferdinand III. am 30. December 1^)56. Es gibt von ihr viele
Ausgaben und auch einen gedruckten Commentar vom n.-ö. Regierungs-
rath Dr. Franz Josef Bratsch (1751).
Fürs Land ob der Enns wurde die erste gedruckte Landgerichts-
ordnuug auf Antrag der Stände 1559 erlassen und diese 1627 unter
Kaiser Ferdinand II. reformiert. Unter den Ausgaben der neuen, vom
Kaiser Leopold I. am 14. August 1675 genehmigten Landgerichtsordnung
bietet die 1736 zu Linz erschienene ein Compendium der im Lande
geltenden Gesetze: Adeliches Criminal- Privilegium von 1675, Zehent-
ordnung vom Jahre 1641, Bettlerordnungen, Jägerordnung von 1727, die
Erbfolgeordnung vom Jahre 1729, die Fallitenordnung für beide Herzog-
thümer vom Jahre 1734, überdies eine Auswahl von Amtsgebräuchen
(Stylus) der n.-ö. Regierung, des Hofmarschallischen Gerichts u. s. w.
Als Sammelwerk der landesfürstlichen Gesetze und Verordnungen
bis zum Jahre 1740, deren Aufzählung zu weit führen würde, ist für
376 Österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Vierte Periode. § 47.
Österreich ob und unter der Enns der Codex Austriacus, nebst der
1. und 2. Portsetzung durch S. G. Herrenleben (1748, 1752) zu nennen.
Es sind das nahezu 3500 Folioseiten. Eine handschriftliche Sammlung,
8093 Seiten, Fol., aus dem 17. Jahrhundert ähnlichen Inhalts in
Wien, St, Ä. 75 und ein von A. Beck und J. P. Kaltenbeeck im
Jahre 1846 zum Drucke vorbereiteter Codex Austriacus mit Gesetzen
Kaiser Ferdinand's I., 1521—1564. Wien, H. B. 14369,
Literatur: 12 Tractate Bernhard Walther's sind im Anhang zu
Suttinger's Consuetudines Austriaca (1716 und 1718) gedruckt. Andere
sind nur handschriftlich verbreitet, so außer den obgenannten Process-
ordnungen eine Grundbuchsordnung (Wien, H. B, 8084, 8189, St A. 1H7},
, »etliche Rechtsregeln", H, B, 8252 u. a.
J. B. Schwarzenthaler, Tractatus judiciarii ordinis 1592: de
pignoribus et hypothecis 1594 {e, S.),
J, Gobler's Verteutschte Institutiones sammt Gerichtsprocess des
Erzherzogthums Österreich. Wien, 1539 (Stubenrauch Nr. 1434).
Dr. Wolfg. Schwanser, n.-ö. Kammerprocurator (f um 1605), Theile
seines Berichtbuchs, das Suttinger so oft erwähnt. Wien H. K, Ä, — S. Ch.
Veit Stahel, Notar und Stadtschreiber zu Freistadt: Information f. die
nider Gericht 1. Instanz. 1566. Wien, H. B, 8084, Klagenfurt XXVII, d, H.
Gerichtsordnung, Process, wie man in bürgerl. Verhörssachen im Erzh.
Österreich o. E. verfahren soll. 1555. München, Cod. geinn, 1167, Von
Weisungen, ehendort 1175,
Joh. Ba. Suttinger v. Thurnhof, f 1662, Consuetudines Austriacse»
Nürnberg 1716, 1718, gehen auch unter Walther's Namen; Observationes
practicee oder gewisse Gerichtsgebräuch . . . beim landmarschall. Gericht
in ö. u. E. 1650, 1656, 1678, 1703, 1713. üngedruckt sein Cod. Ferdi-
nandeus {Wien, H. B, 7547); sein Gedenkbuch der n.-ö. Landschaft S, Ch.
Reutter Joh. Heinr.: Vigintiquinque Tabulfie juridic», Regensburg
1674. Graz, Universitätsbibliothek.
Weingärtier, Con- et Discordantia juris consuetudinarii Austriaci
supra Anasum, Linz, 1674, 1719.
Finsterwalder B., Practicarum Observationum ad consuetudines
Archiducatus Austrise superioris libri IV., Salzburg, 1687 — 1703.
Thaßer J. F., Progymnasmata Actionum forensium, Wien, 1708.
Peez Joh. Gerard, Allg. Process- und Gerichtsordnung, nach welcher
man sich bey denen Wienerischen Gerichtern gleichförmig zu halten
hat. Dem König Karl VI. gewidmetes Project, 1731 gednickt.
B. Innerösterreich.
Landesordnungen sind nicht vorhanden, auch keine Sammlung
der landesfürstlichen Verordnungen aus älterer Zeit. Die landesfürstlichen
Patente von 1493 — 1564 verzeichnet Krones in den Beitr. z. Kd. steir.
Geschq., XVIII, XIX, über die Landhandfesten mein Aufsatz a. a. o. IX.
Rechtsquellen von 1500—1750: Innerösterreich. 377
a) Landhandfesten. Steiermark. Die erste Ausgabe vom
Jahre 1523 wurde durch den Schrannenschreiber Hans Hofmann zu-
sammengestellt und zweimal nachgedruckt. Viel umfassender ist die
1583 durch den la. Secretär Amman und den Schrannschreiber Venediger
im Auftrag der Stände gemachte Zusammenstellung, die 1635 und mit
Register 1697, gedruckt wurde. Abweichend davon bietet die Ausgabe
von 1842 den Text der Verbriefung Kaiser KarFs VI. vom Jahre 1731.
Die Landhandfeste für Kärnten, durch den Historiker Hieronymus
Megiser zusanmiengestellt, erschien 1610, jene für Krain, die der
la. Kriegssecretär Balthasar Guralt besorgte, in den Jahren 1598 und 1687.
h) Gerichtsordnungen. Steiermark. Die von der Landschaft
im Jahre 1503 beschlossene Ordnung des Landsrechten in Steyer
bei BischofT, steierm. Landrecht, S. 194. Eine Überarbeitung als „neu
Ordnung Rechtens" aus der Zeit Kaiser Maximilian's ("LatftocÄ, Lyceal-
hiUiothek Ms. 198) schließt sich ihrem Inhalt nach schon ziemlich genau an
des löbl. Fürstenthum Steyr Bestätung der Newen Reformation
des Landrechtens vom Jahre 1533 an. (Gedruckt gleich den nach-
folgenden Gesetzen.) Im Jahre 1574 folgte die Neu verfasste
Reformation des Landts- und Hofrechts, 1618, 7. November eine
Gerichtsordnung, wie vor der Landtshauptmannschaft und dem
Schrannengericht procediert werden solle (gedruckt 1620), die bald einige
Abänderungen erfuhr und nunmehr 1 622, 30. März, vom Kaiser Ferdinand IL
neu genehmigt wurde. Diese blieb bis zur Einführung der allgemeinen
Gerichtsordnung vom Jahre 1781 für Steiermark in Kraft (neue Ausgabe
vom Jahre 1761), obwohl unter Kaiser Leopold I. 1674 der Entwurf
einer „Neuen Gerichts- und Landrechtsordnung in Steyer
(Wien St. A, 26,) fertiggestellt war und Verhandlungen der Regierung
mit den Ständen wegen Revision der alten Gerichtsordnung bis zum
Jahre 1748 fortgesetzt wurden.
Kärnten. Es ist unbekannt, wann und in welcher Form die erste
Landrechtsordnung, deren Erneuerung 1577 (gedruckt 1578) die
landesfürstliche Genehmigung erhielt, aufgerichtet wurde. Über das Ver-
fahren selbst gibt Aufschluss das 1544 „aus Hannsen Ampfinger's mund-
liehen Anzaigen beschriebene Vertzaichnuß, wie die Ordnung und
der Gericlitsproceß in Landsrechten zu Kärnten ungeverlich
gehalten wierdet", (e. S. aus Föhringer's Nachlass und ungedruckt
gleich den nachfolgenden Ordnungen). Mit der am 1. Jänner 1582
erlassenen Pfiindungs- oder Spänordnung (Wien, St. Ä. 897) steht mög-
licherweise in Zusanunenhang der durch den la. Advocaten Johann Khrause
verfasste Aufsatz über den summarischen Landrechtsprocess, der 1585 im
Landtag durch ein ganze ersame Landschaft in vollkommentlicher Ver-
samblung approbirt wurde. (Klagen fürt, 33, XXVII c. 13.) Die bei den Land-
schaften von Kärnten und Krain in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts
vorhandene Neigung, ihr Gerichtsverfahren der steirischen Gerichtsordnung
vom Jahre 1622 anzunähern, wurde von der Regiemng mit Freuden begrüßt
378 österreichische Keichsgeschichte. IL Theil. Vierte Periode. § 47.
und führte zu Revisionsarbeiten, die jedoch nicht immer zum Ziele gelangten.
So entstand die Gerichtsordnung des löblichen Erzherzogthums Khämdten,
nach welcher bey der Landtshaubtmannschaft, Schrannengericht und andern
des Landts Instantien procediert werden solle. Aufs neue reformiert und
verbessert im Jahre 1638. (Wien, St. Ä. H9, 40: Klagenfurt XXYIL r. U.)
Gerichts- und Landrechtsordnung des löbl. Erzherzogthums Khärntheu
aufs neue reformiert und verbessert im Jahre 1669. (Wien. St. Ä. 41.)
In den Sammlungen des historischen Vereins für Kärnten zu
Klagenfurt befinden sich femer handschriftlich Observationes der
kärntnerischen Practica 1680—1706 (XXVIL r. IS) und die älteren
„Landsgebräuch in Steyer und Kärndten** (XXVIL c, 13),
Krain. Einer ,, uralten Landschrannenordnung" vom Jahre 1531
gedenkt Erberg Observatio 27, § 8. Eine Revision derselben durch die
Stände, die 1564, 24. Jänner, vom Kaiser Ferdinand I. und 1565,
16. Mai, vom Erzherzog Karl bestätigt wurde, befriedigte nicht imd
führte zu neuen Umarbeitungen, welche die 1571 von neuem verbesserte
Landschrannenordnung einer ers. Landschaft in Krain in 34 Abschnitten
ergaben. Gedruckt 1571, 1688 und 1707. Im 17. Jahrhundert beschäftigte
man sich auch in Krain viel mit Revisionsarbeiten und brachte „CoUecta
zu der vorhabenden neuen Schrannenordnung** zuwegen (zwei verschiedene
Entwürfe e. 5.), die jedoch nicht Gesetz wurden, wie die Neuauflagen der
Landschrannenordnung vom Jahre 1571 darthun.
Für die „gemaine** Stadt Laibach erließ Erzherzog Karl am
22. November 1582 eine neu reformierte Gerichtsordnung, welche noch
1638 und 1666 aufgelegt wurde.
Bei der i.-ö. Regierung in Graz soll der von Bernhard Walther
im Jahre 1552 ausgearbeitete Process in Ordinari- und Extraordinari-
Sachen (s. oben A.) in Anwendung gewesen sein. Die kurze Gerichtsordnung,
wie die Procuratores vor der Regierung zu Grätz in Hofrechten procedieren
sollen, vom 16. Juli 1567 ist nur die Ausdehnung der 1563 am
3. April für Österreich unter der Enns erlassenen Vorschriften auf Inner-
österreich. (Laibachy Lyc. BibL Cod. 77, als Gräzerische Gerichtsordnung.)
Landgerichtsordnungen. Steiermark. Der Entwurf einer
Landgerichtsordnung, welchen die Landschaft im Jahre 1531 dem König
Ferdinand vorgelegt hatte, ist uns möglicherweise in einer Handschrift
des Klosterarchivs von Reun erhalten (Beitr. z. Kde. steir. Geschqu.
XI, 140). Sanctioniert wurde 1574 des löblichen Fürstenthumbs Steyer
Land- und peinliche Gerichtsordnung (gedruckt 1575, 1583, 163^),
die im Wesentlichen mit der Carolina übereinstimmt. Durch die Novelle
Kaiser Karl's VI. vom 17. September 1721 wurde für Innerösterreich
eine Annähenmg an das in Österreich unter der Enns übliche Verfahren
in Strafsachen vorgeschrieben.
Kärnten bekam eine neu aufgerichtete Landgerichtsordnung
1577 (gednickt 1578), die nur polizeiliche Bestimmungen enthält, ün
übrigen richtete man sich im Verfahren und bei den Strafsätzen nach
Rechtsquellen von 15<)0— 1750: Innerösterreich. 379
der ßteirischen Landgerichtsordnung vom Jahre 1574. (Hermann, Gesch.
V. Kärnten, 11, 2, 126.)
Krain erhielt unter König Ferdinand 1. am 18. Februar 15*35
eine kleine Landgerichtsordnung, welche bis ins 18. Jahrhundert in Übung
blieb. (Ausgaben ohne O. u. J., lf>85, 1707.)
Polizeiordnungen. Nebenden allgemeinen Polizeiordnungen von
1527, 1542 und 1552, für alle fünf n.-ö. Lande und Görz gab es be-
sondere Polizeiordnungen für Steiermark und Kärnten (beide 1577 und
gedruckt). Unsicher ist, ob der vom Erzherzog Karl der Landschaft Krain
im Jahre 1570 zur Berathung übersandte Entwurf Gesetzeskraft erlangte.
Stadtrechte: Pettau Reformation des Stadtrechts durch Erzb.
Leonhard v. Salzburg. 1513. (Graz,) Villach Verbriefung durch B. Joh.
Gottfried V. Bamberg. 1612. (Klagen fürt XXV, b. 12,) Das Klagenfurter
Stadtrecht (Process vor dem Stadtgericht) in Reimen (ehendoH),
Gesetze undVorordnungen inUnterthanensachener-
giengen, sehr zahlreich ; hierher gehören die Zehntordnungen für Steier-
mark 1605, für Kärnten 1577, Krain (1551, 1573 ungednickt, e, S,). Das
1543 für die Weingärten erflossene steirische Bergrechtsbüchel, das
auch in Kärnten und Krain zur Anwendung kam, ist das einzige Gesetz,
von dem mir Übersetzungen ins Slavische (Windische) aus alter Zeit
bekannt sind (z. B. 1582 durch den Pfarrer von Arch, Andreas Rezl,
eine jüngere von 1644 u. s. w. zum Theil herausgegeben durch V. Oblak,
Letopis matice Slovenske 1888/89). Die steirischen und kärntnischen
Taidinge, durch Bischoff als 6. Band der österr. Weisthümer heraus-
gegeben, enthalten neben Dorfrechten auch Marktordnungen für Voran
(1603), Hartberg (nach 1618), Pöllau (1547), Hermagor (1562) u. s. w.
Aus der übergroßen Zahl von Ordnungen, landesfürstlichen Generalien,
Resolutionen u. s. w., die für Innerösterreich ergiengen und höchstens
durch Einzeldrucke verbreitet wurden, zum Theil nur in handschriftlichen
Sammlungen (z. B. Wint, St. A. 46) vereinigt sind, seien genannt: für
Steiermark die Erbfolgeordnung 1729, Ordnung adeliger Vormundschaft
lt>87, Landtafel-und Grundbuchspatente 1730, 1731,1736, i.-ö. Wechsel-
ordnung 1722, Executionsordnung 1702, Wald- (1695, 1721) und Jäger-
ordnungen 1716, 1723, Bauordnung 1724, Gesindeordnung 1734, die Erb-
ordnungen für Krain 1737 (auch mit slavischer Übersetzung gedruckt
1775) und Kärnten 1746, Eisenordnungen für Hüttenberg 1567, Krain
und Görz 1575, Müllerordnungen für Steiermark 1576, für Kärnten 1562,
Hallamtsordnungen für Aussee 1523, reformiert 1568 u. s. w.
Literatur. Ziemhch verbreitet sind Handschriften mit 40 Rechts-
fragen aus dem steirischen Recht und deren Beantwortung. Erste Frag,
wie im Herzogthum Steyr einer Civilaction der Anfang zu machen
gepflegt wirdet u. s. w. (Wün, St. A. HU7, H. B. 14282, Graz] L.- Archiv 9L
J^ailaeh. BiU, Ms: 77.) Sie werden als Landtsgebräuch im Herzogthum
Steyr ja Felbf^t als ,,Neue Landgerichtsordnung in Steyr" bezeichnet.
In der Handschrift der Wiener Hofbibliothek heißen sie «Institutiones
380 Österreichische Reichsgeschichte. IL Theil. Vierte Periode. § 47.
juris Styriaei oder praktische Observationes zu Lieb allen Principianten,
so in Steyer die Jura zu prakticiren gesünet. . . . Durch Herrn W. vor Jahren
gewesten Landselireiber gezogen''. Sie sind möglicherweise identisch mit
dem „modus procedendi im Fürsteuthum Steiermark des Dr. Grünpach'', der
bisweilen erwähnt wird. Verschieden davon sind die in einer Handschrift
des Klosters Kremsmünster (Cod. 22^ N.) erhaltenen gerichtlichen Anmer-
kungen über die steyerischenLandgebräuch, welche sich auf den bei der Re-
gierung in Hofrechten üblichen Ordinari undExtraordinari Process Bernhard
Walthers beziehen und auch diesem geradezu zugeschrieben werden.
Als handschriftliche Beigaben zu den Drucken der wichtigeren
steirischen Gesetze finden sich bisweilen kleinere Arbeiten über das
steirische Gerichtswesen, z. B. ein kurzer ,, Processus edictalis im Landt
Steyr** (Sammlung Dr, Holzinger) oder Bericht etlicher gerichtlicher
Solennitäten so bey den Landschrannen in Steyr gehalten werden (von
der Hand des nachgesetzten Schrannschreibers Erasam Khurzleb um
1590, (Sammlung Hofrath Dr. Bischoff), Aufzeichnungen über die Förmlich-
keiten des ,, endhaften Tages'' in Kriminalprocessen u. dgl.
,,Des Fürstenthumbs Steyr neu aufgerichte Landrechtsordnung", die
man gewöhnlich am Schlüsse des unter Kaiser Leopold L ausgearbeiteten
Entwurfs der neuen Gerichtsordnung findet, ist ein erbrechtlicher Tractat
in 7 Artikeln. In der Handschrift 14.282 der Wiener H. B. ist ihm die
Bemerkung beigerückt, dass diese Ordnung noch giltig sei, soweit sie
nicht durch die vom Jahre 1729 abgeändert wurde.
Ein treffliches Werk, von welchem mehrere Handschriften vor-
handen sind (Original nebst Vorarbeiten im Ijandesarchiv zu Laibach),
sind die ^Observationes Practicse Inclyti Prsetorialium, aulicorumque
judiciorumque dicasterii . . Ducatus Carnioliee, opus posthumum Joannis
Danielis L. B. ab Erberg**. 38 an Zahl ums Jahr 1700 verfasst und
durch J. B. von Preschem nach dem Jahre 1733 durch eine 39. Obser-
^vation „Von Zeugen Examiue'' vermehrt. Gedruckt ist Erberg*s Disputatio
juridica de officio judicis, Wien 1671.
Johann Wendtseißen, gewesener Stadtrichter und Stadtsyndicus
zu Radkersburg: Tractatus judiciarius (Hexenprocesse), 17. Jahrhundert
(Abschrift aus dem Jahre 1699 e, S.),
Gedruckt sind erschienen: Ferd. de Rechbach Observationes ad
Stylum Curise Grcecensis 1680 mit einer kurzen Schilderung des
Behörden Wesens in Innerösterreich, femer vom Jahre 1682 ein Appendix
mit Inhaltsangaben landesfürstlicher Resolutionen von 1614 — 16S2.
Ungleich wichtiger ist: Nicolai de Beckmann, „Idea juris statutarii et
consuetudinarii Stiriaci et Austriaci cum jure Romano coUati 1688.
Unmittelbar praktischen Zwecken waren einige Rechtsausführungen
gewidmet, die zu Ende des 17. Jahrhunderts veröffentlicht wurden, so die
ohne Druckort und Jahr (c. 1695) erschienene ^Gründliche Ausführung
auf die von H. Landshaubtmann des Herzogthums Steyer in Tniek
gegebene, so benambste Erläuterung'* und die von Johann Georg Lorber
Rechtsqnellen von 1500—1750: Innorösteireich; Küstenland. 381
im Namen der sehr bedrängten Bergholden gegen die Bergherrschaften
in Steiermark wegen des 10. Pfennings eingereichte „Beschwär-Schrift**
und deren „Verthätigung" 1699, 1700.
C. Görz, Triest, Istrien.
In Görz wurde über Andringen der Stände im Jahre 1556 mit
der Sammlung des Landesbrauchs begonnen. Diese Arbeit eines aus
je zwei Mitgliedern von der Regierung und den Landständen gebildeten
Ausschusses zerfiel in 186 Abschnitte und war bis zu Anfang des 17. Jahr-
hunderts in Übung. 1597 lieferte der mit der Umarbeitung betraute
Kanzler der Stände Gasparo Bertis einen andern Entwurf, der zwar
durch die Stände sogleich der Regierung zur Bestätigung vorgelegt wurde,
jedoch erst nach wiederholtem Betreiben und einigen Abänderungen am
27. December 1604 durch Erzherzog Ferdinand IL genehmigt wurde.
Diese „Constitutiones 111. Comitatus Goriti»", welche in sechs Abschnitte
,,de personis, de ordine judiciorum de contractibus, de successionibus,
de delictis et poenis, de salariis" mit insgesammt 93 Capiteln zerfallen
und allgemeine Geltung haben sollten, wurden 1605 gedruckt, gaben
aber, da man sie mancherorten zurückwies, zu solchem Zwiespalt Anlass,
dass die Stände selbst im Jahre 1608 die Zurücknahme des Gesetzes
beantragten, was die Regierung freilich ablehnte. Es begannen nun
Berathungen wegen einer Umarbeitung, die sich bis zum Jahre 1634
hinzogen, aber ergebnislos blieben, wie die unveränderten späteren
Ausgaben der Constitutiones (1620, 1651, 1670, 1688 und 1697) darthun.
Den heftigsten und erfolgreichen Widerstand gegen die Görzer
Landesordnung leistete das Gebiet von Gradisca, für welches der erz-
herzogliche Rath Hieronymus Garzoni um 1575/76 ein eigenes Statut
in 47 Capiteln verfasst hatte. Diese ,,Consuetudines Gradiscanse antiquitus
et per novos ordines introductse" erhielten sich ohne landesfürstliche
Bestätigung bis zu Anfang unseres Jahrhunderts in Übung und wurden
im Jahre 1879 per le Nozze Braida Strassoldo-Soffumberg, zu Udine
das erstemal gedruckt.
Tri est. Streitigkeiten zwischen dem landesfürstlichen Stadthaupt-
mann, dem Preiherrn Johann von Hoyos und den städtischen Behörden
bewogen den König Ferdinand I. zur Abordnung einiger Räthe der
Wiener Hofstelle, der n.-ö. und der o.-ö. Regierung nach Triest, um
die erforderlich scheinende Revision der Statuten an Ort und Stelle
auszuarbeiten. Der von ihnen vorgelegte Entwurf wurde vom König
am 12. November 1550 genehmigt und zum Theil unterm 17. October
1551 erläutert. Die Statuten enthalten in vier Büchern Vorschriften
über den Wirkungskreis der Behörden, bürgerliches und peinliches Ver-
fahren und Verwaltungsvorschriften. Gedruckt wurden sie unter Bei-
füg:ung einiger späterer Erlässe Erzherzog KarVs u. s. w. als Statuta
iiiclytce civitatis Tergesti 1625, 1727. Dem lateinischen Originaltext
382 Österreichische Roichsjreschichte. II. Theil. Vierte I^eriode. g 47.
sind Randbemerkungen« sowie eine Übersetzung ins Italienische durch
Dr. Csesar Cagnaroni beigegeben worden.
Das Küstengebiet von Istrien und auch von Dalmatien war
venezianischen Gesetzen und Verordnungen unterworfen. „Leggi statutarie
per il buon governo della provincia d' Istria" wurden über Auftrag des
Senates durch den Podestä von Capo d'Istria, Lorenzo Paruta gesammelt
imd 1757 in vier Bücher getheilt herausgegeben. Ausgaben der Statuten
von Curzola 1648, Lesiua 1048, Cattaro 1615, Trau 1708, Zara 15f>4,
Capo d'Istria 1608, Pago 1687 führt Stubenrauch Nr. 3945 ff. an.
D. Die westlichen Alpenländer: Tirol, Vorarlberg, Salzburg.
Landesordnungen. Die 1526 unter dem Eindruck des Bauern-
aufstandes genehmigte Bauern-Landordnung wurde im gleichen Jahre zu
Augsburg gedruckt. Sie zerfällt in zwei Bücher mit sieben, beziehungsweise
zwei ,,Theilen'' und hat eine Empörungsordnung im Anhang. Handschriftlich
ist bisweilen eine Ordnung des geistlichen Standes in 16 Rubriken bei-
gegeben. Ausführliche Inhaltsangabe bietet Oberweis in der österreichischen
Vierteljahrschrift für Rechts- und Staatswissenschaft 1866.
Als Ergebnis der schon 1529 begonnenen Revisionsarbeiten erschien
1 582 eine durch den Kammerprocurator Dr. Jakob Frankfurter umgearbeitete
Landesordnung (Ausgaben ohne Jahr und von 1538, 1568, 1570), die
in Form und Inhalt von der früheren abweicht. Sie ist in neun Bücher
getheilt und sind darin die grundherrlichen Verhältnisse unbeschadet
der inzwischen unter den Parteien geschlossenen Verträge auf die
Zustände vor 1525 zurück geführt. Obgleich sich eine Zunahme
römischrechtlicher Elemente nicht leugnen lässt, so beruht doch die
Landesordnung vom Jahre 1532 im wesentlichen auf deutschrechtlicher
Grundlage. Schon 1555 kam die Revision dieses Gesetzes zur Sprache,
doch dauerte es bis 1578, ehe die „Neu reformierte Landes-
ordnung der fürstlichen Grafschaft Tirol** mit landesherrlicher Ge-
nehmigung publiciert wurde. (Ausgabe ohne Jahr und 1603, 1624.)
Dieselbe stimmt mit der Landesordnung vom Jahre 1582 in der äußern
Anordnung und Eintheilung des Stoffes überein, ist jedoch inhaltlich
durch 44: Titel und viele erläuternde Zusätze vermehrt und hat noch
den Charakter eines volksthümlichen Gesetzes, da bei deren Abfassung
Vertreter aller Stände mitgewirkt haben.
Angehängt ist dieser Laudesordnung eine Polizeiordnuug vom
Jahre 1573, welche vor allem Luxusgesetze und Bußbestimmungen für
die einzelnen Stände enthält und mit Wefi:lassung der schon in der
Landesordnung getroffenen Bestimmungen den Inhalt der Polizeiordnung
für die fünf n.-ö. Lande vom Jahre 1552 wiedergibt.
Die Landesordnung galt in Deutsch-Tirol und selbst in den
italienisch sprechenden (ierichtsbezirkeii Kronmetz und KasteU in
Fleims, ferner subsidiär in den Herrschaften Rattenbers:, Kufstein und
Rpchtequelleu von 1500—1750: Istrien, Tirol. 383
Kitzbüchel, denen der Gebrauch der bayrischen „Buchsag" noch durch
Eescript des Erzherzogs Sigismund Franz vom 9. August 1663 verstattet
wurde. Endlich wirkte sie auch im Fürstenthum Brixen, wo sie still-
schweigend oder, wie man sagte, ,, imitative** angenommen wurde. Da
die von der Regierung unternonmfienen Versuche die Landstände für
eine Revision der Landesordnung vom Jahre 1573 zu gewinnen
sowohl unter der Erzherzogin -Vormünderin Claudia Felicitas, als unter
Kaiser Leopold I. ergebnislos verliefen, so blieb dieselbe in Gebrauch
bis zur Einführung des Josefinischen allg. b. G.-B., das mit a. h. Patent
vom 1. November 1786 kundgemacht wurde, beziehungsweise bis zur
Einführung des noch geltenden a. b. G.-B., vom Jahre 1811, das in
Tirol von 1814 — 1816 zu verschiedenen Zeitpunkten in Geltung kam.
Von der Landesordnung aus dem Jahre 1532 gibt es eine Über-
setzung ins Lateinische, die Joh. Jak. Römer vom Marötsch auf Bitten
italienischer Doctoren besorgte und dem K. Ferdinand I. widmete.
/Univf^rffifätshibL zu Innsbruck Mh, Nr, 896.) Außerdem übersetzte Dr. Bart.
Panarino 1582 das zweite Buch der neu reformierten Landesordnung
ins Italienische, erhielt jedoch nicht die Erlaubnis zur Drucklegung.
Da der Inhalt der Landesordnung viel umfassend ist, so ist die
Zahl der Tiroler Sondergesetze nur gering. Zu nennen wären die nach
der Reichskammergerichtsordnung vom Jahre 1555 ausgearbeitete neue
Kammergerichtsordnung der ober- und vorderösterreichischen Lande
des Erzherzogs Ferdinand (B, T. CLV. CCXIX alt, ohne Jahresangabe),
das s. g. ,,Mandatum Claudianum'* wegen Execution und Revision
der Urtheile vom 16. Juni 1641 (gedruckt; der 1727 nach Wien
gesandte Entwurf einer Gerichtsordnung wurde nicht genehmigt)
erneuerte Curatel- und Pupillarordnung 1738 (gedruckt), ferner Fisch-
(1575, 1615), Jäger- (1619 u, ö,), Waldordnungen (1586) u. s. w. Eine
vom o.-ö. Gubemial-Registranten Ignaz A, von Ehrenport angelegte
Sammlung landesfürstlicher Gesetze und Verordnungen für Tirol aus
den Jahren 1574 bis 1783 in zehn Bänden sammt Register verwahrt
die B. T, CCCLXXX—CCCXC alt.
Desto bedeutender ist die Literatur, die sich in Tirol au den
Inhalt der Landesordnung anschloss, jedoch fast nur handschriftliche
Verbreitung fand; dass dieselbe größtentheils den Zweck verfolgte, das
gemeine Recht im Lande einzubürgern, wurde schon bemerkt. (§46,9, 10.)
Genannt seien hier:
(i) Des Dr. Joh. Paul Ho eher, gewesenen Advocaten zu Bozen,
nachhin o.-ö. Regierungskanzlers und endlich des Kaiser Leopold I.
obersten Hofkanzlers, Responsiones und Gerichtshändel. Mehrere Hand-
schriften von verschiedenem Umfang, B. T, LXXIII: CLVIII: CMXCI:
MCCLXXIX alt. Innsbruck, Univ.-Bibl. 807, 877:
h) des Pflegers zu Landeck, Dr. Abraham Stiickhl : Etwelche
Anmerkungen yber die Tyrolische Landsordnung (nach 1715, vor 1759
verfasst) B, T, LXXIII (wohl auch CXGVll: DCCXaVTl):
384 Österreichische Reichsgeschichte. IL Theil. Vierte Periode. § 47.
c) des Innsbrucker Professors und später o.-ö. Kanzlers Job.
Christoph von Prölich : Abhandlungen über einzelne Theile der Landes-
ordnung, z. B. Commentarius ad statuta Tyrolensia. (Inmbruck, Umv.-
BibL 806), Tyroliseh Obrigkheitliehe Instruction, geschrieben im Jahre 1723
(ebendort 858; B, T. CLVII: MCCLXXIX; MLXXXVIII alt.)
Hauptexceptiones über die Tyroler Landesordnung, in welchen
Punkten sie denen gemeinen Rechten zuwider (B. T, 997 neu). Prie-
cipuee Differentise Statut, juris Tyrolensis a jure communi collect» fFe)'di-
nandeum 8 a, 88,)
Coreth zu Starkenberg, Commentarii theorico-politico-practici
in jus statutarium Tyrolense p. I., 1716 gedruckt. An Umfang über-
trifft alle übrigen Dr. Jos. Gruber's Commentar zur Landesordnimg in
11 Foliobänden (Ferd, IV, /'. 1), der nach dem Jahre 1737 verfa^st \^iirde.
Manche Handschriften beziehen sich auf die beabsichtigten Revisions-
arbeiten an der Landesordnung, so B, T, XCIL LXXIII, DCCXLIIL
alt, Urnv.-Bibl. Ms. 806, oder der Discursus apolegeticus inter causidicum
Tyrolensem et Disiderium super statutum Tyrolense (TJniv,'BibL 895).
Ganz anderer Art ist das kleine, aber durch Handschriften (B, T.
CLVII; DCCVIII n\t, u. s. w.) ziemlich verbreitete Schriftchen: Kurzester
Begriff Neu Reformiert- Tyrolischer Landtsordnung . . einsmahls durch
Gregorium Stainer anno 1587 in Reimen verfasst, nachgehents aber
durch Franciscum Xav. Barth von Amwaßegg durchaus geändert . .
Anno 1678, das den Inhalt der Landesordnung in knappen Rechtsreimeu
wiedergibt. Erwähnt seien noch: Ordnung und Process umb Dienstpar-
khaiten auf Grundt und Poden . . auf die Tyrolische Landesordnung
gericht (B, T. CXXV, MXLVIII), verschiedene Abhandlungen über Zehent-
recht, von welchen jene des o.-ö. Regierungsrathes Dr. Joh. von Werndle
in den Jahren 1617 — 1722 fünf Auflagen erlebte. Gedruckt ist ferner
der Manipulus decimarum des Jesuiten P. Jakob Wex (Innsbruck 1602,
ungedruckt die „Tyrolischen Zehentgewohnheiten" . B, T. CCXCIV), endlich
die von Fröhlich 'sehen Werke: Nemesis romano austriaco Tyrolensis (169()),
Tractatus juridicus de . . prtescriptionibus statutariis Tyrolensibus (1702).
Neben der Landesordnung galten in Tirol zahlreiche Statute für
einzelne Landstriche oder Orte. Über das wichtigste derselben, das Statut des
Cardinais Bernhard von Cles für die Stadt und Fürstenthum Trient vom
Jahre 1527, das seit 1528 mit mancherlei Zugaben bis zum Jahre 1765
oftmalen gedruckt wurde, ist schon § 23, 3 kurz berichtet worden.
Eine Bibliographie der italienisch - tirolischen Statute von 110 Orteu
bietet Sartori im Anhang II seiner Ausgabe des Statuts von Fleims.
Von Deutschtirol und Voralberg seien genannt:
die Bozner Marktstatute und zwar Privilegium der Erzherzogiu
Claudia für die Bozener Märkte 1635, desgleichen Kaiser Karl's M.
vom Jahre 1719; beide gedruckt.
Brixen: Stadtordnungen mit Satzungen, Landesordnimg und
Rechtequellen von 1500—1750; Tirol, Vorai'lberg, Salzbiu'g. 385
Strafen, renoviert 1527, 1595, 1604. Hofgerichtsordnung des Fürst-
bischofs Christoph Andreas, 1604.
Brunneck: Neue Stadtordnung des Fürstbischofs Anton vom
17. April 1649.
Buchenstein: Statutserneuerung vom 14. October 1541.
Innsbruck: Ausgabe der Rechte und Privilegien der Stadt 1610;
Feuerordnung 1698, 1728.
In Vorarlberg galt gemeines Recht, wie aus der Antwort Erzherzog
Ferdinand's vom 20. Mai 1525 erhellt, in welcher er auf die beim Tiroler
Landtage vorgebrachten Beschwerden über die Aufnahme von Juristen
ins Regiment erklärte, dass er ein bis zwei Doctoren behalten müsse,
weil dasselbe zugleich Appellationsbehörde für die vordem Lande sei,
und in diesen, wie über die wälischen und görzischen Sachen, nach
kaiserlichen geschriebenen Rechten erkannt werden müsse. Bemerkens-
wert ist, dass die in Österreich unter der Enns eingeführten Pupillen-
ordnungen vom 24. December 1725 und 3. April 1727 mit a. h.
Entschließung vom 6. September 1732 „zur Adaptierung nach der Orts-
beschaffenheit'' und sohin Publicierung in den vorderösterreichischen
Landen, insbesonders aber in Voralberg bestimmt wurden.
Unter den Ortsstatuten sind u. a. die Landgerichtsordnung für
Rankweil vom Jahre 1579 (gedruckt bei Rusch, das Gaugericht auf der
Müsinerwiese, 1870), die Landesordnung der freien Hofjunker von
Montafun, 1601 (e, S.), der Landsbrauch des Innerbregenzer Waldes
(Aufzeichnung vom Jahre 1744, die jedoch auf älteres Recht Bezug
nimmt, autographierte Ausgabe) hervorzuheben.
Für Salzburg waren die Gesetze und Verordnungen der Salzburger
Erzbischöfe als Landesherren in diesem Zeitraum maßgebend. Eine bequeme
Uebersicht über diese Gesetzgebung bietet uns der von Judas Thaddeeus
Zauner verfasste: Auszug der wichtigsten hochfürstlich Salzburgischen
Landesgesetze, 4 Bde. 1785 — 1805. Bemerkenswert ist der im Jahre 1526
ausgearbeitete Entwurf einer Landesordnung des löblichen Erzstifts Salz-
burg, welcher Gegenstände des bürgerlichen und peinlichen Rechts,
polizeiliche Vorschriften u. s. w. ohne Gliederung nach Büchern und
Titeln enthält und handschriftlich verbreitet war. (Wien, St Ä. Anhang
Nr. 54; ein zweites Exemplar mit abweichenden Bemerkungen e, S.),
Diese sehr umfangreiche Landesordnung wurde niemals Gesetz, wohl
aber einzelne Abschnitte daraus, so stimmen z. B. die 42 Vitzthums-
und Hauptmannshändl mit dem Inhalt der Hofrathsverordnung vom
9. August 1645 (Zauner II, 106 ff.) überein.
Für die Stadt Salzburg erließ Erzbischof Matthäus im Jahre 1524
eine Polizeiordnung mit sehr vielen Bestimmungen ; vom gleichen Fürsten
rührten die Bergwerksordnung vom Jahre 1532 und eine Hauptmann-
schaftsordnung (1533) her. Von den zahlreichen Forstordnungen aus
den Jahren 1524 — 1755 erschien 1796 eine Gesammtausgabe.
Die zahlreichen Aufzeichnungen des Ortsgebrauchs, die sich in
Lasch in, öiterreichische Reichsgeschicht«. 25
386 österreichische Roichsgeschichte. II. Theil. Vierte Periode. § 47.
Deutsch-Tirol und im Salzburgischen fiuden, sind, soweit sie die Form
von Weißthüraern haben, in die von der k. Akademie der Wissenschaft
herausgegebene große Sammlung der österreichischen Weisthümer,
Bd. 1 — 5, aufgenommen worden.
E. Böhmen, Mähren, Schlesien.
a) Landesordnungen. . Die im Jahre 1500 noch vor der Ge-
nehmigung durch König Vladislav gedruckte Landesordnung, ist eine nach
willkürlicher Reihenfolge aus den Landtafelquaternen und Urtheilsbüchern
gezogene Mischung von 554 Artikeln Staats- und privatrechtlichen Inhalts,
die zum Theil unter Überschriften in größere oder kleinere Gruppen
zusammengefasst wurden. Einen Neudruck des auf 562 Artikel er-
weiterten czechischen Originals mit Gegenüberstellung der lateinischen
Übersetzung, die Dr. Roderich Dubravus a Dubrava im Jahre 1527 für
König Ferdinand L besorgte, bietet Palacky im 5. Bd. des Archiv Cesk>-.
Die im Jahre 1523 vom Landtag beschlossene Umarbeitung
wurde kaum zur Hälfte durchgeführt und bildet unter Beigabe des unge-
änderten Theiles und des s. Wenzel Vertrags den Text der im Jahre 1530
gedruckten Landesordnung. Nach Niederwerfung des Aufstandes zur Zeit
des schmalkaldischen Krieges, erfolgte über königlichen Auftrag durch
Ulrich Humpolec von Prostibor abermals eine Umarbeitung, die von den
Ständen angenommen, vom König Ferdinand im Jahre 1549 genehmigt
und 1550 gedruckt wurde. Hier erscheint zuerst die fernerhin für die
böhmischen Landesordnungen bezeichnende Eintheilung des Textes in
größere Abschnitte, die unter den Buchstaben A — Z bis zu 44 durch
Ordnungszahlen unterschiedene Artikel umfassen. (Beide L.-O. im C. j.
B. IV., 1. Sect. 1.)
Schon 1557 begannen neue Revisionsarbeiten, die zu der durch
den Oberstlandschreiber Wolf von Vresovic verfassten und dem König
Maximilian II. gewidmeten Form der Landesordnung vom Jahre 1564
führten. C. j. B. IV., 1. Sect. 1. Die Zahl der Artikel ist hier durch
Aufnahme späterer Landtagsschlüsse bis auf 928 angewachsen. Den
czechischen Ausgaben von 1564 und 1594 folgten 1604 und 1617 Drucke
einer deutschen Übersetzung, die der Bürger- und Stadtschreiber von
Kaaden, Peter St^rba, im Jahre 1566 besorgt hatte.
Als nach der Schlacht am Weißen Berge die Macht der böhmischen
Ständeherren gebrochen war, machte Kaiser Ferdinand II. von der
Verwirkungstheorie erfolgreich Gebrauch. Ohne vorher das Gutachten
der Stände einzuholen, erließ er am 10. Mai 1627 aus königlicher
Machtvollkommenheit, um das jus regium zu sal vieren „und ein eequabile
jus privatorum zwischen denen eingeborenen Böhmen und denen Aus-
ländern so unter der Zeit eingenommen oder künftig ins Land kommen
möchten" herzustellen, ein neues, nur nach dem Beirath seiner eigenen
Beamten entworfenes, Staats- und privatrechtliches Grundgesetz in
Rechtsquellen von 1500—1750: Böhmen, Mäliren, Schlesien. 387
deutscher Sprache unter dem Namen der „Verneuerten Landesordnung
des Königreichs Böhmen (oft gedruckt 1627 — 1796). Ergänzt wurde
dieselbe 1640 durch die umfänglichen Novellen und Declaratorien
Kaiser Ferdinand's III. Von den unter Kaiser Josef I. im Jahre 1709
begonnenen Revisionsarbeiten, um ein gemeinsames Recht für die böhmische
Ländergruppe herbeizuführen, war schon im § 45, 6, die Rede. Der
Entwurf der „neu projectierten Landesordnung des Königreichs Böheimb
und Markgrafenthumbs Mähren nebst dem modo exequendi und kaiser-
lichen Privilegien des Herzogthumbs Schlesien vom Jahre 1710* befindet
sich zu Wien, St A. 210,
Mähren. Auf Andringen der Stände (1531) wurde der im
Tobitschauer Rechtsbuch enthaltene Landesbrauch zu einer Landesordnung
umgearbeitet, der vom König Ferdinand I. genehmigt und im Jahre
1535 gedruckt wurde. Neue Ausgaben erschienen unter Aufnahme
einiger Abänderungen und Zusätze in den Jahren 1545, 1562, 1604.
Ein Jahr nach der verneuerten Landesordnung für Böhmen erließ
Kaiser Ferdinand II. eine solche (am 10. Mai 1628) aus königlicher
Machtvollkommenheit auch für Mähren, die 1638 auf Anlangen der
Landstände durch eine Declaratio dubiorum ergänzt wurde. (Gedruckt
1628, aber mit Datum Znaym, 1. Juli 1628, 1711 .und o. J., eine
1632 besorgte authentische Übersetzung ins (Sechische C. j. B. V, 3.)
Schlesien. König Ferdinand bestätigte 1528 als König von
Böhmen und obrister Herzog von Schlesien den Troppauer Ständen
(Herren, Rittern, Wladyken und Bürgern) die hergebrachten Privilegien,
ebenso Kaiser Maximilian II. am 9. December 1563. Im Jahre 1673
entwarfen die Troppauer Stände eine eigene, von der mährischen
Observanz abweichende Landesordnung, die jedoch nie in Wirksamkeit
trat, obwohl nach dem kaiserlichen Rescript vom 15. October 1681
die Genehmigung des Entwurfs in naher Aussicht stand. (Cod. Ferdin.-
Leop.-Jos.-Carolinus, S. 390; 461.)
Jägerndorf. Auf Befehl Kaiser Leopold's I. wurde im Jahre 1673
mit Vorwissen des Fürsten Eusebius von Liechtenstein als regierenden
Herzogs zu Troppau und Jägerndorf von den Landständen nach des
Fürstenthums Jägerndorf Zustand und hergebrachten Gewohnheiten eine
Landesordnung eingerichtet, die eine Umarbeitung der alten mährischen
Landesordnung vom Jahre 1535 ist. Sie wurde vom Kaiser nur nach
einigen Abänderungen am 20. November 1675 genehmigt. Ausgabe
von d'Elvert im 17. Bd. der Schriften der historischen statistischen
^^ection, Briinn 1868.
Teschen erhielt 1573 durch Herzog Wenzel Adam eine Landes-
ordnung (gedruckt bei Weingarten Fasciculi diversorum juriuni, 2. Buch,
S. 300—337 ; bei Stubenrauch Nr. 3262 e. Olmützer Ausgabe v. J. 1592.)
Halsgerichtsordnung, Kaiser Joseph I. für Böhmen, Mähren und
Schlesien, vom 16. Juli 1707, gedruckt 1708 im deutschen Original-
text und in öechischer Übersetzung u. ö, bis 1762. Eine Vergleichung
2r>*
388 Österreichische Reichsgeschichte. IL Theil. Vierte Periode. § 47.
derselben mit der Carolina liefert die Dissertation des Georg Gottlieb
Klose: „Collatio constitutionis criminalis Caroli V cum sanctione criminali
a Josepho I. . . . lata. Frankfurt a. 0. 1731.
£ine Processordnung für die Landshauptmannschaft oder das
königliche Tribunal in Mähren erließ Kaiser Leopold am 3. Jänner 1659.
Das Verfahren in Grenzstreitigkeiten behandelte Jakob Mensik in
einem 1600 in czechischer Sprache erschienenen Werke. C. j. B. IV., 5.
S tadtrechte. Schon früher (Anh.1, 18) wurde auf den nationalen
Gegensatz hingewiesen, der in der böhmischen Ländergruppe das Stadt-
recht vom Landrecht trennte und ein einheitliches Recht für die Gesammt-
bevölkerung nicht aufkommen ließ. Die vemeuerten Landesordnungen für
Böhmen und Mähren waren als Fortbildung des alten Landesrechts Gesetz-
bücher für die s. g. hohem Stände, während für die Rechtsordnung des
Bürgerstandes besonders vorgesorgt werden musste. Noch um die Mitte
des 16. Jahrhunderts richtete sich die Mehrzahl der Städte in Böhmen
theils nach dem Magdeburger, theils nach dem in der Altstadt Prag^
üblichen Rechte. Auf Grund des letzteren, des Brünner Schöffenrechts,
des Joannes Andrere Lectura arboris consanguinitatis u. s. w., stellte
Mag. Briccius von Licsko den Entwurf eines allgemeinen Stadtrechts
in 72 Capiteln her, der aber die Autonomie der Städte stark einge-
schränkt haben würde. Er wurde daher von den Städten bekämpft
und wurde zwar 1536 gedruckt, erhielt jedoch niemals Gesetzeskraft.
Erst die Umarbeitung desselben mit einer der Landesordnung nach-
gebüdeten Gliederung nach Buchstaben A — T und römischen Zahlen
für die Unterabtheilungen, die der Prager Kanzler Paul Christian von
Koldin im Jahre 1569 den Landständen vorlegte, erhielt zehn Jahre
später die Genehmigung als allgemeines Gesetz für den Bürgerstand iu
Böhmen und später, seit 1697, in Mähren und Schlesien. Übrigens stieß
dies Stadtrecht bei seiner Einführung selbst in Böhmen dort wo mau
nach Magdeburger Recht lebte, auf Widerstand, der z. B. bei Laun und
Leitmeritz erst im Jahre 1610 nach Genehmigung eines neuerlichen
Landtagsbeschlusses durch K. Rudolf IL, überwunden wurde.
Ausgaben. Briccius von Licsko Präva M^stsk^, 1536 zu Leitomischl,
neu in C. j. B. IV, 3 Sectio 1, Koldinische Bearbeitung: öechischer
Originaltext: 1579, 1613, 1711, 1755, neu C. j. B. IV, 3, Sectio 2.
Eine Uebersetzung ins Deutsche besorgte schon im 16. Jahrhundert der
Kaadener Bürger Peter St^rba, auch Sturba (Ms, WieUj St. A. 197^
vielleicht auch 199, H. B. 7676) dem wir die Übertragimg der Maxi-
milianischen Landesordnung ebenfalls verdanken. Eine andere Über-
setzung wurde 1721 zu Wien als „vollständige teutsche Stadtrecht im
Erb-Königreich Böheim und Markgrafthum Mähren'' gedruckt.
Schon Paul von Koldin hat einen böhmischen Auszug aus dem
Stadtrecht verfasst, der vom Jahre 1581 ab 14 Auflagen erlebte und in
deutscher Übersetzung 1607 und 1614 zu Leipzig als: ^ das böhmische
Recht" und ^das Böhmische Stadtrecht " erschien. „Kurze Extracte*
Recht^uellen von 1500^1750: Böhmen, Mähren, Schlesien. 389
aus dem böhmischen Stadtrecht in deutscher Sprache veröffentlichten
femer Adam Gramer, Bürger und Advocat zu Plan (1609, neue Aus-
gabe 1671), und der Prager Bürger Jakob Ferdinand Wrba Nymbursty
(1693, 1707, auch czechisch 1700), ferner Joh. Jakob von Weingarten,
der nicht bloß eine „Manuductio zum Rechtsprocess beym Stadtgerichten'',
sondern auch einen Auszug der königlichen Stadtrechte verfasste. (Fünf
Auflagen von 1668—1718.)
Eine ziemlich umfangreiche Abhandlung über Prager Recht ersclüen
1746 als Doctor -Dissertation des Wenzeslaus Hildt, sub prsesidio Nicolai
Ignatii Königsmann, unter dem Titel: Thesis historico-politico-juridica
de jure civitatum in genere, de tri-urbis Prägen» juribus . . in specie.
Eine vergleichende Zusammenstellung der wichtigsten Unterschiede
zwischen dem Magdeburger und dem Prager Recht, lieferten die nach
sächsischem Rechte lebenden böhmischen Städte im J. 1571. C. j. B. IV., 5.
^Extract hlavnöjsich . . artikulüv" sammt der Entgegnung der Prager.
Das Gerichtsverfahren nach Prager Recht in bürgerlichen und
peinlichen Fällen des Vitus Ophthalmius, das in den J. 1585 und 1608
als „Processus juris municipalis Pragensis" gedruckt wurde und neben
dem Stadtrecht auch die Landesordnung und das römische Recht be-
rücksichtigte, kommt nicht bloß in der durch Georg BydÄovsky im J. 1607
besorgten Übertragung ins Czechische, sondern handschriftlich auch in
alter deutscher Übersetzung vor. (e, S.)
Ganz einen anderen Charakter haben die „Zusamengetragene Artikel
in Form eines rechtlichen Process, wie dieselben von alters her bei
dieser kgl. Stadt Olomuntz bei Gericht und auch in . . . gehegter Bank in
Übung waren", die sich in dem Olmützer Stadtbuch Nr. 64 vom J. 1550
ünden. Hier sind neben dem römischen und canonischen Recht auch die
in Mähren angewandten sächsichen Rechtsquellen berücksichtigt.
Die Fortbildung sowohl des Land- als des Stadtrechts in der
böhmischen Ländergruppe war seit den verneuerten Landesordnungen dem
Regenten vorbehalten, von welchem nicht bloß im Jahre 1707 eine allen
drei Ländern gemeinsame peinliche Gerichtsordnung ergieng, sondern
noch weitergehende Pläne durch Einsetzung einer Compilations-Commission
verfolgt wurden (§ 45, 6). Die zahlreichen landesfürstlichen Verordnungen
sind in den Sammelwerken von Joh. Jakob von Weingarten: Codex
Ferdinandeo-Leopoldino-Josepliino-Carolinus (1701, 1720), für Schlesien
in der s. g. Brachvogel'schen Ausgabe der k. k. das Erbherzogthum
Schlesien concernierenden Privilegien, nachzusuchen. Auszüge für Mähren
bietet Wekebrod in seiner Sammlung der seit dem Jahre 1600 — 1740
ergangenen a. h. Gesetze, Brunn o. J.
Deutschböhmische Dorfweisthümer aus den Jahren 1536 — 1697
bietet L. Schlesinger in den Mittheilungen des Vereines der Deutschen
üi Böhmen XV., Bann- und Bergtaidinge aus Mähren Chlumeck^ im
Archiv für österreichische Geschichte, Bd. 17.
Die Literärgeschichte des böhmischen Staats- und Privatrechts
390 Öüiterreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Vierte Periode. § 47.
hat Dr. Legis Glückselig in der s. g. Wagnerischen Zeitschrift für Rechts-
und Staatswissenschaft 1847, 1. Band, ausführlich behandelt. Da über
den gleichen Gegenstand oben in § 46 schon manches mitgetheilt
wurde, so sei nur noch erwähnt, dass Briccius von Licsko 1540 Re^hts-
sprichwörter und 1541 eine aus dem römischen Rechte geschöpfte Samm-
lung von Rechtsregeln veröffentlichte, ferner dass es eine Übersetzung
der Institutionen Kaiser Justinian's ins Cechische vom Jahre 1562 giM>
welche Jireöek im Jahre 1H67 drucken ließ.
F. Die Länder der ungarischen Krone.
Es wurde schon (Anhang II, 18) mitgetheilt, dass die Sammlung
des ungarischen Landesbrauchs, die der Protonotar Stephan Verböczi
im Jahre 1514 dem Könige Vladislav II. vorgelegt hatte, keine formelle
Genehmigung und Verlautbarung erfuhr. Es scheint, dass Verböczi e^
auch in der Folge unter König Ludwig IL unterließ, sein Werk durch
Nachtragung der mangelnden Förmlichkeiten zum Gesetze zu erheben, wohl
aber entschloss er sich zur Verbreitung durch die Presse. Am 8. Mai
1517 war nach 40 Tagen der 71 Bogen starke Band unter dem später
so bekannt gewordenen Titel Tripartitum opus juris consue-
tudinarii inclyti regni Hungarise in der damals unglaublich thätigen
Druckerei des Johann Singriener zu Wien vollendet.
Das Tripartitum ist seither noch oft, z. B. 1545, 1581, 1628 . . .
auch in der Übersetzung ins Ungarische (1565, 1571, 1589), ins
Croatische (durch PergoSiö 1574) und Deutsche (1599) gedinickt worden,
hat jedoch nur im Wege der Übung Eingang bei den Gerichten gefunden,
u. z. zuerst in den östlichen Theilen Ungarns, während man im Westen
an die Herstellung einer anderen Sammlung dachte und zu diesem Zwecke
1527 einen Sechzehner- Ausschuss einsetzte; diesem folgte 1548 ein
Siebner-Ausschuss, der 1552 das s. g. Quadripartitum juris con-
suetudinarii Hungarici opus vorlegte, das jedoch vom König
Ferdinand I. missbilligt wurde und, da man sich über die Aufnahme
gewisser staatsrechtlicher Bestimmungen nicht einigen konnte, gleich-
falls Entwurf blieb (gedruckt erst 1798 zu Agram). Die Arbeiten
am Quadripartitum hatten die Aufmerksamkeit auf die ältere Gesetz-
gebung des Landes gelenkt. Es wurden nun Sammlungen königlicher
Decrete angelegt, unter welchen zumal jener des Erlauer Großpropstes
Stephan lUosvai hervorzuheben ist (Orig. Ms. in Wietty H, B, S496), Weil
sie die Quelle ist, aus welcher später (1581, 1583 u. ö.) diese alten
Gesetze herausgegeben wurden. Nachdem sie in der Folge als Ergänzung
dem Verböczi'schen Werke beigedruckt worden waren, nahm das so
erweiterte Tripartitum seit 1690 den Titel eines Corpus juris
Hungarici an, und wurde als solches unter Zugabe der späteren
Landtagsabschiede (articuli dietales) bis in unser Jahrhundert aufj^legt.
Eine neue Sammlung der ständischen Verhandlungen von Ungarn und
Rechtsquellen von 1500—1750: Die Länder der ungarischen Krone. 391
Siebenbürgen bieten die im Auftrag der königliehen Akademie von
Fraknöi herausgegebenen Monumenta comitialia Regni Hungarise, 1 — 10,
(1526 — 160-1), bezw. die M. com. Regni Transylvanise (herausg. durch
Szilägyi, Bd. 1—8 Jo40— 1629).
Unter Kaiser Leopold I. war allerdings der Plan aufgetaucht,
auch in Ungarn die Dinge nach österreichischem Muster einzurichten
(§ 45, 5): namentlich betrieb Cardinal Kollonitsch unausgesetzt die
Einführung der im Laude unter der Enns geltenden Gesetze, deren
Übersetzungen ins Lateinische er für alle Fälle bereit hielt. Er ließ
zuletzt, da man in Wien mittlerweile anderes Sinnes geworden war,
seine Übersetzung der österreichischen Landgerichtsordnung Kaiser
Ferdinand's III. vom Jahre 1656 auf seine Kosten drucken {16H7),
und es gelangte dieser Text in Ungarn alsbald zu solchem Ansehen,
dass er wie ein Landesgesetz angesehen und in die Ausgaben des Corpus
juris Hungarici bis 1779 aufgenommen wurde.
In diese Zeit fällt nicht bloß die Erlassung einer Advocatenordnung
für Ungarn durch Kaiser Leopold I. nach erbländischem Muster (1693),
sondern auch das Compendium der Haupt-Relation über die Einrichtung
des Königreichs Ungarn de ao. 16H8 nebst einer ähnlichen Handschrift
vom Jahre 1689. (St. Ä. Wien, Nr. S07/8.) Ältere Arbeit sind der 1553 zu
Wien durch Sebastian Listhi aus Hermannstadt, Secretär des ungarischen
Kanzlers Nikolaus Olahi, begonnene Stilus cancellari» Hungaricw (Wien,
St. A. 277 y B(L 2) und des J. Kitonich: Directio methodica processus
judiciarii juris consuetudinarii incl. regni Hungarite, die seit dem
Jahre 1619 öfter, und zwar später als ein Theil des Corpus juris
Hungarici, gedruckt wurden.
Auch in Siebenbürgen galten im allgemeinen die für Ungarn
erlassenen Gesetze, sowie das Verböczi'sche Tripartitum, außerdem die
Beschlüsse der siebenbürgischen Landtage, die sich zum Theil wider-
sprachen und oft nur mangelhaft überliefert waren. Der daraus ent-
springenden Rechtsunsicherheit zu begegnen, erließ Fürst Gabriel Bethlen
im Jahre 1619 sein Specimen processus juridici. Fürst Georg I., Räkoczy,
fasste dann den Entschluss, sämmtliche vom Jahre 1540 an ergangene
und noch rechtskräftige Vorschriften in ein Ganzes zusammenzufassen,
doch gelang es erst seinem Sohne Georg II., dies Werk zu vollenden;
es sind dies die s. g. Approbatie Constitutiones Regni Transylvanise et
partium Ungarite eidem adnexarum, die auf dem am 15. März 1653
abgehaltenen Landtage Gesetzeskraft erlangten. Diesen folgten unter
Michael I. Apaflfy die in gleicher Weise bearbeiteten Compilatie Con-
stitutiones Regni Transylvanifie u. s. w., welche die Gesetze von 1653
bis 1669 enthielten und am 4. März 1669 vom Landtag angenommen
wurden. Die Artikel aus den Jahren 1669- -1742 sind nicht gesammelt,
wohl aber die späteren von 1743 — 1792 als Novellares Articuli.
Von den drei in Siebenbürgen anerkannten Nationen lebten die
Sachsen nach ihrem „Eigen-Landrecht", d. i. nach einem vom Krön-
392 österreichische Reichsgesschichte. II. Theil. Vierte Periode. § 47 u.48.
Städter geschworenen Rath Matthias Frone (Fronius) verfassten „Büchlein
ihres alten herkommenden Rechtens und Gewohnheiten*', das König
Stephan Bathory im Jahre 1583 bestätigte. Dasselbe behandelt in vier
Büchern von 6 — 12 Titeln mit Paragrapheneintheüung 1. das gericht-
liche Verfahren, 2. Familien- und Erbrecht, 3. Verträge, 4. Strafrecht
und ist in mehreren Ausgaben mit und ohne Jahr erschienen, u. a. im
Anhang zu G. Reiszner's Commentatio succ. ad jus statutarium Saxonum
in Transylvania. Leipzig 1744.
Auch die Nation der Sz^kler besaß ihr eigenes, besonders im
Erbrechte und in der Verjährung von den ungarischen Gesetzen stark
abweichendes Gewohnheitsrecht, das auf den am 28. April 1555 zu
Udvarhely gefassten Beschlüssen beruhte, jedoch in die gedruckte Sammlung
der Landesgesetze nicht aufgenommen wurde. Außerdem bestanden in
den königlichen Freistädten, Taxalorten und andern freien Ortschaften
mancherlei durch langjährigen Gebrauch oder besondere Privilegien
anerkannte Localstatute und Gewohnheiten, welche sich mitunter bis
in unser Jahrhundert in Geltung erhalten haben.
In Croatien galten wie in Siebenbürgen neben Beschlüssen des
eigenen Landtags im allgemeinen die ungarischen Gesetze und das
Tripartitum, von dessen Übersetzung ins Croatische schon oben dfe
Rede war. Eine Übersicht über diese „Articuli dominorum et nobilium
statuumque et ordinum regnorum Croatiee et Sclavoniee'S die zum Theil
bei Kukuljeviö, Jura regni Dalmatise, Croatise et Slavonise Bd. II gedruckt
sind, bietet Bogiäiö pisani zakoni na slovenskom jugu, S. 149 ff.
Für die seit dem IH. Jahrhundert unter dem Namen der
Vlachen in Croatien und Slavonien angesiedelten serbischen Flüchtlinge
ergiengen mehrfach kaiserliche Privilegien. Unter diesen hat jenes Kaiser
Ferdinand's II. vom Jahre 1630, das auch von seinen Nachfolgern
bis auf Kaiser Josef I. (1642, 1659, 1708) bestätigt wurde, die Gestalt
eines Statuts, da es in fünf Abschnitten mit ArtikeltheUung de magi-
stratibus, de judiciis, de rerum dominio, de delictis privatis et publicis
und de re militari handelt. (Gedruckt bei Czörnig, Ethnographie II.
365 ff., andere Privilegien a. a. 0., S. 361 ff. und III, Beilagen 62 ff.)
Das städtische Recht in Ungarn, in welchem die deutschen Elemente
vorwalteten, hatte durch die Bestimmung König Sigismund's, dass die
Berufungen von den Stadtgerichten, wo nicht an den König, an den
Magister Tavernicorum zu richten seien, eine feste Stütze erhalten, so
dass sich auf ungarischem Boden noch spät Rechtsbücher bildeten,
deren innerer Zusammenhang mit ähnlichen deutschen Arbeiten leicht
nachzuweisen ist. Articuli juris Tavernicalis, die K. Rudolf II. im J. 1602
bestätigte, finden sich im Anhang des Corpus jur. Hungarici. Was endlich
das Statut für Fiume vom 29. Juli 1530 betrifft, so ist es von Ferdinand I.
in seiner Eigenschaft als Landesherr von Krain und den davon abhängigen
Gebieten erlassen worden, da die Stadt erst unter der Kaiserin Maria
Theresia (1776) mit dem Severiner Coraitate vereinigt wurde.
Ungarische Rechtsquellen. Stellung der österreichischen Herrscher. 393
Geschichte des öffentlichen Rechts.
§ •IrS. Die Stellnng der österreichischen Herrscher im allgemeinen.
Beksics, Der Dualismus (Zeitschr. f. ungar. öffentl. u. Privatrecht. 1, 1895.)
— Bidermann, Gesch. d. österr. Gesammtstaatsiiiee. 2 Bde. — Gindely, Über
die Erbrechte des Hauses Habsburg auf die Krone von Ungarn. 1526—1687. Archiv
f. öst. Gesch., Bd. 51. — Huber, Rg., 128 ff. — Steputat W., Die verfassungs-
rechtl. Stellung der deutschen Landesherren z. deutschen Gerichtsbarkeit. 1892.
— Tom an H., Das böhmische Staatsrecht vom Jahre 1527—1848. 1872.
1. Je nachdem die öaterreichischen Herrscher als Könige
von Ungarn, von Böhmen, oder als Erzherzoge von Österreich
auftraten, war ihre Stellung sowohl nach außen als nach innen
hin verschieden. Als Könige von Ungarn waren sie dem Reiche
gegenüber Monarchen eines fremden unabhängigen Staats, als
Könige von Böhmen deutsche Kurfürsten, durch die goldene Bulle
besonders privilegiert und mit einem Gebiete ausgestattet, das
nur in loser Lehensabhängigkeit von. Deutschland stand, wie es
beispielsweise in die Reichs-Kreiseintheilung gar nicht einbezogen
war. Als Erzherzoge von Österreich endlich erfreuten sie sich
der weitestgehenden Vorrechte in den übrigen Erblanden, die nebst
einigen zugeordneten Reichsständen (Brixen, Trient . . .) von reichs-
wegen den österreichischen Kreis bildeten.
2. In diesen Landen stand den Erzherzogen, seitdem die
österreichischen Preiheitsbriefe im Jahre 1453 mit Beobachtung
aller Förmlichkeiten unter Zustimmung der Kurfürsten vom Kaiser
Friedrich IIL bestätigt worden waren, außer der obersten Gerichts-
barkeit auch das Recht zu, „neue Aufschläge, Mauten und Zölle
und ander Mehrung ihrer Nutz und Renf* zu machen, den Adel
bis zum Grafen hinauf zu verleihen u. s. w., kurz sie hatten
namentlich seit der Bestätigung der Privilegien^ durch Kaiser
Karl V. (1530, 8. September) dem Reich gegenüber so ziemlich
alles errungen, was überhaupt gewährt werden konnte.
1 Aus Vorsicht wurden Anerkennungen dieser Privileirien auch bei den
spätem Kaisern nachgesucht, so 1599 durch Erzherzog Matthias bei Kaiser
Rudolf II., 1620 und 1623 bei Kaiser Ferdinand u. s. w., bis auf Kaiser Karl VL,
der sie 1729 bestätigte. Schrötter, l. Abhandig., Beil. XXXV. ff.
*il>4 Österreich i.^fhe Reichsges«chichte. II. Theil. Vierte Periode. § 48.
Dem Reiche verblieb demnach in dieser Periode über die
altÖBterreichischen Lande die Lehensheniichkeit, die von Fall zu
Fall (80 noch am 9. April 1728) durch Einholung der Lehensbriefe
anerkannt wurde,'- der Anspruch auf ausgeschriebene Reichssteuern,
die Beistellung von Truppen nach den Matilcular- Anschlägen,^
endlich waren auch allgemeine Reichsgesetze für Österreich ver-
bindlich, soweit nicht besondere Umstände deren Wirksamkeit
ausschlössen. Zumal König Ferdinand L war bemüht, die Rechts-
ausgleichung in seinen Gebieten im Sinne einer Annäherung an
die Reichsgesetzgebung durchzuführen (§ 43, 5).
3. Die Beziehungen zu auswärtigen Reichsständen, die in den
österreichischen Landen begütert waren, wurden gleichfalls nach
den Bestimmungen der österreichischen Freiheitsbriefe geregelt,
d. h. die Erzherzoge nahmen auch über diese Besitzungen die
landesfürstliche Obrigkeit in Anspruch, ließen sich aber im übrigen
zu mancherlei Zugeständnissen herbei, so dass eine Classe zwar
landsäßiger, doch mannigfach privilegierter Grundherrschaften
daraus entstand. So gab Salzburg durch das Übereinkommen
zwischen dem Erzbischof Matheeus und König Ferdinand L im
Jahre 1535 seine landesherrlichen Ansprüche über die in den fünf
n.-ö. Landen zerstreuten Stiftsgüter auf und behielt solche nur
in Tirol, in den an das Salzburgische unmittelbar angrenzenden
Gegenden. Ungünstiger war schon damals die Lage der Bamberger
Besitzungen in Kärnten. Das Abkommen, das 1535 zwischen dem
B. Weigand und König Ferdinand getroffen wurde, hat die Foiin
einer von diesem in Gnaden auf 101 Jahre bewiUigten ^Ordnung",
wie es auch bezeichnend ist, dass dasselbe schon 1611 auf An-
suchen des Bischofs Johann Gottfried auf weitere 101 Jahre,
d. i. bis 1737 verlängert wurde.** Ähnlich verhielt es sich mit den
-Suttinger, Consuetudines 552 : Des Hauses Österreich Lehens-
empfahung; jene von 1728 erwähnt K. Karl VI. selbst in seiner Bestätigung der
Haujprivilcgien. Schrö tter I, 259. S. auch Häberlin, Kl. Schriften, 1775 I. '28.
3 Nach der W^ormser Matrikel von 1521 : 120 Reiter, 600 Fuilgänger für
Österreich, 400 Reiter, 600 Fußgänger für Böhmen.
•* Die Recesse mit Salzburg und Bamberg s. Landshf. f. Kärnten, S. 188 flf.
Bamberg nahm allerdings 1654 vor dem Reichstag die Unmittelbarkeit für seine
Besitzungen in Kärnten wieder in Anspruch, entsagte ihr aber durch den
Recess vom 24. April 1675 für immer. Hermann, Gesch. v. Kärnten II, 2, S. 20.
Stellung der Hen*scher zum deutschen Reich und zu ihren Landen. 395
Besitzungen der Bischöfe von Passau, Freising, Brixen u. s. w.,
die alle gleich Salzburg und Bamberg von ihren Besitzungen in
Österreich, mit den übrigen Landständen den österreichischen
Herrschern Steuern und Truppen zu stellen hatten.
Diese Mediatisierung hat jedoch die Verpflichtung der öster-
reichischen Herrscher zum Lehensempfang, soweit sie von aus-
wärtigen Hochstiften Lehen im Land besaßen, nicht aufgehoben.^
4. Für die Stellung der österreichischen Herrscher in
ihren Landen waren die Landesverfassungen maßgebend, welche
mancherlei Verschiedenheiten aufwiesen. Anfänglich waren Erb-
lande nur die Fürstenthümer der altösterreichischen Gruppe und
jene Nebenlande von Böhmen und Ungarn, die wie Mähren,
Schlesien, oder Croatien die Erbansprüche Ferdinand's und seiner
Gemahlin für den Regierungsantritt gelten ließen. In Böhmen
und Ungarn kam Ferdinand nur durch Wahl der Stände zur
HeiTschaft. Doch hat schon er in beiden Reichen Beschränkungen
der von den Ständen behaupteten Wahlfreiheit durchgesetzt. In
Böhmen stellte er, als es 1545 zur Enieuerung der durch den
Brand des Prager Schlosses (1541) zerstörten Landtafel kam,
statt des früheren Wahlreverses vom Jahre 1526 einen neuen aus,
in den er die Erklärung aufnahm, dass die Stände gemäß der
Bulle Kaiser KarFs IV. vom Jahre 1348 und dem Briefe Vladislav's
vom Jahre 1510 seine Gemahlin Anna als Erbin der Krone
anerkannt und angenommen und daneben ihn, Ferdinand L, zum
König und Herrn gutwUlig gewählt hätten. Die verrätherische Auf-
lehnung der böhmischen Ständeherren zur Zeit des schmalkaldischen
Krieges bot, als sie niedergeworfen war, Ferdinand I. Gelegenheit,
1547 beim Landtage den Umtausch des Wahlreverses von 1526
gegen den neuern von 1545, sowie die Zurücknahme mehrerer
anderer, die königliche Macht einschränkender Anfordeiningen
durchzusetzen. Im ganzen blieb jedoch die frühere Landesver-
fassung noch unberührt. Desto größer waren die Veränderungen,
welche Kaiser Ferdinand IL als Besieger des großen Aufstandes
nach der Schlacht auf dem Weißen Berge vornahm. Die verneuerte
Landesordnung vom Jahr 1627, welche fortan nebst den ergänzenden
Novellen und Declaratorien Kaiser Ferdinand's III. (1640) bis zum
5 Suttinger, 567: Lehensempfang der regensburg. Herrschaft Ort. 1654.
396 österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Vierte Periode. § 48.
Jahre 1848 die Grundlage der Landesverfassung bildete, erklärte
Böhmen für ein Erbkönigreich, untersagte alle eigenmächtigen
Versammlungen der Landstände bei Strafe des Hochverraths,
nahm das Recht der Gesetzgebung ausschließlich für den Herrscher
in Anspruch, gewährte dem Deutschen gleiches Recht wie der
czechischen Sprache und strebte überhaupt eine Annäherung
Böhmens an die Einrichtungen der altösterreichischen Lande an.
5. Auch in Ungarn wurde eine Einschränkung des Wahl-
rechts von den Ständen schon bei Lebzeiten König Ferdinand's 1.
mehrmals ausgesprochen, namentlich im Jahre 1547, als der
Reichstag seine Bitte, König Ferdinand möge dem Erzherzog
Maximilian die Residenz in Ungarn gewähren, mit den Worten
begründete, dass sich die Stände ja nicht bloß dem Könige, sondern
auch der Herrschaft seiner Erben für alle Zeiten unterworfen
hätten.® Zum Erbreich wurde jedoch Ungarn erst durch den
Gesetzesartikel 2 vom Jahre 1687, welcher das Erbrecht der
männlichen Mitglieder des Hauses Habsburg nach dem Vorrang
der Erstgeburt anerkannte, was durch die Zustimmung zur
pragmatischen Sanction (Gesetzartikel 2 vom J. 1722/23) auch auf
weibliche Linien ausgedehnt wurde. Nur für den Fall des gänzlichen
Erlöschens der Habsburger in männlicher und weiblicher Linie
behielten die Stände auch fernerhin das Recht der Königswahl.
6. Die Absicht der österreichischen Herrschier, an Stelle
einer losen Vereinigung von Ländern einen Gesammtstaat zu setzen,
ließ sich nur durch eine allmähliche Ausgleichung der in den Länder-
verfassungen vorhandenen Verschiedenheiten erreichen. Diesen Plan
konnten sie einzig bei der altösterreichischen und der böhmischen
Ländergruppe verwirklichen und auch dazu wäre es nicht ge-
kommen, wenn nicht die Herrschergewalt in diesem Zeiträume durch
ein Zusammentreffen verschiedener Umstände ganz ungemein er-
starkt wäre. Zu nennen sind als solche:
a) die geänderte Auffassung von der Aufgabe des Staates,
durch Aufstellung des Begriffs der Staatswohlfahrtspflege (Polizei),
welcher der Regierungsgewalt neue Wirkungskreise eröffnete:
® Mon. Comihalia regni Hungarise III 134, Art. 5, nam cum sese Ordine:^
et Status Regni non solum Majestät! subb, sed ctiam suorum haBredum imperio
et potestati in omne tempus subdiderint, so würden sie dem Erzhei*zog ebenso
Gehoream leisten, wie dem Könige selbst. S. auch G. A. 1, 1550, 1, 1552, 1, u. s. w.
Ursachen der wachsenden Horrschergewalt. 397
h) die Einbürgerung des römischen Rechts, welches an sich
der unbeschränkten Pürstenmacht um so viel günstiger war als
der Landesbrauch. Im weiteren Verlaufe wurden theils mit Absicht,
theilfl ohne solche, römischrechtliche Constructionen auch ins Staats-
recht getragen. So wurde beispielsweise der deutschrechtliche
BegriflF der zweiseitig verbindlichen „Handfeste*" durch „ Privi-
legium **, also einen einseitigen Gnadenact ersetzt;
c) die Veränderungen im Heereswesen seit dem 30jährigen
Kriege die zur bleibenden Aufstellung eines größeren kaiserlichen
Heeres neben den Truppenkörpem der Landschaften und schließlich
zur Militärhoheit führten, während andererseits die Bedeutung der
Vasallendienste schwand, seitdem der s. g. persönliche Auszug des
Herrschers an der Spitze der Lehensmannen wegfiel. (In Steiermark
zuletzt im Jahre 1601 gegen Kanisa);
d) auch die Gegenreformation, so sehr sie ih anderen Beziehungen
den Staat geschädigt und namentlich den Staatswohlstand zerrüttet
hat, bot den Herrschern die verlockende Gelegenheit zu einem Macht-
zuwachs, da sie sich so mit einem Schlage vieler widerstrebender
Unterthanen entledigen und überdies die landesfürstlichen Rechte
gegenüber der katholischen Kirche erweitem konnten. Außerdem hat
erst die Vernichtung des mächtigen erbgesessenen Landes-Adels durch
diese Maßregel dem Fürsten es möglich gemacht, jenen durch ge-
fügigere Geschlechter zu ersetzen und so Herr der Stände zu werden.
§ 49. Die Erbfolgeordnung im Herrscherhause und die Länder-
theilnngen.
Bach mann A., Die pragmatische Sanction (Pra^rer Jurist. VieiHieljahres-
Schrift, Bd. 26). — Bidermann, Entstehung und Bedeutung der pragmatischen
Sanction (Zeitschr. f. Privat u. öffentl. Recht, II, 1875); Gesaramtstaatsidee
II, 41 ff. — Fournier, Histor. Studien u. Skizzen. 1885, I. — Hauke,
16, 42 ff. — Huber, Rg., 128 ff. — Häberlin, Kl. Schriften, I, 8. 12 ff. (1775).
— Schrötter F., 5. Abhandlung 1766. (Als Fortsetzung: Hormayr, Über
Minderjährigkeit 1808.) — Zwiedineck, Die Anerkennung der pragmatischen
Sanction Karl's VI. durch das Deutsche Reich. (Mitth. d. Instit. f. öst. Gesch. XVI.)
1. Die Nachfolge in der Regierung richtete sich innerhalb
der drei Gruppen Altösterreich, Böhmen und Ungarn nach ver-
schiedenen Grundsätzen. Der Besitz, welchen die Enkel Kaiser
Maximilian's in den Jahren 1519—1522 in Händen hatten, Spanien
398 Österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Vierte Periode. § 49.
Burgund und Altösterreich, war durchaus mit Vorzug des Manns-
stammes auch in weiblicher Linie vererblich, allein er war zu ver-
schiedenartig in seinen Bestandtheilen und zu entlegen, um auf
die Dauer geraeinsam verwaltet zu werden. Eine Theilung des-
selben erwies sich darum als politische Nothwendigkeit und eine
solche erfolgte schließlich am 7. Februar 1522 durch den Brüssler
Verti*ag, der an die Stelle des bisher einheitlichen Herrscherhauses
zwei habsburgische Dynastien mit durchaus selbständiger Rechts-
stellung setzte. Für die Nachfolge in den altösterreichischen
Landen, die dem Erzherzog Ferdinand zugefallen waren, gab es
(nebst späteren Theilungsverträgen) das Übereinkommen Herzog
Rudolfs IV. mit seinen Brüdern vom Jahre 1364, nach welchem
das belehnte Haus als Träger der Landeshoheit erscheint, während
in Ausübung der Hoheitsrechte dem Ältesten nur „die oberste Herr-
schaft und die größte Gewalt* zugesprochen und dies dahin erklärt
wird, dass er als Stellvertreter der übrigen zu betrachten sei.
In Böhmen galt seit der Erneuerung des Wahlreverses im
Jahre 1545, beziehungsweise seit Erlassung der vemeuerten Landes-
ordnung im Jahre 1627, Primogenitur mit unbedingtem Vorzug des
männlichen Stammes ; in Ungarn konnte es selbst nach der theil-
weisen Beschränkung des Wahlrechts nur eine Individual-Nach-
folge geben, die durch die Gesetzartikel 2 vom Jahre 1687 zur
Erbfolge der männlichen Habsburger nach dem Rechte der Erst-
geburt wurde.
2. Während in Ungarn und Böhmen die Einzelerbfolge als
verfassungsmäßig seit Kaiser Ferdinand I. durchaus beobachtet
wurde, war dies in den altösterreichischen Landen noch keineswegs
der Fall. Kaiser MaximUian hatte die österreichischen Erblande
durch Testament seinen beiden Enkeln „als unsern rechten natür-
lichen Erben*" zur gesammten Hand hinterlassen und auf diesen
Umstand gestützt, hat auch Erzherzog Ferdinand sein Theiluags-
begehren bei seinem Bruder durchgesetzt. Nun war allerdings
im Jahre 1530 die Bestätigung der Hausprivilegien durch Kaiser
Karl V. erfolgt, welche sich u. a. auch auf die Bestimmung
des Privilegium majus erstreckte: ,.der ältist unter denen Herzogen
soll die Herrschaft des Lands haben, und nach ihm sein ältister
Sohn erblich, doch also, dass es von dem Stammen des Bluts
nicht komme und daß diß Erzherzogthumb nimmermehr
Grundsätze der Erbfolgeordnung. Die Theilung vom Jahre 1554. 399
getheilt soll werden. Wo aber bemelte Fürsten ohne Erbsohn
abgiengen, so soll das Herzogthumb und die Land an sein älteste
verlassene Tochter fallen". Demungeachtet dauerte es geraume
Zeit, bis diese Grundsätze ins Verfassungsrecht der altösterreichischen
Lande Eingang fanden* Die Privilegien waren ja nicht den Landen,
sondern dem Herrscherhause gegeben, und dieses mochte wohl,
wenn es wollte, auf einzelne kaiserliche Zugeständnisse ver-
zichten, ohne dass die Lande einen Einspruch dagegen gehabt
hätten. Dies war mindestens die Auffassung Kaiser Perdinand's L,
der sein Recht, aus landesfürstlicher Macht Verfügungen über
die Nachfolge zu treflfen und Theilung der Lande anzuordnen,
den steirischen Ständen gegenüber in nachdrücklichster Weise
geltend machte.^ In der That entschloss er sich am 25. Februar 1554
mit Zustimmung seiner Söhne eine „Auszaigung" vorzunehmen,
d. i. eine weitgehende Verwaltungstheilung anzuordnen, durch
welche er Böhmen, wo das Erstgeburtsrecht galt, und Ungarn,
wo die Einzelnachfolge verfassungsmäßig war, seinem Ältesten
nebst dem Erzherzogthum Österreich überließ, auf welches das
in den bestätigten Hausprivilegien ausgesprochene Erstgeburtsrecht
und die Untheilbarkeit in einschränkender Auslegung bezogen
wurden. Abgesehen von einigen Vorrechten MaximiHan's als
des Ältesten, an dessen Rath die beiden Brüder verwiesen
wurden, waren jedoch Erzherzog Ferdinand in Tirol und den Vor-
landen und Erzherzog Karl in Inneröstereich in der Regierung
nur soweit beschränkt, dass weitere Theilungen untersagt waren.
Da beim Erlöschen des Mannsstammes einer dieser drei Linien die
andern zur Nachfolge berufen waren, so verlangte nach dem Tode
Erzherzog Ferdinand's von Tirol (f 1595) die steirische Linie ihren
Antheil in Form einer neuen „Auszeigung", einigte sich aber durch
den Prager Vergleich vom 5. Februar 1602, nach dem Grundsatze
des gleichen Rechts beider Linien mit dem Kaiser über die Be-
stellung eines Gubernators, der Tirol und die Vorlande im Namen
^ 1564: So habt Ir auch selbstverstendiglich zu ermessen, dass euch als
unsern Erbunterthanen gar nichte geburen wurde, über unser väterliche Disposition
und Taylung die wir aus landesfürstlicher Autorität und Macht unserm genedigsten
Wohlgefallen nach zwischen unsern geliebten dreyen Sünen unserer .... Land
khünfcigen Succession .... halber .... gemacht . . . erst vil zu disputiren u. s. w.
Die Stände gaben kloin bei. Beitr. z. Kde. st. Geschq. IX, 155. Anm. 91.
400 Österreichische Reichsgeschichte. IL Theil. Vierte Periode. § 49.
des ganzen Hauses regieren und abwechselnd aus der einen und
andern Linie genommen werden sollte.
Als das Erlöschen der kaiserlichen Linie näher rückte,
giengen dem Übergang der Herrschaft auf Erzherzog Ferdinand
von Innerösterreich die Verzichte der spanischen Linie (1617)
und des kinderlosen Erzherzog Albrecht (1619) voraus. Ferdinand,
der nun den Besitz der ältesten und der jüngsten Linie vereinigte,
sah sich jedoch veranlasst, Tirol und die Vorlande, wo sein Binder
Erzherzog Leopold seit 1619 als Gubernator waltete, diesem mit
dem Rechte eines „Aigenthumbsherm" und der Vererblichkeit
auf den Mannsstamm abzutreten, durch welchen Act die jüngate
Tiroler Linie ins Leben gerufen wurde, die 1665 erlosch (s. Stamm-
tafel). Damit enden die Ländertheilungen im Hause Habsburg,
denn die von Kaiser Leopold I. in seinem Testamente vom
26. AprU 1705 für seinen jüngeren Sohn Karl vorgesehene Aus-
zaigung von Tirol und den Vorlanden, falls er sich in Spanien
nicht würde behaupten können, kam nicht zur Ausführung, da Karl
nach dem Tode seines Bruders Kaiser Joseph's I. als einzig lebender
Habsburger zur Herrschaft in den gesammten Erblanden gelangte.
3. Die Ländertheilungen brachten den Gedanken, dass durch
die Gesammtbelehnung der Anspruch auf die Regierung dem
ganzen Herrscherhause zustehe, in einer Zeit zum Ausdruck,
in der die Erinnerung an den einheitlichen Ursprung der über-
tragenen landesherrlichen Gewalt — an das untheilbare Fürsten-
amt — schon verblasst war. Erwägungen staatsrechtlicher Natur
drängten jedoch im Interesse der Gesammtstellung des Herrscher-
geschlechts seit dem Übergang zur Neuzeit immer entschiedener
zu einer Beschränkung der Rechte der einzelnen Mitglieder durch
Einführung der Primogenitur. Erst dadurch, dass nun eine feste
unstreitige Erbfolgeordnung nach Linien geschaffen wurde, kraft
welcher der Erstgeborene der ältesten Linie gegenüber allen
anderen als Nachgebornen allein zur Herrschaft berufen er-
scheint, konnte die Monarchie als moderne Staatsform begründet
werden.
4. Die ganze Tragweite dieser Einrichtungen hat in Österreich
als Erster der Herzog Rudolf IV. erkannt, der bei seinem Scharf-
blick in staatsrechtlichen Dingen sofort nach Verkündigung der
Goldenen Bulle die darin für die Kurfürstenthümer ausgesprochenen
Ende der Ländertheilungen ; die Pragmatische Sanction. 401
Grundsätze der Untheilbarkeit und der Nachfolge nach dem Rechte
der Erstgeburt durch das Privilegium majus auch für seine Erb-
lande aufstellte. Später hat sich Kaiser Maximilian mit der gleichen
Frage beschäftigt und dabei die Dienste des bekannten Humanisten
Dr. Konrad Peutinger, sowie des Dompropstes von Brixen in An-
spruch genommen,^ allein er hat, vom Tode überrascht, die Ent-
scheidung seinen Nachfolgern überlassen. Erst Erzherzog Karl
von Innerösterreich hat mit Berufung auf des Hauses Österreich
wohl hergebrachte Freiheiten (Priv. majus) durch das Testament
vom Jahre 1584 für sein Ländergebiet Untheilbarkeit und Primo-
genitur eingeführt und die nachgebornen Söhne auf eine Jahres-
rente gesetzt. Kaiser Ferdinand IL hat dann in seinem Testamente
vom 10. Mai 1621 die gleichen Grundsätze kraft kaiserlicher
und landesfürstlicher Hoheit fortan für alle seine „Erbkönigreich,
Erzherzogthümer, Fürstenthümer Land und Leute" angeordnet und
dieselben auch durch Nachgiebigkeit gegen die Ansprüche seines
Bruders Leopold in der Tiroler Linie zur Anerkennung gebracht.
5. Zum Abschluss gelangten diese auf Sicherung der Nach-
folge und Untheilbarkeit des Reiches gerichteten Bestrebungen
früherer Herrscher unter Kaiser Karl VI. durch die pragmatische
Sanction. Diese ist jedoch weder ein bloßes Hausgesetz, noch ein
einheitliches Staatsgrundgesetz. Sie besteht vielmehr aus ver-
schiedenen Urkunden, nämlich aus der vom Kaiser am 19. April 1713
im geheimen Staatsrath zu Protokoll gegebenen Feststellung, dass
die von ihm beherrschten Lande ungetheilt nach dem Recht der
Erstgeburt im Mannsstamme und nach dessen Erlöschen ebenso
in weiblicher Linie zu vererben seien, und aus den darüber von
den Landen und kleineren Gebieten später (1720 flF.) eingeholten
Annahme-Erklärungen. Diese entbehren zwar einer alle Theile der
Monarchie gleichmäßig verpflichtenden Textierung, bringen jedoch
den Grundgedanken zu verfassungsmäßiger Anerkennung, dass einer-
seits Böhmen und die übrigen Erblande, andererseits die Länder der
ungarischen Krone einen untrennbaren und untheilbaren Verband
zu bilden haben.
- Eigenhändige Entwürfe Peutinger's über die Umgestaltung der Osten*.
Lande in ein nach dem Rechte der Erstgeburt vererbliches Königreich, Wien, H. B.
Cod. 8117, f. 45. Die Hauptstellc über die Nachfolge des als König in Aussieht
genommenen Erzherzog's Ferdinand'» bei Schrötter, V, 198, Anm. a.
Lage hin, österreichische Reichsgeschichte. 26
402 Österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Vierte Periode. § 41».
6. Die pragmatische Sanction ist f Ur die Länder der ungarischen
Krone ein zwischen dem Herrenhaus und den Ständen als Ver-
tretern des Landes abgeschlossener Grund vertrag, durch den
das Erbrecht der weiblichen Linien in Ungarn erat zur Aner-
kennung gelangte. Für die übrigen Erblande hatte aber die prag-
matische Sanction in diesem Punkte nur den Wert einer Declaration,
well die Primogenitur in männlicher und weiblicher Linie, sowie
die Untheilbarkeit hier im Testament Kaiser Ferdinand's IL vom
10. Mai 1621 schon als Hausgesetz vorgeschrieben war. Allein
die zustimmenden Erklärungen der Stände zu der von Kaiser Karl VI.
im Jahre 1713 verkündeten Thronfolgeordnung hatten auch eine
staatsrechtliche Wirkung, die sich auf alle Erblande erstreckte, die
Begründung einer Kealunion in dem Sinne, dass kein Land
sich fürderhin von den übrigen lossagen kann, ohne dem damals
gegebenen Worte untreu zu werden. Der Fürst.* welcher bis dahin
jedes einzelne Land in anderer Eigenschaft beherrscht hatte, stand
nunmehr jedem derselben bis zu einem gewissen Herrschaftsgrade
in gleicher Eigenschaft als anerkannter gemeinsamer Fürst
gegenüber. Dem Verzichte auf spontane Trennung, welcher in
den Zustimmungserklärungen der einzelnen Länder ausgesprochen
wurde, der InseparahlUtas entsprach so die seitens des Herrscher-
hauses gegebene Zusicherung, dass es von seinem Theilungsrechte
fortan keinen Gebrauch mehr machen werde, die Indivisibilitas.
7. An der Thronfolgeordnung selbst wurde durch die prag-
matische Sanction — entgegen einer sehr verbreiteten Ansicht —
in der That nichts geändert. Der Vorzug der Erbtochter vor
den Regredienterbinnen war in Österreich — seit der Anerkennung
des Privilegium majus durch das Reich — ein für das Herrscher-
haus verbindlicher Rechtssatz, der weder durch das viel berufene
Pactum mutuce successionis vom Jahre 1703, noch durch das
Testament K. Leopold's I. aufgehoben wurde. Dies war die Uber-
3 Zu wesentlich gleichem Ergebnis gelangt auch Beksics, a. a. O. 187 ff.,
obgleich er der Ansicht ist, dass das Verliältnis zwischen üngani und den
übrigen Erblandcn auch fernerhin Personalunion geblieben sei, „nur mit dem
Untei-schiedo, dass die Personalunion durch die pragmatische Sanction noth-
wendig und unauflöslich wurde, die Monarchie selbst aber in beiden Staaten
zusammen besessen werden musste". Daraus folge eine .wechselseitige und
solidarische Vertheidigungspflicht, S. 197 u. s. w. Ähnlich Vi rozsil, HI, §00'
Die Erbfolgeordnung dnrch die Pragmatische Sanction nicht geändert. 403
Zeugung, die K. Karl VI. hegte, der darum in der feierlichen Sitzung
des Staatsraths voreret das Pactum mutuae successionis verlesen
ließ, ehe er seine daraus abgeleitete Thronfolgeordnung als Sanctio
Pragmatica verkündete, sowie er auch Abschriften des Pactums mit
dem Protokolle der Sitzung den Ständen zur Kenntnisnahme sandte,*
als er die Zustimmungserklärungen der Lande verlangte.
Vollends unverständlich aber wäre die Haltung der verwitweten
Kaiserin zu der Feststellung der Thronfolgeordnung durch die
pragmatische Sanction, wenn den Töchtern Kaiser Josefs I. ein
unbedingter Vorzug vor jenen K. Karl's durch das Pactum mutuae
successionis eingeräumt gewesen wäre. Denn die Kaiserin -Witwe
war, wie der preußische Resident, Rath Mörlin, vier Tage nach
<lem feierlichen Staatsacte an seinen König berichtete, „wie leicht
zu ermessen über diesen allerhand Difficultäten unterworfen ge-
wesenen Ausspruch, wodurch nunmehr das Successionsrecht der
beiden, von dem Kaiser Josepho erzeugten Erzherzoginnen fest-
gestellt sehr erfreut, und dieses zwar um so viel mehr, weil
man zweifeln wollte dasä Ihre Kaiserliche Majestät auf dergleichen
Art sobald etwas Gewisses resolvieren würden*".
§ 50. Die Landstände.
Historische Actenstücke über das Ständewesen in Österreich, I— VI, 1847/48.
— Die böhmischen Landtagsverhandlungen und Landtagsboschlüsse vom J. 1526
an; bisher 8 Bde. bis 1594. — Monura. comitialia regni Hungarise, 10 Bde.,
1526—1604; desgl. regni Transylvanise. 8 Bde., 1540-1629. — Chlumecky,
Carl V. Zierotin, 1862/79, 2 Bde. — Jäger A., Die alte ständische Verfassung
Tirols. 1848. — Kalchberg, Ursprung und Verfassung der Stände Steiermarks,
ges. Sehr. III. — Krön es, in den Beitr. z. Kde. stoir. Geschqu., I— IV, VI. —
Loser th, Die steir. Religions-Paciflcation, 1572—1578, a. a. 0. XXVII. -
Oberieitner, Die evangol. Stände im Lande ob der Enns 1564—97 (1862). —
PMbram, Die n.-ö. Stände und die Krone in der Zeit K. Leopold's L (Mitth. d.
Instit. f. ö. G., XIV). — Riegger, Materialien z. Statistik v. Böhmen, XI (1793).
— Simon H., Die ständischen Verhältnisse des Königreichs Böhmen, 1848.
1 . Eine Geschichte der österreichischen Landstände seit dem
Jahre 1526 in zusammenhängender Darstellung ist bisher nicht
* Der Abdruck des Pactum m. s. bei Fournier ist nach der den Ständen
von Österr. u. d. E. gemachten Vorlage. Die Hschr. 695, der Grazor Universitäts-
bibliothek, enthält es ebenfalls unter den zur Mittheilung an die i.-ö. Stände und
die Communitäten Triest und Fiume bestimmten ActenstUcken.
26*
404 österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Vierte Periode. § 50.
einmal für ein einzelnes Kronland, geschweige denn für das ganze
Reich geliefert worden. Vorhanden sind neben Quellenausgaben für
Böhmen, Ungarn und Siebenbürgen, die noch nicht zum Abschluss
gebracht sind, fast nur Bearbeitungen einzelner Perioden, oder Ab-
handlungen über einzelne Landtage dieses oder jenes Kronlands. Bei
solchem Stande der Vorarbeiten kann eine allseitig gerundete Dar-
stellung dieses Gegenstandes nicht Aufgabe eines Lehrbuches
sein, es muss sich vielmehr darauf beschränken, einzelne große
Gesichtspunkte aufzustellen, von welchen aus das Wirken und die
Geschicke der Stände in Österreich zu beurtheilen sind.
2. Die Macht der Landstände hieng während dieses Zeitraumes^
enge zusammen mit den Schicksalen, die der Protestantismus in Öster-
reich erlebte. Um dies zu verstehen muss man davon ausgehen, dass
der Gegensatz zwischen den Absichten des Erzherzogs Ferdinand und
den auf größeren Einfluss in Regierungsangelegenheiten gerichteten
Plänen der Landstände, bis auf die Zeit seines Heri-scherantritt*
zurückgeht. Das W.- Neustädter Blutgericht (§ 41, 6) hatte die
Landstände wohl eingeschüchtert, allein da sie weit davon entfernt
waren, die Ansprüche aufzugeben, auf welche sie nach dem Lauf
der geschichtlichen Entwicklung ein Recht zu haben vermeinten,
so waren sie auf Sammlung ihrer Kräfte und Veretärkung ihrer
Stellung angewiesen. Dies konnten sie am besten erreichen, wenn
es ihnen gelang, festen Rückhalt für ihre Bestrebungen in breiten
Schichten der Bevölkerung zu gewinnen. So kam ihnen das Miss-
trauen zustatten, mit dem man vielerorten die auf Einschränkung
der früheren Autonomie abzielenden Maßregeln des Erzherzogs
betrachtete, noch mehr aber die große religiöse Bewegung, welche
gerade damals in ihren ersten Anfängen aus Deutschland nach
Osterreich herübergriflf und deren Volksthümlichkeit die Stände sofort
scharfsichtig erkannten. Wer kann es wissen, wie sich die Dinge
gestaltet hätten, wenn in diesem Augenblicke Erzherzog Ferdinand
offen auf die Seite der kirchlichen Reformation getreten wäre?
Undenkbar ist es nicht, dass dann die Prälatenbank den Krystalli-
sationskern für die widerstrebenden Stände abgegeben hätte und
dass der Kampf um die Vorherrschaft der fürstlichen Gewalt von
Ferdinand im Verein mit dem Bürger- und Bauernstand gegen Adel
und katholische Geistlichkeit hätte ausgefochten werden müssen.
Es lag indessen für Ferdinand keine Veranlassung vor, sein Ver-
Der Protestantismus als politisches Mittel der Landstände. 405
halten in dieser Frage von seinem Bruder Kaiser Karl V. zu trennen,
und dieser hatte sich für den Versuch entschieden, die Neuerungen
im Bunde mit der alten Kirche zu bekämpfen, auf deren bewährte
Organisation er vertraute. So hielten also die Habsburger unentwegt
zum Katholicismus und suchten mit dessen Hilfe ihre Herrscher-
ge\valt zu befestigen, während die Landstände sich ebenso in ihrer
großen Mehrzahl für Luther entschieden. Da aber der Kaiser seit
dem Wormser Edict die Bekämpfung der religiösen Neuerungen
von reichswegen verfügte und Erzherzog Ferdinand Gleiches für
seine Erblande verkündete, so wurde das protestantische Bekenntnis
in Österreich zu einem Act der Opposition gegen den Willen des
Landesfürsten und erhielt dadurch einen politischen Inhalt,
der ihm an sich nicht zukam.
3. Angesichts des drohenden Bauernaufstandes in Tirol wurde
1525 nebst der Landesordnung auch eine provisorische Ordnung
des geistlichen Standes genehmigt, die in manchen Bestimmungen
der religiösen Bewegung angepasst war. Schon das Jahr darnach
gelangte auf dem Augsburger General -Landtage von den Aus-
schüssen aller Erblande an den Erzherzog die Bitte, er möge, wie
er es für Tirol schon bewilligt habe, auch in den übrigen Erb-
landeu gestatten, dass das lautere Evangelium ohne allen Zusatz
durch geschickte Prediger frei von Furcht und Sorge verkündet
werden dürfe. Erzherzog Ferdinand antwortete ablehnend, allein
von diesem Augenblicke an ertönten nahezu durch ein Jahrhundert
bei jeder Gelegenheit die Bitten, Beschwörungen, auch wohl
Drohungen und Forderungen der evangelischen Stände um Ge-
währung ungestörter Ausübung und Ausbreitung der evangelischen
Religion in Österreich. Die Stände beriefen sich zur Begründung
ihrer Ansprüche selbst auf den Augsburger Religionsfrieden, aller-
dings sehr mit Unrecht, wie ihnen von der Regierung sofort entgegnet
wurde, da dieser die reichsmittelbaren Unterthanen ausdrücklich
dem jub' reformandi hrer Landesherren unterwarf und den Anders-
gläubigen nur das ^flehile Privilegium emigrationis" einräumte.
Der formale Rechtsgrund, auf den sich die Protestanten
damals in Österreich stützen konnten, waren lediglich die Zu-
geständnisse des Landesherrn. Gelegenheit, solche zu erlangen
boten die ewigen Geldnöthen des Fürsten und der Staatsverwaltung,
indem die Landstände, bei welchen die Protestanten entschiedenes
406 österreichische Reichsgeschichte. IL Theil. Viei-te Periode. § 50.
Übergewicht erlangt hatten, die Bewilligung größerer Hilfen von der
Erfüllung ihrer Wünsche abhängig machten. Über den Inhalt und
Umfang der so erreichten landesfdrstlichen Zusagen gab es jedoch
fortwährend Streit, weil ihnen die Stände in ihrem Sinn eine
möglichst ausdehnende Auslegung gaben, während die Erzherzoge
den strengen Wortlaut betonten, diesen aber, von Fällen der Ver-
wirkung abgesehen, allerdings einhielten.
4. In den böhmischen Landen, wo das Übergewicht des
Herrenstandes gegenüber den machtlosen Jagellonen zum Wort-
spiel Anlass gab: „Du bist unser König, wir sind deine Herren",
fanden die gemeinsamen Interessen der akatholischen Bevölkerung
bei dem Kampfe der Stände gegen die königliche Macht, seit
Ferdinand I. umfassenden Ausdruck im Ringen nach Gewissens-
freiheit. Ihrer Gesammtheit kamen die Zugeständnisse des Majestäts-
briefes zustatten, dass fortan niemand, weder von den höheren
Ständen, noch aus den Städten, Märkten oder vom Bauernvolk^
sei es durch seine Obrigkeit oder andere geistliche und weltliche
Standespersonen, „von seiner Religion abgewendet und zu des
Gegentheils Religion mit Gewalt oder einiger anderer erdachten
Weis gedrungen werden" dürfe. Vielen von ihnen frommte übei-
dies das Recht, neue Kirchen zu bauen oder Schulen zu errichten.
Darüber hinaus gieng jedoch die Opferwilligkeit der oberen Stände
in Böhmen nicht, die in ihrer Kurzsichtigkeit lieber alle früheren
Erfolge aufs Spiel setzten, statt auf die Vorschläge des staats-
klugen Führers der österreichischen Protestanten, Georg Erasera
von TschernembI, einzugehen, der ihnen im Jahre 1620 als einzige
Rettung in ihrer verzweifelten Lage die Gewinnung des kleinen
Mannes durch Aufhebung der Leibeigenschaft und gerechtere
Steuer vertheilung empfahl.^
5. Weiter als in Böhmen giengen die oberen Stände in den
fünf n.-ö. Landen, indem sie auch gemeinnützige Einrichtungen
schufen, die allen Bewohnern des Landes zustatten kamen. Die
Landschaften in Innerösterreich z. B. öffneten ihre Schulen auch
talentvollen Bürger- und Bauernsöhnen und statteten diese über-
dies mit Stipendien zum Besuche auswärtiger Universitäten aus.
um sich den Nachwuchs tüchtiger Prediger unter den Landes-
1 Gindely, Dreißigjähriger Krieg, I, 206.
Sorge des protestantischen Adels für seine Glaubensgenossen. 407
kindeni zu sichern.^ Die slavische Bevölkerung in Innerösterreich
dankt ebenso den deutschen evangelisclien Ständen die erste Pflege
der Volkssprache; nicht bloß die Bibel, sondern auch viele Er-
bauungsschriften wurden mit Unterstützung, sei es einzelner Stände-
mitglieder, sei es der Landschaften von Steiermark, Kärnten und
Krain, ins Windische und Croatische übersetzt, allerdings mit der
trügerischen Hoffnung, dass man durch solche Mittel auch dem
Wüthen der Türken auf der Balkanhalbinsel steuern könnte.^
6. Bei dem harten Ringen um das politische Übergeviricht, das
zwischen den Landschaften und der Regierung bis zum Jahre 1620
mit wechselndem Erfolge wogte, kamen den Landständen die
Einrichtungen ihrer hochentwickelten Verwaltung (§ 54) sehr zu-
statten. Auch gewahren wir Avährend dieser Zeit überall einen
Zusammenschluss zwischen dem protestantischen Adel und den
Glaubensverwandten in den landesfürstlichen Städten und Märkten,
der selbst zu förmlichen Bündnissen führte. Noch darüber hinaus
giengen die Verabredungen von Land zu Land zur Erhaltung des
Glaubens und die Werbungen um Fürsprache bei evangelischen
Reichsständen. Die Regierung hat allerdings die Gesetzlichkeit
solcher Schritte nie anerkannt. Sie bestritt, dass die dem Adel
gemachten Vergünstigungen in Glaubenssachen auch den im l.-f.
Eigenthum stehenden Städten und dem übrigen Kammergut (ein-
schließlich der Pfandschaften) ertheilt worden seien, und weigerte
sich, die Abgeordneten der l.-f. Städte und Märkte in solchen An-
gelegenheiten neben den obern Ständen zu empfangen, in Inner-
österreich mit Erfolg, nicht so in Österreich und Böhmen. In
Österreich setzten die obern Stände ungeachtet aller Gegenvorstel-
lungen Khlesl's durch, dass König Matthias am 21. Februar 1610
die landesfürstlichen Städte und Märkte ausdrücklich als vierten
3 E Iz e. Die Universität Tübingen u. die Studenten aus Krain, 1877, S. 60 ff.
— Peinlich im Jahresber. des I. Staatsgyran. Graz, 1875, S. 46 ff.
^ Zeugnis der Sachverständigen, dass Stephan Consuls Übersetzung gut
croatisch sei v. J. 1559, bei Kos treu öiC, Urk. Beitr. z. Gesch. d. protest. Südsiaven,
1874, 8. 2. , Damit wirdet verhoffentlich die recht christlich Religion and das
wäre heilsam Gvangeli durch die ganz Türkhey gefürdert, Türkhenherz und
Gemuct zu christlichem Glauben emewert, ihrem Wueten gewert" u. s. w., vergl.
auch S. 10, 49 u. ö. über den Antheil der Stände an diesen Übersetzungen vgl.
die Arbeiten von Th. Elze in dem Jahrbuch der Geselischaft für Geschichte des
Protestantij'raus in Österreich, 1880 ff.
408 Östen*eichische Reichsgeschichte. 11. Theil. Vierte Periode. § 50.
Stand anerkannte und ihnen die früheren Versprechungen in
Glaubenssachen erneuerte; in Böhmen kam, wie schon erwähnt, der
Majestätsbrief auch den königlichen Städten zugute. Aber auch die
Verbote der eigenmächtigen Adelsversammlungen und Bündnisse
durch den Landesherrn haben — selbst in Innerösterreich — lange
Zeit nicht gefruchtet. Erzherzog Ferdinand II. erhielt noch 1605
auf seine Erklärung im steirischen Landtag, dass er alle „Con>
ventus der Herren und Landleute", die ohne seine Bewilligung
geschehen, bei großer Ungnad und Strafe verbiete, nur die aus-
weichende Antwort, „weilen dergleichen Con ventus umb Rettung
des lieben Vaterlands willen und anderer Justicien necessarie sein
muessten", so möchte sie der Erzherzog „in keinem andern Ver-
stand explicieren und vermerkhen**.
7. Hat in solcher Weise der feste Zusammenschluss des
protestantischen Adels mit der gleichgesinnten Bürgerschaft manchen
schwerwiegenden Erfolg dem Landesfürsten abgerungen, so lag
andererseits in der Thatsache, dass der politische Gegensatz
zwischen der Autorität des Herrschers und den Ansprüchen der
Landstände zuletzt mit der Verschiedenheit des Glaubensbekennt-
nisses zusammenfiel, auch eine große Gefahr für die Verfechter
der alten Autonomie. Zunächst musste es, als der Kampf um den
neuen Glauben zur Hauptsache wurde, auch innerhalb der Land-
stände zu einer Spaltung nach Bekenntnissen kommen, die sich
in dem Maße erweiterte, als die Angriffe heftiger wurden. Immer
lockerer wurde das Band der Interessengemeinschaft, das bishin
den geistlichen und weltlichen Großgrundbesitz vereinigt hatte,
bis es auch wohl zu förmlicher Trennung kam. Die Stände erUtten
dadurch einen nicht unbedeutenden Verlust an Kraft, denn die
Prälatenbank trat schließlich entschieden auf die Seite der Re-
gierung und zog auch manchen Adeligen mit sich, der beim alten
Glauben geblieben war und nun in die Reihen des Hofadels eintrat.
Die so verstärkte Macht des Landesfürsten konnte nunmehr von den
Befugnissen Gebrauch machen, die ihr durch den Augsburger
Religionsfrieden schon seit langem verliehen worden waren und
durch die Gegenreformation zu einem vernichtenden Schlage gegen
die ständische Opposition ausholen.
8. Die Gegenreformation, die weit mehr zu politischen Zwecken,
als um kirchlicher Interessen willen erfolgte,* wurde lange vor-
Die Gegenreformation als politische Maßregel des Fürsten. 409
bereitet und in der Art darchgeführt, dass die Widerstandskraft
der Stände erst geschwächt wurde und dass dann noch Jahre ver-
strichen, ehe der Hauptschlag fiel. In Innerösterreich traf diese
Maßregel seit 1598 die landesfürstlichen Städte und Märkte, während
die Ausweisung der akatholischen Herren und Landleute erst 1628
erfolgte. In Österreich rieth Khlesl dem König Matthias im Jahre
1609, er möge die österreichischen Städte durch Privilegien an sich
ziehen, jedoch die Privilegien jener, die nicht recht katholisch wären,
vorerst unbestätigt lassen. In Böhmen, wo der Gegensatz bis zur
offenen Empörung der Stände gediehen war, erlitten nach der Schi acht
auf dem Weißen Berge die Schuldigen erst Gilterconfiscationen,
dann traf die Gegenreformation die Städte und Märkte und erst
zum Schlüsse auch den Adel.
9. Mit der Durchführung der Gegenreformation war die
Niederlage des ständischen Princips in Österreich der Hauptsache
nach entschieden; die Erlassung der verneuerten Landesordnungen
gab diesem Umschwung offenkundigen Ausdruck. Böhmen rückte
nun in die Reihe der übrigen Erbländer ein: das Recht der Gesetz-
gebung wurde dem König vorbehalten, die hohe Geistlichkeit, seit
den Tagen Kaiser Karl's IV. aus dem Landtage geschieden, wurde
zum ersten politischen Stand des Königreichs erklärt. Wohl gab
es auch weiterhin in den österreichischen Landen sowohl einen
Herren- als Ritterstand, die eiferaüchtig ob ihren Vorrechten wachten,
allein beide setzten sich jetzt vorwiegend aus zugewanderten
fremden Geschlechtern oder geadelten Beamtenfamilien zusammen,
sie hatten daher weder das Selbstgefühl, noch die Widerstands-
kraft des alten erbgesessenen Landesadels, der mit den Geschicken
seines Landes seit Jahrhunderten verwachsen war. Und nun vollends
die landesfürstlichen Städte und Märkte. Seit der Gegenreformation
und dem dreißigjährigen Kriege durchwegs verarmt, wurden sie
fortan, da die früher wirksamen Beweggründe weggefallen waren,
von den obern Ständen kaum mehr im Landtag geduldet.
10. So zeigen also die Landstände in Österreich nach dem
Jahre 1630 sowohl in ihrer Zusammensetzung als in ihrer Wirk-
samkeit gegen früher ein ganz verändertes Bild. Jene Größe in
der Auffassung ihrer Stellung, welche die Landstände im 16. Jahr-
hundert auszeichnete, als sie im Kampfe um die Autonomie und
den Glauben allgemeine Interessen im Lande vertraten, war nun
410 Österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Vierte Periode. § 50.
einer gewissen Müdigkeit und zunehmenden Engherzigkeit gewichen.
Von wahrhaft gemeinnützigen Anstalten und Einrichtungen, die
sie seitdem neu geschaffen hätten, finden sich kaum Spuren, viel-
mehr sanken jetzt die Landschaften immer mehr zur einseitigen
Vertretung der Interessen des Großgrundbesitzes, sowie zur Ver-
sorgunganstalt für die verarmenden landständischen Familien und
die landschaftlichen Bediensteten herab. Nur das Misstrauen gegen
die Regierung war ihnen geblieben und sogar gesteigert, denn wer
sich schwach fühlt, wird leicht auch die wohlmeinende Absicht
eines Mächtigern mit Besorgnis betrachten. Daher der Widerstand
gegen alle Neuerungen, selbst wenn sie berechtigt waren und die
Verschleppung der von den Herrschern zur Herbeiführung einer
größeren Rechtsübereinstimmung (§ 45, 3) geforderten Gesetz-
gebung. Wie leicht begreiflich, verloren darum „die Herren Stände"
fortwährend an Boden in der Bevölkerung. Das war der Regierung
sehr wohl bekannt, zumal sich dieselbe mit der Zeit auch die
streng gehüteten Ausweise über die Finanzgebarung der Land-
schaften zu verschafl'en gewusst hatte.*
1 1 . Wäre die Regierung nicht fortwährend in Geldverlegen-
heiten gewesen, durch welche sie an den Credit der Landschaften
angewiesen blieb, so wäre das .Ende der Landesfreiheiten-,
das von den Landständen erst in den Tagen der Kaiserin Maria
Theresia und Kaiser Josefs IL beklagt wurde, wohl weit früher
eingetreten. So begnügten sich die Herrscher, mit dem Anwachsen
der Geldauslagen auch ihre Anforderungen an die Stände zu
steigern, führten selbständig indirecte Abgaben (Apalti, Stempel,
Tabak) ein und schritten in verzweifelten Fällen sogar zu eigen-
mächtiger Aueschreibung von directen Auflagen, wie der Türken-
steuer im Jahre 1682. Mochte gleich die Steuerfreiheit, wie in
Steiermark, e.n Artikel der bestätigten Landesfreiheiten sein, so
war doch die Steuerbewilligung an sich schon zur Förmlichkeit
* So enthält z. B. Fase. 18.353 a des HotTtararaerarchivs in Wien u. a.
eine Speciflcation, was von Anno 1625—1717 in Krain auf Gnadengaben, Ver-
ehrungen, Ritterzebrungen und Hochzcit«präsenten verwendet worden, dann
gethaner Nachlass und ausgeworfene Grundsteuern. Jeder Buchstabe hat sein
Heft und am Schlüsse ziffernmäßige Zusaramcnstellungen. Personen mit dem
Anfangsbuchstaben A hatten z. B. in den 93 Jahren von 1625—1717 nicht weniger
als 330.154 fl. 54 lir. IV2 Pf- aus obigen Titeln an Landschaftsgeldem beliomraen.
Sinkende Macht der Landständo seit der Gegenreformation. 411
herabgesunken, nur das Ausmaß der ^Contribution" und die Art
der Bedeckung kamen für die Stände noch ernstlich in Betracht.^
Man begniigte sich die Form der Steuerfreiheit zu retten, indem
die Landschaft, wie bespielsweise 1682 in Steiermark, statt der
durch den Kaiser ausgeschriebenen Türkensteuer „nach Proportion
jedwederen seines Vermögens eine freiwillige Gab, Türkensteur
oder Hilf zum Türkenkrieg, aus eigenem Beutel ohne Entgelt des
Unterthans" anbot und nur um einen Schadlosbrief sowie die
Steuereinhebung durch landschaftliche Organe bat. Und selbst
diese Vorbehalte ließen sich nicht mehr lange aufrecht halten.
Die Schadlosbriefe, auf deren pünktliche Einhändigung die Stände
anfangs so streng bestanden, wurden immer unregelmäßiger aus-
gestellt und verscliwanden seit Kaiser Josef I. gänzlich.^ Dafür
begannen nun die s. g. Recesse, d. h. Vereinbarungen zwischen
der Regierung und den Ständen, welche für eine längere Reihe
von Jahren die jährliche Beitragsleistung der Landschaften in vor-
hinein feststellten und somit einer alljährlichen Bewilligung ent-
zogen.^ Allerdings vermochten die Landschaften selbst in dieser
gedrückten Lage immer noch der Regierung durch ihr Wider-
streben ernstliche Verlegenheiten zu bereiten, nur darf man diese
nicht zum Maßstab der vorhandenen Stärke des ständischen Ein-
flusses machen, da sie sich viel eher als Folgen großer Mängel
in der staatlichen Finanzverwaltung darstellen.
12. Ganz anders war freilich die Lage der Stände in Ungarn.
Hier hatte der Wiener Friede vom Jahre 1606 die religiösen Ver-
hältnisse durch Gleichstellung der christlichen Bekenntnisse dauernd
geregelt. Nicht bloß der hohe und niedere Adel, sondern auch
alle Bewohner der landesfdrstlichen Städte und Märkte hatten so
^ So in Innerösterreich ; aber auch in Böhmen war es nicht anders. Vergl.
Tom an, 73. Darum Icann ich mich keineswegs der Ansicht anschließen: dass man
noch zu K. Leopold's Zeiten in den Erblanden und speciell in Österreich u. d. E.
von bedeutenden Erfolgen der Krone gegenüber den obern Ständen nicht gut
sprechen könne, die PMbram in seiner angeführten Abhandlung vertritt.
^ Der letzte Schadlosbrief für Steiermark, den Kaiser Leopold I. ausstellte,
ist vom Jahre 1701, 3. Dec. Dann folgte noch einer unter Kaiser Josef I. am
13. August 1707, mit dem diese Urkundenreihe schließt.
^ In Österreich wurde schon 1689 mit den Ständen ein Recess auf zwölf
Jahre, in Steiermark 1715 ein solcher auf zehn Jahre geschlossen. Pf-ibram,
8. 628, Anm. 1., und steir. L.-A.
412 Österreichische Reichsgeschichte. IL Theil. Vierte Periode. § 50.
das Recht der freien Religionswahl und -Übung erhalten. Damit
fiel in Ungarn jener Interessen-Gegensatz zwischen den katholischen
und akatholischen Ständen hinweg, welcher in den altösterreichi-
schen Landen dem Herrscher vor allem die thatsächliche Möglich-
keit geboten hatte, die Gegenreformation durclizuführen und die
Macht der Stände zu brechen. Dazu kam ihnen die Gunst der
politischen Lage zustatten, denn gegenüber den Aufreizungen durch
Frankreich und bei der Nachbarschaft des Türken war die Re-
gierung vielfach zur Rücksichtnahme auf den zu großer Unge-
bundenheit neigenden Sinn der Bewohner genöthigt, was anderwärts
wegfiel. Dies die Gründe, weshalb selbst nach den glücklichen Feld-
zügen gegen die Türken, die mit österreichischem und deutschem
Blut und Geld ausgefochten wurden, den Ungarn gegenüber niemals
von der Theorie der Verwirkung Gebrauch gemacht wurde, ob-
gleich dazu die Aufstände unter Tökölyi und Rakoczy äußeren
Anlass genug geboten hätten. Daher behielt Ungarn innerhalb der
habsburgischen Besitzungen eine Sonderstellung, die seinen Ständen
auch durch den Gesetzartikel III vom Jahre 1722/23 zugesichert
wurde, wogegen diese im Jahre 1687 dem unbeschränkten Wahl-
recht, in dessen Besitz sie seit Matthias IL gekommen waren, zu
Gunsten der männlichen Habsburger und durch die pragmatische
Sanction auch für die Dauer der weiblichen Linien entsagten.
13. Die verfassungsmäßige Zusammensetzung und bis zu
einem gewissen Grade auch der Wirkungskreis der Stände hatte
in den habsburgischen Landen bei mancher Verschiedenheit im
einzelnen, im ganzen doch übereinstimmende Zuge. Sieht man
von Vorarlberg ab, wo der Landtag nur aus Abgeordneten der
Städte und der Gerichte bestand, so ist überall die Sonderung
der Obern von den untern Landständen nachweisbar, die mit
dem Unterschied zusammenfällt, ob jemand kraft eines ihm per-
sönlich zustehenden Rechts, also ungebunden® am Landtage theil-
nehraen konnte, oder aber als gewählter Vertreter einer Körper-
schaft durch die Vollmacht seiner Auftraggeber beschränkt war.
Dabei konnte selbst der Umstand, ob jemand auf eigene Kosten
anwesend war oder ob ihm Tagegelder vergütet wurden, von
^ Eifersüchtig vertheidigten die Steirer ia den J. 1582/82 ihr Recht, dass
ein jeder Herr und Landmann »in denen offenen Landtagen mit seiner Stimb frei
sein und darumben von Niemantes ihme soll eingesprengt werden". St. L.-A.
Die Unterscheidung von obem und untern Landständen. 418
Bedeutung werden.** So betrachtet, erschienen die abgegebenen
Stimmen nicht als gleichwertig und dadurch erklärt es sich, dass
Vollversammlungen und schon gar VoUberathungen im Landtage
nur ausnahmsweise vorkamen. Regel war, dass nach Entgegen-
nahme der landesfiirstlichen Botschaft die obern wie die untern
Stände für sich allein beriethen, mochten die Vorlagen gemeinsam
sein, oder die Ständegruppe als solche betreffen.
14. Diese Eintheilung der Landstände entsprach aber auch
der vom Mittelalter übernommenen Gliederung der Gesellschaft.
Noch gab der Besitz von unbeweglichem Gut ein solches Über-
gewicht, dass jeder Großgrundbesitzer im Lande in dieser Eigen-
schaft ohne weiters schon zu den obern Landständen gehörte, bis
durch die Aufstellung des Begriffs der Landmannschaft (Incolat)
gewisse Grenzen gezogen wurden. Daher gehörten die Inhaber
höherer Kirchenämter überall (in Böhmen allerdings erst wieder
seit 1627, vergl. Anhang I, 8 und § 42, 12) gleich den Angehörigen
der 8. g. Herrengeschlechter zu den höhern Ständen, ebenso in
den altösterreichischen und böhmischen Landen der rittermäßige
Adel, der in dem Maße, als seine lehensrechtliche Abhängigkeit
von den Herren an Bedeutung verlor, reicher wurde und für seine
Güter allmählich die Vorzüge des Großgrundbesitzes erlangte.^®
Somit zählten hier nur die landesfürstlichen Städte und Märkte,
in Tirol überdies die Vertreter der Bauernschaft in den freien
Gerichten, zu den untern Landständen. Anders in Ungarn, wo im
Jahre 1608 durch den 1. Gesetzesartikel nach der Krönung des
Königs Matthias IL die schon früher angebahnte Theilung des
Reichstages in ein Oberhaus mit persönlichem Stimmrecht der
anwesenden Prälaten und Herrenstandsmitglieder (Prselati et Ba-
rones seu Magnates) und in ein Unterhaus mit den Abgeordneten
^ Nur in Tirol bezogen alle Landtagsraitgliedcr „Liefergeldcr" anderwärts
hatten nur die gewählten Vertreter auf Kostenersatz Anspruch. Der Versuch
der Ritterschaft in Böhmen, bei den Landtagen auf Kreiskosten zu erscheinen,
wurde unter Ferdinand I. aufgegeben.
^^ Ob der Enns hatten im Jahre 1567 die Erben des rittermäßigen Hans Jörger
zu Nentharting das höchste struerpflichtige Einkoramen im Lande 1685 11., gegen
14<J0 fl. der Abtei Kremsmünster oder 935 fl. der Gräfin von Schaumberg. Auch die
Einkünfte des Ritters Hiilebrand Jörger zu Brandegg (560 fl.) und der Erben
nach Georg von Bergheim (775 fl.) waren höher als bei der Mehrzahl der Abteien
und Herrengeschlechter. Ober leitner, 16.
414 österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Vierte Periode. § 50.
des Comitatsadels (nobiles), der freien königliehen Städte und
endlich der im Landtag nicht selbst erschienenen Magnaten bleibend
gefestigt wurde."
15. Diese Absonderung der untern von den obern Ständen
führte jedoch hüben und drüben der Leitha zu ganz verschiedenen
Ergebnissen. In Ungarn gelangte im Laufe der Zeit das Schwer-
gewicht des Einflusses an das Unterhaus (Ständetafel), so dass
selbst Mitglieder der Magnatentafel Anträge oder Beschwerden
imr im Wege der Ständetafel vorbringen konnten, während in
den altösterreichischen und böhmischen Landen die Entscheidung
durchwegs den obern Ständen verblieb. Zumal dann, wenn sich
die Städte mit den Prälaten und dem Adel ein für allemal über
ein bestimmtes Ausmaß ihrer Beiträge zu den Landeslasten geeinigt
hatten (im Lande ob der Enns ein Fünftel, in Steiermark ein Viertel,
seit 1543 ein Sechstel später noch weniger) konnte dies zu einer noch
stärkeren Zurückdrängung der untern Stände führen, die dann von
der eigentlichen Berathung ganz ausgeschlossen wurden und nur
die Mittheilung von der im Namen der Landschaft gemachten Be-
willigung nebst der Aufforderung zur Einzahlung der auf sie ent-
lällenden Summe erhielten. Die seit dem dreißigjährigen Kriege
eintretende Verarmung der landesfürstlichen Stählte und Märkte
trug gleichfalls das Ihrige dazu bei: um an den Kosten zu sparen
entsandte nun manche Gemeinde nicht mehr einen eigenen Ver-
treter, sondern bevollmächtigte auch ihrerseits den Abgeordneten
eines anderen Ortes. So sank die Bedeutung der untern Stände
immer mehr, und wenig half es, dass man in Steiermark einen
«Marschall der landesfürstlichen Städte und Märkte" aufstellte und
demselben zur Wahrung der Interessen der Bürgerschaft Zutritt
zu den Sitzungen der obeni Stände und eine Stimme einräumte,
im Gegentheil, dies zeitigte die Ansicht, dass dem vierten Stande
überhaupt nur diese eine Stimme im Landtag gebüre.
16. Das Recht zur Ausschreibung von Landtagen stand
nach allen Landesverfassungen dem Herrscher zu, der die Aus-
führung im einzelneu Falle seinen Behörden übertrug. Dieser
1^ Virozsil, III, 31. Anra. k. Er widerlegt ferner hier durch Anführung
tiüherer Beispiele die Ansicht, als ob die Trennung des Reichstiiges erst 10dl
durch zufällige Umstände veranlasst worden sei. Die Bcrathungen der obern und
untern Stände fanden sogar in verschiedenen Häusern statt, so 1565, 1608.
stände in Ungarn; Einberufung der Landtage. 415
Aufforderung gegenüber liatten die Eingeladenen die Pflicht, zu
erecheinen oder ihr Ausbleiben hinreichend zu entschuldigen. In
besonders dringlichen Zeiten kam es vereinzelt sowohl in den
altösterreichischen als in den böhmischen Landen (§ 40, 11, § 42, 4)
vor, dass die Anregung zu landtäglicher Versammlung auch
von anderer Seite ausgieng, in Ungarn stand sogar dem Palatin
bei Thronerledigungen die Ausschreibung des Wahl - Landtages
gesetzlich zu. Davon abgesehen, war überall jede Berufung des
Landtages von anderer Seite als Eingriff iii die Herrscherrechte
erklärt und mit strenger Ahndung bedroht. Selbst das Einungsrecht,
das die einzelnen Mitglieder der Landschaften vom Mittelalter her
für sich in Anspruch nahmen, wurde ihnen von der Regierung ent-
schieden bestritten, lange Zeit allerdings ohne Erfolg, wie namentlich
die Geschichte der Jahre 1600—1620 zeigt.
17. Wie die Einberufung selbst, so war auch die Bestimmung
der Zeit und des Ortes, wo sich der Landtag zu versammeln habe,
ins freie Ermessen des Herrschers gestellt; da jedoch diese Ver-
sammlungen vor allem Geldtage waren, so hieng die Zeit von
dem einen bis zum nächsten Landtage vor allem von den Um-
standen der früheren Bewilligung und den augenblicklichen Staats-
bedürfnissen ab. Kaiser Maximilian I. hatte auf dem Innsbrucker
Ausschusstage eine Geldhilfe auf vier Jahre hinaus erhalten und
Ahnliches strebte auch Kaiser Ferdinand I. an, der jedoch nicht
einmal Bewilligungen auf zwei Jahre bleibend durchsetzen konnte.
So wurde endlich die jährliche Einberufung der Landstände im
ganzen zur Regel, bis unter Kaiser Leopold I. und Karl VI. der
Abschluss von Recessen mit längerer Dauer aufkam. Auch in Ungarn
stand, wenige gesetzlich vorgesehene Fälle abgerechnet, die Aus-
schreibung der Landtage gänzlich im Willen des Königs, bis endlich
den Ständen auf ihre dringende Bitte durch den 1 4. Gesetzesartikel
vom Jahre 1715 die Abhaltung von Landtagen mit längstens drei
Jahren Zwischenzeit zugesichert wurde.
18. Neben den eigentlichen Landtagen, den in der böhmischen
Ländergruppe ab und zu noch vorkommenden General-Landtagen
und den zum Fürstentage vereinigten Generalständen der schlesi-
sehen Herzogthümer^'-^ (die s. g. F'ürsten und Stände Schlesiens)
12 über Zusammensetzung und Competenz des Fürstenta^es s. Räch f ah 1,
Organisation der Gcsammt-Staatsverwaltung Schlesiens, 144 ff.
416 Österreichische Reichsges^hichte. II. Theil. Vierte Periode. § 50.
kamen auch Versammlungen von Landtagsmitgliedem anderer Art
vor. Schon Kaiser Maximilian I. hatte Ausschusstage eingeführt,
um eine größere Annäherung seiner Laude anzubahnen, und in
dem Innsbrucker Ausschusstage, auf welchem er 1518 mit den
Abgeordneten aller seiner Pürstenthümer gemeinsam verhandelt
hatte, schien der Keim zu einer künftigen gesammt-österreichischen
Vertretung zu liegen. Kaiser Ferdinand I. wollte auf diesem, von
seinem Großvater gelegten Grunde weiterbauen und hat nicht bloß
allgemeine Ausschusstage seiner Erblande öfter einberufen, sondern
nach dem Anfall von Böhmen und Ungarn auch diese Reiche
zu gemeinsamer Verhandlung mit den altösterreichischen Landen
heranzuziehen gesucht, leider ohne Erfolg, w^eil die Ländergruppen
von ihrem Herkommen nicht weichen wollten.^^ Selbst auf der Prager
Zusammenkunft von 1541/42, welche aus Anlass drohender Türken-
gefahr in der That von allen Landen beschickt worden war, hielten
sich nicht bloß die Ungarn, sondern auch die Tiroler von gemein-
samen Verhandlungen abseits.
19. Nach dem Tode Kaiser Ferdinand's I. ruhten die Versuche,
eine Gesammtvertretung der habsburgischen Lande zu schaffen,
bis in die Tage des Kaisers Matthias, der, im Jahre 1614 zu Linz
inmitten von Vertretern aller österreichischen Lande (auch von
Innerösterreich und Tirol, die nicht unter seiner unmittelbaren
Herrschaft standen), über die Mittel zu einem Kriege gegen die
Türken und Bethlen Gabor berathen ließ, wobei die Abgeordneten
der einzelnen Länder ihre Antworten getrennt und schriftlich über-
gaben. Der Erfolg entsprach jedoch nicht den gehegten Erwartungen
und so dauerte es an 40 Jahre, ehe es wieder zu Gesammt-
berathungen ständischer Ausschüsse aus allen deutschböhmischen
Erblanden kam, die sich mit dem Ausmaße beschäftigten, nach
welchem die beiden Ländergruppen zu den von der Regierung
geforderten Summen beizutragen hätten (1655). Die Verhandlungen
über die Decennalrecesse (1714) wurden von der Regierung mit
13 Bid ermann, Gesammt-Staatsidee, I, 3flf. Gindely, Der erste österr.
Reichstag in Linz, 1614, S. B. 40. Toman, 96. — Auf die große Gefahr für die
Krone, falls es damals schon gelungen wäre, die Stände zu einem Körper zu
verschmelzen und diese später in geeinter Gegnerschaft dem Königthnm entgegen-
getreten wären, macht Rachfahl aufmerksam, 137. Vielleicht hat eben die«^
Ferdinand I. bewogen, seine Einigungsvei suche aufzugeben.
Allgemeine Ausschiisstago; Rechte der Landstände. 417
den Ständen zwar an ein und demselben Orte, nämlich zu Wien,
jedoch mit den Ausschüssen jedes Landes abgesondert geführt.
20. In Böhmen und Mähren gab es neben den allgemeinen
Landtagen auch Kreistage. Eine ähnliche Einrichtung waren in
Ungarn die General-, beziehungsweise Particular - Congi'egationen
der Comitate. Außerdem ergab sich in allen Erblanden seit dem
16. Jahrhundert die Nothwendigkeit, eine dauernde Vertretung der
Landschaft von dem einen Landtag zum andern zu schaffen, sei es
zur Besorgung der laufenden Angelegenheiten, sei es zur Durch-
führung bestimmter Landtagsbeschlüsse, sei es als Vertrauens-
männer, wenn in dringenden Fällen mit der Regierung Verhandlungen
zu pflegen waren und die Zeit zur Einberufung des Landtages
mangelte. Näheres über diese als Verordnete, Ausschüsse, Raitherren
u, dgl. bezeichneten Organe der Landschaft, sowie über die Kreis-
tage und Comitatsversammlungen wird des sachlichen Zusammen-
hanges wegen erst später (§ 54) bei Besprechung der landschaft-
lichen Verwaltung mitgetheüt werden.
21. Als die wichtigsten verfassungsmäßigen Rechte der Land-
stände erscheinen überall die Bewilligung außerordentlicher Geld-
mittel und die Stellung landschaftlicher Truppen, an deren statt
später die Bewilligung zur Anwerbung einer Anzahl Recruten trat.
Die Forderungen der Regierung gaben den Ständen Gelegenheit,
auch ihrerseits Wünsche und Beschwerden vorzubringen, und oft
genug haben sie diese mit geschickter Benützung der Zwangslage
schließlich doch durchgesetzt, wenn auch der Herrscher anfänglich
widerstrebte. Allein ein principielles Recht, die Bewilligungen von
der Erfüllung der landtäglichen Wünsche abhängig zu machen, wurde
von der Regiemng niemals anerkannt. Andere Rechte der Land-
schaften waren die Aufnahme neuer Ständemitglieder (Ertheilung der
Landmannschaft, des Incolats) und Mitwirkung bei der Gesetzgebung,
soweit diese die Rechte der Landstände berührte und nicht dem
Landesfürsten vorbehalten war. Letzteres w^ar nach der veraeuerten
Landesordnung in Böhmen der Fall, nur wurde den Ständen durch
die Novellen und Declaratorien Kaiser Ferdinand's IIL vom Jahre
1640 (Aa. IX) das Recht zurückgegeben, „sich in geringeren Sachen
die da unser Person, Hoheit, Autorität und Regalien nicht betreffen,
zu unterreden und Beschlüsse zu fassen '', die jedoch erst nach
königlicher Genehmigung verkündet werden durften.
Lose hin, Öiterreichische ReichBgeschichte. 27
418 österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Vierte Periode. § 50 u. 51.
In den Wirkungskreis des ungarischen Reichstages fielen
außer den schon angeführten Angelegenheiten bis zum Jahre 1687
(beziehungsweise 1722/23) auch die Wahl des Königs, ferner die
Wahl des Palatins, endlich auch noch die Beilegung von Grenz-
streitigkeiten, aus welchem Grunde Friedensschlüsse mit Gebiets-
veränderungen den Ständen vorzulegen waren.
§ 51. Das Yerhältnis des Staates zur Kirche (1500—1740).
Literatur bei § 29. Zur Gesch. der kirchlichen Bewegung: die älteren
Werke von Rungius, Rosolenz, Raupach, aus neuerer Zeit : Czerwenka,
Geschichte der evangel. Kirche in Böhmen. 2 Bde., 1869/70. — Jahrbuch der
Gesellsch. f. d. Geschichte des Protestantismus in Österreich (seit 1880, 16 Bde.).
— D' Blvert, Gegenreformation in Mähren und Schlesien (Bd. 30 der Schriften
der histor. Statist. Scction, Brunn, 1895). — Hammer, KhlesVs Leben, 1847 bis
1851, 4 Bde. — Hub er, R.-G., 175. — Robitsch, Protestantismus in Steier-"
mark, 1859. — Sammlung d. altern k. k. landesf. Gesetze und Verordnungen in
Publico-Ecclesiasticis v. J. 1518—1740 (1785). — Scherer, im österr. Staat«-
wörterbuch, Bd. IL, unterm Schlagwort »Juden*. — Singer, Histor. Studien ü. d.
Erbfolge nach kathol. Weltgeistlichen, 1883. ~ Väzsonyi W., das Placetura
regium nach ungar. Staatsrecht (Zeitschr. f. ung. Recht, I.). — Wiedemann Th.,
Gesch. d. Reformation u. Gegenreformation im Lande u. d. Bnns, 1879—1886, 5 Bde.
1 . Das entschiedene Eintreten der Habsburger für die katho-
lische Religion, zu deren Wiederherstellung und Erhaltung in
Österreich sie selbst die Durchführung der Gegenreformation nicht
scheuten, hat die Meinung erzeugt, dass der österreichische Staat
seine Kräfte völlig in den Dienst der Kirche gestellt habe. Was
schien wohl überzeugender als die Sorgfalt, mit welcher späterhin
der kirchliche Lebenswandel der Neubekehrten von Staatswegen
überwacht wurde, die Einschärfung der Pastengebote und der
österlichen Beicht durch kaiserliche Gebote u. dgl. m. Ungeachtet
dieses Anscheins ist jedoch obige, von vielen getheilte Ansicht
nicht zutreffend. Die Habsburger waren überzeugungstreue An-
hänger des alten Glaubens, aber ebensosehr auch von den Pflichten
durchdrungen, die ihnen ihre Herrscherstellung auferlegte und
darum nicht gewillt, ihren Herrscherrechten zu Gunsten der geist-
lichen Gewalt irgendwie zu vergeben. Sie haben im Gegentheil die
Lage der katholischen Kirche zur Zeit der Reformation und Gegen-
reformation zu ausgiebiger Erweiterung des jus circa sacra benützt.
Kaiser Ferdinand IL, der Vertreiber der Protestanten aus Öster-
Erweiterung des jus circa sacra seit dem Mittelalter. 419
reich, ist nach dem richtigen Urtheile eines kirchlichen Schriftstellers
zugleich auch „der Grundleger des s. g. Josephinismus''. ^
2. Begonnen wurde allerdings schon weit früher (§ 29, 3)
mit der Einengung des kirchlichen Wirkungskreises, der während
des Mittelalters übermäßig auf weltliches Gebiet sich vorgeschoben
hatte. Als z. B. Guidettus de Guidettis in seinem Streite mit dem
Grafen Heinrich v. Hardeck gegen diesen eine päpstliche Bannbulle
erwirkt hatte, verbot Maximüian I. im Jahre 1504 die Kundmachung
derselben in den Erblanden ganz entschieden, „dieweU dieser Handl
nit zu Rom sonder vor uns als Römischen König, rechten Herrn
und Landsfürsten zu rechtfertigen gebürt" und er keineswegs
gewillt sei, „um des gemelten Walhen Fümemen willen" an seinen
königlichen und fürstlichen Obrigkeiten Schaden zu leiden.*
3. An den Grundsätzen, wie sie hier vom Kaiser Maximilian I.
über die Abgrenzung der geistlichen und weltlichen Gerichtsbarkeit
ausgesprochen wurden, hielten in Österreich alle seine Nachfolger
fest. Dem Bischöfe von Wien wurde 1521 in einer Streitsache
mit der Universität geboten, „daß du hierüber in kein Weg zu Rom
weiter procedierest, dann wo das gleich geschehen, wurden wir
davon nichts halten", und zwar mit vollem Erfolg, wie die un-
angefochtene Entscheidung eines ähnlichen Falles durch König
Ferdinand I. im Jahre 1537 beweist. Im Jahre 1624 wurde von
Kaiser Ferdinand IL mit Berufung auf „gemessene Resolutionen ""
Kaiser Rudolfs IL ein für allemal erklärt, dass Streitigkeiten wegen
geistlicher Güter „allein nacher Hof und vor Ihro Majestät Selbsten
zM ziehen und zu entscheiden seien", und dieser Befehl in den
Jahren 1634 und 1639 neuerdings eingeschärft. Im Jahre 1652
wurde der principielle Ausspruch gethan, welcher der geistlichen
Obrigkeit nur die pure spiritualia vorbehielt, während mixta vor
Räthen geistlicher und weltlicher Behörden und pure temporcUia
vor der weltlichen Obrigkeit allein auszutragen seien, in den
Jahren 1655, 1688, 1702 jeder Eingriff der Geistlichkeit in die
landesfürstliche Instanz mit Strafe bedroht. Im Jahre 1695 wurde
mit Berufung auf eine Resolution Kaiser Ferdinand's L vom
Jahre 1549 „daß hinfüran die Appellationen so nicht Ehe und
dergleichen pur lauter geistliche Sachen berühren, nicht aus dem
1 Wiedemann, I, 629.
^Hammer, I, Beilag. 3—5, s. auch mein Gerichtswesen, S. 273, Anm. 512.
27*
420 österreichische Reicbsgeschichte. II. Theil. Vierte Periode. § 51.
Land gezogen, sondern der N.-Ö. Regierung als Ihix) Majestät
nachgesetzter Obrigkeit überantwortet werden sollen**, die n.-ö.
Regierung als Appellations-Instanz für die bischöflichen Consistorien
extra causas pure spirituales erklärt und auch nicht zu Gunsten
des päpstlichen Nuntius eine Ausnahme veratattet (1715).'
4. Zu den Gegenständen, welche so dem Bereich der landes-
fürstlichen Obrigkeit gewahrt blieben, gehörten nicht bloß Processe
zwischen Laien und Geistlichen um Kirchen und deren Güter, um
geistliche Lehenschaft, Vogtei, Zehente u. dgl., sondern auch die
Abhandlung der Verlässe nach Geistlichen (1544, 1562, 1689, 1702,
1721, 1732, 1733) und eine gewisse Mitwirkung bei Besetzung^
landesfürstlicher Pfarren (1648, 1731). Die staatliche Aufsicht
erstreckte sich außerdem auf geistliche Stiftungen (1725, 1726^
1729, 1733) und auf die Erhaltung des Kirchenvermögens, ein-
schließlich der kirchlichen Gebäude (1545, 1552, 1575, 1634, 1675.
1704, 1733). Schon beginnt der Staat auf dem Gebiet des Ehe-
rechts, des Ordenswesens und des Volksschul-Unterrichts seineu
Einfluss geltend zu machen : es ergehen staatliche Eheverbote vou
Winkelheiraten (1550, 1703), dem passauischen Consistorium wird
die Erstattung von Berichten auferlegt, ob die Kinderlehren fleißig
gehalten werden und die Abhaltung solcher allen Klostergeistlichen
vorgeschrieben (1701, 1732), Kinder dürfen vor Erreichung gewisser
Jahre nicht in Klöster aufgenommen werden (1526), 1735 eine
Reform der Jesuiten -Gymnasien unter dem Titel einer Ordnung
und Einrichtung der Schulen erlassen u. s. w. Aus Gründen der
Gesundheitspflege ergehen allgemeine Gebote, denen sich auch die
weltliche und Ordensgeistlichkeit fügen muss (1630, 1645), und
wurde im Jahre 1732 die Sperrung des Friedhofs zu St. Stephan
in Wien angeordnet.*
® Vei"gl. in obangeführter Sammlung die Actenstücke Nr. 2 (1521), 6-
(1537), 21 (1624), 23 (1634), 25 (1689), 29-31 (1652), 34 (1655), 39 (1669 1,
47 (1688), 49 1695), 53, 54 (1702), 61 (1716), 66 (1721), 72 (1728), 80 (1731),
82 (1732), 90 (1735).
^ Ordenswesen-Sammlung Nr. 4, 63, 65, 86; Nachlass der Geistlichkeit
Nr. 7, 16, 46, 52, 66, 85, 87 ; Besetzung von Pfarren u. s. w. Nr. 28, 79, 81 ;
Stiftungen Nr. 69, 70, 73, 88; Kirchenvermögen Nr. 8, 9, 13, 17, 24, 43, 56, 89;
Verbot von Winkelheiraton Nr. 12, 55; Kinderlehre Nr. 51, 86; Sperrung des
Kirchhofs Nr. 83; Geistliche sind der Infectionsordnung unterworfen: Wiede-
mann, V, 3, Anm. 1. Gymnasial-Reform: Cod.-Au8tr. IV, 887.
Stiftungen: Amortisationsgesetze; Besteuerung des Clerus. 421
5. Amortisationsgesetze gab es in Österreich schon seit dem
Anfang des 14. Jahrhunderts. Kaiser Maximilian I. hat dieselben
im Jahre 1518 zur Bestimmung erweitert, dass liegende Güter an
<lie Geistlichkeit nur mit Zustimmung der zuständigen weltlichen
Obrigkeit übertragen werden dürften und dass sie binnen Jahres-
frist den nächsten weltlichen Personen um einen angemessenen
Preis wieder zu verkaufen seien, eine Vorschrift, die in den
Jahren 1524, 1669, 1716 und öfters erneuert und im Jahre 1736
^uch auf die Erwerbung von Ungeld und anderen „trockenen
<jefällen, quce inmobilium loco habentur'' ausgedehnt wurde. ^
6. In gleicherweise war auch die landesfürstliche Besteuerung
<les Clerus durch die österreichischen Landesfürsten vom Mittel-
iilter her in Übung. Die n.-ö. Regierung berichtete 1523 dem Erz-
herzog Ferdinand, „daß die Fürsten von Österreich dermassen mit
-<len Geistlichen in allen Auslagen und gemeinen Hilfen zu handeln
herbracht und Gewalt haben, daß Sy alle Prelaten und ander
geistliche Personen alweg für und als Ir Cammergut in solchen
Iren Anslägen und anderen nach Irem Gefallen und Notdurft ge-
halten". Eben darum gab auch diese Behörde ihrer Besorgnis offen
Ausdruck, dass die Einholung der päpstlichen Zustimmung zur
Ausschreibung einer Türkenhilfe von dem Einkommen der öster-
reichischen Geistlichkeit der landesfürstlicheu Autorität zu schwerem
Abbruch gereichen könnte, denn bisher habe „kein Fürst von
Österreich bei Menschen Gedächtnus von solcher Hilf wegen" sich
um eine päpstliche Erlaubnis bemüht, nun aber sei zu besorgen,
<ia8S in Zukunft die Geistlichkeit mit Berufung auf den jetzigen
Fall ihre Leistungen von der Zustimmung des Papstes werde
abhängig machen.®
Die Auffassung, dass die Besitzungen der Geistlichkeit Kammer-
gut seien, begegnet uns seit dieser Zeit noch öfter. Sie war für
die böhmischen Länder wohl begründet (Anhang I, 15), kam jedoch
auch anderwärts vor, beispielsweise in der Antwort des steirischen
Landtages auf die Vorlage König Ferdinand's im Jahre 1529, „die
Bruderschaften und geistlichen Pfründen sein als Ir Mt. Cammerguet
^ Amortisationsgesetzc : Sammlung Nr. 1, 40, C2, 64, 74, 91.
^ Buchholtz, VlII, 142. Zwei päpstUche Bullen von 1457 und 1459, die dem
Kaiser Friedrich III. eine mäßige Besteuerung des Clerus einräumten, s. Hammer,
Khlesrs Leben, I, Beilage Nr. 11.
422 österreichische Reichsgeschichte. IL Theil. Vierte Periode. § 51.
ZU betrachten* und wurde schließlich vom Könige selbst geltend
gemacht, der den Ständen im Jahre 1537 androhte, die Prälaten
und Städte als Kammergut von den übrigen Ständen abzusondern^
falls diese die begehrten Mittel verweigern sollten."^
7. Verhandlungen mit dem Papste um außerordentliche Hilfen
aus dem Kirchenvermögen oder dessen Einkünften zu erlangen,,
hat König Ferdinand noch 1529, 1532 und 1537 geführt. Dagegen
unterlag es keinem Zweifel, dass die Geistlichkeit von ihren
liegenden Gütern nach Maßgabe der landschaftlichen Bewilligungen
ebenso wie der weltliche Großgrundbesitz zu steuern hatte. In
Hinblick darauf befahl auch König Ferdinand L unterm 20. März lo4a
in einem offenen Ausschreiben an alle Pfründeninhaber in den
fünf n.-ö. Landen die jährliche Bezahlung des Steueranschlages an
die landschaftlichen Einnehmer und drohte den Saumseligen mit
„Entsetzung euerer inhabenden Bisthumben, Prälaturen, Pfarren^
Beneficien". Als später die Regierung zur Ausschreibung außer-
ordentlicher Hilfen ohne vorgängige Landtagsbewilligungen schritt
(§50, 11), wurden diese, wie die einpercentige Vermögenssteuer
im Jahre 1707, ohne weiters auch der Geistlichkeit auferlegt und
ungeachtet der dagegen erhobenen Vorstellungen erhoben.^
8. Das Asylrecht, das den bürgerlichen und adeligen Frei-
häusern um diese Zeit aus Gründen allgemeiner Sicherheit schon
stark eingeschränkt wurde, blieb den Kirchen und Klöstern noch
gewahrt, doch unter der Voraussetzung, dass sie nicht Receptacula
der Übelthäter seien (1644). Nach einem unliebsamen Vorfalle
führte dies 1680 zu dem Übereinkommen, dass Flüchtlinge bis
zur Prüfung des Falles super capacitate immunitatis eccl€siastic(B
in dem ihnen angewiesenen Zimmer unter dem Namen einer »geist-
lichen Verwachtung" durch Leute des weltlichen Richtere fest-
gehalten wurden.®
9. Das Placetum regium reicht in Ungarn bis auf ein Decret
König Sigismund's vom Jahre 1404 zurück und bildete hier eine
7 Beitr. f. Kde. st. Geschqu. IV, 16. Buchholtz, VIII, 143.
8 Sammlung Nr. 10, 58. Der Erlass K. Josefs I. vom 15. Oct. 1707, mit
welchem die angesnclite Befreiung abgeschlagen wurde, endet mit der Drohung,,
die Qeistllchkeit möge dem Kaiser keinen Anlass geben, „auf den Znwaclis
primeevarum Fundationum zu inquiriren und wie mit denen geistlichen Einkünften
und Fundationibus gewaltet werde".
« Sammlung Nr. 27, 44.
Das kirehlicho Asylrecht; das Placeluin regiuiu. 423
Schutzwehr der ungarischen Nationalkirche gegenüber päpstlichen
Eingriffen. In Österreich hingegen diente es von Anbeginn un-
mittelbar staatlichen Zwecken. Als beispielsweise im Jahre 1549
das Provinzialconcil zu Salzburg seine Beschlüsse de immunitatihiis
et privilegiis ecclesiai'um gegen angebliche Eingriffe der Staats-
gewalt gefasst hatte, verboten die landesfürstlichen Commissäre
deren Verlautbarung bis zur Genehmigung durch den König.
Ferdinand billigte nicht bloß das Vorgehen seiner Gewaltträger,
sondern erklärte in einer Zuschrift an die Synode, dass er keines-
wegs gewillt sei, unter dem Vorwand dieser viel missbrauchten
und weiter als recht und billig ausgelegten geistlichen Freiheiten
Eingriffe in seine landesfürstliche Obrigkeit zu gestatten, wie es
ihn überhaupt befremde, „das die Geistlichen ob iren Canonen ir
geistlich Ambt, Leben und Wandl betreffend so gering halten und
aber auf die ienen Canones so hart dringen, die zue Erweiterung
irer weltlichen Obrigkait, Gewalts und Vortails reichen".
An dieser Auffassung des Verhältnisses zwischen Staat und
Kirche hielten auch die späteren Herrscher fest. Kaiser Maxi-
mUian IL verbot 1568 dem Erzbischof von Prag die Abhaltung
einer Synode, zu welcher der Papst und dessen Nuntius wiederholt
aufgefordert hatten, Kaiser Rudolf IL im Jahre 1586 die Ver-
lautbarung der Bulle in coena domini, die Kaiser Ferdinand IIL
und Leopold I. machten die Publicierung päpstlicher Bullen
schlechthin von ihrer Genehmigung abhängig (1641, 1681). Ebenso
wurde die Vorlage eines Gesammtverzeichnisses des österreichischen
Clerus nach Rom, dem Bischof von Passau abgeschlagen (1675), weil
sie den Privilegien des Erzhauses abträglich sei. Die Visitation der
Cisterzienserklöster durch den Ordensgeneral ohne landesfürstliche
Erlaubnis wurde untersagt (1654) und im Jahre 1670 der Grundsatz
aufgestellt, dass Ausländer nicht zu Vorstehern österreichischer
Klöster zu machen seien. '"
10. Am merkwürdigsten aber ist die Erscheinung, dass die
Verfügungen österreichischer Herrscher mitunter in unbezweifelt
kirchliches Gebiet eingriffen. Das Gebot König Ferdinand 's I. an
1^ Placetura, s. Sammlung Nr. 26, 32, 41, 42, 45. — V&zsonyi, Fried-
berg, 119. Den Breslauer Minoriten-Provincial, der, gestützt auf einen Befehl der
Curie das Minoritenkloster in Wien, ohne l.-f. Erlaubnis visitieren wollte, ließ
Kaiser Ferdinand III. 1648 verhaften und in Arrei^t setzen. Wiedemann, V, 2.
424 Österreichische Reichsgeschichte. IL TheiL Vierte Periode. § 51.
die Geistlichkeit, sie solle das arme gemeine Volk nicht mit den
Gottsrechten, Opfeiii, Seelgeräthen u. dgl. beschweren (1528), lässt
sich noch als Vorläufer der späteren staatlichen Stolordnung auf-
fassen ;^^ die Visitationen der Kirchen und Klöster in den Jahren
1555, 1562, 1566 hiengen mit dem beanspruchten Aufsichtsrecht
des Landesfürsten zusammen. Anders verhält es sich schon mit
der von Kaiser Maximilian IL im Jahre 1567 erlassenen General-
ordnung für die Stifte und Klöster und mit jenen häufigen landes-
fürstlichen Befehlen, welche die Vornahme kirchlicher Handlungen
verfügten. Zugegeben, dass in vielen solchen Fällen der Staat
lediglich seinen Arm der Durchführung kirchlicher Gebote geliehen
hat, so ist doch diese Auffassung dort nicht zutreffend, wo der-
gleichen Handlungen gegen den ausgesprochenen Willen der geist-
lichen Obrigkeiten vom Staate erzwungen wurden. Das geschah
nicht bloß 1631 bei Anordnung eines allgemeinen zehnstündigen
Gebets wider alle Verfolger der katholischen Kirche und Religion,
sondern zuweUen auch bei den vielberufenen kaiserlichen Mandaten
wegen Einhaltung der Fastengebote und Ablieferung von Beicht-
zetteln. Vollends in den Cultus griff die landesfürstliche Anordnung
kirchlicher Landesfeste ein, unter welchen jenes der unbefleckten
Empfängnis Mariens durch Kaiser Ferdinand HL selbst wider den
Willen des Papstes eingeführt wurde. ^^
1 1 . Diese Zusammenstellung erweist, dass das kirchlicherseits
als „Josephinismus" bekämpfte Verhältnis des Staates zur Kirche
mit seinen Anfängen bis in die Regierungszeit des Kaisers Fer-
dinand I. zurückreicht, sowie dass es von allen seinen Nachfolgern
ohne Ausnahme festgehalten und weiter entwickelt wurde. Es
darf keineswegs als Act von Feindseligkeit gegen die Kirche auf-
gefasst werden, vielmehr ergab sich als Folge der geänderten
Auffassung über Zweck und Wesen des Staates, seit Beginn der
Neuzeit für die Herrscher überall die Nothwendigkeit, den staat-
lichen Wirkungskreis zu erweitern. Da ihnen zugleich die Aus-
^1 Auch die f.-b. passanische Stolordnung vom Jahre 1689 wurde erst
nach Genehmigung Kaiser Leopold's I. durch diesen im Jahre 1690 für das Land
u. d. Enns publiciert. Cod. Austr. I, 2, S. 315.
*2 Viele Belege aus den Consistorialacten bei Wiedemann, I, 63, 137,
621, 624, 647, V., 1 ff., 79 ff. Sammlung Nr. 5, 11, 36, 38, 48, 50, 59, 60,
75, 77, 78.
Der Kathollcismus Staatsreli^ion; Stellung der Andersgläubigen. 425
bildung eines geschulten Beamtenstandes nun erst die Möglichkeit
gewährte, den vielen neuen Aufgaben nachzukommen, so kam
es von selbst, dass jetzt Gegenstände in den Bereich des Staates
gezogen wurden, die er während des Mittelalters der Kirche hatte
überlassen müssen, weil diese sie damals allein infolge ihrer um-
fassenden Organisation pflegen konnte. In den zuletzt erwähnten
staatlichen Anordnungen auf kirchlichem Gebiet hingegen erkennen
wir, dass sich selbst die eifrigsten katholischen Fürsten der Ein-
wirkung der protestantischen Landeskirchenverfassung nicht ganz
zu entziehen vermochten, die dem Landesherrn Episcopalrechte
übertrug.
12. So war denn der Katholicismus in den habsburgischen
landen, abgesehen von Ungam, wo die Gleichberechtigung der
christlichen Confessionen herrschte, zur unbestrittenen Staatsreligion
geworden, während der Protestantismus nur in Schlesien und in
Österreich unter der Enns eine beschränkte Duldung genoß. Ton-
angebende Rathgeber der Herrscher blieben bis ins 18. Jahrhundert
die Jesuiten, auf deren Betreiben die Gegenreformation vor allem
ins Werk gesetzt wurde. Der Orden war darum nicht bloß in Ungarn
tief verhasst, auch in Österreich und Steiermark sprach man es
1683 unverholen aus, dass die Societät Jesu unwidersprechlich die
Hauptui*sache der Religionsverfolgung in Ungarn und somit auch
des Türkenkrieges sei, dass sie kurzsichtig nur ihr eigenes Gedeihen
verfolge und dabei den Ruin des Staates nicht berücksichtige.
13. Von andern christlichen Bekenntnissen kam jetzt in Öster-
reich-Ungarn auch schon das griechisch-orientalische in Betracht,
da den als Uskoken oder Wlahen seit dem 16. Jahrhundert an-
gesiedelten slavischen Flüchtlingen aus der Türkei, in Croatien
und Krain die Ausübung ihrer Religion freigegeben wurde. Ins-
besonders den serbischen Flüchtlingen, die im Jahre 1690 an
36.000—40.000 Famüien stark nach Ungarn übertraten, wurden
durch Privilegien Kaiser Leopold's I. das Recht, sich selbst den
Patriarchen zu wählen, eingeräumt.
1 4. Den Juden war während dieses Zeitraumes in der Mehrzahl
der österreichischen Lande nur ein beschränktes Niederlassungs-
recht eingeräumt und selbst dieses wurde ihnen ab und zu durch
Ausweisungsbefehle entzogen. Ganz ausgeschlossen waren sie aus
iSteiermark.
426 Österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Vierte Periode. § 52.
Geschichte der Verwaltung in neuerer Zeit. 1526 — 1740.
§ 52. Die Organisation der Yerwaltnng.
Literatur bei §§ 30 und S9. — Bid ermann, Gesanimt-Staatsidee, I, IL
und Ergänzung in Grünhut's Zeitschr. f. Privat- u. öflfentl. Recht, XXI (1894).
— D'Elvert, Zur österr. Verwaltungsgeschichte, 1880. — Fei In er, i. d. Mitth.
d. Inst. f. österr. Gesch., Bd. VIII und XV. — Hintze, Der österr. Staatsrath
im 16. und 17. Jahrh. (Zeitschr. d. Savigny-ßtiftung, VIII, 1887). — Huber,
R-G., 137 ff. -- Räch fahl, Organisation d. Gesammt-Staatsverwaltung Schlesiens
vor dem dreißigjähr. Kriege, 1894. — Rechbach, Observationes ad stylum curise
Gr»censis. 1680. — Rosenthal, Behördenorganisation K. Ferdinand's I. {Archiv
f. österr. Gesch., Bd. 69). Seydler, S. 70 ff.
1. Vom Mittelalter zur Neuzeit hatte sich die Vorstellung
vom Zwecke des Staates unter dem Einfluss des Humanismus
wesentlich verändert: zu dem Schutz der Gemeinschaft vor äußeren
Feinden, des Einzelnen vor der Vergewaltigung durch Unrecht
gesellte sich nun die Forderung, dass der Staat auch für das
allgemeine Wohl Vorsorge. Zu gleicher Zeit gewahren wir ein
Zurücktreten der dem Mittelalter eigenthümlichen Auffassung der
Herrschergewalt, als eines Gemenges von Lehens- und Grundherr-
lichkeit mit landesfürstlichen Hoheitsrechten, gegenüber einer all-
mählich alle Verhältnisse des Lebens durchdringenden Staatsgewalt.
Unter dem Einfluss des römischen Rechts erwuchs der Begriff der
absoluten Majestät der Krone und wurde diese mit gewissen,
zu ihrem Wesen untrennbar gehörigen Hoheitsrechten ausgestattet.
Schon in den Actenstücken Kaiser Ferdinand's L kehrt immer und
immer wieder die Berufung auf die „volkomliche Macht, Hoheit,
Obmäßigkeit und Majestät", die ihm über seine Lande zustehe.
2. Diesem Anwachsen der staatlichen Aufgaben gegenüber
erwiesen sich zu deren Bewältigung die alten Einrichtungen un-
zulänglich. Deshalb entwickelten sich in dem Maße, als die Ansprüche
an den Staat wuchsen und die Herrschergewalt erstarkte, neue Be-
hörden, und zwar nicht bloß staatliche, sondern auch bei autonomen
Körperschaften, die auf solche Weise ihre frühere Stellung zu
behaupten suchten. Neben diesen großen Kreisen der Staats- und
körperschaftlichen Selbstverwaltung, bot auch die vom Mittelalter
Übersicht der Verwaltungsbehörden. 427
her bestehende Verbindung vieler öffentlicher Aufgaben mit dem
Grundbesitz Anlass zu einer besonderen grundherrliehen Verwaltung.
Die Organe der Verwaltung in Österreich zerfallen demnach
in dieser Zeit in folgende Haupt- und Untergruppen:
A, Landesförstliche Behörden und Ämter:
a) Centralbehörden,
h) Behörden für Ländergruppen,
c) Landesbehörden und untergeordnete Ämter.
B. Organe der körperschaftlichen Selbstverwaltung:
a) der Landschaften,
b) der Städte und Märkte,
c) der Vereinsverwaltung.
C Grundherrliche Verwaltung.
3. Für die Ausgestaltung des landesfürstlichen Behörden-
wesens war die Ländertheilung vom Jahre lö64 von großer Be-
deutung, weü nun die Wirksamkeit der Wiener Centralbehörden
für die Lande der jüngeren und jüngsten Linie aufhörte und in
Graz und Innsbruck neue Centralorgane für Innerösterreich und
für Tirol nebst den Vorlanden eingerichtet wurden. Für die im
Zuge befindlichen, auf Vereinheitlichung der Verwaltung abzielenden
Bestrebungen des Herrscherhauses bedeutete diese Maßregel nicht
bloß eine kurze Hemmung, sondern eine förmliche Auflösung,
deren letzte Wirkungen erst unter Kaiser Josef IL beseitigt wurden.
4. Die Einrichtung und Besetzung der Centralbehörden und
vielfach auch der unteren Ämter war ein Hoheitsrecht des Herr-
schers, das dieser unbeschränkt übte. Anders verhielt es sich mit
jenen Ämtern, deren Bestand und Besetzung mit den vom Mittel-
alter hergebrachten Landeseinrichtungen zusammenhieng ^ und die
darum geradezu als ein BestandtheU der Länderverfassung galten.
Die HeiTscher trachteten diese Einschränkungen* ihrer Verfügungs-
^ 6o stand in Ungarn dem Könige nur das Recht zu, für den Posten eines
Paiatins vier Personen vorzuschlagen, unter denen der Reichstag die Wahl hatte.
Die nachfolgende Bestätigung durch den König galt als Förmlichkeit, das Amt
wurde auf Lebenszeit verliehen. Virozsil, II, § 64.
3 So gab es in Böhmen von früher her eine Reihe von hohen Ämtern,
welche zugleich königliche und ständische Stellen waren, auf Lebenszeit besetzt
wurden und gewissen Classen der Landstände vorbehalten waren. Ferdinand II.
behielt sich in der vemeuerten L.-O. das Recht vor, die Ämter beliebig mit
Personen zu besetzen, die im Lande ansässig waren u. s. w. Vgl. Absatz 15.
428 Österreichische Reichsgeschichte. IL Theil. Vierte Periode. § 52 u. 53.
gewalt bei zutreffender Gelegenheit zu beseitigen und vielfach ist
ihnen dies, wenn wir Ungarn dabei ausnehmen, im Laufe dieses
Zeitraumes schon gelungen.
5. Die Beamten an der Spitze der Landesverwaltung, bei
deren Auswahl der Landesfürst durch die Landesverfassung be-
schränkt war, erachienen gleichzeitig als Vertrauensmänner der
Stände. Es entsprach dieser Doppelstellung, dass sie nach beiden
Seiten eidlich verpflichtet waren, doch wurden sie für die Dauer der
Landtagsverhandlungen gewöhnlich vom Herrscher ihres besonderen
Diensteides entbunden. Im übrigen aber erscheinen sie gleich allen
anderen nicht als Staatsbeamte, sondern als Diener des Landes-
fürsten. Nur für die Stellen, welche den Rechtsgelehrten vor-
behalten waren (die s. g. Doctorenbänke), bestand der Nachweis
eines akademischen Titels; davon abgesehen, gab es bis ins 18. Jahr-
hundert noch keine Vorschriften für den Bildungsgang der Beamten.
Mit dem wachsenden Einfluss der Juristen kam es aber von selbst,
dass späterhin die Mehrzahl der Beamten Universitätsstudien hatte.
Wer sich dabei auf den Besuch auswärtiger, vor allem italienischer
Hochschulen berufen konnte, war umsomehr geachtet.* Feste
Gehaltssätze gab es lange Zeit nicht, ebensowenig allgemeine Fest-
setzungen über die Dauer der Dienstzeit, die mitunter vertrags-
mäßig auf wenige Jahre beschränkt wurde. Dem Beamten wurde
bei seiner Aufnahme, je nachdem er zum Dienst „von Hause aus*,
d. h. nur im Bedarfsfall, oder zu dauernder Anwesenheit verpflichtet
vmrde, vom Landesfürsten ein Gehalt nach seinem Ermessen aus-
gesetzt und dieses nach Maßgabe der Zufriedenheit erhöht, auch
wohl durch mancherlei „Gnadengaben" vermehrt. Beim Austritt
nach langjähriger treuer Dienstzeit, in deren Verlauf Unadelige
oft durch Wappenbriefe oder Adelsverleihung geehrt wurden,
durfte der Beamte auf eine Versorgung im Gnadenwege durch
eine Provision hoffen. Neben dem Gehalt, das noch in der zweiten
Hälfte des 17. Jahrhunderts alle Quatember nachhinein fällig war
und oft genug unregelmäßig bezahlt wurde, hatten die Beamten
^ Vgl. in meinem Aufsatz , Österreich er an ital. Universitäten* die Ab-
schnitte .Ergebnisse", Bl. d. Ver. f. Ldlcde. v. N.-Ö. 1880—1885. Über Amts-
pflichten, Amtsstunden, Urlaubszeit, Verschwiegenheit der Beamten u. dgl. finden
sich zerstreute Nachrichten in den Amtsordnungen seit dem 16. Jahrh. Kino
gute Zusammenstellung bei Rachfahl, 429 ff, dazu S. 328 ff.
Stellung der Beamten; landesfürstl. Gentralbehörden : der Uofrath. 429
meist noch Anspruch auf Sportein, auch war die Annahme von
Geschenken nach pflichtgemäß vollbrachter Amtshandlung zum
mindesten nicht untersagt, wohl aber bei den s. g. Procureyen
verboten, unter welchen man die Vermittlung von Amtserledigungen"
verstand.^ Der Grundsatz, dass niemand zwei Herren dienen dürfe,
war nicht strenge durchgeführt und es kam namentlich vor, dass
jemand als »Rath vom Haus" aus auch von auswärtigen Fürsten
Besoldungen empfieng.
§ 53. Die landesffirstlichen Behörden nnd Amter.
A. Centralbehörden.
1. Aus der Thatsache, dass die Stellung der habsburgischen
Besitzungen zum Deutschen Reich in den alten Erblanden, in
Böhmen und Ungarn verschieden war, ergab sich eine dreifache
Art von Centralbehörden : Für das Reich und die Erblande bestand
durch geraume Zeit der Hofrath als gemeinsame oberste Behörde ;
die Hofkammer und der Hofkriegsrath waren Centralbehörden für
die Erblande, Böhmen und Ungarn ; noch andere w ie der geheime
Rath und die Hofkanzlei hatten einen Wirkungskreis, der sich
soweit, als der Regierungswille des Herrschers erstreckte, also auf
das Deutsche Reich, auf die Erblande, Böhmen und Ungarn.
2. Der Hofrath, der zu Anfang des Jahres 1527 schon
vorhanden war, folgte dem Hofe des Hen^schers und war daher
anfänglich ohne festen Amtssitz. Er bestand aus den Inhabern der
obersten Hofämter und einer Anzahl von Räthen aus den Erb-
landen und dem Reich ; Vorsitzender war zuerst der Hofkanzler
Cardinal Bernhard von Cles, später der Hofmarschall, seit 1559
ein Hofrathspräsident. Der Hofrath hatte als oberste Regierungs-
behörde in Verwaltungssachen nur das Recht zu Vorschlägen,
dagegen fällte er als Revisionsbehörde in Rechtsstreitigkeiten die
^ Snttinger, s.v. Regiernngsbesoldung. Als die steir. Landschaft 1593 die
Bestätigung der Landesfreiheiten beim K. Rudolf IL erwirkt hatte, bat sie den
Hofkammerpräsidenten, unter der Hand zu erforschen, ob man die Freiherren
Rumpf und Kurz für ihre Mühe ,mit parem Gelt oder sonst einem zugerichten
Honorario am besten" gratifleieren könne. Das Verbot der Qeldannahmo bei
Procureyen s. im 2. Innsbrucker Libell 1518. Eine Aufzählung von Geschenken
der Stadt Graz an l.-f. Beamte s. Mitth. d. h. V. f. Steiermark, Heft 29, S. 91.
430 Österreichische Reichsgeschichte. II. Theii. Vierte Periode. § 58.
Entscheidung selbst, es wäre denn, dass sich die Räthe nicht
einigen konnten, oder dass ihnen die Angelegenheit so wichtig
schien, dass sie dieselbe dem votiim ad imperatarem zuführten.
Der Zeitpunkt, in welchem der Hofrath aufhörte, gemeinsame
oberste Behörde für Reich und für die Erblande zu sein, lässt
sich nicht genau angeben; zur reinen Reichsbehörde wurde er
vermutlilich erst durch die veränderte Zusammenstellung, die er
infolge des westfälischen Friedens erhielt. Die Revisionsordnung
vom Jahre 1669 bestimmt, dass zur Bearbeitung der einlaufenden
Revisionen „taugliche und wohlqualificierte, in Rechten und hiesigen
Gerichts- und Landesbrauch erfahrene Personen als Commissäre
zu bestellen seien*. Zur Leitung der Regierungsgeschäfte im engeren
Sinn scheint dagegen erst der geheime Rath und seit der Mitte
des 17. Jahrhunderts die Hofkanzlei berufen worden zu sem.
3. Das Collegium des geheimen Rathes oder schlechtweg der
„geheime Rath" genannt, wurde von Erzherzog Ferdinand I. schon
zur Zeit errichtet, da er bloß Statthalter der österreichischen Erb-
lande war. Es wurde als ein „Ausbruch aus dem Hofrath* an-
gesehen, war aber anfänglich kein geschlossenes Collegium, sondern
es wurden außer den obersten Hofbeamten, die regelmäßig er-
schienen, von Fall zu Fall auch andere Vertrauenspersonen des
Herrschers zum geheimen Rath berufen, namentlich der böhmische
Kanzler. Aufgabe des geheimen Rathes war die Berathung des
Herrschers in „allen hochschweren und geheimen Sachen, ins-
besonders in auswärtigen Angelegenheiten". Mit der Erweiterung
des Reichsumfanges dehnte sich der Wirkungskreis dieses CoUegiums
aus, das zuerst, wie es scheint, nur fünf Mitglieder zählte (1547,
1554, 1614), unter Kaiser Ferdinand IL, nach dem ersten öster-
reichischen Staatshandbuch, dem „Status particularis Regiminis
S. C. Mai. Ferdinandi IL" vom Jahre 1637, aber schon auf fünfzehn
gestiegen war. Wir finden darunter die Vorstände aller Central-
behörden und oberste Beamte aus allen Ländergruppen. Verhandelt
wurde täglich vor dem Kaiser durch einige nach Erfordernis
berufene Geheimräthe in allen wichtigen Staatsangelegenheiten.
Verreiste der Kaiser aus Wien, das seit Matthias erklärte Residenz-
stadt war, so wurde für die Zeit der Abwesenheit ein „deputiertes
Geheimraths-CoUegium" hier zurückgelassen, an welches dann die
wichtigsten Aufträge vom Hofe gelangten.
Landesftirstliche Centralbehörden: der geheime Rath, die Hofkaazlei. 431
4. Unter Kaiser Ferdinand III. gieng die Bedeutung des
geheimen Rathes zurück, zugleich ist ein weiteres Steigen der
Mitgliederzahl zu beobachten. Kaiser Leopold I. schuf darum im
Jahre 1669 die s. g. geheime Conferenz, d. h. er wählte sich aus
den geheimen Käthen eine kleine Anzahl wirklicher Berather
(erst 4, die später bis auf 13 stiegen), während im übrigen die
Würde des geheimen Rathes zum bloßen Ehrentitel wurde. Die
geheime Conferenz war nicht als einheitliche Behörde thätig,
sondern es wurden aus ihr sowohl für die Beziehungen zu einzelnen
auswärtigen Mächten, als für besondere Verwaltungszwecke „Special-
commissionen" gebildet. Einheit in die so vielfach zersplitterte
Leitung der auswärtigen Angelegenheiten brachte nur die Person
des Hofkanzlers, der als Vorstand der Hofkanzlei für die Aus-
fertigung der Beschlüsse zu sorgen hatte und dessen Ansehen
darum jetzt stark anwuchs. Unter Kaiser Josef I. wurde die
geheime Conferenz erst auf vier Mitglieder eingeschränkt, später
wieder verstärkt, im Jahre 1709 in eine engere und weitere Con-
ferenz getheilt. Außerdem wurde der Obristhofmeister, der schon
früher den Titel Director des geheimen Rathes geführt und den
Monarchen beim Vorsitze in den Staatsconferenzen vertreten hatte,
im Jahre 1705 als Premierminister zur obersten Leitung aller
Staatsangelegenheiten ernannt. Unter Kaiser Karl VI. blieben diese
Einrichtungen im wesentlichen aufrecht.
5. Zur Ausfertigung der Beschlüsse des geheimen- und des
Hofraths standen dem Hofkanzler oder dessen Stellvertreter HUfs-
arbeiter zur Seite, welche die allgemeine Hofkanzlei ausmachten.
Dieselbe zerfiel in mehrere theils nach Fächern, theils nach Länder-
gruppen gegliederte Abtheilungen mit je einem Secretär an der
Spitze, und war zu Zeiten die allgemeine Schreibstelle für die
habsburgischen Besitzungen und das Deutsche Reich. Eine selbst-
ständige Entscheidung stand ihr anfänglich nicht zu und der Einfluss
des Hofkanzlers, dem seit dem Jahre 1538 Vicekanzler folgten,
war weniger durch die Ausführung der Kanzleigeschäfte, als durch
seine Mitgliedschaft im geheimen- und Hofrath begründet.
6. Schon in der Reichskaozleiordnung vom Jahre 1559 war
die Trennung der erbländischen von den Reichsangelegenheiten
grundsätzlich anerkannt worden, wiewohl der Ersparnis wegen
einige Schreibkräfte noch gemeinsam blieben. Kaiser Ferdinand IL
432 Österreichischo Reichsgesohichte. II. Theil. Vierte Periode. § 58.
schritt zur völligen Absonderung und errichtete im Jahre 1620,
unabhängig von der Reichshofkanzlei, eine eigene österreichische
Hofkanzlei, der er die Ausfertigung für alle seine Länder über-
trug. Unter Kaiser Ferdinand III. wurde dann die österreichische
Hofkanzlei mit dem Recht der Beschlussfassung ausgestattet und
1654 als collegiale Behörde eingerichtet, welche namentlich die
Vorberathung von Vorlagen an den geheimen Rath besorgte. Sie
vereinigte in dieser Zeit Aufgaben der Ministerien des Äußeren,
des Inneren und der Justiz mit jenen eines obersten Gerichtshofes.
Allgemach verlor jedoch die österreichische Hofkanzlei einen Theil
ihres auf alle Besitzungen des Kaisers ausgedehnten Wirkungs-
kreises und behielt ungeschmälert nur die Angelegenheiten der
altösterreichischen Lande. Gefördert wurde diese Entwicklung
dadurch, dass bei dem Wiederanfall der Lande die Hofkanzleien
für Innerösterreich und Tirol, die nach dem Jahre 1564 errichtet
worden waren, zwar nach Wien gezogen und dem österreichischen
Hofkanzler unterstellt, jedoch nicht formell aufgehoben wurden.
Dies erleichterte die Umwandlung der für Böhmen und Ungarn
bestehenden Abtheilungen der österreichischen Hofkanzlei zu selbst-
ständigen Behörden. Der ungarischen Hofkanzlei wurde im Jahre
1690 eine collegiale Verfassung gegeben, für Siebenbürgen auf
Drängen der dortigen Stände 1695 eine eigene siebenbürgische
Hofkanzlei errichtet. Unter Karl VI. kamen noch eine italienische
und niederländische Hofkanzlei hinzu. Seit Kaiser Josef I. wurden
zwei österreichische Hofkanzler ernannt, von welchen der eine
die Leitung der Politica, der andere die der Juridica zu besorgen
hatte ; unter Kaiser Karl VI. übernahm nach der Instruction vom
Jahre 1720 der erste Hofkanzler die Geschäfte eines Ministers des
kaiserlichen Hauses und der auswärtigen Angelegenheiten, während
der zweite die Leitung der »Provincialia et Judicialia" erhielt;
damit war die von der Kaiserin Maria Theresia später verfugte
Theilung dieser Behörde schon vorbereitet.
7. Die allgemeine Hofkammer hat König Ferdinand I. zu
Anfang des Jahres 1527 als Centralbehörde für die Erblande und
die neuerworbenen Königreiche Böhmen und Ungarn ins Leben
gerufen. Sie organisierte und überwachte die Länderkammem ohne
sich in die Einzelheiten der Finanzverwaltung zu mengen. Der
Vorstand, der mit dem Monarchen unmittelbar verkehrte und in
L.-f. Centralbehörden : Hofkanzlei, Hofkammer, Hofkrlegsrath. 438
wichtigeren Finanzfragen die Beschlüsse des geheimen Raths
unmittelbar ins Werk setzte, hieß bis 1568 Schatzmeister, später
standen ein Präsident und Vicepräsident an der Spitze der aus
mehreren Hofkammerräthen und sehr zahlreichem Personal be-
stehenden Hofkammer, deren Wirksamkeit viel zu wünschen ließ.
Unter Kaiser Ferdinand IL wurde 1635 die n.-ö. Kammer ad
interim mit der Hofkammer vereinigt ; die Unterordnung der i.-ö.
und der o.-ö. Hofkammer [unter die Wiener erfolgte erst unter
Kaiser Josef I. (1709) nicht ohne heftigen Widerspruch dieser
Behörden sowie der der i.-ö. und Tiroler Landstände. Unter Kaiser
Karl VI. wurde 1714 die Hofkammer reorganisiert und zugleich
die Universal-Bankalität eingesetzt; da außerdem eine ständige
geheime Finanz-Conferenz eingerichtet wurde, die bis 1741 bestand,
so gab es nun eigentlich drei oberste Finanzstellen.
8. Schon anfangs des Jahres 1529 wurde unter dem Eindruck
der Türkennoth über die Errichtung eines beständigen Kriegsrathes
am Hofe König Ferdinand's berathen und es soll auch unterm
26. Februar 1531 eine Instruction für diese Behörde erflossen sein.^
Zur dauernden Einrichtung wurde jedoch der Kriegsrath erst im
Jahre 1556. Er erhielt einen Wirkungskreis, der sich auch auf
Ungarn erstreckte, und sollte Einheit in die Kriegsführung bringen,
für die Beschaffung, Ausrüstung und Verpflegung des Kriegsvolkes
Sorge tragen, den Zustand der Befestigungen überwachen u. s. w.
Er war seit Kaiser Leopold I. die einzige umfassende Centralstelle
in Österreich-Ungarn, die ungeachtet mancher Veränderungen ihren
Namen bis zum Jahre 1848 behielt.
9. Die LändertheUung vom Jahre 1564 hatte zur Folge, dass
die von Kaiser Ferdinand I. für die Ländergesammtheit gewählte
Organisation der obersten Verwaltung nun für die Besitzungen
jeder Linie besonders eingerichtet wurde. So kam es, dass Inns-
bruck und Graz als Residenzen der Erzherzoge Ferdinand und
Karl ebenfalls Sitze von Centralstellen für die o.-ö. Lande (Tirol,
Vorarlberg u. s. w,) und für Innerösterreich wurden. Es entstanden
eine o.-ö., beziehungsweise i.-ö. Hofkanzlei, Hofkammer und ge-
heime SteUe, für Innerösterreich überdies ein i.-ö. Hofkrlegsrath,
für welchen den Landschaften das Vorschlagsrecht eingeräumt
1 Firnhaber im Arcliiv f. österr. Gesell., Bd. 30, S. 96.
Luschin, österreichische Reichsgesohichte. 28
484 Osterreichische Reichsgeschichte. H. Theil. Vierte Periode. § 5B.
wurde. Nach der Wieden^ereinigung der Lande kamen die o.-ö.
und i.-ö. Centralstellen keineswegs zu Gunsten der Wiener Be-
hörden in Wegfall, sondern es wurden, wie schon bemerkt, nur
die Hofkanzleien 1619 und 1665 nach Wien als den Sitz des Hofes
gezogen und Aem Hofkanzler unterstellt. Die Qeheimraths-Collegien
und die Hofkammern blieben aber in Innsbruck und Graz, ebenso
der i.-ö. Hofkriegsrath und versahen noch weiterhin den Dienst
von obersten Behörden für die o.-ö. und i.-ö. Ländergruppe. Die
beiden Hofkammern und der i.-ö. Hofkriegsrath wurden wohl unter
Kaiser Josef L der Wiener Stelle unterworfen und dadurch zu
Mittelbehörden, während das o.-ö. und i.-ö. Geheimraths-CoUegium,
denen vor allem die Revision in Rechtssachen übertragen war,
als unabhängige oberste Behörden noch fortbestanden.
B. Mittelbehörden.
10. Den Übergang von diesen obersten zu den Landes-
behörden vermittelten die über Ländei'gruppen gesetzten Mittel-
behörden. In Altösterreich erscheinen sie in Fortsetzung der
Maximilianischen Einrichtungen (§ 39) als die o.-ö. Regierung
und Kammer zu Innsbruck und die n.-ö. mit dem Sitz zu Wien.
Während die o.-ö. Behörden ihren Wirkungskreis auch nach der
Ländertheilung behielten, wurden bei diesem Anlass die Wiener
Behörden dauernd auf Österreich ob und unter der Enns beschränkt,
weil Erzherzog Karl im Jahre 1565 eine besondere Regierung und
Kammer für die abgetrennten i.-ö. Lande errichtete. Diese Grazer
Behörden führten vorerst die alte Benennung als „ niederöster-
reichische *", so dass es der Angabe des Amtssitzes bedarf, um
Verwechslungen zu vermeiden. Wohl aus diesem Grunde ließ man
im Jahre. 1620 die frühere Ausdrucksweise fallen und bezeichnete
fortan die Grazer Behörde als die i.-ö. Regierung. Diese galt als
das „höchste Tribunal Justitise* für Innerösterreich, war ferner
zuständig in Publice Ecclesiasticis und Sanitätsangelegenheiten,
bestellte Bürgermeister und Richter in den landesfürstlich'en Städten
in Steiermark, beziehungsweise bestätigte die Gewählten u. s. w.
Sie bestand aus einem Statthalter, Vice-Statthalter, dem Regiments-
kanzler und acht Mitgliedern der adeligen Bank, die nach Vorschlägen
der Landschaften (3 für Steiermark, je 2 für Kärnten und Krain,
LandesfUrstliche Mittelbehörden, Landesbehörden und Ämter. 435
1 für Görz) vom Landesfüreten ernannt wurden, sowie aus vier
rechtsgelehrten Käthen.
Die mit der i.-ö. Regierung zugleich emchtete i.-ö. Kammer, zu
welcher eine eigene „Buchhalterei" schon im Jahre 1566 gehörte,
verschwindet später; offenbar wurde sie nach 1619 der i.-ö. Hof-
kammer einverleibt, ganz so wie dies im Jahre 1635 der n.-ö.
Kammer ergieng, die mit der Wiener Hofkammer vereinigt wurde.
Ähnlich wie in Innerösterreich waren auch Regierung und
Kammer für Tirol und die Vorlande eingerichtet.
11. Als Mittelpunkte für die Verwaltung aller königlichen
Finanzrechte in den angefallenen Königreichen Böhmen und Ungarn
hat König Ferdinand I. in den Jahren 1527 und 1528 nach dem
Vorbild der n.-ö. Raitkammer die böhmische und ungarische
Kammer eingerichtet. Beide erhielten von Anbeginn die Stellung
von Mittelbehörden, d. h. sie bekamen einen Wirkungskreis, der
sich auch über die mit Böhmen und Ungarn verbundenen Lande
erstreckte, wurden aber andererseits der Hof kammer untergeordnet.
Dabei verblieb es trotz der Gegenbemühungen der Stände, da
König Ferdinand I. sein Recht, über das Kammergut frei zu ver-
fügen, den Ständen von Ungarn und Böhmen gegenüber behauptete.
Aus der böhmischen Landeskammer wurde später (1558) die .
öchlesische Kammer abgezweigt und ebenfalls der Wiener Hof-
kammer unmittelbar unterstellt.
Die Stellung einer Mittelbehörde nahm außerdem das Prager
Appellationsgericht ein, das König Ferdinand im Jahre 1548 als
übergeordnete Instanz für alle Stadtgerichte in Böhmen, Mähren
und Schlesien errichtete.
C. LandesfUrstliche LandesbehSrden und Amter.
12. Den Central- und Mittelbehörden, durch deren Einsetzung
die Herrscher im Wege der Verwaltung eine größere Annäherung
ihrer Länder herbeizuführen suchten, unterstanden Landesbehörden.
Bei einer Vergleichung der altösterreichischen Erblande mit den
Einrichtungen in Ungarn und Böhmen zeigen sich da manche Ver-
schiedenheiten. Übereinstimmend findet sich dagegen überall als
Abschluss der Entwicklung vom Mittelalter her eine eigenthüm-
liche Doppelstellung für gewisse, an der Spitze des Landes stehende
28*
436 österreichische Reichsgeschichto. IL TheiL Vierte Periode. § 53.
Beamte, welche diese sowohl als Vertrauenspersonen des Herrscher*
wie der Stände erscheinen lässt, mag der Beamte nun Land«
marschall, Landeshauptmann oder Palatin geheißen haben.
13. Sowohl der Landmarschall in Österreich unter der Enns
als die Landeshauptleute im Lande ob der Enns, in Innerösterreich
und Tirol wurden vom Landesfiirsten aus den Mitgliedern des
Herrenstandes frei eniannt, waren jedoch sowohl diesem als den
Landständen durch Eid verpflichtet. Durchwegs kam ihnen der
Vorsitz in den ständischen Gerichten (Landmarschallisches Gericht,
Landschrannen u. dgl.) zu, den sie jedoch gewöhnlich ihren Stell-
vertretern, Land Untermarschall, Landesverweser, mitunter auch den
Landesverwaltern, überließen, femer die Einleitung von Criminal-
processen gegen adelige Mitglieder der Landschaft. Die übrigen
Aufgaben wechselten nach den Ländern.
Als oberste Pinanz-Landesbehörde gab es in allen fünfn.-ö.
Landen seit Kaiser MaximUian L die Landes- Vicedomämter. Diese
führten über den landesfürstlichen Grundbesitz (auch wenn er
verpfändet war) nicht minder über andere, zur landesfürstlichen
Kammer gehörende Rechte und Gefälle die Aufsicht und Recht-
sprechung, besorgten die Inventur und Installation auf den kaiser-
lichen Pfarren und waren mit der Verrechnung an die zuständige
Landeskammer gewiesen. Die Beisitzer des Landes-Vicedoms, die
vom Landesfürsten aus dem Kreise der obern Stände (in Krain auf
Lebenszeit) ernannt wurden, hießen Landräthe.
Neben den genannten gab es in den Ländern nach Bedarf
noch andere landesfürstliche Behörden und Ämter: Kammer-
procuratoren zur anwaltschaftlichen Vertretung der Ansprüche des
Landesherren, Kellergerichte in Weinbergstreitigkeiten, Bergwerks-
behörden, Jägermeister, Waldmeister, Bannrichter, landesfürstliche
Hauptleute zu Triest, Fiume, Görz, Gradiska, Flitsch, u. s. w.
14. In Böhmen und Ungarn hatte die königliche Gewal t zur
Zeit, da Ferdinand I. die Regierung antrat, nur wenig zu bedeuten.
Das Kammergut war erschöpft, die wichtigsten Gerechtsame in
den Händen der Stände. König Ferdinand war nun entschlossen,
dem Königthum die thatsächlich entzogenen Rechte im Wege der
Verwaltung zu erkämpfen. Dazu reichte die Organisation der alten
Behörden nicht aus, die im wesentlichen eine ständische war, und
darum suchte er seinen Einfluss durch Schaffung neuer Amter
Landesfürstl. Landesbehörden n. Ämter in Altösterreich u. Böhmen. 437
und Behörden sicherzustellen, die er soviel als möglich nach dem
in den deutschen Erblanden erprobten Muster einrichtete. Mit
richtigem Regentenblick erkannte er, dass zuvörderst mit der
Besserung der Finanzverhältnisse begonnen werden müsse, nicht
minder, dass das königliche Kammergut und die Regalien das
Gebiet seien, auf welchem Neuerungen in der Verwaltung am
erfolgreichsten gegen einen in der Landesverfassung nicht be-
gründeten Widerspruch der Stände zu behaupten waren. So ist
denn die Errichtung von Landeskammem mit coUegialer Verfassung
und Unterordnung unter die Hofkammer einer der ersten Regierungs-
acte gewesen, die Ferdinand I. als König von Böhmen und Ungarn
vornahm. Doch beschränkte er sich nicht auf die Einsetzung von
Mittelbehörden nach österreichischem Muster, sondern ernannte
1554 auch einen Vicedom für Schlesien, bestellte Kammerprocu-
ratoren in Mähren und Schlesien, übertrug das Amt des Hansgrafen
nach Mähren u. s. w. Andere Behörden wurden unter Anpassung
an die im Lande bestehenden Verhältnisse ganz neu geschaffen,
wieder andere, die Ferdinand schon vorgefunden hatte, erhielten
eine den Bedürfnissen des Herrschers besser entsprechende Gestalt.
15. Zu diesen Reformen bot in Böhmen insbesonders die
erfolgreiche Bekämpfung der ungesetzlichen Widerstandsversuche
die Handhabe. Die ständische Bewegung zu Zeiten des schmal-
kaldischen Krieges beantAvortete König Ferdinand I. mit der Ein-
setzung der königlichen Richter in den böhmischen Städten und
des Prager Appellationsgerichts. Noch weiter aber gieng Kaiser
Ferdinand H. nach der Schlacht auf dem Weißen Berge. Der
Obristkanzler in Mähren begutachtete die an ihn gestellte Frage,
„wie etwa das Guberno und Justizwesen widerumb von neuem
bestellt werden möge", dahin, dass die Stände auch in Mähren allen
Anspruch auf das „bisher besonders gehabte Landrecht** und die
übrigen Freiheiten eingebüßt hätten, so dass der Kaiser seinem
Gefallen nach ein neues Guberno oder Regiment verfassen oder
mindestens das mährische zum böhmischen Landrecht transferieren
lassen könne, obgleich letzteres zu widerrathen sei sowohl wegen
der Entfernung, als auch weil die böhmischen und mährischen
Rechte, Statuten und Gewohnheiten einen merklich großen Unter-
schied aufwiesen. Kaiser Ferdinand IL gieng nicht so weit, er
machte aber die an der Spitze des Landes stehenden Beamten aus
438 Österreichische Reiohsgeschichte. II. Theil. Vierte Periode. §63.
Vertretern der Stände zu Dienern des Landesherrn, die er „nach
Einziehung genügsamen Berichtes" nach seinem Gutdünken au&
den im Lande begüterten ständischen Familien auf Zeit ernannte.
Der Aratseid, den sie früher nicht nur dem Könige, sondern aufeh
dem ganzen Lande leisteten, wurde nun allein auf den König
und seine Erben gestellt, auch sollten sie nicht mehr „oberste
Landesofficiere des Königreichs Böhmen", sondern „königliche
oberste Landesofficiere im Königreich Böhmen" heißen und in Ab-
wesenheit des Königs dessen Statthalter im Lande sein. Schon
früher waren dergleichen Statthalter (1577, 1617) vorübergehend
zur Besorgung der wichtigsten Angelegenheiten im Lande ein-
gesetzt worden, nun bildeten sie eine bleibende Behörde, deren
Mitglieder als solche zunächst unbesoldet waren, die königliche Statt-
halterei in Böhmen. Die nach Wien berufenen Landesofficiere wurden
aber zu Räthen der böhmischen Hofkanzlei, die als Vermittlerin
des Verkehrs zwischen dem Hofe und den Landesbehörden all-
mählich zu einem Landesministerium für Böhmen aufstieg. In
ähnlicher Weise wurden coUegiale Behörden für die Landes-
verwaltung von Schlesien und Mähren eingesetzt und dadurch die
obersten Landesbeamten aus ständischen Organen zu königlichen
Beamten gemacht: in Schlesien durch das königliche Oberamt (1630),
das im Jahre 1641 zur königlichen Statthalterei in Glatz wurde
und politische, Justiz- und Kammeralsachen zu erledigen hatte, in
Mähren 1636 durch das königliche Tribunal oder das königliche
Amt der Landeshauptmannschaft.
16. Ebenso wurde die in Böhmen von den Landständen ent-
wickelte Kreiseintheilung mit ihren Organen in den Kreis der
königlichen Behörden gezogen und im Jahre 1642 auf Mähren
übertragen. Die Kreise wurden dadurch zu landesfüi-stlichen Ver-
waltungsbezirken, in welchen die ernannten Kreishauptleute das
„Landesgubernium* in der Obsorge über die landesfürstliehen
Regalien, bei der Eintreibung der Steuerrückstände, in der Auf-
sicht über Maß und Gewicht u. s. w. vertraten, und es wurde
so die Grundlage für die einschneidende Umgestaltung der Ver-
waltung unter der Kaiserin Maria Theresia gelegt.
In noch größere Abhängigkeit von der Regierung, wurde die
Selbstverwaltung der Städte durch Einsetzung königlicher Richter
gebracht, denen die Überwachung zukam, dass in den Bürger-
Die Organe der landesfürstl. Verwaltung in BÖlimen und Ungarn. 439
Versammlungen nichts gegen den König beschlossen werde. König
Ferdinand I. hat diese königlichen Commissäre nach dem Auf-
standsversuche vom Jahre 1 547 in Böhmen eingeführt, Kaiser Fer-
dinand IL das Institut im Jahre 1621 auf Mähren ausgedehnt.
17. Die Landesverwaltung in den Ländern der ungarisclien
Krone war, abgesehen von der Einrichtung der ungarischen (1528)
und später (1567) auch der Zipser Kammer, an Stelle des früheren
.Thesauriats" bis zum Jahre 1722/23 im wesentlichen unverändert.
Die Vertretung des abwesenden Königs in allem, was ihm nicht
ausdrücklich vorbehalten war, stand verfassungsmäßig dem Palatin
zu, der von den Ständen nach den Vorschlägen des Königs auf
Lebenszeit erwählt wurde ; die allzu große MachtfuUe des Palatins
bewog jedoch die Könige, dies Amt von 1531 — 1681 (mit Aus-
nahme der Jahre 1608—1667) meist unbesetzt zu lassen.^ Die
Stellvertretung, die sonst in Fällen der Palatinalvacanz dem Judex
Curise zukam, wurde in dieser Zeit getheilt und vom Könige nach
seinem Ermessen in Verwaltungsangelegenheiten gewöhnlich einem
Kirchenfürsten als „Locum tenens Regius" unter Beiordnung einiger
Räthe übertragen, während für die richterlichen und militärischen
Befugnisse durch Ernennung eines „Propalatins'' und zweier
„Landescapitäne" vorgesorgt wurde. Der nächste nach dem Palatin
war der Judex Curise als oberster Landesrichter in Ungarn, als
dritter folgte der Ban von Croatien und Slavonien, der in diesen
Landen der oberste Beamte in Civil- und MiUtärangelegenheiten
war, diesem der „Reichs-Tavernicus" oder Erzschatzmeister, dem
die königlichen Freistädte unterstellt waren, u. s. w.
18. Siebenbürgen, für das am Wienerhofe eine eigene Hof-
kanzlei seit 1691 bestand, wurde, als Fürst Michael II. Apaffy das
Land im Jahre 1696 dem Kaiser Leopold I. gegen ein Jahresgehalt
abgetreten hatte, auf dem Fuße eines altösterreichischen Kronlandes
eingerichtet. Es erhielt ein eigenes Gubemium und als Unter-
behörde der Hofkammer ein Thesauriat. Ebenso wurden noch
einige andere Gebiete, die den Türken durch Rückeroberung zuletzt
entrissen worden waren, nicht mit Ungarn oder Croatien vereinigt,
sondern zunächst der Wiener oder Grazer Hofkammer unmittelbar
unterstellt, weil sie nach der Ansicht Kaiser Leopold's I. und
2 Virozsil, I, §35, II, § 64 ff, III, § 78 flf.
HO Osterreicbiscbe Reiobsgeschichte. IL Theil. ^'ie^te Periode. § 53 u. 54.
seiner Nachfolger als Pfänder mit ihren Ertr^aissen dafUr haften
sollten, „d&as die altösterreiehischen und die böhmischen Erblande
weiterhin mit unverhältnisraäßigen Opfern für die Vertheidigung
jener Länder verschont bleiben'. Sie wurden daher tbeils als ,Greiiz-
länder' militärisch eingerichtet, theils, wie das Temeser Banat, zu
besonderen Verwattungasprengeln gemacht.
19. Durch die Gesetzeaartikel 97/98, 101/2 vom Jahre 1723
wurde für die Verwaltung des eigentlichen Ungarn nach dem
Muster der königlichen Statthalteret in Böhmen ein „Consilium
Regium Locum tenentiale' für alle innem Angelegenheiten — aus-
genommen reine Justiz- und Kammeralsachen — eingesetzt. Es sollte
aus 22, vom König aus den obern Ständen frei gewälilten Räthen
unter dem Voraitae des Palatins oder seines Vertreters bestehen,
zu Presaburg seinen Sitz haben und ohne Unterordnung unter
eine fremde Hofstelle durch die ungarische Hofkanzlei mit dem
Könige verkehren. Nach unten hin beruhte dann die Geschäfts-
führung auf dem Grundsatze der Selbstverwaltung und wurde
theils durch die gewählten Comitateausschüsse unter Vorsitz des
Ober- oder Vicegespana, theils durch die Organe der königlichen
freien Städte, oder der piivileglerten Districte des Landes besoi^
% 54. Die Einrichtungen körperschaftlicher Selbstreriraltniig.
Inforruation aus dem Tirolor Landschalts-Ai'chiv die Landesfrey heiten und
. . alle seit 13-23 abgehaltenen Au^schusM betreffend. — Instructionen filr die Ver-
ordneten, die Raitberren und den Einnolimer des Landes ob der Enns Tiirs Jahr
1661 (Mas. f. S.). - Kümmel E., Die la. Ausgabebilcbor (Beitr. z. Kde. eUlr.
Oeschqu., XIVJ. — Rieger, Kreisverfassung in Böbmen (im österr. Staatswörter-
buch). — Steoger, Rechte der königl. Städte In Ungarn, 2 Bde. — Valvasor.
Bliro des Herzogthuras Crain, IX. Buch. - Virozail, § 80. — Über die Ver-
waltung der Städte und Zünfte, s. Literatur bei g 36, auQerdem Böheim. Über
Wiener-Neustadt: Hermann, über St. Veit und Klagenfurt; Peinlich, i. d.
Mittb. d.b. Ver. f. Stmk., Heft 25, 29: Hormayr, Weiß, über Wien: Preven-
huebor, Anoales Styrenses, Erben, Die Primatoren der b. Altstadt Prag 1858:
H'Elvert, Beitr. b. Gesch. d. kgl. Städte In Muhren, u. s, w.
A. LandständisGhe BehSrden und Amter.
I . Die Wahl von LandtagsausschUssen zur Besorgung gewisser,
langer dauernder Angelegenheiten der Landschaft, die vereinzelt
fiiiluT schon vorgekommen war, wurde in den altösterreichischen
Landschaftliche Behörden: die Verordneten, der Ansschuss. 441
Landen seit der Zeit Kaiser Maximilian's I. eine bleibende Ein-
richtung (§ 40, 7). Sowohl die Zahl als auch die Zusammensetzung
und die Amtsdauer dieser Ausschüsse konnten wechseln, ebenso
waren die Aufgaben und Vollmachten verschieden, die ihnen der
Landtag als Auftraggeber ei*theilte.
In den fünf n.-ö. Landen fielen die wichtigsten Aufgaben
dem Ausschuss der Verordneten zu. Diese waren die bleibenden
Geschäftsführer des Landes und hatten so ziemlich die Stellung,
die heute den „ Landesausschüssen "^ zukommt. Namentlich hatten
die Verordneten das ganze Wirtschaftswesen des Landes „zu be-
sorgen, der Herren Stände Schlüsse zu exequieren und deroselben
Gerechtsame und Privilegia zu conservieren". Sie waren die Vor-
gesetzten der landschaftlichen Kanzlei und hatten alljährlich dem
Landtag eine „Relation"' über ihre Thätigkeit im abgelaufenen
Jahre, den Stand des Landschaftsvermögens, eine Art Voranschlag
u. 8. w. zu erstatten. Selbständiges Verfügungsrecht besaßen sie
nur in sehr beschränktem Maße, ihres Amtes war nur, die Landtags-
beschlüsse auszuführen, nicht aber solche zu ändern. Darum war
es ihnen auch verwehrt, s. g. Anticipationen, d. h. Vorausbezahlungen
noch nicht bewUligter Steuern, aus eigenem der Regierung zu
bewilligen. Ihre Zahl wechselte selbst in ein und demselben Lande
und ebenso die Amtsdauer, die meistens einige (3 bis 4) Jahre
betrug. Entnommen wurden die Verordneten fast nur den höheren
Ständen, mit Ausnahme von Krain, wo auch Bürger bis zum
Jahre 1579 zu diesem Amte vereinzelt gewählt wurden, und von
Österreich ob der Enns, wo nach der Instruction vom Jahre 1661
auf acht Verordnete zwei Vertreter der landesfürstlichen Städte
und Märkte kamen, die sich aber mit dem halben Gehalt der
übrigen begnügen mussten.
2. Neben den Verordneten gab es den vorzugsweise soge-
nannten ständischen Ausschuss als stellvertretenden Ersatz des
Landtages. Derselbe beanspruchte darum den Vorrang vor den
Verordneten, die z. B. nach der Instruction vom Jahre 1661 im
Lande ob der Enns den Ausschuss-Sitzungen nur in solchen An-
gelegenheiten beiwohnen konnten, zu welchen sie durch einen
Landtagsbeschluss gerufen waren. Doch machte sich im ganzen
das Übergewicht der Verordneten über den ständischen Aus-
schuss geltend, indem ihnen für zwingende Fälle, bei drohender
L
442 Österreiohiache Reich^geschichte. II. Theil. Vierte Periode, g 54.
Feindesgefahr oder wenn die R^ierung dringlich die Voraus-
bezahlung von Steuern begehrte, die Einberufung des AusBChusees
und selbst deasen Verstärkung durch Einladung noch anderer
Landtagsmitglieder eingeräumt wurde.
Von den Landtagen wurden zu besonderen Zwecken noch
Ausschüsse aiidei-er Art, bisweilen Commissionen genannt, erwälilt,
so zur BerathuDg von Gesetzentwürfen, als Vertreter des Landes
bei AuBachuaatagen, als Beisitzer der ständischen Gerichtsstellen
u.dgl. In Österreich ob der Enns war im 17. Jahrhundert die
Überprüfung der Rechnungen des ständischen Generaleinnehmers
einem CoUegium von acht Raitherren mit sechsjähriger Amtsdauer
übertragen, welches aus Mitgliedern aller \ier Stände zusammen-
gesetzt wurde. Residenzpflicht hatten jedoch nur die Verordneten,
die daher von Anbeginn besoldet wurden. Besoldet wurden femer
die Beisitzer bei den Landes- und Hofrechten, In Österreich ob der
Enne auch die Raitherren, während die übrigen höchstens auf Ent-
schädigung der Reiaeauslagen und auf Tagegelder Anspruch hatten.
3. Andere als in den fünf n.-ö, Landen hatte die Landschaft
in Tirol die Leitung ihrer Angelegenheiten geordnet. Einen ständigen
Ausachuss mit Residenzpflicht wie die Verordneten gab es hier
nicht vor dem ersten Viertel des 18. Jahrhunderts, sondern man
begnügte sich mit Ausschüssen, die nach Bedarf zur Besorgung
der Landesgeschäfte zusammentraten. Als solche erscheinen mit
bald kürzerer, bald längerer Amtsdauer — die Erneuerung der im
Jahre 1573 gewählten Ausschüsse fand z.B. erst 1594 statt —
vor allem der große und der kleine Ausschusa, die als Ersatz für
den Landtag mit der Regierung gewöhnlich verhandelten und
kleinere Regierungabegehren selbständig bewilligen konnten; ferner
die 8. g. Steuercompromissare, welche für die Veranlagung der
Steuern zu sorgen hatten und noch am ehesten einen Wirkungs-
kreis hatten, der an jenen der Verordneten erinnerte. Eine Folge
dieser Einrichtungen war, dass in all diese Ausschüsse grund-
siitziich Mitglieder aller vier Stände; der Geistlichkeit, des Adels.
der Städte und der freien Bauern berufen wurden und dass diese
lür ihre Mühewaltung Tagegelder bezogen, die in dem einen oder
;iiiilern Falle selbst von der Regierung gezahlt wurden. E^ herraciite
eben in Tirol eine große Abneigung gegen die Vollversammlungen
<k^s Landtages in den Kreisen der Stände selbst. Dies hat sciion
Landschaftliobe Behörden in Tirol, Böhmen, Mähren. 443
im 16. Jahrhundert nicht bloß zur Anweisung von Tagegeldern
für alle zum Landtag erschienenen Mitglieder, sondern wiederholt
zur Bitte an den Regenten geführt, er möge doch das Land mit
häufigen Landtagen verschonen.^
Erst im Jahre 1716 dachten die Stände an die Errichtung
der s. g. „ständischen Activität" nach dem Muster der „Verordneten-
Stellen". Wie sehr jedoch der Einfluss der Stände in jener Zeit
schon gesunken war, kann man daraus ermessen, dass der Er-
öffnung dieser ständischen Behörde die Genehmigung durch Kaiser
Karl VI. vorangehen musste, welche erst ums Jahr 1722 erfolgte.^
4. In Böhmen und Mähren fiel die Vertretung des Landes
bei nicht versammeltem Landtage in der Zeit vor Ausbruch des
dreißigjährigen Krieges den obersten Landesbeamten zu, welche bis
dahin sowohl dem Lande als dem Könige durch Eid verpflichtet
waren. Außerdem wurden nach Bedürfnis in den Landtagen Com-
missionen gewählt, die in einzelnen bestimmten Angelegenheiten
für das Land verbindliche Beschlüsse fassen konnten. Als jedoch
die obersten Landesofficiere durch die vemeuerten Landesordnungen
zu rein königlichen Beamten geworden waren, machte sich der
Mangel eines bleibenden Organs für die Ausfuhrung der Landtags-
beschlüsse immer fühlbarer. In Böhmen behalf man sich seit 1652
mit einer von Landtag zu Landtag erneuerten Hauptcommission,
die jedoch im Jahre 1674 plötzlich aufhörte. Den Mährem erlaubte
Kaiser Leopold L im Jahre 1686 die Erwählung von je zwei
Landesdeputierten aus jedem der vier Stände, welche unter dem
Vorsitz des Landeshauptmannes als Landesausschuss die „Oecono-
mica domestica*' zu besorgen hatten und von drei zu drei Jahren
erneuert wurden. Ganz nach diesem Muster wurde dann mit Ge-
nehmigung Kaiser Karl's VI. im Jahre 1714 auch in Böhmen ein
Landesausschuss eingerichtet.
1 S. § 40, 11. Bei Übernahme von 1,600.<)00 fl. Kammerschulden verlangte
der Landtag im Jahre 1573, dass fortan durch 20 Jahre kein Landtag gehalten
werde. Wirklich erlangte 1577 die Landschaft die Zusicherung des Erzherzogs,
er 'werde sie „nicht mehr mit ferneren Hilfen und Landtagen behelligen*. —
Über die Einrichtungen der Tiroler Landschaft s. Egger, II, 217, 386, 438, 555;
Hirn, Erzh. Ferdinand IL, 2. Bd., S. 59 ff.
^ Diese Activität bestand aus acht Mitgliedern, je zwei aus jedem Stande
mit verschieden abgestuftem Qehalt. S. die Instruction bei Egger, II, 556.
444 Österreichische Reichsgeschichte. IL Theil. Vierte Periode. § 54.
5. Keine der österreichischen Landschaften hat jedoch ihre
Verwaltung mit ihren Ausschüssen allein zu besorgen vermocht,
die Zahl der von Jahrzehnt zu Jahrzehnt steigenden Geschäfte hat
vielmehr allerlanden die Anstellung besonderer landschaftlicher
Beamten nöthig gemacht. Solche gab es namentlicli überall für
die Einhebung der Einnahmen und Verrechnung der Ausgaben,
und zwar mit einem Einnehmer oder Generaleinnehmer an der
Spitze, der aus der Reihe der Ständemitglieder genommen wurde.
Ebenso allgemein finden wir Juristen als Vorstände der landschaft-
lichen Kanzleien, mochten sie nun den Titel Secretär oder Syndicus
haben. Officiere für die landschaftlichen Truppen und Kriegs-
commissäre zur Sorge für durchziehende kaiserliche Soldaten, wurden
ebenfalls aus dem Landesadel genommen, zum TheU bleibend
besoldet, zum Theil nach Bedarf ernannt. Andere landschaftliche
Bedienstungen richteten sich je nach den Aufgaben, auf welche
sich die Verwaltung der Landstände erstreckte. Solange in den
Landen der Protestantismus vorherrschte, fehlten weder landschaft-
liche Prediger, noch Schulmeister und Lehrer. Durch den Land-
schaftsprofoßen und dessen Knechte wurde (in Steiermark 1578)
eine Art Landesgensdarmerie geschaffen, die Gesundheitspflege
gab Anlass zur Bestellung landschaftlicher Ärzte und Hebammen,
die Einräumung der Münzerzeugung an die i.-ö. Landschaften
zur Bestellung landschaftlicher Münzmeister und Gesellen. Aber
auch Buchdrucker, Baumeister, Maler, Reit- und Tanzlehrer,
Ballenmeister u. s. w. bis zum landschaftlichen Koch herunter
finden sich in den Listen der Landschaftsbediensteten.
6. Im Zusammenhang mit der landschaftlichen Verwaltung
steht auch die EintheUung des Landes in Kreise oder Viertel, an
deren Spitze, zumal für Zwecke der Landesvertheidigung ein land-
schaftlicher Kreis- oder Viertelhauptmann gestellt wurde. In Öster-
reich ob und unter der Enns erfolgte die Eintheilung des Landes
in je vier Viertel zu leichterer Aufbringung des ständischen Auf-
gebots schon zu Anfang des 15. Jahrhunderts, zu gleichen Zwecken
ist sie auch in Tirol und Steiermark nachweisbar, wo später durch
die Einverleibung der Grafschaft CUli ein fünftes Viertel zuwuchs.
In fünf Viertel zerfiel auch Krain mit Istrien. Ein selbständiges
politisches Leben hat sich jedoch im Anschluss an diese Viertel-
eintheilung nicht entwickelt.
Eintheilung der Lande in Viertel, Kreise, Comitate. 445
7. Anders in Böhmen,, wo die Eintheilung des Landes in
Kreise bis auf König Ottakar II. zurückgeht. Dieselbe diente
während des Mittelalters vor allem Landesfriedenszwecken, gerieth
aber in der Hussitenzeit unter den Einfluss der Stände. Unter den
jagelionischen Königen war den Kreisen ein bedeutendes Maß von
Selbstverwaltung überlassen, namentlich die Veranlagung der auf
den Kreis entfallenden Steueni und Mannschaften. Verhandelt wurde
auf eigenen Kreistagen. Diese konnten bis ins 16. Jahrhundert
von den Kreishauptleuten nach eigenem Ermessen berufen werden
und hatten vor allem die Handhabung des Friedens und der Polizei
im Kreise zum Gegenstande, wiewohl nicht selten auch Angelegen-
heiten des ganzen Landes in die Besprechung einbezogen wurden.
Ferdinand I. wusste es jedoch schon früh durchzusetzen, dass die
Stände die Berufung der Kreistage dem König gänzlich überließen.
Seitdem nahm die Bedeutung der Kreistage ab und sie wurden in der
Folge nur kraft eines Landtagsbeschlusses zur Verhandlung über be-
stimmte, ihnen arugewiesene Gegenstände einberufen, während eigen-
mächtiger Zusammentritt bei strengster Ahndung verboten war.
Vollends unter königlichen Einfluss kam die Kreisverwaltung seit Er-
lassung der verneuerten Landesordnungen in Böhmen und Mähren.
Die Zahl der Kreise schwankte in Böhmen zwischen 12—15,
Mähren wurde im Jahre 1527 von den Ständen in vier Viertel
zerlegt, unter Kaiser Ferdinand III. aber zu Zwecken staatlicher
Verwaltung in fünf oder eigentlich sechs Kreise aufgetheilt, welche
unter königlichen Kreishauptleuten standen.
Den älteren Kreisen in Böhmen entsprachen als Selbst-
verwaltungskörper die Comitate in Ungarn.* Während die Kreistage
in Böhmen seit der Mitte des 16. Jahrhunderts ihre Unabhängigkeit
einbüßten und aufhörten, eine ständische Einrichtung zu sein,
haben sich in Ungarn die General- und Particular-Congregationen,
in welchen alle im Bezirke begüterten Mitglieder der vier Stände
des Reiches Sitz und Stimme hatten, als universitates statuum bis
in die neueste Zeit erhalten. Sie besassen eigene Magistrate, wurden
regelmäßig von Zeit zu Zeit durch die Obergespäne berufen und
verhandelten sowohl in militärischen als politisch-ökonomischen und
gerichtlichen Angelegenheiten.
8 Virozsil, UI, §79, 8. Oöflf.
446 Österreichische Reichsgeschichte. II. Tholl. Vierte Periode. § 54.
B. Die Verwaltungseinrichtungen in den Städten und Märkten.
8. Der Selbstverwaltung waren in den österreichischen Städten
schon vom Mittelalter her engere Grenzen gesteckt, weil Reichs-
städte gänzlich fehlten und die Stadtherren ihre Rechte über die
Städte durchwegs zu behaupten verstanden hatten. Selbst in Wien,
welche Stadt alle übrigen an Bedeutung weit überragte, hatte
schon Kaiser MaxiraUianl. durch sein Stadtrecht vom Jahre 1517
Beschränkungen bei der Wahl des Bürgermeisters und der Raths-
herren in der Art eingeführt, dass die Bestätigung der Wahlen
von einer Untersuchung durch die Regierungsbehörde, ob die
Gewählten zu „solchen Ämbtern geschickt, nutzlichen und guet*
seien, abhängig gemacht wurde. Die Aufhebung der Körper-
schaften der Genannten und der Münzer Hausgenossen und die
Besetzung des Wiener Stadtgerichts mit ständigen und besoldeten
Beisitzern, brachten die Stadt 1522 in noch größere Abhängigkeit
vom Landesfürsten, bis endlich die Stadtordnung Erzherzog Fer-
dinand's I. vom 12. März 1526 die städtische Verwaltung in jene
engen Formen zwängte, die bis zur Regelung des Wiener Magistrats
durch Kaiser Josef IL im Jahre 1783 in Wirksamkeit gebheben sind.
9. Die Wiener Gemeindevertretung bestand seit der neuen
Stadtordnung Erzherzog Ferdinand's aus hundert Personen, von
welchen zwölf als Beisitzer des Stadtgerichts vom Landesfürsten
frei ernannt, zwölf als Stadtrath aus der Mitte der behausten
Bürger, die aber kein Handwerk betreiben durften, genommen
wurden. Den Handwerkern blieb nur der Zutritt zum äußeren
Rath von 76 Personen ofifen, der jetzt die Wirksamkeit eines
Beirathes besaß, da er dem Stadtrath untergeordnet, den Be-
rathungen bloß nach dessen Ermessen in außerordentlichen Fällen
und bei wichtigen Verhandlungen zugezogen wurde. Jedes dritte
Jahr fand die s. g. Rathserneuerung statt, d. h. es traten mit Ge-
nehmigung der Regierung einige Mitglieder des Innern Rathes in
den äußern ein, und umgekehrt ; im übrigen beschränkte man sich
auf Ausfüllung der Lücken, die durch Tod, Krankheit oder sonst-
wie in den Reihen der Gemeindevertreter entstanden waren, wobei
den Mitgliedern des Innern Rathes ein als „Wahl* bezeichnetes
Vorschlagsrecht für die erledigten Stellen im äußern Rathe und
Wieus Verwaltung seit der Stadtordnung vom Jahre 1526. 447
umgekehrt zustand, die Auswahl unter den Vorgeschlagenen aber
vom Landesfürsten abhieng. Ebenso lief die „Bürgermeisterwahl"
darauf hinaus, dass von den drei Gruppen der Gemeindevertretung :
dem Stadtrath, den Stadtgerichtsbeisitzern und dem äußern Rathe
jährlich am St. Thomastag je ein Vorschlag für den Bürgermeister-
posten erstattet wurde, unter welchen die Regierung die Wahl
hatte. Länger als zwei Jahre hintereinander sollten weder Bürger-
meister noch Stadtrichter im Amt bleiben, seit der zweiten Hälfte
des 17. Jahrhunderts wurde jedoch eine vierjährige Amtszeit üblich.
10. Dem Bürgermeister zur Seite, welcher an der Spitze
der Gemeindeverwaltung stand, gab es in Wien vom Mittelalter
her noch zwei landesfürstliche Beamte: den Stadtrichter für den
Vorsitz im Stadtgericht und den Stadtanwalt als Vertreter der
Regierung im Stadtrathe. Als solcher hatte dieser Sitz in den
wöchentlich zum mindestens dreimal stattfindenden Sitzungen des
Stadtraths, die ihm sämmtlich angesagt werden mussten, und seine
Aufgabe war es, die Verwaltung der Stadt im allgemeinen und
der Gesundheits- und Sicherheitspolizei insbesonders zu überwachen,
sowie für die Befolgung der landesfürstlichen Anordnungen zu
sorgen. Aus der Instruction vom Jahre 1564 ergibt sich, dass der
Kaiser damals die Absicht hatte, die Stelle eines Stadtanwalts,
durch einen Stadthauptraann zu ersetzen, was „aus etlichen be-
irrlichen Ursachen" jedoch unterblieb.
Im allgemeinen galt der Grundsatz, dass die Pereonen des
Stadtraths nicht mit andern Ämtern zu beladen seien. Daher war
nur das Amt des Stadtkämmerers einem Mitglied des Innern Rathes
anvertraut, während die Stellen der vier „Raitpersonen" zur Über-
prüfung der städtischen Rechnungen und die Steueranschläger
aus den Mitgliedern des äußern Rathes genommen wurden und
der Unterkämmerer, die Kirch- und Viertelmeister aus der »ge-
meinen Bürgerschaff" besetzt wurden. Ein Stadtschreiber, der
später Syndicus hieß und nicht zur Stadtvertretung gehörte, stand
an der Spitze der städtischen Kanzlei. Außerdem gab es noch
mancherlei städtische Bedienstete mehr untergeordneter Art.
11. Nach dem Vorbilde von Wien, nur entsprechend ver-
einfacht und den örtlichen Bedürfnissen angepasst, war die Ver-
waltung der meisten Städte in den altösterreichischen Landen
eingerichtet. Durchwegs fehlte hier der Stadtanwalt, da die Ge-
448 Österreichische Reichsgeschichte. IL Theil. Vierte Periode. § 54.
meinwesen umso viel kleiner waren, so erschien eine strenge
Überwachung derselben dem Landesherrn weniger nöthig, außer
wo, wie in Triest, Fiume, Gradiska u. s. w., militärische Rücksichten
die Einsetzung eines Hauptmannes erheischten, der mit der Stellung
eines Pestungscommandanten die Aufgaben des Stadtanwalts ver-
einigte. Auch das Bürgermeisteramt war keineswegs schon all-
gemein. In Steiermark waren nur Graz, Judenburg, Brück und
Leoben (seit 1446, 1481, 1488, 1541) mit dem Recht der Bürger-
meisterwahl ausgestattet, in Kärnten gab es solche zu St. \^eit
Villach, Klagenfurt (seit 1547, 1584, 1587), Wels erhielt sie
1569 nach dem Vorbüde von Linz und Steyer. Der Gewählte
bedurfte zum Amtsantritt der Bestätigung durch die landesfurst-
' liehe Behörden.* Wo es keine Bürgermeister gab, und dies war
noch in der Mehrzahl der Städte und bei allen Märkten der Fall
stand der Richter an der Spitze, der sich sonst mit der zweiten
Stelle begnügen musste. Dieser war immer ein landesfürstliches
Organ, selbst dort, wo er bei s. g. freier Richterwahl durch die
Bürgerschaft bestellt wurde, und hatte, wenn der Ort die Land-
gerichtsbarkeit besaß, „Acht und Bann" oder die Ermächtigung,
„über das menschliche Blut zu richten", bei den vorgesetzten
landesfürstlichen Behörden einzuholen (§ 56, 4).
12. Das Schwergewicht der Gemeindevertretung lag im innern
Rath, der gewöhnlich aus zwölf Mitgliedern bestand. Der äußere
Rath, in Kärnten noch mit dem alten Namen der «Genannten**
bezeichnet, war hie und da, z. B. in Graz, wohl in Zusammenhang
mit der Gegenreformation aufgehoben worden und durch einen
Bürgerausschuss ersetzt. Als Mittelspersonen zwischen dem Innern
Rath und der Gemeinde kamen überdies von früher her als Aus-
schuss die s. g. Vierer vor, die man aber jetzt missverständüch
„Führer" schrieb und als „Führer der Gemeinde" ansah. Es fehlt
ferner nicht der Stadtschreiber als Vorstand der städtischen Kanzlei
und eine mehr minder große Anzahl städtischer Bediensteter,
unter welchen beispielsweise zu Graz im Jahre 1740 auch ein
^ In Steiermark bei der i.-ö. Regiemng, in Kärnten und Krain beim Landes-
Vicedom. Rechbach, Observationes, S. 14. In den grundherrUchen Städten und
Märkten fiel die Bestätigung dem Gnmdherm zu. In Klagenfurt, das den Ständen
von Kärnten gehörte, gieng der Wahlvorschlag an die Verordnetenstelle; den
Erkorenen setzte der landständ. Burggraf durch ein Decret ein. Hermann, S.82.
Die Verwaltung der übrigen Städte in Österreich und Böhmen. 449
^Stadtanrescher" und ein „Schattenklauber* besoldet wurden,
deren Verrichtungen schwer zu errathen sind.
13. Die städtische Verwaltung in Triest war nach italienischem
Muster eingerichtet und dabei so zersplittert, dass Rechbach im
17. Jahrhundert spottend bemerken konnte, es gebe da beinahe
mehr städtische Officianten als Bürger oder Häuser. Die Regierung
ernannte einen Stadthauptmann als ihren Stellvertreter. Der „Vica-
rius so in civilibus judex Ordinarius ist", und der Strafrichter
wurden jährlich von der Stadt gewählt, mussten aber Fremde sein ;
der kleine Rath zählte 40, der große sogar 224 Mitglieder. Manche
der vielen städtischen Ämter erforderten überdies eine mehrfache
Besetzung, da sie nur auf vier Monate verliehen wurden.
14. Dieser Wechsel im Stadtamte innerhalb des Jahres findet
sich auch in Böhmen. Hier war es in vielen Städten üblich, dass
das Amt des Bürgermeisters im Kreise der Rathsmitglieder von
Monat zu Monat wechselte. Der jeweilig an der Spitze des Rathes
Stehende wurde früher Protoconsul, primus magister civium, erster
Bürgermeister, später Primator genannt. Seit dem Regierungsantritt
König Perdinand's I. wird die Stelle des Protoconsul durch Er-
nennung des Königs auf eine Reihe von Jahren verliehen.
Bedeutende Veränderungen in der Gemeindeverwaltung hatte
die Betheiligung der böhmischen Städte an dem Aufstand vom
Jahre 1547 im Gefolge. Die schuldigen Städte verloren nicht bloß
viele Privilegien und Besitzungen, sondern mussten sich auch die
Auflage des ewigen Biergelds gefallen lassen und erhielten nach
dem in Wien erprobten Muster je einen Stadtanwalt unter dem
Titel eines königlichen Richters, ohne dessen EinwUligung nun
keine Gemeindeversammlung berufen werden durfte, und der
namentlich darauf zu sehen hatte, dass weder bei den Rathmannen,
noch sonst wo in der Stadt irgend „einige Verbindnuß oder Con-
spiration" gegen die landesfürstliche Hoheit unternommen werde.
Das Jahr darauf wurde den böhmischen Städten durch Einsetzung
des Prager Appellationsgerichts der Rechtszug an die Oberhöfe außer
Landes abgeschnitten. Auch das Amt des Protoconsuls erlitt in
seinem Verhältnis zum Bürgermeister und Stadtrathe und in seiner
Wirksamkeit eine Veränderung: es wurde im Range über den
Bürgermeister gestellt und erhielt die oberste Leitung des städti-
schen Ökonomiewesens.
La Schill, OsterrelchiBCbe Reidugeschichte. 29
450 österreichische Reiohsgeschlchte. IL Theil. Vierte Periode. § 54.
15. Die Einschränkungen, welche die städtische Verwaltung
in Böhmen schon im Jahre 1547 erlitt, wurden nach der Schlacht
auf dem Weißen Berge auch auf Mähren ausgedehnt ; insbesonders
verfügte Kaiser Ferdinand IL im Jahre 1621 die Einsetzung von
königlichen Richtern in allen königlichen Städten in Mähren, das
einzige kleine Qaya ausgenommen. Wie in Böhmen, so waren
auch in Mähren die königlichen Richter von den eigentlichen
Stadtrichtern wohl zu unterscheiden. Sie hatten dem Landesfürsten
einen Eid zu leisten, waren dem königlichen Landeshauptmann wie
dem gesammten königlichen Amt zu gehorchen verbunden, hatten
den ersten Sitz im Stadtratli, wo sie die Befolgung der landesfürst-
lichen Gesetze und Hoheitsrechte der öffentlichen Sicherheit,
Gemeindewirtschaft u. dgl. m. zu überwachen hatten.
16. Auch in Ungarn war die Verwaltung der königlichen
Freistädte nach dem Muster der Städte in Westösterreich ein-
gerichtet. Die Gemeindevertretung setzte sich aus einem Innern
und . einem äußern Rath zusammen, welch letzterer in kleinereu
Städten einem Bürgerausschuss gewichen war. Der innere Rath
bestand aus dem Stadtrichter, dem Bürgermeister und dem Stadt-
hauptmann, welche die richterlichen, ökonomischen und polizei-
lichen Angelegenheiten der Stadt zu besorgen hatten, und aus den
übrigen Rathsherren oder Senatoren in der Höchstzahl zwölf.
Der äußere Rath, der 20 bis 100 Mitglieder zählen konnte, umfasste
die gewählten Vertrauenspersonen der ganzen Gemeinde unter der
Führung ihres s. g. Sprechers oder Vormunds (tribunus plebis).
Die Stadtkanzlei besaß ihren Notar, daran schlössen sich die übrigen
Stadtbeamten. Die Rathserneuerung beschränkte sich darauf, dass
nach Ablauf von einem bis drei Jahren die Stellen des Stadt-
richters und Bürgermeisters zur Wiederbesetzung, beziehungsweise
zur Bestätigung kamen, während das Amt der Rathsherren ein
lebenslängliches war.
17. In allen österreichischen Städten machten sich im Laufe
des 17. Jahrhunderts die Spuren eines großen wirtschaftlichen
Verfalls bemerklich. Die Gegenreformation hatte die Melirzahl der
geschäftstüchtigsten Bürger zum Verlassen der Heimat genöthigt
danüt verkümmerte das blühende Gewerbe und verarmten die
Städte. Dazu kamen arge Mifsstände in der Verwaltung. Diese
lag fast ausschließlich in den Händen der bestbegüterten Claase
Missbräuche in der städtischen Verwaltung. 451
der Stadtbewohner, deren Gebarung jedoch durch den äußern
Rath unter Aufsicht der ganzen Bürgerschaft stand. Als jedoch
vom 16. Jahrhundert an der äußere Rath theils verkümmert wurde,
theils ganz wegfiel und auch die jährliche Erneuerung des Innern
Rathes mehr und mehr beschränkt wurde, konnte sich der eng-
herzige Geist der Vetterschaften innerhalb der Gemeindeverwaltung
ungestört entfalten. Von selbst ergab sich nun, dass die Raths-
stellen durchwegs mit Gehalt und Nebeneinkünften aller Art aus-
gestattet wurden und dass den Rathsherren umsomehr alle
Neuwahlen vom Übel schienen. Schon 1576 fassten die Stadträthe
von Leoben den Beschluss, dass es „vieler Ursachen halber nützlich"
wäre, die Rathserneuerung ganz zu beseitigen, und in der That
wurden sie 1598 ihrem Begehren nach vom Landesfürsten „privi-
legiert* in Ansehung ihrer treuen Dienste und weil dieser
^perpetuirliche* Rath zur Vermehrung des Kammergutes förderlich
und der Stadt zum Nutzen sein würde. Aus ähnlichen Gründen
wurden auch zu Graz, Brück, Judenburg, Fürstenfeld und andern
Orten „ewige" Räthe eingeführt, die aber begreiflicherweise den
Rückgang des städtischen Wesens nicht aufhalten konnten. Gegen-
über den steigenden Anforderungen des Staates versiegte immer
mehr die Steuerkraft der Städte und Märkte. Ihr Beitrag zu den
Landesanlagen, der in Steiermark noch zu Beginn des 16. Jahr-
hunderts ein Viertel betrug, musste schon 1603 auf ein Zwölftel
herabgesetzt werden, und konnte demungeachtet nicht voll herein-
gebracht werden, so dass die Rückstände der Städte an die Land-
schaft im Jahre 1699 schon wieder 200.000 fl. ausmachten und
nun ein fester Beitrag von 31.000 fl. fürs Jahr verabredet wurde.
18. Die Klagen über die schlechte städtische Verwaltung
ertönten so allgemein, dass die Regierung eine Prüfung des Wirt-
ßchaftsWesens in den Städten nicht umgehen konnte.^ Die Instruction
für den Stadtanwalt zu Wien vom Jahre 1656 bietet „einen
^ Die Stadt Graz hatte im acht- und neunjährig. Durchschnitt jährl. in der Zeit
Ton 1653—1660 Einnahmen . 31.856 fl.; Ausgaben . 32.761 fl.; Abgang . 905 fl.
„ 1703—1711 . . 28.420 fl.; , . 29.275 fl.; „ . 855 fl.
hätte jedoch activ sein müssen, wenn „der Magistrat nicht allzu liberal mit der
Casse umgegangen" wäre, wie die Regierungscommissäre bemerkten, denn auf
die Jahre 1653—1660 entfallen allein 5000 fl. an „Presenten und Verehrungen*
theils in Geld, theils durch Nachsicht schuldiger Steuern.
29*
452 Österreichischo Reichsgeschichte. IL Theil. Vierte Periode. § 54 u. 55.
traurigen Einblick in die Verwaltungszustände der Gemeinde, ins-
besondere in die tief eingerissene Corruption" und stellte dem
Anwalt die Aufgabe, die bestehenden Gebrechen und Missbräuche
zu beseitigen. Seine Bemühungen des Übels Herr zu werden,
waren jedoch ebensowenig von Erfolg begleitet, als die von der
Regierung über die Beschwerden der Bürgerschaft da und dort
gegen die Stadträthe eingeleiteten Untersuchungen. Schließlich
wurden unter Kaiser Karl VI. städtische Wirtschafts- Directorieu
eingeführt, die unabhängig vom Stadtrathe das Gemeindevermögen
unter Oberaufsicht und Leitung einer vom Kaiser eingesetzten
kaiserlichen Okonomie-Commission verwalteten.
C. Die Selbstverwaltung der Zünfte.
19. Die Unterordnung der Zünfte unter den städtischen Rath
hatten die österreichischen Herzoge schon während des Mittelalters
zu einem Grundsatz der Verwaltung erhoben (§ 36, 6). Durch ^die
neu PoUicey und Ordnung der Hanndtwercher" in den n.-ö. Landen
vom Jahre 1527, die auch in die allgemeine Polizeiordnung vom
Jahre 1552 aufgenommen wurde, und durch die Landesordnungen
für Tirol, wurde festgehalten, dass Zunftsatzungen und Versamm-
lungen von der obrigkeitlichen Genehmigung abhängig seien, femer
dass niemand „seiner Ehren oder Handwerchs durch die Hand-
werchsmeister und Gesellen unervolgt Rechtens entsetzt, noch
gescheucht oder gemieden werden" solle. Von einer eigenen
Gerichtsbarkeit der Zünfte war daher in Österreich keine Rede ; die
Zunftvorstände, die vom Handwerk aus den Meistern und Gesellen
gewählt wurden und „geschworene Meister und Gesellen*" hießen,,
mussten sich mit einer Überwachung der Zunftordnungen im all-
gemeinen und mit der Anzeige der erkundeten Übertretungen und
Gebrechen bei der zuständigen Obrigkeit begnügen, während die
Entscheidung selbst den Stadtbehörden verblieb.
Durch die Verordnung Kaiser Leopold's I. vom Jahre 1689
gegen Handwerksmissbräuche und die Handwerkerordnung Kaiser
Karl's VI. vom Jahre 1732, wurden noch weitergehende Ein-
schränkungen verfügt, namentlich stellte die letzterwähnte alle
Handwerks-Zusammenkünfte unter Aufsicht eines von der Obrigkeit
entsandten „ Com missarii " .
Selbstverwaltung der Zünfte; grandherrliche Verwaltung. 453
§ 55. Die grandherrliche Yerwaltang.
Literatur bei § 37, dazu Orttnberg, Die Bauernbefreiung in Böhmen,
Mähren nnd Schlesien. 1894, 2 Bde. — Hohberg, Georgica curiosa. 1682, u. ö.,
2 Bde. — Ludwig, Die Umwälzung in der ländlichen Verfassung Böhmens seit
1618 (Schmoller's Jahrb. f. Gesetzgbg. XX.), mein Gerichtswesen, § 12—14, 16, 17.
— Meli, in den Mittheil. d. histor. Ver. f. Stmk., XL, XLL und Beitr. z. Kde.
st. Geschqu., XXV, XXVII). — Sixsey, ünterösterreichischerLandcompass. 1678,
u. ö. — Wegen er, Oeconomia Boheme- Austriaca, 1666.
1. Wichtige öflFentliche Rechte waren vom Mittelalter her
mit dem Besitz von Grund und Boden verknüpft. Jeder Besitzer
eines Grundes, auf welchem von ihm abhängige Leute als Hörige
saßen, hatte über diese als seine Gutsunterthanen die Gerichts-
barkeit, wenn auch in verschiedenem Maße, je nachdem ihm bloß
<lie grundherrlichen Rechte im engeren Sinne zustanden, oder mit
seinem Gute überdies die Gerechtsame der Dorf-, der Hofmarks-
oder selbst der Landgerichtsbarkeit verbunden waren.
2. Dem Grundherrn waren als solchem seine Unterthanen in
erster Instanz unterworfen, und zwar sowohl in allen bürgerlichen,
sei es streitigen, sei es nicht streitigen Angelegenheiten, als auch
in allen Strafsachen, die nicht landgerichtsmäßig waren und in
seinem oder seiner Unterthanen Hausfrieden sich zugetragen hatten.
Die Aufgaben der nicht streitigen Gerichtsbarkeit, das s. g. adelige
Richteramt berechtigten und verpflichteten den Grundherrn zur
Führung des Grundbuchs, in welchem alle Besitzveränderungen
innerhalb des Kreises seiner Unterthanen eraichtlich zu machen
waren. Er hatte ferner für Sperre und Inventur und Einantwortung
des Nachlasses seiner verstorbenen Unterthanen zu sorgen, Vor-
münder für deren Kinder zu bestellen u. dgl. m.
3. War mit seinem Gute die Dorfobrigkeit, oder die Hofmarks-
gerichtsbarkeit verbunden, so war seine obrigkeitliche Wirksamkeit
noch größer. Er besaß dann polizeUiche Gewalt, die Aufsicht auf
Dorfmärkten, hatte die Anordnungen wegen Beherbergung und
Verpflegung durchziehender Truppen zu treffen und selbständige
Strafgerichtsbarkeit bei allen geringeren Vergehungen, die außer-
halb des Hauses und Hofes, auf den Gassen und Straßen in und
außerhalb des Dorfes vorfielen, ferner bei schwereren, s. g. land-
gerichtlichen Fällen die Voruntersuchung bis zur Auslieferung
454 Österreichische Reichsgeschichte. IL Thell. Vierte Periode. § 55.
des Thäters ins Landgericht. War endlich die grundherrliche Be-
sitzung eine „Herrschaft", d. h. ein Gebiet, mit welchem die Land-
gerichtsbarkeit für einen bestimmten räumlichen Umfang verbunden
war, so hatte der Grundherr selbst die hohe Gerichtsbarkeit über
Leben und Tod, zu deren Ausübung er allerdings der Ermächtigung
durch den Landesherrn, der Bannleihe bedurfte, abgesehen von
manch anderen Beschränkungen, die mit der Zeit aufkamen (§ 56, 5).
4. Überblickt man, wie umfassend die Macht, wie zahlreich
die Aufgaben waren, die dem Grundherrn zukamen, so wird man
es begreifen, dass sich nicht bloß auswärtige Reichsstände auf
ihren mediatisierten Besitzungen in Österreich, sondern auch die
landöässigen Herrschaftsinhaber noch im 16. und 17. Jahrhundert
als eine Art von Regenten ihrer Gebiete betrachteten und die
Bethätigung ihres grundherrlichen Willens geradezu als „Regierungs-
acte" bezeichneten,^ zumal sie bei Besitzveränderungen von ihren
Hörigen das eidliche Gelöbnis der gutsherrlichen Unterthänigkeit
und Treue, die s. g. Huldigung fordern konnten.
5. Zu dieser Erweiterung des grundherrlichen Wirkungs-
kreises hat namentlich der Aufschwung der landschaftlichen Selbst-
verwaltung im 16. Jahrhundert viel beigetragen. Dadurch, dass die
Grundherren mit wenig Ausnahmen auch Mitglieder der Landschaft
waren und darum an den Landtagen theilnehmen konnten, ergab
es sich von selbst, dass man sich ihrer auch bei der Ausführung
der Landtagsbeschlüsse bediente. So wurden also die Grundherr-
schaften für ihre Bezirke zu ausführenden Organen der Landschaft,
mussten namentlich die angeschlagenen Landsteuern auf ihre Unter-
thanen umlegen und bei eigener Haftung einbringen, bei der
Aushebung des Aufgebots mitwirken und was Aufträge noch mehr
waren, die ihnen vom Lande zukamen.
6. In dem Maße, als die Bedeutung der Stände abnahm und
die landesfürstlichen Behörden ihren Wirkungskreis erweiterten^
geriethen jedoch die Grundherrschaften diesen gegenüber in die
^ Testament des Wolf von Stubenberg vom J. 1053 im steir. L.-A. . . Sachen^
die sich bey meiner Regierung und Innhabung meiner Gschlösser und Guetera
zuetragen haben Noch 1666 behandelt Joh. Erasem Wegen er, der sich selbst
des Grafen Losy Hauptmann nennt, in seiner Oeconomla Bobemo - Austriaca
sowohl was zur .Begierung einer Herrschaft" nöthig, als die Personen die zu
einem gräflichen Hofstaat gehören.
Grundherrliche Beamte als Organe der landesfürstl. Verwaltung. ^^^
Stellung von Unterbehörden. Die auf Veranlassung der i.-ö. Re-
gierung im Jahre 1724 herausgegebene „Instruction, wie die Land-
gerichtsverwalter in diesem Herzogthumb Steyer sich sowohl bey
denen General- und Particular- Visitationen, als auch in Schub- und
Versorgung deren Armen, Aufhebung deren Müssiggehem ... zu
verhalten haben", sowie die nachfolgende steirische Schubordnung
vom Jahre 1726 behandeln z. B. nicht bloß die Landgerichts-
Verwalter, sondern auch die übrigen grundherrlichen Beamten in
Sachen der Landessicherheit schon als den Befehlen* der i.-ö. Re-
gierung unmittelbar uijtergebene Organe.
7. Auch die eigenen Aufgaben des Großgrundbesitzes, die
vom Hause aus ökonomischer Natur waren, vermehrten sich recht
stark, als allmählich der Übergang vom älteren grundherrlichen
Betriebe zum jüngeren gutsherrschaftlichen eintrat.^ Hatte der
Grundherr früher über seinen Hausbedarf hinaus keinen land-
schaftlichen Eigenbetrieb gehabt, sondern seinen Landüberschuss
durch Hingabe gegen Zinsungen verwertet, so änderte sich dies,
seit der Großgrundbesiter sich für die wirtschaftliche Ausnützung
seines Vermögens in den Formen der Gutsherrschaft entschieden
hatte, bei welcher der eigene landwirtschaftliche Großbetrieb zur
Haupteinnahmsquelle gemacht wird. Während vorhin die auf der
Grundherrdchaft ansässigen abhängigen Bauern vor allem zu Zinsen
hatten, ihre Arbeitskraft aber entweder gar nicht, oder nur in
geringem Maße für den Grundherrn in Anspruch genommen wurde,
schlug dies beim Übergange zur Gutsherrschaft ins Gegentheil um :
den Hauptgewinn versprach nun die Arbeitskraft der Unterthanen
und die Reichnisse verloren für die Herren ihre frühere Bedeutung.
8. Dieser Übergang ist weder überall zur selben Zeit ein-
getreten^ noch sind wir über seine Einzelheiten unterrichtet, es
scheint nur, dass er im Gefolge der großen Besitzveränderungen
während des dreißigjährigen Krieges auftrat. In der zweiten Hälfte
des 17. und 18. Jahrhunderts finden wir ihn in den böhmischen
3 Die Verwaltung der hochstiftlichen Besitzungen von Salzburg, Bamberg
n. 8. w. mit Vicedomen an der Spitze war ganz nach Art der Landesherren
eingerichtet. Besonderen Rufes erfreuten sich in der zweiten Hälfte des 17. Jahr-
hunderts nach Hohberg s Zeugnis die Wirtschafts-Einrichtungen auf den Gütern
des fürstlich Liechtenstein'schen Hauses in Österreich, Böhmen, Mähren und
Schlesien. Im übrigen vgl. Grünberg, I, 86 fr.
456 Österreichische Reichsgeschichte. IL Theil. Vierte Periode. § 55 u. 56.
Ländern ebenso, ja in noch höherem Maße entmckelt, als in dem
ganzen Gebiete Deutschlands östlich der Elbe. Die meisten dieser
oft weit ausgedehnten Güter befanden sich in Händen des Herren-
standes, dessen Mitglieder vielfach in Staats- und Hofdiensten standen
und sich daher persönlich um ihre Besitzungen wenig kümmern
konnten. Das hatte zur Folge, dass die Herren die Verwaltung ihrer
Güter meist eigenen Beamten überließen. Auf kleineren Gütern war
oft nur ein Pfleger oder Verwalter mit einem Hof schreiber vorhanden,
auf größeren* Herrschaften gab es ein eigenes Wirtschaftsamt mit
einem Hauptmann, Amtmann, Wirtschafts-Director oder Inspector
an der Spitze zur Leitung sowohl des gutsherrlichen Betriebs, als
auch zur Erhebung der grundherrlichen Einnahmen. Diesem unter-
stellt waren dann die übrigen gutsherrlichen Beamten und Diener :
die Rentmeister (Kastner und Kellermeister), Förster, Jäger, Heger,
Fischraeister u. s. w. Da dem Wirtschaftsamte außer diesen öko-
nomischen Angelegenheiten auch die Besorgung der vielen öffent-
lichen Aufgaben zufiel, die mit herrschaftlichem Besitz verbunden
waren, so fehlten auch Amtsschreiber und Amtsdiener nicht. Nur
selten war ein eigener Justitiar für die Handhabung der Justiz
vorhanden, gewöhnlich war auch diese dem Wirtschaftsamte zu-
gewiesen. Da die gutsherrlichen Beamten nur schlecht bezahlt
wurden und ihr Haupteinkommen in Amtstaxen bestand, die ihnen
von den Unterthanen bei Acten der freiwUligen oder streitigen
Gerichtsbarkeit zu entrichten waren, so hat dies zu schweren Be-
drückungen der Bauern Anlass gegeben.
9. Ähnlich wie in Böhmen, nur später, hat sich der guts-
herrschaftliche Betrieb der Großgrundbesitzer auch in den n.-ö.
Landen eingebürgert, wie aus den Schriften von Sixsey und
Wegener und vor allem aus der landwirtschaftlichen Encyclopädie
des Freiherrn Wolf Helmhard von Hohberg, über das adelige Land-
und Peldleben hervorgeht, die sämmtlich in der Zeit Kaiser
Leopold's L (zwischen 1666—1682) erschienen sind. Wie schwer
man sich indessen in diesen Kreisen mit der neuen Wirtschafts-
weise befreundete, kann man aus den lobenden Bemerkungen
Sixsey 's entnehmen, dass im Viertel ob dem Wiener Wald noch
nicht so „gar alles in gefährlichen Wirtschaften, sondern fast auf
die Land ob der Ennsische Art und Manier in vielen trackenen
Gefdhlen und baarem Einkommen" stehe.
Stellung der Wirtschaftsämter; landesftLrstl. Gerichtsbehörden. 457
§ 5(k Die GerichtsYerwaltung.
Äuersperg, Geschichte des kgl. böhmischen Appellationsgerichtes. 1805,
2 Bde. — D'Blvert, Zur österr. Verwaltungsgesch., 32 ff., 192 ff. — Mein
Gerichtswesen. — Domin-Petrushevecz, Neuere österr. Rechtsgeschichte.
1869, S. 1—31. — Gräff, Versuch e. Geschichte der Criminal- Gesetzgebung in
der Steiermark, 1817. — Schraidt-Bergenhold, S. 75 ff., 247 ff.
1. Die österreichische Qerichtsverwaltung litt in der Zeit vor
der Kaiserin Maria Theresia an einer übergroßen Zersplitterung,
da nahezu jede der vielen Behörden, die in den vorhergehenden
§§ 53—55 aufgezählt worden sind, neben ihrer eigentlichen Ver-
waltungsaufgabe auch Gerichtsbarkeit beanspruchte. So kam es,
dass landesfUrstliche, landschaftliche, städtische und grundherrliche
Beamte sich in die Ausübung der Gerichtsbarkeit theilten. Hier
seien nur die wichtigsten Gerichtsbehörden hervorgehoben.
2. Unter den landesfürstlichen Ämtern, die sich mit Rechts-
sprechung befassteU; sind an erster Stelle die Regierungen zu
nennen, die zu Wien, Graz und Innsbruck ihren Sitz hatten. Sie
galten im allgemeinen als zweite Instanz für alle Gerichtsstellen,
von welchen eine Appellation überhaupt statt hatte, bildeten aber
zugleich für gewisse Personen, z. B. den nicht landständischen
Adel, die erste Instanz. Dem Landmarschallamt, beziehungsweise
der Landeshauptmannsstelle stand nach den adeligen Criminal-
Privilegien die Strafgerichtsbarkeit über den Landesadel zu,^ und
zwar in der Art, dass eine mit Landleuten besetzte Gerichtsbank
in geringeren Vergehen auf eine Geldstrafe erkannte, während der
eines schweren Verbrechejis schuldig Befundene in des „Kaisers
Straf und Ungnad** erklärt, aus dem Stande ausgeschlossen und
sodann dem Stadt- als Landgericht zur AburtheUung übergeben
wurde. Die Landeshauptmannschaft war ferner die zweite Instanz
für Beschwerden der grundherrlichen Unterthanen gegen ihre
Herrschaft, sowie Vormundschaftsbehörde für den landständischen
Adel. Außerdem sind die Landes-Vicedomämter zu nennen, welche
für die Bewohner der landesfürstlichen Städte und Märkte, sowie
^ In Tirol unterstand der Adel in Strafsachen unmittelbar der Jurisdiction des
Landesfiirsten. in den fünf n.-ö. Landen nur in Fällen des Hochverraths. Sartori,
Beitr. z. österr. Rg., 37. Suttinger, Cons.-Austr., 128 AT. Rechbach, Observ., 67.
458 Österreichische Roichsgeschichte. U. Theil. Vierte Periode. § 56.
für die landesfürstlichen Bauern auf den Domänen mit Einschluss
der s. g'. Pfandschaftsgüter die erste Instanz büdeten.
3. Eine Mitwirkung der Landstände war bei allen bisher
genannten Gerichtsstellen vorhanden, da auch bei den Regierungen
die s. g. Ordinari-Repräsentanten nach den Vorschlägen der Land-
tage besetzt wurden. Vollends als landständische Stellen wurden
aber die s. g. Lands- und Hofrechte (in Österreich unter der Enns
das landmarschallische Gericht, in Tirol das s. g. adelige Hof-
gericht) betrachtet. Diese traten unter dem Vorsitz des Landes-
hauptmanns (beziehungsweise des Landmarschalls) oder seines Stell-
vertreters als Gericht der Genossen über Standesgenossen in allen
bürgerlichen Klagen gegen landständische Adelige und in Angelegen-
heiten-des später landtäflichen Grundbesitzes periodisch wieder-
kehrend (alle Quatemberzeiten, von acht zu acht Wochen u. dgl.)
zusammen. Vom Mittelalter her dienten sie zugleich als Vereinigungs-
punkt der ständischen Vertreter überhaupt, so dass bei solchen
Lands- und Hofrechten die verschiedensten Angelegenheiten des
Landes zur Sprache kommen konnten. Diese Aufgabe der Lands-
und Hofrechte verlor sich in dem Maße, als es zur Bildung blei-
bender Ausschüsse zur Besorgung der laufenden Angelegenheiten
der landschaftlichen Verwaltung kam, sie erhielt sich daher in
Tirol (vgl. § 54, 3) am längsten. Die Beisitzer wurden zuletzt
überall für ihre Mühewaltung durch Besoldung oder Tagegelder
entschädigt und in den fünf n.-ö. Landen aus dem landständischen
Adel allein genommen. In Tirol waren auch die Städte durch je
zwei Bürger von Bozen und Meran im adeligen Hofgericht vei-
treten. Zur Besetzung dieser ständischen Stellen gehörte überall
ein bleibend angestellter Gerichtsschreiber, der auch im Landtag
und bei der Geschäftsführung der landschaftlichen Ausschüsse
Verwendung fand.
4. Die städtischen Verwaltungskörper waren zunächst die
erste Instanz für den Bürgerstand, und zwar der innere Kath
unter dem Vorsitze des Bürgermeisters (beziehungsweise des Rich-
ters) in Civilsachen streitiger wie unstreitiger Art, während der
Stadtrichter mit den ihm zugeordneten Beisitzern die dem Orte
zustehende Strafgerichtsbarkeit ausübte. Die größeren Städte
hatten durchwegs die Blutgerichtsbarkeit, waren also, wie man
sich damals ausdrückte, Stadt- und Landgerichte zugleich und
Die Gerichtsvcr waltung in den aitösterreichischen Landen. ^59
konnten in letzterem Falle einen Wirkungskreis haben, der über
das Stadtgebiet hinausgieng. Der Richter bedurfte jedoch zur
Ausübung der hohen Gerichtsbarkeit der landesfürstlichen Ermäch-
tigung, die anfänglich alljährlich, später nach Maßgabe seiner
Amtsperiode bei der landesfüratlichen Obrigkeit einzuholen war.
Gleiches mussten auch die Grundherren rücksichtlich der mit
ihren HeiTschaften verbundenen Landgerichte beobachten.
5. Die Ausübung der Blutgerichtsbarkeit in den Städten wie
auf dem Lande wurde jedoch scTion im 16. Jahrhundert durch
Ernennung landesfürstlicher Bannrichter in größere Abhängigkeit
von den Regierungsbehörden gebracht. Am freiesten noch konnten
sich die Landgerichtsinhaber in Österreich unter der Enns bewegen,
die sich selbst nach der Landgerichtsordnung vom Jahre 1656
(Art. I 41, II 100) bei Fällung des Urtheüs durch ihren Verwalter
oder Pfleger vertreten lassen konnten. Doch mussten selbst hier
die Urtheile bei gewissen Verbrechen vor ihrer Vollstreckung sammt
allen Acten der n.-ö. Regierung „zu deren weitern Erkanntnus"
vorgelegt werden. In anderen Ländern, z. B. in Steiermark, im
Lande ob der Enns u. s. w. war jedoch der Landgerichtsherr ge-
nöthigt, entweder persönlich Recht ergehen zu lassen, oder aber
sich des landesfürstlichen Bannrichters zu bedienen, der nebst
einem Gerichtsschreiber, einem landesfürstlichen Ankläger und
dem Scharfrichter auf Kosten des Landgerichtsinhabers herbei-
zurufen war. Daraus entwickelte sich mit der Zeit die Unter-
scheidung der Landgerichte in privilegierte und nicht privilegierte.
Die ersteren, zu welchen die Mehrzahl der landesfürstlichen Städte,
dann einige Märkte und Herrschaften gehörten, konnten peinliche
Processe durch ihre eigenen Richter durchführen, letztere bedurften
der Mitwirkung des Bannrichters, während der Vollzug der Todes-
urtheUe von der Bestätigung durch die Regierung abhieng.
6. Daneben waren noch manch andere Körperschaften oder
Beamte an der Rechtssprechung betheUigt. Es gab eigene Gerichte
in Wechselsachen und für Universitätsangehörige, besondere jüdische
Gerichte für die Israehten auf dem Lande. Die bischöflichen Con-
sistorien, die Berg-, Wald-, Forst- und Jägerämter, die Haus- und
Spielgrafen, die Ministerialbanco-Deputation beanspruchten gleich-
falls eigene Gerichtsbarkeit. Dazu kamen das kaiserliche Wasser-
gericht und Wassergrafenamt in Österreich, das Kellergericht in
460 Österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Vierte Periode. § 56.
Steiermark, die Militärgerichte, das obersthofmarschallische Gerieht
u. 8. w., kurz, es herrschte ein solcher Reichthum an Gerichtsstellen,
d ass es zu zahlreichen Competenz-Conflicten kam und mancher Rechts-
streit nur darum verloren gieng, weil die Instanz verfehlt worden war.
7. In Böhmen, Mähren und Schlesien herrschte gleichfalls
eine ungemeine Zersplitterung der Gerichtsverwaltung. Bei ab-
weichender Ausgestaltung der Behörden und Ämter im einzelnen,
finden sich auch hier wie in den altösterreichischen Landen landes-
fiirstliche, ständische und grundherrliche Beamte und Behörden
mit der Rechtsprechung betraut und als königliche Hofgerichte
beziehungsweise als Landes- und als privilegierte Gerichte be-
zeichnet. Mit dem Anwachsen der königlichen Gewalt, sind nament-
lich seit Erlassung der verneuerten Landesordnungen, hier die
ständischen Gerichte zu königlichen geworden. Die Mehrzahl der
wichtigsten Gerichte trat nur einigemale im Jahr zu periodisch
wiederkehrenden Sitzungen zusammen. Hervorgehoben seien:
a) das königlich böhmische Kammerrecht unter dem Landes-
hofmeister als Vorsitzenden mit Beisitzern aus dem Herren- und
Ritterstande, die der König ernannte. Der Umfang des Wirkungs-
kreises lässt sich für dieses königliche Gericht nur im allgemeinen
so bezeichnen, dass alle Streitgegenstände, welche nicht einem
anderen Gerichtsstande ausdrücklich zugewiesen waren, bei dem
königlichen Kammergerichte anhängig gemacht werden durften:
h) das größere und kleinere Landrecht waren die eigent-
lichen Adelsgerichte. Sie hatten unverkennbare Ähnlichkeit mit
den Lands- und Hofrechten (beziehungsweise dem landmarschal-
lischen Gerichte) in den altösterreichischen Provinzen und waren
Civil- und Criminalgerichtsstellen für die höheren Stände und auch
bei Streitigkeiten über Liegenschaften der Geistlichkeit zuständig:
c) die königlichen Landtafeln, welche früher nur im Zu-
sammenhang mit den Sitzungen des Landrechts, nach den könig-
lichen Instructionen vom 2. Jänner 1640 für Mähren und 21. No-
vember 1652, für Böhmen, aber das ganze Jahr geöffiiet waren.
Seit Erlassung der verneuerten Landesordnungen waren auch Ein-
tragungen in deutscher Sprache zulässig. Da ferner vor der Ein-
tragung die „HabUitierung zum Lande" nachgewiesen werden
musste, um den Besitz durch Landtafelunfähige auszuschließen,
so ergab sich jetzt ein Intabulationszwang.
GerichtsverwaltuDg in Böhmen und Ungarn. 461
8. Die Patrimonialgerichte und die Gerichte in den Städten
und Märkten wiesen so ziemlich dieselben Einrichtungen auf, wie
in den altösterreichischen Landen, nur bestand seit 1548 für die
Städte in Böhmen und später auch in Mähren die königliche
Appellationskammer in Prag sowohl flir die Belehrungen, welche
nach der verneuerten Landesordnung in Criminalsachen bei der
königlichen Appellation zu nehmen waren, als auch in Justizsachen
der königlichen Städte. Seit 1651 war sie auch als deutsche
Lehenshauptmannschaft für Böhmen thätig. Außer den besonderen
Gerichtsständen der bischöflichen Consistorien, der Universität, dem
Oberstburggrafengericht u. dgl. gab es noch eine Anzahl Ämter, wie
das Grenzgericht, das Ufergericht der beeideten Müller in der Alt-
stadt, das Rossgericht in der Neustadt Prag u. s. w., bei denen
polizeiliche und gerichtliche Wirksamkeit vielfach in einander
flössen.
9. Das Verfahren war sowohl bei den Gerichts- als den Ver-
waltungsbehörden ungemein schleppend, gegen viele Personen,
zumal den landständischen Adel, durch mannigfache Privilegien
und Exemtionen mit besonderen Schwierigkeiten verbunden. Viele
Gerichte hatten sowohl im streitigen wie nicht streitigen Verfahren
ihre eigenen Instructionen, die oft genug nur handschriftlich vor-
handen waren. So kam es, dass selbst innerhalb desselben Landes,
von Stadt zu Stadt, ja von Gericht zu Gericht verschiedenes Recht
galt. Die Folgen, die daraus entstanden, kann man sich leicht aus-
malen (§ 46, 2). Die Justizpflege war von einem Kronland zum
anderen mit größeren Schwierigkeiten verbunden, als wir sie heute
im Verkehr der Gerichte fremder Staaten finden. Waren alle Aus-
flüchte und Verschleppungen einer verworrenen Gerichtspflege
erschöpft, dann genügte für den säumigen Schuldner nicht selten
eme Spazierfahrt von wenigen Stunden, um über den dienst-
freundlichen Verkehr der Hofkanzleien für den Rest seines Lebens
vor seinen Gläubigem sicher zu sein. ^
10. In Ungarn galt als höchste Instanz die Curia Regis, welche
die Septemviral und die königliche Tafel umfasste. Die Septem-
viraltafel unter dem Vorsitz des Palatins oder des Judex Curiae
^ Dom in, 27. — Um so höher ist anzuschlagen, dass die i.-ö. Stände schon
1590 sich wechselseitig die Execution der in den Landschrannen zn Graz,
Klagenflirt und Laihach gefeiten Urtheilo zusicherten. Lhf. Kärnten, S. 264.
462 Österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Vierte Periode. § 56 u. 57.
war die höchste Instanz, gegen deren Urtheile es kein Rechts-
mittel weiter gab; die königliche Tafel (tabula Regis judiciaria)
war allgemeine Appellationsinstanz, die jedoch in gewissen Fällen
auch als erste Instanz richtete. Zu ihrer Erleichterung wurden im
Jahre 1723 vier Districtualtafeln als Civilgerichtshöfe zu Güns,
Tyrnau, Eperies und Debreczin bestellt. Alle übrigen Civil- und
Strafsachen wurden von den coUegialen Comitatsgerichten (Sedrien,
sedes judiciariae) oder von Stuhlrichtern als Einzelrichtem ver-
handelt. In den Städten gab es Magistrate und Stadtgerichte,
welche wie die Sedrien durch Wahl besetzt wurden.
Ähnliche Einrichtungen bestanden auch in den Nebenlanden,
von welchen Siebenbürgen und Croatien eigene Gerichtsbehörden
zweiter Instanz, die königliche Tafel, beziehungsweise die Banal-
tafel, besaßen.
§ 57. Heereswesen und Heeresverwaltang.
Bidermann, Gesaiumt-Staatsidee, I, li, dann: Zeitschrift für Privat- und
öffentl. Recht, XXI und in den Mitth. d. h. Ver. f. Stmk., Bd. 31, 39. — Huher,
R.-G., 161. — Kurz, Gesch. der Landwehr in österr. ob der Enns. 1811. —
Meynert H., Gesch. der k. k. österr. Armee, 1852; Gesch. des Kriegswesens
u. d. Heeresverfassungen in Europa. 3 Bde., 1868 ; das Kriegswesen der Ungarn.
1876. — Oberleitnor, im Archiv f. österr. Gesch., Bd. 19, 22. — Vanißek,
Specialgeschichte der Militärgrenze. 1875, 4 Bde. — Virozsil, III, § 89. -
Zahn, Das Jahr 1683 in Steiermark, und Zwiedineck, Das steir. Aufgebot
vom J. 1565, in den Mitth. d. bist. Ver. f. Stmk., Bd. 31 und 25.
1. Das österreichische Heeres wesen der neueren Zeit nahm
seinen Ausgang von den Reformen Kaiser Maximilian's I., verdankt
eine bemerkenswerte Erweiterung den Grenzeinrichtungen seit
Kaiser Ferdinand I. und erfuhr erst dadurch, dass nach dem dreißig-
jährigen Kriege einige Regimenter nicht entlassen wurden, seine
Umbildung zum stehenden Heer.
2. Es wurde schon angedeutet (§ 40, 8), dass Kaiser Maxi-
milian I. bei seinen weit aussehenden politischen Plänen vor allem
auf die Kräfte seiner Erblande angewiesen war, wobei ihm seine
Doppelstellung einerseits als Reichsoberhaupt, andererseits als
Landesherr nicht wenig zu statten kam. Da die Verpflichtung
der Vasallen zu Reichsdiensten mit geringen Beschränkungen all-
gemein bestand, so konnte Maximilian I. als oberster Lehensherr
Reformen des Heereswesens durch Kaiser Maximilian I. 463
im Reiche und in seinen Erblanden von seinen Vasallen den per-
sönlichen Zuzug zu Reichskriegen verlangen und daneben zu
Zwecken der Landesvertheidigung die gesammte waffenfähige Be-
völkerung aufbieten (§ 32, 1). Zumal die Kriege gegen Venedig,
die ebensogut die Grenzen der fünf n.-ö. als der o.-ö. Lande be-
drohten, haben den Kaiser sowohl zur Aufstellung eines starken
Angriffsheeres, als auch zur Rückendeckung durch das Aufgebot
genöthigt. Die Mängel der bestehenden Heeresverfassung wurden
dadurch so offenkundig, dass die Stände gewisse Vorschläge des
Kaisers, die eine größere StreittUchtigkeit des Angriffsheeres her-
beiführen sollten, nicht abzulehnen wagten.
3. Um den Venezianern, welche durch ihr Geld über die
tüchtigsten Söldnerführer mit erprobten Mietstruppen verfügten,
wirksam zu begegnen, hätte der persönliche Zuzug der Vasallen
in einem Umfang und in einer Dauer geleistet werden müssen,
die zum Verderben der davon betroffenen Adelsgeschlechter und
Körperschaften geführt hätten. Maximilian verlangte nun, ohne
sein Recht den persönlichen Zuzug zu fordern ganz aufzugeben,
von den Ständen die Bewilligung von Geldern zur Anwerbung
von Soldtruppen und für den Unterhalt des Aufgebots, falls ein
solches nothwendig würde. Da dies allen kriegstauglichen und
kriegslustigen Unterthanen Gelegenheit gab, die Rolle eines auf-
gebotenen Lehens- oder Landwehrmannes mit der eines gewor-
benen Soldaten zu vertauschen und die übrigen ihren Verpflich-
tungen lieber durch eine Geldabfindung entsprachen, welche die
Aufstellung von Soldtruppen ermöglichte, so hat sich seit Maxi-
raüian L die Kriegspflicht der Vasallen immer mehr in eine Steuer-
pflicht gewandelt. Das persönliche Aufgebot seiner Mannen blieb
zwar dem Landesfürsten auch ferner vorbehalten, allein es wurde im
16. Jahrh. auf jene seltenen Ausnahmsfälle beschränkt, in welchen
der Herrscher selbst oder ein Mitglied seines Hauses an die Spitze
des ausziehenden Heeres trat (der s. g. persönliche Anzug) und
verlor sich zu Anfang des folgenden Jahrhunderts gänzlich. ^
4. Das Heereswesen beruhte demnach in Österreich seit
Kaiser Maximilian L, in Böhmen seit Ferdinand L auf der Ver-
wendung geworbener Truppen, zu Landesvertheidigungszwecken
^ Das letzte Lehensaufgebot fand in Innerösterreich 1601, im Lande unter
der Enns 1605 statt.
464 Österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Vierte Periode. § 57.
Überdies auf dem Landwehraufgebot. Von einem kaiserlichen
Heere kann man aber noch lange nicht sprechen, obwohl die
österreichischen Herrscher die Rechte eines obersten Kriegsherrn
niemals preisgaben und seit Kaiser Ferdinand I. auch immer
entschiedener durchsetzten. Die Landstände ließen sich eben nur
zur Beistellung einer gewissen Truppenzahl herbei, die sie auf
ihre Kosten anwarben, ausrüsteten und besoldeten und unter
landschaftlichen Officieren dem Landesfürsten zu einer mehr oder
minder beschränkten Verwendung während einiger Monate zuführten,
oder sie bewilligten die s. g. Gültpferde, d. h. Reisige, welche
von den Grundherren nach Maßgabe ihres Besitzes ausgewählt,
gerüstet und erhalten werden raussten. In dem einen wie in dem
anderen Falle betrachteten sie die von ihnen aufgebrachte Mann-
schaft auch als ^ihre", d. h. landschaftliche Truppen, und es hat
mehr als einmal Sti-eit darüber gegeben, wie weit die Unter-
ordnung derselben unter einfiu vom HeiTscber bestellten Ober-
befehlshaber reiche. Von einem landesfürstlichen Heer konnte
darum bis zum dreißigjährigen Kriege nur soweit die Rede sein, als
der Herrscher aus seinen beschränkten Mitteln gleichfalls einige
Soldaten anwarb und bezahlte.
5. Kaiser Ferdinand L war jedoch keineswegs geneigt, seine
Militärhoheit mit den Ständen zu theilen und wusste auch seinen
Standpunkt zur Geltung zu bringen. Zu diesem Zweck lehnte er
z. B. im Jahre 1529 die ihm vom Lande ob der Enns zur Ver-
fügung gestellten Soldtruppen ab und bestand auf dem persön-
lichen Zuzug, durch den er den widerstrebenden Großgrundbesitz
mürbe zu machen hoffte. In der That fiel dann der nächste Land-
tagsschluss nach dem Willen des Herrschers aus : Ferdinand er-
hielt die bewilligten Soldtruppen auf fünf Monate zu freier Ver-
wendung gegen den Feind, während für die Landesvertheidigung
durch das Landesaufgebot vorgesorgt wurde. Die steiermärkischen
Stände, welche in mehrjährigen Verhandlungen ihn zu überzeugen
suchten, dass die von ihnen bezahlten Truppen von rechtswegen
auch als die ihrigen anerkannt werden sollten, mussten sich
schließlich (1555) mit der nachdrücklichen Zurückweisung ihrer
Ansprüche zufrieden geben, indem Ferdinand L erklärte,^ „dass
2 Kurz, I, 92; Bidermann in Mitth., 39, 8. 91.
Kein landesfürstl. Heer vor dem dreißigjähr. Kriege; Tmppenwerbung. 465
solche Aufnembung und Urlaubung beruerten Kriegsvolks uns
oder wemb wirs befehlen und sonst niemand andern zuesteh/
6. Wie Kaiser Ferdinand I., so haben auch seine Nachfolger
an dem Satze, dass die Militärhoheit ihnen allein, zustehe, fest-
gehalten. Demungeachtet hat es lange Zeit gedauert, ehe diese
Auffassung zur unbestrittenen Anerkennung gelangte. Noch bei Aus-
bruch des dreißigjährigen Krieges haben nicht bloß die böhmischen
Stände, die vom Herrscherhause oflFen abgefallen waren, dem Kaiser
Ferdinand II. ihre Truppen entgegengestellt, sondern auch die
Regimenter der protestantischen Stände von Österreich ob und
unter der Enns an deren Seite mitgekämpft. Erst seit Wallen-
stein's Auftreten, namentlich aber seit der Katastrophe von Eger,
trat der entscheidende Umschwung ein, der mit der Art und
Weise der Heeresaufstellung eng zusammenhängt.
7. Seit Kaiser Maximilian I. »das Geschlecht der streitbaren
Landsknechte" aufgebracht hatte, bot die Werbung ein bequemes
Mittel zur raschen Sammlung von Soldtruppen. Instruction und Be-
stallungsbrief, die sich aus dem Jahre 1498 für die Aufstellung von
vier Fähnlein schwerer Reiter (Kyrisser) erhalten haben, zeigen, dass
Maximilian nicht nur die Hauptleute und deren Lieutenants, sondern
auch die Fähnriche, kurz alle Ofßciere selbst ernannte, wogegen dem
Fähnrich die Anwerbung der Speerreiter und Trabanten zufiel. In
der Folge kam aber der Brauch auf, dass der Kriegsherr nur den
obersten Befehlshaber des neu zu errichtenden Truppenkörpers
(Fähnlein, Regiment) ernannte und diesem die Besetzung der Officiers-
posten sowie die Beschaffung der Mannschaft überließ. In dem einen
wie dem anderen Falle handelte es sich um keine bleibende Truppe,
Stab wie Soldaten waren nur auf Zeit, in der Regel auf einige Monate,
geworben und verloren ihren Dienst, sowie das Fähnlein abgedankt
wurde, was, wenn nicht früher, in der Regel gegen den Winter hin
erfolgte. Beauftragte der Kriegsherr im nächsten Frühling etwa
wieder denselben Obersten mit der Aufstellung eines Regiments,
so kam doch nicht mehr die vorige Truppe zusammen : der Oberst
mochte sich andere Officiere wählen und diese warben an, wen
sie gerade fanden. Es konnte aber auch vorkommen, dass der
Kriegsherr auf ganz andere Befehlshaber griff.
8. Schon das Gesagte lässt erkennen, wie einflussreich die
Stellung dieser Obriste sein musste, die auf verabredete Bedin-
Luschin, österreichische Reichsgeschicbte. 30
466 österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Vierte Periode. § 57.
gungen hin für den Kriegsherrn Regimenter anwarben, abdankten
und wieder errichteten. Je größer Eines militärischer Ruf, desto
größer der Zulauf, den er erwarten konnte, desto kriegstüchtiger
die Mannschaft, die er aufbrmgen konnte, zumal es ihm in solchem
Falle an einem Stabe ei'probter Ober- und Unterofficiere nicht
fehlte.
Der Oberste war Herr über Leben und Tod, aus seiner
Hand empfieng der auf die Kriegsartikel verpflichtete Söldner
Strafe wie Belohnung.
9. Der dreißigjährige Krieg bewirkte im Kriegswesen tief
eingreifende Veränderungen. Hier handelte es sich nicht um Unter-
nehmungen von absehbarer Dauer; schon nach den ersten Jahren
wusste man, dass die Austragung der emmal entfesselten Gegen-
sätze langwierig sein werde. Nothgedrungen behielt man jetzt
auch den Winter über größere Truppenmengen unter den Fahnen.
Dazu kam die Ernennung Wallenstein's zum Generalissimus. Das
Heer, dem er vorstand, war nur dem Namen nach ein kaiser-
liches; durch die Geldmittel und den Ruf des großen Kriegs-
mannes geschaffen^ zerfiel es sofort mit seiner Entlassung und
konnte nur wieder durch ihn selber erhoben werden. Umso
wichtiger war es, dass die nach der zum zweitenmale beschlos-
senen Absetzung Wallenstein's ergriffenen Maßregeln, sich seines
Heeres für den Kaiser zu versichern, von Erfolg begleitet waren.
10. Schon unter Wallenstein hatte sich die früher unmittel-
bare Abhängigkeit der Regimenter von ihren Obristen in eine
bloß mittelbare verwandelt, weü der Generalissimus, wie er über-
haupt die höchste Kriegsgewalt in seinen Händen vereinigte, so
sich auch alle Ernennungen vorbehielt und aus eigener Machtvoll-
kommenheit die Obriste einsetzte und entfernte. Dieselbe Unter-
ordnung der Obriste blieb nach dem Sturze Wallenstein's bestehen,
wiewohl die kaiserlichen Generale, die nun den Befehl über die
treugebliebenen Regimenter übernahmen, in einer ganz anderen
Abhängigkeit vom Kaiser sich befanden, als ihr Vorgänger. Die
Regimenter gehörten jetzt nicht mehr ihren Werbeherren, sondern
dem Kaiser an, sie verschwanden nicht mehr, wie ehedem, mit
ihrem ersten Obersten, sondern blieben auch nach dessen Entfernung
beisammen und im Dienste des Kaisers, wenn man höheren Orts
es wollte. Aus diesen jetzt stehenden Regimentern wurde folge-
Anfänge eines stehenden landesfUrstl. Heeres; die Militärgrenze. 467
recht auch ein wirklich stehendes Heer.* Von welchem Jahre an
ilieees in Österreich zu rechnen ist, lässt sich nicht gut sagen, da
«s lange dauerte, ehe man von der Gepflogenheit, die Regimenter
zeitweilig abzudanken und nach Bedarf wieder aufzustellen, ganz
abgieng.* Vor allem war es Montecuculi, der in einer umfang-
reichen Denkschrift an Kaiser Leopold I. vom Jahre 1664 auf die
Nothwendigkeit einer stehenden Armee hinwies; allein erst die
Türkenkriege seit 1683 und die unausgesetzten Bemühungen des
Prinzen Eugen von Savoyen haben die letzten Hindernisse über-
wunden, welche sich der Erhaltung einer bleibenden kaiserlichen
Armee entgegensetzten.
11. Um das Jahr 1680 waren die landschaftlichen Truppen-
körper, der Ersatz des früheren Lehensaufgebots, aus der öster-
reichischen Feldarmee schon verschwunden und die Aufgaben einer
solchen dem stehenden kaiserlichen Heere zugefallen. Länger er-
hielten sich landschaftliche Truppen bei der Landesvertheidigung
und in der damit in Zusammenhang stehenden s. g. Militärgrenze,
für beides aber waren vor allem die Einfälle der Türken bestim-
mend. Innerösterreich hatte schon im 15. Jahrhundert von dem
Erbfeind der Christenheit viel zu leiden gehabt und wohl unter
dem Eindrucke der dabei gemachten Erfahrungen war es Kaiser
Maximilian L gelungen, seine Lande zur „brüderlichen Vereini-
gung" zu bestimmen, welche dem vom Feinde Überfallenen Gebiete
die Unterstützung von Seite der übrigen Erblande zusagte. Nach
der Niederlage bei Mohacs und der Wahl Zäpolyas zum Gegen-
könig in Ungara erschienen aber auch Österreich, Böhmen und
Mähren durch die Türken gefährdet, die sich schließlich jenseits
einer Grenze festgesetzt hatten, die bei Zeng das Meer berührte,
über das Gebiet von Licca und Corbavia entlang der Unna die
Save. bei Veröcze die Drau erreichte, nordwärts bei der Raab an
3 Meynert, II, 46.
* Nach den im Staatshandbuch bei den einzelnen Re^mentem ange-
gebenen Jahren der Errichtung waren zwei Reiter- und vier Infanterie-Regi-
menter (Dragoner Nr. 8, Darapierre 1618, und Nr. 10, 1640, Inf. Nr. 8, 11, 13,
24 von 1647, 1630, 1630, 1632), der vom dreißigjähr. Kriege übernommene Kern
-des kaiserlichen stehenden Heeres, das von 1655—75 durch drei Reiter- und vier
Infanterie-Regimenter (Dragoner Nr. 2, 4, 7, Inf. 17, 25, 42, 54) erweitert wurde.
Namhafte Vergrößerung brachten seit 1682 die Türkenkriege.
30*
468 Österreichische Reichsgeschlohte. IL Theil. Vierte Periode. § 57.
die Donau kam, an deren linken Ufer stromabwärts bis Komorn
gieng und endlieh entlang der Neutra und Gran nordwärts verlief.
12. Kaiser Ferdinand I. hatte die Innerösterreicher schon
bald nach seinem Regierungsantritte in Ungarn zu überzeugen ge-
wusst, dass für die Sicherung ihrer Lande besser vorgesorgt sei^
wenn die Vertheidigung noch jenseits der Landesgrenzen durch
Unterstützung der Croaten und Slavonier beginne. Dies geschah
zunächst in der Art, dass croatische und slavonische Edelleute
in Kriegsdienste der i.-ö. Landschaften traten, später, namentlich
nachdem der ungarische Landtag 1546 (Art. 42) seine Zustimmung
dazu gegeben hatte, auch durch Besetzung fester Orte mit deut-
schen Knechten und slavischen Haramien, die aber gleichfalls von
den i.- ö. Landschaften besoldet wurden. Das immer gefährlichere Vor-
dringen der Türken machte jedoch umfassendere Maßregeln nöthig
und so griff man um das Jahr 1577 auf einen Vorschlag zurück,
den die Innerösterreicher schon im Jahre 1544 auf dem Prager
Ausschusstage gemacht hatten, der dahin gieng, dass im Gebiet
der ungarischen Krone ein Landgürtel von der mährischen Grenze
bis zur Adria auf Kosten der Erblande und Böhmens dauernd
mit Besatzungen versehen werden möge. Böhmen vertheidigte
die Grenze bei Komorn, Österreich unter der Enns vor allem
Raab, das Land ob der Enns lieferte die Mittel zur Proviantbe-
schaffung. Dem Erzherzoge Karl aber wurde vom Kaiser Rudolf IL
im Jahre 1578 mit Zustimmung des ungarischen und croatischen
Landtags das s. g. ewige Generalat über die windische und croa-
tische Grenze verliehen.
13. Die Ausführung dieser Grenzvertheidigung übernahmen
die i.-ö. Landschaften nach den Beschlüssen des Brucker Land-
tags vom Jahre 1578 und behielten sie bis zur Reform der Grenz-
einrichtungen durch die Kaiserin Maria Theresia. Steiermark be-
sorgte die s. g. windische oder Warasdiner Grenze, welche nach
den Brucker Beschlüssen mit 650 Reitern und 2100 Pußknechten
besetzt werden sollte, Kärnten und Krain übernahmen ebenso die
Auslagen und die Verwaltung der croatischen Grenze. Zur Be-
streitung der mit dieser Ausgabe verbundenen Kosten wurde den
Landschaften die Erhebung von Steuern zugestanden, der Steier-
mark im 17. Jahrhundert beispielsweise der Gesammtbetrag des
Ordinariums der s. g. vierfachen Gült mit 320.000 fl.
Die Militärgrenze; das Landesaufgebot. 469
14. Die Grenzeinrichtung hat sich als Schutz gegen unvor-
hergesehene Überfälle gut bewährt und manchen Streifzug auf-
gehalten, der sonst tief ins Innere der Lande gedrungen wäre.
Das Landesaufgebot ist daher glücklicherweise nur selten einbe-
rufen worden, obwohl es aus Vorsicht Jahr um Jahr in die Land-
tagsbewilligungen aufgenommen wurde.
15. Die Landesvertheidigung beruhte im 16. Jahrhundert in
<ien fünf n.-ö. Landen im wesentlichen auf den Grundlagen, die
schon in der Defensionsordnung des Landes ob der Enns vom
Jahre 1530 ausgesprochen sind. Alle Grundherrschaften hatten
ihre waffenfähigen Unterthanen vorzufordern, zu mustern und
dann der landtäglichen Bewilligung gemäß die Wehrleute zu be-
zeichnen, die im Bedarfsfalle aufgeboten und nach bestimmten
Sammelplätzen abgefertigt wurden. Gewöhnlich wurde die etwa
nothwendig werdende Verstärkung dadurch vorgesehen, dass neben
dem Aufgebot des 30. oder 20. Mannes nach Bedarf auch das
Aufgebot des 10. oder 5. Mannes offen gehalten wurde ; bisweilen
begnügte man sich mit weniger, selbst mit dem 100. Mann. Da
indessen mit den schlecht bewaffneten und ungeübten Landwehr-
leuten nicht viel anzufangen war, so ergriff man in Steiermark
das Auskunftsmittel, statt des 30. Mannes die Anwerbung von
2000 Büchsenschützen zu beschließen, für welche die Bauern ein ent-
sprechendes Büchsenschützengeld zu bezahlen hatten. Da Kärnten
und Krain es ähnlich hielten, so führte dies schließlich dazu,
dass es trotz lange dauernder Kriegsjahre zu keiner Musterung
der Landwehrleute kam, was Erzherzog Ferdinand in einer im
Jahre 1606 an seine Lande gerichteten Zuschrift ernstlich beklagte. '^
Andererseits hatte aber die Umwandlung der Landwehrpflicht in
eine Geldablösung auch eine Veränderung der Bemessungsgrund-
lage zur Folge. Nicht die wirkliche Zahl der wehrhaften Bauern,
sondern die Größe der Gülteneinlage des Herrn bestimmte später,
wie viel als 30., 10., 5. Mann von dieser zu stellen oder abzu-
lösen seien.® Damit war man bei demselben Schlüssel angelangt,
^ Hnrter, Ferdinand II., Bd. 5, S. 15. Das Aufgebot des 10. u. 5. Mannes
wird liier allein fUr die Steiermark auf 11.000 Krieger geschätzt.
® So wurde in Steiermark 1683 der 10. Mann einberufen, „d. i. der
10. Pfundt Gelt im Gültbuch hat soll aio Mann, also der 100 Pfundt Gelt hat,
soU 10 Mann stellen". Zahn in Mitth. des bist. Ver. f. Stmk., 31, S. 103.
470 österreichische Reichsgeschichte. IL Theil. Vierte Periode. § 57.
nach welchem man von Anbeginn die für die Landesvertheidigung
erforderliche Reiterei, die s. g. Gliltpferde, aufgebracht hatte.'
16. Die Städte und Märkte hatten ihre besondeni „Fähndl-
aufzubringen, was gewöhnlich durch Werbung von Knechten
geschah. Erleichtert wurde ihnen dies durch die n.-ö. Polizeiordnung
vom Jahre 1 552, die aus der Handwerkerordnung für die fünf n.-ü.
Lande vom Jahre 1527 die Bestimmung übernommen hat, dass die
Handwerker in Fällen der Feindesnoth verpflichtet seien, um ge-
bürlichen Sold gegen den Feind zu dienen, bei Strafe der Landes-
verweisung. Zur Landesvertheidigung hatten auch die Städte nach
Maßgabe des Aufgebots den 30., 10., 5. Mann auszurüsten und
zu stellen, wie wohl ihnen in erster Linie die Vertheidigung der
eigenen Mauern oblag. In welch rühmlicher Weise die Bürger von
Wien 1529 und 1683 in den Belagerungen durch die Türken, die
Prager und Brünner während des dreißigjährigen Krieges dieser
Pflicht nachgekommen sind, ist bekannt. Neben dieser Bürgerwelir
gab es in größeren Städten eigene Stadtsoldaten als Polizeiwache,
in Wien z. B. die s. g. Rumorsoldaten, während die Stadtquardia
hier zur landesfürstlichen Besatzung gehörte.
17. In Tirol beruhte die Heeres Verfassung vor allem auf den
Bestimmungen des s. g. elfjährigen Landlibells (vom Jahre 1511).
Die beschränkende Einwirkung der Stände auf die landesfürstliche
Gewalt trat hier beinahe noch stärker hervor als anderwärts. Da
jedoch Tirol nach Beilegung des Krieges mit Venedig im Jahre
1516 lange Zeit keine unmittelbare Bedrohung durch Feinde er-
fuhr, so erklärt sich daraus, weshalb das Land verhältnismäßig
große Truppenkörper dem Landesherrn zu freier Verfügung be-
willigte.^ Daneben wurde dann für den Fall eines feindlichen
Angriffs das Landesaufgebot in größerer Zahl in Bereitschaft ge-
halten.
18. Auch in Ungarn beruhte das Heerwesen vom Mittelalter
her theils auf der Lehenspflicht des Adels (der servientes. An-
■^ Man rechnete von 200 Pfund Gülten ein Pferd als halbe, von UK» Ffiind
Gülten ein Pferd als ganze Gült. Wer weniger besaß, hatte für den Unterhalt
des in Bereitschaft gehaltenen Pferdes ein Wartgeld, im Falle des Auszugs auch
noch ein Rüstgeld nach der Anzahl seiner Pfunde zu bezahlen.
8 Meynert, II, 136. Z. B. 1526: 5000 Mann auf 4 Monate lang, wohin es
der Erzherzog verlange.
Heerescinrichtnngen in Tirol und Ungara. 471
hang II, 11), theils auf der Landwehr infolge allgemeiner Unter-
thanenpflieht. Der Lehensgehorsam legte nun zweierlei Kriegslasten
auf: a) den persönlichen Zuzug, die s. g. perso7ialis insurrectio im
Kriege und b) den ständigen Unterhalt von Mannschaften zur Be-
setzung jener Burgen und Schlösser, auf welchen die Vertheidigung
des Königreichs beruhte, die s. g. Portalmiliz. Beide Verpflich-
tungen trafen die Kronvasallen, sie mochten nun weltlich oder
geisthch sein. Sah sich der König außerstande, die Kosten der
Vertheidigung aus seinen Einkünften zu bestreiten, so konnte er
nach Art. 2 vom Jahre 1458 die Banderien der Prälaten und Ba-
rone, d. i. die obgenannte Portalmiliz, und in letzter Linie jeden
waffenfähigen Mann aufrufen. Diesen Bestimmungen gemäß hat
schon König Matthias Corvinus mit Aufwand von mehr als einer
Million Ducaten jährlich ein stehendes Heer gehalten, dessen Kern,
die berühmte schwarze Schar, vornehmlich aus angeworbenen
Böhmen, Mährem und Serben bestand.
19. Unter den schwachen Jagelionen sank jedoch der krie-
gerische Geist in Ungarn. Prälaten wie Magnaten erfanden
unaufhörlich neue Mittel, um sich der Kriegspflichten zu ent-
ledigen; auf Rechnung dieses Verfalls ist die furchtbare Niederlage
bei Mohäcs zu schreiben. König Ferdinand übernahm daher mit
seinem Regierungsantritte in Ungarn auch die Aufgabe, das zer-
rüttete Heereswesen im Lande wieder aufzurichten. Die Gesetzes-
artikel 1 und 8 Vom Jahre 1528 schärfen den Prälaten und
dem Adel die Pflicht des persönlichen Zuzugs ein und bestimmen
zugleich, dass unter allen Umständen von je zwanzig Bauernhöfen
(portae) ein ausgerüsteter Reiter (daher „Hußar") zu beständiger
Vertheidigung des Landes bereit zu halten sei. Daneben ließ
König Ferdinand das für dringende Kriegsfälle berechnete Auf-
gebot nicht abkommen, das er in den alten Formen (durch Umher-
tragen eines blutigen Säbels) zusammenrief.
Auf diesen Grundlagen blieb das Heerwesen in Ungarn bis
auf Kaiser Karl VI. Durch den Gesetzesartikel 8 vom Jahre 1715
wurde dann die „persönliche Insurrection" auf außerordentliche
Fälle beschränkt, im übrigen aber die Aufstellung einer stabilen,
disciplinierten Miliz bewilligt, die aus In- wie Ausländern bestehen
konnte und im Kriege wie im Frieden durch Besteuerung der Un-
adeligen erhalten werden sollte.
472 Österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Vierte Periode. § 58.
§ 58. Finanzwesen und -Terwaltnng yon 1526 — 1740.
Literatur bei § 33, ferner: Bidermann, Gesammt-Staatsidee, I, II, und
im Archiv f, öst. Gesch., BJ. 20. — D'El vert, Zur österr. Pinanzgeschichto, 1881.
— Gindely, Gesch. d. böhm. Finanzen, 1526—1618. Denlcschriften d. k. Akad.
d. Wiss., Bd. 18. — Hu her, Rg. 157 und im Ergänzungsband IV der Mitth. d.
Inst. f. österr. Gesch. — Kaltenbaeck, im Universalkalender Austria, 1851. —
Mensi, Die Finanzen Österreichs von 1701—1740 und im österr. Staatswörter-
buch II. unter „Finanzgeschichte". — Oberieitner, im Archiv f. österr. Gesch.,
Bd. 19, 22, 30. -- Schwabe V. Waisenfreund, Versuch e. Gesch. d. österr.
Staatscredits- u. Schulden wesens, 1860. — Stelzer, Anleitung zur Verfassung
aller. . . Ab- und Zuschreibungsoperate, 1846. — Tschinkowitz, Darstellung
des politischen Verhältnisses der . . Hen*schaften zur Staatsverwaltung, 6 Bde.,
1827—1839. — Wagner A., Finanz Wissenschaft, 3. Theil, Specielle Steuerlehre,
1889. — Wolf A., Die Hofkararaer unter K. Leopold I., S.-B., Bd. XL
1. Die Pinanzverwaltung in Österreich war zu den Zeiten, als
Kaiser Maximilian I. die Regierung antrat, noch ganz in den
Formen eines mittelalterlichen Staates : noch galten der landesfürst-
liche Grundbesitz und die Regalien als Haupteinnahmsquellen des
Fürsten, noch hoffte man, durch „Reformierung des Kammerguts",
die auf die möglichste Erhöhung der grundherrlichen Einkünfte
hinauslief, den gesteigerten Ansprüchen abzuhelfen, welche der
Übergang von der Natural- zur Qeldwirtschaft nothwendig mit
sich brachte. Auch bestand noch keinerlei Trennung der persön-
lichen Einnahmen und Ausgaben des Fürsten von jenen des
Staates, noch galten die aufgenommenen Schulden als persönliche
Verpflichtung des Herrschers und mithaftender Privatpersonen.
2. Wie auf dem Gebiete der Verwaltung überhaupt, so hat
Kaiser Maximilian auch in die Verwaltung des Finanzwesens mit um-
staltender Hand eingegriffen. Er hat dasselbe von anderen Zweigen
der Verwaltung abgesondert und der Leitung von FinanzcoUegien
unterstellt, Gegenschreiber den Einzelbeamten, die Buchhaltung
den Kammern als Controlorgan beigeordnet, den Kammerprocurator
als allgemeinen Anwalt für die laudesfürstlichen Ansprüche ein-
gesetzt. Schon wird eine Centralisation des Finanzwesens durch eine
Hofkammer zur obersten Verwaltung aller Einkünfte des Reiches
wie der Erblande angestrebt und diese den n.-ö. und o.-ö. Länder-
kammern übergeordnet, gleichwie diese den obersten Finanzlandes-
behörden ihrer Ländergruppe vorgesetzt waren. (§ 39, 9 — 12.)
Die Steuer als Ablösung der Vasallenpflicht. 473
Auf diesen Grundlagen haben dann Erzherzog Ferdinand I.
und dessen Nachfolger die Organisation des landesfiirstlichen
F'inanzdienstes aufgebaut, welche im § 53 schon besprochen
worden ist.
3. Neben der s. g. Cameralverwaltung der landesfürstlichen
Domänen und Regalien, über deren Ertrag der Herrscher zu
staatlichen und persönlichen Zwecken frei verfügen konnte, so
weit dieser nicht durch Verpfändung oder besondere Widmungen
in Anspruch genommen war, gewinnt aber das Steuerwesen seit
den Tagen Kaiser Maximilian's I. für die Befriedigung der Staats*
bedürfnisse eine immer steigende Bedeutung.
Es wurde schon (§ 57) auf den inneren Zusammenhang hin-
gewiesen, der zwischen der Entwicklung des Steuerwesens und
der von Kaiser Maximüian I. eingeleiteten Umänderung des Heeres-
wesens besteht. Die Vasallen, an welche der Landesfürst den An-
trag auf Ablösung des Lehensaufgebots durch Übernahme der
Soldzahlung richtete, waren jedoch gleichzeitig der einflussreichste
Theü der Landschaft und da kam es ihnen dem Herrscher gegen-
über zu statten, dass zur Ausschreibung ungewöhnlicher Auflagen
vom Mittelalter her verfassungsmäßig die Zustimmung der Land-
stände erforderlich war. Wenn sie auch der Ablösung der lästigen
Lehenspflicht umso weniger widerstrebten,^ als sie die Zahlung
großentheils auf ihre hörigen Bauern überwälzen konnten, so
hielten sie umso zäher an der Form fest und verlangten die An-
erkennung vom Fürsten, dass sie die Leistung nicht aus Pflicht,
sondern nur aus freiem Willen übernommen hätten und dass er
somit eine Wiederholung derselben nicht als sein Recht bean-
anspruchen könne.
4. So sind also die seit dem 16. Jahrhundert in Österreich
aufgekommenen Ländersteuern, obwohl aus einer Ablösung des
Lehensaufgebotes hervorgegangen, doch an die Zustimmung der
Landschaften geknüpft geblieben. Die Folge davon war, dass
* Seit dem zweiten Viertel des 16. Jahrh. wird die Anforderung der Besteuerung
zu Zwecken der Landesvertheidigung nicht mehr bestritten, nachdem Kaiser
Maximilian I. schon 1517 die principielle Frage aufgeworfen hatte, ob die Be-
willigung der Steuern etwas Freiwilliges oder Gebotenes sei. § 40, Anm, 4. —
In Steiermark beginnen z. B. die Steueranschläge im J. 1516 und laufen vom
J. 1525 ab in ununterbrochener Folge.
>4 K' Kt^ichsgeschichte. D. Theil. Vierte Periode. § 58.
. ......>,y 'vie überdies die Pestsetzung der Ziffer, die Art
. V* *^ ^^*^ ^*® Einhebung derselben vorbehielten, mit
V . t «. ditös sich die Steuerverwaltung in Österreich als
; . >v- der Landschaften entwickelte. Das hat nun für die
•, X vu?5$^>st^vltung des Steuerwesens seine große Bedeutung
. vuul hat namentlich dazu geführt, dass die Steuerpflicht
;t a wirtschaftlich schwächsten Theil der Bevölkerung über-
:>. Geht man davon aus, dass die Steuern aufkamen, um
v.,o Mittel zur Ablösung des Lehensaufgebotes aufzubringen, so
w.uv wohl die Beitragsleistung der Vasallen nach der Größe ihrer
Lohenspflicht der richtige Maßstab für die Auftheilung der Steuern
lijt^wesen. In Tirol, wo neben den obern Ständen und den Städten
auch die freie Bauernschaft ihren Platz unter den Landständen
und in der Wehrmacht gefunden hatte, ist auch ursprünglich der
Vertheilung der Landsteuern, das Ausmaß der Wehrpflicht zu Grunde
gelegt worden. Man hat nämlich die im Libell vom Jahre 1511
für die Landesvertheidigung bewilligten 5000 Kriegsknechte als
Steuereinheiten behandelt und den Monatssold von 4 fl. für jeden
angeschlagenen „Steuer- oder Raitknecht" dem Steuerpflichtigen
vorgeschrieben. Diese Form des Anschlags hat man in Tirol auch
beibehalten, nachdem man das Verhältnis für die Umlage unter
Berücksichtigung der Bevölkerungszahl und des Wertes der Rea-
litäten geändert hatte. Auch der auf einen Steuerknecht entfallende
Betrag wurde allmählich erhöht, 1573 aus Anlass der Übernahme
landesfürstlicher Schulden auf neun Monatssolde oder 36 fl.
6. In den übrigen Erblanden ist es vorerst zu einer Be-
steuerung nach dem unbeweglichen Vermögen gekommen. Auf
das größere oder geringere Maß der Verpflichtung zu Kriegsdiensten
kam es weiter nicht an, ebensowenig darauf, ob es allodiales Gut
oder Lehensbesitz war, sondern nur auf die Menge und Größe der
ausersehenen Steuerobjecte, die jemand hatte. Als solche griff
man zunächst die grundherrlichen Einkünfte heraus, die vom
Mittelalter her Gülten, oder Herrengülten hießen. Es wurde daher
von den Einzelnen neben einer Selbsteinschätzung auch die Vor-
lage von Nachweisen durch Gültenverzeichnisse gefordert und
darnach die Steuerschuldigkeit bemessen. Diese „Gülteneinlagen"
nebst den letztvorhergegangenen Steueranschlägen bildeten dann
Steuerwesen der Landschaften: Stenerobject und Steuereinheiten. 475
•
das Steuergrundbuch (Kataster), auf welches hin die nächste
Ausschreibung erfolgte. Da Änderungen im Besitz von Steuer-
objecten nur dann Berücksichtigung fanden, wenn sie der Steuer-
behörde zur Kenntnis gebracht wurden, so ergab sich daraus für
den Veräuflerer und den Erwerber von Gülten die Anzeigepflicht,
die mit der Bitte um Ab- beziehungsweise Zuschreibung der ver-
äußerten Gülten im Steuer -Grundbuch verbunden war. Dadurch
übernahm in den fünf n.-ö. Landen der landschaftliche Gülten-
kataster nebenher einen Theil jener Aufgaben, die in Böhmen und
Mähren durch die Landtafel in \yeit vollkommenerer Weise be-
sorgt wurden.
7. Die Steuerpflicht ruhte ureprünglich auf den Qrundherren
als Gültenbesitzern, eine Überwälzung der Steuer auf die herr-
schaftlichen Unterthanen, die sich soeben im Bauernkriege von
1515 im Kampfe um ihr „altes Recht*" gegen Neubelastungen
sehr schwierig erwiesen hatten, war von rechtswegen nicht ge-
stattet. Es blieb daher den Landständen, wenn sie eine solche
erlangen wollten, nichts übrig, als die landesfürstliche Ermäch-
tigung dazu einzuholen. Eine solche erwirkten sie im Jahre 1518
bei den Verhandlungen des allgemeinen Ausschusstages zu Inns-
bruck von Kaiser MaximiUan I., der, um die Aufbringung des
Hilfsgelds von 400.000 fl. zu erleichtern, den Landständen erlaubte,
.die gemainen Menschen durchaus in ziemlichen Mitleiden nach
jedes Lands Gelegenheit und Vermögen darin zu ziehen". Die
Grundherren säumten nicht, dies Zugeständnis auszunützen. In
Steiermark war beispielweise schon 1526 nur mehr die Hälfte
der damaligen Steuern von den Herren ..ohne der armen Leute
Beschwerde*" zu bezahlen, später fiel zeitweise das Ganze den
Unterthanen zu und die Herrschaft hatte nur Gereisige zu
stellen oder das dafür nach der Anzahl der Gültpfunde ent-
fallende Rüst- und Wartgeld aus , eigenem Säckl"" zu bestreiten.
8. Bei dem Umstände, als die Kosten des Kriegswesens
und der Verwaltung von Jahr zu Jahr stiegen, suchten sich die
Landstände zunächst durch eine Erweiterung des Kreises der
Steuerpflichtigen zu helfen. Schon 1527 hatten sie die Aner-
kennung der Realsteuerpflicht des Clerus durchgesetzt, allmählich
erwirkten sie überdies beim Landesfürsten die Erlaubnis zur Be-
steuerung der Domänen, zumal jener, welche sich in den Händen
476 österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Vierte Periode. § 58.
9
von „ Pfandschaf tern'', d. h. Pfandgläubigern befanden. Da jedoch
diese Mittel nicht ausreichten, so griff man zu einer Änderung
der bisherigen Steuergrundlage. Es geschah dies infolge der Be-
schlüsse des Prager allgemeinen Ausschusstages vom Jahre 1542,
auf welchem nach einer vorläufigen Schätzung^ des Wertes der
Güter- und Realrechte Böhmen 425.000, Mähren 200.000 fl., Schle-
sien mit Schweidnitz und der Lausitz 300,000, die fünf n.-ö. Lande
400.000 fl., vorbehaltlich des Ergebnisses der endgiltigen Schätzung,
übernommen hatten. Zu diesem Zweck wurde der Kreis des
steuerpflichtigen Vermögens nach Abforderung ergänzterSchätzungs-
einlagen neu bestimmt und von dem ermittelten Vermögenswerte
den Unterthanen Veo, den Grundherrschaften Vioo als Steuer an-
geschlagen. *
9. Diese dominicalen und rusticalen Steuerpfunde, w^elche
bei wachsendem Geldbedürfnisse mit dem doppelten, drei- und
selbst vierfachen Steuersatz beschwert wurden, bildeten bis in
die Tage der Kaiserin Maria Theresia die Hauptgrundlage für die
directen Steuern in den fünf n.-ö. Landen. Zur Ergänzung wählte
man als Steuerobject die Häuser und Hausgründe der Unterthanen,
die den s. g. Hausgulden, Rauchfänggulden, auch Urbarsteuer ge-
nannt, entrichten mussten; daneben gab es schon im 16. Jahr-
hundert außerordentliche Türkensteuern, Kopfsteuern u. dgl. ra.
Neben der Landsteuer und dem Hausgulden kam auch eine
von den Herrschaften selbst zu zahlende außerordentliche Gült
gebür vor.
10. Auch in Böhmen begann das Steuerwesen mit einer
Vermögenssteuer, die anfänglich nur die Mitglieder der oberen
Stände treffen sollte, aber meistens auf die Unterthanen über-
wälzt wurde. 1542 wurde jedoch im Zusammenhang mit den Be-
^ Die sich auf zusammen 971.000 Gültenpfunde belief; davon entfielen
auf die böhmischen Länder 700.000, aufs Land unter der Enns 96.000» ob der
Enns 47.000, auf Steiermark 72.000, Kärnten 34.000, auf Krain 22.000 Pfund
Gülten. Tschinkowitz, I, 5.
3 Die Art der Berechnung s. bei Tschinkowitz, I, 6 ff. u. Stelzer, S. 19fr.
Das Gülteneinkommen der Herrschaften zu treffen, wurde ihnen jedes auf die
Güter ihrer Unterthanen angeschlagene Steuerpfund als 25 Pfund Capital ange-
rechnet und hievon 1% als Steuer vorgeschrieben. Durch den Brucker Ver-
gleich vom J. 1578 wurde in Innerösterreich eine neue Grundlage für die Be-
messung der Gültenpfunde eingeführt.
Steuerwesen i. d. fünf n.-ö. Landen, in Böhmen, Mähren, Schlesien. 47 7
Schlüssen des Prager allgemeinen Ausschusstages die Steuerpäicbt
unmittelbar auf die Unterthanen ausgedehnt und diesen seit 1555
sogar ein höheres Steuerprocent vorgeschrieben, als es die Herren
bezahlten. Durch die Steuerreform vom Jahre 1567, welche an
Stelle der Vermögenssteuer eine in vier Classen abgestufte Be-
steuerung der Ansässigkeit setzte, wusste der Adel sogar seinen
ländlichen Realbesitz ganz steuerfrei zu machen, so dass er nur
durch die gleichzeitig eingeführte Capitalsteuer getroffen wurde;
im Jahre 1593 wurde aber sein Steuerprivüegium soweit einge-
schränkt, dass er nun nach der Zahl der auf seinen Gütern be-
findlichen Bauernansässigkeiten besteuert wurde. Erst im Jahre
1654 kam es auf Grund behördlich überprüfter Einlagen zur Anlage
eines einheitlichen Katasters für Böhmen, welcher 76.000 Ansässig-
keiten mit je 3 fl. Anschlag umfasste. Seit 1705 war die Con-
tribution für das bewilligte Ordinarium von den Unterthanen, für
das Extraordinarium von den Herrschaften zu tragen. Aber die
schweren Kriegszeiten hatten die Zahl der Ansässigkeiten erheb-
lich vermindert, so dass es deren im Jahre 1711 nur mehr 54.539
gegen 72.240 gab, die im Jahre 1682 verzeichnet worden waren.
Es kam darum neuerlich zu einer Steuerreform, welche 1725 die
Steuerschuldigkeit von einer bäuerlichen Ansässigkeit mit 60 fl.
ermittelte, während die in ihrer Höhe schwankende Steuer vom
herrschaftlichen Besitz kaum das Viertel dieses Betrags erreichte.
Das Steuerwesen in Mähren schloss sich in seiner älteren
Form, sowie in seiner letzten Entwickelung seit 1659 im allge-
meinen dem böhmischen an, während in der Zwischenzeit von
1531 — 1659 die Steuereinrichtungen der fünf n.-ö. Lande nachge-
ahmt erscheinen. In Schlesien wurden auf Grund von Vermögens-
schätzungen seit 1527 s. g. Schatzungssteuern in wechselnden
Beträgen erhoben.
11. So hat also die directe Besteuerung den Landschaften
vor allem die Mittel geliefert, um nicht nur ihren Beitrag zu den
Kosten der Staatsverwaltung zu decken, sondern auch ihre eigenen
Auslagen zu bestreiten. Diese aber waren so bedeutend, dass
auch die Zuhüfenahme von indirecten Steuern, wie Tranksteuem,
die man Taz, Zapfenmaß, Biergeld u. dgl. nannte, von Aufschlägen
auf Verbrauchsgegenstände bei der Einfuhr in geschlossene Orte
u. dgl. nicht hinreichte, um die Jahresrechnungen ohne Fehl-
478 österreichische Reichsgoschichte. IL Thell. Vierte Periode. § 58.
betrag abzuschließen. Die Folge war, dass nach und nach die
Landschaften in arge Verachuldung geriethen,* denn die Leistungs-
fähigkeit des kleinen Mannes war erschöpft und die Privilegien der
steuerkräftigeren Classen wurden geschont, ersparen konnte oder
wollte man nicht viel, und die Geldnoth der Regierung drängte
fort und fort zu Vorausleistungen (Anticipationen), die nur mit
Hilfe des Credita der Landschaften durchzuführen waren.
12. Es gab jedoch die ganze Zeit her neben dem landschaft-
lichen auch ein staatliches Steuerwesen. Von der Besteuerung des
Clerus durch den Landesfürsten war schon die Rede (§ 51, 6),
ebenso von den landesfürstlichen Stadtsteuem (§ 33, 14) die später
auch als Gewerbesteuern erhoben wurden, Judensteuem kamen
als Kopf- oder Vermögenssteuern, Toleranzgeld, Leibmauth u. dgl.
vor. Dazu gesellten sich außer dem als Regal behandelten Zolle
auch indirecte Abgaben an den Landesfürsten, vor allem das in
Österreich in das 14. Jahrhundert zurückreichende Ungeld (auch
Umgeld, Ohmgeld), eine Tranksteuer von 10 Procent von allem
zum Ausschank kommenden Weine, in Böhmen der landesfürstliche
Biergroschen, den König Ferdinand den Städten im Jahre 1547
als Strafe für die Betheiligung an dem Aufstandsversuche auf-
erlegt hatte. Vor allem beliebt war aber die Form der s. g. landes-
fürstlichen Aufschläge auf die verschiedensten Gegenstände des
täglichen Gebrauchs und Verbrauchs, weil zur Einführung der-
selben ohne Zustimmung der Landstände den Erzherzogen die
Anerkennung der österreichischen Freiheitsbriefe durch das Reich
eine willkommene Handhabe bot. (§ 48, 2.) Zu diesen Abgaben,
welche oft Ausfuhrzölle, später auch Einfuhrzölle enthielten, ge-
hörten die Viehaufschläge (Dreißigste), die Fleischkreuzer, Auf-
schläge auf Leder, Wachs, Honig, Unschlitt u. s. w. Dazu kamen
seit 1670 noch das Tabaks- und 1686 das Stempelgefälle. Unter
Kaiser Leopold I. begannen sogar schon Versuche zu einheitlicher
und systematischer Ausgestaltung der Verbrauchsabgaben durch
Einführung einer Universalaccise, die jedoch Verhandlungen mit
den Ständen nöthig machten und nur in Schlesien (1705) und
Böhmen mehr oder minder zum Ziele führten.
^ Nicht immer durch eigene Schuld. So hat z. B. die Landschaft von
Steiermark durch die Verrufung der Kippermünze an ihrem Cassenbestand von
811.11411. nicht weniger als 685.724fl. eingebüßt. — Mitth. d.h.Ver.f.Stmk.,38,8.34.
Staatssteuern : Aufschläge, Stempel, directe »TUrkensteuern*. 479
13. Der steigende Aufwand des Staates und die mangelhafte
Art, in der ihm die Mittel zur Bestreitung der Ausgaben darge-
boten wurden, drängte jedoch den Kaiser Leopold zur Einführung
directer landesfüratlicher Steuern, die neben den landschaftlichen
.Contributionen'' allgemein erhoben werden sollten. Dem Kaiser
kam dabei zustatten, dass sich unter dem Eindrucke der von Frank-
reich aus verbreiteten absolutistischen Ideen die Vorstellung von
der Überlegenheit des Staates über die ständischen Privilegien
schon einzuleben begann. Zudem hatten die Landstände die Steuer-
hoheit dem Staate, ohne es zu wollen, dadurch zugestanden, dass
sie in einzelnen Fällen dessen Hilfe in Steuersachen beansprucht
hatten, so als es sich um die Ausdehnung der Steuerpflicht auf
die herrschaftlichen Unterthanen handelte, nicht minder zur Er-
wirkung der politischen Execution von Steuerrückständen. Als
nun der Vicepräsident der Hofkammer, Graf Job. Quintin v. Jörger,
in seinem berühmten Gutachten vom 14. April 1679 dem Kaiser
vorstellte, dass die unumgängliche Nothdurft „ein importirliches,
extraordinäres Mittel in supplementum publicae pecuniae zu er-
greifen'' erfordere und als solches eine allgemeine gleiche Be-
steuerung vorschlug, fiel diese Anregung auf fruchtbaren Boden.
Schon drei Jahre darauf wurde unter dem Eindrucke des bevor-
stehenden Türkenkrieges zur Ergänzung der durch die Landes-
contributionen aufgebrachten Mittel eine allgemeine Vermögens-
steuer für die Gesammtheit der Erblande nach gleichen Grund-
sätzen und ohne Befragung der Stände ausgeschrieben (Türken-
steuer vom Jahre 1682) und dieser Vorgang auch späterhin,
namentlich während des spanischen Erbfolgekrieges wiederholt.
14. Die geschilderte Entwickelung des Steuerwesens in Öster-
reich erklärt manche Eigenthümlichkeiten der österreichischen
Finanzverwaltung, welche sich durch lange Zeit erhalten haben.
Hieher gehört, dass man die wichtigsten von den Landschaften
bewilligten Steuern, für welche der Name „Contribution'' seit 1621
vorkommt, als Bedeckung für den Heeresaufwand auffasste, wäh-
rend man die Auslagen des Hofstaats und der Verwaltung vor
allem aus den „Cameraleinkünften'' bestritt. Da man jedoch mit
diesen auf die Länge der Zeit nicht auskam, so wurde neben der
gewöhnlichen Militärbewilligung (der „OrdinariLändercontribution'*),
die später durch Recesse auf längere Zeit festgelegt wurde.
480 Österreichische Reichggeschichte. II. Theil. Vierte Periode. § 58.
noch eine ^Extraordinari*' -Bewilligung zur freien Verwendung für
Staatsbedürfnisse begehrt.
Ziemlich früh hatte man auch ein rohes System der (Kon-
tingentierung in der Art eingeführt, dass man einen allgemeinen
Schlüssel zur Vertheilung der geforderten Gesammtsumme auf die
einzelnen Länder anwandte. Auf dem Generalausschusstag zu Prag
1542 wurde das Verhältnis Vs zu Vs (seit 1682: ^^72 zu ^Vts)
für die Antheile der böhmischen und der fünf n.-ö. Lande ermittelt,
Tirol blieb dabei außer Betracht. Von der ersten Quote über-
nahm Böhmen V»? Mähren 7«» Schlesien V»^ von der letzteren
das Land unter der Enns Va, ob der Enns V«, die i.-ö. Herzogthümer
die Hälfte. Dies Verhältnis blieb bis gegen Ende des 17. Jahr-
hunderts für die landesfürstlichen Steueranforderungen (Postulate),
nicht aber für die Länderbewilligungen maßgebend, da die böh-
mischen Länder gewöhnlich etwas weniger zugestanden.
15. Die Verwaltung der landesfürstlichen Finanzen in den
Erblanden war während dieses Zeitraumes der wundeste Punkt,
an dem der Staatskörper krankte. Bekannt ist, wie zerrüttet der
Staatshaushalt unter Kaiser Maximilian L war, der in seiner ver-
zweifelten Lage sogar zum Auskunfsmittel griff, einen Theil seiner
Einkünfte durch den Gossenbrot'schen Vertrag (1502) unter Sequester
zu stellen. Die Verlässlichkeit der Behörden wie auch einzelner
Beamten kann nur gering gewesen sein, wenn auch nur ein Theil
der Vorschläge und Vorwürfe begründet ist, die im Jahre 1 52 1
dem Erzherzog Ferdinand L durch eine Denkschrift eröffnet
wurden.^ Seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts mussten
wiederholt mit den Landständen Verhandlungen wegen Übernahme
von Hof schulden unter drückenden Bedingungen gepflogen werden.
Gründliche Abhilfe hat diese Erleichterung nicht gebracht. „Aller-
gnädigster Khayser und Herr, ich schreie immerzue Kammer,
Kammer, Kammer, sonst sein wier so wahr Gott ist ruinirt*', be-
ginnt 1613 ein Vortrag Khlesl's an Kaiser Matthias L Die Leere in
den Staatscassen bei Ausbruch des böhmischen Aufstandes drängte
zur Münz Verschlechterung, um nur die Mittel für den Beginn
des dreißigjährigen Krieges zu beschaffen. Der Zusammenbruch
5 Über den Vertrag mit Gossenbrot s. Adler, 101 und 536 ff.; über die
Denkschrift von 1521 wird S. 424 die Vermuthung ausgesprochen, dass sie vom
Salzamtmann Oder herrühre.
Schlechte Verwaltung der landesfüi-stl. Finanzen, Geldnöthe. 481
dieses Scheingeldes Ende 1623. brachte den Staat um den wirt-
schaftlichen Erfolg der Vermögensconfiscationen in Böhmen, welche
dem Kaiser die größere Hälfte des Adelsbesitzes in die Hände
geliefert hatte. Am schlimmsten aber war es wohl mit den öster-
reichischen Finanzen unter der Regierung Kaiser Leopold's I. be-
stellt, dessen wohlwollende, aber schwache Persönlichkeit von
Bittstellern aller Art in der unverschämtesten Weise ausgebeutet
wurde, während gleichzeitig Graf Georg Ludwig von Sinzendorf
als Hofkammerpräsident durch 22 Jahre an der Spitze der Ver-
waltung stand, dem nach seiner Entlassung (1679) Unterschleife
von nahezu zwei Millionen nachgewiesen wurden. Ungetreu wie
dieser waren viele seiner Untergebenen, es fehlte auch an Amts-
instructionen und regelmäßigen Abrechnungen. Die Verluste, die
der Staat allein durch uneinbringliche Forderungen an die Nach-
lässe seiner Finanzbeamten erlitten hatte, schätzte ein wohl-
erfahrener Gewährsmann für die Zeit von 1611—1658 auf ein
paar Millionen. Dazu fehlte es an aller Übersicht über den eigenen
Schuldenstand. Kaiser Leopold hatte aus der Zeit von 1643 bis
1656 veraltete Hofschulden im Betrage von 767.463 fl. übernommen,
die man früher mit 40.000—50.000 fl. hätte ablösen können und die
man später mit den Zinsen für voll annehmen musste. Das Zu-
sammentreffen dieser mangelhaften Verwaltung mit einem durch
die häufigen Kriege gesteigerten Staatsaufwand brachte einen
solchen Geldmangel und eine derartige Nothlage mit sich, dass
oft keine Couriere mehr geschickt werden konnten, weil die Fi-
nanzen das Reisegeld für dieselben nicht aufzubringen vermochten,
dass man Anlehen nicht anders als zu 18 bis 24 Procent aufzu-
bringen vermochte. Die wichtigsten Einnahmsquellen hatte man ver-
pfändet, einzelne indirecte Steuern, wie der Weinaufschlag, waren
gegen geringe Abfindungssuramen den Landständen ganz oder
theilweise verkauft worden und geriethen schließlich durch Weiter-
verkauf der Landstände in die Hände von Privaten, in welchen
sie bis 1829 verblieben, die Kriegserfordernisse musste man großen-
theils mit Anweisungen auf die Provinzen gegen Einlass von
mindestens 30 Procent bezahlen u. dergl. „Ja wenn die ganze
Monarchie auf der äußersten Spitze stehen und wirklich zugrunde
gehen sollte, man aber nur mit 50.000 fl. oder noch wemger in der
Eile aufhelfen könnte, so musste man es eben geschehen lassen und
La sohl D, Österreichische Reichsgeschichte. 31
482 österreichische Keichs^eschichte. II. Theil. Vierte Periode. § 58 u. 59.
vermöchte dem Übel nicht zu steuern**, urtheilte Prinz Eugen im
Jahre 1703 ebenso scharf als treffend.® Was für eine Lebenskmft
hatte Österreich, dass es trotz dieser Misswirtschaft langjährige
europäische Kriege überstehen konnte, und was wären seine Erfolge
gewesen, wenn es in der Zeit dieser Verwickelungen geordnete
Finanzen besessen hätte!
§59. Wirtschaftliche Zustände in den Jahren 1500—1750.
m
Bid ermann. Die technische Bildung in Österreich. 1854. — Ratsche li.
Das Manufacturhaus auf dem Tabor in Wien, 1887. — Horneck, Österreieii
über alles, wenn es nur will, 1684 u. ö. — Janssen, Geschichte des deutschen
Volkes, Bd. 8. — Mein Aufsatz über »das lange Geld" in den Mitth. des histor.
Ver. f. Strak., Heft 38. — Mayer Fz. M., Die .Anfänge des Handels und der
Industrie in Österreich und die oriental. Compagnie, 1882. — Newald, Die
lange Münze in Österreich, Wien, Numismat. Zeitschrift, 1881, Bd. XEI. —
Rosoher in Hildebrand's Jahrbüchern für Nationalöconomie, II, 18&4. —
Scheichl, Bilder aus der Zeit der Gegenreformation in Österreich, 1890. Bei-
trag zur Gesch. d. gemeinen Arbeitslohnes vom Jahre 1500 bis auf die Gegen-
wart, 1885. — Wi ehe, Zur Gesch. d. Preisrevolution des 16. u. 17. Jahrb., 1895.
1. Die wirtschaftliehe Lage in den altösterreichischeu und
böhmischen Landen, welche gegen den Schluss des Mittelalters
stark gedrückt war, nahm außerhalb der landwirtschaftlichen Kreise
im 16, Jahrhundert eine Wendung zum Bessern, die mehrere Jahr-
zehnte anhielt. Noch förderten die Bergwerke in Tirol und Böhmen
reiche Silbererze und die Menge der Umlaufsmittel wuchs von
Jahr zu Jahr. Das war die Zeit, da die Tiroler Münze den Ruf
hatte, die beste der Christenheit zu sein und die Joachimsthaler
Gepräge der Grafen von Schlick das Vorbild für die grobe Silber-
münze im Deutschen Reiche abgaben. Das Gewerbe nimmt seinen Auf-
schwung : berühmt sind die Erzeugnisse der Innsbrucker Plattner
und Harnisch- Schmiede zu Zeiten Kaiser Maximilian's und schon ent-
stehen Großmanufacturen wie etwa die WaflFenerzeugung des
Sebald Pögl bei Thörl, die im Jahre 1502 vertragsmäßig 80 Gesellen
ö Vgl. über die Einzelheiten Wolf, Kaltenbaeck's Aufsatz, welcher
Jörger's Angaben und andere Handschriften verwertete, und Schwabe, der die
Angaben wiederholt durch Berufung auf Acten des Hofkamiuerarchivs bestätigt.
Die oft erwähnte „Geheime Instruction vor einen neu angehenden Hofcammer-
Rath zu Wien" ist nach der Handschrift, die ich besitze, vom J. 1658.
Wirtschaftlicher Aufschwung im 16. Jahrh.: Bergwerke, Glashütten. 483
für den König beschäftigen sollte und die Grundlage des Reiehthums
war, zu welchem die neugeadelten Freiherren von Pögl zum Reifen-
stein und Arberjg nach wenigen Jahrzehnten emporstiegen.
2. So haben vor allem Fleiß und Betriebsamkeit des Bürger-
standes durch Handel und Gewerbe Reichthümer geschaflFen, die
für jene Zeit bedeutend waren. Auch fehlte es nicht an Versuchen,
neue Industrien emporzubringen.^ Ein eingewanderter Italiener,
Niklas Walch, hatte schon 1486 bei Wien in der s. g. Venediger Au
(später Jägerzeile) eine Glasschmelze nach Venezianer Art erbaut.
1534 erwirkte der Bürger Wolfgang Vitl zu Hall für seine zur
Erzeugung weißer Gläser eingerichtete Glashütte ein Privilegium,
das ihn vor einer Concurrenz im Innthal auf 20 Jahre hinaus
schützte. Wie groß sein Unternehmungsgeist dabei war, mag man
daraus ermessen, dass Vitl die zur Glasarbeit benöthigte Asche
und andere Rohmaterialien aus Spanien zu beziehen gedachte.
Eben dies brachte ihn aber mit den Laibacher Bürgern Veit
Kissl und Hans Weilheiraer, die bereits früher eine Glashütte bei
Laibach in Betrieb gesetzt hatten, in Widerstreit und war Ver-
anlassung, dass Vitl im Jahre 1536 daran gieng, auch die Pottasche
selbst zu erzeugen, was, wie König Ferdinand I. in einem neuen Privi-
legium für Vitl hervorhob, nicht bloß für Glashütten, sondern auch
für Schmelzwerke, Seifensieden u. a. von großem Nutzen sein
werde. Veit Kissl oder Khisl aber, der Stammvater eines zu Ende
des 17. Jahrhunderts im Grafenstande erloschenen Geschlechts,
wählte zu den österreichischen Großindustriellen seiner Zeit, lieferte
^ Eine Geschichte der älteren Industrie in Österreich fehlt und die Mate-
rialien dazu sind sehr zerstreut. In Böhmen kommt der Name Glashütte als
Ortäbezeichnung auf den Herrschaften Winterberg imd Semil schon im 14. Jahr-
hundert, auf den Rosenberger Herrschaften Wittingshausen, Krumau-Goldonkron
seit dem 15. Jahrhundert vor. Mar es in den Rozpravy der böhm. Akad. d. W.,
Sect. 1, Jahrg. 2, Heft 1, S. 9 ff. — Tschischka, Wien, 257; dann Schönherr
im Jahrbuch der Kunstsammlungen des a. h. Kaiserhauses, Bd. II, Urk.-Regg.
Nr. 1955, 1960—62, 1669, 2006, 2015, 2100, 2130 u. ö. So kostspielig waren
noch 1538 die Fensterscheiben, dass die o.-ö. Regierung erwog, ob man die
Fenster der in der königl. Burg zu Innsbruck neu eingerichteten Räume nicht
-etwa mit geölter Leinwand überziehen sollte! — Khisl's Kupferhammer: Archiv
der La. Krain, Fase. 546. — Über steierm. Eisenindustrie: Hohberg, I, C. 78 u. a.
Für Mähren hahen : Ruby, Das Iglauer Handwerk, 1887 und namentlich
D'Elvert manches veröffentlicht.
13*
484 österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Vierte Periode. § 59.
aus Krain Eisenkugeln für die Geschütze Kaiser Karl's V. zu Neapel
und besaß mit seinem Geschäftsfreund Weilheimer überdies einen
neuen Kupferhammer bei Laibach (1530), für dessen Betrieb er
15 Meister in Italien angeworben hatte. Blühend war die Eisen-
industrie von Stadt Steyr, deren Erzeugnisse nach Venedig ver-
handelt, süsse Weine, Spezereien und Gewürze, Öl und Seiden-
waren als vielbegehrte Rückfracht brachten. Allen anderen Städten
weit voraus blieb aber Wien, als es sich von dem Schrecken der
ersten Türkenbelagerung erholt hatte.
3. Umso tiefer war nach diesem Aufschwünge der Verfall der
Städte im 17. Jahrhundert, weil er aus dem Zusammentreffen
verschiedener Umstände hervorgieng. Als allgemeine Ursache ist
hier zuerst der Rückgang des Landhandels mit Venedig zu nennen,
durch den die österreichischen Lande wie auch Deutschland schwer
getroffen wurden. Hatten sich die neuen Welthandelswege die den
westlichen Seemächten zustatten kamen, schon ums Jahr 1500
im wichtigen Gewürzhandel bemerklich gemacht, so war doch der
Republik an der Adria, solange sie Cypern behaupten konnte, die
Möglichkeit geboten, durch kluge Maßregeln mancherlei Art den
Zwischenhandel nach Oberdeutschland wieder an sich zu bringen
und durch Jahrzehnte zu behaupten. Allein seit dem Verluste der
levantinischen Besitzungen war es mit der Blüte Venedigs end-
giltig vorbei. Die gewerblichen Erzeugnisse, die man theils über
den Brenner, theüs durch Friaul nach Venedig verfrachtet hatte,
fanden hier keinen Absatz mehr und waren fortan fast allein auf
den inländischen Markt angewiesen, was einen starken Rückgang
der Gewerbe zur Folge hatte.
4. Viel verderblicher noch hat in Österreich die rücksichtslose
Durchführung der Gegenreformation gewirkt. Sie hat namentlich
die Städte zeitweise entvölkert und Tausende und aber Tausende
von Bürgern, darunter die tüchtigsten Gewerbetreibenden, über
die Landesgrenzen gedrängt. Dass der wirtschaftliche Verfall der
Lande unausbleiblich sei, wenn die begonnene Gegenreformation
rücksichtslos zu Ende geführt würde, darüber konnte kaum eine
Täuschung bestehen. In einem Briefe, den Erzherzog Ferdinand IL
an seinen Vetter, Herzog Maximilian von Bayern, bald nach
Beginn der Gegenreformation in Innerösterreich schrieb, legte er
selbst das Geständnis ab: „Die Auswanderung ist mehr uns als
Ureachen des wirtsch. Verfalls im 17. Jahrh.: die Gegenreformation. 485
den Abgezogenen nachtheilig, denn sie waren fast die Vermög-
lichsten und nahmen viel Geld hinaus.'' Als die Regierung ein
Jahrzehnt später über den erschreckenden J^iedergang der Städte
Nachforschungen anstellte, wurde von der katholischen Bürgerschaft
bei aller Vorsicht im Ausdruck doch die ^heUsambe fürkherte
Religions-Reformation" als Ursache der Zerrüttung der städtischen
Steuerkraft erklärt, weil «zur selbigen Zeit vil der vermüglichsten
Bürger aus dem Land gereist und merklichen Reichthumb mit
sich geführt, der hohe Steueranschlag aber ein als andern Weg
continuiert".^ Alles vergeblich! Der von den Jesuiten geleitete
Fürst, dem die Aussicht eröffnet war, durch sein gottgefälliges
Werk gleichzeitig die ständische Opposition in seinen Landen mit
einem Schlage zu vernichten, ließ sich von seinem Vorhaben
nicht mehr abbringen, wiewohl Warnungsrufe von gut katholischer
Seite auf die Schäden hinwiesen. So meinte Cardinal Klilesl, als
Kaiser Ferdinand IL am 12. Februar 1628 den Ständen ob der
Enns befahl, katholisch zu werden oder auszuwandern, „man ent-
wende dadurch dem Landesfürsten die Liebe der Unterthanen,
dem Lande das Geld und viele Seelen", und der Benedictiner
David Corner, dem die Bekehrung der Bewohner von Freistadt
zur katholischen Kirche aufgetragen war, schrieb an seinen Abt :
„Der Vorgang, wie er in [Freistadt und im ganzen Lande jetzt
eingehalten werde, dass man nämlich die Reichen fortziehen lasse
und die Armen behalte, komme ihm widersinnig vor, es sei keine
Religions-Reformation, sondern eine Ausraubung der Provinz. Nicht
allein die Reichthümer und die Bewohner ziehen hinweg, sondern
was noch schädlicher sei, der einst blühende Handel und Verkehr
verfalle und die Provinz gehe ihrem Ruin entgegen. *"
5. Eine ziflFermäßige Schätzung auch nur der wirtschaftlichen
Verluste, die Österreich durch die Gegenreformation erlitten hat,
ist nach den vorhandenen Vorarbeiten unmöglich. Selbst das Wenige,
was darüber actenmäßig vorliegt, lässt erkennen, dass man den
Schaden kaum hoch genug ansetzen wird. Tirol, wo die Gegen-
reformation schon am Schlüsse des 16. Jahrhunderts durchgeführt
erscheint, war ^vom zahlungsfähigsten zum ärmsten aller Erb-
2 Abschrift der Stat Judonburg grundtlicher Verantwortung auf der Herren
landesfürstl. Commissarien an diesolbig abgogangne Punkt vom 18. Marty Anno
1612. Punct. 15. Steiemi. La.-Arch.
486 Österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Vierte Periode. § 59.
lande" gemacht worden. Mehr als ein halbes Jahrhundert nach den
letzten Ausweisungen, urtheilte der Verfasser von „Österreich über
alles, wenn es nur will'', Hörnigk, mit sichtlicher Hindeutung auf
die Jesuiten als Rathgeber : „Wegen der Reformation lasse ich mich
nicht ein, sondern sage allein, wann soviel Leute gewesen, die
ohne Zweifel aus guter Intention dem Landesfürsten zu seinem
und der Länder unschätzbaren Schaden die Leut sambt denen
Manufacturen und der Narung aus dem Land zu schaflFen einge-
rathen, .... so sollten auch hingegen mit nicht weniger Billig-
mäßigkeit Leute sein, die aus ebenso guter Meinung sich angelegen
sein ließen, Mittel auszufinden, wie andere Leute widerumb dafür
hineinzubringen. " ^
6. Die Gegenreformation war noch im Gange, als die all-
gemeine Münzkrise der Kipper- und Wipperzeit über ganz Deutsch-
land und Österreich hereinbrach. Schon seit langem war das
Münzwesen im Deutschen Reiche durch das Überhandnehmen
unterwertiger Scheidemünze ernstlich gefährdet ; nun aber wurde
sogar das Feingewicht des groben Geldes bedenklich augegriffen.
In den österreichischen Landen hat das böhmische Directorium
zueret die verhängnisvolle Bahn der Münzentwertung beschritten
(1619), König Friedrich folgte und Kaiser Ferdinand IL sah sich
genöthigt, dem gegebenen Beispiel nachzuleben, um nur Geld in die
völlig erschöpften Kriegscassen zu bringen. So nahm die Über-
schwemmung des Verkehi-s mit wertlosem Geld reißenden Fortgang;
die Zeitgenossen wunderten sich nur, weshalb alles und namentlich
das alte Geld so theuer w^erde, denn die Ducaten, die erst Ende
1618 auf den Nennwert von 2 fl. 45 kr. erhöht worden waren,
stiegen auf 15 fl. und 20 fl., der der neuen ^langen** Münze, die
alten guten Reichsthaler von 1 fl. 32 kr. auf 10 fl. und die übrigen
Stücke im Verhältnis. Bis zu 86 fl. 50 kr. sollte die feine Wiener
Mark Silber in der Prager Münzstätte nach den Weisungen des
kaiserlichen Statthalters Fürsten Karl zu Liechtenstein ausgebracht
werden, in Wirklichkeit verschlechterte man sie noch viel mehr.
So gieng es dritthalb Jahre, dann war der Zusammenbruch nicht
mehr aufzuhalten; es kam zur großen ^Münzcalada", die den Wert
des kaiserlichen .langen** Geldes auf ein Achtel des Nennwertes
3 Ahschnitt 17. - Scheichl, S. 3, 4, 7 ff . Wiedemann, I, 616.
Ui'sachen des wirtschaftlichen Verfalls: das Kippergeld. 487
herabsetzte. ^Ist ein solcher Schwurbel gewest, daß des Gelts wenig
genug worden, ist mancher in großen Schaden und Verlust
kommen. Hat oft einer vermeint, im langen Gelt reich zu sein,
hernach ist ihme bey zweimaligen Abfall das Gelt unter den
Händen verschwunden", schreibt der Zeitgenosse Zetl in seinen
Jahrbüchern von Stadt Steyr, und der Correspondent der Fugger,
Friedrich David Schaller, berichtet unterm 24. Februar 1624 aus
Graz: ;,alhir ist es summa miseria, äusserister Mangl an Geld, dann
die lange Münz in Abschlag zue nemen, will sich Niemand über-
reden lassen . . ist kein Brot, Flaisch oder andere Victualien zu
bekommen, . . die großen Herren mueßen jetzt Schwarzbrot essen,
die Armen haben gar keins, iutto benedetü fniiti di arte monetaria.
Die Bauern kennen jetzt die Wappen der Fürsten auf den Münzen
besser, als zuvor mennicher kunstlicher Siegelschneider, also ist
die Welt durch der Münz Verderben affiniert worden.''
7. Und nun rechne man zu alle dem die Kosten und die
Verheerungen des dreißigjährigen Krieges. Ende October 1623,
als eben die Verhandlungen wegen der „Münzcalada"* im Zuge
waren, drohte ein Einfall Bethlen Gabors; man musste eilends
Truppen anwerben, diese aber wollten nur mit Reichsthalern
bezahlt sein, woher diese nehmen? Der Secretär der steier-
märkischen Landschaft, Wolf Khaltenhauser, fasste in einem
Schreiben vom 15. Jänner 1624 an Bischof Thomas Chrön von
Laibach die verzweifelte Lage in die Worte zusammen: ,Das
verwürte und von gottlosen Leuten erdachte und Ihrer Kays.
Majestät aber für guet eingebilde Münzwesen verursacht solchen
Jammer und Schaden, davon nit zu sagen, und mueß allein
ein er: Landschaft in Steyer an ihrer habenden Parschaft verlihren
646.666 fl. und sollten anjetzo in alter Reichsmünz auch bewilligen
Inhalt der Landtags-Proposition außer des Landaufpots und per-
sendlichen Anzugs 752.478 fl.
Geltverlust 646.666 fl.
Facit Verderben . 1,399.144 fl."
Ungeheure Summen für jene Zeiten, und so gieng es auch den
übrigen Erblanden, selbst in Tirol, das sonst bei dieser Münz-
krise am glimpflichsten fuhr, waren die Vermögensverluste ganz
ungeheuer. Am bösesten aber wurde Böhmen mitgenommen, das
einen Theil des Kriegsschauplatzes bildete. Hier trat durch das
488 Österreichische Reichsgeschichte. IL Theil. Vierte Periode. § 59.
Zusammenwirken aller angeführten Ursachen völlige Verödung
ein. Von etwa 2V2 Millionen Einwohnern, die man da zu Ende
des 16. Jahrhunderts zählte, sollen nach dem Kriege nur 700.000
übrig gebUeben sein, statt der 782 größeren und kleinen Städte
und Märkte und der 36.000 Dörfer und Höfe zählte man jetzt
deren 230 und 6000. Die 150.000 Ansässigkeiten, die es vor dem
Aufstande von 1618 gab, waren nach einer Eingabe der Stände an
Kaiser Ferdinand III. im Jahre 1645 auf 30.000 herabgesunken!
Noch nach vielen Jahrzehnten waren die Spuren dieser wirtschaft-
lichen Zerstörung kaum gemildert. Den Krieg betreffend, schreibt
Hörnigk 1684 im 17. Abschnitt seines obenerwähnten Buches: «so
haben die teutsche Erbländer nun in 34 Jahren, außer was sich
neulich in Unterösterreich zugetragen, keinen Feind im Eingeweid
gehabt. Und gleichwol ist viler Orten der elende Anblick noch so
frisch, ob wäre der Feind erst gestern oder vorgestern abgezogen.
So gar wo auch in hundert Jahren kein Krieg hinkommen, glaubt
man, zw^ei- oder dreihundert Bürger, gutentheils arme Taglöhner
seien etwas in einer Landstadt."
8. Dieser wirtschaftliche Verfall heischte dringend Abhilfe.
In Prag hatten um die Mitte des 17. Jahrhunderts noch an 1200
Handwerker gelebt, im Jahre 1674 gab es deren noch — 355!
Iglau zählte damals im ganzen 300 Bürger, während es vor dem
Kriege allein im Tuchgewerbe 7000 — 8000 Personen beschäftigt
hatte. Selbst die Residenz Wien, deren Bevölkerung man an
100.000 Seelen schätzte, besaß nur noch 1679 Handwerksmeister!
Dabei war der Bevölkerung das Vertrauen in die eigenen Kräfte und
Fertigkeiten ganz abhanden gekommen. Nur die fremden Erzeug-
nisse galten als gut, alle heimischen hielt man für schlecht, roh,
bäuerisch. Von innen heraus, aus der Mitte des Volkes und der
Gewerbetreibenden, war keine Besserung zu erwarten, hat doch
Hörnigk noch 1684 eine ausführliche Untersuchung der Frage ge-
widmet: »ob die Teutschen in specie die kaiserlichen Erbländer
zu den Commercien und Manufacturen nicht natürlichen Verstandes
und Geschicklichkeit genug besitzen", um die entgegenstehenden
Einwände aus dem Weg zu räumen? Ebensowenig fiel Hohberg's
Vorschlag auf fruchtbaren Boden, der durch sein 1682 erschienenes
„Adeliges Landleben" den Großgrundbesitz für den Betrieb von Glas-
hütten, Papier- und Sägemühlen, Walkereien u. dgl. zu gewinnen
Verödung Böhmens: der Merkantilismus; Becher, Schröder, Hörnlgk. 489
suchte. Unter diesen Umständen war es ein großes Glück, dass
der Anstoß zur Schaffung einer Industrie in Österreich, der von
außen kam, das persönUche Interesse des Herrschers erregte,
denn in den Kreisen »der Bevölkerung und selbst bei jenen,
welche diese Anregung nach des Kaisers Willen hätten unter-
stützen sollen, haben die neuen Vorschläge wenig Wohlwollen
gefunden.
9. Der erste Schritt zur Besserung geschah Ende 1665
oder anfangs 1666 durch die Errichtung eines Coramercien-
coUegiums zu Wien nach [den Vorschlägen Johann Joachim
Bechers, der damals als Nationalökonom in Deutschland nicht
geringes Ansehen genoss. Dies CoUegium sollte sich „des Zustands
und der BeschaflFenheit, Handels und Wandels, roher Waaren
und Manufacturen so hinein- als hinausgehend in den kayser-
lichen Erblanden erkündigen, die Ursachen derer Auf- und
Abnehmen gründlich erforschen", überhaupt darauf sehen, dass
..die Commerzien Land und Leuten zum besten in besseren Stand
und Flor gesetzt und darinnen erhalten werden". Bald ist auch
Becher mit Vorschlägen mannigfacher Art zur Hand, um die
Manufactur und den Handel in Osterreich zu beleben : erst
schlägt er die Errichtung einer österreichischen Seidencompagnie
vor, dann eine Compagnie zum Handel mit österreichischen
Weinen und Brantwein nach Holland, um 1675 endlich betrieb
er die Errichtung eines Manufacturhauses, d. i. eines womöglich
rasch wachsenden staatlichen Gewerbeunternehmens, das zugleich
als Musteranstalt und zum Theil auch als praktische Lehranstalt
gedacht war. Dies Manufacturhaus wurde wirklich errichtet und
kam nach Becher's Abgang aus Österreich im Jahre 1677 an den
Verfasser der .,rür8tlichen Schatz- und Rentkammer**, Wilhelm
Freiherrn von Schröder, gelangte aber nach der Zerstörung
während der zweiten Türkenbelagerung (1683) nicht mehr zum
Aufbau.
10. Auf Becher und Schröder folgte Ph. W. von Hörnigk.
Sein von warmer Liebe für Österreich eingegebener Weckruf:
.Österreich über alles, wenn es nur will, d. i. wolmeinender
Fürschlag, wie mittelst einer wolbestellten Landsökonomie die
kaiserlichen Erbland in kurzem über alle andere Staat von Europa
zu erheben" (1684 und öfter), wurde endlich gehört. Nur fünf
490 Österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Vierte Periode. § 59.
Jahre darnach erschien in Laibach des Freiherrn Johann Weichard
Valvasor's „Ehre des Herzogthums Krain*", eine erschöpfende
historisch-topographische Beschreibung des Landes, seiner Natur-
schätze und Ortschaften, seiner Bewohner und deren Einrichtungen,
ein Werk, dem nach Anlage und Verlässlichkeit für diese Zeit
kaum Seinesgleichen in ganz Deutschland an die Seite gestellt
werden könnte.*
11. Im Publicum hatte man allerdings noch durch längere
Zeit kein Verständnis für dergleichen „Schreier und Commercien-
prediger, Reichmacher des Kaisers und der Länder*', die seit
zwanzig Jahren (wie man in Wien mit einer Anspielung auf das
sogenannte Lärenpecheramt oder Wasserrecht, witzelte) am Ende
doch nichts »als einen lähren Becher zur Welt gebracht '^ hätten.
Aber auch die Behörden waren, wie Hörnigk hervorhob, zwar
darauf eingerichtet, „den nermim refiim gerendamm aus der
Unterthanen Beutel zu erheben, . . diesen aber zur Erbauung beydes,
der Sicherheit und der Bequemlichkeit des Lebens, in die Beutel
der Lands-Inwohner wiederum zu verschaffen, das wird an viel
Orten als ein bloßes Parergon gehandelt''. Der Gründe für die
Abneigung gegen diese von Becher und dessen Nachfolgern
gemachten Bestrebungen zur Hebung der Industrie (während
man die Nothwendigkeit einer Verbesserung der Bodenverhältnisse
schon weit früher ahnte) ^ gab es mehrere: das Misstrauen in
die heimischen Kräfte, die Vorliebe fürs Fremde, die an der
Mode einen großen Rückhalt hatte, die offene Feindseligkeit der
Kaufleute und Gewerbetreibenden, die sich in ihrem Erwerbe
* Vier Foliobände mit vielen Kupfern, die auf des Verfassers Schlosse
Wagensberg gestochen wurden. Überall, wo es angeht, hebt er die Tüchtiglceit
der heimischen Erzeugnisse hervor. Vgl. z. B. im 3. Buch das über die Berg-
werke und Hochöfen Gesagte, namentlich S. 392 über den geschickten Büchsen-
macher und ELsenschn eider Peter Botti, vulgo Dagöl zu Sava.
^ In Tirol beschloss der Landtag schon im J. 1619: die Gesnndheitswäsjjer
und Bäder sollen visitiert, deren Kraft und Tugend beschrieben und gedi'uckt
werden. Die Moser, so faul und ungesund, sollen ausgedrucknet werden. — In
Krain beschäftigte man sich in der Mitte des 16. Jahrhunderts mit der Aus-
trocknung des Laibacher Moors. S. Valvasor, 11. Buch, S. 674, mit zwei aus-
führlichen Vorschlägen von 1554 und etwa 1660—1670. Der Mais wurde zu
Hohberg's Zeiten (1682) in Österreich .mehr Lusts wegen in die Gärten als in
die Felder gebaut". VII, c. 28. Kartoffeln waren noch um 1730 ein , Herrenessen'.
Anfänge der Industrie in Österreich, Freihäfen. 491
bedroht fühlten. Zu 'alle dem kam, dasa man durch Errichtung
von Fabriken die Landstreich erfrage unmittelbar zu lösen suchte,
indem man die Fabriken gleichzeitig als Zwangsarbeitshäuser zu
verwenden gedachte. • Bei dieser unglückseligen Verquickung
zweier verschiedener Aufgaben darf es nicht wundernehmen,
dass man in den Städten dergleichen neuen Unternehmungen
nichts weniger als freundlich entgegenkam. Der im Jahre 1672
errichteten Schafwollfabrik zu Linz, die im Jahre 1722 von der
orientalischen Compagnie angekauft wurde, bereitete man noch
später die unglaublichsten Schwierigkeiten : Die Stadtrepräsentanz
verbot z. B. den Bürgern wie den Einwohnern überhaupt, Arbeiter
oder Beamte der Fabrik in Wohnung zu nehmen, ja sie über-
redete sogar den Dechant, dass er keinen Arbeiter traue! Die
Compagnie musste schließlich einen Theü der verheirateten Fabriks-
arbeiter entlassen und den ledigen das Heiraten verbieten!
12. So ist die Industrie in Österreich nur durch das ent-
schiedene Eintreten der Regenten gegen den Willen der Bevölkerung
wieder ins Leben gerufen worden. Während der Regierung Kaiser
Karl's VI. gab es bereits neben der althergebrachten Eisenindustrie
eine kleine Zahl von Tuch-, Kattun-, Glas-, Seidenfabriken u. s. w.
Der Staatscredit hatte sich etwas, wenn auch nicht viel, durch die
Wiener Stadtbank gehoben, es waren Wechselordnungen erlassen,
mit der Türkei beim Passarowitzer Frieden ein Handelsvertrag ge-
schlossen '^ und zu dessen Ausbeutung die orientalische Compagnie
errichtet worden, gegenüber den Venezianern wurde die Freiheit
des adriatischen Meeres für den Seehandel in Anspruch genommen
und durchgesetzt. Zu Triest und Fiume entstanden Freihäfen (1719),
die Mauttarife wurden vereinfacht um den Verkehr dahin zu beleben,
die Schutzzölle für die Industrie eingeführt, kurz es wurden staat-
licherseits alle Mittel, die man damals kannte, einschließlich der
** Schon HÖmigk zweifelt (Cap. XXX), ob zu Prag der vielen Obrig-
keiten u. 8. w. wegen eine Tuchfabrik angelegt worden könnte. Unmittelbar
auf eine Vereinigung mit einem Zwangsarbeitshaus war es 1721 bei Errichtung
einer Tuchfabrik in Graz abgesehen. Das Fabriksgebäude, hieß es, müsse ge-
mauert und mit Mauern eingefasst sein, damit das , schlechte Gesindel* nicht
ausbrechen könne. Darum dachte man an die Karlau (das jetzige Strafhaus).
Mayer, 62tr.
' Ebenso mit Spanion 1726, 1. Mai.
492 österreicliische Reichsgeschichte. II. Theil. Vierte Periode. § 59 u. 60.
Erwerbung einer Factorei in Ostindien® in Anwendung gebracht,
um Handel und Gewerbe und damit den Wohlstand in Österreich
zu heben. Für die Weiterentwicklung sollte allerdings dann der
Einzelne selbst eintreten. Von den kleinlichen Mittelchen, von
welchen die zerrütteten Städteverwaltungen Abhilfe erwarteten,
namentlich von einem Zurückgreifen auf die den Verkehr so viel-
fach einengenden Sonderprivilegien wollte Kaiser Karl VI. nichts
mehr wissen, der vielmehr ein dahin abzielendes Ansuchen der
Grazer Stadtvertretung im Jahre 1733 mit der bezeichnenden
Begründung abwies: .Natürliche Mittel einer Stadt aufzuhelfen,
bestehen darin, dass die Bürger selbst sich allerhand Handwerks-
künsten und deren Perfectionierung befleißigen, sodann damit
dermaßen hantieren, dass nicht allein das in der Stadt einmahl
befindliche Geld darin erhalten, sondern auch noch raehreres Geld
gegen allerhand gute verfertigte Waaren vom eigenen Land und
von der Fremde hereingezogen werde *". Wären die letzten sieben
Jahre der Regierung Kaiser Karl's VI. nicht den zerrüttenden
Wirkungen zweier unglücklich geführter Kriege ausgesetzt gewesen,
die den Erfolg der bisherigen Bemühungen, die natürlichen Hilfs-
quellen des Reiches zu erschließen, wieder in Frage stellten, mit
welch anderen Mitteln wäre die große Kaiserin in den entschei-
denden Erbfolgekrieg eingetreten!
§ 60. Die weltlichen Stände in den Jahren 1500—1750.
Literatur bei § 35—37, 54, 55. — Öindely, Die Lage des böhm. Bauern-
standes 1648— 1.S48, Allg. Zeitg., 1880, Beilage 168ff. — Grünberg, Bauern-
befreiung, L — Hof man F., Fideicommisse (im östorr. Staats Wörterbuch mit
Literaturangaben). — Mein Aufsatz: Zur Gesch. des stcir. Adels im 16. Jahrb.,
Mitth. d. h. Ver. f. Stnik., XXIIL — Mayer, H, 123 ff. — Pangerl, Die Choden
von Taus., in den Mitth. d. Ver. f. Gesch. d. Deutschen in Böhmen, XIII. —
Sehr Ott er, Österr. Staatsrecht, 1775, Absatz 18. — Schwabe, Versuch über
die ersten Grundlinien des Ö.storr. Landadelsrechts, 1782. — Zahn, Styriaca, I.
1. Der während des Mittelalters auf dem Gegensatz von
lehensfähig und nicht lebensfähig aufgeführte Bau des Staates
wie der Gesellschaft, erfuhr beim Übergange zur Neuzeit wesent-
® Namens Kowolon oder Coblon in der Nähe von Madras. Dieselbe dauerte,
wie aus den ungedruckten Tagebüchern Raigersfeld's hervorgeht,. bis üi die
Anfangsjahre der Kaiserin Maria Theresia.
Umbildung der raittelalterlichen Gesellschaft: Der Briefadel. 493
liehe Veränderungen in seinem Gefüge. Gegenüber der im Grund-
besitze verkörperten wirtschaftlichen Macht des Mittelalters trat
nun die steigende Bedeutung des Geldcapitals immer stärker
hervor, während zugleich ein von der Zugehörigkeit zu einem be-
stimmten Geburtsstande befreiter Beamtenstand im Staate zu immer
größerem Einfluss gelangte. Dazu kamen in Österreich noch die Ver-
schiebungen in der Bevölkerung als allgemeine Folge der Gegen-
reformation, in Böhmen überdies die unmittelbaren Wirkungen des
dreißigjährigen Krieges.
A. Der Adel.
2. Seit den Tagen Kaiser Maximilian's I. wird die Zersetzung
des landschaftlichen Uradels mit seiner in dem langererbten Grund-
besitze fußenden Bedeutung durch einen neuen Briefadel merklicher.
Reich gewordene Bürger und vor allem Beamte erwirken nun
durch Diplome Adelsqualität und rücken in kurzer Zeit aus unter-
geordnetem Stande in die besten Stellungen der Gesellschaft. „Auf
diese Geschriftweysen ist dem Kaiser (Maximilian) ein unmäßig
Geld gangen. Man soll mir nit verweisen, daß ich in meiner Ver-
merkung die Secretari und Schreiber vorsetz und hernach die
edlen Räth, dann es ist auch also im Wesen gewesen", schreibt
ärgerlich in seinen Denkwürdigkeiten der dem Tiroler Uradel
angehörige Stiftsamtmann des Klosters Neustift, Georg Kirchmair.
Man begreift seinen Verdruss, wenn man die Lebensbahn des
Kemptner Bürgersohnes Dr. Max Beckh, Stammvaters der Frei-
herren zu Leopoldsdorf ins Auge fasst, oder jene des Innsbrucker
Plattnersohnes Marx Treitzsaurwein zu Ehrentreiz oder die des
Barbiersohnes und spätem Reichs -Vicekanzlers Hans Adler be-
trachtet. Schon in den Tagen Kaiser Ferdinand's L war der
Beamtenstand so angesehen, dass nunmehr Mitglieder der alten
Adelsgeschlechter zahlreich in dessen Reihen traten und um dies
zu können, häufiger als vordem auswärtige Hochschulen besuchten.
So widerhaarig die alten Geschlechter gegen die neuen Empor-
kömmlinge auch sein mochten, die Adelsqualität selbst wagten
sie ihnen nicht zu bestreiten, und so sehr man in jenen Kreisen
über den Briefadel spottete, so musste man doch den gleichen
Weg einschlagen, um sich den Vorrang zu wahren.
494 Österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Vierte Periode. § 6().
3. Die Unterscheidung des Herren- und Ritterstandes, die
vom Hause aus auf der lehensreehtlichen Unterordnung der Ritter
beruhte (§ 35, 11 ; Anh. I, 8 flf), hatte schon gegen Ausgang des
Mittelalters an Schärfe verloren. Immerhin erschien selbst in Alt-
österreich gegenüber wenigen landsässigen Familien mit dem Qrafen-
titel und den Nachkommen der alten Ministerialengeschlechter,
die sich nun „Herren" schrieben und nannten, der ganze übrige
Adel als niederer, als rittermäßiger Landesadel. Seit dem 16. Jahr-
hundert mehren sich jedoch die Fälle, in welchen Mitglieder des
rittermäßigen Uradels um Besserung ihrer Wappen und Titel sich
bewarben, auch wohl in den Reichsfreiherrnstand oder selbst Reiclis-
grafenstand erhoben wurden, ohne dadurch der Gerechtsame der
freien Herren im Deutschen Reiche im vollen Umfange theUhaft
zu werden, auf welche sie vielmehr zu Gunsten der Erzherzoge
von Öaterreich in besonderen Gegenbriefen ausdrücklich Verzicht
leisten mussten. Im 16. Jahrhundert war übrigens die Verleihung
dieser Titel noch selten, allein im 17. Jahrhundert wurde sie schon
sehr gewöhnlich und noch allgemeiner im 18. Jahrhundert.^
4. Diese eigenthümliche Stellung des landsässigen, aber mit
Titeln des Deutschen Reichs ausgestatteten Adels ergab sich aus
der Doppelstellung, als Landesfürst und Reichsoberhaupt, welche
in dieser Zeit die Mehrzahl der österreichischen Herrscher ein-
nahm. In Deutschland stand das Recht, den Adel zu ertheilen,
dem Kaiser als Reservratrecht zu, das nur infolge der von ihm
verliehenen größeren Comitiv von den Landesfürsten geübt werden
konnte. Die österreichischen Erzherzoge aber besaßen das Recht
infolge der 1453 vom Reiche anerkannten Freiheitsbriefe,^ bei
deren Bestätigung Kaiser Karl V. 1530 erklärt hatte, dass die
Adelsertheilung an einen österreichischen Landsassen, selbst wenn
sie durch den Kaiser erfolge, der österreichischen Landeshoheit
über den Begnadeten zu keinem Abbruch gereichen könne.
1 Das erste Grafendiplom, das man in Österreich kennt, erhielten die
Schlick in Böhmen 1438; Maximilian erhob die Lodron 1482 die Fraeschenk.
späteren üardegg 1489 zu Grafen, Karl V. die Thum 1530, die Roggendorf 1537.
- So wurden die steirischen Stadl im Jahre 1597 von Erzh. Ferdinand II.
in die Ehr, Schaar . . . unseres löbl. Haus Österreich Freiherren erhoben, und
1609 ein Mitglied dieses Hauses überdies vom K. Rudolf IL mit dem Reichs-
freiherrnstand begnadet.
Reichsadel, österreichischer, böhmischer, ungarischer Adel. 495
Neben dem erbländisch- österreichischen Adel gab es selbst-
verständlich einen besonderen ungarischen und außerdem einen
eigenen böhmischen Adel, welcher von den Habsburgern als
Königen von Ungarn und Böhmen verliehen wurde. Die Erhebung
eines Unadeligen in den Reichsadelsstand hatte als solche weder
in Böhmen noch in Ungarn Wirkung.
5. Seit dem Erwerb von Ungarn und Böhmen durch König
Ferdinand I. beginnt sich ein österreichischer Gesammtadel zu
bilden. Am Hofe des Königs und in dessen Diensten verkehrten
neben einander Adelige aus den altösterreichischen Landen, aus
Böhmen, Ungarn und dem Deutschen Reiche. Vielfach ergaben sich
daraus nähere Beziehungen unter den Angehörigen verschiedener
Lande, die zu Verschwägerungen und wechselseitig zu Gütererwerb
und schließlich auch zur Landmannschaft in fremden Landen
führten. Schon im Mittelalter waren die kärntnischen Perger nach
dem Lande ob der Enns gewandert, wo sie die Herren von Clam
hießen, und die Tschernembl aus der windischen Mark waren
ihnen gefolgt, während die steirischen Gradner und die Trapp
aus Murau ihr Glück in Tirol machten, die Tachy und Zaggl
aus Croatien nach der Steiermark kamen. Nunmehr begann ein viel
regerer Austausch und es ist auffällig, wie vielfach und wie rasch
die Innerösterreicher an Gütererwerb in Böhmen dachten. Die
steirischen Stubenberg waren hier schon im ersten Jahrzehnt nach
der Krönung König Perdinand's L begütert; welche Rolle dann zu
Anfang des 17. Jahrhunderts die krainischen Thum, die kärntnischen
Kreig und Dietrichstein, die Tiroler Colonna-Fels in Böhmen und
Mähren gespielt haben, ist bekannt.
6. Der Ansässigmachung folgte wohl auch die Aufnahme
unter den Landesadel, das Indigenat: So haben die Tiroler Arco
schon 1559, die Ungnad und Harrach 1563, die Dietrichstein
1583, die Rueber 1572 das Indigenat in Ungarn erhalten, während
die Trautson, Herberstein, Rottal, Eggenberg u. a. zu Anfang
des 17. Jahrhunderts folgten. Umgekehrt waren die Erdödy seit
1593, die Petkö seit 1604, die Draschkowitz 1606, die Thurozi
1614 der steirischen Landmannschaft theilhaft geworden. Ab-
gesehen davon hatten die drei innerösterreichischen Landschaften
auf dem Brucker Landtag vom Jahre 1578 das Übereinkommen
unter sich getroffen, die in einem der Lande anerkannte Land-
496 Östen*eichische Reichsgeschichte. IL Theil. Vierte Periode. § 60.
mannschaft ohne weiters auch für die beiden anderen gelten
z\x lassen.
7. Die österreichischen Herrscher haben diese Ausgleichung
innerhalb der Adelskreise angestrebt und sehr gefördert. Bei der
großen Verschiedenheit der von ihnen beherrschten Völkerschaften
erschien die Verschmelzung derselben zu einer einheitlichen öster-
reichischen Gesammtnation ausgeschlossen. Wohl aber war die
Entstehung eines österreichischen Gesammtadels möglich, den
sie als Unterlage des Staates bei ihrer, auf Annäherung der Erb-
lande und Ausgleichung der provinziellen Verschiedenheiten
abzielenden, Herrscheraufgabe zu benützen gedachten. Daraus
erklärt sich auch die schwerwiegende Bedeutung, welche der
österreichische Staat immer seinem Adel, zumal dem hohen Adel
eingeräumt hat^ und der besondere Einfluss jener Geschlechter,
welche jeweilig den Hofadel im engeren Sinne ausmachten.
8. Der auf seinen Sitzen im Lande verbliebene Uradel war
mit dieser Entwicklung der Dinge, von der er eine Minderung seiner
politischen Bedeutung befürchtete, keineswegs einverstanden. Um
die Zersetzung seines Standes durch die Neugeadelten zu hindern,
wurden Landmannschafts-Matrikeln (in Steiermark 1563) eingeführt
und die Theilnehmer am Landtag und der Landesverwaltung von
dem Eintrag in diese Matrikeln abhängig gemacht. Allein der
Schutz, den dieses Auskunftsmittel gewährte, war nicht dauernd,
selbst wenn eine solche „zu Erhaltung der Geschlechter Her-
kommen, Stand und Reputation, nützliche Ordnung" vom Landes-
fürsten ausdrücklich bestätigt wurde.* Es war nicht immer leicht,
ein von dem Landesfürsten ausgehendes Bittschreiben um
»Admission" dieses oder jenes geadelten Staatsdieners abzulehnen;
als jedoch die Regierungsgewalt mehr erstarkte, nahm der Landes-
herr die Verleihung der Landmannschaft geradezu als sein Recht
für sich in Anspruch (§ 64, 4).
9. Durch die Gegenreformation wurde die politische Bedeutung
des für die Opposition der Stände in den Landschaften maßgebenden
Uradels gebrochen. Da derselbe, wie schon bemerkt wurde, mit
wenigen Ausnahmen dem Protestantismus anhieng, so wurde er
8 Röscher in Hildebrand's Jahrbüchern, II, 31.
^ Wie z. B. in Öst^iTeich n. E. durch Kaiser Maximilian II., 1572,
10. Februar. Suttinger, 393.
österreichischer Gesaninitadel ; Wirkungen der Gegenreformation. 497
seiner Überzeugungstreuesten Mitglieder durch die landesfürstliehen
Ausweisungsbefehle beraubt. In die so entstehenden Lücken drangen
neue Elemente, vielfach selbst fremder, romanischer Nationalität^
ein, die sich jedoch an Einfluss und Bedeutung im Lande mit dem
ausgewanderten Uradel nicht messen konnten. So ist also seit der
Gegenreformation die frühere Bedeutung des Adels als Corporation
dem Herrscher gegenüber im Schwinden, das Übergewicht der
Regierung über die Landschaften entschieden (§ 50, 9).
10. Geradezu vernichtet wurde der nationale Uradel in
Böhmen und Mähren, als dieser in den Jahren 1618-1620 den
letzten Versuch zur Wiederaufrichtung der alten Adelsherrschaft
gemacht hatte, aber damit gescheitert war. Schon der Aufstand
vom Jahre 1547 hatte zu einer empfindlichen Schwächung seiner
wirtschaftlichen Macht geführt, da König Ferdinand L die daran
Betheiligten zu strafweiser Abtretung vieler Herrschaften, zur
Umwandlung von Alloden in Lehensgut u. dgl. nöthigte.®
Nach der Schlacht auf dem Weißen Berge wiederholte sich
das Gleiche, nur in größerem Maß. Es waren meist fremde
Geschlechter, welche die eingezogenen Güter vom Piscus erwarben
und dadurch einen neuen Großgrundbesitz im Lande begründeten,
während der protestantische Landesadel schließlich durch das
Religionsedict vom Jahre 1627 vollends außer Land gedrängt
wurde. Den wenigen Zurückgebliebenen, wie den Zugewanderten
nahm dann die verneuerte Landesordnung gutentheüs ihre politische
Bedeutung, und seitdem näherte sich die Stellung des Adels in
Böhmen mehr und mehr jener des Landesadels in Altösterreich.
11. Ungeachtet der Einbuße an politischen Rechten seit der
Gegenreformation blieb jedoch der Adel noch immer der erste
unter den weltlichen Ständen und als solcher im Besitz gewisser
Vorrechte, die man auch wohl als besonderes Adelsrecht zusammen-
fasste. Hieher gehörte:
a) die gewissen Grundstücken und Gütern beigelegte recht-
liche Eigenschaft, dass sie nur von Adeligen besessen werden
6 Vehse, Geschichte des österreichischen Hofes und Adels, ni, 28 ff.
,Die Italiener am Kaiserhofe " behandelt diesen Punkt allzu einseitig. Sehr hübsch
hingegen thut dies v. Zahn, Styriaca, S. 158 ff. im Aufsatz »Wälsche Gäste".
^ Vergl. die amtliche Zusammenstellung in den böhmischen Landtags-
verhandlungen. II, 420, 422 ff.
Luschin, Österreichische Reichsgeschichte. 32
498 ÖsteiTeichische Reichsgeschichte. IL Theil. Vierte Periode. § 60.
konnten. Dieselbe wurde in Böhmen durch den Eintrag in die
Landtafel bestimmt und ersichtlich gemacht (daher die sogenannten
„landtäf liehen** Güter) in Innerösterreich, wo die Landtafeln erst
seit Kaiser Karl VL eingerichtet wurden, vertrat bis dahin deren
Stelle der ständische Gültenkataster. Von diesen „adeligen" oder
„Dominical^-Gütern wurde gemeiniglich eine geringere landes-
fürstliche Steuer (Contribution) bezahlt, als von den sogenannten
unterthänigen oder Rusticalbesitzungen.
Um diese adeligen Güter in ihrer Gesammtheit dem land-
schaftlichen Adel zu erhalten, war diesem sowohl ein Vorkaufs- als
das Einstandsrecht rücksichtlich der Dominicalgüter eingeräumt.
Dies Einstandsrecht, kraft dessen ein nichtadeliger Erwerber das
Gut gegen Vergütung seiner Kosten einem Adeligen abzutreten
verpflichtet war, bestand sogar bei Zw^angsveräußerungen, aofeiii
sich nicht der Käufer durch Auswirkung eines landesfürstlichen
Privilegiums possidendi '', etwa unter Verzicht auf die Steuer-
begünstigung, dagegen gesichert hatte.
b) Die Befreiung von minderen Abgaben, z. B. vom landes-
fürstlichen Fleischkreuzer für jenes Vieh, das sie im eigenen Haus-
halt verbrauchten, vom Ross- und Pferdeaufschlag bei Einkauf
und Verkauf von Pferden, von der Maut u. s. w.
c) Mit dem Besitz von Dominicalgütem war auch das
Jagdrecht auf denselben gegeben, das sich jedoch anfänglich nur
auf die sogenannte Niederjagd, das Reisgejaid erstreckte.
d) Lehensfähigkeit hinsichtlich der landesfürstlichen ritter-
lichen Lehen.
e) Gewisse Rechte als Grundherrschaft gegenüber den Guts-
unterthanen, welche weiter unten im Absatz 14 besprochen werden.
fj Gewisse persönliche Vorrechte in Titeln und Kleidung,
Eignung zu Hofämtern, besonderer Gerichtsstand, Freiheit vom
Zeugeneid u. dgl. Die erwachsenen männlichen Mitglieder land-
ständischer Familien hatten überdies als solche das Recht zur Theil-
nahme an den Landtagen und landständischen Ämtern.
g) Auch im Privatrecht, vornehmlich im Gebiete des Ehe-,
Familien- und Erbrechts machte sich der Adelsstand geltend.
In dem Maße, als das römische Recht seine Geltung ausbreitete,
"' Einstandsprivilegien: für Steiermark von 1613 und 1630 auf drei Jahre,
vom Tag der Zuschreibung im la. Gültenbucli. Für Österreich seit 1565.
Vorrechte des Adels. Der Bürgci'stand. 499
suchte der Adel sein nationales deutsches — in Bölimen sla-
visches — Recht durch „löblichen Landesbrauch", Privilegien,
Farailienübereinkünfte u. dgl. zu bewahren. In Böhmen erhielten
sich z. B. die sogenannten Parailiencommunionen, durch welche
Familien als solche im ungetheilten Besitz landtäflicher Güter
durch Generationen verblieben, in großer Anzahl das ganze 16. Jahr-
hundert hindurch, bis zur Schlacht auf dem Weißen Berge, während
die Errichtung von Testamenten stark eingeschränkt war. In den
altösterreichischen Landen suchte man durch Erbverträge, Familien-
fideicommisse (in deren Errichtung der Adel bis auf Kaiser Fer-
dinand III. keiner Beschränkung unterlag), durch Erbverzichte der
Töchter und Beschränkung derselben auf standesgemäße Aussteuer
u. 8. w. das Stammvermögen bei den Trägern des Namens zu
erhalten, doch hat auch hier das römische Recht mit der Zeit an
Einfluss gewonnen.^
B. Der Bürgerstand.
12. Die Bewohner der Städte und Märkte erfreuten sich
als Bürger, meist unter selbstgewählten Obrigkeiten, einer Mittel-
stellung. Antheil an der Landes Vertretung hatten sie jedoch nur
dann, wenn sie einem landesfürstlichen Orte angehörten, da nur
diese, nicht aber die übrigen, unter einem anderen Herrn stehenden
„Privat- oder Municipalstädte" und Märkte das Recht besaßen, Ver-
treter in den Landtag zu entsenden. (§ 50, 14, 15.)
Städte und Märkte hielten sich an die Rechte und Freiheiten,
welche ihnen ihr Herr verliehen hatte, doch machte sich schon
zu Anfang des 16. Jahrhunderts, ja theilweise schon früher eine
gewisse Ausgleichung der geltenden Grundsätze bemerklich.
Handel und Gewerbe galten als Lebensberuf der Bürger und sie
achteten eifersüchtig, dass sie kein Unberufener darin beein-
trächtige. Darum waren Handel und Gewerbe, für welche neben
wenigen allgemeinen Satzungen eine Unzahl localer Ordnungen
galt, vielfach beschränkt, denn immer und immer kehrt der
« Im Bilrgei-stande hieß es schon zu Beckman's Zeiten (1688): ,Es sind
alle meine Kinder, deren das eine Kind nicht mehr mein Kind ist, als das
andere.* Dagegen suchten der stcirische Adel noch 1790 die portio statutana
durch Anerbieten einer Verdoppellung auf 4000, bzw. 2000 fl. zu retten.
32*
500 Österreichische Reichsgeschichto. II. Theil. Vierte Periode. § 60.
Gedanke wieder, dass der Erwerb möglichst gleichmäßig unter
die berechtigten Mitglieder der Zunft vertheilt und dass der
Ausbeutung gesteuert werden sollte, zu welcher das größere
Capital die Möglichkeit gewähren würde. Daher mancherlei
Beschränkungen in der Zahl und bei der Aufnahme von Lehr-
lingen und Gesellen, Verbot nicht zunftgemäßer Arbeit und der
Widerstand gegen die Einbürgerung neuer Industrien, von welchen
schon die Rede war (§ 59, 11). Außerdem war die Erlangung der
Meisterschaft in einem Gewerbe von einer gewissen Lehrlings-
und Gesellenzeit, der Anfertigung eines Meisterstücks und, sofern
nicht der Hof oder eine privilegierte Körperschaft, wie die
Universität, schützend eingriff, auch noch von der Zustimmung
der Zunftgenossen abhängig. Mit der Wanderpflicht der Gesellen
hieng zusammen, dass die Bürgerschaft der Herkunft nach eine
bunte Mischung aufwies.®
Der Bürgerstand war noch im 16. Jahrhundert wohlhabend,
allein seitdem trat infolge der schon oben (§ 59, 3 ff) besprochenen
Ursachen ein tiefer wirtschaftlicher Verfall ein. Um das Jahr
1700 „gab es kaum eine Stadt im weiten Bereich der Monarchie,
die nicht auf Jahrzehnte hinaus tief verschuldet und theilweise
verarmt gewesen wäre" und auch die Mehrzahl der Städte-
bewohner befand sich in sehr gedrückter Lage.
C. Der Bauernstand.
13. Die Lage des Bauernstandes (§ 37) hatte vom Mittelalter
her im allgemeinen eine bedeutende Verschlechterung erfahren.
Die mit der Ausbreitung der Geldwirtschaft überhandnehmenden
Steuern lasteten vor allem auf den Bauern und die seit Beendigung
des dreißigjährigen Krieges von den Gutsherren allmählich gesteigert«
Bewirtschaftung der Güter im Eigenbetrieb hatte eine starke Er-
höhung der Privatfrohnden zu Gunsten der Herrschaften im Gefolge.
Dabei blieb der Bauernstand die ganze Zeit über der gutsherrlichen
Gewalt als seiner Obrigkeit unterworfen und hatte mit verschwin-
denden Ausnahmen nur Nutzungsrechte an dem Boden, den er baute.
Die Abhängigkeit von der Herrschaft, in der er stand, die „Unter-
ö Vergl., was Valvasor XI, 705, über das Geraisch von Nationalitaten
unter den Bürgern von Laibach mittheilt.
Gedrückte Lage des Bürgerstandes und der Bauern. oOl
thänigkeit* war mannigfach abgestuft. Wenn auch allen Bauern
Vermögensfähigkeit und einige andere Rechte zuerkannt wurden, sie
daher dem Rechte nach besser als Sclaven gestellt waren, so blieb
doch der rechtlich anerkannten Beschränkungen und Bedrückungen
genug übrig, um den Zustand vieler geradezu als Leibeigenschaft zu
bezeichnen. ^° Besonders in Böhmen und Mähren waren die Bauern
in ihrer Mehrzahl arg daran. Es ändert an dieser Thatsache nichts,
wenn man neuestens den Nachweis versucht hat, dass ihr Zu-
stand eigentlich nicht Leibeigenschaft, sondern Erbunterthänigkeit
gewesen sei. Der Grundherr war der Herr der gesammten, auf
seinen Gütern geborenen ländlichen Bevölkerung, kein Mitglied
derselben durfte ohne seine Zustimmung wegziehen oder heiraten,
oder seine Söhne dem Handwerk widmen. Bis in die zweite
Hälfte des 17. Jahrhunderts galt das Schulhaus wie die Pfarre
als freies Haus, so dass, wer darin geboren wurde, nicht leib-
eigen war; seit dieser Zeit wurde selbst diese geringe Ausnahme
vielfach bekämpft. Wenngleich in anderen Kronländem die Bauern
theilweise besser standen, hier die Freizügigkeit vorherrschte, die
Landesherren seit dem 16. Jahrhundert mancherlei Verfügungen
gegen die Bedrückung der Bauern erließen, ihnen durch Verkauf-
rechtung erbliche Nutzungsrechte einräumten und die Bauern in
Tirol sogar durch Abgeordnete der freien Gerichte im Landtag
vertreten waren, so war doch die Lage selbst dieser bevorzugten
Bauern im ganzen wenig befriedigend. Bei aller Mannigfaltigkeit,
die gerade im Bauernrechte von Land zu Land herrschte, gab es
in dem einen Punkte allgemeine Übereinstimmung, dass sie als
rustica gens auch die misera contribiiens plebs waren.
14. Die wichtigsten Verpflichtungen der Bauern in diesem
Zeiträume waren:
a) Als äußerliches Kennzeichen, welches die unterthänigen
von den wenigen freien Bauern unterschied, galt namentlich in
Böhmen die Verpflichtung zur Robot, d. i. zu Prohnden für
die (Jrundherrschaft. Diese waren entweder gemessene, d. h.
durch Angabe des Werkes, das zu verrichten war, oder bloß der
Zeit nach in jährlichen oder wöchentlichen Arbeitstagen bestimmt,
^'^ Der Ausdruck Leibeij?enschaft zur Bezeichnung: der Abhäns^igkeit dos
Einzelnen von seinem Leibherrn kommt namentlich in Vorarlberg noch im
16./ 17. Jahrh. vor.
502 Österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Vierte Periode. § 60.
oder ungeraeasene.^^ Man unterachied Handdienate von der Zugrobot^
bei welcher auch Zugthiere vom Pröhner beizuatellen waren. Nur
auanahmaweiae hatten die Fröhner auf eine „Ergötzlichkeit'', d. i.
auf eine kleine Gegenleiatung in Brot, Bier, Erbaen, Pleiach oder
dergl. von Seite der Grundherrachaft Anapruch ;
h) die aogenannten Waiaenjahre, d. h. daa Recht, alle Waiaen
von Unterthanen bia zu ihrem 14. Jahre bloß gegen Gewährung
von Koat und Kleidung zu Dienatleiatungen verwenden zu dürfen ;
c) konnte die Grundherrachaft verlangen, daaa jene Kinder
von Unterthanen, die in fremde Dienate treten aollten, vorerat
Dienate bei ihr durch drei Jahre gegen übliche Bezahlung
ableiateten ;
d) von den Grundatücken, auf welchen die Bauern aaßen,
muaate der Herrachaft eine gewiaae, durch daa Stockurbar vor-
geachriebene Abgabe in Geld oder Früchten (der Zina oder
Dienat), biaweilen auch der Vieh- oder Kornzehent gereicht werden;
e) bei Beaitzveränderungen war den Herrachaften ein An-
und Abfahrtageid, Todfallageld u. dgl. zu entrichten. Die
Schreib- und Siegeltaxen, d. i. Gebüren für daa Anachreiben an
die Gewere, die Auafertigung von Urkunden u. a. w. w^urden
von der Herrachaft nicht aelten iliren Wirtachaftabeamten ala
Nebeneinkommen überlaaaen ;
f) dem Landeafüraten war die landeafüratliche Steuer, daa
„Contributionale" von den bäuerlichen Gütern in einem höheren
Auamaß, ala vom adeligen Beaitz (dem a. g. Dominieale) zu ent-
richten ;
g) die Gerichtabarkeit über die Bauern atand bei der Grund-
herrachaft (§ 55, 2). Ala Auafluaa deraelben hatte die Herrachaft
namentlich auch die Verlaaaenachafta-Abhandlung nach ihren ver-
atorbenen Unterthanen zu pflegen, Vormünder zu beateilen u. a. w.
Wollte die Herrachaft den Bauerngrund wegen aäumiger Zina-
zahlung einziehen, ao muaate ein aogenanntea uuparteiiachea
Gericht von bäuerlichen Nachbarn niedergeaetzt und der Spruch
von der landeafüratlichen Behörde beatätigt werden.
*^ Als Maximum setzte der Tractatus de juribus incorporalibus, 1679:
104 Tage im Jahr, bzw. 3 in der Woche fest. — Die gesetzliche Terminologie
für Böhmen hingegen, begreift unter gemessen (odmera) nur jene Frohnden,.
welche dem Werke nach bestimmt sind. Grün borg, I, 76.
Lasten des Bauernstandes, die Bauernkriege. 503
15. Druck erzeugt Gegendruck. Die verzweifelte Lage der
Bauern, die sich ungeachtet der Bemühungen mancher Regenten
nur wenig besserte, führte zu gewaltsamen Auflehnungen, die
im 16. Jahrhundert oft einen religiösen Anstrich hatten. Dem
windischen Aufstand der stara pt-avda vom Jahre 1515 folgten
von 1523—1525 Bauernkriege in Tirol, im Salzburgischen und
in Obersteiermark. Der zweite große windische Bauernaufstand,
den die Bedrückungen des Franz von Tahy hervorgerufen hatten,
wüthete 1573 in Croatien und Untersteiermark. In den Jahren
1594 und 1596 ergossen sich Aufstände über das Land ob und
unter der Enns, 1626 war wieder Österreich ob der Enns, 1631
Oberungarn, 1635 waeder Südsteiermark der Schauplatz von
Bauernaufständen, Böhmen erlebte 1680 das blutige Schauspiel
eines Bauernkrieges. All diese Bewegungen wurden gewaltsam
niedergeworfen, waren aber andererseits Veranlassung, dass die
Regierung Untersuchungen einleitete und ein oder den anderen
Mifsstand abstellte.
16. Eine wesentliche Verschlimmerung erfuhr die Lage des
Bauernstandes in jenen Gegenden, in welchen der dreißigjährige
Krieg gewüthet hatte. Viele freie Bauern, welche bis dahin ihre
Stellung mühsam bewahrt hatten, geriethen nunmehr in Abhängig-
keit. Ein Beispiel für viele bieten die Geschicke der Choden-
dörfer bei Taus. Weil sich dieser in einem gewissen Abhängigkeits-
verhältnis von der Stadt Taus befanden, welche zum Winterkönig
gehalten hatte, weil sie Protestanten waren und vor allem darum,
weil sie die Habsucht des kaiserlichen Reichshofraths, des Freiherrn
Wolf Wilhelm Lamminger von Albenreut, erregt hatten, wusste
es dieser im Jahre 1628 dahin zu bringen, dass ihm die Choden
um 35.000 fl. verpfändet und 1630 für den Betrag von 56.000 fl.
sogar „erbeigenthümlich" verkauft wurden. Und bei dieser Leib-
eigenschaft verblieb es in der Folge, trotz aller Supplicationen
dieser armen Bauern.
504 österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Fünfte Periode. § 61.
V. Periode : Die Ausbildung des heutigen Staats-
wesens,
(1740—1867.)
§ 6L Die yeräiiderangeii des Staatsgebiets ron 1740—1867.
Literatur im allgemeinen: Krones, Grundriss, 755 ff. — Berghaus:
Deutschland seit hundert Jahren. 5 Theile. — Daniels Handbuch d. deutschen
Reichs- und Staatengeschi chto, 11, 3. Bd. 1808, - Hub er, Rg., 180, 219, 245 ff.
1. Nach dem Tode Kaiser KarFs VI. (+ 20. October 1740), mit
welchem der männliche Stamm der Habsburger erlosch, übernahm
nach den Bestimmungen der pragmatischen Sanction (§ 49, 5) dessen
Erbtochter Maria Theresia die Regierung der Erblande. Die Gesammt-
fläche derselben überstieg schon 10.000 Quadratmeilen, doch war ein
geschlossenes Staatsgebiet noch nicht vorhanden. Die zusammen-
hängende Hauptmasse bildeten die altösterreichischen Erblande
nebst Böhmen, Mähren, Ober- und Niederschlesien und den Ländern
der ungarischen Krone. Die österreichischen Niederlande und die
italienischen Herzogthümer Mailand, Mantua, Parma und Piacenza
bildeten ein zweites und drittes, ebenfalls ziemlich geschlossenes
Ländergebiet, dagegen waren die schwäbischen Besitzungen des
Hauses, die man zu Verwaltungszwecken unter dem Namen Vorder-
österreich zusammenfasste, vom Zusammenfluss der Donau mit dem
Lech bis an den Oberrhein als schmaler unzusammenhängender
Streifen zerstreut.
2. Die pragmatische Sanction war durch die Bemühungen
Kaiser Karl's VL zwar unter die Garantie der europäischen Mächte
gestellt, allein im entscheidenden Augenblicke zeigte es sich, dass
Kaiser Karl VI. wohl besser daran gethan hätte, dem staatsklugen
Rathe des Prinzen Eugen zu folgen, d. h. wenn er durch die
Zustimmung der Erblande befriedigt, im übrigen durch geordnete
Finanzen und ein schlagfertiges Heer für die Aufrechterhaltung
der Thronfolgeordnung vorgesorgt hätte. Denn kaum hatte der
Kaiser seine Augen geschlossen, so erhoben Sardinien, Preußen,
Bayern, Sachsen und Spanien theüs auf einzelne Gebiete, oder
Der österreichische Erbfolgekrieg. Verlust von Schlesien. 505
selbst auf das ganze Erbe Karl's VI. Anspruch. Namentlich für
den Kurfürsten Karl Albert von Bayern, der seine Ansprüche auf
seine Abstammung von der Regredienterbin Erzherzogin Anna
(siehe die Stammtafel) vor allem stützte, war man vielfach in den
Erblanden eingenommen, da man selbst in Wien vom Erbrechte
der Erbtochter nicht fest überzeugt war.
3. Den Kampf gegen Österreich eröffnete König Friedrich II.
von Preußen, indem er Ansprüche auf die schlesischen Herzog-
thümer Liegnitz, Brieg, Wohlau und Jägerndorf erneuerte, obwohl
dieselben von seinem Urgroßvater im Jahre 1686 gegen Abtretung
des Schwiebuser Kreises endgiltig aufgegeben waren, und die
freiwillige Rückgabe dieses Kreises durch den Kurfürsten und
spätem König Friedrich I. (1695) gegen Einräumung anderer Vor-
theile, an dem Verzichte nichts änderte. Schon am 16. December
1740 rückten die Truppen König Friedrich's IL ohne Kriegs-
erklärung in Schlesien ein, wo sie sich nach dem Siege über die
Österreicher bei Mollwitz (1741, 10. April) behaupteten. Die Lage
der Königin Maria Theresia war nun umso gefährdeter, als Preußens
Vorgehen das Zeichen zum allgemeinen Angriff auf Österreich
abgab. Bayern mit Frankreich im Bunde, besetzte das Land ob der
Enns und Böhmen und Kurfürst Karl Albert nahm am 2. October
zu Linz, am 19. December 1741 zu Prag, die Huldigung entgegen.
Bald darauf trat jedoch ein Umschwung ein. Maria Theresia, von
den Ständen aller übrigen Erblande treu unterstützt, ließ Bayern
besetzen und schloss, um sich ihres gefährlichsten Gegners zu ent-
ledigen, mit dem Könige Friedrich IL von Preußen den Präli-
minarfrieden von Breslau am 11. Juni 1742, dem am 28. Juli der
endgiltige Friede zu Berlin folgte, durch welchen Österreich ganz
Niederschlesien und Oberschlesien mit Ausnahme von Teschen,
Troppau und des Landes diesseits der Oppa an Preußen abtrat. So
schwer die Königin Maria Theresia dies Opfer brachte, so war
es doch unabwendbar. Weder der zweite schlesische Krieg, den
König Friedrich IL im Jahre 1744 begann, weil ihn die Fort-
schritte der österreichischen Waffen gegenüber Frankreich und in
Italien um den Besitz von Schlesien besorgt machten, noch der
im Jahre 1756 ausgebrochene siebenjährige Krieg änderten den
Besitzstand, der durch die Frieden von Dresden, 25. December
1745, und Hubertsburg, 15. Februar 1763, bestät%t wurde.
506 Österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Fünfte Periode. § 61.
4. Der österreichische Erbfolgekrieg mit Bayern endete durch
den Frieden von Füssen (1745, 22. April), der den früheren Zu-
stand wiederherstellte, gegenüber Frankreich und Spanien 1748,
18. October, durch den Frieden von Aachen, der die Abtretung von
Parma, Piacenza und Guastalla an den spanischen Infanten Don
Philipp zur Folge hatte, ßis auf den Verlust von Niederechlesien,
den Maria Theresia vor allem schwer ertrug, weil er deutsches Land
betraf, und der erwähnten italienischen Fürstenthümer hatte also
die Kaiserin die gesaramten Erblande in einem europäischen Kriege
behauptet.
5. Diesem Abgang gegenüber ist wälirend der vierzigjährigen
Regierung der Kaiserin ein namhafter Gebietszuwachs auf anderen
Seiten zu verzeichnen. Der Versuch, das durch Abtretung von
Niederschlesien gestörte Gleichgewicht zwischen der deutschen und
der nicht deutschen Bevölkerung der Monarchie durch Erwerb eines
andern deutschen Landes wieder herzustellen, schlug allerdings
fehl, weil Preußen das nach dem Aussterben des bayrischen Kur-
hauses (1777) mit dem erbberechtigten Nachfolger, dem Kurfürsten
Karl Theodor von der Pfalz, getroffene Übereinkommen wegen
Abtretung von Bayern an Österreich hintertrieb.^ Der Tescbner
Friede (13. Mai 1779) brachte nur die Abrundung des Landes ob
der Enns durch das Innviertel, außerdem gelangte 1760 die Graf-
schaft Hohenems im Lande Vorarlberg nach dem Erlöschen des
herrschenden Geschlechts als Reichslehen an die Kaiserin Maria
Theresia. Keinen Landzuwachs im staatsrechtlichen Sinne brachte
der Ankauf der bischöflich bambergischen Besitzungen in Kärnten
im Jahre 1759, da diese Gebiete, Villach und das Canalthal, das
obere Lavantthal von Wolfsberg bis Reichenfels, Feldkirchen, Griffen
u. 8. w. kraft der Recesse mit dem Hochstift schon vorher unter
österreichischer Landeshoheit standen. Desto beträchtlicher war
der Zuwachs, den Österreich bei der ersten Theilung Polens (1772)
erhielt.
6. Die Königreich heißende Adelsrepublik Polen, durch
inneren Hader längst zerrüttet, war nach dem Tode König Friedrich
August's IL (t 1763) vollends unter den Einfluss Russlands ge-
rathen. Alle Anstrengungen, dem Staatswesen durch zeitgemäße
* Ebenso deii zweiten Versuch, den Kaiser Josef II. im Jahre 1785 macJite.
Erwerbung von Hohenems, des Inn vierteis, Galiziens. 507
Urastaltung neue Lebenskraft einzuflößen, die von polnischen Vater-
landsfreunden gemacht wurden, scheiterten, weil sie Russland selbst-
süchtiger Weise vereitelte, um sich die sichere Beute nicht entgehen
zu lassen. Als nun in Polen 1768 ein Bürgerkrieg ausbrach und die
Türkei von Frankreich angestiftet, an Russland den Krieg erklärte,
um den russischen Einfluss im Nachbarlande zu brechen, wurde
von Maria Theresia eine Truppenaufstellung längs der ungarisch-
polnischen Grenze angeordnet, um diese gegen jede Benach-
theiligung durch die in ihrer Nähe kämpfenden Heere zu sichern.
Im Jahre 1769 wurden dann auch die Grenzen des im Jahre 1412
durch König Sigismund von Ungarn an Polen verpfändeten Zipser
Districtes von österreichischen Truppen besetzt und zugleich die
Erklärung abgegeben, dass dies den Rechten Polens nicht abträglich
sein solle. Da man jedoch in Wien ernstlich an die Wiedergewinnung
der Zips dachte, so lag ,die Versuchung nahe, dies in einer so
großen Ausdehnung durchzuführen, als es überhaupt erreichbar
erschien**. Daher wurden auf Grund der Behauptung, dass das
verpfändete Zipser Gebiet noch weiter nördlich gereicht habe, die
österreichischen Grenzzeichen in die südlichen Theile der Starostien
Sandec, Neumarkt und Czorsztyn vorgerückt. An eine Vergewalti-
gung Polens dachte jedoch niemand in Österreich, wie denn auch
der Titel „Administrator Provinciae reincorporatse*", den der mit
der Verwaltung der neubesetzten Gebietstheile betraute Hofrath
Török angenommen hatte, auf Befehl der Kaiserin Maria Theresia
aufgegeben werden musste. Wohl aber lag dem Staatskanzler
Kaunitz alles daran, Frieden zwischen Russland und der Türkei
herbeizuführen um eine zu weit gehende Schwächung derselben zu
verhindern. Dagegen war König Friedrich IL seit Anfang 1771
unausgesetzt bemüht, ein Einverständnis zwischen Russland, Öster-
reich und Preußen über eine Vergrößerung auf Kosten Polens
herbeizuführen. Als sich nun Preußen und Russland im Jahre 1772
in dieser Frage schon geeinigt hatten, und die Vorschläge Öster-
reichs, gegen Rückgabe von Glatz und eines Theiles von Schlesien
auf die zugedachten polnischen Gebiete verzichten zu wollen, von
Preußen abgelehnt worden waren, verlangte, wie sich Kaiser
Joseph II. später ausdrückte, „die Nothwendigkeit und die Sorge
für die eigene Sicherheit, dass man sich nach ihnen richte". Am
1. Mai 1772 bekamen die österreichischen Truppen den Befehl zum
508 Österreichische Reichsgeschichte. IL Theil. Fünfte Periode. § 61.
Vorrücken. Am 2. August 1772 fand in St. Petersburg die Unter-
zeichnung des Theiiungsvertrags zwischen Österreich, Russland
und Preußen statt, der am 18. September 1773 die durch die Um-
stände erzwungene Zustimmung des pohlischen Reichstags erhielt.
7. Der Ländererwerb Österreichs bei der ersten Theiiung
Polens umfasste die 13 Zipser Städte und so ziemlich genau das
heutige Königreich Galizien mit Ausnahme von Krakau, im ganzen
rund 1300 Quadratmeilen. Die genauere Abgrenzung machte
jedoch nocli langwierige Verhandlungen nöthig, die sich bis zum
Jahre 1776 hinzogen.
Eine Folge der Erwerbung Galizieiis war auch die Einver-
leibung der Bukowina, um die Landbrücke mit Siebenbürgen
herzustellen. Sie erfolgte durch Besetzung eines Theiles der Moldau
nach dem Abmarsch der russischen Truppen (September 1774)
und durch Verhandlungen mit der Türkei, welche der österreichische
Internuntius Thugut am 7. Mai 1775 zu günstigem Abschluss
brachte. Am 10. October 1777 nahm dann General Spleny zu
Czemowitz die Huldigung namens der Kaiserin entgegen. ^
8. In die Zeit der Kaiserin Maria Theresia fällt auch die
Entstehung einer österreichischen Secundo- und Tertiogenitur in
Italien und deren Ausstattung mit Gebieten, die nicht durch das
Band der pragmatischen Sanction mit Österreich verbunden waren.
Kaiser Franz I., Gemahl der Kaiserin Maria Theresia, bestimmte
nämlich das Großherzogthum Toscana, das er als Ersatz für sein
väterliches Herzogthum Lothringen 1738 erhalten hatte, mit
Zustimmung seines Erstgeborenen zur Ausstattung seines Zweit-
ältesten Sohnes (1763), während die Vermählung des dritten, Erz-
herzog Ferdinand's, mit M. Beatrix, der Erbtochter des Hauses Este,
(1771) das Herzogthum Modena an dessen Nachkommen brachte.
9. Die Kaiserin Maria Theresia hatte 772 Quadratmeilen ab-
getreten und 1618 Quadratmeilen hinzu gewonnen, so dass sie bei
ihrem Tode ein Reich von 11.070 Quadratmeilen Umfang mit mehr als
zwanzig Millionen Bevölkerung hinterließ. Während der Regierungs-
zeit ihrer Söhne Kaiser Joseph II. 1780-1790 und Leopoldll.
- Ich bin, was die Erwerbung Galiziens und der Bukowina betrifft, der
DarsteUung Arneth's, Gesch. M. Theresia's, Bd. 8, gefolgt. Vgl. überdia^ Bider-
mann, Die Bukowina unter österr. Verwaltung 1775—1875, S. A. aus der
Wiener Zeitung, 1875.
Erwerbung der Bukowina, VerluBte während der Coalitionskriege. 500
1790—1792 erfuhr dasselbe keine nennenswerte Veränderung,
da der Versuch Joseph's IL, gegen Abtretung der Niederlande
Bayern einzutauschen an dem Widerspruche König Friedrich's II.
von Preußen und des von ihm gegen den Kaiser zustande gebrachten
„Fürstenbundes" scheiterte (1785) und die Eroberungen des letzten
Türkenkrieges durch den Frieden von Sistowo 1791 verloren
giengen. Desto bedeutender waren innerhalb der zwanzig Jahre
1795—1815 die Umgestaltungen des österreichischen Staatsgebiets
unter Kaiser Franz II. (I.) als Folge der mit Frankreich geführten
Kriege. Nur vorübergehend war der Erwerb von „Westgalizien"*,
den Österreich 1795 bei der dritten TheUung Polens (die zweite
wurde 1793 von Russland und Preußen allein durchgeführt) machte.
Dasselbe umfasste bei einer Größe von 843 QuadratmeUen mit
etwa einer Million Einwohnern alles Land zwischen der PUica, der
Weichsel und dem Bug, die Umgebung von Warschau ausgenommen,
wurde jedoch infolge des Friedens von Schönbrunn 1809 an den
König von Sachsen als Großherzog von Warschau abgetreten.
10. Die Gebietsveränderungen, welche Österreich infolge der
Coalitionskriege gegen Frankreich erlebte, sind folgende:
a) Durch den Frieden von Campo Formio 1797 und den
nachfolgenden Frieden von Lüneville 1801 trat Österreich die
Niederlande und Mailand an Frankreich ab und erhielt dafür das
venezianische Festland östlich vom Gardasee, venezianisch Istrien
und Dalmatien sammt der Bocche di Cattaro. Der Breisgau sollte als
Entschädigung an den Herzog von Modena fallen.
h) Der Reichsdeputations-Hauptschluss vom Jahre 1 803 unter-
warf die weltlichen Gebiete der Bisthümer Brixen und Trient
vollends der österreichischen Staatshoheit.
c) Durch den Frieden von Pressburg am 26. December 1805
verlor Österreich (infolge der unglücklichen Schlacht bei Austerlitz
2. December) alle Entschädigungen, die ihm der Friede von Campo
Formio gebracht hatte, an das neu errichtete Königreich Italien,
ferner den Rest der vorderösterreichischen Besitzungen, Vorarlberg
und Tirol zumeist an Bayern, zum Theil an Baden und Württem-
berg und erhielt als einzige Entschädigung Salzburg mit Berchtes-
gaden zugesprochen.
d) Die größte Schmälerung erfuhr es durch den am
14. October 1809 zu Schönbrunn mit Napoleon abgeschlossenen
5 1 0 Österreich ische Reichsgeschichte. IL Theil . Fünfte Periode. § 6 1 u. 62.
Frieden : Österreich verlor nach all den vorhergehenden Abtretungen
noch die Gebiete von Salzburg und Berchtesgaden, das Innviertel
und einen Theil des Hausruckviertels an Bayern, die Grafschaft
Görz, Triest, Krain, den Villacher Kreis und alle Landestheile auf
dem rechten Ufer der Save (die s. g. illyrischen Provinzen) an
Prankreich, endlich das 1795 erworbene Westgalizien und den
Zamosker Kreis von Ostgalizien an das Großherzogthum Warschau,
ein Stück von Ostgalizien mit 400.000 Einwohnern (die Kreise
Tarnopol und Czortkow) an Russland.
11. Die Betheiligung Österreichs an den Freiheitskriegen hat
durch den Pariser Frieden vom 30. Mai 1814 und die Beschlüsse
des Wiener Congresses dem Reiche jenen Umfang gegeben, den
es, abgesehen von den Veränderungen durch die Kriege seit 1859,
bis zum Schlüsse dieser Periode behauptet hat. Österreich erhielt
in der Begrenzung durch den Lago Maggiore den Tessin und Po
das lombardisch-venezianische Königreich in Italien nebst dem
Veltlin, ferner die in den Jahren 1805 und 1809 abgetretenen
„illyrischen Provinzen" nebst Dalmatien und Ragusa, von Bayern
wurde Tirol, Vorarlberg, Salzburg, das Hausruck- und Innviertel,
von Russland der Tarnopoler Kreis zurückgegeben. Es wurden
ferner die österreichische Secundogenitur in Toscana und die
Tertiogenitur in Modena wieder hergestellt. Dagegen verzichtete
Osterreich auf Westgalizien mit Krakau und alle übrigen, vor dem
Jahre 1792 besessenen Gebiete.
12. Krakau war auf dem Wiener Congresse nebst emem
kleinen Gebiet zur Freistadt erklärt und dem Schutze von Österreich,
Preußen und Russland unterstellt worden. Infolge des galizischen
Aufstandes im Jahre 1846 wurde jedoch Krakau an Österreich
überlassen und 1849 mit Galizien vereinigt.
Der unglückliche Feldzug gegen Frankreich und Sardinien
im Jahre 1859 hatte die Abtretung der Lombardei und den Verlust
der Gebiete der Secundo- und Tertiogenitur: Toscana und Modena
zur Folge, da diese Lande, entgegen den Bestimmungen des
Züricher Friedens, ihren Fiirsten nicht mehr zurückgegeben wurden.
Durch den Frieden von Wien, welcher den Krieg Österreichs mit
Preußen und Italien am 3. October 1866 beendete, wurde das vene-
i zianische Festland mit Friaul an Italien abgetreten, überdies schied
Österreich aus dem deutschen Bunde aus.
i:
Das Osten*. Staatsgebiet seit 1H15; Gesetzgebung um 1740. 511
§ 63. . Die östeiTeichische Oesetzgebang seit den großen Godifl-
cationsarbeiten unter der Kaiserin Maria Theresia (1740—1867).
Literatur bei § 45, 46, ferner Banniza, Abhandlung von den sämmtlichen
Osten*. Gerich täötellen, 1767. — Beidtel, Gesch. der österr. Staatsverwaltung,
1740—1848, herausg. v. A. Huber, I, 1895. — C an stein, Lehrbuch des österr.
Civil-Processrechts, I, § 13—15. — Codex Theresianus, herausg. v. Harrasowsky,
ö Bde., 1883—1886. — Dorain-Petrushevecz, S. 32 fr. — Maasburg.
Processordnung für Böhmen vom 23. Jänner 1753; Zur Entstehungsgesch. der
Theresian. Halsgerichtsordnung; Gutächtl. Äußerung des ö:?terr. Staatsrathes über
den Codex Theresianus (Wien, 1880—1886). — Ofner, ürentwurf und die Be-
rat hungsprotolcoUe des österr. allg. b. G.-B., 1889, 2 Bde. (dazu Pfaff in den
Jurist Bl., 1889, Nr. 26 ff.) — Pfaff, Rede auf Franz v. Zeiiler, 1891; Zur Bnt-
stehungsgesch. des westgal. Gesetzb. (Jur. Bl., 1890, Nr. 34 ff.) — Pfaff und
Hof mann, Commentar zum österr. allg. b. G.-B., I und Excurse 1. — Siegel,
Deutsche Rechtsgeschichte, 3. Aufl., § 55ff. — Wahlberg, Gesammelte Itleinere
Schriften, Bd. 2, 3, 1877, 1882. — Gesetze Maria Theresia's im Sappl. des Codex
Austriacus (1740—1770), dann in der s. g. Kropatschek'schen Sammlung
aller k. k. Verordnungen u. s. w. — Gesetze und Vorfassungen im Justizfach seit
1780 und politische Gesetze und Verordnungen seit 1790, beide seit 1849 im
Reichsgesetzblatt fortgesetzt. — Verschiedene Provinzial-Gesetzsammlungen.
1. Die Bemühungen Kaiser KarFs VI., die Rechtsverachieden-
heiten von einem Erblande zum andern, die in dem „Landesbrauch"
ihre Stütze hatten, thunlichst zu beseitigen, waren zum Theile von
Erfolg begleitet und hatten auf einzelnen Rechtsgebieten materielle
Übereinstimmung herbeigeführt. Man darf wohl annehmen, dass
sich eben dadurch die Überzeugung von der Eraprießlichkeit einer
größeren Rechtseinheit in weiteren Kreisen eingebürgert hat.
Beim Regierungsantritt der Königin Maria Theresia waren
nun mancherlei Arbeiten der Gesetzgebung in der Schwebe. Die
■ ■
Stände von Osterreich unter der Enns hatten um eine Erläuterung
ihrer in vielen Punkten „unklaren Landesordnung" gebeten, die
zu manchem Rechtsstreite Anlass gegeben hatte, mit der steirischen
Landschaft schwebten Unterhandlungen wegen Revision der Ge-
richtsordnung vom Jahre 1622, außerdem waren in Prag und Brunn
Compilations-Commissionen thätig.
2. Maria Theresia hat diese Arbeiten trotz der bis zum
Jahre 1748 währenden Kriege niemals außer Aug gelassen. Die
mit dem steirischen Gesetz gutentheils übereinstimmenden Land-
512 Österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Fünfte Periode. § 62.
tafelpatente für Kärnten und Krain ergiengen in den Jahren 1740
und 1747, ebenso 1747 die Erbrechtsordnung für Kärnten, die auf
der österreichischen vom Jahre 1720 beruht. Sie behielt sich ferner
in ihrem Rescript vom 8. April 1746 an den Landeshauptmann und
das Schrannengericht in Krain vor, „demselben nächstens eine neue
Gerichtsordnung vorzuschreiben". Freiherr Benjamin von Erberg
wurde mit der Verfassung des Entwurfs betraut, der dem Schrannen-
gericht nur zum „Übersehen'', der königlichen Repräsentation und
Kammer hingegen zur Begutachtung vorzulegen war.^
3. Die Friedensjahre nach dem österreichischen Erbfolge-
krieg kamen den Gesetzgebungsarbeiten umsomehr zustatten, als
Maria Theresia auf diesem Wege die Herbeiführung einer Reichs-
einheit an Stelle der vielgestaltigen Ländergruppe, ein Hauptziel
ihrer Regententhätigkeit, wesentlich zu fördern gedachte. Zudem
war Abhilfe auf dem Gebiet des Justizwesens dringend geboten.
In zahlreichen Denkschriften, die der Kaiserin überreicht wurden,
klagte man über das Darniederliegen der Rechtspflege, Richter
und Advocaten seien die Quelle aller Übel, das n.-ö. Landrecht sei
z. B. so verachtet, dass jeder trachte, sobald als möglich von dieser
Stelle wegzukommen u. dgl. m. Es wurden darum 1748 und 1751
die Compilations-Commissionen für Böhmen und Mähren neu
zusammengestellt und der Prager Advocat Josef Azzoni in erstere
berufen; 1751 auch eine CompUations - Commission zu Wien zur
Revision des Tractatus de jurihis incorporaläms eingesetzt, 1752
eine vereinigende Bearbeitung der im Lande unter der Enns und
in Böhmen geltenden peinlichen Gerichtsordnungen befohlen. Im
Jahre 1753 erfloss dann am 23. Jänner eine umfangreiche Process-
novelle für Böhmen, die nicht nur mit kleinen Abänderimgen noch im
gleichen Jahre in Schlesien und 1760 in Mähren zur Einführung
gelangte, sondern auch nach Krain als Grundlage für die früher
erwähnte neue Schrannenordnung gesandt wurde.^
^ L.'A. Laibach, Erberg 's che Schriften. Der Entwurf, in 24 Rubriken
am 2. Dec. 1748 eingereicht, wurde am 11. Dec. von Wien aus an die Repräsen-
tation zu Laibach zur Berathung gesandt, die am 15. Jänner 1749 begann.
2 Maasburg, Processordnung, bietet den Text, der in 23 Art. zerfällt.
Ein Ms. mit dem Preesentatum 15. JuU (1753) nebst Anmerkungen des Freiherm
Benjamin von Erberg, wie dies Gesetz für Krain „soviel nur immer thunlici»
nach daslger Landesverfassung, Gesätzt und Generalien nutzlich zu adaptieren
wäre*, zu Laibach,
Beginn d. Codiflcationsarbeiten : Compilationscommission in Briinn. 513
4. Alle die erwähnten Arbeiten hatten jedoch, von der Ver-
besserung der Justizangelegenheiten abgesehen, nur die Herbei-
führung materieller Rechtsübereinstimmung zum Ziele; nun genügte
aber ein an sich geringer Anlass, um darüber hinaus der Gesetz-
gebung auch die Herbeiführung formeller Rechtseinheit zur Aufgabe
zu stellen. Diesen Anstoß gab ein anfangs 1753 von einem
ungenannten i.-ö. Appellationsrathe überreichter Vorschlag einer
allgemeinen Gerichtsordnung und eines gleichen Landrechtes in
allen Erbländern. ^ Der Vicepräsident der obersten Justizstelle, Graf
Frankenberg, gieng auf den Gedanken ein, erstattete am 3. Februar
darüber der Kaiserin seinen befürwortenden Bericht, welcher schon
am 14. Februar 1753 die Billigung Maria Theresia^s erhielt; am
3. Mai wurde mit der Arbeit selbst in feierlicher Sitzung begonnen,
zu welcher fünf aus Böhmen, Mähren, Schlesien, Österreich unter
der Enns und Innerösterreich berufene Compilatoren erschienen
waren.* Man beschloss, dass alles, was mit dem öffentlichen Recht
und den bestehenden Jurisdictionsverhältnissen zusammenhänge, un-
verändert zu erhalten sei, theilte den Stoff in drei Abschnitte von
Personen, Sachen und Obligationen und berieth binnen Monatsfrist
den genaueren Plan durch, den der zum Hauptreferenten ernannte
Prager Professor Josef Azzoni entworfen hatte. Die Vorfrage, ob
ein ganz neues, bloß aus der gesunden Vernunft abgeleitetes Recht
zu verfassen, oder ob die vorhandenen Landesgesetze zu compilieren
und bloß die Lücken aus dem Natur- und Völkerrecht zu ergänzen
seien, beantwortete die Compilations-Commission in letzterem Sinne
und auch die Kaiserin stimmte dem zu.^
5. Mit der Berathung des Gesetzwerkes selbst wurde am
10. December 1753 zu Brunn begonnen, wohin die CompUations-
Commission nach dem Tode des ersten Vorsitzenden, des Grafen
von Frankenberg, übersiedelte, weil nunmehr der Präsident der
mährischen Repräsentation, Blümegen, an dessen Stelle getreten
8 „Von mir H. de a. 1753", nun gedruckt. Cod. Theres.: I, S. 14—16.
■* Die Namen s. Cod. Theres. : I, 2, Anm. 4, später kam noch Hormayr für
VorderösteiTeich hinzu.
* Die Gefahr, naturrechtliche Abstractionen als Gesetz zu erhalten, war
umso größer, als kurz vorher (1746, 31. December) König Friedrich II. von
Preußen nach Coccej's Antrag befohlen hatte „ein deutsches allgemeines Land-
recht, welches sich bloß auf die V^emunftund Landesverfassung gründe", abzufassen.
Luschin, ÖHterreinhischc Reichsgeschichte. 33
514 östen*eichische Reichsgeschichte. IL Theil. Fünfte Periode. § 62.
war. Nach Verlauf eines Jahres wurde ein starker Folioband, im
Februar 1755 ein zweiter und im Juni 1755 ein dritter vorgelegt,
welche den ersten, dem Personenrecht gewidmeten Theil er-
schöpften. Diese Weitläufigkeit des Entwurfs hatte die Einsetzung
einer Coramission zur Überprüfung der Vorlage im Gefolge. Da
sich diese in eine förmliche Umarbeitung einließ, während die
Compilatoren zu Brunn ihr Werk in ausführlichen Gegenausführungen
vertheidigten, so geriethen die Arbeiten bald ins Stocken. Auf ein
ungnädiges Schreiben der Kaiserin (29. Mai 1756) wurde die Auf-
lösung der Brünner Commission beantragt und genehmigt, Azzoni
und Holger traten in die Wiener Commission ein, welcher fortan die
Compilierung übertragen wurde. Azzoni übernahm die Ausarbeitung
des Entwurfs, Holger die Sammlung des Materials. 1758 wurde der
umgearbeitete erste Theil der Kaiserin wieder vorgelegt.
6. Die Arbeiten am zweiten Theile, obgleich noch zu Brunn
begonnen, gelangten erst viel später zum Abschluss, da Azzoni
kränkelte und im Jahre 1761 starb. Die Fortsetzung übernahm nun
Zenker, der seit 1760 als HUfskraft thätig war. Dieser begann
mit dem dritten Theile, brachte dann den unvollendeten zweiten
zu Ende und schloss mit einer Umarbeitung des schon vor-
gelegten ersten Theiles. Am 25. November gelangte die letzte
Abtheilung sammt dem als Proemium bezeichneten Kundmachungs-
patent in die Hände der Kaiserin.
Obwohl sofort die Übersetzung des Entwurfs ins Czechische
und Italienische angeordnet wurde und diese Arbeiten erst im Jahre
1771 eingestellt wurden, so erfolgte doch die erwartete Sanction
nicht. Die Kaiserin betraute vielmehr den Oberst-Landschreiber von
Mähren, Hajek von Waldstädten, der schon 1753 der Compilations-
Commission angehört hatte, mit einem Gutachten und legte dies, die
Gegenbemerkungen der Compilations-Commission und den Entwurf
im Jahre 1769 dem Staatsrath zur Beurtheilung vor.® Hier sprach sich
die Mehrzahl gegen die Arbeit aus und erklärte sie „höchstens als
Material für eine künftige Gesetzgebung brauchbar. " Entscheidend
für den Entschluss der Kaiserin wurde das am 14. October 1770
® Der Staatsrath hat sich von seiner Errichtung an mit Fragen der Gesetz-
gebung beschäftigt. Schon am 30. Jänner 1761 beantragte Stupan, ,dass mit Zu-
ziehung verständiger Kaufleute ein gleichförmiges Handels- und Wechselrecht für
alle Erblande ausgearbeitet werden möge.* Arneth. M. Theresia, VI[, 21.
Compilationscommission in Wien: Arbeiten nach Azzoni's Tode. 515
Tora Staatskanzler Kaunitz abgegebene Urtheil, das mit unbarm-
herziger Schärfe die schwachen Seiten des Codex Theresianus
herausfand und namentlich vor der Vermengung eines Lehrbuchs
mit einem Gesetze warnte.
7. Nun folgten zunächst im Auftrag des Staatsrathes Um-
arbeitungen des ersten Theiles durch den Stadtrathsconcipisten
Johann Bernhart Horten. Dieser musste nicht bloß Zenker's Arbeit
gegen viele Angriffe in Schutz nehmen, sondern auch mancherlei
Anträge abwehren, die das Zustandekommen des Werkes in unabseh-
bare Ferne zu verschieben suchten. Am 4. August 1772 befahl die
Kaiserin nochmals eine Umarbeitung des Ganzen und ertheilte
zugleich eine Instruction, welche fortan für die Redactoren dieses
Oesetzes bis zu seiner Vollendung maßgebend blieb. Die in ein Lehr-
buch gehörigen Theile und die casus rariores sollten ausgeschieden
und das Ganze so viel möglich gekürzt und simplificiert werden,
auch sollte das Gesetz nicht ans römische Recht gebunden sein,
sondern überall die natürliche Billigkeit zugrunde gelegt werden.
Allein die Arbeiten geriethen demungeachtet ins Stocken und
wurden im August 1776 ganz abgebrochen, ehe sie ans Ende des
2 weiten TheUes gelangt waren. Erst unter Kaiser Joseph IL wurden sie
wieder aufgenommen; Horten besorgte die Umarbeitung des ersten
Theiles, der 1785 dem Kaiser vorgelegt und nach einer Revision
des StUs durch Sonnenfels, am 31. März 1786 sanctioniert wurde.
8. Unter Kaiser Leopold IL wurde die frühere Compüations-
Commission aufgelöst und eine neue unter Vorsitz des Preiherrn von
Martini zunächst mit der Revision des Josephinischen Gesetzes
betraut, sodann ein Auszug, der nur die Abweichungen vom früheren
Gesetz enthielt, den Appellationsgerichten und den Universitäten
zur Begutachtung, ob der Entwurf „den besonderen wesentlichen
Landesgesetzen zuwider", vorgelegt. Hofrath von Kees, der schon
nach Horten's Tode (f 1786) das Referat einmal gehabt, dasselbe
jedoch später (1791) an den Hofrath von Haan abgetreten hatte,
und Martini verarbeiteten die eingelangten Gutachten und legten
einen neuen Entwurf des Ganzen in den Jahren 1794 — 1796 dem
Kaiser Franz IL vor. Dieser genehmigte denselben und erklärte ihn
durch Patent vom 13. Februar 1797 zum Gesetz für das erst kürzlich
bei der dritten Theilung Polens erworbene Gebiet von Westgalizien,
unter Aufhebung der früheren Privatrechtsgesetze und Gewohnheits-
516 Österreichische Reichsgeschichto. II. Theil. Fünfte Periode. § 62.
rechte. Durch Patent vom 18. September 1797 wurde die Geltung
auch auf das heutige Königreich Qalizien ausgedehnt, das damals
Ostgalizien genannt wurde. (§ 61, 9.)
9. Die Einfülirung in Galizien war nur versuchsweise zur
Erprobung des Entwurfs erfolgt, man rechnete darauf, dass sich bei
der praktischen Anwendung noch mancherlei Zweifel ergeben würden
und bildete eine neue Commission, in welche der Appellationsrath
und Professor Franz Alois von Zeiller*^ als Referent berufen wurde.
In 132 Sitzungen vom 21. December 1801 bis 22. December 1806
wurde die erste Lesung zu Ende gebracht, die einen vom west-
galizischen Gesetz vielfach abweichenden Entwurf lieferte, obwohl
Veränderungen nur aus dringenden Gründen vorgenommen werden
sollten. Die zweite Lesung vom 4. Mai 1807 bis 14. Jänner 1808 in
28 Sitzungen ergab wieder einen neuen Entwurf. Obwohl die
Redactoren damit so ziemlich ans Ende ihrer Arbeit gelangt zu
sein hofften, wurde noch eine „Superrevision* angeordnet, die in
14 Sitzungen vom 13. November 1809 bis 22. Jänner 1810 vor-
genommen wurde. Erst als die Anstände behoben waren, welche
die Hofkammer in Hinblick auf den unausweichlichen Staats-
bankerott gegen den Wortlaut der Abschnitte über das Darlehen
erhoben hatte, erfolgte am 1. Juni 1811 die kaiserliche Sanction des
Gesetzes, worauf die Kundmachung in den deutschen Erblanden im
damaligen Umfange mit der Wirkung vom 1. Jänner 1812 ergieng. In
den übrigen österreichischen Gebieten, welche dazumal zu Bayern
oder zum Königreich Italien gehörten, wurde das Gesetz erst nach
deren Rückerlangung in den Jahren 1814 — 1820, durch k. Patent
vom 7. März 1852 in Krakau und am folgenden 29. November auch in
Ungarn und dessen Nebenländern eingeführt. In Ungarn ist dasselbe
allerdings schon nach wenigen Jahren außer Kraft gesetzt worden,
nicht aber in dessen Nebenländern Siebenbürgen und Croatien, wo
das a. b. G.-B., allerdings ohne die neueren österreichischen Nach-
tragsgesetze, die Grundlage des geltenden Privatrechts geblieben ist.*
' Geb. 14. Jänner 1751 zu Graz, wo er auch durch drei Jahre Jura
studierte, 1774 Substitut des Freiherm v. Martini, 1782 als Ordinarius Nach-
folger desselben für Naturrecht und Institutionen, 1787 Ordinarius für Strafrecht,,
seit 1804 wirklicher Hofrath bei der obersten Justizstelle, t 10*28, 23. August zu
Hietzing bei Wien. Wurzbach, Bd. 59, 283.
» Pfaff und Hofmann, S. 44.
Publication des a. b. G.-B. Gerichtsordnung von 1781. 517
10. Nach dem ursprünglichen Plane sollte der Codex There-
sianus als vierten Theil eine Gerichtsordnung enthalten. Dies
war der Grund, weshalb die Verfassung einer Gerichtsordnung
der schon erwähnten Compilations-Commission zugewiesen wurde.
Referent war Holger, der an seiner Aufgabe schier verzweifelte,
als auf seine am 4. April 1768 gestellte Vorfrage, ob man sich
mit zwei Instanzen begnügen könne und bloß gegen verschieden
ausgefallene Entscheidungen die Revision an die oberste Justiz-
stelle zulassen solle, aus allen Ländern die Antwort eintraf, dass
man an der Gerichtsverfassung nichts ändern könne, weü sie mit
der Länderverfassung eng verknüpft sei. Holger ersuchte darum im
Jahre 1772 mit Anführung seines Alters und seiner Beschäftigung
mit dem Codex Criminalis um Ersetzung durch eine jüngere Kraft.
Abschlägig beschieden, legte er am 22. Juli 1772 das Inhaltsver-
zeichnis der künftigen Gerichtsordnung vor und erbat sich zugleich
die Entscheidung über 10 Punkte, in welchen österreichisches und
böhmisches Processrecht sich gegenüber standen; noch andere
24 Vorfragen folgten im Verlauf der Arbeit. Auf ein neuerliches
Ersuchen Holger's um Enthebung erfolgte dann im Jahre 1774 die
Ernennung des Regierungsrathes Jos. Hyazinth Froidevo® zum
Referenten. Damit war ein entscheidender Wendepunkt in der
Arbeit eingetreten. Am 19. April 1774 eretattete dieser sein erstes
Referat in der Compilations-Commission, die übrigen in rascher
Folge, so dass der fertige Entwurf in 446 Paragraphen schon am
5. September 1775 der Kaiserin vorgelegt w^erden konnte. Obwohl
die Genehmigung durch die Kaiserin am 5. September 1776 erfolgte
und die Drucklegung des Gesetzes mit dem Datum 31. October 1776
schon angeordnet war, wussten doch die Gegner einer einheitlichen
Gesetzgebung in Österreich, die bis in die oberste Justizstelle
reichten, die Kaiserin zur Rücknahme ihrer Sanction zu bewegen.
Die Publication der allgemeinen Gerichtsordnung als Gesetz für
die altösterreichischen und böhmischen Erblande erfolgte darum
erst durch Kaiser Joseph II. nach neuerlichen Berathungen am
1. Mai 1781.
11. Schon bald nach dem Erscheinen der allgemeinen Gerichts-
ordnung machten sich gewisse Mängel derselben bemerklich, welche
^ Geb. 1735, 15. Aug., zu Arlesheira in der Schweiz, 1764 österr. Fisc.-Adj.,
1782 Hofrath, f 1811, 15. August, zu Weidling bei Wien. - Wurzbach, IV, 381.
518 Österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Fünfte Periode. § 62.
unter Kaiser Leopold II. den Auftrag zum Entwurf eines neuen
Gesetzes veranlassten. Derselbe kam erst nach dessen Tode zu-
stande, wurde den Universitäten und Gerichten zur Begutachtung
mitgetheilt und nach neuerlicher Durchsicht durch die Gesetz-
gebungs-Hofcommission vom Kaiser Franz IL am 19. December 1796^
vorläufig für Westgalizien publiciert. Principielle Unterschiede
zwischen der allgemeinen und der westgalizischen Gerichtsordnung
bestehen nicht, die bedeutend größere Paragraphenzahl (619 gegen
437 Paragraphe) erklärt sich durch Beifügung von vier neuen Haupt-
stücken (über Fristen, Process in Wechsel- und Bergwerksstreitig-
keiten und vor Militärgerichten), sowie dadurch, dass die bi&
Ende 1796 ergangenen Nachträge zur allgemeinen Gerichtsordnung
in den Text der westgalizischen unmittelbar aufgenommen wurden.
Man kann darum sagen, dass in Österreich, wie bezüglich der
Gerichtsverfassung und der meisten Processarten Rechtseinheit, so
bezüglich des ordentlichen schriftlichen und mündlichen Procesaes
und des Verfahrens in Handels- und Bergstreitigkeiten Gleich-
förmigkeit hergestellt wurde. ^°
Im heutigen Königreich Galizien und der Bukowina w^urde
die westgalizische Gerichtsordnung erst durch das Patent vom
15. Jänner 1807 zum Gesetz, sie w^urde ferner 1814 in Tirol und
Vorarlberg, 1815 in Istrien und Dalmatien, im Jahre 1816 in Salzburg
eingeführt und erlangte für Krakau neuerdings Gesetzeskraft im
Jahre 1852.
12. Die Idee, ein gemeinsames österreichisches Straf recht zu
schaffen, bestand im Jahre 1752 noch nicht. Sie ergab sich erst im
Verlauf der Thätigkeit der Compilations-Commission, die sich an-
fänglich auf eine Combinierung der peinlichen Gerichtsordnungen
für Österreich unter der Enns, der Ferdinandea, mit der für Böhmen
erlassenen Josephina beschränkte und bei dieser Gelegenheit auf
einen Reformentwurf der Ferdinandea Rücksicht nahm, der infolge
eines Hofbefehls vom Jahre 1726 durch Bartenstein und Dobblhof
ausgearbeitet worden war. Als Referenten waren zuerst Azzoni und
Pöck, seit 1759 Pelser und Mühlendorf thätig. Nach Azzoni's Tode
wurde dies Amt 1761 auf Holger übertragen, ^weil er ein ge-
^" Can stein, 204, ebcndort S. 187 die wichtigsten Untei-schiede beider
Gericlitsoi'dnungen. Vorübergehende Bedeutung hatte eine kleine Gerichtsordnung,
die am 15. Juni 1774 für Galizien erlassen wurde. S. 184. Doniin, 51.
Die Strafgesetzgebung: Theresiaiia, Gesetze Joseph's II. 519
schwinder Arbeiter ist", der den ersten Theil am 11. März 1766
und ein Jahr darnach den zweiten Theil vorlegte. Die Publication
dieser „Theresiana"* genannten Halsgerichtsordnung als Gesetz fiir
die altösterreichischen und böhmischen Erblande und für die Militär-
gerichte erfolgte am 31. Deceraber 1768 mit der Wirksamkeit vom
1. Jänner 1770 an. Bald zeigte sich jedoch die Noth wendigkeit, das
Strafrecht auf neue Grundlagen zu stellen. Am 2. Jänner 1776
wurde die Folter auf Betreiben von Sonnenfels und des Tiroler
Kanzlers Hormayr aufgehoben, am 17. Februar 1777 ergieng der
kaiserliche Auftrag, Arbeitsstrafen als Ersatz der Todesstrafe in
Vorschlag zu bringen. Beides wurde, vom Standpunkt der Ab-
schreckungstheorie, aus in dem Josephinischen „allgemeinen Gesetz-
buch über Verbrechen und derselben Bestrafung" vom 13. Jänner
1787 in grausamer Härte verwirklicht. In grundlegender Weise
wurde in diesem Gesetze die von Zeiller und Sonnenfels vertretene
Scheidung des criminellen Unrechts vom polizeilichen anerkannt.
Gegenstand des Gesetzes waren im ersten Theil „Criminal-Ver-
brechen", d. h. Handlungen, bei welchen die Absicht auf Verletzung
der Sicherheit im gemeinen Wesen gerichtet war, während schwere
polizeiliche Vergehen, damals „politische Verbrechen genannt",
im zweiten Theil behandelt wurden. Am 17. Juni 1788 wurde
eine „Criminalgerichtsordnung" in 304 Paragraphen kundgemacht,
nachdem schon vorher (12. Februar 1787) eine „Instruction für
die politischen Behörden über die Anstrengung einer Inquisition,
Aburtheilung und Strafvollziehung wider einen eines politischen
Verbrechens Beschuldigten" ergangen war.
13. Das Bedürfnis nach einem neuen Strafgesetz stellte sich
indessen bald genug heraus, weil die eingeführten Strafver-
schärfungen allgemeinem Unwillen begegneten. Schon wenige
Monate nach dem Tode Kaiser Joseph's II. hob das Hofdecret vom
7. Mai 1790 die öffentliche Züchtigung mit Schlägen, die Brand-
markung und Anschmiedung auf, das Schiffziehen als Strafe wurde
am 19. Juli desselben Jahres aufgehoben, am 12. März 1792 ano-
nyme Anzeigen für verworfen erklärt, dagegen die Todesstrafe
1795 wieder eingeführt. Inzwischen war die Umarbeitung gefördert
worden und am 1. Juni 1796 wurden die vorgelegten Entwürfe
eines Strafgesetzes und einer Strafprocessordnung, die sich beide
nur auf „Verbrechen'' bezogen, für Westgalizien als Gesetz kund-
520 Österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Fünfte Periode. § 62.
gemacht. Zugleich wurden in den übrigen Erblanden außer Ungarn
Commissionen zur Begutaclitung des Gesetzes ernannt und deren
Äußerungen der Hofcommission zur Erwägung übermittelt. Referent
für den ersten Theil, der in 28 Hauptstücken das Strafrecht, in
19 Hauptstücken den Straf process für Verbrechen behandelte, war
Zeiller, den zweiten Theil über , schwere Polizeiübertretungen", die
im Josephinischen Gesetz „politische Verbrechen* hießen, arbeitete
Sonnenfels aus. Am 3. September 1803 wurde das Ganze unter
dem Titel , Gesetzbuch über Verbrechen und schwere Polizeiüber-
tretungen" für alle deutschen Erblande kundgemacht.
14. Mit den drei Hauptgesetzen von 1781, 1803 und 1811 hat
in ÖsteiTeich die mit der Regierung der Kaiserin Maria Theresia
beginnende Periode der großen Codificationen ihren vorläufigen
Abschluss gefunden. Das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch, dessen
Berathungen sich nahezu über sechzig Jahre ausdehnen, beherrscht
noch heute, fünfundachtzig Jahre nach seiner Kundmachung durch
Gesetzgebung, Wissenschaft und Praxis zeitgemäß weiter entwickelt,
in voller Frische unser Leben. Die allgemeine Gerichtsordnung hat
selbst in der revidierten jüngeren Form für Westgalizien ein volles
Jahrhundert gegolten, ehe sie durch die auf anderen Grundsätzen
aufgebauten Civilprocessgesetze vom 1. August 1895 abgelöst wurde.
Am meisten überrascht, dass auch das Strafgesetz vom Jahre
1803 in seiner Wesenheit sich bis zum heutigen Tage erhalten hat.
Obwohl schon Zeiller daran erinnert hatte, dass Strafgesetze rascher
veralten und darum wenigstens alle zehn Jahre revidiert werden
sollten, auch die Hofcommission in Justizsachen seit 1820 mit Vor-
arbeiten zu einer Revision beschäftigt war, so begnügte man sich
mit einem Flick werk von nachträglichen Verordnungen bis zum
Erscheinen des noch gegenwärtig in Kraft stehenden Strafgesetzes
vom 27. Mai 1852, das sich jedoch selbst als eine „mit Einschaltung
der durch spätere Gesetze verfügten Abänderungen und mit Auf-
nahme mehrerer neuen Bestimmungen" erweiterte neue Ausgabe
des Strafgesetzes vom 3. September 1803 bezeichnet.
16. Auf die Zeit dieser großen Gesetzgebungsarbeiten sind
Jahrzehnte gefolgt, die sich als legislativ steril erwiesen. Die
Überzeugung, nach langjährigen Mühen zu einem guten Gesetzbuch
gelangt zu sein, verleitet nur allzu leicht, dass man die immer
erforderliche Fortbildung versäumt, auf welcher die dauernde An-
Strafgesetz vom J. 1803; Aufschwang der Gesetzgebung seit 1848. 521
wendbarkeit eines Gesetzes mitten im unausgesetzt wechselnden
Leben beruht Auch die inneren politischen Verhältnisse in Öster-
reich wirkten ungünstig. Die Censur und der vormärzliche Rechts-
unterricht führten dazu, dass man die Mängel der Gesetze entweder
gar nicht oder nur obenhin berührte und bloß die Vorzüge der-
selben preisend hervorhob, der lebendige Zusammenhang mit den
Portschritten der Rechtswissenschaft des Auslands, vor allem
Deutschlands gieng dabei verloren. Zwar hatte sich der Staat schon
1790 ein bleibendes Organ für Gesetzgebungszwecke geschaffen,
die .Gesetzgebungs-Hofcommission", die seit 1808 überdies in zwei
Abtheilungen : für Justiz- und für politische Gesetze zerlegt wurde,
allein dieselbe war so zurückhaltend, dass sie wiederholte Anfragen
der Gerichte einfach durch Hinweisung auf die im Gesetze aus-
gesprochenen Grundsätze erledigte, oder nach langen Verhand-
lungen „beschloss, nichts zu beschließen und diesen Gegenstand auf
sich beruhen zu lassen". In diesem Sinne hat sie beispielsweise den
Entwurf einer Vorschrift vom Jahre 1821 über Ungarns Verhältnis
zu Österreich in strafrechtlicher Beziehung im Jahre 1841 ! erledigt."
17. Eine Wendung zum Bessern bereitete sich in den Vierziger
Jahren langsam vor. Das kaiserliche Patent vom 19. October 1846
zum Schutze des literarischen und artistischen Eigenthums, das
erst durch das Gesetz vom 26. December 1895 außer Kraft trat,
rauss, nach der Zeit und den Umständen seiner Entstehung beurtheilt,
als ein bedeutendes Werk der Gesetzgebung anerkannt werden. Noch
erfreulicher war, dass man in Österreich seit dem Jahre 1848 die
frühere Sonderstellung theilweise aufgab und mit den Forderungen
der in- und ausländischen Jurisprudenz in Fühlung trat. Das Jahr
1850 brachte die Publication der allgemeinen deutschen Wechsel-
ordnung für Österreich nebst einem Gesetz über das Wechsel-
verfahren, ferner eine Strafprocessordnung auf neuen Grundlagen :
Öffentlichkeit, Mündlichkeit und Ausspruch der Geschworenen, die
aber allerdings schon nach drei Jahren in der Strafprocessordnung
vom 29. Juli 1853 wieder gutentheUs verlassen und erst durch das
geltende Gesetz vom 23. Mai 1873 wieder eingeführt wurden. 1852
wurde eine Jurisdictionsnorm und 1853 eine Gerichtsinstruction
für die neu eingerichteten Justizbehörden erlassen, 1854 erflossen
11 Wahlberg, 11, 164.
522 österreichische Reichsgeschiehte. II. Theil. Fünfte Periode. § 62 u. 63.
das geltende allgemeine Berggesetz und die Vorschrift über das
Verfahren außer Streitsachen, 1850, 1855 und 1871 Notariats-
ordnungen, 1855 und 1859 die Normen für den Mandatsprocess,
1858 für das Verfahren in Bestandstreitigkeiten, 1871 das neue
Grundbuchsgesetz, 1873 das Bagatell- und Mahnverfahren u. s. w.
1 8. Diese größere Lebhaftigkeit der österreichischen Gesetz-
gebung seit dem Jahre 1848 erklärt sich durch den in den Staats-
einrichtungen eingetretenen Umschwung. Hatten die großen Codi-
ficationen von der Mitte des vorigen Jahrhunderts an, dem Chaos
der Provinzialrechte ein Ende bereitet und zu einem in den alt-
österreichischen und den böhmischen Erblanden, wie auch in
Galizien und der Bukowina allgemein giltigen Reichsrecht geführt,
so glaubte man nach 1852 die gleichen Gesetze und Einrichtungen
auch auf Ungarn ausdehnen zu können. So gelangten also das
allgemeine bürgerliche Gesetzbuch, die Gerichtsordnung, die Aus-
gabe des Strafgesetzes vom Jahre 1852 und die meisten vor-
erwähnten Gesetze auch in den Ländern der ungarischen Krone
zur Einführung. Nach dem Jahre 1860 verloren jedoch diese
österreichischen Gesetze ihre Geltung in Ungarn, während sie
in den ungarischen Nebenlanden: Siebenbürgen, Croatien und
Slavonien großentheils noch rechtsverbindlich blieben, ohne an
der Weiterbüdung durch Acte der österreichischen Gesetzgebung
theilzunehmen.
19. Während der Codificationsarbeiten und durch dieselben
war die gesetzgebende Gewalt in Österreich vollends in die Hände
des Herrschers gekommen, der, eine vorübergehende Episode ab-
gerechnet, bis zum Jahre 1860 als absoluter Monarch regierte. Seit
dem Gctober-Diplom (20. October 1860) ist jedoch die Mitwirkung
des Reichsraths, beziehungsweise der Landtage bei Acten der Gesetz-
gebung verfassungsmäßig erforderlich.
20. Die mit der Einführung der allgemeinen deutschen
Wechselordnung im Jahre 1850 hoffnungsvoll eingeleitete Gesetz-
gebung, welche Rechtseinheit zwischen Deutschland und Österreich
herzustellen suchte, schloss 1862 mit der Publication des aUgeraeinen
deutschen Handelsgesetzes ab, da die Arbeiten zur Herbeiführung
einer gemeinsamen Civilprocessordnung und eines gemeinsamen
Obligationenrechts im Jahre 1866 durch den Austritt Österreichs
aus dem deutschen Bunde begraben wurden.
Ausdehnung der österr. Gesetze auf Ungarn. Österreich um 1740. 523
$ 63. Die Reformen der österreichischen Staatsyerwaltung durch
die Kaiserin Maria Theresia.
Arn e t h, Maria Theresia, 10 Bde., 1863—79 ; zwei Denkschriften d. Kaiserin
Maria Theresia (Archiv f. österr. Gesch., Bd. 47). — BeerA., Finanzverwaltung
Österreichs 1749—1816 (Mitth. d. Inst. f. österr. Geschf., Bd. 15, s. auch Bd. 14
und Archiv f. österr. Gesch., Bd. 79, 81, 82 über Volkswirtschaft unter Maria
Theresia). — Beidtel J., Geschichte d. österr. Staatsverwaltung I (1740—1792),
1896, s. auch S. B., Bd. 7—9. — D'Elvert, Zur österr. Verwaltungsgesch., 1880,
S. 339 ff. — Dom in, S. 32 ff. — Herrmann A., Maria Theresia als Gesetzgeberin,
1888. — Hock-Bidermann, Der öst. Staatsrath, 1879. — Huber, Rg., 180ff. —
Kern, Die Reformen der Kaiserin Maria Theresia (im Histor. Taschenbuch 1869).
— V. Maasburg, Geschichte d. obersten Justizstelle in Wien, 1749—1848
(1879). — Seidler, 147 ff. —Wolf A., Österreich unter Maria Theresia, 1855.
1 . Unter der Regierung Kaiser Karl's VI. mangelte es nicht
an Anläufen zur Consolidierung des österreichischen Staatswesens.
Die pragmatische Sanction hatte die mannigfachen habsburgischen
Erblande in zwei große Gruppen zusammengezogen und diese im
Wege der Verfassung dauernd verbunden. Die Versuche zu noch
größerer Annäherung durch Herstellung materieller Rechtseinheit
innerhalb der durch geschichtliche Entwicklung einander näher
stehenden Lande w^aren im besten Zuge, das Bollwerk des Parti-
cularismus, die Macht der alten Stände, schon stark erschüttert.
Die Vereinheitlichung der Verwaltung hatte bereits unter Kaiser
Joseph I. manchen Fortschritt gemacht, nun aber war infolge der
Steuerreformen und der ersprießlichen Wirksamkeit der Wiener
Stadtbank sogar im Finanzwesen unverkennbare Erholung ein-
getreten, im Jahre 1724 selbst das , chronische Deficit" vorüber-
gehend geschwunden. Durch die unglücklichen Kriege des Kaisers
in der zweiten Hälfte seiner Regierung giengen jedoch diese Vor-
theile großentheils verloren und zur Zeit, da Maria Theresia ganz
unvorbereitet zum Antritt der Herrschaft nach ihrem Vater berufen
wurde, waren die Zustände in Österreich zerrütteter als schon
lange. In diesem Augenblick erwiesen sich die alten Stützen des
habsburgischen Regiments, auf welche man noch eben erst bei
Aufrichtung der pragmatischen Sanction vertraut hatte, als un-
brauchbar. Das Reich musste, um überhaupt fortbestehen zu können,
524 österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Fünfte Periode. § 63.
auf eigene Füße gestellt werden. Mittel und Wege zu diesem
Übergang zu finden, war die große Aufgabe, die der Kaiserin
Maria Theresia zufiel und die sie mit großem Geschick und Glück
löste. Auf den von ihr errichteten Grundlagen beruht noch heute
gutentheils die Verwaltung des KaiseiTeiehs.
2. Schon w^ährend des Erbfolgekrieges hatte Maria Theresia in
den Jahren 1742/44 die Organisierung des behaupteten Theiles von
Obei-schlesien angeordnet, indem sie ein ihre Pei-son repräsentie-
rendes Landesguberniura mit coUegialer Verfassung zur Besorgung
„des Provinciale, Contributionale und aller anderen Publica" ein-
setzte. Die eigentlichen Reformen begannen jedoch erst nach dem
Aachener Frieden. In dem Kampfe gegen Europa hatte die Kaiserin
ihre Erblande bis auf den Verlust von Schlesien und Parma behauptet,
aber auch die Einsicht gew^onnen, dass eine gründliche Umstaltung
der Staatseinrichtungen unbedingte Nothwendigkeit sei. In einer
für ihre Kinder aus „mütterlicher Wohlmeinung" ausgearbeiteten
Denkschrift spricht sie es offen aus, dass sie schon nach dem
Dresdener Frieden (1745) ihre „Gedenkens Art geändert und solche
allein auf das Innerliche deren Länder gewendet, um die erforder-
lichen Maaß-Reguln zu ergreifen, wie die Teutschen Erblande von
denen so mächtigen beiden Feinden, Preußen und Türeken bey
ermangelnden Festungen und haaren Gelde auch geschwächten
Armeen noch zu erhalten und zu beschützen wären"*. In der That
hatte ja gerade der König von Preußen der Kaiserin Maria Theresia
gegenüber am eindringlichsten bewiesen, welche politisch-militä-
rische Kraft selbst ein verhältnismäßig kleiner und schlecht ver-
theilter Staat, bei guter Verwaltung in den Händen eines absoluten
Monarchen zu entfalten vermöge.
3. So trafen also der Zwang der augenblicklichen Lage, die
Erkenntnis der Fehler an welchen das Staatswesen krankte, und
der vor tiefgreifenden Änderungen nicht zurückschreckende kräftige
Wille der Herrscherin zusammen, und auch der richtige Rathgeber
war vorhanden, Graf Friedrich Wilhelm von Haugwitz, der, wie die
Kaiserin selbst schreibt, ihr , wahrhaftig durch die Providenz zu-
geschicket worden; dann just umb durchbrechen zu können (ich)
einen solchen Mann haben mußte, der ehrlich ohne Absicht noch
praedilection und ohne ambition noch Anhang, der das Gute weil
es gut erkennet wird, soutenieret".
Beginn der Reformen M. Theresia'», Graf Haugwitz. 525
4. Die Neuerungen begannen zunächst dort, wo sie unab-
weislich waren, beim Heereswesen. Es zeigte sich jedoch bald, dass
dem ersten Schritte tiefeingreifende Maßregeln auf andern Gebieten
zu folgen hatten. Um den Unterhalt des erhöhten Truppenstandes
sicherzustellen, mussten einerseits die Staatseinkünfte erhöht, anderer-
seits neue staatliche Organe bestellt werden. Ersteres von beiden
führte im weiteren Verlauf zur Regelung des Steuer wesens unter
Zurückdrängung des ständischen Einflusses und zur Erleichterung
der Lage des Bauernstandes, letzteres zu einer Reorganisierung
des landesfUrstlichen Behördenwesens. Mit und neben ergaben sich
Anlässe, die staatlichen Gerechtsame gegenüber den Ansprüchen
der Kirche schärfer heiTorzukehren, das gesammte Unterrichts-
wesen der staatlichen Obsorge zuzuwenden, die Arbeiten zu ein-
heitlicher Codificierung des Rechts zu beginnen, die Aufgaben der
staatlichen Wohlfahrtspflege zu verfolgen u. dgl. m. So dehnte sich
der Kreis der Umstaltungen auf dem Boden der altösterreichischen
Erblande und in der durch den Verlust von Schlesien verkleinerten
böhmischen Ländergruppe stetig aus, bis durch eine Häufung von
Verwaltungsmaßregeln die Macht der Stände völlig gebrochen wurde.
Von da ab standen der Ausbildung eines einheitlich organisierten
und verwalteten Staatswesens in den nun s. g. „deutschen Erb-
landen" keine wesentlichen Hindernisse mehr im Wege. Die bunt-
scheckigen Einrichtungen in dem Ländermosaik der habsburgischen
Erblande verschwanden und es erhoben sich die gesicherten Grund-
lagen eines zunächst im Geiste des aufgeklärten Absolutismus^
regierten Einheitsstaates Österreich.
5. Entscheidend für die weitere Entwickelung des Reiches
war, dass Maria Theresia Ungarn bei ihren auf Umstaltung der
bestehenden Verwaltungs - Einrichtungen abzielenden Maßregeln
außer Spiel ließ. Sie erkannte sofort bei ihrer Thronbesteigung,
dass ihre Stellung diesem Lande gegenüber eine ganz andere
sei, als gegenüber den deutschen und böhmischen Erblanden und
richtete sich darnach. Maßgebend für sie waren die Umstände, unter
welchen die pragmatische Sanction, die Grundlage ihrer Herrscher-
rechte in Ungarn, hier zur Annahme gelangt war. Lag schon in
der Art und Weise, wie nach dem Begehren der ungarischen Stände
alle westlichen Erblande einerseits und Ungarn andererseits als
Paciscenten auftraten, eine Zweitheilung der Verfassung und Ver-
526 Österreichische Reichsgeschichte. II. ThoU. Fünfte Periode. § 63.
waltung vorgebildet, so hatte Gesetzartikel III vom Jahre 1722/23
überdies den Ungarn die Aufrechthaltung der hergebrachten Rechte
in einer auch die Nachfolger bindenden Weise anerkannt. Maria
Theresia erklärte darum schon im Entwurf des Inauguraldiploraa
ihre Bereitwilligkeit, in diesem Sinne den Krönungseid zu leisten.
Sie gieng jedoch noch weiter und suchte durch offen gezeigtes
Zutrauen das Gefühl dynastischer Anhänglichkeit in Ungarn zu
befestigen, um jener Politik auswärtiger Mächte, zumal Frankreichs
den Boden zu entziehen, die mit der schwankenden Treue dieses
Volkes als politischem Factor bisher gerechnet hatten.
6. Leicht gemacht wurde ihr übrigens die Erfüllung dieser
Aufgabe nicht, denn auf dem ungarischen Reichstag vom Jahre 1741
herrschte die Absicht vor, den günstigen Augenblick zu einer aus-
giebigen Einschränkung der Regierungsgewalt zu nützen. Maria
Theresia „fühlte die ganze Gefahr ihrer Lage und empfand es
schmerzlich, dass die Ungarn ungroßmüthig genug w^aren, die
Bedrängnis ihrer Königin zur Erpressung neuer Zugeständnisse
ausbeuten zu wollen." Sie so gut, wie ihre deutschen Berather
sträubten sich, jene nothwendigen Zugeständnisse an die Interessen
des Gesammtreiches aufzugeben, die selbst die Regierung ihrer
Vorgänger zu erringen und zu behaupten wusste, und die man jetzt
anfocht. Noch weniger sollte die Herrschergewalt der ungarischen
Könige über das bisherige Maß hinaus eingeschränkt werden.
Nach langen Verhandlungen musste die Königin, gegen ihre
^ Überzeugung, so manchen Forderungen nachgeben, so wenig auch
einige, wie das Privilegium der immerwährenden Steuerfreiheit des
Adels, mit den wahren Interessen des Staates vereinbar erschienen,
allein sie war zu gewissenhaft, um selbst diese später anzufechten.^
7. Die Reformthätigkeit der Kaiserin hat sich daher auf ihre
deutschen und böhmischen Erblande beschränkt. Hier sind nun
zuerst die Umstaltungen des Behördenwesens zu erwähnen, die
von den obersten Stellen bis zu den Unterbehörden sich erstreckten.
In ihrer vorerwähnten Denkschrift beklagt sich Maria Theresia
wiederholt über die Zerfahrenheit des Dienstes, die sie bei ihrem
Regierungsantritte vorgefunden habe. „Die Disharmonie zum
1 Arneth, I, Cap. 10, 11. — Im königl. Rescript vom 23. Juni 174:1 ver-
sprach Maria Theresia nochmals (wie schon 1723 geschehen), y,q%iod ad nonnam
aliarum provinciarum non guhemantur*^ . Kern, 101 ff., 197, Anm. 6.
M. Theresia und Ungarn. Trennung der Justiz v. d. Verwaltung. 527
Schaden meines Dienstes wäre so groß zwischen denen sämmt-
lichen Stellen", bemerkt sie einmal, „daß ich wie meine Vorfahren
bemüßiget wäre, meine mehreste Zeit zu Schlichtung dieser dienst-
schädlichen Disputen anzuwenden. Die größte Erbitterung wurde
von Seiten der Ministerii allezeit gegen die Hof-Cammer gerichtet,
und fast alle in Uneinigkeit stehende Ministri kämmen darinnen
überein, solche zu unterdrucken". Als das Hauptübel aber be-
zeichnete sie, „daß schon zu selbigen Zeiten mehrere Ministri nur
auf ihr eigenes Land gesehen. Es wäre femers ein großer dienst-
schädlicher Mißbrauch, daß die Capi und Vorsteher von denen
Ständen bezahlet und beliebig remuneriret worden**, wodurch diese
in eine „beständige Dependenz" von den Ständen geriethen, auch
hätten sich die Ministri ihrer Vorfahren „nur des erworbenen
starken Credits, weniger einer zu Beförderung des Dienstes ge-
reichenden Politique" als dazu „bedienet, um das eigene Convenienz
zu befördern und die Ministerial- Chargen auf ihre Familie und
Befreundte fortzupflanzen".
8. Am 15. Jänner 1749 erfloss das kaiserliche Handschreiben,
das den wichtigen Grundsatz : Trennung der Justiz von der poli-
tischen Verwaltung aufstellte, „damit sowohl die Publica als Judi-
cialia künftighin mehrer befördert würden "" ; am 1. Mai erfolgte, um
den ewigen Zänkereien zu begegnen, die Aufhebung der öster-
reichischen und böhmischen Hofkanzleien und die Einrichtung
zweier neuer Centralstellen für die Erblande und Böhmen, der
obersten Justizstelle als Revisionsinstanz und höchste Behörde in
Angelegenheiten der Justizverwaltung anstatt der Hofkanzleien
und des Directorium in Internis (auch Directorium in Publicis et
Cameralibus) als höchste Verwaltungsbehörde in allen Angelegen-
heiten mit Ausnahme der auswärtigen und des Militärs. Weit
genug war der Wirkungskreis des Directoriums, dem als Organe der
Landesverwaltung in den Provinzen die sogenannten Repräsen-
tationen (siehe unten 11) untergeordnet waren. Lange Zeit erstreckte
er sich selbst auf das Finanzwesen und einen Theil der Steuer-
verwaltung, da die Hofkammer auf Ungarn und den Hofstaat
beschränkt wurde. Für Handel und Gewerbe bestand eine eigene
Commerzien-Hofcommission, für das Heer der Hofkriegsrath, der
im Jahre 1753 reorganisiert wurde; die auswärtigen Angelegen-
heiten wurden von der Staatakanzlei geleitet, welche 1742 von der
528 Österreichische Reichsgeschiehte. II. TheiL Fünfte Periode. § 63.
Österreichischen Hofkanzlei (§ 53, 6) als selbständige Behörde
abgetrennt worden war und 1753 nach den Vorschlägen des neu-
ernannten Staatskanzlers Grafen Kaunitz zur k. k. geheimen Haua-,
Hof- und Staatskanzlei umgestaltet wurde.
9. Neben Haugwitz machte sich in den Reformen der Kaiserin
allmählich der Einfluss des Staatskanzlers Grafen (seit 1763 Fürsten)
Kaunitz immer stärker geltend. Auf sein Betreiben wurde Ende
1760 der österreichische Staatsrath ins Leben gerufen, damit dieser
als „Baudirector" dem Bauherrn bei der Neuherstellung des alten
Hauses zur Seite stehe. Wiewohl Haugwitz, so lang er lebte (+ 1765)
die Seele dieses neuen Staatsrathes war, so erfolgte die Neu-
gestaltung der Centralbehörden doch im ganzen nach den Vor-
schlägen des Staatskanzlers, die am 20. November 1761 dem
Staatsrathe vorgelegt wurden. Bei aller Anerkennung der von
Haugwitz in der Verwaltung eingeführten , Verbesserungen **, welche
Kaunitz auch später noch, z.B. 1763 gegenüber den Bemühungen
des böhmischen Adels um Wiederherstellung des alten ständischen
Regiments nachdrücklich in Schutz nahm, wies er auf die Un-
übersichtlichkeit des Systems als Hauptmangel hin. Früher habe
es nur vier Hofstellen: die österreichische und böhmische Hof-
kanzlei, Hof kammer und Hofkriegsrath gegeben, seither sei deren
Zahl auf 18 angewachsen. Trotz dieser Zersplitterung habe man
andererseits wieder Dinge vereinigt, wie z. B. die Hof kammer mit
der Banco-Deputation, die besser getrennt geblieben wären. Die Tren-
nung der Justiz von der Verwaltung sei beizubehalten, andererseits
sei nothwendig die Beschränkung des Directoriums auf die eigenen
Verwaltungssachen, die Einrichtung einer Hof kammer, General-
casse und einer Rechnungskammer, eine Reorganisation des Hof-
kriegsrathes und eine solche des Commerzdirectoriums, bei welcher
aber den Kauf leuten und Industriellen wenigstens einiger Einfluss
auf die Leitung der sie selbst betreffenden Geschäfte gegönnt
werden sollte.
10. Seit Beginn des Jahres 1762 gab es daher für die deutsch-
böhmischen Erblande folgende oberste Verwaltungsbehörden:
a) Die geheime Haus-, Hof- und Staatskanzlei als Ministerium
des Äußern und des kaiserlichen Hauses. Demselben untergeordnet
waren auch das im Jahre 1749 errichtete Haus-, Hof- und Staats-
archiv und die orientalische Akademie (1754).
Oberste Verwaltungsbehörden; die Landes Verwaltung. 529
b) Der Hof kriegsrath mit seinen drei Abtheilungen : Militare
publico-politicum, Militare judiciale und Militare oeconomicum.
c) Das Directorium in publicis et caraeralibus, das seine Wirk-
samkeit in Finanzsachen verlor, wurde als oberste Verwaltungs-
behörde imter dem Titel einer vereinigten k. k. böhmisch-öster-
reichischen Hofkanzlei eingerichtet. Im Jahre 1776 wurden ihr
überdies die Geschäfte der 1774 eingesetzten, aber nach zwei Jahren
wieder aufgehobenen galizisch-lodomerischen Hof kanzlei übertragen.
d) Die seit 1749 bestehende oberste Justizstelle vereinigte
die Aufgaben des obersten Gerichtshofes mit jenen des Justiz-
ministeriums und sollte namentlich auch in Sachen der bürger-
lichen und Strafgesetzgebung wirksam sein.
e) Die k. k. Hof kammer zur Oberaufsicht, Leitung und Ver-
besserung sämmtlicher Cameralgefälle und Landtagscontributionen.
f) Die deutsch-erbländische Creditsdeputation zur Leitung des
gesammten Staatsschulden- und Creditwesens, übernahm vorerst
auch die Aufgaben einer Generalcasse.
g) Die Hofrechnungskammer zur Controle der Einnahmen und
Ausgaben des Staates und obersten Leitung des ganzen Staats-
rechnungswesens.
h) Der Staatsrath als berathende Behörde ohne Executive.
11. Hand in Hand mit der Reform der Centralbehörden gieng
auch die Umstaltung der Landesverwaltung, die jetzt völlig neue
Grundlagen erhielt. Die geheime Stelle, beziehungsweise der ge-
heime Rath zu Graz und Innsbruck wurden aufgehoben und die
Trennung der Justiz von den politischen Gegenständen in der Art
vollzogen, dass die Justiz den früheren Behörden verblieb, die poli-
tischen und Cameralsachen aber ausgeschieden und neuen Landes-
behörden übertragen wurden. Diese, welchen die Kaiserin den
Charakter einer Vertretung der Person des Herrschers selbst bei-
legte, waren der obersten Verwaltungsbehörde in Wien (erst
dem Directorium, später der vereinigten böhmisch-österreichischen
Hofkanzlei) unmittelbar untergeordnet und hießen anfänglich De-
putation, dann durch längere Zeit Repräsentation und Kammer.
Später wurden sie in Böhmen, Mähren, Steiermark und Tirol
^Gubernium", in Österreich unter der Enns „Regierung**, im Lande
ob der Enns, Kärnten und Krain „Landeshauptmannschaft** genannt.
Ihre Einrichtung blieb unter Maria Theresia insofern unverändert,
Luschin, österreichische Reichsgeschichte. 34
530 österreichisclie Reichsgeschichte. II. Theii. Fünfte Periode. § 63.
als man die Gliederung der bei ihnen angestellten Räthe nach dem
HeiTen-, Ritter- und Gelehrtenstande noch beibehielt, obgleich man
sie bei den sogenannten Hofstellen oder Ministerien als widersinnig
und unzweckmäßig schon aufgegeben hatte.^
12. Den Unterbau der politischen Verwaltung bildeten die
Kreisämter. Es wurde bereits (§ 53, t6) erwähnt, dass die in
Böhmen von den Landständen getroffene Kreiseintheilung nebst den
Kreishauptleuten allmählich den Zwecken staatlicher Verwaltung
dienstbar gemacht wurde. Seit 1747 begann Maria Theresia auch
eigene Kreisämter zu errichten, welche sie bis zum Jahre 1756 nach
und nach in allen deutschen Erblanden einführte. Während die
Landesbehörden CoUegial -Verfassung hatten, war bei den Kreis-
ämtern bloß der Kreishauptmann für den Geschäftsgang verant-
wortlich, daher ihm auch anfänglich die Aufnahme und Bezahlung
des Hilfspersonals überlassen blieb ; später wurde dasselbe vermehrt
und besser bezahlt, zugleich aber 1766 die Kenntnis der Polizei-
wissenschaften, auch „kreisämtliche Wissenschaften*" genannt' für
die Bedienstungen an den Kreisämtern vorgeschrieben.
Die Kreisämter waren Mittelbehörden zwischen der Landes-
stelle und den Ortsobrigkeiten. Sie hatten als Hauptaufgabe zu
sorgen, dass die von den Centralstellen und den Landesbehörden
ausgehenden Anordnungen im Kreise pünktlich ausgeführt wurden
und namentlich den bäuerlichen Unterthanen Schutz gegen Be-
drückungen durch die Grundherrschaft angedeihen zu lassen. Da
nun die Reformthätigkeit der Kaiserin sich auf Schul- und Straßen-
wesen, Handel und Gewerbe, geistliche Angelegenheiten, die
Landescultur, die Lage des Bauernstandes, Auswanderung u. s. w.
erstreckte, so wuchsen die Geschäfte der Kreishauptleute und all-
mählich auch jene der Landesbehörden immer mehr an, während
die Kreisämter eine von Pfarrern, Klöstern, Herrschaftsbesitzern
und Privatbeamten sehr gefürchtete Behörde wurden.*
2 Arneth, IX. 337, Seidler, 154, Wolf, 239.
3 Dieselben waren Gegenstand von Lehrvorträgen und erschien 1776 zu
Prag eine Einleitung z. „ki'eisämtlichen Wissenschaft" von Joh. v. Mayern mit
den Abtheilungen „in contributionali in publicis und in militari,"'
* Die anonym erschienene, ungemein bissige Satyre ; Pontius Pilatus, Land-
pfleger im Judenlande oder: Ein kleiner Beitrag zu kreisämtlichen Wissen-
schaften (2. Aufl. 1786) schildert diese Verhältnisse in Böhmen.
Kreisämter, die königl. Repräsentation und die Landstände. 531
13. Wie die Kreisämter den Grundherrschaften, so war die
königliche Repräsentation und Kammer den Landständen aufs tiefste
verhasst. Mit ohnmächtigem Grimm sahen diese ihren Einfluss im
Lande unaufhaltsam schwinden und den Wirkungskreis der landes-
furstlichen Behörden wachsen. Fühlten sich die Landstände durch
das zielbewusste Vorgehen der Kaiserin erst bloß beschränkt in
ihrer Thätigkeit, so fehlte es später nicht an Klagen über Ein-
griffe in die Landesverfassung. Maria Theresia hingegen glaubte
annehmen zu dürfen, dass es mit den Privilegien und Landes-
freiheiten, die ja damals thatsächlich auf eine Privilegierung des
landständischen Adels und des kirchlichen Großgrundbesitzes hinaus-
liefen, denn doch nicht so weit her sei, als es von den Lands-
mann-Ministem, „denen Landesfürsten so schreckhaft vorgebildet"
werde. Denn diese „so hoch angerühmte Privilegia fundiren sich
bey der Sachen genauer Einsicht meistens nur auf denenselben
werkthätig nur connivendo eingestandene und von denen ante-
cessoribus confirmirte Gewohnheiten" und da in den Bestätigungs-
briefen „die Wörter wohlhergebrachte Gewohnheiten sich aus-
gedruckter befinden, so kann derenselben Beybehaltung mit guten
Recht nur auf die gute, nicht aber die übel hergebrachte Gewohn-
heiten verstanden werden." Auch sei es „gewiss, dass in keinem
Lande die'Stände ihre Freiheiten jemals so hoch angezogen haben
würden, wann nicht selbige von denen Ministris, da deren Autorität
und Ansehen lediglich davon abgehangen, kräfftigst wären unter-
stützt worden."
14. Die Formen des Ständewesens blieben demungeachtet
während der Regierung der Kaiserin erhalten, ja sie wurden sogar
1775 in dem neuerworbenen Galizien nach dem Muster der deutschen
Erblande neu eingeführt. Allein es fiel Maria Theresia nicht so
schwer, die Stände ihrem Einflüsse zu unterwerfen, da sie von
Anbeginn ein freies Ernennungsrecht der „Capi" der Landstände
für sich in Anspruch nahm und nur solche Personen an die Spitze
der ständischen Verwaltung berief, deren sie völlig sicher war. So
wurde schon 1742 in Krain Graf Anton Josef von Auersperg „ohne
vorgehenden Vorschlag der löblichen Landstände" zum Landes-
hauptmann ernannt, der nach den handschriftlichen Mittheilungen
eines Zeitgenossen so tief verschuldet war, dass er den Forderungen
des Grafen Haugwitz gegenüber keinen ernstlichen Widerstand zu
34*
532 Osterreichische Rcichsgeschichte. II. Theil. Fünfte Periode. § 63.
leisten wagte.^ „Bei der im März 1747 angeordneten Landes-
einrichtung ist er zwar Landeshauptmann verblieben, aber die ganze
politische Regierung des Landes an die aufgestellte Repräsentation
und Kammer, die Herrn Joh. Seyfrid Grafen von Herberstein zum
Prsesidenten hatte, übertragen worden", meldet ein zweiter. In
anderen Fällen wie in Mähren besetzte sie diese Posten mit Per-
sonen, auf deren persönliche Ergebenheit sie bauen konnte, stieß
sie aber auf Widerstand, wie 1748 in Österreich ob und unter der
Enns, so kam es selbst zur Einsetzung eines landesftiratlichen
Commissärs. Am schärfsten gieng wohl die Kaiserin gegen die
Stände in Kärnten vor, von welchen sie im Jahre 1748 eine Er-
höhung des bisherigen Militär-Beitrags von 200.000 fl. auf mehr
als das Doppelte verlangte. Als die Stände, die schon zugestimmt
hatten, dies hinterher widerriefen und der Kaiserin vorschlugen,
die ganze Mehrlast dem Landmann allein aufzubürden, erklärte sie,
dass solch ein Vorschlag nur in Unwissenheit oder Bosheit seinen
Ursprung haben könne, und verfügte kurzweg die Sequestrierung
der Landeseinnahmen und Einhebung der Abgaben jtire regio. Dies
dauerte durch zweiundzwanzig Jahre bis 1770 und dabei zeigte
es sich, dass Maria Theresia den Landständen keine übermäßige
Auflage zugemuthet hatte, denn nach Abzug der für den Staat
erhobenen Militärcontributionsquote mit 451.507 fl. 30 kr/ und Aus-
zahlung aller gebürenden Bezüge an die Landstände, verblieb noch
immer ein Überschuss von 162.331 fl. 8 kr., w^elcher zur Amorti-
sation der zwischen drei bis vier Millionen betragenden Landes-
schulden (Domesticalschulden) verwendet wurde. Dies Beispiel
wirkte. Als das Jahr darnach die Krainer eine Jahresquote von
242.457 fl. 18 kr. auf längere Zeit hinaus zugestehen sollten, und die
an Graf Chotek abgeschickten Vertrauensmänner der Stände es als
unmöglich hinstellten, ^dem Hof abverlangtes obgedachtes Quantum
per recessum zu bewilligen, sie wollten aber, sofern es der Hof
befiehlt, schuldigstermaßen alles bewilligen*', erklärte ihnen
Chotek trocken, „dass der Hof expresse befiehlt, die Stände sollten
* Ms. des Franz Freiherrn von Raigersfold im L.-Ä. Laibach s. d. 1748,
12. Jänner und 18. April 1749, dazu die Bemerkungen Breckerfeld's in dem
Ms. von Erberg's Observationes practica?, das in den Mitth. d. Jurist. GeseUschaft
zu Laibach, Bd. II, Heft 9, beschrieben ist.
Kaiserin Maria Theresia und die Landstände. 533
€s freiwillig bewilligen, welche Contradictio in Terminis", wie
Raigersfeld in seinen Aufzeichnungen bemerkt, . „sich nicht wohl
combinieren lasse". Allein der Zweck wurde erreicht, die Krainer
Landstände bewilligten am 30. September 1749 die verlangte Summe
im Recesswege und die Kärntnischen hatten wenige Tage vorher
sich zu einem Beitrag von 460.000 fl. bereit finden lassen.
15. Auf solclie Weise wurden die Landstände nach und nach
zu völliger Bedeutungslosigkeit herabgedrückt. Die Recesse banden
das Bewilligungsrecht auf Jahre hinaus und die landschaftliche
Verwaltung verkümmerte in dem Maße, als ihr die Staatsbehörden
eine Angelegenheit nach der andern abnahmen. Beschleunigt wurde
dies durch die Neugestaltung, welche die kaiserlichen Landes-
behörden seit dem Jahre 1762 erfuhren. Wohl erhoben die Stände
mehrerer Erblande scharfen Widerspruch gegen die noch stärkere
Überantwortung der Landesangelegenheiten an die vom Staat be-
soldeten und daher auch nur von diesem abhängigen Beamten,
vor allem die böhmischen Stände, welche sich der Hoffnung hin-
gaben, das im Jahre 1749 eingeführte System umstoßen zu können
und die Leitung wieder in die Hand zu bekommen. Allein dieser
Ansturm scheiterte an dem Gutachten des Staatsrathes, vor allem
an der Erklärung des Grafen Kaunitz, welcher es offen aussprach,
dass durch eine Begünstigung der Stände wohl seinem persönlichen
Vortheil gedient wäre, „allein wenn man Eid und Pflichten vor
Augen hat, so denkt man zuerst an seinen Souverän und an die
allgemeine Wohlfahrt**. Diese aber erfordere eine immer größere
Beschränkung des Adels, „weil die wahre Stärke des Staates in
dem größten Theil der Menschen, nämlich in dem gemeinen Manne
besteht und dieser die vorzüglichste Rücksicht verdient, in Böhmen
aber mehr als in anderen Ländern unterdrückt ist."®
16. Damit war das Übergewicht des Staates über die Stände
in der gesammten Landesverwaltung entschieden. In einigen Erb-
landen, wie in Böhmen, Mähren, Tirol, Österreich ob der Enns u. s. w\,
legte die Kaiserin sogar die staatliche wie die ständische Verwaltung
insofern in die gleichen Hände, als der Gubernial-Präsident, der
an der Spitze der staatlichen Landesbehörde stand, gleichzeitig als
Oberstburggraf oder Landeshauptmann auch das Haupt der Land-
« Arneth, VII, 30, Votum dos Grafen Kaunitz vom 1. Mai 1763.
534 Österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Fünfte Periode. § 63.
Stände war. Anderwärts, wie in Österreich unter der Enns oder in
Steiermark, gieng die Vereinigung nicht so weit/
Die Landtage wurden noch immer regelmäßig abgehalten,
da jedoch durch die s. g. Steuerrecesse vom Jahre 1748 die Höhe
der Steuern schon auf eine Reihe von Jahren (meist zehn) fest-
gesetzt war, so hatte es nur formelle Bedeutung, dass die Regierung
alljährlich ihr „Postulat" um Bewilligung der Steuer in der ver-
einbarten Höhe beim Landtage einbrachte. So sanken die Landtage
zur leeren Form herab und auch der Wirkungskreis der ständi-
schen Ausschüsse beschränkte sich zum Schluss auf die Führung
des Giltenbuchs, die Einhebung der directen Steuern und der
zusammenschmelzenden ständischen Oefälle, das landschaftliche
Schulden wesen, einige Stiftungssachen u. dgl. Schon ums Jahr 1765
wurde es als streitig angesehen, ob die ständischen Ausschüsse der
politischen Landesstelle coordiniert, oder untergeordnet seien.
17. Es wurde früher erwähnt, dass nach dem Aachener
Frieden es nothwendig erschien, den Friedensstand des öster-
reichischen Heeres zu erhöhen und dass diese Erkenntnis den
unmittelbaren Anstoß zur Einleitung der Reformen der Kaiserin
Maria Theresia gegeben hat. Nach den Berathungen eines Marschall-
rathes war die Aufstellung eines Heeres von 108.000 Mann in
Friedenszeiten für die deutschen und ungarischen Erblande be-
schlossen worden, das seine Ergänzung in herkömmlicher Weise durch
Werbung einerseits, durch Stellung von Recruten durch die Stände
andererseits erhalten sollte. Allein schon 1753 wurde den Erblanden
die Stellung einer Ersatzmannschaft von 24.000 Mann, der s. g.
perpetuirlichen Completierungsmannschaft, auferlegt. Diese Reserve-
mannschaft wurde in Friedenszeiten nach ihrer „Assentierung*
bei Haus und Hof belassen, konnte auch nach vorgängiger An-
meldung beim Kriegscommissariate von den Landesobrigkeiten
in Privatdienste übernommen werden und erhielt als einziges Ab-
zeichen eine rothe Halsbinde. Von drei zu drei Jahren sollten
Ergänzungen der Lücken stattfinden, inzwischen aber in vier
Monaten des Jahres an allen Sonn- und Feiertagen militärische
7 Toman, Böhm. Staatsrecht, 107 flf, 114. D'Elvert, Zur österr. Ver-
waltungsgeschichte, 397; k. k. Staats- und Standeskalender für 1765; k. k. i.-ö.
Instanzenkalender für 1777; k. k. o.-ö. Hof- und Landesstellen - Schematismus
von 1780. — Beer, in d. Mitth. d. Instit., XV, 275.
Reformen des Heerwesens, die Militärgrenze. 535
Exercitien vorgenommen werden. In Kriegszeiten war diese Reserve-
mannschaft in den Kreisstädten zusammen zu ziehen und in die
ausrückenden deutschen Infanterieregiraenter einzutheilen.
18. Zur Vergrößerung des Feldheeres wurde auch eine gründ-
liche Umstaltung der Einrichtungen in der Militärgrenze vorge-
nommen: Zuerst (November 1743) wurde der i.-ö Hofkriegsrath
aufgehoben und in Graz ein Militärdirectorium aufgestellt, das nebst
dem i.- ö. Generalcoramando dem Feldmarschall Prinzen von Sachsen-
Hildburghausen übertragen wurde. Nicht ohne heftigen Widerspruch
wurde die Grenzverwaltung den i.-ö. Ständen abgenommen und
nach seinem neuen Plane eingerichtet. Der Anfang wurde 1746 in
Croatien gemacht. Die in den Grenzlanden angesiedelten Serben,
Wallachen, Amanten u. s. w., die schon vorher Dienste als Grenz-
miliz geleistet hatten, wurden nun districtsweise zu Regimentern
zusammengefasst und erhielten ihre Officiere auch für die Friedens-
zeiten, sie waren also zugleich Landbauern und Soldaten. Im ganzen
wurden so siebzehn Infanterie- und sechs Husarenregimenter ge-
schaffen, welche sich selbst ergänzten und in Fried enszeiten nur
geringe Auslagen machten. Bedeutende Veränderungen im öster-
reichischen Heerwesen traten nach Beendigung des siebenjährigen
Krieges ein : Die Recrutierung wurde jetzt als ordentliche Ergänzung
des Heeres erklärt, die „Seelenconscription" eingeführt und jedem
Regiment sein besonderer „Werbbezirk** angewiesen. Die früher
übüchen Dienstcapitulationen wurden für „angeworbene" Unter-
thanen abgeschafft, diesen also beständige Dienstpflicht auferlegt,
wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass für Dienstuntaugliche
durch Einrichtung des „General-Invaliden-Systema" vom Jahre 1750
einigermaßen vorgesorgt war und dass der einzelne Soldat durch
Stellung eines Ersatzmannes seinen Abschied erlangen konnte. Zur
Ergänzung auf den Kriegsfuß hatte überdies in Friedenszeiten jedes
Regiment 640 Mann in seinem Werbbezirk auf unbestimmten Urlaub
zu führen.®
19. Als nothwendige Folge der Umgestaltungen der Kriegs-
macht ergab sich auch eine Reorganisation des gesammten Finanz-
wesens. Schon die Erhöhung des Heeresstandes in Friedenszeiten auf
108.000 Mann war nur unter der Voraussetzung möglich, dass die
ö Meynert, Gesch. d. Kriegswesens in Europa, III, 127 ff. 283 ff. Wolf, 225 flf.
536 Österreichische Reichsgeschichte. IL Theil. Fünfte Periode. § 63.
dem Unterhalt der Truppen gewidmeten Länder-Contributionen sehr
bedeutend — nach dem ersten Ansehlag von 9 auf 14 Millionen —
gesteigert werden könnten, was wieder ohne eine Einschränkung der
bestehenden Steuerprivilegien des Adels undenkbar war. Wider
das Erwarten der Meisten gelang es dem Grafen Haugwitz, die über-
wiegende Mehrzahl der Stände den Wünschen der Kaiserin gefügig
zu machen, so dass die deutschen Erblande durch Recesse, die mit
jedem Land besonders geschlossen wurden, je auf zehn Jahre hinaus
zusammen 12,734.000 fl. jährlich bewilligten. Zur Erleichterung der
übernommenen Mehrlast wurden einzelne landesfurstliche Gefälle
auf die Recessdauer sei es aufgehoben, sei es den Ständen über-
wiesen, auch manchen Ländern die Einhebung einer ständischen
Vermögenssteuer gestattet, außerdem auf alle üblichen Natural-
leistungen der Länder für Militärzwecke, die Einquartierungen aus-
genommen, verzichtet. Bei der Erneuerung der Recesse im Jahre
1 758 wurden diese Contributionssummen abermals erhöht und bald
darauf einige der oberwähnten Gefälle den Ständen wieder ab-
genommen und „incammeriert".
20. Die Reformen der Kaiserin Maria Theresia auf dem Gebiet
der Realsteuern haben zu keiner völligen Neugestaltung, sondern
nur zur Beseitigung der gröbsten Mängel geführt. Die Grundlagen
dieser Steuern, die von Provinz zu Provinz verschieden waren,
blieben demnach noch unberührt. Anders verhält es sich mit den
Personalsteuern. Hier geschah unter Maria Theresia der Fortschritt
von den überkommenen Formen der Vermögens- und der classifi-
cierten Kopfsteuer zu richtigeren Steuerarten, d. i. zur classificierten
und selbst zur reinen Einkommensteuer. Ebenso erfuhren die
indirecten Abgaben und Verkehrssteuern eine entsprechende Fort-
bildung. Es zeigt sich das Bestreben, Ordnung in das Wirrnis der
alten Aufwandsteuern zu bringen und diese durch einfachere,
technisch wie steuerpolitisch zweckmäßigere, neue Steuern zu er-
setzen, diese letzteren aber, sowie insbesonders das ganze Zoll-
wesen für die Gesammtheit der Erblande möglichst einheitlich zu
gestalten, ja überhaupt die wirtschaftliche Verschmelzung dieser
Länder durch die Steuergesetzgebung in jeder Weise zu fordern.
Die Erkenntnis, dass man bei Vertheilung der Steuerlast auf die
Leistungsfähigkeit der verschiedenen Bevölkerungsclassen Rück-
sicht nehmen müsse, führte zur Erhöhung der Steuer- und Zoll-
Reformen im Finanzwesen. Sorge für Handel und Industrie. 537
Sätze für Bedarfsartikel der höheren Classen und zu stärkerer
Heranziehung bei Qebüren und Verkehrssteuern (Erbsteuer, 1759)
sowie zur Aufhebung der Befreiungsprivilegien des Adels.®
21. Die Staatseinnahmen in Österreich -Ungarn, deren Rein-
ertrag raa» im Jahre 1754 auf weniger als 30 Millionen schätzte,
haben sich auf diese Weise während der Regierung der Kaiserin wohl
verdoppelt, der Staatshaushalt war geordnet, man konnte in den
letzten Jahren Maria Theresias sogar mit Rückzahlungen der Staats-
schuld beginnen. ^° Allein Maria Theresia suchte auf der anderen
Seite auch die Steuerkraft der Unterthanen durch zweckmäßige Ver-
waltungsmaßregeln zu erhöhen und namentlich durch Belebung der
Industrie einen wirtschaftlichen Aufschwung Österreichs herbeizu-
führen. Seit 1746 bestand für Handelsangelegenheiten ein Commerz-
directorium, das im Jahre 1753 zu einer mit dem Directorio in publicis
et cameralibus vereinigten Hofstelle erklärt, im Jahre 1762 vorüber-
gehend sogar zu einer selbständigen Hofstelle erhoben wurde, der
als Aufgabe zukam, „wie das Wachsthum der inländischen Cultur,
die Erhebung der Manufacturen, die Emporbringung des Commercii,
mithin die wesentliche Wohlfahrt dero getreuesten Erblande und
Unterthanen zu befördern sei."" In den einzelnen Ländern wurden
seit 1749 Commerzconsesse und Commerz-Commissionen gebüdet,
iaPrag 1753 ein eigenes Manufactur-Collegium gegründet, später
seit 1772 aber deren Aufgaben den Landesgubernien übertragen.
Es wurden ferner in Böhmen, Mähren und in Österreich unter der
Enns, wo sich die Industrie zueret entwickelt hatte, staatliche
Manufactur-, beziehungsweise Fabriksinspectoren seit 1757 ernannt,
welche ihre Bezirke zu bereisen und ihre Wahrnehmungen über die
Zahl und den Betrieb der Fabriken, den Absatz ihrer Erzeugnisse
u. s. w. an die politischen Landesstellen zu berichten hatten, Auf-
gaben, welche später (1772) an die Kreisämter kamen. Bei diesen
industriefreundlichen Bemühungen gieng sogar der Staat noch viel
weiter als heutzutage, indem er Dinge in den Bereich seiner Ver-
ordnungen zog, die man jetzt ruhig dem Fabrikanten überlässt.
® Mensi im Staatswörterbuch II unter Finanzgeschichte , Tschinko-
witz, I; Wagner, § 40 ff ; Wolf, 277 ff.
>o Pütter, Handbuch d. deutschen Staaten, 1758, S. 219, Anm. 4, schätzt
die Österr. Einkünfte unter Kaiser Karl VI. auf 25 Mili. — M en si a. a. 0., S. 479,
beziffert sie fürs J. 1781 auf 57,660.000 fl. — Andere Ziffern bei Wolf, 283.
538 Österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Fünfte Periode. § 63.
Man denke nur an die verschiedenen Garn- und Leinwandordnungen,
welche nicht bloß Anweisungen über den Flachsbau überhaupt,
sondern auch über dessen Behandlung beim Rösten, Spinnen u. s. w.
enthalten, oder an die Belehrung über Papier - Erzeugung, die
mit dem Abschnitte „von dem Unterschiede, Aussuchen und der
Zubereitung der Lumpen, Fetzen und Hadern" beginnt und den
ganzen Gang der Papierfabrication beschreibt u. dgl. m.,
22. Ergänzt wurden diese auf Hebung des Volkswohlstandes
abzielenden Anordnungen durch eine umfassende Regelung des
Verkehrswesens. Zur Behebung der Schiffahrts-Hindernisse auf der
Donau wurde ein eigener Navigationsdirector bestellt, dem entlang
des Flusslaufes mit Wohnsitzen von Linz bis Semlin acht Navi-
gations-Ingenieure untergeben waren. Treppelwege wurden nicht
bloß längs der Donau unterhalten, sondern entstanden auch an der
Save und anderwärts. In Landesculturangelegenheiten wurde die
Hegung der Wälder angeordnet, die Anpflanzung von Maulbeer-
bäumen und Hopfenplantagen begünstigt, die Bienenzucht ge-
fördert u. s. w.^^
23. Nicht minder als die Hebung der -materiellen Cultur ließ
sich Maria Theresia auch die Förderung des Unterrichtswesens
angelegen sein. An ihrem Leibarzte Gerhard van Swieten hatte sie
einen Reformator des höheren Unterrichtswesens gefunden. Das alfe
corporative Gefüge der Universitäten wurde geändert und diese
dem Geiste der Aufklärungsperiode entsprechend zu öffentlichen
Anstalten umgebildet, deren Zustände vom Staate geregelt wurden;
Auch die Wissenschaft trat in den Dienst des Staates ; jeder Professor
hatte nicht mehr und nicht anders zu lehren, als es der Staat
anordnete, das Vorlesebuch war ihm vorgeschrieben wie seine
Amtsinstruction, welche er eigenmächtig nicht ändern durfte. Eine
Reform des Gymnasialunterrichts folgte und da Maria Theresia es
als Regentenaufgabe ansah, „dass jedem Unterthan nach seinem
Stand und Beruf der nöthige Unterricht ertheüt werde", so nahm
sie auch die Organisation des Volksschulwesens für den Staat in
Anspruch, die sie durch den Abt Felbiger aus Sagan in Preußisch-
" Arneth, IX, 447 ff. — Beer, Österr. Industriepolitik im Archiv, Bd. Si.
und Mitth. XV, 273 ff. — Mischlerim österr. Staats Wörterbuch U unter Gewerbe-
Inspection — Unparteiische Gedanken über die österr. Landesökonomie, 1750
(Anhang zu Hörnigk's Österreich über alles, Ausgabe 1750).
Sorge fürs Unterrichts wesen ; Verhältnis zwischen Staat u. Kirche. 539
Schlesien entwerfen ließ. Sofort nach der Genehmigung seines Planes
am 6. Dec. 1774 wurden in allen östen^eichischen Ländern Schul-
commissionen aus Staatsbeamten, Geistlichen und Schulmännern
gebildet, in den Provinzial-Hauptstädten Normalschulen, dann in
andern Städten Hauptschulen, auf dem Lande aber Trivialschulen
errichtet. Die oberste Leitung des ganzen Studienwesens aber war
seit 1760 einer eigenen Studien-Hofcommission übertragen, die
jedoch 1778 ihren Wirkungskreis als selbständige Behörde verlor
und der Hofkanzlei untergeordnet wurde. ^^
24. Schon die Reformen im Unterrichtswesen berührten ein
Gebiet, auf dem sich die Interessen des Staates und der Kirche
mannigfach kreuzten. Die Universitäten waren anfangs bis auf
wenige Lehrstühle noch in den Händen der Jesuiten, die Gym-
nasien hatten Jesuiten und Piaristen zu Lehrern, die Volks-
schulen unterstanden früher ausschließlich geistlicher Leitung. So
tief religiös die Kaiserin gesinnt war, sosehr sie jedes schroflfe Auf-
treten gegen kirchliche Personen und Einrichtungen vermied, war
sie doch weit davon entfernt, etwas von den Rechten aufzugeben,
die der Staat im Laufe der Zeit der Kirche gegenüber erworben
hatte. Schon 1752 erklärte Maria Theresia, dass sie als suprema
advocata ecclesiarum den Unordnungen in der Verwaltung des
Kirchenvermögens ' ein Ende machen müsse. Sie verfügte darum
die Vorlage der Kirchenrechnungen und befahl 1756 eine Unter-
suchung des Vermögensstandes aller geistlichen, wie weltlichen
milden Stiftungen. Das Asylrecht der geweihten Plätze wurde 1775
aufgehoben, die Auflage äußerlicher Kirchenbußen von der Erlaubnis
der Regierung abhängig gemacht 1779. Schon vorher, 1755, hatte
sie Anzeige bei Hof von jeder beabsichtigten Excommunication
verlangt, die Wallfahrten wurden eingeschränkt, mit Zustimmung
des Papstes eine zweimalige Verminderung der kirchlichen Feier-
tage angeordnet. Man sieht, die kirchliche Gesetzgebung der großen
Kaiserin unterscheidet sich von der als Josephinismus bezeichneten
Richtung ihres Sohnes kaum in ihrem Inhalt, allein sie wählte
weniger verletzende Formen und war auch nicht überhastet.^^
»2 Arneth, Bd. 9: H eifert, Die Gründung d. österr. Volksschule durch
Maria Theresia, 1860; Wolf, 438 ff.
18 Friedber^, Grenzen, I, 137; Kern, S. 142 f; Wolf, 376.
540 österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Fünfte Periode. § 68 u. 64.
25. Und noch auf einem Gebiete, auf welchem man den
Namen ihres Sohnes vor allem nennt, hat Maria Theresia schon
Großes geleistet : gemeint sind ihre Bemühungen, die sich auf die
Erleichterung der gedrückten Lage des Bauernstandes bezogen.
Dass die Steuerreformen vor allem auf eine stärkere Belastung
der wirtschaftlich kräftigeren oberen Classen abzielten, wurde schon
hervorgehoben. Bald wurden jedoch auch die Schuldigkeiten und
Dienste der Unterthanen an ihre Herrschaften der staatlichen Auf-
sicht und Einschränkung unterzogen. Zur Untersuchung der Be-
drückungen der Unterthanen durch die Wirtschaftsämter wurde 1748
in Böhmen insonderheit in re tributaria das Judicium delegcUum in
causis mbditoriim eingerichtet, später waren namentlich die Kreis-
ämter mit dem Schutze der Unterthanen betraut. Es ergiengen für
Böhmen, Mähren und Schlesien in den Jahren 1771 -1775 Robot-
patente, um die ärgsten Missbräuche zu beseitigen, ja es scheint,
dass Maria Theresia zu noch entschiedeneren Maßregeln neigte, die
aber durch die adeligen Grundherren vereitelt wurden, denen die
Umstimmung des Kaisers Joseph IL gelungen war. „Ich glaube**,
schrieb sie am 30. Jänner 1777 über die in Böhmen ausgebrochenen
Unruhen an ihren dritten Sohn, Erzherzog Ferdinand, „dass, wenn
der Kaiser, ich sage nicht mich unterstützen, sondern nur neutral
bleiben wollte, ich es noch erreichen könnte, die Leibeigensehaft
und die Prohnen abzuschaflFen. Dann würde sich noch alles bei-
legen lassen. Aber unglücklicherweise haben sich diese Herren, als
sie sahen, dass ich mir nicht mehr imponieren lasse, auf die Seite
des Kaisers geworfen". Vierzehn Tage darnach berichtete sie
an dieselbe Adresse: ., Die 'Unterdrückung der armen Leute sei
erwiesen, man hätte also billigere Grundsätze aufstellen müssen.
Ich war auf dem Punkte ihrer Durchführung, als die Grundherren,
zu denen, nebenbei bemerkt, alle Minister geliören, den Kaiser
wieder schwankend zu machen wussten. Schritt für Schritt haben
sie es verstanden, das ganze Reformwerk von zwei Jahren zu
vernichten. ''^^
„Durch eine Menge theil weise sich kreuzender Strebungen
und Gegenstrebungen, durch eine rastlos schaffende, zuweUen sich
gegenseitig aufhebende Thätigkeit", bemerkt Kern, „ist der Aus-
1* Fournier, Histor. Studien, 1885, S. 40. — Grünberg, Die Bauern-
befreiung in Böhmen u. s. w., I, 142 ff.
Sorge für den Bauernstand. Anfange Kaiser Josephs IL 541
gang von Maria Theresia s Regierung gekennzeichnet. Es war eine
gährende Welt, welche zu jener Stagnation, die vor 1740 in Öster-
reich herrschte, in einem keineswegs unerfreulichen Gegensatz stand.
Wohl schien durch die sich überstürzende Hast und die unreife
Leidenschaftlichkeit der bald ausschließlich tonangebenden Männer
das große Werk der Theresianischen Reformjahre gefährdet. In
Wahrheit aber haben alle folgenden Stürme diese dauerhafte Grund-
lage des österreichischen Staatsbaues nicht zu verwüsten vermocht."
§ 64. Die Reformen Kaiser Joseph's U. (1780-1790.)
Literatur b. Krones, Grundriss, 755 flf. — Beidt el, 1, 193 ff. — Domin, 89 ff.
— D*Elvert, Verwaltungsgeschichte, 436 ff. — Fournier, Studien, 129 ff. —
Huber, Rg., 205, Die Politik Kaiser Joseph's IL, beurtheilt von seinem Bruder
Leopold, 1877. — Seidler, 167 ff. -- Springer A., Geschichte Österreichs
seit 18C9, Bd. L, 1863. — Wendrinsky, K. Joseph IL, 1880. — Wolf und
Zwiedineck, Österreich unter Maria Theresia, Joseph IL u. Leopold II., 1884
(in Onckens allg. Geschichte, 3. Hauptabtheilung, 9. Bd.).
1. Am 29. November 1780 starb Österreichs große Herrscherin,
die Kaiserin Maria Theresia. Ihr Sohn und Nachfolger Joseph IL,
seit 1764 römischer König, seit 1765 römisch - deutscher Kaiser
und Mitregent in den Erblanden, stand damals im vierzigsten Jahre,
hatte jedoch bisher größeren Einfluss nur in Militärsachen und zum
Theil in der auswärtigen Politik gehabt, während die Leitung der
inneren Angelegenheiten seine Mutter, solange sie lebte, fest in der
Hand behielt. Allein, wir wissen, dass Joseph IL dies nur schwer
ertrug. Als er sich in seiner Hoffnung, seine eigenen Ansichten
einführen zu können, getäuscht sah, ; opponierte er, wo er konnte,
und verweigerte es endlich, seinen Namen unter Decrete zu setzen,
die seinen Überzeugungen widersprachen. Es entstand ein Zwiespalt,
der sich im Laufe der anderthalb Jahrzehnte bis an den Tod der
Kaiserin immer mehr verschärfte und nur dadurch ohne schädliche
Wirkung auf die Geschäfte blieb, dass Maria Theresia fest bei ihrer
Regierungspraxis verharrte, Kaunitz, der einflussreichste Minister,
vermittelte und Joseph in den meisten Fällen nachgab," dabei aber
seine Meinung über die Schäden der Verwaltung und ihre mögliche
Heilung in Denkschriften seiner Mutter gegenüber aussprach.
2. Es ließ sich wohl erwarten, dass Kaiser Joseph IL, einmal
zur Alleinherrschaft gelangt, mit seinen Reformplänen nicht lange
542 Österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Fünfte Periode. § 64.
zurückhalten würde. „Die Kaiserin ist nicht mehr, eine neue Ord-
nung der Dinge beginnt", sagte König Friedrich IL von Preußen
auf die Nachricht vom Tode Maria Theresia's, und so verhielt es sich
auch in der That. Das altösterreichische Regierungssyatem hatte
das aus so verschiedenen Volks- und Staatselementen bestehende
Reich bei möglichst geringer Schädigung der historischen Sonder-
rechte der einzelnen Länder, durch eine starke dynastische Regierung
unter Mithüfe eines bevorrechteten Gesaramtadels und einer reich
bedachten katholischen Priesterschaft als ausgleichenden Elementen,
zusammenzuhalten gesucht. Davon war bereits Maria Theresia,
obschon in demselben aufgewachsen, mehrfach abgewichen. Der
Ausgang des Erbfolgekrieges und das Beispiel Preußens, hatten der
Kaiserin die Erkenntnis gebracht, dass Österreich in der bisherigen
Weise nicht mehr weiter regiert werden könne. Darum entschloss
sie sich zu Reformen im Sinne einer straflFeren Vereinigung der Ver-
waltung, allein sie gieng dabei behutsam zuwerke, wie ein Bauherr,
der ein zerfallendes weitläufiges Gebäude bei möglichster Schonung
der gesunden Bauglieder, durch theilweisen Wiederaufbau und Hin-
zufügung neuer Bautheile dauerhaft und wohnlich herstellt. So hatte
Maria Theresia zwar den Landständen die wichtigsten Rechte that-
sächlich abgenommen, jedoch die früheren Formen landständischer
Verwaltung bestehen lassen. Die Stellung des Adels hatte mancherld
Beschränkungen zu Gunsten der Allgemeinheit erfahren und doch
war er der weitaus bevorzugte Stand im Staate geblieben; der
katholischen Kirche gegenüber hatte die Kaiserin die staatlichen
Rechte schärfer betont als irgend einer ihrer Vorgänger und doch
wurde noch immer die Duldung akatholischer Bekenntnisse als staats-
gefährlich betrachtet. Scheinbare und selbst wirkliche Widersprüche
ließen sich bei diesem Regierungssystem nicht ganz vermeiden, das
kein Werk nach einheitlichem, übei-sichtlichem Plane liefern konnte.
Joseph dagegen war selbst von den Ideen der Aufklärung erfasst,
die das alte Feudalitätsprincip durch den Unterthanenverband mit
gleichen Rechten und Pflichten für alle ersetzen wollte und Gleich-
stellung der Confessionen, sowie Freiheit des Gewissens und des
Meinungsausdruckes forderte. Nicht selten hatte der principielle
Gegensatz in den Auffassungen von Mutter und Sohn über eine
vorliegende Frage zu unerquicklichen Auseinandersetzungen geführt
und wir wissen, dass Joseph öfter auf dem Punkte war, seine Mit-
Allgemeiner Charakter der Reformen Kaiser Joseph's IL 543
regentschaft niederzulegen. Man kann sich leicht denken, mit welcher
Macht in ihm als er zur Alleinherrschaft gelangt war, die so ungern
vertagten Reformideen losbrachen. „Überzeugung, Ehrgeiz und
Temperament trafen hier mit einem schrankenlosen Eigenwillen
zusammen, um eine Flut von Neuerungen zu erzeugen, die dem
lüstorisch Gewordenen keinerlei Rechnung trugen und in einem
Staate von der Eigenart Österreichs urasoweniger leicht Wurzel
fassen konnten, als sie mit jener unruhigen Hast ins Leben gerufen
wurden, mit welcher der Kaiser in allem, was er unternahm, auch
gleich die Wirkung verspüren wollte.*"
3. Alle Erblande, ohne Rücksicht auf ihre Vergangenheit, zu
einem Staat von gleicher Gesetzgebung und Verfassung zu ver-
schmelzen, alle an Sitten, Sprache und Cultur so sehr verschiedenen
Bewohner zu einer Nation zu machen und den ganzen Staat dem
unbeschränkten Herrscherwillen zu unterwerfen, das war das Ziel,
das Joseph sich setzte. „Die ganze Monarchie wird nur eine, auf
die gleiche Weise gelenkte Masse bilden", schrieb er an seinen
Bruder Leopold. „Mein Reich muss nach meinen Grundsätzen be-
heiTscht werden", erklärte er ein andermal. So wurde denn über-
stürzt ein Versuch straffster Centralisation gewagt, und nicht etwa
auf die deutschböhmischen Erblande beschränkt, wo die vierzig-
jährige Regenten thätigkeit seiner Mutter die Ausgleichung der
Verschiedenheiten schon angebahnt hatte, sondern sofort auch auf
Ungarn und das femabliegende Belgien ausgedehnt.
4. Eine rasche Ausgleichung so verschieden gearteter Ver-
hältnisse, wie sie Joseph bei seinem Regierungsantritt in den
Erblanden antraf, ließ sich ohne mancherlei Gewaltsamkeit nicht
durchführen. Maria Theresia hatte die Erbhuldigungen ihrer Lande
noch in alter Weise entgegengenommen und war in Ungarn und
Böhmen gekrönt worden, Joseph unterließ dies alles und hat
außerdem den ungarischen Reichstag niemals einbemfen.
In dieser Beziehung waren scheinbar die deutschen Erblande
besser daran, denn hier wurden immer noch ab und zu Landtage
abgehalten, allein in Wirklichkeit hatte es wenig zu bedeuten,
weil die Widerstandskraft der Stände schon früher gebrochen war.
Selbst die Tiroler Stände verloren nun die Vorrechte hinsichtlich
der Selbstbesteuerung, Militäreinquartierung und Recrutenstellung,
in deren Besitz sie sich bisher erhalten hatten. Die Stellen der
544 Österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Fünfte Periode. § 64.
obersten „Landesofficiere" gelangten durchwegs an hohe Staats-
beamte, denen dadurch eine Gehaltszulage verschaflFt wurde, dabei
kam es weiter nicht darauf an, ob der Betreffende zum land-
ständischen Adel gehörte, fehlte ihm bisher das Indigenat, so wurde
es ihm vom Hofe ohne weiters verliehen.
5. Mit dem Jahre 1782 wurde die s. g. neue Länderverfassung
durchgeführt, d. h. es wurden nach und nach alle ständischen
CoUegien bis auf zwei Verordnete vom Herrenstand aufgehoben.
Diese erhielten Sitz und Stimme bei der politischen Landesstelle,
zu welcher auch der ständische Syndicus als Secretär übernommen
wurde, während die ständische Buchhaltung mit der staatlichen
Landesbuchhaltung vereinigt wurde. Auch die historische Indivi-
dualität der Länder wurde nicht weiter beachtet, indem diese aus
Verwaltungsrücksichten nach Gutdünken des Kaisers zu dreizehn
größeren Regierungsbezirken oder Gouvernements zusammengelegt
wurden. So wurden in den Jahren 1782/83 die Landeshauptraann-
schaften von Steiermark, Kärnten und Krain mit dem errichteten
i.-ö. Gubernium vereinigt und daher auch die Verordneten von
Kärnten und Krain nebst den ständischen Buchhaltungen nach Graz
berufen. Ebenso wurde die Landeshauptmannschaft von Görz und
Qradiska mit dem Gubernium von Triest, die Bukowina mit
Galizien, Schlesien mit Mähren verbunden. Ungarn hingegen erfuhf
nach Aufhebung der Comitatsverfassung (1785) eine Eintheilung
in zehn Districte mit je einem Regierungs-Commissär an der Spitze,
welche der von Pressburg nach Ofen verlegten königl. ungar.
Statthalterei unterstanden.
6. Diese von vielen beklagte neue Länderverfassung wurde,
um die Verwaltung besser centralisieren zu können, eingeführt. Dem
gleichen Zwecke diente auch die Urastaltung der Central- und
Länderstellen. Mit Hofdecret vom 14. October 1782 schuf Kaiser
Joseph II. aus der böhmisch-österreichischen Hofkanzlei, der Hof-
kammer und der Ministerial - Banco - Deputation die „vereinigte
Hofstelle", die er einem Chef untergab. Nur der Widerspruch des
Staatsrathes hatte ihn abgehalten, die durch Maria Theresia ein-
geführte Trennung der Justiz von der Verwaltung wieder auf-
zuheben. Doch wurde auch hier centralisiert : Die Revisionsstellen
in Graz und Innsbruck wurden aufgehoben und die oberste Justiz-
stelle auch zum obersten Gerichtshof gemacht. Eine älmliche
Centraliäsationsniaßrcgeln ; Handschreiben über Pflichten der Beamten. 545
Ei'weiterung des Wirkungskreises erfuhr die Hofrechenkammer,
der auch die städtischen und ständischen und überdies die ungarische
und niederländische Buchhalterei unterstellt wurden. Die Censur-
behörden in den einzelnen Ländern wurden aufgehoben und eine
Censur - Hauptcommission in Wien errichtet, der ungarischen
Hofkanzlei die Leitung der ungarischen, banatischen und sieben-
bürgischen Cameralgegen stände, die bisher der allgemeinen Hof-
kammer zustand, übertragen und endlich auch noch die sieben-
bürgische Hofkanzlei mit der ungarischen vereinigt. Dabei ließ
Joseph IL seinen Ministern nur geringen Spielraum, mengte sich
selbst in Einzelheiten der Geschäftsführung und umgab sich mit
Persönlichkeiten, die ihm blindlings dienten, seinen ^Secretären",
um sich gegen Beeinflussung zu schützen.
7. Zur Durchführung seiner Ideen schuf sich der Kaiser in
allen Landen und für alle Verwaltungszweige Organe seines un-
mittelbaren Willens „und lehrte so Österreich die bis dahin nur
nothdürftig bekannte Beamtenherrschaft kennen." Zahl undEinfluss
der Staatsbeamten, die im ganzen schlecht besoldet waren, wurden
darum sehr vermehrt, dabei waren aber die Anforderungen un-
gemein hoch, die der Kaiser an den Pflichteifer, die Unbestechlichkeit
und die Leistungsfähigkeit des Einzelnen stellte. In seinem als ^Hirten-
brief* bekannten Handschreiben, das der Kaiser Ende 1783 an die
Spitzen der Länderverwaltung richtete, entwarf er mit glänzenden
Farben das Walten der landesfürstlichen Beamten, wie sie es nach
seiner Erwartung sein sollten, mit ihrer Opferliebe, ihrer genialen
Auffassung des Staatsiebens, dem pünktlichen und verständigen
Geschäftsgang, Gesetzeskenntnis, Liebe zum Dienst, fürs Vaterland
und die Mitbürger. Verbannung aller nationalen und confessionellen
Eifersucht sollte bei ihnen zu finden sein, nicht aber Eigennutz
und Bestechlichkeit, handwerksmäßige Behandlung der Geschäfte
und mechanische Auffassung ihrer Aufgaben.
Leider waren jedoch die Mittel, die der Kaiser anwandte, keines-
wegs geeignet, derartige Musterbeamte zu erziehen. Wohl wurde
ein bestimmter Studiengang für die Beamten vorgeschrieben und
deren Zukunft durch Zuerkennung der Pensionsfähigkeit einiger-
maßen sichergestellt, auch sollten nicht Rang und Geburt, sondern
die Fähigkeiten allein für die Erlangung von Ämtern maßgebend
sein. Gerade dieser richtige Grundsatz verleitete jedoch den Kaiser
Luschin, Österreichische Relchistreschichte. 35
546 österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Ftinfte Periode. § 64.
zur Anwendung eines durchaus verkehrten, verderblich wirkenden
Mittels, zur Einführung geheimer Berichte über das Betragen der
Beamtenschaft. Da der Kaiser kein Hehl daraus machte, dass nach
diesen „Conduitlisten'' die Beförderungen erfolgen würden, sohieng
in der That das ganze Fortkommen und selbst der Ruf eines
Beamten von der Schilderung ab, die er in diesen Listen fand.
Dabei gieng dieses System der Überwachung von oben bis ganz
herunter: „so schrieb in der administrativen Sphäre der Kanzler die
Conduitlisten der Gouverneure und seiner Riithe, der Gouverneur die
der Kreishauptleute, der Kreishauptmann die der Bürgermeister, der
Bürgermeister die seiner Untergebenen." Daher wurde der Schutz
gegen Willkür, den in einem unumschränkt regierten Staate die
CoUegialverfassung der Behörden noch einigermaßen gewähren
kann ganz vernichtet. Dazu kam, dass der Kaiser bald darauf
(18. Mai 1781) den „Länderchefs" die Befugnis einräumte, „die
Geschäfte ohne alle Formalität, mithin in und außer den Raths-
sitzungen nach eigenem Wissen zu leiten und hiebei das bestimmte
Personal nach Wohlgefallen anzuwenden". Wohl wurde auch die
Verantwortlichkeit der leitenden Beamten entsprechend erhöht, die
zwar nicht für jede Handlung ihrer Untergebenen, wohl aber für
die richtige Leitung und Anweisung deraelben zu haften hatten,
allein dies gab alle Besetzungen in die Hände der Länderchefs und
begründete einen früher ungekannt gewesenen Terrorismus.
8. Vereinfachung des schwerfälligen Geschäftsganges bewog
den Kaiser, die eben geschUderten Verfügungen zu treffen. In
gleicher Absicht erklärte er auch das Deutsche zur allgemeinen
Amtssprache. „Wie viele Vortheile", heißt es im Rescript vom
11. Mai 1784, „dem allgemeinen Besten erwachsen, wenn nur eine
einzige Sprache in der ganzen Monarchie gebrauchet wird und in
dieser allein alle Geschäfte besorgt werden, wie dadurch alle
Theüe der Monarchie fester unter einander verbunden und die
Einwohner durch ein stärkeres Band der Bruderliebe verknüpft
werden, wird Jedermann leicht einsehen und durch das Beispiel
der Franzosen, Engländer und Russen davon überzeugt werden." In
der böhmischen Ländergruppe stieß die Einführung des Deutschen
als Amtssprache auf keine augenfälligen Hindernisse, da hier der
Boden dafür schon unter Maria Theresia geebnet worden war.
Der böhmische Adel sprach nicht mehr das Czechische und es
Conduitlisten, deutsche Amtssprache, Organisation der Justiz. 547
herrschte, wie sich der Oberst-Burggraf Graf Wieschnik ausdrückte,
schon lange fühlbarer Mangel „an böhmischen Subjecten" für die
höheren Stellen. Anders lag die Sache in Ungarn, wo bisher das
Lateinische als Amtssprache geherrscht hatte. Nur ein kleiner,
wenn auch ein einflussreicher Bruchtheil der Bevölkerung war hier
des Deutschen mächtig, die große Masse der Bevölkerung sprach
in Nordtmgarn slovakisch und ruthenisch, im Innern ungarisch, im
Osten rumänisch. Allein gerade auf die Sprachmischung baute der
Kaiser die Ausführbarkeit seines Plans, den er übrigens gleich-
zeitig durch den Zuzug deutscher Colonisten nach Ungarn zu
fördern suchte. Er übersah dabei leider ganz, dass ein logisches
Raisonnement allein nicht hinreicht, um Völker zum Abgehen
von ihren Sitten und Gewohnheiten zu bestimmen und dass so tief-
greifende Veränderungen im günstigsten Falle erst nach mehreren
Generationen Erfolge aufweisen können. Es war daher die Über-
stürzung, mit der er seine wohlgemeinte Absicht ins Werk setzte,
der ärgste Missgrifif, den er überhaupt begehen konnte : Innerhalb
weniger Monate sollte das Deutsche als Amtssprache bei den
Central- und Provinzialbehörden, binnen wenig mehr als Jahres-
frist auch bei allen Gespanschaften, städtischen Behörden und
Gerichtsstühlen eingeführt werden, in Zukunft niemand ohne
genügende Kenntnis des Deutschen zu öffentlichen Bedienstungen
zugelassen werden. Das griff tief in alle Verhältnisse ein. Kein
Wunder, dass daher in Ungarn nicht bloß von Seite der Magyaren,
auf deren Opposition der Kaiser gerechnet hatte, sondern auch von
Seite der übrigen nichtdeutschen Nationalitäten sich einmtithiger
Widerstand gegen diese Anordnung erhob.
9. Die Organisation der Justizverfassung durch Kaiser
Joseph IL, welche theilweise bis zur Gegenwart maßgebend blieb,!
trennte soviel als möglieb die Justiz von der Administration, theiltei ^-e* ^ •
die Gerichtsbarkeit erster Instanz zwischen dem Landrecht und den! ä^</
Ortsgerichten und beseitigte alle übrigen ersten Instanzen bis auf fi^
die MUitär-, Mercantil-, Wechsel- und Berggerichte, beschränkte die
Strafgerichtsbarkeit auf einzelne Gerichte größerer Gemeinden und
verminderte die Zahl der Ortsgerichte überhaupt. Auch von den
bestehenden Appellationsstellen giengen manche ein. Dafür wurden
theUs ganz selbständige, theils von den Administrativbehörden
wenigstens für die Behandlung der Justizgeschäfte gänzlich ge-
35*
548 Österreichische Reichsgeschichte. IL Theil. Fünfte Periode. § 64.
trennte und gleichmäßig organisierte zweite Instanzen für Civil- und
Strafrechtsangelegenheiten errichtet. Die Centralisation in dritter
Instanz wurde erreicht, durch Aufhebung aller Revisionsinstanzea
in den Provinzen und Zuweisung ihrer Geschäfte an die zur gemein-
samen dritten Instanz für alle deutschen Erblande bestimmte
oberste Justizstelle. Dabei war die Ausübung der Rechtspflege durch
alle Instanzen — von den Ortsgerichten und wenigen Ausnahmen
abgesehen — in die Hände von Richtern gelegt, die der Kaiser er-
nannte und die ihre Besoldung aus dem Staatsschatze empfiengen.
10. Aus diesem Grunde wurden die bisher bei den Landes-
regierungen und Gubernien vorhandenen Justizsenate endgiltig auf-
gehoben und erstere zu reinen Verwaltungsbehörden gemacht. Die
Justizgeschäfte aber giengen, so weit sie die erste Instanz betrafen,
an die Landrechte und Ortsgerichte, die übrigen an die Appellations-
gerichte, beziehungsweise an die oberste Gerichtsstelle über.
Die Landrechte blieben noch ferner im wesentlichen Forum
der Stände, dem jedoch die übrigen Adeligen und endlich auch
jene Unadeligen unterworfen wurden, die durch den Besitz ständi-
scher Gülten zur Ausübung der Ortsgerichtsbarkeit selbst berechtigt
waren. Alle anderen Unadeligen unterstanden hinfort den Stadt-.
Markt-, Dorf-, Grund- oder Ortsgerichten jenes Ortes, an welchem
sie wohnten. Im Jahre 1786 wurde dann sämratlichen landesfürs^
liehen Städten und Märkten, sofern sie bei ihren Magistraten ge-
prüfte Richter hatten, die Strafgerichtsbarkeit in leichteren Fällen,
die eine Strafe bis zu einem Jahr nach sich zogen, übertragen,
und rücksichtlich der Städte mit Criminalgerichtsbarkeit die be-
sondere Bann- und Achtverleihung an den Stadtrichter abgeschaflft.
11. Mit den Justizreformen Kaiser Joseph's IL steht auch die
Umgestaltung der städtischen Verwaltung in engem Zusammenhang.
Die Organisation des Wiener Magistrats vom 1. November 1783,
welche für die Magistrate der Provinzialhauptstädte vorbüdlich
wurde, theilte die Stadtvertretung in drei Senate für politische.
Civil- und Strafrechtsangelegenheiten. Bürgermeister und zwei
Vicebürgermeister, die vom Bürgerausschusse, doch nur aus dem
Kreise von Personen, die ein behördliches ^Eligibilitätsdecret*
besassen, auf vier Jahre gewählt, und fernerhin vom Hofe beliebig
bestätigt werden konnten, standen an der Spitze von 42 Magistrats-
räthen, die gleichfalls durch den Bürgerausschuss gewählt wurden.
Organisation der Städte und des Finanzwesens. 549
Es gab ferner eine entsprechende Anzahl von städtischen Beamten
und Dienern, die alle, nebst den Käthen, dem Bürgermeister und
dessen Stellvertretern ihre Besoldung vom Staate empfiengen, der
dafür alle „Magistratualtaxen" eingezogen hatte.
12. An der Organisation der Finanzbehörden hatte der Kaiser
schon zur Zeit seiner Mitregentschaft thätigen Antheil gehabt. Es
verblieb daher im allgemeinen bei dem von seiner Mutter ein-
geführten System. Die directen Steuern unterstanden der Ver-
waltung durch die politischen Behörden, für die indirecten Steuern
und Gefälle, deren Verpachtung nun ganz aufgegeben wurde, gab
«s unter der Wiener Finanzhofstelle in den Provinzen besondere
Behörden. Im einzelnen herrschte bei der Finanzverwaltung
viel Ordnung, doch machten die steigenden Staatsausgaben eine
Steigerung der Staatseinkünfte nothwendig, zu denen in Ungarn
nach Aufhebung der früheren Verfassung der steuerfreie Adel und
die Geistlichkeit beizutragen hatten.
Nicht um einer Erhöhung der Staatseinkünfte willen, sondern
um die ungleichmäßige Belastung der Steuerträger gerechter zu
vertheilen, wurde 1785 für die deutschen Erblande (mit Ausnahme
von Tirol) und für Galizien eine Regulierung der Grundsteuer
befohlen. In etwa vier Jahren wurde die Vermessung des Bodens
und eine Schätzung des Grundertrags vorgenommen und hierauf am
10. Februar 1789 das neue Grundsteuerpatent, das mit 1. November
d. J. in Kraft treten sollte, veröfifentlicht Die ganze bisher unter dem
Namen Contribution erhobene Entrichtung sollte fortan einzig und
allein als Grundsteuer auf dem Grund und Boden ruhen. Auf Stand
und Eigenschaft des Besitzei-s, hieß es, könne bei der Bemessung
keine Rücksicht genommen werden, vielmehr sei dabei „eine durch-
gängige Gleichheit zu beobachten. Um zugleich eine Steuerüber-
wälzung auf die Bauern zu verhindern wurde befohlen, dass dem
Unterthan vom richtig befundenen Rohertrag mindestens 70 Procent
freizulassen und nur das übrige zur Bedeckung der landesfürst-
lichen Grundsteuer mit 12 fl. ISVa kr. vom Hundert und zur Ab-
tragung der obrigkeitlichen Forderungen, sowie des Zehenten an
die Geistlichkeit im Höchstausmaß von zusammen 17 fl. 4673 kr.
vom Hundert, aufzulegen sei.
13. Diese Steuerregulierung, welche bei den Grundherrschaften
einen Sturm von Entrüstung erregte, sollte den Schlusstein der vom
550 österreichische Reichsgeschichte. IL Theil. Fünfte Periode. § 64.
Kaiser zur Hebung des Bauenistandes getroflFenen Maßregeln bilden.
Begonnen wurden diese alsbald nach dem Regierungsantritt durch
Erlassung des Unterthanenpatents (1. September 1781), das zwar
den Einzelnen anwies, die Beschwerden zunächst zu gütlicher Bei-
legung der Grundobrigkeit vorzutragen, für den Fall der Weigerung
oder Verzögerung aber den Unterthan zur Anrufung des Kreisamtes
ermächtigte, das die Streitigkeit entweder im Verwaltungswege
entschied, oder der Kammerprocuratur zur Vertretung im Rechts-
wege überwies. Dadurch war also den Bauern eine unentgeltliche
Rechtsvertretung gesichert, und die Inanspruchnahme dieser führte
alsbald zu einer solchen Vermehrung der Geschäfte, dass in der
Regel bei den Pisealämtern ein Fiscaladjunct als „Unterthans-
advocat" vollauf Beschäftigung fand.
Zugleich mit dem Unterthanenpatent erschien auch das so-
genannte Strafpatent, das die Disciplinargewalt der Grundobrig-
keiten erheblich einschränkte, Geldstrafen völlig abschaffte, jede
Bestrafung von der Aufnahme eines Strafprotokolls mit Angabe der
Gründe abhängig machte. Verhängung größerer Strafen oder Ab-
stiftung an die Genehmigung durchs Kreisamt band u. dgl. m.
Endlich kam es auch zur Aufhebung der Leibeigenschaft, die in
Böhmen, Mähren, Krain und Galizien noch weit verbreitet war.^
Die Leibeigenen oder Erbunterthanen, wie sie auch genannt wurden,
erhielten nun Freizügigkeit, das Recht der freien Verehelichung,
bedurften zur Erlernung des Handwerks keines Losbriefes und
hatten, soweit sie auf unterthänigen Gütern saßen, nur die in
den Urbarialpatenten festgestellten Leistungen an die Grundherr-
schaft zu entrichten, der sie im übrigen in den Formen einer
gemäßigten Unterthänigkeit zu Gehorsam verpflichtet blieben.
1786 wurden dann die Robotleistungen in Galizien, 1787 auch
in Ungarn nach dem Robotpatent für Böhmen vom Jahre 1775
geregelt und so noch mancherlei zur Besserung der bäuerlichen
Besitzrechte verfügt.
1 Es ergiengen für jede Provinz, in der die Leiboigensciiaft bestand, eigene,
die Landesverliältnisse genau beachtende Patente u. zw. fürs Inn viertel 1780,
15. März; Böhmen und im Lande unter der Enns 1781, 1. November; Mähren,
6. December; Galizien 1782, 5. April; Karaten 5. August; Krain 13. September;
Vorlande 20. December; Ungarn 1785, 22. August. — Beidtel, I, 315: bei de
Luca, Politischer Codex, V, 283, die Patente; Grtinborg, I, 272.
Maßregeln zu Gunsten des Bauernstandes; Generalseminare. 551
14. In diesen Maßregeln zu Gunsten des Bauenistandes
gelangten nicht bloß allgemeine politische Erwägungen, sondern
auch die volkswirtschaftlichen Anschauungen des Kaisers zum
Ausdruck. Als Anhänger der durch Sonnenfels an der Wiener
Universität vertretenen „Populationistenschule", die als „verbessei-te
Auflage des Mercantilsystems" bezeichnet wird, aber auch von
physiokratischen Lehren beeinflusst, die schon 1773 bei den Ver-
handlungen über die Ordnung des Steuer- und Urbarialwesens in
Galizien zutage traten, begünstigte Joseph II. nicht bloß Ein-
wanderungen, sondern auch die Zerstückelung der Großbauern-
wirtschaften, um so die Zahl der Bevölkerung und dadurch der
verfügbaren Arbeitskräfte zu heben. In Galizien, der Bukowina und
Ungarn wurden Colonisationsversuche im größeren Umfang durch-
geführt, die nebenbei Stützpunkte für das Deutschthum in der
Monarchie abgeben sollten. Die Zollgesetzgebung wurde der Hebung
der inländischen Industrie dienstbar gemacht (1784) und durch all
diese Bemühungen in der That der Erfolg erreicht, dass die Zahl
der Fabriken in Böhmen von 50 im Jahre 1780 auf 172 mit
400.000 Arbeitern im Jahre 1786, gestiegen war.
1 5. Überhaupt wurden die Zwecke materieller Volksbeglückung
überall in den Vordergrund gestellt. Daraus erklärt sich, dass vom
Staate aus vor allem jene Seiten der Wissenschaft gepflegt wurden,
welche man für praktische Zwecke unmittelbar brauchte, sowie die
größere Vorliebe für das niedere Schulwesen, als für das höhere.
Während die Volksschulen einen raschen Aufschwung erfuhren und
beispielsweise in Böhmen die Zahl der Schüler auf dem flachen
Lande innerhalb eines Jahrzehents (1775 — 1785) von 14.000 auf
117.000 stieg, wurden die Universitäten zu Graz, Innsbruck und
Brunn aufgehoben, Prag und Wien aber nebst der neuerrichteten
zu Lemberg, lediglich als Anstalten zur Heranbildung von Staats-
beamten, praktischen Ärzten und eines dem Staate unbedingt er-
gebenen Clerus behandelt. Wie den übrigen Universitätshörern so
wurde jetzt auch den Theologen durch die Regierung der genaue
Lehrplan nebst Lehrbüchern, Methode, Classificationsgi'undsätzen
u. dgl. vorgeschrieben. Noch größeres Aufsehen aber erregte 1784
die Errichtung staatlicher Generalseminarien, für Hörer der Theo-
logie zu Wien, Prag, Olmütz, Lemberg, Graz, Innsbruck und Pavia,
die aus den Fonds der eingezogenen Stiftungen erhalten wurden.
552 Österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Fünfte Periode. § 64.
16. Kirchlicherseits war man auf den Kaiser von Anbeginn
seiner Regierung äußerst schlecht zu sprechen. Nicht daas Joseph II.
etwa glaubenslos, oder erklärter Feind der Geistlichkeit gewesen
wäre, niemand geringerer als Papst Pius VT. hat einmal die Über-
zeugung ausgesprochen, der Kaiser „habe einen großen Fond von
Religion und sei der beste Katholik von der Welt'*. Allein bei seinen
Bemühungen, die Kräfte des Staates zu erhöhen und dessen An-
sehen und Macht zu stärken, gelangte er zu Maßregeln, die man
in der Geistlichkeit als schwere Schädigungen empfand. Schon das
Toleranzpatent vom 13. October 1781 erregte in diesen Kreisen
Sturm, obwohl dadurch dem Katholicismus das „Prärogativum der
dominanten Religion "^ nicht genommen werden sollte. Den Akatho-
liken wurde nämlich nur das Privatexercitium ihrer Confeasion
gestattet und der Nachdruck der Verfügung lag darauf, dass diese
zu Häuser- und Güterkäufen, zu Bürger- und Meisterrechten,
akademischen Würden und öffentlichen Diensten zugelassen seien,
um dem Staate neue Talente und neue ökonomische Quellen zu
eröffnen. Aus Rücksicht auf das praktische Staatsinteresse wurden
auch den Juden, die man zu Ackerbau und Handwerken heranzu-
ziehen hoffte, bürgerliche Rechte verliehen. Besonders schmerzlich
aber wurde von der Kirche die Aufhebung aller Bruderschaften
und von nahezu achthalb Hundert Klöstern empfunden. Sie betraf
Mönche, die „keine Jugend erziehen, keine Schule halten und keine
Kranken warten und welche bloß vitam contemplativam führen*".
Der Besuch des Papstes in Wien, um den Kaiser persönlich um-
zustimmen, misslang, auf eine Erörterung der Frage, ob der Staat
das Recht habe, das Eigenthum der Orden einzuziehen, gieng
Joseph gar nicht ein, der nur in einzelnen streng geistlichen Punkten
nachgab und im wesentlichen doch bei den gefassten Entschlüssen
blieb. Im übrigen hielt Joseph bei seinen Anordnungen gegenüber
der Kirche die Bahnen ein, die schon seine Vorfahren (§ 51) und
namentlich seine Mutter^ gewandelt, nur dass er die staatlichen
*^ In der oberwähnten Denkschrift der Kaiserin für ihre Kinder (Archiv
Bd. 47, 295) erklärt sie, sie hielte es nicht allein nicht für löblich, sondern ,.viel
mehr für sträflich, wann an die Geistlichkeit niehrers gegeben und abgetreten
würde, weilen einerseits sie solche« nicht bedürfen, andererseits aber jenes so
selbte besitzen, leider nicht so anwenden wie sie sollten" u. s. w. und deutet an.
dass dies .alles eine große Reraedur noch erfordern wird* und dass sie darüber
nachdenken wolle.
Toleranzpatent, Aufhebung von Klöstern; Polizeidirectionen. 553
Vorrechte noch schärfer hervorhob und bei seiner Geringschätzung
der Form, durch die Art und Weise wie seine Befehle gegeben
wurden, oft unnöthig verletzte.
17. Das Schlussergebnis so vieler gutgemeinter aber über-
stürzt ins Werk gesetzter Reformen, war aber ein ganz anderes,
als es der Kaiser erwartet hatte. Mit jedem neuen Schritte nach
vorwärts wuchs die Zahl der Gegner und minderten sich die An-
hänger, so zwar, dass zuletzt beinahe das ganze Reich zur Klage
und zum Widerstände sich vereinigte, obgleich jede einzelne
Neuerung in diesem oder jenem Kreise großen Beifall fand und die
Vergötterung des Monarchen hervorrief. Dem Kaiser waren die
Anzeichen einer sich mehrenden Unzufriedenheit nicht entgangen,
die zum Theil so oflfen lagen, dass im Jahre 1786 die Frage,
„warum Joseph nicht geliebt werde", in Flugschriften für und
wider erörtert wurde und Geiger in seiner Patriotenfrage: „Sind
die k. k. peinlichen Strafgesetze der Politik und dem Staats- und
Naturrechte gemäß"* (1788) mit den Worten schließen konnte:
Möchte der Kaiser „klugen Köpfen seines Landes mehr und seiner
eigenen Einsicht weniger zutrauen! möchte er endlich einsehen,
dass etwas mehr dazu gehört, Gesetze zu geben und ein Volk zu
regieren, als eine Armee zu commandieren, dass man ein sehr
guter Kriegsmann und ein sehr mittelmäßiger Fürst sein kann"" . . .
Vom Bestreben geleitet, über alle Vorgänge sichere Nachricht zu
erhalten, hatte er darum das von der Kaiserin Maria Theresia im
Jahre 1754 zu Wien eingeführte Institut der Polizei-Commissäre
alsbald in eine Polizei-Direction umgewandelt, welcher seit 1784
die Errichtung von Polizei-Directionen in den Provinzialhauptstädten
und die Ernennung des Grafen Pergen zum Polizeiminister folgte.
In einem umfassenden Vortrage, den dieser am 13. Jänner 1790 dem
Kaiser erstattete, werden nun mit schonungsloser Offenheit all die
wirklichen oder scheinbaren Missgrifife in der Regierung aufgezählt,
um die allgemeine Unzufriedenheit im Reiche zu erklären. „Die
plötzliche Umstaltung aller Landesverfassungen — heißt es darin
— hat nothwendig auch alles erschüttern und eine allgemeine
Gährung veranlassen müssen. Der Adel ist mit Rechte unzufrieden,
weil derselbe durch das bürgerliche sowohl als Criminal-Gesetz-
buch, durch die neue Steuer-Rectification in seinem Eigenthum
ohne Verschulden äußerst gekränket und so erniedrigt worden.
554 österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Fünfte Periode. § 64 u. 65.
daß zwischen dem Bürger- und Bauernstand mit dem seinigen
ein sehr geringer Unterschied mehr sich zeiget. Die noch bestehende
Geistlichkeit ist unzufrieden, weil ihre Einkünfte auf das höchste
geschmälert und die Stifter, welche als Güterbesitzer anzusehen,
auch in dieser Eigenschaft den ersten Platz unter den Ständen
hatten, nebst gleichmäßiger Kränkung ihres Eigenthums, beynahe
dieses genossenen Vorzugs entsetzet worden. Der Bürgerstand
wird durch die Vervielfältigung desselben mittelst Erleichterung
der Gesellen zum Bürger- und Meisterrechte in seinem Verdienste
merklich geschmälert und ist durch die Entkräftung des Adels und
der Geistlichkeit gleichsam ärmer geworden; er ist also überhaupt,
dermalen aber umso mehr mißvergnügt, als die Art, mit welcher
die Kriegssteuer, die ihm ohnehin sehr lästig ist, von demselben
vorschriftsmäßig eingetrieben werden muß, die meisten, d. i. die
Ärmeren gänzlich danieder schlägt. Der Bauer, welcher zwar in
der That einer Erleichterung würdig war, von Eu. Mt. aber zu
der glücklichsten Klasse aller ihrer Unterthanen gemacht worden,
mithin alle Ursache hat, Eu. Mt. Großmuth zu preisen, ist stolz
auf diesen gnädigsten Vorzug, dennoch unzufrieden, weil er von
allen Schuldigkeiten gegen seinen Herrn frei sein vdll und auch
wirklich in dem Irrwahn ist, von allen entledigt zu sein . . .''^
18. Als Kaiser Joseph diese Zeilen empfieng, war er ein tod-
kranker, gebrochener Mann: die Niederlande standen in hellem
Aufruhr, Ungarn war am Vorabende eines solchen, der Krieg mit der
Türkei im Zuge, ein zweiter mit Preußen nahe bevorstehend. Ob es
die Vorstellungen Graf Pergens, ob die dringenden Mahnungen seines
Bruders Leopold von Toscana waren, die den Kaiser zur Erkenntnis
seiner Misserfolge brachten, genug an dem, Joseph II. entschloss sich
zum schmerzlichsten Schritte, den er thun konnte, zum Widerruf
seiner Reformen, mit Ausnahme des Toleranzedicts, der Regelung der
Pfarreien und der Vorschriften in Unterthanensachen. Den Ungarn
sicherte ein Decret vom 28. Jänner 1790 die Widerherstellung ihrer
Verfassung zu. Am 6. Februar berief er dringend seinen Bruder
Leopold nach Wien zur Übernahme der Mitregentschaft, allein ehe
dieser seine Angelegenheiten in Toscana regeln und nach Wien
abreisen konnte, verschied Kaiser Joseph IL am 20. Februar 1790.
» Vollständig gedruckt bei Fournier. Studien, S. 167 ff.
WideiTuf von Refoionen; Einlenken unter Kaiser Leopold II. 555
§ 65. Tom Tode Katoer Joseph's II. bis zum Jahre 1848.
Literatur: Krön es, Grondriss, 755 ff. — Bachmann, Lehrbuch d. österr.
Reichsgeschichte, 1896, § 43 ff. — Domin, 197 ff. — D'Elvert, Verwaltungs-
geschichte, 503 ff. — Hart ig, Genesis der Revolution in Österreich im J. 1848.
— Hu her, Rg., 205 ff. — Kudler, Versuch einer tabellarischen Darstellung des
Organismus der österr. Staatsverwaltung, 1834. — Mages v. Kompillan, Die
Justizverwaltung in Tirol und Vorarlberg in den letzten hundert Jahren, 1887. —
Österreich im Jahre 1840, 4 Bde. — Seydler, 176 ff. — Springer, Geschichte
Österreichs seit 1809, 2 Bde. — Tom an. Das böhmische Staatsrecht, 181 ff.
1. In der Ausbildung Österreichs zum modernen Einheitsstaat
füllen die Regierungen der Kaiserin Maria Theresia und ihres ältesten
Sohnes, 1740—1790, gerade ein halbes Jahrhundert aufsteigender
Bewegung. Ein neuer Abschnitt, der um acht Jahre länger dauerte,
hebt mit dem Tode Kaiser Joseph's IL an. Er begann mit einem
theilweisen Einlenken in die Zustände vor 1780, das durch die
Hast, mit welcher Kaiser Joseph seine Reformen ins Werk gesetzt
hatte, nothwendig geworden war, geht über in eine zu jeder ge-
deihlichen Entwicklung aus sich selbst heraus unfähige Erstarrung
und endet mit dem , tollen Jahr** 1848, das zu jähem Bruch mit
der Vergangenheit führte.
2. Ungemein schwierig waren die Umstände, unter welchen
Leopold IL, der erst am 12. März 1790 in Wien eintraf, die Herr-
schaft über Österreich antrat. Wohl gieng ihm der beste Ruf voraus,
denn während einer fündundzwanzigjährigen Regierung hatte er in
Toscana nicht viel geringere Reformen in Frieden durchgeführt, als
jene, an denen Kaiser Joseph IL in Österreich gescheitert war. Doch
ließ sich mit Sicherheit erwarten, dass die Rückgabe der alten Ver-
fassung an Ungarn, gleiches Verlangen bei den Landständen aller
Erblande wachrufen werde, und dass sich der Sturmlauf nicht
gegen die Reformen des letzten Jahrzehnts allein richten würde.
Die Wiedergewinnung Belgiens, Beruhigung Ungarns und der
übrigen Erblande, und dabei möglichste Aufrechthaltung der seit
Maria Theresia sosehr geförderten Staatseinheit und Regierungs-
gewalt, das waren die Ziele, die sich Leopold setzte.
3. Um sich den Innern Verhältnissen mit ganzer Kraft widmen
zu können, mussten vorerst die äußeren Verwicklungen beigelegt
werden. Durch den Reichenbacher Vertrag und den Frieden von
556 Österreichische Reichsgeschichte. IL Theil. Fünfte Periode. -§ 65.
Sistowo giengen zwar die Eroberungen des letzten Tiirkenkrieges
verloren, dafüi- erhielt jedoch Leopold freie Hand im Innern. Die
Ungarn, der Aussicht auf auswärtige Hilfe beraubt, ließen ihre
überspannten Forderungen fallen. Am 15. November 1790 fand die
Krönung Leopold's IL statt und König wie Stände einigten sich auf
dem Reichstag von 1790/91 darüber, dass Ungarn sammt seinen
Nebenlanden, den partes adnexce, auf Grund der pragmatischen
Sanction als eigenes Reich nach seinen eigenen Gesetzen und Ge-
wohnheiten, nicht aber nach Art der übrigen Provinzen zu regieren
sei. Wurde auf solche Weise die Verfassung Ungarns auf den
Stand vom Jahre 1780 zurückgeführt, so that dies Leopold IL
folgerichtig auch bei jenen Maßregeln seines Vorgängers, welche
die Verwaltung der Nebenlande betroffen hatten. Darum wurde die
Trennung Siebenbürgens von Ungarn wieder angeordnet und wie
die siebenbürgische Hofkanzlei, so über die Bitte des serbischen
Kirchencongresses für das Temeser Banat auch eine illyrische Hof-
kanzlei errichtet.
4. Nicht minder gelang es Leopold, die Bewegung in den deut-
schen Erblanden in ruhigere Bahnen zu leiten. Hier hatten wenige
Wochen genügt, um das von Kaiser Joseph eingeführte Regierungs-
system in unzusaramenhängendes Stückwerk zu wandeln. Vor allem
eifrig zeigten sich die Provinzialstände, um ihren verlorenen Einfluss
wieder zurückzugewinnen und der Wiederkehr „Josephmischer
Zeiten "^ vorzubeugen. In der That wurden auch alsbald in allen Erb-
landen Landtage einberufen, allein die von den Ständen ausgearbei-
teten weitschweifigen Elaborate, durch welche sie ihre Rechte zu
begründen suchten, hatten nur geringen Erfolg. Kaiser Leopold er-
klärte sich schließlich für das Jahr 1764 als Normaljahr und wies
alle darüber hinausgehenden Ansprüche der Stände zurück.^ Die
absolute Gewalt der Krone blieb daher unberührt, die Staatsgewalt
centralisiert und Träger des öffentlichen Staatslebens, die Josephi-
^ über die ständische Bewegung nach Kaiser Joseph 's Tode in Böhmen:
Histor. Actenstücke über das Ständewesen in Österreich, Heft ü, Springer L
25flf.; Tom an, 181. Für Mähren: D'Elvert im 14. Bd. der Schriften d. histor.
Section. Für Steiermark : Zahn, Geschichtsblätter, VI, und Bidermann
Heft XXI der Mitth. d. hist. Ver. f. Strak. Für Krain: Costa in Mitth. d. bist.
Ver. f. Krain, 1859; das Ms. der kärntnischen Desideria liegt jetzt im Archiv
des Museums zu Görz. Für Tirol: Egger, III, 128.
Paciflcierung Ungarns; die Stände und das Nonnaljahr 17(54. 557
nischen Agrar-, Justiz- und Verwaltungsgesetze, soweit sie nicht schon
früher widerrufen worden waren, hielt Kaiser Leopold II. unbedingt
aufrecht. Die Josephinische Steuerverfassung wurde nur unter dem
Vorbehalt späterer Durchführung zurückgezogen, weil bei den Vor-
arbeiten F'ehler unterlaufen seien. Die Qeneralserainarien wurden
zwar aufgehoben, jedoch die Geistlichen demungeachtet als „Beamte
des Staates in der Kirche** angesehen, die Conduitlisten wurden
aufgegeben, die Strafe des Schiflfziehens abgeschafft u. dgL, aber
im übrigen blieb es beim alten. Das freie Versammlungsrecht der
Landstände, die Wiedereinführung der Mautfreiheit, des alten Jagd-
rechts, des eigenen Gerichtsstandes, die Aufhebung der Toleranz-
gesetze, die Wiederherstellung der Klöster, die Übergabe des Re-
ligionsfonds an die Kirche u. s. w., dies alles wurde ein- für allemal
abgelehnt.
5. So bekamen also die Stände nur ein sehr bescheidenes
Maß ihrer früheren Gerechtsame zurück. Die Regierung gab z. B.
den stehischen Ständen einen Landeshauptmann als besonderes
Haupt zurück und verzichtete auf das unbeschränkte Ernennungs-
recht, allein sie behielt das Wahlrecht unter zwölf vorgeschlagenen
Candidaten und der Erwählte durfte nicht ihnen, sondern musste
ausschließlich dem Monarchen den Gehorsamseid leisten. Die Wahl
von Verordneten und Ausschüssen wurde wohl den Landständen
wieder verstattet, allein sie musste jetzt curienweise erfolgen und
außerdem war dem Bürgerstande der Posten eines Verordneten
und von zehn Verti'etern im Landtag vom Kaiser, aller Gegen-
bemühungen der alten Stände ungeachtet, zugestanden worden.
Dabei unterlagen die Sitzungsprotokolle und Rechnungsausweise
der Landschaft fortan einer strengen Untersuchung durch die
Staatsbehörden, was ebenso gegen das geschichtliche Recht war,
als die Bemessung der Gehalte für die Verordneten und Bedien-
steten der Landschaft durch die Regierung, ja den Ständen war
überhaupt jede noch so kleine Ausgabe untersagt, sofern nicht
Pauschalsummen dafür ausgeworfen waren.
6. Auch auf dem Gebiete der Verwaltung wurden im ganzen
die Zustände wieder hergestellt, wie sie unter der Kaiserin Maria
Theresia bestanden hatten. Die historische Individualität der Erb-
lande kam wieder zur Geltung; an Stelle des i.-ö. Guberniums
traten besondere Länderstellen in Steiermark, Kärnten und Krain^
558 österreichische Reichsgeschichte. IL Theil. Fünfte Periode. § 65.
auch in Görz wurde eine solche errichtet und die Bukowina von
Galizien getrennt.* Was diese Justiz Verfassung betrifft, so wurde das
inner- und oberösterreichische Appellationsgericht mit Patent vom
27. Deceraber 1790 getheilt und für Tirol und Vorarlberg ein eigener
Gerichtshof zu Innsbruck errichtet, während das Appellationsgericht
zu Klagenfurt seinen Wirkungskreis für Innerösterreich behielt.
Ebenso wurden unter Aufhebung der Justizadministrationen eigene
Landrechte für Görz, Kärnten, Krain u. s. w. eingerichtet, die hinfort
fast ausschließlich Civilgerichte für den Adel blieben. Nicht weniger
als achtzehn Hofdecrete aus den Jahren 1791—1792 bestimmten
jene Magistrate, denen nach einzelnen Provinzen und Kreisen die
unadelige Geistlichkeit hinfort unterstehen sollte. Bei den Central-
stellen verfügte das Hofrescript vom 31. Jänner 1791 die Auflösung
der „vereinigten Hof stelle** und wurde die Wiedererrichtung der
böhmisch-österreichischen Hofkanzlei einerseits, der Hofkammer
andererseits angeordnet, welch letzterer sowohl die Finanzver-
waltung als die Leitung der Handelsangelegenheiten übertragen
wurde.
7. Es war ein Unglück für Österreich, dass Kaiser Leopold IL,
welcher den Ruf eines der weisesten Fürsten seiner Zeit hatte, schon
nach zwei Jahren starb (1792, 1. März), ehe es ihm gelungen war,
hier die fortgeschrittenen constitutionellen Anschauungen, ins Leben
einzuführen, die er als Großherzog vertreten hatte, denn „Leopold
wäre vielleicht wohl befähigt und entschlossen gewesen, in ruhigen
Zeiten die verfassungsmäßigen Zustände in Österreich auf einer
den modernen Verhältnissen und Anschauungen entsprechenden
Basis fortzubilden **. Mit der Thronbesteigung seines Nachfolgers
schwand leider diese Hoffnung und damit die Aussicht auf eine
stetige und ruhige Entwicklung der inneren Verhältnisse. Kaiser
Franz IL, von Natur aus zu Misstrauen neigend, entwickelte sich
unter dem Eindruck der Schreckenszeit in Frankreich und der Napo-
leonischen Kriege, die er als Polgen der Freiheitsbewegung ansah,
zu einem Herrscher, welcher allen durchgreifenden Änderungen
abhold war. Auch seine Schwerfälligkeit, zu einem bestimmten
Entschlüsse zu gelangen, hielt ihn von Reformen ab, deren Ende
man nicht vorhersehen konnte. Er begnügte sich, anzuordnen, was
gerade das augenblickliche Bedürfnis verlangte, verlor sich dabei
selbst in kleinliche Einzelheiten und so wurde denn Österreich
Tod Kaiser Leopold's IL; Österreich unter Kaiser Franz I[. 559
nach einem Ausspruche Metternich's „zwar verwaltet, aber nicht
regiert". Vor allem gefährlich erschien dem Kaiser Franz jede
Volksbewegung und darum verstrich auch die günstige Gelegenheit
der Freiheitskriege ungenützt und ohne jeden Versuch, sich mit
dem Volke in einer der Macht des Reiches frommenden Weise zu
verständigen. Wohl hatte Artikel 13 der deutschen Bundesacte
die Einführung einer landständischen Verfassung für alle Bundes-
staaten angeordnet, allein dem war in Österreich nach Ansicht des
Kaisers durch die Wiederherstellung der alten ständischen Länder-
verfassungen bereits entsprochen, die Kaiser Leopold IL verfügt
hatte und die Kaiser Franz dort, wo die Franzosenkriege Än-
derungen bewirkt hatten, wieder einführte.^ Der Verauch des
Staatskanzlers Fürsten Metternich im Jahre 1832, den Kaiser für
eine neue Verfassung zu gewiimen, um den „Gegensatz zwischen
dem monarchischen Princip und dem der Volksherrschaft "" auf-
zulösen und ein System des „regelmäßigen Fortschrittes"* anzu-
bahnen, scheiterte und es blieb alles beim alten. Einen noch ärgeren
Grad erreichte die Versumpfung alles öffentlichen Lebens unter
seinem Sohne und Nachfolger, Kaiser Ferdinand L, einem Fürsten
von unbegrenzter Gutmüthigkeit und unerschöpflichem Wohlwollen,
den indessen seh were Erkrankungen von der Regierung ausschlössen,
welche in seinem Namen durch die „Staatsconferenz"" thatsächlich
geführt wurde.
8. Die Verfassung Österreichs ist in sämmtlichen Provinzen mit
einziger Ausnahme Ungarns und Siebenbürgens rein monarchisch.
„Ich bin derjenige, welcher etc.", ist der eigentliche Wahlspruch
der Monarchie, so beginnt der ungenannte österreichische Staats-
mann seine SchUderung von Österreich im Jahre 1840. Die alte
ständische Verfassung bestand nur noch den Namen nach und
war zum Zerrbild geworden. Der permanente Landesausschuss, das
Verordneten - CoUegium oder welchen Namen sonst der geschäfts-
führende Ausschuss der Landstände hatte, bestand aus ein oder
zwei Mitgliedern des Prälaten-, Herren-, Ritter- und Bürger-
standes (in Tirol auch der Bauernschaft), die auf den Landtagen
mehr mit Rücksicht auf ihre Vermögensverhältnisse als auf ihre
Fähigkeiten gewählt wurden und der kaiserlichen Bestätigung be-
2 In Tirol 1816, öalizion und Bukowina 1817, in Krain 1818, Salzburg 1826.
560 Österreichische Reich?geschichte. II. Theil. Fünfte Periode. § 65.
durften. Ihre Hauptaufgabe war die gleichmäßige Vertheilung und
die Einbringung der Steuern und Landesabgaben, wofür ihnen
während ihrer sechsjährigen Amtsdauer jährlich 2000 fl. Remune-
ration mit Bewilligung des Staates angewiesen wurden. Nicht selten
waren einzelne Verordnete nebenbei auch Staatsbeamte. Die übrigen
Landstände traten über kaiserliche Berufung einmal im Jahre unter
Entfaltung veralteten Pompes zum allgemeinen Landtag zusammen,
um über die Bewilligung der fürs laufende Jahr vom Kaiser ge-
forderten Steuern und Abgaben zu berathen, eine inhaltslose Förm-
lichkeit, da von Seite der Regierung auch nicht das geringste
Widerstreben geduldet wurde. „Eine \'ertretung der Unterthanen,
eine eigenmächtige Abstellung von Missbräuchen, eine Beschwerde-
führung und Ähnliches liegt nicht in der Berechtigung dieser Stände
und würde es ja irgend ein großherziges Mitglied der Versammlung
wagen, dem stillschweigend zustimmenden Resultate dieser öffent-
lichen Berathung missbilligend in den Weg zu treten, er dürfte nur
stummen Gestalten gegenübei'stehen'', urtheilt der ungenannte
Staatsmann vom Jahre 1840.
9. Ganz anders waren allerdings die Dinge auch zu dieser
Zeit in Ungarn. Hier lag bloß die executive Gewalt in den Händen
des Königs, während der größere Theil der Majestätsrechte und
deren Ausübung an die Zustimmung der Reichstände gebunden war,
die von drei zu drei Jahren berufen werden sollten. Kaiser Franz
suchte sich dadurch zu helfen, dass er den ungarischen Reichstag
so selten als möglich berief, allein dies führte nur zu lauten Klagen
und zu passivem Widerstand der Comitate. Zur Beschwichtigung der
Gemüther wurden dann — oft nur stillschweigend — Zugeständnisse
gemacht, die sich hinterher von großer Tragw^eite erwiesen. Schon
auf dem Landtag von 1825 und noch mehr auf den folgenden, ge-
schah es, dass durch Stillschweigen der Regierung bei Übergriffen
der Stände oder bei Missgriffen von Seite der königlichen Vertreter
die Grundlage der ungarischen Verfassung in einer der Krone un-
günstigen Weise geändert wurde, ohne dass man es in Wien geahnt
hätte. So wurde aus Anlass einiger, bei Comitatsversammlungen
vorgekommener Anstände das Majoritätsprincip stillschweigend ein-
geführt und dadurch ein dem Grundgesetz entgegenstehender
„Usus" begründet, denn jenes legte auf die vota mnioia, nicht auf
die vota majora Gewicht und verfügte vota non numerctntnr .^ed
Die Landtage in Ungarn ; Umstaltnngen der Verwaltung. 56 1
x
ponderantii7\ Die Folgen dieser gesetzwidrigen Neuerung kamen
zumeist der Bewegungspartei zustatten, welche auf diese Weise
das verfassungsmäßige Übergewicht der Notabilitäten durch jenes
der Zahl beseitigen konnte, betrüblich aber waren sie vor allem für
die Städte, deren Abgeordneten, als es auf dem Reichstage vom
Jahre 1830 zum erstenmal zur Abstimmung nach der Zahl kam,
der Präsident der Ständetafel nur eine Stimme beilegte und da-
durch einen neuen „Usus" begründete. Ähnliche Versehen traten
auch in vielen anderen Fällen ein, wurden, da sie von Seite der
Krone ungerügt blieben, sofort als „Usus" gedeutet und unter-
gruben so die hergebrachte Verfassung.
10. Und doch sollte nach des Kaisers Willen alles beim alten
bleiben, dem er gegenüber jedem noch so bescheidenen Wunsche
nach Neuerungen, fort und fort das Wort redete. Von Anbeginn fehlte
daher jeglicher Antrieb zum Ausbau der von Kaiser Leopold IL
unvollendet hinterlassenen Grundlagen des Staates. Nur auf dem
Gebiete der Verwaltung geschah einiges und das mit keiner
glücklichen Hand. So bestand die vornehmste Thätigkeit der
Regierung anfangs in einem Zusammen- und wieder Auseinander-
schieben der von der Zeit seiner Vorgänger überlieferten Ministerien.
Das Princip der Trennung der Justiz von der Verwaltung wurde
zeitweilig aufgegeben, indem 1797 die höchsten politischen und
Justizgeschäfte der böhmisch - österreichischen Hofkanzlei über-
tragen wurden, welche seit 1801 auch noch das ganze Finanz- und
Commerzwesen mit Ausnahme der Creditgegenstände besorgen
sollte, gleich darauf der Staatsrath in ein dreispaltiges Staats- und
Conferenz-Ministerium umgew-andelt, vierteljährige Administrations-
berichte den Länderbehörden auferlegt, um eine Übersicht des
Zusammenhangs der Geschäfte, des Gedeihens oder Rückgangs zu
erhalten. Aber schon 1802 kam eine neue Organisation der Hof-
stellen zustande: Justiz und Finanz wurden von der politischen Ver-
waltung durch Wiedererrichtung der obersten Justizstelle und der
Hof kammer getrennt, 1808 auch der Staatsrath in friiherer Weise
erneuert. Dass infolge dieses ziellosen Schwankens in den Ein-
richtungen der obersten Verwaltung eine gräuliche Unordnung in
der Geschäftsführung eintreten musste, ist klar.
11. Der Verwaltungsapparat in Österreich, der sich zum
Schlüsse dieser Übergangszeit herausbildete und dann durch Jahr-
Lttschin, österreichische Reichsgeschichte. 3ö
562 österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Fünfte Periode. § 65.
zehente bia zum Jahre 1848 im wesentlichen unverändert erhielt,
war folgendermaßen gestaltet:
Für die oberste Leitung der Staatsgeschäfte gab es eine
Anzahl von „Hofstellen", welche meist collegial eingerichtet waren,
d. h. ihre Entscheidungen wurden in Sitzungen mit Stimmenmehrheit
der Räthe beschlossen und der Präsident hatte nur das Recht,
vor Ausfertigung wichtiger Beschlüsse noch die Entscheidung des
Kaisers einzuholen. Einige dieser Hofstellen waren Behörden für
den Gesammtstaat, so die geheime Haus-, Hof- und Staatskanzlei
in Angelegenheiten des Äußern, der Hofkriegsrath für das gesammte
Militärwesen, die allgemeine Hofkammer in Finanz-, Handels- und
Industriesachen und das Generalrechnungsdirectorium. Für die
Leitung der politischen Angelegenheiten einschließlich des Polizei-
wesens, sowie als höchste Justizstelle in Ungarn und Siebenbürgen
bestand die königliche ungarische, beziehungsweise siebenbürgische
Hofkanzlei. Für die übrigen Kronländer gab es die k. k. vereinigte
Hofkanzlei als Ministerium des Innern, Cultus und Unterricht, die
oberste Justizstelle zugleich Justizministerium und eine Polizei-
und Censurhofstelle.
12. In der Länderverwaltung erhielten sich im wesentlichen
die Josephinischen Einrichtungen. Fürs Politische gab es coUegiale
Gubernien mit einem Gouverneur an der Spitze, der manche Ge-
schäfte „prsesidialiter*" erledigen konnte. Unter den Gubernien
standen Kreisämter, welche zum Theile einen eigenen Wirkungs-
kreis erhalten hatten, und die städtischen Magistrate gleich den
Patrimonialbehörden als Vollzugsorgane für Acte der landesfürst-
lichen Verwaltung benützten. Die erwähnten städtischen und grund-
herrlichen Beamten besorgten in gleicher Weise für den Staat auch
die Justiz- und Finanzverwaltung, soweit diese nicht den landes-
fürstlichen Cameralbehörden oder den k. k. Landrechten, beziehungs-
weise Appellationsgerichten überwiesen waren. Daneben gab es
noch eigene k. k. Polizeidirectionen und hatten die landständischen
Behörden die Besorgung der Steuereinhebung für den Staat.
13. Die Verwaltung Österreichs krankte in dieser Zeit an dem
völligen Mangel eines inneren Zusammenhangs. Kaiser Franz war
seiner Gesinnung nach so sehr Centralist und Autokrat, dass er
alle Fäden der Staatsverwaltung persönlich zusammenhalten wollt«,
indem er dazu die Hilfe bald des einen, bald des andern Staats-
Die Verwaltung vor 1848, Mangel an innerm Zusammenhang. 563
und Conferenzministers oder Staats- und Conferenzrathes, immer
aber nur zeit- und theilweise in Anspruch nahm. »So sanken all-
mählich die Hofstellen von Theilnehmern an der Staatsregierung zu
bloßen Verwaltungsbehörden herab ; eine jede bewegte sich in ihrem
Kreise, ohne Rücksicht auf die Bewegung der andern, ein soli-
darisches Zusammenwirken für den allgemeinen Staatszweck unter-
blieb." Darunter litt natürlich die Qualität des Beamtenstandes,
zumal der Kaiser seine Anforderungen auf Fleiß und gesunden
Menschenverstand beschränkte und alle „Gelehrten" als von Übel
erklärte.* Das Endergebnis war, dass es eine vielgliedrige schwer-
fällige Bureaukratie gab, von der man sagen möchte, dass sie aus
lauter Händen und gar keinen Köpfen bestand, aus Menschen, die
ideenlos, ohne Interesse an den Zuständen des Ganzen, ihre In-
structionen beobachteten, nach den Normalien administrierten und
mit stumpfer Ergebung die nach dem Altersrang unfehlbar ein-
tretende „Vorrückung" erwarteten. Dabei kam es in der Verwaltung
selbst zu unglaublichen Widersinnigkeiten. Die Abgrenzung des
Wirkungskreises war oft mehr auf Grundlage der Form, als der
Wichtigkeit des Gegenstandes gefasst. Was nicht aus bestehenden
Vorschriften abgeleitet werden konnte, musste in der Regel vor den
Kaiser gelangen, dasjenige aber, was innerhalb einer solchen Vor-
schrift lag, wurde von der Hofstelle, deren Wirkungskreis es betraf,
unmittelbar entschieden. W^ährend nur der Kaiser den einzelnen
Mann vom Soldatendienst befreien konnte, hieng die Bemessung
der Recrutenzahl, die in jedem Jahr verschieden war, ganz vom
Hofkriegsrath ab. Bei Staatsbauten verwendete Arbeiter konnten
auch nach langjähriger treuer Verwendung nur durch kaiserliche
Entschließung zur kleinsten Gnadengabe gelangen, weil zu einer
Versorgung vom Staate nach den bestehenden Vorschriften nur die
Beeidigung Anspmch gab, aber die einschneidendsten Finanzmaß-
regeln führte die Hofkammer selbständig aus u. s. w.
^ So erzählte der Brünner Appellationspräsident Graf Bubna im Jahre 1836
bei einer gegebenen Veranlassung, Kaiser Franz habe zu ihm im Jahre 1833
gesagt: «Mit den s. g. Genies und Gelehrten kommt nichts heraus, sie wollen
immer alles besser wissen und halten die Geschäfte auf, oder die Alltagsgeschäfte
wollen ihnen nicht gefallen. Gesunder Menschenverstand ujid brav Sitzfleisch,
dies ist das Beste." — Beidtel, Geschichte d. österreichischen Staatsverwaltung,
I, S. XXIX, Anm. 1.
36*
564 Österreichische Reichsgeschichte. IL Theil. Fünfte Periode. § 65.
14. Auch die Annahme des österreichischen Kaisertitels im
Jahre 1804 war vor nlleni aus Rücksichten auf die Form erfolgt.
Der voraussichtliche Zusammenbruch des römisch-deutschen Reichs
und die Anwendung des Kaisertitels in Russland, bestimmten Kaiser
Franz IL, als Napoleon am 18. Mai 1804 den Kaisertitel von Frank-
reich angenommen hatte, ein Gleiches riicksichtlich seiner Erblande
zu thun. Am 10. August 1804 eröffnete Kaiser Franz diesen seinen
p]ntschlus8 einer Versammlung von Staatswürdenträgern, unter
welchen sich Erzherzoge, die Vorstände der österreichischen Hof-
stellen, der Palatin und ungarische Würdenträger befanden. Am fol-
genden Tage verkündete ein Patent, dass der römisch-deutsche Kaiser
auch den Titel eines Erbkaisers angenommen habe, aber feierlich
verkündet wurde die Neuerung in Wien erst am 7. December 1804,
während die ungarischen Behörden bereits durch ein Rescript vom
17. August davon benachrichtigt wurden; eine besondere Krönung
fand nicht statt. Als Franz IK 1806 die Würde eines römisch-
deutschen Kaisers niederlegte, enthob er seine Provinzen, die
Reichsländer waren, aller Verpflichtungen, die sie bisher gegen das
Deutsche Reich gehabt hatten, und erklärte am 6. August, er wolle
dieselben weiterhin „in Vereinigung mit dem ganzen österreichi-
schen Staatskörper als Kaiser von Österreich" regieren. Zugleich
wurden in der Wappenfrage die schon im Jahre 1804 gefasstea
Beschlüsse zur Ausführung gebracht und der Doppeladler als
Sinnbild des „auf den ganzen Complex der Erbkönigreiche und
Länder radicierten österreichischen Kaiserthums" erklärt. Weitere
Folgerungen aus der Annahme des Kaisertitels unterblieben, ob-
wohl der Staatskanzler in den Jahren 1815 und 1835 zu einer
feierlichen Kaiserkrönung drängte, bei welcher ständische Ab-
ordnungen aus allen Theilen des Reiches einen Act gemeinsamer
Huldigung dem gemeinsamen Oberhaupt hätten darbringen sollen.*
Die Vornahme einer solchen wurde ebenso abgelehnt, wie der Vortrag
der vereinigten Hofkanzlei vom Jahre 1806, welcher die Beseitigung
der Verschiedenheiten bei den Adelsdiplomen innerhalb der Mon-
archie beantragte, um die durch Annahme der österreichischen
Kaiserwürde ausgedrückte Einheit der Monarchie zu verwirklichen.
„Nur zu leisen Demonstrationen wurden die hiezu gewidmeten
* Über den Kaisertitel: Bidermann in Grünhut's Zeitschr., XXI, 368 ff.
Der österreichische Kaisertitel ; Wachsende Unzufriedenheit. 565
Insignien benützt, gleich als wollte man vorerst die Ungarn und
Böhmen an deren Anblick gewöhnen."
15. Die Unzufriedenheit der Völker Österreichs über ihre
Regierung nach dem „System" des Kaisers Franz, das man auch
„System Metternich" nannte, obwohl der Staatskanzler in den
inneren Angelegenheiten des Reiches bis zum Jahre 1835 wenig
Einfluss hatte, wuchs indessen von Jahr zu Jahr. Was dies
^System", das auch den Beamten als Richtschnur ihres Handelns
eingeschärft wurde, abgesehen von „ungeschmälerter Aufrecht-
haltung der Souveränitätsrechte und Verneinung eines jeden An-
spruches der Völker auf Theilnahme an jenen Rechten"^ noch
sonst für einen Inhalt habe, wusste eigentlich niemand zu sagen,
allein man empfand die Wirkung desselben als unerträglichen
Druck in allen Kreisen und Ständen. So war denn bald alles, was
nur überhaupt in Österreich an intelligenten und patriotischen
Elementen vorhanden war, instinctiv wie zu einem großen Geheim-
bund vereinigt, um einer solchen Regierung entgegenzutreten, wo es
gieng, nationale und politische Bestrebungen zu wecken und einer
besseren Zukunft vorzuarbeiten. MissgriflFe der Verwaltung, w^elche
umso leichter vorkamen, als die Beamten über die eigentlichen Ab-
sichten der Regierung nicht genügend unterrichtet wurden,^ haben
ihr ebenfalls den Boden untergraben. Endlich war auch die Finanz-
verwaltung schlecht. „Die Verlosung der älteren Staatsschuld ver-
größerte von Jahr zu Jahr die Zinsenlast des Staates, ohne ihm
neues Capital zur Aufschließung neuer Quellen des National reich-
thums dafür darzubieten", dazu kam der Druck der Steuern über-
haupt, der Verzehrungssteuer und des im Jahre 1840 erschienenen
unklaren Stempelpatents insbesonders. In Galizien war es schon
1846 zu einem nationalen Aufstand des Adels gekommen, der Re-
gierung und Militär gänzlich überraschte und eigentlich durch die
^ Hartig, Genesis 50, gibt an: Dieser Maxime standen noch zwei andere
zur Seite und sollten ihr als Stütze dienen. Die eine war Bewahrung des väter-
lichen Charaktere der Regierung, die andere Vertretung und Begünstigung des
Katholicismus.
*' So enthielten z. B. die a. h. Cabinetsschreiben nur kurz den Beschluss
de.s Kaisers ohne alle Begründung, «weil es mit der absoluten Herrschergewalt
nicht verträglich schien, Rechenschaft über die Motive eines kaiserlichen Be-
schlusses zu geben." Die Hofstollen wussten daher bei Abänderung ihrer Anträge
niemals, woran sie sich in Zukunft halten sollten. Hartig, Genesis, 36.
566 Österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Fünfte Periode, g 65 u. 66.
Bauern, die ihren Herren nicht folgen wollten, erdrückt wurde.
Österreichisch -Italien war durch Geheimbünde völlig unterwühlt^
in Ungarn begann auf den Landtagen unter Kossuth's Führung^
die radicale Partei Oberwasser zu erhalten, die auf völlige Ma-
gyarisierung und möglichste Selbständigkeit Ungarns losarbeitete,
in Böhmen regten sich die Czechen und selbst die zahmen Land-
stände der deutschösterreichischen Erblande fiengen an auf den
Postulat-Landtagen schwierig zu werden. Unter solchen Zuständea
bedurfte es nur irgend eines äußeren oder inneren Anstoßes, um
die lang verhaltene Gährung zu offenem Ausbruch zu bringen.
§ 66. Ton 1848-1867.
Literatur bei Krön es, Grundriss, 775 ff. — Bach mann, Rg.. 446 ff. —
D'Elvert, Verwaltungsgeschichte, 548 ff. — Czörnig, Osten*. Neugestaltung,.
1848—1858. — Hart ig, Genesis der Revolution im Jahre 1848. — Hu her,
Rg., 245 ff. -- Anonym, Österreichs Desorganisation u. Reorganisation. Rechts-
geschichtlich-poUtische Studien, I, 1861. — Ruby, Zeittafeln zur öst. Geschichte»
1895 (zur raschen Übersicht über die Zeitereignisse). — Stubenranch, Tabellar.
Darstellg. des Organismus der österr. Staatsverwaltung, 1855. — Ulbrich,
Lehrbuch des österr. Staatsrechts, 1883.
1. Der zündende Funke ins Pulverfass war die Nachricht vom
Siege der Februarrevolution in Paris, die den Wienern am 1. März 1848
bekannt wurde. Adressen und Petitionen, von Tag zu Tag schärfer
gefasst, wurden vorbereitet, um sie den für den 13. März einberufenen
Landständen des Erzherzogthums als dem ^verfassungsmäßigen
Organ für die Bedürfnisse des Volkes" zur Vertretung vor dem
Thron zu übergeben, darunter eine vom juridisch-politischen Lese-
verein, die, auch von hohen Staatsbeamten unterschrieben, eine
Reichsvertretung, Abschaffung der Censur, Öffentlichkeit der Rechts-
pflege verlangte, eine andere der Studentenschaft um Press- und
Redefreiheit, Lehr- und Lemfreiheit u. dgl. Daneben bestand eine
socialdemokratische Strömung, welche ihre Werkzeuge der zahl-
reichen, unzufriedenen Arbeiterbevölkerung entnahm. Doch herrschte
die ersten Tage noch die Ruhe vor dem Ausbruch des Gewitters, wie-
wohl man vom 10. März ab oft das Scherzwort hören konnte: „auf
den 13. sei die Revolution angesagt". Nur die Regierung wiegte sich
in Sicherheit und befürchtete höchstens einen unbedeutenden Straßen-
Ausbrach der Revolution im Jahre 1848. 567
krawall, während die socialdemokratische Bewegungspartei auf alle
Fälle für einen entsprechenden Zuzug von Genossen vorgesorgt hatte.
2. Die Bewegung der Wiener Märztage war, wie ein con-
servativer Augenzeuge urtheilt, „von der ständischen und Geld-
aristokratie im Löwenbündnisse mit der sogenannten Intelligenz für
die Sonderzwecke der einzelnen Verbündeten vorbereitet, von der
Bureaukratie nicht verhindert und von verlockten Volksmassen
zum Ausbruche gebracht worden;"^ ihr Erfolg übertraf alle Er-
wartungen: Mettemich war gestürzt, Nationalgarde und Bewaffnung
der Studenten bewilligt, die Censur aufgehoben und die Einberufung
der Provinzialstände mit verstärkter Vertretung des Bürgerstandes
zur Berathung der vom Kaiser beschlossenen Constitution des Vater-
lands verfügt. Die kühnsten Träume, die man seit Jahrzehnten ge-
hegt, hatten über Nacht scheinbar Erfüllung gefunden, kein Wunder,
dass die Bevölkerung in ihrem Freudentaumel alle Besonnenheit
verlor, ins Schlepptau der zielbewusst arbeitenden Radicalen ge-
rieth und von diesen immer weiter fortgerissen wurde. „Die
Revolution hätte durch das kaiserliche Patent vom 15. März 1848
zu einer Reformation umgestaltet werden können, wenn die Be-
stimmungen dieses Patents mit Consequenz, Klugheit und Festig-
keit in Ausführung gebracht worden wären." Allein die einseitige
Erlassung einer Constitution durch Kaiser Ferdinand am 25. April
war eine unüberlegte Abweichung von der frühereu Zusage und
ein politischer MissgriflF, der den Polen und Czechen sofort Anlass
zu einer Verwahrung gab, weil dieses Gesetz ohne Befragen der
Landstände erflossen sei.
3. Inzwischen hatte die Bewegung alle Provinzen erfüllt und
zugleich ihren anfänglichen Charakter geändert. In dem Wunsche,
das verhasste Metternich'sche System zu stürzen, hatten sich alle
Nationalitäten und gesellschaftlichen Classen verbunden gefühlt: als
^ Harti g, Genesis, 880. An der planmäßigen Mobilisierung des Proletariats
durch socialdemokratische Führer kann nach dem, was Ernst Vloland (die
sociale Gesch. der Revolution in Österreich, 1850, S. 69 ff.) als in diesem Falle
gewiss unverdächtiger Augenzeuge über die Erlebnisse vom 13. März berichtet,
kein Zweifel sein. In Graz wurden schon am Morgen des 6. März Maueranschläge,
die zum Tyrannenmord aufforderten, verbreitet. Gatti, Die Ereignisse des Jahres
1848 in Steiermark, 1850, S. 7. Siehe auch Weidmannes Schilderung der
Wiener Revolution im Kalender .Austria*, 1849, S. 307.
568 Österreichische Reichsgeschichte. IL Theil. Fünfte Periode. § 66.
dies Ziel erreicht war, traten sofort die Sonderbestrebungen scharf
hervor. Die Deutschösterreicher, von kosmopolitischer Sehosucht
nach Freiheit, Gleichheit und Völkerverbrüderung erfüllt, die alles
preisgibt, um alles zu gewinnen, erinnerten sich der Zugehörigkeit
zum alten Deutschen Reich und sahen dem Zusammentritt des
deutschen Nationalparlaments zu Prankfurt mit Begeisterung ent-
gegen. Sie jubelten aber nicht minder mit Wort und Tliat den
magyarischen Bestrebungen zu, die, nachdem einmal das selbst-
ständige Ministerium eingesetzt war, kein anderes Ziel haben
konnten, als Ungarn mit seinen Nebenländern vollständig von
Österreich zu trennen. In Böhmen, wo schon vor dem Jahre 1848
eine von den Ständen geleitete politische Bewegung mit dem
Schlagwort, dass die czechische Nationalität mit der deutschen in
Schule, Gericht und Verwaltung gleichberechtigt sein solle, be-
gonnen hatte, gieng man jetzt weiter und nach einer kurzlebigen
Verständigung der Deutschen mit den Czechen erhielt die slavi-
sche Strömung Oberwasser. Ein allgemeiner Slaven-Congress wurde
nach Prag berufen, der trotz deutscher Verhandlungssprache eine
ausgesprochene deutschfeindliche Haltung hatte. Er beschloss An-
erkennung der böhmischen Länder als eines unabhängigen Staates,
einen Nationalitäten-Congress der nordungarischen Slaven, Schaffung
eines Königreichs Slovenien und Bestätigung der Karlowitzer Be-
schlüsse für die Serben. Kurz darauf kam es zu blutigen Zusammen-
stößen zwischen national- fanatisierten Czechen und der Prager
Garnison, welcher sich während der Kämpfe der größte Theil der
deutschen Bevölkerung anschloss.
4. Wieder andere Ziele verfolgte man in Galizien. Die Polen
verhehlten in ihren Petitionen nicht, dass die Wiederherstellung
eines unabhängigen polnischen Reiches der Wunsch der Nation
bleibe. Auf Abschlag verlangten sie die Bewilligung eines Gomites
von Vertrauensmännern zur Berathung der inneren Reorganisation
des Landes, Entfernung der fremden Beamten, Einführung des
Polnischen in den Schulen und als Amtssprache, die Rückberufung
der galizischen Regimenter u. s. w. Dass es zu blutigen Aufständen
in Krakau und Lemberg kam, ist nicht überraschend, ebensowenig
auch die Gegenströmung, die unter den Ruthenen entstand, die
sich zu Erhaltung ihrer Nationalität der kaiserlichen Regierung
anschlössen.
Die politischen Ziele der Deutschösterreicher, Slaven, Ungarn. 569
5. Am ärgsten tobte aber der Nationalitätenhader in den
Ländern der ungarischen Krone. Auf dem Pressburger Landtage
1847/48 hatte die radicale Partei eine Anzahl von Anträgen durch-
gesetzt, um die alte ungarische und siebenbürgische ständisch-
aristokratische Verfassung in eine repräsentative mit Einführung
des demokratischen Elements umzuwandeln und zugleich die Ver-
bindung der Osthälfte mit der Westhälfte des Kaiserstaats zu lockern.
Da es ihr durch Ausnützung der in den Wiener Märztagen einge-
tretenen Verwirrung gelang, zu diesen vom Landtage „votierten
Repräsentationen" auch die entsprechenden „königlichen Resolu-
tionen* zu erwirken, so traten diese „Achtundvierziger Beschlüsse**
nach bisherigem Herkommen mit Schluss des Landtags durch das
königl. Patent vom 11. April 1848 in der Weise in Wirksamkeit,
wie sie in den Gesetzartikeln des ungarischen Landtags vom Jahre
1847/48 enthalten waren. Es erkannten jedoch die neben den
Magyaren in Ungarn und den Nebenländern wohnenden Volks-
stämme, insbesonders die Slaven sogleich die Endabsicht dieser
Umstaltungen, die auf eine völlige Verschmelzung der übrigen
Nationalitäten mit der magyarischen abzielte und diese Überzeugung,
auf frühere Erfahrungen gestützt, brachte bald den entschlossen-
sten Widerstand zum Ausbruch. Durch die Rücksichtslosigkeit, mit
der sie behandelt wurden, zum Äußersten gebracht, erhoben sich
im Laufe des Jahres 1848 Serben, Croaten, Slovaken und Rumänen
mit den Waffen gegen das neue ungarische Ministerium und die
Magyarisierung, die sächsischen Abgeordneten traten aus dem neu-
berufenen Reichstag aus u. s. w.
6. In Wien war mittlerweile die Verwirrung aufs höchste
gestiegen; in Regierungskreisen herrschte völlige Rathlosigkeit.
Straßenkrawalle genügten, um Minister zu stürzen, die „Sturm-
petition" erzwang am 15. Mai den Fortbestand des aufgelösten
Centralcomit6s der Nationalgarden und die Erklärung, dass der
erste Reichstag als Constituante mit einer Kammer zu berufen sei.
Das Ministerium Doblhof, das am 15. Juli folgte, „bei dessen Bil-
dung der nach dem Barrikadentag (26. Mai) eingesetzte Sicherheits-
ausschuss und der demokratische Verein thätig mitgewirkt, durfte auf
den Namen einer revolutionären, demokratischen Regierung vollen
Anspruch erheben". Auf dem am 22. Juli eröffneten constituierenden
Reichstag, der sich als souverän betrachtete, herrschte aber eine
570 österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Fünfte Periode. § 66.
solche Zerfahrenheit, dass zu dem bekannten Antrage von Hans
Kudlich auf Aufhebung des grundherrliehen Unterthanenverhält-
nisses und der daraus entsprungenen Rechte und Pflichten, vom
26. Juli bis 17. August 73 Verbesserungsanträge entfielen, wobei die
schließlich zur Abstimmung verbliebenen 55 Amendements ein statt-
liches Polioheft in 20 Capiteln mit 159 Fragen darstellten! Am
6. October erreichte die Anarchie ihren Höhepunkt. Die sogenannte
October - Revolution brach aus, die Czechen, welche die Rechte
bildeten, traten unter Protest aus dem Reichstag und versuchten
ein slavisches Sonderparlament ins Leben zu rufen.^ Bis zum
16. October blieb übrigens die zur Beschlussfassung erforderliche
Zahl von Abgeordneten noch in Wien, Sitzungen wurden sogar noch
bis zum 22. October abgehalten. Damals war aber die Einschließung
der Stadt schon nahezu vollendet, die nach hartnäckigem Kampfe
der Mobilgarden und bewaffneten Proletarier durch die kaiserlichen
Truppen besetzt wurde. Am 15. November wurde der nach Kremsier
verlegte constituierende Reichstag wieder eröflhet, der 20. November
brachte das Ministerium Schwarzenberg-Stadion, der 2. December
die Abdankung des Kaisers Ferdinand und die Thronbesteigung
durch Se. Majestät den regierenden Kaiser Franz Joseph L
7. Die Siege des kaiserlichen Heeres in Italien, die Wieder-
gewinnung Wiens, endlich die im Sommer 1849 mit Beihilfe Russ-
lands durchgeführte Unterwerfung Ungarns (wo am 14. April 1849
durch Beschluss des Debrecziner Reichstags das Haus Habsburg des
Königsthrones verlustig und das Land zu einer Republik erklärt
worden war) hatten den drohenden Verfall des Reiches verhindert.
Die schwierigste Aufgabe, die Reorganisation des bis in seine
Grundfesten aufgewühlten Staates war aber dadurch keineswegs
gelöst. Nur in einer, allerdings sehr wichtigen Frage, hatte sich
bei allen Volksstämmen des weiten Reiches Übereinstimmung ge-
*^ Wie weit die Verwirrung der Begriffe im J. 1848 auch in den Provinzen
um sich griff, bezeugt die eigenmächtige Einsetzung einer »provisorischen Re-
gierung" für Böhmen durch den Statthalter Grafen Leo Thun, 30. Mai, von der
die Wiener Regierung erst durch die Prager Zeitungen zufällig Kunde erhielt.
In Steiermark zog ein zum General ernannter k. k. Oberst die Stelle eines Ober-
commandanten der steiermärkischen Nationalgarde vor und führte den vom Gou-
verneur aufgebotenen Landsturm, die akademische Legion und Nationalgarden
am 11./12. October der Wiener Nationalgarde zu Hilfe. — Hart ig, Genesis.
S. 311, 403. Gatti, 237, 259 ff.
Unterwerfung Ungarns; die Reichsverfassung vom 4. März 1849. 571
zeigt und hatte die Regierung auch zugestimmt : in der Beseitigung
der letzten Reste des Lehensstaates,- der Aufhebung von Robot und
Zehent, der patrimonialen Gerichtsbarkeit und des politischen Ver-
waltungsrechts der Grundherrschaften. Das große Übergewicht, das
bis dahin dem Großgrundbesitze in den Landesvertretungen ver-
fassungsmäßig und damit im ganzen politischen Leben zukam,
war damit geschwunden, Adel und Geistlichkeit hatten aufgehört,
die politischen Stände im Staate zu sein und waren zu socialen
Ständen geworden. So ergab sich die Nothwendigkeit, einen neuen
Maßstab für die politische Berechtigung aufzustellen, und es lag
nahe, dass man als solchen die werterzeugende Kraft im Staate,
das Vermögen des Einzelnen und dessen Steuerfähigkeit annahm.
Was die Verfassung anbelangt, mussten also die alten Stände der
deutschen Erbländer fallen und andere Bildungen, auf neue Grund-
lagen gestützt, an deren Stelle treten. In der Verwaltung aber war
die große Lücke auszufüllen, die durch Beseitigung der den Grund-
herren früher zukommenden politischen Leitung und der Patrimonial-
gerichtsbarkeit entstanden war.
8. Begründung einer einheitlichen starken Centralgewalt im
Kaiserreiche durch gänzlichen Bruch mit den alten historischen
Sonderstellungen und Sonderverfassungen einzelner Landestheile,
durch Herstellung einer festgegliederten, vom Centralsitz der Re-
gierung geleiteten Bureaukratie, zugleich Aufrechthaltung der
Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, Gleichstellung aller
Nationalitäten und Sprachen in Kirche, Schule und Amt und ge-
mäßigter Constitutionalismus, erschienen nun als die Grundgedanken,
nach welchen der Wiederaufbau des Staates erfolgen sollte. Diesen
entsprach auch die nach Auflösung des unfruchtbaren Kremsierer
Reichstages octroyierte Reichsverfassung vom 4. März 1849. Die
Reichsvertretung sollte aus einem gewählten Unter- und Oberhaus
bestehen, zu Reichsgesetzen die Zustimmung beider Häuser und
des Kaisers, zu Landesgesetzen die Zustimmung des Landtages
und des Statthalters erforderlich sein, die vollziehende Gewalt der
Kaiser durch verantwortliche Minister üben, alle Gerichtsbarkeit
vom Reiche ausgehen. Justiz und Verwaltung erscheinen getrennt,
für das Gerichtsverfahren gelten die Grundsätze der Öfifentlichkeit
und Mündlichkeit, in Strafsachen Anklageprocess und Schwur-
gerichte. Für Streitfragen zwischen dem Reich und einzelnen Krön-
572 österreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Fünfte Periode. § 66.
ländern oder der einzelnen Kronländer untereinander war die
Errichtung eines Reichsgerichts vorgesehen.
9. Die Organisation der Verwaltung gieng von dem Grund-
satz aus, dass die freie Gemeinde die Grundfeste des freien Staates
sei, und überwies derselben als natürlichen Wirkungskreis die
eigenen corporativen Angelegenheiten, im übertragenen aber ge-
wisse Aufgaben der öflfentlichen Verwaltung. Von der Ortsgemeinde
aufsteigend, waren als Gemeinden höherer Ordnung Bezirks- und
Kreisgemeinden mit gewählten Bezirks- und Kreisgemeinde- Aus-
schüssen vorgesehen. Die autonome Verwaltung der Landschaften
wurde bis zum Augenblicke, da die Landesverfassungen mit ihren
Landesausschüssen ins Leben treten würden, durch a. h. Ent-
schließung vom 30. December 1849 den ständischen Ausschuss-
und Verordnetencollegien nach ihrer früheren Einrichtung belassen.
Als Organe der landesfürstlichen politischen Verwaltung,
deren Wirksamkeit sich im allgemeinen auf Kundmachung und
Vollziehung der Gesetze, Aufrechterhaltung und Herstellung der
Sicherheit, öffentlichen Ordnung und Ruhe erstreckte, gab es die an
Stelle der grund herrschaftlichen Verwaltung tretenden k. k. Bezirks-
ämter mit einem k. k. Bezirkshauptmaun an der Spitze, k. k. Kreis-
behörden unter Kreispräsidenten, für die früheren Kreise und
Statthaltereien mit CoUegialverfassung unter einem k. k. Statthalter
an der Spitze der Länderverwaltung. Als Landessicherheits wache
wurde durch kaiserliche Verordnung vom 8. Juni 1849 die Gen-
darmerie eingeführt.
10. Die Grundzüge der neuen Gerichtsverfassung brachte die
kaiserliche Entschließung vom 14. Juni 1849. In Civilsachen sind
in der Regel Bezirksgerichte als Einzelgerichte die erste, collegiale
Landes- und Ober-Landesgerichte die zweite, beziehungsweise dritte
Instanz. In Angelegenheiten, die den Landes- oder besonderen
Causalgerichten vorbehalten waren, bildeten die Ober -Landes-
gerichte die zweite, der oberste Gerichtshof die dritte Instanz. Die
Strafgerichtsbarkeit sollte, wo Schwurgerichte entscheiden, von
Landesgerichten, in den übrigen Fällen von Bezirksgerichten und
Bezirks -Collegialgerichten, beziehungsweise von Landesgerichten
als Bezirks-CoUegialgerichten ausgehen. In diesen drei Fällen hatten
die Landesgerichte als Berufungsinstanz zu erkennen, während im
weiteren Zuge die Ober-Landesgerichte und der oberste Gerichtshof
Aufhebung der Reichsverfassung vom 4. Mäi'z 1849; Gründe. 573
einzutreten hatten. Außerdem wurden Staatsanwälte für die Landes-
gerichte, Ober- und General-Staatsanwälte für den Dienst bei Ober-
Landesgeriehten und dem obersten Gerichtshof bestellt. Ähnlich
waren auch die für Ungarn getroffenen Einrichtungen.
11. So war die Organisation der Behörden bis zum Jahre 1851
schon w^eit fortgeschritten, das Unterrichtswesen durch den Grafen
Leo Thun nach bewährten deutschen Mustern umstaltet und auch
auf dem Gebiet der Finanzverwaltung manches verbessert worden.
Die Verfassungsentwürfe für die meisten Kronländer waren ge-
geben, nur für Ungarn und die Nebenlande sowie das lombardisch-
venezianische Königreich waren diese noch nicht erflossen ; da trat
mit einemmale eine Wendung ein, die sich durch das Statut des
in der Reichsverfassung als Berather der Krone vorgesehenen
„Reichsrathes" (kaiserl. Patent vom 13. April 1851) ankündigte,
am 31. December 1851 ergiengen dann die organisatorischen Ver-
fügungen, welche die Verfassung vom 4. März 1849 außer Kraft
setzten, die Grundrechte aufhoben, die Schwurgerichte beseitigten,
die Gemeindeverfassung einschränkten, dem ständischen und dem
mit einem gewissen Grundbesitze ausgestatteten Erbadel eigene
Statuten über dessen Rechte und Pflichten zusicherten, den Kreis-
behörden und Statthaltereien berathende Ausschüsse aus dem
besitzenden Erbadel, dem großen und kleinen Grundbesitze und
der Industrie beiordneten u. s. w.
12. Die Reichsverfassung vom 4. März 1849 war gescheitert,
weil der Regierung die Möglichkeit fehlte, sie ins Leben zu setzen.
In UngJirn hatte sie überhaupt niemanden, auf den sie sich stützen
konnte, sie vermochte nicht einmal ungarische Beamte zur Durch-
führung ihrer Organisation zu finden. Die specifisch liberale
Partei, von der die Bewegung im Jahre 1848 ausgegangen war,
wollte weder die Sprengung des Reichstags, noch den einseitigen
Erlass der sehr gemäßigten Verfassung vergessen, die nationalen
Parteien standen getheilt, Armee und Clerus hatten ebensowenig
Ursache für die neue Verfassung zu schwärmen, es war in der
That buchstäblich nur die neue constitutionelle Beamtenwelt, die
man als Stütze des neuen Verfassungswerkes hätte benützen
können.® Da entschloss man sich in den Kreisen der Regierung
B Siehe für das Gesagte den eingehenden Nachweis in »Österreichs Des-
organisation* u. s. w. S. 192 ff.
574 Österreichische Reichsgeschichte. IL Theil. Fünfte Periode. § 66.
ZU einer Schwenkung. Die Idee der Centralisation wurde festge-
halten; da sie sieh jedoch im Wege einer gemäßigt constitutionellen
Reichsverfassung nicht durchsetzen ließ, so vereuchte man es
mit einer gemäßigt absolutistischen Regierungsform. Die Stützen,
welchen man das Gebälke des neuen Staatsgebäudes anvertraute,
waren die gesammte katholische Geistlichkeit Österreichs, die
Bureaukratie und die Armee. Die an Ansehen und Bedeutung
wichtigste von allen, die katholische Geistlichkeit, sollte durch das
Concordat vom 18. August 1855 ganz in das Interesse eines cen-
tralistischen Österreich gezogen werden ; sie w-ar bestimmt, den
Geist der Unterwürfigkeit im Kaiserreiche zu verbreiten, die Be-
amtenschaft hinwieder sollte vom Mittelpunkt der Regierung bis zu
den äußersten Marken des Reichs, über alle Länder und Sprach-
grenzen hin, über alle Bildungsstufen und Bedürfnisse hinweg, in
jedem Zweige der Verwaltung und in jedem Theile der Justiz
vom Statthalter und Präsidenten der Obergerichte angefangen, ein
und derselbe Geist durchdringen. Gewissenhafteste Achtung und
Schonung aller Privatrechte bei völliger Versagung aller öffent-
lichen, aller Staatsbürgerrechte, war allen Regierungsorganen zur
Richtschnur ihres Handelns vorgeschrieben. Die dritte jener Stützen
war die Armee, die in allen Waffengattungen reorganisiert und an
Zahl ungemein verstärkt worden war. Von der Civilbevölkerung
durch die Erinnerungen der Revolutionsjahre, durch ihre eigene
Verwaltung und Justiz getrennt, sollte sie den starken Arm der
absoluten Monarchie bilden, der nie zögern durfte, wenn das
Haupt befahl und stets die Ausführung verbürgte. In dreifacher
Weise sollte sonach der Bestand und die Einheit des Staates
gefestigt, in dreifacher Weise sollten die Gefahren, wie sie die
Revolutionsjahre 1848—1849 gebracht hatten, für alle Zeiten be-
seitigt werden. Und dennoch versagten alle diese Stützen in der
Stunde der Gefahr. Als es im Jahre 1859 zum Kriege mit Frank-
reich und Sardinien kam, da stand der lombardische Clerus bei
dem Feinde, der magyarische bei der Opposition im Lande. Die
Bureaukratie sah sich ohne Halt im Volke, die Armee durch eine
unselige Verpflegswirtschaft und durch jenen noch unseligeren
Nepotismus, der den Unfähigen zu den höchsten Posten verhalf,
bei all ihrer mannhaften Tapferkeit gelähmt. Mit den Nieder-
lagen in den italienischen Gefilden und dem Friedensschlüsse von
Gemäßigter Absolutismus ; das Concordat; das October-Diplom. 575
»
Villafranca brach auch das absolute Regierungssystem in Öster-
reich zusammen.
13. Im Priedensmanifeste vom 15. Juli 1859 hatte die kaiser-
liche Regierung die gebieterische Nothwendigkeit öffentlich an-
erkannt, nunmehr ihre ganze Aufmerksamkeit und Sorgfalt der
Entwicklung der geistigen und materiellen Kräfte des Staates und
zeitgemäßen Verbesserungen in Gesetzgebung und Verwaltung zu
widmen. Kunde vom eingetretenen Umschwung gab das Prote-
stantenpatent vom 1. September 1859, das den Bekennem beider
Bekenntnisse bürgerliche Rechtsgleichheit mit den Katholiken und
ungehinderte Ausübung des Glaubens- und Gemeindelebens zu-
sicherte, ferner die Einführung der Gewerbefreiheit (20. December).
Der Pinanzminister Brück hatte als Mittel zur Hebung des zer-
rütteten Staatshaushalts und des Staatscredits die Rückkehr zum
constitutionellen System empfohlen, demungeachtet konnte man
sich dazu nicht sobald entschließen. Erst wurde es mit dem „ver-
stärkten Reichsrath" versucht, der am 31. Mai 1860 zur Berathung
des Staatshaushalts und wichtiger Gesetzesvorlagen zusammentrat,
jedoch kein Recht der Initiative besaij und erst später (17. Juli) eine
etwas erweiterte Competenz, namentlich die Mitwirkung bei Ein-
führung neuer Steuern und Anlehen erhielt. Drei Strömungen
machten sich in dieser Körperschaft bemerkbar: die ungarische,
welche mit zäher Festigkeit die Wiederherstellung der Selbst-
ständigkeit Ungarns auf Grund der 1848er Gesetze anstrebte,
eine föderalistische, welche Länderautonomie mit Rückgreifen auf
frühere Einrichtungen forderte, und die liberale mit centralistischem
Programm, Wahrung der Reichseinheit, einheitliche Gesetzgebung
und Regierungsgewalt, freie Selbstverwaltung für die Länder,
Controle über den Staatshaushalt, dann Gemeinde- und Reichsver-
tretung. Im Sinne der föderalistischen Majorität wurde nun am
20. October 1860 das sogenannte October-Diplom als beständiges
und unwiderrufliches Staatsgrundgesetz erlassen. Principiell ist
darin anerkannt, dass „nur solche Institutionen und Rechtszustände,
welche dem geschichtlichen Rechtsbewusstsein, der bestehenden
Verschiedenheit der Königreiche und Länder und den Anforde-
rungen ihres untheilbaren und unzertrennlichen kräftigen Verbandes
gleichmäßig entsprechen, die nöthigen Bürgschaften für die Macht-
stellung des Reiches zu bieten imstande seien". Dementsprechend
576 österreichische Reichsgeschichte IL Theil. Fünfte Periode. § 66.
sollte der Schwerpunkt der Vertretung in den Landtagen liegen
und waren nur gewisse Gegenstände der Gesetzgebung, w- eiche
sich auf Rechte, Pflichten und Interessen beziehen, die allen König-
reichen und Ländern gemeinschaftlich sind, der Mitwirkung des
„Reichsraths" vorbehalten, der durch Wahlen der Landtage zu-
sammengesetzt und das verfassungsmäßige Organ für die ganze
Monarchie sein sollte, neben welchem für Angelegenheiten der
nicht ungarischen Länder, soweit diese bisher eine gemeinsame
Behandlung und Entscheidung gefunden haben, „die Zuziehung der
Reichsräthe dieser Länder", also eine Art engerer Reichsrath vor-
gesehen war. Hinsichtlich Ungarns verfügte das October-Diplom
die Wiederherstellunf der verfassungsmäßigen Einrichtungen des
Königreichs und die Berufung eines Landtags nach den Be-
Stimmungen des Gesetzes von 1608 mit den Erweiterungen der
Wahlfähigkeit nach den Artikeln 8, 9, 10 und 13 vom Jahre 1848,
während die Revision der übrigen ^Achtundvierziger- Artikel" vor-
behalten war.
14. Das October-Diplom befriedigte jedoch niemanden. Derauf
den 2. Aprü 1861 einberufene ungarische Reichstag verweigerte
die Anerkennung des Gesammtreichsrathes und beharrte auf der
Giltigkeit der sanctionierten Gesetzesartikel vom Jahre 1848, sowie
auf der staatsrechtlichen und administrativen Selbständigkeit der
Länder der ungarischen Krone. In den übrigen Ländern herrschte
nicht minder Misstimmung, denn die mit dem October - Patent
gleichzeitig erlassenen Landesstatute für Steiermark, Kärnten, Salz-
burg und Tirol, grififen auf das ständische Princip zurück und
räumten dem begüterten Adel wie der Geistlichkeit das Über-
gewicht in den Landtagen ein. Graf Goluchowski, der „Vater des
October-Diploms**, nahm darum seine Entlassung und erhielt in
Schmerling seinen Nachfolger. Dieser entschiedene Vertreter des
reichseinheitlichen Gedankens arbeitete neue Verfassungsgesetze
aus, w^elche durch das kaiserliche Patent vom 26. Februar 1861
sanctioniert wurden. Der bestehende Reichsrath wurde aufgelöst
und durch einen Staatsrath ersetzt. Die Reichsvertretung aber
sollte aus einem Herren- und Abgeordnetenhause bestehen und
für alle Verhandlungsgegenstände competent sein, soweit diese
nicht ausdrücklich den Landtagen zugewiesen waren. Bei der feier-
lichen Eröfl'nung am 1. Mai 1861 fehlten jedoch die Vertreter von
Februar- Verfassung, Widerstand der Ungarn ; Ausgleich vom J. 1H07. 577
Ungarn, Croatien, Siebenbürgen und Venetien, in welchen Ländern
die Vornahme der Wahlen verweigert worden war. Die Regierung
erklärte daher diesen Reichsrath als „engeren" und nahm den
Ungarn gegenüber den Standpunkt ein, dass die ungarische Ver-
fassung „durch revolutionäre Gewalt von Rechtswegen verwirkt
und auch faktisch beseitigt" sei.
15. Die Hoffnung, die Ungarn zur Nachgiebigkeit zu bewegen,
schlug jedoch fehl. Wohl traten (1863) die siebenbürgischen Ab-
geordneten in den Reichsrath ein, dafür verlor dieser die Czechen,
die ihn bei der Aussichtslosigkeit, ihr Föderativ- Programm durch-
zusetzen, mit der Erklärung verließen, dass sie den unvollständigen
Reichsrath nicht als Vertretung des Reiches ansehen könnten. Im
Juli 1865 trat Schmerling vom Staatsministerium zurück und es
kam zur Einsetzung des s. g. Drei Grafen-Ministeriums (Belcredi-
Larisch-Buol), dem vor allem die Erzielung des vom Kaiser per-
sönlich lebhaft gewünschten Ausgleichs mit Ungarn zur Aufgabe
gemacht wurde. Mit kaiserlichem Patent vom 20. September 1865
wurde die Vorlage des October - Diploms und der Februar -Ver-
fassung an den ungarischen und croatischen Landtag angeordnet,
um darüber zu einer Verständigung zu gelangen, gleichzeitig aber
auch die Wirksamkeit dieser Grundgesetze für die übrigen im
Reichsrath vertretenen Länder sistiert, da es unmöglich schien,
ein und dasselbe Grundgesetz in einem Theüe des Reiches zum
Gegenstand der Verhandlung zu machen und gleichzeitig in anderen
Theilen dasselbe als bindendes Reichsgesetz anzuerkennen. Wirklich
stellte sich auch der auf den lO.-December 1865 einberufene neue
ungarische Reichstag zum Theil auf einen anderen Standpunkt als
der im Jahre 1861 aufgelöste, indem er aus der pragmatischen
Sanction als einem wechselseitig wirkenden Schutzbündnis die
Pflicht des wechselseitigen Beistandes für die beiden Reichshälften
und daraus den Bestand geraeinsamer Angelegenheiten folgerte.
Aber erst unter dem Eindruck der Niederlagen vom Jahre 1866
und Österreichs Ausscheidens aus dem deutschen Bunde kam es
zur endlichen Feststellung des Ausgleichs mit Ungarn. Die mit
dem ungarischen Reichstag durch den in österreichische Dienste
getretenen, vormals sächsischen Staatsmiuister von Beust geleiteten
Verhandlungen führten zu einem durch Seine Majestät genehmigten
Abschluss. Die ungarische Verfassung wurde wieder hergestellt,
die ungarische Statthalterei nebst der ungarischen und sieben-
Ltt Schill, Österreichische Beichsgeschicbte. 37
578 österreichische Reichsgeschichte. IL Theil. Fünfte Periode. § 66.
bürgischen Hofkanzlei aufgelöst, ein selbständiges ungarisches
Ministerium eingesetzt und die Einverleibung Siebenbürgens in
Ungarn verfügt. Daran schloss sich die Einberufung des ungarischen
Reichstags, welcher am 3. April 1867 die vereinbarten Ausgleichs-
bestimmungen annahm, mehrere Gesetzartikel vom Jahre 1848
abänderte und durch Artikel XII den Kreis der dem ganzen Reiche
gemeinsamen Angelegenheiten und die Art ihrer Behandlung be-
stimmte. In Österreich wurde gleichzeitig mit der Entlassung des
Ministeriums Belcredi (7. Februar 1867) die Sistierung der Ver-
fassung als nun nicht mehr nothwendig aufgehoben und der Reichs-
rath zur Berathung des mit Ungarn vereinbarten Abkommens auf
den 20. Mai berufen. Mit der Annahme der Ausgleichsgesetze durch
den österreichischen Reichsrath waren die Grundlagen der gegen-
wärtigen Verfassung der österreichisch-ungarischen Monarchie ge-
schaffen.
Hoffen wir, dass es fürderhin der Weisheit der Lenker und
einer einsichtigen Selbstbeschränkung der Völker gelinge, Öster-
reichs größten Feind, den durch die Bewegung des Jahres 1848
entfesselten Nationalitätenhader, wieder zu beseitigen und Mittel
und Wege zu finden, die dem Staatswesen auf lange hinaus eine
gedeihliche, allseitig befriedigende Entwickelung verbürgen. Denn
heute noch wie vor zweihundert Jahren gilt Hörnigk's Wahrwort:
Österreich über alles, wenn es nur will.
REGISTER
Die fett gedruckten Zahlen geben die Zahl des Paragraphen, die übrigen die Unterabschnitte der
ParagraphMi an.
Adel, 12 10, 11, 85 1, «0 2; bei den
Bayern 12 3; langobardischer 12 6;
slavischer 12 8; in Böhmen 1 8, 60
4, 10; in Ungarn II 11, 60 4; Reichs-
adei 60 4; Landcsadol 60 4; freier
85 2, 3; unfreier 85 4 ff; Briefadel
60 2; Hofadel 60 7; Uradel 60 8;
Österr. Qesammtadel 60 6, s. auch
Landherren, Ritter, Landstände.
Alamannen 5 5; Rechtsquellen 6 7;
Stände 12 6.
Albrecht I. 19 1, II. 19 5, lü. 19 9,
IV. 19 10, V. 19 10; Albrechtiner-
Leopoldiner 19 9 u. Stammtafel 6. 325.
Amortisationsrecht 29 4, 51 8.
Amtssprache, deutsche 64 8.
Ansiedluneen 11 5, 34 2, 9, 10, I 13.
Appellationsgerichte 64 9, 65 6 ; Prager
56 8.
Aquileja, Sprengel 10 4 ; gräfliche Rechte
in Istrien und Krain 15 7; Rechts-
quellen 24 1 ; Parlament 27 14; Capi-
taneus generalis 82 7.
Aufgebot, (persönlicher Anzug) 57 2, 3.
Aufstände der Wiener 19 2. 66,1, 2;
in Steiermark 19 2, 13; der Öster-
reicher 19 2, 41 3; Böhmen 42 11,
58 15; Tirol 50 3; der Bauern 60 15;
der Niederlande 64 18; in Galizien
65 15, 66 4.
Ausgabewesen, l.-f. 88 18.
Ausgleich mit Ungarn 66 15.
Autonomie 20 4.
Avaren 5 2.
B
Babenberger als Markgrafen der Ost-
mark 17 1; als Herzoge von Öster-
reich 3 und Steiermark 4, Herren in
Krain 5.
Bamberg, Besitzungen in Kärnten 15 7,
48 8, 61 5; in Tirol 16 1.
I
I
Bannrichter, l.-f. 56 5.
Barschalken 12 12.
Bauern 87 ; als Landstände in Tirol 28
9; freie 84 8fir; 87 2, 3; hörige 87
4 ; unfreie 87 5 ; Rechte und Pflichten
der 87 9 fif, I 14, H 12, 60 13.
Bayern 8 3, 5 3 fl'; Stände 12 2-4;
Landgerichte 81 3; Münzwesen 11
12; Herzoge 8, 25 2; Rechtsquelle i
6, 7, 28 5 ; Kirche in 10 6.
Beamte 80 2 ff, 52 4, 5, 64 7, 65 13;
in Ungarn 66 12; Conduitlisten 64 7.
Behörden, l.-f. 89; Collegial 89 5, 9;
Central 51 4, 58 1-9; Mittelbehörden
58 10—11, 68 12; Landesbehörden
58 12—18; Reformen M. Theresias
68 7; s. auch 64 7, 65 10, 66 9.
Bergbau 11 10, 84 11, 59 1; Rechts-
quellen 22 5, 28 6 ; Bergregal 88 9 ;
Bergbehörden 89 11, 64 9.
Bezirksämter 66 9; Bezirksgemeinde
66 9 ; Bezirksgerichte 66 10 ; Bczirks-
hauptlcute 66 9.
Bodenre^gal II 5.
Böhmen I; Ländergruppe 2 3 ; Geschichte
1 4, 7, 18 2, 4, 19 4, 42 2-4, 11-13.
15; Anfall an Österreich 19 3, 11, I
7, 42 2, 3, 4 ; Verhältnis z. Deutschen
Reich I 3; Thronfolge I 4, 5, 49 1.
2; Stellung d. Königs I 6, 8, 17;
Landstände 18, 54 4; Städte I 12,
44 6, 54 14 ; RechtsqncUen 1 18, 47 K;
Steuern I 17, 58 10; Kammer 58 11,
14; Gerichte I 16, 56 7; Aufstände
42 11, 58 15.
Brixen, Besitz in Krain 15 7 ; in Tirol
16 1 ; Stadtordnung 23 3.
Bürger 86 4 ff , I 12, II 13, 86^ 60 12;
-Ausschüsse 86 13, 54 9, 12 ; Bürger-
meister 86 14, 15, 54 19, 11.
Bukowina 61 7, 64 5, 65 6.
Burgen 82 8, 34 5.
37*
580
Censualen, Zinspflichtige 13 12.
Censur 64 6, 60 1, 2.
Cilli, Grafen 15 7, 19 13, 85 3.
Codex Austriacus 46 6; Ferdinandeo-
Leopoldinus 46 6 ; Theresianus 62 6.
Codiftcationsarbeiten 45 1, 5 ff, 68.
Colonisationen 8 4, 11 5, 84 2. 64 14.
Comitate I 12, 50 20, 54 7, 64 5.
Coramendatio 12 10.
Concordat 66 12.
Conduitlisten 64 7, 65 4.
Contributionen, s. Ländersteuern.
Constitution vom Jahre 1848 66 2;
1849 66 8, 11, 12.
Croaten, Croatien 3 6, 51 13, 67 12,
66 5 ; Landtage 42 2, 5, 22 ; Rechts-
quellon 47 F ; Grenze 57 13.
Czechen 8 7, I 1 ; Bewegung im Jahre
1848 66 3.
Dalmatien, Rechtsquellen 24 2.
Decania 18 1.
Deutsche in OesterreichS 3— 5, 5 1, 3;
Deutsches Recht in Böhmen I 22;
Ungarn II 19; deutsch als Amts-
sprache 64 8.
Deutschland, Verhältnis Oe&«terreichs
zu — 25^ 26.
Directorium in Intemis 68 8, 10.
Domänen 88 1, 58 3; Einlcünfte 88 2;
Besteuerung 58 8.
Dorfobngkeit 55 3, 64 10.
Edlinger 87 3.
Brbrechtsordnungen 45 7.
Erbfolgeordnung im Herrscherhaus 49.
Erbhuldigung 41 5.
Fabrilcen, Fabriksinspectoren 68 21.
Februar- Verfassung 66 14.
Ferdinand I. 41 2, 42 3-8; IL 42, 9
bis 15; IIL 42 15, 16.
Finanzwesen -Verwaltung 28 2, 88 1 ff.,
89 9, 58 15, 68 19, 64 12.
Formelbücher, östeiT. 21 7 ; i.-ö. 22 6.
Forstregal 88 10.
Freie, Grundbesitz 117; Bauern 84 8 ;
Adelige 85 2.
Freigelassene 12 5, 87 8.
Freising, Besitzungen in Oesterreich
14 2; in I.-Ö. 15 7; in Tirol 16 1.
Freizügigkeit 87 10.
Fremde, Fremdenrecht 12 1.
Friedrich, Herzog I. 17 4; IL 17 5;
Friedrich, Kaiser IIL (IV., V.) 19 12,
88 1, 3.
Frohnbuch 21, 4.
Frohndienst« (Robot) 87 9, 68 25, 66 7.
O
Galizien, Erwerbung 61 6, 64 5, 65 6;
Aufstand 65 15 ; im Jahre 1848 66 4.
Gaueintheilung 18; in TiroL Salzburg,
der Ostmark 18 2; in InnerÖsterreich
18 3.
Gesrenreformation 42 10, 13, 45 2, 50
8. 9, 51 1, 59 4.
Geldumlauf 84 14; Goldkrise 84 14. 16,
58 15, 59 6.
GeleitBrecht 88 7.
Gemeindeverfassung 66 9.
Generalseminarien 64 15, 65 4.
Gerichte 81 ; Einkünfte 88 3 ; besondere
56 6, 8 ; in Böhmen 56 7 , in Ungarn
56 10; Gerich tsver waltung 81, 56:
Gerichtsordnung, allgeme'me Bi lf>,
westgalizische 62 11;
Gesammtstaatsidee 42 8, 48 5, 48 6,
64 2, 65 12, 66 8, 14.
Gewohnheiten, gute 68 13.
Gewohnheitsrecht 20 2.
Gesetzbuch, Josephinische;^ 62 7 ; west-
galizisches 62 8; a. b. G. B. 62 9:
Gesetzesrecht 20 2; Gesetzgebunsr, If.
48, 44, 45 62.
Görz, Geschichte 15 6; Rechtsquellen
24 1, 47 C; Grafen v. 85 3.
Grafongeschlechter im Erzh. Österreich
14 2, 85 3 ; in Innerösterreich 15 7,
85 3 ; Tirol 85 3 ; Grafschaften 18 4.
Großgrundbesitz in Österreich 84 h
66 7 ; Entstehung 11 3 ; als Mittel z.
Colonisierung 11 5, 84 2 ; Gliedemn?
11 6, 8, 34 4, 5; Bewirtschaftung 11
9; die Großgrundbesitzer als Land-
stände 27 3 ; geistlicher — in Steier-
mark 27 9; weltlicher — 84 5, geringe
Zahl 84 6.
Grundbesitz, Bewirtschaftung 11 9, 81
2 ff; erhöhte Bedeutung 12 11 ; bäuer-
licher 84 7 ff; Grundbuch 56 2; Grund-
herrschaft 55, 68 12, 64 13, 66 6, 7 ;
eigene VerwaJtung 55 5; übertragene
Verwaltung 55 7, 56. 8; Zerstückelung
64 14.
581
Grundsteuerregulierunpr 64 12.
Gubemium 68 16, 64 5, 65 6, 12.
Oültenbuch 58 6, 68 16.
Gut, erbloses 88 7 ; Gutsherrschaft 55 7.
Habsburger, Rudolf I. 18 3 ; von
Albrecht I. bis Friedrich III. 19;
Rudolf IV. 19 6; Siegmund in Tirol
19 12; König Ladislaus 19 12;
K. Fiiedrich lU. 19 12, 88 1, 3;
Maximilian I. 19 14, 88 2 ff;
Ferdinand I. 41 2, 42 3-8 ; Karl V.
41 2, 4; Erzh. Karl 42 9; Ferdinand II.
42 9 ff, III 15, 16 ; Leopold I. 42 16 ff ;
Joseph I. 42 20; Karl VI. 42 21 ff;
M. Theresia 61 1, 62, 68; Länder-
theilungen 19 9; Albrechtiner —
Leopoldinor 19 9 ; s. auch S. 325.
Habsburg - Lothringer, Joseph IL 64;
Leopold L 65 ; Franz I. (U.) 65 ; Fer-
dinand I. 65; Franz Joseph I. 66;
Secundo u. Tertio Genitur 61 8.
Handel 84 11, 86 8 ff , 59 3; Donau-
handel, Ordnung von 906 6 5, 11 11;
Commerz - Collegium 59 6; -Direc-
torium 68 21.
Handwerker 86 6, 59 8.
Hausordnungen des Herrscherhauses 21
2, 42 8, 22, 23.
Hausprivilegien, österreichische 19 6;
21 1, 26 4 ff, 49 4.
Heerwesen 82, 57, 68 4, 17 ; Matrikeln
82 2 ; Landwehr 82 5, 6 ; Verwaltung
57; stehendes Heer 57 1.
HeimfaUsrecht 88 7.
Heiratsfahigkeit, Beschränkungen 87 10.
Herrengülten 40 10, 58 6, 68 16.
Herrenstand 1,10, 60 3.
Herrscher in Österreich: Haben berger
17 1, 3—5; Zwischenreich 18; Habs-
burger 18 8, 19, 88, 41, 42, 61; .
Habsburg-Lothringer 64—66.
Herrscher, österreichische. Rechte 26
2 ff, 48 ; Stellung z. Deutschen Reich
26, 48 1; zu auswärtigen Reichs-
ständen 48 3; Erbfolgeordnung 49.
Hörige 12 13; Bauern 87 4.
Hof- und Gerichtstage 28 5.
Hofgericht, adeliges (Tirol) 56 3.
Hofkammer 89 9, 58 7, 68 7, 8, 10,
64 6, 65 11; i.-ö. 58 9; o.-ö. 58 9.
Hofkanzlei 53 5, 68 8, 10, 65 11;
i.-ö. 58 9; o.-ö. 58 9.
Hofkriegsrath 53 K, 68 8, 10; i.-ö. 58
9, 63 18, 65 11.
Hofmarkgerichtsbarkeit 55 1, 3.
Hofrath 89 12, 58 2.
Hofrechte 56 3.
Hofschulden 58 15.
Hofstellen 63 9, 64 6, 65 6, 11.
Hoftaidinge 81 5.
Hubbücher, Urbarien 20 7, 88 1, 84 3.
Hubmeister 38 17.
Hussitenkriege 82 6.
Indigenat 60 6, 64 4.
Industrie in Österreich, Anfänge 59 1,
9 ff, 68 21, 64 14.
Innerösterreich 2 2 ; Gaue 18 3; Rechts-
quellen 22, 47 B; CentralstoUen 58
9; s. Steiermark, Kärnten, Krain.
Istrien, Gebietseintheiiung 18 5; Städte
18 5 ; Geschichte 15 4 ; Rechtsquellen
24 2, 47 C.
Italiener, s. Romanen.
Jagd 11 9 u. Fischereiregal 38 10.
Jobbagio II 10, 12.
Joseph I. 42 20 ; Joseph II. 61 9, 62 7,
10, 64; Josephinismus 51 11, 68 24.
Juden in Österreich 3 11, 84 IS, 51 4;
-Regal 88 6 ; -Recht ü 20, 56 6, 64 l(i.
Justiz, Trennung v. d. Verwaltung 63
8, 65 10 ; Justizsenate bei Gubemien
64 10 ; Justizstelle, oberste 68 8, 10,
65 11; JustizverfassuDg 64 9.
Kaisortitel, östeiT. 65, 14.
Kärnten (Karantanien), Grenzen 9 1,
15 1; Bekehrung 10 4; Gaue 18 3;
landesherrl. Gebiete 15; Geschichte
15 2; fremde Enclaven 15 7, 48 3,
61 5; Anfall an Österreich 19 5;
Rechtsquellen 22, 44 2, 47 B; Ver-
hältnis zu BayeiTi 25 2 ; Landstände
27 11, 68 14; Heereseinrichtungen
82 7, 8. Innerösterreich,
Kammer, 1. f. 58 11, 58 3, 68 11;
Kammergut, 1. f. 58 1; Kammer-
Procurator 89 12, 40 5, 64 13; Kam-
merrecht, böhm. 56 7; Kammeral-
verwaltung 58 3.
Kirche, Stellung in Bayern 10; Christia-
nisierung 10 1, 2; Bischofssprengel
10 3, 29 1 ; Stellung im Mittelalter
29; neuere Zeit 51; unter Maria
• *
582
Theresia 68 24; Joseph IL 64 16; Ge-
richtsbarkeit 29 8, 51 3 ; todte Hand
29 4, 61 5; Steuerfreiheit 29 5, 61 6;
Immunitäten 29 6, 61 8 ; Stellung in
Böhmen I 15; Ungarn II 16: Con-
cordat 66 12.
Klöster-Aufhebung 64 16 ; Gründungen
11 4, 84 2 ; Wirtschaft 84 3 flf.
Kmet I 8, 9.
Knechte, unfreie 12 4 ; Freilassung 37 8.
Krain, Geschichte 16 3; Rechtsquellen
22, 47 B, s. Innerösterreich.
Kreis 68 16, 54 6, 7; Kreistage 60 20,
54 7; Kroisämter 68 12, 64 13, 66
12; Kreisgeraeinden 66 9.
Kreuzzüge, Binfluss aufs Wirtschafts-
leben 84 12.
Kriege: Ttirkenkriege 19 13, 42 6, 16,
17, 19 ; dreißigjähriger 42 11, 59 7,
60 16; spanischer Erbfolgekrieg 42
20; österreichischer Erbfolgekrieg 61.
Ladislaus Postumus, König 19 12.
Ländersteuem 68 4, 68 19.
Ländertheilungen 28 4, 41 5, 42 8,
49 2 ff, 52 3.
Länderverfassung, neue 64 5, 66 6.
Länderverwaltung 80 3, 68 12, 68 11,
64 5, 6, 66 6, 10, 12.
Landesausschüsse 66 9, s. Landstände.
Landesbisthümcr 29 2.
Landesbrauch 40 1, 4, 46 1. 4, 5, 62 1.
Landesconvente 28 10, 40 7.
Landesgesetzgebiuig 44, 46.
Landeshauptleute 80 3, 68 13, 68 14, 16.
Landeshauptmaunschaft 66 2, 68 1 1 , 64 5.
Landesherrlichkeit 26, 27 1 ; Aufgaben
80 5; Wechsel der Dynastien 28 3;
Verwaltung 80, 89, 62; Finanzver-
waltung 28 2, 88 1 ff., 89 9; Hof-
bearate 80 2 ; s. Herrscher.
Landeskmet^n I, 8, 9.
Landesordnungen 44 6.
Landesrecht, österr., 13. Jahrb., 21 3;
steiermärkisches, 14. Jahrb., 22 2;
in Böhmen I 19 ; in Ungarn II 17, 18.
Landesverfassung 48 4, 52 4, 5.
Landes-Vicedom 88 17, 39 11, 58 13,
66 2.
Landfrieden, österr. 21 5; tirol. 28 2;
Salzburg. 28 2.
Landgerichte 80 2, 56 3, 66 5; -Ord-
nungen 44 6. 66 5.
Landhandfesten 41 8, 44 6.
Landhaus 40 7.
Landherren 27 3, 85, I 9, II 12 : Rath
der 27 «, I 8, II 6, 7.
Landmarschall 80 3, 58 13; -Gericht
66 3.
Landräthe 89 11.
Landrecht, adeliges 64 10, 65 6 ; böhm.
66 7 : -Oi*dnungen 44 6.
Lands- und Hofrechte 66 3.
Landsknechte 67 7.
Landschenkungen an Kirchen 10 3, 4;
an Klöster 84 2: als Mittel zur
Colonisierung 10 5, 84 2.
Landschreiber 88 17, 89 11.
Landstände 27, 28, 40, 41, 50, 68 4,
13-16, 64 4, 65 4, 5; Privilegien
22 1, 28 1, 68 13 : Geschichte 27,
28; in Böhmen I 8 ff, 50 4; in
Ungarn II 9; Rechte, Wirkungs-
kreis 28 12, 60 21 ; Verwaltung 40 7.
41 2 ff, 60 6, 64, 68 16; Ausschüsse
28 11, 54 2; Verordnete 64 1, 64 5,
66 8, 66 9 ; Beamte 64 5 ; Gerichte
66 3; Antheil an der Gesetzgebung
43 2-4, 44, 45 2, 3: Niedergang
60 10; protestantische 60 2 ff, 12:
obere, untere 60 13, 14, 15.
Landtafeln I 21, 45 6, 7, 66 7.
Landtage 40 7, 11, I 8, II 8, 50 16,
64 4, 66 8 ; Unterschied von den Hof-
und Gerichtstagen 28 5. 10; seit
Anf. d. 15.Jahrh.288; General- Land-
tage 28 11 ; 50 18; Ausschusstage
40 11, 41 1, 8, 60 18. 19.
Landtaidinge 31 4.
Landwehr 82 2, 5 ; 67 2, 4. 15.
Langobarden 6 5; Rechtsquellen 6 8;
Stände 12 6.
Lehensaufgebot 57 2, 3. 68 3 : Lebens-
fähigkeit 86 1, 12; -Hauptmann-
schaft 66 8.
Leibeigenschaft 87 6 ff, I 14; Auf-
hebung 68 25, 64 13.
ML
Mähren, s. auch Böhmen: Großmähr.
Reich 8 7, 6 5, 12; Bekehrung zum
Christenthum 10 5; Verwaltung
116: Stellung des Markgrafen I 17 ;
Rechtsquellen 1 18, 47 E : Landstände
I 8, 64 4.
Märkte 86, 60 12: Unterschied von
Städten 86 3.
Majores terrae, s. Landstände.
Matrikeln, Adels-, (Landmannschafts-)
28 9, 60 8 ; Heeres- 82 2.
Maut u. Zoll 88 5. 86 10, 68 12, 63 20.
583
Maximilian L, Geschichte 88; Reformen
89; und die Stände 40; Tod 41 1.
Meierhöfe 84 4. 5.
Merkantilismus in Österreich 59 9, M 14.
MiUtärgrenze 57 1, 11 ff, 68 18; -hoheit
57 5, 6, s. Heerwesen.
Ministerialen 85 4 ff.
Münzwesen 11 12; Einkünfte 88 4, 84
11, 14; lange Münze 58 15, 59 6.
Münzgesetze, österr. 21 9; i.-ö. 22 7.
1¥
Nationalitäten in Österreich 8, 12.
Niederösterreichische (n.-ö.) Lande 2 2.
O
Oberösterreich, o.- ö. Lande 2 2, s. Tirol.
October-Diplom 66 IB.
Österreich, Monarchie, Schema des
Wachsthums 2; Land und Leute 8;
in römischer Verwaltung 4, 11 1;
Geschichte bis 976 5, bis 1246 17,
bis 12^<2 18, bis 1493 19, bis 1526
38, bis 1740 42, bis 1867 61, Rechts-
quellen 6, 7, 20-24, 48-47, 62;
Christianisierung 10; Landnahme,
Besiedlung 11 2, 84 9 ff; Gaue 18;
Heerwesen 82; wii*tschaftlicher Auf*
Schwung 84 12 ff, 59 1, 9 ff, 68 21,
64 14; wirtschaftlicher Verfall 84 17 ;
Entvölkerung 34 15, 42 15, 59 7 ;
Reichsrecht 48 5; Rechtsausgleichung
48 5, 6; Staatsgebiet 61; Kaisertitel
. 65 14: Wappen 65 14.
Österreich, Erzherzogthum ob u. unter
d. Enns, Bildung des Territoriums 14;
fremde Enclavon 14 2; Reichsver-
waltung 18 1; Zwischenreich 18;
Aufstände 19 2; Rechtsquellen 21,
47 A ; Verhältnis z. Bayern 25 2 ;
Stellung z. Deutschen Reich 26, 48
1 ; Erhebung zum Herzogthum 26 2 ;
Rechte des Herzogs 26 2 ff, 48; Erb-
folge d. Herrscher 49 2; Gerichts-
barkeit d. Herzogs 81 1; Belehnung
der Habsburger 26 7; Landstände
27 6, 8, 10, .54 1, 2.
Ostmark, s. Österreich, Erzh., Ver-
waltung 800—976 9; Gaue 18 2.
Otakar, Herzog v. Steiermark, 17 4;
König V. Böhmen 18 1—4.
Otto Herzog von Österreich 19 5.
Pannonien unter den Römern 4 2;
unter den Karolingern 9 2.
Passau, Besitzungen in Österreicli 14 2.
Patrimonialgerichte 56 8, 66 7.
Personalltätsprincip 12 1, 20 1.
Pfandschafter 50 6, 58 8.
Polen 8 6, 61 6, s. Galizien.
Polizeidirectionen 64 17 ; Ministerium
64 17 ; -Ordnungen 44 6 ; -gewalt d.
Grundherrschaft 55 3.
Postulate, landtägliche 58 14, 68 16,
65 8, 15.
Pragmatische Sanction 42 22, 23, 49
5, 61 1.
Privilegien 20 3; des Herrscherhauses
21 1; 26 4 ff; der Stände 22 1.
Professiones juris 20 1.
Protestantenpatent 64 16, 66 13; Pi-ote-
stantische Landstände 50 2 ff, s.
Reformation und Gegenreformation.
R
Rath, innerer — äußerer (in Städten)
86 15, 54 12, 56 4 ; ereheimer 58 3 ;
der Landherren 27, 28 5, I, 8, II 6, .
Rechnungsbehörden 89 9 ff, 68 10, 64 5.
Rechtsbücher, Schwabenspiegel 20 8;
böhm.-mähr. 1 19, 44 6 ; ungar. II 19.
Rechtspflege 81, 56 9.
Rechtsquellen 6, 7, 20—24. I 18 ff, 11
17, 48-47, 62.
Rechtswissenschaft i. Österreich 20 5, 46.
Recesse 50 11, 63 15, 19.
Recrutierung 68 18.
Reformation, Ausbreitung in Österreich
4 7, 9, 50 2 ff, s. Gegenreformation.
Regalien 88 3 ff'.
Regimente, Regierungen, l.-f. 89 5 ff,
40 5, 41 3, 58 10, 56 2 : Regiments-
ordnungen 89 8 ; -Räthe 40 6 ; (Mlütär)
57 7.
Reichsgeschichte, österr., Eintheilung,
Perioden 1.
Roichsrath 66 11; verstärkter 66 13;
engerer 66 14.
Reichstag, österr. 66 6, 8; ungar. II 8,
42 5, 17, 68 6, 65 3, 9, 66 5, 7, 13.
Repräsentation, k. 68 11.
Richter, Stadt- 86 12, 54 10,11, 56 4;
königl. in böhm. Städten 58 16, 54 15.
Rittermäßige 85 7 ff, I 11: als Land-
stände 28 8; Grundbesitz 34 7 ; Ritter-
stand I 11, 60 3, s. Adel.
Römer 4; Römisches Recht in Öster-
reich 20 6, 40 3, 48 2, 4, 44 4, 5,
46 1, 10. 62 7; in Friaul 24 1.
Romanen 8 10: Rechtsquellon 6 9;
Stände 12 7.
584
Rudolf I., Kg. 18 3; III. 19 3; IV. 19 6.
Rumänen in Österreich 8 10, 66 5.
Rutbenen 3 6, 66 4.
Salzburg, Rechtsquellen 7, 28, 47 D ; Erz-
bisthum, Gründung 10 2 ff; Sprengel
10 5; Gaue 13 2; Herrschaftsgebiet
16 4; Besitzungen in Österreich 14 2;
in Innerösterreich 16 7 ; in Tirol 16 1 ;
Landstände 27 13; Heereseinrichlun-
gen 32 7.
Satzungen, autonome 20 4.
Schlesien, Rechtsquellen 47 E; Stadt-
rechte I 22; Privilegien 46 6; Kam-
mer 53 11 ; Verlust 61 3 ; Organisation
d. Verwaltung 63 2, s. auch Böhmen.
Serben 3 6, 8, 51 13, 65 3, 66 5.
Schwurgerichte 62 17, 66 10.
Serviens II 11.
Schiffahrt, Navigations-Director, -In-
genieure 68 22; Strafe des Schiff-
ziehens 65 4.
Siebenbürgen, Geschichte 42 5; Ver-
fassung 65 5; Verwaltung 53 18.
65 3, 66 15; Rechfe^quellen 47 F.
Slaven, österr. 3 6—8, 5 2; Rechtsquellen
6 10; Stände 12 8; Decanien 13 1.
Slavonien 42 5, 22, 57 12.
Slovaken 3 6, 66 5.
Spolienrecht 33 7.
Staatsanwaltschaft 66 10.
Staatseinnahmen 63 21.
Staatskanzlei 63 8, 10, 65 11.
Staatsrath 63 9, 10; 65 10.
Staatsschuld 65 15.
Städte 36, 64 11; in Istrien 13 5;
Böhmen I 12; üngara II 13 ff,
54 16; als Landstände 28 9, 36 11,
65 5, 9; Steuern 83 14, I 17, II 14;
Heerespflicht 32 4, 57 16; Blüte
84 13; Verfall 59 3; Maßregeln zu
Gunsten 34 16, 86 9, 54 17, 18;
Gründung 36 2 ; Eintheilungen 36 1 ;
Unterschied von Märkten 86 3; Be-
wohner 36 4 ff, I 12, n 13; Ver-
waltung 36 12, 54 8 ff, 64 11, 65 12;
Richter 36 12, 54 10, 56 4; kgl. in
Böhmen, Mähren 53 16, 54 15 ; Stadt-
rath 36 15, 56 4; Bürgermeister
36 14, 15, 54 9, 11; Gerichte 8612,
54 10, 56 4 ; Stadtrechte 36 4 ; in
Österreich 21 8; i.-ö. 22 3, 47 B;
Tirol, Salzburg 23 3; Böhmen, Mähren,
Schlesien I 22, 47 E; Ungarn II 17,
19, 47 F ; Gesetzgebung 44 6, 47 C.
Stände 12, 85—37, 60; bei den Bayern
12 2—5; Alamannen, Langobarden
12 6 ; Romanen 12 7 ; Slaven 12 8 ;
Umbildung im 11. Jahrh. 12 9; in
Böhmen I 10 ff; in Ungarn II 10 ff.
Stammtafeln : Babenberger,Tranngauer,
Seite 109 ; der Habsburger Seite 325.
Stappelrechte 36 9.
Statthalter 1. f. 30 4, 53 15; Statt-
■ halterei in Böhmen 53 15; in
Ungarn 53 19, 66 15.
Steiermark, Entstehung 15 2 ; Aufstand
1292 19 2 ; Verhältnis zu Bayern 25 2 ;
Landstände 27 4 ff; Heereseinrich-
tungen 82 7 ; Rechtsquellen 22, 44 %
47 B. s. Innerösterreich.
Stempel 58 12.
Steuern I 17, 88 11, 40 8, 58, 68 20,
64 12, 13, 65 4; Contingentierung
58 14; directe 63 20; indirecte
58 11; grundherrliche 33 11; land-
schaftliche40 8, 9, 50 21, 58 3 ff; staat-
liche 33 14, 58 12 ; der GeistUchkeit
51 6; der Städte 38 14, I 17, II 14;
Steuerknecht 58 5; Steuerpflicht 58 7.
Strafgesetz, der Kaiserin Maria Theresia
62 12; Josephinisches 62 13: vom
Jahre 1803 62 13.
Tabaksgefäll 58 12.
Territorien 14—16.
Tirol, Gaue 13 3; Grafen 16 2; Ge-
schichte; Anfall an Oesterreich 19 7;
Herzog Friedrich IV. 19 11; Erz-
herzog Siegmund 19 12; Rechts-
quellen 23, 44 2 ff; 47 D; Land-
stände 27 12, 28 2, 9, 54 3, 64 4 ;
Heereseinrichtungen 32 7, 57 17;
Adelsgeschlechter 35 3 ; Verwaltung
33 16, 39 2; Steuerwesen 40 10,
58 5; -er Juristen 46 9; Centralstellen
53 9, 64 4.
Toleranzpatent 64 16, 18, 65 4.
Trient, Gebiet 16 1 ; Statuten 28 3.
Triest, Geschichte 15 5 ; Rechtsquellen
24 2, 44 6, 47 C; Verwaltung 54 13.
Truppen, l.-f. 57 4, 9, 63 18 land-
schaftliche 57 4; städtische 57 16.
Türkensteuer 58 13.
IJ
Unfreie bei den Bajuvaren 12 4; Ade-
lige 85 4 ff ; Bürger 86 7 ; Bauern
87 5, s. Leibeigenschaft.
585
üngeld 88 15, 84 16, 51 5, 58 11, 1 17.
Ungarn, Länder d. ung. Krone 2 3;
Magyaren 8 9, 5 5 ; Ansiedlnng H 1 ;
Verfassung II 2 ; Thronfolge II 2, 3,
40 1, 2; Stellung d. Königs II 5, 0,
48 5; Anfall an Österreich 42 1, 5,
6; Geschichte I 1, 42 5, 6, 16 fr.
Rechtsquellen II 17flf, 47 P; Stände
11 6 ff, 60 12 ; Kammer 58 1 1, 14 : Ver-
waltung 58 17 flf; Städte II 13, 54 16;
Heerwesen 11 11, 57 19; unter Maria
Theresia 68 5; u. Joseph IL Ö4, 4, 8;
u. Leopold II. 65, 3; u. Franz I. 65, 9:
seit 1848 66, 3, 5; Ausgleich 66 15.
Univei-sitäten 68 24. 64, 15, 66 11.
Unterrichtswesen 68 23, 64 15, 66 11.
Untprthanen, heiTschaftl. 87 8 ; -Pflichten
55 2, 58 7; -Advocat 64 13; -üesetz-
gebiing 44 6, 68 25. 64 13, 66 6, 7.
Verordnete, la. 54 1, 64 5, 65 8, 66 9.
Verwaltung 52 ; landesherrl. 0, 80—84,
39, 58, 56-58, 68 7 ff, 64 3 ff, 65 11,
66 7 flf; landschaftl. 40 7, 54 1—7, 68
13, 64 5. 65 5, m 9 ; städtische 54 8 ff,
66 9; grundherrliche 11 6, 8, 84 4, 55.
Viertel la. 54 6.
Vögte 29 6; Schutzvögte 82 7 ; Vogtei
87 11.
! Vorarlberg, Geschichte, Zusammen-
I Setzung 16 3 ; Rechtsquellen 28, 47 D.
W
Wallenstein 42 14, 57 9.
Weisthümer, österr. 21 10; i.-österr.
22 4, Tiroler 28 4.
Werbbezirko 68 18.
Wien, Aufstand gegen H. Albrecht 1. 19.
2; im J. 1848 66 1 ff; neue Freiheit
41 7, 54 9 ; Stadtverwaltung 54 9 ff,
64 11.
Wirtschaftliche Zustände vor dem Jahro
1000 11; zwischen 1000—1500 84,
1500-1750 59.
Wladyken I 11.
Zehnorschaften 18 1.
Zoll 88 5, 86 10, 58 12, 68 20.
Zünfte 86 8; Selbstverwaltung 54 19.
Zupenverfassung I 16.
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Luschin y. Ebengreuth, Arnold, Österreiehische Reiehs-
gesehichte (Geschichte der Staatsbildung, der Rechtsquellen und
des öffentlichen Rechts). Ein Lehrbuch. Bamberg, C. C. Buchner
Verlag 1896. XVI, 585 8. 8^.
LllSChin T. Ebengreuth, Arnold, Österrelehlsehe Beichs-
geschiehte (Geschichte der Staatsbildung, der Rechtsquellen und
des öffentlichen Rechts). Ein Lehrbuch. Bamberg, C. C. Buchner
Verlag 1896. XVI, 585 S. 8°.
Luschin y« Ebengreuth, Arnold, Österreiehisehe Reichs-
gesehiehte (Geschichte der Staatsbildung, der Rechtsquellen und
des öffentlichen Rechts). Ein Lehrbuch. Bamberg, C. C. Buchner
Verlag 1896. XVI, 585 S. 8^
Luschin T. Ebengreuth, Arnold, österreichische Beichs-
gesehichte (Geschichte der Staatsbildung, der Rechtsquellen und
des öffentlichen Rechts). Ein Lehrbuch. Bamberg, C. C. Buchner
Verlag 1896. XVI, 585 8. 8^
Luschin y. Ebengreuth, Arnold, österreichische Reichs-
gesehiehte (Geschichte der Staatsbildung, der Rechtsquellen und
des öffentlichen Rechts). Ein Lehrbuch. Bamberg, C. C. Büchner
Verlag 1896. XVI, 585 S. 8°.
Luschin y. Ebengreuth, Arnold, österreichische Reichs-
gesehiehte (Geschichte der Staatsbildung, der Rechtsquellen und
des öffentlichen Rechts). Ein Lehrbuch. Bamberg, C. C. Buchner
Verlag 1896. XVI, 585 S. S^.
Luschin y. Ebengreuth^ Arnold, österreichische Beichs-
geschichte (Geschichte der Staatsbildung, der Rechtsquellen und
des öffentlichen Rechts). Ein Lehrbuch. Bamberg, C. C. Buchner
Verlag 1896, XVI, 585 S. 8°,
Luschin y. Ebengreuth, Arnold, österreichische Beichs-
gescliichte (Geschichte der Staatsbildung, der Rechtsquellen und
des öffentlichen Rechts). Ein Lehrbuch. Bamberg, C. C. Buchner
Verlag 1896. XVI, 585 S. 8°.
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