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Jesu von Doctor Strauss
Theologen und Richttheologen. | ;
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über das
Leben Jesu von Doctor Strauss.
Ein Beitrag
T zur
theologiſchen Literaturgeſchichte
des
neunzehnten Jahrhunderts
> für
Theologen and Richttheologen
von
Johannes Jeller V. D. M.
Zürich,
gedruckt in der Bürkliſchen Offizin.
1837.
7 *
* *
| Far ofen Backkät; dennoch das Gefühl, daß
6 8 nter uchungen dieſer Art Viele in ihrem Glauben ſich
finden könnten. „Die Theologen, ſagt er freilich
vill), baben in ihrer Wiſſenſchaft das Heilmittel für
0 de noch nicht gehörig vorbereitet und beßegen die Schrift
ſo eingerichtet worden, daß wenigſtens die Ungelehrten unter
denſelben bald und oft zu merken bekommen, die Schrift ſei
nicht für ſie beſtimmt.“ — Offenbar liegt in dieſen Worten
das Geſtändniß, daß das Buch wenigſtens gelehrte Richt⸗
thevlogen als auch für fie geſchrieben betrachten dürfen und
g aß dasſelbe für Ungelehrte zum Theil wenigſtens zugänglich
ſei. Kom it zu dieſer Tendenz, auf einen größern als
r eng theologiſchen Kreis zu wirken / und zu der ihr
Menden nicht ſtreng gelehrten Form der ſo offen aus⸗
zochene Geiſt * Werkes, welcher in jedem vom Zeit⸗
Beherefchten Anklang findet, fo konnte es nicht anders
ils daß dasſelbe bei der ſo allgemeinen geiſtigen Neu⸗
unt d Genußſucht unſerer Tage, bei der großen Begriſſs⸗
ung über das, was eines Jeden Beruf und Stellung
die Hände Vieler von denen gerathe , welche „das nicht
en rend fie doch reden möchten.“ Vielfach hat
derer gef nden, bei denen 1 die Sache allerdings noch
nicht 100 ö bereitet iſt. Ueberall aber, wo ſie Terrain
gewonnen hat, ſoll ihr auch entgegen getreten werden. Von
mancher Seite wurden nun bisher ſchon „ Heilmittel für jene
m“ für Theologen und Nichttheologen darge⸗
y dürfen wir auf immer W das
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Ganze und Einzelne des Straußiſchen Werks berückſichtigende
Leiſtungen hoffen. Auch hiebei wird es nicht bleiben. Dieſe
Schrift wird einen ſegensreichen Anſtoß zu etwas geben, was
ſchon lange Bedürfniß war. Die Forſchungen werden, wenn
fie ſich allmälig von der unmittelbaren Beziehung auf dieſe
Schrift ablöſen, zur ſelbſtſtändigen in ſich zuſammenhängen⸗
den Bearbeitung des Lebens Jeſu vom wahrhaft theologiſchen
Standpunkte aus durchdringen, wobei die mythiſche Anſicht
wiſſenſchaſtlich bald als eine überwundene ſich offenbaren wird.
Gewiß iſt es nun aber jetzt ſchon bei der überhand neh⸗
menden Menge der Recenſionen und Schriften über und ge⸗
gen Strauß's Buch ein Sedürfniß einen Führer bei
der Auswahl zu haben, in dem jeder zu feinem Bedarf i
findet, was er wünſcht. Dem Geiſtlichen beſonders; welcher
nicht in demjenigen wiſſenſchaftlichen Verkehr ſteht, den er
ſich wünſcht, und doch für ſein eigenes Studium und auch
für ſeine Gemeindeglieder und Befreundete die ihm geeignet N
ſcheinenden Schriften auswählen möchte; auch im Allgemei⸗
nen dem Gebildeten, der ſich mit dem Leben Jeſu von Strauß
bekannt gemacht, und nun die heilige Verpflichtung bat, 1
wenigſtens einige der „Heilmittel für jene Verwundungen“
zu prüfen, einen ſolchen Leitfaden zu geben, wird hier den
Verſuch gemacht. Um von jeder Schrift ein deutliches Bild |
zu entwerfen, wird ein Abriß des Inhaltes mitgetheilt, die 11
eigenthümlichſten Punkte werden hervorgehoben und auch, wo es
zweckmäßig fchien, der Verfaſſer ſelbſt redend ‚eingeführt. Eine
| Recenſion der Recenſion zu ſchreiben, liegt jedoch durchaus nicht
im Zwecke dieſes Schriftchens. Dagegen ergiebt ſich von ſelbſt die
Nothivendigkeit einer Ela ffifteation, zunächſt f ſchon um der
Ueberſichtlichkeit willen. Hiebei iſt nun theils der Name der
theologiſchen Richtung, theils das Land, theils das Haupt⸗ Mn
organ, in dem ſich jene ausſpricht, zur Bezeichnung des x
Charakters gewählt, doch ohne daß ein Name gebraucht iſt, 1
der nur von den Gegnern, und nicht auch von den betref⸗
fenden Theologen als ihnen zuſtändig anerkannt wird. Wenn
nun z. B. Baumgartenkruſius unter den Rationaliſten ſteht,
ſo iſt ja jedem Kundigen bekannt, welche mannigfaltige
Nüaneirung auch unter Diefen Theologen ſtatt findet, ſo daß
oft mancher, der dazu gezählt wird, faſt ebenſo gut cen einer
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andern Richtung in die er auch eingreift, angehören mag,
wie dieß grade bei dem genannten Gelehrten der Fall iſt.
Zur Rubricirung desſelben unter die Rationaliſten findet ſich
übrigens die Berechtigung in der Oppoſitionsſchrift für Theo⸗
ö Wann Philoſophie von Baumgartenkruſt us ſelbſt mit Dr.
Paulus, Fries, Schröter, Schmid herausgegeben, wo er
in der Abhandlung? „Verſuch einer Darſtellung der neue⸗
5 Geſchichte des Rationalismus und Supernaturalismus.“
IV. Band, 1. Heft. auch den Rationaliſten beigezählt iſt, nur
mit der Modifikation, der wir beiſtimmen können, als
Gefühlsrationaliſt. Hierüber nur dieß eine Beiſpiel zur
| eläuterung. Rach unfeer Tendenz wurden natürlich auch
die Stimmen der Laien in der deutſchen Kirche berückſichtigt,
und unter dieſen hörten wir auch Dr. Menzels Litteratur—
blatt gerne, das ſich durch ſeinen ehrenwerthen Kampf mit
1 dem jungen Deutſchland die Anerkennung jedes der Sittlichkeit
und Zucht Befreundeten erworben hat.! Kurz wir zogen den
miöglichſt weiteſten Kreis und in demſelben folgten wir der
Eintbeilung, die uns am einfachſten und: bezeichnendſten ſchien.
Doch liegt dieſer und dem ganzen Schriftchen noch
* beſonderer Zweck zum Grunde. Die Straußiſche Schrift
ie unſtreitig ein Hauptmoment in der heutigen Theologie;
iſt eine Frucht der Vergangenheit, in ihr liegt, wie
immer in der Frucht; der Saame für die Zukunft; und
auf dieſes Phänomen hin, das herüberragt aus der Zeit des
1 nglaubens und dieſe in unſern Tagen zur Vollendung bringt,
zugleich aber hineinragt in die Zukunft der Theologie, con⸗
eentriren ſich gegenwärtig die Beſtrebungen der theologiſchen
Wiſſer ſchaft, wenn auch beſonders nur in einer Beziehung,
1 der der eee Kritik- re abgeſehen davon, np
— für das weiteſte Gebiet der. Theologie gibt, 10 iſt
doch eben jene Beziehung die wichtigſte, weil es ſich darir
e der hiſtoriſchen Grundlage des nur ge⸗
ſchichtlich fein. wollenden Ohriſtenthums, BR ber um die
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die langen, lebhaften Verhandlungen des
über die Berufung des Verfaſſers an Re tigs Stelle, durch
Thätigkeit ſetzen. Von ſelbſt ergibt ſich daher durch ſolche
Darſtellung ein theilweiſes Bild der jetzigen Theo—
logie, das auch den Richttheologen, ſofern fi e für geiſtige
Beſtrebungen Sinn haben, vielleicht von einigem Intereſſe
ſein kann. Für dieſe aber beſonders und für Studirende
wurde denn auch verſucht, die Eigenthümlichkeit nicht nur
jedes der hier angeführten Schriftſtellers, ſondern auch der
theologiſchen Richtungen ſelbſt darzulegen, und ſo die jetzt
herrſchenden, die bereits abſterbenden, wie auch die friſch aufs
lebenden zu veranfchaulichen. ir,
Noch geben aber für dieſe Zuſammenſtellung unſere
Verhältniſſe in Zürich einen eigenen Antrieb. Durch mehr⸗
ſach wiederholte Anempfehlung des Straußiſchen Werkes,
welche in der Zürcherſchen Reuen Kirchenzeitung zwar nur
den Geiſtlichen; als theologiſch Gebildeten geltend, von vielen
Andern aber auch beachtet, ausgeſprochen worden iſt, durch
Erziehungsrathes
das Gutachten der theologiſchen Fakultät, durch das Beſpre⸗
chen dieſer Angelegenheit in unſern politiſchen Blättern, worin
Strauß ſchon Reformator der Theologie und Zwingli und
Bullinger die Straußen ihrer Zeit genannt werden, durch
dieß Alles wurde die Aufmerkſamkeit der hieſi igen Bewohner
immer mehr auf dieſen Angriff gegen das Chriſtenthum hin⸗
gelenkt. Viele und nicht gerade die Einflußloſen begrüßten
jenes Buch freudig, als einen tüchtigen Schritt vorwärts.
Beamte, Schullehrer, kurz Nichttheologen jeder Art leſen
dasſelbe, — Männer, die vielleicht ſonſt ſo ſehr außer dem
Kreiſe der theologiſchen Litteratur ſtehen, daß ſie nicht einmal
wiſſen, ob, wenigſtens nicht, welche Gegenſchriften gegen das
von ihnen geleſene oder auch nur aus der Ferne angeſtaunte
Werk herausgekommen ſind. Mitten im Kreiſe dieſer nun
hinzudeuten auf die Urtheile des N ee
5 ſchien uns an der Zeit. Von neuem ſchwebt ja die
über die Berufung Strauß's an den durch Dr. Schultheß'
Tod erledigten Lehrſtuhl ob. Beim erſtenmal N
Deutſchlands Auge auf Zürichs Univerſität gerichtet, mit der
Frage: ob ſie den Mann zur Bildung der Geiſtlichen in
ihre Mitte aufnehmen werde, welcher ſich „im Geiſte der fort⸗
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2 — rittenen MBifenfehaft,« wie er cg peunt, der. Kirche 90
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einem angeſehenen Theologen redigirten Blatte, die Wendung
1 der Dinge, welche in Zürich eingetreten iſt, als ein günſti⸗
ges Zeugniß für die noch vorhandene Anhänglichkeit an das
Chriſtenthum betrachten. Unläugbar iſt gegenwärtig in der
Schweiz mehr als in andern Ländern die Annahme Strau⸗
5 ßiſcher Grundſätze vorbereitet, wie denn auch von mehrern
teinſflußreichen Männern in Zürich die Anſtellung des Reprä⸗
ſentanten des theologiſchen Radikalismus mit Nachdruck be⸗
trieben worden iſt. — Was die Allgemeine Kirchenzeitung von
dem Einfluß berichtet hat, welchen auf jene Entſcheidung un⸗
ter dem Volke verbreitete Exemplare eines Aufſatzes der. evan⸗
geliſchen Kirchenzeitung gehabt haben ſollen, iſt, wie wir aus
zuverläßiger Quelle verfichern können unrichtig. Vermuth⸗
lich rührt dieſe Ausſtreuung von Freunden der Straußiſchen
Theologie her, welche gern jeden Widerſpruch gegen Strauß
als Produkt eines übertriebenen Zelotismus darſtellen möch-
ten.“ — Vielleicht wendet es ſich nun wieder anders. Wir
ſtehen am Vorabende eines wichtigen Jahres; um ſo nöthiger
iſt es, auch hier Zeugniß abzulegen, daß die Anſichten
von Strauß vor einer tiefer dringenden Wiſſenſchaft, auf
unhaltbaren Vorausſetzungen beruhen, daß es noch ein
theologiſches Leben gibt, in dem Wiſſenſchaft und Chriſten⸗
thum nicht unverſöhnt aus einander gehalten und das eine
als zerſtörend für das andere betrachtet werden. — Daß die,
velche ſich praktiſch dem Chriſtenthum ſchon abgewendet has
ben, daß die, welche ohne alle theologiſche Kenntniſſe eine
chriſtliche Religion der Gebildeten ohne Chriſtus ſich bilden
wollen, und die, welche ohne die heilige Bedeutung und
unermeßliche Größe des Gegenſtandes, um den es ſich han⸗
delt, zu verſtehen, doch im einſeitigen Intereſſe der Wiſſenſchafts⸗
vergötterung urtheilen, von anti⸗wiſſenſchaſtlichem Fanatis⸗
mus und Intoleranz, mindeſtens von Zionswächterei reden wer-
den, iſt vorauszuſehen; — aber deſſen ungeachtet muß auch von
dieſer Seite geredet werden. Was Freund und Gegner ſagen,
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ſoll hier unparteiiſch geſammelt, zur Prüfung vorgelegt wer⸗
den. Wird auch nurzein durch das „Leben Jeſu“ in Zwei⸗
fel und Unglaube werfrricktes Gemüth durch die hier geſam⸗ |
melten Zeugniſſe gewarnt“ nicht einem Irrlicht zu vertrauen, ’
geht auch nur in einem die Ueber zeugung auf, daß intellek⸗ N
tuelle Kraft und Frömmigkeit, Denken und Glauben nicht
nothwendig im Widerſpruch ſtehen; wird auch nur ein bee.
unruhigtes Gemüth im Vertrauen geſtärkt, daß das Wort
der Bibel die ewige Wahrheit enthalte, und ihm die menſchli⸗ |
chen Geiſter noch ihren volle Huldigung darbringen werden; f
es jetzt ſchon deſto mehr thun, je tiefer ſie auch ſelbſt in den
Reichthum und die Armuth des Menſchlichen hineingeblickt
haben, und dadurch den Sinn für das Göttliche ſich ihnen
geöffnet, — ſo hat die Sammlung ihren Zweck erreicht; wir
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Vorwort.
1. Parodieen 5 deen a Wa We e 1.
Dr. Strauß „das geben Jeſu“ eine Sage , von Dr.
V. Keyſerlingk. — Das Leben Luthers von Dr.
Caſuar. — Das Leben Napoleons kritiſch geprüft. —
2. Gemiſchte Stimmen 0 . 5 0 RN | ©
Dr. Neanders Gutachten und Erklärung. — Evang. Kir⸗
chenzeitung in Berlin. — Literariſcher Anzeiger: Dr.
Tholuck. Prof. Weiße.. Dr. H. Leo. Prof. Hein:
roth. — Laienworte aus Zürich. — Barth: die My⸗
then des Lebens Jeſu. — Hartmann's Juſchrift. —
3. Rationaliſten JJJ%/ͤ .. XT
Allgemeine Kirchenzeitung. — Theolog. Literaturblatt.
Recenſ. von Dr. Paulus. — Kritiſche Prediger:
Bibliothek. Recenſ. von einem Ungenannten und Dr.
Röhrs Zuſatz. — Journal für Prediger. — Prof.
Krugs Schrift. — he, och ee
kruſius. — | |
91 3
4, Syetulative Theologen NY, . .
Dr. Roſenkranz. — Jahrbücher für wiſſenſchaftliche Kri⸗ |
tie zu Berlin. Recenſ. von Lic. Bruno Waren |
5. Sächſiſche Theologen %%%
Grulich und Gelpke. — | s
| 6. Kirchlichgeſinnte Theologen. . 67.
” Dr. Sack, Harleß und Lange. — |
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m Würtembergiſche Theologen 1 le
98.
Dr. Klaiber. — Pfarrer Vaihinger. — Prof. eichen. Be
mayer. — Diac. W. Hoffmann. — Dr. Steudel. —
Dr. Kern. — Prof. Beck. AR hr
8. Stimmen as 19 (beolosifeen SIR
dien und Kritiken . 1
(Anmerkung. Prof. Weiße's Recenſt ion. N in
den Pflanzchen Blättern für ite Theologie. —
Dr. Wette. — Dr. F.
raturzeitung. — Philalethes. )
Dr. Ullmann. — Dr. Müller. —
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S. 12 Anm. 9. lies Theil ſtatt Tholu ck.
S. 160 Z. 14 von unten laſſe „hervor“ weg.
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Wilke. — Jenaer: Liter
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Parodie en.
Des Doctor Strauß „das Leben Jeſu“ eine Sage
des 19ten Jahrhunderts von Dr. v. Keyſerlingk. Lite—
rakurblatt redigirt v. Dr. W. Menzel 5. Auguſt 1836
No. 79. „Wer kennt nicht des Dr. Strauß „das Leben Jeſu“
oder hat nicht wenigſtens davon gehört? Sollte aber der geneigte
Leſer glauben, Dr. Str. ſei ein wirklicher Menſch, ein leben⸗
diger Zeitgenoſſe des 19ten Jahrh. und fein Buch „das Leben
Jeſu“ ein wahrhaftig exiſtirendes Buch, ſo würde er ſich gewaltig
irren. Dr. Strauß und ſein Buch „das Leben Jeſu“ iſt nichts
mehr und nichts weniger, als eine Sage des 19ten Jahrhunderts
wie Dr. Fauſt und deſſen Höllenzwang eine Sage des 15ten Jahr⸗
hunderts war. Kein Zweifel, daß Viele vom Dr. Strauß in Tü⸗
bingen gehört haben; denn wie ihm einerſeits die Rationaliſten ein
lautes „Hoſianna“ dargebracht haben, fo haben ihm anderſeits die
Supernaturaliſten ein eben ſo lautes „Kreuzige, Kreuzige“ entgegen
gerufen. Aber exiſtirt deshalb Dr. Strauß wirklich? Er kann
möglicher Weiſe exiſtirt haben und exiſtirt vielleicht noch; ob er
aber wirklich exiſtirt hat, oder noch exiſtirt, iſt noch keineswegs
über allen Zweifel hinaus erwieſen, muß vielmehr erſt noch erwie⸗
fen werden. Denn daß in Zeitungen, kritiſchen Journalen und Lite⸗
raturzeitungen viel über einen Dr. Strauß hin und hergeſprochen, ge—
urtheilt, gelobhudelt und getadelt worden iſt, beweist noch nichts für
die wirkliche Exiſtenz eines Dr. Strauß. Dr. Strauß iſt wohl nur
die Idee, die Sage, die Allegorie des Rationalismus, und die
Supernaturaliſten Haben dies in ihrem Amtseifer überſehen und für
ſchweren Ernſt, für gewichtige Wirklichkeit genommen, und
ſtreiten und eifern daher gegen den ganz unſchuldigen, gar nicht exi⸗
ſtirenden Dr. Strauß. Was iſt Dr. Strauß? — Ein hohler,
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2
leerer Name; man könnte eben fo gut ſagen: Dr. Wortmacher,
Dr. Leer⸗Stroh⸗Dreſcher, Dr. Mückenfänger, ohne daß darum die
fingirten Individuen wirklich exiſtirten. Aber ſehen möchte der Ver⸗
faſſer auch denjenigen, der ihm beweiſen ſollte oder könnte, daß ein
ſolcher gar nicht exiſtire.“ — So beginnt der Aufſatz, in wel-
chem mit a bſichtlicher, parodirender Weitläufigkeit folgende
Hauptgedanken durchgeführt ſind: „Selbſt wenn eine Menge
der glaubwürdigſten Zeugen übereinſtimmend heilig verſichern, ja
eidlich betheuern ſollten, ſie hätten in Tübingen wirklich einen
Dr. Strauß gekannt, geſehen, geſprochen, ſo würde dieß nichts
für die wirkliche Exiſtenz nnd Perſönlichkeit des angeblichen oder
vermeintlichen Dr. Strauß beweiſen, denn könnten ſich dieſe Män⸗
ner nicht geirrt haben, oder von einem Individuum getäuſcht oder
hintergangen worden ſein, das ſich zwar Dr. Strauß genannt, und
von Jedermann dafür gehalten worden iſt, ja ſich ſogar ſelbſt ganz
ehrlich dafür gehalten haben kann, im Grunde aber ein ganz Anz
derer iſt. — Doch geſetzt auch, es habe daſelbſt wirklich ein
Dr. Strauß exiſtirt, fo fragt ſich immer noch, ob denn dieſer das
viel beſprochene Buch wirklich geſchrieben habe; eine Sache,
die noch erſt erwieſen werden muß. Denn erſtlich gibt es noch meh⸗
rere des Namens Strauß. Der Tübinger Strauß hat vielleicht nur
die Pr Idee, ein ſolches Buch geſchrieben zu haben. Ein Geiſtes⸗
kranker hatte ja auch einmal den Wahn, die Welt erſchaffen zu haben.
Hatte er ſie deshalb wirklich erſchaffen? Das Buch kann ja auch
von mehrern Verfaſſern herrühren, die nur den Collektiv⸗Namen
Dr. Strauß angenommen haben, und der angebliche oder wirkliche
Dr. Strauß hat ähnliche Anſichten und Gedanken, als wie ſie in
dem Buche des mythiſchen Dr. Strauß enthalten ſind, und hält ſich
nun ganz ehrlich für den Verfaſſer desſelben, ift es aber nicht. Je⸗
der Sage liegt nothwendig eine geſchichtliche Wirklichkeit
zum Grunde, ſonſt wäre es keine Sage, ſondern ein Mährchen.
Die dem genannten Buche zum Grunde liegende Wirklichkeit iſt
die rationaliſtiſche Lehre und Meinung und das Vorhandenſein einer
rationaliſtiſchen Sekte oder Partei, wie man will. Jede Lehre muß
nothwendig ihre Spitze haben, jede Sekte dringt darauf hin, ſich zu
perſonificiren oder Fleiſch zu werden. Die Sage von des
Dr. Strauß „Leben Jeſu“ iſt nun nichts weiter als der Rationa⸗
lismus in ſeiner höchſten Potenz, in der er ſich bis zur
dünnſten Scepfis erhoben und verfeinert hat. Wann und wo
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as Buch zuerſt entſtanden iſt und wer zuerſt die Sage niederger
| u hat, läßt ſich nicht nachweiſen, eben ſo wenig als dieß mit
Mi nchhauſens Lügen möglich iſt. Eben der Umſtand, daß es auf
ſich beruhen bleiben muß, ob Dr. Strauß wirklich exiſtirt
hat und vielleicht noch exiſtirt oder nicht, und ob er das Leben Jeſu
wirklich geſchrieben habe oder nicht, reicht vollkommen hin, deu
Dr. Strauß zu einer mythiſchen Perſon zu machen und der ganzen
Geſchichte von des Dr. Strauß Leben Jeſu den Charakter einer Sage
zu geben. Das eine wie das andere kann alſo eben ſo gut ſein,
als nicht ſein; denn nur das kann ſchlechthin nicht ſein, was
einen kontradiktoriſchen Widerſpruch in ſich ſchließt, als
z. B. ein viereckigter Cirkel. Das Sagenhafte dieſer Perſon wird
noch bekräftigt durch die neueſten, unbeſtimmten, ſchwankenden und ſelt⸗
ſamen Nachrichten von Strauß und ſeinen Fahrten nach der Schweiz,
vielleicht hören wir noch von ſeinem Aufenthalte in einer unterirdiſchen
Höhle oder von ſeinem gänzlichen Verſchwinden. — Auch die wirk⸗
[liche Exiſtenz des Buches „das Leben Jeſu“ iſt zweifelhaft. Denn
ſetzet, es ſeien 100 Menſchen: 50 Theolgen und 50 Nichttheologen;
nun möchte ich 100 gegen Eins wetten, daß von den 50 Theologen
hichſtens Fünf und von den 50 Nichttheologen höchſtens Einer ein
Buch mit dem Titel „das Leben Jeſu“ von Dr. Strauß in Hän⸗
den gehabt zu haben, mit Wahrheit erklären können „ ob auch
geleſ en, iſt eine ganz andere, nicht hieher gehörige Frage. — Kön⸗
nen aber dieſe Sechs ſich nicht geirrt haben, nicht verſehen, nicht
flüchtig und oberflächlich, in der Dämmerung etwa geleſen und das
Buch, das ſie wirklich in Händen gehabt habeu, einen ganz andern
Titel, etwa „das Leben ein Traum“ gehabt haben. Weil es nun
von Mangel an Bildung, von Nicht⸗Schritthalten mit der Zeit
zeigen würde, dieſes Buch nicht auch zu kennen, ſo beweist es nichts
für die Exiſtenz desſelben wenn hundert oder tauſend ſagen, ſie hätten
es geleſen, denn ſie können ja oh nur jagen, um nicht als unge:
bildet zu erſcheinen.
Alſo das einſtimmige Zeugniß aller Menſchen für die wirk⸗
liche Exiſtenz des Dr. Strauß „das Leben Jeſu“ beweist eben fo
wenig etwas für deſſen wirkliche Exiſtenz, als das einſtimmige
Zeugniß aller Menſchen wider deſſen wirkliche Exiſtenz auch nur das
Mindeſte wider deſſen wirkliche Exiſtenz beweiſen würde. Weil alfo
die wirkliche Exiſtenz des Dr. Strauß und deſſen „das Leben Jeſu“
nicht bewieſen werden kann, ſondern als eine bloße Möglichkeit auf
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ſich beruhen bleiben muß, von der inzwiſchen alle Welt wie von einer
wirklichen Perſon und einem wirklich exiſtirenden Buche ſpricht, ſo iſt
Dr. Strauß und deſſen „das Leben Jeſu“ eine Sage u BERN |
Jahrhunderts. Quod erat demonstrandum!“ —
In dem Quod erat demonstrandum liegt der Schlüſſel z zur ganz
zen Parodie, die beſonders anſchaulich machen will, daß Dr. Strauß
dasjenige, was ihm vor aller Unterſuchung ausgemacht ſei, nach eini⸗
gem Hin- nnd Herreden darüber als Reſultat einer ſolchen geltend
mache, und eben gerade das, was zu beweiſen wäre, nicht beweiſe.
Gleichſam als vorbereitende Stadien auf dieſen Höhepunkt der Ironie
laſſen ſich die beiden Verſuche anſehen, in denen das kritiſche Ver-
fahren von Strauß auf Thatſachen in der Profangeſchichte angewendet
iſt, welche nun ſchon weiter hinter uns liegen als die Herausgabe
des „Leben Jeſu.“ Bald nach dem Erſcheinen dieſes Werks hat
ein berühmter Kirchenhiſtoriker ausgeſprochen, die beſte Widerlegung
werde die Anwendung desſelben Verfahrens auf das Leben Luthers
oder Napoleons ſein. Zwei ſolche Verſuche liegen nun ſchon vor uns,
in denen dieſe Aufgabe mit unläugbarem Geſchick gelöst iſt. —
Zuerft in dem Büchlein: Auszüge aus der Schrift: Das
Leben Luthers, kritiſch bearbeitet von Dr. Caſuar. Mes
xiko 2836. Herausg. von Julius Friedrich Wurm. Tübingen
L. F. Fues 1836. S. 44. Dr. Tholuck ſagte in feinem literariſchen
Anzeiger No. 37. 1836, das Schriftchen gebe den Beweis, daß kei⸗
neswegs voluminöſe Werke dazu gehören, um den zwei ſtarken volu-
minibus des Werkes von Strauß tödtliche Wunden beizubrin⸗
gen. Es ſeien in demſelben nicht nur die einzelnen Formeln von
Strauß, ſondern deſſen ganzer kritiſcher Geiſt, der in dieſem Werke
athmet, und die Parallelen mit der bibliſchen Geſchichte ſeien fchla-
gend. Völlig ſtimmen wir ein in die dringende Aufforderung Tho⸗
luks, ſich mit dieſem geiſtreichen Büchlein bekannt zu machen, zu
deſſen Empfehlung folgende Proben und Skizzen genügen werden. Die
Einleitungsworte ſind: „Daß man die Erzählungen aus jener finſtern
Zeit, welche die Europäer einſt das Mittelalter nannten, nicht mehr als
Geſchichte, ſondern nur als Ritterromaue und Mönchslegenden betrach-
ten darf, darüber find die wiſſenſchaftlichen Forſcher endlich einverſtan⸗
den. Die Reformation aber, glaubt man, ſtehe ſchon im vollen Lichte
der hiſtoriſchen Zeit, und darum hat man es noch nicht gewagt, an
dem Leben Martin Luthers die Kritik mit gebührender Schärfe zu
vollziehen. Allein wie lange ſollen denn noch die Bemühungen etlicher
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italieniſchen Hündin und griechiſchen like eine Wieder⸗
herſtellung der Wiſſenſchaften heißen? Stand es doch von der Zeit,
* das volle Licht ſoll aufgegangen ſein, beinahe noch 400 Jahre an,
bis zum erſtenmal die Wiſſenſchaft zu ihrem Recht gelangte. Und
auch dann wurde ſie nur wenigen Geweihten zugänglich. Hoch ſtand
der große Hegel über ſeinem Zeitalter. Der gelehrte Pöbel nahm
ſich nicht einmal die Mühe, ihn zu leſen, und mit keiner andern
Waffe als mit Spott wußten den Heros jene armſeligen Pygmäen
zu bekämpfen, welche ihm die Grabſchrift geſetzt haben ſollen:
„Der Begriff iſt geſtorben — die Welt iſt leer.“ —
Daß die Quellen für Luthers Leben unzuverläßig ſeien,
und ihre Beſchaffenheit leicht Mythiſches in deſſen Geſchichte voraus—
ſetzen laſſe, wird nun zuerſt bewieſen. Die dürftige Skizze von
Luthers Leben, die dem Melanchthon zugeſchrieben wird, kann
nicht von dieſem ſein; Sleidanus hat offenbar ein apolegetiſches
Intereſſe, Cochläus ein polemiſches gegen Luther; doch gibt der
letztere der Kritik manchen Fingerzeig. Secken dorf lebte zu einer
‚Zeit, wo die Mythen ſchon längſt ausgebildet waren. Luthers
Briefe verdienen bei der Ermittlung der hiſtoriſchen Thatſachen nicht
die mindeſte Rückſicht, da offenbar an allen Enden Deutſchlands
ſolche producirt wurden, um der Ehre willen, folche Urkunden zu
beſitzen. Bei Veranſtaltung der erſten Ausgaben ſuchte man doch
gewiß überallher die Briefe des großen Mannes ſich zu verſchaffen,
und nun werden ja noch immer ſogenannte ungedruckte Briefe Luthers
aufgefunden. Die übrigen Schriften Luthers haben keinen hö—
hern Werth. Der Sammler Walch war zu unkritiſch. Die friſche
Begeiſterung für die wiedererrungene Freiheit gab den Proteſtanten,
der glühende Haß gegen die Abtrünnigen gab den Katholiken die
Fähigkeit, Luthers originelle Sprache nachzubilden. Uebrigens klagt
Luther ſelbſt, man richte ſeine Bücher ſo ſchändlich zu, daß er ſie
nicht mehr kenne. Einen Grund zur mythiſchen Auffaſſung hat man
in der Ungewißheit, ob Eisleben oder Möra der Geburtsort
Luthers ſei, eine Parallele zu dem Streit über Nazareth und
Bethlehem. „Wann Luther geboren fei, darüber will Pſeudo-Me⸗
lanchthon deſſen Mutter gefragt haben. Ein offenes Geſtändniß, daß
man nichts gewiſſes darüber wußte. Auch die Mutter war über daß
Jahr ungewiß. Woher hat es nun die Sage ſo genau beſtimmt?
Luther hat das Werk da fortgeſetzt „ wo es Chriſtus gelaſſen hat.
Das gilt auch in einem mehr änßerlichen Sinn, in Beziehung auf
—
2
6
das Lebensalter. Nun hat Jeſus, nach der gewöhnlichen Annahme,
im 33ften Jahr geendet; alſo war Luther 34 Jahre alt, da er an⸗
fing. Demnach iſt er 1483 geboren. Den Tag der Geburt weiß
die Mutter anzugeben. Aber woher weiß ſie ihn? Weil das Kind
an ſeinem Namenstag getauft worden iſt. Nun das iſt eben der
Grund, warum die Sage auf den Martinstag die Taufe des Kindes
geſetzt und daher zu ſeinem Geburtstag den 10. November gemacht
hat. Die Angabe einiger Papiſten, Luther ſei am 22. Oktober zur
Welt gekommen, hat freilich nur darin ihren Grund, weil fie nad):
weiſen wollten, daß er unter einer unheilvollen Conſtellation geboren
ſei. Allein ſie hätten dieſe Nachricht auszuſtreuen gar nicht verſuchen
können, wenn Luthers wahrer Geburtstag irgend bekannt geweſen
wäre.“ — Die mancherlei Berichte von der Begebenheit, durch welche
Luther veranlaßt wurde, ins Klofter zu gehen, beweiſen das Sa:
genhafte dieſer Erzählungen. Die Sage ſuchte durch Alles die Ver:
muthung, Luther ſei durch eigne Neigung zum Kloſterleben getrieben
worden, zu widerlegen. Der Vorfall mit dem vom Blitz erſchlagenen
Freunde Luthers iſt eine Ueberbietung der bibliſchen Erzählung von
Pauli Bekehrung vor Damaskus. Luthers Reiſe nach Rom iſt
reine Sage, nicht ohne Abſichtlichkeit ausgebildet. Von Melanch⸗
thon iſt eigentlich das ganze Werk der Reformation
ausgegangen; er hat, hinter der Scene ſtehend, Luthers erſte
Schritte ſchon geleitet. Offenbar nur daraus iſt die Schonung zu
erklären, die Luther gegen den in ſeinen Anſichten ſo vielfach von
ihm abweichenden Melanchthon beweist. Daß Melanchthon erſt ein
Jahr nach dem Anfang der Reformation von Tübingen nach Witten⸗
berg berufen worden, iſt ein Irrthum. Die Leipzigerdiſputa⸗
tion iſt ein Mythus, entſtanden, weil den ſchriftlichen Theſen eine
mündliche Diſputation entſprechen mußte. Die Geſchichte auf dem
Wormſer Reichstag iſt ſchon durch das Stillſchweigen der Pro⸗
tokolle als Sage dargethan; dazu kommen nun noch innere Gründe,
die es völlig unglaublich machen, daß Luther in Worms gemefen-
„Was ſollte er denn eigentlich in Worms? Wegen ſeiner Lehre ſich
verantworten vor der Reichsverſammlung? Nein, nur ſeine Bücher
anerkennen und widerrufen. Ob er dazu geneigt ſei, darüber konnte
man ihn in Wittenberg fragen. Dürfen wir denn ſeine Gegner für
ſo unklug halten, daß ſie eine völlig zweckloſe Reiſe des gefürchteten
Mannes entweder veranſtalteten oder zuließen, die überall das größte
Aufſehen erregen und die Zahl ſeiner Anhänger vermehren mußte?
8
W
9
Und wie konnten ihn feine Freunde der en Gefahr aus⸗
| * vor der man ihn überall ſoll gewarnt haben 2 Die gläubigen
Hiſtoriker werden uns jedoch alle Zweifel niederſchlagen durch die
Berufung auf die unnachahmliche Natürlichkeit der Erzählung. Da
redet Luther, ohne Furcht und Trotz, der Kämpfer für die Wahrheit,
und bekennt vor der ganzen Reichsverſammlung, daß er nur aus
Gottes Wort ſich überführen läßt; da ſteht er und kann nicht anders!
Schön iſt dieſe Scene, aber wahr iſt ſie nicht! Mit Worten hat
Luther tapſer und unermüdet geſtritten, wohl auch, wo er ſich unter
der Obhut eines Fürſten geborgen wußte, aus Bullen und Dekretalien
ein Luſtfeuerwerk gemacht. Wo iſt aber der Beweis, daß er auch
den Muth hatte, offen ſeinen Feinden entgegen zu gehen? Dieſe
Sage iſt der Märtyrergeſchichte von Huß nachgebildet. Der Refor-
mator durfte wenigſtens in der Todesgefahr nicht hinter ſeinem Vor⸗
läufer zurückbleiben.“ — Luthers Aufenthalt auf der Wartburg
iſt eine mythiſche Erzählung; bei dem Ueberfall durch die verkappten
Ritter glaubt man einen ſchulgerechten Roman vor ſich zu haben.
Der Name Wartburg ſelbſt iſt fingitt. Man wollte damit die Bur g
bezeichnen, wo Luther warten mußte, bis er wieder öffentlich er⸗
ſcheinen konnte. Luther mußte als ein dritter Elias auch einige Zeit
in der Wüſte zubringen. um den Namen der Proteſtanten zu bes
gründen, entſtand die Sage von der zu Speier eingelegten Prote⸗
ſtation, die aber als Thatſache ganz unglaubwürdig iſt. Das
Marburger Geſpräch iſt Mythus, aus dem Intereſſe entſtanden,
in der Zeit der Colloquien auch die beiden Anführer der Parteien,
Luther und Zwingli, auf einem Kampfplatz zuſammen zu führen.
Die Geſchichte von Würtemberg zur Reformationszeit wird
nun noch näher ausgeführt zum Beweiſe, daß beſonders in dieſem
Lande die Berichte über die Einführung der Reformation ein mythi⸗
4 Gepräge haben.“ —
Als Nachſ chrift fügt der Herausgeber noch folgende Bemerkun⸗
gen bei: „Hoffen wollen wir nicht, daß man im neun und zwan⸗
zigſten Jahrhundert noch alſo ſchreiben werde. Vielleicht war es aber
der Mühe nicht unwerth „ zu ſehen, wie man zu jener Zeit ſchreiben
könnte, wenn eine Kritik, die ſi ch im neunzehnten Jahrhundert
geltend machen will, wieder auftauchte. Auf eine Begebenhelt ange⸗
wendet, die nur 300 Jahre hinter uns liegt, erſcheint uns dieſe Kritik
nicht nur widerlich, ſondern ungereimt. Allein nach 1000 Jahren
kann ſie das Jerrbild der Reformationsgeſchichte mit dae Schein
8
A
u
von Unbefangenheit und Wiſſenſchaftlichkeit entwerfen, mit dem ſie
jetzt über die evangeliſche Geſchichte ein neues Licht zu verbreiten
ſucht. Wie hell aber die Irrlichter glänzen und wie weit ſie ihren
blendenden Schimmer ſenden mögen, die Wahrheit wird, wenn ſie
alle erloſchen find, noch ſtrahlen in ewiger Herrlichkeit.“ —
Der zweite, nach der oben angeführten Aeußerung des Kirchen—
hiſtorikers zur Widerlegung des Werks von Strauß geeignete Ver—
ſuch, die Anwendung eines ſolchen kritiſchen Verfahrens auf das Le—
ben Napoleons, iſt in der Schrift enthalten: Das Leben Na:
poleons kritiſch geprüft. Aus dem Engliſchen. Nebſt
einigen Nutzan wendungen auf „das Leben Jeſu, von
Strauß.“ Leipzig. Brockhaus. 1836. S. 77. Der Ueberſetzer,
welcher ſich mit. . . r.. . bezeichnet, erzählt im Vorwort, daß er
dieſes ſchon 1827 in Oxford und London in der dritten Ausgabe
herausgekommene Werkchen (unter dem Titel: Historie doubts re-
lative to Napoleon Buonaparte) bereits früher habe auf deutſchen
Boden verſetzen wollen, aber immer davon abgehalten wurde; jetzt
aber ſei es eigentlich auch erſt die rechte Zeit dazu, nach dem Er⸗
ſcheinen des Strauß'ſchen Werkes. Beim Blick auf diejenigen kriti⸗
ſchen Regeln, wonach in unſern Tagen die Aechtheit ſo mancher
Schriften alter Zeit, gegen alle hiſtoriſchen Zeugniſſe, verdächtig ge⸗
macht und verworfen worden iſt, und auf die Reſultate, die aus den⸗
ſelben abgeleitet worden ſind, habe ſich ihm wiederholt die Frage
aufgedrängt: wenn wir dieſelben Grundſätze auf Zeugniſſe für die
Begebenheiten unſerer Zeiten anwendeten, 0 65 füt ein ſol⸗
ches Verfahren? —
Dieſe engliſche Schrift hat alſo dadurch, daß ſie lange vor dem
„Leben Jeſu“ und darum ganz ohne Ruͤckſicht auf dasſelbe entſtanden
iſt, einen eigenthümlichen Werth, wenn das darin beobachtete
Verfahren demjenigen von Strauß wirklich ähnlich iſt.
Man leſe nun das mit Scharfſinn und entſchiedenem Talente geſchrie⸗
bene, gar viel Ergötzliches enthaltende Schriftchen, und keiner wird
darin eine vorausgehende Parodie, die faſt wie eine Weißſagung Tau:
let, verkennen kennen. Die Erklärung dieſer anfangs auffallenden
Erſcheinung iſt nicht ſchwer. Der Engländer parodirt Hume's philo⸗
ſophiſche Grundſätze in ihrer Anwendung auf die bibliſche
Geſchichte, mit welchen die kritiſchen Regeln von Strauß faſt.
wörtlich zuſammentreffen, z. B. „Der philoſophiſche Geiſt ſoll gerade
fein Urtheil um fo viel mehr zurückhalten, als die Erzählung ſonder⸗
; —
1 u; Ni
6 8 W.. a 9
pr a: * E
* 2 *
* 9
bar iſt, und er * nur den entſcheidendſten 105 unabweisbarſten
Beweiſen Glauben beimeſſen. Wir unterhalten einen Verdacht in An⸗
en irgend einer Begebenheit, wenn die Zeugen einander wider:
prechenz wenn ſie von verdächtigem Charakter ſind; wenn fie
ein Intereſſe bei dem haben, was ſie behaupten“ — Dr. Strauß
überbietet dieſen Kritiker darin, daß er ſolche „verdächtige“ Zeug⸗
niſſe nicht nur mit Mißtrauen anſi eht, ſondern ſie ſogleich total ver⸗
wirft. Ferner ſagt Hume auch: „Wenn religiöſer Sinn ſich mit
der Liebe zum Wunderbaren verbindet, ſo hats mit dem geſunden
Menſchenverſtand ein Ende; und menſchliches Zeugniß verliert unter
ſolchen umſtänden allen Anſpruch auf Anſehn“ ꝛc. — Bei dieſer
einſtimmung der Grundfäge iſt es leicht einzuſehen, wie ein vor
10 Jahren geſchriebenes Buch, das die Kritik Hume's im Auge hat,
auch auf die von Strauß treffend paſſen muß. um nun eine voll:
ſtändige Anſchauung von dieſer inhaltsr eichen Schrift zu geben,
wollen wir (wie es in dem Buche ſelbſt iſt) im Texte einige Züge aus
der Schrift des Engländers herausheben und einige der vom ueberſetzer
in den Anmerkungen aufgeftellten Parallelen mit dem Werke von Strauß
in den Noten mittheilen. Beſonders dieſe Anmerkungen, die von
Beleſenheit zeugen und in einem ſehr ernſten Ton abgefaßt ſind, laſſen
ſich hier wegen der erforderlichen Kürze kaum nur andeuten, ge:
ſchweige, wie wir es wünſchten, in ihrem Geſammtinhalte wiedergeben.
„Bei der Frage über den Charakter und die Heldenthaten Napo⸗
leons muß zum Voraus bemerkt werden, daß Gegenſtände darum noch
nicht wirklich ſind, wenn ſie bisher unbeſtritten als exiſtirend
angenommen werden.“ — Dutch intereffante Anekdoten wird die Wahr⸗
heit dieſer Bemerkung ins Licht geſtellt. „Eine notoriſche Sache
iſt gewöhnlich nur eine ſolche, von der man ſehr viel ſpricht; aber
man ſoll immer die Zeugniſſe anſehen, auf die ſich die Wahrheit
einer Begebenheit ſtützt. Die Gewißheit der Exiſtenz und der Hel—
nthaten Napoleons iſt nun auf das Zeugniß der Tagblätter
gegründet. Gegen die Glaubwürdigkeit dieſer ſpricht aber
der Umſtand, daß wir keine Gewißheit darüber haben, ob ihre
Verfaſſer und Korreſpondenten Zugang zu genauer Belehrung hatten.
850 aber TORE die Mittel an 1). Ss ſcheint zwar,
.
13 8
729 dae Sten ben die Merge der äußern Heel für die
u Hlaubwürdigkeit des Evar zeliums, weil wir nicht wieder Zeug⸗
niſſe von Bekannten der Verfaſſer für die Authentie ihrer Bücher
. 15
10
daß die Tagblätter, die ſonſt in keinem guten Kredit ſtehen in Be⸗
ziehung auf ihre Glaubwürdigkeit, ſich dabei das Vertrauen gewan⸗
nen, weil hier der Betrug nicht entdeckt wurde oder weil ſie die Lüge
häufig wiederholten. —
Ferner haben die Tagblätter ein offenbares Intereſſe 0 hier
finden ſich genug Parallelen bei Strauß, die der Ueberſetzer zwar nach⸗
zuweiſen unterläßt) dabei, Erdichtungen von Napoleon zu verbreiten,
weil ſein gefürchteter Name der Zauber war, der immer mit Erfolg
die Schnüre der Geldbeutel öffnete. Dieſes Intereſſe der Erzähler
machte ihre Nachrichten völlig unglaubwürdig; freilich nicht alle Her:
ausgeber von Tagblättern bedienen ſich erdichteter Erzählungen, ſo
daß ſie wüßten, es ſeien dieſelben erdichtet?). —
Das dritte Zeugniß gegen die Glaubwürdigkeit dieſer Quel⸗
len iſt, daß ſie einander handgreiflich in den wichtigſten Punkten
widerſprechen 3).
Aus mehrern geſchickt gewählten Beiſpielen von Erzählungen im
Leben Napoleons zeigt ſich der Grundſatz als richtig: „Daß es
nämlich in Bezug auf eine Erzählung möglich iſt, mag ſie noch ſo
beſtimmte Umſtände anführen, — mag fie noch fo feſt behauptet,, —
mögen die Ereigniſſe, die ſie erzählt, noch ſo öffentlich und noch ſo
wichtig, mag das Anſehen, auf welches hin man ſie bekannt macht,
noch ſo bedeutend ſein, — daß nichts deſto e ſie eine gänzliche
Erdichtung ſei!“ —
Die Schilderungen von Napoleons Charalter find fo widerfpre-
chend, daß man nicht einmal darüber einig iſt, ob ihm perſönlicher
haben. Die Note zeigt auch, daß von dem Urſprung des Evan⸗
geliums nach Strauß'ſcher Hypotheſe die Geſchichte kein Wort
weiß. Strauß 1. S. 63. 64. 70.
2) Strauß I. S. 74.
3) Auf dieſem Grunde beruhen die Beweiſe von Strauß gegen die
Glaubwürdigkeit der evangeliſchen Berichte. Steudel und Klai⸗
ber haben beſonders auf das Unſtatthafte der von Strauß ge⸗
machten, auf ſolche Widerſprüche gegründeten Folgerungen auf⸗
| merkſam gemacht.
Nach Strauß'ſchen Grundſätzen iſt z. B. die Flucht Lud⸗
wigs XVI. und ſeine Gefangennehmung in Varennes ein My⸗
thus, weil die in Paris von 1821 — 23 erſchienenen Mémoires
von Weber ꝛc. ꝛc. bedeutend in der Ehen, dieſes Ereigniſſes
differiren. eee 6 *
11
Muth eineb Kriegers zukomme. Sollen wir Alles annehmen, was
von ihm erzählt iſt, ſo müſſen wir an das Daſein von zwei oder drei
Napoleons glauben 4). Die ihrer philoſophiſchen Denkfreiheit ſich
Rühmenden ſollten doch ehrlich und kühn ihren eigenen Grundſätzen
folgen, und indem ſie die Feſſeln der Autorität abwerfen, ſorgfältig
die Zeugniffe für alles das prüfen, was ihnen vorgelegt wird, ehe
ſie die Wahrheit deſſen annehmen 5). Daß in unſerm erleuchteten
Jahrhundert eine ganze Nation ſehr ſchön gerade in Dingen betrogen
wurde, die ſie ganz genau angehen, zeigen auffallende Beiſpiele 6).
Weil Engländer und Franzoſen ſich den Sieg in der Schlacht bei Tra⸗
falgar zuschreiben, ſo hat wohl die Schlacht gar nicht ſtattgehabt 7).
Jene vielen achtbaren Perſonen, die nach Plymouth reisten, und
Napoleon mit eigenen Augen ſahen, ſahen wohl einen Mann, der,
wie man ihnen ſagte, Napoleon war. Die braven Männer, die
bereit ſind, die Narben aufzuweiſe, die ſie empfingen, als ſie gegen
dieſen ſchrecklichen Napoleon fochten, ſind Männer, die beſſer eine
Muskete zu behandeln, als eo. zu fi fi u und Betrug zu ent⸗
decken verſtehen.
4) Ebenſo an 5 Salbungen Jeſu durch ein Weib (Strauß l. S. 70. ),
an 6—9 Verläugnungen Petri (11. S. 498. ); an eine dreima⸗
lige Vermummung Jeſu (S. 526.); alfo hat offenbar nichts
von der Art ſtattgehabt! — am wenigſten dürfen wir eine
mögliche Vereinigung dieſer widerſprechenden Angaben zugeben.
NN Daß man diefe Grundſätze „wiſſenſchaftlicher Gleichgültigkeit
gegen Reſultate und Konſequenzen“ künftig auch mehr auf die
Berichte von Chriſto anwenden werde, hofft Herr Strauß, der
ſſich vorzüglich von feinen Bemühungen erfreuliche Reſultate ver⸗
ſpricht (11. S. 744.). Nachwelt freue dich deffen, vergiß aber
aber beſonders nicht, Herrn Strauß, dem jetzt noch von einzel-
nen Schwachköpfen Verunglimpften, Ehrenfäulen und Altäre zu
eerrichten! ꝛc.
6) So konnte nach Strauß auch ein Johannes und Paulus ſich
irren, welcher letztere mit den Thatſachen des Lebens Jeſu nur
mittelbar und nur unvollkommen bekannt geweſen zu ſein
ſcheint. Und der arme verblendete Thor hat wegen eines Un⸗
bekannten ſo Vieles gelitten, wie er 1 1 11, 24 — 27 von
ſich erzählt. |
7) Daß Dr. Strauß bei Differenzen in Erzählungen alſobald er⸗
klärt, das Ereigniß DAR nicht ſtattgefunden, zeigt jede Seite
D ſeines Buchs. 0
12
In dem Verhältniß als der bezeugte Gegenſtand ſelbſt
unwahrſcheinlich iſt, wird auch das nämliche Zeugniß, das
ſonſt großes Gewicht hätte, unwahrſcheinlich; und wenn
man es anführt, um irgend etwas zu beweiſen, das nicht mit der
allgemeinen Erfahrung übereknſtimmt, fo wird es von allen gefunden
Denkern einſtimmig verworfen werden müſſen. Alle von Napoleon
erzählten Ereigniſſe ſind groß und glänzend und wunderbar, und ge—
gen die Erfahrung früherer ‚Zeiten, ganz darauf bereit, die
Einbildungskraft des Pöbels anzuregen. Wunderbar iſt, daß, wenn
man es für paſſend hält, ihn als beſiegt vorzuſtellen, dennoch, wenn
es bequem ſcheint, ihm wieder aufzuhelfen, dieß fo ſchnell und voll⸗
kommen geſchieht, als wäre Merlin's Zauberſtab dabei angewandt
worden. Sucht man die Umſtände auf, die dazu beitragen könnten,
die Begebenheiten dieſer unglaublichen Geſchichte zu erklären: da tref—
fen wir uns mit ſolchen zuſammen, die ihre Unwahrſcheinlichkeit ver-
mehren. (Dieß iſt trefflich durchgeführt S. 30. 31.). Ein Umſtand
beſonders iſt, der ſo Vieles zu dem Anſcheine von Erdichtung bei—
trägt, der jeden Theil dieſer wunderbaren eee .
und das iſt die Nationalität derſelben.
Hier iſt auf frappante Weiſe nachgewieſen, wie Napoleon alle feind⸗
lichen Staaten der Reihe nach beſiegte, außer England, und nur Eng⸗
länder ihn beſiegeu. Völlig national, daß iſt gewiß! aber ganz wie
eine erdichtete Geſchichte, um die Engländer zu ergötzen 8). Wenn
wir nun auch zugeben, es hätten vor mehrern Jahren blutige Kriege
ſtattgehabt, was höchſt wahrſcheinlich iſt; ſo folgt hieraus doch nicht,
daß die Begebenheit dieſer Kriege ſo waren, wie man uns erzählt;
daß Napoleon ihr Urheber und Leiter war; oder daß eine ſolche Per—
ſon jemals exiſtirte. Immer zeigten die Menſchen eine gewaltige Ge—
neigtheit, auf ein Individuum ) (ein wirkliches oder erdichtetes) die
Thaten Vieler überzutragen, außerdem, daß fie dieſe Thaten taufend-
fältig vermehren und vergrößern 10). Napoleon iſt vielleicht nur ein
8) Hier werden vom Ueberſetzer ſchlagende Beiſpiele aus Strauß
angeführt, wo dieſer auch ſagt, wenn eine ſolche Geſchichte er—
dacht wäre, könnte ſie geſchickter erfunden worden fein? —
Seite 62 — 751! —
9) Ganz wie Herr Strauß die genetiſche Entwicklung der Sage
von Chriſtus darſtellt! Tholuck II. 734— 36.
10) So mußte Jeſus Alles vereinigen und überbieten, was von den
alten „ erzählt iſt. Bean 1. SM |
13
Titel Napoleon, Löwe des Waldes. Buona Parte vielleicht kau⸗
derwelſche Bezeichnung des „guten (d. h. 1 beſonders m
| triotijchen) Theils“ der franzöfifchen Armee 11). |
112 In der Nachſchrift der dritten Ausgabe meldet 0 Berfaffe, daß
man gerade als dieſe Unterſuchungen angeregt wordeu, das Geſpenſt
habe ſterben laſſen, wie man ſagt auf Helena, offenbar um ſo mit
einemmal der Entdeckung zuvor zu kommen. „Es mag anmaßend
von einem unbekannten und namenloſen Individuum ſcheinen, wenn
es auf die Ehre Anſpruch macht, den furchtbarſten aller Helden, von
denen man erzählt, zum Tode gefördert zu haben; allein ein Schat—
tenheld mag wohl durch einen Schattenfeind beſorgt werden.“ —
Zum Schluſſe nun noch die beſonders charakteriſtiſchen Stellen aus⸗
führlicher (S. 32 37. ). Hier werden nur wirkliche Thatſachen
erzählt, und doch ſcheint Alles unwahr; die Fakta ſind nur hinge⸗
ſtellt, aber die vermittelnden Ereigniſſe und Umſtände ſind über⸗
gangen, ganz wie in der Bibel. Sind nun aber darum e en
2 ſelbſt nicht hiſtoriſch?
v» Was hätte z. B. der große Hume oder irgend einer In Phllo⸗
ſophen ſeiner Schule geſagt, wenn ſie in den alten Berichten einer
Nation eine Stelle, wie folgende gefunden hätten: „Und es war
ein Mann aus Korſika, der hieß Napoleon, und er war einer der
oberſten Hauptleute des Heeres der Franzoſen; und er ſammelte Krieges
leute und kam und focht gegen Aegypten: als aber der König von
Brittanien davon hörte, ſo ſammelte er Kriegsſchiffe und tapfere
Männer, zu kämpfen mit den Franzoſen in Aegypten. Und ſie kämpf⸗
ten gegen dieſelben und ſiegten, und ſtärkten die Hände der Fürſten
des Landes gegen die Franzoſen und verjagten Napoleon von der
Stadt Akre. Alsdann verließ Napoleon die Hauptleute und das
Heer, die in Aegypten waren, und floh, und kehrte zurück nach
Frankreich. Und das Volk der Franzoſen nahm Napoleon an und
machte ihn zum Fürſten über ſie, und er ward ſehr gewaltig, ſo daß
keiner wolf gleich wie er von allen, die bisher über Frankreich ge⸗
herrſcht hatten. — Und es geſchah in dieſen Tagen, daß Napoleon
neue Kräfte ſammelte und wieder ein anderes Kriegsheer aushob, an
der Stelle von dem, das er verloren hatte, und kam und kämpfte
19 So machte an aus ganz ähnlichem Irrthume, Jeſus zu einem
Nachkommen Davids, was een blos ein Titel geweſen
war. Strauß 1. S. 128 |
11
gegen die Preußen und die Ruſſen und die Oeſtreicher und alle Für⸗
ſten des Nordens, die verbunden waren gegen ihn. Und auch der
Fürſt von Schweden focht gegen Napoleon; und der Fürſt von
Schweden war ein Franzoſe. So zogen ſie vorwärts und fochten
gegen die Franzoſen in der Ebene, die da heißt die Ebene von Leip⸗
zig. Und die Franzoſen wurden geſchlagen von ihren Feinden und
flohen, und kamen an den Bach, der hinter Leipzig iſt, und verſuch—
ten über denſelben zu gehen, auf daß ſie entrinnen möchten der Hand
ihrer Feinde; aber ſie vermochten es nicht, denn Napoleon hatte die
Brücken abgebrochen; ſo fielen die Völker des Nordens über ſie her
und ſchlugen ſie in einer gewaltigen Schlacht:
Und alſo machten ſie ihn zum Fürſten von Elba. In dieſen Tag
kehrte der Papſt zurück in ſein eignes Land. Die Franzoſen aber
und mehrere andere Völker in Europa ſind Diener des Papſtes und
ehren ihn ſehr; er iſt aber ein Gräuel den Britten und den Preußen
und den Ruſſen und den Schweden. Aber die Franzoſen hatten all
ſein Land weggenommen und ihm geraubt alles, was er hatte, und
ihn gefangen weggeführt nach Frankreich. Als aber die Britten und
die Preußen und die Ruſſen und die Schweden, und die andern
Völker, die verbunden waren gegen Frankreich, dahin kamen, nö⸗
thigten ſie die Franzoſen, den Papſt in Freiheit zu ſetzen, und ihm
all feine Schätze zurückzugeben, die fie genommen hatten; auch gaben
ſie ihm all ſeine Beſitzungen zurück; und er kam zurück in ſein Land
mit Frieden, und herrſchte über feine Stadt, wie in früherer Zeit.
Und es geſchah, nachdem Napoleon noch kein volles Jahr in Elba
geweſen war, daß er fagte zu feinen Kriegsleuten, die ihm noch an⸗
hingen: auf, laßt nns zurückkehren nach Frankreich und kämpfen gegen
den König Ludwig und ihm nehmen ſeine königliche Gewalt. So
zog er fort, er und ſechshundert Mann mit ihm, welche das Schwert
zogen und kämpften gegen den König Ludwig. Und alle Männer
Belials traten zuſammen und ſprachen: Der Herr ſei Napoleon gnä⸗
dig. Und als Ludwig dieſes ſah, ſiehe, da floh er, und gelangte in
das Land Batavien, und Napoleon ward Fürſt in Frankreich u. ſ. w.“
Wenn nun ein freidenkender Philoſoph (Hume, Strauß), einer
von denen, welche die Rechte einer unparteiiſchen Vernunft vertheidi⸗
gen und ſogenannte Offenbarung verachten, auf ein Gewebe von
Albernheiten, wie dieß iſt, in einem alten jüdiſchen Bericht träfe,
würde er nicht dieß alles zuſammen verwerfen, indem es ein allzu⸗
handgreiflicher Betrug ſei, als daß derſelbe verdiente, daß man über
15
feine Wahrheit auch nur eine Unterſuchung anſtellte? Will man er⸗
widern, es ſei nichts uebernatürliches an dem allem? Woher
anders geſchieht es denn, daß ihr das Ueber natürliche verwerft,
daß ihr keinen Bericht, der Wunder enthält, annehmet, AR Pr
ri apa fie unwahrſcheinlich ſind!“ —
Wir unterſchreiben nun zum Schluſſe den Wunſch, 16 der
ueberſetzer in der Vorrede äußerte, mit ganzem Herzen: daß dieſes
Büchlein, das aus Liebe zu Chriſtus und ſeiner Lehre verfaßt, aus
warmer Anhänglichkeit an den göttlichen Meiſter übergetragen ward,
ausgehen möge in unſer deutſches Vaterland, in Scherz und Ernſt be:
lehrend, und een vr 1 ara: Sinn n Wahrheit Wert nicht
. —
mi 4.5 50
SGemiſchte Stimmen.
Wir treten nun in den Kreis derjenigen ein, welche von den ver⸗
ſchiedenſten Seiten her ihre Stimme nicht mehr im Tone des Scherzes,
ſondern des Ernſtes; doch noch nicht als im engern Sinne
wiſſenſchaftlich oder wenigſtens noch nicht als theologiſch
N
vernehmen ließen. Unter den in dieſem Charakter abgegebenen Urthei⸗ ’
len iſt wohl eines der früheſten und das bekannteſte das Gutachten
von Dr. Neander, Profeſſor der Kirchengeſchichte in Berlin. Es
wurde durch die Anfrage des preußiſchen Miniſteriums: ob die Erlaſ⸗
ſung eines Verbots gegen die Verbreitung des Werks von Strauß
recht und heilſam ſei? — veranlaßt. (den 15. Nov. 1835). Sein
Hauptinhalt iſt kurz folgender: „Es waltet in dem Buche nur
der Scharfſinn, welcher die Gegenſätze auffindet; aber nicht zugleich
auch der Tiefſinn, welcher die höhere Einheit erfaßt; nur ein einſeiti⸗
ges Verſtandeselement, nicht zugleich aber die Beſeelung durch das
religiöfe Element. Die hier angewandten Grundſätze, um das Ge⸗
ſchichtliche in der Darſtellung der Evangelien in Mythiſches zu ver⸗
wandeln, würden die ſicherſten Thatſachen aller Geſchichten ihrer Rea⸗
lität berauben. Wenn ſolche Anſichten von dem hiſtoriſchen Chriſtus,
wie fie in jenem Buche ausgeſprochen werden, ſich allgemeiner ver:
——
16
breiteten, wäre allerdings, wo ſie ſich verbreiten, die chriſtliche Kirche
zerſtört. Die Erlaſſung eines Verbotes dagegen iſt eher nachtheilig,
als für die Wahrheit förderlich. Verbote mögen gegen populäre Schrif:
ten gegeben werden. Ein wiſſenſchaftliches Buch, wie dieſes, kann
nur mit Waffen der Wiſſenſchaft widerlegt werden. Auch der Irr⸗
thum muß dazu dienen, die Wahrheit von neuen Seiten ans Licht zu
fördern, ſie feſter zu begründen, Blößen in der bisherigen Art ihrer
Vertheidigung aufzudecken und ſie meiden zu lehren.“ — Ein entſtell⸗
ter Bericht über dieſes Gutachten in der Allgemeinen Zeitung
No. 10 nöthigte den Verfaſſer, eine nähere Erklärung desſel⸗
ben zu veröffentlichen (den 17. Febr. 1836): „Das Gutachten ſei
nur der Ausdru k einer ſubjektiven Ueberzeugung, welche, obgleich
ihrer wiſſenſchaftlichen Begründung und ihres wiſſenſchaftlichen Rech-
tes ſich wohl bewußt, doch in dieſer Form ſich ausſprechend, eine
Bedeutung nur für Diejenigen haben könne, welche auf demſelben
Standpunkte der Betrachtungsweiſe göttlicher und menſchlicher Dinge
mit dem Verfaſſer ſich befinden.“ Wahre Worte find nun hier aus.
geſprochen über den Zeitgeiſt, der nicht das Orakel der Wahrheit,
ſondern in vielen Fällen der Mund der Lüge und das Orakel des
Wahnes iſt. Im Kampfe mit dem Zeitgeiſt pflanzte ſich von Anfang
an bis heute das Chriſtenthum ſiegreich fort. In dieſem irrenden
Zeitgeiſt liege nun auch die vorgeblich höhere, ideale Auffaſſung des
Chriſtenthums, wornach das erlöſende Prinzip die Idee der Menfch-
heit iſt, welche unter dem Symbol der ins Mythiſche ausgemalten
Geſchichte der Perſon Jeſu uns dargeſtellt wird. Dr. Neander be
kennt ſich nun aufs Entſchiedenſte zum Glauben an den hiſtoriſchen
Chriſtus, welcher das Leben der Menſchheit umgebildet hat und mit
ſiegreicher, göttlicher Kraft ferner umbilden wird. Die Bildung der
Welt, ſagt er, muß ſich demüthigen, der Buße ſich nicht ſchämen,
welche allein der Weg zum Glauben iſt und mit demſelben chriſtlichen
Sinne, wie es von Allen verlangt wird, das Reich Gottes aufneh—
men, wie Chriſtus Gott preiſet, daß Er, was Er den Weiſen und
Klugen verborgen, den Unmündigen geoffenbart habe und wie Er
ſpricht: Es ſei denn, daß Jemand von Neuem geboren werde, kann
er das Reich Gottes nicht ſehen. Was nicht ger diefem Bu
ausgeht, iſt nicht Chriſtenthum.“
Am kräftigſten und rückſichtsloſeſten hat ſich die Be che
Kirchenzeitung in Berlin wider Strauß erklärt, beſonders in
dem Vorwort zum Jahr 1836. Januarheft. Aus demſel⸗
# | ' 17
ben theilen wir einige der Hauptgedanken mit. Dr. Neander
glaubte zwar in der Erklärung ſeines Gutachtens gerade dieſes Vor⸗
wort zum Theil tadeln zu müſſen, kann aber doch, nach feinen eige⸗
nen Worten: „ der evangeliſchen Kirchenzeitung ſeine Achtung und
Liebe nicht verſagen, in allem Dem, wo ſie als Organ des chriſtli⸗
chen Geiſtes im Kampfe für die Intereſſen, welche uns gemeinſam
heilig uns euer ſind, ſich bewährt hat in rückſichtsloſer ie
; v. antichriſtlichen pantheiſtiſchen Selbſtvergötterung.“ F
„Das Werk von Strauß, ſo heißt es in jenem Vorworte, iw
eben dadurch ſo bedeutend, daß es nicht etwas abſolut Neues gibt,
ſondern daß es nur konſequente Durchbildung und Zuſammenfaſſung
von Elementen iſt, die in der ganzen ‚Zeit: fehon vorliegen. Aber
dennoch geht dasſelbe bedeutend über das bis jetzt Gangbare heraus,
und kündigt ſich in dieſer Beziehung ſelbſt als Organ des immer
mündiger werdenden Zeitgeiſtes an. — Ein Etwas von Frömmigkeit
galt bisher noch für den Theologen ſo nothwendig, daß, wer es nicht
hatte, es zu erheucheln ſuchte. Hier aber tritt uns die gänzlichſte
Erſtorbenheit alles Gottesbewußtſeins entgegen, und dieſer Eigen:
ſchaft rühmt ſich der Verfaſſer ſogar, ſie betrachtet er als das Eine
was Noth thut, als dasjenige, was er vor ſo vielen Andern voraus
habe, die ihn ungleich an Gelehrſamkeit übertreffen. Der Verfaſſer
iſt, was viel ſagen will, eben ſo entfernt von religiöſen Vorausſetzun⸗
gen, als er angefüllt iſt von irreligiöſen Vorausſetzungen. Strauß
taſtet „mit Ruhe und Kaltblütigkeit“ den Geſalbten des Herrn an,
unbekümmert um das: „von Anfang, da die Welt gemacht, hat ſo
manch Herz nach dir gewacht,“ ungerührt durch den Anblick von
Millionen, die vor dem Erſchienenen auf den Knieen lagen und noch
liegen, vr das: „In dir habe ich Gerechtigkeit und Stärke“ be⸗
kennend. Seinem Auge entquillt nicht einmal die Thräne der Weh⸗
muth, die wem ein fühlend Herz im Buſen ſchlägt, vergießt, wenn
er ſich von einem irdiſchen Freunde losſagt, weil er glaubt, ſich in ihm
getäuſcht zu haben. Und welch ein Freund iſt's, den er verläßt,
den er fühllos mit Füßen tritt. ... Der Verfaſſer des Lebens Jeſu
ſtellt ſich die Aufgabe, das kritiſch Vernichtete dogmatiſch wieder
herzuſtellen. Er meint, ſein Angriff ſei nur gegen die bisherige Form
des Chriſtenthums gerichtet; das Weſen desſelben trete dadurch nur
um ſo herrlicher ans Licht. Sehen wir zu, worin dieß Weſen beſteht.
S. Strauß II. S. 735. ſ. unten S. 48. — Selten wird man wohl ein
ſo e von Aufrichtigkeit in Verbindung mit einem eben ſo
2
*
N
iS
ungeheuren Maße von Lüge, von Heuchelei, von Scheinheiligkeit an⸗
treffen. Zwei Völker find im Leibe dieſer Zeit, und nur zwei.
Immer feſter und geſchloſſener werden ſie ſich entgegen treten: der
Unglaube und der Glaube. Je konſequenter der Zeitgeiſt (unglaube)
ſich ausbildet, deſto unmöglicher wird es für ſeine Diener ſein, ſich
ſelbſt und Andern aufzulügen, daß ſie zum Dienſte der Kirche geeig⸗
net ſeien. Und endlich, je mehr die Sünde reift, deſto mehr reift
auch das Gericht, und je näher das Gericht kommt, deſto näher
kommt auch das Heil. „Siehe, es wird ein Wetter des Herrn mit
Grimm kommen, ein ſchreckliches Ungewitter wird den Gottloſen auf
den Kopf fallen. Denn des Herrn grimmiger Zorn wird nicht nach⸗
laſſen, bis er thue und ausrichte, was er im Sinne hat. Zur Ta
Zeit werdet ihr ſolches erfahren.“ —
In einem ähnlichen Sinne, nur wohl mit eee 1
drücken, handeln nun eine Reihe von Aufſätzen in der evangeliſchen
Kirchenzeitung von dem Strauß'ſchen Werke, bald mehr unmittelbar,
bald mittelbar. Einige der Gegenſchriften wurden angezeigt,
die Zukunft der Theologie (Maiheft), die Stellung Herrn
Strauß's und derer, die ſeine Ueberzeugung haben, zur Kirche, das
Verhältniß des Chriſtenthums zum Pantheismus wur—
den beſprochen, Alles in der Tendenz, ſich dieſer jungen Theolo—
gie, wie dem jungen Deutſchland, als Produkten unſerer antichriſt⸗
lichen Zeitbildung, ohne alle Zugeſtändniſſe und mit dem entſchieden⸗
ſten Ernſte entgegen zu ſetzen. Einige Aeußerungen aus dieſen Auf—
ſätzen über das Werk von Strauß ſelbſt mögen hier noch mitgetheilt
werden: „Könnten wir dem heut zu Tage weit verbreiteten Vorur—
theile beiſtimmen, daß Ueberzeugungstreue den Menſchen rechtfertige,
und müßten wir nicht vielmehr behaupten, daß der Menſch auch für
feine ueberzeugung verantwortlich ſei (ſofern er Mittel
zur Wahrheit über Gott und ſich zu gelangen hat), ſo dürften wir
dem Dr. Strauß eine rühmende Anerkennung nicht verſagen.. Strauß
benutzt den Unglauben unſerer Zeit an das alte Teſta⸗
ment zum Bundesgenoſſen und zeigt die Verwandtſchaft vieler Be⸗
gebenheiten im Leben Jeſu mit altteſtamentlichen Faktis, die offenbare
Beziehung anderer auf altteſtamentliche Weißſagungen, zum Theil
ſelbſt wörtliche Entlehnung des Ausdrucks in analogen Vorfällen.
Dieß find nur Vor- und Gegenbilder, Weißſagungen, Erfüllungen,
Beſtätigungen der Offenbarung; dem Strauß hingegen Argumente
für ſeine myeSifce Auffaſſung. .. „Das Buch ſelbſt hat Fein Ge⸗
EN
19
wicht; der Unglaube der, Zeit gibt ihm ſeinen Werth. .. Es iſt
* unbegreiflich, wie das Lob der Gelehrſamkeit dem Verfaſſer des
Lebens Jeſu ſo allgemein und ſo freigebig geſpendet werden kann,
Er ſelbſt kennt ſich beſſer, er lehnt es in der Vorrede von ſich ab,
erheuchelte Demuth iſt nicht ſeine Sache. Zu dem Selbſtzeugniß des
Verfaſſers kommt aber, davon unabbängig, das Zeugniß ſeines Buchs.
Wer den Scharfſinn des Verfaſfers hat, dabei ein Vademecum wie
die Kommentare von Paulus und Kuinöl, Mittel ſich die dort in
reichlicher Menge eitirten Schriften anzuſchaffen, oder Gunſt fie zu
leihen, der kann in jedem Augenblicke, ohne alle gelehrte Vorberei⸗
tung, an die Abfaſſung eines Werkes gehen, das ein eben ſo gelehrtes
Ausſehen hat, wie das vorliegende. Wirkliche Gelehrſamkeit wird
daraus erkannt, daß man überall das Entlegenſte da in Bereitſchaft
hat, wo es für die Unterſuchung von Vortheil iſt. Das wird man
aber hier nie und nirgends finden. Der Verfaſſer iſt immer in den
Kreis ſeiner nächſten Hülfsmittel gebannt. Oft iſt ſogar Unfleiß und
Fahrläßigkeit unverkennbar und auch das unmittelbar zur Stelle Ge⸗
hörige wird nicht genutzt. Beim alten ee ſcheint DR Verfaſſer
faſt gar nicht mit eigenen Augen zu ſehen. “ —
Der von Dr. Tholuck herausgegebene rare nozeiger
für chriſtliche Theologie und Wiſſenſchaft überhaupt
bewährt auch in Beziehung auf das Werk von Strauß, wie bei fo
vielen andern wichtigen literariſchen Erſcheinungen, die Vielſeitigkeit,
mit der er die chriſtliche Wiſſenſchaft fördern und zu derſelben anregen
will. Bis jetzt haben ſich in demſelben (a. 1836.) außer der theo lo⸗
giſchen Stimme des Herausgebers die Urtheile eines Phi⸗
loſophen, eines Geſchichtſchreibers und eines Arztes ver⸗
nehmen laſſen, von denen jeder in feiner eigenen Wiſſenſchaft Ausge⸗
zeichnetes geleiſtet hat, und welchen, ungeachtet ſie nicht ſelbſt Theo⸗
logen ſind, doch die in der theologiſchen Wiſſenſchaft und in der Kirche
überhaupt vorgehenden Bewegungen nicht gleichgültig ſind, weil ſie
gegen keinen Zweig des Wiſſens, wie ſo viele gerade gegen das theo⸗
logiſche, ſich abſchließen, beſonders aber, weil ſie durch den Glauben
„zan den perſönlichen Gott, an Chriſtus den Gottesſohn, der unſer
Erlöſer iſt, und an ein Himmelreich der vollendeten Seligen“ als
Glieder der Kirche, die auf dieſen Grund gebaut iſt, ſich bewußt
ſind, und darum deren Schickſal in unſern Tagen und die Saen
gegen dieſelbe nicht unbeachtet laſſen können. a
De Tholuck ſeloſt arbeitet an einer beſondern Schriſt die bald
a
20
erfcheinen wird: „über die hiſtoriſche Grundlage (oder über
die Glaubwürdigkeit) der evangeliſchen Geſchichte mit Be⸗
ziehung auf Strauß.“ — Einige ſeiner vorläufig über dieſes
Werk im Anzeiger abgegebenen Urtheile theilen wir hier mit: „In
dieſem Einen Werke koncentrirt ſich aller Zweifel und Unglaube des
Zeitalters. Es iſt ein Irrthum, zu denken, als ob nur ein Buch
von demſelben Umfange, wie das Leben Jeſu von Strauß, dasſelbe
auf allen ſeinen Punkten widerlegen könne. Die ganze große Maſſe
der hiſtoriſchen Beweiſe des Verfaſſers liegt auf einer Nadelſpitze —
bricht fie ab, fo fällt das ganze Gewicht zu Boden: die Aechtheit
der vier Evangelien; ja die Aechtheit eines einzigen unter
ihnen: Freilich, fo heißt es ja bei Strauß Th. I. S. 63. „Wenn die
äußern Zeugniſſe für einen apoſtoliſchen Urſprung zwingend wären,
ſo würde dieß ein bedenkliches Hinderniß der mythiſchen Anſicht von
ihren Berichten ſein,“ ſo liegt denn das ganze Geheimniß unter dem
Splitter, und die Kunſt iſt nur, den Splitter aufzuheben, wie das
arabiſche Sprüchwort ſagt. In gleicher Weiſe, wie der hiſtoriſche
Beweis ruht auch der philoſophiſche auf einer ſcharf geſchliffenen Na⸗
delſpitze — es handelt er um das Eine: wie Natur des *
ſtes. 18 4.
Bereits eine Probe un ſeinem Werke über die Glaubwür⸗
digkeit der evangeliſchen Geſchichte“ gibt uns nun Tholuck in der
ſehr intereſſanten ausführlichen Abhandlung über „die Scha—
tzung, von welcher Lukas Kap. 2, 1—2. ſpricht, mit Be⸗
zug auf die Kritik von Dr. Strauß unterſucht.“ No. 38
bis 42 ſeines Anzeigers. Die Wahl gerade dieſes Gegenſtandes iſt
höchſt glücklich, um daran die Leichtfertigkeit und Parteilichkeit der
Strauß'ſchen Kritik im Gegenſatz zu der wahren, die auf Unpartei⸗
lichkeit Anſpruch machen darf, zu zeigen. Strauß ſammelt nämlich
in dieſen beiden Werfen des Lukas eine ganze Maſſe von chronologi—
ſchen, hiſtoriſchen und antiquariſchen Irrthümern (Band J. F. 28.
S. 198 — 207.), um einerſeits die hiſtoriſche Glaubwürdigkeit des
dritten Evangeliums zu untergraben, anderſeits aber auch den folgen⸗
reichen Schluß ziehen zu können, daß Bethlehem nicht der Geburts:
ort Jeſu ſei. Die Unterſuchung über dieſe Stelle iſt darum wichtig,
N 3 ſich Strauß bei derſelben in Vergleich zu allen übri⸗
en von ihm angetafteten am meiſten im Vortheil befin:
det; denn an deren hiſtoriſcher Rechtfertigung verzweifelten ja in
neueſter Zeit, Surarntiralſt und Rationaliſten gleicherweiſe. Tho⸗
x ar ch
4 *
+
15
J * 5 21
luck weist nun mit dem großen poſitiv⸗kritiſchen Talente und mit
der tüchtigen Gelehrſamkeit, die ihm zu Gebote ſteht, zuerſt in Be⸗
ziehung auf die Apoſtelgeſchichte nach, wie Lukas mit den damaligen
—— — auf's genaueſte bekannt iſt, beſonders mit Rück⸗
ſicht auf die jüdiſchen und heidniſchen obrigkeitlichen Behörden. Dann
iſt die Stelle Lukas 2, 1 — 2. ſelbſt beleuchtet. Der Verfaſſer hebt alle
Schwierigkeiten einzig durch eine richtige Ueberſetzung, nämlich: a
„Dieſe Schatzung geſchah, bevor Quirinus Prätor von Syrien war;“
und findet, daß dieſe Parentheſe von Lukas eben beigefügt
ſei, um ſolcher willen, welche den nen eines
hiſtoriſchen Verſehens beſchuldigen wollten! — Keine:
wegs aber beruhigt er ſich damit, durch dieſe ueberſetzung den
Hauptangriff auf die Richtigkeit jener Stelle abgewieſen zu haben.
Er geht nun auch auf alle die einzelnen von Strauß ſorgfältig zu⸗
ſammengeſtellten Bedenken ein und zeigt ſie in ihrer Nichtigkeit e
umſichtige hiſtoriſche Unterſuchungen. —
Dr. Tholuck hatte bei dieſer Abhandlung den hohen Zweck im
Auge, nachzuweiſen, wie viel es zu bedenken und zu unterſuchen
giebt, bevor man über Gegenſtände ſolcher Art die Akten für gefchlof:
ſen erkläre, was Strauß bei dieſem und ſo vielen hundert andern Thei⸗
len der evangeliſchen Erzählungen aufs ſchnellſte thut; und unſtreitig
iſt es ihm gelungen, eine der Aufgabe würdige Auflöſung zu geben.
Wenn wir von dieſer Probe auf das Ganze des erſcheinenden Werkes,
von dieſet ſoliden Unterfuchung auf eine gleichmäßige Gründ⸗
lichkeit über alle von Strauß und Andern angegriffene Punkte der
evangeliſchen Erzählung einen Schluß machen dürfen, ſo werden wir
uns bald eines Werkes freuen, welchem die neuteſtamentliche Kritik
der neuern Zeit nicht leicht ein anderes an die Seite ſetzen kann.
Stellen wir neben dieſe auf die Hauptſachen und feine Nebenzüge ſich
beziehende glänzende Rechtfertigung des geſchichtlichen Charakters un-
ſers Evangeliſten die beherzte Abfertigung desſelben, als eines gar zu
einfältigen und beſchränkten Berichterſtatters, bei Strauß, ſo muß
wohl dem Unbefangenen weniger Lukas in feiner „gelehrt ſcheinen⸗
den, chronologiſchen Notiz,“ als der an der Erklärung dieſer Notiz
ſo bald verzweifelnde Kritiker in ſeinen Berichten verdächtig wer⸗
den; um ſo mehr, da der oben mitgetheilte Ausſpruch: „Wirkliche
Gelehrſameit werde daraus erkannt, daß man überall das Entlegenſte
da in Bereitſchaft hat, wo es für die unterſuchung gen Vortheil iſt.
Strauß aber iſt immer in den Kreis ſeiner nächſte u Hülfsmittel ge⸗
22
bannt,“ ſich hier ſo ganz als wahr erweist; denn Strauß führt nichts
an, als was bei Olshauſen, Paulus, Kuinöl, Credner, Winer,
Schmidt ꝛc. und in den von dieſen Gelehrten längſt citirten Stellen
aus dem jüdiſchen Geſchichtsſchreiber Joſephus ꝛc. zu finden iſt, wäh⸗
rend dem Blicke Tholucks die Beweisſtellen in den Schriften der Grie⸗
chen und Römer, in den philologiſchen, antiquariſchen Werken der
neuern und der neueſten Zeit nicht entgehen. Nach einer ſolchen nur
ſcharfſinnigen und doch fo unſelbſtſtändigen und darum kurzſichtigen
Behandlung dieſer Stelle (Lukas 1, 1 — 2), wie fie bei Strauß ſich
findet, iſt deſſen Machtſpruch: „der Verfaſſer habe wohl gewußt,
was Maria zu Bethlehem zu thun hatte, nämlich der Weißſagung
Micha 5, 1. gemäß in der Davidsſtadt den Meſſias zu gebären “,
doch zu willkürlich und die Nachſprechung des widrigen Scherzes:
„Lukas habe die Maria nach Bethlehem hinüber ſetzen wollen, und
da habe ſich die liebe Zeit nach ſeinem Willen fügen müſſen,“ zu
trivial. —
Sehen wir uns nun bei den andern im lit. Anzeiger miederhug ⸗
ten Urtheilen um, ſo begegnet uns zuerſt dasjenige des durch ſeine
philoſophiſchen Leiſtungen bekannten Profeſſor C. H. Weiße in
Leipzig, in deſſen Sendſchreiben an den Herausgeber:
No. 19. 20. „Ueber die philoſophiſche Grundlage von
Strauß Leben Jeſu.“ In dieſem inhaltsreichen, in philoſophi⸗
ſchem Gedankengange abgefaßten Schreiben iſt der philoſophiſche Stand:
punkt des Strauß'ſchen Werkes zwar nicht geradezu kritiſirt, ſondern
vielmehr nur unterſucht und ausgemittelt; jedoch ſind die beigefügten
Winke über den eigenen Standpunkt des Verfaſſers, der bekanntlich
mit Aufrichtigkeit zu einer weſentlichen Ausſöhnuug der Philoſophie
mit den chriſtlichen Lehren hinſtrebt, ſehr beachtenswerth. Weiße fin:
det die Tendenz zu derjenigen Behandlungsweiſe der evangeliſchen
Geſchichte (als Mythen), die bei Strauß durchgeführt iſt, in der
Hegelſchen Philoſophie als ſolcher; indem auch in dieſer das Prinzip
der Gleichartigkeit zunächſt der altteſtamentlichen Offenbarung mit
den heidniſchen Religionen iſt, ſodann, wenn auch in einem etwas
modificirten Sinne, des Chriſtenthums mit beiden. Eben ſo iſt Strauß
mit der Hegelſchen Philoſophie in der Auffaſſung der Perſönlichkeit
des Heilandes einig; denn auch in dieſer findet ſich keine höhere An⸗
H kennung Jeſu, weil dem Hegel vom Standpunkt feines Syſtems
e Perſönlichkeit Jeſu von Nazareth ganz in demſelben Sinne als
eine gleichgültige erſcheinen mußte, wie alles andere Einzelne und
Br.
önliche. Entschieden erklärt ſich Weiße gegen die niedrige Anſicht
Be ei Perſon Jeſu, die in dem Werke von Strauß ſich findet. In
. ſei der unverhohlene Pantheismus mit einer gleichfalls ſelten
noch vernommenen Freimuthigkeit ausgeſprochen. (Strauß Th. II. 730).
Die über Hegel hinaus ſtrebende Philoſophie könne und werde die
Frage über die Perſönlichkeit des Erlöſers anders beantworten, als He⸗
gel ſie beantwortet.
Eine ſolche „Menſchwerdung Gottes, wie Hegel und Strauß fie
lehren, eine Verwirklichung Gottes in dem menſchlichen Geiſte über—
haupt,“ ohne daß ſolche Menſchwerdung in Geſtalt eines beſtimm⸗
ten, welthiſtoriſch auftretenden, menſchlichen Individuums wirklich auf
reale Weiſe ſich vollzieht — eine ſolche Menſchwerdung wird als
eine völlig leere und nichts ſagende kaum des Heidenthums, welches
doch immer in konkreter, geiſtvoller Phantaſiegeſtalt ſeine lebendigen
perſönlichen Götter hatte, vielweniger des Chriſtenthums würdige
Abſtraktion bezeichnet. Der in den Begriff der Perſönlichkeit
ſelbſt tiefer eingedrungene Philoſoph kann ſich mit ganz anderer Un⸗
befangenheit, als es dem an Hegels Prinzipien feſthaltenden möglich
wäre, dem gewaltigen Eindrucke hingeben, den er von der Perſön⸗
lichkeit des Gottmenſchen aus der evangeliſchen Ueberlieferung erhält. 4
Jeſus iſt dem Verfaſſer „unfehldarer Meiſter!“ —
Dr. H. Leo theilt: „Auch ein Wort über die neueſten
Erſcheinungen der theologiſchen Literatur“ im literari—
ſchen Anzeiger mit. Er ſcheidet im menſchlichen Handeln das mora—
liſche von dem ſittlichen. Jenes hat überall ſeinen Grund und
Boden, fein Fundament in der ſubjektiven Ueberzeugung. Mo:
ralifch handelt der, welcher etwas thut, wozu er ſich feiner ſubjek—
tiven Ueberzeugung nach für verpflichtet hielt. Das fittliche Han—
deln aber ſetzt eine allgemeinere poſitive und zwar eine religiöſe Grund—
lage voraus, ſei dieſe nun in einer geoffenbarten Religion, wie bei
den Juden, oder in einer in beſtimmter Weiſe hiſtoriſch entwickelten
Volksthümlichkeit, wie bei den Griechen und Römern oder in beiden
zugleich, wie bei uns chriſtlichen Deutſchen gegeben. Eine ſolche fitt-
liche, religiös und volksthümlich beſtimmte Subſtanz, wo ſie in le⸗
bendiger Macht vorhanden iſt, umgiebt das Individuum, wie eine
Atmoſphäre in wahrhaft elementariſcher Weiſe. Sie bildet nach allen
Seiten hin Schranken für das Subjekt, begründet ein feſtes ſittliches
Urtheil, Lob ſowohl als Tadel im Volke, giebt auch dem perſönlich
unbedeutendſten Menſchen W Es iſt ein Zeichen, daß BER! ge
‘24 1
Seuchen die Völker ergriffen haben, wenn dieſe anfangen, jene
religiös: und volksthümlich⸗ſittlichen Subſtanzen als Laſten, wenn
‚fie anfangen, die Schranken, die dadurch geſetzt werden, als Be:
drückungen zu fühlen. Seit der letzten Hälfte des 18ten Jahrhun⸗
derts iſt nun ein Prozeß in den Gang gekommen, der die Tendenz
hat: das Individuum frei zu ſtellen von den oben be:
zeichneten fittlid = elementariſchen Schranken! Erſt in
der neueſten Zeit iſt eine Reaktion eingetreten; man bat hie und da
die Augen geöffnet in Beziehung auf den Abgrund, welcher uns
entgegengähnt, wenn es nur noch moraliſche, nicht mehr
ſittliche Menſchen geben wird. Gott gebe, daß es nicht zu
ſpät ſei, dem ſittlichen Inhalt der Huch und N eee
noch Stützen zu verleihen!
Inzwiſchen, während wenige en „ erſt allmälig ſich geiftig
zuſammenfindende Männer bereit find, von den ſittlichen Elemen—
ten unſers Lebens zu retten, was noch rettbar iſt, ſchreitet anderſeits
der Auflöſungsprozeß in Rieſenſchritten fort. Wichtiger als jene Rotte,
die im Grunde ſchon alle wirkliche Religion im Rücken habend, den
Beſtand unſerer häuslichen Sitten angegriffen hat ‚it die Klaſſe von
Gelehrten, welche mit wiſſenſchaftlichen Waffen die Authentie ein:
zelner Bücher der heiligen Schrift angreifen und Folgerungen daraus
ziehen, die beſonders bei den Nichtwiſſenſchaftlichen das Anſehen un—
ſerer Religion überhaupt gefährden. Solche einmal hingeſtellten Un⸗
terſuchungen müſſen allerdings auf wiſſenſchaftlichem Wege ibre Er⸗
ledigung finden; ja ein Glück iſt es, daß der Rationalismus endlich
dieſe Schärfe gewonnen hat, wie er jetzt in Vatke und Strauß,
dem ganzen Syſtem der chriſtlichen Theologie Verderben drohend,
auftritt. Kennt man doch nun die Wurzel, und kann das Beil an
ſie legen! Wie aber, wenn nun nach Jahrzehnten unſere chriſtliche
Theologie den Prozeß völlig gewonnen hat, wenn nun in höhern
Regionen Siege gegen die Auflöſung erfochten worden ſind; aber
durch das Auspoſaunen der unreifen Ergebniſſe während des
Kampfes, durch das Verſchleppen wiſſenſchaftlicher Erörterungen an
ganz urtheilsunfähige Volksklaſſen das Volk inzwiſchen völlig zu geiz
ſtigem Pöbel geworden, ſich auflehnt gegen das, was in Regionen
zum Siege geführt iſt, zu denen ſeine Blicke nicht reichen können? —
Schon zu Anfang dieſes Jahrhunderts, als Vater, de Wette, Ge-
ſenius dieſe auflöſende Richtung in der Theologie vertreten haben, hätte
das Verbot ſein ſollen, ſolche Unterſuchungen deutſch drucken zu laſſen,
1
—— — —
ey
26
und noch jetzt iſt es nicht zu ſpät, ein ſolches Verbot ergehen zu laſ⸗
f es zum Geſetze zu machen, bei ſolchen unterſuchungen nur
de ben sche Sprache zu gebrauchen; dadurch und durch das
Verbot des Beſprechens dieſer Themata in nicht ſtreng wiſſenſchaft⸗
lichen Zeitſchriften würde die freie Behandlung der Wiſſen⸗
ſchaft geſichert, und zugleich die Gefahr, daß durch jene Wer:
ſchleppung das tiefſte Fundament unſers ſittlichen Lebe auf lange
ö e verſchüttet wird, verhütet.“ - ER
Wenn nun auch dieſer Vorſchlag, wie etwas altklug bertits ne
en worden, um 30 Jahre zu ſpät kommt, ſo iſt doch die darin
ſich ausdrückende Geſinnung der Anerkennung jedes chriſtlich Denken⸗
den würdig; um ſo mehr aber iſt dieß Urtheil von Bedeutung, da
Dr. Leo durch ſeine ausgezeichneten geſchichtlichen Werke bewieſen
hat, er verſtehe die Zeiten und den Gang des Menſchen—
geſchlechts, beſonders aber, weil er ſelbſt, wie ſeine im Jahr 1828
erſchienene jüdiſche Geſchichte beweist, von jener auflöſenden Richtung
eine Zeitlang mit fortgeriſſen war, da er damals die von ihm ſpäter
widerrufene Darſtellung ganz auf die Unterſuchung der drei zuletzt
genannten Gelehrten ſtützte; nun aber hindurch gedrungen zu einem
feſtern, gründlichern Standpunkt die Gefahren und die völlige Uns
zulänglichkeit des erſtern erkennt. Jetzt hält er für „Eines der größ⸗
ten geiſtigen Güter des Menſchen das Leben in einer religiss
kräftig⸗durchdrungenen ERRER ORIG — n von en
ai ihm der Sohn Gottes. —
Von dem Profeſſor der pfychiſchen Heilkunde zu Laine Hof⸗
e Heinroth ſind die Bemerkungen eines Laien über
Strauß's Leben Jeſu im literariſchen Anzeiger No. 46.
47. „Juvörderſt, heißt es unter anderm hier, muß ich gerade zu
erklären, daß Herr Dr. Strauß durch ſeinen gewaltigen Angriff auf
die Geſchichtlichkeit der vier Evangelien meine Ueberzeugung von der—
ſelben nichts weniger als erſchüttert hat. Wie oft wird nicht etwas
als Geſchehenes auf ſehr verſchiedene Weiſe erzählt! Verſchiedenheit
iſt ja noch kein Widerſpruch! — Selbſt Irrthümer in einer Erzäh⸗
lung ſchaden einer Geſchichte an ſich nichts! wie viel weniger bloße
Verſchiedenheit und Mannigfaltigkeit in der Erzählung, wenn ſie wie
bei den Evangelien, die innere Einheit des erzählten Gegenſtandes in
den verſchiedenen Einzelheiten gleichſam wiederſpiegelte, nämlich 9
heiligen, göttlichen Geiſt, den Geiſt der ewigen Wahrheit und de 1.
ewigen Lebens, der aus dem Leben Jeſu in Allem hervortrat, und
| | Ä 9
26
Freunde und Feinde zu gleicher Anerkennung nöthigte. Dieſes Au-
ßerordentliche der Perſon und der Schickſale Jeſu bezeugen die Evan⸗
gelien. Und dieſe Zeugniſſe ſollen uns nur Mythen geben? Mythus
iſt Dichtung. Jene Zeugniſſe, als Dichtung gedacht, mag man ſie
als abſichtliche oder unwillkürliche betrachten, werden zu rei⸗
nen Abſurditäten. Woher entlehnte man denn die Züge zu dieſem
Bilde, welches uns alle vier Evangelien von Jeſus geben, als dem Le⸗
bensbringer in einem geiſtigen Sinne, als dem Göttlichen, ganz
Reinen? — wie konnten dieſe Jünger, die zu den Ungebildetſten im
Volke gehören, einen ſolchen idealen Schwung fi ch geben? und warum
trugen fie dieſe Züge gerade auf das Individuum über? — gewiß
nur weil ſie durch Jeſu entſchiedenſte, lebendigſte Perſönlichkeit
dazu genöthigt wurden; aus ihr empfingen ſie erſt dieß Bild.
Die Annahme einer unwillkürlich mythiſchen d. i. fabuloſen Zuſam⸗
menſetzung des Lebens Jeſu iſt Abſurdität. Ebenſo auch die An⸗
nahme einer abſichtlichen Dichtung dieſes Lebens, denn Betrüger
können ſolche Art und Weiſe der Darſtellung, ſolche kindliche Un—
beſorgtheit um das Urtheil der Leſer, wie fie in den Evan⸗
gelien ſich findet, nicht erheucheln. Ueberdieß ſucht jeder Betrüger
ſeinen Vortheil. Welchen Gewinn brachte es denn den Evangeliſten,
den Gekreuzigten zu verherrlichen? Nicht den geringſten. — Wahr⸗
ſcheinlich war die Undenk barkeit der Wunder, als übermas
türlicher Ereigniſſe in der Natur der erſte Stein des Anſto—
ßes, an dem der Glaube des Herr Dr. Strauß an die evangeliſchen
Berichte ſcheiterte. — Iſt denn nun wirklich der Gedanke eines über:
natürlichen Ereigniſſes in der Natur ein Ungedanke? — Durchaus
nicht; denn Gott iſt als Geiſt vollkommen Herr über die Natur, und
die durch ſich ſelbſt wirkende Kraft des Geiſtes, der göttliche Wille
kann die gebundene Naturkraft löſen, die gelöste wieder binden. Nur
ein natürliches Wunder d. h. ein ſolches, wo durch Natur-Kräfte
und Natur- Geſetze ein über natürliches Ereigniß hervortreten
ſollte, würde ein Widerſpruch ſein. Uebernatürliche Ereigniſſe über⸗
haupt aber darum zu läugnen, weil ſie nicht natürlich ſind, und da⸗
her Alles, was den Charakter des Uebernatürlichen an ſich trägt,
natürlich erklären zu wollen, iſt gar eine Thorheit! Die Wirk:
lichkeit der in den Evangelien erzählten Wunder iſt dadurch erwie⸗
4 ſen, daß ſie den Charakter innerer Nothwendigkeit in ſich
haben. Gerade ohne dieſes Wunderbare läßt ſich Jeſu Erſcheinung
in der Welt gar nicht denken. Die Wunderkraft iſt ein weſentliches
27
ttribut der heiligen Perſönlichkeit Jeſu, und man kann dieſe Kraft |
ebe enen von e chen ne on rn eee von er
Bar mochte verſi chert an Heinroth: „Durch Dr. Strauß's zer⸗
reißende und ertödtende Behandlung der Evangelien iſt mir das Leben
und die Harmonie derſelben nur noch eindringlicher vor Au⸗
gen getreten. Denn ſtatt der Widerſprüche dieſer Berichte unter ein⸗
ander und eines jeden mit ſich ſelbſt, wie ſie Herr Dr. Strauß an⸗
ſchaulich herausklaubt, finde ich vielmehr nur eine Mannigfaltigkeit
und Abwechslung in der Ausführung des ſelben Thema's, und dieſes
iſt Jeſus, der gekommen iſt in die Welt, die Sünder ſelig zu machen,
auf daß Alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, ſondern
das ewige Leben haben. Der Jeſus aller Evangelien iſt der Heilige
Gottes, der Chriſt. — Kein Dr. Strauß wird dieſen harmoniſchen
Eindruck, den die Evangelien auf meine Vernunft gemacht, jemals
durch feine Diſſonanzen verdrängen, deren Quelle nur in ih m
ſelbſt liegen kann.“ — Dieſe Andeutungen mögen genügen. Es iſt
in dieſem Aufſatz ein Zeugniß für Chriſtus, unſern Herrn, abgelegt
>
In
von einem Gelehrten, der wenigſtens allen denen, die wähnen, mit
der Kenntniß der Geſetze der Natur und der Einſicht in das Menſch⸗
lich⸗Geiſtige nehme der einfache Glaube an Jeſum, als Erlöſer, ab,
zu einem Beweiſe dienen mag, daß gerade tiefe Einſicht in dieſes
Gebiet den Glauben befeſtige und jenes Gerede ein Kennzeis
chen der Oberflächlichkeit ſei. Heinroth hat uns dieß gezeigt
in ſeiner trefflichen Schrift: „Ueber die Wahrheit. Leipzig 1824.“ und
neben feinen Forſchungen können den aufrichtig Suchenden und
von dieſer Seite durch Zweifel Irregeleiteten auch Schuberts
Schriften zur Wahrheit führen und ihm die Vereinbarkeit gründlicher
bew der Natur mit dem einfachen Chriſtenglauben erweiſen.
Ehe wir von dieſen bedeutungsvollen Urtheilen über Strauß weis
eu gehen, dürfen wohl noch einige Worte über den Geiſt und die
Tendenz der Zeitſchrift, in der ſie ſich finden, überhaupt beigefügt
werden. Im literariſchen Anzeiger wird durch Mannigfaltigkeit des
Inhalts, durch die mit Gelehrſamkeit verbundene ſtets friſche, oft
geiſtreiche Darſtellungsweiſe zunächſt den Theologen, dann auch über⸗
haupt den wiſſenſchaftlich Gebildeten vielfache Belehrung dargeboten.
Die Recenſionen berückſichtigen gewöhnlich nur wirklich gute oder
wenigſtens doch bedeutende Schriften; enthalten aber neben der Kris
tik meiſt noch ſelbſtändige Unterſuchungen. In Aufſätzen wird über
* *
m
die unſere Zeit bewegenden, die Theologie und chriftliche Wiſſenſchaft
im weiteſten Umfange berührenden Intereſſen ein auf chriſtlichem Bo⸗
den erwachſenes, gerechtes und umſichtiges Urtheil abgegeben. Au:
ßer dem eigentlich Theologiſchen werden auch die Philoſophie, Päda⸗
gogik, Poeſie ꝛc. gut beſprochen. Gewiß wird die meiſt ernſte und
entſchiedene Oppoſition gegen die antichriſtlichen Tendenzen unſerer
Zeit und deren Organe im Vereine mit der ſchon enden ruhi⸗
gen Weiſe, in welcher die chriſtliche Wahrheit auch dem derſelben
Entfremdeten nahe gebracht wird, dieſem Blatte immer n k infli
verſchaffen. — KR
Gerne hätten wir nun auch fehon das Urtheil des im 2
gut redigirten Rhein waldſchen Repertoriums über Strauß
mitgetheilt, leider aber hat dasſelbe über deſſen Werk ſein Votum
noch nicht abgegeben, wie überhaupt oft gerade über die bedeutend:
ſten literariſchen Erſcheinungen in demſelben lange Zeit geſchwiegen
wird. Nur um ſo gediegener und W e aber wird Peg hof⸗
fentlich das Urtheil werden. , +
Hier nach den oben mitgetheilten urtheilen aus Waere als nur 45
theologiſchen Kreiſe reihen ſich nun am natürlichſten die biedern „Laie n⸗
worte über die Hegel-Straußiſche Chriſtologie“ an.
(Erziehungsrath Dr. Nägeli.) Zürich bei Orell, Füßli
und Comp. 18 36. S. 40., geſprochen von einem Manne, dem,
wie ſeinem Freunde Peſtalozzi das Wohl der Menſchheit am Herzen
liegt, dem es daher auch an's Herz geht, wenn derſelben in größern
oder kleinern Kreiſen das heiligſte Gut, ihr Glaube gefährdet iſt.
Er findet in Dr. Strauß einen wegen feines Mangels an Logik ver:
unglückten Hegelianer, und ſagt von ihm: „Als ein Unheiliger, der
den Sinn für das Heilige auch an feinen Mitmenſchen nicht achtet, der
mit dem von feinen Mitmenſchen Heiliggeachteten und zugleich mit
dem Heiligen ſelbſt ein Spiel treibt, wie es mit der Miene des Ern-
fies noch Keiner trieb, erſcheint Strauß, und es gelang ihm nur
ſchlecht, hinter dieſen noch ſo weiten und breiten Mantel des Ern⸗
ſtes den eingefleiſchten Satyr zu verſtecken. Er, der die Ebenbürtig⸗
keit des „Eingebornen“ mit einer läſterlichen Ausführlichkeit in Zwei⸗
fel ſtellt; er der die „Gebenedeite“ als eine Gefallene darſtellt, er
der Wunderläugner — dieſer freche Menſch darf in der Vorrede den:
noch ſagen „Chriſti übernatürliche Geburt iſt eine ewige Wahr⸗
heit.“ — Viele einzelne Wendungen und Ausdrücke verrathen den
Heiligthumsſchänder. Mit Widerwillen fertigt der Laie ſelbſt ſolch'
29
in Sündenregiſter an, dabei mit dem Wunſche, daß der chriſtliche
zeſer bberſchlage hingegen diejenigen, welche ein ſolches Subjekt
ur Berufung an die Hochſchule haben empfehlen wollen, es leſen —
und ſich ſchämen.“ — (Er eitirt nun B. II. S. 70. 95, 172. 195. 236 ꝛc.)
Zum Schluß iſt noch über dieſe Empfehlungen, über die Tendenz der
politiſchen Rathgeber, durch einen ſolchen Lehrer an der Hochſchule
die Kirche herabzuwürdigen und die Trennung der Kirche vom Staate zu
befördern, über das Verhältniß des frommen Volkes zu feinen , nur die
materiellen‘ Intereſſen . ötdernden Repräſentanten — manches freimü⸗
müthige, wahre, ernſte Wort geſprochen, wofür der Verfaſſer den
Dank von „vielen im Volke Beunruhigten“ verdient. — |
So eben kommt uns noch das neueſte Schriftchen gegen Strauß
zu Geſichte, deſſen Anzeige gerade hier die rechte Stelle findet:
17 5 Mythen des Lebens Jeſu. Auszüge aus Haiat ul
Kulub von Muhammed Bachir. Nebſt einem Anhang über
das Leben Jeſu von Dr. Strauß herausgegeben von M. Chr. G.
Were e, 1837. S. 44. ee Vertrauen auf das kri⸗
ſangenen Lesers werden in en Pe zwanzig Beispiel kann
medaniſcher Mythen über das Leben Jeſu gegeben, damit durch Wer:
gleichung mit den evangeliſchen Erzählungen jedem der Kontraſt zwi⸗
ſchen einfachem hiſtoriſchem Berichte und entſtellender Sage alſobald
einleuchte. Bekanntlich iſt das Urtheil der Muhammedaner über Jeſus,
der fie für einen großen Propheten Gottes halten, nicht ungünſtig;
a und ihren Chriſtenhaß rechtfertigen ſie nur dadurch, daß ſie behaup⸗
ten, die Evangelien, fo wie wir fie jetzt haben, ſeien verfälſcht. We⸗
gen jener günſtigen Geſinnung gegen Jeſus, die ſie mit den Evan⸗
geliſten gemein haben, ſind natürlich dieſe muhammedaniſchen Ueber⸗
lieferungen weit geeigneter, den Kontraſt weſentlich herauszuſtellen,
als die jüdiſchen Mythen über das Leben Jeſu, die durch den Haß
gegen Chriſtum ſelbſt ſich bildeten. In dem Anhange werden nun
belehrende Winke gegeben über die Beſchaffenheit und den Charakter
dee Mythen in ihrem Unterſchiede von den evangeliſchen geſchichtlichen
Erzählu ngen. In allen Mythen findet ſich eine Nebeinanderſtellung
rmiſchung des Wahren und Erdichteten, des Sinnigen und
ungereimten; — wo findet ſich in den Evangelien etwas Aehnliches? —
Jeder Volksmythenkreis iſt von den nationalen, religiöſen und politi⸗
* > oa e ze in dem Boden e Ente.
30
gerade: den jüdiſchen Vorurtheilen entgegen. Die Mythen leiden im:
mer an innern und äußern Widerſprüchen; die Widerſprüche in den
Evangelien find nur ſcheinbar. Die Mythen ſuchen da, wo die Ge:
ſchichte Lücken läßt, willkürlich zu ergänzen und auszumahlen, ſie
übertreiben, ſie häufen wunderbare Umſtände, ſie enthalten nicht die
reinſten ſittlichen Grundſätze und verſtoßen gegen die Zeitrechnung —
Dieß Alles iſt näher ausgeführt und auf das Gegentheil davon in den
Evangelien, aufmerkſam gemacht wind, *
Unſtreitig wird das intereſ fante Büchlein ſeine Wirkut g au
den unbefangenen Leſer nicht verfehlen; denn gerade das Kleinliche und
Phantaſtiſche, das Abgeſchmackte und Sinnliche, das Einfache und
Abſichtliche, was in dieſen Ueberlieferungen wunderlich vereinigt iſt,
wird denſelben die einfache, durch und durch wahre e ra der
Evangelien von neuem lieb und ehrwürdig machen. |
Nachſtehend nun einige Proben: „Einſt kam Maria an einen ein-
ſamen Ort, und zwar gerade an einem Tage, da das Volk Israel
ein Feſt feierte und viele Weber, auf ſchönen rüſtigen Maulthieren
reitend, ſich beluſtigten. Maria näherte ſich den Webern, und fragte
fie: Könnet ihr mir nicht ſagen, wo der verdorrte Dattelbaum iſt?
Sie gaben ihr keine Antwort; ſondern verlachten und verſpotteten ie.
Maria ärgerte ſich über dieſes Benehmen, und bat Gott, daß Er ihr
Handwerk unanſehnlich und ſchlecht machen möchte. Kurz darauf ſah
Maria Kaufleute, nud erkundigte ſich auch bei ihnen nach dem Dat⸗
telbaum. Dieſe waren ſo freundlich, ihr denſelben zu zeigen. Jetzt
freute ſich Maria und ſagte: „Gott ſegne euern Handel und mache,
daß alles Volk euer bedürfe.“ Kaum war Maria an dem Dattelbaum
angekommen, ſo nahm die Kälte ſo zu, daß ſie entſetzlich fror, und
gerade jetzt kam auch der Zimmermann Joſeph, der, als er Maria ſo
frieren ſah, ſogleich Holz ſammelte, und ein Feuer für ſie bereitete.
„Ei, Maria“, ſagte er, „du wirft auch hungern“; und fogleich
griff er in feine Taſche, und reichte ihr ſieben Haſelnüſſe. Daher
kommt es denn, daß die Chriſten, wenn ſie die Geburt Chriſti feiern,
Feuer anzünden und mit Nüffen ſpielen. .. Der vierte, den Jeſus
von den Todten auferweckt hat, iſt Noah's Sohn, Sem. Jeſus er⸗
weckte ihn durch ſein Gebet. Als nun Sem aus dem Grabe hervor⸗
ging, wurde man gewahr, daß die eine Seite ſeiner Haupthaare weiß
war. Sem fragte: Hat denn der Tag der Auferſtehung ſchon begon⸗
nen? Jeſus antwortete: Nein, ſondern ich habe für dich gebeten;
deßwegen biſt du guferſtanden. Fünfhundert Jahre lebte Sem noch
1 5 0 .
If dieſe N und 1 . ee en 1 bis dur
= alsbald fel e er Pane in des zn Staub * — ſchon
als Säugling, als Knabe lehrt er in der Schule, weckt Tode auf,
in äußern Handthierungen thut er Wunder; er macht häßliche Men⸗
ſchen ſchön, und ein Paradies, wie der ſinnliche Muhammedaner ſich's
träumt, iſt ihm verheißen für ſeine Entſagungen auf Erden. Beſon⸗
ders intereſſant iſt aber eine Erzählung von Petrus, der mit jeſuiti⸗
ſchen Kunſtgriffen das Evangelium verbreitete, „weil man nicht fo
ſehr zufahren ſoll, ſondern mit vieler Vorſicht und Sanftmuth den
Heiden begegnen müſſe ““; und die Erzählung von der Art, wie das
Dh Teſtament durch die Chriſten verfälſcht worden ſei. — |
Gewiß iſt auch dieß Büchlein, um mit dem Herausgeber zu reden
einer von den Pfeilen, der ſo klein er iſt, durch die Hand Gottes ge⸗
leitet, das rechte Herz treffen kann, ſo daß ein ſolches wieder mit ge⸗
ſtärktem Glauben den Evangelien fi ſich zuwendet, die ihm Dr. Strauß
verdächtig gemacht hat. Iſt aber Mancher Gemüth bereits fo ver:
wirrt, daß es nicht mehr unterſcheiden kann zwiſchen wahr und falſch,
einfach und gekünſtelt, edel und niedrig, ſo iſt wohl nichts anders zu
thun, als ihnen gerade den Ausſpruch Jeſu ſtets in Erinnerung zu
bringen, den der Herausgeber für fie citirt. Joh. 7. 17. So je⸗
mand will des (der mich geſandt hat) Wille thun, der wird inne
4 erden „ob dieſe Lehre von Gott ſei, oder ob ich von mir ſelber rede. —
So eben erſchien noch folgende: Zuſchrift an Freunde der
evangeliſchen Wahrheit mit Beziehung auf ein den:
nächſt erſcheinendes „Leben Jeſu, für gebildete Leſer.“
Ueber die geſchichtliche Auffaffung und Darſtellung des
Lebens Je ſu. Stuttgart. Imle und Krauß 1836. S. 14. Der
Verfaſſer: Julius Hartmann. Diakonus in Neuſtadt an
de er Li de macht uns in dieſer Zuſchrift mit ſeinem Plane bekannt,
im Laufe des Jahres 1837 ein ſolches Werk, wie es in dem obigen
Titel bezeichnet iſt, , herauszugeben und legt hier die Grundſätze, nach
denen er verfahren wird, und die weſentlichſten Gründe, die ihn zu
dieſem Unternehmen antreiben, vor Augen. Gewiß war ſchon nach
den von Dr. Paulus und Dr. Haſe herausgegebenen Schriften über
das Leben Jeſu, die auch in die Hände der Ungelehrten kamen, und
* der a innung, theils der Darſtellungsweiſe wegen dem wah⸗
Nel 10 in
ren Bedürfniſſe . genügen konnten, noch mehr aber iſt Fr dem
Strauß’fehen Werke eine ſolche auf poſit iv chriſtlichem Grunde
beruhende Bearbeitung nöthig, in der das Leben Jeſu zugleich
„»zuſammenhängend, den Ergebniſſen neuerer geſchichtlicher nnd theo⸗
logiſcher Forſchung, wie der formellen Bildungsſtufe unfeer Zeit an⸗
gemeſſen“ dargeſtellt iſt; denn ohne fie möchte doch mancher nicht wif-
ſenſchaftlich Gebildete, der, wie Strauß ſich ausdrückt, aus Fürwitz
ſich mit deſſen Werk eingelaſſen hat, dieſen Fürwitz zu ſchwer büßen
müſſen, wenn er nur immer die Strafe in ſeinem Gewiſſen mit ſich
trüge, eine ihm verbotene Frucht des Zeitgeiſtes gekoſtet zu haben, 1
ohne daß ihm eine Hinweiſung zur Wahrheit angeboten würde. Ge⸗
rade ein ſolches Werk nun, wenn es mit Talent und Takt ausgeführt
iſt, kann eines der Heilmittel für jene „Verwundungen „ werden.
Die Grundſätze, wie ſie hier mitgetheilt find, berechtigen zu gün⸗
ſtigen Erwartungen. Der Verfaſſer ſagte, wenn anders wir ihn recht
verſtehen: die Vorausſetzungsloſigkeit, die von ihm als Hiſtoriker ver:
langt werden könne, ſei wohl eins und dasſelbe mit dem unbefangen
prüfenden Urtheil, mit der ſtrengen Wahrheitsliebe, welche durch keine
vorgefaßte Meinung ſich abhalten laſſe, die Gegenſtände in ihrer wirk⸗
lichen Geſtalt zu erblicken und wieder zu geben. Bei einer ſolchen
Prüfung ſeien die vier Evangelien, wie nicht leicht ein hiſtoriſches
oder biographiſches Werk der alten Zeit, in ihrer zweifelloſen Wahr⸗
heit und Aechtheit durch äußere und innere Gründe verbürgt. Die
Vertheidiger der mythiſchen Anſicht ſeien keineswegs zum Siegesruf
berechtigt. Mit jenem Wahrheitsſinne werde nun auch das Leben
Jeſu in ſeinen einzelnen Zügen und ſeiner Geſammtheit dargeſtellt,
ſo daß dasſelbe uns „nicht nur in ſeiner hiſtoriſchen Gewißheit, ſon⸗
dern insbeſondere auch in ſeiner hiſtoriſchen Herrlichkeit als das verſöh⸗
nende Menſchenleben des Sohnes Gottes entgegentritt.“ (ſ. Lange's
Schrift Vorrede IT.) So hofft der Verfaſſer, werde ſich auf die⸗
ſer geſchichtlichen Unterlage das Gebäude eines Glaubens erheben,
der ſeine Einheit mit dem n und der inen in ſich ke
trägt. a 1 1
Der Geiſt, der Ha) aus diefer Zuschrift anſpricht ſcheint uns
verwandt mit demjenigen, welcher in der mit Recht ſo viel Anerken⸗
nung findenden, neu erſchienenen „Apologie des Chriſtenthums in
Briefen von Stirm. Eine gekrönte Preisſchrift.“ Stuttgart 1836
herrſcht — ein beſonnener, milder, durch Wiſſenſchaft getragener, chriſt⸗
licher Geiſt, der dazu geeignet iſt, den Gebildeten, die dem chriſtli⸗
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ben Orauben entfremdet ſind, dieſen schonend nahe zu bringen. um
fo mehr aber erfreut das Bekenntniß: „Es handelt ſich nicht um
eine durch Nachgiebigkeit von beiden Seiten herzuſtellende, da und
dorthin gefällig ſich erweiſende, richtige Mitte; der Geſchichtſchreibe
hat Einem zu dienen, der die Wahrheit iſt von Anbeginn, ah deffen
Worte wir gebunden ſind, wenn ſein Geiſt ſich uns treu und unge⸗
trübt erhalten fol. Es find nun die einzelnen Züge des Charakters
angegeben, welcher dem Geſchichtſchreiber des Lebens Jeſu zukommt,
die ihren zwar nicht ausgeſprochenen doch angedeuteten Gegenſatz in
Strauß finden. — Noch heißt es: „Die Stimmen, die das vergei⸗
ſtigte Chriſtenthum verkünden, werden wieder verhallen.“
Pig
or RG |
Ration ali ſt e n.
Bekanntlich ſetzt ſich Dr. Strauß beide unter einander unverſöhn⸗
liche Gegner, die ſupranaturaliſtiſche und die rationaliſtiſche Anſicht
zu ſeinen Gegnern, die er bekämpfen will; denn er gibt weder zu,
Na in den Evangelien eine übernatürliche, noch daß in ihnen rein
natürliche Geſchichte enthalten ſei, doch will er von beiden bekämpften
Anſichten ihr Wahres anerkennen und feinem höhern, dem mythiſchen
Standpunkt einverleiben. Es wird daher nun, da wir jetzt in das
eigentlich theologiſche Gebiet des Kampfes eintreten, in⸗
tereſſant ſein, zu ſehen, wie jene beiden ſchon lange beſtehenden An⸗
ſichten dieſe neue, welche über ihnen ſtehen will, beurtheilen, in
welcher von beiden ſich die kräftigere Reaktion zeigen wird, und bei
welcher ſich auch mehr wiſſenſchaftliche Kraft offenbart, um dieſes von
Nitzſch „antitheologiſch“ genannte Werk zu widerlegen und feine
Tendenz zu überwinden. Bedenken wir nun noch, daß die bisher
ziemlich getrennten Hauptrichtungen, welche auf dem Gebiete der
Wiſſenſchaft das Thatſächliche im Chriſtenthum anfeindeten, nämlich
die ſubjektive, mit Kühnheit die Urkunden unſers Glaubens in ihrer
Würde erſchütternde, zerſetzende Kritik, und die, viele in jenen Ur⸗
kunden erzählten Thatſachen zu Ideen serühtigende, Spefulation
€ 3
34
in Strauß vereint ſind, ſo wird die Stellung derer bemerkenswerth
fein, welche bisher eben fo ſehr der einen von den in Strauß verei⸗
nigten Richtungen befreundet, als der andern abhold waren. Manche
verborgene Sympathie wird ſi ch enthüllen, und hinwieder wird manche
Halbheit an der Entſchiedenheit von Strauß ſich entſcheiden müſſen,
und durch deſſen Konſequenz belehrt, ſich nun vertrauensvoller und
ernſter dem Poſitiven zuwenden. Gewiß iſt der Gewinn, den Man⸗
cher durch das Strauß'ſche Werk an Selbſterkenntniß und an Er⸗
kenntniß über Andere, und vielleicht über hochgefeierte Namen erlan⸗
gen, nicht gering zu achten; denn Wahrheit iſt immer beſſer als
Irrthum; nichts aber iſt gefährlicher als Selbſttäuſchung und Irrthum
auf dem religiöſen Gebiete. —
Allerdings iſt es auffallend, daß der erklärte Rationalismus bis
jetzt ſich nur erſt ſpärlich über Strauß geäußert hat, ungeachtet der—
ſelbe von dieſem Gelehrten nicht geſchont wurde und ſonſt ſeine Rü⸗
ſtigkeit zum Kampfe, wenn das eigene Lager angegriffen wurde, hin—
länglich beurkundet iſt. Strauß will dem Rationalismus doch ſeinen
geſchichtlichen Gehalt „den Weiſen aus Nazareth“ und auch ſeinen
dogmatiſchen „den perfönlichen Gott, Vorſehung, Unſterblichkeit,
Vergeltung“ vernichten und die große Zahl ſeiner Verfechter hat bis
dahin dieſen Angriff ruhig hingenommen. Sollte wohl dieſe Geduld
und Saumſeligkeit daraus zu erklären ſein, daß die Rationaliſten
dem Gegenſatz, den Strauß gegen ſie einnimmt, abfühlen, wie er
nur ein ſcheinbarer iſt, und daß ſie ſich, ungeachtet der Differenzen
zwiſchen der eigenen und dieſer bis zur äußerſten Konſequenz getrie⸗
benen mythiſchen Anſicht, denn doch weſentlich einiger mit derſel⸗
ben fühlen, als mit derjenigen Theologie, welche die thatſächliche
Erlöſung der Sünder in Jeſu Chriſto, dem Sohne des lebendigen
Gottes nur als ein Werk Gottes (nicht eines Menſchen oder der
geſammten Menſchheit) auffaſſen kann, und nur auf dieſem Grunde
zur Ehre Gottes fortbauen will
Die Allgemeine Kirchenzeitung, rebigirt von Dr.
Bretſ chneider, huldigt dem Verfaſſer des Leben Jeſu „um ſeines
Talentes und ſeiner Wiſſenſchaftlichkeit willen,“ wiewohl ſie ſich zu
den Reſultaten ſeiner Forſchungen nicht geradezu bekennen will. Als
Gegner, wenn gleich nicht eben als ein gar entſchiedener, trat der
von Strauß ſo hart angegriffene Dr. Paulus in Heidelberg
gegen deſſen „Leben Jeſu“ auf in der Recenſion, welche wohl die
erſte unter allen darüber erſchienenen iſt. Im theologiſchen Li⸗
PEN.
4
si
| 35
teraturblatt. Zur Allgemeinen Kirchenzeitung 20. Juli
1835. No. 85 — 89. Das Datum zeigt ſchon, daß natürlich hier
nur der erſte Band berückſichtigt iſt. Nach ſeinem wohl bekannten
Standpunkt.“) unterſcheidet Dr. Paulus bei den evangeliſchen,
wie bei allen hiſtoriſchen Ueberlieferungen das Faktum, d. i. das als
Handlung oder Ausſpruch in die Sinne Fallende; ferner das Urtheil,
d. i. die Erzählung des unmittelbaren Ueberlieferers, die ſchon un⸗
willkürlich mit dem Urtheil desſelben vermiſcht iſt; und zuletzt die
Sage, d. i. die Ausbildung der Erzählung durch die Tradition.
Die rationaliſtiſche Geſchichtsforſchung betrachte jedes Ueberlieferte nun
nach dieſen drei Seiten. Bekanntlich hat ſich der Scharfſinn dieſes
Gelehrten beſonders an der Ergründung der zweiten Seite, des Ur⸗
theils der Erzähler verſucht. Einſeitigkeit iſt es ihm nun gleicher⸗
weiſe, eine ganz treue, reine Ueberlieferung der Thatſache, alſo eine
dem Objekte entſprechende Erzählung, wie die ſupernaturaliſtiſche
Lehre thut, anzunehmen, oder mit Strauß die evangeliſchen Berichte
„rein“ mythiſch zu nehmen. Dr. Paulus erklärt nun mehrmals eine
ſolche Mythenbildung für das Unglaublichſte (ausführlicher und gruͤnd⸗
licher aber iſt gerade dieſer Punkt in dem unten charakteriſirten treff⸗
lichen Sendſchreiben Vaihingers behandelt), er deutet darauf hin,
daß eine ſolche Alles auflöfende Disharmonie, wie fie Strauß auf⸗
ſtellt, mit leichtrer Mühe zu geben ſei, als eine Vereinigung differen⸗
ter, aber doch zugleich möglicher Erzählungen. Die Grundſätze und
die Methode von Strauß ſind nun gut dargeſtellt, und dann wird
die Behandlungsart noch an einigen der „mit vieler Umſicht und
Dialektik ausführlich motivirten Reſultate“ deutlich gemacht; ſo z. B.
an der ene von Wi en und RER oo Mufers,
dasſelbe auch bei ihm zu gebrauchen.
Nun
0 Im Eingang der Retenſion wird einiges Richtige über dieß
„ Modewort“ geſagt; dann aber meint Dr. Paulus, die ſuper⸗
vos naturaliſtiſche und mythiciſtiſche Anſicht ſeien Standpunkte, d. h.
fſtabile Richtungen der Beobachter; die rationaliſtiſche Anſicht
hingegen ſei kein Standpunkt; denn ſie ſtelle ſich lieber auf alle
Standpunkte und behalte ſich vor, nach allen Richtungen um
das zu Betrachtende herum ſich frei zu bewegen und dringe von
allen Seiten her in das Innere (2) desſelben hinein. — Ge⸗
wiß gibt uns aber die Geſchichte des Rationalismus, wie ihn
Dr. Paulus ſeit mehr als 30 Jahren repräſentirt gerade nach
feiner Erklärung dieſes Wortes „Standpunkt“ das Recht,
3 *
36
an den zwei Stammbäumen über die Abkunft Jeſu von David, an
der Geburt Jeſu zu Bethlehem ꝛc. 1c. — An dieſe Relationen ſchlie⸗
ßen ſich bei den einzelnen Punkten kurze, meiſt nicht ſehr bedeutende
Kritiken der Strauß'ſchen Anſicht an, in denen des Recenſenten Be⸗
handlung der evangeliſchen Geſchichte als die allein richtige zu erwei⸗
ſen verſucht wird. Oft werden allerdings gute Bemerkungen
über jene rein mythiſche Auffaſſung gemacht, deren Schwächen meiſt
treffend angedeutet find. Das Eigenthümliche der Strauß'ſchen Be⸗
handlung findet Paulus nur darin, konſequent, ſo wie ſich Schwierig⸗
keiten im Verſtändniß einer Erzählung zeigen, alſobald den Ausſpruch
zu thun, daß gar nichts darin faktiſch wahr, ſondern das Ganze
durchaus nur mythiſch ſei. In den Wendungen, die Strauß feinen
Gründen gibt, findet der Recenſent oft Spielereien des Scharf:
ſinnes und Gewaltſtreiche. Nebenbei freut er ſich aber über
die freien Forſchungen und die Rückſichtsloſigkeit des Verfaſſers, und
endet mit dem Wunſch, daß „ derſelbe mit feinen ausgezeichne—
ten Talenten und Kenntniſſen ferner das Möglichſtbeſte mittheilen
möge, was für die ihm liebgewordene Anſicht zu ſagen iſt. „Der
Geiſt iſt der wahre Wunderthäter“ auch im Herausfinden des Wah—
ren, das nur durch Läuterung der möglichen Pro und Kontra
natürlich genug darzuſtellen iſt.“ — Dieſe Recenſion iſt in mehrfacher
Beziehung bemerkenswerth, ungeachtet ſie wenig wiſſenſchaftli⸗
chen Werth hat; einerſeits erſcheint Dr. Paulus darin achtens—
werth, daß er die ſcharfen Angriffe des Verfaſſers mit ſolcher Ruhe
zu beantworten vermag, anderſeits aber zeigt es ſich nun gerade in
ihr, wie von dieſer Seite aus Strauß mice ane ale
kann.
Auch in der Kritiſchen Prediger: Bibliothek, nee
gegeben von Dr. Röhr. Siebzehnter Band, zweites
Heft. 1836. S. 262 — 239. findet ſich eine Recenſion von
einem Ungenannten, nebſt Zuſatze des Herausgebers. S. 289
bis 309. Die Recenſion gibt den Leſern ein ziemlich deutliches Bild
von dem Verfahren, welches Strauß anwendet, um aus allen Er:
zählungen Mythen zu machen; ſie gibt viele der Reſultate an, und
macht nun an beidem meiſt paſſende Ausſtellungen; ſo zwar, daß
eben auch nur die bei der oberflächlichſten Betrachtung der Strauß’:
ſchen Kritik in die Augen fallenden Mängel derſelben aufgedeckt ſind.
In unten angeführten Schriften, wie in denen von Müller, Klaiber,
Vaihinger, Hoffmann, Harleß iſt dieß Alles gründlicher beſprochen.
37
Der Standpunkt des Recenſenten, auf dem doch auch von „poetiſcher
Ausſchmückung der Mythe“ die Rede iſt, auf dem in Beziehung
auf die Geburts⸗ und Jugendgeſchichte Jeſu es heißt: „in dieſer vor⸗
phiſtoriſchen Zeit des Lebens Jeſu läßt man ſich ſolche (mythiſirende,
* alles Geſchichtliche zerſtörende) Anſichten immer noch gefallen,“ auf
dem ſich die Freude ausſpricht, „daß Strauß mit ſiegreichen Waffen
die rohen Anſichten von den bei der Geburt des Täufers angeblich
geſchehenen Wundern beſtreitet und den Rationaliſten zugeſteht, daß
ſie befugt waren, dieſelben in Zweifel zu ziehen,“ — dieſer Stand⸗
punkt kann offenbar nur „die uebertreibung, die Raſchheit, die
Willkür des Strauß'ſchen Verfahrens“ tadeln, was denn auch von
dieſen „chriſtlichen Rationaliſten“, wie ſie ſich nennen, allein ge⸗
ſchieht, und zwar zuweilen allerdings redlich und nicht ohne
cislichkeit. — *
Mehr zieht aber der „Zuſatz des Herduß gs berg die Auf⸗
e- Artie auf ſich, ſchon wegen des Verfaſſers und feiner bekann⸗
ten guten Schreibart, die ſich hierin oft zum beredten Styl erhebt,
nicht weniger aber wegen des Inhalts ſelbſt, der eine Apologie der
rationaliſtiſchen Anſicht von den Urkunden des neuen Teſtaments und
ihrem geſchichtlichen Inhalte an fi ch, und eine Rechtfertigung derfel-
ben gegen die Anklage, daß ſie eins ſei mit der mythiſchen, zu ge—
ben verſucht. Dr. Röhr findet den Unterſchied zwiſchen der rationa⸗
liſtiſchen und der mythiſchen Anſicht „ ungeheuer“ und fest. ihn fo
auseinander, „daß jene alle weſentliche Thatſachen der evangeliſchen
Geſchichte für vollkommen bewährt und glaubwürdig anerkennt und
von dem hiſtoriſchen Chriſtus auch nicht einen Zug aufgibt, welcher
das eigenthümliche Bild deſſelben zu einem heiligen und unerſetzlichen
Palladium für die Menſchheit macht, während die mythiſche Anſicht
das gerade Gegentheil thut.“ — Bezeichnend iſt es aber, daß die
Kritik von Dr. Strauß „hypermythiſch“ genannt wird, alſo eine
mäßig mythiſche Anſicht wäre zu billigen; aber wo iſt die Grenze
zwiſchen beiden? — Ueber die Behandlungsweiſe der evangeliſchen
Geſchichten durch Strauß ſind ſtarke, entſchieden tadelnde
Aeußerungen gegeben: z. B. „Daß das, was die evangeliſchen Be⸗
richte erzählen, größtentheils nicht Geſchichte iſt, hält Hr. Dr. Strauß
im Vertrauen auf die grenzenloſe Willkür, mit welcher er die
vier Evangelien ſeinem kritiſchen Meſſer unterwirft, für ſo gewiß,
daß es ſcheint, man müſſe ihm noch für die Großmuth danken, mit
der er der Chriſtenheit jenes dürre che Summarium
2
— x
38
von Jeſu Leben, Wirken und Leiden übrig ließ (ſ. unten S. 58.) Die
ſogenannte mythiſche Anſicht von Strauß gibt die größten Blößen, ſie
iſt durch und durch unſtatthaft und muß nach ihren Grundſätzen für
die gefährlichſte von allen Anſichten gelten. Allerdings hat ſie Ein⸗
heit und Konſequenz; dieſe aber iſt von ſo kecker, übermüthi⸗
ger und leichtfertiger Art, daß ſie Alles vernichtete, was in
dem Gebiete der evangeliſchen Geſchichte bisher für glaubwürdig galt,
und daß die unbezweifelbarſten Thatſachen derſelben mittelſt dialek⸗
tiſcher Bekrittelung der unbedeutendſten Nebenumſtände nach ihrem
ganzen Weſen über den Haufen geworfen werden.“ — Der günſtige
Eindruck, den dieſer Eifer Dr. Röhrs für das Geſchichtliche in den
Evangelien macht, wird aber bedeutend geſchwächt, wenn wir auch
in jenem „Zuſatze“ ſehen, wie er das Evangelium des Jo
hannes im Gegenſatz zu den drei erſten auf dieſelbe will:
kürliche, kecke Weiſe, die er an Strauß tadelt, herunterſetzt, indem
er ſich nicht ſcheut, geradezu zu ſagen: „Was bei dem Idealiſiren
des geſchichtlichen Chriſtus, den wir in den drei erſten Evangelien
finden, herauszukommen pflege, ſieht man an allen den ungeſchichtli⸗
Chriſtusidealen, zu welchen von dem Evangeliſten Johannes an
bis auf Schleiermacher herab der geſchichtliche Chriſtus dienen
mußte. Welches unglückſelige Gemiſch von phantaſtiſchen, unnatür—
lichen und widerſprechenden Zügen machen ſie nicht ſämmtlich aus!“ —
So ſtellt Röhr den Johannes und den Schleiermacher zuſammen, von
welchem letztern und deſſen Anhängern er doch noch jüngſt fagte:
„er beneide diejenigen nicht, die ſich der Tiefe des Waſſers rühmten,
welches ihnen — ein Schelm trübe gemacht habe.“ — Nicht Weniges
von jener Entſchiedenheit gegen Strauß kommt daher wohl auf Rech:
nung des „natürlichen Menſchenverſtandes in Weimar,“ dem wie Schlei⸗
ermachers, ſo auch Hegels Lehre zuwider iſt, und vor dem ſelbſt der
Evangeliſt Johannes nicht beſtehen kann! Begreiflich geht es ohne
Seitenhiebe gegen die ſupernaturaliſtiſche Anſicht bei der Apologie
des Rationalismus nicht ab; aber es iſt dabei derſelbe abgenutzte
Kunſtgriff gebraucht, den Röhr dem Dr. Strauß in Beziehung auf
die rationaliſtiſche Auffaſſung der Evangelien vorwirft; nämlich er
ſchildert jene ſo wie ſie nicht iſt, oder wenigſtens wie ſie nur bei
einigen ihrer Vertheidiger ſich ausgebildet zeigt. Darum hat er gut
einen zum Theil nicht wirklich vorhandenen, zum Theil wirkliche
Blößen gebenden Feind bekämpfen und beſiegen. Beſonders mit
Stellen aus eigenen Predigten will Dr. Röhr nun beweiſen, daß
5 39
dem rationaliſtiſchen Volkslehrer als bragnatiſrenden Erklärer der
igen Geſchichte keine Heuchelei und Trug zur Laſt zu legen ſei,
während hingegen der mythiſirende Theolog als Volkslehrer Wahrheit
und Ehrlichkeit immer verletze. Schließlich rühmt ſich der Verfaſſer,
er dürfe ruhig dazu lächeln, wenn die kirchlich - - ſtabilen oder die alle⸗
goriſch⸗myſtiſchen Theologen von dem nahen oder ſchon bewirkten
Unterliegen des Rationalismus ſprechen und träumen. Auch ſei ja
von Schuderoff (im 4. Band 1. Heft ſeiner neueſten Jahrbücher) das
ſonnenklar bewieſen worden, daß Chriſtus noch nie ſo aufrichtig und
würdig verehrt wurde als jetzt, und zwar wie nicht undeutlich zu
verſtehen gegeben iſt, weil der Rationalismus jetzt wirklich ein vul-
garis, d. h. ein im Volke gewurzelter ſei und die Denkweiſe der
überwiegenden Menge durchdrungen habe. — Dieſe Siegesrufe kann
man füglich auf ſich berufen laſſen; der Rationalismus, der durch
die Wiſſenſchaft bereits gerichtet iſt, wird auch durch das Leben
und die Geſchichte noch gerichtet werden. — Auch das Journal für
Prediger. Halle bei Kümmel 1836. Ssſter Band, zweites Heft
erklärt ſich in einem Aufſatze, den wir noch nicht die Gelegenheit hat⸗
ten zu leſen, gegen Strauß: „der zwöfffäbeige Knabe Jeſu
im Tempel keine Mythe.“
Der Kämpfer, der wohl ſeit einigen Decennien nicht leicht eine
politiſche oder wiſſenſchaftliche Regung in Deutſchland vorbeigehen
ließ ohne ſein Votum in einer Brochüre abgegeben zu haben,
Profeſſor Krug in Leipzig gibt nun auch über das Straußi⸗
ſche Werk in einem eigenen Schriftchen fein Gutachten: „Ueber als
tes und neues Chriſtenthum mit Hinſicht auf Ammons
Fortbildung des Chriſtenthums und Strauß's Leben
Jeſu. Ein Sühnwort für Paläologen und Neologen
als Programm Gebe nächſten Jubelfeſte der Chriſten⸗
heit. Leipzig 1836. S. 104. Juerſt redet er von den Grün⸗
den der Umgeftaltung des CEhriſtenthums d. i. der verſchiedenen Ger
ſtaltungen, die das chriſtliche Leben und der Ausdruck des chriſtli⸗
chen Glaubens im Laufe der Jahrhunderte angenommen hat; dann
von den Folgen dieſer Umgeftaltung, daß man nämlich in der Fort⸗
bildung des Chriſtenthums zur Univerſalreligion vorwärts gehen
und die Subſtanz der andern poſitiven Religionen in die des
Chriſtenthums aufnehmen und dieſes ſelbſt immer mehr des Natio⸗
nalen, Lokalen, Temporalen entkleiden müſſe. Als Abwege in der
Umbildung des Chriſtenthums ſind nun der Myſticismus und
*
40
der Mythicismus bezeichnet, und bei der Schilderung des Ihe
tern wird das Werk von Strauß tadelnd beſprochen. Strauß hat
den Verfaſſer (J. S. 35.) als einen der Gelehrten erwähnt, die ih:
ren Beitrag zu der Ausbildung der mythiſchen Anſicht, jedoch ihrer
Theorie nicht Ausdehnung und Umfang genug gegeben haben; dar⸗
um hat derſelbe, wie in fo vielen feiner Streitfchriften, auch hier es
mit der Selbſtvertheidigung zu thun. Hiezu kommt noch der Um⸗
ſtand, daß ihm dieß Gelegenheit gibt, auf feine Lieblingsidee, die
Perfektibilität der geoffenbarten Religion, die er vor mehr als 40
Jahren in feinen einiges Aufſehen erregenden Briefen darüber be:
handelt hat, zu kommen. In dem Abſchnitte, wo davon die Rede
iſt, was jetzt zu thun ſei, räth er, vorwärts zu gehen und zwar
gerade auf dem Wege, den Ammon in feinem Buche „die Fortbil—
dung des Chriſtenthums“ zeige oder vielmehr den er ſelbſt ſchon im
Jahr 1795 in jenen Briefen gezeigt habe. Von Strauß ſelbſt ſagt
er, deſſen Werk verrathe ein allzubereitwilliges Streben, überall bloß
Mythen zu wittern, was allerdings mit der gerühmten Vorausſe⸗
tzungsloſigkeit und unbefangenen Wiſſenſchaftlichkeit nicht überein⸗
ſtimmt. Strauß erlaube ſich den Schluß, der doch offenbar falſch
ſei: „weil Einiges in den Evangelien mythiſch ſei, ſo ſei Alles
darin ſo aufzufaſſen.“ Nicht unwitzig wird von Krug bemerkt:
Strauß ſei übrigens nicht konſequent genug, es ſtehe zu erwarten,
daß künftig ein noch kühnerer Mythiciſt aufſtehe und ſeinen Vorgän⸗
ger der Halbheit beſchuldigend alles ohne Ausnahme, was die Ur⸗
kunden des Chriſtenthums von deſſen Stifter berichten, für mythiſch
erkläre, ſo daß am Ende doch der frivole Papſt Leo X. Recht ge⸗
habt hätte, als er zu einem ſeiner Vertrauten beim Empfang neuer
Ablaßgelder mit ironiſchem Lächeln ſagte: „Es iſt unglaublich, was
uns die Fabel von Jeſu Chriſto für Geld eingebracht hat.“ — Die:
ſer Mythicismus von Strauß ſei als übertrieben, irrationaliſtiſch.
Uebrigens ſtehe es dem Verfaſſer des Leben Jeſu nicht gut an,
ſo vornehm auf die Rationaliſten herabzuſehen, als ſtände er ſo
boch über ihnen, da er doch oft mit „rationalen Gründen“ kämpfe;
es ſei inkonſequent, daß er die das Natürliche liebende rationali⸗
ſtiſche Denkart bekämpfe, der er im Grunde des Herzens ſelbſt erge—
ben ſei, denn die Mythen ſeien doch wohl auf natürlichem Wege
entſtanden! — Das jenige, was kritiſch vernichtet worden, dogmatiſch
wieder herzuſtellen, will ihm als ein Kunſtſtück und Blendwerk vor⸗
kommen; und nicht wenig freut ſich Krug über das Gedränge, in
u? 41
es Strauß bei der Frage kommt: N ſoll der ſpekulative Pfar⸗
— Kirche machen? weil immer, er möge es anfaſſen, wo er
wolle, die Stimme ihm entgegen komme: „du biſt ein Lügner!“ —
Hat aber Krug nun ein Recht dazu, die Werke von Strauß und
Ammon ' als ſpezifiſch verſchieden von einander zu trennen ? — Wir
* nein, und müſſen den irgendwo ausgeſprochenen Worten
öllig beiſtimmen: „Siehe da tritt neben dem greiſen Theologen in
resden ein junger Profeſſor in Tübingen auf, den alten achtzehn⸗
hundertjährigen Glauben an das Chriſtenthum, wie an ſeinen Stif⸗
ter in der Grundfeſte zu erſchüttern. Was der alte Ammon in ſei⸗
ner Schrift über die Fortbildung des Chriſtenthums zur Weltreli⸗
gion gleichſam nur einleitete, hat Dr. Strauß in ſeinem Leben Jeſu
ans Ziel gebracht. Geht Ammon auch nicht ſo weit, wie Strauß,
läßt er einen hiſtoriſchen Chriſtus noch gelten, ſo darf man ſeine
Schrift nur leſen, um auf die Vorausſetzungsloſigkeit Straußens
hinlänglich vorbereitet zu ſein.“ — Hier eben iſt nun ein ſolcher
Fiovrtſchritt in der Erkenntniß von hochgefeierten Männern und Rich⸗
9 tungen, die dem Dr. Strauß zu verdanken ſind.
4 Wir verlaſſen nun das Gebiet des Rationalismus, der entſchloſ⸗
. ſen iſt, nichts gelten zu laſſen, als was in feine „Natürlichkeit
paßt, und dem darum nicht weniger der Sinn für die Erhabenheit
des wahrhaft einfachen Evangeliums fehlt, als die Fähigkeit, den
Verirrungen der Wiſſenſchaft ſich mit Erfolg entgegen zu ſetzen.
Mehr wiſſenſchaftlichen Werth hat die kleine Abhandlung des Bau m⸗
gartenkruſius in feinen opusculis theologicis Jenae.
1836. No. 10. S. 245 — 264.: „de mythicae nie
liorum interpretationis indole atque finibus.“
Dieſer Theologe konnte nach feinem für jede Anregung empfängli⸗
chen Sinne gegen ein ſolches Werk, wie das Strauß’ ſche nicht
gleichgültig bleiben, wenn anders die Parallele zwiſchen ‚Baum: |
gartenkruſius und Semler einige Wahrheit hat, welche Tho⸗
luck in dem intereſſanten Aufſatz der Evangeliſchen Kirchenzeitung
aufſtellte 1833 No. 88. ꝛc. ꝛc. „Abriß einer Geſchichte der Umwäl⸗
zung, welche ſeit 1750 auf dem Gebiete der Theologie in Deutſch⸗
land ſtatt gefunden.“ — Tholuck ſagte daſelbſt nämlich: „In beiden
iſt dasſelbe Talent für einzelne glückliche Apperceptionen, aber auch
derſelbe Mangel an Verknüpfung und Einheit; derſelbe Reichthum
an verſchiedenartigen intereſſanten Notizen, aber auch derſelbe Man:
gel an Redaktion und Darſtellungsgabe; rückſichtlich der theologi⸗
42
ſchen Ueberzeugung derfelbe Sinn für Religioſität und Chriſten⸗
thum, aber dieſelbe grund- und maaßloſe Unbeſtimmtheit, derſelbe
Skepticismus. Nur iſt wohl Semmlers kritiſches Talent und Anz
dagationsgeiſt um vieles größer, während anderſeits Baumgarten⸗
kruſius von dem, was wir bei Semler Spießbürgerlichkeit nennen
können, durchaus frei, vielmehr durch einen reichen Geiſt und viel
umfaſſende Anſchauungsgabe ſich auszeichnet.“ So weit Tholuck.
Es war nun aber eben nur damals als Semler lebte möglich, daß
ein ſolcher Angriff auf das Chriſtenthnm verſucht ward, wie er in
den Wolfenbüttler⸗Fragmenten enthalten iſt, und der freiſinnige
Semler mußte nach ſeiner innern und äußern Stellung irgendwie
ſich in eine Beziehung dazu ſetzen, er hat es gethan, die Fragmente
beantwortend d. h. ſie widerlegend. Hinwieder konnte das Werk
von Strauß nur in unſrer Zeit ſich erzeugen, und darum mußte
der Semler unſrer Tage demſelben auch ſeine Aufmerkſamkeit zuwen⸗
den. Er hat es zwar bis jetzt nur in der oben genannten kurzen
Abhandlung gethan, doch genügt ſie, um zu ſehen, in welches Ver—
hältniß er ſich zu Strauß ſetzt. Er beſpricht in derſelben 3 Punkte:
die Zuverläßigkeit der Geſchichte Jeſu, wie ſie in den 4 Evangelien
ſteht, dann die mythiſche Auslegung und zuletzt die ſpekulative
Erklärung des Chriſtenthums. 5
So ganz ohne Beſtätigung bleibt allerdings auch aus dieſer Ab⸗
handlung jene Parallele mit Semler nicht. In Vielem ſympathi⸗
ſirt Dr. Baumgartenkruſius ziemlich mit Strauß, doch weiß er, daß
Jeſus und ſein Werk eine Realität ſind und dieß läßt er ſich nicht
nehmen. Die ſpekulative Erklärung des Chriſtenthums verwirft er völ⸗
lig. Die Perſon Jeſu ſelbſt, wie ſie geſchichtlich war, ſagt er, müße
den Jüngern die erhabenen Begriffe von ihm bewirkt und ihnen die
Berechtigung gegeben haben, dem Chriſtenthum göttlichen Urſprung
zuzuſchreiben. Außer dieſen Mythen ſelbſt und dem großen Rufe
und der hohen Meinung der Freunde zeige beſonders der Erfolg der
Thaten Chriſti, daß derſelbe unbegreiflich wäre, wenn nicht irgend
etwas Großartiges und Feſtes wirklich da geweſen, woher jenes kam,
von dem Alle anerkennen, daß es den menſchlichen Angelegenheiten
ein neues Anſehen gegeben und in dieſelben eine neue Ordnung ge:
bracht habe. Soviel aus dieſer leſenswerthen Abhandlung, in der
ſich viele intereſſante Einzelheiten und ſcharfſinnige Winke finden. —
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" Spetufativs Thestogen
0 Das Nen dieſer Theologen über das Strauß'ſche Wend hat in
Vergleich zu dem aller übrigen einen ihm ganz eigenthümlichen Werth,
nicht nur weil gerade bei ihnen ſich ein hohes Maß von wiſſen⸗
ſchaftlicher Intelligenz findet, ſondern vorzüglich, weil Dr. Strauß
ſelbſt ſich zu der ſpekulativen Theologie bekennt, und wie
dieſe überhaupt es iſt, ſo auch ſein Werk als eine 1 der neueſten
(Hegels) Philoſophie betrachtet haben will.
Herr Strauß hat auch in den Vorreden zum zenten Band der
erſten und zum zweiten Band der zweiten Ausgabe, wie dieſe Ver⸗
theidigungsweiſe ſo häufig iſt, die Angriffe aller ſeiner entſchiedenen
Gegner ungefähr mit dem Ausſpruche abgefertigt, die Beurtheiler
ſtänden auf zu ungleichem Standpunkte, um unbefangen und einſich⸗
tig genug zu ſein. Hier aber iſt nun die Stimme der ſeiner Rich⸗
tung Befreundeten, und weil deren Urtheil doch nicht jenes Schickſal
von Seite des Beurtheilten zu gewärtigen hat, ſo gewinnt dasſelbe
auch um deßwillen einen eigenen Reiz; wir werden aber ſehen, daß
der um die Ehre Jeſu, des Herrn ſo wenig ſich kümmernde, für
ſeine eigene Ehre aber äußerſt zart und darum auch leicht erregbar
fühlende Verfaſſer des Leben Jeſu auch den Tadel der Freunde nicht
ertragen kann, ſondern demſelben mit Beleidigungen antwortet.
Ehe wir dere nun mit der Berichterſtattung beginnen, find hier
vieleicht für einen oder den andern Leſer einige literariſche Notizen
die wichtige Erſcheinung der ſpekulativen Theolo⸗
gie überhaupt nicht ganz außer der rechten Stelle. Die Philoſophie
Hegels, die in dem Beſitz des abſoluten Wiſſens zu ſein ſich rühmt,
ſucht eine Verſöhnung der Spekulation und des chriſtlichen Glaubens,
ja ſie ſagt, daß ſi ie dieſelbe bereits vollzogen habe; doch thut ſie dieß
auf eine Weiſe, daß der chriſtliche Glaube wohl ſich fragen muß, ob
er ſich dieſelbe könne gefallen laſſen, oder dagegen proteſtiren müſſe.
Eini ge der Hau pt ätz e, welche die auf jene Philoſophie gegründete
ſpekulative Theologie aufſtellt, ſind: „Göttliche und menſchliche
Natur ſind an ſich Eins; ſo wenig der Menſch als bloß endlicher
und an ſeiner Endlichkeit feſthaltender Geiſt Wahrheit hat, ſo wenig
hat Gott als bloß unendlicher, in ſeiner Unendlichkeit ſich abſchließen⸗
der Geiſt Wirklichkeit; ſondern wirklicher Geiſt iſt der unendliche nur,
17
44
wenn er zu endlichen Geiſtern ſich erſchließt: wie der endliche Geiſt
nur dann wahrer iſt, wenn er in den unendlichen ſich vertieft. Das
Weſen der chriſtlichen Religion iſt der Glaube an die Menſchwerdung
Gottes, an den Gottmenſchen. Die Einheit Gottes und des Men:
ſchen hat ſich nun auf eine gemein verſtändliche Weiſe, als ſinnliche
Gewißheit, in der Perſon Jeſu Chriſti manifeſtirt, aber darum iſt
jene Menſchwerdung Gottes nicht eine nur einmal geſchehene, in
ſich abgeſchloſſene Thatſache, ſondern eine ewige Beſtimmung des
Weſens Gottes. — Der gemeine, unmittelbare chriſtliche Glaube hat
allerdings die Wahrheit, aber als ſolcher kann er nur einer unterges
ordneten Stufe der menſchlichen Entwicklung genügen; zur Gewiß⸗
heit kommt der Glaube erſt durch Vermittlung, der Glaube muß
Wiſſen werden, und erſt wo die Einheit Gottes und des Menſchen
wahrhaft gewußt wird, da iſt dieſe auch wirklich.“ — Die ge
wöhnlichen Anklagen gegen dieſe ſpekulative Theolo—
gie ſind nun, ſie lehre den Pantheismus, läugne die Unſterblichkeit
des einzelnen Menſchen, lege den kirchlichen Ausdrücken, die ſie ge⸗
brauche, einen ganz andern Sinn unter, z. B. der Dreieinigkeit,
Erlöſung, Menſchwerdung Gottes; dieſe letztere ſei derſelben nur eine
Selbſtvergötterung der einzelnen Menſchen, Erlöſung nichts anders
als Selbſterlöſung des Geſchlechtes; die Sünde ſei ihr nur die End⸗
lichkeit, Beſchränktheit, eine Abſtraktion, nicht etwas Reales, der
hiſtoriſche Chriſtus nicht weſentlich ein nothwendiger, höchſtens inſo⸗
fern er das abſolute Wiſſen, welches die Philoſophie beſitzt, dadurch
möglich machte, daß er die Einheit Gottes und des Menſchen zuerſt
gezeigt. Dieſe Theologie, heißt es, verflüchtige, löſe die Thatſachen
der Gnade Gottes und der Erlöſung in Ideen auf, und durch jene
Erhebung des Wiſſens von Gott über den Glauben ſetze fie den un:
1
N
4
proteſtantiſchen, ja unchriſtlichen Unterſchied einer eigene und Ge⸗
heim⸗ Lehre in der Kirche.
Die Anhänger dieſer Schule weiſen nun gewöhnlſc mit umdillen N
dieſe Vorwürfe von ihrer Lehre zurück, und ſuchen dieſelben wie
z. B. Roſenkranz als Mißverſtändniſſe pietiſtiſcher Bornirtheit oder
als unwiſſenſchaftliche Konſequenzmacherei darzuſtellen; jedoch haben
Männer, denen ohne Ungerechtigkeit weder dieſes noch jenes kann
vorgeworfen werden, wie z. B. Schleiermacher, Nitzſch, Julius
Müller einige oder faſt die meiſten jener Ausſtellungen an dieſem
Syſtem auch gemacht. Gewiß muß, der chriſtliche Glaube, dem ein
lebendiger, perſönlicher, von der Welt verſchiedener Gott, eine un⸗
1 1
A
vergängliche Perſönlichkeit des Menſchen, in Menfämendun Gottes
in dem Individium Jeſus von Nazareth, die R i
den Glauben, bei Gebildeten und Ungebildeten durch dasſelbe auf
Buße gegründete Annehmen der Gnade Gottes in Chriſto, — gewiß
muß der chriſtliche Glaube, dem dieß alles weſentlich it, wenigſtens
durch die bisherige Ausbildung dieſer ſpekulativen Anſicht ſich ge⸗
fährdet und in ſeiner auch ideenreichen, aber auf geſchichtlichen N
ſachen beruhenden Erkenntniß widerſprochen ſehen.
dDieſe ſpekulative Theologie hat anfangs den Kampf beſonders 35
gen den gewöhnlichen Rationalismus gerichtet, wie er Alles ent:
—
geiſtend und zur trivialſten Natürlichkeit herunterziehend ſeit dem Ende
des vorigen Jahrhunderts beſonders in der Theologie herrſchte, und
gewiß hat die H gel; ſche Philosophie überhaupt ein unzweifelhaftes
Verdienſt darin, denſelben wiſſenſchaftlich , ar zu haben.
Jetzt richtet ſich jene Theologie mehr gegen den Supranaturalis⸗
mus und „indem fie, wie Nitzſch ſagt, dieſen im Gebiete der Ge⸗
ſchichte mit der vereinten Macht naturaliſtiſcher Streitkräfte und phi⸗
naten warnte angreift, kann ſie ſich erſt ganz entwickeln
Beſtimmung erfüllen.“ Offenbar aber theilt ſich dieſe Schule
zwe Zweige, die wohl fo zu unterfiheiden find, daß der
ine en jene Verſöhnung der Spekulation mit dem chriſtlichen
auben weſentlich zu vollziehen ſtrebt, wobei Göſchels Schriften
beſonders beachtenswert ſind, der andere aber immer rückſi ichtsloſer
ſich den Folgerungen ſeines philoſophiſchen Standpunkts hingibt und
die Reſultate hinſtellt, unbekümmert, ob ſie mit dem chriſtlichen
üben immer mehr in direkten Widerſpruch treten oder nicht; wie
z. B. auf philoſophiſchem Gebiete Richter, der ohne Scheu die per⸗
ſönliche Fortdauer läugnet. Dieſe antitheologiſche Richtung der He:
gel'ſchen Philoſophie zeigt ſich nun auf dem Gebiet der bibliſchen
Kritik eben in dem Leben Jeſu von Strauß; und in Beziehung
auf's alte Teſtament in der bibliſchen Theologie von Vatke. Es
kommt nun dabei allerdings in die Frage: ob die Behandlung der
evangeliſchen Erzählungen, wie ſie bei Strauß ſich findet, eine in der
Hegel'ſchen Philoſophie begründete, oder eine Abirrung von den Prin:
zipien derſelben ſei? — Daß letzteres nicht der Fall ſei, hat Profeſſor
Weiße, wie wir glauben, in dem oben angeführten Sendſchreiben mit
Evidenz bewieſen. Ferner darf man ſich hier nun wieder fragen, ob
nicht auch die dogmatiſche Lehre, die Dr. Strauß aufſtellt, von
neuem eine Beſtätigung iſt, iR dieſes Syſtem das Weſen des chriſt⸗
.
46
lichen Glaubens zerſtöre, dieſer alſo wahrlich Berechtigung genug hat,
ſich von aller Gemeinſchaft mit demſelben loszuſagen? — Wir ſetzen
zur einfachſten Beantwortung dieſer Frage die Hauptſumme der
dogmatiſchen Anſicht von Dr. n hier aus der Schutz
abhandlung feines Werks hin ): — |
„Wenn der Idee der Einheit von göttlicher und menſchlicher
Natur Realität zugeſchrieben wird, heißt dieß ſoviel, daß ſie einmal
in einem Inviduum, wie vorher und nachher nicht mehr, wirklich
geworden ſein müſſe? Das iſt ja gar nicht die Art, wie die Idee
ſich realiſirt, in Ein Exemplar ihre ganze Fülle auszuſchütten und
gegen alle andern zu geizen, ſondern in einer Manchfaltigkeit von
Exemplaren, die ſich gegenſeitig ergänzen, im Wechſel ſich ſetzender
und wiederaufhebender Individuen, liebt ⸗ſie nähren Reichthum auszu⸗
breiten. Und das ſoll keine wahre Wirklichkeit der Idee ſein? die
Idee der Einheit von göttlicher und menſchlicher Natur wäre nicht
vielmehr in unendlich höherm Sinn eine reale, wenn ich die ganze
Menſchheit als ihre Verwirklichung begreife, als wenn ich einen ein⸗
zelnen Menſchen als ſolche ausſondere? Eine Menſchwerdung Gottes
von Ewigkeit nicht eine wahrere, als eine in einem abgeſchloſſenen
Punkt der Zeit? — Das iſt der Schlüſſel der ganzen Chriſtologie,
daß als Subjekt der Prädikate, welche die Kirche Chriſto beilegt,
ſtatt eines Individuums eine Idee, aber eine reale geſetzt wird.
In einem Individuum, einem Gottmenſchen, gedacht, widerſprechen
ſich die Eigenſchaften und Funktionen, welche die Kirchenlehre Chriſto
zuſchreibt: in der Idee der Gattung ſtimmen ſie zuſammen. Die
Menſchheit iſt die Vereinigung der beiden Naturen, der menſchge⸗
wordene Gott, der zur Endlichkeit entäußerte unendliche, und der
ſeiner Unendlichkeit ſich erinnernde endliche Geiſt; ſie iſt das Kind
der ſichtbaren Mutter und des unſichtbaren Vaters: des Geiſtes und
der Natur; ſie iſt der Wunderthäter: ſofern im Verlauf der Men⸗
ſchengeſchichte der Geiſt ſich immer vollſtändiger der Natur bemäch⸗
tigt, dieſe ihm gegenüber zum machtloſen Material ſeiner Thätig⸗
keit heruntergeſetzt wird; fie iſt der Unſündliche: ſofern der Gan
ihrer Entwicklung ein tadelloſer iſt, die Verunreinigung Pa |
am Individuum klebt, in der Gattung aber und ihrer Geſchichte
ee 955 ſie iſt der aan N und gen 1 so
. ki
*) S. Leben Jeſu Th. 1. S. 734— 36. iſte Ausgabe oder il.
| S. 739 — 41. 2fe Ausgabe.
el 47
ſofern ihr aus der Negation ihrer Natürlichkeit immer
höheres geiſtges Leben, aus der Aufhebung ihrer Endlichkeit als
perſönlichen, nationalen und weltlichen Geiſtes ihre Einigkeit mit dem
unendlichen Geiſte des Himmels hervorgeht. Durch den Glauben an
dieſen Chriſtus, namentlich an ſeinen Tod und ſeine Auferſtehung
wird der Menſch vor Gott gerecht d. h. durch die Belebung der
Idee der Menſchheit in ſich, namentlich nach dem Momente, daß die
Negation der Natürlichkeit, welche ſelbſt ſchon Negation des Geiſtes
iſt, alſo die Negation der Negation, der einzige Weg zum wahren
geiſtigen Leben für den Menſchen ſei, wird auch der einzelne des
gottmenſchlichen Lebens der Gattung theilhaftig. — Dieß allein iſt
der abſolute Inhalt der Chriſtologie: daß derſelbe an die Perſon
und Geſchichte eines Einzelnen geknüpft erſcheint, hat nur den ſub⸗
jektiven Grund, daß dieſes Individuum durch ſeine Perſönlichkeit
amd feine Schickſale Anlaß wurde, jenen Inhalt in das allgemeine
Bewußtſein zu erheben, und daß die Geiſtesſtufe der alten Welt,
und des Volks zu jeder Zeit, die Idee der Menſchheit nur in der
konkreten Figur eines Individums anzuſchauen vermag. — Wie der
Gott des Plato auf die Ideen hinſchauend die Welt bildete: ſo hat
der Gemeinde „indem fie, veranlaßt durch die Perſon und Schic-
ſale Jeſu, das Bild ihres Chriſtus entwarf, unbewußt die Idee der
Mucha in ihrem Verhältniß zur Gottheit vorgeſchwebt.“ u.
Auf die Beurtheilung dieſes entſchieden antichriſtlichen Glaubens⸗
bekenntniſſes der „neueften Bildung“ kommen wir bei den unten an⸗
gezeigten Schriften noch öfters zurück, und wollen nun die Stimmen
der ſpekulativen Theologen über das ganze Werk von e an⸗
führen. |
Dr. Ro ſenkranz, Profeſſor in Königsberg, Verſaſſer
der Encyklopädie der theologiſchen Wiſſenſchaften und der berühmten
Kritik der Schleiermacherſchen Glaubenslehre will es nach dem Vor⸗
wort zu der neueſten Ausgabe dieſer Kritik Königsberg 1836 nicht
zugeben, daß das Leben Jeſu von Strauß ein nothwendiges Ergeb⸗
niß der Hegelſchen Philoſophie ſei, ſondern ſagt: „es iſt unſtrei⸗
tig eine faſt direkte Emanation der Schleiermacherſchen
Theolo gie, temperirt durch das Studium der Hegelſchen Philoſo⸗
phie.“ — Er ſagt „unſtreitig“ und doch weiß gerade Roſenkranz
ſehr gut, wie Schleiermacher mit allem Aufwand von Scharfſinn
und mit der ganzen Fülle ſeiner Gaben nur den geſchichtlichen, un⸗
ſündlichen Chriſtus Jeſum von Nazareth als Mittelpunkt ſeiner Theo⸗
48 | | Er
logie und des chriſtlichen Glaubens überhaupt feſtzuhalten und dar⸗
zustellen ſuchte; jenes Urtheil iſt daher wohl ſo zu verſtehen, daß
Strauß die eine Seite des Schleiermacher'ſchen Syſtems konſequent
ausgebildet habe, welches ja „durch den Kampf des Dogmatiſchen
mit dem Skeptiſchen, des unmittelbaren Gefühls und der Reflexion
des Verſtandes ſo höchſt eigenthümlich iſt.“ Den Grundfehler der
Strauß'ſchen Auffaſſung ſieht übrigens Roſenkranz näher darin: „daß
er die Subjektivität der Subſtanz nur in der unendlichen Vielheit der
Subjekte, in der Gattung der Menſchheit, will gelten laſſen. Aber
das Weſen der Idee ſchließt gerade auch die Abſolutheit der Er:
ſcheinung als Individuum, als dieſer einzelne Menſch, in ſich.—
Chriſtus iſt kein Collectivum von Prädikaten, welche der Geiſt der
Menſchheit ihm zuertheilt hätte: er iſt die concrete Einheit derſelben
und „hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu ſein.“ Chriſtum
als den leibhaftigen Gottmenſchen zu wiſſen, iſt keine anerzogene
Gewohnheit unſerer Bildung, es iſt die Nothwendigkeit der Idee
ſelbſt.“ — Wir ſehen alſo hierin, wie ein entſchiedener Vertheidiger
der ſpekulativen Theologie gerade im Weſentlichſten der oben mitge⸗
theilten Anſicht von Dr. Strauß widerſpricht; zugleich aber iſt es
merkwürdig, wie derſelbe Gelehrte ſich zu „heißen Schlachten“ rüſten
will, „weil die Hegelianer auf eine ſo empörende Manier von der
evangeliſchen Kirchenzeitung in Berlin behandelt werden,“ und wie
er den ſtrengen Supernaturalismus „‚ſtumpfſinnig“ nennt, ihm „ſchnöde
Glaubensheuchelei, dogmatiſche Bornirtheit, mit ihrer Göttlichkeit
kokettirende Frömmigkeit, hierarchiſirende Salbung, inhumane und
unchriſtliche Prätenſionen“ anſchuldigt; hingegen dem den Welthei⸗
land läugnenden Strauß keine wärmere Sprache entgegen zu ſetzen
hat, als die oben angeführte und zudem noch das kühle Wort: „So
ſehr mich nun das Straußiſche Werk durch feine wiſſenſchaftliche
Konſequenz, durch die kaltblütige Entſchloſſenheit und Aufrichtigkeit
ſeiner Kritik erfreut hat, ſo glaube ich doch, daß er ſein Reſultat
nicht wird feſthalten können,“ und nachdem er ſeine Anſicht vom
Chriſtenthum derjenigen von Strauß gegenüber geſtellt hat, noch
mildernd hinzufügt: „Wir ſagen dieß nicht, das Werk von Strauß
im Geringſten zu beeinträchtigen.“ — Jener Haß und dieſe Freund⸗
lichkeit, die ſich nun eben auch wieder an der Entſchiedenheit des
Straußiſchen Leben Jeſu offenbarte, ſind doch gewiß dazu geeignet,
Augen, die bis dahin noch nicht geſehen haben, ſehend zu machen
und einen neuen Beitrag zu dem Verſtändniſſe des Wortes Jeſu zu
aa {| „Wer nicht für mich iſt, der iſt wider mich.
terlaffen können wir mit der Rückweiſung auf die 525 angeführte
Herabſetzung des Evangeliums Johannes in Vergleich zu den Syn:
optikern, wie ſie Dr. Röhr ausſprach, die Worte von Roſenkranz
auszuſetzen: „„ Was der Anfang jenes Evangeliums und der Johan⸗
A neiſchen Epiſteln ausſpricht, dieſes unmittelbare Ueberzeugtſein, dieſe
innige enen mit RN wird alle Stürme der Kritik über⸗
leben.“ —
In den 3 für wiffenſchaftliche Kritik zu
| Berlin, demjenigen Organ, in welchem ſich nicht unbedeutende, doch
immer unter dem Einfluß der Hegel'ſchen Philoſophie ſtehende theologiſche
Stimmen vernehmen laſſen, findet ſich nun eine Recenſion der
Straußiſchen Schrift von Bruno Bauer Licentiat. Im Jahrgang
1835 December S. 879 — 912. diejenige des erſten Bandes, und
ar 1836 Mai S. 681 — 704 die der zweiten.
Der Verfaſſer weist zuerſt das Verhältniß und die Stellung des
e Strauß zu den gegenwärtigen Formen des theologiſchen Be⸗
wußtſeins nach, was um ſo eher geſchehen müſſe, da Strauß ſelbſt
(Einleitung S. 1 — 76.) feinen kritiſchen Standpunkt nur aus den
noch unvollkommnen frühern Anfängen desſelben reſultiren laſſe, nicht
aber, was ja ſo wichtig geweſen wäre, ſeine Berechtigung durch die
Wahrheit der abſoluten Idee und ſein Verhältniß zu ihr begründet
habe. — Die Erſcheinung dieſer Kritik der evangeliſchen Geſchichte
ſei nun allerdings völlig gerechtfertigt und nothwendig zu nennen,
indem der Glaube ſchon lange ſeine unbefangene Zuverſicht verloren
habe, die ihm entgegen tretende Aufklärung aber ſelbſt noch auf
Glauben geſtützt ſei, die Kritik der objektiven Geſchichte immer noch
der Mythe ein reiches Feld reeller Geſchichte ſubſtituirte, und auch
der Supernaturalismus ſich in die kritiſche Scheidung des Inhalts
und der Form, des Geiſtes und des Buchſtabens in den hiſtoriſchen
Urkunden des Chriſtenthums habe hineinziehen laſſen — kurz die Wiſ⸗
ſenſchaſt müſſe in ihrem Intereſſe die Form der äußerſten Vollendung
für die Negation verlangen; „denn erſt die tiefſte Concentra⸗
tion der Verneinung bildet den abſchließenden Ueber⸗
gang zur Bejahung.“ Herr Strauß habe nun allerdings einen
— Nicht un⸗
77 K
gewaltigen Anſatz dazu gemacht, aber denſelben nicht ſo durchgeführt,
| daß die Theologie nicht noch auf eine gewaltigere Erſchütterung war:
ten müſſe, denn derſelbe habe ſich noch eine ganz unreine Auf⸗
faſſung des Mythus zu Schulden kommen laſſen. Strauß ſei
4 75
50
daher noch nicht der Mann, den Leſſing erwartete, als er die Auf⸗
ſätze des Fragmentiſten herausgab, der Mann, der die Religion ſo
beſtreite als es die Wichtigen und Wür de des ee er⸗
fordere. ö
Der Hauptmangel der mythiſchen Anſicht bei Strauß ſei, daß er
die Entſtehung der chriſtlichen Mythe nicht aus der Idee erklärlich
macht, nicht aus der ſchöpferiſchen Kraft des Geiſtes nachweist, ſon⸗
dern aus allem andern, aus Abſichtlichkeit, aus Mißverſtändniſſen
des alten Teſtamentes und ſelbſt die Hinweiſung auf die rabbiniſche
Literatur dabei nicht verſchmäht. Die Abſicht der Kritik ſollte ſein,
die heilige Geſchichte als That des Selbſtbewußtſeins zu begreifen.
Der Verlauf der Strauß'ſchen Kritik bleibe aber unfruchtbar und der
Tod des Buchſtabens der gleichgültige „Tod eines Kohlhauptes.“ —
Der Recenſent verſucht nun, um die „wiſſenſchaftliche Un⸗
vollkommenheit der Strauß'ſchen Durchführung“ zu zei⸗
gen, die mythiſche Anſicht in einigen Punkten zur Spitze zu führen,
von wo aus erſt der Uebergang zur concreten Wahrheit gemacht
werden könne. Zuerſt thut er dieß an der Geburtsgeſchichte Jeſu,
dann an den Erzählungen, wo, wie bei der von Nikodemus, ſtatt
der abſichtslos dichtenden Sage die abſichtlichſte Berechnung von
Strauß untergeſchoben ſei, ferner an der Stellung des Täufers zu
Jeſus, an dem Wunderbegriff, an den Weißſagungen und an der
Auferſtehung. Die Kritik der Straußiſchen Anſicht iſt zuweilen tref⸗
ſend, die ganze Behandlung intereſſant, nur verwundert man ſich
oft, wie Herr Bauer allein der Kritik ſeiner ſpekulativen Theologie
die Ehre zuſchreiben kann, die Widerſprüche und Schwierigkeiten in
den evangeliſchen Berichten nicht nur zur Indifferenz herab zu ſetzen,
ſondern wahrhaft zu löſen und zu überwinden, indem wahrlich manche
der hier gegebenen Löſungen auch anderswo zu finden ſind.
Den Charakter der Strauß'ſchen Kritik bezeichnet Bauer mit fol⸗
genden Worten: „Den Balken in ihrem Auge ſieht ſie nicht, ſondern
ihre Aufmerkſamkeit iſt nur auf den Splitter des Bibelwortes gerich⸗
tet, nämlich auf die „Widerſprüche,“ die ſie aus den Differenzen
der evangeliſchen Geſchichte heraus zu ziehen bemüht iſt. Aber hier
endlich zeigt ſich die widerſpruchsvolle ſubjektive Einſeitigkeit der
Kritik in ihrem vollſten Lichte.“ —
In Beziehung auf das Verhältniß der Strauß'ſchen Kritik zur
Spekulation gibt der Recenſent zu, daß dieſelbe allerdings nur auf
philoſophiſchem Gebiete entſtehen konnte, in ihrem dogmatiſchen Ge⸗
— £
51
Salt weiche fie aber bon der neuern Reltgionsphiloſophie ab, und zwar
hebt er als Hauptmoment dieſes Unterſchiedes hervor, daß nach Strauß
1321 * Individuum die vollkommene Realität der Idee
ſein könne, denn im Gegentheil ſei es nach jener Religionsphiloſophie
„wirklich an dem, daß Gott als dieſer einzelne Menſch unmittelbar
daſeiend geſehen, gefühlt, gehört wird.“ Wie Profeſſor Weiße in
dem oben angeführten Sendſchreiben, ſo bezeichnet nun auch Bauer
den Begriff der Perſönlichkeit als denjenigen, in welchen die
Spekulation jetzt tiefer, als bisher gefchehen, eindringen müſſe, und
von dem aus ſie zu ihrer Vollendung gelangen könne. „Die Kritik
gehe nur, ſagt Bauer, von der Vorſtellung des Individuum zur
Idee der Perſönlichkeit fort, an welche Idee überhaupt die Fortbil⸗
dung der Wiſſenſchaft geknüpft iſt, und der Zwieſpalt des
Begriffs und der Erſcheinung wird feine Löſung er⸗
ten.“ Den Einwurf: „zur Eigenthümlichkeit eines geſchichtli⸗
5 Individuum gehöre die Bedingtheit durch Zeit⸗ und Volks⸗
verhältniſſe, daher könne in demſelben die vollkommene Realität der
Idee nicht fein,“ laßt er bei Chriſtus nicht gelten. Allerdings könne
das Allgemeine nicht als pures, nacktes Allgemeines wirklich ſein,
aber „das Selbſtbewußtſein Chriſti war ebenſo ſehr über die Be⸗
dingtheit der einzelnen Erſcheinung erhaben. Das Temporelle war
für Chriſtum ein durchſt ichtiges Moment der Ewigkeit, das Nationelle
verhärtete ſich nicht gegen den Zuſammenhang mit dem Univerſellen,
das Individuelle endlich lebte, dachte und handelte nur in der ab⸗
ſoluten Continuität mit ſeinem unendlichen, allgemeinen Weſen. In
de Br unmittelbaren Orwiß heit dieſer Continuität ift Chriſtus 105 vol⸗
| endet Perſönlichkeit! 1* —
Beim Leſen dieſer Recenſion kam uns öfters die muntere Charakte⸗
riſtitk der Berliner Jahrbücher in den Sinn, die Tholuck in dem Aufſatz
gibt: Ueberblick der theologiſchen Journalliteratur, No. 1 und 2. ſeines
Inzeigers 1836, wo er ſagt: „In dem theologiſchen Bataillon ſtehen
zwar meiſt nur Rekruten, die, wie es Rekruten thun, viel prahlen
und mit dem Sübel klappern, aber jedenfalls ſieht man, daß der Geiſt
des alten régime (das in der Jenaiſchen und Halliſchen Literarturzei⸗
tung dominirt) Morgenluft wittert. Möchte dieſe Morgenluft vom
„ Aufgang“ aus der Höh pm herüberwehen!“ — Bemerkenswerth iſt,
daß Herr Bauer die Kraft der Dialektik auch auf das Verhältniß des
en zum neuen Teſtament und der Syrnoptiker zu dem Johannes⸗
ewangeliuu hinwenden will, — zivei Punkte, welche die Theologie
4 *
52
unfrer Zeit allerdings arg genug mißhandelt. Das alte Teſtament iſt
von der Aufklärung, die weder die Führung Gottes mit ſeinem Volke,
noch die Weißſagungen vor dem Ereigniß begreifen konnte, von
Schleiermacher aber auf tiefere Weiſe faſt für antiquirt dargeſtellt
worden, und bei den Evangelien iſt ein und dieſelbe ſogenannte hiſto⸗
riſche, aber freilich oft ins ſubjectivſte Fühlen und Meinen ſich verir⸗
rende Kritik bald ungehalten über die Trivialität der drei erſten Evan⸗
gelien, bald über die phantaſtiſche Myſtik des Johannes. Nun aber
meint Herr Bauer „ und gewiß mit Recht, eine nothwendige und un⸗
ausbleibliche Folge des jetzigen Streites werde ſein, daß die wiſſen⸗
ſchaftlichen Bemühungen der Gegenwart aus allen Kräften der Reli⸗
gion des alten Teſtaments ſich zuwenden werden; und erfreulich iſt
es, ihn ſagen zu hören: „der bis auf's höchſte geſpannte Gegenſatz
zwiſchen den Synoptikern und dem Evangelium des Johannes werde
gemildert und wohl auch aufgelöst werden, wenn in der Erklärung
der Synoptiker die Beziehung auf das alte Teſtament im ideellen Zu⸗
ſammenhang des alten und neuen Teſtaments ihren Grund erhält, im
Johannesevangelium aber dieſelbe Beziehung mehr als bisher ge⸗
ſchehen iſt, herausgeſtellt wird.!“ Ja ſelbſt die Logoslehre des Johan⸗
nes iſt nach Bauer himmelweit davon entfernt, durch Helleniſtiſche
Theorien, wie die des Philo erklärt zu werden, fi ie laſſe ſich im Ge⸗
gentheil rein und allein aus dem chriſtlichen Verſtändniß des alten
Teſtaments herleiten. — Faſt möchte man hier fragen: iſt das Mor⸗
genluft vom Aufgang aus der Höh'? — Bauer ſagt, daß Strauß,
nachdem er alle Kraft der Verneinung zuſammen gerafft habe ($. 107
bis 111.), um die Einheit der Verheißung und Erfüllung
zu durchbrechen, bis zu einem begeiſterten Ausruf ſeines Triumphes
ausbricht, ſei ein eigenthümliches Zeichen, wie das alte Teſtament
auch den Gegnern ſeine berauſchende Kraft mittheilt und wie ſchwer
auf dieſem Gebiete jene wiſſenſchaftliche Beſonnenheit zu
erreichen ſei, welche die Einheit und den unterſchied des alten
und neuen Teſtaments ſicher zu behaupten wiſſe.
Die Stellung endlich, welche Strauß in ſeiner von ſo Vielen
ohne Prüfung bewunderten fogenannten „ wiffenfchaftlichen Unbefanz
genheit“ zu ſeinen Beurtheilern einnimmt, liegt am deutlichſten in
dem Urtheil vor Augen, welches er in der Vorrede zur zweiten Auf⸗
lage über die ſen Recenſenten fällt: „Herr Bauer ‚ fagt er, ſcheine
1 entweder erſt aus ſeiner Schrift über das Leben Jeſu, 475 doch
nicht lange een von Kritik etwas vernommen zu haben.“ — Da:
53
m mögen ſich denn allerdings auch diejenigen troͤſten, die Strauß
h anmaßender abfertigt, weil fie ſich ihm noch entſchiedener entge⸗
der Intoleranz, die den Nichtbeiſtimmenden immer zu einem beſchrän⸗
ten Nichtverſtehenden ſtempelt, und wohl „in höhnendem und hoch⸗
0 müthigem Tone“ die Gelehrten, wie die Evangeliſten behandelt, je⸗
den entgegentretenden Ernſt aber n ‚esse und W we .
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S aͤ 0 fifde Theolo se u. 0
& bedarf vielleicht einiger Rechtfertigung, daß wir in dieſer nicht
. planloſen Reihenfolge die ſpekulativen Theologen, die ſich allein im
Beſitz der Wiſſenſchaft glauben, unmittelbar den Rationaliſten, deren
unwiſſenſchaftlichen Standpunkt grade auch jene nachgewieſen haben,
anreihen, und nach ihnen die Klaſſe der Theologen folgen laſſen, die,
wenn auch oft ausgezeichnet durch Beleſenheit und wirkliche Gelehr⸗
1
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Wal x
11
ſamkeit, doch abgeſagte Feinde der Spekulation ſind. Der Grund
hievon iſt, daß wir glauben, hier nicht nach dem wiſſenſchaſtlichen
Stand unkte, ſondern nach einem andern, höhern Intereſſe anordnen
zu % denn daß es ein höheres gibt, ſcheuen wir uns nicht,
frei und offen zu bekennen, bei der feſten Ueberzeugung von der
Möglichkeit einer wahren Verſöhnung zwiſchen Wiſſen und Glauben,
zwiſchen der Spekulation und dem poſitiven Chriſtenthum, bei aller
Veerehrung der Wiſſenſchaft, bei allem eigenen Streben darnach und
ungeachtet der Abgötterei, die von den in dieſelbe Eingeweihten
und auch von den gewöhnlichen Gebildeten damit getrieben wird.
Jenes Höhere iſt nun eben der Glaube an das Göttliche des
. Evangeliums, das Feſthalten an der Offenbarung von Gott, die
Entſchloſſenheit, der Weisheit Gottes im Gegenſatz zu derjenigen der
Welt, die vor Gott Thorheit iſt, die Ehre zu geben. So different
nun auch die Rationaliſten und ſpekulativen Theologen dem erſten
Anblick nach ſind, da jene „eine ideenloſe Geſchichte,“ dieſe „eine
gen zu ſetzen wagten. Seine Wiſſenſchaſtlichkeit verträgt ſich mit
2
3534
geſchichtsloſe Idee“ in den Evangelien ſehen, jene den natürlichen
Menſchenverſtand, dieſe die Macht des vernünftigen Denkens (des
Begriffs im höchſten Sinne) und die religiöſe Idealität auf ihrer
Seite haben, ſo zeigt ſich doch darin eine gar weſentliche Einheit,
daß beide Prieſter des Zeitgeiſtes, die einen zwar eines bereits bald
verklungenen, die andern eines noch mit aller Macht die Gemüther
beherrſchenden ſind, daß beide auf dem Boden des natürlichen Gei⸗
ſtesleben ſtehen, wenn dieſes auch aufs vielfachſte ſich offenbart und
vom göttlichen Geiſt oft angeweht iſt, daß beide ihrem Weſen nach
nicht erhaltend, ſondern auflöſend für die Kirche wirken, daß beide
nicht auf rein theologiſchem, ſondern eher auf philoſophiſchem Stand⸗
punkte ſtehen, wenn auch die einen auf dem bloß verſtändig reflekti⸗
renden und logiſch-mechaniſchen, darum vereinzelnden, die andern auf
einem tiefſinnig ſpekulativen, darum großartig das Ganze zuſammen⸗
faffenden. —
Von nun an werden alſo diejenigen Stimmen angeführt, die bei
großer Differenz in der Abgeſchloſſenheit ihrer dogmatiſchen Anſicht
und in dem Grad ihrer Wiſſenſchaftlichkeit, doch darin, daß ſie das
ſpezifiſch chriſtliche Bewußtſein der Kirche zu bewahren ſuchen,
und im Glauben an den alleinigen Sohn Gottes, wie er in Jeſu
von Nazareth geſchichtlich iſt, vereinigt ſind. Daß wir bei einem
Kampfe um dieſen Glauben, das köſtliche Kleinod der Chriſtenheit
als ſolcher, um den es ſich unzweifelhaft bei dem von Dr. Strauß
gewagten Angriff handelt, hiebei die Bewahrenden höher ſtellen, als
die bewußt oder unbewußt mit dem Werke des letztern Sympathi⸗
ſirenden, findet gewiß ſeine Rechtfertigung in ſich ſelbſt; dennoch
können wir nicht unterlaſſen die uns ganz aus der Seele geſchriebe⸗
nen Worte des trefflichen Nitzſch (im Aten Heft der Studien und
Kritiken. 1836. S. 1100), die vom wahren Beruf des Theologen
bei ſolchen kritiſchen Unterſuchungen reden, hier anzuführen: Der
Theolog behandelt als Hiſtoriker und Kritiker Urkunden
und Geſchichten, in denen ſein Glaube und die Kirche ſeines
Glaubens wurzeln, dergeſtalt, daß ihn das Intereſſe, das ge⸗
ſchichtliche Bewußtſein der Kirche zu bewahren und zu
begründen, ebenſoſehr beherrſcht, als die wiſſenſchaft⸗
liche Pflicht, zu verhüten, daß nicht durch Gleichſetzung
des Gewiſſen und Ungewiſſen, des Weſentlichen und
untergeordneten, dem Aberglauben und der unfreien
Ueberredungsweiſe Vorſchub gethan werde. Dem Theo⸗
4 h 4
55
zen kann es daher nicht in den Sinn kommen, den Aufenthalt, den
der Begriff der Entwicklung bei ſpärlichen ſynchroniſtiſchen Hülfsmit⸗
teln erdulden muß, unerträglicher zu finden, als eine Vollendung des
Begriffes, die in der mit einer Reihe Hypotheſen umgeſtürzten Theſis
der Ueberlieferung beſteht. Dem Theologen kann es nicht einfallen,
zu ſagen, haben wir nur die Idee, was kümmert uns die Geſchichte.
Der Theolog kann nur in der vollſtändigen Wechſelwir⸗
kung der Idee und Geſchichte den Begriff von der einen
Be andern bilden. Ve
Wenn nun die unmittelbar dach der angeführten T heologen mit
dem Namen der fä ch li ſchen bezeichnet find, ſo ſoll dieſe Benennung
durchaus nicht nur eine Andeutung des Landes fein, in dem fir witz
ken, ſondern zugleich auch des theologiſchen Charakters, der in
dieſem Lande ſeinen Urſprung und noch jetzt ſeinen Hauptſitz hat, —
es iſt der Reinhard'ſche Supernaturalismus. Der
achtungswürdige F. V. Reinhard hielt bald nach einem
ſchweren innern Kampf mit den Zeitrichtungen im Glauben feſt
an dem poſitiven, als einem geoffenbarten Chriſtenthum, ſuchte
aber theils ſeiner verſtändigen Natur gemäß, theils inſoweit von der
Zeitbildung mitbeherrſcht, den reflektirenden Verſtand mit dieſem
geoffenbarten Chriſtenthume durch allerlei Zugeſtändniſſe auszuſöähnen,
Der weſentliche Charakter dieſes Supernaturalismus
iſt, daß er als höchſtes Geſetz die in der heiligen Schrift niedergelegte
übernatürliche, d. i. göttliche Offenbarung feſthält; dieſe Offenbarung
0 aber zu einſeitig nur als Mittheilung neuer, über die Vernunft hinaus⸗
| gehender religiöſer Erkenntniſſe auffaßt, indem er auch die Wun⸗
der und alle Thatſachen, von denen die Bibel erzählt, nur als Be⸗
ſtätigung jener Lehren darſtellt. Das Ganze der göttlichen Erlö⸗
ſung, in welcher die einzelnen Thaten und Worte Gottes ihre Einheit
finden und als gleich nothwendig auch gleicher Würde ſind, wird zu
abſtrakt, zu wenig in feinem innigen Zuſammenhang mit Natur
und Beibiäte aufgefaßt. Darum bannt nach diefer thlog he An⸗
di
* Von Botke, dem Verfaſſer der bi Theologie 1835 fügt
Nitzſch noch die Worte, welche wohl auch auf Dr. Strauß an⸗
wendbar ſind, hinzu: „unſer Verfaſſer folgt andern Grund⸗
ſätzen und hat ſie am A. T. (Strauß an den Evangelien) rück⸗
ſichtlos und eben darum mit ſchweren Verletzungen der Geſetze
der Kritik ſowohl als der Geſchichte za a RN
SR
—
56
ſicht auch die Art und Weiſe immer dunkel und unerklärt, wie Ben
inzelne Gläubige und das ganze Menſchengeſchlecht den Inhalt, alfo
0 das Weſen der Offenbarung ſich aneignet, ſo daß dasſelbe ein wirk⸗
licher Beſitz des Geiſtes und Lebens wird. Da nun aber überdieß
noch den Forderungen des reflektirenden Verſtandes möglichſt
Genüge geleiſtet werden ſoll, und darum dieſem Geiſtesvermögen, das
dem Endlichen zugewendet das Unendliche, Göttliche nur beſchränkt
begreifen kann, Zugeſtändniſſe gemacht werden, ſo konnte es nicht
unterbleiben, daß auch ſelbſt das Poſitive des Glaubens ſehr einge⸗
ſchränkt und der eigentliche Kern des Chriſtenthums verletzt wurde (wie
3. B. in der Lehre vom hl. Geiſt, von der Rechtfertigung durch den
Glauben). Ja nicht mit Unrecht wird geſagt, daß dieſe Art des
Supernaturalismus dem Rationalismus die Waffen ſelbſt gegen ſich
in die Hände gebe. Geſchichtlich hatte nun dieſe Einſeitigkeit die Folge,
daß die Blüthezeit dieſer Auffaſſungsweiſe des Chriſtenthums ſich nicht
lange erhielt und deren Exiſtenz eigentlich nur durch den ſtarren Ges
genſatz im Naturalismus bedingt war. Nach Reinhard nahm die
Verſtändigkeit bei den meiſten dieſer Supernaturaliſten ſo ſehr über⸗
hand, daß dieſelben weit lieber mit dem ſogenannten Rationalismus
Hand in Hand gehen, als daß ſie irgend Gemeinſchaft mit den ent⸗
ſchiedenen Orthodoxen oder mit den mehr der Myſtik ſich zuwendenden
Theologen haben möchten (ſiehe z. B. viele Aufſätze in der Allg. Kir⸗
chenzeituug, dem theol. Lit. Blatt derſelben, und im Journal für
Prediger. Halle bei Kümmel). Vielleicht iſt nun aber dennoch, un:
geachtet in der Wiſſenſchaft dieſer Supernaturalismus wenige ausge:
zeichnete Vertheidiger mehr hat, nicht leicht eine andere Anſicht von
Chriſtenthum praktiſch mehr verbreitet, als dieſe, da Entſchiedenheit
im Unglauben und im Glauben nicht der Meiſten Sache iſt; dieſe
Richtung hingegen in einer bequemen Mitte einerſeits „den gewöhnli⸗
chen Menſchenverſtand“ ungeſtört läßt, anderſeits auch dem religiöſen
Gemüth durch eine unverkennbare Ehrfurcht vor dem Göttlichen
des Evangeliums ſein Recht widerfahren laſſen will.
Die beiden nun anzuzeigenden Schriftchen aus dieſer Schule wer⸗
den eben um dieſes ihres Standpunktes willen den Bedürfniſſen Vie⸗
ler, die denſelben bewußt oder unbewußt theilen, völlig genügen. Soll
nun aber über beide in Beziehung auf den ihnen eigenthümlichen Grund⸗
charakter zum voraus ein Urtheil abgegeben werden, ſo iſt wohl, un⸗
geachtet der in Grulich's Betrachtungen PANNE Gemüthlichkeit,
Gelpke's Schrift von theologiſcher Seite vorzuziehen, weil ſie ein
=
| * 57
ae Trieb aus dem alten Stamme zu ſein ſcheint, und ihre ganze
Behandlungsweiſe an Reinhard erinnert, deſſen Andenken der Verfaſ⸗
fe auch ehrt mit dem: gc honor laudes que tua *
manebunt!
Die erſte Schrift nun mit dieſem Charakter des Super thats:
mus, in welcher er allerdings ſchon bedeutend abgeſchwächt iſt, iſt die
Beruhigende. Betrachtung über den neueſten Verſuch
das Leben Jeſu in eine Sage zu verwandeln, von Fr. J.
5 1
Grulich, Archidiakonus zu Torgau.“ Leipzig 1836. S. 52.
Der Gang, den der Verfaſſer nimmt, iſt folgender: Zuerſt redet er
von den verſchiedenen Partheien unſerer Zeit auf dem theologiſchen
Gebiet, lenkt dann auf jene unheimliche Spekulation ein, die mit
einer Entſetzen erregenden kritiſchen Behandlung der heiligen Schrift
verbunden iſt. Beides nennt er Berlinismus “). Mit dieſer in⸗
humanen Spekulation ſei nun die neueſte Erſcheinung auf dem Ge⸗
biete der chriſtlichen Theologie in Verbindung getreten, in dem Leben
Jeſu von Strauß. Furchtbar nennt er das Unternehmen dieſes Man⸗
nes, theils wegen des Reſultates, welches daraus hervorgeht, indem
er das Leben Jeſu, wie es die Evangelien berichten, nach ſeinen wich⸗
tigſten Momenten, als ein Produkt ſpäterer Sage, ohne hiſtoriſchen
Gehalt und von unbekannten Referenten in eine jüdiſch⸗ chriſtliche Anek⸗
dotenſammlung verbunden, darzuſtellen bemüht iſt, theils weil dieſer
Angriff in der That mit gygantiſcher Kraft ausgeführt ſei. Hier fi
mehr als Bahrdt, Venturini, Reimarus und alle Andere, die man
noch dazu nennen mag. — Er wünſcht, derſelbe wäre um des Miß⸗
brauchs willen vor dem Volke in lateiniſcher Schrift gemacht worden,
und kann es nicht zugeben, daß die Nothwendigkeit, wie Strauß
* ſagt, dieſer Entwicklung der Wiſſenſchaft zu folgen, ſo dringend und
unvermeidlich ſei; denn dann ſchienen auch die heilloſen Ausbrüche des
jungen Deutſchlands und die Empörungen gegen die bürgerliche Ver⸗
feffung - — welche die Zeit herbeigeführt hat — auf rechtem Wege zu
ſein. „Der Verfaſſer, ſagt Grulich, iſt alſo auf ſeinem Stand⸗
punkt ül erzeugt: Ae ja Aergerniß ni — 1 wie es dann
Wee
ar
*) Bekanntlich muß das alle geiſtigen Weaigen in ſich vereini⸗
gende und gewähren laſſende Berlin Neanders, Schleiermachers,
ee und Hengſtenbergs Anſi ichten, ſo entgegungefigt fie una
ter fich find, den Namen geben.
58 0
weiter heißt, darüber möge er mit ſi 0 ſelbſt rechten!“ — Gtilich m er⸗
zählt, wie ihn beim Leſen dieſes „Leben Jeſu“ immerfort die Frage
gequält habe: ſollte es dennoch wahr ſein? — die Ruhe ſei ihm aber
wieder gekehrt, als er bei fortgeſetztem Studium des Ganzen hie und
da ſchwache Seiten in der Ausführung einzelner Theile ſowohl
wie in dem Zuſammenhange derſelben bemerkte und nicht mehr ge—
blendet durch jene glänzenden Vorzüge, immer mehre und
auffallendere jener Schwächen entdeckte. Gewiß hat er hiemit eine
Erfahrung ausgeſprochen, die viele Leſer der Strauß'ſchen
Schrift mit ihm theilen. Der von jenem Ueberwältigtſein gleich
ſam ſich losmachende Verfaſſer kam nun durch dieſe entdeckten Mängel
zu Betrachtungen, die zuerſt ihm, dann auch Andern Beruhigung vers
ſchaffen ſollten. Dieſer ganze Standpunkt, von dem aus das Büch⸗
lein geſchrieben iſt, gibt demſelben allerdings eine anziehende Eigen⸗
thümlichkeit, beſonders weil nun dieſe Mängel faßlich dargelegt ſind;
aber zugleich iſt gerade fie ſehr bezeichnend für die theologiſche Rich⸗
tung des Verfaſſers überhaupt, indem er, der „am Ziele ſeiner Tage
ſteht, und das Ende des in unſern Tagen eröffneten Kampfes in der
Theologie nicht mehr ſehen wird“, ſo wenig innere Feſtigkeit ſeiner
Ueberzeugung hat, daß er geängſtet fragen muß: ſollte es wahr ſein,
was Strauß ſagt? und mehr noch, nur durch die Schwächen der
Beweisführung von Strauß beruhigt werden kann, und zwar
nur inſoweit beruhigt wird, daß das hiſtoriſche Glaubensfunda⸗
ment aus den evangeliſchen Berichten nicht gänzlich zu vertilgen
ſei. Mit dieſen Hindeutungen ſoll nicht geſagt ſein, daß dieſem nur
verſtandesmäßigen Supernaturalismus die evangeliſche Wahrheit an
ſich mit der evidenten und gründlichen Art, wie ſie bekämpft oder
vertheidigt wird, ſtehe oder falle, ſondern nur, daß es ihm eben an
jenem „unmittelbaren Ueberzeugtſein, das alle Stürme der Kritik
überleben wird,“ fehlen muß und wirklich fehlt. — Zuerſt hebt der Ver:
faſſer nun den von allen Leſern des „Leben Jeſu“ ſogleich bemerkten
Fehler hervor, daß Strauß in der Entſtehungsweiſe ſeiner Mythen
das Widerſprechendſte annimmt, natürlich je nach dem es ihm i
ſcheint, irgend einen Gegner zu widerlegen oder ſonſt einen Zwe
ſeiner Kritik zu erreichen; die zweite Betrachtung verweilt bei der
Art, wie Strauß die Authentie der Evangeliſten beſtreitet, indem er
ein zwin gendes Jeugniß für den apoſtoliſchen Urſpru ng der Evan⸗
gelien fordere. Hier ſagt Grulich: „das iſt der eigenthümliche Cha⸗
rakter des entſchiedenen Unglaubens; er treibt ſeine Forderungen, weil
n a
1 59
er nicht glauben will an das Gebiet des bannen und begehrt
eichen vom Himmel.“ Beſonders aber aus dem Widerſpruche, der
Ä in den einzelnen Theilen des Werks immer von Neuem auftaucht,
über die Perſon Jeſu, zieht der Verfaſſer die Beruhigung, daß Fi
mit feiner großen Kraft und Anſtrengung doch zu ſchwach ſein mö nöchte,
das hiſtoriſche Glaubensfundament aus den evangeliſchen Be icht ter
gänzlich zu vertilgen. Sehr gut iſt nun feine Zuſammenſtellung der
verſchiedenen Aeußerungen bei Strauß über die Perſon Jeſu, um zu
zeigen, wie derſelbe ihn oft „als ein großes Individuum und nuch
als den allergemeinſten Menſch feiner Zeit“ darſtelle. —
um nun dieſen wirklich durch das Ganze der Stranb'iſchen Schrift
ſich fortziehenden Widerſpruch klar zu zeigen, zugleich aber eine An⸗
ſchauung davon zu geben, was Strauß überhaupt von der
Perſon unſers Heilandes ſagt, ſtellen wir einige Aeußerungen
zuſammen, die ſich hierauf beziehen mit Benutzung der von Drei
angeführten Stellen:
„Um ein großes Individuum, zumal wenn an daosſelbe eine
in das Leben des Menſchen tief eingreifende Umwälzung geknüpft iſt, bil⸗
det ſich frühzeitig, ſelbſt in der trockenſten hiſtoriſchen Zeit, ein un⸗
hiſtoriſcher Kreis ſagenhafter Verherrlichung. Man denke ſich eine
junge Gemeinde, welche ihren Stifter um ſo begeiſterter verehrt, je
unerwarteter und tragiſcher er aus ſeiner Laufbahn herausgeriſſen wor⸗
den iſt; eine Gemeinde, geſchwängert mit einer Maſſe neuer Ideen,
die eine Welt umſchaffen ſollten; eine Gemeinde von Orientalen, von
größtentheils ungelehrten Menſchen, welche alſo jene Ideen nicht in
der abſtrakten Form des Verſtandes und Begriffs, ſondern einzig in
der konkreten Weiſe der Phantaſie, als Bilder und Geſchichten ſich
anzueignen und auszudrücken im Stande waren, ſo wird man aner⸗
kennen: es mußte unter dieſen Umſtänden entſtehen, was entſtanden
iſt, eine Reihe heiliger Erzählungen, durch welche man die ganze Maffe.
neuer, durch Jeſum angeregter, ſo wie alter, auf ihn übertragener
Ideen als einzelne Momente ſeines Lebens ſich zur Anſchauung brachte.
Jeſus hat auf ſeine ſtreng jüdiſche Gemeinde einen entſchiedenen
Eindruck der Meſſianität gemacht. Es hatte ſich den Ruf
eines Meſſias erworben. Die großartige Perſönlichkeit Jeſu
war im Stande, ſeine unmittelbaren Schüler im Kampfe mit den
Zweifeln an ſeine Meſſianität, welche ſein Tod in ihnen erregt hatte,
zu Viſionen und Chriſtophanien zu begeiſtern. Jeſus giebt dem Pi⸗
latus; eine Antwort, welche, zuſammengenommen mit dem E ind ruck
60
feiner ganzen Erſcheinung, vag Prokurator allerdings die ueder⸗
zeugung von ſeiner Unſchuld beibringen konnte.“
Mit obigen Aeußerungen über Jeſu vergleiche man nun folgende
Hauptſtelle im Buche: (I. S. 72.) „Das einfache hiſtoriſche Gerüſte
des Lebens Jeſu, daß er zu Nazareth aufgewachſen ſei, von Johannes
ſich habe taufen laſſen, Jünger geſammelt habe, im jüdiſchen Lande
lehrend umhergezogen ſei, überall dem Phariſäismus ſich entgegenge⸗
ſtellt und zum Meſſiasreiche eingeladen habe, daß er aber am Ende
dem Haß und Neid der phariſäiſchen Partei erlegen, und am Kreuze
geftorben ſei: — dieſes Gerüſte wurde mit den manchfaltigſten und ſinn⸗
vollſten Gewinden frommer Reflexionen und Phantafieen umgeben.“
Hiezu nehme man wieder andere noch ſtärkere Bezeichnungen der Gr:
meinheit von Jeſu Perſon: „Daß er, durch des Täufers Ruf angezo⸗
gen, einige Zeit in ſeinem Gefolge ſein Schüler geweſen und durch
denſelben erſt mit der Idee des Meſſiasreichs ſei bekannt geworden.
(S. 42. 43.) Warum hat Jeſus ſich von Johannes taufen laſſen?
Was die Sinnes änderung betrifft, fo mag er ſich zwar unter die
Trefflichſten in Iſrael mit Recht haben zählen können, ohne ſich jedoch
von dem, was Hiob 4, 18. 15, 15. geſagt iſt, auszuſchließen. (Hiob
4, 18: Siehe unter feinen Knechten iſt keiner ohne Tadel, und in ſei⸗
nen Boten findet er Thorheit. Hiob 15, 15: Siehe unter feinen Heiz
ligen iſt keiner ohne Tadel und die Himmel ſind nicht rein vor ihm.)
Von hiſtoriſcher Seite wird hingegen wenig einzuwenden ſein; denn
das: welcher unter euch kann mich einer Sünde zeihen? (Joh. 8, 46.)
konnte ſich doch theils nur auf offenkundige Fehltritte, theils nur auf
die ſpätere Zeit der gereiften Entwicklung Jeſu beziehen! ($. 45.)
Von Jeſus wurde Anfangs ein geheimnißvolles Incognito geſpielt.
Jeſus, ſo oft der Gedanke, er möchte der Meſſias ſein, durch irgend
etwas bei Andern erregt und ihm von außen entgegen gebracht wurde,
erſchrack gleichſam, das laut und beſtimmt ausgeſprochen zu hö⸗
ren, was er bei ſich ſelber kaum zu vermuthen wagte, oder
worüber er doch erſt ſeit Kurzem mit ſich ins Reine gekommen war.“ ($.
58.) Strauß ſagt, daß einige von den Evangeliſten hie und da ue ii
auffallende Sentenzen und ſinnreiche Gnomen, die leicht zu behalten
waren, wohl von Jeſu wirklich möchten geſprochen worden ſein, daß
aber ſeine Gleichniſſe auch bei ſpätern Rabbinen vorkommen und die
langen Johanneiſchen Reden ihm ſämmtlich von dem Verfaſſer des vier⸗
ten Evangeliums, desgleichen alle ſeine Vorſagungen „ex eventu in
den Mund gelegt worden; — daß alle ſeine außerordent ichen Thaten
61
und Schickſale als nicht * zu betrachten ſind. „Jeſus, heißt
ferner, wartete auf eine von Gott zu bewirkende Revolution, welche
05 4 den erforderlichen Umſchwung der Dinge herbeiführen ſollte, um den
Thron Davids wieder herzustellen und mit ſeinen Jüngern ein befrei⸗
tes Volk zu beherrſchen. Dieß Alles wollte Jeſus nicht eigenwillig
j 12 fondeen überließ es dem bimmliſchen Vater, der al le n
zu Neben 8565 5 auch dadurch N irre gemacht, daß 100 das
Ende erreichte, „ehe ein ſolches erfolgt war. Wer dieſe Anſicht von
dem Hintergrunde des meſſianiſchen Planes Jeſu bloß deßwegen ſcheut,
weil er durch di die ſelbe Jeſum zum Schwärmer zu machen glaubt, der
\ bedenke, wie genau dieſe Hoffnungen den lang gehegten Meſſiasbegrif⸗
fen der Juden entſprachen, und wie leicht auf dem ſupranaturaliſtiſchen
Boden jener Zeit und in dem abgeſchloſſenen Kreiſe der jüdiſchen Na⸗
tion eine für ſich abenteuerliche Vorſtellung, wenn ſie nur
Nationalvorſtellung war, und ſonſt wahre uud großartige Seiten bot,
8 auch einen beſonnenen Mann in ſich hinein ziehen konnte. (F. 62.)
N 2 Gin Durchſchauen des Menſchen auf den erſten Blick, wie es Jeſus
bei der Berufung ſeiner Jünger erprobt hätte, ginge weit über Alles
hinaus, was der glücklichſten und geübteſten Menſchenkenntniß natür⸗
licherweiſe möglich iſt. ($. 66).“ —
Die Vergleichung dieſer Behauptungen mit jenen erſtern, die eine
höhere Anerkennung Jeſu hoffen laſſen, ſtellen den von Grulich er⸗
wähnten Widerſpruch hinlänglich ins Licht, und zugleich können dieſe 1
Stellen als das Gegenſtück zu der S. 46. 47. angeführten ſpekulati⸗
ven Lehre von Chriſtus bei Strauß dienen, um über die Tendenz ſei⸗
ner Schrift Niemand mehr im Unklaren zu laſſen.
Das glänzendſte Talent, findet nun Grulich ferner, entwickle Strauß
PR dem Verſuche aus innern Gründen die evangelischen Erzählungen
ei, unhiſtoriſch und mythiſch darzuſtellen. Hier ſcheint der Verfaſſer
noch am wenigſten ſich aus jenem Geblendetſein herausgearbeitet zu
haben; c h. ſelbſt kein Bedenken, einzugeſtehen, daß einzelne Theile
er Evangelien einen mythiſchen urſprung, oder aus ſchmückende Zu⸗
ſätze des Referenten verrathen; Beruhigung aber gibt es ihm, daß
Strauß in ſeiner Kritik ſi ch auch der zwei trüben und unſichern Quel⸗
len, der Talmudiſten und Apokryphen bedient habe, denn das ſei
übereilt und unkritiſch, und ſo lange der evangeliſche Text mit ſol⸗ |
cher Willkür behandelt und mit ſo ſtumpfen Waffen angegriffen werde,
könne e 5 7 geſchichtlichen Inhaltes noch nicht ganz verluſtig wer⸗
1
62
den. Er unterſtützt nun ferner dieſe Ueberzeugung noch dadurch, daß
er auf die Undenkbarkeit einer ſolchen Sagenbildung ſelbſt hinweist
und hervorhebt, wie unerklärlich bei dieſer die Begeiſterung der e
Gemeinden, die Entſtehung der Kirche ze. ſeien.
Ferner ſtellt er die auch oben S. 46. 47. mitgetheilten daur
ſätze der dogmatiſchen Anſicht von Strauß zuſammen und macht Ei
wendungen dagegen vom Standpunkte des geſunden Verſtandes aus;
aus jenem Mißbrauch der bibliſchen Begriffe nimmt er aber mit Recht
die beruhigende Betrachtung, daß, da alle philoſophiſche Schulen der
chriſtlichen Zeit und auch die neueſten, ſich fo viel Mühe geben, ihre
Syſteme mit dem poſitiven, geſchichtlichen Chriſtenthum, ihr Wiſſen
mit dem Glauben in Uebereinſtimmung zu bringen, dieß ein rühmliches
Zeugniß von der Wichtigkeit der evangeliſchen Geſchichte ſei, welches
jene wider Wiſſen und Willen ihr geben. Zuletzt erklärt er, daß
Strauß's Mythologie der chriſtlichen Praxis eben ſo, wie der beſon⸗
nenen Exegeſe widerſtreite. — Das Büchlein hat gewiß für Viele be⸗
ruhigende Wirkung, nicht zwar weil es irgend etwas beſonderes und
ausgezeichnetes enthält, ſondern eben nur um ſeiner Art willen, A die
wohl in den weiteſten Kreiſen Anklang findet.
Die zweite hieher gehörige Schrift iſt die von M. F. L. Gelpke,
evangeliſchem Pfarrer zu Wermsdorf mit Hubertsburg:
„Das Unhaltbare der Anſicht des Lebens Jeſu nach
Dr. Strauß, in Beziehung auf das Hauptmoment die⸗
ſes Lebens.“ Grimma 1836. S. 62. Das Büchlein entſtand aus
einer Vorleſung, die der Verfaſſer dem Predigerverein zu Grimma
mittheilte, und durch ſeine Antsbrüder dazu gef dem Druck
3
Es iſt nur zu billigen, wenn nebſt den vielen das Strauß 'ſche
Werk im Ganzen beſprechenden Schriften auch andere, welche einzelne
Punkte desſelben ſorgfältig behandeln, herausgegeben werden; Befon-
ders aber hat eine ſolche Monographie ſchon ihr großes Intereſſe, wenn
ſie, wie die oben genannte, gerade eines der wichtigſten Momente des m
Lebens Jeſu beleuchtet und die zerſtörende Kritik von Strauß widerlegt
Herr Gelpke faßte nun die Auferſtehung Jeſu ins Auge, a
die ja unſer Glaube eitel wäre, und zeigt 1) aus exegetiſchen, 2) aus
pſychologiſchen, 3) aus hiſtoriſchen Gründen und 4) endlich aus 8 einem
logiſch⸗ philoſophiſchen Grunde das Unhaltbare der Anfı cht von Strauß
über dieſelbe. Im Eingang redet er von der Wicht 1 11
ſtehung für den ganzen bibliſchen Glauben, dann davon,
ee
| 63
chen Tod Jeſu annehme, aber die geſchichtliche Wahrheit
we
Auferſtehung Jeſu läugne. Neu fei dieſe Anſicht keineswegs, und
it viel Beleſenheit weist er nun diejenigen nach, die dieſelbe ſchon
2 5 baren der A W e e der n Br
Or. Strauß 115 955 im e eee ü ber die Rea⸗
lität der Auferstehung Jeſu davon aus, daß er ſagt: „Der
Satz: ein? Todter iſt wiederbelebt worden, iſt aus zwei ſo widerſpre⸗
| ſtandtheilen zuſammengeſetzt, daß immer, wenn man den
einen eſthalten will, der andere zu verſchwinden droht. Iſt er wirk⸗
lich wieder zum Leben gekommen, ſo liegt es nahe, zu denken, er
werde nicht ganz todt geweſen fein; war er aber wirklich todt, fo
hält es ſchwer, zu glauben, daß er wieder lebendig geworden ſei.“
Mit Recht macht Gelpke darauf aufmerkſam, daß ſich dieser Satz
alſobald zu dem umgeſtalte: „Atqui Jeſus iſt wirklich todt geweſen,
ergo iſt's unglaublich, daß er wieder auferſtanden ſei.“ Kurz Strauß
läugnet die geſchichtliche Thatſache der Auferſtehung Jeſu, weil fie un:
möglich ſei. Alle Erſcheinungen des Auferſtandenen daher, welche von
Ä den Evangeliſten erzählt werden, find nach ihm bloße Viſionen, Phantome
einer bei den unmittelbaren Schülern durch den gewaltigen Eindruck
| der großartigen Perſönlichkeit Jeſu aufgeregten Einbildungskraft. In
Wahrheit und Tugend nicht anders als in einem Zuſtande der Wer:
klärung denken konnten und den alſo lebhaft Gedachten wirklich zu
fehen glaubten, erzählten ſie dieſe vermeintlichen Erfahrungen als wirk⸗
liche Ereigniſſe wieder, und dieß wurde von Andern unter dem Na⸗
men der Evangeliſten aufgezeichnet. Eine auf dieſe Weiſe gebildete
Vor tellung von der Auferſtehung Jeſu mußte durch die Sage mit
allem Gepränge, welches die jüdiſche Vorſtellungsweiſe bot, umgeben
nd ver errlicht werden; der Hauptzierrath, welcher zu dieſem Behuf
zu 1 Gebote nd, waren Engel, dann Erdbeben, das Fliehen der
Wächter, die aus Hoſea 6, 2 und aus der Jonasgeſchichte genommene
Zi.äeitbeſtimmung des dritten Tages, die Verlegung der Auferſtehung
nach Jeruſalem, welches der glänzendſte Schauplatz und als Sitz
der erſten chriſtlichen Geme inde beſonders zur Lokalität eines ſol⸗
chen Ereigniſſes geeignet war. Sehen wir uns nun nach den exe⸗
getiſchen Gründen um, welche Dr. Strauß für feine Anſicht auf⸗
*
64
ftellt, ſo zeigt ſich daß er dieſelbe beſonders auf 1. Kor. 15, 4. ꝛc.
ſtützt; indem hier Paulus die Erſcheinung Jeſu, die ihm zu Theil ge⸗
worden fei, in Parallele mit den andern in der evangeliſchen Geſchichte
erzählten Erſcheinungen des Auferſtandenen ſetze. Nun aber war die
Erſcheinung, die dem Apoſtel Paulus zu Theil wurde, eine Viſion,
wie Ammon und Eichhorn unwiderleglich bewieſen haben ſollen. Alſo
waren auch die andern Erſcheinungen des Auferſtandenen Viſionen. —
Vorläufig ſtellt Gelpke den in der propositio minor dieſes
Schluſſes angeführten Autoritäten andere entgegen, welche in der Er⸗
ſcheinung, die Paulus hatte, eine objektive Thatſache anerkennen, ſo a
Grotius, Wetſtein, Heß, Niemeyer, Neander ꝛc., ſo daß alſo dieſes |
„Nun aber“ keineswegs außer allem Zweifel liege; darauf zeigt er aber
aus dem bibliſchen Sprachgebrauch, aus dem Zuſammenhange jener Stelle
1 Kor. 15, 4. ꝛc. mit dem Vorhergehenden, aus dem Zweck, zu wel⸗
chem der Apoſtel der Auferſtehung Jeſu und ſeiner Erſcheinungen ge⸗
denkt, aus den wiederholten Berufungen des Apoſtels auf dieſelbe als
einen Beweis für die hohe Perſönlichkeit Jeſu, aus andern Stel⸗
len der heiligen Schrift, wie Luk. 24, 34. 36. Matth. 14, 26. nach
der Regel, daß die Schrift durch die Schrift erklärt werden müſſe —
durch dieß Alles zeigt der Verfaſſer auf klare, bündige Weiſe, daß
in dieſer Stelle des Korintherbriefs von einer objektiven Realität die
Rede, die Straußiſche Erklärung derſelben daher exegetiſch un⸗
haltbar iſt. — Bei den pſychologiſchen Gründen gegen Strauß
macht Gelpke zuerſt darauf aufmerkſam, wie dieſer die Sache ſehr
leicht nehme, indem er die von ihm ſelbſt zugeſtandenen pſychologi⸗
ſchen Schwierigkeiten nur oberflächlich beſeitigt; beſonders aber da-
durch, daß er die wichtigern derſelben gar nicht einmal anführt, alſo
auch nicht widerlegt *). Dieſe weit ſtärkern von Strauß unberückſich⸗
tigt gelaſſenen pſychologiſchen Gründe ſind: Der Umſtand, daß die
Erſcheinungen des Auferſtandenen mehrern Perſonen zu gleicher Zeit
zu Theil geworden ſind, die Verſchiedenheit der Orte und Umſtände,
wo und unter welchen der Auferſtandene erſchien, das eigenthümlich
Anziehende und Würdevolle, zugleich den Umſtänden ſo Angemeſſene
deſſen, was Jeſus bei dieſer oder jener Erſcheinung ſprach, ſo daß
es nur aus dem Munde des Auferſtandenen kommen konnte, die nach⸗
haltigen und anhaltenden Wirkungen der Erſcheinungen des Auferſtan⸗
denen, beſonders der große mis der Jünger Jeſu von der .
S. Blihingers Studſchreiben.
3 0 0 66
ſten Niedergeſchlagenheit bei dem Tode ihres Herrn bis zur höchſten
Be geiſterung für ihn und ſeine Sache, die auffallende Veränderung,
N die nach der Auferſtehung Jeſu ſelbſt bei den Gegnern des Urchri⸗
nthums ſtatt fand. Als hiſtoriſche Gründe gegen die Straußi⸗
che Anſicht werden geltend gemacht: Daß die Erzählung einer außer⸗
ordentlichen, ungewöhnlichen Begebenheit Glaubwürdigkeit hat, wenn
der Referent die Wahrheit ſagen könne und wolle; denn der ärgſte
geſchichtliche Pyrrhonismus müſſe doch den Satz gelten laſſen: wer
die Wahrheit ſagen kann und will, der ſagt ſie gewiß. Beides aber 5 5
finde bei den Evangeliſten im höchſten Grade ſtatt. Hiebei iſt unter
anderm auch bemerkt, wenn man die hiſtoriſche Skepſis ſo treiben
wolle, wie es Dr. Strauß thue, ſo höre überhaupt der hiſtoriſche
Glaube auf; ſo könne man auch, wie der Jeſuit Hardouin, behaup⸗
ten, daß die Schriften ſämmtlicher Kirchen = und Profanſkribenten
mit Ausnahme der Werke des Cicero und weniger Anderer von Mön⸗
chen des 13ten Jahrhunderts verfaßt und untergeſchoben ſeien (eine
Vergleichung, die in mehrern Gegenſchriften ſi ch findet, weil
ſie wirklich ſich zu natürlich ergibt); ſo habe auch der Mann
nichts Lächerliches unternommen, der dem Iſaak Voſſius verſicherte,
er habe ein Werk unter der Feder, worin er mit unumſtößlichen
Gründen zeigen wolle, was in Cäſars commentariis de bello
Gallico vorkomme, grundfalſch und daß Cäſar nie über die Alpen
gegangen ſei. Ferner gewinne die Erzählung einer ungewöhnlichen
Begebenheit der Vorzeit an Glaubwürdigkeit, wenn unverkennbare
Folgen davon noch vorhanden ſind. In dieſer Beziehung ſei nun die
Glaubwürdigkeit der evangeliſchen Erzählung von der Auferſtehung
verbürgt durch das Daſein der chriſtlichen Kirche; außerdem iſt
aber als das zweite noch vorhandene Denkmal, das für die ‚ge:
u. Gewißheit der Auferſtehung Jeſu zeugt, der Sonntag,
der Tag des Herrn hervorgehoben; deſſen Erwähnung Gelpke im
ehe 1 Teſtament (Apoſtelg. 20, 7. 1. Kor. 16, 2. Offenb. Joh.
1, 10.) nachweist, und deſſen Alter er durch Belege aus chriſtlichen
Schriftſtellern erhärtet. Zugleich geht der Verfaſſer noch auf die
Frage ein: warum ſich der Auferſtandene nicht öffentlich den Feinden
zeigte? Befriedigend ſcheint ihm allein die Antwort, daß, wenn Jeſus
öffentlich dem ganzen Volke und ſeinen Gegnern erſchienen wäre, die
ſchrecklichſten Auftritte und Empörungen des von ſeinen Obern ge⸗
täuſchten und nun enttäuſchten Volkes gegen ſeine Vorgeſetzten und
auch gegen die römiſche Obrigkeit herbeigeführt worden wären, was
5
—
66
der weiſe und menſchenfreundliche und die Gründung eines geiſtigen
Meſſiasreichs beabſichtigende Heiland nicht wünſchen konnte. Die
Schwierigkeiten, die ſich bei den Erſcheinungen des Auferſtandenen
ihrer Zeit und ihrer Art nach ergeben, hebt er mit Recht durch die
Annahme der Verklärung des Leibes des auferſtandenen Jeſu. — End⸗
lich gegen die ganze in der Straußiſchen Schrift vorgetragene Anſicht
vom Leben Jeſu, die auf den Satz geſtützt iſt: „Das Göttliche kann
nicht ſo geſchehen ſein, wie die Evangelien erzählen, oder das ſo Ge⸗
ſchehene kann nicht Göttliches geweſen fein‘ — gibt Gelpke als lo⸗
giſch⸗metaphyſiſchen Grund den alten Satz: Cons ervatio mundi
est continuata creatio, indem nämlich ja alles Wirken Gottes auf
die Welt ein unmittelbares iſt. Unmöglich ſei es, zu beweiſen, daß
ein unmittelbares, wunderhaftes Einwirken Gottes in die Menſchen⸗
welt unzuläßig und Gottes unwürdig ſei.
Der Verf. geht bei der Beſtimmung der Wunder über den gewöhnli⸗
chen ſupernaturaliſtiſchen Begriff einer Suſpenſion oder Durchbrechung
der Naturgeſetze hinaus; naht ſich aber durch den auch von den Gegnern
zugegebenen, ja gerade von ihnen feſtgehaltenen Satz, „daß Alles ein
Wunder Gottes ſei,“ zu ſehr dieſen ſelbſt, denn faſt reduzirt ſich das
Wunderbare nach ihm nur auf ein: „ſogenannt wunderbares.“ —
Vollends aber zeigen einige Aeußerungen, wie: „da die menſchliche
Gedankenloſigkeit, die nicht eher in Beziehung auf Gottes Einwirken
in die Welt zur Beſinnung kommt, als wenn etwas Außerordentliches,
Mirakulöſes geſchieht, fo gewöhnlich, fo herrſchend iſt; fo halte ich
es im Volksunterrichte für rathſam, in ſogenannter ſuperna⸗
turaliſtiſcher Weiſe, das iſt, nach bibliſcher Weiſe von der Auferſte⸗
hung Jeſu zu reden;“ und mit Beziehung auf den chriſtlichen Glau⸗
ben überhaupt: „derſelbe muß eine moraliſche Verdienſtlichkeit
haben, welche er nicht haben könnte, wenn die Gegenſtände desſelben
fo einleuchtend wären und zum Fürwahrhalten zwängen als der be—
rühmte geometriſche Satz des Pythagoras;“ — dieſe Aeußerungen
zeigen, daß eben der ſupernaturaliſtiſche Standpunkt dieſer Schrift
nicht ganz der bibliſche iſt, und auch jener an ſich in derſelben nicht
mehr rein gehalten iſt. Um aber die Klarheit und beſonnene Umſicht,
mit welcher die Auferſtehung Jeſu in dieſer gelehrten Abhandlung
beſprochen iſt, zu zeigen, legten wir gerne die 17 en
derſelben vor Augen.
Bemerkenswerth iſt es, daß auch in dieſen beiden Schriften eine
wohlwollendere Anerkennung gegen den Rationalismus, als gegen
67
die ſtrengkirchlicht Giſtnnung ſich zeigt; natü rlich in Grulichs Schrift
mehr noch als in derjenigen von Gelpke. — Der erſtere endet nun die
ſeinige mit der Aeußerung, daß fein Herz mit Hoffnung und Liebe
1 ſich den Herausgebern der Studien und Kritiken zuwende, die mit
Mehren dahin arbeiten, die neue beſonnene Wiſſenſchaft mit
dem alten lebendigen Glauben zu verſöhnen. In dieſe Hoff
nung ſtimmen viele nach der Wahrheit Strebende mit ganzem Herzen
ein, und ein trefflicher Anfang, dieſelbe auch bei der Beurtheilung
des Straußiſchen Werks zu erfüllen, iſt bereits gemacht; doch ehe
wir darauf näher eingehen, werden hier noch ebenfalls gewichtige
Stimmen, „ die außer dieſer Jeitſchrift ſich vernehmen ließen, ange:
führt — Stimmen, die zum Beweis dienen mögen, daß lebendiger
Glaube und Wiſſenſchaft in beſonnener Vereinigung ſich in unſern
Tagen von verſchiedenen Seiten her geltend machen. |
| Kirchlichgeſinnte Theologen.
Mit dieſer Benennung ſoll weder geſagt ſein, daß andere unter
dieſer Klaſſe nicht mitgenannte Theologen nicht auch treu zur Erhal⸗
tung und Fortbildung der proteſtantiſchen Kirche mitwirken, noch daß
die hier genannten unbedingt oder etwa gar knechtiſch dem kirchlichen
Lehrbegriff zugethan ſeien, ſondern dieſe nach unſerm Sinne ehrende
Benennung ſoll nur darauf hindeuten, daß die hier angeführ⸗
| ten Theologen unter Allen, die über Strauß geſchrieben haben,
egen und entſchiedenſten dem alten Kirchenglau⸗
ben zugethan fü ſind. Wir laſſen gerade dieſe Theologen am liebſten
unmittelbar auf die eigentlichen Supernaturaliſten folgen, um deſto
deutlicher vor Augen legen zu können, wie ſie in der Anerkennung
der Göttlichkeit der Offenbarung einig, dennoch aber ſowohl in Be⸗
ziehung auf den Glaubensgehalt als auch in der wiſſenſchaftli⸗
chen Stellung verſchieden ſind. Gewiß können die in dieſem und
auch in den folgenden Abſchnitten geſammelten Stimmen über das
Leben Jeſu ein Zeugniß darüber geben, ob denn jener oben bezeich⸗
5 0 /
68
U
nete Supernaturalismus ein Recht dazu hat, hinſichtlich der Ortho⸗
doren vornehm von „ Zurückgehen ins 17te Jahrhundert“ und von
„bloßer Wo rtorthodoxie“ ) zu reden, ob der Rationalismus dieſe
der myſtiſchen Unklarheit und der im Denken trägen Unwiſſenſchaft:
lichkeit beſchuldigen dürfe. Gerade die hier zu nennenden Repräſen⸗
tanten dieſer ſtrengern Theologie können es ins Licht ſtellen, ob die
ſpekulative Schule mit Wahrheit alle an der objektiven Offenbarung
feſthaltenden Beſtrebungen unter den Supernaturalismus zählen darf,
deſſen rein verſtändige Natur ſich gegen Vernunftgründe und Natur⸗
geſetze unzugänglich gemacht habe und deſſen Lehrbegriff ein hiſtoriſch
abgeſchloſſenes und abſchließendes, den Geiſt in eine längſt erloſchene
Vorzeit bannendes Syſtem ſei; ob auch die Vermittler gerade immer
das Weſen dieſer Orthodoxie treffen, wenn ſie die eigene Anſicht
im Gegenſatz zu dieſer „evangeliſch- freie,“ dieſe alſo „evangeliſch⸗
unfreie“ nennen. Unläugbar iſt zwar, daß alles dieß Angeſchuldigte
bei einzelnen Vertretern dieſer Geſinnung hinlänglich Grund hat; ja
dieſe Theologie ſelbſt iſt es gar nicht in Abrede, daß ihr die Gefahr
einer unrichtigen Einſeitigkeit und Abſchließung nahe liege; aber im
Bewußtſein, daß ſie aus dem lebendigen Glauben hervorgeht, und in
der Geſchichte tief gewurzelt iſt, ſcheut ſie ſich um dieſer Gefahr
willen nicht, ihr Ziel zu verfolgen und den antitheologiſchen Tenden⸗
zen, die nicht minder einſeitig und vorausſetzungsvoll in ihrer Art
ſind, entgegen zu wirken; in der Hoffnung, daß wenn die chriſtliche
Theologie nach Ueberwindung der ihr feindlichen Intereſſen, in ſich
ſelbſt ſich ausbilden könne, dann jene Einſeitigkeit und Abgeſchloſſen⸗
heit, die größtentheils durch den Gegenſatz der Wiſſenſchaft ohne
Glauben hervorgerufen iſt, mit der Kraft des Geiſtes von innen her⸗
aus überwunden werden könne. Ferne davon, ſelbſt irgendwie dieſe in
uebereinſtimmung mit den Symbolen nach allen Seiten hin abgerun⸗
dete dogmatiſche Ueberzeugung theilen zu können, ſcheint uns doch
nichts unwahrer, als ihr blinden Eifer für den Buchſtaben einer vorüber⸗
gegangenen Lehrform anzuſchuldigen; denn fie ehrt wie alle wahre Theo⸗
logie den Buchſtaben der heil. Schrift, weil der Geiſt ſich
in dieſer Form, als der ihm nothwendigen Ausdrucksweiſe
offenbart, ſie ehrt die kirchlichen Symbole, nicht blindlings als
Autorität, der man ſich unbedingt zu ergeben hat, ſondern als Be⸗
kenntniſſe, die wurzelnd im lautern bibliſchen Glauben in der Ge—
*) Grulich.
69
ſchichte unter heißen Kämpfen mit dem Geiſt der Welt ſich ausge⸗
bildet BO und 2 ohne een Te die bisher
— 0 wen Zelgeſt ee, ger e
auf die Theologie wenigſtens entſchieden erklärend: die Wiſſenſchaft
ſei für die Kirche da, ſie benutzt aber alle die reichen Quellen derſelben,
um die Fülle ihres Glaubens zur Anſchauung zu bringen; muß ja
doch ſelbſt Dr. Haſe (Kirchengeſchichte 9. 556.) diefer „Partei“, die
er möglichſt ungünſtig ſchildert, wenigſtens das Zeugniß geben, „fü ie
habe darin eine Bedeutung für die Entwicklung der Kirche, daß ſie
die Halbheit des neuern Supernaturalismus dargethan, für manches
zu raſch Aufgegebene eine neue Unterſuchung gefordert, manche ober⸗
flächliche Beſchränktheit, die ſich unter dem Schilde der Vernunft
breit machte, gerügt!“ Gewiß werden auch die Gegner immer mehr
zugeben müſſen, daß gerade mit dieſer Theologie ein denkendes
Chriſtenthum beſtehen könne. — Dieſe Bemerkungen ſchienen nöthig,
um die Aeußerung von Dr. Strauß Bd. I. S. IV. und V. in ihrer
Oberflächlichkeit und Unbeſtimmtheit, und in der daraus folgenden
Halbwahrheit ins Licht zu ſtellen. Er ſagt nämlich: „Die ſupra⸗
naturaliſtiſche und natürliche Betrachtungsweiſe der Geſchichte Jeſu
ſind veraltet. Die orthodoxe Anſicht von dieſer Geſchichte hat ſich in
der That ſchon früher, als die rationaliſtiſche überlebt gehabt, da
nur, weil die erſtere der fortſchreitenden Bildung nicht mehr genügte,
die letztere ausgebildet wurde; die neuern Verſuche aber, mit Hülfe
einer myſtiſchen Philoſophie ſich wieder in die ſupranaturale An⸗
ſchauungsweiſe unſerer Vorfahren zurückzuverſetzen y verrathen ſchon
durch die geſteigerte Stimmung in welcher ſie ſich halten, daß ſie
letzte, verzweifelte Unternehmungen ſind, das Vergangene gegenwär⸗
tig „ das Undenkbare denkbar zu machen.“ Die Unhaltbarkeit dieſer
Ausſprüche iſt in Hoffmanns Schrift, von der wir unten ſprechen,
ausführlich dargelegt; hier genügt es auf die Verwirrung der Der
griffe hinzuweiſen, indem die Orthodoxie und alle Arten des Su⸗
pernaturalismus als völlig gleich zuſammengeworfen find; die fort⸗
ſchreitende Bildung, das unzuverläßigſte Ding der Welt, als Prüf⸗
ſtein für die innere Wahrheit einer Anſicht an die Hand gegeben,
und der gläubigen Anſicht von Chriſtus aufgebürdet iſt, daß ſie nur
eine übernatürliche Geſchichte in dem Leben Jeſu ſehe, daß ſie das
Undenkbare denkbar machen wolle. Ob übrigens die Reg ſamkeit
70
der neuen chriſtlichen Theologie unſrer Zeit, die ſich nicht
nur in dem von Strauß als Repräſentant derſelben genannten Ols⸗
hauſen zeigt, die letzten Zuckungen eines Sterbenden, oder die
friſche Lebenskraft eines Neubelebten ſeien, dieß werden nun nicht
nur die unmittelbar folgenden, ſondern, wir dürfen es freudig ſagen,
alle von nun an hier angeführten Schriften bis zur Istien: dem un⸗
befangenen klar genug zu zeigen vermögen. :
Zuerſt erwähnen wir hier die eee . —
Standpunkt der Schrift: das Leben Jeſu, kritiſch bear⸗
beitet von Dr. Strauß. Von Dr. Karl Heinrich Sack,
Profeſſor der Theologie in Bonn. 1836. Bonn S. 47.
Der Verfaſſer hat ſchon in ſeiner wenig gekannten, nichts deſto weniger
aber trefflichen Apologetik (1829) ſich gegen die jetzt herrſchende
Geringſchätzung des alten Teſtamentes und gegen die Prinzipien der
Kritik, welche bei demſelben geltend gemacht wurden, kräftig erklärt;
jetzt nun, da die Conſequenz derſelben auch auf das neue Teſtament
ſich erſtreckt, und eine ſolche Umkehrung des wahren Verhältniſſes
des alten und des neuen Teſtamentes, wie ſie in der Straußiſchen
Schrift vor Augen liegt, herbeigeführt hat, muß die Stimme des
Theologen, der gerade dieſes Gebiet zum Hauptgegenſtand ſeiner
Forſchungen ſich gemacht, nicht ohne Bedeutung ſein. Dr. Sack
fordert beſonders die Exegeten auf, durch eine ins Einzelne einge⸗
hende Kritik und Exegeſe das Werk von Strauß zu widerlegen,
denn daß dieß vollſtändig geſchehen koͤnne, davon iſt er durchaus
überzeugt. Er ſelbſt will nur den Standpunkt desſelben beur⸗
theilen, und völlig richtig bemerkt er, daß bei einer mit ſolcher
Conſequenz geſchriebenen Schrift der Standpunkt das Entſcheidende
ſei; denn von dieſem aus kann der weſentliche Gehalt derſelben hin⸗
länglich gewürdigt werden, iſt jener als unrichtig und in ſich bo⸗
denlos erwieſen, fo iſt auch dieſer ſchon charakteriſirt. Dr. Sat will
nun neben der Polemik gegen Strauß überhaupt ſeine theologi⸗
ſche Grundanſicht beſonders vom Verhältniß des alten
zum neuen Teſtamente, welche ſo vielfach ungerecht beurtheilt
worden ſei, klarer und beſtimmter ausfprechen; und da dieſe letztere
Tendenz in dem Schriftchen überwiegt, ſo erhält dasſelbe einen
ſelbſtſtändigen Wiſſenſchaft fördernden Charakter. Es find daher hier
großartige, tief eindringende Anſchauungen über jenen Zuſammen⸗
hang und die gegenſeitige Einheit und Verſchiedenheit des alten
und neuen Teſtamentes ausgeſprochen, ſo daß wir jedem theologiſch
1 71
Gebildeten das Studium dieſes Schriſtchens empfehlen möchten.
Oben iſt geſagt worden, daß ſich die jetzige Theologie wieder dem
alter Teſtament zuwenden werde, und hier haben wir nun ſchon
eine Blüthe dieſer neuen nete die auf ene eee Frucht
offer läßt. W ee a %% e e
Dr. Sack geht von ** gewiß baren Satze aus, daß
ein berechtigter, nicht ſchon in ſich ſelbſt verfehlter Standpunkt einer
kritiſchen Bearbeitung des Lebens Jeſu ein theologiſcher, hiſtoriſcher,
oder philoſophiſcher ſein müſſe. Nun unternimmt er es zu zeigen,
daß „Herr Strauß weder auf einem theologiſchen, noch
einem biſtoriſchen, ui einem v hiloſophiſchen Stand:
engen ſt ehe.“ |
F. 1. Kein eee Standpunkt. Was auf weil:
enſchaftlichem Gebiete der Kirche dienen will, will Theologie fein
oder werden, und ſo will auch eine Kritik eines Theils der Bibel,
welche nicht entſchieden gegen die Begriffe Schrift und Theologie ſich
erklärt, nothwendig in einem gewiſſen Maaße theologiſch ſein. Strauß
macht daher Anſpruch auf den theologiſchen Standpunkt, und ſetzt
den ſeinigen, den mythiſchen, dem ſogenannten ſupernaturaliſtiſchen und
rationaliſtiſchen gegenüber. Dr. Sack beweist nun aber, daß es ei⸗
nen einzig wahrhaft theologiſchen Standpunkt gebe und diesen ſcheine
Strauß nicht einmal zu kennen, nämlich die im guten Sinne alte
Theologie, die immer in der Kirche war, und jetzt nicht weniger les
bendig als jemals iſt, fie iſt die wiſſenſchaftliche, die älteſte und die zu
allen Zeiten von den tüchtigſten Geiſtern aufgeſtellte. Der Verfaſſer
zeigt ausführlich und auf die belehrendſte Weiſe das Weſen dieſer al⸗
ten Theologie, ihren Unterſchied von dem neuern Super⸗
naturalismus, den Begriff des Wunders nach jener im Gee
genſatz zu dem falſchen, der ſi ch in dieſem letztern Syſtem findet,
dann die Grund anſicht von Chriſtus, welche ſich als Kern
und Mittelpunkt durch die ganze Geſchichte der Theologie hindurch⸗
zieht und welche die edelſten der Kirchenväter und Reformatoren und
ihrer Nachfolger gehegt haben, in ſeinem Weſen, als Logos, in ſei⸗
nen Wundern, die er vollbringt und die an ihm geſchehen. „Indem
Gott Wunder thut, heißt es, durchbricht er nicht Geſetze, die er der
Natur gegeben, ſondern er zeigt ſie unſerem durch ſinnliche Wahrneh⸗
N mung und Irreligioſität umhüllten Auge. — Nicht auf das Ueber:
natürliche als ſolches ſieht die wahre theologiſche Geſchichtsanſicht, ſon⸗
dern auf das Lebendig⸗göttliche, das 3 offenbarende im
El
72
Natürlichen wie im Uebernatürlichen, und am meiſten im Zuſammen⸗
ſtimmen von beiden, wie denn ſchon das einzelne Wunder immer nur
ein Ueberwiegen des Uebernatürlichen, aber auch immer eine Baſis
des Natürlichen enthält. — Da das Ganze der Schöpfung, dieſes
eine unermeßliche Wunder, nach der theologiſchen Grundanſicht, die
Quelle aller Naturordnungen iſt: ſo ſind dieſe durch den Begriff
eines lebendig in der Schöpfung wirkenden Gottes innerlich mit den
einzelnen Wundern, in denen dieſer ſich wahrhaft offenbart, harmo⸗
niſch und verſöhnt. — Chriſtus ſteht in der rechten theologiſchen An⸗
ſicht da, als der reale wirkliche Herr von unendlichem Leben, als
wahrhaftiger Gott in der Menſchheit, als ewiger Logos, nicht zu⸗
nächſt wegen ſeiner in den Evangelien erzählten Wunder, ſondern
wegen der durch ſein Wort ſich mittheilenden geiſtlichen Lebenskraft.
Auf der lebendigen geiſtlichen Erfahrung dieſes neuen Lebens beruht
dieſe wahre Theologie. Erſt von dieſer Erfahrung aus wendet ſie
ſich zu einz gen Ausſprüchen Chriſti und der Apoſtel und zu ſeinen
Wundern. es ſteht ihr nicht als urſprünglicher Grund des Glau⸗
bens an Chriſtus da, ſondern als Bewährung und Verſtändigung
über den Grund des Glaubens. Die Wunder Chriſti beweiſen nicht
eher für Chriſtus, als bis er für ſie bewieſen hat; ſie erklären ihn
nur erſt dann, nachdem er ſie erklärt hat. Da Chriſtus nun der
Herr des Lebens iſt, welcher die Macht beſitzt, in unſerm Innern ein
ſchlechthin urſprüngliches göttlichvolles Leben zu ſchaffen, in dieſem
Innern, das vorher durch die Sünde von einem ſolchen Leben, als
wir nun haben, entblößt war: ſo wäre es die äußerſte Inkonſequenz,
ihm nicht zuzutrauen, daß er das auf jedem Fall viel geringere Leben
in der organiſchen Natur hervorzubringen im Stande ſei. Es iſt ein
ſtrenger Schluß a majori ad minus.“ — Dieſe Theologie, ſagt Sack,
werde ſich nicht ſo leichten Kaufs von Herrn Strauß mit der Bemer⸗
kung abfertigen laſſen, daß die Vorausſetzungen der gläubigen Theo⸗
logen unwiſſenſchaftlich ſeien; doch ſei es wahrſcheinlich, daß er dieſelbe
vorzüglich in Betreff ihrer urſprünglich nicht wiſſenſchaftlichen Wurzel
nicht gekannt habe; denn die S. 689 ꝛc. II. des Straußiſchen Wer:
kes in der Schlußabhandlung befindliche Zuſammenſtellung von Stel
len des neuen Teſtaments nach Art der Handbücher der bibliſchen
Theologie, werde man nicht dafür halten wollen; und noch weniger
könne die Darſtellung der Schleiermacher'ſchen Auffaſſung des Lebens
und Werkes Jeſu (S. 710.) für eine ſolche Bekanntſchaft gelten. —
Gewiß mit aller Wahrheit ſagt nun der Verfaſſer am Schluß dieſes
se 2 als e des Shi iſten 7 e ne ae
hingeſtellt nit, be e er darauf be 55 die theologische
N 5 arftigen Endeuck ſeiner übrigen — — ver⸗
| a ne ert. Der Verfaſſer mußte jenes thun, auch wenn er die ſpeku⸗
lative Weltanſicht, welche er S. 729 ꝛc. II. aufſtellt, als den wirk⸗
J lichen Sinn der Lehre Chriſti anſah. Offener und männlicher ſtellten
ſich die engliſchen Naturaliſten als Gegner des Chriſtenthums hin, in
deren Reihe doch Strauß ſich weſentlich ſtellt, weil das Chriſtenthum
eine auch geſchichtlich göttliche Religion ſein will. Durch dieſen
Schein, den Strauß ſich im Anfang und am Ende ſeines Werkes
WR die theologiſche Anſicht weiter zu bilden, wird eine unſelige
Be Br Pen Kane and antitpetagfhen ar bee
ſchein r 9 des Chrikenthum nur aus der inan 8 error
zu verſtehen iſt, was auch Strauß zugibt, da er aus der Vorausſe⸗
tzung, daß die altteſtamentliche Geſchichte mythiſch ſey, die mythiſche
Auffaſſung des neuen Teſtaments rechtfertigt. Abſehend davon, daß
dadurch die große Erſcheinung des Chriſtenthums nur eine literärhi⸗
** - I aa r
ſtoriſche, keine religionsgeſchichtliche würde, geht nun Dr. Sack in
die Widerlegung der Behauptung ein, daß die Geſchichte des alten
Leſtaments mythiſch ſei, und glaubt, daß nach Unterſuchungen, wie
1. dieſeuigen Ranke's über den Pantateuch, Keils und Movers über die
hronik und nach dem Gang der übrigen Alterthumsforſchung Vaters
und de Wette's mythiſche Anſicht des alten Teſtamens immer zweifel⸗
1 hafter werde. Er macht darauf aufmerkſam, wie Strauß, der ſeinen
Gegnern das Berufen auf Autoritäten ſo oft zum Vorwurf macht,
ſich bei ſeiner Vorausſetzung, die Geſchichte des alten Teſtaments
müſſe mythiſch aufgefaßt werden, auf Autoritäten (Vater und de Wette)
berufe, die leicht auf ſchwächern Füßen ſtehen möchten, als diejenigen,
auf welche ſich ſeine Gegner berufen. Gegen jene Vorausſetzung wird
nun von dem Verfaſſer aus der Göttlichkeit der altteſtament⸗
lichen Geſchichte gezeigt, daß dieſelbe keinen Anknüpfungspunkt
u für eine mythiſche Geſchichte gebe. Dieſe Göttlichkeit iſt nun mit
8 gedankenreichen Zügen in Bezug auf die drei Stufen jener Geſchichte
durgetsan, welche wiederum unter ſich in einem zugleich We
THE
x
7⁴
und offenbarenden Zuſammenhange ſtehen: Verheißung, Geſetz,
Prophetie. Nachdem aus der Charakteriſtik dieſer drei Glieder
des alten Teſtaments der negative Beweis geliefert worden, daß
im alten Teſtamente nichts enthalten ſei, was zur An⸗
nahme eines mythiſchen Charakters des neuen Teſta⸗
ments nöthigt, ſo geht der Verfaſſer auf den Geſichtspunkt ein,
von dem der hiſtoriſche Charakter der evangeliſchen Geſchichte poſitiv
ſich anknüpft an das Hiſtoriſch⸗göttliche des alten Teſtaments. Die⸗
ſer hiſtoriſche Zuſammenhang beider Teſtamente iſt der
Natur der Sache nach kein blos hiſtoriſcher, ſondern ein theologiſch⸗
hiſtoriſcher. Er führt nun die Grundgedanken weiter aus: „Die
Sendung des Sohnes Gottes durch „Jehova“ wird auch von gläu⸗
bigen Theologen einſeitig aufgefaßt; fo oft Chriſtus von feiner Sen:
dung ſpricht, ſchreibt er ſie „Gott“ oder dem „Vater“ zu. Und
wenn eine Reihe von Stellen dieſen Gedanken ausſpricht, ſo gibt es
eine andere, damit parallel laufende und wohl vereinbare Reihe, welche
den Gedanken feſthält: „Sehet, ich bin da, ich bin gekommen,
ich Jehova.“ Joh. 12, 41. 10, 11. 14. 14, 6. 6, 62. ic.
Daß Jehova Chriſtus iſt, folgt alſo eben fo nothwendig aus dem
Satz, daß Chriſtus der Logos iſt (F. 1.), als aus der richtig ange⸗
ſchauten Geſchichte Israels.“ Die Verhältniſſe der göttlichen Oeko⸗ |
nomie und beſonders die Uebereinſtimmung der altteſtamentlichen Weiß⸗ a
fagungen find nun noch ame dieſer Identität Jehova's und Jeſu
Chriſti dargelegt.
§. 3. Kein philoſophiſcher Standpunkt. Wollte Dr.
Strauß für ſeine kritiſche Bearbeitung des Lebens Jeſu auch nur die—
ſen gelten laſſen, ſo müßte er in derſelben (um ſie nur von dieſem Ge⸗
ſichtspunkte aus zu beurtheilen), vorzüglich klare Begrif f e über
Religionsüberlieferung und Mythus, über Kirche und
Kirchenglauben geben. Vergebens ſieht man ſich aber in der
Straußiſchen Schrift nach dieſen Begriffen, vorzüglich nach dem des
Mythus, um, denn die (S. 75.) gegebene Erklärung desſelben:
„neuteſtamentliche Mythen find nichts Andres, als geſchichtartige
Einkleidungen urchriſtlicher Ideen, gebildet in der abſichtslos bilden⸗
den Sage,“ iſt zu unentwickelt, und die Merkmale des Mythus, die
fi) aus dem Verlauf der Unterſuchungen bei Strauß ergeben, find
in ſich ſelbſt nicht übereinſtimmend; denn zuweilen iſt es edle Simpli⸗
cität, was dem evangeliſchen Mythus zugeſchrieben wird; zuweilen
wird eine recht künſtliche Zuſammenſtellung des Schriftf
em Bi eee. von Mythus ee ki na. Di
nun denſelben, und gibt als Reſultat, daß der Mythus ein Element
gang dieſer Religionen aus der Periode ihrer unmittelbaren Ver⸗
knüpfung mit bürgerlichen und häuslichen Heiligthümern in das wiſ⸗
ſenſchaftliche Selbſtbewußtſein eines Volkes bezeichnet. Der Mono⸗
theismus, nicht der abſtrakte, ſondern der lebendige, der in der Ein⸗
heit die Vermittlung mit der geſchaffenen und gefallenen Welt aner⸗
kennt, duldet den Mythus als Element und Ausdruck ſeiner ſelbſt
* ſchlechthin nicht; und wenn dieſer ſich um denſelben gleichſam herum⸗
1 legt, ſo wird er theoſophiſche Geheimlehre, wie in der Kabbala, oder
Fabel, wie im Talmud, in den Apokryphen und zum Theil in den
Legenden; nie aber wurde er in die chriſtlichen Glaubens gegenſtände
aufgenommen, ſondern von der Gemeinde ſtets ausgeſchieden. Aus
der Geſchichte zeigt der Verfaſſer, wie der erſte Glaube an den auf⸗
erſtandenen und aufgefahrenen Jeſus — ein Glaube, der auch ohne
die Evangelien durch die Apoſtelgeſchichte, ja durch die gleichzeitige
Welt- und älteſte Kirchengeſchichte gewiß iſt — monotheiſtiſch mäch⸗
tig die Mythenbildung ausgeſchloſſen habe. Intereſſant iſt es, wie
a: Sack den ſo nahe liegenden, und doch, ſo viel wir uns erinnern,
einer andern Gegenſchrift berührten innern Widerſpruch
— der ſpekulativen Religionslehre und der my⸗
thiſchen Auffaſſung der Evangelien darlegt; denn dieſe ſoge⸗
nannten Mythen im neuen Teſtament ſchicken ſich für jene Religionslehre
(ſiehe oben S. 46. 47.), welche doch die Summe der in den evan⸗
geliſchen Erzählungen liegenden Ideen enthalten ſoll, ganz und gar
nicht, das Daſein der Sünde, als eines verſchuldeten Gegen⸗ 2
ſatzes gegen Gott in den Menſchen und das Daſein des Hei⸗
landes, der kein Sünder wie wir iſt, das iſt mitten in jenen for
genannten Mythen mächtig vorhanden, und dieſe beiden Punkte ſind
s, die bei dem Verfaſſer keinen Raum haben. Die Unzuläßigkeit
| der Annahme endlich, daß die chriſtliche Kirche den Mythus, wofern
er dennoch früh in ihr erzeugt worden wäre, als hiſtoriſch aufge⸗
nommen und ſortgepflanzt habe, erweist der Verfaſſer einmal daraus, .
der polytheiſtiſchen Religionen ſei und zwar fo, daß er den Ueber⸗
76
daß die erſte Kirche kein poetiſch⸗ volksthümliches Leben in ſich trug,
und daß der Geiſt der Wahrhaftigkeit in derſelben vorherrſchend
war. — Dieſer Abriß der Sack'ſchen Schrift wird genügend ſein,
um deren Eigenthümlichkeit ſowohl an ſich als in ihrer Beziehung
auf das Leben Jeſu von Strauß ins Licht zu want, und auf die:
f elbe aufmerkſam zu machen. —
Mit vorherrſchend polemiſchem Charakter, nichts deſto ige mer
eine der beſten Schriften, die über Strauß erſchienen, iſt
diejenige von Dr. A. Harleß, Profeſſor in Erlangen ): „Die
kritiſche Bearbeitung des Lebens Jeſu von Dr. Strauß
nach ihrem wiſſenſchaftlichen Werthe beleuchtet.“ Er⸗
langen. Heyder 1836. S. 126. Mit derſelben jugendlichen Kraft,
mit der Strauß ſeinen Angriff auf die Evangelien macht, greift Har⸗
leß hinwieder die Kritik desſelben an. Er ſcheut ſich nicht, eben ſo
unumwunden und rückſichtslos, wie jener zum Unglauben, ſich zum
evangeliſchen Glauben zu bekennen; wie jener eifert gegen die Vor⸗
ausſetzungen der gläubigen Theologen, ſo dieſer gegen die Willkür⸗
lichkeiten der ſich wiſſenſchaftlich nennenden Kritik unſerer Tage. Es
wird nun zwar denen, welche gründliche Wiſſenſchaftlichkeit mit
ſchlichtem Bibelglauben unvereinbar halten, ein innerer Widerſpruch
ſcheinen, wenn der orthodoxe Harleß nicht nur im Namen des ein⸗
fachen Chriſtenglaubens, ſondern zunächſt der Wiſſenſchaft gegen das
Werk aufſteht, deſſen wiſſenſchaftlicher Ruhm ganz Deutſchland durch⸗
zog; aber dieſes Vorurtheil der Aufklärung mag nun auf ſich beru⸗
hen und zuſammenfallen; Harleß hingegen iſt ſich bewußt, die wife
ſenſchaftliche Theologie zu erſtreben und erkennt feinem Geg⸗
ner und überhaupt den von den Anſichten der neuern Bildung aus⸗
gehenden Beſtrebungen in der Theologie jenen hohen Ruhm der wahren
Wiſſenſchaft nicht zu. Er ſagt: „Mit dem Scheine der Wiſ⸗
ſenſchaft kleidet die Welt jetzt ihre Heiligen, und mit ihm ſich
anthun, iſt die Aufgabe der Weltheiligen, die nach Vergötterung
trachten. Und wo die chriſtliche Erkenntniß, noch nicht ihrer ſelbſt
gewiß, ſich verlegen nach Stützen unter den Wortführern des Tages
und den Helden der öffentlichen Meinung umſieht, da begegnet es
ihr oft, daß ihr ein ſolcher Weltheiliger mit ſeinem Scheine von
he mee e e und ihr die Sinne verwirrt. Dem
"ER ö SEN?
9 ) Bekannt durch die Diſſertation: de revelatione et fide. 1830
und durch den gelehrten Kommentar zum Epheſerbrief. 1834.
1
ziehe Aan den Schein ab. Die Nacktheit, die dann in die Augen
feu, kann wenigſtens den nicht reizen, der, ſey dee mit dem
Rande der aug . von dem ane Tranke des Evangeliums
koſtet hat. 4 a. ui
Auch diefe Schrift wil, wie die vorige, nicht die Br
der Straußiſchen Kritik als unhiſtoriſch angegriffenen Stellen der
Evangelien ſicher ſtellen, ſondern auch nur die unwiſſenſchaftliche
Baſis dieſes Werkes nachweiſen; doch prüfte Harleß nicht von den
vielſeitigen Geſichtspunkten aus, wie Dr. Sack, ſondern geht mit
concentrirter Kraft nur allein darauf aus, das kritif che Verfah⸗
ren von Strauß, als ſolches, in ſeiner Willkür und Unwiſſenſchaft⸗
lichkeit zu enthüllen. Geringe Bedeutung legt er in der Vorrede
* dem Buche von Strauß bei, feinem wahrhaften Werthe nach, unge:
achtet dasſelbe in unſerer Zeit ſehr große Wirkung haben möge.
2
Er freut ſich aber desſelben, in fo fern wir jetzt offen ſehen, was
lange im Hintergrunde lauerte, und das früher verſteckte Jiel betre⸗
tener und beſuchter Wege deutlich vor unſern Augen liege. Es
würde unſere Schuld ſein, wenn wir jetzt noch blind blieben. Weil
das Straußiſche Werk bei Vielen Gegenſtand der Nachfrage, ja ſelbſt
eifriger Beſchäftigung wurde, für die es eigentlich nicht geſchrieben
iſt, ſo will Harleß dieſe Gegenſchrift herausgeben, die „den Wohlge⸗
ſinnten unter den Gebildeten gelten ſoll, denen es etwa bei dem
Ruhme der Macht des eh um die Sache des Evangeliums hat
bange werden wollen.“
I ie Schrift zerfällt in drei Abſchnitte: 1. Die Hanuta:
figen Verſicherungen; 2. die Reſultate der Fettes
3. die kritiſchen Prinzipien und Argumente.
Im erſten Abſchnitt werden alſo die vorläufigen Verſcherungen
este die Pere Strauß in der Einleitung als wohlbegründete
Prämiſſen und nothwendige Entwicklung gibt. Im Eingang macht
Harleß darauf aufmerkſam, daß der Verfaſſer des Lebens Jeſu die
Wahrheit ſeiner Anſicht nicht an dem fraglichen Objekte, an
der Beſchaffenheit der Evangelien ſelbſt, ſondern an der Wider⸗
legung dag Meinungen Anderer über dasſelbe, der natürli⸗
chen und ſupernaturalen Auffaſſung erhärte, von denen er als Re⸗
präſentant der erſtern Dr. Paulus, als den der zweiten Dr. Olshau⸗
fen betrachtet. Unbeſtreitbar iſt es, „daß dadurch eine Anſicht ſich
noch nicht wiſſenſchaftlich gerechtfertigt, wenn ſie zwei andere gäng
und gäbe Anſi chten, die ebenſo auch Irrthümer ſein können, zu wi⸗
18
derlegen vermag!“ Stellen wir dieſe Bemerkung mit der weitern
Ausführung desſelben Punktes in den „Bemerkungen“ des Dr.
Sack zuſammen, ſo möchte wohl gerade hiemit einer der weſentlichſten
Mängel der Strauß'ſchen Unterſuchungen bezeichnet ſein, der ihnen
allerdings den Ruhm der gründlichen Wiſſenſchaftlichkeit ſtreitig
macht. — Wenn Strauß nun auch das abgeſchmackte und die Grund⸗
ſätze der Exegeſe mißachtende Mittel der natürlichen Erklärung
mit dem ſcheinbarern der mythiſchen vertauſcht, wodurch er die
grammatiſche Auslegung zu verletzen nicht verſucht wird, ſo ſteht er
doch nach Harleß nicht zwiſchen Rationalismus und der Orthodoxie,
ſondern iſt eigentlich mit jenem gegen dieſe verbunden. Die ſo⸗
genannte wiſſenſchaftliche Fortbewegung, deren ſich Strauß rühme,
ſei nur Ablegung der Zaghaftigfeit des alten Rationalismus und die
Spitze desſelben; mit diefen ſei fi ie nur im quantum, nicht im anne
verſchieden *).
Die Nothwendigkeit der Entſtehung des utthfchen
Standpunktes bei der Auslegung der heiligen Geſchich⸗
ten begründet Strauß durch die Erfahrung, daß: „wo immer
eine auf ſchriftliche Denkmale ſich ſtützende Religion in weitern Raum⸗
und Zeitgebieten ſich geltend mache, und ihre Bekenner durch man⸗
nigfaltige und immer höher ſteigende Entwickelungsſtufen begleitet,
ſich früher oder ſpäter eine Differenz hervorthue zwiſchen Geiſt und Form
jener alten Urkunden und zwiſchen der neuern Bildung derer, welche
an dieſelben als an heilige Bücher gewieſen ſind. Dieſe Differenz
tritt bald ſelbſt an den weſentlichen Inhalt heran und es wollen auch
die Ideen und Grundanſichten ſolcher Bücher der fortgeſchrittenen Bil⸗
dung nicht mehr genügen. Ein Hauptbeſtandtheil aller Religionsur⸗
kunden iſt heilige Geſchichte, ein Geſchehen, in welchem das Gött⸗
liche unvermittelt in das Menſchliche hereintritt, die Ideen unmittel⸗
bar ſich verkörpert zeigen. Wie aber Bildung überhaupt Vermitt⸗
lung iſt, ſo wird die fortſchreitende Bildung der Völker auch der
Vermittelungen immer deutlicher ſich bewußt, welche die Idee zu ihrer
Verwirklichung bedarf, und ſo erſcheint jene Differenz der neuen Bil⸗
dung und der alten Religionsurkunden in Bezug auf deren geſchicht⸗
artigen Theil namentlich ſo, daß jenes unmittelbare Eingrei⸗
5 des Wen in 1 e ſeine Wahrſcheinlichkeit ver⸗
*) Siehe oben die damit Übereinſtimmenden Urtheile von Leo, Klug,
Sack, ſelbſt von Bauer und unten von Müller c.
79
5 * 5 1. 2.) en gibt nun ſeine 2 als das Produkt
. 15 3 an das Wert der untersuchung eines , Objette von dem
Zeitgeſchmack geleitet geht und nach dieſem den fraglichen Gegenſtar
kektifizirt. In unſrer Zeit liege nun einmal der Degout an der hei⸗
ligen Schrift; wo nun in der Geſchichte eine Auslegungsweiſe aus
dem Widerwillen an einer Schrift entſtand, da ſei ſie, wenn auch
nicht ohne Witz, doch überall ohne Wahrheit und darum unbrauchbar
geweſen. Der Degont eines ſpätern Geſchmackes gegen Aelteres kommt
begreiflich nie zur Einſicht des Alten, ſo wenig als die Perükenzeit
die mittelalterlichen Troubadours oder einen Shakespeare verſtand. In
obig ger Stelle ſei auch noch das unwiſſenſchaftliche Kunſtſtück,
daß die Geſchichte ſogleich zum Scheine des wirklichen Geſchehen⸗
ſeins gemacht wird, ſo daß die ganze Argumentation damit beginnt,
mittelſt einer petitio principii der Bildung das Recht zu ſichern,
dieſe Geſchichte als ſcheinbare Geſchichte behandeln zu dürfen. Auf
die mannigfaltigſte Weiſe iſt nun ferner von Harleß die Unhalt⸗
barkeit der in der obigen Stelle ausgeſprochenen Anſicht nachge⸗
wieſen, in welcher er übrigens nichts als den alten rationaliſtiſchen
Satz findet: „es gebe in der Weltgeſchichte keine Thaten Gottes,
ſondern nur Thaten der Menſchen“, freilich mit dem, dem Herrn
Strauß eigenthümlichen Grunde: „weil die Menſchengeſchichte micht
anders fei, als die Entwicklungsgeſchichte Gottes!“ -
unwiſſ enſchaftlich ſei es ferner, daß ohne weitere Beweis-
hrung der Identität der Verhältniſſe die Umdeutungen der griechi⸗
fi en Mythen durch die Philoſophen gebraucht werden, um die Noth⸗
wendigkeit eines mythiſchen Standpunktes für die Auffaſſung der hei⸗
ligen Geſchichte des neuen Teſtaments zu erhärten. — Gewiß iſt hie⸗
mit vom Verfaſſer eine jener Vorausſetzungen richtig bezeichnet, für
die der Vorausſetzungsloſe den Beweis ſchuldig blieb, indem er heid⸗
niſche und chriſtliche Religionen ganz auf eben denſelben Standpunkt
der Natürlichkeit ſtell. *) Auffallend ſei es nun ferner, daß Strauß
er Geſchichte der Geneſis ſeiner Anſicht eine nicht geringere Lücke
läßt, als die von Origenes im Anfang des Item Jahrhunderts bis
zu den Naturaliſten des Arten und 18ten Jahrhunderts. Erſtaunen
dend aber, daß er feinen neu eſten eee als einen nu
| x) Siehe das Sendſchreiben v von Prof. Weiße oben S.
80
wendigen aufbaut aus der Konfuſion des Origenes über die
Verſchiedenheit der Offen barungsſtufen und der Feindſchaft wi⸗
der das Chriſtent hum, wie ſie ſich in Porphyrius, Celſus, Ju⸗
lian und den Naturaliſten zeigt! Daß das immer allgemeiner und
erfolgreicher betriebene mythiſche Studium auch auf die Anſicht von
der bibliſchen Geſchichte feinen Einfluß äußerte, worauf ſich Strauß
beruft, darin findet Harleß eines jener vielen Skandale, an welchen
die Geſchichte der modernen Theologie ſo reich iſt. „Und das iſt kein
Wunder, fährt er fort, dieſe Theologie in einem treffenden Bilde be⸗
ſchreibend, denn ſie iſt wie eine Perſon, die im eigenen Hauſe keinen
Frieden und Genuß hat, und darum auf die Gaſſen geht, wo die
andern Gewerbe handthieren. Wo ſie irgend Geklatſch hörte, oder
eine Erfindung eines andern Gewerbes ſah, ging ſie heim und brachte
es im eigenen Haus ſchlecht und übel an, ſo daß ſie um des immer
erneuten Unfriedens willen beſtändig auf den Beinen iſt und im eigenen
Hauſe keinen Beſcheid mehr weiß.“ — Bekanntlich geſteht Strauß un⸗
befangen zu, daß die mythiſche Betrachtungsweiſe das Intereſſe
habe, die Abfaſſungszeit der Urkunden fo ferne als möglich von den
Begebenheiten zu ſetzen. Er ſtützt ſich daher auf die von Vater und
de Wette geübte Kritik, über welche Harleß unter anderm bemerkt:
„der Gedanke an die Unerſchütterlichkeit derſelben könne uns wenig
ſtens nicht beunruhigen.“ — Wir ſahen oben, daß Dr. Sack dieſelbe
Ueberzeugung ausſprach, zwar mit Berufung auf die künftigen, jedoch
nahen Forſchungen, die dieß erweiſen werden; Harleß aber zeigt uns
die Haltloſigkeit jener Kritik noch näher ſchon aus de Wette's Schrif⸗
ten ſelbſt ſie darthuend: „Denn wenn de Wette's Beweisführung,
daß die altteſtamentlichen Erzählungen nicht von Augenzeugen herz
rühren können, in der erſten Auflage der Einleitung ins alte Teſta⸗
ment S. 167 mit den Worten beginnt: „Wenn es für den gebilde⸗
ten Verſtand entſchieden iſt, daß ſolche Wunder nicht wirklich ge⸗
ſchehen ſind“, ſo heißt es doch ſchon dagegen in der vierten Auf-
lage S. 183: Wenn es für den gebildeten Verſtand wenigſtens
zweifelhaft iſt, daß ſolche Wunder geſchehen ſind.“ So verrin⸗
gern ſich ja ſelbſt der Bildung, auf die ſich Herr eg: a } n
mälig die Bedenklichkeiten.“ — M
HBeſonders aber iſt das unwiſſenſchaftlicht des Strauß chen
Skepticismus in deſſen Abfertigung der äußern Argu⸗
mente für die Aechtheit der evangeliſchen Geſchichtſchreiber nach:
gewieſen. Nach ſolchen Grnndſätzen wäre kein einziger Autor des klaſſi⸗
\
81
ſchen Alterthums mehr als ächt zu W Von der gehen philologi⸗
chen Kritik ſollte die theologiſche lernen, denn in jener beſchränke
der ehedem beliebten Argumentation aus innern Gründen das
Recht der Geltung immer mehr. Freilich ſei es ſchwer zu glauben,
daß Strauß nicht einſehen ſollte, wie einem unhiſtoriſchen und fomit
N
unwiſſenſchaftlichen Skepticismus der Art auch nicht einmal eine
protokollariſche Verſicherung genügen könne.
Cs drängen ſich nun noch in dieſem Abſchnitte bedeutungsvolle N
Winke beſonders auch über die Möglichkeit einer chriſtlichen
Mythologie, über den Charakter derer, welche Sagen nicht
als Sagen, ſondern ganz in Form hiſtoriſcher Fakta
behandeln! Unter Anderm erwähnt der Verfaſſer, daß Strauß
keine Gründe angebe, die uns zur Annahme mythiſcher, oft leiden⸗
ſchaftlich erregter poetiſcher Dichtungen zwingen da, wo wir, wie in
den Evangelien „heilige und heiligende Wahrheit, tiefe Erkenntniß
des menſchlichen Herzens und göttlichen Willens ſehen, nüchterne
Zertrümmerung menſchlicher Vorurtheile und gerade ſolcher, die Je⸗
dem am nächſten und liebſten ſind, daneben die höchſte Ruhe der
Darſtellung. Die Summe dieſes Abſchnittes iſt, daß Strauß
beſſer gethan hätte, ſeine ganze Einleitung wegzulaſſen oder erſt am
Ende des Buches nachzubringen. Aus ihr ſelbſt wenigſtens wird
nicht im Geringſten klar, aus welchen vernünftigen Gründen man
ſich für die Erklärung der heiligen e Außen einen eite
Standpunkt; “ zu ſtellen habe.
Im zweiten Abſ chnitte lernen wir die Reſultate der Strau⸗
ßiſchen Kritik kennen, nämlich die Aus einanderſetzung, wie man ſich
die Entſtehung der ae ans evangeliſchen Mythen zu denken habe.
Um die ſubjektive Kritik, die mit wenig Witz und Phantaſie unglaub⸗
* viel, Blendendes geleiſtet habe, und doch Anſpruch mache auf ob⸗
ektiven, hiſtoriſch⸗kritiſchen, und wiſſenſchaftlichen Werth ins
Licht zu ſtellen, erwähnt Harleß, daß Strauß mit gleicher Beweis,
art, mit gleichem Scharfſinn und unzweifelhaft mit gleichem Rechte
wie Schleiermacher, Schulz, Sieffert, Schneckenburger, Uſteri im:
mer auf Koſten des einen Evangeliſten die Glaubwür⸗
digkeit eines andern erhebt; nur eben ſo, daß er gar oft den
von jenen verworfenen Bericht für den getreu ern erklärt! —
Mit großer Gewandtheit und mit einem Geiſt, der es ungeachtet .
ganz anderer Prinzipien doch verſteht, in den Sinn der Bildung
und Schule, deren Jünger Strauß iſt, einzugehen und ihn von da
6
82
aus zu prüfen, charakteriſtrt nun Harleß den Verfaſſer des Lebens
Jeſu nach ſeinem Werke. Er hält ihn einerſeits für berechtigt
zu ſolchen Unterſuchungen, weil er auf der Baſis der neueſten theo⸗
logiſchen Kritik ſtehe, anderſeits aber darum fuͤr nicht daz u b er
fähigt, weil er nicht zu wiſſen ſcheine, was Dichtungen ſind,
und doch ſoviel von der abſichtslos dichtenden Sage und von der
urchriſtlichen Phantaſt e rede. Geſchichtlichen Sinn habe Strauß
nicht, da er eine Zeit der erſten Erregung dichteriſcher Begeiſterung
ganz wie eine erſtorbene rabbiniſche Periode behandelt. Bildung
ſcheint Hrn. Strauß nicht eigen, wenn anders das Wort wahr iſt,
das ein Repräſentant der neuen Bildung ausſpricht: „Es gibt eine
zarte Empierie, die ſich mit dem Gegenſtande innigſt identiſch macht,
und dadurch zur eigentlichen Theorie wird. Dieſe Steigerung des
geiſtigen Vermögens hört einer hoͤchgebildeten Zeit an;“ denn wahr-
lich nichts weniger kann Strauß als ſich mit dem Gegenſtand innigſt
identiſch machen, weil er dem urſprünglichen Chriſtenthum ſich ſchroff
entgegen ſetzt und hinwieder dasſelbe nach den modernſten
Zeitbegriffen behandelt. Es fehlt ihm an richtigem Geſch ck,
da er das Geſchmacksurtheil ganzer Geſchlechter und der größten
Männer für eine Sottiſe erklärt, indem er die ſonſt für weſentlich
verſchieden gehaltenen apokryphiſchen und kanoniſchen Evangelien ein⸗
ander gleich ſetzt, und auch dieſe letztern zu geckenhaften und wider
lichen Darſtellungen macht, wie jene wirklich ſind. Strauß dreht
den Satz des Evangeliums: „weil dies und dies geſchehen iſt, ſo
iſt dieſe und jene Schriftſtelle erfüllt“ um und ſagt: „weil dieſe
und jene Stelle eitirt iſt! iſt dieſe Erzählung nach ihr erfunden wor⸗
den.“ Wiſſenſchaft kann das nicht heißen, ſondern darauf paßt
das Dichterwort: „So wird aus Gurkenſalat wirklich der Eſſig ge⸗
macht.“ Wiſſenſchaft kann eine Kritik nicht ſein, die da lehrt, wie
die von Strauß: Iſt etwas fo individualiſirt, ſo anſchaulich erzählt,
ſo paſſend zu Zeit, Ort und Sitte dargeſtellt, daß man glaubt,
den Augenzeugen nicht verkennen zu können, fo iſts ſagen hafte
Aus ſchmückung, und iſt irgend etwas ſo geheimnißvoll, ſo wun⸗
derhaft und übermenſchlich, daß man glaubte, es hätte in keines
Menſchen Sinn kommen können, wenn es nicht trotz dem menſch⸗
liche Augen geſchaut und menſchliche Hände fete hatten, 0 iſts a
ſagenhafte Aus ſchm ückung. | 1
Den Hauptinhalt dieſes Ab ſchnittes (S. 32-74) bildet
nun aber eine treffliche Zuſammenſtellung der weſentlichen Haupt⸗
a
83
punkte, welche ſich aus der gut von Strauß egen. Faſt
dur zügig mit eigenen Worten des Seititen mb bir dieſe Re:
ſultate über die einzelnen Momente des Lebens Jeſu vom Anfang
bis zum Schluß desſelben in ihrer Entſetzen erregenden Nacktheit
N dargelegt, ſo daß wer nicht gerade Zeit hat, dieſe durch das Leſen
des voluminöſen Werks ſelbſt kennen zu lernen, hier einen treuen
Auszug findet. Dieſe „Aufzählung der befremdlichſten Reſultate“
ſcheint Herr Strauß nach der Vorrede zur zweiten Ausgabe nicht gerne
zu ſehen; wahrſcheinlich weil er dieſe wahre Geſtalt ſeiner Kritik
bei aller ſonſtigen Offenheit doch nicht gerne fo enthüllt ſieht. Ge⸗
troſt kann man allerdings gerade nach dieſem Abſchnitte in Harleß's
Worte (Vorrede V.) einſtimmen: Wer ſi ſich durch ſolches verführen
laſſen will, der laſſe ſich verführen! Und mehr noch: wer von ſolchen
leußerungen verführt wird, dem iſt überhaupt nicht zu helfen.“ —
Aus dieſer Relation zeigt ſi 9 daß „Herr Strauß nun eben nichts
anders gibt als eine kleine natürliche Geſchichte des großen Prophe⸗
ten von Nazareth, en miniature, wie fie der von Strauß fo uner⸗
bittlich ſtreng behandelte Herr Paulus im Großen gab.“ — Die
ganze Entwicklung der Kirche, die in den evangeliſchen Erzählun⸗
gen einen unerſchöpflichen Schatz göttlicher Offenbarung findet, löst
ſich darnach „in die Mifere einer albernen Anbetung von Geſchichten
auf, die als Geſchichte gedacht, ſtatt ER. und heilig au on „ ſich
als abgeſchmackt erweiſen.“ —
Der wichtigſte Ab ſchnitt diefer inhaltsreichen Schrift iſt nun
aber der dritte, der die Fragen beantwortet: von welchen kriti⸗
ſchen Grundſätzen geleitet kam Strauß zu dieſen Reſultaten ? und
welches ſind ſeine Beweiſe für die Richtigkeit ſeiner Grundſätze? —
Hier ſind nun in friſcher grbahtaneeiher Darſtellung und mit Scharf:
ſinn alle die Vorausſetzungen, — allerdings keine religiöſen und
ſchlich⸗ dogmatiſchen, aber irreligiöſe und philoſophiſch⸗dogmatiſche —
Er sun den Verfaſſer des Lebens Jeſu bei feinen Unterſuchungen
eherrſchten. Schon um nur Raum zur Sagenbildung zu gewinnen,
I derſebe den Satz behaupten, un keines 8 benen
lien von einem A {
rühre. Strauß ſagt gerade, diese Re ſei der engt kri⸗
tiſche Standpunkt. „Was für ein Begriff von Kritik! Wiſſenſchaft⸗
llicher wäre geweſen, der hiſtoriſchen Kritik ihr Recht zu Yaffen und
wenn Strauß nun doch Mythen haben wollte, die hiſtoriſche Unzu⸗
verläßigkeit der Augen: und Ohrenzeugen u 6rSaupte, da ſie uns
4 6 *
81
Fabeln und Viſionen in der Form wahrhafter Begebenheiten über⸗
liefern.“ Auf Vor aus ſetzungen beruhe ferner die Behauptung,
daß Jeſus nicht viel über jüdiſche Volksvorſtellungen binausgekom⸗
men ſei. Als Hintergrund der Urtheile über die Angemeſſenheit oder
Unangemeffenheit eines Vorfalls zeige ſich immer ein dog mati⸗
ſches Vorurtheil, fo bei den Engelerſcheinungen, bei der Menſch⸗
werdung Chriſti, bei den Wundern. Mit den beiden Axiomen: „Eine
ſolche Thatſache iſt unmöglich und ein ſolches Weſen, Werk iſt um:
denkbar“ geht Strauß an die Prüfung der natürlich ſchon vor aller
Prüfung und Erörterung abgemachten Sache! Differenzen auf⸗
zufinden nennt dieſe Kritik allein Wiſſenſchaftlichkeit und die bor⸗
nirte Art, beim geringſten Widerſtand jedes Verſuchs der Ausglei⸗
chung ſich zu begeben, erklärt ſie einzig für Weisheit. Hiezu treibe
fie aber die Abneigung gegen die dogmatiſche Bedeutung der evan⸗
geliſchen Geſchichte. Eine der zwar nicht ausgeſprochenen aber
überall mitwirkenden Regeln, die z. B. zur Herabſetzung des Johan⸗
neiſchen Evangeliums dient, ſei: „Wenn vier Referate über die Ge⸗
ſchichte einer Perſon vorliegen, ſo ſind die Züge oder Begebenhei⸗
ten, welche nur einer hat und ie alle, wenn nicht unhiſtoriſch, doch
kritiſch verdächtig,“ ſo daß z. B. wenn Hrn. Strauß einmal zwei
Berichte in die Hände fallen, von welchen der eine den Kriegszug
Napoleons in Aegypten, der andere den in Rußland ſchildert, er
nach ſeiner Kritik dieß einen unauflöslichen Widerſpruch nennen und
die Ereigniſſe für Mythen erklären müſſe. Dieſe Kritik erlaube ſich
in der That bei der Beurtheilung faſt jeder einzelnen Relation
die gröbſten Verdrehungen und Entſtellungen des Thatbeſtandes.
Wiſſenſchaftliche Kanones einer hiſtoriſchen Kritik fänden ſich nir⸗
gends ausgeſprochen. — Beſonders beachtenswerth iſt auch, was
Harleß vom alten Teſtament und vom Unglauben an dasſelbe fagt. —
Es iſt nicht möglich mehr im Auszuge von dieſer in gedrängtem
Styl abgefaßten Schrift zu geben, die von keinem, der das Strau⸗
ßiſche Werk ſtudirt, ungeleſen bleiben ſollte; nur zur Vervollſtändi⸗
gung unſerer Charakteriſtik theilen wir noch eine Stelle mit, die vom
Talent und von dem wiſſenſchaftlichen Standpunkt des Verfaſſers
Zeugniß gibt. Harleß ſetzt ſich der falſchen Kritik von Strauß und
deſſen Verdrehung des Begriffs von kirchlicher Kritik entgegen; und
ſagt unter Anderm: „Die Kritik, wie ſie die Kirche von Anfang
geübt hat, und wie ſie ſich ſtets immer wieder in jedem Repräſentanten
der kirchlich⸗wiſſenſchaftlichen Fortbewegung reproducirt, iſt die ein⸗
8
*
85
zig wiſſenſchaftliche, weil ſie zunächſt zur Unterſuchung der für ge⸗
ſchichtlich ausgegebenen Dokumente nichts als die Prämiffen mit⸗
bringt, die man zur Unterſuchung jedes geſchichtlichen Dokumentes
mitzubringen hat, nämlich das Vermögen, über die äußern Zeug⸗
. niſſe für die kides historia eines Referenten zu urtheilen. Die
Kirche hat ſich auf dieſem Wege von dem Berufe der einzelnen neu-
bſtamentlichen Schriftſteller, hiſtoriſchen Bericht über das Leben und
de Thaten Jeſu abzugeben, überzeugt. Kritiſirt ſie dann weiter
der Inhalt der Berichte nicht wie den Inhalt anderer hiſtoriſcher
Dolumente fo, daß ſie den Maaßſtab des unter Menſchen gewöhnlich
Geſhehenden zur Norm für die Glaubwürdigkeit der evangeliſchen
Fact“ machte, fo geſchieht das nicht um einer Prämiſſe willen; fon:
dern neil ihr in der Erwägung und Aneignung des Berichteten die
Einſicht zu Theil wird, daß nicht aus einem Brunnen bitter und
ſüß, aue demſelben Munde reichfinnige Gedanken und Abgeſchmackt⸗
heit fließe oder poſitiv: daß die vollkommenſte Einheit zwiſchen mit⸗
getheilter Jede und überliefertem Faktum ſtattfinde, und daß ſich
die Worte niht begreifen laſſen, wenn fie nicht durch die begleiten:
den Fakta erkärt werden, und wiederum die Fakta nicht, wenn
nicht der Schlüſel ihres Verſtändniſſes in der Rede läge. Die
wunderbaren und zußergewöhnlichen Hergänge der evangeliſchen Ge⸗
ſchichte treten ihr ncht als ein Unmittelbares und Abgeriſſenes, nicht
wie ein räthſelhaftes Meteor, das plötzlich erſcheint und plötzlich ver⸗
ſchwindet, entgegen. Sie kennt die Art und Weiſe des göttlichen
Thuns nicht aus der Tagsmeinung und dem Tagsvorurtheil irgend
einer philoſophiſchen Sete, ſondern aus der Geſchichte der Thaten
Gottes, die als eine gräße Kette von der Schöpfung der Welt bis
auf deren Erlöſung durch Jeſus Chriſtus klar vor Augen liegt. Und
ſo hält fie es mit Recht ſür eine Verkehrtheit, nach einem andern
Maaßſtab die evangeliſche Feſchichte meſſen und mit andern Hülfs⸗
mitteln ſie verſtehen zu wolle, als die ſind, in welchen ſie ſich ſelbſt
durch Jahrtauſende geſchichtlih geoffenbart, erklärt und dem Ver⸗
ſtändniß der Menſchen nahe bracht hat. Wer etwa der Kirche
dieſen Weg und das Recht, in zu betreten, durch die neueſten
Verdächtigungen des alten Teſtanentes benommen glaubt, der weiß
nicht, daß die Kirche, feſter gegrindet, als die wandelbare, gelehrte |
oder ungelehrte Menge, ſich nicht son dem Scheine von Behauptun⸗
gen betgären * deren e Bet) in der ‚uneehörten Hedge
br SR 1 NN Wi, an
\ |
1
86
ihres Auftretens beſteht, während ſie vor jeder gründlichen Untere
chung in Nichts verfallen müſſen und zerfallen werden.“
Ernſte Klagen führt der Verfaſſer darüber, daß die Gelehrten
die Zeit damit verbringen, ſich gegenſeitig ihrer Wiſſenſchaftlichkeit
wegen zu preiſen, während die Gemeinden im Unglauben zu Grunde
gehen und erklärt entſchieden: „Wer ſolche Geſinnung ausſpricht,
wie Strauß, der kann nie und unter keiner Bedingung als Glied
geſchweige denn als Lehrer der proteſtantiſchen Kirche anerkannt we
den; denn er kann die Thaten Gottes in feinem Sohne nicht mer
für Geſchichte und Wahrheit halten!“ — Mit Bibelſtellen zeigt er
was die Ungläubigen ſind und welches der rechte Glaube iſt. Math.
11, 5. 6. 1. Tim. 6, 4. 5. 1. Tim. 1, 7. Gal. 1, 6 / 9.
Röm. 1, 1 — 4 Kol 1, 15 — 17. Phil. 2, 9 — 11. Joh.
2, 22. 23. 1. Kor. 15, 14 — 19. Joh. Ev. 6, 68. Das Motto,
in welches Harleß den Sinn ſeiner ganzen ee zuammen⸗
faßt, iſt des ehrwürdigen Paskals Wort: a“ |
Tout tourne en bien pour les élus jusqu' au)
obscurités de l’Ecriture;. car ils les honorert
A cause des clartes di vines qu'ils y voien
et tout tourne en mal aux reprouves juqu’aux
clartés; car ils les blasphement à cau des
obscurites qu'ils n'entendent pas. |
Mit: befonderer Freude erwähnen wir hier nos der durchs Ziek
finn und Geiſtesfülle ſehr ausgezeidfieten Schrift von
J. P. Lange, evang. Pfarrer in Duisburg / „Ueber den ge
ſchichtlichen Charakter der fanonifhrnt Evangelien, ins⸗
beſon dere der Kindheitsgeſchichte J eſu; mit Beziehung
auf das Leben Jeſu von Dr. Strau/. Eine beleuchtende“
Abhandlung. Duisburg 1836. S. 131 Dieſes Buch gewinnt nun
ſchon dadurch wieder einen beſondern Wrth, daß eben die Kind:
heitsgeſchichte Jeſu darin näher betachtet iſt, — derjenige Theil
der evang. Erzählungen, mit dem die feuere bibliſche Kritik, die nun
einmal „unter dem Namen der Wiſſenſhaft im Intereſſe von Vorausſe⸗
tungen“ unterſucht, ſo ziemlich aufs } eine gekommen zu ſein glaubt,
zwar auf verſchiedene Weiſe und: nicht: ohne Widerſpruch mit ſich ſelbſt.
Zuerſt griff man die Aechtheit dieſe Theils, beſonders der beiden er⸗
ſten Kapitel des Lukas an; jetzt aler, weniger ängſtlich, Mythen im
neuen Teſtamente zu finden, ufd dadurch in Beziehung auf die
Frage über Aechtheit und Unä | ſtheit unbefangener, erkennt dieſelbe
f
[
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*
87
5 e ee ge re un Bu erklärt aber die
ſind — Wunder ere 9 unmögli
doch wenigſtens zweifelhaft.“ Weil man denn alſo hier „in dieſer
zorhiſtoriſchen Zeit des Lebens Jeſu ſich ſolche mythiſirende Anſich⸗
in immer noch gefallen läßt“ (ſiehe oben S. 37.), weil alſo hier
„das eine Prachtthor der Mythe iſt, durch welches man in die
evageliſche Geſchichte hineinfährt “, fo muß uns ein gläubiger For⸗
ſche deſto willkommener ſein, der auch dieſe bereits Preis gegebenen
Ereiniſſe der Wiſſenſchaft und Kirche wieder als eigentliche Geſchichte
wiſſerchaftlich zu erhalten ſucht. — Schon wegen dieſer beſondern
Tendez und der gelungenen Durchführung derſelben müſſen wir
auf die Schrift jeden Prediger aufmerkſam machen, der, wenn auch
übernonnen von dem allgemeinen Urtheil, bisher in die mythiſche
Auffaſſun dieſer Erzählungen eingeſtimmt hat, gerne doch eine neue
eigenthüntche Unterfuchung über dieſen Gegenſtand wieder anhören
und prüfen vird, und ſeine Ueberzeugung nicht nur im Allgemeinen,
ſondern auch im Einzelnen wiſſenſchaftlich befeſtigen will. Viele
werden gewif nach unbefangener Prüfung dieſer trefflichen Abhand⸗
lung auch der Kindheitsgeſchichte Jeſu wieder von Neuem mit ihrem
derſelben ſonſt ntfremdeten Herzen ſich zuwenden und die freudige
ueberzeugung geinnen, daß „fie auch hier nicht über Mythen,
ſondern über heilie Thatſachen zu predigen haben!!“ — Eben weil
nun der Verfaſſer inen entſchiedenſten Glauben an dieſe Theile der
; evangelifchen Geſchüte, bei denen auch gläubige Theologen noch
se 125 Strauß ſelbſt ſat mit Hindeutung auf das Intereſſe, welches
die Kritik bei diem Angriff auf die Aechtheit jener Abſchnitte
hatte: „daß dieſer Abſchnitt, ſammt dem Uebrigen der beiden
25 erſten Kapitel des Lukas, unächt und fpätere Juthat fei, war
eine unkritiſche vermuthung Solcher, welche den da:
mals noch neuen mypiſchen Standpunkt, welchen dieſe Jugend⸗
geschichte zu fordern chien, auf das übrige Evangelium anzu:
wenden ſich ſcheuten.“ Wichtiger iſt das auf eigenen Unter:
ſuchunge beruhende utheil Credners in ſeiner Einleitung ins
neue Teſtament 1836. g. 59. S. 131. „Ebenſo erſcheint die
Aechtheit des Textes de dritten Evangeliums vor dem Richter⸗
ſtuhle der Kritik als vllkommen gerechtfertigt gegen die De:
denklichkeiten, welchen ane heil desselben ausgefept ge⸗
weſen find.
88
zweifeln, erklärt, ordneten wir ihn bier unter die „kirchlichgeſtan⸗
ten“ ein. Fe aber iſt, wenn wir nicht irren, diejenige Kritik,
die Harleß it Recht als die kirchliche und wiſſenſchaftliche beſchreibt,
auch die ſeinige: „Der feſte Glaube an eine endliche Löſung aller
Probleme beſeelt dieſelbe; jener darf freilich nicht zu leichtfertigem
Außerachtlaſſen der Schwierigkeiten mißbraucht werden. Er iſt nur
die Siegeshoffnung, die zu immer erneuetem Kampfe treibt un
ſtählt. und ſo iſt er weit entfernt, Hemmung der Forſchung A
ſein, vielmehr ſtetiger Impuls, indem er die Probleme auch ur
als Probleme betrachtet, die zu immer wiederholter Forſchung af⸗
fordern. Die kirchliche Kritik hat in ihrem Glauben an das Jort
den Mittelpunkt, um den ſich ihre wiffenfchaftlichen Intereſſe / ber
wegen. Ihr find die wunderbaren Hergänge der evangeliſche / Ge—
ſchichte nur der Schluß ig ganzen Ma un ſich wedylfeitig
meffen und nicht mit andern Hülfsmitteln fie verſteher als die find,
in welchen fie fich ſelbſt, durch Jahrtauſende gef chtlich geoffen⸗
bart, erklärt und dem Verſtändniß der Menſch“ nahe gebracht
hat.“ — Gerade dieſe Schrift kann nun aber di Beweis geben,
welche Beweglichkeit und Unbefangenheit, welche Feiheit und Lebens⸗
friſche des Geiſtes, überhaupt wie alle Bedingunen zur rechten Wiſ⸗
ſenſchaftlichkeit auch mit einem ſolchen Glauben der durchaus keine
Sagen in den evangeliſchen Erzählungen feherfann, vereinbar iſt.
Der Verfaſſer ſelbſt iſt uns nur er durch die biblifche
theologiſchen Erörterungen in Stien und Kritiken
bekannt, in denen er immer ſchwierige, nu einem tief eindringenden
gläubigen Sinne verſtändliche Gegenſtänd / wiſſenſchaftlich beſpricht.
(Die Lehre von der Auferſtehung des Fiſches, Joh. Evang. 11,
33. „er ergrimmete im Geiſt“ und die Lede des Stephanus.) Die⸗
ſelbe Eigenthümlichkeit des Verfaſſers kitt nun in dieſer Schrift
noch entfalteter uns entgegen, und mi jeden, der ſich wenigſtens
mit einer der beiden Seiten, mit der dekenden oder chriſtlichgläubigen
Seite des Buchs verſtändigen kann erfreuen. Eine klare, zu:
gleich aber ins Jane eindrigende Weltanſchauung iſt
*
„
dieſer Schrift fi nd, po iſt nichts desto weniger keine . e Die: Be
ſchränktheit und ungerechtigkeit des urtheils gegen das natürliche
Geiſtesleben, wie es ſich in der Geſchichte des Einzelnen und des gan⸗
zen Menſchengeſchlechts offenbart, ja gerade durch jene ſpezifiſche Chriſt⸗
lichkeit der Weltanſicht iſt dieß Urtheil ein durchaus geſundes und ein⸗
dringendes geworden. Trefflich verſteht Lange alles im Menſchengeiſt
und in der Geſchichte Vorhandene in ſeinem Bedürfniſſe und Verlan⸗
4 gen nach der Erlöſung in Chriſto zu deuten; zu ſcheiden, was in dem
türlichen und auch in ſeiner edelſten wie in ſeiner verunſtalteteſten
Frucht der Keim zum höhern Leben und was in ihr das Unreine und
Böſe iſt. Durch die in dem Buche enthaltene Auslegung
der heiligen Schrift ſelbſt aber lernen wir von Neuem dieſe als
den unerſchöpflichen Schatz ehren, „ der, wie Harleß ſagt, noch unaus⸗
gebeutet daſteht, und von deſſen reichen Adern erſt jetzt manche zu
Tage gehen, manche ah Daſein in 1 Huren p und verſtandener
5 Ahnung kund geben.“
Der Ton dieſer Schritt iſt, wenn man fo ſagen will, erbauen; Range
| 1 100 als wiſſenſchaftlicher „Prediger“, aber nicht erbaulich im ge⸗
wöhnlichen n ſondern erbauend durch die Fülle und Innerlichkeit
der Gedanken, durch deren Religioſität und Einfachheit. Dem
äußern Anſehen nach ſcheint das Buch bei ſeiner Entblößung von
allen Citaten und gelehrtem Prunke kein eigentlich gelehrtes Werk zu
ſein; je mehr man ſich aber hineinliest, ein deſto gediegeneres und um⸗
faſſenderes Studium zeigt ſich als Grundlage. In der Polemik gegen
Strauß iſt der Verfaſſer ernſt, oft milde im Ausdruck, oft aber er⸗
hebt er ſich kräftig, um deſſen vorausſetzungsvolle Willkür zu züchti⸗
gen. Schritt für Schritt verfolgt er deſſen Behauptungen in dem
Kreiſe, den er ſich zur Widerlegung beſtimmt hat. Auch hier zeigt
ſich ein eigenthümlicher Scharfſinn, doch verweilt Lange nicht nur bei |
der Kritik der Strauß'ſchen Kritik, ſondern er wendet ſich alsbald
zur ſelbſtſtändigen Darlegung ſeiner reichen, belebenden Ideen, durch
die jedoch ebenfalls ein neues Licht auf die Oberflächlichkeit der An⸗
ſichten von Strauß geworfen wird. Doch zur nähern Charakteriſtik
möge die Angabe des Inhalts und 0 „ einigte Stellen
aus dieſer Schrift folgen. Be 5 00 | „ Niva
90
| Da s erſte Kapitel enthält Prüfung des Grundſatzes,
von welchem Strauß bei feinen Unter ſuchungen ausgeht,
und ſeiner Auseinanderſetzung desſelben. Der Verfaſſer
legt hier die „loſen Vorausſetzungen“, welche in den auch oben S. 78.
mitgetheilten Stellen enthalten find, aus einander; er redet über die
Begriffe „neue Bildung“, „Konflikt derſelben mit dem Geiſt und der
Form der heiligen Bücher“, „Bildung als Vermittlung‘, Mit
geiſtreichen Zügen iſt nachgewieſen, wie diejenigen Schriften, die von
dem Mittler zeugen, wie ſein ganzes Erlöſungswerk ſelber im herr⸗
| lichſten Sinne wohl vermittelt ſind in Beziehung auf Einzelne und
die ganze Menſchheit. Bei der Prüfung des geſchichtlichen Entwick⸗
lungsganges, den die mythiſche Auslegungsweiſe nach Strauß genome
men hat, kommt Lange auch auf folgende belobende Aeußerung von
Strauß über Eichhorn zu reden: „die mythologiſchen Forſchungen
eines Heyne hatten ſeinen Geſichtskreis bereits ſo erweitert, daß er
einſah, wie eine ſolche (unmittelbare göttliche) Einwirkung nköreber
allen Völkern in ihrer urzeit zugeſchrieben oder allen abgeſprochen
werden müſſe.“ — Darauf ſagt Lange: „Ein fo: überaus verfehltes
urtheil, wie dieſes iſt, kann Strauß für Einſicht eines erwei⸗
terten Geſichtskreiſes halten. Das genannte Urtheil, dem
Strauß beiſtimmt, ſtellt ſich beinahe dar als ein Widerſpruch gegen
die Geſchichte ſelbſt, gegen die großen Unterſchiede des Völkerlebens.
Wenn Gott das griechiſche Volk in ſeiner Entwicklung mit der Idee
der Schönheit begabt, und gleichſam ſegnete durch den Genius der
Kunſt, mußte er um deßwillen auch den Seythen denſelben Segen
geben? Sagte nun jemand, die griechiſche Kunſt habe keinen Kern
objektiver Gültigkeit, reiner Geſetzmäßigkeit des Schönen, oder wolle
man dieſes annehmen, ſo müſſe man auch den kreiſchenden Geſängen
der wildeſten Barbaren dieſelbe Objektivität des Urſchönen zuſchreiben,
ſo würde der Verfaſſer dieß wohl nicht für ein Wort der Einſicht und
des erweiterten Geſichtskreiſes gelten laſſen. Entgegnet er aber, der
griechiſche Geiſt habe ſich dem Schönen frühe zugewandt, ſo gilt glei⸗
chermaßen von dem Geiſte der Hebräer, daß er ſich früh dem Heili—
gen, dem Geiſte Jehovas zuwandte.. Es iſt unbegreiflich, daß ein
Theologe dieſer Zeit, zudem noch 45 einer ſo bedeutenden Schule,
ſogar noch keine Ahnung zu haben ſcheint von einer Idee des auser⸗
wählten Volkes, und daß er an einer chimäriſchen Gleichheit der Völ⸗
der hängt, nach welcher entweder auch die Anbetung kleiner ſcheußli⸗
cher Götzen bei den Wilden unter unmittelbarer göttlicher Einwirkung
=:
91
Buche, Fi rg bikfen Unrath deitiſcher 2 Bibe afeinde der Smwäßnung wohl
werth gefunden, eine Menge gerade der wichtigſten Einwürfe gar
nicht der Erwähnung werth findet. Beſonders aber auf der Wider⸗
ö Angriffs gegen den frühen Urſprung der Evangelien verweilt
er, und bele uchtet jene merkwürdige Forderung büreaukratiſcher Kri⸗
tik: „ein Bekannter der Apoſtel Matthäus und Johannes müßte die
we 3 wee, ſie haben Evangelien und zwar eben diejenigen
8 rieben, welche wir jetzt unter ihren Namen leſen ““; er enthüllt
die Willkür dieſes Verfahrens, nach welchem bald das Schweigen,
bald das Reden anderer Zeugen die Zuverläßigkeit der Evangelien
zweifelhaft macht. In der nähern Darlegung der mythiſchen Anſi cht
von Strauß (oben S. 59. 60.) fieht der Verfaſſer eine lange Ausſage
voller Impietät, und weiter nichts. An Beweiſe iſt nicht zu denken,
65 zudem ſei darin der baarſte Widerſpruch. Zerlegt man ſich das von
3 0 Geſagte, ſo kommt nichts anders heraus, als: „die Mythen
haben die Gemeine gebildet; die Gemeine aber hat die
Mythen gebildet.“ In die Tiefe geht nun aber wieder die Dar⸗
legung der € Gründe, welche dazu nöthigen, die mythiſ che An⸗
ſicht bei der Betrachtung der evangeliſchen Geſchichten
zu verwe rfen. Zwei verſchiedene Sagenkreiſe bildeten ſich zur Zeit
des irdiſchen Lebens Jeſu um ſeine Perſon herum, derjenige der Nach⸗
reden ſeiner Feinde und der der fernſtehenden Bewunderung, die ſich
meiſt im Volke bildete. Beide verwarf die christliche Gemeinde ent⸗
5 ſchieden. Der Herr fragt darum ſeine Jüng er: wer ſaget denn ihr,
daß ich ſei? und ganz beſtimmt, man möchte ſagen, mit Abſicht anti⸗
iythiſch ſpricht Petrus das Bekenntniß aus: du biſt Chriſtus, der
Sohn des lebendigen Gottes. Mit Gediegenheit ſind nun die Be⸗
weiſe gegeben, wir wenig zur verſchönernden Mythenbildung die Ge⸗
müther der Jünger dis ponirt waren. Aus der Geſchichte ihres Klein⸗
glaubens und allmälig ſtark werdenden Glaubens entwickelt er „die
reichen Züge des höhern kritiſchen Sinnes und einer entſchiedenen
Sagenſcheu“ in ihnen. „Wie ſchwer, heißt es unter anderm, kamen
die Jünger zum Glauben an den Auferſtandenen! Im deut einer
92
ſolchen Kritik aber, wie ſie dieſelbe übten am Oſtermorgen, bilden
ſich keine Mythen. Man hätte auch namentlich dem Apoſtel Thomas
nur nicht mit ſolchen „ſinnvollen Gewinden frommer Phantaſieen“
kommen dürfen.“ Daß der heilige Geiſt in der erſten Kirche dem
Geiſte der Mythenbildung gerade entgegengeſetzt war, wird wieder ge⸗
dankenreich im Allgemeinen und Einzelnen nachgewieſen. Juvörderſt
iſt der Geiſt ein Geiſt der Wahrheit. „Das aber wird feſtſtehen müſ⸗
ſen, daß die eigentlichen Volksmythen nie reine Produkte des in der
Wahrheit dichtenden Geiſtes ſind, ſondern daß ſtets ein gewiſſes, un⸗
willkürliches Lügen, eine fündige Flüchtigkeit des Hörens, eine
wilde Vorliebe für das Abentheuerliche und Monſtröſe in der Auf⸗
faſſung, und eine prunkende, eitle Begeiſterung im Weitererzäh⸗
len daran participirt. Die Quellen des Weltverderbens ſind zu ſuchen
in der Kindheit des Völkerlebens, wo ſich auch die Mythen bilden.
Ein Theil dieſes Verderbens liegt in der Lüge, und ein Theil dieſer
Lügen wird alſo nothwendig die Mythologieen durchdrungen haben.
Dagegen liegt die Quelle der Welterlöſung in der Urzeit der chriſtli⸗
chen Kirche; ein Theil dieſer Welterlöſung iſt die Wahrheit, und ein
Theil dieſer Wahrheit muß die evangeliſchen Erzählungen kritiſch ges
heiligt haben.“ — Der Geiſt der Gerechtigkeit hat auch in der erſten
chriſtlichen Gemeine keine panegyriſche Stimmung, die Strauß
als eine der Quellen des Mythiſchen bezeichnet, aufkommen laſſen.
Dieſe bewundernde erhebende Stimmung hätte wohl auch den Apoſteln
zu Gute kommen müſſen, entgegnet Lange. „Aber wie werden ihre
Fehler und Verirrungen aus der Zeit ihres perſönlichen Umgangs mit
Jeſu ſo treu berichtet! Wenn die griechiſche Mythologie vom Zeus
Aergerliches erzählt, ſo thut ſie das im Niveau mit dem Volksgeiſte,
der nichts Uebels darin findet. Was aber die Evangeliſten von den
Apoſteln Uebels berichten, das berichten ſie im klarſten Licht des gött⸗
lichen Rechts, als Etwas, was Ausbruch des alten Verderbens ger
weſen iſt, was aber nun vergeben und beſeitigt iſt. Wir erinnern
uns hier insbeſondere an die Erzählung der Verläugnung Petri. und
ſollen denn das auch Striche der panegyriſchen Feder fein, daß Chris
ſtus in Gethſemane angefangen zu zittern und zu zagen, und daß
er am Kreuze einmal ausgerufen: mein Gott, mein Gott, warum
haſt du mich verlaſſen —? Nein, dieſe Stimmungen wären als hei⸗
lige Stimmungen nie in einen dichtenden Sinn gekommen, und als
Begebenheiten nie verſtanden und mit aufgenommen worden in ihren
Sagenkreis von einer mythiſirenden Gemeine. Eine Gemeine, die
.
93
ſolche Stimmungen Jeſu zu ver ſtehet und trotz vielfachem Anſchein
es Tadelnswerthen als Lob zu faſſen wußte, ſtand un end⸗
lid . hoch über allem mythiſirenden Volksleben undüber
allen Verfechtern mythiſcher Anfichten von den Evan⸗
gelien. „ — Als bloße Bemerkung iſt in dieſem Abſchnitt noch dei
bedeutungsvolle Wink beigefügt: Strauß betrachte die ebionitiſche An⸗
ſicht von dem Leben Jeſu als die hiſtoriſch richtige; dieſem nach hätte
ſich ſchon die erſte Kirche gegen die Wahrheit verſtockt, als ſie die
ebionitiſche Anſi icht von ſich ausgeſtoßen. Und in dem Falle wäre alſo
die Gemeine des reinen, höhern (ebionitiſchen) Chriſtenthums zu Grunde
gegangen, während eine niedere, mythiſirte Abart desſelben zum Sieg
gelangt wäre. „ Möge man das mit gefunden d e eee
Prinzipien reimen!“ — 5 „ en
Das dritte Kapitel: „ueber dt höchſte Mythik⸗ in
ihrem Verhältniß zu der evangeliſchen Geſchichte int:
wickelt nun die eigenthümliche Anſicht des Verfaſſers ſelbſt. Dieß
eben iſt das Wiſſenſchaftliche dieſer Eigenthümlichkeit, daß ſie nicht
von vorn herein abſchließend gegen einen Begriff, auch wenn er, wie
der des Mythus, in ſolcher Geſtalt und mit ſolchen Folgerungen, wie
wir fie in dem Strauß' ſchen Buche ſehen, ſich geltend machen will,
das Verwerfungsurtheil ausfpricht, ſondern aus dem Zerrbild das Mt:
bild, aus der Verirrung die darin liegende Wahrheit zu entwickeln
ſucht, und ſo auch den Irrthum zur Förderung der Wahrheit benutzt.
Zwar nur ſchüchtern mit einem „ vielleicht“ tritt der Verfaſſer auf,
indem er ſagt, es laſſe ſich vielleicht ein höherer Begriff des
Mythiſchen, ein Begriff reiner Mythik aufſtellen, wie er
nicht nur etwa auf die evangeliſche Geſchichte paßt, ſondern ſi ch ledig⸗
lich in ihr verwirklicht findet. „Jedes Volk hat einen religiöſen Sa⸗
e der wie ein geweihter Hain den tiefen Born ſeines Urſprungs
beſchattet. Die Mythologien find die ſagenhaften Urgeſchichten der
en Mitten in der hiſtoriſchen Zeit eines Volkes bildet ſich kein
ſolcher Kreis religiöſer Sagen mehr, der in den Mittelpunkt ſeiner
Entwicklung herrſchend eindringen könnte. Die evangeliſche Geſchichte
aber iſt mitten aus der hiſtoriſchen Zeit des jüdiſchen Volkes und
kann ſchon um deßwillen in dem gemeinen Sinne nicht mythiſch fein,
Aber die Chriſtenheit als die neue Menſchheit iſt doch auch ein eigen⸗
PR" chümliches Volk geworden im höhern Sinne. Sie entfaltet ſich und
breitet ſich aus als das große Volk, die hehre Nation der Erwählten
aus allen Völkern und Geſchlechtern, die nicht von dem Geblüt eines
94
Mannes abſtammt, fordern von Gott geboren iſt. Dieſes Volk hat
ſeinen geheimnißreichen Urſprung im apoſtoliſchen Zeitalter. Die evan⸗
geliſche Geſchichte iſt die Geſchichte dieſes Volkes in ſeinem Beginn;
iſt ſie deßwegen vielleicht ſeine Mythik? „ Zum Beweis nun, daß
die Mythik des heiligen Volks der neuen Welt von den
Mythologieen der heils bedürftigen, unheiligen Völker der alten Welt
weſentlich verſchieden iſt, wird mit kräftigen Strichen die „Ki ndheit
jenes Volkes, das ein geiſtgebornes iſt, das ſeiner Idee nach
aus Königen und Prieſtern beſteht, deſſen Urſprung im Himmel, Def:
ſen Ahnherr Chriſtus iſt“, geſchildert. Man denke ſich „den unendlichen
Unterſchied zwiſchen der vom göttlichen Geiſte geſtifteten und erfüllten
Pfingſtgemeine, welche die großen Thaten Gottes verkündigt, und
die höchſten ethiſchen Geſetze der Menſchenliebe und Bruderliebe kennt
und vollzieht, welche getragen wird von einem himmliſchen Frieden,
und mit göttlicher Kraft die Welt überwindet — zwiſchen einer ſolchen
Gemeine und einem arabiſchen Feldlager, daß durch wilde, räuberiſche,
abergläubige Nomaden gebildet wird, die ſich um ein Nachtfeuer ge⸗
lagert haben, und einander abentheuerliche Geſchichten und Mährchen
erzählen, oder einem griechiſchen Bachantenzug. beſtehend aus tan⸗
zenden Chören, die mit Rebenlaub geſchmückt, vom Weine berauſcht
ſind, und ein zügelloſes Wees a von den großen e
nee, * — 8
Freilich wird nun Jeder, auch del dau Crbodtingehi des Vie
faſſers bis hieher Beiſtimmende fragen: warum wird denn der Urge⸗
ſchichte des Chriſtenvolkes dieſer zweideutige Name der Mythik
beigelegt? — Ein Beweis der Klarheit, mit welcher der Verfaſſer
feinen Gedankengang verfolgt, iſt, daß er ſich dieſe Frage ſelbſt auf⸗
wirft und beantwortet; und wir möchten es taktvoll nennen, wie der⸗
ſelbe in dem Bewußtſein, daß jetzt, ſo lange die alten Aergerniſſe
der Vermiſchung und Verwechſelung des Urheidniſchen mit dem Ur⸗
chriſtlichen nicht zur Genüge beſeitigt ſind, das Wort „Mythik“ Fei-
nen Segen bringt, ſeine Ideen eigentlich nur ſkizzirt, und die umfaſ⸗
ſendere Darſtellung derſelben wohl einer andern Zeit vorbehält. In
der Beantwortung jener Frage rechtfertigt er die Wahl des Namens
dadurch, daß es nöthig ſei, den höchſten, reinſten Begriff der
Mythik, einer ſolchen Mythik, wie ſie einzig dem Chriſtenthum
adäquat wäre, hinzuſtellen, um durch denſelben die gemeinen Vor
lungen von dem heidniſch Mythologiſchen, das man in der chriſtlihen
urgeſchichte finden will, völlig zu vernichten. Dazu komme noch der
u
95
he Behfftigung belt f ch * ſcine , Gente dans, daß ſich
eben in der Urgeſchichte des chriſtlichen Volkes jeder leiſe Vorſchein
des Höhern, der ſich in den heidniſchen Sagen findet n .
lichten Erſcheinung und Fülle verwirklichen en. e e
Längſt ſchon hat eine gründlichere Theologie ſich der oberflächlichen
Tendenz, welche die Lehre des alten und neuen Teſtaments aus frem⸗
den, meiſt aus den „tiefſim igen orientaliſchen Religionslehren“ her⸗
leiten und beide daher gleichſetzen wollte, ſich entgegengeſetzt, wenn
auch bis jetzt erſt mit entſchiedenem Erfolg bei der Lehre des neuen
Teſtaments, und hat dagegen den Satz durchgeführt, daß die Lehren
der heiligen Schrift urſprünglich ſind, die Dogmen der heidniſchen
Religionen aber nur Splitter der frühern Wahrheit, mißverſtandene
Erinnerungen der einſtigen reinern Gotteserkenntniß ſind, zugleich aber
auch Ahnungen und Hindeutungen auf die ewige Wahrheit, die dem
Menſchengeſchlecht in dem geoffenbaret werde, der ſich die Wahrheit
nennt. Dieß auf dem Gebiete des Dogmatiſchen ſchon längſt vorhan⸗
dene Bedürfniß iſt nun durch Strauß auch auf dem rein geſchichtlichen
Boden des Chriſtenthums beſonders angeregt worden, und es iſt da⸗
her, wie bei allen geiſtigen Bewegungen dieſer Art, ein Verdienſt
des Verfaſſers, diefes Bedürfniß klar erkannt und zur Befriedigung
desſelben richtige Schritte gethan zu haben; ſo daß man es nun von
fu
neuem und mit noch tieferer Einſicht in das Christliche ſelbſt verſtehen
lernt, „die Mythologieen der Heiden als den Ausdruck der verklagen⸗
den Lichtgedanken aufzufaſſen, als die Momente des erlöſungsbedürf⸗
tigen Aufſtrebens, die Symbole der reineren religiöſen Erinnerung,
Ahnung und Sehnſucht, als Dämmerſcheine des großen Tages, der
mit Chriſto aufgeht über die Welt.“ — Das Weſen der Mythen
iſt nach Lange, daß ſie etwas Geſchichtliches, „etwas Wunderhaftes,
etwas Symboliſches und etwas Poetiſches in ſich haben. In den heid⸗
niſchen Mythen ſind nun alle die Elemente nach der Natur des nicht
paradieſiſchen Kindheitsleben der alten Völker getrübt, hier iſt eines
jener Elemente durch das andere in ſeinem Weſen geſtört; in der evan⸗
geliſchen Geſchichte aber tritt jedes Einzelne derſelben mit vollkomme⸗
ner BR hervor, in ihr ſind die genannten Elemente in reinſter
Verklärung enthalten. Dieß iſt nun an der benannten geiſtvollen
| * fe näher erläutert. Bei der Betrachtung der evangeliſchen Erzäh⸗
lungen als Darſtellung hiſtoriſcher Thatſachen redet der Ver;
96
faſſer beſonders von der Perſon Chriſti ſelbſt, und von dem Apo⸗
ſtel Thomas „der kritiſchen imponirenden Geſtalt“ — als von entſchei⸗
denden Zeugniſſen, daß wir es hier mit einer Geſchichte zu thun Has
ben. „O wenn Chriſtus hätte dichten, Philoſophen bilden, Symbole
aufſtellen wollen in dem romantiſch⸗mythologiſchen Sinne, ſtatt den
Kreuzesweg der ſich ſelbſt verläugnenden Liebe zu wändeltb 2 ibis won⸗
derbar würden die Evangelien ausgeſtattet ſein mit dem reichſten Schmuck
der ſchönſten Dichtungen und Sagen! Aber er ging lieber umher und
that allen wohl: durchaus faktiſch und praktiſch war fein Leben. Sein
Kreuzesleiden war eine hiſtoriſche Exekution, und an ſeinem Kreuz
würden ſich die „ſinnigen Gewinde“ des Herrn Strauß, feine Guir⸗
landen von Blumen aus dem Fabellande ſehr übel ausnehmen. Dieſes
ernſte Kreuzesleiden, worauf die Symbolik und Mythologie aller Hei⸗
den nie gekommen wäre, dieſes Kreuzesholz, das nach Heine die ſchöne
mythologiſche Göttertafel der griechiſchen Olympier zerſchmettert hat,
läßt in ſeiner Sphäre keine heidniſchen Mythenbildungen zu.“ —
„Wer fühlt nicht, daß ein Sagenſpiel, welches den Welternſt
überwältigt, eine Mythologie, welche die Geſchichte in ihrem min
gen Lauf einholt und umgeſtaltet, eine Erlöſung, die nur eine Erdich⸗
tung iſt, ein göttliches Erbarmen über die gefallene Welt, das ſich
in Dichtungen der Hülfe auständelt: daß alle dieſe Annahmen in ſich
ſelber mit Unſinn behaftet find, und daß fi ch ſchon durch die innern
Widerſprüche die mythiſche Anſicht von der evangeliſchen Geſchichte
als eine verzweifelte charakteriſirt. Die Offenbarung Gottes in Chriſto
konnte ſich nur durch eine reine Geſchichte entfalten.“ — Mit derſelben
Sinnigkeit behandelt Lange das Wunderbare der evangeliſchen
Geſchichte, „Chriſtus war ſo weit davon entfernt in ſeinem Wun⸗
derwirken die Harmonieen der Welt zu ſtören, daß er vielmehr durch
dasſelbe ihre alten Disharmonieen aufhebt“; ebenſo den ſymboli⸗
ſchen Charakter der heiligen Geſchichte. „Dieſe iſt die
Mitte der Weltgeſchichte, eine welterlöſende, welche dem allgemeinen
Weltverderben ſteuert zur Gerechtigkeit. Sie iſt darum auch die bes
deutſamſte Geſchichte, durch und durch ſymboliſch; ihre Thatſachen
ſind Verkörperungen, Werke, Kämpfe und Siege göttlicher Ideen. —
Chriſtus ſelbſt als der Sohn Gottes iſt die ſymboliſche Offenbarung
des Vaters; er ſpricht: wer mich ſiehet, der ſiehet den Vater. Er
iſt als der Menſchenſohn die ſymboliſche Entfaltung der reinen Menſch⸗
heit. — Chriſtus iſt alſo eine vollkommen ſymboliſche Erſcheinung
(auch als der Gottmenſch), das vollendete Ideal menfehficher Herr⸗
97
lichkeit, und doch zugleich der gewiſſeſte geſchichtliche Charakter.“ —
Die evangeliſche Geſchichte iſt aber auch durch und durch die höchſte
ef ichte iſt; doch
Poeſie e, wie fie eben ſowohl die unumſtößlichſte Ge
muß der Begriff der Poeſie gründlich gefaßt werden, n t nach den
ſonſther bekannten Kunſtformen, ſondern als die rhytmiſch freie, ge⸗
flügelte Bewegung des Geiſtes in ſeiner Erhebung über die irdiſch⸗
belaſtenden Zuſtände des Lebens, als Reflex der innern Regungen
eines höhern Menſchenlebens in dem alten; die Erſcheinung Chriſti
als Offenbarung des heiligen zweiten Menſchen nach den Andeutun⸗
g des Apoſtels Paulus. — | *
Vielleicht haben wir uns zu lange bei dieſen Mittheilungen aus
Lange's Schrift aufgehalten, aber da auf unſern Wanderungen durch
die oft dürren Gebiete menſchlicher Irrthümer und ihrer mühevollen
Widerlegung ein ſo reichlich hervorſprudelnder Quell klarer erquicken⸗
der Gedanken ausgeſprochen in ſchöner Form uns begegnete, ſo konnten
wir nicht vorübergehen, ohne daraus zu ſchöpfen, 1 um geſtärkt den
Lauf weiter fortzuſetzen. — Doch lieber ohne Bild: Jene Mittheilun⸗
gen ſind gewiß durch das Reſultat des Buchs gerechtfertigt, „ welches
den geſchichtlichen Charakter der Evangelien als einen auch durch den
Straußiſchen Angriff hindurch geretteten in neuem Lichte offenbart.
Durch das Bisherige iſt wohl eine nähere Charakteriſtik des Ver⸗
fahrens im vierten Kapitel, welches den größten Theil des Buchs,
90 enggedruckte Seiten, einnimmt, überflüſſig gemacht. Hier werden
die Argumente geprüft, mit denen Strauß die Kin d⸗
heitsg eſchichte Jeſu als eine mythiſche darzuſtellen be⸗
müht iſt. Es ſind ganz dieſelben Abſchnitte wie in Strauß's Leben
Jeſu: die Verkündung und Geburt des Täufers. Jeſu Davidiſche
Abſtammung nach zwei Stammbäumen. Verkündigung der Empfäng
niß Jeſu; Benehmen Joſephs, Beſuch der Maria bei Eliſabet. Ge⸗
burt und erſte Schickſale Jeſu. Der erſte Tempelbeſuch und die
Bildung Jeſu. Lange folgt der mythiſchen Ausdeutung der evangeli⸗
ſchen Geſchichte prüfend Schritt für Schritt, und weist einerſeits die
Angriffe auf die Realität dieſer Geſchichte gewandt und ſcharfſi innig
ab, lehrt anderſeits in ſeiner gediegenen Weiſe alle die Thatſachen in
ihrem Kern geſchichtlich verſtehen; oft nimmt er die Anſichten Ols⸗
hauſens auf, auch als die ſeinigen, doch ohne daß die Eigenthümlich
keit fehlte. Beſonders bemerkenswerth ſind die reichhaltigen Andeu⸗
tungen über die Engel, über die Empfängniß, über die Magier und
deren Stern. Gerne hätten wir von dem Verfaſſer ausführlicher die
7
98
Bildung Jeſu beſprechen hören. Am Schluß der trefflichen Schrift
ſichert der Verfaſſer den Forſchern durch die Hinweiſung auf die Op⸗
poſition Jeſu gegen die Satzungen der Schriftgelehrten das heilige
Recht der Forſchung; dem redlichen Skeptiker das ſeinige durch die
Hinweiſung auf Thomas. „„Wenn aber Einer ganz vorausſetzungs⸗
los die geweihte Stelle „das Leben Jeſu“ zu betreten vorgibt, fo
erregt er von vorne herein ein gerechtes Mißtrauen; denn die Idee
einer ſolchen Vorausſetzungsloſi igkeit iſt eine Chimäre. Hätte ſich in
ihm das Abſtraktum des neutralen Verſtandes in reiner Ausſchließ⸗
lichkeit verleiblicht, ſo müßte man ihm das Prädikat des völligen
Menſchenweſens abſprechen. Und wenn er nun vollends im Inte⸗
reſſe eines Syſtems, das dieſen heiligen Mittelpunkt in der Gottes⸗
ſtadt zu einer mythologiſchen Urſteppe machen möchte, mancherlei Erz
ſchleichungen in feiner Demonſtration anwendet, fo wird es be⸗
merkt werden in der Mittagshelle, welche über dieſer Stätte waltet,
und nach dem ſtrengſten Recht wird man jedes Jota der wirklichen
Geſchichte und der gewiſſen Wahrheit von ihm zurückfordern. Sollte
es ſich aber ergeben, daß ſein Werk, wenn auch ausgeſtattet mit
reicher Gelehrſamkeit, und ausgezeichnet durch einen tüchtigen
Verſtandesgebrauch; dennoch mit einer großen Seichtig⸗
keit behaftet wäre in allen Theilen, wo es auf die Erfaſſung
großer pſychologiſcher, hiſtoriſcher, poetiſcher, und
religiöſer Momente ankommt, fo würde ihm dieſes wieder zu
Gute kommen, und ſchon in den nächſten Jahren möchte man dann
wol ſein Buch als ein altes Repertorium von mancherlei Aeußerun⸗
gen und namentlich von ungläubigen Anſichten über die evangeliſche
Geſchichte unter die Bücher verſetzen, welche nur noch zum ee
eee A f a; * —
6% 1 N
7; \ j
Wuͤrtembergiſche Theologen.
Es gewährt immerhin einen eigenthümlichen Anblick, daß ein ſo
Sevischee Werk des Unglaubens, wie die Schrift von Strauß,
aus der Mitte des Landes hervorging, in dem wohl verhältniß mäßig
4 wird, wo ſo oft ſchon die Neuerer jeder Art bekennen .
könnten ſie nichts wirken, „weil zu viel Bibelkenntniß
99
unter allen Theilen des proteſtantiſchen Deutſchlands chriſtliche Fröm⸗
migkeit am weiteſten hin und am tiefſten Wurzel ge ſchlagen hat, in
welchem ſo manches chriſtliche Werk mit Gut und Blut unterſtützt
ußten, hier
Volke ſei,“ wo auch zur Zeit der Herrſchaft der Neologie nie⸗
mals in die Kraft des Evangeliums tief eingeweihte Zeugen der
Wahrheit verſtummten — wir erinnern auf dem homiletiſchen Gebiete
nur an den ehrwürdigen C. H. Rieger; wo auf der Univerſität nie⸗
mals gelehrte und ernſte Vertheidiger des Offenbarungsglauben fehl⸗
ten — wir erinnern an Storr, Flatt, Süßkind, E. G. Bengel.
So in der Mitte vieler Gemeinden, in denen ein chriſtliches Bewußt⸗
ſein lebt, hat die Geiſtlichkeit Würtembergs, als Stell⸗
vertreterin der Kirche dieſes Landes, deren Glied auch Dr. Strauß
iſt; ſolchen geſchichtlichen Erinnerungen gegenüber hat die Univer-
ſität Würtembergs, deren Mitarbeiter Strauß war, einen be⸗
ſondern Antrieb, Zeugniß abzulegen wider das aus ihrer Mitte
hervorgehende kritiſche Werk, welches das Fundament des Glaubens
erſchüttern will, und eine beſondere Verpflichtung, den heiligen
Schatz des hiſtoriſchen Chriſtenthums Gebildeten und Ungebildeten
zu wahren. Der gehaltvolle und chriſtliche Charakter der mannigfa⸗
chen Stimmen, die ſich nun von hier aus bis jetzt haben vernehmen
laſſen, iſt ein erfreulicher Beweis, daß Würtemberg auch in unſern
Tagen auf den alten Ruhm der Wiſſenſchaftlichkeit und
Arie. Geſinnung noch Anſpruch machen darf. |
Schon wegen dieſes äußern Verhältniſſes zu Strauß wurden diese
5 Stimmen hier zu einer eigenen Gruppe vereinigt; zugleich aber weil ih⸗
nen wohl auch ein gewiſſertheologiſcher Charakter gemeinſam
iſt, durch den ſie von andern Richtungen zu unterſcheiden ſind. Es wäre
zwar ungenau, wenn man dieſe Eigenthümlichkeit kurzweg mit dem
Namen Geiſt der alten Tübinger⸗Schule oder des Storr'⸗
ſchen Supernaturalismus bezeichnen würde, und doch hinwie⸗
der kann das jetzige theologiſche Leben der würtembergiſchen Geiſt⸗
lichkeit im Allgemeinen keineswegs als völlig losgeriſſen von dieſem
ehrwürdigen Stamme betrachtet werden. „Ein gemäßigter Super⸗
naturalismus, der dem Alles verflachenden einſeitigen Rationalismus
entgegenwirkte, und der, auf die heilige Schrift ſich ſtützend, zu⸗
gleich das philoſophiſche Element, namentlich aus dem Kreife der kri⸗
tiſchen Philoſophie, ſich ſoviel möglich aneignete! — ſo beſchreibt
* 5 3 7 N
*
100
Profeſſor Kern in der Erinnerung an feinen Bruder den theolo⸗
giſchen Charakter der Männer, welche in Storrs Geiſt fortwirk⸗
ten, und auch jetzt iſt wohl dieß noch die herrſchende Geſinnung.
Meiſtens begegnen uns hier, wenn nicht einfacher chriſtlicher Glaube,
doch große Ehrfurcht vor dem geoffenbarten Worte, nur ſelten ent⸗
ſchiedene Neologie; meiſtens das Streben, durch Exegeſe und bibliſch—
theologiſche Forſchungen den Glaubensinhalt auszumitteln, ſelten feſte
Anhänglichkeit an das kirchlich Ueberlieferte, doch lieber Verſtändi⸗
gung mit dieſem, als mit dem Rationalismus; das philoſophiſche
Element wird nun allerdings weniger mehr in der kantiſchen Philo—
ſo phie geſucht, ſondern das Schleiermacherſche Syſtem übt in for:
meller und materieller Beziehung großen Einfluß. Ueberhaupt iſt
das philoſophiſch-dogmatiſche und hiſtoriſche Studium der Theologie
hier neu belebt. Friſcher aber und eindringender iſt der Geiſt jetzt,
als früher, ſeltener werden die Stimmen, welche die theologiſchen
Fragen nur als Sache der Schule, nicht auch des Lebens betrachten;
mannigfaltiger entwickeln ſich die Individualitäten, doch vereinigen
ſie ſich immer in der Ruhe und beſonnener Verſtändigkeit, mit der
die Gegenſtände beſprochen werden. Eigenthümlich iſt vielleicht ge⸗
rade den Würtembergern die Fähigkeit der Objektivirung ihres
Standpunktes, fo daß fie in dem Bewußtſein, am Bibelglauben ei:
nen ſichern verjährten Beſitz zu haben, auf den Standpunkt des noch
Ferneſtehenden einzugehen vermögen und ihn durch die größte Ruhe
zu überzeugen ſuchen; — wie z. B. Vaihingers Sendfchreiben, Stirms
Apologie dieſen Charakter an ſich tragen, in welchem, wenn wir
nicht irren, auch Hartmanns Leben Jeſu geſchrieben wird. Grade
dieſe Unternehmungen aber bezeugen, wie der jetzige theologiſche Cha.
rakter in Würtemberg um ſeiner Vielſeitigkeit und Freiſinnigkeit wil⸗
len in das ganze geiſtige Leben eingreifen kann. Dieſes unbefangene
rege, wiſſenſchaftliche Streben legt ſich auch in den beiden Orga
nen Würtembergs für wiſſenſchaftliche Mittheilungen klar genug an
f
den Tag; denn die Tübinger Zeit ſchrift für Theolo gie,
herausgegeben von den Mitgliedern der evangeliſch theologiſchen Fakul⸗
tät umfaßt wahrlich einen weiten Kreis von verſchiedenen Anſichten,
wenn wir nur ſchon den Dr. Steudel und Dr. Baur hier mit einander
vereinigt ſehen, von denen jener einer der erſten entſchiedenen Kämpfer
gegen den Rationalismus und von da an bis jetzt immer ein kräfti⸗
ger Streiter gegen alles Idealiſiren und Vergeiſtigen des hiſtoriſchen
Chriſtenthums iſt, der letztere aber der ſpekulativen Auffaſſungs⸗
5
4
9
‚DON
101
weiſe des Chriſtenthums ſich entſchieden zuneigt, und deren Darſtel⸗
lung mit tiefdringenden hiſtoriſchen Forſchungen unterſtützt. Nicht fo
bedeutungsvoll für die Wiſſenſchaft unmittelbar find im Ganzen die
Studien der evangeliſchen Geiſtlichkeit Würtembergs,
a herausgegeben von Dr. Klaiber, jetzt nach deſſen Tod von Stirm
doch erreichen ſie ihren Zweck: „für dieſe Geiſtlichkeit einen wiſſen⸗
“ Schaftlich = praftifchen Vereinigungspunkt zu bilden“, und nehmen in
dieſer Rückſicht eine ehrenvolle Stelle der theologiſchen Literatur ein.
Dieſe Zeitſchrift ſteht nach ihrem Plane verſchiedenen Anſichten offen;
daher find allerdings oft in chriſtlicher Beziehung nicht gerade erfreu⸗
ende Aufſätze, doch meiſtens rückſichtlich derſelben und der Wiſſen⸗
ſchaftlichkeit tüchtige Leiſtungen darin mitgetheilt. Kurz bei ſolchen
Zeugniſſen des regen Strebens dieſer Geiſtlichkeit und bei dem ungeſtör⸗
ten Austauſche, welcher allen Ueberzeugungen in Würtemberg gewährt
iſt, muß es in Verwunderung ſetzen, wenn Dr. Strauß (Vorrede V.
Bd. II.) uns in faſt klagendem Tone ſagen kann: „Eigene Empfin⸗
dungen hat es in mir erregt, des würdigen alten Landsmannes
(Dr. Paulus) Freude (die er in ſeiner Recenſion ausſpricht), über
die Fortſchritte der wiſſenſchaftlichen Freiheit in Wür⸗
temberg zu leſen, vermöge welcher man daſelbſt dergleichen jetzt
ungefährdet ſchreiben könne, zu einer Zeit, wo ich bereits auf meine
Schrift hin von meiner Repetentenſtelle am Tübinger Seminar ent:
fernt war “; und wenn er in der Vorrede zur neuen Auflage gerade
bei der Beurtheilung ſeiner Würtembergiſchen Gegner das hämiſche
Wort: „unter dem ſichern Schirme der Kirchen- und Staatsgewalt“
einflicht; — als ob die wiſſenſchaftliche Freiheit nur in ſolchen de⸗
ſtruktiven Tendenzen, wie Strauß fü ie ausübt, läge; als ob dieß eine
Gefährdung derſelben ſei, wenn eine ihres Chriſtenthums ſich bewußte
Regierung den entſchiedenſten Gegner des geſchichtlichen, alſo einzig
wahren Evangeliums von einem itheologiſchen Lehramt an einer
cqhriſtlichen Univerfität entfernt, ihm dabei anderwärts einen Wit
kungskreis gibt und ihn frei ſchreiben läßt, was er will; als ob die
wider ihn in die Schranken tretenden Gelehrten nur aus unlautern
Gründen um „jener Kirchen- und Staatsgewalt willen“, und nicht
aus höheren, aus heiligen Abſichten die Feder ergriffen und das Wort
Gottes vertheidigten. Fürwahr durch beide Verdächtigungen fällt
€
in den Augen des Unbefangenen bei näherer Kenntnißnahme der Ver⸗
re und Perſonen ein ua 9 Ba den e
ſelbſt.
*
*
5
102
Betrachten wir zuerſt die Schriften aus Würtemberg, welche
den Gebildeten überhaupt zugänglich ſind, ſo mag dieje⸗
nige von Dr. Chr. B. Klaiber, Pfarrer in Stetten, im Rems⸗
thale die Reihe eröffnen: „Bemerkungen über das Leben
Jeſu, kritiſch bearbeitet von Dr. Strauß.“ Stuttgart
1836. S. 110. Aus dem Nachlaſſe des Verſtorbenen herausgegeben
und aus „den Studien der evangeliſchen Geiſtlichkeit Würtembergs
IX r Bd. 18 Hft.“ beſonders abgedruckt. — Dr. Klaiber, wiewohl
ſeine theologiſche Ueberzeugung viele rationaliſtiſche Elemente hat, hat
doch in ſeinen bibliſchen Forſchungen die Verſöhnungslehre ſtets als
Mittelpunkt des chriſtlichen Glaubens erkannt und daher fein Stu
dium beſonders dieſem unerſchöpflichen Gegenſtand zugewendet. Im
Jahr 1824 gab er eine Schrift darüber heraus; nun aber 1836 dies
ſelbe wieder weſentlich umgearbeitet. Auch in dieſer iſt der Tod Jeſu
nur als Darſtellung, als vollkommenſte Erklärung der Gnade Gottes
an das ſündige Menſchengeſchlecht aufgefaßt; aber da der Verfaſſer
mit großem Fleiß und umfaſſendem Blicke die neuteſtamentliche
Lehre von Sünde und Erlöſung prüfte, alle Begriffe der Dogmatik
auf dieſe Begriffe hin koncentrirte, hinwieder aber alle ſeine eignen
Gedanken und Empfindungen in der Betrachtung des Erlöſers verei⸗
nigte, fo konnte er denjenigen, welcher ihm den geſchichtlichen Heiz
land, deſſen hohes Werk er eben vor ſeinem Geiſte in allen ſeinen
Herrlichkeiten und ſeiner wunderbaren Weisheit ſich dargeſtellt, deſſen
Kraft er in ſich empfunden hat, rauben will, nur mit entſchiedenem
Unwillen, mit Entrüſtung betrachten, und dieſe drückt ſich denn auch
zwar den Worten nach meiſt gemäßigt, aber kräftig in dem Schrifts
chen gegen Strauß aus. Das Büchlein iſt das letzte, was der achte
bare Klaiber geſchrieben hat, denn ganz unerwartet wurde er in die
höhere Welt abgerufen; darum ſoll uns dieß zur Ehre ſeines Herrn
geſprochene Wort, wie jedes Sterbenden letzte Worte wichtig ſein.
Schon die Aeußerungen, die ſich in dem allgemeinen einleiten:
den Urtheile finden, zeigen uns den Ernſt und die Entſchieden⸗
heit dieſer Schrift: „Der Skepticismus wurde unter Strauß's Hält:
den zu einem die ganze erhabene und göttliche Geſchichte Jeſu ſtür⸗
menden Giganten, deſſen Wagniß übrigens eben ſo vergeblich ſein
wird, wie jenes der Himmelsſtürmer aus der heidniſchen Mythologie.
Allerdings vermögen wir bei dem Anſpruch, den Strauß auf die
„innere Befreiung des Gemüthes und Denkens von gewiſſen religiö⸗
fen und dogmatiſchen Vorausſetzungen“ macht, nicht zu beſtreiten,
Hg
103
daß derſelbe dieſen negativen Geiſt auf ganz beſondere Weiſe gezeigt
habe. Wie uns vor ſolchen Geiſtern, die nur verneinen, an
ſich nicht wohl iſt; ſo halten wir ſie auch - — dem Grundſatze: aus
Nichts wird Richte folgend — eh für e 2 05 Kritik
zur Kritik
heiliger Geſchichten und Lehren, fü % elche pof ttwer Sinn mit⸗
gebracht werden muß, ſollen fie anders richtig gefaßt und gewürdigt
werden.“ Klaiber gibt aber dem Verfaſſer des „Leben Jeſu“
dieſe Vorausſetzungsloſigkeit nicht zu, denn mit ſo ſtarken Vorausſe⸗
tzungen gehe derſelbe ans Werk, daß er nicht anders als ſo negativ
urtheilen konnte, — nämlich mit der Vorausſetzung der Ideal⸗
Philoſophie Hegels. Auch er dankt dem Verfaſſer übrigens,
weil durch ihn die traurigen und verkehrten Reſultate des mythiſchen
Erklärungsprinzips, das ſo oft nur halb EEE e eee wird,
klar geworden. |
Zuerſt behandelt Klaiber die Frage: auf weiche Gründe
und Beweiſe ſtützt Strauß ſeine mythiſche Anſicht? Be
kanntlich darauf, daß er den neuteſtamentlichen Schriften die Aecht⸗
heit und hiſtoriſche Treue abſpricht. Hiebei gebe ſich Strauß den
Schein, als ob er der erſte ſei, der da unterſuchte, ob und wie weit
wir in den Evangelien auf hiſtoriſchem Boden ſtehen, während in
unſern Zeiten gerade jene Frage nach innern und äußern Gründen
von Vielen in tüchtigen Forſchungen unterſucht werde. Klaiber be⸗
ſchreibt nun auf gewandte, klare Weiſe die Art der S tr auß i⸗
ſchen Kritik, der er Aechtheit, Beſonnenheit, Unparteilichkeit ab⸗
ſpricht; und — auf ſolcher Kritik ruhe die mythiſche Auffaſſung der
der Evangelien! Der ſchwere Vorwurf treffe vor Allem dieſelbe:
eng daß ſie einſeitig unvollſtändig iſt, indem fi e nicht alle Momente der
Entſcheidung, namentlich nicht diejenigen, welche ein anderes Reſultat
begründet hätten, gleicher Weiſe in die Waagſchale legt. „ Im
Einzelnen iſt dieß nun näher durchgeführt, wie Strauß ſtatt in un⸗
parteiiſcher Forſchung, die Harmonie im Weſentlichen herauszuſtellen,
ſich gegen die laut ſprechende Stimme der hiſtoriſchen Wahrheit ver⸗
ſchließt, wie er durch die größten kritiſchen Gewaltſtreiche und die
auffallendſten Fehlſchlüſſe die Lebensgeſchichte Jeſu untergräbt L ein
Verfahren, aus dem man leicht erſehe, daß Strauß von vornherein
die Evangelien darauf angeſehen habe, ob er ſie nicht für unächt er⸗
klären könne. Nicht ohne Scharfſinn iſt nachgewieſen, „ wie Strauß
auf die abſichtlichſte Weiſe alles Mögliche und Unmögliche für ſeinen
104
Zweck benutzt: unbegründete Vorausſetzungen, willkürliche Combina⸗
tionen, die höchſte Spannung der Differenzen und Schwierigkeiten,
Vermeidung der einfachen Erklärungen, ſophiſtiſche Künſte jeder Art,
Unterſchiebung des im evangeliſchen Berichte nicht Enthaltenen, Läug⸗
nung des darin wirklich Vorhandenen. Durch dieſes Alles hindurch
komme Strauß dann bei dem größten Gewaltſtreich und Fehlſchluß
an: „alſo kann das Faktum gar nicht geſchehen ſein, ſondern die
ganze Erzählung iſt eine bloße, ſpäter erdichtete Sage“; — denn
ſelbſt aus ſeinen Vorausſetzungen dürfte derſelbe noch nicht alſo ſchlies
ßen. Der Verfaſſer erklärt, eine ſolche Mißhandlung eines geſchicht—
lichen Gegenſtandes, wie ſie hier an der Lebensgeſchichte Jeſu geübt
worden, ſei faſt beiſpiellos. Die Allem zum Grunde liegende Vor
ausſetzung ſei: „Es gibt kein Wunder, kein ſelbſtſtändiges, über der
Welt und Natur ſtehendes, aber in dieſelbe eintretendes Wirken und
Walten Gottes und göttlicher Kräfte“; denn dem Kritiker dieſer Art
iſt: „Alles iſt Gott möglich“ und „dem Zufall iſt kein Ding un⸗
möglich“ gleich unwiſſenſchaftlich und ſinnlos. Jeſus iſt ihm Menſch
und Jude, mehr nicht; was in ſeinen Worten und Thaten vom Tri⸗
vialen abweicht, iſt Sage. Strauß mache die Wunder lächerlich, ver⸗
zerre fie ins Abenteuerliche, Unnatürliche. Als Hegelianer läugne er
den perſönlichen Gott und die Fortexiſtenz der Seele, und das ſoll
man ohne Beweis annehmen. Was er andern vorwirft, treffe ihn
am meiſten, daß feine mythiſche Betrachtungsweiſe in einem Cirkel
befangen ſei. Sehr faßlich auch für jeden nur einigermaßen Gebilde⸗
ten ergeht ſich nun Klaiber über die Begrifſe von Wunder
und Offenbarung, zeigt das Verhältniß der mythiſchen Anſicht,
der Hegel'ſchen Philoſophie und der Rationaliſten zu dieſen beiden
wichtigen Begriffen, und zugleich, welche Stellung und Bedeutung
die rechte Philoſophie und Theologie ihnen zuſchreibe. — Hierauf ſchil⸗
dert und widerlegt der Verfaſſer die Art, „wie Strauß jenen My⸗
thenkreis um das der geſchichtlichen Herrlichkeit entkleidete Leben Jeſu
wirklich ſich gebildet denkt, d. h. wie er ſein mythiſches Luftgebäude
aufzurichten ſucht“ mit demſelbem Ernſt und veranſchaulichender Dar⸗
ſtellungsgabe, die dem in warmem Tone geſchriebenen Schriftchen
eigen iſt; ferner wie Die, Widerſprüche und Schwierigkeiten der my⸗
thiſchen Anſicht ſich unendlich häufen. Dem „ furchtbar miß handelten
Zerrbild des evangeliſchen Chriſtus (das wir auch oben S. 60. 61.
mittheilten), fi fi nd efoetende Bekenntniſſe des Glaubens an den, wel:
"re 105
| 8 vu Gnade, Hape
Wen Mee
ja ge e if. die Frage Aube wie ſich die mythiſche
Betrachtungsweiſe von Strauß zu dem Inhalte des
Chriſtenthums, als Lehre, als Leben und Lebenskraft, als
göttliches Leben verhalte, und ob es Grund habe, daß
der innere Kern des chriſtlichen E Glaubens von feinen.
krit iſchen unterſuchungen völlig unabhängig ſei? Das
letztere läugnet Klaiber natürlich und mit Recht, und behauptet, daß
wenn das Leben Jeſu auch nur theilweiſe wirklich zur Mythe gemacht
| werden könnte das Chriſtenthum vernichtet ſei. Hiebei kommt er auf
die Stellung der Hegel'ſchen Philoſophie zum Chriſtenthum zu reden;
nachdem ſie auf populare Weiſe geſchildert, und auch jenes Glaubens⸗
bekenntniß von Strauß (ſiehe oben S. 46. 47.) angeführt worden,
wird gefolgert, daß vom Standpunkt dieſer Philoſophie aus eine
nichtung der Geſchichte des evangeliſchen Chriſtus, des Sohnes
es, eine ganz natürliche und konſequente Erſcheinung ſei, daß
überhaupt die Hegel'ſche Philoſophie von der innern Wahrheit und
Bedeutung des Lebens Chriſti abgewichen und in einen Gegenſatz
gegen den innern Kern des chriſtlichen Glaubens getreten ſei. In
Beziehung auf die Ideen: Gott, Welt, Freiheit, unſterblichkeit, N
Sünde ſind nun je die chriſtlichen Sätze denen jener Philoſophie ent⸗
gegen geſtellt. — Ein Wort über die Schranken, die der Philoſo⸗
phie geſetzt ſi ind und nicht überſchritten werden ſollten, ſchließt Aigen
Theil. 1
Als dritte Hauptfrage iſt aufgestellt: wie verhält ſich
die Anſicht der Strauß'ſchen Schrift zu dem Beſtande
der chriſtlichen Kirche? — Die Antwort iſt: ganz feindſelig,
weil die Kirche allein auf den geſchichtlichen Chriſtum gebaut iſt und
gebaut ſein will. Den Unverſtand derer züchtigt der Verfaſſer
welche da ſagen: wir bedürfen überhaupt keiner Kirche mehr; die Un⸗
möglichkeit, ja die innere Verwerflichkeit des Verſuchs ſtellt er dar,
wenn ein Diener der Kirche, der jene ſpekulative Anſicht gewonnen
hat, die Gemeinde durch den Vortrag ſeiner kritiſchen und ſpekulati⸗
ven Reſultate auf ſeinen Standpunkt erheben will; „denn nach chriſt⸗
lichen und namentlich nach proteſtantiſch⸗ chriſtlichen Grundſätzen iſt
der Geiſtliche nicht Herr der Gemeinde, nicht Gebieter über ihren
Glauben, ſondern er iſt Diener der Gemeinde „Diener der Kirche,
der die Gemeinde als Theil angehört und ſeine von der Kirche frei:
1
f
96
willig übernommene Verbindlichkeit, wie die anerkannte Anforderung
der Gemeinde, die ihn aufgenommen hat als ihren Interpreten des
göttlichen Wortes, iſt die Predigt des evangeliſchen Chri⸗
ſtus und Chriſtenthums, nicht irgend einer Philoſophie.“ —
„Darin ſtimmen wir dem Verfaſſer des „Leben Jeſu“ vollkommen bei,
daß die Zeit lehren werde, ob mit jenen, die dem gerühmten neuen
Geiſte der bisher geſchilderten Wiſſenſchaft dienen, oder mit denen,
die an dem Glauben an das hiſtoriſche Chriſtenthum feſthalten „der
Kirche, der Menſchheit und der Wahrheit beſſer gedient ſei“. Ja,
wir ſprechen unſre zuverſichtliche Ueberzeugung aus: wie von den er⸗
ſten Jahrhunderten des Chriſtenthums an bis auf uns alle Verſuche
einer aus dem Heidenthum herübergetretenen Gnoſis, welche wohl das
Göttliche ſuchte, aber ſtatt dasſelbe in Chriſto zu ergreifen, es aus
ſich ſelbſt im abſoluten Wiſſen zu konſtruiren ſich vermaß, von dem
göttlichen und darum immer wahrheits- und lebenskräftigen Geiſte
des Chriſtenthums als Verwirrung und als häretiſches Element ab:
gewieſen, und zu nichte gemacht worden ſind, ſo wird es auch fürder
nicht anders ſein, ſo wird es auch der Hegel'ſchen Philoſophie erge⸗
hen, von der nicht mit Unrecht geſagt wird, daß ſie ihre e e
mit dem Nichts anfange und mit dem Nichts ende.“ —
Noch iſt die vierte Frage hingeſtellt: wie ſteht es um die
Geſchichte der Menſchheit ü berhaupt und um die Ge⸗
ſchichtsforſchung, wenn die Geſchichte Jeſu, dieſes großen Wen⸗
depunktes in der Geſchichte der Menſchheit, mit ſo leichter Hand
aus demſelben, wie ausgeſtrichen, wenigſtens all ihres höhern und
weltgeſchichtlichen Gehaltes beraubt werde? — auch ſie wird eine
von allem göttlichen Walten und Leben entleerte Geſchichte. —
Endlich die fünfte: wenn der hiſtoriſche Skepticismus ſo weit
getrieben wird, wie die Strauß'ſche Schrift verſucht hat, wenn den
redlichſten und wahrheitsliebendſten Zeugen fo gar wenig Glauben,
geſihenkt werden darf, wenn die einfache Auffaſſungsgabe des Men-
ſchen ſo trügeriſch ft, daß ſchon in der Apoſtel und ihrer Gehilfen
Gemüthern ein ganz anderes Bild von Jeſus ſich geſtalten konnte,
als das objektive Leben desſelben eines darreichte, — wie ſteht es
dann um Treue und Glauben in den ſocialen Verhält⸗
niſſen der Menſchheit? — ſo wird der Glaube an den Wahr⸗
heitsgeiſt der Menſchen überhaupt zweifelhaft und namentlich da am
meiſten, wo es ſich um das Wichtigſte handelt. — Das Schlußwort
erklärt fi ſich nun noch für die größte Freiheit wiſſenſchaftlicher For⸗
107
chung, „ nennt aber ſolche Äste eine Gewiſſensſache, rügt
den Baſaſſr des Lebens Jeſu, weil er feinen Lehrer (Steudel) „auf
eine übermüthig verachtende, aber wahrlich ihn ſelbſt nicht ehrende
Weiſe“ darüber zur Rede geſtellt habe, daß er ihm ſeine Anſichten
ins Gewiſſen habe ſchieben wollen. Aehnliche Unbilden nicht ſcheuend
erkläre er dennoch, daß jene Anforderungen, die er an ſolche Kritik
gemacht habe, Gewiſſensſache ſeien. Die Forſchungen von Strauß
hätte er mehr mit Achtung und mit dem G Glauben, daß es ſich darin 5
rein um die Wahrheit gehandelt habe, aus der Hand zu legen ver⸗
mocht, wenn ſich nicht hie und da ein hochfahrendes und vornehmes
Aburtheilen, eine unbeſcheidene, ja höhniſch verachtende Sprache
gegen Nänner anderer Anſicht vernehmen ließe, wenn ſi ch nicht durch
das Ganze ein Mangel an achtſamer Scheu vor dem, was Andern
Heilig und Göttlich iſt, ein Geiſt des Unwillens oder der bittern
Ironie über die das evangeliſche Chriſtenthum als höhere Offenba⸗
rung feſthaltende Anſicht und ein Beſtreben, dieſer Anſicht um jeden
Preis los zu werden ö bald mehr, bald minder bewarbrahend hin⸗
durchzöge. N
Das in faßlichem, dach popularem Tone geſcheiebebe Schriftchen
wird gewiß zu Vieler Herzen Befeſtigung dienen. Der Verfaſſer
wußte, daß „er ſich nicht im Geiſte der fortgeſchrittenen Wiſſenſchaft
vernehmen Tape,“ daher alſo von dieſer Seite, ſi ch den Vorwurf
zuziehen werde, er gehöre auch unter diejenigen, welche ſich des
Studiums und des Denkens enthalten, aber unbekümmert, um die⸗
ſen 0 legte er ein friſches, freudiges Bekenntniß ſeines Feſt⸗
bhaltens am geſchichtlichen Chriſtus ab. Wenn vielleicht auch ein
etwas ruhigeres, und dadurch in manchen Beziehungen anerkennende⸗
res urtheil über die philoſophiſche Spekulation überhaupt, und über
die Bedeutung der Hegelſchen Philoſophie ſelbſt zu wünſchen wäre,
ſo bezeugt doch das Schriftchen einen auf dem unmittelbar theologi⸗
ſchen Gebiete einheimiſchen Sinn, der von Begeiſterung für die chriſt⸗ |
lich Wiſſenſchaft und von Freude an dem Gegenſtande ſeiner Forſchun⸗
gen durchdrungen iſt. Dieſe durchgehende Wärme der Darſtellung,
ihre Einfachheit und Klarheit, die Reichhaltigkeit der beſprochenen
Punkte machen die Schrift auch für ungelehrte Leſer ſehr geeignet,
wozu noch die Eigenthümlichkeit weſentlich beiträgt, daß von de
theologiſchen Forſchungen, in deren Gebiet das Werk von Strau
W grade N erzählt 1 um Ninptkofogen ein deutliches
108
Bild davon zu geben, wie 5. B. von Mae ver 1 Aechthelt n
Evangelien ꝛc. — |
Ganz in demfelben Geiſte 5 vielleicht mit u Pr tiver christlichem
Bewußtſein, nur in ruhigerm Tone, mit demſelben tüchtigen wiſſen⸗
ſchaftlichen Sinne, in ebenſo klarer, einfacher, noch gedankenvollerer
Darſtellung, als die Klaiberſchen Bemerkungen, iſt das „S endſchrei⸗
ben an Herrn D. F. Strauß Dr. philos.“ geſchrieben, von
J. G. Vaihinger, Stadtpfarrer in Grötzingen. „Ueber die
Widerſprüche, in welche ſich die mythiſche Auffaffung
der Evangelien verwickelt.“ Stuttgart. 1836. S. 91. Das:
ſelbe iſt in noch höherm Maaße als jene dazu geeignet, auf nicht
gerade theologiſch gebildete Leſer zu wirken, beſonders auf den den—
kenden Theil der Gebildeten. Auch dieſem liegt ein tlichtiz
ges Studium zum Grunde, das ſich in der Gewandtheit der Be—
handlung und in dem gediegenen Inhalt offenbart. Der Verfaſſer
verſetzt ſich auf den Standpunkt des Fragenden, der durch die Bes
weis führung unbefriedigt noch überzeugendere Belehrung über die
mythiſche Anſicht verlangt. Er legt nun das Widerſprechende und
Haltloſe dieſer Anſicht dar, welche durch ihren Inhalt und die Keck—
heit, mit der ſie auftritt, ohne zu überzeugen, dennoch Einwirkung
hat. Dieſe gewählte Form leitet zu einer ruhigen, von aller Bitter⸗
keit und Gereiztheit freien und deſto klarern Erörterung. Eben dieß
iſt ein Vorzug dieſer Schrift, der zugleich durch den hohen Ernſt
ihrer Sprache eine gewinnende Kraft der Ueberzeugung von der Hertz
lichkeit Jeſu und ſeines Werkes in ſich trägt. Grade bei dieſem
Sendſchreiben in Vergleich mit mehrern früher erwähnten Schriften
tritt es klar vor Augen, wie Gott verſchiedene Werkzeuge hat, durch
die er wirkt. Mit der überwältigenden Kraft des Zornes über das
unheilige rüſtet er den Einen aus, und mit der ſtill wirkenden Kraft
ruhiger Ueberzeugung den Andern. Beide kann Liebe beſeelen, kei⸗
ner iſt dem Andern an ſich vorzuziehen. Wenn jener vielleicht häu⸗
figer glänzende Erfolge erlangt, wirkt dieſer meiſt gründlicher und
mehr in die Tiefe. Zu den Kämpfern letztrer Art gehört alſo der
Verfaſſer unſers Sendſchreibens. Die Waffen, mit welchen er die
mythiſche Anſicht angreift, die ja nach Strauß ſo ſehr auf den
Ruhm pſychologiſcher Begründung Anſpruch macht, ſind beſonders
aus der Geſchichte und Pfychologie hergenommen; und wiewohl eine
wirklich theologiſche Geſinnung ſich durchs Ganze hindurchzieht, ſo
tritt doch grade das unmittelbar Theologiſche weniger hervor, was
109
für den oben bezeichneten Kreis der Leſer, ſehr paſſend iſt. Die
Widerſprüche der 0 en Anſicht find, ange meiſtens klar
uf gründlich dargelegt. | BA
Vaihinger dankt dem Berſaſſer des gelben Jeſu, * daß er nach
den Vorpoſten⸗ Gefechten, die bisher in Beziehung auf die mythi⸗
ſche Auffaſſung der Evangelien vorgefallen ſi ind, einen entſcheidenden
Schritt gewagt und ein Haupttreffen gegen die bisherige Auffaſſung |
des Chriſtenthums eröffnet habe. Jetzt handle es ſich nicht mehr um
einige Vortheile, die auf dieſer oder jener Seite zu gewinnen ſeien,
ſondern um Sein und Nichtſein, um den ganzen hiſtoriſchen
Chriſtus oder um gar keinen. Es ſei auch wohl nur als ein vor⸗
übergehender Troſt anzuſehen, wenn Strauß verſichere, die Geburt,
Auferſtehung und Himmelfahrt Chriſti bleiben ewige Wahrheiten,
wenn auch ihre Wirklichkeit als geſchichtliche Thatſachen noch ſo ſehr
angezweifelt werden. Daß Strauß oft da in den ſynoptiſchen Be⸗
richten Widerſtreit findet und bis ins Ungeheure ihn vergrößert, wo
ſich dem Auge des geſunden Menſchenverſtandes eine. Ausgleichung
darbietet, daß er „mit fremdem Feuer, mit einer jener Zeit entge⸗
gengeſetzten Ideengeſtaltung „mit einer ganz heterogenen Bildung an
Beurtheilung der Evangelien gegangen iſté, daß man es fühlen kann,
wie Strauß bei aller Gewandtheit, mit der er ſich darauf bewegt,
doch nicht auf einem ſeinem Herzen lieb gewordenen Gebiete, nicht
auf heimiſchem Boden ſteht, daß in deſſen Schrift die Evangelien
mit Mangel an frommer Achtung behandelt, die Ergebniſſe ſeiner
were zuweilen mit profanen Bemerkungen begleitet ſind, will
der Verfaſſer des Sendſchreibens nicht weiter durchführen, denn auf
die S ache kommt es ja an, ob die Reſultate, welche jener zieht,
wahr ſind oder nicht. Nur die Widerſprüche möchte er daher
andeuten, in welche ſich nach feiner Anſicht die mythiſche
Auffaſſung der Evangelien verwickelt. „Dieſe Wider⸗
ſprüche können Ihnen ſelbſt nicht entgehen, ſo * er Dr. Strauß
an, und ich zweifle, ob ſie Ihnen bereits völlig gelöst ſind. Jeden⸗
falls aber können Sie ſich keine Hoffnung machen, daß Ihre Anſicht
bei beſ⸗ onnenen Männern Eingang finden werde, wenn Sie es
nicht auch über ſich nehmen, dieſelben gründlich und überzeu⸗
gend zu beantworten. Darin wird ſich erſt zeigen, ob die mythiſche
Anſicht cht von den Evangelien Grund und Boden unter uns zu faſſen
berechtigt iſt. — So mögen Sie ſich entſchließen, die nachſtehenden
Zweifel gegen die mythiſche Anſicht des neuen Teſtamentes zu löſen,
*
*
5
nt.
110
was Ihnen, ſind Sie Ihrer Sache gewiß, durchaus nicht ſchwer
fallen kann, und dem Sie, iſt es Ihnen um die Wahrheit völliger
Ernſt, ſich auch nicht werden entziehen wollen.“ |
Den erſten Zweifel gegen die Richtigkeit der mythiſchen An⸗
ſicht ſchöpft der Verfaſſer aus der Betrachtung, daß in einer Zeit,
wie diejenige war, in welcher Chriſtus und die Apoſtel lebten, ſich
die Entſtehung von Mythen und die weite Verbreitung derſelben als
reine, geſchichtliche Wahrheit nicht denken läßt; daß auch die Ver⸗
hältniſſe der Zeit, in welcher Jeſus anerkanntermaßen wirkte,
nicht günſtig waren für die Bildung von Mythen, wobei die wahre
Geſchichte ganz ſollte abhanden gekommen ſein. Der Verfaſſer ver⸗
ſucht hier, vielleicht zwar in zu kurzen, zu wenig eingehenden Zügen
die geſchichtliche und pſychologiſche Auffaſſung jener Zeit, die durch
die Straußiſchen Hypotheſen und ſchiefen Darſtellungen ſo ſehr von
ihrem richtigen Standpunkt weggerückt wurde, wieder auf dieſen zu⸗
rückzuführen. Er ſchildert den damaligen Zuſtand des israelitiſchen
Volkes, dann denjenigen der Jünger und den des unedlen, gemeinen
Volkstheiles, in welchem ſich die apokryphiſchen Mythen bildeten; fer⸗
ner weist er die fehlgeſchlagenen Meſſiashoffnungen und die dem
natürlichen Streben der Menſchen entgegenſtehenden Ideen des Chri⸗
ſtenthums nach, und ſchließt, daß ohne Beglaubigung Jeſu durch
ſolche Wunder, wie die Evangelien ſie erzählen, unter jenen Umſtän⸗
den die faktiſche, ſo reißende Ausbreitung des Chriſtenthums unbe⸗
greiflich ſei, denn die größern geiſtigen Wunder, die bei ſolcher Auf⸗
faſſung entſtehen, laſſen ſich weniger vorſtellig machen, als die
phyſiſchen, welche bei der hiſtoriſchen Anſicht von den Evangelien ſich
finden. Der Widerſpruch einer ſolchen Mythenbildung, die alſo doch
ebenſo in das innerſte Volksleben eingegriffen haben würde, wie es
von den evangeliſchen Thatſachen hinlänglich beurkundet iſt, vermehrt
ſich, wenn wir einen genauern Blick auf das Leben Jeſu und ſei⸗
nen Tod werfen. Jenes war ein öffentliches und mannigfach beob⸗
achtetes, nicht nur von Freunden, ſondern auch von Feinden. Dieſe
letztern hätten doch gewiß ein Zeugniß der Wahrheit abgelegt, wenn
ſich wirklich Mythen über Jeſum in einer für ſie ſo gefährlichen Ge⸗
ſtalt angeſetzt hätten. Von ſolchen Zeugniſſen ſchweigt aber die Ge⸗
ſchichte. Der Tod Jeſu iſt eine nicht geläugnete Thatſache. Ge⸗
gen alle Erwartung Jeſu ſoll er nach Strauß eingetreten ſein. Un⸗
begreiflich iſt es, wie erſt die letzte Noth ſeiner Gefangenſchaft die
Geburtsſtunde der Idee eines ſterbenden Meſſias für Jeſum ſelbſt ſein
111
ini aber, wie die aufs Tiefſte durch den Tod des
Meiſters niedergeſchmetterten Jünger in kurzer Zeit nach demſelben |
von dem gröbſten Realismus in den feinſten Idealismus überſpringen
konnten. „Sie ſollten von dem Selbſtbetrug ſich denn doch wieder
haben blenden laſſen, als ſei er auferſtanden; ſie ſollten ſich haben
überreden können, daß ſie ihn geſehen haben, daß er als Aufer⸗
ſtandener mit ihnen gewandelt, daß er ihnen weitere Belehrungen
über das Reich Gottes gegeben habe, daß er vor ihren Augen in den
Himmel gefahren ſei, da doch dieß Alles nur leere träumende Einbil⸗
dung geweſen wäre! Wahrlich ein ſolcher Vorgang läßt ſich pſycho⸗
logiſch nicht erklären, er iſt entweder ein Wunder oder eine Narr⸗
heit! Noch weniger läßt ſich mit der Thatſache des Todes Jeſu,
wenn derſelbe der Schlußſtein ſeines Daſeins war „die geſchichtliche
Wahrheit vereinigen, daß bald nach dieſem Tode eine Gemeinde
ſich bildete, in welcher der Glaube an ihn ſo innig und kräftig
auflebte. „Iſt die mythiſche Anſicht die richtige, ſagt Vaihinger,
ſo muß ſich auch mit Gründlichkeit nachweiſen laſſen, wie dann doch
der anerkannt hiſtoriſche Verlauf ein ſolcher ſein konnte. Daß Sie
nun hierin ſelbſt den mäßigſten Forderungen nicht Genüge geleiſtet
haben, werden Sie nicht ernſtlich in Abrede ſtellen wollen.“ — Be⸗
ſonders aber zeigt ſich aus der Geſchichte der Auferſtehung,
wie ſchwer es iſt, gerade auf dieſem Punkte der evangeliſchen Ge⸗
ſchichte einen Mythus herauszubringen. Hauptbeweis für dieſen nach
Strauß iſt, daß die Stellen Pf. 16. und Hof. 6. die erſte Veran⸗
laſſung zu dem Gedanken an die Auferſtehung Jeſu gegeben haben.
„Nun läßt ſich aber nicht erweiſen, daß dieſe Stellen vor der
Apoſtelzeit wären meſſianiſch gedeutet worden und nach Ihrer Dar:
ſtellung hat ja ſelbſt Jeſus die Idee von ſeiner Auferſtehung nicht
gehabt. Es mußte alſo der Gedanke in den Jüngern nicht nur auf⸗
geſtiegen, ſondern feſte Wurzel geſchlagen haben, ehe von einer An⸗
wendung dieſer Stellen gegen alle bisherige Auffaſſung die Rede
ſein konnte.“ Somit fällt der Hauptbeweis für die mythiſche Auf⸗
—— der Auferſtehung. Ein Widerſpruch nach dem andern, in den
ſich dieſer verwickelt, „iſt nun aufgedeckt; beſonders umſichtig iſt aber
die Schwäche der Straußiſchen Beweisführung in Beziehung auf das
beftimmte 3 gi Be Paulus *) für die * geſchichtüche Aufer⸗ |
Siehe oben die Schrift von Gelpke ach in Beziehung auf das
Zeugniß Pauli für die Thatſ ache der Auferſtehung. |
N
8
112
ſtehung Jeſu dargethan. Philoſophiſche Zweifel über die Möglich⸗
keit eines ſolchen Wunders könnten durchaus nichts gelten, wo das
hiſtoriſche Faktum geſichert iſt, ſondern die philoſophiſche Reflexion
müſſe ſich hier nothwendig mit ihren Prämiſſen unter die Geſchichte
beugen. Offenbar ſuchte Strauß aus andern Gründen, als den in
ſeinem Werke angeführten, die Thatſache der Auferſtehnng zu ver—
nichten. Dazu gehöre ein gewollter Unglaube. „Nimmt man, ſagt
der Verfaſſer unter anderm, zu allem Uebrigen noch hinzu, daß die
Jünger, und andere Chriſten (beſonders auch Paulus der ſo feſte,
klare, ſtarke Geiſt, dieſer nüchterne Mann, der ſelbſtſtändige Den⸗
ker) wegen des Glaubens an den Auferſtandenen Gefängniß und
Bande, Marter und Tod zu erdulden hatten, und daß ſie unter
dieſen zahlloſen Leiden gewiß Zeit und Gelegenheit genug hatten,
von einer ſo überſpannten Einbildung zurückzukommen; ſo weiß ich
mich nicht ſtark genug über den Mangel an hiſtoriſchem und pſycho⸗
lo giſchem Takte auszudrücken, wenn man dieß Alles W rn
eines bloßen Mythus ſetzen will.“ —
Mit Anſchaulichkeit und auf gehaltvolle Seife, zugleich in wit 15
mehr ergreifender Sprache iſt die Unzulänglichkeit des mythiſchen
Standpunktes dargeſtellt, um die Bildung der Chriſtenge⸗
meinde zu erklären aus Juden, und aus Heiden. Die Wolke
von Zeugen, die an Jeſum glaubten und für ihn litten und farben,
fei doch wohl ein beachtenswerther Zweifel gegen die Auffaſſung der
evangeliſchen Geſchichte als Mythus, auf deſſen gründlichere Löſung,
als bisher geſchehen, einzugehen Strauß nicht unter feiner Würde
halten werde. „Wie ein Mythus, folglich eine Selbſttäuſchung Die:
Kraft hatte, die Heiden, die tief Verſunkenen, in Sinnenluſt und
Ungerechtigkeit Verſtrickten ſo mächtig zu erheben und mit der ſtau⸗
nenswertheſten ſittlichen Kraft zu begaben, iſt wieder nicht zu begrei⸗
fen.“ — Einen neuen, wohlbegründeten Zweifel gegen Strauß's Auf⸗
faſſung des Chriſtenthums findet Vaihinger darin, daß die ſ ämmt⸗
lichen neuteſtamentlichen Schriftſteller weſentlich ü ber:
einſtimmen und darauf eine unter ſich zuſammenhängende Lehre von
Chriſto bauen. „Woher kommen dieſe großartigen Gedanken, dieſe
lebenvollen Gebilde, dieſe herrlichen Ideen, welche erſt die neueſte
Philoſophie nach ſo viel fruchtbaren Forſchungen in dieſem reichen
Schatze der Erkenntniß recht und gründlich zu verſtehen behaup-⸗
tet 2“ — das iſt eine der vielen hier aufgeſtellten, gewichtigen Fra⸗
gen, auf welche Strauß noch gar keine Antwort oder wenigſtens noch
113
Feine: ſtichhaltende gegeben hat. Vielſeitig iſt nun die Stellung
der Perſon Jeſu zum Chriſtenthum beſprochen, deren Hins
wegräumung ein gewiſſer begründeter Zweifel gegen die mythiſche
Auffaſſung iſt. In der Beſchreibung des Lebens und des Charakters
Jeſu ſcheint ihm eine der ſchwächſten Parthien des Werks zu ſein,
weil Strauß ſichtbar denſelben zum gemein Menſchlichen herabziehen,
und immer mit Entfernung des Geſchichtlichen ein beſonderes Verdienſt
für die Idee fü ch erwerben will. „Immer noch bleiben Sie den Beweis
ſchuldig, ſagt er unter Anderm, „warum nicht damals wenigſtens in
den gebildeten Kreiſen eine Gemeinde ſich bildete, die einen idealen
Chriſtus konſtruirte, da ſie doch ſo nahe dazu hatten, als wir in
unſern Tagen. Doch die Gnoſtiker ſind ja größtentheils bald zu
dieſer Weisheit gekommen, die man heut zu Tage wieder anpreist.
Dieſe großen Geiſter ließen die Perſon Jeſu fahren, gingen der Idee
nach, und entgingen glücklich den Verfolgungen. Nach ihnen müſſen
wir uns alſo umſehen, wenn wir die Bewährung des idealen Chri⸗
ſtenthums ſuchen wollen. Aber wo find fie, jene ſtolzen Geiſter? Ver:
ſtoben ſind ſie, wie die Spreu vom Winde verwehet wird. Nur die
Gemeinde hat ſich erhalten, welche auf die Perſon Jeſu Alles grün⸗
dete; nur die, welcher die Evangelien Wahrheit waren; nur ſie hat
ſich aus allen Irrthümern wieder zurecht gefunden, nur ſie hat immer
aufs neue ſich wieder verjüngt, und offenbar eben deßwegen ſich fort⸗
8 während erhalten und gereinigt, weil ſie das feſthielt, was Ihnen
nicht nur als das Unweſentliche, was Ihnen auch als das Irrige
am Chriſtenthum erſcheint.“ Mit der Hinwegräumung der Perſon
Jeſu fällt auch das Chriſtenthum hinweg. Die mythiſche Anſicht
verwickelt ſich ferner in den ſchneidendſten Widerſpruch mit der ge
ſammten Entwicklung der chriſtlichen Kirche. Mit bered-
ter Sprache iſt hier nun die alles Andere, was die Geſchichte ſonſt
aufzuweiſen hat, überragende große Wirkung des Chriſtenthums
unter den Völkern der Erde geſchildert, und dieſe beruht, wenn Strauß
Recht hat, auf einer ihr durchaus nicht würdigen Urſache. Die
Verbreitung des mythiſchen Chriſtenthums würde überhaupt bei Ge⸗
bildeten und Nichtgebildeten jeder fernern Kraftäußerung des Chri⸗
ſtenthums den Nerv abſchneiden. Unbegreiflich iſt, wie die Ideen,
aus denen das wahre Chriſtenthum beſtehen ſoll, nur aus einem
Punkte ſich entwickeln, nur an einen Mann ſich anſchließen
konnten; warum nicht auf klaſſiſchem Boden von den nach Strauß
über Jeſum ſtehenden Sokrates oder Plato eine ähnliche Bewegung
| 8
*
111
und Wirkung ausging, warum die morgenländiſchen Religionen, da
doch ihre Ideen zum Theil ſo verwandt ſind mit denen, welche die
neueſte Spekulation dem Chriſtenthum zuweist, eine ſo ganz andere
Wirkung auf die Völker haben? — Treffend iſt hier der Unterſchied
zwiſchen dem Zuftande jener Religions gemeinſchaften und der chriſt⸗
lichen geſchildert. Ueberhaupt iſt dieſer Theil des Sendſchreibens, in
welchem aus der Geſchichte der chriſtlichen Kirche erwieſen iſt, daß
dieſe ſich nur begreifen läßt, wenn ſie auf einer Perfäntigteit
ruht, einer der gelungenſten zu nennen.
Nach der Durchſprechung dieſer allgemeinen Standpunkte, auf
denen ſich fo. viele Widerſprüche der mythiſchen Anſicht ergeben, bit-
tet ſich Vaihinger die Erlaubniß aus, einige Kunſtgriffe, wenn
er ſo ſagen dürfe, einer prüfenden Betrachtung zu unterwerfen, deren
ſich Strauß bei Ausarbeitung ſeiner Schrift bedient hat: Daß dieſer
als durchgreifendes Mittel, um die evangeliſche Geſchichte als Mythus
begreiflich zu machen, den Urſprung der Sage in dem alten
Teſtamente nachzuweiſen ſucht und hier die verherrlichenden Züge
finden zu können glaubt, womit die Sage nach ſeiner Anſicht das
Leben Jeſu ausſchmückte; daß ſo oft auf die apokryphiſchen Schrif-
ten des neuen Teſtaments hingewieſen iſt, als Beweiſe für
die Realität der Sagenbildung. Wie kam es, daß die Kirche die
Apokryphen, die doch in ihrer Darſtellung konſequenter ſein ſollen
als die Evangelien, darum alſo auch glaubhafter wären, ausſchied,
während ſie an die Evangelien ſich ſo feſt anſchloß? Ferner ſeien die
Anforderungen, welche Strauß an die evangeliſchen Berichte,
als an Geſchichtsdarſtellungen macht, weder gerecht, noch billig, und
die Schlüſſe, welche er aus der mangelhaften hiſtoriſchen Beſchaffen⸗
heit ableitet, nicht ſtichhaltig. Der Verfaſſer zeigt die Unſtatthaftig⸗
keit und die Widerſprüche jener Anforderungen in Beziehung auf
die Orts⸗ und Zeitverhältniſſe, auf Inhalt und Kern
jener evangeliſchen Geſchichte, ferner rückſichtlich der Aus wahl und
Anordnung des Stoffes und der Auffaffung und Darſtel⸗
lung des Gegenſtandes bei den Evangelien. Ueber dieſes Alles und
über die Wunder „dieſe Dornen unter den Roſen“ iſt viel Treff⸗
liches geſagt. An den Wundern, glaubt der Verfaſſer, ſcheitere nun
auch die Behauptung der Vorausſetzungsloſigkeit, deren ſich Strauß
rühmt. Von allen dieſen Punkten führen wir nichts näheres an,
weil fie von den meiſten Beurtheilern der Strauß ' ſchen Schrift ſchon
behandelt worden find; unter diejenigen aber, welche dieſelben gründ⸗
115
lic beſprechen, gehört allerdings auch der Verfaſſer, der mit Umficht
und auf eigenthümliche Weiſe durch Hervorhebung der unhiſtoriſchen,
unpſychologiſchen, künſtlichen Voraussetzungen den Verfaſſer des „Le:
ben Jeſu“ zu einem genauern Eingehen in die Geſchichte und den
Geiſt der damaligen Zeit auffordert, woraus ſich erſt ergeben werde,
ob man ein gutes Recht zu Behauptungen hat, wie ſie in deſſen Werk
durchgängig vorkamen. Vor Allem mache ihn, erklärt Vaihinger, an
der mythiſchen Anſicht das Poſitive irre, das Strauß als we⸗
ſentlichen Gehalt des Chriſtenthums darbiete, nämlich die
ſpekulative Chriſtologie; denn von Chriſtologie ſei ER keine Rede
mehr, und welche Armuth von Begriffen gegen die Fülle von Ideen
in der hiſtoriſchen Chriſtologie des neuen Teſtaments, auch Einfluß
auf das Leben der Menſchen können jene nicht haben. Kurz Unerklär⸗
liches, Widerſprechendes ergibt ſich in Menge aus jener ſpekulativen
Lehre. Das Schlußwort, in welchem V. ſich für den entſchiedenſten
Offenbarungsglauben erklärt, faßt noch einmal die Aufforderungen an
Strauß zuſammen, ſeinen Mythicismus klarer und einleuch⸗
tend zu machen, die Zweifel dagegen nicht mit Machtſprüchen zu
| beſeitigen, ſondern allſeitig und befriedigend zu löſen. Es ſpricht in
demſelben Geiſt der Ruhe, wie das Uebrige, aber eben einer ſolchen
Ruhe, die auf eine durch ein Werk wie das vorliegende nicht erſchüt⸗
terte ueberzeugung gegründet iſt. Herr Strauß zwar — und dieß
Prognoſtikon ſtellt fi ch der Verfaſſer nach dem, was Steudeln und
Eſchenmayern begegnet iſt, — werde nicht beweiſen, ſondern auch ihn
| vornehm und abſprechend behandeln als einen Offenbarungsgläubigen.—
Wir glauben, daß Vaihingers Schriſt Frucht bringen wird.
| Gewiß findet hier unter den theologiſchen Stimmen Würtembergs
auch die der „ Religionsphiloſophie in der Schrift von C. A. Eſchen⸗
mayer, Profeſſor in Tübingen ihre richtige Stellung: „Der Iſcha⸗
riothismus unferer Tage.“ Eine Zugabe zu dem jüng ſt
erſchienenen Werke: Das Leben Jeſu von Strauß,
1. Theil. Tübingen. 1835. S. 104. Zur Erklärung dieſes Titels
ſagt der Verfaſſer: „Von dem erſten Verräther Chriſti und Ver⸗
läugner des heiligen Geiſtes geht ein Zug durch alle Jahrhunderte, der
immer bemüht iſt, durch kritiſche und dialektiſche Künſte theils die hi⸗
ſtoriſche Grundlage zu verſtümmeln, theils die Würde der Offenbarung
zu profaniren, theils die Perſon des Stifters, nicht wie er ſich ſelbſt
ankündigt, ſondern etwa nach dem Maaßſtab großer Individuen zu
betrachten. Alle dieſe Widerſprüche gegen den klaren Sinn und Buch⸗
8 * .
116
ſtaben des Evangeliums kann man füglich unter dem Namen Iſcha—
riothismus zuſammenfaſſen. Denn wenn das Heilige ſich im Men:
ſchen verkehrt, ſo wird es zum Unſegen und Fluch, wie es bei Iſcha⸗
rioth heißt: „Und nach dem Biſſen fuhr der Satan in ihn.“ —
Eſchenmayer, welcher „Vorläufer und Mitgründer des Schellingſchen
Syſtems“ genannt worden, nachher aber ſich zum Theil demſelben
entgegenſetzte, zieht bekanntlich dem Gebiet des Wiſſens oder der
Spekulation eine ſcharfe Grenze, über welcher der Glaube beginne, deſ—
ſen Gegenſtand das Göttliche, das Selige ſei. Das Unbegreifliche
und Unerforſchliche ſei Sache der Religion. Dieſe Religion iſt ihm
aber durchaus nicht nur etwas Unbeſtimmtes und Allgemeines, fonz
dern die Offenbarung Gottes in dem Evangelium Jeſu Chriſti. Von
deſſen Wahrheit iſt er ſo unerſchütterlich überzeugt, daß ihm jetzt ein
ſolches Werk, wie das von Strauß „wie ein Sommernachts- Traum“
verſchwindet. Er erklärt, daß die Anſicht, welche Strauß auf—
ſtellt und die ſeinige, ſich völlig umgekehrt verhalten. „Ich als
Laie, ſagt er, arbeitete mich in das Evangelium hinein und über—
zeugte mich immermehr von der faktiſchen Wahrheit desſelben, indem
ich mich aus der Gefangenſchaft des logiſchen Vernunft- und des phy—
ſiſchen Natur⸗-Geſetzes durch den Glauben an die Verwirklichung der
Meßiasidee zu befreien ſuchte, in der völligen Gewißheit, daß in hei⸗
ligen Dingen der Begriff nichts zu entſcheiden vermag. Strauß
hingegen, als Theolog, arbeitet ſich aus dem Evangelium hinaus,
und überzeugt ſich immermehr von der mythiſchen Beſchaffenheit des:
ſelben, indem er ſich aus dem Bann des chriſtlichen Glaubens eben
durch jenes Geſetz zu befreien ſucht, in der völligen Gewißheit,
daß der Begriff auch in heiligen Dingen Alles zu entſcheiden vermag.“ —
„ Hier eben, heißt es ferner, liegt der gordiſche Knoten zwiſchen Philo⸗
ſophie und Religion, zwiſchen Vernunft und Glauben: ob der Glaube
befreie und das Geſetz banne, oder ob das Geſetz befreie und der
Glaube banne. Wer ſoll Richter über beiden ſein, da ſie ſelbſt
zur Partei geworden ſin ind? Wie mag die Philoſophie ſich ſelbſt das
Recht zuſprechen, da ſie Partei iſt in dieſem Streite, und ſo gilt das
Gleiche auch für die chriſtliche Religion?“ — Zwar nicht philoſophiſch
in gewöhnlichem Sinne, und doch richtig und tief pſycholo—
giſch antwortet er mit den Worten des größten Pſychologen, der
dieſe Verwicklung am meiſten vorgeſehen hat, indem die Frage der
Schule als eine des Lebens in ihrer Tiefe aufgefaßt iſt, nämlich
mit jenen wichtigen Worten Chriſti: „Wer den Willen meines Va⸗
117
ters im Himmel thun will, der wird inne werden, ob dieſe Lehre von
Gott iſt, oder ob ich von mir ſelber rede. * — Chriſtus wolle hier
ſagen: Verlaſſet euch nicht auf das Urtheil der Vernunft in göttli⸗
| chen Dingen, ſondern laſſet zuerſt euer Handeln durch den Glauben
beſtimmen, dann werdet ihr bald in euerm Innern erfahren, ob ich
meine Sache oder Gottes Sache verfechte. In göttlichen Dingen
muß Glaube und r en der Ueberzeugung une in menſch⸗
r iſt es umgekehrt. SER
Im erſten Abſchnitt entwickelt der Verfaſſer die W
ide e, indem er aus der Weltgeſchichte, aus der Freiheit und dem
Abfall des Menſchen von Gott ihre Nothwendigkeit nachweist; zu⸗
gleich aber ihre Verwirklichung in Jeſu Ch riſto, von deſſen
Perſon, Lehre und Werken das Evangelium das ewige Zeugniß iſt,
deſſen völlige Aechtheit und Integrität, Genügſamkeit, Einfachheit,
Volksthümlichkeit und innere Kraft näher ausgeführt iſt. Dieß Alles
iſt im Gegenſatz zu der Hegelſchen Lehre behandelt, nach welcher Al⸗
les, was geſchieht „ein nothwendiger Exponent der Weltgeſchichte“
ſei, ſo daß von Sünde, She und Erlösung dabei keine Rede mehr
fein könne. |
Der zweite Abſchnitt „Die trans cendent en Gegen⸗
fä tz e“ ſcheidet dieſe, als die höhern und tiefern, z. B. Chriſtus und
Satan, Heiligkeit und Sünde, von den immanenten, welche im
Kreiſe der philoſophiſchen Spekulation liegen, z. B. Wahrheit und
Irrthum, Abſolutheit und Relativität. Jene überſchreiten die Gren⸗
zen unſers Selbſtbewußtſeins und gelangen nur durch Offenbarung
an uns. Die Philoſophie vermiſchte aber gewöhnlich beide Gebiete.
Die Idee Gottes ſei kein Produkt der Spekulation, ſondern von An⸗
beginn der Welt ein Moment der Offenbarung und der ſie fortpflan⸗
zenden Tradition. Das Evangelium habe in ſich den ächten Rationa⸗
lismus, die Idee Gottes, zweitens den ächten Myſticismus, die Meſ⸗
ſiasidee, und den ächten Supernaturalismus, die Idee vom ſeligen
Leben. „Jugleich aber ſehen wir auch, daß alle Philoſophie, wenn
ſie ſich nicht zu dieſen Wahrheiten erhebt und aus den Kreiſen des
Selbſtbewußtſeins den Standpunkt der Offenbarung zu gewinnen ſucht,
ein leeres und unnützes Spiel der Begriffe bleibt, bei welchem man
die Hand nicht umzukehren Mee ob die Würfel der 8 ſo
9 Siehe oben S. 31.
118
oder fo fallen. Es gibt nur eine wahre Meer und dieß 1
die Chriſtliche.“ —
Im dritten Abſchnitt eee der aufgeſtell⸗
ten Sätze“ lenkt der Verfaſſer nun auf den kritiſchen Verſuch von
Strauß über das Leben Jeſu ein, ſtellt deſſen Tendenz und Re⸗
fultate hin, theilt ausführlich deſſen Worte über die Perſon Jeſu und
die Mythenbildung *) mit, und parodirt auf nicht unintereſſante Weiſe
jene Sätze, indem von der Idee des Chriſtenthums aus das Gegen⸗
theil derſelben behauptet wird: „Wer den Geiſt des Chriſtenthums
erfaßt, muß darauf beſtehen, daß die hiſtoriſche Grundlage, auf
welcher das Leben Jeſu beruht, die Bildung von Mythen völlig un⸗
denkbar mache. Es muß ihm klar werden, daß Jeſus nicht bloß
ein großes Individuum, ſondern wirklich der Meſſias iſt, an den
ſich zum Heil der ganzen Menſchheit eine tief eingreifende religiöſe
Umwälzung geknüpft hat. Gerade die trockenſte hiſtoriſche Zeit hat
ſich den Evangeliſten ſo ſehr mitgetheilt, daß in ihnen keine Spur
ſagenhafter Verherrlichung ihres Meiſters zu finden iſt.. Den
reichſten Stoff zur Beſtätigung des gekommenen Meſſias lieferten die
meſſianiſchen Weiſſagungen des alten Teſtaments, welche die Chriſten⸗
gemeinde alle in ihm erfüllt ſah ... Nimmt man alles dieß zur
ſammen, ſo muß die Annahme von Mythen in allen Theilen der evan⸗
geliſchen Geſchichte als eine Entweihung des Wahren, Schönen, Gu⸗
ten und Heiligen betrachtet werden.“ — x
Im vierten Abſchnitt werden die Beweiſe gegen die
mythiſche Anſicht angeführt und ausführlich beſprochen. Der erſte
Gegenbeweis iſt der Geiſt des Chriſtenthums, der zweite die Bildung
der erſten Gemeinde, der dritte der Apoſtel Paulus **), welcher
durch ſeine Auserwählung gerade dazu berufen zu ſein ſcheint, alle
diejenige, welche dem Evangelium ſeine Krone rauben wollen, zu
Schanden zu machen; der vierte Gegenbeweis der Charakter der Evan⸗
geliſten; der fünfte die Anwendung der altteſtamentlichen Stellen auf
die meſſianiſche Zeit; der ſechste und ſtärkſte ſind die Werke und
Thaten Jeſu, die wir, weil ſie aus phyſiſchen, organiſchen und
pſychiſchen Geſetzen keine Erklärung zulaſſen, Zeichen und Wunder
nennen. In der Ausführung dieſer Gegenbeweiſe trifft der Verfaſſer
meiſtens nit den andern „ eee der Strauß'ſchen Schrift zu⸗
ſammen.
*) Strauß 1. 8. 71 — 75., ſiehe oben S. 59 —
) Siehe Gelpke, Vaihinger, Ullmann, Steudel, Alulber
se
119
„Dem größten Theil der Schrift nimmt nun aber der fünfte Abe
ſchnitt ein: Specielle Würdigung der mythiſchen Anſicht. Zuerſt
beurtheilt er dieſe rückſichtlich der Verkündigung und Geburt des
95 Täufers; geht dann zu der Davidiſchen Abſtammung Jeſu über, und
berührt ferner alle Hauptpunkte der evangeliſchen Erzählung bis zur
2 Taufe und Verſuchung. Zuletzt redet er noch von dem Lokal und
der Chronologie des öffentlichen Lebens Jeſu, und legt ſeine Anſichten
über die Anordnung der Ereigniſſe nach drei Feſtreiſen dar, die am
meiſten mit denen „des ehrwürdigen Heß“ übereinſtimmen, „der
freilich das Leben Jeſu in einem andern Sinne bearbeitet hat, den
aber an Fleiß, Gelehrſamkeit und gewiſſenhafter Abwägung wohl
ſchwerlich ein Anderer übertreffen wird!“ -
Unſtreitig find nicht gerade tiefe teligwusphilopophiſche oder theo⸗
logiſche Entwicklungen in dieſer Schrift, auch iſt der Ton nicht immer
wiſſenſchaftlich gehalten, ſondern beſonders, wo von Strauß ſelbſt
und von Dr. Paulus in Heidelberg geredet iſt, ſcharf und bitter;
aber als ein aus entrüſteter Liebe zum Evangelium hervorgehendes
ernſtes Zeugniß eines auf dem Gebiete der Philoſophie wahrlich nicht
bedeutungsloſen Denkers iſt dieſelbe nicht ohne Werth. Sollte viel⸗
leicht ſchon der Name „Iſchariothismus“ für ſolche als wiſſen⸗
ſchaftlich geltenden Forſchungen, wie wir fie bei Strauß ſehen, zu
unwiſſenſchaftlich, zu richtend, zu bornirt ſcheinen, ſo mögen als Ge⸗
gengewicht die Worte zur unbefangenen Prüfung auf die Wagſchaale
gelegt werden, die Strauß über Eſchenmayer in der Vorrede zum
zweiten Bande ſagt: „Auch angeblich vom Standpunkt der Philo⸗
ſophie iſt meine Schrift beurtheilt worden durch den Herrn Profeſſor
Eſchenmayer, in einer Brochüre mit dem Titel: der Iſchariothismus
unſerer Tage. Dieſe Ausgeburt der legitimen Ehe zwiſchen theologi⸗
ſcher Ignoranz und religiöſer Intoleranz, eingeſegnet von einer ſchlaf⸗
wandelnden Philoſophie, fällt ſo ſehr durch ſich ſelbſt in's Lächerliche,
daß fie jedes Wort der Vertheidigung überflüſſig macht.!“ -
Auf den Schluß der Schrift müſſen wir hier noch aufmerk⸗
ſam machen, indem Eſchenmayer daſelbſt die intereſſante Frage auf⸗
wirft: Was kann dieſes Werk für etwaige Folgen ha⸗
ben? — „Es gibt Blitze, ſagt er, die ohne Schaden durch ein
Haus fahren, und wo man in der gemeinen Redensart zu ſagen
pflegt: Es ſei ein kalter Streich. Und von dieſer Art halte ich die⸗
ſes Werk.“ Für den jungen Verſtand, der das Spiel der Begriffe
liebt, die Gelehrſamkeit nach den Citaten ſchätzt, und ſtatt die Wahr⸗
ar
120
heit in eine Idee zu faſſen, fie auf der tauſendtheiligen Granwage
analyſirt, gibt er zu, habe dieß Buch allerdings etwas Anziehendes,
könne daher leicht diejenigen irre führen, die mit den evangeliſchen
Wahrheiten noch nicht vertraut ſind. Uebrigens ſei nun entſtanden,
was entſtehen mußte, nämlich nachdem Schleiermacher, der Bor:
mann der neuen kritiſchen Schule, durch ſeine Kunſtſtücke den Satan
aus dem Evangelium hinausgetrieben, komme nun Strauß, und treibe
durch noch feinere Kunſtſtücke auch vollends Chriſtum hinaus —
d. h. hiemit ſei nun die Selbſtvernichtung der Theologie
vollendet. Dieß ſei die Folge des Bundes, den ſchon längſt die
Theologie mit der Philoſophie, geſchloſſen habe. Unmerklich habe die
Philoſophie ihre Selbſtvergötterungslehre (denn fie habe
keine andere) in die Theologie hereingebracht, das Heilige,
die poſitive Offenbarung Chriſti und den Glauben an ihn als Meſſias
und Sohn Gottes allmälig ausgetrieben, und die Grundwahrheit:
„daß nur durch die ſich ſelbſt hingebende Liebe des Soh⸗
nes die Gerechtigkeit Gottes, welcher die Sünde ſtraft,
mit der Gnade Gottes, welche die Sünden vergibt,
vermittelt ſei,“ fo gewaltig erſchüttert, daß das Evangelium ſei⸗
nen ganzen Werth verlor, und jetzt der neueſte Kritiker, ohne Scheu
und Schaam, den Satz ausſprechen könne: „Chriſtus war ein
Menſch wie ich, oder was das nämliche heißt, ich bin
mir ſelbſt Chriſtus.“ In dieſem Satze liege die Vernichtung
der chriſtlichen Theologie, worauf ſie es durch die Vermeſſenheit der
Kritik ſchon lange ſelbſt angelegt habe. Strauß ſei eigentlich nur der
Gerichtsbote, der ihr das Urtheil ankündige. „Das Evangelium
hat aber bis jetzt alle menſchliche Syſteme zu Schanden gemacht,
und ſeine Phalanx hat Alles vor ſich her niedergeworfen, und ſo
wird es auch das Strauß’ ſche Werk nicht verſchonen.“ —
Die ausführlichſte der bis jetzt erſchienenen Schriften über Strauß
iſt die von Wilhelm Hoffmann, Diaconus zu Winnenden: „Das
Leben Jeſu kritiſch e l, von Dr. Strauß. Ge⸗
prüft für Theologen und Nichttheologen. Stutt⸗
gart 1836. Das Ganze ſoll 3 Lieferungen enthalten, bis jetzt
ſind zwei erſchienen. S. 282. Die Erſte Lieferung S. 1— 118.
enthält die Einleitung (S. 1 — 68.), welche ſich beſonders auf die
Vorrede zum erſten Band des Strauß'ſchen Werks bezieht, und den
Erſten Abſchnitt, mit dem Titel: „Der Begriff des Mythus und
feine Anwendbarkeit auf das neue Teſtament.“ (S. 69 — 118.), In
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*
dem eigenen Vo rwort bezeichnet Hoffmann als den Kreis der Le⸗
ſer, für die ſein Buch beſtimmt ſei, beſonders die „ gebildeten Nicht:
theolog en; denn mit Recht ſagt er, die Schrift von Strauß habe
au h Einfluß auf ſolche, und wahrlich ſeien unter denſelben nicht nur
„Fürwitzige“ und „Verketzerungsſüchtige“, ſondern auch Wahrheits⸗
fuhende „Die Schwachen aber ihrer Noth zu überlaſſen, iſt doch
wohl nicht gut und kein menſchenfreundlicher Troſt, es ſei an ihnen,
weil ſie nicht ſelber ſi ſich helfen können, auch Nichts gelegen.“ Nicht
unwahr if, was er ebendaſelbſt ſagt, daß Strauß die Worte Leſſings
eigentlich nicht für ſich gebrauchen ſollte: „Dem Feuer muß Luft ges
macht werden, wenn es gelöſcht werden foll;““ denn Leſſings und
Strauß's Stellung ſei verſchieden. Jener brachte fremde, von der
bisherigen Wiſſenſchaft noch nicht überwundene Anſichten in den Frag⸗
menten, die als „ein Wort ins Ohr“ im Manufkript curſirten, durch
den Druck zur öffentlichen Prüfung; Strauß dagegen mache eigene
Anſichten bekannt, die vielleicht bei näherer Ueberlegung ſich ges
ändert, oder doch ihren wehe thuenden Stachel verloren hätten. Fer⸗
ner wollte jener, daß das Feuer gelöſcht werde; will auch Strauß
dieß wirklich? wenigſtens muß, wenn jenes Leſſingſche Wort auch
hier anwendbar ſei, der Beurtheiler alsdann die Prinzipien und das
Reſultat der Straußiſchen Unterſuchung ſich etwas weniger gewiß
denken, als Vorrede und Schluß des Werkes fie erſcheinen laſſen.
Doch die Prüfung habe es nicht mit der Perſon und dem Gewiſ—
ſen des Gegners, ſondern mit ſeinem Buche zu thun. Der Geiſt
und Ton derſelben ſoll wiſſenſchaftlichen Ernſt, würdige Sec und
zarte Achtung ſonſtiger Verhältniſſe zeigen.
In der Einleitung (S. 1 — 68.) erklärt Hoffmann, . beim
Betreten der Vorhallen ſei Umſicht zu gebrauchen, denn grade in den
Vorreden ſeien oft die entſcheidenden Vorausſetzungen ausgeſprochen,
und darum bedürfe ſchon dieſe einer nähern Prüfung. In der Vor-
rede zum erſten Band des „Leben Jeſu“ ſieht er nun vier ſolche
wichtige Voraus ſetzungen, die er ausführlich widerlegt. —
Zuerſt diejenige von der Abgelebtheit der rationaliſti—
ſchen und ſuper naturaliſtiſchen Anſichten, die in den Wor⸗
ten liegt: „Die orthodoxe Anſicht habe ſich ſchon früher als die ra⸗
tionaliſtiſche überlebt, da nur, weil die erſtere der fortſchreitenden
Bildung nicht mehr genügte, die letztere ausgebildet wurde.“ Wir
haben ſchon oben S. 69. dieſe Behauptung berührt, zugleich aber
122
darauf aufmerkſam gemacht, daß auch gerade die hier gefammelten
theologiſchen Stimmen einen Beweis geben, wie unbegründet dieſer
Ausſpruch iſt. Für Theologen will nun Hoffmann keineswegs den
Gegenbeweis führen, denn ſie kennen ja die jetzige Geſchichte der
Theologie und haben daher ein Urtheil über Tod und Leben. Für
Gebildete aber will er zeigen, daß in der völligen Abgelebtheit des
Supranaturalismus und feiner Behandlungsweiſe des Lebens Jeſu
kein Grund liegt, eine neue und gerade die mythiſche Anſicht an deren
Stelle zu ſetzen, eben weil dieſe Abgelebtheit eine grund:
loſe Behauptung iſt, daß ihre „neuern Verſuche“ ſich geltend
zu machen, uns weder ganz in die ſupranaturale Anſchauungsweiſe
unſrer Vorfahren zurück verſetzen, „noch das Vergangene gegen⸗
wärtig, das undenkbare denkbar machen“, ſondern nur das
Vergeſſene in Erinnerung bringen, das Unged achte zum Ge
danken erheben wollen. Den Rationalismus nennt auch Hoffmann
inſofern ab gelebt, als ihm, der von dem entwicklungsreichen Glaubens⸗
gehalte der Religion und ihrer Urkunden ſich losmacht, keine Selbſtentwick⸗
lung, keine innere Geſchichte zukommt. Die höhere Stufe desſelben, die
ſpekulativ⸗rationaliſtiſche Anſicht iſt ſtrenggenommen nur neue Darſtellung
des nie in der Kirche erlöſchenden Strebens, von Außen herein,
ſei es aus einem wirklichen ſpekulativen Syſtem oder aus bloßen ſoge⸗
nannten Thatſachen des Bewußtſeins eine genügende Lehre zu bauen.
Gründlicher iſt aber nach dem eigentlichen Zwecke des Verfaſſers der
Entwicklungsgang des Supranaturalis mus geſchildert,
„der eben in ſeinem Glauben an die göttliche Fülle der evangeliſchen
Geſchichte einen nie verſiegenden Quell ſteter Verjüngung beſitzt, im⸗
mer neue Geſtaltungen gewinnt, und die Spekulation, fatt ihr uns
terwürfig zu ſein, vielmehr in ſeinen Kreis hineinzieht.“ Nicht
der fortſchreitenden Bildung, oder philoſophiſchen Anregungen,
noch weniger, wie es nach Strauß ſcheinen könnte, dem
aufkeimenden Rationalismus verdankt die proteſtantiſche Kirche ihre
Bewegung aus der alten ſtarren Orthodoxie zum Beſſern, ſondern
dieſe ging aus der eigentlichen Mitte der Kirche und deren Lebensprin⸗
zip hervor — die Nachreformation durch Spener. Die ne⸗
gativen Elemente wurden nun auch freier (Wolf, Semler, Kant).
Keineswegs aber entſtand nach Aufgebung der altkirchlichen Anſicht
die rationaliſtiſche als die alleinherrſchende, ſondern eine Doppel—
theologie trat ſich ſtreitend gegenüber, doch nicht in abgeſchloſſnem,
W ww . .
ſondern fließendem Gegenſatz r ittl
welche die Ausgleichungen ü ber dur beiden ſtreitenden Anſichten be⸗
wollten. Das alte ſupranaturaliſtiſche Prinzip wurde im
Kampfe geläutert, „ entlud ſich feiner innern feindlichen Elemente und
ſteht nun um ſo kräftiger und lebendiger wieder da. Beſonders in
der Auffaſſung der Perſon Jeſu, in der Behandlung der evangeliſchen
Geſchichte — als dem Hauptgegenſtande der Unterſuchung — zeigt
ſich dieß. In der nähern Darſtellung dieſer um zwei Stufen nun
fortgeſchrittenen, die alte Orthodoxie ihrem weſentlichen Gehalte nach
bewahrenden Anſicht, welche gläubig und wiſſenſchaftlich zugleich iſt,
ſtimmt der Verfaſſer dem Sinne nach ganz überein mit dem, was
oben von Heinroth (S. 25. 26.), Sack (S. 71. 72. ), Harleß, Lange,
Klaiber und Vaihinger geſagt iſt. Die Erſcheinung Jeſu iſt
nach ihr nicht gleichſam ein Repertorium von Wundern, ſondern nur
Ein, aber ein Univerſalwunder in ſeinem ganzen Sein und Werden,
ſie ſieht ein, daß er zeitlich wurde, was er ewig iſt und war. „Sie
begreift feinen zeitlichen Bildungsgang, ſie erklärt feine Wunder, de⸗
ren Fehlen undenkbar iſt, natürlich aus der Macht des Gei⸗
ſtes, der die tiefere Stufe des Seins, die Natur nothwendig
beherrſcht, ſie erkennt dieſelben in ihrem Zuſammenhang mit allem
Thun und Lehren des Gottmenſchen.“ Der Verfaſſer verweist nun
auf die wichtigſten Stimmführer dieſes nach Strauß ſter⸗
benden, nach dem faktiſchen Zuſtande aber wirklich ſich in ſchönſter
Lebenskraft entfaltenden Supranaturalismus, auf Dr. Olshauſen 1),
Tholuk 2), Sack 3), Neander 4), Nitzſch und Andere. Gut gewählte
Stellen aus den Schriften dieſer Männer ſind mitgetheilt. Beſonders
machen wir auf das Syſtem der chriſtlich en Lehre von Nitzſch
aufmerkſam, indem hier die Urſprünglichkeit und Geſchichtlichkeit der
Offenbarung, ſowie deren Allſeitigkeit und Allmäligkeit, zugleich auch
das Fehlerhafte der frühern Auffaſſungsweiſen mit geiſtreichen Zügen
8 nachgewieſen iſt, ſowie überhaupt in dieſer Schrift Glaube und Wiſ—
ſenſchaft il in . e ſich zeigen, daß jener lautet und EA
*) Damit ſtimmt das oben S. 55. 56. Geſagte überein. 1
1) Bibliſcher ommentat zum neuen Teſtament. Ein Wott übe
tiefern Schriftſinn.
2) Von der Sünde und dem Verſöhner
3) Chriſtliche Apologetik.
4) Kirchengeſchichte.
#
121
iſt, dieſe nicht nur Schritt hält mit dem ganzen bisherigen Entwick⸗
lungsgang, ſondern zugleich in denſelben fördernd eingreift. Schleier⸗
macher iſt nach Hoffmann der Vermittler der beiden ſich entgegen:
laufenden Richtungen, indem er ſich ſelbſt nicht als ideellen Ratio⸗
naliſten, ſondern als reellen Supernaturaliſten benannt wiſſen wollte;
in ihm ſei die ſtärkere Anregungskraft auf der ſupernaturaliſten Seite. —
Nach dieſer ausführlichen Widerlegung jener erſten Vorausſetzung, mit
welcher Hoffmann die Schilderung der jetzigen Theologie in ihrer dog⸗
matiſchen Seite verband, ſucht er nun in einer ähnlichen ſelbſtſtändi⸗
gen Abhandlung die zweite Vorausſetzung zu widerlegen, welche in
Strauß's Verſicherung liegt (Vorrede): „Die Wiſſenſchaft habe
vor ihm den halben Weg ſchon gemacht,“ wobei natürlich die
Geneſis des mythiſchen Standpunkts für die evangeliſche Geſchichte,
die Dr. Strauß in feiner Einleitung gibt (S. 1 — 76.) berückſichtigt
werden muß, indem dieſer an deren Schluß ſagt: „Es ſei alſo gezeigt
worden, daß, wer den mythiſchen Standpunkt auf die evangeliſche
Geſchichte in Anwendung bringt, nicht einem Einfall von heute „ ſon⸗
dern dem vielhundertjährigen Gang der Sache ſelbſt folgt. “ Zuerſt
betrachtet Hoffmann jenen Satz, daß allmälig eine Differenz zwiſchen
der neuen Bildung und den alten Religionsurkunden entſtehen müſſe;
und fragt unter anderm: ob nicht beim Entſtehen dieſer Differenz
die Schuld in der neuen Bildung, und nicht in den alten Büchern
liege? — Dann geht er in eine ſorgfältige Prüfung jenes hal—
ben Weges ein, den nach Strauß die Wiſſenſchaft zur mythiſchen
Auslegung gemacht haben ſoll, und ſucht mit Gelehrſamkeit den
Gegenbeweis zu führen, daß die rationaliſtiſch- mythiſche
Interpretation wahrlich nicht wiſſenſchaftlich entſtan⸗
den ſei und ſich al ſo fortgebildet habe, ſondern vielmehr ein⸗
zeln wurzel⸗ und haltlos daſtehe, ein Er zeugniß unwiſſen⸗
ſchaftlichen Treibens der Willkür. Die Deutungen der Göt—
terſagen bei den Griechen können unmöglich als Anfang der mythi⸗
ſchen Auslegung auf bibliſchem Boden betrachtet werden, weil Heid—
niſches und Chriſtliches innerlich zu ungleich ſind und überdieß bei
dem Heidniſchen das ſittliche Bewußtſein immer den Anſtoß zu
jenen Deutungen gab; die chriſtlichen Urkunden dagegen ſittlich unan⸗
taftbar find. Die alexandriniſch⸗ alegoriſche Auslegungsart kann durch:
aus nicht wiſſenſchaftlich, ſondern nur äußerſt regellos und willkürlich
genannt werden. Dieſer ale goriſche Nothbehelf, welcher ja nur
ein Anſtreifen an die mythiſche Auslegungsart iſt, wie wir ihn
125
bei Philo finden, der übrigens die mythiſche Anſicht entſchieden
ſcheute, kann alſo wieder kein Beitrag zu einer Nachweiſung jenes
halben Weges ſein. Auch Origenes gebe keinen ſolchen, der übri⸗
gens von Strauß ganz falſch aufgefaßt ſei, indem der Mann, der
ſo offen im Allgemeinen geredet hatte, ſich im Einzelnen nicht feig er⸗
weiſen konnte, nnd durch jene feltfamen Beiſpiele, die er für feine
Anerkennung der hiſtoriſchen Wirklichkeit der Erzählungen anführt
und die nach Strauß beweiſen ſollen, daß ihm die ſpeziellern hiſtori⸗
ſchen Fakta mehr oder minder wankend geweſen, bei genauerer Prü⸗
fung grade die Zweifler darauf hinſtoßen wolle, daß es ihm nicht um
Verflüchtigung der Geſchichte zu thun, daß die hiſtoriſche, wirkliche
Baſis der Lehre zu breit und feſt ſei, um ſie nicht anzuerkennen.
War nun überhaupt die mythiſche Interpretation damit fertig,
wenn die Allegoriker ſie an den extremſten Punkten ihres Weges, nur
höchſt unſicher berührten? Und von Origenes an bis zu den Na⸗
turaliſten eine Lücke! das ſei ja ein „ vielhundertjähriger Stillſtand, As
nicht eine Entwicklung. Die mythiſche Auslegung iſt nun allerdings
eine Frucht des Rationalismus, welcher die der Bildung nicht mehr
genügende natürliche Erklärung aufgab, und doch auch nichts Gött—
liches, Wunderbares in der evangeliſchen Geſchichte gelten laſſen wollte.
Trefflich iſt noch der Wink, daß die jetzige Wiſſenſchaft, wenn
ſie auf geſchichtliche Entfaltung und Verwirklichung der Ideen ſich
beruft, um von der Nothwendigkeit derſelben zu überzeugen, durch⸗
aus nicht jeden noch ſo ungeſchickten Anklang an eine ſolche Idee,
wenn ſie gleich den entgegengeſezteſten Standpunkten ihr Daſein ver⸗
danken, für ihr Intereſſe geltend mache. Dieß Verfahren gehöre nicht
der neuern Wiſſenſchaft, ſondern bloß dem Verfaſſer des Leben Jeſu
an. Ganz anders handhabe Hegel dieſe hiſtoriſche Methode in den
Vorleſungen über die Philoſophie der Religion, und beſonders Dr.
Baur in feiner chriſtlichen Gnoſis, welcher die Religionsphiloſophie
als eine „ durch die Jahrtauſende fortgehende Arbeit des Geiſtes“ be⸗
trachte, aber es dann verſchmähe, jede verirrte Spur gnoſtiſcher Anſi ch⸗
ten für eine Entwicklung des Prinzips zu halten. — Dieſer Abſchnitt
iſt ſehr bedeutung svoll in ſeinem Zweck und deſſen Ausführung und
in dieſer Ausführlichkeit allein der Hoffmannſchen Schrift eigen, doch
leider, beſonders im Anfang, nicht immer in rein wiſſenſchaftlichem
Tone gehalten. — Kürzer iſt nun die dritte Vorausſetzung wider⸗
legt, nämlich die von Strauß ausgeſprochene Vo rausſetzung 8 lo ſig⸗
keit, die völlig unzuläßig und unmöglich iſt. Ueberdieß ſei Strauß
126
als nicht Schöpfer eines Syſtems, ſondern als nur Anhänger der He⸗
gelſchen Philoſophie nicht einmal von „gläubigen Vorausſetzungen“
frei, was er ſelbſt ſonſt für ſo unwiſſenſchaftlich bezeichnet; nur weiche
er in Beziehung auf das Was? und an Wen? von den chriſtlichen
Theologen ab. — Die vierte Vorausſetzung, daß „der Kern
des chriſtlichen Glaubens von feinen kritiſchen unterſu⸗
chungen völlig unabhängig ſei“, iſt in dem Sinne wahr, daß
die Geltung und Kraft des Chriſtenthums an ſich ſtets wenig durch
kritiſche Forſchungen gelitten hat, aber nicht in demjenigen, in dem es
Strauß verſtanden haben will; denn hier, ſagt er unter Anderm, gilt
beim Evangelium, was Göthe von der Natur ſagt:
Natur hat weder Kern noch Schale,
Alles gibt ſie mit einem Male. — | |
Der erſte Abſchnitt (S. 69 — 118.) beſchäftigt ſich mit dem
Begriff des Mythus und ſeiner Anwendbarkeit auf das
neue Teſtament. Hier gibt uns der Verſaſſer wieder in einer werth⸗
vollen Abhandlung, in der er ſich an die Forſchungen von Dr. Fi⸗
ſcher, Nitzſch, beſonders Baur's und auch Werner's anlehnt, ſeine
Anſicht von der Entwicklungsgeſchichte der Religion. Zu:
erſt iſt die Religion des erſten Menſchen vor der innern Entzweiung
durch die Sünde, oder das nothwendige Gewurzeltſein ſeines ganzen
geiſtigen Lebens in dem Bewußtſein ſeines Geſchaffenſeins von Gott
charakteriſirt. Darauf wird der Gang dieſes Bewußtſeins geſchildert,
nachdem der Menſch ſich durch den innern Zwieſpalt in feinem Ge-
wiſſen Gott gegenüber, und hiemit auch aus ſeiner Einheit mit der
Natur herausgeriſſen ſah. Nach dem natürlichen Monotheismus
war der kosmiſche Monotheismus, der Pantheismus die erſte Stufe
der ſubjektiven, ſelbſtiſchen, von der Einheit mit Gott abgefallenen Reli⸗
gion. Dieß iſt die älteſte Grundlage aller höher gebildeten heidniſchen Re⸗
ligionen, in welcher der Menſch die Einheit Gottes mit der Welt, aber noch
nicht auch ſeinen Unterſchied von ihr erkannte. Bald ging auch auf der
Seite, wo die Tradition des alten Gottesbewußtſeins bewahrt wurde,
(Sethiten) die Gedächtnißreligion in eine ſymboliſche über, es
bildete ſich der Anfang des Götzendienſtes und der bloßen Dämonenfurcht,
neben welcher die Tradition allerdings noch bei Wenigen ſich reiner erhielt.
Die Symbolik, die älteſte heidniſche Religionsform blieb noch bei groß⸗
artigen Einheiten ſtehen, als Anbetung der Natur. Erſt ſpäter drängte
ſich nun der niedriger ſtehende Cultus herein, in dem Stammväter
und Ahnen verehrt wurden. Auf dieſer Stufe erſt entſtand der viel⸗
127
gegliederte Mythus. Die Tendenz der ausführlichen lehrreichen
Entwicklung iſt zu zeigen, daß auch auf heidniſchem Gebiete
der Mythus durchaus nicht, wie Strauß lehrt, die durchgebildetere,
höhere Form des Heidenthums iſt, in welche das bloße Symbol mit
innerer Nothwendigkeit ſich entwickeln mußte, ſondern daß derſelbe
nur eine weitere Fortbildung in der Unwahrheit des re⸗
ligiöfen Fühlens und Denkens iſt. In der Bundes re⸗
ligion der israelitiſchen Väter wurde nun die völlige Ueber⸗
windung von Symbol und Mythus angebahnt. Hier haben wir den
zweiten weſentlichen Schritt in der religiöſen Entwicklung der Menſch⸗
heit. Deſſen Grundwahrheit iſt die Erkenntniß der Geſchiedenheit
Gottes von der Natur durch die Offenbarung ſeiner heiligen Erha⸗
benheit begründet. Dieſe nebſt der ſchon früher vorhandenen Erkennt⸗
niß ſeiner Geſchiedenheit vom Menſchen ſtellte den reinſten Theis⸗
mus her. Außer dieſem Punkt iſt auch der, inwiefern die altteſta⸗
mentliche Religion mit den außerteſtamentlichen ein Suchen in ſich
hat und doch hinwieder von dieſen unterſchieden iſt, näher ausgeführt.
Jene iſt auch ſymboliſch, aber zugleich typiſch in Beziehung auf
das kommende, mythiſch ſogar, aber in dem Sinne, daß der My⸗
thus ein wirklicher iſt und damit zur Prophetie wird. Wenn der
Verfaſſer dieſen faſt nur berührten Punkt näher ausgeführt hätte, ſo
möchte er leicht mit dem, was oben Lange von der wahren Mythik
in Beziehung auf das urchriſtenthum ſagt, ſeine Anſicht in Ueberein⸗
ſtimmung bringen können. Auch er ſagt, wie Lange: „In der gött⸗
lichen Erziehung ſindet das unwahre Symbol an dem wahren, der
unwirkliche Mythus an dem wirklichen ſeinen Ueberwinder.“ Beſon⸗
ders ſorgfältig iſt ferner der rein geſchichtliche Charakter der geoffen⸗
barten Religion im alten und neuen Teſtamente nachgewieſen,
fo daß in dieſen von Mythen als geſchichtartigen Ele⸗
menten keine Rede ſein könne; dann das Unklare und Unrich⸗
tige der Strauß'ſchen Behauptung, wornach in der erſten Chriſtenge⸗
meinde zwar die „Erkenntniß der religiöſen Grundwahrheiten“ gewe⸗
ſen, dieſe aber im Ringen nach der Form des klaren Begriffs zur
mythiſchen Darſtellung gekommen wäre und ſo noch mehreres. Ueber⸗
haupt ſieht er in dem unhiſtoriſchen Verfahren jenes Werks eine
Verirrung, und zwar eine Verirrung von der wahren
Wiſſenſchaft. — Noch iſt in dieſem Abſchnitt „auf die unge⸗
heuren Schwierigkeiten hin gewieſen, welche alle Herr
Dr. Strauß noch zu beſeitigen gehabt hätte, ehe er fo
128
zu verſichtlich mit ſeiner mythiſchen Auslegung hervor:
treten konnte. Wir begegnen ſomit den von den meiſten Gegnern
beſprochenen, doch allerdings hier auch eigenthümlich behandelten Punk—
ten: Es ſind aus den Evangelien oder ſonſtigen Zeugniſſen durchaus
keine Beweiſe vorhanden, welche die vorausgeſetzte, ganz erſtaunliche
ee d der Verfaſſer derſelben zur einfachſten Kritik beſtätigen.
Die Zeit, in der ſie lebten, nöthigte ſie ſogar zur Kritik, Mythen
von wahrhaften Erzählungen zu ſcheiden. Beſonders aber geht der
Verfaſſer wieder in geſchichtlicher Kritik auf die von Strauß nach
Schneckenburger vorausgeſetzte Unterſcheidung einer primären und fe=
kundären Mythenproduktion ein, weist Unklarheit und Widerſprüche
in vielen Ausſprüchen des Strauß'ſchen Werkes nach, z. B. darin:
daß die herrlichen Ideen, die ſich in den Evangelien finden, von
den geiſtbegabten erſten Chriſten herkommen, und dieſe doch fo
beſchränkt waren, an eine ſolche unbedeutende Perſon, wie Jeſus nach
Strauß iſt, Alles anzuknüpfen, und Mythen nicht von Geſchichte
unterſcheiden können; ferner, daß bloße Lehren, ohne wirkliche That,
Weltumgeſtaltend ſeien e. Bemerkenswerth iſt die Beleuchtung, die
hier das dem Geſchichtſchreiber Joſephus zugeſchriebene Zeugniß über
Jeſus erhält. Dasſelbe ſei ächt oder unächt, immer beweiſe es, daß
Joſephus von Sagen über Jeſum nichts wiſſe, ſondern dieser mit
Schweigen und Reden für den geſchichtlichen Charakter der evangeli⸗
ſchen Ueberlieferung ſpreche. Auch wird den von Strauß mit Gering-
ſchätzung betrachteten äußern Jeugniſſen für die dec e der ene
gelien ihr Werth wieder vindicirt. —
In der zweiten Lieferung S. 119 — 282., welche die alt Ab⸗
theilung des zweiten Abſchnittes „Die einzelnen Mythen im
Evangelium“ enthält, ſetzt ſich Hoffmann als Aufgabe, an einer
Reihe gerade der wichtigſten und der mythiſchen Auffaſſung am
leichteſten ſich fügenden evangeliſchen Erzählungen, die voll ſtän—
dige Zuläßigkeit der geſchichtlichen, und zwar der ſu—
pranaturaliſtiſchen Auslegungsweiſe, an manchen auch
die gänzliche unmöglichkeit der mythiſchen Auffaſſung
darzuthun; doch bei den beiden „aumythiſchen Prachtthoren“ will er
am längſten verweilen, und hier an deren Architektonik auch keinen
kleinen Zug unbeachtet laſſen. Die erſte Abtheilung behandelt
die Geburts- und Jugendgeſchichten. Wir treffen alſo hier
auf eine ſorgfältige, eingehende Bearbeitung des ſelben Theiles der
evangeliſchen Erzählung, bei welchem auch Lange den geſchichtlichen
a . 129
rakter der Evangelien dieſen wieder ſicherte. Beide Bearbeitungen
Haben aber durchaus ihren ſelbſtſtändigen Werth, fo daß keine die
dere überflüſſig macht. Lange hebt Einzelnes in der Beweisführung
von Strauß hervor, beleuchtet es trefflich, und legt dann auf ſeine
gedankenreiche Weiſe den Text ſelbſt aus. In Hoffmanns ausführ⸗
licherer Kritik ſi nd die von Strauß aufgeſtellten Anſichten, die von
ihm vorgebrachten Gründe und benutzten Hülfsmittel mit der größten
Sorgfalt und vielem Fleiß, in Verbindung mit umfaſſenden gelehr⸗
ten Kenntniſſen im Einzelnen geprüft, um die völlige mae
kei der mythiſchen Auslegung nachzuweiſen.
1. Geburt Johannis des Täufers. Die Lehre von der Eri
pe der Engel iſt hier der Hauptinhalt. Zuerſt widerlegt der Ver⸗
faſſer die von Strauß adoptirten „willkürlichen Einfälle rationaliſtiſcher
Gegner, mit welchen wiſſenſchaftlich kaum etwas anzufangen iſt; da
ſie ihre ſubjective Zufälligkeit recht gefliſſentlich zur Schau tragen
und dem einfachſten, ungeübteſten Denker ſchon ihre Nichtigkeit zei⸗
gen.“ Sorgfältiger prüft er Schleiermachers Einwendungen gegen
die Engellehre, und verſucht darzuthun, wie grade deſſen Gegenbe⸗
merkungen eher zur Annahme als zur Verwerfung des Daſeins von
Engeln fuͤhren. Dann wendet er ſich gegen die Gründe, welche
Dr. Strauß ſelbſt beſonders gegen Olshauſens Beweisführung für
die Engellehre vorbringt. „Das müſſen wir bemerken, ſagt Hoffmann,
daß die Immanenz Gottes in der Welt, oder vielmehr der Welt in
Gott, keineswegs der Engellehre ungünſtig iſt. Selbſt bei der ſtreng⸗
ſten Form dieſer Grundanſchauung, welche der Individualität Gefahr
droht, wird der Philoſoph nicht umhin können, eine Verſchiedenheit
in den Manifeſtationen des abſoluten Geiſtes, eine Rangordnung der
Individuen in Hinſicht ihrer Kraft und Ausbildung, ſomit auch der
urſprünglichen Anlage, eine Erziehung der Schwächern durch die
Stärkeren zuzugeben. Nur das behaglichſte Selbſtgenügen könnte dieſe
zwar zugeſtehen, aber über die Menſchheit hinaus höhere Geiſter
überflüſſig finden. Denn es läge in dieſer Negation die Ueberzeugung,
daß die höchſten Menſchengeiſter keiner höhern Erziehung bedürfen,
ſondern in ihnen das durch Individuen Erreichbare auch erreicht ſei,
daß es Menſchen gebe, die bei ihrer relativen Stärke nicht auch noch
unter die Schwachen zu zählen ſeien. Man kann alſo gar wohl von
Immanenz Gottes in der Welt ausgehen, ſeine nahe ſtets gegenwär⸗
tige Wirkſamkeit in Anſpruch nehmen und doch als Vollſtrecker des
Willens Gottes die Engel betrachten. Der Mute an letztere wird
9
130
nicht dadurch begründet, wie Hr. Dr. Strauß vorausſetzt; daß
Gott der Intervention derſelben bedürfe um auf die Welt zu wir⸗
ken, ſondern dadurch, daß die Welt, die geiſtige Welt in einzelnen
Momenten ihrer Entwicklung derſelben bedürfe.“ — Auch das, was
Strauß wider den Engel Gabriel insbeſondere vorbringt, iſt ges
ſchichtlich beleuchtet; eben ſo ſind die „dem Dr. Paulus entnom⸗
menen“ Bemerkungen über das Benehmen des Engels, und nun noch
die eigentlichen Fingerzeige des Textes, die uns zur mythiſchen Auf⸗
faſſung weiſen ſollen, geprüft. — Auf gleiche Weiſe ſind noch die
folgenden Punkte erörtert: 2. Die Stammbäume Jeſu, wobei der
Verfaſſer neue Quellen nachweist, aus denen Gründe für die rein
geſchichtliche Auffaſſung geſchöpft werden können. Zugleich find durch
klare Nachweiſung der Stellung und des Zwecks der beiden Ge—
nealogieen die Schwierigkeiten gelöst. 3. Die Vorbereitung zur Geburt
Jeſu. 4. Die übernatürliche Empfängniß. 5. Geburt Seht 6. Die
Reifen aus Morgenland. 7. Bildung Jeſu.
Wenn wir der ganzen Darſtellung und Durchführung in lee
Werke, beſonders einem hierin ſo ausgezeichneten Gegner gegenüber,
mehr Leichtigkeit und durchgehende Klarheit, ſowie die immer den
Mittelpunkt der Sache treffende Gewandtheit in noch höherm Maaße
wünſchen möchten, als es ſie wirklich beſitzt, ſo kann man ſich ander⸗
ſeits des bibliſchen und wiſſenſchaftlichen Geiſtes, der dasſelbe belebt,
nur freuen. Als eine ſcharfſinnige ins Einzelne gehende Prüfung |
aller Argumente in den Hauptpartien des Lebens Jeſu, in der zu⸗
gleich immer das zu Grunde liegende Prinzip ans Licht gezogen und
kritiſch beleuchtet wird, ſollte dieß Werk weder von Freunden noch Geg⸗
nern der mythiſchen Anſicht unbeachtet bleiben. Daß bei vielen
Punkten die Widerlegung oft zu ſelbſtſtändigen einen breiten Grund
legenden Erörterungen anwächst, und hinwieder nicht eine voll⸗
ſtändige, in ſich abgerundete, der Straußiſchen entgegengeſetzte Be⸗
arbeitung des Lebens Jeſu gibt, ſomit alſo doch nur als Kritik
jener gelten kann, dieß mag allerdings dieſer Schrift etwas Schwer-
fälliges geben, aber unſtreitig haben wir gerade dieſer Methode für
Gebildete zugängliche, für Theologen in hiſtoriſcher, antiquariſcher
und philoſophiſcher Hinſicht werthvolle Abhandlungen zu verdanken.
Meſſen wir Hoffmanns Unternehmen mit dem Maß ſtab, mit welchem
er ſelbſt es will gemeſſen wiſſen, indem er ſagte: „Er habe genug
gethan, wenn ihm der Beweis gelinge, daß auch Strauß's Löſungs⸗
verſuche der ſchon längſt vorliegenden Zweifelsknoten in den evangeli⸗
7
N
131
en Erzählungen nicht auf feſtern Füßen ſtehe, als die von ihm
beſtrittenen alteren Anſichten, und ſo die Sache auf ihren alten
Standpunkt zurückgeſtellt, mitunter aber auch Ausſi ichten auf etwas
Geſſeres eröffnet werden“ ; fo können wir nur ſagen, daß ihm beides,
in mancher Hinſicht beſonders auch das letztere gelungen iſt. Mit
Freuden ſehen wir der Vollendung des zweiten Abſchnittes und der
Herausgabe des dritten entgegen, der eine Kritik der Strauß;
ſchen philoſophiſchen und dogmatiſchen Anſichten enthalten wird. —
Beklagt ſich nun Hr. Strauß über den Ton, der beſonders von die⸗
ſem Gegner geführt werde, ſo kann ſich dieſe Klage wohl kaum mit
Recht auf die ſchonungsloſe Aufdeckung der „bodenloſen Verſt icherungen,
Unklarheiten, Widerſprüche ‚ flüchtigen, miß deuteten Citationen ꝛc.
beziehen, denn ſolche Freiheit, die Schwächen eines Gelehrten aufzu⸗
decken, wendet Hr. Strauß ja auch im vollſten Maaße an. Mit ihm
jedoch wünſchten wir, daß Hr. Hoffmann ſich immer nur der wiſſen⸗
ſchaftlichen Sprache bedient, und beſonders auch der Ironie oder des
triumphirenden Tones ſtets ſich enthalten hätte. Gewiß wird aber jeder
und wohl der Verfaſſer des Lebens Jeſu ſelbſt zugeben müſſen, daß es
ihm gegenüber ſchwer iſt, nie die ruhige Haltung zu verlieren, weil er
theils wie mit ſpielendem Muthwillen das Heiligſte antaſtet und
willkürliche Machtſprüche thut, die keineswegs das ernſte Forſchen
eines Wahrheitſuchenden Zweiflers verrathen, theils weil er ſelbſt
die ihm nicht gefälligen wiſſenſchaftlichen Anſichten und deren Ver⸗
treter in der abſprechendſten Weiſe behandelt, und hierin unter Anderm
am Ende eines Abſchnittes (J. 541) ſo weit geht, daß er in Bauſch
und Bogen zu ſagen ſich nicht ſcheut: „Wem in dieſen Vergleichungen
nicht das Schalten und Walten der Sage, und damit auch der ſa⸗
genhafte Charakter der evangeliſchen Erzählungen zur
Anſchauung kommt, ſondern die Anhänglichkeit an die geſchichtliche,
ſei es natürliche oder übernatürliche Faſſung derſelben bleibt: nun der
muß doch eben ſo wenig einen Begriff von Sage, wie von Geſchichte,
von Natürlichem wie von Uebernatürlichem haben.“ — Die Hohlheit
und Keckheit ſolcher Aeußerungen ſpringt beſonders in die Augen }
nachdem von den ausgezeichneteſten Gegnern Sack, Harleß, Lange,
auch von Hoffmann, Ullmann und befenders Müller dem Verfaſſer
des Lebens Jeſu nachgewieſen worden, wie unklar und wiſſenſchaft⸗
lich unentwickelt ſeine Begriffe von en und Geſchichte, von Na⸗
tur und Wunder ſeien.
Da wir nun einmal von Dr. Steal s Kiagen über 125 Geg⸗
9 *
5 7 u N
A, AN
132
ner reden, und unumwunden erklären müſſen, daß dieſelben wahr⸗
lich nicht fo ſehr begründet find, wie es nach feinen Worten ſchei⸗
nen möchte, ſo dürfen wir wohl hier die Stelle aus der Vorrede
zur zweiten Auflage mittheilen, aus der dem Unbefangenſten klar
werden muß, daß, wenn der Ton gegen Strauß oft gereizt iſt,
er ſelbſt dieß verſchuldet, aus den oben bereits bezeichneten zwei
Gründen. In dieſer Stelle drückt ſich die bekannte Verachtung
ſeiner Gegner aus, zugleich aber jene Beſchränktheit, welche die
Heiligkeit des beſprochenen Gegenſtandes nicht verſteht, welche nicht
begreifen kann, daß es ſich hier um religiöſe Lebensfragen, um einen
Kampf, dem an Wichtigkeit nichts gleich kommt, handelt. Mit fol:
genden Ausdrücken charakteriſi irt er nämlich die meiſten der Gegen⸗
ſchriften: „ſie ſeien nicht höher anzuſchlagen, als jenes Schreien,
welches bei dem plötzlichen Fallen eines nahen Schuſſes von Weibern
zu vernehmen iſt; ein ſolcher Schrei gilt nicht dem umſtande, daß der
Schuß etwa gefehlt, oder ein falſches Ziel getroffen hat, ſondern nur
dem, daß überhaupt ein Schuß gefallen iſt. Wenn auf ſolches
Zeterſchreien wohl auch eine ſorgſame Obrigkeit ſich einen Augenblick
bewogen finden kann gegen die Gefahr jenes Schießens Vorkehr treffen
zu wollen: ſo tritt ſofort etwa ein verftändiger und wohldenkender
Mann dazwiſchen mit der Belehrung, daß hier ein blinder Lärm ob⸗
walte, und keine wirkliche Gefahr vorhanden ſei.“ — Nur beiläufig
ſei es geſagt, daß wir den Verfaſſer auch in dieſem Bilde, das in
den einzelnſten Zügen ſeine Anwendung haben ſoll, ſo wenig als in
jenem Leſſingſchen Worte: „ dem Feuer muß Luft gemacht werden,
wenn es gelöſcht werden ſoll, verſtehen; denn daß ſein Buch nur
ein blinder Lärm, ein gefahrloſer Schuß ſei, läßt er ſich ja eben von
ſeinen Gegnern, die meiſtens beſeelt von dem unerſchütterlichen Ver⸗
trauen auf die Wahrheit des Evangeliums ſeiner mythiſchen Anſicht
die entſchiedenſte Niederlage vorausſagen, ſo ungerne ſagen, und doch
hält er ſelbſt ſeine Schrift nach dieſen Worten für nichts höheres;
freilich widerſpricht dieſer Geringſchätzung ſeines eigenen Werks die—
jenige, mit der Strauß alle Belehrung von ſich abweist, und ſeine
Gegner ſogar widerlegen zu können glaubt. Auch hat ja jener ver⸗
nünftige Mann, der wohlmeinend dazwiſchen tritt, und nach der
Erklärung von Strauß ſelbſt Dr. Neander iſt, nichts weniger geſagt
als daß „ein blinder Lärm obwalte und keine wirkliche Gefahr vor⸗
handen ſei;“ — denn in ſeinem Gutachten ſagt dieſer: „Und wie
das Weſen des chriſtlichen Glaubens und der chriſtlich en Kirche von
133
einer geſchichtlich gegebenen Grundlage abhängt, ſo iſt jenes ſelbſt
zerſtört, wenn dieſe geläugnet wird, und wenn solche Anſichten vom
hiſtoriſchen Chriſtus, wie ſie in jenem Buche ausgeſprochen worden,
ſich allgemeiner verbreiteten, die chriſtliche Kirche zerſtört.“ Das iſt
doch ein Anerkennen der Gefahr und das beſtimmte Zeugniß, daß
hier kein blinder Lärm obwalte. In ſeiner Erklärung ſetzt Neander
ſich außerdem entſchieden der von Strauß gehegten „ vorgeblich höhern,
idealen Auffaſſung des Chriſtenthums “* entgegen, und hält den Glau⸗
ben an den hiſtoriſchen Chriſtus feſt, „welcher das Leben der Menſch⸗
beit umgebildet hat und mit ſiegreicher, göttlicher Kraft ferner um⸗
bilden wird. % In dieſen Worten liegt nun aber wieder von der andern
Seite jenes Zeugniß, welches alle die „ zeterſchreienden⸗ Gegner noch
klarer als Neander ausgeſprochen haben, daß Strauß's Buch aller⸗
dings inſofern blinden Lärm gemacht, als das ewige wahre Wort
Gottes, das wir in der Bibel beſi tzen, auch einem ſolchen Angriff nicht
unterliegen, ſondern ihn überwinden wird, daß eben „der hiſtoriſche
Chriſtus ferner die Menſchheit umbilden wird.“ —
Bis dahin führten wir die Stimmen praktiſcher Geiſtlicher
Würtembergs an, die nicht weniger um ihrer Wiſſenſchaftlichkeit, als um
der chriſtlichen Geſi nnungen willen beachtenswerth ſind. Eben ſo erfreu⸗
lich 1 es, wenn die Urtheile, welche aus der Mitte der Univerſi⸗
tät Würtembergs hervorgingen, und die von Männern kommen,
deren wiſſenſchaftlicher Ruf zu feſt begründet if, um durch den Hohn
eines frühern Schülers verdunkelt zu werden, wiederum nicht nur
das wiſſenſchaftliche Intereſſe, ſondern ebenſoſehr auch das des gemeinen
Chriſtenglaubens berückſichtigen, wenn Theologen im engern Sinne
des Wortes aus den Herzen hervorgehende Zeugniſſe für und gegen
wiſſenſchaſtliche, zugleich aber tief ins Leben eingreifende literariſche
Erſcheinungen zur Beruhigung der Gemüther ablegen. Die beiden
theologiſchen Stimmen, die wir aus Tübingen haben, thei⸗
len ſich ſo, daß die eine vorherrſchend das praktiſche, die andere vor⸗
herrſchend das wiſſenſchaftliche Intereſſe berückſichtigt, beide aber ſind
vom chriſtlichen Geiſte durchdrungen. Die erſtere iſt Dr. Aeabers,
die letztere Dr. Kerns Schrift.
Vorläufig zu Beherzigendes bei Würdigung der
e über die hiſtoriſche oder mythiſche Grundlage
des Lebens Jeſu, wie die kanoniſchen Evangelien
dieſes darſtellen, vorgehalten aus dem Bewußtſein
eines Gläubigen, der den Supernaturaliſten beige:
134
zählt wird, zur Beruhigung der Gemüther von De
Steudel. Beſonders abgedruckt aus der Tübinger Zeitſchrift für
Theologie. Tübingen 1835. S. 88. Dieſe Schrift iſt zugleich mit
der oben erwähnten Recenſion von Dr. Paulus das früheſte Votum
über das Straußiſche Werk und bezieht ſich nur auf deſſen erſten
Band. Steudel behandelt zuerſt den Gegenſtand, welchen Hoffmann
in dem Gegenbeweis zur erſten Straußiſchen Vorausſetzung (S. 121.)
beſpricht, nämlich den Stand der Theologie oder der wiſſen⸗
ſchaftlichen Auffaſſung und Begründung des chriſtlichen Glaubens.
Ohne, wie Hoffmann, die Literatur und die Stimmführer der einzelnen
theologiſchen Beſtrebungen zu nennen, ſchildert Steudel den innern
Entwicklungsgang der Theologie vom Anfange der
Kirche bis heute. Supernaturalismus iſt ihm nichts anders
als der Glaube ſelbſt, wie er von Anbeginn an in der Chriſtenheit
lebte, nur nach Bedürfniß zu einem beſtimmten Bewußtſein ſeiner
guten Begründung als des göttlich beglaubigten gefördert. Näher
in ſeinem Weſen und ihrer Bedeutung ſind geſchildert: Das Entſtehen
der Gnoſis neben dem einfachen Glauben, die beiden Wege, welche
jene einſchlug, den der Uebereinſtimmung mit dem Glauben und der Ent⸗
fremdung von demſelben, die Reformation, die wieder den unerſchütterli⸗
chen Felſen, das Wort Gottes, ergriff, zugleich aber den Geiſt entfeſſelte,
fo daß dieſer in Vielen zum Ergreifen der entgegengeſetzten Wahrheit (2)
in zu einfeitiger und übertreibender Geſtalt hinneigte, „das aber, ſagt
Steudel ſehr wahr, iſt nur eine Mitgabe bei der Entwicklung des
Geiſtes des Proteſtantismus, nicht der Geiſt des Proteſtantismus
ſelbſt“; ferner der Dogmatismus (der Syſtemzwang für den Glauben,)
der Rationalismus, und nun auch deſſen Gegenſatz, der Supernaturalis⸗
mus im engern Sinne. Dieſes letztern Sieg iſt ſeine Entbehrlichkeit; denn
das Wahre, das er beleuchtet und nachwies, hat ja ſeine Geltung,
wenn es dieſer Nachweiſung nicht mehr bedarf. Nachdem der Ratio⸗
nalismus verdrängt, machte man nicht einen Rückſchritt zu dem Su⸗
pernaturalismus, ſondern man hat nur wieder den alten einfachen
Glauben. Doch ein neuer Feind, nicht ſowohl des Supernatura⸗
lismus, als unter dem Vorſchieben feines Names — Feind des Glau⸗
bens, welchen dieſer verfocht, tritt auf. Dieſer Gegner nennt den
Glauben freilich nur eine Anſicht, und den Supernaturalismus eine
abgelebte Auffaſſungsweiſe des Chriſtenthums. Die Aufgabe dieſes
letztern für die jetzige Zeit iſt nun angegeben, und zugleich gezeigt,
wie derſelbe beim Feſthalten an der objectiven göttlichen Wahrheit
135
wahrlich in den Schranken der Wiſſenſchaft ſich ſeine Ebenbürtigkeit
erweiſen und zur Anerkennung bringen werde. Hierauf wendet ſich
Steudel zu der Frage über die hiſtoriſche oder mythiſche
Grundlage des in den kanoniſchen Evangelien nieder⸗
gelegten Lebens Jeſuz alſo darum handle es ſich: ob wir über⸗
haupt noch wahrheitsmäßige Berichte über das Leben, die Lehre und
die Thaten des Stifters des Chriſtenthums haben? Bei der Beant⸗
wortung geht er auch von der unläug baren, objectiv vorliegenden That⸗
ſache aus, daß das Chriſtenthum ſelbſt in die Menſchheit als gei⸗
ſtig e Macht eingetreten iſt, in einer total geſchichtlichen Zeit; und ber
weist, daß das Chriſtenthum ohne die Geſchichte, in welcher es
wurzelte, gar nicht als ein in die Welt eingeführtes nachweisbar iſt.
8 Ausgangspunkt für jene geiſtige Macht ſtellt ſich immer nur
Jeſus Chriſtus dem Auge des Freundes und Feindes dar. Schöne
Worte ſind nun darüber ausgeſprochen, daß dieſe Perſönlichkeit, welche
ſchöpferiſch, wie keine Erſcheinung in der Welt, wirkte, aus welcher
ſo viele ihre Lebenskraft ſchöpfen, unmöglich ein Bild ſein kann, das
erſt durch ein Gewebe von Mythen zuſammen geſtückelt wurde. Wie
ſo viele der Gegner von Strauß thun, ſo iſt auch hier aus dem Leben
und den Ausſprüchen des Apoſtels Paulus, der in der Knecht⸗
ſchaft Chriſti, in der unbedingten Hingabe an den Herrn grade die
Freiheit fand, auf treffliche Weiſe das wichtige Zeugniß gefchöpft,
daß in der Perſönlichkeit Chriſti ein eigenthümliches Gewicht gelegen
ſei, daß in objectiver Erſcheinung die reichhaltigſte Gottesfülle wohnte.
Dieſelbe Nachweiſung geſchieht nun an dem Johanneiſchen Evangelium,
an der Apoſtelgeſchichte, überhaupt mit Hindeutung auf all die mannig⸗
faltigen Auffaſſungen des Chriſtenthums, ſelbſt auf die von der Wahr⸗
heit abirrenden. Ferner iſt dieſes Thatſächliche der Perſon Chriſti ins
Licht geſtellt durch die Hinweiſungen auf die Weiſſagungen des
alten Bundes. Dieſe ſind keineswegs als bereits früher unter den
Menſchen zum Bewußtſein gekommene Züge darum Jeſu geliehen wor⸗
den, weil er der verheißene Meſſias ſein ſollte oder wollte, ſondern eben
Jeſu mächtige Eigenthümlichkeit nöthigte, ihn als den im alten Te⸗
ſtament verkündigten Meſſias zu balten, als dae a den alle
Anſtalten Gottes hinführen.
Nachdem alſo aus der Wirkung, die nicht geleugnet wird, auf dieje⸗
nige Urſache geſchloſſen wurde, die allein jene erklärlich macht, ſomit durch⸗
„aus die nothwendige iſt, wird über die Urkunden ſelbſt, welche
von der Perſon Chriſti Zeugniß geben, manch' gedankenreiches Wort ge⸗
136
fh Durch das Bisberige wollte Steudel klar gemacht haben, daß
durchaus nicht eine Lebens beſchreibung uns mit der Existenz eines außer
dem unbekannten Mannes erſt bekannt zu machen habe, ſondern daß wir
auch ohne ſolche Lebensbeſchreibung die entſchiedenſte Gewißheit von dem
Vorhandenſein eines mit dem Welterlöſerberufe ausgeſtatteten Jeſu hät⸗
ten. Keineswegs darf man aber daraus ſchließen, daß alſo für das Chris
ſtenthum das Weſentliche iſt und bleibt, wenn auch die Kritik das Ge⸗
ſchichtliche der Evangelien gefährde; denn immerhin will dieſe Kritik nur
einen innerlich gewordenen, alſo einen durch unſern Geiſt erſt gefchafe
fenen Chriſtum; dagegen iſt es der koſtbarſte Gewinn, eine geſchicht⸗
liche Darſtellung des Göttlichen in Chriſtus, deffen, was allerdings
ſchon fonft im Glauben des Chriſten wohl geſichert und unerſchütterlich
iſt, zu beſitzen; denn immer noch gilt das: komm und ſiehe! —
Nun aber iſt aus dem im Weſentlichen ganz übereinſtimmenden Bilde,
welches uns die vier Evangelien von Jeſus geben, und das von
Steudel mit anſchaulichen Zügen entworfen iſt, zugleich aus dem
Kreis der Umgebungen, in welchen die evangeliſche Geſchichte uns
einführt, aus der Genauigkeit in den Berichten, welche die Evan—
gelien uns geben, der geſchichtliche Charakter dieſer letztern
beleuchtet. Trefflich iſt der Einwurf gegen dieſen, der aus den ſchein⸗
baren Widerſprüchen gezogen wird, als unſtatthaft entkräftet,
beſonders auch durch das Beiſpiel aus der Apoſtelgeſchichte, in der
die Bekehrungsgeſchichte des Paulus dreimal immer mit Abweichungen
erzählt iſt (9, 3 ꝛc. 22, 6 ꝛc. 26, 12 ꝛc.) die aber einfach gelöst
ſind, ohne daß irgend ein wirklicher Widerſpruch der einzelnen Erzäh⸗
lungen bleibt. Als Quelle des Abweichenden ſind nicht die Sage, ſondern
die eigenthümliche Auffaſſung desſelben Ereigniſſes, derſelben Perſon
durch verſchiedene Perſonen, der beſondere Zweck dieſer bei ihren Erzäh⸗
lungen nachgewieſen. Dieß letztere iſt nun in Beziehung auf die vier
Evangelien weiter ausgeführt, indem die daraus hervorgehende
Eigenthümlichkeit derſelben beſchrieben iſt. — Somit beweist
nun das Vorhandenſein des Chriſtenthums und zugleich die innere
Beſchaffenheit und der Inhalt der kanoniſchen Evangelien, daß wir
über die Perſon Jeſu wahrheitgemäße Berichte haben. Zuletzt redet
Steudel noch von der durch Strauß in Anſpruch genommenen Vor⸗
ausſetzungsloſigkeit, die eine Tugend iſt, ſoweit nichts vor⸗
ausgeſetzt wird, was nicht wahr und wirklich iſt; die eine Quelle
jeder Einſeitigkeit iſt, und darum zu nichts Erſprießlichen führen kann,
wenn die Vorausſetzung auch deſſen auf die Seite geſchoben wird,
“u
was unläugbare Wahrheit und Wirklichkeit iſt. rings min
bei der Frage über die Glaubwürdigkeit der Hauptmomente in dem
Leben eines Religionsſtifters die vorliegenden Urkunden biſtoriſch ge⸗
würdigt werden; beim Chriſtenthum aber, das von Chriſtus herkommt,
welcher in uns leben und gelebt ſein will (Gal. 2, 20.), iſt es
eine „wohl mit keiner Forderung der Wiſſenſchaft unverträgliche „und
zugleich die menſchlichſte aller Pflichten, daß wir vor das, was durch
ſolche Heiligungskraft zum Heiligthum geworden iſt, und als Heilig⸗
thum ſich bewährt hat, mit ernſter, zarter Scheue treten, und aller⸗
dings uns hüten, durch eine Leichtigkeit und Gleichgültigkeit im Tone,
in welchen wir bei Behandlung dieſes Stoffes uns verſetzen, — ſehen wir
auch ab von der Verletzung des Gefühls Anderer — uns ſelbſt in Gefahr
zu bringen, daß wir aus dem Auge verlören, um welches der Munſchbeit
unausſprechlich koſtbar gewordene Gut es ſi ch frägt.
Dieſer kurze Abriß mag hinreichen, um den Gedankengang genes
„vorläufigen“ Wortes von Dr. Steudel anzudeuten, wodurch „dem Geg⸗
ner ſeine Anſicht ins Gewiſſen geſchoben, durch welches der Gegner beim
großen Publikum, das die Sache nicht verſteht, recht ſchwarz gemacht
werde, wozu es freilich keinen Doctor der Theologie brauche, ſondern
das ruhig dem Gerede der Conventikel und dem Geſchreibe der Trak⸗
tätchengeſellſchaften zu überlaſſen ſei, wie Strauß ſich über die Schrift
ſeines ehemaligen Lehrers ausdrückt. Nach ſorgfältiger Durchleſung
dieſer ſo hart beurtheilten Schrift können wir verſi ichern, daß der
Ton derſelben bei aller Wärme eine objective, die Sache ſelbſt ins
Auge faſſende Haltung hat, was uns gerade einem vom Weſen des
Chriſtenthums ſo weit abweichenden Gegner gegenüber bei Dr. Steudel
verwunderte, da er ſich allerdings ſonſt bei Andersdenkenden vielleicht zu
bald um das Chriſtenthum beſorgt zeigt. Zu jenem Vorwurf des
„ins Gewiſſenſchieben !“ können wohl nur die zuletzt angedeuteten
Worte über die in Anſpruch genommene Vorausſetzungsloſigkeit Ver⸗
anlaßung gegeben haben. Uebrigens handelt es ſich denn doch wirklich bei
dieſen Unterſuchungen um eine Gewiſſensſache! Des aus dem Herzen
kommenden Zeugniſſes aber von dem Leben in Chriſto, „an dem jede ge⸗
ſunkene Kraft ſich hob, jedes niedergedrückte Herz ſich labte, jedes beun⸗
ruhigte Gewiſſen Frieden errang, von dem durchdrungen jede Seele
ſich Eins mit Gott und alle Seelen ſi ich Eins mit einander wiſſen, das
eine vielfach geſpaltene Welt zur Einigkeit verbindet, wovon klar iſt,
daß, ſo es nur aufgenommen wird, es jeden Schaden der Menſchheit
heilet“ — wahrlich eines ſolchen Zeugniſſes der eigenen Erfahrung
\
—
70
diefes höhern Lebens hat ſich niemand weniger zu ſchaͤmen als ein
Doktor der chriſtlichen Theologie; und nur erfreulich iſt es, wenn ein
folcher ein an weitere Kreiſe gerichtetes, doch wie es hier ſichtbar
iſt, auch vor der Wiſſenſchaft gerechtfertigtes Wort des Glaubens
ſpricht. Freilich wird auch hier, wie bei ſo manchem wichtigen Worte
des trefflichen Steudels, die Verbreitung und Beherzigung durch den
Mangel einer . ug und anziehenden Br: fehe
erſchwert. 2
Die zweite von der Univerfi tät Tübingen ausgegangene, in irrt
Zweck und Inhalt wieder eigenthümliche, für Theologen ſehr
beachtenswerthe Schrift iſt die von Dr. F. H. Kern, ord.
Profeſſor der evangeliſchen Theologie: „Die Haupt⸗
thatſachen der evangeliſchen Geſchichte erörtert von Dr.
Kern. Nebſt einer Erinnerung an G. C. Kern. Aus der
Tübin ger Zeitſchrift für Theologie Jahrgang 1836. beſonders abge⸗
druckt.“ Tübingen 1836. S. 160. und Fortſetzung S. 59. Der
Nekrolog von des Verfaſſers Bruder ſteht mit den folgenden wiſſen⸗
ſchaftlichen Erörterungen in keiner Verbindung, iſt aber den meiſten
Leſern eine willkommene Gabe, weil uns das Leben eines in Würtem⸗
bergs trefflichen Lehranſtalten gebildeten, und im Glauben an Jeſum
geſtorbenen bekannten Theologen darin geſchildert if. — Der Verfaſſer
beginnt die eigentlichen Erörterungen mit folgenden, das Strauß' fche
Werk ſehr anerkennenden Worten: „Strauß's Schrift: das Leben
Jeſu, iſt eine ſo wichtige Erſcheinung auf dem Gebiete der Theologie,
daß für jeden, der an dem Fortſchritt dieſer Wiſſenſchaft Antheil
nimmt, die Aufgabe erwächst, ſich zu der in jener Schrift vollzogenen
Kritik der evangeliſchen Geſchichte ins Verhältniß zu ſetzen, und wenn
er nicht mit ihr einſtimmen kann, ſich über die Gründe davon Rechen⸗
ſchaft zu geben, oder aber im eutgegengeſetzten Falle ſich darüber zu
verſtändigen, wie er von nun an mit den anderwärts an ihn ergehen⸗
den Forderungen der Wiſſenſchaft und des Lebens ſich ausgleichen
wolle.“ — Dieſelbe Ruhe und Leidenſchaftsloſi gkeit herrſcht in der
ganzen Behandlung, ungeachtet des klaren, feſten Glaubens, der ſich
hier ausſpricht, und des beſtimmten Gegenſatzes gegen die mythiſche
Anſicht von den Evangelien. Es iſt daher auch hier, ja beſonders
hier unbegreiflich, wie Dr. Strauß in dieſen trefflichen, rein wiſſen⸗
ſchaftlichen Erörterungen „einen hochmüthigen und ſelbſt höhniſchen
Ton und die Sucht finden kann, dem Gegner überall nichts gelten
PP
„ . cpr r
ö
zu Hi dale ET N. e 6 85
30 5 Allgemei nen beleuchtet Dr. gen ent A die intereſ
fante wichtige Frage, wie es ſich mit der Möglichkeit der
Einheit des idealen und des hiſtoriſchen Chriſtus in
einer Perſon verhalte. Im gemein chriſtlichen Bewußtſein iſt
der hiſtoriſche Chriſtus auch der ideale und umgekehrt. Dieß aber iſt
eben die große Streitfrage unſrer Tage: ob dieß Wahrheit iſt? —
Dr. Strauß ſagt, es ſei unmöglich „den urbildlichen Chriſtus zugleich
als den hiſtoriſchen zu faſſen. Die für dieſe Anſicht von demſelben
aufgeſtellten Gründe (die zum Theil in dem oben S. 46. 47. 51. Mit⸗
getheilten enthalten find) werden ausführlich dargelegt und dann be:
antwortet, indem ihre unvollſtändigkeit und ihre Unhaltbarkeit an ſich
nachgewieſen wird und ſomit dieſelbe entkräftet werden. Mit Einſicht
iſt jene ſpekulative Chriſtologie geprüft. Der Verfaſſer ſetzt der Speku⸗
lation den Beweis der Möglichkeit und Nothwendigkeit eines idealen
Chriſtus, „der zugleich der geſchichtliche iſt, zur Aufgabe, die er hier
ſelbſt, zum Theil in Uebereinſtimmung mit Schleiermachers Theologie,
zu vollziehen ſucht. Darauf find die vorhandenen thatfächlichen Bes
weiſe, die dazu nöthigen, die Perſon Jeſu von Nazareth als jenen
idealen Chriſtus zu erkennen, angedeutet. Genauer iſt noch die Ver⸗
ſuchbarkeit und das Berfußtwordenfein SHrifii im Verhält⸗
niß zu ſeiner Sündloſigkeit erläutert.
Im Uebergange auf die Haupttendenz, die Erörterung der
Pe tthatſachen der evangeliſchen Geſchichte von Jeſus
Chriſtus beſtimmt der Verfaſſer feine Aufgabe näher, indem er „das
öffentliche Leben und Wirken Jeſu und ſeines Vorläu⸗
fers Johannes“ als das eigentlich geſchichtliche einer genauern
Prüfung unterwirft. Kurz wird auch hier noch angedeutet, wie der
Wirkung, der Weltreligion, eine adäquate Urſache, eine großartige
hiſtoriſche Perſönlichkeit entſprechen müſſe, unmöglich könne die Sage
Alles zuſammen erſt hervorbringen; ferner wie die evangeliſche Ueber⸗
lieferung ebenſowohl i in ihrem Urſprun ge, als in ihrem Fortgange
die Bürgſchaft der Wahrhaftigkeit und der Glaubwürdigkeit habe;
werde dennoch unſern kanoniſchen Evangelien alle Glaubwürdigkeit
abgeſprochen: ſo ſollte doch auch auf befriedigende Weiſe gezeigt wer⸗
den, theils wie die urſprüngliche ächte Ueberlieferung vom Leben Jeſu
überhaupt habe abhanden kommen können, theils wie die ächte ſich ges
rade in dieſe falſche habe umſetzen müfſen, die wir jetzt haben. —
35
140
Die Abhandlung geht nun auf die Hauptmomenke ein, welche ſich in
Nn 95. 40 — 52. 57 — 65. 107 — 139 des „Leben Jeſu“ finden. Bei
jedem einzelnen Punkte iſt Strauß 's Anſicht mit den Gründen dafür
ausführlich dargelegt und dann wird die Prüfung angeknüpft. Durch
hiſtoriſch⸗grammatiſche Auslegung des bibliſchen Textes, in welcher
eigenthümliche, durch Einfachheit ſich auszeichnende Anſi ichten aufge⸗
ſtellt ſind, wird die Frage entſchieden, ob dieſe einzelnen Evangelien⸗
berichte in ſich ſelber glaubwürdig ſeien oder nicht. Die Erörterung
iſt gründlich, klar und ernſt. Einige der allgemeinern wichtigen Be⸗
merkungen, die ſich meiſt am Schluſſe der Abſchnitte finden, ene
wir uns nicht enthalten, hier mitzutheilen. |
Am Schluß des Abſchnitts von dem Verhältniß des Täufers zu
Ans heißt es unter Anderm: „Sehen wir die Thatſachen der evan⸗
geliſchen Geſchichte aus dem Geſichtspunkte der Strauß'ſchen Kritik
an, ſo müſſen wir konſequenker Weiſe ſchon von vornherein alle altte⸗
ſtamentlichen Vorbereitungen auf den neuen Bund als eine göttliche
Veranſtaltung läugnen ... Zufällig iſt der Auftritt des Täufers; nie⸗
mand kann uns eine Auskunft über ſeine Berechtigung zu ſeinem Be⸗
rufe geben. Ebenſo zufällig ſteht der Auftritt Jeſu da, ohngeachtet
nur an dieſer zufälligen Erſcheinung Jeſu die Fortſetzung des von
Johannes begonnenen hing. Daß Jeſus auftritt, dieß hat ganz keinen
Grund in ihm ſelber. Nirgends iſt hier etwas von innerer Nothwen⸗
digkeit. Alles iſt nur ein von außen beſtimmtes d. h., da der Ge⸗
danke einer göttlichen Veranſtaltung der Entwicklung der Ereigniſſe
ſchlechthin ferne gehalten werden ſoll (denn dieß wäre ein unwiſſen⸗
ſchaftlicher Supernaturalismus). Alles iſt durchaus zufällig.
Das Zufällige aber — das iſt gerade dasjenige, was der Mögliche
keit des Begriffs völlig ſich entzieht, und wenn wir weiter beden⸗
ken, daß die Vorſtellung des Zufälligen überhaupt eine ganz unphi⸗
loſophiſche iſt, ſo wird ſich wohl ſchwerlich vor der Wiſſenſchaft
eine Anſicht rechtfertigen, welche das göttlich-Nothwendige in ein
menſchlich⸗Jufälliges auflöst.“ — Beſonders geſchickt iſt bei der Taufe
Jeſu aus dem evangeliſchen Bericht ſelbſt die weſentliche und inner⸗
liche Wahrheit dieſes Ereigniſſes gegen die allerdings wichtigen Bes
denken, welche von ſo vielen Andern und nun auch von Strauß auf⸗
geſtellt wurden, bei Beantwortung der Frage: warum hat Jeſus ſich von
Johannes taufen laſſen? nachgewieſen. Auch in den bei dieſer Taufe vorge—
kommenen Vorfällen ſieht Dr. Kern im Weſentlichen objektive Wahrheit.
Der ſehr gut dargelegte Zweck des Geſchehenen gibt Licht über Al⸗
111
les. Bei dem Abſchnitt: „Jeſus als Sohn Gottes“ ſagt Dr. Kern:
„Der theokratiſche Begriff von Sohn Gottes als Meſſias und der
metaphyſiſche ſchließen ſich gegenſeitig nicht aus; darum iſt zwiſchen
den Synoptikern und dem johanneiſchen Evangelium in ſoweit auch
kein 2 ziderſpruch. Und daß den Synoptikern der johanneiſche Begriff
vom Sohn. Gottes ebenfalls nicht fremd war, beweiſen Stellen, wie
Matth. 11, 25. Parallelen. Matth. 28, 18. ꝛc. Ebenſo iſt den
Johannes der theokratiſche Begriff nicht fremd. 10, 34. Somit
wird alſo auch hier wieder ſchlechtweg von Strauß vorausgeſetzt, \
daß Johannes nichts getreulich referire, ſondern daß wir in die⸗
ſem Evangelium nur gemachte Geſchichte haben.“ — Bemerkenswerth
iſt beſonders die Erörterung der Weiſſagungen Jeſu über ſeine Pa⸗
rouſie und anderer Reden. — In dem Theil: „die Ereigniſſe vom
Gang nach dem Oelberg bis zur Kreuzigung Jeſu“, findet Kern,
komme dieſe Kritik des Lebens Jeſu in ihrer abſoluten Negativität
ganz zur Erſcheinung. „Mit einem Federſtrich tilgt ſie aus dem Le⸗
ben Jeſu, was bisher von allen tiefer ergriffenen Chriſten als das
Herrlichſte geachtet wurde, die Abſchiedsreden Jeſu bei Johannes
(die von Strauß nicht ohne bittere Ironie „gedehnte Demuthsreden
Jeſu““ genannt werden) und ſein hoheprieſterliches Gebet. Und alles
dieſes auf die unwiſſenſchaftliche petitio principii hin, daß, was als
Erfolg im chriſtlichen Geſammtleben, und was als geiſtige Beſtimmt⸗
beit dieſes Geſammtlebens ſich kund thut, nicht ſchon im Geiſte des
Stifters dieſes Geſammtleb ens begründet, und in ſein Bewußtſein ein⸗
getreten fein könnte.“ — Bei der Gefangennehmung fragt der Verfaſſer
der Strauß'ſchen Auffaſſungsweiſe gegenüber: „Iſt denn aber ein
ſolches Benehmen auf Seiten Jeſu nicht gerade das Gegentheil von
Haſt und Eilfertigkeit? und war es nicht gerade eine, die dem Er⸗
löfer ziemende ruhige Würde — nicht aber, man kant feinen Augen
kaum, dieß zu leſen, ſchauſpieleriſchen Muth — kundgebende, Hand⸗
lungsweiſe, wenn Jeſus ſo handelte, wie nach dem gegenſeitig ſich
ergänzenden Bericht des Johannes und der Synoptiker? War dieſe
Handlungsweiſe nicht ganz dazu geeignet, um die Freiwilligkeit dar⸗
zuthun, womit Jeſus ſich in das ihm Bevorſtehende fügte? Aber,
wird eingewendet, eben dieß Letztere iſt eine Anzeige davon, daß die⸗
ſer Zug erſt hintennach erdichtet wurde, um von Jeſus den ungünſtigen
Schein einer unfreiwilligen Gefangennehmung zu entfernen. Abermals
jener handgreifliche Zirkel im Beweis, wornach der Perſönlichkeit
Jeſu erſt das ſie Auszeichnende entriſſen wird, um dasſelbe hinten⸗
142
nach ihr wieder durch die fie verherrlichende Lüge der Chriſten ange⸗
dichtet werden zu laſſen!““ — Bei der Auferſtehung Jeſu, (fiehe oben
S. 63.) ſagt der Verfaſſer im Allgemeinen: „Werfen wir auf die
Strauß'ſche Auffaſſung derſelben einen prüfenden Blick, fo muß vor
Allem befremden die auffallende Miſchung natürlicher Erklärungsver⸗
ſuche, die aus den Rüſtkammern des Rationalismus geborgt ſind,
(worin dießmal übrigens ſchon der heidniſche Philoſoph Celſus in
feinem Angriffe auf das Chriſtenthum voranging,) und eigenmächtiger
Machtſprüche in Bezeichnung desjenigen, was ohne weiters als die
zu den imaginären Viſionen hinzugekommene Dichtung angeſehen wer⸗
den müſſe. Wenn die Kritik durch die letztere Behauptung ſich getreu
bleibt, ſo verfällt ſie durch jene naturaliſtiſche Hypotheſe gerade in das⸗
ſelbige Verfahren der Rationaliſten, das ſie ſo oft mit bitterer Ironie
und als etwas Ungereimtes abgewieſen hat. Und warum dieß? Dieß⸗
mal, weil mit unumſtößlicher Gewißheit eine Thatſache vorliegt, die
ſich nicht läugnen, und auf keine Weiſe hinwegdiſputiren läßt. Weil
aber deſſen ohngeachtet die Auferſtehung nicht für wahr gehalten wird,
dieß jedoch lediglich aus der vorausgeſetzten Unmöglichkeit derſelben,
ſomit aus einem Grunde, der nicht auf dem Gebiete der hiſtoriſch⸗
kritiſchen Forſchung, ſondern der Philoſophie liegt, welche übrigens
ſelber noch nicht an dem Grenzſtein der menſchlichen Erkenntniß ange⸗
kommen fein wird,*) — fo wird das Faktum der Auferſtehung zuerſt
in eine blos ſubjective Erſcheinung der viſionären Imagination ver⸗
wandelt, und daraus dann wieder durch einen neuen kritiſchen Pro:
zeß mittelſt der Einſchiebung verſchiedener Dichtungen das Reſultat
der mehrfachen Nachrichten von der Auferſtehung Jeſu am dritten Tage
und fernerhin herausgebracht. Was W aber iſt U RR je ge⸗
wälkjangir Willkür.“ |
N
ke Dr. Kern berührt hier einen Gegenſtand, in dem wohl auch
| jeder beſonnene Philoſoph mit ihm übereinſtimmen wird, wofür
wir wenigſtens von Profeſſor Weiße, der im Dogmatiſchen we⸗
ſentlich von Strauß abweicht, ein ſchönes Zeugniß in folgenden
Worten haben, die ſich auch in dem S. 22. erwähnten Send⸗
ſchreiben finden: „Der Theolog hat das Recht, bei Allem das
Bewußtſein feſtzuhalten, daß das Wort der Philoſophie
noch kein vollendetes iſt und bei ſeinem Fortſchritte gar
wohl noch in manchen Dingen auf Reſultat führen kann, welche
auf ihren gegenwärtigen dee der ai ee als Wunüg-
lliüch erſcheinen! — 175
—
113
Dieſe durch Zweck und Ausführung für Throfogen werthvolle erege⸗
tiche und hiſtoriſch⸗kritiſche Abhandlung von Dr. Kern bildet nur
einen erſten Artikel, in einem zweiten ſoll das Urbrige is erörtert werden,
wobei die Betrachtung von ſelbſt in das Allgemeine des Urtheils auslaufen
werde. „Durch das Bisherige, ſagt er am Schluſſe, ſollte klar werden,
daß die Kritik, welche durch ihr Verfahren die evangeliſche Geſchichte,
konſequenter Weiſe die Geſchichte überhaupt zerſtört, und das nach
den evangeliſchen Berichten in ſich einſtimmige und großartige Bild
der Per ſönlichkeit Jeſu zu einem unbedeutenden und ſich widerſtrei⸗ N
tenden herabſetzt, damit zugleich auch ſi ch ſelber aufhebt. Aber es iſt
für die Wiſſenſchaft von der größten Wichtigkeit, daß endlich einmal
Alles, und in dieſer Schärfe geſagt iſt, damit für jeden, der an der
ane Theil nimmt, die Entſcheidung nothwendig werde.“
In derſelben Tübinger Zeitſchrift für Theologie Jahrgang
1835, in welcher Steudels und Kerns Schriften zuerſt erſchienen, finden
ſich (Jahrgang 1836) „Bemerkungen von Beck in Mergent⸗
heim,“ die wir leider hier nur anzeigen und nicht näher charakteriſiren
konnen, fi e werden von einigen der früher erwähnten Schriftfteller, die fie
kennen, „ „beachtenswerth und trefflich! genannt. Der Verfaſſer iſt
ſeitdem als außerordentlicher Profeſſor der Theologie nach Baſel beru—
fen worden, und in der daſelbſt gehaltenen, inhaltsreichen akademiſchen
Antrittsrede „Ueber die wiſſenſchaftliche Behandlung der chriſtlichen
Lehre“ (Baſel bei Spittler), in welcher die innere Entwicklung der Theo⸗
logie nach ihren verſchiedenen Stadien geſchildert iſt, ſagt er unſtrei⸗
tig auch mit Beziehung auf die im Straußiſchen Werke auf die Spitze
getriebene Kritik: „Nur nachdem die Wiſſenſchaft ſelbſt die heilige
Geiſtestaufe empfangen hat, iſt ſie befähigt, die wahre innere Kritik
auszuüben über die noch zweifelhaften Urkunden, und die hiſtoriſch feſt⸗
geſtellten gegen die Anfechtungen jener gewöhnlich ſogenannten innern
Kritik zu behaupten „welche nur von einem gerade überwiegenden
ſubjectiv innern Geſichtspunkt ausgeht, und über ein bibliſches Buch
aburtheilt aus ihrem Geiſt, nicht aus dem eigenthümlichen Geiſte
der heiligen Schrift ſelbſt. So fällt namentlich auch der pneumatiſchen
Kritik die Frage über das kanoniſche Anſehen des alten Teſtaments
und ſein Verhältniß zum neuen anheim, was nur zu bereinigen iſt, von
der Höhe und Tiefe des chriſtlichen Geiſtes und aus dem vollendeten
griſtlichen Offenbarungsbegriff. Am Schluße ſagt der Redner:
„Ein Wehe ruft der Geiſt der Theologie, wie ihre Geſchichte, über
den * inn, der gerade auf dieſem Gebiete der ewigen Mubeit,
1
ſchnell zu reden und langſam zu hören, mit einer bloßen Fertigkeit
des Talents Alles leiſten zu können ſich ſchmeichelt. So ſchnöde
übrigens auch noch unter der Aegide der Wiſſenſchaft der chriſtliche
Glaube beſtritten wird: verdammen wir nicht die Dit) ifſenſchaft
ſelbſt; nicht das Wiſſen iſt mit dem Glauben in Oppoſition, ſondern
Ein Glaube mit dem andern, der Eigenglaube mit dem Gottesglauben.
Letzterer iſt nicht Jedermanns Sache, wie der erſte, weil das, was
er vorausſetzt, nicht Jedermann genehm iſt; aber der Gottesglaube
iſts, der die Welt überwindet, und hat eben 5 alle Wirren Um
Kampfes nicht zu fürchten.“ — |
Beim Rückblick auf alle diefe im Namen des Chriſtenglaubens
oder der chriſtlichen Wiſſenſchaft redenden Stimmen Würtembergs,
zu denen auch die S. 29 und 31 angeführten Schriften von Barth
und Hartmann gehören, können wir nicht anders, als zum Schluß
noch das Glaubenswort Luthers, welches Dr. Steudel ſeiner Schrift
als Motto vorſetzt, beifügen: „Er iſt bei uns wohl auf dem Plan.“ —
8. i
S t i m m en‘)
aus den
theologiſchen Studien und Kritiken.
Vor dem kundigen Leſer iſt es wohl leicht zu be a 7 vw
wir die Stimmen, welche ſich in dieſer „Jeitſchrift“ („für das
ge weben der eo hege in PN mit Dr. Ai
*) Bei dieſem letzten Abſchnitte fügen wir der möglichſten Voll⸗
ſtändigkeit wegen noch die Anzeige einiger das Strauß'ſche Werk
betreffenden Schriften, oder auch nur gelegentlich ausgeſprochener
Urtheile von bedeutenden Männern ein. Sie wären leicht bei
der gemachten Eintheilung unter zu ordnen, kamen uns aber
theils zu fpät zu, um an ihrer Stelle angeführt zu werden,
theils kennen wir ſie nicht aus eigener Anſchauung und müſſen
nur Anderer Urtheil folgen. Mit den Studien und Kritiken
haben ſie durchaus keine nähere Beziehung und werden hier
143
*
feler, Dr. Lücke und Dr. Nitzſch, herausgegeben von Dr. ul
man!
und Dr. umbreit.“ Hamburg. Perthes.“) ausſprechen,
in einen eigenen Abſchnitt zuſammenfaſſen und keinem . ein⸗
nur hingeſtellt, weil dieß fi ch wegen des Deuces am feichteften
thun ließ. — |
An den Blättern für literariſche unterhaltung iſt
eine Recenſion, zu der Profeſſor Weiße ſich als Verfaſ⸗
ſer bekannte. Dieſer iſt nach dem oben aus dem Tholuckſchen
Anzeiger angeführten Sendſchreiben im Dogmatiſchen, beſonders
in der Auffaſſung der Perſon Jeſu weſentlich anderer Anſicht als
Strauß. Doch nennt letzterer in der Vorrede zur zweiten Auflage
Weiße's Recenſion nebſt einer andern in den Pflanz'ſchen
Blättern für katholiſche Theologie für ihn erfreulich,
weil in ihnen der unmittelbare erſte Eindruck, den ſein Werk ge⸗
macht, nicht mehr der Beurtheilung desfelben geſchadet, fondern
bereits der Anfang dazu fei, von dem Einzelnen ſich Rechen:
ſchaft zu geben und deſſen einzelne Ergebniſſe ſammt den Beweiſen
zu unterſuchen; kurz hier, glaubt Strauß, könne ſowohl das
Publikum eine richtige Würdigung, als er ſelbſt wirkliche Be⸗
lehrung empfangen. Uebrigens zählt er die nach den obigen
Mittheilungen von ihm ſonſt ſo hart getadelten Schriften Hoff⸗
manns und Kerns auch zu denen, welchen manchfache Beleh—
rung zu verdanken er gern geſtehe.
Mit beſonderer Freude erwähnt Dr. Strauß der Art, wie
de Wette, „ein alter Meiſter bibliſcher Kritik“, in der Er⸗
klärung des Evangeliums Matthäi (Weidmann'ſche
Buchhandlung 1836.) ſeine Bemühungen würdige. In die ein⸗
zelnen Stellen dieſes Werks, in denen auf Strauß's Leben Jeſu
Rückſicht genommen iſt, können wir natürlich nicht eingehen.
Bemerkenswerth und bezeichnend genug iſt das, was de Wette
im Vorwort ſagt: „Da dieſer Kommentar über den Mat⸗
thäus faſt gleichzeitig mit dem ſoviel Aufſehen erregenden Leben
Jeſu von Strauß erſcheint und ſich in vielen Punkten mit ihm
berührt; da es auch nicht fehlen wird, daß Viele ihn nur darauf
—
anſehen werden, wie er ſich zu jenem verhalte: ſo will ich fol⸗
gende Bemerkungen vorausſchicken:
1. Ich ſehe als Quelle der drei ſogenannten ſynoptiſchen Evan⸗
gelien die ueberlieferung an, welche während der erſten Jahr⸗
zehende der urchriſtlichen Periode unter den Chriſten in Umlauf
war. Dieſe Ueberlieferung, die an ſich über die einzelnen That⸗
ſachen des Lebens Jeſu ſchwankte, wurde von jedem der drei Syn⸗
vptiker nach einem eigenen Plane und nach eigenthümlichen Anz
ſichten behandelt. 2. Hieraus folgt natürlich, daß ich mit *
10
146
reihen. Die nahe liegende Veranlaſſung iſt auch hier der dieſen Urtheiz
len eigenthümliche theologif che Charakter. Dieſen mit einem
Schlagworte zu bezeichnen, iſt jedoch ſchwer. Wir vermieden daher, um
im Gegenſatze gegen die alte und neue Harmoniſtik, in welcher
ich mit ihm die verwerflichſte Befangenheit, Willkür und Un:
redlichkeit finde, und weit eher die Abweichungen der Evange—
lien von einander bemerklich mache, als deren Vereinigung ver-
ſuche. 3. Ebenſo treffe ich mit Strauß zuſammen im Gegen—
ſatze gegen die natürliche Anſicht und Erklärung der Wunder
der urchriſtlichen Geſchichte, über deren Unzuläßigkeit die ge-
ſunde Auslegung längſt entſchieden hat. 4. Ich verhehle es
nicht, daß ich, was die übernatürliche Anſicht der Wunder be—
trifft, keineswegs ſtarkgläubig bin. Ich halte aus Einſicht in
das Weſen der Religion den Eifer für ſehr unheilbringend, der
darauf dringt, daß Alle an die buchſtäbliche Geſchichtlichkeit
der Wunder glauben ſollen. Das, worin Alle, ihre Anſicht
von den Wundern mag ſein, welche ſie wolle, ſich e
können, iſt die ideal⸗ -fombolifche Bedeutung derſelben, ohne das
mit behaupten zu wollen, daß die Wundererzählungen bloß aus
Ideen zuſammengewebt ſeien. 5. Die Strauß'ſchen Unterſuchun⸗
gen ſind meiſtens negativ und inſofern unklar in ihren Reſulta⸗
ten, als nicht genug erhellet, wie viel und welchen hiſtoriſchen
Gehalt er als Grundlage der neuteſtamentlichen Mythologie an⸗
erkennt; ſoviel iſt jedoch klar, daß ihm die Perſon Jeſu in derje⸗
nigen Bedeutung, welche ſie für den Gläubigen hat, verſchwun—
den iſt. Darin hat er ſich zu weit führen laſſen, und ich glaube,
daß diejenigen, welche ſich zwar von der Unkritik und Willkür⸗
lichkeit der ſogenannten Orthodoxen befreit, aber zugleich den
ächt hiſtoriſchen Glauben an Chriſtum bewahrt haben, zu an—
dern Reſultaten gelangen können. Unter dieſem ächt hiſtoriſchen
Glauben verſtehe ich ſittlichen Glauben, der, auf der Grundlage
deer hiſtoriſch⸗ kirchlichen Gemeinſchaft, an der Thatſache feſthält,
daß der Geiſt, welcher das Lebensprinzip der neuern Welt ge—
worden iſt, in der Perſönlichkeit Chriſti ſeinen Quellpunkt hat,
und daß er der Schöpfer unſers religiöſen Lebens iſt. Die
Aengſtlichkeit derer, welche gern Alles, was der kindliche Glaube
früherer Jahrhunderte ohne Kritik 20 angenommen hat, feſthal⸗
ten möchten, zeugt von der Unfähigkeit den Gang der Weltbil⸗ 0
dung zu begreifen. Der chriſtliche Glaube iſt nicht allein und
zunächft Bibelglaube, ſondern vor allen Dingen Glaube an die
Offenbarung in Chriſto, welche auf Thatſachen beruht, die auch
a die Ztugniſſe der Schrift gewiß ſind. Dieſe iſt der Kanon,
N
nicht auf die eine oder andere Seite hin ungerecht, e der wenigſtens unklar
e e Damen, „> NErRUBEEIINE nibeplogen “,
weil er nur erläutert klar iſt und überhaupt keinen guten Klang hat; die
N 4 ’ a
nach dem wir unſre gläubige Ueberzeugung zu meſſen und zu
berichtigen haben. Aber der rohe Empirismus und die ſteife
Verſtändigkeit, mit der man fie bisher ſowohl in hiſtoriſcher
als dogmatiſcher Hinſicht behandelt und zu einer Art von Ger
ſetzbuch, deſſen Inhalt buchſtäblich anzunehmen ſei, erniedrigt
hat, muß aufhören. Das Chriſtenthum als Sache des Lebens
kann nicht untergehen, die Geſchichte und der Lehrbegriff des:
ſelben aber — eine von Gott ſelbſt geſchriebene Hieroglyphe —
wird immer neue, und immer freiere Deutungen erfahren, und
zwar hoffentlich nicht bloß vom Verſtande, der fie fo oft ent»
weiht hat, ſondern von einem ahnungsvollen, ſchöpferiſch begei⸗
ſterten heiligen Sinne.“ — Das Urtheil dieſes Theologen iſt
ganz ſo, wie ein jeder, der deſſen Schriften kennt, nicht anders
erwarten konnte: geringſchätzend und zum Theil bitter gegen die
ſoogenannten Orthodoxen, deren wiſſenſchaftliche Bemühungen
übrigens auch hier im Allgemeinen geſchildert ſind, wie ſie wohl
nicht ohne Ungerechtigkeit geſchildert werden können; ruhig und
anerkennend gegen Strauß, was naturlich iſt, da dieſer in ſei⸗
ner Einleitung zeigt, daß er den Begriff des Mythus, den de Wette
in Beziehung aufs alte Teſtament und zum Theil auch auf das neue
aufgeſtellt, nur reiner gefaßt und noch umfaſſender angewendet
habe, als dieſer. Die bekannten kritiſchen Grundſätze in ihrer
Saubfektivität, die dieſem Theologen angehören wie der ganzen
neuen Kritik (ſiehe No. 2), ſind offen dargelegt. Das Ehren⸗
werthe iſt nun aber die Offenheit und Wahrheitsliebe, mit wel⸗
cer der Meiſter feine Grundſätze auch in dem Werke eines Nachfol:
gers, das ſo vielen Anſtoß gibt, anerkennt, und erfreulich iſt,
daß eben auch hier das höhere religiböſe Bedürfniß den einen vor
der Konſequenz, die der andere nicht ſcheut, bewahrt; wiewohl
wiſſenſchaftlich durch dieſes Feſthalten der von Dr.
Strauß, wie von ſeinen Gegnern mißbilligten Halbheit der
Gewinn der konſequenten Durchführung der mythiſchen Erklä⸗
rung wieder verloren wird.. We
Zum Theil auf de Wetteſche Grundſätze über Tradition,
Bildung der Evangelien aus derſelben geſtützt, wiewohl in einzelnen
Rieſultaten von dieſem Theologen abweichend iſt nun die Schrift
von Dr. M. F. Wilke, Paſtor zu Rothenburg a. d.
Saale, in welcher auch der mythiſche Standpunkt von Strauß
feine Beurtheilung findet: „Tradition und Mythe. Ein
Beitrag zur hiſtoriſchen Kritik der kanoniſchen
17 . 15 10 * .
*
2
148
Epitheta: „chriſtlich wiſſenſchaftlich und evangelifch - freie je weil fie
mit allem Recht mehrern der früher erwähnten Theologen ebenfalls
eee werden dürfen. Darum chien es uns am einfachften,
3 | | J
Evangelien überhaupt, wie überhaupt zur Würdi⸗
gung des mythiſchen Idealismus im Leben Jeſu
von Strauß. Leipzig. 1837. S. 269. Die inhaltsreiche
Schrift zerfällt in zwei Abſchnitte: Im erſten wird die
Quelle der Evangelien unterſucht; und um hierin zu einem ſichern
Reſultate zu kommen, wird die Entſtehung der neuteſtamentlichen
Literatur, beſonders die Bildung des Kanon nachgewieſen; ſo—
dann . Wilke darzuthun, daß jedes Evangelium ſelbſt—
ſtändig d. h. keines von dem andern in Form und Inhalt
abhängig ſei (ein bemerkenswerther Abſchnitt); ferner iſt von
den Verfaſſern der Evangelien geredet, und endlich gezeigt, daß
alle vier Evangelien aus der apoſtoliſchen und allgemeinen Tra⸗
dition geſchöpft ſind. — Einige Reſultate dieſes Abſchnittes
ſind: Die vier Evangelien bildeten ſich aus der apoſtoliſchen
Tradition. Ihnen ging eine für die paläſtinenſiſchen Chriſten
genügende fragmentariſche Aufzeichnung einzelner Begebenheiten
voran und zwar in ſpyrochaldäiſcher oder aramäiſcher Sprache.
Das erſte Evangelium iſt nicht von Matthäus, das vierte nicht von
Johannes. Der weſentliche Stoff des letztern iſt wohl als entlehnt
von dieſem Apoſtel zu betrachten, die Form gehörte aber einem
andern Referenten, wahrſcheinlich dem Apollos an. (Dagegen lehrt
die erſt neulich erſchienene Einleitung ins neue Teſtament von Cred⸗
ner, der auf demſelben Standpunkt der Kritik ſteht, nur die
rein hiſtoriſchen Faktoren zur Entſcheidung der kritiſchen Fragen
wieder mehr und hauptſächlich anerkennt, aufs beſtimmteſte, daß
der Verfaſſer des vierten Evangeliums nur ein Paläſtinenſer, nur
ein unmittelbarer Augenzeuge, nur ein Apoſtel, nur ein Lieb⸗
ling Jeſu, nur Johannes, der Jünger ſein könne!) Wilke
ſtimmt alſo darin durchaus mit Dr. Strauß zuſammen, daß
kein ganzes Evangelium von einem Augenzeugen herkomme; hin—
gegen haben wir in denſelben die reine apoſtoliſche Tradition des
Johannes, Petrus, Paulus und Matthäus. Nachdem nun die
mündliche Ueberlieferung als Hauptquelle näher beſtimmt 1
geht der Verfaſſer zu der wichtigen Frage über: ob die Evan⸗
gelien Mythe oder Geſchichte enthalten? Der Be⸗
griff des Mythus wird feſtgeſtellt. „Ein Mythus iſt die er⸗
zählende Darſtellung einer durch ein Bild anſchaulich gemachten
Idee, welche ſich entweder auf ein uraltes Philoſophem, oder
auf ein Moſnent der Urgeſchichte eines Volks bezieht.“ Der
149
x
die hier noch mitgetheilten Urtheile über Strauß nach dem Organe zu
b. eichnen, durch welches ſie ſich äußern, geſchieht ja doch eben dieß
6
a i j alis, ; fondern mit, Bewußtſein und Abſicht. Der ie⸗
gpüssopbiſce Mythus iſt reine Erdichtung, der hiſtoriſche hat ſtets
einen hiſtoriſchen Hintergrund. Keiner von beiden findet in
den Ev angelien ſeine Anwendung. Dieſer Satz wird nun
erwieſen aus einer ſorgfältigen Entwicklung jenes Begriffs und
der Folgerungen, die ſich aus ſeinem Weſen, ſeiner Form, ſei⸗
9 ner Geſchichte ergeben; dann wird die Tradition, die alleinige
5 Quelle der Evangelien, als Bürgſchaft für deren hiſtoriſche Glaub⸗
-i
u Es
* —
würdigkeit beleuchtet nach allen Seiten hin. Hier ſcheidet Wilke
hiſtoriſche und mythiſche Tradition und ſtellt mit Recht das Di⸗
4 lemma auf, welchem Strauß nicht entgehen könne: „entweder er⸗
; zählen die Evangeliſten Geſchichte oder Mythe, ſind ſie Myth en⸗
| dichter, fo find fie nicht einfältige und unwiſſende Leute, ſondern
die größeſten Weiſen und ſcharfſinnigſten Männer, aber auch Be⸗
trüger!“ Einiges Sagenhafte ging allerdings in die Evangelien
über, wodurch aber dem hiſtoriſchen Kern gar kein Abbruch ge⸗
ſchieht, geſchweige daß man jene blos als Mythen anerkennen
könnte und ſollte. Erzählungen mit ſagenhaftem Charakter ſind
ihm: die Vorherverkündigungen, wunderbare Geburten, Der:
ah ſuchung, Verklärung, Himmelfahrt. Wunder ſcheint übrigens der
Verfaſſer durchaus in der evangeliſchen Geſchichte zu anerkennen.
BR Dann werden die hiſtoriſchen Beſtandtheile der Evangelien ſorg—
1 fältig nachgewieſen „ und gegen die Angriffe von Strauß ver⸗
| ftheidigt; als ein ferneres Zeugniß für die hiſtoriſche Glaubwür⸗
digkeit der Evangelien wird eine Charakteriſtik des Zeitalters
Jieſu gegeben; und zuletzt dargethan, daß Chriſti hohe Perſön⸗
deencharaktere erdenken,
aus geht der göttliche Charakter des Weltheilandes, er iſt hiſto⸗
lichkeit und reine geiftige Lehre nur hiſtoriſch fein kann. — Dem
ſonſt noch reich ausgeſtatteten Buche wird eine Chronologie des
neuen Teſtaments beigefügt. „Mythen laſſen ſich erſinnen, Hel⸗
aber über alle menſchliche Dichtung hin-
riſche Wahrheit.“ — Die Reſultate ſi nd nicht immer neu; aber
mitten durch die hiſtoriſche Kritik hindurch zieht ſi ſi ch die Nei⸗
8 gung zu willkürlichen Lieblingsanſichten, die nur in ſubjektiven
Gründen ihre Wurzel haben. Viele wohl bekannte Plattheiten,
Konzeſſionen, die dem mythiſchen Standpunkt gemacht werden,
finden ſich hier wieder, (ſiehe z. B. §. 62) und eigentlich iſt
hiemit eben die Entwicklung der mythiſchen Auffaſſung auf jenen
Punkt zurückgeſtellt, auf dem ſie vor Strauß ſtand. Allerdings
kann Pe die unterſcheidung des Venstre von Mythus und
.
150
giſche Charakter diefer Zeitſcheift will nun allerdings ein.
vermittelnder ſein, ſo daß ſie eben ſo ſehr die Sache des ein⸗
fachen bibliſchen Chriſtenthums als die der freien wiffenehafefien
Sage, hittoriſcher und mythiſcher Tradition ua unbeac tet laf:
ſen. Viele Begriffe, die in die Frage kommen, ſind hier von
neuem ins Licht geſtellt; der hiſtoriſche Charakter der Evange⸗
lien ihrem größten Theile nach wird gut beleuchtet. U eber
Strauß's Werk ſagt Wilke, es zeuge von Gelehrſamkeit, Ge⸗
diegenheit, Geiſteskraft und eiſerner Konſequenz „ deſſen Darſtel⸗
lung ſei klar, bündig, die Sprache körnig, rein, der Ton meiſt
edel, die Haltung ernſt. Aber was Strauß's Schrift, behauptet,
ſei nicht wahr und dieſe Unwahrheit habe manches Falſche im
Gefolge: keine Unterſcheidung von Mythe und Sage, keine Er⸗
klärung der Ideenfülle der evangeliſchen Lehre, der heiligen Größe
Chriſti, lauter Widerſprüche ſeien in der Art, wie ſich Strauß
die Entſtehung der evangeliſchen Erzählungen denkt, eine Wiſſen⸗
ſchaft, die nicht von vorgefaßten Meinungen ausgeht, ſondern
die Wahrheit liebt, werde auch das hiſtoriſche Individuum um
der Wahrheit willen zu ſchätzen wiſſen. Strauß's Spekulation
ſei ein magiſcher Ring, darum ohne Anfang und Ende, ohne
Seyn und Weſen. Jeder hiſtoriſche Charakter laſſe ſich
mythiſch bearbeiten und trefflich durchführen. Strauß ſtelle ſich
Gegnern gegenüber, wie ſie im Iten Jahrhundert ſich etwa
unter den Orthodoxen finden. „Er dringt ſeinen Gegnern Sätze
deſpotiſch auf, die er dann leicht zu bekämpfen hat!“ Die Evans
gelien, ſelbſt das Evangelium Johannes, das ihm ſonſt wenige
Wahrheit hat, benutze Strauß als mehr geſchichtlich oder mythiſch,
ganz wie es ihm konvenire. „Das nennt man ein mythiſches
Verfahren!“ Man könnte ſo auch das Werk von Strauß
ſelbſt mythiſiren. (ſiehe S. 1).— Der Verfaſſer ſelbſt bekennt ſich
| gegen den flachen Rationalismus und altgläubigen Myſticismus,
gegen die „Neuevangeliſchen“, 46 von denen er mit mehr „ira und
studium“ redet, als von Strauß, und zur rationalen Myſtik.
Auch in der Jenaer Literaturzeitung findet ſich eine
Recenſion des Leben Jeſu, die wir nicht ſelbſt ſahen. Tholuck
ſagt, ſie verdiene Brachtung und enthalte vieles Wahre.
100 Ebenſo kennen wir das Gegenſchriftchen: „Philalethes,
0 zwei Geſpräche in Bezug auf das Leben Jeſu von
Strauß, Leipzig 1836. S. 52“ nur aus Tholuks Charakteriſtik.
pe Der Verfaſſer dieſer Geſpräche, ſagt er im literariſchen An⸗
zeiger No. 64, zeigt ſich als ein durch Hegelſche Studien
gebildeter Mann, welcher namentlich den Endzweck verfolgt, die
\ | 151
Forſchung ſüähren und die beiderſeitigen Intereſſe in ihrem nothwen⸗
1
Ein unge darſtellen, und keiner der Partheien dienen, ſondern für
dieſe einen Vereinigungspunkt bilden will. Doch ſoll fie als Stell⸗
vertrterin der wahren Mitte von einem ſelbſtſtändigen Prinzip beſeelt
ſein, und ſich in einer eigenthümlichen Bildung entfalten. Die Ver⸗
mittling ſoll nicht ſcheinbar, nicht äußerlich, ſondern weſentlich zu
Stand kommen durch die Anerkennung des Widerſpruchs in den ver,
ſchiedenn Anſi chten und Nachweiſung des Unrichtigen darin zugleich 2
aber durh Zurückführung der Gegenſätze auf die zu Grunde liegende
Wahrheit und Hervorhebung dieſer als das Weſentliche, durch eine
tiefer eindängende Erkenntniß des ſtreitigen Gegenſtandes, als ſie
von beiden arteien gegeben war, ſo daß man von einem freiern um⸗
faffendern e ötindpunkte aus jeder der entgegengeſetzten Denkarten die
rechte Stellung zuerkennt, die Punkte aufzeigt, wo fie Recht oder
Unrecht haben md aus dieſen Gegenſätzen heraus, als einzelnen Mo:
menten die vollſtämige Wahrheits erkenntniß entwickelt. Natütlich kann
alſo nur von jochen Gegenſätzen die Rede ſein, die eine urſprüngliche
Einheit, einen gemeitfamen Wahrheitsmoment, eine letzte gemeinſame
Grundlage haben. „eine Vermittlung zwiſchen Glauben und Un:
glauben zu wollen, haßt es ſehr richtig, wäre in der That ein un⸗
geheurer Frevel; fie 45 ihen und es nicht zu wiſſen, wäre eine große
Gedankenloſigkeit. 4 — Dis iſt der Charakter, den ſich die JZeitſchrift
bei ihrer erſten Erſcheinung im Jahr 1828 zuſchrieb, und den ſie
nach zehnjähriger Erprobung nur noch mit e ne klarerm Be⸗
wußtfein in Anſpruch nimmt. t
Nach den bisherigen Leistungen bai t man dieſelbe im Ganzen al⸗
lerdings im guten Sinne eine ermittelnde nennen. Unſtreitig
| geben ihr auch viele Arbeiten ein gwiſſes Recht auf die hohe Benen⸗
. nung einer chriſtlich⸗wiſſenſchaftkchen und evangelif ch = freien;
und um fo mehr wird ſie ü ich 1 ee erwerben, wenn der
‘ >
* 5 2 9
8
5 > 5 5
vi . A
eaten, . n Strauß zir Vurnichtung des christlichen
Dogma gebraucht hat und die zufdge des Verfaſſers auch bei Hegel
ſelbſt auf nichts anderes hinausliuft, als unſchuldig an dieſem
Frevel darzustellen, wenn ſie nir auf die rechte Weiſe geübt
werde. In feinen eigenen Anfichken läßt er ſich dann vorzüglich
durch Göſchel leiten, in welchem er eine Fortbildung Hegels zum
| Chriſtenthum hin erkennt E ſpricht ſich in dem Schriftch en
d ein ſeiner Sache gewiſſer und feifger Geiſt des Glaubens aus.“ —
N
we
\
31 „
Per Schule Lerche Heſt 1836) und nach dem Vorwort zum ze
Jahrgang (erſtes Heft 1837) ein ſo klares Bewußtſein bei der
tion leitet, in ſeiner Unternehmung vielleicht noch kräftiger als fi
geſchah von Gelehrten, wie Dr. Nitzſch, Müller, Lücke unteſſtützt
wird. Gewiß iſt der Vorwurf ungerecht, daß die „Studien“ den Unz,
glauben dienen, aber die Bemerkung möchte richtig fein, dB. jene
weſentliche Verſöhnung zwiſchen bibliſchem Glauben und Wiſenſchaft
nicht immer gelungen ſei, ſondern öfters faſt auf Koſten de / erſtern
das nach den Zeitvorſtellungen aufgefaßte wiſſenſchaftliche Intereſſe
überwiege; fehlen doch ſelbſt Einſendungen nicht, in denei ſich auch
bei nicht immer tief eindringender Wiſſenſchaftlichkeit Matheit der reli⸗
giöſen Geſinnung mit Vornehmheit des Tones vereinige, und zwar
nicht nur gegen Andersdenkende, ſondern fo, daß e faſt den Eins
druck macht, es ſei eine Gunſt, wenn Der, welcher doch der Mittel—
punkt wie des chriſtlichen Lebens, ſo auch der Theologie iſt, hier
ſolche Anerkennung finde. Wenn wir es nun vagten, offen unſer
Urtheil über einzelne der bisherigen Leiſtungen aiszuſprechen, fo dür⸗
fen wir deſto eher ohne den Vorwurf der Lobroͤnerei fürchten zu müſ⸗
fen, im Vertrauen auf die Theologen, die her, vereint wirken, zu⸗
gleich mit Rückſicht auf die großartige Anlche der Zeitſchrift, auf die
vorherrſchende Tendenz, den freien umichtigen, oft tief eindringen⸗
den wiſſenſchaftlichen Geiſt, den meiſt wiplich chriſtlichen Sinn dieſe die
bedeutungsvollſte und wichtig ſt / unter den theologiſchen
der evangeliſchen Kirche nennen, ungelchtet fie der Zahl ihrer Abneh⸗
mer und Leſer nach einigen ältern ratinaliſtiſchen Journalen noch nach⸗
ſtehen mag. Sie iſt unſtreitig ds Hauptorgan der neuern
deutſchen Theologie. Schrifforſchung iſt die: Baſis, geſchicht⸗
liche Studien, apologetiſche Beſrebungen gehen Hand in Hand mit
jener. Im Dogmatiſchen gilt wohl Schleiermacher's Theologie als
Vereinigungspunkt, was jedod immer mit der Bemerkung zu modi⸗
ficiren iſt, daß es nicht im Weſen dieſes großen Lehrers lag, eine
abgeſchloſſene Schule zu bildet, ſondern meiſtens von ihm nur die
Anregung zu einer ſelbſtſtändiſen Entwicklung ausging. Die Durch⸗
bildung, welche die Theologie Schleiermachern zu verdanken hat, darf
hier nicht ignorirt werden, des von ihm Gewonnene wird zu Grunde
gelegt, von neuem beleuchtet, „pon da aus wird weiter gearbeitet, und
wenn ſich auch Widerſpruch gazen Einzelnes, ſelbſt gegen Weſentli⸗
ches jenes dogmatiſchen Standſunktes äußert, was oft der Fall iſt, fo
- .
*
N 58 .
hieht es immer nicht wie gegen einen Gegner, der in ſeinem Wirken
b unſchädlich gemacht werden muß, ſondern wie gegen einen Freund, in
deſſen Anfichten man nicht einſtimmt. Dieſe Richtung bedingte nun
auch von Anfang den Entwicklungsgang der Studien darin, daß
was man gewöhnlich Extreme nennnt, ausgeſchloſfen blieb, und jene
ſich nicht weniger gegen die ſtreng ſymboliſchen als gegen die natura⸗
liſtiſchen Beſtrebungen erklären mußte. Vielleicht geſtaltet ſich das
Verhältniß zu den erſtern immer freundlicher, i de mehr die tüchtigen
wiſſenſchaftlichen Leiſtungen auf Seite der paläologiſch Geſinnten die
unbefangene Anerkennung derer, welche je den höchſten Standpunkt der
Wiſſenſchaft einnehmen wollen, erwerben müſſen, und das beide beſee⸗
lende ntereffe der chriſtlichen Frömmigkeit den gemeinſamen Gegnern
gegenüber ſie vereinigt. Durch jene Grundlage der Schleiermacherſchen
Theologie iſt nun aber auch — und hiemit lenken wir denn auf unſer
ſpezielles Ziel wieder ein — großentheils die Stellu ng bedingt,
welche die Studien zu der fpefulativen Theologie ein⸗
nehmen. um der wiſſenſchaftlichen Fortentwicklung willen kann
dieß Organ ſi ſich nicht ſpröde und unbedingt zurückſtoßend gegen die
Hegelſche Philoſophie verhalten, ſondern es will in dieſelbe eingehen,
von ihr in ſich aufnehmen, ſoviel es dieß thun kann, ohne ſeinen hi⸗
ſtoriſch⸗ exegetiſchen Boden zu verlaſſen; aber freilich ſchon hiedurch
und dann auch durch die dogmatiſche Tendenz jener Philoſophie ſieht
es ſich zum Widerſpruch gegen dieſelbe und die auf ſie geſtützte
Theologie genöthigt, denn die Herausgeber und hauptſächlichſten
Mitarbeiter der Studien wollen den hiſtoriſchen Chriſtus, auch
um der ſcheinbar größten Ideen willen, nicht Preis geben; in
Ihm finden ſi ſie Ideal und Wirklichkeit, die Fülle der Gottheit und
Menſchheit. Gewiß iſt es die wahreſte Geſi innung jener, welche
Dr. Ullmann in den trefflichen Worten ausſpricht (1836 erſtes Heft
S. 58): „Die höchſte volle allſeitige Wahrheit des göttlichen Lebens
in der Menſchheit ruht in Chriſto; Er in ſeiner vollen gottmenſchli⸗
chen Perſönlichkeit, in der ungetrübten, unverkürzten Fülle ſeines
Weſens, iſt im höchſten Sinne die wahre Mitte, der Vermittler zwi⸗
ſchen Gottheit und Menſchheit, der Mittelpunkt der Weltgeſchichte,
der unerſchöpfliche Quellpunkt aller höhern Lebens⸗ und Geiſtesent⸗
wicklung; Er, der uns nicht nur gemacht iſt zur Erlöſung, ſondern
auch zur Weisheit „in dem Gott nicht nur war und die Welt mit
ſich verſöhnt, ſondern der auch das lichtbringende Leben offenbarend,
von ſich ſagen done ich bin die Wahrheit, die euch frei e ich
*
154
bin das Licht der Welt, wer mir nachfolgt, wird nicht wandeln in
Finſterniß. Das iſt gewiß eine recht geiſt- und lebensreiche Mitte,
voll göttlicher und menſchlicher Wahrheit und Vernunft, die zuerſt
freilich in das geſammte höhere Leben aufgenommen werden, dann
aber auch in der Wiſſenſchaft ſich darſtellen muß. Die Aufgabe der
Wiſſenſchaft iſt es, alle Elemente, die in dieſer göttlich - menfchlichen
Erſcheinung Chriſtt liegen, unverkümmert und richtig auszubilden
und wenn ſie dieß thut, wird ſie die Wahrheit haben, die im beſten
Sinne in der Mitte liegt. “ Der Gegenſatz zur ſpekulativen Theo:
logie hat ſich bis dahin direkt vorzüglich in der Beurtheilung von
Göſchels Schriften durch Julius Müller ausgeſprochen; beſonders
aber auch noch in den religions⸗ philoſophiſchen Mittheilungen, die nicht
ſelten find. Mehr aber wird wahrſcheinlich die Aufmerkſamkelt auf
dieſe Seite nun hingelenkt werden, „ da jetzt eine in der Anlage den
Studien ganz konforme Zeitſchrift für ſpekulative Theo:
lo gie herauskommt, herausgegeben von . Bruno Bauer,
(ſi iehe S. 49.) deren erſtes Heft bereits erſchienen iſt 1836. Ber⸗
lin bei Dümmler. Immerhin wird hoffentlich das Verhältniß zu
dieſer nun den Leſern der Studien und Kritiken den Gewinn bringen,
daß darin das philoſophiſch⸗ dogmatiſche Gebiet mehr und ſelbſtſtän⸗
dig ausgebildet wird, denn wohl nur, wenn ſolches geſchieht, wird
dieß Organ immer auf der Höhe der wiſſenſchaftlichen Entwicklung
bleiben, und wie bis dahin in die epeoagifhe ih: fördernd ein⸗
greifen. n
Treten die Reſultate der Spekulation um der Einſeitigkeit wille,
mit der ſi je erfaßt und konſequent durchgeführt ſind, ſo zerſtörend her—
vor, wie es in dem Strauß'ſchen Werke geſchieht, ſo hat gerade dieſe
Zeitſchrift einen hohen Beruf, nicht zu ſchweigen, ſondern in den
Kampf zu treten. (Siehe oben S. 67.) Erfreulich iſt es daher, zu ſe⸗
hen, wie die Redaktion das Bedürfniß und ihren Beruf, dasſelbe zu
befriedigen, erkennt, indem ſie ſogleich mit zwei trefflichen, in ihrem
Charakter ſehr eigenthümlichen Recenſionen auftrat und dabei erklärte,
daß hiermit die Sache nicht abgethan ſei. „Vielmehr erwarten wir,
heißt es, daß noch andere innerlich berufene Theologen oder Philo⸗
ſophen das Wort nehmen und einzelne Punkte des in Frage geſtell⸗
ten großen Gegenſtandes beleuchten werden, denn nur durch umfaſ⸗
| ſenderes Zuſammenwirken kann die Aufgabe ihrer Löſung näher ge⸗
bracht werden; wir aber ſind gerne bereit, jede gründliche, ernſte,
wiſſenſchaftlich tüchtige und der Tendenz dieſer Zeitſchrift entſprechende
155
terung g zur Kunde des Publikums zu bringen, mit dem Vorbe⸗
0 lte, daß dadurch für anderweitig e Mech unverhältnißmäͤßig
viel Raum weggenommen werde. et ee
In dem dritten Hefte der Studien und Kritiken des
Jahres 1836 finden ſich nun jene z wei Recenſionen des f
Strauß ' ſchen Werks; die erſte von Dr. Ullmann (S. 770 — 816);
die andere von Dr. Julius Müller (S. 816 — 890). — Die in
allen Schriften und? Abhandlungen Dr. ullmanns ſich ausſprechende
umſi cht und Ruhe des Urtheils, die in jeder geſchichtlichen Erſchei⸗
nung das Gute anerkennende Wahrheitsliebe, welche aber auch das
Tadelnswerthe nicht verſchweigt, zeigt ſich wieder in dieſer Beurthei⸗
lung. Schon um dieſer Eigenſchaft willen, welche den Unbefangenen
immer gewinnt, wäre es wünſchbar, daß dieſe Recenſion, ebenſo auch
weil ſie für Nichttheologen geeignet iſt, vielleicht etwas ausführlicher
bearbeitet, abgelöst von der Zeitſchrift, herausgegeben würde. Zu
dieſem Wunſche leitet uns aber noch ein anderer Grund. Irren wir
nicht, ſo iſt dieſem Theologen der geſchichtliche Sinn für ſein religiöſes
Bedürfniß der Führer zum chriſtlichen Glauben; ſeine ſo vielen An⸗
klang findende Abhandlung über die Sündloſigkeit Jeſu, mit der
charakteriſtiſch im Jahr 1828 die Studien und Kritiken eröffnet wurden,
bezeugt es, wie beſonders Jeſu ſittliche, heilige, überhaupt ſeine ganze
hiſtoriſche Erſcheinung Eindruck auf ihn gemacht hat und wie er nun
für jene geſchichtliche Anſchauung die dogmatiſche Verſtändigung
ſuchte. Von dieſem Standpunkte aus, auf welchem durch rein ge⸗
ſchichtliche Betrachtung die Perſönlichkeit und die That Chriſti in
ihrer hohen Bedeutung erfaßt werden, und der auch dieſer Beurthei⸗
lung der Straußiſchen Schrift die eigenthümlichen Vorzüge gibt,
kann nun eben auf diejenigen, die für Höheres empfänglich ſi nd, die
aber durch irgend welche dogmatiſche Entſcheidenheit leicht zum Miß⸗
trauen und Widerſpruch gereizt werden, ſegensreich gewirkt werden.
Intereſſant iſt es auch, daß Dr. Ullmann ſchon vor Erſcheinung der
Straußiſchen Schrift die Perſönlichkeit Jeſu und beſonders die thatſäch⸗
liche Wahrheit der Auferſtehung des ſelben auf ſolche Weiſe ins Licht
geſtellt hat, daß den Angriffen von Seite der mythiſchen Anſicht zum
Theil ſchon zum voraus darin begegnet iſt; nämlich in jener leſens⸗
werthen Abhandlung (Studien und Kritiken Ztes Heft 1832), welche
die Frage behandelt: was ſetzt die Stiftung der chriſtlichen Kirche
durch einen Gekreuzigten voraus? oder: wie war es möglich, daß die
Juden einen ſchmählich Gekreuzigten, die Heiden gar einen gekreuzig⸗
156
ten Juden als Meſſias, als Gottesſohn anerkannten? — Der haupt⸗
ſächlichſte Punkt der Beantwortung iſt nämlich, daß die einzige zur
Erklärung dieſer Wirkung genügende Urſache die Perſon Jeſu, bes
ſonders aber die Thatſache ſeiner Auferſtehung ſei; — eine Beweis⸗
führung, welche jetzt mit ſoviel Nachdruck und Richtigkeit von den
meiſten Gegnern der mythiſchen Anſi ht Strauß's Behauptungen ent⸗
gegen geſtellt wird.
Wir geben hier nun den umriß der ulimannſchen Re⸗
cenſion. Als Grundanſchauung der chriſtlichen Welt, die durch
alle abweichenden Geſtaltungen ſich hindurch ziehende Einheit in der
Kirche wird die Gewißheit bezeichnet, daß in Chriſto Göttliches
und Menſchliches zu einer e Perſönlichkeit vereinigt ſei
und daß dieſe Perſönlichkeit einziger Art und Würde den Eini⸗
gungspunkt der Gottheit und Menſchheit, die Gruudlage einer
ganz neuen religiöfen und ſittlichen Entwicklung unſers Geſchlechtes
bilde. Das ſoll nun aber nach Strauß's Werk anders werden, wel⸗
ches Jeſum als „konkrete Figur“ zu vernichten ſucht, fo daß der
chriſtliche Glaube von nun an von der Perſon Chriſti abgelöst ſei!
Die große Bewegung und Wirkung, welche dieß Werk hervorgebracht
hat, und noch hervorbringen wird, fi ein Beweis, welche Neigung
die Mehrzahl der Zeitgenoſſen zum Auflöſenden hat. „„Eine hero:
ſtratiſche Berühmtheit iſt in unſerer Zeit leichter zu gewinnen, als
die eines Erwin von Steinbach.“ — Der rein kritiſche Charakter des
Werkes wird demſelben nicht zum Vorwurfe gemacht, aber dar⸗
um wird die Kritik desſelben falſch und unbefriedigend genannt, weil
ſie für ſich allein beſtehen, weil ſie die letzten und höchſten Reſultate
liefern will. Den religiöſen Sinn, ohne welchen keine religiöſe Er:
ſcheinung ſich betrachten läßt, ſowie kein unphiloſophiſcher Sinn
Philoſopie auffaßt, vermißt Ullmann in ſolcher Kritik und ſetzt ihr
hierin diejenige von de Wette und Schleiermacher entgegen. Das
Werk ſei, weil es die religiös⸗ kirchliche und die rein- wiffenfchaftliche
Beziehung unverſöhnt auseinander hält, nicht reformatoriſch, ſondern
revolutionär. Strauß hätte das ſtillere ruhmloſere Gebiet der reinen
Wiſſenſchaft und nicht das laute der Oeffentlichkeit ſuchen, das Buch
lateiniſch und überhaupt in gelehrterer, ſchulmäßiger Form ſchreiben
ſollen (ſiehe Leo, Grulich). Der Verfaſſer ſieht hier auch die Vor⸗
ausſetzungen der modernen Bildung und der Hegelſchen Schule. Was
von dem Werke als literariſche Erſcheinung rühmliches zu ſagen iſt,
iſt anerkannt, zugleich aber wird die nur zerſetzende Kritik, der Hohn
157
und die Kälte derſelben getadelt, die Unrichtigkeit des Titels, der
wohl aus der Neigung, ein großes Leſepublikum zu gewinnen, komme
und eine; Täuſchung bewirke, indem das Werk gar keine Lebens be⸗
ſchreibung Jeſu, ſondern eine Kritik der evangeliſchen Berichte gebe.
1 Nach der Durchführung des ſo eben Angedeuteten und Bezei nung
anderer wichtiger Punkte, deren beffere Prüfung und Begründung
Strauß auch von feinem. Standpunft aus fi ch nicht hätte erfparen
dürfen, geht der Verfaſſer auf die Beurtheilung des mythi⸗
ſchen S tandpunktes über, und gibt in allgemeinen Zügen ſeine
eigene Anſicht von Symbol und Mythus. „Beide ſind Verſinn⸗
lichung einer Idee, Darſtellung einer höhern Wahrheit durch ein
Medium, welches ſinnlich auffaßbarer iſt, als die Idee ſelbſt in ihrer
reinen ätheriſchen Geſtalt; beim Symbole geſchieht dieſe Darſtellung
| durch das Zeichen, beim Mythus durch das Wort; jenes gibt die
Idee als Anſchauung im Bilde, dieſer als Vernehmbares, als Ge⸗
ſchehenes in der Rede; das Symbol drückt das unmittelbare und
permanente Verhältniß des Ueberſinnlichen zur Sinnenwelt aus, der
Mythus das geſchichtlich vermittelte, und deßhalb äußerlich, genom⸗
men zwar vorübergehende, aber doch ſeiner wahren Bedeutung nach
unvergängliche. “Der Unterfchied des hiſtoriſchen und philoſophi⸗
ſchen Mythus, feine nicht ganz abgeſchloſſene Stellung zwiſchen Idee
und Geſchichte, ſeine Nothwendigkeit für eine gewiſſe Bildungsſtufe
iſt noch bezeichnet, aber nun gefragt: ob im Chriſtenthum e,
bei dem das Symboliſche Niemand läugnen kann, auch das My⸗
thiſ che fi ich finde? ullmann ſchildert und würdigt nun ausführlich
die drei Standpunkte, von denen aus darauf geantwortet a.
den orthodoxen, der entſchieden auf jene Frage nein ſagt.
kann ſich denſelben nicht aneignen, doch wünſcht er gewiß 775
daß er durch eine gründliche wiſſenſchaftliche Beweisführung von der
| Richtigkeit jener Auffaffung überzeugt werde. Ferner den rein
mythiſ chen, wie ihn Strauß einnimmt. Dieſer wird nun von allen
Seiten betrachtet; er iſt durchaus ungenügend und unzuläffig ; denn
er kann nur unter der Vorausſetzung des kritiſchen Gewaltſtreiches
durchgeführt werden, daß alle vier Evangelien unecht, nicht apoſto⸗
liſch, von ſpäteren unbekannten Männern verfaßt ſeien; beſonders
aber widerlegen der Apoſtel Paulus und das ungeheure und bis jetzt
fortdauernde Faktum der chriſtlichen Kirche dieſe mythiſche Anſicht.
Mit friſchen gedankenvollen Zügen ſind nun dieſe Punkte, in deren
Hervorhebung die meiſten Beurtheiler des Straußiſchen Werkes zu⸗
158
ſammen treffen, durchgeführt. Nur einige ee, Stellen ſeien hier
mitgetheilt: „Der Apoſtel Paulus, ſonſt ein Bild innerer Lebensein⸗
heit und geiſtiger Größe, wird zum vollkommenſten Widerſpruch, er
wird eine ganz räthſelhafte, haltungsloſe Erſcheinung, wenn wir ihm
den Mittelpunkt und die Baſis ſeines Lebens, die Wahrheit der evan⸗
geliſchen Geſchichte entziehen; er muß ebenſowohl wie die Echtheit der
Evangelien, auf irgend eine Weiſe in den kritiſchen Vertilgungsprozeß
mit aufgenommen werden, wenn die mythiſche Anſicht durchgeführt wer⸗
den ſoll ).“ — „Sollte es möglich ſein, bei dem dürftigen geſchichtlichen
Kern, den Strauß von dem Leben Jeſu vorausſetzt, die Stiftung und
Ausbildung der Kirche zu erklären ? Ein Mann, dem die weſentlichſten
Prädikate des erwarteten Meſſias fehlen, der nicht von David ſtammt,
nicht in Bethlehem geboren iſt, der nichts Außerordentliches thut und
dem nichts der Art begegnet, ein jüdiſcher Volkslehrer von einem
Wandel und kräftiger Lehre, wie es mancher Prophet und wie es
Johannes der Täufer auch war, und ſelbſt von Sünde nicht frei *),
*) Daß Dr. Ullmenn hierin Recht hat, wird wohl kein Unbefans
gener in Abrede ſtellen und bezeugen ja auch die Stellen des
Straußiſchen Werks, in denen von der Apoſtelgeſchichte und
von Paulus ſelbſt die Rede iſt. Um ſo auffallender if es, und
in der That, man weiß nicht, ob ernſt gemeint, wenn uns
ein Lobredner jener Schrift damit vertröſten will, daß die neu:
teſtamentlichen Briefe, namentlich des Paulus immerfort als
ächte, authentiſche daſtehen und die proteſtantiſche Dogmatik ſich
ja weſentlich auf dieſe gründe. — Man möchte nur fragen, wei
denn der ſo Tröſtende nicht, daß die Grundvorſtellung der pau⸗
liniſchen Lehre der Glaube an die wirkliche Auferſtehung Jeſu
iſt; was nützen uns denn ächte Briefe, in denen ein ſolcher
Grundirrthum ſich hindurchzieht? wie iſt es möglich, von der
Feſtigkeit einer Glaubenslehre zu reden, die auf eine ſolche
Baſis ſich ſtützt? — Grade das Vertrauen auf die in den pau⸗
liniſchen Briefen enthaltenen Wahrheiten nöthigt ja zur Anerken⸗
nung des geſchichtlichen SR der Evangelien. Eines ſteht
und fällt mit dem andern. |
**) Dieſes niedrige Bild, das Strauß von Jeſus entwirft, ia oben
S. 60. 61. noch mehr ausgeführt. Auch hier iſt es unbegreif—
lich, wie eine Stimme in der zu Zürich herauskommenden Neuen
Kirchenzeitung ſagen kann: „Strauß entreiße uns nicht den
maoraliſchen Chriſtus, ſondern nur die hiſtoriſche Erſcheinung der
Idee des Gottmenſchen in einem einzelnen Individuum; ““ als
ob dieß letztere ſo etwas unbedeutendes wäre, daß man ein
druck, der Meſſias zu ſein, er wird für einen Wunder
159
*
macht auf einmal, man feßt eigentlich nicht recht wodurch, den Ein:
| denſchheit gehalten N es verbreitet ſich, obwohl er nach dem ſchmäh⸗
lichen K Kreuzestod im Grabe verblieb, der Glaube, daß er am dei:
ten Tage auferſtanden ſei und noch längere Zeit mit den Seinen
gelebt habe, und dieſe Vorſtellungen bringen Wirkungen hervor, wie
ſie ſonſt weder eine Geſchichte hervorgebracht, noch eine Lehre; ſollte
dieß durch bloße Fiktion möglich gemwefen ſein? — — Waren die
erſten Chriſten religißſe Poeten? Waren ſie von vorn herein fo heilis
gen und erhabenen Sinnes, daß ſie aus ſich ſelbſt das reinſte Ideal
1 den individuellſten Zügen hervorbringen konnten, ein Ideal, wie
—
es ſonſt die Phantaſie der erhabenſten Dichter und Philoſophen nicht
geſchaffen hat, und liegt irgend ein Beiſpiel vor, daß ein bloß Ge⸗
dachtes je ſolche Lebenswirkung hervorgerufen habe, wie das Bild
Chriſti.“ Mit Recht iſt darauf der Nachdruck gelegt, daß Alles zu⸗
letzt auf das Dilemma hinauslaufe: ob Chriſtus von der apo⸗
ſtoliſchen Kirche erſonnen und ausgebildet, oder die
Kirche von ihm gebildet ſei? Bei der Auffaſſung Jeſu nach
Strauß und ſolcher Mythenbildung komme man doch durchaus auf
etwas Bewußtes und Abſichtliches, Lug und Trug. Alle dieſe
Haupteinwürfe ſind trefflich ausgeführt; kurz angedeutet folgen
aber Schlag auf Schlag noch eine Menge anderer, die gleichſam
nur zur Anregung für eine ins Einzelne eingehende Behandlung an⸗
geführt ſind, wie z. B. Strauß halte alles Sinnreiche für erſon⸗
nen „ denke fi ch die Jünger als eine Art Spieß bürger, ſtelle größere
Wunder auf, als er läugne. Ausführlicher iſt noch nachgewieſen,
wie ungenügend Strauß außer der Auferſtehungsgeſchichte beſonders
das Verhältniß zwiſchen Jeſus und Johannes behandelt habe. War⸗
um hat ſich die Sage nicht den. Täufer, den Lehrer Jeſu zum Ge:
e ihrer Verherrlichung gewählt? Nachdem nun alſo der my⸗
nur hinzuſetzen darf; und was hat denn der Menſch an einem
moraliſchen Ehriſtus, der eben nicht gerade ein Betrüger oder
thörichter Schwärmer, aber doch ein Sünder iſt, wozu ihn
Strauß macht! — Es tritt übrigens auch hier bei der Bewunde—
rung der Straußiſchen Kritik die Uebereinſtimmung mit der ebio⸗
nitiſchen Anſicht deutlich genug hervor, bei der ſich das erlöſungs⸗
bedürftige Menſchengeſchlecht mit einem zwar ſittlich den aber
doch ee Menſchen begnügen ſoll.
160
thiſche Standpunkt zur Auffaſſung der Evangelien widerlegt
worden, ſtellt Dr. Ullmann den f einigen dar, wornach wohl fas
genhafte Beſtandtheile, nur wenige aber in die evangeliſchen Berichte
ſich einſchlichen, wobei freilich der Ausdruck Mythus, der auf das
heidniſche Gebiet beſchränkt bleiben ſollte, zu vermeiden ſei. Es iſt
nun intereſſant, dem Verfaſſer zu folgen, indem er ſi ch den Charak⸗
ter der evangeliſchen Geſchichte, als einer religiöſen, fo zurecht legt,
daß dabei allerdings Unvollkommenheiten im Einzelnen ſtatt finden
können, dieß jedoch mit ſolcher Beſchränkung geſchieht, daß die
Ueberzeugung von der Wahrheit des Chriſtenthums in ſeiner geſchicht⸗
lichen Geſtalt im Allgemeinen und dem größten Theile nach dabei
unerſchüttert bleibt. Ganz beſonders erklärt ſich Ullmann noch gegen
die ſpekulative Chriſtologie in der Schlußabhandlung des Straußi—
ſchen Werks, und beleuchtet jene Grundlage derſelben, daß die Idee
ſich nicht in einem Individuum concentriren könne. Er findet es als
die ſonderbarſte, unwahrſte Redeweiſe, die ſich denken läßt, die
chriſtlichen Ausdrücke noch zu gebrauchen, wie Rechtfertigung durch
den Glauben ꝛc. (ſiehe oben S. 46. 47.), wenn man erſt die wahre
Bedeutung der Worte ganz hingegeben hat. Eine Erſcheinung, die
jetzt in der Theologie und auf dem homiletiſchen Gebiete bis zu ei-
nem ungeheuren Grade von Unwahrheit getrieben wird. — Ein Grund:
fehler von Strauß ſei, daß er die Bedeutung der Perſönlichkeit und
eben damit die Bedeutung der That, der Geſchichte im geiſtigen Le⸗
ben verkenne. — Die ganze Recenſion hebt zwar meiſt nur die allge—
meinern Geſichtspunkte hervor, bringt nicht grade Neues, von An—
dern nicht auch Geſagtes hervor, deutet aber alles Verwerfliche jenes
Werkes auf eigenthümliche Weiſe an, und durch die umſichtige Auf-
faſſung, fruchtbare Anregung mannigfaltiger Gedanken, durch die
von Einem Guß zeugende, Wärme athmende ernſte Entſchiedenheit
gegen Strauß und zugleich ruhige Darſtellung 175 dieſe Schrift ei-
nen eigenthümlichen Reiz.
Noch können wir uns nicht enthalten den Schluß derſelben hier
mitzutheilen, in den ein merkwürdiges Wort Schleiermachers aufge—
nommen iſt. Nach der Erſcheinung des Straußiſchen Werkes ſei die
Meinung geäußert worden, nun ſei es mit dem Chriſtenthume zu
Ende. Als ob das Chriſtenthum durch ein Buch, auch das ſcharf⸗
ſinnigſte und geiſtreichſte geſtürzt werden könnte! — ein guter Staat
könne durch eine Schrift nicht umgeworfen werden, wie viel weniger
eine zweitauſendjährige in alle Verhältniſſe eingewurzelte Lebensbil⸗
16
du 9. „Die trübe Prophezeiung vom Untergange des Chriſten ums,
ſo endet Ullmann, das heißt vom Untergange des Höchſten und Be:
ſten, was wir im Privatleben, und des Heiligſten, was wir im öf⸗
fentlichen Leben haben, der letzten bindenden Grundlage des gemein⸗
ann Daſeins, wird nicht wahr werden. Das hat ſchon ein großer
Hingeſchiedener, dem man den klarſten Blick ins Leben nicht abſpre⸗
5 chen kann, einer der Repräſentanten neuerer Kritik, in Beziehung
auf ähnliche Vorbedeutungen und Befürchtungen auf die trefflichſte
Weiſe ausgeſprochen. „„Es geht ſchon ſeit genauerer Zeit, ſagt er,
eine Fabel unter den Menſchen, und auch in dieſen Tagen wird ſie
häufig gehört; der Unglaube hat ſie erfonnen „ und der Kleinglaube
nimmt fie auf. So lautet fie, es werde eine Zeit kommen, und ſie
f wi vielleicht ſchon da, wo auch über dieſen Jeſus von Nazareth er⸗
yen werde „was Recht iſt. Jedes menſchliche Gedächtniß ſei nur
nber für eine gewiſſe Zeit; viel habe das menſchliche Geſchlecht
N ihm zu verdanken, großes habe Gott durch ihn ausgerichtet, aber er
4 ſei doch nur unſer einer geweſen, und ſeine Stunde vergeſſen zu wer⸗
den, müſſe auch ſchlagen. Sei es ſein Ernſt geweſen, daß er die
Welt wolle ganz frei machen von ſich, fo müſſe es auch fein Wille
geweſen ſein, ſie frei zu machen von ſich, damit Gott ſei alles in
allem. Dann würden die Menſchen nicht nur erkennen, daß ſie
Kraft genug den göttlichen Willen zu erfüllen in ſich ſelbſt haben;
ſondern auch in der richtigen Erkenntniß desſelben würden ſie über
‚fein Maaß hinausgehen können, wenn ‚fie. nur wollen. Ja, erſt wenn
der chriſtliche Name werde vergeſſen ſein, dann werde ein allgemeines
Reich der Liebe und Wahrheit entſtehen, in welchem kein Keim der
Feindſchaft mehr liege, wie er ausgeſäet ſei von Anfang an, zwi⸗
ſchen denen, die an dieſen Jeſum glauben, und den übrigen Kindern
der Menſchen. Aber ſie wird nicht wahr werden dieſe Fabel, ſeit
den Tagen ſeines Fleiſches iſt es unauslöſchlich dem Geſchlechte der
Menſchen eingeprägt das Bild des Erlöſers! Könnte auch der Buch⸗
ſtabe untergehen, der nur heilig iſt, weil er uns dieß Bild bewahrt,
das Bild ſelbſt wird ewig bleiben, zu tief iſt es dem Menſchen ein⸗
gegraben, als daß es jedesmal verlöſchen könnte, und immer wird
es Wahrheit ſein, was der Jünger ſagt: Herr! wo ſollen wir hin⸗
gehen? Du Haft Worte des ewigen Lebens.“ —
wu Nicht leicht könnte wohl diefe Reihe der Zeugniſſe über das Le⸗
Jeſu von Strauß würdiger geſchloſſen werden, als mit der
weiten Beurtheilung, die ſic in Studien und Kritiken
11
4
Ar
162
findet, nämlich derfenigen von Dr. Julius Müller, Profeſ⸗
ſor der Theologie in Marburg. Wenn es ſo leicht wäre, in
ſich werthvolle Leiſtungen gegen einander ab zu wägen und eine über
die andere zu ſetzen, ſo möchten wir dieſe Abhandlung, die ausge:
zeichneteſte Beurtheilung jenes Werks nennen; denn, wie
in den übrigen Arbeiten dieſes Gelehrten, zeigt ſich auch hier nebſt
umfaſſenden Kenntniſſen jener Ernſt der Wiſſenſchaft, der ſich be⸗
wußt des Rechts der Freiheit in der Forſchung, dasſelbe gebraucht,
aber nicht um zu zerſtören, ſondern um aufzubauen, jener unbefan⸗
gene Sinn, der die mannigfaltigen Geſtaltungen der Geſchichte nicht
nach den modernſten Zeitbegriffen beurtheilt, ſondern das ihnen ei⸗
genthümliche Weſen zu erkennen vermag, den philoſophiſchen ſelbſt⸗
ſtändig denkenden Geiſt, der die Kraft hat, einzudringen in die
Höhen und Tiefen der neuern Spekulation, ohne von deren Glanz
geblendet zu werden. Zugleich aber ſpricht ſich auch hier eine Kraft
und Wärme des chriſtlichen Glaubens aus, welcher für das Heilige
kämpft, ohne dem Gegner ſchwächliche Konceſſionen zu machen, jedoch
auch ohne dieſen ungerecht zu beurtheilen; eines Glaubens, der ſich
im Bewußtſein feiner eigenen wiſſenſchaftlichen Begründung nicht
ſcheut ſelbſt der geprieſenſten Wiſſenſchaftlichkeit gegenüber ſich zum
» gemeinen Chriſtenthum“ zu bekennen und dem, ungeachtet er ſelbſt
durchaus nicht unbedingt mit den Symbolen der Kirche übereinſtimmt,
ſich aufrichtig freuend jeder chriſtlichen Beſtrebung, alle Bitterkeit oder
aller Hochmuth gegen die orthodox Geſinnten fremd iſt. Grade
von ſolcher Grundlage aus iſt uns eine Beurtheilung des Werkes
werthvoll, das die Freiheit wiſſenſchaftlicher Forſchung in einem
Sinne auffaßt und ausübt, mit welchem das Chriſtliche und Evan⸗
geliſche der Wiſſenſchaft, wie überhaupt das Chriſtenthum ver⸗
nichtet wird. Bemerkenswerth iſt es auch hier, daß wie Dr. Ullmann
von geſchichtlicher Seite Fragen, die jetzt durch Strauß von neuem
und allgemein angeregt worden, ſchon früher beantwortet hat, Dr.
Müller dasſelbe von philoſophiſcher Seite that. Wir haben nämlich
von dieſem Theologen vielleicht das beſte Votum, welches ü ber
das Verhältniß der hegelſchen Philoſophie zum chriſt⸗
lichen Glauben vom Standpunkt des letztern abgegeben worden,
in der Recenſion der Schriften Göſchel's. Studien und Kritiken 1833.
S. 1069 — 1122. Das Mißlingen des Verſuchs, die Hegelſche Phi: 1 1
loſophie mit dem poſitiven chriſtlichen Glauben zu verſöhnen, iſt hien
dargethan, indem durch Göſchels Beſtreben theils weſentliche Sätze
Fe. 9 f * gr De Aberbaupt 1 he 785
Philoſophie das erhältniß des Chriſten zu Chriſto, f eum
alles Chriſtenthums zerſtöre. Zwar auch die andern Einwürfe gegen
dieſes ſpekulative Syſtem z. B. der des Pantheismus ꝛc. find gewür⸗
N digt und, nur in der gehörigen Modifikation 10 welche Billigkeit und
N Wahrheitsliebe fordern, auch beſtätigt; auf die vielſeitigſte Weiſe aber
iſt die Unvereinbarkeit jenes Syſtems mit dem Glauben an den hiſto⸗
rifchen Chriſtus und an ihn, als Erlöſer, beleuchtet, ſo daß demſelben
konſequent keine andere, als die niedrige ebionitiſche Anſicht von dem
wirklichen Jeſus von Nazareth zukomme ). Schon dieſe Einſicht in
die neue Philoſophie vom Standpunkte der Theologie läßt es nicht
anders erwarten, als daß von dieſer Seite eine der bedeutendern Beur⸗
theilungen des S traußiſ chen Werkes uns gegeben werde; iſt ja
jeſer rheologe der einzige, welcher bis dahin ſehr thätig in dem
lloſophiſchem Gebiete fo lebhaft geführten Kampf über die Un⸗
ſterblichkeitslehre mit in die Schranken trat. Zudem iſt das Bewußt⸗ Ä
ſein, daß der chriſtliche Glaube ſelbſt die Grundlage einer ſehr be⸗
ſtimmten Philoſophie „ eben der chriſtlichen, die die einzig wahre
iſt, in ihm klar ausgebildet; einer Spekulation aber, welche den
Glauben als ſolchen nicht nur eben gut genug für die niedern ae
der Entwicklung des menſchlichen Geiſtes hält. g 5% |
In der Recenſt on berührt Dr. Müller nun alle e e
Ausstellungen gegen Strauß kurz, und geht im Gegenſatz zu dem
ullmannſchen Verfahren, welches die allgemeinen Geſichtspunkte berührt,
ins Einzelne ein. Einerſeits wendet er nämlich der ſpekulativen
Theologie des Lebens Jeſu ſeine Aufmerkſamkeit zu, anderſeits dem
dieſem Werke zu Grunde liegenden und doch nirgends in demſelben
zuſammenhängend erörterten Begriff des Mythus und den daraus
ſich ergebenden Bedingungen ſeiner Geneſis. In dieſe z wei Theile
zerfät denn auch die Beurtheilung, indem Dr. Müller im erſten
„den gemein chriſtlichen Glauben“ gegen die Reſultate der Strau⸗
ßiſchen Forſchungen verwahrt, welche ſich in ihrer vermeinten Voraus⸗
. feßungstofigkeit als die Ren apache end Wes wollen;
* Sehen wir dich Hi dem konſequenten Dr. Sea eine noch
K niedrigere Vorſtellung von Jeſus in jenem r .
N das er vom 1 eben Jeſu übrig N
NER”
164
im zweiten aber Strauß's Verfahren auf feinem eigenen Stand⸗
punkt prüft und daher den Mythusbegriff näher erörtert.
Im Ein gang weist er dem Leben Jeſu von Strauß ſeine
Stellung in der Entwicklungsgeſchichte der jetzigen Evangelien: Kritik
zu, würdigt dasſelbe in ſeinen formellen Vorzügen. Darin, daß eine
maßloſe Skepſis in der Kritik der evangeliſchen Erzählungen hier zu
einem gewiſſen Abſchluſſe gelangt iſt und ihre zerſtörenden Konſequen⸗ |
zen enthüllt hat, findet er eine Weißſagung, daß die Zeit
ihrer Ueberwindung gekommen iſt. In der nun folgenden,
Wahrheit gemäßen Schilderung von Strauß's Verfahren
zeigt er, wie derſelbe zuerſt durch den Verſuch, innere unwahr⸗
ſcheinlichkeiten und Widerſprüche in den evangeliſchen Erzählungen
hervor zu heben den geſchichtlichen Charakter derſelben verdächtigte,
dann aber ſich zur poſitiven Seite ſeiner Operation wende. Strauß
ſieht ſich nämlich darnach um, ob nicht altteſtamentliche Erzählun⸗
gen und Ausſprüche, der älteſten Gemeinde Veranlaßung gegeben,
ihrem geglaubten Meſſias dieſelben Zuge anzudichten will fi ch
aber weder eine altteſtamentliche Parallele noch ein neuteſtament⸗
licher Anknüpfungspunkt finden, ſo wendet er ſich zu neuen Quellen
und zwar zu ſehr trüben, zu den apokryphiſchen Evangelien und zur
rabbiniſchen Litteratur; läßt ſich aus dieſen ergiebigen Fundgruben
zur Erklärung der Entſtehung jener Erzählungen nichts Taugliches
beibringen, ſo iſt ihm das Bedeutſame einer Erzählung Kennzeichen
der ſagenhaften Ausſchmückung. Auch Analogieen aus der heidniſchen
Mythologie werden nicht verſchmäht. Bei dieſer Mannigfaltigkeit
von Hülfsquellen könne es, ſagt Müller, dem Verfaſſer des „Leben
Jeſu“ niemals fehlen, ſich die Entſtehung der Einzelnen Erzählun—
gen als Produkt einer Mythen bildenden Thätigkeit auf ſeine Weiſe
anſchaulich zu machen. Alles iſt mit trefflichen Bemerkungen be—
gleitet, durch einzelne Beiſpiele beleuchtet, beſonders an den Wun⸗
dern und der Auferſtehung Chriſti *), gegen 1 01 Strauß 5 Augeiff
*) Es iſt merkwürdig, daß Dr. Strauß nach einer Aumttfung in
der zweiten Auflage S. 666. 7. II. Bd. gerade hiebei Mißver⸗
ſtändniſſe von feiner mythiſchen Anſicht abzuwehren ſucht. Er
a; nämlich 9 . ſie 15 7 bei der 1
Geſchichte zu thun ſei. Die A des Paulus pm beben
die Entſtehung und der Beſtand der chriſtlichen Gemeinde nö⸗
a
.
Lebens Jeſu (©. 60.) und 18.5 zu jener N ulativen Ch ri.
| ſtolo gie über (S. 46.), durch welche der innere Kern des chriſtli⸗
chen Glaubens, Chriſti übernatürliche Geburt, ſeine Wunder, ſeine
Auferſtehung und Himmelfahrt unverletzt bleiben ſoll, wenn auch durch
die Kritik ihre Wirklichkeit als hiſtoriſche Fakta angezweifelt werden
möge. Von dieſem geheimnißvollen Ausſpruch wende ſi ch, entgegnet
der Recenſent, der ſchlichte chriſtliche Sinn als von einem vollkom⸗
menen Widerſpruche oder einem argliſtigen Spiele wit Worten ab. .
Anſchaulich und gewandt werden nun die Hauptmomente dieſer Lehre
hervorgehoben, und mit ſtets neuen gediegenen Bemerkungen beurtheilt.
Nur einige wenige von dieſen Bemerkungen, die in ſtrengem Gedan:
kengeng ſich folgen, heben wir heraus. In dieſer Kees des ge⸗
77
chigen ihn Sa; eine hitdorische Grundlage anzunehmen; aber
nun welche? Dr. Strauß ſelbſt läßt uns auch hier nicht im Zwei⸗
fel, indem er offen ſagt, daß die von ihm zugegebene hiſtoriſche
Grundlage durchaus nicht etwa die Wiederbelebung Jeſu ſelbſt
iſt, ſondern nur das Faktum des Glaubens an Jeſu Wie⸗
| derbelebung. Dieß nennt er Anerkennung des Faktums im All—
gemeinen; und um nun nicht zu viel zu vergeben, fügt Strauß
noch die beſtimmte Erklärung hinzu, daß er ſich doch allen und
jeden Einzelnheiten der Erzählungen gegenüber frei verhalten und
ſie als ſagenhafte Gebilde behandeln, ſomit nicht von dem my:
thiſchen Standpunkt auf den der natürlichen Erklärung herun⸗
terſinken wolle. Mit dem allem iſt denn doch nichts geſagt, als
was wir bereits wiſſen: die Auferſtehung als Thatſache iſt ge⸗
läugnet, die gläubige Auffaſſung derſelben kann nach Strauß
nicht einmal in die Frage kommen, und der Skepticismus dieſes
Kritikers ſiellt ſich, als ob er ſchon Vieles zugebe, als ob er
v die Geſchichte überhaupt nicht auflöſe,“ wenn er nur den
Glauben an die Auferſtehung nicht läugne, was ja wahrlich
Keinem in den Sinn kommen kann, da die evangeliſchen Erzäh—
lungen, und wie Strauß ſelbſt nachweist, die Briefe des neuen
Teſtaments und die Kirche ſeit bald zweitauſend Jahren das Vor⸗
handenſein dieſes Glaubens zu unumſtößlich darthut; aber
eben dieſer Glaube iſt und bleibt nun doch 2 ihm ein Wahn,
weil er ſich auf keine geſchichtliche undlage ſtützt, der
Beſtand und die Entwicklung der Genc Gemeinde bleibt ſo⸗
mit noch unerklärt, weil ſie fol aus einer zwar faktiſch vorhan⸗
denen, aber völlig leeren n erklärt werden! —
**
165
5 enden Glaubens zum Wiſſen, wornach das
Subjekt der Prädikate,
welche die Kirche Chriſto beilegt, nicht ein J dividuum iſt, ſondern
die Idee der menſchlichen Gattung, ſind die Plattheiten eines moder⸗
nen Pantheismus, dem es ganz bequem iſt, das menſchliche Leben,
wie es iſt, als ein göttliches zu ſetzen.“ Der Ruhm, den ſich Strauß
aneignet, die Idee der Einheit von göttlicher und menſchlicher Natur
in unendlich höherm Sinne als eine reale zu erkennen, wenn er die
ganze Menſchheit als ihre Verwirklichung begreift, als wenn er einen
einzelnen Menſchen als ſolche ausſondert, ſei ganz die Sprache der
Indier, welche die Verkündigung des Miſſionars, daß der Sohn Got.
tes einſt als Menſch auf Erden gewandelt, dürftig fanden gegen die
immer neu ſich wiederholenden Incarnationen des Viſchnu. Auch Mül⸗
ler bemerkt, Strauß hätte ſo ehrlich ſein ſollen, zu geſtehen, daß
er mit den Reſultaten feiner hiſtoriſch-dogmatiſchen Kritik nicht bloß
einer beſondern Form des Chriſtenthums, ſondern dem
Chriſtenthum ſelbſt den Krieg erklärt, wenn anders der
Begriff desſelben ein irgendwie hiſtoriſch beſtimmter iſt und nicht etwa
Jeder Chriſtus und Chriſtenthum nennen kann, was ihm beliebt. Als
die gefährlichſte Abirrung von dem Weſen des Chriſtenthums und
die totalfte Verkehrung feiner größten Verkündigung iſt die Lehre
Strauß's bezeichnet, daß die Einheit mit Gott als eine dem menſch⸗
lichen Geiſte immanente betrachtet wird. Ergreifend iſt es, wie Mül⸗
ler darauf hinweist, daß, wenn dieſe Anſicht bei den Zeitgenoſſen
fiege, wie früher die rationaliſtiſch-ebionitiſche, ein alles Gute zerſtö⸗
render pantheiſtiſcher Naturalismus herrſchen werde, die chriſtlichen
Grundtugenden Glaube, Demuth, Hoffnung gänzlich vorübergegan⸗
gene Entwicklungsſtufen würden, „auf deren Trümmern ein panthei⸗
ſtiſches Geſchlecht hauste, welches nur ſi ch ſelbſt vertraute, und in
ſich ſelbſt die nie verſiegende Quelle alles Heils und aller Befriedi⸗
gung gefunden hätte.“ Er erklärt ſich ſelbſt gegen die Rückſichtslo⸗
ſigkeit der wiſſenſchaftlichen Forſchung, ihre Gleichgültigkeit gegen
Reſultate, wie fie Strauß aufſtellt. Verflüchtigte ſich das Geſchicht⸗
liche in ein Mythiſches, fo verwandelten ſich Die freien Thaten
Gottes in menſchl che Gedanken! Das Chriſtenthum ſei als
die Offenbarung Gottes in Chriſto, als die vollkommene Offenbarung
göttlicher Wahrheit und göttlichen Lebens, weſentlich das Ende der
Mythologie! Aus dem vorherrſchend geſchichtlichen Charakter der er⸗
ſten apoſtoliſchen Verkündigung iſt klar nachgewieſen, daß, wenn die
evangeliſche Geſchichte als W zerſtört werden kann, auch die Lehre
mr ra Auch dieſer Theologe fhricht das wahre, 4 gewiß: Rn
aus Zelotismus oder Bornirtheit hervorgehende! Wort
au ae,
was Chriſtus iſt, wir die Sünde und ihre Macht
un hen Pain. rnſt des göttlichen Mißfallens daran erkannt
haben müſſen, und jede leichtfertige Beſeitigung des Böſen, je
flächliche Beruhigung über den durch das Böſe entſtandenen Zwieſpalt
nothwendig eine unerſchöpfliche Quelle von Irrthümern in der Chri⸗
ſtologie iſt! — Ihrer innerſten Tendenz nach ſei die Strauß' ſche
Schrift das Produkt eines gewiſſen Fanatismus der Spe⸗
kulation, welche in ihrem Streben nach Alleinherrſchaft nichts mehr
über oder neben fi ch dulden will. Beachtenswerth iſt die Hindeutung,
daß wohl durch dieſelbe in der Hegelſchen Philoſophie ein bedeu⸗
tender Wendepunkt eintreten werde im ſtrengſten Gegenſatze mit dem,
welcher durch die göſchelſche Schrift: Aphorismen Rate Nichtwiſfen
und abſolutes Wiſſen, eingetreten war.
In dem zweiten als dem Sa 1 OT, ſucht Dr.
Müller den Begriff des Mythus mit Rückſicht auf die. Forſchun⸗
gen Kreuzer's, Herrmann's, Weiße's und Ottfried Müller's zu be⸗
ſtimmen und in ſeinen Hauptmomenten zu erörtern. Er ſcheidet den:
ſelben klar und gründlich von der Geſchichte einerſeits, von Mährchen,
Allegorie, Parabel anderſeits. Die Form des Mythus iſt immer
Darſtellung einer Geſchichte, einer einzelnen Begebenheit in der Zeit.
Sein Inhalt kann zum Theil Hiſtoriſches ſein, aber der weſentliche
Stoff des ſelben ift die religiöfe Idee, doch fo, daß in der Bil⸗
dung des Mythus die geſchichtliche Form und der ideale Jahalt i innig
und unzertrennlich in einander find und im Bewußtſein des ihn Bil⸗
denden nicht aus einander gehalten werden. Der Mythus iſt nämlich
nicht eine willkürliche Dichtung eines Einzelnen, ſondern ein auf einer
gewiſſen Entwicklungsſtufe des Geiſtes innerlich nothwendiges Erzeug⸗
niß der Geſammtheit. Als dieſe Stufe, auf der er ſich bildet, be⸗
zeichnet der Verfaſſer den Punkt im Leben einer Nation, wo das
polptheiſtiſche Prinzip der Vergötterung des Natürlichen und Menſch⸗
lichen, die Tendenz das Göttliche in der unmittelbarſten Nähe zu ha⸗
ben, mit Unterdrückung des tiefern Bewußtſeins von dem Mißverhält⸗
niſſe des fündigen 9 Renfchen zum Göttl ichen herrſchend geworden iſt.
ö t klar heraus, daß der Begriff des Mythus,
Dieſe Unterſuchung fi
den Dr. Strauß zwar unentwickelt anſtellt, „ geſchichtartige Ein⸗
kleidung urchriſtlicher Ideen, gebildet in der abſichtslos dichtenden
Sage“ allerdings an ich gun wii, lit.) Von dieſer richtigen Ga 2
*
*
168
ſicht in das Weſen des Mythus weiſe Strauß auch mit Recht mehrere
Einwürfe zurück, die auf der Verwechſelung des Mythiſchen mit den
Erzeugniſſen bewußter Dichtung eines Einzelnen beruhen. Aber bei
der Anwendung dieſes Begriffs auf die Evangelien
trennt Müller ſich nun von Strauß. Zuerſt ſind in reichhaltigen,
zum Theil neuen Gedanken die Menge neuer auch hiſtoriſcher Schwie-
rigkeiten, in die ſich die mythiſche Anſicht verwickelt, der Evangelien
angedeutet, indem ſie die Urſachen wegläugnet, ohne doch die Wir—
kungen wegläugnen zu können (ſiehe auch Ullmann, Steudel, Vaihin⸗
ger, Klaiber ꝛc.). Aus Allem erhellte bei der Strauß ſchen Auffaſſung
die Unerklärlichkeit des Chriſtus der Evangelien. Müller
kann daher auch für das Intereſſe des Verſtandes in derſelben keinen
Vorſprung vor der geſchichtlichen ſehen, indem ſie einen ſichern Zu—
ſammenhang auflöst, um die dunkelſte Nacht der Unbegreiflichkeit an
die Stelle zu ſetzen! Nun aber werden in eingehender Erörterung die
allgemeinen Bedingungen der Bildung des Mythus
vergegenwärtigt, um zu prüfen, ob Strauß, indem er das mythiche
Erklärungsprinzip auf die Evangelien anwendet, auch mit ſich ſelbſt
und mit dem von ihm anerkannten Begriffe des Mythus
in Uebereinſtimmung bleibt. Hier wird er nun auf ſeinem
eigenen Standpunkt angegriffen. Mythen können ſich nur bilden, ehe
Philoſophie und Geſchichtsforſchung im Leben einer Nation hervortre⸗
ten. Trefflich wird die Sagenwelt, wie ſie in einer geſchichtlichen
Zeit ſich geſtaltet, von der Mythenerzeugung der Urzeit auf religiöſem
Boden geſchieden. Hiernach fehlt es daher an allen Bedingungen zur
Entſtehung der Mythen in dem Gebiet und Zeitalter, in welchem die
evangeliſche Tradition als die Grundlage der ſynoptiſchen Evangelien
ſich bildete. Die Skepſis war ſchon erwacht; die Zeit war ſchon da,
in der mit Bewußtſein Parabeln gebildet werden. — Im ſtrengen
Sinne läßt ſich daher jener Begriff des Mythus auf dieſe Zeit nicht
einmal anwenden, und wenn er weiter als ein Spiel der Phantaſie
gefaßt wird, ſo entſtehen neue Schwierigkeiten rückſichtlich des Schau⸗
platzes, der Zeit und des apoſtoliſchen Urſprungs eines der Evange—
lien, die nun alle hervorgehoben ſind, um die Unmöglichkeit einer
ſolchen Mythenbildung; zu erweiſen. Intereſſant iſt es, wie der Ver⸗
faſſer hiebei jedesmal die Vorausſetzungen von Strauß zugebend, ſich
auf einen engern und engſten Kreis zurücktreiben läßt, und da von
Strauß's eigenem Standpunkte aus mit großer Gewandtheit die wiſ⸗
ſenſchaftliche Untauglichkeit, um die Entſtehung der evangeliſchen Er⸗
= 2
7 ˙ AAA
se
—
zu erklären, auch in Beziehung nden weiter gefaßten
Mothusbegeif ſchlagend darthut. Dieſe Unzulänglichkeit iſt darauf
durch die Art, wie ſich in der Strauß'ſchen Schrift ſelbſt dieſe Er⸗
klärung im Einzelnen geſtaltet, aufs einleuchtendſte beſtätigt; indem
von Strauß die Ideen, welche zu Grunde liegen ſollen, durchaus nicht
nachgewieſen, die Entſtehung der Erzählungen ſelbſt als höchſt be;
wußte und abſichts volle dargeſtellt ſeien (ſiehe oben S. 164, damit über:
einſtimmend Bauer S. 50. Sack 74. ꝛc.), was zugleich mit einigen
Beiſpielen anſchaulich belegt iſt; ähnlich, wie es Harleß im zweiten
Abſchnitt ſeiner Schrift durch alle Hauptmomente des Lebens Jeſu
thut. Nachdem nun der ſchreiende Widerſpruch, in den ſich Strauß
bei der Ausführung im Einzelnen zu ſeinem eigenen Mythusbegriff
verwickelt, deutlich herausgeſtellt worden, entgegnet Müller dem Ein⸗
wurfe, warum denn alle Einwendungen nur auf jene Bezeichnung ge⸗
ſtützt ſeien, da doch das ganze kritiſche Unternehmen ungeachtet die⸗
fer Unrichtigkeit ein wahres fein könne; aber da erklärt er ernſt:
„Wenn der mythiſche Nimbus, den die Einleitung um dieſe Kritik
3 evangelischen Geſchichte verbreitet, geſchwunden iſt, dann ſehen wir
das ganze Unternehmen unaufhaltſam hinabſinken auf die Grund⸗
1 auf der die Wolfenbüttelſchen Fragmente und ähnliche Angriffe 8
auf die Wahrheit der evangeliſchen Geſchichte ruhen. Denn bewußte
Dichtung in vollem Ernſte für geſchichtliches Faktum ausgeben und
ihr zu dieſem Zwecke die Form der ruhigſten, ungeſchmückteſten Er⸗
zählung leihen, dieß nennt man ganz richtig, mag es nun im Mor⸗
genlande oder im Abendlande geſchehen, lügen, und ein um ſo ge⸗
wiſſenloſeres und ſträflicheres Lügen, je heiliger und unendlich wich⸗
tiger der Gegenſtand iſt, auf welchen ſolche Fiktionen ſich beziehen.“
Nach dieſem Widerſpruch, den der Recenſent gegen die poſitiv en
Reſultate der Strauß'ſchen Forſchungen durchgeführt hat, charakteriſirt
er das unläugbar bedeutende negative Verdienſt desſelben Werkes,
v» viele Schwierigkeiten der evangeliſchen Geſchichte mit ungemeinem
Scharfſinn entwickelt, ihren eigentlichen Kernpunkt mit großer Klar⸗
heit aufgezeigt und das Ungenügende der bisherigen Löſungsverſuche
ſiegreich dargethan zu haben; “ doch auch hier beleuchtet er die Einſeitig⸗
keit und Unrichtigkeit dieſer Kritik, und proteſtirt noch namentlich „ge⸗
gen die argwöhniſche Befangenheit und ungerechte Willkür, mit der
Hr. Strauß den Verfaſſer des vierten Evangeliums behandelt,“ be⸗
3 zeigt er die er ga » der Sn e ”
* N
170
daß derſelbe den Petrus in Schatten Ben and den Johannes auf
050 Koſten verherrlichen wolle. en
In dieſer höchſt gediegenen Beurtheilung, auf deren Beantwortung
von Strauß wir beſonders begierig ſind, da ſie von ſeinem eigenen
Standpunkte, aus deſſen Grundſätze und deze Anwendung tief erſchüt⸗
tert, herrſcht eine würdige, rein wiſſenſchaftliche immer ernſte Sprache.
Immer bezeichnet der Ausdruck derſelben, was er will und ſoll. Zu:
weilen bricht dann der zurückgehaltene Unwille über „die grenzenloſe
Willkür“ des Strauß'ſchen Verfahrens hervor, der Unwille eines vom
Geiſte des Evangeliums durchdrungenen, durch ſolche Forſchungen aber
verletzten Herzens, doch ohne je die ruhige Haltung des wiſſenſchaft⸗
lichen Bewußtſeins zu verlieren; wie auch der ſehr bedeutungsvolle
Schluß zeigt: „Erwägen wir die ganze Geſtalt des geiſtigen Lebens
unſrer Zeit, wie tief in ihm gewiſſe Grundaͤnſichten wurzeln, die in
einem fundamentalen, wenn auch Unzähligen unbewußten Widerſpruche
mit dem Chriſtenthume ſtehen, wie dieſe Anſichten zum Theil von
den größten Geiſtern dieſes und des vorigen Jahrhunderts vertreten
worden ſind, ſo können wir uns wohl vorſtellen, wie die Macht des
Zweifels auch einen ernſthaft Forſchenden allmählig fo ſehr in Beſitz
zu nehmen vermag, daß er zu den negativen Reſultaten dieſes Werks
gelangt. Eines aber geſteht er nicht zu begreifen, wie diefer in einem
pft fo heitern, leichten, ja ſcherzenden Tone an der Zerſtörung eines
Gebäudes zu arbeiten vermag, von welchem er ſelbſt das Bewußtſein
hat, daß Millionen darin den einigen Grund ihres Heils erkennen.
Ja, nicht einmal von ganz frivolen Aeußerungen und höchſt unwür⸗
digen Scherzen hat Strauß, wiewohl er ſuh deſſen in der Vorrede
1 erſten Bande rühmt, ſeine Darſtellung rein zu erhalten am. *
1 . Dr. Müller citirt chte Stellen ſolcher Art aus Strauß's
7 Werk, die leicht noch vermehrt werden könnten. Wir ſetzen
nur eine derſelben aus. Nachdem die Verklärungsgeſchichte
Jeſu als ein Mythus dargeſtellt worden, fügt Dr. Strauß
noch folgende Anmerkung hinzu: » Auch Plato im Sym⸗
poſion verherrlicht ſeinen Sokrates dadurch, daß er auf na⸗
türlichem und kosmiſchem Grunde eine ähnliche Gruppe veranz
ſtaltet, wie die Evangeliſten hier auf tragiſchem und übernatür⸗
lichem. Nach einem Trinkgelage überwacht Sokrates die Freunde,
welche ſchlafend um ihn liegen: wie hier die Jünger um den
Herrn; mit Sokrates wachen nur noch zwei großartige Geſtal—⸗
ten, der tragkſche Dichter und der komiſche, die beiden Elemente
7
Ba 1 %
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| 171
3 . n Ä
Oder wäre es, was allerdings die bisherige Geschichte der Angriffe
uf die biſtoriſche Grundlage des Chriſtenthums zu beſtätigen ſcheint,
7 einen ſolchen Angriff mit rückſichtsloſer
. zu bewahren, wie fie die Größe des Gegenſtandes, 10 die
ermeßliche Bedeutung der Fragen „ um Mi es fi 4 hier handelt, von
Jedem fordert?“ —
Eine Freude iſt es daher, wenn e Kicche Männer, wie 10
letzte Beurtheiler und einige der oben Genannten, hat, die ſelbſt in
den Geiſt der heutigen Bildung und der neuen Philoſophie eingeweiht,
früher vielleicht denſelben mit ganzer Seele ergeben, durch den chriſt⸗
lichen Glauben aber von der überwältigenden Macht des Jeitgeiſtes
entbunden und auf den Boden der rechten Freiheit und einzigen Wahr⸗
heit geführt, mit denſelben Waffen des Talentes, mit noch gründli⸗
chern Kenntniffen jenen anti⸗ chriſtlichen Beſtrebungen ſich entgegen⸗
ſetzen und das geoffenbarte und doch immer noch unenthüllte Geheime
niß der Menſchwerdung Gottes in Chriſto und die Erlöſung des fin:
digen Menſchengeſchlechtes mit demüthig denkendem und anbe⸗
tend dankendem Geiſte betrachten und auslegen, die unermeßliche
Bedeutung jener Lebensfragen erkennen, und ein ſolches Wort zur
Ehre unſers Herrn. reden, das auch von den Gegnern beachtet wer⸗
den muß, weil es ein e i ee Biffen
ſchaft 15 —
des . griechicchen Gen feelthe Sokrates in fi 0 verti⸗
nigte: wie mit Jeſu der Geſetzgeber und der Prophet ſich un⸗
terreden, die beiden Säulen des altteſtamentlichen Lebens, welche
® Jeſus in höherer Weiſe in fich zuſammenſchloß; wie bei Plato
5 5 a 5 auch Agathon und 11 3 einſchlafen, und Sokra⸗
1
e * Dith Hohn e alſo an bir Stelle der Velätung,
bei der die Stimme aus der Höhe ſprach: „Dieß iſt mein lie⸗
ber Rn Machen ich F d habe, den Kahn 10 hören! —
172
Schluß w ort
Beim Rückblick auf die Urtheile über das Strauß' che Werk, welche
hier durchaus ohne Rückſicht darauf, ob ſie für oder gegen Strauß
ſich ausſprechen, mitgetheilt ſind, muß es allerdings auffallen, daß
die Zahl der mit Strauß e Stimmen ſo gering iſt in Ver⸗
gleich zu der der theilweiſen oder entſchiedenen Gegner. Faſt möchte
man denken, der Verfaſſer des Lebens Jeſu hätte ſich geirrt, indem
er ſein Werk als ein nothwendiges Produkt und ſomit auch als ein
Bedürfniß der neuen fortgeſchrittenen Bildung bezeichnete und dadurch
alſo alle, welche den Ruhm dieſer Bildung in Anſpruch nehmen, und
mit den Grundanſichten der Bibelreligion in Widerſpruch treten zu
müſſen glauben, zu Freunden und Bundesgenoſſen haben werde. Ge—
wiß mit Recht iſt aber ſchon gewarnt worden, ſich dadurch über die
wahre Lage der Sache nicht täuſchen zu laſſen, mag das bisherige
Schweigen und leiſe Beiſtimmen der Befreundeten zu erklären ſein,
wie es immer wolle, ſo iſt der Letztern Zahl doch jedenfalls ſehr
groß und ziemlich ſicher iſt vorauszuſehen, daß jenes Schwei⸗
gen nicht immer „ Nicht lange mehr dauern wird. Der Anſtoß iſt ge⸗
geben, die Wirkung wird ſich zeigen. Die auflöſenden Tendenzen
unſerer Zeit werden ſich in der Philoſophie und Theologie immer of—
fener noch herausſtellen und von da aus — was ja eben das Verderb—
liche iſt — ins außerwiſſenſchaftliche Gebiet, in die Anſichten und das
Leben der Gebildeten und ſelbſt der Ungebildeten eingreifen, wo der
Auflöſungsprozeß nicht leicht durch eine geiſtige Gegenkraft zu hem⸗
men iſt. Der Unglaube hat durch dieß Werk neue Waffen und auch
neuen Muth bekommen; es iſt daher noch kein Sieg, was bis jetzt b
gegen Strauß genommen iſt. Dieſer ſelbſt ſagt uns, er rüſte ſich, a
um die Gegner zu widerlegen; wobei nun auch ſich immer beſſer zei n
gen wird, ob das, was einige ſeiner Beurtheiler ſagten, wahr oder
unwahr ſei, daß Strauß nämlich noch nicht der Gegner des Chri-
ſtenthums ſei, welchen man zu fürchten habe, weil er mit zu ſchwa⸗
chen Waffen kämpfe. Jedenfalls aber je würdiger er von nun an den
Kampf führen wird, je weniger in der ihn nicht ehrenden Weiſe, die
er bisdahin in den Vorreden feiner Schrift eingeſchlagen hat, deſto
1
NR * u
Fe
ee
3 173
eenftee wid der Kampf werden, deſto ſchöner wird der reine Gewinn
dabei ſein. Mag aber auch der Gegenſatz gegen das Chriſtenthum
immer k iftiger und gerüſteter ſich ausſprechen, mögen auch die irre⸗
3 igiöſen Beſtrebungen in unſern Tagen fi ich noch als die vorherrſchen⸗
den zeigen, ſo iſt doch immerhin dieſe bisherige in ſich ſelbſt fo viel⸗
geſtaltete Oppoſition gegen Strauß ein hinlängliches Zeugniß, daß
ein wirkſames Element unſers Jeitgeiſtes eben auch wieder das Re⸗ ö
ligiöſe „oder beſtimmter das Chriſtliche iſt. Zählen wir oder wägen
wir dieſe Stimmen, wie ja dieß letztere bei der Charakteristik der Ein⸗
zelnen zum Theil geſchehen iſt, ſo erſcheint doch wohl die Hoffnung
nicht unbegründet, daß dieß gute Element der Zeitbildung den nun
ſich immer offener entwickelnden Kampf werde beſtehen können mit dem
andern, welches von der Welt iſt, und als ſolches zwar keineswegs
vernichtet, ſondern gezüchtigt und geheiligt werden muß. Fürwahr
die poſt tiv chriſtliche Theologie ſtirbt noch nicht, ungeachtet Strauß
von ihr ausgeſagt, ſondern ſie lebt von neuem auf. Sie iſt in
ſi ch wieder kräftig, und wird auch immer ſtärker nach außen. Innere
Lebenskraft hat dieſelbe „weil ſie eben wieder eine chriſtliche geworden
iſt; ſie ſtützt fi ſich wieder auf das rein und urſprünglich öttliche des
Chriſte ithums, als ihren Fels, und aus dieſer Gottesoffenbarung wird
ſie fortan eine unverſiegliche Fülle des Lebens ſchöpfen. Immer ſtär⸗
ker aber wird dieſe neue chriſtliche Theologie auch nach außen werden,
weil ſie ihre Aufgabe erkennt, daß ſie das Göttliche, deſſen Bewah⸗
rerinn ſie ift, nicht ſtarr dem untütlichen Geiſtes leben gegenüber in ſich
1 . das letztere nicht feindſelig von ſi ch abſtoßen und in feinem
Merv verletzen, ſondern in dasſelbe eingehen, deſſen Kräfte in ſich
‚ Alfnebimen 695 95 e eine 8 b Verſöhnung,
das natürlich Menschliche zum göttlich Menschlichen, d. h. daburch
erſt zum 1 Menſchlichen zu machen. Wie einſt der Sieg
8 des Ehriſtenthums über das Heidenthum ganz vollſtändig wurde, als
die Kir che dhech die Alexandriner, beſonders aber durch die großen
k Mappe und Antiochener die Bildung der griechisch römiſchen
— * ſich aufnahm, und hiemit mit deren eigenen Waffen ihren
derſpruch gegen das Chriſtenthum überwinden konnte, ſo wird auch
wi die chriſtliche Wiſſenſchaft das Heidniſche und Artichriſtlche in
5 gen Bildung überwinden können, wenn ſie theils, was na⸗
klürlich die nothwendige Bedingung iſt, um nicht ſelbſt. von den fal-
ſch und verderblichen Tendenzen dieſer letztern überwältigt zu wer⸗
*
17⁴
den, immer kräftiger und inniger eindringt in das große Geheimniß
der Offenbarung Gottes in Ehriſto, theils aber auch, was eben zum
Siege nach außen nöthig iſt, die edeln Elemente der modernen Bs
dung anerkennt, die geſunden Bewegungen derſelben gewähren läßt,
und die weſentlichen Kräfte des natürlichen Geiſtesleben ſi ich ſelbſt
aneignet, um fie zu heiligen. Nebſt mancher andern hier nicht er⸗
wähnten Erſcheinung auf theologiſchem und homiletiſchem Gebiete zeugt
nun eben auch der beſſere Theil dieſer Oppoſition gegen Strauß, daß
zu ſolcher weſentlichen Durchoͤringung der menſchlichen Natur mit dem
Göttlichen des Chriſtenthums ein viel verſprechender Anfang gemacht |
iſt. Die hier fi ſich zeigende Theologie iſt ſich im Ganzen ihres heiligen
Berufes bewußt, aufrichtige und treue Pflegerinn und Auslegerinn
der göttlichen Werke und Worte zu ſein, zugleich aber fürchtet ſie
das ſpekulative Denken nicht, ſondern nimmt es in ſich auf und beur⸗
kundet ſchon ihre Vertrautheit mit demſelben (Sack, Lange, ‚Hoff:
mann, Kern, beſonders Müller), ſie faßt das Chriſtenthum im Zu⸗
ſammenhang mit der Geſchichte und dem natürlich ſittlichen Bewußt⸗
ſein auf (Ullmann), ‚fie nähert ſich ſelbſt dem natürlich äſthetiſchen
Geiſtesleben, „ um Funken des Höheren Lichtes in dasſelbe zu werfen
(Lange); kurz es zeigt ſich hier ein mächtiges Ringen dieſer Theologie
nach der höͤhern Wiſſenſchaftlichkeit. Es iſt zwar nicht zu läugnen,
daß die größere Energie und Gewandtheit in Handhabung dieſer na⸗
türlichen Kräfte des Menſchengeiſtes durchaus noch auf der Seite des
Zeitgeiſtes fi fi ch findet, welche dem Weſen des Chriſtenthums völlig
entfremdet iſt und dasſelbe in ſeiner niedrigen Kreuzesgeſtalt verach⸗
tet und wegen ſeiner ſtill wirkenden, doch ſiegreichen Kraft haßt; da
her denn noch immer hier die außerordentliche Produktionskraft, die
unſere Zeit auszeichnet, mit dem Scheine und Ruhm der größern
Wiſſenſchaft und Lebensfriſche auftritt, durch welche die unbefeſtigten
Gemüther fortgeriſſen werden. Vielleicht iſt auch in der Entwicklung
dieſer weltlichen Bildung und der weſentlich nur auf ſie Fe
Theologie noch nicht, auch durch Strauß noch nicht die letzte ti l
Stufe der Entfeſſelung von dem Chriſtlichen erreicht, ſo daß wir auch
auf wiſſenſchaftlichem Gebiete noch Verwerflicheres hören müſſen, als
das bisherige; aber immerhin iſt es wichtig, daß gerade die Bi :
ſchaft dieſer neuen Bildung das Göttliche des Chriſtenthums wi
anerkennt, wenn ſie es auch nicht richtig auffaßt und darſtellt win
ja ſelbſt Dr. Strauß, der Herold dieſes gottentfremdeten Theils 1
1 felben, welcher ſich der innern Ales ſeines Gemüths und Denken *
3
175
on gewiſſen religiöſen wis: dogmatischen (den; ele chriſtlichen)
Vora — rühmt, den Namen des Chriſten nicht aufgeben und
d. chri tlichen Grundideen als durch feine kritiſchen Reſultate unver⸗
letzt wiſſen, — ein bedeutungsvolles Zeugniß, daß nicht mehr, wie
. 50 Jahren der entſchiedene Bruch mit dem Chriſtenthume als das
betrachtet wird, was der Bildung gezieme, ſondern daß ſelbſt die
negative Tendenz eine Vermittlung mit demſelben zu ſuchen genöthigt |
iſt. Klarer aber tritt natürlich auf poſitiver Seite das Bedeutungs⸗ .
volle unſerer Zeit hervor, indem einerſeits angeſehene Stimmführer,
die auf dem Boden des natürlichen Geiſtesleben ſtehen, mit Aufrich⸗
| au dem eigenthümlich Chriſtlichen als dem wahren, ewigen
ue ell zuwenden, anderſeits vom Standpunkte des Chriſtlichen
Kr jenes in feinem Weſen anerkannt und in ſich aufgenommen
wird; ſo daß nach einer Reihe von Verſuchen beide Beſtrebungen ver⸗
ſöhnend zuſammentreffen und das Göttliche im Menſchlichen verwirk⸗
lichen werden. Allerdings hat dabei die chriſtliche Wiſſenſchaft ſich
zu verwahren vor Vermiſchung mit den unreinen Elementen der Welt⸗
bildung; und wenn dieſe letztere mit dem Anſpruche der Chriſtlichkeit
auftritt und ihren Vermittlungsverſuch, in dem ſie denn doch immer
| nür das Menſchliche vergöttert und das objektiv Göttliche des Chri⸗
ſtenthums verkennt, als den abſolut richtigen ausgibt, ſoll ſie von
jener Theologie in ihrer Selbſttäuſchung enthüllt, oder in der bewuß⸗
ten Lüge, mitd er ſie Andere täuſchen will, unerbittlich offenbart wer⸗
den, daher denn auch die ausſchließende Polemik, die nur das Ge⸗
Pi Fäpefiche, einer Zeit ins Auge faßt, nothwendig und ſegensreich iſt,
wie ſie z. B. im Kampfe gegen Strauß zugleich gegen die unchriſt⸗
1 chen Elemente der Wiſſenſchaft und Lebens anſicht unſerer Tage über⸗
5 Fr upt von der evangeliſchen Kirchenzeitung in Berlin und in Harleß's
9 Schrift furchtlos geübt wird, — als ernſte Warnungsſtimmen für Alle,
dienend zur Befeſtigung der Schwachen und zum Aufwecken der Sichern.
ger dieſer allgemeinen Beziehung auf die Entwicklung der
K mi „ bietet die beſſere Hauptmaſſe dieſer Oppoſition
3 f gegen Strauß dem Beobachter noch mehrere bemerkenswerthe Seiten
* die hinwieder zum Beweis dienen können, daß wir wieder eine
christliche ieotogie Haben. Ein gewiß nicht unbedeutendes Moment
derſelben iſt es, daß kaum noch eine Spur von der Mattigkeit ſich
1 ind det, mit welcher ſonſt über das Wichtigſte geredet worden; überall
begegnet uns Ernſt und ein inniges Bewußtſein von der Wichtigkei
d * die meiſten dieſer Theologen arbeiten an dem großen
N
N *
4
Ya *
15
176
Bau der Wahrheit als an einer Gewiſſens ſache. Ebenſo iſt aber in
dieſem Widerſpruch gegen Strauß keine Spur von jener verabſcheu⸗
ungswürdigen Polemik, die man aus frühern Zeiten und jetzt noch
in gewiſſen Gebieten der theologiſchen Welt kennt, in welcher der Wi—
derſpruch als Haß der Perſon ſich zeigt, und in Schmähungen gegen |
dieſe, nicht in Widerlegung der Sache ſich ausſpricht. Hier finden
wir keine einzige Schmähung gegen den Verfaſſer des Lebens Jeſu,
wie fie noch immer in vielen rationaliſtiſchen Journalen gegen Anders.
denkende zu leſen ſind; überall wird auf die Sache eingegangen und
wo von der Perſon geredet iſt, ſo geſchieht es eben, weil ſie von jener
nicht immer zu trennen iſt; immer aber iſt die Perſon nur beurtheilt
nach dem Charakter und der Tendenz ihrer Schrift, nicht nach Fremd⸗
artigem. Freilich gibt es nicht wenige Freunde Strauß's, welche in
jedem Widerſpruch gegen dieſen gefeierten Mann Intoleranz und Feind-
ſchaft gegen die Weltbildung, in jeder ernſten und mißbilligend ur⸗
theilenden Sprache unwiſſenſchaftliche Befangenheit und Verketzerung
ſehen; die Geſchichte aber wird es einſt anerkennen müſſen, daß ſeit
langem wohl nie eine würdigere Polemik geführt worden, daß jene
Intoleranz meiſtens nichts als der chriſtliche Ernſt iſt, den der Welt:
ſinn nicht begreifen kann; ſie wird zeigen, daß in den auf die gedie⸗
gendſte Weiſe Widerſprechenden der Keim der wahren Bildung iſt,
welche, eben weil ſie auf chriſtlichem Boden gepflanzt, ſtark werden
und ſiegreich allen Glanz der Scheinbildung überwinden wird.
Wenn nun auch ferner dieſes Bruchſtück der theologiſchen Literatur,
ungeachtet alle dieſe Stimmen durch den Widerſpruch gegen Strauß
eine gewiſſe Einheit von außen her erhalten, wegen des unter ihm
innerlich vorhandenen Gegenſatzes von Manchem als ein neuer der
weis der Zerriſſenheit der Kirche mag aufgefaßt werden, ſo iſt doch
gerade dieſe Mannigfaltigkeit der Stimmen, wenn auch nicht jede der⸗
ſelben für ſich wohlthuend iſt, beim Blick auf die wahrlich noch nicht |
lange hinter uns liegende Vergangenheit ein nur erfreuliches Wen | ö
der Zeit. Kaum zwanzig Jahre ſind es, ſeit die erſten mächtig ei
greifenden Weckſtimmen in der deutſchen Kirche ſich erhoben, um jene: N
Siegesperiode der flachften Aufklärung abzukürzen und zum Schluß
zu bringen, in welcher dieſe eine ſolche Alleinherrſchaft übte, daß kaum
von einigen Stimmen der Stolz jener die reiche Gnade Gottes in
Chriſto verachtenden Armuth mit dem Wort Gottes gezüchtigt worder
iſt. Damals bildete ſich auch neben der natürlichen, gerade die W-
thiſche Anſicht der bibliſchen Geſchichte aus, und zwar in einzelnen 10
VW
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—
N 177
Verſuchen ſelbſt beinahe mit der Ausdehtung, in . fe e jetzt bei
Strauß tritt, aber ohne daß ihr kräftig widerſprochen worden
we 171 Mh: nur 40 „daß dieß irgend Auſmerkſamkeit Wee hätte.
Jener Friede war eine ſchmäyliche Gleichgültigkeit, eine völlige Ent⸗
temdung vom christlichen Glauben. Iſt denn nun die jetzt von allen
| Seiten ſich zeigende Bewegung nicht viel beſſer, als jenes ſtille Zu⸗
n und Schweigen 2 — unläugbar, und auch wenn anfangs dieſe viel:
achen Stimmen noch etwas verworren durch einander tönen. uebri⸗
gend näher betrachtet zeigt ſich ja, daß dieſelben wohl zu ordnen ſind,
und das bemerkenswerthe dabei iſt eben, daß diejenigen, welche einſt
allein dominirten, jetzt immer ſeltener und matter, die hingegen, deren
Grundton wieder der des chriſtlichen Glaubens iſt, aus allen Theilen
1 over rt und immer l lch VERLOR laſſen.
wele | n r en d if es die kuchen Dariung,
bee a welchem Alles gleichſam durchſichtig gemacht und
aßlich durchgeführt iſt? iſt es ſeine Wiſſenſchaftlichkeit, durch die es
den Denkenden beſchäftigt? — Jede dieſer Fragen iſt nach dem oben
Mitgetheilten ſchon beantwortet. Durch dieß Alles aber iſt eine ſolche
Bewegung auf dem Gebiete der theologiſchen Literatur noch immer
. erklürt, denn wir ih e M die mit gründ⸗
e i beschränkt, für den e ie 1 beſtimmt waren. > Schr.
ſta der dc iſt es allein, l diefes Aufſehen Br und Wi if
a | Feind unn; entweder für oder wider ihn muß jeder
ſich im Ine entſcheiden. Der Zweifel der Philoſophie und der
entarteten Theologie mußte im Gegenſaze zu dem neu erwachten chrift:
lichen Glauben, der ſich ſeinem Weſen nach nothwendig immer inni⸗
. an die Perſon Chriſti anſchloß, endlich unmittelbar auf ihn ſelbſt
ein eindringen, als das Herz des Chriſtenthums, und um ſich ſeiner zu entle⸗
digen „ n ſelbſt antaſten. Alle Hauptmomente der Regeneration der
ee 12
178
Theologie und des schriftlichen Lebens in unſerm Jahrhundert „eum 4
die Gemüther nun ſo zubereitet, daß in allen Theilen und Ständen
der deutſchen Kirche ein unmittelbarer Angriff auf Jeſum ſelbſt die
regeſte Aufmerkſamkeit erwecken mußte, doch waren ſie ſelbſt noch nicht
geeignet, eine ſolche umfaſſende Theilnahme auf ſich zu ziehen, eben
weil ſie einen Gegenſtand hatten, der bei aller Wichtigkeit doch nicht
ſo wichtig war, daß ein Jeder ohne Aus nahme in irgend ein Ver⸗ |
hältniß zu demſelben fich ſetzen mußte, wie es hier gefchehen muß
von Jedem, der nicht völlig für alle geiſtige Intereſſen erſtorben if.
Diefe Vorbereitung zu der jetzigen Bewegung und den unterſchied
zwiſchen dieſem und den frühern Entwicklungspunkten kurz a 7
iſt wohl hier noch am Ort.
Das erſte reformatoriſche Wort, welches im Anfang dieſes Jahrhun⸗
derts in die Nacht der falſchen Aufklärung, als Aufforderung zum Erwa⸗
chen hineingerufen wurde, die gewaltigen Reden Schleiermachers über
die Religion (1799. 1805.), waren nur an die Hochgebildeten unter deren
Verächtern gerichtet und verlangten von den durch ihre Begeiſterung
Gewonnenen nur Anerkennung der Frömmigkeit als eines der menſch⸗
lichen Natur weſentlichen Elementes, aber noch nicht chriſtlichen Glau⸗
ben. Sie weckten in manch edlerm Gemüthe wieder die Ahnung des
Höchſten, eine Sehnſucht nach Gott, aber auf die Theologie hatten
ſie noch keinen Einfluß, noch weniger aufs Volk. Vorbereitend wirkte
auch die Schellingſche Philoſophie. Auf theologiſchem Gebiete ſelbſt
wurde durch Reinhard der Kampf zwiſchen Rationalismus und Su⸗
pranaturalismus wieder erneuert (1810), aber nicht mit Wärme und
Geiſt durchgeführt. Mehr that das Leben, als die Lehre. Die Lei⸗
den der deutſchen Nation bereiteten den Boden, daß er das Wort
Gottes wieder in ſich aufnehme; die Errettung aus der Noth richtete
Vieler Herz nach oben, um von dem ſtarken Gott noch eine andere
Erlöſung zu ſuchen, als die zeitliche. So kam der Gegenſtand der
Theologie und das religiöſe Bedürfniß der Gemeinde in immer nähere
Berührung; aber noch konnte ſich dieſe für die ſelbſt auf wiſſenſchaft⸗
lichem Gebiete ohne Wärme geführten Kämpfe nicht lebhaft intereſſi⸗
ren; es ſchienen ihr die Fragen über die verſchiedenen Erkenntnißwei⸗
ſen der göttlichen Wahrheit, und die verſchiedenen Auslegungen der
heiligen Schrift nur Sache der Schule. Doch bald ſollten ſich jene
beiden lebendig ergreifen und von da an in immer mächtigerer Bewe⸗
gung durchdringen. Das Reformationsfeſt (1817) predigte laut allen
Gliedern der proteſtantiſchen Kirche „ daß fie von dem Glauben 57
179
Väter abgefaller ſeien und diesen nun wieder in ſich neu beleben ſoll⸗
en. 2 in Harmſi ſchen Theſen ergriffen die Gemüther des Volks wie
54 Tb Der Streit zwiſchen Vernunft und Offenbarung
wurde immer mehr als ein ſolcher zwiſchen unglauben und Glauben
fg — ie kurz vorher noch ſo arme deutſche Wiſſenſchaft war
BR im Stande, eine Glaubenslehre wie diejenige Schleiermachers
10 iſt (1820 hervorzubringen, die durch Form und Gedankenreichthum
0 den Forderungen der Bildung entſprach, zugleich aber den Rationa⸗
lismus der Aufklärungszeit gründlich erſchütterte, den Glauben wie⸗
der mehr zu Ehren brachte, und ſelbſt vielfach verſöhnend gegen den
4 ſonſt ganz für abgethan betrachteten ſymboliſchen Lehrbegriff ſich zeigte;
. gewiß ſchon als Zeichen für den großen Umſchwung jener Zeit auf
wiſſenſchaftlichem Gebiete höchſt beachtenswerth. Immer mehr gewann
aber der beſtimmte ſymboliſche Kirchenglaube wieder Anſehen; natür⸗
lich nicht ohne den lebhafteſten Widerſpruch der Gegner, aber eben
durch ſeine Leidenſchaftlichkeit bezeugte dieſer, daß ſeine Kraft geſchwun⸗
den ſei. Von neuem wurde Vieler Aufmerkſamkeit durch die Leip⸗
6 zigerdiſputation (1827), bei welcher die Rationaliſten aufgefordert wur⸗
| den, aus der proteſtantiſchen Kirche zu treten, weit Mehrerer aber
durch die Jubelfeier der Augsburgiſchen Konfeſſion (1830) auf jene
große Zeit hingewendet, zu der wir als einer reichlich fließenden
ede göttlichen Segens zurückgehen ſollen. Die früher faſt vergeſ⸗
ſenen Schriften der Reformatoren wurden aufs Neue zum Behuf der
| Erbauung und Wiſſenſchaft allgemein verbreitet, die deutſche Kirche
lernte den Schatz der Lieder und Gebete, welche ſie beſitzt, wieder
kennen und lieben, übte in weit ſich verzweigenden Privatvereinen
die Werke der chriſtlichen Liebe. Bereits zeigten ſich im wiſſenſchaft⸗
lichen und kirchlichen Leben wieder Erſcheinungen, die einige Jahr⸗
FT nde vorher nicht mehr für möglich gehalten wurden. Röhrs Glau⸗
N ensbekenntniß (1832) blieb von Seite der Wiſſenſchaft unbeachtet.
Die konfeſſionelle Differenz der chriſtlichen Kirchen traten wieder le⸗
bendig hervor. Der Gegenſatz zur katholiſchen Kirche wurde, ange:
regt durch Möhlers Symbolik (1832), ſo klar und tief von der Lehre
aus in dogmatiſcher und geſchichtlicher Beziehung aufgefaßt ung erörtert,
wie vorher nie in dieſem Jahrhundert. Gerade auch die Vergleichung
0 dieſer ſchönen Blüthe unſerer Theologie (ſiehe die proteſtantiſchen Be⸗
a twortungen der Symbolik durch Baur, Marheinecke „Nitzſch, Sar⸗
tor ius) mit der Oberflächlichkeit der rationaliſtiſchen Kämpfe gegen
der Katholicismus kann den unterſchied des frühern und des jetzigen
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chriſtlichen und proteſtantiſchen Bewußtſeins ins Licht ſtellen. Sab |
der ein Jahrhundert lang ganz in Hintergrund tretende Konfeſſions⸗ A
unterſchied zwiſchen Reformirten und Lutheranern trat wieder unter 1
den großen Maſſen der Proteſtanten hervor. An vielen Orten iſt die
chriſtliche Erkenntniß und Lebensweiſe ſo individuell ausgebildet, daß
bereits für ganze Theile der deutſchen Kirche ein Wort über Zwie⸗ 4
ſpalt und Einung der Gläubigen an der Zeit iſt. Und letzt mitten in
dieſen Bewegungen zum Chriſtlichen hin, erſcheint in Strauß's 8 Schrift 1
eine vollendete Frucht der dieſer entgegengeſetzten Tendenzen, der Wiſ⸗
ſenſchaft ohne Glauben, welche immer noch vorhanden war, und der
weltlichen Bildung, die vom Chriſtenthum kaum äußerlich angehaucht i
iſt. Die negative Kritik der bibliſchen Bücher, die Auslegung der 9
heiligen Schrift ohne Beiſtand des heiligen Geiſtes, der nach Strauß
eine „populäre Vorſtellung“ iſt, die ſpekulativ pantheiſtiſche Melt
anſicht, die Durchbildung der Form, alles vereinigte ſich, um die iz
ſtoriſche Grundlage des wieder ſtark gewordenen Chriſtenglaubens, den 1
Fels, Jeſum Chriſtum unſern Erlöſer, zu erſchüttern. Fürwahr, ſo 5
iſt die große Aufregung beim Erſcheinen dieſes Werks leicht verftände
lich und die Aeußerung der mit Strauß Befreundeten, welche fagen, ik
nur durch das voreilige laute Schreien der zuerſt dagegen Auftreten⸗ |
den fei die Aufmerffamfeit ſo allgemein auf dieſe Schrift gewendet
worden, verdient wahrlich keiner Widerlegung. — In ein dazu vor⸗
bereitetes Geſchlecht wurde alſo durch jene Schrift laut die Frage
hineingeworſen, die ein Jeder beantworten muß „ wobei keine Ent⸗
ſchuldigung dient, wobei auch keine Vorurtheile mehr den Weg ver⸗
ſperren dürfen. Es iſt die Frage, die der Herr ſelbſt uns vorlegt:
„Wie dünkt euch um Chriſto? Weß Sohn iſt er?“ Wer
etwa bei den frühern Bewegungen ohne Theilnahme blieb, weil er ſie
für Sache der Schule hielt, oder ſich durch das orthodoxe Gepräg
des neu erwachten chriſtlichen Glaubens und Lebens abgeſtoßen fühlte
und damit ſeine Abneigung gegen das Chriſtenthum überhaupt gleich?
ſam rechtfertigte, hat jetzt dieſe Vorwände verloren; denn hier ver⸗
ſchwinden alle Unterſchiede der Bekenntniſſe und der Bildungsgrade, .
hier muß Theologe und Laie, hier muß der bereits im chriſtlichen 4
Glauben Eingelebte, wie der ihm noch Entfremdete n 1
weil es die unmittelbar chriſtliche Lebensfeage iſt. Immer lat g
und lauter wird ſie nun an unſere Herzen dringen. Chriſtus ſt *
wieder zu einem u Zeichen geſetzt, dem widerſprochen wird. Vielen
wird es zum Fall, Vielen aber auch zum ben N
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Es iſt nothwendig daß Aergerniß komme, wehe dem aber, durch
den es kommt. e iſt, ſpricht der Herr, der ff
Son Immer mehr wird es auch die Wiſſenſc f
daß d rlöſung aus der Sünde nicht nur ein ſchöner Gedanke,
an wirkliche Thatſache iſt, das thatſächliche Heil aber nicht ein
Werk des einzelnen Menſchen oder der ganzen Menſchheit, ſonbern
allein in Jeſu von Nazareth iſt, daß aber Jeſus nicht nur ein Menſch
ſündig wie wir, noch ein bloßes Gebilde der menſchlichen Phantaſie,
ſondern der Sohn des lebendigen Gottes, das Wort iſt, welches
Fleiſch ward. — Darum aber um in den Kämpfen des Lebens
Hund in den Irrthümern des menſchlichen Denkens einen feſten
* Grund zu haben, müſſen wir halten am Bibelwort, denn in ihm
haben wir „das Evangelium Gottes, welches er zuvor verheißen hat
durch ſeine Propheten, in der heiligen Schrift, von ſeinem Sohne,
deer geboren iſt von dem Saamen Davids nach dem Fleiſch, und
N being erwieſen ein Sohn Gottes, nach dem Geiſt, der da heiliget,
ſeit der Zeit er auferſtanden iſt von den Todten, nämlich Jeſus Chri⸗
ſtus, unſer Herr.“ (Röm. 1, 1 — 4.) Die Evangelien aber find
4 geſchrieben, „auf daß wir Hauben, Jeſus ſei Chriſt, der Sohn Got⸗
tes und daß wir durch den Glauben das Leben haben in ſeinem Na⸗
5 men.“ Iſt aber Chriſtus nicht auferſtanden, ſo iſt unſer Glaube eitel,
t fo find wir noch in unſern Sünden, fo find auch die, welche in
Chriſto entſchlafen find, verloren. Immer noch gilt das Wort des 4
Apoſtels, der an ſeines Herrn Bruſt lag: „Ihr Lieben, glaubet
nicht einem jeglichen Geiſt, ſondern prüfet die Geiſter, ob ſie von
SOott find; denn es ſind viele falſche Propheten ausgegangen in die
Welt. Daran ſollt ihr den Geiſt Gottes erkennen: Ein jeglicher 5
Geiſt, der da bekennet, daß Jeſus Chriſtus iſt in das
Fleiſch gekommen, iſt von Gott; und ein jeglicher Geeiſt,
der da nicht bekennet, daß Jeſus Chriſtus ift in das
Fleiſch gekommen, Ber iſt nicht von Gott. Und das ift
der Geiſt des Widerchriſts, von welchem ihr habt gehö⸗
i ret, daß er kommen werde, und iſt jetzt ſchon in der
Welt.“ Mancher aber, der in dieſen Tagen durch das Werk von
. zur Sünde des Unglaubens verführt eben dieß e de
doch noch durch die Barmherzigkeit Gottes dahin gelangen, da 8
d am Ziele ſeines Weges das Knie beugt vor Jeſu Chriſto, der heute
und geſtern und in alle Ewigkeit derſelbe iſt, und mit Thomas zu
Ihm ſpricht: „mein ad und mein Gott l 985 aber allen Zwei⸗
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