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Full text of "Stimmen der Freiheit : Blüthenlese der hervorragendsten Schöpfungen unserer Arbeiter- und Volksdichter"

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/ 


Hunmen der „I reiheit. 
Blüthenlefe 


s 
ber u 
hervorragendſten Schöpfungen unferer Arbeiter u. Volfsdichter. 


== Mit 38 Portraits. — 





Berausgegeben von Ronrad Beißwanger. 


Zweite Auflage. 





Pitterarifches Burean Rürnberg. 
(Verlag für Boltd« und Arbeiterlitteratur.) 


== 1901, =— 





Tine 


l3 575 
I 70/ 


Drud von I. B. Grunwald, Würgburg. 





Ei EEE — [ 


—— — — — — — 
m m — — = 


. — Ra U ee u 


Inhalts⸗Verzeichniß. 





Seite 

Ada Negri (mit vild) 1 
Safleniunge 3 
Mutterliebe 4 
Haſt du gearbeitet 5 
Herausforderung . 6 
Best Raum 7 
Die Fluth . 8 
Ferdinand Breitigratb (m. Si) 9 
Requiescat! 11 
Die Revolution . . 13 
Abſchiedswort ber „R. Kh. Ztg. u“. 14 
Die Todten an die Lebenden 15 
Bom Hark . . 17 
Freie Preſſe 18 
Am Birkenbaum. 19 
Hamlet 23 
Nobert Eduard Brut (mit SIR) 25 
Der Minifter . 27 
Rechtfertigung 28 
Warum? . 30 
Abſchied 30 
Billigkeit 31 
Den Todten 32 
Sonnta Mi 33 
Entid 35 
An bie Sieber . 36 
Jakob Audorf (mit Bild) 37 
Fahnenlied . . . 39 
Zied der deutihen Arbeiter . 40 
Das ftumme Königreich 41 
Aus der Gegenwart . 42 
Heinrid Heine . 44 
Zum Todestage Robert Blum .° 45 
Dividenden⸗Knechtſchaft 48 
Zur Winterszeit 49 
Adolf Sloßbreuner (mit Bir) 51 
Das Boll von Deutichland . 53 
Der Beift . 54 
Die Stlaven-Emanzipation . 54 
Die Geſchichtlinge . . 55 
Weine nicht! . 56 
Zufriedenheit 56 
Seid einig . 57 
Die Diebe . 58 
Die alte Leer . 59 
Alle wie Einer! . 59 
Das Märchen vom Reichthum 61 
Geifterrache . 62 
Muderlied . 63 
Unfere Freiheit . 63 
Der Schmetterling 64 
„St!“ . . . . 65 
Der Hofpoet bei der Beburt 66 
Der Adelige . 66 
Aus: Neue Batpurgianact . . 67 
Das deutſche Lied . a 
Kuduf on . 72 
Weliweis heit 73 


reien 

che Sklaven 

Sr. "Bruno Wille (mit Bil) 
Die Tommende Sonne . . 
Die Woltenitadt . . 
Straße . 
Im Angeficht des Berges 
Sterbensömüde . 
Im Reternforfte . 
Ih w . 


Er 


A 


Pierre Jean de Beranger (m. Bil) - 


Die Reliquien 

Die Gräber der drei Julitage 

Der Marquis von Carabas 

Die Schafe 

Hans 

Der Cardinal und ber Dichter . 

Guter Rath ben Belgien . 

Die Tho . 

‚Einer vom Im Baude 

Der Bettler . 

Arophegelfung des Roftrabamus 

Der liebe Gott . 

Die rothe Hanne . 

Die fünf Stodwerle . 

Der Komet von 1832 

Die unendlich Kleinen 

Meine Faſtnacht im Jahre 1829 

Die Schnedenzunft . 

Die Krönung Karl’d des Dritten 

Die heilige Allianz der Böller . 
Nikolaus Lenau (mit Bih) . 

Des Teufeld Lied vom Ariſtokrat 

Der Befangene . . 

Begräbniß einer alten Bettlerin . 

Beränderte Welt . . . 

Aus: Die Albtgenjer 

Johannes Ziska 

Am Brabe eines Minifters 

Der kriegsluftige Waftenfchmieb . 

Der geldgierige Pfaffe . 
Friedrich v. Sallet (mit Bild) . 

Der Freiheitsveteran . . 

Zwei tragitomifche Beichichten 

Der alte Heberallundnirgends 

Geſchichtliche Entwicklung 

Der ſchlafende Rieſe 

Ein harmloſes Räthſel 

Entweder — oder . 


Ecce homo . . . . 
Qullanismud . . 

Aechtes Deutſchthum 
Fernſicht 
Guter Rath 


Hyperboruiſche Ballade 
Abfertigung der zahmen Propheten 
An die ſuperklugen ꝛc. 


3 





Bet Cyler 
Sohn Henry Maday (mit Bilb) 
frete Wort . 


Pantheismus 
Der Stern der Freihelt 
Unſchuldig verurtheilt 
erren und Knechte 
en Am Ausgang deB x. 


a8 Leben 


beit 
Pr elle, neues Jahrhundert 
Nobert Seidel (mit Bild) 
Ein Geſicht 
Mufterbürgers Lebensregeln 
Auch ich bin gläubig °. 
Nicht wünfhen kann die Welt x. 
Ad könnt ich doch der Teufel jein 
Acht Stunden — eine Ewigkeit 
Wir geuben an der Freiheit Sieg 
a 35 
— iſt noch je erſchienen 
Nachtwächter — aber Drbnung nicht 
Fa . . 
Meil Ihr die Armen ſeid 
Adolf Lepp (mit Bild) 
Stimmen der Freiheit 
Ada Negri 
Auf den Tod Jakob Audorje 
Zweites auſeiot 
Stum . 
Fee . . 
ie gr oßen Männer . 
— ſeufzer. 
Das Buchverbot 
Anno 1848 
Reſolution 
Kraft und Schwäde . . 
Gemwitterwolten . 
Enttäufßung . 
Zur Neimtunft . 
Armer Leute Luft 
Die ſchwarze Lifte 
Der beſte Schild 
Der Augenblick 
Eine Gotteslegende 
Die Standesehre 
Opfer⸗Rauch 
Weß Brot ich eh, des Lied 
Nimmermehr! . . 
Lied der Liberalen 
Schablone . 


Des vaterlandslofe Gefindel . 241 
Der Paltor . . 242 
Der Bauer . . . 243 
‚Beränderter Kurd . . 244 
Ludwig Pfau (mit Bild) . . 245 
Weihnachtslied . 247 
Schuͤtzenlied 248 
König Humbug . 249 
Des Sängers Heer . . . 249 
Die letzte Ru. . . . 251 
Der Leineweber . . .. 252 
Lied vom Drobnenkönig . 253 
au Söprestenzgeit von 1849 . 254 
. . 255 

— . 255 
Blaue . 256 
Das Lied von der beutfejen Treue 256 
Huf 257 
iheit die ich meine . 258 
um 18. März . .. 259 
Die neuen Criſpine . . 259 
Selbſthülfe 260 
Frau Moral . . . . 260 
Herr Biedermeier . . . 261 
Philifter . . . 0. 262 
Erbfünde . 262 
Slüchtlingsfonette vom Sabre 1849 263 
Der Proletar . . 265 
Eduard Fuchs (mit Bin) . . 267 
An die Bowgefie . .„.  . 269 
Aus: Die Noth . . . 270 
Zumperläte . . . . 271 
Stepticiamuß . . . . 272 
Berbrechen . . . . 272 
Ermabnung . . . . 272 
Falding . . . . „ 273 
Ein Nichtglaubensbekenntniß . 274 
Kleinbürgerlihder Soztalift . . 274 
Soztaliamus- Prometheus . . 275 
Böttin Eleltra . . . . 275 
Radlerlieder 276 
Das Erwachen einer Welt . . 277 
Antifemitismus . 278 
Aus: Ein tönigliches” Mahl . 278 
Zeitbilder . . . 281 


Der Prometheus unferer Zeit . 282 


Soffmann vd. Fallersleben (m. Bild) 283 


Polizei, Geld und Wetter . . 285 
Mas tft denn zollfrei? . „285 
Entwidlung auf diſt oriſchem Wege 286 
Dies irae, dies illa . 286 
Der Hriftlihe Staat . . „287 
Aus Ovids Metamorphofen . 288 
Chinefifches Loblied . . 288 
Der gute Wille . . . 289 
Knüppel aus dem Sad . 289 
Aus dem Grab eines Selbftmörbers 290 
Herbftlied eines Chineſen 291 
Bienenloos . 291 
Dort wie br . . 0. 2 





Wiegenlied 


Wie iſt doch die Zeitung fo etc. 
Das Lied vom deutfchen Philiſter 


Flora Germania 
Anton Behr (mit Bild) 
Das Begräbnig . 
Stolz und kühn 
Der Lenz erwacht 
Der Rekrut . 
Die Herbitnadt 
Matgedächtnig 
Das Paradies . 
Die Banbmertäburfehen 
Eine Idyll 
Mar Segel (mit Bild) 
Die Berfuhung 
Beim Pfandleiber 
Licht . 
Sommerabenb in Italien 
Im Kreislauf des Zahres 
Zeitenwechſel 
Die Arbeit 
Wahlſpruch 
Der Künſtler 
Frühlingsblüthen 

Weihnacht 


Die Armuth — fonft und iet 


Wilhelm Haſenclevers Tod. 
Die letzte "Zelle . 
Bergmanns 2003 
Sozialiſtenmarſch 

Im Streit 


Georg derwegh (mit Sn) 


Der Ihlimmfte Feind 
Immer mebr 


D mag’ es doch nur € einen zug 


Zukunftslied 

Huldigung 

Bundeslied 

Die Arbeiter an ihre Brüder 
Die Ureigenthümerin . 
Solgatba . 
Zum 19. Mat . 

Eine Antwort . 
Den Stegeötrunfnen . 
Altes und Neues aus zc. 
Dem Cnfor . 

Bom armen Jakob und ac. 
Achtzehnter März 

Der lebte Krieg 

Die Ruthe . 

Das Vied vom Haſſe 
Schlechter Troft 

Der Bang um Mitternadt 
An die deutſche Jugend 
Amneſtie 

Die Partei 

Ludwig Feuerbach 


Seite 
292 
293 
293 


Xenien 

Heidenlied 

Leicht Gepäck 
Karl Staifer (mit Bid) 

„Einerfeit3 und Yinderjeita" 

Fabriklerlied 

Der Schmuggler 

Seine Lieblinge 

Huftrationen 

But denn 

Sultan Mahınub 

Antagonismus. 


Herr Commerzienrath Eigennugz 


Das moderne Raubneſt 
Wahrheitsdrang 


Aus dem Jahrmarkt des Lebens 


Die Epigonen 
Auch dann nicht 
Proletarier: Pfingften . 
Das Lied der Noth 
Feberzeihnung . 

. Wetterleuchten 
Der Zmeifel 
Federzeichn ungen 
Die Andiffesenten 
Sein und Schein 
Der Beſitz 

Ernft Klaar (mit Bild) 
Vorſtadt-Idylle 
Um ein Bort . . 
Am Grabe Grillenbergerö . 
Dben und Unten 
Dem Andenken der Kommune 
Das Lied der Freiheit 
„Bott fegne den Zaren!" . 
Streikbrecher 
Kehraus! . 
Freie Preffe 
Zuftitia . 
Nach Sonnenuntergang 
Zwei Sonette 
Weihnacht 

Joſef Sannich (mit Ein) . 


Rachruf an Friedrich Engels 
Unfer Ziel 
Wie words od eigentlich xc. 
Du kennſt & . 
Stegeszuverfiht . 
Was wir wollen 
Georg Weerth . 
Die Induſtrie 
Die rheinifchen Weinbauern 
Erft achtzehn Jahr 
Freund Lenz 
Vernunft und Basnfinn 
Ein Feltlid . 
Der Kanonengießer . 
Ludwig Inb (mit Bir) 
Wahrheit? . 








— —— — — — — — 


Leopold Jacoby 
Neujahrsgedichte 

Zu Beethoven's Geburtstag 
Prolog zur Schillerfeier 


Prol. zu ein. Volks⸗ Unterhalt : Abend 


„Der Jude wird verbrannt!” 
Waldkapelle 
Forſthaus. 

Das Echo im Wal . 
Contradictio in adjecto . 
Robert Preußler (mit Bi) 

Zur Einführung 

Mir wollen nicht . 
Schmäht nit die Zeit . 
Prolog zu einem nrbeiterfefte 
Troß unten Feinden 

Das R 

Das —* 

Der Zukunft Maientag 
Mein Volk, wach auf! 
Frühlingsglaube 
Zum Weihnachtsfeſt 

Der Freiheit Lobgefang . 
Defterreich. Wahlvechtälieb . 
‚Die Kunft und die Arbeiter 


Zum Dredden-Löbtauer Urtbeil 


Menzel Breuer (mit Bil) 
Mein Glauben . . 
Seltgruß . 

Der Arbeit Lieb 
An den Wildbadh 
Des Sängers Gruß 
Ideal und Leben 
Zur TJahreswende 
Auferftefung . 
Des Liedes Preis 

Karl Sendell (mit Bild) 
„Moderne Barbaren” 

An das Proletarint . 
Das On mabmegeieg 
Friedhof 

Brodlos 

Viadukt 

Strike 

Die kranke Vroletorierin 
Bekenntniß 
Zukunftsblüthe 
Familien 

An den Jaren 
Statiſtit 

Te Deum . 

Die neue Zeit . 
Neuland . 

Reopold Kacoby (mit Bild) 
Antike und moderne Welt 
Karl Marr’ Lodtenfeier 
Freiheit 
Das Bollslied . 
Botſchaft einer neuen Zeit 
Willen und Nichtwiffen 


— 


Begenwart 

Lasciate ogni speranza 
Viſion 

Unterricht im Sozialismus 
Und ihr ſollt vorwärts ꝛc. 
Aus: Klage 


Eduard Nieger (mit Bin) 


Berzage nidt . 

Gruß aus dem Kerker 

Trotz alledem! . . 
Metbnachten im Stäbchen . 
Am Lohntag . . 
Nur ftolz geftrebi 

Ein Früblingätraum . 
Nah der Schlacht 

Nur dir, o Freiheit 


Ferdinand Bernt (mit Bi) 


Die Autoritäten 
Weltſchmerz 

Ein Maienlid . 
Das Lieb der Eienden 
Der Bettler . 
Der Schübling . 
Verzweiflung 
Revolution 

Ewig 

Das Armenhaus 

Die Feldarbeiter 

Die Knechte 
Frühlingsklänge 

Nähe der Gottheit 


Isfeſ Schiller (mit Bild) 


Der Geiſt der Geſchichte 
Jeder Tag gehört zum Leben 
Die Schranke der Freiheit 
Die bedenkliche Kiſte 

Der Confeſſionsloſe 

Die gute Kuh 

Allerfeelen 


Ein Stimmungälteb am Abend . 


Der Sozialdemokratie ıc. 
Sinniprud . 
Frühlingsgebanfen 


Seinrich Bartel (mit io) 
Ich bin ein freier Sängerömann . 


Sehnſucht 

Weckruf 

Sylveſter 

Chriſtliche Predigt 

Die Opfer der Gewalt 

Der Protz 

Gruß dem Heimgetehrlen 

Neues Leben . 

Gerechtigkeit 

Uebermenſchenthum 

Der Schrei der Befiegten 
Pfingften . 


Patriotismus 


569 


Dr. Wilh.Ludw. Nofenberg (m. 3, 571 
Meines Vaters Glaubensbelenntniß 573 


574 











- 


Seite | 
Den Manen Frievrih Engel . 575 
Marum wir arm find . . 576 
Der Gott der Reichen . . 977 
Der Weltenherrider . ..57%9 
Der Ruf des Jahrhunderts . 579 
An den Prolctarier . 580 
Das Fundament der neuen Melt . 581 
Eugene von Debd . . 582 
Noch iſt's ein Traum . . 5983 
Aus: Tramp- Philofophien . . 584 
Das Todtendemd . . .. 586 
Unfere Zeit 588 


A.O. Eirodtmaunn (mit Bil) . 589 
Gruß den Freien in Amerila . 591 


Ein Schügenfeft . . . 592 
Boll und Fürit . . . . 593 
Für Polen . . . 59 
Aipromonte . . 0594 
Das Rafemattenparlament . . 995 
Arbeiterlied . . . 599 
Otto Krille (mit Bild) 0.601 
Kampifrobe Jugend . . . 603 
Schickſal . 608 
Das Profetarierfind . . . 604 
Das Leid . . . . . 605 
Belang der Jungen . .  .. 606 
Balldausgeipnftr . . . 607 
Bon der Straße . . 607 
Wär’ ich ein Bannertsäger. . 608 
Der Belangene . . . 608 
Im Sonet . . . .. 609 
i Winter . .. 609 
Den Fobten des wär, . . 610 
Er fommt . . . . 610 
Heimkehr . . 611 
Wenn mid ein Sturmwind . 611 
In tieffter Shmad . . 612 
Heinrich Seine (mit Bild) . 613 
Die Wanderiatten . . 615 
Erinnerung aus aerahwinkels x.. 616 
Sammertfal . . 617 
Erleuchtung . 618 
Zumpentbum . . . . 618 
Der Wangerih . . . . 619 
Stoßjeufzer . . . . 619 
Aus: Deutihlnd . 2.620 
It das eine Antwort ? . . 623 
Das goldene Kalb . . . 624 
Aus: König Langohr I.. . 624 
Die Weber . . 625 
Weltlauf . 626 
An einen polittfchen Dichter .. 626 
Michel nach dem Mär . . 626 
Doltrin . . . 627 
Aus: Rateltf . . . . 628 
Dos Sklavenſchiff . .. 628 
Die Adlon . . . . 632 


Dudle .- . . . . 634 
Marie Eugeniedelle Grazie (Bild) 635 
Sarenmahl . . . . 637 


Seite 
Sn Sefelihaft . . 639 
Sturmeshymne . 640 
Bienen . 641 
Zeufeläträume 642 
Ih . . . 648 
Cäfarenmahnfinn 650 
Auferftehung . 650 
Aus: Moralifche Walpurgisnacht 651 

Dr. Adolf Stark (mit Bi) . 653 
Der Drang nad Freiheit . 655 
Nicht mie der Surmwind : ꝛc. 656 
Geh nicht hinaus 656 
Die Fenſter auf! 658 
Kampfruf . . 658 
Der vergeffene Tert . 659 
Aus: Bötterbämmerung 660 
Aus: Zeitgejänge 661 
Der nächſte Fall 664 
Eptgramm 665 
Ein Dichter 665 
Sonett 666 

Wilh. Leobold Aug. Geib (m Si) 667 
Der alte Demokrat 669 
Im Winter . 670 
Der Tod des Rebellen 671 
Weihnachten 673 
Die Kommune . . 674 

Lied der Internationalen . 675 

Wilhelm Safenclever (mit Vid) 677 
Erhebung 679 
Der Weltgeift . 680 
Das goldene Kalb . 681 
Das Volt tft mündig worden 682 
Im Walde 683 
Laſſalle's Todestag 683 
Dftern . 634 
Der Haße. . 685 
Lerche und Rebhuhn . 685 
Die deutfche Narſeilleiſe 686 
Zum Kampf . 687 
Kiberal . 688 

Min har an . 

Konrad Telmann 691 
Den Kommenden . 691 
Zepter Wunfh . 692 

Friedr. Theod. v. Bilcher 693 
Glaubensbekenntniß 693 
Wettrennen 694 

Karl Bean Egon Stohme 695 
Volkerlenz 695 
Platz für den Geiſt der neuen m Zei 697 
Ratur und Menih . 698 
Ideale 698 

Bereich Etoltze 699 

Michel 699 
Zur vorne⸗Sakularfeier 700 

Auguft Graf v. Blaten — 701 

Das Reich der Geifter 701 


Seite Seite 

An einen Ultra . . . 703 Der Dorfichulz . . . 1742 
Epigramme . . 708 Die Spinnerin . . . 743 
Detleb v. Liliencron . 705 Rechtsbewußtſein . 144 
Pidder Ling . .. 705 | Thomas Good . . . 745 
Am Walde . . . . 707 Das Led vom Sembe . 745 
Dad Wundertfier .- . . 708 Das Lied des Landproletariers . 147 
Dtto Erich Harileben . . 709 Die Seufzerbrüde . . . 7149 
Morituri . . . . 709 Adelbert von Ehamiflo . 751 
Weltenfride . . 709 Der Bettler und fein Hund . 751 
Es lebt noch eine glamme: . 710 Bom Pothagorätichen Lehrſat . 752 
Jeſus Chriſtus . 710 Bölfer uns Staaten . . 752 
Gottfried Keller . . 711 | Earl Haup . . 753 
In Duft und Ref . . . 711 Für —X und Reit . . 753 
Jeſuitenzug * 772 Am Morgen . . . 754 
PBerch Bulibe Shelleh . 713 Zum 1. Mai . . . . 754 
Zafter und Lüge . . . 713 Auf dem Bau -. . . . 755 
An Englands Männer . . 715 Den Gebt756 
Dde an die Freiheitälämpfr . 716 Un die Reichen . . 757 
Gedanken eined Republitanerd . 717 Stimmt an ein Lieb . . 757 
Freiheit . 718 | Zohaun Gottfried Senme . 759 
George Noel Gordon Lord Byron 719 Guter Rath . 759 
Aus: Don Juan 719 Elegie auf einem Seite %. . . 761 
Grabfchrift eines Reufunblanbgunbes 721 | Arthur Yitger . . 765 
Aus: Dde an Venedig . 721 2. Corinther 8, Vers 9. . 765 
Hermann Lingg . . . 723 Hochzeit . . . . 765 
Die Bafılle . . . 723 Sturmilied . . 766 
Der Gedante ber Zeit . . 723 | Friedrich v. Bodenftedt . 767 
Bauernfrieg . . . . 724 Die Macht des Rechts . . 767 
Galileo Galilei 724 Pfaffenweisheit 767 
Gegen die Semeinfeit . 725 Krieg u. Chriſtenthum . . 768 
Mycerin . . . 725 Die Noth . . . 768 
Franz Lil . . . . 727 | WAnaflafins Grün . . . 169 
Maiengruß . . . 727 Sieg der Freiheit . . . 769 
An eine „Standesbame" . . 727 Ungebetene ®äfte . . . 770 
Troſt . 728 Untere Zeit 172 
Ludwig Anzengruber . . 729 | Konrad Beißwanger (mit Si) 7173 
Die NRäherin . . 729 Zraum und Wirklihlet . 773 
Die Spinnen und die Fliegen . 729 | Schliekttudan! . .  . 774 
Adolf Friedrich Graf v. Chad 731 | Dr. Richard Dehmel . . 775 
Das neue Jahrhundert . . 731 Ein Märtyrer . . . 775 
Ja, e8 tft ein mächtiges Tagen . 732 Bergipalm . . . . 7% 
Aus: Nächte des Drients . . 793 Erntelied . . . . 718 
Zauben und Lämmer . . 734 | Rudolf Lavant . . 719 
Alegauder Betöfh . . . 735 Oſterglocken . 779 
An die Geduld . . . . 7835 Das Fahr — ein Leben . „ 780 
Liebe zur Freiheit . 735 | Xonife Otto . . . 182 
Schläfſt du. o Wahrheit ? . 736 Dfterlied . . . . . 782 
Meine Lieder . . 736 Meberlied . . . . . 783 
Nur ein Gedanke quält mid, . 797 Bergbau . . . . 783 
Andreas Scheu . 738 Einft und jebt . . 785 
Liebe, Fretbett, Frieden . 738 | Yriedrich Wilhelm Fritzſche . 787 
Frühlingderuf . . 739 Prolog zur Feier des 18. März. 787 
Iwan Släniste Rititin . 741 Das Proletariat . 188 
Die Armuth . 741 Reißt die Bötter von dem Throne 789 
Beben und Tod . . 741 Der Tantalus des 19. Zahl. . 790 


Urtheile der Mrbeiterpreffe über Die ‚Stimmen Der reis 
heit“ Seite 791—792. 


BEE 














— — AdakNegri. —— 


In dem oberitalieniſchen Fleden Lodi wurde Ada Negri am 3. Februar 1870 
als Tochter einer armen Fabrikarbeiterin geboren. AIS echies Proletarierfind hatte fie 
ſchon in der frügeften Tugend mit Noth und Sorgen zu kämpfen und die ärmlichen 
Verhälniffe, unter denen fie aufwuchs, drüdten fchon frühzeitig den Stempel der Früh: 
reife auf ihre Stirn Unter ſchweren Entbehrungen war es Ada Negris Mutter gelungen, 
fie zur Vollsſchullehrerin ausbilden zu laſſen, worauf fie in dem Heinen Orte Notta 
Biocontt eine Vehrftele erhielt. Ueber den weiteren Yebenslauf Ada Negris ſchreibt 
die Ueberfeßerin ihrer edichte, Dediwig Jahn: „Ren Motta Pisconti aus gelangte 
hie ımd da ein Gedicht „Ada Negri” unterzeichnet an italienifefe Zeitungen, befonders 
an den „Corriere della Sera“, und man ward allmählich aufmertfam auf die Dichterin. 
Scuießlid, veranftaltete der Verleger Treves in Mailand eine Sammlung ihrer Ge: 
Dichte und gab fie unter dem Sitel „Fatalitä“ (Schidjal, Verhängnig) heraus. Kaum 
war diefes Bud) in bie Deffentlichfeit gelangt, fo war nur eine Stimme über bie Hohe 
Begabung der bis dahin unbelannten Dichterin. Man forfchte nach ihr, und damit 
änderte ſich ihr Geſchia Ada Negri erhielt den Ehrenfold, den vor ihr die Dicterin 
Biannina Mille befommen Hatte, und wurde zur Yehrerin an einer höheren Schule, 
scuola normale, in Mailand ernannt.” Anfangs 1397 erſchien eine zweite Sammlung 
Gerichte Ada Negrid (Verlag von A Dunder, Berlin). Trog ihrer Jugend nimmt 
Ada Negri unftreltig eine hervorragende Rangftelle unter ben Zertretern der mobernen 
xyrit ein, fie gehört zu jenen feltfamen Dichternaturen, deren machtvolle, Leidenfchaftliche 
Sprache, durdsittert von Tönen fehnfüchtiger Wehmuth, ben Xefer mit unfichtbaren 
Feffeln zu bannen vermag. Jhre Dichtungen find frei von allem @efünftelten, Gezierten, 
vol Kraft und Gluth und — was die Dichterin befonders von den Durchſchnittspoeten 
unterfeheidet — voll ausgeprägter Individualität. Warm und padend fcilbert fie 
das Ringen der niedergedrüdten, unter dem Ioche der Armuth ſeufzenden Menſchenſeele 
nad) Lit und Freifeit, prophetifchen Blides fündet fie eine bejiere, herrliche Zutunft 
für die ganze Menfchheit. 














Gaſſenjunge. 


eh' ich im Staub der Gaſſen ihn ſpazieren 
So ſchmutzig und ſo ſchön, 
Mit Kleidern, die aus Flicken nur beſteh'n, 
Zerriſſ'nen Schuh'n und pfiffigen Manieren, 


Seh' ich ihn mitten auf dem Straßenpflaſter 
Mit Lumpen an den Beinen, 

Wie er die armen Hunde wirft mit Steinen, 

Schon frech und ſchon vertraut mit jedem Laſter, 


Seh’ ih ihnsfpringen, hör’ ihn lachen belle, 
Das arme Dornenreis, 

Das jeine Mutter in der Werkſtatt meiß, 

Die Hütte leer, den Vater in der Zelle, 


Dann greift die Angit um ihn mir an die Seele, ’ 
„Wie findft du”, frag’ ich mich, 

„So ausgeitoßen und ſo ſchutzlos dich 

Zurecht In diefer Welt vol Schuld und Fehle? . . 


Was wirft du wohl, du munt’rer Hungerleider 
In zwanzig Jahren fein? 
Ein Gauner und Betrüger ſchlau und fein, 
Ein fleiß'ger Arbeitsgmann, — ein Beuteljchneider ? 


Trägft du dereinft des Handwerks Ehrenkittel, 

Des Sträflings rauhes Kleid? 
Treff’ ich dich bei gejunder Thätigfeit, — 
Verdammt zum Kerfer, oder gar im Spitiel? ...“ 


. A fieh’, ich möcht' zu ihm berunterfteigen 
Und zieh’n ihn an mein Herz; 
Ich möchte, ihn umarmend, meinen Echmerz. 
Mein Mitleid, meine Traurigkeit ihm zeigen. 


Und warme Küffe möchte ich ihm drüden 
Auf Stimm und Wangen gleich), 
Und flüftern ihm, an Bruderliebe reich, 

Die beil’gen Worte zu, bie mich erſticken! 
„Auch mir ift ſtets das Unglüd treu geblieben, 
Ein Dornenreis bin ich gleichYpir, 

Die Mutter Schafft’ auch in der Werkſtatt mir, 
Sch kenne jedes Leid... . ih muß dich lieben.“ 


— 


1* 


Ada Negri. 


ö— — — — — — 


ENutterliebe. * 


In der Fabrik, bei rauher Wollarbeit, 
Wo lauter Lärm den weiten Raum durchdringt 
Und kreiſchend Rab um Rab fi Ichwingt 
Und taufend Frau'n hinwelken vor der Zeit, 


Müht fie fih ab ſchon mehr als ein Jahrzehnt; 
Die Schiffchen fliegen leicht durch ihre Hand, 

Und das Geräuſch, das unverwandt 
Sleih einem Ungewitter um fie dröhnt, 


Sie merkt es faum — So mübe ift fie meift, 
So mübe, baß fie faft zufammenbridt; 

. Und dod die bleihe Stirne ſpricht 
Bon Feltigkeit und ungebeugtem Geiſt; 


Ste ſcheint zu jagen: Vorwärts! ... Welch' Geſchick, 
Würf Krankheit eines Tags zu Boden fie 

Und die Unſel'ge fünnte nie, 
Ah, nie auf ihren Poften mehr zurüd!.... — 


Sie darf und kann es nicht. — Ihr einz’ger Sohn 
Der große Stolz in ihrer Dürftigkeit, * 

Auf deflen Stimme ernft und breit 
Des Genius Bötterflug fie ahnet ſchon, 


Ihr Sohn ftudirt. — Und bei der Arbeit ringt 
Sie unermüblih und gibt tropfenweis 

‘hr Leben bin bei Müh' und Schweiß, 
Indem fie ftumm fich ſelbſt zum Opfer bringt; 


Und gibt ihr Alter jet jo freudig Hin, 

Wie einftmals ihre ſchöne Jugendzeit, 
Gefundheit und die Süßigkeit 

Der Ruhe au, die heil’ge Dulbderin: 


Allein ihr Sohn ftudirt. — In hellen Licht 
Steht feine Zulunft groß vor ihrem Blid, 

Und um fein braunes Haupt bas Glüd 
Bon Gold und Lorbeer reiche Kränze fliht! ... . 
... In nieb’rer Hütte, die Fein Sonnenlicht 
Erreicht, ftubire tapfer nur, du Sohn 

Des Volkes, dem aus den Augen ſchon 
Des Genius tief Geheimniß jpridt. 








Ada Negri. 





D wahre dir die ſtarken Muskeln nur 
Die friſche Energie, das warme Blut, 
| Den ftolzen ungebeugten Muth 
Der reinen, ungezähmten Volksnatur. 


Um dir den Weg zu bahnen, ftirbt fie arm 
Die gute Mutter, wirf no einen Kuß 
Der Todten zu und einen Gruß, 
Und ftürg’ entgegen dich dem Feindesſchwarm. 


Zum Kampf mit Wort und Feder ſei bereit, 
Zeig' neue Horizonte, licht und ſchön 

Und ungeahnte Strahlenhöh'n 
Der alten, matt und ſtumpf geword'nen Zeit. 


Und ehrlich, unwerdorben ſei und rein, 

Es ſetzte deine Mutter voller Qual, 
Im lärmend lauten Arbeiloſaal, 

Ihr Leben ja als Opfer für dich ein. 


DIBEE 
Zaſt du gearbeitet? 


u liebft mich aljo, haft es mir vertraut, und bebend 
Schweigft du und warteſt und ein blaffer Schein 
Bebeet dein Angelicht. 
Du willſt, ih fol dir Kuß und Lächeln weißt n, 
Willſt meiner friſchen Jugend Blüthenlicht! . 


Doch ſage mir, kennſt du die Angft, die Kämpfe, 
Die Stürme eines deals voll Muth? 

Weißt du, was Leiden heißt? . 
Was nübt bir deine Kraft, dein warmes Blut, 
Dein Athem, beine Seele und bein Geiſt? ... 


Haft bu gearbeitet? . . . Kennit bu die Nächte, 
Sm denen jchlaflos man und ohne Ruh’ 
Ein ernftes Werk geſchafft? . . 
Sag’, welcher Slaubenstahne weihteſt du 
Die blühende und ſchöne Jugendkraft? ... 


Du gibft mir feine Antwort? ... .. o fo gebe, 
Kehr' zu verlor'ner Stunden Müßiggang, 
Zum gold’nen Kalb zurüd); 
Zu Karten, Bällen, Dirnen, Becherklang, 
Mir find nicht feil mein Herz, mein Ruß und Blid. 








Ada Negri. 


— — —ws —⸗ I. 





— — — — — — — —⸗— — — 


D wäreſt du ermattet und zerlumpt, 

Doch mit dem Stolz der Arbeit im Geficht, 
Dem Funken in der Bruft! 

Die Arme müde, doch ein helles Licht 

Im großen Auge ftrahlend dir voll Luft; 


Wärſt ein Plebejer du, doch umerjchroden, 

Hoch über aller Menſchheit Haß und Neid 
Höbft du die ftolze Stirn, 

Und der Gedanfen Unermeßlichkeit 

Erglühte fieb’rifh dir im fühnen Hirn; 


Dann, ja, dann liebt’ ih did, um deine Thaten 
Und um dein ehrlich Leben liebt’ ich Dich, 

An tapf’rer Arbeit reich; 
An deine Bruft mein Haupt dann kehnte ich, 
Stolz, dich zu achten und vor Liebe bleich! ... 


Doh was bift du? ... Was hoffſt du, Schwacher Sklave, 

Der wohl fih fühlt im goldnen Schlamm, von mir! 
Mad’ Platz mir, tritt bei Seit’! 

Da bift mir nihte — Verachtung mweih’ ich dir, 

Schwachherz'ger Jüngling einer ſchwachen Zeit! . . . 


* 


Beransforderung. 


Welt von Bürgern Ichlau und ehrenwerth, 
Die Geld anhäufen und bequem fich betten, 
D Welt von Millionären, wohlgenährt, 
Und zierliden Kofetten; 


D Welt von Frau’n, bufteriich, ſchlank und blaß, 

Die um den Liebſten geh’n zur Mefje offen; 

D Welt voll Treubrud, vol Raub und Haß 
Und trügerifhem Hoffen; 


Biſt du es alfo, lügnerifche Welt, 

Die Licht und Ideal mir will verleiden, 

Bift du es, feiger Zwerg, der drauf verfällt, 
Die Flügel mir zu jchneiden? ... 


Du kriechſt, ich fliege, gähnft du, finge ich, 

Verachte deine Ränke, deine Lügen; 

Der Zauber der Begeilt’rung jchwebt um mich, 
Du bleibft im Schlamme liegen. 








Ada Negri. | 


D Welt von Thoren und von Schlangenbrut, 

Du feige Welt, mein Fluch ballt dir entgegen, 

Den Blick gewandt auf ber Geſtirne Gluth, 
So folg’ ih meinen Wegen. 


Allein und wehrlos, voller Durft nad Licht 

Zieh' ih dahin. — Und magſt bu, ſteptiſch trübe 

Zurück mich halten, aus der Bruſt doc bricht 
Das hohe Kied der Liebe. 


Seh’, üpp'ge Welt, zieh” durch ben Aether fort, 

Bermorfenheit und Gelbjucht mit dir jagen: 

Als Geißel ſchwing' ich das entflammte Wort, 
Dir ins Geſicht zu jchlagen. 


hr 


Seht Kaum! 


ebt Raum! ... Aus Arbeitsflätten voller Lärm und Braus, 
Bom Pflug der Felder her und von der Schmieden Graus 
Und Höllengluthen bring’ ich, 
Aus Höhlen, wo ein Volk fpinnt, hämmert, webt und fchafft, 
Aus Schacht und Gruben fteig’ ich, und voll freier Kraft 
Den Ruhm ber Arbeit fing’ ich. 


Gebt Raum! ... . Aus Wäldern voll von Neftern und Gefang, 
Aus Myrthenbüfhen und aus dunklem Laubengang, 
Aus üpp’ger Felder Wonne; 
Aus blauen Waflern, drauf die zarte Möve Freift, 
Erheb’ ich mich befränzt und fing’ als Volkskind breift 
Ein Aubellied der Sonne. 


Wer hemmt den raſchen Strom im zügellofen Lauf, 

Mer hält des Vogels Flug zum rof’gen Himmel auf, 
Den Pfeil im Reich der Lüfte? 

Sch bin der Strom, der ſchäumt, der Pfeil, der funkelnd ſchwirrt, 

Ich bin die Schwalbe bald, die durch die Ferne irrt, 
Die Eule bald der Grüfte. 


Kunft, für di kämpfe ich, Yulunft ich barre bein, 
Und die Gefühle, die im ftolgen Flammenjchein 

Mir Herz und Geift durchglühten, 
Merf ih im Strahlenfleid der Dichtung, voller Glanz, 
Der Erde und dem Himmel zu als Kranz 

Don Bliten und von Blüthen! ... 


Kr 7) 


. 





00 


Ada Negri, 


Die Fluth. 


... Di fteigt und fteigt. — Mit ſchauerlichem Schal 
Im Dunkeln Wellen fih auf Wellen thürmen; 

Kohlſchwarze Fluthen an das Ufer flürmen 

Und fcheu erbebt die Luft beim Wiederhall. 


Die Fluth der Bettler ift es. — Unb fie fteigt. — 
Rings Lumpen, Wunden, Züge bleih vor Harm, 
Hungrige Münder, arbeitslofe Arme, 

Herzen von Angft geſchwellt. — Sie fteigt und fteigt. — 


Und bringt mit fih den Moberduft ber Noth, 

Den Moberbuft der ungefunden Hütten: 

Und aus der Bruft dringt Allen, die da litten, 
Der Angſtſchrei: Gebt uns unfer täglich Brot. 


Doch taub und blind bleibt Alles bei dem Ton. — 
Die Stille, die voran dem Blige fchreitet 

Des Ungewitters, ſchwer aufs Land fich breitet 
Und größer wird der Strom, naht trogig jchon. 


Die riefigen, granit'nen Dämme fällt 

Cr, blutbefledt, von Thränen bleich und Sorgen, 
Im Namen eines heil’gen Rechts wird morgen 
Er brüllend überſchwemmen alle Welt. 


eXefr 


Deine ul nes: 

Ferdinand Freiligrath wurde in Detmold am 17. Juli 1810 als Sohn 
eines Lehrers geboren, wurde Raufınann und Iebte als folder längere Zeit in Amfterdam, 
dem Hauptſammelbecken des kontinentalen Handels in jener Zeit. Hier entſtanden feine 
erften Dichtungen, die dann im Sabre 18:38 gefammelt bei Cotta erſchienen und gemal- 
tiges Auffehen machten. Der Erfolg biefer Veröffentlijung veranlapte ihn, feinen Beruf, 
zu dem er von jeher feine fonberliche Neigung gehabt hatte, aufzugeben. Puch Ber: 
mittfung von Mierander v. Sumboldt erhielt er 1841 von König Friebrid Wilhelm IV. 
von Preußen eine Heine Wenfion, verzichtete jedoch, da fid) ein derartiger „Staatsfolb“ 
mit feiner politiſchen Weberzeugung nicht vereinbaren lieh, bereits im Jahre 1844 darauf. 
Eine neuerliche Gedichtſammiung, die er veröffentlichte, wurde wegen ihrer gornglühenden, 
die erbärmlichen Zuftände jener Zeit unbarmberzig geißelnden Sprache verboten und 
Freiligrath ging, um einer. Verfolgung zu entgehen, nad Belgien. In PBrüffel machte 
er bie Belanntihaft von Karl Dlarr, aing dann nach turzem Aufenthalt nad) der Schweiz 
unb von dort fpäter nad) England. Mit Ausbruch der revolutionären vewegung von 
1848 finden wir ihn wieder in Deutichland, mofelbft er ſich wegen feines nach den Ber: 
liner Ereigniffen verfahten Gedichtes „Die Todten an die Lebenden“ vor dem Geſchwo— 
tenengerichte verantworten mußte, jedöh Freiſprechung erzielte. Mit Karl Marz und 
Anderen war er in der Redaktion der „Neuen Rheinischen Zeitung“ thätig und verlieh 
nach Unterdrüdung derſeiben abermals Deutfhlands ungaftlichen Boden. 1860 mieder 
nad Deutfhland zurüdgelehet, lieh Zreiligrath fih mit feiner Familie in Cannftatt 
nieder, wofelbft er am 18. März 1876 ſtarb. — Mit Recht faın man Yreiligrath den 
bebeutendften Lyriter unferer Zeit nennen, unerreicht ftehen feine Dichtungen da, was 
poetifchen Schwung und Formenfchönheit andetrifft, unerreicht aber aud ift bas 
heilige Zeuer der Empörung, jener allgewaltige Freiheitsdrang, der 
alle feine Zeitgedigte durdglüht 


u — 








LET 


Requiescat! 





er den wucht'gen Hammer jchwingt; 

Wer im Felde mäht die Aehren; 
Mer in's Mark der Erde dringt, 
ne und Kinder zu ernähren; 

Wer ftroman den Nachen zieht; 

Wer bei Wol’ .und Werg und Flachſe 
Hinter'm Webeſtuhl ſich müht, 
Daß ſein blonder Junge wachſe: — 


Jedem Ehre, jedem Preis! 

Ehre jeder Hand voll Schwielen! 

Ehre jedem Tropfen Schweiß, 

Der in Hütten fällt und Mühlen! 
Ehre jeder naflen Stirn 

Hinterm Pfluge! — Doch auch deilen, 
Der mit Schädel und mit Hirn 
Hungernd pflügt, ſei nicht vergeflen! 


Ob in enger Bücherei 

Dunft und Moder ihn umftäube: 
Ob er Sklav' ber Meile jet, 
Lieder oder Dramen fchreibe; 

Ob er um verruchten Lohn 
Fremden Ungeſchmack vertiere;, — 
Ob er in gelehrter Frohn 
Griechiſch oder Latein docire: — 


Er aud ift ein Proletar! 

Ihm auch beißt es: „Darbe, borge!“ 
Ihm auch bleicht das dunkle Haar, 
Ihn auch heut ins Grab die Sorge 
Mit dem Zwange, mit der Noth 

Wie die Andern muß er ringen, 

Und der Kinderjchrei nach Brot 

Lähmt aud ihm die freien Schwingen! 


Manchen hab’ ich fo gekannt! 

Nah den Wolfen flog jein Streben: — 
Tief im Staube von der Han 

In den Mund doch mußt er leben! 
Eingepferht und eingedornt, 

Aechzt er zwiſchen Thür und Angel; 
Der Bedarf hat ihn geipornt, 

Und gepeiticht bat ihn der Mangel. 


12 


Ferdinand Freiligrath. 


Alfo ſchrieb er Blatt auf Blatt, 
Bleih und mit verhärmten Wangen, 
Während draußen Blum’ und Blatt- 
Sih im Morgenminde ſchwangen. 
Nachtigall und Drofiel ſchlug, 


Lerche fang: und Habicht: kreiſte: — 


Er hing über feinem Bud), 
Tagelöhner mit dem. Seitel e 


Dennod, ob fein Herz au fchrie, 
Blieb er tapfer, blieb ergeben: * 
„Diejes auch ift Poeſie, 

Denn es ift das Menfchenleben !“ 
Und wenn gar der Muth ihm fant, 
Htelt er feit fih an dem Einem: 
„Meine Ehre wahrt’ ich blank! 
Mas ih thu’, Ift für die Meinen!" 


Endlich ließ ihn doch bie Kraft! 


Aus fein Ringen, aus fein Schaffen! 
Nur zumeilen, fieberhaft, 

Konnt’ er noch empor fich raffen! 
Nachts oft von der Mufe Kup 
Fühlt er jeine Schläfe pochen; 

Frei dann flog der Genius, 

Den des Tages Drang gebrochen! 





Lang jetzt ruht er unter'm Rain, 

Drauf im Gras die Winde wählen; 
Ohne Kreuz und ohne Stein 

Schläft er aus auf feinen Pfühlen. 
Rothgeweinten Angefichts 

Irrt jein Weib und irrt fein Samen — 
Bettlerkinder erben Nichte, 

Als des Vaters reinen Namen! 


Ruhm und Ehre jedem Fleig! 

Ehre jeder Hand vol Schwielen! 
Ehre jedem Tropfen Schweiß, 

Der in Hütten fällt und Mühlen! 
Ehre jeder naflen Stirn 

Hinter'm Pfluge! — Doch auch defien 
Der mit Schädel und mit Hirn 
Hungernd pflügt, ſei nicht vergeſſen! 


ER 





Ferdinand Freiligratb. 13 


>> Bie Kevolntion. S+ 


Rah Nieberwerfung der revolutionären Bewegung von .1848/49 gebichtet. 


Ünp ob ihr fie, ein edel Wild, mit euren Henkersknechten fingt: 

Und ob ihr unter'm Feſtungswall ftandrechten die Gefang’ne gingt; 
Und ob fie längft der Hügel dedt, auf deſſen Grün um's Morgenroth 
Die junge Bäurin Kränze legt — doch fag’ ich euch: fie tft nicht tobt! 
Und ob ihr von der hohen Stirn das weh'nde Lodenhaar ihr jchort; 
Und ob ihr zu Genofien ihr den Mörder und den Dieb erfort! 

Und ob fie Zuchthauskleider trägt, im Schoß den Napf voll Erbjenbrei; 
Und ob fie Werg und Wolle jpinnt — doch ſag' ich Fühn euch: fie ift frei! 
Und ob ihr in’s Eril fie jagt, von Lande fie zu Lande hetzt: 

Und ob fie fremde Herbe fucht, und flumm ſich in die Aſche febt; 

Und ob fie wunde Sohlen lauft in ferner Waflerftröme Lauf — 

Do ihre Harfe nimmermehr an Babel's Weiden hängt fie auf! 

O nein — fie ftellt fie vor fich hin; fie ſchlägt fie trogig, euch zum Trotz! 
Sie ſpottet lachend des Erils, wie fie geipottet des Schaffotsl 

Sie fingt ein Lied, daß ihr entjegt von euren Seſſeln euch erhebt; 
Daß euch bas Herz — das feige Herz, das falſche Herz! — im Leibe bebt! 
Kein Klagelied! Fein Thränenlied! Fein Lied um eben, der fchon fiel; 
Noch minder gar ein Lied des Hohns auf das verworf’ne Zwifchenipiel, 
Die Bettleroper, die zur Zeit ihr plump noch zu agiren mwißt, 

Wie mottig euer Hermelin, wie faul auch euer Purpur ift! 

D nein, was fie den Waſſern fingt, ift nicht der Schmerz und nit die Schmach, 
Iſt Siegeslied, Triumpheslied, Lied von der Zukunft großem Tag! 
Der Zukunft, die nicht fern mehr ift! Sie ſpricht mit breiftem Prophezei’n: 
So gut wie weiland euer Gott: Ich war, ih bin — ich werde fein! 
Ich werde fein, und wiederum voraus ben Völkern werd’ ich geh’n! 
Auf eurem Naden, eurem Haupt, auf euren Kronen werb’ ich fteh’n! 
Befreierin und Rächerin und Richterin, das Schwert entblößt, 
Ausreden den gewalt’gen Arm werd’ ich, daß er die Welt erlöft! 

Ihr ſeht mich in den Kerfern bloß, ihr jeht mich in ber Grube nur, 
Ihr jeht mich nur als Irrende auf des Erxiles dorn’ger Flur — 

Ihr Blöden, wohn’ ich denn nicht auch, wo euere Macht ein Ende hat: 
Bleibt mir nicht hinter jeder Stirn, in jedem Herzen eine Statt? 

Sm jedem Haupt, das troßig denkt? Das hoch und ungebeugt fich trägt? 
Iſt mein Aſyl nicht jede Bruft, die menſchlich fühlt und menfchlich fchlägt ? 
Nicht jede MWerkftatt, drinn es pocht? Nicht jede Hütte, drinn es Achzt? 
Bin ich der Menfchheit Odem nicht, die raftlos nach Befreiung lechzt? 
Drum werd’ ich fein, und wiederum voraus den Völkern werd’ ich geh'n! 
Auf eurem Naden, eurem Haupt, auf euren Kronen werd’ ih fteh’n! 
's ift ber Gefchichte eh'rnes Muß! es iſt fein Rühmen, ift fein Droh’n — 
Der Tag wird heiß — wie weh’ft du fühl, o Weidenlaub von Babylon? 


—E 


14 . Ferdinand Freiligrath. 


Kbſchiedswort der „Menen Kheinifchen Beitung“. 


Die „Reue Rheinifhe Zeitung“ wurde mährend der Revolution von 1848 ald Organ der Demolratie 
begründet und u. 9. von Karl Marx, friedr. Engel® und Ferdinand Freiligrath redigirt, ihrer 
freien Eprade halber jedoch im Frühjahr 1849 durch die preußifche Regierung unterbrildt. 


ein offner Hieb in offner Schlacht — 
Es fällen die Nüden und Tüden, 
Es fällt mich die fchleichende Niedertracht 
Der Ihmugigen Weſt-Kalmücken! 
Aus dem Dunkeln flog der töbtende Schaft, 
Aus dem Hinterhalt fielen die Streiche — 
Und fo lieg’ ih nun da in meiner Kraft, 
Eine folge Rebellenleiche ! 


Auf der Lippe den Troß und den zudenden Hohn, 
Sn der Hand ben bligenden Degen, 

Noch im Sterben rufend: „Die Rebellion!" — 
So bin ih mit Ehren erlegen; 

D, gern wohl beftreuten mein Grab mit Salz 

Der Preuße zufammt dem Czare — 

Doch es ſchicken die Ungarn, es ſchickt die Pfalz 
Drei Salven mir über die Bahre! 


Und der arme Mann im zerriff'inen Gewand, 

Er wirft auf mein Haupt die Schollen; 

Er wirft fie hinab mit der fleißigen Hand, 

Mit der harten, der fchwielenvollen. 

Einen Kranz auch bringt er aus Blumen und Mai’n, 
Bu ruh’n auf meinen Wunden; 

Den baben fein Weib und jein Töchterlein 

Nach der Arbeit für mich gewunden. 


Nun Abe, nun Abe, du kämpfende Welt, 
Nun Ade, ihr ringenden Heere! 

Nun Ade, du pulvergefhwärztes Feld, 

Nun Abe, ihr Schwerter und Speere! 

Nun Ade — doch nicht für immer Abe! 
Denn fie tödten ben Geift nicht, ihr Brüder! 
Bald richt” ich mich rafjelnd in die Höh', 
Bald kehr' ich reifiger wieder! 


Wenn die letzte Krone wie Glas zerbricht, 

In des Kampfes Wettern und Flammen, 

Wenn das Volk fein letztes „Schuldig!“ ſpricht, 

Dann ſteh'n wir wieder zuſammen! 

Mit dem Volk, mit dem Schwert, an der Donau, am Rhein — 
Eine allzeit treue Geſellin 

Wird dem Throne zerſchmetternden Volke ſein 

Die Geächtete, die Rebellin! 


Ferdinand Freiligrath. 15 


Die Fodten an die Sebenden. 


Berfaßt im Quli 1848, 
nachdem die Reaktion in Preußen wieder die Oberhand erlangt hatte. 


di Kugel mitten in ber Bruſt, die Stirne breit gefpalten, 

&o habt ihr uns auf blut'gem Brett hoch in bie Luft gehalten!*) 
Hoch in die Luft mit wilden Schrei, daß unf’re Schmerzgeberbe 
Dem, ber zu töbten uns befahl, ein Fluch auf ewig werbe!**) 
Daß er fie fehe Tag und Naht im Wachen und im Traume — 
Sm Deffnen feines Bibelbuchs wie im Champagnerjchaume ! 

Daß wie ein Branbmal fie ſich tief in feine Seele brenne! 

Daß nirgendwo und nimmermehr er vor ihr fliehen koͤnne! 

Daß jeder qualverzog’ne Mund, daß jede rothe Wunde, 

Ihn Ichrede noch, ihn ängite noch in ſeiner letzten Stunde! - 
Daß jedes Schluchzen um uns ber dem Sterbenden noch ſchalle, 
Daß jede todte Fauſt ſich noch nach feinem Haupte balle — 
Mög’ er das Haupt nun auf ein Bett, wie and’re Leute pflegen, 
Mög’ er es auf ein Blutgerüft zum legten Athmen legen! 


So war's! Die Kugel in ber Bruft, die Stirne breit gejpalten, 
So habt ihr uns auf ſchwankem Brett auf zum Altan gehalten! 
„Herunter!” — und er fam gewankt — gewankt an unfer Bette; 
„Hut ab!" — er zog — er neigte fih! (jo ſank zur Marionette, 
Der erft ein Komödiante war!) — bleich ftand er und beflommen! 
Das Heer indeß verließ die Stadt, die ſterbend wir genommen! 
Dann „Jeſus meine Zuverſicht!“ wie ihr's im Buch könnt leſen: 
Ein „Eifen meine Zuverſicht!“ wär’ paßlicher geweſen! 


Das war der Morgen auf die Nacht, in der man uns erjchlagen; 
So habt ihr triumphirend uns in unjre Gruft getragen! 

Und wir — wohl war der Schädel uns zerichoflen und zerhauen, 
Doh lag des Sieges froher Stolz auf unfern grimmen Brauen. 
Wir dachten: hoch zwar ift der Preis, doch Acht auch ift die Waare! 
Und legten uns in Frieden drum zurecht auf unfrer Bahre. 


Weh' euch, wir haben uns getäufcht! Vier Monden erft vergangen, 
Und Alles feig durch euch verjcherzt, was troßig wir errangen! 
Was unfer Tod euch zugewandt, verlottert und verloren — 

D, Alles, Alles hörten wir mit leifen Eeifterohren! 

Wie Wellen brauft’ an uns beran, was fi begab im Lande: 

Der Aberwig des Dänenkriegs, die letzte Polenjchaube; 

Das rüde Toben der Vendee in ftodigen Provinzen; 

Der Soldatesta Wiederkehr, die Wiederkehr des Prinzen ;- 


*), Die am 18. März 1348 in Berlin durch die Soldateska Wetödteten wurden von bem 
empörten Volke in den Sof bed königlichen Schloſſes getragen und dem König gezeigt, ber vor ben 
Gefallenen den But zog. Im Weiteren enthält die Tichtung in flammender Sprache eine Anfeuerung 
der Maffen, bie während der Märztage errungenen Vortheile, deren fie durch die Regierung bereits 
wieder beraubt worben, ſich wieder zurüdwuerobern. 


*+) Bemeint tft König Friedrig Wilhelm IV. von Preußen. 


16 Ferdinand Freiligrath. 


Die Schmad zu Mainz, die Schmach zu Trier; das Hänfeln, das Entwaffnen 
Alüberall der Bürgerwehr, der eben erft gejchaffnen: 

Die Tüde, die ben Zeughausfturm zu einem Diebszug machte, 

Die jelber uns, die jelbft das Grab noch zu begeifern dachte; 

So weit es Barrifaden gab, der Drud auf Schrift und Rebe, 

Mit der Verfammlung freiem Recht die täglich frechre Fehde; 


Der Kerkerthore dumpf Geknarr im Norden und im Süden; 

Für Jeden, der zum Volle fteht, das alte Kettenjchmieden; 

Der Bund mit dein Koſakenthum; das Brechen jedes Stabes, 

Ah, über euch, die werth ihr jeid des Torbeerreichiten Grabes: 

Ahr von des Yulunftsdranges Sturm am meitelten Getrag’nen! 
Ihr — Yunilämpfer von Paris! hr fiegenden Geſchlag'nen! 
Dann der Verrath, hier und am Main im Taglohn unterhalten — 
D Volk, und immer Frieden nur in deines Schurzfels Falten? 
Sag’ an, birgt es nicht auch den Krieg? Den Krieg herausgeichättelt ! 
Den zweiten Krieg, den legten Krieg mit Allem, mas dich büttelt! 
Laß deinen Ruf: „Die Republik!“ die Gloden überdröhnen, 

Die diefem allerneueften Johannisſchwindel tönen ! 


Umfonft! Es thäte Noth, daß ihr uns aus der Erbe grübet, 

Und wiederum auf blut’gem Brett hoch in die Luft erhübet! 

Nicht, jenem abgethanen Mann, wie damals, uns zu zeigen -— 
Nein, zu den Zelten, auf den Markt, in’s Land mit uns zu fteigen! 
Hinaus in's Land, foweit es reicht! Und dann die Inſurgenten 
Auf ihren Bahren bingeltellt in beiden Parlamenten! 

D ernfte Schau! Da lägen wir, im Haupthaar Erd’ und Gräfer, 
Das Anilig fledig, halbverweſt — die rehten Reichsverweſer! 

Da lägen wir und fagten aus: Eh’ wir verfaulen konnten, 

Sf eure Freiheit Schon verfault, ihr trefflihen Archonten! 

Schon fiel das Korn, das feimend ftand, als wir im Märze farben: 
Der Freiheit Märzjaat ward gemäht noch vor den andern Garben! | 
Ein Mohn im Felde hier und dort entging der Senje Hieben — | 
D, wär’ der Grimm, der rothe Grimm, im Lande jo geblieben! | 


Und dod, er blieb! Es iſt ein Troft im Schelten ung gelommen: 
Zu viel ſchon hattet ihr erreicht, zu viel ward euch genommen! 

Zu viel des Hohns, zu viel der Schmach wird täglich euch geboten: 
Euch muß der Grimm geblieben fein — o, glaubt es uns, den Todten! 
Er blieb euch! Sa, und er erwacht, er wird und muß erwachen! 
Die halbe Revolution zur ganzen wird er machen! 

Er wertet nur bes Augenblids: dann ſpringt er auf allmädtig; 
Gehob’nen Armes, weh'nden Haare dafteht er wild und prächtig! 
Die roft’ge Büchſe legt er an, mit Fenfterblei geladen: 

Die rothe Fahne läßt er weh’n hoch auf den Barriladen! 

Sie fliegt voran der Bürgermehr, fie fliegt voran dem Heere — 

Die Throne geh’n in Flammen auf, die Fürften fliehn zum Meere! 
Die Adler flieh’n; die Löwen flieh’n; die Klauen und die Zähne! — 
Und feine Zukunft bildet jelbit das Volk, das jouveräne! 





17 


Ferdinand Zreiligrath. 5 


Indeſſen, bis die Stunde fchlägt, Hat dieſes unfer Grollen 

Euch, die ihr vieles jchon verfäumt, das Herz ergreifen wollen‘! 
D, flieht gerüftet! ſeid bereit! o, jchaffet, daß die Erbe, 

Darin wir liegen ftrad und ftarr, ganz eine freie werbe! 

Daß fürder der Gedanke nicht uns ftören kann im Schlafen: 
Sie waren frei: doch wieder jetzt — und ewig! find fie Sklaven! 


ZERS 
>> Kom Kurze. I 


' (Eine wahre Geſchichte. 1643.) 


ftile, graue Frühe! | 

Die Blätter flültern jacht; 
Der Sirih Hat jeine Kühe | 
Zum Waldrand Ihon gebradt Ä 
Zum Waldrand in die Eaaten! 
Da fteht und ftampft er jchon! 
Im Buſch ruh'n die Koſſathen, 
Der Vater und ſein Sohn. 


Der Alte wiegt in Händen 

Den rolt’gen Flintenlauf: 

„Ein Hirſch von vierzehn Enden! 
Kerl, Schwerenoth, halt” drauf!” 

Der unge drückt — ein Knallen — 
Das heiß’ ih gute Birſch! 

Sie jeh'n zur Erde fallen 

Den vierzehnend’gen Hirich. 


Fort ftieben rings die Kühe — 
Der Alte ruft: „O Glück!“ 
Stürzt vor und ſtemmt die Kniee 
Auf das erlegte Stüd. 

„Ei, Burſch, du zieheft wader, 
Sieh' jelber, g’rad auf's Blatt! 
Gott jegn’ es unferm Acker! 
Der frißt fih nicht mehr fatt. 


Dem ift fein Korn mehr nüße, 
Der biegt fein Hälmlein mehr, 
Der — nun, was gaffit du, Fritze? 
Raſch gib die Stride her! 

Co — Fuß au Fuß gebunden! 
Fühl' doc, er wird ſchon falt!“ 
Da tritt mit Volf und Hunden 
Der Förlter aus dem Wald! 


Hilf Bott. — Der kennt die Schliche, 
Nun gilt's! Aufipringt das Paar, 


Reißt aus und läßt im Stiche 


Die Doppelläufe gar. 


: Der Söriter bleibt nicht hinten, 


Nah ruft er: „Steh’, Gezücht! 
Was helfen mir die Flinten, 
Hab’ ih die Schügen nicht?“ 


Umfonft! -- Da ralh zur Wange 
Hebt er der Büchſe Wucht; 

Bielt kalt und feit und lange — 
Was — Menſchen? — Aufder Flucht? 
Bleichviel! Erdrüdt — ein Knallen — 
Hollah, das heiß’ ih Glück! 

Den Alten fieht er fallen, 

Ec traf ihn in's Genid. 


In feiner eig'nen Gerſte 

Da liegt der knochige Mann, 
Als ob das Herz ihm berſte, 

Auf ſtöhnt er dann und wann. 
Sein Blut, dem Wams entquollen, 
Rinnt ab in Furch' und Spur, 
Warm ſickert's durch die Schollen — 
Was denkt die Lerche nur? 


Sie ſitzt im ſtillen Neſte, 

Da ſchießt das Blut herein! 
Auf ſchwirrt ſie gleich zur Veſte, 
Blut an den Flügelein! 

Sie läßt vor Gott es blitzen 
Im erſten Sonnenblick, 

Sprengt auf die Halmenſpitzen 
Es ſchmetternd dann zurück. 


tt 


18 Ferdinand Freiligrath. 


Das ift ein Fräftiger Regen Strads ruh'n auf einem Karren 
Das ift ein koſtbar' Sprüh'n! Der Hirſch und auch der Mann, 
Das ift ein Lerchenjegen, Zum Roth: und Ehwarzwildfharren 
Der macht die Eaaten grün! Fort geht es durch den Tann; 
Der tropft auch auf den Jungen, | Fort geht's in einer Hebe, 

Der hinraſt über's Feld Der Förſter pfeift und lacht — 
Und heulend dann umſchlungen Warum nicht? — Die Geſetze 
Den todten Vater hält. Vollitredt’ er nur der Jagd! 


Fort, Burj, was no umklammern | Drum madt ihm feine Trauer 
Die ftarre Mannsgeftalt! ı Des Jungen wild Geknirſch — 
Fortnun, und lafj’ dein Jammern — | Vergeſſen wird der Bauer, 
„Fühl' doch, er wird Schon kalt!“ Gegeſſen wird der Hirſch! 
Zurüd vom blauen Munde ı Ihm felbft wird die Medaille! 
Mit deinem rothen! — Sieh’! | Ja fo, das fehlte no: 
Ankeuchen ſchon die Hunde --- | Ten rigen, die Canaille, 
Herrgott, zum „Halali!“ — Wirft man in’s Hundelod. 


Da ftarrt er trüb durch's Gitter; 
Ein Leiter fteht vor'm Thor, 
Der fingt zu feiner Zither 

Ein Lied den Leuten vor: 

„Es lebe was auf Erden 
Stolzirt in grüner Tradt, 

Die Wälder und die Felder, 

Die Jäger und die Jagd!“ 


IK 
Freie Preſſe. 


eſten Tons zu ſeinen Leuten ſpricht der Herr der Druckerei: 

„Morgen, wißt Ihr, ſoll es losgeh'n, und zum Schießen braucht man Blei! 
Wohl, wir haben unſ're Schriften: — Morgen in die Reih'n getreten! 
Heute Munition gegoſſen aus metall'nen Alphabeten! 


Hier die Formen, hier die Tiegel! auch die Kohlen facht' ih an! 
Und die Pforten find verrammelt, daß ung Niemand ftören kann! 
An die Arbeit denn, ihr Herren! Alle, die ihr fett und preßt! 
Helft mir auf die Beine bringen diefes Freiheitsmanifelt!” 


Spricht's und wirft die erjten Lettern in den Tiegel friiher Hand; 
Bon der Hige bald gejchmolzen, brodeln „Perl" und „Diamant“ ; 
Brodeln „Colonel“ und „Corpus”; hier „Antiqua”, dort „Fraktur“ 
Werfen radifale Blafen, dreift umgehend die Zenfur. 


Dampfend in die Kugelformen zifcht die glüh’nde Maſſe dann: 
So die ganze lange Herbitnadht Ichaffen dieje zwanzig Mann: 
Athmen rüftig in die Kohlen; Ichüren, jchmelzen unverdroſſen, 
Bis in runde blanke Kugeln Schrift und Zeug fie umgegofien; 





Ferdinand Freiligrath. 19 


Wohl verpadt in grauen Beuteln liegt der Vorrath an der Erbe, 
Fertig, daß er mit der Frühe brühwarm ausgegeben werde! 
Eine dreifte Morgenzeitung! Wahrlich gleich beherzt und kühn 
Sah man feine noch entichwirren dieſer alten Offizin! 


Und der Meifter fieht es düuſter, legt die Rechte auf-fein Herz: 
„Daß es aljo mußte kommen, mir und Vielen macht es Schmerz! 
Doch — welh Mittel ift noch übrig, und wie fann es anders jein? 
Nur als Kugel mag die Type diefer Tage fich befrei'n! 


Wohl fol der Gedanke fiegen — nicht des Stoffes rohe Kraft! 

Doch man band ihn, man zertrat ihn, doch man warf ihn ſchnöd' in Haft! 
Set es denn! Im die Muskete mit dem Ladſtock laßt euch rammen! 
Auch in ſolchem Wintelhafen fteht ala Kämpfer treu beilammen! 


Auch aus ihm bis in die Hofburg fliegt und ſchwingt euch, trotz'ge Schriften! 
Pa ein raubes Lied der Freiheit, jauchzt und pfeift es hoch in Lüften! 

fagt die Knechte, jchlagt die Söldner, ſchlagt den allerhöchſten Thoren, 
Dt ich dieſ e freie Preſſe ſelber auf den Hals beſchworen! 


Für die rechte freie Preſſe kehrt ihr heim aus dieſem Strauß: 

Bald aus Leichen und aus Trümmern graben wir euch wieder aus! 
Gießen euch aus ſtumpfen Kugeln wieder um in ſcharfe Leitern — 
Horch! Ein Pochen an der Hausthür! und Trompeten hör’ ich fchmettern ! 


Sept ein Schuß! — Und wieder einer! — Die Signale find’s, Gejellen! 
Hallender Schritt erfüllt die Gaflen, Hufe dröhnen, Hörner gellen! 
Hier die Kugeln! hier die Büchjen! Raſch hinab! — Da find wir ſchon!“ — 
Und die erfte Salve praſſelt! — Das ift Revolution! 


** 
Am Birkendbanm. 


Reminiszenz aus Freiligraths Jugenbjahren in Tetmold. 


er junge Jäger am Waldrand ſaß, 

Am Waldrand auf der Haar. 
Wie Blut ſchon die Blätter, gebleicht das Gras, 
Doh der Himmel fonnig und Har. 
Er ſprach: Die Braden zieh’n fih zur Möhne! 
Vergebene mich auf den Fuchs gefreut! 
Fern, immer ferner des Hornes Töne — 
Kein Ehuß mehr fällt auf dem Brandholz heut’! 


Ob ih nad) nur jchlend’re? Den Teufel auch! 
Ich lob' mir im Sonnenſchein 

Das Eckchen hier am Wachholderſtrauch 

Und den grauen, mooſigen Stein! 


12 
“ 


20 


. Ferdinand Sreiligrath. 


Drauf fire’ ih mi aus, ben nehm’ ich zum Politer, 
An die Buche lehn ich mein Doppelgewehr! 
Und nun aus dem Dichterwinkel der Holfter 
Mein Zagdgenofje, mein Byron, komm' ber! — 


Und er nimmt feinen Weidſack und langt fie herfür, 
Die ihn öfters begeitete ſchon, 

Die höchſt unwürd'ge auf Löſchpapier, 

Die Zwickauer Edition 

Den Mazeppa hat er ſich aufgeſchlagen: 

Muß ſeh'n, ob ichs deutſch nur reimen kann! 
Mögen immer die andern lachen und ſagen: 

Ha, ha, ber lateiniſche Jägeremann! 


Er lieſ't — er finnt — num fohreibt er fih’s auf! 
Nun Scheint er fo redt im Fluß — 

Da nimmt er vor Freuden den Doppellauf, 

Und thut in die Luft einen Schuß. 

Sp bat er es lange Stunden getrieben, 

Ein närrifher Kauz, ein Stüd Poet, 

Bis ihm, mit Bleiftift flott gejchrieben, 

Ein faubrer Anfang im Tafchenbuch ftebt: 


Er reibt fih die Hände: — Und nun nad Haus! 
Zwei Stunden noch hab’ ich zu geh’n; 


Nur ein einzig Mal noch hinab und hinaus 


In die Ebene will ih jpäh'n; 

Wil mir Schimmer und Duft in die Seele jaugen, 
Daß fie Freude noch und zu zehren bat, 

Wenn mir wieder die fernedburftigen Augen 

Auf Wochen einengt die graue Stadt. 


Da liegt fie finfter mit Thürmen und Wall, 

Die mich lehren fol den Erwerb, 

Die mich grämlidh ſperrt in der Proja Stall, 
Und dichten heißt Zeitvertreib! 

Wenn ih manchmal nicht auf den Rappen müßte, 
Hätt’ ih manchmal nicht einen Jagdtag frei, 
Einen Tag wie heut! — Schwerenoth, ich wüßte 
Keinen Rath meiner heimlichen Neimerei! 


Da liegt fie — berbitlider Duft ihr Kleid — 
In der Abendfonne Brand! 

Und Hinter ihr, endlos, meilenmweit, 

Das leuchtende Münſterland! 

Ein Blitz wie Silber — das iſt die Lippe! 
Links hier des Hellwegs goldene Au! 

Und dort zur Rechten, über'm Geſtrüppe, 
Das iſt meines Osnings dämmerndes Blau! 


Ferdinand Freiligrath. 21 


Eine Flähe das! So denk ih mir, war 
Die Flur, die Mazeppa durchſprengt! 

Oder jene, drauf der rufliiche Czar 

Den ſchwediſchen Karl gedrängt! 

Zwar — milder und üppiger ift Die Börde, 
Doh wir haben auch Haidegrund und Moor 
Und wilden Buſch auf der rothen Erde — 
Ob auch bier jhon wer eine Schladht verlor? 


— So denft er und bat es laut wohl gejagt; 
Da tritt ein Dann auf ihn zu: 

Ein Bauer — und wenn ihr mehr noch fragt: 
Der Hüter einer Kuh. 

Die langen Glieder umhüllt ein fchlichter 
Leinrod, das bläulide Augen fticht, 

Die Lippe zudt — jo tritt er zum Dichter, 
So lädelt er feltfamlih und ſpricht: 


„Suten Abend, Herr! Ob man Schladten ſchlug 

Sm der Ebene dort — furwahr, 

3 hab's nicht erfahren! Leit nach im Buch! 
Mich fümmert wenig was war! 

Ich fchaue nur aus nad den fünftigen Tagen — 

So ſpricht vom Haarftrang der alte Hirt — 

„Eine Schlacht wohl ſah ich dort unten ſchlagen, 

Doch eine, die man erit ſchlagen wird. 


Ich babe fie dreimal mit angeſeh'n! 

O, dd iſt die Haar bei Nacht! 

Ich aber muß auf vom Bette fteh’n — 

Dann bat es mich hergebradit ! 

Suft, Herr, wo ihr fteht — juſt bier auf den Feljen, 
Da hat es mi Sträubenden hingeftellt! 

Und hätt’ ich gewandt mich mit hundert Hällen, 
Doch hätt’ ich hinabſchau'n müſſen in’s Feld! 


Und ich jah hinab und ich Jah genau — 
Da ſchwammen die Aeder in Blut, 

Da bing’s an den Aehren wie rother Thau, 
Und ber Himmel war eine Gluth! 

Um die Höfe jah ich die Flammen wehen, 
Und die Dörfer brannten wie dürres Gras: 
Es war, als hätt’ ich die Welt gejehen 
Durch Höhraud oder dur farbig Glas! 


Und zwei Heere, zahllos wie Blätter im Buſch, 
Hieben wild aufeinander ein; 

Das eine, mit hellem Trompetentufch, 

Bog heran in der Richtung vom Rhein. 


22 


Ferdinand Freiligrath. 


Das waren die Völker des Weſtens, die Freien! 
Bis zum Haarweg ſcholl ihrer Pferde Gemwieh’r, 
Und voraus flog ihren unendlichen Reihen 

Im Rauche des Pulvers ein roth Panier! 


Roth, Roth, Roth! Das einige Roth! 

Kein pruntendes Wappen drauf! 

Das trieb fie hinein in den jauchzenden Tod, 
Das band fie, das bielt fie zubauf! 

Das warf fie entgegen den Sflaven aus Often, 
Die, das Banner beitidt mit wildem Getbier, 
Unabſehbar über die Fläche toften 

Auf das dröhnende, zitternde Kampfrevier. 


Und ih wußte — doch hat es mir Keiner gefagt! — 
Das ift die legte Schladt, 

Die der Dften gegen den Welten magt 

Um ben Eieg und um bie Mad! 

Das ift der Knechtſchaft letztes Verenden! 

Das iſt, wie noch nie ein Würfel fiel, 

Aus der Könige Falten, bebenden Händen 

Der legte Wurf in dem alten Spiel! 


Denn dies ift die Schladt- um den Birfenbaum! — 
Und ih jah jeinen weißen Stamm, 

Und er ftand und regte die Blätter faum, 

Denn fie waren jchwer und Kamm! 

Maren Hamm vom Blut, das der heilige Reigen 

An die zitternden wild in die Höhe geiprigt; 

Und fo ftand er mit traurig hängenden Zweigen, 

Bon Kartätichen und Ipringenden Bomben umbligt. 


Auf einmal Hub er zu jäufeln an, 

Und ein Licht flog über die Haar — 

Und den Dften ſah ich geworfen dann 

Bon des Weſtens drängender Schaar. 

Die Zäume verhängt und die Fahne zerireten, 
Und die Führer zermalmt von der Hufe Wucht, 
Und im Nacken der Freiheit Gerichtstrompeten — 
So von dannen jagte die rajende Flucht. 


Da! Zu uns auch herauf! — Da — Seht ihr fie nicht? 
Durch den Hohlweg und über den Stein! 

Da! — Zum viertenmal nun das gleiche Geficht 

Und ber gleiche lodernde Schein! — 

Da! — tretet beifeit, daß fein fliegender Zügel, 

Daß fein faufender Dolman den Arm euch ftreift! 

Noch des Mannes Haupt, den, hangend im Bügel, 
Eben jest fein Pferd durch den Ginfter fchleift! 


Ferdinand Freiligrath. 23 


Da! — es ftürztl — Das edelfte diefer Schladt! — 
Der Gefchleifte Liegt todt im Farr'n! 

Und über ihn weg nun die wilde Jagd, 

Die Laffeten, die Pulverkarr'n! — 

Mer denkt no an den? Wer unter den Wagen 
Riſſe den noch hervor? Was Bahre, was Sarg! 
Hört, Herr — doch dürft ihr es Keinem jagen! — 
So ftirbt in Europa der legte Monard!" — 


Dem jungen Jäger ſchwirrt' es im Kopf 

Und er that einen langen Sat, 

Und er fludte: Vermaledeiter Tropf 

Und vermaledeiter Platz; 

Doch der Alte, fühl wie ein Seher eben, 

Sah ihm ruhig nad von des Holzes Saum: 

„Sa, flucht nur, Here Junge! Könnt’s doch noch erleben! 
Seid ja fiebenzehn oder achtzehn kaum!“ 


Dann pfiff er und zog übers Stoppelfeld — 

Noch Hat fi. das Wort nicht erfüllt! 

Doch der Birkenbaum fteht ungefällt, 

Und zwei Lager heute zerflüften die Welt, 

Und Ein Hüben, Ein Drüben nur gilt! 

Schon gab es Gepläntel, Doch dauernd ſchlichten 

Wird ein Schlag nur, wie jener, den wachſenden Strauß — 
Und dem Jäger kommen bie alten Gefchichten, 

Und er denkt: Schlüne dennoch das Volk in Gefichten 
Seines nahenden Welttages Siege voraus? 


— — — 


Zamlet. 


eutſchland iſt Hamlet! Das macht, er hat zu viel gehockt; 
Ernſt und ſtumm Er lag und las zu viel im Bett. 
In ſeinen Thoren jede Nacht Er wurde, weil das Blut ihm ſtockt, 
Geht die begrab'ne Freiheit um Zu kurz von Aihem und zu fett. 
Und winkt den Männern auf der Wacht, : Er jpann zu viel gelehrten Werg, 
Da fteht die Hohe, blank bemwehrt, | Sein beites Thun iſt eben Denken; 
Und ſagt dem Zaubdrer,dernochzweifelt: | Er ſtak zu lang in Wittenberg, 
„Sei mir ein Rächer, zieh’ deinSchwert! | Im Hörfaal oder in den Schenfen. 
Man hat mir Gift in's Ohr geträufelt!" | Irum fehlt ihm die Entſchloſſenheit; 
Er horcht mit zitterndem Gebein, Kommt Zeit, kommt Rath — 
Bis ihm die Wahrheit ſchrecklich tagt; er ſtellt ſich toll, 
Bon Stund' an will er Rächer ſein | Hält Monologe lang und breit, 
Ob er e8 wirklich endlid wagt? !Und bringt in Verſe feinen Groll;. 
Er finnt und träumt | Stust ihn zur Pantomime zu, 
und weiß nicht Rath ; | Und fällt's ihm einmal ein, zu fechten: 
Kein Mittel, das die Bruft ihm ftähle! So muß Polonius-Kogebue 
Zu einer frifchen, muth’gen That 'Den Stih empfangen — 
Fehlt ihm die friſche, muth’ge Seele! ftatt des Rechten. 


24 


Eo trägt er träumerijch fein Weh', 


Verhöhnt fich felber in’s Geheim; 
Läßt fih verihiden über See, 
Und fehrt mit Stichelreden heim; 
Verſchießt ein Arjenal von Spott, 
Spricht von geflidten Lumpenkön'gen, 
Doch eine That? Behüte Gott! 

Nie bat er Eine zu beſchön'gen! 


Bis endli er die Klinge padt, 
Ernft zu erfüllen feinen Schwur; 
Doh ah — das iſt im. lebten At, 
Und ftredt ihn jelbft zu Boden nur! 
Bei den Eiſchlag'nen, die fein Haß 
Preisgab der Ehmad 

„ und dem Berberben, 
Liegt er entſeelt und Fortinbras 
Rückt klirrend ein, das Reich zu erben. 







Ferdinand Freiligrath. 


Gottlob, noch ſind wir nicht ſo weit! 
Vier Akte ſah'n wir ſpielen erſt! 

Hab' acht, Held, daß die Aehnlichkeit 
Nicht auch im fünften du bewährſt! 
Wir hoffen früh, wir hoffen ſpät: 

O, raff' Dihaufundfomm’zu Streiche, 
Und hilf entfchloffen, weil es gebt, 
Zu ihrem Recht der fleh’nden Leiche! 


Mach’ den Moment zu Nuße dir! 
Noch ift es Zeit — drein mit dem 
Schwert, 
Eh' mit franzöſiſchem Rapier 
Dich ſchnöd vergijtet ein Laert! 
Eh' raſſelnd naht ein nordiſch Heer! 
Daß es für ſich die Erbſchaft nehme! 
O, ſieh' dich vor — ich zweifle ſehr, 
Ob diesmal c8 aus Norweg fäme! 


Nur ein Entihluß! Auf fteht die Bahn — 
Tritt in die Schranken Fühn und breift! 
Den?’ an den Schwur, den bu gethan, 
Und räche deines Vaters Geift! 

Wozu dies Grübeln für und für? 

Doch — darf ich jchelten, alter Träumer? 
Bin ich ja jelbft ein Stüd von bir, 

Du ew'ger Bauderer und Säumer! 


J 





$# EReE 


Robert Eduard Prug wurde am 30. Mat 1816 in Stettin geboren, ſtudirte 
1834--1838 in Berlin, Breslau und Halle Mbilofophie und Geſchihie, Iebte dann als 
Privatgelehrter theils in Halle, theils in Dresden, ging 1841 nad; Zena, mußte jedoch 
feiner oppofitionellen politifhen Anfichten Halber diefe Stadt nad kaum zweijährigem 
Aufenthalt wieder verlaffen. 1846 verlegte er feinen Wohnfig nach Berlin. Bergebens 
fuchte er ſich an einer Univerfität zu habiliren, behördliche und engherzige profefjorale 
Chitane machten dieſe Berfuche ftet3 zunichte. In Berlin wurde ihm felbft die Abficht, 
Vorträge über Litteraturgefchichte zu halten, duch bie Polizei vereitelt. Infolgedeffen 
ging er als dramaturgiſcher Yeiter des Stadttheater? nach Hamburg, blieb tn biefer 
Stelung jedoch nur bis zum Tahre 1848. An Berlin hatte Pruß als einer der glänzend» 
ften und fhlagfertigften Redner des Eonftitutionellen Klubs lebhaften Antheil an ber 
politifejen Bewegung genonmen und ftanb mit in vorberfter Neihe im Kampf gegen 
bie realtionäre Regierung. In feinen Dichtungen nahm er entſchieben gegen das Unter: 
drüdungafgftem der Regierung, gegen bie Anebelung der Preffe und den fpießbürgerlichen 
GSeift jener Zeit Stellung. Die Folge war denn aud das Verbot einzelner feiner 
Gebigtfammlungen, ſodaß er in der Schweiz deren Drudiegung bemerfftelligen mufte. 
Im dem Gedichte „An die Lieder“ (jiche Seite 36) Hat er in treffender Weife hiezu 
Stellung genommen. Als Pruß endlich im Jahre 1849 die Profefjur der Litteraturs 
geichichte in Halle erhielt, zog der gefammte Gelehrtentlüngel einmüthig gegen ihn zu 
Felde, fobap er nach unzähligen Anfeindungen und Chitanen im Zahre 1858 freimillig 
diefem Amte entfagte und mach feiner Laterftadt Stettin überfiebelte. Dort nahm er 
feine öffentlichen Vorträge wieder auf und beſuchte als Wanderlehrer zahlreihe Orte 
Deutfchlands, 6ig er am 21. Zumi 1872 einem langrährigen Leiden erlag. Außer 
Jahfreihen Dichtungen Hat Pruß aud eine Neihe bramatifcher Werke geſchrieben, bejon: 
ders werthooll find aber feine litterarifch-hiftorifchen Arbeiten, 


ze 


PENIS IR 





Der Riniſter. 


les um des Volles willen ! 
Seht, ih lache jelbft im Stillen 
Diefer Bibeln und Poſtillen 
Und daß man fo gläubig ift: 
Ich, für mid, bin Atheiſt! 
Doch das Volk, das Volt muß glauben! 
Glauben heißt der Talisman, 
Dem die Erde unterthan. 
Mir die Adler, fie die Tauben! 
Und das, Volk, das Volt muß glauben, 
Glauben — oder doch fo thun. 


Täglich in die Kirche laufen, 

Himmliſche Tractätchen Taufen 

Und mit Jordanwaſſer taufen, 

Sammt, dem driftlihden Verein — 

Nun, für mich find’s Fafelein. 

Doh das Bolt, das Volf muß beten! 

Denkt, o denkt nur den Ecandal, 

Wenn die Bürger auch einmal 

Gottlos, wie der Adel thäten! 

Nein, das Volk, das Volk muß beten, 
Beten — oder doc fo thun. 


Ja, wenn ih es recht ermeſſe, 

Kann vicleiht ſogar die P cfle 

Für Beamte und Nobleſſe 

Schon ein wenig freier fein. 

Aber für die Anderen? Nein! 

Nein fürwahr, das Volk muß fchweigen, 

Mer gehorchen will, fei ſtumm; 

Schweigend wird das PBublifum 

Stets ih am loyalften zeigen. 

Drum das Volk, das Volf muß fchweigen 
Schweigen — oder doch fo thun. 


DIIER 


28 


R. E. Prutz. 


Kechtfertigung. 


— — 


Man bat die Poefie verklagt, 
Man zürnt mit uns Poeten, 
Daß wir mit ftolgem Muth gemagt, 

Bor unjer Volk zu treten: 

Daß wir gewagt, mit lautem Ton 
Die Schlummernden zu weden, 
Daß wir gewagt, auf ihrem Thron 
Selbſt Könige zu fchreden. 


.Schaut um euch”, jagt man: „Alles ftil! 
Die Lämmer geh'n und grafen, 

Die ganze Welt ift ein Idyll, 

Mas nübt es, Lärm zu blafen? 

Ihr ruft zur Schlacht Tag aus, Tag ein, 
Wer toll die Schlachten fchlagen? 

So laßt do das Trompeten fein, 

Es will ja doch nichts jagen. 


Die Mufe ift ein Weib — mohlan! 

Für Weiber ziemt die Klauſe. 

Mas fiht denn eure Muſe an? 

Was will fie außerm Haufe? 

Maht Verfe wieder, wie zuvor, 

Singt: blühe liebes Veilchen! 

Und findet das fein off'nes Ohr, 

Je nun, fo fchweigt ein Weilchen“ — - 


Und wär’ es auch und wär’ es fo, 
Wir wollen doch nicht ſchweigen! 
Doch in die Lüfte ſtolz und froh 
Soll’n unſre Lieder fteigen! 

Und wären alle Lerchen flumm 
Und alle Nachtigallen, 

So fol die Freiheit doch ringsum 
Bon allen Zweigen jchallen! 


Was? Wenn der Mond am’ Himmel fteht 
Und wenn die Sternlein flimmern, 

Da ſoll auch Hurtig der Poet 

Ein Mondſcheinliedchen wimmern! 

Doch wenn aus Naht und Nebel bricht 
Der Zukunft gold’ne Sonne, 

Da, wollt ihr, fol ber Dichter nicht 
Ausjauchzen feine Wonne ? 





R. E. Pruß 99 


An jedem Hälmchen, jedem Moos 

Soll der Poet fih freuen, 

Er fol die Blumen Hein und groß 

Poetiſch wiederfäuen: 

Doh wie? wenn der Geſchichte Baum ‚ 
Laut rauſcht mit allen Zweigen, 
Das freut euch nicht? das hört ihr kaum? 

Da fol der Dichter ſchweigen? 


Ihr laßt ihn gerne dies und das 

Bon Naufh und Reben fingen, 

Und wenn der Wein fih rührt im Faß 
Sol au die Leier Klingen: 

Doch wenn der Geift, der ew’ge gährt, 
Daß alle Herzen dröhnen, 

Tas bünkt euch nicht Belingens werth, 
Da fol kein Lied ertönen? 


hr hört dem Dichter ruhig zu, 
Singt er von Liebesſchmerzen, 

Ihr Eriegt nicht fatt fein ewig: Tu, 
Du, du liegft mir im Herzen. 

Doh wenn ein Mann zur Liebften fich 
Die Freiheit hat erforen, 

Da dünkt das Lied euch kümmerlich, 
Da Ihmerzen euch die Ihren? 


Nun gut, jo ruticht denn auf dem Knie, . 
So räudert eurem Fetifch, 

Und klagt, die neue Poeſie 

Sei gar zu unäftbetifch: 

Wir fümmern uns den Teufel drum, 

Wie man uns kritifire, 

Und ob, ein feines Publifum 

Uns höchlich degoutire! 


Dich, deutiche Jugend, dich allein, 
Did ſuchen diefe Lieder. 

Dein Obr ift wach, dein Herz ift rein, 
Dein Bufen ballt fie wieder. 

Die Jugend nur, die Jugend nur, 
Die Jugend ſoll uns hören, 

Und nit Kritif und nicht Zenſur 
Soll unſ're Lieder ftören! 


wer 





80 


nd muß es denn und muß es fein ı Du gebt, o Freund, nicht thränenlos, 
Und müffen wir uns trennen, | O laß fie, laß fie rinnen! 


N. E. Prup. 


Barum? 


är' e8 ein Roß, das mit verhängten Zügeln 
Erdwärts den Reiter fchleudert aus den Bügeln: 
Die Mähne fliegt, die heißen Nüftern dampfen, 
Die Adern beißt es mit dem eignen Bahn, 
Kings dröhnt das Thal von feiner Hufe Stampfen 
Und, gleih dem Sturmmwind, fliegt e8 feine Bahn: 
Mär’ es ein Roß, ihr würdet es nicht wagen, 
Zum Stall zurüd das freie Thier zu jagen. 


Mär’ es ein Eturm, was jcht die Erbe rüttelt, 
Mit eh’rner Kauft der Bäume Kronen fchüttelt: 
Da kracht der Wald, da flürgen eure Mauern, 
Da Ihäumt der Gießbach durch die wüſte Flur, 
Und athemlos, als wie in Fieberſchauern, 
Gebeugten Knies, laufcht zitternd die Natur: 
Mär’ es ein Sturm, mit ängftlicher Geberde, 
Das Haupt befreuzend, lägt ihr an der Erbe. 


Ja wär's ein Feu'r, was durch die Welt jegt [odert 
Und unerbittlich feine Opfer fordert: ü 
Hoch wallt der Dampf und Iuft’'ge Funken ſprühen, 
Beihwingte Drachen, durch die Nacht daher, 

Die Erde feht ihr, jeht den Himmel glühen, 

Wohin ihr Schaut, ein einzig Flammenmeer: 

Ja wär's ein Feuer mit gefenkten Händen, 

Ihr grimmig Werk ließt ihr die Gluth vollenden. — 


Und doch das Roß ift nur ein Thier, nichts weiter, 
Und leicht bezwingt es der gewandte Reiter; 

Lahm wird der Sturmwind, mit gebroch'nen Schwingen, 
Ein müder Vogel, finkt er in den Sand; 

Und wenn des Waflers linde Quellen Ipringen, 

Erliſcht zulegt der fürdhterlichite Brand. 

Die ihr euch feig vor Roß, Sturm, Feu'r bewiefen, 
Den freien Geift, warum befämpft ihr diejen? 


se 
>> Adfieb. 3 


Einem Auswanderer. 


Wohlan, jo ſchenkt no einmal ein ı Denn ach! von deiner Mutter Schooß, 
Und laßt noch einmal zu dem Wein ! Tu reißt vom Vaterland Dich los, 


Die Herzen lodernd biennen! Ein neues zu gewinnen! 








NR. €. Prutz. 31 


Bon fremder Küfte, ſtolz und frei, | O dürften wir in deinem Lauf, 
- Die Wälder hörſt du raujchen; O dürften wir dich halten! 
Wilft gegen feid’ne Sklaverei, | Und dürften fagen: fchau, hinauf! 
Milft gegen bunte Lieverei Da fteigt die Sunne ſchon herauf, 
Die nadte Freiheit taufchen. Der Tag will fich entfalten! 
’ Umfonft! noch fäumt das holde Licht, 
Du bift es jatt ein Knecht zu fein, 
f = Noch find die Herzen bletern, 
Und frei dich nur zu träumen, Noch rühren fi bie Släfer nicht, 


Du bift es faıt, mit Heuchelein 
3 € ' * Noch iſt das Höchſte ein Gedicht 
Mit gold'ner Worte Flitterſchein Das bie Woeten leiern! 


Die Kette zu umjäumen. 
. ton } 
Du biſt des eignen Boltes fat, | "goh uk ein Miocgm tagen 
Der ſchmachgewohnten Seelen: | Ha bricht die Freiheit Rolz herein, 
Des Volkes, das, zum Handeln matt, | Da wird bei Sa, ba wird bei Nein, 
Gelehrte nur und Dichter hat Da wird das Joch zerfälagen! 


Und dem die Männer fehlen! 
Ein Tag, wo die Trompete klingt, 





Du wirft nit glüdli werben, nein! Die Männer anzumerben! 
Auch nicht im freien Lande. Es kommt ein Tag, der, 
Doch willft du lieber elend fein, fturmbefchwingt, 
Im fremden Land, ftumm undallein, | Zurüd in unjern Arm dich bringt, 
Als Knecht im Vaterlande. Zu fiegen und zu fterben! 
who 


>> Bilfigkeit. I+ 
ein, fietaugt nicht, unire Jugend! | Swarz und Weiß, bas find Ertreme, 
Nein, ihr fehlt die befte Tugend, | Grau, das iſt das Angenehme, 





Ihr gebricht die Billigfeit. Das fo Schwarz wie Weiß enthält. 
Herzlich lieben, herzlich haſſen, Jede Sache bat zwei Seiten, 
Sa, in Bücher mag es paflen; Ueber jede läßt fich ftreiten; 


Doch als Menſch muß man fi faffen | Anders denken andre Zeiten 
Und die Wahrheitfommtnicht weit: Und das Neueite gefällt: 


Seid doch billig! Seid doch billig! 
Seid doch willig! Seid doch willig! 

Jedes Ding hat feine Zeit. Billigfeit regiert Die Welt. 
Allzuſcharf, wißt ihr, macht ſchartig. Seht, ihr felber werbet älter, 
Tabeln dürft ihr, aber artig; Eure Herzen werden kälter 

Räſonniren, aber ſacht! Und das Lebensöl verbrennt. 


Flüſtern müßt ihr, niemals ſprechen, Eure Warte werden feiner, 
Immer biegen, niemals brechen, Eure Wunſche werden Kleiner, 
Jeder Menſch hat feine Schwächen, | Werbet noch wie Unfereiner, 


Seder Tag bat feine Nacht: Ordensband und Rathspatent! 
Eeid doch billig! Drum hübſch billig! 
Seid doch millia ! | Drum hübſch millig! 


Nehmt die Billigfeit in Acht! Ober ſonſt, po Sapperement ... 
—XS 


82 


N. € Prup. 


Den Bodten. 





d 


nd wenn die Welt, die taube, mich verlacht 
Und wenn die. Lebenden nicht hören wollen: 
Eteigt ihr herauf aus cures Grabes Nacht, 
Ihr Blutigen, ihr Narbenvollen! 
's ijt Mitternadht: das iſt die rechte Stunde, 
Da wird getanzt, gewürfelt und gezecht: 
Kommt, tretet ein! Enthüllet eure Wunde, 
Sept euch heran! und ſprecht aus ſtummem Munde 
Bu diefem tändelnden Geſchlecht! — — 


Wie nun? Nicht wahr? Es Sieht fi garſtig an, 
Das bischen Menſch, wenn fie's zu Grabe trugen? 
Euch ekelt, nit? — Und doch war es ein Mann, 
Dem warm, wie euch die Bulje fchlugen! 
Der an dem Leben heiß, wie ihr, gehangen, 
Der gierig au um jede Blüthe warb, 
Der au ein Weib, der Kinder auh umfangen — 
Und der doch Lächelnd in den Tod gegangen 
Und der mit Freuden dennoch jtarb! 


Für wen? Für wen? D Fluch auf eu! für wen? 
Mer rief fie auf, wer führte fie zum Streite? 
Mer ließ fie feit im Kugelregen ſteh'n, 

Als ob es Rojenblätter fchneite? 
Wer war der Gott, der leuchtende der Schlachten? 
Bor wem verichwand des Grabes Finfterniß? 
Und als die Donner der Kanonen Frachten, 


"Mer war es, wer, an den die Herzen dachten, 


Noch da die Kugel fie zerriß? 


Ihr wart es nicht — o nein! wo waret ihr? 

Das dumme Volk liegt ihr voranmarjchiren 

Und binktet nah, mit Feder und Papier, 
Die Bulletins zu ftylifiren. 

Was Icheeren euch die Bürger, die Soldaten? 

Futter für's Pulver, dazu find fie da! 

Und während furchtlos fie im Blute mwaten, 

Verſchachert ihr Nationen, jchneidert Staaten 
Und ſchreit zulegt Victoria! — 


Sie aber wandelten vol Heldenmuth, 
Für Recht und Freiheit freien Tod zu ſierben; 
Sie dadten nicht mit ihrem rothen Blut 

Nur Königsmäntel neu zu färben. 








N. E. Pruß. u 33 


Sie wollten es als Opferwein vergießen, 
Für's Vaterland, für den entweihten Herd: 
Durch alle Adern ſollt' es lodernd fließen, 
Die Freiheit ſollt' aus ihrem Blute ſprießen, 
Gleich wie vom Himmelsthau genährt! 


Und nun? und nun? Weh meinem armen Land, 
Das jelbft das Blut der Bürger nicht befreite! 
Für das umſonſt, den Degen in der Hand, 
Die Jugend fih dem Tode meihte! 
Eie wollten Rojen ſä'n, — und fäten Kletten, 
Tag ſollt' es werden — und es wurde Nacht: 
Auf ihren Gräbern wieder klirren Ketten, 
Und wieder jest, das Vaterland zu retten, 
Bedarf es einer neuen Schlacht! -- 


Und ift umſonſt die größte That gefcheh’n, 
Und find umjonft die Edelften gefallen: 
Mas jolen nun die ſtolzen Maufolern, 
Die Obelisfen und Walhallen? 
Das ift die Art, wie Kön’ge ſich bedanken! 
Auf Herz bei ihnen reimet Erz allein: 
Und alles Blut, das diefe Felder tranfen, 
Und alle Herzen, die zu Aſche ſanken, 
Bezahlen fie mit einem Stein! 


Es jei, wohlan! Vollendet wird die Zeit 
Und höher jhon die Schatten ſeh' ich ragen. 
Dem Tod aud ihr, auch ihr jeid ihm geweiht, 
Auch euch läßt fih der Wurm bebagen! 
hr werdet hingeh'n — aber ohne Klage! 
Kein Auge wird bei eurem Tod genept: 
Frohlockend hebt, mit freiem Flügeiſchlage, 
Die Freiheit fih aus eurem Sarkophage 
Ihr oder wir, wer lacht zulegt? 


har 


Sonntagsfeier. 


as jchwebt dort auf des MWohllauts Schwingen 
Zu mir berüber durch die Luft? 
Ich hör’ es raufchen, hör’ es Flingen 
In ſüßem morgendlidem Duft: 
Das ift die Orgel, find die Gloden 
Und der Pofaunen erniter Klang, 
O horch, Nie laden mich und loden 
Zu einem längft entwöhnten Gang. 





84 





R. €. Prutz. 


Sieh, vor der Kirche, welch' Gebränge! 
Bom Staub des Werkeltages rein, 
Drängt Alt und Yung, in bunter Menge 

Sich in das Heiligthum hinein: 
Und bier, im jonntägliden Kleide, 

Den Kranz im glattgeftrichnen Haar, 
Geſenkten Aug’s, doch Augenweide, 

Der Jungfrau'n wunderholde Schaar. 


Ste geben all’ mit leifen Schritten, 
Ermwägend ihres Herzens Noth; 
Sie wollen beten, wollen bitten 
Um Haus und Hof und täglih Brot: 
Daß fi die Krankheit endlich wende, 
Daß auf dem Feld die Frucht gedeih' 
Und daß die Arbeit ihrer Hände 
Mit gutem Zins gefegnet ſei. 


D Wahn des Glaubens, ſüße Stille, 
In der das Herz fich jelbit verlor, 
Du meiner Kinderwelt Ydylle, 
Mas fteigft du heute mir empor? 
Und würde mir die Welt zu eigen 
Und neigten alle Sterne fi: | 
Ich könnte doch mein Knie nicht neigen, 
Nicht deine Pjalmen rühren mid! — 


Denn and’re Glocken hör’ ich tönen. 
Ein and’res Lied fteigt himmelwärts 
Und anders firömt mit mädt’gem Dröhnen 
Drommetenktlang mit in das Herz! 
Wir ftehen auch gedrängt in Schaaren 
Wir Männer, die der Tag ermwedt; 

Doch feinen Kranz in unfern Haaren, 
Mit Myrten nur das Schwert bebedt! 


Wir glauben auch an einen Morgen, 
An einen Sonntag hell und licht, 
Der, blöden Augen noch verborgen, 
Die Mollen endlich doch durchbricht! 
Wir beten auch — unausgeſprochen, 
Ein Haud, der unf’re Bruft durchweht, 
Ein ftummer Shmwur, ein Herzenspochen, 
Und eine That — das ift Gebet! 


Drum folt ihr uns nicht gottlos ſchmähen, 


Nennt uns nicht Keber, treibt nicht Spott: 
Auch hier, wo unf’re Fahnen wehen, 
Der freie Geift ift auch ein Gott! 








N. E. Prutz. 85 


Von allem Finſtern, allem Böſen, 
Bon Sklavenketten groß und klein, 

Er wird noch einmal uns erlöfen, 
Noch einmal unſer Heiland fein. 


Laßt denn geduldig, ohne Grollen 

Uns wandeln auf verſchiednem Pfad: 
Sei jeder nur getreu im Wollen, 

Nur jeder männli in der That! 

Dann deinen Gläub’gen, deinen Frommen, 
Mit Liederflang, mit Schwerterfchlag, 
Dann wirft auh du uns endlih kommen 
Du, unjer Sonntag, Freiheitstag! 


Ir 


Entſcheidung. 
Da bin! ſchon peiticht mit naflen Flügeln 


Der Sturm das aufgeregte Meer, 
Schon wälzt auf grauen Wafjerhügeln 
Begierig fih der Tod einher. 
Was wir fhon lange drohen fah'n, 
Kun ift es da, nun laßt das Jammern! 
: Nun an den allerlegten Span 
Mit trog’gen Händen laßt uns Fammern! 


Den Feigling müflen wir bedauern, 
Der einzig nur fein Leben ſchätzt, 
Der es nicht froh, mit Wonnelchauern, 

An eine große Sache ſetzt! 
Der lieber ftil am Ufer liegt 
Und mit den Schmetterlingen gaufelt, 
Als daß er mit dem Sturme fliegt 
Und fih dem Tod entgegen ſchaukelt! 


Doch wo die Wellen toſend Tchlagen 

Hoch über dem empörten Grund, 
Da fühlt in göttergleihem Wagen 

Ein männlid Herz fih erft geſund. 
Drum fröhlich in den Kampf hinein! 

Wer fiegen will, muß fterben können: 
Ja, jol das Leben recht gedeih'n, 

Muß man dem Tode aud) was gönnen. 


a2 0 


3 


86 R. E. Prutz. 


An die Lieder. 


Wan fo ſchwebt denn, meine Lieder, 
Aus der Heimath ihr verbannt, 
Schwebt auf tönendem Gefieder 
In das freie Schweizerland: _ 
Frei, troß Pfaffenlift und Fehde, 
Frei, trog Dämmerung und Nacht, 
Dennoch frei! weil unj’re Rede 
Dort kein Cenſor überwadt! 


Zwar ihr ſtammt aus deutſchem Herzen 
Wurdet groß an deutiſchem Herd, 
Deutſche Luft und deutſche Schmerzen 
Haben wechjelnd euch genährt: 
Doch was Hilft’s? Ihr ſeid gewogen, 
Aber ach! zu leicht erfannt: 
Seid ihr doch nicht zwanzig Bogen! 


Und fo müßt ihr aus dem Land | 


Schwebt denn hin wo zu den Sternen 
Sich die Alpe kühn erhebt, 

Wo in blauen Himmelsfernen 
Freien Flugs der Adler jchwebt! 

Bon den Stürmen lernt das Saufen, 
Das die MWaldung niebermäht, 


Bon den Strömen lerntdas Braujen, 


Dem fein Felien widerfteht! 


Horcht, o horcht dem Alpenreigen, 
Der das tieffte Herz durchdringt, 
Und den Schweizer, ach! jo eigen 
Heimwärts in die Berge zwingt: 
So, wie heimathlide Sloden, 
Wie ein Alphorn jüR und weid, 
So zur Freiheit folt ihr loden 
Das verirrte deutſche Reich! 


Bis der Zukunft Rojen blühen 
Nach der winterlihen Nacht, 
Bis, wie prächt'ges Alpenglühen 
Morgenroth der Freiheit lacht! 
Bis, wie Donner der Laminen, 
Teutihland jeine Ketten jprengt. 
Bis ein neuer Tell erjchienen, 
Und die That das Lied verdrängt! 


RE 








— Jakob Audorf. — 


Jakob Auvort wurde am 1. Auguſt 1835 in Yamburg als Sohn des Haar⸗ 
tuchweberd Jakob Audorf geboren. Er befuchte die Armenſchule, um ſodann das Schlof- 
ferhandiverf zu lernen. Durch eifernen lei verftand e8 Nudorf, die mangelhaften 
Kenntniffe, bie er fih in der Schule erworben hatte, zu vervollftändigen und fein jaht- 
jeßntelanger Aufenthalt in der Schweig in Frankreich und befonders in Ruflanb ver: 
fhaffte ihm Gelegenheit,‘ auch in fprachlicher Beziehung ſich weitgehende Kenntniffe ans 
queignen. 1864, anläßlid der Tobtenfeier fir Ferdinand Laffalle, verfaßte Audorf 
ienes unfterbfiche Zied, das unter dem Namen „Deutfche Arbeiter-Marfeillaife” Gemein: 
gut be3 arbeitenden volles demſcher Zunge geworden ift (Seite 40). 1868 trat er in 
Die Redaktion des „Yamburg-Altonaer Volfsblattes ein, gab feine Stellung jedod in 
Folge ber politifchen Meinungserfcjiebenheiten, die durch die fog. Moft-Haffelmann'fche 
Richtung in der deutſchen Sogialbemofratie fid geltend machten, wieder auf und Tehrte 
nad) Rußland zurüd, mofelbft er bis zum Jahre 1887 in verfchiebenen Stellungen ver- 
Bfieb. 1887 nad) Samburg zurüdgelehet, trat Audorf in die Redaktion des „Hamb. 
Echo“ ein, ber er bis zu feinem am 20. Juni 1898 erfolgten Tode angehörte. Seine 
Sebicte erfehienen 1893 im Berlage von I. 9. W. Diek in Stuttgart. Treffend Heißt 
& in der feinen Gedichten vorangefekten Biographı Er Hat aus ben Empfin: 

dungen feiner Arbeits: und Gefinnungsgenofien heraı eimeg” gejungen, was die 
Arbeiterfpaft Deutichlands bewegt. . . . Alle Lieder Audorf's durchzieht ein wohlthätt- 
ger Hauch) von Wahrheit und Gefunbheit; ba find Feine gemachten Gefühle; das ift alles 
echt und aus dem vollen Leben Heraus gefehen, gehört, empfunden, und Yunftreich wieber 
Herauägeftelft zu unnerfliötem — für Hörer und ee. * 
















ENT LET 





Fahnenlied. 


(Hier unſer Banner, hier unſ're Ehre ") 


urpurroth als Bundeszeichen, 
Fahne, wehe uns voran! 
Wollen uns die Hände reichen 
Dir zum Treufhdwur Mann an Mann! 
Tröftend in bes Lebens Tüden 
Leuchte uns dein Purpurroth, 
Wo die Arbeit man will drüden, 
Schütze unfer täglich Brot! 


Purpurroth, ala Liebeszeihen 

Sollit du frei in Lüften weh’n, 
Knorrig wie bes Waldes Eichen 
Wollen feft wir zu bir ſteh'n; 

Und ob dich auch noch verfehmet 
Feigheit, Lift und Niedertracht, 

Wo das Volt ſich bärmt und grämet, 
Tröfte deiner Farbe Pracht! 


Purpur war in alten Reichen 
Herrſcherzier auf gold’'nem Thron; 
Sept ift dein Dies ſtolze Zeichen, 
Dein, du Proletarierfohn! 

Man wird tapfer vorwärts ringen, 
Hebt fich früher oder ſpät 

Aus den ärgſten Schergenihlingen 
Stolz die Volfesmajeftät! 


Burpurroth drum wehe, walle, 
Fahne du in unjern Reih’n, 

Und ein Donnerruf erjchalle: 
Roth fol unfer Banner fein! 
Menfchenliebe, Freiheit, Friede, 
Schreiten jegnend durch die Welt, 
Wo man froh im freud’gen Liede 
Hoch das rothe Banner hält! 


u 2 


40 


Jakob Audorf. 


&ied der deutſchen Arbeiter. 


(1864.) 


Wohlan, wer Recht und Wahrheit achtet, 
Zu unſ'rer Fahne ſteht zu Hauf! 
Wenn auch die Lüg’ uns noch umnachtet, 

Bald ſteigt der Morgen hell herauf! - 
Ein ſchwerer Kampf ift’s, den wir wagen, 
Zahllos ift unfrer Feinde Schaar, 
Doch ob wie Flammen die Gefahr 
Mög” über uns zuſammenſchlagen, 

Nicht zählen wir den Feind, 

Nicht die Gefahren al’: 

Der kühnen Bahn nur folgen wir, 

Die uns geführt Laſſalle! 


Der Feind, den wir am tiefiten haſſen, 
Der uns umlagert ſchwarz und dicht, 
Das ift der Unverftand der Maffen, 
Den nur des Geiltes Schwert durchbricht. 
Iſt erft dies Bollwerk überitiegen, 
Wer will uns dann noch mwiberftehn? 
Dann werben bald auf allen Höh'n 
Der wahren Freiheit Banner fliegen! 
Nicht zählen wir den Feind, 
Nicht die Gefahren al’: 
Der kühnen Bahn nur folgen wir, 
Die uns geführt Laſſalle! 


„Das freie Wahlrecht ilt das Zeichen, 
In dem wir fiegen”; — nun, wohlan! 
Nicht predigen wir Haß den Reichen, 
Nur gleihes Necht für Jedermann. 
Die Lieb’ jol uns zujammentetten, 
Wir ftreden aus die Bruderhand, 
Aus geift’ger Schmach das Baterland 
Das Vol vom Elend zu erretten! 

Nicht zählen wir den Feind, 

Nicht die Gefahren all’: 

Der Fühnen Bahn nur folgen wir, 

Die uns geführt Zaffalle! 


Bon uns wird einft die Nachwelt zeugen: 
Schon blidt auf uns die Gegenwart. 
Friſch auf, beginnen wir den Reigen! 
Sit auch der Boden raub und hart. 





Jakob Audorf. 41 


Schließt die Phalanx in dichten Reihen! 
Se höher uns umraujcht die Fluth, 
Je mehr mit der Begeift’rung Gluth 
Dem heil'gen Kampfe uns zu weihen! 
Nicht zählen wir den Feind, 
Nicht die Gefahren al’: 
Ter Fühnen Bahn nur folgen wir, 
Die uns geführt Laſſalle! 


Auf denn Gefinnungstameraden, 
Befräftigt heut’ aufs Neu den Bund, 
Daß nicht die grünen Hoffnungsfaaten 
Geh'n vor dem Erntefeit zu Grund. 
SM auch der Säemann gefallen, 
In guten Boden fiel die Saat: 
Uns aber bleibt die fühne That, 
Heil’ges Vermächtniß fei fie allen! 

Nicht zählen wir den Feind, 

Nicht die Gefahren al’: 

Der fühnen Bahn nur folgen wir, 
. Die uns geführt Laſſalle! 


fe 
Das fumme Königreich. 


(1889.) 


Ds herrſcht ein König voller Macht 
Gar über viele Leute, 

Er führt fie nicht zu Kampf und Schlacht 
Und macht doch reiche Beute. 
Den Bienen glei, ein dunkler Schwarm, 
So ziehen fie zur Zeche 
Und fräftig ftredt des Handwerksarm 
Die Stahl- und Eifenbleche, 

Soft iſt's ftumm, ringsum, 

Im Königreihe Stumm. 


Der ſchwere Eiſenhammer ſtöhnt 

Und ſenkt ſich wuchtig nieder, 

Daß ringsherum die Erde dröhnt, 
Erſchütternd alle Glieder 

Den Männern, die bei weißer Gluth 
Der Oefen Rachen ſchüren, 
Halbnackend, ſchwitzend bis auf's Blut, 
Die Eiſenklötze führen. 

Sonſt iſt's ſtumm, ringsum, 

Im Königreiche Stumm. 


42 


Jakob Auborf. 


— — — — 


Der König ſpricht: „Ich ſorg' für euch, 
Stets könnt ihr auf mich zählen, 
Dafür dürft ihr in meinem Reich 
Auch feinen andern wählen! 
Was wäre, wenn man mich nicht hätt’? 
Zwar habt ihr freien Willen, 
Jedoch ſchlag' ich an's ſchwarze Brett, 
Die meinen nicht erfüllen!“ 

Da iſt's ſtumm, ringsum, 

Im Königreiche Stumm! 


„Ob Lehrer oder Lieferant, 
Ob Säugling in der Windel, 
Wer ſelber denkt in meinem Land, 
Der ſchnür' nur gleich ſein Bündel! 
Ich bin ein Herricher mädtig, groß! 
Def find mir Taufend Zeugen, 
Sn meiner Hand nur ruht ihr 2008, 
Daß ftumm fie mir fih beugen!” 

Und ftumm ift e8 ringsum 

Im Königreihe Stumm! 


Stumm iſt's ringsum im Königreich), 
Wie man auch pocht und hämmert, 
Ob auch in manden Köpfen gleich 
Es ſchon allmählih dämmert: 
„Zwar herrſchet noch das ſchwarze Brett, 
Wir hHämmern und wir jchmweißen; 
Doch kommt die Zeit, die macht es wett, 
Dann wird es nicht mehr beißen: 

Und ftumm ift es ringsum 

Im Königreide Stumm!" 


w⸗⸗ 
Ans der Gegenwart. 


Di: freie Selbftbeflimmung! Hehrer Klang, 

Deb voller Inhalt Menſchen macht zu Göttern, 
Der dumpf erbrauft in wilder Wogen Drang, 
Blipleuchtend zudt aus dunkeln Sturmeswettern, 
Wo find’ ih dich in unjrer Erde Sein? 

Wo dih in unfrem Wirken, Schaffen, Streben? 
Wo find’ ich, Freiheit, di, die du allein 
Das Glück uns kannſt und wahren Frieden geben? 


Siehft du den Mann mit fchon ergrautem Haar? 
Vom Eifenftaub geſchwärzt find Wang’ und Hände; 
Im Rauch des Schlotes fchafft er Jahr um Jahr, 
Bon Jugend auf bis an fein Lebensende; 





Jakob Audorf. 48 


—— — — — — — — —— 


Nun, da fein mühſam Tagewerk vollbracht, 
Trägt er in's ferne Dorf die müden Glieder, 
Zu ruhn, bie er beim Hahnenſchrei erwacht, 

Da brebt für ihn ber. Tretmühl' Rad fich wieder. 


Frag’ ihn: Sag an, wie famft du zur Fabrik? 
War es dein eig’ner Wunſch, warft du gezwungen? 
Antworten wird er dir mit trübem Blid: 

„IH kam dazu wie alle andern Aungen; | 
Ich war noch Klein, ging faum in’s zwölfte Jahr, 
Da hat mein Vater mich einft mitgenommen; 

Er frug mich nie, ob es mein Wille war, 

So find wir, glaub’ ih, Alle hingekommen!“ 


Frag’ dort den Tagelöhner binterm Pflug, 

Er wird Dir faſt diejelbe Antwort geben: 

„Die Armuth meiner Eltern war der Fluch, 

Der mich gehemmt an jedem Höherſtreben!“ 
Frag’ Steben, ob er felber frei ſich ſchuf 

Des Lebens Laufbahn einft in feiner Jugend, 

Ob er au wirkt in dem, was ihm Beruf, 

Und nicht nur aus der Noth macht eine‘ Tugend? 


Wohin wir bliden, nichts ala Sklaverei, 

Hier in der Stumpfheit, dort im wilden Jagen 
Nah Reichthum und Gewinn, um forgenfrei 
Noch nicht zu fein, jelbft in des Alters Tagen! 
Und dennod fingt man uns bas Jubellied: 
„Der Menſch ift frei und dies der Welten beſte“. 
Diemweil er lebelang im Joche zieht, 

In das hinein man ſchon ale Kind ihn preßte. 


Das preißt als Freiheit man im heut’gen Staat, 
Das iſt die vielgerühmte Selbftbeflimmung, 

In der der Menſch Anſpruch auf Würde hat, 
Selbft in ergebenfter Rüdgratsverfrümmung! 
Das nennt man Selbitbeftimmung, die befugt, 
Durch Schwindel Millionen zu verdienen, 

Indeß fie hoffnungslos vom Webftuhl Iugt 
Hohläugig aus des Hungertyphus Mienen! 


Geht doch mit euren Phrajen, geht, ihr Herrn, 

Ihr tanzt den Reigen vor dem gold’nen Kalbe! 
Mit Schönen Worten Ihmüdt ihr ftets euch gern, 
Doch eure Freiheit ift nur eine halbe! 

So lang’ ein Jeder nad Befit nur firebt, 

Der doch zu Theil wird wen'gen Auserwählten, 

So lang’ das Kapital die Krallen gräbt 

In's Fleiih der Armuth, der zu Tod gequälten, — 





44 


Jakob Audorf. 


So lange bleibt es uns ein leerer Klang, 
Bom freien Sebfibeftimmungsredt zu fprechen, 
So lange herrſcht nur Uebermuth und Zwang, 


.Bi8 doch zuleßt der Arbeit Feſſeln brechen: 


Bis endlich, endlich ab die Schwere Lat 

Die Arbeit wirft und ihre Hungerforgen, — 

Wenn jeder Menſch der Erde gleicher Gaft, 

Dann erft beginnt der wahren Freiheit Morgen! 


2 
ZFeinrich Keine. 


(September 1856.) 


u Grabe trug man Heinrich Heine, 
Den Helden der deutihen Poeſie — 
D, weine, Deutichland, weine, weine! 
Sol’ zweiten Dichter zeugft du nie! 
Sn feiner bunten Liedermenge, 
Die wie ein Strom dahin geraufcht, 
Da wogten Töne, bebten Klänge, 
Die der Natur er abgelauſcht. \ 


Das waren nicht gereimte Worte, 

Das athmete wie Maienluft: 

Das war ein Zweig, der nie verborrte, 
Umhaudt vom würz’gen Waldesduft. 
Das macht ihm jedes Herz zu eigen, 
Und Hang fo hell, jo glodenrein, 

Das bebte froh wie Elfenreigen, 

Im mitternädt’gen Mondenſchein. 


So mar fein Lied. Doch wenn er mächtig 
Die blumumfränzte Streitart ſchwang, 
Wie blitzte die jo hell und prächtig 

Im ESonnenftrahl, fo Scharf und blanf. 
Ein wad’rer Kämpe zum Gefechte 

Zog er dann hochbegeiftert aus, 

Und für der Menjchbeit beil’ge Rechte 
Beftand er manchen harten Strauß. 


Schon bier auf diefer Ichönen Erden 
Wollt’ er uns einen Himmel bau'n; 
Hier jollten wir ſchon felig werden, 
Nicht Hoffend auf ein Senfeits ſchau'n. 
Für diefe Welt find wir gejchaffen 
Mit unferm Leib, der Gott entitammt ; 
Drum kämpft’ er wider jene Pfaffen, 
Die alles Irdiſche verdammt. 





Jakob Audorf. a 45 


Wie? Uns nur auf den Himmel weiſen, 
Mo wir dereintt in Seligfeit 

Gott ſollen loben noch und preifen 

Für alles bitt're Erdenleid? 

Befreien wollt’ er die Gemüther 

Bon folhem Wahn, der fie bethört: 

Ein gleihes Recht an alle Güter, 
Das ift es. was er uns gelehrt! 


Tas leudtet klar durch feine Lieder, 
Wie froh bewegter Sonnenftrahl! 

Das gab uns unſrer Erde wieder, 
Tem lang verichrienen Jammerthal. — 
So ſchlug er nieder die Philifter 

Mit feinem Geifte, feinem Spott, 

Und fämpfte als ein Hohepriefter 

Für feine Lehre bis zum Tod. 


Uns Freunde, war e8 nicht beichieden, 
Ihm Blumen in fein Grab zu ftrewn. 
Er ſchläft jet fill den ew’gen Frieden, 
Kann nit mehr unjern Feinden dräu'n; 
Doch ewig wird fein Name glänzen 

In unſrer großen Männer Reih'n! 
Drum lapt fein Bildniß uns umkränzen, 
Laßt ewig ihm uns dankbar fein! 


 - 
Zum Sodestage Robert Blum’s. 


(In den fünfziger Jahren wurde aljährli am 9. November in Frankfurt a M. zum Gedächtniß an 
die Erſchießung Robert Blum's (9. November 1849) von unbefannter Hand eine ſchwarze Fahne aufgeflanzt.) 


anz nah am Sachſenhäuſer Strande 
Steht eine Hütte, eng gebaut, 
Feſt wurzelt fie im Uferjanbe, 
Und iſt vor Alter ſchier ergraut; 
Gar man’ Geſchlecht jah fie erblüh’n, 
Gar manden Sturm vorüber zieh’n, 
Doh immer fteht fie unerjchüttert 
Im Sturm, der fie auch heut! ummittert. 


Des Mainftroms dunfle Wellen raufchen, 
Sie fliehen vor des Sturmes Macht, 

Durch wild zerfegte Wolfen laufchen 
Einjame Sterne dur die Nadt. 

Sm Schwarzer Wollen ſich're Hut 

Birgt Vollmond feine Silbergluth, 

Und duch der Winde heulend Stürmen 
Schallt Mitternaht von Frankfurts Thürmen. 


46 


Jakob Audorf. 


Des Tages Mühe drüdt im Traume 
Gar jüß die müden Augen zu: 
Auch in der Hütte engem Raume 
Begab fih Alles längit zur Ruh’; 
Der Vater nur allein noch wacht, 
Bald horcht hinaus er in die Nacht, 
Bald beugt hinab er fi zur Wiege 
Belaufcht der Theuren Athemzüge. 


Sie ſchlafen feſt — drauf rüftet leiſe 

Der Fiſcher fih zur nächt'gen Fahrt, 

Und eilt hinaus, wo ſchon zur Reife 
Längſt fertig ihn fein Sohn erharrt; 
Smpfiehlt fein Haus des Himmels Schuß, 
Und Wind und Wetter baß zum Trutz, 
Weiß jchnell mit weiterfeften Händen 
Hinaus den Nahen er zu wenden. — 


Wo treibt did hin dein ruhlos Sinnen, 
Du Filhersmann jo treu und gut? 
Trog’ft du um zeitlihes Gewinnen 

In folder Naht des Sturmes Wuth? — 
D nein! — ihm glänzt ein höbher Biel, 
Sein Herz belebt ein fromm Gefühl, 
Ein heißer Drang, der Welt zu nüßen; 
Ein guter Genius mög’ ihn fügen! -- 


Er aber ftemmet in die Wogen 

Des Ruders Kraft mit frobem Muth, 
Bis vor ihm fi die Brüdenbogen 
Schwarz gähnend heben aus der Fluth; 
Und in den Ring im Mauerftein 

Hängt er gewandt die Ketten ein, 

Damit der Nachen feft verbleibe, 

Und nicht der Strom ihn abwärts treibe. 


„Sieht du den Kaiſer Karl dort ragen?" 
Der Fiſcher ſpricht's mit ernftem Blid, 
„Jetzt gilt es no ein fühnes Wagen, 
Dann fahren wir aetroft zurüd. 

Uns ſchutzt die finft're Wetternacht! 

Hier ift die Fahne, frifh gewagt! 

Auf des Karolus Kronenzade 

Pflanz’ dieſe ſchwarze Trauerflagge!" 


Und mit des Wurfes fund’gen Händen 
Zur Brüde auf das Seil er jchwingt, 
Wo in der Brüftung zad’gen Enden 
Des Seiles Hafen feft fi fchlingt; 


\ 
r 





Jakob Audorf. 


Und an bemfelben, Hand um Hand, 
Erflimmt die fteile Brüdenwand 
Der kühne Buriche, bis er oben 
Hinaus Iugt in bes Wetters Toben. 


Rings um ihn ift die Welt entichlafen, 
Die Mache lehnt im Schilderhaus, 
Stil und verlafjen liegt der Hafen, 
Der Knabe aber horcht hinaus 

Und fleigt hinauf zum SKaijerbild; 

Ob aud fein Herz ein Grau'n erfüllt, 
Daß ihn des Vaters Lob belohne, 
Schmüdt mit der Flagge er die Krone. 


Feſt ſchürzt er noch den lebten Knoten, 
Da padt den Knaben wilde Luft; 
Daß er vollbracht, wie ihm geboten, 
Lodt ihm ein Jauchzen aus der Bruft; 
. Do die Gefahr mahnt ihn zur EiV, 
Leicht wie ein Pfeil eilt er zum Seil, 
Und jchneller als er es erflommen 

Sit er vom Vater aufgenommen. 


Und als fie heim die Fahrt nun leiten 

Und hoch die Fahne flattern jeh'n, 

Da will des Mannes Herz fich weiten, 

Er fann dem Drang nicht widerfteh'n: 

„Du Himmelslicht, birg’ deine Gluth, 

Brauf’ fort du Sturm — ſchäum' auf du Fluth, 
Erhebet eure Donnerftimme, 

Ihr Habt ein Recht zu eurem Grimme! 


Die Zeit vernarbt gar manche Wunde, 
Nur nit, die man dem Volke jchlägt; 
Du aber, Fähnlein, gib nun Kunde 

Bom Schmerz, ber zudend und bemegt! 
Das ift das Weh — es Freift bie Beit 
Und welche Frucht fie einft auch beut, 
Die Wahrheit fann nicht unterliegen, 

Sie wird und muß einft glänzend fiegen!“ 


Der Fiſcher ſchweigt — die Ruder theilen 
Mit fih’rem Schlag die naffe Bahn, 

Die hochbewegten Wellen eilen 

Schnell heimwärts mit dem ſchwanken Kahn; 
Bald legt er an am fihern Bort, 

Ein guter Engel wachte dort, 

Und bald umfängt auch fie, die Müden, 
Des Ichönften Traumes jel’ger Frieden. — 


48 


Jakob Audorf. 


Die Fahne aber ward gefunden 

Beim Tagesgrau’n am Kaijerbild, 

Und mie des eij’gen Zwangs entbunben, 
Ein Duell zum troß’gen Sturzbach ſchwillt, 
So hört man bald von Yung und Alt: 
„Wißt ihr, wen jene Fahne galt?! 

Ein beil’ges Zeichen ift fie Allen, — 
Heut’ ift einft Robert Blum gefallen!“ 


— 


Sividenden⸗Knechtſchaft. 
n ſtarker Fauſt den Schlägel und das Eiſen, 


Das war bisher des Bergmanns ſtolzes Wappen 


Als glücklich hörte oft das Loos man preiſen 
Des, der ſich zählte zu den Bergwerksknappen; 
Bon altersher geſucht und angejehen, 

War ftetS der Bergmannsitand ein frei Gejchlecht, 
Er durfte ftart auf feinem Recht beftehen, 

Nie war ein Bergmann ein leibeig'ner Knecht. 


So war es ein. Dann famen and're Zeiten, 
Die Zeit der Aktien und der Dividenden, 

Die wie die Peſt durch alle Lande fchreiten, 

Der Arbeitshand den Segen zu entwenden; 

Sie hat dem Berginannsitande läugſt genommen, 
Mas ihm erichien ftets als fein gutes Recht, 

Sp ift der Bergmann denn bergab gefommen 
Und heute nur noch Dividenden-Knedht! 


Bon Direktoren und von Inſpektoren 

Wird abgefehrt ein Jeder nad) Belieben; 
Mer widerfpricht, der ift gewiß verloren, 
Er wird in’s nadte Elend firafs geirieben; 


Wohin er fommt und mit „Slüd auf” er grüßte, 


Und um Belchäftigung und Arbeit fleht, 
Wird er verhöhnt, weil auf der jchwarzen Lilte 
Bei allen Zehen längft jein Name fteht. 


Es bäumt das Herz fih auf in tiefem Grolle, 
Sieht man, wie Tauſende jegt mußten fcheiden 
Bon ihrem Heim, der längft gewohnten Scholle, 
Und ohne Obdach Jollen Hungers leiden! 

Daß an ihr Recht fie glaubten, war ihr Fehler, 
Doh mit dem Recht ift ſeltſam es beftellt: 

Daß nur die Dividende nicht wird jchmäler, 
Nur das regiert ald Recht jest noch die Welt! 


’ 





Jakob Audorf. | 49 


Und die zur Grube ferner fahren dürfen, 

Den böfen Wettern oftmals preisgegeben, 

Sm tiefen Schacht zu hauen und zu Ihürfen — 
Um zu verdienen fih das nadte Leben, — 

An ihrem Stolze nagt’s mit bittern Schmerzen, 
Und wie das Eiſen dröhnt bei jedem Schlag, 
So wibderhallt es in dem tapfern Herzen: 

Einft wird erfcheinen der Erlöjungstag! 


Gewiß, er kommt einft auch dem Bergmannsftande, 
Gewiß, er kommt dem braven Bergmannstnappen, 
Der Ihöne Tag, wo frei im deutfchen Lande 

Ihr Schlägel mit dem Eifen prangt im Wappen; 
Dann wird die Dividenden-Knechtſchaft weichen, — 
Doch wird uns dieſe Botihaft dann nur fund, 
Wenn Alle, die da fhhaffen, treu ſich reichen 

Die Arbeitshband zum großen Bruderbund ! 


0 
Sur Winterszeit. 


(Sanuar 1891.) 


Das neue Jahr bat ftreng begonnen, 
Die Welt erftarrt in Eis und Schnee, 
Berfiegt fait find des Waldes Bronnen, 
Nach Atzung Iugt umfonft das Reh! 
Drum naht es fich des Förfters Klaufe 
Und fieh’, die fonjt mit Tod ihm drau’n, 
Mit milder Hand vor ihrem Haufe 
Dem armen Wild fie Futter ftreu’n. 


Das Böglein hodt in feinem Nefte, 
Es jchüttelt froftig fein Gewand! 

Unb ſpäht, ob mwen’ge Spetjerefte 
Ihm ſpende eine Menichenhand ; 

Und Siehe da, ein blonder Knabe 

Sih aus dem Fenfter freundlich neigt, 
Er fireut dem Vöglein eine Labe, 
Wie Mütterlein es ihm gezeigt. 


Man lehrt uns Mitleid mil den Thieren, 
Denn wohlzuthun ift eine Luft, 
Die Milde ſoll den Menjchen zieren 
Und Friede geben feiner Bruft; 
Doch viele taujfend Menjchenkinder, 
Sie leiden auch in Wintersnoth, 
. Wie Reh und Vogel, fehlt nicht minder 
Auch ihnen jebt des Tages Brot. 





50 Jakob Aubdorf. 


— ꝰ)t 


Und wirklich auch auf. dieſe Heilung 

Des Elends ift man jeßt bedacht, 

Es werden ſchon zur Brotvertheilung 

Der Exben mande dargebradt; 

Und wenn ber Staat auch fonft den Bettel 
Beftraft mit ftrenger Kerkerhaft, 

So gibt man dem doch Suppenzettel, 

Der „unverſchuldet“ jegt nichts ſchafft. 


„Doch nur nicht Jedem“, hör’ ich jagen, 
„Mein Freund, das weiß ich ganz genau, 
Den kürzlich ging, die Noth zu Klagen, 
Zur Brotvertheilung meine Frau, 

Und als man drängte fie und zerrte 

Sm Knäu'l, der dort fi ſchaarte dicht, 
Hieß es Jofort: Für Nusgeiperrte 
Und Streiker geben Brot wir nit!" 


Auch einen Greis von fiebztig Jahren 
Trieb dorthin feines Elends Fluch, 

Don aller Noth, die er erfahren, 

Sprach ftumm fein Mund beredt genug; 
„Do ohne Weib und ohne Kinder“, 
Hieß es, „it er allein geftellt, 

Fort, fort mit ihm, dem alten Sünber, 
Der uns um milde -Gaben prellt!" — 


Dem Wild auf tiefverfchneiten Pfaden 

Streut jeßt der Menſch das Futter Bin, 

Bu feinem Tiſch hat fich geladen Ä 

Der Vöglein frommer Kinderfinn; 

Doch unter Menſchen ftets vermiflen _ 

Muß ih das Wort, jo ſchön und gut: 

„Es joll die linke Hand nit wiſſen 
Beim Wohlthun, was die Rechte thut!“ 


Doch laßt uns, Brüder, nicht verzagen, 

Mol’t halten zu einander treu, 

Dann kehrt nah harten Wintertagen 

Zu uns der milde Lenz aufs Neu! 

Almojen nit und milde Gaben 

Thun noth dem menſchlichen Geſchlecht — 
Wir würden Alles reihlih haben, 

Wenn uns nur würde — unſer Recht! 


RE 








Adolf Glaßbrenner, einer der populärften und wibigſten Satirifer der vier: 
siger Jahre, wurde in Berlin am 27. März 1310 geboren. In der Deffentlichteit machte 
ex fich zuerft einen Namen durch die von ihm herausgegebene Wodenfhrift „Don Quirote“ 
und befonber8 durch die im Jahre 1832 unter dem Pfeudonnm „Brennglas“ begon: 
nene Veröffentlichung einer Anzahl Hefte, die unter dem Titel „Berlin, wie e8 ift und 
teintt“ erihienen und als echte Erieugniffe des Verliner Mies und zum Theil in Ber- 
liner Mundart geichrieben, große opularität erlangten. Auch feine „Verbotenen Sieber 
einea norbbeutfchen Poeten* (1870 in 5. Aufl. erfienen), fomie fein „Neuer Reinede 
Fuch?" zeichneten firh durch Ternhaften Sumor, durch Freimuth und f—hneibige Schärfe 
aus. Beſonders die jämmerlichen Philifterfeelen der vormärzlichen Zeit mußten darin 
Spiegruthen laufen. Nein Wunder, daß feine freimüthige Mufe neben vielen Freunden 
aud) Heftige und einflußreiche Verfolger fand. Much an der vewegung von 1848 nahm 
Olapbrenner durd) Flugblätter und Gedichte lebhaften Antheil, 309 fih nad} deren Nier 
dermerfung mit feiner Gattin, der Schaufpielerin Avele Weroni, nach Neuftrelik zurit, 
alein fein oppofitionelfer Geift 309 ihm auch dort fehr Bald Berfolgungen zu und 1850 
murbe feine Ausweifung verfügt. Nunmehr mandte fi) Glafbrenner nach, Hamburg, 
ieboch fon 1858 30g es ihm wieder nad) feiner Baterftadt zurüd, mofelbft er Die „Ber: 
liner Montagageitung“ gründete. Glafbrenner war ein äukerft frudjtbarer Schrififieller. 
der auf ben verfhiebenften Gebieten der Litteratur feine Fähigleiten verwendete. Cr 
ftarb am 25. Seplember 1876 in Berlin. 














Das Volk von Dentfhlans. 


Ballade nad Schiller. 


, Kor von Deutfhland, aM’ mein Sehnen 
Iſt das Militär, 

Forb’re Feine and’re Liebe, 

Als fürs ſteh'n de Heer!" — 


Und das Volk bringt Millionen 

Auf Millionen ber, 
Und dann wieder Millionen 

Für das fteh’nde Heer. 


Seine Lehrer fieht es darben, 
Stoden den Verkehr; 

Liebend dennoch bringt’s Millionen 
Für das Militär. 


Nah den freien Völker- Staaten 
Blickt's und feufzet ſchwer, 

Und bringt neue Millionen 

Für das ſteh'nde Heer. 


Frei jein möcht” e8, Doch der Junker 
Drobt ihm mit? dem Speer, 

Und da ftöhnt’s Fund Bringt Millionen 
Hin zum Militär. 


Einig, einig möcht’ es werden, 
Gibt d'rum Alles ber, 

Aber Alles, Alles, Alles 
Nimmt das fteh’nde Heer. 


„Nun Shr oben”, röchelt's endlich, 
„Hab' ih gar nichts mehr; 

Meine Kraft ift bin; nährt Ihr nun 
Euer Militärl® 


Und fo jaß es eines Morgens 

Eine Leiche da ; 

Nah dem Schätzchen noch bas bleiche 
Stille Antlitz jah. 


or 


54 Adolf Glaßbrenner. | 


>> Ber Gef. Sr 


Dämer zu Boden brüdt die Formel — wunderbar erhebt ber Geift; 
Tödtend wirkt die alte Satung — ſonnengleich belebt der Geift. 


Was dem finftern Schacht entrungen: Silbererz und gleißend Gold, 
Kann in Nacht verfinfen wieder — hoch zum Lichte jchwebt der Geift. 


Was ber Wucher aufgeihüürmt fi, morgen flürzt eg — duftig blüht 
Auf den Trümmern der Paläfte, was erforjcht, erftrebt der Geift. 


Nah Metall zu Ketten graben ſchnöde Herrſchſucht, Gier und Geiz; 
Nach der Weisheit und der Freiheit Diamanten gräbt der Geift 


Furcht und Stumpffinn beugen zitternd fi vor ihrem eignen Bild; 
Nicht an todten, Falten Steinen, nit an Götzen lebt der Geift. - 


Hinterlift’ge Zöllnernege firidt Die alte Heuchelei, 
Doh ein Net aus Sonnenfäden um die Menjchheit webt der Geift. 


Vorwärts! fteht auf feinem Banner; Liebe! fteht auf feinem Schwert; 
Nicht vor'm Zorn der größten Großen diefer Erde bebt der Geift. 


Wie ihr feinen Leib auch martert, freuzigt, töbtet und begrabt: 
Stet’s ſich jelbft zu feiner Heimath, auf zum Himmel bebt der Geift. 


In den Staub wirft, was vom Staube, dad Titanenradb der Zeit: 
Gleich des Aethers goldnen Strahlen ewig flammt und lebt ber Geifl. 


— 
Sie Sklaven⸗Smanzipation. 


Sob und Heil, ihr großen Mächte, 
Jubelnd euch geſungen ſei, 

Daß ihr ehrtet Menſchenrechte 

Und die Sklaven machtet frei! 


Und warum ſie's nicht ſchon waren 
Lange, das iſt einerlei! 

Jetzt, nach wen'gen hundert Jahren, 
Sind die ſchwarzen Sklaven freil 


D wie glüdlih iſt's auf Erden! 
Völker, fingt Juchhei, Juchhei! 


Menn’s die weißen nun noch werden, 
Dann find alle Sklaven frei! 


ws 





Adolf Glaßbrenner. 


Die Geſchichtlinge. 


as forfcht ihr nur und grübelt und klaubt, 
hr dummen gelehrten MWichte, 
Was uns früher Allerhöchſtgnädigſt erlaubt 
In dem Königsftaub der Geichichte? 
Wir wollen die Gnaden auf Eſelsfell nicht! 
Wir find auch den Todten nicht Knechte! 
Wir wollen, was uns der Himmel zuſpricht: 
Unfere ewigen, göttlichen Rechte! 


Und wäre von Nimrod's Seiten auch ber 

Ein Despotenlauf der Gefchichte, 

Wir wollten doch feine Despoten drum mehr, 

Ihr dummen gelehrien Wichte! 

Und wäre das Vor: und das Unrecht Geſetz, 

Wir träten es dennoch mit Füßen, 

Und wollten das Recht, ftatt nad) eurem Geſchwätz 
Die Sünde der Eltern zu büßen! 


Und ftände vom freien Gedanken auch Nichts 
Sm der Menſchenſchindergeſchichte; 

Wär's finfter geweſen vom Tag an bes Lichts, 
Ihr dummen gelehrten Wichte: 

Doch wollten wir Prefie und Rebe frei! 

Wir wollten’s, die Herren auf Erben! 

Mit den roftigen Freiheiten ift es vorbei, 

Die Freiheit! fie muß uns werben. 


Wir hängen uns felber nimmer und nie 

Am Weltgericht der Geſchichte! — 

Denn wir fluchen auch ihrer Despotie, 

Ihr dummen gelehrten Wichte! 

Und wenn bie vergilbten Blätter und Rol’n 

Unfer Fordern hiſtoriſch verwürfen: 

Mir wollen, ihr Narren, doch d'rum was wir wol’n, 
Und nit, was wir wollen dürfen! 


Drum forſcht nicht Länger und grübelt und Haubt, 
Ihr dummen gelehrten Wichte, 

Was uns früher Alerhöcftgnäbigft erlaubt 

In dem Königsſtaub der Geſchichte! 

Wir wollen die Gnaden auf Eſelsfell nicht! 

Wir find auch den Tobten nicht Knechte! 

Wir wollen, was uns der Himmel zufpridt: 
Unfere ewigen, göttliden Rechte! 


in or 


55 


56 Adolf Glaßbrenner 





— — Bine it! | — 


Miäer, warum weineſt du, 
Meineft du fo jehr? 

„Weil eg mir nicht macht Behagen, 

Daß ich jol den Maulforb tragen! 

Darum, darum weine ich, 

Meine ich jo ſehr!“ 


Michel, warum weineſt du, 
Weineſt du jo jehr? 

„Sol ein dummer Junge bleiben 
Und mein Wohl nicht felbft betreiben ! 
Darum, darum weine ich, 

Meine ich jo jehr!" 


Michel, warum weineit du, 
Weineſt du fo ſehr? 

„Weil fie mir mein Geld verpraflen, 
Ohne Nachricht, wo ſie's laſſen! 
Darum, darum meine ich, 

Weine ih fo jehr!" 


| Michel, warum weineft bu, 


Weineſt du fo jehr? 

„Weil ich bin in taufend Banden 
Und in jehsundzwanzig Landen! 
Darum, darum weine ich, 

Weine ich jo jehr!“ 


Michel, warum weineft du, 
Weineſt du fo ſehr? 

„Weil ich für die ungeheuern 
Heere fteuern muß und fteuern! 
Darum, darum weine ich, 
Meine ich jo jehr!“ 


Michel, warum weineft bu, 
Weineft du fo jehr? 

„Weil ich hab’ mein Blut verjprißet 
Und fie mir mein Recht ftibiget! 
Darım, darum weine ich, 

Weine ich jo jehr!“ 


Michel, Darum weine nicht, 

Meine nun nit mehr! 

Wenn du einfiehjt deine Schwächen, 
Werden fie Dir — was veriprechen! 
Darum, darum weine nicht, 

Meine nun nicht mehr! 


— 


Zufriedenheit. 


as frag' ich viel nach Geld und Gut, 
Der ich zufrieden bin, 
Gibt Gott mir nur geſundes Blut, 
So hab' ich frohen Sinn, 
Und halte mich von Herzen gern 
Bon_aller Arbeit immer fern! 


So mander lebt in Sorg’ und Müh', 
Uebt feine Bürgerpflicht, 

Speift Auftern, Caviar, Lachs, jomie 
Faſan und Hummer nicht, 

Und ahnet faum, wie gut das jchmedt 
Bei edlem Rheinwein und bei Seft! 











Adolf Glaßbrenner. 57 


Hu ih in der Havanna Duft 

Die Zeitung Morgens ein, 

So lafle ich den mächt'gen Schuft 

Schuft mit Behagen Jein; 

Auch weiß ih an ber Table d’Höte 
Nichts von Bebrüdung, Qual und Noth! 


Mein Herz hüpft Abends im Ballet, 
Und fpäterhin erſt recht, 

Denn dann mit meiner Tänz'rin nett 
Soupir’ ih gar nicht jchlecht, 

Und freue mich als guter Chrift, 
Daß Liebe Fein Verbrechen if. 


So leb' ih in Zufriedenheit, 

Weil ich es dazu hab’, 

Genieße meine Seligkeit 

Schon eh’ ich Steig’ in's Grab, 

Und trag’ nur Eins für's Vaterland: 
Auf meinem Frad ein Ordensband. 


754 
>> Heid einig! I 


8 iſt des Haders nun genug, 

An wem die Schuld gelegen! — 
Seid künftig Beide feit und klug, 
So wird uns Sieg und Segen, 
Nur Einigkeit hat Kraft und Mark! 
Nur wenn wir einig, find wir ftark! 
Seid einig, einig, einig! 


So lange wir mit Wort und That 
Verlegen uns und ſchwächen, 

Mie können wir die Drachenſaat 
Denn an den Drachen rächen? 

So lange wir nit Arm an Arm, 
Berbleiben wir in Noth und Harm! 
Seid einig, einig, einig! 


est ift nicht Beit, was uns entfernt, 
Zu prüfen und zu mefjen; 

Wir haben Beide viel gelernt, 

Wir wollen auch vergefien ! 

Um jedes Recht, das wir beweint, 
Um jeden Schmerz, der uns vereint: 
Seid einig, einig, einig! 





58 


Adolf Glaßbrenner. 


Dom Wald- und Rebentranz bes Rheins 
Bis Rußland bin, Germanen: \ 
Sn Einem find wir Alle eins — 
So laßt! dies Eine fahnen! | 
Die Freiheit hoch! fie unfer Hort! 
Die Heuchler und Betrüger fort! 
Seid einig, einig, einig! 


Was, Brüder, hadert ihr darum, 

Mer unſ're Schmach verſchuldet? 

Wir waren Alle, Alle dumm, 

Und haben ſchwer geduldet! 

Es ſchreit der Schmerz, der uns vereint: 
Ihr Alle habt nur einen Feind! 

Seid einig, einig, einig! 


——— 
Em Die Biebe, - 


a war einmal ein Kleiner Dieb, 
Der Stahl ein Brot dem Kind zulieb, 
Und wurde ſchier gefangen, 
Und Eonnte erft in Jahr und Stund’, 
Trotz fein und feines Weibes Munb, 
Die Freiheit wieder erlangen. 


Dem Andern war's Glück auch nicht Hold: 
Stahl einem Filz 'nen Sad mit Gold 
Durch Einbruch ftil und Nächtens, 
Und eh’ noch ein halb Jahr verging, 
Er an Gevatter Dreibein bing, 

Und das „Bon Wegen Recdtens”. 


Der Dritte war ein großer Dieb: 

Der ſtahl fi ganz allein zulieb 

Der Menſchen Ehr’ und Rechte 

Und Städt’ und Länder obendrein — 

Dem thäten fie Ruhmesopfer weih'n, 
Und dienten ihm wie Knechte! 


Nun weiß ich doch wahrhaftig nicht, 
Wie folh ein dummes Ding gefchicht, 
Und ſollte Doch vermeinen, 
Daß, wenn euch Gott das Urtheil lenkt, 
Der dritte Dieb viel höher hängt 

Als wie die beiden Kleinen! 


ler 


Adolf Slapbrenner. 59 





Die alte &Keier. 


Hofrath, Stabtratb, Regiltrator, Edel-, Wohl- und Hochgeboren, 
Baurath, Kriegsrath, Auskultator, | Gnaden und Hochwohlgeboren, 


Supernumerarius, Frau Major und Ercellenzen, 
Marſchall, Sefretarius, Euer Durdlaudt, Eminenzen, 
Geht die alte Leier. | Geht die alte Leier. 

Titel find nicht theuer! Unfinn tft nicht theuer! 

Bänder, blaue, grüne, meiße, Möchte, könnte, dürfte, follte, 
Kreuze, Sterne, Stantsläufe, Allerhöchſt geruhen wollte, 

Rothe Krebfe vierter Klafie Thunlichit, möglichft, in Betrachtung, 
Eine ungeheure Mafle, In ſubmiſſeſter Erwartung, 

Geht die alte Leier. Geht die alte Leier! 

Orden find nicht theuer! ' Die verdammte Leier! 


Ganz ergeb’ne, treue, Tchlechte, 
Tieffte, unterthän’ge Kncchte, 
Demuthsvoll und ehrfurchtsvoll — 
Nein, fie klingt denn doch zu toll 
Die verdammte Leier! 

Hol euch AN’ der Geier! 


ZELI 
lle wie Kiner! 


er Schneider, wenn er folo ift, ift er ſehr lieberal, 
Da bügelt er Minifter auf mit feinem beißen Stahl; 
Da denkt er bei dem Fürftenrod: Ad, ftedteft du barein! 
Durch dieſe Bürfte folteft du ſehr bald befehret fein! 
D’rauf ſechsundzwanzig Lappen flidt zufammen er aus Spaß, 
Hängt’s feinem Burfhen um und ruft: Welch ein Hanswurft ift das! 
Heididel, didel, dumm, dumm, dumm, 
So thut er nur allein! 
Doch büden fie fih frumm, krumm, krumm, 
Menn fie beifammen fein. 


Der Shufter, hat er boppelt Pech, denft auch nicht legitim ; 
Ah, ruft er, deutihe Tyrannei, hätt’ ich dich vor dem Pfriem ! 
Was ich bezwedte, wüßt' ih wohl: Ich bohrt' ihn bir ins Herz! 
Durch dieſe Leitung heilte ich das Vaterland vom Schmer;. 
Ein Schufter, der vom Stillitand hört, wichſt giftig feinen Drabt; 
Bei ihm muß Alles Fortichritt fein, fonft wird er desperat. 

Heididel, didel, Dumm, dumm, dumm, 

So thut er nur allein! 

Doh büden fie ſich krumm, krumm, krumm, 

Wenn ſie beiſammen ſein. 


60 Adolf Glaßbrenner. 








Der Hufſchmied, hat er Vollblut vor, juckt's ihm ſchon in der Hand: 
Sa, hätt” ich deinen Adel jo, mein theures Vaterland! 

Mit meiner derben Schmiedefauft faßt' ich ihn bei dem Schopf, 
Und zöge feinen Nagel ihm aus feinem leeren Kopf; 

D’rauf ri ſein großes Maul ih auf und padte feine Bein’: 
Wind hat er flets gemacht, nun fol mein Blafebalg er jein.“ 
Heididel, didel, Dumm, Dumm, dumm, 

So thut er nur allein! 
Doch büden fie fih Frumm, frumm, Trumm, 
Nenn fie beilammen jein. 


Der Tiſchler, hämmert er am Sarg, denkt an die Bundesnadt: 
Die hat ja unf’re Freiheit auch in einen Sarg gebradt. 
Mär’ dieſes ſchwarze Bett für dich! Bier Bretter braucht ich nur, 
Denn ein’s vor'm Kopfe haft du ſchon, du Unbheils-Kreatur! 
Geſchlafen haft du ftets für uns, doch nie für Dich gerubt! 
D’rum ungehobelt, ohne Maß ift gegen dich die Wuth! 

Heibdidel, didel, Dumm, dumm, dumm, 

So thut er nur allein! 

Doch büden fie ih Frumm, krumm, krumm, 

Wenn fie beifammen jein. 


Der Seiler an dem Feltungswall beklagt aud fein Geſchick; 
Gern drehte er der Tyrannei zum Halsband feinen Strid. 
Die Demagogen, eingeſperrt dort oben, jammern ihn! 
Mit Freuden gäb' er's längſte Seil ‘den Edien zum Entflieh'n. 
Sie haben, denkt er, nur gewollt, was uns verſprochen ward, 
Doch iſt, ſein Wort zu halten, nie der großen Herren Art. 
Heididel, didel, dumm, dumm, dumm, 
So thut er nur allein! 
Doch bücken ſie ſich krumm, krumm, krumm, 
Wenn ſie beiſammen ſein. 


Der Setzer, der die Zeitung ſetzt, treibt auch Allotria; 
Spricht man vom deuiſchen Bundestag, nimmt er für's B ein 9. 
Bon großen Mächten lieft er wohl, doch macht er Nächte draus; 
Aus Volksver- wird Zertretung oft, aus Zaren- Bärenhaus; 
Aus Redaktion wird Reaktion des offiziellen Blatt’s: 
So drüdt er feine Meinung aus blos durch den faliden Sat. 
Heididel, didel, dumm, dumm, dumm, 
So thut er nur allein! 
Doch büden fie fih frumm, frumm, krumm, 
Wenn fie beifammen fein. 


Dem Bauer, wenn das Land er pflügt, fällt manche Thräne drauf: 
Mir budeln fie für meinen Schweiß die meiften Laften auf! 

Hätt' ih nur die Regierungsheren wie dieſes lange Gras! 

Ei freilih, für das liebe Vieh wär’ keine Freude das; 


Adolf Glaßbrenner. 61 





Doch dienten fpäter fie dem Land als ordentlicher Mift: 
Dann ftänd’ es beffer um uns AN’ als wie's anjetzo ift! 
Heididel, bidel, Dumm, bumm, bumm, 
Sp thut er nur allein! 
Doch büden fie fih Frumm, Frumm, krumm, 
Menn fie beilammen jein. 


Ei, lieber Deutjcher merfe dir’s, ein weiſer Rechners fpricht’s: 
Start find die Menſchen im Verein; der Einzelne fann nichts! 
Ein Tropfen iſt dein Wille nur, du felber bift ein Tropf; 
Doch mädtig feid ihr wie das Meer, Ihaart ihr euch ‚Kopf an Kopf! 
Was ihr dann wollt, das ift geſcheh'n, dann ſeid ihr froh und frei, 
Dann iſt es mit der ganzen Noth des Vaterlands vorbei! 

Heidideldumm! Juchheiſſaſſa! 

Dann iſt die Noth vorbei! 

Juchheiſſa, heiſſa, hopſaſſa! 

Dann ſind wir froh und frei! 


— 
Bas Märchen vom Keichthum und der Moth. 


1843. 


% war einmal Bruder und Schwefter: 
Der Reichthum und die Notb; 

Er ſchwelgte in tauſend Genüffen, 

Sie hatte kaum troden Brot. 


Die Schweiter diente beim Bruder 
Biel Hundert Jahre ang; 

Ihn rührt’ es nicht, wenn fie meinte, 
Noch wenn fie ihr Leiden beſang. 


Er fluchte und trat fie mit Füßen, 

Er ſchlug ihr ins janfte Geſicht: 

Sie fiel auf die Erde und flehte: 
.Hiilfſt du, o Gott, mir nicht? 


Mie wird das Lied wohl enden? 

Das ift ein traurig Lieb! 

Sch wil’s nicht weiter hören, 

Wenn nichts für die Schweſter geichieht ! 


Das ift das Ende vom Liebe, 
Dom Reichthum und der -Noth: 
An einem ſchönen Morgen 
Schlug fie ihren Bruder tobt! 


N. 





.62 


Adolf Glaßbrenner. 


Geiſterrache. 


De Cenſor ſchlief, es war Mitternadt: 
Da regt' ſich's in ſeinen Schranken, 

Da ſtanden die bleichen Geiſter auf, 

Die ermordeten Gedanken! 

Sie ſeufzten tief, ſie ſeufzten ſchwer, 

Sie wankten und ſchwankten bin und ber, 

Und: Wehe! Wehe! Wehe ! 

Erſcholl's in des Mörders Nähe. 


„sh batte das arme Volk zu lieb", 

Erhub der Eine die Stimme; 

„Ich forderte das verbeißene Glüd, 

Mit ſchlecht verbiß'nem Grimme.“ 

Der Dritte ſprach: „Ich war munt’res Blut, 
Berwechlelte einmal Ecepter und Knut’ !" 
Der Vierte: „Ich war ein Tabel 

Gegen den läftigen Adel.“ 


„Ich forderte Ted das freie Wort !" 

„Und ih die Gleichheit der Rechte I" 

DR ſagte: bie Fürften gehörten dem Boll!" 
„Und ih: Wir wären nicht Knechte ! 

"6 böhnte die alberne KRonftitution : 

Ein Zehntel Vertretung, neun Zehntel Thron!“ 
„Ich wandte mich an die Soldaten !" 

„Ich fluchte den Tiplomaten !* 





So riefen ſie alle in finſterem Groll 

Und ſchwuren Rache gen Himmel: 

D’rauf wirrt’s und ſchwirrt's um des Schläfers Kopf, 
Das zornvolle Geifter-Gewimmel ; Ä 

Es kriecht durch Nafe, durch Ohr und Mund, 

Es reißt am Haar ihm, es ftopft ihm den Schlund, 
Es tobt in feiner Stirne, 

Es fchreit in feinem Gehirne. 


Früh Morgens warb dem Genjor verlieh’n 
Ein großer langer Orden! 

Er aber ſah ftier auf das bunte Band, 
Denn er war wahnfinnig worden. — 

An jenem Schrank, in der Nacht darauf 
Hing er mit dem Ordensband fi auf, 
Und draußen hörte der Wächter 

Ein fürchterliches Gelächter. 


Sn 





Adolf Glaßbrenner. 63 


Ruckerlied. 


Faguch zehnmal beten, 

Und Bibelſprüch' im Maul, 
Sonſt hab' ich nichts vonnöthen, 
Bin ganz erſchrecklich faul. 

Ich war ein armer Schlucker, 
Hatt' kaum das liebe Brot, 
Da wurde ih ein Muder: 
Nun bat es Feine Noth! 


Bei jeder erflen neuen Sitzung 
Die unſ're Bande hält, 

Da wird mir Unteritügung 
Durch baar, blankes Gelb. 
Daß ich bin fromm geworden, 
Hat mir doch fehr geirommt! 
Vielleicht, DaB noch ein Orden 
Mir in das Knopfloch kommt. 


Den Kopf geſenkt zur Erde 

Geh’ ih des Morgens aus; 

Mit heuchelnder Geberbe 

Tret' ich in’s Kaffeehaus, 

Trin® Waſſer dort mit Zuder 
Und werbe Fromme an: 

Kein Menſch ahnt, was ein Muder 
Zu Haufe jaufen Tann! 


Zu hohem Zins verleih’ ich, 
Mas ih beim Mucdern par’, 
Und meine Seele weih’ ih 
Herrn Jeſu immerdar, 

Und den Gewinn notir’ ih 
Im frommen Liederbeft; 

Auf diefe Weiſe führ' ich 
Im Frieden mein Gefchäft. 


Des Abende im Theater 

Sig’ ih mit gierem Sinn, 

Und ſchmunzle wie ein Kater 
Nah jeder Tänzerin; 

Mit meinem DOpernguder 

Schau’ ih nah Wad' und Bruft! 
Ach, lieber Gott, ein Mudr 
Hat auch fo feine Luft! 


Dann jchleih’” ich ftill zur Klaufe, 
Da wo mid Niemand fieht, 
Und nah dem Abendſchmauße 


Sing' ih ein frommes Lied 


Recht laut: von heil'ger Stätte, 
Bon Jeſu Glanz und Thron! 
Derweile macht mein Bette 

Die Leine Köchin Thon. 


Ich preife die Regierung, 
Ich finde Alles gut, 

Ich fluche der Berführung 
Durch jetz'ge Freiheitsbrut: 
So leb' ich armer Schlucker 
Ganz heiter, Gott ſei Dank! 
Und das Geſchäft als Mucker 
Treib' ich mein Lebelang! 


wer 


Anſere Freiheit. 


1843. 


ir haben geopfert Gut und Blut; 
Wir haben erkämpft mit heißem Muth 
Unfere Freiheit! 
Wir haben befeftigt der Fürften Thron, 
Und dafür ward uns gerechter Lohn: 
Unjere Freizeit. 








64 





Adolf Glafbrenner. 


Doch als die Fürften fie näher bejah’n, 

Da war mit Flügeln fie angetban. 
Unjere Freiheit. 

Da bildeten fie unter fih einen Bund, 

Und bielten gefefjelt in ihrem Rund 
Unfere Freiheit. 


Wir haben in Gnaden nun vorgebeugt, 
Daß nimmer wieder von uns entfleucht 
Unjere reibeit. 

Sie haben nun mit wohlweiſem Bedacht 
Unter Schloß und unter Riegel gebracht 
Unjere Freiheit. 


Und wenn nun der Feind ſich wieder erhebt, 

Dann gilt e8, daß jeder Unterthan ftrebt 
Das feindliche Feuer zu dämpfen! 

Dann öffnet man milde das Bundeshaus, 


Dann nehmen wir uns bie Freiheit heraus... . . 


Für unjere Fürften zu kämpfen. 
Br 


Ser Schmetterling. 


te bift du um bein. Dafein, ad, 

Du Ihöner Falter zu beneiden ! 
In diefen Rofen bier am Bad 
Gibt's feinen Kummer, keine Leiden. 


Wie felig ift, du buntes Ding, 

Dein kurzes, luft'ges Blumenleben! 
Wie gerne möcht’, o Schmetterling, 
Mein langes deutjches ich drum geben! 


Dein Vaterland, die grüne Au, 

Kennt Teine Eiferjucht der Fürften: 

Du ahnſt nicht, fchlürfft du deinen Thau, 
Wie wir nah Ein- und Freibeit dürften! 


Du glaubſt an Nichts, du eiferft nicht, 
Haft keinerlei Gewiſſensqualen; 
Lichtſelig wiegſt du dich im Licht 

Der liebewarmen Sonnenſtrahlen! 


Und wie die Roſe du gekoſt, 

So kuſſeſt, fern vom Muckerthume, 
Du Flatterhafter noch getroſt 

Manch' and're wunderhübſche Blume! 





Adolf Glaßbrenner. "65 


Kennt nit der Menſchen Angft und Noth, 
- Eintaujendfäliige Beſchwerden, 

Brauchft nicht zu forgen um bein Brod, 
Und brauchſt auch nit Soldat zu werden!’ 


Kein Käfer fragt dich nach dem Paß, 
Entfalteft du die leichten Schwingen: 
D, welch ein freies Leben das, 

Ju dieſem Summen hier und Singen! 


Dein einz'ger kleiner Schmerz iſt nur, 
Daß dir verſagt an deinem Herzen 
Den Adler-Orden die Natur! 

Sonſt haft du weiter feine Schmerzen. 


Und geht's, du bunter Sorgenlos, 
Zu End’ mit deinem heit'ren Kofen, 
Entſchläfſt du jelig in dem Schooß 
Der jchönften unter deinen Rojen! 


13% 
> tt“ 


ie Zwitter und bie Bitterer, 
Die ziihelten zufammen, 
Ob's Ihon zur Zeit, die Despotie 
Aus Deutjchland zu verdammen. 


Der Erſte jagt’: es müſſe geh’n; 
Der Zweite jpradh: ed macht ſich; 

Der Dritte ſetzt die Brille auf 
Und bat erft noch bedacht fich. 


Die Zwitter und die Zitterer, 
Sie disputirten leife; 

Sie Ihlofjen Thür und Feniter zu, 
Und das war äußerft weiſe. 


Der Vierte ſprach: jeid nicht jo ſchnell! 
Hübſch vorſichtig, ihr Leutchen! 

Es ift noch manches Hindernik 
Für ſolch' Biel zu bejeit’gen! 


Da dachten gleich die Zwitter nad) 
Den lebten Interdikten; 
Die Bitt’rer aber ſahen fich 

Bedenklich an und nidten. 


28 


Der Fünfte ſprach: 's iſt noch nicht 


Die Fürſten find dagegen! [Beit, 
Der Sechſt' und letzte wollte ſich 
Die Sach’ noch überlegen. 


Sie zankten leiſ' und zifchelten, 
Die Zittrer und Die Ywitter; 

Sie ſahen ſcheu und dudten ſich 
Wie Schafe beim Gemitter. 


Ein Sekretär, ber räujpert fi; 
Da fuhr'n fie auseinander! 
Sie hatten einen Schred gekriegt 

Und zitterten jelbander. 


Die Zwitter und die Bitterer, 
Sie ſchwiegen nicht jehr lange; 

Doch ward bei der Oppofition 
Den Meiften Angft und bange. 


Sie ziſchelten und zankten leif’, 
Auf daß es Niemand höre: 
Ob die Res publica denn aud 

Tes Volles Sache wäre. 


66 Adolf Slafbrenner. 


Der Bofpoet bei der Geburt eines ringen. 


eil ung! 


Heute Morgen gegen drei Viertel auf Elfen, 
Heil uns! 

Einem längft gefühlten Bedürfniffe abzuhelfen, 
Heil uns! 

Iſt dem Volke ein Prinz geboren, 

Zu Glüd und Segen erloren! 
Heil uns! 

Eine Kanone verfündet’3 durch's ganze Land: 

Ein Prinz ift geboren von Zicke⸗-Zacke⸗guckerkant! 
Heil uns! 


Seil ung! 
Sene Durötaugt gerubten bereits zu fchreien, 
eil uns! 
Und der Natur Höchſtihr erftes Dpfer zu weihen, 
Heil uns! 
Höchſtſie find bereits zum Major ernannt, 
Und tragen das breite Würdenband! 
Heil ung! 
Ste haben Höchſtſelbſt an ber Bruft ſchon gefogen, 
u bleiben dem Reihe in Gnaden gewogen! 
eil uns! 


Heil uns! 
Seine Durdlaudt laſſen in diefen Tagen, 
Heil uns! 
Sm Höcftihren Appartements herum Sich tragen, 
Heil uns! 
Bald wird der Höchſte Lutjchbeutel genommen, 
Und bald werben Höchſtſie auch Zähne befommen! 
Seil uns! 
Mit Freuden wollen wir neue Abgaben geben, 
Erhält uns der Höchfte Höchſtſie uns am Leben! 
Heil uns! Heil uns! Heil uns! 


” 
Der Adelige. 


Diefer Mann mit wicht'ger Miene, \ Mie fie plaudern rings und lachen, 
Einen Orden auf der Bruft Er bleibt immer ernft und ftumm; 
Trägt die Nafe hoch und rümpft fie | Er hat zweiundzwanzig Ahnen 
Ueber bie gemeine Luft. | Unb tft ungeheuer dumm. 

Meiter tft er nichts hienieden; 

Doc tft fein Verdienſt nicht Hein: 

Menn er jelig einft verftorben, 

Wird er auch ein Ahne fein. 








Adolf Glaßbrenner. 67 
u8: „Rene Valpurgisnacht. 


Mepbiftopheles 
(zu Fauft, auf eine Gruppe verjhiedener Beifter beutend, die nah dem Bipfel bes Brodens eilen): 


Kat an dein Pferd und ab und bier verweilen; 
Sch ſehe dort von Elend 

Verkappte Ritter nach dem Blndaberg eilen ; 

Dergleihen Bolk ergögt mich fehr. 

Hanswurfte find’s des Himmels und der Hölle, 

Die mit den Menfchen ihre Poſſen treiben; 

Wer fie erblidt, der richtet fie zur Stelle, 

Doch möcht' ich nicht das Urtheil unterfchreiben. 

Die Guten find jo gut nicht, wie es ſcheint, 

Die Böfen nicht jo böfe, wie man meint. 


-Die Unfchuld (ſchnell vorübereilend) : 


Der Rechte komme und die rechte Zeit: 
Zum Selbftmorb bin ich ftets bereit. 


Die Sünde: 


Ließ ich einmal die Menſchenwelt im Stich, 
Die Langeweile wäre fürchterlich. 


Die Liebe: 


- Wären die Poeten nicht in der Welt, 
Man befäme mid au für Gelb. 


Der Egoisſmus: 


Wer in mir eine Beftie erkannt, 
Hat alle Menichen jo genannt; 
Man jagt vor allem erft: Ich, 
Käm’ auch babinter: Tiebe Di! 
Mehr aber noch huldigen mir, 
Die da jagen: Wir. 


Das Necht (fedr langſam reitend): 


Ein legitimer Stod, bas lette Wort, 
Zwiſchen Beiden fchlepp’ ich mit fort. 


Die Lüge: 
Ich bin nicht häßlich von Natur, 
Die meiften mißbrauden mid nur. 
Die Wahrheit jelbit erfröre jchier, 
Borgte fie nicht das Kleid von mir. ze 


Adolf Glaßbrenner. 


Die Wahrheit (hohniſqh): 


Bart gegen fi und gegen Andre zart, 
Das iſt die beſte Lebensart. 


Ihr Jünger: 
O, Wahrheit, ach, in deinem Dienſt, 
Ich ſag's mit tiefem Grolle, 
Da ſpinnt man keine Seide mehr, 
Und ſchließlich ſpinnt man Wolle! 


Die Geduld (teuchend): 
Gemad, ihr Freunde, langjam, mit Bebadht! 
Ich bin zu did, um mich fo anzuſtrengen! 
Das Deutihland ift für mich allein gemacht, 
Da darf man mich nicht ftoßen und nicht drängen! 


Die Herrſchſucht (Hinter fh zur Moral; Beide auf einer Nachtmutze reitend): 
So fit’ doch ftil auf deinem Pferdeſchwanz, 
Und laß’ in Ruh mid, mein alter Hans! 
Ich will dich als Begleiter nicht verlieren, 
Doh mußt du nicht mich ſelbſt Infommobdiren. 


Die Moral: 
Ihr habt den jchönen, breiten Plat da vorn, 
Ich aber fite auf ber fchmalen Epike: 
hr habt den Zügel, ich den Eporn — 
Für mich iſt's nicht gemädlich auf der Mütze. 


Fauft: 


Noch mehr bedaure ich das arme Pferd: 
Die Reiter fiten jo verkehrt. 


Mephiftopheles (matitiss lachend): 


Mid dauert au der arme Tropf: 
Der Plumpite folgt ihm g’rade auf den Kopf. 


Die Soffuung: 
Ueberall hab’ ich zu thun; 
Mich martern fie ab und fie felber ruh'n! — 
Gält' ih nur mehr Verbrechen denn Tugend: 
Kräft'ger war's Alter, thät’ger die Jugend. 


Die Nedlichleit (an einem Stücchen Brod Lauenb): 


D du gemeines Menjchenvolf, das mich verladt! 
Mit Hohn verfolgt, zur Bettlerin gemacht! 

Die, welche fie Verbrecher nennen, find nur bumm, 
Und ihre größten Schurken laufen frei herum. 


Adolf Glaßbrenner. 69 





Mephiftopheles (ſpucktt nad ihr): 


Hier, liebe, alte, zänk'ſche Muhme, 
Noch etwas Butter auf die Krume! 


Die Ehre (zur Redligteit): 


Ihr habt ganz Recht, geliebte Muhme, 
Doch geht's euch beſſer noch ala mir; 
Ihr findet doch ein wenig Speiſe hier: 
Ich bin Geſpenſt und zehr' an meinem Ruhme. 


Fauft (zu Mephiſtopheles): 


Ich bitte dich, nun laß' uns weiter reiten, 
Mich ekelt dieſes viele Klagen an: 

Es ift kaum mehr, ala man zu allen Zeiten 
- Bon uns, den Eottesaffen, fagen Tann. 
Sept fühl’ ich’s Mar, bu batteft Recht: 

Die Menihen find mehr dumm als fchlecht. 
Nur einen Fußtritt der Geduld! 

Die Tugend ift an allem Unbeil ſchuld! 


Die Cenſur (sinter_ipnen) : 


Gevatter Satan! Fauft! ich bitte, 
Laßt mich hinein in eure Mitte. 


Fauft (wirft fie zu Boden): 


Verfluchter Geift, Dich duld' ich nicht! 
Giftkröte du, verpefte nicht die Luft! 
Derdammtes Aas! Nihtswürd’ger Schuft! 
Die Hölle ſelbſt ſpeit Dir in's Angeficht! 


Mephiftopheles: 


Ei, ei, mein Freund, wer wird fo böje werden! 
Den treu’fien Diener fchlägft und Tchimpfeft du. 
Ich bitte, ſchnüre doch das Herz dir zu, 

Sonft haft du feine Ruhe bier auf Erden. 

Die Offenheit bringt dich zu Schanden, 

Das Schlechte ift einmal vorhanden. 

Was ſchief ift grad’ — das G’rade nur ill ſchief! 
Das nennt man hier in Deutſchland objektiv. 


Echwindelgeift: 


Ich liebe die Freiheit und babe Muth, 
Ich ſehe nicht ein, daß Alles gut; 

Ich Frieche nit um Gold und Gunft; 
Gebor’ne Größe ift mir Dunſt. 

Ich will das Geje für Alle gleich; 

Ich glaube an Gott, aber nit an Euch. 


20 Adolf Glaßbrenner. 


Bauft: 
Warum heißt biefer Geift nun Schwindelgeift ? 


Mephiftopheles: 
Man titelt manches anders, ala es beißt. 


Germania: 
Raſch Schwerter, Gewehre und Piden, 
Kartätſchen und Bomben herbei! 
Ich baue und fpieße mid einig, 
Und ſchieße mid glücklich und frei! 


Boruffie: 
Bon meinen Sorgen und Beichwerben 
Macht mi der Krieg nicht los: 
Did Tann ich wohl von Außen werben, 
Do nur von. Innen groß! 


Armer Bürger: 

Bei biefem ew’gen Rüften 
Wird's jo mit uns bald fteh’n; 
Ein Theil des Volk's wird fechten, 
Der and’re. Fechten geh’n! 

Ein Betrüger am Galgen: 
Muderih und Junkerich 
Haben mich erzogen, 
D’rum hab’ den Staat nit Ich, 
Er bat mich betrogen! 


Bleiche Geſpenſter (im Chor): 
Zur Erde den Blid. 


Das Menihenglüd 
Liegt im Zurüd! 


Fanft (su Meppiftopheles): 


Was tappen die, ala ob's zu belle wär’, 
Mit halb verbund’nen Augen bin und her? 


Mephiftopheles (huſtend): 
Das find die Herren Pi — Pi — etiften; 
Eie fpielen Blindefuh, die a 
Ein jeder bindet ſich die Augen 
Und wen er, faßt, wird gleihfalg. blinde Kuh. 


Fauft: 
Laßt ſie nur Feuer ſpeien, die dumme Schwärmerzunft! 
Es fließet klar und ruhig der Strom nach der Vernunft! 


Adolf Glaßbrenner. 11 


Er löſcht die glühenden Kugeln des Eifers gegen fich, 
Und machet die Yeloten am Ufer lächerlich ! 


(Roc) einer Paufe) : 
Doch ber, was prebigt er, was jchreit er? 


Mephiftopheles : 
Das iſt ein deutſcher Mäßigfeiter. 


Bauft: 


Hier no Vereine für die Mäßigkeit! 

Nun fteigen mir zu Berg die Haare! 

Auf einen Rauſch wart’ ich fchon lange Jahre, 
Nun noch Vereine für die Mäßigkeit! 


Bas dentſche Kieb. 


ei dir im Sternenglanz, 
Heil dir im Blüthentranz, 
Heil, Freiheit, dir! | 
Lorbeer aus unſerm Muth, 
Roſen aus unferm Blut 


Schmüden dein ftrahlend Haupt, 


Hell, Freiheit, bir! 


Wie klingt dein Name Ichön! 
Auf ihm zu —— — 
Schwingt ſich der G 

Freiheit, du —— 
Freiheit, du Liebesſang! 

In deiner Harmonie 

Lebt Deutſchland auf. 


Leben iſt Leben nicht, 

Wo nicht dein roſig Licht 
Alles umfließt; 

Menſchen ſind Menſchen nur, 
Schwingt aus der Creatur 
Jauchzend die Seele ſich, 
Freiheit zu dir! 


Geiſt, Muth und Kraft erglüht, 
Schönheit und Tugend blüht 
An deinem Thron. 

Stolzer ſchlägt jedes Herz, 
Kleiner wird jeder Schmerz, 
Es fühlt der Aermſte ſich 
Glücklich in dir! 


Brüder die Bruderhand! 


Freiheit und Vaterland! 


Ruft das Panier. 

Schwarz war die Kerkernacht, 
Roth iſt die Sonn' erwacht, 
O goldner Freiheitstag 

Sei uns gegrüßt! 


Heil bir im Blüthenkranz, 

Heil dir im Sternenglanz, 
Heil, Freiheit, dir! 

Laß’, Himmelstönigin, 

Laß’ deinen Heiland zieh’n 
Segnend durch's deutihe Land, 
Heil, Freiheit, dir! 


RE 


72 


Adolf Glafbrenner. 


>. Sudan. I 


Lin König ging im Monat Mai 
An einem grünen Wald vorbei; 
Kuckuck! 
Mit finſt'rem Aug' und finſt'rem Sinn, 
So brütet er vor ſich Hin. 
Kuckuck! Kudud! 


Das Blühen al’, ihm blüht es nicht, 
De Phuer fiehi ihm im Geſicht. 


„So viel Köpf’ beherrſche ich, 
Rein Herz in Liebe ſchlagt für mich!“ 
Kudud! Kuckuck! 


„Da hör’ ich ja den Kuckuck ſchrei'n; 

Das ſoll ein weiſer Vogel ſein. 
Kuckuck! 

Du weiſer Vogel ſag' mir doch: 

Wie lange Jahre herrſch' ich noch?“ 
Kuckuck! Kuckuck! 

Der Vogel hört ihn nicht und ruft 

Weit durch die freie Frühlingsluft: 
Kuckuck! 

Der finſt're König wird verſöhnt, 

Weils fort und immer wieder tönt: 
Kuckuck! Kuckuck! 


Drauf kam ein gnädiger Erlaß 
Vom Staatsminiſter auf die Gaß': 
ckuck! 

„Das Volk ſei aller Sorge baar; 

Der König Ve noch dreißig Jahr!“ 
Kuckuck! Kuckuck! 

„Der Kuckuck hätt' es ihm vertraut, 

& is Denn auch im Reiche laut — 


Und 's ſei' auch feine Frage nicht, 
Daß Gott ftets durch ben Kudud ſpricht. . 
Kudud! Kudud! 


So oft nun Seine Majeftät 

In Zorn und Wuth auf's Volk gerät — 
Kuckuck! 

Hört man im ganzen Lande fleh'n: 

„O wmöcht' er doch zum Kuckuck geh'n!“ 
Kuckuck! Kuckuck! 


— 


Adolf Glaßbrenner. 


Feltweisheit. 


ET du ein Sahr in Gram und Leib: 
Du lebteft keine Stunde Zeit. 


Ein Tag gelebt in Lieb’ und Kuß, 
Es ift ein ganzes Jahr Genuß! 


Ein Jahr verbradt in frommem Wahn, 
Sit Feine Stunde wohlgethan. 


Ein Stündchen Scherz, ein Stündchen Wein, 
Das ift: ein Jahr lang glüdlich fein. 


Ein Jahr im Staats: und Pfaffen-Yoch, 
War feine Etunde Leben noch! 


Ein Stündchen froh und frei die Bruft: 
Ein Jahr voll Leben und voll Luft! 


Du Knecht der alten Menjchennoth, 
Wie lang’ ſchon, Jüngling, bift Du tobt! 


Du Greis in der Erinnerung 
Durchlebter Freude: o wie jung! 


Wer fih in Angft und Bein begräbt, 
Der hat fein Leben nicht gelebt. 


Wer nur nah Luft und Schönheit ftrebt, 
Der hat die Ewigkeit durchlebt. 


Wem niemals um den Himmel bangt, 
Der hat den Himmel ſchon erlangt. 


Ein Leben ohne Harm und Leid, 
Das ift die ewige Seligfeit. 
’ 


, yRr 
Am Hreien. 


a unten der Wald in dem blauen Duft! 
Die Felder fo friih und jo bunt! 
In diefer Welt, in dieſer Luft, 
Wie wird mein Herz geſund! 
Es fliegt mit dem Vogel hinauf und weit, 
Weithin über Berg und Thal! 
Hier feufzt Fein Sklave, bier ftöhnt Fein Leid, 
Keine Sünde und feine Moral! 


RL 


73 


74 


) 
Abolf Glaßbrenner. 








Bentree Sklaven. 


albesgrün bekleidet fireden 
Stolz ihr Haupt empor zum Himmel 
Jene riefig hohen Berge, 
Schau'n verächtlich auf bie Zwerge, 
Auf das emfige Gewimmel 
Dort in Dörfern und in Fleden! 


Denn fie bieten reihen Segen 

An Metallen, Holz und Steinen, 
Bieten Flüffe, Felder, Früchte, 

Unb doch ſeh'n fie das Gezüchte 
Jammern, hungern, betteln, weinen 
Drunten auf ben blüh’nden Wegen! 


Mehr als Tau auf gold’nen Auen 
Blitzen hier der Armuth Thränen — 
Und inmitten üpp’ger Thäler, 

Nur zur Wolluft ihrer Ouäler, 
Nackte Menſchen unter Thränen 
Hier an trodnem Brode kauen! 


Sol ih nun zu ſchildern trachten, 
Wie in Weh' mein Herz geſchmolzen 
Euer elend, elend Leben? 

Nein, mag mir es Gott vergeben ! 
Wie die Riefen dort, die ftolzen, 
Sklaven! muß ich eu verachten! 


Rfbreee DUCE. 


Dr. Bruno Wille, geb. 6. Februar 1860 zu Magdeburg, beſuchte Die Symnaſien zu Magder 
Burg, Zübingen und Nahen und die Univerfitäten Bonn und Berlim, wo er anfang® evangelife £ 
logie, dann Philofophie, Raturmifienihaft und Maihematit ftudierte, wähend bie fhöne Litteratur umb 
Die Eogtatwiffenfcaft Hervorragende Nollen in feiner Leftüre und feinen Unterhaltungen bildete. Con 
auf der Univerfität mar er ein begeifterter Anhänger des Eoyialismus. In Bonn verkehrte er mit dem 
Arbeiterphilofophen Iofef Diepgen: 1N86 begleitete Wille ben Berülgmten Geograpsen Krofeflor Riepert 
auf einer Heinen Forfhungsreife in Aleinafien. Später lebte er ın Berlin ala Edpriftfteler. Lebhaft 
beiheiligte er fich dafelbft am der ſoziaiiſtiſchen Agitation, ſowohl als Journaliſt mie au beſonders dis 
Reiner. Er war ein Wortfirbrer der „Sungen“, die fih nad dem Erfurter Parteitongrek „Unabhängige 
Soyialiften“ nannten Seitdem ift Zılle urunbfäglih porteilod — obmohl er einer foglalpolitifcyen 
angehört, die man als cine 'Xerihmeliung des Eojlallemus mit dem liberalen Andiob 
dualismuß bezeichnen darf. Gr wirkte ald Epreder und Sehrer in der Freireligißfen Memeinde zu Berlin 
und gründete die Freie Woltsbübne u Berl, die er zwei Iatre lang ald Borfigender leitete, darauf 
die eve freie MWoltsbübne, der er mod heute vorftebt. Im Deutfchen frreidenterbunde wirkt er feit 
Ihren ald Vorftandsmitglied und Redakteur des Wundesblatte® „Der Freidenter“, Bom preußiihen 
‚Miniter der Deifeöfreibeit“ Dr. Bofie wurde Wille wegen feiner angeblich umftürglerifjen und atheiftir 
{hen Gefinnung der Jugendunterrict verboren. Mleihwohl unterrißtete Mille nod Iafre lang. Die 
über ihm deswegen verhängten @eldftrafen fhmollen auf mebrere taufend Mark an. Wille verweigerte 
bie Sablung und wurde mun auf adminiftrativem Wege, ohne ridpterliche Entfheidung, in Haft genommen. 
us der Gaft richtete er ein lugblatt an das beutfer Nolf und die SBrofglire „Sibirien in Breußen". 
Nad) einigen Boden murde er, weil die Vewegung ju feinen Munfien dem Minifier unbequem geworden 
fein mag, „auf Urlaub“ entlaffen. Tiefer Urlaub dauert nod fort. 1897 hielt Wie Vorträge in Wien 
und Gray, murbe unter der enide des Yaffenminifters Yadeni verhaftet und ded „Werbregens ber 
Religiondftörung” angeklagt, begangen durch „Verbreitung von Unglauben“. 8 Monate lang war Wille, 
durd Ehrenwori und Caution gebunden, in Deiterreid) interniert, wurde aber von der Sauptankluge freie 
geprogen, jebod) für alle Zeit aus Defterreih ausgerviefen. Ceit gehn Iahren wohnt Mille mit feiner 
‚rau in märfifger Kieferreinfamteit au Zriepricsbagen bei Berlin, in innigftem Verkebr mit feinen 
tterarifgen Freunden Wilbelm Nölfee, Auliu? Sart und Anderen. Er bat gmwei Igrifhe Bücher herauss 
gegeben: „Einfiebler und Menofie”, foxinle Medihte (Werlin bei ©. Kifcer, Voltdausgabe bei Adolf Boffe 
mann, dafelbft) und „Cinficdeltunfi aus der Kieieinbaide (Schufier und Köffler, Berlin), Mauptmerte 
find no: —E ber Vefreiung” (bei S. Fiſcher) und „Lifendarungen des Wochholderbaums — 
Roman eines Ajrhers.” 




















Die Kommende Komme. 


„Mutter, gib mir die Sonne I” 


Ss brennt in meinem Gehirn 
Ein Traum mit gährender Gluth, 

Wie hinter Veſuvius Felfenftirn 

Der Erde fieberndes Feuerblut. — 

Ich träume bie fommende Sonne. 


Ibſen. 


Und wie des Meeres Fluth empor 
Zum lockenden Monde ſchwillt, 
Wallt meine Seele ſchmachtend 

Dem angebeteten Traumgebild 
Entgegen — der kommenden Sonne. 


In ſtummer Nacht, dem weichen Arm 
Schläfernder Ruh entwunden, 

Wälz ih mich mit heißem Sehnen, 
Fülle mit Grübeln zögernde Stunden 
Und barre der kommenden Sonne. 


Bom Lager fahr’ ih wild empor, 
Wiffende Bücher aufzufchlagen; 

Ihr flarren Büge, laßt mich leſen: 
Mann wird umnadteten Völkern tagen 
Die jelig machende Sonne? 


Es treibt mich auf die Gaflen hinaus; 
Da athmen die Gafien Moberluft; 
Ein fteinerner Sarg jebwedes Haus, 
Die Stadt eine riefige Gruft. — 
Erbarme di, kommende Sonne! 


Und jchaudernd dur das Thor der Gruft 
Flücht' ih hinaus auf off'nes Feld, 

Zu ſpähen, ob die finfl’re Luft 

Ein Morgenihimmer nicht erhellt. 

Ich ahne die fommende Sonne. 


Und fieh, des Lichtes Halme ſchießen 
Empor vom grauen Himmelsftrande, 
Wie hinter ſchwarzem Schildesrande 
Blutige Speere prießen. 

Das find die Speere der Sonne! 


Bruno Wille 


Da weidht der Drache der Verweſung 
Bon feinem Neft, der Völkergruft; 

Er faltet die zadigen Ylügel 

Und riecht entjegt in eine Schluft. — 
Preis dir, fiegende Sonne! 


Nun taucht am froh erröthenden Himmel 
Empor der rollende Feuerball. 

Da zittert die Erde, da berften 

Die Rieſenſärge mit Donnerſchall. — 
Preis bir, erlöfende Sonne! 


Die tobten Völker ftehen auf 

Und baben im goldig. firömenden Licht; 
Die Leiber blühen ſchön und ftark, 
Und geiftig ftrahlt das Angeſicht — 
Preis bir, erwedende Sonne! 


Die Erde jhimmert wie eine Braut 
Im Schmud der Blumen und Seen; 
Hinter üppig grünenden Hainen 
Marmorhäufer erftehen. — 

Preis dir, verklärende Sonne! 


Und aus ben Thoren ber Marmorftadt 
Walt des Volkes feſtliche Schaar, 
Bringt Fahnen, jelige Lieder, 

Trunfene Blide zum Opfer dar 

. Der entzüdenden Göttin Sonne. — — 


So brennt in meinem Gehirn 
Der Traum mit gährenber Gluth, 
Wie hinter Veſuvius Felfenftirn 
Der Erde fieberndes Feuerblut. — 
Ich träume die fommende Sonne! 


Be 
Die Wolkenftadt. 


„Und ih, Iohannes, fat bie heilige Stadt, das 
neue 2erufalem, . . . . au3 dem Simmel herabfabren, 
zubereitet als eine gefhmüdte Braut ihrem Ranne.* 


> Offenbarung Iohanni?. 


eber rußbeftaubten Dächerwogen, 
Straßendunft und dumpfem Werfgetoje, 
Ueber all dem bang belad’nen Volke 
Schwebt die Wolke 
Blendend weiß, wie eine Rieſenwaſſerroſe 
Ueber ſchwarzem Kolfe. 





Bruno Wille. 


Und bernieder blidt die Reine 

In den büftern Hof, wo zwiſchen Mauern, 
Ungeliebt vom Sonnenfcdeine, - 

Ein gebeugtes Weib die Jugend muß vertrauen 
Bei der Nabel fieberhaften Raſſeln. — 

Blaſſes Weib, erhebe dein Geficht 

Zu der Wolle hHehrem Licht! 


Und ihr Werkelmänner arbeitsheiß, 


Laßt das Hämmern, laßt des Schwungrabs Treiben, 


Tretet an die trüben Werkitatticheiben, 
Trodnet von der Stirn den Schweiß, 
Andachtsvoll den Blid erhoben 
Bu ber weißen Wolfe broben! 


Alle, die durch grauer Gaſſen 
Grübend haften und einander haſſen 
Um ein farges, hartes Brod, 

Die um armen Leibes Noth 

In das Morgen Ichau’n mit Bangen, 
Die gebrochen und verlafien 

Hüfteln mit gehöhlten Wangen, 

Die den Tod verzweifelnd juchen, 
Oder hinter Eijenftangen 
Schmadtend fluchen, — 

AN die Fenfteraugen jener langen 
Häuferreihen jollen aufwärts ſchauen 
Bur verflärten Wolfe. . 


Sn dem matten, waflerblauen 

Abendhimmel ſchwimmt das felige Eiland 
Ruhevoll und glänzend weiß, 

Wie auf Hochgebirgen Teufches Eis. 

Sanfte Thäler thun fi droben auf; ich ſchaue 
Seibenzarte, jchneeige Hyazinthenfelder, 

Auf den Hügeln duftige Apfelblüthenwälder 
Und dazwiſchen, blitzend gleich dem Taue, 
Alabafterne Paläfte. 

Um Geblüm und Blüthenäfte 

Hauchen Lüfte, friſch wie auf der Alpenaue, 
Und da ſingt es wie von Kinderſtimmen. 

Doch wo weilen ſie, die auf den Himmelsthronen 
Rein und ſelig wohnen? 


Dort an weißer Hügel Rändern 
Steben fie in jchimmernden Gewändern, 
Eng geihaart. Und fieh, die Einen 
Hüllen ihr Gefiht und weinen, 


19 





Bruno Wille. 


Andre ſchauen ſtarr und trauern, 
Oft zufammenfchauernd, 

Wie entſetzt, hernieder 

Auf der Weltſtadt wüſte Rieſenglieder, 
Die in Staub und Sünde angſtvoll Feucht 
Und in liebendem Erbarmen 

Möchten fie die Stadt umarmen: 
„Arme, trübe ‚Schwefler, hebe 

Deinen Blid zu uns und ſchwebe 
Sehnſuchtsvoll empor, — 

Wie ein frifch erblühter Silberfalter 
Sonnetrunten aufwärts fliegt, 
Während grau und leer fein alter 
Puppenfchrein im Staube liegt.“ 


u 


= Straße. - 


„Das Lit in und iſt zur Finfternig geworden: und die Finfternt 
in der wir leben, ift furdtbar ——ze ⸗ he 


An büfter ragenden Häuſerwällen 
Durch flammenbefäte fteinerne Schlucht 
Branden die rafjelnden Wagen, die Menſchen — 
Wie Wellen in Elippiger Meeresbucht — 
Der rothe Vollmond taucht empor. 


Die Menge wühlt und drängt und ftößt; 
Jedweden fümmert nur jeine Noth — 
Wie auf dem Ded des Ieden Schiffes, 
Das in ben Tod zu finfen droht — 
Der rothe Mond fcheint düfter drein. 


Auf glattem Bürgerfteige fauert — 
Gleichwie am Feljenriff dag Wrad — 
Ein Mann mit vorgefunfnem Kopfe, 
Zur Seite einen Qumpenfad — 

Der Vollmond blidt mit büftrer. Gluth. 


Die Leute auf dem Bürgeriteige 
Treiben vorbei und bliden kalt'; 
Die Pferbebahn beglogt im Rollen 
Mit grünem Auge die Geftalt — 

Der rothe Mond fcheint düfter drein. 


Dort drüben lodt die blutige Flamme 
Dem Schnapswirth manden Gaft ins Haus; 
Und öffnet ſich die dunſtige Schente, 
Dringt Schelten und Gejohl heraus — 
Der Vollmond blidt mit duͤſtrer Gluth. 


Bruno Wille. 81 


Des Handelshaujes Fenfterreihe 

Iſt noch vom Gaslicht grell erhellt; 

Papier und Pult und blafje Schreiber; 

Der Chef durchzählt des Tages Gel — 
Der Vollmond blidt mit düftrer Gluth. 


Nun heult vom Hofe die Mafchine 
Zur Vesper; da entläßt dae Thor 
Viel arbeitsmatte Blujenmänner ; 
Nur der Fabrikſchlot ſtößt empor 
Zum rothen Monde Ihwarzen Raud. 


Ein würbiger Bürger kommt gefchrftten, 
Den Lump am Steige trifft fein Blick; 
Entrüftet, mit dem Kopfe fchüttelnd 
Geht er zu Bier und Politik — 

Und zornroth glüht der volle Mond. 


Ac 
Am Ängeſicht des Berges. 


„Wehe eu ... ihr Heuchler, die ihr gleich feib den Übertündhten 
Sräbern, welde auswendig hübſch erfcheinen, inwendig aber voller 
Kodtenbein und Unflath find I” Jeſus. 


Er blide ſchweigend auf das weiße Tuch 
Und tippe finnend mit dem Tafelmefler; 

Weingläjer Elirren, eine Dame lacht, 

Die beiden Diplomaten reden wichtig, 

Und Seidenroben duften nah Parfüm. 


Doh über die Terraffe weht ein Hau 
Aus waldiger Bergesschlucht jo fühl und rein; 
Tief athmend jchlage ich die Augen auf. 


Da übergipfelt fih der krauſe Wald 

Den Berg hinan, da lagern grüne Matten 
An Felsgehängen, und mit ſchroffem Stolz 
Erhebt der Rieſe himmelan fein Haupt. 


„Entzückend!“ liſpelt meine Tafeldame, | 
Die Gouvernante. | 


„Ceterum censeo, 
Ich muß es ftets betonen, Herr Minifter, 
Erhöhen wir den Schugzoll! Unfer Staat, 
Berlafien Sie ſich drauf, wird ausgefogen. 
Das einzige NRettungsmittel ift mein Antrag.” 


82 


Bruno Wille. 


Wie offen blidt das Deputirtenauge — 
Nur bligt es heimlich drin: „Wenn es gelingt, 
O köſtlicher Profit!” 


Ein Vogel kreiſcht und ſchlägt mit ſtarkem Fittig 
Und wiegt ſich ſpähend über Wald und Schlucht; 
Dumpf toſt der Gießbach zwiſchen Felsgeblöck, 
Und eine Wolke ſchattet. 


Geil grinſend drückt die alte Excellenz 

Die Patſchhand ſeiner Dame an den Weißbart. 
Die Gnädige lächelt wie ein Kind — und denkt: 
„Hat erſt mein Mann die Stelle in der Taſche, 
Dann, Herr Proteftor .. . . warte, alter Eſel!“ 


„Entzückend!“ liſpelt meine Tafelbame 

Durch ihre falſchen Zähne; „o Natur!" 

Und blidt hinan zum Angeficht des Berges, — 
Das fi verfinftert und in Wolfen büllt. | 


Nur auf der Matte ruht noch golbnes Licht; 
Das lächelt mich wehmüthig an. Ich ſchlage 


Die Augen nieder auf das weiße Tuch 


Und tippe finnend mit dem Tafelmeſſer. 


* 


Sterbensmüde. 


achts in ſtummer Kammer lag ich 

Sterbensmüd’ und lebensbang; 
Sorgen, irr wie Fledermäufe, 
Huſchten das Gebälk entlang. 


Geifterhaft ein ernftes Weib 

Mir zum Troft am Lager wachte, 
Starrte in die RKerzenflamme; 
Und da las ih, was fie dachte: 


„Weine, bis du mit verweinten 
Augen endlich ar erſchauſt, 

Daß die holde Welt ein Trugbild, 
Dem bu niemals ftraflos trauft. — 


Fünf du ftattli Schrein und Trube, 
Bleibt die Seele dennoch leer; 

Trinkſt bu von dem Trank der Ehre, 
Wird dich dürften mehr und mehr. 


Bruno Wille. 


Und nun Becher, Spiele, Tänze, 
Feitgepränge dur den Saal... . 
Mitten in dem Rauſch der Freude . 
Füblteft du geheime Dual. 


Voller Liebe und Vertrauen 
Drüdteft du fo mande Hand; 
Als du in das Herz geſehen, 
Haft du trübe dich gewandt. 


Einem argen Rojenftraudhe 

Gleicht das Leben, dornbewehrt; 
Hält die wunde Hand die Rofe, 
Hat ein Wurm den Kelch verjehrt. 


Darum laß die Roſen gleißen, 
Geh vorbei und blide kalt! 
Ueber folche, die entjagen, 
Hat das Leiden nicht Gewalt.“ 


vogte 
Am Kiefernforfe. 


„Ein eng F in meine Wohnung 
and; 


Ich reichte ihm d 


83 


Er jegte ih an Meinen Herd und hielt 
Die Stirne In ben Bänden 
Und frug: „Saft du der Ochfen viel?” 
Und feine Füße waren voll von Staub. — 
IH babe nit gefragt: Bon meldem Dorf bift du? 
Er hatte feinen Sad zu mir dabingefegt, 
Und diefer Sad enthielt blos einen Stein.” 
(Der Rhapfode der Dimbovitza.) 
„Es zehrt 


An aller Mark der Sünde freſſend Feuer; 

Ein jeder iſt verſchuldet jeder That, 

Und jeder trägt auf feiner Seele ungeheuer, 
® Was jeder je an Schuld und Frevel that. 

Ahr ftoßt den Einen tief hinab in Nacht, 

Den Andern hebet ihr empor zum Licht, 

Lehrt ihr die Blinden, was fie fehend magt? 

Und trodnet ihr der Beinenden Geſicht? 


1 Julius Sart. 


Verſammlung. 
Wie ruhevoll iſt eure Verſammlung 
Braunhalſige Kiefern mit dunkelbuſchigem Haar! 
Ihr ſchweiget, weil euch wohl iſt 
In träumeriſchem Frieden. 
Erquickend kraftvoll duften eure Nadeln, 
Dazu der violette Thymian, 
Die ſtruppigen Wachholderbüfche, 
Die Inabengleich bei Hochgewachſ'nen ftehen. 
Es ift jo ftill, ich höre meinen Athen; 
Ein kleiner Vogel nur jchlüpft zirpend im Geäft, 


6* 


84 


Bruno Wille. 





Auf zarter Birke zirpt die Grille leife, 

Und wenn der Wind fich janft erhebt, 

Durhwallt ein hauchend Saujen die Berfammlung, 
Und alle Kiefernhäupter niden, 

Sn würbdevoller Eintracht finnend. — 


Ich weiß mir einen andern Wald; 

Der wogt im mädtigen Saal; die Wipfel 

Sind finftre” Proletarierköpfe. 

Die Leuchter an der Dede flammen trübe, 

Don raudig ſchwülem Dunfte halb erftict. 

Nun ſchrillt die Slode, ftumm wird das Gebraufe, — 
Wie wenn ein Wald vor dem Gewitter fchmeigt! 
Der Führer fteht erhöht; wie ſchwarze Wollen 
Ballt er Gedanken heiligen Zorns zufammen; 
Und Spannung bält gefeflelt die Gefichter, 

Und Blitz auf Blitz durchzuckt die Männerherzen, 
Bis gleich dem Hagel wilder Beifall praffelt, 
Und Rufen tönt und donnergleihes Grollen ... 


D Sonne binter den Kiefern, - 
Rothglühende Abendionne! 

Wie ſchwimmſt du mit Entzüden 

Im angefirahlten Himmeletriche! 

Du bift entzüdt, weil du fo ſchön 

Den Himmel und das Land beitrahlit. 

In tiefen, trunfenen Zügen 

Und leiſe jchwellend jaugft du 

Den goldigrotben Athem ein 

Und hauchſt ihn liebend 

Sn langen Etrahlen durch der Kiefern Gaſſen. 
Da bduften, überftäubt von Glanz, inbrünftig 
Strohblume, Haidefraut und Thymian; 

Bol Ehrfurcht fteht der ftruppige Wachholder, 
Die hochgewachſenen Kiefernftämme gleißen 
Wie glühende Stengen, ihre Häupter ftarren 
Andädtiglih mit ftaunendem Saufen 

Hinein in des hehren Weltenfeuers 

Blendend großen Tropfen... . 


D Sonne brih mit deiner Gluth 

Auh in den andern Wald, | 
Wirf deine Strahlen in Gefiht und Augen 
Verhärmter Menjchen, 

Entzüdend und erlöfend! 

Bald, o Sonne, bald! 


a 


Bruno Wille. 85 





ö— —— —— ——— — — — — —— 


II. 
Arme Leute. 


Bei düſtern Haidekiefern 
Stehn ſpärlich mag're Aehren, 
An dürrem Sande ſaugend, 
Verzweifelnd, ſich zu nähren. 


Da kauert ein lehmig Häuschen 
Mit Düngerhaufen und Karren; 
Kläglich meckert die Ziege, 

Und ſtruppige Hühnchen ſcharren. 


Aus der Thüre humpelt ein krummer 
Kleinbauer, emporzufpähen 

Zur bleiern fehleihenden Wolke, 

Zu bungrig Frächzenden Krähen. 


Nur karge Mitleidszähren 
Bermag bie Wolfe zu jchenfen; 
Dann fchleiht fie trübe weiter, 
Ohne Kraft zu tränfen. — 


Selber arm und traurig, 
Folg’ ich der mweinenden Wolfe 
Und denk an arme Leute 

Und leide mit meinem Volke. 


Er 


II. 
„Berurtheilt zu lebenslänglichem Galgen.“ 


Ich babe geträumt! — Noch pocht mein Herz 
Von Gram und Grimm empört, 
Und Tyränen der Ohnmacht negen mein Killen. 


Dog ruhig! Stil! Es war ein Traum! 


Wie dumpf die Stube! Der Mond fcheint hell 
Wie bläulich brennender Sehwefel 

Und tündt an die falfige Wand 

Mein bäuerlih Feniter grell; 

Sm morſchen Holzgetäfel 

Pidt ein Wurm oder nagt ein Mäuscen; 
Draußen pfaucht ein Käuzchen 

Gedämpft im Kiefernforit . . - . 


86 


Bruno Wille. 


Was hab’ ih nur geträumt? — 

Ich ward gefnebelt von viehifhen Schergen, 

Bor raubthieräugige Nichter geichleppt; 

Die fchrieen funtelnden Auges: „Schuldig!”; 

Eine Menſchenmenge brüllte: ‚Shuldig!*; 

Es war eine ganze Welt. 

Doh mein Herz ſchluchzte: „Nein! 

Ich bin rein, wie Jeſus rein!“ 

Und eine ftarfe Stimme ſprach: 

„VQerurtbeilt zu lebenslänglidem Galgen!“ 
Und die Menge johlte: „Zu lebenslänglihem Galgen!“ 


Nun padten mich die Henkersknechte 

Und jchleiften mich zum Galgen; 

Ich ward mit der Schlinge gewürgt; 
Doch ohne zu fterben! 

Und täglich ſollt ich fo 

Am Galgen leiden, ohne zu fterben, 

Im Herzen bie Stimme ber Aniculd. — 


Sei ruhig, Herz, und poche nicht! 
Zerblaſen iſt alle Gefahr: 

Es war ein Schaum, ein Gaukeltraum! — 
Ach wohl, es war Gedankenſchaum, 

Und doch — ſo bitterlich wahr! 


Die Schergen, die Richter, die Henker, den Galgen, 
Ich kenne ſie insgeſammt, 

Kenne die Welt, die mich verdammt 

Zum Galgen Zeit des Lebens. 

Wie heißt der Galgen? Mangel, Notb, 

Sorge um Stube, Kleider und Brob, 


Knechtung, Schmähung, wüften Strebens! 


Verfluchte Welt, die mich umfängt, 
Tagtäglih an den Galgen hängt, 
Verfluchte Welt! .... 


Auf! Hinaus! Ich halt' es nicht aus 
Auf dem Lager in dumpfiger Kammer, 
In traumdurchdünſteter Folterkammer. 


Hu, wie gluthig 

Der Mond in zackiger Wolke rollt! 

Gleich der Augenkugel blutig 

Von feuerſchwang'rem Drachen 

Mit aufgeriſſenem Rachen! 

Das Auge blinzelt, ſcheint zu brechen, 
Zwinkert dann mit tückiſchem Stechen, 

Rollt wieder auf und glotzt mich drohend an. 








Bruno Wille. 87 


Drade, nun erkenn' ich dich! 

Du biſt der Fürſt der verhaßten Welt, 

Die mih am Calgenftride hält; 

Und während Kröten und Unten 

Heulten und fchnurrten in Moos und Grafen, 
Sat bein zorngeblähter Bauch 

Schmwüler Träume giftigen Hauch 

Mir ins Fenfter geblajen .... . 


Sa, was jah ich! 

Du haft dein Auge verloren 
Zackiger Drachenleib, 

Und bift geſchwärzt vom Tod! 

Da liegt die Augenkugel triefenb roth 
Auf büfterm Kiefernforfte, 

Dem rauchige Brunft entloft — 

Ein glühendes Ei im brennenden Nefte! 


Ja brenne nur, unholde Vefte 

Der alten Welt, jammt Galgen und Hentern! 
Mit Flüchen will ich deine Funken 

Schüren, bis du in Aſche gefunfen. — — — 


Nun allen Sorgen fern, 

Wend' ih mih um — 

Zum Morgenflern, 

Der leuchtend groß ˖ wie eine weiße Waſſerroſe, 
Berzüdt wie ein Prophet, 

Am mildigen Himmel ftebt. 

Wölkchen Schwimmen goldfiſchgleich; 

Das graue Korn erſchauert; 

Freudig blitzt es auf im windgekräuſelten Teich; 
Erwachte Waſſerſpatzen 

Zwitſchern froh und ſchwatzen 

Im friſchdurchhauchten, wogenden Rohr; 

Und aus thauverſilberten Halmen 

Steigt die Lerche, das Auge im Glanz, empor 
Mit ſeligem Tirili. 


bt 
>> IH will! I 


Kos ftand ih auf dem Dach und jah feltfamfte Morgengluth: 

Ringe wogte über die Häufer hin ein Meer von Brand und Blut. 
Es brüllte die ſchwarzroth qualmende Schlacht: mitzornigem Rnattern ſchoſſen 
Behelmte Feinde zu uns empor; doch es troßten feft die Genoſſen 
Wie Feljen im ſchlagenden Hageliturm; verheerende Bomben ſchwangen fie 
Und manchmal durch das Schlachtgetoſ' die Marfaillaife fangen fie. 


88 Bruno Wille. 


Ihr wolluftsgirrendes Mordlieb pfiff eine Kugel an meinem Obr; 
Da bäumte fi meine Seele jäh, gleich wüthiger Schlange, empor, 
Den Eprengball zudte die frallende Fauft nach den feint Sen „mienben 
Maſſen 

Und ſchmiß des Todes reißende Saat hinunter mit jauchzendem Haſſen. 
Und dumpf . 

Ein Rollen . . ‚ein Peitſchengeklatſch und Getrappel... . golbflirrender 
Und fieh! Die Morgenfonne ftrablt ins offene Fenfter herein; (Schein, 
Im Bette lieg’ ich; es war ein Traum! 

Nicht Kugeln, — die, Schwalben girren! 
Und ſchießen um mein ländliches Dach, und droben im Mattblau ſchwirren 
Lichtfrohe Lerchen Durch thauige Flur trabt munter das Pferd mit dem Wagen; 
Drauf figt der junge Bauer und ſchmaucht fein Pfeifchen mit Behagen. 
Und fährt jo fiher hinein in die Welt. Ich aber jeufze und ſchwanke 
Und bin auf bangem Lager bier ein zweifelnder Gebante. 
Noch hält der zornesgluthende Traum mein Herz in banger Stodung, 
Und ſchon umſchmeichelt mich jo ſüß des Lebens liebliche Lockung. 
Da ſchwindelt mir; Verwirrung, Scham, fie überfluthen heiß mid); 
D ih vermeſſener, armer Thor! Was bin ih? Und was weiß ich? 
Ich bin nur ein Halm im wogenden Feld und wähnte, ich jei Das Feld; 
Und ih wanke und ſchwanke in Lieb’ und Haß, und mir däucht ich be- 
D ih Irrthum und ſchwächlicher Widerſpruch! — [wege die Welt. 
Und doch! Mas bier erwacht 

So grimm und fühn, tft Irrthum nicht, ift Zwietracht nit, — it Macht! 
Ich bin die einige Macht, bin Lieb’ und Haß mit einem Male, 
Eo einig wie Kaftanienfruht und ihre Stacdelichale. 
Und die hafjende Liebe, der liebende Haß, jo in mir gährt und fchafft, 
Das ift der Menſchheit Lebensdrang, ift die mweltbewegende Kraft. 
Ich will! Und diejer Kraftfirom wird durch alle Zeiten wallen, 
Wird Arme breiten ſehnſuchtsvoll und Fäuſte drohend ballen. 
Ich will! Und wenn mein trotziger Mund auch längſt im Tode ſchwieg, 
Ich will! — Und ewig iſt mein Kampf, und ewig iſt mein Sieg. 


LS 


— Sukunft. — 
Zukunft iſt ein Würfelbecher, | Zukunft ift ein Würfelbecher: 
Der ein Würfelpaar bededt. Längſt gefallen ift dein Zoos. — 
Längſt gefallen jind die Würfel, | Tarum blide auf den Becher 
Doch der Wurf ift noch verſteckt. Ohne Furcht — und hoffnungslos. 


BARTH 








7 Pierre Jean de Beranger. I 





Pierre Jean de Beranger (fpr. Berangiceh), geboren zu Paris am 
19. Auguft 1780, darf mit Recht der voltstgümlichfte Dichter Frankreich genannt werben. 
In ärmlihen Verhäftniffen aufgewachſen, von feinem Großvater, einem Schneider, er- 
zogen, warb ber Knabe zuerft Kellner in einem Wirthshauſe zu Peronne, mit 13 Jahren 
Bucdruderlehrling, dann Gehilfe feines Vaters. Nach deffen Banterott 1798 konnte er, 
freilich in großer Dürftigfeit, der Liebe zur Poeſie ungeftört nachhängen. Die erſte 
Sammlung feiner Gebichte erſchien 1815 unter dem Titel „Chansons morales et autres.” 
Nach dem Sturze Napoleons Hat Beranger zwei Dinge verherrlicht, die ſich fhlect mit 
einanber vertrugen: Den Weltbezwinger Bonaparte und die politifhe Freiheit. Obgleich 
bie vom ihm oftmal3 heftig angegriffene Regierung ihm 1821 fein Aemtchen bad feine 
Gonner ihm verſchafft hatten, nahm, ihn zweimal zu Monate langer Haft und zu hohen 
Geldſtrafen verurtheilte, erfchlenen noch zwei Sammlungen feiner Gedichte vor Ausbrud) 
der Julirevolution. Im Kerker, die ihn im Ganzen ein volle Jahr von ber Außen: 
welt ſchled, hat er feine fühnften Lieber verfaßt. Nach der Februarrevolution wählten 
ihn 200,000 Stimmen aus dem Seinebepartement in bie Nationalverfammlung. Beranger, 
farb am 16. Zuli 1857 zu Paris und bie Regierung, welche biefen fühnen republitaniſchen 
Freidenler, biefen Feind der Höflinge, der Zefuiten und bes herrſchſuchtigen alerus nicht 
Vieben, ihn aber auch feiner Popularität halber nicht ignoriren Tonnte, 30g ſich durch feine 
prunthafte Beerdigung auf Staatskoſten aus der Berlegenheit. Die legte Sammlung 
feiner Lieber ließ Beranger 1833 erfcheinen; in's Deutſche wurden fie überfegt von 

+ Ehamiffo und Bauby. 




















RT ee] 


Die Keliguien. 


Sin Nekromant ſtand am Altar; 
Er ſah mich bie Gebeine küſſen 
Des Heil'gen, deſſen Feſt es war, 
Und ſprach: „Der wird uns beichten müſſen.“ 
Raum hatt’ er auch mit leilem Ton 
Die Zauberformel ausgeiprocden, 
Der Heil’ge fitt und ruft uns ſchon 
Mit goitesläfterlidem Hohn: 
„Ihr Srommen, küßt nur meine Knochen! 
Ja küßt, ja küßt nur meine Knochen!“ 


Und wiehernd lacht nun bas Skelett, 

Und fchreit uns gellend in die Obren: 
„Schon taujend Jahr’ auf glüh’ndem Belt 
Muß ich für meine Sünden jchmoren, 
Doch hat ein wanftig Priefterlein 

Den Heiligen in mir gerochen! 

Ich bring’ ihm aber tüchtig ein, 

Er fann mit mir zufrieden fein. — 

Ihr Frommen, füßt nur meine Knochen! 
Ya kußt, ja küßt nur meine Knochen! 


Ich war ein Bettler, Gauner, Dieb, : 
Sprach falihes Zeugniß auf Begehren; 
Darauf als Straßenränber trieb 

Ich's ritterlih, und kam zu Ehren. 

Ich hab’ auf eig’ner Burg gewohnt, 
Bin oft in Kirchen eingebrochen, 

Hab’ guter Heil’gen nicht gejchont; 

Ihr feht, wie mir der Himmel lohnt. — 
Ihr Frommen, füßt nur meine Knochen! 
‘a kußt, ja küßt nur meine Kochen! 


Küßt auch den Schädel dort, doch hat’s 
Bis morgen Zeit, an ihrem Feſte; 
Von einer Yüdin, meinem Schab, 
Sind biefe heil’gen Ueberrefte. 

Ste hat die Hölle gut bedacht, 

Auf fie mag Lucifer wohl pochen;. 
Zu ftraudeln hat ihr Reiz gebracht 
Don Mönchen eine ganze Tradt. — 
hr Frommen, küßt nur ihre Knochen! 
Ya kußt, ja küßt nur ihre Knochen! 


92 


Pierre Jean de Beranger. 


Dort wird ein Heil’ger and’rer Art, 

Ein Schädel, wie von feinem Denter, 
In gold’nem Schrein wohl aufbewahrt; 
Erſt dummer Dieb, dann wit’ger Henter. 
Sein Werk trieb er zur höchſten Luft 
Des Hofs bet feftliden Epochen ; 

Wir haben beide brangemußt, 

Zu welder Ehr', ift euch bewußt. — 
Ihr Frommen, küßt nur feine Knochen! 
Ya Füßt, ja küßt nur feine Knochen! 


Doch wenn die Pfaffen ausgeitellt 
Zur frommen Ehau den morfhen Plunder, 
So regnet’s in den Kaften Gelb, 

Das ift das Wunder aller Wunder! — 

Des Teufels Horn ruft, meiner Sir! — 
Adieu, wir werden unterbfocdhen.“ 

Eich niederlegend ftiehlt er fir 

Noch vom Altar das Erucifir. — 

‘hr Frommen, küßt nur feine Knochen! 

Ya küßt, ja küßt nur feine Knochen! 


Rh 
Die Gräber der drei Anlitage. 


(1832) 


efränzt die Gräber unſrer Julitage, 
Vollbringt, Ihuldloje Kinder, heil’gen Brauch; 
Hier Blumen, Palmen diefem Sarkophage, 
Wie Kön’ge hat das Voll nun Mäler aud). 


Er rief: „Zu Hilfe dem bedrohten Throne! 

Die Lilten hoch! den Aufgeregten Krieg!" — 
Paris in Waffen widerhallt mit Hohne: 

„Hoch, hoch die Freiheit! den drei Farben Sieg!” 


„Bas find denn eure Thaten, eure Gaben, 
Womit ihr, Uebermüth’ge, uns erjchredt? 

Meint ihr's dem Corſen abgelernt zu haben, 
Dep Schatten euch mit tiefer Nacht bededt?" 


„Ihr wollt die uns verlieh’ne Charte fürzen 
Und wiederum uns jchmieden in das Joch? 

Wir willen alle, wie Monarchen ftürzen. 
Gerechter Gott! verſucht es dieſer noch?" 


Bekränzt die Gräber unfrer Sulitage, 
Bolbringt, ſchuldloſe Kinder, heil’gen Brauch: 
Hier Blumen, Palmen diefem Sarkophage, 
Mie Kön’ge bat das Voll nun Mäler auch. 


Pierre Jean de Beranger. 93 


„Hinan, hinan! Die Brüden, Straßen alle, 

Das Rathhaus iſt erjtürmt, der Louvre fchon; 
Bieht ein, ihr Sieger, m die Rönigshalle 

Und ſetzt euch auf den alten morſchen Thron.” 


O ſeht das Heldenvolk vom Siege raften, 

Arm, mäßig, groß, es berricht, verjaget hat's 
Hohnlächelnd den Despoten, den verhaßten, 

Und hungernd hält es Wade vor dem Schatz. 


Ihr Habt Handwerker, Schiller dort gejehen 
Berjuden am Geſchütz die Neulingshand; 
Sie fielen und vererbten Euch Trophäen, — 

Sie Haben ihre Namen nicht genannt. 


Belränzt die Gräber unfrer Julitage, 
Bolbringt, ſchuldloſe Kinder, heil'gen Brauch; 
Hier Blumen, Palmen dieſem Sarkophage, 
Wie Kön’ge bat das Voll nun Mäler auch. 


Ein Tempel muß den Braven fidh erheben, 

Bon deren Ruhm erichroden dröhnt die Welt. 
Die Kön’ge fragen leife und erbeben: 

„Wie. ift’s mit unjrer Majeftät beſtellt?“ 


Drei Farben haben fernher fie gejehen, 
Ihr ſtumpf Gedächtniß ift davor erwacht; 
Das Banner zieht einher, vor feinem Wehen 
Bieht über ihre Stime düftre Nacht. 


Bekränzt die Gräber unfrer Yulitage, 
Vollbringt, jchuldloje Kinder, heil’gen Brauch; 
Hier Blumen, Palmen diefem Earlopbage, 
Wie Kön’ge hat das Boll nun Mäler aud. 


Und friedlich zieht von Land zu Land die Fahne, 
Sanct Helena erreicht ihr Siegeslauf, 

Und hoch fteigt auf erlofhenem Vulkane 
Napoleons gigant’Iher Schatten auf. 


Er grüßt fein Banner, ſchauet in die Gluthen 

Der Sonne, nimmt das Schwert der Macht, zerbricht 
Und wirft es in bes Oceanes Fluthen, 

Und ſchwingt fi aufwärts zu dem ew’gen Licht. 


Belränzt die Gräber unfrer Julitage, 
Vollbringt, ſchuldloſe Kinder, heil'gen Brauch; 

Hier Blumen, Palmen dieſem Sarkophage, 
Wie Kön'ge hat das Volk nun Mäler auch. 


94 


Pierre Jean de BEeranger. 


Wir Jahn, was einſt beftand, in Trümmern liegen, 
Ein Ruf erfhallt, die alte Zeit verrinnt; 

Die Gleichheit wird, es wird die Freiheit fiegen, 
Die neue jegensreiche Zeit beginnt. 


Und würden wir Erobern noch zum Raube, 

Die wieder heimmärts bald die Rache trieb, 
Erwüchſe noch die Freiheit aus dem Staube, 
. Der an der Roſſe Hufen eben blieb. 


Belränzt die Gräber unfrer Julitage, 
Vollbringt, ſchuldloſe Kinder, heil’gen Brauch; 
Hier Blumen, Palmen dieſem Sarkophage, 
Wie Kön'ge hat das Volk nun Mäler auch 


m 
Der Haranis von Sarabas. 


eht den Marquis! Er lärmt und pocht 
Juſt als ob er uns unterjodht. 
Ein magrer Klepper bat den Herrn 
Zurückgebracht aus weiter Fern’; 
Jetzt ftapft der hochgeborne Held 
Nah feinem Schloſſe über’s Feld; 
Ein ſchuldlos Schwert ſchlägt ihm an's Bein, 
Und jchleifet klappernd binterdrein. 
Hut ab! Hut ab! Und Gloria 
Dem Herrn Marquis von Sarabas! 


Burgpfaffe, Pächter, Lehensmann 

Und all ihr Bauern, hört mich an: 
Ich fette, ſpricht er, ih allein 
Des Herrn Gelalbten wieder ein; 
Doch wenn er mir aus alter Zeit 
Die Privilegien nicht verleiht, 

So ol er jehn, Kreuzſapperlot! 

Was ihm von meiner Seite droht. — 
Hut ab! Hut ab! Und Gloria 
Dem Herrn Marquis von Carabas! 


Don einem Müller ſpricht man zwar, 
Jedoch Verleumdung ift’s fürwahr, 
War doch Pipin des Kleinen Sohn 
Der Ahnherr des Geſchlechtes ſchon. 
Mein Stammbaum, alt und malelfrei, 
Berfündet ſchwarz auf weiß, es fei 
Des Königs Adel nicht jo gut, 

Als der von meinem edlen Blut. — 
Sut ab! Hut ab! Und Gloria 
Dem Herrn Marquis von Carabas! 














Pierre Jean de Beranger. 


Auf Ruhe halt’ ih wohl allein 

Berlangt ihr Steuern, fag’ ich nein; 

Denn für das Wohl des Staates kann 
Man fordern nie vom Edemann. 

Dank meinem guten Arſena 

Dem Thurm mit Graben, Erne und Pfahl, 
Kann dem Präfecten frant und frei 

Ich jagen jetzt quid juris fei. — 

Hut ab! Hut ab! Und Gloria 

Dem Herrn Marguis von Carabas! 


Ihr PVriefter, hört, euch rächten wir, 
Erhebt den Zehnten, theilt mit mir. 
Du jüßer Pöbel fchleppe noch 

Dih lange wund im Lehensjoch. 
Die Jagd fie fiel auf unfer Theil, 
Und Euren Töchtern blüht das Heil, 
Daß wieder jeder Edelmann 

Das Herrenreht ausüben fann. — 
Hut ab! Hut ab! Und Gloria 
Dem Herrn Marquis von Carabas! 


Pfaff, aufgepaßt und tummle dich! 
Dein Weihrauch brenn’ allein für mid. 
Ihr Pagen drauf! Muth ihr Lakai'n! 
Und bläut Reſpekt dem Bauer ein. 
Die Rechte, die von unſerm Ahn 

Wir erbten, ſind kein leerer Wahn, 
Sie ſollen unverſehrt und heil 

Den Erben werden all' zu Theil. — 
Hut ab! Hut ab! Und Gloria 

Dem Herrn Marquis von Carabas! 


—R 
Die Schafe. 


in Land, — Jedweder nennt ſich jelbft den Namen — 
War einft an ſchönen, wol’gen Heerden reich, 

Nur thaten’s bort die Schäfer ihrem Herren 

Am Decimiren wie im Scheeren gleich. 

Die blödende Nation zerbrach die Ketten, 

Und wähnte fi auf ew’ge Zeit befreit. — 

Macht, was ihr wollt, ihr armen Hammelheerden, — 

Man jcheert Euch jederzeit. 


Gewalt’ger Lärm! Jetzt follten Hunde berrichen; 
Ein Wechſel der Tyrannen war e8 nur. 

Und freien Bügel ließen die Verräther 

Bu bald nur ihrer gier'gen Wolfsnatur. 


95 





96 


‚ Das jhöne Land, — e8 war der Schreden Zeit. 


Pierre Jean de Beranger. 





Getränft ward Jahre lang durh Ströme Blutes » 


Macht, was ihr wollt, ihr armen Hammelbeerden, — 
Man fcheert euch jederzeit. 


Den Thron beftieg nah Jahren voller Trauer 

Der König Leu, der tapferite Regent; 

Ruhm, Unftern, Glanz von allzulurzer Dauer 

Bezeichneten fein ftürm’iches Regiment. 

Der Leopard floh zitternd vor dem Sieger, — 

Doch wie viel Lämmer Eoftete der Streit! 

Macht, was ihr wollt, ihr armen Hammelheerden, — - 
Man Icheert euch jederzeit. 


Da ftürmten aus dem Norden Feindesichaaren 

Und überfhwemmten das verbeerte Land. 

Die theilten ſich in fette Weidetriften, 

Das Reich des Stärkern ward allein erkannt. 

Was übrig blieb, ward zugetheilt dem Pächter; 

Mit Vließen löſt' er die Verbindlichkeit. 

Macht, was ihr wollt, ihr armen Hammelheerden, — 
Man Icheert euch jederzeit. — 


Leithammel Hans, der Günftling des Despoten, 
Nahm jpäterhin in Pacht die Schäferei; 
Gewandter Schurk' und ſchlauer Landsverrätber, 
Verſchachert' er die Heerde frank und frei, 


‚ Und mäften wollt! auch er fih von dem Fette, — 


Lauf, Hänschen! war der Fremden Dankbarkeit. 
Macht, was ihr wollt, ihr armen Hammelheerden, — 
Man fcheert euch jeberzeit. 


Wann werd’ ich’ an der Seine Strand erleben, . 

Daß unfrer Heerd' erblüh’ ein janfteres Loos, 

Daß forglos fie auf ihren ſchönen Wieſen 

Gebeiht, der Furt vor Wolf und Räuber los? 

Ein jeder neuer Herr wird Wunderdinge 

Geloben, jeder ſchwört den höchften Eid — 

Macht, was ihr wollt, ihr armen Hammelheerden, — 
Man fcheert euch jederzeit. 


> 
> Kans. 3 
ans! fteb auf! ich muß dich weden; 


Straß ab fommen Arm in Arm 
Der Sergeant und der Gendarm, 
Um die Pfändung zu vollitreden. 
Steh’ doch auf, mein armer Dann! 
Der Sergeant! er rüdt heran. 


Pierre Jean de Böranger. 97 


Hans! die Sonn’ ift aufgegangen, 

Hans! fo lange jchläfft du nie. 

Bei dem Thomas haben fie 

Schon vor Tagslicht angefangen. 
Steh’ doch auf, mein armes Mann! 
Der Sergeant! er rüdt heran. 


Und fein Heller! Horch, im Garten, 
Wie des Nachbars Köter beilt; 
Bitt' um Frift — unſel'ges Geld! 
Wollte doch der König warten! 
Steh’ doch auf, mein armer Mann! 
Der Sergeant! er rüdt heran. 


Mir, ichs Kinder und dein Bater, 

Hilft mein Spinnrad auch zum Theil, 

Leben doch von deinem Beil. 

Hans! wach auf! — o Gott, da naht er! 
Steh’ doch auf, mein armer Mann! 
Ter Sergeant! er rüdt heran. 


Diefe Hütte, wo wir barben, 

Und das Viertel Aderfeld, 

Bon dem Hunger wird's beftellt, 

Wucher fpeichert ein die Garben. 
Steh’ doch auf, mein armer Mann! 
Der Sergeant! er rüdt heran. 


Alles, alles ift fo theuer! 

Wer ein Schwein hat, hilft ſich ſchon, 

Schwer die Arbeit, farg der Lohn, 

Und fie fordern noch die Steuer! 
Steh’ doch auf, mein armer Mann! 
Der Eergeant! er rüdt heran. 


Möcht' ein wenig Wein dich legen; 
Hochbeſteuert haft du ganz 
Ihn entbehrt; — mein Brautring, Hans! 
Den will ih daran noch ſetzen. 
Steh’ doch auf, mein armer Mann! 
Der Eergeant! er rüdt heran. 


Siehſt vielleiht im Traum dich reicher, 

Als der Gutsherr, — ter, ja der! 

Mas find ihm die Eteuern mehr? 

Eine Maus auf feinem Epeicher. 
Steh' doch auf, mein armer Mann! 
Der Sergeant! er rüdt heran. 


98 Pierre Jean de Böranger. 


Gott, da iſt er! — ich verzage. — 
Bleich und flarr, und wirft nicht wach! 
Fühlteft geftern dich jo ſchwach, 
Der ſonſt duldeft ohne Klage. 
Steh’ doch auf, mein armer Mann! 
Der Sergeant! er rüdt beran. 


Laßt ihn ruhn, er ift verichteben. 

Wer gelebt in folder Noth, 

Dem ift janfter Schlaf ber Tod. 

Gott gewähr’ euch feinen Frieden. 
Nicht erwacht der arme Mann, 
Rückt gleich der Sergeant heran. 


e or 
Der Sardinal und der Dichter. 


(Im Gefängniß La Force, 1829.) 


as war ein Hirtenbriefihen wieber!*) 
So hoch geehrt warb ih noch nie! 
Ste leſen alſo meine Lieber?. 
Hochwürden, jo ertappt man Sie! 
Geftolpert ift die Mufe freilich 
Vom Wein beihört jo mandesmal. — 
Ergötzt fie nur, jo bleibt der Fall verzeihlich. 
Mas meinen Sie dazu, Herr Carbinal? 


Scheint Ihnen nicht die ſchelmiſche Lifette? 
Ste ſchlagen ein großmächt'ges Kreuz 
Erröthend unter dem Barette. 
Stil, ftil! Sie alterte bereits. 
Seit Kurzem ift fie fromm gemworben, 
Liebt die Jeſuiten, hält zumal 
Jetzt Kinderſchule für den heil'gen Orden. 
Was meinen Sie dazu, Herr Cardinal? 


Was ich zu Frankreichs Ruhm geſchrieben 
Belegt mit Bann die Kleriſei; 
Gilt doch ſein Vaterland zu lieben 
Bei Pfaffen jetzt als Ketzerei. 
Mein Land, auch ohne Frucht zu leſen, 
Bleibt mir das liebſte jedesmal. 
Was Ihnen Rom, iſt Frankreich mir geweſen. 
Was meinen Sie dazu, Herr Cardinal? 


Im März 1829 erließ Herr von Clermont⸗Tonnerre, Erzbiſchof von Toulouſe, einen Hirten⸗ 
brief, in 2 ſich ein heftiger Ausfall gegen Beranger und deſſen Gedichte befand. 











Pierre Jean de Böranger. 99 


Da Sie Sih doch nun meine Lieder] 

Vorträllern, heiliger Levit, 

Entdeckten Sie nicht hin und wieder 

Des Samariters Geiſt im Lied? 

In Wunden Balſam träufelnd hätte 

Er mild geheilt des Armen Qual, 
Und am Gefangnen nur geſehn die Kette. — 
Was meinen Sie dazu, Herr Cardinal? 


Geſtehn Sie's, meine muntern Lieder 
Sie ſpiegeln doch die Gottheit ab. 
Gott ſieht erbarmend auf mich nieder, 
Er ſegnet meinen Bettelſtab, 
Er lehret mich mit meinen Klagen 
Zu gehen vor ſein Tribunal, 
Und dreiſt ein Schnippchen großen Herrn zu ſchlagen. 
Was meinen Sie dazu, Herr Cardinal? 


Sie ſind nicht 'nmal ſo böſ' im Grunde; 
Verzeihn Sie nur dem Ehrenmann, 
Auf daß er ihrem heil'gen Munde 
Den harten Spruch verzeihen kann. 

Doch ſchreitet bei verichlofinen Thüren 
Man ſchon zu neuen Papſtes Wahl *) 
Fort! Möge Sie der heil’ge Geiſt erfüren! 

Was meinen Sie dazu, Herr Cardinal? 


Suter Katl den Helgiern. 


(Mai 183', anläßli der Suge | ber ‚proolfor. Regierung nad einem 
verän.) 


Do madt, ihr Brüder Belgier, macht ein Ende! 
Macht einen König, baut euch einen Thron. 
Das nicht zur Republik das Ding fich wende, 
Den Hofmann fiebert’s jeit acht Monden fchon. 
Das Holz ift bald gefunden, Gott behüte! 
Hang, Peter, ih, nicht lange nachgedacht! 
Kein Königsei bedarf daß man es brüte, 
So madt, zum Teufel, einen König! — mad! 


Dann werdet ihr bie Herrlichkeit jchon wittern: 
Zuerſt die Etikette, prächtig, ſteif; 
Bon Herzögen, Baronen, Grafen, Rittern, 
- Mit Ordensband und Stern ein langer Schweif; 
Bequem zu ftolzbehaglicher Gewöhnung 
Des goldbeihhlagnen Thrones Wunderpracht; 
So Gott euch hilft, vielleicht auch eine Krönung. — 
So macht, zum Teufel, einen König! — macht! 





°) Leo XII. war ſoeben geſtorben, und der Erzbiſchof ſchickte ſich zur Reife nah Rom an. 


Pierre Jean de Böranger. 


Der Handkuß und die große MWachparade, 
Das Feuerwerk, Anreden, Oden gar! 
Und tanzend um die neue Bunbdeslade 
Die große regenbogenfarb’ge Schaar; 
Mit Ungeziefer ward die KRönigsbinde 
So wie der Armuth Kappe reich bedacht; 
Das Hofgeihmeiß zernagt der Hoffahrt Rinde, — 
So macht, zum Teufel, einen König! — mad! 


Da wird’s Laleien regnen und Beamte, 
Gensdarmerte, Spione, Polizei, 

Und ein Soldatenheer, daß, wenn es flammte, 
Den Löſchenden gededt der Rüden jet. 

Das Budget kommt zulegt: in runden Zahlen . 
So und ſoviel — was meint ihr? — lacht doch, lacht! 

Er bat gefpeift, ihr müßt die Beche zahlen — 
So madt, zum Teufel, einen König! — mad! 


Dies ſag' ich Alles nur aus Narrenspoſſen; 
Mein Frankreich fennt mich als ein frommes Kind, 
Und die Gejchichte ſpottet meiner Gloſſen, 
Sie kennt ja Fürften nur, die Engel find. 
Der Völker Väter find fie alle, alle, 
Sn ihrer Liebe juchen fie die Macht; 
Drum gebt, ihr Brüder Belgier, in die Falle, 
Und madt, zum Teufel, einen König! — mad! 


—E 
Die Fhoren. 


ir gleichen bleiernen Soldaten 
Genau gerichtet nach der Schnur; 
Wagt aus dem Glied mit Worten, Thaten 
Sich einer: — „Seht den Narren nur!“ 
Und Haß und Hohn wird ihm geboten, 
Bis einſt vielleicht wird aufgeſtellt 
Ein Standbild dem verehrten Todten, 
Zum Vorbild der geſammten Welt. 


Jedwede Lichtidee muß harren, 
Wie auf den Bräutigam die Braut; 
Die Dummen haben ſie zum Narren; 
Verbirg dich! warnt, wer dennoch traut; 
Bis fernab ihr ein Thor begegnet, 
Der ihr in Liebe ſich geſellt; 
Dann endlich wird ihr Schooß geſegnet 
Zum Heile der geſammten Welt. 











Pierre Jean de Béranger. 101 


——— 





So ſah man Saint Simon’) nicht fcheuen 

Der Arınuth und der Schulden Schmad); 
Der Seher fann nur zu erneuen 

Den Bau, der morſch zufammenbrad. 
Zum Bettler ift der Greis verarmet, 

Der feſt an feinem Traum noch hält, 
Er weiß, baß er das Heil umarmet, 

Das retten wird die ganze Welt. 


Und Fourier**) ruft: Auf, aus dem Schlamme! 
Du Volk verfehmt dem blöden Wahn, 
Und wirkte emfig Stamm bei Stamme 
Um einen Punkt in Birkelbahn; 
Die Erde hat nad langen Plagen 
Dem Himmel bräutlich fich gejellt; 
Die Kraft, durch die fih Welten tragen, 
Schafft Frieden der gefammten Welt. 


Enfantin**) will das Weib befreien 
Und fie erheben zu dem Mann, — 
Drei Narren find es! hör’ ich jchreien, 
Es feinden fie die Spötter an. — 
Es juht der Menſch in leeren Räumen 
Das. Glüd, das immer fern fih hält, — 
Den Thoren ehrt, der, jei’s in Träumen, 
Beglüden kann die ganze Welt. 


Die neue Welt eritand dem Thoren,. 

Der jedem Klugen ward zum Spott; 
Sie falten ihn am Kreuz „den Thoren“, 
Der auferftehend ward zum Gott; 
Solt’ auch des Tages Aug’ erblinden, 

Das unjre Finfterniß erhellt, 
So würd’ ein Thor die Yadel finden, 
Auf's Neu zu leuchten unjrer Welt. 


) Claude Henri Graf Satnt Simon, franzöſ. Sozialiſt, geb. 17. Oft. 1760 zu Paris, 
Begründer ses unter dem Namen Saint: Stmonismus befannten ſozialiſtiſchen Syſtems, geftorben 


) Charles Fourier, franzdf. Soztalift, geboren 7. April 1772 F Defangon, propagierte 
die Idee der fommuniftiihen Bemeinihaften (PBhalanfterien), geftorben 10. Dft. 183 

»**), Bartbelemy Prosper Enfantin, geb. 8 Febr. 1796 zu Yale, hauptſächlicher 
Bertreter bed Saint⸗Simonismus, ſuchte deffen Arundgebanten 1832 zu verwirklichen durch bie Gründung 
der Gemeinſchaft Moͤmilmontant. Beftorben 31. Aug. 1 


52 


102° Pierre Jean de Béranger. 


Einer vom Bande. 


(In Franfreih war dad Wort „Bau“ unter Karl X. übliche Benennung besjenigen Theiles der Kammer 
der Abgeordneten, welder unbedingt bad Minifterium unterftügte.) 


Sieben Wähler meines Kreifes, 

. Hört geneigten Ohres an, 
Was für euch, was für den König, 
Was ih für das Land gethan. 
Bolt und Staat verderben nicht, 
Seht mein blühend Angeficht. 

Ah, ein Tiſch! 
Fleiſch und Fiſch! 

Die Miniſter in Paris, 
Ja, ja! ihr Tiſch, ein Paradies! 


Treu dem Bauch, hab' ich geſeſſen 
Wie ich angewieſen war, 
Dicht an neben den Miniſtern 
Unter der getreuen Schaar. 
O der Bauch! Das iſt mein Fach; 
Wer mich kennt, der rühmt's mir nad). 
Ah, ein Tiſch! 
Fleiſch und Fiſch! 
Die Miniſter in Paris, 
Ja, ja! ihr Tiſch, ein Paradies! 


Weil nun die Miniſter Leute 

Brauchen, die gewaltig ſchrein, 

Redner nicht zu Wort zu laſſen, 

Wo's gefährlich möchte ſein, 

Fehlt' ich in der Stunde nie, 

Und ich ſchrie! ich ſchrie! ich ſchrie! — 
Ach, ein Tiſch! 
Fleiſch und Fiſch! 

Die Miniſter in Paris, 

Ja, ja! ihr Tiſch, ein Paradies! 


Tagesordnung! Tagesordnung! 
Wo es an zu ſchwanken fing; 
Tagesordnung! Tagesordnung! _ 
Wo der Wit zu Ende ging. 

Wo es laut zu jchreien galt, 
Mar ich ftets der Sinterhalt. 
Ad, ein Tiſch! 
Fleiſch und Fiſch! 
Die Miniſter in Paris, 
Ja, ja! ihr Tiſch, ein Paradies! 














Pierre Jean de Beranger. 103 


Als ich half die Preſſe feſſeln, 
That ich nichts ale meine Pflicht; 
Als ih unſre Tapfern rühmte, 
Mir verboten war e8 nicht! 
In der Stunde, muß es ſein, 
Zehn Mal Sa, und zehn Mal Nein. 
Ach, ein Tiſch! 
Fleiſch und Fiſch! 
Die Miniſter in Paris, 
Ja, ja! ihr Tiſch, ein Paradies! 


Von der Polizei bewieſen 
Hab' ich die Nothwendigkeit, 
Und geſtimmt auch, das verſteht ſich, 
Für die Schweizer jeder Zeit. 
Mein Miniſter iſt der Mann, 
Weiter geht mich garnichts an. 
Ach, ein Tiſch! 
Fleiſch und Fiſch! 
Die Miniſter in Paris, 
Ja, ja! ihr Tiſch, ein Parabies! 


Und ihr werdet noch bezahlen, 
Nach dem hergebrachten Brauch, 
Die Miniſter und die Fremden, 
Die Miniſter und den Bauch. 
Ißt das Volk in unſerer Noth 
Auch ein wenig wen ger Brod. 


Ja, ja! ihr en Paradies! 


Bin dabei nicht ſchlecht gefahren; 
Procurator bin ich jetzt, 
Gut verforgt find meine Brüder, 
Meine Kinder nicht zuletzt. 
Auf die nächſte Seifton 
Bin ich eingeladen Ion. 
Ad, ein Tiſch! 

Fleiſch und Fiſch! 
Die Miniſter in Paris, 
Ja, ja! ihr Tiſch, ein Paradies! 


nf 


104 


Pierre Jean de Böranger. 


Der Bettler. 


Ds will in biefer Rinne fterben, 

Bin alt und fie genug bazu; 
Sie mögen mich „betrunfen“ ſchelten, 

Mir recht! fie lafien mid in Ruh'. 
Die werfen mir noch ein’ge Grojchen, 

Die wenden ab ihr Angeſicht: 
Sa, eilt nur, eilt zu euern Selten, 

Zum Sterben brauch’ ih euch doch nicht. 

— 

Vor Alter muß ich alſo ſterben, 

Man ſtirbt vor Hunger nicht zumal; 
Ich hofft' in meinen alten Tagen 

Zuletzt noch auf ein Hofpital; 
So’ viel bes Elends gibt’s im Volke, 

Man kommt euch nirgends mehr hinein; 
Die Straße war ja meine Wiege, 

Sie mag mein Sterbebett auch jein. 


Lehrt mi ein Handwerk, gebt mir Arbeit. 
Mein Brod verdienen will ih ja; — 
Geh’ betteln! hieß es, Arbeit? Arbeit? 
Die if für alle Welt nicht da. 
Arbeite! jchrien mich an, die ſchmauſten, 
Und warfen mir die Knochen zu; 
Ich will den Reichen doch nicht fluchen, 
Ich fand in ihren Scheunen Ruh’. 


Ich hätte freilich ftehlen können, 

Mir ſchien zu betteln minder hart; 
Ich habe höchftens mir am Wege 

Ein paar Kartoffeln ausgeſcharrt; 
Und immer aller Orten ftedte 

Die Polizei mich dennoch ein, 
Mir raubend meine einz'ge Habe — 

Du Gottes Sonne bift ja mein! 


Was kümmern mi Geſetz und Drdnung, 
Gemwerb’ und bürgerlihes Band? 
Mas euer König, euere Kammern? 
Sagt, hab’ ich denn ein Vaterland? 
Und dennoch, als in euern Mauern 
Der Fremde Herr zu fein gemeint, 
Der Fremde, der mich reichlich ſpeiſte, 
Ich Narr, wie hab’ ih da geweint! 


Pierre Jean de Beranger. 105 


Ihr hättet mich erbrüden ſollen, 
Wie ih das Licht der Welt erblidt; 
hr hättet mich erziehen jollen, 
Wie fih’s für einen Menſchen ſchickt; 
Sch wäre nicht der Wurm geworden, 
Den ihr euch abzumehren fucht; 
Ich hätt’ euch brüderlich geholfen, 
Und euch im Tode nicht geflucht. 


Aæ- 
Bropheseiung des Roflradamus 


auf ba® Jahr MM. 


Hoareibt Noſtradamus, der die Zeit beſchwören 
Und aus den Sternen konnte prophezeien: 
Im Jahr Zweitauſend wird von Jubelchören 

Das glückliche Paris durchtönet ſein; 

Man wird nur Einer Stimme Mißlaut hören, 
Die wird am Fuß des Louvre kläglich ſchrein: 
Ihr glücklichen Franzoſen, wollt des armen, 
Des letzten Königs Frankreichs euch erbarmen! 


Aus Rom gekommen wird ein ſiecher Greiſe, 
Ein armer Lazarus, den Ruf erheben, 
Und einem weiten, dichtgedraͤngten Kreiſe 
Bon Straßenjungen fih zum Schaufpiel geben; 
Drauf gibt ihm ein Senator ftreng Verweiſe: 
Hört, Freund! bier darf vom Betteln Keiner leben. — 
hr werdet do, mein gnäd’ger Herr, des armen, 
Des lebten Königs Frankreichs euch erbarmen! 


Biſt wirklich du von jener Sippe? — Ya! 
Der ih zu Rom zur Papftzeit noch die Krone 
In meines Ahnherrn Händen ſchimmern ſah; 
Er mußte ſie verkaufen; die Spione, 
Die Scirbler und die Helfer heiſchten da 
Den vollen Goldeswerth zu ihrem Lohne; 
Ein Stab iſt nun mein Scepter. Wollt des armen, 
Des letzten Königs Frankreichs euch erbarmen! 


Mein Vater ſtarb bejahrt im Schuldenthurme; 
Er hatte mir ein Handwerk unterſagt, 
Ich bettle. Hart erweift Ihr euch dem Wurme, 
Ihr Glückeskinder, fei es Gott geklagt! 
Ich komme ber verſchlagen von dem Sturme, 
Ihr habt fo oft bie Meinen meggejagt;! 
D wollt doch, da ihr glüdlich jeid, des Jarmen, 
Des lebten Königs Frankreichs euch erbarmen! 


— — — — — — — — — — — — — — — — 
— — — — — — — —— rr— — ç — — — ———— —— —— —r —— — e r——— — 


Wird der Senator bei der Hand ihn faſſen 

Und ſprechen: komm mit mir nach meinem Gute; 
Wir hören auf die Könige zu haſſen, 

Die letzten kühlen höflichſt unſere Ruthe; 

Darfſt dem Senat dein Schickſal überlaſſen; 

Der ich aus altem Königsmörder-Blute 

Entſproſſen bin, ich will indeß des armen, 

Des legten Königs Frankreichs mich erbarmen. 


Und Noftrabamus jchreibt: dem Fürften ipenden 
Wird der Senat zwei taujend Franken jährlich: 
Der Alte wird zum Guten noch ſich wenden, 

ALS Mair’ von Saint Cloud wird er jchlicht und ehrlich, 
Ein wad’rer Bürger, feine Laufbahn enden; 

Die Chronik macht's der Nachwelt dann erflärlich, 
Wie Frankreich fih im Glüde feines armen 

Und legten Königs mochte mild erbarmen. 


Ar 


Der liebe Gott. 


B fchönfter, rofenfarbner Zaun’ erwachte 
Der liebe Gott, — 's ift noch nicht lange her, — 

Gudt aus dem Himmelsfeniterlein, und dachte: 

Die Erde eriitirt wohl gar nicht mehr? 

Er jah fie endlich ganz verloren drehn 
In weiter Fern’, und Außer!’ unverholen: 

Begreif’ ich es, wie dort die Sachen gehn, 
So mag zur Stunde mich ber Teufel holen. 


Ihr Sterbliden, ihr winz'gen, pudelnärr'ſchen 
Geſchöpfe, ſchwarz und weiß, von Süd und Nord, 

Man ſagt mir nach, das ich euch ſoll beherrſchen, 
Fuhr Gott mit väterlichem Lächeln fort, 
Miniſter hab' ich auch, Gott Lob dafür, 

Und helf' ich nicht den Schächern auf die Sohlen, 
Weiſ' ich nicht zweien oder drei'n die Thür, 

So mag zur Stunde mich der Teufel holen. 


Hab' ich euch Mädchen nicht und Wein verliehen, 
Auf daß ihr leben ſollt einträchtiglich, 
Pygmä'n, ſtatt aufeinander loszuziehen? 
Da rechnet Jeder ſteif und feſt auf mich, 
Ruft mich wohl gar als Gott der Schlachten an, 
Und würgt drauf los mit Säbeln und Piſtolen. 
Zog ich 'nem Regimente je voran, 
So mag zur Stunde mich der Teufel holen. 





Pierre Jean de Beranger. 107 





Da bläht auf fammtnem Thron mit goldnen Yweden, 
Die Stirn gejalbt,'fih jo ein Zwerggeſchlecht, ' 
Des irdiſchen Ameijenhaufens Reden. 
Geheiligt hab’ ich, fagen fie. ihr Recht; 
Durh meine Gnade wären fie allein 
Gefalbte! — Wenn ich jemals anbefohlen, 
Sie follten meine Stellvertreter fein, 
So mag zur Stunde mich der Teufel Holen. 


Noch andre ſchwarze Zwerge muß id; nähren, 
Bor deren Weihrauh meiner Nafe graut: 

Weil ihre Fallen lebenslänglich währen, 
Verfluchen fie in meinem Namen laut, 

Und predinen -- chaldäifh meinem Ohr. 
Glaub’ ih ein Wort von dem, was diefe Dohlen 
Der Welt auf meine Rechnung frächzten vor, 

So mag zur Stunde mich der Teufel Holen. 


Ka, meine Auserwän.ten find die Guten, — 
Beichwert euch Kinder nicht mehr über mid. 
Liebt, ohne Scheu vor neuen Waſſerfluthen, 
Trinkt euern Wein, vergnügt euch Töniglich. 
Trotzt Heuchlern und Despoten für und für. 
Adien! Es Horcht doch kein Spion verftohlen? — 
Oeffn' ich der Belt je meine Himmelsthür, 
So mag zur Stunde mich der Teufel holen. 


| vor 
Die rothe Zanne, oder das Weib des Wilddiebes. 


en Säugling an der Bruft, den zweiten 
Der Knaben auf dem Rüden, führt 

Sie an der Hand den Erfigebornen, 

Der faft entlleidet, barfuß friert. 
Den Bater haben fie gefangen, 

Er fühlt im Kerker feinen Muth; 
Sei Gott du mit der rothen Hanne! 

Der Wilddieb figt in fih’rer Hut. 


Ich ſah fie oft in beſſern Tagen, 
Schulmeifters liebes Töchterlein; 
Sie fpann und fang und las und näbhte, 
Ein berzig Kind, und jhmud und fein; 
Beim Sonntagstanz im Kreis der Linden, 
Wie war fie froh und mwohlgemuth ! 
Sei Gott bu mit der rothen Hanne! 
Der Wilddieb figt in fih’rer Hut. 


108 


Pierre Jean de Böranger.. 


Ein junger, hübſcher, reicher Pächter 
Verſprach ihr einft ein befi’res Glück; 

hr rothes Haar, das ward verjpottet, 
Der reihe Freier trat zurüd; 

Cs kamen andre, gingen wieber, 
Sie hatte ja fein Heirathegut. 

Set Gott bu mit der rothen Hanne! 
Der Wilbdieb figt in fih'rer Hut. 


Ein Taugenihts war fchnell entjchlofjen: 
Ich nehme dich, blond oder roth; 
Drei Büchfen hab’ ich, weiß die Schliche, 
Der Förſter macht mir feine Notb; 
Den Schmwarzrod will ih auch bezahlen, 
Deß Sprüdlein uns zufammenthut; 
Sei Gott du mit der rothen Hanne! 
Der Wilddieb figt in fih’rer Hut. 


Sie jpra nicht nein, mit fanfter Lockung 
Gebot Natur in ihrer Bruft, 

Und dreimal ward allein im Walbe 
Sie Mutter unter bitt’rer Luft; 

Die Kinder treiben und gedeihen, 
Ein blühend frifch gejundes Blut; 

Sei Gott du mit der rothen Hanne! 
Der Wilddieb figt in fih’rer Hut. 


Des treuen Weibes nächt’gen Sammer 
Erhellet noch ein milder Schein ;- 


, Ste lädelt: ihre Kleinen werden 


Schwarzlodig wie ber Vater jein; 
Sie lächelt, ah! aus ihrem Lächeln 

Schöpft der Gefang’ne friihden Muth; 
Sei Gott du mit der rothen Hanne! 

Der Wilddieb figt in fih’rer Hut. 


% 
Die fünf Stockwerke. 


eim Portier im Erdgeichoß 
Ward ich, armes Kind, geboren, 
Früh von der Lakaien Troß 
Zur Herzliebften auserforen; 
Meine Tugend zu belohnen, 
Kam ein junger Herr, die Kronen 
Braucht er eben nicht zu fchonen, 
Und ich zog ins erſte Stod. 





Pierre Jean de Böranger. 


Große Spiegel, gold’ne Wände, 

Jeder Tag ein Feiertag, 

Rof’ge Wangen, zarte Hände, 

Wie man fih’s nur wünjhen mag. 

Unbefonnen war fein Lieben, 

Lange bat er’s nicht getrieben; 

Mir war Schönheit noch geblieben 
Und ich zog ins zweite Stod. 


Und ein Herzog wird ber Deine, 

Defien Neffe mir gefällt; 

Jeder zollet mir das Seine, 

Diefer Liebe, jener Geld. 

Bieht ber Adel ab, was thut es? 

Kommt ein Tänzer frohen Muthes, 

Und mein Spiegel ſpricht noch Gutes, 
Und ich zieh’ ins dritte Stod. 


Folgt ein Lord, ein bider, alter, 
WIN von mir gerupfet jein; 
Dann ein reiher Bankverwalter, 
Ein Prälat noch binterdrein. — 
Ah, ein Spieler fommt gezogen, 
Der die Eh’ mir vorgelogen; 
Grau von Haaren, ausgejogen, 
Zieh ich in das vierte Stod. 


Und es werden hüuͤbſche Nichten 
Recht bei Zeiten angefchafft, 
Da erbauen wir mit nichten 
Unfre fromme Nachbarſchaft. 
Nur die Wirthichaft darf ich führen: 
Alt und häßlich, muß ich Ipüren, 
Daß die Freunde fich verlieren, 

Und ich zieh’ ins fünfte Stod. 


Sieh, verarmt, nichts zu verzehren, 
Und der Winter ift jo kalt! 
Habe nun das Haus zu kehren 
Wo mein Freudenlied verhallt. 
Bon dem, was ich hier gemweien, 
Gute Leute, jeht, mein Bejen 
Kann davon noh Spuren leſen 
Täglih und in jedem Stod. 


an Ge 


109 








110 


Pierre Jean be Beranger. 


Der Komet von 1832, 


ott jendet uns im Zorne den Kometen. 

Nichts Tann uns reiten, wenn er näher kommt. 
Schon’ hör’ ich prafielnd krachen den Planeten, — 
Was hat der Sternwart’ Fernrohr nun gefrommt? _ Ä 
Die Säfte gehn, — der Tiih wird fort genommen, — Ä 
Bein Mahle waren Wen’ge froh und klug. 
Rennt nad dem Beihtituhl, ihr verzagten Frommen ! 
Jetzt kommt's zum Schluß, — die Welt ift alt genug. 


Ya, ärmfter Ball, in leeren Räumen irrend, 

Laß endlih Tag und Naht nah Zufall gehn: 

Dem Käfer gleih am jeidnen Faden jchwirrend, 
Dreh’ dich im Fall, fall’ immerfort im Drebn. 

Seh’, brih auf fremdem Pfad nah fremdem Ziele 
An einer Sonn’ entzwei im tollen Flug. 

Die Sonn’ erliiht, — es gibt noch ihrer viele. 

Jetzt kommt's zum Schluß, — die Welt ift alt genug. 


Befamt ihr noch nicht fatt dies tolle Jagen? 
Pomphafte Namen, Narr'n ine Flitterichein ? 
Irrthümer, Mißbrauch, Raub und Krieg und Plagen? 
Lakei'n ale Kön’ge, Völker von Lalei’n? 

Bekamt ihr noch nicht ſatt die Erden-Bötter? 

Mit Zukunft den Bandgreifliden Betrug ? 

Bu viel des Unfinns für fo Eleine Bretter — 

Seht kommt's zum Schluß, — die Welt ift alt genug. 


Wir ſchreiten vor! hör ich Die Jugend ſprechen: 

Das Gas erleuchtet, und die Preſſ' erhellt; 

Jedweder ftrebt die Fefleln zu zerbrechen, 

Der Dampf’ verknüpft die alt’ und neue Welt. / 
Ein Himmelsftrahl belebt das Ei, mein Lieber; 


Nur no Geduld, noch zwanzig Jahr Verzug. 


— Umfonft wart’ ih Thon dreißig Jahr und brüber. 
Jetzt kommt's zum Schluß. — die Welt ift alt genug. 


‘a, damals ſprach ih auf ganz andre Weiſe, 

Als Lebensluft in jeder Ader flog: 

D weiche niemals Erb’ aus beinem Gleife, 

Auf welches Gott des Lichtes Strom ergoß! 

Jetzt werd’ ich alt; ſtets wird die Stimme ſchwächer; 
Die Schönen werben falt, — ich, leider, Flug. 

Komm denn herbei, Komet, herbei du Rächer! 

Sebt kommt's zum Schluß, — die Welt ift alt genug. 





Pierre Sean de Béranger. 


Die nuenoͤlich Kleinen. 


ch ſetz' in ſchwarze Kunft Vertrauen. 

Ein Zaubrer ließ mih Abends fpät . 
In feinen Herenfpiegel ſchauen, 
Wie's unferm Land bdereinft ergeht. 
Ich ſah, — mich Überlief es eifig, — 
Paris mit der Umgebung dort; 
Schon jchrieb man neunzehnhundertdreikig — 
Baunkön’ge herrſchten immerfort. 


Das Bolt jeh’ ich Stets Fleiner werden, 
Es ſchrumpft zuletzt zu Zwergen ein. 
Kaum Tann ich fie bei Ihren Herden 
Geduckt noch fehn, fie find. zu Mein. 
Das Frankreich dort ift zum Stelette 
Bon meinem Frankreich eingeborrt; 
Man überfhaut’s mit der Lorgnette, — 
Baunfön’ge herrſchen immerfort. 


Bon Heinen Weſen jeh’ ich's wimmeln, — 
Sefuitlein, eine Legion! 

Mit Heinen Göttern, Kleinen Himmeln 
Hör’ ich ganz Fleine Mönchlein drohn 
Was Tie gejegnet welkt auf Erden. 

Der ält’fte Hof muß auf ihr Wort 

Zum Pfaffen-Seminärhen werden, — 
Zaunkön'ge berrichen immerfort. 


Klein find die Hüttchen, die Baläftchen, 
Klein Handel, Kunft und Willenjchaft; 
Das Völkchen wird von Kleinen Peftchen 
In Heinen Städtchen hingerafft. 
Trompetchen, Kleine Trommeln jchallen, 
Armeechen ziehn von Ort zu Ort; 

Der Grenze Thürmchen find zerfallen, — 
Zaunkön'ge herrichen immerfort _ 


Noch bat der Spiegel mir gewieſen, 

Wie fih’s im legten Acte fügt: 

Ich ſehe einen Ketzer-Rieſen, 

Dem kaum die halbe Welt genügt; 

Der hebt das Völkchen auf im Ganzen, 
Und ſchiebt, trotz kleinem, giſt'gem Wort, 
Das kleine Reich in ſeinen Ranzen, — 
Zaunkön'ge herrſchen immerfort. 


Tr 


4 


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[4 


Pierre Sean de Beranger. 


Heine Faſtnacht im Fahre 1829. 


(Aus dem Befängnik La Force an den König Karl X. gerichtet). 


fein guter Herr, dir wünſch' ich flets das Befte, 
Obſchon zum zweiten Mal ih im Verſchluß 
Den Sarneval in dem vermünfchten Neite 
(Dank ſei es deinem Groll) verbringen muß; 
Und hart bleibt’s in der Freude beil’gen Tagen 
Zu fiten hinter Schloß und Riegel hier. 
Auch ih weiß trog Monarchen nachzutragen, — 
Mein guter König, das bezahlit du mir. 


In deiner Thronesrede haft du neulich*) 

Auf mich geftichelt, Heiner Spötter du. 

Das heißt abfanzeln! Und da fonnt’ ich freilich 
Gefeßt auf alles fein; — ich ſchwieg dazu, 
Doh wenn ih ganz Paris laut höre lachen, 
Und einfam fiten muß, dann fühl’ ich bier 

Die alte Luft am Epotte neu erwaden. 

Mein guter König, das bezahlfi du mir. 


Ob nicht bei vollem Glas und frohem Efien, 
Bermummt in buntphantaft’fhe Maskentracht, 

Mich meine beften Freunde jchnell vergeſſen, 

Selbft wenn bei Tiih mein Lied die Runde mad? 
So lang’ ih dürfte mit dem Echwarme toben, 

So lange fchlief” auch harmlos mein Satyr; 
Eelbft deine Gnade hätt’ ich wollen loben. — 
Mein guter König, das bezahlit du mir. 


Wie häufig weinte nicht, feit ich gefangen, 
Lifetthen über mich vor Ungebuld. 

Heut ift mein Schelmchen auf den Ball gegangen, 
Und fpottend lachend: Er ift felber ſchuld! 

Schon wollt’ ich preifen unjere Sklavenkeite, 

Wie wir fo glüdlich leben unter dir, — 

Jetzt muß ich paflen! treulos ift Liſette. — 

Mein guter König, das bezahlft du mir. 


Die beften Pfeile haben deine Richter, 
Die oft verwünjchten, graufam mir geraubt; 
Sm Köcher blieb ein einz'ger nur dem Dichter, — 
Er ſchrieb darauf: Für Karl des Zehnten Haupt. 
Und trogß der Mauern, wo ich woſtlos gähne, 
Und troß ber dichtverſchränkten Gitter bier, — 
Mein Bogen ift gejpannt, es ſchwirrt die Sehne! — 
Mein guter König, das bezaplft du mir. 

DEZ 


— 


*) Eine Stelle in ber Thronrebe fchien auf Béranger beuten zu wollen. 





Pierre Jean de Böranger. 


Die Schneckenzunft. 


ih warf aus meinem Neſt mit Droh'n 
Ein Weibel von Geſetzes wegen; 

Da ftredt die Hörner mir zum Hohn 

Ein Schnedengrobtian entgegen. 


Das find die Herren der Schnedenzunft. 


Mit eignem Haus und viel Vernunft. 


Er ſchaut mid an und denkt: was bift 

Du für ein Iumpig-armer Schwißer, 

Dem kaum ein Strohdach eigen iſt? 

Sch aber, ih bin Hausbeſitzer. 
Das find die Herrn der Schnedenzunft 
Mit eignem Haus und viel Vernunft. 


Im eignen Schleim fich jelbft genug 

Schaut er heraus aus dem Palaſte, 

Er weiß fich jo gejegt und Hug 

Und von der beffern Bürgerfafte. 
Das find die Herrn ber Schnedenzunft 
Mit eignem Haus und viel Vernunft. 


Er zieht niht um das ganze Jahr, 

Hat feinen Miethsheren, der ihn brüde; 
Sind feine Nahbarn in Gefahr, 

Bieht er fi in fein Haus zurüde. 


Das find die Herren der Schnedenzunft. 


Mit eignem Haus und viel Vernunft. 


Mag ihm die bellite Lerche nah'n 

Und friſch ihr ſchönſtes Stüdlein fingen, 

Der brave Herr glaubt nicht daran, 

Daß Jemand Lieder het und Schwingen. 
Das find die Herrn der Schnedenzunft 
Mit eignem Haus und viel Vernunft. 


Die Wiſſenſchaft it ihm ein Graus; 

Nur den Beſitz weiß er zu preifen; 

Man kann, hat man ein eigen Haus, 

Der Weisheit Fed die Thüre weilen. 
Das find die Herrn der Schnedenzunft 
- Mit eignem Haus und viel Bernunft. 


Mas läutet da? Der große Rath 
Berfammelt fih, das war das Zeichen. 
Sitt der im Rathe? — In der That, 
Es giebt dort Viele, die ihm gleichen. 
Das find die Herrn der Schnedenzunft 
Mit eignem Haus und viel Vernunft. 


Er 


113 


114 Pierre Jean de Böranger. 


Bie Krönung Karls des Britten, genannt der Sinfaͤltige. 


ranzofen, ftimmt in Rheims mit ein, 
Laßt „Montivie, Saint Denis!" uns ſchrein: 
Das hei’ge Salböl*) fand fich wieder; 
Im Kirchenſchiffe fliegt befreit 
Ein Schwarm von Spaten auf und nieder, 
Suft wie zu unfrer Väter Zeit: 
Freiheit bedeuten jene Schaaren, — 
Kein Wunder, daß ber König lacht. 
Ihr Vögel, ruft das Volk, feib Flüger, ala wir waren! 
Wahrt eure Freiheit, nehmt fie wohl in Acht! 


Ih gehe — Altes macht jet Glück — 
Bis auf ben dritten Karl zurüd, 
Der, ohne Ruhm für feine Fahne, 
Durchklepperte ber Deutſchen Land, 
Und troß dem großen Karl, dem Ahne, 
Einfältig ward mit Recht benannt. 
Man krönt ihn, — groß iſt das Gedränge,, — 
Schmeichler und Vögel jchrein mit Madit. 

Laßt, Vögel, ruft das Volk, die thörichten Gefänge! 
Wahrt eure Freiheit, nehmt fie wohl in Acht! 


Herr Karl, der hohen Steuern hold, 
Bieht, rings umbängt mit Flittergold, 
Einher, von den Getreu’n umgeben, 
Die AM’ in minder günft’ger Zeit 
Dem Ufurpator Gut und Leben 
Gelobt mit hohem heil’gem Eid. 
Die Milliarde heißt fie laufen, — 
Sparſam wird Treue nur bedadt. 
Seht, Vögel, ruft das Volk, die Ketten uns erkaufen! 
MWahrt eure Freiheit, nehmt fie wohl in Acht! 


Vor goldbeblechter Priefter Chor 
Spridt Karl auf Knien: Confiteor! 
Pan Eleidet, küßt, falbt ihn mit Dele. 
Er legt die "Hand auf's Buch zum Schwur, 
Und Hymnen jauchzt der Sänger Kehle. 
Sein Beicht’ger räth ihm: Schwöre nur; 
Rom, das bei biefem Satz betheiligt, 
Hat ieden Eid zu löſen Mad. 
Seht, Vögel, ruft das Volk, ſolch Herrſchen wird geheiligt 
Wohrt eure Freiheit, nehmt fie wohl in Act! 





*) Das heilige Oelfläſchchen (1a Sainte Ampoule). welches während ber Revolution (1793) auf dem 
offenen mar zu Rheims zerbrodhen worden war, wurde wunderbarer Weiſe vor der Krönung Karls 
wieber entbedt. 











Pierre Jean de Böranger. 115 


Sobald er fih umgürtet fieht 

Mit Karl des Großen Schwerte, Iniet 

Der König nieder, Stirn im Staube. 

Steh auf! ſchreit ein Soldat voll Wuth. 
Nein, ruft der Biſchof, glaube, glaube! 

Sch fröne bi, mehr’ unfer Gut. 

Die Legitimität fol Ieben! 

Wir PVriefter nahmen Gott in Baht! — 

Seht, Vögel, ruft dag Volk, dem Herrn finb Seren gegeben! 

Wahrt eure Freiheit, nehmt fie wohl in Acht! 
Ihr Vögel, ale Gefalbter kann 

Die Kröpfe heilen er fortan. 

Entfliehet dem langmweil’gen Zuge, 

Ihr einz’gen Freien in der Schaar. 

Auf daß ihr nicht beim muntern Fluge 
Wohl gar entheiligt den Altar. 

Zu Wächtern Henker hier zu Dingen 

Ward von den Frommen ausgedadit. 

Ihr Vögel, ruft das Volk, wir neiden eure Schwingen! 
Wahrt eure Freiheit, nehmt fie wohl in Acht! 
Rod 
Die heilige Hllianz der Voͤlker. 


ch ſah ben Frieden jüngft herniederjteigen, 
Er fireute Blumen rings und lichtes Gold; 
Sm allen Thälern fchlief ein holdes Schweigen 
Wo eben noch des Krieges Sturm gegrollt. 
Erwacht!“ fo klangs von feinem Göttermunde, 
"Erwadt vom Ebro zu der Wolga Strand! 
Schließt eure Reih'n zum großen Völkerbunde, 
Reicht euch die Bruderhand!“ 


Hellenen, Rufen, Staliener, Britten, 
Erwacht, es naht die große Stunde nun! 
Ihr Söhne Deutſchlands habt genug geftritten, 
Und 'ihr, Franzoſen, laßt die Schwerter ruh'n! 
Ihr alle blutet an berfelben Wunde! 
Berbrecht bie bumpfe Kette, die euch bannt! 
Schließt eure Reih'n zum großen Völkerbunde, 
Reicht euch die Bruderhand! 
Ihr ſaht ſo oft den Abendhimmel glaͤnzen, 
Gemalt von eurer Hütten düſt'rer Gluth — 
Blind raſt der Mord, und rings an euren Grenzen 
Iſt keine Aehre rein von Menſchenblut. 
Des Wahnſinns Sklaven bis auf dieſe Stunde, 
Trugt ihr Verwüſtung in der Brüder Land: 
Schließt eure Reih'n zum großen Völkerbunde, 
Reicht euch die Bruderhand! g 


Lo. 





Pierre Jean be Böranger. 








116 


Was gilt das Volt im Schredenstampf ber Kronen? 
Was gilt das Volt im Toben ber Gewalt? 
Verrath und Ehrſucht ſchlachten Millionen, 
Und feine Männerlippe donnert Halt! 
Ihr taufcht ein Zoch, verkauft wie feile Hunde, 
Stumm mit bem andern, ohne Wiberftand! 
Schließt eure Reih'n zum großen Völferbunbe, 
Reicht eu bie Bruberhand! 


Ruhm jedem Edlen, der die Freiheitsfahne 
Im Dienft des Friedens ſegensvoll erhebt! 
Tob beim Erob’rer, ber im Fieberwahne, 
Was Gott geeinigt, zu zerreißen ftrebt! 
Stürzt ihn hinab zum tiefften Höllenfchlunde, 
Werft feine Burgen prafielnd in ben Sand! 
Schließt eure Reih'n zum großen Völkerbunde, 
Reicht euch die Bruberhand! 


Hold zu der Auferftehung Morgenfeier 

Ertöne des Gefeges Melodie! 

Baut eure Fluren bei dem Klang ber Keier, 

Fromm an der Hand ber Liebe erntet fie. 

Im Licht des Friedens heilt die letzte Wunde, 

Zum Himmel wird der Erbe ſiilles Land: 

Schließt eure Reih'n zum großen Völkerbunde, 
Reicht euch die Bruderhand! 


mm Nißolaus fenau, — 


Nikolaus Niembfch v. Strehlenau (Peudonym: Nikolaus Lenau) 
wurde am. 15. Aug. 1802 zu Chatob in Ungarn geboren Deine Studien machte er zu 
Wien, wollte erft Zurift werben, ging aber fpäter zum Studium der Mediyin und Na- 
turwiffenfchaften über. Sein bicpteriiches Benie veranlapte ihn bald, fi ganz der Muſe 
zu widmen und ſchon bie erften Sammlungen feiner Gedichte wiefen ihm einen ehren: 
vollen Pla unter den deutichen Dichtern an. sSier zeigte er jene Kraft und Zartheit, 
bie wir, außer bei Goethe, bei feinem anderen neueren beutichen Inrifer fo eng mit einander 
verbunden finden, jene Urfprüngli—teit und Friſche der Gedanken, jene herrlichen Natur- 
{&jilderungen aus feiner fonnigen Seimath, jene milden @enrebilder aus den meiten 
Steppen Ungarns, die den Lefer mit fi fortreiken; jenen Durft nach Freiheit, der ihn 
felbft über den Opean trieb (1832), aber auch dort nicht befriedigt ward. Durch die 
meiften feiner Lieber z0g fich frühzeitig ſchon jenes melancholiſch dämoniſche Clement, 
weiches fein fpäteres unglüclihes Schiefal vorauszufagen ſchien Als 1844 mährend 
eines Aufenthaltes in Stuttgart die geiftige Umnachtung, bie feinen frühen Tod — er 
ftarb am 22. Auguft 1850 In der Serenanftalt Oberböbling bei Wien — Herbeiführte, 
mit Algewalt zum Ausbruch kam, ward es jevem Xefer feiner Yieder Har, daß ber 
Dichter in ihmen nicht nur äußerlich mit Vyrom ſchem Weltichmerz geipielt hatte, wenn 
er fein umnachtet Antlig an den Bufen der „finnenden Melancholie”, als feines Lebens 
geiterin, fentte. Seine Lieder haben mehr als bie jedes anderen deutſchen Dichters auf 
die Mufiler, befonders auf Robert Franz, Anziehungskraft ausgeübt Schon die Dich: 
tungen felbft haben durch Lenaus eigenes mujifaliiches Empfinden ein weiches mufifalifches 
Element in ſich aufgenommen. Am dichteriſch wertfvolliten ift fein Romanzen-Entlus 
„die Abigenfer“, deſſen büftere Scenenfolge durch die Idee verbunden ift, den blutigen 
Untergang der provenzalifchen Keher als eine Epifode in dem großen Befreiungstampf 
der fortfchreitenden Menfchheit barzuftellen, 











Bes Senfels Kied vom Ariftohraten. 


Br lobe den Ariftofraten; 

Hat er des Adels rechte Völle, 
Sft er vorweg ſchon halb gerathen 
Und zugerichtet für die Hölle. 


Wer beſſer ſchon fi dünkt und echter, 
Bloß weil er lebt, als ganze Scharen, 
Der wird gewiß zur Grube fchlechter 
Als al’ die Taufend niederfahren. 


Was jhügen mag die Niedern, Rohen 
Bor meiner Finger Iharfen Griffen: 
Natur und Liebe — wird dem Hohen 
Schon in der Kindheit abgejchliffen: 


Geſchieden von der ſchlechten Rotte 
Des Volles ſitzt der Edelreine 
In feiner lieben Ahnengrotte 
So fühl, erhaben und alleine. 


Vorüber brauft an feinem Saale 

Das Bol! mit Noth- und Dampfgewerben, 
Sie Ihwingen ihm die Feitpofale, 

Man lebt und eilt, für ihn zu fterben. 


Doh Ruh’ tft in des Edlen Kammer, 
Daß er die Lebensmüh’ nicht ſpüre, 
Und jeden Seufzer miuß der Sammer 
Verſchlucken ftil vor feiner Thüre. 


O köſtlich ift die ſtille Schonung, 

Denn beutlih hört's der Mann der Graben, 
Wenn jüß ertönt um feine Wohnung 

Die Luft von meinen Serenaben. 


Er fegt in Noten fih mein Ständchen, 
Bewundert fingen es die Schranzen, 
Und morgen muß allmwärts im Länbchen 
Das Voll nah meinem Liede tanzen. 


—*R23 





Nikolaus Lenau. 





>>% Ber Gefangene. 8 


Was trug er aud fein Haupt fo frei, fo ſtolz! 
Volt’ edler ſich ats geine Xreiber fühlen 
Der Hirſch“ von Sdieifer. 


dr Frühling tft zu Berg und Thal gelommen, 
7 Sein Freudenruf iſt durch die Luft erflungen; 
Kaum hat die Erd’ im Schlafe ihn vernommen, 
Hat fie vom Traume ſich emporgerungen, 

Der ihren Bufen dedte ſchwer und Falt. 

In alle Fernen ift ihr Ruf gebrungen, 

Mit freundlicher, ſüß Iodender Gewalt, 

Daß ihres Neft’s die Schwalbe nun gedenfet, 
Weit übers Meer zur trauten Hütte wallt, 

Daß feinen Flug der Storh nun heimmärts lenket, 
Verlaflend fchnel das Schilf im fernen Sübden. 
Die Blume blüht, der bunte Falter ſenket 

Auf fie die Flügel bin, die monnemüben ; 

Mit Blüthen haben fih geihmüdt die Bäume, 
Daß fie zu Lieb’ und Sang die Sänger lüben; 
Schon fingt und bringt uns Paradiejesträume 
Im Blüthenftraude dort die Nachtigall; 
Melodifch zieht der Bach duch Waldesräume 
Der Hirte flötet und der Wieberhall; 

Zur grünen Alpe lehrt die Herde wieder, 
Weithin ertönt ihr froher Glockenſchall. 

Der Wildbach ſtürzt vom Klippenhange nieder, 
Ein Freudenthränenſtrom, dem Lenz entgegen; 
Froh ſonnen ſich der Alpe Felſenglieder, 

Im warmen Schein, der Frühling klimmt verwegen 
Zum Schneeberg auf und ruft ihn jubelnd wach: 
Der ſchüttelt fich den Winter ab, den trägen, 
Und ſchleudert ihm Lawinendonner nach. 

Bol Sehnſucht harrt er ſchon der Alpenroſe, 
Der holden Freundin, die der Lenz verſprach, 
Die jährlich ihn beſchleicht auf weichem Mooſe. — 
So zieht der Lenz herum in allen Gauen, 
Verſchwendend rings die ſchönen Freudenlooſe. 
Doch Einen weiß ich, der ihn nicht darf ſchauen, 
Und nicht, was Gott durch ihn geſandt, genießen, 
Weil finſt're Kerkerwände ihn umgrauen, 

Und rauhe Feſſeln ehern ihn umſchließen. 

Nicht hört er Vogelſang im Walde tönen, 

Nicht ſieht er, wie ſo ſchön die Blumen ſprießen. 
Er hört nur ſeinen eignen Jammer ſtöhnen; 

Für Rachtigallenſang und Taubengirren 

Hört er die Wand ſein Klagen wiederhöhnen 
Und, regt er ſich, die Eiſenketten klirren. 


Nilolaus Lr-an. 121 


Kein Stror’ des Frühlings konnte mit Erbarmen, 
Ein mild N röfter, ſich zu. ihm verirren; 

Er darf un Gottes Sonne nicht erwarmen; 

Die Nacht allein, des ſchwarze Ungeheuer, 

Hat man mit eingefperrt zu dieſem Armen. 

Sin feinem Herzen brennt ein wildes Feuer 

Bon Rache, Schmerz, von unverbienter Schande, 
Bon Sehnjuht nah jo mandhem, was ihm theuer. 
Dft fpringt er auf, gejagt vom innern Branbe 
Er flucht, er ſucht fein Schwert, er will hinaus: 
Doch Hohngelächter rafjeln jeine Bande 

Und feljenfeft verfchloffen bleibt das Haus. 
Ermattet fintt er auf das faule Stroh, 

Und bitt'rer Wehmuth weicht des Zornes Braus; 
Dumpfſchweigend fitt er da und ftarret fo 

Das ſchwarze Ungeheuer an, die Nacht. 

Ob Stunde, Mond und Jahr vorüberfloh, . 

Er konnte deſſen haben feine Acht; 

Ihm wirb in feiner dunkeln Haft bie Beit, 

Die Glüdlichen enteilt mit Sturmesmadht, 

Bur gliederlojen, ftarren Emigfeit. 

Soll zählen er fie wohl nad feinen Thränen? 
Und meſſen, wie fie no vom Grabe weit, 

Nah dem Unendlichen, nach feinem Sehnen? — 
Er wird fein hart Geſchick nicht überbauern, 

Und hofft er dies, es ift ein eitles Wähnen; 
Denn „Iterben fol er in den Kerfermauern!" 

So langen feines Richters graufe Worte, 

Des Mannes ohne Mitleid und Bedauern. 

Sein Flehen ſchlägt vergebens an die Pforte: 
„Sieb mir, o Gott, bevor das Herz mir bricht, 
„Nur einen Schritt aus dieſem Dualenorte, 

„Nur no ein Auge voll von deinem Licht! 
„Dann laß mich fterben immerhin zur Stelle, 
„sh Mage meiner Todesftunde nicht! 

„Mag dann mein Leichnam auf der Kerkerfchwelle, 
„O Herr, an deinem Lichte noch fi ſonnen! 

„So wie der müde Wand’rer an der Quelle, 
„Schlaf' ih an Deinem jühen Gnadenbronnen, 
„And träume, was ich fterbend noch empfunden, 
„D Freiheit! Freiheit! alle deine Wonnen!"— — 
Warum bat der ein ſolches Loos gefunden? — 
Er fleht umfonft, er hat zu viel verbrochen, 

Hat fi des Allzukühnen unterwunden: 

Hat Wahrheit dem Tyrannen laut gefproden 
Und ihm erzählt der Menſchheit bangen Fluch; 
Darauf verhänget der Geſetze Buch 

Den Tod — der Zwingherr hat es jelbft gefchrieben — 





122 Nikolous Lenau. 


Ein jedes Blatt der Freiheit Leichentuch ! 

Und daß der Kühne lebend noch geblieben, 
Dankt er allein des Herrichers milder Gnade; 
Sie will, zu ſchonen, manchmal auch belieben, 
Sie tödtet ihn nicht plöglich und gerade. — 
Der, Thor! er wollte Menſchenliebe wagen 

Und wußte doch, daß fie den Donner lade, 

Der in die Nacht fein Haupt nun hingeſchlagen. — 
Unheimlich wird dem Mörder dann zu Muthe, 
Bringt ihm ein Mahner aus vergang’nen Tagen 
Das Kleid des Todten mit der Spur vom Blute, 
Und hält ihm vor bas bleihe Angeficht, 

Was mandes Jahr im Grabesdunkel ruhte. 

Alfo hehagt' es dem Tyrannen nicht, 

Daß es gewagt der edle, fühne Thor, 

Mit ihm zu gehen zürmend in’s Gericht, 

Die blut’ge Wahrheit ihm zu halten vor, 

Das Kleid, das nicht die jchöne Freiheit trug, 
Als fie geführt den vollen Freudendor, 

Eh’ des Tyrannen Fauft fie frech erihlug. — — 
Da weckt mid einer Quelle nahes Raufchen 
Zurück vom nächtlichen Gedankenflug. 

Ich ſeh' das ſchlanke Reh im Didicht lauſchen; 
Nun ſchrickt es auf und fort iſt ſeine Spur. 

Süß mahnt mich, meinen Schmerz und Luft zu tauſchen, 
Mit Blüthen und Gejfängen die Natur; — 
Doh kann ich’ meiner Seele nimmer wehren, 
Daß fie verfoldte Trauerfinnen nur, 

Und fi ftatt Blumen ſammle bitt’re Zähren, 
Und in den Kerfer dort zu Jenem wand’re, 

Dem Dulder, bis der Tod, fein heiß Begehren, 
Aus einer Nacht ihn ſenket in die and’re. 


0." 7 
Begräbniß einer alten Bettlerin. 


ier Männer dort, im Ichwarzen Kleid, 
Sie tragen auf der Bahre, 
Zaftträger, ohne Luft und Leid, 
Des Todes kalte Waare. 


Sie eilen mit dem toten Leib 
Hinaus zum Ort der Ruhe. 
Schlaf wohl, du armes Bettelweib, 
Sn deiner morjchen Truhe! 


Dir folgt fein Menih zum Glockenklang 
Mit weinenden Gebärben; 











Nikolaus Lenau. 


Die Noth nur blieb dir treu, folang’ 
Bon dir noch was auf Erden. 


Dir gab der Menfchen jchnöber Geiz 
Ein Leichentuch, zerfebet ; 

Hat ein verftümmelt Chriftusfreuz 
Dir auf den Sarg geſetzet; 


Doch kränkt dich nicht der bittre Spott 
In deinem tiefen Frieden, 

Daß man felbft einen fchlechtern Gott 
Dir auf den Weg beichieden. 


Einft blübteft du im Jugendglanz, 
Vom ganzen Dorf gepriejen 
Die jchönfte Maid am Erntetanz, 
Dort unten auf der Wiefen. 


Folgt keiner dir der Burjche nad), 
Die dort mit Dir geiprungen? 

Mo längft die muntre Fiedel brach, 
Die dort jo hell erklungen! 


aA 
Beränderte Welt.” 


D: Menfchheit ift dahinter kommen, 
Troß aller Gaufelei der Frommen, 

Daß mit dem Leben vor dem Grabe 

Man endlich Ernft zu machen babe. 


Zerbrochen tft des Wahnes Sette, 

Die Erde jei nur Uebungsftätte, 

Nur Voltigirbod jet das Leben, 

Auf's Roß wird uns der Himmel heben. 


Auf freiem grünem Erdengrunde 

Wird jeder bald ſchon Hier zur Stunde, 
Bevor das Grab ihn bedt mit Schollen, 
Sein Rößlein weiden, tummeln wollen. 


seXr 


123 


124 


Nikolaus Lenau. 


Aus: Die Albigenfer. 


Nachtgeſang. 
1. 


O gläub'ger Hohn! o bitterſte Satyre 

Auf dieſe Welt voll Haß und Feindeswuth, 
Wenn der Chineſe ſich dem grimmſten Thiere 
Vertraut und ſich begibt in ſeine Hut, 

Wenn er für ſich, die Seinen, Haus und Feld 


Zum Schußgeift ben verflorbnen Tiger wäblt. 
.Er ſchlaͤft getroft, wenn ſtill der Tigergeift 


Als Hüter Haus und Feld bei Nacht umkreiſt: 

Und wohl mag ihm jein Wahn zum Schute taugen; 
Denn wenn ein Feind fich jchleicht in feine Nähen, 
Der fieht im Glühwurm roll’n des Tigers Augen, 
Der ſpürt im Nachtwind feinen Rachen wehen. — 


O märe fol ein Tiger mir Genofle, 

Mit Geifterfrallen, unfihtbarem Rachen 

Mir den Gedankenherd treu zu bewachen. 

Den Einbruch mwehrend meinem Feinbestrofie! 
Wenn mein einfames Herz Gedanken hämmert, 
Daß ich die Welt und ihren Gram vergejle, 
Wenn mir an feiner hellen Feuereſſe 

Die Morgengluth des heil'gen Sabbaths dämmert, 
Ha! Tiger! dann bewache meine Schranten, 

Und fommen Störer, ſchlag in ihre Seelen 

Als Scharfe Schauer deine Iuft’gen Pranten, 

Daß fie fih Scheu verzagt von bannen ftehlen! — 


Wenn Erdenwünſche fommen, mich zu loden, 
So fpring fie an, daß fie entfliehn erjchroden! 
Und kommen klagende Erinnerungen, 

Ermorde fie, bevor fie eingedrungen! 

Auf eine aber ftürze dich vor allen, | 
Berreiße ſchnell mit deinen ſcharfen Krallen, 
Verihling auf immer du in deinen Rachen 


Ein Frauenbild, das mich will weinen maden! — 


Send’ ih ein Lied auf die Tyrannenfragen, 

So hilf ihm, Tiger, nad mit deinen Taßen! 

Schlag ihnen breite Wunden ins Gemifjen, 

Und Höllenträume hauche auf ihr Kiffen! 

Und wenn fie, aufgejchredt, die Augen reiben, 

Die Kerze zünden, zitternd auf fich jegen, 

Blas aus das Licht, daß fie im Finitern bleiben, 

Mah vor der Thür Geräuſch wie Dolchewegen! 
’ 














Nilolaus Lenau. 


— 


Und will der Feige dann mit feinem Schreden 
Verkriechen ſich, entreiß ihm feine Deden 

Und widle ihn in alle Flüche feft, 

Die er getretinen Herzen ausgepreßt! 

Sein Eingemweide ſchlag mit Schmerzensbifien, 
Die wie Vergiftung durch ben Leib fi ringeln, 
Daß er auffährt, nach feinem Arzt zu klingeln, 
Du aber haft die Glockenſchnur zerrifien. 


D Tiger! den Tyrannen quäle! quäle! 
Bis er fich befiert, jchüttre jeine Seele! 


Millionen munde Herzen jeh’ ich bluten, 

So viele Thränenftröme ſeh' ich fluthen, 

Bon freder Willkür weit die Welt zerrüttet, 
Der Menfchheit Freudenſchlöſſer rings verſchüttet, 
Ich ſeh' gepeiticht von bochgeftellten Zwergen 
Gefangne Riefen, knirſchend ihren Schergen. 


D Welt! aus allen Wüſten möcht’ ich holen 

Die Tigergeifter dir zu Apoflolen! — — 
Wohin ließ ich von meinem Hab mich führen! 
Ich wünſchte mir den Tiger zum Genoflen, 
Schon ift in meinen Geift jein Hauch zu ſpüren, 
Und dur mein Herz fein wildes Blut ergofien ! 


2. 


Alfo ſchweiften mir die Nachtgedanken, 

Bis die Sinne mir in Schlummer ſanken, 

Und dem Geift des Haſſes Dolch entfiel. 

Da begann ein Traum fein ernftes Spiel. 
Einfam wandernd, mit dem Abenbftrahle, 

Fand ih mich in einem fremden Thale. 
Stumm, nad einem Laute bange ſchmachtend, 
Mar die Wildriß, ftumm der Himmel, nachtend. 


Sn der Wildniß irrr’ ich trüb’ alleine, 

Und ich ftieß auf einen Haufen Steine; 

Aus den Steinen, ſtumm ein 2os beflagenb, 
Ragt’ ein Bambusrohr, ein Fähnlein tragend. 
Schlaffes Fähnlein, nicht jo ftille gaubre! 
Schwarz und weißes Fähnlein, flattere, plaubre: 
Daß ein Wanbdrer, den die Seinen miflen’ 

Hier vor einem Tiger ward zerrifien; 

Daß er vor den fchnellen Todesitreichen 

Raum bie Zeit gefunden zu erbleiden. — 


125 


126 


Nikolaus Lenan. 


Und ih ſah das Feljenthal fi dehnen, 
Stil und weit, mie fatteu Tigers Gähnen 
D wie war bie Erde mir jo traurig! 

D wie war mir die Natur jo ſchaurig! 
Furchtbar ſchweigend fand mir gegenüber 
Die Natur, ftets wilber, fremder, trüber. 


Horch! da rief fo liebevoll, fo traut, 
Wie no nie mir lang ein Erdenlaut, 
Tröftend rief mir eine Stimme leije: 
„Guten Abend, Freund, unb gute Reife! 
Wolle nicht den wilden Geift beſchwören, 
Dem die Wüftentbiere angehören! - 
Wähle nicht zu deiner Herzensbraut 

Die Natur, wenn fie dir winkt vertraut. 


„Hold und reizend kommt fie dir entgegen, 
Liebesgluthen ihre Roſen fcheinen, 

Ihr Gefang, ihr fanfter Frühlingsregen 
Scheinen ſehnſuchtsvoll nach dir zu weinen. 
Wenn du bift an ihre Bruft gejunfen, 
Siehſt du fie verwandelt, mit Entjegen: 
Ihre Nachtigallen werben Unten, 

Ihrer Roſen Dornen dich verlehen, 

Ihre Thränen find zu Eis geronnen 

Und verbageln alle deine Wonnen, 
Todeshauche ihre Liebesreden, 

Denn verloren ift au ihr das Eden. 
Nicht dem Tiger in den Rachen fluchen 
Solit du jene Unheilvollen, Böfen, 

Denn es kann die Welt nur Gott erlöjen, 
Den ja brüllend ſelbſt die Tiger fuchen. 


„Wenn der Tiger ſchlau im Didicht laufcht, 
Boripringt und ein Menfchenbild zerreißt, 
Blut trinkt, hat er fih in Gottes Geift, 
Den er jpüret, ahnungsvoll berauſcht. 

lieh mit deinem Kummer nicht zu denen, 
Die aus tiefrer Haft fo wild fich fehnen. 


„Weltbefreien kann die Liebe nur, i 
Nicht der Hab, der Sklave der Natur, 

Dem Dämonen in den finftern Stätten 

Mit den Waffen jchmieden feine Ketten. 
Dort! fieh” Golgatha! — Jehovahs Stunben, 
Heil’gen Königstigers, find verwunden. 

— Alſo ſprach der Unficätbare leife — 
Guten Abend, Freund, und gute Reife!“ 








Nikolaus Lenau. 127 


Wieder ftile war es in der MWülte, 

Bis mich eine zweite Stimme grüßte, 

Start und voll und dringend lang die zweite: 
„Hafle herzhaft! rüfte dich zum Streite! 

Liebe die Natur, die, treu und wahr, 

Ringt nah Licht und Freiheit immerdar, 

Wenn auch unter ihren beil’gen Füßen 

Sraun und Schmerz und Tod aufwirbeln müjlen. 


„Waffen braudt die Welt: Fein Liebeslächeln 
Kann das Elend ihr von dannen fächeln, 
Wär's ein Lächeln auch wie das vordem 
Auf dem Kreuze zu Serufalem. 

Sener Tod bat nicht verfangen wollen, 

Gott ſoll wieder in Gewittern grollen, 

. Blige müſſen in die Dächer fahren, 
Schlachtgetümmel muß ihn offenbaren. 


„Wie die Fauſt einft Brand und Eljenruthen, 
Muß der Geift fein Schwert, fein Feuer brauchen, 
Bis die Herzen der Deſpoten bluten, 

Und zerfallend ihre -Burgen rauchen. 


„Menichheit will in Lüften feig verfiegen, 
Die entnervend durch die Herzen Friechen; 
Soll fie Heilen jchleichend faule Sünden, 
Muß die alte Wunde fich entzünden 


„Elend gibt’, wovon die Welt zu reinen, 
Mehr als Thränen, um es zu bemeinen 
Schiebe nicht den Troft ins Nebelweite! 
Hafle herzhaft! rüfte dich zum Streite; 

Eh’ die Kräfte dir im Tode fchlaffen; 
Guten Morgen, Freund, und . gute Waffen!” 


Sturmwind raufchte jegt wie Freiheitspfalm 
Trug von binnen mir den Bambushalm, 
Blies den Steinehaufen fort wie Flaum, 
Weckte mich zurüd aus meinem Traum. 
Und zu fingen in ber ftilen Nacht, 

Hob ih an die Albigenſerſchlacht. 


ne 
Der Kofenkramz. 


Bm Schloſſe Brom verihanzt und ieh verbauen 
Sind tapfre Ritter, banngetroffne Keker, 

Und rings die Burg umlagernd ift zu Ichauen 

Das Kreuzesheer, die Schar der grimmen Heßer. 


128: 


Nikolaus Lenau. 


Die Sonne neigt fi; ihr dort in ber Fefte, 
Freut euch nochmals an ihrem bolden Schimmer ; 
Er ſchwindet euch vielleicht fchon heut’ auf immer, 
Genießet froh die legten Strahlenrefte! 

Do glänzen fie von Waffen und beleuchten, 
Was bald fi fol mit eurem Blute feuchten. 


Der Schiffer, rings vom weiten Meer umflofen, 
Der Krieger in der Burg, vom Feind umſchloſſen, 
Sie follen ſcheiden ſehn den Abenpftrahl 

Nicht ohne Gruß — vielleicht zum legtenmal. 


Der Feldherr Simon durch das Lager reitet, 

Das weithin feine bunten Belte breitet; 

Er prüft die Schleuderthürme und durchſpäht 

Die Mauerbrecher, jeglid Sturmgeräth, 

Und er befjehlt zur nächſten Morgenwacht 

Den Sturm und mahnt: jeid tapfer in der Schlacht! 


Jetzt winkt er den Legaten fich heran 

Und ſcherzt: „Wenn wir das Schlößlein abgethan, 
Wil ih den Grafen Foix, den frevelub kecken, 
Mit einem Rofenfranz zur Kurzweil neden, 

Den jend’ ih ihm, dran foll er Buße beten, 

Bis wir ihm auf den ftolzen Naden treten“. 


Das Lager rauſcht von wildverworrnen Tönen: 
Hier Aerte zimmernd an Maſchinen bröhnen, 
Am Schleuderwerf die ftarfen Seile narren, 
Dort zankt ein Trupp ſich um den Futterfarren, 
Wo jeder nah dem beften Stüde trachtet, 
Dort Wehgeſchrei, es iſt ein Faß zeriprungen, 
Geblöck von Thieren, die das Mefler Tchlachtet, 
Geſchwätz von heimiſchen und fremden Zungen, 
Den Ketzern Flüche, pöblifches Gelächter, 

Sn ſchwerer Rüftung rafjeln edle Fechter, 

Die Roſſe wiehern, und die Mönche fingen, 
Bis alles mag die ftumme Nacht verjchlingen. 


Das Schloß vertheidigt Hugo von Alfar 

Mit feiner tapfern Albigenjerichaar. 

Der Sturm beginnt beim Morgendämmern, 
Steinblöde flürzen donnernd an die Mauern, 

Die Pfeile auf die Feinde niederjchauern, 

Und Schwert und Art auf Eifenhelme hämmern. 

Tie Mauer bricht, fie find hineingedrungen, 

Reich ſtrömt das Blut, ſchon ift die Burg bezwungen. 











Nikolaus Lenau. 129 


Die Leichen liegen Freund und Feind beiſammen, 
Wie ſie die Schlacht geworfen hier und dort, 
Drauf tritt der Haß und ſchreitet drüber fort, 
Und kuhlt an ihrer Kühle nicht die Flammen. 


An Leit gebricht’s, zu zählen und zu fragen; 
Mieviel der Unfern, Euern find erſchlagen? 

Bon Herzen gönnt dem Tode man fein Theil, 

Man zählt ihm nicht die Billen in den Rachen. 
Bali!’ und Bogen, Kolben, Schwert und Bell 
Arbeiten raſtlos, Leichen viel zu machen. + 


Wohl euch, ihr Freien! daß ihr fielt pur Stunbe! 
Erſtarrt find eure Augen, wie fie rollten, 
Und abgebrochne Flüche nohd am Munde, 
Als ob fie jenfeits noch ausklingen follten. 


Zu fterben raſch im männlichen Gefecht, 

Und in des Hafles Flammen zu verbrennen, 
Wenn frei das Herz und wenn jein Haß geredt, 
Das ift ein fchöner Tod zu nennen! 


Die Helden aber find nicht alle tot. 

Gefangen und gefeflelt, trogig ftumm, 

Erwarten hundert Simons Machtgebot; 

Die Prieiter ordnen ſich im Kreis herum, 

Und jubelnd fingen alle Prieſter Chor: 

„Te Deum laudamus!“ —- Schergen winkt hervor 
Graf Simon, die mit fluchverfallnen Händen 
Sofort die hundert Helden blenden. 

Nur einer wird geihont an einem Auge, 

Daß er den Übrigen zum Führer tauge. 


Und blutend find bie treuen Kampfgenoſſen 

Aus diefer Welt in Nacht hinausgeſtoßen 

Schwarz ilt die Naht der Blindheit, die fie jchrect, 
Die Seele ſchwärzre Nacht des Haſſes deckt. 


Simon gebeut in herriſchem Belieben: 

Man bringt ein Seil, des Ende reicht man dar 
Zu Hand dem Ritter Hugo von Alfar, 

Dem ſeiner Augen eines iſt geblieben. 

Die Blinden Mann an Mann die Leine faſſen, 

Daß ſie ſich dran des Weges führen laſſen, 

Und Simon ruft: „Nun mögt ihr euch entfernen 

Ihr Ketzer, und katholiſch wandeln lernen, 

Blind folgſam und gehorſam nur dem einen, 

Dem noch ins Aug' die Himmelslichter ſcheinen. 





180 


Nikolaus Lenau, 


„Dem Graf Foir verbringet meinen Gruß, 

Sagt ihm, daß fein Verderben mein Beſchluß, 
Wenn er nicht tief zeriniricht, zermürbet ganz, 
Der heiligen Kirche ſchwört den Treueſchwur. 


„Für ihn zu einem feltnen Roſenkranz 

Hab’ ich gefäbelt euch an diefe Schnur, 

Dran mag der ftolge Ketzer Buße beten, 

Bis wir ihm auf den flarren Naden treten.“ 

Die Blinden Hehn des Wegs durch grüne Felder, 
Sie wandeln ihre Bahn durch fühle Wälder; 
Doh find für fie die Felder nicht mehr grün, 
Nicht Fühlt der friſche Wald des Schmerzes Glühn. 


Wie fie hinziehn durch einen dichten Wald, 

Mahnt Hugo fie zur Raft, fie maden Halt 

Und lagern fih an moosbewachanem Drt, 

Und Balduin, ein Greis, erhebt jein Wort: 

„Ich höre über mir die Bäume faufen, . 

Doh meine Kinder werd’ ich nicht mehr ſehen; 
Hör’ immer no den Sang der Schergen braufen, 
Doch jeh’ ich Keinen Pfaffen mehr vergehen. 


„Hugo! wo fteht die Sonn’? Ein Priefter fiel 
Bon meiner Hand in heller Abendglutb; 

Der Sonne, wie fie ſank, ein Wiederfpiel 

Mar jener Tolle, finfend in fein Blut. 

Da küßte, ala der Pfaffe fterbend jank, 

Die Sonne freudig mir das Schwert zum Dank, 
Daß ih der Naht, dem Treugbejäten Drachen, 
Gefchlagen einen Zahn aus ihrem Rachen. 


„Bas half’a? die Nacht ſchlug mir nun ins Geſicht, 
Nun bin ich tot fürs goldne Sonnenlicht. 


„D, daß wir Augen brauden, um zu ſchauen! 
Die ganze Welt zwei Punkten anvertrauen! 
Warum ift nicht dem ſüßen Lichte offen 

Der ganze Leib? er athmet noch die Luft, 

Und ift doch ſchon jo finfter wie die Gruft. 

Wär’s Innocenz, den dort mein Schwert getroffen! 
Wär's Innocenz, ben ih dort umgebracht! 

Er ift die Seele und das Herz der Nacht. 


„Was flüftert hier jo Hug in diefem Straud? 
Bit du ein Dämon, Wind, jo fomm und böre 
Und ftärle did an meinem warmen Hauch. 











Nikolaus Lenau. 131 


Und richt es aus, was ich dich heiß beſchwöre: 
. Komm, jpinne Zauber bir aus meinem Fluch 
Und webe dir daraus ein Schleiertuch, 

Das wirf behende um ein jeglih Ding, 
Wonach fih dreht des Papſtes Augenring! 

Iſt es ein Priefter, jo verwiſch die Lüge 

Im Angeficht, gieb ihm die wahren Züge, 


„Entreiß der Seele ihr verftedtes Zeichen, 
Laß ihn dem Fuchs, dem Schwein, dem Tiger gleichen! 
Beſchaut ſein Antlitz Innocenz im Spiegel, 
Erſchein' ihm drauf das ſchwarze Mörderſiegel! 
Blickt er aufs Kreuz, ſo ſchau' er, wie es wankt, 
Zeig ihm die Schlange du, die es umrankt, 
Die ſie Hierarchia nennen; 
Weh mir, wie meine Wunden brennen! 


„Hör, Dämon, hör! die ganze Welt 

Sei ihm von deinem Rachedienſt entſtellt! 

Hör, Dämon, hör! die Roſen tunk ihm ein 

In Ketzerblut, und ſchmier ihm Ketzerblut 

Ins Morgenroth und in den Abendſchein, 

Und ſpitz ihm's in die Träume, wenn er ruht!“ 


Ein andrer ſpricht: „Der Papſt hat's nicht gethan, 
Daß wir geblendet ſtolpern unſre Bahn: 

Dem Simon Fluch, dem ritterlichen Vieh! 

Ein ſchlechter Mann trug noch den Harniſch nie. 


„Er ſcheint ſo fromm der Kirche nur zu dienen, 
Und läßt mit reihen Landen ſich bezahlen, 

Und baut fein warmes Neft fih in Ruinen, 
Kocht fi fein Süppchen bei des Bannesftrahlen. 
Aus Habgier Feufch, Fromm, tapfer, unbeicholten, 
Pflegt er die Tugenden als fette Prründen; 

Und würben Lafter ihm fo reich vergolten, 

Er wär’ ein Helb In jeder Art von Sünden. 

Ich fluche nicht dem Papſt, dem heiligen Narren, 
Dem jeine Greuel doch von Herzen kommen; 

Dem Simon fluch’ ich, der das Kreuz genommen, 
Aus Blut und Schutt fih ſchnödes Gold zu ſcharren.“ 


Ein dritter ſpricht: „Ich aber fluche beiden, 
Mas jeder denkt, ih mag's nicht unterſcheiden, 
Es gift mir gleich; mein Augenlicht verloren 
Hab’ ih durch Simons ſchergiſches Gelüften, 
Der andre hat das Heer herbeibeſchworen, 
Die herrlihe Provence zu vermülten. 





Nikolaus Lenan. 


„Do leichter kann ich jetzt mein Schickſal tragen, 
Als ich's genommen hätt’ in beſſern Tagen, 

Da meine Heimath ſchön und glüdlih war, 

O blühend Land, voll Freude und Gefang, 

Dein Leben tft dahin auf immerdar! 

Ich ſchaue nicht mehr deinen Untergang!” 


Drauf Balduin der Alte Ipricht: 
„Wie Blindheit ſchärft mein Unglüd, lindert's nicht. 


Es muß ins Herz mir noch viel tiefer fchneiden, 


Wenn ich nicht ſeh', nur höre, wie fie leiden. 
Wenn mir ins Ohr Verzweiflung gellt, 

Iſt's wie ein Ruf aus einer andern Welt, 
Als ob aus unſichtbaren Höllentiefen 

Die Stimmen meiner Brüder riefen.” 


Und jetzt erhebt fih Hugo von Alfar 
Und ruft, zum Aufbruch mahnend feine Schar: 
„Dem Papſt nicht fluch’ ich, der befreuzte Horben 


Getrieben, unjer Liebftes hinzumorden; 


Er that's im Wahn, zum Heile ſei das reht; 
Auch Simon fluch’ ich nicht, dem Pfaffenfnecht, 
Der, jelbft vor Rache blind, uns hat geblendet; 
Doch grol’ ich ihm, der auf dem Kreuz geendet. 


„Inbrünſtig küßt ihm Innocenz die Wunden, 
Ein zahmer Leu, der feinen Herrn beledt; 

Doch Hat die Icharfe Zunge Blut geſchmeckt, 
Und feine Wuth ift losgebunden; 

Der Leu brüllt auf, und bat mit feinen Krallen 


Wuthblind den eignen Meifter angefallen, 


Er hat fein Bild ſchon halb zerrifien, 
Und meint es immer noch zu küſſen. 


„Vom Blute feines Herrn beraufcht, 
Durchtobt die Welt der grimme Leu; 
Wohin das Dhr des Wandrers lauſcht, 
Hört er der Dpfer Wehgeſchrei. 

Die Klage zieht mit allen Winden 

In der Provence fern und nah’; 

Es ift im Land fein Kind zu finden, 
Das nicht Schon einen Toten Jah." 


Weithin verhallt der Ruf der rauben Kehle 
Im Waldgewölb’, mit Schreden drang und Graufen 
Der Fluch Alfars den Freunden in bie Seele, 
Und alle jchweigen, nur bie Bäume ſauſen. 
Den Wald verlaflen haben jetzt die Blinden; 











Nikolaus Lenau. 133 


Daß fie den Wald um offnes Feld getaufcht, 
Bewahren fie nur an den freien Winden, 
Und baß fein Laub fie mehr umraufdt. 


Ein Schlachtfeld. 


Ein weites Feld mit Leichen überjät, 

Stil — alles tot — verftummt das lebte Aechzen: 
Verklungen auch der Priefter Dankgebet, 

Te Deum laudamus nur bie Geier krächzen. 


Was einft Heſekiel verhieß den Geiern: 

„Der Herr wird lafien euch die Mahlzeit feiern 
Auf feinem Tiſch und Rob und Reiter freſſen!“ 
Die Geier haben's heut’ noch nicht vergefien. 


Ein Geier nur den andern Geier hört, 

Neidlos, denn reiches Mahl tft bier geboten, 
Die Fliegenihwärme ſummen um die Toten, 
Und jonft Fein fremder Laut die Säfte ftört. 


Der Klageruf verlafiner Mütter, Bräute, 
Ertönt zu ferne vom Gefilb’ der Schladht; 
Das Raubthier kann bei ungeftörter Nacht 
Einſchlafen, wenn es mag, auf jeiner Beute. 


Im Often kommt der Mond beraufgezogen, 

Und Schatten gaufeln um die Angefichter, 

Und um die Toten Jchleichen irre Lichter. 

O Menſch, wie bift du um bein Glüd betrogen! — 


„Hat Gott der Herr den Körperftoff erſchaffen? 
Hat ihn hervorgebracht ein böſer Geiſt?“ 
Darüber ftritten fie mit allen Waffen, 

Und werden von den Vögeln nun gefpeift, 
Die, ohne ihrem Urſprung nachzufragen, 

Die Körper da ſich laffen wohl behagen. 


„War Chrifti Leib echt, menſchlich und gediegen? 
Für Schmerz und Tod wie unferer empfänglich? 
Half ihm ein Sceinleib Schmerz und Tod befiegen 
Und fteigen aus dem Grabe unvergänglich?“ 


Die Frage war fo heiß und ernft gemeint, 

Daß jett der Mond auf ihre Leichen jcheint; 
Die find gediegen, echt, das iſt gewiß, 

Wie dur die Welt der tiefe Wundenriß. 

D Gott, wie bu auch heißen magft, es bleibt 
Ein Schmerz, daß Glauben foldhe Früchte treibt. 


134 


Nilolaus Lenan. 


Da liegen fie zu Tauſenden, kalt, bleich; 

Das Blut kann nicht mehr in den Boden finten, 
Der Erde ekelt Ion, es aufzutrinten, 

Dort in der Niedrung fteht’s, ein rother Teich. 


Weil Taufende gethan den letzten Hauch, 

Meint Innocenz, der Zweifel that ihn auch? 
Nein! durh das Wahlgefild’ Alfar dort fchreitet, 
Und kummervoll jein Blid darüber gleitet, 

Und er gelangt dem Blutteih in die Näb’; 

Da fpringen die Gedanken ihm hinein, 

Wie aufgejchredte Unken in ben See 

Und fingen ihm betrübte Melodein. 

Sie rufen über’s weite Schlachtgefild’ 

Das Untenlied des Zweifels dumpf und wilb: 


Was jol das ewig antwortlofe Fragen, 


In deſſen Ungebuld fie fich erfchlagen? 


Warum das Schidjal fo viel Schmerz verfchwendet? 
Zu neuem Schred an Leichen fich erfrifcht 

Und, ift ein Bild der Menjchheit halb vollendet, 
Den blut’gen Schwamm ergreift und es verwilcht? 


Db das ein Gott, ein kranker, ift zu nennen, 
Der eine Welt in Fiebergluth errichtet, 

Und bald im Froft des Fiebers fie vernichtet? 
Iſt Weltgefhid fein Frieren nur und Brennen? 


Iſt's nur ein Götterfind, dem biefe Welt 
Als buntes Spielgeräthe zugefallen, 

Das bald fih dran ergöbt, bald es zerjchellt, 
Und feine Wünſche nur vermag zu lallen? 


Mas iſt's — und Chriftus? — wunderliche Märe! 
Daß er für uns ſich kümmert, zeigt uns nicht 

Dies tote Durcheinander zweier Heere, 

Wo jedes fiel im Wahn der Chrifienpflicht. 

Wird er bei uns bis an das Ende bleiben, 
Solang’ die Zeit was findet aufzutreiben? 

Vielleiht daß Wahnjinn auf der Menfchheit Laftet, 
Daß ChHriftus als ein firer Irrgedanke 

Sie nicht verläßt, die unheilbare Kranke, 

Bevor das legte Herz im Tode raftet? 


Da liegen fie; — wann Elingen die Pofaunen, 
Die wedenden? und giebt’s ein jolches Klingen? 
Die Fliegen willen nichts davon zu raunen, 
Und aud die Geier Feine Kunde bringen, 











Nilolaus Lena. 


—. 





Wenn fie bort ungeduldig mit dem Schnabel 

Auf Panzer und auf Eifenhelme pochen, 

Ob nit Unſterblichkeit die [hlimmfte Fabel, 
Die je ein Menih dem andern vorgeiproden? 
Ein Wahn der Herzen plünbert, und ein Trug, 

Der freh dem Elend fagt: haft Freude g’nug! 

Hier ift dein 2008, zu dulden und zu darben, 

Sm andern Welten reifen deine Garben; 

Der Senjenmann wird fommen, fie zu fchneiden, 

Dir taufendfach vergeltend alle Leiden, 

Und Ernte wirft du feiern mit den Engeln; 

Sei froh, wenn du ihn börft fein Eiſen dengeln!? — — 


Hörft, Snnocenz? — in alfo düftern Wellen 

Beginnt das Herz des Zweifels Lied zu fingen, 

Weil du es willſt zu deinem Gotte zwingen, Ä 
Ihm feinen Himmel mit dem Schwert beweiſen! . 


Der Morgen graut, bie Sonne kommt, doch nicht 
. Begrüßt die Lerche hier das Dlorgenlicht. 
Bertreten find die Saaten auf den Fluren, 

Die Lerchen flohen mit den Troubadouren. 


Die heitern Bögel werden wiederfommen: 

Iſt aber einem Volk die Freude fort, 

Und aus dem Herzen ihm das Lied genommen, 
So kehrt Ihm nie zurüd das ſchöne Wort. 


Das Selage. 


Sm einer Laube an ber Seine trinken 

Drei Freunde ihren Becher aus Burgund; 

Sm warmer Freude überftrömt der Mund, 
Die Heden blühn, die goldnen Sterne blinken. 


Nicht ficher ift es heutzutag' auf Erben, 
Schwer im Berhängniß athmen bieje Zeiten, 
Im Garten bier auch leife Horcher fchreiten, 
, Die froben Becher Iauernd zu gefährden. 


Die Freunde aber trinten froh und fprechen, 
Wie die Gedanken auf im Herzen brechen, 
Sie laſſen frei die Herzensblume düften, 
Kein Rüchalt ſei in ſolchen Frühlingslüften. 


Ste ſprechen von ben höchſten, letzten Dingen, 
Und ihre Becher hell zufammenklingen. 

Zum Sternenhimmel weift empor ber eine 
Und redet laut mit hochgeſchwungnem Weine; 


135 


136 Nikolaus Lenau. 


„Seht, Brüder, feht, wie uns die Sterne ftrahlen! 
Als böten Herberg’ fie zu taufendbmalen, 
Wenn man von biejer Erbe uns vertriebe. 
Doch höher tft die Heimath, die uns bliebe. 
Laßt uns das Herz mit Muth und Freude tränfen: 
Zu Almerichs von Bene Angedenten ! 
Ein freier Mann! ein Forſcher ohne Zagen!“ 
Und ihre Becher bel zufammenjchlagen. 


„Seht, wie der Frühling uns den Trunf gejegnet 
Und in ben Becher feine Blüthen regnet! 

O ſpielten doch in den Pokal die Weite 

Uns Floden von des Freundes Ajchenrefte, 

Daß wir fie an die Lippen heben dürften, 

Und liebend mit dem Wein binunterfchlürften!“ 


Zerſtreut an hundert Tiihen in dem Garten, 
Bei Wein und ledern Speifen aller Arten 
Studenten fiten aus der hohen Schule 

Paris, genannt die Leuchte diefer Welt, 

Und, allzufreien Künften zugejellt, 

Bewirthet mancher neben ſich die Buhle. 

Bon Schweden, Deutichen, Bolen und Franzofen, 
Bon Stalienern, Ungarn, Engelländern, 

Vielfach an Sprache, Sitten und Gewändern, 
Die lauten Stimmen durcheinander tofen. 


Hier halten Theologen Wortgefechte, 
Spisfindig dialektiſch; blanke Waffen 

Muß Ariftoteles, der Heide, ſchaffen; 
Juriſten zanken dort um Römerrechte. 

Die Aerzte lachen ob den Wortverdrehern, 
Und lehren, wie ſich Elirire brauen; 
Sprahmwurzeln werden lärmend ausgehauen 
Bon PBhilologen, Griechen und Hebräern. 


Die Aftronomen jchelten fih um Zahlen; 
Dort fingt ein Trupp vergnügter Provencalen 
Ten tapfern Troubadour Bertrand de Born, 
- Sein Minneleid und feinen Heldenzorn. 
Goldftüde rollen dort, die Würfel dröhnen; 
Gelächter ſchallt zu jugendlichen Poſſen, 
Und jedes wird mit edlem Wein begofjen; 
So Iuftig werd’ e8 allen Mujenföhnen ! 


Und wieder fpricht ein andrer in ber Laube, 
indem er ſchwingt den rothen Saft der Traube: 
„Bon Almerihs von Bene theuren Lehren 

Blieb eine unvergeßlich mir vor allen; 














Nilolaus Lenau. 137 


Sie wird noch jpät auf Erden widerhallen, 

Wenn wir Ihon längft find fort und nimmer ehren. 
In diefer fternenhellen Frühlingsſtunde 

Set fie uns wiederholt aus meinem Munde: 


„Was wir mit dunklem Worte nennen 
Die göttliche Dreifaltigkeit, 

Das find drei Stufen in der Seit! 
Wie wir den einen Gott erkennen. 


„Den Vater glaubte den Gewittern 
Der Menih und dem Propbetenmund, 
Dor Gottes Willen mocht' er zittern; 
Und ſolches hieß der alte Bund. 


„Jehovahs Tage mußten Ichwinden, 
Der dunkle Donnernebel floh; 

Wir lernten Gott ale Sohn empfinden, 
Und wurden feiner Liebe froh. 


„Au Chrifti Zeit, Die Gott verjchleiert, 
Vergeht, der neue Bund zerreißt, 

Dann benten Gott wir als den Geift, 
Dann wird der ewige Bund gefelert. 


„So wird in dreien Eins genommen, 
Und Gott von uns in jeiner Macht 
Geglaubt, empfunden und gedacht; 
Es will die Zeit des Geiftes fommen. 


„Die Zeit, in der mit feinen Strahlen 
Der Menſchengeiſt zufammentrifft 

Sn Eines, ohne Kreuz und Schrift, 

Und jelig ruht nad langen Qualen." — 


„Auf Almerichs von Bene Angedenten!" — 
Das ift zum Theologentifch gedrungen, 

Sie horchen auf von ihren Schulgezänlen, 

Und ein Lombard ift auf den Tiſch gefprungen; 
„Die neue Lehre fol die Welt befiegen ! 

Der Geift ift Gott!" fo ruft er in die Scharen, 
Und alle auf von ihren Bänken fahren 

Und nad den Sternen ihre Müben fliegen. 


Bon Tiſch zu Tiſch bineilt das große Wort 

Und reißt die jungen Herzen mit fi} fort; 

„Der Geift ift Eott!“ fo ſchallt es hin mit Macht, 
Ein Freubendonner durch die Frühlingsnacht. 


J 
188 Nikolaus Lenan. 


Entgeltung. 


Vorüber find bie fehönen Frühlingsnächte; 

Der Sommer bat geglüht und Saat gereift, 
Der Herbit die Blätter von ben Bäumen ftreift, 
D daß er au ben Haß zur Ruhe brädhte! 
Der überwintert grüner ale Cypreſſen, 

Und jene Nacht, er bat fie nie vergefien; 

Was dort von Freiheit in der Gartenlaube 
Erſcholl, e8 ward ben Winden nicht zum Raube. 


Gegraben wird nah Almerichs Gebeinen, 

Im Feuer fie den Schülern zu vereinen. 

Die Feinde, könnten fie in ihrem Hafen 

Den Hingeſchiednen felbft, ihn ſelbſt ergreifen, 
Sie würden ihn herab vom Himmel fchleifen; 
Und, ift er dort, auch nicht der Hölle laſſen. 


Dem Tode zümen fie, daß er fo frühe 

Den Feind entführte und auf eigne Hand 
Ihn fanft entrücte jeder Erdenmühe, 

Und nur die Knochen ließ dem Rachebrand. 
Ste möchten fehler vor Wuth ſich jelber äffen, 
Mit Bann den Tod, den alten Keker treffen, 
Des Niefenhand, trog allen Widerſchlägen, 
Die Macht des Wahnes wird zur Ruhe legen. 


Doch ihre Zeit ift noch nicht abgefloflen: 
Indeſſen wird ein Feuer angezündet, 

Und jeto haben Almerihs Genojlen 

Sein fühnes Wort zum legtenmal verkündet. 


Der eine von den Prieſtern am Schaffot 

Hat Haß genug zu einem legten Spott: 

„Nun mögt ihr euren Herzenswunſch erreichen, 
Den ihr verlauten liegt jo unerichroden, 

Nach eures theuren Meifters Ajchenfloden; 

Ihr dürft mit ihnen fein als ihresgleichen. 
Nehmt jegt die Sterne, bie fo freundlich lachten, 
Beim Wort; fie haben Herberg’ angetragen; 
Die Erde muß fie euch fortan verjagen, 

So mögt ihr heut? auf Sternen übernadhten! 


Umionft? 


Wie raſch doch Fürften ihre Fahnen ſchwingen, 
Wenn es der Freiheit gilt den Tod zu bringen! 
Es gilt den auferftehenden Gedanken, 

Bor deſſen Tritt die fieben Hügel ſchwanken, 


Nilolaus Lenau. 139 


. Den Starken gilt’ zum Tod zu ringen nieder, 
Den Riefen mit den raufchenden Gemwänbern, 

Der feines Lebens unermeßne Glieder 

Zugleich erhebt in weitentlegnen Ländern. — 

Was fol der Röplein Wiehern bier und ‚Springen? 
Was follen bier die ausgeredten Klingen ? 


D Fürften übermüthig, wahnverloren, 

Blickt auf zur Naht, wenn ihre Sterne flammen, 
Und Schaut dem Feind, dem ihr den Tod gejchworen, 
Und zittert ſchaudernd in euch jelbft zufammen! 


Gedanke heißt der Heilige, der Held, . 

Der im Urlampf erfiegt dies weite Feld; 

Er bat getaucht die Sterne in fein Licht, 

Er gab den Stand den Sternen und bie Flucht, 
Hält ewig feft die ſtrenge Sternenzudt; 

Sein ift die ganze Welt und ihr Gericht. 


Ihn wollt ihr hemmen, wenn er fichtbar werden 
Sm menschlicher Geftaltung will auf Erden? 
Haut alle grünen Sprofien ab zur Stunde, 
Reißt ale Wurzeln aus dem Muttergrunbe, 

Und ſchießt die Vögel aus den Lüften nieder, 
Wenn ihr das Grünen hafjet und die Lieder, 
Ihr könnt den Drang nicht hemmen und nicht ftillen 
Den unaufbaltiam ftarten Frühlingswillen. 

D glaubet, Fürften, minder noch zu zwingen 

St der Gedanke je mit euren Waffen, 

Wenn er der Menjchheit will die Freiheit Tchaffen, 
Und will durch die Geſchichte binhn und ſingen. 


Schlußgeſang. 


Wofuür fie muthig alle Waffen ſchwangen, 

Und ſingend in die Todesfeuer ſprangen, 

Was war es? trogte bier ein Marer Blick 

Ins Herz der Freiheit jedem Mißgeſchick? 
War's Liebe für die Heilige, erfannte, 

Die heißer als die Scheiterhaufen brannte? 
War's von ber Freiheit nur ein dunkles Ahnen, 
Dem fie gefolgt auf allen Schredensbahnen? 
Mehr nicht! — doch fol die Edlen darum eben 
Bewunderung und Wehmuth überleben. 

D ernfte Lieb’ zur Freiheit, ſchönes Werben, 
Wenn ihre Spur genügt, dafür zu fterben! — 


Und dringt bie Frage weiter in mein Lied, 
Warum es nicht jo wilden Graus vermied, 





140 


Nikolaus Lenau. 


Warum es ruft nach jenes Greuels Schatten, 
Den die Gefchichte froh war zu beftatten? 

Wozu begrabnes Leib lebendig fingen, 

Und gegen Tote Haß dem Herzen bringen? 

Hat unfre Zeit nicht Leids genug für Klagen? 
Hat Hab nicht manchen, der da lebt, zu ſchlagen? 


Doch weile auf ber Vorwelt unſer Blid, 

Die Vorwelt fol uns tief im Herzen wühlen, 
Daß wir uns recht mit’ihr zufammenfühlen 
Sn ein Geſchlecht, ein Leben, ein Gejchid. 


Der Wandrer’gibt dem Freund, der nad ihm fchreitet, 
Wo fih der Scheibeweg im Malbe fpreitet, 

Den Weg, ben er gewandelt, treulich Fund, 

Er ftreut ihm grüne Reiſer auf den Grund; 

So ließen uns die alten Kämpfer Zeichen: 

Die Trümmer ihres Glücks und ihre Leichen. 


Getheiltes Loos mit längſtentſchwundnen Streitern 
Wird für die Nachwelt unſre Bruft erweltern, 

Daß wir im Unglüd uns prophetiſch freuen, 

Und Rampf und Schmerz, fieglofen Tod nicht ſcheuen. 
So wird bereinft in viel beglüdtern Tagen 

Die Nachwelt au nah unferm Leide fragen. 


Woher der büftre Unmuth unfrer Zeit, 

Der Groll, die Eile, die Berriffenheit? — 

Das Sterben in der Dämmerung ift jchuld 

An biefer freudenarmen Ungeduld; 

Herb ift’s, das langerfehnte Licht nicht ſchauen, 
Zu Grabe gehn mit feinem Morgengrauen. 
Und möüflen wir vor Tag zu Alche finten, 

Mit heißen Wünſchen, unvergoltnen Qualen, 
So wirb doch in der Freiheit goldnen Strahlen 
Erinnerung an uns als Thräne blinken. 


Nicht meint das Lied auf Tote abzulenken 

Den Haß von ſolchen, die uns heute kränken; 

Doch vor den ſchwächern, fpätgezeugten Kindern 

Des Nachtgeiſt's wird bie ſcheue Furcht fih mindern, 
Wenn ihr die Schrumpfgeflalten ber Deſpoten 
Vergleicht mit Innocenz, dem ‘großen Toten, 

Der doch der Menjchheit Herz nicht til gezwungen 
Und den Gedanken nicht hinabgerungen. 


Das Liht vom Himmel läßt jih nit verjprengen, 
Nocht'läßt der Sonnenaufgang ſich verhängen 


Nikolaus Lenau. 141 





Mit Burpurmänteln oder dunkeln Kutten; 5 
Den Albigenſern folgen die Huffiten] At) 
Und zahlen blutig Heim, was jene litten TR 
Nach Huß und Ziska fommen Luther, Hutten, 
Die dreißig Jahre, die Sevennenftreiter, 
Die Stürmer der Baftille, und fo weiter. 


HIT. 2 


Johannes Biske. 


Bilder ausdem Suffitentrieg. 





- 


1 


Ausig ift der Wald bei Trocznow 
In der abendliden Stunde, 

Ale Wipfel find jo ftille, 

Wie die Wurzeln tief im Grunde. 


In Gedanken naht ein Reiter, 

Um den Arm den Zaum geſchlungen, 
Schlendernd ſenkt den Kopf fein Rappe 
In Gedantendämmerungen. 


Plöglih hält der Reiter inne, 
Wie erwacht aus einem Traume, 
Schreitet ab und zieht den Degen, 
Sprit an einem Eichenbaume: 


Hier.an dieſer feiten Eiche 
Hat in einer Wetternacht, 
Meberrafcht von jcharfen Wehen, 
Mutter mich zur Welt gebracht. 


Nur der Wald vernahm ihr Kreißen, 
Windsbraut war bie Hebeamme, 
Und fie goß dem Finde jegnend 
Uebers Haupt bie Bligesflamme. 


Für Geſchoſſe mich zu ftärken 

Und ein hartes Helbenlos, 

Schlug der Hagel meiner Mutter 

In den fehmerzgeiprengten Schoß. - 


Donner war mein erftes Hören, 

Sturm mein erfter Athemzug; 

Als ein rauher Wetterfäugling 
Nehm' ich meinen Heldenflug. 


142 


Nikolaus Lena. 


Huß! an diefer feiten Eiche 
Shwör ih Nahe deinem Tod! 
Huß! vom Blute deiner Schergen 
Wird es bald auf Erden roth. 


Huß! jo reich aus ihren Abern 
Soll das Blut zu Boden laufen, 


Daß es hundertmal bir Fönnte 


Löſchen deinen Scheiterhaufen. 


Huß! vom Brandſchutt ihrer Burgen 
Soll die Erde ſchwarz fi färben; 
Mo ich einen Briefter treffe, - 

Soll er fallen, fol er fterben. 


Rothgebeizt von Raucheswolken 


Soll des Himmels Aug’ fi trüben, _ 


Weil fie durften ſolchen Frevel 
Ihm ins Angeficht verüben.' 


Mir im Herzen brennt ein Funken, 
Huß! von deinem Tobesfeuer, 
Unauslöfhbar; wie der Frevel 

Sei die Rache ungeheuer. 


Mann des Lichtes, Mann ber Freiheit, 
Beiter, den die Welt getragen, 
Schnöd’ verrathen, hingerichtet! — 
Mordend will id um dich Tagen. 


D wie Stil die Lüfte Böhmens 
Horchen meinem Racheſchwören, 
Und die vaterländ'ſchen Blätter 
Wollen mein Gelübde hören. 


Leib und Seele will ich brauchen, 
Schwert und Flammen und Geſchoß, 


. Bis ich ſterbe — hör’ es, Böhmen! 


Stille! ftampfe nicht, mein Roß! 





2 


Frühling, Ichönfter Held auf Erden! 
Wonniglich find deine Kriege 
Gegen ſtarre Todesmädhte, 

Wie holdfelig deine Siege! 


Sieh, dort fommt ein Held, ein rauber, 
Deinem Walde zugeritten, . 
Freudig tanzt der Staub zum Himmel 
Ueber feines Roſſes Tritten. 


J 








Nikolaus Lenau. 


Heiße feſtlich ihn willkommen, 
Lenz, in deinen grünen Hallen, 
Laß ihm deine reinfte Duelle 

Huldigend zu Füßen fallen; 


Sprenge Duft aus Blumenkelchen, 
Rühre deine ſüßen Flöten, 

Und entzünde Freudenfadeln, 

Pappeln an den Abendröthen; 


Bette Moos für jeine Mannen, 
Trän® und füttre feine Roſſe; 
Denn ber Held, den du bemwirtheft, 
Frühling, iſt dein Stammgenoſſe. — 


In die Buche holden Namen 
Ritzte hier verliebtes Härmen, 
Daß ihn Blüuthenhauche küſſen 
Und die Vöglein ihn umſchwärmen; 


Ziska will den Namen „Freiheit”, 
Der jein Herz zu Thaten jchwellt, 
Tief mit feinem Heldendegen 

Sthneiden in das Mark der Welt. 


Seine Brautfahrt gilt der Freiheit, 
Rache iſt die ftarre Rüftung, 

Die er trägt auf feinem Gange, 
Seine Werbung heift Verwäüftung. 


Ziska bringt ala Morgengabe 
Seinen Leihenihat ihr dar, 
Huſſens Schatten jei der Priefter; 
Flammen bauen ben Altar. 


Frühling, fieb, von feinem Rappen 
Hat der Wilde fih geſchwungen, 
Und er fucht ein kurzes Schlummern 
In ‚Des Waldes Dämmerungen. 


Seine Krieger rings am Boden 
Haben fih um ihn gelagert, 

Gierig weiden ſchon die Roffe, - 
Müd’, vom Schlachtenritt gemagert. 


. Mahlzeit halten die Huffiten 
Fröhlich in der Abendkühle, 
Es verjinten ihre Panzer 


Sm des Mooſes weiche Pfühle. 


— 


143 





144 


Nilolous Lenan. 


Vögel fingen dur die Schatten, 
Locken Schlummer auf die Wimpern, 
Und melodiſch fäufelnd, rauſchend, 
Im Gezweig die Lüfte Elimpern. 


Zisfas Auge blidet ſchläfrig 

Durchs Entfpinnen eines Traumes 

Nah dem abendrothen Stamme ’ 
Dort des alten Eichenbanmes; 


Zweifelnd miſchen Aug’ und Seele 
Ihren Blid in eins zuſammen: 

Iſt's Die Sonne? iſt's ein Bluiſtrom? 
Steht dort eine Burg in Flammen? 


Und womit ihm Maienlüfte 
Ueberftreuen Bart und Loden, 

Meiß er nicht mehr im Entſchlummern, 
Ob es Blüthen, Ajchenfloden ? 


Mann und NRoß bier, ſchlummernd, mweidend, 
Lenz, erquide fie und ſtärke 


“ Sie zur heißen Heldenarbeit, 
Bu dem blut’gen Fruhlingswerke. 


Lenz, wie dich und deine Wonnen 
Stürme zur Nachtgleiche melden, 
Sat dein Bruder Geiftesfrühling 
Sich vorausgelandt den Helden. 


Ziska iſt erwacht; es duften, \ 
Klingen rings um ihn die Schatten, 
Gleich ‘ala wollten Sie des Helden 
Born in weicher Luft beftatten ; 


Doch, zum Aufbruch ſchon gerüftet, 
Medt er, ftoßend in jein Horn, 
Aus des holden Lenzes Armen 
Seine Krieger, feinen Horn. 


8. 


Mer zum beil’'gen Kampf berufen, 
Iſt glüdjelig dann zu preifen, 
Wenn vor fih er feinen Feind bat, 
Draufzufhlagen mit dem Eifen; ' 


Mer nicht ftreitet nur mit Worten, 
Die er zweifelnd muß vertrauen 
MWindeslaunen, Wetterlaunen; 

Wer da weiß, wohin zu hauen. 


Nikolaus Lenau. 


Ziska, wildbeherzter Böhme! 
Schwinge fröhlih Lanz’ und Keule! 
Bürgen find bir deines Wirkens 


Ströme Bluts und Sterbgeheule.. — 


Wieder hat er, Tod vergeudend, 
Einen Tag hindurch geichlagen, 
Möchte in der Naht und Kühle 
Meiterfechten mit Behagen. 


Vorwärts treibt er feine Schaaren 
Auf den nadiverhüllten Pfaden, 
Um ber Freiheit, feinem Liebchen, 
Aufzufpielen Eerenaden. 


Mit der Feldſchlacht, feiner Orgel, 
Die er weiß jo ſtark zu greifen; 
Pfaffenvol! und Fürftenknechte 
Sind die gellen Orgelpfeiffen. 


Doch es dunkelt tiefer immer 
Ein Gewitter in die Schlucht, 
Nur zuweilen über's Thal weg 
Setzt ein Blitz in wilder Flucht. 


Hemmend lagert ſich das Dunkel, 
Um die Wagenburg, die Roſſe, 
Die Geſchirr' im Winde raſſeln 
Und die Bünbel der Geſchoſſe. 


Bisfa ſpricht: „OD wie jo flüchtig 
Diefer Schöne Blitz entfährt! 
Könnt ich doch bier an die Tanne 
Nageln ihn mit meinem Schwert! 


„Daß ih Gottes Welt befreie, 
Bahle heim die Racheſchuld, 
Brüder, könnt euch doch das Feuer 
Leuchten meiner Ungeduld!“ — 


Ha! ein Blik, ein ſonnenheller! 
Herrlich ftrahle:ı aus der Nacht 
Der Huffiten Schredgeftalten, 
Ziskas Herz in Freude lad. 


Donner rollen, fernverballend, 

Aus des Himmels tieffter Bruft, 
Dem Gemitter lauſcht der Feldherr, 
Nachtgebannt, nıit Neidesluſt: 


* 


145 


10 





146 Nilolaus Lenau. 


„Könnt’ ich fliegen wie die Wolken, 
Nachts in ungehemmter Eile! 
Könnt! ich auf verſchanzte Sünber 
Schießen meine Tobeskeile!! — 


Feſtgekoppelt ſteh'n bie Roſſe, 
Stampfend im Gewitterregen, 
Manche Streiter, ſchlachtermüdet, 
Schnarchen unter ihren Wägen; 


Andre, lagernd im Gebüfche, 
Singen Taboritendhöre ; 

Bisfa harrt des Morgengrauens 
Unter einer alten Föhre. 


4 


In des Donners Klängen lauſchet 
Ziska der verwandten Seele, 

Als ein Mann ihm naht bebutfam, 
Sprechend aus gebämpfter Keble: 


„Welde Wonne muß durchs große 
Herz dem Donnergotte wallen, 
Wenn er läßt die ftarfe Stimme 
Jauchzend durch die Lüfte Schallen! 


„Welche Wonne in der Feldfchlacht 
Slüht durchs edle Heldenmark 
Einem Mann wie du, o Zieka, 
Der fo haßt und iſt fo ftarf! 


„Aber füß’re Wonne gibt es, 
Als fie wird dem Helden kund, 
Der, wie Wetter kalte Schloßen, 
Leihen bagelt auf den Grund: 


„Süß’te Wonne, Liebeswonne ; 
Hat dein Herz ihr nie gefchlagen, 
Als du einft am Königshofe 
Lebteft in beglüdten Tagen? 


„Königin Sophia fandte 

Mich zu dir und deinem Grimme, 
Daß ich in ber Bruft dir wecke 
Eine bolde Friebensftimme; 


„Königin Sophia jenbet 
Einen Gruß bir und die Kunde: 
Iſabella, die du liebteft, 
Trauert fih um bi zu Grunde. 


Nilolans Lenau. 147 





„Als ich ſcheidend ſtieg zu Roſſe, 
Sah ih noch die Edeldame 
Sentend ihr gebleichtes Antlig, 
Stil verzehrt von Liebesgrame. 


„Silend ſpornt' ich meinen Renner, 
Denn die Shönfte Frau indeſſen 
Welket raſch und unaufbaltiam, 
Stirbt, wenn du fie haft vergeflen. 


„Kehre heim, bir ift vergeben; 

Lab des Glaubens wilde Streiter, 
Nimm ber Liebe fihern Himmel, 

Denn dir winkt vielleicht Fein zweiter." ' 


Alfo flüfternd ſprach der Bote, 
Scheu fih ſchmiegend an die Föhre; 
Ihm entgegnet Ziska leife, 

Daß es fein Hujfite höre: 


„O fie fterbe! als das reinfte 
Opfer ſei fie hingegeben 

Für die Freiheit, der ich opfre 
Jede Freude, all mein Leben. 


„Slabella, Stern der Liebe, 

Sinke! — meinem Pfade muß 
Leuchten nur des Zornes Tadel: — 
Bring’ ihr meinen lebten Gruß! 


„Doch nun raffe dich von binnen, 
Eile, Bote, und entweiche, 

Weil du nannteft einen Namen, 

Der dich ſchützt vor meinem Streiche!“ 


5 


Gerne ſeh'n wir ſchöne Spiegel 
Im Gemache ſchöner Frauen; 
Möge froh ihr holdes Antlitz] 
Ihnen draus entgegenichauen! 


Hat ja felbft Natur, bie ernfte, 
Nichts jo ſchön gemacht auf Erden, 
Wie den Spiegel, drin fie anſchaut 
Ihre Hüge und Geberden. 


Sie betrachtet Durch des reinen 
Menſchenauges Bauberfpiegel 
Ihrer Büge ſchöne Räthſel, 


Wie ein lächelnd Gottesſiegel. 10. 


. 148 


Nikolaus Lenau. 


. Rings hinaus in alle Weiten 


Iſt das Weltmeer bingegoflen, 
Doch ein Ozean ber Tiefe 
Iſt das Auge, eng umjchlofien. 


Welten ſchwimmen auf den Fluthen 
Diefes Meer: an uns heran, 

Sn den ew’gen Geift hinunter 
Reicht der ftile Ozean. 


Lieben kann ih Ungeſchautes, 

Klang es hold mir; doch anbeten 
Werd’ ih nur, was jchön und göttlich 
Bor das Auge mir getreten. 


Schauen ift die höchſte Wonne; 
Wehe, wer das Licht verloren! 
jedes Glück ift feinem Dunkel 
Wie ein Grüßen vor den Thoren; 


jeder Schmerz wird doppelt beftig 
Sm die Bruft dem Blinden ſchlagen, 
Weil die Mächte ihm bes Lebens 
Jeden ftillen Troft verfagen. 


Weinen hört er die Entrüdten, 
Laden hört er fie beflommen, 
Do der Wehmuth ftilles Lächeln 
Und ihr Troft ift ihm genommen. 


Tiefer flürzt der Schmerz beim Anruf, 
Sleih dem Hirſche, dem erfhrod'nen, 
In die Wildniß: doc das ftumme 
Lächeln kann das Auge trocknen. 


Zisſska hat gen Rabys Mauern 
Seines Heeres Sturm gewendet, 
Als ein Pfeil ihm auch das zweite 
Auge trifft, er ift geblendet. 


Tiefer wird er num beirauern 
Huflens Tod, des edlen Helden, 
Heißer, wilder, jchredenvoller 

Wird fein Zorn der Welt ſich melden. 


6 


Ragend fteht der blinde Führer 
Bisfa dort auf: feinem Wagen, 
Mit der Donnerftimme berrjchend, 
Wie die heiße Schlacht zu ſchlagen. 


Nikolaus Lenau. 149 


Steht ein Hauptmann ihm zur Linken, 
Und ein andrer ihm zur Rechten, 
Schildern ihm den Ort getreulich, 

Wo es gilt, den Kampf zu fechten. 


Lager, Zahl und Zug der Feinbe 
Melben fie, daß er befehle; 
Alles Schaut er Mar im Strahle 
Seiner lichten Felbherrnieele. 


Sn den Tagen, eb’ ber Pfeilſchuß 
Ihm geraubt das Augenlicht, 
Blidt’ er jcharf dem Vaterlande 
ns geliebte Angeficht; 


AM die Wälder, Ström’ und Buchten, 
Thalgewind’ und Bergesrüden 

Eilt er damals dem Gedächtniß 
Unauslöfchli einzubrüden. 


Und ber Genius der Race 
Weiß im Finftern zu eripähen 
Jedes Srundftüd, wo am beften 
Seindesleihen binzujäen. 


Dunkelt au um Ziskas Körper 
Tiefe, ſchimmerloſe Nacht, 

Gängelt er doch mit dem Geiſte 
Leicht fein wildes Kind, die Schladht. 


Hüben lenkt die Nacht bes Leibes, 
Drüben Geiftesnadht bie Krieger; 
Noch in Feiner Schlacht bezwungen, 
Bleibt auch heute Ziska Sieger. 


Ha! wie lauft dem Kampf der Blinde ! 
Er erkennt im Sturm ber Luft 

Jede Waffe an der Stimme, 

Mie herbei den Tod fie ruft. 


Wildharmoniſch feinem Ohre 

Rauſcht das Ringen zweier Heere, 
Waffen, Schlachtruf, Ziskas Leiblied, 
Und im Hinſturz Mann und Mähre. 


Freudig hört er, wie die Knechte 
Sigisſsmunds hinüberfahren, 

All' die ſächſiſchen Geſchwader 
Sammt den ung'riſchen Huſaren. 


150 Nikolaus Lenau. 


Und bem wilden, blinden Ziska 
Geht im Heldenrauſch der Ohren 
Doch die Mare Feldherrnruhe 
Seines Geiftes nie verloren. 


T. 


Durftig zieht bie Karawane 

Durch die Wuſte, ſucht die Quelle; 
Hoch! da raufht auf grüner Matte 
Die erfehnte, frifche, helle! 


Nah dem ſüßen Brunnenflange 
Stürzen alle froh und eilig, 

Doch fie follen bier nicht trinken, 
Denn es iſt der Brunnen beilig. 


Auserwählte Männer nahmen 

Die Dafe fih zu eigen, 

Niemand fonft, wie heiß er ſchmachte, 
Tarf zum Quell die Lippen neigen. 


Mächter ſtehen vor der Quelle 
Reihen, gottvergof’nen Wonnen; 
Doch der MWüitendurft tft mächtig, 
Schwerter klirren um den Bronnen. 


Und mit Fampferhöhtem Durfte 
Stürzen an den Duell die Sieger, 
Und fie trinken gierig, baftig, 
Wie das heiße Blut ber Tiger. 


Mander, ſchon vom Schwert getroffen, 
Schlürft no einen vollen Zug, 

Um die Seele zu erfriichen 

Auf den weiten Scheideflug. 


Tigerhaft gereizten Durftes 
Schmachten Ziskas Kampfgenoiien 
Nah dem Kelch des Abendmahles, 
Den die Prieſter ftreng verſchloſſen. 


Furchtbar rufen fie ben Prieftern: 
„Habt ihr Chrifti Werk auf Erden, 
Uns das Sakrament verftümmelt, 
Sollt ihr jelbjt verftümmelt werben!” 


Jauchzend Schwingen fie die Kelche 
Nah der Schlacht auf off'ner Wiefe, 
Mancher fterbend riecht im Weine 
Blumen ſchon im Parabiefe. 





Nikolaus Lenau. 151 


Mit dem Blut des Liebevolliten 
Wil des Hafles Gluth fich laben; 
Drüben aber werden Tote 

Bon Verftümmelten begraben. 


Wenn ber lang und ſchwer Bedrückte 
Freiheit jucht, jo haßt der Wilde 
Und zerbricht, wie andre Schranten, 
Auch des eignen Herzens Milde. 


8. 


D wie warb ber Tod ein andrer, 
Als die Griechen ihn geichildert! 
Aus dem milden Götterboten 
Iſt zum Schredbilb er vermwilbert. 


Als ein Genius, ber die Reife 
Sterblichen verfünden foll, 

Seine Hand zur Wange baltend, 
Stand der Tod gedankenvoll; 


Oder zeigte, mildiymbolifch, 
Daß die Erbenluft zu Enbe, 
Löſchend bie geftürzte Fackel, 
Kreuzt’ er brüber feine Hänbe. 


Reife trat fein Fuß die Pſyche; 

Wie der Freund dem Freund ein Zeichen 
Zeile gibt, vom Feitgelage 

Ohne Störung fortzufchleichen. 


Schlaf und Tod als Bmillingsbrüber 
Stanben oft auf einem Bilde; 
Beiden, ad, fo weit Verſchiednen 
Gleiche Bildung gab die Milde, 


Zweifelhaft erſchien der Genius, 
Fragen jollte der Beichauer: | 
Iſt's ber Schlaf und die Erholung? 
Iſt's das Sterben und die Trauer? 


Nur zumellen ward gejondert, 
Und das herbre Bilbniß trug, 
Daß der Blid den Tod erfenne, 
Falter, Kranz und Aſchenkrug. 


Dort ben Charos fieht der Grieche 
Noch in ſpäten, raubern Zeiten 
Mit der dunkeln Schar der Seinen 
Ueber das Gebirge reiten; 


. 152 


Nilolaus Lenau. 





Ihm voraus Die Jungen wandern, 
Alte kommen nachgeſchlichen; 

Und gereiht am Sattel fſitzen 
Barte Kinder, frühverbliden. — 


Heiter kam er noch als Fiedler, 

Sein Gelinde trat den Reigen, 

Und zu Luft und Tanz von binnen 
Rief fein Pfeifen, helles Geigen. — — 


Thanatos, ab, warb ein Krieger, 
Auf die Opfer Speere ſchwingend; 
Ein Athlet, auf glattem Boden 
Steben Helden niederringend; 


Thanatos, der edle Genius, 

Iſt zum Senſenmann verbauert! 
Mäht den Menſchen, einen Grashalm, 
Der zur Erbe niederichauert. 


Fiſcher, mit bem leifen Köder, 
Angelt er im Meer der Luft; 

Legt uns Schlingen als ein Vogler, 
Der mit falfchen Stimmen ruft. 


Nur noch feindlih naht der Wilde, 
Drohend, ins Verderben lockend, 
Auch dem Menſchen wie ein Kobold, 
Irrwiſch auf dem Halje hodend. 


Gräßlich naht uns mit der Senfe, 
Schred- und Vorbild, das Gerirpe; 
Für ein mildes Lächeln bat es 
Keine Wange, Teine Lippe. — 


So in wechſelnden Geftalten 
Macht der Tod die Erbenrunbe: 
Heute aber geht im Heere 
Sigismunds die Schredenstunbe: 


„Weil den Ziska, ſchlachtermüdet, ' 
Leichter Schlummer überfommen, 

Hat der Tod, ihn zu erjegen, 

Reine Rüftung umgenommen; 


„Denn unmwiderftehlich jeden, 

Der ihm naht im Schlachtgebraus, 
Winkt der Schwarze Helmbuſch Ziskas 
In die ew'ge Nacht hinaus.“ 








Nikolaus Lenan. 


— 


9. 


Finfter figt, abſeits vom Heere, 
Ein Hufltt im Walde dort, 
Einſam in des Bades Rauſchen 
Murmelt er fein Trauerwort. 


Waſchend in der Fluth die Waffen, 
Ruft er: „Heule, Bächlein, heule! 
Ziska liegt im Zelte fterbend, 

Schwingt nit Lanze mehr, noch Keule. 


„Ziska liegt in feinem Zelte, 
Sterbind liegt er auf dem Grunde; 
Doch es ift fein Weibgeborner, 
Der ihm ſchlug die Todesiwunbe. 


„Ha! wie famen fie geritten, 
Einen Kampf mit ihm zu wagen, 
Hoch auf ſchwarzen, weißen Roſſen; 
Alle hat er ſie erſchlagen. 


„Ja, der Tod, der andre Männer 
Niederſchmettert und zerſchellt, 
Hat dem Ziska, dem Gewalt'gen, 
Feig und tückiſch nachgeſtellt. 


„Heule, Bächlein, heult, ihr Wälder, 
Aller Welt den Schmerz zu melden, 
Böhmen und ber ganze Erdkreis 

Sind verwaift des größten Helden“ — 


Ziska tröftet die Betrübten, 

Die an feinem Lager trauern; 
„Brüder, heute werb’ ich ſterben; 
Doh die Thaten werden bauern.' 


„Denn es wird in jpäten Tagen 
Unfern Leid- und Rampfgenofien 
Stärfend aus Hujfitengräbern 
Troft und grüner Muth entiprofien. 


„Darum ſollt ihr meinem Tobe 
Stark, nicht trüb und weich erſcheinen; 
Habt ihr nicht gelernt von Ziska, 
Keinen Toten zu beweinen? 


„Seid gehorfam, wack're Brüder, 
Meinem legten Tagsbefehle! 


Nehmt mein Sterben, nehmt mein Scheiben 


Hin mit heit'rer Kriegerſeele. 


153 








154 | Nilolaus Lenau. 


— — — ——— — — — — —— — — — — — 





„Hochzeit iſt in dieſem Zelte, 
Mit der Peſt bin ich getraut; 
Furchtbar war Johannes Ziska 
Furchtbar auch iſt ſeine Braut. 


„Mit der Rache heißen Träumen 
Hat kein Weib mein Bett getheilt, 
Sie allein, von deren Kuſſe 
Nimmer wird mein Herz geheilt. 


„Daß ein Theil von mir noch immer 
In der Schlacht den Muth euch wecke, 
Spannet Iuftig auf die Trommel 
Meines Leibes Talte Dede. 


„Da! ſchon hör’ ih Schlachten braufen; 
Fliehend geben fie die Sporen, 

Da ben Feinden mein Vermächtniß 
Schreden trommelt in bie Ohren.” 


Alfo ſprach er, wieber finft er 

In den Traum ber Fieberhite, 
Tummelt mitten in ber Feldfchlacht 
Seine Keul’ und Lanzenſpitze. 


Alle, bie fein Arm getötet, 
Tötet er im neuen Strauß, 
Alle, die ſchon längft im Grabe, 
Müflen noch einmal heraus. 


Sa! heraus! heraus! Hufaren! 
Panzerdicke deutſche Reiter! 
Ziska kolbt euch eure Tage 
Kürzer und die Köpfe breiter. 


Reihen Schnee zur Erbe nieder 
Ließ der Himmel Böhmens fallen, 
Daß der Feinde Blut in grellem 
Abftih möge drüber wallen. 


Ziska bohrt die Lanzenipite 

Tief den Feinden ins Gebärme, 
Daß vom Froft des harten Winters 
Sih das Eifen gütlich wärme, 


Der beglüdte Wahn bes Traumes 
Gab ihm feine Augen wieber, 
AU die Pfaffen, Fürftenfnechte 
Schaut er Mar und haut fie nieder. 


Nikolaus Lenau. 


Alfo träumt er, aljo Fämpft er, 

Bis die legte Kraft geſchwunden, 

In ber Schlacht ein Held verjcheidend, 
Unverfehrt, unüberwunden. 


seete | 
Am Grabe eines Hinifers. 


u fuhrft im goldnen Glüdesmagen 
Dahin den rajchen Trott, 
Bon keuchenden Lüften fortgetragen, 
Und dunkteſt bir ein Gott!. 


Wie flogen bes Pöbels zabenſchwarme 
Dir aus dem Weg ſo bang 
Da ſie hörten der Geißel Lid Gelaͤrme, 
Der Räder Donnerklang! 


Ein weinender Bettler, ſtand am Wege 
Das arme Vaterland, 

Und flehte dich an um milde Pflege, 
Mit aufgehob'ner Hand. 


Doch wie auch klagte die bitt're Klage, 
Wie auch die Thräne rann: 
Du triebſt mit gellendem Geißelſchlage 
Borüber dein Geſpann! — 


„Halt!“ ſchlug nun eine grauſe Stimme 

An dein entſetztes Ohr, 

Es ſtürzt' ein Räuber mit Hohn und Grimme, 
Der Tod, vom Wald hervor, 


Und hieb die Stränge mit ſcharfem Schwerte 
Vom Wagen, riß mit Macht 

Dich fort, trotz Flehen und Angſtgeberde, 

In ſeine finſt're Nacht. 

- Das Vaterland mit Lachen und Singen 

Hält Wacht an deinem Grab, 

Scheucht Thränen und Seufzer und Händeringen 
Fort mit dem Bettelftab. 


A 
Der kriegsluſtige Faffenſchmied. 


pritze Funken, Säbelklinge, 

Werde meinen Hammerſchlägen 
Hart geſchmeidig, ſcharf, du Degen, 
Daß dich froh der Reiter ſchwinge! 


155 





156 


Nikolaus Lenau. 





Schwert, wie dir mein Hammerſchwingen, 
Helle Funken ausgetrieben, 

Sollen bald von deinen Hieben 

Seelen aus den Leibern Springen. 


Friede ift ein falfcher Engel, 

Unfraut wuchert auf zu Wäldern, 
Steuern wachſen auf den Feldern 
Mehr ale Korn und Weizenftengel. 


Friede bat das Menjchenleben 
Stil verwahrloft, fanft verwüſtet; 
Wie er feiner That fi brüjtet! 
Alles hängt voll Spinneweben. 


Ha! nun fährt der Krieg dazwiſchen; 
Klofft und gähnt erit mande Wunbe, 
Gähnt man feltner mit dem Munde, 
Kampf und Tod die Welt erfrifchen. 


Feige Lüge aus dem Herzen 

Treibt der Krieg, der offne, fcharfe, 
Weil der Tod zerreißt Die Larve, 
Weil die Wunden ehrlich jchmerzen. 


Mieder fol in Rampfgemwittern 
Friſche Luft der Wahrheit wehen, 
Tote werden auferftehen, 
Menfchentreter werben zittern. 


—E 


Ber geloͤgierige Pfaffe. 


er Pfaffe weiß mit Dampf, Geſang und Glocken, 
Mit Mummerei, Geberd' und ſchlauem Segen 
Den Pöbel zum Guckkaſten hinzulocken, 
Worin ſich Höll' und Himmel bunt bewegen. 
Derweil entzückt der Pöbel und erſchrocken 
An's Wunderloch nun thut das Auge legen, 
Umſchleichet ihn der Pfaffe, aus den Taſchen 
Die ſchweißgetränkten Kreuzer ihm zu haſchen. 


——E 
IN 








Lern RA, 


Friedrich v. Sallet wurde ald Sohn einer franzöſiſchen Röfugtefamilie am 
20. April 1812 zu Neiffe in Schlefien geboren. In den Jahren 1824—29 war er Nabett 
in Potsdam und Berlin und trat dann als Offizier in ein rheinifges Infanteries 
regiment ein, wurde aber 1830 wegen einer ſatiriſchen Novelle, melde militäriſche Ver⸗ 
Hältmiffe behandelte, vor ein Kriegägericht geftellt und zu ſchwerer Strafe verurteilt, weiche 
jebod) in gmeimonatliche Feftungahaft umgewandelt wurde. Im Jahre 1834 bezog Sallet 
die Kriegsſchule in Berlin, mofelbft er fi dann auch dem Stubium ber Geſchichte und 
der Hegel’fchen Philoſophie widmete. 1837 kehrte gr zu feinem Regiment nad) Trier 
aurüd, nahm aber ſchon 1838 feinen Abſchied und fibelte nad; Breslau über. Seine 
demotratiſchen Anſchauungen teaten in den zahlreichen politifchen Auffägen aus jener Zeit 
ungeſchminkt zu Tage, wie auch durch alle feine Zeitgedichte der Hauch der nad) Freiheit 
ringenden Menſchenſeele hindurchzieht. Im feinem „Laienevangelium” Iegte Sallet bie 
Summe feiner philoſophijchen und religiöfen Lebensanfhauungen nieder, während er in 
feinen politifjen Liedern vor allem bie Halbheit und Tfatenfofigteit geikelte, zugleich 
aber auch der gequäften unb gefnedjteten Menſchteit eine beffere Zutunft zeigen, wie bie 
beſonders in ber Dichtung „Fernfict“ ſeht finnig zum Ausdrud tommt. Friedrich 
v. Sallet ftarb am 21. Februar 1843 zu Reichau b. Nimptſch. 


—— 














SHE ZEN 


Der Freiheitsveteran. 


ei der Baftile Sturm, wie war er Kraft und Feuer! 
Da war es ihm jo ganz bebaglih und geheuer. 
Jetzt auf dem Krankenbett liegt er, die Haare weiß, 
Die Glieder kalt und jchlaff, ein längitvergefiner Greis. 


Seltfam! jonft iſt's Geſetz, daß alte Zeit verftumpfe; 
Er muß die neue jehn verlieren fih im Sumpfe. 
Vergebens fucht er oft im feigen Zeitungsblatt 

Nach jenem großen Volk, wie er's gefehen bat. 


Doch horch! die Schwülle war nur Ahnung von Gewittern. 

Es grolt wie Volfestraft. Ihn faßt ein Freudezittern. 

Sein Auge blitt, er horcht. „Ya, das ift Vollsgebraus! 

Ich kenn's.“ Und raſch gefaßt ſpricht er: „Tragt mi hinaus!“ 


Da ſieht er um fich her ein achfelzudend Sorgen: 

„Ein kranker Greis iſt bier am beiten wohl geborgen.” — 
„Laßt (ſpricht er) atbmen mich! Das Zimmer ift mir Gruft. 
Der Pulverdampf allein ift meine Lebensluft.“ 


„Da braußen fcheinet heut ber alten Freiheit Sonne. 

Sm ihr genef’ ich noch zu frifcher Jugendwonne. 

Tragt mich hinaus, ih will’s!" Gehorſam zwingt der Ton 
Ein Nahhall aus dem Sturm der Weltrevolution. 


Sie tragen ihn hinaus, wo finftre Gruppen murren, 
Sie tragen weiter ihn, wo ſchon die Kugeln furren. 
„Sebt nieder!” Strengen Blide fieht er ben Rämpfern zu, 
Tief in der Bruft Orkan, doch auf der Stimme Ruh’. 


Er fitt jo flarr und flumm, fo riefig anzufchauen; 

Es wanbelt durch die Reih'n der Kämpfer leiſes Grauen. 
Das tft fein alter Mann, das ift der Vorzeit Geift, 
Der, ftummen Mahnens, euch in's Kampfgetümmel reißt. 


Sprit nicht fein Blid: „Ich geh’ und Fünd’ es euren Ahnen, 
Ob ihr zu treten wißt die alten Ruhmesbahnen ?* 

Sie fechten heiß.“ Er jauchzt; doch flille bleibt fein Mund. 

Die Tricolore ficgt, der Greis fühlt fi geſund. 


160 


Friedrich von Sallet. 
Swei tragikomiſche Gerichten. 
1. 


Lin König war verrüdt und blöd’. 

Wie trieben da ihr Spiel die Schrangen! 
Gleich Mäufen, die muthwillig jchnöd’ 
Um einen blinden Kater tanzen. - 


Manch toll Dekret entwarfen fie, 

Er unterſchrieb, fie hatten's ficher, 
Schrieb er: „Chriftian et Compagnie,” 
Sie ließen’s gelten mit Gekicher. 


Und wie er ftumm bei Tafel aß, 
Scholl's um ihn ber von freden Worten. 
Nichts fragten fie bei ihrem Spaß 

Nah dem verftörten Scheinbild dorten. 


Doch ſchau! da hebt fi bie Geftalt 
Des Tiefgedrüdten, Willenlofen ; 

Rings blidt er um fich feit und alt, 
Und ſcheu verftummt des Mahles Tofen: 


„Wie, wenn ih nun mit einemmal 
Herr würde meiner Geiftesträfte?” 
Da geht ein Grauen durch den Saal: 
„Weh uns! erwacht ilt der Geäffte.“ 


Doch wie noch ftocdt jedweder Ton, 
So daß man hört des Odems Fächeln, 
Hat fid) fein Blid verwandelt ſchon— 
In alten Blöbfinns irres Lächeln. 


„Nun, nun! fo ernft war’s nicht gemeint, 
Für diesmal mögt ihr weiter fcherzen.“ 
Da lachten fie, die ſchier geweint, 

Und jedem fiel ein Stein vom Herzen. 


2 


Verändert hat die Zeit das Bild. 

Die Fürften find die feden Schranzen, 
Die um's blödfinn'ge Voll gar wild 
Wie Mäuf’ um blinden Kater tanzen. | 


Da hat das Volk fich ſelbſt erfannt 
Mit eins, da es fie ſah beim Schmaufe: 
„Wie, wenn ich käme zu Berftand, 
Und Herr fein wollt’ im eignen Haufe?” 





Friedrich von Sallet. 161 


Da ging ein Zittern um und um 

Und leife wankten alle Throne; 

Allein das Volt — ſchon lächelt's dumm, 
Und fpricht im alten Kindertone: 


„Run, nun! es bleibt beim Alten ja. 
Nicht ernft war's, was mich angewandelt.“ 
Und wieder fit es blöbe ba, 

Und nad wie vor wird es mißhanbelt. 


EL 
Der alte Meberalfundnirgends. 


Eine mythiſche Figur. 


an Iprit von Alters wunderbar 
Bon mander That des Chriltes. _ 
Heut ſpricht man auh vom Volk fogar, 
Als gäb’s zu dieſer Frift es. 
Doch weil ih als ein Critics 
An allen Dingen zweifeln muß, 
So frag’ ich ftels: Wo ift e8? 


Und fabelhaft dunkt's meinem Geift. 
Ich glaub’, es ift der Alte, 

Der Ueberallundnirgends heißt. 

O fagt mir, wo ich's halte! 

Wohl ſeh' ih Leute, Wolf an Wolf; 
Doh Leute machen no fein Bolt 
Tas fih als Eins geſtalte. 


In Kneipen ſitzt es vollgedrängt 

Und raiſonnirt zu Zeiten, 

Und wenn der Sommer gar anfängt, 
Strömt's aus von allen Seiten, 

Es trinkt Kaffee und grüßt und ſpricht, 
Volk iſt das wohl, das Volk iſt's nicht; 
Das Volk muß anders ſchreiten. 


Wenn einer in's Gefängniß muß, 

Seh' ich viel hundert laufen, 

Auch brannt' einmal ein Haus am Fluß, 
Da lief's herbei in Haufen. 

Viel tauſend waren's, ohne Kern, 

Sie thaten nichts, ale maulaufſperr'n, 
Und gaffend fi verjchnaufen. 


Den, der nichts will, und ber nichts thut, 

Kann ich nicht gelten laflen. 

Er ift auch nicht, ſprech' ih mit Muth, 

Mär er in allen Gaflen. u 


162 





Friedrich von Sallet. 


So ift das Boll beim Somntagsball, 
Bei der PBarad’, kurz überall, 
Und nirgends doc zu fallen. 


Doch ſeh' ich's einft vol Majeftät 

Sleih einem Mann ih rühren, 

Bereit, was ihm die Freiheit räth, 

Selbftkräftig zu vollführen: 

Nicht nirgends mehr, no überall; 

Das Volk ift da! (ruf' ih mit Schall) 
Gehorcht ihm nach Gebühren! 


— 


Geſchichtliche Sutwickelung. 


hr ſagt uns: „Jugend mit zu heißem Blute, 

Auf ſchwärmeriſchen Freiheitstraum verzichte! 
Geſchichtlich nur entwickelt ſich das Gute.“ — 
Wohl! doch wo nichts geſchieht, heißt das Geſchichte? 


Sm unſrem Woörterbuche beißt fie: Thaten, 
Das Werdende, und nicht das Alterſtarrte. 
Weh! mit dem Wort habt ihr euch ſchlecht berathen, 
Ob auch ſein Doppelſinn ſchon Viele narrte. 


Geſchichte! ja, du Element des Lebens! 

O ſtürzten Völker, müh'voll und beladen, 

In deinen Strom ſich doch, beherzten Strebens, 
Um ſich in ihm geſund und jung zu baden! 


Ihr aber, bebt vor ihren Weltgerichten! 

Beruft euch nicht auf fie, die ihr wollt hemmen! 
Geſchichte Heißt: den morſchen Bau zernichten, 
Heißt: euer Dammiyftem zu Schanden ſchwemmen. 


Geſchichte heißt das Stürmen der Baltillen 

Und der Debatte Stürmen im Convente. 

O findifh Kartenhaus ber Camarillen! 

Weht einſt ihr Hauch — wer iſt, der dich noch kennte? 


RT U 


Der ſchlafende Kiefe. 


Wlir iſt ein Rieſe wohl bewußt, 
Der liegt und ſchläft gar feſte, 
Drum wimmeln ihm auf Kopf und Bruſt 
Zwerghafte, kecke Gaͤſte. 


Sriedrih von Sallet. 


Sie trippeln fteif und wunderlich 
Mit komiſchem Stolziren, 

Ste machen Complimente fich, 
Reſpektvoll, mit Hantieren. 


Sie nehmen im geſchloſſ'nen Mund 
Rathſchlagend ihre Site 

Und drehn im Püppchenball fih rund 
Auf feiner Naſenſpitze. 


Auf feinem Magen jchmaufen fie, 
Wettrennen auf dem Bauche, 
Kurzum als Herren haufen fie 
Nach bergebrachtem Brauche. 


Drum bilden fie fi ein zulebt, 

Es jet ihm Pflicht, zu Schlafen, 
Und wol’n ihn, wenn er bie verlekt, 
Mit Nadelſtichen ftrafen. 


Drum bilden fie ſich ein ſogar, 
Daß, ihnen ganz verliehen, 
Er da nur ſei für ihrer Schaar 
Reipektceremonieen. 


Gott ſchuf den großen Rieſen blos 
Und bieß ihn liegen bleiben, 

Auf daß die Wichtlein fo Furios 
Auf ihm ihr Weſen treiben. 


Doch ſchlief' er nur nicht gar jo ſchwer, 
Ka Höhn!’ er nur im Träumen — 
Sinunter purzelte das Heer 

Mit lächerlihem Bäumen. — 


Ihm an der Naſe kitzle ich, 
Er hat noch nicht geſchnoben. 
O Rieſe, Rieſe, rüttle dich! 
Dann iſt das Pack zerſtoben. 


Wach' auf, daß du den Unfug weißt! 
Leicht kannſt du ihn verjagen. — 

Ich weiß auch, wie der Rieſe heißt; 
Doch darf ich es nicht ſagen. 


Er 


163 


11* 


: 164 


Sriebrih von Sallet. 


Sin harmlofes Kaͤthſel. 


In Furchtegott Haarbeutels langem Philiſterton. 


ie heißt der Mann, den Alle lieben, 
Die guten Deutſchen doch zumeiſt, 
Und ber doch nie etwas betrieben, 
Mas irgend groß und tüchtig heißt? 


Mir, ich gefteh’s, ift er zuwider, 
Denn überall drängt er ſich ein, 
Läßt in den Sorgenftuhl ſich nieder, 
In jedem Haushalt muß er fein. 


Die Kanzel bat er auch betreten, 

Er erercirt, figt zu Gericht, 

Er lieft an Univerfitäten 

Und hat im Staatsrath viel Gewicht. 


Schlafmüge nennt ſich feine Krone 
Und fragt ihr, was er finnt und thut? 
Er blinzt und lächelt nur zum Lohne, 
Wenn Jeder jtets wie Alle ihut. 


Wenn einer macht mit hundert Schritten 
Was man mit einem Sprunge kann, 
Das find ihm alte, gute Sitten, 

Das fieht er ſich behaglich an. 


Doch wilft du Großes, Eignes jchaffen, 
Da wirb der Stumme plötzlich laut, 

Er wird dich ſchmähn und dich beflaffen, 
Bis allen Menſchen vor dir graut. 


Und wilft du fallen ihn beim Kragen — 
Gleich über dich fällt Alles her, 

Du wirft geſcholten und geichlagen, ' 
Denn Alle lieben ihn zu fehr. 


Ein Kerl, fo lappig und jo ſchmächtig, 
So gänzlih ohne Wis und Mark; 
Und dennoch herrſcht er fait allmädtig; 
Wer ihn befiegt, ift Löwenftarf. 


O läg' er lieber doch zerichlagen, 
Zerquetfcht auf einer Eifenbahn! 
„Wie heißt er denn?” ch will's euch jagen. 
Es tft — der alte Schlendrian. 


74 





Friedrih von Sallet. . 165 


Entweder — oder! 


nd wenn ih wär’ ein Zimmermann, 
Dann baut’ ich eine weite Schranfe 
Und fchrieb in großen Zügen an 
Hoch oben an bes Eingangs Planke: 
Endweder, ober. 


Die ihr den großen Rampf der Zeit 
Ausfechten wollt, herbei, ihr Ritter! 
Spredt, welcher Sach' er euch geweiht, 
Sprecht frei durch's offne Helmgegitter: 
Entweber, ober. 


Für Fürftenmadt, für Volkesrecht? 
Für Geifleslicht, für Pfaffendunkel? 
Republikaner, nder Knecht? 

Ja ober nein! nur fein Gemunkel! 
Entweder, oder. 


Schwarz ſei die Rüftung, oder weiß. 
Ihr geht zur Linken, ihr zur Rechten. 
Tobdfeinde nur lafj’ ich zum Kreis, 
Die nur um Tod und Leben fechten. 
Entweber, ober. 


Ihr Herrn von: Zugegeben, Zwar, 
-Bedingungsmweis, Gewiſſermaßen! 

Hier heißt es: ganz, mit Haut und Haar. 
Verlegt uns nicht des Kampfes Straßen! 
Entweder, ober. 


Bleibt draußen, weil ihr uns nur flört, 
Ihr Hald- und Biertelmeinungsaffen ! 
Wenn's euch ergößt, jeht zu und hört! 
Zum Publikum ſeid ihr gefchaffen. 
Entweder, ober. 


Und wenn der Lette tobt fi rollt, 
Bon drüben oder hier, im Sande, 
Dann wißt ihr, wem ihr folgen follt. 
Wir ſchlichten's für die ganze Bande: 
Entweder, oder. — 


Doch weil ich bin Fein Bimmermanı, 
Kann ih auch Feine Schranke bauen, 
Drum laſſ' ich's gehn, wie's gehen kann, 
Zulegt muß man es doch wohl fchauen: 
Entweder, ober. 


I 





166 





Friedrich von Sallet. 


. Ecce homo! 


Ä Dar ragt ber uralt graue Riefendom, 


Und dort das uralt feſte Königsfchloß. 
Still ſchaun fie nieder auf der Menſchheit Strom, 
Wie ein Geſchlecht um's andre drin zerfloß. 


Sahrhunberte tönt dort Geläut und Sang, 

Und dort der Dienftbarkeit gewohnter Eid; 

Und wir — find Eintagfliegen, ſcheu und bang 
Bor folder Dawr und Unverwüſtlichkeit. 


Wenn unfereins mit fredem Tilgungswort 
An ſolchem Bau zu rütteln fi vermißt, 
Iſt's nicht, ala wenn die Alpenblume dort 
Der Alpe kürzen will des Dafeins Frift? 


Darum mit Ehrfurdt blidt zum Königsichloß, 
Darum befreuzt zerfniricht euch beim Geläut! — 
So ſprecht ihr Thoren, gleich dem blöden Roß, 
Das wild entjegt vor einem Strohhalm jcheut. 


Ich, Ehrfurcht vor den Kartenhäuslein dort, 

Wie Spreu zerftiebend vor der Zeiten Sturm? — 
Ein Standbild richt’ ih auf nun, euch zum Tort 
Und jenem Kinderſpiel mit Hal’ und Thurm. 


Wo find’ ih nur ein würdig Poftament? 

Dort das Granitborn, grau, wie Ewigkeit? 

Doch wenn fi der Granit zerbrödelnd trennt, 
Iſt's für mein Bild ein Sandkorn kaum ber Zelt. 


So mag’s nur auf fich jelber ftehn und ruhn; . 
Doch überragt’s den Himmel und die Welt. 

Ein Menjhenbild feht ihr mit Staunen. „Nun? 
(So fragt ihr) ift es ein Prophet, ein Held?“ 


„Wie? oder ift es Gott, der ew'ge gar, 

Wie er, ale Gottmenſch, trat auf diefen Ball?“ 
Kein Einzelner von diefen Allen zwar, 

Und Alle doch zugleich, und mehr, denn al’. 


Es ift nicht diefer, jener, oder der, 

Es it der Menſch (ein kurzes, großes Wort), 
Der Unverwäüftlide. Und nun fehaut her! 
Die Inſchrift ſchreib ich ihm zu Füßen bort: 


„Geiſt, der du wie mit Federbällen ſpielſt 

Mit Raum und Zeit, und doch in fie gebannt, 
Der bu von Anbeginn dich felbft erzielt, 
Und nur dich ſelbſt gewollt haft und erkannt!“ 





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Friedrich von Sallet. 167 


a —— — — — —— — — 


„Du ſchaff'ſt dir deinen Gott im freien Spiel, 
Ehrit ihn, jo lang’ das Machwerk deiner werth, 
BZertrümmerft ihn, fobald er bir mißfiel 

Und bir fein Selbitgenügen mehr gewährt.” 


„Und lächelnd ſiehſt bu feinem Sturze zu. 

Nah deinem Bild bald ragt ein beif’rer doc. 
Wie manden Bott Schon fiberlebteit du, 

Wie manchen wirft bu überleben no!” 


„So frei bift du, daß du felbft Knecht fein kannſt, 

Ein Wellen duldend roher Herren Zwang, - 

Bis du, zurüdgezogen, groß dich fannft, 

Und jchnell bie felbftgefchlagne Kette ſprang.“ ” 


„Du baueft fühn die Reiche diefer Welt 

Und fprihft zu ihnen: Fallt! wenn bin ihr Glanz. 
Ob auch der Weltgefchichte Fluth zerichellt 

An deinem Fuß, du, Fels, bleibt feit und ganz.“ 


„Du Menſch! es koſtet dich ein Schütteln nur 
. Des Götterhaupt’s: zerftäubt vor deinem Groll 
Schmwand bes Palaſt's, des Domes lette Spur. 
Du blidft: und eine neue Welt entquoll.“ 


Das left! Und ſturzen Bauten, ftöhnt nicht feig, 

Als ob ihr gleich in's Bodenloſe ſenkt! 

Himmel und Erde find ein weicher Teig, 

Den formt der Menich, der Meifter, wie er’s denkt. . 


Ber 


Fulcanismus. 


ie ihr von friedliher Entwicklung träumet, 

Stilem Gedeihn und leifem Ausgeftalten — 
Seid ihr denn taub? Es bäumet fih und ſchäumet, 
Dumpf kracht's im Weltgrund noch von Kriegsgemalten. 


Das hört ihr nit? Und wir, wir follen hören 

Eu'r ſchmächtig Liedlein durch des Sturmes Schnaube ? 
Und, da fi alle Kräfte wild empören, 

An euer Frühlingswagsthumsmärlein glauben? - 


Wir jehn fein Keimen, nur ein rieflg Gähren. 
Iſt's Chaos, ſei auch unfer Thun chaotiſch! 

Abwarten? Nein, wir können's nicht gewähren. 
Des Augenblid’s Gewaltthat herrſcht despotiſch. 


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168 


Friedrih von Sallet. 





Heft euch! ſonſt wird das Meer euch überſchwemmen, 
Salzbitter, ſchaurig wült, ein Grab ber Freiheit, 
Geftalt anringend, müßt ihr wild euch ſtemmen 
Gegen der Knechtſchaft grauſe Einerleibhett. 


Mit Gluthen werden Fluthen nur gebändigt, 
Mer ſich fühlt Gottesflamme, ſprüh' und tobe! 
Nicht fragt, ob ſich's formirt auch und beitänbigt, 
Daß bald ein fertig Werl den Meifter lobe. 


Hier gilt’s ja nur der Flamme Ledensrettung, 
An wälzt die Tyrannei bie finftren Wogen. 
Verliſcht das Feuer tief in ihrer Bettung, 

Dann tft die Welt um Lenz und Herbft betrogen. 


Hoch in den Himmel fchleudert Mondesmaſſen! y 
Schroff aus der Fluth bäumt Felſenungethüme! 

Nicht zirkelt ab dem Monde feine Gaſſen, 

Nicht ſorgt und finnt, wie ſich der Fels beblüme! 


Und ſchafft ihr auch nur rief’ge Mißgeburten, 

Die, aufeinanderfolgend, fi verzehren — 

Mißbilder auch, die licht- und gluthnaturten, 

Sind Sieg und Damm ob todten Meer’s Verheeren. 


Liegt feft im Zwangsbett erft die Fluth, die wilde, 
Dann mag die Ghuth fih auf ſich felbft befinnen, 
Daß, ftatt zu kämpfen blind, fie ſchaff' und bilde, 
Und Fried’ und Frühling mögen froh beginnen! 


Dann mag ber Geift beim MWaldgefäufel träumen, | 
Weich Duft einatbmend. Kampf und Horn verfchollen. — 
Titanen wir in Urzeithöhlenräumen, 











Uns bat es nicht jo fänftlicd werben wollen. 


SR 
KHechtes Beutfehthum. 


Eine nageinene Erfindung ber Zeitungäfchreiber und Anderer. 


ir wollen uns, ächtdeutſch, begeiflern 
Für unſren angeltammten Herrn. 
Se herriſcher er uns will meiltern, 
Se heller ftrahlt der Treue Stern. 


Wil man die Freiheit rüdlings meucheln, 

Die man doch lobt in’s Angeficht, | 
Wir wollen, ächtdeutſch, Dummheit heucheln, | 
Als merkten wir das Meucheln nicht. 





Friedrich von Sallet. 


m nn N 


Wir nehmen wedelnd jede Phraje, 
Achtdeutih für baare Münze an, 
Weil die beicheidne deutſche Nafe 

Thatſächlichſtes nicht ſpuüren kann. 


Wir nehmen jedes Halbverſprechen, 
Ob man auch in der Zeiten Lauf 
Uns hunderie ſchon mochte brechen, 
Aechtdeutſch, mit neuem Jubel auf. 


Wir wollen fein ächtdeutſche Affen 
Bon Englands finftrer Cleriſei. 


Werft uns um’s Haupt das Netz, ihr Pfaffen! , 
Wir dulden 's ächtdeutſch, fromm und frei. 


Wir wollen auch ächtdeutſch erzittern 

Bor jedem Polizei-Gensdarım’, 

Achtdeutih und krümmen vor den Nittern, 
Und vor dem Büreaucratenichwarm. 


Bertretet uns, ächtdeutiche Junker, 
Wie in der alten, guten Seit! 

Wir ſchrein bei eurem Prunfgeflunfer, 
Wie ächtdeutfch ritterlich ihr ſeid! 


Und wenn wir mit zerbrochnem Naden 
Das Joch geichleppt Jahr aus, Jahr ein, 
Und rüden endlih die Kojaden 

Und die Baſchkiren bei uns ein: 


Dann wollen wir ächtdeutſch auch prablen 
Mit ächter deutſcher Liedesmacht, 
Bis wir verloren die Sandalen, 
Aechtdeutſch, gleich bei der erften Schlacht. 


Dann heißt's ächtdeutſch illuminiren, 
Wo ſich nur ſehn läßt der Barbar; 
Im Transparent, das Blumen zieren, 
Steht: Vivat unſer Gott, der Zaar! 


Die Zeitungen, ächtdeutſch, verbreiten 
Einſtimmig dann, wie freudenvoll 
Sich alle deutſchen Herzen weiten, 
Weil Knutenglück uns lächeln ſoll. 


Und biſt du dann, mein Volk, begraben, 
Verſchwunden von dem Erdenrund, 

Wirſt du doch noch die Grabſchrift haben: 
Hier fault, ächtdeutſch, ein todter Hund. 


hr 


170 Friedrih von Sallet. 


FH ernfiät. 


Motto: Aber Hütet eud, daß eure Herzen nit beſchmeret werben mit Freflen und Saufen 
und mit Sorgen ber Nahrung, und fomme biefer Tag fchnell Über euch; denn wie ein Fallſtrick wird 
er kommen über alle, bie auf Erden wohnen. 


Bm Nebelmeer 

Sitz' ih allein auf öber Bergesfupp:. 
Nur Truggebilde baflen rings umber 
Sid, Grupp' an Gruppe. 


Nichts ift zu ſchaun. 

Und wenn einmal das graue Meer fich jpaltet, 
Seh' ih in einen Abgrund voller Sraun, — 
Drin Nacht nur maltet. 


Trompetenton! 

Do nein! 's ift nur Getön der Sonnenpfeile; 
Des Nebels grau Gefpenfterheer entflohn 

Mit Riefeneile. 


Rings liegt die Welt 

Bor ben entſetzten Blicken ausgebreitet, 
Und in’s Unendliche, im Nu erhelt, 
Im Nu fi weitet. 


Welch ein Gewirr! 

Da ragen qualmend auf thurmhohe Schlotte. 
Naturkraft, Niefenmühlpferd jet, wie kirr, 
Dir jelbft zum Spotte! 


Wohl ſchnaubſt du wild, 

Betretenb weitgeftredte Eijenfchienen; 

Must doch, mit Taufenden bin durch's Gefilb 
Zu rauſchen, dienen. 


Das iſt ein Sturm 

Hin zu der Prunf- und Riefenftädte Knoten, 
Vorbei, vorbei an Wald und Dorf und Thurm, 
Am Haus der Tobten! 


Auf ragen ftolz 

Sn jenen Rieſenſtädten Prachtpaläfte, 
Sind Wachsfiguren, Puppenipiel von Holz 
Dort bei dem Feſte? 


Bunt ausftaffirt, 

Ihr Leben ift ein Biegen nur im Rüden, 
Und für den Goldnen, der den Draht regiert, 
Ein Lugentzüden. 


Friedrich von Sallet. 171 


Dort rennt's und tollt 

Und drängt in wilder Haft in öde Hallen;' 
Bon Silderlingen und gemünztem Gold 
Toft dort ein Schallen. 


Das toft jo laut, 

Hat alles, was ſich Klang noch nennt, verſchlungen. 
Verſchollen if, was Seher je geichaut, 

Geſagt, gefungen. 


Doch was erfpäht 

Mein Aug’ in Dorfeehütten, Minkelgafien ? 
Was winjelt dort (iſt's Fluchen, iſt's Gebet?) 
Gebrängt in Maſſen? 


Es kau'rt und hodt, 

Wie Kehricht, den man in die Ede ſchatet, 
Erdfahl, in Räumen, wo die Luft ſelbſt ſtockt, 
Zerlumpt, zerrüttet. 


Weh' dem Geſchlecht 

Der Zwerglein, die ſich brüſten und die thronen! 
Im Finſtern wimmelt's, ohne Brod und Recht, 
Von Millionen! 


Meſſias komm'! — 

Doch welch ein Mann ragt dort aus dem Gedränge? 
Er predigt. Ward die Welt noch einmal fromm? 
Hin jtrömt die Menge. 


Wild ift fein Wort, | 

Sein Anſehn raub, nicht nad der Mode Schnitte. 
„hr Armen (domnert er) laßt Jene bort! 

Weg mit der Bitte!” 


„Tief in den Staub 

Seid von den Uebermüth'gen ihr getreten. 
Kleinmüthig, nottlos, habt ihr nur den Raub 
Zurückerbeten.“ 


„Was war die Frucht? 

Daß ſie des Mundes Wort ſelbſt euch mgarnten, 
Und den Tropheten, die, mit Rachewucht 
Drohend, fie warnten." 


„Eu. offenbart 
Hat der Prophet von Nazareth mit Schalle, 
Daß ihr ınit Gottes Geift von gleicher Art, 
Ja Götter ale." 


172 Friedrich von Sallet. 


„Sind Götter das, 

Die felbft vor Götzen dort' im Staube riechen? 
Und vor den Schlemmern, in ohnmächt'gem Haß, 
Verachtet fiehen? 


„O in euch ſeht! 

Laßt ihr euch ſchmähn, ſchmaht ihr den Herrn der Welten. 
Ruft wach in euch der Gottheit Majeftät 

Und madt fie gelten! ' 


„Thut Bott jein Recht! 

Ihn jelbft von Schmach zu retten, müßt ihr handeln, 
Daß er nicht fürder darf als feiger Knecht 

Auf Erden wandeln.“ 


„In Schmid und Noth 

Seid ihr gefreuzigt und begraben worden. 
Jetzt brecht, beim Auferfiehungsmorgenroth, 
Aus Grabesborden!“ 


„sn Menihenpradt 

Sollt ihr zu Gottes Ruhm auf Erden fchreiten. 
Hier ift bag Schwert, das Jeſus felbit gebracht, 
Auf, auf zum Streiten!” 


Und ſchnell hervor 

Zieht er ein Schwert aus wallenden Gewanden. 
Da regen fie ſich Alle, die zuvor 

Stil lauſchend fanden. 


Er zieht voran 

Den Berg hinab, fein Schwert bligt durch Die Weiten. 
Die roh'ſte Waffe glei padt jeder an, 

Ihm nachzuſchreiten. 


Vom Felde friſch 

Mit Senſ' und Sichel lump'ge Bauern eilen ® 
Aus Straß’ und Werkflatt her ftrömt ein Gemiſch 

Mit Art und Beilen. 


Schwarz; wählt es an 

Und dedt weithin, bumpf fummend, das Gefilde. . 
Da rennen, reiten Boten, Mann für Mann, 
Zum Rönigsbilde. 


Das lächelt Frech, 

Winkt einem bunten Mann, ber lächelnd nidet, 
Und wie ein Kind Solbatenjpiel von Blech 
Aus Schachteln ſchicket: 





Friedrich von Sallet. 173 


So ſchicken fie 

Die läppiſch bunten Reih'n aus ben Kafernen. 
Mit Spottgefang entgegen rüden die 

Den weit no Yemen. 


Doch als fie ſchaun 

Ein zahllos Lumpenvolt mit ftieren Bliden, 

Da jchweigt das Spottlie, Leishin wanbelt Sraun, 
Die Kniee Iniden. 


Wie Lavagluth j 
Fortfließend frißt und tilgt ein Heer von Bäumen, 
Wie Häuferzeilen die geihwollne Fluth 

Wegſpült mit Schäumen: 


So mäht das Pad 
Die graben Glieder hin mit beißen Klingen. 
Tief ſchweigt der Flinten kindiſches Geknack, 
Die Bettler fingen. 


Da wird jo bleich 

Mit eins die MWachsfigur auf goldnem Throne, 
Armeen ziehen ringsum aus jogleich, 

Doch jonder Hohne. 


Doch ftrömt es ſchon 
Aus Hütt’ und Stadt zu riefigem Vereine. 
Berlumpten Vater folgt zerlumpt der Sohn, 
Sa Weib und Sleine. 


Mie Rohr im Sturm 

Berfniden vor dem Volksſturm jchmude Heere. 

Schwarz krieht’s zur Haupiftabt ſchon wie Wurm an Wurm, 
Drin Angft und Xeere. 


Gefhrei und Dampf! 

Dort der Meifias ragt aus diditem Knäuel, 

Sept ſtürzt er, rufend: „Muth zum lebten Kampf, 
Zum legten Gräuel!“ 


Da brült und ſchäumt 

Das Taujendgliedertbier gleih grimmen Leuen, 
Da find die Gliedermännlein weggeräumt, 

Da jauchzt ein Freuen. 


Und um und um, 

Wohin ih Schauen mag, in allen Reichen, 
Hiehn Hin die dunklen Schaaren mit Gejumm, 
Tie bunten weichen. 


174 


Friedrich von Sallet. 


Wie ſchwand ſo ſchnell 

Des Gecken Zierlichkeit, des Bettlers Blöße! 
Der Menſch nur tritt einher, die Stirne hell, 
In Konigsgröße. 


Wie tauchten doch 

Aus jeglicher Verzerrung edle Züge! 

Hoch ragt, wer faum im Bettelſchmutze kroch, 
Mer in der Lüge. 


Dort ſitzt zu Rath 

Ein — 2* Kreis von Kühnen, Keuſchen, Schlichten, 
Die, maßvoll und gewaltig jebe That, 

Ordnen und richten. 


Nings durch die Welt 

Geläut von allen Gloden, ftumm die Spötter, 
Nicht Herr und Knecht find da zum Feſte geſellt, 
Nur freie Götter. 


Bezahlt habt ihr. 

Der euch erlöft aus Inneren Dunkels Banne: 

Gott wallt, durh euch von Schmach erloͤſt, nun hier 
Im freien Manne. 


ur 
Suter Rath. | 


a! jo lange wir noch Klagen, 

Habt ihr Recht, euch Stark zu glauben, 
Recht, daß ihr von unſrem Sagen 
Euch den Schlaf nicht lafjet rauben. 


Denn fo lang’ ihr uns laßt ſprechen, 
Können wir uns noch verftehen, 
Kann ſich's, ohne zu zerbrechen, 
Biegen noch und leidlich geben. 


Aber Unrecht ift’s und Dummheit, 

Wenn ihr wollt das Wort erftiden, 

Schredt euh das ſchon? Bor der Stummheit 
Bebt, und vor verftohlnen Bliden! 


Stau't die Wellen nicht! Sie fteigen. 
Sicher feid ihr nit im Thurme. — 

Bittert! denn der Völker Schweigen 

Iſt die Stille vor dem Sturme. 


wer 


Sriedrih von Sallet. 


Aunperboräifche Ballade. . 
1. 


S. war ein König von Thule, 
Zu ſeinem Volk der ſprach: 

„Geh' nur erſt in die Schule! 

Die Freiheit folgt ſchon nad.” 


„Mit einem Eib gewaltig 

Verſprech' ich fie dir flar, 

Und was id veriptede, das halt’ ich 
Am gzoſten Februar.” 


2. 


Da war das Volk beftochen, 
Man Yahr lang Vivat ſchrie, 
Als endlich Lunde rochen 

Die größten Pfiffici. 


„ag! fünd’ er im Kalender! — 

Seht bleibt uns nichts, ale Spott.” — 
So ändert ben Kalender! 

Helft euch, fo Hilft euch Gott. 


—ER 
Abfertigung der zahmen Propheten. 


h' ihr es nicht werdet wagen, 

Wie auf einen Zauberſchlag 
Eure Haut zu Markt zu tragen, 
Kommt uns nicht der Freiheit Tag. 


Lächelnd ſeht ihr, wie ſie's treiben, 
Gebt prophetiſch zu verſtehn: 

„Still! es kann ja nicht ſo bleiben, 
Still! es muß ja vorwärts gehn!“ 


Und ſo könnt ihr tauſend Jahr noch 
Sagen, daß es kommen muß, 

Und wir rückten fort kein Haar noch, 
Immer gaffend über'n Fluß. 


Ja! die Mumie muß zerfallen, 
Wenn ſie eine Hand berührt, 
Wenn ſie aus den dumpfen Hallen 
Wird an's ſcharfe Licht geführt. 


Doch wenn keine Hand es waget, 
Bleibt fie unverwäüftlich ſtehn, 

Und wenn ihr fie nicht zerichlaget, 
Wird die Knechiſchaft nie zergehn. 


1716 Friedrich von Sallet. 


„Alles wird fich jelber machen, 

Nur nicht unnüb angefacht!“ 

Doch jo alt die Welt, ihr Schwachen! 
Hat no nichts fih ſelbſt gemacht. 


Einzeln muß der Mann fi Stellen, 
Wo Gefahr fein Haupt umlkeift. 
Und muß Henfer und Gejellen 
Bor dem Volk entlarven dreiſt. 


Stürzt er vor den erften Schlägen, 
Meil er wehrlos fteht und vorn, 
Bleibt fein Wort im Volk ein Segen, 
Schwellend wie das Samentorn. 


Aber eh’ die Flammen loben, 
Wird erftidt noch mancher Brand. 
Märtyrer find’ und Heroen, 
Drauf das Aug’ der Zeit gewandt. 


Schmach euch Feigen, bie nichts wagen! 
Kein Verdienſt iſt's um die Zeit, 
Einem Freund in’s Ohr zu jagen, 

Daß ihr Liberale jeid. 


All 
An die ſuperklugen, bedenklichen, büchermachenden Ratbsherrn. 


Die ihr binter'm Echreibepult 
Hypochondriſch eingedrüdt, 

Bon Zerriſſenheit und Schuld 

Faſelnd, unjre Zeit zerpflüct, 


Wär't ihr Söhne diejer Zeit, 
Deren Sprach’ ihr radebrecht, 
Riefet ihr, von Muth gefeit: 
„Wie es tft, fo ift’s auch recht!“ 


Schweigt mit euren Winfelet’n 
Vom „VBerfall”, der ſchon beginnt, 
Weil fih „Wirren“ ftellen ein, 
„Die, jo ſcheint's, unlögbar find.“ 


Fort die Tränklein, die ihr braut, 
. Die Receptlein, die ihr fchmiert, 

Daß vielleiht noch unsre Haut 

Werde halb und Halb curirt! 


Sriedrih von Sallet. 


Fort dad Klugthun voll Gewicht 
Und die Kannengießerei! — 
Doch das Volk vernimmt fie nicht 
Und die Zeit geht dran vorbet. 


Hört ihr nicht den eh’rnen Tritt 

onnern? — Nein! — ihr Tpefulirt; 
Und fte fragt nit: „Kommt ihr mit?” 
Weil fie nicht3 an euch verliert. 


Aber Hört! fommt’3 zum Gefedt, 
Schlagen euch zuerft wir tobt, 
Meil ihr trugboll euch erfredit, 
Borzufpiegeln falſche Noth. 


Weil ihr in der Männer Rath 
Euch ald Charlatand gedrängt, 
Weil ihr der gelunden That 

Um dad Haupt Perüden hängt. 


Nicht die Zeit, ihr feld in Noth. 
Lernt von ihr, Schulmeifterlein! 
Und dann jhweigt und werdet roth, 
Oder fpredt als Männer drein. 


Nennt dem Volk das rechte Wort, 
Gebt ihm in die Fauft ein Schwert, 
Und zu Thaten reißt ihr's fort, 
Ewiger Gefänge werth. 


* 
Mat Fyler') 
1. 


Bon Fürften und Rittern, von Zaubrern und een, 
Da ſeid ihr vortreffliche Kenner; 

Doc ber thut in feiner Ballade noch ſtehn, 

Mat Tyler, ber Ziegelbrenner. 


Der lebt in Deptford und fchiert ſich um nichts, 
Er ftreiht und behaut feine Ziegel. 

Tritt zu ihm ein Schwarzrod, geitrengen Gefiht’3: 
„Sebt bier das wächlerne Siegel!” 


„Ih komme (nicht länger den Schädel bededt!) 
Im Namen de’ gnädigften Herren. 

Gott fhüß’ sönig Rihard! Nun Ieft mit Reſpekt, 
Und zahlet das Geld ohne Sperren!” 


°) Lied; Teiler. Anführer der Bauern tm englifchen Bauernaufitanb 1881. 


177 


12 





178 


Friedrich von Sallet. 


Wat Tyler legt ruhig den Hammer beijett: 
„Ei! find wir genug nicht geſchunden? 

Die Schranzen (Gott beif’re die jchlimme Zeit!) 
Was Haben fie wieder erfunden?“ 


„Der Kopf einen Schilling, für arm und für reich, 
Für jedes vom fünfzehnten Jahre. 

So, ſo! nun nehmet da3 Geld nur fogleich! 

Daß Gott die Armen bewahre!” 


„Doc über zwanzig bezahlt fein Haus. 

Vom gnädigiten Herren wie gnädig! 

Der Lord, der mag leben in Saus und Braus, 
Denn er it des Drudes ja ledig.“ 


„Hält er fih auch Jäger, Bereiter, Lakain 
Und Hundejungen dreihundert ; 

Der König reiht zwanzig Schilling nur ein, 
Und feiner, der drob ſich verwundert.“ 


„Da habt ihr dad Geld. Es iſt richtig gezählt. 

So nehmt doch! dem stönig wird’3 Tchmeden.” — 
„Ihr Tölpel, fo zählt do! ein Schilling noch fehlt ' 
Für's Töchterlein dort in der Eden.” — 


„Mein dreizehnjährige® Töchterlein dort, 
Was fchiert es euch?“ ſpricht er mit Runzeln. 
„Ei! fangt einen Andren mit ſolchem Wort!“ 
Spricht jener mit lüſternem Schmunzeln. 


„Einem Kenner, wie ich bin, macht ihr nichts weiß. 
Seh' ich ihren Buſen doch ſchwellen.“ 

Dem Wat wird's kalt, dem Wat wird's heiß, 

Er haut, daß die Ziegeln zerſchellen. 


Der Schwarzrock tritt auf den Zehen zur Maid, 
Frech kneipt er die blühenden Backen: 

„Nun ſagt mir, Kleine, wie alt ihr ſeid?“ 

Wat ſchreit: „Wollt ihr euch nun packen?“ — 


„Und ſeid ihr verſtockt noch, und ſeid noch grob: 
In des Königs Namen, Rebelle, 

Muß ich dann unterſuchen ob...“ 

Wat fteht und ftiert zur Stelle. 


Der Andre fah nicht, wie er ftand, 

Er zauft und reift am Mieder ; 

Das Kind De weinend der fredden Hand, 
Die wühlend ftrebt hernieder. 





Friedrich von Sallet. 179 


Der Schwarzrod glüht, ihn fiebert die Stirn, 
Entfallen tft ihm ein Steden. 

Da traf ihm Wat Tyler Hammer das Hirn — 
Tod ſinkt er nad Frampfigtem Reden. 


Die Tochter läuft entjegt hinaus, 

Sie fehn fie mit fliegenden Haaren, 

Und Murmeln und Murren wächſt ring? um's Haus, 
Schon drängen ih Schaaren an Schaaren. 


Sie dringen ein. Wat Tyler fteht 

Feſt mit dem blutigen Hammer. 

„Ihr Lieben Nachbarn, laßt mid) und geht! 
Was wollt ihr in meiner Kammer 2“ 


„Nein! du haft wohl und recht gethan, 
Und fommen die lumpigten Schergen, 
So Sollen fie Dich nimmer fahn, 

Wir wollen dih ſchützen und bergen.” 


„Und find wir hier nicht viel und ſtark? 
Was wollen wir und bedenfen? 

Der König faugt und aus dad Mark. 
Auf, Mat! du ſollſt und lenken.“ 


2. 


Bor London auf dem freien Feld, 
Was für ein Volkeswogen! 

Wohl fünfztgtaufend ſtehn geiel 
Mit Herten, Spteßen und Bogen. 


Gar wild und dräuend, Schwarm an Schwarm, 
Für König und Lord ein Schreden, 

Am fchredlichiten, die bleih und arm. 

In ſchlechten Lumpen fteden. 


Und vorne hält auf plumpem Gaul 

Ein ungelhladter Gefelle. 

'S ilt Wat. Der donnert: „Seid ihr zu faul 
Zu kommen, ich komm' ſchnelle.“ 


Da kommt aus Londons feſtem Thor 
Mit lächerlichem Prangen 

Langſam ein langer Zug hervor 

Und läßt die Köpfe hangen. 


Boran eine Mißgeburt, reich geſchmückt 
Mit Kron’ und Hermeline. 
Wat Tyler ihm entgegenrüdt 
Und grüßt mit barſcher Diiene, 
12* 


am 


180 j Friedrich von Sallet. 


Die Mißgeburt thut auf den Mund 
Uud lächelt falih und ſüßlich: 

„Du lieber Wat, nun thu’ nnd fund, 
Was macht unfer Volk verdrüßlich ?” 


„Wiſſ'! unfres Lieben Volles Glüd, 

Sonſt wollen wir nichts auf Erden.” — 
„Schon gut!“ fpriht Wat, und Stüd für Stüd 
Nennt er ihm die Beſchwerden. 


Sp gnädig hört ihn der König an, 
Und neigt jih ihm fo huldig: 

„Ich Itell’ e8 ab, du wadrer Mann! 
Erwartet’3 nur geduldig!” 


„Sp Gott unfrer Seele gnädig fet, 
Aks wir unfer Volk nur lieben. 
Uns freut’3, einmal zu Hören frei, 
Was ihm zu wünfchen geblteben.” 


„So ſtellt und deß eine Urkund’ aus, 
Die Punkt für Punkt macht richtig, 
Denn meine Veut’ gehn nicht nad) Haus 
Qhn' Unterpfand gewichtig.“ — 


„Bit du fo eilig, wadrer Wat? 
Bertrauft und gar fo wenig!" — 
Gewinkt mit Halbem Blicke hat 

Herrn Walworth, dem Maire, der König. 


ger: Walworth war ein Nitter gut, 

ußt' hinterrücks * ſchleichen. 
Gut trifft ſein Dolch, es ſpritzte das Blut, 
Vom Pferd ſank eine Leichen. 


O weh, Wat Thler, o weh du Held! 
Jetzt iſt um's Volk mir bange. 

Der König jagte heim vom Feld: 
„Jetzt fehlt ein Kopf der Schlange. 


Und wer ſo klug, wie wir, ſein will, 
Wenn wir Verſprechen geben, 

Wer ſehn will, ſtatt zu glauben ſtill, 
Der darf und ſoll nicht leben!“ 


vier 


John Henry Maday wurde am 6. Februar 1864 in Greenod in Scott: 
Land geboren, Tam aber nach dem Tode feine? Bater8 ſchon in frühefter Kindheit nach 
Deutfhland, wo er erzogen wurde. Er wurde Buchhändler, widmete ſich jedoch fehr 
Bald auf den Univerfitäten zu Kiel, Leipzig und Berlin dem Studium ber Kunſt- 
und Litteraturgefhichte. Maday machte in den 80 er Jahren zahlreiche Reifen nad 
Spanien, Jtalien, Amerifa u. f. w. und lebt gegenmärtig in Schöneberg bei Berlin. 
Schon 1885 veröffentlichte er unter dem Titel „Kinder des Hodland8” eine Dichtung 
auß feiner ſchottiſchen Heimath, welcher in den fpäteren Jahren eine Anzahl weiterer 
Gedihtfammlungen folgte, wie „Sturm“, „Dichtungen“, „Das ſtarke Jahr“ u. |. w. 
In Arbeiterkreifen ift Maday beſonders auch durd feinen fozialen Roman „Die 
Anardiften“ befannt gemorben, in welchem er das Leben in den Londoner Arbeiter: 
vierteln ſchildert und zugleich die Ideen des Anarchismus propagiert. Seine fozialen 
Gedichte zeichnen fi durch Formfdhönheit und bigterifhen Schwung aus und athmen 
marme ®Begeifterung für bie Unterbrüdten und tiefes Mitempfinden für deren Drang 
nad Luft und Licht. Treffend wird Makay von dem befannten Dichter Karl Hendell 
gezeichnet, der jagt: „Neben dem Leuchttfurm auf dem feften Grunde der Vernunft, 
hart an dem rollenben Ozean der Phantafie fteht ein Mann, dem der Sturm den 
weiten Mantel bläht. Cr jhaut hinaus und mandert mogenträumerifd in bie Un: 
enblichfeit, er wendet ſich um und muftert nienfchenfpäherifch Mienen und Herzen bed 
Schiffervolled diefer Welt. Was lachelſt du eben fo ſchroff und bitter, einfamer 
Freund deiner feltenen Freiheit? Ich fehe ja dod die Trähnen deiner Liebe durch 
daB vornehme Bifier deiner Kälte. 














Das freie Wort. 


hr könnt das Wort verbieten — 
Ihr tödtet nicht den Geift, 
Der über Eurer 57 
kühner Adler, kreiſt! 
Ihr könnt das ot verbieten, 
Doch rollen wird fein Schall 
Hin über Eure Häupter 
Sn dumpfem Widerhall! 
So lange wird es rufen 
Zur Chat die fchlaffe Zeit, 
Wie nah) der trägen Mutter 
Das Kind verlangend fehreit, 
Bis auf den hogſten Höhen, 
Bis in dem tiefften Schacht 
Der Menſch dum legten Rampfe 
aufrafft und erwacht. 
Hei, wie bie Seine fallen 
Bon Eurer feiten Burg! 
Durch die geſtüren Mauern 
Glänzt ſchon das zorͤhlicht durch! 
Und wenn auch Mancher — end 
An Eurer Lüge ſinkt, 
Sich auf den leeren Poſten 
Ein neuer Kämpfer ſchwingt! 
Ihr mögt ſein Wort verbieten! 
ch ſehe ſeinen Geiſt, 
Wie er, ein kühner Adler, 
b Eurer Schande freift! — 
Dann fteigt auf todten Trümern 
Die neue Zeit empor, 
Und Allen leiht fie freundlich 
Ihr immer offenes Ohr! 
Dann werden N Tage fonımen, 
Wo nicht mehr fort und fort 
Das Wort der nangen Sehnſucht 
Auf durſtigen Lippen dorrt; 
Wo Keiner sed nennen 
Die kühne ss ahrbeit darf, 
Wenn fie den Fluch) der Lüg 
Beleuchtet grell und ſcharf! 


184 


Sohn Henry Madap. 


Dann find wir et Sieger 
Eud, * hleiht die Schmach, 
Die auf dem Em der Freiheit, 
Ein trüber Schatten, lag! — 
Noch iſt in Euren Händen 
Die rohe, dumpfe Macht, 
Die jedes freien Wortes 
n Hochmuthsdünkel lacht! 
Noch könnt a0 8 verbieten: 
Das Wort — doch fchon fein Geift 
Hoch über Eurer Lüge, 
Ein freier Adler, kreiſt! 


a 
Srenzen? 


te ziehen Grenzen, Grenzen überall, 
Und ſchachteln Alles ein: jedwedes Leben, 

Gefühle und Ideen, der Worte Schall, 
Die Thaten, — ja das ungeborene Streben! 


Des Einzelnen Geburt, Leben und Tod, 
Und die Geſammiheit theilen ſie und theilen. 
O welchen, welchen Tages Morgenroth 
Wird uns vom Fluche dieſer Krämer heilen?! 


Und nirgendwo ſind Grenzen! — Fenenes 
Was uns umgieb, die wir uns Menſchheit nennen! 
Wir möchten uns umfaſſen, ſtark und groß, 


Allein ſie — ſcheiden, richten, mäkeln, trennen! — — 


Br 


aterland. 
& & 


Sicht, wo der Zufall einft Die Grenze 208, 
Soll meine Liebe fterben und erftehen! 
Ich will von freier Warte, weit und hoch, 
Die Länder diefer Erde überfehen. 


Und wo die Freiheit wohnt, dort will ich eben, 
Und wo die Menjchen wirklich Menfchen find, 
Dort will id} wirken. Aber nimmer Heben 
An einer Scholle, ein unmiündig Kind, 


Ein ganzed Leben. Und wenn immer fredjer 
Europa ihre freien Söhne bannt, 

Dann rufe fühn: „Ich bin der Freiheit Spreder. 
Und gern vermifje ich mein ‚Vaterland‘ !“ 


Sohn Henry Madapy. 185 


Rorkämpfer. 


nd al3 die Erften find wir auderlefen, 
Die eriten Blöde aus dem Meg zu räumen. 
Darum hinweg mit ſchwächlich-feigen Träumen. 
Sie ſchwinden — und wir fühlen und genejen! 


Warum denn nod mit Winfeln und mit Sammern 
Und an die Bruft der müden Mutter Kammern? 

Warum nicht friſch und ftark auf eigenen Wegen 
Dem Biel, dad unfere Zeit und el, entgegen ? 


Das tft das Wahre: feiner Zeit zu dienen 

Ind dennoch fie beherrihen! — Klaren Blickes 
Sn Zulunft ſchaun mit eifenharten Mienen 

Und fchnell mit fühner Hand in des Geſchickes 


Verworrene Fäden greifen, ehe ſich 
Zum unlödbaren Knoten unfer Leben 
Verſchlingen kann — wer rüdwärts feige wid, - 
Der Hage nicht — der hat fich felbit ergeben! 


ee 


Gehſetze. | 
Bı: feid die Diebe, die Ihr ohn’ Erbarmen 
Dem Unbefhügten ftehlt jein Heilig Recht! 
Ahr jeid die Elenden, die Shr dem Armen 
Sein letztes Brot zu nehmen Euch erfredt! 


Und Ihr fetd Mörder, denn Ihr mordet ihn, 
Der nicht, wie Ihr, in Glanz und Glüd geboren, 
Dem nicht, wie Euch, die rohe Macht verliehn! 
Spredt: Wer hat Euch zu Richtern je erforen?! 


Ihr wart es felbft! Um Euer kleines Leben, 
Das bluterfaufte, länger noch zu retten, 

Habt mit Gefegen Ihr Euch dicht umgeben! 
Gewalt beißt Euer Recht, und Kerker-Ketten! 


Necht ſpreche Jedem einzig fein Gewillen, 
Und wo e3 fchweigt, ift nit das Urtheil dein! — 
Wenn der Gefeke letztes Blatt zerriffen 
Wird ausgelöſcht die legte Sünde ſein! 


wg 


186 


Sohn Henry Maday. 


Tr — — — 


Atheismus. 


ielfetcht, wenn einft Die müden Augen brecen, 
Wenn niederfinft des Todes finftre Nacht, 
Daß ein Gebet dann meine Lippen fprechen, 
Das nie im Leben der Verftand gedadit. 


Vielleicht, daß ich mit einer Lüge Tcheide 

Bon einem Sein, das Wahrheit nur gekannt, 
Wenn ich des Lebens letzte Schmerzen leide 

In Angſt und Naht und Irrſinn feitgebannt. 


dom nt, mein Geiſt: dann brad mein Wille! 

Dann floh Vernunft! — doch wenn id) es vermag, 
Dann a noch der letzte Schrei, der ſchrille, 
Dann fünde noch des Herzens letter Schlag: 


„Ih glaubte nie gan einen Gott da droben, 
Den Lügner oder Thoren nur und geben, 
32, Herde — und ih wüßte nichts zu loben — 
telleiht nur Ein: daß wir nur einmal eben!“ 


Sm 
Freie Siebe. 


Hr fet die Liebe! — Reine Kette binde 
Die Hände, die der freie Wille fügt! 
Bielleicht, daß einſt das Auge dir, das blinde, 
Die Wahl. des eriten, beißen Fühlens rügt. 


Dann folft du frei fein! — kommen foll und gehen 
Der Mann zum Weibe, und das Weib zum Mann, 
So fret wie droben frei die Winde mwehen! 
Frei fet Die Liebe! — wahrlid) dann erft, dann: 


Dürft Ihr von Liebe ſprechen, Sittenwädhter, 
Die Ihr und unfer Liebesglüd nicht gönnt, 
Und — echter Lebensluſt arme VBerädter — 
3u tadelı wagt, was nicht verjtehn Ihr könnt 


Hinweg mit Eu! gezählt find Eure Tage. 
Natur, die ſtarke, ift in ung erwacht, 

Und fie zermalmt mit einem Flügelichlage 
Gelege, Sitten, Euch und Eure Mad! 


= 


Sohn Heury Madap. 187 


| Feltbüurgerthum. 
Ei größer ift dad Herz, der Geiſt ift freier, 

Der Einn tft edler, und dad Wort wiegt ſchwerer, 
. Dad rings in aller Kleinheit rober Feier | 
Daiteht, der. höchften Freiheit fühner Lehrer ! 


Liebe die Erde! — Liebe nicht ein Land, 
Weil dir ein Zufall dort die Pfade wieg, 

Ein Band iſt niemals frei. Küßſt du die Hand, 
Die dih in Feſſeln zwang? in Knechtſchaft ſtieß? 


and diefe Ketten, die Beſchränktheit ſchürzte. 
revler, der da fprah: Dies Land ift mein! 
uch ihm, der dir und mir dad Recht verkürzte, 
Menſchen und Bürger biefer We diefer Welt zu fein! 


Sefang der Ärbeiter: Wehe der Felt! 


ir erhoben uns und — warten! 
Die Sahrhunderte wir harrten, 
Zaubern fon noch einen Tag; 
Marten noch der rechten Stunde, 
Um dann plöglid in der Runde ' 
Zu eritehn mit einem Schlag. 
Hört Ahr unfere Herzen klopfen? 
Seht Ihr unſern Blick erhellt? 
In den Becher noch einen Tropfen, 
Einen noch! Und dann: Wehe der Welt! 


Die Sahrtaufende geknechtet, 
Mit der Frechheit nicht gerräket, 
Stehn zum leßten Kampf bewehrt. 
Sant entlang nur unfere Reihen] 
t! Aus Eurer Saat gedeihen 
Früchte, Die Ihr nicht begehrt. 
Hört Ihr unfere gen rzen klopfen? 
Seht Ihr unfern Blick erhellt? 
Sin den Becher noch einen Tropfen, 
Einen no! Und dann: Wehe der Welt! 
Aus des Hunger? fahlen Reichen, 
Huf der Stirn der uechthaft „geiden, 
Kamen wir, die Ihr verbannt: 
Unferer Weiber blutige Thränen, 
Unferer Kinder ſcheues Sehnen, 
Haben und hinausgefandt 
ört Ihr unfere Herzen klopfen? 
eht Ihr unſern Blick erhellt? 
In den Beer nod einen Tropfen, 
Einen noch! Und dann: Wehe der Welt! 


188 Sohn Henry Maday. 


Was dad Elend und gelaflen: 
Ein vom Schmerz genährtes Hallen 
erfen in Die Wage wir. 
Glaubt es unfern bleihen Mienen 
Es tt Ernſt! Wenn einft erfchienen 
Unfer Tag, dann zittert Ihr! 
drt Ihr unfere Herzen flopfen? 
eht Ihr unfern Blick erhellt? 
In den Becher noch einen Tropfen, 
Einen no! Und dann: Wehe der Welt! 


Euer Hohn und Euer Laden, 
Unfern Zorn foll es entfachen 
Heißer, bis Ihr nicht mehr lacht! 
Bis die Schande Eured Leben? 
Euch zermalmt, und Ihr vergebens 
Euch verbergt im Schooß der Nacht! 
gir Ihr unfere Herzen klopfen? 
ebt Ihr unfern Blick erhellt? 
In den Becher noch einen Tropfen, 
Einen no! Und dann: Wehe der Welt! 


Wir erhoben und und — warten! 
Die Jahrtauſende wir harrten, 
Marten eine Stunde nod). 
Doch die Stunde naht dem Ende... 
Und mit einem Drud der Hände 
Werfen ab wir unfer Joch! 
Hört Ihr unfere Herzen Elopfen? 
Seht Ahr unſern Blick erhellt? 
In den Becher noch einen Tropfen, 
Einen noh! Und dann: Wehe der Welt! 


mo 


Pantheismus. 
B Zweifelsqualen habe den Weltraum ich durchforſcht, 
Die Frage auf den Lippen: Sag’ mir, biit du der Gott?“ 
Am Tage Iprad) des Lichtes urewig:reiner Strahl, 
Bei Naht das düftre Dunkel geheimnißvoll: „Sch bin's!“ 


Mir flüfterten die Bäume, der Vögel Sarg e3 zu, 
Mir duftete die Roſe berauſcheud-hold: „Ich bin's!“ 


Mir dröhnte ed der Donner gewaltig in dad Ohr, 
Aus dem Gefang der Wogen vernahm ih ed: „Ich bin’ !“ 


Die Kunſt hat mir verfündet in Marmor, Erz und Bild, 
Der Genius der Dichtung, er ſprach zu mir: „Ich bin's!“ 


Sohn Henry Madapy. 


Aug der Geſchichte Blättern, aus hoher Meiſter Wort, 
Bernahm ich immer wieder, mich beugend ed: „Ih bin's!“ 


Sn deiner Augen Tiefe ftand es, ich las es klar, 
Aus meiner eigenen Seele ſprach es zu mir: „Io bin's!“ 


Ich habe auf das Weltall den freien Blick gelenkt, 
Und ſieh, das ganze Weltall ſprach Eines nur: „Ich bin's! 


Ja, Gott, du biſt das Weltall! Der Weltenall iſt Gott! 
Und was im All nur webet darf ſprechen: „Ich bin Gott!“ 


un) 
Der Stern der Freiheit. 


1, 
123 ger zu verlorenen Sternen 
ch noch unfer Auge empor, 
Eh’ ir —e— — ernen 
Auch der letzte dem Blick ſich verlor. 


Wenn Glaube auf Glaube geſunken, 
Wenn Hoffnung auf Hoffnung zerſprengt, 

Ein Licht iſt's — vielleicht nur ein Funken —, 
Um das unſere Sehnſucht ſich drängt. 


So vielen galt einſt unſer Lieben, 
Und alle Zloſchen in Nacht! — 

Nur ein Licht, das dem Glauben geblieben, 
Uns es grüßt in verſchwindender Pracht. 


Noch hängt unſer Blick an dem Funkeln 

Des Lichtes der Freiheit mit Flehn, 
Es darf in den Tagen, den dunklen, 

Der Knechtſchaft nicht auch uns vergehn! 


Wie lange noch, daß in der Wolke 
Der Zukunft es pfadlos zerſtiebt? 

O leuchte, du Hoffnung, dem Volke, 
Dem am heißeſten wirft du geliebt! 

2. 

Doch kann es auch plötzlich elöehen, 
Bevor du und völlig zerfchellit, 

Daß wir Alle geblendet di sehen, 
Wie du Erde und Himmel erhellft. 


Wie befreit von der fchattenden Wolfe 
Du fegnend am Himmel ſtehſt, 
Boran dem aufjubelnden Volke 
ALS LVeititern und Sonne gehjit! 


189 


190 


Hohn Henry Madap. 


Dann — nad) taufendjährigem Sclafe, 

In dem Elend und Schmad und umengt, 
Hat endlich entichloffen der Sklave 

Die verhaßten Ketten zerfprengt. 


Dann bürfen von Neuem wir glauben, 
Die wir lange zu glauben verlernt, 

Denn die Hände, geftredt Thon zum Rauben, 
Site haben dad Schlagen verlernt. 


Die Geißel tft Ihnen entwunden! — 
Stern der Freiheit, der nie mehr zeritiebt, 
Nicht umfonft bift in dunkleren Stunden 
Bon und du am meiften geliebt! 


ser 
Vnſchuldig verurtheilt. 


Eine Stubie. 

R. ih zum Sünder wurde? — Nun wohlan, 

Weil ich juft in der rechten Stimmung bin, 
Will ich's Euch fagen, und Ihr werdet dann 
DBielleiht ein wenig ändern Euren Sinn — — 
Vielleicht auch nicht — was Liegt denn mir daran, 
Ob Ihr die Heuchlermienen frömmelnd legt 
In ftrenge Falten, oder mitleidsvoll 
Bedauernd Eure Schultern zudt! — Bewegt, 
Bon allen denen, die mid angelbien, 
Wird wohl fein Einziger — weiß das wohl! 
Ich will's auch nicht! — Ich Hab’ Euch nie verziehn, 
Und vordere von Euch auch Tein Verzeihn. 
Den Haß, den glühenden, will ich behalteır, 
Und nie ſoll er in meiner Bruft erfalten, 
Sp lang ein Athemholen fie noch hebt, 
Sp lange fie den Tod entgegenbebtl — — — 
Denn diefer Haß tft Alles, was noch mein! 
Er tft die Nahrung mir, an der th zehre, 
Der Tranf, den gierig ein die Lippe faugt — 
Ihn zu vermehren tit, wa3 ich begehre, 
Er ift der Born, in den mein Wefen taucht, 
Das Ziel, dem all mein Sein entgegenftarıt — — 
Bernehmt, wie diefer Haß mein eigen ward. 


Ja, id war auch ein fronmunfdhuldig Kind, 
Und in mir trug ich ſeliges Vertrauen 

Zu allen Menſchen, o id war fo blind, 

Daß ich in thnen mich konnt' wiederfhauen! — 


Hohn Henry Madap. 


So lebte lange Jahre ich dahin, 

Da war id das, was man „zufrieden“ nennt — 
SH aber jauchze, daß ich's nicht mehr bin, 
Denn heute meine Seele alleö Tennt. 

Alles: Den ganzen Zwiefpalt jeden Seins, 

Die jammerpolle 20 [heit allen Schein? ... 
Ich bin nicht glüdlich mehr, das tft vorbei! 

Ein Tag Thlug alles Glüd in mir entzwei — 
Das war ein grauen⸗ſchreckensvoller Tag, 

An den nicht gerne ich mehr denken mag! — — 
Wohl bin ich ftark geworden: O ich wühle 

In allen Tiefen der zerriffenen Bruft 

Mit Wolluftqual; wohl bin ich Start: Ich kühle 
Die Stirne heut’ in fremden Weh mit Luft! 
Jedoch der Tag — der Tag, er war zu gräßlid, 
Was er zerftörte, war zu unermeßlid ... . 
Jedoch ich will erzählen. Zwanzig‘ Jahr 

Mar alt ich jugendfrifh und ſtark mein Muth, 
In mir noch Kraft, die Erde zu durchſtürmen 
Und Feld auf Feld gum Himmel aufzuthürmen ; 
Bol Freude war mein Blick, noch braun mein Haar, 
Noch floß mir in den Adern heißes Blut, 

Und nad) Genuß rief in mir Lebensglut ... 


Da griffen fie mich, fchleppten zum Gericht 

Mich bin — und Hagten mid) des Mordes an! — 
Ich lachte, und vertheidigte mich nicht. 

„Des Mordes mich, und feinem Finde kann 

Ein Haar ih krümmen! — Ein Verfehen nur, 


Wie bald — man kennt deö reiten Mörderd Spur!" — 


Man kerkerte mich ein — und immer nod 
ab’ 0 — verdrießlich halb gelacht. — Jedoch 
ann fam e 
Ein Tag, der alle nahm, und alles bradite! 
Da ward ed blutiger Ernit: in einen Saal 
Ward id) gerührt, und unter taufend Bliden, 
In derer keinem leiſeſtes Mitleid wohnte, 
Ward von dem Manne, der dort oben thronte, 
Ich ausgefragt — fein Ende nahm die Qual — 
Man glaubte mir nit. Hinter meinem Rüden 
Ward ich verurtheilt — feiner glaubtefmir — — 
Ich aber mußte glauben, was ich nicht 
Erfaffen konnte, was ein Unding ſchier! 
Ich ward verurtbeilt: plößlih ward mir Licht ... 
Ich fah vor mir in grauenhafter Klarheit 
Alles — Alles — — und noch einmal die Wahrheit 
Schrie wild mein Mund hinaus — es war vergeben! 
„Verurtheilt zu Gefängnig — Zeit des Lebens!" — 


in Tag, an dem ich nicht mehr late... . 


191 


192 


Hohn Henry Madap. 


Da drang ein gellend Laden mir vom Munde, 
Das fam aus meined Innern tiefftem Grunde, 

Und wie vom Schlag getroffen brady ih nieder... . 
Ich fand mich zwifchen Kerlermauern wieder. 


Ja, ih erwachte! — Wär’ dad nie geſchehn! — — 


Was jet ih von den nächſten Jahren fagen? 

Es lebt fein Menſch, dem ich es könnte Hagen, 

Was ich erduldet, was in all’ den Jahren, — 

In zwanzig Jahren! — id, durh Nichts verſchuldet, 
In meinem Innern Bittreö hab’ erfahren — — 
Und wollt’ ich's fchildern, was ich da erduldet, 

Es würde mich ja doch fein Menſch verftehn! 

Wer würde ahnend nur veritehen aud), 

Wie in mir langfam jeder leiſe Hau 

Der Menschlichkeit erftidt ward mehr und mehr? ... 


Erft war id) ruhig. „Bald wirft du befreit.“ 

Der Glaube ſchwand gar bald. Die Einfamteit 
Begann mich zu erftiden — und dann rief 

%h ungehört hinaus, was in mir fchlief. 

Ich riet hinaus, was Edles in mir lag: 

Rührender Schall, der an der Wand fih brach ... 
Ich ſchrie hinaus die Angft, den Zorn, bie Kraft, 
Bis mit den Worten jeder Nerv erſchlafft ... 

Und fah in ftummer Bein und dumpfem Sinnen 
Die Stunden — Jahre mir — herunterrinnen! 


Und dann — dann ward e3 in mir trofteseleer, 

Nichts regte a mehr im erftorbenen Herzen. 

In mir war alles todt: todt alle8 Schmerzen, 

Todt alle Hoffnung — alles, alles todt! 

Ich Iebte kaum mehr — nur mehanifh nahm 

Sch Hin die Spetfe, bie der Wärter bot. 

Sn ob der Schwachheit überfam mid Scham, 
edoch der Körper forderte fein Recht 

Er war zu ſchwach, zu leugnen fein Geſchlecht. 

In mir war alles, alles todt — mir war 

Gleichgiltig alles, doch ich lebte noch, 


Nicht ließ mich ganz des Seins verfluchtes Joch! — 


Da kam es langſam — —: der noch in mir lag, 
Der letzte Funke Lebens, er gebar, 

Was jetzt mich ganz erfüllt: glühendſten Haß! 
Wie der an meinem Herzen fraß und fraß! 

So wie im Frühling eine Knoſpe brach 

Er in mir auf, aus Bitterfeit geboren, 

Erit Klein, dann wachſend, war er riefengroß. 


John Henry Madap. 193 


nn Q — — — 


Ich nihlter alles hatt! ich nicht verloren, 
Er ward Erſatz mir für mein graujig 2003. 
Und jede Stunde noch vermehrte ihn, 
Jedweden Augenblickes herbſter Streit 
Trug einen Stein zu meinem Haſſe hin — 
So ward ich langſam meinem Ziel geweiht! 
Mein Mund ward ſtumm, ihm fehlte jetzt die Klage, 
Mein Auge Kart, es Ibrad nicht mehr beredt 
In Worten, Die ja dod) fein Menſch brand: 
Mein Sinn, jo wirr und ſchwankend, er ward ſtet 
Und einzig hin nur auf mein Ziel gewandt. 
Sch zwang den ſiechen Körper auszuhalten, 
Und ſtärker ward er jest bon Tag zu Tage; 
Und in mir lebten wieder auf die alten, 
a Grab getragenen Hoffnungen — id) wußte: 
Ein Tag wird kommen, der dir Freiheit ſchenkt! — 
Und mehr und mehr ward e3 mir eingefenft, 
Daß diefer Tag für mid — einft kommen mußte . 


Es fam der Tag! — — Und id war wieder frei, 
Die zwanzigjährigen Feſſeln fielen nieder, 
Ein neuer Zufall Schnitt fie jäh entzwei. — 
Was einit ich war, ich ſollt' eö werden wieder: 
Ein guter Menſch! — Ich aber ward es nicht!! — — 
Dort Hinter mir in Naht — und Weh — und Gram, 
Dort lag mein Leben, da3 nie wieder kam — 
Bor mir lag nichts — nur einzig noch mein Ziel! 
Nicht Sreiheit! — Denn ich hatte längit verlernt, 
Was frei fein Heiß. — Nicht Sonnenliät!, — Daß fiel 
In meiner Seele Nacht vergebend. — Licht?! — 
Man hatte zwanzig Jahre mir’3 entfernt, 
Mir war eö fremd geworden! — Nicht dad Glück! 
Das einjt mir lachte in der Kindheit Tagen: 

Ich wünſchte ſeinen Schein mir nicht zurück! 


Was vor mir lag?! — muß ich es Euch erſt ſagen? — 
Die Racht, an deren ſchaurig-kalter Bruſt 
30 zwanzig Jahre lang in Stetten lag . 

Die Nacht, die in mir auch die kleinſte Zuft 
Ertötete . . und dann bie elle Schmad), 
Die in mir alles Menſchliche erftidt, 
Und die mir folgt, jo lang man mid) erblidt . 
Da3 war, was vor mir lag! Und ohne Zaubern 
Trat ich zu meinem Biele an ben Gan 
SH ging den Weg — und ging ihn ohne < Schaudern, 
Auf den nic) ungerechte Willführ zwang! — — 
Ich war befreit ... man bot mitleidige Grüße 
Und Geld — e3 war nicht viel — ich aber nahm's, 

18 


194 








Sohn Henry Macay. 





Und warf es ihnen ruhig vor die Füße ... 

Wie der Veraditung Zorn mich überkam's! 

Dann ging ih, und hinaus in’3 offene Leben, 

Da3 Sollte meinem Ziel Erfüllung geben! 

Nun that ih Schlechtes — mir erfhien eö Gutes! 
Durch Ströme Tchritt ich hin vergoffenen Blutes, 

Bon mir vergoffenen Bluts! — — So falten Muthes, 
Wie der Soldat ihn im gebotenen Kampf 

Kühlt' ih die Stirn in friihen Blutes Dampf! — 


Jedoch, wozu Euch alles das erzählen?! — 

Ich könnte Eure zarten Nerven quälen! 

Ich wollte Mitleid nicht. — Mitleid?! — Ich Lade! 
Jedoch ich fordere Eins: So heiß entfache 

Ich auch in Euch des Abſcheus Grauen — ſchweigt! 
Du — dad mid einft verdammte — feig Geſchlecht, 
Schmweige! — Denn das zu fordern ift mein Recht. 
Steh ſtumm por mir und fchamerfüllt gebeugt — 

Ich bin der Sünder größter wohl auf Erden, — 

Ich bin’3 geworden, — weil ih’3 mußte werden! — — 


Ich bin am Schluß: nod) liegt. vor mir mein Ziel, 
Dem manches Lebendglüd zum Opfer fiel — 

Erſt dann läßt mich fein grauſam-grauſer Bann, 
Wenn ich's erreiht — dann, wenn ich Jagen kann: 
„Ih bin gerät — es iſt genug geihehn !“ 

Dann will ih lahend aus dem Leben gehn... . 


Ss 


herren und Knechte. 


Lin Hund ift Der, der einen Herren fennt! 

Doch wir find Herren nit und find nicht Knechte! 
Schamloſe Frechheit wagt es noch und nennt 

net einen Andern, dem die gleichen Rechte 


Wie im gelegt einit In des Lebens Wiege! 
— Ein Jeder fehe, ob er gehen kann, 
Doc feiner fei jo hündiſch, daß er biege 
Sein nie in Furcht vor einem andern Mann. 


Gleich body fei jede Menfchenftirn gehoben, 
b fie num arm ſei oder ſchätzereich! 
Ich will mein Recht, du magft da3 deine loben, 
Für mich, für dich, für Alle iſt es gleih ... 


„Sohn Henry Mid 1% 





Aus: Am Insgang des Zahrhunderts. 


WM ftanden am Scheidepfahle,. wo fi zwei Wege gewendet: 
Der eine wie in die Ferne, der andere tft bald geenbet; 
Schon bliden Jene zurüd und wiſſen nicht mehr wohin. 
Mir Schritten vorwärts und fahen durch Nacht Schon die leuchtenden Weiten 
Und reichten der Zufunft die Hand, hin über den Abgrund der Zeiten, 
Stahlhart war unfer Wille und klar und bewußt unjer Sinn. 


Sie müſſen fich Allem entgegen, was wahr und frei fich nennt ſtemmen, 
Sie müflen, Verzweiflung im Herzen, ein Meer verfuchen zu Dämmen, 
Und fühlen es Elarer von Tag zu Tag; fie gehen zu Grunde, 
Schon ſehn fie zurück und meſſen den Weg, anf welchem uns gehen 
Mit freudig-pochenden Herzen und blitenden Augen fie fehen. 
Heil und: die Zukunft ift unjer! — Fluch ihnen: fei ihnen die Stunde! 


Bon Zweifeln zernagt, von Angft gejagt, gefoltert vom eignen Gewiflen, 
So find vom erftohlenen Lager fie jäh in Die murrenden Lüfte geriffen, 
Und fie fämpfen den Kampf, denn fie willen: der Kampf ift der legte! — 
Doch unfer der Sieg: hinein in die Mafle, die furchtdurchklaffte! 
Mer ift unfer Feind? — Nur eine zerriffene, Iufterfchlaffte, 
Abjterbende Kranke, die ſchon der Hauch der Verwefung zerſetzte! — 


Sp fieht im Spiegel die Zeit ihr angftzerfrefienes Geficht: 
Der Vater erfennt fi) wieder in dem eigenen Sohne nicht — 
Recht nennt er, was jener fluhwürdigen Frevel nennt! 
Unheiliges Wünjchen Die Schuludt, der ſchon die Erfüllung winkt! 
Unerfättlih und unrein die Lippe, die am Kelche der Zukunft trinkt! 
Unlauter die heilige Flamme, die unjere Herzen durchbrennt! 


Wohl wiegt er in Zweifel das Haupt, doch Hat ihn der Strom nicht ergriffen, 
hm bat Feiner Wünſche Schneide noch die wirbelnde Zeit nicht geichliffen: 
Cr kann und nimmer verfitehen. Und wir — veritanden ihn ntel 
Noch wähnt er, das Siegel des Knechts auf des Sohnes Stirne zu Drüden, 
Und fieht doch in machtloſem Zorn feined Wahnes Kränze zerpflüden 
Die Hand, der ein höherer Gedanke, als Rückſicht, die Kraft verlieh! 


Wir ftanden am Sceidepfahle. Wir gingen hinein in die Weite! 
Uns giebt die Hoffnung auf hellere Tage — auf Tage des Glüds! — 
das Geleite! 

Und mag über Leichen und Trümmer der Weg zum neuen Leben aud) gehn: 
Wir wollen, daß endlich) zu Ende fich kämpft der ewige Kampf um das Rechte! 
Wir wollen, daß endlich der Tag des Zorns aufleuchte diefem Geſchlechte! 

Und der Sonne der Zukunft — 2 Fr aud) wir in die herrlichen 

ugen ſehn! 


* * 
* 


15* 


196 John Henry Mackay. 





Du warſt, Erkenntniß der Natur, es, die den Schleier hob! 
Bor der ‚der Traum des Ideals,, der lügende, zerſtob! 

Du Haft, was ‚Glaube‘ hieß, vernichtet ! 
Du haft den Wahn, die Bhantafie, die Hoffnung vor die Stufen 
Der freien, echten Wiſſenſchaft mit Zauberfraft gerufen 

Und haft die Thörichten gerichtet ! 


Du zeigteft und, daß nichts wir find als Glieder in den Fetten, 
Daß Leine Hand fi zu uns neigt, und liebend zu erretten, 
Daß ‚Mitleid‘ nur ein Wort, ein lebenbares. 
Daß ewig wir gezwungen find, auf eigner Kraft zu ftehen, 
Statt mit umflortem Auge in die ewige Nacht zu ſehen — 
Ein Bild des Lebens gabit du ung, ein klares! 


Du zeigteit und, daß Alle wir am Anfang noch der Bahn 
Zu neuem Leben ftehen! daß wir wenig noch gethan ; 
Daß wir es find, Die erſt beginnen ſollen! 
Doc zeigteft du und aud, daß wir nicht aus den Himmelshöhen 
Gefchleudert auf die Erde find; daß wir noch Ziele jehen, 
Die wir und unterwerfen dürfen — wollen ! 


Und jo haft du geboten ung — und auch die Kraft verliehen —: 
Aus jeder Vebenöfrage ftarf den legten Schluß zu ziehen 
Und feinem ‚Gott‘ mehr zu vertrauen! 
Und während noch um und die Wuth der Todtgetroffenen gellt, 
Sehn wir die Wahrheit, groß und ernft, Hinfchreiten durch die Welt, 
te Zukunft langſam aufzubauen ! 
* * 
* 
Dir, Volk, gehört des neunzehnten Jahrhunderts letztes Ende! 
Erwache aus dem Schlummer denn, und hebe deine Hände 
Und nimm, was immer dein geweſen. 
ng dich durchpulſte endlih daS Bewußtſein deiner Würde; 
Auch) du Haft in dem Lebensbuch, bevor did) ganz die Bürde 
Erftidt, ein menſchlich Wort geleien. 


Und dieſes eine Wort, du kannſt es nie und nie vergeſſen ... 
Dein eigned Leben haft du fühn und ftarf an ihm gemeffen, 
Und ſahſt: Dein Leben ift dein eigen. 
Und du begannft zu haſſen fie, die dir es frech entriffen. 
Die meiſterhaft verftanden es, ihr eigenes Gewiſſen Ä 
Und deine Tragen todtzufchweigen. 


Nun, wenn am Abend müde du bon der Arbeit gehit, 

Nun, wenn am Tage raftlo3 du an der Arbeit ſtehſt, 
Tönt dieſes Wort in deinen Obren. 

Es hat von Menſchlichkeit, von Leben dir geſprochen. 

Und an dein Herz fühlft du voll Ungeftüm es pochen 
Und füblſt; Noch bift du nicht verloren! 


John Henry Macay. I 197 





Und fühlſt: du, der geduldiger geweſen als der Skladge, 
Fährſt aus durchquälten Träumen auf nach tauſendjährigem Schlafe, 
Und wagſt es endlich ſelbſt zu denken. 
Und. Alles klafft dir plögli auf: du ſiehſt al’ ihre Lügen, 
Mit denen fie umfponnen did, — wie ſie dich betrügen, 
Siehſt, wie ſie dich voll Falſchheit lenken! 


Da wallt es in dir grollend auf, und dich durchfrißt ein Zürnen, 

Und Purpurgluth des Haſſes flammt auf deinen Eiſenſtirnen, 
Wie Sonne an der Tage Wende. 

Und während ſie in Winkeln ſich voll Scham und Angſt verſtecken, 

Wirſt du nach dem verlorenen Recht die müden Hände ſtrecken, 
Und dein iſt des Jahrhunderts Ende! 


* * 
* 
Kehre wieder über die Berge, Mutter der Freiheit, Revolution! 
Heißt nicht Gerechtigkeit deine Schweſter? Heißt nicht Recht dein 
mißachteter Sohn? — 

Kehre wieder über die Höhen! 
Lange ſtandſt du, das Antlitz gewendet, 
Sahſt nicht, wie deine Menſchen geſchändet, 

Haſt deine eigene Schmach nicht geſehen. 


Kehre wieder über die Verge! dein iſt die Rache! dein! nur dein! 
Wende dein Antlitz, dein ſtarres, hernieder, welches wie zuckender 
Wetterſchein | 
Schon fo oft auf die Frevler gefallen! 
Reiche und Allen die rettende Hand, 
Laß deine Stimme von Land zu Land 
Hoffnung fündend und grollend erfchallen! 


Kehre wieder über die Berge! — Che in Licht dad dunfel vergeht, 
Ueber den Häuptern der en Iermalmenb dein gefürditeter Fuß 
on fteht, 

Werden von Antlig zu Antlit dich ſchauen 
Mir, die wir Alles und Alles verloren! — 
Wir, die Verlorenen — zum Kampfe erforen — 

Rufen did, Mutter, in heißem Vertrauen! 


Härte die Herzen, die ſchwankend geiworden, weil fie zu lange 
zu lang’ ſchon gezandert! 
KHläre den Sinn des Knechts, der noch bangt und noch fchaudert, 
Zeige ihm, was ſeines Muthes Gewinn! 
Stelle mit Iodenden, leuchtenden Farben 
Vor fein Auge geerntete Garben, 
Bor feinen Wunſch die Erfüllung hin! 


Kehre wieder über die Berge, Mutter der Freiheit, geſegnete du! 
Lächle mit einem einzigen Blicke deinen ſchwankenden Kindern nur zu, 
Und ſie werden wie Eiſen ſein! 





— — — _—.- — — — — 


198 John Henry Macay. 





Zeige die Freiheit, die er verloren, 
Und das Recht, zu dem er geboren, 
Jedem Einzelnen — und er iſt dein! 


Ja, du kommſt! Und wir grüßen dich tauſend⸗, 
Tauſendmal, Mutter! — und dröhnend und braufend 
Rollt unfer Ruf zu des Erdballs Grenzen! 
Aus den Kerkern, wo mir gef hmachtet, 
Ueber die Ruchloſen, die und veraditet, 
Sehn wir die Flammen der Freiheit ſchon glänzen! 


Kehre wieder! es ruft dich die Menfchheit heute am Abend des 
qualvolliten Tags! 
Da ilt fein Herz, das nicht höher fchon Flopfte Deikauflodernben, 
froberen Schlag? 
Heute, wo eine Ahnung ed ftreift, 
eute, wo deinem Nahen wir laufchen, 
as wie der Wipfel prophetilches Raufchen 
Deiner Berge und zwingend ergreift! 


eute in Dual wir, und morgen ſchon, morgen, 
orgen vielleicht ſchon in Freiheit geborgen 
Unfere Rinder, die über die Leichen 
Ihrer im Kampfe gefallenen Wäter, 
Seder einzelne der Menjchheit Vertreter, 
Schweigend und ernit ſich die Hände reichen! i 


So, du vernahmft unferer Sehnfuht Rufen! 
Nieder der Zeiten zerfallene Stufen 

Sieigit du gewaltigen Schrittes ſchon, 
Kehrſt Du wieder über die Berge, 


Bilt der Gerechtigkeit rächender Scherge, 


Mutter der Freiheit, Revolution ! 


* * 
* 
„Und wie waren jene Tage, da in Nacht die Menſchen lagen? 
Sage, werden jene heller werden, welche jetzt uns tagen? 
Werden Hoffnung ſie und Wünſche an den Strand der Zukunft tragen? 
Wird der Sieg je unſerer Zeit? 

Waren jene Tage beſſer nicht, als unſere Tage ſind, 
Wo die Liebe ein Geſpött nur, und der Vater flucht dem Kind? 

Sage, waren jene Tage nicht von diefer Sünde rein?“ 


Bor dem Knechte der Begierde beugte der Begierde Meifter, 
Bor dem Söldling ſich der Herricher — und allmählich dreift und dreifter 
Lachten leiſe erft, dann Iauter der Vernichtung Schattengeifter. 
tefe Saat: und feimt fie auf. 
So war jene Zeit des Friedend — eine Zeit der Knehtichaft war 
Dies Jahrhundert, jeder Würde, jeder freien Würde bar. 
Dod fie tft hinabgeſunken. Hellerer Tag — er ftieg herauf! 








| Sohn Henry Mackay. 199 


— — — — — 
— — — e— e 





„Gerne möchten wir dir glauben; gerne Zweifelsqual beſchwichtigen — 
Aber ſind nicht alle Wünſche Töchter nur des Tags, des nichtigen? 
Trifft uns Schuld? — nein, wir ſind ſchuldlos. Aber Euch und dich 


bezichtigen 
Wir der Sünde gegen Recht! 
Was iſt Recht, wenn nicht geheiligt durch der Zeiten Athemhauch? 
Was und unfere Väter lehrten, was ehrwürdig-heiliger Brauch, 
Das iſt Recht! — Recht, das zu ſtürzen von dem Thron Ihr Euch erfrecht!“ 


„Recht‘ iſt Euch, auf Brudernacken den geſchirmten Fuß zu ſetzen! 
‚Recht‘ tft Euch, am Blut der Schwachen Euren gierigen Mund zu letzen! 
‚Recht‘ ift Euch, für Eure Lüfte uner targe? Süd zu ſchätzen — 
Diefem ‚Rechte: dreimal Fluch! 
Diejes ‚Recht‘, in deſſen Namen unfer Streben Ihr bekämpft, 
Dieſes ‚Recht‘, in deſſen Schirm Ihr Eures Herzend Klopfen dämpft, 
Heil der Hand, die in Dies ‚Recht‘ die Fadel ihres Zornes trug! 


Das find Worte! — Sind wir fhuldig, wenn die Vafter fie zerfreffen? 
Laßt ſie ihre Pflicht erfüllen! Wer nicht ſchafft, ſoll auch nicht eſſen! 
Und du wagſt es, unſer Leben ab an ihrem Wunſch zu meſſen? 

Wir ſind Träger der Kultur! 
Doch was iſt dein Volk, das rohe, das ſich nie dem Schmutz enthebt, 
Das dem Tag und ſeiner Luſt nur ſtumpf und thieriſch weiter lebt? 
Komm zu uns! Bei uns erreichſt du deines Strebens Ziele nur!“ 


Lügner! — Nie hat je ſo ſchamlos, nie ein Mund ſo frech gelogen! 
Jenes Volk, das dich ernährt, das dich aus deiner Schmach gezogen, 
Jenes Volk, das du um Alles; Leben, Glück und Vicht betrogen, 
Wagſt du zu begeifern, Wicht!? 
Nieder in den Staub! und beuge, beuge dankbar dich vor Jenen, 
Deren Hunger, deren Sammer, deren Schande, deren Thränen 
Dir e3 gaben, daß du wandeln darfit in des Jahrhunderts Licht! 


Schweige! Nicht ein Wort mehr! furdtbar-fordernd wird es bald erftehen, 
Diefes Volk, das du ‚verachteft‘, und in dein Auge fehen, 
Und du wirft erdlinden, zittern, flehen, fterben und vergehen — 

Du, der fie mit Füßen trat! 
Dann gedenke diefer Worte: heut noch blähft du dich in Schuld, 
Aber morgen wird fie reißen — die erbabene Geduld 
Dieſes Volks, dem endlich, endlich auc der Tag des Glückes naht! 


. BI 
Bärten. 
1. 


& halle dieſe mwohlgenährten, 

Zufrieden läcdelnden Gelichter, 
Das jeden feiner matten Schritte 
Aengitlih abwägende Gelichter! 








J John Henry Macay. 





Und jene zimperlichen Herzen, 

Die immer nur nach andern fragen, 
Und kein Gefühl des eig'nen Werthes 
In ihrem leeren Innern tragen! 


Und jene gleißend-falſchen Mienen, 
Die immerdar im Staube kriechen, 
Die niemals Zornesgluth verſchönert, 
Die fromm dem Tod entgegenſiechen! 


Und dann im Alter, höchſt beſchaulich, 
Behaglich-ſchmunzelnd, ruhig⸗fröhlich, 

Auf ein zufriedenes Leben ſchauen, 

Und ſprechen: „Wir — wir werden ſelig!“ 


Armſelig ſeid Ihr! — Ob auch nimmer 
Ich einen Euresgleichen faſſe, 

Ob weit ſich unſere Wege ſcheiden, 

So fühl' ich doch, daß ich Euch haſſe! 


2. 


Und wenn wir nun einmal geſtellt ſind 
Auf ewig in dies dunkle Thal, ° - 
Und nun einmal auf diefer Welt find 
Rings eingeengt in Angjt und Qual, 


Und glauben follen, daß ein Haupt fet, 
Dem diefer Sammer unterthan, 

Dann fordre Eins ich: daß erlaubt fei 
Zu rütteln an dem freden Wahn! 


3. 


Es ift ein allzu langes Sinken, 

Ein allzu qualvoll:herber Tod! 

Wer gab es einft denn, dad Gebot 
Den Kelch fo Zug um Zug zu trinken? 


Und wenn nun mit der letzten Stärfe 
Der Menſch zum Widerjtand fich hebt, 
Wer muß, der mit auf Erben lebt, 
Nicht Beifall Spenden foldem Werke? 
Nicht jeder ift zum Joch geſchaffen, 

Sin Laftthier, da3 geduldig trägt, 

Nicht jeder jchweigt dem, der ihn fchlägt, 
Und glaubt dem Lügenwort der Pfaffen! 
Es giebt auch Solde, die zu Erben 
Geſetzt, verihmähen ihren Theil, 
Verachten alles Seelenheil 

Ind ihrem Schickſal fluhend fterben! — 


Kr) 





Sohn Henry Mackay. 201 


— 


Das &eben. 


Ein Fragment. 


ch haſſe da3 Leben, 
Das furdtbare Leben, 
Mit glühendem Haß! 


Ich kann nit ander?! 
Mohin ich aud) ehe, 
Nur troftlofeg Elend, 
Und fieglofe3 Kämpfen, 
Und wilde Verzweiflung, 
— ‚Und alleö zerjplitternd 
sm beiten VBollbringen, 

Und alles erliegend 

Auf halbem Weg! ... 

— Wie jammervoll Alle! 
Und doch — wie titantifch: 
Gefteigert die Kraft! 

Sind das diejelben 
Menſchen, die fi in 
Sabrtaufendlangen 
Entſetzlichen Kampfe 

Von Stufe zu Stufe 
Emporgerungen? 

Empor vom Thiere 

Zum denkenden Menſchen, 
Und immer empor, 

Und weiter empor?! 
Dieſelben Menſchen, 

Die zitternd und furchtfam 
Vor einem Phantome 

Im Staube ſich krümmen?! 
Und aus derſelben Hand 
Ihr Heil erhoffen, 
Derſelben Hand, 

Die einſt, wie ſie glauben, 
Erſchaffen ſie hat? 
Sind es dieſelben?! 


Sie nennen ihn Gott! 
Und beten ihn an, 
Ihn — der ſo fie erſchaffen! 
Ich glaube nicht! 
Denn der Gedanke, 
Uns ſo zu ſchaffen, 
Er wäre nicht göttlich, 
Nein, teufliſch geweſen! 


Und wenn man es hört: 
Erſt ſchuf er die Erde, 
Und dann ſandte er nieder 
Den einzigen Sohn 
Sie zu erlöſen — — 
Iſt das nicht Hohn? 
Der blutigſte Hohn? | 
Und an ihn glauben, 
Und ihm noch dienen 
In „Eindlider Demuth“ 
Das Sollen wir? 


Mas wollte er denn? 
Mar es ein Spiel? 
Ein furdtbarsgraufames? 
Ein Experiment, 

Einmal zu verfuchen, 

Wie ſtark denn ein ſolches 
Elendes Menſchengeſchöpf 
Im Ertragen von Weh ſei? 
Was war es denn ſonſt? 
Eine Laune? — — 

Nein! nein! es kann nicht, 
Es kann nicht ſo ſein! 


Wenige nur fühlen 
Den Schmerz um die Menſchheit, 
Den markdurchbebenden, 
Der weher ſchmerzt 
Als weheſte Qual! 
Und wenige haben 
Den Muth zur Wahrheit 
Den leuchtenden Muth 
Der kraftvoll verkündet, 
Das, was er muß! 

Doch iſt es nicht nutzlos? 
Laß ſie gehen! 
Die Menge muß blindlings 
Dem Wahne folgen, 
Und ſchlagen wir heute 
Den Götzen zu Trümmern, 
Sicher erſteht 
Schon morgen ein neuer, 
An den ſie ſich klammert! 

Nein, ich ſage anders: 


202. 


Unfelige Wahrheit 

St taufendmal befler 

Als glüdlide Lüge! 

Und ſo ſage ich denn: 
„Und eh' du, Menſchheit, 

Die alten gelleln, 

Die alten Lügen, 

Nicht von Dir geworfen, 

Denkſt nimmer du frei! 


Was ift dad Leben? — 
Schmerzen bereitend, 

Sp trittit du hinein — 
Schmerzen bereitend 

Berläßt du es wieder. 

Und wa3 liegt dazwiſchen? ... 
Umlauert vom Tode, 

Und zahllofer Krankheit, 
Und nie endender Wirrniß, 
Und der efeliten Schmach — 
Das ift die Spanne, 

Die du Leben nennft. 

Ich nenne ed Sterben! 
Denn dad Sonnenleuchten, 
Da3 di) umgaufelt 

In beiteren Stunden, 

Es zeigt dir nur herber 

Die Schatten hernach! 


Ich Halle das Leben! 
Denn ih muß fehen, 
MWie Taufend — und Aber: 
Taufende mühen 
Tagtäglich mit allen 
Faſern der Kräfte 
Qualvol ih ab.... 
Warum? — ja warım? 
Um da3 elende Brot! 

Das Stückchen Brot, 
Daß der Körper noch länger 
Dem Tode troße! 
Mir alle lügen, 
Doch Feiner lügt mehr, 
Als der das fich ſelbſt 
Zu verhehlen noch fucht 
In freder Zufriedenheit! 


Doh wer es erfannte — 


John Henry Mackay. 


In einer Stunde 


Reißt oft der Vorhang 
Dem Blicke entzwei — 
Und dann ſich ſagte: 

Es iſt umſonſt! 

Wer dann ſo groß var, 
Daß eigenes &lend 

Er mannhaft vergaß, 
Ind ein legte Erbarmen 
Hinüber gerettet, 

Und furchtlos Hinging, 
Die eigenen Kräfte 

Der Menfchheit zn weihen 
Sn felbit auferlegter 
Erhabener Pflicht, 

Und der doch wußte, 
Daß die Andern Alle 
Ihn fteinigen würden, 
Bid er erlahmte — 

An den -— glaube id}! 


Ihm tit ja ein Troſt, 

Ein letter geblieben: 

Einit fommt ein Tag, 

Der da3 Ende bringt... . 

Das Ende — den Tod! 

Den Tod — der dag Glüd! 
Denn was ift füßer, 

AL wenn der Gedanken 

MWildivogende® Meer 

Zur Ruhe ſich fänftigt, 

Und der matte Leib 

Zum ewigen Sclafe 

Befreit ſich legt? 

Nichts, Nichts ijt ſüßer! 

Zum ewigen Sclafe! 

Zum traumlofen Schlafe.... . 
Mer ift wohl auf Erden, 

Der müde gehegt, 

Nah ihm fi nicht jehnte 

In glühenditen Wunſch? 


Das ſelige Ende! . 
Denn wäre der Tod 
Noch nicht das Ende — — 
Was dann? — was dann? 


— —— —,— — — — 


— — — — — — 


— John Henry Madayh. 


Freiheit. 


1. 


st nicht, daß frei wir find! — Noch wird dad Wort, 
Das wie ein Hauch) die dumpfen Zelte Tüftet, 
In die fie fich verfriechen fort und fort, 
Noh wird es unterdrüdt! — und wie zerflüftet 


Auch unfer Fühlen, unfer Denken fei: 
Die bange Seele muß den Athem balten 
Und darf Hinaud nicht rufen ſtark und frei, 
Was fie bedrängt! — Wie vor dem Schnee, dem falten, 


Der Frühling ſchaudert, ſchweigt ihr Wünſchen fie 
Und ſucht es ängftlih, ängitlich zu verbergen ... 
Das iſt nicht Freiheit! Täufht Euch nicht! Noch nie 
Sahn wir befreit und von der Knechtſchaft Scergen. 


2 


Sagt nicht, daß wir frei find! Als Frevel noch 
ilt jeded Wort den blinden, Teigen Schaaren, 
Das kühn zu fprengen jucht das Eſſenjoch, 
Da3 auf und liegt fett fo viel trüben Jahren. 


Sie ſpritzen ihre Schmah auf und, um dann 
Mit frechem Fuer auf uns hinzuzeigen: 
„Seht ihr den el dort an jenem Mann? 
Er geht in der Verworfenen blutigem Reigen!“ 


So nennt Ihr Haß, was einzig Liebe iſt! | 
So ſcheltet Aufruhr Ihr, wad nur Empörung! 
Und ftreut ind Ohr der Lebenden mit Lift, 
Mie immer, leere Worte der Bethörung! 


3 


Jedoch Ihr fürdtet und! Euch treibt dad Grauen 
Zu immer tolleren Wahnwigfprüngen an! 

Ihr könnt dem Freien nicht ins Antlitz fchauen, 
Sp werft Ihr ihn in dumpfer Kerker Bann. 


Doch wähnet nie, die Freiheit aufguhaten 
Armfelige Thoren, lernet: daß der Fluch 
Der Unterdrüdten reift ob Eurem Schalten. 

Lernt es aus der Geſchichte blutigem Bud! 


Lernt es und zittert! — Ehe noch geſunken 
Dieſes Jahrhundert wieder in die Nacht, 
Hat unfere Erde Euer Blut getrunfen, 
St fie vom Schlummer dräuend aufgewacht. 





—E 





204 Sohn Henry Dadap. . 


ee - — — 
— — — — —— 


Sile, eile! nenes Zahrhundert! 


(1883 ) 


Li eile, neue® Jahrhundert! — Steige fegenbringend herauf, 
Eine Menfchheit harrt dir entgegen, darum beflügele deinen Lauf! 

Nette und aus den ehernen Banden, die um und alle der Zeitgeift ſchlingt, 

Müde find wir und jauchzen entgegen dir, bad und ht und Befreiung 
ringt! 

Licht ftatt Inechtender Vorurtheile; Licht, das ftürzet von feinem Thron 

Einem Glauben, dem wir gebuldigt; das eine neue Religion 

Ueber die Zeiten führet und Lande, weldhe heute ein Wahnbild zwingt, 

Daß Statt finft’rer Geſetze die Liebe ihr allmächtiges Scepter 
Ihwingt! — — 

Eile, eile, neue Jahrhundert! — Nimm zum Genoffen den braufenden 

Rüttle und auf aus dem bleiernen Schlafe, in dem befangen noch 
immer wir find, 

Scheuche die Wolfe, die über dem Haupte und zernichtung drohet 
und Tod, 


Senke in unsre erfchlafften Gemüther einen — der himmelwärts 
oht! — 
Siehe, ſchon ſuchet im Grabe das alte für enttäuſchte Hoffnungen 
u , 
Eile, eile, neued Sahrhundert! — eine Menſchheit jauchzet dir 


U: — — — 


rs 


Robert Seidel. — 


Robert Seidel, geb. am 23, Rovember 1850 zu Kirchberg in Sachfen, ber 
ste die Volisſchnie feiner Baterflabt mit großer Außzeihnung, mußte aber infolge 
uth feiner Eltern die Tuhmaderei erlernen und ſchon mit 15 Jahren feinen 
Unterhalt ſelbſt beitreiten, ſowie die Familie unterftügen. 1867 trat er in Trimmitſchau 
(Sad jen) in die Arbeiterbewegung ein und ftanb balb an ber Spitze des Arbeiter: 
ungövereind, des Volksvereins, bed Konfumvereind ufm. Er mar Mitbegründer 
bes erten fogialbemotratifchen Tageblattes, des Crimmitſchauer Bürger: und Bauern: 
freundes. 1870 fiebelte er nad) ber Schweiz über, mo er ſich feither ununterbroden 
durch Wort und Schrift an ber Arbeiterbewegung hervorragend Betheiti it hat. 1878 
[1 Seibel zur Taufmännifhen Laufbahn über, von 1877—79 die Geſchafte 
alten Schweizerifgen Arbeiterbunbes, beſuchte von 1879—80 als Yubitor das 
Zuricher Lehrerſeminar und erwarb ſich bad Bollsfcullehrerpatent, wirkte ein Jahr 
als Voltsſchullehrer, befuchte von 1881—88 die Univerfität Zürih und mar bis 1: 
ais Selunbarlehrer in den Kantonen Züri und Glarus thätig. Bon 1890-98 
zebigierte er das Hauptorgan des GShweizeriihen Gewerkſchaftsbundes und ber 
Gozialdemofratifen Partei, die „Arbeiterftimme" in Züri, hierauf ein Jahr bad 
„Bollörecht“, fogialdemofrat. Tageblatt von Zürih. Seht mirkt er wieder als 
Sekundariehrer in Zürid. Er iſt Mitglied des Zuricher Landtages und ber Züricher 
GStabtverorbnetenverfammlung. Berfafler zahlreicher politifher und pädagogifcher 
Schriften. Seine Gedihtfammlung „Aus Kampfgewülhl und Einfamfeit” ift eine 
Fundgrube warmempfundener und formvollenbeter Perlen der Arbeiterbichtung. 








Demonftranten geworfen wurde und fomit bie 
erhielt. Sieben ber hervorragendften Führer ber bortigen Arbeiter wurden, obwohl volli 
wegen Aufregung ufw. zum ‘Tode verurtheilt unb Im November 1887 an flinf das Urtell vollzogen, 
während bie anbern zu vieljährigem Kerker „Begnabigt” wurben. 





Sin Set. 


Veranlaßt dur das EChicagoer Bluturtheil 1887.) 


Vs ftand am Meere heut’ in dunkler Nacht 

Und fah gen Weit hinaus in ferne Weiten; 
Kein Sternlein hat ob meinem Haupt gebacht — 
Nur Ichwer und bang hört ih den Zeitgeiſt Tchreiten; 
Doc felbft das Sturmgebrüll ward übertönt 
Bon einem Auflchrei aus gequältem Herzen 
Zertretner Menfchlichfeit, die ächzt und ſtöhnt 
Und windet fih in unheilfhwangern Schmerzen. 


Mein Haar hat ſich bei dieſem Schrei gelträubt, 
Mein Herz wildpochend ftellte ein fein Schlagen, 
Mein ganzes Wefen war wie blitbetäubt 

Und willenlod nur meines Fußes Tragen; 
Allein der Schrei war meiner Brüder Laut, 
War Todesrufen in den höchſten Nöthen. 

Da3 Hat die Herzenzftarre mir gethaut 

Und hat geheilt der Sinne jäh Ertödten. 


So hört’ id) denn mit vorgebeugtem Rumpf, 

Ich börte es trog Sturm und Wellenfaufen 
Vernehmlich ganz, wenn auch nur hohl und dumpf: 
"Ans Kerend, ans Kreuz! aus Pöbelhaufen braufen. 
Ein Pöbelhaufe war’3, feil, reich, gelehrt, 

-Ganz ähnlich dem, der an das Kreuz geichlagen 
Marien? Eohn, den dann die Welt geehrt, 

Weil er ein großed Herz für fie getragen. 


Ans Kreuz, and Kreuz! jo Ichrie die Prieſterſchaar 
Des Mammons laut, fo riefen Molochs Knechte 
Und Scergen der Gewalt mit ftrupp’gem Haar 
Und glatte Herrn, Doktoren beider Rechte; 

Selb üpp’ge Dirnen ſchrieen fred) darein: 

Wir wollen ein ergöglid Scaufpiel haben, 
Schleppt nur die fieben auf den Rabenftein 

Laßt ihre Qualen unfre Sinne laben. 


°) Um 4. Mat 1886 demonftrirten bie Arbeiter Chicagos auf einem Öffentlidden Plage für 
den Achtſtundentag, wobei durch ein von ber Polizei gebungenes Indivibuum eine Bombe unter bie 
—8 erwunſchie Gelegenheit zu einem Blutbad 


Robert Seidel. i 








Doch fah ih auch und fah es hell und Kar — 


Mein Aug’ durchdrang der Nacht geheimite Falten — 
Wie eine edle, muth’ge Männerſchaar 

Begann der Menjchheit Yahrıe Hoch zu Halten. 

Ein Häuflein war es anfangs, ſchwach und Klein, 
Bald aber ſchwoll es an zum ftarfen Heere - 

Der Streiter, die in unzählbaren Reihn 

Sid formten auf dem Feld der wahren Ehre. 


Dem Feld der Ehre, wo der ‘Freie wehrt 

Der Sklaverei mit ihren taufend Krallen; 

Den %eld der Ehre, wo der Gute mehrt 

Das Reich des Rechtes und: der Freiheit Allen ; 
Dem Feld der Ehre, wo der Wahre fämpft 

Für Licht und Luft mit Finfterniß und Schatten; 
Dem Feld der Ehre, wo der Edle dämpft 

Die blut'ge Gier der Reichen, Mächt’gen, Satten. 


Auf diefem herrlich Hohen, weiten Plan 

Sah ich der Arbeitämänner helle Haufen, 

Bon allen Seiten zogen fie heran — | 

Fein gleibend Gold Tonnt’ fie dem Pöbel Taufen. 

In allen Zungen ſcholl der Donnerruf: 

Vergießt Tein Blut! Gold Hat das Necht geſchändet! 
Es darf nicht fein! Erhabeniter Beruf 

Des Menſchenthums, nur bir find wir verpfändet ! 


Ich ſah und hörte, jeder Nerv gefpannt, 
Erhabnes Schaufpiel dich in deiner Schöne, 
Und in den Reih’n erblicdt ih unerfannt 

Sohn Brown, den treueften der Menſchenſöhne; 
Auch Sefferfon und Lincoln waren da, 

Und Wafhington gab ruhig die Befehle: 

Sieg oder Tod! dem Menſchenrecht gilt’3 ja, 
Dem ewigsalten; Keiner fih’3 verhehle! 


Und fchweigend vorwärts Drang da3 beil’ge Heer; 
Gemeffen, ernit fah ich. die Reihen fchreiten, 

Und über ihren Häuptern hoch und hehr 

Die guten Geilter froh den Weg bereiten. 

Mie vor der Sonne flieht die tüd’fche Nacht 

Und ängftlich fich verfriedt in dunkle Klüfte, 

So flohen wild, noch eh’ es fam zur Schladit, 
Des Unrechts Rotten in des Mammons Grüfte. 


| Robert Seidel. 209 


ALS nun erfhien der Herr auf Golgatha, 

Mo fieben Kreuze in die Lüfte ragten, 

Und fieben Opfer, ſchon dem Tode nah 

Durch Henkersqual, au Menſchlichkeit verzagten, 
Da quoll ein Jubelſchrei aus jeder Bruſt — 

Der Schande Pfähle fielen, Ketten ſprangen — 
Der Arbeit Söhne küßten fid) voll Luft — 

Der neuen Welt ein neued Reich war aufgegangen. 


Bom freien Boden war getilgt die Schmad) 
Des Rechts- und Brudermorded fonder Gleichen, 
Und aus dem thränenfeuchten Boden brad) 
Der zzreiheit Saat, ein hoffnungsreiches Zeichen. 
Die Mammondburg, fie lag in Schutt und Staub, 
Verachtet waren olochs rohe Knechte, 
Der Richter Ohr war Goldes Lockruf taub, 
Und hochgeehrt die Kämpfer für das Rechte. 
* * 
* 

Si mein Geist bei Naht am Meeredftrand. 

D daß es drüben Euch jo offenbarte! 
D daß der Arbeit Sohn im fernen Land 
Sich friſch und froh den Sinn fürs Recht bewahrte! 

O daß, was zudt und weht durd) jedes Herz 
Bom eblen Drang nad allem Guten, Hehren, 
Set mög’ erglühen in gerehtem Schmerz, 
Un flammend ſchwarzes Unrecht zu verzehren! 


RL 
Nuſterbürgers Hebensregeln. 


Di ol, ‚zu deinem Vorwärtskommen 
Gefelle frühe dich den Frommen, 

Denn ihnen ut der Herr gegeben 

Für ihr erbaulich, kluges Leben. 


Begehrit im Amt du vorzurüden, 
So lafje nur wie Teig dich drüden; 
Die Obern lerne tüchtig Loben, 

Und trage nidt den Kopf nach oben. 


Im Sinefuren zu erhalten, 
Prophete fei des fchlechten Alten, 
Und ftreite nie fürs befire Neue — 
Unrecht ift alt — und lang die Reue. 
14 


210 





Robert Geibel, 


Erlangen kannſt du fette Bolten 
Um einen Hut — das trägt die often 
Entblöße dich vor jedem Laffen 

Und grüße budelnd felbft die Affen. 


Soll jeder dein Benehmen Ioben, 


‚So fchnauz nad) Unten, ſchmacht nach Oben: 


Bon Hungrigen ſprich nie bei Satten, — 
Das klinget ſchlecht bei vollen Platten. 


Willſt du als Dann von Bildung gelten, 
Sp darfit du nie die Qumpen fchelten, 
Und ift ein Edler am Verderben, 

So bete, bete für fein Sterben. 


Gewinne fannit du leicht erhafchen 

Beim Taufchen, Handeln, Wuchern, Paſchen; 
Du darfit in große Haufen greifen 

Und ſelbſt dabei dad Zuchthaus ftreifen. 


Willſt großen Reichthum du erraffen, 
So darfſt du ja nicht felber ſchaffen — 
Kein, Andre nimm in deine Frohne 
Für lange Zeit bei furzem Lohne. 


Soll dir des Ruhmes Lorbeer blühen, 

So lerne für die Plattheit gläben, 

Und meide, Treffliches. zu leiſten, 

Denn das ift frei und ziemt nur Dreiften. 


Willſt du ein guter Bürger heißen, 
Und fol dich jede Zeitung preifen, 
Sp fpredhe nie von Volkes Rechten 
Und fchweige tapfer zu dem Schlechten. 


Soll jeder dih als Staatsmann oben, 
Sp ſchwimme mit dem Haufen oben, 
Verſchmähe eigene Gedanken, 

Ind übe fleißig dih im Schwanken. 


Befolgit du dieſe Eugen Lehren, 

So wird die Dummheit dich verehren, 
Sie wird Dich tragen auf den Händen, 
Ind dir dereinit ein Denkmal fpenden. 


SR 





Robert Seidel. 211 


Auch ich bin alänbig. 


ud) id) bin gläubig, do mein Glaube 
Hat feinen Raum im Wimderfchrein, 
Er klebt an feiner Sabung Staube 
Und feine Kirche ſchließt ihn ein; 
Er wählt nicht in dem Schutt der Zeiten 
Und gräbt nicht in der Worte Sand, 
Er kann durchs rothe Meer nicht fchreiten 





Und wandert in fein Fabelland. 


Mein Glaube ift nicht eine Krücke, 
Woran die Lahmheit fih bewegt; 
Mein Glaube ift auch feine Brüde, 
Worüber Einfalt Laften trägt; 
Mein Glaube ift fein Wegezeichen 
Bom Erdenthal ind Himmelszelt, 
Mein Glaube will fein Shlaift reichen 
Für Leiden einer Knechtewelt. | 


Mein Glaube fhürt der Liebe Gluthen 
Noch in der Schlucht Faltem Haus, 
Und ſucht den Edelſtein des Guten 
Selbit aus den Menfchentrümmern aus. 
Mein Glaube ijt ein kühner Ritter, 
Der furdtlos mit dem Böſen ficht 

Und mit der Wahrheit Sturmgewitter 
Die ftolzen Lügenburgen bricht. 


Mein Glaube ift des Fortſchritts Bote; 
Er fliegt voran im guten Streit 

‘ Und pflanzt das Banner auf, das rothe, 
Des Menſchenthums der neuen Zeit; 
Mein Glaube ift der Freiheit Leuchte, 
Die grell der Knechtſchaft Nacht erhellt 
Und in die Kerker dd und feuchte, 

Den Labetrunk der Hoffnung ftellt. 


Mein Glaube ruht auf Felfengrunde 
Bielhundertjähr’ger —2 

Und ſteht in treuem Bruderbunde 

Mit Menſchengeiſt und Weltenkraft. 
Mein Glaube wurzelt in der Erde 

Und rankt ſich um der Menſchheit Baum 
Und iſt das fleiſchgewordene Werde 

Der Gottheit vom Erkenntnißbaum. 


BEIARY 


14° 








212 - Robert Seibel. — 


Kicht Fünſchen Kann die Felt erlöfen. 


n dieſen ſtarren Wintertagen 

Kommt warmes Wünſchen recht in Fluß, 
Es ſchmilzt manch eiſiges Verzagen 
Durch alter Liebe jungen Gruß; 
Doch wem der Jammer nagt am Herzen 
Um ein verlorenes Lebensglüd, 
Fließt reicher noch der Quell der Schmerzen, 
Denkt heute er daran zurüd, 


Mem von des Senfenmannes Hieben 
Gin liebes Weiler ſank in Staub, 
Wem feine Hoffnung mehr geblieben 
Auf neuen Frühling, junges Laub: 
Dem wünſche ich ein ſtolz' Entjagen 
Und ein Vergeſſen endlos, tief, 

Ein kraftvoll Dulden und Ertragen — 
Des Seelenadeld echten Brief. 


Wem eined Jahres dunkles Walten 
Nicht eine Aehre voll gereift, 
Wem dur) der Wolfen dichte Falten 
Kein Hoffnungsitrahl dad Herz geitreift: 
' Dem wünfche ih noch Muth zum Hoffen, 
Noch Kraft zu fünft’ger Ernten Saat, 
Noch liebreich Herz, noch Hände offen 
Für Andrer Leid, zu guter That. 


Mer fieglos für das Recht geitritten 
Und für des Volkes Gut und Heil, 
Wer für die Wahrheit hat gelitten 

Der Lüge Gift, des Haſſes Pfeil: 
Dem wünfhe Stärke ih im Glauben 
An der Ideen Sieg und Madt, 

Die Henker nit und Daumenfchrauben, 
Nicht Lug und Trug zu Fall gebradit. 


Und allem Bolf, das feufzt in Stetten, 

Das ftöhnet unter Drud und Noth: 
Wünſch' ftarkes Wollen ich, zu retten 

Sich vor der Knechtſchaft Schand’ und Tod, 
Nicht Wünſchen kann die Welt erlöfen — 
Nein, Wollen nur und frifhe That; 

Denn Wurzel alles mädtig Böſen 

Iſt feiger Wünſche faule Saat. 


DD 


Robert Seidel. 913 


AH Könnt ich doch der Feufel fein! 


ch könnt' ich doch der Teufel ſein 
Nur eine einz'ge Stunde! 

Ich finge reiche Beute ein 

Im weiten Erdenrunde. 


Ich holte alle, die ſtatt Herz 

Nur einen Beutel haben 

Und ſich ſelbſt an des Nächſten Schmerz 
Boll Schadenfreude laben. 


Der Drohnen wohlgenährte Schaar 
Ließ ih im Fette ſchmoren, | 
Bis daß fie Hätte, lind und gar, 
Den Fäulnißduft verloren. 


Das Wuchrer: und das ‚Soinderpad, 
Für das fi Fleiß'ge plagen, 

Müßt' mir mit Handfhuh und mit Yrad 
Das Pech zum Heizen tragen. 


Die Gäuche, die um Idnöben Sold 
Das gute Recht verrathe 

Die würd’ ich rgfan, gel wie Gold, 
Sm Höllenradden braten. 


Die Heuchler- und VBerläumbderbrut 
Mit ihrem Gleißen, Ziſchen, 
Müßt' unter meiner Knechte Hut 
Den Schwefel tüchtig miſchen. 


Und jene Zungendreſcher glatt, 
Die ie bon Freiheit ſchwatzen, 
Wo Hunger ſetzt die Beſten matt, 
Macht' id zu meinen Fratzen. 


Das gäb’ ein großes Gaudium 

Sm Himmel und auf Erden; 

Do, da viel arme Teufel dumm, 
Wird wahr mein Wunſch nicht werden. 


Der liebe Gott mit langem Sinn 
Läßt alles hübſch beim Alten; 
So fommt dad Schlechte obenhin, 
Da Gute muß erfalten. 


Ad könnt' id) doch der Teufel fein 
Nur eine einz'ge Stunde! 

IH finge reihe Beute ein 

Im weiten Erdenrunde. 


N. 





214 


_ Robert Seibel. 


—— — = — — — — — — — 


— ——— — 


Zeht Stunden — eine &nigki, 


ht Stunden — eine Ewigfeit 

Wenn ſchrill im Saal di hinbel furrt, 
Und Venzes junge Herrlichkeit 
Um alle Bäume koſend gurrt — 
Acht Stunden in dem heißen Saal, 
Wenn draußen FAR; die Lüfte wehn — 
Das iſt der Hölle Schreck und Qual, 
Wie Dante ſelbſt ſie nicht geſehn. 


Acht Stunden — eine Ewigkeit 

Im dunkeln Schacht bei dumpfer Luft, 
Wenn in der ſonn'gen Heiterkeit 

Die Biene trinkt der Blüthen Duft — 
Acht Stunden in der Erde Schooß, 

Wo rings die ſchwarzen Särge ſtehn — 
Das nenn id) der Verdammten Loos, 
Wie Dante felbit es nicht gefehn. 


Acht Stunden — eine Ewigfeit, 

Wo Gluth und Qualm daB. Eiſen kocht, 
Und Dampf in blankem Stahlgeſchmeid 
Mit Rieſenhämmern Panzer pocht — 
Acht Stunden, wo bei jedem Tritt 

Ein Arm ſich hebt zum Todesſtoß — 
Da ſtrauchelte ſelbſt Dantes Schritt, 
Der ſicher ging zum Höllenſchooß. 


Acht Stunden — eine Ewigkeit, 
Wenn Zwang die Peitſche ahnd ſchwingt 
Und Elends ſcharfe Bitterkeit 

Wie ſpitzer Stahl das Herz durchdringt — 
Acht Stunden in der Nothdurft Pflicht 
Gefeſſelt liegen Jahr um Jahr — 

Das iſt der höchſte Gipfel nicht 

Zu dem ſich ſchwingt der Zukunft Aar. 


Nein, eine Sproſſe iſt es nur 

Der Leiter einer Käfigwelt, 

In der an ſtarker, ſeidner Schnur, 

Das Geld den Geiſt in Knechtſchaft hält; 
Wenn Muße erſt das Volk gewann, 

So ſchlägt den Käfig es zu Stück 

Und oh ein freier Rieſe dann, 

Sich mehr als ſolch „Adhtftundenglüd“. 


IN. 


— — 
— — me 





— — _- - — — — —— — 
— — — ·— G — — 


Wir glauben an der Freiheit Sieg. 


ie Welt ift neu zum Licht eritanden 
Aus tiefer, langer Winternacht, 
Befreit ift aud des Eiſes Banden 
Der Ströme fttlle Schöpfermadt; 
Der Mai füßt alle Blumen munter 
Und thauet alle Herzen auf, 
Er ſchmücket alle Blumen bunter 
Und ftreuet Gold in Fülle drauf. 


Die Knechtſchaft auch hat ihre Grenze 
Im ehrnen Gange der Natur. 

Und auferwedt vom jungen Lenze 
Zieht Freiheit ihre Strahlenfpur; 
Sie leuchtet in das tiefite Dunkel 
Der Lleinften Hütte hell hinein, 

Und ruft, umwallt von Lichtgefunfel: 
Das arme Volk foll fröhlich fein! 


Am erften Tag des jungen Maien 
In Trümmer finft Die alte Welt, 
Die alte Welt, ein Feind der Freien, 
Die alte Welt vol Sündengeld; 

Sin Jubel geht durch alle Yande 
Und ſchwingt ſich über jedes Meer, 
Und ſchlinget heil'ge Bruderbande 
Um der Enterbten zahllos Heer. 


Es ſchaaret fih in dichten Maſſen 
Und ordnet freudig fih in Reih'n, 
Und fohreitet au den dunklen Gaffen 
Ins helle Sonnenlicht hinein; 

Sin Wort erfchallt, dem Alle laufchen: 
„Acht Stunden Arbeitsfrohne nur!“ 
Muſik ertönt, die Banner rauschen, 
Und dann erbrauft der neue Schwur! 


„Wir legen nun die Waffen nieder 
Und heben Hoch der Arbeit Stahl, 
MWir regen gern die frifhen Glieder, 
Doch fluchen wir der Arbeit Qual; 
Wir kämpfen für das Recht der Freien 
Und für den Frieden, gegen Sirieg, 
Wir hoffen auf den Volkermaien, 

Und glauben an der Freiheit Steg.” 


BER 


Robert Seibel. 215 








Robert Seidel. 


Sumane Feit. 


umane Zeit, humane Sitten — 

Geſetze ſchützen ſelbſt das Vieh; 
Ein jeder Hund iſt wohlgelitten, 
Ein ganzer Menſch dagegen nie. 





Qumaner Staat, humane Bürger — 
laubt find höchiteng ſechs Prozent; 
Doch edler Herr ift jeder Würger, 

Der an der Börſe raubt und brennt. 


gumaneı Einn, hbumaned Streben — 
ie Wiſſenſchaft häuft Sieg uf, Sieg; 
Sie hält die Kranken lang am % 

Und Schlägt Gejunde todt im Pe 


Humane Serrn, humane Damen — 
Sie tanzen für der Armen Noth 
Und ernten von der Arbeit Samen 
Der Milliovnäre faured Brot. 


Qumanez Denen, Reden, Schreiben — 
u eitler Firniß einer Welt 

Wo höchſte Runit ift, Rune treiben 
Und höchſte Tugend: Geld, viel Geld. 


MW 


Kein Beiland if noch je erſchienen. 


ein Heiland iſt noch je erſchienen 

Aus fernen Himmeld weitem Schooß, 
Kein Heiland hat den Arbeitöbienen 
Gelindert ihrer Knechtſchaft 2003; 
Kein Heiland wird hernieberfteigen 
Vom thränenlofen Sternenfaal, 
Um ſchmerzenskundig fi zu neigen 
Erlöfend aller Armen Qual. 


Nur aud der Schmerzen heißen Gluthen 
Auflohend aus des Volles Schadt, 
Entiteigen fann der Held des Guten, 
Der Führer durd) der Leiden Nacht; 
Erlöfung fproßt aus dunklen Tiefen, 
Aus der Gedrüdten Tchränenborn, 
Gleich Halmen, deren Steime fchliefen 
In feuchter Gruft als fterbend Korn. 


> 





Der Armen Heiland ift der Arme, 

Der helfend theilt fein Stückchen Brot, 

Und Ueberwinder jedem Harme 

Die eine liebumfloff’ne Noth. 

O hofft nicht mehr auf Heilands Kommen 
Aus Lichter Höh’ von Shit gefandt! — 

Das Volk allein allein muß ihm zu frommen 
Sich Heiland fein in jedem Land. 


Und wenn einft jedes Volk geworden 
Erlöſer ſich aus Drang und Noth, 
Erblüht ein einz’ger Bruderorden 
Der Menihen al’ im Morgeuroth, 
Und Friedendengel werden mwinden 
Den Delzweig un des Sriegerd Pfeil, 
Und Subellieder fchallend künden: 
Erſchienen endlich ift da3 Heil. 


Re | 
Nachtwächter — aber Hroͤnung nic. 


enforen, Polizei, Soldaten — 

Die plumpefte Dreifaltigfeit 
St heute Fetiſch aller Staaten, 
Worin nad Brot die Arbeit fchreit. 


Zenſoren für des Geifted Schwingen, 
| en für das freie Wort, 
enjoren für der Künftler Ringen, 
Senforen jelbit an Grabes ‚Bord. 


Nachtwächter bei des Tages Helle, 
Nachtwächter bei dem Bogenlicht, 
Nachtwächter auf der Tempeljchwelle 
Des Mammond — aber Ordnung nidt. 


Soldaten gegen Volkes Leiden, 
Soldaten gegen Streifer roth, 
Soldaten — Lehrer ſelbſt der Heiden, 
Soldaten gegen Hungersnot). 


Soldaten, Polizei, Zenforen — 
O blödefte Eintalticteit! 

Der Klugheit wachſen lange Ohren, 
Seitdem nad Brot die Arbeit Tchreit. 


Me 


218 J „Robert Seibel 


Unfterblichkeit. 


W.. für Die Freiheit iſt geſtorben 
Im Thatenſturm, im dlaqtengraus, 
Der hat Unſterblichkeit erworben, 
Sein Geiſt durchſchwebt der Schöpfung Haus; 
In Millionen Menſchenherzen, 
Wo lebt und webt der freie Geiſt, 
Iſt ſeine Statt, ſo lang in Schmerzen 
Und Luſt noch noch dieſe Erde kreiſt. 


Ser er für die Wahrheit ift erlegen 

üge giftigem Geſchoß, 
De Niedertradt verſchlungnen Wegen, 
Der Beigheit mitleidlofem Troß: 
Der Iebt, tft auch fein Leib gefehret, 
Zur Mutter Erde fühlem Schooß, 
Noch fort, in jenen, die gemehret 
Des Lichtes Neich mit hartem Loos. 


Mer ruhmlos für das Recht Al 
Am Kampf mit Unrecht und Gewalt 
Geht ein in jene Ruhmeshallen, 
Wo echter Helden Lob erichallt. 
Und Alle, die geregt die Schwingen 
Sur höchiter Güter froh Gedeihn, 

te ziehen unter Sphärenflingen 
Zum Tempel Unvergefiner ein. 


Am 
Weil Ihr die Armen ſeid. 


ch ward von Euch geichlagen, 39 ward von Euch voll Wunden, 
Stand ich für Euch im Streit; Rang ich mit Eurer Noth; 
Uud doch will id) nicht klagen Und doch bleib’ ich verbunden 
Und will es von Euch tragen, Euch treu zu allen Stunden, 
Weil Ihr die Armen feid — Weil Euch gebriht das Brot — 
Meil Ihr die Armen ſeid. Weil Euch gebricht das Brot. 


Ich ward vou Euch verlaffen, 
Kämpft' ih für Euer Recht; 
Und doch will ih nit Hafen 
Und will von Euch nicht laſſen, 
Weil Euch) die Noth gibt Recht — 
Weil Euch die Noth gibt Recht. 


22 


we. 


— aAbdolf CLepp. —— 


Adolf Lepp in Zwidau ſchildert feinen Lebensweg in nachſtehender 
Inapper Form: ' . 

„I Bin am 21. Juli 1847 in Hall dt, und zwar im „Sad“, einer 
ausſchließlich von Proletariern bewohnten Straße geboren. Bei der katholiſchen 
Taufe, bei welcher zwei heidniſche Fräulein, Erata und Thalia, incognito Gevatter 
fanden, erhielt ich die Bornamen : Adolph, Ernft, Ferdinand. Auch ftand die Armut 
bei mir Gevatter und ift biefelbe die treuefte Begleiterin meines ganzen verfehlten 
Lebens geliehen. Meine Geburt fiel in dad berügtigte Hungerjahe und Habe ich 
nie im Leben vergefien gelernt, was Noth und Sorgen bebeuten; es ift daher nur 

natürlich, daß die Drangfale der Armuth rhytiſchen Widerhall in meinem Herzen 
fanden und ſich gemaltfam emporrangen in Iyriihen Seufzern. Mein braver Vater 
war feines Zeichens Sigarremarbeiter; dasſelbe war aud id und zwar mit blutendem 
jerzen. Im neunten Lebensjahre verlor ich den unerſetzlichen Vater, und zwar an 
der Nervenkrankheit, an ber die ganze Familie, feldft die mit dem fünften Kinde 
Gwangere Mutter, darniederlag. Im 19. Lebensjahr ging ic auf die Wanderſchaft. 
Jahre 1874 vermäßlte ih mid zum erften Wal, folte aber mein draves Weib 
itö 1882 wieber verlieren, nachdem fie mir ſechs Kinder geboren und Roth und 
Sorge ehrlich mit mir getheilt Hatte. Um die Refte meiner zeriprengten Familie 
wieber Dereimigen zu Lönnen, vermählte ich mich im Jahre 1890 zum zweiten Male. 
Imbeh trieb mich mein Gefhäft in ganz Deutfchland Herum; ic} hatte nämlich) den 
Hanbel angefangen, nachdem mid; die Fabrikanten von ber Arbeit ausgeſchioſſen. 
lizeiliche Berfolgungen, Progeffe und Strafpaft find mir aud nicht erfpart ge: 
lieben. Meine Mufe äußerte fi anfänglich bei Samilienfeften des Proletariats, 
in Qunberten von Gtuben hängen meine Gelegenheitsgedichte. Auch verfaßte ich 
Prologe, Dialoge, Duetts und Couplets für Vereine und Gängerverbänbe. 1839 gab 
ih meine erfte größere Lieberfammlung, bie „Wilden Blumen“, deraus, Kurz 
darauf nahm mic 3.9. ®. Dieg in feine „Arbeiterditung” auf. ein Beitrag 
[9 den „Stimmen ber freiheit“ mird nad menſchlichem Grmefien meine letzte 
iftung fein. Lebe wohl, lieber Lefer, ih empfehle mi! — 


05.79 





Sfimmen der Freiheit. 


(Zwidau, 8. Dft. 1889.) 


Lin Bergmann flug fein Brod gar fein 
Wohl in den „Wahren Jakob“ ein; 
Dies ſah ein. Lump und bracht’ es an, 
GEntlafien war der arme Dann — 
„Stimmen der Freiheit“, Euch hör’ ich gern! 
Doch ift die Erlöſung uod gar zu fern. — 
Stimmen der Freiheit, erhebet euch Laut, 
Daß man die Vorhut nicht niederhaut! — 


Ein Former las den „Vorwärts“ vor 
Zur Bejper dem Gejellendor; 

Der Herr erfuhr’3 und fperrt ihn aug, 
Er läuft umjonft von Haus zu Haus. 
„Stimmen der Freiheit“, Ihr tönet Hell, 

Unftät und hilflos irrt der Gefel — 
Stimmen der Freiheit, ſchützet die Wacht, 
Daß man nicht ſchamlos fie niedermadt! 


Der freie Sänger ſchuf fein Lied 

Heraus and innerſtem Gemüth, 

Und es entflammt die Herzen al’, 

Der Sänger büßt hinter'm Gefängniswall. — 
„Stimmen der Freiheit“, erhebt Euch) zur Wehr, 
Drüden die Ketten den Sänger zu fehr! 

Stimmen der Freiheit, gebt es nicht zu, 
Daß Euerm Schöpfer man Leides thu'! — 


Ein muthiger Genoffe trug 
Wahlzettel au mit gutem Fug; 
Man nahm fie weg und nahm ihn mit, 
D’rauf ward er feines Brodes quitt! — 
„Stimmen der Freiheit“, Euch ruf’ ih an: 
üchtigt den Hochmuth! Thübet den Mann! — 
timmen der Freiheit, Ihr Teid ja ftarf, 
Donnert der Knechtſchaft den Schred in dag Mark! — 


222 Adolf Lepp. 


III .72-.— —— — — — I 77 — 


Es bat die Deputation 

Für ihr Gewerk um beſſern Lohn; 

Die „ſchwarze Liſte“ ſchlich herum, 

Die Deputirten wurden ſtumm! — 
„Stimmen der Freiheit“, ſchmettert darein, 
Dringet den Drängern durch Mark und Gebein! 
Stimmen der Freiheit, laßt in Verruf 
Den nicht erklärt fein, der Werthe ſchuf! — 


Gin Knabe, der im Arbeitsſaal 

„Die Blumenlefe* warm empfahl, 

log an die Luft mit Vehemenz, 

Das war die Antwort der „Intelligenz“! — 
„Stimmen der Freiheit“, fendet den Strahl 
Nieder in Mammons troſtloſes Thal! 

Etimmen der Freiheit, ftärft die Idee, 
So nur durddringt fie unfre Armee! — 


O überfaßt den armen Widt 

Den Ottern und den Nattern nicht! 

Und iſt die Rache noch fo Klein, 

Das Opfer will verteidigt fein. — 
„Stimmen der Freiheit“, ſchmettert ein Halt 
In die Gefolgſchaft ſchnöder Gewalt! 

Stimmen der Freiheit, läutet zum Sturm, 
Berſtet der Zwingburg Bollwerk und Thurm! — 


M⸗ 
+ Äda Regri. + 


(Zwidau, 11. Oft. 1899.) 


u bift mir fern, Staliend Tochter, fern — 
Wie konnteſt Du in meiner Seele Iefen? 
Wie konnt' ic Dich erkennen, als mein Weſen? 
Bift Du vieleicht — der Zukunft Morgenftern?! 


Ich weiß es kaum, wie mir zu Muthe ift — 

Ich möchte mich der weichen Regung ſchämen; 
Doc will Dein Lied mir jede Faſſung nehmen. 
Ich Hab’ geweint, und dann — Dein Lied geküßt. 


RR 


Adolf Lepp. — 223 


Auf den Bob Zakob Andorfs. 


(Bwidan, 28. Juli 1899.) 


as „Baterland“ verftieß den braven Sohn, 

Der eine Zierde war des Vaterlandes! 
Nach feiner Zaflallaife Donnerton 
Marfchirt-da8 Heer des unterdrüdten Standes. 


Im Talten Rußland irrt’ der Emigrant 
Mit feinem Feuerherzen lange Sabre; 

Das „Baterland, das feinen Sohn verbannt, 
Gewährt ihm nun die heimathliche Bahre. 


Nun ruhe aus von Deiner Lebenöflucht, 

Du unentwegter Kämpfer der Erfenntniß. 

Du Iandetelt in ſtiller Friedensbucht — 

Uns führt Dein Lied zum herrliden Verſtändniß. 


Es wird Dein Geiſt in unfrer Mitte fein, 

Menn wir das „Lied der Petroleure” fingen, 

Es wird den Feinden in den Ohren Dein 
„Wohlan, wer Recht und Wahrheit achtet”, klingen. 


Ein Denkmal brauchſt Du nicht. Das feteft Du 
Dir ſelbſt im Herzen aller Gleichgefinnten, 

Du führeft und dem lichten Morgen zu 

Und Deine Lieder werden welter zünden. 


AN 
Sweites Aufgebot. 


(Zwidau, 24. Aug. 1899.) 


Dis träumt Ihr ſchon, der Frühling athme freier, 
Derweil Ihr noch mit einem Auge Tchlaft? 

Der Menfchheit eine Hälfte fteht im Feuer, 

Indeß die andere trauert noch verfflant! 

Noch herrſcht der Mann, noch tft die Frau nicht frei, 

Noch bilden die Gefchlechter die Partei — 

Solang die Frauen noch im Felde fehlen, 

Wird wahre Freiheit nie die Welt befeelen! 


Die Freiheit jelbft ift ja ein Weib! gebären 
Soll fie den Frieden, der dad Glüd verbürgt. 
Was wir erfitreben, wollen wir gewähren, 
Damit fein Falke mehr die Taube würgt. 
Gerechtigkeit! ertönt des Schwachen Schrei 
Und eine halbe Wendung macht nicht frei — 
Solang die Frauen noch im tyelde fehlen, 
Wird wahre Freiheit nie die Welt befeelen! 


224 


Adolf Lepp. 


Erſt ſei das Weib erlöſt, daß unſre Söhne 
Geläutert werden von der Mutter Hand! 
Erſt fall' die Feſſel, die das Hehre, Schöne 
Zum Schaden der Entfaltung ſtets umwand! 
Frei ſei die Frau, die Lebensſpenderin! 

Dann zieht die Freiheit durch die Länder hin. 
Solang die Frauen noch im Felde fehlen, 
Wird wahre Freiheit nie die Welt beſeelen. 


Horch! die Leibeig'ne reckt bereits die Glieder 

Und klirrt mit ihren Ketten zornerfüllt — 

Zu Hilfe kommt den Schweſtern, muth'ge Brüder: 
Nicht Halbe Arbeit, nur die ganze gilt! 

Wenn erft dad Weib zu feiner Geltung kam, 
Veiticht e3 die Zaudernden empor zur Scham — 
Wenn nicht die rauen mehr im Felde fehlen, 
Wird wahre Freiheit bald die Welt befeelen! 


4 
Skurm. — 


(Swidau, 21. Sept 1899.) 


Wormärıs Bolf, mit voller Rraft! 
Vorwärts mit gefällter Lanze! 

Eine Breſche zeigt die Schanze 

Und des Feindes Muth erichlafft. 

Aus den Gräben, Pioniere! 

Eu'r Geſchäft tft abgethan! 

Die Piqueure rafch voran! 

Vorwärts! vorwärts, Musquetiere! — 


Blößen gab ſich längſt der Feind, 
Daß er ftände, fein Gedanke! 
Faßt ihn fräftig in der Flanke! 
Borwärts, aller Kraft vereint! — 
Spiel’, Muſik, die Marjeillaife! 
Tambour, wirble auf zum Sturm! 
Sprengt des Feindes Pulverthurm 
Unter Audorf's Laſſallaiſe! 


Brüder, wendet Euch nicht um! 

Groß und ſchwer ſind die Verluſte, 
Manch ein Herz verröcheln mußte 

Und ſo mancher Mund ward ſtumm — 
Vorwärts, Brüder, nicht zurücke 

Auf das Opfer, das da fiel, 

Sondern auf das hehre Ziel 

Wendet jetzt die muth'gen Blicke! — 

















Adolf Lepp. 


Rinder, Ha! Der Tag war heiß — 
Unf’re Feinde fochten zähe, 

Mann an Mann, in Auges Näbe, 
Was noch fommen mag, wer weiß! — 
Vorwärts rihtet Eu’re Waffen, 

Unfer winkt ein Seal: 

Seht, die Freiheit fteigt zu Thal 
Für den Frieden Raum zu jchaffen. — 


% 


> Alam. — 


(10. Ott. 1899,) 


D: fleinfte aller deutfchen Chanfoniere 
Tritt vor Did, Volt und ſpricht Di alfo an: 

Haft Du noch nicht gen “an der Mifere, 

Die Dich entnerpt, die Schleihend Did umfpann?! 
Willſt Du dir noch das Zuchthaus öffnen ſeh'n?! 
Und iſt dies Joch noch länger auszufteh'n?! — 

Empor, o Volt, und wahre Deine Ehre, 

Bevor's um Deiner Freiheit Neft Sefzheh) n! — 


Wär ih ein Simfon, könnt’ ih Säulen ftürzen! 
Wär’ ich ein Herwegh oder Freiligrath, 
Ich wollte fühn den Kampf der Knechte fürzen 
Mit Donnerton, mit rafder Männerthat! — 
Ström’ aud, mein Lied und ruf’ die Streiter wach! 


Die Flamme glüht, bift Du auch Klein und ſchwach! 


erfpreng’ der Schlinge Knoten, den fie ſchürzen! — 
Empor, 0 Volk! allüberall Verrath! 


Die großen Männer. 


(90. Yug. 1899.) 


& Salate, fagt man, hatte Schwächen, 
Wer möchte dem wohl widerſprechen! 
Die hatte Meiſter Göthe auch! 
Denn ſchwach zu fein, ift Menſchen Braud. 


Mie dürft Ihr drumm den Einen tadeln 

Und wiederum den Andern adeln! 

Der Menſch bleibt Menſch, und menſchlich fein, 
Büßt nichts an Geifteögröße ein. 


— 


15 


225 


226 


nn — 


Ibendſenfʒzer. 


(Waldheim, 24. Yan. 2874.) 





Stille — Stille! — 
Anke Dich geliebtes Weib, nun aus 
Bon des Lehen Efel, Harm und Sorgen! 
Zieh’ mir nicht die Stirn verdroften kraus! 
Bilt in meiner treuen Hut geborgen! 
tille! 


| Leiſe — leiſe! — 
Neife, Töne, daß fie nicht erwadt! — 
Störet niht der Müdgehebten Schlummer! 
Freud’ und Frieden fchlürft fie in der Nacht, 
Und am Tage teilt fe meinen Kummer. — 
j eife! — 


Lächle! — lächle! — 
Es betrüge Dich ein Schöner Traum! 
Eine Täufhung birgt das ganze Leben! 
Gieb' der Zuverfiht vermehrten Raum 
Und des Herzens Kränfung fei vergeben ! 
| Lächle! — 


Träume! träume! — 
Traum ift Glück und Wirklichkeit ift Roth, 
Deine Jugend durftelt Du verjcherzen? 
Und du birgit — noch tft für drei nit Brod! 
Unf’rer Liebe Kleinod unterm Herzen! — 
Träume! — 


Stille! ftille! — 
Laß e3 kommen, laß e3 leben auf! 
Mögen mid) die Sorgen d’rum bejtürmen! 
Will erringen, was ih für Euch brauch', 
Diefe Arme werben Sud beihirmen! — 
tille 


— 


ER 
Das Buchverbot. 


wei Büchermacher — ein Poet 

Und Einer, der fonft nichts verfteht, 
Als kraß zu Ichildern Mord und Brand — 
Die reichten einſtmals fih die Hand. 


„Run?“ frug der Dichter ganz betrübt, 
„Haft Du Did in Geduld geübt? 

Wie geht’3 mit Deinem Schundroman, 
Der zieht wohl ſchwer die Käufer an?“ 


Adolf Lepp. 


„Oho!“ Jacht da der Andere auf! 
„Dein Schundroman ift längft im Lauf! 
Ab geht er wie da3 liebe Brot, 

Das macht das — Polizeiverbot!“ 


Der Dichter ſchleicht ſich ſtill davon 

Und ſpricht zu ſich im dumpfen Ton: 
„Es geht mit meinem Buche ſchief —“ 

Dann feßt er fih und jchreibt den Brief. 


„Berehrteiter Herr Staatsanwalt! 
Verbieten Sie mein Buch recht bald! 
Es mag nit zieh’n, dad Publikum 
Sucht Contreband' — ich bitt’ darum!“ 


un 
— — nno 1898. —— 


(Verfolgung wahn.) 
Frucuzminiſter in Audienz. 
Was bringen mir Eure en 


„Majeltät! Der neuen Prägung Proben! 
Ihre Eleganz it ſehr zu loben.” — 


„So weilen Sie den Goldfuchß her?! 

Klebt er denn au den Fingern fo jehr? 

Sie möchten wohl glei) das Spielding behalten? 
Sieh’ da! nun können Wir wieder fchalten.” — 


„Die Prägung entfpriht der Neuzeit Bedarf: 
Die Inſchrift ift zierlih und lesbar ſcharf: 

Ihr Bildniß, Site, iſt wohlgetroffen: 

Hübſch länglich das Ohr, der Mund halb offen.“ 


(Da griff nach dem Halſe ſich der Monarch.“ 
„Verdammt! Die Täuſchung iſt gar zu arg — 
Ich muß an Ludwig den Sechszehnten denken 
Und mich in ſeine Geſchichte verſenken. 


„Das iſt ja mein höchſteigener Kopf, 

Vom Rumpfe ſo ſchön —328* am Kropf! 
Soll ich das nehmen als Vorbedeutung, 
Daß Mein Prozeß ſchon in Vorbereitung? — 


„Meine Unterthanen Hafen Mich ſehr — 
Bolizei! Baitoren! Soldaten her! 

Schon rütteln die Murrenden an den Thoren — 
Hilf Himmel, Mein Kopf! Ich bin verloren —!“ 


Br 


227 


15* 


228 


Adolf Lepp. 


Al Refolution. ar 


92. Mug. 1898.) 


ür die Armen und Cnterbten brech' id) 
Meine Lanze unentwegt im Streit; 
Für die Wahrheit denke, dichte, ſprech' ih, 
Iſt ihr Kelch auch voller Bitterfeit. — 


Auch die Sklaven haben ihre Gößen, 
Die man umgeftraft nicht reizen darf! 
Mie der Armen Boten mich verleßen, 
Mir das Herz zerdoldhen, |pi und ſcharf! 


Für Die Freiheit werd’ ich ewig kämpfen, 
Bis die Gögendämmerung zerrinnt. — 

Soll ich meine Nächitenliebe dämpfen, 

Weil die Menſchen blöde Tröpfe find?! 


Mögen drum die Sklaven den Befreier 

ud erkennen in der Kerfernadt, 

Ihnen Schlägt mein Herz nur um fo treuer, 
ALS der Fteberwahn fie elend madt. 


Und fie werden von dem Alperwachen, 
Folgen ihres Rufers fühner Bahn! 
Und ich werde ihres Frevels Lachen, 
Hab’ ih meine Schuldigfeit gethan. — 


Wenn fie ihres Geiftes Schwingen regen, 
Ihre Feſſeln fprengen voller Muth, 
Werd' ih mich befriedigt Tchlafen legen, 
Weiß ich fie in ſelbſterſtarkter Hut. 


—— 
Kraft und Schwäche. 


(3. Sept. 1899.) 
in Fürft, ein Staat, ein Inſtitut, 
Der — da3 auf fefter Baſis ruht, 
Salt nicht von einem Tadel um 
Und revandirt ſich gar nicht d'rum. 


Menn eine Größe Race übt, 

Sich feiner Blöße ſchwach ergieht, 

zu feinem Schuß den WBüttel rief, 
a3 tft fein gutes Creditiv. 


Sr 





Adolf Lepp. | 229 


Gewitterwolken. 


(28. Aug. 1899.) 


te tft die Luft gewitterfchwer, 

Als wollte fie erplodiren! 
Der Domner grollt von ferne her, 
Als käm's vom Kanoniren! 
Der Himmel leid ein Thränchen weint, 
Dieweil die Eonne trüb erfcheint, 
Die Blige zuden grell und wild — 
Das, Seele, iſt Dein Spiegelbild. — 


Was mir im Leben froh geladit, 

Ich hab’ es früh verloren, 

Als wär’ ich von dem Gott der Nacht 
Zum Härmen auserforen. 

Auf lauter Gräbern wand!’ ich hier, 
Es faßt mi an mit Sterbegier — 
In's müde Herz ein Stüddhen Blei, 
Dann wär’ mit einem Mal vorbei! — 


Mas ich geliebt in diefer Welt, 

Das Fatum hat's zerbroden. 

Der Reſt zerbröckelt und zerfällt, 

Das Urtheil iſt geſprochen. 

Ich ſteh' daneben, ſeh's mit an — 

O! daß ich nicht entrinnen kann — 
In's wehe Herz ein Endchen Stahl, 
Dann wär's vorbei mit einem mal. — 


Doch darf ich denn im Eigennutz 

Das Uebel noch verſchlimmern? 

Der Unſelbſtänd'gen einz'gen Schutz 
Und Zufluchtsort zertriimmern?! — 
Denn wenn ich jelbft der Qual entrann, 
Mas wird aus meinen Mailen dann? — 
Mich hält gebieterifch die Pflicht, 

Ich ftürbe gern und darf e3 nit. — 


= 
Enttänſchung. 


FE 28. Febr. 1890. 

PATE träumſt Du noch von Brudertreu? 
'S iſt alles Spiegelfechterei! 

Mas Hagft Du noch um ſchäbig Recht? 

Und auch das Gold iſt ſelten echt. 

Und willſt den Beſten Werth verleih'n? 

Das ſind ja Schatten! iſt nur Schein! 





Adbolf Lepp. 


—— — ———— — TIL — —— — x 


Und pochſt Du noch auf Männerwort, 

Es führt den Schall die Welle fort — 
Und hoffſt auf Duldung Du und Schuß? 
Die Quinteſſenz beißt Eigennug. 

Und Gleichheit jucheit in der Welt 

Du, den man ewig niederhält ? 


Du bettelft um der Liebe Lohn, 

Du Thor! Die Liebe tft ja Hohn! 

Und auf die Freundfchaft it Du baun? 
Uud Täufhung nimmt Du für Vertrau'n! 
Und an der Wahrheit hältit Du feit, 

Die Did zum Lügner werden läßt! 


Und von der Freiheit träumft Du noch, 
Die Did auf's Neue fpannt in's Joch? 
Dir ward er offenbar der Trug, 

Und zweifelft nod) und wirſt nicht klug, 
Und klammerſt Dich an's Ideal, 

Das vom Idol geborgt an Strahl? 


Du Thor! befangen noch im Traum! 
Dein Hirngeſpinnſt zerrinnt zu Schaum; 
Und alles, was Du Dir erdacht, 
Erſtarrt zu Reif in einer Nacht — 
Durch's —53— dringt der Sonnenſchein, 
Ernücht're Dich! Du biſt allein. — 


* 
Fur Reimkunſt. 


13. Sept. 1899. 
Kolege Reimſchmied, Du wirſt mich verſteh'n! 
Nur Stümper find wir zwei Beide! 
Wir follten zum Heine in bie Schule mal geh'n, 
Du hätteſt d'ran Deine Freude! 


Du leimſt keuſch auf deutſch — das reimt ſich ja nicht! 
Wir Deutſchen ſind ſcheinkeuſch, das merke! 

Und was ſich nicht deckt, das giebt kein Gedicht: 

Der Einklang verleiht uns die Stärke. 


Mein Heinrich Heine war weit uns voraus, 
Er wußte den Reim auf uns Deutſche! 

Er ſah das Nationalzuchthaus voraus 

Und — die gemeinſame Peitſche. 


——— 
SPESEN 


Adolf Lepp. 231 


Armer ente Suf. 


7. März 189. 


— — — — — — 
— ——— = u 


rme Leute jollen lieben, 

Liebe ift ihr einzig Glück; 
Ohne fte wär’ unfer Leben 
Eine öde Wüſte eben, 
Ausſichtslos für unfern Blid. — 


Eine freundlihe Oaſe 

Schließt fih in der Liebe auf; 
Heimiſch fühlt fih da der Flüchtling 
Und fie bietet ſelbſt dem Züchtling 
Ein Aſyl im Lebenslauf. 


Ford're nicht, daß der Euterbte 
Sid des legten Glücks entichlägt! 
Zur Verzweiflung faſt getrieben, 
ft ihm noch ein Sporn geblieben, 
Daß er feine Bürde trägt! — 


Neihe Menſchen mögen haſſen, 
Mögen unempfindlich fein. 

Doc die Sympathie der Seelen 
Armen Leuten wegazuftehlen, 

Iſt ein Raub am Sonnenfcein. 


Nehmt dem Armen feine Sonne, 
Und fein Herz verfinft in Nacht. 
In der Nacht weht die Hyäne 
Des Verbrechens ihre Zähne 
Und der Sarkophag erfradt. — 


vo 
Die ſchwarze &ifte. 


2. Oft. 1338, 


ie Haben mid in Schwarzen Liften ftehen, 
Weil ih von Herzen frei heraus gefproden, — 

Darf ih mir die Geſellſchaft drin bejehen 
Und fragen, was jediweder drum verbrochen!? 
Was treff’ ih da in dem Verzeihniß an?! 
Das find ja lauter unbeſcholt'ne Namen, 
Geachtet und geehrt von Jedermann, 
Darunter einige verdiente Damen! — 
Mit ſolchen Leuten gleichgeftellt zu fein, 
Das kann ich mir ja nur zur Ehre fchäßen! 
Geſchieht es auch aus Bosheit, bitte, feßen 

- Sie mid ein zweited Mal hinein! — 


ar 


232 | Adolf Lepp. 


&! Ber befte Adi. a 


9. Sept. 1908. 


Dn König ftarb, der Prinz beftieg den Thron. 
Ein Mißvergnügter machte feine Gloſſen; 

Der Staatsanwalt erhob darob verdroſſen 

Den Strafantrag — ein feiner Anfang ſchon! — 


Der Fürft gebot fofort, als er’3 erfuhr, 

Den finitern Strafantrag zurückzuziehen; 

Er wünſche, daß die Bürger all gediehen, 
Und das geſchähe in der Freiheit nur! 


Die Liebediener fagten es voraus: 

Mill jih der Herr fo ungekränkt geberden, 

Wird er gefliffentlich beleidigt werden, 

Seine Großmuth. fordert ja den Spott heraus!” — 


Nur, freilich, kam's ganz anderd hinterher! 
Der König hatte, weil jo hoch gefonnen, 
Im Sturm die Herzen Aller fi geivonnen, 
Und es beleidigte ihn Niemand mehr. 


wo 
Si Der Augnblik. ie 


13. Yug. 1899. 


& 

Deitgenoffen, unſ're Seit 
Sit eleftriih zündbar, 

Sie enteilt mit Schnelligkelt, 

Ungehemmt, unfündbar. 


Flüchtig ift der Augenblid, 
Koſtbar ſein Geheimnis, 
Keine Macht führt ihn zurück, 
Fiel er der Verſäumniß. 


Kurz iſt die Sekunde zwar, 
Zuckt empor ſo plötzlich, 

Wie der Blitz, verhängnißklar, 
Scheidend unerſetzlich. 


Birgt ſie doch in ihrem Schooß, 
Dramen und Tragödien, 

Birgt ſo manches Menſchen Loos, 
Laßt ſie zu Euch pred'gen! — 


An 








Adolf Vepp. 233 


Line Gottes Kegende. 


11. Dez. 1898, 


Sat Himmeldfenfter fpähte Gott heraus: 

„Rad bauen da die Menichen auf der Erde?“ 
Sankt Michel ſprach: „Für Dich ein neue Haus.” 
„Und wiflen fie, ob ich’3 beivohnen werde?” — 


Sankt Michel ſprach: „O Herr, die Wohnungdnoth 
Wird drunten nachgerade unerträglich! 

Kein Obdad für die Armen und fein Brod! 

Der Winter naht, drum leiden fie unſäglich.“ — 


„And haben fie nicht Felder für die Saat? 
Und Steine, um fih Häufer zu erridten! — 
Das dumme Menfchenvolf, zu faul zur That! 
Wenn fie nichts Schaffen, mögen fie verzichten.“ 


Sankt Michel ſprach: „Aus Steinen fie erbau'n 
PBaläfte für die Erdengögen Speicher, 

Darinnen das Getreide aufzuftau'n — 

Der Volk verarmt, die Reichen werden reicher.” 


„Und fchweigt dad Volk und nimmt die Kränkung hin, 
Anftatt die Hergerniffe zu entfernen 2!“ 

„O, Herr, man unterjodht den freien Sinn 

In Kirchen, Kerfern und Kaſernen!“ — 


„Sie bauen Kirchen immer mehr und mehr, 
Darinnen Did) um’ täglich Brod zu bitten, 
Als ob die Erde minder furdtbar wär’, 
Weil Millionen an Enterbung litten! 


„Kafernen bauen fte für die Arınee, 

Dem Volfe anzulegen Zaum und Zügel, 
Bäumt c3 empor in zormgemuthen eh, 
Beſchwichtigt man's mit ſchonungsloſem Prügel. 


„Und Kerker baut man für den Widerſtand, 
Der Hin und wieder ſchreitet in die Schranken, 
Und wer die Füflilade überftand, 

Den Inebelt man und ftuget ihm die Pranken.“ 


„Weshalb zeritört das Volk die Schanzen nicht, 
Die feine Millionen unterjochen ? 

Weshalb vertreibt e3 feine Echranzen nicht, 
Warum Hat eö die Ketten nicht zerbrochen?“ — 





i Wolf Ben. 


— — — — — — — — — — 
nn 





Sankt Michel lächelt. „Herr, fie rennen blind 
In ihr Berderben, ichmieden felbft ie Ketten, 
Mit denen fie nachher gefeflelt find! 

Herr, gieb fie auf! Wir können fie nicht reiten. 


„Die Kerker, die Kaſernen bauen fie 

Sich felbit zum Trotz, auf Ordre ihrer Dränger, 
Und jedem Schmeidyelwort vertrauen fie, 

Wird auch das Regiment tagtäglich ftrenger. 


„Dad Heer, das jened Volk im Zaume hält, 
Es refrutirt fid) aus des Volkes Söhnen, 

Und wenn durd) Sohned Hand der Vater fällt, 
So hört er fterbend no) die Dränger höhnen !“ 


Als Michel ſchwieg, trat eine Paufe ein. 

Dann ſprach der Herr nachdenklich: „Diefe Thoren! 
Sie Sollten auf der Welt zu Haufe fein, 

Und haben nun da3 Fundament verloren! 


„Ich pflanzte Liebe in ihr Herz. doch Haß 

Scho b’rin empor in unfruchtbaren Garben, 

Ich Teg’ne ihre Flur ohn' Unterlaß, 

Sie plündern fid) und pfänden fi und — darben. 


Wenn ihre Herzen feufch geblieben, ja, 

In reinen Menichenherzen möcht id) wohnen! 
Mit ihren finftern Kirchen hie und da, 

Sie Sollen endlich nid) Damit verſchonen!“ 


arihe 
— Die Standesehre. — 


28. Juli 1899, 


Di: „BSold’nen Jugend” wird zur Pflicht 
Die Paukerei: fie ſchießt und ftidht; 
Der Baukfonvent erklärt für feig 
Ten, der nicht reagirt ſogleich 
Ein Schimpfwort fordert ſchon heraus, 
Den Nichtpaukiſten ftößt man aus, 
Denn, er verlegt die Standesehre! — 


Wenn ſich der Arbeitsmann vergißt, 
Und rüpelhaft und rüdig ift, 
Gleich iſt zur Hand die Polizei 
Und paddelt den Erregten bei. 
Und wer da ſchießt und ſticht, der kann 
Sich gratuliren! — Armer Mann, 

Du haſt ja keine Standesehre! — 








Adolf Lepp. 


—— — — —— ⸗ — — — — — 


Die reichen Aerzte fordern gar 
Ein ſtark erhöhtes Honorar; 
Sie machen Streik, und in der That 
Berlangt’3 bon ihnen: der Senat. 
Die Staat3-Raifon den Streifern fröhnt, 
Der „Arbeitäwillige” wird verpönt. 

Denn — er verlegt die Standedehre! — 


Wenn wir bei niederm Arbeitslohn 
Erichlaffen in der langen Frohn 
Und machen Streif und fordern meht, 
Winkt Polizei und Militär. 
Mit Zuchthaus droht ınan ung, fobald 
Berruf erfolgt und Hinterhalt. — 

Wir haben ja feine — Standedehre! — 


Wenn wir ein muthig Wort gewagt, 

Das den Bedrüdern nicht behagt, 

Sp fperrt man und auf lange Zeit 

Zur Buße in das Sträflingsfleid. 

zu ſchmaler Koſt und hartem Zwang 

Srtönt des Wärters rauher Klang. — 
Wir Haben ja feine Standedehre! — 


Menn aber einer jener Scaar, 
Die zwar ftet3 Elein, doch mächtig war, 
Mal ftolpert gar zu töbelhaft, 
So ift für ihn die Feitungähaft. 
Die Holde Seele nimmt den Schwung 
(entgegen der Begnadigung, 

Bonmwegen der großen Standedehre! — 


fs 
=: Spfer-Rand. = 


8. Oft. 1899, 

So ragt der Schlot und d'raus hervor 
Quillt ſchwarzer Rauch und qualmt empor, 

Sp ferzengrad’, wie Abels Rauch — 
Gefällt die Opfer droben uuh? — 
Schrill ruft ein Pfiff zur Mittagsraft. 
Die Fröhner ſammeln fih in Hait 
Sm Hof und fenden in's Comptor, 
Zu tragen ihr Begehren vor. 
Kaum hat der Chef fie angehört, 
Springt er vom Seſſel auf empört. 
„Ihr feid entlaffen! Geht und fagt: 
Mer aufbegehrt, wird forfgejagt!” — 


236 





Adolf Lepp. 


Beftürzt vernimmt die düft’re Schaar 
Die ſchroffe Botfchaft, Hipp und klar 
Ein Murren ging dur ihre Reih'n: 
„So ftellen wir die Arbeit ein!” — 


Doch eh’ fie noch Beſchluß gefaßt, 
Ertönt ein Schrei — die Schaar erblaßt, 
Und drängt zurück gm Arbeitöfaal, 
D’rin windet fih ein Weib in Qual. 


Ein junges, ſchönes. blafjed Weib, 
Zerfetzt mit blutbefledtem Leib, 
Das fich geopfert in der Frohn, 
Für harte Brod und kargen Lohn. 


In Furcht vor dem Verlauf, fie war 
Zurüdgeblieben von der Schaar, 
Mar zögernd tim Betrieb verweilt, 
Und raſch von dem Geſchick ereilt. 


Sp jung und ſchön und voller Kraft, 
Und ſchon vom Tod dahingerafft! 
MWie man fih au um fie bemüht, - 
Es tft umfonft — das Leben flieht. 


Und um dad Opferlamm herum, 
Steh’n die Gefährten, ftarr und ſtumm, 
Sp äußert ſich Gewitterruh' — 

Und eben tritt — der Chef herzu. 


Und Sprit: „Durch eig’ne Schuld! wer hieß 
Sie bleiben, als man fie entließ ?! 

Nun beuten es die Wiegler aud 

Und bringen.in Verruf dad Haus!“ 


Ein Murren dur die Räume rollt, 

Und grollt, wie ferner Donner grolt — 
Dann wieder ward es bänglich ſtumm, 
Als ſchlich ein böfer Geiſt herum. 


So wandeln forglo3 ihre Bahn, 

Die Reihen über den Bulfan, 

Seh’n nicht, wie’3 drinnen glüht und glimmt, 
Bis es ein ſchmählich Ende nimmt. 


Hoch ragt der Schlot und d’raud empor 
Aufwirbelt’3, wie im Trauerflor; 

Ein, Menſchenopfer war gebradjt 

Dem Göten, der und elend madt. — 


SM. 


Adolf Vepp. 237 


Weß Brot ih eh, deh is ih fing. 


Ron garft’gen Sprüden in der Welt 
So jehr kein einz’ger mir mißfält, 

Als der mit feinem. Wortgefling’ : 

Weß' Brot ih eß', deß' Lied ich fing’. 


Denn freder ftimmt fo Ieicht fein Spruch, 
ALS diefer da für Lug nnd Trug, 

Für Vormundfhaft und Nafenring — 
Weß' Brot id eß', deß' Lied ih fing. — 


Wer ihn als Loſung ſich erkor, 

Verſchloß der Wahrheit Thür und Thor; 
Er knüpft dad Recht an den Beding: 
Weß' Brot ich eß', dep’ Lied ich fing’. 


In feigem Knechtesſinne muß 

Er opfern Luft und, Liebeskuß, | \ 
Muß ſchätzen Weib und Rind gering — 

Weß' Brot ich eß’, dep’ Lied ich fing’. 


Ihm glühet nicht der Sonne Gold; 
Stein filbern Sternlein dünkt ihm Hold; 
Er rechnet bei des Mond’3 Geblinf: 
Weß' Brot id eß', deß Lied ich fing’. 


Mer diefed Wort im Ernite fagt, 

Hat feiger Selbitiuht ſich verklagt; 
Wir ſchätzen ihn mit Recht gering — 
Weß' Brot ich eß', deß' Lied ich fing’. 


sc 
— — Yimmermehr! — 





ör ich's grollen? 
Das iſt der Lawine Rollen! 
Leif’ vom Firne ſtäubt es los, 
Um im Fallen 
Sich zu ballen, 
Und ſo wird es rund und groß. 
Niederwärts, von fern erflimmerud, 
Raſt das Unheil, nur zertrümmernd, 
Screderregend, brauſt's einher! 
Giebt es ein Dawiderftemmen? 
Läßt fih dad Verderben hemmen? 
Nimmermehr! 


238 





Avoit Leon 


— — — 


Wie die Quelle 
Wirft von oben Well' auf Welle 
Aus dem Felſen in die Schlucht, 
Unaufhaltſam 
Sturzgewaltſam 
Schleudernd ſich in ſteter Flucht — 
So die Flüſſe thalwärts fließen, 
Ströme ſich in's Meer ergießen, 
Aufzugehn im Weltenmeer; 
Scheint die Woge gleich gehoben, 
Lenkt ſie das Gebot noch oben 
RNimmermehr! 


Wenn am Himmel 
Die Gewalten ihr Getümmel 
Hüllen in des Schreckens Nacht, 
Knatternd, braufend, 
Niederſauſend 
Der Empörung grauſe Pracht. 
Jähe Blitze leuchtend züngeln, 
Feur'ge Schlangen niederringeln, 
Und der Donner brüllt einher. — 
Kannſt Du den Naturgefegen 
Eine feſte Schranfe feßen? 
Nimmermehr! 


Mag es bligen! 
ier zertrümmern, dorten nüßen! 
hne Opfer feine Schladt. 
Ob zum Leben 
Fug gegeben, 
Du nur zeigft es, wilde Jagd. 
Wird am Weg ein Wurm zertreten, 
Drüber Hin, ohn’ Schamerröthen ! 
D, der Würmer gibt’3 ein Heer! 
Nah des Halberwürgten Klage, 
Um gefränfte Rechte frage 
Nimmermehr! 


Wenn die Kleinen 
Krümmen fi) zu dürfen meinen, 
Achte, Großer, nicht darauf! 

Dieje Leben 

Sind gegeben, 

Daß Du regelit ihren Lauf! 


FR EEE 





Adolf Lepp. oe 239 


— — — — — — — — — ——— — 
ZI I — ñes * - m — — 


Soll ich in die Kleinen, Schwachen 
Zürnend meine Donner krachen?! 
Oder ſoll ich — mein Gewehr 
- Bon mir werfend — weiterjagen, 
Statt den Widerſpruch zu wagen?! 
Ninmermehr ! 


Auf der Stelle! 
Borwärts! Wider Sturm und Welle! 
Des Gedanken? Schwert gezückt! 
Halt. ihr Knechte! 
\ Raum dem NRedite, 
| Das ihr eilern eingeftridt ! 
Kämpfend will ich unterliegen! 
Noch im Sterben will ich fiegen! 
Mer erfordert Gegenwehr! 
Unredt dulden, und zu ſchweigen, 
Für den Fußtritt mid) verueigen: — 
Nimmermehr! 





ER 


&ied der &Kiberalen. 


Un was wir im tolliten Jahre eritrebten, 
Ein einiges Deutihland, wir haben es nun! 

Heil und, die die goldene Hera erlebten! 

Wir können auf unferen Lorbeeren ruhn. 

Mir haben Bismard al3 Schirm und Schild! 

Wie hat fih doch Alles fo herrlich erfüllt! 


Sedankenfreiheit und zollfreie Rede 

Sit freilih nur Freunden der Ordnung erlaubt! 

Der Pöbel, verharrend in ewiger Fehde, 

Man gibt ihm den Maulkorb und ſchlägt ihn auf's Haupt. 
Und aber wird jedes Begehren geftilt — 

Wie hat fi) doch Alles fo herrlich erfüllt! 


Die Läft’ge Zenfur ift gänzlich verſchwunden, 

Die reihstreu Preſſe verfteht ihren Ton! 

Zwar hat man auf’3 Neue wohl Ruthen gebunden, 
Tod nur für die Preſſe der Oppofition. 

Mir find nicht die Gegner zu ſchützen gewillt — 

Wie hat ſich doch Alles — fo Herrlich erfüllt! 


Das Ruder handhaben wir Baterlandöfreunde 

Und unſer find Würden und Orden und Amt! 
Doh Zügel und Zaun für des Vaterland Feinde! 
Die ſeien zu Knebel und Kerfer verdammt! 

Die find Taum zu bänd’gen, geberten ſich wild — 
Wie Hat ſich doch Alles — fo herrlich erfült! 











240 Adolf Lepp. 


Wir find dad Volk der Zucht und Sitte! 

Wir werfen zu Boden bie große Nation! 
Doch friedlih marfhiren mit eifernem Schritte 
Wir an der Spike der Ziviltfation. Ä 

Drum haben ein herrliche Heer wir gedrilt — 
Wie Hat fih doch Alles — fo berrlid erfüllt! 


Zwar um unfer Deutſchland zufammenzuhalten, 
Da brauchen wir Geld und abermals Geld! 
Denn wenn fid) die fträubenden Kräfte zerfpalten 
So find wir betrogen, fo find wir geprellt, ’ 
Das Volk ift die Opfer zu fpenden gewillt — 
Wie hat fih doch Alles — To herrlich erfüllt! 


Drum Steuern und Zölle und wiederum Steuern, 
Wir haben zu ſchrauben und preffen den Muth! 
Und ob wir dad Brot aud) beitändig vertheuern, 
Das Volk iſt gefällig, geduldig und gut 

Und hungert der Pöbel, der Reichsetat ſchwillt — 
Wie hat fih doch Alles — fo herrlich erfüllt! 


++ Schablone. 


n er mır was Tücht'ges leiſten thut, 
Dem geht ed Schon auf Erden gut” — 
Singt Jemand mir zum Hohne. 

Ich aber fing’: Es iſt nit wahr! 

Den Ausfchlag gibt — und das iſt klar: 
Schablone! 


Was gut und tücdhtig tft allein, 

Kann heut’gen Tages nicht gedeihn, 
Ihm wird die Dornenfrone! 
Denn der Erfolg Hebt an der Form — 
Und Unterwerfung heißt die Norm — 

Schablone! 


Die edle Dichtkunft ſchreitet auch, 

Die Bruft heraus! herein den Bauch! 
Sm Schritt der Bataillone; 

Es patſcht die edle. Malerei 

Durch Sflavenblut und Bratwurftbrei — 
Schablone! 


Es ift ein Zeichen unf’rer Zeit: 
Die Lüge ſich der Gunft erfreut 
Und fteht in hohem Lohne; 


Adolf Lepp. 241 


Die Wahrheit gilt als Antichrift, 
Meil fie aus Fürftenhand nit frißt — 
Schablone! 


Ein Alligator „Freiheit“ Treifcht, - 

Sa, Freiheit, Die Gewalt erheilcht, 
Humanem Recht zum Hohne; 

Die Krofodile niden ftumm 

Und jehen ih nah Opfer um — 
Schablone! 


Am Beiten auf der fchönen Welt 
Dem Tagediebe es gefällt, 
Am Rhein und an der Rhone; 
Die Früchte reifen ihm zum Schmaus, 
Und giebt er die Parole aus — 
Schablone! ' 


Ob ich mit meinem Morgenlied 

Mich nicht um den Verlag bemüht ? 
Du fragft im Bauertone — 

O ja, der fret’ften Druderei 

Mar meine Mufe nod) zu frei — 
Schablone! 


A 
Das vaterlandslofe Sefindel. 


13. Juli 1898. 


Di Patrioten fchelten 
Und find aud Rand und Band — 


Wem ſoll die Rache gelten ? 

"Dem Feind im Baterland ! 
D’rum ſchnür' getroft dein Bündel, 
Du vaterlandölofes Gefindel! — 


Doch zahlet feine Steuern, 
Ob zwar im finftern Trotz, 
Und Hilft die Seite ar 
Die anberaumt der Bro — 

Und drehet Spul’ und Spindel 
Das vaterlandöloje Gefindel. 


Es bauet die Gebäude 

Für Fürſt und Patriot 

Und geht im rauben Kleide 
Durch feine herbe Noth, 

Das ſtets folgfame Kindel, 

Das vaterlandsloſe Geſindel. 





Nbolf Ben. 


- [I — — — —— — — 72 — — — ñ⸗zs 


Es ſchlägt der Fürſten Schlachten 
Und ſchirmt das Vaterland, 

Und läßt ſich drum verachten 

Und wird vom Tiſch verbannt, 
Als läg’3 noch in der Windel, 
Dad vaterlandßlofe Gefindel. 


Doch nein! Aus Märchenträumen 
Der Kindheit ſchreckt's empor 

Und ſchreitet ohne Säumen 

An's Tageslicht hervor — 

Es hat durchſchaut den Schwindel 
Das vaterlandsloſe Geſindel. 


Stiefvaterland entwöhntes, 

Es fordert dich zurück, 

Und dein vom Mob verpöntes 
Kind kämpft um ſein Geſchick. 
Sein Erbe will das Mündel, 

Das vaterlandsloſe Gefindel. 


* 
—— : Ber Paſtor. — 


bete! o bete mit inir, mein Sohn! 

In Demuth und Wehmuth vor Gottes Thron! 
Bott gebe dir Glauben und Frömmigkeit 
Und Himmlifches Glück für irdiſches Reid” — 


„„Ich will aber nichts vom himmliſchen Glück! 
Erobern will ich die Erde zurück! 

Herr Paſtor! Herr Paſtor! es thut mir leid: 
Ich habe zum Beten keine Zeit!““ — 


„O danke, o danke dem Geber dort 
Für ſein zu Fleiſch gewordenes Wort! 
Er hat dich von allem Uebel erlöſt, 
Den heiligen Geiſt dir eingeflößt.“ — 


„„Von allem Uebel? Das ſeh' ich nicht ein! 

3 hferrſcht der Hunger mit zwiefacher Pein! 
Herr Paſtor! Herr Baftor! für farge Brot 
Zu danken, das hat feine Noth.“ — 


„Knie nieder, knie nieder, id) giving ge dic! 

Der Herr ift zugegen und fchlägt dich durch mich! 
Du bift verblendet, du wardit verführt, 

(rleide die Strafe, die dir gebührt!" — 


Adolf Lepp. 243 


·—— — — — — — — 
ö— — — —— — — — 





„„Ich denke: wir ſeien erlöſt von der Sünd'? 
Ich laß mich nicht ſchrecken und bin kein Kind! 


Herr Paſtor! 
Ich habe zum 


„Verloren! verloren! 


err Paſtor! Das fehlte mir juſt! 
teen feine Luſt.““ — 


Die Seele dein! 


Du wirft, wenn du ftirbit, in der Hölle fein! 
Es ſchleicht ein brüllender Löwe herum 
Unh raubt die Lämmer dem Chriſtenthum.“ — 


„„Der brüllende Löwe, der bilt Du! 

Zap mich mit Deinem Gefhwäg in Ruf’! 
Herr Paſtor! Herr Baltor! ih fage Dir: 

Die Hölle ift Schon auf Erden hier!““ — 


wREs> 
— — der Bauer. = -—— 


Der Bauer, ja dem Bauer, 
Das Leben wird ihm fauer, 
Dem Bauer, der das Feld 
Fürs ganze Volk beitellt. 


Des Morgen? erfte Röthe 
Trifft ihn am Nübenbeete; 
Des Tages letztes Roth 
Beicheint fein Abendbrot. 


Und jeder neue Morgen 

MWedt ihn mit neuen Sorgen; 
Der Schutzzoll ſchützt ihn nicht, 
Wenn er zufammenbridt. _ 


Dog rüftig fämpft er wieder 
Die Nahrungdforgen nieder 
Und beimft die Ernte ein 

Und denkt: die Frucht fei fein. 


Doch tft fein Feld verfenilbet 
Und feinen Aufſchub duldet 
Der ‚gräbliche Termin, 
Sobald die Weizen blühn. 


— predigt der ger eher 

Den alten Duldungsknaſter, 
Der Nachbar Gutöherr lacht 
Bet Hypothek und Badıt. 


Ein Ader nad) dem andern 
Muß nach dem Gute wandern; 
Der Bauer wird zum Knecht, 
Das iſt dem Reichen recht. 


Halloh, wach auf, Du Bauer, 
Aus Deiner dumpfen Trauer. 
Du ſchaffſt uns Allen Brot 
Und leideſt ſelber Noth. 


Was kauerſt Du Dich nieder 
Im Rücken Deiner Brüder? 
Wir reichen Dir die Hand; 
Schlag ein, o Bauernſtand! 


Zur Nothwehr zu gebrechlich, 
Zur Abwehr, ach! zu ſchwächlich, 
Du mußt verloren ſein, 

Bleibſt Du für Dich allein. 


Doch alle Mann für Einen! 
So müſſen wir erſcheinen 
Im Selbſterhaltungskrieg, — 
Und unſer iſt der Sieg. 


— 


16° 


244 . Adolf Lepp. 


I RKeränderfr Kurs. E 


16. Aug. 1899. 


Wenn fih die Männer wie Rinder geberden, 
Zum Gaudium der „Gönner“ zu Kindern werden, 

In bunten Schärpen einheritolziren 

Und wunderliche Enbleme führen, 

Soldaten fpielen und Feuerwehr, 

Und ſtolz fih fühlen als Militär, 

Feſtreden reden und Hurrah brüllen, 

Den doppelten Durft mit -Begeifterung ftillen, 

Mit Orden, Borden und Schleifen tändeln 

Und mit dem ftillen Denker anbändeln — 

Dann lächeln bie Herren gar ftillvergnügt, 

Froh, daß ſich dad Närrchen freiwillig fügt. — — 


Wenn aber die Männer fi) muthig reden, 
Gerathen die „Gönner“ in Wuth und Schreden, - 
Wenn wir und verftänd’gen und ftarf vereinen, 
Da Vorrecht der Reichen mit Nachdruck verneinen, 
Wenn wir mit unf’rer geſammelten Kraft 

Reſpekt unſ'rem Freiheitsbegehren verjchafft, 

Und wenn wir unſer Urtheil fällen, 

Forderungen an die Gewalthaber ſtellen, 

Und wenn wir Ideale verfechten 

Und unſ're Frauen und Kinder entknechten — 
Dann lächeln die Protzen durchaus nicht mehr, 
„Das Volk will uns trotzen?! Das Zuchthaus her!“ — 


— 





£udwig Pfau. =: 


Karl Ludwig Pfau wurde am 25. Auguft 1821 als Sohn eines Gärtnerd 
zu Heilbronn geboren. Nachdem er das Gymnafium feiner Vaterſiadt befucht hatte, 
ging er nad) Paris, wo er ald Gärtner arbeitete und ſich zugleid mit dem Stubium 
der frangöfif—en Sitteratur beiäftigte. Wieder nad) Deutihland zurüdgekeßrt, be: 
fügte er die Univerfität Tübingen und gründete im Jahre 1848 in Stuttgart das 
Wigblatt „Eufenfpiegel“. Pfau murde mährend der Revolutionsftürme in den 
Landes aus ſchuß gewählt, bald darauf in einen Hochverrathsprozeß verwickelt und 
entzog fi) der drohenden Berurteilung durch Flucht in die Echmweig. 1852 ging er 
wieder nad Paris und von da nad Brüffel und Antwerpen. 1866 rebigirte er in 
Stuttgart den demofratifchen „Stuttgarter Beobachter“. Er ftarb am 12. April 1894 
in Stuttgart und murbe in Heidelberg durch Feuer beftattet. Pfau ift Lyriter vom 
faft erfchöpfender Vielſeitigkeit der angefchlagenen Töne. Aus feinen volkslieder- 
artigen Gedichten bliden Ealfaitigfeit, vermifgt mit Herzenswärme, Humor und 
Sinnigkeit. Seine politifhen und fogialen Gedichte find wichtige Reulenihläge gegen 
alles Anehtifhe und Kleinlide. Die politifhen Gedichte Bfau's befränten fih auf 
den Zeitabſchnitt der Revolutiond: und Realtionsperiode der vierziger und fünfziger 
Jahre und befunden oft eine den Cmanzipationäbeftrebungen des vierten Standes 
verwandte Tendenz. Dies bringt er beifpielömeife recht ſchoͤn in dem fechften feiner 
Slüctlingsfonette zum Ausdruch mo er Gott die Worte in den Mund legt: 

Euch alle wird der Rache Feuer frefien, 

Die ihr verfehmeigt die Fülle meines Bornes, 
Die ihr verzehrt den Segen meines Kornes, 

Daß ich der ganzen Menſchheit zugemefjen. 


.r 








33) Feihnachtslied. exe 
Den deutſchen Arbeitern in Paris zum Beicherungsfeit. 
1859. 


In Kreiſe froher Weihnachtsgäſte 
Sei uns gegrüßt, o Lichterbaum! 
Berheißung Hrahlten deine Aeſte 
Mandy’ kindlichem Erlöjungstraum. 
Doch was wir mild Beſchertes fanden, 
Wie ſtolz das Halleluja Elingt — 
Der Heiland tft noch nicht erftanden, 
Der in die Welt die Freiheit bringt. 


Wohl folgten, Lieder auf den Lippen, 

Die Weilen Bethleh'ms Leuchte gern; 
Wohl lag dad Kindlein in der Krippen, 
Doch war fein Stern ein Wandelſtern. 
Die heitern Strahlen flohn und fchwanden, 
Wo ſchwarzer Wahn die Schleier ſchlingt — 
Der Heiland ift noch nicht eritanden, 
Der in die Welt die freiheit bringt. 


Umfonft mit feines Burpurs Falten 
Bededt der Gott das Büßerkleid: 
Die Gnade mag im Himmel walten, 
Die Erde braucht Geredtigfeit. 

Die Liebe zwingt mit neuen Banden, 
Ob auch die alte Feflel ſpringt — 
Der Heiland ift noch nicht erſtanden, 
Der in die Welt die Freiheit bringt. 


Kein Jenſeits kann den Helfer ſenden, 
Den Chrift fängt jede Mutter groß; 

Die Menjchhelt muß mit eignen Händen 
Erkämpfen ſich ihr irdiſch Loos. 

Er kommt in rußigen Gewanden, 

Der Retter, der die Hölle zwingt — 
Der Heiland iſt noch nicht erſtanden, 
Der in die Welt die Freiheit bringt. 


248 


—Ludwig Pfan 


Erfenntniß beißt die BundeSlade, 

Die Pahrheit giebt und Tugend Ichafft; 
Und Arbeit heißt die Wirkungsgnade, 

Die und erlöft — dur unfre Kraft. 
Wann wir den Erbfluch überwanden, 

Der Hand und Hirn der Noth verdingt — 
Dann ift der Heiland auferftanden, 

Der in die Welt die Freiheit bringt. 


Schon pflanzt der Getft, der Ueberwinder, + 
Der Arbeit großen Weihnachtsbaum, 

Um den die Völfer einft, wie Kinder, 

Sich ſcharen unterm Himmeldraum. 

O Weihtag! wann der ob den Landen 

Die rief’gen Lichteräfte ſchwingt — 

Dann tft in jeder Bruft eritanden 

Der Heiland, der die Freiheit bringt. 


SH 
——— Schutzenlied. —— 


1347. 


Dr befte Schüße, den man weiß, 
Das ift der Wilhelm Tell: 

Das Aug’ fo Scharf! das Herz fo Heiß! 

Die Hand fo ftet und fchnell! 


In hoher Luft der Weih im Flug, 
Das war ihm Kinderſpiel; 

Doch feinem Pfeile bald genug 
Fand er ein höher Biel. 


Als ſchwer bedrängt fein Vaterland, 
Ging er auf andrer Spur: 

Zum Himmel hob er feine Hand, 
That einen heil’gen Schwur. 


Mer fnechtet und, der niit von Erz? 
Vogt, edles Wild, herbei! 

Hei, wadrer Schüß, den Pfeil ins Herz! 
Das Vaterland ift frei! 


Wie glüh'n die Alpen ftolz im Kreis, 
Bon ew’ger Freiheit heil! 

Der beite Schüge, den man weiß, 
Das ift der Wilhelm Tell. 


— — 7 - UT — «_ 


Ludwig Pfau. 249 





ee) König Sumbug. & 


1847. 


ch bin ein Fürft, dad ift mir Klar, 
Warum? das ift mir dunkel: 
Sie pflanzten ind gejalbte Haar 
Mir halt der Krone Funkel. 
Nun werd’ ih, wo ich geh’ und fteh’, 
Mit Majeftät beladen, 
Und bin vom Wirbel bis zur Zeh’, 
Bon lauter Gottesgnaden. 


Den Tag tung! ih mit Gähnen an, 
Doch ſchwitz' ich im Theater; 
Drum beißt der treue Unterthan 
Mich auch den Landeöpater. 

Die Braven ſä'n ımd fchanzen baß, 
Mir ernten, wo fie adern; 

Ein König iſt ein theurer Spaß, 
Den zahlen fich die Wadern. 


Sie gönnen mir dad warme Neft, 

Se gig meinen Winfen, 

Laß ich fie nur bei Lied und Feſt 

Fur Recht und Freiheit trinken. 

Zum „Denken“ geb’ ich ihnen Zeit 

Im Schank bis nachts um zwölfe: 

Was thut’3? — ein Schaf wird nie gefdeit, 
Das ift der Troit der Wölfe. 


BIS 
Des Sängers Heer. 


enfer!” jchreit der König wild, 
"35 „Greifet mir den Sänger! 
Schänden meine Krone blant 
Soll fein Mund nit Tänger. 
Morgen bift du zahm und ftunm, 
Alter Rattenfänger ! 
Rufſt nicht mehr im Land herum: 
Freiheit! Freiheit!“ 
Stolz im Tode ſteht der Greis, 
Und mit Lächeln ſpricht er: 
„Wer das Wort nicht töten kann, 
Tötet nicht den Dichter. 
Heil euch, ew'ge Lebensluft, 
Ew'ge Himmelslichter! 
Schreien werd ich aus der Gruft: 
Freiheit! Freiheit! 





Ludwig Bau. 


en — — 


Wogend Volk! mein Rachelied 

Will ich dir vererben: 

Wort iſt Kraft und Kraft iſt That — 

Schlag den Thron in Scherben! 

Wenn die Freiheit leben joll, 

Muß der König fterben — 

Weh ihm! wenn der Ruf erfholl: 
Freiheit! Freiheit!“ 


Und der König ſteht und lauſcht — 

Ferne Wetter zanken; 

Dumpfed Murren in der Luft, 

Und die Wipfel ſchwanken. 

Näher, näher brauft der Chor 

Stürmender Gedanten ; 

Donnernd ſchlägt es an fein Ohr: 
„Freiheit! Freiheit!“ 


„Web! das Schredenswort findet mid) 

Selbit im Kreiſe der Zecher; 

Höhnend trinkt des Sängers Lied 

Mit mir aus dem Becher. 

Nachts wenn ich zu Bette geh’, 

Ruft es frech und fredier — 

Morgend wenn ih früh aufiteh’: 
Freiheit! Freiheit!“ 


Durch Gemach und Halle ſtreicht 

Klingendes Verderben; 

Milltonen Stimmen ſchon 

Stud ded Sängerd Erben —” 

„Wenn die Freiheit leben foll, 

Muß der König ſterben; 

Weh dir, weh! dein Maß tft voll: 
Freiheit! Freiheit ! 


Helf mir Gott! in Fleiſch und Blut 

Nah'n des Alten Lieder; 

Taufendfüßig jeder Ver? 

Nedt die eh’rnen Glieder.” 

Bon ded Sängers Lied gefällt, 

Stürzt der König nieder; 

Ob dem Toten jauchzt die Welt: 
„Freiheit! Freiheit!“ 


2 














Bu Ludwig Pfau. 





— u — — 


— —die letzte Kuh. — 


VNigt länger kann ich dir's verbergen, 
Mein krankes Weib, ſo weh mir's thut: 

Heut kommt der Weibel mit den Schergen 

Und pfändet unſer Hab und Gut. 

Verfallen iſt in lang die Steuer, 

Der Preſſer Iprad) ſchon dreimal zu; 

Xeer ift der Keller, leer die Scheuer — 

Seht geht es an die legte Kuh. 


Ihr Futter Hab’ ich aufgetrieben, 

Am Waldfaum nachts beim Mondenfcein ; 
Der Jäger Hat mid aufgejchrieben, 

Die Strafe fommt noch Hinterdrein. 
Vergebens hab’ ich wie ein Knabe 
Geflennt beim Amtmann heute fruh: 








Die Mil) war deine einz’ge Labe — 


Und das tft unf’re lebte Kuh. 


god! Schritte fommen durch die Gaſſen, 
Gott! man tritt in unfer Haus. 

Soll ih es ftill geſchehen laſſen? 

Nein! nein! ich werfe fie hinaus. 

Dod) wär’ vergeblidy, mich zu wehren — 
Man gönnte mir im Thurme Ruh’: 

Die Obrigkeit, die follft du ehren — 

Und nimmt fie dir die letzte Kuh. 


Horch! Horch! die Stallthür ift gegangen, 
Nun treten fie zur Krippe ber; 

Schon iſt die Kette losgehangen, 

Sie raflelt auf dem Boden fchwer. 

Das thun fie in des Königs Namen, 

Da wage einer fich herzu! 

Sp möge denn die Hand erlahmen — 
Die fortführt unf’re letzte Kuh. 


Sa, ja! bei Hof find hohe Gäfte, 

Ein Lager ſchlugen fie im Feld; 

Da giebt ed Bälle, Spiele, Feſte, 

Drum braudt der König auch fein Geld. 

Da ſchwelgen fie vergnügt im Freien, 

Das Bolt kommt ohne Strumpf und Schuh’ 
Den Herren‘ „Vivat Ho!” zu fchreien — 
Und uns holt man die leßte Ruh. 





252 





. Ludwig Pfau. 


—— — —ñ —— —— 
ö——— —— — — — — —— — 





Fort zieht man ſie dort an der Kette, 
Wie's treue Thier ſo Häglich ſchreit! 


Weib, weine nicht in deinem Bette, 


Es ift ja unfre Equldigfeit: | 
Der König will fih Iuftig machen, 

Drum, armed Weib, verſchmachte du! | 
Die Herren Prinzen wollen laden — 

Und koſtet's unf’re legte Kuh. 


N. 


——— ger &eitemeber. — | 


1847. 


De bleiche Weber fist am Stuhl, 
Er wirft mit matter Hand die Spul’ — 
nid, Inad! — 

Er hebt den müden Fuß zum Treten: — 

„Herr Gott! Seht kann ih nimmer beten — 
Knick, knack! — 

Du Linnentuch, du Linnentuch! 

Ein jeder Faden ſei ein Fluch!“ 


Es webt und webt ſein morſcher Leib, 

Am Boden liegt ſein ſterbend Weib — 
Knick, knack! — 

Die Noth fit bei ihr, fie zu pflegen, 

Der a geept imn ihr noch den Segen — 


Du Linnentuch, du Linnentnd)! 
Ein jeder Faden fet ein Fluch! 


Der erite Fluch für unjern Herrn! 

Sufla! ©0 Ta Ipringt m mein Scifflein gern — 
inid, 

Er darf am len Tifche Iungern, 

Wenn wir am Webeftuhl verhungern — 
nid, nad! — 

Du Linnentuch, du Linnentuch! 

Ein jeder Faden fei ein Fluch! 


Und einer für den Pfaffen gleich, 

Der uns beripridt da3 Himmelreid — 
nid, knack! 

Mir follen —— und verderben, 

Das heißt die Seligkeit erwerben — 
Knick, knack! — 

Du Linnentuch, du Linnentuch! 

Ein jeder Faden ſei ein Fluch! 





Ludwig Pfau. 253 


Der gaben hier fei dem verehrt, 

Der Kugeln un? ftatt Brot beſchert — 
Knick, nad! — 

Dem hohen Herrn von Gottes Gnaden: 

O werd' ein Strick, du ſchwacher Faden! — 
Knick, knack! 

Du Linnentuch, du Linnentuch! 

Ein jeder Faden ſei ein Fluch! 


Die Lampe, wie ſie plötzlich loht! 
Gottlob, mein Weib, nun biſt du tot — 
ick, knack! — 
Das iſt der Tod in unſ'rem Leben, 
Daß Pe Bahrtuch ſelber weben — 


ck! 
O könnt' ich weben, Fluch um Fluch, 
Der ganzen Welt ein Leichentuch!“ 


BL 
&ied vom Brohnenkönig. 


3 war in einem Bienenſtaat 
Ein edler Drohnenkönig, 
Der Iedte Honig früh und fpat, 
gatt Helfer gar nicht wenig. 
r nippt’ herum, er tippt’ herum, 
Er madte nit ald Summ und Brumm — 
Der König, der war gar nicht dumm, 
Der feifte Drohnenkönig. 


Da wurden aud die Bienen Klug 

Und fpraden: „Drohnenkönig! 

Du frißt aivar "Honig grad genug, 
Doch Ihafft du viel zu wenig. 

Mir ſummen dir auf dein Gebrumm, 
Mir pfeifen auf dein Gaudium — 
Wir Völker find nicht mehr fo dumm, 
Du fauler Drohnenkönig!“ 


Die Bienen fpießten Kunz und gut 

Den edlen Drohnenkönig, 

Berzehrten ihren Zuder ut 

Und hatten nicht zu wenig. 

Sie braten all’ Die Sippigaft um, 

Da half fein Summ, da half fein Brumm — 
Die Hatten Halt fein Chriftenthum, 

Du armer Drohnenkönig. 


I 


254 u Lu dw ig Pfau. — BE 


- —— — — 
— [m — —— — — — — — — — —ü — — — — 


Sur Schrechenszeit von 1849. 


hr Herrn auf Euren goldnen Stühlen, 
Die ihr geſät habt blut'ge Saat, 
Schredt ihr nit auf, wenn euern Pfühlen 
So mander bleihe Schemen naht? 
Wie wird euch, wenn fi mitternächtig 
Der neue Tag vom alten trennt, 
Und wenn die Zukunft wetterträdjtig 
Empor am Morgenhinmmel brennt? 


Ihr wagtet es, der treuen Erde 

Biel wadre Herzen zu vertraun, 

Und bebt nicht, daß er Teimen werde, 
Der rothe Samen, euch zum Graun? 
Ha! Ihaffen wird fie allgewaltig, 

Die Erde jetzt, mit und im Bund, 
Bis daß die Erde taufendfaltig 
Heraufbricht aus dem blut’gen Grund. 


Die Bäume finden’3 in den Schollen, 
Was ihr verfharrt Habt unter'm Rain: 
Nun brauft das Rachelied mit Srollen, 
Das Lied der Toten, dur den Hain. 
Die Vögel haben’3 nachgefungen, 

Die Wind’ und Wellen rauſchen's nad); 
Die Welt erzählt mit taufend Zungen 
Bon ihrem Ruhm und eurer Schmad). 


Wohl ruhn fie ſtumm auf ihren Wällen — 
Sp wird verftummen euer Hohn, 

Menn aud den Gräbern der Rebellen 
Emporwädft die Rebellion. 

Weh euch! ein Schwarzes Blut wird fließen, 
Um diefe Löniglide Saat 

Mit würd’gem Taue zu begießen, 

Wenn jener rothe Frühling naht. 


Erbebt auf euern goldnen Stühlen, 
Die Gräber ſelbſt verſchwören ſich, 
Die Toten ſelbſt in ihrer kühlen 
Behauſung, ſie empören ſich. 

Ha! ſcharrt ſie nur, in blut'gen Loden 
Und ohne Sarg, in Wall und Hag — 
Die wollen ruh'n in freiem Boden 
Und warten nicht zum jüngſten Tag. 


SEE 


Ludwig Pfau. | 255 


3 Kirde. 


&s webt und rauſcht ein uralt beil’ger Hain, 
Die Kräfte fteigen ſchaffend auf und nieber, 


Die ew'gen Wafler ftürzen aus dem Stein, 


Und aus den Lüften tönen Frühlingälieder. 


Die Blumen fprießen ſchön und —— 
Die Wipfel breiten aus ihr Laubgefieder — 
Doch immer dringt der SPriefter Rotte ein 
Und fällt das freie Gotteöleben nieder. 


Sie fügen aus den Bäumen ſich ein Haus 
Und jagen Liebe, Lenz und Licht hinaus: 
Hier muß der Gott nad ihrem Willen Ieben! 


Dem Geift, der fi fein Wohnhaus felber fchafft, 
Erbauen fie die enge Kerkerſchaft — 
Ein Totenhaus, dem Leben Raum zu geben! 


a» 


A Briefter. ar 


We: find die Priefter, fo die Welt veredeln ? 
Sind’3 die Geſchornen, die den Segen geben, 

Die Hände fromm, die Augen frömmer heben 

Und wie entmannt, in Weiberröden wedeln? 


Sind’3 die Gefcheitelten mit Mudenfchädeln, 

Die Demuth pred’gen nnd in Hochmuth leben? — 
Wenn dad die Prieſter find, fo Tann man eben 
Auch ein Kameel in eine Nadel fädeln. 


Nein! die getrunfen vom GErlöfungstrante, 
Am Quell der Freiheit, die, ein Sterngedante, 
Hell durch der Völker Dunkeln Himmel zieh’n. 


Sie gehn ne und berfolgt durchs Leben, 


a3 ew’ge Licht der blinden Schaar zu geben, 
Und — heißt der Tempel, drin fie knie'n. 


ER 


256 


Ludwig Plan. 








++ Sande + 


9. Glaube wohneſt nicht in Kirchenhallen, 
Und an Altären biſt du nie gediehen; 

Du ſchüchtern Kind willſt dem Gedräng entfliehen 

Und unbelauſcht dein einſam Sprüchlein lallen. 


Du ſuchſt die Wälder, wo die Waſſer fallen, 
Du liebſt den Himmel, wo die Sterne ziehen; 
Die Bruſt nur, der des Zweifels Kraft verliehen. 
Magſt du, ein ſtiller Friedenshauch, durchwallen. 


Wo Prieſter drohn und Gift und Galle ſprühen, 
Da ſtehſt du traurig an des Tempels Pforte; 
Da nahſt du nicht, wo feige Knechte beben. 


Wo freie Seelen für die Wahrheit alühen, 
Schwebſt du daher und ſagſt mit feitem Worte: 
Wer Ew'gem lebt, der wird auch ewig leben. 


Aa 
Das &ied von der deutſchen Freue. 


1849, 


Rs klingt ein Lied wie Orgelton, 
Das rühmen alle Kenner; 

Das krähn im Mutterleibe fchon 

Die deutichen Biedermänner ; 

Und wo ein Dichter Verſe fchmted’t, 

Da fingt man ftet3 auf neue 

Das alte Lied, dad ſchöne Lied, 

Das Lied von der deutfhen Treue. 


O deutfche Treu’ und Redlichkeit! 
gamilienfrug der Fürften, 
raus thun dem Wolfe fie Beſcheid, 
Wenn fie fein Gut verbürften. 
Aus unferm Honig ihren Pet, 
Den brau’n fie ohne Scheue; 
Wir fingen dann der Majeftät 
Das Lied von der deutfchen Treue. 


Gerathen wir einmal in Wuth 
Und rütteln an der fette, 

Läßt unfer Herr uns etwas Blut, 
Sanft, mit dem Bajonette. 


Ludwig Pfau. 257 


— — — — nn 





— — — — — —— — 
— — — — — — 


Geheilt ſind wir vom Fieber ſchon, 
Wir dankens ihm voll Reue 

Und ſingen dann in höherm Ton 
Das Vied von der deutſchen Treue. 


Der König winkt, wir ſind bereit 

Und waſchen uns die Köpfe, 

Und freſſen voller Biederkeit 

Uns auf bis auf die Zöpfe. 

Die Wedel laſſen wir zurück, 
Als wie die beiden Leue: 

Die wedeln noch den Takt, o Glück! 

Zum Lied von der deutſchen Treue. 


Der König lehrt uns Politik 
Ganz gnädig mit dem Kantſchu, 
Wir beugen ſelig das Genick 
Und küſſen ihm den Handſchuh. 
O gieb uns einen Tritt dazu! 
Daß unſer 003 fih freue: 
Sol’ ſchöne Strophe füge du 
Zum Lied von der deutſchen Treue. 


Das treuefte aa tft doch der Hund, 
Man Ienkt ihn ohne Zügel; 
Und Schlägt man ihm den Rüden wund, 
Sp ledt er ab die Prügel. 

umeilen wird er freilich wild, 

oh kriecht er ftet3 aufs neue: 
O Hund! du präditig Titelbild 
Zum Lied von der deutichen Treue. 


Ir 
— — du — 


[8 der Huß, der brave Böhme, mußt zum Scheiterhaufen gehen, 
Liefen alle guten Chriften, wollten ihn verbrennen ſehen; 
Alle frommen Pfaffen liefen, quälten ihn auf letztem Gange — 
Aber Huß beitieg die Sceiter feften Schritte mit Gejange. 


Noch einmal der großen, Haren Welt ſah er ind Angelichte, 

Labte noch die ferfermüden Augen an dem heil’gen Lichte, 

Als er jah ind Ewighelle, ſchon umzudt vom rothen Strable, 
Brad) aus ihn des Strebend Flamme alfo no zum legten Male! 


„Muß dies Herz in, Aſche finken, trieb es tauſend junge Ranten; 
Mag died Hirn im Wind verlodern, nicht verbrennen die Gedanken! 
Wenn ihr das Gefäß zerichlagen, wird der Geilt von dannen jaufen, 
Teflellos auf Flammenzungen durch die Welt im Sturme braufen. 
17 








258 Bu Lud w ig Pfe an. 





— — — — — — — 


Meines Glaubens Aſche in den Wind geſtreut nach allen Enden, 
Wird, ein Saatkorn, niederfallen, tauſendfältig Keime ſenden. 

Mögt ihr blinden Blender meine Lehre nur mit Feuer taufen! 
Neuverjüngt, ein Phönix, ſteigt die Wahrheit aus dem Scheiterhaufen. 


Eine Gans wohl mögt ihr braten, die Euch heut' ins Netz gegangen, 
Doch ein Schwan in hundert Jahren kommt, den werdet Ihr nicht fangen. 
Der wird in gewalt’gen Tönen euer Schwanenlied euch fingen; 

Und fein Kaiſer wird es wagen, ihm zu rupfen feine Schwingen.“ 


ALS die Hundert Jahr verflojlen, kommt die Zeit mit mächt'gem Pralle, 
Kommt der Schwan und beißt den Pfaffen fedlich ab die eine Kralle; 
Hat die Welt fchon halb gewonnen — wenn die Vögel fich befinnen, 
Wird, woll’3 Gott! ein Strauß jekt fommen und und noch den Reit 


gewinnen. 
AN 
— — Freiheit, die ich meine. · 


1818. 


Di: Freiheit ift fein Königsweib 
Mit goldgefrönter Stirne; 

Sn Qumpen büllt fie noch den Leib, 

Die vielverjtoß’ne Dirne 

Sie fißet nicht im hohen Rath, 

Der Worte madjt ftatt Thaten: 

Die Freiheit jchleiht auf öden Pfad 

Verlaſſen und verrathen. 


Sie ift auch feine Herrenmaid 

Mit Rofen in dem Haare; 
Diefgreiheit ift zum Kampf bereit, 
AmtArm der Broletare 

Sie: duldet feinen Heil’genfchein, 
Und mögt ihr fie aud) tadeln: 
Siezift gemein und bleibt gemein 
Und läßt fi immer adeln. 


Nur Seit es ſtets im Meften tagt, 
Will fie franzöfifch Ternen; 

Obwohl died vornehm fit, behagt 

Es nicht den Herrn mit Sternen 
Doc fie trägt Hoch den fchönen Kopf 
Und ruft mit ſtolzem Blide: 

„Ein Unterthan, das ift ein Tropf — 


Vive, vive la republique!“ « 


— — — — — — — — — a— 
m — — — —⸗ 


Ludwig Pfan. 259 


ö—— —— — — — ñ— e—⸗—[ i ⸗ 


— — | Sum 18. Harz, —- 


Rır dem Berliner Schloſſe 
Ertönt ein Trauerlied: 

Da liegen viel Hundert Tote, 
Sie liegen in Reih und Glied. 
Und Leid’ um Leiche tragen 
Die Bürger ftumm heran, . - 
ALS wollten fie fagen: König! 
Da fieh, was Du gethan! 


Da liegen fie, Mann und Knabe, 
Starr mit zerfeßten Leib; 

Da kommen jie weinend und klagend, 
Braut, Schwefter, Bruder, Weib. 
Da Schauen Väter und Mütter 
Die toten Söhne an —: 
Herrgott! und dad hat ein König, 
Ein deutſcher König gethan! 


Biel taufend Stimmen drohen: 
Der König muß herab; 

Er falutirt die Toten 

Und nimmt die Mübe ab, 

Da bluten all auf3 neue 

Dei ihres Mörders Nahn, 

ALS ſpruchen ſie: Das hat ein König, 
Ein deutſcher König gethan! 


Und viele werden’3 ſprechen, 
Biel taufend fern uud nah; 
Die Völker werden rächen 

Den Frevel, der geſchah. 

Auf Sturmeöfligeln bricht fi 
Durch Land und Länder Bahn 
DerZornſchrei: Das hatein König, 
Ein deutſcher König gethan! 


Meh! Volk, vom eig’nen Blute 
Sind deine Hände roth; 

Der Bruder fchlug den Bruder, 
Weil es ein Fürſt gebot. 

Ein großes Grab ſoll alle 

Sn feinen Schoß empfah'n; 
Drauffchreibet: Das hatein König, 
«in deutfher König gethan! 


Died Grab, es wird zum Grabe 
Der Lönigliden Macht; 

Die Blut gefüet haben, 

Die ernten eine Schladt. 

Sm Blute wird erftiden 

Der alten Treue Wahn! 
Gottlob! und das hat ein König, 
Ein deutſcher König gethan! 


BA 


>: Die nenen Griſpine. = 


D. alten PBfaffen, die laß’ ih in Ruh’, 
Die ftehlen doch noch den Reichen dad Leder 
Und flidten den Armen damit die Schuh’. 
Doch mit den Heut’gen bleibt mir zu Haus; 
Ob auf der Kanzel, ob auf dem Katheder, 
Ein umgefehrter Erifpin ift ein jeder: 
Zwar haben fie nicht verlernt da3 Gemaus — 


Doch ftehlen ſ 


ie jet den Armen das Leder 


Und mahen den Reihen Stiefel daraus. 


22 


17* 





Ludwig Bfaı. 


— — = = m 7772-72 -- 


>: Belbihilfe = 


1850. 


Wenn nichts mehr Hilft, wenn gar nichts mehr 
Errettet und verfängt, 
Hat uns der Herr die blanke Wehr 
Ss echt Shrief umgebängt. 
Er gab der Rofe ihren Dorn 
Und Galle jedem Blut, 
Er gab dem Mann den heil’gen Zorn 
Und die gerechte Wuth. 


Wohlan! ihr Schergen groß und Klein, 

E3 giebt ein neues Spiel: 

Nun fperrt einmal die Sonne ein, 

Den Mund jagt in Eril; 

Blaſt aus am Himmel Stern und Stern — 
Solang dad Licht noch wacht, 

Wird’3 immer wieder Tag, ihr Herrn, 

Auch nad der ſchönſten Nacht. 


Laft feh’n, 05 ihr im Wetter dann 
Bor unferm Zorn befteht — 

Den Dorn für zuch wenn's wieder an 
Ein Roſenbrechen g 

Mit ftahlnen Federn khreiben wir 
Den Freibrief, daß euch's graut, 

Mit rother Tint', ſtatt auf Papier, 
Auf eure Eſelshaut. 


Ar) 


—- — ran Moral. —— 


ie Moral ilt eine wadre Madam, 
Scert alleö über einen Kamm; 
Macht's wie der Dorfbarbier fürwahr: 
Wenn der den Bauern fchneid’t das Haar, 
Nimmt er ein holzen Schüflelein, 
Das ſetzt er jeden auf den Kopf, 
Set nun fein Schädel groß oder Klein, 
Und wa3 berborgudt von dem Schopf, 
Das fchert er ab wie nad) der Schnur; 
Da3 nennt er dann eine Haarfrifur. 


IR 











Ludwig Pf Pfau 





— den Biedermeier. a 


Mitglied der „befifenden und gebildeten Kaffe”. 
1846. 


aan, dort fpaziert Herr Biedermeier 
Und feine Frau, den Sohn am Arm; 
Sein Tritt ift fachte wie auf Eier, 
Sein Wahlipruh: Weder kalt 100 warm. 
Das tft ein Bürger hochgeachtet, 
a geiftlich Tpricht und welttie trachtet; 
Er wohnt in jenem ſchönen Haus 

Und — leiht ſein Geld auf Wucher aus. 


Gemäßigt ſtimmt er bei den Wahlen, 
Denn er mißbilligt allen Streit: 

Obwohl fein Freund vom Steuerzahlen, 
Verehrt er jehr die Obrigfeit 

Aufd Rathaus und vor Amt gerufen, 
Zieht er den Hut ſchon auf den Stufen; 
Dann aber geht er ftolz nah Haus 

Und — leiht ſein Geld auf Wucher aus. 


2 
Am Sonntag | in der Kirche fehlen, 
Das wäre gegen Chriftenpflicht! 
Da Holt er Labung feiner Seelen — 
Und ſchlummert, wenn der Pfarrer ſpricht 
Das führt ihn lieblich bis zum Segen, 
Den nimmt der Wadre frommt entgegen. 
Dann geht er ganz erbaut nah Haus 
Und — leiht fein Geld auf Wucher aus, 


Ah! Wandrer, die gen Welten ftreben ! 
Wie rühret ihre Noth fein Herz! 

Wohl fieht er fammeln, doch zu geben 
Vergißt er ganz in jeinem Schmerz. 

„Ihr Schickſal ruht in Gottes den!“ 
Spricht er — dann geht er auszupfänden, 
Nimmt einem Schulder Hof und Haus 
Und — leiht ſein Geld auf Wucher aus. 





Den einz'gen, hoffnungsvollen Sproſſen — 
Denn mehr, das wäre Ueberfluß — 

Den hält er klöſterlich verſchloſſen: 

Die Sünde ſtammt ja vom Genuß. 

Die Mutter führt ihr Küchlein ſittig 

Wie eine Henne unter'm Fittig; 

Sie ſorgt für ſtrenge Zucht im Haus 

Ind — leiht ihr Geld auf Wucher aus. 


261 


26 ———Ludwig Dfan 








D edles Haus! o feine Sitten! 

Wo jedes Gift im Keim erftidt; 

Wo nur gepflegt wird und gelitten 

Wa gern fi dudt und wohl ſich ſchickt 
D wahre Bildung ohne Spiken ! 

Nur der Beſitz kann did) beſitzen — 
Anſtand muß ſein in Staat und Haus, 
Sonſt — geht dem Geld der Wucher aus. 


wa 
— — Milifter. —— 


bilifter find fcharmante Leute, 
Immer die gleichen geftern wie heute. 
Immer diefelben, heute wie morgen, 
Die für ihren Nachwuchs forgen ; 
Die vor fremden Thüren kehren, 
Und im Schmuß die eignen laffen, 
Andern einen Trunk verwehren 
Und am offnen Spundlocdh praflen, 
Flecken zählen an den Andern, 
Aber felbit im Schlamme wandern ; 
Die Unendlichs mit Elfen meilen, 
So fie die Brille nicht vergeffen, 
- Wenn Baftillen ftürzen folen, 
Mit dem Stode ftügen wollen, 
Wenn man einen Kraftgedanfen 
Ihnen ſchenkt, wie Trunkne warten, 
Vor der Wahrheit hellen Scheinen 
Hinterm Sonnenſchirme greinen, 
Wo Begeiſtrungsflammen brennen, 
Mit der Feuerſpritze rennen; 
Die mit ihrer Dummheit prahlen — 
Aber bar bezaählen. 


Be 


—— Erbſünde. — 


Heigl nennt dn mich, Freund? du weißt nicht, wie vieles ich glaube, 
Die Erbfünde fogar ift mir hiſtoriſch gewiß; 

Meitergezeugt von Geſchlecht zu Gefchlecht, das ſchlimmſte der Uebel, 
Drüdt fie darnieder den Sohn wie fie den Vater erdrüdt; 
Hilft kein Gebet und Hilft fein Gebuß, denn die Urfünde Dummpeit 
Sit fatal wie der Tod: wächſt doch für beide fein Kraut. 


ww 

















Ludwig Pfau. J 26 


Flüchtlingsſonette vom Jahre 1849. 
. 


ch fenne eine Königin, eine Hohe, 

Der Krone goldne Flamme iſt entfacht 
Auf ihrem Haupt, um ihrer Schultern Pracht, 
Da fchlägt des Purpurmantel3 ftolze Lohe. 


So ſchreitet fie dahin, die Opferfrohe, 

Wie Lenzwind raucht Ihr Schleppklcid durch die Nacht, 
Und Könige halten unter Schreden Wadt, 

Ob fie mit ihrem nadten Schwerte drohe. 


Denn fommt fie, gilt fein altverjährter Raub, 
Wie künſtlich fi) der Räuber auch entfchuld’ge, 
Und Kronen fallen ab wie welfed Laub. 


Zum Löwen macht dad Lamm fie, das geduld’ge, 
Ind Throne finfen vor ihr in den Staub — 
Sie iſt die einz’ge Fürftin, der ich huld'ge. 


II. 


Wann weder Mond noch Stern am Himmel jdeint, 
Schleiht die verbannte Freiheit durd) die Lande 
Und ſetzt, verhüllten Hauptes, im Leidgewande 

Auf ihrer Kämpfer Hügel ſich und weint. 


„Ihr Helden, in der Kühle eingejchreint, 

Daß Euer Schlummer leicht fet unterın Sande, 
Bis ich euch wede mit dem Feuerbrande 

Des Kampfes, der euch den Lebenden vereint. 


Zu Bannerträgern hab’ ich euch erforen, 
Einſt grünen eure Kränze neu belaubt: 
Wer für die Freiheit ftarb, ging nicht verloren. 


Geſchenkt jeid ihr dem Wolfe, nicht geraubt: 
Ihr zieht im Kampf gleich blut’gen Meteoren 
Ob deren Häuptern, die euch tot geglaubt.“ 


III. 


Die Freiheit fprah: „Mich Ichiekt ihr in den Tod, 
Und meine Laken find des Volkes Rechte; 

So ſchlaf' ich, doch dem menſchlichen Geſchlechte 
Bleibt meine Mutter, die euch ſchwer bedroht. 


DD 


64 u 5 Ludwig Pfau. 


Umſonſt färbt ihr mit Blut die Feder roth: 

Die geht aus dem verlorenen Gefechte 

ALS Siegerin, haucht Muthfins Herz dem Knechte 
Und gibt dem Hunger Waffen anftatt Brot. 


Zu euren Felten fingt fie Schauerweifen ; 
Schaut eud) nicht un, den wie das Weib des Lot 
Eritarrt ihr ob dem Schlangenhaupt, dem greifen. 


Die Schredliche, fie fennet fein Gebot; 
Die bricht euch, Goldene, denn fie bridt Eifen: 
Kennt ihr mein Mütterlein? Ihr Name ift die Noth.“ 


IV. 


So ſprach der Herr: „Der Ofen meineö Zornes 
Iſt ſchon geichürt, er glüht glei einer Eſſen; 
Euch alle wird der Rache Feuer freilen, 

Die ihr verfchwelgt die Füllen meined Bornes; 


Die ihr verzehrt den Segen meines Kornes, 

Das ich der ganzen Menſchheit zugemeffen; 

Die ihr mit Gold und Luft eu Frönt, indeflen 

Dem Volt auf’3 Haupt ihr drüdt den Franz des Dornes. 


Ihr feid das Unkraut unter meinen Garben; | 
Doch ſchärf' ich Schon die Sichel meinen Schnittern, 
Und ſchon erglänzt mein Saatfeld erntefarben 


Weh euch! fahre ich hernieder in Gewittern, 
Dann fegn’ id) alle Herzen, die da darben, 
Bei euch jedoh wird Heulen fein und Zittern.” 


V. 


„Der ich den ſchnöden, Karl von England ſchon 
Um den gefrönten Kopf gemacht 9— kleiner; 
Der ich dem Ludwig dann, dem falſchen Greiner, 
Als Treppe ans Schaffot geſtellt den Thron; 


Der ich gefället den Napoleon, 

Der frech war und) gewaltig wie nicht einer; 
Der id den Thoren Karl, und dem, der feiner 
Als alle war, dem Philipp, gab den Lohn: 


Glaubt ihr, mein Zornesarm fei worden fhmwächer, 
Ihr Fürftlein, daß ihr alfo Hauft und tobt? 
Euch quetfh ih überm Haupt die goldnen Dächer. 





0 Pubiwig Ban. | 265 


— — — —— — — — — — — TS 


Se höher ihr auf Leichen euch erhebt, 
Je näher ſeid ihr dem gerechten Rächer.“ 
So fprad) der Herr; fein Wille fei gelobt. 


VI. 


„Gezählt hab' ich die Thränen meiner Lieben, 
Und all' die Seufzer meiner Menſchenherzen, 
Und all' die Hungerqualen, Kerkerſchmerzen, 
Und all’ den Blutſchweiß, den ihr ausgetrieben. 


Das alles Hab’ ich in mein Buch gejchrieben, 
Und bin bereitet nun, eud) audzumerzen; 
Ihr würdet fehen, und mwäret ihr auch erzen, 
Bon Drude eurer Sündenlaft zerrieben. 


Glaubt ihr die Völferherden, die verirrten, 
Hätt ich euch anvertraut, mit ihren Vlieſen 
Und ihrem Blut euh Schwelger zu bewirthen? 


Ihr habt ald Ungetreue euch erwieſen, 
Drum freſſe jegt dad Lamm den ſchlechten Hirten!” 
So fprad) der Herr; fein Name fei gepriefen. 


Fir 


Der Broletar. 


1349, 


Mas blühft du, Baum! was prangit du fo? 
Mein Weib liegt unterm grünen lei. 
Du Nachtigall! was Tchlägft du froh? 

Mein ſüßes Kind liegt auch dabei. 

Sie darbten, darbten mit Geduld, 

Bis fie zulegt geitorben find; 

Der Hunger hat fie eingelullt, 

Barmberz’ger ald ein Menfchenkind. 


Mein Vater F nach Weſten fort, 
Verjagt vonzder Beſiegten Schar; 
Zum Sterben fand er einen Ort, 
er alte, müde Proletar. 

Nein Mütterlein, das arme Weib, 
Das braudte feine Grube mehr; 
Sie fenkten ihren morfchen Leib 
Zur ew’gen Ruh ind tiefe Meer. 


— — {nn 


Wohl flüſtert noch der Lindenbaum 


Von Lenz und Luſt ob meinem Haupt 
Die Glocken ſingen wie im Traum 
Die Lieder, die ich einſt geglaubt. 

D Glaube! der da „felig macht“! 
Du Löftlich, tröftlih Angebind ! 

Wie haft du uns fo reich bedacht — 
Wenn wir einmal gejtorben find. 


Mein Weib liegt unterm grünem lei, 
Gefegnet jet die Ruheſtätt'! 

Mein füßes Kind Itegt auch dabei, . 
Sie lagen ſtets in einem Bett. 

Mein Vater zog, zu fterben, fort, 

Mein’ Mutter ward des Meeres Raub — 
Ich Tchüttle bald im fernen Port 

Bon meinem Fuß deu deutfhen Staub. 


O unglüdfelig Vaterland ! 

Dein Morgenlicht ift Abendrotb; 
Am Werkſtuhl dort die fleiß’ge Hand, 
Des treufte Herze bricht die Noth. 
Des Kummer Thräne ift dein Than, 
Dein Troit, das ift die Neue Welt, 
Das Elend reift auf deiner Au, 
Drum tft daS Grab dein beites ‘Feld. 


Du gleichit der Mutter, die ihr Gut 
Mit frechen Buhlen ſchnöd verpraßt 
Und betteln ſchickt ihr eigen Blut, 
Vor fremde Thüren jagt zu Gaſt. 
Gleiß nur und grüne wie ein Grab, 
Bedeck mit Blumen deine Schand'; 
Gieb her mein Erb', den Bettelſtab, 
Du unglückſelig Vaterland! 


Pr 











= Eduard Fuchs. 





Eduard Fuchs wurde am 31. Januar 1870 in Göppingen (Württemberg) 
als Sohn eines Mafginenfabrikanten gern, verbrachte feine Jugend in Stuttgart, 
wofelbft er die Realfgule und das Gymnafium befugte, um fid dann dem kauf 
männifen Berufe zu widmen. In ben Jahren 1891, 1893 und 1895 madte Fuchs 
geilen Fußreifen durch Deutſchland, Tirol, Schweiz, Ztalien und bie Baltanftaaten. 

jer Arbeiterbewegung ſchloß er fih im Jahre 1886 an; 1888 erfolgte feine erfte 
Berurtheilung (5 Monate) wegen Majeftätöbeleidigung, begangen durd; ein Flugblatt; 
1889 murde er megen Berbreitung verbotener Schriften wieder zu fünf Monaten 
verurtheilt. Im Jahre 1892 übernahm Fuchs die Rebaltion des „Sübbeutiden 
Boftilon“ in Münden, weicher er heute noch vorfteht. 1893 erfolgte fein Austritt 
aus der Landeskirche. Belannt ift feine Berurtheilung zu 10 Monaten Gefängniß 
im Jahre 1898 wegen Majeftätöbeleidigung. Fuchs ift Verfaſſer verfchiebener hiſtoriſcher 
Arbeiten, fpeziell auf dem Gebiete der politiihen Rarrifatur. Fuchs' dichteriſchen 
Arbeiten find im „Sübd. Poſtillon“, meift aber in feparaten Heften zum Abborud 
jelangt, außerdem in der Sammlung: „Aus dem Klaffenfampf". Seine Dichtungen 
ind außerordentlich gedankenreich und von bervorragendem dichteriſchen Schwung. 
In ber nädjften Zeit wird ©. Fuchs ein neues Epos unter dem Titel „Die Noth” 
in Separatabdrud erfcheinen laflen, deſſen erften Gefang (fiehe Seite 270) er und 
freundlichſt zum Borabdrud zur Berfügung ftellte. 








An die Bonrgeoife. 


3 giebt ein Muß in der Gefchichte, 

Das niemand hemmt in feinem Drang, 
Und diefe8 Muß mit feinem Stablgefichte 
Iſt der Entwidlung fteter Gang. 
Es zeigt den Jetztzeitspromethiten, 
Ob fie mit Hand, mit Kopf fi mühten, 
Wie rückſichtslos und unerbittlich Heute 
Da3 Alte mit der Neuzeit ſchwanger geht, 
Wie dies vor feiner Konfequenz je ſcheute, 
Wie es des Alten Schutt verweht. 
Und wir, die wir den Feuerſchein begreifen, 
Der jäh aufflammt am Horizont, 
Die wir das Brüllen hör'n, das Pfeifen, 
Das nicht den Singſang unſ'rer Zeiten ſchont; 
Uns gilt er als der Heroldsruf, 
Der Neuzeit Meldung, 
Der Wellenſchlag der Zukunftsbrandung — 


Ob ihr auch ſorglos auf den Kiſſen ſchnarchet, 
Mit geiler Brunſt die Dirn umſchlingt, 

Ob ihr mit frechen Lügenmäulern 

Ein hohes Lied von eurer Ordnung ſingt, 

Ob ihr zelotiſch das begeifert, 

Was eurem Geiſtesſumpf entflieht, 

Ob in den Koth von eurem Denken 

Ihr alles Edle niederzieht; 

Ob ihr, wie's eurer Klaſſe würdig, 

Verſucht das Neue todtzuſchweigen, 

Es zu bedrücken, zu belachen — 

Es kommt — und in dem hellen Zukunftsreigen 
Wird jede Schranke, Feſſel krachen. — 

Und wir, wir rufen trotzig Mr entgegen, 
Hohnlachend eurer tollen Wuth: 

„Sie fiegt und bringt den Armen ihren Segen, 
Und fihern Untergang der Vampyr-Brut!“ 


Br 





270 


Eduard Fuchs. 


— — 0. — IT ⸗ß— —ñ—— — — — 


BB Aus: Die Roth. Me 


ch bin die Roth! 

Gleih wie der Nachtfroft Blumenleichen erntet, 
Sp ernt’ ih Menfchenleichen, 
Und einen Bahrtuch glei) find meine Schwingen. — 





Dem blühenden Knaben an der Mutter Bruft 
Hauch ih des Siechthums gift’gen Odem ein; 
Der Holden Sungfrau, die zum Weib _erblüht, 
Flecht ih Ind Haar mit unfihtbarer Hand 

Die Grabesroſen mit ded Brautſchmucks Zier, 
Und Statt des Lorbeerd auf des Kämpfers Haupt, 
Leg’ auf den Echeitel ich die glühe Hand — 
Dein Segen wird zum Fluch. Die trogige Kraft, 
Die jedem Unrecht fühn die Spike bot, 

Zum dumpfen Knirſchen tit herabgedämpft. 

Und wer zu fchreiten wähnt’, fteifnadig ſtets 
Grad aus und feiten Blid’3, entgegen einem Ziel, 
Das ftolze Jugendkraft geftedt, dem bredy’ 

Das fteife Rückgrat ih entzwei, zermürb’ 

Die Knochen ihm, ich knet ihn durch wie Wachs 
Und form ihn um zur feigen Schlangenfreatur. 
Sch preß den Dichter mit dem Flammenherzen 
An meine etfig falte Bruft 

Und jene Flammen, die begeifternd lohten 

Wie Sonnwendfeuer einer neuen Zeit — 

Ich Löich fie aus. Zu Schutt und Afche 
Mandl id) Herd und Tempel 

Darin nad einem Funken Troft 

Umjonft die bange Hoffnung Ichürt. 

Und auf die Stirn, darauf in tiefen Furchen 
Des Hochſinnes Herrlide Gedanken Horften 
Gleich Sonnenadlern, die gewohnt, 

Sın goldenen Lichte fi) zu baden, 

Breit meine Schatten ih — und niederftürgt, 
Die mächtigen Schwingen jäh gefnidt, 

In öden Stumpffinn und in thierifhe Nacht 
Der Genius, der im ftolzen Flug 

Zur heißen Sonnenhöhe 309. — — 


Ich bin der Jäger, dem fein Wild entgeht, 

Das meinen Weg einmal gefreuat; 

MWahnfinn, Verzweiflung, meine flinfe Meute 

Sie heft’ ich jedem an die Spur, | 

Daß fie, wenn Phantafie ein ſchimmernd Trugbild webt 
Zerreißen es mit flinfen Zähnen. 




















—- — — — — — — — — 





Eduard Fuchs. J 271 








Und wenn der Schlummer mild Vergeſſen bringt 
Bon al’ dem Großen, daß er angeitrebt: 

Daß er zufammenbrad, eh’ er erflomm 

Nur eine Stufe von dem ftolzen Bau, 

Der feines Geiſtes kühnes Sehnen war, 

Auf deſſen Höh’ er Hiffen wollt’ 

Des Sieged Banner, daß ed rauſchend künd' 
Was er gewollt und daß er ed vollbradt — 
Dann fau’r ich brütend mid) zu ihm and Lager 
Und mifh ihm wirre Träume in den Schlaf, 
Daß er, wenn ihn der Schlummer faum umfängt, 
Auffchredt, und weiterfinnt mit müdem Hirn 
Bis meiner Rüden grimmigem Gebiß 

Er unentrinnbar endlid) doch zum Opfer fällt. 


TS, 
Die Sumpenkäthe. 


3 war nur eine alte Veitel, 
Ein längſt ergrautes Lotterweib, 
Sie lebte nur von Straßenbettel 
Und war des Elend? Zeitvertreib. 


Die meifte Zeit von ihrem Leben 

Mar hinter Schloß und Riegel fie, 

&3 war aud) dies ihr höchſtes Streben: 
Da brauchte fie zu betteln nie. 


Dort fand man fie an einem Morgen 

Am Eifengitter aufgehängt, 

Zur ew’gen Ruh half aus den Sorgen 
Ein Leintuchſtreifen, feſtgeſträngt. 


Kein Prieſter murmelte Gebete, 
Es tönet keiner Glocke Klang 
Und für die alte Lumpenkäthe 
War Schlüſſelraſſeln Grabgefang. 


Es war nur eine alte Vettel, 
Ein längſt ergrautes Lotterweib 
Sie lebte nur vom Straßenbettel 
Und war des Elends Zeitvertreib. 


ER 





Eduard Sud 





>» Shepficismns. a 


ie Fata morgana vom Himmelreichsglück 
Berfloffen if bor meinen Augen, 

In der Erfenntniß heil Ieuchtendem Licht 

Die Götter mir Fängft nichts mehr taugen. 


Bor denen id einft auf den Knieen gerutfcht, 
Ste Itegen in Scherben am Boden, 
Mit rüftigem Denken erricht ich mir nun 


Jest neue an Stelle der todten. 


Und ſchau ich die neuen Göttergeitalten, 

Der Alten hell lachende Erben: 

„Wie lange?” zieht höhnend es durch mein Gehirn, 
Und aud) fie, fie liegen in Scherben. 


A 
— Korbrehen. —— 


Die einen zetern bon Unmoral, 
Die andern von fchwerer Vererbung, 





So Zonftruiren beide genial 


Im Nu eine Thatfachenfärbung. 


Daß man die Statiſtik in's Auge fagt, 
Das hat es ja gar nicht nöthig, 

Wenn's nur in das richtige Schema paßt, 
Iſt jeder zum Schwindel erbötig. 


Aus dieſem Grund iſt die Quinteſſenz: 
Hier Fatalismus, dort Bibel — 

Das ABE der Rettungseſſenz 

Für jedes Geſellſchaftsübel. 


SU 


Srmahnung. 


eb' immer Treu und Redlichkeit 
Im Dienſt des Kapitals, 
Ob du auch ſelbſt zu Grunde gehſt 
Sm Huungerjoch des Baals. 
Des Deutſchen Pflicht: Knechtſeligkeit, 
Treib bis ans fühle Grab, 
Dann gehſt du einſt zum Himmel ein 
Als deutſcher Meufterfnab. 


— 














Eduard Fuchs. — 


+ Faſching. * 


ie Arbeitsloſen müd gehetzt 

Hungertyphus müſſen koſten 
Frierend an die Luft geſetzt 
Lechzen ſie nach Arbeitspoſten, 
Aber alles iſt beſetzt — — — — 


— — — — — — — —— — — 


Hochgeſchürzte Kammerkätzchen 
Ordnen Masken ſchöngebügelt, 
Tochter übt in Liebesmätzchen, 
Söhnchen lächelt glattgeſchniegelt. 
Der Vater auf den Schenkel knallt, 
Die Mutter vor Vergnügen lallt. 


* * 
* 


Auf blanker Diehle hingeſtreckt 
Hat ein armes Weib geboren, 
Kind und Mutter ſind verreckt, 
Leichenſchauende Doktoren 

Haben ſtumm den Hals gereckt — 


Hochgeſchnürte Buſen quellen, 
Straffgeſpannte Näthe plagen, 
Laut ertönen Narrenſchellen 
Geldſack ſchneidet fade Fratzen, 
Der Walzer auf dem Armenball 
Vermählet ſich mit Pfropfenknall. 
* * * 
Im Chauffeegraben ſchneeverweht, 
Sft ein Stromer hingeſunken, 
Kurz tönt noch ein Stoßgebet, 
Und zurüd auf einen Strunfen 
Schlägt fein Kopf vom Tod gemäht. 


Goldgezierte Chaiſen jagen 
Eiögeflodt find Pferdenüfter, 
Kuticher ſchwere Pelze tragen, 

Im Koupe tönt Liebgeflüfter. 

Der Geldfadjüngling gierumdampft 


Luftftöhnend die Maitreſſ'umkrampft. 


sp 


273 


18 








Eduard ard Fuchs. 





di gichtglauhen— Beuenntrih 


ebrochen und zerriſſen ſind die Bande 
Moralität und Heuchelei; 

Was einft mein ganzes Ich umfpannte, 
Geftorben ift es — id) bin frei! — 
Ja frei, o welch' ein Hohn 
Gen alles Hergebradite 
Durchzieht die Bruft, wenn aus des Hirnes Schachte 
Dogmat'ſcher Firlefanz entfloh’n. 
Ich lach’ der alterögrauen Sitten, 
Einſt hoch und Heilig, jegt gm Spott; 

Ich kenn' fein flehentliches Bitten 
Zum Chriften- oder Geldjadsgott. 
Es find die grauen Nerbenftränge 
Seht Leiter anderer Ideen 
Und jeit abweg3 der großen Menge 
Erlernet erjt mein Geift das Gehen. 
Ich fülle nit mit „Idealen“, 
Den Kopf mit utopift’iher Schwärmerei, 
Und ob auch taufend fie empfahlen, 
Erbarmungslos reiß ſie entzwei. 
Es taucht mein Geiſt in der Erkenntniß Labhrinthe 
Als Pionier der neuen Zeit, 
Und was ich ſchreib', ſchreib ich mit Herzblut's Tinte 
Bis wir vom Zwan des Alten ſind befreit. 
Und ihr, ihr faden, —5— Schwätzer 
Nennt ihr mich wüthend einen Hetzer, 
So ſpott ich euer. 
Nennt ihr mein Denken unmoraliſch, 
Mein Thun und Treiben kannibaliſch, 
Dann brech ich aus in eine Lache 
Und ſtimme an ein Lied der Rache. 


— — Kleinbürgerlicher Kozialiſt. 
Drößnende Phraſe Predigt wie nöthig 


Demonſtration, Großproduktion, 
Bierbankbegeiſtert, Einzige Hülfe 
Revolution. . | Erpropriation. 

Stommt aber er in 
Gant und Auktion, 
Zetert und ſchimpft er 
Auf Veitel und Cohn. 


re 





Eduard ud — 268 


Sozialismus — Prometheus. 


ch, der erkennenden Sohn, 
In des Elends Tiefen geboren, 
Steige empor und bringe der Menſchheit 
Sreube chaffendes, 
egenſpendendes, 
Himmliſches Licht. — 


Meiner Flamme heil'ger Funke 
Weck' den Schöpferdrang des Genius, 
Sprühe auf im Hirn des Denkers, 
Zünde in der Bruſt des Dichters — 
Das Gemeine zu beſiegen, 

Großes, Edles zu vollbringen. — 
Hellauflodernde Geiſtesblitze, 

Der Erkenntniß Strahlenpfeile, 
Heißen Wollens Gluthgedanken 
Zucken durch die bangen Nächte, 

— Angefacht zu mächt'gen Bränden 
Scheuthen fie der Nacht Dämonen. 


Tag iſt es! 

Fluthend ſtrömt die Lichterfülle 
‚Ueber die befreite Welt. 

. Aus Millionen Kehlen ſchallt 
Subelgruß dem Licht entgegen, 
Donnernd bridt dad Echo fi) 
Taufendfah und weiter rollt’3 
Sauchzend durch des MWeltall3 Räume. 


— —, — — — ———— —. ——— Semi (dm GEBE — 


So form ich zu Göttern euch um! 
— 


ee) Göttin Slektra. D 


leichwie der elektriſche Funken 
Hellſiegend die Erde umzieht, 

Daß ringsum die Nacht iſt verſchwunden 

Und Hochlicht ſtrahlend erglüht, 

So ziehe das freie Forſchen 

Hin über der Erde Rund, 

Es ſtürze der Lüge Throne, 

Thu' Wahrheit den Menſchen kund. 
Zum Sieg denn, Göttin Elektra. 


2G 


18* 





Eduard Sud 


—&) Hadler-Kieder. &- 
I, 
Morgenritt. 


In Sattel raſch mit kühnem Satz, 
Pedale flink getreten; 

Ein Holdrio, ein Juchheſchrei, 

Das iſt mein Morgenbeten. 


Wohl trug ein Rad nie beſſ're Laſt, 
Als meines hat getragen. 

Die „Staatsanzeiger“*) wohl verpackt 
Vorn auf der Lenkſtang lagen. 


Der Satteltaſche Handwerkszeug, 

Es klappert auf den Steinen — 

Der Schutzmann blickt, die Helmſpitz nickt 
Im Morgenſonnenſcheinen. 








II. 
Mein CLieb. 


Es iſt mein Lieb mein blitzblank Rad, 
Mein Bräutchen wohlgebauet, 

Hab ſeinem Hohlſtahlgliederbau 
Manch wichtiges vertrauet. 


Wurd' einſt verrathen, denunziert, 

Als Rothwild voll Fineſſen — 
Hausſuchung kam, ſechs Fahnder ſtark, 
Und ſucht nach Deckadreſſen. 


Die Wache knirſcht nach Spürhund Art, 
Als ſie findt' kein Verſtecke — 

Mein Liebchen lachet nickelblank 

Und ſchelmiſch aus der Ecke. 


III. 
Auf Vorpoſten. 


Wollt einſt die heil'ge Hermandad 
Kühn gegen uns ſtrategen, 

Vor allererſt dem Freunde mein 
Wollt ſie das Handwerk legen. 


*) Spitznamen für ben ſ. Zt. verbotenen Sozialdemokrat.“ 


Eduard Fuchs. 277 


Da roh ih es mit Fuchſesnas', 

Beftieg mein Rad gefchtwinde, | | 
Ich bradt’ die Kund’ im Nenntempo, | 
Es pfiffen ſcharf die Winde. | 


Die Fahndung Fam, das Neſt wor leer, 
Der Vogel auögeflogen, 

Mein Freund war noch in felb’ger Nacht 
In's Schweizerland gezogen. 


NS 
Das Lrwachen einer Met. , 


ie Brandung, die am Felſen zerichellt, 
Wie Nothruf, der durch die Lüfte gellt, 
Wie Sturmwind, der im Urwald tollt. 
Wie Donner, der über Häupter rollt — 
So tönt ed hin durch weite Nacht, 
Daß jäh der Schläfer vom Schlummer erwadt. 
Und ald in die Nacht er fragend laufcht, 
Ein himmliſcher Ton ihm entgegen rauscht, 
Wie aus der Glode ehernem Munde 
Ertönet ihm hell die erlöfende Runde: 
„Ob du im Felde beim Sonnenbrand 
Keuchend bebaueft das Aderland, 
Ob du beim Stöhnen der Dampfmafchinen 
Rackerſt dich ab mit Hungrigen Mienen, 
Ob du des Geiſtes Iodernde Kraft, 
Ob du den Genius, der in dir fchafft, 
Bändigen mußt, und ftetig beſchwören, 
Nur um dein Weib und Kind zu ernähren; 
Ob du des Südlands Boden entiprofien, 
Ob did) des Norden? Ströme umflofien, 
Ob deine Wieg’ in der Puſta geitanden, 
Ob wo des Bergitromed Wellen branden, 
Ob dir die Lieb die Wange geküßt, 
Ob dir Entbehrung die Jugend „verfüht”: — 
Raffe dich auf! Erfenn’ deine Macht! 
Schaue die Welt in herrliher Pracht — 
Alles kannſt du dein eigen nennen, 
Wirſt du endlih als Recht erkennen: 
Daß, wer radert das ganze Jahr, 
Mer feines Zeichens ein Broletar, 
Niederreiße die hemmienden Schranten, 
Bahne den Weg dem einen Gedanlen: 
„Brüder feien ſich alle die, 
Die da hungern bei [hwerer Müh!“ 


278 J Eduard Fuchs. 


Und mäͤchtig hat er ſich aufgerüttelt, 

Da fühlt er, daß halb er Schon abgeſchüttelt 
Die Kette, die jüngftend ihn noch umfloß, 

Sie knechtet völlig nur feinen Genoß, 

Das Weib, das von fchweren Feſſeln umftridt. 
Es ahnet noch nicht, was die Welt beglüdt. 
Und fort rollt der Ton, Hin über die Welt, 
Vernichtend den, der dagegen fich ftellt, 

Er wedet die Schläfer, er reißt fie empor, 
Berftreuet den Nebel, den heinmenden Flor — 
Und das Frühlicht, es fündet, daß diefer Nacht 
Ein fonniger Morgen entgegen ladıt. 


IDEE 


Äntifemitismns. 


a, die „Juden“ find in haſſen, 
Doch die Schreibweiſ' aufgepaßt: 
„Juden“ zwiſchen Gänſefüßchen, 
Alle die zuſammenfaßt, 
Die in offener Geldgierwuth 
Von dem Mark des Volkes zehren, 
Die in Heuchlerfrömmigkeit 
Sich von „Nächſtenlieb“ ernähren, 
Die auf ganz legalem Weg 
Jedermann den Rechtsſtrick drehen, 
Deren einzige Arbeit iſt: 
Ernten das, was andere ſäen. — 
— Einerlei, ob „wahre Chriſten“, 
Ob vom Stamm der Judaiſten 
— Das ſind „Juden“ unbeſtritten: 
Hier iſt die Moral beſchnitten. 


— 


Aus: Sin königliches Mahl. 


er Balalaifa *) wehmuthöpoller Ton, 
Des Volkes ſchmerzdurchſtrömtes Lid, 
203 jemald ſchon dein Einigliched Ohr geitreift? 
chlich dir der dumpfverhaltne Groll, 
Der brütend bang durch die Gemüter zieht, 
Jemals um deine diademgeſchmückte Stirn? 
at ſchon der Fluch, der Fluch des hungermüden Volks, 
er gellend, gleich der Windsbraut vor dem Wetter, 


°) Ruſſiſches Muſikinſtrument In Guitarreform. 


—⸗ 





Toddrohend, unheilfündend durch die Lüfte führt, 
Schon einmal aus dem Schlaf did aufgefchredt? 
aft du die Qualen einmal nur ermeſſen, 
te eine ſolchen Toned Water find? 
get du die Noth empfangen und gelindert, 
te deine Lande Inechtet und entnerpt? - 
D nein! denn Hinter fammtverhangene Portieren 
Dringt nit des Elends grimmer Schmerzenäjchrei, 
Und jener Groll, der ſchwül und dumpf | 
Auf dem Gemüthe deines Volkes Liegt, 
Der miſcht fih nicht in deines Hofſtaats Prunk. 
Und Flüche, die gen Himmel gellen, 
Entjendet aus gequälter Menfchenbruft, 
Ste prallen ab an deined Schloſſes Marmorguadern, 
geritäuben in die Lüfte ungehört. — — 
eim Pfropfenknall, bei deinen eltern, 
Beim Sporenkflang, wenn Seide raufct, 
Da fühlft du nicht der Völker Schmerzen, 
Dort grüßt dich einzig der Genuß: 
Hier iſt's der Träftig dralle Reiz der Frauenform, 
Der fih im Schnitt des Kleides prägt, 
Da ift’3 der elegant beſchuhte Fuß, 
Der zarte Gliederfülle ahnen läßt, 
Dort iſt's der ſchmiegſam graziöſe Wuchs, 
Der plaftifch jede Regung wiedergtebt ; 
Hier iſt's die ſanftgeſchwellte, nadte Bruft, 
Die wonnewogend jeden Mann beitridt; 
Und dort der weiche, volle Arm, 
Der Luft und Raſt verheißt am feuchten Leib; 
Da find’3 die Mienen deiner Schranzen, 
Hier jugendfrifh, dort ſchlaff blafirt, — 
Doch alle lehzend nah Genuß. 
Wohl Iegt fih ſchwül um eines jeden Stirm 
Ein alled Denken raubendes Gefühl, 
Doch ift es nicht der Groll und nicht der Fluch, 
Die draußen gellen durch die Luft, — 
.O nein, e8 tft der füß beraufchende Gerud, 
Der wonnevoll dem nadten Weiberfleiih entftrömt. — 
Du thronft Selbftherrfcher aller Reußen, 
Dem fich ein jeder von den Großen Deined Reich 
Nur unterwürfig-knechtiſch naht, 
Und nur die überſchwänglichen Tiraden 
Des Schmeichlertroſſes dringen an Dein Ohr. 
Du biſt der Gott, für deſſen Machtſpruch 
Es niemals eine Schranke gab, 
Du biſt der Gott, für deſſen Thaten 
Du felbft der einz’ge Richter biit. 
Du kannſt errichten, fannft zermalmen 


280 


Cduard Fuchs. 


Und niemand wagt dir einen Widerfprud. — 

Ein Zuden deiner Wimpern ſchon genügt, 

Daß rings der ganze Hofftaat jäh erbleicht; 

Ein Wink von deiner Hand und Seder, 

Der noch foeben ftolz den Naden trug, 

Er Ten! jest Gnade winfelnd feig vor dir im Staub. 
Ein Wort von dir und viele taufend, 

Der heute noch der Heimath Kreis umſchloß — 

Sie ſchreiten morgen Thon, zu Paaren feſtgeſchmiedet 
Nah Dftfibiriend ödem Schneegefild. 

Nur des Befehls bedarf es, deiner Laune, 

Daß fi der Oſten auf den Weiten wirft, 

Und taufend Regimenter ftampfen nieder, 

Was mühevoll ein jahrelanger Fleiß erbaut. 

Die Luft ertönt vom Krachen der Kanonen, 

In dad der Sterbenden Gehen! fid) mifcht, 

Rings flammen Städte auf und winden 

Um deine Krone grell ein Flammendiadem — 

Du weißt — — — Ein Wort von dir 

Und ganz Europa bebt. 


Und troßdem zudit du manchmal jäh zufammen, 
Ein Fröfteln sieht durch deinen Leib, 

Denn die Gejhichte hat mit ehrnem Griffel 
In blutigfarbner Flammenſchrift 

Ein mene tekel dir gemeißelt, 

Soferne du nicht Halt gebteteft 

Dem zügellofen Roß der Deöpotie! — 

Ob du im Taumelraufche wilder Wolluft, 
Bei dem badantifch-tollen Zechgelag, 

Ch du im Schooß der Mutter Kirche, 
Betäubung ſuchſt — — — Es tft umfonft. 
Du fiehft’3 im Feuerblick der ſchlanken Boltn, 
Wenn heiß verlangend fie auf weihen Pfühl 
Die Iuftgefhwellten Glieder an dich preßt, 
Dir ſpricht's der Roſenmund der goldgelodten Ruffin, 
Menn ihres Leibe üppigſchöne Pracht, 
Reizvoll enthüllt auf deinem Purpurbette, 
Sinlabet dich zu wonnig füßer Naft. 

Du- fiehft es wiederfpiegeln im Champagner, 
Bei deilen Schäumen du Vergeſſen ſuchſt, 

Du ſiehſt's im Antlig deiner Zechgenoffen, 
Menn prellauftaend du in toller Wuth 

Zu Boden fchleuderft den Eryftallnen Kelch. 
Es flammt dir auf im Hetligenbilde 

Vor dem du Hilfe ſuchend dich gebeugt 


Es grinſt dich an aus allen Orten, 


Wenn did) der Eilzug durch die Lande trägt. 


Eduard Fuchs. 


— — ——— nn 


Und jenes blutigfarbne Flammenzeichen, 
Das deiner Seele niemals Ruhe gönnt, 
Das unbefriedigt ſtets und doch aufſtachelnd 
Dich vom Genuſſe zum Genuſſe hetzt, 


Das unheilſprühend hier, dort kalt und ſteinern 


Aus jedem Dinge dir entgegenſtarrt, 

Das all dein Denken füllt mit ſchwerem Bangen 
Das dich bedroht, erbarmungslos verfolgt, 
Das ſagt mit unzweideutig klarer Stimme, 
So laut, als wär es geſtern erſt geſchehen: 
Daß einſt des Volkes hellentflammter Zorn 
Den Vater dir zerſchmettert — 


„Von Gottes Gnaden“ heißt der Hermelin, 
Den des Geſchickes Hand gelegt 
Um deine Schultern — von Geburtes wegen. 
Und Gottes Prieſter ſind es, Deine Prieſter, 
Die Tag für Tag in Gottes Kirchen 
Lobpreiſen deiner Herrſchaft Ruhm. 
Und während ſie den Segen deiner Herrſchaft 
In ſchönen Worten preiſen laut dem Volk, 
Schleicht Hungersnoth durch deine Lande 
Und tückiſch folgt ihr nach die Cholera. 


0 
——— Seitbild. — 


Die Proletarierin. 


it 40 Pfennig Tag für Tag 
— Fürwahr ein — Leben, 
Was Wunder, daß ſie ſich nun jetzt 
Der Unzucht hat ergeben? 
Das iſt gemein! 


Die höhere Tochter. 
Wurd’ einem Schwachkopf angetraut, 
Als Mitgift hohe Renten, 
Sie tauſchte ein die „Erzellenz“, 
Dafür läßt fie fih ſchänden. 
Das ift modern! 


2 








282 Eduard Fuchs. 





— m — ——ñ—t — *⸗ — — — 


——| 9er Zromethens unſerer Feit. — — 


A: der Arbeit Felſenküſte feſtgeſchmiedet durch die Noth, 

Sn der Sorgenmeereöwäfte ftet3 vom Untergange bedroht, 

Bon der Leber feines Geiftes zehrt im Adler Tyrannet ; 

Seine Bebendfreuden alle ihm vernichtend ohne Reu'. 

Nerven, Hirn und Kraft zerftörend, wirkt der Knechtſchaft Sonnenglut, 
Sturm und Wetter ihm umtoben, auf ihn ſtürzt der Willfür Flut. 


—, Er au hatte frech veracdhtet eines Gottes Machtgebot, 
Trogigfühn gen Himmel ftürmend, ſich erhebend aus dem Koth. 

Ale Felleln von ſich werfend, die der Glaube hängte an, 
Ehrfurchtslos und geifteswuchtig fchafft er fi die neue Bahn. 

Und dabei fih kühn vermeſſend, rüttelnd eines Gottes Thron — 
Mit dem ftärkften felbft zu kämpfen, wagt er es, des Geiſtes Sohn. 
Mit dem mächtigften der Götter, mit dem Gotte Kapital, 

Dem Nafurgejee dienen, Muskelkraft in Fleiſch und Stahl. 

Doch als Kind der freien Forſchung, fleifhgeword’ner Wahrheitädrang, 
Fragt er nichts nah Menſchenordnung, Tpottet dem gewohnten Gang. 
Bittend nicht tft feine Sprade vor des Gottes MWeltenmadt, 
Titangleih find feine Worte von des Rechtes Gluth durchfacht: 
„immer Toll au Nutz der Gottheit Herrfchen Lüg' und Glaube nur, 
„Schwinden fol im Hirn dad Dogma, dieſe feeliihe Tortur! 

ge ern follen nicht die einen, wo des Brot in Fülle tft! 
‚Braflen niemald mehr die andern, wo der Bruder hungrig it! 
„Nimmer fol im Kampf ums Leben brechen jedes Menſchen Glüd, 
„Frei Toll jede Stirn ſich heben, Freude fünden jeder Blid.“ 








Wenn der Frucht die Schal’ zu enge, fprenget fie der Mutter Schooß. 
Höhnend reißen fih Ideen von den alten Formeln 103. 

Immer fämpfte mit dem alten überfomm’nen Borurtheil 

Die Erkenntniß und will formen fih die Welt zu Den Heil. 
Niemals Hat fich frei ergeben die Gewalt dem Menſchenrecht, 

Stet3 nur durd) den Tod des Alten kam zum Steg ein neu Gefchledt. 
Er fett der Gewalt entgegen feines Willens fcharfen Pfeil, 

Mit der Logik wucht'gem Hammer treibt in alles er den Keil, 
Ewigen Gejeten folgend, muß er fliegen in dem Streit, 

Hnd jo wird fich jelbit befreien der Prometheus unf’er Zeit! 








=== Hoffmann von Fallersleben. =— 


Auguft Heinrid Hoffmann, nad) feinem Geburtsort gemöhnlih Hoffz 
mann von Fallersleben genannt, wurde am 2, April 1793 zu Falleräleben im 
jannoverfchen geboren, bezog 1816 bie Univerfität Göttingen um Xheologie zu 
iren, wandte fi aber bald der Philoſophie und Kunftgefchichte zu. In Bonn 
erfien 1821 feine erfte Arbeit auf germaniſtiſchem Bebiete, eine Ausgabe ver Bonner 
Brucftüde des Difried. Später in Berlin, dann Breslau, wurde er 1880 außer 
ordentlicher, 1835 ordentlicher Profeſſor der deutſchen Philologie an der Univerfität 
Breßlau. 1840 legte er die Einbrüde einer Reife in feinen „Unpolitifden Liebern“ 
nieber. Diefe Gedichte erregten in höheren Kreifen berart Anftoß, daß Hoffmann in 
Unterfudung gezogen und 1842 feines Amtes entfegt wurde. Run folgte ein unftätes 
Vanderleben. 1854 folgte er einer Einlad: des Hofes nad; Weimar, mo er mit 
D. Schade dad „Weimar. Jahrbuch“ Heraußgab. 1860 machte ihn ber Herzog von 
Ratibor zum Bibliothekar in Korvey. Hier ftarb er am 20. Januar 1874. — Hoff: 
mann mar ald Germanift außerordentlich fruchtbar und verfaßte eine große Anzahl 
hochbedeutender Werke über ältere beutfche Literatur. Auch als Dichter war er 
‚ordentlich vielfeitig. Hoffmann's Gedichte lehnen ſich meift an das Volkslied 
an, bem er von jeher befondere Liebe zugewandt hatte und befien Ton er fo gut zu 
treffen wußte, baß feine zum Theil in fremden Dialelten (alemannife; und nieberz 
Tändifeh) gebidjteten Lieber vielfach für alte Wollsliever gehalten werben. 





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Polizei, Geld und Wetter. 


reier Menſch mit göttlihen Entwürfen, 

Bol von hohen himmliſchen Ideen, 
Aus dem Born der Schöpfung Fannft du fchlürfen, 
Und ins Angeftht der Gottheit fehen. 
Aber ohne Wa, da biſt du faum ein Thier, 
Freier Menſch, es taufcht fein Hund mit Dir, 


Freier Menſch voll hoher Gotteögaben, 
Kannſt dir alles hören, alles fehen, 
Kannſt genießen alles, alle haben, 

Darfit nit unbefriedigt weiter gehen. 
Aber ohne Geld, du giebit es felber zu, 
dreier Menſch, ein Schaf ift mehr als du. 


Freier Menſch, fe’ auf die Pudelmütze, 

Daß dih Kopfweh nicht und Zahnfchmerz plagt; 
Nimm den Schirm, er tft Dir heute nüße, 

Weil das Wetter doch nad dir nit fragt; 
Denn dad Wetter ift wie Geld und Polizei, 
Freier Menfch, leb wohl! und werd’ erſt — frei! 


nz 
— Mas iſt denn zollfrei. — 


eſteuert iſt die ganze Welt 
DN Und alles drum und dran: 
Gewerbe, Handel, Gut und Geld, 
Weg, Waſſer, Weib und Mann. 
Wem wäre nicht das Leben theuer, 
Wofür man zahlt fo manche Steuer? 


Beiteuert iſt der Bilfen Brot, 

Den man im Schweiß gewinnt; 
Befteuert tft ſogar der Tod, 

Weil wir am Ziele find. 

Nur zu erzeugen unſers Gleichen 

Sit frei den Armen und den Reichen. 


ES 

















286 Hoffmann von Fallersleben. 


Sntwicklung anf hiſtoriſchem Fege. 


laſſet doch den Geiſt der Zeiten! 

Ihn hemmt kein Wehr, kein Damm, kein Band; 
Er wird tagtäglich vorwärts ſchreiten 
Frei wie der Fluß durch's ganze Land. 


Er ſtrömet nicht aus einer Quelle, | 


Aus einer Lebensader nur; 


Ihn nährt und fpeift an jeder Stelle 


Die ganze lebende Natur. 


Ahr feht nur eine Quelle fpringen, 
Und diefe ftopft ihr zu im Nu 
Und denkt, es wird uns jebt gelingen, 


Wir ftopfen ja die Quelle zu. 


Ihr hoben Herrn und Herrendiener ! 
So wollt ihr fügen Kirch' und Staat? 
Ihr macht's ja grade wie der Wiener, 
Der auf die Donauquelle trat. 


Er ſprach mit ſtillem Wohlbehagen: 
Die Quelle hab’ ich nun bekleibt! 

Was werden wohl die Wiener jagen, 
Wenn jebt die Donau außen bleibt? — 


Drum laſſet doch den Geiſt der Zeiten! 

Ihn hemmt fein Wehr, fein Damm, kein Band; 
Er wird tagtäglich vorwärts ſchreiten 

rei wie der Fluß durch's ganze Land. 


FRA 


—— Dies irae, dies illa. = 
(Der Tag des Zornes) 


Rs kommt der Tag der Rache, 
Sürwahr, er fommt einmal, 
Sn die gerechte Sadıe, 
ür unſ're Noth und Dual. 


Dann giebt Die Wahrheit Kunde, 
Mer für und mit und war, 
Und alle Lumpenhunde 

Die werden offenbar. 








Dann en wir gelitten 
Umfonft für Freihett nicht, 

Und nicht umſonſt geftritten, 
Den Kampf für Sec und Bit. 


Es fommt der Tag der Rache, 
Fürwahr, er fommt einmal, 
Für die gerechte Sache, 

Für unſ're Noth und Qual. 








Hoffmann von Fallersleben. 287 


Der chriſtliche Staat. - 


eht, wie ſchwer die Aehren fchaufeln, 
Wie am Baum die Aepfel gaufeln! 
’3 wächſt fo viel auf dieſer Erde, 
Doch für unfer einen nicht. 


Vieh auf Weiden, Wild in Wäldern, 
Korn und Futter auf den Feldern. 
's wächſt fo viel auf dieſer Erde, 
Doch für unfer einen nicht. 





Neben an der Berge Rüden, 

Gerft’ und Hopfen zum Entzüden. 
's wächſt fo viel auf diefer Erde, 
Dod für unfer einen nicht. 


Sin in Zeichen, Vögel in Lüften, 

old und Silber in den lüften. 
’3 wächſt fo viel auf diefer Erde, 
Doch für unfer einen nidt. 


Wenigen gehört das Beſte — 

Ach, wir andern find nur Gäſte. 
’3 wächſt fo viel auf diefer Erde, 
Doch für unfer einen nicht. 


Nicht ein Halm, nicht eine Blume 
Ward und hier zum Eigenthume. 
’3 wächſt fo viel auf dieſer Erde, 
Doch für unfer einen nicht. 


Wird denn unfer Tag nicht nahen, 
Wo wir unfer Theil empfahen ? 
’3 wächſt jo viel auf diefer Erde, 
Doch für unfer einen nit. 


Sind die Hohen und die Reichen 

Sind nit alle unſers Gleichen? 
's wächſt fo viel auf diefer Erde, 
Doch für unfer einen nicht. 


Sollen denn die Güter werden 

Nie gemeinfam bier auf Erden? 
’5 wächſt jo viel auf diefer Erde, 
Doch für unfer einen nicht. 


re 


288 


Hoffmann von Fallersleben. 


— Aus Hpids Metamorphofen. — 


3 flickt ein Schneider ein Gewand 
Für eine Majeftät, 
Und wie er’3 hält in feiner Hand 
Und in den Falten ſpäht: 
D Wunder, Wunder? was fchaut heraus? 
Eine Lau, eine Lau, eine königliche Laus. 
| 


Der Schneider hüpft vor Freud’ empor 
Sieht fie mit Wolluft an, 

Und Holt fein Meſſer flug3 hervor, 

Und ah! Was macht er dann? 

O Wunder, Wunder! er fpaltet fie, 

Spaltet fie, fpaltet fie, dieſes Lönigliche Vieh. 


„Die eine Hälfte bleibet mir 

Bon diefer Königslaus, 

Es ftedet fo viel Blut in ihr 

Ein Fürft wohl wird noch draus.” 

D Wunder, Wunder! er fpeift fie geſchwind, 

Und er wird, und er wird, wird ein fürnehm Fürſten kind. 


Da fragen die Gefellen ihn: 

„Was aber friegen wir?“ 

„Die andre Hälft’ ift euch verliehn, 

Das iſt genug für vier, 

D Wunder, Wunder! aus der halben Lau? 

Kommen noch, fonımen noch fünfthalb Grafen wohl heraus.“ 


Der Lehrling ſah ſich alles an: 

„Herr Meiſter fagt mir jeßt, 

Hier feh’ ic Friegt ja Jedermann, 

Was krieg' ich denn zuletzt?“ 

„O lecke, lecke das Meſſer rein, 

Und du wirſt, und du wirſt 'n ſchlechter Edelmann noch ſein!“ 


Æ 
+ Shineffdes Soblied. ++ 


tehende Heere müffen wir haben, 
Stehende Heer’ im himmlischen Reid). 
Wär’ e3 nicht wahrlid) Sammer und Schade, 
Wenn wir nicht hätten manchmal Parade, 
Wenn wir nicht hörten den Zapfenſtreich? 
Stehende Heere müfjen wir haben, 
Stehende Heere im hinmliſchen Reid. 





— nu en nen 











Hoffmann von Fallersleben. 289 


Stehende Heere müſſen wir Haben, 

Weil ſie in Umlauf bringen das Geld: 

Wo die Soldaten zechen und zehren 

Muß ſich der Handel und Wandel vermehren, 
Und es verdient dann alle Welt. 

Stehende Heere müſſen wir haben, 

Weil ſie in Umlauf bringen das Geld. 


Stehende Heere müſſen wir haben; 

Wo fie beſtehen, beftehen auch wir. 
Wenn wir die ſtehenden Heere nicht wollten, 

Wüßten die Junker nicht was ſie ſollten, 

Ach! und die meiſten verſchmachteten ſchier. 

Stehende Heere müſſen wir haben, 

Wo ſie beſtehen, beſtehen auch wir. 


—⸗ 


 — der gute Kile. —— 
Ser will ich fein ein Rather | Hätt’ ich nicht Frau und Kinder, 


Berlangt nur feine That — | Da wär’ mir einerlei, 
Ich bin Familienvater Vorſichtig wär’ ih minder, 
Und auch) Geheimerrath. Sprädy’ auch noch mal fo frei. 
Ja freilich, beides bin ich, Dod ein Familienvater, 
Das macht mir viele Bein — Der Punkt iſt delifat, 
Ich bin gewiß freiſinnig, Und noch viel delikater 
Wie's einer nur kann ſein. Iſt ein Geheimerrath. 

he» 


Knüppel ans dem Bad. 


on allen Wünſchen in der Melt 
Nur einer mir anjebt gefällt, 
Nur: Knüppel aus dem Sad! 
Und gäbe Gott wir Wunſchesmacht, 
Ich dächte mir bei Tag und Nacht, 
Nur: Knüppel aus dem Sad! 


Dann braucht' ih weder Gut noch Gold, 
Ich machte mir die Welt ſchon hold 
Mit: Knüppel aus dem Sad! 
Ich wär’ ein Sieger, wie ein Held, 
Der erſt' und befte Dann der Welt 
Mit: Knüppel aus dem Sad! 
19 





290 Hoffmann b don Fallersleben. 


—— ———— —e nn on un — — — — — — — — — 


Ich ſchaffte Freiheit, Recht und Ruh' 
Und frohes Leben noch dazu 

Beim: Knüppel aus dem Sad! 

Und wollt ich felbit recht luſtig ſein 
So ließ ich tanzen Groß und K 

Beim: Knüppel aus dem Fe 


‘ O Märden, würbeft du dod wahr 
Nur einen einz’gen Tag {m Jahr, 
O Knüppel aus dem Sack! 
Ich gäbe drum, ich weiß nicht was, 
‚ Und fchlüge drein ohn’ Unterlaß, 
Friſch: Knüppel aus dem Sad 
Auf's Yumpenpad! 
Auf’s Hundepad'! 


— Zus dem Grabe eines Helbſtmörders. — 


ch habe treu mein Amt verſehen, 
Und mein Gewiſſen fühlt ſich rein. 
Was aber hatl' ich auszuſtehen, 
O welde Qual und welde Bein! 
Ich weiß was Eduld an Allen ift: 
Ich war ein deuticher Bolizift. 


Wohin ich irgend mich begeben — 

Verwundert ſah ſich alles um, 

Gleich war vorbei das muntre Leben 

Und die Geſellſchaft wurde ſtumm. 
Ich weiß was Schuld an Allem iſt: 
Ich war ein deutſcher Bolizift. 


In Schwermuth bin ich dann gerathen, 
In eine lange düſtre Nacht 
O daß man hat zum Heil der Staaten 
Ein ſolch' verfluchtes Amt erdadt. 
ch weiß was Schuld an Allem iſt: 
Ich war ein deutſcher Poliziſt. 


Ich fühl' um Alles mich betrogen, 
Dem Schimpf und Spotte bloßgeſtellt. 
Drum ſtürzte ich mich in die Wogen 
Um zu verſöhnen noch die Welt. 
Ich weiß was Schuld an Allem iſt: 
Ich war ein deutſcher Polizift. 














— — —— 


— 


Hoffmann von Fallersleben. J 291 


ö— I — — 


Jetzt hab' ich alles abgewaſchen, 

Was euch als Makel einſt erſchien. 

Nun gönnt den Frieden meiner Aſchen 

Den mir das Schickſal bat verliehn. 
Ich weiß was Schuld an Allem iſt — 
Gottlob, ich war ein Poliziſt. 


> 
— Zerbſtlied eines Shinefen. — 
Wir ſind nicht reif? 
Dis iſt das Lied, das fie gefungen haben 


Jahrhunderte lang und armen Waiſenknaben, 
Womit fie uns noch immer beichwichten, 
Des Volkes Hoffen immer vernichten, 
Den Siun der Beflern immer bethören 
Und unſre Zukunft immer zeritören. 


Wir find nicht reif? 
Reif find wir immer, reif zum Glüd auf Erden, 
Mir jollen glüdlisher und beffer werden. 

Reif find wir, unfre Leiden zu klagen, 

Reif find wir, euch nicht mehr zu ertragen, 

Reif, für die Freiheit Alles zu wagen. 


SUSL. 
— Bienenloos. — 


Wa geben und der König nimmt, 
Wir ſind zum Geben nur beſtimmt, 
Wir ſind nichts weiter als die Bienen, 
Arbeiten müſſen wir und dienen, 


Und ſtatt des Stachels gab Natur 
Uns eine ſtumpfe Zunge nur; 

Die dürfen wir nie unſertwegen 

Und nur im Dienſt des Königs regen. 


— — Fgort wie hier.. — 


ch wollt', es wäre Schlafenszeit 
2Und alles ſchon vorbei. 
Wir werden von der Frohnarbeit 
Doch nun und nimmer frei. 
Zur Arbeit ſind wir hier allein, 
Dort wird es auch nicht anders ſein. 
19° 





292 


Hoffmann von Fallersleben. 


Der Pfarrer hört's und tröſtet ſie: 
Ihr lieben Kinder mein, 

So etwas giebt's im Himmel nie, 
Da wird nur Freude ſein. — 
In unſers Herren Himmelreich 
Iſt einer nur dem andern gleich.“ 


ger Pfarrer, was ihr ja „Oimmel ſprecht, 
enn ihr's gewiß auch wiß 

Ganz gleich, das glaub is doch nicht redht, 
Sch weiß fchon, wie es ift: 

Die andern trinken Wein und Bier, 

Und unterdeffen donnern mir. 


FLAT 
++ Kiegenlid. + 


H⸗ ſchlaf in Ruh, 

Mein Söhnlein bu! 
Dein Vater ſprach ein freies Wort, 
Da führten ihn die S ergen fort 
Sn einen Kerker weit bon hier, 

" Weit weg bon mir, weit weg bon dir. 


So ſchlaf in Ruh, 

Mein Söhnlein du! 

Dein Vater leidet Schmach und Noth, 
Dein Water ift lebendig fodt, 

Und feine Freunde bleiben fern 

Und fehn aud) dich und mich nicht gern. 


So ſchlaf in Ruh, 

Mein Söhnlein du! 

Dein Vater iſt ein Biedermann — 
Heil jedem, wer ſo denken kann! 
Heil dir, wenn du dereinſt auch biſt, 
Was dein gefang'ner Vater ift. 


So ſchlaf in Ruh, 

Mein Söhnlein du! 

Verſchlaf des Vaterlandes Nacht, 

Den Knechtsfinn, die Deſpotenmacht; 
Verſchlaf, was uns noch drückt und plagt, 
Schlaf, bis der beſſere Morgen tagt! 


ER 











Hoffmann von Fallersleben. 293 


Wie iſt doch die Seitung fo intereſſant. 


ie ift Doch die Zeitung infereffant 
Für unfer liebes Vaterland ! 
Was Haben wir heute nicht alle vernommen! 
Die FZürftin tft geitern niedergefommen, 
Und morgen wird der Herzog fommen, 
Hier ift der König heimgekommen, 
Dort ift der Kaiſer durchgekommen — 
Bald werden fie alle zufammenktommen — 
Wie intereffant! wie intereflant! 
Gott fegne das liebe Baterland! 


Wie ift Doch die Zeitung intereffant 
güt unſer liebe3 Vaterland! 
a3 ift und nicht alles berichtet worden 
Fin Bortepeefähnricd) ift Yeutnant geworden — 
Ein Oberhofprediger erhielt einen Orden, 
Die Lafaien erhielten filberne Borden, 
Die höchſten Herrſchaften gehen nad Norden 
Und zeitig ift es Frühling geworden — 
Wie intereffant! wie a 
Sott ſegne das liebe Vaterland! 


Bas &ied vom dentichen Philiſter. 


er deutſche Bhilifter, das bleibet ein Mann, 

Auf den die Re eglerung vertrauen noch kann, 
Der pafjet zu ihren Beglüdungsideen, 
Der läßt mit fih Alles gutwillig geicheh’n. 
:. Ju vivallera, ju vivallera, ju vivglleralferallera! :,: 


Befohlener Maßen ift ftetö er bereit, 
Zu ftören, zu hemmen ben Fortfchritt der Zeit, 
Zu haſſen ein jegliches freie Gemüth 

Und alles, was Lebe, und grünet und blüht. 
:» Su vivallera 2c. 


Sprid), deutiche Seisihte bericht’ es der Welt, 
Mer war doc dein größter berühmteſter Held ? 
Der deutſche Whilifter, der deuticheite Mann, 
Der alles nerbirbt, | was man Gutes begann. 

»: Ju divallera 2c. 


Was Schön und srbaben, was wahr ift und recht, 
Das fann er nicht leiden, da3 findet er Thledht. 


294 Hoffmann von Fallersleben. 





= oo 





Sp ganz, wie er felbit ift, jo kläglich, gemein, 
Haudbaden und Iedern foll Alles auch fein! 
:. Su vivallera 2c. :,: 


So lang der Philifter vegieret das Land, 

Sit jeglicher Yortichritt daraus wie verbannt; 

Denn dieſes erbärmliche feige Gefchlecht, 

Das fennet nit Ehre, nicht Tugend und Recht. 
3 Ju bivallera 2c. :,: 


Du Sflav’ der Gewohnheit, du Knecht der Gewalt, 
O käme dein Simfon, o käm er doc) bald! 

Du deutfcher Philiſter, du gräßlichite Qual, 

O holte der Teufel did) endlich einmal! 

:: Ju vivallera 2c. :,: 


Doc leider Hat Belzebub feinen Geihmad 
An unſern Philiftern, dem lumpigen Pad, 
Und wollten fte felber hinein in ſein Haus, 
So ſchmiß er die Kerle zum Tempel hinaus. 
:» Su vivallera ac. :,: 


—— 





—— Flora Germania. | 


3 grünt und blüht im Vaterlande 
Zum Heil und Segen jedem Stande: 
Denn jedem Deutfchen bringt fürwahr 
Der Frühling eine Gabe dar. 


Der Frühling fommt, und zu belohnen 
Mit Königsferzen, Kaiſerkronen, 
Mit Pfaffenhütlein, Ritterfporn, 
Mit Bauernfenf nnd Edelkorn. 


Doch läßt er und am meilten fchauen 
Sn allen Wäldern, allen Auen, 

Daß Gott erbarın! Jahr aud, Jahr ein 
Das deutihe Hungerblümelein. 








—.: Anton Behr. 2 —— 


Anton Behr wurde als Sohn eines Tuchm achermeiſters in dem Städten 
Oberfautendborf in Böhmen geboren, verfebte aber bie meifte Beit feines Lebens in 
Neichenberg in Böhmen, dem „Neifje-Mandefter“, wohin feine Eltern bald nad 
feiner Geburt überftedelten. Cr befugte bie dortige Hauptf—ufe durch kaum feche 
Jahre und mußte jhon ala zehnjähriger Junge fein Brod durch Antnüpfen (im ber 
Tuchmacherei) verdienen. Später erlernte er dad Tuhmaderhandwert. Schon mit 
achtzehn Jahren trat er in die ſozialdemokratiſche Bewegung ein. Bon 1873 bis 
1875 bereifte er ala Handwerkaburſche Deutſchland und arbeitete in Crimmitſchau, 
Braunſchweig, Großenhain, Forft und Kamenz, überall agitatorifhe Thätigkeit ent 
faltend. Natürlid machte er infolgebeflen aud; zeitig Befanntfhaft mit dem Ge: 
fängnif. Im Jahre 1878 fehen mir ihn als Mitglied der Parteileitung in Reich 
berg und im folgenden Jahre als Sekretär der öfterreichif_hen Arbeiterpartei und 
Redakteur des „Sozialift" in Wien und fpäter des „Bollafreund” in Reichenberg. 
1882 wurbe er in einen Geheimbundsprozeß vermidelt, faß im Prager Landesgerichtä⸗ 
gefängifie ungefähr 8 Monate, nad deren Werbißung er im Verein mit Zofef 

chiller ein Blatt, „Der Radikale”, herausgab. 1884 wurden beide abermald wegen 
Geheimbindelei verhaftet und braten inkl. Unterfuhungshaft giemlich ein Jahr im 
Gefängniffe zu. Behr wurde fobann, nachdem man ihn im Prager Polizeigefäng- 
nifle photographirt, aus Prag und Neichenberg ausgewieſen, worauf er fih nad 
Erimmitfhau in Sachſen wandte. Nach halbjährigem Aufenthalte erfolgte auch feine 
Ausmweifung aus Sachſen. Nach Gera überfiedelt, trat er anfangs weniger an bie 
Deffentlichleit uud arbeitete über brei Jahre in einer Weberei, biß er dort gemaß- 
regelt wurde. 1891 wurde ihm bie Rebaltion der „Reußifhen Tribüne” übertragen. 
109 aus Reuß j. 2. auögemiefen, wandte er fi) nach Auffig in Böhmen und fpäter 
nad) Saaz, wofelbft er die populärwiſſenſchaftliche Monatsjhrift „Die Zeitihmwingen“ 
Herausgiebt. Seine Dichtungen find in den lehten Jahren in der Sammlung 
„NRorbböhmifce Klänge“ erſchienen. 

















— — Bas Begräbnig. — 


Lin ſchwarzer Kaſten, dran zwei alte Mähren, 
Zwei Diänner fchleppen einen Sarg daher. 

Neugierig gafft die Menge ring umber, 

Sn feinem Auge ſeh' ih Trauerzähren. 


Die Bürde tft nicht ſchwer, nur dürre Knochen 
Enthält dad einfach-rohe Bretterhauß. 
Verbrechergleich führt man ihn dann hinaus, 

O fagt mir doch, was hat der Mann verbroden? 


Ich denke noch an jene Zeit zurüde, 

Wo er an Rändern mühlam lic umber 
Wie ein Skelett, die Glieder matt und ſchwer, 
Das Auge trüb’ mit wehmutsvollem Blide. 


Und trogdem mußte er noch immer Tchaffen, 
Es trieb den Armen ja die bitt’re Noth, 
Sid) zu verdienen noch fein hartes Brot, 
Als er vermochte kaum ſich aufzuraffen. 


Ich ſeh' ihn noch auf feiner Sterbeftätte, 

Ein Loch, wohin fein reines Lüftchen dringt. 
Ich feh’, wie mühſam er nad) Athem ringt, 
Berfaultes Stroh, da3 war fein Ruhebette. 


Er mußte frühe aus dem Leben fcheiden, 
Der vielgeprüfte arme Proletar, 

Kaum, daß er zählte an die vierzig Jahr, 
Als ihn der Tod erlöft von feinem Leiden. 


Sn der Fabrik ſchon als ein zarter Knabe, 
Bei Ichlechter Nahrung und bei fchlechter Luft, 
Da fog er ein den gift’gen Moderduft, 

Da3 war der Keim zu jeinem frühen Grabe. 


ssabrifenluft, die reift den Menfchen frühe, 

Ein bleicher Süngling noch von ſchwachem Leib. 
Nahm er ein Ihwädlid Mädchen fich zum Weib, 
Bald braten Kinder Eorge, Noth und Mühe. 


Anton Behr. 


Da galt’ noch) mehr zu fchanzen und zu Tchwigen, 
Bermehrte Arbeit und vermindert Brod, 

Und dennoch’ fonnt er immer nicht vor Noth 

- Sein Weib und feine armen Kinder fügen. 


Bon feinen Lager wid) der ſüße Schlummer, 
Er Hat die Mächte forgenvoll durchwacht. 

Kein Wunder, wenn auf’3 Krankenbett gebracht, 
In Ueberaxbeit, Sorge, Noth und Kummer. 


Das Weib muß den Ernährer nun erhalten, 
Zu drüdend wird die ſchwere Bürde fait, 
Wie bald ſieht fie in ihm nur eine Laft, 
Das Elend madht die Liebe bald erkalten. 


Mas kann ein ſolches Dafein weiter frommen? 
Ein Glüd, wer dann jo raſch ald möglich ftirbt. 
Wer fo im Elend und in Noth verdirbt, 

Dem ift der Tod als Iteber Freund willfommen. 


Drum als er ftarb, da floffen feine Zähren, 
Es fällt fein Sceiden feinem Menſchen ſchwer, 
Neugier’ge Gaffer ftehen nur umher 

Beim ſchwarzen Kaften, dran zwei alte Mähren. 


x 
33) Stolz und Kühn. ee«« 


elfen im Meer, 


Toſende Brandung rings umher, 

MWüthend benagen die Wellen den Saum, 

Sprigen ing Antlig dir Geifer und Schaum. 

Stolz und verächtlich doc) blickſt du umher, 
Felſen im Meer. 


Tanne im Forſt, 
Hoch auf dem Wipfel des Adlers Horſt, 
Trotze ſo ſtandhaft und wacker dem Sturm, 
Ob auch am Marke dir naget der Wurm, 
Ob auch vom Blitze die Rinde dir borſt, 
Tanne im Forſt. 


Männer der Zeit, | 
Stet3 für die Wahrheit zum Kampfe bereit, 
Ob euch die Lüge mit Neben umſtrickt, 

Ob die Gewalt hier zu Boden euch drüdt, 
Immer erhoben die Waffe zum Streit, 
Männer der Zeit. 


u I>>—— 





\ Anton Behr. u J 299 


—— | der &enz erwadt. — 


Dr Lenz erwacht? Zaulinde Lüfte wehen, 

Schon ſchmolz der Schnee im Thal und auf den Hügeln, 
Nur felten hörst du noch den Schrei der Krähen, 

Ein Sängervolk erfcheint auf leihten Flügeln, 

Aus frifhem Grün die Heinen Blümchen fpähen, 

Froh ſpringt der Bad), frei von des Eifes Zügeln, 
Durch düftre Wolken hell die Sonne lacht, 

Und froh ertönt e3 ringd: Der Lenz erwacht! 


Der Lenz erwadht! Das ift ein Jubiliren, 

Die Vögel fingen herrlih in den Lüften; 

Sieh’, wie die gold’nen Käferchen ſich rühren 

Und fummend fteigen aus der Erde Grüften, 

Das kleinſte Blümlein will die Aue zieren, 

Die Luft erfüllen mit den feinften Düften, 

Und alles freut fi) ring3 des Frühlings Pracht, 

Das Klingt und fingt und ſchwirrt: Der Lenz erwacht! 


Der Lenz erwaht! Was finnft du, Menſch, fo trübe? 
Warum jo düfter deiner Augen Blide? 

Fühlſt du den jeel’gen Bulsfhlag nicht der Liebe, 
Daß er, dein Herz erwärmend, dich beglüde? 
Sind jchon eritorben deine Lebenstriebe, 

Daß nicht dad Herrliche auch dich entzüde ? 
Mad’ auf aus deine Brütend düftrer Nacht 
Und ftimme fröhlich ein: Der Lenz erwacht! 


Der Lenz erwaht! Hörft du die Xerche fchmettern ? 
Das freie Lied ertönet allen Orten, 

Die Sonne fündet fchon in ehr’nen Lettern 

Der Lüge Untergang mit glüh’nden Worten; 

Dort ballen Wolfen ſich zu mächtigen Wettern, 
Vernichtung dräu’nd der Tyrannei Kohorten. 
Allüberall ift ſchon der Kampf eutfadt, 

Ihr legten Schläfer auf! Der Lenz erwadt! 


Der Lenz erwacht! Wohl hörſt du noch das Schreien 
Der Krähen, diefer düfteren Gefellen, 

Doch mächtiger ertönt das Lied der Freien, 

Das Licht wird doch die Finfterniß erhellen ; 

Ich bör’ von ferne lieblide Schalmeien, 

Es feimen ſchon der Zukunft Smortellen, 

Der Völkerfrühling naht, eh’ du's gedacht, 

Die Knechtſchaft wankt und ftürzt: Der Lenz erwacht! 


FACH —8 er . 


300 | Anton Behr. 





>: Der Kekrut. = 
. I 
Daum, daß ih zwanzig Jahre zähle, 


Beruft man mid) zur Stellung ein, 
Droht mit Beltrafung obendrein, 
Wenn zur beftimmten Zeit ich fehle. 


Man brauchet wiederum Soldaten 

Zum Schutze für dad Vaterland, 

Drum für ein buntichedig Gewand 

Taufht mancher Jüngling Pflug und Spaten, 


Das tit feit Jahren fo der Braud, 
Drum fügt fih ohne Murren aud 
Ein jeder, ob's gleih ſchwer ihm falle. 


Es hält auh mid in feiner Kralle 
Ein durd) Gewalt erworbned Recht, 
Und knirſchend füget fi der Knecht. 


II. 


Was ſchwatzt ihr da vom Baterlande, 
Das wieder zu vertheid’gen wär? 

Was von Lorbeeren, Ruhm und Ehr? 
Geht mir vom Hald mit eurem Tande. 


Nicht Hinter euren Grenzeöpfählen 
Hab irgendwo ich einen Feind, 

Sa, von fo manchem lieben Freund, 
Den ich dort fand, Eönnt’ ich erzählen. 


Es führt vieleiht zum felben Glüd 
Dort einen Freund fein Mißgeſchick, 
Und für fein „Vaterland zu ftreiten. 


Sol ih dem Freund der Tod bereiten, 
Weil eines Herrſchers llebermuth | 
Verlangt nad) warmen Menjchenblut? 


Ill. 


Es wählt dad Elend bei den Wolfe, 

Die Herren häufen Gut auf Gut, 

Schon glüht mand Aug’ in düftrer Gluth, 
Auf finitrer Stirn droht Wetterwolfe. 


&3 will dad Elend nimmer .tragen 

Das Volk und rüttelt an dem Jod), 
Nun fommt der Tag am Ende dod, 
Wo e3 den ſchweren Kampf will wagen. 


Anton Behr. - u 301 








— — — nn — — —— — — 





Doch wozu hat man Militär? 
Soldaten her! Soldaten her! 
Speiſt dieſes Pack mit blauen Bohnen. 


Richt darf den eignen Bruder ſchonen, 
Mer in dem Dienſte der Gewalt, 
Da heißt ed: morden blind und talt. 


IV. 


So malt mein Geiſt mit düſtren Zügen 
Der Zukunft grauſig Schreckensbild, 
Es ballen ſich die Fäuſte wild, 

Doch muß ich der Gewalt mich fügen. 


Ihr könnt mich in Kaſernen ſtecken, 
Und zwingen, ſtatt Geo en Schritt 
Nach eurem fteifen Godeltritt 
Die trog’gen Glieder num zu reden. 


Und unter eure Disziplin 
Könnt beugen ihr den freten Sinn, 
Ihr könnt mid auch in Feſſeln fchließen: 


Doh auf das arme Volk zu ſchießen, 
Das bi3 zum Wahnfinn ihr gequält, 
Das zwingt mid feine Macht der Melt. 


pr? 
—— He Zerbſtnacht. — 


orch! wie fo ſchaurig bläſt der Wind, 
ie er bie morſchen Bäume rüttelt 
Und an den dürren Blättern fchüttelt, 
Die, machtlos, feine Beute find. 


Es dedt mit rabenſchwarzen Schwingen 
Die Naht die Mutter Erde u, 

Doch mochte die erfehnte Ruh’ 

Dem Broletar fie heut’ nicht bringen. 


&3 hat die finitre Sturmesnacht 
In feinem Hirne angefacht 
Gar traurigedüftere Gedanken. 


Und aus der Bruft, der müden, kranken, 
Manch fchwerer, tiefer Seufzer fteigt, 
Wie er fo finnend fitt und fchweigt. 








302 


Anton Behr. 


Er ftarrt in Naht und Graus hinaus, 
Kein einz’ger Stern, nur wildes Toben, 
Und wie am Firmamente droben, 

Iſt's auch im Hirne Nacht und Graus. 


Die letzten Hoffnungdfterne ſchwanden, 
Denn wie er auch, gelougi, geichafft, 

Geſchafft mit der Verzweiflung Kraft, 
Sr blieb doch in des Elends Banden. 


Nun ift der Winter vor der Thür, 
Und ad)! wie bald aus dem Quartier 
Wird man den armen Teufel jagen. 


Das ift der Lohn für feine Plagen, 
Daß man ihm noch das Plätchen raubt, 
Wo ſonſt geruht fein müded Haupt. 


Ha! wie er an die Scheiben drüdt 
Die glühend=fteberheige Stirne, 

Toll der Gedanken Jagd im Hirne, 
Und wild hinaus in3 Dunkel blidt. 


Was foll mir dieſes efle Leben, 
Das doch nur Elend bringt und Qual? 
Soll ich in diefem Sammerthal 

Für ewig denn am Staube kleben? 


Was hat für den, der ftet3 entbehrt, 
Das Leben noch für einen Werth? 
Iſt's beffer nicht, ih mach’ ein Ende? 


Er ſtarrt hinaus und ringt die Hände 
Und ſinnt verzweifelnd ſich den Plan, 
Der enden ſoll des Lebens Bahn. 


Zum Schlimmſten iſt er ſchon gefaßt, 
Die Qual noch heute zu beenden, 
Nur einen Blick noch will er wenden 
Den Seinen zu in kurzer Haſt. 


Sie liegen da in ſüßem Schlummer, 
Es ſcheucht die Sorgen wohl ein Traum, 
Man ſieht's an ihren Mienen kaum, 
Daß ſie gewöhnt an Noth und Kummer. 


Da rieſelt's ſeltſam durch ſein Blut. 
Soll, die vertrauen ſeinem Muth, 


Er nun dem Elend überlaſſen. 


Bu A nton Behr. 


303 


Nein, mag ich auch das Leben haſſen, 
Für Weib und Kind ſei unverzagt 
Nochmals der ſchwere Kampf gewagt. 


Noch heulet draußen durch die Nacht 
Der Wind und rüttelt an den Bäumen, 
Da iſt er, wie aus ſchweren Träumen, 
Erſchreckt und plötzlich aufgewacht. 


Dann murmelt er mit leiſer Stimme: 
Was man für eigne Grillen fängt, 
Wenn man ſo recht ans Elend denkt. 
Und lauter fährt er fort mit Grimme: 


Wir trugen ſchon zu lang die Laſt, 
Die uns erdrückt, erſticket faſt. 
Geduld! Bald naht der Tag der Sühne! 


Tann treten wir auf die Tribüne 
Dem Bolfe fündend, daß e3 frei 
Und allen Elend ledig fei. 


Me 


— NRaaigedächtnitfßß.. — 


in ſtarrer Hauch lag auf Europa's Fluren 
Und Kirchhofsruhe brütet rings umher 
Kaum hie und da noch freien Lebensſpuren; 
Denn auf dem Volke laſtet eiſern, ſchwer 
Die Fauſt der Redaktion. Faſt ſchien's auf immer 
Sei nun erloſchen jeder Hoffnungsſchimmer. 





Stumpf und verzweifelnd zog am ſchweren Karren 
Das abgehetzte Proletariat. 

Kaum mochte auf Erlöſung es noch harren, 
Ihm fehlt Muth und Kraft zu einer That, 
Kaum wagt' in ſeine Zukunft es zu ſchauen 

Die vor ihm lag in Naht und Todeögrauen. 


Da plöglih fallt ein Ruf durch alle Lande: 
Ihr Proletarier vereinigt euch ! 

Zerreißt die Stetten, Tprenget eure Bande! 
Erwade Volk! Du folft ein neues Reich 
Durch deine Einigkeit auf Erden gründen, 
Gerechtigkeit und Freiheit endlich finden. 


Anton Behr. 


Am 1. Mai, du Volk der Arbeit, zeige 

Daß e3 dir ernft um deine Rechte tit 

Und jeder Haß und jede Zwietracht ſchweige 
Damit du ftarf und unangreifbar bift. 

Du Lannft befeitigen nur deinen Sammer 
Schmiedft Du zufammen Did zu einem Hammer. 


Und fieh’! Das Volk der Arbeit, es erwachte 
Und kam hervor aus Werkitatt und Fabrik, 


Es ftieg heraus aus tiefem, dunklem Schachte 


Um zu erfämpfen felber fich fein Glüd. 
Verwundert ſah die Welt die Rieſenmaſſen 
Und wußte fih vor Staunen faum zu fallen. 


Und Jahr um Sahr an diefem Feiertage 
Verſammelt fih dad Volk der ganzen Welt 
Und es erhebt den Riefenfchrei der Plage, 
Daß es den Drängern in den Ohren gellt. 
Gelobt zu reichen ſich die ſchwiel'gen Hände 
Bis alle Roth und Knechtſchaft tit zu Ende. 


Und mächtiger mit jedem Jahre mehren 

Die Streiter fih für Freiheit und für Ned. 

Des Volles Stimme muß man endlich hören, 
Bejeitigen was faul und morſch und fchledht. 

Nur Muth! Der Steg muß endlih und Doch werden, 
Damit Gerechtigkeit regiert auf Erden. 


III 


— ds Paradies —— 


Rs immer narrt man di mit blöden Sagen, 
Und füttert dich mit ſchnöden Lügen groß, 
Es tröftet nod) der ſchwarze Heuchlertroß 

Dich mit des Jenſeits fchönen, gold’nen Tagen, 
Da dir Schon unerträglich wird die fchwere Laſt, 
Die du jahrein, jahraus zu tragen haft. 


Man fafelt dir dann vor von einem PBaradiefe, 

Wo du entjchädigt wirft für alles Leid, 

Und wo da3 Herrlichſte für den bereit, 

Der bier auf Erden brav fi ſchinden ließe. 

Drum dulde nur auf diefer Welt die größte Bein, 
Dann wird der Himmel dir ftet3 offen fein. 


Nie in Verlegenheit, um Mittel zu erfinden, 
Dir zu erhalten immer die Geduld, 
Wächſt täglich ihre riefenmäß’ge Schuld 


Anton Behr. | . J 305 


Und du, du läßt dich ruhig weiter ſchinden, 
Dieweil ſie herrlich leben und in Saus und Braus 
Und dir das Fell noch zieh'n womöglich aus. 


O reibe endlich dir den Schlaf aus deinen Augen, 
Damit du ſiehſt der Schurken frevelnd Spiel. 
Setz' ihrem Treiben endlich du ein Ziel, 

Laß nimmer fie von deinem Marke faugen, 

Auf Erden ichaffe Iteber dir ein Paradles, 

Dann ift der Lohn für deine Müh’ gewiß. 


Ye 





— dgie Zandwerksburſchen. — 


zogen drei Burſchen die Straße entlang 
Mit bleichen Geſichtern und ſchlotterndem Gang. 


Der eiſige Nordwind die Fläche durchtoſt, 
Den Wandernden klappern die Zähne vor Froſt. 


Es packt ſie der Hunger, ſie haben kein Brod, 
Drum zwingt ſie zu betteln die bittere Noth. 


Da kommt juſt des Weges ein Büttel daher: 
„Und frieret und hungert euch Dreie ſo ſehr, 


So will ich euch ſchaffen ein freies Quartier, 
Nicht duldet das Betteln und Fechten man hier. 


Da hilft euch kein Sträuben, da hilft euch kein Flehn, 
Ihr müßt auf drei Tage ins Hungerloch gehn.“ 


Sie ſaßen drei Tage im düſteren Haus, 
Dann führte der Büttel zur Stadt ſie hinaus. 


Und draußen der älteſte Burſche hub an: 
„Glaubt, daß ih vor Hunger nicht weiter mehr Tann. 


Zu betteln erlaubt man und Armen ja nicht, 
Zu ftehlen verbietet und unjere Pflicht. 


Eh Eltern und Brüdern wir Schande gebracht, 
Sei lieber dem Leben ein Ende gemadit. 


Und wenn, liebe Brüder, ihr eins mit mir fetd, 
So enden wir heute noch Jammer und Leid.” — 


* * 
* 





— — | die Verſuchung . — 


om Garten her die Kleine kam, 

Die Fiſchermaid, die ſorgenloſe. 
Zu ihres Mieders Schmucke nahm 
Sie eine duftend rothe Roſe. 
Nun ſchaut auf's Meer ſie träumend hin, 
Der Wind umſpielt die friſche Wange; 
Da naht ſich die Verführerin, 
Da naht ſich lockend ihr die Schlange. 


„Die Roſe wählſt Du Dir zur Zier? 

Du armes Kind bis nicht zu neiden! 

Ich habe prächt'ge Sachen hier, 

Die würden wunderſchön dich kleiden. 

Ein reicher Fremder iſt dir hold, 

Er giebt dir gern den Schmuck zu eigen — 
Die Perlen hier, das echte Gold! 

Nur mußt du ihm dich freundlich zeigen.“ 


„Komm heute, wenn die Sonne ſinkt, 
erauf, mein Häuschen iſt verſchwiegen; 
ort ſiehſt du ihn, und Luſt dir winkt, 

Und Schäaͤtze dir zu Füßen liegen.“ 

Die Kleine finnt, die Kleine denkt: 

„a3 mag der fremde Mann doch wollen, 

Daß er ein armes Kind beſchenkt? 

Soll ih ihm danken oder grollen?” 


Und bei der Berlen buntem Schein 
Defällt fie leis ein banges Ahnen: 

„Mein Itebes todte® Mütterlein, 

Du würdeft warnen jegt und mahnen. 
Du ſprachſt, man foll durch gleißend Gold 
Sich nicht beglüdt, beieligt wähnen ... . . 
Ha, fort! Seht weiß ich, was ihr wollt! 
Die Berlen, fie bedeuten Thränen!“ 


A 4 





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MM Bei fandleiber. Me 


a3 Ninglein mit dem Edeljteine, 

Es war der Liebe erſtes Pfand, 
Das fie empfing, die Holde, Nine, 
Aus des gelichten Mannes Hand. 


310 Mar Kegel 


Sie trug ed auch am Hochzeitsmorgen, 
Sie Hielt’3 für einen Talisman, 

Und lange nod) in Leid und Sorgen 
Erfreute fih ihr Herz daran. 


Doch nun — der theure Mann verjchieden 
Nach langer Krankheit fchwerer Bein, 

Von Gut entblößt, vom Glück gerieben, 
Steht mit den Kindern fie allein. 


Es wurden fahl der Hütte Wände; 
Was einit das traute Heim geziert, 
Kam in der Geldverleiher Hände 

Und ward von Trödlern fortgeführt. 


Nun hat fie Alles Hingegeben, 

Und der Ertrag — mie raſch er ſchwand! 
Nun nimmt mit heißem MWiderftreben 
Died Ninglein fie — da3 legte Pfand. 


Wohl, diefes Kleinod zu erhalten, 
Ertrug’ fie felber gern die Noth, 
Ertrug’ des finftern Elends Walten, 
Indeß — die Kinder brauchen Brot! 


Da faßt fie den Entſchluß, gen ſchweren, 
Da bändigt ſie den ſtolzen Sinn, 
Zerdrückt im Aug' die bittern Zähren, 
Und trägt's zum Geldverleiher hin. 


Der ſchätzt das Pfand mit kalten Blicken — 
„Der Stein nicht rar — das Gold iſt ſchwach — 
Doc um fie leer nicht fortzufchiden, 

Bahlt er geringen Geldbetrag. 


Vie ſollt' er höher es belehnen? 

Er weiß nicht, wie es foftbar iſt, 
Und wie viel Glück und wie viel Thränen 
Er nun in ſeinen Schrein verſchließt. 


> 








--.- -—.- - - -- — 
ö— —— —— — ö— — — ———— — — — —— —— — — — —— r r, — 


— Lidl. — 


DR hat fi} die ringende Menſchheit 
Mit flegender Geiſtesmacht 

Die flammende Leuchte eritritten 

Im Rampf mit der ewigen Nacht! 


Einſt leuchteten Fackel und Kienſpahn 
Mit flackernden Lichtern nur, 

Verrathend im Chaos der Wildniß 

Der darbenden Menſchen Spur. 


Dann glänzte in traulicher Hütte 
Mild leuchtend der Lampe Schein, 
Es führte auf Schlöſſern und Burgen 
Die ſtrahlende Kerze ſich ein. 


Mit blendender Flamme des Gaslichts 
Die Neuzeit die Schatten durchbricht — 
Ihm olget in ſonnigem Glanze 

Taghell das elektriſche Licht. 


Und doch — hört den Armen ihr ſeufzen 
Im düſteren Kämmerlein? 

Ihm leuchtet nicht Gas und nicht Kerze, 
Nicht funkelnder Glühlichter Schein. 


Die Lampe auch iſt ihm erloſchen, 

Kein Oel fonnt’ er kaufen mehr, 

Drum richtet beim fladernden Kienſpahn 
Gr traurig fein Lager her. 


FRA 


++ Sommerabend in alien. ++ 


Wom Berg hinab hab’ ich den Blick gefandt 
>65 Yuf Wälder rings, auf üppig grüne Auen. 
Sm Süden au de3 blauen Meeres Strand 
Mar eine reiche, große Stadt zu fchauen. 
Sanft in der Abendröthe Gluth getaucht, 
Sah’ ich die Thürme, Kuppeln und Baläfte, 
Ind von des Abends Nebeln ſchon umhaudt, 
Erhob ſich des Raftelles troß’ge Veſte. 


Den Hafen ſchmückte bunter Flaggen Zier, 
Und einen Wald von Maſten ſah ich ragen. 
Die Schätze ferner Zonen wurden hier 

Mit rüſt'gem Fleiße an das Land getragen. 





BE Mar Regel. 


Das regte fi gleich einem Bienenſchwarm, 

Die Arbeit tft ja ewig unverdroffen, 

Sie ſchuf das Bett mit ihrem ftarfen Arm, 
Darein der Strom des Reichthums ſich ergoſſen. 


Ich ſchritt hineb durch's grüne Weingeländ; 
Da ſeh' ich plötzlich hagere Geſtalten, 

Die ängſtlich bittend ihre Knochenhänd' 
Dem frohen Wanderer entgegen halten. 


·„Wir —* Hunger!” ſtöhnt's aus hohler Bruſt, 


„Wir haben Hunger!“ richt aus ftarren Augen, 
Und aud dem Bild des Glüdes umd der Luft 
Seh ich empor des Volkes Elend tauchen. 


Eie haben Hunger! Ringsum edler Wein 

Und Brot und Frucht in reihem Weberfluffe! 

Sie haben Hunger! Uepp’ge Gaſterei'n | 

In den Paläften winken zum Genuffe! 

„Doh nicht für und; wir find in Leid und Harm 
Auf allzu farge Löhnung angewieſen; 

Was rings auch blüht und reift — wir find zu arm, 
Der ſchönen Heimat Früchte zu genießen.“ 


O, ihr Geftalten, abgehärmt und bleich, 

Sn den Gewändern ſchmutzig und zerrifien — 
Ihr wäret arın? Wie ihöriht; ihr ſeid reich, 

Und habt da3 Unglüd nur, es nicht zu willen! 
Seht der PBalälte ftolze Marmorpradit, 

Sn den Bazaren feht des Luxus Spenden — 

Die Welt, die dort fi) ſchmückt, genicht und lacht, 
Empfing ja alle nur aus euren Händen. 


Ihr pflügt und erntet, fegelt über’5 Meer, 

Ihr bauet Städte, wirfet in Fabriken, 

hr bildet und ernährt ein Kriegerheer -- 

Mie kann für euch der Armuth Kleid fich ſchicken! 
Ihr häufet Schätze — nehmt fie aud) in Hut; 
Durd Wohlſtand fet des Wirkens Kraft geftählet, 
Was Arbeit fchaffet, jet der Arbeit Gut, 

Und arm nur fei, wer Müffiggang erwählet! 


er 
Am Kreislauf des Anhres. 
enn in die heimathliden Gauen 
Der Frühling fiegreih einmarfchiert, 


Da pflegt der Himmel nicht zu blauen \ 
Und feine Lerche jubilirt. 


_ Mar Kegel 313 


__..- m — — I 


In Wettern fommt er hergefchritten, 
Sturmfluthen fünden feinen Lauf! 
Grit wenn das Land er fi) erftritten, 
Pflanzt er fein Sonnenbanner auf. 
Dann erit erfüllt er Flur und Haine 

Mit feinem holden Blüthenduft, 
Dann erft im aold’nen Morgenicheine 
Schwingt ſich die Lerche in die Luft. 


Und wenn des Sommers ſanftes Glühen 
Und träumerifh umſchlungen hält, 
Wenn Falter gaufeln, Rofen blühen — 
Nur ſcheinbar ruhend Liegt die Welt. 
Das ift ein Drängen, iſt ein Reifen 
Vom Erdenſchoos herauf zum Licht, 
Bis wir zu Senf’ und Sichel greifen, 
Zu mäh'n der Garben Vollgewidt. 
Dann iſt des Sommers Kampf zu Ende, 
Dann hat auch er fein Ziel erreicht; 
Es fündet uns die Sonnenwende, 
Daß zögernd er von hinnen weicht. 


Nun kommt der Herbft — es geht ein Zittern 
Durch's buntgefärbte Buchenlaub. 
Des Herbited rauhen Ungewittern 
Fällt nun der Erde Schmud zum Raub, 
. Er fegt hinweg mit fedem Zorne, 
Was abgedörrt und welt und alt, 
Doch in des Weines edlem Borne 
Reift er der Trauben Goldgehalt. 
Das Echte, Edle läßt er gelten, 
Nur Ueberlebtes fiht er an — 
So Stellt, gleich einem Freiheitshelden, 
Der Herbit al3 Kämpfer feinen Mann. 


Der Winter naht mit wildem Toben, 
Legt in Eritarrung Hain und Flur — 
Sr lehrt und unj’re Kraft erproben, 
Gr ift der Vater der Kultur. 
Den Menſchen zeigt er feine Schreden, 
Bis ihm der Menſch ald Gegner ftand, 
Bis er den eisumftarrten Reden | 
Im mädt’gen Ringen überwand. — 
Sp zeigt dad Jahr zu allen Zeiten 
Uns nur des Kampfes Wechlelipiel: 
Dem Menfchen gleih im Vorwärtsichreiten, 
Der kämpfend nur gelangt an’3 Biel. 


ua >! Daun 


314 


Mar Hegel. 


©) Seitenmehfel. DR 


Au ragendem Felſen am ftrömenden Rhein 
Stand einft eine troßige Veſte, 

Der rothe Dietrih von Schredenftein, 

Der Haufte in diefem Neſte. 


Das war ein verwegener Rittersmann, 
Geübt im Gebraudhe der Waffen — 
Der fagte dem Teufel die Fehde an, 
Ind trogte fogar den Pfaffen. 


Er zahlte dem Landgrafen feinen Tribut, 
300 nicht für den Kaifer zu Felde, 
ie Mönche der Mlöfter im Uebermuth 


Um Sporteln und Behnten er prellte. 


Er liebte de3 Rheinweines perlended Gold, 
Er zechte ganz kanoniſch, 

Aud war er den fchönen Mägdelein Hold, 
Und liebte nicht platoniſch. 


Und ald der Bapft ihn that in Bann, 
Dad ftimmte ihn mächtig heiter, 


Er zapfte ein neued Stüdfaß an, 


Und zechte luſtig weiter. 


So hat er vertrunfen gar manches Jahr 
Des Lebens Leid und Sammer, 

Doch ala dad Pulver erfunden war, 

Da folgte der Katzenjammer. 


Da fprad er: „Ich ſeh' das Verhängniß droh'n, 
Das unabwendbare, herbe, 

Die Berthold Schwarziſche Großproduftion 
Zerſtört unfer Kleingewerbe.“ 


Und wirklich, bald ſtürzten die Mauern ein, 
Indeſſen, in Trauer verſunken, 

Der rothe Dietrich von Schreckenſtein 

Den letzten Schoppen getrunken. 


* * 
* 


Der alte, troßige Thurm nur ſtand, 

Ein Denkmal vergangener Tage, 

Und drunten im Thale am Rheinesſtrand 
Da ging eine dunkle Sage: 


Mark _ 35 
Menn wieder fi) ändert der Völker Loos, 
Wenn wieder dad Alte muß fallen 


MWird über dem alten Rebellenfchloß 
Sin fturmfrohe3 Banner wallen. : 











Das wird man als wedendes Kampflignal, 
ALS Banner der Freiheit erkennen — 
Dann werden bie Feinde zum letzten Mal 
Die alte Burg berennen. 


Der Sage Wort fchien inhaltöleer, 
Sahrhunderte ſchwanden von hinneı, 
Und nimmer wehte ein Banner mehr 
Bon jenes Thurmed Finnen. 


Doch endlih — jüngft, im Holden Mat, 
Im frühen Morgengrauen, 

War droben, wallend ftolz und frei, 
Eine rothe Fahne zu —28 


Rings ſtrömte alles Volk herbei, 
Sah jubelnd nach dem Thurme, 
Und zornerfüllt die Polizei 

Die rüſtete ſich zum Sturme. 


Entrollt in der ſonnigen Morgenluft 
Der Zukunft Siegeszeichen — | 
Nun mögen hinab in die Ahnengruft 
Der Gegenwart Raubritter fteigent. 


BER 


——| gie Arbeit. — 


Wenn einen Teppich grüner Saaten 

Der Frühling breitet über’3 Land, 
Da ruft er auch zu neuen Thaten 
Der Arbeit nimmernüde Hand. 
Denn was und feimt im Schooß der Erde — 
Die Arbeit bringt es an dad Licht, 
Die Arbeit ift ein zweites „Werde!“ 
Das ftolz der Men zur Schöpfung ſpricht. 
Doch während fie im fleiß’gen Ringen 
Die Egge und den Spaten führt, 
Entfliebt der Lenz auf leichten Schwingen, 
Bevor fie feinen Hauch gefpürt. 





— 4 — — — m — — — — 
mu. 5* — — — —— —— — 








Und ſtatt des Sommers Glück zu koſten, 
Das in der Wälder Schatten ruht, j 
Da iſt die Arbeit auf dem Poſten 
In Sonnenbrand, in Regenfluth. 
Sie mäht und bindet ihre Garben, 
Die Senfe blinkt im Abendrotd — 
Muß auch die Arbeit oftmald darben, 

- Für Andre fchafft fie reihlih Brot. 

Idhr ſelbſt verdunfeln Müh’ und Kummer 

Des Sommers lichten Farbenglanz, 
Und es umgaufeln ihren Schlummer 
Nicht Rofenduft und Elfentanz. 


Der Sommer flieht! im Berggelände 
Gereift ſchon tft der Traube Blut, 
Wie regen da fi fleiß’ge Hände, 

Zu bergen und dieö edle Gut. 

Es ift des Herbſtes befte Gabe, 

Die nun Im vollen Römer blinft, 
Daß fich der Reiche dran erlabe, 
Indeß die Arbeit Wafler trinkt. 

Sie, die ih nicht im Frühlingsſtrahle, 
Nicht an des Sommerd Glanz erfreut, 
Sie fehlt audy bei dem reihen Dtahle, 
Das jet der Herbit den Menfchen beut. 


Und wenn in falten, dunklen Tagen, 

Der Winter dann fein Ecepter ſchwingt — 

Am jchwerften muß die Arbeit tragen 
- Die Leiden, die er mit ſich bringt. 

Es ließ in ihrer Hütte Raume 

Des Jahres Reichthum feine Spur, 

Das Kerzenlidt vom Weihnadhtsbaume 

Beleuchtet ihre Armuth nur. 

Sp nimmt fie ſtark auf ihren Rüden 

Die ganze, ſchwere Laft der Zeit: 

Sie eilt, die Menſchheit zu beglüden, 

Ind wartet auf Geredtigfeit. 


wo 


Bahn. · 


Wut für die Freiheit du tapfer dich Schlagen, 
Zuerft dann mit Heinlihem Worurtheil brich; 
Trage nicht viel, was die Gegner fagen, 

Und wenn fie dich loben, dann ſchäme dich! 


Kai 


_ Mar Hegel, 


—— gr Künfle. —— 


ar ein Ichönheitätrunfner 
Maler, 
Der die Alltagöwelt, die raube, 
Ganz und gar vergeffen Hatte: 
Dem ihr haftendes Getöfe 
Nur wie ferned Meereöbraufen 
Sn dad Ohr drang — deilen Auge 
Sich verlor in weite Fernen, 
Sudend nad dem Ideale, 
Dem die heiße Künjtlerfeele 
Ihres Strebens Preis geweidt. 
Mit dem Gluthhauch feiner Träume 
Nief er längft verfunfne Welten 
Aus den Trümmern grauer Vorzeit 
Wieder auf zu tollem Leben; 
Rief die alten Götter wieder, 
Jene ſchönen, ftolzen Götter, 
Die in Hella grünen Hainen 
Andachtsvoll dag Volk verehrte, 
Weil fie Wein und Liebe Ihükten, 
Weil zu freudigem Genuffe 
Sie die ganze Menſchheit Iuden 
An die Tafel der Natur. 
Und der fühne Maler wählte 
Aus der Götter lichtem Kreife 
Die Erhabenfte von Allen: 
Aphrodite, die der Schönheit 
Und der Liebe holde Göttin, 
Mit dem Auge, finnverwirrend, 
Mit den üppig Tchönen Gliedern, 
Wie fie aus dem Schaum des Meeres 
Einft zum Sonnenlicht emporitieg. 
Schaffendfreudig trat der Maler 
Mit dem Binfel, der Palette 
Bor die Leinwand, und was 
träumend 
Seine Künftlerfeele fchaute, 
Kam zu herrlicher Geftaltung: 
Aphrodite, fonnig Lächeln, 
Trat in voller, nadter Schöne 
Anz Geſtade unſrer Welt. 
Biel bewundert war dag Runftwerf, 
ALS das Publikum fi) drängte 
In den Hallen, wo der Rünftler, 
Nach des Ruhmes Lorbeer ftrebend, 
Seine Schäße auf den Markt wirft. 





Die Kritik war meiftens Lobend, 
Und wär’ Aphroditend Schöpfer 
Mit der Clique Freund gewefen, 
Hätt' Die goldene Medatlle 
Sicherlich ſein Werk gekrönt. 
Aber ad, fein Käufer nahte 
Mit dem ſchweren, fchnöden 
Mammon, 
Der dem Künſtler fehr vonnöthen, 
Denn mit leeren Tafchen darbt’ er, 
Und die Släub’ger wurden mürrifd). 
Endlich ein Gerichtsvollzieher 
Legte eine blaue Marke 
An den breiten goldnen Rahmen, 
Der Alt-Hellas' holde Göttin 
Schön umſchloß mit ſanftem Glanze. 
Aphrodite, ſonnig lächelnd, 
Spottete des ſtrengen Mannes, 
Doch der Maler mußte hungeru. 


Eine düſtre Trauerſtimmung 
Zog nun ein in ſeine Seele, 
Des Olympos heitre Götter 
Floh'n aus ſeinen Künſtlerträumen, 
Dumpf, wie Orgelton, vibrirten 
Des Gemüths verſtimmte Saiten, 
Schwer, wie Weihrauchwolken, 
wälzten 
Sorgen ſich in ſeinem Hirne, 
Und umglänzt vom Kerzenlichte 
Trat ein ſüßes Frauen-Antlitz 
Tröftend vor des Künſtlers Auge — 
Und er malte die Madonna, 
Wie ſie einer Welt voll Leiden 
Bringt entgegen den Erlöſer. 


Eine güt'ge Himmelsfürſtin, 
Mild umhaucht von ſanfter Trauer, 
Trat fie jedem menſchlich nahe, 
Der zu ihr erhob fein Auge. — 
Und man rühmte laut den Künftler, 
Die Kritik fand nicht zu tabeln, 
Aber wieder fam fein Käufer, 
Denn ſolch' weihevolles Bildniß 
Mag wohl nur der Kirche frommen, 
Und der Kirche war der Meiſter 
Lange, lang' ſchon fern geblieben. 


318 


FT — — — 


Weiter darben, weiter hungern, 
Dieſes iſt das Loos des Künſtlers.. 
Aber ſieh', ſchon ſchafft er wieder, 
Schafft mit gramgefurchter Stirne, 
Aber doch mit regem Fleiße, 
Denn heut' — hat er einen Auf— 


trag, 
Was ihm niemals ſonſt geſchehn. 
Das kam ſo: der Herr von Schulze, 
Millionär und Seifenſieder, 
Hatt' ein neues, exquiſites 
Fabrikat von duft'ger Seife 
In Verkehr gebracht, das allen 
Anderen, profanen Seifen 
Siegreich aus dem Feld ſoll ſchlagen. 
Und an einen echten Künſtler 
Wandt' er ſich, um der Reklame 


Einen höhern Schwung zu geben. 


Dieſer ſoll im Bilde zeigen 

Die Gewalt der neuen Seife 
Ueber allen Schmutz des Lebens, 
Genial und überwält'gend, 

Alle Konkurrenten mordend, 

Und es ſoll des Goldes Fülle 


Mar Kegel, 





— — — — — — —— — — — 


Lohnen ſolche Künſtlerthat. 
Und der Künſtler ſtieg hernieder 
Bon des Ruhmes Sormenhöhen, 
Denn der Hunger, allgewaltig, 
Hatte feinen Stolz gebändigt, 
Und er malt dad Lob der Seife 
Für den reihen Herrn von Schulze. 
Bald an allen Straßeneden, 
Bald aus allen Krämerläden 
Leuchtet ihm fein Werk entgegen; 
Bopulärer iſt's wie alle 
Aphrodtten und Madonnen, 
Die er je noch Zönnte malen, 
Sudgerähmt und unverfäuflich 

ie die beiden Götterweiber, 
Die in feinem Atelier nod) 
Schweigend ihm Gefellichaft leiſten. 


Aphrodite jonnig lächelnd, 
Spottet der fatalen Wandlung, 
Die Madonna mild verzeihet, 
Und der Künſtler — tief im 


Herzen 
Seufzt er, und er ißt ſich fatt. 





— — Fruhlingsblüthen. -- 


S⸗ treibt im März der Fliederbaum 
Schon hoffnungsvolle Triebe. 

Es keimt fo mancher Freiheitstraum 

Und manche Jugendliebe. 


Es drängt aus dunkler Erde Schooß 
Sich auf zum Sonnenlichte. 

Aus vollem Herzen ringt ſich's los, 
Sich kündend im Gedichte. 


Es iſt der alte Schöpfungstrieb, 
Das alte Freiheitsſehnen, 

Die ewig junge Jugendlieb' 

Mit Glück und Glanz und Thränen. 





Diaz Kegel. 


319 


Doch mancher Sturm weht drüber Hin 
Mit nächtli Falten Schauern. 

Was heut dir wurde zum Gewinn, 
Mußt morgen du betrauern. 


Und mander junge Keim verdirbt, 
Vom Todeshaud getroffen, 

Und manche junge Liebe ftirbt, 
Und manches Freiheitähoffen. 


ICH 
— Weihnacht. — 


Kungt nicht froh die alte Sage, 
Proletar, dir in die Ohren, 
Von dem Kindlein in der Krippe, 
Dem die Könige ſich beugten, 
Dem die HirtenHuld'gung brachten? 
Das empor aus Nacht und Armuth 
Sich erhob, um zu vernichten 
Die Gewalt'gen ſeiner Zeit? 


Hörft du nicht die Weihnachts— 
gloden? 
Schauft du nicht den Glanz der 
Sterzen ? 
Siehft du nicht da3 bunte Treiben 
Einer froh bewegten Menge? 
Wirft die allgemeine Freude 
Keinen lihten Sonnenſchimmer 
In da3 Dunkel deiner Seele, 
Die mit Welt und Menſchen hadert? 


Aber mit gefurchter Stirne 
Schüttelt ernit fein Haupt der alte 
Knorrig ſtolze PBroletarier. 
Seinen Mund umhaucht kein Lächeln, 
Seinen Blick durchglimmt kein 
Hoffen, 
Und mit müder Stimme murrt er: 


„Laßt mir Ruh' mit Euren 
Feſten! — 
Heute feiern ſie die Weihnacht, 


— —— — — — — — — 








Morgen jauchzen ſie im Faſching, 
Darauf folgt die Oſtertrauer, 
Dann des Pfingſtens wirrer Jubel - 


Und dazwiſchen geht die ew'ge 
Unabänderliche Knechtſchaft 
Weiter ihren ehr'nen Gang. 

All' die weichen Glockenklänge 
Brechen nicht das Eis des Winters, 
All' die Millionen Kerzen 
Scheuchen nicht die Nacht von hinnen, 
Die uns kalt und ſchwarz umlagert, 
Und der Rauſch der heitern Feſte 
Scheucht die Sorge nicht, die grimme, 
Die auf unſers Lebens Pfaden 
Allorts und entgegenſtarrt — — 
Laßt mir Ruh' mit Euren Feſten.“ 


Wohl — ſo kehr' dem Feſt den 
Rücken. 


ü 
Laß' die Stadt, die buntbelebte, 
Ihren Weihnachtsreigen tanzen, 
Laß' die Klänge und die Lichter 
Ferner in die Nacht verwehen — 
Schreite mit mir durch die Fluren, 
Nach dem dunkeln, dichten Walde, 
Wo die Tannen ihre Schneelaſt 
Aechzend tragen, wo gleich Seufzern 
Raben um die Wipfel kreiſen. 
Nacht und Tod im ſtillen Forſte, 
Sternlos düſter wölbt der Himmel 





320 


an —ñe nn En — 


Wie ein Veichentuch fi) drüber 
Und du ftehft allhier den Spiegel 
Deiner hoffnungsloſen Seele. 


Doch verweile nod am Orte; 
Laß’ des Geiſtes Blick durchdringen 
Diefe Naht und dieſes Grauen, 
Und es wird dir die Erkenntniß 
Bald ein andred Bild enthüllen, 
Sonnig ftrahlend, Licht ent- 
flammend, 
Wie der Hoffnung Morgenſchimmer 
Nach des Leiden? langer Nacht. 
Steh, die Winter-Sonnenwende 
Hat ſoeben fid) vollzogen, 
Und es tft zum Licht gewendet 
Wiederum der Lauf der Tage; 
In des MWinterd tiefiter Dede 
Ward der Frühling neu geboren, 
Denn Natur, die güt’ge Mutter 
Wandelt ihre ew’gen Bahnen 
Und erlöft zu rechter Stunde 
Ihre zagenden Geſchöpfe 


J Mar Kegel. 


—ñ — 
— — — — —— — w ſ 


Aus des Winters Tyrannei. 


Doch die Menſchheit auch iſt ewig, 
Und ſie ſtirbt nicht unter'm Drucke 
Einer Zeit, die ſchwer und düſter 
Ste umſchattet und bedräuet. 

In der Völker trübſten Tagen 
Wird die Freiheit neu geboren 
Und ſie wecket ſchon die Geiſter, 
Und ſie flammt ſchon in den Herzen, 
Wenn ſich ihrer Allmacht rühmet 
Thöricht noch die Reaktion. 


Darum fort das bange Zagen, 
Fort die Wolken von der Stirne! 
Darum auf, dem Licht entgegen, 
Neuem Frühling, neuem Leben! 
Und ſo freu' dich auch der Weihnacht, 
Proletarien ſtark und trutzig. 
enn ſie ſoll die Kunde bringen, 
Daß vorbei die Sonnenwende, 
Und die Völker wieder ſchreiten 
Vorwärts auf des Lichtes Bahn. 


— 
— die Armuth — ſonſt und jetzt. S 


rüher lag ſie an der Straße, 
Wo vorbei die Reichen ſchritten, 

Unter Winſeln, unter Klagen 
Eine Gabe zu erbitten. 
Früher ſtand ſie vor Paläſten, 
Drängte ſich an Kirchenthüren, 
Durch die Spuren ihrer Leiden 
Edler Geber Herz zu rühren. 


Früher, wenn ein Feſt der Großen 
Prunk und Pracht dem Volk enthüllte, 
Stand die Armuth vivatſchreiend, 
Scheue Ehrfurcht ſie erfüllte, 

Und ſie dankte für den Fußtritt, 
Wenn ihm folgte eine Spende, 

Und dem gütigen Tyrannen 

Küßte ſie Gewand und Hände. 


So gefiel ſie ihren Herren, 
Denn der Glanz der Erdengröße 
Strahlte heller, wenn daneben 
Bettler zeigten ihre Blöße. 


—— Mar Kegel. 321 


Sept — die Zeit hat ſich geändert, 
Hat vermehrt die Schaar der Armen, 
Aber nicht als Bettlerhorte 

Flehn fie heute um Erbarmen. 


Heute fteht die Armuth fchweigend, 
Steht mit finnend ernften Mienen 
Sn der Werkitatt des Jahrhunderts, 
An den faufenden Mafchinen. 

Sudt fh Raum mit ftarfem Arme 
In des Tages Kampf zu Ichaffen, 
Schmiedet mit Gedanfenfhärfe 
Ihrer Zukunft Geiſteswaffen. 


Heute nicht in Demuth harrt ſie 
Auf des frommen Mitleids Früchte, 
geut mit ernfter Ford'rung jteht fie 

or dem Forum der Geſchichte. 
Wil, daß ihrer Arbeit Segen 
Andern in den Schooß nicht falle, 
Wil fein Sklavenleben führen, 
Will Geredtigkeit für Alle, 


Wil nicht vor den Thüren wimmern; 
Dur die Hallen will fie Tchreiten, 
Um der Freiheit und der Gleichheit 
Cine Stätte zu bereiten. 

Und die Armuth ift die Mehrheit, 
Daraud wählt ihr Macht und Stärke, 
Bis fie einſtens welterobernd 
Schreitet zum Befreiungswerke. 


p 
— Pfingften. O- 


(1878). 


Das Pfingſtfeſt kam in voller Pracht, 
Die Glocken klangen hell und klar, 

Da hab' ich d'rüber nachgedacht, 

Wie's wohl am erſten Pfingſtfeſt war. 


So war's. Die Nacht der Reaktion 
Lag auf Judäas Gauen ſchwer. 
Ermordet war der Meiſterſohn, 
Zerſtreut der Jünger kleines Heer. 
Ermordet war der Meiſter, — ja, 
Durch einen feilen Richterſpruch. 





21 


322 


Mar fegel, 


Ob Niemand feine Echuld auch fah, 
Er bradte Licht, dad war genug. 
An Gründen fehlt? dem Wolfe nicht, 
Lechzt nach des Lammes Blute er; 
Man log mit ernſtem Angeſicht: 
„Den Staat zerſtört die neue Lehr', 
Der will der Juden König ſein! 
Den Aufruhr trägt er in das Land! 
Wir müſſen ihn dem Tode weih'n, 
Bevor entfacht der Weltenbrand.“ 


Und Jeſus ſprach: „Nicht im Gefecht, 
Nur durch die Wahrheit, durch die Vieh’ 
Wollt ich befreien dies Geſchlecht,“ 
Doch taub das Ohr der Henker blieb. 


Die Wahrheit — unbequemes Ding! 
Die Menſchenlieb' — gefährlich Wort! 
Das Volk die Lehre froh empfing, 
Darum vollzogen ward der Mord. 

Es ward des Volkes Heil’ges Recht 
Ertränft in feines Führers Blut, 

Nun blähte fi) der Lanzenfnecht, 

Nun jubelte die Bfaffenbrut, 

Nun ward fie frech, die Reaktion, 

Nun trat fie ſchamlos an den Tag, 
Und die erfchredten Jünger flohn 

In ein verborgened Gemad). 


Das Bolf da draußen dumpf und Still, 
Die Führer wie das Mild gehetzt — 
Mer ilt es, der nicht meinen will, 
Todt ſei die neue Lehre jetzt? 


Und war ſie todt, als dies geſchah? 
Erlag ſie all dem Leid und Weh? 

Ein Menſch verſchied auf Golgatha, 
Aus ſeinem Grab ſtieg die Idee! 

Sie ſpotteie der Reaktion, 

Unſichtbar ſchritt ſie durch das Land, 
Ermuthigend die Jünger ſchon 

In ihrem heimlichen Verband. 

Und immer heller ward die Gluth, 

Und immer weiter ward es kund, 


- Und immer größer ward der Muth, 


Ind immer feiter ward der Bund — 
Bis flammende Begeifterung 

Das ahnungsvolle Schweigen brach, 
Und Worte der Verkündigung 

Zu allen Völkern zündend ſprach. 








Mar Kegel. 323 


Da hielt fein Schwert die Maſſe auf, 
Kein Prieſterfluch trieb fie vom Ort. 
Es fchaarte ih das Volk zu Hauf, 
Und lauſchte der Apoftel Wort. 

Die Lehre, unverfälſcht und rein, 
Das Evangeltum der Zeit, 

Sie drang in alle Herzen ein, 

Sid Kämpfer werbend für den Streit. 


So kam es, troß der Realtion, 

Die auf Yudäaz Gauen lag, 

Der Geiſt des Fortſchritts Frach ihr Hohn, — 
Das war am erſten Pfingſtfeſttag. 


Noch manche Marterwoche ging 

Am Volk dahin ſeit jener Zeit, 

Und manchmal nody am Kreuze hing 
Die Unſchuld und die Ehrlichkeit. 
Dod die Erfahrung immer blieb: 
Ein Morgen folgt nad) jeder Nacht, 
Und jedem Oftern bang und trüb, 
Folgt eined Pfingftend Lichte Pracht. 

u 


— Kürzhlänge, — 


(1889.) 


Das brauft und Klingt im grahlingSweben: 
Es tit der laute Gruß des M 

Könnt ihr die Klänge nod) verftehen: 

Klopft euch nicht ſtürmiſch noch das Herz? 


Es tönt in diefen Klängen wieder 

Die Zeit voll Leben, Sturm nnd Drang, 
Die alten fühnen Freiheitslieder, 

Die einft dad Volk im Märze fang. 


Das war ein kampfesfrohes Singen 
Dei’ Trommeljhlag und Fahnenwehn! 
Das war ein Hoffen, Werben, Ringen, 
Da3 war ein Frühling rei und Schön! 
Ein Ringen nad) den höchſten Zielen, 
Dem er die Schwerterweihe gab, 

Bid feine weißen Blüthen -fielen 

Auf der gefallnen Kämpfer Grab. 


Und find ſchon längſt verweht die Stlänge, 
Der junge März erneut fie doch; 
Und hört fie nit dad Ohr der Menge, 
Der Fremd der Freiheit hört fie noch. 
21* 


324 





Mar Kegel. 


Wohl tft es nur ein leiſes Mahnen 

Und nicht ein heller Wedruf mehr, 
Wohl zieht auf dieſes Frühlings Bahnen 
Die junge Freiheit nicht daher. 


Doch wenn der Klang dein Obr getroffen, 
Des Märzes fiegesfroher lang, 
Erwacht mit friiher Gluth dein Hoffen: 
Einft tönt auch neu der Freiheit Sang. 


5 
Wilhelm Haſenclevers Fod. 


(3. Juli 1889.) 


Sehest die Reihen!“ dies Kommando, 
Ach, wie oft ſchon mußt' es ſchallen, 
Weil ein theurer Kampfgenoſſe, 

Weil ein Freund uns war gefallen! 

Aber nie in größerm Schmerze 

Trübten Thränen unſre Blicke, 

Wie am Tag, wo du verfallen 

Deinem tragiſchen Geſchicke. 


Lange, lange Jahre ſtritteſt 

Zapfen du an unfrer Spike, 
Donner waren deine Worte, 

Deine Fe ſandte Blitze. 

Dennoch nährteſt du im Herzen 
Nicht des Haſſes wilde Triebe; 
Nur der Freiheit galt dein Streben, 
Nur dem Sieg der Menſchenliebe. 


In des Volkes Maſſe fandeſt 

Du dein Wirken, treu und bieder. 
Viele Tauſend Proletarier 

Drückten dir die Hand als Brüder. 
Denn der Hoffart ſchnöder Dünkel, 
Ferne blieb er deinen Pfaden — 
Warſt ein echter Freund den Freuuden, 
Kamerad den Kameraden. 


Als du fieleſt, trauernd klagten 
All' die Schaaren der Getreuen — 
Der Erinnerung grüne Kränze 
Wollen heute fie erneuern, 

Denn der Tod, der düftre, grimme, 
Dir erfgien er als Befreter. 
Duiede nad) des Unglücks Schreden 
ündet ernft die Trauerfeier. 


Max Hegel. 


Lebend warft du und geltorben, 
Doc geftorben, wirft du Leben! 
Deine fühne Kämpferſeele 

Wird um unfre Fahnen jchweben. 
Und dein Manneöwort, dad warme, 
Dad gewohnt, ind Herz zu dringen, 
Immer wird e3, liebreih mahnend 
Uns im Herzen wiederklingen. 


Was du fäteft, froh gedeih' es! 
Mas du lehrteft, ie verhall’ es! 
Schlafe wohl, du müder Streiter, 
Treuer Schildgenoſſ' Laſſalle's! 
Wenn dereinſt der Lorbeer grünet 
An der Freiheit rauhen Bahnen, 
Werden wir die erſten Zweige 
Treulich weihen deinen Manen. 





325 





— — Zie letzte Selle. — 


ling. In den tief gefurdten Zügen 
Saniz lacht der en. Steft fein Behensgeng gel rieben 
Mei n — 7 it des 3 harten Rinnen — 
Ulm DaB hans "rn Ir Bäume, Nichts bon Hoffen, nichts u 
Alles athmet Licht und Leben. 8 
In des Tau's Demantentropfen un auch ihn hat 200 ber Frühling 
Spiegelt fih die Sonne wieder, inſt mit Item in umfponnen, 
Auf Ben Blüthenzweigen fchaufeln J 9 au) 0 6r nit TR en 
Vögel fingend auf und nieder. Yu des Lebens Glanz und Wonnen. 


. | Arm zivar, aber jugendfreudig, 
Nur ein einz’ger Strahl der Sonne | EC chritt er nit den Pfad des 
Sieht erfterben all’ fein Feuer, _ Rechtes, 
Denn er irrt auf einem düſtern Heilig war ihm alles Edle, 
Teitgefügten Steingemäuer. Fremd war ihm Gemeines, 
Endlih fällt durch Eifenftäbe Schlechtes. 
Er binab in eine Zelle — Doc des Unglüdd böfe Geifter 
Dort entfliehen nächt’ge Schatten | Standen an des Weges Wende — 
Bor des Strahles Zauberhelle, Einer ſchlimmen That bezichtigt, 
Fiel er in der Häfcher Hände, 
Doch es ift ein Bild des Todes, Ach, fein Schwören, fein Betheuern, 


Das fi zeigt dem Sonnenlidhte — or * 
Ach, es ſpielt auf einem blaſſen, Ach, fein Zürnen konnt' ihn retten, 


Kalten Männer-Angefichte. — nn Die ae 
Iſt ein Mann in Sträfling3fleidern, Zwar — die Hugen Richter trrten, 
Aufgebahrt auf harter Truhe, ALS fein Urtheil fie_gelprochen, 

Den erbrüdt des Lebens Bürde, Doc was half ihm feine Unſchuld, 
Dem nun winkt des Grabes Ruhe. | Da fein Ehrenfhild zerbroden ? 





— — — — — — — ⸗ — 


326 


— 


Als er aus des Kerkers Duntel 
Kam zurück — ein irrer Wandrer, 
War die Welt nicht mehr dieſelbe, 
Und er ſelber war ein Andrer; 
Irrte an des Stromes Ufer, 
Doch zertrümmert lag die Brücke. 
Fremder Hochmuth, eignes Grollen 
Trieb ihn in die Nacht zurücke. 


Wohl verſucht' er's, zu verkünden, 
Wie jo unrecht ihm gejchehn, 
Doch mit kaltem Spotteslächeln 
Ließ man den Beſtraften ſtehen. 
Dieſes Lächeln, wiederkehrend 
Auf den Lippen aller Guten, 
Jagte Grimm tin feine Seele, 
Ließ fein beſſ'res Sch verbluten. 


- Niemand wollte Brot ihm geben; 
Endlih ward er ungeduldig, 
Half fich ſelbſt — und ward er- 


griffen; 
Diesmal war er wirklich fchuldig. 
Und den Rüdfall ſtreng zu ftrafen, 
Dies gebeut Gefeg und Sitte... 
Nach der Kerferzelle wieder 
Lenkt er jammernd feine Schritte. 


„Menſchheit, Menſchheit! Unge— 
euer!“ 


Klagt er mit erſticktem Weinen. 
„Warum willſt du mich zerfleiſchen, 
Bin ja einer von den Deinen!“ 
Dann verſiechten ſeine Thränen. 
Jahre kamen, Jahre ſchwanden. 
In die Seele des Gefang’nen 

Andre Bilder Eingang fanden. 


Aus der Rohheit der Genoffen 
Schöpft’ er manche böfe Lehre. 
„O, ih wollt es klüger machen, 
Wenn ich wieder draußen wäre!“ 
Als die Strafzeit ſich erfüllte — 


Der Befreiung froh gewärtig, 
Lag er lauernd, Gier im Auge;. 
est war ber Verbreder fertig! 


„Ha! noch einen Sprung ind Freie! 
Stehlen, rauben! Gut erjagen, 
Und die Menfchen, biele Beitien, 
Wenn fie'3 Hindern, niederfchlagen! 
Und er ging . . bald kam er 
wieder — 
Schwer belaitet. Raſch vergänglich 
War der legte Rauſch der Sünde, 
Und die Strafe — lebenZlänglid. 


Diesmal kannt' er feine Klage, 
Ließ fich fchelten, ließ fi treten, 
Beugte ftumm in's Jod den 


Ä Ä den 
Bernte heucheln, lernte beten. 
That im Stumpflinn ſeine Arbeit, 
Tag für Tag dad ewig’ Gleiche, 
Zange war fein Geiſt geitorben, 
Eh’ fein Körper eine Leiche. 


Heute tft fein Lauf vollendet. 
Aus des Lenzes Sonnenbelle 
Senkt man ibm in's Grab 
hinunter — 
Des Gefangenen legte Zelle. 
Die Beamten fommandiren, 
Daß die Arbeit raſch erledigt, 
Sträflingägruppen ſteh'n im Kreiſe 
Und der Pfarrer hält die Predigt. 


„Seht mit Abſcheu dieſen Todten ! 
Wendet Euch vom Pfad des 
Schlechten!“ 
Kehrt als fromme Büßer wieder 
Zur Gemeinſchaft der Gerechten!“ 
Wohl geſprochen, kluger Pfarrer; 
Aber ſagt den Makelloſen, 
Daß ſie nicht den armen Büßer 
Roh zurück ins Elend ſtoßen. 


BARTH 





Max Kegel 327 





Rortofgen ilt der Sonne Strahl 
Und draußen ftarrt und tobt der Winter. 
Der Bergmann füßt zum letten Mal 
Sein braves Weib und feine Rinder. 
Dann greift nah feinem Werkzeug er, 
„Die Stunde ruft, ih, muß bon Hinnen,“ 
— Es ſcheint, der Abſchied wird ihm ſchwer — 
„Schlaft ſüß, ih muß die Schicht beginnen.“ 


Hinaus dann in die falte Nadit. 

Es knirſcht der Schnee bei feinem Tritte, 

Und doch, er leuft, ſchon nah dem Schadt, 

Noch einen Blick zurüd zur Hütte 

„Schlaft ſüß! — Mir ift ums Herz fo hang! — 
Laßt euch nicht böfe Träume ſchrecken. — 

Es währt die Nachtſchicht ja nicht lang, 

Ich Hoff’ euch morgen fanft zu iweden! 


Und nun hinab, e3 drängt die Noth! 

Nur Schaffen! Alles fonit vergeilen, 

Damit nit von der Meinen Brot 

Die Lohnabzüge gierig freflen.” — — 
Doch wird dad Athmen ihm jo fchwer, 

Es wird ihm falt die Bruft zu enge — — 
Das ift der alte Schacht nicht mehr! 
Unbeimlich ſchleicht es durch die Gänge! 


Der Bergmann kennt dies Nachtgefpenft, — 

Er weiß, der Tod iſt angefahren! 

„Auf Kamerad, wenn du es kennſt, 

So flieh, dein Leben dir zu wahren!“ 

Sa, fliehe. — Zu fpät! — Es bebt der Schadt! 
Der Tonner rollt, die Wetter blitzen! 

„D Weib und Kinder, — gute Nacht — — 
Mein Arm wird nimmer euch beifügen!“ 


. Zwar wirft er fi zu Boden fchnell, — 
Doch hat er nimmer fich erhoben. 
Als wieder ſchien die Sonne hell, 
Führt feine Leiche man nach oben. 
Und feine Vieben Harrten bang, 
Noch glaubend nicht an daS Verderben — 
„Es währt die Nachtſchicht Heut’ fo lang — —“ 
Das ift des Proletarierd Sterben. 


Es 


—— Dergmants &005. — 





328 


Dar Kegel. _ 


—E Sozialiſten⸗Rarſch. O 


uf Sozialiſten ſchließt die Reihen, 
Die Trommel ruft, die Banner weh'n. 

Es gilt, die Arbeit zu befreien, 
Es gilt der Freiheit Auferſteh'n! 
Der Erde Glück, der Sonne Pracht, 
Des Geiſtes Licht, des Wiſſens Macht, 
Dem ganzen Volke ſei's gegeben! 
Das ih dad Biel, das wir erftreben! 
Das ift der Arbeit heil’ger Krieg! 
Mit und dag Volk! Mit und der Sieg! 


Ihr ungezählten Deillionen, 

In Schadt und Feld, in Stadt und Land, . 
Die Ihr um kargen Lohn müßt frohnen 

Und Schaffen treu mit fleiß’ger Hand: 

Noch feufzt Ihr in des Elends Bann! 
Vernehmt den Wedrufl Schließt Euch an! 
Aus Qual und Leid Euch zu erheben, | 
Das iſt dad Ziel, daS wir erjtreben! 

Das ift der Arbeit heil’ger Krieg! 

Mit und das Volt! Mit und der Sieg! 


Nicht mit dem Rüſtzeug der Barbaren, 
Mit Flint’ und Speer nicht kämpfen wir. 
Es führt zum Sieg der Freiheit Schaaren 
Des Geiſtes Schwert, des Rechts Banier. 
Daß Friede waltet, MWohlitand blüht, 
Daß Freud’ und Hoffnung Hell durdglüht 
Der Arbeit Heim, der Arbeit Leben, 

Das ilt das Ziel, dad wir erftreben ! 
Das ift der Yırbeit heil’ger Krieg! 

Mit und das Volf! Mit uns der Sieg! 


—2—— 
— — Im Streik. — 


Rs kann nicht fein!“ fo Spricht der Mann mit finftrer Stirn und 


feſtem Blick. 


„Roc iſt beendet nicht der Streik. Verräther nur geh'n zur Fabrik.“ 


* * 
* 


Und ſchmeichelnd ſchmiegt fein blaſſes Weib an feine breite Bruſt ſich an: 
„te eifenhart tft heut’ dein Herz, du ſonſt fo Iieber guter Mann! 





Mar Kegel. 329 





Du Haft für und fo treu geforgt, für mid und für die Kinderlein, 
Du gönnteft nte dir Raft noch Ruh’ vom Deorgen bt3 zum Sternenfchein, 
Ja Pb den Sonntag gabit bu Hin, zur Arbeit lenkend deinen Gang, 
Für dich im Tofen des Betriebs eritarhb der Gloden Feierklang. 

Und nun — ed ruht dein ftarfer Arm, obgleich es nicht an Arbeit fehlt, 
Denn der Genoflen troß’ger Schaar haft du beim Streit dich zugezählt. 
Die Noth, die unfer Haus fchon lang umſchlichen, einer Böll leich, 
Nun brach ſie ein! Nun wüthet ſie! Du ſiehſt der Kinder Wangen bleich, 
Du hörſt den bangen Schrei nach Brot — o, wende deinen harten Sinn! 
Man harret dein und lohnt dir's gut, auf! geh’ zur Arbeit wieder hin! 
Was Tümmern dich die Andern all? tft groß genug nit unfre Not? 
Sie mögen felbft fich Helfen auch, Schaf’ du nur deinen Kindern Brot!“ 

| * . * 

Er hört und blidt ind Auge ihr, ins Auge, das in Trübſalsnacht 
Ihm oft geleuchtet als ein Stern, der Hoffnung mild und Troft gebradt. 
Doch heut’ Faft feindlich deucht es ihm, wie eines Irrlichts falſcher Schein, 
Und zürnend ftößt er fie zurüd, er ballt die Fauft und donnert „Nein!“ 
„Wohl Hab’ ih“ — und er athmet ſchwer, dumpf grollet Ieiner Stimme 


- on — 
„Geſchafft vom Frühroth bis zur Nacht, doch ſage, Weib, um welchen Lohn? 
Wohl gab ich auch den Sonntag hin im Muͤhen ohne Ruh und Raſt 
Doch kehrte Wohlſtand bei uns ein? Ward leichter unſre Sorgenlaft ? 
Sie ward ed nit! Du weißt ed gut. Die Andern teilen unfer 2008. 
Nun war die Nahrung theuer gar, die Sorgen wuchfen riefengroß. 
So baten wir um beilern Lohn; wir haben Worte nicht gefpart, 
Dod immer wied man und zurüd mit mancher ſchönen Redensart. 
Da galt es, feit zufammenfteh'n — zum Streit! ih lieb im nicht, 
r 


fürwahr 
's eine ſchwache Waffe, — doch die einz'ge iſt's dem Proletar. 
Sp ſtehen wir, fo kämpfen wir, und ſetzen unſer Alles ein, 
Für Weib und Kinder — ja, für euch! und ich ſoll der Verräther fein ?* 


* * 
* 
Es ſeufzt die blonde blaſſe Frau, doch klagend tönt's vom Tiſche her: 
„O bitte, Vater, gieb uns Brot! mich hungert heute, ach, ſo ſehr.“ 
Der Vater hört's verzweiflungsvoll. Im Schluchzen wird F Wort 


erſtickt. 
Die Mutter, ſtatt zu tröſten, nur auf ihn mit ſtillem Vorwurf blickt. 


* * 
* 

Der Hunger iſt der ſtärkſte Feind, dem Menſchenkraft nicht widerſteht, 
Der Streiter beſte ſinken hin, wo ſeine ſchwarze Fahne weht. 

Und dieſer Feind, er zog in's Feld, im Bunde mit dem Kapital. 
„Soll ich mich unterwerfen ihm? — Nein!“ grollt der Brave noch einmal. 
„Ha, ihr, die ihr als „faul“ und „Frech“ die Streiker ſchmaͤht mit feilem Hohn, 
Die ihr des Uebermuths uns zeiht und uns mit Strafen möchtet drohn, 


330 Mar Regel 


— — — — — 
———— —— ñ — —— —e —⸗ñ — — ⸗ 


a, wenn ihr wüßtet, welchen Kampf und welches Leid und welchen Schmerz 
tr hier durchringen! wie er tobt durch unſer Haus, durch unſer Herz! . 
Ihr würdet feiern ſolchen Muth, vor dem der Helden Ruhm verbleicht, 
Ihr würdet beben vor der Kraft, bie Hier ſich eint! die hier nicht weicht! .. .“ 


* * 
* 


Und ſtiller wird es im Gemach, das trüb der Lampe Licht beſcheint. 
Die Kinder haben nach und nach ſich leiſe in den Schlaf geweint. 
Doch horch! das Jüngſte ſpricht im Traum:„O, Vater, ſieh die Früchte hier! 
„Wie ſchön, wie ſaftig find fie doch! mich hungert, Vater gieb fie mir.“ 
So lallt da3 Kind, vom Traum geäfft — der Vater faßt fih an die Stirn, 
Wie pochen ihm die Schläfen wild, ald rafe Wahnfinn im Gehirn 
Der Märtyrer am Dkarterpfahl, gefoltert von des Henkers Hand, 
Ob er in größeren Schmerzen wohl, als dieſes Vaters Herz fih wand ? 
Und doch — wird er zum Abfall auch gedrängt durch hundertfache Bein — 
Aus feinem Aug’, von Thränen feucht, blitzt noch das alte troß’ge „Nein!“ 


* * 
* 


Da lärmt es von der Straße her .. cin frohes Rufen dringt ind Haus: 

„Haloh, Kam'rad! Vernimm, der Sieg tft unfer und der Streit 
t auß 

Bewilligt tft, wa wir verlangt; die Unternehmer gaben nad), 

Weil fett geeint biteb unfer Bund. Zur Arbeit ruft der fünft’ge Tag!“ 


* * 
* 


Er hört's, wie trunken fährt er auf. „Ha — Sieg! ... doch war's 
| die höchfte Zeit!" 
Stark ift des Hungers finft’re Macht, doch ſtärker Treu' und Einigkeit. 


E25 











Georg Herwegh. — — 


—AGeorg Hermegh wurde am 31. Mai. 1817 ald Sohn eines Kochs zu 
Stuttgart geboren. Da er ſchon frühzeitig außerordentliche Begabung zeigte, wurde 
er nad) Tübingen gebracht, woſelbſt er Theologie ſtudirte. Während feiner Militär: 
geit befam Hermwegh mit einem Offiyier Streit und floh nad; ber Sawen. wofelbft 
ex feine „Gedichte Lines Lebenbigen” erfheinen ließ, die großes Auffegen erregten 
und viele Auflagen erlebten. 1£ verließ er die Schweiz und ging nad) Paris. 
Gr wollte eine Zeitſchrift herausgeben und machte, um fi Mitarbeiter zu fuchen, 
im Herbft 1842 eine Reife durch Deutſchland, die fi zu einem fürmlihen Triumph: 
zuge geftaltete. In Leipzig, Dresden, Weimar und Jena wurde ber junge Freiheits- 
dichter von ben Liberalen, die fehr revolutionär thaten, begeiftert aufgenommen. In 
Berlin hatte er eine Nubienz beim König, der ifn mit den Worten empfing: „Ich 
liebe eine gefinnung3volle Oppofition!“ Wenige Woden fpäter wurde er wegen 
eines offenen Briefes an den König aus Preußen auögeriefen. Im April 1: 
fiel er an der Spite von 800 Arbeitern von Paris auß in Baden ein. Bei Echopf: 
heim geſchlagen, floh er nad; Zürih. 1861 wurde feine Anftellung als’ Profeſſor in 
Neapel dur Einfprud; ber preußiicen und franzöfiicen Regierung hintertrieben. 
Mit dem Erwachen der deutſchen Arbeiterbewegung trat er auch fofort in beren 
Reihen ein und lieferte für Die Mrbeiterblätter zahlreiche journaliftiiche Beiträge. 
Herwegg war 1875 nad; Lichtenthal bei Baden-Baden übergefiedelt, mo er am 
7. April 1875 ftarb. Er wurde feinem Wunſche gemäß in ſchweizeriſcher Erbe be: 
graben und zwar in Lieftal bei Bafel, wofelöft man ihm ein beideibenes Denkmal 
gest hat, — Hermwegh war neben Freiligrath ber bebeutenbfte Verherrlicher der 

olution. Alle gepreßten und befümmerten Herzen athmeten auf bei feinem ſieges- 
trunfenen freiheitäevangelium. Begeiſtert jubelten Hunderttauſende feinen herrlichen 
Berfen zu, in denen ale jene Seit bewegenden Gefühle und Gebanfen, Tyrannenhaß 
unb reiheitäfiebe, Weltf—hmerz und Lebensluft, Hoffnung und Berzmeiflung zu einem 
gewaltigen Aftord zufammenfloffen, der den Mächtigen und Unterdrüdern jener Tage 
wie der Bofaunenton von Jericho an bie Dären fhlug. 








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Der ſchlimmſte Feind. 


Bebruar 1871. 


die Bolt, das feine Bäume wieder 
> Big if ben Himmel wachſen fieht 
Und auf der Erde platt und bieder 
Am Knechtſchaftskarren weiter zieht; 


Dies Volk, dad auf die Weisheit beifen 
Bertraut, ber Roß und Reiter hält, 

Ind mit Ergebenheitäadreffen 

Friſch, Fromm und fröhlid) rüdt ins Feld; 


Dies Volt, das einft aus Cäſars Schüfjel 
Und Becher fih fo gern erfrifcht 

Und fid, wie Mommien, feinen Rüſſel 

An Cäſars Tiſchtuch abgewiſcht; 


Dies Volk, das gegen Blut und Eiſen 
Jungfraulich ſchüchtern ſich geziert, 
Und ſchließlich den efol zu preiſen, 
Womit man Straßburg bombardirt. 


Dies Volt, das im gemeinen Kttzel 
Der Macht das neue Heil erblickt 
Und als „Erzieher“ feine Spitzel 

Den unterjochten „Brüdern“ ſchickt. 


Die Alten, Lieben, Wohlbekannten 

Von anno Sechsundſechzig her, 

Schaffot- und Bundesbeil-Votanten, 

Sie ſchüfen Deutſchland? — Nimmermehr! 


Sie werden mit verſchmitzten Händen 
Entreißen Euch des Sieges Frucht; 

Sie werden Euren Lorbeer ſhanden, 
Daß Euch die ganze Welt verflucht! 


intreics gekrönter Poſſenreißer 
Wird nah Paris zurückgebracht; 
Euch holt man einen Heldentaifer 
Aus mittelalterlicher Nacht. 











334 Georg Herwegh. 


— — —— 


Das Blut von Wörth, das Blut von Spichern, 
Von Mars⸗la⸗Tour und Gravelotte, 

Einheit und Freiheit ſollt' es ſichern — 
Einheit und Freiheit? Großer Gott! 


Ein Ambos unter Einem Hammer, 
Geeinigt wird Altdeutſchland ſtehn; 
Dem Rauſche folgt ein Katzenjammer, 
Daß Euch die Augen übergehn. 


Mit patriotiſchem Ergötzen 
Habt ihr Viktoria geknallt; 
Der Reſt ift Schweigen oder Lößen, 
Kriegätdiotenthum, Gewalt. 


Es wird die Fuchtel mit der Knute 
Die heil'ge Alltanz erneun: 
Europa Tann am Vebermuthe 
Stegreiher Junker fich erfreun. 


Gleih Kindern laßt ihr euch betrügen, 
Bis Ihr zu fpät erkennt, o weh! — 

Die Wacht am Rhein wird nicht genügen, 
Der ſchlimmſte Feind ſteht an der Spree. 


—2 


— — Immer mehr! — 


April 1866. 





Nugtanh Geſchrei nach Brot, 

Vom Atlas bis Archangel! 

In halb Europa Hungersnoth, 

Im halben bittrer Mangel! 
Die Scheuern leer, die Steuern ſchwer, 
Die Ernten ſchlecht gerathen — 

Doch immer mehr und immer mehr 
Und immer mehr Soldaten! 


Geld her für Pulver und für Blei! 
Für Reiter und für Roſſe! 
Chaſſepots, Zündnadeln, allerlei 
Weittragende Geſchoſſe! 

Dem Kaiſer Geld! dem Papſte Geld! 
Nur immer friſch von hinten 
Geladen! Denn der Lauf der Welt 
Hängt ab vom Lauf der Flinten. 


— 


Georg Herwegb. 335 


— $ mag es doch nur einen Sag — 


Sanuar 1845. 


His auf, mein Volt, mit Trommelſchlag 
Sm Zorneswetterſchein! 
O wag ed dod, nur einen Tag, 
Nur einen, frei zu fein! 
Und ob der Sieg vor Sternenlidht 
Dem Feinde Schon gehört — 
Nur einen Tag! ed rechnet nicht 
Ein Herz, das ſich empört. 


O wart in deiner tiefen Noth 
Auf feinen Ehebund; 

Mer liebt, der gehet in den Tod 
Für eine Ehäferftund: 

Und wer die Ketten Inirfchend trug, 
Tem ift das Sterben Luft 

Für einen freien Athemzug 
Aus unterdrüdter Bruft. 


Mag düft’re Weisheit fort und fort 
Nur Tod und Schreden fehn, 
Dem Volk fol vor Brophetenwort 

Der Ruf der Ehre gehn. 
Horch auf, der letzte Würfel fällt, 
ein Abend, er iſt nah, 
Noch einmal ftehe vor der Welt 
In deiner Größe da! 


O tilg nur einen Augenblid 
Aus deiner Sklaverei, 

Und zeig dem grollenden Geſchick, 
Daß fie nicht ewig Sei: 

Erwach aus deinem böfen Traum: 
Reif tit, Die du gefucht, 

Und ſchüttle nicht zu fpät vom Baum, 
Menn fie gefault, die Frucht. 


Wach auf! wach auf! die Morgenluft 
Schlägt mahnend an dein Ohr — 
Aus deiner taufendjähr’gen Gruft 
Empor, mein Volk, empor! 
Laß fommen, wa3 da Tommen mag: 
Blitz' auf, ein MWetterfchein! - 
Und wag’3, und wär’? nur einen Tag, 
Ein freied Volk zu fein! 


— 


336 


Georg Derwegh. 


ee ⸗ 


= Sukunftslid. - 


Sommer 1844. 


Ürsermitige Triumppirer, 
Web Eud, wenn Ihr's noch nicht fühlt, 
Wie der trefflide Minirerr - 
Schon ben Boden unterwühlt, 
Daß Ihr in der Geifterftunde 
Kläffend unfer SL erreißt! — 
Doch wir willen, Ihr 8 Hunde 
Und Ihr glaubt an keinen Geiſt. 


Aber kommen wird ein Pfingſten 
Donnernd über Euer Haupt, 
Und ein Feſttag der Geringſten, 
Der des Hochmuth's Stamm entlaubt. 
Der ſich lange ſelbſt vergeſſen, 
Iſt am Ziel der Unglücksbahn, 
Und der Menſch, der ſie durchmeſſen, 
Kommt beim Menſchen endlich an. 


Fort mit Eurer Ahnenbilder 
Uebernächtigem Geficht! 

Geht und pflanzt in Eure Schilder, 
Ritter, ein Vergißmeinnicht! 

Nur ein Ritter ohne Tadel, 
Nur ein Prieſter ſoll noch ſein: 

Für die ganze Welt den Adel! 
Für die Menſchheit Brot und Wein! 


Keine Steuern, keine Zölle, 
Des Gedankens Freiverkehr! 
Keinen Teufel in der Hölle, 
Keinen Gott im Himmel mehr! 
Nieder mit dem Blutpokale, 
Drin der Kirche Wahnwitz kreiſt! 
Ein Columb zerbricht die Schale, 
Wenn er eine Welt beweiſt. 


Einmal noch uns aufzuraffen 
Zu des Lebens Maienluſt, 
Reißen wir das Schwert der Pfaffen 
Aus der Menſchheit wunder Bruſt! 
Zwiſchen Jägern und Gehetzten 
Sei entbrannt die wilde Schlacht, 
Bis man Frieden auf dem letzten 
Eingeſtürzten Tempel macht. 


—— — — — — 


Georg Herwegh. 337 


Zittert, zittert, blöde Thoren, 
Vor der Zukunft ehr'nem Tritt — 
Ja, die Zeit iſt neugeboren, 
Sa, und ohne Kaiſerſchnitt; 
Und erobert wird dad Leben, 
Und wir jubeln gloria: 
Ale Schulden find vergeben, 
Denn fein Gläubiger ift da. 


Durd) die Wolken feh’ ich's tagen, 
Und die Nebel, fie verwehn; 
Mit dem Pegaſus am Wagen 
Muß es endlich vorwärts gehn. 
Eine Phalanx laßt und Ichlingen, 
Die fein Henker brechen kann, 
Und wie jene Römer fingen: 
Nur: die Waffen und den Mann! 


Ungeftüm in taufend Gliedern, 
Taufend Adern glüht der Streit, 
Und ein Arfenal von Liedern 
Liegt in Deutfchland fampfbereit. 
Denn wir wiflen, die Erhörung 
Wird kein lebender empfahn: 
Drum die Fahne zur Empörung 
Trag die Poeſie voran! 


_—— 


— Zauldigung — 


(Auguſt 1848, anläßlich der Wahl des Erzherzogs Johann zum Reichsverweſer.) 


locken, tönt! Kanonen, donnert! Zion, öffne deine Thore! 
Iſrael zieh’ Ihm entgegen, bring Ihm Palm’ und Trikolore, 
Dem Meſſias der Monarchen; thu’ die frohe Botſchaft Fund 
Dem Meifiad der Propheten — — aus bem alten deutfchen Bund! 


Gnädigſt hat er angenommen eined goldnen Scepterd Bürde; 
Angenommen die Entfagung unfrer eignen Manneöwürde, 
Legt Euch, ihr empörten Wellen! Platz, du Volkesocean, 
Platz dem kaiſerlichen Steuer auf der ftolzen Siegesbahn! 


Schweigen wird der Herr gebieten diefer Zeit bewegten Meere, 
Ketten in den deutfchen Hafen Oeſtreichs fcheiternde Galeere; 
Bändiger der Elemente, der den Frieden und verheißt: 

Eine Schöpfung ohne Veben und ein Chaos ohne Geiit. 


Glocken, tönt! Kanonen, donnert! Aller Segen fomm’ von oben. 
DBlaft, ihr Dichter, die Dofaunen! denn die Prinzen foll man loben. 
Zweifel, nüchterner Gefelle, ſchau die Menge hochgeftimmt, 

Wie fie trunfen den Johannes ſchon für den Erlöfer nimmt! 














22 


338 Georg Herwegh. 





In der kaiſerlichen Hofburg jubiliren ſie und zechen 

An des Wahnſinns düſtrer Stätte, in dem Haufe der Verbrechen; 
Und die vielbelobte Treue (daß der Himmel fie verdamm!’ !) 
Schlingt die buhlerifchen Arme um den alten Sündenftanm. _ 


Freude herrſcht in Troja’3 Hallen — die Mintiter find gerathen! 
AN’ die glühenden Apoſtel wandeln fi in Apoitaten; 

Wie ergiebig ift die Ernte, und die Schnitter, wie behend! 

Und wir dreſchen ruhig weiter leeres Stroh im Parlament. 


Aber tückiſch im Verſtecke lauert Auftria, die Spime, 

Bauert, wie fle dad Vertrauen dummer Fliegen fich gewinne; 
Und an ihren Spinnefaden reih'n wir zu der Einheit Kranz 
Bier und dreißig ſchöne Perlen unſ'res deutſchen Vaterland2. 


Und was bringt Er dir zum Danke? Edelſtein aus allen Kronen, 
Bringt als ſchönſte Morgengabe dir den Fluch der Nationen; 
Habsburg — Lothringen! Der Herrihaft unerbittliches Gefek 
Erbt von Metternid, dem Henker, auf den Schlädter Windiſchgrätz. 


Wehe ruft im Todeskampfe, Wehe das zertret'ne Böhmen: 
Ewig wie die Fluth der Weichſel wird des Polen Klage ftrömen ; 
Eine neue Trauerbotſchaft Fündet und der Flammenſchein: 
Die Barbaren ziehen heute in den Dom von Mailand ein. 


— Di vergiften deine Aerzte, die den Eamen der Verweſung 

Sn die Adern dir geträufelt; hoffe nicht mehr auf Genefung, 
Kranke Deutfchland, nur im Fieber ſprachſt du von der neuen Welt; 
Denn der Ader der Geſchichte bleibt von Knechteshand beitellt, 


Schau, wie fie am Wege ftehen, Hunderttaufend Domeftiken, 
Bettelnd einen Strahl der Gnade fi) aus des Tiroler Bliden: 
Feiger Pöbel, laß fie fchallen, deiner Stimme Donnerfraft! 
Alles treibft du mit Behagen, Doch du dienſt mit Leidenſchaft. 


Geitern war e3, daß fie riefen: Barriladen! Barrifaden! 

Und im Bukhemd vor dem Wolfe ftand der Eott von Gotted Gnaden 
Unnüß in den Staub zerronnen ift das letzte Heldenblut, 
Schnedenjaft der Reſt — zum Färben eines Purpurmantel3 gut. 


Die Cäfaren kommen wieder nach den Idus dieſes Märzen, 

Noch einmal find wir belogen, und der Himmel wollte ſcherzen; 
Schließt Euch, ſchließt euch, Hoffnung3blüthen, denn Shrfeid zu früherwacht. 
Und Europa deckt noch immer kalt und ſtumm die alte Nacht. 


Opfern wir dem neuen Götzen, daß in einer Weihrauchwolke 

Sich verhülle und vergrabe dieſe Schmach dem deutſchen Volke! 
Glocken, tönt! Kanonen, donnert! Schmeichle, ſchmeichle feiles Erz! 
Geht ein jeder Schuß doch mitten durch der jungen Freiheit Herz. 


—W 





Georg Herwegh. 339 





— — Byundeslied. — 


für den Allgemeinen deutſchen Arbeiterverein. 


April 1864. 
You are many, they 
(Eurer find 3 ele, ihrer e Aub enige.) 


Dar und arbeit’! ruft die Belt, 
Bete furz! denn Zeit tft Gelb. 
An die Thüre pocht die Noth — 

Bete kurz! denn Zeit iſt Brot. 


Und du aderft und du fält, 

Und du nieteft und du näplt, 

Und du bämmerft und du fpinnft — 
Sag, o Volk, was du gewinnſt! 


Wirkſt am Webſtuhl Tag und Nacht, 
Schürfſt im Erz- und Kohlenſchacht, 
Füllſt des Ueberfluſſes Horn, 

Füllſt es hoch mit Wein und Korn. 


Doch wo iſt dein Mahl bereit? 
Doch wo iſt dein Feierkleid? 

Doch wo iſt dein warmer Herd 
Tod wo ift dein ſcharfes Schwert? 


Alles ift dein Werk! o ſprich, 
Alles, aber Nichts für dich! 

Und von Allem nur allein, 

Die du fchmiedft, die Kette, dein? 


Kette, die den Leib umftridt, 

Die dem Geift die Flügel knickt, 

Die am Fuß des indes ſchon 
Klirrt — 0 Volk, dad iſt dein Lohn. 


Was hr hebt and Sonnenlicht, 
Schäte find es für den Widt; 
Was Ihr webt, es iſt der Fluch 
Für Euch feibfi — ins bunte Tuch. 


Was Ihr baut, kein ſchützend Dach 
Hat's für cuch und kein Gemach; 
Was Ihr kleidet und beſchuht, 
Tritt auf Euch voll Uebermuth. 


Pepſchenblenen— die Natur 

Gab ſie Euch den Honig nur? 
Seht die Drohnen um Euch her! 
Habt Ihr keinen Stachel mehr? 


340 


| Georg Herwecah. 


Mann der Arbeit, aufgewacht! 

Und erfenne deine Macht! 
Alle Räder ſtehen ſtill, 

Wenn dein ſtarker Arm es will. 


Deiner Dränger Schaar erblaßt, 
Wenn du, müde deiner Laſt, 

In die Ecke lehnſt den Pflug, 
Wenn du rufſt: es iſt genug! 


Brecht das Doppeljoch entzwei! 
Brecht die Noth der Sklaverei! 
Brecht die Sklaverei der Noth! 
Brot iſt Freiheit, Freiheit Brot! 


| 
— — dgie Arbeiter an ihre Bruder. — 


Frei nach dem Türkiſchen. 
1866. 


DM: Thüren in den Efien 

Die Feuer Tag und Nadt, 
Am MWebftuhl, an den Preſſen 
Steht unfre Friedenswacht. 


Wir ihürfen in dem Qualme 
Der Gruben nah Metall, 
Den Segen goldner Halme 
Dankt und der Erdenball. 


Doch wenn dad Korn gedroiden, 
Dann heißt ed: Stroh als Lohn, 
Dann heißt’3: für und den Grofchen, 
Den Thaler dem Patron. 


Dann heißt's: für uns den Schragen, 
Das weiche Bett dem Gauch! 
Dam heißt's: nichts in den Magen, 
Und Kugeln in den Bauch! 


Vergebens aus der Tiefe 
Steigt der beraubten Chor, 
Mit ſeinem Vollmachtsbriefe 
Ans Glück, zum Licht empor. 


Was hilft es, das wir trotzen, 
So lang noch mordbereit, 

Ihr gegen uns den Protzen 
Die ſtarken Arme leiht? 





O weh, daß Ihr, im Bunde, 
Mit ihnen, uns verließt, 

Und daß Ihr uns wie Hunde 
Auf ihr Geheiß erfchteßt.! 

Ach, wenn ſie Euch nicht hätten, 
Wär Alles wohlbeſtellt; 

Auf Euren Bajonetten 

Ruht die verfehrte Welt. 


An Euren Bajonetten 

Klebt aller Zeiten Fluch; 

Wir trügen Teine Ketten, 
Trügt Ihr fein buntes Tuch; 
Wir braudten nicht zu frohnen 
Für Sultan und Vezier, 

Nicht länger für die Drohnen 
Zu darben braudten wir. 

Wir hätten nicht zu beben 

Bor Paſcha oder Scheik 


| Und könnten bald erleben 
ı Den großen TFürftenitreif. 


Durch Euch find wir verrathen, 
Durch Euch verfauft allein : 


ı Wann ftellt Ihr, o Soldaten, 
| Die Arbeit endlich ein? 


Sr 


Georg Herwegd. Eu 341 











——— gie Vreigenthämerin. 


Herbſt 1870. 


Da Wörth die erften Prügel ſchon 
Erhalten hatte Mac Mahon; 
Geſchlagen war am Sauerbach 

Die Schladt, und Berthold Auerbad), 
Die Seelengröße der Geſchütze 
Bewundernd in der Preußenmütze, 

Nit feinem Aftronomendor 

rang ftammverwandt nad Straßburg vor. 
Serfunten faß ich in Gedanken; 

Mir war, als hört’ ich Iautes Zanken; 
Altdeutihland rief: Nun kann ich holen, 
Was mir die Wälfchen einft geitoblen ! 
Gemach, Ihr Kelten, fchrie'n die Finnen, 
Ihr ftahlt ed uns, trollt Euch von binnen! 
Was habt Ihr Finnen hier zu Tchaffen? 
Da3 Land war unfer, fchrie'n die Affen. 
Mir waren vor den Affen bier, 

Brummt Fiſch und Saurtergetbter. 

Und wir, entgegneten die Schneden, 

Wir Hatten hier im Meereöbeden 

Schon vor Meonen mandes Haus; 
Hinaus, Eindringlinge, hinaus! — 

Sp ging’3 entlang die Stufenleiter 

Der Wefen ad absurdum weiter. . 
Die Eonne nahm zulegt das Wort: 
„O, Ihr Soriffent/prognen dort!” — 
Begann fie — „bie Ihr Euch erfredt, 
Zu poden auf hiſtoriſch Recht, 

Und Euch dafür, zum Spaß der Kronen, 
Belriegt mit Flinten und Kanonen; 

Ihr Träger herrlicäfter Kultur, 

Die Ihr in Schillern wohl und Goethen 
Als höchſte Kunſt die Runft, zu tödten, 
Erlernt Habt; Eins vergaßt Ihr nur, 
Daß diefer ganze Erdenbettel 

Erit mein war, Einſchlag fo wie Zettel, 
Und wieder mein wird, wenn's gelegen 
Dem unbelannten Weltitrategen. 

In meiner Sonnenjeele leid 

hut mir's, daß Ihr fo thöricht ſeid, 
Die plumpften Götzen anzubeten, 

Die Eifen- und die Blutpropheten — 

O dürft ih Eueren Blaneten 

Mir annerteren vor der Zeit, 

Dem Mordgebrüll, den Siegesmärſchen 





342 


Georg Herwegh. 


— — — — 


— I — — —72 — 


Ein Ende machen und dem närr'ſchen 
Weltherrſchaftsdünkel in Berlin, 

Das ih von je nicht gern beichien ! 

Der Aufihub Hat mich oft verdrofien —“ 
Hier wacht ih auf — Ih glaub’, ein Kreuz 
Wart von den frommen Shen Teut’s 
Am Münfter juft entzwei geſchoſſen: 

Die Sonne hatte zornerfüllt 

Am Himmel droben fi) verhüllt. 


— „LI 


— Golgatha. 





— 


Sanuar 1873. 


A: dem einen ren die Liebe, 

Ihr zur Seiten in Geftalt 
weier Mörder oder Diebe — 
feiner Diebe — die Gewalt! 


Wenn ih fo in unfren Tagen 
Mir betrachte dieſes Bild, 
Muß ih mich im Stillen fragen. 


Wem der Menschen Inbrunſt gilt. 


Ob nicht manchmal fi beim Beten 
Unfrer Fommen Blid verirrt, 
Und einStrold ftatt des Propheten 
Gegenftandb der Andacht wird. 


Auf der Höhe thront im Leben 
Und erringt ih Ruhm und Preis, 
Wer das Kreuz des Schächers neben 
Chriftt Kreuz zu ehren weiß; 


Wer vor einem gnadenreichen 
Heiland niederfniet im Staub, 
Aber Leichen thürmt auf Zeichen, 
Um zu fihern feinen Raub. 


Schade, daß ich nie begriffen, 

Schwarz und weiß zugleich zu ſein! 
Hat mid drum auch audgepfiffen 
Mancher Preuße, groß und klein. 


ee te —— 





— — Zum nennzehnten Hai. 








(Eröffnungstag der neuen preußiſchen Volkskammern.) 
1862. 


36 fah, wie fle gleich einem Hund 
Den Trügichler*) feig erfchoffen 
Und Dortü’3 Blut auf Freiburg Grund 
Am frühen Tagen vergoifen. 


Ich ſah, wie fi in wilder Luft 
Die Knechte drauf befoffen, 

Als hätt’ mich felber in die Bruft 
Ihr Standrechtsblei getroffen. 


ſah, von Zorn und Scham bewegt, 
Wie dieſe frommen Beter 

Durch ihre Häſcher ausgefegt 

Den Saal der Volksvertreter. 


* W. A. v. Trutzſchler vurde am 14. Aug. u. Mar Dortu am 31. Juli 1849 in Baben 


ſtandrechtlich erſchoſſen. 





> 


Georg Oerwegh. 


— — — 


Ich ſah ſie — niemals im Gefecht, 
Doch immer in Kamaſchen, 

Bereit, zu greifen in das Recht 
Und in des Volkes Taſchen. 


Ich ſah, wie neulich ein Profos 
Sein Scepter nahm vom Nagel. 
O, dieſer Augenblick war groß — 
Für Junker und Janhagel! 


Ich ſah' und hört' — wie ſie gelobt 
Den Herrn mit Harf' und Pfalter, 
Und wie zu Roß und Fuß gelobt 
Das ganze Mittelalter. 


Wie lang noch? rief ich endlich aus, 
Wil feine Hand fh rühren? 

Ich wanderte von Haus zu Haus 
Und Llopfte an die Thüren: 


Heraus! Zhr Männer meiner Wahl, 
Heran, m meiner Urne! 

Hinſchreit' ih durch den weißen Saal 
Auf ehernem Kothurne; 

Hinſchreit' ich wieder durch die Welt, 
Zerbroch'ne Herricherftäbe 

Und Kronen ſchmücken mein Gegelt; 
Ich Ieb’, ich leb', ich lebe! 


Ich lebe, und id) winde ſchon 
Den Kranz für meine Streiter: 
Ich bin die Revolution! 
Nur weiter, Kinder, weiter! 


—— 
— Sine Antwort. — 





April 1878. 
Un läßt du immer noch den Lauf 


Dem alten Groll, du Preußenhaffer ? 


Gebt Preußen nicht in Deutfchland auf?” 
Sa wohl, jo wie der Schwamm im Waſſer, 
Der, wenn er voller fi) und voller 
Gefogen wie ein Hohenzoller, 

Sich ebenfalls könnt” unterfangen 

Und ſprechen: Gudt, Ihr Tröpfchen, guet, 
Wie ih To prächtig aufgegangen 

In Euch, indem ih Euch verſchluckt! 


— 


343 





344 


Georg Herwegh. 


33) Ben Siegestrunknen. Ce««- 


vrähjahr 1971. 


Worüber ift der. harte Strauß, 

Der welſche Drade liegt bezwungen, 
Und Bismard-Siegfried kehrt nah Haus 
Mit feinem Schag,der Nibelimgn; 
Stolz blidt auf ihrer Kinder Schaar 
Germania, die Heldenmutter; 

Stolz blidt das Denkervolk ſogar 

Auf Döllinger, den Afterluther. 


Ihr habt ein neues deutſches Reich, 

Von Junkerhänden aufgerichtet. 

Redwitz befingt den Schwabenſtreich 

Und hat ein dickes Buch gedichtet; 

Ihr habt ein neues Oberhaupt, 

Ihr Elſaß-Lothringen-Verſpeiſer; 

Den Papſt, an den Ihr nicht mehr glaubt, 
Erſetzt ein infallibler Kaiſer. 


Ihr wähnt Euch einig, weil die Peſt 
Der Knechtſchaft ſich verallgemeinert, 
Weil täglich noch der kleine Reſt 
Lebend'ger Seelen ſich verkleinert; 

Ihr wähnt Euch einig, weil ein Mann 
Darf über Krieg und Frieden ſchalten 
Und Euch zur Schlachtbank führen kann 
Mit der Parol': das Maul gehalten! 


Ach, Einheit iſt ein leerer Schall, 

Wenn ſie nicht Einheit iſt im Guten, 

Wenn ihr korinthiſches Metall 

Uns mahnt an Mord und Städtegluthen; 
Ach, Einheit ift ein tönend Erz, 

Menn fie nur pochend auf Kanonen 

Zu reden weiß an unfer Herz — 

Und klingt es ander? von den Thronen? — 


Einheit des Rechtes tft fein Schild, 
Der und bewahrt vor Unterdrüdung ; 
Nur wo ald Recht dad Rechte gilt, 
Wird fie zum Segen, zur Beglüdung. 
Nur dieſe war’3, Die wir erftrebt, 

Die Einheit, die man auf den Namen 
Der Freiheit aus der Taufe hebt; 
Doch Eure ftammt vom Teufel: Amen! 


YRr 





- 
— 


>: Altes und Neues ans dem dentſchen Keiche. S 
1866. 


Di Alte hieß der Vierte, 
Gott Thüße feinen Schlummer. 
ALS er die Welt quittirte, 

Kam eine neue Nummer 


Grad oder ungerade? 

Ich weiß nicht, meiner Treuen ! 
Der Alte ftarb, wie ſchade! 
Mir hofften auf den Neuen, 


Der Alte Hat für Gänfe 
Greirt den Schwanenorden, 
Und dem Verdienſt find Kränze 
Aus feiner Hand geworden. 


Der Neue bat für Mufen 

Und ſolches Pad fein Faible, 
Im ritterliden Bufen . 
Schwärmt er nur für den Säbel. 


Der Alte war ein Muder, 
Man konnt' ihm das erlauben: 


Georg Herwegh. J 





345 


— - — — — — 
IT — I 








Der Neue ia! auch feinen Zuder 
In feinen Ehriftenglauben. 


Der Alte ließ in Gnaden 

Den Kopf vom Rumpfe trennen, 
Der Neue war in Baden — 
„Dan Toll ihn nicht verfennen.“ 


Der Alte hat verſprochen, 
Verſprochen und verheißen; 

Der Alte hat's gebrochen, 

Der Neue wird's Euch — halten. 


Der Alte ſoff zum Platzen, 
Herriſch, unerſchrocken; 

Wir hatten den Jammer der Katzen: 
Der Neue iſt ſehr trocken. 


Der Alte machte Witze, 

Der Neue birgt beſcheiden 

Sein Pfund — dem alten Fritze 
Gleicht Keiner von den Beiden. 


WER 
+ Dem Senfor. ++ 


nfeliger Eunuche du, 

Der unſ'res Geiftes Hauch bewacht, 
Und ſich für ſeines Sultans Ruh', 
Zum gottverfluchten Knechte macht! 


Du haſt mein bloßes Wort verdammt, 
Weil's nicht in Eure Küche paßt: — 
Hat minder drum dies Herz geflammt 
Und minder Dich und Ihn gehaßt? 


O glaub' den Geiſt nicht unterjocht, 


Wenn du vom Leib ein Glied 


etrennt! 


Du Sklave putzeſt nur den Docht, 
Damit das Licht noch heller brennt. 


346 Georg Herwegh. 


— — — — —— 2— — — — — — — — 
III II LITT IT ñ — — ö—— — ———— — — — —s—⸗ 





Kom armen Zakob und von der Kranken &iefe. 


Weh' bem Geſchlech 
Der Serergtein, bie —* brüften End bie thronen! 
Im Finftern wimmelt's ohne Brot und Recht 
Don Miltonen. 
gr. Sallet. 


Der arme Jakob. 


Dr alte Jakob ftarb heut Nacht — 
Da haben fie am frühen Morgen 
Sechs Breiten ihm zurecht gemacht 
Und drin den Schatz geborgen. 


Ein ſchmucklos Haus! Man giebt in’d Grab 
Dem Feldherrn doch den Selhderrnbegen — 
Warum nicht auch den Bettelſtab 

Auf dieſe Bahre legen? 


Den Degen, den er treu geführt, 
Der in die Scheide nie gekommen. 
Bis ihn der letzte Schlag gerührt 
Und von der Welt genommen. 


war der Welt, ſie ſeiner ſatt — 
u zwölfen in ber engen Stube! — 

Set ihm ein überflüffig Dlatt, 

O Lenz, in feine Grube! 


Als hätt’ er Großes nie gethan, 

Iſt raſch der Glüdliche vergeſſen, 
Kein Dichter ſtimmt ihm Bulmen an, 
Kein Pfaffe lieſt ihm Meilen. 


Die Heller, die man in den Sand 
Ihm warf aus fchimmernden Karofien, 
Sind Alles, wad vom Vaterland 

Der arme Mann genoſſen. 


Juſt die vom Himmel ihm Fyrahlt 
Sah'n Die Erde zwiefach ge 

So wird die Schuld an’. Bol bezahlt 
Mit Wechſeln auf die Sterne. 


Und kaum tft und genug am Jod 

Der Armuth auf gefrümmten Rüden : 
Man will der Knechtſchaft Stempel noch 
Ihr auf die Stirne drüden. 


Schlaf wohl in deinen Sarfophag, 
Drin fie dich ohne Hemd begraben: 
Es wird fein Fürft am jüngſten Tag 
Noch reine Wäſche haben! 
* 





Georg Herwegb. 


Die Trante Lieſe. 


Weihnacht! die kranke Lieſe fchreitet 
rd Saubourg Hin in banger Flucht, 
Sie hat zu Haus fein Bett bereitet 
yur ihre Leibes erſte Frucht. 

ohl manches prunkt im Fürſtenſaale, 
Den ſtolzer Kerzen Glanz erhellt — 
Marſch, Vieſe, weiter, zum Spitale! 
Dort kommt das Volk zur Welt. 


„Mein armer Weber mag nur zetteln, 
Sein Fleiß und Schweiß — was helfen fie? 
Das Volk muß Sarg und Wiege betteln; 
Allous, enfant de la patrie! 

Kind, dem fie unter meinem Seren 

Die Luft am Beben fchon vergällt, 

Gebuld, Bid wir im * der Schmerzen! 
Dort kommt das Volk zur Welt. 


„Sie feiern heut dem Gott der Armen, 
Die reichen Herrn, ein Freudenfeſt: 
Doch glaubt nicht, daß ſich das Erbarmen 
An ihrem Tiſche ſehen läßt, 

Daß je in ihre Feſtpokale 

Der Schimmer einer Thräne fällt — 
Mari, Lieſe, weiter, zum Spitale! 

Dort fommt dad Volk zur Welt. 


„Du machſt mir wahrlich viel Beſchwerden, 
Der Liebe Kind, ich dacht’ es nie; 

Das wird ein wilder Junge werden: 
Allons, enfant de la patrie! 

Für eurer Prinzen zarte Nerven 

Iſt Daun’ auf Daune Hoch geſchwellt: 

Ich muß in einer Grube werfen — 

So kommt das Volk zur Welt. 


„Kläng' noch die Trommel unferm Ohre 
Und wär’ noch eine Fahne rein: 

Der Lappen einer Tricolore, 

Er follte deine Windel fein; 

Du wärft getauft, eh’ feine Schaale 

Ein Pfaffe dir zu Häupten hält — 
Mari, Liefe, weiter, zum Spitale! 
Dort fommt das Volk zur Welt. 





348 


—— 


Georg Herwegh. 
„Wer wird fo ungeſtüm ſich melden? 
Metn Tleined Herz, was ſuchſt du hie? 
Nur noch zum Grabe diefer Helden! 
Allons, enfant de la patrie! 

Dort ſeh' ich in des Frühroth's Helle 
Die Yultfäule aufgeftelt —“ 
Und nieder ſank fie auf der Schwelle; — 
Sp fommt dad Bolt zur Welt! 


Sn | 
— Ichtzehnter Binz. — 


März 1873. 


F ätresnfunbertiergig und acht, 
ALS im Lenze dad Eid gekracht, 
Tage des Februar, Tage des März, 
Maren e3 nit Proletarierherzen, 
Die voll Hoffnung zuerft erwacht 
Achtzehnhundertvierzig und acht? 





Achtzehnhundertvierzig und acht, 

ALS du dich lange genug bedacht, 

Mutter Germania, glüdlich verpreußte, 
Maren es nit Broletarierfäufte, 

Die ih and Werk der Befreiung gemacht 
Achtzehnhundertvierzig und acht? 


Achtzehnhundertvierzig und act, 

Als du geruht von der nächtlichen Schladt, 
Waren ed nicht Proletarierleichen, 

Die du, Berlin, vor den zitternden, bleichen 
Barhaupt grüßenden Cäfar gebracht 
Achtzehnhundertvierzig und acht? 


Achtzehnhundertfiebzig und Drei, 

Hei der Reichen, da ftehft du, juchhei! 
Aber wir Armen, verkauft und verratheu, 
Denten der Broletarierthaten — 

Noch find niht alle Märze vorbei, 
Achtzehnhundertfiehzig und drei. 


aD 


Georg Herwegh. 349 


——| ger letzte Krieg. | — 


1841. 


R:: feine Hände talten fann, | Satvorwärts,bisder Morgen blinkt, 
Bet’ um ein gutes Schwert, | Ja! vorwärts, friſch und froh! 
Um einen Helden, einen Mann, Borwärts, big hinter und verfintt, 


Den Gotted Zorn bewehrt! Die Brut deg Pharao ! 

Ein Kampf muß und noch werden, | Er wird aud) für uns fprechen, 

uud drin der ſchönſte Steg, Der Herr, der für und ſchwieg, 
Der letzte Kampf auf Erden, Und unfere Ketten brechen 

Der letzte heilige Krieg! Im lebten heiligen Krieg. 
erbei, herbei, ihr Völker all’, O walle bin, du Opferbrand, 
m Euer € Schlachtpanier! Hin über Land und Meer, 

Die Freiheit iſt jetzt Fedmarſchal, Und ſchling' ein einig Feuerband 

Und vorwärts heißen wir. Um alle Völker ber: 

Der Zeiger weiſt die Stunde, So wird er uns beſchieden, 

D flieg’, mein Polen, flieg', Der große, goße Sieg, 

Mit j em Stern im Bunde, | Der ewige Völker⸗-Frieden — 
Voran zum heiligen Krieg! Friſch auf, zum heiligen Krieg! 
N. 

+ Die Kuthe. ++ 


aum geht im deutſchen Land ein Riegel, 
Schloß und eine Fette los: 

So heit man hinter unſres Rheine Spiegel, 
Geſchwind als Ruthe den Franzos! 
Und du, mein Volk, du glaubſt den Mären 
Und dein Verſtand ergrei die Flucht, 
Du rupfit den Hahn, und denfft ni an den Bären, 
Den man dir aufzubinden ſucht! 
Du rupfſt den Hahn, indeß der Geier, 
Dir tief in deine Leber t: 
Du träumſt von der und du glaubft dich freier, 
Wenn dein Gefängniß größer ift. 
Du nählt dir an die weiße Mütze 
Die Scellen der Philofophie 
Und folgft dem Srrlidt, hngelnb in die Pfütze 
Der Obſkuranten-Kompagnie! 


—* „Eckſtein aller Nationen!“ 


O göttli Volt von 40 Millionen, 
Das 30 Menfhen unterthan! 


ui 


350 Georg Herwegh. 








— — gas Lied vom Saſſe — 
. 1841. 
Vornau wohlauf, über Berg und Fluß, 


Dem Morgenroth entgegen, 
Dem treuen Weib den legten Ruß, 
Und dann zum treuen Degen! 
Bis unfre Hand in Afche ftiebt, 
Soll fie vom Schwert nicht laſſen; 
Wir Haben lang genug geliebt, 
» Und wollen endlid) haften! 


Die Liebe kann und helfen nicht, 

Die Liebe nicht erretten; 

Halt’ du, o Haß, dein füngft Gericht, 
Brih du, o Haß, die Ketten! 

Und wo ed noch Tyrannen giebt, 

Die laßt und Ted erfallen; 

Wir haben lang genug geliebt, 

Und wollen endlich haſſen! 


Wer noch ein Herz befikt, dem ſoll's 
Sm Haſſe nur fi rühren; 
Allüberall ift dürres Holz, 

Um unfre Glut zu fchüren. 

Die ihr der Freiheit noch verbliebt, 
Singt durch die deutihen Straßen: 
„Ihr babet lang genug geliebt, 

O Iernet endlich haſſen!“ 


Belämpfet fie ohn’ Unterlaß, 

Die Tyrannet auf Erden, 

Und heiliger wird unfer Haß, 
Als unsre Viebe, werben. 

Bis unfre Hand tn Afche ftiebt, 
Soll fie vom Schwert nicht Laflen; 
Wir haben lang genug geliebt, 
Und wollen endlich haſſen! 


Kur 
>E SEchlechter Srofl. X 


Di wirft ein fchöner Leben jchauen, 
Und ewig, ewig bleibt es dein; 

Man wird dir goldne Schlöffer bauen, 

Nur — mußt du erft geftorben fein! 


Georg Herwegh. 351 


Du wirft bis zu den Sternen dringen, 
Und ftellen did in ihre Reih'n, 

Von Welten dich zu Welten fchwingen, -- 
Nur — mußt du erft geftorben ſein. 


Du wirft, ein freier Brutud, wallen, 
Mit Brutuffen noch im Verein, 
AM deine Ketten werden fallen, 
Nur — mußt du erft geftorben fein. 


Wenn Sünder in der Hölle braten, 
Sp geheft du zum Himmel ein; 

Du wirft gefüßt und nicht verrathen, 
Nur — mußt du erft geitorben fein. 


Ob ihm der Oft die Segel bläbe, 

Was Hilft’3 dem morſchen, leden Kahn? 
Was hilft dem Fink die Sonnennähe, 
Den tot ein Adler trägt Hinan? 


BR. 
—— der Hang um Bitternaht. — 


1840, 


ch fchreite mit dem Geift der Mitternacht 
Die weiten ftillen Straßen auf und nieder — 
Wie Haftig ward geweint hier und gelacht 
Bor einer Stunde noch! .... Nun träumt man wieder 
Die Luft iſt, einer Blume gleich, verbortt, 
Die tolliten Becher hörten auf zu ſchäumen, 
Es F der Kummer mit der Sonne fort, 
Die Welt iſt müde — laßt ſie, laßt ſie träumen! 


Wie all mein Haß und Groll in Scherben bricht, 
Wenn auögerungen eines Tages Wetter, 
Der Mond ergießet fein verjöhnend Licht, 
Und wär’3- auch über welfe Nofenblätter! 
Leicht wie ein Ton, unhörbar wie ein Stern, 
liegt meine Seele um in diefen Räumen; 
Mie in fich felbit,. verſenkte fie fih gern 
In aller Menſchen tiefgeheimftes Träumen! 


Mein Schatten ſchleicht mir nad wie ein Spion, 
Ich ſtehe ftil vor eines Kerkers Gitter. 

D Vaterland, dein zu getreuer Sohn, 

Er büßte feine Liebe bitter, bitter! 

Er ſchläft, — und fühlt er, was man ihm geraubt? 
Träumt er vielleiht von feinen Eichenbäumen? 
Träumt er fih einen Siegeskranz um’3 Haupt? — 
O Gott der Freiheit, laß ihn weiter träumen! 


352 | i Georg Herwegh. 





Gigantiſch thürmt fi vor mir ein Palaſt, 

Ich ſchaue durch die purpurnen Gardinen, 

Wie man im Schlaf nad) einem Schwerte faßt, 
Mit fündigen, mit angftverwirrten Mienen. 
Gelb, wie die Krone, tft fein Angefiät, 

Er läßt zur Flucht fih taufend Roſſe zäumen, 
Er ftürzt zur Erde, und die Erde bricht — 

O Gott der Race, laß ihn weiter träumen ! 


Das Häuschen dort am Bad — ein fhmaler Raum! 
Unſchuld und Hunger theilen drin daS Bette. 

Doch gab der Herr dem Landmann feinen Traum, 
Daß ihn der Traum aus wachen Aengſten rette; 

Mit jedem Korn, dad Morpheus Hand entfällt, 
Sieht er ein Saatenland ſich golden ſäumen, 

Die enge Hütte weitet fih zur Welt — 

D Gott der Armutb, laß die Armen träumen! 


Beim lebten Haufe auf der Bank von Stein 

Will fegenflehend ich noch kurz verweilen; 

Treu lieb’ ich dich, mein Kind, doch nicht allein, 
Du wirft mich ewig mit der Freiheit theilen. 

Dich wiegt in goldner Luft ein Taubenpaar, 

Ich Tehe wilde Roſſe nur fih bäumen; 

Du träumft von Schmetterlingen, ih vom Aar — 
O Gott der Liebe, laß mein Mädchen träumen! 


Du Stern, der wie das Glüd, aus Wolfen bricht ! 

Du Nacht, mit deinem tiefen ftillen Blauen, 

Laßt der erwachten Welt zu frühe nicht 

Mich in dad gramentftellte Antlit fchauen! 

Auf Thränen fällt der erfte Sonnenftrahl, 

Die Freiheit muß dad Feld dem Tage räumen, 

Die Tyrannei fchleift wieder dann den Stahl — 
Gott der Träume, laß und Alle träumen! 


Br) ’ 
— Sn die dentſche Zugend. — 


Dei Gelegenheit ber Verbannung von Robert Prutz. 


dr ſpottet unfer, ftolge Würdenträger? 
Baut nit zu viel auf Euer Ahnenſchild! 
Bielleicht nod) einen Tag die wilden Jäger, 
Vielleicht ſchon morgen das gejagte Wild! 
Mit manchem Worte wollt' Er Euch bedeuten, 
Mit manchem Wort zu Frommen Euch und Nutz: 
Ihr aber zwangt den Dichter, Sturm zu läuten — 
Nimm, deutſche Jugend, nimm ſein Lied in Schutz! 





Georg Herwegh. 353 


— — — — — — nn 
— — — er rcrn…),a m — — 


Ich ſpielte freilich nur auf einer Seite, 

Die Euch, erlauchte Herren, ſtets mißfällt: 

Doch rief nicht ich, bei Gott! nicht ich gm Streite, 

Zum Streite ruft der neue Geift der Welt! 

Und jauchzt dad Volt und ſchwingt es feine Mützen, 

Wollt Ihr den Leiermann drum ächten? Thut's! 
Der Adler weiß die Nachtigall zu ſchützen — 

Nimm, deutſche Jugend, unſer Lied in Schutz! 


Leicht können wir der Fürften Gunſt entbehren 

Für eines Bettlers Herz, dad wir gerührt ! 

Ste fol mid aud in Sutunft fin gen lehren, 

Die mir die Hand zum erften b gefüh hrt. 

AT meine Schäße A 0 thr dry Süßen: 

Die Freiheit ift ein W iebt den Bus. 

Ja wohl! ich werd’ Ihe Se bleiben müflen — 
Nimm, beutfche Jugend, nimm mein Lied in Schutz! 


Ste, die fein Wetter aus dem Schlafe rüttelt, 

Die Treibhauspflanzen, bie ein Mädchen hegt, 
Indeß der Sturm die Brüder Draußen ſchüttelt: 

Die Dichter haben nie dein Herz bewegt; 

Du lächelſt ob der Demuth unfrer Alten, 

Und willſt nur Zorn und fühner Worte Truß; 
Zwar hinkt mein Vers, doch ift er ohne Falten, — 
Nimm, deutfche Jugend, nimm mein Lied in Schuß! 


Gleich wie die Lerche grüßt den erften Funken, 
Der aus dem Aug’ des jungen Tages bricht: 
Sp mad ein Strahl bon En 08 Ihon mich trunken, 
So, brauch Die Sonne d er 
3 muß geſcheh'n, und darum mir heh'n [“ 
— du nicht alfo, mein liehler rutz? 
Kein Korn der Freiheit darf verloren gehen — 
Nimm, deutſche Jugend, unſer Lied in Schutz! 


zn 


— Ammeftie. — 


te lächeln! — doch ihr Lächeln ift verloren, 
Vergebens ihrer Blide Sonnenſchein; 
Nie ich für Fürftendonner Leine Ohren, 
Hab’ ich fein Herz für ihre Schmeichelei'n. 
O feht Euch vor, e8 iſt ein taljche2 Treiben ! 
Und diefe Gnade — unfer jüngſt Gericht! 
Wir wollen, Brüder, auf dem Wahlplatz bleiben 
Die Garde ftirbt, doch fie ergtebt fich nicht! 








nn — —— — — e e— — 


Georg Herwegh. 


In Roſen gilt's die Freiheit zu erdrücken, 

Die ſich in Ketten nicht erdroſſeln läßt: 

O göunt dem Volk, dem Pöbel ſein Entzücken, 
Dies falſche, heuchleriſche Freudenfeſt! 

Ihn hungert wohl, er geht nach ſeinem Brode, 
Das man ihm fürder reichlicher verſpricht. 

Uns dürftet.. Drum: dies Glas dem freien Tode! 
Die Garde ftirbt, doch fie ergiebt ſich nicht! 


Et Schaut, der Käfig wird nun aufgefchloffen, 
Da längft der Vogel nicht mehr fliegen Tann. 
Sp mander unfrer alten Kampfgenoſſen 

Sft nun ein müder, ein gebrodyner Mann! 
Hübſch find die Blumen, drin ihr ſprecht; nur ſchade, 
Daß draus der Dorn des Deſpotismus ſticht. 
Das Recht vor Gott braucht feine Königs Gnade: 
Die Garde ftirbt, doch fie ergiebt fi nicht! 


Geſchäftig drängt das Wolf von nah’ und ferne, 
Des Fürften Hände küſſend, ſich heran: 

Es fei — wir folgen unferm eignen Sterne, 
Des Throned Himmel ift nicht jeine Bahn. 
Mag fi die Welt im Strahl der Gnade fonnen, 
Ich kenn' ein Fähnlein Doch, das weiter fit; 
Friſch, meine Jugend, frifh den Kampf begonnen! 
Die Barde ftirbt, doch fie ergiebt fi nicht! 


Was war dem zu vergeffen und vergeben, 

Und welde Todesfünde zu verzeihn? 

Nah mander Krone pflegten wir zu ſtreben; 
Do jagt, ſchenkt man in Euern Kronen Mein? 
Wir wollten uns fo gern mit Euch verföhnen! 
Gebt Raum der Sreiheit, wie dem Tageslicht! 
Ihr zaudert? — Gut, ſo laßt den Schladhtruf tönen: 
Die Garde ftirbt, doch fie ergiebt ſich nicht! 


Sp will’3 die Zeit; fie heifchet Feuerzungen, 
Ihr Sturm verweht der Liebe fanften Hauch; 
Doh was wir für die Freiheit einft errungen, 
Errangen wir für unfre Liebſten aud). 

Wenn Alle jubelnd in die Hände fchlagen, 

Weil 'mal ein Gnadenftrom aus Felſen bridt — 
Dann können unfre braven Mädchen jagen: 
Mein Liebſter ftarb, doch er ergab fid) nicht! 


- Georg Herwegh. _ 355 








— Be Partei. — 


un Yerdinand Freiligrath. 





Als auf den Zinnen ber Partei. 


Berbinanb Sreiligrath 
(in feinem Gedicht auf ben Tod von Diego Leon.) 


SD drüdft den Kranz auf eines Mannes Stirne, 


Der wie ein Schäder jüngft fein Blut vergoß, 
Indeſſen bier die Fönigliche Dirne | 

Die Sündenhefe ihrer Luft genoß; 

Ich will ihm den Cypreſſenkranz gewähren, 

Düngt auch fein Blut die Saat der Tyrannei — 
Für ihn den milden Regen deiner Zähren! 

Doc gegen fie die Blitze der Partei! 


Bartei! Bartei!l Wer follte fie nit nehmen, 
Die noch die Mutter aller Stege war! 

Wie mag ein Dichter fol ein Wort verfehmen, 
Ein Wort, das alle Herrliche gebar? 

Nur offen wie ein Mann: Für oder wieder? 

Und die Barole: Sklave oder frei? 

Selbſt Götter ftiegen vom Olymp hernieder 

Und fämpften auf der Zinne der Partei! 


Sieh’ hin! dein Wolf will neue Bahnen wandeln, 
Nur des Signales Harrt kin ftattli Heer; 

Die FZürften träumen, laßt die Dichter handeln! 
Spielt Saul die Harfe, werfen wir den Speer! 
Den Banzer um — geöffnet find die Schranken, 
Brecht immer euer Saitenfpiel entzwei, 

Und führt ein Fähnlein ewiger Gedanten 

Zur ftarfen, ftolzen Fahne der Partei! 


Das Geſtern ift wie eine welfe Blume — 
Man legt fie wohl als ein Zeichen in ein Buch — 
Begrabt’3 mit feiner Schmad und feinem Ruhme 
Und webt nicht länger an dem Leichentuch! 
Den Leben gilt’3 ein Lebehoch zu fingen, 
Und nicht ein Lied im Dienft der Schmeichelei: 
Der Menfchheit gilt’3 ein Opfer darzubringen, 
Der Menfchheit, auf dem Altar der Bartei! 
23° 








356 Georg Herwegh. 


O ſtellt ſie ein die ungerechte Klage, 

Wenn ihr die Angſt ſo mancher Seele ſchaut; 
Es iſt das Bangen vor dem Hochzeittage, 
Das hoffnungsvolle Bangen einer Braut. 
Schon drängen aller Orten ſich die Erben 
An's Krankenlager unſrer Zeit herbei; 

Laßt, Dichter, laßt auch ihr den Kranken ſterben, 
Für eures Volkes Zukunft nehmt Partei! 


Ihr müßt das Herz an Eine Karte wagen, 
Die Ruhe über Wolfen ziemt euch nicht; 

Ihr müßt ench mit in diefem Kampfe fchlagen, 
Ein Schwert in eurer Hand tft das Gedidt. 
O wählt ein Banner, und ich bin zufrieden, 
Ob's auch ein andres, denn dag meine ſei; 
Ich hab’ gewählt, id babe mich entſchieden, 
Und meinen Lorbeer flechte die Partei! 


ar 
— Ludwig Fenerbad. — 


te muß deö Denkers ſcharfes Schwert 

7 In Eure Hafenfeelen fahren! 
Hört doch: „Das Beſte ich nicht werth, 
In Ewigkeit es aufzufparen; 
Was einmal die Natur erſchuf, 
Kann ſie auch noch einmal erſchaffen.“ 
Allein vergebens iſt Sein Ruf 
An Kinder und an Laffen. 
Es ſtellt vergebens ihr Symbol 
Der kühne Adler an den Pranger: 
Jedwede Puppe, noch fo Hohl, 
giant fih mit einem Falter ſchwanger. 

ergeblih läuft der Geniud Sturm, 
Die Burg des Unſinns zu beatuingen: 
Es wills nun einmal jeder Wurm 
Zum Schmetterlinge bringen. 


MERe 
6 Kenien. 9 


Hundscourage. 
Minten nur leife Die Herren einmal mit dem drohenden Finger: 
Puh! wie wählt dann im Nu ihren Lakaien das Herz. 











| Entpuppung. 


eferteur? — „Mit Stolz. Ich babe des wong? Tahne, 
Die mid) gepreßt, mit des Volks foldlofen Banner vertauſcht.“ 


Georg Herwegh. 


357 


> Sebenlid. = 


„Der verfluchte Faffe weiß felbit nicht, mas er will, Hol ihn der Deuffel!“ 


te lebten Doch die Heiden 

Sp berrlih und fo froh! 
Das war ein Wolf von Seiden, 
Wir find ein Volk von Stroh; 
Sntführt ein. Ochs ein ſchönes Kind 


Zuweilen auch — doch glaubet mir: 


Die Heiden waren nicht 1 blind, 
Nicht halb jo blind als mir. 


Die Heiden, 's tft Doch ſchade 

Um ſolch ingenium; 

Sie heißen Vier erade 

Und nahmen nt für frumm; 

aus dat gie. ie Jungfer chaft ein End', 
die Magd ein Kind gebar, 

Dieweil da3 neue Teftament 

Noch nicht erfunden war. 


Sie thaten, was fie mochten, 
Die Frechheit war enorm; - 
Sie ſigten wenn ſie fochten, 
Auch ohne Uniform; 

Sie hatten keine Polizei 

Und tranten lieber Wein, als Bier, 
Wie waren doch die Gelben fret, 
Die Helden! — aber Ihr? 


Friedrich ber Große. 
Und von Adi und Hektor, 
Wie's im Homerus fteht, 
Bis zu dem lehten Rektor 
Die Univerfität, 
Da gab’3 fein Bud) in ganz Athen —- 
O ſchreckliche Verworfenheit! 
Man wurde vom Spazierengeh'n 
Und von der Luft det. 


Wie wußten fie die Tagen 

Den Pfaffen abzuhau'n! 

Die durften nur nach Spatzen, 
Nicht nad den Weibern ſchau'n; 
Den Prinzen gar erging es jchlecht, 
Die fanden kaum ein Nachtquartter; 
Wie hatten doch die Helden Hecht, 
Die Heiden! — aber Ihr? 


Die Heiden, ad! die Heiden, 
Die keine Chriſten find, 

Sie Ipinnen Do die Seiden 
Für mand’ ein Chriftenkind; 
Drum lebe hoch da3 Heidenpad 
Und jeder ächte Heidenftrid, 
Homerus mit dem Bettelfad 
Und ihre Republid ! 


— Keicht Su; Bepadh. — 


un bin ein freier Mann und finge 


Mich wohl 


in feine Fürſtengruft, 


Und Alles, was ich mir erringe, 
Iſt Gottes liebe Himmelsluft. 
Ich habe keine ſtolze Veſte, 
Von der man Länder überſieht, 
Ich wohn' ein Vogel nur im Neſte, 
Mein ganzer Reichthum iſt mein Lied. 


Ich durfte nur, wie Andre, wollen, 

Und wär' nicht leer davongeeilt, 

Wenn jährlich man im Staat die Rollen 
Den treuen Knechten ausgetheilt; 

Allein ich hab' nie zugegriffen, 

So oft man mich herbei beſchied, 

Ich habe fort und fort gepfiffen, 

Mein ganzer Reichthum iſt mein Lied. 





358 


Georg Herwegh. 


Der Lord zapft Gold aus ſeiner Tonne, 
Und ich aus meiner höchſtens Wein; 
Mein einzig Gold die Morgenſonne, 
Mein Silber all' der Mondenſchein! 
gürdt fih mein Leben berbitlich gelber, 
ein Erbe, der zum Tod mir rieth; 
Denn meine Münzen prägt’ ich jelber ; 
Mein ganzer Reihthum ih mein Lied. 


Gern fing’ ich Abends zu dem Heigen, 
Bor Thronen fpiel’ ih niemals au: 
Ich Iernte Berge wohl erfteigen, 
PBaläfte komm' ich nicht Hinauf; 

Indeß aus Moder, Sturz und Wettern, 
Sein golden 2008 fi mancher zieht, 
Spiel’ ich mit leichten Roſenblättern; 
Mein ganzer Reichthum tft mein Lieb. 


Nah dir, nad) dir ſteht mein Verlangen, 
O ſchönes Kind, o wärft du mein! 


Dod du willſt Bänder, du willft Spangen, 


Und ih fol dienen gehen? Nein! 

Ich will Die freiheit nicht verkaufen, 
Und wie id die Paläfte mied 

Laß ich getrojt die Liebe laufen; 
Mein ganzer Reichthum fei mein Lied. 


ER 


Karl Kaifer. —— 


Karl Raifer wurde in Straßburg im Jahre 1863 al8 Sohn eined armen 
Schlofſers geboren. Die Eltern ftammten aus Württemberg und wandten ſich da 
fie Straßburg bei der Belagerung im deutſch-franzöſiſchen Kriege verlaffen mußten, 
nad) Bürid). Dortfelbft befuchte Karl Kaifer die Volksihule. WIE Ende der ftebjiger 
Jahre feine Eltern nad; Stuttgart überfiebelten, mußte der Junge als Klaviere 

janiler lernen. Roih und Sorge waren feine treuen Begleiterinnen. Karl 
Railer Iebt gegenwärtig in Münden in Ausübung feines Berufes. Gr ift ein 
außerordentlich kritiſch und grüblerif veranlagter Geift, liebt die Einfamfeit und 
tft, was man in Schwaben einen „Eigenbröbler“ nennt. Der Drang nad Einfamteit 
treibt ihn jeden Gonn: und Seiertag Hinaus in Wald und elb. Auf einem biefer 
zegelmäßigen Ausflüge Aürzte Raifer am Hlmmelfahrtätag 1899 Nachts in einem 21 
Meter tiefen Steinbruch, wo ihn andern Tages Arbeiter fanden. Berfchiedene Brüche 
und Berzenfungen waren bie Folge des unglüdlihen Abſturzes. Erſt im Ditober 
konnte er das Krankenhaus wieder verlafien. Ex fteht feit 1889 in ber Arbeiter- 
bewegung und damais sntfanden aud) feine erften Gedichte. Kaiſer if ftändiger 
Mitarbeiter des „Sübbeutihen Poſtillon“, auch ift eine größere Anzahl feiner 
Dichtungen in der empfehlendmertfen Sammlung „Aus dem Klafienkampf” erichienen. 
Seine dichteriſchen Schöpfungen durchweht ein warmer Haud von Natürlichkeit und 
Einfachheit, der fo recht erkennen läßt, daß er in denſelben fich felbft gibt. 





* 





„Linerfeits und Anderfeits“. 


Eine Profeflorenftubie, 


tt „einerjeit3” und „anderſeits“, 
IT Mies Küchen um den heißen Brei, 
So ſchleicht der deutſche Profefjor 
An jedem heiflen Punkt vorbei. — 


Mit ftolzgem Sabe „einerfeit3* 
Schwingt er auf's hohe Roß ſich Fed, 
Um ſofort wieder „anderſeits“ 
Hinabzurutſchen in den Dreck! 


Heut: „Darwin hoch!“ und morgen: „Hoch 
Die heil'ge Ueberlieferung!“ — 

So „einerſeits“ und „anderſeits“ 

Gelingt ihm jeder Katzenſprung. 


Als echter Pfaff der Wiflenichaft 

Iſt er im Spiegelfechten groß: 

Sudt „einerfeit3” den „legten Grund”, 
Lügt „anderjeit3” ganz bodenlos! .. 


Solang der Staat nit in Gefahr 

Läßt er den Dingen ihren Lauf, 

Doc geht es ſchief — dann „hebt“ er flinf 
„Die Klaſſengegenſätze auf!!!“ 


„zieb Arbeit” und „lieb Kapital“ 

Möcht er „verfühnen“ gar nicht faul, 

Dod leider Friegt er ſtets zum Schluß 
ALS Dank von beiden ein’3 auf’3 — Maul!“ 


Jedoch als Iederned Kameel 

Bleibt er auch ferner wie zubor: 

Ein „Einerfeit3” und „Anderfeit3”, — 
Ein echter deutſcher Brofeflor ! 


Br 





362 Kar! aller 








——— Fabriklerlied. 


andsknechte find wir! Landsknechte 
Im Dienfte der Bourgenfie ; 
Wir ſchlagen für fle die großen 
Schlachten der Induſtrie! 


Landsknechte ſind wir! Landsknechte 
Mit immer verkaufter Haut, 

Aus allen Nationen und Ländern 
Buntſcheckig zuſammengebraut! 


Landsknechte ſind wir! Landsknechte 
Verlangen ſtets blanken Sold, 

Drum wer uns an meiſten kann zahlen, 
Dem ſind wir am meiſten hold! 


Landsknechte ſind wir! Landsknechte! 
Wir haben kein Vaterland; 
„Vaterlandsloſes Geſindel“ 

Werden wir d'rum auch genannt! 


Landsknechte ſind wir! Landsknechte, 
Verehrliches Publikum. 

Die ſchmeißen dir noch eines Tages 
Die ganze Herrlichkeit um! 


— 


DM Ber Hoechmuggler. He 
Au hoher See in feinen Bart, 


Da brummt er manchen Kernfluh — 
Jedoch zu Haus, gewohnter Art, 
Da brummt er im Gebetbud). 


St dann der Kirchgang fromm erfüllt, 
So geht’3 zur Kontrebande, - 

Ob Hell’genbild an Heil’genbild 

Auch deden rings die Wande — 


Die „Gottespeſt“*) wird wohl verſchalt 
Packetweis auf den Tilchen ; 

Die Heil’gen grinfen blaubemalt 

Und dottergelb dazwiſchen. 


Er 





*) Eine unter dem Sozialiftengefeg verbotene anardlitiiche Brofüre von X. Moft, 








ee — —— r —— 


/ 


te etfernen Gehilfen, 
te haben feine Frauen, 

Die haben Teine Kinder 
Und machen einen „Blauen“. 


Darum an’3 Herz gewachlen 

Sind fie auch ſehr dem Alten; 
Sie ftreifen nie, noch fchreiben: 
„Streng Zuzug fernzuhalten!” 


Sie träumen nie von „Umſturz“ 
Auch nie von „Barriladen“, 
Sie laflen ruhig fich treiben 


Karl Raifer. 363 





——= Seine Lieblinge. — 


Ste ſägen und fie hobeln, 

Daß ringd die Spähne fliegen, 
Und maden nur Spektakel 
Wenn fie fein Schmieröl Friegen. 


Mit ſolchen Arbeitsfräften, 
Da kann's Geihäft noch blühen, 
Die Leinen Aufſchlag heiſchen | 
Und doch ſich redlich mühen. 


Ad! könnten fie doch Alles! 
An unſre Plätze ftellen 
Würd’ er mit Wohlbehagen 


Für ihn, den Schlotmagnaten. Flug's — eiſerne Gefellen. 


FR 
Sllufirationen. 
I 


Menſchengeburt. 


Be Arzt und die Hebamm’; per Chaif’ und zu Fuß 
Iſt dad Pärchen tn Eile gefommen; 

u der Heinen Manfarde vier Treppen Hoc) 

ind Teuchend fie beide geflommen. 


Dann dumpfes Murmeln — Stöhnen — ein Schrei ... 
Ruhe. — Der Alt war vorüber. — 

Die Stube ro ſtark nad) Blut und Karbol, 

Die Wöchnerin lag im Fieber. 


Das Kindchen fchrie, der Vater, der ſtarrt 
In den nächtlichen Regenſchauer, 

An's Fenſter drüdt er die heiße Stirm 
Und Indchelt den „alten Deflauer“. 


„Doktor, Hebamm’ und Apothel’ 

Die Haben mich kahl gefreflen, 

Ein glücklicher Vater, beim Teufel ja! 
Kaum kann ich mein Glück ermeflen. 


„Die Arbeit, fie ftoct, fie wollen den Lohn, 

Den Hungerlohn nod reduzieren, 

Da fol ih mein „Glück“ noch fröhlih beſchau'n?! 
Sch kann es fürwahr nur beitieren!“ 





364 


Rarl Kaifer. 


LI. 
Thiergeburt. 


Dom Schulzenbauer eskortirt 

Und feiner diden Alten, 

Marſchiert der Thierarzt nad dem Stall 
Um feines Amt’3 zu walten. 


Dort vifttirt die ſchwang're Kuh 

Der Kund’ge ohn' Erbarmen, 

Er drüdt, er zieht und endlich bringt 
Das Kalb er auf den Armen. 


Da gudt der Bauer breitgefpreizt 

Und ſchmatzt an feinem loben, 

Er lacht und grinft, daß fih fein Maul 
Könnt mit dem Ohr verloben. 


Der Bäuerin Lönnts nicht wohler ſein 
Im feel’gen Paradieſe; 

Der Thierarzt fäubert fh am Trog 
Und nimmt 'ne Doppelprife. 


Be 
— Gut denn. 9 


te haben mit feinen Nafen gemerkt 

Den Kern feiner Klaſſenkampftheorie! 
Ste nannten den alten Diktator Marr 
Mit Recht den „Water der Energie”! 
Ste find nit in Allem ftodhageldumm, 
Die Compromißler und Diplomatler! 
Sie merken gar wohl den Tommenden Tag, 
Der welterobernden rothen Adler. 
Den Sturmtag, der mit Bofaunenihall 
Verſchlingt die legten Friedendfchalmeien, 
Die Rebellion aus dem Boden —7 — 
Und in den Boden der Gegner Reihen; 
Den ſturmſchrittſtampfenden, heißen Tag, 
Wo ſich umkrallen Legionen, 
Der über den „Zukunftsſtaat“ diskutirt — 
Mit Bajonetten und mit Kanonen! — — — 
„Karl Marz iſt todt!“ Doch ſie wiſſen gar gut, 
Daß er ein Teſtament hinterlaſſen — 
Sein „Kapital“, ſeine „Energie“ — 
Den trotzigen Proletariermaſſen! 


—R 


Karl Raifer. 365 


— — Sultan Babmnd. — 


n dem heil'gen Hain von Sumnat, 
n dem Tempel der Brahminen, 
Glotzt dad Götzenbild verwundert 
Mit den Augen von Rubinen. 


Lanzen bligen in der Halle, 
Schwerter irren auf den Steinen; 
Bor dem Götzen ſteht als Sieger 
Sultan Mahmud mit den Seinen. 


Die Brahminen find geflohen 

Mit dem Heer von Bajaderen; 
Grimmig lehnt der tapf’re Sultan 
Auf der Streitart, auf der ſchweren. 


Und er lat und ſtreicht den Bart fi; 
„Bet dem Barte des Propheten! 
„Schone unfern Gott!“ fo haben 

Die Brahminen mich gebeten! 


Rieſ'ge Schäbe boten fie mir, 
Für den Kerl dort mit dem Bauche. 

Streitart, zeige! daß ich Feine 

Götzendienerſchätze brauche!“ 


Allfogleich den Bauch des Götzen 
Spaltet er mit einem Schlage — 
„Allah!“ ſchrie'n erftaunt die Krieger, 
„Welches Wunder tritt zu Tage!“ 


Aus der Wunde bligend fpringen 
Berlen, Schmuck und Edelſteine, 

Märchenhafter Reichthum fluthet 

Funkelnd um die Türkenbeine, 


— Wieder lacht und ſtreicht den Bart ſich 
Der Beſieger der Brahminen: 

„Ha! bei dem alleinigen Gotte, 
Welchem alle Geiſter dienen! 


Nicht umſonſt war dieſer Holzklotz 
Dem Brahminenpack ſo wichtig, 
Dieſer Dickbauch, dem zweitauſend 
Indierdörfer ſteuerpflichtig! 


Nicht umſonſt war'n ſie von ſeinem — 
Inner'n Werth ſo tief durchdrungen!“ 
Auf, ihr Krieger, packt die Biſſen, 
Die der Götze hat verſchlungen!“ 


366 


Karl Raifer. 


— — — 


— Mahmud rief's — und ſeine Krieger 
Stürzten jauchzend auf die Beute; 
Geld kam damals reichlich unter 

Die bedürft'gen Türkenleute! — ... 


Mahmud war ein braver Sultan: 
ür das Volk riß er die todten 
chätze aus dem Bauch des Götzen, 

Plünderte er die Pagoden. 


In dem Jahr Eintaufend-dreißig 
Schied Held Mahmud aus dem Leben, 
Heute noch nennt Indiens Klerus 
Seinen Namen nur mit Beben. 


Mahmud war ein großer Sultan — 
Und noch größerer Pfaffenfrefler, 
Doch das Säkulariſiren, 

Das verſtanden andre beſſer. 


Denket nur an jene deutſchen 
Fürſten, jene Glaubenshelden, 
Die ſich in den Dienſt der reinen 
Reformirten Leben ſtellten. 


Nach der Kirche Bauch zwar ſah man 

Gleichfalls ſie zum Schlag ausholen, 

Doch den Inhalt weislich haben 

Sie dann ſtets für ſich — ſäkulariſirt! 
I 


——— ZIntagonismus. — 


Se lang ſich die Menſchen glauben 


Von einem Gotte „gemacht“, 
Werden ſie meucheln und rauben 
In thieriſcher Geiſtesnacht. 


Erſt wenn die Erkenntniß Funken 
Zu Flammen bläſt, darwinhell, 
Werden ſie göttlich und prunken 
Nicht länger im thieriſchen Fell. — 


Zwei Hirnhalbkugeln uns lenken, 
Gemeinſam — und doch getrennt — 
Kein Wunder, wenn ſolchem Denken 
Der Widerſpruch imanent. 


— 


— — n — — — 
nm 


-—— ——— 


Sei unerfeglich theures „Ih“ 
Pflegt er bei Tag und Nacht; 
Wie's Andern geht, Darüber hat 
Er niemals nachgedacht. 


Sein ganzes Sinnen, Trachten dreht 
Sich nur um „Mein und Dein“; 
Der Geldſchrank iſt ſein Himmel⸗ 
Voll goldner Engelein. [reich 


Und diefe goldnen Engelein, 
-Sie find ihm geist hold, 
Sie eben alle Wege ihm 

Und pflaftern fie mit Gold. 


Mit goldnen Beſen fehren fie 
sort jeiner Tritte Schmutz; 
Mit goldnen Kelchen fingen fie 
„Ho leb Herr Eigennutz!“ 


Seht hier den Stola der Bürger: 
ſchaft! 


Ein Deutſcher voll und ganz! 
Aus Reichsbanknoten winden wir 
Ihm ſeinen Lorbeerkranz. 


och leb' der Herr Commerzienrathl 
hat die ſchönſte Fran, 
Den beiten Koch, den feinften Wein, 


Und wohnt im PBrinzenbau! 


Er ehrt die Kunft, die Wiſſenſchaft 
(Sofern fte fi) bezahlt!) 

Der erite Porträtiit der Stadt 
Hat ihn in Del gemalt! 


Karl Kaiſer. 


— — — — — 


—— Zerr Gommerzienrath Sigennutz. 


367 





Er iſt dem Fortſchritt herzlich hold, 

Den mit Maß und Ziel!) 
agegen haßt er grenzenlos 

Der Hetzer frevled Spiel. 


Drum naht euch wieder eine Wahl, 
Dem Lumpenpad zum Truß: 

Wählt ihn, den Herrn Commerzten- 
Den Bürger Eigennubß! [rath, 


Sp fingen fie. Die halbe Stadt 
Lauſcht dem Sirenenfang; 

Und mödi ein Bürger-Redakteur 
Mal ſchlagen übern Strang, 


Und fegt er Thon die Feder an: 
„Das ift denn doch zu bunt...“ 
Flugs fommt ein goldnes Engelein 
Und ftopft ihm jenen Mund! 


Die goldnen Englein ebnen gut 
Und pflaitern Alles glatt; 

Und wa3 der Redakteur nicht will — 
Das fteht au nit im Blatt. 


Drum ruhig lebt Herr Eigennutz, 
Und ſchlummert er einft ein, 
Bau’n auf fein Grab ein Monument 
Die goldnen Engelein. 


Und darauf fteht, Stafeten rings 
Umgeben es zum Schuß: 

„Hier ruht von treuer Arbeit aus, 
In Gott, Herr Eigennutz.“ — 


wer 


Das moderne Ranbnefl. 


Sao! Thorwadt! Feind im Naden! 
Raſſeln läßt der Pfaff die Brück — 
Und der Junker mit der Beute 

Zieht ſich hinter „Gott“ zurück! — 


iR 





368 


Karl Kaiſer. 


Fahrheitsdrang. 


kläret mir doch jenen Strahl, 
Der aus den Augen leuchtet, 
Bald hoffnungsreich, bald düfter, fahl, 
Bald ſchmerzensvoll befeichtet. 


Ein Strahl tft es voll Luft und Bein, 
Wie fol ich ihn verftehn ? 

Das tft der Glanz und MWieberfchein 
Rebelliſcher Ideen. 


Auf mancher bleichen Penſchenſtiru 
Aufflammet ihre Faͤhrte 
Sie machen ſich jed' Abelnd' Hirn 
Zu ihrem Feuerherde. 


Erkenntniß brennet lichterloh — 
Die frommen Glaubenskrücken, 
Aufflackern ſie wie trock'nes Stroh 
Vor den erſtaunten Blicken. 


Dem Ohr verhallt der Firdgeſang, 
ns Ft En ht e ab heitsd 

n's Herz hinein zie cheits rang, 
ſich nicht beſchwören. 


möchte rotg en jeder Spur — 
In „ie en in Facı fie ſchwinden, 
t' ergründen die Natur — 
nd een an den Gründen. 


Wen dieſe inn’re Gluth erfaßt, 
Der tft nicht zu beneiden 

Tief Haffend und auch tief gehaßt 
Wird er durch's Leben fchreiten. 


Er flieht ringsum die Unvernunft 
Sich Ipreizen und N wiegen, 
Audrotten möchte er die Zunft 
Althergebrachter Zügen. 


Allein fein Willen tft noch ſchwach, 
Er felbft nit frei vom Schwanten, 
Und unter jedem Schädeldad) 

Sind andere Gedanten. 


Muß oft Anl ‚ira agen berzbeflemmt: 
Wa3 hilft tirnerungzeln, 

Sp lang ir Bir entgegenitemmt 
Dies fromm zufried’ne Schmunzeln. 





Karl Kaiſer. 369 


—r — — — —üñs rw 


So lang man noch den Zweifel flieht 
Und wahre Geiſtespflege, 

So lang man noch das Kind erzieht 
Zum Glauben und durch Schläge? 


Dann wird es ihm ſo trüb und ſchwer — 
Und, kaum kann er's recht faſſen — 
Kommt's über ihn — als müßte er 
Die ganze Menſchheit haſſen. 





Ans dem Jahrmarkt des Sebens. 


te fie vor dem Wolf fich ſpreizen, 

Die „gelehrten” Herrn mit Fräden, 
Und mit beiden Händen „Gründe“ 
Ziehen aus den Hofenfäden. 


Ganz erſtaunlich viele „Gründe“ 
Bergen fie in ihren Taſchen, 

Um die Einfalt einzwieifen, 

Und den Mohren weiß zu waſchen. 


Kenn’ die immer „neuen” Sächlein, 
Die fie zaubern aus den Spalten, 
Denn es find ja ſtets die gleichen, 
Und die Kniffe — find die alten. 


Wie fie glitern! „Recht des Stärfern 
In dem Spiel der freien Kräfte.” 

Die Vererbung höherer Raſſe, 

Kranker und gejunder ‚Säfte — 


Saubere Entihuldigungen 
Zu ded Geldjadd-Ehrenrettung. 
Efelhaft und mißgeftaltet 
Bleiben fie trotz aller Knetung. 


Kenne die „Geſellſchaftsretter“, 
Kenne fie gedrudt und mündlid. 
Ihre Zafchen, ihre „Sründe” — 
Unerfättlid — unergründlich. 


Und an einem ſchönen Tage, 

Kühl geworden, immer kühler, 

Wird ſie auch das Volk durchſchauen 
Die geriebenen Taſchenſpieler. — 





24 


370 Karl Kaiſer. 


——1[ ö—————— — — — — — — — — — — — — — — — — ——— —— — 





>53 Bie Spigonen. 


te fühlten dad Bedürfniß, Genie der Glaubensgluth — 
Ich glaub’ es ihnen gern, Betrachte deine Erben, 
Die Religion zu firmen, Die allerjüngfte Brut, — 
Die frommen, fhwarzen Herrn. | Bernhard, Abt von Clairvauxr! 
Sie mödjten einen Kreuzzug 


Für „Sitte, Religion!“ Betracht die runden Bäuchlein 
Ste hegen auf die Ketzer, Der Herrn, geichniegelt fein! 
Wie einft ihr Schukpatron: Sieh’! dieſe Räuſperer wollen 


B d, Abt von Slairvaur!*) Des „Kreuzzugs“ Führer fein! — 
ernbar nu De ’fath galt dem Befehl gleid 
— Ein Laden überfommt mid, | Einit manchem Herricherhaug, 


Seh’ ih die Knirpſe an, Sieh’! diefe, fie Tagbudeln 

Die Gandhirnfhwadroneure Sich faft den Rüden aus — _ 

F ibrem Ördbenwahn; Bernhard, Abt von Clairvaux! 
3 judt mir in den Fingern, | 

Mit — —e gen | Das find Die „Gottedftreiter“, 

Ihr Borbild zu beſchwören, Ihr Schugpatron bift du? 

Heraus aus deinem Grab: D Mönd, ich bin barmberzig: 


Be d, Abt von Clairvaur! Geh’ wieder ein zur Ruh’! 
rnhar on Clairvaur Du warſt kein freier Geiſt — 


Steig auf! du Pfaffenrieſe Doch auch kein Charlatan: 
Im Glauben und Gebet Tortur für dich wär's, ſäh'ſt du 
So ſtark wie im Verdammen, Dir dieſen „Kreuzzug“ an, 
Weißhaariger Asket, Bernhard, Abt von Clairvaur! 
Stahlfels des Fanatismus, | 

men - 


Anh dann wicht! 


ür die feigen- Eflavenfeelen 

Mag ein Gott am Plate fein, 
Daß ſie ihre frommen Kehlen 
Bettelnd können heifer fchreien. 


Aber wer in ftolzen, freien 
Anjchauungen eingelebt 

Wird nicht ia em Himmel fchreten 
Selbit wenn ihn der Tod umfchwebt. 


Lebensluſt wird jäh erwachen, 
Niederringen wird er fie — 
Stöhnen wird er oder laden, 
Aber beten wird er nie. 


Sy 


®) stegerderfolger und Verautaiier des 2, treuzzuges (1147 Ad). 








Karl Railer. 371 


Rroletarier-Üfinaften. 


b wir länderweit gejchteden, 
Fremde Dialekte fprechen: 
Gleich tft unfer Suffnungabräten, 
Daß die Ketten endlich bredden! 
Ob auch Iautverfchieden fchallen 
Unf’re Worte, unf’re Lieder; 
Wo ſich ſchwiel'ge Fäufte ballen 
Wiſſen alle Arbeitsbrüder, 
Wiſſen alle Arbeitsbienen, 
Die da hungern, die da keuchen, 
Wem es gilt. Und auf den Mienen 
Flammt der Satz: Es find die Reichen! 
Ueberall die Augen ſprühen, 
Funken jedem Hirn entitieben: 
„Bill kein Herrgott fi bemühen — 
Schüten wir und felbft vor Dieben!” 
Ueberall die Lippen beben, 
Wo die Marfeillaif’, dad barfche 
ag mit ftolgem Schweben 
teht einher im Sturmſchrittmarſche. — 

Ob die Spraden auch verfchieden, 
O! wir haben Zeichendeuter ! 
Ob Franzofen, Deutfche, Briten — 
Ale find wir Hungerleider! 
Alle, ob wir mit dem Magen 
Oder mit dem Kopfe darben, 
Gleiche Sorgen, gleihe Klagen, 
internationale Farben! — 
Ohne Wunder volapüfen 
Wir die Armen und Geringften; 
Ohne Wunder überbrüden 
Jede Sprade unſ're Pfingften! 


3 
Das ied der Koth. 


m halben Fieber, ſchlummerlos 

Lauſcht' ih dem Uhrgetick, 
Da trat ein hohes Weib zu mir 
Mit Shwarzem, tiefen Blick. 


Hell wurde mein Manfardenlod), 

Mein winklig Sälalgemag); 

Stumm ftanddas Weib— und dennoch konnt' 
Ich hören, daß fie ſprach. 








248 


372 


Karl Raifer. 


Jedoch nicht Durch die Ohren ſchlich 
Der Rede Wortgewell, 
Verbindungslos in meinem Hirn 
Erflang es, braufend ſchnell: 


Sch bin die Noth, die Leyrerin, 
Ich fpiele ohne End’ 

Wild bis die legte Saite fpringt 
Auf dir, mein Anftrument! 


Du bift mein menſchlich Inftrument, 
Biſt auf den Ton gejtimmt 

Bon mir, der Noth, der Leyrerin, 
Die dich als Leyer nimmt] 


Stumm wärft Du ohne mich, der Noth! 
AN deine Melodie, 

Die in dir ſteckt, erwed’ ich erft 

Zur ſchroffen Poefte! 


Ich ſpiele Tag und Nacht auf Dir, 
Die Noth kennt Leine Ruh’ ! 

Und fing mit pfeifend fchriller Stimm’ 
Den Tert, den Text dazu! 


— Vier Satten hat mein Inftrument: 
Furcht, Schmerz, Entfagung, Haß. 
Ich laß fie ſchwirren durcheinand' 
Schrill ohne Unterlaß! 


Dann ächzt der Schmerz, dann ſtöhnt die Furcht, 
Dann knirſcht der Haß und droht, 

Und die Entſagung wimmert dumpf, 

Das iſt das Lied der Noth!“ — 


Wo Frohſinn jauchzt, da trete ich 
ur Tafel hinterrücks, 
veif' in die Saiten rückſichtslos 
Und ſpreng das Feſt des Glücks! 





Das lange Lied, das düſtre Lied 


Sing ich, von Arm und Reich! 
Wie wird der Roſengeiſterſchwarm 
Auf einmal da ſo bleich! 


„Fort mit der Friedensſtörerin!“ 
Auf ſchreien ſie voll Wuth! 

Ich aber jauchze den Refrain 
Des Lieds in wildem Muth: 


Karl Raifer. 373 


„Ich bin die Noth! Iſt erft formirt 
Mein lebte Bataillon, 

Dann, fredes Glüd, reißt meine Fauft 
Herab dich von dem Thron!“ 


fr‘ 
— E RFederzeichnung. O 


rſtens iſt er Hausbeſitzer; | Trotzdem er’3 nicht nöthig hätte, 

Zweitens Krieger-Beteran; Schanzt er doch voll Demuth gern 
Drittend auch Fabrikarbeiter | Seden Tag für 3 Mark 50, 
Viertens braver Unterthan. — Und — 5 vor dem Herrn. 


Drüdt und büdt fi vor dem „Alten“, 
Juſt ala ob's der Hergott wär, 

Während er faum grüßt und „Lumpen” — 
EigenthHumshund3ordinär. — 


Ac 


— — Feiterleuchten. 


helfe irrt die Feniterfcheibe ; 

Wie eleftrifch zudt der Boben; 
Im Mafchinehfaal die Riemen 
Summen Lieder ohne Noten. 


Stumm fteh’ ih an meinem Plate 
Und bediene die Mafchtie, 

Raſtlos laſſe ih den Supoir 
Gleiten auf der glatten Schiene. 


Doch im Hirn ſetz' ih. die Süße 
Meiner Zeitung aneinander. 

Man durdhhaut den gordifchen Knoten 
„Roth“ ein zweiter Alerander? 





x für Tag die alte Leier. 
Dom Prinzipal —2 — 


An der Urne — Siege“. 
In der Bude — Br tederlagen. 


Tag für Tag im Spinngewebe 
Zappelnd vor der giftgeblähten 
Spinne Kapital, die immer 
Dichter und umfpinnt mit Fäden. 


374 


Rarl Kaiſer. 


Heute „feſtlich“ paradirend 

Mit Geſang und rothen Nelken, 
Morgen vielleicht ſchon bei andern 
Ausgeſog'nen Fliegenbälgen. — 


Könnt' ich doch den Tag erleben 
Der Befreiung und der Ehre, 
Wo ein Donnerwetter ſpaltet 
Die verdumpfte Atmoſphäre. 


Gut gebrüllt! Doch keine Löſung. 
Großer Worte ſchönes Klingen. 

Vielleicht ſtatt zum Uebermenſchen, 
Werden wir's zum Kuli bringen. 


Dunkel iſt's im Saal geworden; 
Auf fahr’ ich bet Gaslichtsflackern. 
„Ohne Löſung heißt die Lofung — 
Bis auf Weiteres — Metterradern.“ 


Das Sauglüd, dad jo mancher hat, 
Gutmüthige Efel mögens Ioben. 

Doch auch vor dem beicheidenen Glüd 
Fühl ich mich jeder Pflicht enthoben. 


Mir ift’3; ala müßt mein Geift ein Schwert 
Ingrimmig reißen au der Scheide. 

Wenn auf dem Boden zudt die Noth, 

Und auf ihr tanzt die freche Freude. 


Dann preß ich mir die Stirne wund, 
Und die Gedanken hör’ ich tofen, 

Ein Heer, das jetnen Feldherrn grüßt. 
Ein Hod dem Schmerz, dem namenlojen. 


er 
= Ber Sweifel. = 


weifel ift ein tückiſch Windchen 

Sachte fängt es an zu Täufeln, 
Daß fih kaum die Gräfer regen, 
Daß ih kaum die Wellen fräufeln. 


Do dad Windchen wird zum Sturme, 
Und der Sturm wird zum Orfane, 
Und erfüttert grimm die Erde 

Und wühlt auf die Oceane. 


——— 


Karl Raifer. 


— Foderzeihnungen. 


* uafichtäthurn ftand droben 
Stolz auf des Berges Stirn, 
Thal der Fabrikſchlot 
ar tötet feinem Hirn. 


„He du“ jchrie er hinunter, 
„Biſt du auch Ausſichtsthurm? 
Dann Dauerft du mich wirklich, 
Du ztegelrother Wurm.“ 


Da late der Fabrikſchlot: 
„Du Efel von Grantt, 
Die allerſchönfte Ausſicht 
Iſt meine — auf Proſit.“ — 
* * * 
Bäterlih beſorgt und gütig 
Unſ're Fabrikanten ſind. 


Unſern, knappen“ Taglohn wandeln 
Um ſie in Akkord geſchwind. 


Um uns etwas „aufzubeſſern.“ — 
Hilft es nichts — dann, hilfsbereit“ 
Wie ſie einmal ſind! „Empfehlen“ 
Ste die Ueberzeitarbeit. 


Sag noch Einer, daß fie feine 
Herzen hätten für die Noth, 

„Ihre Hände” — thre „Güte“ 
Drüct und ja buchſtäblich todt. 


* * 


375 


— — 





Netter Kerl, der Maienkäfer, 
Aber ſehr Naturaliſt, 

Weil er das Begehrenswerthe 
Nicht nur mit den Augen frißt. 


Die Manier des braven Ritters 
Toggenburg begreift er nicht. 
Denn kein Pfaff' ſchredt „on mit 


Maienkäfer⸗Weltgericht. 


Nicht mal’ an die Dauer glaubt er 
Seiner Seele. Ohne Scheu. 
Summt er drumm fripel Ri 


Blüht im Lenz ber Dial, Suchhei — 


Gießt ihr Oel auf Beffermelen, 
Seht, fie glätten fih im N 

Aber gießt ihr Del in's Feuer, 
Wild jchlägt e3 dem Himmel zu. 


Sa mit den Beruhigun amitteht 
Iſt es wunderbar beftellt. 
Waſſergeiſter könnt ihr glätten, 
Doch der Feuergeiſt rebellt. 


Nahrung gebt ihr feinen Flammen, 
Doppelt wild empört er ſich, 
Und durch eure ſchlaue Rechnung 
Macht er einen diden Strid). 


—E 
Die Indifferenten. 


Bren Thläfrig-dummen Augen 
Sit fein Wuthblitz zu entloden, 
Hunde find fie und zufrieden 
Mit den zugeworf’nen Broden. 


Woch' um Woche feh’ ich ruhig 
Stillvergnügt fie weiterfchangen — 
Und wenn's der Fabrikherr wollte, 
Trügen fie tin Budelranzen. 


Läßt er fie nur eriftiren, 
Nebenbei noch Kinder machen, 
Werden ſie nie rebelliren, 
Braucht er ſie nie zu bewachen. 


—88 





376 


Karl Kaiſer. 


Sein und dein. 


a3 Leben tft ein grimmer Kampf, 

Trotz Vogelzwitſchern, Blumenduft 
Muß jeder unbarmherzig ſich 
Erkämpfen jeden Schnapper Luft. 


Das Leben iſt ein grimmer Kampf; 
Ein jeder kämpft für ſich allein 

Und bis aufs Meſſer, rückſichtslos — 
Trotz Quellenmurmeln, Sonnenſchein. 


Das Leben iſt ein grimmer Kampf, 
Und macht und gegen Mitleid ſtumpf. 
Trotz Orgelton und Friedendwort 
Bleibt „vae victis“ immer Trumpf. 


24 
Der Bent. 


iefer Köter fol mir frommen 
Gegen alle Umſturzwitze!“ 
Sprachs — und von der Wurft den Zipfel 
Stedt er auf des Schwerted Spike. 
BE ‘ 
„Zumpen!” ruft er und fie laufen! 
Vorwärts alle Hände fliegen, 
Achtend nicht des Schwertes Schärfe 
Jeder möcht den Zipfel Irtegen! 


Grinfend ſchaut der Schwertbefiker 
Nieder auf die Spottgeftalten, 

Herr ift er fo lang die Fauft nod) 
Kann den Griff des Schwerted Halten! 


83 








— Ernft Klaar. 


Ernfi Klaar wurde am 25. Dezember 1861 als Kind armer Eltern in der 
Chemniger Vorſtadt St. Nicolai geboren. Ende 1865 fiebelten feine Eltern auf dad 
benachbarte Dorf Kappel über, mo Klaar die allgemeine Dorfſchule beſuchte und 
feine Jugend verfebte. Nurz nad) der Ueberfichelung ftarb fein Water, jo daß bie 
Mutter nun die Kinder durch ihrer Hände Arbeit ernähren mußte. Wenn fie aud 
nit gerade hungern mußten, fo ift doch oft genug Schmalhans Küchenmeiſter ge: 
mejen. Während der Lehrzeit Hat fi Klaar in der Fortbilbungsſchule des Chem- 
niger Handwerkervereins nad; Möglichfeit weiterauszubilden geſucht. Bei der Prefſe 
hat er fozufagen von der Pile auf gedient, denn ſchon in feinen beiden legten Schul: 
jahren diente er als Beitungsausträger bei ber „Chemniger freien Prefie.“ 1876 
trat er als Schriftfegerlehrling bei dem hochkonſervativen „Chemniger Tageblatt” ein 
und ift aud) fpäter ais Seber vorzugäwmeife in Zeitungen thätig gemefen, Ha er dann 
Redakteur und Mitarbeiter verſchiedener fozialiftifher Blätter wurde. Im Frühjahr 
1881 ging Klaar auf die Wanderſchaft und durchkreuzte in ben folgenden Jahren 
nit nur Deutſchland nad; allen Himmelsrichtungen, fonbern durchwanderte aud bie 
Schweiz, Oberitalien, Defterreih, Lugemburg und Dänemark. Im März 1884 ſetzte 
er fih in Dresden feft und ift jeitbem Bier geblieben. Später gab er bann feinen 
Beruf als Schriftfeger auf, um fich ganz journaliftifher und Litterarifcher Thätigfeit 
zu wibmen. Yühlung mit der Sorialdemofratie fand er ſchon als Schuljunge durch 
feine Thätigteit in der „Chem. Freien Preffe”, mirtlien Anfhluß allerbings erft 
1884 in Dreäben, als bie erften Stürme bes Sogialiftengefege3 vorüber und feine 
Wanderjahre beendet waren; der Buchbruder-Gemwerffchaft Hat er bereits feit Beendigung 
feiner Lehrzeit angehört. Rach Eintritt in die Partei Hat er die Drangfalirungen 
derſelben unter dem Sogialiftengefeg redlich mitgetragen und namentlich der Dresbner 
Arbeiterpreffe feine Kräfte zur Verfügung geftellt. 1888 trat Klaar in den Mit- 
arbeiterftab des „Süddeulfchen Poftillon” ein, welchem Blatte noch heute feine Haupt: 
thätigfeit gilt. ein Lebenslauf ift fomit bie Gefhichte eine armen Proletariers, 
der zäh und unermüblich fi aus feinem armfeligen dürftigen Berhältniffen heraus- 
gearbeitet hat, um fein Wiflen und Können wieder in den Dienft deö Proletariats 
zu ftellen. Diefes lafien auch feine Dichtungen erkennen, die mit Wärme bie Rechte 
der Enterbten vertheibigen. 


* 

















— — KWForſtadtZoͤhlle. 
Surg das wogende Halmenmeer | Zögernden Fußes und o a Eil 


Leife rauſchten die Winde, Sehnenden Herzens geſchritten, 
Wohlgerüche ſtreute umher Wollte ſchauen das flüchtige Glück 
Eine blühende Linde, Bei den Enterbten und Armen, 
Traumhaft Natterten durch die Luft | Wollte an feinem milden Blid 

edermäufe fo jtill Selbit dad Herz mir erwarmen. 
Iutigroth gin auf der Mond 
Ueber der Vorſtadt-Idylle. Ed a gr die „reiche Noth, 
Die ange ſchon kannte, 
Niedere Hütten in langer Reih' Sah den gleichen Kampf um's Brod, 
Durch die Felder ſich ſchlangen, Nur in and'rem Gewande, 
Kleine Gärtchen waren dabei Menſchen, gebeugt von der Arbeits, 


Hinter Zäunen und Stangen, 

Aus den Ställen verſchlafen Hang | Toptenähnlih im Schlummer, 

Einer Ziege Gemeder, Hinter der fpärlichen Lampe Glaft 

Dellend ein Eleiner Köter ſprang aß bei der Nabel der Kummer. 

Durch die Kartoffeläder. 

gelbnerborgen Dom Salmenmalb Windſchief bie Hütten n, und morfe 
anden die niederen Hütten, ’ 

BleiheSchimmerbomMondenglanz | Yede die nieberen Stuben, 

lleber die Landfchaft glitten, Weiber und Mädel verblaßt und 

Hier und da noch ein Ipärlih Sicht we 


Blitzte in's Dunkel verſtohlen — 
Alles Ruhe, und Glanz, au 


Schlummerndes Athemholen. 


Frieden athmete jeder Zweig, 
Frieden dad Halmengewimmel, 
Frieden lächelte mild und reich 
Mond hernieder vom Himmel, 
Friede gudt aus jedem Stall 
Seglicher ftillen Klauſe, 

Undda3 Glück, das flüchtige Glück — 
Hier, da ſchien es zu Hauſe. 


Und ich bin durch die lange Zeil 
AU der friedlichen Hütten 


Und verwildert die Buben, 
Fröhner der Großſtadt hauf en hier, 
Fern an des Weichbilds Grenzen, 
Hauſen hier elend wie ein Thier 
Unter blühenden Lenzen. 


Mond, du Lügner, du N 


Willſt das Elend perdeden, 
Breiteſt glänzenden Schimmer heil 
Ueber Hutten und Heden, 

Aber umfonft tft all dein Müh'n, 
Jäh deine Zauber zerreißt es — 
Dur) den Slimmer und ner 


fü 
— die Lappen weiſt * 


380 


= Ernft Klaar. 


»> Rn cn ort. de 


Di Maimond kam mit feinem PBrangen, 
Mit feinem Duft und milden Schein, 
Da führten fie ihn fort gefangen 
Und zwängten ihn in Mauern ein. 


Sie riffen aus der Freunde Mitten, 
Ihn aus dem Arm ded Weibes fort, 
Sie rührte nicht der Finder Bitten — 
Und Alleg — Alles um ein Wort! 


Ein Wort nur, da3 er ausgeſprochen, 
Ein Wörtlein, leicht und unbedadt, 
Sie aber haben’3 ſchwer gerochen 
Und fegten ihn in Kerkers Nacht. 


Sie fanden ihn der Strafe Tchuldig, 
Weil er mit diefem Wort geihmäht, 
alb öhend und halb ungeduldig, 

en Erdengott — die Majeſtät. 


Dem Herrſcher bracht dies Wort nicht Trauern, 
Auch hat's dem Staat geſchadet nicht — 

Er aber ſitzt in dumpfen Mauern, 

Der Freiheit fern, und fern dem Licht. 


Ihm duftet Flieder nicht und Roſe, 
Ihm lacht es nicht, des Himmels Blau, 
Ihn laden nicht zur Raft die Mooſe, 
Zum Wandern nit die grüne Au. 


Ihn grüßen nicht der Berge Zinnen, 
Nicht ihre grüne Waldesnacht, 

Nicht Quellen, Die zu Thale rinnen, 
Nicht goldener Felder Aehrenpradit. 


Stumm find ihm Wachtel, Lerch’ und Droflel 
Ihn freut nit Fink und Nachtigall — 

In feiner Burg ift ihm verjchloflen 

Die Welt mit ihrem Duft und Schall. 


Mit Wollezupfen, Dütenkleben, 

Mit Strümpfeftriden, Säckenäh'n 
Sieht er ein Stüd von feinem Beben 
Verſinken und verloren geh. 


ir 


— 





_ rnit Haar 





— Am Grade Grillenbergers — 


A: deinem Grab nit Trommmwirbel fchallen, 
Nicht grüßen fchetdend dich Die Mordgewehre, 
Wie andre Kämpfer, die vor'm Feind gefallen, 
Die jäh erbliden auf dem Feld der Ehre. 

Und doch „vor'm Feind gefallen“ bift auch du, 
Ein „Feld der Ehre“ Hat auch Dich verfchlungen, 
Ein Schladtenfeld, auf dem du ohne Ruh 

Ein Leben lang — bis in den Tod — gerungen. 
Ein Kämpfer warft du, treu und ohne Wanken, 
Ein Held in ungezählten heißen Schlachten, 

Als Waffen Ichwankit du bligende Gedanken 

Und deine Worte wilde Gluth entfachten. 

Kühn ſchauteſt du dem Feind ind Angeficht 

Und bebteft nicht vor feinen feigen Schlidhen, 
Denn über Alles Hoch ftand dir bie Pflicht, 

Und nie bift du von ihrer Bahn gewichen. 

Und, die wir nadt und blos durdy’3 Dafein wandeln, 
Und Armen, die wir Noth und Trübfal leiden, 
Und, die die Herrn wie einen Hund behandeln — 
Und galt dein Ringen und dein heißes Streiten. 
Du warſt, wie wir, von gleihem Fleiſch und Blut, 
Du haft, wie wir, gehungert und geduldet, 

Drum Ioderte in dir die gleihe Gluth, 

Zu fühnen, was die Welt an und verfchuldet. 

&3 war in dir der Geilt der Zukunft mächtig, 
Die Freiheit faßte dich mit wilden Wehen 

Und ließ gen Alles, was da niederträdtig, 

In dir ein flammend Werkzeug und eritehen. 

Wie haßte dich der Fromme Heudjlerhauf’, 

Mie tobten wider dDih die Mammonsknechte! 

Wir aber Ichauten leuchtend zu dir auf, 

Zu dir, der ſtets der Echte und ber Rechte. 

Nun bift du ftumm. Verloſchen find die Flammen 
Die Heiß und jäh in deiner Bruſt gelodert, 

Es brach dein Leib in rafhem Sturz zufammen — 
Ein großes Opfer hat der Tod gefodert! 

Wir weinen nit an dieſer neuen Gruft, 

Wir ſtürmen welter, allem Feind zum Nerger, 
Doch wenn das Volk die beiten Namen ruft, . 
Nennt es auch deinen, wadrer Grillenberger. 


ARE 





381 








— — an TU — — — 


382 Ernſt Mlaar. 


Hben und Unten. 


te Fürſtin von Karfunkelſtein 
Soll nädften in die Wochen kommen, 
Drum beten rings im ganzen Land 
Andächtig alle wahren Frommen. 


Und daß ihr nicht die Niederkunft 
Etwa mad’ allzuviel zu fchaffen, 
Wird Sonntags von den Kanzeln gar 
Gebetet von den fetften Pfaffen. 


Wenn eine Fürftin abortirt, 

Wird außer Pfaff und Mediziner 
Der Herrgott felbit mobil gemadjt, 
ALS der Durchlaucht ergebner Diener. 


Doch fommt ein Proletar zur Welt, 

Und liegt ein arme? Weib in Wehen, 
Da fchweigt der Muder und der Pfaff, 
Da pflegt fein Hahn darnach zu krähen. 


Und wenn am Straßenrain verdirbt 
Die Mutter im zerlumpten Kleide, 

Da Ihimpft man auf dad „Bettelweib“ 
Und geht verächtlich auf die Seite. 


Br) 


Dem Andenken der Kommune. 


Rs gährt und brodelt in Paris | Da bricht hervor des Volkes Zorn 
Gleich einem Hexenkeſſel, Wie Sturm aus Felſenſchlünden, 

ne} it das Kaiſerreich, Aufſteht vor ihm die Juniſchlacht 
erfprengt des Cäſars Feſſel, ı Mit al’ den alten Sünden, 

Es geht da3 Volk von Banden frei | Zum dritten Mal die Republik 

Und wirft fich jeibft bie Loofe, | Sieht es entehrt, verraten, 

Errichtet ift die Republik, Und plöglich wachen aus dem Grund 

Die langerfehnte, große. | Empor die Barrifaden. 


Doc wieder Hat dad Bürgerthum | E3 weicht die Protzenrepublik 


Den Broletar betrogen, Dem erften Sturm der Maſſe 
Und wieder feinen Wortheil nur | Und Herr ift plöglich in Parts 
Aus all’ der Noth gezogen. Das arme Volk der Galle. 


Umsonst der Jammer diefed Kriegs, | Vom Stadthaus flattertfedim Wind 
Umfonft des Hungers Wehe — | Und rings von allen MWällen 
Das arme Proletartat, Der Freiheit rothes Schlachtpanier, 
Das Laſtthier blieb's wie ehe. | Das Banner der Rebellen. 


— — — — — — 


ei, wie das durch die Lande ging, 
ie wildes Wetterbrauſen! 
Hei, wie das durch die Lüfte zog 
Wie Frühlingsſtürmeſauſen, 
Aufdämmerte ein Völkerlenz 
Und höher ſchlugen die Herzen, 
Und neue Hoffnung ging durch's Volk 
Am Achtzehnten des Märzen. 


Doch war die Knechtſchaft nad zu 
art, 
Noch war fie allzumädtig, 


Sie brach dad junge, grüne Reis, 
Das aufging frühlingsprächtig, 


Ernſt Klaar. 


383 


Wohl ſchlug das Volk ſich heldenhaft 
Von Feinden rings umſchloſſen, 
Wohl hat es für die 5 ſein 
Das Herzblut kühn vergoſſen, 
Wohl deckte es die Republik 

Mit ſeiner Leichen Walle — 
Umſonſt! Verrath und Uebermacht, 
Sie brachten es zu Falle. 


Es kam das grauſe Trauerſpiel 
Der blut'gen Maienwoche. 

Die größte Schandthat aller Zeit, 
Das Brandmal der Epoche, 

Der ſchaudervollſte Maſſenmord 


Sie hat zerſtampft mit rauhem Fuß | Im Dienft der Staatenlenker, 


Die erften zarten Blüthen, 
Und hätt’ am liebiten gr den Lenz 
Zermalmt in ihrem Wüthen. 


Aufbäumte ſich in wilder Wuth, 
Bedroht in dem Beſitze, 

Das Bürgerthum-— und beitiengleic) 
Sprang es von feinem Sike; 

Es lieh der Schergen feile Brut 
Bom Landesfeind im Norden 
Und beste fie auf’3 eig’ne Volt 
Zum tollen Mafjenmorden. 


stein Mitleid galt, und kein Bardon, 
Kein menfhlih edles Fühlen — 
Nur Blut und immer wieder Ylut, 
Die Rache d’rin zu Fühlen. 

Nicht der Gefangene ward geſchont, 
Selbit Kinder nit und Weiber — 
Die Ordnungdbeitie wollte Blut 
Und wollte zudende Leiber. 


Die Schmad), die feine Zuhne 


| Vom Haupte diefer Henker. 


Und doch umfonft dad Wüthen all, 
Umſonſt die Füſiladen, 

Der Siegeslorbeer iſt verdorrt, 
Gepflückt auf Barrikaden, | 
Es ſchwankt der Boden unter euch, 
Troß Fluchen und troß Beten — 
Getreten habt ihr wohl das Volt, 
Doh nimmermehr 3 er treten. 


Biel taufend Heldenleiber ftill 
In dumpfen Gräbern modern, 
Doc längft erftanden ift ihr Geift, 
Vergeltung fed zu fodern. 

Es fteht das Volk in neuer Kraft 
Und rüttelt an den Ketten, 

Und nimmer wird ein Blutbad eud) 
Bor feinem Siege retten. 


va⸗ 


— zZas Gied der Freiheit. 





reiheit, dir möcht' ein Lied ich ſingen, 

Ein zornig Lied wie Donnerton, 
Daß ſcheu zufammendudt die Schwingen 
Das Nachtgejpenft der Reaktion. 
Daß rings im Land die Schergen zittern, 
Daß den Verräthern bangt und grauft 


Und hoffend an 


en Eifengittern 


Des Kerkers rüttelt jede Fauft. 


384 


Ernſt Rlaar. | 


reiheit, dir möcht’ ein Lied ich fingen, 

in braufend Lied wie Sturmeöweh'n, 
Das im Gebirg zu wilden Ringen 
Ermwedet den gewalt’gen Föhn, 
Losreißen ſoll er die Lawine, 
Daß fie zermalmend ftürzt in’3 Thal, 
Daß fie die Schmach der Knechtſchaft fühne 
Und ende der Bedrüdten Qual. 


Breibeit dir möcht’ ein Lied ich fingen, 
in flammend Lied wie Blitzesſchein, 

Daß e3 ein Schred den YFinfterlingen, 

Ein Troft der Armen möge fein. 

Des Geiltes Zwingburg ſoll's zerfchmettern, 
Kein Stein foll auf dem andern fteh'n, 
Erleuchten fol’3 tu grellen Wettern 

Der neuen Zeit gewaltig Weh’n. 


Breibeil, dir möcht' ein Leid ich fingen, 
in gellend Lied wie Hörnerruf, 

Daß dröhnend foll der Boden klingen 
Wie von gewalt’ger Roſſe Huf; 
Aufzieben fol in breiten Schwaden, 
Was für die Freiheit litt und ftritt, 
Und zittern follen rings die Staaten 
Bon Proletariers Maſſenſchritt. 


reiheit, dir möcht’ ein Lied ich fingen, - 
in blitend Lied wie Schwerterfchlag, 
Daß ed Befreiung möge bringen, 
Wer je in —— lag, 
Die Ketten alle ſoll es löſen, 
Die Schergen ſoll's wie Spreu genen 
Und frei vom Alten, Morichen, Böfen 
Die Welt verjüngen und erneu’n. 


Freiheit, Dir möcht’ ein Lieb ich fingen, 

Ein jauchzend Lied wie Lerchenfang, 

Und neue Hoffnung fol es bringen 

Den Herzen, die von Sorge bang. 

Der März ftürmt jauchzend durch die Lande 
Und bricht des Winters Tyrannei — 

So geht auch einft von Schmach und Schande 
Die ganze, ganze Menfchheit frei! 


_ Fruft Klaar. 385 


— — | „Gott fegne den Saren!“ — 


Au der Steppe, bededt mit Schnee, 
Halt unſaͤgliches Menichenweh, 

Und ein Schrei der Rade jchrillt 

Durch das ſchimmernde Eiögefild. — — 


Kommen zwei Männer ftil daher, 
Tragen eine Laſt gar ſchwer, 
Einen vom Leben verlafl’nen Leib, 
Mutter dem Einen, dem Andern Weib. 


Eine Grube mit müder Hand 
Hauen fie in’3 gefror'ne Land, 
Legen den theuren Leichnam hinein 
Ohne Blumen und Todtenfchrei’n. 


Sprit der Alte mit müder Stimm’: 
„Erde, in deinen Schoß fie nimm! 
Ledig ift fie nun aller Bein — 

Bald auch Hülft du mich felber ein.“ 


Sprit der Junge zornentflammt: 
„Ewig jei der Zar verdammt, 
Der in dieſes Schredensland 

Did und fie und mid verbannt!“ 


Sprit der Alte: „Sie war mir treu, 
Stet3 war ihre Liebe neu; 

Als mich traf der Rache Straßl, 
Folgte fie mir aus eigner Wahl,“ 


Drauf der Junge: „Was thaten wir, 

Daß wir weilen in Elend hier? 

Keiner von ung trägt Schmad und Schuld — 
Hole der Teufel die Schafögeduld !” | 


Sprit der Alte: „Du dauerjt nid). 
Ungeboren noch trug fie dich, 

Als fie mir folgte mit Klagelaut — 
Nimmer Haft du die Freiheit geſchaut.“ 


Sprit der Junge: „Wann kommt der Tag, 
Da zerichmettert des Zornes Schlag 

Unſres Landes Otterngezücht, 

Daß es ſterbend zuſammenbricht?“ 


Manches noch ſprachen dieſe Zwei 
Ueber die Noth der Tyrannei, 


25 


386 


— — 
2) Schluſſelburg. 


Ernſt Klaar. 


Ueber des Volkes zertretenes Glück, 
Ueber das eigene Mißgeſchick. 


Plötzlich ſchweigt der Junge und lauſcht, 
Seltſam es in den Lüften rauſcht, 
Hurrahrufen und Hochgeſchrei, 

Singen und Beten der Kleriſei. 


Und ein zauberiſch alanzvoll Bild 
Breitet ſich über's Eisgefild: 

Moskau's Pomp und Prunk und Pracht 
Iſt zu neuem Sein erwacht. 


Neben der Zarin, jung und ſchön, 
Sieht er den neuen Zaren ſteh'n, 
Und die Krone, blutig umlaubt, 
Drückt er ſich auf's geſalbte Haupt. 


Schranzen und Popen umſtehen ihn dicht, 
Donnernd der Klang der Geſchütze ſpricht, 
Glocken umdröhnen ihn hell und klar 

Und das Volk ſchreit: „Gott ſegne dich, Zar!“ 


Alles nur Sonnenſchein und Glanz, 


Alles iſt Freude und Jubel ganz, 
Alles iſt Demuth und Kriecherei, 
Alles Triumph) nur der Tyrannei. 


Nichts don den Leiden in Peter-Paul, 
Nichts von Sachalin's Martergraul, 
Nichts don der Gruft am Ladoga:Sce,*) 
Nichts von Eibiriend Ei3 uud Schnee! 


Nichts von Knechtſchaft und geiftigem Tod, 

Nichts von des Volkes Elend und Noth, / 
Nichts von feiner Qual und Pein — 

Jauchzen nur, Jauchzen und Hurrabfchreih’n! 


Da redt zornig die Fäufte empor 

Der Berbannte, der Alles verlor, 

Und einen Fluch, einen gräulichen Fluch 
Weſtwärts der Wind Sibiriens trug. 


Bor dem Schrei, dämoniſch und wild, 
Schwand dad glänzende Truggebild — 
Drin der Junge ein Zeichen fah, 

Daß der Tag der Vergeltung nah. 


UN. 


- - — — ——jh — — — — 
m — —— — — 





— — EStreikbrecher. 


| 
Yırs die Straßen nächtlicher 
Weil 


Zieht ein Trupp dahin in Eil 
Bleicher, zerlumpter Geſellen. 
Scheu und düſter irrt ihr Blick; 
Unſichtbar ein Joch im Genickk 

Und an den Händen die Schellen. 


Noble Herren mit feiſtem Bauch 

Drüden ganz widerSitt'und Braud) 
Ihnen die ſchmutzigen Hände. 

Auf die Schulter vertraulih ein 


Klaps, 
In der Schänke Wurſt und Schnaps 
Als willkommene Spende. 


Büttel in Helm und mit Gewehr 
Schreiten martialiſch nebenher, 
Laſſen das Pflaſter erdröhnen, 
Halten die Horde in treuer Hut, 
Hindern, daß einer zu Leid was thut 


Ernſt Klaar. 








Auf den Straßen in Reihen dicht 
Steht das Volk mit bleichem Geſicht, 
Ballt die Fäufte verſtohlen, 
Nagte ſeit langem am Hungertuch, 
Und der Horde manch ſtiller Fluch 
Heſtet ſich an die Sohlen. 


Denn entbrannt iſt der Klaſſenſtreit, 

Der unſägliches Weh und Lei 
Bringt der kämpfenden Maſſe, 

Aber ſie hungert und duldet ſtill, 

Weil ſie den Sieg ſich ertrotzen will, 
Ob auch leer iſt die Kaſſe. 


Und nun kommen Genoſſen der 


oth, 
Die im Kampf um das karge Brot 
Längſt ſchon Schiffbruch gelitten, 
Die ſich um ſchnöden Judasgewinnſt 
Haben verkauft zum Schergendienſt, 





Dieſen verlorenen Söhnen. Wo die andern geſtritten. 


Büttel und Herren wohlbeleibt, 

Wie man die Herde zur Schlachtbank treibt, 
Treiben die armen Schächer, 

Und, geblendet von Herrengunſt, 

Wittern ſie nicht den Schlachthausdunſt, 
Fürchten ſie keinen Rächer. 


— — 


4 GKehraus! — 


Lin lihterprangender feftlihder Saal — 
Die Reaktion hält Karnebal, 
Die Neaktion hält Mummenſchanz 
Und jauchzt und jpringt in wildem Tanz. 


Die Pauken dröhnen, dad Becken klirrt, 
Die Hörner fchmettern, die Geige ſchwirrt, 
ie Flöten wimmern vor Freud und Luft, 
Bälle brummen aus tiefiter Bruft. 


Malen und Wogen in Lift und Dunft, 
Schwirren und Girren in heißer Brunft, 
Heudeln und Schmeicheln, ein Kolettir'n, 
heilig Betheuern und — Nafeführ’n! 


OR® 


338 


___Ernft Klaar. 


Und jeder Narr trägt andres Kleid! 

Hier einer im prunfenden Fürftengefchmeid, 
Dort Pfaffenfutte und Schranzengewand, 
Und Rictertalar und Lieutenant. 


Und Puderperrüden, und Reifenrod, 

Und weiße Weiten mit goldnem Berlogque, 
Und Wapdelöftrümpfe mit Schnallenfchuh, 
Und ſporrenklirrende Stiefel dazu | 


Sp nedend und folend, und Hand in Hand 
Luſtwandeln die Masken bunt durcheinand, 
Vermummt die Leiber, verhüllt dag Geficht. 
Und die Stimme verftellt, die flüfternd fpricht. 


Da plögli ein ſchäbig zerlumpter Geſell! 

Der mifcht fi unter die Masken jchnell 

Und dreht ih mit König, mit Pfaff und Schranz 
Zoll dur den Saal in wilden Tanz. 


Wirr um die Schläfe flattert fein Haar, 
Seine Müße tft roth wie Blut fogar, 
Seine Zumpen riechen wie Veichenduft 
Und verpeften die parfümirte Zuft. 


Der Schaut wie die leibliche Revolution! 

Rings prafielt auf ihn brutaler Hohn, 

Er wird gebüttelt und wird furanzt — 
Umfonft! Er bleibt — und tanzt — und tanzt. 


Und Graufen erfafjet die Gäſte zumal, - 
Unheimlih wird e3 im prunfenden Saal, 
Sie rilfen die Maske ihm vom Geficht, 
Doc zittern fie Alle und — wagen’? nicht. 


Der perlende Wein im Kelch verfprüht, 

Die heißeſte Sinnenluft verblüht, 

Es ftirbt auf den Lippen das gleifende Wort — 
O wären fie fort! — o wären fie fort! 


Und endlich fündet der Glode Schlag 
Das Ende vom frohen Teltgelag. | 
Herunter die Masken! Die Luft ift aus — | 
Der Aſchermittwoch nahet mit Graus! 


Und aus den Reigen löſt jäh ſich los | 
Der Fremde — ımd wählt — wird riefengroß — 

Und reißt die Maske vom Angeſicht! 

Da jchweigt der Lärm — und verlöfht das Licht. 


Ernſt Klaar. 389 











Es iſt der Tod — der grauſe Tod, 
Geboren aus Unrecht, Gewalt und Noth, 
Das iſt der Rächer, der zornentflammt 
Für die Armuth übet das Richteramt. 


Er ſchreitet einher mit ehernem Schritt, 
Zermalmend, was er zu Boden tritt, 
Mit wuchtigem Beſen fegt er das Haus, 
Fegt alle die Dränger des Volkes hinaus — 
Kehraus! Kehraus! 


Br ’ 


— Freie Preſſe. — 


Re iſt's, der im wogenden Geilterftreit 
Uns liefert die Waffen, die blanken? 

Wer iſt's, der im Ringen der gährenden Zeit 

Die Bahn bricht den neuen Gedanken? 

Wer ſchleudert die Blitze mit aller Gewalt 

Herab auf die Knechtfchaft in jeder Geſtalt? 


Das ſind die Blätter, die unverzagt 
Sich Stellen in Schladitenreihe, 

Zu ſchützen da3 arme, getretene Volk, 
Das ift die: Preſſe, die freie. 


Wer iſt's, der da duldet in Kerkernacht, 

Der Freiheit fern und dem Lichte? 

Wer iſt's, der beherzt an den „rranger gebracht 
Die volksausbeutenden Wichte? 

Wer legt die Finger trotzig und hart 

In die Haffenden Wunden der Gegenwart? 


Das find die Männer, die kämpfend fteh n 
In vorderfter Schlachtenreihe, 

Das find die Redakteure des Volks, 

Das tit die Preſſe, die freie. 


Die freie Preſſe, fie Kampf und ficht 

Für unf're erhabene Le 

Sie trägt in die Hütten der Wahrheit Licht 
Und fammelt der Schaffenden Heere, 

Ste fireitet und wirbt ohne Unterlaß 

Und troget der Gegner fanatifdem Haß. 


Drum kämpfe auch du, mein fhaffend Volk, 
Für deine Preſſe, Die frete, 

Die ftet3 für dich und dein Heilige Recht 
Geftritten in vorderfter Reihe. 











390 5 u Ernit Klaar. _ 


— — — m — — — — — — 
— — — —— ——— 








— Jufifiee — | 
Futtna iſt ein käuflich Weib, Sie wäget mit geübter Hand 


Dem Starken, wie dem Schwachen; 
Deren Ni Fr Ben Reib | Beim Starten wiegt fie fo darmant, 
Und pfeift auf die Gefebe. Daß ſchier die Balken krachen, 


Wer Ihr mit Ghelftein und Gorb Belm Schwachen fliegt bir Schaale 
Die Hände füllt, bem Sit fie hold, Daß al fein Recht herunterflog. 


Dem giebt fie fonder Geize 17 

ein Jud verſteht den Bettel 
Zu eigen ihre Reize. So gut wie biefe Vettel, 
Sie ſieht ſich ihre Beute an, Juftitia trägt ein bligend Schwert, 
Trotz vorgeſchrieb'ner Binde, Das trägt fie nicht umſunſten; 


u ſ gelber a einen Dan 
om Armligen Geſinde. So ſchwingt ſie's ihm zu Gunften, 
Den Großen giebt fie immer recht, Den Armen haut fie übern rind, 
Den Armen geht es immer ſchlecht, | DaßHören ihm undSehen fhwind’t. 
Das iſt nun mal jo Praxis, Was brauchen auch die Knechte 
Wenn's auch ein wenig lar 18. | Gerechtigkeit und Rechte? 


Und einen Mantel hat fie fchön, 

Den hängt fie nach dem Winde; 

Sie braucht nur nad) dem leid zu feh'n, 
Daß fte dad Rechte finde. 

Bertraut fie dieſer Wetterfahn’, 

So ftößt fie nimmer „oben“ an — 

Und nad des Volkes Klagen 

Braucht fie ja nicht zu fragen. 


| — 
Mach Sonnenuntergang. 


od) von ragender Felſenwand 

Schau ich hinab in die Thale, 
ern im Welten die Sonne ſchwand 
Schon mit dem Iekten Strable, 
Flüchtigen Fußes kommt die Nacht 
Ueber die Berge gegangen, 
Mit den dunklen Fittichen ſacht 
Alles zu umpfangen. 


Weit zur Rechten die große Stadt, 
Grau im Nebel verſunken, 

Hell nur ſprühen die Lichter auf 

Gleich Millionen Funken, | 
Schlingen wie fchimmernde Berlenreih’n 
Sih durh Straßen und Gaflen, 
Zaubern leuchtenden Dämmerfchein 

Ueber die dunfelnden Mailen. 


Sit einer rei und hochgeehrt, 








Ernſt Kla ar. 


— — —— — — — — — J —— — — — 
— —r — — — —— —— —— — — — — — — us 


Links das Proletarierdorf, 

Tief in die Felſen gebettet, 
Miethkaſernen und Hütten klein 
Bunt durcheinander gefettet, 

Hier und da nur ein fpärlih Licht 
Zwiſchen den nädhtliden Edjatten, 
Räderfnarren und Finderlärm 

Sn der Tiefe fih gatten. 


Leife raufht durh das Thal der Fluß 
Zwiſchen den hohen Fabriken, 

Bon dem Tage den letzten Gruß 
Spiegelnd emporzufchiden, 

Auf den Wehren ſchimmern hell 
Dunkle, gefärbte Fluthen — 

Ach, es prunkt der arme Gefell 

Mit geborgten Gluthen. 


Schwer und titanenhaft die Fabrik 
Steigt herauf in die Lüfte, 

Sendet aus dem rauddenden Schlot 
Schwarze, qualmende Gifte, 

Riemen faufen und Radwerk fchwirrt, 
Eherne Hämmer dröhnen, 

Schlagen mit wuchtigem Klange todt 
Ale Seufzen und Stöhnen. 


est ein Pfiff — und das Radwerk fteht, 


Und die Lichter erblaffen, 

Auf die Straße fpeiet dad Thor 
Jäh die wimmelnden Maffen, 
Haitend eilt die berußte Echaar 
Heim ‚mit hallenden Schritten, 
Freudig, daß fie für diefen Tag 
Wiederum auägelitten. 


Nun auch kommt von der Großitadt her 
Fernes ſtampfendes Rollen, 

Vorortzüge keuchen ſchwer, 

Alle die übervollen, 

Bringen das müde Menſchenvieh 

Heim zu den Kindern und Weibern, 
Das gefrohndet dem Kapital 

Fern mit den eigenen Leibern. 


Und in langem. endloſem Zug 
Auf der Chauſſee, der beitaubten 
Wälzt fi) heran ein anderes Heer 
Der des Glückes Beraubten, 








392 


Ernſt Klaar. 














Müde und matt, gebeugt und krumm, 
Saleiden fie ihre Straße, 

die Schatten, die balde ruhn, 
Eivig unter dem Grafe. 


Ferne die Stadt, die große Stadt 
Mit den ftolzen Paläften, 
Mit der ſchwelgenden haute volee 
Und den prunfenden Feſten — 
Hier das Proletariat, 

tier das Volk der Galle, 

umpf und ftumpf, und immer noch 
Nur die „große Maſſe“. 


Wann, o warın feh ich dich zieh’n 
Einſt der Sonne entgegen, 
Während Frühlin ngelimen blüh'n 
Rings auf allen 

Nicht mehr —— und bleich. 
Wie lebendige Leichen 

Sondern kraft—⸗ und ı boffmungsreich 
Unter der Freiheit Zeichen? - 


Sr 


— — Swei Soneltee — 
J. 
Der Beſitz. 


Sig auf dem Geldfad ſchlummert der Belit 
Mit dickem Wanft und aufgedunf’nen Gliedern, 
Das Antlitz öd, und dumm, und ohne Wi — 
Fürwahr ein Bild, die Menjchen anzumidern. 


Das Gold — es iſt der Inhalt feines Seinz, 

Am Gold nur Tann des Denise Werth er ſchätzen, 
Von Idealen hat er auch nicht eins — 

Das Gold muß Alles, Alles ihm erſetzen. 


Am blanken Gold hängt er mit jedem Hauch, 
Er dient nur ihm und nur dem faulen Bauch 
Und fürchtet keine Stunde des Gerichts. 


Mit ihm bewirkt er, daß die Tugend fällt. 
Mit ihm beherrſcht er ringsum ſich die Welt, 
Doch nehmt das Gold ihm — und er bleibt ein Nichts. 


— —ñ —— 


Ernſt Klaar. 393 


II. 
Die Arbeit. 


Die Beiche Yrkeit fCoft vom fräß big fpät 
Und regt gerät immerdar die Arme, 

Obwohl fie ftet3 für Andre nur gefät 

Und ftet3 ein Opfer war der Noth, dem Harme. 


Sie iſt der Sklave nur ded Kapitals; 
Wenn jenes praßt, muß fie dafür entbehren, 
Und doch entbehrt fie nicht des Ideals — 
Man Tan fie Inechten, aber nicht entehren. 


Trotz allen Zwangs wird fie in ihrer Bruft 
Allmählich doch der Menſchheit fi) bewußt, 
Verheißend bricht ein neuer Morgen an. 


Empor zum Licht ftrebt zielbewußt und Klar 
Der unterdrüdte, arme Proletar — 
Ein Sklave zwar — und doch ein ganzer Manı. 


—XR 
RVReihnacht. + 


enn in der heiligen Chriſtennacht 
Im Kerzenſchmuck die Tanne ſteht, 
Wenn in den Kirchen tönt Geſang 
Und lautes Lob⸗ und Dankgebet, 
Wenn in Palaſt nnd Bürgerhaus ® 
Die Liebe ihre Gaben häuft 
Und fatter Chriften frommer Mund 
Bon füßen Worten überträuft. — 
Dann treibt es mich in's Land hinaus, 
Wo wild der Sturm die Felder fegt, 
Und wo die Stimme der Natur 
Noch unverfäliht an’3 Ohr mir ſchlägt, 
Ta richtet fih empor der Blid 
In menſchlich-kindlichem Vertrau'n, 
Als müſſe er die Herrlichkeit 
Der Weihe⸗Nacht, der heil'gen, ſchau'n. 


Doch wie auch ſehnend lauſcht das Ohr, 
Und wie verlangend ſchweift der Blick — 
Kein Engelszug, kein Sphärenklang, 

Und keine himmliſche Muſik, 

Nur Sturm, nur rauher Winterſturm 
Und kalter, ſturmgepeitſchter Schnee, 

Als ſei die Liebe, die man preiſt, 
Begraben ganz von bitt'rem Weh. 





394 Ernſt Klaar. J 


Und plötzlich aus dem rauhen Nord 
Klingt's wie ein geller, banger Schrei, 
Klingt es wie Röcheln, dumpf und ſchwer, 
Durch dieſe öde Wüſtenei. 

Und aus dem weißen Schneegewand 
Erhebt ſich das Geſpenſt der Noth, 

Und aus dem wilden Winterflurm 
Erklingt der Armen Schrei nad) Brot. 


Und plögli vor dem ftarren Blick 

Dehnt fih dad Elend dieſer Zeit, 

Zeigt fi die unterdrüdte Welt, 

Die kein Meffiad noch befreit, 

Auffteht das Proletartat 

Mit feinem Elend riefengroß, 

Und aus der Hungerbleihen Schaar 

Ningt ſich dad Wort nur: arbeit3lo?. 
Sa, arbeitslos! Sa, arbeitslos! 
Das ift der Fluch der Gegenwart, 
Das iſt dad Schidfal, deilen Droh'n 
Dem Broletar dad Blut eritarrt. 
Ja, arbeit3los, zur Winterözeit! 
Zum Hunger no der Froſt gejellt — 
Da ift fürwahr der größte Hohn 
Auf die „erlöfte” Menſchenwelt. 


. Bor diefem Bild verblaßt, verfiummt, 
Was man von Liebe frömmelnd ſpricht — 
So lang ein Bruder hungern muß, 

. Herrſcht in der Welt die Liebe nicht, 
Sp lang von Hungerdqual und Not 
Die Menfchheit ledig nicht und frei, 
St al der Schwall von Chrtitenlteb’ 
Nur eine arge Heudelet. 

Der Chriftenftaat ift’3, der erhält 
Das alte Unrecht fort und fort, 
In dem die wahre Chriftenlieb’, 
Die Menfchenlieb’, erſtickt, verdorrt, 
Und käme Chriftus noch einmal, 
Die Welt von Sünde zu befrei'n, 
Fürwahr, er wär’ ein Sozialiſt 
Und fämpfte mit in unfern Reih'n. 


IH 








= Jofef Hannid. 


Genoſſe Joſef Hanni ſchreibt und: „Ich bin am 23. Juni 1843 in 
Rofenthal (I. Theil) bei Reihenberg in Böhmen geboren. Mein Vater war cin 
Schneidermeifter und ftarb, als id) noch nit ganz 6 Jahre alt war. Ich, war von 
6 Kindern bad jüngfte. IA habe nur die Vollsſchule in Reichenberg befugt und 
mußte frühzeitig im die Fabrit gehen, um mir mein Brot zu verdienen. Epäter 
lernte ich die Tuchmacherei und habe fie audgeübt, bis ih im Jahre 1878 die 
Redaktion ded in Reichenberg erfheinenden „Arbeiterfreund“ übernahm. Im 
Jahre 1882, und zwar im Monat Juni, wurde id wegen „fopialbemofratifder 
Umtriebe” in das Sandeögericht in Prag überführt und nad) fehemonatlicher Unter- 
ee zu drei Monaten Arreft verurtheilt. Nach Verbüßung meiner Haft im 

883 habe ih wieder die Tuchmacherei ausgeübt bis zum Dftober 1886, mo 
Fi KR Brünn überfiebelte, um die beiden Blätter „Bolfsfreund“ und „Arbeiter 
ftimme” zu redigiren. Im Juli 1891 überfiedelte ih son Brünn nad) Steinfhönau 
und übernahm die Redaktion des „Rorbböhmifchen Vollsboten”. Im Jahre 
1897 wurde id im Wahlkreiſe Reichenberg drr fünften Kurie in ben Reichsrath ge: 
wahlt Id bin feit 1876 verheirathet und habe zwei Söhne.” — Hannids Gedichte 
tragen ein frifches Naturell an fih und gewähren einen angenehmen Einblid in das 
Seelen: und Gemütgsleben diefes Mannes, der ſich trop Kerfer und Polizeihifane 
zu einer angejehenen Stellung emporgearbeitet hat. 





— — | Folgen. — 


Serise jeien alle, die gelommen 
Zu unjerm heut’gen eriten Gründungsfeſt, 
Meil fie der Neuzeit Donnerruf vernommen, _ 
Der laut ertönt im Norden, Sid und Welt. 


Ja, feit gegrüßt, die Ihr mit Bienenfleiße 
Bom frühen Morgen bis zur fpäten Nacht 

Die Erde gleihjam düngt mit Eurem Schweiße 
Und fie dadurdh zum Paradieſe mad. 


O jeid gegrüßt, die Ihr da ſpinnt und webet, 
Auch malt und zeichnet mit geihidter Hand, 
Und Gruß aud Euch, die Ihr in Kummer lebet 
Troß Plag' und Müh' in Städten und am Land. 


Was ift e3 denn, da und zujammführet 
Was uns verleiht die Kraft und Zuperfiht? 
Es ift der Drang nah Recht, das und gebühret 
Im vollen Maß zu unfrer harten Pflicht. 


Wir wollen, daß auf Erden nit mehr darben, 
Wer da mit jchwiel’ger Hand den Ader pflügt, 
Sm Sonnenbrande binden muß die Garbe, 

Und zu dem Reihthum neuen Reihthum fügt. 


Mir wollen, daß dad Willen fich vermebre 
Und frei entfalte die Gedankenſaat; 

Daß man die Arbeit endlich) einmal ehre 
Und ihre Stimme würdige im Staat. 


Wir haben feinen Grund, dad Haupt zu beugen 
Und im Berborg’nen thätig nur zu fein; Ä 
Wir fünnen und im volliten Lichte zeigen, 

Denn unfer Thun verträgt den Sonnenfchein. 


Was wir erftreben, muß die Welt erfahren, 
Denn es ift edel und gerecht und ſchön: 

Mir ſäen nur, die Ernte fommt nad) Jahren, 
E3 darf die Saat nur nit zu Grunde gehn. 


Joſef Hannich. 








Und unſ're Saat, ſie kann nicht ganz verderben, 
Nicht einzig fallen nur auf öd' Geſtein, 

Es müßte deun der Fortſchritt ſelber ſterben, 
Und nur das Unrecht grad' unſterblich ſein. 


Spricht man nicht heute mehr als je von Sachen, 
Die bloß allein berühren unſern Stand? 

Wer wagt es, über Sozialismus noch zu lachen, 
Den man vor Jahren noch höchſt komiſch fand? 


Mer kann denn alle die Gedanken kennen, 

Mer hat fie ihrer Zahl nad) wohl verbucht, 

Mer mag die Menihen all’ beim Namen nennen, 
Die diefer Frage Löſung ſchon verſucht? 


Die Schaar ift groß und wird durchaus nicht Keiner, 
Sie wächſt vielmehr noch mit Geſchwindigkeit; 
Heut’ ſprechen Zwei, was geitern ſprach nur Einer; 
Getragen werden wir vom Strom der Zeit. 


Und wad die Zeit fi jemals auserkoren, 
Was zur Idee fich einmal hat geklärt, 

Da3 ward nod) immer durch die Zeit geboren 
Und triumphirte trog Gewalt und Schwert. 


So ift vergeblich auch nicht unfer Ringen, 
Zeritieben wird nicht, was wir treu gepflegt; 
Die Enfel werden zur Vollendung bringen, 
MWozu den Grundftein wir voll Müh' gelegt. 


re 
>> Sum 1. Mai. cœα 


Di Bäume fprießen, und Vogelgeſang 
Ertönt durch die Wälder und Auen, 
Die Menfchheit durchzittert ein Heiliger Drang, 
Das Werk der Erlöjung zu fchauen. 

Sie hat gehofft und geduldet, gehartt, 

Sie wurde vertröftet, man bat fie genarrt, 
Doh nunmehr jtürmt fie erkenntnißklar 

Dem Lichte entgegen al3 kühne Schaar. 


Es hat fih entwunden Mutter Natur 

Den eifigen Feſſeln des Froſtes. 

Die ehernen Zeiger der Weltenuhr 

Zerfrißt nicht der Zahn des Roſtes, 

Auch hält ſie ein Sterblicher niemals auf, 
Sie rüden ſtets fort in gemeſſ'nem Lauf 
Und zeigen beharrli dem Menſchengeſchlecht 
In göttlicher Hoheit den Weg zum Recht. 





Joſef Hannih 


Gleich Frühlingsweh'n und gleich Frühlingskraft 
Erfaßt es die Völker auf Erden, 

Kein Lavaſtrom iſt es der Leidenſchaft, 

Es iſt ein gewaltiges Werden, 

Ein Wachſen hinein in eine Welt, 
Die nicht mehr die Habſucht zuſammenhält, 

Wo Bruderliebe das höchſte Gebot 

Und Sünde geboren wird nicht durch Noth. 


Du herrliche Feier, o erſter Maut, 
Geburtstag der Völkerverſöhnung! 

Du erſter gewaltiger Jubelſchrei 

Nach endloſer Knechtſchaftsgewöhnung; 
O Tag der Erkenntniß, daß unentwegt 
Der Heiland Geiſt unſer Banner trägt 
Sm Kampfe gegen die Lohnſklaverei, 
Geprieſen ſeiſt du, o Feſttag im Mai! 


———— 
Kachruf an Friedrich Sngels. 


& rafft der Tod die Großen und die Kleinen 
Dahin zur Zeit als rücſichtsloſer Schnitter; 
Ihn rührt das Beten weder, noch dad Weinen. 


Was da geboren, muß den Weg auch wandeln 
Ins Reich des Starren wieder ohne Zaudern: 
Mas übrig bleibt, es iſt nur unfer Handeln. 


Die Thaten find e3, die uns überdauern 
Ind, weiterfeimend, neue That gebären; 
Die Gutes Ichufen, müflen wir betrauerı. 


Du warit ein Guter, der durch's ganze Leben 
Im Dienfte unfrer Sache hat geltanden; 
Du Haft, was du vermocht, dem Proletar gegeben. 


Du warft ein Held, ein Führer und ein Lehrer, . 
Der Zukunftskirche würdigſter Apoftel, 
Und wir, die Armen, waren deine Hörer. 


. Du Haft die Bahn dem Proletar zum Siege 
Genau umfchrieben und auch vorgezeichnet; 
Du rißt' die Maske vom Geficht der Lüge. 


Du ftellteft dich mit deinem großen Willen 
Dem Heer der Armen vollaut zur Verfügung 
Und warſt zu unferm Wohl nur dienftbefliffen. 


400 


Sofef Hannich. 


Du daft nicht nur ermuthigt die Geplagten, 
Du zeigteft auch der Unterdrückung Wurzel, 
Und aus dem Staub erhobft du die Verzagten, 


Im Geiſte weilen trauernd die Millionen 
An deinem Grab, die troß der Arbeit darben 


. In den verfchiednen Ländern aller Zonen. 


Und ein Gelöbniß Heilig und andächtig, 
Wie je nur eins die Lüfte Hat durchzittert, 
Es dringt zu dem Gewölk empor gar mächtig. 


Ein neuer Rütli-Schwur: Den Pfad zu wandeln, 
Den du und, Metiter, haft fo klar gewiefen, 
Und fieg’ögewiß in deinem Geiſt zu Handeln. 


Mer fo wie du im Wahrheitsdienſt ergraute, 
Wer unentwegt des Unrechts Urquell juchte 
Und ala ein Seher in die Zukunft jchaute, 


"Wer für dad Wohl der Menſchheit Hat gerungen 


In Wort und Schrift, den tödtet nicht das Sterben: 
Er lebt und wirft, ihn preifen ale Zungen. 


Sm 


— — Bofer Siel. — 


& kennet die Zeit nicht Stillſtand und Ruhe, 

Sp wenig fie Tennt ein dahinrollend Rad; 
Es läßt ſich nicht pferchen hinein in die Truhe 
Der großen Gedanken belebende Saat. 


Ein endlofed Kommen und Gehen und Verden, 
Ein ſtetiges Aufbau'n, ein Drängen nad Licht; 
Die fhaffende Kraft im AU und auf Erden, 
Es lähmt fie, das wifjet, der Sterbliche nidt. 


Was einmal Iebendig, erfüllt feine Sendung, 
Was einmal geboren es will auch empor, 
Gehorchend dem großen Geſetz der Vollendung; 
Dagegen erboft fih und lärmt nur ein Thor. 


Wenn viele der Wefen im KRampfe erjchlaffen, 
Wenn's wenigen gegönnt nur, zu fommen and Biel, 
Und wenn ſie dann fragen, wozu fie erfchaffen 
Und ob wohl die Schöpfung mit ihnen trieb Spiel? 


Joſef Hannid. 401 


So iſt nit die Schöpfung der Urquell der Sünde, 
Es ift die die menſchliche Einridtung nur; _ 
Sie legt und noch ern ums Auge die Binde 
Und läßt außeradt das Gefek der Natur. 


Hier müſſen wir ändern umd ringen und beijern, 
Hter Iteget der Schwerpuntt für all unfer Thun; 
Es läßt fih dad menſchliche Glück nur vergrößern, 
Wenn g’rade die Beſten nie raften und ruhn. 


Es muß und Gebot fein, zum Ganzen zu halten, 
Die Liebe muß werden ein eiſerner Ring, 

Der alles ſchließt in fi, was Menfchen geitalten, 
Dann ftürzt fie, die Phrafe von Hoch und gering. 


Der Stoff tft der gleiche bei allen, die Ieben; 

Es tit ohne Zweifel dad nämliche Recht 

Beim Urfprung des Werdend genau fchon gegeben 
Bon Mutter Natur unferm ganzen Gejchledt. 


Wo Dünfel und padt und wenn Hochmuth und peinigt, 
Sp daß wir im Menſchen den Brüder nicht jehn, 

Wo man die Apoftel der Gleichheit geſteinigt 

Und niemals erhört der Armen ihr Flehn; 


Wenn Rohheit die fühlenden Herzen verfnöchert, 

Wo Habfuht dad menſchliche Hirn, ad, durchwühlt 
Und Golddurft den Grund der Gejellfhaft durchlöchert, 
Da tritt man mit Füßen, was Natur uns beftehlt. 


Harmoniſch in Liebe und Eintracht zu walten, 
Das ift unfer Wollen, das tft unfer Plan; 

Das Leben nah Recht und Vernunft zu geftalten, 
Das hat und gedrängt auf die heutige Bahn. 


Nicht wol’n wir „zerftören” Kulter und Gefittung, 
Nicht „ſchänden“ die Kunft mit vandalifher Hand, 
Nicht predigen wir dem Volke Zerrüttung, 

Auch gießen wir keineswegs Del in den Brand. 


Wir wollen das Volk, da3 gedrüdte und arme, 
Erheben, damit es am Gaftmahl der Welt 

Auch theilnehmen kann und nicht weiter im Harme 
Berfümmert, verfumpft und auch feelifch zerichellt. 


WEIARH 


26 





402 nn Joſef Hannich. 


Fie words ock e⸗igentlich non waren? 


In norbbömifcher Mundart. 


3’ kon's a Jeder glei⸗ben, hoite 

Gibt's vill mißvergnügte Loite; 

Wenn m’r of d'r Saffe ieht. 

Oder wu bei Jemand ſieht, 

Uiberole hiert m'r klohn, 

's ös gur nd ainouch zu ſohn, 

Manchmoul muß m’r orndlich lachen 

Wos ſe for Geſöchte machen, 

Wenn ſe ſu beiſamme ſtecken, 

Und Gedanken drüber hecken, 

Wie's die Juhre wur und jötze: 

„De ganze Walt ös niſcht mi nötze“ — 

He⸗ißt's gewöhnlich, und d'rnou 

Sprechen fe: „Nest, Gott od ou, 

Wie word's od esigentlih nou waren !?” 
* * 


* 

„Nanuel! jötze bin'ch am Ziele, 
Wenn'ch nou e⸗imoul Kurten ſpiele 
Will'ch a Hoderlumpen ſein; 
Kannſt m'r ais Geſöchte ſpein, 
Wenn'ch je wieder man V'rdienſt 
Andern hiega als Gewönnſt 
Und dier mache ſötte Sorgen“ — 
Dos geloubte Sunntagsmorgen 
Saner Froun e⸗i Kopperſchmied. 
„„Weßt's doch““ — me—⸗inte fie — „„wie's ſtieht, 
Daß ich ho v'rſetzen müſſen 
Geſtern orſcht das Ichte Kiffen, 
Dröm wier's gut, du thötſt dich ändern 
Und ließt wörklich dos Flammendern.““ 
Wie a wieder Rechnung hatte, 
Soß a ou ban Kurtenblatte 
Und s' V'rſprechen wur v'rluhren; 
Denn a blieb bis früh an „Muhren“ 
Und v'rſpielt 's ganze Gald; 
D'rbeine trank a Ph mit Gewalt 
En töchtſchen Rauſch o und d'rnou 
Thot a tallen: „Gott ock ou, 
Wie word's ock e⸗igentlich nou waren!?“ 

* * 


* 
„Ne⸗i! Du hierſchte, mit dan Leibe“ — 
Sproch a Fle⸗iſcher zu ſan Weibe — 
„Ruſel, muß a Hökel hon, 
Anderſch läßt ſich ſunſt niſcht ſohn; 





— — —— m — — ñ — — — — — — 


Den ich hal doch niſcht zoröcke, 
Bin ſchun wie a Foß ſu döcke, 
Und du bleibſt e⸗i Blouſeruhr. 
Mach ock jötz amoul die Kur 

Und begib dich ai dos Bod, 

Wie's d'r Dokter hout geſoht, 

’3 kennte doch, wie ſchun bei Villen, 
Du bei dier 'n Zwed d’rfüllen, 
Und mier brätend raicht gefchwinde 
Villeiht no dan zu en Finde.“ 
Sie, natürlich, 58 dou druf, 

Wie fe unfer Herrgott fchuf, 
Täglich dor vier lange Wochen 
At a warmed Bod gekrochen, 
Ohne etwos zu d’raielen; 





Denn fe konnten Mariafch*) ſpielen, 
r 


2) Mariage. 


Wie ſe wollten, trotz d'r Ku 

Blieb ſe, wie a Blouſeruhr, 

Und dos ärgert ſe gur ſchändlich. 

Oftmouls flennte ſie unendlich 

Su an Stöllen und d’rnou 

Sprod) fe jedsmoul: „Gott od ou, 

Wie word's od esigentli nou waren!?“ 
* mi 2*0 

„Sieben Kinder hon m'r nu, 

Aber jötzte, Weib, ös Ruh; 

Denn ich ho m'r's vürgenummen, 

's darf fest achtes nömi kummen“ — 

Derurt thot e⸗i hagrer Dion 

Zu ſan dorren Weibel ſohn, 

As ſe ſu banander ſoßen 

Und en Taller Soppe oßen. 

's Juhr wur nou nd aus'n Lande, 

Dou wur dan Weibel wieder bande, 

Und, wie’3 heißt d'r Stord), der able, 

Brochte dan zwee Loiten bahle 

Druf zwee fingernadte Kindel 

Badt' und leht’ je ai de Windel, 

Wie v'rſte-inert ſag der Mon, 

Daß fih fu wos zugetrohn, 

Of fet Weibel und d'rnou, 

Soht’ a ängftlih: „Gott od ou, 

Wie word’3 od e⸗igentlich no⸗u waren!?” 


WERK 


403 


26* 


404 








Wenn dich nie ein Leid betroffen, 
MWenndunteintrüben Stunden 
Herben Kummer haft empfunden, 
Ach, dann kennſt du nicht das Hoffen 
Sener Menſchen, die da dulden 
Ohne eigened Verſchulden. 


Sa, dann weißt du nicht was Wehe, 
Weißt nicht, wie jo allgewaltig, 
Schmerzensreich und vielgeitaltig, 
Sn der Tief’ und in der Höhe 
Menfchenelend, zum Erbarmen, 
Um ſich greift mit wetten Armen. 





Joſef Hanni. 


Du kenuſt es. 
Wirſt du aber mitgezählet 








Zu dem großen, armen Haufen, 
Mußt du täglich felbit dich raufen, 
Müd' gehegt und abgequälet, 

Um den Biffen Brod, den Kleinen, 


Für dich felber und die Deinen, 


Alsdann kennſt du fie, Die Thränen, 
Kennſtdas Mühen, kennſtdas Plagen, 


Kennſt die Lehre vom Entſagen; 
Kennſt auch das gewalt'ge Sehnen 
Nach dem Kommenden, dem Neuen, 
Das uns ſoll von Noth befreien. 


>: Siegeszwerfäit. = 
ir find des Kampfes lang nicht müd 
Und weichen nit aus Neth und Glied, 
Mir lafjen ung nicht treten; 
Wir fingen laut, wir fingen gut 
Ein Lied vol Zuverfiht und Muth, 
Mie ed im Kampf von Nöthen. 


Ihr Feinde ber, nur immer ber, 
Wir fürdten weder Wort noch Speer, 
Denn für uns tft die Wahrheit; 
Was thr auch finnt und plant und baut, 
Und ob ihr der Gewalt vertraut, 
Es fiegt die Geiſtesklarheit. 

Wir halten aus, wir ftehen feit 

Am Norden, Süden, Oft und Welt, 
Uns beugt fein Sturm und Wetter; 
Wir wanfen nicht und zagen nicht 
Und Hangen treu an unfrer Pflicht ; 
Wir bauen nit auf Götter. 

Sp ftreben wir, jo ringen wir 

Und halten body ſtets dad Panier 
Der Arbeit und der Freude. 

Geſenkt fet in den tiefſten Schlund, 
Der offen iſt am Erdenrund, 

Das Unrecht ſammt dem Leibe. 

Ja, unſer Ziel, das hohe Ziel, 

Es iſt fürwahr kein Knabenſpiel, 
Wir werden es erringen. 

Wir wollen ſo, wir müſſen ſo 

Und ſind mit Recht ſchon ſiegesfroh; 
Der Geiſt führt unſre Klingen. 


Joſef Hannid. 405 











— Rs wir wollen. — 


Gebentblatt zum 25jährigen Gründungsfeſt des Urbeiterfortbilbungsvereins in Rumburg (1897). 


Mas immer mögen noch die Gegner jagen, 
Wie hart und lärmend fie auch uns verklagen, 
Daß wir Kultur und Ordnung unterwühlen 

Und mit dem Hetligften der Menſchheit fpielen; 
In frevelhaften, Teden Uebermuth 

Die Hände fireden aus nad) fremdem Gut: 

Daß wir nur Faulheit wollen und Vergnügen, 
Wir jagen drauf: All diefe Gegner lügen! 
Ste lügen theild, weil fie ung nicht veriteh’n, 
Und anderntheild, da fie es offen jeh’n, 

Mie ihre Macht von Tag zu Tage Ichwindet 
Und unfer Streben neuen Boden findet; 

Es ift die Furcht die Mutter diefer Lüge, 

Die blafje Furcht vor unferm nahen Siege. 


Es ift nicht wahr, daß wir das Gute hafien 
Und zu dem Zwed „verhegen“ nur die Maſſen; 
Es iſt nit wahr, daß wir das Böſe lieben 
Und die Gedanken der Bevölk'rung trüben; 

Es iſt nicht wahr, daß wir Unrechtes wollen 
Und wahrem Rechte nit die Achtung zollen; 
Es ift nit wahr, daß wir nad) Dingen jagen, 
Die rein unmöglich aud tn Zünft’gen Tagen; 
Es ift nit wahr, daß wir die Mutterliebe 
Erftiden wollen durch die Wucht der Triebe; 
E3 tft niht wahr, daß wir das Eheleben 

Dem Sinneswechſel wünfchen preiögegeben. 


Gar viel von dem, was man und unterjchiebt, 
Es wird heut’ täglich, ſtündlich ausgeübt; 
Gar viel von dem, was man dad Rechte heißt, 
Es ift durchſättigt von des Unrechts Geiſt; 
Gar manches, was ſich gut und ehrbar dünkt, 
Iſt kraſſe Fäulniß, die zum Himmel ra 
Und die Gewohnheit und daS Vorurtheil, 
Gepaart mit Herrſchſucht, Hindern unfer Heil. 
Hört! unſer Hell, es liegt in unfrer Kraft, 

Die alles Große ſchuf, und täglih Neues ſchafft; 
Es Itegt bei ung, und unfer Glüd zu fchmieden, 
Nur möge Keiner vor der Zeit ermüden. 


Lang ift der Weg, den wir gewandelt find, 
Manch einer ftürzte weit vom Ziel zu Boden, 
Hart war der Pfad und grauiig pfiff der Wind 


406 Joſef Hannid. 








Und nahm gar Vielen weg ben beften Odem, 
Doch trogdem fteh’n wir, eine Schaar von Treuen, 
Noch ungebeugt in Mitten neuer Reihen. 
Und wie dad Wiflen wandelt Schlangenwege 
Und erſt nah Taſten trifft die rechten Stege, 
Wie die Kultur ift nicht aus einem Guß, 
Ind felbft Die Wahrheit tft in ftetem Fluß, 
Ganz ebenſo tft es auch und ergangen. 
Auch unfer Weg hat anderd angefangen: 
Wir Tamen ſuchend erſt auf’3 rechte Gleis. 

Es ift fürwahr ein ſprechender Beweis, 
Daß Alles nur zu einem Ziele drängt, 
Ein Ideal Millionen Menſchen Ienft. 


Die Bildung tft e3, Die wir pflegen müffen, 
Und zu verbreiten haben wir das Wiſſen; 
Den: armen Volke rechte Dinge lehren, 
geikt feine Kraft vom Grunde aus vermehren; 
in Volt verdummen, heißt ein Wolf nur quälen, 
In Knechtſchaft halten und dabei entieelen. 
Dies tft der Weg, der und zum Ziele führt, 
Und da3 der Feind, der ſtets zum Kampfe ſchürt. 


Für Volkes Bildung unermüdlich fchaffen, 

Der Bolföverdummung Krieg mit ſchärfſten Waffen; 
Für Volöbefreiung thätig Naht und Tag, 

Der Volksverknechtung geben Schlag auf Schlag; 
Für Volföbeglüdung jede Stunde nußen, 

Die Volksausbeutung ftet3 die Krallen ftußen ; 
Den Frieden bringen, wo jett Kämpfe wüthen, 
Die die Entfaltung des Talent? verhüten — 

Das iſt der — den wir hochgehalten; 

Es giebt uns Kraft, um Großes zu geſtalten. 


Und wenn auch finſt're Wolken noch ſich häufen, 
Der Rückſchritt wünſcht, das neue Au erfäufen; 
Und ob es gleich nod gilt, zur ſteilen Höh' 
Emporzuflimmen unter vielem Weh, 

Mir werden müde nicht und arbeitöfcheu 

Ind bleiben unferm Wahrſpruch immer treı, 
Und mögen ferner aud) noch Stürme toben, 

Sp wollen wir und g’rade heut geloben, 

Geeint zu ftreben nah dem einen Ziele 

Und nie zu raften, wie des MWeltal3 Mühle! 


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Georg Weerth = 








(deſſen Bild wir leider nicht beſchaffen Tonnten) wurde in Detmold ald Sohn eines 
Geiftligen geioren und wurde Kaufınann. 1843 war er in Sonden mit Marr und 
Engels in Verkehr getreten und leitete mit dieſen nad der Märzrevolution 1843 die 
„Neue Rheiniſche Zeitung“, deren feuilletoniftiicher Theil feiner Redaktion unterftand. 
Degen feines Buches „Leben und Thaten des berühmten Ritters Schnapphanaty“ 
murde er auf Antrag ber deutf—en Reichänerweferfgaft unter Anklage geftellt und 
zu 3 Monaten Gefängniß verurtheilt. Weerth ſtarb am 30. Juli 1856 in Havanna, 
mohin er als Gejchäftsreifender gelommen, am gelben Fieber. Ec kann als erfter 
und bebeutenbfter Dichter des deutſchen Proletariatd bezeihnet werden. Während 
feine Zeitgenofien Hermegh und Freiligrath zu jener Zeit faft ausſchließlich in tfren 
Liedern die Revolution verherrlichten, zeichnete Werth, in marfigen Zügen den Drang 
des aufftrebenden Proletariats nach Freiheit und Gleihberehtigung und nur Heinrich 
Heine hat in jener Zeitepoche das Erwachen und die Forderungen des vierten Standes 
mit äpnlicher Schärfe gefennzeichnet. 


eg 





CS] Bie Indafrie. & 


or Ihm find taufend Jahr wie ein Tag 

Der geitern ſchied mit feierlichen Prangen; 
Denn wa3 der Sturm der Zeiten auch zerbrach — 
Ihm ift er machtlos nur vorbeigegangen ! 
Ihm nur! Der Menfchhelt wundervollem Geift! 
Den ewig feine eigne Schöne preift, 
Der frei entwandelt jegliher Vernichtung, 
Der leuchtend zieht die eigne Bahn und Richtung | 


Er wohnte an des Indus heil'ger Fluth; 

Er ftürmte dur der Griechen grüne Felder; 

Er ftrahlt’ und blühte in ttal’fcher Gluth, 

Und fang fein Lied im Dunkel deutſcher Wälder. 
Er jchwebte durch der Meere wüften Schwall, 
Und in ded Niagara Donnerfall 

Erihol fein Ruf: „Wie auch die Jahre fchreiten: 
Ich bin derjelbe wie zu allen Zeiten!” 


Wohl Hat er als das Höchſte ſich bewährt, 
Der Menſch! der fühn die Elemente bändigt; 
Der raftlos fort und weiter nur begehrt, 
Das Streben nie mit einem Abend endigt! 
Tem der Geftirne Wandel fo belannt 

Wie feiner Heimath blumenreiches Land; 
Dem täglich neue Welten fih erichließen, 

Zu neuer That, zu fhönerem Genießen! 


Erfinderiſch greift er in die Gegenwart: 

Da feimt e3 auf zu fhimmernder Geftaltung ! 
Was ein Jahrhundert ahnungsvoll erharrt, 
Es ward! es iſt, in herrlicher Entfaltung! — 
O Thoren, die den Leben ihr entrückt, 

Euch ſtets an alten Wundern nur entzückt, 
Die Wunder, ſo der Gegenwart entſproſſen, 
Sind groß wie die der Tage, ſo verfloſſen! — 


Es ging der Menſch durch grüne Wälder Pracht, 
Und prüfend wählte er die Rieſenfichte; 

Er wand da3 Eiſen aus der Berge Schadt, 
Und trug’3 empor zum frohen Eonnenlichte. 


410 








Georg Weerth. 


ö— — — — — — 





Drauf, in der Schiffe fluthbeſpühltem Raum 
Fuhr er frohlodend zu dem Küftenfaum 
Erntfernter Völker; transatland'ſchen Strande 
Die Kunde bringend europä’jher Lande. 


Und in der Etädte dumpfumhülten Schooß 
Wie raf’t die Flamme wild aus taufend Efient 
Sn reinen Formen windet e3 fich 103, 

Was ungebildet die Natur bejeilen. — 

O wär’ dem feel’gen Gotte doch erlaubt 

Auf Neu zu heben fein ambrofiih Haupt: 
Hephaiſtes, m den Dampf die Bahn eriwallen, 
Dem Menſchen ftaunend, würd’ er niederfallen ! 


Nicht braucht's der Morgenröthe Ylügel mehr, 
Um fi zu beiten in den legten Zonen: 

Die eigne Kunft trägt braufend und einher, 

Weit durch den großen Garten der Nationen! 
Entgegeneilt wad Strom und See getrennt 

Und rings in Millionen Augen brennt 

Hell dad Bewußtiein, daß die Naht entſchwunden, 
Der Menih den Menſchen wieder hat gefunden ! 


So bonnert laut da3 Ringen unfrer Zelt, 

Die Induftrie iſt Göttin unfren Tagen! - 
Zwar noch eriheint’3, fie halte ftarr gefeit 

Mit Baſilisken-Blick der Herzen fchlagen; 

Denn düſter jigt ſie auf dem finftern Thron 

Und geißelnd treibt zu unerbörtem Frohn, 

Tief auf der Stirn des Urtheils araufen Stempel, 


Den Armen fie zu ihrem kalten Tempel! 


Und Menſchen opfernd fteht fie wieder da 

Des Irrthums unerfättliche Begierde; 

Weinend verhüllt fein Haupt der Paria, 

Indes der Andere ftrahlt in güld'ner Zierde; — 
Doch Thränen fließen jedem großen Krieg! 

Es führt Die Noth nur zu gewilfern Steg! 

Und wer fie ſchmieden lernte, Schwert und Fetten, 
Rann mit dem Schwert aud Ketten ſich erretten! 


Was er verlich, des Menfchen hehrer Geiit, 
Nicht Einem — Allen wird er angehören! 

Und wie die Ießte Kette klirrend reißt, 

Ind wie die legten Arme fi) empören: 
Berwandelt fteht bie dunkle Göttin da: 
Beglüdt, erfreut ift alle8 was ihr nah! 

Der Arbeit Noth, die Niemand lindern mollte, 
Sie war’3, die ſelbſt den Fels bei Seite rollte! 





Georg Weerth. 411 





Dann iſt's vollbracht! und in das große Bud 
Das tönend der Geſchichte Wunder fündet, 

Schreibt man: „Das jet der Menſch ſich felbft genug, 
Da fih der Menih am Menſchen nur entzündet.“ 
Frei raufcht der Rede lang gevämpfter Klang! 

Frei auf der Erde geht der Menſchen Gang! 

Und die Natur mit zauberoollem Kuſſe 

Lockt die Vebend’gen fröhlich zum Genufle! 


Die rheinifchen Beinbanern: 


n Ahr und Mofel glänzten 

Die Trauben gelb und roth; 
Die dummen Bauern meinten, 
Ste wären aus aller Noth. 


Da kamen die Handeldleute 
Herüber aus aller Welt: 

„ir nehmen ein Drittel der Ernte 
Für umfer geliehenes Geld!” 


Da kamen die Herren Beamten 

Aus Koblenz und aus Köln: 

„Das zweite Drittel gehört 

Dem Staate an Steuern und Zöll'n!“ 


Und als die Bauern flehten 

Zu Gott in hödfter Bein: 

Da ſchickt er ein Hageln und Weltern 
Und brüllte: der Reſt iſt mein! 


Biel Leid geſchieht jegunder, 

Viel Leid und Hohn und Spott, 
Und wen der Teufel nicht gepeinigt, 
Den peinigt der Itebe Gott! 








—— Srſt achtzehn Jahre — 


in letztes Glüh'n! Da zog an britt'ſcher Küſte 

Dämmernd herauf die ſchönſte Winternacht; 
Sm Mondenſtrahle floß die Waſſerwüſte 
Und auf den Hügeln lag des Schnees Pracht. 
Leer das Geſtad. Es ſchwieg der Dampfer Sauſen; 
Matroſ' und Krieger war des Tages matt; — 
Doch durch die Stille ſandte dumpf ihr Brauſen 
London, der Themſe dunkle Rieſenſtadt. 





412 


Georg Weerth. 





Ihr galt es gleih, mocht' aud) ber „Sölummer drüden 
Mandy müdes Auge zu erfehnter R 

Es wälzte donnernd über Bart und Brüden 

Derfelbe Lärm fih nur dem Morgen zu. 

Zaubriſch und fttl da draußen das Bei! 

Hier nur dad Volt, in buntem Strome, wild 
Zujanmenfluthend, ſchaffend ringend, ſuchend, 
Schwelgend und darbend, betend bald und fluchend. 


Und Schimmern rings, von Dach und Thor und Fenſter; 
Dort buhlt die Luſt in ſeidenem Gewand! 

Hier über'm Golde höhniſche Geſpenſter 

Und dort geballt die mag're Bettlerhand! 

Ein Seufzer hier; ein Kuß dort! von Teraſſen 

Und Treppen: Fubei, Flüſtern und Geſtöhn — 

Das iſt der Tanz, in dem auf London's Gaſſen 

Sich raſtlos zwei Millionen Menſchen dreh'n! 


Er brauſte fort. Da hob auch Sie vom Lager 
Sich ſacht empor; es fiel der Sterne Licht 

Auf die Geſtalt io tief gebeugt, fo Hager, 

Und auf ihr bleiches, ſtarres Angeficht. 

Eie ſann; — nur einen Augenblid; — fie preßte 
Daß Franke Kind an Ihre nadte Bruft; 3; — 

Das arme Weib ſchritt raſch durch die Paläſte; 
Ach! das Wohin — fie hat es nicht gewußt! 


„Der Mutter Zrot und Kleider dieſem Kinde!“ 

So rief ſie: „O, wie toll das Herz mit ſchlägt! 
Gern trüg' ich dich, mein Sobn, ſo warm und Linde, 
Wie wohl die Mutter ihre Kinder trägt. 

Noch tit es Zeit! Bift du erft ‚groß gezogen 

Und fiehft am Strand der Schiffe bunte Chaar: 

Da eilſt du treulos durch die blauen Wogen, 

Ein wilder Seemann, wie dein Vater war!“ 


„Dein Vater? Stil! — da3 war ein ſel'ger Morgen, 
Als weinend ich an ſeiner Bruſt erwacht! 

Es kam der Mai, der Juni drauf, verborgen 

Hielt ich, was früh mich ſchon ſo bleich gemacht. 

Erſt als im Herbſt das gelbe Laub der Bäume 

Leis rauſchend in die grüne Themſe fiel: 

Da ward erfüllt der ſchönſte meiner Träume — 

Und achtzehn Jahr, da ſteh' ich ſchon am Ziel!“ 


„Erſt achtzehn Jahr! und ſchon ſo fahl mein Leben! 

en achtzehn Jahr! und arm und elend ſchon! 
Doch Halt! froh will ich meine Stirne heben, 

Dem Baterlande gab ic diefen Sohn! 


Georg Weerth. 413 


— —— — — — — — — — — — — — — — — — 
— — — ———————— — — r r — —⸗ Ton — — — — ö—— — —— —— — — 


Ha! reizt deun Niemand mein jo junger Leib? 
Sagt, die ihr irrt mit Kreuzen und mit Stetten, 
Seit ihr nicht reich genug, um nur ein Weib, 
Ein brittiſch Weib vom Hungertod au retten? 


Sie ſchwieg. Dem Gott, der niemals fie erhörte, 

. Sie fandte fein Gebet ihm himmelwärt?. 

Trüb ward ihr Blid — Das ftedend fi empörte 
Ahr Blut, zu Eis gerann’3; — aud ſlug ihr Herz! 
Die * bebend jetzt von einem Fluche!“ 

Ein Lächeln dann — ſie ſank, — rings tiefe Ruh — 
Und die Natur mit ſchnee'gem Leichentuche 

Deckte das reinſte ihrer Kinder zu! — 


Geſchloſſ'nen Aug's erſtarrt der Knabe lag 

Feſt an der Mutter marmorkalten Brüſten, 

Als weit ein Leuchten durch den Nebel brach 

Und Sonnenſtrahlen Strom und Hügel küßten: 

Fern von Weſtminſter feierlich Geläut, — 

So tönt es an der Kön'ge Sarkophagen; — 

Es klang ſo weit, es war als müßt' es heut' 

Rings nur der Welt den Tod der Armen klagen! — 


Die Glocke klang — doch nicht für dich gerührt, 
Armſelig Weib! Getroſt! laß ſie erdröhnen 

Den todten Kön' gen nur. Dir ja gebührt, 

Du früh Verblich'ne, wohl ein ander Tönen. 

Dir tönt der Schrei, ben ep die — ‚gepreht 
Aus taufend Herzen; der in 

Die Völker ruft in einem Bun her — 
Und deine Mörder werden fie verdammen! 


Be 
Freund Senz. 


Aıs fernen Wolfen brauft ein dumpfer Ton. 
Die Donner find e8, fo der Welt verfünden, 
Daß wieder der Natur geliebter Sohn, 

Der Frühling wandelt zu der Erde Gründen. 
Bei andern ? ölfern hat er lang geweilt, 

Da war’3, daß jüngft die Kunde ihn ereilt, 

Wir Hier im Norden trügen hei Verlangen, 

Auf Neu zu Schauen feiner Blüthe Prangen. 


Er fommt. Und aus des Südens frohen Thalen, 
Wo träumend er im Lorbeerwalde lag; 

Wo er zum Feſt bei arutbge efüllten Schalen 

Des Myrtenhained vollfte Kränze brach; 


414 Georg Weerth. 


Mo mit dem Zephyr er die Wangen fühlte 
Und buhleriſch in fhwarzen Zoden wählte — 
Fern aus dem Eüden hat er alle Pradit 
Herauf jetzt in den Norden und gebradit. 


Er ſetzt ſich Lächelnd auf die Hügel Hin — 
Da weht ein Duften ringd dur Feld und Auen; - 
Zum Forfte Iuftig Falk und Taube zieh’n 

Und Kofpen röthlid aus den Gärten fchauen. 
Der Bäche Lauf fhmüdt er mit lichtem Sammt; 
Es bligt der Thau, hellauf die Some flammt — 
Und nieder fteigt er von den Hügelthronen 

Hinab zum Thale, wo die Menfchen wohnen. 


Mit ihr Luft, mit ihrem bitteren Leid, 

Mit ihren Freuden, ad, und ihren Thränen: 

Mit al dem Ringen, all dem herben Streit; 

Mit al dem Hoffen, all dem ftillen Sehnen. 

Er ift’3, der in des Armen Hütte fchaut, 

Der zu ihm ſpricht, wenn faum der Morgen graut: 
„Getroft, wie deine Freuden auch zerftieben, 

Dir Armen ift der Lenz doch treu geblieben * 


„Hinaus! durd meine Blumen follft du fchreiten, 
Ich abe dich mit meiner Wälder Grün; 

Durch Buſch und Wiefe will ich dich geleiten 
Den Berg hinan, wo meine Roſen alüh'n. 

Ich zeige dir, wie nieder zu den Flächen 

Befreit die Ströme ihre Bahnen bredien 

Und wie der Nacht erblüht der Sterne Schein, 
Zieh' ich der Lenz in deine Seele ein!“ 


„Ich Fülle deiner Kinder müde Stirnen, 

Ob all’ ihr Glanz erloſchen und verftaubt; 

Ich will glei der Lawine von den Firnen 
Wälzen den Gram von ihrer Mutter Haupt. 
Und euer menge ich mit deinem Blute, 

Daß bald die Hand, die mur am Pfluge ruht, 
Zum Schwerte greift und ringend im Gefecht 
Bon Schmad) beffeit cin unterdrüdt Geſchlecht!“ 


FI 
Beruunft und Wahnfinn. 


em Morgen träumt nicht was der Abend bringt, 

Wenn lächelnd wohl aus rofenrothem Often 
Sein erfter Strahl durch Wald und Fluren dringt 
Des Thaues friſche Perlenfaat zu Loften. 


Georg Weeri}. 


— —— 


Wenn ihr Erwachen hell die Amſel preiſt 

Und Hirſche wandeln zu des Thales Bronnen; 
Wenn um die Gletſcher fill der Adler kreiſt, 
Sich in der Frühe heil'gem Licht zu ſonnen. 


Blau ſchaut die Blume aus des Feldes Garben; 
Auf Moor und Weiher ſchwankt des Schilfes Kranz. 
Es fließt der Strom in Regenbogenfarben 

Zum Meere, wiegend ſeiner Wellen Tanz. 

Und raufchend im gewalt’gen Wogenliede 

Dehnt unabfehbar fi) die grüne Fluth — 

Und freude nur und wunderpoller Friede 

Auch Feltland, Infel und Gewäflern ruht. 


Doch wie zum Mittag wandelt fi) der Morgen, 
Hüllt ſich in Schleier aud) des Tages Pracht. 
Was einer frühen Stunde tief verborgen, 

Es bricht hinein mit Angft und Graud und Nacht. 
Der Himmel tönt von rafjelnden Gewittern; 

Die Erde zudt und birft zu jähem Spalt, 

Und beulend über Feld und Cichenfplittern 

Der Sturm entfeffelnd feine Bahnen wallt. 


Es raf’t Die randung an zerfeßten Küſten, 

Und Dunkel herrſcht, bis aus entwölften Höh'n. 
Als ob fie niht3 von Sturm und Wetter wüßten, 
Die Sterne ruhig ftrahlend niederjeh'n 

Und die vom Staub bis auf zum Firmamente 
Gewälzt fid) mit dämonifcher Gewalt: 

Sie ſchlummern dann, die ftarfen Elemente, 

Bis fie ein neuer Kampf zufammenballt. 


Sp ewiglich, mit wechſelnden Geftalten, 
Sklaviſchen Laufes rollt und Lreift dag AL! 
Nicht ſchöner mag ſich die Natur entfalten, 
Noch wenden ſich als zu gewohnten all. 
Die Welt und Welten aneinander bannte 
Mit unerbittlicher Nothwendigfeit: 

Nur in den Geiftern ihrer Menfchen brannte 
Sie fort zu fchrankenlofer Herrlichkeit! 


- Seit von der Lippe greiler Batriarchen 

Der Weisheit blumenreihe Rede floß, 

Bis wo die Schädel ftürzender Monarchen 
Zerftampft der Freiheit jugendliches Roß: 
Hat die Natur mit ihrer Donnerſtimme 
Geſungen ſtets den mahnenden Geſang, 
Daß Jeder folge ſeinen Gram und Grimme 
Wie ſeines Herzens liebevollem Drang. 





416 





Die nleih dem Tiger zieh’n von Krieg zu Kriegen — 
Sie follten folgen ihrem Innern nur! — 


In. gleiher Schönheit flammten durch die Zeiten 
Des Raumes Wunder; nur zu höherm Flug 
Mocht feines Geiftes riefige Schwingen breiten 
Der Menſch! Der alle Kraft im Bufen trug! 
Der, ob er knechtiſch fi im Staube wühlte 

Ind zitternd fh vor Thron und Altar wand — 
Doc wieder Led mit feinen Göttern fpielte 

Und freier nur umd herrlicher erftand. 


Der eignen Bruft tft Freud und Leid entiprungen; 
Vernunft und Wahnſinn! Schon Jahrtauſend' lang 
Hat dieſes fürdterlihe Paar gerungen, 

Den Kampf gewälzt vom Auf: zum Niedergang. 
Sn düftern Maflen auf von ihrem Pfad; 

Und ob fie ruhig bei einander wohnen — 

Sie raften ıyır zu neuer, größ’rer That! 


In Oft und Welt ein reges Völkerleben; 

Bom Meer Shallt’3 bis zu der Wüfte Saum. 

Das tit ein Ringen, Schaffen nur und Streben 
Auf Feldern, Gafjen und der Märkte Raum. 

Und fommt der Morgen faht herangejchritten: 

Da ſcheint's nur Segen jhmüde rings das Land, 
ALS ſchaue Liebe füß aus Hundert Hütten, 

ALS herrſche rings nur ordnnender Verftand. — 


Wohl mag die Blume außen üppig winken, 

In ihren Herzen wohnt nur Angft und Qual! 
Wie einit muß heute noch der Weile trinten 

Des Wahnjinns giftdurchflutheten Pokal. 

Mit Blute Ieimen fie ihr Werk zufammen, 

Die fatt durchtaumeln Tempel und Balaft; 

Die Armuth röchelt Wimmern und Verdammen 
Und wild die Luft aus gold’nen Schüffeln praßt! 


Doch wie der Wahnfinn, folgend feinem Rechte, 
Sinnlod mag rafen — fo durd) alle Welt 
Hat die Vernunft ihr Net, daß fie die Nächte 
Dez Wahnſinns funkenſtiebend auch erhellt! 


Georg Weerth. 417 


Daß, eine Löwin, fie die Glieder ſchüttelt 
Und wieder naht in dDrohender Geftalt; 

Daß fie den Wahnfinn aud den Fugen rüttelt 
Und über Trümmer fort zum Siege wallt! 


Vernichtet wird der Wahn zu Boden rollen, 
Der mit Gewalt und fchmeichelndem Geſchwätz 
Gebeut, daß Alle Einem folgen follen, . 
Der Schranken fhafft und Regeln und Geſetz; 
Der feine Liebe macht zu Aller Liebe | 
Und feinen Haß zum Haſſe Aller nur, 

Der fie vergleicht die menſchlich freien Triebe 
Der Elemente ſklaviſchen Natur! — 


Der Erde goldner Morgen ift verronnen; 
Anbrach der wilde, wetterſchwang're Tag. 

Es hat den langen, herben Streit begonnen, 
Was Ihlummernd einft in tieffter Seele lag. 
Sort mag er fih Durch alle Zeiten thürmen; 

Es fennt der Menſch fein Ruh'n und Stillefteh’n, 
Nur aud des Wahnſinns fürchterliden Stürmen 
Wird die Vernuuft zu ſchönerm Stege geh’n! — 


zn 


‚> &in Feſtlied. = 


As mit deinem ftrahlenden Koloſſen. 

‚ Die du in Ewigkeit zur Dauer nahmit; 

Nur zur Vollendung bift du recht eriprofien, 

Seit du im Menſchen zum Bewußtſein kamſt. 

Im Menſchen nur, daß: ftürmende Gedanken 

Der Freiheit wunderbarjte® Gut geraubt, 

- Der auf den. Trümmern jet von Trug und Schranken 
Sein eigner Gott, an dich, an fie nur glaubt. 


Wohl mag fein Auge Ted den Himmel fragen, 
Wenn Sonn’ an Sorme wirbelnd fi) bewegt; 
„Ihr fernen Welten habt ihr getragen 

Ein ſolches Kleinod, wie die Erde trägt? 

Trugt Menſchen thr, die troß der graufen Zweifel 
Die wild zerfplittert ihre befte Kraft, 

Doch ſtets im Kampfe mit dem alten Teufel, 
Dem Wahne, fühn zuſammen ſich gerafft?“ 


„And die gefiegt!” — Wohlan, Steg und Triumphe 
Laſt jchmettern eurer Krieger volliter Chor! 
Es trug der Menſch aus taufendjähr’gem Sumpfe 
Die Freiheit jubelnd an das Licht empor, 
27 


418 


Georg Weerth. 





— —— —— 





Was frühe Völker ahnend vorempfunden, 
Er freut ſich deſſen in bachant'ſcher Luſt; 
Er hat den größten Rieſen überwunden, 

Vertilgt den Zweifel feiner eignen Bruſt! 


Der einſt dem Feuer ſeine Kniee beugte, 

Der Heckatomben opfernd niederſchlug, 

Der einen Gott auf Sinai erzeugte — 
Triumph! der hat jest an fich felbft genug! 
Und wie der Kranich liebt die Wolkenbahnen, 
Und wie der Löwe Itebt der Wüſte Spur: 
So liebt der Menſch die Fluren feiner Ahnen 
Und weilt entzüdt auf feiner Erde nur. 


Ob Millionen wandeln auch im Dunkeln — 
Das Jahr entroft! — es leuchtet fonder Wahl 
Der Stern der neuen Zeit; hell wird er funkeln 
Auch ihren Scelen mit gewaltigem Strahl. 

Die Priefter diefer Tage fordern Knechte 

Und Sklaven nidt, — fie fordern laut und frei, 
Daß Jeder, treu dem angeftammten Rechte, 
Hinfort ein Menſch mit freien Menſchen fei. 

5 


——= ger Ranonengieher- 


— — — 





— — — 


Sie Sügelingenringsvot Thau; | Die jauchzten Britaniend» Ruhm 


Die Lerchen haben gelungen. : 
Mit eifernen Kehlen und Lippen. 


Da bat geboren die arme rau, 
Geboren den armen Jungen. 


Und als er fechzehn Jahre alt, 

Da wurden die Arme ftrammer; 
Da ftand er in der Werfitatt bald 
Mit Schurzfel und mit Hammer. 


Da rannt er den Ofen in ben Bauch 
Mit fchweren Elfenftangen, 
Daß Hell au: Echladen und aus 


Rau 
Metall’ne Bäche fprangen. 


Kanonen goß er! mandes Stüd! 
Die brüllten auf allen Meeren. 
Die brachten den Franzen ins 


Ungelü 
Und mußten Indien verbeeren. 


Die warfen ugeli leidlich fchwer, 
Den Ehinefen in die Rippen; 


einher 


Und immer goß der rüftige Held 
Die bligenden Geſchütze, 
Bis ihın dad Alter ein Bein geftellt, 
Die Fäuſte wenig nütze. 


Und In he verjagten den Dienft 


zule 
Da gab es kein Erbarmen; 
Da ward er vor die Thür geſetzt, 
Wohl unter die Krüppel und Ärmen. 
Er ging — die Bruſt ſo zornig weh, 
Als ob fie der Donner durchgrollte, 
Bon allen Mörfern, die er je 
Hervor aus den Formen rollte, 


Dod) midi gprad) er: „Nicht fern 
ft da 
Bermaledeite Sünder, 


Da gießen wir und pr eignem Spaß 
Die Bierumdzwanzigpfünder, 


Sie 





— fudwig Aub. — 


Ludwig Aub wurde am 4. Zuguft 1862 in Münden geboren als Sohn 

des gt. Advokaten (fgl. Zufligrath) Max Aub und feiner Gattin Magdalena („Lenden“); 
geb. Marz. Sehr bald magte fi) ein ſiart entmwideltes Gerehtigleitägefühl * 
Ludwig Aub geltend, das ben Unterſchied zwiſchen Arm und Reich niemals 
Rach dem volftändigen veſuch des humaniſtiſthen Gymnaftums, in welchem 
Aub die ſchöne Litteratur lieben und die Mathematik haſſen lernte, widinete er ſich 
dem Buchhandel, war aber gleichzeitig litterariſch thätig. Jetzt lebt Aub in Nürnberg; 
er Buldigt neben fozialen Anfhauungen bezüglich des Verhältniſſes von Arbeit und 
Rapital einem auögefprodenen Individualismus (Sozialliberalismus), wie 
vielleicht Bruno Wille, den er jeit langem außerordentlich verehrt. Sein Loos, 
unverftanben zu fein, blieb ihm deshalb auch in proletarif—hen Kreifen nicht erfpart. 
€r Hat in Nürnberg eine Arbeiterſchule errichtet, bie nun feit 6 Jahren befteht und 
fi) zegen Gedeihens erfreut. Aub ift erflärter Alkoholgegner und fegt im Altohol: 
genuß ein Grunbübel des Wolfe, ähnlich wie der fopialiftifche Führer Ban ber Belde 
in Belgien. Die freie religiöfe Gemeinde in Rüpnbera hat Ludwig Aub zu ihrem 

“ erften Borfigenden gewählt. Zwei Ereigniffe waren für Aub’3 Leben von Eingweifender 
Wirkung: Die Entwidlung eined cbenfo ſchweren ala ſchmerzhaften Augenübeld, bad 
die Seh! kraft auf beiden Augen ſchwer beeinträchtigt, und der Tod einer, heißgeliebteu 
Mutter, der ihm das -Liebfte raubte, fein beftes orbild, an dem er Hd een 
und unverbrüdlid feſthält. Es war eine felten edle Frau, die nur mit dem 
dachte. — — Als Dichter hat fi Ludwig Aub meift auf lokale Zeitereignif eve 
ſchranit und fpeziell bei Arbeiterfeiten feine Mufe zur Geltung gebracht. 


* 





. 











=: Wahrheit? e- 


Hug Wahrheit nicht im Königshaus, 
Nicht unter Roſen, ſchatt'gen Linden, 
Nicht bei der Reichen Saus und Braus: 
Da wirſt du nie die Wahrheit finden; 
Und ſuch' fie nicht im ſchroffen Wort, 
Das gegen große Geiſter zetert, 

Und nicht an zarter Blümlein Ort, 

Die fallen, wenn es ſtürmt und wettert — 
Such' Wahrheit in dir ſelbſt allein, 
Und lerne nur, ein Menſch zu fein. 


Mer dies gelernt, der braucht nit mehr, 
Parteikampf fümmern und Probleme, 

Kein Stand, fein Rang, fein Fürft, fein Heer, 
Nicht Vorurtheile und Syiteme. 

Mer Menfchenliebe kennt und Noth, 

Dem braucht nicht ſchwer die Wahrheit werden; 
Sie fündet und ein hehr Gebot’, 

Daß „Frieden allen fei auf Erden!” 

Doch Friede fehrt nur bei dir ein, 

Wenn du gelernt ein Menſch zu fein, 


So lang der Eine Gelditüd raſſelt, 

Wenn ed dem Andern ſchlecht ergeht, 

So lang im Herd dad Feuer praffelt 
Nicht Allen, wenn es ftürmt und weht, 
Eon lang ift Wahrheit nur ein Schemen, 
Phantom nur, nichts, ein leerer Wahn; 
Denn in Begriffen, tn bequemen, 

Steigt Niemand leicht zu ihr Hinan; 
Sucht auch die Wahrheit nicht im Wein: 
Nur in der Kunft, ein Menſch zu fein! 


* 


Ludwig Aub. 





— — Zeopold Facoby. | —— 


& werde Licht!” Mit Fühnen Freiheitsworten 
" Trugft Du des Herzens edles Fühlen vor; 
„Es werde Lit!“ die Reaktionskohorten 
Bertrateft Du, und was Dein Sinn beſchwor, 
Das klang aus Deinem Singen mädjtig wieder; 
Du warft ein Feldherr in dem Kampf der Lieder. 


„Es werde Lichtl” Aus allen Deinen Tönen 
Klingt dieſe einz’ge Ylammenmelodte; 

Durch wucht'ge Diebe ftrebft Du zum Verſöhnen, 
Durch manchen gellen Laut zur Harmonte. 

Zur Form Haft Du den Inhalt nie gezwungen, 
Und darum tft das Höchſte Dir gelungen. 


Ein Held und Sänger — fiel zu früh die Leyer 
Aus Deiner Hand; eritarb zu früh dad Wort, 

Das Du, ein edler Menſch und ein Befreier, 

Des Beiten Schirm, des Srößten Schug und Hort, 
So einzig wahr und warm fhufjt zum Gedicht, 
Treu Deinem Wahliprud) ftetö: „ES werde Licht!“ 


A 











— Fenjahrsgedichte. — 
J. 


Hr Alte nahm dann feinen Stod zur Hand, 
Bededte feined Hauptes fahle Blöße, 

Und fprad noch einmal zu dem Sohn gewandt 
Mit vielem Pathos und mit ftolzer Größe: 


„Der Lehren gab ih Dir wohl jebt genug; 

„Ich Habe viel erfahren, reich) an Leiden; 

„Schein heißt das Weltfimbol und neid'ſcher Trug, 
„Schlecht find die Menſchen, jchlechter noch die Zeiten. 


„Rechts hört man ‚Krife!’ links ertönt es ‚Noth‘ 
„2er Lebensbaum hat ſchwächliches Geäſte; 
„Und nur ein Mittel heilt, es iſt der Tod, 
„Der dringt in arme Hütten und — Paläſte. 


„Nur ſelten wechſelt Frohſinn mit der Plage 
„Den Lichtblick inn'rer reiner Harmonie; 
„So geht's dreihundertfünfundſechzig Tage 
„Voll Hader, Streit — und ohne Poeſie! 











Ludwig Aub. 


— — — —. 


— —— — — — — 








„Genuß, Genuß! Und trotzdem kein Henleßen 

„Nur krit'ſche Tage ohne Rudolf Falb; 

„Das Glück gedeiht nicht, nichts will blüh'n und ſprießen, 
„Man tanzt; doch leider nur um's — gold'ne Kalb! 


„Man ſingt; doch iſt es nicht von langer Dauer, 

"Nicht daß ed una vergöttlicht und erhebt; 

„Man pfeift auf al’ dies — — doch nur Gaflenhauer; 
„Sp amüfirt man fid) und liebt und lebt! 


„Und Liebt! Mein Sohn, Du wirit’3 ja fennen lernen ; 
„Die Treue iſt jeßt meift ein leerer Wahn; 

„Man fofettirt wohl mit dem Mond, den Sterne, 
„Doch ift dad Schwärmen gänzlich abgethan! 


„Sp, Lieber Sohn, fo iſt die ganze Erde; 
"Die gleichen Sünden drüden jede Yand; 
„Der Katfer ruft: Kanonen, Truppen, Biere! 


„And ah „Mehr Mittel!” ruft der Mittelſtand! 


„Auch eriftirt noch Adel, Rang und Kaſte, 
„Und das „Nervösſein“ Heißt jegt „guter Ton“; 
„Selichter, fieht man viel blafirt erblaßte; 


„Das tit der Dafeindkampf, das kommt davon! 


„Ich Tcheide leicht und gern; was ich vermade 
„Mein Sohn, tft wenig, ift ein einzig Wort; 
„Bielleiht gelingt Dir beifer Deine Sache, 

„Trägſt du den Talisman ald Schirm und Hort.“ 


— — — — —,— — — — — —, — — — 


„Ein einzig Wort?!” Der’Bater war entſchwunden; 


Der Kronprinz nun ein Fürft, ein König war; 
Die legte tönt vom Thurm der lebten tunden; 
„Willkommen“, heißt es üb'rall „neues Jahr!“ 


Dem huldigten ohn' Unterſchied Soldaten 

Wie das Civil, Arm, Reich und Groß und Klein, 
Freiſinn'ge, rReichspacteilet, Demokraten; 

Rus jedem Mund erflang ein lautes „Herein“. 


Kaum fühlt der Sohn des neuen Amtes Schwere, 
Erglänzt ob thm ein Lichtſtreif Hell und weit, 

Ind orinnen ſtand in gold’ner Pracht das hehre, 
Das einz’ge Wort des Vaters: „Menfhlichkeit!“ 


423 


4924 Ludwig Aub. BE 


— — — — 


II. 


, laßt aus tiefſtem Herzensgrund 
Euch All' mein Sprüchlein ſagen: 

Mit einem Friedenswort beginn's! 
Es heißt: „Sich gut vertragen“. 
Was nützt uns Zank. was Haß und Streit? 
Ihr Jungen und Ihr Alten, — 
(Oh Männlein oder Mägdelein) 
„Kur brad zuſammenhalten!“ 


Und denkt, wer miteinander lebt, 
Soll aud) für’nander Ieben! 

Sm „Audeinander” liegt fein Einn, 
Sm „Gegenſatz“ fein Streben; 

Den Frieden, den die Welt gebraucht, 
Der Glücksſonn' reiches Sceinen, 
Du findeit fie als Zauberhort 

Im feligften Vereinen. 


Die Liebe, die den Menfchen giebt 

Sp wunſchlos Augenblide, 

Sei auch der Menjchheit ein Symbol 

In ihrem Erdgefchide; 

Wie Ihön Fönnt’3 hier auf Erden fein! — — 
Und doch Ichafft und auf Erden 

Zumetjt der böfe Nebenmenſch 

Die kleinlichſten Beſchwerden. 


Wo bleibet da das hehre Wort: 

„Den Nächſten ſollſt du lieben 

Grad wie dich ſelbſt!“, wenn wir es ſtets 
Zur That ſo lang verſchieben, 

Bis es zu ſpät und wir am End’ 

Es ftill für und beweifen: 

„och fehlt fo viel, bis alle wir 

Mit Neht und „Brüder“ heißen!“ 


Drum, zwanzigftes Jahrhundert, Du, 
Bring’ uns den Bannbefreier, 
Bring’ und den großen Menſchen zu, 
Damit er ung erneuer’ . 

Der Liebe Kraft, der Liebe That, 
Bor Haß und aufgerieben, 

Daß lernen wir, den Nächſten grad 
Sp wie ung felbft zu lieben! 


LS 





⸗ 


Ludwig Aub. 495 


Su Beethovens Geburtstag") 


(16. Dezember 17:0) 


El e3 mit Worten möglich, zu neftalten, 
Was andachtsvoll in tiefiter Seele weht? 
Mer darf fih trau'n, wo licbermenfchen walten, 
Zu fünden, wie Empfindung in und lebt, 

Die Schon, bevor ein ein’ger Ton erflungen, 

Sn uns ein Yühlen höh’ren Seins errungen! 


Sp ſei e8 nur ein Echo Euer'm Denten, 

Das jetzt in Verſen treulich widerhallt, 

Bevor Ihr ganz in innigem Verſenken 

Vernehmt des Genius himmliſche Gewalt, 

Ste, die mit einem hehren Götterlooſe, 

Das Ird'ſche ſchmückt: Der Welt zu weih’n das Große. 


Dir Hober, edler Meifter ward verlieben, 

Mit deiner Kunft der Menfchheit alle Zeit 

Sn einz’gen trunk'nen Sphärenmelodien 

Die Freude nochzufühlen und dag Leid. 

Ein jtiller Traum, Beglüdtfeind holder Friede: 
Er Zlingt in Deinem Lied „Adelaide“. 


Dem Mann gehört dad Kämpfen und das Ringen; 
Ihm ziemt nicht Iange weicher Eeelenfchmerz; 

Die Wahrheit ift fein Sagen und fein Singen, 
Dem Qumelplat der Thaten gilt fein Herz. 

Es ift ein muthig Magen, Stürmen, Kriegen. 
Eroica! Wohlauf zu Ruhm und Siegen! 


In Deinem Rieſenwerke Klingt es wider, 

Mas-in und Funken der Begeift'rung ſprüht, 
Menn nad) dem himmliſch ftillen Glüc der Lieder 
Das Teuer erfter Leidenfchaft verglüht. 

Man laufcht nicht mehr verführerifchen Klängen; 
Es gilt ein Streben, gilt ein Vorwärtädrängen ! 


Und haben wir Befriedigung gefunden, 

Dann Tehrt der Ruhe Zauber bei und ein: 
Der Thaten denken wir in ftilen Stunden, 
Sralänzt Natur im lichten Sonnenſchein; 

Der inn’re Kern lößt fih von äuß'rer Scale: 
Nach ter Eroica die Paftorale! 


Was auch de3 Daſeins Schidfal immer füge — 
Im Kampf Hat fich der frohe Muth geftählt; 
Ob's nun erfülle, ob es täufchend trüge, 


*) Gin Prolog zur Kidelloaufführung im Nürnberger Stabitheater. 





426 Ludwig Aub. 


— —— —— —— ——— — — ——— — — — — — — — — — — — — — — — 
— — — — —— — — —— —— — — — — — — — —— ———— ü ———— — —— 


Erfahrung bat den Grundſatz ausgewählt; 
Ein innere Vollenden ift gediehen 
Gleih, Meifter, Deinen Riefenfomphonten. 


Was heute aber bier an Künftlerftätte 
An Deinem Lebendtage ftrahlt empor, 

Ein fhöner Demant iſt's aus reicher Kette, 
In Ouverture, Arten und im Chor 
Sntrüdend und alltäglihem Getriebe, | 
Ein Lebenswerk der Freiheit und der Liebe! 


. Faft ſcheint Dein Stern und ſchon im Untergehen, 
Du, Floreitan, dem fih’ren Tod geweiht — 
Da folft Du die Geliebte wiederfehen, 
Fidelio, die von Feſſeln Dich befreit, Ä 
Die des Tyrannen ſchnöde Macht beswungen — 
Dem Manne Heil, „der fol ein Weib errungen!” 


Das läßt des Menſchen Größe und begreifen, 

Wie fein Empfinden, ideal und wahr: 

Der Künftler Iegt fein Werk im höchſten Reifen, 

Der freiheit opfernd, auf den Hochaltar, 

Und nimmermüd’ des Kämpfend und des Strebeng, 
Erringt er fi) die Harmonie des Lebens. 


Wie Hoffnung, Furcht und Liebe fi) verbinden, 
Wie bald ein Blibftrahl aufzudt in der Nacht, 
Wie wir der Knechtſchaft Feſſeln und entwinden, 
Wie Neht fiegt über alle Herrichermadit, 

Wie und da3 deal zum Höchſten führe: 

Es klingt in der Venoren-Ouperture. 


D’rum reihen wir und ein in jene Schaaren, 
Die heut’ ein Hohes Ziel allwärts vereint, 

Die Melodien in und zu bewahren, 

Sin denen Jauchzen lacht und Trauern weint; 
Dann haben alle lichten, freien Geifter 

Am Werke Theil und Theil an feinem Meiiter. 


Prolog zur Hchillerfeier des Atadttheaters zu Nürnberg. 


(9. November 1892) 


o leiſe wie ein ftilles Friedensahnen 

Geht heut’ ein Zauberhauch durch diefen Raum: 
Es ift des Geiftes weltbewegend Mahnen, 
Der Genius, der in ſeines Schaffen? Traum 
Ergreifende Gebilde ohne Gleichen 
Erſchuf, die nie die Wirklichkeit erreichen! 





Ludwig Aub. 427 


— — — — — — — —— 
— ——— — — 


Die Wirklichkeit, die in des Lebens Ringen 
Dem Dichter Abbruch thut an feinem Glanz, 
Er fteht unfihtbar weit von Alltagddingen, 
Die Schläfe einfam ſchmückt ein Vorbeerfrang ; 
Den hat ihm einft das deutiche Volk gewunden, 
Das unauflöslich ſchien mit ihm verbunden. 


Mit Ihm, dem beiten Führer unf'rer Jugend, 
Der Jugend, die auf eigne Kraft vertraut, 

Die ein ein Zeichen echter Manuestugend, 
Das Edle dentend, Edles auch erfchaut, . 

Nicht Tchaalen Prahlruhms wirces Kampfgetöfe, 
Kein Geiſtesfreiheit und dann Geiſtesgröße! 


Das wär ein Mori! Das war Dein Wort, Du Meliter, 
Der mit der Kraft des Könnens Muth gepaart; 

Drum ſchuf Dih aus der Reihe feiner Getfter 

Dein Volk zum Liebling, Du warft feine Art; 

Was es gewollt, Du konnteſt c3 erfaflen: 

Die Menſchen lieben und Tyrannen baffen. 











Und weil Du ſelbſt Dih aus den Feſſelbinden 
Der ftarren Form des Herzog Karl befreit, 
Drum konnteſt Du Geftalten und erfinden 

Aus Deinem Herzen und aus Deiner Zeit; 

Im Räuber Moor, in Bofa — wel ein Leben! 
In Letzt'rem haft Du und Dein Bild gegeben. 


Dein Bild in einer Welt von Idealen, 

Die, wenn fie auch verblaßt jet immer mehr, 
Als Heil’ge Schuld noch mit Erfüllung zahlen 
Wir wollen Dir zu Ruhm, zu Preis und Ehr'; 
Ind ſchwinden auch noch Jahre unterdeflen, 
Wir werden unfern Schiller nie vergeilen! 


Die Kunft, ſoweit in Schönhelt fie bereitet, 
Das Hehre baut auf Deinem Sodel fort; 
Denn nur von der Begeiſterung begleitet 
Gedeiht ein echtes Werk, ein treffend Wort; 
Und birgt fih es auch in dem gröbften Fittel, 
Ein großes Herz braucht feine großen Titel. 


Mas ſagteſt Du? O, Lönnteft Du ihn Hören, 
Der Worte Klang, durd) den dad Band zerreißt 
Der Künftler, die ein einſichtslos Bethören, 

In eig’ne Klaſſen machtvernichtend weit! 

Im eig’nen Neft wollt Ihr zerftörend niften 
Und nennt Euch deal: und Realiften! 





428 


Ludwig Außb. BE 


O denket Schilier’3! Heut an feinem Tage, 
Bereinigt Euch, daß Ihr's zum Guten lenkt, 
Schafft Antwort ber; ftatt Frage nur auf Frage, 
Ob Ihr nun Künftler ſeid, wie Künftler denft. 
AW, die Ihr höher fchaut in Lieb' und Leben — 
Bor Sciller’3 Bild — vereinigt Euer Streben! 


Es war des großen Dichters Kunſtvollenden 
Und Kunftbeginnen glei, fo licht und hell, 
Mag er nun Brofa uns, verfündend, enden, 
Befreiend und den edlen Wilhelm Tel; 
Was fih auch zutränt und an weldem Orte: 
Es find der Liebe, find der Freiheit Worte! 


Wir aber heut’ bei unf’rer Schilferfeier 
Vergeflen nicht auf Schiller's Wort’ und Lehr’: 
Zu traten vorwärts, wir geloben’3 theuer, 

Zu ringen und zu ftreben immermehr, 

Den Geift befreiend und die Herzen weit, 

Bis ums erfüllt die Zukunft tft erfchtenen: 


„Das Alte ftürzt, es ändert fich die Zelt, 
Und neued Leben blüht aus ben Ruinen!“ 


ws 


Prolog zu einem Kolks-Interhaltungs- Abend. 


Gen und Gemüth! In dieſen beiden Worten 
Liegt aller Bildung einend Element; 

Du klopfſt umſonſt an des Gelehrten Pforten, 
Wenn er nur Wiſſen und nicht Fühlen kennt; 
Doch wer nur gut und nicht auch klug und weiſe, 
Der leidet Schifſbruch auf des Lebens Reiſe. 


D'rum müſſen gleichermaßen wir erreichen 

Des Denkens und Empfindens hohe Macht, 

Um halbgebildet nicht der Zeit zu gleichen, 

Die forſcht, doch nicht empfindet, ſo daß Nacht 
Ruht in der Menſchheit Herzen, voller Quuſen, 
Troß Nanſens Fahrt und troß der Röntgen-Strahlen. 


Tie Eule ſchafft dad Willen; doch die Seele 
Hat ihrer ‘Freude Urgquell in der Kunſt; 

Daß ich unehrlih nicht die Wahrheit hehle: 

Beut Jedem fi, was reih der Mufen Gunft 

Nur dem ertbeilt, der ftetig nad ihr trachtet, 

Nicht träumend am kaſtal'ſchen Quell verſchmachtet?! 














Ludwig Aub. 429 


O nein! Geſchaff'nes hörend zu genießen, 

Wem iſt's erlaubt?. Dem, der die Preiſe zahlt, 
Der oft, anftatt fein Inn'res zu erfchließen 

Der Runft, mit ſchmalem Sinne prunkt und prahlt; 
Der Arbeitömann, der Itebend zu umfangen 

Sie heiß begehrt, der fol fie nicht erlangen!? 


Sp müfjen wir da3 gute Recht eritreiten, 

Das Sedem, und dem Aermſten felbft, gebührt, 
Das Recht, dad nad) der Arbeit fchweren Zeiten 
Uns zur Erholung durch die Fünfte führt, 

Das Recht auf Bildung, allen Fortſchritts Blüthe, 
Der Bildung durd den Geiſt und im Gemüthe. 


Die freie Religion, die wir vertreten, 

Die lehrt und denkend nad) dem Dimmel ſchau'n, 
Und auf der Erde zu dem Schönen beten, 

Zu allem großen, menſchlichen Vertrau'n, 

Das in dem Nächſten auch den Höchſten findet, 
Und ſich in ihm der Menſchheit eng verbimdet. 


Volksunterhaltunggabend! Laß’ Dein Zeichen 
Harmonifch, führend, leitend, herrlich Tein, 

Vermagſt du nicht Vollendetem zu gleicen, 

St glüh’nde Sehnſucht doch auch Sonnenſchein, 

Der frei von jeder kleinen, trüben Wolke; 

D'rum unſer Wahlſpruch heißt: „Die Kunſt dem Volke!“ 


DD 


„Der Inde wird‘ verbrannt!“ 


3 ftürmen im german’fhen Norden, 
Das Bolt verhetzend, Tiebeleer, 
Antiſemitiſche Kohorten, 
Gar wilde Schaaren, toll einher. 
Ach, mit des Halle Redeweiſen 
Berpeften fie dad deutfche Land; 
Denn Ahlwardt- Männer gtlt’3 zu preifen, 
Und nur „Der Jude wird verbrannt” ! 


Wohl manches Unglüd läßt fich wehren, 
Eh’ es vernichtend bricht herein; - 

Doch wer kann eh’r fi ſchon befehren, 
Bevor er wird geboren fein? 

Es iſt des Daſeins Art und Weile 

Ein Zufall nur, den Niemand bannt; 

Ihr brüllt doch fort im alten Gleiſe, 

Voll Wuth: „Der Jude wird verbrannt!“ 


430 Ludwig U. 0 


Daß „wir wie und den. Rächiten. lieben”, 
Es ift de onen ſchönſte Pflicht; 

Es ſteht im frömmſten Buch ghrichen; 
Erlöſerwort, man folgt Dir nichtt 
Und die es Euch verkünden follen, 

Sie haben kalt fi abgewandt; 

Statt Nächſtenliebe kaltes Grolen 

Sm Ruf: „Der Sude wird verbrannt!“ 


D Sagt: Blieb in dem lebten Kriege 

Die Bruft des Juden unverfehrt? 

Half er nicht mit zu deutſchem Siege, 

Hat er nicht tapfer fich geivehrt, 

Die heim'ſche Scholle zu bewahren 

Bor Kriegeänoth und Feuersbrand? 

Sept lehrt die. Heimath ihn erfahren: 
„Umſonſt!“ — „Der Jude wird verhrannt!“ 


Wo bleibt der Stun, der ftreng gerechte, 

Der unterfchetdet je nach Art, | 

Der nicht dad Gute wie dad Schlechte 

Verachtet, freih ih offenbart, 

Bon Zal zu Fall fein Urtheil kündet, 

Nicht Allen gleih den Bogen fpannt, A 
Der, was er auch verdammt, begründei? 

Es bleibt: „Der Jude wird verbramt!* 


Auh Du, Du großer deuticher Dichter, 
Du, Heine, ſollſt's entgelten ſchwer 

Beim muderifchen Spießgelichter, 

Daß Du von Juden ftammeft her! 

„Nur Das nicht! Toleranz vereinte 

Eid nie mit ſchwächlichem Verftand, 

Und jede Düffel-Dorfgemeinde 

Dentt ftet3: „Der Jude wird verbrannt!” 


O, mög’ die Zeit Erleuchtung enden, 
Der Zukunft lichtvoll breden Bahn, 
Die armen Menſchen-Dekadenten 
Befreien von dem finftren Wahn, 

Auf daß Gerechtigkeitsideen 

Nicht tremien Religion und Stand, 

Und nimmer wir in Geltung ſehen, 

Den Eat: „Der Jude wird verbranut]* 


Rn 


oo. Ludwig Aub. 431 


— — — — 


— Kaldkapelle — 


Kon alten, hohen Bäumen ring umſchloſſen 
Die Waldfapelle ragt am Bergeöhang, 
Da ift der Stunden Trübfal mir verfloffen 
Oft ſchnell in tiefem Denken, ernft uud bang. 

















Die Liebſte mein, fie trat mir vor die Seele, 
Die kleine Zahl all derer, die mir aut, — 
Gin frohes Lied dann quoll aus voller Kehle, 
Für ernfte Sorge Ihöpft’ ih frifchen Muth. 


Es ſchien, ald wollten mir die Tannen jagen, _ 
Was did) bewegt, iſt längſt Schon nicht mehr neu: 
„Ein Wechſelſang von Jubel und von Klagen, 
Die alte Mär von Liebe und von Treu’. 


En dacht' ib auf dem Waldhang und beim Laufchen 
Auf Iuft’ger Wöglein bunten Sängerchor, 

Wie fih Ideen und Gedanken taufchen, 

Bergleihe zieh’n au der Natur empor. — 


O Erde, auf dem Kleinen Waldeöhügel 
Steht du vor mir alö wie ein Gotteshaus, 
Und ein Gedanfe breitet feine Flügel 

Weit über Fernen weltumfaflend aus. 


Forſthaus.) 


inſam ragſt du am Waldesſaum, 
Und vor dir Die alten, hohen Tannen; 
Wer möchte da Liebe und Freude bannen 
Und Wonne und Luft und Glüd und Traum! 


Die Vöglein zwitſchern auf fchwebendem Aft, 
Die Heinen Sänger mit buntem Gefieder, 
Ste fingen und trillern und pfeifen LVieder; 
Willkommen iſt jeder Lauſcher als Gaſt! 


Der klare Himmel im Dämmerroth 

Iſt über die Friedensidylle gebreitet: 

Ein Bild, von ruhloſen Menſchen beneidet, 
Die Frieden ſuchen in Kampf und Noth. 


or 


Y Componivt von Mobert Nuſchke-Erlangen. 








132 | Subdwig Aub. 


Das So im Fald. 


Kur bu dein Leid vergeflen, | Wir bannen aus ber Seele 
Zieh’ in den grünen Wald; | Des Zweifels dunkle Nacht; 
Willſt du dein Glück ermeffen, Beim Sang der Philomele 








Dort findeft du es Bald. Auf's Neu die Luft erwacht, 
Drum flieh die enge Grenze Die Luft zu lautem Singen 
Der Stadt; in Harmonie Auf froher Wanderfahrt; 
Der Vöglein Chor im Lenze: Zum Herzen Toll es dringen, 
Welch' ſüße Melodie! Das Lied nach Volkes Art; 
Das Pfeifen, Jubiliren Da gilt es keinem Andern, 


Rings um uns tönt und ſchallt; Wenn es im Echo ſchallt, 
Gar lieblich klingt * Echo, ALS dir, du lieber, alter, 
Das Echo in dem Wald. Als dir, du freier Wald! 


Weißt du, wie in der Liebe 
Das Echo immer neu, 
Die Welt durchhallend bitebe; 
Füg nur zu Lieb die Treu! 
Sie führet dich zum Feſte 

Und kränzt mit ftiller ‘Freud’ 
Beim muntern Tanz die Gäfte, 
Die wadern Hochzeitsleut'; 
Das Echo Klingt fo herrlich, 
Wenn froh es wiederhallt 

In zweier Menſchen Herzen: 
Wie ſchön tft Vieh’ und Wald. 


rm 


Contradictio in adjecto. 


lingt es wie ein Unſinn aud), 
Körperli genommen, 
Merkt! Dan muß friehen auf dem Bauch, 
Um in die Höh' zu fommen. 


RE 








—— Robert Preußler. —— 





Robert Breußler, geboren am 26. Auguſt 1866 in Antoniwald in Böhmen, 
beſuchte dortjelbft Volta: und —— Ais Glasblafer iernte er bie Noth 
der Arbeiter im Ifergebirge frühzeitig Tennen und ift feit feinem 17. Jahre im 
Dienfte der Arbeiterihaft thätig. Preußler ift Gründer der Drganifation der Glad: 
unb feramifchen Arbeiter und in der Gewerkſchaftsbewegung Defterreichd hervorragend 

jätig. Cr ift daB ältefte Mitglied der öfterreihif—hen Wemerticjaftäbemegung in 
ien. Aud politiſch ift er für die Sozialdemokratie thätig. Mit 17 Jahren vers 
büßte Preußler die erfte nahezu einjährige Kerkerhaft. Geit biefer Zeit hatte er 
jahlreihe Verfolgungen ſeitens der Behörden durchzufechten. Preußler fegte für die 
je der Maffiihen und modernen Litteratur mit Erfolg in den öfterreichifchen 
Arbeitervereinen ein und als Rebner war er in allen öfterreihiichen Städten unb 
Inbuftrieorten tätig. Seit 1889 ift er Redakteur von Gemwerkihaftäblättern. Bis 
1894 lebte er in Gablonz (Böhmen), feit — Zeit in Wien. Aus der Stadt Prag 
(Hauptftadt feines Heimathlandes) ift Preußler ſeit 1886 auögemiefen. IS Dichter Jet 
Beeubter in Defterrei einen fehr großen Beifall gefunden, was bei den geiftvollen 
und formollendeten Schöpfungen feiner Mufe auch felbftverftändlid; ift. 























Sur Sinfährung. 


„Zon Dichterling, ein matter, eitler Sänger”, 
Ruft ihr mir zu, ch’ ihr mich noch erſchaut? 

„Sin weicher Schmadter oder Grilleniänger, 

Der fih an eig’ner Mißgeburt erbaut?” 


Das bin ih nit! Die Noth, fie tft mein Zeuge, 
Sie gab der Dichtung einen eig’nen Flug, 
Daß fie nicht in den Götterhimmnel jteige, 
Der nur die Größten feiner Zeit vertrug. 


Doch was die Getfteöfürften nicht gejehen, 
Meil ihre Ziele Schönerem geweiht, 

Das mußt auf eig’nem Boden nun erftehen, 
Dur und, die Kampfgebornen diefer Zeit. 


Aus Dunft und Rauch und faufenden Maſchinen, 
Steigt fühn empor der Arbeitsmann zum Licht, 
Er will nicht länger eitlen Göten dienen, 

Will gleiches Recht für feine Schwere Pflicht. 


Ein heißer Drang befeelt die armen Klaſſen, 
Sich zu befrei'n von Noth und Sklaverei, 

Und nimmermehr von diefem Ziel zu laſſen, 
Bid ed erreicht und bis die Menſchheit frei! 


Aud wir entftammen diefem heißen Sehnen 
Und unf’re Leyer ift fein Widerklang, 

Und reihen wir nicht immer bis zum Schönen, 
Bedenft, das Lied ift wilder Sturmgefang. 


Wir waren nicht mit euch bei allen Quellen, 

Nehmt hin die Mufe, fei fie noch fo rauh, 

Wenn einft nicht Thränen mehr die Zeit „erhellen“, 
Dann fingen wir von frifhem Morgenthau! — 


AR 


436 


Robert Breußler. 


++ Bir wanken niht! 


(Chor von Riva.) 


or find die Zeiten, in denen wir leben, 
An Sturm und Gemittern reich, 

Doch nichts macht und in unferem Streben 
Die Wangen bleich. 

Wir find eine Schaar von troßigen Streitern, 
Die treu erfüllt ihre Pflicht, 

Und möge die ganze elt ung befämpfen, 
Wir wanken nicht! 


Die Arbeit tft heute entioirbigt aut Schande 
Und bettelt die Faulheit um 3 

Wir wollen die ſchnöden Retten gerbredhen, 
Berbannen die Not). 

Drum rufen bie Seien, wir auf zum Gefechte 
Wider den Heuchler und MWicht, 

Und fält mander Brave im blutigen Gtreite, 
Mir wanken nicht! 


Schon reihen die Völker zum fräftigen Bunde 
Sich überall jubelnd die Hand, 
Wo Zwietracht nur herrichte, ſchlingt gleiches Intereſſe 
Ein brüderlich Band. 
Drum vorwärts Sreſem— zum heiligen Kriege, 
Bis jede Feſſel zerbrich 
Es gilt für die reife zu fiegen und fterben, 
Wir wanken nit! 
Ir 


+ Schmäht nicht die Seit! « 


chmäht nicht die Zeit des Dampfes un ‚bes Blitzes, 
Die Gegenwart mit ihrem Kampfe wild 

Schon fpiegelt rein wie von kryſtall'nem Grunde 

Sid) ab in ihr der Zukunft großes Bild. 


Und thürmen fi noch himmelhohe Schranken 
Des Wahnes und der Lüge vor und auf; 
Es fiegen doch des Geiſtes Lichtgedanten, 
Durchbrechen Wälle ftark in ihrem Lauf. 


Drum nicht verzagt und muthig fortgerungen, 

Der hohe Preis, er ift de Stege werth; 

Nur wer tm Kampf des Getites Schwert geſchwungen, 
Der hat gelebt, dem hat die Welt gehört. 





Robert Breußler. 437 


Frolog zu einem Krbeiterfeſte. 


enn andre fich zu Feſtgelagen finden, 
Um zu vergnügen fih bei Sang und Wein, 

Wenn fie zur hellen Freude ſich verbinden, 
Sie, deren Leben Glück und Sonnenschein, 
Da ſchafft der Proletar in finftren Räumen, 
Hoch auf dem Bau, in Gruben, auf dem Feld 
Und fördert ohne Unterlaß und Säumen 
In Schweiß getränkt die Herrlichkeit der Welt! 


Und wenn er abends nad) vollbraditer Plage 
zZulanmen fommt mit der Genofjen Scaar, 
a gibt’3 kein Singen und fein Zechgelage 
ür den bedrängten armen Broletar! 
3 gilt zu kämpfen für die eigne Sache, 
Zu lernen und zu wirken tim Verein, 
Damit der Arbeit die Erlöfung werde 
Bon Qual und Noth und harter Anechtfhaft Rein. 


Daheim im Stübchen Hungern Weib und Kinder! 
Das „Vaterland“, es fordert den Tribut, 

Nur Ichaffen Heißt es immer und erhalten, 

Und der Gefellihaft opfern Gut und Blut. 

Da ift der Kampf für Beflerung vonnöthen, 
Und jeder muß erfüllen feine Pflicht, 

Denn „Hilf dir felbft”, fo lautet eine Wahrheit, 
„Die dich bedrüden ftet3, die helfen nicht!“ 


Noch giebt es leider ungezählte Maflen, 

Die diefe alte Wahrheit nicht erfannt, 

Und jenen glauben, die da immer fajeln 

Bon Chriſtenthum, von Recht und Vaterland! 
Sie gilt es für die Sade zu gewinnen 
Und zu befrei’n von Wahn und Vorurtheil, 
Damit au fie mit in die Reihen treten, 

Als wadre Streiter für des Volkes Heil! 


Sp ſteh'n die Proletarier beim Werke, 

Und wenn dad Ziel, dad hohe noch fo weit, 

Sie wiſſen dennod, daß fie einftens fiegen 

Und ſchreiten vorwärts mit dem Geiſt der Zeit. 
Nicht kümmert fie der Gegner Schrein und Toben 
Und wenn aud) mander fällt, fie harren aus, 

Sie troßen muthig allen Hindernifien 

Und jchreiten ftolz durd) Wind und Sturmgebraus. 


438 


Nobert Preußler. 


Und wenn fie fih nach treuerfüllter Arbeit 
Zu einem Felt verfammeln im Verein, 
Ste fommen nicht des leeren Jubels willen, 


. Auch bier gilt’3 fih dem hohem Ziel zu weih'n! 


Da wird dad Glas zum Heil der Welt erhoben, 
Da tönt das Lied für Freiheit und für Recht, 
Da quillt die Nede, um dad Werk zu feiern, 
Die Freude gilt dem kommenden Gefchledt. 


Der Ernft des Lebens duldet feine Zoten 

Und keine öde Firlefanzerei ! 

Was nützt ber Rauſch der Luft im Augenblicke, 
Solang uns drüden Noth und Sklaverei? 

Wir wollen echte Lieder, reine Freude 

Und nicht den Raufch, der die Enttäufhung bringt, 
Damit und nidht nach frohverlebten Stunden 

Da3 alte Mühfal graufam niederzwingt ! 


Drum laßt und auch bei dieſem Feſte bringen 
Der befl’ren Zufunft einen warmen Gruß! 
Und laßt ein Lied von jenem Kampf erklingen, 
Der der Geſchichte unaufhaltfam Muß! 
Erhebt dad Glas, daß die Gewerkſchaft blühe 
Und bringt ein braufend Hoch der neuen Zeit! 
Nie jol fortan ein andrer Wahlſpruch gelten 
In unfern Reih’n, al3 Treu und Einigkeit ! 





++ Frutz unfern Feinden. + 


rug unfern Feinden, die mit freien Händen 
Des Volkes Wohlſtand fehnöde ſtets geraubt, 
Und mit Gewalt den Gottgedanfen morden, 
Der an den Himmel bier auf Erden glaubt. 


Trutz unfern Feinden, die und unterbrüdten, 
Durd rohe Macht entwirdigten das Necht, 
Die no die Menfchheit in zwei Lager theilen, 
In eine Horde und eine frei Geichlecht. 


Trutz unfern Feinden, die des Wiſſens Schäße 
Zu ihrem Vortheil immer nur mißbraucht 

Und die dem Volk nur fromme Lügen boten, 
Durch die jein Geift in Naht und Wahn getaudt. 


Wir, die Betrogenen find nun auferftanden ! 
Und nimmermehr gelingt euch euer Spiel, 
Das arme Volk mit Lügen einzufchläfern — 
Sich zu befrein, tft fein großes Biel! 


Robert Preußler. 439 


— — — — En —s — — — — — — — 











Stützt euch nur fort auf eure Ammenmärchen 
Und eure ſchwarzen Prediger im Land, 

Wir ſtehen feft, und haben unſre Boten, 
Euch zu entlarven, ſchon hinaus gefandt. 


Berlaflet euh auf eure blanken Waffen 

Und führt der Welt ein neued Blutbad auf, 
Mir ſpotten eurer Uebermacht und Tücke 
Und gehen rüftig unfern Siegezlauf. 


Schließt alle fie in eure Kerferzellen, 

Die für des Volkes Rechte treten ein; 

Viel Hunderttaufend Neue werden fommen. 
Um kühn dem Heilgen Kampfe fih zu weih'n. 


Ihr hindert nicht die höchſten Zeitgelege, 
Gewalt und Züge find ein roftig Schwert, 
Denn die Entwidlung reißt den Thoren nieder, 
Der nicht auf ihre Donnerftimme hört 


Sie ruft’3 Ind Land, daß alle Berge zittern: 
Die Menſchheit fei von Qual und Noth befreit! 
sort mit den ſchnöden Schranken, die fie hemmen 
In threm Streben nah Glüdjeligfett ! 


Der Tiſch der Zett iſt voll und fruchtbeladen 
Und bietet Raum genug für Aller Glüd; 
Nur Aberwit kann da noch aufredt halten 
Der Milltonen Leid und Mißgeſchick. 


Ind deshalb Trutz den Feinden der Bewegung, 
Die wie ein Strom durd alle Länder geht, 
Durch deren Steg die arme Menjchheit endlich 
Zur vollen Blüthe wieder auferiteht. 


RR 


— gs Recht. —— 


Dis Recht tft oft in unfern Zeiten, 

Ein ſtumpfes Schwert, ein lahmer Fuß, 
Es gleiht au Werth dem Eigenthume, 
Das erft errungen werden muß. 


Es Hat gar viele böje Feinde, 

Die ſuchen ftet3 es zu entweih’n 

Und oft muß e3 dem größten Unrecht 
Zum Schuß den guten Namen leih’n. 





440 Ä Nobert Rreußler. 


Das zieht dann frech durch alle Lande 
Und würgt erbarmung2los das Recht, 
Es ſchändet Alles was und heilig 
Und madt die Erde ſich zum Knecht. 


Das Heine Häuflein, da8 zum Banner 
Ted Rechtes hält und fi nicht beugt, 
Das hat ſchon oft viel Leids erfahren 
Und wird erdrückt, wo es ſich zeigt. 


Begeiſtert tritt es immer wieder 

Und furchtlos auf den Kawpfplatz hin, 
Und reißt des Truges Schranken nieder, 
Macht alle Herzen froh erglüh'n. 


Und Viele, die da Unrecht leiden, 
Die ſchließen ſich den Kämpfern an 
Und trotzen allen Hinderniſſen 

Im Kampf ums Recht auf dorn'ger Bahn. 


Seid frohen Muths, kämpft rüſtig weiter, 
Ihr Braven all' in Stadt und Land, 
Es kommt die Zeit, in der ihr ſieget 
Und wo das Volk das Unrecht bannt. 


Sa 


8 das Slüh. 


a3, was die Menjchen glüdlich preifen, 
Sit meift ein inhaltafofer Mahn, 

Ein niederer Sinnreiz jener „Weifen”, 

Die nie des Glückes Zauber fah'n. 


Das wahre Slüd im Menfchenleben 
Iſt Pflichttreu, die im Guten liegt, 
Die nicht im eitlen leeren Streben, 
In Ruhm und falfdem Glanz ſich wiegt. 


Die ftet3 im Unglück und erhebet 

Aus Schmuß zu lichten Geiſteshöh'n 
Und niit vor Gram und Leid erbebet, 
Die ihr auf diefer Bahn erfteh’n. 


Die nur nach Meberzeugung richtet, 

Und thut, was gut und wahr und edit; 
Die nie für fremde Meinung dichtet, 
Stet3 handelt nah Vernunft und Recht. 








Robert Breußler. 


Der Suhunft Raientag. 


Ast, wo die Kriegdfanfaren 


Wo ſolche Kräfte walten, 


Zum blut’gen Kampf vereinen, | Da muß es Frühling werben, 


Nicht, wo die Feigen Seelen 
Ihr Mißgeſchick beweinen, 
Nicht, wo vor einen Götzen 
Die blöde Menge kniet, 
Wil ich erklingen laſſen 
Der Zukunft Hohes Lied! 


Dort, wo aus Naht und Grauen 


Die Völker aufwärts fteigen, 
Wo fih tro& Noth und Sorge 
Beherzte Männer zeigen, 

Dort, wo der Zorn des Rechtes 
Die Maflen übermannt, 

Dort will ich fret erheben 

Die Stimmen rings im Land. 


Da tft der Freiheit Stätte, 
Da quilt des Geifted Leben, 


Wo fih aus Zwang und Mangel, 


Die Menſchen doch erheben! 
Wo die Erfenntniß fiegte, 
Der Aberglaube brad), 

Und wo die Noth der Zeiten 
Hält alle Kräfte wad). 


Da müflen auferftehen 

Die Völker ringd auf Erden. 
Da muß die Knehtichaft Fallen 
Und fiegen muß das Recht! 
Und aus den todten Trümmern 
Erblüht ein neu Geſchlecht. 


Noch weiß ichs nicht, Doch fühl ich, 
Das Alte bricht zuſammen 

Und ungeahntes Leben 

Erſteht aud Schutt und Flammen. 
Der Mensch, der ſchier verloren, 
Wird frei von Trug und Wahn 
Und fommt nad) langem Srren 
Beim Menſchen wieder an. 


Es wird ein Maitag kommen, 
Wie feiner noch geweſen, 

Ein Maitag, der beitimmt tft 
Die Völker zu erlöfen. 

Der alle Ketten fprenget 

Und allen Trug erichlägt, 
Der und nah wüſten Kriegen 
In alle Himmel trägt. 


Wir wollen glücklich werden! 
Wir wollen wieder fingen, 
Uns zu den lichten Höhen 
Der Freiheit endlich ſchwingen! 
O, Bölfermaitag komme 

Und mach uns endlich frei! 
Tod aller Herrſchbegierde 

Und aller Sklaverei! 


ZERIS 
Hein Volk, wach auf! 


ah auf mein Volt, erkenne deine Nechte, 
Die in dem Staube liegen vor dem Feind; 
Du haft genug gejammert und geweint, 
Haft angeklagt des rauhen Schickſals Mächte. 


Nur muthig’ Handeln wird empor dich deben, 
Wird ändern fehnell dein gramerfülltes 


eben. 


442 








% 











Wach auf mein Volk, zerreiß’ den dunklen Schleier, 
Duld’ ihn nicht länger vor dem Angefict, 

Dann wird erftrahlen bir dad wahre Licht, 

Und es erlifcht des Fanatismus ‘Feuer; 

Du haſt Sahrhunderte umfonft geglaubt, 

Bis endlih man dad Letzte dir geraubt. 


Drum auf mein Volt, laß ab vom blinden Wahn, 
Errette dih vom ſchnöden Sklavenjod) 

Und halte ftet3 des Wiflend Fahne Hoch, 

Dann wird fi dir Erlöfung endlich nah'n, 

Dann wird fein Haß die Völker mehr entzwei'n 
Und alle Menfchen werden Brüder fein. 


Wach auf mein Volk, ſchon weihen Trug und Lüge, 
Schon naht der Gentud der neuen geit, 

Und Wahrheit, Liebe und Gerechtigkeit, 

Sie führen dich zum allerfchönften Siege, 

D, halte aus mein Volk und wanke nicht, 

Dein ift die Welt, die letzte Feſſel bricht ! 





— FIrthlingsglanbe. — 


un iſt vorbei des Winters Toben, 
Das die Natur in Froſt gebannt, 
Und alles Blühen, alles Leben 
Umſchloß mit rauhem Eisgewand. 


Und wie das Raubgethier ſich flüchtet 
In ſeine Höhlen nach der Nacht, 
So iſt der Winter nun gewichen 
Des Sonnenlichtes Zaubermacht. 


Welch Leben, welche Pracht und Fülle! 

Wo noch vor Wochen Alles todt, 

Dort blüht und ſingt und rauſcht und ſtrahlt es, 
Bom Morgen bis zum Abendroth. 


Nur du mein Volt bleibft ernit und traurig 
Bet al’ dem Blüthen, allem Sang 
Und feine Frühlingöfonn’ erwärmet 
Dein Herz zu ftolzgem Thatendrang. 


Dein Leben ift ein ew’ger Winter, 
Der Geiſt und Körper niederhält 
Und jede Luft und Schaffendfreude 
Im Dafeinsfampfe dir vergällt. 


Robert Breußler 


Doch darfft du deshalb nicht verzagen, 
Nicht der Verzweiflung Opfer fein; 
Auch dir erftrahlt nad finftren Tagen 
Des Frühlings heller Sonnenfchein! 


Schon ſchwingt dein Geift im kühnen Fluge 
Sid auf zur Freiheit lichten Höh'n, 

Schon ahnſt au du des Frühlings Kommen, 
Der Menſchheit endlih Auferfteh’n. 


Bald iſt der letzte Stein gefallen 

Der feiten ung der Tyrannei, 

Bald find die Schranken all durchbrochen, 
Die dich gehemmt und du bift frei! 


Drum auf mein Volt, zum beil’gen Streite, 
Wirf ab dein Elend und dein Leid, 

Danı wird und muß fle endlih kommen, 
Die heißerſehnte Frühlingszeit. 


Es 


A Sum Weihnachtsfef. ar 


Sum ift fie wiederum gekommen, 
Die fagenreihe Weihnachtszeit, 
Das Felt der Liebe und Erlöfung, 
Der Hoffnung und der Rinderfreud' ! 


Und wir, die wir im Kampf ums Leben 
Uns müh'n da3 ganze lange Jahr, 

Mir fragen, ob dad „Feſt der Liebe“ 
Uns je ein Tag der Liebe war? 


Ob's wahr, daß es ein Tag für alle 
Der wirklich und Erlöfung bringt 
Und der die gramerfüllten Herzen 
Mit neuer Lebenskraft durchdringt? 


Ob's wahr, daß es den Frieden fpendet, 
Daß ed den Darm der Armuth heilt, 
Und daß fein Geiſt der reinen {Freude 
In Hutten und PBaläften weilt? 


Daß unter Ihm die Schmadh ſich wendet 
Und daß der Thränenftrom verfiegt, 

Das Alles, was da Menſch fih nennet, 
Sich nur in Glück und Frieden wiegt ? 


443 





444 


Robert Breußler. 


„Rein!“ tönt’3 ung überall entgegen, 


‚ Wohin ſich wenden Aug’ und Ohr. 


„Nein!“ hallt aus allen Orten wieder 
Die Antwort wie in gleihem Chor. 


Noch kam kein Heiland, der die Völker 
Befreien konnt aus Qual und Noth, 

Noch war vergeblich Ihr Verlangen 

Nah Menfchlichkeit, nad) Recht und Brod. 


Noch wandeln Millionen Menfchen 

In Knechtſchaft und in Noth einher, 
Noch pflüdt der Haß die beften Früchte, 
Noch ift die Welt faft Itebeleer. 


Die Arbeit ift der Habfucht Beute, 

Und Knechtung ift ihr einz’ger Lohn, 

Und wer die Nächſtenliebe predigt, 

Der wird verfolgt mit Schmad) und Hohn. 


Drum können wir nicht freudig werden, 
Wenn man fo laut die Liebe preiit, 
Die Liebe, die man ftraft und ächtet, 
Die man von jeder Schwelle weilt. 


Der Helland wird nur dann erjdeinen, 
Wenn überall, in Stadt und Land, 
Die Armen fih zu gleihem Streben 
Einft reihen ihre Bruderhand. 


Wenn fi die Volker rings auf Erben 
Bom Goch der Knechtſchaft ſelbſt befrei'n, 
Dann wird das Weihnachtsfeſt für Alle, 
Ein Feſt des Wohlgefallens fein’ 


Sm 


Ber Freiheit Kobgefang. 


3 tönt ein Lied au Sängers Mund, 
Das giebt der Welt die Freiheit fund, 
Der Menfchheit großes Werden ! 
Es reißt des Liedes Klang und Wort 
Im Sturme der Begeift’rung fort 
Die Völker rings auf Erden! 


Was aller Zeiten Streben war, 
Das wird durch diefed Lied uns Klar: 
Es jagt und, daß wir fliegen. 





Robert Preußler. 


Mer für der Menfchheit höchſtes Gut 


Den Kampf gewagt mit frohem Muth, 


Der kann nicht unterliegen. 


Lang war die Arbeit ohne Wehr 
Und hatte weder Schild noch Speer 
Die Feinde zu verjagen. 

Doch wo der Geilt den Pfad erhellt 
Und fi in ihre Dienfte ftellt, 

Da braudt fie nicht verzagen. 


Was Großes fhuf der Geiſt der Zeit, 


Da3 war der Menſchheit nur geweiht 
Zum Troß der dunklen Mächte. 


Schon brauft e8 über Land und Meer: 


Mir brauchen feinen Vormund mehr, 
Nicht Herren und nicht Knechte! 


„Frei fei, was Menfchenantlig trägt, 
In deflen Herz fih Sehnſucht regt 
Nah Glück und nad Vollendung! 
Und Reiner fei fo ſchwach und feig, 


Das ihn ein Andrer lent' und beug' — 


Das fei die neue Wendung.“ 


So offenbart das neue Lied, 

Das jedes Freien Bruft durchzieht, 
Uns, daß wir vorwärts fchreiten. 
Drum fol der Freiheit Lobgeſang 


Die Kämpfer al in Sturm und Drang 


Bon Steg zu Steg geleiten! 
— — 


Heſterreichiſches Fahlrechtslied. 


Stimmt froh das Lied vom Wahlrecht ar, 


2° Wir fordern ed für Frau und Man 
Zum Trug der Großen dod. 
Und mögen alle Muder fchrein, 

Mir ftimmen laut und lauter ein; 

Das Wahlrecht Hoch! 


Wir find auf's Schladtfeld gut genu 
Wir Stehen am Webſtuhl, hinterm Pflug, 
Im harten Arbeitsjoch. 

Drum iſt ein Jeder unſer Feind, 

Der frech das Menſchenrecht verneint; 
Das Wahlrecht hoch! 


445 





446 Ä Nobert Vreußler. 


Wir find zum Aeußerften Kereit, 
Wir halten una in diefem Streit 
Und fiegen endlid doch! 

Ihr Herren treibt es nicht zu toll, 
Das Maß der Bangmuth, es iſt voll: 
Das Wahlrecht Hoch! 


Wir rufen, wenns die Noth verlangt, 
Selbſt belgiſch, das euch allen bangt 
Hinaus ins Land dann nod. 

Der Spteßer mag vor Angft vergeh’n, 
Das Wahlreht wird und muß beiteh’n, 
Das Wahlreht Hoch! Ä 


282 
Die Kunſt und die Arbeiter. 


(Prolog, vorgetragen am 1. Mai 1899 Im Wiener Janiſchtheater, anläßlich ber Aufführung Ibſens 
„Stügen der Geſellſchaft“.) 


Si und willlommen Al’, die Ihr erfchienen, 
Weil euch die Kunſt ein wirklicher Gemuß, 
Bevor wir Euch mit ernſtem Spiele dienen, 
Entbieten wir Euch unfern Brudergruß! 


Ihr feiert Heut’ im Bund mit Millionen, 
Ein Felt des Friedens und der Menſchlichkeit 
Und überall, wo Gleichgeſinnte wohnen, 

ft diefer Tag der Arbeit Ruhm geweiht. 


Ein ſchöner Tag, der zeugt, welch reiches Leben 
Da unten quillt, in ungeahnter Kraft, 

Und wie dad Volk in edlem Aufwärtöftreben 
Sid jelbit die Bahn zu froher Zukunft ſchafft. 


Der Bildungddrang erfüllt die armen Klaſſen, 
Sie drängen durftig allen Ouellen zu 

Und gönnen fih, dad Edle zu erfaflen 

Und un zu lernen, weder Raft noh Ruh. 


Nicht, wie man jagt, des Magen? reihe Fülle 
Sit diefer Maflen einziger Begehr, 

Wer ſolches glaubt, der kennt nicht ihre Ziele, 
Sie wollen wahrlid) Beſſeres und mehr. 


Gebt ihnen Raum, wo unf’re Meifter walten, 
Daß fie durch fie ſich bilden und erzieh’n! 

Ihr werdet dann das Volk für edler halten 
Und Kunft und Schönheit werden endlich blühm. 


Robert Preußler. 447 





Gebt frei die Hallen, wo die Künfiler weilen 
Und wo fi heute der Blaſirte bläht’, 

Ein neuer Geift wird in die Räume eifen 
Dur den die Mufe wieder auferfteht. 


Schwer find führwahr und bitter ernft die Beiten, 
Denn kein Geſchlecht Iebt hier, das frei und ſtark. 
Die einen hemmt die Noth im Vorwäͤrtsſchreiten, 
Die Andern find verfommen bis in3 Mark. 


Am Golde hängt und niedrigen Begierden 
Das einit fo ftolze freie Bürgerthum; 

Der äuß’re Glanz und bie verkauften Würden, 
Sind heute leider noch ſein einz'ger Ruhm! 


Die Dichter hungern und die Muſen trauern, 
Indeß dad Volk nad ihren Werken ftrebt! 
VBerfchloffen liegt e3 Hinter öden Mauern, 
Was fie erſchufen, daß es uns erhebt. 


Die Noth des Geiſtes, fie wird tief empfunden, 
Oft tiefer als Die Sorge um den Leib; 

Erſt wenn die Meifter einft dag Volt aefunben 
Eind ihre Fünfte nicht mehr Zeitvertreib. 


Dann werden Kunft und Wiflenichaft erſtarken 
Und mit der Arbeit wirken im Berein, 

Und ungehindert wird in allen Marken, 

Was und erhebt und was und fräftigt fein. 


In dieſem Zeihen muß der Sieg gelingen, 

Die Beſten fteh’n für ſolches Ziel bereit. 

Dann wird die Menfchheit endlich vorwärtsdringen 
Und neu erblüäh’n in Kraft und Herrlichkeit. 


Ar 4 


Sum Bresden-Köbtaner Suchthausurtheil. 


Lin Urtheil ift ergangen im großen Deutſchen Neid, 

Ein Urtheil, dem an Härte fam fein? feit Sabıen geh, 
Das und des Sinn3 beraubet, erftarren macht dad 3 
Das zeugt von wildem Hafle und blinder laffenmuth, 


Das wühlt in Millionen des Hafjes Flammen auf, 

Das reißt den letzten Glauben mit fort im Sturmedlauf, 
Das zeigt und, daß die Arbeit geächtet wird im Staat 

Und daß der Mann des Volkes fein Recht auf Schonung bat. 





448 Robert Preußler. 





Lang hat in deutihen Vanden ſchon blinde Wuth gehauft, 
Die Reaktion Hielt nieder dad Volk mit harter Fauſt, 
Die Bluturtheile floffen Jahrzehnte Thon herab, 

Tür Hunderttaufend Bürger ein großes Freiheitsgrab. 


Und doch fo Arges immer im Deutſchen Reich geſchah, 
Dem Dreddner Bluturtbeile fam noch fein and’res nah! 
Wie Donner hallt es wieder: „Wir find ein alt’ Gefchledht, 
Für euch, die ihr die neuen, tft nur dad Zuchthaus recht.” 


„Den Reichen alle Milde, den Armen ein Gebot: 

Wenn ihr nicht fchweigt, ereilt euch das Zuchthaus und der Tod, 
Nicht könnt ihr Gnad erhoffen, denn die Gewalt find wir, 

Euch ziemt nur ſtummes Schaffen, des Knechtes höchſte Zier!“ 


Die Würfel find gefallen, das Urtheil hat’3 gethan, 

Das Volk Tennt feine Feinde, tft frei von Trug und Wahn, 
Es weiß nun, daß bei euch ed das Necht vergeblich ſucht, 
Weil ihr fen Thun und Wollen mißachtet und verfludt. 


Kein gleiches Recht befteht im großen Deutihen Land, 

Es iſt in Staub getreten, vernichtet und verbannt. 

„Wenn zwei daſſelbe thun, fo iſt's nicht gleide That!” 
So lautet jede Urtheil im deutfchen Klaſſenſtaat! 


Wohlan, wir wollen's glauben, daß wir nun rechtlos find, 
Ihr möget euch überzeugen, was ihr dabei gewinnt. 
Ob in Fabriken man und „nah Rechten” decimirt, 
Ob wir in Kerker fterben, hat und noch nie beirrt! 


Wir find zum Kampf geboren, aud) und zwingt ein Gebot, 
Der Zeitgefete Walten, der Menjchheit große Noth. 
Das treibt uns immer weiter, fein König hält und Stand, 
Bis alles, wad wir wollen, einft Die Grfäthung fand. 


Bor diefen Zeitgeſetzen Hilft eure Satzung nidt, 

Da tft der Kampf der Maffen nicht Frevel, fondern Pflicht, 
Und glorreih werden alle vor der Geſchichte fteh’n, 

Die furchtlos euren Schergen ind Angeliht geſeh'n! 


HRG 


2 


— Wenzel Breuer. —— 














Wenzel Breuer ſchreibt: Geboren wurde ich den 14. Juni 186) als der 
Sohn des armen Tudmachermeifter Samuel-Breuer in dem deigend gelegenen Tuch- 
maderftäbtchen Krabau bei vieichenberg in Norbböhmen. Ich bin der zmeitältefte 
von 7 Gefriftern und Schmalhans war bei uns ſtets Nüchenmeifter, wenigſtens ſo 
fange, dis wir älteren Geſchwiſter mitverbienen fonnten. erje Habe ich ſhon mit 
sehn ober elf Jahren gemacht; aber noch mehr habe ich „gemalt”. Ich märe gern 
ein Maler geworden, — das Zeug hätte id) wohl dazu gehabt und ic fönnt’s viel 
leicht Heute fein — wenn mein Bater Gelb gehabt hätte. CB blieb nichts übrig ais 
Tuchmacher zu werden. Das Handwerk lernte ich beim Vater und dann ging es 
eben in die Fabrit. Durch Erfparung einer Heinen Summe Geldes Tonnte ih mid) 
1888 al3 felbftftändiger Tucherzeuger etabliren, der nad; und nad; einige Webftühle 
beichäftigen tonnte, wa bis heute noch der Fall ift. 

Der Arbeiterbewegung {hloß id mid im Jahre 1877 an, durch Eintritt in 
den damals in Kratau Beftehenden Fachverein der Manufakturarbeiter und bie 
Barteiorganifation. Mit mahrem Feuereifer ftürgte id) mid in die Bewegung und 
in raftlofer dichteriſcher und agitatorifher Thätigfeit ſchwanden die Jahre. Im 
Jahre 1883 wurde id) als „Geheimbündler” in der damaligen Verfolgungsära unter 
Xaaffe von dem Hiezu befonders eingefepten Ausnahmögerichtähof in Prag zu ſechs 
Bogen Arreft verurtheilt, die ich im Winter 1883/84 im Prager Landesgericht abz 
gefeflen habe. Alle meine foriftlihen Arbeiten wurden mir nebft Brofdüren, 
Beitungen, Kalendern u. f. m. bei der Hausdurhfugung mitgenommen und alle Ger 
dichte, die id) Bis zu jener Zeit verfaßt, e3 dürften wohl an 200 Stüd gemefen fein, 
find im Prager Landgericht geblieben. 





—& Bein Sander: a 


Nam fagt, ich hätte feinen Glauben mehr 
I” nd gottlo8 Hör’ ich fie gar oft mich nennen, 
Weil ih um ihren Wahn mid) nicht mehr ſcher, 
Bon dem fie einmal nun nicht laſſen Fönnen. 
Nun wohl, ich gebe zu, was fle da fagen, 
Die frommen, auten und gefcheidten Leute, 
Doch was Ich Beſſ'res mag im Bufen tragen, 
Sie ahnen’3 nicht, was immer e3 bedeute. 


Ste die fo reden, ad), die willen nicht, 

Wie groß mein Glauben, Hoffen und mein Vieben. 
Ich fag’ es ihnen ruhig in's Geſicht, 

Sie haben ſelbſt der Menſchheit Gott vertrieben. 
Gern wollt' ich achten, was ſie ſo verfechten 

Und ſelbſt auch glauben ihre Wundermären, 

Wenn fie nur ſelbſt die Wahrheit glauben möchten, 
Ach, wenn fie ſelbſt nur nicht fo gottlos wären, 


Warum glaubt ihr an einen lieben Gott, 

Wollt ihr den Menfchen nicht die Liebe laſſen? 
Wer wahrhaft Liebt, tft Zielpunkt eu’rem Spott, 
Die ganze Welt fcheint nur ein Reich zum Haflen. 
Dem Gott der Liebe will man nicht vergönnen 
Ein armes Menfchenherz, man muß e3 quälen; 
Als ob daraus fie irgend Heil gewännen, 

Menn fie der Herzen Seligkeiten ftehlen. 


D’rum glaub’ ih nicht, daß fle zum Seelenheil 
Den einzig wahren Weg gefunden haben; 

Nicht eines Herzens Seligkeit tft feil 

Mir um den Glauben, der fle untergraben. 
D’rum glaub ih nicht an Gott, der’3 ruhig fähe, 
Wenn wir uns haſſen, quälen und betrüben; 

Ich glaube felig nur an Gottes Nähe, 

Menn wir einander recht vom Herzen lieben. 


IE DER 


2y* 


452 Wenzel Breuer. 





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—— Fig, — 


Su zum heut’gen Feſte, Gruß Allen, die ſich hier vereinen, 
Die es hi mit dem Volk, mit dem Volk der Arbeit meinen ! 
Allen Gruß, die gleichen Sinn's mit und ringen, mit und ftreben 
Für ein edles Menſchenthum, für ein beſſ'res Erbenleben! 
Allen Gruß, die ſtark und treu für des Volkes Freiheit ftritten, 

ür die Wahrheit, für das Recht brav gerungen und gelitten! 

ruß auch jedem braven Mann, der ein Herz bat für die Armen, 
Der fih mag trog Hohn und Spott ihrer großen Noth erharmen! 
Der mit kühnem Geiftesmuth greift der Herrſchſucht an die Kehle, 
Der die Menſchheit vorwärts reißt mit dem Teuer feiner Seele. 


Gruß aud dir du Proletar! Jedem, der die Arbeit ehret, 

Der im Schwei des Angefihts von der Hände Fleiß fich nähret; 
Der voll Sorg jahraus, jahrein um fein färgli Brot muß haften, 
Der des Reichthums Speicher füllt und dafür verdammt zum Yalten. 
Gruß dir, leidender Titan, der du ringeft unermübet 

An den Felſen deiner Noth wie Prometheus angeſchmiedet, 

Der du ſchmachten mußt im Staub, mit dem ungeftillten Sehnen 

In der Bruft nad) Erdenglüd, nad) der Freiheit, nah dem Schönen. 


Set gegrüßt o Proletar! Deine Zeit, fie tft gefommen, 

Mächtig war dein Hilfernf und dein Auf, er ward vernommen. 
Grabe, Hämm’re, web’ und pflüg’, müh’ di ab an taufend Enden, 
Dein jo ungeheu'res Müh’n einmal wird ſich's jegnend wenden. 
Set gerüftet, jet gefaßt, lern’ es auch, für dich zu fchaffen, 

Aus den Ketten deiner Noth ſchmiede der Befreiung Waffen ! 
Sieh’, erftanden tft ein Geift, der die Feſſeln wird zerreißen, 

Wird die Ungerechtigkeit tief in die Vernichtung ſchmeißen. 

Aus den Uebeln unf’rer Zeit wird ein neues Heil erftehen, 

Denn geboren wird dad Heil unter Schmerzen, unter Wehen. 


Es erftand ein neuer Geift, Einlaß heiſchend vor den Thoren 
Unfrer Zeit, und unfre Zeit Hat fih mit dem Geift verſchworen, 
Und er dringt mit Uebermacht nun herein in unfer Veben, 

Alles, was ein Haud berührt, muß fih diefer Macht ergeben. 
Jünger wirbt er überall, Streiter für die neue Lehre 

Und fein glorreih Banner wallt fiegreic) über Land und Meere. 
Und es bofft auf ihn die Welt wie der Franke auf Genefung, 
Denn er bringt ein neued Heil, denn er bringt ung die Grlölung. 


„Arbeit ift des Menſchen Pflicht; jeder trage dieſe Bürde, 

jeder Arbeit ihren Preis, jedem Tleiß’gen Chr’ und Würde! 
Keine Privilegien mehr! Allen gönnt der Erde Gaben! 

ee 0 ein neu Geſetz: Wenn du fchaffeft, wirft du Haben! 
Nicht für Wen’ge tft dad Glüd und der Glanz der Erdentage, 
Wie wir Alle glüdlih find, das tft jeßt die große Frage. 





Wenzel Breuer. 453 


Theilen laßt und Brot und Wein, Freud und Schmerz und bie 
\ Beſchwerden, 

Wird die Welt kein Paradies, kann ſie doch hübſch wohnlich werden. 

Niemand fol ein SHave fein, keiner ſoll zu herrſchen wagen, 

Allen gilt da3 gleiche Recht, die ein Menichenantlig tragen. 

Aus dem Staub und aus der Noth, die fie duldend zu beftehen, 

Will die Armen diefer Welt ih in Fünft’ger Zeit erhüben. 

Und es wird fein Klagen fein, wenn die Wendung es genommen, 

Bon den Armen diefer Welt ift ja ftet3 das Hell gekommen. 


Alſo jagt ded neuen Geift’3 welterlöfend große ln 

Wir, die Armen diefer Welt, bilden feine Streiterheere. 

Laßt und jchließen denn den Bund, der dad Unheil tilgt auf Erben, 

Eine große Heildarmee fol dad Wolf der Arbeit werden! 

Laßt und eines Geiſtes fein, laßt die Grenzpfaͤhl Spread‘ und 
amen, 

Einer Menschheit find wir all, die da gingen, die da Tamen! 

Laßt und eines Herzens fein, denn die Zwietradit, fie zerfleifchet, 

Laßt es und mit Liebe thun, was die Zett von und erheifchet! 

Denn es bleibt und feine Wahl. Jener Geift ift nicht zu dämpfen; 

Gegen die Nothwendigkeit ift es Thorheit anzufämpfen ; 

Sie verlangt gebieteriie, daß man ihm Gefolgichaft leiſte, 

Bis die ganze große Welt tft erfüllt von dieſem Geiſte. 





= Be Arbeit Lid. 


a3 klingt jo Herrlich und fo hehr 
In unfrer Zeit gewalt’gem Ringen? 
Was hören wir bedeutungsfchiwer 
In allen Zungen jest erklingen? 
Bald tönt ed, ald ob fchmerzverhalten 
Es unter Thränen bräch hervor; 
Bald faßt uns wie mit Sturmgewalten 
Ein tauſendſtimm'ger Lenzeschor. — 


Die neue Zeit, ſie kommt mit Macht, 
Ihr Tagen läßt ſich nicht verbitten; 
Der Geiſt der Freiheit iſt erwacht 

Und ſchreitet durch der Armuth Hütten. 
Und aus der Armuth Hütten dringet, 
Was dort im Stillen lang geglüht; 
In mächtigen Akkorden klinget 

Durch alle Welt der Arbeit Lied. 


Es iſt ein Lied von eig'ner Art 

Und alle Welt lauſcht ihm verwundert, 
Dem Lied lebend'ger Gegenwart 

Und Hauch vom kommenden Jahrhundert. 


454 


Wenzel Breuer. 


Die ſchlichte Proletarierweife, 
Sie wird veritanden überall, 
Selbſt dort in jener Mächte Kreiſe, 
Die zittern um der Herrihaft Fall. 


Es tft ein ernfter, fühner Eang 

Und nicht zum Frieden Tann er mahnen, 
In unfrer Zeiten Donnergang 

Ein Ruf ift’3 um der Freiheit Fahnen. 
Es tft ein Kampflied ohnegleichen 

Im großen Volksbefreiungskrieg; 

Vom Geiſt des Volk's ein Flammenzeichen, 
Wie ſich's erkämpfen wird den Sieg. 


Es iſt ein neues, beſſ'res Lied, 

Dies Lied aus Proletariermunde; 

Es bringt dem zagen Volksgemüth 
Von einer beſſern Zeit die Kunde. 

Er weckt der Armen Selbſtvertrauen 
Und führt als Leitmotiv den Ton, 
Daß ſich das Volk kann ſelbſt erbauen 
Das Himmelreich auf Erden ſchon. 


Es iſt das Volkslied unſ'rer Zeit, 

Der waffen⸗ und maſchinenſtarren, 

Des Volk's, das nah Erlöfung ſchreit 

Und nicht mehr will in Knechtſchaft harren. 
Es bricht ſich Bahn im Sturmeschore, 

Der Arbeit Volk ſchaart ſich zu Hauf; 

Es thun ſich ihm die hellen Thore 
Befreiender Erkenntniß auf. — 


So töne Lied denn ſtark und kühn - 
Und des erwachten Volk's Empfinden, 
Es foll in deinen Klängen blühn 

Und all fein Wollen foll es fünden. 
Und wo's ihm Stätten wird bereiten, 
Dort wird der Freiheit Saat beftellt, 
Dort wählt für ſchön're Zukunftszeiten 
Die Hoffnung und da Heil der Welt. 


Erblühe Lied voll Herrlichkeit 

In Füll' und Macht und ftolzer Schöne, 
Dat allem Wolfe weit und breit 
Grauidung bringt dein Strom der Töne. 
Und ſchüre der Begetft’rung Flammen 
Im ſchweren Kampf, in dem wir ftehn 
Und führ’ zu einem Bund ee 

Die Brüder, die getrennt noch geh’n. 


Wenzel Breiter. 


Daß deine gr fhliht und groß 
Eridütternd gleich ofaunen ſchalle 
Und wie die Mauern Jerichos 

Des Goldes ftolze Zwingburg falle. 
Daß eins die Schaffenden der Erde 
Im heiligen Erlöſungsdran 

Und bald das Lied der Arbeit werde 
Der Menſchheit zum Triumphgeſang. 


Ye 





— An don Rildbach — 


rauſe, Wildbach, ur? Gefteine, 
Springe, Waldezfohn | 

Bald tft fonft im todten Heine 

Auch erftarrt dein Ton, 

Audgeftorben find die Räume, 

Einft voll Sang und Klang; 

Nur die fahlen Buchenbäume 

Aechzen froftigbang. 


In des Windes bang Geftöhn, 
In dad Winterleid 

Donn’re deine wilden Töne 

Der LBebendigfelt. 

Stüry die Wogen, vie Final'nen, 
In der Felsſchlucht Lauf, 

Daß die unten auf elall'nen 
Brüllen wild herauf! 


Mit dem letzten Tropfen ringe 
Um dein Ieeie2 Sein, 

Daß der Inter I nit zivinge 
Sr 

Wildbach, fo il 7 F haben, 
zobeatrobigihn, 

Wenn das Leben zu begraben 
Winterftürme ziehn. 


Gleichheit ganz dann meinem Herzen 
Mit dem Todeömuth, 

Das durch's Felſenbett der Schmerzen. 
Zwängt des Lebens Fluth. 

Das, ſo lange es mag klopfen, 
Bfeibet ſtolz und frei, 

Wehrend bis sum legten Tropfen 
Jeder Tyrannei. 


Se 


455 


456 


/ 
Menzel Breuer. 


Bes Sängers Gruß. 


Sa mir gegrüßt von nah und fern 
Ihr Menjchenberzen all! 

Mein Lied, ich weih’ es freudig gern, 
Wer immer Iaufcht dem Schall. 

Mein Herz ift wie ein Vögelein, 

An Liedern reich beftellt, 

Das flieget in die Welt hinein 

Und fingt der ganzen Welt. 


Mir iſt d'rum allerorten aud), 

Der Freundſchaft Tiſch gededt, 

Iſt Doch des Sängers Ichönfter Brauch, 
Daß er die Freude weckt. 

Und wo er weilt mit leichtem Muth, 
Ihn fröhlich Volk umringt, 

Ein Lied iſt auch ein koſtbar Gut, 
Das man den Menſchen bringt. 


D'rum mach das Herz nur auf geſchwind, 

Wer noch will fröhlich fein, 

Und wie ein freier Bergeswind, 

Strömt euch mein Sang hinein. 

Ich grüß' euch und mit Feuerklang 

Dankt meiner Sangesluſt, 

Nichts Schön'res gibt's doch als Geſang 
Aus froher Menſchenbruſt. 


—8 
>3 Beal und Keben. = 


enn wir Hinausgetreten cıft in's Leben, 
Noch mit dem fchönen, heitern Jugendmuth 
Gleich einen Mar zu ftolzer Höhe ftreben 
Und in und wirbelt der Begeift’rung Gluth; 
Wenn wir nod) ganz vermögen hinzugeben 
Uns an den Glauben, an ein höchſtes Gut, — 
Da fehn wir goldne Berge in der Ferne, 
Die Erde lacht, der Himmel ift vol Sterne. 


Da leben wir nod) in der Welt der Träume, 
Bor und noch liegt der Hoffnung Wunderland; 
Da find bevölfert all die lichten Räume 

Mit herrlichen Gejtalten wohlbefannt ; 

Da wachen fühn empor die Niefenbäume, 

Die gold’ne Frucht und werfen in die Hand, 
Und weil vor Glanz wir faum die Erde hauen 
Wir in die Luft uns ſtolze Schlöſſer bauen. 





Menzel Breuer. 457 


Wir glauben noch an volle Menfchergüte 

Und an fo manden andern ſchönen Wahn, 

Und daß ein Engel jedes Herz bebüte, 

Wenn die Verführer und Verfolger nab’n; 

Und daß ein Herz, das für die Freiheit glühte, 
Sich nie verirren könnt' auf and’re Bahn; 

Dat Unrecht, Falichheit unferm yo erliegen 
Und fpielend werden Recht und Wahrheit ftegen. 


Da mißt der Geiſt im Flug des Weltalls Schranfen 
Und lauft der Sphären lieblihem Getön; _ 

Es ziehen licht im Haupte die Gedanken 

Wie roj’ge Wolken in des Himmels Höhn; 

Sm Bufen felige Gefühle ſchwanken, — 

63 tft uns Alles noch fo neu, fo fchön: 

Und wo noch Raum das Häßliche und Schale, 

Es weicht der Allmacht unf’rer Ideale — 


Do wenn wir weiter ein in's Leben dringen, 
Und tiefer bliden in der Welt Gewühl, 

Wie troß der Menſchheit ungeheu’rem Ringen 
Doch immer ferne bleibt der Sehnſucht Ziel, 
Wie taufend Sorgen um den Muth und bringen, 
Sp oft verlegt im Beiligften Gefühl, 

Wie wir und quälen müflen ohnegleichen 

Und ad, fo wenig doch damit erreichen; 


Wenn und die beiten Freunde nicht verftehen, 
Entgegenwirfen unferm beiten Müh’n, 

Wenn taufendmal und Unrecht mag gefchehen, 
Der Lüge Saaten wuchern üppig grün; 

Wir die Gemeinheit triumpbhiren fehen, 

Und wilde Zweifel unfer Hirn durchglüh'n, 
Ob je troß unſerm weilen Selbſtbeſchränken 
Mit unferm Geift ift die Natur zu lenken; 


Und wenn wir merfen, daß dad Niederträcht’ge 
Un? unterjocht und noch geehrt mag fein; 

Daß nur dad Gold der Gott ift, der allmädht’ge, 
Dem Alle fi mit höchſter Inbrunſt weih’n, 

Die Melt nur liebt das Schillernde und Prächt’ge 
Und felbft die Beſſern Huldigend. dem Schein 

Sich hinter einen Phrafenwall verfchanzen 

Und ungeſcheut da gold’ne Kalb umtanzen: 


Das ift die Zeit, wo und gebroden werden 
Die ftolzen Flügel unf’rer Phantafie; 

Dann fhauen wir hinauf mit Schmerzgeberden 
Zum Ideal, — denn wir erreichen’3 nie; 


458 


Menzel Breuer. 


— — 


Und grau und öde wird es rings auf Erden, 
Als oh ein Nebel alles überzieh'; 

Und beißen Schmerzes werben wir ed inne, 
Wie wenig do die Welt nad) unferm Sinne. 


So manch' ein Schwärmer hat es herb erfahren 
Sm Kampf mit der gemeinen Wirklichkeit, 
Wenn er fein volle Herz nicht Tonnte wahren, 
Well’ er verfeh’n fih mußt von feiner Zeit 

Für feiner Ideale Offenbaren. 

Schwer büßen mußt’ er die Vermeſſenheit, 

Man wußte ihn gar bitter anzuflagen, 
Hohnlachend ward er todeswund geſchlagen. 


Dann ging er hin, den finſtern Groll im Herzen 
Und brütend ob der angethanen Schmach; 

Er freute ſich der Andern Qual und Schmerzen, 
Zertrat ihr Glück und fragte nichts darnach, 

Er wagt es mit dem Heiligſten zu ſcherzen, 
Weil man das Heiligſte in ihm zerbrach; 

Was man an ihm gethan zu hundertmalen, 

Mit gleicher Münze ſucht er's heimzuzahlen. — 


Dem Ehre, der im rauhen Drang der Tage 

Bewahret jenen hohen, reinen Sinn, 

Daß er die Pflicht oblieget fonder Klage, 

Durch die der Menichheit blühet Hochgewinn; 

Der nicht nad) Dank frägt, wenn der Menſchen Plage 
Er mindern hilft und nie erfchlafft darin; 

Der fih nicht mag der ſchnöden Welt bequemen 

Und fi nicht fcheut, fein Kreuz auf fih zu nehmen. 


Wenn wir dem — Traum entſagen müſſen, 
Den wir im Buſen lang und treu gehegt, 

Wenn fi der Brodem von den Judasküſſen 

Wie Gifthauch über unf’re Seele legt, — 

Es tft ein Troft in all den Bitterniffen, — 

Wenn wir am Guten hielten unentiwegt 

Und mußten Glück und Hoffnung fttll begraben, — 
Do feine Pflicht als Menich gethan zu haben. 


Das Menfchenleben tft fein Spiel für Knaben; 
Gewaltthat zeigt der Zeiten tiefe Spur, 

Und fcheint es und zumellen auch erhaben, 
Gemein und felbftifch iſt's wie die Natur; 

Wer nicht empor kann, wird von ihm begraben 
Und giliig iſt dad Recht de Stärkern nur. 

Denn nur bie Kraft, der andern überlegen, 
Gelangt zu Ruhm und Sieg, zu Heil und Segen. 





Menzel Breuer. 459 


Und wenn da3 Leben, Tpottend unferm Sehnen, 
Und fo in feine rauhe Schule nimmt, 

Bon feinem Meer von wilderregten Tönen 
Wohl einer kaum zu unf’rer Weiſe ftimmt, 
Das Ideal des Edlen, Wahren, Schönen 
Nicht ungeftraft in unferm Buſen glimmt, 

Mir einjehn, daß mit idealen Broden 

Kein Hund fi läßt vom warmen Ofen Ioden: 


Dann find wir Hug und wollen nicht mehr fhwärmen 
Und feiten Schrittes unf’re Wege gehn; | 

Dann thun wir unfre Pflicht, doch ohne Bärmen, 
Mit Ernft und Fleiß wir an ber Arbeit fiehn, 

Und ſtürzen Götter, fehn wir's ohne Härmen, — 

Es wird ja wohl niht ohne Grund geſchehn. 

Und was auch fommt, wir wiſſen und zu faſſen 

Und halten Maß im Lieben wie im Haffen. 


Es frommt fein Glauben, fein fophifiiih Klügeln; 
Nur im Erlermen iſt allein das Hell. 

Was wir mit unferm Herzblut wohl befiegeln, 

Wir halten es nicht auf der Gafle feil; 

In unfern Werken foll fih’3 wiederfpiegeln. 

Die Arbeit tft der Menfchheit beftes Theil. | 
Ste läutert, — macht fruchtbringend unfer Streben 
Und überwältigt dad gemeine Leben. 


Far 


— Sur Zahreswende. — 


en ewigen Kreislauf um die Sonne 

Hat wieder vollendet der Erdenplanet; 
Berraufcht tft dad Jahr mit Leid und Wonne, — 
Bald ift e8 auch in der Erinn’rung verweht. 
So ſchwinden die Jahre und kommen gezogen, 
Oelülechter erblühen und fteigen in’3 Grab, 
Und fo wälzen fi der Jahrhunderte Wogen 
In's Meer ber Ewigkeit endlos hinab. 


Doh wie auch die Zeiten vorübergletten - 
Und fommt auch feine der Wellen zurüd, 
Das Bleibende ift in der Flucht der Zeiten 
Der Tchaffenden Menfchheit trübes Geſchick. 
Gleich einer Herde noch läßt fie fich Leiten 
Bon Schurken und Gauflern am Gängelband, 
Noch Heut’ wie in den barbariſchen Zeiten 

An den Wagen brutaler Macht gelpannt. 








460 


Wenzel Breuer. 


Noch zeugt von dem — Raubthiertriebe 
Der Ausgebeuteten endloſe Sch 

Noch ſchmückt die Menſchheit dem "Eott der Liebe 
Dit Bruberleihen den Opferaltar.| 

Noch ſehn wir bei vollen Schüffeln [ungern 

Der müßiggäng’rifchen Prafler Zahl, 

Die Lazaruſſe aber verhunger 

Berfommen bet Arbeit in Not und Qual. 


Noch ift Fein glüdliches Volk zu ſchauen, 

Blühend im höchften Geiſtestriumph; 

Die Völker; man hält fie in Nacht und Grauen, 
In des Mahn’ 8 und des Elends vergiftendem Sumpf. 
Noch iſt ihre Freiheit nicht auferftanden, 

Noch tft kein Frieden 1 für fie und kein Recht; 

Es taumelt fort in allen Banden 

Ein verſklavtes, gequältes, unwiſſend Geſchlecht. — 


Rolle Jahrhundert, o rolle zu Ende 

Mit all diefem Jammer, mit all diefer Schmad) ! 
O Täme mit deinem Sinter die Wende 

Und ftürzte die Schmach und der Sammer dir nad! 
O pred’ge den Aufruhr, verdopple dein Werben, 
Beflügte dich, rähende Revolution 

Und reiße hinab in das fidh’re Verderben 

Der Neuzeit ſündiges Babylon! . 


Bon unten berauf, da fommt e3 aaſzriten, 
Da wächſt und hebt es ſich drohend empor; 
Und auf Tod und Leben wird num geftritten, 
Das ift ein Ringen wie nie zuvor. | 
Der alten Geſellſchaft Grundveften erzittern 
Bor dem, wa3 dba unten gähret und glüht, 
Was reinigend, gleich ſchweren Gewittern, 
Metterleuchtend die Welt durchzieht. 


Das iſt des geknechteten Volkes Grollen, 
Sein unwiderſtehlicher Freiheitsdrang. 

Der Proletarier einiges Wollen, 

Der Entrechteten furchtloſer Waffengang. 
Heiß wogt der Kampf der befiglojen Rlaffen 
Und er erzeugt ein need Geſchlecht; 

Die Ideen der neuen Zeit erfaſſen 

Den ärmften, entlegenften Ackerknecht. 


Der Simfon erwacht, der I lange geichlafen, 

Der proletarifche Geiſt wird frei, 

Das Bewußtſein der Macht überfommt die Sklaven 
Ind es bredden die Säulen der Tyrannei, 


ne, 





Menzel Breuer. 461 


— — — — — — — — — — — 0 — — ——r ——— —— — m 


Der Arbeit getreu und dem Wiſſen ergeben 
Sehn wir wie Brüder zufanmen fie ftehn; 
Sp fehn wir Millionen vereinigt im Streben 
Zu erflimmen ber Menjchheit goldigfte Höh’n. 


Das tft die Hoffnung, die uns befchieben, 

Der leuchtende Troſt in der Gegenwart, 

Das tft die Gewähr für den kommenden Frieden, 
Wenn auch in Waffen dad Land noch ftarrt. 
Das tft für die Zukunft verheißend Blinken, 
Daß endlich Tommen doch wird der Tag, 

Wo zermalmt wird des Goldes Moloch verfinken 
Und den Völkern Erlöfung werden mag. 


Es iſt nicht mehr ein Schwanken und Zagen, 

Es ijt fein Phantom und fein Selbſtbetrug, 

Was die aufwärtäfteigenden Maflen jett wagen 

Im kühnen, gigantifchen Heldenzug. 

Die Zeiten verrollen, die Formen vergehen, 

Was morſch und verfault tft, dad bricht und zerfällt; 
Wir fühlen die Stürme der Zulunft wehen 

Und die Todesſchauer der alten Welt. 


Dem Anfturm der Maffen wird fie erliegen, 
Die für eine beif’re zu Tämpfen bereit; 

Sie gehen nicht unter, fie werde fliegen, 
Getragen empor von den Wogen ber Zeit. 
Die Zukunft gehört dem Proletare, 

Da hilft niht Gewaltthat, nicht Ränkeſpiel 
Und näher mit jedem fcheldenden Jahre 
Geht ed der Menfchheit goldenem Ziel. 


Bu 
>: Anferfiehung. = 


r bat getobt bei Tag und Nacht 
Der grimme Giöbelhnt aus Norden; 
Nun iſt es aus mit feiner Macht 
Die Sonne tft ihm Herr geiworben. 
In wilder Flucht, verfolgt, verhöhnt 
Bon dem von ihm bedrohten Leben 
Hat er die Berge etögefrönt 
Als Teste Zeitung übergeben. 


Der Thauwind ftreiht und mag nit ruhn, 
Gr muß die Welt vom Schlaf erweden ; 
Das iſt ein Auferiteben nun 

Aus Winternadt und Tod und Schreden, 








462 


Wenzel Breuer. 


Nun pflanzt der Lenz fein Banner auf 
le auf den Bergeszinnen; 

Sntfeflelt ift der Ströme Lauf 

Und alle Quellen wieder rinnen, 


In grünen Knoſpen ſchwillt der Wald 
Und feine Sänger Ioden wieder; 

Nun fteht die Welt in Blüthen bald 
Und finget belle Jubellieder. 

Bergauf und ab, tbalein und aus 

Das iſt ein Sproflen uud ein Werben; 
Nun geht’3 Hinaus aus Stub und Haus, 
Nun wird es wieder ſchön auf Erden. 


Der Lenz obftegt, der junge Held, 

Sm ftolzen Bogen geht die Sonne 
Und lichtgebreitet Iiegt die Welt 

Und in die Herzen flteßt Die Wonne. 
Des Winterd Joch, das und bebroßt, 
Zerbrach des Frühlings Iindes Wehen; 
Das Leben hat obfiegt dem Tod, 
Allmächtig iſt fein Auferftehen. — 


Und fieh’ mein Volk, au du, auch du, 
Biſt an ein hartes och gebunden, 
Gebannt in ftarre Todesruh' 

Und abgequält von Leid und Wunden. 
Wohl find zu viel der Feſſeln ſchier, 
Wohl allzugroß find deine PBlagen, 

Doch ſieh' mein Volt, auch dir, aud) Dir, 
Wird der Erlöfung Stunde Schlagen! 


Wie draußen muß in der Natur 

Der Feind des Lebens unterliegen, 
So kannſt auch du im Kampfe nur 
Der Dränger große Schaar beſiegen. 
Nicht trauern, Hagen und nit fleh'n; 
Empor dad Haupt zum Sonnenlidte. 
Auch du mein Volt wirft auferfteh’n 
Und deine Knechtſchaft wird zu nichte! 


Ja auferftehn, ja auferftehn 

Wirſt du mein Volk zu neuem Leben; 
O glaub’ daran, ed wird geſchehn, 

Es tft in deine Hand gegeben! 

Was ſchmachteſt du, was fit dich an 
Und läßt dein heilig Recht dir rauben? 
Du Haft die Kraft, du brichſt den Bann, 
Du darfft nur an dich felber glauben ! 


Menzel Breuer. 463 


Schon lihtet ferne fi der Tag, 

Die finftern Mächte grollend weichen; 

Der freie Geift führt Schlag um -Schlag 
Und bricht bir Bahn mit wucht' gen Strelchen. 
Doch wie der Geiſt mit ſich'rer W 

In Trümmer ſchlägt dein Bump Befängnik, 
So mußt auch du dich mehr und mehr 
Auflehnen wider die Bedrängniß. 


Du mußt dich reden kühn und hoch, 
Nicht Scheu und zag im unfeln grollen; 
Nicht unzerbrechlich ift dein I 

Doch du mußt felbft die —FS wollen. 
Du mußt ihr dienen immerfort, 

Du mußt ſie ftärken alle Toge, 

Bis fie erftarkt an jedem Ort 

Ausholen kann zum legten Schlage. 





Die Frühlingsftürme braufen ſchon 
Eis brechend über Berg und Hlüfte; 
Wie Schladtruf, wie Poſaunenton 
Geht's auferwedend durch die Lüfte, 
Dein Oftern bridt mit Macht berein 
Und feine Macht kann widerftehen, — 
Das wird ein Auferftehen fein, 

Wie feines noch die Welt gejehen. 


ul» 


333) Bes iedes Breis. Eee 


a3 Lied ift eine hohe Himmelsgabe, 
Hold wie die Viebe junger Denjhenberzen; 
Sir jedes Schickſal beut e3 ſüße Labe, 

Ob wir im Glüd, ob wir gebeugt von Schmerzen; 
Ein Freund, der von der Wiege bis zum Grabe 
Das Leid und fänftigt und erhöht dad Scherzen; 
Die Welt mit feinem Zauber und verſchönet 
Und mit der Erde Mühfal mild verjähnet. 


Denn wunderbare Macht ol im Gejange; 
Wenn rein um und de Wohllaut3 MWogen ichlagen, 
Da wird die Seele frei vom Erdenzivange 
und fühlet fi fo himmelhoch getragen, 
Da ſchäumt fie über heiß im Thatendrange 
Und möchte freudig gern das Höchſte wagen; 
Daß wir voll Wonne und vol Andacht [aufchen, 
Wenn feine Harmonteen und umrauſchen. 


464 


Menzel Breuer. 


Wer hätte nie des Liedes Macht empfunden, 
Ward nie berauſcht von feinen Zauberflängen ? 
Wer zählte nicht zu feinen ſchönſten Stunden, 
Die er verlebt bet fröhlichen Gejängen ? 

Wer tit fo arm, daß er fein Lied gefunden 
Für feines Herzen? übermädtig Drängen? 
Iſt nie bejeligt, nie bewältigt worden 

Bon eines Liedes himmliſchen Akkorden? 


Was Hohes mag die Menſchenbruſt bewegen, 
Was rein und heilig mag darinnen brennen, 
Was wir an Liebe treu im Buſen hegen, 

Was wir an Gutem unſer Eigen nennen, 

Der Menſchenſeele tiefgeheimſtes Regen, 

Was Süßes, Zartes, Liebliches wir kennen 
Und Glück und Anglück, was wir nur erfahren, 
Wird fort und fort im Lied ſich offenbaren. 


Im Liede klingt der Menſchheit tieffteg Sehnen, 
Ihr frohſtes Hoffen und ihr ſchmerzlichſt Bangen; 
Im Liede klingt ihr Leiden und ihr Stöhnen, 
Ihr Zukunftsringen und ihr Glückverlangen; 

Im Liede klingt die Freude an dem Schoͤnen, 
Im Liede blühet ew'ger Jugend Prangen; 

Im Liede brauſt die Zeit mit ihren Wettern, 

Im Liede glüht der Geiſt in Flammenlettern. 


So laſſet denn des Liedes Preis erſchallen, 
Ihr Sangesbrüder, laßt uns freudig fingen! 
Wo Sangesfreude wohnt, ſind Tempelhallen, 


Da iſt gut ſein, wo frohe Lieder klingen; 


Geſang verſchönt das trübſte Erdeuwallen 

Und Serzenötöne auch zum Herzen dringen. 

Das Lied erwedet alle edlen Triebe ' 
Der Menſchenbruſt, — im Liebe wohnt bie Liebe. 


So laßt und treten denn zum Bund zuſammen, 
Daß LViederfunft fi bilde und gedeihe! 

So lang ein Herz wird in Zegeiſt rung flammen 
Tür alles Wahre, Schöne, Edle, Freie 

Und Menſchliches wird Menſchlichem entitammen, 
Sp lang empfängt im Lied es feine Weihe, 

Sp lange fließt de Wohlklangs füße Quelle 
Und ewig negt und der Verfüngung Welle. 


FREE 
NDERFE 











Karl henckell. — — 


Karl Hendell wurde zu Hannover am 17. April 1864 geboren, beſuchte dortſelbſt 
das Lyeeum und Ratfer Wihelm Ghmnafium, abſolvirie auf dem Lyeeum in Kaffel, diente 
als Einjähriger bei der Infanterie in Hannover und ſtudirte in Berlin, Heidelberg und 
Münden Philofophie und neuere Sprachen 1886 ging Hendell erholungshalber nach 
der Schweiz und von da Studien halder nach Wien, Mailand und Brüffel. Später nahın 
ex feinen Wohnfig in Züri und Iebt gegenwärtig in dem am Züricherfee gelegenen Orte 
Küsnacht. — Karl Sendell ift einer der bervorragendften Lyriter der Gegenwart und die 
beutfche Arbeiterfhaft verdankt ihm eine große Anzahl flammender Befänge, in denen er 
das Ringen und Streben des Proletariats in formvollendeter Weife zum Ausdrud bringt. 
Die Gebrechen der heutigen Gefellfehaft hat Sendell in manchen feiner Dichtungen mit 
beißender Satyre gezeichnet, fo in „Familien“ und Anderen. Er ift der Herausgeber der 
im Berlage des „Bormärtd":Berlin im Jahr 1893 erfchienenen Gedichtiammlung „Bud) 
ber Freiheit". Seine Dichtungen find In zahlreichen Einzelbändgen erfchienen. "Seit 
einigen Sahren giebt er unter dem Titel „Sonnenblumen“ eine Anthologie unferer ber- 
vorragendften deutſchen und ausländiſchen Lyriker heraus. Wir fünnen die kurze 
Biographie Hendel's wohl nicht beffer fchließen als mit den Worten D. St. v. d. Mardh's, 
bie Hendell gemiffermaßen al Selbftbefenntni dem Nadjımort des „Bud; ber Freiheit 


vorangefegt hat: 
Das füße Schweifgewedel, 
Mir ift e8 eitel Luft. 
Den Edlen nenn’ ich edel, 
Den Schledten nenn’ id Schuft. 
Ser mit dem Bann! — id) habe 
Die Hand ans Schwert gepreht 
Und halte bis zum Grabe 
Am Freifeitsbaume feft. 





30 


- 








— „WModerne Barbaren“. —— 





(Robert Reitzel gewidmet.) 


Wr find die „modernen Barbaren”, 
Wir rüden Mann für Mann 

Sm unüberwindliden Schaaren, 

In ſchwellenden Schaaren heran. 

Wir fommen mit Hammer und Meigel, 

Wir fommen mit Letter und Bud 

Wider der Menichheit Geißel, 

Wider den goldenen Fluch. 


Wir find die „modernen Vandalen“, 
Wir wandeln wuchtig und fchwer 

Sn eiſenbeſchlag'nen Sandalen 

Die Pfade ber Zukunft daher. 

Wir fchreiten mit bröhnendem Schritte 
Durch die goldenen Thore der Zeit, 
Wir wandeln Ordnung und Sitte, 
Geſetz und Gerechtigkeit. 


Wo wir kommen, ziſchen die Wogen 
Einer untergehenden Welt, 

Wo wir kommen, werden im Bogen 

Die Himmel des Lebens erhellt. 

Es zittert und ſeufzt durch die Weiten 
Der verwahrloſt öden Kultur, 
Es donnert und blitzt, wo wir ſchreiten, 
Und Befruchtung dampft unſ're Spur. 


Wir ſind die Barbaren der Milde, 

Wir ſind die Vandalen des Rechts, 

Wir führen die Freiheit im Schilde, 

Die Freiheit des Menſchengeſchlechts. 

Wir find die „modernen Barbaren” ... 
Moderne Barbaren? D nein! 

Wir wollen die rothen Hufaren, 

Huſaren der Menfchheit fein. 


—8 


30* 


468 


Karl Hendell. 


An das Proletariat. 

Was nie war, nun win ea en 
ieſig rolf du mir zu Füßen — 
Lab vom Buchenwipfel grüßen 

Did, du dröhnend, Wogenbeer! 
Schüctern in dein Donnerflingen 
Wag’ ich hell mein Lieb zu fingen, 
Kleine Nachtigall am Meer. 


Didichtniftenb mußt’ ich laufchen 
Lang ſchon deinem fernen Rauchen, 
Züternd meine Bruft dir ſchwoll. 
Leif? im Traum iſt mir entquollen 
MWiderhall von deinem Gtiollen, 
Schluchzend ſchlug ich ſehnſuchtsvoll. 


Ploͤtzlich hat mich's ganz gezogen, 
Bin vom Dickicht aufgeflogen, 

Bin geflogen bis hierher. 

Muß nun al’ mein bitt'res Klagen, 
AM mein ſüßes Jauchzen ſchlagen 
Dir im Takte, neues Meer. 


Meer der Menſchheit, bäumende Fluthen, 
Meiner Seele ſchäumende Gluthen 
Spruh'n euch giſchtend in den Schooß 
Aus den Wolken rieſelnde Strahlen, 
Blauer Segen aus den Qualen, 

Aus der Noth ein menſchlich Loos. 


Ach, das war ein tief Verzagen, 
Seelenmüdes Thatentſagen, 
Kein Vertrauen, keine Kraft. 
In der Oede flacher Stunden, 
Kein Gedanke groß empfunden 
Muthgeſchwellter Leidenſchaft. 


In verwilderte Gewalten 

Die gequälte Welt zerſpalten, 
Der Gemeinheit Brunſt entfacht. 
Drunten Elend, droben Lüge, 
Ausgelöſcht die heitern Züge 
Hoheitmilder Lebensmacht. 


Auf dem Blätterfeld das Werde! 

Heil dir, Retterheld der Erde, 
Siegfried Proletariat! 

Leuchtend in der Kraft des Schönen, 
Trittſt einher du, Streit und Stöhnen 
Schweigt, wo deine Hoheit naht. 


Karl Hendell. 





Keine Krone auf dem Haupte, 
Frei die zweiggranatumlaubte, 
Reine, furchtberaubte Stirn! 
Milde Sicherheit im Blide, 
Stolz im ftählernen Genide, 
Deine Wangen Purpurfirn. 


Holder Wahrheitsmuth dein Wandeln, 
Lebensvollgenuß dein Handeln, 
Bildung dein geabelt Kleid. 

Die Natur dein Stern und Heiland, 
Kühne Kunft dein Wallfahrtseiland, 
Deine Wehr Gerechtigkeit. 


Heute miffen wir noch lechzen, 
Unter Knirſchen, unter Aechzen 
Wälzt das Rad der Kreatur. 
Häßlich kreiſchen die Mafchinen, 
Menfchheit, deinem Güde dienen 
Klingend fie in Zukunft nur. 


Heute müflen wir noch darben, 
Schleppen alle Luft zu Garben 
Für ein Rudel Ichönheitfremd. 
Schönheit mit der Seele juchend, 
Weben wir die Noth verfluchend 
Grob bes Lebens Sorgenhemd. 


Neue Kräfte ſeh' ich glühen, 

Nene Säfte ſeh' ich blühen, 
Lichtwarm fteigt die neue Welt. 
Das Gemeine weicht von Erben, 
Was nie war, nun will es werden, 
Und das Sklavenſchiff zerichellt. 


Brüder, Menjchheit, bäumende Fluthen, 
Meines Geiftes ſchäumende Gluthen 
Sprüh’n euch giſchtend in den Schooß. 
Aus den Wolfen himmliſche Strahlen, 
Blauer Segen aus ben Qualen, 

Aus ber Noth ein menſchlich Loos. 


Dröhnend rolft du mir zu Füßen — 
Lab vom Buchenwipfel grüßen 

Di, pofaunend Wogenbeer ! 
Schmeiternd in dein Donnerklingen 
Lab ich heil mein Lied erklingen, 
Nachtigall am Zukunftsmeer. 


2 


469 





470 Karl Hendell. 











— Qus Kusnahmegeſetz. 


Bermittelſt Ausnahmegefegen kann jeber Dummkopf regieren. 
Camillo Cavour. 


er fteht ein Blatt beſchrieben im Buch der deutſchen Schmach, 
Das muß ber Teufel lieben bis an ben jüngften Tag. 

Das fteht auf ſchwarzem Grunde mit rother Flammenjchrift, 

Das ſchwärt wie rothe Wunde mit ſchwarzem Schlangengift. 

Das ſchreit in alle Weiten wie wilder Tonſchriftfluch, 

Das ſchreit in alle Zeiten und fchreit doch nie genug. 

D hätt’ ih Donnerftiimme wie Wolfen im Zournier, 

Ich brüllt' in rafendem Grimme, ein Wetteruriftier. 

Ich rollte alle Geſchütze blauſchwarz am Himmel auf 

Und ſpiee rächende Blige, gerichtet Lauf an Lauf. 

Weh' dir, bu fetter Würger, du Staatsverbredder Staat, 

Für hunberttaufend Bürger das Seil der Miffethat! 

Für hunberttaufend Deutide das niederträht'ge Net, 

Die Sflavenhalterpeitiche, gewunden vom Geſetz! 

Du Bluthund deiner Brüder; Spürdogge der Gewalt, 

Du, grüngeihwoll’ne Hyder im feigen Hinterhalt! 

Du ftürzende Lawine von Boshelt und Verrath, 

Du mobernde Maſchine mit qualmbefprigtem Rad! 

Du Folterbant der Freien, Schandvehme für die Notb, 

Und doch mußt du gebeihen für unfer Aufgebot. 

Es fteht cin Blatt bejchrieben im Buch der deutſchen Schmach, 

Das muß ber Teufel lieben’ bis an ben jüngften Tag. 

Sturm läutet das Gewiſſen. Es zittert Die Geduld: 

Wann wird mit eins zerriffen das Riefenblatt der Schuld? 


wa 
Er Friedhof. e- 


Hein Salvenſchuß, fein Trommelflang, 
Als fie den Freund begruben, 

Kein Sonnenſchein, fein Lerhenfang — 

War doch ein Held fein Leben lang 

Sm Kampf mit großen Buben. 


Der Herbftwind pfiff, fein Heulen ſchwoll, 
Die Weiden feufzten ſchaurig! 

Die Schaufel voll, die Erde Jcholl, 
Verſchränkten Armes ftand der Groll 

Am Grabe ſtumm und traurig. 


Kein Pfarrer droſch Unfterblichkeit, 
Kein Pfaffe grunzte Meſſen; 

Ein heilig Lied, ein jchweigend Leid. 
In ihrem dunkeln Feierkleid 
Wehklagten die Cyprefien. 


Karl Hendell. 471 


So blieb die Menge drängend ftehn, 

Als fih das Grab geſchloſſen: 

Da dröhnt’ es: Auseinandergehn! 

Und fon war Helm an Helm zu jehn — 
Des Himmels Zähren floſſen. 


Nun flog ein Kranz mit rothem Band 
Wohl auf des Grabes Mitte; 

Und als er auf den Hügel ſank, 

Da zogen ſchon die Wächter blant 
Der Zucht und frommen Sitte. 


Bon Leichenftein zu Leichenftein 
Die Klingen aus den Scheiben! 
Auf Schädelftatt und Todtenbein 
Sie hieben in die Mafien ein — 
Da weinten alle Weiden. 


Das free Lärınen Flirt an’s Ohr 
Der ſchlummernden Gerippe; 
Entjegen ſchlug den bleihen Chor, 
Und fchwerbeleidigt fuhr empor 
Der Tobten ftille Sippe. 


Der Regen goß, der Sturm ſchrie auf, 
Blut floß um Kreuz und Hügel, 

Und ruhig von des Kranzes Schlauf 
Ein Vogel ftieg gen Himmel auf 

Mit purpurrothem Flügel .\. . 


— Brodlos. — 


Lin armes Mädchen bin ich nur, 

Hab’ Niemand auf der weiten Belt, 
Der nad mir fragt und der mich liebt, 
Der meines Lebens Nacht erhellt. 


Sm Blüthen ſchwimmt das reiche Thal, 
Der Frühling fuhr zum Lande en — 
Was joll denn mir der gold’ne Strahl? 
Mir lat Fein Glück, Fein Sonnenjchein. 


Einfi glaubt’ ih an des Himmels Huld, 
Der Glaube ift nun lange tobt, 

Die Blüthe meiner Hoffnung fraß 

Der ſchwarze Wurm der Hungersnoth. 


472 Karl Hendell. 


An fo viel Thüren Elopft’ ich an, 
Vergebens al’ mein innig Fleh’n 
Um Arbeit für mein täglich Brot, 
Und jeder läßt mich weitergeh’n. 


Kein Einziger mir mag vertrau’n, 

Kein Einziger mich mag verſteh'n — 
Und will ja doch von früh bis ſpät 
Auf Arbeit, nichts wie Arbeit jeh’n! 


Ich bin geſchickt, ich bin geſcheidt, 

Und ebrlih war von je mein Sinn, 
Du lieber Gott, hab’ ich denn Schuld, 
Daß ich jo bleih und ſchwächlich bin? 


Noch taufend leiden gleiche Notb, 

Die Welt it für ihr Elend blind, 

Und Niemand ahnt, wie tief der Grol 
In Ihrem Herzen weiterfpinnt. 


Und Niemand fieht, wie’ dunkler wird, 
Bis daß einmal der Donner Fradit, 
Und euch das Feuer jäh verzehrt, 

Euch, die ihr’s felber angefacht. 


x 


>> Kiadukt. I 


Mi zornig ziſchendem Gebraus 

Jäh ſchnob's den hohen Bahndamm ber, 
Der Schlot warf Wolfen weit heraus, 
In dunkle Nacht ein dämmernd Meer. 
Wildſchäumend fchleuderte der Zug 
Burüd den Qualm, zurüd die Dual, 
Die Laften, die er vorwärts trug, 
Erſchutterten das ftile Thal. 


Auf einmal athmet der Koloß 

Mit fiegesftolzger Sicherheit, 

Erhaben fauft das Riejenroß, 

Bom Ueberſchuß der Kraft befreit. 
Fern glüht der grünen Augen Brand; 
Dur finftrer Tunnel Rauch und Ruß 
Führt nad der Schönheit Sonnenland 
Den Zug der Zeit jein Genius. 


BEE 








Rarl Hendell. 478 


>> Hfrike. Ir 


ER fühle ein Zittern, 

Wie glüht meine Seele! 
Meine Nerven gemwittern 
Wie’ wenn der Blig in die Sturmnadt zudt. 
Sn Gelfenkicchen, 
Sm rothen Rheinland, 
Streifen die Grubenleute | 
Und ift ein gewaltiges Wejen im Gange. 
Man bat den Männern 
Das Licht Hoch angerechnet, 
Das Sterbelämphen der Frobnfinfterniß ; 
Man bat genullt 
Und vom niedrigen Lohne geftrichen 
Alle die Wagen, 
Drin wie Kies in Gold 
Steine zwiſchen die Kohlen 
Spärlih geichlagen, 
Drinn die Stüde einmal zu Hein geſchlagen. 
Und die man den Arbeitshunden geftohlen, 
Hat nah dreien Tagen 
Dan ihnen wieder feilgefpreizt, 
Mit Tigertaße 
Bum höchſten Satze — 
Aechzend den genullten Sad 
Dürfte das Pad 
Nun felber theuer nah) Haus fi tragen; 
Und mit finfenden Hungerlöhnen 
Bei fteigenden Nabrungspreijen 
Mollte man fie gewöhnen, 
Bur Ueberſchicht in die Höhlen zu reifen. 
Um zu leben, 
Hgben fie fih den Gelbfäden ergeben, 
Verbrannt die Kohlen des eigenen Seins. 
Nimmer, nimmer wurden 
Sie des traurigen Lebens frob, 
Steinfohlengüter für die zu hauen, zu heben, 
Die Schaumgluth augen aus Champagnerreben 
Und Kohlenfäure aus den vollen 
Toaftefprudelnden Stollen 
Der nationalftolgihwängernden Veuve Cliquot. 
Die menjhlichen Arbeitsthiere 
Trugen ihr freies Vertragsglüd 
Mit wilden Web, 
Die göttlichen Börfenpapiere 
Schlugen, ein Freiherrenwagftüd, 
Sm wilde Höh’. 








474 


Karl Henckell. 


Die Bäuche zu milliardiſiren, 
Wurden die Muskeln genullt, 
Da zerriß den armen wieren 
Das Strick ber Gebuld . 


Und bauen nicht mehr 

Und ſchleppen nicht mehr 

Und treiben nicht mehr, 

Und die Wagen ftehen Tohlenleer. 

In Reflelräumen jpazieren umber 

Die Inſpizienten ſohlenſchwer. 

Der Rotte mehr Lohn und feſte Schicht? 
Erſt Unterwerfung! Dann vielleicht 
Sind wir geneigt, 

Das zu bewilligen, was uns entſpricht. 
Unterwerfen? Sklaven, Leibeigene und Hörige 
Unterwarfen ſcheu ſich dem Herrengeſicht. 
Der Arbeiter von neunundachtzig 

Stirbt, aber unterwirft ſich nicht ... 


Meine Seele jauchzt, 


Meine Saiten klingen, 
Wie wenn der Orkan durch Harfen btauf. 


Bei den Werken 

Um Dortmund, Bochum und Eſſen 
Schaaren die Männer ih zur Berathung 
Feſt und gemeflen. 

Zu ben Fernſprechern flürzen 

Die Inſpektoren: 

„Militär ! 

Sonſt find wir verloren.“ 

Mit Ertrazug 

Fliegen die rettenden Götter 

Des Baterlands. , 
Bor die Schwarzen Hundsfötter 
Bligen Helmipiten 

Im Sonnenglanz. 
„Seitengewehr — pflanzt auf!” 
Spannend beflommen 

Krümmt fih der Hauf 

An fih zufammen. . 

Selig vom Kuffe der Braut, 
Bitternder Ahnungen voll, 

Sm die Naht binträumend 
Schreitet heimmärts 

Friedlich die einſame Straße fort 
Der junge Burſch. 


Karl Hendell. 475 





„Halt! Werda?!“ Kolbenftöße 

Wuchten ihm zwiſchen die Rippen. 
Entjegengelähmt 

Schwanft er zur Hütte: 

„Vater, fie fchlagen mich tobt!“ 

Mit taftendem Tritte 

Oeffnet's die Thüre: 

„Sohn, was geichieht? 

Komm nur, komm rubig zu Bett!” 
Blitzend ein Bajonett 

Schlitzt durch das grobweiße Hemd 
Dem greiſen Hauer. 

Todesſchauer 

Flirren im breddenden Auge... 

„Ab Gott! — Ach Gott!“ 

Krachend zurüd jchlägt’s auf die Diele 
Schwer, 

Ueber ihn der Sohn. — 

Der du 64, 

66 und 70 

Treu deinem Kaiſer gedient 

Pulver⸗ und jonnverbrannt 

Mit Gott für König und Baterland — 
Alter, du fällſt auf dem Felde der Ehre! 
Krämer und Schneider und Kleine Rentiers 
Trippeln im winzigen Vordergärtchen, 
Mo die weißen Schneebälle jchwellen, 
Tuſcheln ängftlih über den Zaun: 
„Das Militär verhegt uns die Leute, 
Die Soldaten, Soldaten fort! 

Und ſchon wieder ift Blut geflofien, 
Eifenbahnpafiagiere erihofen — 

Das ift Mord. 

Wenn der Kaiſer nur käme, 

Und man ihnen den Willen thäte! 
Mas fie fordern, tft nicht zu viel, 

Und fie gehen rubig aufs Ziel. 

Sollen doch ordentlich weiterberathen ! 
Aber die verfluchten Solbaten 
Treiben’s mit Einemmal in's Extrem. 
Unheil, Unheil! 

Spyringenfnospen 

Springen blaurofa, 

Süße Düfte wallen. 

Krämer, Schneider und kleine Rentiers 
Trippeln im Gärten und hören mit Plopfenden derzchen 
Die vorzüglichen Repetirgewehre Inallen. . . 


476 


Karl Hendell. 


Und ſchon fahren zu taufenden wieder 
In die graufenden Tiefen fie nieber. 
Viel hundert Fuß 

Unter'm Blumenboben. 

Kaum küßt der Sonne Gruß 

Die Todtmaroden. 

Liegen im Höhlenwafler nadt, 

Sind mit dreißig Jahren kontrakt, 
Athmen Sumpfgrubengafe. 
Phosphorluft 

Infernaliſche Blumenvafe 

Haucht belebenden Maienduft. 
Köſtliche Frucht 

Labt ihre Zungen, 

Lieblihe Sudt 

Legt ihre Lungen. 

Achtſtündig römiſch-ruſſiſches Bad, 
Drei Mark Badelohn obendrein 
Welcher belad'ne Kommerzienrath 
Möchte nicht froͤhlicher dergmann Iein? . 


Tonmolfengebränge! 

Schwarzwildes Gemenge, 

Hohl gewitternde 

Rhythmenwucht! ... 

Leiſe zitternde 

Hoffnungsklänge, 

Froh erſchütternde 

Wetterflucht. 

Mir brennt im Buſen das Weltgebot. 
Sie naht, ſie naht 

Die Wende der Noth. 

Nun bin ich heiter bis in den Tod. 
Aus der Tiefe 

Seh' ich ſie ſteigen, 

Die Erlöſung 

Unſerer Welt. 

Zittern werden die Schlechten und Feigen, 
Wenn der menſchenrettende Reigen 
Seinen leuchtenden Einzug hält. 
Kommt nun zu Hauf, 

Edle von Nah und Weit! 

Singt, ſingt der neuen Zeit 
Jubelnd Glückauf! 


— 








Karl Hendell. 


Bie Kranke Proletarierin. 


wende mir dein bleiches Haupt 

Mit milden Schmweiterblide zu! 
Ich bin fo luſt- und glüdberaubt 
Wie du, gequältes Weib, wie du. 


Tas Gift, das durch die Bruft dir gährt, 


Die Siehthumsichlange, die dich biß, 
Sie hat mit Leid auch mich genährt, 
Getränkt auch mich mit Bitterniß. 


O fieh mi nicht jo jammervoll 
So ohne Maßen traurig an! 

Ich will befänft'gen deinen Groll, 
Wil tröften, was ich tröften kann. 
Auf deinem Leben lag die Noth 
Mit ſchwarzem Fittig ausgeipannt, 
Nun winkt dir der Erlöfer Tod 
Mit feiner bleihen Schattenhand. 


Du warbft, dem holden Licht entrückt, 
Den Eltern Brot, ein ſchwächlich Kind; 
In dunkle Winkel hingedrückt 

Wobſt du die blauen Augen blind. 
Mit deinem Manne Tag für Tag 
Haft du gelämpft, ein treues Meib, 
Der Fäden Schlag und Gegenſchlag 
War euer Flitterzeitvertreib. 


O weine nit! D weine nicht! 

Nun bat der Groll mich jelbft gepadt, 
Wenn jo das Glüd in Scherben bricht, 
Ehäumt auf der Bornfluth Katarakt. 
Ter Vater deiner Kinder ſank 
Berrädert in ein fhaurig Grab, 

Da ſchaffteſt du, bis matt und krank 
Dir Gott der Herr den Abſchied gab. 


D gieb zum Abſchied mir die Hand! 
Der Adern blau Eewebe zudt. 

Die Abenddämm’rung ledt die Wand, 
Gleich hat fie dich und mich verfchludt. 
Geh’ du zum ſchönſten Schlummer ein 
Und ſtärke deine ſchwache Bruft 

Mit diefem Ungarfeuerwein 

Und höre, was du träumen mußt: 


477 


478 


Karl Hendell. 


Der Knabe, den bein Leib gebar, 
Den du mit Kummer aufgejäugt, 
Bieht Hoch voran ber Heldenſchaar, 
Die ale Noth von binnen jcheudt. 
Sein blaues Auge glänzt voll Kraft 
In's Lichtmeer einer freien Beit, 
Die Eifenhand umipannt den Schaft 
Der purpurnen Gerechtigkeit. 


SEES 
— — Behkenntnißßz... — 


Ich mochte lieber hochmuthig als niederträchtig 
ſein, und ich erinnere mich des Audfprudes von Kant 
„Der Menſch kann nicht groß genug vom Menſchen 


denken.“ 
Karl Ernſt von Bär. 





Main Auge leuchtet durch bie Zeiten 


Den Dentern, die das AU gebar, 


Ununterbrochen ſeh' ich jchreiten 


Den Bug ber fühnen Heldenſchaar. 


Die Lofung hör’ ih vorwärts Klingen, 
Vom Fähnlein, das dem Blick entflieht, 
Auf taufendjähr’gen Aetherſchwingen 
Zum Banner, das vorüberzieht. 


Die Siegesmelodien raufchen, 

Hoch jauchzt der Marſch der Weltidee, 
Den Lihtpofaunen muß ich lauſchen, 
Bis ich bes Spieles Sinn verfteh’! 


Aug feiner engen Thalſchlucht ftarrte 

Das Menichenthier zum Firmament, 

Die MWölbung war die höchfte Warte, 
Drauf Gottes Tag- und Nachtlicht brennt. 


Jetzt rollt der Menſch mit feinem Geiite 
Auf ew’ger Are dur das AU; 

Wie bald erfuhr der Weltgereifte: 

Dem Willen wehrt kein Feitungswall! 


Es giebt Fein Drunten, giebt fein Droben, 
Und feinen Mittler kennt Natur, 

Wir find aus Aetherdampf gewoben 

Und faujen auf der Sonne Spur. 


Aus Urdunft ſchwang zu Dichterfternen 
Des Lebensbildfraft ihre Gluth, 


Karl Hendell. 479 


Stolz thürmen der Entwidlung Firnen . 
Sih in des Kosmos Sonnenfluth. 


Des Univerfums glüh’nde Kräfte 

Fakt die Vernunft, die forſcht und ſpürt, 
Der Erde Schooß trinkt Weltallsjäfte, 
Bis fih der Menfchheit Glück gebiert. 


Das Schöne ſchaffend zu genießen, 
Bereitet unjer Hirn fich vor, 

Aus der bezwungnen Erbe jprießen 
Der Freiheit Blüthenau’'n empor. 


Was ſelt'ner Seherfinn erfonnen, 

Die ganze Menjchheit prägt's in That, 
Ein wallend Feitlleid wird gefponnen 
Auf der Entwidlung Riejenrad. 


Das Nied're welt. Vol blüht zum Schönen, 
Was häßlich und gemein noch ringt, 
Den Chor der Maſſen hör’ ich tönen 

Bon Palmen, die die Yufunft fingt. 


RE 


— — Zuknunftsbluthe. — 


Bes weiß eine purpurne Blüthe, 

Die auf Wellen der Zukunft ſich wiegt, 
Das iſt die reinmenſchliche Güte, | 
Die Jammer und Elend befiegt. 


Aus köſtlichen Kelcden flinmern 
Die Fäden der weltlichen Luft, 
Die friihen Blätter ſchimmern 
Auf filberner Fluthenbruft. 


Schaummöven der Freiheit ſchwingen 
Und freien glanzerhellt, 

Fern in der Tiefe verklingen 

Die Klagen der finfenden Welt. 


BAAR 











480 





Karl Hendell, 


>> Familien. S+ 


VWeing nicht wieder folhen Schund in’s Haus! 
Ä Ich will's nicht haben. Reines Gift für dic. 
Ich ſag' es ein für allemal. Und Bafta!“ 

Er Elopfte mit dem Beigefingerknöchel 

Hart auf den Ipiegelglatten Nußbaumtiſch. 

„Es giebt wahrhaftig paſſende Lektüre 

Sm Ueberfluß. Was fchlechte Literaten 

Und Hungerleider da zufammenlügen, 

Soll mir mein Zimmer nicht verpeiten. Gieb’s 
Sofort zurüd! Wer hat es dir gelieh’n? 

Mar Kreter! Schreibt ein Kretzer klaſſiſch? Bäl 
Der Name fchon Klingt ſchauderhaft gemein. 


- Und das find Dinge, die bu nicht verftehft 


Und nicht verftehen ſollſt. Der Eat ber Weltftabt. 
Dort mag ja mandes jchlimm fein. Wir find bier 
Sm anderen Berhältniffen. Hier kann | 
Ein Jeder reblich leben, und wer fchafft, 

Bringt’s au zu was. Wer lumpt, verdirbt. Das ift 
So lang, als die Welt fteht, Regel und 

Wird au troß allen Schreiern Regel bleiben, 

So lang die Welt noch läuft. Dummbeiten das! 
Was brauchſt du mid auch damit. noch zu ärgern? 
Sch habe finanziell jegt g’rad genug.“ 

Unmillig nahm er aus der rothen Rifte 

Die folgende Havanna, jchnitt fie ab 

Und wartete vergeblid, da Adele 

Ihm euer reichte, wie fie ſonſt wohl that. 

Sie Ihmollt und ſchreitet langfam nach der Thür, 
Das Buch vorfichtig in den Echo vergrabend: 
„Ich hole mir Dttilie Wilbermuth, 

Berubige dich, Bapa! bie ift gut. 

Das reine Manna". Braufend fuhr er auf: 

„Die ſchlechten Wite laſſe unterwegs! 

Du gehft mir heute ja nicht in's Konzert! 

Ich werde das Billet für mich behalten.“ 

„Ad, aber Papa! ch verſpreche dir, 

Mit nichts dergleichen dich mehr zu erzürnen; 

In Zukunft fiehft du nicht’3 in meiner Hand, , 
Mas dein Geſchmack verſchmäht. Verlaß dich drauf! 
Ich muß in das Konzert, um die Etüde 

Don Liszt zu hören, die ich üben ſoll.“ 

Seit ftieß der kleine Haden aufs Parkett. 

„So geb, Nihtenug! Was koſtet denn der Mantel, 
Den du feit geftern trägft?" „Ich weiß nicht mal, 
Selmoli hat es angejchrieben . . . Sa, 

Zum Herbit gebrauch’ ich ein neues Ballkleid.” 





Karl Sendell. 481 


Schon war das elegante Kind hinaus. 

Der Seidenmwebereibejiger nahm 

Nur einen Augenblid die Handelszeitung, 

Dann ftrih er fi mit beiden Händen glatt 

Das: „Schweizer’iche Familien⸗Wochenblatt“. 

Er las balblaut die jchillernde Devife: 

„„An's Haus und feinen Frieden jchließ’ dich an, 

Das halte feſt mit deinem ganzen Herzen!“ 

Und nickte dreimal, dreimal nickte er. 

Aus ſeinen Augen” floß ein dider Strom 

Milchmilder bläulicher Zufriedenheit, 

Als er im’ Selbftgeipräh verloren gludite: 

„Der Seidenring wird mir zum Sorgenring ... 

But, daß ih Frau und Kinder habe, die 

Mir meine freien Stunden lieblih ſchmücken 

Wie bier den Tiſch mit jelt'nem Blumenitrauß.“ 

Er löſte die Ramelienkönigin 

Aus vollem Kranz und ftedte fie in's Knopfloch, 

Hell Hingen Waflertropfen an dem Kelch. 

„„An’s Haus und feinen Frieden ſchließ dich an!“ 

Das ift jo wahr. In der Familie Schooß 

Erblüht dem Aermften ein veredelt 2008. 

So lang ber Vater nicht zur Kneipe jchwiemelt —“ 

Er goß das Glas Madeira wieder voll — 

„Hat auch ber Fleine Mann das, was er foll: 

Familienhalt und feine ftillen Freuben .. 

Doch wie viel giebt's, die ihren hn vergeben! 
Es klingelte. Des Mädchens balber K 

„Ein Arbeiter, der Sie zu jprechen bitte. u 

„Seht einer meiner Leute . . .? Ex fol kommen. 

Doch nehmen fie den Reit Madeira mit, 

Ich trinke nicht mehr.“ Und für fich fteiflächelnd: 

„Men muß nicht mit Genüflen proßen, die 

- Der andere nicht kennt. Das reizt nur auf. 

Und aus Arzneiwein wird dann gleih Champagner.” 

Mit derbgemeſſ'nem Schritt, den Hut in einer, 

Ein Blatt Papier feit in der andern Hand, 

Schob's hoch und breit fi von der Thür "heran 

Und blieb in Bimmermitte höflich ftehen. 

Der Fabrikant ftand auf und kramte Briefe 

Jäh in geniale Unordnung hinein. 

Dann fah er forſchend auf: „Was wünſchen Sie? 

Sie follten freilich zur Bureauzeit fommen, 

Doch find Sie mir im guten Sinn befannt. 

So macht's nichts. Welches dringende... .?" — „Herr Bauer, 

Ich komme jelbft zu Ihnen, weil. mein‘ Lohn 

Nicht langt, mit Weib und Kind, mich‘ durchzubringen. 

Beſonders ſeit der Miethzins aufgeſchlagen 


31 








482 Karl Hendell. 


Auch find die Kinder Frank und meine Frau 

Kann bei ber Pflege doch nicht plätten gehn; 

Sie Holt fi jelbft was... . die durchwachten Nächte, 
Die Schlechte Luft, grad aus der Schwangerichaft . . ." 
— Herr Bauer zudte leife mit den Achſeln, 

Als wollt’ er jagen: „Kinder nie genug! 

Ma — Malth — man jollt euch mal den Malthus ſchenken.“ 
„Und bier ift alles richtig aufgelegt, 

Der Lohn, der Zins, Arznei, das Efien, Kleidung, 
Bon Tag zu Tag und wöchentlich ſummirt. 

Ich bitte, jehen Sie ſich's felber an! 

Man will doch leben, aber fo geht’s nimmer, 

Wir haben ſchon vom Heirathsgut verjekt, 

Die Frau macht's unzufrieden und ih kann's 

Ihr nicht verdenten. Das giebt Häfelei . 

Ich mag des Abends kaum zu Haufe geh'n 

Und muß doch, um den Rappen ja zu ſparen; 
Muß ich erſt meinen Sonntagsrock verkaufen, 
Dann, Herr Direktor, iſt es gänzlich aus, 

Dann gehe ich mit meiner Frau und Kindern betteln, 
Für das Eewerb find unſ're Lumpen nobel.“ 

Er war jetzt nahe an den Tiſch gelangt 

Und ſchob dem Herrn Fabrikbeſitzer Bauer 

Sein Konto zu. Der dreht es in den Fingern 
Und las es ſcheinbar aufmerkſam herunter, 

Die goldene Brille glänzte jovial. 

„Ich ſeh's, wenn dem jo iſt ... Sie haben nicht 
Viel übrig, und auf diefe Weile . . ." Flüchtig 
Beftrih den Bogen wieder fein Krayon — 

„Doh wild ih Ihnen einen Vorſchlag machen, 

Wie fie den Wirtbichaftsfond fofort erhöhn 

Und fi dabei viel Laft und Sorge Sparen.“ 

Die Fauft des Arbeitsmanns drüdt eine Beule 

Sin feinen Hut, er nahm den Schein zurüd 

Und ſah dem Sprecher jpannend ins Geſicht — 
„So geben Sie die Kinder doch in Koft 

Und ſchicken dann die Frau zu uns! Wir können 
Meiblicde Arbeitskräfte immer brauchen, 

Ich jage dem Inſpektor noch Beſcheid.“ 

Ein höhniſch Lächeln bligt’ um Aug’ und Mund 
Des Bittenden, die Beule wuchs hinein — 

Sein Blick ſank aufs Famtilienblatt: „An’s Haus 
Und feinen Frieden ſchließ' dih an!" „Herr Bauer! 
Ich wollte Lohnerhöhung, feinen Rath. 

Die Kinder weinen, wenn ich wiederflomme, 

Und werden fränfer: meine Frau iſt ſchwach. 

Bon der Kamelie in dem Kammgarnknopfloch 

Des Herrn Direktors perlte eine Thräne 


Karl Hendell 0 483 





Bitternd zu Boden —: „Es gibt leichte Arbeit; 
Bon höher'm Lohn Tann feine Rede fein, 

Die Konkurrenz” — das fagt’ er mehr zum Dfen — 
„Kurzum, es gebt nicht. Baſta. Adieu!“ 

Ein bitt’res Wortähing zwiſchen Inappen Lippen 
Ein rauhes Wort, ein Wort voll ei gem Web, 
Es hing und fiel zuräd. „Adien 

Die Thüre fprang- mit ſchnödem Ru in’s Schloß, 
Die Sonne tanzte wie ein Friedensengel 

Am Plofond. Und in’s Zimmer raujchte ftolz 
Parfümausgießend Frau Direltor Bauer: 
Havannarauch 309 Fräufelnd durch den Duft 

. Und Himpernd wurde Wagner angefchlagen. 


x 
An den Zaren. 


(Bei Leftitre der neuen -Bräuel in Sibirien.) 


u Schreden, der auf Rußlands Throne | 
Sih an Sibiriens Hölle Iekt, 
Wann wird der Untergang zum Lohne? 
Wann wird dein Hermelin zerfeit? 


Der Stunde barıt die Welt mit Zittern, 
Und knirſchend ſchäumt die Ungeduld: 
Wann wird die Höllenburg zerſplittern, 
Die Höllenburg der Zarenſchuld? 


Zwar Werkzeug bift du nur ber Zeiten, 
Das faule Reis am gift’'gen Baum, 
Doch über deinen Leib wird fchreiten 
Die Freiheit zu des Eismeers Saum. 


Die Freiheit iſt ein Kind der Sühne, 

Die Tochter ift fie der Vernunft, 

„Fort!“ ruft fie — „von Europas Bühne, 
Wahnfinn’ger Sproß der Zarenzunft! 


Ans Irrenhaus mit deiner Sippe! 
Zwangsjacke dein —— 


Auch zu Sibiriens eiſ'ger Klipp 
Flammt der Befreiungsblitz ber Beit.“ 


A 


31* 


484 


Karl Hendell. 











Statiſtik. 


- (&bgar Steiger gewidmet.) 


„Zahlen regieren bie Welt. — Mindeftens zeigen 
fie, wie die Welt regiert wird.“ 
Goeibe. 














Die vom Nachtwind fladert der Lampe Schein, 
Müde ſchwankt das rothe Löſchblatt nieber. 

Meiner Hiffern todte Tarusreih'n 

Kniden wunderlich die kahlen Glieder; 

Rieſenmaſſen Ichütteln Fleiſch und Bein, 

Millionen Zahlen zudend jchrei’n: 

Dichter, wedt dein warmes Blut uns wieber? 
Fuühle, fühle deiner Zahlen Bein, 
Unf’rer Dualen hochgeſummte Summen! 
Mühle, wühle fie zum Hirn hinein, 
Daß wir nimmer, nimmermehr verflummen. 

Sieh die Linie wie fie Zidzad fteigt! 

Hunger, Wahnfinn und Verbrechen zeigt! 

Wandle fie, die dunklen Spuren! 

Set dem Geifterlumpentroß 

Dieben, Mördern, Luftlemuren, 

Spießgefel und Mordgenoff'! 

Mo der Fleifchtopf üppig dampft, 

Reibt die Tugend fih den Wanit, 

Mägen, bie der Hunger frampit, 

Hält der Teufel ſchlau umſchanzt. 

Wie fie grinfen, meine Zahlen, 

Nackt und jpindelbürre bupfen, 

Aus zerſchoſſ'nen Idealen 

Federn über Federn rupfen! 

Sieh, nun reihen ſich zwei Lager, 

Hier die Guten, dort die Schlechten, 

Meiſtens find die „Sünder“ mager, 

Fett find meiltens die „Gerechten“. 

Habe nie den Gott ergründet, 

Der von Schuld und Unſchuld weiß, 

Beſſer ſcheint mir ſchon verfünbet: 

„Gott iſt der Getreidepreis.“ 

Und in toll und tollerm Ritte 

Ueberſchlagen ſich die Laſter, 

Wuchert Reichthum, welkt die Sitte, 

Mordometer der Kataſter. 

Wie die Branntweinfluthen ſchwellen! 

Wie die Brenner Bismarck grüßen! 

Kahlgeſchorene Geſellen 

Müſſen fahl im Zuchthaus büßen. 

Kindesunſchuld, wüſt geſchändet, 

Wirbelt in der Hölle Strudel, 














Karl Hendell. 485 


Bürgerbauch ftolzirt verblenbet, 
Wie ein wohldreſſirter Pudel. 
Ah, der gute, der honette Rentner, 
Unbeſcholten ftrahlt er weiß wie Schnee, 
Troftlos jchleppt der Strolch den Schidjalszentner, 
Ehrlos frißt er in fih Wuth und Web. 
„Arbeit! Arbeit!” Seine Fauit, fie zittert, 
Klirrend jchmettert fie durch's Labdenfeniter. 
Gott Geſellſchaft Hält ihn gut vergittert, 
Gott Geſellſchaft Feitet Die Gefpenfter, 
Gott Geſellſchaft, Gott Jehovah, 
Eein Gebot dräut unerbittliid — 
Lady Shoding auf dem Sopha 
Gähnt geſetzlich, ſchämt fich fittlich. 
Sittlich vornehm ſchlürft fie theuren Brändy, 
Süß ins Mäulchen quillt das feine Schläuchlein, 
Sudelt Holt ein Stückchen Zuckerkändy 
Lest fih Ichlummern auf ihr — shocking — Bäuchlein. 
Aber fern den Luftpaläften, 
Aus der Vorftabt finfterm Schooß, 
Wo die Ratten auf den Reften 
Schmutz'ger Noth bie Quft verpeften 
Ringt der Schrei der Scham fich los. 
Wimmernd winden Millionen Bahlen 
Schwer fi fort, ein Mammuthsungehener, 
Plöglih aus erlofchenen Bliden ftrahlen 
Der Erlöfung Freiheitefeuer. 
Schwarz umrauſcht es die Tribünen, 
Gläubig lauſcht's dem neuen Heil, 
Das die berrlien, die kühnen 
Führer mit dem Rettungsbeil 
Roſig durch die Nothnacht lichten — 
Hell durch's Didicht Tracht ber Neil, 
Freude blüht den Gramgefichtern, 
Die noch kauern ſcheu und ſchüchtern, 
Wollen nimmermehr verzichten, 
Leben leuchten Millionen Zahlen, 
Glühend wallt’s zu neuen Idealen. 
Wie fie das Volksblatt vom Hafen raffen! 
Wie fie hohnlachend die Ziffern durchmeſſen! 
„zählt ihr den Ueberfluß, den wir ſchaffen, 
Den fie aus Knochen und Mark uns preilen? 
Zählt ihr des Goldpolypen Profite? 
Zählt ihr den Eiweißgebalt unf’rer Nahrung? 
Iſt das Gerechtigkeit? Iſt das Sitte? 
Iſt das bie chriſtliche Offenbarung? 
Zählt ihr die Würmer, die täglich fterben, 
Kläglich aus gottserbärmlicher Roth? 





486 


Karl Henckell. 


Bählt ihr Die Frauen, die näctlid verberben, 

Preisgegeben um's liebe Brot?“ — 

Fee Statiftif, bie ber : Vongen Muſe 

Mit dem keuſchen Heuchelblidk nicht nennt, 

Milde Fee, verſteinernde Meduſe, 

Dich verklärt, wer beine Kraft erkennt. 

Schmerzſtarr übergrau'n mich beine Büge, 

Maſſenzahl verzehrten Menichenglüdse — 

Heil, Statiftit, Heil! Du hoͤhlſt die Lüge, 

Miſſeſt der Gerechtigkeit Gefüge, 

Schön einft Imfft du Wogen Ge Geſchicks. 

Deiner Zahlarmeen Donnerzungen 

Schmettern Wälle grauen Wahns zu Staub, 

Um bie Pfeiler, die dein Map gelungen, _ 

Kränzt die Menfchheit friſches Siegeslau 
Götterlos, nad deinen Grundgeſetzen, 

Wie der Wellalisfreude Rhythmus ſchwillt! 

Die Dreieinheitsrechnung fliegt in Fetzen, 

Und des Denkers Sehnjucht wird geſtillt . . 

Zahlen, die das Biel der Schönheit juchen, 

Segen laßt euh! — laßt die Pinſel fluchen. 


454 


—— Te Deum. == 


(Der eblen Belämpferin bes Maflenmorbes, Bertha von Stuttner, gewidmet.) 


luthſommer Siebzig. Spich’rer Höhen dampften, 
Kanonen beulten. Schwerfhwadronen ftampften. 
Die Leiber zudten in ben Adergrunbd, 
Entjegen athmete ber Erde Mund, 
Blut floß, als ſei ſchon Rothwein-Kelterzeit; 
Sa, Herſcherhochzeit! Purpurfeierkleid ! 
Und Bug auf Zug, branntweinbefeuert, ftürmt. 
Hurrah und Vorwärts! Leihen aufgethürmt! 
Behntaujend Nummern mwen’ger oder mehr. 
Hurrah! du preußifches, du tapf’res Heer! 


Genommen! Sieg! Der Abend fühlt bernieder 
Und kußt mitleidig die erftarrten Glieder. 
Halbtodte lechzen in die laue Luft, 

Sm ihre Nafe wittert Leichenduft, 

Die rothen Kreuze babren auf, verbinden 

Und hören Sterbefeufzer fih entwinden. 

„Mein Weib, mein armes, o mein armes — ab!” 
Der Rumpf Tchlägt hin. Hurrah Germania! 














i Karl Hendell 


Te Deum! Trommeln thronen den Alter. 
Die Bibel offen. Feldprobft im Talar. 
Die ſchwachen Bataillone rund rangirt. 


„Helm in die Hand!" Der Hauptmann fommanbirt. - 


Der Feldprobft räufpert fih: „OD du ba broben, 
Lab deinen unerforjchten Rathfchluß loben! 
Der heiligen Sache haſt du Sieg gewährt 

Und deinen Willen wunderbar erklärt. 


Wir danken bir, du höchfter Herr der Welt, 

Daß du des Erbfeinds Höllenplan zerichellt. 

Set fürder mit uns! Segne bu ben Kaijer 

Und alle angeitammten Fürftenhäufer! 

Laß deine Gnade aufgeh’'n über allen, 

Inſonderheit für Die, jo beut gefallen! 

Für dich find fie geboren in den Tod; 

Gott, jei uns gnädig! Hilf aus aller Roth MV — 
Die Mannfhaft fingt: „Herr Gott, dich loben wir!" 
— „Helm auf!" — Die Leute rüden in’s Quartier, 


Inſeits im Thale warb zur jelben Seit 
Dem Gott Napoleons der Dienft geweiht. 
Matt, knielahm fteh’n fie mit gefunf’nem Blick 
Und denken an ihr trauriges Geſchick. 
Im Stillen ballt und krampft fih mande Fauſt, 
Indeß ber büftere Choral erbrauft. 
Le prötre aber faltet feine Hände: 
„Mon Dieu! gieb, daß ſich morgen alles wende! 
Fleuch du dem kaiſerlichen Aar voraus 
Und floß das Geltertier in Nacht und Graus! 
Gott jegne, jegne unſer Herrſcherhaus! 

ch weiß, du wollteſt uns gewiß erft prüfen. 
Nun leih’ uns Sieg! Wir jhrein aus Herzenstiefen!” 
Mit opferdumpfer Todergebung zieh’n 
Sn ihr Gelaß die dünnen Kompagnien. 


— gie nene It. — 


s bat ein Hammer aufgeſchlagen 

Im menſchlichen Mafchinenjaal, 
Der Amboß klang, und fortgetragen 
Wird ſein Getön von Thal zu Thal. 
Die Berge zittern ſeinem Dröhnen, 
Die Meere wälzen ſeinen Ruf; 
Er bebt ans Ohr der Erde Söhnen 
Und lebt im Schönen, das er ſchuf. 


487 





488 


arl HSendell. 


Aus ihrem dunklen Mutterfchoße 

Wächſt auf kur Kraft durch Noth und Leid 
Die Tampfgebor’ne, palmengroße, 
Lichtaugenholde neue Zeit. 

Der Dampf umbrauft bes Kindes Wiege, 
Zur Hochzeit blühn ihr fternenklar 

Zum ſelt'nen Lohn volllomm’'ner Siege 
Leuchtblumenketten durch das Haar. 


Glückauf, du neue Zeit ber Milde, 

Der Unfhuld, die nur Wahrheit Fennt, 
Die nad der Zukunft Geiftesbilde 

Sih vorwärts zu geftalten brennt! 

Wir richten unfer Haupt zum Gruße 
Entgegen deiner edlen Bier, 

Wir ftreuen Palmen deinem Fuße 

Und Huld’gen und pjalmiren bir. 


2 
—— Renland. —= 


(Zohn Henry Maday gemwibinet.) 


3: ftieg aus blühendem Thale, 
Und fland mit einem Male 

In einem Meer von Schutt. 

Vom blutigen Purpur befchtinmert 

Lag eine Welt zertrümmert, 

Ich aber meinte wie Ruth. 


Im ſcheidenden Abendftrahle 
Geborſtene Ideale! 

Nachteulen ſchwankten empor. | 
Und Finfterniß dedte die Scherben, 
Ich aber lehnte zu fterben 

Am eriten zerfchmetterten Thor. 


Doch als der Morgen, ber fahle, 
Erblinkte am morſchen Portale, 

Fuhr ih auf aus bumpfträumendem Tod. 
Ein Sturmwind pfiff durch's Vergreifte, 
Und das Feld erbröhnte und kreiſte, 
Eine Lerche rankte in’s Rofenroth. 


BRD 




















Zeopold Zadoby, einer der idealſten und geiftvollften Poeten unferer Zeit ift 

Heute ber großen Maffe ber Mrbeiter noch, fremd, obwohl fein Serz ftet8 für biefe glühte, 
feine Herzlichen Hymnen nur ihnen galten, in jeber Zeile dem Sozialismus entgegen: 
jubelten. Als am 20. Dezember 1895 der edle Mann im Spital zu Zürich feine Augen 
für immer ſchloß, da fonnte man mit Recht jagen: Er ift an feinen Idealen geftorben. 
Zbeale! Cine gefäßrlihe Rranffeit. Aber e3 gibt ein ſicheres Mittel gegen Diele Krank: 
heit: Die Ideale bei Zeiten in Gelb ummanbeln, fie rentabel machen, Gern gedeiht man 
jehr gut dabei — Jacoby erkannte diefes Heilmittel nicht und deshalb farb er an feinen 
bealen. Jacoby war aud; Philofoph — das unrentabelfte Sandmert, ein Suruäiport 
für Brofefforen, die In feftem Gehalt fteßen, aber Teine Befhäftigung für einen armen 
Zeufel wie Jacoby einer war, der um nicht zu verhungern, erft bie nöthigen Groſchen 
durch Stundengeben ſich verdienen mußte. — Sein ganzes Leben galt nur Zukunft, 
der Zukunft, ba das Gute herrfcht und nicht mehr Kleinlichteit und Niebertraht dominiren, 
nicht Milionen niebergebrüdt find unter bem ziuche der Roth, bie den Menfchen unter 
das Thier fielt. Cr träumte von der Zukunft, da der Menſch ſich feiner Menfchenwitrde 
bemußt wirb, die Kulturarbeit des Sozialismus ihre Erfolge zeitig. In feinem „Ber 
Tenntniß" fagte er: 

Died if das Große, 

Mas die neue 2ehre verfündet : 

Daß fie den Menfhen binftelt 

In den Beltraum und auf Erben: 

Die Arbeit Hinter ihm, 

Die Meiceit unter In, 


Die Siebe zu feiner Linken, 
Die Sereitigteit iu feiner Regten, 








Antike und moderne Welt. 


(Von Ariſtoteles zu Reuleaug.) 


ört, was mit göttlidem Humor 
Der weile Grieche‘) führet vor: 
„Sa, wenn in einer Welt wir lebten, 
Wo die Weberſchiffchen von jelber webten, 
Das Werkzeug wie mit einer Seele 
Begabt, ausführte die Befehle 
Des Herrn mit allem Schick und Fug, 
Der ihm die Arbeit ‚übertrug, 
Dann wär der Knechtſchaft Dual vorbei 
Und alle Sklaven würden frei!” 


Hört, wie der Fuge Mann von heute 
Sn feinem Buch*’) belehrt die Leute: 
„Das Werkzeug, das ihr Menſchen habt, 
Iſt heute faft vernunftbegabt! 
Es führt belebt wie mit Verſtand 
Gedanken aus mit eig’ner Hand. 
Jedoch der Menſch, der damit jchafft, 
Verliert des Menſchen Eigenfchaft, 
Wird umgewandelt und zerftüct 
Sum Werkzeug felbft berabgedrüdt. 

o blüht — o graufge Ironie! — 
Sr ihn die Welt der Induſtrie, 
Daß er ala Knecht, ale Sklave biene 
Dem Werkzeug heute, der Mafchine!“ 


Hier ſchaut ihr klärlich hingeſtellt 
Antike und moderne Welt. 


Und die Moral? Nun wählet fie: 
Humor — und grauf’ge Ironie! 
Seht, wie fo menjchenfreundlich groß 
In unfres Arbeitsmannes Loos 
Stich heute nach zweitaufend Jahren 
Des Fortihritts Wunder offenbaren. 


Arifioteled. Politik. Buch I, Kapitel 2. 
F. Reuleaux. Kinematik. Die Maſchine in der Arbeiterfrage. 1835. 


RICO. ——— 


) 
“) 





492 


Leopold Jacoby. 


Karl Bars’ Bodtenfeier 


im Eooper Inflitut gu RewsYorl. (Den 19. März 1883.) 


m Arbeitskittel viele Taufend 
Sie fiten, ftehn zumal, 
Und ihr Gemurmel füllet braufend 
Den Riejeniaal. 


Sm all den Sprachen, in den Bungen 
Der Meltnationen dort 

Dem todten Kämpfer ift erflungen 
Ein Abſchiedswort. 


Der Britte ſprach: „Geliebt in Hütten, 
Gefürchtet im Pala 

Hat cr gelebt, gewicht, geftritten, 

Ohn' Haft und Raſt. 


„Sein Name wo Mafhinen ſchwirren, 
Bei uns in Stabt und Land 

Die Fenfter der Fabrik erklirren, 
Wird heut genannt!” — 


Der Rufe: „Wo Despoten thronen, 
Bei uns durh Graus und Nacht 
An ihrer Kette zerr'n Millionen, 
Wird fein gedadt!" — 


- Der Franke: „Wie ein Welthefreier 


Bon Völkerhaß und Krieg 
Focht er, und dieſe Todtenfeier 
Bürgt uns den Steg!" — 


Der Deuiſche“) ſprach: „In Liebe wollen 
Wir vor den Andern heut 

Dem Denker wie dem Kämpfer zollen 
Fin Grabgeläut. 


„Denn wie einft neu die Himmelskunde 
Kopernikus erfchuf, 

Dem Wiflen ſcholl aus ſeinem Munde 
Ein Werderuf. 


„Dem Wiſſen von des Volkes Leiden 
Und von der Arbeit Qual. 

Der Götze don liegt im Verſcheiden, 
Das Kapital! 


*) Adolf Douat + 1888. 





Leopold Jacoby. 


„Er bat für unfern Kampf auf Exben 
Ein ſcharfes Schwert verliehn, 

Daß eine neue Welt fol werben; 
Drum ehret”ihn! 


„Roh gab uns ein Geſchenk Fein Spender 
Dem Donnerworte gleich: 

Ihr Proletarier aller Länder, 
Bereinigt euch! 


nf 


Freiheit! Freiheit! 
Du Wunderport, du Wunderwort! 
Du Inbegriff der herrlichſten der Lieder, 
Wie klingſt du in des Menſchen Seele wieder! 
Ein Wunderwort, ein Wunderhort, 
Der alles Schönſte in ſich birgt, 
Der alles Schönfte aus ſich wirkt! 


reiheit! Site wird nicht ohne Mühe dein, 
il wie ein fchönes Weib errungen jein. 
Nur kämpfend dringft du vor 
Zu ihrem köſtlichen Genuß, 
Nur wenn du fagft: Ich weiß, ih muß 
Und kann nicht anders! 


Du bift nicht frei, wenn du das Schlechte willſt, 

Du bift nicht frei, wenn bu erwählft, 

Was dir bequeme Freuden Ichafft, 

Ein Sklave bift du deiner Leidenjchaft. 

Doh führt der Weg zur Schönheit auch durch Noth, 
Droht er im Kampfe jelbit ben Tod, — 

Daß du erfennft und weißt, bu mußt, 

Und vorwärts geht du mit jauchzender Luft, 

Bleibft deinem Biel vollendet treu, 

Dann bift du frei! 


Die Schönheit ift des Werbens Enbe! 
Die Schönheit ift des Werdens Biel! 
Bollendetes Gezwungenjein, 

Den Weg zu wandeln vollbewußt 
Nah dieſem Ziel iſt Freiheit! 


Freiheit! 
BRIE 








493 





494 Leopold Sacoby. 


>> Bas Kolkslieh. Fe+ 


Mopin bu immer wanderſt Der Slave und ber Ire 
Auf dieſem Erdenrund, . | Und der Romane ſingt 

Es ſpricht zu bir im Liebe Sein ſchwermuthsvolles Lieblein, 
Des Volles Klagemund. Das dir zu Herzen bringt. 

Und if diefelbe Weile Es tönet wie ein Murmeln‘ 
Und gleihe Melodie, Bon taufendjährgem Leid, 

- Die aller Drten laut wird, Mie die gepreßte Stimme, 

Und bu vergißt fie nie. Die leif’ um Hilfe jchreit. 

Ob du den Fellah höreft, | Und nad) bes Elends Enbe 


Wenn er das Schöpfrab dreht, Ein Sehnen, tief und bang, 
Und ob den norb’schen Bauer, | Wie eine Prophezeiung 
Wenn binterm Pflug er gebt. Hörft bu aus dieſem Sang. 


AU 
Botſchaft einer neuen Seit. 


(Aus: Es werde Lit.) 


Lin freier Bote fteh’ ich bier und Herold einer freien Stadt, 

Und eine Botſchaft künd ich dir, die mir mein Gott gegeben bat. 
Zum erfien Mal geichieht es heut’, auf diejer Erb zum erften Mal, 
Daß fih der Menſch auf Erden wird bewußt der ganzen Menſchheit Dual; 
Des Unrechts, das die Gier ihm thut und Herrſchſucht übt, und der Betrug, 
Der ihm die Augen flumpf gemadt, der feinen Geifl in Ketten ſchlug. 
Und die Bewegung, die bu jchauft, wird unaufhaltſam weiter geh’n, 
Bor keines Wahnes Machtgebäu, vor feinem Trugbild bleibt fie fieh’n. 
Bis aus dem Gramgelicht der Welt das Elend nicht mehr graufig ſchaut. 
Und bis auf Erden allerwärts ein neuer Menjchenfrühling thaut 
Das iſt die Leuchte, die uns führt, fie ftrahlt in wunderbarem Glanz, 
Und wandelt vor uns ber im Streit, bie wir den Sieg errungen ganz. 
Doch du, der Frauen hohe Bier, jo anmuthreich, jo ſchön und mild, 
Sm bittern Kampfe, der uns droht, ein liebliches Verföhnungsbild. 

D glaube nicht, der nied’re Menſch, er jet des Sinns der Schönheit baar. 
Was auch der Bosheit Zunge ſpricht, o glaub’ es nicht; es ift nicht wahr! 
Ein tiefes, banges Sehnen zieht, ein Streben auf, ihm unbewußt, 
Nach dem, was göttlich tft und ſchön, durch des geringiten Menſchen Bruft. 
Wann abgewaſchen von der Zeit das Unrecht fein wirb und die @ier, 
Dann blühen Blumen weit und breit in nie gefehener Pracht und Bier. 
Dann fprubelt hell ber Echönheit Born aus tauſend Quellen wunderſam. 
Und Sangesweifen werden laut, wie fie bis heut’ fein Ohr vernahm. 
Die pflanzen fort und ewig fort der Menjchheit höchſten Jubelſchrei, 
Bis alle Erdenmenſchen ihn mitrufen können: Wir find frei! 


Er 


Leopold Jacoby. 


Bien und Richtwiſſen. 


nheilvoler 

Als das Darben der Erbentinber 
Und alles Leid der, Menichen tft 
Das Nichtwiflen 
Dom eignen Elend. 


Seh’ ih 

Millionen Menſchenweſen 

In ein Marterjoch gepreßt, 

Stumpfen Blicks durch's Tagwerk wandeln, 
Dann in bittrem Groll und Gram 

Muß mein Herz und Hirn erbeben. 


Thoren haben es Glück genannt, 
Haben die Menſchen ſelig geprieſen, 
Die unbewußt der Seelenqualen 

Sich des niederen Daſeins freu'n, 
Mit dem Vieh zugleich zufrieden leben. 
Lieber wiſſend bluten in Qual, 

Lieber bewußt in Dual vergeh'n! 


Fürchterlicher 

Als das Elend ber Menſchen iſt 
Das Nichtwiſſen, 

Sei's auch vom Elend. 


4 
— Gegenwart. ⸗ 


ort, wo das Meer in ſchönem Bogen 
Iſtriens Geſtade einſchließt, 
Wandelt' ich am Ufer frühmorgens einſam. 
Ueber die blaue Adriabucht 
Märchenhaft klar 
Grußten Alpengipfelhäupter 
Schneeblinkend herüber; 
Aber mein Gemüth war kummerſchwer, 
Und bittree Grol fraß mir am Herzen. 


Ich dachte der düfteren Gegenwart, 

Wie alles jcheinbar riüdwärts fich gewendet; 

Menftdenelend ringsum, 

Bon den Erwartungen ber Zeit nichts erfüllt, 

Und ftatt geträumter Freiheit allerlei Nachtgefpenfler 

Und Spott und Hohn und Nüdfchrittsübermuth der Gegner. 


Da ſchlug ein feltfam Geräuſch au mein Ohr, 
Wie polternd kam es näher und nüher. 


495 


496 Leopold Jacoby. 


Und da id aufblidte, 

Sah ih auf der Straße vor mir 

Dampfwandeln ein Wagenungethüm. 

Saujend ſchwirrte droben das Schwungrad, 

Aber die großen Räder drunten 

Wälzten ſich langſam, 

Langſam vorwärts unter Aechzen und Stöhnen 
Und zermalmten auf der Straße den Kies und die Steine 
Knirſchend. 

Und hinter ſich her an Ketten ſchleppte der Wagen 
Eine rieſige Schiffsdampfmaſchine. 


Und ich trat heran; 

Doch wie ich in die Räder ſtarrte, 

Da durchzuckt es mich ſeltſamlich, 

Daß die Speichen beim Radumlauf 

Nah unten ſcheinbar rüdwärts gingen, 
Immer rüdwärts nah unten nieder, 

Und doch ftampfte der Wagen vorwärts 

Und rollten die Räder vorwärts unaufhaltfam. 


Da warb ich getröflet wunderbar, 

Wie der Koloß an mir vorbeizog, 

Ein Bild der Seit: 

Der Wagen der Zeit rollt vorwärts unaufhaltfam 
Unter Aechzen und Stöhnen, 

Und ein Niedergang im Radumlauf 

Sold ein Moment ift die Gegenwart. 

Wie wenn Fliegen auf den Speichen figend 

Sich freuen, daß fie rückwärts niedergehen, 

So ift der Spott der Gegner heute. 


Soldig glänzte die Luft und das Meer 
‚Im auffteigenden Sonnenftrahl, 

Und ich grüßte über die Adriabucht 

Die fchneefunfelnden Alpenhäupter 

Freudigen Herzen2. 


Lasciate ogni speranza. 


(Laßt alle Hoffnung fahren.) 


Aus die jenfeitlofe Welt, 

Die Welt des beitern Genießens 
Sn Trümmer ſank, jchuldbeladen, 
MWurmzerfrefien von Sklaverei, 

Da bra für die Menſchen an 
Ein träumenbes, erbenberaubtes Dajein. 





Leopold Jacoby. " 497 


Hoffnungsſtlaven des Himmels quälten fie fi 
Freudenenterbt und heimathlos 

In irdiſchem Fluch, in irdiſchem Elend. 

Wie ein Lottoſpieler 

Harret auf des Glückes Loos, — 

Entzogen wird ihm durch Hoffen, 
Ausgeſogen durch Hoffnung 

Macht und Stärke von Hand und Hirn, — 
So klammerten ſich an Hoffnung an, 

Die Menſchenkinder 

Und lebten den Tod und ſtarben ihr Leben. 


Da ein Dichter der Zeit 

Auf die Hallen des Schreckens ſchrieb: 
Die ihr eintretet, gebet die Hoffnung auf! 
Grauenvoll Hang das Wort 

In die angfterbebenden, hoffenden Herzen. 


Kommen eh’ ih ein neu Geſchlecht 
Lebensfreubiger Menfchen, 

Wiffend, daß fie müflen erzeugen, 

Wiſſend, was fie müllen vollenden. 
Ausgeträumt iſt der öde Traum, 
Umgeftürzt der Moloch des Hoffens; 

Da quillt aus eigner Kraft dem Menfchen - 
Ungeahnte Segensfülle 

Und ein Leben: in Schönheit auf Erben. 


Kommen ſeh' ih ein neu Geſchlecht, 

Und, wie die Griechen einft, 

Auf "Weisheitshallen ſchreibt es bie Worte auf: 
Kenne dich ſelbſt! Das ift: 

Mad di von Hoffnung frei! 

Freudig tönt das Wort 

In den erwachten Herzen wieder. 


SHoffnungslos, vollbewußt 

Wirket bereinft am Weltenlauf 

Der Menſch, der Verächter blinden Glücks, 
Ein Gebieter des Schidjals. Ä 


> 2 
— — Sion. — 


In Dämmergrauen des Nacht fiteg ich empor, 
Muhſam aufwärts klimmen 

Die zackigen Felſenhoͤh'n, 

Die das Ufer des Meeres kronen. 








498 


Leopold Jacoby. 


An dem nachtblauen Firmament 

Des Mondes Ihmale Sichel erblaßte allmählich, 
Und abſchiedfunkelnd 

Geifterhaft leuchteten die Geftirne. 

Bon drunten aber tönte raufchend 

Der Meereswogen Nachtgeſang. 

Auf einem Felsvorjprung ſaß ich nieder 

Sn der ſchauervollen Runde 

Und horchte dem Wellenlied, 

Bis am Horizont im Dften ein Vorſchimmer aufging 
Und ein jchmaler Streif fich ſpiegelte im Meer. 


Da kam ein Windſtoß von Süben ber; 

Er trieb die Nebeljchleier herauf aus den Schluchten 
Und Felsabgründen, 

Die wogten bin und ber bis zu den Gipfelnhöh’n. 
Aber wie fie ſich zufammenballten, 

Und gegen und übereinander zogen, 

Da wuchs mit einem Mal der Windhaud zum Sturm 
Und feine Stimme zum Braujen. 

Und mein Ohr war wunderjam aufgethan 

Den Tönen und Klängen über mir, 

Unter mir 

Sin der tobenden Sprade von Wind unb Meer. 

Ich horchte angitvoll, da ſcholl es herauf 

Wie Weheruf aus den Tiefen, 

Wie mweinender Laut und Aechzen und Stöhnen, 
Daraus ein dumpfes Grollen brach hervor 

Weithin wiederhallend am Ufer. 

Da wirbelten dichter empor die Nebel, 


" Und das Gewölf ward zum Rampfgemirr, 


Schredhaft groß, übergemwaltig. 


In tofendem Aufruhr beulte der Sturm; 
Steine brödelten los von den Feljen 

Und jtürzten ins Meer, 

Laut matternd — 

Wie Schwertergellirt, wie Rofjegeitampf, 
Mirk'war, als hört’ ich 

Der Bertretenen Aufkreiſch 

Und wiederſchallen ein Rieſenſchlachtfeld 

In dem Brüllen und Pfeifen des Frühſturms. 


So furdtbar ftieg des Sturmkampfs Dröhnen, 
Daß die Erde bebte 

Wie mit geheimen mitfühlendem Graujen, 

Und es bebte mein Herz voll innerftem Antbeil. 


7 
x 





Leopold Jacoby. 499 





Siehe, da brach durqh die wildringenden Maſſen 

Ein Morgenſtrahl 

Bon wunderbar löjender Gewalt. 

Und alsbald der Sturm heulte nicht mehr, 

Und der gellende Tumult warb milder und Flingend, 
Wie die Wolfen fich zertheilten ; 

Sie ſchmolzen und ſchwanden dahin, 

Wie ein Reif ſchmilzt vor dem Hauch des Mundes, 
Und durch die Nebelhüllen der Blid warb frei. 

Da lag vor mir in Gluth getaucht 

Der Himmelshorizont. 

Sprühflemmen durchzuckten bes Dieans Oftrand, 

Und in dem letzten Grollen und Austönen bes Sturmes 
Erſchien aus den Waflern die Htimmelsleuchte, 
Ein Sonnenaufgang, 

Mie Bi meine Augen ihn nie geſehn. 


Unter m 

Noch lgen bie Wellen an die Felfen, 

Laut ſchluchzend, 

Noch zitternd erregt von dem furchtbaren Kampfſturm, 
Aber ſie zogen freudig dahin 

Ihre ſtolzen Meereslinien, 

Und Siegesfanfaren rauſchte ihr Morgengeſang. 


Verklärt ſchimmerten die fernen Geſtade 

Wie Inſeln der Seligen in goldenem Licht, 

Und die Sonne ſtieg empor 

Freudig funkelnd, | 

Als ging fie über eine neue Welt 

Bum erften Male auf: 

Schönbeititrahlend, 

Segenſpendend 

Für alle Menſchen gleich auf Erden. 
—X 


Anterricht im Sozialismus. 


Fanny Hafer: 


ber in dem neuen Leben 

Wann die Shön’re Sonne ſcheint, 
Wird es dann auch Küſſe geben, 
Werden Thränen auch geweint? 


Und die Mädchen und die Frauen 

Welche Stelle haben fie? 

Wirkſam frei will ich fie ſchauen, 

Sonft mag ich die Zukunft nie! — , 
2* 


500 


Leopold Jacoby. 


Sei berubigt, jüßes Leben, 

MWonn’ und Web bleibt flets vereint. 
Kuſſe wird es immer geben, 
Thränen werden auch geweint. 


Und die Mädchen und die Frauen 


. Schwingen fih empor und frei 


Wirkſam ſchaffen fie und bauen 
An dem neuen Weltgebäu! 


2. 
Fanny fragt: 


Aber wenn die Sonne aufgeht 


Sn der neuen, ſchönern Welt, 
Wie fie ausfchaut und ihr Lauf gebt, 
Das erzähl’ mir, Liebfter! Gelt? 


Leicht verfteh’ ich, froh erwart' ich 
Dort, wo nit mehr reih und arm, 
Wie dann aufhört taufendartig 
Elend, Sammer, Noth und Harm. 


Doch die Gleichheit ſchafft mir Grauen. 
Macht die Zukunft Alles gleich, 

Wird ihr Farbenbild nicht fchauen 
Trüb, einförmig, 50’ und bleich? 


Giebt es keine höchften Kronen, 
Wird das Maß auf Erden klein, 
Und daß Niebere wird thronen, 
Das Gemeine Herrjcher fein. — 


Fanny, deine Zufunftsfrage 
Spiegelt fih in Wald und Flur. 
Bon der Gleichheit Antwort fage 
Dir ein Bild aus der Natur! 


Biſt du über weite Haide 

Se gewandert, jüßes Kind, 
Wo mit ödem braunem leide 
Alle Pflanzen niedrig find ? 


Wo kein Rauſchen und fein Flüftern 
Dich umfängt mit Liebesgruß, 

Nur die ftarren Kräuter Iniftern 
Knirſchend unter deinem Fuß? 


Leopold Jacoby. 501 


Und dir tft als mußt bu weinen, 
Tobesihwermuth padt di an; 
Denn bes Niedern und Gemeinen 
Urbild bat bir’s angethan. | 


Solche Gleichheit ſchafft Das Heute, 
Es erniedert alle Höh’n, 
Unerbittli wird zur Beute 

Ihm, was herrlich, hoch und ſchön. 


Aber warb dir Kunde nimmer 
Bon der Palmenwälder Pracht, 
Deren Frucht und Blüthenjchimmer 
Selbft ben Forjcher ftaunen madt?. 


Deren Blätterfronen ſchweben 
Ueber ihm im Aetberzelt, 
Deren Wipfelhäupter leben 
Wie in einer andern Welt? 


Bon den Palmen, die ala Brüder 
Steben ſtolz und gleih und frei, 
Und ihr Rauſchen tönet nieber 
Eine Wundermelodei? 


Solche Gleichheit muß ein Morgen 
Bringen mit der Sonne Pradt; 
Vorwärts kämpfend laßt uns jorgen, 
Daß zu Ende geh’ die Nacht! 


Ale Menſchen find erhoben 
Und fie werben alle gleich 
Nicht nach unten, nein nad) oben 
Sn dem neuen Weltenreich. 


Gleich wie die lebend’ge Flamme 
Sprüht nad) oben nur empor, 
Aufwärts ftrebend an dem Stamme 
Prangt der Menſchheit Blüthenflor. 


er 
End ihr ſollt vorwärts dankbar fein. 


(Aus: Der deutſchen Sprade Lobgeſang.) 


J. der Erwachfene ſoll den Kindern dankbar ſein, 
Der Lehrer ſoll den Schülern dankbar ſein, 
Der Gegenwärtige jol ben Kommenden dankbar fein. 





502 Leopold Jacoby. 


Dur den Dank nad rüdwärts iſt bie Knechtſchaft gelommen, 
Dur den Dank nah vorwärts 

Müflen die Sklaven freie Menfeen werden 

Und muß alles Elend ein Enbe haben. 


Ihr follt nicht Märchen für Wahrheit halten, 
Denn wenn ihr das thuet, 

So morbet ihr euch ſelbſt 

Und mordet eure Sinber. 


Stehe auf, bu Sprache, und gebe borthin, 
Mo der Jammer wohnet, 

Wo das Elend zu Tiſche ſitzt, 

Und der Hunger in den Eingeweiben wäühlet. 
Men bu dort finden wirft, 

Mache feinen zerſchlagenen Arm ſtark 

Und feinen ftumpfen Blid belle. 

Laß nit ab von ihm 

Wenn er fih binlegt vom Elend 

Und wenn er aufſteht zum Elend. 

Trommle, zifple, raune ihm zu: 

Du folft dich nicht treten laſſen, 

Du ſollſt dich nicht unterbrüden laſſen, 

Du folft dich nicht ausfaugen laflen, 

Du ſollſt den Sklavenfinn von bir thun, 
Du ſollſt die Knechtſeligkeit von bir thun, 

Du folft dich nicht bilden vor einem Tebnbigen Menſchen, 
Denn er iſt nicht mehr als bu. 


Wirt du dies befolgen, 

So wird das Elend abfallen von bir, 
Wie ein Reif von der Erde ſchwindet, 
Wenn das Frühlicht kommt 

Und die Sonne am Himmel pranget. 


Denn weil du di treten läßt, 
Darum beuleit bu. 

Weil du Au unterbrüden läßt, 
Darum bift du elend, 

Und weil bu dich ausfaugen läßt, 
Darum mußt du Hunger leiden. 


Wer aber feinen Nebenmenſchen zwingt, 
Mehr zu arbeiten, ala er felber arbeitet, 
Der unterbrüdt feinen Bruder, 

Der tritt auf ihn 

Und der faugt ihn aus. 








Leopold Jacoby. 503 


Und du Epracdhe, 
Nimm eine Leuchte in beine Hand 
Und gehe dortbin, wo es finfter ift, 
Wo es ganz finfter iſt, 
Und ſtrecke die Leuchte über die dort ſchlummern 
Und nichts wiſſen von ſich, 
Bis ihre Wimpern zucken 
Und fie ſich hin und wieder wälzen. 
Und rufe laut, daß es halle 
Bon Hügel zu Hügel, 
Bon Thal zu Thal: 
Wacht auf! Wacht auf! 
Ihr babt zweitaufend Jahre geihlafen, 
Das tft lange genug. Wacht auf! Seht, 
Es will liter Morgen werden! 


Und es hören es die Hügel, 

Und es hören es die Thäler, 

Und es bören es bie Ufer des Meeres alle, 

Und die Wellen am Ufer hören es, 

Und beginnen es gegen einander zu ſchlagen. 

Und die Tiefen des Meeres hören es, 

Und fleigen mit Freuden empor, 

Und die legten Wellen hören es 

Und jchlagen es an die Felſen mit Jubel. 

Da dbröhnt das Lanb. 

Ein neues Licht durchzuckt alle Menjchen, 
Aufjauchzen die Nationen der Erbe, 

Denn ber Fluch ift von ihnen genommen, 

Und den Blinden find die Augen aufgetban, 

Und wollen als freie Menſchen auf Erben wohnen, 
Und ein Blutbad unter ihnen wirb nicht mehr jein. 


Sr 
—— Aus: Klage. —— 


Wer nicht arbeitet, ber fol nicht Leben! 
Der Geift, der "Heut herrſcht, ift eine Schmach den Menſchen 
Und eine tiefe Schande den Völkern! 
Sein Gift frißt um ſich wie der Krebs. 
Aber aus allen Eden pfeift der Betrug heraus. 
Wenn ber Arbeitsmann vorbei gebt, 
Er weiß nit warum, aber er ballt die Hand zur Faufl. 
Auf feinen Aedern da geht der Bauer 
Und ftöhnet hinter dem Pfluge ber. 
Es tft nicht Die Arbeit, die ihn ftöhnen macht, 
Tenn fie war jonft feine Luft geweſen. 








504 Leopold Jacoby. 


Aber die Halme, bie er mähen wird, 

Sie find nicht mehr jein, 

Und fein Haus, darinnen jeine Eltern gewohnt, 
Er wird es balb verlaflen, 

Frage doch die Vögel unter dem Himmel, 

Die werden dir's Jagen. 


Und haben fi öffentliche Blätter gemacht, 
Die ſprechen von Allem, was nicht iſt 

Und was nicht geweien if. 

Aber was gerecht iſt, das reden ſie nicht, 
Und was noth thut, das fagen fie nicht. 
Nah Gewicht fieht da das Talent zu Kauf, 
Und talentvoll und gewifienlos 

Iſt bei ihnen einunbdafjelbe geworben, 
Darum find fie mit Grund gering geachtet. 
Sie vernichten das Denken, 

Das höchſte Gut des Menfchen, 

Und fie machen fiumpflinnig anftatt zu belehren. 
Und rühmen ſich defien mit Heuchellügen 
Und nennen ihr Geldgeichäft 

Eine Geifteswohlthat für das Volk. 

Sie haben einen feinen Teppich über ben Sumpf gebreitet 
Und fehen wohl zu, daß nichts burcchbringe. 

Das Schlagwort iſt ihre Angriffswaffe, 

Und die Phraſen find ihr tägliches Brot. 

Die Phraſe aber ift der Betrug mit Worten, 

Und das Schlagwörterthum 

Der Mißbrauch gerechter Worte. 


ER 








— — Eduard Rieger. — — 





8 Neichtrathäabgeorbneter Eduard Rieg er ſtellte uns nachſtehende Daten zur 
3 wurde am 15. November 1865 in Görkau in Böhmen, einem kleinen Stadt ⸗ 

Gen am Fuße des Erzgebirges, als Sohn einer armen Meberfamilie geboren. Meine 
Eltern verlor ih als fr taum ſechs Jahre alt war. Nad dem Tode meiner Eltern wurbe 
16) zu meinen Verwandten nad) Ober-Rragau (Rorbböhmen) gebracht, bei benen id) dann 
auferzogen wurde. Ich befuchte in Krakau bie fünfflaffige volksſchule und einen Jahr, 
gang der Bürgerfcule. 14 Zafre alt geworben wurde id) aus der Schule entlaffen und 
mußte nun baran benten, durch eigene Arbeit mein Brot zu verbienen. Ich fam zu 
meinem Ontel — einem Heinen Tuhmadermeifter — in bie Lehre und erlernte das Sud 
magjergewerbe. Im Jahre 1883 bereifte ich ala Hanbmwerköburf—he Deuticjland : die Städte 
Münden, Augsburg, Stuttgart, Heidelberg, Darmftabt, Köln, Elberfeld-Barmen, Halle, 
Leipzig und Dresben bezeichnen den Weg, den ich gegangen. Dem Sozialismus men! re 
5 mid, früßgeitig zu. Meine öfentiige :Thätigteit für bie Sozialdemokratie begann 

Jahre 1885, indem ic in norbböhmifchen Arbeitervereinen Vorträge hielt und in Torkde 
verfammlungen al3 Rebner auftrat. Im Winter von 1889 auf 1890 wurde mir bie 
Redaktion des neugegründeten Parteiblattes „Freigeift“ in Reichenberg übertragen. Im 
Sommer 1891 überfiebelte ich von Reichenberg nad) Brünn, dem „öfter. Mandjefter” und 
übernahm bie Redaktion der beiden Parteiblätter „Voltöfreund“ und „Arbeiterftimme". Im 
Jahre 1892 wurde id} in bie Parteivertretung ber öfter. Sosiafbemotratie gemählt, ber 
id) 618 zum heutigen Tage angehöre. Am 9. März 1997 erfolgte meine Wahl in das 
öfter. Parlament als Vertreter bes inbuftriellen Norbmährene. Am 26. November 1897 
wurde id) mit meinen ſozialdem. Fraktiongenoffen mittelft Polizeigemalt aus dem Saale 
ber Bolfvertretung entfernt, weil mir als Antwort, auf den verbrecherifchen Anfclag 
gegen die Rechte und Freiheiten des Parlaments — bie berüdtigte lex Falkenhayn — 
das mit biefem Verbrechen einverftanbene Präfibtum” geftürmt hatten. — Meine erften 
Gedichte erſchienen in den leyten 80er Jahren in ber „Reuen Melt", fonft find folde im 
Drud erſchienen in öfter. Arbeitertalenbern, Parteiblättern und fonftigen Paxteizeitfchriften. 
— Roth und Entbehrungen ber mannigfaltigften Art lernte ih ſchon in meiner früheften 

Kindheit Tennen und ich Tann von mir fagen: Meine treueften Begleiter bis auf ben 
heutigen Tag waren bie ſchmerzlichſten Sitlerniffe dieſes Lebens. 


u ———— 





PENIS PIE 


gG»erꝛage nichtt — 


Werynge nicht in bangen, trüben Tagen, 

Wenn dich bebrüdt der Erde hartes Leid, 
Sprich feflen Muth’s: Noch einmal will ich's wagen, 
Noch einmal trogen aller Unglüdszeit ;: 

Noch einmal ftolz im Weltgetriebe ftehen, 
Das mid umbrauft jo wild, jo freudenleer, 
Und fühn ber Noth ins free Antlig jehen, 
Dem Schidjal trogen wie ein Fels im Meer. 











Verzage nicht, wenn Wollen auch fi thürmen 
Und kummervoll die Zukunft vor dir liegt; 
Wenn hoch des Lebens Wogen dich umflürmen, 
Dann zittre niht — das Wahre, Rechte fiegt, 
Und alle Wolfen nah dem Sturm fi theilen 
Die Sonne wieber freundlich lächelnd jcheint, 
Und all die ſchweren Wunden wieder beilen, 
Die Thränen trodnen, die bu ftill geweint 


Berzage nicht, wenn Menſchen di verhöhnen, 
Weil du das Gute, Befte haft gewollt, 

Und bu dich bingezogen fühlit zum Schönen; 
Menn dir bie finftre Macht des Schidjals grollt 
Und. dir verbittert biefes Erdenleben 

Und tiefes Web und Leib bein Herz durchdringt, 
Dann ſuche Troft in edlem, hohen Streben, 

In deinem Seal, das bich beichwingt. 


Berzage nicht, lern’ Schweres überwinden, 

Scäließ’ immer frohe Hoffnung in dir ein, 

Laß Selbftvertrau’n und Liebe fih verbinden, 

Und du erblühft in neuem, friſchen Sein. 

D weine nicht, es kommen ſchön're Stunden, 

Nah Schmerz und Leid kommt wieder Freud und Glück, 
Und jene Rube, die dir lang entihwunden, 

Kehrt fill und grüßend dir ins Herz zurück. 


— 





508 Eduard Rieger. 


Gruß ans dem Kerker an den Arbeiterfeiertag.”) 


er Morgen nabt — die näht’gen Schatten weichen, 
Im Dften fteigt der junge Tag herauf , 

Und pflanzt ſein Morgenroth als Stegeszeihen. 

Schon fängt die Sonne an ben Himmelslauf 

In ihrem Bogen jebt, dem golbigreichen 

Und wedt die Menſchen alle koſend auf, 

Daß bald mit majeftät’ichen Adlerſchwingen 

Zum Firmament die Freiheitslieder dringen. 


Auch ich Ipring auf von harter Lagerfielle, 
Denn draußen fluthet gold'ner Sonnenſchein 
Und dur das Syenfler meiner Kerferzelle 

Lacht mir ein Stüdchen Himmel blau und rein; 
Es Iadet mild der Sonne Strahlenwelle 

Auch mi zum frohem Feite heute ein, 

Und mic ergreift ein unbeichreiblih Sehnen, 
Im Arm ber Freiheit freudig mich zu bebnen. 


Laßt mi hinaus, will auf die Berge eilen, 

Wo alles jubelt zu dem hohen Feft! 

Laßt mich hinaus, will unter Menfchen weilen, 
Wo alles Luft und Freude tönen läßt! 

Laßt mich hinaus, laßt mich den Jubel theilen, 
D if die Thür, das Gtiter denn jo feit?! 

D bört ihr nicht in dieſen Kerkerhallen 
Berzweiflungsvoll den Ruf nad Freiheit ſchallen?! 


Set ftill mein pochend Herz, gieb auf bein Mühen, 
Denn Thür und Gitter bleiben unverrüdt, 

Du darfft nicht ſeh'n die Morgenröthe glüben, 
Die alle Hügel heute purpurn ſchmückt, 

Du darfft nicht fort in weite Fluren ziehen, 

Wo Blumenpradt heut’ Aug’ und Herz entzückt, 
Sa tröfte bi, mein Herz, entlaß dein Bangen, 

Es tft umfonft, — du bift und bleibft gefangen. 


Sagt, warum habt das Urtheil ihr geiprochen, 

Das mich in düft’re Kerferbanden jchlug ? 

So hab ih denn jo Uebles wohl verbroden, 

Weil offen ich bekämpft ber Dogmen Trug? . 

Weil ih im Horn ein hartes Wort geiprochen, 

Das doch der Wahrheit Stempel an fih trug! 

Ich weiß es wohl — ihr könnt mir Freiheit nehmen, 
Doh meinen Sinn für Wahrheit nimmer lähmen. 


*) Während ber erften Maifeter —1890— verbüßte ich in Reichenberg wegen bes Vergehen ber 
Religionsftörung, begangen durch eine Verſammlungsrede, eine 14tägige Arreſtſtrafe. Die unfreimillige 
Dufe benügte ih zum Schreiben obiger Verſe. 





Eduard Rieger. 


- Set mir gegrüßt, du holder Frahlingebote, 
Ich grüße dich, du warmer Sonnenftrahl! 
Auf deinem goldnen Aetherwellenbote 
Kommſt du zu mir, zu lindern Kerkerqual, 
Und ſag'ſt, daß die Natur, die wintertodte, 
Schon längſt erwacht und "grünen Berg und Thal; 
Wie du ben Winter in die Flucht gejchlagen 
Und neuen Schmud friſch Flur und Wälder tragen. 


Ss gebt ein lautes, weit vernehmbar Rauſchen 
Bon Land zu Land mit übermächt'gem Drang, 
Und abnungsvoll die freien Geiſter lauſchen, 
Denn aus der Ferne rollt’s wie Donnerjang, 
Die Sklaven hoffnungsvolle Blide taujchen, 
Drang doch zu ihnen au der Wunderklang, 
Die habe Freiheit, Gleichheit ihnen kündend, 
Die Menſchen al zu Brüdern dann verbinden. 


Das ift der Frühlingsftuem im Völkerleben, 
Man feiert heute ſchon den Dftertag, 

Er bat die Kraft, gefunfnen Muth zu heben, 
Leiht allen freien Herzen raſch'ren Schlag, 

Er macht den Geiiteswinter tief erbeben 

Unb wedt, was noch in langem Schlummer lag, 
Drum fiimm’ auch ich im Kerker meme Xeier 
Und grüß’ mit meinem Lied des Tages Feier! 


* 


—— Srotz alledem! —= 


ie Banner wehn! — Zum feften Bund gefchloflen 
Stehn unerfchutterli der Freiheit Reih'n. 
Schwer ift der Kampf, doch muıbhig, unverdroffen 
Kämpft fort der Arbeit Schaar um befl’res Sein. 
Schon Schlagen mit den geiftigen Geſchoſſen 
Wir in der Feinde Feſtung Breiche ein; 
Mag fih der Gegner auch verzweifelnd wehren, 
Es muß der Sieg, die Zukunft uns gehören. 


Nur nit gewankt, geachtet nicht der Mühen, 
Wenn au jo mander wad’re Kämpfer fält! 
Des Menichengeiites Blige feurig jprüben, 

Die taufendjährige Nacht wird rings erhellt. 
Milionen Herzen fohlagen heiß und glüben 
Begeifternd für den Tag der neuen Welt, 

Und wenn fih Lit und Wärme eng verbinden, 
Muß auch das Eis des Völkerjoches ſchwinden. 








509 


Eduard Rieger. 





Nur mit bes Geiftes reinen hehren Waffen 

Sei ftolz der Kampf geführt für Licht und Ned. 
Wir wollen raftlos thätig jein und jchaffen 

Set mehr und mehr ein denlendes Gefchlecht, 
Und unf’re ganze Kraft zufammenraffen, 

Damit es falle bald, was falſch und ſchlecht; 
Daß die zum Jammerthal gemachte Erbe 

Bum Himmel für die ganze Menſchheit werbe. 


Es hält der Gegner ſtark Entgegenftemmen 

Die Freiheit nimmer auf im Stegeslauf. 

Das Rad der Zeit kann man im Schwunge hemmen, 
Doch keine Macht hält es für ewig auf. 

Soll der gejäwellte Strom nicht überſchwemmen, 

Dann führt man Dämme an ben Ufern auf, 

Doh wenn fie ihm zum Hinderniß gereichen, 

Muß bald der Damm der Macht bes Stromes weiden. 


Den Funken „Freibeit" ganz erflidt zu haben, 
Vermeinte ſchon jo mandesmal ein Thor; 
Man glaubte oft die Wahrheit tief begraben, 
Wild jubelte der Finfterlinge Chor 

Doch plöglic, unerwartet und. erhaben, 

Stieg fie zu neuem, hehrem Glanz empor, 
Zerbrechend dann die alten morſchen Schranken, 
Die man gejegt dem forſchenden Gedanken. 


Es Tann der Geiſt ih nur am Geiſt entzünden, 
In der Gedanten leicht bewegtem Spiel. 

Das Unerforihlide will er ergründen, 

Ihn halten Dogmen nicht, ihn jchredt Fein Biel; 
Den Spruch der Wahrheit will er laut verkünden, 
Trotz Kerker, Scheiterhaufen und Eril: 

Drum unverzagt bie Geiſtesſchlacht geſchlagen, 

Der Freiheit Morgen naht — bald wird er tagen! 


3 
Weihnachten im Stäbchen. 


Laub durch das Städtchen heult der MWinterfturm 
"Und treibt fein loſes Spiel jegt mit ben Floden, 

Indeß vom hohen, alten Kirchenthurm 

Zur Andacht laden feierlich die Gloden. 

Des Heilands Wiegenfeft, Weihnachten heute, 

Und fo bewegt denn bald ein bunter Strom 

Sn warme Tracht gehüllter, frommer Leute 

Sih langſam nah dem grauen, alten Dom. 





Eduard Rieger. 511 


Dort bei bem reichverzierten Kirchenthor 

Dort ſteht ein blondgelodter Bettellnabe 

Und hält bie Heinen flarren Hände vor 

Und bittet inniglih um eine Gabe. 

Umfonft — bie guten frommen Chriften geben 
An ihm vorbei und in den Dom heinein, 
Den Bettellnaben wollen fie nicht jehen 

Und nit geflört in ihrer Andacht jein. 


Da tritt er weinend bald den Heimweg an, 
Miſcht in des Windes Braufen laut fein Klagen: 
„Wenn ich nicht Holz und Efien kaufen Tann, 

Was wird die gute, kranke Mutter jagen?“ 

Do halt — des Schloſſes Thürme fieht er ragen, 
Er weiß es ja, dort iſt ein großer Wald 

Und dürres Holz genug, er will es wagen, 

Es ift im Stübchen ja jo bitter Kalt. 


Er nimmt den Weg zum Wald, bald ift er bort. 
„Es wird der Förfter heute fich nicht zeigen”, 

Sp benft er fill und fuchet fleißig fort - 

Nah abgebrochnen Reifern, bürren Zweigen. 

„Ein Bündel jet" — da jauchzt es auf im Knaben. 
„Run ift das Stübchen milde bald durhwärmt, 
Was wird die Mutter da für Freude haben, 

Die gute Mutter, bie fi jonft fo härmt.“ 


Doch plöglih belt ein Hund. Es birgt erfchredt 
Der Knabe fi ins Didicht halberfroren, 

Er weiß, wenn ihn der Förfter bier entdedt, 
Dann ift das ganze Bündel Holz verloren. 

Zu Spät, längſt ſahen ihn des Förfters Augen: 
„Ha, hab ich einen von den Leuten bier, 

Die nur zum Betteln und zum Stehlen taugen!?“ 
Und bringt bes Knaben Namen zu Papier. 


„seht gehe aus dem Walde gleich hinaus, 

Es ſoll bas Lumpenpad nur Holz fi kaufen, 
Du follteft beten heut im Gotteshaus 

Und nit on ftehlen in die Wälder laufen; 

Es barf das bürre Holz fih niemand holen, 
Kommft du noch einmal, mußt bu vor Gericht, 
Ich handle nur, wie es der Graf befohlen, 
Schau, dab du fortlommft, denn ich fchone nicht." 


Er gebt, der legten Hoffnung nun beraubt, 
Ermattet von den fchneeverwehten Wegen, 
Um bitter weinend jegt jein Kindeshaupt 
Sm feiner Mutter Hände treu zu legen. 


512 


Ehuard Rieger. 


Die Mutter aber ftreichelt ſeine Wangen, 

Es ruht jo ſchwer auf ihm ihr ann „od, 

Bu helfen, war er betteln heut gegan 

Was mußte er von Freud’ und Weibnadtsgindt 


„Sei bu nur ftil, mein Kind und tröfte® dich, 
Es wird bas Leiden deiner Mutter enden, 
Dann nahen bir auch ſchön're Tage ſich, 

Und alles Leid wirb fih zur Freude wenden. 
Mit and’ren Kindern wirft bu wieder fpielen, 
Sm frohen, beiteren Beifammeniein, 

Dann werben wir uns wieber glüdlich fühlen 
Und alle Noth wirb auch vergeflen fein.“ 


So tröftet die, die nah’ dem Falten Grab. — 

Ste fühlt den Tod, es kann fein Arzt fie beilen. 
Da beugt zum Knaben fie fich leiſ' herab, 

Um unter Thränen ihm noch mitzutbeilen: 

„Und wenn th di, mein Kind, einft muß verlafien, 
Foig nur der Mutter, was ſie zu dir ſpricht; 

Das Gute lieben und das Schlechte haſſen 

Sei ſiets bein Wahlſpruch, von dem laſſe nicht. 


Halt rein dein Herz! Nur auf der rauhen Bahn 
Des wahrhaft Schönen, Edlen darfft du ſchreiten, 
Wie es bein wadrer Vater ſtets gethan. 
Hab’ Mitleid du mit andrer Menſchen Leiden, 
Steh feit, droh'n dir im Meer bes Lebens Klippen.” — 
Da naht der Tobesengel jet geſchwind 
Und kaum vernehmbar hauchen noch die Lippen: 
„Leb wohl — mein gutes — - und mein — braves Rind!” 


Sie finkt zuruck und ſchließt bie Augen zu, 


Das Proletarierweib, das kühn geſtritten 

Im Lebensfampf; nun bat es endlich Ruh, 
Das müde Herz, nun hat es ausgelitten. 

Und was aus jenem Kinde wohl wird werden, 
Das weinend bei der todten Mutter ſteht? 
Wird es ihm gut und wohlergeh'n auf Erden? 
Ob es im Sturm des Lebens untergeht? 


Wer weiß es denn? Das Elend wirft und zieht 
Jetzt in der Menſchheit immer höh're Wellen, 
Da werben oft bie ſtärkſten Herzen müd, 

Mit Traum und Hoffnung müſſen fie serfchellen. 
Bei Hunger, Noth und Sorgen gut zu bleiben, 
Iſt nicht fo leicht, das Elend oft fi rächt, 
Wohl trogte Mancher ſchon dem wilden Treiben, 
Doch auch die Beten wurden falſch und ſchlecht. 


Eduard Nieger. 513 


Es ruht der Sturm und dur) bie reine Luft 
Tönt frieblih al’ der Weihnachtsgloden Klingen, 
Das alle Chriften jet zur Kirche ruft, 

Des Heilands Wiegenfeft mit zu befingen; 

Und feierlich erſchallen dort die Klänge 

Bon Nächſtenliebe und von Menihhenpflicht, 

Es lauſcht geipannt die jattgegefi'ne Menge, 
Was in der Kirche man;heut fingt und ſpricht. 


Sa, feiert heute nur mit Sang und Klang 

In Kirche und Palaft die Jubelfeier, 

Das Voll, das um das trod’ne Brod ftets rang, 
Es feiert nicht, ihm kam noch fein VBefreier! - 
Nicht eher wird auf Erden ew’ger Frieden, 

Eh’ nicht der Völker Elend ift gelöft, 

Wenn noch Millionen bitt’re Noth bejchteden, 

Iſt lange noch die Menfchheit nicht erlöft! 


* 
— — Am &ohntag. — 


och lärmen laut die eiſernen Maſchinen 
Und in den Sälen volle Thätigkeit 
Von vielen Menſchen, die hier Arbeitsbienen 
Des Feierabends Stunde iſt nicht weit, 
Die Allen, die in dieſen Räumen dienen, 
Nun bringen ſoll des Sonntags Ruhezeit. 
Wie gut, daß doch die Woche bald zu Ende 
Und raſten können tauſend fleiß'ge Hände! 


Da ſchlägt es ſechs und mit dem Glockenzeichen 
Wird in den Räumen es allmählig ſtill, 

Der Woche Lärmen muß der Ruhe weichen. 
Nun pfeift der Dampf auch, lang gezogen ſchrill, 
Und die Maſchinen, all die wechſelreichen, 

Sie ſteh'n mit ihren Rädern plötzlich ſtill, 

Die ungeheure Kräfte ſonſt verbrauchen. 

Jetzt hören auch die Schlote auf zu rauchen. 


Die Arbeit ruht — die Säle find verlaſſen 

Und unten drängen durch das einz’ge Thor . 

Sih Haftig Männer, Frauen, Kindermaflen. 

Kein Yubellaut berührt bier unjer Obr, 

Sie wandern ſchweigend auf den ftaub’gen Straßen, 
Nur bin und wieder fteigt ein Fluch empor. 

Kein flolzer Gang, fie Ichleppen nur und fchleichen, 
Die Augen glanzlos — ‚und die Wangen bleichen. 


33 


514 


Eduard Rieger, 


Ya, Flüche Steigen auf! Lohntag war heute 

Und wieder hat der Chef verkürzt den Lohn, 

Mas in die Hand ihm fpielte reiche Beute. 

Er that es wiederholt und häufig ſchon. 

Mas kümmert ihn die Noıh der armen Leute, 

Für ihre Klagen bat er Epott und Hohn 

Sind fie doch frei! Wem nicht gefällt fein Treiben, 
Der geh’; und wer fi fügt, nur der darf bleiben. 


Berfluchte Freiheit, in den dumpfen Sälen, 
Sich unabläjfig dürfen Tag für Tag 

Dom Morgen bis zum Abend abzuquälen! 
Verfluchte Freiheit — wer nicht will, der mag 


Sich an der Straße einen Graben wäh 'en 


Und bungernd enden feines Herzens Schlag. 
Er barf beftimmen, wo er will verberb,n 
Und Niemand hindert ihn an feinem Sterben. 


Der Zug hält an, die Proletarier ftehn 

Bor einem ftolzen mächtigen Lokal. 

Es wird beichlofien, da hinein zu geben, 

Hier will man ſprechen über Hungerqual. 

Nun wollen fordern fie und nicht mehr flehen. 
Bald ift gefüllt ber hohe aroße Eaal . 

Von Männern, rauen, Kindern ım Gedränge, 
Und athemlos laufcht die gıpreßte Menge. 


Ein alter ſchlichte Mann im Silberhaare - 

Und weißem Bart tritt jebt als Redner auf. 

Er blidt zurüd auf viele lange Jahre — 

Geftaltungsvoll ift feines Lebens Lauf. . 

Nun bettet man wohl auf der Todtehbahre | 
Ihn bald zum allerlegten Male auf. | 
Er ſpricht und ruhig ift die Nebemeife, 

Dann wieder jprüht’s wie Teuer aus dem Greiſe. 


Er ſchildert klar in wahrheitstreuen Farben 
Das Maflenelend und die Rieſennoth, 

Wie auf den Feldern taufende von Garben 
Und doch das ‚Bolt der Arbeit ohne Brot, 
Und wie auh Millionen Menſchen ftarben 
So elend ſchon den frühen Hungertod, 

Und wie die Reichen alle mit den Armen 
Noch niemals Dlitleid hatten und Erbarmen. 


Sein Auge glüht. Er ſpricht von neuen Seiten, 
Die fi erobern wird der Proletar, 

Und wie fi rüftet Ion auf allen Seiten 
Der aufgeklärten Bloufenmänner Schaar, 





Eduard Rieger. . 515 


Wie fie zum lebten Kampf ſich vorbereiten 
Mit Geifteswaften, ſchneidig, licht und Klar, 
Und wie die Mafjen wenden fih vom Wahne 
Und ſchwoͤren werben zu ber rothen Fahne. 


Die Menge bordt; ihr iſt ja tiefes Sehnen 

Mas diejer Greis in Feuermorten jagt — 

Und über viele Wangen rollen Thränen. 

Was jeder häufig ſchon ſich ſelbſt geklagt 

Und diefe Armen denken, hoffen, wähnen, 

Er ſprach es auch — er bat es Fühn gewagt. 

Es jubelt laut die Proletariermaffe, 

Da — Trommelwirbel hört man von ber Straße. 


Gensdarmen treten ein. Es wirb gerungen, 
Doch ift zu groß und ſtark die Uebermacht 
Und die Verjammelten find bald bezwungen, 
Gewaltſam werben fie binausgebracht, 

Die deshalb in den Saal nur eingedrungen, 
Um bier zu reden über Recht und Macht. 
Nun, der Geſetze Anſehn muß man retten 
Und fchließt den Greis in ſchwere Eiſenketten. 


Es werfen ſich zu kurzem Schlafe nieder, 

Die Proletarier müd und ſorgenſchwer. 
Verzweiflung beißen ihre Sälummerlieber 

Und ihre Herzen find von Hoffnung leer. 
Vergebens haben fie gerungen wieber, 

Vergebens einig fich geſetzt zur Mehr. 

O Schmach der Zeit! Wann enden folde Sorgen 
Und leuchtet Allen Lichter Freiheitsmorgen! 


FIPER 
—— ur ſtolz gefirebt! —= 


ur ſtolz geftrebt zum Edlen, Schönen, 
Nur ſtolz geftrebt, bu Menſchenkind, 
Wie ſich's geziemt der Menſchheit Söhnen, 
Die Kinder wahrer Freibeit find. -- 
Wie immer fih dein Schidjal wende 
Sn Leidenszeit, in Freud und Elüd, 
Dem Guten reihe jtets bie Hänbe, 
Zum Schönen richte ftets den Blid. 


Nur ftolz geftrebt trog aller Mühen, 
Die dir das Leben auferlegt, 

Fürs Edle laß dein Herz erglühen 
Und für die Freiheit unentwegt. 








83° 


516 Eduard Rieger. 


— — 





Ihr ſei mit Sinn und Herz ergeben, 
Für Freiheit opfere dein Blut. 
Dem Guten weibhe fiil dein Leben, 
Gerechtigkeit dein höchſtes But. 

’ 


Nur ftolz gefirebt, halt ohne Zagen 
Bu allen dem, was reiht und wahr, 
Halt nimmer dich an alte Sagen 

Und zu der Dunfelmänner Schaar 

O reiß’ dich [os vom Thorenmwahne, 
Der freiem Denken Feſſeln ſchlug, 
Kämpf unter Willens goldner Fahne, 
Lieb’ nur, was wahr, haſſ' allen Trug. 


Und wenn bi Menſchen ftolz au nennen, 

Meil fie dein Streben nicht verftehn, - 

Und wenn dich Freunde felbit verfennen ‘ 
Und achjelzudend von dir gehn: 
Dein Herz darf dennoch nicht erbeben 

Trotz aller Lebenseinfamleit, 

Denn nur in reinem, eblem Streben 

Liegt Tugend und Glüdfjeligfeit. 


b, 22 
Ein Frühlingstraum. 


lar lächelte der Frühlingshimmel nieder. 
Hoch von den Bergen rann der Schnee zu Thal, 
Laut trillerte die Lerche ihre Lieder 
Und freute fih im goldnen Sonnenftrabl; 
Beftegt war ja des Winters eif’ges Wehen, 
Hinaus ins Freie Krömte Jung und Alt 
Und in den nahen, frifchbelaubten Wald; 
Jetzt durch die Fluren trieb's auch mich zu gehen. 


Wie hätt’ ich mit ber Lerche gern gefungen, 
Als ich gewandelt durch die Frühlingspracht, 
Wie gern wär ich mit Kindern froh gejprungen, 
Hält’ in die Zuft, wie fie, gejauchzt, gelacht; 
AG, al die Blumen hätt’ ih mögen grüßen, 
Hätt’ gerne mich der Frühlingszeit gefreut, 

Wo Alles fi zu friſchem Sein erneut, 

Und fchwelgen wollen in dem Duft der Wiefen. 


Doch ih blieb ftumm bei all der Freudenfülle, 
Denn das bebrängte Herz fand feine Ruh’, 
Und raſchern Schrittes ging ich jetzt fo ftille 
Dem dufr’gen, liederreichen Walde zu: 


Eduard Rieger. 517 





Hier, unter feinen herrlich Schönen Bäumen, 
Da wollte ſuchen ih Glüdfeligkeit, 

Vergeſſen bier den hoben Ernft ber Zeit 

Und nur von fchönren, befiren Tagen träumen. 


Wie ich da unter Tannen ſtumm gejeflen 
Und ſtill gelaufcht dem zarten Vogelſang, 

Da hatte bald ich alles Leid vergeflen 

Und allen Kummer, der die Bruft durchdrang. 
Bald leiſer, leiler war des Vögleins Singen, 
Mie aus der Ferne nur klang mir fein Lied, 
Ich ſchloß die Augen, fühlte mich fo müd’, 
Und Holder Träume Bilder mi umfingen. 


Kings war es Nacht und alle Wejen fchliefen, 

Ich fand auf einem Hügel ganz allein, 

Es grüßte mih aus Hetbers dunklen Tiefen 

So freundli Abendfternes goldner Schein 

Da faßte tief im Innern mich ein Sehnen, 

Ich wollte von dem Erbdplaneten flieh’n 

Und durch ben Weltraum fort zu Venus zieh’n, 
Mid. ungeftört dort freun am wahrhaft Schönen. 


Dort in den weiten, unermeſſnen Fernen, 

Wo goldig funkelnd Stern an Stern fich reiht, 
Dort wollte eine Welt ich kennen lernen, 

Mo Liebe berriht und wo Gerechtigkeit. 

Da wurde mir, als hätt’ ich Adlerflügel 

Ich folgte raſch des Herzens heißem Drang, 
Und immer höher, wie ein Vogel ſchwang 
Ich mich zur Venus auf vom Erbenhügel. 


Wie ih da aus des Weltraums Riefenweiten, 
Dur die mein Schwingenpaar mich fiher trug, 
Mich langſam ließ zur Venus niedergleiten, 

Als wie ermübet von dem langen Flug; 

Wie aus den Höhen ich da niederjchwebte, 

Da fah ich eine Welt, der Erbe gleich, 

An Bergen, Thälern und an Menſchen reich 
Und menjhenähnlih war auch, was ba lebte. 


Hier fand ih Dörfer, Städte, ganze Staaten, 
Sah Strom und Straßen ihre Bahnen zieh'n 
Und grüne Wälder, wohlbeitellte Saaten, 

Der Arbeit Segen jah ih reihlih blüh’n; 

Vol Schönheit waren al die Menſchenweſen, 
Ich fand die Sorge, fand den Kummer nit, 
Nur ftile Heiterkeit an dem Geſicht, 

Und Glück und Freude nur fonnt ih flets lefen. 


518 





Eduard Rieger. 


Wohin ich überall den Blick ließ fireifen, 

Ich fand das Gute nur und ſtets das Recht; 
Der Freiheit Früchte ſah ich herrlich reifen, 

Ich fand den Herren nicht, auch nicht ben Knecht. 
Hier ſah ich es fi wunderbar entfalten, 

Der Gleichheit ſtolzes herrlichſtes Panier, 

Der Wahrheit Ruhmestempel fand ich bier 

Und fah Vernunft und Liebe glüädlih walten. 


Tas freie Wiſſen lehrten alle Echulen, 

Befreit von jeder Feſſel war die Kunſt, 

Sie brauchte nicht, die Göttliche, zu buhlen 
Nah ſchnödem Mammon und um Siteftengunfl. 
Es einte Alle nur das ernfle Streben / 

Nah einem hohen Ziele Licht und Kar: 
Womöglich gut zu fein und recht und wahr 
Und himmliſch zu geftalten dieſes Leben. 


Ich war erftaunt, ein Paradies zu finden, 

Wie ich als Kind es ſchöner nie geträumt. 

Da ward es Nacht, ich jah die Sonne ſchwinden, 
Der Berge Spiten glühten rothumſäumt; 

Die Abendglödlein Fangen aus der Ferne 

So lieb und traut, ale wie auf Erben bier, 

Und majeftätife zeigten fi jest mir 

Des Benushimmels goldne, prächt' ge Sterne. 


Ich blidte finnend auf zur Himmelshalle, 
Empor zu jenen feierlichen Höh'n. 
Da war ein Stern, an Pracht bie andern alle 


Weit übertreffend, frieblic, behr und jchön. 


Nah feinem Namen wollt’ ich fragen geben. 
Da plögli faßte weich mich bei der Hand 
Ein wundervolles Weib in Prachtgewand. 

Mit blondgelocdtem Haar und bieß mich ftehen. 


„Wie jener Stern dort heißet wilft bu fragen?" — 


So hub das Götterweib zu ſprechen an, 

„Run denn, fo ftehe fill, ich will dir's jagen: 
Die Welt dort in bem Aetherozean, 

Die flammend brennt, damit es lichter werbe 
Am dunklen, weiten Venusfirmament, 

Die man bie Bterbe unfrer Nächte nennt, 

Iſt, Frembling, — deine Heimath, ift die Erde!“ 


„„Wie““ — rief ih aus mit jchmerzlicher Geberbe, 
„„Was berrlih bort am Horizonte fteht, 

Wär’ meine Heimath, wär’ biejelbe Erbe, 

Wo die Gewalt und Macht vor Recht noch geht. 





Ebuard Rieger. 519 





Dort, wo bie Völker ſchwere Bürben tragen, 
Wo man die Beiten wirft in Kerlernadt, 

Und wo man es verftanden hat, mit Macht 
Dem Menſchengeiſte Feſſeln jelbft zu ſchlagen!““ 


- „Dort, wo die Guten noch vergeblich ringen 
Um befi’res Sein, um wahres Vienichenthum, - 
Wo no ber Lüge fede Worte klingen, 

Zu läftern hoher Wahrheit Heiligthum, 

Wo fih das Hohle und die Phrafe brüften, 
Man bart verfolgt ber Wahrheit heilig Wort, 
Und wo zum großen, blut’gen Maſſenmord 
Sn wilder Haft die Völker müſſen rüften!”" 


„„Wo der verachtet, ber fein ganzes Leben 

Für feines Dolls Recht und Freiheit giebt, 

Weil jede Knechtihaft ihn macht zornerbeben 

Und er fein Volf und er die Freiheit liebt. 

Wo die geehrt, die fih mit Golde prablen, | 
Wo man bag Recht bes Schwächern noch verhößnt, 
Und man das Edle, Schöne jelbft verpönt, 

Wie Tann ein joldder Stern jo friedlich firahlen ?!“" 


„Und glanbft bu, daß die Erde Schuld da trage, 
Wird dadurd trüb ihr fonnenreiher Strahl? . 
"Wer hat geſchaffen denn der Menichheit Plage, 
Die Erd’ gemacht zu einem SJammerthal? 

Lacht dort der Himmel nicht in blauer Farbe, 
Hat fie nicht alle Reize der Natur? 

Und grünen liebli dort nicht Wald und Flur, 
Birgt Brot für alle nicht des Feldes Garbe?“ 


„Rein, nein, mein Freund, ein Paradies zu nennen 
Sft wohl mit Recht die kleine Erdenwelt. 

Hemmt man auch dort bes Geiltesflamme Brennen, 
Weil fe den Dunfelmännern nit gefällt — 
Es muß die Nacht dem Licht einft unterliegen, 
Vergebens ruft dem $-itrad man: Halt! 

Es muß aud weichen endlich die Gewalt, 

Daß Recht und Wahrheit auch auf Erden ſiegen.“ 


„Es wäbhrte auf dem Venus auch einft lange, 
Ch’ Lieb und wahre Freiheit berrichten bier, 
Wohl fragte manches Herz auch damals bange: 
Db denn für immer Unredt triumpbhier’? 

Da loderten des freien Geiftes Flammen, 
Wohl fiel im Kampfe mander wadre Mann, 
Doch übrig blieb Fein einziger Tyrann, 

Und alle Knechtſchaft ftürzte nun zuſammen.“ 


520 


Eduard Rieger. | 


„Mag immer man. den Armen au verhöhnen 
Und mäglichſt lähmen feine befte Kraft, 

Mag man verladen auch ben Geift bes Echönen, 
Der alles Edle, wahrhaft Große fchafft: 

Es dürfen nur auf Erden nicht verjagen - 

Die Guten all und kämpfen fort mit Muth 

Für alles das, mas edel, recht und gut, 

Und herrlich wich ein Freiheitsmorgen tagen.” 


„Dann werden jene Bande endlich brechen, 
Die man ber Arbeit ſchlug jahrtaufendlang. 


Frei wird ber Mund der Wahrheit dürfen ſprechen 


Und tönen laut der Freiheit Hochgeſang. 

Es wird die Kunft in freien Tempeln wohnen, 
Und allen wird;das Wiſſen dann zu theil, 
Dann iſt um Gold nicht mehr die Ehre feil, 
Und wahre Liebe wird auf Erben thronen.“ 


„An Hafles Stelle wirb der Frieden treten, 
Verbrüdert werben dann die Völker fein, 
Und allen Menſchen auf dem Erdplaneten 
Wird ftrahlen dann des Glüdes Himmel rein. 
Drum zage nicht, mein Freund, in ſchwachen Stunden, 
Nur friſch nad vorwärts richte deinen Blid, 

Kämpf’ fort für Freiheit, Recht und Menfchenglüd — 
Raſch war das Weib im Dunkel jetzt ——i 


Auch ich erwachte nun. Vor meiner Seele 
Stand lange noch der ſchöne Frühlingstraum. 
Verſtummt war Vögleins frohe Sängerkehle, 
Nur leiſ' ſprach Zephir mit dem Tannenbaum, 
Es wurde dunkel in des Waldes Mitte, 

Beendet längft war ja der Sonne Lauf, 

Im Oſten ftieg das Sternenheer herauf, 

Und heimmärts wandte ſchnell ich meine Schritte. 


aller 
Nach der Schlacht T—— 


chon fängt der Tag an ſich zu neigen, 
Und lautlos ſteigt herauf die Nacht, 
Und Stern um Stern beginnt zu zeigen 
Am Himmel ſich in goldner Pracht. 
Jetzt die Kanonen alle ſchweigen, 
Geſchlagen iſt die blut'ge Schlacht; 
Es ruht das Schwert — die frohe Siegeskunde 
Verbreiten laut die Glocken in der Runde. 








Eduard Rieger. 521 





Und majeltätifch kommt geitiegen 

Empor der Mond am Himmelszelt, - 

Mo ein’ge Wölkchen Leicht ſich wiegen 

Hoch über'm weiten Tobtenfeld; 

Dort friedlich jegt beifammen liegen, 

Die gegenüber man geftellt; 

Heiß war der Tag, und Taufende von Leichen 
Beftrablt der Mond mit feinem Licht, bem bfeichen. 


Hier ſchwer getroffen liegt darnieder 

Der armen Wittwe einz’ger Sohn, 

Und feiner Bruft fih bin und wieder 

Entringt ein dumpfer Schmerzenston, 

Ein Beben geht durch feine Glieder, 

Schon naht der Tod mit bitterm Hohn. 

Raſch tragen ihn in heimathliche Hügel, 

Ins Dürfen jet der Seele leichte Flügel. — 


„O bringt, ihr lieben, goldnen Sterne, 

Dem Mütterhen ben letzten Gruß 

Bon ihrem Sohn, der in ber Ferne 

Auf ödem Feld verbluten muß, 

Und fagt, ich fühlte noch fo gerne 

Der guten Mutter Abſchiedskuß; 

Grüßt freundlich mir mit eurem Goldesſchimmer 
Mein theures Liebchen, eh ich ſcheid' auf immer!“ 


„Könnt ich die Heimath nochmals ſchauen, 

Wo ich die Jugend froh verbracht, 

Wo auf den grünen Bergesauen 

Ich heiter in die Welt gelacht 

Und bei der Yugendpläne Bauen 

An Feine Sorge ich gedacht! 

Doch werd’ ih Dörtchen dich nicht wieberjehen, 
Und 's Herz der Mutter wird vor Gram vergeben. 


Er jentt das Haupt. — Es iſt verflungen 
Das Saitenjpiel in feiner Bruft, " 

Sein tapfres Herz hat ausgerungen 

Und träumt nicht mehr von Freud’ und Luft, 
Raſch hat der Tod es nun bezwungen, 

Das junge Leben in der Bruft 

Und breitet feinen ewig ernften Frieden 
Verklärend über ihn, der nun verjchieben. 


Den dur) des Lebens wilde MWogen, 

Du, Mütterhen, einft haft geführt 

Und zu dem Süngling auferzogen, . 
Den Edelfinn und Tugend ziert. 





522 


Eduard Rieger. 


Dich hat ein Spiel um ihn betrogen, 

Das wilden Völkerhaß uur ſchürt — 

Er folte dich im Alter nnterflügen, 

Mer wirb vorm Bettelgange dich nun ſchuten. 


Verkauft iſt bald die letzte Habe 


Kein Brod im Haus, fein einzig Laib, 

So greift e8 denn zum Wanderftabe, 

Das alte Proletarierweib, 

Sich zu erbitten eine Gabe, 

Bedeckt mit Fetzen ift jein Leib. 

Da, um’s Geſetz auch firenge durchzuführen, 
Eilt man, die Bettlerin — zu arretiren. 


x 
>58 Kur dir, o Ereibeit! S- 
Dein ift meint Herz mit feinem ernften Streben,. 
Nur bir, o goldne Freiheit, dir allein 


Gehört es an mit feinem ganzen Sein 
Und nimmer wird’s im Kampf für dich einſt beben! 


Nur dir, o Göttliche, weiht es ein Leben 

Und weiht es feine Liebe, ftarf und rein, 

Und fchließt es Harm und bittres Leid auch ein — 
Mer könnte beſſ'ren Troſt ale bu ihm geben? 


Und wenn fie es verfolgen und verpönen, 


Weil nur der Freiheit gilt fein ganzes Glühn, 


Die Feigen es verlahen und verhöhnen: 
Dir, Holbe, bleibt es treu tro Spott und Müh’n, 


Bis einft verfündet wird der Sieg bes Schönen | 
Und feine Geiftesfunten ringsum ſpruh'n! 


2 











— Ferdinand Bernt, —“ 


Ferdinand Bernt wurde 1876 als der Sohn eines Wirthes in einem kleinen 
bohmiſchen Dorfe geboren. Da feine Eltern keine fefte Heimſtätte Hatten, konnte er früh: 
zeitig die Leiden und Freuden des Wanderlebens genteßen, und dieſes wechſelvolle Leben 
Hat vie dazu beigetragen, feine jugendliche Phantafir zu erweitern und zu bereidjern. 
Ex erlernte in Romotau das Hoizbildhauergewerbe; trat jedoch im Jahre 1894 in das 
dortige Pädagoglum ein, das er, eingetretener pefuntärer Schmierigleiten halber, 1896 
wieder verließ, um ſich von neuer feinem früheren Berufe zu widmen. Als Golzbild- 
Hauer arbeitete Bernt in Innsbruck, kam fpäter nach Wien, das er nad; kurzem Aufent- 
Halt wieder verließ. Später reiſte er Über Bayreuth, Nürnberg nad; Münden, mit ber 
feften Abſicht, ſich für längere Zeit in der Schweiz nieberzulaffen. „Diefes Unternehmen 
jchlug ihm fehl Auf feinen Reifen und in ber Werkſtatt ftand er in fteter Berührung 
mit den fogiafiftifch organifirten Arbeitern, und trat fpäter journaliftifc) und redneriſch 
für die Arbeiterbewegung ein. In Ieter Zeit 309 Bernt fid von der agitatoriſchen 
Thätigleit zurüd, und mirkt gegenmärtig al Hilfälehrer für Volksſchulen in Böhmen. 
Ein Theil feiner Dichtungen ift in einem Bändchen unter bem Titel „Moderne Stimmungss 


bildchen! erſchienen. 





. 











>>% Bie Autoritäten. F 


Ms, nicht bierher, dort nehmet Platz! 
ꝰHier iſt der Herrſchaftstiſch 

Der Sitz der vier weltweiſen, 

Hochlöblichen Gemeindehäupter, 

Der vier Drbnungsftügen, 

Fundamentalpfeiler beftehender Staatsmadt. — 

Auf ihre kahlen, ſchwitzenden Häupter 

Schaut Priamos und lächelt wehmüthig. 

Hätten die für ihn wohlweiſen Rath gepflogen, 

Troja wäre nicht gefallen, 

Troß aller Schlauheit des Ulyſſes 

Und Achyllens göttlider Herkunft! 

Es flünde heute noch. — 


Seid fill, meine Freunde! ſprecht 
Nicht von den Sozialiſten. 

's ift eine jüdifche Erfindung 

Der Eojialismus; 

Der Pfarrer hat es längſt bemiefen 
Mit unwiderlegbaren Gründen. — 


Ah, aljo Antijemit der Pfarrer? 

Gewiß von echter Farbe, 

Waſchecht und ungebraudt 

Wie das Hemd ber kaſtiliſchen Iſabella. — 
Doch, hört ihn felber. 


Der Pfarrer nimmt eine Prife, 

Bedächtig, ernft, als flünd’ er auf: der Kanzel: 
„Ich hab’ es längſt vorausgefagt 

Wie's fommen wird. — 

Man ließ den Rothen zuviel Spielraum, 
Syſtematiſch verhegten fie das Volk, 

Trugen Brand in die frieblihen Hütten 

Und Aufruhr in das Land; 

Das Ende it — Revolution. — — —“ 


Der Förfter nidte eifrig mit dem Kopfe, 
Der Lehrer ſchneuzt Fich, 


Der Bürgermeifter hält fih den Bauch und feufzt. - 


526 Ferdinand Bernt. 


„Schlimmer wie anno Achtundvierzig“, 

Fährt ber Pfarrer fort, „wirds diesmal werben. 
Man wird das Kind im Mutterleib nicht ſchonen; 
Denn unter una gelagt: 

Die Rothen find ärger wie die Teufel’. — 


Gewiß, gewiß, nickt jegt bes Förfters Kopf; 
Der Lehrer räuipert fich, 
Der Bürgermeifter ächzt und Höhnt. — 


„Das Niederträchtiafte aber ift: 

Dog aus dem Rummel nur der Jude 

Den Nutzen zieht. — 

Der ganze Rummel, glaubt, geliebte Chriften, 
Kommt vom Juden 

Und leiſe ſchaudernd biict der Platter nad oben. — 


— — —— — 


She link ift nit wahr!” erſchallt's aus einer Ede, 
” br IA eu, 


Der Pfarrer neigt mitleidig lächelnd fein Haupt, 
Und, auf den Areopag der Bier 
Legt fih ein duſt'res Schweigen. — — — 


. 


an Gr 


— Bltfäuerz. —= 


Se pocht mit muden Schlägen Mit Geißeln und mit Peitſchen 
Mein Herz ſeit langer Zeit, Schlug man den Menſchenſohn. 
Und meine Seele zittert | 
Sn bangem Weh und Leid. Seht aber quält man Alle, 
Der Erbenföhne viel, 
Es floh das Glüd vom Wege Durh Qualen mehr. ala Geißeln, 








Gleich einem kurzen Traum; Bis daß das Grab ihr Ziel. — 

Dornige Pfade führen 

Zu ber Erfenntniß Baum. — Du kind'ſcher Traum bes Wellen, 
Der für die Menfchen litt: 

Es litt der Nazarener Was Taufende verbroden 

Mit blut’ger Dornenkron, Macht einer nicht mehr quitt. — 


sehr 





Ferdinand Bernt. 


— — Ein HYalnlid. —— 


laubt nicht, daß bier ein Lied ertöne 
Bon Eonnengoid und Maienduft, 
Bon Glüd im Lenz, von Frühlingsfchöne, 
. Bon Bogelfang und b:auer Kuft. 
Mein Lied hat eine dunkle Weife, 
Hat einen milden, rauben Klang, 
Es hallt gleih Eturmgedröh’n im Kreife, 
Wie Donnerrollen, jhwer und bang. — 


Die Leyer, die ich mir gesimmert 

Iſt aus Gebein vom Schädelfeld; 

Das ganze Leid der Menfchheit wimmert 
In ihren Saiten; eine Welt 

Der Trübfal wicken meine Töne 

Sn jedem Menſchenherzen auf: 

„Hie Maienglüd! hie Maienſchöne!“ 
Was giebt das arme Volk darauf? — 


Hie Brot! gellt’s Iaut aus taufend Kehlen, 
Hte Brot, hie Brot! in Norb und Süd; 

Das Volk hat North und fol nicht ftehlen, 

Sie Brot! das ift das rechte Lied. _ 

Dem Reichen, der mit vollen Baden 

Beim Schmaufe fißt, dem fingt: bie Brot! 
Sept die Fauft ihm in ben feiften Naden 

Und ſchreit: das Volk hat Noth, bat Not! — 


Den Grafen fingt es und den Pfaffen, 
Den Drohnen allen, Jud' oder Chriſt; 
Den Hunden allen, bie nichts jchaffen, 
Aber nehmen, folang zu nehmen if. 
Schreit ihnen zu: Auf dieſer Erbe 

Iſt's erfies, wichtinftes Gebot, 

Mehr als der Dekalog im Werthe: 

Hie Brot! und taufendmal: Hie Brot! — 











Mag au der neue Frühling glänzen 

Im jungen Lichte feiner Pracht, 
Der Mai fih ſchmücken mit Blumentränzen: 
Für’s Voll, das bungert, bleibt e8 Nacht. — 
Drum wem’s gefällt, der fing’ von Liebe, 

Bom Lenz und Mai, vom Morgenroth; 

Mich Hört es nicht in meinem. Triebe, 

Mein Lieb das heißt: Hie Brot, hie Brot! — 


2 


527 


528 


Ferdinand Bernt. 


—— Bas Kied der Slenden. — 


„Ste können nicht laden und fingen mehr, 

‚ Unjre Freuden find Hin, unfer Herz ift jchwer; 
Und ringsum das Leben fo trübe zumal, 
Ohne Licht, ohne Sonn, welch' ſchreckliche Dual! — 








Dem Schmetterling bricht der Herbftfroft das Herz, 


Unfer Herz kann nicht brechen, ift ſtark wie das Erz; 
Das Elend aber brüdt in bas Herz uns ein 
Biel Sorge und Kummer und grimmige Bein. 


Doch wie aud das Elend uns .drüdet und quält, 

So wirb doch das Herz uns im Buſen geſtählt, 

Wird härter wie Eifen und das iſt gut, 

Mon gewöhnt fih dann leichter an Kampf und an Blut. 


Man mißt dann das Leben mit kaltem Blid, 

Bricht lächelnden Auges bem Feind das Genid, ı 
Steht feft wie ein Fels in der Revolution, 

Mag ringsherum wanken auch Kanzel und Thron. — 


Drum quäle nur Noth und quäle nur Bein, 
Ihr machet die Herzen zu Eifen und Stein; 
Und wenn uns das Quälen einft nicht mehr gefällt, 
Hurrah, erwürgen wir die Dual auf der Welt! —“ 


” 
— — Der Bettler. = 


iht einem babe ich's gejagt 

Wie jehr mich Noth und Elend plagt; 
Wie jehr ber Sram mein Herz zerfrißt, 
Und wie's faum zu ertragen ill. 
Ich konnte nicht um Mitleid flennen, 
Höhft um ein Stückchen troden Brot; 
Denn für die Menjchen bin ich tobt, 
Was nüpt es auch, wenn fie mich kennen? — 


Und doch hab’ ich auf diefes Leben 
Das gleihe Anrecht, jo wie fie; 

Auch ih hab meinen Zoll gegeben, 
Geſchenkt warb mir die Mahlzeit nie. 
Gereget hab’ ich meine Hände, 

Denn fieben Würmer 309 ih auf — 
Was ihr mir gebt, ’s ift Feine Spende, 
Ich hab ein heilig Recht darauf. 











Ferdinand Bernt. 529 


Ich babe gelebt, ich habe geftritten 

Und that e8 nie für mich allein, 

Für Andere habe ich gelitten 

Beratung oft und Dual und Bein. 

Ich ſah die Werke meiner Hand 

Den Andern reichen Segen bringen; 

Was gab man mir? D Schmach und Schand’! 
Geht das wohl zu mit rechten Dingen? — 


Hier fteh ih vor dem Thor des Reichen, 
Neig’ demuthsvoll mein weißes Haupt; 
Dft muß ich grollend weiter jchleichen, 
Weils der Conftabler nicht erlaubt. 

Oft giebt es Schelte ftatt der Gabe, 

Oft wirft man’s wie dem Hund mir vor: 
Sagt mir, was ich verbrochen babe, 

Daß ich jo alles Recht verlor! — 


D hätte ih die Macht der Stimme, 
Wie Donnerhall von Golgatha 
Rief ich's hinaus in wilden Grimme, 
Was für ein Unrecht hier geichah. 
Von meiner Wahrheit heil’gen Worten 
Berfiel wohl dann die Lügenwelt, 
Die heuchleriſch fih an den Pforten 
Eines frech erfundenen Himmels au — 
Gleich ſchwachem Halm. — — „Was haſt Du Alter, 
Du ſchreiſt und fuchtelſt mit dem Stod?* 
Nichts — nichts, Herr Polizeiverwalter, 
Ihr tragt 'nen ſchönen neuen Rock — — — 


I 
—- Ber Schubling. — 


ie haben ihn ertappt, im Freien, 
Ohne Geld, ohne Arbeit und zerlumpt, 
Mit burchgeriffenen Schuhen. 
Für dieſe große, übergroße Schuld 
Giebt es nur eine Sühne — 
Den Schub... 


Er geht, den Kopf gefentt, 

Mit finfteren Bliden vor dem Hüter 

Der öffentliden Ordnung. 

Und wilde Scham erfaßt fein Herz, 

Hört er das loje Wort: Vagabund — — — 
Bagabund!? — Haha — 

Wer hätte das gedacht? — — — 





34 


530 | Ferdinand Bernt. 


Iſt denn die Welt nicht fo Gon 
Und das Reiſen ſo prächtig? 
UUnd hat ihn die Sehnſucht nicht hinausgelockt 
So mächtig, übermächtig!? 
Hat er nicht ſchon geträumt als Kind 
Von den Herrlichkeiten der Welt, 
So daß er ſich oft Flügel wünfchte, wie der Wind 
Zu fliegen, wohin es ihm gefällt? 
Und ift denn das Reiſen ein Verbrechen, 
Nur für die Reichen, für banres Geld? — 
Iſt denn bie Welt nicht auch der Armen Welt, 
Wer Tann ihm bier fein Recht zufprechen?! — 


D, wie gern er Alles geſehen hätte! 

Fremde Länder, fremde Städte, 

Flüſſe und Seen im Sonnenftrabl, 

Die Donau, den Rhein, das Nedartbal; 
London, Paris, 

Die Alpen gewiß, 

Hurrjeh, hurrjeh! 

Die Berge voll Schnee; 

Und dann hinunter, ganz überquer, 

Zum großen, sum weiten, sum wallenden Meer — 


Was ſteht und glotzt das Bürgerpack? 
Glaubt ihr, er verdiene es, 

Daß der hinter ihm hergeht 

Mit der Pickelhaube auf dem Schädel? 
Glaubt ihr, ihr ſeid es werth, 

Ihm die Riemen zu löſen 

Bon feinen zerriſſenen Shuhn — — —? 


—— Rerzweiflung —— 


Lin ſchwacher Schimmer in endloſer Ferne: 
Seine Jugnd — — — 

Armer Proletarier! 

Eingeſchloſſen mit einem kranken Weibe 

Und vier bungernden Kindern. — 

Bater, kein Brot! — — — 

Ein Falter Schnitt geht durch fein Herz — 

Wir haben Hunger — — — 

Haba! Hunger!? er lacht, 

Aber das Laden Klingt wie das Stöhnen eines verwunbeten Thiers. 

Das kranke Weib beginnt zu ächzen. — 

Auch die noh!l? — 

Mann, hole Brot! 














Ferdinand Bernt. 581 


Ihn greift grenzenlofes Staunen — — — 
Brot? Wer gibt Brot?! 
Der Bäder ‚gibt ohne Geld kein Brot — 


Stide ı wird's im Gemache, 

Dann wimmert's leiſe vom Bette her: 

Die Kinder, die Kinder — — —! 

Eine eifige Rälte herrſcht; 

Er jpürt fie nicht. — 

Der Herbfiwind heult; 

Er hört ihn nidt. — — — 

Die Kinder, die Kinder — -- —! 

Er lächelt leiſe das Lächeln eines Wahnſinnigen, 

Und ſchielter nad b dem Neſſer, das auf dem r Tiſche liegt. — — 


Die Rinder, die Rinder — — N. 


DE 


Kevolution. 


— ich noch ein kleiner Knabe — 
Bon der Kindheit Wahn umfangen — 

Mir allein gelebt nur babe, 

Eines ift mir nicht entgangen: 

Als die Alten ſtill beifammen 

Saßen nad ber harten Froh’n, 

Einer ſprach's, wie ein Verdammen, 

Dumpf das Wort: Revolution. — 











MWie vor einem nahen Feinde 

Kroch ich in der Stube Winkel, 
Bitterte vor Angft und weinte, 

Exit zuvor der laut’fte Schlingel. 
Wie ein Fluch Flang’s, ausgeftoßen 
Mit des Elends finft’rem Hohn, 
Schrecken bringend felbft den Großen, 
Leifes Wort: Revolution. — 


Seit das Wort ich recht verftanden, 

Hab’ ich jede Angſt verloren; 

Denn mein Geift brach alle Banden, 
Bin von niederm Stand geboren. — 
Gluth und Hammer jtählt das Eifen, — 
Als des Volles echter Sohn, 

Lernt ich Licht und Freiheit preifen, 
Sturm und Kampf, Revolution. — 


532 Ferbinand Bernt. 


Aus der Knechtſchaft "Ichweren Ketten, 
Aus des dumpfen Geiftes Schranken 
Muß das Volk ſich jelber retten, 
Ohne Furcht und ohne Wanten. 
Selbſt muß es die Ketten brechen, 
Höh’re Macht bricht Feine Frohn; 
Freiheit lernt erft Handeln, Sprechen, 
Durch des Volles Revolution. — 


Do nicht unter Blut und Morben 
Wird der Freiheit Licht geboren, 
Wird's gelehrt an taufend Drten, 
Hören's abettaufend Ohren. — 
Lußt das Feuer mählich brennen, 
Dann wird fih're Gluth der Lohn; 
Seder joll das Licht erkennen 
Dur des Beiftes Revolution. — 


Hei, zu diefem Weltenbrande 

Sol auch meine Fadel glänzen! 
Flammen ſolls von Land zu Lande, 

Fort bis an der Menſchheit Grenzen. — 
Fällt die alte Welt zufammen: 

Neues Leben winkt uns jchon, 

Und in der Vernichtung Flammen 
Siegreih jauchzt — Revolution. — 


EL 
= Swig. — — 


icht eine Tauſendſtel Secunde währt unſer Leben; 
Viel weniger als ein Augenblick; 

Und eine Secunde ſind hunderitauſend Jahre, 

Einer ganzen, großen Welt Geſchick — 

Eine Stunde ſind ſoviel Jahrmillionen, 

Als in einem Jahre Tage find — — — 

Und ein Tag, mein Kind? 

Sind mehr als ſoviel Zehnmillionen Jahr 

Als auf der weiten, großen Aſia 

Erwachſene Menſchen wohnen .. 

Und ein Jahr, ein Jahr der Well? — — - 

Hier wanfet mein Verſtand, 

Es giebt fein Mab mehr, das man jegen könnte, 

Ein Nichts, für das man feinen Namen fand, 

Und darum eben Nichts, ein Ende ohne Ende — — — 

Die ſchwächlichen Menfchen nennen e8 ewig, 

Emwig, ewig?! — Was beißt ewig?! — — — — — — 


wir 





Ferdinand Bernt. 


>>% Bas Armenhans. I 


ühmt wie ihr wollt, ihr Vielgereiften, 
Die Herrlichkeiten der Welt; 
Den bimmelftürmenden, gigantifchen 
Dom von Köln, das Wunder aus Stein: 
Die zierlih gefhmüdten Säulenhallen 
Ter mauriihen Alhambra, 
Ten Tempel Karnak und 
Wie die Herrlichleiten alle beißen: 
Ihr imponirt mir nicht, 
Was ih geleh’n ift mehr, 
Iſt mehr als die fieben Wunder ber alten Welt 
Und alle Wunder der nıuen. 
hr zweifelt? Nun dann fommt und feht! 
Wir brauchen gar nicht weit zu geh'n 
Zum — Armenhaus, 
Das mitten bier im Orte jteht. 


Nun macht die Augen auf, - 

Verftopft euh Mund und Nafe, 

Denn ih kann nicht für eure Geſundheit bürgen, 
Geht ihr hinein. — 

Ein Haus, ſagſt Du? ein Haus? 

Gewiß, das Armenhaus. 


Wir meinten, ’s wär eine Höhle — — — 

Bft, bit! wenn’s die Gemeinde hört —?! 

Sag, was du willit, 's ift eine Höhle — — -- 
a, weniger als das, ein Loch! 

Ein rabenfinft’res, fchmugiges Loch! 

Das will ein Haus fich nennen? 

's iſt niederträdhtig. 

Vier ſchwarze, kahle Wände, 


Die Fenſter verſtopft mit Lumpen, verklebt mit Pappe. 


Der Fußboden dielenlos und, 

Als ein Schauſtück dort im Winkel 
Ein roſtzerfreſſ'ner, alter Ofen. 
Du biſt ein Schalk, hihi, ein Schalk! 
Wieſo? J 


Nun, daß du's Wunder nennſt. — 

Und doch, ich bleib' dabei: 

Es iſt ein Wunder, wie's kein zweites gibt, 
Ein großes, weltbewegendes Wunder; 

Denn — ich ſag' es euch in's Ohr, 

Damit es ſonſt niemand hört: 

Hier drinnen wohnen — Menſchen — — — 


YRr 


583 








584 


Ferdinand Bernt. 


> Sie Feldarbeiter. S- 


m einen halben Gulben übertags 

Arbeit’ ich wie ein Vieh. 
Um einen halben Gulden, ber 
Für mich nicht reichte, wenn ich leben wollt! — 
Und; ich hab Weib und Kinder.” — 


Er ſprach's mit rauhen, ungeſchlachten Worten, 
Und ſchlug die Schollen mit ber ſchweren Hade, 
Und würdigte mich weiter keines Blids. — 


Ich wandte mi davon und ging 
Geſenkten Hauptes durch die Felder, 
Durch ſaft'ge App’ge Wiefengründe 
Und; wohlbebaute Fluren. 


Aufibreuen Flächen wogte wie ein Meer 
Die grune Saat. 


Ich blickte in die Ferne: endlos zog 
Die Eb'ne ſich vor meinen Blicken, 
Am Horizonte miſchte ſich 
Der Wälder Grün mit dunklem Aetherblau. 
Im Frühlingsglanze lag die Welt. 

Manch Dörfhen, halbveritedt von Bluthenſchmuck, 
Begrüßte mid, und eine frifche Luft 
Kam über Land. 


Da weitete fi meine Brufl, 

Ein glüdlides Gefühl durchzog 

Mein liebjehnend Herz, 

Sodaß ih hätte jauchzen mögen — — — 
Doch plögli jah mein Aug’ 

Die armen Brüder auf dem Felde, 

Die Schollen ſchlagen um — 

Einen halben Gulden. — 

Wem gehören biefe Flächen? frug ich 
Den näditen, und er jprad: 

„AU, al dies, feine Hand 

Mies einen weiten Kreis, 

Die Fluren und die Wälder, 

Die Meierhöfe und das Schloß, 

Das dort aus hohen Pappelbäumen blict 
Gehört dem Fürften." — — — 


Ich wandte mich hinweg; unfagbar bitter 
Stiegs in der Kehl’ mir auf und eine Zähre 
Fiel aus dem Auge mir hinunter auf 

Die harten Schollen. — — — 


Ferdinand Bernt. 


Ihr reihen Fürften, euch 

Gehört die halbe Welt. 

Wie kleine Königreihe ftreden eure Fluren 
Und Wälder fih ringsum, 

Und, wie Rubinenfteine glänzen eure Schlöfler 
Sm Schein der finfenden Sonne 

inmitten biefer Pracht: 

Diejenigen aber, die euch alles jchaffen 

Und euren Reichthum mehren und begründen, 
Die — laßt ihr verhungern. -—- — — 


AÜ 
a Sie Knechte. — 


a8 feufzet ihr, Aderfnechte, 

Was feufzet ihr an eueren ehernen Ketten? — 
Glaubt ihr denn, ihr verdient Mitleid, 
Mitfühlende Thränen? 

Nein, ihr Stlaven, 

Berbrannt von ber heißen Sonnenglutb, 
Raub und roh 

Wie die herdehütenden Cyklopen; 
Ihr verdient fein Mitleid. — 

Sagt euch der Falter aniät: 

Ich bin frei?! . 

Jubelt die Lerche nicht: 

Freiheit, wie ſchön?! — 

Nein, ihr willigen Sklaven, 

Ihr verdient Hohn, 

Serben, beißenden Hohn. — — — 


Schauet eure Arme an, 
Mit Musteln wie aus Stahl; 
Schaut euere Körper an, 
Ihr Starken Schwädhlinge! 
Fragt euch dann: Sind wir bes Mitleide werth? — 


Was ſcharet ihr euch nicht zufammen, 
Was ftellt ihr euch denn nicht an eurer Brüder Seite, 
Zu kämpfen für euer Recht? 
Was gehorcht ihr gleich guterzogenen Kindern 
Dem ſcheltenden Herrn? 
Sf euere eat nicht die Strafe 
Für euere Feigheit! — — — 
Seufzet nicht nah Mitleid, Knechte, 
Klaget nicht! 
Nur ein ſchwächliches Herz Tann euch bedauern. — — 


0 


535 


586 


Ferdinand Bernt. 


— Frühlingsklänge. S- 


uf Sturmesflägeln naht die Zeit 
Der Freiheit und ber Menfchlichkeit; 
Die Welt in ihren Tiefen ziitert, 
Weil fie den neuen Frühling mittert. 


Empor zum Himmelslichte ftrebt 
Ein jedes Sämlein neu belebt; 
Was lange, lang verborgen war, 
Drängt fih zutage wunderbar. — 


Die Fefieln Löfe der Titan 

Im bdunleltiefen Dcean. 

Und auf zur Sonn’ ftürmt feine Schaar 
Die lang, ad, lang gefangen war. 


Hört ihr das Jauchzen und das Wettern 
Im weiten Umkreis furchtbar fchmettern ? 
So jauchzt die junge Frühlingsluft 


” Aus Tellus qualbefreiter Brufl. — — — 


Zu Boden donnernd was fi flellt, 
So naht ber Lenz der neuen Welt, 
Wie Zeus mit Blig und mit Gemittern; 
Der Starke lacht, die Feigen zittern. — 


An 
Kaͤhe der Gottheit. 


ie oft ein träumeriſch Gefühl 

Durch unſ're ſtille Seele geht; 
Ein Himmelshauch jo ſanft und Fühl, 
Des Buſens Naht durchſtreift, burchweht 
Und unjern Geiſt entwirrt, entführt 
Und ihm verborgne Dinge zeigt, 
Daß er zur Seele tiefften Winkel fteigt: 
Die Gottheit ift’s, die uns berührt. — — 


Die Gottheit ift’s, das innerfte Gefühl 

In Welt- und Menjchenherzentiefen, 

Daß Eins im Andern wuchs und nicht ein Spiel 
Das ganze Ichuf, dieweil wir fchliefen. 

Es ift der Geift, der uns zum Niebren hält 

Und mit dem Höchften uns verbindet, 

Der alle Zweifel überwinbet: 

Nicht Unfichtbares fchuf die Welt. — — 











— : Jofef Schiller. : 


Iofef Shilter, ber „Schiller-Se fi", wie er feiner Boltsıhümlihteit wegen in Defterreid 
genannt ‚ird, murde am 27, YumL 1996 in N eidenbe rn nedoren; mo er Iphter Die Zuämeberei erlernte 
genoß eine nur frbr geringe Sculbildung, denn mit fieden Sahren fdon mußte er in die Fabrit 
geben. Die Noth hatte den „Eefi" frühzeitig denfen gelern und als im Iahre 1169 die Arbeitere 
bemegung in @öbmen ihren Einmug bielt, war Echiler einer der erfien, die fc die neue Xehre thätlg 
waren. Unter dein Gindrude Diefer Bemenuna entfiand fein „Stianenjod“, weldes er im Jahre 1R69 nach 
einer Berfanmlung in Reicenbern zum Vortrag brate Tas Mediht machte vermöne leıner Eprade 
einen großartigen Gindrud Cinmal an die Ceffentlicfeit getretin, verfuhte er nun au& alt Redner 
für die Partei zu mitten, und Ediller war ein ausgejeichneter Redner ; feine bilderreihe Eprache, feine 
bald gemüthvolle bald Humorififh derhe Nedemeife, unterfiügt von einem wmohltlingenden mächtig 
tönenden Organe maäıten ihn in furger Zeit ıu dem befiebteften Wolförebmer. Mehr als 27 Iahre fand 
er fin Dienfte der Arbeiterpartei und gumeift auf den fhmierinften Poften. Sciler war eine arohanger 
Tegte, eine geniale Ratur, die aber felbft von den Tarteigenefien mur jeiten verfianden wurde. 
&r bat im Laufe von 30 Iahren eine nrofe Anuahl von Medicten gefrieben, unter denen fih mahre 
‚Yerlen der Poefie befinden. Der weitaus g’öhte Theil ift ihm aber bei den vielen Bausfudungen, Die er 
au befteben hatte, von der Bfterreihifden Poligei gefiohlen worden. In den legten Xahren vor feinem 
Tode machte fi bei ibm eine flet® wachlende Bertitterung aeltent, die ihn fgliekiih im Jahre 1.96 
übers Meer trieb. In ®ermanio, einem Heinen Gtädtgen enfglvania’® (N-Am), lebte er in 
budfiäbtiger Einfamteit und in den ärmlicften Berhältniffen, mit der Außenwelt nur dur; Zeitungen und 
Briefe in Verbindung ftehend. Gr ftand Im Bertebr unter anderen mit Robert Reipel, dem befannten 
deutfpaämeritanifgen Dieter, der „Buflaloer Arbeiterzeitung“, dem „Boltsanwalt“ in Gleveland etc. Am 
16. Huguft 1897, al® er beim Echreiben fah, maßte ein Derifhlag feinem fo teihbemegten Leben ein 
Cube, nahdem ihm drei Moden vorher feine Frau mit dem Hleinften Sohne nad; Amerita gefolgt war. 
Das Erben Echiders ift mit der Weihigte der öfterreihifgen, indbelondere aber der nordbähmifhen 
Arbeiterbewegung auf daS ungertrennlidjte verfnüpft. Weit über die Mrensen Defterreihs hinaus wedte 
die Nadriht von dem Zode ded „Seil“ Zrauer und ganı befonders amerifanifge Arbeiterblätter waren 
€8, bie den Abgang „bed erft neugemonnenen Menofien“ brtlagten. - 














Der Seit der Gerichte. 


in Geiſt geht warnend und belehrend 

Durch unfre Beit, und roth wie Blut 
Brauft furdtbar, donnernd, wilb, empörenb 
Des eiſernen Jahrhunderts Fluth. 


Der Geift der Weltgeſchichte ſchreitet 
Zum furdtbar firengen Strafgericht! 
Er ftraft die Lüge und bereitet 
Den Sieg für Wahrheit, Recht und Licht. 


Zu lange war für Recht und Wahrheit 

Der Geift der Menſchheit abgeftumpft!. 

Sept naht die Zeit des Lichts, der Klarheit, 
Die Zeit der fiegenden Vernunft. 


Bald wird die geift’ge Atmosphäre 

Bon gift’gen Stoffen frei gemadt — 

Der Menih wird frei, wenn ihm zur Ehre 
Der Dummheit morſche Stübe kracht. 


Des Aberglaubens Nebel finten, 
Entſchwunden ift der Höllentraum, 
Und Licht und Geiftesfreiheit blinken, 
Wie Morgenthau am Lebensbaum. 


Das Dunkle fliehet vor dem Lichte — 
Doh wo fih’s auch verbergen mag, 
Es wird ereilt, denn die Geſchichte 
Verkündet einen Erntetag. 


Ihr, die ihr die Vernunft getreten 
Sahrhunderte hindurch mit Hohn, 
Ihr mögt nun fluchen oder beten — 
Ermwartet euren Sündenlohn! 


Die ihr die Wahrheit ſtets geichlagen, 
Ihr Heuchler, Lügner insgeſammt, 
Ihr mögt das Urtheil nun ertragen 
Des Richters und ſein Rächeramt. 


540 


Joſef Scdiller. 


Und ſucht ihr au in Tobesfrämpfen 
Nah Warten in des Unfinn’s Meer, 

‘hr könnt den freien Geift nicht dämpfen, 
Der fih nun. Bahn bricht ringeumber. 


Man kann auf Ichlehten Wegen wandeln 
Die Willkür giebt Beweis genug; 
Doh gegen die Vernunit zu handeln — 
Iſt Wahnfinn oder Selbftbetrug. 


Wenn man fih aud) dem Vorwärtsfchreiten 
Dft mit Gewalt enigegenftemmt, 
Unmögli war's zu allen Keiten, 
Daß man ben Gang zum Befl’ren hemmt. 


Wohl mag jo mander Kämpfer zittern 
Bor al den Falten Todesweh’n, 

Bor aM’ den drohenden Gemittern, 
Die jegt am Völkerhimmel ſteh'n. 


Doc feiner fol aus Furcht erbeben, 


Denn aus Verweſung, Grab und Tod 


Schafft ſich der Geift ein neues Leben, 
Ein neues glüh’ndes Morgenroth. 


A 


Feder Sag gehört zum Keben ... 


Lied der Phantaſie aus „Morgenroth und Abendroth“. 


Um Erd’ und Himmel zu erringen, 
Bis er ermattet niederfällt. 

Wo Gräberhügel ſich erheben, 

Da fteht auf jedem Leichenftein: 
Ein jeder Tag gehört zum Leben, 
Ein jeder kann ber lebte fein. 


Wenn bu ein treues Weib gefunden, 
Das ftets auf deinen Wegen gebt, 
Das in bes Lebens ſchweren Stunden 
Vol Muth an deiner Seite fteht, 

So folft du es mit Lieb umgeben 
Und jeden Tag jein Herz erfreuen, 
Ein jeder Tag gehört zum Leben 

Ein jeder kann der lebte fein. 


Joſef Schiller. 


Es blitzt das Gold am fetten Leibe, 
Wenn Hochmuth in die Kirche geht, 
Nicht einen Blick ſchenkt er dem Weibe, 
Das bettelnd an der Thüre ſteht. 
Die Armuth ſpricht mit leifem Beben: 
Bald nagen Würmer dein Gebein, 

Ein jeder Tag gehört zum Leben, 

Ein jeder kann der lette fein. 


Kannſt bu die Hand dem Bruder brüden, 


Der dich verläßt in größter Noth, 

Dann if’, wenn auch mit naflen Bliden, 
Als Mann getroft dein Kerkerbrod, 

Und denfe ſtets bei deinem Streben: 
Nah trüber Zeit kommt Sonnenſchein, 
Ein jeder Tag gehört zum Leben, 

Ein jeder kann der lette fein. 


Biſt du im Kreiſe frober Becher, 

Und Luft und Jubel herrſcht um Dich, 
Und ſchwimmt auf deinem vnllen Becher 
Ein Rofenblatt, jo dent an mid, 

Wenn frohe Lieder dich umfchweben, 
So rufe laut beim Glaſe Wein: 

Ein jeder Tag gehört zum Leben, 

Ein jeder fann der lebte jein. 


Wenn bu im Zorn mit heißem Blute, 
Den Freund gefränkt, der dich geliebt, 
Wenn da im ugendübermütbe 

Das gute Mutterherz beirübt, 

Dann tradhte, daß fie dir vergeben, 
Daß fie dir herzlich gern verzeihn, 
Ein jeder Tag gehört zum Leben, 

Ein jeder kann der lebte fein. 


Und kommt ein Sturm in Tünft’gen Tagen, 


Der deiner Hoffnung Blüthen Inidt, 
Und wilft du faft vor Gram verzagen, ' 
Weil dich die Sorge niederdrüdt, 

Dann fol mein Wahlipruh dich erheben, 
Er ſchleicht' fih dir ins Herz hinein: 
Ein jeder Tag gehört zum Leben, 

Ein jeder fann der lette fein. 


* 


541 


Sofef Schiller. 


Die Schranke der Freiheit. 


(1869.) 


8 wie ein Strom ber bunflen Kluft enteilet 
Und Segen fpendet über Flur und Feld, 

So wie der Sturm bie dunklen. Wollen thetlet, 

Sp brauſt das Wort ber Freiheit buch die Welt. 


Das Wörthen „frei” bejeelt die jchöne Erbe, 
Denn alles Große faßt dies Heine Wort 

Und nur den Menſchen koſtet es Beſchwerde, 
Ste haſchen nad dem Worte fort und fort. 


Sie kämpfen um das Wort und wenn fie's haben, 
Dann tft es nicht fo ſchön wie fie gebacht, 

Dann find es nicht die Ihönen gold’nen Gaben, 
Wovon fie träumten in vergang’ner Nacht. 


Die Freiheit ift das Höchfte hier auf Erben, 

Das Beite mas der Menſch fein eigen nennt, 
Doch kann die Menſchheit dann nur glüdlih werden, 
Wenn fie der Grenze wahre Freiheit kennt. 


Frei ſei der Geift und frei fei der Gedanke, 
Doch jeder, ber Gedankenfreiheit liebt, 

Der muß auch willen, daß es eine Schranke 
Für jeinen Willen und fein Handeln gibt. 


Do viele, die bier fämpfen, dulden, ringen, 

Sie müflen hilflos oft zu Grunde gehn, 

Meil fie die Schranke tollfühn überipringen, 

Weil fie das Mörthen „frei“ nicht recht verfteh’n. 


Die Menſchen wollen frei und gleich ſich nennen, 

Die zu einander halten feljenfeft, 

Und doch will oft der „Herr“ den „Knecht“ nicht kennen, 
Bon bem er lebt, und den er leben läßt. 


Und weil die Menſchen in dem Irrthum leben, 
Daß einer mehr als wie der and’re jei, 

Und da fie ftets in diefem Glauben jchweben, 
So werden auch die Menichen nicht recht frei. 


Wir müſſen alle um bie Freiheit ringen 

Und möäflen uns von Stolz und Neid befrei’n, 

Dann wird ber Kampf, dann wird der Sieg gelingen, 
Dann wirb die gold’ne Freiheit unfer jein. 





Joſef Schiller. 543 


D’rum kämpfet von der Wiege bis zum Grabe 
Stets auf ber Bahn ber Freiheit, werdet frei, 

Und führt Euch aud der Weg zum Bettelftabe, 
So wanket nit und bleibt der Sade treu. 


Lernt frei von Stolz für wahre Freiheit ftreiten, 
Durch Menjchenliebe bringt der Menſchheit Licht 
Und wollt ihr nie die Grenze überjchreiten, 
So haltet feft an Ehre, Recht und Pflicht. 


Doch wolt ihr euch ein and’res Biel erftreben 
Und ſeid ihr für die wahre Freiheit blind, 
Wollt ihr nicht menſchlich unter Menſchen leben, 
So geht dorthin, wo feine Menjchen find. 


Denn jene Bande, die uns Menſchen binden, 
So lang es Menſchen gibt beitehen fie, 
Ihr werbet fie auf allen Wegen finden, 
Kämpft gegen fie, die Bande ſchwinden nie. 


Stürzt alles nieder, tretet es mit Füßen, 
Glaubt was ihr wollt, ftürzt jede Obrigkeit, 
hr werdet dennoch nicht das Glüd genießen, 
Daß ihr ganz frei und ungebunden ſeid. 


Und ſchlügt ihr auch die halbe Welt in Trümmer, 
Ja wenn ihr felbft das ebelfte verlett, 

Der Freiheit Schranke flürzt ihr nie und nimmer, 
Denn diefe Schrante heißt Naturgejfep. 


fee 
—— gie bedenkliche Kiffe. — 


as Weib des Kreishauptmanns von Deuben 
Die Iprach zu ihrem lieben Mann: - 

„Ich Tann nicht länger bei bir bleiben 

Mir Ihwillt die Leber riefig an. 








Ich muß in’s Bad, um zu gefunden, 
Ich bin Son gar zu fett und rund, 
Ich bab ein Mittelhen gefunden: 
In Karlsbad werbe ich geſund.“ 


Der Kreishauptmann ſprach: „Liebes Weibchen, 
Der Retjeplan ift gar nicht Tchlecht, 

Verlierft du was von beinem Leibchen, 

So wäre mir das wirklich recht.“ 


544 Sofef Schiller. 





Das Weibchen reifte voll Vergnügen, 
Nah Karlsbad in die Badekur, 

Und athmete in vollen Zügen 

Die reinen Lüfte der Natur. 


Der gute Kreishbauptmann von Deuben 
War froh, fein Weibchen war im Bad, 
Er konnte fi die Zeit vertreiben 

Mit Rettungsplänen für den Staat. 


Er war ein Feind der Soztaliften, 
Er drückte fie zu jeder Seit; 

Doch feine Furcht vor Anardiften, 
Die war bekannt gar weit und breit. 


Er batte Briefe Schon erhalten, 

Mo deutlih drin gejchrieben ftand: 
„Wir werden dir den Schädel palten 
Du größter Schuft im Vaterland.” 


Nun kam der Namenstag bes Gatten, 

Was folte fie ihm jenden nur? 

Gleich Faufte fie beim Goldſchmied Schatten 
Die allerjhönfte Pendeluhr. 


Der Kreishbauptmann erhielt die Kifte: 
„Was mag denn da darinnen jein? 
Ich öffne nicht, und wenn ih müßte, 
Ich ſchaute trogdem nicht hinein.” 


Er rief herbei die Poliziften, 

Und dann den Herrn Geheimratb Schmidt: 
„Das iſt ein Werk der Anardiiten, 

Da drinnen ftedt nur Dynamit.” 


Die Poliziften trugen leiſe, 

Die Kifte in das Feld hinein, 
Und ſchoſſen dann nah Jägerweiſe 
Mit Sharfen Kugeln feit hinein. 


Dann öffneten fie leif’ die Kifte, 

Und fahen die zerſchoſſ'ne Uhr — 
Der Kreishauptmann und alle fluchten, 
Bon Dynamit war feine Spur. 


ir 








n 


Joſef Sqhiller. 545 





— ger $onfefhonsiofe. == 


(1870.) 


1 bin ein Greu'l dem Haufen ber Sophiften, 
Weil ich entfernt mid hab von ihrer Bahn; 


Auch haſſen mich die ſogenaunten Chriften — 


Sch bete nicht wie fie die Götzen an. 

Ich kann es nicht! Und wenn bie Menſchen wühten, 
Daß uns ein Stein doch nicht erhören kann, 

Sie würden nicht vor flimmernden Altären 

Anftatt der Gottheit kalte Steine ehren! 


„Du bift verflucht! dich treffe Schmach und Schande!“ 
Das find die Worte, bie mein Bruder fpricht, 

Weil ih mich freigemadt von einem Banbe, 

Das mich gehemmt! Ich fand die Gottheit nicht 
Dort, wa im goldgeftidten Meßgewande 

Ein Priejter predigt von Gebot und Pflicht; 

Denn was er lehrt, heißt: Dulden, leiden, tragen! 
Mein Inn'res lehrt mi: Schaffen, ringen, wagen! 


Was haßt ihr mi? Glaubt ihr ich kann nicht beten, 
Weil ihr mi nie in eurem Tempel jeh't? — 

Ich kann die dunkle Halle nicht betreten, 

Wo buntgepugt zur Schau die Menge ſteht; 

Wo ihr jo oft in eu’ren Lebensnöthen 

Bon einem Bilde euer Heil erflebt: 

Die Gottheit, hört ihr alle, bie mich haflen, 

Läßt fi in feine Bilderrahmen fafien! — 


Wie glüdlih bin ich, daß die Nebel ſchwinden, 
Daß ich fie fand des Lebens rechte Spur: 

Ich weiß den Geift der Gottheit ftets zu finden, 
Bewund’re ih daß Schaffen ber Natur. 

Und will ich liebend mich mit ihm verbinden, 
So juh ich ihn in meinem Inner'n nur; 

Dort find ich ihn und hab ihn ftets gefunden 
Und nie geahntes Heil und Troft empfunden. 


Ihr aber ringt verzweiflungsvoll bie Hänbe, ' 
Wenn Krankheit, Hunger, Elend euch bebrobt; 
Ihr glaubt, daß euch ein Bott dies Leiden jenbe 
Dur feinen Willen, durch fein Machtgebot, 

Ihr wißt es nicht, daß bie vier feuchten Wände 
Und eure Nahrung fchulb find an ber Notb; 
Ihr wißt es nicht und in dem blinden Glauben, 
Laßt ihr eu fo daß befi’re Leben rauben! 


35 


546 


Joſef Schiller. 


Ihr kennt fie nicht, die feindlichen Gewalten, 
Die Schuld an allen eu’ren Leiden find; 

Denn eu're Kräfte mögt ihr nie entfalten, 

Sn eurem Glauben jeit ihr wie ein Kinb: 

Ihr wißt euch ſtets an etwas anzuhalten, 

Für alles And’re ſeid ihr taub und blind; 
Drum jeit ihr jeder Täuſchung bingegeben 

Und findet nie den reiten Weg zum Leben! — 


Blidt doch einmal in eu'res Herzens Tiefen, 
Wenn euer Lebensichifflein in Gefahr, — 
Verjucht es doch, bie eigne Kraft zu prüfen, 

Ihr findet Manches, was euch möglich war, 

Wenn all die Bilder, die im Herzen fchliefen, 

Vor eu'rem Geifte ftehen bel und Kar, 

Ihr findet Manches, was euch ſchon gelungen, 
Wenn ihr mit Muth und Manneskraft gerungen. 


Ihr follt die eig’nen Kräfte nie beſchränken, 

Sonft ftempelt ihr euch felbft zum nied’ren Knecht: 
Nicht blinder Glaube fol die Kräfte lenken, 

Prüft immer jelbft, was falſch ift ober echt. 

Ihr mögt nur menschlich fühlen, menjchlich denken, 
Tann wißt ihr ja, was gut iſt ober ſchlecht: 

Und biefes Denfen nenn’ ih — beten, Brüber, 
D’rum betet jo — niet nicht vor Götzen nieder! 


Kommt doch mit mir in meine Anbachtshalle, 

D Brüber, fommt aufs freie Feld hinaus! 

Ob Jud, ob Chriſt, willflommen ſeid ihr alle 

Sin diefem freien, großen Gotteshaus. 

Hört, wie es rauſcht vom frohen Jubelſchalle, 
Seht, wie es grünt — die Bäume ſchlagen aus. 
O Brüder, kommt, laßt uns den Wald betreten, 
Dort ſehen wir, wie alle Weſen beten. 


Seht, wie die Pflanzen liebend ſich vereinen, 
Wie Eins das And're bildet und erhebt, 
Wie die Natur im Großen wie im Kleinen 
In freier Ordnung nach Veredlung ſtrebt. 
Und nirgends, nirgends wird euch Zwang erſcheinen, 
Die Liebe iſt's, die alles rings belebt. 
Erkennt euch ſelber, ſoll es Frühling werden, 
Laßt frei den Geiſt — ber Himmel iſt auf Erben. 


# 


xofef Schiller. 547 


—— Be gute Su. — 


(1897.) 


Mein Nachbar bat auf feiner Farm 

Bon Hühnern einen ganzen Schwarm. 
Zwei Pferde, acht Stüd jchöne Rinder, 
Ein treues Weib und fieben Kinder. 





Bei fo viel Kindern, fo viel ieh, 

Da gibt’s viel Trubel und viel Müh', 
Drum hat mein Nachbar alle Tage . 
Mit feiner Wirthſchaft Sorg’ und Plage. 


Beſonders eine rothe Kuh, 

Die ftört ihn oft in feiner Ruf, 

Die macht ihm Trubel und viel Mühe, 
Sie folgt nit wie bie andern Kühe. 


Sie geht ganz willig an ben Pflug 
Und bat auch feften fih’ren Bug. 

Doch wenn es ihr zu lange Dauert, 
Dann bleibt fie ſteh'n wie angemanert. 


Sie thut wohl ihre Rindviehpflicht, 
Doch liebt fie mag’re Weide nicht. 
Ste giebt viel Mil und fette Butter, 
Do fie verlangt auch gutes Futter. 


Ste bleibt nicht gern auf bürrer Höh', 
Sie ſucht am liebften grünen Klee; 

Sie achtet nicht des Nachbars Grenzen 
Durchbricht und überfpringt bie Fenzen. 


Sie kommt nit gern in großen Schweiß, 
Denn jcheint Die Sonne gar zu heiß, 

So legt fie fi in Fühlen Schatten 

Im naben Wald auf grüne Matten. 


Sie ift von ganz befond’rer Art. 
Behandelt man fie nicht recht zart, 
Zeigt fie ganz häßliche Manieren, 

Ste fidt und ſchlägt mit allen Bieren. 


Das NRindvieh tft in biefem Land 

Als orunngeliebenb wohl befamnt. 

Doch diefe Kuh — es iſt zum Laden — 
Die läßt fich Leine Bor naden. 


30" 


548° 


Joſef Sälller 


Sie brüalt des Nachts auf Knall und Fall, 
Hat fie nit Streu genug im Stall. 

Und thut man nicht nach ihrem Willen, 

So hört fie auch nicht auf zu brüllen. 


Wenn fie einmal recht burftig {ft 
Und ringsumber fein Wafler fließt, 
So fett fie ſich recht breit und heiter, 
Und trinkt die Milch aus ihrem Euter. 


Da fluhtmein Nachbar: „Schwere Noth! 
Ich ſchla ei die Kuh noch einmal tobt," " 
Doch bald verliert fich feine Galle, 

Es ift fein ſchönſtes Stüd im Stale. 


Auch mir gefällt bas gut e Thier, 
Und ganz im Stillen ben? ich mir: 
D armes Voll, wann wirft benn bu 
Einmal jo Plug wie biefe Kuh? — 


Ne. | 
——— Sllerfeelen. ———— 


(November 1894.) 
Aus der Sterferphantafle „Die Einzelgelle.* 


..... Nur einen Blick noch nach dem Friedhof hin, 
Mein lieber Freund, heut ift ja Allerſeelen.“ 
So fährt die Holde mir durch meinen Sinn, 
Sie will mir von ben Todten was erzählen. 


Ich ſeh' vom Friedhof nur ein kleines Stüd, 

Ich ſeh' nicht, was die Menfchen thun und treiben, 
Und daß ich es nicht ſehe iſt ein Glück, 

Ich könnte nur mit Groll darüber fchreiben. 


Ya, ja, die Liebe geht bis über's Grab, 

Das fieht man ganz genau am heut’gen Tage, 
Ob man dem Tobten lebend Liebe gab, 
Das freilich ift wohl eine ſchwere Frage. 


Liebt euch und belft euch! weil ihr lebt und ſtrebt, 
Was hilft der ſchöne Kranz mit fetb’nem Banbe, 
Wenn ihr dem Lebenden jein Recht nicht gebt, 
Wenn ihr ihn quält bis zu bes Grabes Rande. 


Ihr habt ben Sterbenskranken oft geftärkt, 

Wenn er vor Schmerzen winjelte und ächzte, 
Doch euer flolzer Blid bat nie bemerkt, 
Wenn er nad Liebe und Vergebung lechzte. 











Joſef Sätiller. 


Da rennen fie mit Kränzen, Prunk und Schmud, 
Damit die Gaffer Glanz und Wohlſtand fehen; 
Hätt’ ich die Kraft, ich machte euch den Spud 
Und ließ die Todten wieber auferftehen. 


Mit fragenhaft verzerrtem Angeficht, 

Stürzten gewiß die meiſten Heuchler nieber 

Und flehten um ein gnädiges Gericht, 

Der längft verftorbnen Eltern, Schweftern, Brüder. 


Drum liebt euch und vergebt jo lang ihr Iebt! 
Wir alle find nur ſchwache Menſchenkinder. 
Berzeiht! Denn wer den erften Stein aufhebt, 
Der ift ber größte und ber fchwerfte Sünder. 


Die wahre Liebe zeigt fih buch Ihr Thun, 

Sie mag durch Glanz und Flitter nicht beitechen; 
Sie will nur gutes thun und kann nicht ruhn, 
Sie handelt edel ohne viel zu ſprechen. 


Drum ſprecht nicht viel, verlöicht mein Lämpelein, 
Ich bin kein Dane von Weinen und von Wimmern; 
Wenn ich einſt fterbe, wird ſich mancher freu'n, 

Und mancher wird ſich um's Begräbniß kümmern. 


Denn wer mich liebt, der liebt mich herzlich ſtark, 
Denn ich war ſtets ein luſtiger Geſelle; 

Zwei Heller giebt ein jeder auf den Sarg, 

Dann komm ich in bie letzte Einzelzelle. 


⸗ 
Sin Stimmungslied am Abend. 


(1896.) 


Er wohne hoch, ben „Thurm” nennt man das Haus, 
Wo ich jetzt lebe, träume, bichte, 

Blick ih zum Fenſter finnend ftil hinaus, 

Seh ich des Lebens brollige Geſchichte. 


Zwei Straßen kreuzen ſich dicht unter mir, 
Da geht's geihäftig zu und immer munter, 
Hier ſeh ich immer allerhand Gethier, 

Drum blid ih ganz bejonders gern hinunter. 


Die Krämer und bie Händler machen Licht, 
Um ihre Abendfunden anguloden, 

Ein freier Unternehmerpfiff durchbricht 
Den hellen Klang der Feierabendgloden. 


549 


550 


Joſef Säiller. 


Das Arbeitsvolk erſcheint im raſchen Lauf — 
Man bat’s auf ein’ge Stunden freigelafien — 
Und Lärm und Lachen tönt zu mir herauf; 
Sept wird's lebendig, laut in allen Gaflen. 


Sie ſeh'n der Lebensmittel allerlei. 

Doch vorwärts geht's, zu ihren Lagerftätten; 
Ste eilen überall jo raſch vorbei, 

So raſch, als wenn fie was geftohlen hätten. 


Gewiß bat jeber Hunger, doch Fein Geld, 
Ste dürfen fih fein Stüdten Fleiſch mehr gönnen, 
Mich wundert's, daß in biefer Krämermelt 
Die armen Leute auch noch lachen können. 


Nun bligt es auf, ringsum wird Licht gemadit; 
In allen Räumen, ſelbſt in Dachſpelunken 
Erſcheint bie herrlich nie bezähmte Macht 


Und wenn auf nur als Kleiner Feuerfunten. 


Mir gegenüber wohnt ein reicher Mann, 
Der füllt fih eben feinen fetten Magen. 
Wie Ichön, das ich ihn fo betrachten kann, 
Er ißt nicht raſch, jedoch mit viel Behagen. - 


Zwei munt're Kinder fiten mit am Tiſch, 

Mit vollen Wangen, ein paar böfe Jungen, 

Und eine junge Dame, ſchlank und friſch. 

„'s iſt die Verzieherin“, behaupten böſe Zungen. 


Ein ſüßer Klang dringt ſchmeichelnd an mein Ohr, 


Wer ſeufzt ſo hungrig wie im Liebesfieber? 


Ich hebe meine Augen raſch empor 
Und ſeh' in eine Kammer gegenüber. 


Da ſteht ein Knabe oder Jüngling ſchon, 
Ein junger Menſch mit kummervoller Miene, 
Er ſucht des Friedens nie gefund'nen Ton 
Auf feiner lieben, trauten Violine. 


Sein Auge glüht, die heiße Stirne ſchwitzt, 

Er blidt voll Hoffnung nad den ſchönſten Sternen, 
Indeß ein andrer bei der Lampe ſitzt, 

Denn das Kameel muß „griechiſch“ denken lernen. 


Das ift Studentenleben, das ift klar, 

Ihr mögt nun griechiich lernen oder geigen, 
hr hemmt den Vollmond fiber um fein Haar, 
Der eben jest beginnt emporzufteigen. 





Joſef Schiller. 551 


Da über allen Däcdern fleigt er auf, 

Und nur der Judentempel will ihn bindern, 
Jedoch Fein Rothſchild ändert feinen Lauf, 
Der Mond ift gut mit allen Menſchenkindern. 


Da kommt ein Windftoß, und in einem Nu 
Jagt über'm Vollmond eine dunkle Wolke; 
Ein zweiter Stoß! man madt die Fenfter zu, 
Und rührig wird es bei dem Krämervolke. 


Jetzt hebt ber Sturm ben Straßenftaub empor, 
Und Segen, faule Blätter, Lumpenreſte, 

Die wirbeln aufwärts in dem grauen Flor 
Und tanzen in die Zimmer ber Paläfte. . 


Der Sturm zerihlägt die Fenfter und bie Dächer; 
Es fauft und brauft und heult rings um den Thurm, 
Ha, gegen Straßenftaub, ba hilft fein Fächer, 

Ihr feinen Damen, hütet eu) vor Sturm. 


Die Poliziſten ſiehn in ihren Eden, 

Die hören nichts, fie find wie blind und taub, 

Die juchen fih im Winkel zu verfteden, 

Das macht ber Sturm, das macht ber Straßenftaub. 


Sept ift es fill, das Wetter ift vorüber, 
Und frieblicher geftimmt ift mein Gemüth, 
Und meines Nahbars Geige gegenüber, 
Die fingt ein muntres altes Freiheitslied. 


Sn 
Der Sozialdemokratie von Kord-Amerika. 


(Erfgienen im „Bollsanwalt” Elevelanb drei Wochen vor dem Zode bed Dichter! am 24. Juli 1897, 
anläßlich der ftattgefundenen Neuconftituirung der Nordamerilanifchen Sozialdemokratie.) 


hr Brüder, Freunde und Genofjen, 
Den Bund, dem ihr euch habt geweiht, 
Dem ihr euch freudig angefchlofien, 
Erhalte Treu’ und Einigkeit. 


Nicht habt ihr in Utopiens Fernen 
Den Plan der beſſ'ren Welt gejeh’n; 
hr feht ihn bei ben Landesiternen, 
Als hellen Punkt im Banner ftehn. 


Das ift ein großes, männlich” Wollen. 
Steht feſt zufammen, Weib und Dann. —- 
Die bangen „Wenn“ und „Aber” follen 
Ganz hinten geh’n, ber Muth voran. — 


552 


Joſef Säiller. 


/ 
Gebt acht nur, daß bie ſchwarzen Schäfer 
Verdunkeln nicht das Morgenroth. — 


de ſchlag' die Koloradokäfer 
In meinem Garten alle todt. 


Man kann die Viecher zwar verbrennen 
Und Del gewinnen aus dem Fett. — 
Doch Bauern, bie die Sachen kennen, 


‚Die fagen: 's flinft und iſt nicht nett. 


Der Geldſack figt auf hohem Roſſe 
Und füttert feine Preßlakei'n 

Und die gebrudten Giftgeſchoſſe 
Umſchwirren täglich eu're Reih’n. 


Die Lüge, biefer Judas⸗Jünger, 
Weckt Widerſtand und fpornet an, 
So wird bie Hehe guter Dünger 
Für euere Saat und eueren Plan. 


Der Mbuftrialtsmus, Brüder! 

Das Roß, auf dem ber Geldfad ſitzt, 
Tritt Kunft und Wiſſenſchaft barnieber ; 
Die Arbeit wirb mit Koth beiprigt. 


Es bricht fih Bahn buch Blut und Leichen, 
Es raſ't dahin, wie taub und blind. 

Der Geldſack ſpornt es in die Weichen, 
Denn er verfhont nicht Weib, noch Kind. 


Ihr ruft nun: Halt! Ihr wackren Streiter, 
Damit zu aller Menſchen Glück 

In kurzer Bett ber freche Reiter 

Bricht niederftürzenb fein Genid. — 


Drum muthig vorwärts voll Vertrauen, 
Nehmt meinen Brubergruß zu Theil, 

Den Männern Hoch, ein Hoch den Frauen, 
Und eurem Bunde Glüd und Heil! 


’ ” 
—— Sinnfpmd. — 
Mauss und Thatkraft kann nicht roften, 


Vorwärts geht es ohne Ruh; 
Mag es Blut und Leben Toten, 
Wie der Erbball ſtets nach Often, 
Drängt der Geift der Freiheit zu. 


—X 














Joſef Säiller. 


Fruͤhlingsgedanken. — 


riſch auf, liebe Brüber, ber Frühling erwacht! 
Kommt, laßt une ben Frübling begrüßen, 
Seht, wie ſich das Leben entwidelt mit Macht; 
D’rum laßt uns das Leben geniehen! 
Die jchwellenden Knoſpen, fie drängen hervor 
Und fprengen bie drüdende Hülle; 
AU überall keimt es und fprießt es empor, 
AM überall waltet in Feld und- in Flur 
Der großen; erhabenen Mutter Natur 
Algütiger, mächtiger Wille. 


Die Mutter Natur, ah, wie meint fie es gut 
Mit ihrem allmächtigen Willen! 

Und wie fie auch waltet und was fie auch thut, 
Es joll uns mit Ehrfurcht erfüllen. 

Dort — mo fie gewaltjam und ungerecht jcheint, 
Wenn ftolz ihre Kraft fie entfaltet, 

Da willen wir oft nicht, wie gut fie es meint. 
D’rum eilet, dem Frühling in's Auge zu jeh’n, 
Damit wir die Sprache der Mutter verfteh’n, 
Die alles zum Guten geftaltet. 


Es grünen die Bäume und jeglider Baum 
Sn feinem natürlichen Triebe, 

Er träumet bemußtlos ben ſeligen Traum 
Von Freiheit, Entwidlung, von Liebe. 

In allen den wachſenden Blättern fo Klein, - 
Da regt fih’s, wie Ringen und Mühen; 
Denn um zu erſtehen und um zu gebeih’n, 
Bedürfen fie al’ ber Bewegung des Lichte. 
Gebricht es an biefem, an allen gebricht's — 
Dann gibt es Fein Grünen und Blühen.. 


Schaut Bin, wie der Sonne allmädtiger Strahl 
Erſchließet gewaltige Quellen! 

Die rauſchen ale Wafler vom Berge zu Thal, 
Um Flüffe und Ströme zu fchwellen; 

Und in den gewohnten alltägliden Lauf 

Da drängen und treiben bie Fluthen. 

Dft über die Uferwand fleigen fie auf, 

Die Felder verwüflend, die Saaten, das Land — 
Doch mo fie gezügelt bes Menſchen Verftand, - 
Berwandelt fi alles zum Guten. 


553 


554 


Joſef Schiller. 


Wir hören das Braufen, es bebt fi die Brufl. 
Und wenn wir bie Slutbhen erbliden, 

Da möchten wir, al’ ihrer Kräfte bemußt, 

Die Menfchheit entfefjeln, beglüden. — 

Es drängt uns zu ſchaffen, wenn alles erblübt, 
Es regen fih Keime und Triebe, 

Ein mächtig Verlangen bie Beifter durchgläbt. 
Und fo, wie bewußtlos der grünende Baum, 
So tragen bewußt wir in's Leben ben Traum 
Bon Freiheit, Entwidlung und Liebe. 


D’rum, Brüder, o nüßet die goldene Zeit, 

Ein Frühling ift wieder erjchienen. 

Schafft Freiheit und haltet die Liebe bereit, 

Dann werden die Saaten euch grünen. 

Schafft Freiheit, dann wird die Entwidlung gedelh'n 
Und fallen des Vorurtheils Schranke; 

Gleich werden wir endlich und oͤruderlich ſein, 

Und ferner nicht Glauben, nicht Namen und Stand 
Uns irennen; es tritt nur in freiem Verband 

In's Leben der freie Gedanke! 


So wirb durch der Freiheit ermärmenden Strahl 


Urewige Kraft uns erfreuen, 


Serab von ben Höhen des Willens zumal 
Erkenntnuß und Wahrheit erneuen, 

Damit die Na.ur uns zum Helle ericheint, \ 
Und ihre gewaltigen Fluthen 

In's Strombett des Segens gebahnt und vereint, 
Gluckbringend verjüngen die Saaten, das Land; 
Denn wo fie begegnen bes Menſchen Verſtand, 
Verwandelt ſich alles zum Guten. 


arte 








= Heinrih Bartel 


Heinrich Bartel wurde am 9. Oftober 1874 in Reichen berg geboren, wo 
ex die Vollsſchule befuchte. Mit drei Jahren ſchon verlor er den Vater und die Mutter 
fah ſich gezwungen, den der Schule entwachfenen Burſchen fofort „verdienen“ zu ſchicken 
So arbeitete er eine Zeit hindurch als „Spinnerjunge“ und dann als Meber in ver: 
ſchiedenen Fabriten Reichenberg's. Zu Anfang des Jahres 1889, al die Arbeiterbemer 
gung nach der Perfecutionäzeit wieder im Aufblühen begriffen war, beſuchte er die erfte 
Volisverſammlung und trat dann bem bald nachher gegründeten Fadjverein der Tertil- 
arbeiter als Mitglied bei. Durch Iofef Schiller, den in Norbböhmen wie Fein zweiter 
beliebt geweſenen Voltsdichter und Voitsredner, der ſich feiner warm annahm, wurde er 
mit ber Urbeiterbervegung immer vertrauter, bis er ſchließlich, durch Schiller dazu auf: 
gemunteit, anfangs bei Meineten, und dann bei großen Berfammlungen als Rebner aufs 
trat. Nachdem er einigemal gemafregelt worden und um fi} durchzuſchlagen die vers 
ſchledenſten Arbeiten verrichtet hatte, fam er im Jahre 1894 durch Vermittlung Victor 
Adlers nah Wien. Von dort ging er auf Wunſch ber bortigen Benoffen nad) Braz 
und fpäter nad Teplig, mo er noch heute mit feiner Frau, ber Tochter Joſef Schillers, 
lebt und als Redakteur der „Freiheit“ und Redner für die Partei thätig ift. Bartel 
Hat in vielen, Parteiblättern Gedichte und Feuilletons veröffentlicht und zu verfchiedenen 
Arbeiterfeſten Prologe, Feitgebichte und Liederterte geſchtieben. Dann gibt er alljährlich 
die „Peitſche“, ein Humoriftifch-fatgrifches Faſchingsblatt, und in zwangsloſer Reihen 
folge erſcheinende zeitgemäße Lieberfammlungen heraus, Außerdem gab er unter dem 
Titel „Norbböhmifhe Mänge“ eine Sammlung von Arbeitergedichten aus Nordböhmen 
heraus. B 











Ich bin ein freier Aängersmann. 


3 bin ein freier Sängersmann, 
Hab weder But no G 

Mein Reichthum tft mein —* Sinn, 

So zieh ich durch die Welt. 


Und wo ich fee Menichen ſeh, 
Da Halt ih kurze R 

Denn wo bie Freiheit Wirthin iſt, 
Da bin ich gerne Gaſt. 


Ich ziehe rüftig meine Bahr. 
Und fireu’ ber Zukunft Saat, 
Ich finge laut und jedes Lieb 
Sei eine kühne That. 


Es brauſe dur das Weltenall 

Wie ein Entrüftungsjchrel, 

Wie Donnergrol und Sturmgebraus 
‚ Tön’ feine Melodei. 


Bis in die Stickluft unf’rer Zeit, 
Ein freier Odem zieht; 

Kein Sklave mehr vor einem Herrn 
Sn Demuth niederkniet. 


Bis alle Schläfer aufgewadt, 
Tön’ es mit hellem Klang, 

Es jet der Freiheit Siegeslied, 
Der Knechtſchaft Grabgefang. — 


So zieh ich fingend durch die Welt 
Und rufe auf zum Streit, 

Ich will der Freiheit Lanzknecht fein, 
Ein Sohn der neuen Zeit. 


DIE 


558 Heinrich Bartel, 














— Lehnfnät = 


Lin jeder Meni bat feine Sehnfucht, 
Die man ihm niemals rauben fol, 

Sie ift ein Theil des Menfchenlebens, 

Bald macht fie froh, bald kummervoll. 

Wenn alle Freunde uns verlaflen, 

Wenn es an allem uns gebricht, 

Sie bleibt uns treu bis an das Enbe, 

Nur fie allein verläßt uns nicht. 

Sie ift der Duell von Luft und Thränen, 

Se ärmer unjer Herz fih fühlt, 

Se größer iſt der Schmerz der Sehnfudt, 

Der tief in jenem Innern wählt. | 


Wenn einfam, von ber Welt verlaflen 

Der Menih den Kampf ums Leben ringt, 
Wenn jeder junge, neue Morgen 
Ihm neuen Schmerz und Sammer bringt; 
Wenn Krankheit ihn ans Lager kettet, 

In feinem Heim die Armuth wohnt, 

Da fehnt er fi, fo heiß, jo innig 

Nach Liebe, die im Herzen thront. _ 


Der Arme, ber ſich raftlos ſchaffend 

Im Kampf um's Dajein plagt und mübh’t, 
Und dem als Lohn für al fein Mühen 
Nur Elend, Noth und Kummer blüht, 

Er jehnt ih Stil nach frohen Tagen, 

Er bofft und ftrebt nach jener Zeit, 

Wo man fein Wirken ehrt und achtet, 

Er jehnt ih nah Gerechtigkeit 


Den Züngling treibt Die Sehnſucht raſtlos 
Nach feines Herzens deal. — 

Die Liebe leitet jeine Schritte, 

Sie ift fein Slüd, fein Hoffnungsitraflt — — 
Das zarte Kind bat Ichon fein Sehnen, 
Und felbft ber altersſchwache Greis 

Sieht noch am Rande feines Grabes 

Die Sehnſucht blüh’n als grünes Reis. 
So hat ein jeder feine Sehnjudt, 

Die er ganz ftil im Herzen trägt, 

Sie bleibt ihm treu bis an das Ende 

Und wird mit ihm ins Grab gelegt. 


> 


Heinrih Bartel. 


Beruf. 


(Un bie Arbeiter des Böhmerwaldes.) 
/ 


Armen Volk des Böhmerwaldes 
Hör’ den Auf der neuen Zeit; 
Raff' dich auf zu ernftem Ringen 
Sm dem großen Bölkerftreit. 
Hoch im Walde, tief im Schadte, 
Shaffft du emſig und gewandt, 
Wirkſt zum Ruhme und zum Segen 
Für dein liebes Heimathland. 


Blid um dich! Sieh’ beine Berge, 
Sieh’ den ftolgen Tannenmwalb; 
Alles, was das Auge feflelt 

Mit des Reizes Allgewalt; — 

Das romantiiche Gebirge 

Deines Waldes Hetligthum 

Zeugt vom Schweiße beiner Stirne 
Und zum Fluch wird dir fein Ruhm. 


Armuth herrſcht in deinen Bergen, 
Weil du arm noch bift an Muth; 
Kennft nicht das Gefühl der Freiheit, 
Und bes Bornes heilge Gluth. 
„Arbeit ift des Bürgers Zierde, 
Segen ift der Mühe Preis.“ 

Doch ſag' an, wo bleibt bein Segen, 
Wo der Lohn für deinen Fleiß? 


Eag’, wer tft es, ber dich tröftet, 
Wenn bie Hungerihräne quillt, 
Welcher Heiland fommt zu Hilfe 

Der des Grames Schmerz dir ſtillt? — 
Niemand kommt um dich zu retten; 
Hilf dir ſelbſt, dann Hilft bir Gott, 
Deine Kraft und deine Macht nur 
Wird befrein dich aus der Noth. 


Sag’ bie Dummheit aus den Bergen, 
Dann erft wird es befler fein, 
Denn bie Armuth, jagt der Dichter, 
Sf der Dummheit Töchterlein. 
Frömmelei und Aberglaube _ 

Sind ber Dummbeit anverwandt. 
Jedes kühne Vorwärtsſtreben 
Hemmen fie mit ſtarket Hand. 


559 








560 Heinrich Bartel. 





Und feit alten, ew’gen Seiten 
Haben fie die Noth vermehrt 

Und dem Volle alle Freuden, 

Jedes Lebensglüd vermehrt. 

Denken follft du! Der Gedanke 
Gibt dem Streben Götterkraft 

Und erwedt in deinem Herzen 

Der Begeift’rung Leidenſchaft. 


Wie ein Funke, ben ein Windſtoß 

Kühn zur Flamme angefacht, 

Loh' die Flamme der Begeift'rung 
Mädtig in bie finft’re Nacht. 

Nur ber eig’nen Kraft vertramne, 
Brich die Fefleln ſelbſt entzwei! 

Du allein bift dein Erlöfer, 

Drum wach auf! Dann wirft du frei. 


ar 
>>% Sufvefer. 3 


a8 Jahr verrinnt, es geht zu Ende, 

Und während es zu Grabe fintt, 
Rings auf dem ganzen Erbenrunde 
Der legte Abſchiedsgruß erklingt. 


Das lebte Lied zur Scheibeitunde, 
Das von den Lippen leile fließt, 

Es wird zum Hoffnungs-Hodgelange 
Der laut das neue Jahr begrüßt. 


Es iſt das Lieb von beff’ren Zeiten, 
Das ewig durch die Lande cn, 

Es Elingt in jedem Herzen w 

Das fh nah Glück und reihen fehnt. 


\ Die Menichen kommen und vergeben, 
Das Leben tft ein Augenblid, 
Wir fehen Haß und Liebe ſchwinden 
Doch nicht die Hoffnung nad dem Glück. 


Der Höffnungstraum wird ſchon dem Finde 
In's jene Herz hineingelegt, 

Er lebt in uns, bis man am Ende 

Den müben Leib zu Grabe trägt. 





Heinrich Bartel. 


Auch heute fieht das Traumbilb wieber 
Bor unf’rem Geifte bel und Klar, 
Und mit ber Hoffnung in bem Herzen 
Begrüßen wir das neue Jahr. 


Wir wollen Fühn mit feftem Blide 
Der Zukunft in das Auge fehn, 
Denn uns bejeelt fiets ein Gedanke: 
Das Wiſſen, daß wir vorwärts gehn. 


Wir willen, daß die Zahl ber Streiter 
Mit jedem Tage größer wird 

Und daß die Bahn, auf der wir geben 
Uns endlich doch zum Siege führt. 


Die alten Vorurtheile ftürzen, 

Wenn wir geeint zufammenfiehn, 

Und wo Gewalt und Willfür ihronen, 
Dort werden Freiheitsbanner wehn. 


Drum laßt uns muthig weiter ringen 
Für aller Menſchen Wohlergehn, 
Bedentend, daß wir an der Wiege 
Des zwanzigiten Jahrhunders ftehn. 
Das Ziel liegt nah, der Weg ift offen, 
Nur vorwärts Brüder in den Streit. 
Ruft laut hinaus in alle Winde: 

Wir kämpfen für Gerechtigkeit. 


N 





—— Griffe Predigt. — 


ört! ihr Leute, bier auf Erben 
Soll es wieder dunkel werben, 
Friſch gewagt ift halb gethan, 
Darum vorwärts, friih voran. 
Nehmt dem Volk die Schule. 


Hat die Schule man in Händen, 
D, dann wirb filh alles wenden, 
Alles tanzt dann, eins, zwei, brei, 
Nah dem Wunſch der Cleriſei, 
Und gehorcht den Pfaffen. 


Ale Redner, Journaliſten, 
Und die rothen Soztaliften 
Werden dann in einer Nacht 
Alle heimlih umgebracht, 

Dann wird Ruhe werben. 





561 


36 





562 


Heinrich Bartel. 


Leien, Rechnen und auch Schreiben 
Wird man künftig nicht betreiben, 
In der Schul’, wie ſich's gehört, 
Wird nur Religion gelehrt, 

Denn bie ift jehr wichtig. 


Scheiterhaufen, Vehmgerichte, 

Steh'n uns trefflich zu Geftchte, 

Und bie Folterlammer auch 

Sind uns ein fehr lieber Brauch; 
Hoch das Mittelalter. 


Alle Länder bier auf Erden 
Müfen dann ein Staat nur werben, 
Und die Schwarzen ganz allein 
Werden tonangebend jein 

Mit dem Papft als König. 


Alles tanzt nah unſ'ren Noten; 
Denken, bas wird ſtreng verboten, 
Nur die Dummbeit fol allein 
Alsdann noch gebulbet jein, 

Die kann uns nicht ſchaden. 


Darum merket was ih jage: 
Predigt fleißig alle Tage 
Nur die Dummheit weit und breit, 
Damit unfer Wert gedeiht, 

Seid gejegneti Amen. 


— 000 — 


Die Hpfer der Gewalt. 


8 war ein ſchöner Maientag, 
Die Schlote der Fabriken dampften, 
Die Luft war rein und ar, indeß 
Sm Saale die Mafchinen ftampften. 
Ich ging hinaus zum grünen Wald 
Wo luſtig, frei die Bäche zaufchen, 
Um dort im Tempel der Natur 
Dem Sang der Bögel jtill zu Taufchen. 


Es war jo ſchön, Jo wunderſchön, 
Am Himmel ftand die golb’ne Sonne, 
Und in den Lüften jubelte 

Die Lerche laut vor Luft und Wonne. 
Ich jah im goldnen Sonnenftrahl 
Die bunten Schmetterlinge fliegen 
Und auf ber Tanne bünnem Aft 

Das muntre Eihhorn Iuftig wiegen. 


⸗ 








Heinrich Bartel. 563 


Vom Berge jah ih in das Thal 
Wo al die armen Leute wohnen, 
Die ſtumm im Kampfe mit der Noth 
Bei dröhnenden Mafchinen frohnen. — 
So war ih lang umbergeirrt, 
Bergauf, bergab ging meine Reife, 
Da tönte mahnend an mein Ohr 
Der Klang ber Abendglode leiſe. 


Um Raft zu Halten, warf Ih mid) 
Srmattet auf die Haide nieber, 

Und leife ſenkte ſich ber Schlaf, 

Auf meine müden Augenlider. — — 


— .— [U 1 — — — — — [U U —— 


Da ſchien es mir im Traume fo, 

Als hätte Stimmen id vernommen, 

Und ſchon fah ich den Berg berauf 

Drei geifterhafte Weſen kommen. 

Ste kamen immer näher ber, 

Mir triebs das Herzblut in die Wangen; 
Ich hörte, wie im Grabeston 

Sie leiſe Klageliever fangen. 


Da waren fie! Das Schredensbilb 
Vergeß ich nie im Leben wieder, 

Mir war's, ala käm der Tob zu mir, 
Der Schreden lähmte mir die Glieder. 
Nun ftanden fie ganz dicht vor mir 
Und wollten nicht von bannen geben; 
Die Augenhöhlen waren leer, 

Ste waren ſchrecklich anzujehen! 


Ich ſchwieg; da trat ber eine vor, 
Und eh’ ich zu mir felbft geflommen, 
Eh’ ih mich no vom Schred erholt, 
Hatt’ er mich bei der Hand genommen. 
Er ſprach: „Heut ift ber Jahrestag, 
Mo man das Leben uns genommen, 
Und jedes Jahr an diefem Tag 

Da müflen wir zur Erbe kommen. 


Als Zeugen einer ſchweren Zeit 

Das arme Bolt wir wollen mahnen: 
Denkt ftets an uns! Vergeßt uns nicht, 
Geht vorwärts auf der Freiheit Bahnen. 


36° 


564 Heinrich Bartel. 


Verzeiht, o Brüder, jenen nicht, 

Die uns den Tod gegeben haben, 

Die uns, als wir nah Brot gefchrien, 
Kalt Blei und Pulver gaben.“ 


„„Wer bift du?““ frug mit Bittern ich, 
„„Wer bat das Leben euch genommen ? 
D fagt mir doch, warum, weshalb 

Seid Zhr ans Licht herauf gekommen?" * 
Da ſprach er matt: „Du kennſt uns nicht, 
Kannſt meine Rede nicht verftehen? 

D ſag', haft du uns niemals noch 

In beinem Leben je gejeben? 


Beſinn dich do! und ſchau uns an, 

Dann wirft du niemals wieder fragen; 

Denn wer wir find, das werben bir > 

Ganz deutlih unf’re Wunden jagen. 

Wir find glei dir bu lieber Freund, 

Dem Proletariat entiproffen, 

Wir find Die Opfer der Gewalt, 

In Dörfel!) wurden wir erfhojfen — — —.“ 


EEE „CE GEM GEMBmEEE GE dEMEEEEED dm GE GM rvs 


Und ehe bleih vor Schred ih noch 

Ein Wort von meinen Lippen brachte, 

Da kam ein Sturm, das Bilb verſchwand, 
Mein Herz ſchlug heiß, als ich erwachte. 


Aßc 
—— ger Krk. — 


a gebt er, der vom Schweiß der Armen 
Dermögend fih und reich gemacht, 

Dem unf're Noth und unjer Hunger 

Den Ueberfluß ins Haus gebradt. 


Der feine Stoff an feinem Körper, 

Die weiße Wäſche, wie pifant, 

So blidt er fragend durchs Monocle: 
„Aeh, fagt mir, bin ich nit charmant?“ 


Auf hohlem Schädel ben Yylinber, 

Den Gigerlfiod in jeiner Hand, 

Bald rechts bald Links recht proßig grühend, 
Mit jeder Dirne gut bekannt. 








°) In Dörfel bei Reichenberg wurden am 21. Mat 1896 während eines Tertilarbeiterfireits 
‚sei Arbeiter erſchofſen. is 8 “ 





Heinrich Bartel. 565 


Die gold’ne Kette auf dem Bauche, 
Ein Ring faft jeden Finger „ziert“, 
So flieht man ihn wie er tagtäglich 
Das Straßenpflafter firapezirt. - 


Nun denkt einmal den Schmud, bie Kleider, 
Das Geld von ihm escamotirt. 

Seht frag’ ich euch, was bleibt noch übrig, 
Womit der Affe imponirt. 


Ar 
Gruß dem Zeimgekehrten. 


(Dem aus 141!zjähriger Kerkerhaft mwiedergelehrten Genoſſen Ehriftof Ezerny. Czerny war ba8 ſchwerfſte 
Opfer der Perfecutionsperiode der Sozialdemokratie In Böhmen. Er verließ am 15. Ault —* die Straf⸗ 
anftalt Pil ſen. Kaum 4 Monate fpäter ſtarb er an ben Folgen ber jahrelangen Kerkerhaft.) 


J. tragiſch duſt're forgenvolle Zeiten, 

Hat uns dein Gang zur Freiheit jäh verfekt; 
Sn Beiten, wo man uns wie Wild gehekt, | 
Weil wir e8 wagten, für das Recht zu fireiten. — 
Mit Blut und Thränen ift die Bahn gedüngt 
Auf der das Volt zum Lichte raftlos bringt, 

Auf der es kämpfend um bie Freiheit ringt. 


In om und Scham muß fih bas Auge ſenken, 
- Wenn unfer Geift in das Vergang'ne ſchweift, 

Wenn die Erinnerung das Wort ergreift, 

Um trüben Sinns zurüdzudenten. 

Es klirren Ketten und im bumpfen Ton 

Schallt frevelnd zügellos wie Spott und Hohn 

Der Kampfesruf der finft’ren Reaction. 


Wir hören Richter kalt ihr Urtheil ſprechen, 

Das Tobesurtheil für jo manden Freund, 

Um den ein Weib voll Gram und Kummer weint, 
indes im Kerker feine Kräfte brechen. 

Man ftrafte ftreng das leifefte Vergeh’n; 

Und weil’s auf höheren Befehl geiheh'n, 

So mußten Hunderte zu Grunde geh'n. 


Wir wurden den Verbrechern gleich verachtet, 

Und höhniſch außerhalb bes — geiell; 

Arm und verlaflen von der ganzen 

Iſt mander Freund in Kerkers —* Nſqhmachtet. 
Man hat uns zornig vogelfrei erklärt, 

Weil wir uns gegen die Gewalt gewehrt, 

Weil wir als Menſchen gleiches Recht begehrt, 





566 


Heinrich Bartel. 


Du haft fie mitgelebt die Schredenstage, 
Du bift ein Opfer no aus jener Zeit, 
Wo MWillür uns das Recht entweiht 

Und Alles nieberriß mit einem Schlage, 
Was wir mit Müh’ und Sorge aufgebaut 
Indem wir muthvoll ſonnenwärts gejchaut 
Und unſ'rer Kraft und Einigkeit vertraut. 


Man hat dein Beſtes damals dir genommen, 

Der Juüngling kehrt als Mann zu uns zurück; 
Doch haſt ber Jugend Froͤhlichkeit und Glück 
Mit deiner Freiheit bu zurückbekommen? — 

Des Lebens Frühling, deine Blüthezeit, 

Starb Hin in Kerlere-Grauen, Gram und Leib 
In weltenferner düft’rer Einjamteit. 


Nun haft die Leidensflätte bu verlafien, 

Doc eines blieb dir — bie Erinnerung 

An jene Zeiten der Entwürdigung. 

Dir bleibt der Groll im Herzen und das Haffen. 
D ſchüure der Entrüftung beil’gen Brand,- 

Er leuchte bir als filh’res Unterpfand, 

Daß wir dein Streben ala gerecht erfannt. 


Vergiß nun jegt vergang’nen Schickſals Weben, 
Trag bo) das ftolze Haupt als freier Mann 
Und Mage trotzig die Gewalten an, 

Die fait vernichtend griffen in dein Leben. 
Dort, wo bes Volkes rothe Banner weh'n, 
Wird deine Jugend wieder auferfteh'n, 

Drum folft du Fühn dem Feind ins Auge ſeh'n. 


Nimm unſ're Hand! nimm fie zum Gruß entgegen, 
Wir ehren dich als tapfer'n, echten Freund; 

Und jene Liebe, die uns heute eint, 

Ste folge bir auf allen deinen Wegen. 

Sie Fhmüde deine Dornentrone grün, 

Daß Freud’ und Hoffnungen bir neu erblüyn; 
Und Rraftgedanten dein Gehirn durchziehn. 


Dein Kommen fol uns neue Kräfte geben 
Bu ernſtem Kampf im beil’gen Völferkrieg; 
Und im Vertrauen auf des Volkes Sieg 
Gilt nur der Sache unfer ganzes Streben. 
Indem wir kämpfen mit des Willens Macht 
Für Necht und Pflichten gegen Niedertracht, 
Sei für dein Opfer dir der Dank gebradt. 


A 





Heinrih Bartel, 


>> Kıenes Lehen I 


m Frühling wenn die Veilden bluh'n, 
Wenn alle Knoſpen fpringen, 
Und wenn von Lieb und Liebesluft 
Die Heinen Böglein fingen, 
Da iſt's fo jchön 
Zum Wald zu geh'n, 
Hinaus auf Feld und Flur. 
Und groß und klein 
Sm Sonnenſchein 
Erfreut fi der Natur. 
Und überall 
Auf Berg und Thal 
Herrſcht Siebe rings auf Erben. 
D, wenn es für den Armen bo 
Bald möchte Frühling werden — —. 


Der Arme kämpft jahrein, jabraus 
Mit Noth und mit Beichwerden; 
Er plagt und grämt ſich ewig fort 
Und kann nicht glüdli werden. 
Er grämt fih ab 
Bis in das Grab, 
Bis ihm das Auge bricht, 
Doch was er ſchafft 
Durch Muth und Kraft, 
Man achtet ſeiner nicht. 
Doch kommt die Zeit, 
Wo weit und breit 
De Armen ſich vereinen, 
Dann wird auch einſt für fie einmal 
Die Fruhlingsſonne ſcheinen. 


3% 
—— Gerechtigkeit. — 








rei Wochen”, ſpricht ber alte Mann, 


„Drei Wochen, das ift viel, 
Weil ih nun nicht mehr Ichaffen kann 
Und doch nit hungern will, — 


Ich babe nun fait fünfzig Jahr 
Geſchafft als braver Mann, 
Und jett find meine Kräfte gar, 
Was fange ih nun an? — 


567 


568 . j Heinrich Bartel, 


Aus einem Strafhaus faum heraus, 
In's andere hinein; 

So gebt es fort jahrein, jahraus, 
O, ſchrecklich, arm zu ſein. 


Zehn Jahre war ich Grenabier, 
That treulich meine Pflicht, 

Ein Kreuz befam ich wohl dafür, 
Doch Brot befam ih nid. 


Das Bein verlor id in ber Schlacht, 
Den Arm in ber Fabrik, 

3a, ja, ich hab es weit gebracht.“ — — 
Sprit er mit naſſem Blid. 


Der Nichter, des Geſetzes Hort, 

Er fühlt des Alten Schmerz; 
Doch bier bat bas Geſetz das Wort 
Und nit das Menjchenherz. - 


Drei Wochen, wie das Urtheil ſpricht, 
Sperrt man ben Alten ein, 

Denn Gnade gilt nicht vor Gericht, 
Gerechtigkeit muß fein. 


IE 


Sebermenfchentium. —— 
5 Anhbrung eines Vortrages Über Friedrich Niezſche.) 
v 


enſeits geht von Gut und Böſe, 
ebt am Alltagsſtaube nicht. 
Steigt empor, ſeid neue Menſchen!“ 
Alſo Zarathuſtra ſpricht: 


„Was da ſchwach iſt, das laßt ſinken, 

Nur der Kraft gebührt der Ruhm. 
Schwingt euch auf aus Schutt und Moder, 
Auf, zum Uebermenſchenthum!“ 


Neue Lehren, neue Götter, 
Neues Tommt, bas alte fällt, 
Aber alles kehrt einft wieder; 
Das tft jo der Lauf ber Welt. 


Uebermenſch? bleibt mir vom Halje, 
Denn mich lehrt der Zug ber Bett: 
Daß ihr Feine Uebermenſchen — 
Ja nicht einmal Menſchen ſeid. 


BE 


























Heinrich Bartel, 


Der Schrei der Befegten. 


..... Nun iſt's vorbei, wir ſind geſchlagen, 
Die Noth hat uns zu Fall gebracht; 

Ihr habt uns kalt zurückgeſchleudert, 

In unſ'res Elends finſt're Nacht. — 

Doch höhnt uns nicht, und handelt menſchlich; 
Bewahrt uns vor dem Hungertod. 

Bevenkt die Kraft ber großen Maſſe — 

Web’ Eu! wenn uns Verzweiflung droht. 


Der Streik mißlang, wir müfjen grollend 
Ins och zurüd, ins alte gehn, 

Doch jubelt nicht! balb Klägt bie Stunde, 
Wo wir von neuem vor euch flehn. 

Wer dann fliegt, mag die Zukunft lehren — 
Wir find bereit! Und thut es noth, 

Dann fol Fein Bitten uns erweichen, 

Weh' Eu! wenn uns Verzweiflung droht. 


Wir find der Grundſtein des Gebäudes, 
Das ihr beberriät, wir find der Staat. 
Sm uns liegt eu're Macht und Größe, 
Sn uns, dem Proletariat. 

Drum ſeid gerecht gerechten München, 
Denn wibt, die Noth kennt fein Gebot; 


Und zwingt uns nicht, au wir find Menfchen. 


Weh' Eu! wenn uns Verzweiflung brobt. 
— — — 


— Ffingfien. — 


Wſingften! Herab vom Kirchenthurme 
Ertönt der Glocke heller Klang, 

Und in den Jubelton der Vögel, 

Miſcht fih der Gläubigen Gejang. 

Es ift das Feſt des „heiligen Geiftes,“ 

— Geht ihr die Prozejfionen ziehn? — 

Der, wie bie Bibel uns berichtet, 

Als weiße Taube einft erfchien. 


Wenn man auch heute ſolchen Wundern 
Den rechten Glauben nicht mehr ſchenkt, 
Es wird doch unfer Thun und Handeln 
Bon einem heiligen Geift gelentt, 

Bon einem Geift, der uns regieret, 

Der fih in jedem Menſchen regt, 

Der unjer ganzes Wollen leitet, 

Das große Rab ber Zeit bewegt. 








569 


570 


Heinrih Bartel. 


Der beilge Geiſt, der Geift bes Lichtes, 
Der Geift bes For ſchritts ift erwacht, 
Der in den Herzen aller Voͤlker 

Die Freibeitsflamme angefacht 

Die Nacht entflieht, bald wird es tagen, 
Eeht wie fih ringsum alles regt, 

Die Flamme wird zum Feuerbrande, 
Der bis hinauf zum Himmel jchlägt. 


Der Riefenbrand wird täglich größer, 

Er bricht mit Schnelligkeit fih Bahn, 

Sa, er durceilt die ganze Erde 

Gleich einem wüthenden Orkan. 

Hört! wie e8 Fracht und ziicht und praflelt, 
Schon finft des Aberglaubene Macht; 

Die Dummbeit ftürzt von ihrem Throne, 
Seht wie die Freiheitsionne lacht. 


Bald wird's für alle befler werden, 

Das Nachtgewölk, es wird verwehn, 

Wenn alle Armen, Unterdrüdten 

Den Geift der Wahrheit recht verftehn. 
Wenn wir nah Net unb Freiheit ftreben, 
Dann wird ber Feind zum Fall gebracht, 
Der uns durch taufendjähr’ge Herrſchaft 
Zu willenlojen Eflaven mad. 


Ihr ſollt cuch ſtets ale Menichen fühlen; 
Erfült ale ſolche eure Pflicht, | 
Berfiört den Wahn bes Aberglaubens 
Und ftrebt nch Willen, Recht und Licht. 
Dann wird euch einfl die Nachwelt ehren, 
Denn was thr fchafft, das wird beftehn; 
Mag au bie Mitwelt euch verjpotten, 
Das Gute fann nicht untergehn. 


LIION 





Dr. Wilh. Ludwis Rofenberg. 





Dr. Wilhelm Ludmig Rofenberg, geb. 10. Januar 1850 in Hamm (Meft- 
falen), ft der Sohn eines ftäbtifchen Veamten, der früh ftarb. Sein Stiefvater, ein 
Giefermeifter, gab {hm eine gute Erziehung. Gr ftubirte Philologie und Philofopbie 
und mar jahrelang Yehrer des Lateinifchen Im Jahre 1875 begann er für die Sopial- 
demotratie zu fchreiben und war Mitarbeiter der „Neuen Welt“ u. | mw. Nach) Erlak des 
Soylaliften-Befeßes wanderte‘ er (1880) nad) den Vereinigten Staaten aus, wo er zuerft 
in Bofton Lehrer, fpäter Redakteur in der „Chicagoer Arbeiter: Zeitung“ war. Rofen: 
berg ging 1884 nach Nem:Vort, um an dem Wiederaufbau der Soyialiftifhen Arbeiter: 
Partei zu arbeiten. Er war I Iahre lang Mational-Sektetär der Bartet und amet Jahre 
Nebatteur des Martei-Organs. Mac) der Spaltung der Partei im Jahre 1890 j0g er 
fid) von der aftiven Agitation zurüd und ging nach Cincinnati, wo er ſechs Jahre Mit: 
rebakteur der Cincinnatier Zeitung und fpäter Redakteur des Cinc. Tageblattes war. 
Iſt augenblidlich in Cleveland journaliftiih thätig. Bon feinen Schriſten erſchienen 
furz vor feiner Auswanderung „Lieder und Gedichte"; fpäter in Verlag von Schabelig, 
Zürich: „Aus dem Neich des Tantalus." Wie fein Landsmann Freiligrath verfaßte er 
eine große Anzahl fozlalpolitiiher Gedichte, die durch die beutichzamerifaniiche Preffe 
gingen. Nofenberg verfuchte fi) auch als diamatiſcher Dichter und ließ in Cincinnati u. 
a. ein foziales Drama: „Erambleton" aufführen, das einen fehr großen Erfolg erzielte. 
In einem zweiten Vühnen-Werte: „Auf der Moralmage“ behandelte er das Mrinzip 
der Keuſchheit und Tugend der Frau in modernem Sinne vom fozlalpolitif—en Stand 
punkte aus. Er gebenit ſich ganı ber Bühnenfehriftftellerei zu widmen, bie er eigenar» 
tig geftaltet, indem er bie mirthfchaftlichen Beregungägefeie auf das Drama anmenbet 
und damit den Naturalismus zu überwinden fucht. 








Reines Katers Glanbensbehenntniß. 


nen Zettel hatt’ neulich der Lehrer geſchickt 
Für Vater und Mutter beide. 
Mein Bater bat lachend darunter gelebt: 
„Memento! Ich bin ein Heide. 


Ich glaube nicht, daß zum Jammerthal 
Die Erde iſt auserkoren. 

Ich glaube nicht, daß der Menſch auf thr 
Als Sünder ift geboren. 


Ich glaube nicht, daß wir an Kreuz und Noth, 
An Schreden und Tod ſoll'n benfen, 

Die Blide von bier in ein Land bes Sputs, 
Sm büftere Nebel ſoll'n Ienten. 


Ich glaube nicht, daß wir demüthiglich, 
Zerknirſcht die Knie' ſoll'n beugen, 

Vor einem ſtrafenden, rächenden Gott, 
Bon dem viel! Menſchen zeugen. 


Ich glaube auch an die Abtöbtung nicht 
Des Fleiiches und des Leibes, 

An die Seele, geklärt von Leidenſchaft, 
Stumpf gegen die Liebe des Weibes. 


Ich glaube nit an die Durchgangsſtation 
Der Erde als Vorplatz vom Himmel, 
Trotz inbrunſtvollſtem Kirchengeſang 

Und lauteſtem Glodengebimmel. 


Ich glaub' nur, daß man, bie Femuih lehrt, 
Damit die Dummen ſich ducken 

Und die Armen, Geknechteten, geiftesblind, 
Nicht ob ihrer Ketten muden. 


Damit fie geduldig fie jchleppen dahin, 

Als göttliche Strafe bewundert, 

Für Sünden und Schuld, die das s Den] chengeſchlecht, 
Belaflen ſeit zwanzig Jahrhundert 


574 


Dr. W. 2. Rofenberg. 


Ich glaub’ an bie Schönheit ber ewigen Welt, 
Und die wahre, menſchliche Güte, 

An bie Liebe und Freude, fowie das Kind 
Glaubt an die Yuderbüte. 


Ich glaub’ an das Licht des Geiftes auch, 
Und oft an gründliche Hiebe, 

Als Hebel und Fortichrittselement 

Der thätigen Menſchenliebe. 


Ich glaub’ an ein Donnermetter auch 
Und glaub’ auch an die Rache 

Der gefränkten Natur, und an ben Sieg 
Einer heiligen, großen Sache. 


Dies mein Belenntniß, Herr Lehrer! Ich hoff’, 
Sie nehmen’s mir nicht zu Leibe, 
Und werben verfteh'n, warum ih bin 
Mit Gruß 
hr ergebener 


DINEE 
— Ratriotismus —— 


otriouſch find unſ're Herr'n Bürger ſehr, 
Das heißt, wenn's gilt die Taſchen, 

Doch hört man von Patriotismus nichts mehr, 

Gibt's am Futtertrog nichts mehr zu hafchen. 


Mein Vater jagt: „PBatriotismus ift 

Wie der Sped in der Maujefalle, 

Er riecht appetitlich und bie jchnuppernben Mäuf’, 
Die Dummen, werden nit alle. 


Heide!“ 


Der Tramp, ber gezwungen die Länder burchftreift, 
Und Herr Rothſchild, der überall räubert, 

Die pfeifen auf Grenzpfahl und Geographie, 

Gleich ber Raupe, die radikal fäubert. 


Sie beide allein find das Spiegelbild 

Der univerjellen Gebilde, 

Ste führen verbrieft einen Pfandſchein und 
Drei golbne Kugeln im Schilde. 


Und darüber hockt lachend ber Satan und jchneib't 
Eine jämmerlich komiſche Frage. 

Als wollt’ er jagen: Den Braten bat 

Meber Nacht gefreflen bie Kate. 





Dr. W. 2. Roſenberg. 575 


Es liegt ein tiefer, jehr tiefer Sinn 

In diefer ſymboliſchen Gleihung — 

Nicht jeder denkt einen Gedanken aus 

Und nit jeder ben Plan einer Zeichnung.“ 


Mein Vater bat Recht: Patriotiſch fein, 
Verlangt patriotifche Zeiten, 

Heiſcht Menſchen, die nicht nur für ſich allein 
Sms Himmelreih möchten reiten; 


Die als Einzelne dennoch ale Ganzes fich 
Begreifen und brüberli ſorgen 

Für’s Ganze, bamit auch ber aͤrmſte Menſch 
Als ein Freund fih fühle geborgen. 


Patrioiismus gleicht ber Mutterbruft, 

Der faugend die Kinder anhangen — 

Fehlt die Mil, fo fehlt auch die Liebe und 
Nah dem Vaterland das Verlangen. 


pr 
Den Ranen Friedrich Engels. 


(t 5. Auguft 1895.) 


Hain Grabmal fließt die legten Reſte 
Der todten Geifteshelden ein; 

Kein Hügel wölbt' mit Grün umſponnen, 

Sich über erb’beworf'nen Schrein. 


Kein Böglein fingt zu feinen Häupten, 
Im Roienftraud, im Weidenbaum; 
Kein Blümlein ſenkt fein zartes Köpfchen 
Zu ihm bernieder, wie im Traum. 


Kein Pilger legt den Kranz der Liebe, 
Wie auf fein Antlig, ihm auf's Grab, 
Steht vor ihm, voll Erinnerungen, 
Geftügt auf feinen Wanberftab. 


Sein Grab ift nicht in enger Erde, 
Bon Stein belaftet, dumpf und fchwer, 
Sein Grab ift das unendlich große, 
Raftlofe, ftolze Weltenmeer. 


D’rin fluthet fein gelöft Gebeine 
An alle Küften weit und breit, 
Wie der Gedanten Wogenfülle 
Sn jeiner Unergründlichkeit. 


576 


Dr. W. 2%. NRofenberg. 


Sein Wille war's, der Welt zu zeigen, 
Daß no im Tob fein Dentergeift, 
Wie eines Meeres Riefenwelle, 


. Was künftlih ift erbaut, zerreißt; 


Das, ob die Sprachen fie auch trennen, 
Das Herz ber Menſchheit Eins doch if, 
Der Menſchheit Würde nicht der Bürger 
Der Welt nach Bölkerfarben mißt; 


Das, was er mit dem großen Freunde 
Bum Heil der Iinterbrüdten fand: 
Tas ewige Licht der Wahrbeitsfonne, 
Hinfluthe über Meer und Land: 


Daß es als gute Botſchaft biene, 

Erlöjung aus der Knechtſchaft Joch. 
Was da bedarf es für den Tobten, 
Den großen, eines Denkmals noch?! 


Sein Denkmal ift ber Fels bes Willens, 

Der allen Völkern angehört, 

Und den, ein Leuchtthurm, nicht bie Brandung 
Der himmelhohen Giſcht zerftört, 


Bon bem herab bie helle Fadel 
Wegweiſend durch die Nächte ſcheint 
Und alle Völker, feufzend, leidend, 
Bu einem Bruderbund vereint. 


Sein Denkmal wähft wie eine Eiche 
Aus danferfülten Herzen auf — 
Indeß der Strom der ewigen Wahrheit 
Des Todten binftrömt feinen Lauf. 


I 


Warum wir arm Ans. 


& weiß nicht, lieber Vater, 
Warum jo arm wir find? 

Warum die Mutter muß kargen 

Und leer find Schrank und Spind? 


Giebt's Butter und Brot nit in Fülle, 
Und Fleiſch und Kleider und Schuh? 
Man braudt nur gehen und holen. 

D, Bater, was ſchweigeſt bu? 


Dr. W. 2. Rofjenberg. 577 


Du daft jo viel gelernet, ° 
Viel mehr, als ich lernen kann, 
Wär ih, wie du fludiret, 

Ich wär ein reiher Mann. 


Ich bätte Rob’ und Wagen 
Und ein Haus jo hoch und fchön! 
Die Mutter müßte in Seide 
Da drinnen jpazieren geh'n. 


Und ’s Schwefterlein Marie 
Beläm eine Kette von Gold, 
Dep fie um ihr weißes Hälslein 
Wie Sonnenfhein funteln ſollt. 


D lieber, guter Vater! 

Ich weiß, was dich traurig madt: 
Es find die böſen Menichen 

Die uns die Noth gebradit. 


Sie find’s, die una mißgönnen 
Das Leben, die Luft, das Licht. 
Sie woll'n, daß wir betteln geben, 
Doch das, das thun wir nicht. 


IE 
—— Ber Gott der Keigen. —= 


HD: Leute jagen, weiß nicht, iſt's wahr? 
Da hinter dem Sternengewimmel, 

Da wohn’ ein allgewaltiger Herr 

Sm einem prädtigen Freuben-Himmel, 


Der babe die Welt aus Nichts gemacht, 
Die Menſchen und Thiere und Bäume, 
Wie ein Herenmeifter hab’ er erfüllt 
Dereinft die Leere der Räume, 











Auch jagt man: Er habe ein Paradies 
Geſchaffen im Garten von Eben, 

Doch das fei, fett Adam drin Aepfel ftahl 
Geſchloſſen ſchon längſt für Jeden. 


Und drum ſchauen die Menſchen zum Himmel auf, 
Die Herzen voll Sehnſucht und Hoffen, 

Als ſchloͤſſe da droben ein Paradies 

Von neuem der Herrgott offen. 


37 


578 


Dr. W. 2. Rosenberg. 


Mein Lehrer jagi: Es nimmt Taufend Jahr 
Da binauf zum Himmel zu fahren, 

Selbſt der Blig, der brauchte zum legten Stern 
Allein an 500 Jahren. 


Wie had! Daß Feiner empor ba Tann! 
Ich wagte fonft wahrlich mein Leben, 
Ich flüge hinauf im Luftballon, 

Um’s einmal dem Herrgott zu geben. 


| Ich ſagte ihm dann: Deine Welt taugt Nichts, 


Sie tft nur für Schlechte und Böfe, 
Und wenn du wirklich allmächtig bift, 
Dann fchnell die Armen erlöfe. 


Dann made, daß Zehn nicht Alles ha’n 
Und Tauſend müflen bungern, 
Daß Taufend zu Tode A radern faſt, 
Indeſſen die Wenigen lungern. 


Dann gieb' der Mama ein neues’ Kleid, 
Und dem Schwefterchen eine Puppe, 
Und thu' nicht fo, als ob Alles dir 
Auf Erden wäre jchnuppe,; 


Als ob bu Feine Ohren hätt’ft 

Und Augen niht um zu ſchauen, 
Das, was auf Erden geſchieht, ift fo, 
Daß Menihen vor Menfchen grauen; 


Daß man denkt, du wäreft bloß ein Gebild, 
Der Dummen und Schlauen nicht minder, 
Wie die dumme Geſchicht' vom ſchwarzen Schaf 
Zu erichreden die Fremen Kinder. 


Und bas fag’ ih bir und das mein ich ernft, 
Wenn du nicht bift Herrgott der Armen, 
Dann fühl’ ih, wenn dir ein Malheur paffirt 
Sm Himmel, für dich fein Erbarmen. 


Einen Herrgott für Reiche brauchen wir nicht, 
Spräd’ ih zum Schluß nachdrücklich, 

Und wie mein Bopa, jo lebte die Welt 
Wohl ohne dich ebenjo glücklich. 


wo 





Dr. W. 2. Roſenberg. 579 


Der Weltenherrfäer. 


9 bin ber Herrſcher ber ganzen Welt, 

Der Herrgott dee Menſchenweſen, 
Mich hat die Habgier und Intelligenz 
Zur Allmacht auserlejen. 


Ich ftehe auf Säden, gefüllt mit Gold, 
Der Frucht der Menfchenbienen, 

Ich ſchwinge die Peitſche über fie, 

Und zwinge fie, mir zu dienen. 


Sch werfe bie Saat ber Verderbniß aus 
Ueber alle Meere und Lande, 

Ich löſche die Fackel der Hoffnung aus, 
Full' den Sorgenbecher zum Rande. 


Ich bin das verkörperte, ſelbſtiſche Ich, 
Die Beitie im Menſchenkleide, 

Sie erwärgt wie ein unerfättlicder Wolf 
Die Lämmer auf blühbender Weide. 


Mich trägt die unendlide Schafsgebuld, 
Die Trägbeit der blöfenden Mailen, 

- Die mit Verſprechungen, Hunger und Noth 
Sich ſchinden und treten laſſen. 


Mein Thron ſteht feſt auf Menſchengebein. 

Mich ſegnen als Herrſcher die Pfaffen 

Und ich bringe beim perlenden, ſchäͤumenden Wein 
Ein Hoch auf die menjchlichen Affen. 


A 
Der Ruf des Jahrhnunderts. 


enn Ihr dämmt ab ben Strom bes Fortichritts, 
So thut Ihr's, bedenket, auf eigene Gefahr, 
Denn auch dieſer muß meerwärts zu feiner Freiheit, 
Die ihn im Schooße ber Völler gebar. 

Wie thöricht dieſe ohnmächtigen Schranken! 

Er frägt nicht nah Dämmen und Wällen und Wehr, 
Und thürmtet Ihr Berge, um ſoviel mächtiger 
Stürmt er auf feinem Triumpbzug daber. 


Mir fpotten Eurer verbündeten Kräfte, 

Shr haltet ben Flug ber Gedanken nicht auf, 
Und wie bie Fluthen ber Wafler, jo fluthen 
Trotz Eurer fie ihren bejchleunigten Lauf, - 





37° 


580 Dr. W. 2. Roſenberg. 





Bis die Veſten ber feindlichen Mächte genommen, 
Das Heer der Tyrannen wie Spreu verweht, 
Und ein neuer Odem durch Länder und Völler 
Neufurhtend am Tage des Sieges geht. — — 


Ob in der Vorbut der Kämpfer ala Führer, 

Wie bitter der Anprall des Streites auch fei, 

Db tragend gebrldig das Kreuz der Laften, 

Des Lebens erichlaffendes Einerleii — 

Stets ſchwebt uns voran eine einzige Hoffnung, 

Mit rothen Leitern vom Schiffes Kıel 

Im Banner: Befreiung vom Joche ber Menſchen! 
Erlöfung der Menſchheit das große Biel! 


Was ſcheert's ba, ob anfangs wir unterliegen, 
Der Feind auch Vernichtung erfleht und erfinnt? 
Sn Kampfe der Finfterniß mit dem Lichte, 

Das Licht Do immer den Sieg gewinnt. 
Schon eilen neue Freiheitsfolbaten 

Serbei, um das Banner ber Wahrheit gejellt. 
Ihr Ruf ift der große Ruf des Jahrhunderts 
Und ihre Hoffnung die Hoffnung der Welt. 


in Yu 


——— An den Broletarier. — 


as wird aus dir, wenn beine Kraft entflieht, 
Wenn beines Lebens Luſt ift ausgetollt, 
Wenn ſchwach bein Aug’ und trübe dein Gemftb, 
Und müd’ bein Blut in deinen Adern rollt — 
Was wird .aus bir? 


D wenbe abjeits nicht dein blühenb Haupt, 
Und fchaue nicht voll Uebermuth mid an — 
Den? an den Sturm, der Eichenkronen raubt, 
Er faßt auch dich einmal, und dann — 

Mas wird aus bir? 


Du ſorgſt und ſchaffſt. Nur für des Tages Brod? 
SR damit alles Sorgen abgerhan? 
Kriecht nicht einmal auch jene ſchwere Noth 
Des Alters mit dem fiehen Leib heran? 
Was dann mit bir? 


Glaubft bu, es wär’ ein weifer Schickſalsſchluß, 

Der dich verurtheilt zu ber Ketten Laft, 

Indeß der Nächſte wühlt in dem Genuß? 

Und daß bu nie das Recht zu fragen haft: 
Was wird aus mir? 








Dr. W. 2. Rofenberg. 581 


D fchüttle ab Verblendung, falſchen Wahr, 

Den dir des Mammons Selbſtſucht eingepflangt, 

Und ſchleud're Demuth ab, und fei ein Dann! 

Du baft das Recht ja, daß bu fragen kannſt: 
Was wird aus mir? 


So lang’ du freundlich wedelſt gleih dem Hund, 
Und folgfam bift wie ein verftandlof’ Kind, 
Bi gut du beinem Herrn: doch wenn bein Mund 
Zur freien Frage fühnen Muth gewinnt: 

Was wird aus mir? 


Dann zeigt er feine Krallen, fein Gebiß, 

Und rollt die Augen zo:nig, voller Wuth, 

Und fchlägt den Schweif, und bräuet, bis 

Das Opfer zitternd an dem Boden ruht — 
Was dann mit dir? 


D ließ’ dich feft an beine Brüber an, 

Und horche nicht, daß der Verrath dir fagt, 

Was er in Lit und Tüde bir erfann! — 

Das Haupt empor, und Tühn das Wort gefragt: 
Was wird aus mir? 


Ein böfer Geift hat Demuth dich gelehrt, 
Ein Geift des Lugs für Menihen und Natur, 
Der uns in uns zum Fragenbild entehrt — 
Vernichte durch bie Frage feine Spur: 

Was wird aus mir? 


url 
>>% Bas Fundament der nenen Belt. 3 


Lin Urtitan, das Haupt fo ftolg, zu Aetherhöh'n blid’ ich empor! 
Der Zeiten Wellen ſchlagen laut-tofend an mein waches Ohr. 

Sturmmetter braujen und der Bl , züngelnd mit feinem tück'ſchen Schwert, 

Zu flürzen mi, mit Donnerſchlag auf mich hernieder jählings fährt. — 

Sch ftebe feit, ih wanke nicht, ich bin bes Univerfums Mark, 

Ye näh’r der Feind zu Leib mir rüdt, je mächt'ger fühl’ ih mich und ſtark. 


Wer iſt's ber fi zu meilen wagt mit mir an urgewalt’ger Kraft! 
Wer ift’s, ber noch fo fühn und dreift, mit mir im Ringkampf nicht erfchlafft? 
Ya, bötet ihr, ein Zwergenvolf, ein Heer von Kriegern auf zumal, 
Und gäbt ihm Waffen, ſchneidig ſcharf, ein ganzes Kıtegesarjenal, 

Und Dingtet ſelbſt zum Bund'sgenoſſ' die feile Dirn: Verrätheret, 

Wie ihr es thut — ich lachte doch ſpöttiſch ob eu-er Kinderei. 

Ihr w Bi nicht, weſſen Stoff’s ich bin und wißt auch d'rum nicht, was ihr thnt, 
Ihr wißt es erft, wenn röchelnd ihr vor mir ım Blut am Boden ruht; 


’ 


582 Dr. ®. 2. Rofenberg. 


Wenn auf Euch nieber mitleiblos mein eh'rner Fuß zermalmenb tritt, 
Wenn, ftromgleich, ohne Halt ſich drängt mir nad) das Bolf, bas ſtöhnend Iitt, 
Das Volk, das Ihr verhöhnt, verlacdht, jo mandyes Jahr, jo manche Stund’, 
Auf das verachtend Ihr geblidt und ausgeſpie'n mit giſt'gem Munb, 
Und das geduldet al’ die Dual, nur weil es weiß bas alte Wort: 
Wenn fi) die Zeit erfüllet, reißt der Strom was morſch tft, fpielend fort.“ 


Ihr fragt mich, wer id bin? Hebt nur ben Schleier der Vergangenbeit: 

Bon Urbeginn hab’ ich gelebt und leb' in alle Ewigkeit 

Ich war, eh’ aus dem Thierreich noch ein menfchlich Weſen fich entwandt; 

War, als fi einſt was nützt und frommt ber Menſch aus Noth und 
Zwang erfand. _ 

War es, der fern am Horizont ihm flammenb feine Zukunft jchrieb, 

Der ihn aus träger Ruh binan bie fteile, born’ge Höhe trieb, 

Bon der herab fein Sehnjuchtsblid ein weites Thal beſchauen fonut’, 

Ein Thal, worin ber freie Menich fi frei in Himmelsftrahlen fonnt; 

Worin fein Knecht zur Frohnde geht, bem Stier gleich vor ben Pflug gefpannt, 

Verſchmachtend unter fchwerer Laft, betrogen weil er ſich verfannt. 

Ich war es, der in tiefer Bruft ber Völker jenen Born entfadht', 

Bor bem mund Gottesgnabentbum, manch' ſtolzer Herrſcherthron zer- 


Ich war es, den zu hemmen, man die Welt in Ketten ſchlug und ſchlägt, 
Und bennoch, hoch erhob'nen Arm's, die Völkerfreiheit trug und trägt. 


Ihr fragt er —* ich bin? — Vernehmt: Ich bin bes Fortſchritt's 


Der Urtitan, N näßrenb Blut im Boll der Unterbrüdten Freif't, 

Ich bin ber Rieſe, deſſen Fauft den Bau des Ruckſchritts jach zerſchellt, 

Auf meinen Schultern trag’ ich flolz das Fundament der neuen Welt. 

Stürm’ an, du alt’ Geſchlecht, ftürm’ an! Der Heerruf fallt: Bur 
‚Shladt, zur Schlacht! 

Ein Triumphator, fteh’ ih ba, ein Held, ber aller Zwerge lat. — 

Seht! Um 1 bie Stirn’, bie freie, ſchling' ich mir bes Sieges Lorbeer ſchon, 

Und langjam schreit” die Stufen ih empor zum Freiheitstbron. 


1% 
—— &ngene v. Bebs. — 


„Niemals wird es Friede geben wiſchen Ra Kapital und arbeit Da giebt 

ed keinen Compromiß! Es ift ein Krieg zwifchen Beiden auf den Tod! Das Eine 

oder dad Andere muß gehen! Und es ift das kapitaliftifche Eofiem, das gehen muß!“ 
(Aus Ted’ Rebe in Milwautee, 9. Juli 1897.) 


Er hab's gewagt! Und Taujend ftehen 
Schon binter mir in Reih und Glied! 

Ich hab's gewagt! Und neuer Odem 

Der Unterdrüdten Bruft durchzieht. 


Ich hab's gewagt und hab’s erwogen 
Und folge höh'rem Pflichtgebot, 
Sowie jein Schiff vorbei an Klippen 
Bum Hafen fteuert der Pilot. 








Dr. W. 2. Roſenberg. 583 


Ob mir’s gelingt? Mic br nicht kümmern, 
Seh’ ih nur vor mir Ziel und Pfad. 

Den Irrenden entichuldigt immer 

Die männlich große, erſte That. 


Laßt nicht bei Worten uns verweilen! 
Zeiht, Brüder, Kopf und Herz und Hand! 
Bu räumen gilt’s die Hinderniſſe 

Des Weges zum gelobten Land. 


Herbei in hellen, freub’gen Schaaren! 
Zum gleihen Banner! Alle find 
Willlommen, denn das Volk, das ganze, 
Nur dur Verbrüderung gewinnt. 


S 
> Roh iſt's ein Sraum. Se 


(Brei nad dem Engliſchen des Symonds.) 


oh iſt's ein Traum, doch wirb’s geſcheh'n; 
Eın edler’ Geſchlecht die Welt wird jeh’n; 
In feiner Seele der Freiheit Hauch, 
Das Licht des Willens in feinem Aug’. 


Und fräftig wird es und mutbig fein, 
Nicht im Vergießen von Blut, o nein! 

In Allem, was ſchafft der Menfchheit Wehr 
: Sm Feuer und Luft, auf Erde und Meer. 


Bolt wird um Voll und Land um Land 
Umfchlingen der Freiheit friedlich Band, 
Sin jedem Herzen und Heupt dann kreiſt 
Ein Alle brüderlich ſöhnender Geift. 


Und gleih fol die Frau mit dem Manne jein, 
Strahlend in Freiheit und Schönheitsſchein, 
Auf Ihrer Stirne, tugendhaft, 

Die Krone gebeiligter Mutterfchaft. 


Sa, neue Herzen ſeh'n wir erglüh’n, 

Und neue Weiſen in Liedern blüh’n. 

Ein jebweb’ Leben ein Lied, ein Sang, 
Wenn die Erde im Paradiefes Geprang. — 


Noch ift’s ein Traum, — do wiſſe, Kind, 
So wirb’s, wenn wir Alten gegangen find. 
Wir jehen fie Dämmern, die neue Zeit, 
Leuchtend in goldener Herrlichkeit. 


> 


584 


Dr. W. 2. Nofenberg. 


Aus: Framp ⸗Philoſophien. 
J. 
Was id; bin. 


D Großen frefien die Kleinen auf 
Und wollen doch fatt nicht werben, 

Das ift der induſtrielle Lauf, 

Der fich vollzieht auf Erben. 


Und was fie verbauen, das Excrement, 
Hier ſeht Ihr's exakt im Bilbe: 

Ich bin das urwüchſige Element | 
Des Ausmwurfs, der Trampen-Bilbe. 


Ich bin ber Nevers, bie andere Seit’ 
Der Civilifationsmebdaille; 

Ich bin in dieſer glorreihen Leit 
Die vermalebeite Canaille. 


Ich bin ein ſehr garftiger Rachtreſler 

Euer eigenes, böjes Gewiſſen, 

Auf der „göttlichen Drbnung" ein Tintenklex, 
Beiprist, zerlumpt und zerriffen. 


Ein Verftoßener und ein Paria, 

Der ein Weib bat, ein Rubel Kinder, — 
Wir hungern Alle pro Patria, 

Das heißt: für 'ne anbpoll Schinder. 


Ich bin ein Geſpenſt, das Sr ſelbſt erſchuft, 

Von den rothen eins, ein reales, 

Das zwiſchen Euch hodt, auch wenn Ihr's nicht ruft 
Inmitten des glänzendſten Mahles. 


Nach Fuſel duftet mein Odem zwar, 

Doch der iſt ja Euer Gebräue. 

Ihr tauſcht für Champagner und Trüffeln in Baar 
Ihn ein, ohne Spur von Reue. 


Ich bin, — und bas Lachen vergeht Eu no! — 
Der Simfon mit ftruppigen Loden, 

Der erihüttern wird Eurer Vefte och, 

Wenn erzittern die Weltfturm-Gloden. 


IE 


Dr. W. 8 Nofenberg 585 


I. 
Der letzte Schritt. 
Wells ville, Mo, 1. Juli 1897. 


Wir gingen zu Viert auf bem Schienenftrang, 
Vier Tramps, bie eiferne Straße entlang. 


Die Füße waren uns allen wund 
Bon dem Schwellentritt, und verborrt der Mund. 


Berborrt war auch bas fiebernde Hirn’, 
Zum Haren Denten verhäbdert wie Zwirn. 


Der Eine meinte: „Die Welt ift krumm, . 
Und bie göttliche Schöpfung unjäglih dumm“. 


Der Andere nidte: „Es wird bald Zeit, 
Sie wird erft durch Dynamit geſcheit“. 


Der Dritte wies auf ein Haus in ber Ferm’: 
„S’ ift unnüß, es winkt uns doch vort Fein Stern". 


Als vierter hob ih das Wort und ſprach: 
„Wenn Keiner will betteln, ich frage nad). 


„Und-weift man mich ab ohne Herz und Lieb’, 
So abelt die Noth den Tramp als Dieb“. 


Der Erfte rief höhnend und wie ergrimmt: 
„Ein Zeigling, ber bettelt erft und dann nimmt”. 


Der Zweite nidte: Wirf's über Borb, 
Zur göttlihen Ordnung gehört ber Mord“. 


Der Dritte wies auf das Abenbroth 
Und ſprach jo traurig: „Uns ruft der Tod!" - 


Sie ſetzten ſich auf die Schwelle bie Drei, 
Es puffte von Ferne ein Zug berbet. 


Es ſchnitt mir die Kehle fat ab das Web, 
Das ich empfand, als ich fagte Ade! 


Was fie geſprochen zufammen, ih kann 
Es denken mir, hört ich’s auch felbft nicht an. 


Es ſprach der Erfte: Iſt's auch nichts nutz, 
Ich thue esdoch der Welt zum Truß”. 


Der Zweite: „Es währt nur 'nen Augenblid, 
Wir find ja doch nur jo ein Beflid!“ 


586 


Dr. W. 2. Rofenberg. 


‚Der Dritte: „Ich kuſſe den legten Strahl 


Der ſcheidenden Sonne zum lebten Mal.“ 


Der Erfte ward plötzlich jo ernft und ſtumm, 
Der Zweite kehrte fich zu ihm um: 


„Hier war's, wo vor Jahren ihr Beide und ich 
Mit unjerer Schaufel gemacht manchen Stich. 


Wahrhaftig! Diefelbe Schiene iſt's noch, 
Die gelegt wir, bier ſeht ihr's am Bohrungsloch.“ 


Der Zweite büdte fi forfchend und tief — — 


Der Dritte ſprach: „Eben ber Tag entſchlief.“ — — 


Man fand die Drei troß Warner’s Ruf 
Bermalt von bes eifernen Roſſes Huf. 


Sie lagen beifammen am Schienenftrang, 
Mit denen: geträmpt ich viel’ Tage lang. 


. Ste blidten anklägeriſch no im Tod 


Auf die ruchloſe Welt, gleichgültig der Noth. 


Ste, die nad Arbeit geſucht und Glüd 
Und ben Fluch empfangen ale Lohn zurück. 


—EB 
— Bas Sodtenhemd. — 


r war fo matt, jo erdenmüde, 

Das Hirn war ihm jo öd' und leer, 
Er war gewandert viele Tage 
Durch alle Straßen bin und ber. 


Die Stabt, fo voll von hohen Häufern, 
Die Läden voll mit Gut und Brot, 
So leicht zu leben, wenn nur Arbeit, 
Und nit jo viele, viele Noth. 


Er war fo jung, mit fräft’gen Gliedern, 
Doch überflüſſig war er jebt, 

Sein Schuh war johlenlos; die Hofe, 
Der Rod burchlöchert und zerfekt. 


So fland er ziellos vor dem Gitter; 

Der Menfchheit „Auswurf“, bittend, dort: 
D liebe Frau, o gebt mir Arbeit, 

Esic nit auch ihr mid graufam fort.” 


Dr. ®. 8, Roſenberg. 


„Ich will das Gras euch gerne ſchneiden, 
Das Holz euch ipalten, gebt mir nur 

Ein Stückchen Brot! Bei Gott! Seit geftern 
Ich nichts ale Kränkung bier erfuhr". 


„Wenn ihr nicht Arbeit habt, fo laſſet 
Erweihen euren Frauenfinn, 

Ihr reiht das Letzte einem Todten 
Ale Gnadenſpende heute hin“. 


„Ungläubig lächelt ihr. Wahryaftig! 
Nichts giebt’s zu lachen in der Welt, 
Seht her! Ich hab am Leib kein Hembe, 
So ift’s jegt mit dem Voll beftellt“. 


„Richt weiß es, wie zu Chriftus Zeiten 
Wohin fein Haupt es legen fol, 

Und wenn’s fein Recht als Menſchen fordert, 
Sp nennt man’s freh und wült und toll“. 


„Ich mad 'nen Strich heut’ burch Die Rechnung, 
Doch möcht ich fterben nicht als Hund, 

Den nadt man, ohne Scham, verbudbelt, 

Am Heerweg fühllos in den Grund. 


Mein Mütterhen würd’ fehler vergeben 
Und weinen fi die Augen rotb, 

Eäh’ ohne Hemd im Geilt fie liegen 
Den vielgeliebten Sohn im Tod". 


* 


Er aß fi ſatt, er aß mit Rũuhrung 

Und nahm das Hemd mit vielem Dant. 
Auf güt’ge Hand, die's gab zum Abjchieb, 
Schwer eine heiße Thräne ſank. 


Dann zog er’s hinterm Zaun am Hofe 
Bedächtig an und ſprach Ade! 

Es ging ber Frau, ed ging dem Fremden 
Durch's Herz ein bitterſchneidend' Weh'. 


Zwei Stunden drauf am Schienenſtrange 
Fand einen Leichnam man, der fremd, 
Der trug, erſtaunlich! ein ſehr feines 
Mit Blut betupftes weißes Hemd. 


N 


587 





588 Dr. W. L. Roſenberg. 





— Unſere Seit. — 


Hr leben in einer grohen, in einer gährenden Zeit. 
Es rüften fi alle Geifter zu einem gewaltigen Streit. 


Sie ftoßen in bie Hörner, und orbnen fi zu Armeen 
Das ſcheidende Jahrhundert ergreift es mit rühlingemeh) n. 


Es berſten die alten Mauern, es zittert der ſtolzeſte Thurm, 
Es ballt fich zu Donnerwettern und naht mit Gewitterſturm. 


Am fernen Horizonte erſcheint ein Rieſenweib, 
Im Banner ber Morgenröthe gebült ber ſtolze Leib. 


Es weit mit blankem Schwerte auf qualmende Schlote bin: 
So bin verjflauter Menſchheit,“ ruft fie, „Exrlöferin!“ 


„Ich breche ber Frohnde Ketten, genannt Lohnſklaverei. 
Proletarier aller Länder! Ihr Helden des Geiſt's herbei“! 


„Formt euch zu Sturmkolonnen, und ſchlagt die Geiſterſchlacht, 
Es giebt für euch kein Zaubern, im Kampf von Licht und Nacht.“ 


„’s giebt nur ein Lühn’ Enticheiben: Für ober wider mid! 
Der Menfchbeit Zulunftsglaube, der rettende, bin ich!“ 


„Es barren Millionen auf feine Wunderkraft 
Wie auf den Arzt der Kranke, der Heil durch Willen jchafft.“ 


* » 
* 


Wir leben in einer großen, in einer gewaltigen Zeit, 
Es kämpfen bie größten Geifter den Sieg der Men hlichkeit. 


Sie kämpfen um Tod und Leben, Weltauf⸗, Weltuntergang, 
Um eine Weltenwende und neuen Weltenſang. 


Er 








—— Adolf Heinrich Strodtmann, — — 


«(veffen Porträt und leider nicht zur Verfügung geftellt werben konnte), wurde am 
24. Märy 1829 zu Flensburg geboren, mo damals fein Bater Subreftor an ber Bes 
lehrtenſchule mar. Cr beſuchte bie Gpmnafien in Flensburg, Hadersleben, Plön und 
Eutin und trat 1848 als Freimiliger in das fchledmigsholfteinifche Heer, fi am Auf: 
fand Schleswig-Holfteins gegen Dänemark betheiligend, Im Treffen bei Bau verwundet 
und gefangen genommen, verbrachte er den Sommer theild in Lazarethen, theils auf 
daniſchen Kriegsſchiffen. Nach feiner Auswechſelung bezog er im Herbſt 1948 bie Uni: 
verfität Bonn, mofelbft er jedoch bald relegirt wurde, ba er ein Gedicht auf den am 
badiſchen Aufſtand betheiligten Dichter Gottfried Kinkel gemacht Hatte. Strobtmann 
wandte fi nun nad Paris und von dort nad; London, fodann im Jahre 1852 nad 
Norbamerite. In Philadelphia gründete er eine Buchhandlung und gab eine belletriftifche 
Zeitſchrift „Die Lokomotive” Heraus, verlor aber bei dem Unternehmen faft fein ganzes" 
Vermögen. 1856 nad) Deutſchland zurüdgefehrt, nahm er feinen Aufenthalt in Hamburg, 
fpäter in Berlin, wofelöft er am 17. März 1879 ftarb. Strobtmann hat eine beirächtliche 
Anzahl formvollendeter Dichtungen verfaßt, aus denen faft durchweg das Sehnen eines 
freien’ Geiftes ſpricht. Hervorzuheben find feine „Lieder eines Kriegsgefangenen“, „Lieder 
ber Nacht“ u. f. m. Auch aus dem Engliſchen und Franzöfifen Kat er treffliche 
Mebertragungen geliefert. Sehr verdienſtvoll war ferner fein Bemühen, das deutſche 
Publikum durch vortreffliche Bearbeitungen mit den hervorragendſten Leiftungen der 
mobernen flandinavifchen Litteratur befannt zu machen. 


— — 





Gruß den Freien in Amerika. 


Lin wilder Gefelle auf wilden Meer, 
Gewappnet in blinkender Liederwehr, 
So fomm’ ih vom kranken Europa ber 
Bu euch hinüber geſchwommen. 
In Wellen ſandt' ich bie finftere Dual, 
Ich grüße die Berge, ich grüße das Thal 
Und heiß im bligenden Morgenftrahl 
Euch freie Männer, willlommen! 


Kein Träumer bin ich, ben Kampf erjchredt, 

Kein Thor, der bleihe Eyfteme heckt — 

Mich hat aus dem Sch ummer bie Zeit gewedt, 
Ihr Schaffen rüftig zu theilen; ' 

Eme Welle bin ih im Wogendrang, 

Ein Lied im flürmenden Weltgelang, 
Ein Nebel, der bie Fahne des Aufruhrs ſchwang, 
Der Menſchheit Wunden zu heilen. 


Noch bebt der Würger fein trogig Haupt, 
No find die Armen der Luft beraubt, 
Und es will der Tag, an ben wir geglaubt, 
Roh nicht den Wolfen entfhweben; 

Der Tag, wo des funfelnden Goldes Macht 
Des Beſitzes höhnende Winternacht 
Beriprengt, in leuchtender F ühlingspracht 
Sich frei dem Volk zu geben! 


Und fo fomm’ ich zu euch! was die Stunde bringt, 
Ob fir Retien bricht, 05 fie Echwerter ſchwingt, 

Ob fie jauchzende Lieder der Zukunft fingt: 

Ich will es gläubig erlaufchen, 

Wil mich fielen zu euch in Kampf und Bein, 

Bis vom legten Sklaven bie Erbe rein, 

Und der G®.eichheit Banner im Morgenfchein 

Des Armen Tempel umraufchen. 


ser 


592 A. 9. Strobtmann. 











— Sin —chutzenfeſt. — 


s ſtürmt mit Spieß und Stangen bie Burg ber Rachetroß; 
Der König ſaß gefangen im feiten Marmorſchloß. 

Sein Banner war zgerrifien, geihlagen war fein Heer — 

Da birgt in’s ſeid'ne Kıflen fein Haupt er kummerſchwer. 


Er ſteigt vom golb’nen Throne herab mit ſchwankem Fuß, 
Er wirft die Koͤnigskrone hinunter in den Fluß. 

Wie fonft, die Wellen ziehen die glatte Spiegelbahn — 
Mit euch wohl möcht er fliehen firomab zum Djean! 


Doch fieh — ſchon bricht zufammen ber Veſte ſtarkes Thor; 
Es {lagen rotbe Flammen am Schloßportal empor. 

Der König fieht’s mit Graufen, verzweifelnd ftarrt fein Blick, 
Und jubeln hört er draußen ben Ruf: „Die Republik!“ 


Jetzt nah und näher bringt ihm die heiße Flammenglutd — 

Vielleicht ein Sprung gelingt ihm burchs Feuer in die Fluth! 

Schon ſchlägt mit glüh’ndem Brande die Flamme ihm ins Gefſicht; 
Er tritt zum Fenfterrande — hindurch! dein Schloß zerbricht! 


Der König iſt geiprungen hinunter in ben Fluß, - 

Und wirbelnd bat gefungen ber Brand ben Tobesgruß; 

Die Wellen ſchlagen braufend in weißem Giſcht empor, 
Dann taugt im Strome graufend ein bleihes Haupt hervor. 


Er rudert wild zum Strande, von Tobesfurdt durchgraut — 
Do weh’, ihn hat vom Lande bes Volles Schwarm erichaut ! 
Ein Win! — und hundert Kähne ihm nach mit rafhem Schuß; 
Der König beißt die Zähne und ſchwimmt binab den Fluß. 


Hei, wie die Schüffe Inallen zum Königsichügenfeft! 

Het, wie die Rufe hallen — die Kraft den Schwimmer läßt. 
Schon ſchießt der erfte Nahen heran mit Sturmesmwutb, 
Da ſpringt mit beiferm Lachen ein Zweiter in die Fluth. 


Cr faßt den müden Schwimmer, dein jchon der Abgrund brobt: 
Sold Ringen ſah man nimmer — o Fürft, das ift bein Tod! 
Er padt ihn bei den Haaren, und rubert ihn zum Kahn — 
Sa, wie bie kecken Schaaren den Bleichen lachend jah’n! 


Ste binden ihm die Hände zufamm’ mit feftem Strid, 
Unb jubeln ohne Ende: „Freiheit und Republik!“ 

Und weiter rauſcht Die Sage des jungen Völkerruhms — 
Das war am lekten Tage des Gottesgnadenthums. 


Zn > & 


A. H. Strodtmann. 693 





— Volk und Fürſt. — 


Mes irrt am Bettelftabe dad Volk durh Stadt und Land? - 
Die Armuth feine Habe, und Lumpen fein Gewand | 

Ste liegen auf den Gaflen, dad Haupt. am Pflaſterſtein; 

Sp ntdt der Tod die Blaffen zu ew’gen Schlummer ein. 


Berbungert und erfroren, verblichen und verhärmt! 

Was haben au die Thoren jo wild im März gelärmt? 
Mas wollten fie in Scherben zerhaun des Throned Pracht? 
Nun mag die Brut verderben tn Falter Wintersnacht!“ — 


„„Herr König, habt Erbarmen, fo eifig winkt der Tod! 

O fchenfet mild dem Armen ein Stüdlein ſchwarzes Brot!““ 
Der König Spricht mit Lachen: „NReiht Brot dem Volke dar! 
Ich will euch ruhig maden, verfluchte Bettlerichaar !” 


Allons“! Dte Hähne bligen, die Kugel fährt ind Herz, 
Die Reiterſäbel fitgen zermalmend niederwärts ; 
Kartätichenichlünde krachen bis ſpät zum Abendroth. 

„Ich will euch ruhig machen!“ ... Das war ein Fürſtenbrot. 


Und Ruhe rings und Stille, im Grabe tft Frieden doch! 
Es war des Königs Wille — „Der König lebe body!“ 
Der Steger macht die Runde, fein Mantel wallt wie Blut; 
Und ruhig ward zur Stunde die bleiche Bettlerbrut. 


nf 


— Fur Bol. — 


te iſt nicht todt! ihr könnt fie nicht erichlagen, 
Ste lat ob eurem Wüthen, eurem Drohn ! 
Ob ihr fie Hundertmal zu Grab getragen: 
Unjterblich lebt die Revolution ! 
Ihr wähntet fie gefnebelt und gebunden, 
Erwürgt mit Strang und Blei und ſcharfem Stahl 
Und doc, wie Banquo's Geift, zu allen Stunden 
Beut fie euch Troß, und weiſt auf ihre Wunden, 
Ein ftummer Gaft bei jedem Königsmahl! 


Und wieder ftürmt fie nun mit blut’gem Loden, 
Flammenden Aug’3, dur Polens Felder hin: 
Sie zerrt in jedem Dorf des Aufruhrd Gloden, 
Bon allem Voll umjaudzt ald Retterin! 

Sie winkt: — Es opfern thr die lette Habe 
Magnat und Bauerömann, zur Schladht bewehrt; 
Bei ihrem Auf erwädft zum Mann der Knabe, 
In Sugendfraft erglüht der Greis am Stabe, 
Und felbjt die Jungfrau greift zum Heldenſchwert! 











594 A. 9. Strodtmann. 


Verrathnes Land! Du haſt den Kelch der Schmerzen, 
Der Schmad), des Hohn? geleeıt mit Duldermuth! 
Der Steppengeier wühlt’ in deinem Herzen, 

Bis fein Gefieder troff von deinem Blut. 

Geächtet irrten deine beiten Söhne 

An fremder Stätte heimathlos umher; 

Doch jeder flog beim Auf der Kampfestöne 

Zum Schlachtfeld hin, daß er mit Ruhm dich kröne, 
Der Freiheit ruheloſer Ahasver! 


Denn alſo iſt's: Wo nur auf blutigen Sohlen 

Ein Volk für ſeiner eignen Freiheit Strauß 

Das Schwert erhebt, da kämpft es auch für Polen, 

Und Polen kämpft mit ihm für Herd und Haus. 

Mag über Schleswig Flur der Krieg gewittern, 

Der Schlachtenrauch durch Ungarns Pußten ziehn, 

Vom Hall der Bomben Praga's Wall erzittern, 

In Trümmer ſelbſt der Vatikan zerſplittern: 

Kein Volk wird frei, bis alle Dränger fliehn. 


Das iſt Die Botſchaft. unſer Zeit verkündigt, 

Ihr Evangelium in Blut getauft! 

Vernehmt es, die an Polen ihr geſündigt, 

Und nun gleich ihn, zerrifien und verfauft, 
Vernimm «3, Deutichland, das mit Mörderfrallen 
Sp oft deö weißen Adlers Leib zerfleifcht, 

Daß, wenn des Volksgerichts Poſaunen ſchallen, 
Nicht auf dein Haupt des Rächers Blitze fallen, 
Der Sühnung einſt für jeden Frevel heiſcht! 


Wach auf mein Volk! — Es iſt die zwölfte Stunde; 
Weh' dir, wenn ungenützt die Zeit verſtrich! — 

Auch Deutſchlands Zukunft ſchläft auf Polens Grunde, 
Und Polens Helden bluten auch für d 

Set ihrer Werth, zerreiß’ Die  invenbanbe, 

Dein Feind, dein Ruſſe, fteht am Rhein und Belt, 

Es herrſcht in Wien, Berlin, am Eiderſtrande — 
Wirf deinen Ruſſen aus dem eignen Lande, 

So machſt du Polen frei, und frei die Welt! 


Ar) 


— — Afpromonte —-— 


Lin Lied des Fluchs, ein wildes Lied von Fürſtendank undFürſtenſchmachl 

Das Maaß der Tyramiei ift voll! Nun fomme, was da fommen mag! 
hr feid verftockt und blind und taub! Und käm' ein Gott, thr ſeh't ihn nicht! 
Sp gehe denn ded Volkes Zorn mit euren Sünden ind Gericht! 

















A. H. Strodtmann. 595 


Verzeichnet ftehn fie allzumal in der Geſchichte ew'gem Buch; 
Schlagt nach, ihr leſt auf jedem Blatt von a ar and 

’ errfhertrug’ 
zolang die Erde fteht, bis heut, war nte ein Fürſt gerecht und rein, 
Und bis der legte Thron zerbricht, wird Friede nit auf Erden fein. 


Ein Beifpiel wieder fünd’ ich euh — mag zeugen Jeder, der da lebt! — 
Wie ſich auf Lug, Verrath und Mord des Königsthumes Bau erhebt. 
Bon Garibaldi jpricht mein Lied, von diefer Tage einz’gem Mann, 
Dem einen echten Fürftenlohn fein Herr und König jüngft erfann. 


Er warf mit einer Heldenfhaar fi in der Feinde Wall hinein, 
Aus ihrer blut'gen Mörderhand die Schöne Heimath zu befret’n. 
Sttaltend Krone ſaht ihr ihn dem Sardenfönig dann vertrau’n, 
Er jelbft, wie neuer Cincinat, ging wieder feine Rüben bau'n. 


Und überd Jahr zum Andern mal verließ er feiner Inſel Strand, 
Die Perle Rom, dad Kronjuwel, zu fpenden dem befreiten Land. 
„Rom oder Tod! Mein Herr und Fürjt, was ich erfämpft beherrjche du 
Wie jüngit die Krone, nimmft du wohl von mir die Perle auch dazu!“ 


Was war fein Dank? Die Kugel fragt, die ihn bei Aipromonte traf! 
Für eine ron’ ein Stüdchen Blei — o Fürft, deine Schüße zielte brap! 
Ein Meuchelmord auf höchſten Wink (wie einft zu Eger ward auch hie), 
- Und dann der Gnade Ehrenbrief — „dem Fürften Piccolomini!“ 


Durchziehe denn die Melt mein Lied von Fürftendant und Fürſtenſchmach! 
Das Maß der Tyrannei iſt vol! Nun fomme, was da fommen mag! 
Solang die Erde Steht, bis heut, war nie ein Fürſt gerecht und rein, 
lind bis der lette Thron zerbricht, wird Friede nicht auf Erden fein. 


—X 
Das Kaſematten-RParlament in Kaſtatt. 


er Tag iſt um — ſie mögen raſten! 
Sie mühten ja vom Morgenroth 
Bei Froſt und Kummer, Grimm und Faſten 
Sich für das Stückchen Kerkerbrod; 
Sie mußten ohne Wort und Klagen 
Den Karren ziehn, die Steine tragen, 
Daraus man ihre Zwinger baut; 
Sie mußten Deih und MWälle Ichanzen, 
Des Siegers Aderfeld bepflanzen, 
Das noch vom Kämpferblut bethaut. 


Wohl mander ließ die müden Arme 
Hinſinken auf den falten Stein, 
Und Manchen Schnitt — daß Gott erbarme! — 
Der Oft durchs zitternde Gebein. 
Wohl Manchem fiebert's im Gebirne, 
88* 





596 


A. H. Strodtmann. 


Und manden brannte noch die Stirne, 
Darauf die Wunde blutig Hafft — 
Doch auf ben Naden ließ der Sbirren 
Verruchte Hand die Peitſche ſchwirren, 
Bis er zum neuen Werk ſich rafft. 


Nun ſank der Tag — im Dämmergrunde 
Verſchwimmt des Abends letzter Schein; 
Den Schädern auch ertönt die Kunde: 
„Vorüber heut des Schaffen? Pein!“ 
gerlumpten Kleides, am Fuß die Kette — 
o wandeln fie zur Schlummerftätte, 
Unheimlich knarrt dad Eiſenthor; 
Einzieht die Schaar mit blaſſen Wangen, 
Der Schließer prüft die Kerkerſtangen 
Und ſchiebt den Riegel zögernd vor. 


Sie ſind allein, es harrt im Saale 

Das ſchwarze Brod, der Waſſerkrug; 

Sie koſten ſtolz vom ſchlechten Mahle, 
Und ſchlürfen gierig Zug um Zug. 

Ein Leben das, und das ein Raſten! 

Ein Biſſen Brod — die Henker praßten! — 
Und dort ein Bündel faules Stroh, 

Daß zu erneutem Tageswerke 

Den müden Leib der Schlummer ſtärke, 
Wenn ihm für heut die Kraft entfloh! 


Der Poſten ſpäht, Gewehr im Arme. 
Daß nicht die Schaar das Schweigen bricht 
Stumm ſoll ſie ſein in ihrem Harme — 
Doch wie! gehorcht der Sklave nicht? 
uſammen treten ſie mit braunen 
eſichtern ernſt und ſtill, und raunen 
Vom Weh, das in der Seele brennt; 
Sie fürchten nicht das Loos der Schächer, 
Sie wählen trotzig gar den Sprecher 
Zum Kaſematten-Parlament. 


Seht her! Das war ein ander Tagen, 

Ein Wort von anderer Gluth getauft, 

Als wo um Gold die Menſchheitfragen 
Ein Profeſſorenvolk verkauft! 

Das war kein Prahlen und kein Schwätzen, 
Kein blumenduftig Worteſetzen, 

Kein nachtumhüllter Freiheitsmord; 

Das war ſittſam Hundewedeln — 

Das war aus harten Denkerſchädeln 

Ein unerbittlich Richterwort! 








A. H. Strodtimann. 


Sa feht! Das find die Proletaren, 

Der Zukunft Räcerparlament, 

Das nur ein machtlos Wort ded Zaren 
Vom hellen Tag des Sieged tremt. 
Gefangen im Berbredjerreigen, 
Crwählen fie der Nächte Schweigen 

Zu Waffenbahn und Kriegeszelt, 

Und hinter Riegel, Schloß und Gittern, 
Wie tn des Kampfes Ungewittern, 
Verhandeln fie das Loos der Welt. 


„Zum Werke, Volk der Kaſematten!“ 
Der Sprecder ruft’3 am ftillen Ort; 
„Eröffnet Stuung und Debatten — 
Trotz Blei und Pulver frei dad Wort!” 
Und wie fi finfter überm Meere 
Zufammen ziehn bie Wolfenheere, 
Daraus die zadige Lohe ſchießt, 

So harren fie in dumpfem Grollen, 
Der Eine fo zur Erde gießt: 


Bon Neuem ging der Kampf verloren, 
Auf den wir unter Heil gebant, 

Weil noch einmal den klugen Thoren, 
Den Weltbeglüdern, wir getraut ! 

Dem Banner folgten wir, dem falben, 
Die Schledten waren’3 und die Halben, 
In deren Hand der Würfel lag — 

Und nimmer ander3 wird es kommen, 

Bis einft das Volt, von Haß entglommen, 
Die ganze freiheit fordern mag! 


„Ste fragten noch mit ernitem Munde 
Nah Mark und Grenze, Schärp und Band, 
Und wußten doch: Es hat zur Stunde 

Der arme Mann fein Vaterland! 


Und wußten doch — fie mußtens willen! — 


Daß, wenn die Feſſel Bier gerriffen, 
Auch dort der Thron in Flammen ftebt, 
Und daß beim Fall zerbrochner Kronen 
Bon Nation zu Nationen 

Das rothe Freudenbanner weht! 


„Ja, wieber bat man und betrogen, 
Dur deren Arm die Menfchhett Iebt, 
Und denen, wenn zum Kampf fte zogen, 
Der Erde morſcher Grund gebebt; 

Die nur geboren, um zu fterben, 


597 


598 


A. 9. Strodtmann. 


Die, ewig fhaffend, nie eriwerben, 

Die nur der Schmerz zu Menſchen tauft; 
Das Mal der Knechtſchaft an der Stirne, 
Und deren Tochter fi zur Dirne, 

Zum Sklaven ſich der Sohn verkauft! 


„Sold! Gold! Um dich auf blut’ger Sohle 
Durchſchweift die Welt der Reihen Heer, 
Es treibt fie fort von Bol zu Pole, 

Es jagt fie über Land und Meer. 

’3 ift nit der Getft, der glutbentflammte, 
Der ihre Wucherſinns verdammte 
Geſchwader in die Fremde trug; 

Die Welt ein Krämerbaus der Waaren — 
Und felbft die fernften der Barbaren 
Verſchonte nicht des Goldes Fluch! 


„Sie haben Land und Meer bezwungen, 
Die Erde dient dem en 
Der Schacher feilfcht in allen Zungen 

Und dampfend knirſcht dad Eiſenroß. 

Da3 alte Lied! Die Bettler darben, 

Für ung die Saat — für euch die Garben, 
Beftenert Boden, Fleiſch und Licht! 

Der Hunger weht an allen Enden, 

Ihr wühlt im Gold mit vollen Händen, — 
Doch und ernährt die Erde nicht! 


„So muß denn neu der Kampf beginnen 
Der unfer Gut dem Volk erſchließt, 
Das ihr bei Motten und bet Spinnen 
Erbarmungslos verderben ließt! 

Die Zügel reißen ſchon, die ſtraffen, 
Und bei dem Zornesſchall der Waffen 
Schlägt euch die Freiheit in den Grund! 
Für Alle Bicht und Luft und Leben — 
Und mit dem Feuerſaft der Neben 
Befiegeln wir den Völkerbund! 


Er ſchwieg. Um feine Wangen hauchte 
Der Stegedzufunft ftolge Gluth, 

Und in der Brüder Herzen tauchte 

Sich tönend feiner Rede Fluth. 

Kein Jauchzen drang, kein Beifallrufen, 
Wie um der Nednerbühne Stufen, 

Aus jener Hörer Kreis empor; 

Ste ließen dumpf die Kette Elingen, 

Und Huben grollend an zu fingen 

„Das Lied vom Brod“ in finiterm Chor. 


4. 9. Strodtimann. 599 


Seht diefen Geiſt in Haft und Banden, 
Wie ihn die Hoffnung kühn umladt! 
Für dieſe Feuerworte ftanden 

Die Leiber in der Todesſchlacht! 

Bon diefer Kampfeöweile tönten 

Die Klänge jüngft im Feld und höhnten 
Der Königsſchergen freche Luft; 

Und was die Henker heut verdammen: 
Es tft der MWeltgefhichte Flammen, 
Durch Naht und Nebel fiegbeiwußt ! 


Ein Reden, Singen, Zornesleuchten — 

En ging es fort die halbe Nadt, 

Bis dann cin Fieberſchlaf auf feuchtem 
Strohlager ſie zur Ruh' gebracht. 
Vielleicht, daß in dem Kerkerraume 

Der Eine noch im wachen Traume 

Zu laut die Marſeilaiſe ſang; 

Dann durch das Gitter m: "bie Made — 
Ein geller Schrei — und „Rache! Race!“ 
Erſcholl e3 düſter und verklang. 


Ir = ,% 


— Irbeiterlied. 


Fi Schmerz und Noth aud dunkler rd entfprofien, 
Das Auge hell, die Stirne hoch und 
So bridt, dad Schwert von ftarfer Fauſt nfetoffen, 
Der Arbeitämann fein Sklavenjoch entzwei! 

Auf, laßt die Banner fliegen! 

Es gilt ein letztes Kriegen! 
Hinaus zum Kampf! Die Freiheit führt und an! 
Fortan gehört die Welt dem Arbeitämann. 


Zu lange ſchon, vernihtend Luſt und Leben, 
Bezwang den Geiſt des Goldes falſche Macht — 
Sei nun das Gold in Volkeshand gegeben, 
Daß auch dem Armen Glück und Freude lacht! 
Auf, laßt die Banner fliegen! 
Es gilt ein letztes Kriegen! 
Heraus zum Kampf! Die Freiheit führt uns an! 
Yortan gehört die Welt dem Arbeitämann ! 


Was kümmert und die bunte Pracht der Fahnen? 
An unſerer Spitze flammt das eine Rot 

Uns blieb gemein des Hungers trotzi ahnen 
Gemein die Schmach, Entbehrung und die Noth. 


4. H. Strobtmann. 











Auf, laßt die Banner fliegen! 

Es gilt ein letztes Kriegen! 
Hinaus zum Kampf! Die Freiheit führt und an! 
Fortan gehört die Welt dem Arbeitgmann. 


O prahlet nicht mit eurer Krone Glänzen — 
Der golb’ne Reif zerbricht am ſchatrfen Stahl! 
Bald ruft euch fort von Spiel und Feft und Tänzen 
Zum blutigen Tanz der Schlachtenſonne Strahl! 
Auf, Iaft die Banner fliegen! 
Es gilt ein letztes Sriegen! 
Hinaus zum Kampf! Die Freiheit führt und an! 
Foıtan die Welt gehört dem Arbeitgmann! 


Genug des Hohn! wir athmen noch und Ieben, 
Vor unferm Tritt erbebt bie alte Welt! 
Wir fhaffen Brot dem armen Volk, und heben 
Der Gleichheit Banner auf Sternenzelt! 
So laßt die Banner fliegen! 
63 gilt ein letztes Siegen! 
Hinaus zum Kampf! Die Freiheit führt und an! 
Fortan gehört die Welt dem Arbeitsmann! 





— Otto Krille. 


Dito Krille, geboren am 5. März 1878 in Börnersdorf bei Sottleuba in 
Sachſen, Hat trog feiner Jugend zahlreiche Dichtungen verfaßt, in bemen tiefes 
Empfinden mit warmer Begeifterung wetteifert, und deren Sprache und Gebanfen: 
teihthum ein beachtenswerthes Talent verrathen. Krille war ber britte Sohn eines 
Maurers. Exft in einer Dorffgule, fpäter in der IL Bürgerfchule zu Großenhain 
genoß Dito Krille feinen Schulunterricht und wurde nad befien Abfolvirung von 
feinen Berwanbten, (ber Vater war vor der Geburt bed Knaben tödtlich verunglüdt) 
in bie fgl. ſächſ. Golbatentnabenerziefungsanftalt zu Kleinftruppen bei Pirna ge: 
bracht, von wo er im Jahre 1893 in die Unteroffizier: Vorſchule zu Marienberg kam. 
Das dortfelbft Herrfhende Drilfgftem unterbrüdte jede inbivibuelle Kegung und 
machte dem jungen Mann das Leben in biefer Sphäre unerträglid. Im November 
1895 murbe Krille wegen „Ungeeignetheit zum Unieroffizierſtande entiafſen. Nun⸗ 
mehr mwurbe er, wie er jelbft jagt: „Ein ſchwitender, darbender und — — boffnungs- 
freudiger Proletarier.” Seine Gedichte — meift in ber Fabril — find 
Kinder der jeweiligen Stimmungen, gährender Moft, der guten Wein erhoffen läßt. 











> Kampfrohe Ängend. «wu 


nd das tft unfer gutes Recht: 
Wir ftürzen das Alte, was morſch und Schlecht, 
Und lachen ob eurer Gejeke. 
Denn was eure Sattheit für Recht ermißt, 
Für und noch Sange nicht heilig tft, 
Daß der Hunger e3 nicht verlege. 


Und weil die eure uns nicht gefällt, 

Drum bauen wir felber und eine Welt, 

Und fchaffen und eigene Götter. 

Wie Frühlingäfturm braufen wir in den Tag; 
Was fallen und flürzen, was fallen mag 

In dem weltenerlöfenden Wetter. 


Und graut euch vor eurem Untergang, 
Nun, fo grollt nit Lang, jo ſchmollt nicht lang, 
So ftellt euch mit und zum Gefechte! 
eraus mit den Schwertern des Geiſtes, heraus! 
o ſtreitet im tobenden Geiſterſtrauß 
Um eure vermodeiten Rechte! 


> 
— Shichfal. — 
I. 


Hr Kolben ftampit, dad Schwungrad fauft, 
Das nied’rige Gewölb' erbrauft, 

Die eifernen Träger wanken. 

In Fieberhitze perlt die Stirn, 

Und ſpenſtiſch zuden mir im Hirn 

Krauſe, grelle Gedanten. 


Wär ih, o wär’ ich fein Proletar, 
Könnte ih wohl das ganze Jahr 
Meine Jugend fonnen. 

Wär ich geboren in reihem Haus, 
Brauchte ih nicht jahrein, jahraus 
Hungern und durften und frohnen. 








604 


Dtto Krille. 


Der Fabriken düftere Nacht 
Hat mich müde und elend gemadit, 
at mid gefeflelt, gebunden. 
eine braufende endkraft, 
Himmelſtürmende Leidenſchaft, 
Alles, iſt alles verſchwunden. 


In der Arbeit ruh'loſe Pein 

Dringt das Getriebe der Räder hinein, 
Donnernd bricht's an den Wänden, 

Bald wie ftöhnender Gradgefang, 

Bald wie ein Schrei, fo gellend und bang: 
„Knechtſchaft, wann wirft du enden?!“ 


II. 


Sp zwifhen Müflen und Wollen zu fchweben, 
In Nacht, in Dunkel und Elend leben 

Und doch voll Sonnenſehnſucht fein, 

Das nagt an Leben, Mark und Bein. 


Oft, wenn ich vor der Machine gefauert 


. Und auf die Mittagdftunde ri 


Leuchtete mir durch Herz um 
Des Wahnſinns blendendes Geſtirn. 


In ſchimmernde Fernen ſchien ich zu verſinken 
Aus blitzendem Becher Vergeſſen zu trinken. 
Da hab' ich mich zornig emporgereckt 

Und die ſehnige Rechte ballend geſtreckt. 


Einen Fluch, einen kräftigen ließ ich erſchallen 


Und zwiſchen den tobenden Rädern verhallen 
Und wankte müde, im Herzen Qual, 
Zum kargen, kurzen Mittagsmahl. 


Sie 


A Bas Broletarierkind. al 


te fie verächtlich dich begaffen! 
Sie nennen proßig, wie IE find, 
Sündhaft die Luft, die dich geichaffen, 
Zerlumptes Proletarierkind. 


Weh' ſtrömt von deinem bleichen Munde, 
Der noch der Mutterküſſe harrt. 
Verflucht das Bett, verflucht die Stunde, 
Da Armuth ſich mit Armuth paart. 





Otto Arille. 605 


Der Hunger, diefer rauhe Treiber 
Wird ſtets an ihrer Seite ftehn. 
Nur Elend wird aus ihrer Leiber 
MWollüftiger Umarmung gehn. 


Die Armuth tft fich gleich geblieben: 
Hohlwangig, fieberäugig, blaß, 
Elend im Leben und im Lieben 

Und wild und prädtig nur im Haß. 


—XE 


—— das Seid. — 


aſt du einmal das Leid geſehen, 

Wenn ſtill es durch die Straßen ſchlich, 
Bald aufgeputzt, geſchminkt, geziert, 
Einarmig bald, bald krank und ſiech; 


Bald im zerlumpten Bettlerkleid 
Bald im modernen Prachtgewand, 
Das dunkeläugig' blaffe Leid, 

Das Thränenkrüglein in der Hand? 


Bald macht ſichs auf der Straße breit, 
Bald weint's im Eck die Augen roth, 
Bald wiegt's auf Sammtkiſſen ſich, 
Bald ſitzt es ſtumm im Straßenkoth. 


Bald weilt's im Banne des Bordells, 
Bald kauerts zitternd hint'rm Strauch, 
Bald liegt's auf harter Lagerſtatt 
Mit Todesfhmerz im ftarren Aug. 


Bald geht’3 rothivarg*g durch die Stadt 
Mit Zauberlächeln, wie das Glück; 
Bald fißt’3 im prunfenden Salon 

Und bald in dunftiger Fabrik. 


Es geht die Gaſſen auf und ab; 
Bet jedem Schritte bebt ein ven, 
Und. feiner Spur folgt, müden Schritt3, 
Sein krankes, blaſſes Kind, der Schmerz. 


Se 


606 


Gefang der Augen. 


ir find der junge Staat, erzeugt 
Bon Broletariermwetbe. 
Uns bat die Mutter Noth gefäugt 
An ihrem dürren Leibe. 
Aus elendödunfler Hütte Schooß, 
Mit wunden Füßen, nadt und bloß, 
Sind wir emporgeitiegen. 
Bor und der fonnentrunfne Tag 
Nun geht’3 hinein mit Schwerterichlag 
Zum Sterben oder Siegen. 


Des Reichthums Kinder können froh 
Am Wiſſensquell ſich Iaben, 

Ob fie auch Hoffarth nur und Stroh 
Sm ftolzen Schädel haben. 

Doch hat man unſer'n Feuergeift 
Mit Stod und Bibelfpruch gefpeift, 
Sr ift noch nicht geftorben, 

Und ſchaffen wir auch ohne Glüd 
In Nacht und dunftiger Fabrik, 

Wir find noch nicht verdorben! 


No alüht in unferm Arm die Kraft, 
Der Stolz des rothen Blutes, 

Noch gährt und brauft die Leidenſchaft 
Des kecken Jugendmuthes. 

Und tragen wir auch huckepack 

Den ſteinbeſchwerten Bettelfad, 

Und müffen wir glei hungern 

Ind ohne Arbeit, ohne Brot, 
Getrieben von der blaffen Noth 

Auch Iumpen oft und Iungern: 


Der Zukunft Morgen bleibt und doch, 
Den hoffnungsfühn wir fchauen, 

Wir bredien doch das alte Jod) 

Der Cflaverei und bauen 

Der Menſchheit eine reihe Flur. 

Und klingt auch jegt im Liede nur 
Das Maienglück der Erden. 

Hinaus! Hinan! Der Morgen naht! 
Der Freiheit Mutter iſt die That. 
Das Lied fol Wahrheit werden! 


rn 


Dtto Frille. 





Dtto Prille. 607 


)) Ballhausgeſnenſter. 12222 


ie Stirn ift heiß und fieb'riſch perlt mein Blut, 
Die Wangen leuchten in des Ballſaals Gluth. 
Ich will mich Hinter jene Pflanzenheden 
Bor al der tollen Luft verfrieheu und verfteden. 
Dort will ih träumen füß, dort will ich lauſchen 
Bon was die Seidenroben flüftern, raufchen. 
„Schmück di fein, ſchmück dich fein, 
Mägdlein näht tagaud, tagein, 
Näht ein Kleid aus Sammt und Seiden, 
Näht Hinein ihr Herzeleiden, 
Stidt auch bunte Perlen ein, 
Berlen aus ihren Aeugelein,“ 
Wie das Intftert, wie das flüftert 
Bon verwellten Mädchenblüthen, 
Und umftrahlt vom Glanz der Lichter 
Seh’ ich blaſſe Angefichter, 
Große ftarre Kinderaugen, 
Die fih in die meinen jenken, 
Mir der Seele Ruhe faugen. 
AN’ mein Sinnen und mein Denken 
Iſt verdrängt von diefem Bild, 
Jählings Spring’ ih auf und laſſe 
Hinter mir ded Saale Schimmer, 
File dur die ftile Gaffe, 
Doch im Ohre tönt’3 noch immer, 
Und im Herzen Ilingt es weiter, 
Ind noch immer muß id) Taufchen 
Was die ſeid'nen Roben rauschen. 


N. 
- Ron der Btraße. — — 


& treibt der Tag dahin mit lautem Haften. 
Das Leben wogt wie Meeresflutb vorbei 

Und um des Daſeins Freuden, Leiden, Laften, 

Entbrennt der stampf mit dumpfem Zornesſchrei. 


Gin Siegen hier und dort ein Unterliegen. 

63 ſchwankt das Glüd im. wild entfachten Streit, 
Und mitten d’rein, in al’ das tolle Kriegen 

Zum fteten Kehraus fegt der Sturm der ‘Zeit. 


HER 


Otto Krille. 


— 


Bir ih ein Barnnerkräger. 


är’ ih ein Bannerträger, 
Ein Rufen gar im Streit, 
Ein feder wilder Schläger, 
Allzeit zum Kampf bereit: 


Mein Schwert, e3 follte blitzen 
Und ſchlagen euch vom Kopf 
Die Schlaf: und Büttelmüten 
Und euren langen Zopf. 


Mein Schladtruf follte gellen, 
Ein dröhnend Rolandöhorn, 
Und über Land und Wellen 
Hintragen meinen Zorn. 


Wär’ ih..o game Wäger, 
Nun werde endlich wild! 

Mein Lied, es ſei mein Schläger 
Und auch mein Wappenfchild. 


— 
) Ber Gefangene. €e«« 


urch das Fenfter dringt der erfte 
Sonnenftrahl in meine Zelle. 
Es erfüllt die fonft fo dunkle 

Ein wunderbare Helle. 


Blumenduft zieht durch die fchmale 
Nike — in das Holz geipalten — 
Blumenduft und Sonnenftrahlen 
Miſchen fich zu Lichtgeftalten. 


Wie fie Ichmeichelnd mich umpfangen ! 
Sa, fie küſſen mir die blaflen 
Wangen, die der Sram gebleichet, 
Sel’ge Weſen, die nicht baffen. 


Und wie Hoffnungsfhimmer ſchwebt e3 
Um die ſchwarzen Eiſenſtäbe. 
offft du, Herz, daß einit ein Morgen 
ih zum Sonnenlichte hebe? 


Ahnſt du, daß du einft wirft ſchlummern 
Unter rauher Zuchthauserbe ? 

Hoffft du, daß die Kerferthüre 

Dir noch einft geöffnet werde? 








Otto Frille. 


Hoffe, Harre, dulde, glaube! 

Mag au niemand um dich weinen! 
Glaube nur, der Tag der Freiheit 
Wird auch ohne Dich ericheinen. 


Hier auf unſ'res Kerlers Trümmern 
Werden einſt die Kinder ſpielen, 
Und den Schooß der Zuchthausrede 
Wird der Ackerpflug durchwühlen. 


Unſ're bleichenden Gebeine 

Wird der Greis dem Enkel zeigen. 
Aus den Kerkern, aus den Grüften 
Wird der Geiſt der Wahrheit ſteigen. 


wg 
— Im Konzert. — 


Luft, Geſang. Ich fite eingezwängt, ‘ 
HI” Ningsum Philifter, bäuchig und behäbig, 
Lächelnden Blick's, die Arme leicht verfchränft, 
Satt-progig und gemein⸗geſinnungsſchäbig. 


Ich lauſche ftil, ganz in der Töne Bann. 
Ich bin bezaubert, fühl’ eg mit Entzüden 
Und fühl’ und jehe, wie fle dann und wann 
Stolz und verächtlih auf mich niederbliden. 


Ein Flüftern hör’ th durch die Runde gehn. 

(Ob fie erfannt an mir der Armuth Stempel?) 

— — — Und als ich's endlich bebend fonnt’ verftehn, 
Entfloh ich ſchnell aus dem entweihten Tempel. 


Er 
— Hinter. — 


interluſt und Feſtesfreuden, 
Wirr umtanzt von weißen Flocken. 
Fernes traumverlor'nes Läuten, 
Wie von hellen Weihnachtsglocken. 


Maskentrubel, Narrenſchellen — —. 
Durch die Säle raſt die Freude, 
Und dazwiſchen hör' ich gellen 
Hilferufe von der Haide. 


Ir 





609 





610 Otto Krille. 


— —— — —— — — — —— — — — — — — — —— — 
— — LT —ñ—— * — un 


33) Den Fodten des Faͤrz ce 


o irgend in der Welt ein Herz bricht, 
Ein müdes Haupt ficy neigt, 
Eines Armes Kraft verraudt 
Für die Freiheit, 
Dort folle ein Tempel ftehen, 
Daß über ihm 
Der Glutwind ded Mittag 
Die Schwüle des Abends rüffe, 
Mie heißer Kampf 
Den Schatten der Lorbeerhaine. 
Ueber euren Gräbern fteht fein Tempel, 
Ihr Todten des März, 
Aber Mittag und Abend küſſen fich auf ihnen, 
Wie Waffen: und Kettengeklirr 
Rauſcht es um eure Hügel, 
Wie gedämpftes Rufen nah den Schnittern, 
Das stornfelb der Menſchheit zu mäben. 
O ruhet! 
Nur einen Tag, 
Nur einen Sommertag, 
Dann ift es gereift, 
Das Korn der Freiheit. 
Wir prüfen ſchon die Sehnen ded Arms, 
Jugendfriſch gürten wir 
Wit Mohnblüthen ung 
Und ſchmücken das Iodige Haupt 
Mit der rothen flammenden Gluth 
Und harren des Sommertags. 
Ruhet, ihr Kämpfer! 
Eure Gebeine vermodern, 
Eure Gräber zerfallen, 
Aber ewig jung und märzenkühn 
Lodert der Freiheitsgedanke. 


E 
— Sr kommt. & 


& fommt! Gr fommt! Er muß und golden tagen, 
Der Freiheitsmorgen naht mit Mad! 

Der Lerche glei, will ih die Flügel fchlagen 

Und fünden laut den Niedergang der Nacht. 

Ob uns aud) dumpfes Brüten 

Und Sorgen nod umſpinnt, 

Am Freiheitöbaum die Blüthen 

Schon längft geſprungen find. 


Otto Arille 611 





Das Meorgenroth wird manches Ange feuchten, 
Zerbroch'nen Schwertern wird es fprüh’n, 
Um balbzerfall’ne Gräber wird es leuchten 
Und ſchweißbethaute Stirnen wird’3 umglüh'n. 
O Inofpenreihe Helle, 

Wir ftehen ſchon bereit 

Lichthungrig an der Schwelle 

Der neuen Matenzeit! 


u * 
—— Seimke hr. — 


HD kennſt mich nicht! Ich ſeh's an deinem Blid. 
Kein froh’ Erkennen jählings an ihm biigt. 
Mit ſcharfem Griffel hat mir das Geſchick | 
Ins Angeficht mein Fehlen eingertigt. 

Es zudt dad Weh in allen meinen Zügen 

Im Auge flirrt mir noch der tolle Wahn. 

Schau’ in mein Angeſicht, ed Tann. nicht Lügen, 

Es predigt meine ganze Dornenbahn. 


Du kennſt mi nit? So geh’ wie's dir gefällt. 
Mein Pfad er führt nur weiter in die Nacht. 
Lenzfrohe Kindheit trug ich in die Welt, 

Verwelkte Jugend Hab’ ich heimgebracht. 

Im Ohre klingt es: Ein verfehltes Leben! 

Und tief im vera nagt der Neue Wurm, 

Laß mich hinfort der Menſchheit Sache Leben: 
Mein Schwert der Haß und mein Genoß’ der Sturm! 


Hufe 
Henn mih ein Sturmwind mit ich nähme — ! 


enn mid ein Sturmwind mit fih nähme 
Und trüg’ mid) fort, weit über Meer, 
Daß id) mit meinem Leid alleine, 
Berihollen und vergeflen wär, — — 
Wenn er mid) auf ein Eiland trüge, 
Umbrauft von Wogen nur und Wind — — 
Denn mid ein Sturmwind mit fih nähme, 
Daun würd’ft du weinen, ſchönes Kind! 


Wenn mid ein Sturmwind mit fi nähme, 
Daß ich der Erde wär’ entrüdt 

Und mir da3 Leid vom Herzen nähme, 
Das Leid, ded mich fo fehr bedrückt — —, 





89° 


612 Dtto Krille. 


— — — — —— — — — — — — — — — — — rn 





Wie wollt' ich jauchzend durch die Lüfte 
Vorbei am Sonnenballen ziehn 

Und über Länder, über Meere 

Nah unbelannten Yernen fliehn. 


Wenn mich ein Sturmwind mit fi nähme, 
Und trüg’ mich fort, wer weiß, wohin! 
Wie würd’ ed mich zurüd zur Erde 

Zu meinem alten Elend zieh'n! 

Und trüg’ er mich auf feinen Schwingen 
Hinaus bis an dad Morgenroth, 

Hort würde mir im Obre £lingen 

Das Lied von meiner Brüder Noth. 


—E 
— In tiefer Schmach. —— 


n tieffter Schmach bat mic, die Welt gefehen, 
Ich hab' gelebt ein Leben Hart und fchwer, 
Doch immer fah’ die Welt mich aufrecht ftehen, 
Das Antlig ftarr, da3 Auge thränenleer. 
Ob ich die Stirn in wildem Troß erhoben, 
Ob ih mit dumpfem Glethmuth dreingefhaut, 
Die Stürme fonnten wüthen, konnten toben, 
Doch immer hab ich meinem Stern vertraut. 








Ich mußte frieren, mußte durften, Darben, 

Kein Schmerz, Fein Leid, fein Weh’ blieb mir erfpart. 
Mein Herz Perie auf, als meine Träume ftarben, 
Und doch hab' ih den Mannesitolz bewahrt. 

Du läcdelft! Sa, ein winz’ger Reſt von Größe, 
Des Bettlerd Stolz! Es klingt wie bitt’rer Hohn. 
Sch fehe ohne Wunden feine Blöße 

An mir, des Elends nachtgebor'nem Sohn. 





— heinrich Heine — 








Als den größten Lyrifer des meunzehnten Jahrhunderts bezeichnet man mit 
Recht Heinrich Heine und das deurſche Profetariat feiert in ihm mit gutem 
Grund ben Hervorragındften Bahnbreer der Freiheit aus der vormärzlicen Zeit. 
Er lebte und ftarb ais Revolutionär. Er haßte den Abfolutismus fammt Juniern 
und Pfaffen. Zür ihn gab «8 nur eine einzige Partei, die Beachtung verbiente: die 
Kommuniſten. Es ift Heine's unfterbliches Verdienſt, der nahenden Freiheit die 
Gaſſe eröffnet zu Haben, indem er fih mit nie zögernder Entſchloſſenheit auf ben 
Feind warf, mo er ihn traf. Welch fmerzlice Wunden er ihm (hlug und wie bie 
Furdt vor ihm noch Heute den Dunfelmännern und Rüdhwättjern durd) bie Olieber 
sittert, daß verräth deutlich ihr wüftes Schimpfen und Schreien in den letzten J 
als es ſich darum handelte, dem „ungezogenen Liebling der Grazien“ ein al 
au fegen. — Heinrich Heine wurde 1797 ober 1799 (baB Jahr ift nicht genau feftftell- 
bar) am 18. Dezember in Düffeldorf von jübifhen Eltern geboren. it 15 Jahren 
Tam er zu einem Wechsler in Franffurt a. M. in Stellung, zwei Jahre fpäter 
etablirte er fi) in Hamburg, mußte aber nad zwei Jahren daB Geſchaͤft wieder 
aufgeben und ftubirte nun in Bonn und fpäter in Göttingen, wo er 1825 zum 
Doktor der Rechte promovirt wurde. Vorher ſchon mar fein herrliches „Bud, ber 
Lieder” entftanden. Anfangs der dreißiger Jahre ging Heine nad Paris, woſelbſt 
er biß zu feinem, am 17. Februar 1856 erfolgten Tode verblieb. — Seine hervor- 
Fagenbflen Scöpfungen find: „Buch der Lieber“, „Neifebilder”, „Atta Trol“, 
Veutſchland, ein Wintermärdhen“, „Die romantiſche Schule”, „Romancero“, „Lazarus“. 


— 











— He Wanderratten. — 


Rs giebt zwei Sorten Ratten: | 
Die Hungrigen und fatten. 


Die fatten bleiben vergnügt zu Haus, 
Die hungrigen aber wandern aus. 


Ste wandern viel taufend Meilen, 
Ganz ohne Raſten und Weilen, 
Gradaus im ihrem grimmigen Lauf, 
Nicht Wind no Wetter hält fie auf. 


Ste klimmen wohl über die Höhen, 

Ste ſchwimmen wohl über die Seen; 

Gar mande erfäuft oder bricht das Genid. 
Die lebenden laſſen die todten zurüd., 


Es Haben diefe Käuze 

Gar fürdterlide Schnäuze ; | 
Ste tragen die Köpfe geichoren egal, 
Ganz radikal, ganz rattenfahl. 


Die radikale Rotte 

Weiß nicht3 don einem Gotte. 
Sie lafjen nicht taufen ihre Brut, 
Die Weiber find Gemeindegut. 


Der finnlide Rattenhaufen, 

Er will nur freflen und faufen, 

Er denkt nicht, während er fäuft und frißt, 
Daß unfre Seele unfterblic ift. 


Sp eine wilde Rabe, 

Die fürchtet nicht Hölle, nit Katze; 

Ste hat fein Gut, fie Hat fein Geld 

Und wünſcht aufs Neue zu theilen Die Welt. 


Die Wanderratten, o wehe! 

Sie find ſchon in der Nähe. 

Sie rüden heran, ih höre ſchon 
Ihr Pfeifen, die Zahl ift Vegton. 








616 


Heinrich Heine. 


O wehe! Wir find verloren, 

Ste find ſchon vor den Thoren! 

Der Bürgermeifter und Senat, 

Ste fehütteln die Köpfe, und Keiner weiß Rath. 


Die Bürgerfchaft greift au den Waffen, 
Die Gloden läuten die Pfaffen. \ 
Gefährbet tft dad Palladium 

Des fittliden Staats, dad Eigenthum. 


Nicht Glocdengeläute, nicht Pfaffengebete, 
Nicht hochwohlweiſe Staatsdekrete, 

Auch nicht Kanonen, viel' Hundertpfünder, 
Sie helfen auch heute, ihr lieben Kinder! 


Heut helfen euch nicht die Wortgeſpinnſte 
Der abgelebten Redekünſte, 

Man fängt nicht Ratten mit Syllogismen, 
Sie ſpringen über die feinſten Sophismen. 


Im hungrigen Magen Eingang finden 
Nur Suppenlogik mit Knödelgründen, 
Nur Argumente von Rinderbraten, 
Begleitet mit Göttinger Wurft-Citaten. 


Ein ſchweigender Stockfiſch, in Butter gefotten, 
Behaget den radtlalen Ratten 

Biel befier, als ein Mirabeau 

Und alle Redner feit Cicero. 


LER 


Srinnerung ans Krähwinkel's Hehreckenstagen. 


ir, Bürgermeiſter und Senat, 
Wir haben folgendes Mandat 
Stadtväterlichſt an alle Klaſſen 
Der treuen Bürgerſchaft erlaſſen: 


„Ausländer, Fremde, find es meiſt, 
Die unter uns geſät den Geiſt 

Der Rebellion. Dergleichen Sünder. 
Gottlob! ſind ſelten Landeskinder. 


„Auch Gottesleugner ſind es meiſt; 
Wer ſich von ſeinem Gotte reißt, 
Wird endlich auch abtrünnig werden 
Von ſeinen irdiſchen Behörden. 








Heinrich Heine. | 617 


„Der Obrigkeit gehorchen, tft 
Die erfte Pflicht für Zub’ und Chrift. 
Es ſchließe Jeder feine Bude, 
Sobald es dunkelt, Chriſt und Jude. 


„Wo ihrer Drei beiſammen ſteh'n, 

Da ſoll man auseinander geh'n. 

Des Nachts ſoll Niemand auf den Gaffen 
Sich ohne Leuchte ſehen laſſen. 


„Es lief're ſeine Waffen aus 

Ein Jeder in dem Gildenhaus; 
Auch Munition von jeder Sorte 
Wird deponirt am ſelben Orte. 


„Wer auf der Straße räſonnirt. 
Wird unverzüglich füſilirt; 

Dad’ Räſonniren durch Geberden 
Soll gleichfalls hart beſtrafet werden. 


„Vertrauet eurem Magiſtrat, 

Der fromm und liebend ſchützt den Staat 
Durch huldreich hochwohlweiſes Walten; 
Euch ziemt es, ſtets das Maul zu halten.“ 


A 
—6| Aammerthal. —B 


er Nachtwind durch die Lucken pfeift, 
Und auf dem Dachſtublager 

Zwei arme Seelen gebettet ſind; 

Sie ſchauen ſo blaß und ſo mager. 


Die eine arme Seele ſpricht: 

„Umſchling mich mit deinen Armen, 

Anz meinen Mund drück feſt deinen Mund, 
Ich will an dir erwarmen.“ 


Die andre arme Seele ſpricht: 

„Wenn ich dein Auge ſehe, 

Verſchwindet mein Elend, der Hunger, der Froſt 
Und all mein Erdenwehe.“ 


Sie küßten ſich viel, ſie weinten noch mehr, 
Sie drückten ſich ſeufzend die Hände, 

Sie lachten manchmal und ſangen ſogar, 
Und ſie verſtummten am Ende. 








618 


SHeinrich Heine. 





Am Morgen kam der Kommiffär, 
Und mit ihm fam ein braver 
Chirurgud, welcher Fonftatirt, 
Den Tod der beiden Kadaver. 


„Die Strenge Wittrung”, erflärte er, 
„Mit Magenleere vereinigt, 

Hat beider Ableben verurſacht, fte Hat 
Zum Mindeften ſolches beichleunigt.“ 


Wenn Fröfte eintreten, fett’ er Hinzu, 
Set höchſt nothiwendig Verwahrung 
Durch wollene Deden; er empfahl 
Gleichfalls gefunde Nahrung. 


— Erfenätung — 








Nigel! fallen dir Die Schuppen | Michel! wird dein Glaube ſchwächer 


Bon den Augen? Merkſt du itzt, Oder ftärfer dein App’tit? 


Daß man dir die beiten Suppen | Du ergreifit den Lebensbecher 


Bor dem Maule wegftibigt? Und du fingft ein Heidenlied! 
Als Erfak war dir verſprochen Michel! fürchte nichts und labe 
Reinverflärte Himmelsfreud’ | Schon hienieden deinen MWanft, 
Droben, wo die Engel fochen Später Itegen wir im Grabe, 
Ohne Fleiſch die Seligfeit ! Wo du ftill verdauen kannſt. 
NL. 
— — Zumpenthum — 





ie reihen Beute, die gewinnt 

Man nur dur platte Schmeichelei’tn — 
Das Geld tft platt, mein liebes Rind, 
Und will aud platt gejhmeichelt fein. 


Das Weihrauhfaß, das ſchwinge fed 
Bor jedem göttlih gold’nen Kalb; 
Bet an im Staub, bet an im Dred, 
Bor Allem aber lob' nicht Halb. 


Das Brot tft theuer dieſes Jahr, 
Jedoch die Ichönften Worte Hat 
Man noch umfonft. — Belinge gar 
Mäcenas' Hund, und friß dich fatt ! 


5 


Heinrich Heine, 61% 


-—— Ber Wanzerich — 


8 I; ein brauner Wanzerich 

Auf einem Pfennig und fpreizte fich, 
Wie ein Nentier, und ſprach: „Wer Geld bat, 
Auch Ehr’ und Anfehn in der Welt Hat, 
Mer Geld bat, tft au Iteblih und ſchön — 
Es fann fein Weib ihm widerſtehn; 

Die Weiber erbleihen ſchon und zittern, 
Sobald fie meinen Odem wittern. 

Ich babe mande Sommernadit 

Sm Bett der Königin zugebradit; 

Sie wälzte fih auf ihren Matragen, 

Und mußte ſich beftändig kratzen.“ 


Ein luſtiger Seil, welcher gebört 

. Die prahlenden Worte, war drob empört; 
Sm heiteren Unmuth fein Schnäbelein fchliff er, 
Und auf dad Inſekt ein Spottlied pfiff er. - 


Gemein und fhmubig der Wanzerich, 
Wie MWanzen pflegen, rächte er fi: 

Er ſagte, daß ihm der Zetfig grollte, 
Weil er fein Geld ihm borgen wollte. 


* * 
* 


Und die Moral? Der Fabuliſt 

Verſchweigt ſie heute mit klugen Zagen, 
Denn mächtig verbündet in unſeren Tagen 
Das reiche Ungeziefer iſt. 

Es ſitzt mit dem Geldſack unter dem A— 
Und trommelt ſiegreich den Deſſauer Marſch. 





— 
— Stopfenfzer. in 
Unbequemer neuer Glauben! Wir entbehren leicht dad Beten, 


Wenn fie und den Herrgott rauben, | Doch das Fluchen tft vonnöthen, 
Hat das Fluchen auch ein End’ — | Wenn man gegen geinde rennt — 
Htimmel-Herrgott-Saframent ! Htimmel-Herrgott-Saframent | 


Nicht zum Lieben, nein, zum Haffen, 
Sollt ihr und den Herrgott Laffen, 
Weil man fonft nicht fluchen könnt’ — 
Htmmel-Herrgott-Saframent | 


er 








620 


Heinrih Heine. 


3 Aus: Bentfäland. E 


Ein Bintermärden. 
I. 


In traurigen Monat November war's, 
Die Tage wurden trüber, 

Der Wind riß von den Bäumen das Laub, 
Da reiſt' ich nach Deutſchland hinüber. 


Und als ich an die Grenze kam, 
Da fühlt’ ich ein ſtärkeres Klopfen 
Sin meiner Bruft, ih glaube fogar 


Die Augen begannen zu tropfen. 
‘ Und als ih die deutihe Sprache vernahm, 


Da ward mir fellfam zu Muthe; 
Ich meinte nit anders, als ob dag Herz 
Recht angenehm verblute. 


Ein kleines eng ‚fang. 

Ste fang mit wahrem Gefühle 

Und falfiser Stimme, — ward ich ſehr 
Gerühret von ihrem Spiele. 


Sie fang von Liebe und Liebesgram, 
Aufopfrung und Wiederfinden 
Dort oben in jemer befiern Welt, 

Wo alle Leiden ſchwinden. 


Sie fang vom irdiſchen Sammerthal, 
Bon Freuden, die bald zerronnen, 
Vom Jenſeits, wo die Seele ſchwelgt 
Berllärt in ew’gen Wonnen. 


Sie fang dad alte Cntfagungätieb, 
Das Eiapopei vom Himmel, 

Womit man einlullt, wenn es greint, 
Das Volk, den großen Lümmel. 


Ich kenne die Weiſe ich eane den Text, 
30 kenne auch die Verfa 

Sch weiß, fie tranken Geimlic Wein 
Und predigten öffentlich Wafler. 


Ein neued Lied, cin beſſeres Lied, 
O Freunde, will ih euch Dichten: 
Wir wollen bier auf Erden ſchon 
Das Himmelreih errichten. 


— ——77T 


Heinridh Heine. 621 


Wir wollen auf Erden glücklich fein, 
Und wollen nit mehr darben; 
Verſchlemmen fol nicht der faule Bauch, 
Was fleißige Hände erwarben. 


Es wächſt bienteden Brot gemig 

Für alle Menſchenkinder, 

Auch Roſen und Myrten, Schönheit und Luft, 
Und Zuckererbſen nicht minder. 


Ja, Zudererbien für jedermann, 
Sobald die Schoten plagen! 
Den Himmel überlaffen wir 
Den Engeln und den Spaten. 


Und wachen und Flügel nad dem Tod, 
So wollen wir euch befuchen 

Dort oben, und wir, wir eflen mit euch 
Die feligiten Torten und Kuchen 


Ein neues Lied, ein befleres Lied! 
Es klingt wie Flöten und Geigen! 
Die Miſerere tft vorbet, 

Die Sterbegloden ſchweigen. 


Die Jungfer Europa tft verlobt 

Mit dem ſchönſten Geniuffe 

Der Freiheit, fie Itegen einander im Arm, 
Ste fchwelgen im erjten Kuffe. 


Und fehlt der Pfaffenfegen dabei, 

Die Ehe wird gültig nit minder — 
Es lebe Bräutigam und Braut, 

Und ihre zufünftigen Kinder! — — — 


III. 


Zu Aachen im alten Dome liegt 

Karolus Magnus begraben, — 

Man muß ihn nicht verwechleln mit Rarl. 
Mayer, der lebt in Schwaben. 


Sch möchte nicht todt und begraben fein 
Als Kaiſer zu Aachen im Dome; 

Weit lieber lebt’ ich als Kleiner Poet 
Zu Stuffert am Nedarftrome. 


622 Heinrich Heine. 


Ich bin in dieſem langweil'gen Neft 
Ein Stündchen berumgefchleudert. 
Sah wieder ˖ preußiſches Milttär, 
Hat ſich nicht ſehr verändert. 


Es find die grauen Mäntel noch 
Mit den hohen, rothen Kragen — 
„Das Roth bedeutet ranzogentlut-, 
Sarg Körner in früheren T agen. 


Nicht übel gefiel mir dad neue Koftüm 
Der Reiter, dad muß ich Ioben, 
Beſonders die Pidelhaube, den ‚Helm 
Mit der ftählernen Spike nad) oben. 


Ja, ja, der Helm ge gen! mir, er zeugt 
Vom allerhöchſten e! 

Ein königlicher Einfall war's! 

Es fehlt nicht die Pointe, die Spitze! 


Nur fürcht' ich, wenn ein Gewitter entfteht, 
Zieht Teiht fo eine Spike 

Herab auf euer romantiihed Haupt 

Ted Himmels modernfte Blitze! 


a nahen re nr „ofthaufiild, 


Er J den tief Berhahtt Bol Sift 
Schaute er auf mich nieder. 


Du häßliher Vogel, wirft du einft 
Mir in die Hände fallen, 

So rupfe ich dir die Federn aus 
Und hade dir ab bie Krallen. 


Du follft mir dann in Iuft’ger Höh’ 

Auf einer Stange fiken, 

Und ich rufe zum luſtigen Schießen herbei 
Die rheinifchen Vogelſchützen. 


Wer mir den Vogel herunterfchteßt, 
Mit Scepter und Krone belehn’ ich 
Den wadern Mann! Wir blafen Tuſch 
Und rufen: „Es lebe der König!“ 


XII. 
Die Eonne ging auf bei Paderborn 
Mit ſehr berdrofiner Gebärde. 
Sie treibt in der That ein verdrießlich Geſchäft — 
Beleuchten die Dumme Erde! 


Heinrih Heine. 623 


(I. .[- 


Hat fie die eine Seite erhellt, 

Und bringt jie mit ftrahlender Eile 

Der anderen ihr Licht, fo verdunkelt fchon 
Sich jene mitilerweile. 


Der Stein entrollt dem Stiyphus, 
Der Danatden Tonne 

Wird nie gefüllt, und den Erdenball 
Beleuchtet vergeblich die Sonne! — — 


Und als der Morgenuebel zerrann, 

Da ſah ih am Wege ragen 

Im Frührothſchein das Bild de Manns 
Der an dad Kreuz geſchlagen. 


Mit Wehmuth erfüllt mich jedesmal 
Dein Anblid, mein armer Better, 
Der du die Welt erlöfen gewollt, 
Du Narr, du Menjchheitsretter! 


Sie haben Dir übel mitgeipielt, 
Die Herren vom hohen Rathe. 

Wer bieß dich auch reden fo rückſichtslos 
Bon der Kirche und vom Staate! 


Zu deinem Malheur war die Buchdruckerei 
Noch nicht in jenen Tagen 
Erfunden; dur Hätteft gefchrieben ein Buch 
Ueber die Himmelsfragen. 


Der Cenſor hätte geſtrichen darin, 
Was etwa anzüglich auf Erden, 

Und liebend bewahrte dich die Cenſur 
Bor dem Gekreuzigtwerden. 


Ah! hätteft du nur einen anderen Tert 
Zu deiner Zergprebigt genommen, 
Bejaßet ja Geift und Talent gemug, 
Und fonnteft fchonen die Frommen! 


Geldwechsler, Bankier Haft du fogar 

Mit der Beitiche gejagt au dem Tempel — 
Unglüdlider Schwärmer, jett hängft du am Kreuz 
Als warnendes Erempel! 





AR das eine Antwort? 


Foaß die Heil’gen Parabolen 
Laß die frommen Hypothefen — 

Suche die verdammten Fragen 

Ohne Umfchweif und zu Löfen. 





624 Heinrich Heine. 


Warum ſchleppt ſich blutend, elend, 
Unter enta der Gerechte, 
Während glücklich als ein Sieger 
Trabt auf hohem Roß der Schlechte? 


Woran liegt die Schuld? Iſt etwa 
Unſer Herr nicht ganz allmächtig? 
Oder treibt er ſelbſt den Unfug? 
Ach, das wäre niederträchtig. 


Alſo fragen wir beſtändig, 

Bis man und mit einer Handvoll 
Erde endith ftopft Die Mäuler — 
Aber iſt Das eine Antwort? 


Sm 


—&) Bas goldne Kalb. a 


oppelflöten, Hörner, Gegen | reifen wie ein Wirbelwind 
Spielen auf zum Göbenreigen, | Um das Rind — 
Und es tanzen Jakobs Töchter Paukenſchläge und Gelächter! 
Um ba2 goldne Kalb herum — 
Brımm — brumm — brumm — Fr ie a 
aukenſchläge und Gelächter! on bes Tanzes Wahnſtunswogen, 
» af g ch Und er ſelbſt, der Glaubenswä ter 
Hochgeſchürzt bis zu den Venden | Tanzt im Hohenprieſterrock 
Und ſich faſſend an den Händen, Wie ein Bock — 
Jungfrau'n edelſter Geſchlechte Paukenſchläge und Gelächter! 


IE 


— — Aug: König &angohr Il. — 


. Hter rülpfte der König, doch unterbrach er 
Nicht Tänger die Nede, und weiter ſprach er: 
„Hochmögende Ejel, ihr jungen und alten! 
Ihr feht, ich kenne euch! Ungehalten, 
Ganz allerhöchſt ungehalten bin ich, 
Daß ihr fo ſchamlos widerfinnig 
Zerunglimpft habt mein Regiment. 
Auf eurem Eſelsſtandpunkt könnt 
Ihr nicht die großen Löwen-Ideen 
Bon meiner Politik veritehen, 
Nehmt euch in Acht! In meinem Reiche 
Wächft manche Buche und mande Eiche, 
Woraus man die [hönften Galgen zimmert, 


Heinrih Heine. 625 


Auch gute Stöde. Ich rath’ euch, befümmert 
Euch nit ob meinem Schalten und Walten! 
Ich rath’ euch, ganz dad Maul zu halten! 
Die Ratjonneure, die freden Sünder, 

Die laſſ' ich öffentlich ftäupen vom Schinder ; 
Ste follen im Zuchthaus Wolle fragen. 
Wird Ener gar von Aufruhr Ihwagen, 

Und Straßen entpflaftern zur Barrifade — 
Ich laſſ' ihn henken ohne Gnade. 

Das Hab ich euch, Efel, einfhärfen wollen ! 
Sest könnt ihr euch nad Haufe trollen.“ 
ALS diefe Rede der König gehalten, . 

Da jauchzten die Efel, die jungen und alten; 
Sie riefen einftimmig: I⸗-A! JA 

Es Iebe der König! Hurrah! Hurrah! 


282 
— ge VReber. — 


Er büftern Auge feine Thräne, 
Ste fiten am Webftuhl und fletichen die Zähne: 
Deutfchland, wir weben dein LVeichentuch, 
Wir weben hinein den dreifachen Fluch — 
Wir weben, wir mweben! 


Ein Fluch dem Gößen, zu dem wir gebeten 

In Winterdfälte und Hungeröndthen ; 

Wir Haben vergeben? gehofft. und geharrt, 

Er bat und zgeäit und gefoppt und genarrt — 
ir weben, wir weben | 


Ein Fluch dem König, dem König der Reichen, 
Den unfer Elend nicht konnte ermweichen, 
Der den letzten Groſchen von und erpreßt, 
Und und wie Hunde erfhteßen läßt — 

Wir weben, wir weben! 


Ein Fluch dem falſchen Naterlande, 

Wo nur gedeihen Schmah und Schande, 

Wo jede Blume früh gefnidt, 

Wo Fäulniß und Moder den Wurm erguidt — 
Wir weben, wir weben ! 


Das Sciffchen fliegt, der Webſtuhl kracht, 
Wir weben emfig Tag und Naht — 
Altdeutfchland, wir weben dein Leichentuch, 
Wir weben hinein den dreifachen Fluch. 
Wir weben, wir weben!“ 
Du 


' 40 











626 Heinrich Heine. 


Veltlauf. — 


Hat man Viel, ſo wird man bald Wenn du aber gar te baft, 
Noch viel Mehr dazu befommen. | Ad, To laſſe dich — 
Wer nur Wenig hat, Dem wird | Denn ein Recht zum , , 
Auch das Wenige genommen. Haben nur, die Etwas haben. 


Br) 


An einen politiſchen Dichter. 


u fingit, wie einft Tyrtäus fang, 
Bon Heldenmuth befeelet, 
Doch Haft du ſchlecht dein Publikum 
Und deine Zeit gewählet. 


Beifällig horchen fie dir zwar, 
Und loben, fchter begetftert: 
Wie edel dein Gedankenflug, 
Wie du die Form bemelitert. 


Sie pflegen auch beim Glaſe Wein 
Ein Vivat dir zu bringen, 

Und manden Schlachtgeſang von dir 
Lautbrüllend nachzufingen. 


Der Knecht fingt gern ein Freiheitslied 
Des Abends in der Schenfe: 

Das fördert die Verdauungskraft 

Und würzet die Getränfe. ' 


DR 
Ziel nah dem März. 


(Derfaßt im Jahre 1250, abgedrudt im Frankfurter Muſenalmanach bon 1851) 
o lang ich den deutſchen Michel gekannt 
War er ein Bärenhäuter;; 
Ich dachte im März, er hat fi ermannt 
Und handelt fürder gefcheuter. 


Wie ftolz erhob er daS blonde Haupt 
Bor feinen Landesvätern! 

Wie jprah er — was doch unerlaubt — 
Bon hohen Landeöverräthern. 





Das klang fo füß zu meinem Ohr 
Wie märchenhafte Sagen, 

Ich fühlte, wie ein junger Thor, 
Das Herz mir wieder ſchlagen. 


⸗ 





Heinrih Heine 687 


Doch als die fchwarzsroth-goldne Fahn', 
Der aligermantiche Plunder, 

Auf's neu erſchien, da ſchwand mein Wahn 
Und die ſüßen Märchenwunder. 


Ich kannte die Farben im diefem Panier 
Und ihre Vorbedeutung: 

Bon deutſcher Freiheit brachten fie mir 
Die Ihlimmfte Htobözettung. 


Schon ſah ih den Arndt, den Bater Jahn — 
Die Helden aud anderen Zeiten 

Aus thren Gräbern wieder nah’n 

Und für den Kaiſer jtreiten. 


Die Burſchenſchaftler allefammt 
Au meinen Jüngdlingsjahren, 
Die für den Kater Fr entflammt, 
Wenn fie betrunfen waren. 


Ich-ſah das fündenergraute Geſchlecht 
Der Diplomaten affen, 

Die alten Knappen vom römiſchen Recht 
Am Einheitöätempel jchaffen. — 


Derweil der Michel geduldig und gut ' 
Begann zu Schlafen und ſchnarchen, 
Und wieder erwachte unter der Hut 
Bon vierunddreißig Monarchen. 


Rn, 
— == Roktrin. — 


chlage die Trommel und fürchte dich nicht 
Und küſſe die Marketenderin, 

Das iſt die ganze Wiſſenſchaft, 

Das tft der Bücher tiefſter Sim. 


Trommle die Leute aus dem Schlaf, 
Trommle Reveille mit Jugendkraft, 
Marſchire trommelnd immer voran, 
Das iſt die ganze Wiſſenſchaft. 


Das iſt die Hegel'ſche Philoſophie, 
Das iſt der Bücher tiefſter Sinn, 

Ich hab’ fie begriffen, weil ich geſcheit, 
Und weil ich ein guter Tambour bin. 


arts 








40* 





628 


Heinrich Heine. 


—— Au: Kaicliff. — 


„... Robin tft 
Ein Mann; und einen Mann ergreift der Zorn, 
Wenn er betraditet, wie die Pfennigfeelen, 
Die Buben, die im Ueberfluſſe fchwelgen, 
In Sammt und Seide fhimmern, Auftern fchlürfen, 
Sid im Champagner baden, in dem Bette 
Des Doktor Graham's ihre Kurzweil treiben, 
In goldnen Wagen dur) die Straßen raffeln 
Und ftolz herabſeh'n auf den Hungerletber, 
Der mit dem lebten Hemde unterm Arm 
Langſam und fenfzend nach dem Leihhaus wandert (Bitter lachend.) 
O feht nur doch die Elugen fatten Leute, 
Wie fie mit einem Walle von Geſetzen 
Sich wohl verwahren gegen allen Andrang 
Der fchretend überläft’gen Hungerleider ! 
Weh Dem, der diejen Wall duräbridt! 
Bereit find Richter, Henker, Stride, Salgen, — 
Se nun! mandmal gibt’3 Leute, die dad nicht ſcheun! 
Tom: 
So dacht' ich auch und theilte ein die Menfchen 
In zweit Nationen, die fi wild befriegen, 
Nämlich in Satte und in Hungerleider.“ 


ULF 
— — Bas Ahlavenfhifl. —— 
I 


Dr Superfargo Mynheer van Koek 
Sitzt rechnend in jener Kajüte; 
Er falfulirt der Ladung Betrag 

Und die probabeln Brofite. 


„Der Gummit tft gut, der Pfeffer tft gut, 
Drethbundert Säde und Fäller; 

Sch habe Golditaub und Elfenbein — 
Die Schwarze Waare iſt beiler. 


„Sechshundert Neger tauichte ih ein 
Spottwohlfeil am Senegalfluife. 

Das Fleiſch ift Hart, die Sehnen find ſtramm, 
Wie Etfen vom beften Guffe. 


„Ich hab’ zum Tauſche Branntewein, 
Glasperlen und Stahlzeug gegeben; 

Gewinne daran achthundert Prozent, 
Bleibt mir die Hälfte am Leben. 











Heinrih Heine. 629 


„Bleiben mir Neger dreibundert nur 

Sm Hafen von Rio Janeiro, 

geht dort mir hundert Dufaten per Stüd 
03 Haus Gonzales Perreiro“. 


Da plöglih wird Mynheer van Koek 
Aus feinen Gedanken gerifien; 

Der Schiffschirurgus tritt herein, 
Der Doktor van der Smifjen. 


Das tft eine Happerdürre Figur, 
Die Nafe voll rother Warzen — 
„Nun, Waflerfeldfcherer”, ruft van Koek 
„Die geht's meinen lieben Schwarzen?“ 


Der Doktor dankt der Nadıirage und ſpricht: 
„Ich bin zu melden gekommen, 

Daß heute Nacht die Sterblichkeit 

Bedeutend zugenommen. 


„Im Durchſchnitt ftarben täglich zwei, 

Doch heute ftarben fleben, 

Bier Männer, drei Frauen — Ich hab’ den Verluft 
Sogleih in die Kladde geichrieben. 


„Ih tnipizirte Die Leichen genau; 
Denn biefe Schelme ftellen 

Sih manchmal todt, damit man fie 
Hmabwirft in die Wellen. 


„Ich nahm den Todten die Eiſen ab; 
Und wie id gewöbnid thue, 
Ich ließ die Leichen werfen ind Meer 
Des Morgens in ber Fruhe. 


„Es ſchoſſen alsbald hervor ans der Fluth 
Haifiſche, ganze Heere, 

Sie lieben ſo ſehr das Negerfleiſch; 

Das find meine Penflonäre. 


‚Ste folgten unjeres Schiffes Spur, 
Sett wir verlaffen die Hüfte; 

Die Beſtien wittern den Leichengerud), 
Mit Ihnupperndem Yraßgelüfte. 


„Es iſt poffirlih anzufehn, 

Wie fie nad) den Todten fchnappen ! 
Die faßt den Kopf, Die faßt das Bein, 
Die andern ſchlucken die Lappen. 


Heinrich Heine. 


Iſt Alles [ ‚dann tummel 
Bergmigt um bes © dies a ſie ſich 
Und glotzen mich an, als wollten ſie 
Sich für das Frühſtück bedanken.“ 


200 08 fen eufzend fällt ihm in die Red’ 

vet: „Wie kann ih Kindern 
Du Uebel? Wie kann ich die Brogreifion 
Der Sterblichtett verhindern.“ 


Der Doktor erwidert: „Durch eigne Schuld 


Auch „un ſber Viele durch Melancholie, 
fie ſich tödtlich langweilen; 
Dirt etwas Zuft, Muſik und Tanz 
— ſich die Krankheit heilen.“ 


Da ruft van Koek: „Ein guter Rath! 
SR fheurer Warflerfelbfcherer 
wie Artftoteles, 
—e Lehrer. 


„Der — der Sozietät 
Der Tulpenveredlung in Delfte 
Zr fehr geſcheit, doch hat er nicht 
on Eurem Borftande die Hälfte. 


„Muſik! Muſik! Die eigen fol’n 

ter auf dem Verdecke tanz 

nd wer fi beim Ho opfen em nicht amüſirt, 
Den ſoll die Peitſche ran 


$: ed im aus „ae blauen Wanmelspelt 
i Sterne ſchauen, 

Fr glänzend, groß und Flug, 
= gen bon Tönen grauen. 


Ste bliden binunter in dag Meer, 
zus weithin überzogen 
akt pboaphorfira lendem Purpurduft ; 
Hüftig girren die Wogen. 


Kein Segel flattert am Sklavenſchiff, 

Es —* wie abgetakelt; 

Doch ſchimmern Laternen auf dem Verdeck, 
Wo Tanzmuſik ſpektakelt. 








Heinrih Heine. 631 





Die Fiedel fireiht der Steuermann, 

Der Rod, der jptelt die Flöte, 

Ein Schiffsjung' Ichlägt die Trommel dazu, 
Der Doktor bläft die Trompete: 


Wohl Hundert Neger, Männer und Frau'n 
Ste jauchzen und hopfen und kreiſen 

Wie toll herum; bet jedem Sprung 
Taltmäßig irren bie Eifen. 


Ste ftampfen den Boden mit tobender Quft, 
Und mande ſchwarze Schöne 

Umſchlingt wollüffte den nadten Genoß — 
Dazwiſchen ächzende Töne. 


Der Büttel iſt Maitre des plaisirs, 
Und Bat mit Beitichenbieben 

Die läſſigen Tänzer ftimulirt, 
Zum Frohſinn angetrieben. 


Und Dideldumdei und Schnedderedeng! 
Der Lärm lockt aus den Tiefen 

Die Ungethüme der Waſſerwelt, 

Die dort blödſinnig ſchliefen. 


Schlaftrunken kommen geſchwommen heran 
Haifiſche, viele Hundert 

Sie glotzen nach dem Schiff hinauf, 

Sie find verdußt, verwundert. 


Ste merken, daß die Frühſtückſtund' 
Noch nicht gekommen, und gähnen, 
Aufiperrend den Rachen; die Kiefer find 
Bepflanzt mit Sägezähnen. 


Und Dideldumdet und Schnedderedeng 
nehmen fein Ende Die Tänze. 

Die Haifiſche beißen vor lingeduld 
Sk felber in die Schwänze. 


Bi glaube, fie lieben mit die Mufik, 
e viele von threm Gelichter 

Trau feiner Beſtie, die nicht liebt 
Muftt!“ fagt Albtons Dichter. 


Und Schnebderedeng und Dideldumdei — 
Die Tänze nehmen fein Ende. 

Am emaf ſteht Mynheer van Koek 
Und faltet betend die Hände: 


632 Heinrich Heine. 


Um Chriſti willen verſchone, o Herr, 
Das Leben der ſchwarzen Sünder! 
Erzürnten fie dich, jo weißt du ja, 
Sie find fo dumm wie bie Rinder. 


„Verſchone thr Leben um Chriftt will’n, 
Der für und Alle geftorben ! 

Denn bleiben mir nicht dreihundert Stüd, . 
So ift mein Geſchäft verborben.“ 


DIE 


> Die Audienz, 


Jae laß nicht die Kindlein, wie Pharao, 
> Erfäufen tim Nilſtromwaſſer; 

Ich bin auch Tein Herodestyrann, 

Kein Kinderabichlachtenlafler. 


„IH will, wie einft mein Heiland that, 
Am Anblid der Kinder mid laben; 

Laß zu mir Tommen die Kindlein, zumal 
Da3 große Kind aus Schwaben.” 


So ſprach der König; ber Kämmerer Iief, 
Und kam zurüd und bradte 

erein dad große Schwahentind, 

a3 feinen Diener machte. , 


Der König ſprach: „Du bift wohl ein Schwab’? 
Das iſt juft feine Schande,” 

„Gerathen!“ erwibert der Schwab’, „ih bin 
Geboren im Schwabenlande.“ 


„Stammft du von den fieben Schwaben ab?” 
Frug Sener. „Ich thu' abftammen 

Nur von einem einz'gen“, erwidert der Schwab’, 
„Do nit von allen zufammen.“ 


Der König frug ferner: „Sind diefes Jahr 

Die Knödel in Schwaben gerathen?“ 

„Ich danke der Nachfrag'“, antwortet der Schwab’, 
„Ste find fehr gut gerathen.” | 


\ 
„Habt ihr no große Männer?” frug 
Der König. „Im Augenblide 

Seht ed an großen“, erwidert der Schwab’, 
„Wir haben jegt nur dicke.“ 


Heinrich Heine. | 633 


Der König ſprach: „Du bift nicht fo dumm, 
Als wie du ausſiehſt, mein Holder.“ 

„Dad kommt“, erwidert der Schwab’, „weil mid 
In der Wiege vertaufcht die Kobolder.“ 


Der König ſprach: „Es pflegt der Schwab’ 
Sein Baterland % lieben — Ä 
Nun fage mir, was bat dich fort 

Aus deiner Heimath getrieben.“ 


Der Schwabe antwortet: „Tagtäglih gab's 
Nur Sauerfraut und Rüben; 

Hätt’ meine Mutter Fleiſch gekocht, 

Sp wär’ ih dort geblieben.“ 


„Erbitte dir eine Gnade“, ſprach 

Der König. Da Intete nieder 

Der Schwabe und rief: „O geben Sie, Sire, 
Dem Volle die Freiheit wieder! 


„Der Menſch ift frei, es Hat die Natur 
Ihn nicht geboren zum Knechte — 

O gebe Ste, Sire, dem deutſchen Wolf 
Zurüd feine Menſchenrechte!“ 


Der König fand erfchättert tief — 

Es war eine ſchöne Szene; 

Mit feinem Rodärmel wiſchte fi 

Der Schwab’ aus dem Auge die Thräne. 


Der König ſprach endlich: „Ein ſchöner Traum! 
Leb' wohl, und werde geſcheidter; 

Und da du ein Somnambüleridt, 

So geb’ th dir zwei Begleiter. 


„Zwei fihre Gendarmen, die follen Dich 
Bis an die Grenze führen — 

Leb' wohl! ih muß zur Parade gehn, 
Schon hör’ ich die Trommel rühren.” 


So hat die rührende Audienz 

Ein rührende® Ende genommen. 

Doch ließ der König Seitdem nit mehr 
Die Kindlein zu fi kommen. | 


HER 


Hetnrih Heine. 





So Ochſen disputirten ſich 
Auf einem Hofe Hiraterlid,. 
Sie waren beide zornigen Blutes 
Und in der Hitze des Disputes 
at einer bon Ihnen, 99 rnentbrannt, 
zen andern einen E & genannt. 
„Eſel“ ein Tuſ if bei den Ochſen, 
& mußten die u, Sohn Bulle fi boren. 


Auf ſelbigem Hofe zu ſelbiger Zeit, 

Geriethen auch zwei Eſel in Streit, 

Und heftig ſtritten die beiden Langohren, 

Bis einer fo ſehr die Geduld verloren, 

Daß er ein wildes I⸗A außitieß 

Und den andern einen Ochſen hieß. 

Ihr wißt, ein Eifel — ſich tuſchirt, 

Wenn man ihn Och 

Ein Zweikamp igte, die thtiden ſtießen 

5 mit den Köpfen, mit den Füßen, 
en ſich manchen Tritt in den Podex, 

A eB gebietet der Ehre Kodex. 


Und die Moral? Ih glaub’, es giebt Fälle, 
Wo unvermeidlich find die Duelle: 

Es muß fih fchlagen der Stubent, 

Den man einen dummen Jungen nennt. 





HRS 








- Marie Eugenie delle Örasie. 


Fräulein Marie Eug. delle Grazie wurde zu Weißkirchen in Ungarn am 

14. Auguft 1864 geboren und verlebte ihre Kindheit bortfelbit ſowie in verſaska 

im Banate, wo ihe Bater alß Bergwertäleiter tätig mar. IS der Bater ftard, 

fiebeite fie mit ihrer Mutter nach Wien über, befuhte hier erft die Bürgerigufe und. 

dann bie Behnsrinnenbifbungdanalt zu Gt. Anna, body fah fie fi gezwungen, aus 

Gefunbgeitgrüdfichten den Lehrerinnenberuf wieder aufgugeben. Nunmehr widmete 

PA der Poeſie und erhielt ſchon 1883 von der Schweſtern⸗Fröhlichſtiftung 

‚aturftipenbium. Frauiein delle Grazie lebt gegenwärtig in Wien. Außer 

ahlreichen. warmempfinbenden Gebichten bat fie auf dem Gebiete der Epik ein 

einzig baftehenbes Wer? unter dem Titel „Robespierre” geſchaffen, dad ein 

ber neueren Litteratur genannt werden muß. Auf bem Gebiete bed 

Dramas hat fie fi durch bie Tragödie „Saul“ eingeführt und neuerdings hat 

fle_ ein Drama „Schlagende Wetter“ der Deffentiichleit übergeben, das in 

Weife erfgütternde Bilder aus dem Bergarbeiterleben zeigt. Auch auf 

je Gebiete der ergäßlenben Sitteratur if fie durch eine Anzahl ftimmungsvolle 
Uirdeiten (ber Rebel, Bozi, die Bigeunerin) vertreten. 








>>) Sarenmahl. «ee 


r tafelt . . . | 
& Vor der ſammtverhang'nen Thüre, 
Die Hand am Schwerte ftehen die Hartſchiere; 
Gewandt und mit ehrfürdhtigem Gefrtech 
Bedienen thn die fchwänzelnden Lakeien — 

Nun ſpeiſe, Väterchen, und labe Dich! 

Sieh ringsum, Deinen Gaumen zu erfreuen, 
Gehäuft, was nur ein Weltreih bieten Tann ! 
Nicht reden darfit Du, Großer, nur ein Winken, 
Schon deiner ftolzen Augen herriih Blinken 
Genügt, und was Du willſt, es tft gethan! 


Und näher rüdt der Zar die gold’nen Teller — 
Da, fiehe, bricht es plößlich wie ein greller 

Und blut’ger Wiederfchein daraus hervor: 
„Gedenkſt Du Karas?“ tönt es an fein Ohr, 
„Aus jenem Bergwerk, Zar, find wir gewonnen, 
Dort glänzt es, wie von ımterird’fchen Sonnen 
Bon Gold — und alles, Väterchen, tft Dein! 
Biel Hundert Arme werfen in den Minen — 
Berbannte ſind's, Unfchuld’ge unter ihnen, 

Und täglich, ſtündlich mehrt ji Ihre Zahl — 
Schlaff tft ihr Körper und ir Antlitz fahl; 
Seit Jahren traf ihr Ohr fein and’rer Ton 
ALS das Geſauſ' der Nuten, oder Hohn, 

Wenn ſchwächer fie die müden Hände rühren; 
Und treibt fie der Koſak des Nachts zu Bette, 
So klirrt an ihrem Arm und Fuß die Kette, 
Daß fie im Traum noch Deine Macht verfpüren. 
An jedem Barren klebt ein Tropfen Blut, 

Ein wilder Fluch und eine Thränenfluth — 
Mir willen es — wir, Deine PBrunfgefäße . . . 
Allein was thut es? Gold und Zarengröße 
Berroften niel Nun iß und laß Dir’3 munden, 
Der Himmel fchenfe Dir noch viele Stunden !“ 


Zur Erde läßt der Zar die Teller klirren; 
Aufipringt er jäh und feine Blide irren 
Wie fleberglaftend durch den prächt'gen Raum... 





638 Darie Gugenie delle Grazie. 





Herzuſpringt der Lakei, dem Todesbleichen 
Zur Stärkung das gefüllte Glas zu reihen — 
Er nimmt’3 und trinkt, cpathtf, wie im Traum. 


Da horch! Geſchrei und Lärmen auf der Strafe — 

Zufammenfährt, weit off’nen Aug's, der Blaſſe — 
„Was fol dies!” haucht er, und fein Blid wird ftier. 
„oO Herr”, erwidert, tief vor ihm ſich neigend 

Ein Diener, ſchůchtern nach der Straße zeigend — 
„Die nach dem Leben frech getrachtet Dir, 

Man führt die Schnöden heut' dem Strick entgegen, 
Milchbärte ſind's und Dirnen allerwegen; 

Die gottverlafſ'nen, tollen Nihiliſten — 

Gott ſchütze Dich und alle guten Chriſten!“ 


In tiefe Falten legt der Zar die Stirn. 
Das hämmert heut’ fo toll in feinem Hirn. 
Bon feinen gift’gen Feinden wieder fteben 
Entlarvt — er hat das Urtheil unterſchrieben — 
Nun führt der Henkerfarren fie zum od! 
Da zittert feine Hand, und blutigroth 
Entriefelt’3 feinen Fingern . . . wie vom Böfen 
— ſchreit furchtbar der Gequälte auf. 
Doch fieh, es ift nur fein Aorbenug gt geivelen, 
Den zitternd er vergoß — das edle Naß! 
Aufftampfend wirft er weif von fih da Glas. 


Die Hand zu rein’gen, reicht ihm der Lakei 
Geſchmeidig die entfaltete Serviette — 

Da raſchelt ein Papier heraus — führwahr, 
Ein Brief! Auf feinem Tiſch — an niefet Stätte? 
Bleich wird der Diener, bleicher noch ber Zar. 
„Wie fam die her?“ brülft er. „Ahr müßt es wifien!“ 
Doch ſchluchzend ftürzen jene ibm zu Füßen — 
„D Väterchen, o Herr, wir wiſſen's nicht! 
Sabrgehute ſchon find wir in Deinen Dienften, 

Und treu und ungeübt in ſolchen Künſten, 
Und Gott ergeben, Dir und unſ'rer Pflicht!“ 


Mit banger Hand entfaltet er das Schreiben 

Und lieſt: „Vernicht' uns, doch wir werden bleiben! 
Schick' uns als Sklaven nach Sibirien, 

Wir werden doch vor Deinem Geiſte febn; 

MWähn’ Dich gelichert, wähne Di allein — 

Wir geh’n doc allzeit bei Dir aus und ein; 

Laß uns zu Tode Inuten oder hängen — 

Die Menichheit wird auch Deine Retten ſprengen!“ 


Mck 











Marie Eugenie delle Orazie. 639 


— — In Geſellſchaft. — 


aum eingetreten, hab' ich's ſchon gerochen: 
Soeben wurde hier von mir frochen! 
So „kollegial“ umfächelt mich die Luft, 
Ein halb gereizter, halb pikanter Duft — 
Es riecht nach litterariſchen Skandälchen, 
Nach Lügen und ergötzlichen Novellchen, 
Auch etwas nach entrüſteter Moral, 
Und ſchlau verkappten Neid's geheimer Qual... 


Berlegen hinkt ein dürrer Mufenfohn 

Auf mich zu, purpurn im Geſicht wie Mohn. 

Er ift gar oft an meinem Tiſch gefeflen, — 
Heut’ ſcheut er fih faft, mir die Hand zu preflen, 
Nichts Neues juft! Ich kenne den Patron: 

Sp hielt er's auch bei mir mit andern fchon, 
Und famen fie, war ftet3 die feine Weiſe — 
Manch' Opfer fteht glei mir in diefem Kreiſe! 


Die Beine Hoch, bleibt eine „Freundin“ ſitzen, 
(Smancipirt bis in bie Finger pigen — 

Sch Hab’ manch' würdi —E h von ihr — 

Halb chen, halb feindlich bligt’ ihr Aug’ nad ihr — 
Da rühm' ich mir die Weitgereiſte dort: 

Kaum zuckt das falſche Aug, faum ot ihr Wort, 
Der Unverſchämteſten nenn’ ih fie Et 

Allein — fie Hat Routine ımd Saft, bie Kleine! 
Sie weiß fo theilnahmsvoll dich auszufragen, 

En freundfchaftlih das bei e zu fagen, 

Ste fett die Perfidie dir in k, 

Und giebt den Text dazu mit Wort und Blid, 
Uud je gemeiner did ihr Mund zerrifien 

Um defto herzlicher wird er Did küſſen! 


Inzwiſchen hat die Hausfrau ſich geſammelt, 
Und halb verlegen ihren Gruß geſtammelt. 


Und nun — hebt an! Abweſend ſind noch Viele, 
Für Spott und Lüge hochwillkommene Ziele; 
Ich werd' euch lauſchen, weil ich ‚aufcen muß, 
Wie ich empfangen euren Judaskuß; 

Nicht ftaunen, geht es über den und jene, 

Nicht lachen, ändert plöglich fi) die Scene 

Und tritt ein Vielgeläfterter herein — 

Und Wunder nehmen foll mid nur allein: 

Daß diefe lachen Tann, der noch errötben, 

Und jene gar in ihren Seelennöthen 





640 Marie Eugente delle Grazie. 


Die Beichtftühle der halben Stadt bebräu’n, 
Um wettermedifterend zu bereu’n, 

Und daß, wenn endlich die Handichuhe fallen, 
Ich Singer fehe, ftatt der Beftienfrallen! 


. FI 
— Sinrmeshymne. — 


enn müd' und ſonnenarm 
Der herbſtliche Himmel trauert, 
Die legten Blumen hinwelken, und 
Das fahle Geſpenſt der Melancholie 
Auf nächtlichen Schwingen die Welt umkreift, — 
Dann nahft du, Sturmwind, Herold ded Todes, 
Heulender Bote des Untergangs! 


Dämoniſch, mit Rieſenſchnelle 

Durchfliegſt du das zitternde All; 

Dein 59 er Athem entfärbt die Blätter, 
Und unter dem Brauſen deiner Schwingen 
Erſtarrt der Pulsſchlag der Natur. 

Am finiter brütenden Himmelszelt 
Umfängft du die bleternen Wolfen ; 

Ste bliden troftlo3 herab 

Und negen die Säume deine Mantel 
Mit trüben, ſchwermuthvollen Thränen, 
Die langſam zur Erde fallen 

Und leiſe, leiſe 

An unſere Fenſter pochen, 

Verkörperte Schmerzen der Natur. 


Der Regen rieſelt und rauſcht... doch deine Stimme 
Läßt alle Laute machtlos verhallen ; 
Entſetzliche Klagelieder 
Durchbrauſen das zitternde All, 

Und raſtlos auf- und niederſchwebend 
Beſingſt du das Elend der Welt 

In räthielbaften Symphonien .... 

Die muthigen Helden der Vorzeit 
Verglichen dich einem trotzigen Hünen, 

Der grimmig die Höhen Walhalls verließ, 
Und zürnend, ein machtvoll dräuender Gott 
Den Sktaub ber Verweſung durchpflügte. 


Den gläubigen Vätern warſt du 

Der mächtige Wodan; doch ich 
Vergleich' dich dem Geiſt der Menſchheit, 
Der ruhe⸗- und friedlos, 











Marie Eugente belle Grazie. 641 


Sehnend und haltlos 

Zwiſchen Himmel und Erde ſchwebt. 

Dein braujendes Klagelied 

Erdröhnt wie ein Jammerfchrei der Natur, 

Die trauernd ihr elendes Dafein friftet, 

Bon Anbegim mit der Gottheit Tämpft, und doch 
Den quälenden Götterdran 

Bon Anbeginn in der Brut trägt! 


Mer bift du, 

Woher fommft du, 

Ruhlos Gefpentt, 

Freund der Zerftörung, 
Fiebernder Athem der Schöpfung? 


Haft du das Elend der Menfchheit belaufcht, oder Haft du, 
Sehnſuchtsvoll gen Himmel fchwebend, 

Den leeren Raum ftatt der Seele des AUS, 

Den alten Tod ftatt der Gottheit gefunden? 


N 
$ienen. — 


Yırs offne Fenſter zog die Frühlingsluft 

In mein Gemad, den Duft des eriten Grüns 
Herein mir tragend, und die warme Golbfluth 
Des Licht's. Won fleiß’ger sand gereinigt, bligen 
Die Scheiben auf, der Ampel Bronzebebang, 

Des Spiegels blanke Fläche; und die Eden, 
Darinnen grau folang’ des Winterd Dämm’rung 
Gehauft, fie lagen fret, en Tummelplatz 

Dem Licht, dad feine gold’nen Schmetterlinge 
Nun Ted dort fpielen ließ. Der Boden nur 

War noch zu Bohnen; doch ſchon buftete 

Vom Wach er, dad die Hand ber wadern Alten, 
Die mir ihn pflegt, zerftrid. Gern’ plauber’ ich 
Mit ihr, die fih troß Müh’ und Noth noch immer 
Den Kinderfinn der Wienerin bewahrt, 

Und munter mit der Hand die Zunge geh’n läßt. 


Sp ftand ich heute auch bei ihr; da — eben 
Berflang der Glocken Mittagsgruß — begann 

E3 wirr um und au funmen Und was fah 
Aufblidend IH? Ein ganzer Schwarm von Bienen 
Erfüllte mein Gemach! Herbeigelodt 

Vom füßen Duft des Wachſes, Ichwirrten fie 

Herein, um{inunnnden und bedrängten ung, 

Der Lenz, der fie dem flarren Winterfchlaf 
Entriffen, bot noch feine Blüthen; doch 








41 





642 Marie Eugenie delle Grazte. 

Des Sommers ganze Blumenfülle hauchte 

Sie an aus diefem Duft, und die Erinn’rung 

An eined ganzen Jahres Mühe. 's war 

Ein Stüd von threm Leben, das fte da 

In fremder Stube plögli fanden — und 

Erregt begehrten fie’3 zurüd, und fchwirrten 

Am Boden Hin mit zornigem Gefurr, 

Berochen und betafteten Die Fläche, 

Und biteben leer doch! Rührend war’3 zu ſeh'n, 

- Und mußten wir auch ihrem Stachel weihen — 

Wir lachten — denn wir fanden fie im Recht! 


Bon ihrem Treiben glitt mein Blid zur Alten, 

Die mir zur Seite ftand. Wie dort die Flügel 
Der Bienen, fhimmerten im Sonnenlidt 

Auf ihrer falt’gen Stirn des Schweißed Tropfen. — 
Und hart ftand plötzlich vor der Seele mir 

Der Unzählbaren 2003, die Jahr um Jahr 

Sich müh'n und werken, emfig wie die Bienen, 

Und ihres Lebens ganze Ernte doc 

In fremden Speidyern oder Stuben finden 

Zulegt. Wenn heut’ fie kämen, angelodt 

Bom Hauch des eig’nen Schweißes, wie die Bienen, 
Wer fähe fie im Recht? Und doch begehrten 

Ste mehr nicht, ald das Heine Thierchen hier: 

Ein Theil von dem, was ihre Müh’ gefchaffen ! 


... Mein Blid ward trüb; ich Tächelte nicht mehr. 
BI 


— — FSenfelsträume. — 








J. 
&: blieb mir immer nah’ .... Wie viel der Götter 
Mein Denken auch verbaut, wie viel an Wahn 
Und Glauben ih von mir gewiejen, reulos, 
Zu ftolz, ein Votophag des Trugs zu fein — 
Rampfhungrig, finnendurftig, nad) dem Leben 
Begehrend, wie es in mir auffchrie, und 
Bereit, lieber die Hölle einzuhandeln, 
Die Hölle, die da „Selbfterfenntniß“ heißt, 
Als einer Lüge bodenlofen Himmel, 
Ein Siechen-Paradies, drin welfe Kraft 
Und müd’ Hindämmernde Gehtrne feiern, 
Und felig thun .... Er blieb mir immer nah’! 
Und jeltiam war’3, zu ſeh'n, wie er allein 
Sein düſt'res Räthſelhaupt emporhob aus 
Der Sintfluth meiner zornigen Gedanten, 











Marte Eugenie delle Grazte 643 


Die höher ftieg uud immer höher: erft 
Der Kindheit unf&ulbbolle Friedensftätten. 
—A end; die Tempel dann, darin 
Im F itterftaat hi ftetfen Bögen thronen, 
Die wir anbeten, weil die Mutter es 
Gethan, die und gefäugt und jene Größ’re, 
Die unf’rer Mutter Mütter aufgefäugt: 
Vergan genbeit, die welfe Denfühetsanme. 

So üb über ihre Tempel ging die Fluth 
ER meines eig’ nen Herzens Helligthümer 
Begann fie zu beipülen — kalt, eiskalt, 
Daß mih ein Grau’n burchfchüttelte, wie ich 
Allmählich die verſchwinden ſah, und jene 
Als Strandgut auf den Fluthen treiben; Alle 
eig einft, und Theile meine Ichs — 
Nun Leihen . . . und die Fluth ftieg Höher, höher! 
Schon zwiſchen meines einſt'gen Glückes Trümmern, 
Und dem Gebälk der Tempel meiner Götter, 
Und meiner Ideale krampferſtarrten 
Leichnamen trieb frei meine Arche hin — 
Doch er blieb nah' mir: aus der Ebene 
Des Oceans, der über Ideale 
Und Götter ſeine ſchwarzen Wogen rollke, 
Eintönig, hob er ſipfeltte bus gan 
Wie Damald aus dem Meer der gelfchaaren 
Er’3 hob, —— da Jehovah 
Die weiten Himmel frug: „Wer in ie Ich?!“ 


II. 

Ich aber — wie an einer Krankheit litt 
An ihm, der Oual mir war, und doch auch wieder 
Geheime Leidenſchaften, darin ein myſtiſch 

Begehren fremd mit angebor’nen Schauern 
Sich paarte, und mit einer Sehnſucht, die 
Ich liebte, ſcheu und heiß wie einen Srenel. 
Um mid f ten er zu fein, wo ich and) ging, 
Ein ungefeh’ner, doch empfundner Schatten, 
Dem Form zu geben und Geftalt ich rang. 
So nah’ oft ſchien er, daß mir war, als eine 
Ih jeiner Athemzüge Geh’n und Kommen, 
Und müſſ', Tehrt’ ich ein wenig nur dad Haupt, 
Ihn lächeln jehen, über meine Schulter 
Hinweg ... Zumeift dies Lächeln quälte mid, 
Died ungefeb’ne, und doch ahnungsvoll 
Geſchaute! So viel Freiheit lag darin, 
Und ein wollüſtig nie Glück, 
Das froh in ſtolzer Einſamkeit fh fonnte, 
Und Muth hatte, reuloſen, unbeirrten 
Deipotenmuth . ae 


644 


Marie Eugenie belle Grasie. 


Wer alfo laͤcheln konnte, 
Der hatte viele weinen ſchon gemacht — 


Ich fühlt’ es wohl, und haßte ihn darob, 

Wie Sklaven und Getret'ne Freie haſſen, 

Und Schwache Starke. Doch wenn aufgelöſt 

Ich lag tm Bann des Schlummers; wenn nad innen 
Die Stime al’ ſich kehrten und aufſchrie'n 

Wie Qungeige; das Blut Haſchiſch ward, und 
Machtlos, wie ein Betrunkner, dad Bewußtſein 

Juſt auf derfelden Schwelle lag, die fonft 

Erbebt vom Echo jener Bütteltöritte — 

Sn dieſer Stunden Ohnmacht riß er mid) 

Bom Lager auf, gewaltig, wie Traumwandler 

Des Mondes Strahl emporzieht. Nacht für Nacht 
Geſchah mir fo. Nicht daß im Traum er fhredhaft 
Bor mid Hintrat — fein Kichern nur vernahm id), 
Ein leiſ' anlodend’, wunderliched Kichern — 

Und feinem Schalle folgt’ ih Schritt für Schritt, 
Neugterig, mit ſchen angezog’nem Athem. 


Stets führt’ es vor biefelbe Thüre mich, 


Verſchloſſen war fie — do dahinter ſaß er — 
Ich wußt' e8 wohl, bob meine Hand aud nie 

Zur Klinke fi, denn feig find Händ’ und Augen, 
Bewußtſeinsknechte! Tapfrer war mein Obr: 

Das lauſchte gterig, Tüftern, bis die Seel’ 

Sich frug: „Wie mag der drinnen ſich vergnügen ?“ 


Und ſieh': wofür ih wadend ihn gebaßt, 

Sm Traum begann ich drumm ihn zu benetden! 

Einmal jo aufladen können — ad — 

Ein einzigmal nur — unbefümmert, reulog ... 

Und plöglih fchten dies Lachen mir ein Gut, 

Ein großes, herrliches darum die Menfchheit 

Betrogen ward, oder ſich ſelbſt betrog, 

Und noch betrogen wird, und das fie heimlich 

on, por verſchloſſ'nen Thüren lauernd, 
€ oe... 


Wenn fie verfuchte, jo zu lachen? 
Wenn... Und ganz heimlich quoll's dann in mir auf, 
Als wol’ es ſich zu jenem Klang verdichten. 
Doch — da verſtummte er — und plötzlich war mir, 
Als ſäh' ich ihn, wie er, vor ſich hinlächelnd 
Das Haupt neigte, um mich nun zu belaufen ... . 


Entſetzt, in Schweiß gebadet wacht' ih auf. 


‚Marte Eugente delle Grazie. 


III. 


Ob je ich's wage, jene Thür zu Öffnen? 

Teig find wir, Sinechte, ſelbſt wo wir begehren! 
O pfut der greiienhaften Lüſternheit, 

Dazu die Veidenfchaft in und entmannt ward, 
Der Freiheit, die als Bagnofträfling wir 
TZagtäglih mit den Ketten rafleln hören, 

Und lachen nicht dazu, und bleiben ernft, 

Und ftaunen, Waterftolz im blöden Auge, 

Der Sit!’ und Nützlichkeit Homunkel an! 
Sind fie nur herdentüdtig! Keines andern 
Borzug’3 bedarf es, wo fo allgemach 

Zur Tugend fi) die Wolle hat vervolllommt! 


Ich dacht’ es, und entfchlief — eniſchlafend noch 
Mich fragend: „Wie mag jener fh vergnügen?” 
Da kam ein Traum hold dDämmernd über mid, 
Ein Traum, wie feiner noch mir Sinn’ und Seele 
Entzüdt: Ein fremde Land fah ich, fremd mir 
Bis auf die Töne, Die and Ohr mir fhlugen, 
DIS auf die Farben, die mein lechzend’ Aug’ 
Berauſchten. So dem eriten Blick erfchten es, 
Der wie betäubt aufging in bränft gem Shaun, 
Und tief einfhlürfendem Genuß. Allmählich 
Erfannt’ ich erft die Farben meiner Welt; 
Nur daß fie and’re Dinge färbten, als 
Dort oben, wunderlich vertheilt mtr fchtenen, 
Und doch fo wahr bier wirkten, daß beſchämt 
Eu Anpetur ſich plötzlich die Erinn'rung 
and. — 

Da lag ein roſenfarb'ner See, 
Kryſtallhell bis auf ſeinen Grund. Stahlblaue 
Reflexe, und grün gold'ne huſchten leiſ' 
Wie Schemen über feine Fläche, und 
Ein Klingen ging von feinen Wogen aus. 
Phantaſtiſche Gewächſe wucherten 
Längs ſeiner Ufer: Rieſenblumenkelche, 
Die wie Fühlhörner ihre Staubfäden 
Ins Naß der Fluthen tauchten, taſtend, ſaugend 
Und ſchlürfend, in wollüftigem Genuß. 
Dahinter hoben ſchwarze Marmorfeljen 
Wie Feſtungsmauern ſich, fteil abfallend, 
Und pfadlos — weltausfchließend, weltverachtend. 
Doch wo zum einz’gen Durchblick fte ſich theilten, 
Da brach's herein, wie eines unbekannten 
Geſtirnes Lichtfluth, blendend, finnberüdend, 
Das Sonnencentrum, dad den Dingen rings 


645 





646 


Marie Eugente belle Grazie 


So eig’ne Farben lieh, und doch fich ſelbſt 


—— geheimnißvoll, unnahbar, wie 
Ein Gott im Strahlenkleid des eig'nen Licht's 
nd auf! chrie pidelic) heiß in meiner Seele 
Wunſch: die Sehnſucht, dort zu fein, entgegen 
gu een diefem Licht, dad trunk'ne Farben 
gsum zeritreute, und Empfindungen, 
Die nie mein Herz beraufcht, nie meine Sinne 
Durchſchüttelt. Steh, und wie ich's dachte, nahm 
Gleich einem Boote eine rof’ge Welle 
Des See's mid auf, und trug mid) Tchaufelnd weiter 
Und weiter. Leif’ Hang unter mir die Fluid, 
Im Rhythmus einer wunderfamen Weife, 
Aus ihrer Tiefe aber ftierten halb 
Entſetzt, halb Lüftern, unzählbare Augen 
Zu mir empor, geheimen Neid im Blick, 
Und durft’ge Gluth, und eunuch'ſche Trauer. 
Sn bleichen, freudlofen Antligen brannten 
Wie Kohlen hinter einer Maske fie — 
Nur daß lebendig jede Maske war, 
Daß Eingend ihre Lippen fich bewegten. 


„Wir wagten’3 nie, dem Meer des Blut's und zu 
Bertrauen |“ Hagten fie. „Nun fchaufelit Du 
Dahin, als hätt’ es feine Ungeheuer 
Und feine Tiefen... . Reißt hinab fie, die 
Berbrecherin !“ Und ihre Arme, welte 
Asketen⸗Arme, reckten fih empor, 

Und fuchten meines Kleides Saum zu haſchen. 
Doch kraftlos ſanken fie zurüd, und hell 
Auflacht’ ich, plöglich ihres Neid's mich freuend, 
Und ihre Zorn’, der obnmächtiger Wunſch 
Nur war, nicht mehr . 


Die Welle trug mich weiter. 
Borbet an jenen Rieſenblumenlelchen 
Nun glitt ich, die zuerſt mein Aug' berückt. 
Doch ſieh — nicht Blumen, Götterknäblein waren's, 
Die knapp am Strand ſich ſonnten, derb⸗frohe, 
Geſunde Genien! Händ' und Füß' und Lippe 
Betauten wechſelnd in den Fluthen ſie, 
Und ihre Flüglein, tau'ge Falterſchwingen, 
Bewegten auf und nieder ſich dabei, 
Wie athmend. Und fie fangen: 

et bedankt, 


Daß an des Blutes Hellquell du und wieber 
Aufblüh'n läßt — deiner Sinne Genten find wir !* 





Marie Eugenie delle Grazie. 647 


Und weiter, weiter trug die Welle mid). 

Schon glitt im Feuerzauber jener Sonne 

Ich hin, und nun — ha — nun erblidt’ ich fie: 
Ein Eiland war's! Allein, ſelbſtherrlich lag 

Es da, jelhftleuchtend — ein vergeſſ'nes Eden! 


Am Saume feines Ufers aber lag, 

Im Glanze ihrer gold’nen Schuppenringel 

Sid ſonnend, eine Schlang’, gefrönten Haupt’3. 
Damoniſch, wie mit unfihtbaren Feſſeln 

Zog mid ihr wollüjtiger Bid and Land ... 


Hinfant ih. Meine Lıpp’ nur hauchte: „Satan!“ 
Da ftredte ih die Schlange über mich ..... 


IV. 


Es war, als wacht' ich auf aus tiefem Schlummer, 
Erquickt, und finnenfrifh und thatbereit. 

Aufhorcht' ich, und ich hört’ — und täufcht’ mi nit — 
Aufs neue jened wunderlide Laden. 

Kur heller Hang ed, und in feiner jähen 

Kadenz vibrirte ein verhalt’ner Schrei. 

Aufzog es mich auch Heut’, und jener Thür zu. 

Doch fiher Hang mein Schritt, nicht ſchlich ich mehr, 
Und an mir nieder riefelte das Grau'n 

Wollüftig, wie die Ringel jener Schlange. 


Ein Griff — ein Drud — aufflog die Thür... da, träumt' ich? 
Da ftand ich felbft, und lächelte mih an! 
Gehüllt in weiße Kleider ftand ich, Roſen 
Sm Haar, blutrothe, lebenfchwellende, 
Im Angefiht dad Lächeln, dad an ihm ih 
guet: gehaßt, fein freted, reu'loſes 
efpotenlächeln . . . ftarr zu meinen Füßen 
Bag, und entjeelt die Schlange jenes Traum's. 


Wer war Phantom hier? 
Da nahm fie das Wort, 

Die Kranzgeſchmückte, die wie eine Herrſch'rin 

Bor mir And: „Steh, nun bin ih freil“ Und auf 
Die Schlange ſetzte fie den Fuß. „Mein Balg iſt's, 
Der Kerker, drin die Herde feit mich hält, 

Seit für das „Wir“ die königliche Freiheit 

Des „Ich's“ ſie hingab, dort, im Paradies! 

Das eigne Jch verdammte fie als Schlange, 

Da kraftberauſcht in ihrem Blut es aufitand 

Und ſchrie: „Genießet, daß Ihr feid wie Gott!“ 


3 


648 Marie Eugenie delle Grazie. 


Ihm lauſchend, aß vom Baume der Erfenntnik 
Der Menfh — vor ihm erbebend aber floh er, 
Und ſchämt fi der Nadtbeit feiner Kraft, _ 
Der götttiäen, und ließ die gold’nen Früchte 
Am Baum des Lebens ungenofien fteh’n. 
Sp heut’ wie damals thut er noch: Er ſchaudert, 
Und giett fih bin als Sklab' den Göttern und 
Den Brüdern, und wagt nie, er felbft zu fein, 
Und fieht die Schlang’, wo nur fein Ih fih aufbäumt, 
Und nad der Frucht am Baum des Lebens Iangt! 
Ich geh’ num, fie zu brechen! Lang genug 
Krümmt’ ih im Dienfte deiner Feigheit mid — 
Aus meinem Weg, Geſpenſt!“ 
Eie rief’3, und an mir 
Borüber, ſchritt hinaus fie — ih hinein. 


Zufiel dumpf krachend zwifchen uns bie Pforte... . 
I 


I 


AUrseimti bin id — und die Liebe fchredt, 

Wohl fühl’ ich e8 — cin Weſen, wie dag meine, 
Darin Sarkasmus jed’ Empfinden nedt, | 

Und von verdorrten Blumen überdedt 

Ein Abgrund gähnt, bei fahlem Irrlichticheine. 


Unheimlich bin id, — und erbebend weicht 

Bor mir zurüd, wer fih am Wahn berauſchen 
Und Iegen will... . nicht bin ich Mar und feicht, 
Weil’ Auge meiner Seele Grund erreicht, 

Dem graut ed, fürder noch binabzulaujchen: 


Denn uadte Wahrheit blidt den Trug dort an, 
Und löſt als höhn'ſche Sphynz des Lebens ‘Fragen. 
Weil meine Bitterfeit Euch weh gethan, 

Weil ih ein Gift befit’ für Euren Wahn, 
Deshalb, Bethörte, wollt Ihr nad) mir ſchlagen? 


Drängt’ ich mich je in Eure Feſte ein? 
Verachtend kehrt' ih ihnen früh den Rüden. 
Nicht Ihr habt mid davon verbannt — o nein, 
Ich trug die Wonnen einer großen Bein, 

Was gab’3 bei Euch, ala Flitter zu zerpflüden? 


Unheimlih bin id — ohne Scheu und Bier " 
Erkannt' ich früh mich ſchon von Euch verfchieden 
Und floh Euch — aber muthig fag’ ich's bier, 
Trotz allem fühlt’ ich reiner mid ale Ihr — 

Und darum, darum hab’ ih Euch gemieden! 











Marie Eugenic delle Grazie. | 649: 





11. 


Ir Eure Schranken ſoll ih brav mich fügen, 
Mich finden zahm in Eure frumpfen Lügen, 

Mit diefem Herzen, dieſem Wut, 

Das, Bente feiner eig’nen Gluth, 

Nur Eines nicht gelernt: betrügen?! 

Mit diefer Sehnſucht, die, was ihr gefällt, 

An fich reißt, wild, zum Trotze einer Welt, 

Und Eines nur nicht kennt, das Wort: Genügen?! 


Sudt andre Euch, die matt’rem Blut entfproffen, 
Wie Ihr, der Lüg’ und Sklaverei Genoffen, 
Gebändigte, die kettenſiech 

infchleppen ein zertret'ned Ich, 

a3 Brauch und Sitte krummgeſchloſſen 
Zum Bagnodienft des Lebens! Die zu ſchwach, 
Zu fprengen des ererbten Joches Schmach, 
Und ſelbſt zum Trotz zu müde und verdroſſen! 


Ich lieb' den Kampf! Ich lieb', was ich gelitten, 
Und was geendet unter meinen Tritten, 

Was ohne Reu' und falſche Scham 

Mit unerſchrock'ner Hand ich nahm, 

Der Beute froh, die ich erſtritten! 

Allein in Wonnen, einſam in Gefahr, 

Mir ſelbſt Geſetz und Richter immerdar, 

Und frei, weil fern dem Elend Eurer Sitten! 


Des Volkes Kind, das einſt die Siebenbügel 
Beherrſcht im Zeichen gold'ner Adlerflügel. 
Und ſeine Ferſe ins Genick geſtellt 

Den wahlgebor'nen Knechten dieſer Welt; 
Und jenes Stammes Sproß, der ohne Zügel 
Durchſchweift Ne braune Wülte, Hoch zu Roß, 
Ter Löwe und der Panther fein Genoß, 

Und feiner Eile Maaß des Sturmed Flügel! 


raber, Gallier, Homer und Barbaren, 
nd der Normanen fturmgebräunte Schaaren, 
Der Trog des Nordens und des Süden? Gluth 
Begegnen brünftig fih in meinem Blut, 
Und Ahnen nenn’ ich ſie, die Herricher waren, 
Und ſchnellt Ihr Kind auch nur des Liedes Pfeil, 
Sr trifft und klingt und bringt mir Ruhm und Hell, 
Und ihren Kranz trag’ ich in meinen Haaren! 


Ef 





650 Marie Eugenie belle Grazie. 





— — Gaſarenwahnſinn. — 


ötterwürd’ und Götterrechte Wahnſinn ſchlang ſich mit der Krone 

Habt ihr kühn euch angemaßt, Rom's um die Cälarenitirn, 
Geift und Tugend wurden Knechte, Erbt’ vom Vater fich zum Sohne, 
Wo bie Willfür toll gepraßt: Fraß am Herzen euch und Hirn; 


Trotig fern den Erdgebornen, Wahnſinn übt als Schidfaldfehme 
Aber auch der Götter Huld, Heute noch den gleihen Spruch: 
Mußtet thr den Wahlerkor'nen Götter Schenken Diademe, 

Furchtbar zahlen eure Schuld! Wer fie raubt, den trifft ihr Fluch! 


AS 
SM Anferfichung. We 


eber den Grüffen flammt ein Tag, 
Den alle Spradien nennen — 
Was unten in Naht und Banden lag, 
Hat feinen Auferftehungstag, 
Dem ew'ge Lichter brennen! 





Ueber den Grüften flammt ein Tag, 
Der reißt die Kreuze zur Sonne, 
Wie tief auch die Tiefe bergen mag, 
Es kommt der Auferfiehungstag, 
Und wandelt Dual in Wonne | 


Ueber den Grüften flammt ein Tag, 

Dem Dichter und Propheten 

Geblutet mit jedem Herzendfhlag — 

Der große Auferftehungstag, 

Den alle Völker beten! 8 


Ueber den Grüften erſt flammt der Tag, 
Doch Noth und Wahrheit und Sorgen, 
Was unten gequält und zertreten lag, 
Erſchauert ſchon jeßt dem großen Tag, 
Und fommen wird auch fein Morgen! 


Dann liegt dad Unrecht bloß dem Tag, 
Und bebt vor dem eig’nen Namen — 
Und daß es alfo geichehen mag, 

Da betet am Auferftehungstag 

Ein Menſch und Dichter... . Amen! 


er 





Marie Eugenie delle Grazie. 651 


Aus: Foraliſche Falpurgisnacht. 


Eigenthum. 


Sei, heilig tft das Gold, 
Soweit es klingt, foweit es rollt, 
Soweit in feinem Bann auf Erden 
Wir Dirnen oder Schurken werben! 
Sein Klang klirr' und die Herzen taub, 
um Gotteödtenft werd’ und fein Raub! 
lebt auch des Nächſten Schweiß daran, 
’3 tft feine Pflicht, wad er gethan! 
Wär's biutbefledt auch und verflucht — “ 
Nur Zahl und Serie wird gebudt! 


. Gerechtigkeit. 

eilig, Heilig ift das Recht, 

olang ihr fagt, was gut und ſchlecht, 
Soweit die Macht des Starken reicht, 
Und knirſchend fih der Schwache beugt ! 
: Die ihr verdarbt, vernicht' ih ganz, 
Beihhließend euren blut’gen Tanz: 
Die Mörder ihr — der Richter ih — 
Nun Opfer zud’ und krümme dich! 


Eigenthum. 
Der Richter du, der Mörder ich — 
Nun, Opfer, zuck' und krümme dich! 


Humanilät. 
Heilig, heilig ift das Werk, 
Das verbirgt, was ihr zerſtört, 
Und, was auch der Tadel merk', 
Durch ein Thränlein ihn bethört! 
Die ihr triebt von Hof und Haus 
Speiſ' im Armenſtift ich aus; 
Chriſtlich pfleg' ich im Spital, 
Die ein Treibrad bracht' zu Fall! 
Mit geraubtem Waiſengut 
Helf ich Denkmäler errichten — 
Und wie bläht fi erſt mein Muth, 
Darf ih Glaubenshändel ſchlichten! 
Die euch morden, follten, küſſen 
Euch die Hände, dankbefliflen, 
Schurken werden Menfchheitöretter, 
Diebe preifen laut die Blätter — 
Sa, ob ih auch Luxus fein” — 
Immer bring’ ih Zinſen ein! 





652 


\ 
Marie Sugeris detle Grazie. 


©effenifidie Meinung. 
Glaubt nicht, daß ich felbit mich preife, 
Die ich dienend euch umkreiſe — 
Heute fo und morgen fo, 
immer brav und fllavenfroß ! 
Frech wie ihr bis an die Stirne — 
Heute Dame, morgen Dirne, 
Bald erröthend, bald erbleidhend, 
Heute ftürmend, morgen ſchleichend — 
Aber ftet3 in eurer Epur, 
Wie's geziemt der Knechtoönatur! 
Wo ihr ſchweigt — gelob' ich Ruh' — 
Wo ihr födtet, ſchlag' ich zu! 
3 verdammt — ich thu' entrüftet — 
Ihr beftaunt — id) iverde toll! 
Sedem, dem nah mir gelüftet 
Geb’ ih hin mid ganz und voll — 
Aber — und wär’s aud nur Schein: 
Stets muß es der Stärfre fein! 


Ä Ehe. 

eilig iſt das Doppel⸗Thier, 

ard daraus auch nie ein Wir, 
Flucht auch Sie, verräth auch Er — 
Drückt die Kette noch ſo ſchwer! 
Teufel Recht und Eigenthum 
Seht hier euer Myſterium; 
Schaut hier euern Höllenbund: 
Knirſchend, Thlangenftadel-wund ... 
Nie fand ich im Geiſte mich, 
Mit dem Fleiſch verfaule ich — 
Zwiſchen Ekel und Verrath 
Zeug' ich künft'gen Lebens Saat! 


Miſſenſchaft. 
Heilig iſt auch meine Kraft, 
Heilig iſt die Wiſſenſchaft — 
Ob Gewalt fie auch ernährt. 
Und den Maulforb ihr beichert! 
Het, wie kühn ſchlug ich einſt los, 
Noch Gehalt- und Ehren⸗bloß, 
Nur der Wahrheit angetraut ... 
Do das war ’ne arme Braut! 
Und man bot mir die Maitreſſe 
Pfründe, daß ich fie vergeſſe, 
Ordendftern und Palmenfrad, 
Und — haut-goüt — die Fauſt im Sack! 


RE» 











— SIr. Adolf Start. — — 





Dr. Adolf Stark wurde am 8. Oktober 1873 in Prag als der Sohn eines 
mittelofen Buchhalter geboren. Da fein Bater fchon frühzeitig ſtatb, mußte fich der 
kaum Gechzehnjährige durch daB Ertheilen von Lektionen feinen Unterhalt ermerben. 
Seine Gymnaſial- und Univerfitätöftubien vollendete er in Prag, mo er an der 
deutſchen Karl:Ferbinands-Univerfität zum „Doktor der gejammten Heillunde“ 
promopirt wurde. Seit 3 Jahren hat Stark fi in ber alß Mittelpunkt des weſt⸗ 
böhmifhen Kohlenreviers bekannten Stadt Faltenau a. E. als praftifher Arzt 
niebergelaffen und befleibet Bier bie Stelle eines Bezirköfrantentaffaarztes. Der Partei 
gehört er ſchon feit feiner Stubentenzeit an und war Mitte der er Jahre einer der 
Mitgründer des „Bereind deutſcher Arbeiter” in Prag, der erften und noch heute 
beftehenden deutfchipradhigen, aber auf ſozialdemokratiſchem Boden ftehenden Drganifation 
in der flavifhen Centrale. Seine Gedichte erfchienen zerftreut in verjdiebenen 
Parteiblättern. 


— 








— ge Brang nad Freiheit. — 


5* ſeit der Erde Urbeginn der Menſchheit ganzes Sein beſeelt, 
Der im jahrtauſendlangen Kampf vom Neuen ſtets den Arm geſtählt, 
Der, oft gekreuzigt und verbannt, auf der Gebieter Machtgebot 

Vom Neuen ſtets dem Grabentſtieg, ver Drang nach Freiheit iſtnichttod. 


Er war es, der von Betlehem der Menſchheit neues Heil erwarb, 

Er war's, der auf Golgathas Höh'n den bittern Tod des Kreuzes ſtarb, 
Er war's, der in dem Bauernkrieg des Bundſchuh's rothe Fahne ſchwang. 
Er war's, der barfuß, hoſenlos in Frankreichs Königsburgen drang. 


Er war's, der von der Knechtſchaft Schmach die deutſche Bürgerſchaft befreit 
Im tollen 48er Jahr; der Jahre 50 find es heut, 

Nur 50 Jahre — kurze Zeit. Und heute lohnt ſie's mit — Verrath. 
Doch eine Zuflucht Hat er noch — das Bolt, dad Broletariat. 


Er iſt's, der aus dem dumpfen Schlaf die große Volkesſeele fchredt, 
Er tft e8, der zu dem Klaſſenkampf den armen Arbeitsſklaven wedt. 
Er tft e8, ber zum Himmel dringt in Schlachtgefang, Im Arbeitslied. 
Er ifi’3, der im Entſcheidungskampf voran den Bataillonen zieht. 


Ob aud das feige Bürgerpad auf und bezahlte Schergen hebt’, 
Ob's auch der Kämpfer Reihen ſchwächt dur Ausnahmsrecht und 


Schubgeſetz, 
Und ob die Hungerpeitſche auch auf unſer Haupt Hernicberfon , 
Und ob auch bittre Noth und Leid in unſer'n Reihen ſchrecklich hauft; 


Liegt auch manch armer Arbeitsmann in ſchwarzer Geiſtesknechtſchaft er 
Und ſchwört auf feiler Pfaffen Wort: es Hilft euch) nichts, wir flegen doch. 
Uns bindert fein Paptergefet, von Volksbedrängern ausgedacht, 

Uns zwingt fein Bannftrahl, der auf und aus Pfaffenmunde ntederfradit. 


Nur vorwärts, vorwärts, ift’3 Panier; ung hält in unferem Siegeslauf 
Nicht Protzenzorn, nod) Pfaffenfluch, ja ſelbſt der Tod hält una nicht auf, 
Reißt er mit feiner Knochenhand aud) manchen Kämpfer aus den Reih'n 
Ein jüngerer greift die Fahne auf und tritt an fetne Stelle ein. 


Drum vorwärts, vorwärts! Achtets nicht, wenn rechts und links manch 
Streiter fällt, 

Biel Opfer heifcht ein großer Kampf; gilt's zu erobern doch — bie Welt, 

Unfterblih tft der Freiheitsdrang, der und befeelt zum heil’gen Krieg. 

Entrollt der Freiheit roth Panier, mit und dag Recht, mit und der Steg. 


—8 


656 Dr. Adolf Stark. . 


— — — — —— — —— 
— —— ⸗ —— — ú— —— — — 


Kit wie der Eturmwind möcht ih fein! 


iht wie der Sturmwind möcht’ ich fein, 
Der braufend Aber'n Erdball fährt 

Und was fi in den Weg ihm: ftellt, 

Mit urgewaltger Kraft zerftört: 

Reißt heut in feinem Stegedlauf 

Er ganze große Städte weg, 

Schon morgen baut fi neue auf 

Der winzge Menſch amı felben Fled. 


Nicht wie der Sturmwind möcht ich fein, 
Dem Heinen Bohrwurm möcht ich gleichen, 

Der unbekannt, ja ungea dt 
Sich einbohrt in der Erde Weichen. 
Er bohrt und bohrt, bis daß er ftirbt; 
Doch weiter bohrt die reiche Brut, 
Und deren Brut. Und weiterrollt: 
Des Lebens bunte Wechſelfluth, 


Die, oberflächlich wie ihr Sein, 

Nur an der Oberfläche Lebt, 

Nicht ahnend, daß ein Würmchen thr 
Des Dafeind Pfeiler untergräbt. 
Bis, den fie ewig: feit geglaubt, 

Der Boden wankt, auf dem fte fteht; 
Ein Rud, ein taujendfältger Schrei, 
Und eine Welt in Trümmer gebt. 


wg 


Geh nicht hinaus ins finffre Feltgetrieb! 


eh’ nicht Hinaus in's finft’re Weltgetrieb’ ! 

Lüg' und Verleumdung lauern auf den Straßen. 
Du bift fo ſchuldlos rein, mein junges Vieh, 
Ich will den Glauben dir nicht rauben laſſen. 


Den bolden Kinderglauben an das Gute, 

An eine Welt, voll Mitleid, Lieb’ und Recht. 
Da draußen ſchwingt Jehova feine Ruthe 
Zu züchtigen ein ſündiges Geſchlecht. 


Da ſteigt kein Engel, keine Fee hernieder 

Mit ihrer Huld die Sterblichen zu ſchmücken, 
Da fingt kein Hirt im Hain verliebte Lieder, 
Da kommt kein Prinz, Aſchputtel zu beglücken. 











u Dr. Adolf Start. 657 





Da grünt fein Thal, wo fanfte Bächlein rauſchen — 
Nur düſt're Waldesklüfte ‚gibt eö draußen, 
Wo hinter jedem Buſche Mörder laufchen 
Und Molch und Kröt und gift’ge Schlangen haufen. . 


Kein Nitter kommt des Weg's einhergezogen 
Die Drachen zu beftehen im Gefedt: 

Kein Vohengrin zieht auf des Stromes MWogen 
Herbet ald Schirmer für der Unſchuld Redt. 


Wohl trugen mande nad dem Kampf verlangen; - 
Mit Schwarzer Kunſt Hat fie der Molch befiegt. 
Nun hält in düſt'rer Höhl' er fie gefangen, 

Bor deren Thor er jelbft als Hüter Liegt. 


Dort müſſen fie ihm Knechtesdienſte thun; 
Ste weben PBurpur, fhmieden edles Erz 
Und dürfen niemald raften, niemals ruh'n, 
Denn immer mehr begehrt fein gierig Herz. 


Einft kommt die Zeit — fo get die alte Sage, — 
Wo fie des. Drachenzaubers Bann zerbrechen; 

Dann ftürmen fie voll Jugendkraft zutage, 

Im Drachenblut der Knechtſchaft Schmach zu rächen. 


Dann ſchallt es durch die Welt: „Der Molch iſt todt!“ 
In Saatfeld wandeln ſich die Bergesgründe 
Und ſtrahlend ſteigt empor das Morgenroth, 
Daß es der Sonne künft'ges Reich verkünde. 


Dann ſteigen all' die Himmliſchen hernieder 
Auf dieſe Welt. Der holden Wunder Zeit, 
Die Zeit der Kindermärchen naht ſich wieder. 
Einft, einft — wir aber Ieben, leiden heut. 


Und heute herrſcht noch in der Welt der Draden; 
Mer draußen Iebt, gleich mir, tft thm verfallen. 
Schon fperrt nad neuen Opfern er den Rachen 
Und ftredt nad) dir voll geiler Gter die Krallen. 


Geh nit hinaus in Lafter und Gemeinheit! 
Um meinetwillen nit! In diefen Räumen 
. Rößt mir den Dradenzauber deine Reinheit. 
Bleib bier, und laß und Märchenträume träumen! 


ac) 


42 


658 Dr. Wolf S tar k. 


— ie Fenſter auf! — 


on Dum pt und Moder rieht3 im Haud 
Staub liegt auf Schrank nnd Stuhl und Tiſch, 
Halbdunkel herrſcht; dem Lichte wehrt 
Den Eintritt die Vortiere aus Plüſch. 
Und draußen lacht ein FYrühlingstag, 
Ringsum fprießt need Veben auf, 
Die Sonne wärmt, e3 grünt der Haag — 
Die Fenfter auf! 


Die Fenſter auf! 

Und raſch den Beſen in die Hand! 

Schlagt die Bortieren weit zurüd 

Und fehrt die Spinnweb’ von der Wand! 
nk ie den Ba ad gen Staub 

Bon T von Bank und Schrein, 
Die Ad auf, hie Thüren auf, 

Laßt Licht herein! 


Laßt Licht herein! 

Merft über Bord, wa alt und fchledht, 
Fort mit dem taufendjähr’ gen Zopf, 

Der neuen Zeit ein neued Recht! 
Verſchließt nicht trotzig Aug’ und Ohr, 

Ihr hemmt doch nicht des Schickſals Lauf; 
Thut ihr’3 nicht felbit, fo reißt die Zeit 
Die Feniter auf! 





N. 
— Kampfruf. — 


Den Philiſtern. 


Kpm an! kommt an! 
Noch bin ich jung, noch hab ich Muth, 
Noch rollt in den Adern mir wild das Blut, 
Noch fühl' eine Welt ich in meiner Fauſt 
Und jubelnd mein Ruf euch entgegenbrauſt: 
Kommt an! Kommt an! 


Kommt an! kommt an! 

Ich bin ein Ritter, des Kampfes werth, 

Zwar fhütt mid) fein Schild, zwar trag’ ich fein Schwert; 
Das tft im Kampfe mit euch nicht Brauch, 

Da thut’3 eines Efeld Kinnbaden auch. 

Kommt an! fommt an 





Dr. Adolf Start. 659 


Kommt an! fommt an! 
Ihr habt euch ja trefflich außftaffiert; 
Wie glänzt dad Gewaff, dag im Kampfe ihr führt, 
Das Schild, Rel'gion, die Lanze Moral, 
Der Helm — das heil’ge Prwattapital; 
Kommt an! kommt an! 


Kommt an! kommt anl 

Wie ftelt ihr fo muthig euch in Poſitur, 

Sp hand Sohn Fallſtaff wohl einft auf Nenſur; 
Glaubt ihr, daß nur Gethue mic ſchreck'? 

Ein Schlag, fo liegt ber Krempel im Dreck. 
Kommt an! kommt an! 


Kommt an! kommt an! 

Und fommt thr nicht felber zu mir heraus, 
Zerichlag’ id) die Thüre und dringe in's Haus; 
Auf Tod oder Leben! Die Welt iſt zu Hein, 
Mir können nicht beide darinnen fein — 
Kommt an! fommt an! 


Sn 
— ger vergeſſene Boat. — 


ch hatte gefchrieben ein ſcharfes Lied, 

Ein Vied vom Kämpfen und Haffen, 
Geſchrieben mit meinem Herzen3blut 
Wider Progenthum und Bfaffendrut; 
Das Volk jang’3 auf den Straßen. 


Ich fchrieb den Tert. Es fang das Bolt 
Dazu die Melodet 

Wie Sturm, der über bie Führen fegt, 
Wie Hagel, der prafjelnd herniederfchlägt, 
Der Natur Empörungsſchrei. 


Das kam vom Bolt, da3 drang in's Volk. 
Das bat die Herzen erwedt. 

Einft fang’3 der Vater, nım fingt’3 der Sohn 
Und die Heinen Enkel fingen fchon, 

Die Mächtigen lauſchen erfchredt. 


Verſchollen iſt längſt der alte Tert, 

Die Melodie tft geblieben; 

Als Kampflied tönt fie fort und fort 
Und tft auch vergeflen mein Dichterwort, 
Nicht reut mich’, Daß ich's gefchrieben. 


Dr 


42* 


660 


Dr. Adolf Start. 


——— — — — m nn 


Aus: Goͤtterdaͤmmerung. 


(Ein epiſches Gedicht.) 


Er dunklen Schadt, 
Tief unten im Berge 
Da mühn jih und plagen fi) 
Tauſende Zwerge 
Und täufen das Gold 
Um kargen Sold 
ervor aus der Tiefe 


Und der ſchwere Hammer 
Herniederſauſt 

Auf das ſprühende Erz 

Ohne Raſt, ohne Ruh, 

Das ſtöhnt, wie im Schmerz 

Und fie fingen dazu: - 

„Leid und Kummer, Roth und Bein 
Führen uns in's Veben ein; 

Leid und Kummer, Bein und Noth 
Stnd und Führer bis zum Tod. 
Krankheit wühlt in unferer Bruſt, 
Hunger in den Eingeweiden ; 
Wiſſen nichts von Lebensluſt, 
Hilfen nur von Müh’n und Leiden. 
„Satt fein heißt ein voller Magen“ 
Wiffen wir von Hörenſagen, 
Haben’3 nte jo weit gebradit. 
Preiſen täglih Gottes Stärke, 
Preiſen täglich feine Werke, 

Der bie Welt fo ſchön gemadt — 
Haben nichts davon geſeh'n 
Müſſen an dem Ambos fteh’n 


e) Aſen⸗-Götter der alten Germanen. 





Dr. Adolf Stark. 


Abends ſpät ımd morgens früh, 
Tag für Tag diefelbe Müh', 
Götter in Walballa*) droben 
Wollt ihr, daß wir ferner oben, 
Daß wir dulden euer Reh — 
Sorgt, daß und fein Hunger plage, 
Gebt und manchmal Freudentage, 
Wenige nur, den euren gleich. 
Götter, hört auf unfer Flehen! 
Was wir wollen ift nur Brot, 
Zuft und Licht, und Sonne fehen! 
Schlimmer Rather ift die Noth. 
Grimmer Herr ein leerer Magen, 
Reizt dad Hirn, entflammt das Blut, 
Die Verzweiflung gibt ung Muth: 
Wollen's jo nicht länger tragen. 
Hört ihr nicht auf unf’re Worte, 
Schafft ihr baldigft Hilfe nicht, 
Brechen wir hervor an’3 Licht, 
Stürmen wir Walballad Pforte. 
Lieber raſch im Kampfe fterben 
Als fo Ianglam zu verderben. 


—X 
—— Aus: Seitgefänge — 
I. 


ZN (Sinleitung). 
Au mein treuer Pegafud 
Alzulang ward ſchon geruth, 
Allzulang ward ſchon gejchwiegen, 
Und es heiſcht nad) neuen Sriegen 
Stürmifh ſchon das heiße Blut, 
Das die Adern mir durchbrauſt. 
Raſch die Feder in die Fauft 
Diefe Waffe meiner Stege, 
Und nun fliege, Rößlein, fliege! 
Brr! — fo war ed nicht gemeint; 
Immer hübſch am Boden bleiben! 
„Fliegen“ war nur ein poetiſch — 
Metaphorifch Hebertreiben. 
Ziehe ein dein Schwingenpaar! 
Wozu in die Vüfte fliegen ? 
Schweſter Lerche, Bruder Aar 
Werde ich doch nicht bekriegen. 
Jene Feinde, die ich ſuche, 
Steigen nicht empor zum Licht; 


2) Walhalla Himmel der alten Germanen. 





661 





662 


Dr. Adolf Start. 


Sind ein elled Wurmgezücht, 
Lebend nad) dem alten Fluche 

Sn der Goſſe Shmuk und Dred. 
Ya, die Sippſchaft tft nicht reinlich 
Und der Kampf tit etwas peinlih; . 
Sp, da find wir fon am Fleck. 
Hurtig, in den didlten Haufen, 
Schimmel! Zaudern kann nichts nußen; 
Werden wohl nicht ‚gleich erjaufen 
In dem Schmus, und und beſchmutzen 
Das gelingt dem MWurmgezücht 
Selbft im ſchärfſten Kampfe nicht. 
So, jest find wir mitten drin. 

Publ Hier iſt's recht infernaliſch 
Und die Lüfte, Die Hier ztehn, 
Riechen ſcheußlich, beſtialiſch, 

Nicht wie Roſenknoſpenduft 

Noch wie Weihrauchodem — puh! 
Ja, da heißt's halt: „Naſe zu!“ 
Und wird gar zu ſchlecht die Luft, 
Wendet ſich mir um der Magen, 
Wirſt mich du, mein wack'res Roß, 
Auf in reinere Lüfte tragen. 


Hoch empor in reine Vüfte, 

Wo fih Lerch und Adler baden 

Sn der Sonne warmem Licht. 

Nicht verfinitert und gebrochen 

Durch des Erdenſchmutzes Dunſtkreis 

Dringen dort die Sonnenftrahlen 

Dur das Auge tief in's Innere 

Tief hinein in Hirn und Herz. 

greubi fol mein Blick fie ſchlürfen, 
hne Furcht vor blödem Blinzeln 

Oder Fünft’gen Augenſchmerzen. 

Ich kanns wagen; bin ich Telber 

Doch ein Sonnentind; im Innern 

Trag ich einen Strahl der Mutter 

Sonne. — — — — — — — 


II. 


Nun mußt ich erzählen, wo ich ſo lang 
Mich draußen herumgetrieben 

Und ob nach der Heimath mir niemals bang 
Und ob ich der Alte geblieben. 


\ 








Dr. Adolf Starf. 663 





Ih Habe in manchem fremden Land 
Studiret Volk und Sitten, 

Ich habe bewundert den Verſtand 
Und das Genie der Britten. 


Ich hab’ am Strande der Seine und Lolre 
Franzöſ'ſchen Eſprit empfunden, 

Ich habe in der Schweiz ſogar 

Ein freies Volk gefunden. 


Ein Volk, nicht frei nur durch freies Geſetz, 
Nein, frei auch durch freie Gedanken, 

Dort kennt man nicht Sprachen- noch Raſſenhetz, 
Dort fielen die kleinlichen Schranken. 


Dort bab’ ich der ‘Freiheit Odem gefpürt, 
Ich felbit ſchien mir beſſer und freier; 

Doch ala ich die ſchwarzgelben Pfähle palfirt 
Ward mir nicht recht gehener. 


Fürwahr, ich fühle mid gar nicht wohl 

In meinem Baterlaude. 

Die ſchwarzgilbe Farbe deucht mir das Symbol 
Bon feinem heutigen Stande. 


Indeſſen vom gelben Neid verführt 
Die Völker ſich ſelbſt ruiniren, 
Verſteh'n es die Schwarzen, ungenirt 
Das Reich zugrund zu regieren. 


Alt-Oeſt'reich, feudales Pfaffenregim, 
Das Geiſt und Herz beenget, 

Zu langlam tft ſelbſt das Ungeſtüm, 
Das jetzt auseinander dich ſprenget. 


Zerfielſt du noch heute, allſogleich, 
ch weinte dir keine Thränen. 

Allein, wer baut ein neues Reich? 

Wer wird die Völker verſöhnen? 


O, könnt ich ihn doch im Siegerglanz 
Den Völkerverſöhner ſehen! 

Wie kams, daß ich den rothen Hans 
Sah plötzlich vor mir ſtehen? 


Den Hans, den man in's Loch geſetzt, 
Und fpäter abſchubirte, 

Weil er bie Menge aufgehest, 

Weil er das Wolf verführte. 





\ Dr. Adolf Start. 


Hana Lump ald Retter) Ein Stoff, famos 
Zu einem Theaterſchwanke. 

Ich lachte. Doc Iteß mich nicht mehr [08 
Der närriſche Gedante. 


Er grub fi tief in’3 Herz mir ein, 
Sa, er erfüllt mich np: 
Der Hand wird Sehtre chs Retter fein, 
Der Hand, der rothe Hand, | 


* | 
— ger nähfle Fall... . — 


(Aus bem chirurgiſchen Lehrfaal.) . 


‚BD: nächſte Kal“! Man bringt auf einer Bahre 
Sin Weib, faft noch ein Sind, anämifh blaß, 
Die Züge des Geſichts von Schmerz entitellt. 
„Die Anamnefe*)!” fordert der Brofeflor. - 
Ein Hilfsarzt lieft mit monotoner Stimme: 
„Arbeiterin, ſechzehn Jahre alt, noch ledig; 
Die Patientin wurde heute morgens 

In der Papterfabrif, wo fie beichäftigt, 

Vom Triebrad der Maſchine am Arm erfaßt“. 
Dom Arme, nein von jenem Ort, wo fonft 
Der Arm zu fiten pflegt, nimmt num herab 
Der Alfiftent die blutige Compreffe. 

Nur flühtig unterſucht der Kliniker. 
„Narkotiſiren!“ Und zu feinen Hörern 
Gewendet: Hier in dieſem Falle giebt’3 

Ein Mittel nur — die Amputation. 

Wir fehen bier auf unferer Klinik 

Dergleihen Fälle heutzutag nicht felten; 

Auch ihnen wird als Nerzten in der Prar’ 
Des dfteren fol’ Fall wohl unterfommen. 
Die Sadıe ift nicht weiter intereflant“. 


Du armes Kind! Und da3 Papier, dad damals 
Die fiampfende Mafchine ſchuf, als dic 

Ihr Triebrad faßte und den Arm dir raubte, 
Das wandert weit hinaus jeßt in die Welt, 

Als Bud, modern und elegant gebunden, 

Der Blätter Rand mit Goldſchnitt feintverziert, 
Und anf dem Titelblatt fteht „Lebensluſt“ 

Und auf den Seiten klingts in fünfzig Liedern: 
„Wie herrlich tft die Welt, wie ſchön dag Leben“. 


Er 


) Anamnefe — Krankengeſchichte. 








Dr. Adolf Stark. 665 


&pigramm. 
(Heberfegt au® dem Czechiſchen bes I. S. Madar.) 


u erfter Dal, du alter Burfche, 

Wie bift du jeht fo friſch, fo jſchön! 
Ganz anders ſah in früher'n Jahren 
Ich dich vom Winterſchlaf erſtehn. 


Kraftlos, in greiſenhaftem Orimme, 
Die Stirnedader 30 geld chwellt, 

So blickteſt du, von Scham gefchüttelt, 
Schier ſauertöpfiſch in die Welt. 


Ich weiß warum. Die alte Leier, 
Der Dutzenddichter Frühlingslieder 
Mit ihrem ſüßlich⸗falſchen Pathos 
Begrüßten Jahr für Jahr dich wieder. 


Und du, aus Sonnenlicht entſproſſen, 
Mit ſtolzer Jugendkraft geziert, 
Sah'ſt dich durch dieſe Verſemacher 
Zum Spießer-Frühling degradirt. 


Das iſt vorbei. Die Sing Sangbigter 
Die laſſen weislich dich in Ruh’, 

Der Spießer fperrt bei deinem Nahen 
Bol Angft die Thür und Fenſter zu. 


Und unter deinem alten Banner 
Berfammeln fi, wo Menfhen wohnen, 
Die heut Enterbten; und der Grund 
Erbebt vom Tritt der Legionen. 


Da Ipringft du Hurtig auf vom Lager 
Und Dampfeshaud) dein Athen ift; 
Dein guter Name ift gerettet; 

Heil!, alter * ei gegrüßt! 


++ &in Jala * 


Ans bin ich feine Nachtigall, 

Sp will ich ein Rabe ſein. 

Und kann ich nicht fingen mit lieblichem Schal, 
So kann ich doch krächzen und ſchrei'n. 


Und kraͤchzen will ih ohne Unterlaß 
Mein wildes Rabenkind, 

Ein ſchaurig Lied vom Zorn und Haß, 
Der mir im Herzen glüht. 


666 


Dr. Adolf Stark. 





Und wenn mein Vted von Galgen und Rad 
Nur einen der Räuber ſchreckt 

Und wenn es nur einen vom Proletartat 
Aus dem Geiſtesſchlafe erwedt. 


Und findet mein Singen Wiederhall 
In meines Volk's Gemüt — 
Dann neid’ ich nicht der Nachtigall 
Ihr ſchmelzendes Liebeslied. 


— 
— Sonett. — 


Lin jeder muß des Lebens Bürde tragen, 
Da beißt es Dulder oder Kämpfer fein. 
So wiſſe: ftellit du dich in unf’re Reihn 
Wählſt du den Kampf und mußt al3 Mann ihn wagen. 


Dann endige dein kindiſch, eitel Klagen. 

Kein Gott kann dich von deiner Laſt befrein. 
Bertrau dir felbit! Steh’ für die andern ein: 
Dann wird dir der Erlöfung Stunde fchlagen. 


So wähl’ denn Freiheit oder Sklaverei. 
Trägft weiter du in Demuth fit dein Joch 
Sp Hage nicht, daß e3 dir drüdend fet. 


Doch fühlft du dich als Mann, als freier nod), 


Sp fiel’ als Bruder dich in unſ're Reih' 
Und glaub's: Trotz alledem, wir ſiegen doch. 


x 


R 








— — Wilhelm £eopold Auguft Geib. = 


Wilhelm Leopold Auguft Geib wurde in Dudroth in Rhein-Bayern 
am 10. Xuguft 1842 geboren. In ben Jahren von 1855—1858 erlernte er die Rauf- 
mannſchaft in Meifenyeim und trat jobann ın Hamburg in Stellung. Hier wurde 
er mit ber Arbeiterbewegung befannt und beteiligte fich rege am Vereinsleben. 
1864 etablirte fi Geib in Hamburg als Buchgändler, trat dem Algemeinen d utien 
Arbeiterverein bei und war 1869 Mitbegrünver der ſozialdemokratiſchen Arbeiterpartei. 
Er wurde Mitglied bed Parteivorftandes, ald meldes er 1870 auf Befehl Vogel 
von Faltenfteins wegen bem von Parielvorſtand herausgegebenen Braunſchweiger 
Manifeft verhaftet und nad) Lügen transportirt wurde. Im Dezember 1870 erfolgte 
feine Entlafjung. 1874 wurde Geib in Freiberg (Sachſen) in den deutſchen Reichs- 
tag gewählt. Er flarb am 1. Auguft 1879. — Seine Dichtungen athmen die begeifterte 
GSiegeßzuverficht des Freiheitäfämpfers und ihre flammende Sprache ift jo recht geeignet, 
dem Bolte die Hehren Biele der revolutionären Freiheitäbewegung zu bemonftriren. 





—— ger alte Demokrat. —— 


ch komme 1 qurüd aus fernem Land, 

Ah Freunde, weil müde zum Sterben, 
Wohin ich gegangen und u ih ftand, 
Eine bletbende Stätte ich nirgen? fand 
Unfelige8 Werben — — en! 


In Deutſchland fehlte mir Freiheit und Brot, 
Si J reunde mein ſaßen si br 

iebchen küßte mir 5 o der Tod, 

der Tod — und fo fiarb fie im Arm ber Noth, 
Spatzen ein Grablied ihr ſangen. 


Ich ſtieg in ein ng wohl hr dad Meer 
Nah England, d eien, zu f 

Dort ſchwang ich den gene pi erbeit ſchwer, 
Und wie ernſt ich auch orale, — bie Tafchen Ieer, 
So wuchs ih an Einſicht und Jahren. 


D’rauf wandert’ ih aus nad Amerika, 

Bon dem Alle träumen und fingen 

Da war th der Hungerfreihett * nah, 

Wie mir ſelten in Deutſchland und fouſt geſchah — 
Kein Brot! und das Herz zum Zerſpringen. 


Und wo ich mich ferner auch um eſchaut, 

Zu hayſtadt Neuſeeland und weiter, 

Stets fand id dem Vorrecht das Neft gebaut, 
Und e3 Ieufate das Bolt und es klagte laut, 
Dog nirgends erftanden ihm Streiter. 


So fehr’ ich denn wieder nad Deutfchland zurüd, 
Durch Frankreich zulegt noch gekommen, 

Ich Lehre zurüd — armfeliged Glück! 

Noch — noch fieht mein Salt, gebengt das Genick, 
Davon ihm das Joch nicht genommen. 


Wie früher? Nein, nein, ſo ſteht es nicht mehr. 
So! — laßt mich ins Antlitz euch ſchauen; 
Erkannt iſt der Freund, ihr ſtellt euch zur Wehr, 
Und ihr gebt den Bedrückten die heilſame Lehr, 
Nur eigener Kraft zu vertrauen. 


670 


W. LM Geib. 


Unſterblich waltet ſie in der Idee 
Beglückender Gleichheit auf Erden, 
Der Gleichheit, die ſtolz auf des Wiſſens Höh' 
— Nicht in ſchwindelnd erträumter Egalitoͤ — 
Beſiegt und behauptet will werden. 


Ich komme zurück aus fernem Land, 

Und bin auch müde zum Sterben, 

Ein Hurrah euch mit dem lodernden Brand 
Der Erkenntniß, des Wiſſens in feſter Hand, 
Ein Hurrah dem Volk, meinem Erben! 


2 
— In Bine > 


Ei Walde dröhnt des Beiles Hieb, 

Holzfrevler find e3 in der Nacht, 
Doch web, ber Förfter hält die Wacht, 
Und der verfchonet feinen Dieb. 


Halt, ruft er laut, ich kenne euch, 
Zehn Francs, dad tft gerechte Straf’! 
Und wie ein Blitz zerihmetternd traf 
Dies Schredenswort die Armen bleich. 


Es ſchluchzt der Mann, es ſchluchzt dad Weib, 
Der Förſter fingt ein Liedlein froh: 

Haft du nit Holz, fo brenne Stroh, 

So brenne deinen eigenen Leib! 


Sie geh'n nah Haus, die Kälte plagt, 
Sie zünden Licht, die Thräne rinnt: 
Erfroren liegt das einz’ge Kind, 

Und Erd’ und Himmel ſei's geflagt! 


Aufichreit dad Weib voll wilden Schmerz, 
Der Vater ftarrt wie feftgebannt, 
Die Zlamm’ entjinfet feiner Hand 
Und Iodert praflelnd himmelwärts. 


Es qualmt der Rauch, es beult der Hund, 
Bom Thurme tönet Sturmgeleut’, 

Und taufend Retter find bereit, 

Denn „Feuer“ Thallt’3 von Mund zu Mund. 


Einſtürzt das Dad, einftürzt dad Haus, 
Es ziſcht und kocht der Waſſerſtrahl 
Und wie ein banger Todesqual 

Der letzte Sifruf hallt heraus. 








ML A. Gelb. 671 


Drei Leichnam” zieht man fill hervor, 
Mann, Weib und Kind, verfohlt, verbrannt, 
Die fauftgeballte Kuochenhand 

Wie flehend ragt fie noch empor. 


Der Förfter fam, fah Mann und Weib, 
Dann ging er fummend, bo, bo, bo, 
Haft du nicht Holz, jo brenne Stroh, 
So brenne deinen eignen Leib. 


nt 
Der Fod des Kehellen. 


1811. 


Dr Morgen graut — mit bangem Zögern 
Senkt fich der junge Tag herab, 
Ob er wohl ahnt, daß Heut die Sonne 
Beichetnen wird mand frifhe® Grab? 
Ob er von feiner düftern Schwelter, 
Der Naht, erfahren, was fie jab, 
Erfahren, daß dad Herz der Erde, 
aris, faft dem Verbluten nah’? 


Wohl muß e3 fein, denn tief in Falten 
Die fonft jo heit're Stirm er legt: 
„Parts verbluten, welch' ein Grauen, 
Wer ift’3, der thm die Wunden fchlägt 3" 
En fragt er nod) die Nacht, die düſt're, 
Dann ruft er felbft fih Antwort zu: 
„Ste betten heut’ den Sohn der Arbett, 
Sein Glück, fein Recht zur ew’gen Ruh. 


Sa, höhnend wird er heut begraben, 
Wonach geitrebt der Arbeit Sohn, 
Heut wird erdiofjelt die Kommune, 

Ha, unterm Galgen fteht fie Schon! 
Horch, nur ein Aechzen noch und Stöhnen, 
Ein wilder Fluch und Todesſchrei — 

Die Henker jauchzen Siegeshymnen — 
O wär’3 doch Nacht, o wär’3 vorbei!“ 


So ſpricht der junge Tag des Maien, 
Dann zieht er ſinnend ſeine Bahn, 
Indes dort an der Seine Strande 
Dem Morden Einhalt nicht gethan: 
Der Chaſſ'pot wüthet ohn' Erbarmen, 
Und knatternd tönt ſein grauſer Sang, 
„Freut euch, ihr Herren Kommuniſten, 
Kopf Hoch, ich prozeſſir' nicht lang'!“ 


672 





W. L. A. Geib. 


Sie, die gekämpft für ihre Ziele, 
Der Freiheit und der Arbeit Heim, 
Sie, die mit ihrem Herzblut tränkten 
Der beſſern Zukunft Lebenskeim, 
Vieltauſend nun gefangen ſchreiten 
In Feſſeln ſie zum Richtplatz hin, 
Wo bald, verhüllend ihre Leiber, 
Die grauen Pulverdämpfe ziehn. 


Jetzt kommt auch dort die breite Gaſſe 
emeſſ'nen Schritt's ein Trupp herauf, 
Und Todeskandidaten ſind es, 
Bald ſtehn ſie vor der Flinten Lauf; 
Ob. jung, ob alt, 's gibt keine Gnade, 
te fleh'n c nicht, trotz aller Noth, 
Sie willen, daß die Ordnungsſchergen 
Sich Iegen gern am Blute roth; 


Da plöglih, als zum Aufmarfchiren 
In Todesreih’n Thon fommandirt, 
Schallt eine Stimme herzzerreißend: 
Beh, weh, nun wird er füſilirt!“ 


und aus bes nächften Haufes Pforte 


Stürzt flugd ein junges Weib hervor, 
Ein blafjes Weib, auf wagen Händen 
Hält zitternd fie ihr Kind empor. 


„Ste dort den Vater! Ah zum Sterben, 
Zum Sterben ruft der Offizier, — 

Da3 kann nicht fein, komm Herz und eile 
Den Vater retten du mit mir! 

Hier, fieh den Vater, bier, o fag’ ihm 
Schnell mög er mit und heimwärts gehn!“ 

Da droht des Kommandanten Stimme: 
„Hinweg, fonft iſt's um Euch geſcheh'n!“ 


„Rein, nein, ih will und kann nicht laſſen 


Bon ihm, ber böfes nie gethan“, 
Sp ruft dad Weib in treuer Liebe 
Und bricht fi zu dem Gatten Bahn, 
Dann folgt ein inn'ges Herzen, Küſſen — 
Sie hebt das Kind auf feinen Arm — ' 
Ein Traum ded Glüds, aus dem erwachen 
Sie nimmer follt’ zu neuem Harn. 


Die Salve kracht — ed liegt getödtet 
Da3 treue Weib in feinem Blut, 
Der Gatte aud), er Liegt im Sterben, 
Der Schergen Kugeln treffen gut! 





W. 8 A. Geib. 678 


Nur Einen haben fie verſchonet — 
's tft des Rebellen junger Sohn — 
O, wenn der einſtens groß geworden, 
Dann zahlt er dafür gern den Lohn! 


Ein ſchrecklich Bild dem Blick ſich zeiget, 
Ob es wohl je nach Rache ſchreit? 
Der „iger mag Died „nt entfcheiden, 
gang bet Nahe wetht, 
er be m no eleppe —— Sin, 
n n F 
Wo über die hir chofſſ'nen 2 
Nun grame —A sieh, 


ur 


Reihnachten. — 


Pi: wieder iſt e8 Weihnachtszeit, ein theurer Gaft tft kommen, 

er heut’ als Geift der Viebe weilt bei Freien und bei Frommen, 
eten, wenn Verbrüderungsſinn fie jemals tief durchdrungen, 

Bi rommen, wenn ihr Herz nicht ganz dem Himmel verdungen. 


y at und 2 en Thür zu Thür der alte Gaft jetzt ſchreitet, 
Io gern Sung und Alt ein frohes Feſt bereitet. 
SE Babe r ei in be ad, fo ruft er durch die Baflen, 
mmt, kommt, und alles, was ich hab', will ich euch freudig laſſen. 


gel ob, da gibt’3 ein bunt Gewähl,. ein Treiben und ein Jagen, 
Jeder will den fhönften Theil für fih nah Haufe tragen. 
Hier reiht er Nüſſe, Denfel bort, und daß er Allen Lohne, 

Holt er zulebt noch aus dem Wald die grüne Tannenkrone. 


Bald berricht nım Stille weit und breit, nur in den Häufern drinnen 
Die Kleinen um ben built 8 gen Baum den Weihnachtsſang beginnen. 
Und finnend fteht der Alte noch und freut fich feiner Werke, 
Beglüdt, daß er Durch ſolches Thun die Lieb’ auf Erden ſtärke. 


Sn iſt's nicht, als ob Dur den Sang ein ſchwerer Seufzer dringe? 
Iſt's nicht, als ob es fern und nah wie lautes Wimmern klinge? 

Der Alte ſchaut erigrent um 14,5 dann tönt’3 aus feinem Munde: 

Wer Hagt, wern Alles fröhlich tft, wer weint zu dieſer Stunde? 


Der Erbe Aſchenbrödel ſind's, der Arbeit arme Finder, 
Wir, die im Sommer faft verglüh'n und ſtarr'n por Froſt im Winter! 
Nicht eine Gabe reicht man und, des Glüdes Sonne fcheinen 
Uns Armen, ach, wohl niemals will, drum laß und weinen, weinen! 


674 W. L. A. Geib. 


Wohl ſpricht darauf der Alte mild, iſt nun mein Sack geleeret, 
Und Allen, die mich keck umdrängt, ward eine Gab' beſcheeret, 
Ihr kommt zu ſpät — doc weinet nicht, ich will auch euer denken 
Und tief aus meined Herzen? Grund ein hohes Gut euch fchenken. 


- Ein hohe? Gut, o guter Geift, fo jauchzt es — halb mit Beben, 
Und wie heißt dieſes hohe Gut, warn willft du es und geben? 
O fag’ es gleich und reich' es und, bevor wir ganz ummachtet, 
Bevor wir in der tiefften Noth und ihrer Bein verſchmachtet! 


Hört Rinder, nit in meinem Herz liegt e8 allein vergraben, 

Und dennoch ift’3 der Tchönfte Preis von allen Wethnachtögaben ; 

Sn eurem Innern ſchlummert's Längft, ihr braucht es nur zu weden, 
Dann wird fich feftlih bald für euch der Tiſch auf Erden deden. 


Verbrüdert euch, fo Heißt dad Gut, verbrübert: nicht zum Hagen, 
Nein, nein, zu Schuß und Truß, nur fo könnt' eure Feind' ihr ſchlagen, 
Die Arbeit bei euch Loſung fei, Die Arbeit Luft für Alle! 

Dem Vorrecht Tod! und mit ihm auch die Klaſſenherrſchaft falle! 


Der Alte ſpricht's, ſchnell reichen fih die Hörer rings bie Hände, 
Und wie ein Blitzſtrahl ſie's durchzuckt: der Anfang iſt's vom Endel 
Und heim in ihre Hütten geh’n fie num mit freud’gem Herzen 
Dorthin, o Wunder, wo entflammt jegt viele taufend Kerzen! 


Bieltaufend, nicht am Tannenbaum, nein, hoch am Baum des Lebens, 
An ihm, dem Sinnbild befirer Zeit, dem Vorbild höchſten Strebenz, 
An ihm, woran die Blüthen awar ſchon oft dag Haupt geneiget, 
Wovorinnen ftürmifh neuer Saft jet neue Kräfte zeuget. 


Der Alte Ichaut’3, dann ſpricht er leis: Nun kann ich fröhlich ſcheiden, 
Bald wird mit friſchem Grün die Welt al’ thre Aeſte Leiden, 
Und endlich werd’ aud ich, verjüngt, mit höherm Lebenstriebe 
Einzieh’n in aller Menfchen Herz, als Geiſt der ew'gen Liebe! 


ser 


— = de Kommune. = — 


Serträmmert tft der erfte Bau, 
- Den unfere Brüder fühn errichtet, 
Noch war der Frühling allzu rauh, 
Es Itegt die junge Saat vernichtet, 
Die junge Saat, 
Zum freien Staat, 
3u Chr’ und Ruhm 
Dem Menſchenthum 
Zum gleihen Recht für Alle. 








W. L. A. Geb. 675 





Ein Kampf war es wie nie vorher, 
Sein oder Nichtſein klang die Frage, 
gier fiel das Vorrecht, Iiebeleer, 
te neue Zeit dort in die Waage, 
Die neue Zeit, 
Die uns befreit 
Bon Drud umd Lalt, 


WVon Müh md Haft 
Will gleiches Recht für alle! 
Der Knechtſchaft Schergen fiegten ob, 
Ste wälztn fih im Blut der Rothen, 
Und fo wie fie der blaue Mob; — 
Zur Rade rufen drum die Todten! 
Zur Nahe? — Nein! 
um Sieg allein, 
rotz Feindes Wuth 


Mit heiliger Gluth 
Zum gleichen Recht für alle! 


Ein andrer Frühling kommt wohl bald 
Um allem Schlaf ein End zu machen, 
Dann wird, ein Phönix an Geſtalt, 
Aus ſeinem Traum das Volk erwachen, 
Aus ſeinem Traum; 
Gibt weiten Raum 
Der Weisheit Rath, 
Dem freien Staat, 
Dem gleichen Recht für alle. 


2 
— &ied der Internationalen — 


Sun Bund, den keine Macht kann Tprengen, 
Set fie auch noch fo Hoch geitellt, 

Laßt nun in feurigen Gefängen 

Aufrufen und die ganze Welt. 

Die ganze Welt, hurrah, erwade, 

Was jelbftbewußt ih drängt und regt, 

Was ſtolz dad Menſchenantlitz trägt, 

Auf, auf, zur großen Völkerſache! 


Die Arbeit iſt's, die dieſem Bunde 
Verleiht ſonſt nie geahnte Kraft, 
Sie, die auf unſerm Erdenrunde 
Allein nur alle Werthe ſchafft; iR 


676 


W. L N. Geib. 





Mit ihren Söhnen, ihren Helden 
Tritt fie nun auf ruft: „SH bin - 

Allein nur eure Königin, 

Geht, allen Völkern es zu melden!” 


Ein neues Recht ben Menſchen made ich, 
Rein Recht, das alle glücklich 

Dram zärmend mit dem Vorr Parc ich, 
Horcht, ne tn feinen Fugen kracht! 

Die heit fiebt mit mir zufammen, 
Site, die wir fonft von fern nur fah’n, 
Und Siebe ebnet mir die Bahn, 
Entzändend der Begeifterung Flammen”. 


Die Welt hr weden, komm ich heute 
Die tanbe Welt, ein ſchweres Mih'n 
Die Gloden drum zum Sturmgeläute 
Muß ih anf allen Thürmen zieh’n; 
Und immer neue Jünger werben 
Will ich, mein Banner hoch entrollt, 
3" Unterdrüder, habt's gewollt, 
So fei e8: Stegen oder erben |“ 


des De 


rer a ein Ä 
Der Arbeit Bolt In — | 


RER 





— = Wilhelm Hafenclever. 


Wilhelm Hafenclever, geboren am 19. April 1834 gu Arnöberg in Weſt⸗ 
falen, beſuchte mehrire Klaſſen des Gymnaſiums und erlernte ſodann bie Lohgerberei. 
Als Handwerkäburfche bereifte er ganz Deutſchland, ſowie Oberitalien und lernte fo 
das Leben der Arbeiter mit all jenen Mühen und Entbehrungen praftifh kennen. 
Durch Laſſalle's Auftreten begeiftert, ſchloß er ſich dem jemeinen beutfchen 
Arbriterverein an und wurde Mitarbeiter am offiziellen Organ, dem „So; trat“. 
Als 1875 die beiden großen ſozialiſtiſchen Gruppen („Laflaleaner“ und „Eifenader”) 
ſich verfämolzen Hatten, wurde Hajenclever Borfiandsmitglieb ber neuen Partei und 
trat in bie Rebaltion des „Hamburg-Altonaer Boltöblatt”, fpäter mit Liebknecht in 
die Redaktion des Leipziger „Vorwärts” ein. Unter dem Gozialifiengefeg wurde er 
aus Leipzig ausgem.eien. Seit 1869 wurde er wieberholt in ben deutſchen Reiche» 
tag gewählt. 1867 mußte er wegen Geifteägeflörtheit im einer Unflalt bei Berlin 
untergebradt werben, wofelbft er am 8. Juli 1889 ftarb. Als Parlamentarier und 
Vollörebner, wie auch als Proletarierdichter gehört Hafenclever mitzu den hervorre fen 
Perfönligteiten, die aus den Reihen ber deutſchen Arbeiter hervorgegangen . 











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gan fiebt e8 wohl an meinem Weien, 
Daß mich die Trauer oft umſchlingt; 
In meineu Blicken kann man's leſen, 

Im Liede hören, das ſie ſingt; 

Sie hält mein armes Herz gefangen, 

Es liegt in tiefem Schmerz und Bangen, 
Doch rufe ih in lauten Tönen 

Und ſollt' das Schickſal ich verhöhnen: 

Ich will, ich will noch glücklich ſein! 


Die Trauer hielt mich feſt umwunden, F 
Wenn th and Vaterland gedacht; 

Sn diefen bittervollen Stunden 

Da hab ih bittervoll geflagt. 

Doch Lich die Hoffnung mich nicht ſinken, 

Mich Wonnerauſch die Zukunft trinken; 

Ich jauchzte auf in lauten Tönen 

Und ſollt' ih auch Tyrannen böhnen: 

Du wirft, du wirft noch glücklich fein! 


Mein armes Herz wird Immer traurig, 
Wenn es erbltdt, daß in der Welt 

Sa alles doch fo elend, ſchaurig 

Und wirr und rechtlos tft beftellt. 
Man Ereuzigt immer noch den Heiland, 
Dem Barrabas ergebt’3, wie wetland. 
Doch ruf’ ich aus in lauten Tönen 
Und ſollt ih gar die Welt verhöhnen : 
Du ſollſt, du ſollſt noch glüdlich fein. 


So werd’ ich immer, immer rufen; 
Das ſei des Vebend Luft und Leid, 
Zu Inten auf deines Altar Stufen, 
O Göttin der Glüdfeligkeit. 
Und werd’ ih drum auch angefeindet 
Bon harten Menfchen, freudeicheuen, 
Sp bleib' ich felber mir befreundet 
Und nimmermehr will ich's bereuen. 
Die ganze Welt muß glüdlich fein! 


A 





680 


Wilhelm Dajenclever. 
er 


Rır unjren Blicken egen auögehreitet 
Die wunderbaren Werke der Natur, 
Aus dieſen Werken mög' man lernen nur 
Den Geiſt, der wechfelbon das Leben leitet. 


Der Alpen Pracht, die unſer Auge weitet, 
Das weite Weltmeer ohne Pfad und Spur, 
Die Niefenwälter, bie d der Ur, 
Eind Zeugen jener Kraft, bie ihn begleitet. 


Wer tft der Geift, wie dient man ihın, der Leben, 
Ein wunderbares Dafein und gegeben? 
Das tft der Menfchen ewig alte Trage; 


Undulbfam oft gelöft der Welt zur P Lupe : 
„Gott will. es!“, daß man Tod und Elend trage 
Bu dem, dem er befohlen hat zu leben. 


Das iſt der Menfchen * alte Frage, 

Wie man ihn nennet, der die Welt En Händen 
Hält, fie nah Willkür hin und ber zu wenden. 
Man zwingt ihn, daß er einen Namen trage, 


Den Namenlojen, — ad ihm jelbft die Klage — 
Die Welt in feinem Namen dann zu ſchänden; 
Man will durch frev'len falſchen Schein ihn blenben, 
Daß man zu feiner Ehre Alles wage. 


Ob fie ihn Zeus, ob fie ihn Ullah nannten 
Jehova oder Gott, ob Feuer brannten, 
Ob Kerzen Ihm — fie paßten ihm ein Wefen 


Und Eigenſchaften, wie ſie's auserleſen 
Und liebten, an. — Doch welche ſind's geweſen, 
Die ihn, den höchſten Geiſt, am Beſten kannten? 


III. 


Nicht Jene ſind's, die fromm die Hände falten 
Und Eettelhaft auf ihren Knien liegen 

Sich augverdrehend an dad Kreuz nfeimiegen; ; 
Nicht die find’3, Die einft ftolz zum Tempel wallten, 


ww 








Wilhelm Hafenclever. 681 


Darin die Namen Zeus, Jehova hallt 

Nicht die ſind's, bie in fchlaffe Erd’ ſich wiegen 
Und ſtracks zum Himmel glauben hinzufliegen, 
Umarmend dort der Hourt VLichtgeſtalten. 


Das find fie Alle nicht, die fiolgen Thoren. 
Doch die mit warmem ‚Herzen utes üben 
Und alle Menfchen gleich wie Brüder Lieben, 


Den Europäer und den armen Mohren — 


Ste find es, die den Geift der Welten kennen 
Und Die ihn deshalb nie bei Namen nennen. 


ide 
— Is goldene Kath, — 


(1874) 


inder Iſraels — ſie fprangen 

Um das gold’ne Kalb herum, 
Sie bejauchzten, fie befangen 
Diefen Gott, der kalt und ſtumm. 


Kalt und ſtumm!? — Owelches Leben 
Hat der gold'ne Gott gezeigt 
Alles Schaffen, alles Streben 
Opfernd hat man ihm gereicht. 


30, man hat gepflegt ihn treulich, 
em Kalb ein Ochſe ward; 

Ib das tft doch wohl verzethlich, 

Denn es Itegt fo in der Art. 


Ward fo recht ein großer Ochſe, 
Um ihn ton! Die ganze Belt, 
Atheiften, Ortbodore 

Bis der „Schioindel“ fie befällt. 


Bis ſie ſchwindlich niederfallen 
Mit Gewimmer und mit „Ach“ 

Und im Falle winſelnd lalien 
Ueber den gewalt'gen „Krach.“ 


Waͤhreud end; bie 


Doch es eilen andre Schaaren 

Raſch herbei zum tollen Tanz, 
nd Die eben voran waren, 

Springen um des Ochſen Schwanz. 


Alio geht es immer weiter, 
Einmal Jene, einmal Die, 
Manchmal freudig, manchmal heiter 
Tanzen fie um's Itebe Vieh. 


Ind das nennt man Menf aa 
Und das nenntman M 

Und das nennt man Menſchenſtreben 
Undd 0 nenntman — en 


Arme Menihen! — Wie Europen, 
at ein Ochſe euch Fi oͤrt; 
gen mäditige Ch pen 

mit Waffen wohl bewehrt, 


ar 
Hrlung Weiter 
m und Pracht; 


Dienftbar find bei 
Eh {hr 2 der S 
Beben könnt in Au 


Während fie den Strahl der Sonne 


Selbft in eure Macht Get 


Um den Ochſen voller Wonn 
Tanzt ihr — Pfui! Ihr "Seren der Welt!“ 


Sie 


682 


Wilhelm Hafenclever. 


Das Volk if mündig worden! 


(Bebenkblatt ber großen franzdilfhen Rebolution.) 
(1869.) 


Sun König drängt dad Volk heran. 
Bon ihm fein Recht zu fodern; 
Der haut es drob verwundert an, 
Und feine Augen Iodern. 
um Nächften donnert er in Wutb: 
a8 wollen diefe Horden? 
Doch Sener fpriht mit feftem Muth: 
Das Bolt iſt mündig worden. 


Der König ſtutzt — er finnt und denft: 
Was mag dad Wort bedeuten ? 

Ich habe nie mein Volk gefräntt, 

Ließ nur vom Recht mid Ieiten. 

Des Volkes Recht ift auch mein Recht, 
Ich will dad Recht nicht morben. 

Kur klingt dad Wort mir gar zu ſchlecht: 
Das Bolt tft mündig worden. 


Des Königs erfter Diener naht 

Mit ſchmeichelnder Gebärde: 

Das Net, dad euer Volt erbat, 

Iſt enred Thrones Fährde; 

Die Umfturzmänner find’3 allein, 

Ste geizen Ar nad Orden, 

Drum hört man fie jeßt immer fchret’n: 
Das Volk tft mündig worden. 


Der König lauft dem falihen Wort 
Aus diefem falſchen Munde; 
Er jagt das Volk im Hohne fort — 
Doch naht die Rächerftunde. 
erſchmettert finft der Königsthron, 
8 brauft in Sturmafforden 
Hin dur die Revolution: 
Das Bolt tft mündig worden. 


Und aus der Rebolution 

Erblübte Hell und Segen, 

Die Freiheit war des Kampfes Lohn 
Und Gleichheit allerwegen. 

Im ganzen ſchönen Frankenland 
Bom Süden bis zum Norden, 

Da war ber Siegeöruf entbrannt: 
Das Bolt tft mündig worden! 


SE 


Wilhelm Hafencleper. 


++ Im Halte + 


An friſchen GE ng gen 
Htnaus in die Waldesiutt, 
Dort blübet die golbene Freiheit; 
Fi Höhen und in der Mluft, 
sie Dam der Schnabel gewachſen 
Der Bogel ſchwatzt und ruft. 


Das tft Die wahre Freiheit 
Dies heitere Vogellatein, 

Die Raben und die Elſtern 
Den König der Lüfte beſchrei'n, 
Und al’ die andern Kleinen, 
Die lachen zwiſchen drein. 


Kein Richter und kein Kerker 
Sperr’n ihnen die Schnäbel zu; 
Klein bunter Bolt 


(1869.) 


Ohm’ jegliche. Erlaubniß 


Die Fröfche verfammeln fi frei, 
Erheben über Alles 

Biel Lärmen und Befäret; 

Und dennoch läßt fie tn Kube 
Die löbliche Polizei. 


Den Ameiſen, den flinken, 

Wohl wird ihnen manchmal heiß; 
Bei ihrer ſchweren Arbeit 
Gerathen ſie gar in Schweiß — 
Kein Anderer aber verpraſſet 
Die Früchte von ihrem Fleiß. 


Es wagen die Blümlein zu blühen 
Sogar tn Rebellen-Roth; 

Kein Staatsanwalt beantragt 
Für Hochverrath den Tod. 

Im friſchen, freien Walde 
Beſtehet kein Verbot. 


Und doch iſt alles geordnet, 
Es regen ſich Fa erhänd’ — 


Huſch — huſch 


— die Waldesgeiſter — 


Wie Alles fliegt und rennt! 
Es führt die alte, heil'ge 


Natur ihr Regiment. 


FIR 
— &afalles Fodestag. — 


(Baffalle ſtarb en 8 Augiiſt 1864.) 





® 





er befte Mann — der Arbeit treufter Hort, 
Er ſank hinab in dunkle Grabesnacht' 


Er, der gefämpft, gerungen und gedacht 


reuh mit Manneömuth 


und Manneswort. 


herrlich Menſchenleben tft zerfchellt, 
Er ſank dahin, der Arbeit erfter Held. 


Er fant dahin, der euch fo Klug gelehrt, 
ce thr das lavenjod zerbrechen — 


Er, der für euch allein fo 


heiß gegroll 


Er reiht’ euch fterbend noch fein litenh Schwert: 
Wohlan, wohlan, ihr kämpft für euer Recht 
Sept gen’ ein feiges, keinbliches Geſchlecht!“ 


683 


684 Wilhelm Hafenclever. 


Sein Schwert, e3 tft bes Siſers heller Strahl — 
Der hat Grfenntuiß unter euch ß ebradit ; 
Erlenntniß eurer Lage ift bie Macht, 

Der wiberficht Bin fein ib Führe y us ein Stahl; 
Den bie Det Einigkeit 

Und Einigkeit ie ie . "ale Bet. 


Du beutfches Arbeitsvolk, du Rieſenmacht, 

Wenn du nur willft vereint aufammengebn, 

Dir kann das Weltenrad nicht widerftehn — 

Du rollſt es vorwaͤrts aus der Nacht 
Ins ew'ge, hehre Sormenlicht Hin 

Dann leuchtet auch auf dich der Sonne Schein. — 


"En Jahr tft nun Ieitbem —— 
Seitdem das Herz des annes traf 
Die tale e Kugel, die zu em Schlaf 
Ihn an ie „alle Scholle fefleln ſollt'. — 

Der Leib des Meiſters rubt am dunklen Ort, 
Jedoch fein Geller Geiſt Iebt fort und fort. 


Unb feine Sänger Reben jet Er 


„Zerſtieben muß der finftre Freiheits aba! | 
da, Recht und Gleichheit auch dem Arbeitämann!* - 


So lehrt Laſſall', fo klingt auch unfer Wort, 
Sein Weg tft nur der wahre ganz allein! 
Ind mächtig ſchallt es durch Ir ol Reih'n: 


Er iſt es noch, uns ſchwebt —— Get boran, 





IEE/ 
= He. 
», Oftergloden läuten Er predigte Liebe und Freibelt 
Am Auferftehungstag Und Gleichheit mit ernftem Mund — 
Des Heilands, ber gewaltig Sie haben ihn drum ger igt 


Der Renfchheit Ketten brach Die Stellen waren zu w 


So kreuzigt man noch Jeden. 

Der von Freiheit und Gleichheit ſpricht; 
Das konnten ſie niemals vertragen 
Und können's noch immer nicht. 


an 





Wilhelm Hafenclenver. 


— ga Saß . — 


(1808.) 


Di armer Mann, ber bu fo Heiß, geliebt 

Dein theures Weib, das niemals dich betrübt, 
Es ftarb dahin vor Elend und vor Notb; 
Dein Sohn fand in der biut’gen Schladt den Tod, 
Du felbft biſt Hungernd, bift jo krank, ſo blaß — 
Was tft geblieben dir? — & blieb ber Haß. 


Das tit der Fluch, der auf der Arbeit ruht, 

Das Zeichen Kains in blutig⸗rother Gluth, 

Das dem Enterbten auf der Stirne flammt, 

gu Siechthum ihn, zu Leid md Tod verdammt. — 
u Tenneft dieſen Fluch, ohn' Unterlaß 

Auf diefem Fluche ruht dein ganzer Haß. 


Und die fih freuen über ſolchen Fluch, 

Der die Enterbten bis ins Leichentuch 
Berfolgt und hebt in namenlofer Bein — 

Ste preifen ihn beim vollen Glaſe Wein, 

Well er für fie die Scheuer füllt, das Faß — 

Auf dieſen Jubel wirf du deinen Haß! 


Wie ſchön iſt doch die Erde, o wie ſchön! 

Noch blickt man dhuſnatavol Bd Zimmelshöhn: : 
Dog hier auf Er das 

Vom Augenblid, ne ns der Pr hleß — 
Wir wollen bannen biefen Fluch, auf das 

Zur heil’gen Liebe werde unfer Haß. 


nl 
Serche und Febhuhn. 


(1878 hr aA au Zeig.) 


ie 8 ingt 
Dr gen A BEN on 


Da Hört fie unter fih tm Rohr 
Das feifte Rebhuhn fchläfrig lallen: 


„Du Thörin du, was ſoll bein Drang 
Nacdı retbeit, den du haft verkündet, 
Was fol dein ſchmetternder —I 
Der doch nur deine Bruſt entzündet? 


—8* höre wohl dein ſtolzes Lied 

dein ſtürmiſch Jubiliren 
weil dies Jahr das Korn gerieth, 
Werd' ich den Gleichmuth nicht verlieren. 








686 


Wilhelm Hafenclever. 


„Steh’ dort den Falken in der Höh', 
Ihm find verhaßt die Freiheitslieder, 
Du lockſt ihn nur zu eignem Web, 
Und jählings ftößt er auf dich nieder.“ 


Es klingt der Lerche Antwort jekt: 
„Uub follt’ ich dulden, ſollt' ich Leiden, 
Und ſollt' ich finfen bin zerfegt — 

Die Freiheit will ih drum nit meiden. 


„Gern gönn’ ich dir Die träge Ruh’, 
Gern gönn’ ih dir das öde Freflen: 
Ich jauchze auf, der Sonne zu, 

Du ſcharrſt im Kothe unterbeflen. 


„Und finge id ein Freiheitslied — 
Stößt dann der Falfe auf mich nieder: 
Ein ſchöner Tod, den mir befhid 
Der Freiheitsdrang durch meine Lieber. 


„Es ſprüht mein friſches jnnges Blut 
Zur Erde hin als warmer Regen — 
Und jedem Tropfen rother Gluth 
Entſprießt ein neuer Liederſegen.“ 


IE 
Die dentſche Karſeillaiſe. 


(als im November 1874 bie Freiſprechung derſelben durch das Berliner Kammergericht erfolgte.) 


„Wohlan, wer Recht und Wahrheit achtet 
Zu unſerer Fahne ſteht gu Hauf.“ 


SJafob Anborf. 

Bi biclen taufend freten Herzen 

Fand eine Stätte Audorf's Lied; 
Der Muth iſt nimmer auszumerzen, 
Der friſche Muth, den es beſchied. 
Kein Staatsanwalt, fein andrer Dränger, 
Auch nit die hohe Polizet, 
Ste fangen weder Lied noh Sänger — 
Zum Yang gehören Immer Zwei. 


Es tönt die Weiſe von Marfeille 
Durch alle Gau’n von Ort zu Ort, 
Eie ſchmettert fort und fort Reveille, 
Bis daß erwacht der Freiheit Hort. 
Sagt, wollt ihr dieſes Lied vernichten ? 
Nicht möglich, daß ed Ernft euch Set, 
Denn foldes Trachten, foldes Dichten 
Wär’ mehr ald Donquixoterei. 





Wilhelm Hnfenclever. 687 


Denn, wenn ihr ftürmt mit flolger Lanze 
In donnerndem Galopp baber, Ä 
Das Lied entflieht im Ringeltanze 

Und Iodt euch in die Kreuz und Quer; 
Glaubt ihr den Flüchtling zu erhaſchen, 
Dann fehteßt er rafh an euch vorbei, 
An euren Lanzen und Pallafchen 

Und fpottet eurem Kampfgeſchrei. 


Drum Hüger war ja au) der Richter, 

Er trat nit ein in eure Neihn, 

Er hat das Lied und hat den Dichter 
Befreit von ſolchen Pladerein. — 

Nun fteigt das Lied in mächt'gen Klängen - 
Empor und lodt das Volt berbet, 

Und and den braufenden Gefängen 
Ertönt’3: „Die Menſchheit werde frei!” 


Ja, fret und gleih und glücklich Alle — 
Der Reihe und der Proletar, 

Ste foll’n von diefem Erdenballe 
Verſchwinden einft für immerdar,; 
Das ift ein frifches, ſchoͤnes Ringen 

Gen’ Sklaverei und Tyrannei. — 

Und endlich wird ein Lied ung fingen, 
Daß num die Welt erlöfet jet. 


Be 
++ Sum Sampf! + 


(1866.) 


Wi ziehen in den Heil’gen Streit 
Tür Freiheit, Menfchenredite; 
Wir wol’n nit Einzelherrlichkeit, 
Mir wollen feine Knechte. 

Und unfre Waffe, unfre Kraft, 

Es ift die echte Wiflenichaft, 

Ste tft mit unfrer ade. 


Und einig wir zufammenjtehn, 

Ein Wal, fo feft wie Eiſen, 

Auf dem der Freiheit Banner wehn, 
Der Menſchheit Recht zu pretien. 
Unzwingbar aller Feindeswuth, 

So ftehen wir mit feſtem Muth: 
Es gilt der Menſchheit Sadıe. 


688 


Wilhelm Oajenclever. 


3 r, tn unfrer Einigkeit, 


r liegt da8 Gelingen: 
fönnen wir in ae onen 


Er = Bi ett, auf bi ton 
Wird einft ber Tempel dieſer Welt: 
Der Menſchheit Heil’ge Sache. 


Wohl giebt es Feinde überall, 


Wir lachen ihnen ind Gef 
Ob ihrer kleinen Sade! H 


Der Menſch fet Menſch! Und alle gleich, 
Das wo zen wir oc dam 


0.70 
— LKiperal. — 


—X 


Bi bift nicht Hug, du bift nicht dum 
Du bift nicht g’rad, du bi nicht Ken, 
Du bift nicht [öl t, du bift nicht gut, 

Haft weder kalt's, noch A: Blut. 


dr — ee nur für Did, 16; 
e Knechtſcha en mid; 

oben —55 Hi den bu. 

Ar unten ſchaͤrfſt die Krallen zu. 


Und Oreichheit willft für Jedermann, 
Der ſolche Gleichheit achten Tann, 
Wo Einer fchafft, der Andre praßt, 
Wo Eine blüht, die Andre blaßt. 


Und Menſchenliebe übft du auch, 
Doch darf’ nichts often deinem Bauch — 
Dein Schwert tft ftumpf, bein Wit iſt ſchal; 
Wie iſt dein Name: „Liberal!“ 


IR IT 

















Anhang. 
















Konrad Telmann 


(Konrad Hitelmann), wurde geboren 26. November 1854 zu Stettin, 
lebte zuerft in Mentone, vermählte fih 1891 mit der Malerin Hermine 
S| von Preufhen. Starb am 24. Januar 1897 in Rom. 





nenn 


— gen Kommenden. — 


Wenn einft die Stunde fommt, für die wir ftreiten, 
Der unf’rer Herzen heißes Ringen gilt, 

Ihr Brüder, denen wir den Tag bereiten, 

Ihr Kommenden in lichten Zufunftäweiten, 
Gedenkt auch unfer dann erinn’rungsmild ! 


Wir weihten euch die Unraft unf’rer Tage, 

Euch un rer Nächte hoffnungsſchwangern Sram, 
Wir ſchufen Bahn mit hartem Schwertesſchlage, 
Euch galt der Todtgeweihten Ruhm und Klage, 

Bis eures Frühroths junges Leuchten kam. 


Wir aber ſchauten nur vom Felſenkamme 

Gleich Moſes ſterbend ins gelobte Land, 

In wunder Seele heilger Sehnſucht Flamme, 
Zu Füßen ſah'n dem auserwählten Stamme 
Die Bahn des Sieges ſchimmernd wir geſpannt. 


Ihr Glücklichen, die unter hell'ren Sonnen 

Ein Reich des Friedens Gune ſich erbaut, 

Die reinen Menſchthums Blüthe ſich gewonnen, 
Seit unſ'rer Kämpfe Qual und Gluth verronnen, 
Wir haben euch und eurem Stern vertraut. 


Wir grüßten euch mit letztem Herzenspochen, 

Ihr ward uns Ziel und Troſt, Panier und Schwert. 
Und was das Werde eurer Zeit geſprochen, 

Aus unſ'rer Aſche iſt die Gluth gebrochen; 

Die ſtill umlodert eures Friedens Herd. 


So richtet mild, auch wo wir ringend irrten, 

Wo unſer taſtend Sehnen ſchwer gefehlt, 

Der Ketten denkt, die unſern Fuß umklirrten, 

Als klein der Schwarm ſich ſonder Heim und Hirten 
Lichthungrig eurer Zukunft Pfad gewählt. 


ar 








692 Konrad Telmann. 


Sektzer Zuuſch. 


aßt mich im Grabe nicht vermodern, 

Hört meiner Seele heiß Begehr: 
Laßt meinen Leib in Flammen lodern, 
Und meine Aſche freut ins Meer! 


Mit meinem Denken, meinem Wollen, 
Mit ungeftümer Wünſche Brand, 

Mitt heißem Lieben, wildem Grollen 
Dem Feuer fühl’ ich mich verwandt. 


Und fühle mid verwandt dem Meere, 
Das einft mein astegenlieh geraufcht. 
Dem Tag um Tag das leidensſchwere, 
Das troftberaubte Herz noch lauſcht. 


So brech' in Fenersgluth zufammen 
Mit meinem Leib die irre Dual, 

Die heiße Sehnſucht, die in Flammen 
Durchzuckt ihn und zermalmt einmal. 


So fpüle das, was ich geweien, 

Die Welle fort, wenn fie zerſchellt — 
Es fet der Hauch von meinem Wefen 
Den Elementen zugefellt. 


Er geb’ in ihnen auf und ſchwinde 
Und laſſe nirgend eine Spur, 
Es tragen Wellen ihn und Winde 
Helm zur Erzeugerin Natur | 


Fortlebend dann möcht’ ich mich wähnen 
In Windesweh’n, im Wellenftreit. 

Nicht glauben Tanın ich, nicht erfehnen 
Die andere Unfterblichkett. 


Laßt mi im Grabe nicht vermodern, 
Hört meiner Seele heiß Begehr : 

Laßt meinen Leib in Flammen lodern, 
Und meine Aſche ftreut ind Meer | 


227, 















Sriedrich Theodor v. Difcher, 


eboren 30. Juni 1807 zu Ludwigsburg, flubirte Theologie, wurbe 1866 
Rrofeflor der Aeſthetik in Stuttgart, war begeifterter Hegelianer. Gtarb 
am 14. September 1887 in Gemunben. 







BGlanbensbekenntniß ——— 


ir haben keinen 
Lieben Vater im Himmel. 

Sei mit dir im Reinen! 
Man muß aushalten im Weltgetümmel 
Auch ohne das. 
Was ich Alles las 
Bei gläubigen Philoſophen, 
Lockt keinen Hund vom Ofen. 
Wär' einer droben in Wolkenhöhn 
Und würde das Schauſpiel mitanſehn, 
Wie mitleidslos, wie teufliſch wild 
Thier gegen Thier und Menſchenbild 
Menſch gegen Thier und Menſchenbild 
Wüthet mit Zahn, mit Gift und Stahl, 
Mit ausgeſonnener Folterqual, 
Sein Saterberg wird’ es nicht ertragen, 
Mit Donnerfeilen würd’ er drein fchlagen, 
Mit taufend heiligen Donnerwettern 
Würd’ er die Henkerknechte zerjchmettern. 
Meint ihr, er werde in anderen Welten 
Hintennach Bös und Gut vergelten, 
Ein graufam hingemordetes Leben 
gut ergütung in feinen Himmel heben? 

‚ wenn fie erwacdhten in anderen Fluren, 
Die zu Tod gemarterten Kreaturen: 
„I danke!” würden ſie jagen, 
„Möcht' es nicht noch einmal wagen. 
Es ift überftanden. Es iſt gefchehen. 
Schließ' mir die Augen, mag nicht? mehr fehen. 
Leben iſt Leben. Wo irgend Leben, 
Wird es auch eine Natur wieder geben, 
Und in der Natur tft fein Erbarmen, 
Da werden auch wieder Menfchen fen, 
Die könnten wie dazumal mich umarmen — 
O, leg’ in's Grab mich wieder hinein !* 





694 Sriedrih Theodor v. Viſcher. 


Wer aber lebt, muß es Kar ſich jagen: 
Durch dies Veben ſich durchzuſchlagen, 
Das will ein Stück Rohheit. 
Wohl dir, wenn du das haſt erfahren 
Und fannft dir dennoch retten und wahren 
Der Seele Hoheit. 
In Seelen, die dad Leben außhalten 
Und Mitleid üben und menſchlich walten, 
Mit vereinten Waffen 
Wirken und Schaffen 
Troß Hohn und Spott, 

Da tft Gott. 


2 
— RWeiettrennen. — 


Keute ergteßt fih die Welt, das Nennen der Roſſe zu fehen, 
Wagen an Wagen gedrängt, ftürzen fte raſſelnd hinaus, 
Hent wie ein Blumenfeld erglänzet die Blüthe der Schönbeit 
In des leuchtenden Schmudd voller beraufchender Pracht. 
Selber Ienfet dad Roß am Scharlachband die Lorette, 
arttudes Viergeſpann leitet der ſchlanke Jockey. 

gsum gaffet das Volk und nad) dem beneideten Glanze 
Lecken die Bürger der Stadt gierig den lüſternen Mund. 
Aber wer kann, fährt mit, es fchleppt ben gemietheten Wagen, 
Blutend von viehtfhem Hieb, Feuchend der Klepper dahin. 
Könnt’ ich reiten nur eine der Kreaturen, der armen, 
Aus des Peinigers Fauft, gäb’ ich die Menſchen daran. 
Grafen, Barone und Lords, Sportömen und wettende Narren 
Mit dem ſämmtlichen Wolf, welhes den Schwindel beglogt. 
Möchten fie Arme und Beine nur immer breden! Ein Gaul tft 
Wahrlich immer noch mehr werth, al3 dag ganze Geſchmeis. 




















geboren am A. Februar 1850 in Hannover, hatte als Politiker und 
itterat gahlreihe Kämpfe mit den Behörden auszufechten, wurde mehr- 
mals zu längeren Freiheitsſtrafen verurtheilt, fett 1831 ſozialdemokratiſcher 
Reichſtagsabgeordneter und feit einer Reihe von Jahren Redalteur |, 

im „Hamburger Echo“. 








———— Jolkerlenz. — 


(1891.) 


Lortin: wird num des edlen Dichter Singen: 
„Wie eine Jahreszeit kommt die neue Zeit!” *) 

Die MWeltafforde ihres Geiſtes Elingen, 

Ein heil’ger Geift, im lichten Strahlentleid 

Die Welt durchbraufend wie auf Sturmesſchwingen, 

Daß er die Dienfchheit neuen Zielen mweiht! 

Es flieht die Nacht, und alle Feſſeln fpringen 

Bor dieſes Geiſtes allgewalt’gem Ringen. 


Da3 Leben lag umnadtet und gebunden, 

Geſchieden, eng umgrenzt von Raum und Zeit, 

Und jeden Kreis bielt eine Macht umwunden, 

Die ihn der Herrihaft ſchnöder Willfür weiht ; 

Die Menichheit blutete aus taufend Wunden, 

Und fam ein Held zur Hilfe kühn bereit — 

Ach, welch ein Wehruf tönt aus alten Tagen! — 
Ward er mit Hohn und Spott ans Kreaz geſchlagen. 


Das „Kreuzigt ihn!” zwar immer nod) entgegen 
Es grimmig laut dem Freund des Volkes tönt, 
Noch mangelt und der wahre Gotteöfegen, 

Des ew'gen Rechtes, das die Welt verföhnt, 
Noch wird der Wahrheit Mahnen allerwegen 
Bon Lüg' umd Thorheit fonder Scheu verhöhnt, 
. Dog [ae fie nimmermehr zu Grab fich beiten, 
Und ſiegend fpottet fie der Feinde Ketten. 


Der Geiſt ift frei! Und alle guten Mächte 

Im behren Bündniß wirken auf ein Biel: 

Daß Menſch nicht mehr den Menſchen ſchmachvoll knechte, 
Wie's Willkür, Stolz und frommem Wahn gefiel; 
Man fordert laut der Menfchheit Heil’ge Rechte — 
Und fehlt an der Erfüllung auch noch viel: 

Bertraut dem Geiſt, der fret beherrſcht das Leben, 
Ihm neuen Inhalt, neue Form zu geben! 


°) Herder. 


696 


8. 5. E. Frohme. 


Was überbrauft Die Erde fenerfprübend, 

Durchfurcht das Dieer mit wunderbarer Haft? 

Was ftampft und hämmert durch die Nächte glühend ? 
Was Ihafft und fördert ohne Ruh' und Raſt 

Viel mehr, als ob Millionen Hände, mühend 

In Qual und Noth, der Arbeit Werk erfaßt? 

Es iſt der Geift, der ſiegend nene Waffen 

Sich au dem Reichthum der Natur gejchaffen! 


Das Leben wogt und macht die Schranken fallen! 
Bon Bol zu Pol ergießt fi raſch die Fluth; 
Gedffnet find der Erde weite Hallen, 

Der Norden miiht fh mit des Südens Gluth: 
Die Laute aller Zungen hört man fallen, 
Erwedend neue Hoffnung, neuen Muih 

Dem Volt der Arbeit ring in allen Banden, 
Das feufzend ringt in fchweren Elend Banden. 


Wohin wir auch erftaunt die Blicke wenden, 

Das Recht der Arbeit bricht fich flegend Bahn: 
Bor’m Licht der Wahrheit ſchwindet aller Enden 
Der Maſſen Unverftand, der falſche Wahn! 

Der Kampf des Geiſtes wird dad Werk vollenden, 
Die Naht entweicht, ein neuer Tag bridt an; 
„Die Himmelöfadel firahlt nit Ewigblinden,“ — 
Nein, Sehenden, den Weg des Heils zu finden! 


Sp hat die Macht des Menſchthums ſich erfchloflen, 
Aus Geift und Kraft gehn Licht und Freiheit auf, 
Wie unaufhaltfam ſich das Meer ergoflen, 

Wie die Geftirne nehmen ihren Sauf: | 

Millionen Strahlen find in Eins gefloffen, 

Ein ſchön'rer Tag des Lebens fteigt herauf, 

Und wie ohn' Ende Wind und Wetter fließen, 
Muß Licht und Kraft ſtets freier ſich erfchließen. 


DO, glaubt dem Wort, au tiefitem Geift entiprungen: 
„Die Weltgeihichte ift das Weltgericht.“ 

Der Pfad der Menſchheit tft nicht wirr verfchlungen, 
Er führt zum Menſchenrecht, zur Menfchenpflicht, 

Wie fie feither im Kampf ſich aufgerungen,; :) 

Sie ringt aud) fortan ſich aug Naht zum Licht, 

Nicht kann die Willfür ihren Fortichritt hemmen 

Und feine Macht kann fih dagegen ſtemmen! 





8. F. E. Frohme. 697 


Platz für den Seiſft der nenen Seit! 


ft e8 denn wahr, wird nie fih wenden 
Der Menfchhett jemmerballed Sı Br 
Wird nie ihr ſchmerzlich Sehnen end 
. Nie Freude blühn in ihrem ho 
O nein, o nen! IH kann's nicht glauben 
Und wüdfe ftündlih auch das Leid, 
Ich laß die Hoffnung mir nit rauben 
Auf eine beff’re, ſchön're Zeit! 


Wohl ſitz' ich oft in ſtillen Rüchten 

Und traw’re bis zum Morg gengramn 

Wenn von der Selbftiudht IB: en en Sneäten 

Mir Teiner kann ind Auge | 

Wohl ballt auch oft im — Srhnme 

Sid meine Fauſt, doch ſtets befreit 

Bom Web mid der Geſchichte Stimme: 
„Vertrau' dem Getft ber neuen Zeit!” 


Die Stimme fann den Gram bezwingen, 
Die bringt dem Herzen friſchen u 
Und ftäblet e8 zu neuem Ringen 

In herrlicher Degeift’rung Gluth. — 
Was fol dad Tramern?! Diefes Auge, 
Es Lünde ſtolze Männlichkeit, 

Es zeuge, daß am Kampf ih tauge — 
Sp will’& der Geift der neuen Zeit! 


Mit ihm zum Kampf! -Hter gilt fein Sagen 
Und feine lange, bange Wahl — 

Frei werden, oder Ketten tragen — — 
Wem macht fol eine Wahl wohl Dual?! 
Frei Werken, | fret und — werden 

Durch dich, Göttin Oerechtigteit 

Soll jedes Volk rings auf der Erden — 
Du lügft nicht, Geiſt der neuen Zeit! 


Was du verfprichft, du wirft es halten, 
Du führeft nicht umfonft den Krieg 
Gen all’ die finftren Truggewalten; , 
Dir wird in dieſem Krie eg der Sieg’ 
Will mich zum lb lem tr verbünden, 
N dir ein Herold fein im Streit 
Und fterbend felbft noch freudig künden: 
Platz für den Geift der neuen Zeit! 


or 


698 


8. 5. E. Frohme. 


— — —ñ — 


— — Katnr und Bafh. | 


3 wirkt Natur in ihren weiten Reichen 
Nach feitem Plan, nad) dauernden Geſetzen, 
Ein ewig Schaffen, Stürzen und Zerfeßen, 
Ein Ineinanderweben fonder Gleichen. 


Zum Guten bildend das vermeintlich Schlechte, 
Zu Riefenlörpern die Atome einend, 

In ſchönſter Harmonte, nur feindlich ſcheinend, 
Berftedt und offen treiben taufend Mächte. 


Laß Meiſt'rin die Natur dir immer jetn 
Geplagter Menſch, von ihrem Wirfen Ierne 
Die Lleinfte Kraft dem Dienft im Ganzen weihn. 


Nicht in erträumter, märchenhafter Ferne 
Sud’ bir dein Glüd, halt dich ans eigne Sein! 
„Sn deiner Bruft find deines Schickſals Sterne!” 


fs 
— — 3deale. — 
Nn guehet mich, ihr holden Lichtgeſtalten, 


Ihr Friedenskinder, meine Ideale! 
Reicht mir den Zaubertrank aus goldner Schale 
Darin die ew'ge Jugendkraft enthalten, 


Daß ſich mein Geiſt mög', eurer werth, entfalten 
So lang', bis Rn; er freift zum lebten Male, 
Daß er der Menjchhett feine Schuld bezahle 

Sm harten Kampf gen feindliche Gewalten ! 


Einft fommt die Zeit, o wär’ fie nicht mehr weit, 
Menn diefer Kampf voll Muthes auögeftritten, 
Wo euch fein Läftermund mehr frech entweiht. 


Ich ſeh' im Geift, wenn lang’ ich auögelttten, 


Euch als volllomm’ne ſchöne Wirklichkeit, 
Als Körper-Gottheit in der Menſchen Mitten! 


RR 












Friedrich Stolße, 


geboren am 21. November 1816 zu Frankfurt a. M., madte fi als 
Dialeltpichter einen Namen und mar Heraudgeber der „Frankfurter 
Zaterne”. Er ftarb dafeldft im Zahre 1891 am 28. Auguft. 


Miqel o Michel, der über die Ohren, 
SI” Yeber die Augen die Velzkapp gezogen, 
Kann man dich denfen als Denfer geboren, 
Welchem zugleih auch Apollo gewogen ? 


Wer kann dir helfen und wer fann dir rathen? 
Wer Tann dich warnen, wer wahren vor Kummer? 
Andere werden doch Llüger durch Schaden, 

Du wirft durh Schaden nur dummer uud dummer. 


Offenen Maules und felia im Glauben 

Und im Bewußtfeln des Chriſten und Weijen 
arrft du und Hoffft auf gebratene Tauben, 
elche dir Pfarrer und Amtmann verbeißen. 


Zieht über'n Schädel man at auch das Fell dir 
Gleihiwie der Mebger dad Vließ eines Bockes, 
Lächelſt du pfiffig, als wär ein Pedell dir 
Dienſtreich behüflich beim Anzieh'n de Rockes. 


Saget dir Ener: „Se mehr als du zahleſt, 

Um fo viel reicher dann mußt du auch werden,” 
Nickſt du und freuft Dich und lächelſt und ftrahleft, — 
O du unfeligfter Efel auf Erden! 


Se Dich zu beffern, was wäre vergebens ; 

Eine Methode, wer Tann fie erflügeln? 

Wie du ein Denker geweſen zeitlebens, 

Wirft du ald Engel ein Strohwiſch mit Flügeln. 


Michel als Seele, als himmliſch verklärte ! 
Michel mit Schwingen, o, Michel alö Flieger! 
Michel, der Heros germaniicher Erde 

Neben Saukt Michel, dem Drachenbefieger ! 


Laßt und noch hoffen, er ändert fi plöglich 

Und tritt dann ftolz auf und wild auf umd frei auf; 
Wenn er in Wuth fommt tft Michel entfehlih, — 
Statt einer Pelzkapp fett er dann zwet auf! 


Ge 


Friedrich Stolke. 


Aus dem Prolog: Sur Börner Säknlarfeier. 


Was tft der Tod mit feinem Banne? 

Er bannt nicht, was und Börne gab! 

Ein Herz kann nicht in Staub erfüllen, 

Wird nicht bon Todesnacht umhüllt, 
Ein Herz, das fo im Ueberwallen 

Bon Menſchenliebe war erfüllt. 

Dem Manne Preis, der, ohne Zagen, 

Selbftlos und ohne Ruhınbegter, 

Dez Rechtes Leu te Boıpetragen, 

Der Freiheit muth'ger Pionier; 

Ein Bred’ger in der Wüſte, Fündend, 

Was er tn Haupt und Seele trug, 

Und gottbegeiftert, bis es zündend, 

Entflammend in bie erzen —— 

Ein Geiſt, die ganze Welt umf 

Den ganzen, großen Ft 

Und doch vom Vaterland nicht [affen, 


An dem fein Fan mit Liebe h Ding, 
Grunddeutfch fein Denten ‚Dbne anken, 


Dem Volk ein beſſ'rer A ung 
Wie jener mit den — en; 

Sein Wort war Blüthe, Kraft und Schwung! 
Geiſtſprühend! Oft ein Schwert in Roſen, 
Doch den Verfolgten ein Aſyl; 

Spott und Humor den mächt’gen Großen, 
Doch Freiheit al fein Zwed und Ziel! 
Entzweite Völker zu ver\öhnen, 

Daß fie gemeine Hand 

Das hohe Werk der —5 Frönen, 

Es war fein Herz dafür entbrannt. 

Wie edel all en heißed Streben 

Und feine Seele, frei und groß, 

So rein war and) fein ganzes Leben, 

So fledenlo3, fo makellos. — 

So feiert ihn! Nicht eine Wolfe 

Trübt fein Gedächtniß drüben ber, 

Und treuer hat's mit feinem Volke 

Gemeint noch Keiner als wie er. 







ee TUT — ———— — 







Auguſt Graf von Platen, 


eb. am 24. Oktober 1796 in Ansbach, lebte feit 1826 in Italien und 
b am 5. Dezember 1835 in Syrakus. Platen verfaßte eine geößere 
Anzahl formvollendeter Dramen und Gedichte. 


+ Bas Hei der Seile. 


8 lag ein Wütherich auf gold’nem Kiſſen, 
Und fchlief; da kamen fürdterlihe Träume 
Ihm in’ Gemüth, gleich wilden Schlangenbiſſen: 


Sie führten um in außerirdiihe Räume, 
Bom Reich der Geifter er fübte er fih umfangen, 
Das ewig Har und ohne Wolfenfäume; 


Fitſerug war ihm, was die Geiſter ſangen, 
Wie einſt Tarquin vom Brutus ward vertrieben, 
Und wie Hipparchos nicht dem Tod entgangen. 


Und folde Frevler wagt man bier zu Lieben, 
So denft er bei fich ſelbſt, wo ift bie Achtung 
Für jeden Machtſpruch, den ich ausgefchrieben ? 


Was will die Sonne bier, da längft Umnachtung 
Ich über’n Horizont der Welt verbreitet, 
Wo jeder kniet vor mir in Selbfwerachtung? 


Und „ieh ein Mann mit —* Stirne ſchreitet 
An i n heran und ruft: Bejammernsweriher, 
Welch' Schreckenſchickſal iſt dir bier bereitet! 


ter herrfcht die Freiheit ſtets in unbeſchwerter 
edankenruh', du kannſt fie nicht Magen 
Ohnmaͤchtig And bier alle deine Schwerter | 


Doch will zuerft ich, wer ich fet, Dir ſagen: 
Ich bin der gb: flor he Dichter, 
Nach deflen du magft Ravenna fragen: 


30 war. den Sünden meiner Zeit ein Richter; 
Doch ımter allen, welche ſchon verweſen, 
Erreichte keiner di und bein Gelichter ! 





702 


Auguft Graf von Platen. 


Was wird man einft anf deinem Grabe Iefen, 
Der du zugleich Herodes gegen Kinder, 
Und gegen Männer Gzzelin geweſen! 


Ein Unterdrüder, nicht ein Ueberwinder; 
Gezeugt von einer fhauderbaren Lemure, 
Und dann gepropft noch auf den Stamm der Schinder! 


Sohn eined Bankerts, Enkel emer 9. . ., 
Vernimmſt du nicht, daß alle dich begrüßen: 
Rehabeam, wie fteht’3 mit deinem Schwure? 


Hier Haft du nun die graufe Schuld zu büßen: 
Die Lebten felbft im Reich der Geifter grollen 
Dir ind Gefiht und treten Dich mit Füßen! 


Gehorſam wußte dir die Welt zu zollen! 
Dort nannten Schurfen dich Jogar den Frommen, 
Hier wär's Verbrechen, dir geboren wollen! 


Wo find die Sklaven alle hingekommen 
Die unterwürfig ihrem Herrn und Meifter 
Jedweden blutigen Frevel übernommen? 


Hier gilt Geſetz, Hier äußert fi in freifter 
Thatfraft die Tugend, die du baft gelogen: 
Hter giltft du nichts, du bift im Reich der Geiſter. 


Wie haben deine Schmeichler dich betrogen ! 
Nun wirft du (wer gedächte dich zu Tchonen ?) 
Zur ungeheuren Rechenſchaft gezogen ! 


Bernimm! Bon allen jenen Millionen, 
Die du geftürzt in Jammer und in Klage, 
Die du gefchleppt in fürditerliche Zonen, 


Bon allen, denen du verfürzt die Tage, 
War jeder Menſch wie du, der Seelenwäger 
Hat fie gewogen auf derfelden Waage: 


Bald ftehn fie alle gegen dich, die Klaͤger, 
Wann ihre Zähren fih zum Strom vermählen, 
Aus dem du fchöpfen folft als Waflerträger! 


Vom König Kodrus will ich dir erzählen, 


Der in den Tod ging, um fein Voll zu retten: 
Deind muß fich deinethalb zu Tode quälen! 





Auguft Graf von Blaten. 


Und noch auf Lorbeern wähnft du dich zu beiten, 
Wie deine Schmeichler dir es vor ıgeplaubert 
Tyrann, erſtick in deinen eig’nen Ketten! 


Er ſpricht's. Der Wütherih erwacht und fchaudert. 


N. 4 


—— einen Hltre — 


» rühmft bie Seit, in meldher deine Kaſte 
Genoß ein ruhig Glü 

Was aber, außer eine Buberquafte, 

Ließ jene gold’ne Zeit zurüd? 


Kann bloß Vergangnes dein Gemüth ergötzen, 
Nicht friihe, warme That? 

Mas blickſt du rüdwärts nach ben alten Götzen, 
Wie Julian, der Apoftat? 


Es führt die Freiheit Ihrem gold’nen Morgen 
Sm Strahlenglanz herbei | 
Im Finftern, fagft du, li fie lang verborgen: 
Das war die Schuld der Tyrannet. 


Wer ſpräche laut, wenn’3 ein Depot verwehret, 
Der allen ſchließl den Mund? 

Selbſt Chriſti Wort, das alle Welt verehret, 
War lang nur ein geheimer Bund. 


Nicht Böſe blos verbergen ihre Thaten, 
Auch Tugend hüllt fi ein: 

Das Baterland, auf offnem Markt verrathen, 
Weint feine Thränen ganz allein. 


Den Herrſcher, Icolt du, fol ein Zepter zieren, 
Das unumfchränft befiehlt, 

Als find’ ein Menſch er wiſchen wilden Thieren 
Nach denen ſeine Flinte zielt! 


Du willſt der Rede ſetzen füre Schranke, 
Einkerkern Schrift und Wort? 

Umſonſt! Es wälzt —* —* Sluthgedanke 
Bacchantiſch und unſterblich fort! 


Umſonſt, Verſtockter, tadelft du das Neue, 
Allmächtig Der die Zeit: 

Zar eine fhöne Tugen hir die Treue, 
Dog ſchöner tft Gerechtigkeit 





703 





704 Auguft Graf von Platen. 


Und ift e8 nur, was der Weltgemeinde 
he Bar und Glanz, 


en Karl 3 ſeinem Feinde, 
Dem —X N Iderhehder Franz? 


Und ſollt' ich fterben einft wie Ullrich Hutten 
Berlafien und allein, 

tehn ben Heuchlern will ih ihre Kutten: 
Nicht lohnt's der Mühe, ſchlecht zu fein! 


DIZER 


—— Spigramme. = — 
Richt wo Sophofles einft trug Sränze, regierte der Pöbel; 
pas Yen 
g a nnig verſchw e Fre 
Hebt ein gelaͤutertes Bolt über den „Pöbel empor. 


* 


Freiheit, ſelbſt wenn ſtürmiſch und wild, weckt mächtigen Genins: 
Mög’ ed begen en Athen, mög’ e8 bewähren Florenz, 
Wo an währen fe ftand, aufwuchern Talent an Talent ſah; 
Aber fie fiel, und zugleich alle Talente mit ihr. 
* 


Schlechtes verbieteſt du leicht; doch gegen des Genius ee 
— vn BB —— — 
r u as Genie zu beherrſchen, beherrſcheſt du ens 
Blos des Genie's Leichnam, welchen die Seele verließ. 


* 


Unglückſeliges Land, wo ſtets militärjeſuitiſch 
Söldner und Pfaffen zugleich ſaugten am Marke des Volkes. 


PINS 
















Detlev von Eiliencron 


geboren 3. Juni 1844 zu Kiel, nahm ala Difixier am deutfch:ölterreichiichen | 
und beutfch-franzöfifhen Kriege theil. Sehr fruchtbarer Dichter. Lebt 
gegenwärtig in Altona bei Hamburg. | 








DDDDDODOYDOD. 


4 na. „Stil es be ‚seskfang,”; 
Didder ü g til eu be Jaght, 
rit es de Strönthgang, 
j lt es be Naght, 
rit ed de See, be wilbe See 
ber Hörnemmer Rhee.“ 


Di: Amtmann von Tondern, Henning Pogwiſch, 
Schlägt wit der Fauft auf den Eichenttiih: - 
Heut fahr’ ich felber hinüber nah Eylt, 
Und hol’ mir mit eigner Hard Zins und Gült. 
Und kann ich die Abgaben der Fiſcher nicht fallen, 
Sollen fie Nafen und Ohren laflen, 
Und ich Höhn’ Ihrem Wort: 

Lewwer duad üs Slaap!**) 


Im Schiff vorn der Ritter, panzerbewehrt, 
Stützt finſter ſich auf ſein langes Schwert. 
Hinter ihm von der hohen Geiſtlichkeit 
Steht Jürgen, der Prieſter, befliſſen, bereit. 
Er reibt die Hände, er bückt den Nacken: 
Der Obrigkeit helf' ich, die Freoler zu packen; 
In den Pfuhl das Wort: 
Lewwer duad üs Slaab! 


Für Hörnum hat die Prunkbarke ben Schnabel gewetzt, 
Ihr folgen Die Ewer, kriegsvolkbeſetzt. 
Und e3 Intrichen die Kiele auf den Sand, | 
Und der Ritter, der Prieſter fpringen ans Land, _ 
Und waffenraffelnd Hinter den Beiden 
Entreißen die Söldner die Klingen den Scheiben. 
Nun gilt es, riefen: 

Lewwer duad üs Slaav! 


Die Knechte umzingeln das erite Hauß, 

Pidder Lüng ſchaut verwundert zum Fenſter hinaus. 
Der Ritter, der Briefter treten allein 

Ueber die ärmlide Schwelle hinein. 


° Be ber Fiſchfang, 





rei iſt die Jagd, 
rei Ift der Strandgang, 
Frei ift Die Nacht, 
Frei in die Sce, Die wilde See 
In der Hörnumer Bucht. 
s“) Niebec tot als Sllup! 45 


__ Detlen von Lilieneron. 


Des langen Peters ftarkzählige. Sippe 

Sitt grad an der fargen Mittagdfrippe. 

Jetzt zeige dich, Pidder: | 
Lewwer duad üs Slaab! 


Der Ritter verneigt ſich mit hämiſchem Hohn, 
Der Prieſter will anheben ſeinen Sermon. 
Der Ritter nimmt ſpöttiſch den Helm vom Haupt 
Und verbeugt ſich noch einmal: Ihr erlaubt, 
Daß wir euch ſtören bei eurem Eſſen, 
Bringt ſchleunig den Zehnten, den ihr vergeſſen, 
Und euer Spruch iſt ein Dreck: 
Lewwer duad üs Slaav! 


Da reckt ſich Pidder, ſteht wie der Baum: 
Henning Pogwiſch, halt deine Reden im Zaum, 
Wir waren der Steuern von jeher frei, 

Und ob du ſie wünſcheſt, iſt uns einerlei. 

Zieh' ab mit deinen Hungergeſellen, 

Hörſt du nicht ſchon meine Hunde bellen? 

Und das Wort bleibt ſtehn: 
Lewwer duad üs Slam! 


Bettelpack, fährt ihn der Amtmann an, 

Und die Stirnader ſchwillt dem geſchienten Mann: 

Du frißt deinen Grünkohl nicht eher auf, 

Als bis dein Geld hier liegt zu Hauf. 

Der Prieſter ziſchelt von Trotzkopf und Bücken 

Und verkriecht ſich hinter des Eiſernen Rücken. 

O Wort geh nicht unter: | 
Lewwer duad üs Slaan! 


Püdder Lüng ftarrt wie wirrfinnig den Amtmann an, 
Immer heftiger in Wuth geräth der Tyrann, 

Und er ſpeit in den dampfenden Kohl hinein: 

Nun geh an deinen Trog, du Schwein! 

Und er will, um die peinliche Stunde zu enden, 
Zu feinen Leuten nad außen fich wenden. 

Dumpf tönt’3 aus der Ede: | “ 
Lewwer duad üs Slaav! 


Einen einzigen Sprung hat Pidder gethan, 
Er fchleppt an den Napf den Amtmann heran, 
Und taucht ihm den Kopf ein uud läßt ihn nicht frei, 
Bis der Ritter erftict ift im glühheißen Brei. 
Die Fäuſte dann laſſend vom furchtbaren Gittern, 
Brüllt er, die Thüren und Wände zittern, 
Das ſtolze Wort: 

Lewwer duad üs Slaabl! 





— Detlev von Liliencron. 





Der Briefter liegt ohnmächtig ihm am Fuß, 
Die Häfcher ftinmen mit Hölliihem Gruß, 
Durchbohren den Fiſcher und zerren ihn fort, 
Sn den Dünen, im Dorf rafen Meffer und Mord. 
Pidder Lüng doch, che fie garz ihn verderben, 
Ruft no einmal im Leben, im Sterben 
Sein Herrenwort: | 

Lewwer duad üs Glanv! 


es 
— - Am Bali. — 


x oa r. 
EN Mittageflen fünf Tage ſchon. 
Die Heimath fo weit, fein Geld und Tein Lohn, 
Statt Arbeit zu finden, nur Hunger und Noth, 
Nur wandern und beiten und faum ein Stück Brot. 


< — , Karen 
Was biegt der Handwerföburf in den Wald? 
Was Läuft ihm über's Geſicht fo kalt? 
Was ſieht er troſtlos in den Raum? 
Was irrt ſein Auge von Baum zu Baum? 


Die Sonne ſinkt und Stille ringsum, 

Die Droſſel nur lärmt noch, ſonſt Alles ſtumm, 
Was ſchaukelt der Erlbaum am Waldesrand? 
In ſeinen Aeſten ein Menſch verſchwand. 


Von ſeinem ärmlichen Bündel den Strick, 

Er legt um den Hals ihn, um Wirbel, Genick, 
Dann läßt er ſich fallen — nur kurz iſt die Qual, 
Er ſah die Sonne zum letzten Mal. 


Der yon fällt auf ihn, der Tag erwadt, 
Der Birol flötet, der Tauber lacht. 

Es lebt und webt, ald wär’ nicht geſcheh'n, 
Gleichgültig wispern die Winde und weh'n. 


Ein Säger fommt den Hügel herab 

Und fieht den Erhängten und fchneidet ihn ab, 
Und madt der Behörde die Anzeige ſchnell; 
Gendarmen und Träger find bald zur Stell! 


In hellen Glacee3 ein Herr vom Gertdt, | 

Der ‚prüft, ob fein Raubmord, wie das feine Pflicht. 
Sie tragen den Leichnam in's Siechenhaus, 

Und dann, wo fein Kreuz fteht, in’3 Feld hinaus. 


Da Niemand zuvor den Todten gefeh’n, 
Erhält er die Nummer dreihundert und zehn, 
Dreihundert und neun Jon liegen im Sand, 
Wer hat fie geltebt, wer hat fie gefannt? 


707 


45* 


108 


Detlen von Liltencron. 


nn nn .. —— 


— — Jas Vunnderthier. —“ 


as tft, was eilt, was läuft, was hebt, 
Was hat die Fenſter dicht beſetzt 
Und Trepp' und Dach und Thür und Thor, 
Und drängt langhin die Hälſe vor, 
Was mag denn da wohl kommen? 


Ein moosbewachſener Jubilar, 
Ein Zwetrabflub, ein Dromedar, 
Ein Schügenfeft, ein Turnerzug, 
Ein Docgeiifran, ein Aſchenkrug, 
Ein Rennpferd, das gelaufen? 


Ich miſch' mich in die Menſchen rings, 
Und frage rechts und frage links, 

Die brüllen nur und ſchrei'n mich an: 
Geduld, Geduld, mein lieber Manu, 
Du ſollſt es gleich erfahren. 


Sieh da, ſieh da, gebeugt, gebüdt, 
Sp ſpinnwebdünn, fo eingedrüdt, 
Sp hohl, fo finfter, wer kann's jein 
Mer iſt das fchlotternde Gebein 
Das tit ja unfer Dichter. 


Es raunt mir zu ein Bourgeois: 

Der Narr iſt's in Germanla; 

gen hat er wieder nichts zum Fraß, 
ein Zalter Ofen madt ihm Spaß, 

Wir fpäh’n, wie lang er's aushält. 


Die Menge tobt und lärmt und lad, 
Und viele Wetten find gemacht — 
Der Dichter fchreitet ftolz gradaus, 
Und aus dem Quälerſchwarm heraus 
Hat er den Weg gefunden. 


Und auf die Hatde ging er hin, 
Schon ganz verwirrt in feinem Stimm. 
Der Sonne breitet er den Arın, 

Da Half ihm Gott in feinem Harn, 
Er iſt verrüdt geworden. 


. Aa S 








, 
















2 1 -, =. Nor 122 —8* =, SCH 4 3 y Ts er - 2 —8 
9 | Otto Erich Hartleben, 5 
> | geboren am 3. Juni 1864 in Clausthal, iſt Berfafler gahlreiher Novellen, * 


wiſſenſchaftl der Abhandlungen und Dichtungen. Hartleben lebt gegen⸗ 














Morituri. 

Rs ift ein Ziel geftedt — die Flagge weht — 

Roth ift ihr Tuch und golden Ihre Sterne... . 
Tie Menſchheit rollt auf ehernem Siegeöwagen 
Dem Ziele zu. Das Hirn der Menfchenföhne 
Spritzt um die Räder. Todesjauchzen gellt 
Wie Hoffnungärufen durch die Morgennebel ... 
„Ihr alle, die ihr zagt und nicht vermögt, 
Den Lorbeer um die Kämpferftirn zu winden, 
Mit eigner, Fraftbewußter Fauſt — die thr 
Die Ketten ſpürt, doch fte nicht Tprengen könnt — 
Das Ziel erfennt und doch zu eigner Qual 
Verzweifelt vor der Ohnmacht eurer Bruft — 
Sauchzet den Rädern Zu, die euch zerfchlagen! 
Mit Nofen fhmüdt die Haare! Brünftig werit 
Euch in die Bahn! Grüßt fterbend eure Herrin: 
Heil, Hehre, dir, die du gen Morgen fährſt!“ — 
Das Jauchzen ftirbt. Blutzeugen Itegen ſtumm 
Am Wege. Ihre bleichen Häupter krönt 
Der fühle Glorienſchein der frühen Sonne, 
Berlorne Vorbeerblätter von der Stirne 
Der Göttlichen weht nun der Wind im Spiel 
Um der Gefunfnen Talte Schläfen . . - 


Feltenfriede. 


Au: Tag, mit deinen Strahlen | Nölferhader jet gemteben, 
Töte nun die alte Nacht, | Roften fol des Kriegerd Erz, 
Löſe Iind von ihren Oualen, Denn die Völker wollen Frieden, 
Bu I ümere u dnhant! Trieben jedes Menfchenherz. 

uhe jet ber Welt befchteden, 
Ruhe von des Kampfes Schmerz, Meltenfriedel Weltenfriede! 
Denn bie Wölter wollen Frieden, | Tenter Sieg, ben wir erflehn. 


Frieden jeves Menfchenherz ED DR ar in e 


Länger nit mit Blut und Elfen | Bis ung deine Ruh' beichteden. 

Feſte fih der Menſchheit Band, Laßt uns fingen fternenwärts: 
n3 Pfade weten, Ale Völker wollen Frieden, 

Die wir wandeln Hand in Hand. | Frieden jede Menjchenherz ! 


,— — — [u 





__ dito Grid Hartleben — 


Ss lebt noch eine Flamme. 


3 lebt noch eine Flamme, Den Blid zum Staub gemwenbet, 
Es grünt noch eine Saat — | So halten fie dahin, 


Berzage nicht, noch bange: Berdüftert ihre Stirnen, 

Im Anfang war die That. Dumpf und gemein ihr Sim, 
Die finftern Wollen lagern Doch feh ich Fäufte zittern 
Schwer auf dem greifen Land, Und Scläfen fühl ih glühn, 
Die welken Blätter rafcheln, Zornadern feh ich ſchwellen 


Was glänzt, tft Herbitestand. Und Augen trogig fprühn ... 


Es lebt noch eine Flamme, 

Es grünt noch eine Saat — 
Berzage nicht, noch bange: 
Im Anfang war die That. 


* | 
++ Sefus Ghriftus. + 


u lebteft noch, fo fagen fie und knien 
or deinem Kreuzesholz, daran in Qual 
Du bängft, und Füllen deine Füße. 


Ste fahn die Hunde mit dem Schweife wedeln, 
Sich niederduden vor dem Fuß des Herrn — 
Und gingen Hin und thaten Gleiches. 


Du lebteſt noch, fo jagen fi. Sie Inteten 
Bor feinem Menſchen — vor dem höchſten Gott! 
- Denn du bift Gott und bift lebendig . . . 


Ha! Wäreft du's, du riffeft von dem Nagel, 


Dem marterbollen, deinen Fuß — in Staub 
Träteft du fie verachtend nieder! 


HRG 













2 
NG 


Y 


— 8 









| geboren am 19. Juli 1819 in Glattfelden bei Züri, von 1°61—1876 
Staatsjchreider in Zürich. Berfafler zahlreicher Romane, heroorrazender 
Starb am 16. Juli 1890 in Zürich. 






Lyriker. 





An Buft und Reif. 


m SHerbit verblichen liegt dad Land, 

Und durch die grauen Nebel bricht 
Ein blaſſer Strahl vom MWaldesrand, 
Den Mond doch felber ſieht man nidt. 


Doch Shan! Der Reif wird Blüthenftaub, 
Ein Lorbeerhain der Tannenwald. 

Das falbe Halb erftorb’'ne Laub 

Wie bunte Blumenmwogen wallt! 


St e8 ein Traumbild, das mir ladt? 
Iſt's Frühlingätraum vom neuen Jahr? 
Die Freiheit wandelt durch die Nacht 
Mit wallend aufgelöften Haar! 


Und wandelnd fpiht fie rings und lauft, 
Die bleiche, hohe, Königin, 

Und thre Purpurſchleppe rauf 

Leis über dunkle Gräber Hin. 


Ste hat gar eine reihe Saat 
Berborgen in der Erde Schooß; 
Ste forſcht, ob die und jene That 
Nicht Schon in grüne Halme ſproß. 


Sie drüdt ein Schwert an ihre Bruft, 
Dad blinft im weißen Dämmerlicht; 
Sie bricht in wehmuthvoller Luſt 
Manch blutiges Vergißmeinnicht. — 


Es iſt auf Erden keine Stadt, 

Es iſt kein Dorf, deß ſtille Hut 
Nicht einen alten Kirchhof hat, 
Darin ein Freiheits-Märtyrer ruht. 


Re 





712 . Gottfried Keller. 








Zeſnitenzug 


uſſah! Huſſah! die Hatz geht los! 
Es kommt geritten klein und groß, 
Das ſpringt und purzelt gar behend, 
Das kreiſcht und zetert ohne End': 
Sie kommen, die Jeſuiten! 


Da reiten ſie auf Schlängelein 
Und hinterdrein auf Drach' und Schwein; 
Was das für muntre Burſche ſind! 
Wohl graut im Mutterleib dem Kind: 
Sie kommen, die Jeſuiten! 


Hu, wie das krabbelt, kneipt und kriecht, 
Pfui, wie's ſo infernaliſch riecht: 
Jetzt fahre hin, du gute Ruh'! 
Geh, Grete, mach’ das Fenſter zu: 
Sie foınmın, die Selutten! 


„Gewiſſen, Ehr’ und Treue nehmt 
Dem Mann und malt ihn ausverſchämt, 
Und feines Weibes Unterrod 
Hängt ihm als Fahne an den Stod: 
Wir kommen, die Jeſuiten!“ 


Bon Kreuz und Fahne angeführt, 
Den Giftfad Hinten aufgeſchnürt, 
Der Fanatismus ift Profoß, 
Die Dummheit folgt als Betteltroß: 
Sie kommen, die Jeſuiten; 


Wir niſten uns im Niederleib 
Wie Maden ein bei Mann und Weib, 
Und was ein Schwein erfinden kann, 
Das bringen wir an Weib und Mann: 
Wir kommen, die Jeſuiten!“ 


O gutis Land, du ſchöne Braut, 

Du wirſt dem Teufel angetraut! 
‘a, weine nur, du armes Kind! 
Vom Gotthard weht ein jchlimmer Wind: 
Sie kommen, die Jeſuiten! 


— 
—— 








Dercy Byifhe Shelley, 
geberen am 4. Auguft 1792 auf Fieldplace, Grafſchaft Sufler (England), 


Cohn eines Baronetd, verließ, da man ihn wegen ſeines Atheismus 
verfolgte, England und ließ ih in alien nieder, mo er am 8. Juli 
 je22 geleg nitig einer er Gegelpartie ertzant. 





= Safer und Kige = 
Ein Gefpräd. 

13 Fürften lachten auf den Thronen 

Des Acchzens darbender Nationen, 
Und an dem reihen Gut fich legten, 
Das Völkerblut urd Thränen nebten, — 
Den Thronen, auf Gebein erbaut, 
Wo ftier nnd bleich der Hunger ſchaut, 
Wo Sklaverei die Geißel ſchwingt, 
Geröthet von dem Blut der Brüder, 
Wo in das Sterbewimmern klingt 
Das Jauchzen toller Stegeölteder, — 
Da ftanden ob dem Unglüdsland 
Einft Lüg’ und Lafter, Yard in Hand. 


die Jüg 
Auf, Scäwefter! vom [ederen Mahl empor, 
Das Zaufender Schweiß und Blut ag gebracht! 
Ein beſſ'rer Schmaus für dein hungrig Ohr 
Sit der Menfchbeit — den Ich erdacht. 
s Laſter. 
Was thatſt du, —8 und was rühmft du dich 
In eitlem Stolzr, mir gleich zu fein? 
Mir, deren Zug durch des Jahres Fluch 
Berzweiflung folgte Bo unbebein! 


Was ich gethban? 3a rk dad Gewand 
Des Kindes „Wahrheit“ nadter Geftalt, 

Und irug durchs verddete Erdenland 

Meines irreleitenden Banns Gewalt. 

Es fchlugen der Unfhuld fühnen Muth 

Meine Herrfcher-Stlaven in Kerferhaft, 

Und ftromweis fließt ihr befruchtend Blut 
Aus der Wunde, die jäh auf der Zruft ihr klafft 
Und die mein ſicherer Dolch ihr gab 

Ich fürchte dies Blut nicht mehr" — daß Seht 
Iſt unfer, ob ihr Strabl zulegt 

Auch Scheint auf unfer Grab. 


214 


erch Buffhe Shelten. 


— — 


Doch, ſtolzes Laſter, hätt ich das Gewand 
Dir nicht verliehen, ſo täuſchte nicht 
Die Welt dein ſcheußliches Angeſicht. 

das Faſter. 
Und hätt’ ich geraſtet thatenlos 
In meiner widrigen Höhle Schoop, 
Und den Himmieldföhnen niemals eben 
Gold, Königthum und Mord gegeben, 
So hätteft du, Lüge, dein Spiel verloren, 
Wie fehr du —8 auch und hoch dich verſchworen, 
Und jegliche Liſt, gemein und verrucht, 
Sammt all' deinen Künſten zu üben verſucht. 
Doch wozu ſtreiten? — brüderlich 
Nach einem Ziel gehn du und ich; 
Und drunten das Grab zu meinem Füßen 
Wird unſre Hoffnung und Furcht umſchließen. 


Die Jüge. 
Ich brachte der Erde die Relgion. 
Sie erihlug die Vernunft in der Wiege jchon ; 
Do fie ſcheute der Mutter ftrengen Blick, — 
Das Krokodil wid ſchüchtern zurüd, 
Und fandt’ thre wilden Bluthunde hervor . . . 
Sie fhredten aud Träumen des Mords empor, 
Und übten auf Erden ihr Werk der Muth 
Bet ihres giftigen Auges Gluth; 
Es befledte der Fackeln gräßlicher Duft, 
Genährt von menschlichen Fett, die Luft! 
Und Flüde, Wimmern und Wehgeftöhn 
Sen Himmel bei ihrem Erdengefang, 
Und kündeten meinen Stegeögelang. 
Sprid, Schweiter, was haft du gethan? 


das Aafler. 
Auslöſcht' ih Die Sonne auf meiner Bahn 
Sn dem Blutbad Dampf auf dem Schladhtenplan : 
Mord, Hunger, Gewalt und Höllenfchlich, 
Ste lebten in jener Stunde fidh, 
Da des unerforfälihen Schickſalsmacht 
Mir feiner Gewißheit Kunde gebradt ... . 
Denn der praflende Schuft auf dem Throne dort 
Befahl den blutigen Völkermord — 
Er freute, gleich mir, fi der wilden Qual, 
Die ein Stöhnen entlodte der Sterbenden Zahl; 
Indeß die Schlangen, die ihn felbit- befledten, 
In tüdifcher Luſt die Zungen bledten: 
Sie wähnten, daß ihre, nit mein die That, 
Die Saat tft ihre, doch mein die Mahd, 
Und Taufenden Tod und Verderben naht. 


Bercy Byſſhe Shellen. 


Sie träumen, daß Zwingherrn fie bethören, 
Die Welt mit giftigem Krieg zu ftören; 
Dod auf dem BDornenpfühle forgen 

Die Zwingheren nur um Mörderruhm, 

Und finnen vom Abend bis zum Morgen, 
Zu feiern mich und mein Heldenthum. 

Sch, ich thu' Alles! Hätt ich geruth, 

So hätte niemals dein Kind vol Wuth 
Die giftige Geißel, von Hohn durchdrungen, 
An einem Sterbelager geſchwungen. 


Vie Lüge. 
Gut Schweiter! unfer tft die Welt; 
Seiſt du, fet ih die Stegerin: 
Ob Allem unterm Himmelszelt 
Schwebt finfter doch die Belt dahin. 
Unfere Freuden. Mühn und Ehren einen 
Sich in des Grabtuchs wurmigen Leinen: — 
Ein kurzes Hoffen, raftlojer Kummer, 
Ein herzlos flüchtiges Stoßgebet, 
Ein finfterer Fluch, ein Wahnſinnsſchlummer, 
Eh’ der Schlund des Grabes geöffnet fteht; 
Was der Zwingherr träumt, was den Feigling ſchreckt, 
Das Eis, das Prieſterherzen deckt, 
Des Höflings Lächeln, des Richters Dräun, 
Sind das große Ziel, dem wir uns weihn; 
Und wenig, Schweſter, liegt daran, 
Ob du, ob ich das Werk gethan; 
Denn alle deine Müh' und Bein 
Würd ohne mich vergeblich ſein; 
Und nimmer ſaß' als Pfoörtnerin ich 
Am Thor des Himmels ohne dich. 


— 


An Enalands Faͤnner. 


RN inner Englands! was beftellt 

I” Euren Zwingherrn ihr das Feld? 
Warum webet eure Hand 

Der Tyrannen Prachtgewand? 


Warum gebt der Drohnenbrut, 
Die von eurem Schweiß und Blut 
rech fih nährt, thr immer noch 
peiſ' und Trank, und frohnt im Joch? 


715 





716 Bu Perch Vyſſhe Shelley. 


Bienen Englands! warum ſchafft 
Ihr zur eig'nen Sanad und Haft 
Waffen, Ketten immerd 

Für die feige Droßnenfehnnr? 


Habt ihr Obdach, Nahrung, Ruh’? 

2 inf euch Glüd und Liebe zu? 
RN um weldhen Hochgewinn 
t ihr Schweiß und Blut dahin? 


Ihr fat das Korn für Andre nur, 
Durhwühlt für fte nad Gold die Flur, 
Für Andre wirft ihr dad Gewand, 
Und euer Echwert trägt andre Hand. 


Säit Korn — doch für den Zwingherrn nidt! 
Schürft Gold — doch nicht dem faulen Wicht! 
MWebt leider — nicht dem Schelm zu Nu! 
Schweißt Waffen — felber euch zum Schuß! 


Sn Kellern, Höhlen ſuchet Raſt — 

Ihr baut für Andre den Palaft! 

Was flucht ihr eurer Noth? Eud) trifft 
Sa nur der Stahl, den felbft ihr ſchlifft! 


Mit Webituhl, Spaten, Hal’ und Pflug 
Webt euch ſelbſt das Leichentuch, 

Grabt en're Gruft, thürmt auf den Stein — 
England wird das Grab euch fein 


Am 
Hde an die Freiheitskämpfer. 


ufl auf! aufl 
Blut dampft von der Erde, die Brot euch verjagt. 
Um die Todten, die ſanken zubauf, 
Set aus firömenden Wunden ein Grablied geflagt. 
Keine andere Trauer fet ihnen gebradt! 
Sohn, Bruder und Gattin find ntedergemadt ; 
Wer fagt, daß fie flelen in ehrlicher Schladt? 


Erwadt! erwadt! erwadt! 
Seit je ge befeinden Tyrann fih und Knecht. 
erft nieder die Ketten mit Macht 
Sn den Staub, daß den Tod ihr Fi ‚aber rächt! 
Sm Grabe wird regen ſich ihr G 
Wenn die Stimmen der Lieben m Bhtigen Schein 
Dez heiligen Kampfes um Rache ſchrein. 








Berch Byſſhe Shelley. 717 


— — — —— — — — — — 


Hoch laßt das Banner wehn, 
Wenn die Freiheit ladet zu I und Tod, 
Ob als Sklaven au e ftehn 
Hunger und Elend und Feufzenbe Roth. 
Und ihr, die geſchaart um ihr herrlich Gefährt, 
Zückt nicht zuerft dad modernde Schwert, 
Doch die Mutter zu ſchützen, ſeid mannlich bewehrt! 


Heil, Heil, Heil 
Denen, die litten und Großes vollbradit ! 
Keinem wurde zu Theil 
Größerer Ruhm, ald der euch umlacht. 
Den Feind nur haben Erobrer befrtegt, 
Deffen Stolz nun gebändigt zu Boden Itegt: 
Ihr habt, fiegreicher, euch felbft befiegt. 





Kränzt, fränzt eure Stirn 
Mit Beilcen, Epheu und engen; 
Bededt das blutige H 
Mit Sarben, wie gti he 1 Benz fie glühn: 
Grüne Kraft, blaue Hoffnung und Ewigfelt, 
Doch Vergißmeinnichtblümchen verbannet welt, 
Bewahrt das Gedenken an euer Leid! 


a 3.010 
Gedanken eines Kepnblikaners beim Sturz Bonapartes. 


ch haßte dich, Tyrann! Ach fah mit Graun, 
Mie du, ein ehrgetzlofer Sklav', den Stab 
Des Siegers ſchwangeſt ob der Freiheit Grab. 
Du konnteſt deinen Herrſcherthron erbaun, 


Wo jüngſt er ſtand: — doch lieber wollten ſchaun 
Du blur'gen Pomp, den nun die Zeit hina 
Gefegt und dem Vergeſſen übergab. 

Ich betete, daß in ihren Klaun 


Verrath, Mord, Unzucht, Raub und Angſt vereint 
Erwürgen möchten, bie du aufgeſchreckt. 
Jetzt weiß ich, fett du in den Staub geftredt. 


Daß niht Gewalt und Trug der ſchlimmſte Feind 


Der Tugend find: — nein, alter Sagung Zahn, 
Erlaubter Frevel, blut’ger Glaubenswahn. 


mn 


excy Byſſhe Shell 


Freiheit. 


ie feurigen Berge donnern ſich zu, 

Es hallt ihr Krachen von Zone zu Zone; 
Die Meere ſtürmen fich auf aus der Ruh', 
Und es bebt des Nordpols eiſige Krone, 
Wenn erſchallt des Typhons Trombone. 


Einer einzigen Wolke der Blitz entwettert, 
Der tauſend Inſeln in Gluth entfacht; 

Die Erde bebt — eine Stadt iſt zerſchmettert, 
Und hundert beben und wanken; es kracht 
Der Erde tiefunterfier Schacht. 


Doch heller dein Blick, als des Blitzes Schein, 
Und wie du, ſo dröhnet die Erde nimmer; 

Des Meeres Getoſ', der Vulkane Spei'n 
Uebertönſt, überſtrahlſt du; der Sonne Schimmer 
Iſt vor dir wie Irrlichtsgeflimmer. 


Von eg und Woge und jagender Wolfe 
Slänzt die Sonne durch Nebel und dunſtigen Flor; 
Bon Seele zu Seele, von Volke zu Wolfe, 
Bon Stabt zu Dorf ichwingt dein Tag fih empor — 
Wie Schatten der Naht fliehn Stan und Tyranı, _ 
Wenn dein Licht zu leuchten begamı. 

















KERTEELTELELTLETTTTTEEEG 


Beorge Noel Bordon Lord Byron, 


geboren 22. Januar 1788 zu London, war einer ber glänzendſten Dichter | 
Englands, betheiligte ſich an dem Freibeitskampfe der Griechen gegen 
die Türlen und ftarb im Kampfe bi Miflolungbt am 19. April 1824. | 


SDDIDDDENIIIIDIIDIDIDENN. 


Aus: Don Anan. 
der Krieg. 


3 werde Licht!” fprad Gott, da wurde Licht! 
"Blut fließe,! ſpricht der Venſch, da fließt's in Meeren. 
Wenn dieſer Sohn der Nacht fein Fiat ſpricht, 
Kann eine Stunde ſo viel Glück verheeren, 
Daß hundert helle Sommermond' es nicht 
Erneuern, wenn es auch die Sommer wären, 
Die Edens Früchte reiften; denn der Hauch 
Des ſrriegs verzehrt die Wurzel mit dem Strand. 





Etets neue Qual, die ſich bertauſendfacht, 

Bis ihre Zahl die Menſchen hart wie Steine 
Durch die Unendlichkeit der Foltern macht, 

Die rings den Blick trifft. Splitternde Gebeine, 
Wälzen im Staub, das Aug' in Todesnacht 

Ganz weiß und ftier — bergleihen lohnt Gemeine 
Bei Taufenden, indeß der Neft vielleicht 

Ein buntes Bändchen für die Bruſt erreicht. — 


Doch lieb ich Ruhm, Ruhm it ein "großer Segen. 
Wie herrlich iſt es, wenn wir uns als Greiſe 
Auf Koſten unſres theuern Königs pflegen! 

Ein mäßig Jahrgehalt verlockt ud Weiſe, 

Und Helden ſind nur da der Dichter wegen. 

Auch das iſt ſchön: ihr ne auf Br * Weiſe 
In Verſen ewig — Halbſold obendrein, 

Da lohnt es ſich der Mühe Mörder ſem. 


Genug. Gott ſchůtz den ⁊ ron mb alle Throne! 
Wenn er's nicht thut, die Menſchen thun's nicht länger. 
Ein kleiner Vogel ſingt mit hellem Tone: 

„Das Volk bezwingt allmählich ſeine Dränger“. 

Der trägſte Gaul wird wild in ſteter Frohne, 

Wenn allzu tief ins wunde Fleiſch die Sträng' er 
Einſchneiden fühlt, und ſelbſt der Pöbel hat 

Das Beiſpiel Hiobs nachgerade ſatt. 





720 Lord Byron. 


— — ————— — — — a nn on er —— — — — — 


Erſt knurrt er bloß; dann flucht er auch, und dann, 
Wie Dabid wirft er Kieſel nach dem Rieſen; 

Zuletzt greift er zu Waffen, welche man 

Nur aufrafft in verzweiflungsvollen Kriſen, 

Und dann giebt's Krieg! Noch einmal fängt er an; 
Es thut mir leid, ich hab' ihn nie geprieſen, 

Nur leider, Revolution allein 

Kann von der Höllenfäulniß uns befrei'n. 


0 0 ‘ . “ [2 “ 


Krieg iſt ein fronmmer Spaß, beherzigt dies, 
Spießbürger Londons, Geden von Parts! 
Bedenkt, Die Freud’ an Zeitungen wird theuer, 
Erkauft dur alle Arten Sünd’ und Bein! 

Und wenn euch das nicht rührt, vergeßt nicht, euer 
Geſchick kann auch einmal fo traurig fein. 


“ “ . 0 “ “ “ “ “ L “ ® 0 ® ® « “ 


Sp ward Suwaroff Steger, ward er groß 

Wie Timur oder Dſchingis im Metier. 

Eh’ das Geſchütz ſchwieg, als wie Haufen Strohs 

Die Straßen flammten, Häufer und Mofchee, 

Ließ er mit blut'ger Hand die Meldung los 

Nah Petersburg, die hier buchitählich fteh’ : 

„Sott und der Szarin Ruhm! (Allmacht! wie kommen 
Die zwei zufammen?) — Ismail genommen |” 


Er ſchrieb dies Nordpollted, Tert, Melodie 

Und auch Begleitung, Röcheln’ Heulen, Schrei’n, 
Nicht fangbar, doch vergeflen fol man's nie! 

Denn ich will pred’gen, bis die Steine Ichrei’n, 

Und fluchen den Tyrannen. Soll das Knie 

Der Menschheit ſtets gekrümmt vor Thronen fein? 
Dann lern’, 0 Nachwelt, lern’, wie unf’re Zeit war, 
Die wir gefhildert, eh’ die Welt befreit war! 


Wir werden nicht, du wirft die Stunde fehn. 
Sm Jubel des Millennium wirft du nimmer 

Die Dinge glauben, weldhe jest geſcheh'n, 

Und darum dacht' ich, fchild’re ſie nur immer. 
Indeß, felbit ihr Gedächtniß mag vergeh'n! 

Doch wenn e3 fortlebt, werden fte euch fchlimmer 
Vorkommen als die Wilden ferner Inſeln, 

Die fid) die Haut, doch nit mit Blut, bepinfeln. 


Mie eine Fabel wird es euch erfcheinen, 
Mad iyr von Thronen left, jo tabelbaft, 
Wie ung ein Mam uhr, vor deß Gebeinen 
Das heutige Ge, tleiht verwundert gaift, 


Lord Byron. 721 


Oder wie Schrift auf Hieroglyphenſteinen, 
Das heit’re Räthſel fünft’ger Wiſſenſchaft; 
Gottlob, ein Räthſel wird dies einſt hienieden, 
Wie uns der wahre Zweck der Pyramiden. 


— 


Grabſchrift eines Kenfundlandhundes. 


obald ein ſtolzer Menſch zur Erde kehrt, 

Erhaben durch Geburt, ſonſt arm an Werth, 
Erſchöpft des Bildners Kunſt den Pomp der Trauer, 
Die Urne leiht dem Namen ihre Dauer, 
Und auf dem Leichenſteine ſteht zu leſen, 
Was einer ſein ſoll, nicht was er geweſen. 
Der arme Hund, der beſte Freund der Welt, 
Beim Willkomm zärtlich und beim Kampf ein Held, 
Deß treues Herz, von keiner Noth gedämpft, 
Nur für den Herrn lebt, athmet, feucht und kämpft, 
Sinkt ungeehrt ind Grab, — cin Himmel fehlt 
Der Seele, die auf Erden ihn befeelt, 
Weil ja der Menſch, der eitle Wurm, die Welt 
Der Sphären fih ansſchließlich vorbehält. 
O Menſch! Du Shwädhling mit der Stundenba ft, 
Entehrt dur Knechtſchaft und verderbt darch Mad, 
Mer recht dich kennt, der flieht voll Ekels fchon, 
Mißrathner Rlumpen von belebtem Thon! 
MWolluft tft deine Liebe, Freundſchaft Zug, 
Dein Lächeln Heuchelei, dein Wort Betrug! 
Gemeine Art, mit Namen ſtolz verbrämt — 
Erröthe, — vom verwandten Vieh beichämt! 
Ihr! Die ihr diefe fchlichte Urne feht, 
Sie ehret nicht, wa3 ihr betrauert, — geht! 
Bon einem Freund erzählt dies Denkmal mtr; 
3% kannte eimen blos, — und der liegt Bier. 


5 


Aus: Hde an Fenedig. 


3 ift kein Hell für Nationen! — blide 

Ins Buch der Zeiten! Wa3 wir täglich fehn, 
Die Ebb’ und Fluth der menſchlichen Geſchicke, 
Das ew'ge „Was gefhah, daS wird geihehn“, 
Hat wenig und gelehrt. Wir bleiben ftehn 
Auf Grund, der unter und vermorſcht, und matten 
Die Kräfte ab im Kampf mit Luft und Schatten. 
Natur drüdt und zu Boden: das Gethter, 








722 


Lord Byron. 


Schlachtopfer unferer Felle, ift wie wir, 

Bon gleihem Rang — wie e8 der Treiber treibt, 
So geht es au zur Schlachtbank; ihr dagegen 
Strömt euer Blut für Könige wie Regen, 

Und euren Kindern wird zum Dant? — ein Soc, 
Knechtſchaft verbundner Augen, Noth und Frohn, 
Und Geißelhiebe giebt man euch zum Lohn. 

Brennt nicht die rothe Pflugſcharreihe noch, 

Darauf ihr ftolpyert? Wähnt ihr nicht, Dies fchlechte 
Gottesgericht der Treue jet das echte? 

Küßt thr die Hand nicht, Die euch treibt zur Dual, 
Und fchreitet ftolz auf eurem nlüh’nden Stahl! 
Das Erbtheil, dad euch eure Väter gaben, 

Was je anf Erden frei war und erhaben, 
Entiprang aus anderem Stoff: — ihr ſtaunt es an, 
Lobpreiſt und fenfzt, — und riecht und blutet dann. 
Nur wen’ge Geiſter, welche nichts gebeugt, 

Auch Aergites nicht, Die plößlichen Verbrechen 

Die der Baftillen Donn erzeugt, 

Der Durft nad) jenen friſchen Waflerbäcen, 

Des Borns der Freiheit, — warn das Bolt, erfüllt 
Dom Wahnſinn hunbertjäßr’ger Dürre, brüllt 

Und fi zerftampft und um den Becher ringt, 

Der ihm Vergeſſenheit der Kette bringt, 

Der bitt’ren Kett’, in der fie dumpf und 

Den Sand gepflügt, — wuchs auch im Sande Brot, 
Ste aßen’3 nicht: ihr Naden war zu frumm, 
Ihr Gaumen ftumpf vom Wiederfäm der Noth: — 
Sa, wen’ge Geifter, welche troß ber Thaten, 

Die fie verabfcheun, den geredten Kampf 

Niemals verwechſeln mit den Fleberframpf, 

Der, wie Orkan und Peſt, nur kurze Zeit 

Würgt und vergeht, — die Erd’ und Sonne bleibt, 
Und wen’ge Sommer heilen all das Leid, 

Und wieder zeugt die Erde dann und treibt 

Völker und Städte, — Itebliche, wenn frei, — 
Denn dir blüht feine Knosſspe, Torannet! 








Bermann Lingg, 


) geboren am 22. Januar 1820 in Lindau am Bodenſee, befuchte das 
Gymnaſium in Kempten, ftubirte in Münden Mebizin, wurbe ſpäter 
Militärarzt, hervorragender Lyriker, lebt gegenwärtig in Münden. 





— — m— —— — —ñ — — — — — — — — — — — — — — —, — — — — — — — — 


+ Be Baſtille. 


Au Trümmer der Baftille Die Dauer, je ichem Bo ge 
Die Trikolore pflanzt! Und jedem Mitl 


Es ift des Volkes Wille, Die Mauer ift ehrochen 
Hier wird getanzt. Und fant in Staub. 

Wie flug Bud unerfchroden Es war ein Tag der Race, 

In heißer Innigluth, Die Kerker en ein. 

Beim Heulen aller ðlocken Tanz, junges air. und lade, 
Bol Todesmuth! Trink froh den Wein! 

Es ruhte mist, zu ſiũrmen Kränzt, Mädchen, eure Locken 


Das Denkmal ſeiner Schmach, Mit dunkler Roſenzier, 
Bis daß ker allen Thürmen Nur Jubel und Frohlocen 


Die Zwingburg brach. Erſchalle hier 
m Grab ber Tiyrannet, 


Die Trikolore Aitangi! 
Tanzt über ihre Bahre, kes Wille, 


Rum flteget, frohe Paare, Auf Trümmer der Baftille 
Es iſt des * 
Die Welt iſt frei! 


Hier wird getanzt, 
ER 
Der Gedanke der Seit. 
en Gebanten die Zeit 


Der * gie ah beſchworen, 
Und wir wiedergeboren, 


Trotz allem Widerſtreit. 


Seine Feinde mühen ſich ab! 

Mit Schlingen und Banden 

Sie machten ihn gerne zu handen; 
Und wenn er ſchon läng , landen, 
Hüten fie noch fein Sta 


Is 


724 Hermann Lingg. 








— Banernkrieg. 


Acht und Bann Sengt und brennt, 

Ueber den Bauersmann Was ihr könnt! 
Spraden die Herr zu im Sand herum, Kehrt den Pflug dem Himmel zu: 
Schtetenzuallen Burgenund Höfen, | Mähet, De: ſichelt, Schnitter; 

Allen Fürften und Bilchöfen. — Mähet Pfaffen, fichelt Ritter? 
Hilf uns Evangelium! | nen Banner ift ein Schuh ! 


Krieg denn, Krieg! | Werft den Schuh 
Rother Hahn flieg’! Dem Himmel zu! j 
Sieg‘ über die Schlöffer alt! Haben die Väter den Leib verkauft, 
chwing' die Flügel und krähe! Wurden wir drumleibeigne Knechte? 
Niemand ackre, Niemand ſäe, Andre Zeiten, andre Rechte — 
Oed' ſei Scheuer, Hof und Stall! | Mit Blut ſei's umgetauft! 


Der euch fät, 

Den habt ihr verſchmäht, 
Ihr Herr'n und Fürften überrcid. 
Aufruhr trägt darum die Erde, 
Auf Daß alleö wieder werbe 
Ahr, der armen Erbe, gleich! 


pr 
Salileo Galilei. 


te mochte nur ein Geift vol Kraft 

Mit feiger Bosheit unterhandeln ? 
Stet3 wird fie, was er Gutes fchafft, 
In Waffen gegen thn verwandeln. 


Er Hofft mit Wahrheit und Vernunft 

Die Gegner noch zu überzeugen 

Und febt nicht, daß die ſchnöde Zunft 

Nichts andres will ala niederbeugen. | 


Ein. freier, Sinn, ein Hort des Zichts, 
Was wär’ auf Erden ihr verhaßter! 

Sm Kampf dagegen fcheut fie nichts, 
Selbit nit den Bund mit jedem Lafter. 


Ste lege! Dog im Kerker nod) 

Ertön’, der Zukunft zum Signale, 

Sein Wort: Und fie bewegt ih doch! 

Den Hohn euch, frede Tribunale ! 


Sm 








Segen die 


Unter der Gemeinheit Ittten 
Edle Eeelen jahrelang, 
Gegen die Gemeinhett ftritten 


Stolzer Herzen Muth und Drang; 


Aber die Gemeinheit flegte 

Und der hohe Muth erblich, 
Und an die Gemeinhelt fchmtegte 
Schönheit felbft und Liebe fid. 


Immer die Schmarogerpflanze, 
Immer auch der grobe Knecht 
Prangt Gemeinheit ftet3 im Glanze, 
Und iſt immer aud im Recht. 


Strebit dur tapfer ihr entgegen, 
D, fie Schlägt Dich zehnmal todt, 
Die Gemeinheit, nie verlegen, 
Wird vor feiner Schande roth. 


. Yermann Dingg. 


| Die Gemeindett ſteht in Ehren, 





125 
Gemeinheit. 


Wirft ſich mächtig in die Bruſt, 
Die Gemeinheit gibt Dir Lehren, 
Während Du verſtummen mußt. 


Während Du vor Wuth erftiden, 

Oder ftumm verbluten kannt, 

Mißt fie Did mit Falten Blicken. 
Und thut gütlich ihrem Wanft. 


Hältit Du ihr, daß ſie's empfände 

Ihre ſchlechten Streiche vor, 

Klatſcht fie lachend in die Hände 
Oder ſie blickt fromm empor. 


Die Gemeinheit ſtreckt Dich nieder, 
Denn fie zielt, fo gut gedeckt, 
Und fie ftegt, ſiegt immer wieder, 
Bis fie an fih ſelbſt verredt. 





h, 2%, Zu 





— — 
— 


Rycerin. 





ycerin, Egyptens König, 
Hebt das Recht auf ſeinen Thron, 
Gerrit in Milde, Kraft und Weishelt, 
öſt fein Volt von Noth und Frohn, 
Herrſcht, ein Schuß und Schirm der Armen, 
Aller Flüchtigen Aſyl; 
Niemals war, ſeit Iſis' Tagen, 
Glücklicher das Volk am Nil. 


Aber bald ſein beſtes Wollen 
Stört ein dunkler Widerſtand, 


Fieber ſchleicht durch 
Typhons Gluth verze 


in Städte, 
rt da3 Land. 


Sn die Heerden brechen Seuchen, 


Seine Dämme bricht da3 


Meer, 


Auf die kaum gebornen Saaten 
Stürzt fih das Inſektenheer. 


Und der König, ſchwer von Sorgen, 
Ruft die Prieiter zum Palaſt: 
„Saget mir, Ihr Sonnenkinder, 
Bin den Göttern ich verhaßt? 


7126 


Hermann Bingg. 


Fraget die Orakel alle, 

Bringet Aller Opfer bar, 
Fraget, warn fich enblich ſchließe 
Dieſes düfl’re Trauerjahr.“ 


Und die Prieſter kehren wieder, 
Schlagen auf ein Pſalmenbuch: 
ieben Jahre wirſt du leben, 
Dir und Deinem Volt zum Fluch ! 
Deine Herrihaft haßt der Himmel, 
Weil Du, Sterblicher, gewagt, 
Eigenmädtig zu beglücden 
Jeden, der vor Dir geklagt. 


Weil Du nahmft die Schuld vom Haupte, 
Das gerechte Strafe trug, 

Weil Du ftand’ft am Bett des Kranken, 
Den ein Gott mit Seuche flug; 

Weil die Feffeln Deiner Völker, 

Weil der Zeiten Finfterniß 
Eigenmächtig, freveltroßig 

Deine Königshand zerriß.“ 


„Sei's denn, Prieſter,“ ſprach der König, 
„Soldem Schickſal biet' ih Hohn, 

Und zur Lüge will ich maden 

Eurer Sprüde nichtig Droh'n, 
Fackeltanz durchſtröme Memphis, 

Jede Nacht ſei Teg ſei That, 

Und ich lebe jene Sieben 

Doppelt, eh' die Stunde naht. 


Ja, verzehnfacht will ich leben, 
Doppelt jeder That mich freu'n, 
Zwiefach jede Schuld vergüten, 
Doppelt jenen Segen ſtreu'n. 
Gießet aus all' meine Schätze, 
Theilet aus mein Geld und Korn, 
Mit dem Segen meines Volkes 
Trotz' ich Eurem Götterzorn.“ 


— 











= Poing. — 


—*— zieht die Sonne wieder 
uf der alt gewohnten Bahn, 
Und nach langen Wintertagen 
Stürmt der junge Lenz heran. 


eller wird des Himmels Blaͤne, 


nd am klaren Waldesbach 
Küßt des Frühlings Sonnenwärnte 
Wieder Maienblumen wich. 


Blatt auf Blattentſproßt der Knoſpe 
Bis der Vlüthenkelch entſprang, 


Und auf Bergen und in Thälern 
Klingt ein froher Maigeſang. 


Klinget hell durch weite Räume 
Silberklar wie Glockenklang, 
Und dabei in vollen Tönen 
Wie ein heit'rer Schlachtgeſang. 


Wonnemond mit deinen Blumen 
Und der Blüthen Ueberfluß, 
Dir allein gehört auf Erden 
Froher Menſchen Maiengruß! 


An eine „Standesdame“. 


enn pelzverbrämt du durch die Straßen ziehft 
Und rings die Welt in Froit erfchauert, 
Ahnft du es nicht, wie oft die granfe Noth 
Sn ftiller Armuth Hütten lauert. 
Und tanzt du froh am heit'ren Armenballe 
In warmen prädtigen Gewändern, 
ragft du erftaunt, wozu die Menſchheit ftrebt 
ies fchöne Erbdenbild zu ändern . 


Dir tit das Leben fremd, du kennſt es nicht 
Mit feinen dunklen Erdgewalten, 


Dir biteb die Luft am 


errliden Genuß 


Des Glüdes Silberſtrahl erhalten. 


Moral tft deine feſte Tugend. 

Die fih an voller Tafel fonnt, 

Doch wünſche nicht, daß diefe Tugend 
Des armen Volles Tochter frommt. 
Der Hunger iſt ein arger Dränger 
Verkündet ein gar fireng Gebot, 

Und ftärfer als die beften Sitten 

St eined armen Volles Noth, 


fe 








128 


Franz DILL 


— * Froſt. — 


Wenn in dem Scoße des Verborg'nen ruhet 
Was feines Menihen Auge je geihaut, 
Du darfft in öder Bangigkeit nicht zagen, 

Wenn ring3 der milde Frühling lat und thaut. 


Und hat der Sturm mit wilder Macht gebroden 
Was jugendfrohe Hoffnung einft erzeugt, 

Es kann der Strahl des Lichts dir Troft noch ſpenden. 
Eh’ fih der müde Tag zu Ende neigt. 


Dann Ichleppt fih ſcheu hinweg der Gute, 
Und die Gemeinheit ſchwingt den Herrfcherftab, 
Und ſchnöde wird dad alte Recht gebroden, 
Da3 die Natur und Menfchen allen gab. 


Zobt aber auch der Siurm in wilden‘ Grimme 
Und peitſcht die trüben Fluthen noch fo fehr, 

Es fommt der Tag nad al’ dem wüften Toben, 
Gr bricht herein mit feinem Lichtermeer. 


Im ſonnenklaren Morgenthau des Rechtes, 
Steigt leis ein neuer Morgen hell empor, 
Und neue Zweige ſproſſen lebenskräftig 

Aus der Verwefung morfhen Stamm heıvor. 


Und wenn tm lichten freien Morgengrauen 
Kein feller Knecht im Solde dienen mag, — 
Dann tt des Zwanges itarrer Bann gebrochen, 
Der ſchwül auf diefer weiten Erde lag. 


In feftgeeinten Reihen fteh’n die Völker 
Und harren auf den hehren Stundenfchlag, 
Der wie auf leichtbeſchwingten Zephyrflügeln 
Hinüberträgt der Freiheit gold’nen Tag. 


wor 


«aTaEEEEEELETTTTTELTTTEEN 
| 


| 
| Sudwig Anzengruber, | 
| geb. 29. November 1839 in Wien, Berfaffer zahlreicher volksthümlicher | 
| Schaujpile (Pfarrer von Stirchfelt, Meineidbauer u. f. m.), Erzählungen 

: und Romane („Der Schandfleck“ u. AU.), geſtorben am 10. Dezember | 
1-89 in Wien, | 








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LEDDIEDEPEEEODDDOETDL 
++ Die Näherin. + 


Du fißeft in dem Kämmerlein - | Das Kleid zum Gang vor den Altar 
Bet blendenb grellem Lampenſchein Und bald zu aller Freuden Fülle 
Und führft Die Nadel als die Waffe, Des Täuflings bänderreihe Hülle. 
Die Brot im Daſeinskampf dir ſchaffe. Verengert fich der Heine Kreis 
Ein Vöglein ätzeſt du mit Krumen Der Leute, die dir nah, doch fremd, 
Es theilt mit dir die dumpfe Luft, Dann näheſt du mit gleichem Fleiß 
In Töpfen ziehſt du deine Blumen, Am Trauerkleid und Todtenhemd, 
Ein wenig Sang, ein wenig Dufſt Und von der Wiege bis zum Sarg 
Erfreuet dich im engen Raum, Entlohnt man dir die Mühe karg. 
Wo der Mafchtne emfig Schnurren|Die Tritte, die das Rad gefchnellt, 
Dich wiegt in gleihgemuthen Traum. Gerechnet al’ zu Haufen, 
Und du erträgft e3 ohne Murren | Ste führten dich an's End der Welt, 
Und weinft nur wentg ſtille Thränen,| Doch laſſen nicht der Noth entlanfen 
Wenn alles, was du magft erfebnen, | So Iebft du Jahr für Sabre gleich, 
Den Weg zu andrer Häufer find't. Es rührte deine Wange bleich 
Du rüfteft reicher Leute Kind Nur felten freier Lüfte Hauch, 
Zum Ballfeft jene prächt'ge Rode, Und wenn dereinit man dich begräbt, 
Die feinen Frauenreiz erprobe; !Mofür du wohl gelebt? 
Du fertigft, kaum nad) einem Johr, Weißt du es au? 

Le ı2 


Die Spinnen und die Fliegen. 


In einem Schlößchen, das verlaſſen 
Und darum Halb verfallen ſtand, 

Herbergten in den öden Räumen 

Biel Dubend Spinnen an der Wand. 


Gefundhettähalber aber mochte 

Der Iebte der Inſaſſen Bier 
Zerbrochne Scheiben nicht vertragen 
Und flicte alle mit Papier. 


Er ſchnitt dadurch den vielen Spinnen 
Der Nahrung Zufuhr gründlich ab, 
Bon außen kam nicht cine Fliege, 
Wie eö bald innen feine gab. 


130 


Ludwig Angengruber. 


Die netetvebende Gemeine, 

Die wußte nicht, wie Ihr heſchah, 

Und war nach langem grimmen Faſten 
Dem bittern Hungertode nah'. 


Da ward für den, ber Kraft noch fühlte, 
Die Bi. Feptero tung zum Geſetz; 

chwaͤchern ſich zu Gaſte 
fraß ihn auf im eignen Netz. 


En als zu höchſt die Noth geitegen, 

nte Ai, daß vor dem Schloß 
Ei ee Knab' vorbeigezogen, 
Den Langeweile juft verbroß. 


Er raffte Kieſel auf vom Wege 
Und nahm die Fenſter fi zum Biel, 
Nur wenig heile Scheiben blieben 
Nah biefem ritterlichen Spiel. 


Und durch die Büden (Gärten liegen 
Sn Hülle und in Fülle ein, 

Die Spinnen fagten: Gottes Güte 
Regierte ſichtbarlich den Stein. 


Ste falteten die Vorderbeine 

Und dankten ihm, der alle nährt, 

Und haben dann mit frommen Sinnen 
Die Fliegen reinlich aufgezehrt. 


Doch meinte deren Schwarm hinwieder, 


Der rings beftridt vom Tod fi fand, 
Die Scheiben babe auögebrochen 
Der Satan mit jelbiteigner Hand. 


Entging den grimmen Striden eine, 
Durd) —* Huld hielt ſie ſich frei, 
Und ward ſie dennoch aufgefreſſen, 
So meint' fie, daß es Prüfung jet. 


Das gilt von Fliegen und von Spinnen, 
Die an Vernunft nicht überreich; 

Do find wir klugen Menſchen ihnen 
Gottlob in keinem Punkte gleich, 


Es 














ı 

j Adolf Sriedrih Graf von Schal, ‚pe 
| geboren 2. Auguſt 1815 in Brü’emig (Medienburg), feit 1855 in 
4 
) 







üncdhen, geftorben 14. April 1894 in Rom. SHervorragender Lyriker | 
und Runftfammier (Schad-Gallerie in Münden). | * 





* 


Das nene Zahrhundert. 


Ars bevor am Himmel dämmernd deine Morgenröthe fteigt, 
Hat fi von der Laft der Jahre müd ind Grab mein Haupt geneigt; 
Doch der Lerche gleich, die, eh fie ſich den Oſten röthen fieht, 
Schon dem Tag entgegenjubelt, flatt’re dir voran mein Vied, 
Glorreich herrliches Jahrhundert, das im Löntglihen Flug 
Neigenführend du dahinſchwebſt vor der Menſchheit Stegeszug! 
Sa, Bollender du von Allem, was wir hoffend nur geahnt, 
Dem die Weiſen und die Helden jeder Zeit den Weg gebahnt, 
Bor dem Blick mir weicht der Schleter, der noch vor der Zukunft ruht, 
Und wie ferne Alpengipfel in des Frühlings Purpurgluth 
Seh ih dich und ſeh die andern, Die Dir Colgen hellbeſonnt, 
Himmelauf die Scheitel heben an der Zeiten Horizont! 
Weit vor mir in Segensfülle mit der Ernten wogendem Gold, 
Mit den üpp'gen Rebgeländen, liegt das Erdgefild entrollt, 
Und von Ueberfluß für Alle ſtrotzt der mütterliche Herd. 
Längſt des blut'gen Werkes müde, warb zur Sichel jedes Schwert 
Und mit flatternden Standarten auf der Freiheit Stegesfeld 
Wallen rings heran die Völker zu dem Bundesfeſt der Belt 
Der geiweibte Born des Wiſſens, der für Wen’ge jonft nur quoll, 
Nun in breitem Strom durch alle Bänder fließt er reich und voll, 
Und a alle Herzen ftimmt der Dichtung Orpheuslted 
Und die Kunft, der ew’ge Frühling, der in Farb’ und Marmor blüht. 
Dur gefprengte Felſen, über ſchwindlige Klüfte Hingeipannt, 
Schlingt um alle Erdenzonen ſich ber ehrnen Gleiſe Band, 
Dranf vom Dampf, dem ſchnaubenden Renner, ben er in fein Joch geſchirrt, 
gu von Bol zu Pol mit Sturmes Flug der Menſch getragen wird. 
, der einſt auf Eichenpfählen, in der Seen Grund gerammt, 
Dem Geſchick, dem graufen, fluchte, das zum Dafeln ibn verdammt. 
Nun der Elemente Meifter, Herrfcher über Zeit und Raum, 
errlich fih erfüllen fießt er alter Seber Wundertraum, 
egelt durch den höchſten Aether Hin auf luftbeſchwingten Kahn, 
Taucht durch blauer Wogen Zwielicht in ben tiefften Ozean. 
Ihm gehorcht der Blitz als Sklave; in das grengentole All 
Trägt den Blick ihm Frauenhofer auf den Flügeln von Kryſtall; 
Durch den Sternennebel dringend, ber als Lichtſtrom niederträuft, 
Sieht er neue Firmamente tief tm funkelnden Raum gehäuft, 





732 


A. F. Graf von Schad. 


Und Hinüber und herüber auf dem ftrablenfchnellen Weg 

Mit Bewohnern fremder Welten führt er Zeichen — Zwiegeſpräch. 
Aber hehrer noch als droben, wo fih Sonn’ am Sonne reiht, 
Unergründlich in der Seele ruht ihm die Unendlichkeit! 

Wie aus wettentleg’nen Himmeln, nie durchforſcht vom Seherohr, 
Steigen der Gedanken große Sternenbilder Ihm empor. 

Fernhin Tchweift fein Adlerauge, jenſeits dieſes engen Jetzt, 

Bom Beginn der Erdendinge bis zum dämmernden Zulekt; 

Nicht fortan im Unermefinen fteht er rathlos und verwaiſt, 

Ueber alle Räume breitet herrlich leuchtend ſich fein Geiſt, 

Und, im Leben wie im Tod fih feiner Ewigkeit bewußt, 

Jeglichem Geſchick entgegen trägt er frei und kühn bie Bruſt. 

Eo, wenn welt von vielen Jahren ſeines Daſeins Blüthe finkt, 
Schreckt ihn nicht des legten Mahners Kommen, der zur Abfahrt winkt. 
Gleicht dem wivertrauten Schiffer, dem dad Herz voll Hoffnung ſchlägt, 
Wenn binweg zu fernen Inſeln feinen Stiel die Woge trägt, 

Diefer Erde Küften läßt er, während fanft in feinem Boot 

Ihn dahin zu neuen Uferk führt der freundliche Pilot, 





Be, es it ein mähtges Tagen. 


$. es iſt ein mächt'ges Tagen 
Auf der Welt, wie nie zuvor, 

Unfichtbare Schwingen tragen 

Lichtwärts jeden Geift empor. 


Und Gedanken, nie gedacht noch, 
Brechen fih auf Erden Bahn; 

Da felbit, wo fich tiefe Nacht noch 
Jüngſt gebreitet, flieht der Wahn. 


Nicht am Fuße der Altäre 
KnietderMenfhmehrangftbedrängt 
Seines höhern Glaubens Lehre 
Hat der Tempel Dad gefprengt. 


Und die Götter feiner Kindheit, 
Bilder feines kleinen Sch, 
Schwandenhin, wie ihm die Blindheit 
Nach und nach vom Auge wich. 


Aus der Urzeit finſterm Schlunde, 
Den kein Schimmer noch erhellt, 
Dringt zu ihm die Wunderkunde 
Einer ungeahnten Welt. 

Und er ſieht durch Jahr-Aeonen, 
Eh' der Menſchheit Tag beginnt, 
Weſen ſchon auf Erden wohnen, 
Die von ſeinem Stamme ſind. 





Rauh und wild und von dem dumpfen 
Traum der Weltnacht übermaunt, 
Lebten noch die Geiſtesſtumpfen 
An das Dunkel ſtarr gebannt. 


Hauſend in der Höhlen Nächten, 
Menſch mit Menſch in ew’gen Haß, 
Aus der Feinde Schädeln zechten 
Ste der Adern blut’ged Naß. 


Aber auf der Wefenleiter, 

Die vom Thier zum Gotte fteigt, 
Ward vom Weltgetft ihren wetter, 
Höher ftetö der Pfad gezeigt. 
Aus der Urwelt Grauen drangen 
Stedurd Schreden, Mord und Tod 
Aufwärts im jahrtaufendlangen 
Kampf zum großen Morgenroth. 


Shre Rauhheit ward zur Milde, 
Und, gelöft vom finftern Bann, 
Sah verflärt im Kunſtgebilde 
Ste ihr eignes Wefen an. 


Aber höher müßt ihr klimmen, 
Stel noch ift der Weg und weit; 
Hört! euch rufen Geifterftiimmen 
Hoch aus der Unendlichkeit, 








u 8 Graf bon Schal. J 733 





— — — —— —— — — * 
— ⸗5*⸗ ö— I u — — — — u 








Und aus fernfter Himmelöferne, | Wenn die Sonne ihr erflogen, 
Bon der Zufunft lichten Höhn, Schon aus höhern Himmeln bricht 
Winken wunderbare Sterne, Ueber euch in Strahlenwogen 
Die fein Aug: noch gefehn. Nener Slanzgeftirne Licht; 


Auf denn, in den Klaren Aether, | Und dem Flug erit dürft ihr ſenken, 
Immer aufwärts, 5:3 ihe fühlt, | Wenn am Ziel, das eurer harrt, 


Daß er eurer niedern Väter ı Euer Wollen all und Denken 
Besten Erbfled von euch fpült. ; Licht wie fie und göttlich ward. 
> 2 


Aus: „Mächte des Hrients 
O wer vermag in unſern dumpfen Städten 
An eif’gen Wintertagen ohne Grauen 
Die rußerfüllten Gaſſen zu betreten, _ 
No unglüdjel’ge Männer, Knaben, Frauen 
In Elend ſiechen und nad Bazarethen 
Mit Sehnſucht ald nah Rettungdorten ſchauen, 
Und blaffe Mütter wie Lebend’ge Leichen, 
Hungernde Kinder auf den Armen, ſchleichen? 


Wie erit wird dir zu Muth, wenn auf dem Quai 
Du Nachts an Mauern, an Baternenpfähien 
Zerlumpte Bettler Fauern fiehft im Schnee, 

Und dann emporblidit, wo in hellen Sälen, 

Sp froh, ald gäb' ed auf der Welt fein Weh, 

Der Tanz fih ſchlingt beim Schimmer der Juwelen 
Und der Champagner perlt und blinkend Gold 

Am Kartentifhe auf und nieder rollt! 


Wie bleih daneben aus der Bodenfammer 

Das Licht Herniederzittert! Spät nod) wach 

Sitzt bei der Arbeit dort in blaffem Sammer 

Ein krankes Weib, indeſſen durchs Gemach 

Der Wind pfeift — o! in ihrem Neſt die Ammer, 
Die Dohle auf des Kirchthurmes Dad 

Sit mehr geborgen vor ded Winters Tob.n, 

Als fie in ihrem luft'gen Stübchen droben! 


Des Elends Tochter fie, in Noth verfümmert, 
Längſt hätten fie im Fluß geſucht den Tod; 
Doh auf der harten Streu am Boden wimmert 
Ein Rinderheer um eine Krufte Brod, 

Und bet dem Licht, dad Halberlöfchend flimmert, 
Muß fie mit Augen, überwadt und roth, 

Sich müh’n, der Kleinen Leben noch zu friften, 
Die ſie nicht nähren Tann an welken Brüften. 





1734 


A. F. Graf von Schack. 


Ein Abgrund dag vom Trübfal und von Jranen, 
In den mit Schwindel fi) ber Geiſt verliert 

Und, wo der’ Sammer mit gentetiäten —53 — 
Bon allen Selten und entgeg 

St Hülfe möglich? Wenn wir be und jenen 
Getröftet haben, vor die Seele führt 

Uns der Gedanke alle die Millionen, 

Die welter in des Elends Hütten wohnen. 


RE 0 Ci | gi Gummi: GEBE ——äö SEES  HMEEEEEE GIER 


Banden und Kammer. 


hr habt, daß e8 Nacht fet auf Erden, gefunden 
Und habt euch doch % Menke ftet8 Die a verbunden, 
Ihr — daß die Be bie Boll & eu auben, 
Pa: Wolfe euch fr [anIbiofe © 
Euch mögt ihr bie — auf's Konto reiben: 
Wer zwang euch, denn, Schafe und Tauben zu bleiben! 
Den Bären modt’ no fein Schäfer ſcheeren, 
Und den Löwen fein Wolf lebendig verzehren. 


ER 











ı geboren 1. Januar 1823 in Kis-Körss (Ungarn), ſchloß ſich in jungen 

% ahren einer Sthaufp:eleriruppe an ließ 40 dann beim Militär an⸗ 
3 werbin. Im NRevolutionsjabre 1849 fiel er als Freiheitskämpfer in 
»>S | 






An die Geduld. 


& Geduld, der Schaf und Efellleerer Topf du, deſſen Sahne 
Vielgepriefne Tugend du — Weggenaſchet hat die Kap’, 

E ol denn ich auch noch Dich erlernen? Und nun, offnen Munds, die Köchin 

Fahr’ dem Grund der Hölle zul ESteht verblüffet an dem Pla... 


Wirſt dur, durch das Land alöBettler,| Du. . . mie ſoll ih dich benennen? 
Zufluchtsort begehrend ziehfn — Dich, Geduld, ftoß’ ich. zurüd, 
Seh, nie wird in meinem Herzen |Denn, wo dein Bez begkel, 
Dir ein Aufenthalt verliehn ! Hat ein Ende jedes Süd! 


Und wenn bu als ein Erobrer Glücklich Lönnte fein die Erde, 
Steggefrönt durdiziehft die Welt, |MWäreft du nur nicht daranf, 

Soll mein Herz dem Felfen gleichen, |1ind fo lang du bletbft, nimmt alles 
Der fid) dir entgegenftellt, Seinen alten, ſchlimmen Lauf. 


Leergedroſchnes Stroh, Geduld, du, Fort mit Dir, du Fluch des Leben, 
Jene dich als Aehr'n vol Frucht Fort zur tiefften Hd Fr 
Feil den dummen Menfchen bieten, Stufe in die Hölle, die bi 

Die dein Korn heraus gefuht! |Diefer ſchönen Welt gebradit! 


Als 


Siebe zur Freiheit. 


Et Itebe, wie vielleicht noch keiner Fedoch in meinen Traumgefichten 
Geliebet Hat in Ewigkeit, Wohl jede Naht erfcheint fie mir: 

Ich Lieb’ mit heil’gen Himmelsgluten, | In einem blumenreichen Garten 

Doc lieb’ ih Feine Erdenmatd. War letzte Nacht ich and bei ihr. 


Mein Vieh’ ift eine Hohe Göttin, Hin kniet' ich, und in glühnden Worten 
EingöttlihHWeib, verfolgt vom Bann: Hab’ ich die Liebe ihr bekannt, 
Die Freiheit! Ach, daß die Geltebte eneigten Hauptes eine Blume 
In meinem Traum ich jehn nur kann! Wollt' für fie pflüden meine Hand. 


Da plöglich ftand bet mir der Henker, 

Hieb ab mein Haupt mit fenem Schwert — — — 
Da habe ich ftatt einer Blume 

Dem Lieb mein blutig Haupt verehrt. 











136 


Alerander Petöfi. 


Schläfk du, 0 Fahrheit? 


hläfft du, 0 Wahrheit, oder bift du todt? 


4 


Hter diefer Mann verdient das höchſte Glück, 


Daß an der Bruft die Ehrenfett’ ihm hi:g, 
Und er — hängt felber an dem Henferitrid! 
Und jener wär’ den Strid des Henkers werth, 
Ihm hängt die Ehrenfette um's Genid: 
Schläfft du, o Wahrheit, oder biſt du todt? 


TER 
— 65, Meine Sieber. a 


n Gedanken oft ich mich verſenle 

Und weiß felber nicht, woran ich denke; 
Hin durchs Vaterland ziehn meine Träume, 
Durch die Erde und die Weltenräume, 
Und das Lied dringt dann aus meiner Kehle 
Als ein Mondftrahl träumerifcher Scelr, 


Doch anftatt mich Träumen Hinzugeben 
Wär's nicht beffer mit VBerftant zu leben 

Und zu forgen? ... Ad, wozu das Sorgen? 
Gott tft gut, ihm bleib' ich nicht verborgen! 
Und das Lied dringt dann aus m-iner Stehle 


. Al3 der Falter leichtgefinnter Seile. 


Wenn ein lieb: Mägdelein ich finde, 

Dring’ ih finnend in die tiefiten Grände, 
Blick' hinein in ihres Augen Gluthen, 

Wie der Stern in Stillen Seees Fluthen, 
Urd dad Died dringt damı aus meiner Stehle 
ALS die Roſe der verliebten Seele. 


Liebt mein Mädchen mich, trink’ ich vor Freude, 
Und wenn nicht, trinf ich in meinem Leide, 
Und wo Wein im Becher bei mir ftebet, 

Bald ihr mid in guter Laune fehet 

Und das Lied dringt dann aus meiner Kehle 
ALS der Regenbogen froher Seele. 


DoH indem das Glas wir froh erheben. 
Schwer gebrüdt die Nationen Leben, 

Und wenn fröhlid Klingt der Gläſer Schwirren 
Ach wie traurig klingt der Feſſel Klirren! 

Und das Lied dringt da aus meiner Kehle 
Als die Wolke der betrübten Seele. 


4 








Alerander Petöfi. 737 


_ Kur ein Gedanke qualt mid... 


ur ein Gedanfe quält mich kummervoll, 
Daß ih im Bett, auf Kiffen fterben fol! 
Zu welten langlam, wie in Frühlingdtagen 
Die Blume welft, an der die Würmer nagen: 
Vergehen langſam, wie der Docht vergeht, 
Der in verlafl’ner, leerer Stube fteht.... . 
Nicht folden Todes laß mich fterben — 
O Gott, nit To laß mich verderben ! 
Sch will ein Baum fein, den der Blitz durchwettert, 
Den der Orfan entwurzelt und zerjchmettert ; 
Ich will ein Feld fein, ber gelöit bom Föhn 
3 Thale rollt mit donnerndem Gedröhn ... 
enn jedes Sklabenvolk, des Joches müd', 
Zur Wahlſtatt zieht 
Mit rothen Bannern, rothen Wangen 
Und ſtürmiſch lautem Kampfverlangen — 
Und auf den Bannern 
„Weltfreiheit” flammt als Loſungswort, 
Und man pofaunet Died in Süd und Nord, 
Poſaunet e3 in alle Welt hinaus — 
Und fi die Tyrannei dann ftellt zum Strauß: 
Alldort mir dringe 
Durchs Herz die Alinge; 
Alldort mein junges Blut entfließe — 
Und wenn auffauchzend ih den Tod begrüße, 
Mag Scwerterflang und der Geſchütze Dröhnen, 
Mag Hörnerfhall mein Jauchzen übertönen, 
Und über meine Leiche dann 
Der ganze Heereöbann 
Hinbraufe zum erfocht’nen Stege, 
Beachtend nicht, Daß ich zertreten liege, 
Aldort man ſammle mein Gebetn, 
Stellt der Beitattung großer Tag fi ein, 
Wo feierlich mit leiſem Tranerfang 
Und mit umflorter Fahne fi) bewegt jo bang 
Der Zug, zu ſenken tief hinab 
Die Helden al in ein gemeinfam Grab, 
Die für Dich farben todberett, 
Du heilige Weltfretheit! 


RR 


47 





Siebe, Freiheit, Frieden! 


enn in der Erde tiefgefurdhten Fluren 
Des Kornes Helm Ti fruchtverheißend regt: 

Wenn Die Natur des Frühlings Werbungsſpuren 
Auf ihrem blüthenreihen Antlig trägt; 
Wenn in den Bullen aller Kreaturen 
Des neuen Vebend Wärme pocdt und ſchlägt; 
Dann Iohen auf aus unf’rer Seele Gluthen 
Die Triebe, die dort fchlummerten und rubten: 


Die Sehnſucht nad dem Frieden: dad Verlangen 
Nah Glück und Luft, das und im Buſen ſchwillt; 
Der Trieb, mit dem wir an der Hoffnung bangen, 
Die, ewig neu, aus der Enttäuſchung quillt; 

Der Haß des Zwanges, ber uns hällt umpfangen, 
Der Durft nach Freibeit, heiß und ungeftillt: 

Die feines Winter! Fröſte noch gebändigt — 

Ste flammen hoch, vom Lenzbach verlebendigt! 


Und wie in Form, in Duft und Sarbentönen 
Sid die Natur im Maienlicht verfüngt, 

Sp un)’re Seele fi) zu jenen ſchönen 
Erhabenen Gefilden aufwärts ſchwingt, 

Wo den bedrängten armen Menſchenſöhnen 

Der Geiſt die Botſchaft der Verheikung bringt; 
Wo wir aud unferes Zieles Sonnenaugen 

Uns friſche Kraft zu neuen Thaten ſaugen! 


Wo wir auf liter Bahn, in hehrem Streben, 
Mit Gleichen aller Zonen und verftehn, 

Und unfere Herzen Bundexbanner weben, 

Sn deren Edyatten wir zum Kampfe gehn 
Zum Kampf aus Liebe; um dad Deenfchenleben 
Das wir entwürdigt und gefnechtet fehn, 

Im beißen Ringen mit des Trugd Gewalten 
Zu einem edlen, freien zu geftalten! 


Zu einem Leben ohne Lift und Tüden, 
Zu einem Dafein ohne Noth und Zwang, 











Andreas Shen. 739 


Wo weder Furcht no Sorge uns bedbrüden 

Und fret fi fättigt unſ'res Weſens Drang; 

Der Drang, einander Itebend zu beglüden 

Im Werk und Spiel, in That und Luftgefang: 
Zu einem Beben, dad wir ftündlich krönen 

Im Thun des Guten — tm Genuß des Schönen. 


Das ift der hohe Preis, um den wir ftreiten, 
Wenn und der Schlahtruf von den Lippen bebt, 
Das Biel, nad) dem wir unaufhaltſam fchreiten, 
Ob auch die Hölle ſich ’gen ung erbebt; 

Das deal, dad uns der Zukunft Zeiten 

Mit ſeines Reizes Zauberfhein ummebt, 

Das und erfüllt mit glühendem Verlangen, 
Sein fleiſchgeword'nes Weſen zu empfangen ! 


Entrollt die Fahnen! Laßt fie raufchend wehen 
Im Frühlingswind, im Matenfonnenlicht! 

Laßt ale Welt die Stnneseinheit fehen | 

Mit der die Arbeit um Erlöſung ficht! 

Aus diefer Einheit wird die Macht erftehen, 

Die unferer Entwidlung Schranken bricht: 

Es wird das Reich der Menſchenlieb' auf Erben 
Ein Reich des Friedens und der Freiheit werben! 


—— 


Frauhlingeru9ñ. 


Miterermadi find dad Licht und die Wärme, 
I8tedererftanden find Farbe und Duft, 
Miedergefehrt find der Zugvögel Schwärme, 
Wohlklangerfüllt tft die würzige Luft! 

Alles, was Odem hat, dehnt Feine Schwingen, 
Alles, was niedrig, ftrebt hoffend empor; 

Alles, was Stimme bat, läßt fie erklingen 
Schallend und wirkelnd im wedenden Chor: 
„Wachet auf! Wachet aufl Wartet auf! 

Die ihr dDuldend der Liebe und Freiheit uber — 
Der Frühling, der Frühling iſt wiedergekehrt 
Wachet auf! Wachet auf!“ 


Hört die Gewäſſer: Es iſt mir gelungen! 
Murmelt vergnügt der lebendige Bach, 

Da er dem Joche des Froſtes entfprungen, 

ALS ihm der Lenz feine Feſſeln zerbrad). 

Reißend und ſtürmiſch, geſchwellt von ben Bächen, 


Toſet und ſchäumet der Waldſtrom einher; 
4 ® 





740 | Andread Scheu. 





me 


Hört ihr die donnernden Wogen nicht ſprechen 
Weit über’3 Land, von der Quelle zum Meer: 
„Wachet auf! Wachet auf! Wachet auf! 

Die ihr Veben und Liebe und Freiheit begehrt — 
Der Frühling, der Frühling tft wiedergekehrt! 
Wachet auf! Wache auf!“ 


Hört den Belang, der in grünenden Wälbern 
Laut aus gefiederten Kehlen erklingt; 

Höret das Preislied, das über den Feldern 
Jubelnd Die Verde dem Sonnenlicht fingt! 
Höret des Roſſes Iuftichnaubende Nüftern; 

Hört fetner Ungeduld ftanıpfenden Huf; 

Hört aus dem Dröhnen, dem Singen, dem Flüftern, — 
Einzig allein den verheißenden Auf: 

„Wachet auf! Wachet aufl Wachet auf! 

Der euch Leben und Liebe und Freiheit gewährt 
Der Frühling, der Frühling tft wiedergefehrt ! 
Wachet auf! Wachet auf! 


Höret die rufende Stimme der Winde, 

Die aus den wogenden Lüften ertönt; 

Ob fie vom Süden ſpricht, weich und gelinde, 
Ob fie vom Weſten rüttelnd erbröhnt: 

„Wo wir auch perlende Stirnen umfachen, 
Wo wir auch ftöhnende Herzen umweh'n — 
Ueberall jeh’n wir Die Armen erwachen, 
Ueberall jehen wir Kämpfer eriteh’n. 

Wachet auf! Wachet auf! Wachet auf! 
Die ihr müde und einfam und Tettenbefäwert — 
Der Lenz, der Befreter iſt wiedergefehrt! 
Wachet aufl Wadet auf!” 


ver 
















—8 

Iwan Sſawitſch Hifitin, R 

A 

geboren 21. September 1824 in Woronefä( Rufland), mußte in feiner Jugend ER 
ſich kümmerlich durchs Leben ſchlagen, eröffnete fpäter eine Buchhandlung, IR 
verfiel jedoch frühem Siechthum und ftarb am 16. Dftober 1861. R 





2OX 


— gFie Arnd, — 


& du Armuth, o du bittre Roth! 

Stumm erträgft du der Entbehrung Schmerz, 
Nährft dich kümmerlich von trodnem Brot, 
Boller Demuth tft und Furcht dein Herz. 


Senkſt die Augen, brichft in Thränen aus, 
Willſt vor Kummer und vor Scham vergehn; 
Harılt im Winkel in der Reihen Haug — 
Niemand grüßt dich, fieht dein ſtummes Flehn. 


Schwimmen mußt du mit der Fluthen Strom, 
Geben ſeitwärts auf zertretnem Pfad; 

Sudft du Sonne — bligt der Himmelddom, 
Sprichſt du Wahrheit — 1ft’8 ein Hochverrath. 


Deine Seele Tennt Tein Liebesglück 
Und dein Frühling feinen Sonnenſchein, 
Deine Luft währt einen Augenblid 
Und nur Krankheit harrt im Alter dein. 


Eine Kette nur von Sram und Oual 
Sit bei Tag und Nacht dein Beben Bier, 
Und verläßt du dieſes Jammerthal — 
Wudert Unkraut auf dem Grabe dir! 


— Keben ud Fod. — 


WUrfsttare Reiten Es jchwinden die Jahre, 
Verbinden das Leben | Sahrhunderte ſchwinden: 
Allzeit mit dem Tode. Die Allmaht des Todes 
Das Leben enthält Thon | Bernichtet das Allſein 
Sm Urkeim den Samen | Und bildet doch ewig 
Selbfteigner Zerftörung. Den Urquell des Lebens. 
Doch auch in dem Moder | So wirft die Naturfraft 
Des nichtigen Leibes Allzeit, allerorten: 
Verbergen ſich Keime Sie iſt unſre Wiege, 
Zukünftigen Lebens... | Sie tft unſer Sarg. 


—ı_ II nn 





142 


— 
— 


Su den beitren Spmmenfihein 
Wolkenſchar in Nacht? 

ein, BUT Terme nat dad Dorf 
fen es Schulzen Mad 


In den breiten rothen Gurt 
Iſt fen Wanſt gedrängt 

Und ſein Leib * blaue Tu 
Des Kaftans gezwwängt. 


Stützt ſich amf den Knotenſtock, 
Schaut geruhig drein; 

In die neuen Stiefel geht 
Ein Maß Korn hinein. 


Ohne Beſen Pe 
gen! der Schulz d Bi 
ommt er einem Huhne nah 

Gadert’3 übern Steg. 


itternd ſteht der Bauer, gküßt 
hrfurchtsvoll den Daus; 
Mit Gefreifch die Kinderſchar 
Flüchtet in das Haus. 


In der Tenne ſteht der Schulz, 
Schweigt und athmet ſchwer, 
Streichelt ſich den Bart und blickt 
Prüfend ſtreng umher. 


Funkelnd dehnt der Himmel ſich 
Blauend wolkenlos, 

Und die Sonne Hamm und jengt, 
Dörrt der Erde Schoß. 


In der Tenne lärmt Gedröhn, 
Süngling driſcht und Greis; 

er, Weibern, Mädchen. perlt 
Auf Stirn der Schweiß. 


Swan Sſawitſch Nikitin. 


Ber Vvorfſchulz — 





Vorwärts! mahnt der ſtrenge Schulz 
„Doppelt euren Fleiß!“ 

Männern, Weibern, Mädchen rinnt 
Von der Stirn der Schweiß. 


Ein wagzbrcuig qruces Ding 
Rief der Schulz beiſeit, 

Sprach ihr ernſt vernünftig zu 
* vol Zärtlichkeit. 


Doch die Dirne fpudte aus, 

Ward wie Blut fo roih 

30 bie flotte Jugend Tennt 
nn bed Lebens Noth! 


108 ftand der zul und hieß 
e weigen den Verdruß . 
Das gefegte Alter weiß, 
Wie ed handeln muß! 


Sah ſich das Getreide an, 
Das gedroſchne Korn. 
„Uebel iſt der Ausdruſch nicht!“ 


| Sprad er, bleih vor Born. 


Lächelte den Mädchen zu, 

Lobte Weib und Mann; 

Die Ihwarzbrauig fchmucke Dirn 
Sah er drohend an. 


„Bis um Abend ſäuberſt du 
die Ställe rein!“ 

— Herr, erbarme dich! 9 wil’s 

Und jo wird es fein!“ 


In der Dirne Herzen wird 

Schwankes Sinnen reg; 

Ohne Befen Pete 
eg. 


| Fegt der Schulz db 


In der Tenne dröhnt Gelärm, 
Glüht der r Soreieer Fl 
Auf ein ausgedroſchnes oru 
Kommt ein Tropfen Schweiß... 


ER. 





Swan Sſaäawitſch Nikitin. 


143 


+ Bie Spinnerin. + 


roſtig iſt's imStübchen; draußen 

Heult der Windsbraut Macht 
Dünne Fäden zwirnt die Greifin 
Stumm um Mitternadt. 


gar fih gelegt zum Schlummer, 
Fi a Lam ng A f 

angen Herzens wird ſie ſchaffen 
Bis ans Morgenlicht. 


Und der Kienſpan räuchert, kniftert, 
Huſcht den öden Schein 

Auf der Greiſinn Antlitz. Troſtlos, 
Schmerzlich blickt fie drein. 


Armuth, Armuth! Wenn der Alte 

Auch zuzeiten trank — 

War erträglich doch dad Leben, 
Gab's doch Brot im Schrank! 


Doch ſeit er erblindet, gab er 
Dem Verſucher nach 

Und verlor den Halt vollſtändig — 
Ach, der Menſch iſt ſchwach! 


Betteln wollt er nicht, und lenken 
Konnt er nicht den Pflug! ° 
Keine noch fo bittre Kränkung 
Gab's, die er nicht trug. 


Schweigend trug er ſie, nur manchmal 
Ward vor Zorn er bleich, 
Binde feinem 803 und jchluchate, 

em Finde gleich. 


Und dann ftarb er. Eiſeskälte 
Starrte Tag und Nadt; | 
Mit dem Beil ein Grab dem Vater 
Hat der Sohn gemadit. 


Damal3 war’3 ein hunger Burſche, 
Lockigt, ſchlank, voll Kraft; 
Nimmer Hatte Frofſt noch Hitze 
Seinen Leib erſchlafft. 


Wenn er ſprach, ſo klang die Rede 
Wohlgeſetzt und klug; 


En 


Zieht ſich das 


Wie ein Vogellied erklang es, 
Sang er hinterm Pflug. 


Brannte eine Hütte, drohte 
Ein Ertrinfungdtod — 

Lief zu Hilfe er und bradite 
Hilfe in ber Roth. 


Kraft und Frohſinn und Gejundbeit 
Gab ihm Gott. Ein Stein 
Galt ihm für ein Daunentiffen — 
Schlief drauf wohlig ein. 


Aber eine neue Hütte 

Wollte zimmern er; | 
Ging ald Barkenknecht zur Wolga — 
Und fam nimmermehr! 


Sn dem bloßem dünnen Node 
Stand er tagelang 

Kenietief in dem kalten Wafler, 
Und ward lungenkrank. 


Ind der Aermſte ftarb! Die Mutter 
Weinte fih halb blind 

Und verzehrte fih vor Kummer 
Um das theure Kind... 


Und der Spanverglimmt, doch endlos 
Gezwirn; 

Die Erinnrung quält der Greiſin 
Müdes Herz und Hirm. 


Horch, wie Weinen tönt’3 und Stöh⸗ 
An das Fenſterglas, [nen! 
Dad bereifte, haucht Die Alte... . 
Gott, was deutet das? 


Durch das Dorf eilt eine weiße 
Menſchliche Geftalt 
Und verftreut Myriaden Sterne, 
Farbig manntafalt. 


WiedieSternefprühn! Der Schnee⸗ 
Kracht ans Thorundbrüllt... [fturm 
Bor Entſetzen fißt die Greifin 
Starr, ein Geiſterbild. 


144 


Iwan Sſawitſch Nikitin. 


Kechtsbewußiſein. 


lag bie Verleumdung wuthverblendet 
SF Mit Steinen wehren meinem Gang — 
Ich babe nimmer mid geſchändet 

Durch Zungenftreit und Gaflenzanf. 


Gehetzt, getrieben in die Enge, 
Wußt ich, daß auf die Hinterlift 
Und auf den Haß der blöden Menge 
Die Antwort nur — Verachtung ift. 


Der Feigling nur wird blaß erzittern, 
Wenn ihn beftürmt des Pöbels Groll; 
Mag's über meinem Haupt gewittern — 
Wenn nur die Seele friedevoll! 


Ja, meine unbefledte Ehre 


Und das Bewußtſein meiner Pflicht 
Dient mir als Stübe nnd als Wehre, 
Läßt meine Kraft erlahmen nicht. 


Im Rechte bin ih — und will ſchweigen! 
Gekettet — bleib ich dennod frei! 

Mein Knie wird nie freiwillig beugen 
Sich vor des Haufens Tyrannet! 


Um Gnabe werd ih nimmer flehen, 
Die Hand nie reihen einem Knecht; 
Und folt ih aud zu Grunde gehen — 
Sch wahre meiner Freiheit Recht! 


3 








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Thomas Hood, 


neboren 23. Mai 1798 in Landon, bedeutender Humorift und Lyriler, 
ſtarb am 3. Dai 1855. ud fein , ‚Lied vom Hemde” gelangte Hood 


zu großer Bopvla: itat. 








—IDrrEE 


Das Sied vom Zemde. 


Ni Fingern mager und müd, 

Mit Augen fhwer und roth, 
In ſchlechten —*8* ſaß ein Weib 
Nähend für's liebe Brot. 
Stich! Stich! Stich! 
Aufſah ſie wirr und fremde; 
In Hunger mb Armuth flehentlich 
Sang ſie das „Lied vom Hemde“. 
„Schaffen! Schaffen! Schaffen! ! 
Sobald der Haushahn wach! 
Und Schaffen — Schoffen — Schaffen, 
Bis die Sterne glüh'n durch's Dach! 
O, lieber Sklavin ſein 
Bet Türken und bei Heiden 
Wo das Weib Leine Seele ‚ reiten hat, 
Als jo bet Chriften leiden! 
„Schaffen! Schaffen! Schaffen, 
Bis dad Hirn beginnt zu rollen! 
Schaffen — Schaffen — Schaffen, 
Bis die Augen fpringen wollen! 
Saum und Zwickel und Band, 
Band und Zwickel und Saum — 
Dann über den Knöpfen fchlaf’ ich ein, 
Und nähe‘ fie fort im Traum. 


„D Männer, denen Gott 

Weib, Mutter, Schweftern gegeben: 
Nicht Binnen iſt's was ihr verſchleißt — 
Nein, warmes Meenfchenleben ! 
Stihl Stihl Stich 

Das iſt der Armuth Fluch! 

Mit doppeltem Faden näh’ ich Hemd, 
Sa, Hemd und Leichentud) ! 

„Do was red’ ih nur vom Tod, 
Dem Knochenmanne! — Hal 

Raum fürchl' ich feine Saredgeitalt, 
‚Ste gleiht meiner eignen ja! 


TESESLER RETETTETT 








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746 


Thomas Hood. 


Sie gleicht mir, weil ich fafte, 
Weil ich lange nicht geruth 

D Gott, daß Brot fo theuer ift, 
Und fo wohlfell Fleiſch und Blut! 


„Schaffen — Schaffen — Schaffen! 

Und der Lohn? Ein Waflerhumpen, 

Eine Krufte Brot, ein Bett von Stroh, 

Dort das morſche Dach — und Lumpen! 
Ein alter Tiſch, ein zerbrodner Stuhl, 

Sonft Nichts auf Gottes Welt! 

Eine Wand fo bar — 's ift ein Troft fogar, 
Wenn mein Schatten nur drauf fällt! 


enafen — Shaffen — Schaffen — 


om Früh⸗ zum Nachtgeläut! 
Schaffen — Schaffen — Schaffen, 
e 


Wie zur Straf' gefangne Leut'! 
Band und Zwickel Ian Saum, 


Saum und Zwidel und Band, 
Bis dom ewigen Büden mir ſchwindlig wird, 
Bis das Hirn mir ftarrt und die Hand! 


„Schaffen — Schaffen — Schaffen, 
Bei Dezembernebel fahl! 

Schaffen — Schaffen — Schaffen, 
In des Lenzes Tonnigem Strahl! 
Wenn zwitſchernd ſich an's Dach 

Die erſte Schwalbe klammert, 

Sich ſonnt und Frühlingslieder fingt, 
Daß das Herz mir zuckt und jammert. 


O, draußen nur zu ſein, 
Wo Niol’ und Brimel fprießen — 
Den Himmel über mir, 


. Und da3 Gras zu meinen Füßen! - 


Zu fühlen wie vordem, 

Ad, Eine Stunde mır, 

Eh’ noch es hieß: Ein Mittagsmahl 
Für ein Wandeln auf der Flur! 


„Ad ja, nur eine Frift, 

Wie auch — nicht zur Freude! 
Nein, auszuweinen mich einmal 

So recht in meinem Leide! 

Doch zurück, ihr meine Thränen 

Zurück tief in's Gehirn! 

Ihr kämt mir ſchön! netztet beim Nähn 
Mir Nadel nur und Zwirn!“ 








Thomas Hood. 


Mit Fingern mager und müd, 

Mit Augen ſchwer und roth, | 

In ſchlechten Hadern ſaß Weib, 

Nähend für's liebe Brot. 

Stich! Stich! Stich! 

Aufſah ſie wirr und fremde; 

In Hunger und Armuth flehentlich — 

O, Ihwäng’ es laut zu den Reichen ſich! — 
Sang fie dies „Lied vom Hemde“. 


A 


Das Sied des andproletariers. 


in Spaten, ein Rechen, ein Karſt, 
Eine Hacke — was es ſei! 
Ein Tuch zum Sä'n eine Senſe zum Mäh'n, 
Ein Flegel — einerlei! 
Und hier iſt 'ne rftge Sand 
Eine Hand für jede Wucht! 
Eine Hand, die Hart umd erfahren ward 
Sn der Arbeit rauher Zucht! 


Eine Hand, die den Graben zieht, 

Die ben Elchbaum kappt oder fällt, 

Die auf's ſchwüle Land die Schwaden legt, 
Und umbricht das ftarre geld; 

Die den Weizenſchober dedt, 

Die den Roggenihnber häuft, 

Und immer doch — feld umbeforgt! — 

Nah Schwamm oder Zündholz greift. 


Wann hätt’ ih Scheuer und Hof 
Zu entflammen je begehrt? 
Der Brand, ben zu fttften mich verlangt, 
Iſt auf des Hauſes Herd! 
3 der Brand, der Iuftig ſtrahlt, 

o Rinder wimmeln und ſchrei'n; 
Sft der Brand, um den zur Winterözett 
Ste fptelen und fi freu'n; 
O, wie anders färbt er ihr bleih Geficht, 
Als fladender Höfe Schein! 


Ihm der die Dürre fhidt 

Auf die Flur in feinem Zorn; 
Ihm, der die Wiefen ertrinken läßt, 
Und den Mehltau wirft auf’3 Korn: 


8 


147 


748 


Thomas Hood. 


Ihm fiel’ ich es anheim, 

Zu gebieten ſeiner Gluth, 

Daß des Wucherers Garben ſie zerſchlägt, 
Und die Himmel färbt wie Blut. 


Ein Spaten, ein Rechen, ein Karſt, 

Eine Hacke — was es ſei! 

Ein Tuch zum Sä’n, eine Senſe zum Mäh'n. 
Ein Flegel — einerlet! 


Laßt dad Scheit mich hau'n, laßt das Land mid bau'n 


Laßt mich zadern durch's Gefild, 
Und fit ih der Wildbahn morſchen Zaun, 
Glaubt nicht, ich Dieb’ euer Wild! 


Sa, gebt mir Arbeit nur — 

Und feiner Gnaden Reh 

Und feiner Wohlehrwärden Ha’ 

Sind fiher, wo ich geh’! 

Nicht brech' ich ein beim Lord 

Um fein blinfend Silberzeug; 

Stoß’ den Yeoman, ber 'nen Sedel trägt, 
Nicht in Graben oder Teich! 


Wo immer Arbeit ruft — 

Nicht die ſchwerſte ſchlag' ih aus! 

Ich ſteh' meinen Mann, ih greif' fie an, 
Zu entgehn dem Armenhaus; 
Wo ein grimm und rauh Geſetz 

Schier die Luft m'Bgännt dem Kind: 
Wo Weiber, vor der Männer Tod, 
Schon verdammt zu Witiwen find. 


Das nur ift mein Begehr: 

Zu verdienen zwiſchen Licht 

Und Dunkelheit, zu jeder Zett, 

Was zum Beben mir gebridt ı 

Mein täglich Brot, mein nächtlich Bett, 

Mein Sped, meinen Tropfen Bier: 

Doch nur von der Hand, die da hält das Land — 
Geht mit dem Kirchſpiel mir! 


Kein Armengeld für mid! 

Ich bin des Bodens Sohn, 

Durch mein Recht auf Arbeit wohl befugt, 
u verlangen meinen Lohn! 
as Gaben! — Arbeit gebt! 

Hier ein Arm und hier ein Bein, 

Die Kraft, die Sehnen eines Manns — 

Und ich ſollt ein Bettler ſein?! 











Thomas Hood. 





Adam's Erbe bin auch ich! 

Ja, wie niedrig auch mein Loos; 

Zehrt ihr auch von der Erde Seit, 

Und Ih vom Magern bloß; 

Sit mein Rod auch kahl, meine Koft auch ſchmal: — 
Unfer Anrecht bleibt ſich gleich! 

Und was ich Habe, dank' ich Gott, 

Ihr Herren und nicht euch! 


Ein Spaten, ein Reden, ein Karſt, 

Eine Hade, was es jet! 

Ein Tuch zum Sä'n, eine Senfe zum Mäh'n, 

Ein Flegel — einerlei! 

Zu Allem bin ich bereit, 

Was thr ehrlich bieten könnt! 

Bin's mit Muskel und Sehn’ — und Weh' über den, 
Der mir meinen Lohn mißgönnt! 


Der allfamftäglich befnappt 

Meiner Heller knappe Zahl; 

Der den Armen giebt an ber Kirchenthür, 
Doch ſie geſtern erſt beſtahl! 

Der Schilling, den er zu ſparen glaubt, 
Wird dem Kargen doch nicht frommen: 
Im Spittel oder im Zuchthaus gar 

Soll er mir zu Gute kommen! 


—E 


Die Senfzerbräcke. 


teder, zu athmen mid’, 

Müd' ihrer Noth, 
Eine, die flüchtend ſchied 

ah in den Tod! 
Hebt fie vom Uferkies, 
Jufhert ſie leis! 
O, welch' ein zart und füß 

Ahgeinidt Reis! 


Sebet, wie ftraff ihr gengl 
Sehet, wie wachstuchgleich! 
Kalt rinnt daß Waſſer thr 
Ab vom Gewande; 

Hebt ſie mir, tragt fie mir 
Viebend vom Strande! 


Nimmer mit Hohn und Groll, 


Trauernd, erbarmungsvoll, 


Anrührt ihr Leibliches! 
Nicht ihrer Fleden denkt! — 
Was ihr von ihr verjentt, 
Iſt nur ein MWeibliches ! 


Fragt nicht, aus was für Saat 
Aufging die rafhe That, 
Keimt ihr Empören? 
Ippuſq die Schmach von ihr, 
Nichts ließ der Tod an ihr, 
Nichts als der Schönheit Zier 
Und Leichenehren! 


Keiner verdamme ſie! 
Hört ſie zur Sippe doch 
Eva’3l — O, wiſcht ihr die klamme, die 
Arme, ſickernde Lippe doch! 
Lüpft ihr die Locken! 











750 Thomas Hood. 


Streit fie ihr troden, 
Preßt fie ihr aus! 

Ihre Boden, die braunen! — 
Die Leut’ indeß flaunen; 
Wo ftand ihr Haus? 


Wer war ihr Vater? 
Wer thre Mutter? 
Hatt’ eine Schwelter fie? 
Warnte fein Bruder fie 
Treu vor dem Yalle? 
Lebt’ ihr kein Lieb'rer noch, 
Lebt’ ihr kein Näh’rer noch, 
Ad, als fie alle? 


Himmel! der Seltenheit 
Chriftiher Mildigkeit! — 
’3 war zum Entſetzen: 
Sn einer Stadt, wie die, - 

erdftatt nicht Hatte fie, 

ran fi au ſetzen! 


Schweſterlich, brüberlich, 
Bäterlih, mütterlich, 

ühlen verfehrt ! 

as wie auf Feld thr ftand 
Liebe ſchwand, Treue ſchw 


Selbſt Gottes Baterhand 


Schien abgekehrt! 


Wo der Lampen Helle 
Zurückſtrahlt die Welle 
Wo ihr Schimmer lache, 
Aus Saal und Gemache 
Vom Keller zum Dache, 
Stand ſie, die Schwache, 
Hauslos bei Nacht! 


Wind und Regenguß 
Machten ſie beben: 
Nicht der ſchwarze Fluß, 
Nicht die finſtern Streben. 
Abgehetzt, wundgehetzt, 
Kam ſie zu ſterben jetzt: 





„Fort mich geſchnellt. — 
Ueb'rall hin, üb'rall hin, 
Nur aus der Welt.“ 


Himab ſprang fie bald auch, 
Wie finſter, wie kalt auch 
Die Themfe rann. 

Uebers Geländer bier — 
Mal’ es dir, dent’ es bir 
Schwelgender Mann! " 
Waſche ſich, trinf’ aus ihr 
Fürder, wer kann! 


Hebt fie vom Uferkies, 
Aufhebt fie leiſ', 
D, welch’ ein zart und füß 
Abgelnidt Neid! 


Eh’ noch zu ſteif und hart, 
Jegliches Glied ihr ftarrt, 
rg Pa ek Ruh! 
redt fie zur lebten 
Drückt ihr die Augen zu, 
Starrend 1? blinde; 
Starrend durchs NRegnen 
Der Lodenträuflung, 
Wie dem dort zu begegnen 
Mit dem letzten verwegnen 
Blick der Verzweiflung. 


Alſo verachtet, 
Wahnſinnumnachtet, 
Hat die Entehrte, 
Reueverzehrte 
Sterben gemußt! — 
Als ob ſie flehte 
Still im Gebete, 
Kreuzt ihr die Hände 
Ueber die Bruſt! 


Kreuzt ſie — nicht hehlend 
Das Irren der Armen, 
Und ſeufzt es befehlend 
Ihres Heilands Erbarmen. 


HRS 








\ 


Adelbertvon Chamiffo, N 
wurde am 30. Januar 1781 auf Schloß Boncourt in der Champagne 
geborin, lebte, nachdem jeine Eltern durd die Revolution aus Franl- 
reich vertrieben worden waren, in Deutfchland und ftarb am 21. Auguft 

1838 in Berlin. 


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EDDDDDDDDDDDIDDIIHNONE 














— XX 


—X 


—88 
8X 
8 
I, 





DIE 





Der Bettler und fein Sund. 


ret Thaler erlegen für mehten Hund! 

So ſchlage das Wetter mich gleich in den Grund! 
Was denken die Herrn von der Polizei? 
Was foll nun wieber die Schinderei? 


Ich bin ein alter, ein kranker Mann, 
Der Teinen Groſchen verdienen kann; 

Ich habe nicht Geld, ich habe nicht Brod, 
Ich lebe ja nur von Hunger und Noth. 


Und wann ich erfrankt, und wann ih verarmt, 
Wer bat fih da noch meiner erbarmt? 

Wer hat, warn ich auf Gottes Welt 

Allein mich fand, zu mir fidh gejellt? 


Wer hat mich geltcht, warn ich mid gehärmt? 
Wer, wann ih fror, hat mich gewärmt? 

Wer hat mit mir, wann ich hungrig gemurtt, 
Getroft gehungert und nicht gefnurrt? 


Es geht zur Neige mit uns Zwei'n: 
Es muß, mein Thier,, gefchteden fein! 
Tu bift, wie ih, nun alt und krank; 
Ich Toll dich erfäufen, das tft der Dank! 


Das tft der Tank, das ft der Lohn! 

Dir geht’3 wie manchem Erdenfohn. 

Zum Teufel! ih war bet mancher Schlacht; 
Den Henker Hab’ ich noch nicht gemadit. 


Das ift der Sirid, das tft der Stein, 

- Da3 ift das Wafler, — es muß ja jeln. 
Komm ber, du Köter, und fie mich nicht an, 
Noch nur ein Fußitoß, fo tft es gethan! 


Wie er in die Schlinge den Hals ihm geftedt, 
Hat webelnd der Hund die Hand ihm geledt; 
Da zeg er die Edhlinge ſogleich zurüd 

Und warf fie ſchnell um fein eigen Genick. 








752 Adelbert von Chamiſſo. 


Und that einen Fluch, gar ſchauderhaft, 

Und raffte zufammen die legte Kraft 

Und ftürzt’ in die Fluth ſich, Die tönend ſtieg, 
Im Kreiſe ih zog und über ihm ſchwieg. 


Wohl ſprang der Hund zur Rettung hinzu, 
Wohl heult' er die Schiffer aus ihrer Ruh, 
Wohl zog er ſie winſelnd und zerrend her; 
Wie ſie ihn fanden, da war er nicht mehr. 


Er ward verſcharret in ſtiller Stund, 
Es folgt ihm winſelnd nur der Hund; 
Der bat, wo den Leib die Erde deckt, 
Sich Bingeftredt und tft da verredt. 


> 


| Kom Hylhagoraiſchen Sehrſatz. 


a) Wahrheit, fie befteht in Ewigkeit, 

Wenn erft die blöde Welt ihr Vicht erkannt; 
Der Lehrjat, nah Pythagoras benannt, 
Gilt Heute, wie er galt zu fetner Z.tt. 


Ein Opfer hat Pythagoras geweiht 
Den Göltern, die den Lichtſtrahl ihm geſandt; 
Es thaten fund, geſchlachtet und verbrannt, 
Ein Hımdert Ochſen feine Dankbarkeit. 


Die Ochſen feit dem Tage, wenn fie wittern, 
Daß eine neue Wahrheit ſich enthülle, 
Erheben ein unmenſchliches G:brülle; 


Ppythagoras erfüllt fie mit Entſetzen; 
Und machtlos, fih dem Vicht zu widerſetzen, 
Verſchließen fie die Augen und erzittern. 


⸗ 2 0 


Foͤlker und Staaten. 


ölker und Staaten, fürwahr th hörte die Namen erfchallen, 
Aber ich forſchte und ſah Pöbel und Könige nur. 
Hörte von Edelen auch und Rittern ein häufiges PBlappern, 
Sah auf den Höhn noch nur Burgen, verfallene, ftehn. 
Hörte von Vaterland, von Freiheit, hörte von Schlachten, 
Hörte von Zugend und Muth, welche die Mannen geziert. 
Aber ich fah doch blos ein Gezücht von englifchen Doggen, 
Das zu des Brotheren Luft wüthend einander zerrih, 


















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Carl Haupt, 
wurde am 4. Februar 1863 zu Berlin geboren, lernte als Bäder und 
bat ſeit feiner früheften Jugend die Sorgen des Lebens in ber mannig- 


fachſten Weife durchgekoſtet. Seine zahlreichen Lieder find unter biefem 
Drude der Noth entftanden. Haupt lebt gegenwärtig in B rlin. 

















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Gar Freiheit und Fecht. 


Un mögt ihr den ſtürmiſchen Freiheitsdrang, 
Ihr Großen, ihr Schwarzen, befämpfen, 
Ihr werdet den branfenden Freiheitsgeſang 

Der ftürmenden Völker nit dämpfen! 
Bordringen die Völker mit fröhlihdem Muth, 
Wie thr euch auch feßet zur Wehre, 

Es ftürzet der Herzen Heilige Gluth 

Die morſchen Thron’ und Altäre. 


Gefprengt find die Feſſeln und frei tft der Geiſt, 
Den ihr darnteder gehalten; 

Und wie der Sturm den Erdball umkreift 

Und Berge und Fellen kam fpalten — 

Ep flürmen die Völfer jeßt um euch ber, 

Um euch, ihr Großen, ihr Schwarzen, 

Zu üben an euch, ihr Herrn, nunmehr 

Das Amt der zürnenden PBarzen. 


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[EG LCGAMAMAC. — 2,“ 
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Wir haben erifagen lange genug 

Die Tchändenden, ſklaviſchen Bande, 

Ihr täuſcht uns nicht Länger durch ſchnöden Betrug 
Und füllt und die Augen mit Sande. 

Nicht länger mehr wollen wir Sklaven fetn, 

Ein Spielzeug in eueren Händen, 

Wir wollen Menfchen, wie ihr, auch fein 

Und unfer Elend nım enden! 


Schon leuchten die Fahnen mit beiligem Schein, 
Es wehen die flatternden Fahnen | 

Wir ftürmen mit grollendem Muth Binterdreitn, 
Wie fteil auch führen die Bahnen. 

Wir kämpfen für Freiheit und Menfchenglüd, 
Wir kämpfen für gleiche Rechte, 

Die ihr ung ftet3 hieß't mitt höhniſchem Blick 
Bis jetzt nur — Pöbel und Knechte! 


N. 











— — Am Horgen. — 


754 Carl Haupt. 

B: weite ferne Horizont flammt wie getaucht in Purpurblut, 
Wie hehrer, heilger, lichter Glanz, ſchönleuchtend fo wie Feners Gluth, 

Und wie das flimmert, zudt und ſtrahlt, wie wilden Wetters Blitzesſchein, 

Daß Schöner nit der Engelchor in feinem Himmelsglanz kann fein. 


Und fteh! aus diefem Flammenmeer entfteigt Die Sonn’ in holder Pr 

Sp prunkend fehrt im Waffenglanz der Steger heim aus blut'gerSchlacht, 
Und wie des Steger Ange bligt, fo blitzt der Sonne gold’ner Strahl 
Und freudig bricht fen magiſch Licht hindurch den weiten Weltenfaal. 


Und was da Ireibt und was da grünt, wend’t freudig fich dem Lichte zu, 
Und ring? erwacht die weite Ylur aus tiefem Traum, aus tiefer Aub’; 
Und Thränen, die zur Nacht geweint die Erb’ auß ihrem eingeht, 

Bertilgt gar bald mit füßem Kuß der Sonne frohes, gold’nes Licht. — 


D Abbild meines folgen Traum's, du purpurleuchtend Morgenroth, 
Erſchein dem armen Wolfe doch, künd' ihm dad Ende jener Noth, 
Verkünd' ihm, daß die gold’ne Sonn’ entftetgt bald deinem glüh’nden Schaum 
Die Freiheit! fetner Hoffnung Stern — daß ihm nicht ein leerer Traum. 


Sp und nit anders dent’ ich mir der Völker Freiheit Auf ei einft, 





Wie, Sonne, du die Nacht befiegft und goldig funfelnd niederihetuft, 
Wie du bie Fluren nen belebft durch deinen warmen Strahlenſchein, 
Muß ber bebrüdten Menjchhett dann der Freiheit füße Wirkung fein. 


Drum fing’ ich, Heilger Morgen, dir, der und bie Morgenröthe bringt, 
Aus derem blut’gem Flammenmeer der Freiheit Sonn’ ſich Here ring — 
Entflamme, blitzend Morgenroth, du en Schlachtgefild, 

Aus dem der Völker größtes Glück: Der Freiheit gold'ne Sonne quillt! 


> 2 
Sum erfien Mai. 


er erfte Mat! Und goldig ftrahlt 

Die ew'ge Sonne nieder, 
Im grünen Kleid die Erde prahlt 
Und ringaum jubeln Vteder — — 
Und ſchaut der Proletar die Luft, 
Wie muß fein Hera ſich dehnen, 
Wie muß erfüllen feine Bruft 
Ein allgewalt’ge8 Sehnen! 


Er fieft: Es kam ins weite Land 
Der Lenz mit Sturm und Wettern — 
Da tft ein wilder Kampf entbrannt, 
Ein Stürzen und Zerſchmettern! 





Carl Haupt. 755 


Wohl fand der Winter trokig noch 
Und wollte garnicht weichen — 
Des LVenzes Kraft, fie fiegte doch 
Und pflanzte Siegedzeihen. — 


Wohlauf, gedrüdter Proletar, 

Du Knoſpe ſchön'rer Zeiten! 

Dring’ muthig zu der Kämpfer Schaar 
Und I den ei erftreiten! 

Der Winter tft die Reaktion — 

Du follft den Frühling bringen! 
Wohlauf. der Armuth Träft’ger Sohn, 
Dir muß der Steg gelingen! — 


Der erſte Mat! Es firablt die Flur 
Im gold’nen Sonnenglanze 
Und überall trägt fie die Spur 

Vom lichten Siegeskranze — 

Wohlauf zum Kampf mit Kraft und Macht 
Auf daß auf diefer Erde 

Auch uns der Freiheit Sonne ladit, 
Dem Geiſt' ein Frühling werde! 


a 
Auf dem Ban. 


d: ftehen fie und ſchwatzen fie und führen große Worte 

Und ſchimpfen wie ein Spatzenſchwarm in einem ſichern Horte, 
Und ſchwören laut und ſchwören kühn voll Trog in ihrer Mienen, 
Nicht Länger mehr. für Qumpengeld noch ihrem Herrn zu dienen. 


Sobald der Herr kommt nad dem Bau, fo wollen ſie's ihm fagen, 
Daß fie für Diefen Lohn ihr Koch nicht länger wollen tragen; 
Und wenn er ihnen nicht gewährt die Ford'rung, die gerechte, 

Sp wollen fie nicht Länger fein der Arbeit will’'ge Knechte. — 


So ſprechen fie und ſchwatzen fie und reichen fi die Hände, 
Und thun, als ob ein Ehrenwort fie al’ nun treu verbänbe, 
Und warten voller Ungeduld auf ihres Herrn Erfcheinen, 

Und will er nidt — ß wollen ſie ihm ihre Kraft verneinen. 


Und endlich auf der Arbeitsſtell' iſt num ihr Herr erſchienen; 
Ihm naht ſich gleich mit Tedem Schritt der Dreiftefte von ihnen, 
Und trägt {hm vor mit ſchlichtem Wort der Arbeiter Begehren, 
Und fagt, daß er für Alle Spricht, daß Alle einig wären. — 


Doch ald er kaum geendet bat, fo brüllt auch fchon der Metfter: 

„So frech zu fein — ſchämt ihr euch nicht, thr niederträcht'gen Geifter? 
3 jetd wohl toll! Ich geb’ nicht mehr! Und wem's nidt mag belteben, 
Ihr Kerle, hört's! der kann fogleih auch feiner Wege fchieben! a0 


756 Carl Haupt. 


Ste aber, ber das Wort geführt, fofort vom Bau herunter! 
Doch wer bei mir noch ſchaffen will, bewege fih num munter! 
Dad wär’ ja eine ſchöne Zucht, Vorſchriften mir zu machen, 
Da ginge ja mein Renome in alle Winde- krachen!“ — 


Da ftehn fie nım fo ſtill, fo feig, als wie begofl’ne Pudel, 
Geängftigt wie vom Schäferhund der feigen Schafe Rubel; 

— Der Eine gebt erbob’nen Haupts, man hört ihn höhniſch pfeifen, 
Indeß die Andern ängſtlich flint zum Werkzeug wieder greifen. 


Doch draußen dreht der Sprecher fi herum in flolgem Grimme 
Und fchreit den fetgen Seelen zu ıntt wahrer Donnerſtimme: 
„Sp tft e8 recht, ihr Lumpenkerls! Ich feigen Humndefeelen, 
Die wenn der Herr den Rüden dreht, berathen und Trafehlen. 


Doch tft er da, dann Lönnen fie nicht mal bis dreie zählen! 

Zuviel befommt ihr noch an Lohn, müßt euch zu wenig quälen! 
Wär ich der Meifter, merkt es euch, ich wollt’S noch beſſer machen: 
Die Peitſche folltet Loften ihr, daß euch die Kochen krachen!“ — 


Dann fchreitet ftolz er feine Weg's. — Die Andern fchuften welter; . 
Und fchwäten dies und ſchwätzen das und lachen Ted und heiter — — 
Warum fie laden? Fragt mich nich‘. Ich Tann es euch nicht fagen. — 
Weil ihr Kollege mußte gehn? — Ihr müßt fie jelber fragen! 





Mein Gebet. 


ch geißle nimmer meinen Leib 

Und rutſche blutig meine Kniee, 
Berdrebe heuchelnd nicht mein ug 
Bis Abends fpät von Morgen? frühe, 


Ich fafte nicht um meine Sind’, 

Ich fühl’ mich nicht dazu bewogen; 
Die Thoren, die es thun, daäucht mtr, 
Die haben ſich nur ſelbſt betrogen. 


Denn dazu tft der Menſch nicht da, 

Daß er jein Leben foll verkümmern; 

Und alle fromme Narretei 

Wird nur des Menfchen 2003 verſchlimmern. 


Nein! Wenn ich beten will zu Gott, 
So fing’ ich eine ſchlichte Weiſe, 

Bon meinem Glüd und meinem Leid — 
Und wer tft, der ihn beiler preife? — 


Rn) 














Garl Haupt. 


— —- — —— — — — 


An die 


ragt Ihr nad) der Armen 2.003 
Und nad ihrem Wohlergehen, 
Die im Schweiß für euer Glüd 
Emſig mühen ſich umb drehen? 
Die jür lange Arbeitszeit 

Bon end Targen Lohn empfangen 
der ni t mal für’3 dürft'ge Brot 
Ihrer Lieben recht mag langen? — 


ragt ihr, ob den fauren Schweiß 
Eine frofe Stunde ohne? 
Ob auch nur minutenlang 


Je dad Glüd ihr Herz beimohne I— | 


Nein, o nein, ihr fragt nicht nach! 
Mögen fie Doch vegetiren, 

Wenn nur Golb und Edelſtein' 
Eure feilen Leiber zieren! 


157 





Keichen. 


Nein, o nein, ihr fragt nicht nach, 
Ob enitrafiet ſie mag ſtrecken 
Hunger auf das Lager hin, 

Ob fie ſchaarenweiſ' verreden! 
Wärens Pferde, ja, nur Hunde, 
Die ihr muͤßt für Geld erwerben, 
O, es würd euch tief —* 
Aber fo — laßt fie verderben!! 


Aber warte, Heuchlerbrut, 
Die in Kirche und im Tempel 
BE Ge 

er Fromm empe 
Die durch feiler Söldner Mund 
Pred’gen laͤßt den blafien Armen, 
Daß einft der Entia gung Bohn 
Set des Ewigen Er 


Warte, warte, Heuchlerbrut, 

Bald ja wird die Stunde tagen, 

Wo der Unterdrüdten Muth 

Sich erhebt zu fühnem Wagen! 

Dann, ja dann — doch ſchweig mein Lied; 
Denn fie werden's felber willen, 

Was als einzig rechten Lohn 

Sie von und erwarten müſſen! 


* 


Stimmt an ein Lid — — 


timmt an ein Lied aus tieffter Bruſt 
Und fingt von Luft und Liebe — 
Der Freiheit Doch gebühr’ der Preis 
In enrem Sangeßtriebe. 


Denn Freiheit, Freiheit nur allein 
St alles Lebens Amme. 

Sie rührt allein ein ſtolzes Herz 
Und facht's zu heil’ger Flamme. 


Und nur allein, wo 
Gebeiht der Drang 


Freiheit bliht— 


im Gut 


Ein ‚das echt fü it· gl t, 
—32 — für fi ce en 


758 


\ Carl Haupt. 


Jedoch des feigen suchten Sinn 
Wird nie fi hoch erheb 

ALS Kriecher wandelt er Baht 
Und wie ein Vieh durch's Leben. 


Und fafelt er von öreihett auch 
Und trägt gar hoch) die Nafe — 
’S tft doch mur an gelernter Brauch 
Und was er —* iſt Phraſe. 


—* au fein riechen reichen Bohn 
m Amt und den, 
—* X ce eit tremer Sohn 
Schmach und Bürden. 


Dem Sriedher f Ei ber Drben Zahl, 
am Band die Bruſt, di 

reiheit Sohn int Sof und Dual 
35 einem Lebensſfteige. 


Doch wie dem ſei, ſtimmt an den Sang, 
Von Freiheit ſoll er tönen! 

Es treff' ſein heil'ger Donnerklang 

In's Herz den —— — 


Stimmt an! Stimmt an! Es glüh' das Herz! 
2. od die heil’ge Flamme! 

Und jubelnd dring’ e8 himmelwärts: Ä 
Freiheit tft unfre Amme! 








Ar | 















Johann Gottfried Seume, 


geboren am 27. Zanuar 1763 in Boferna bei Weißenfels, ftarb nad 
einem ſchickſalsreichen Leben am 13. Juni 1810 ir Teplig. Durch feinen 
„Spaziergang nah Syrakus“ iſt Seume in weit ren Volkskreiſen be⸗ 
kannt geworden. 


++ Suter Kath. + 


a willft es; gut, fo ſollſt du meine Lehren 
Zur Abfahrt auf die Nelfe hören. 

Du gehft jetzt in Die große Welt, 
Und gleih zu gelten, Lieber, fehlt dir Geld: 
Denn Geld nur gilt, wie fchon bie Sprache lehrt, 
Und Gold allein gibt firadd dem Manne Werth. 
Und diefen Mangel auszufüllen, 
Mußt da nah manches Thoren Grillen 
Die Fahne deines Vebend drehn, 
Um dur die Klippen glücklich hin zu gehn. 

ürs erfte fuche zu ſtudiren, 

tt welcher Art von Menfchentbteren 
Das Schickſal dich zufammenichlägt; 
Auf welhen Punkte du fie fannft berühren, 
Und was ihr Geiſt für Farbe trägt. 
Verleugne di; Laß nie den Menſchen biiden: 
Denn Menſchheit tft nun vor ber Hand 
Faſt überall noch Contreband’, 
Und ihr Phantom wird oft mır ausgeſpannt, 
Den Sinn der Blöden jr berüden. 
Schnell lerne dich mit Anſtand büden, 
Und in der Mode welldenm Tor, 
Der frevelnden Vernunft zum Hohn, 
Nonſenfikaliſch Formeln fliden. 
Leg’ auf dag warme Menſchenherz, 
Damit in kindiſchen Gefühlen 
Die Knabenadern dir nit Streiche ſpielen, 
Ein dreifach dickes, kaltes Erz. 
Laß die Moral den Schulmonarchen, 
Und ſuche bald im erſten, Hohen Rauſch 
Mit überlegtem klagen Tauſch 
Der Schule Dünfte weqzuſchnarchen, 
Schließ did an reiche, goldne Narren 
Mit wohlbetagter Narrheit an! 





7 


60 


Johann Gottfried Seume. 


Sonſt kannſt du auf Fortunens Bahn 
Umſonſt Olympiaden karren. 

Erfrech' dich nie, Vernunft zu haben, 

Die deinem Gönner widerſpricht, 

Und ſchlüg' er, wie Die Fibelknaben, 

Dem Menichenfinn ins Angeficht. 

ag’ nie bie alte Nebeldede 

Der kunten und der ſchwarzen Röcke, 

Aus welder Bann und lange Flüche rauchen, 
Mit Phöbus Lichtftrahl anzuhauchen. 


- Spri keck; nur wage feine Kaſten 


Mit deiner Kühnheit anzutaften. 
Ned’ in der Selbftfuht hohem Grimme, 


So oft man bein Verdienſt verkennt, 


Bon deinem Werth mit Stentors Eifenftimme, 
Bis dich and die Belohnungslifte nennt. 

Set groß bei Kleinen, und bei Großen klein; 
Im Tadel beißend IIug, tm Lobe fein; 

Doch fage ftetd mit rer Equenz, 
Vortrefflich! zu der Excellenz. 

Bet allen Abderitenſtreichen halte 

Den kleinſten Muskel in der alte: 

Verſuch' es nte dem Lafter nachzuſpüren, 

Und Tugend zu analhfiren. 

Ergreif’ die Laune, dte den Mann befigt, 

Mit Kunft, fo lange ſie dir nükt. 

Laß nie dad Ehrgefühl dich drüden, 

Das mandem, wenn er weiter zielt, 

So oft no Schülerſtreiche ſpielt. 

Vor Dunfen und vor Schurlen di zu büden, 
Set Kuppler; nod) in jedem Lande 

Erwirbt man Lug fih Ruhm durch Schande! 
Set blind mit Fleiß und dumm aus Lift, 

Bis du auf deinem Boden bi 

Huf Schwärmern fluchen, Schulbnern fpeculiren ; 
Huf Süßlern winieln, Weibern radoitren; 

Und fafle weislich die Gelegenheit, 

Sp oft fie dir die Lodenfttrne beut. 

Lied Horoälopen in des Meibes Miene, 

Und ſprich dem jungen Faun zum Amorine. 

Set Fıömmler und fet Freigeift nach dem Ton, 
Jetzt der Vernunft, dem Glauben jett zum Hohn. 
GErfinne dir Die lieblichſte Careſſe 
Für jeder Dame Lieblingehund, 
Und lauf’ galant die Füße wund, 
Und nimm am Ende die Maitrefle. 
Set Proteus, wechsle die Geftalten; 
Und laß di unter feiner halıen, 








Johann Gottfried Seume. 761 


Bis du di ind Gewidt gebradit; 

Das dann In der Geſchäfſe Scale 

Mit einem Dale 

Für dich auch eine Schnellung madt. 
Dann kannſt du mit Behaglichleit 

Die gute, liebe Lebenszeit 

Nach deiner eignen Weile Iungern; 

Wo nicht, fo lerre nur getroft 
Philofophte mit magrer Koft, 

Und dann und wann redt tapfer bungern. 


FEN | 
Slegie anf einem Hefe zu Rarſchaun. 


81 natura negat, faeit indignatio versum. 


‚Ws iſt Wahrheit?” fragt am Richterſtuhle 
Jener brave Heide feinen Mann. 

Große Trage, die noch feine Schule 

Aus dem Weisheitsnimbus löſen kann! 


Menſchen, Widerſpruch im groben Ringe, 
Näthiel, in der Kette dieſer Welt, 
Zwiſchen Thier und Engel Mitteldinge, 
Durch Bernunft geadelt und entfiellt. 


Bater, der du dieſen Götterfunlen 
Htmmelfinns in unfer Weſen ſchlugſt, 
Und die Erdenfeele feuertrunfen 
Zum Gedanten deiner Größe tıugft! 


Haft du zur Verdammniß Licht und Leben, 
Als du unfre Erifienz gebarit, 
Deinen Neuerfchaffenen gegeben, 
Denen du im Zorne gütig warft? 


Was ift Wahrheit? fpredt von euerm Throne, 
Wo ihr metaphyſiſch dunkel ſchwebt, 
Bon Confuzen bis zu Mendelsſohne, 
Und im Nebel Hypotheſen webt. 


Ha! ihr tappt mit eurer Blendlaterne 
Weisheitstrunken durch die tiefe Nacht, 
Träumet in dem Irrlicht Sonnenfterne, 
Bis ihr ſpät zum Todesſchlaf erwacht. 


Menſchheit, arme Menfchheit, deine Lehrer, 
Alle deine Wetfen willen nichts; 
Flattern, ihrer Hirngeburt Verehrer, 
Gleich Infelten um den Strahl des Lichts. 








762 


Sobann Gottfried Seume. 


Und die Bosheit,. die tm Finftern fchleichet, 
Faſſet ſchnell der Schwachheit Taumelgeift, 
Vis fie ihr den ſuͤßen Giftkelch reichet, 

Und die Sklavin Hin ind Elend reißt. 


Wenn der Menfchenmaler feinen Pinſel 
In der Schwermuth ſchwarze Farben taucht, 
Und Bedrückung, Kummer und Gewinſel, 
Stolz und Knechtſchaft in die Gruppe haucht; 


Weinet unferm göttlichen Geſchlechte 
Eine Thräne bei dem Trauerftüd: 
Seht, man gräbt dad Grab der Menſchenrechte, 
Und wer ruft Geftorbene zurück? 


Dort verzehren muftiſche Magnaten 
Ihres Landes Fett in Schwelgeret: 
Und der Pflüger, ſtets der Kern der Staaten, 
Janmert bei der ihm gelaff’nen Spren. 


Und die edlen Menſchenmakler zählen 
Sn des Mammons großem Rechnenbuch 
Ihre Schätze nur nad) Menſchenſeelen, 
Und ihr Segen iſt der Knechte Fluch! 


Mit umglühter heißer Stirne frohnen 
Unter der Deſpoten Eiſenſtab 
Ganze, große, ſchoͤne Nationen 
Bon der Kummerwiege bis ins Grab, 


Freiheit ift ein Schall vor ihren Ohren; 
Der Gedanke wäre Hochverrath; 
Weil zum Troß der Sklaverei geboren 
Unſtun ihren Geiſt gefefielt hat. 


Und auf ihrem Wolkenthrone ſitzet 
Ringsumher die alte Möncherei, 
Blidet grimm, aufs Vorurtheil geftüßet, 
Und ihr Scepter wieget ſchwer wie Blei. 


Unter ihrem ſchwarzen Rabenflügel 

then die Kabalenzungen Gift 

rechen Laurer das Freundſchaftsſiegel, 
Sinkt dem Streiche, wen der Spürhund trifft. 


Ihre Geler drohn in allen Zonen, 
Wo die unterdrückte Wahrheit ſpricht, 
Mit Baſtillen, Inquiſttionen, 
Thürmen, Minen, Eiſen, Blutgericht. 








Johaun Gottfried Seume 163 


enn Banditen nur mit Dolchen morben, 
Sat man ihren Schädel auf dem Sol; 
Aber wenn der Helden Troß in Horden 
Bänder würget, find die Helden ſtolz. 


Wenn der Mann dem Manne, der ihm glaubet, 
Seinen Seckel ſtiehlet, iſt's Betrug; 
Aber Herrſchſucht, die Provinzen raubet, 
Nennt der Staatskunſt hohe Schule ng. 


Dur der Politiker ſchiefe Brille 
Iſt Moralttät ein Boflenfptel, 
Und Gerechtigkeit nur eine Grille, 
Die in Philoſophenſchaͤdel fill. . 


Arme Brüder, hat eu Gott zu Seiten, 
au des Unfinns Eiſenjoch gemacht? 
nd vermag fein Räder euch zu retten 
Aus der Vorurtheile langer Naht? . 


Strahlenwahrheit ift euch noch —— helle, 
Breihett ſelbſt wird eurer Ruhe Grab; 

nd ihr trinkt Beraufhung aus ber Quelle, 
Die der Schöpfer nur zur Stärkung gab. 


Gleich Inſekten kriechet ihr als Knechte 
Unter Srohngebot und Knutenhieb; 
Und ihr würgt am eigenen Geichlenhte, 
Wo euch die Vernunft den Syreibrief ſchrieb. 


Elend in der Sflaverei, und blutig, 

Wo die Freiheit ihren Bit ſchwingt; 

ge! wer wagt es noch, ber groß und muthig 
ach dem ſchönen Menſchenrechte ringt? 


en, Widerſpruch im großen Ringe, 

— En der fette dieſer "et 

zuiioen Thier und Engel Mitteldinge, 
BR Bernunft geadelt und entftellt! 


t, um die Nachwelt zu beirügen, 
ne ben endlich glotzend, ein Geſicht, 
et aus dem Staub gelehrte Bügen 
= den jämmerlichften Böfewidt. 


Dort wirft von dem oben nehnerfiuble 

Eine Bonzenfeele ſchleichend Gift, 

Spinnet mit der Ketzerel der Schule 
Zwietracht aus dem Friedensbrief der Schrift. 


764 


Johann Gottfried Seume 


Hier durchwühlt der Geiz mit Guomenfreude, 
Unbefümmert um der Waifen Fluch, 
Seiner Koffer goldnes Eingeweide, 
Und durchzahlt fein langes Rentenbuch. 


Dort durchſpähn, die Richter zu beſtricken, 
Weil ein Schurle ſchwere Säcke bent, 
Rabuliſten mit Hyaͤnenblicken 
Jedes Schlupfloch der Gerechtigkeit 


Und der Richter wägt die feilen Sprüche, 
Wohl und Web, nad goldnen Gründen ab; 
Und ein Kuß macht in Gefte Brüche, 

Den ihm ſchmeichelnd eine Dirne gab. 


Hingeführt an Amors ſeidnem Fädchen, 
Geht der Stolze Stoiker und ſucht 
Knicend vor dem zauberiſchen Maͤdchen 
Heute etwas, dem er morgen flucht. 


Gott, du ſchufſt ſo herrlich ſchön die Erde, 
Nicht zum Sitz ſür Tyrannei und Trug, 
Als dein väterlihes Machtwort „Werbei” 
Aus dem Nichts die Sonnenbälle ſchlug. 


Bosheit, Herrſchſucht, Geiz und MWolluft haben 
Deine Ihöne Symmetrie zerftört, 
Gießen Gift in deine Himmelsgaben, 
Daß fih traurig Hirn und Herz empört. 


Einfam ſoll mich eine Felſengrotte 
Und ein Eichbaum deden, wo die Welt 
Nicht ſarkaſtiſch Iächelt, nicht im Spotte 
Urtheil über Bürgertugend bält. 


Und wenn das Gerücht mir dann verkündet, 
Daß die Menſchen ſtets roh Thoren find, 
Weht es leiſer, und fen Hauch verſchwindet 
Schneller durch des Lenzes Abendwind. 


Und ich finge mit der Morgenröthe 
Det der Quelle meinen Weihgeſang; 
Und des Abends haucht Die Stiberflöte 
Ruhe läng? des Berges Felſenhang. 


Neben meiner Heinen Binſenhütte 
Grab’ ih an dem Eihbaum meine Gruft, 
Bis mih Graufopf cinſt mit leiſem Tritte 
Sanft der Tod zum großen Abend ruft. 


Saar 








* Par .. .. - .— .. -. 27 .. . . * * Dar .. Duo . OR .. .. .. oe. * 
ö —— —— — ĩj — 





Arthur Fitger, 


geb. am 4. Oktober 1840 in Delmenhorſt, Verfaſſer zahlreicher Dramen, 
formgewandter Lyriker, lebt gegenwärtig in Bremen. 





2. Gorinther 8, Jers 9. 


ie Amtswohnung des neuen Herrn Paſtor 
Möblirt ein reicher alter Jungfernchor; 
Eins, zwei, drei Möbelwagen fahren vor. 


Fautenuil und Sopha, Eßtiſch und Buffett, 
Bratofen, Fliegen⸗, Eisſchrank, Ehebett, 
Silber- und Porzellanſerodice komplett. 


Kompott, Konſerven haufenweis beſchafft. 
Der Mettwurft Anmuth uud des Schinkens Kraft, 
In Faß und Flaſchen edler Rebenfaft. — 


Befonders fehl’ ein Chriſtusangeſicht, 
In goldnem Rahmen überm Schreibtiſch nicht, 
Det dornumrankle Inſchrift alfo ſpricht: 


„Bedenk', daß unſer Heiland Jeſus Chriſt 

Um deinetwillen arm geworden iſt, 

Und daß du reich durch ſeine Armuth biſt.“ 
237 


5 Bochzeit. a 


aim Pfarrer find wir nit geweien; 
Was ging fein Segensfpruh ung an? 
Wir fprangen dreimal über'n Beſen 

Und hielten una ald Weib und Mann. 


Wir Inden feine Herr'n und Damen, 

Und fein Bankett hat uns umtobt, 

Doch Sonne, Mond und Stern’ vernahmen, 
Wie wir und Treu' um Treu’ gelobt. 


Wir wechſelten nicht güldne Ringe; 
Wir gaben Lieb’ am Liebe bin; 
Do beut Fein reicheres Brautgedinge 
Der König feiner Königin. 

ur 


166 


i Arthur Fitger. 


Sturmlied. ++ 


OÖ; begeifterumgäfeligeß —AI 
Das des Knaben Buſen hob, 
Wenn des Frühlings Siegesbraufen 
Jauchzend durch bie Wälder ſchuob' 
Kühn zu thronen 

In den Kronen 

Schwanker Bappelt, o Luft! o Luft! 
Und ein Sturm bes Im 
Brach auf Wogen bed Geſan 
Sehnſuchtswild aus meiner 


„Bengt fih, Sturm, vor deinem Grimme 


ft zu Aft mit Angfigeitößn, 

Eined Welterob’rerd Stimme 

Sir th in den Wollenhöhn. 
Ft fi Br 

Mit 3 

Duntier Setup, ftarfer Nord, 

Zu unfterblien Gefechten 

MH Tyrannen und wit Knechten 

Reiß mich auf und trag mid) fort!” 


Und du Haft mid fortgetragen, 
Und vollendet tft mein Lauf, 

Bin zerfchmettert und zerfchlagen; — 
Aber dich — was hält dich auf! 
Früh gefallen 

Hör’ iö Thallen 

Ueber meiner Gruft bein Wehn: 
„Der Gedanke, dem dein Leben 
Opfernb du dabingegeben, 

Stegend wird er weiter gehn.“ 


ar 











Sriedrich v. Bodenftedt, 


| geboren 22. April 1819 in Beine, befannter Dichter und Schriftfteller, | 
I Berfafler der in 119 Auflagen vırbreiteren „Lieder des Mirza Schaffy“. 
| Geſtorben am 18. April 1892 | 














nn m m I N 


NEFRFEFFEFrFFerrFer} 
Die Baht des Rechts. 


prannen können Furcht erzeugen, 
In's Joch der Völker Naden beugen; 

Mit blantem Golde Söldnerhaufen 

aliches Gericht und Zengniß kaufen! 

weden falſches — 
Wie falſche Ehr' und falſchen Ruhm: 
Die große Menge lang bethören, 
Doch nie den Sinn fuͤr's Recht zerſtören. 
Im tieiften Herzen wohnt der Drang 
Nah Recht und Licht. Was noch fo lang 
Dem Volsverſtande unverftändlich, 
Das Volksgefühl begreift e8 endlich. 
Und wo dad Recht fein Haupt erhoben, 
Iſt alles Blendwerk ſchnell zerftoben, 
Und mit Verachtung ſtürzen ſieht 
Das Volk die Macht, vor der's gekniet. 
Es wundert fih, daß es fo lange 
Blind ſich gebeugt dem ſchnöden Zwange, 
Der, wie die mächt'ge Nebelmolfe 
Beim Nah’n der Sonne, raſch zerftiebt 
Bor einem kraftbewußtem Volke, 
Das ehrlih Recht und Freiheit Iiebt. 





Daffenmweisheit. 


3 hat einmal ein Thor gefagt, 
Daß der Menſch zum Leiden geboren mworben; 
Seitdem tft dies, — Gott ſei's geklagt! — 
Der Sprud aller gläubigen Thoren geworben. 


Und weil die Menge aus Thoren beftebt, 
Iſt die Luft im Lande verſchworen worben, 
Es tft der Blid des Volkes kurz, 
Und lang jind feine Ohren worden. 


IDEE 





768 


Friedrich von Bodenitebt. 


Krieg und Ghriſtenthum. 


dr mögt von Kriegs- und Heldenruhm 
Sp viel und wie ihr wollt verfünden, 

Nur ſchweigt von eurem Chriftenthum, 
Gepredigt aus Kanonenjchlünden! 
Bedürft ihr Proben eures Muth, 
So ſchlagt euch wie die Heiden weiland, 
Vergießt fo viel ihr müßt des Blu, 
Nur redet nicht dabei vom Helland. 
Noch gläubig ſchlägt das. Türkenheer 
Die Schlacht zum Ruhme ſeines Allah. 
Wir haben keinen Odin mehr, 
Todt ſind die Götter der Walhalla. 
Seid was ihr wollt, doch ganz und frei, 
Auf dieſer Seite wie auf jener, 
Verhaßt tft mir die Heuchelet 
Der kriegeriſchen Nazarener. 


Sn 
— $ie Kot. — 


Lin ſchlimm'res Unglüd als der Tod 
Der Itebften Menſchen — tft die Noth! 

Site läßt nicht fterben nnd nicht eben, 

Ste ftreift des Lebens Blüthe ab, 

Streift, was und Lieblichſtes gegeben, 

Vom Herzen und Gemüthe ab! 


Den Stolz des Weiſeſten felbft beugt fie, 
Daß er der Dummheit dienftbar werde — 
Der Sorgen bitterfte erzeugt fte, 

Dem man muß leben auf der Erde, 


Koth tft dag Grab der Poeſie 

Ind macht ım3 Menfchen dbienftbar, bie 
Man lieber ftolz zerdrüden möchte, 
Als ih vor ihnen büden möchte, 











BRIARE 





Anaftafius Grün 


(Anton Alexander Graf von Auersverg), geb. am 11. April 1806 in 
Laibich, Liberaler Dichter und Politiker, ald ſolcher auch im Jahre 1848 
im Intereſſe des Volles thätig, ftarb am 12. September 1876 in Graz. 





Aus „Spaziergänge eines Wiener Poeten“: Sieg der Freiheit. 


reiheit tft die große Loſung, deren Klang durchjauchzt die Welt. 
Traun, e3 wird euch wenig fcommen, daß tortan ihr taub euch ftellt ! 
Mild und bittend ſprach fie einftens; eure Taubhelt zwang fie jekt, 
Daß fie in Kanonendonner nun thr Wort euch überſetzt. 
Freiheit, die erkor'ne Jungfrau, ſchwingt dad Banner unfrer Zeit; 
Daß fortan ihr blind euch ftellet, o fürwahr, es Hilft nicht weit! 
Da ihr nicht gefehn das Banner, ald es weiß und rein umd hell, 
Ei was Wunder, wenn mit Blute ſie's gefärbt nun roth und grell! 
Ihr nur habt die fhöne Jungfrau mit dem Kriegesgott gepaart! | 
Waffenſpiel und Blutgewänder find wohl fonft nicht ihre Art 
Aber fiegen muß ſie immer! dies bleibt ihre Art und Macht, 
Ueber Herzen tn dem Haufe, über Speere in der Schlacht! | 
Wenn mit Roden nit und Spindel nnd mit Wort und Biden füß, 
Sp als erzgefhuppte Pallas mit dem Schwert und Schild gewiß! 
Und bet und aud wird fie fiegen, ja ih künd' es laut und et: 
Wuni und Hoffnung metned Herzen? riefen gern den Steg herbei! 
Dort auf dem vulfan’schen Boden muß wohl ein Vefun e3 fein, 
Der die Luft mit Flammenruthen wieder fege hell und rein. 
Dort auf ftürmereihem Meere tobt fi erit das Wetter aus, 
Eh erhellt, gereint, geläutert prangt des Aethers blaues Haus. 
Doch in unſerm Rebenlande, Saatenfeld und Blüthenau, 
G'nügt ein laner Frühlingsregen, friſche Luft und Morgenthau. 
Fürchtet nicht die edle Gährung; gährt ja doch auch unfer Wein, 
Daß er zwiefach dann erquide, doppelt golden ſüß und rein. 
Nicht dad Schwert fet unire Waffe, nein, das Wort, Licht und Gefek! 
Tenn der fröhlich Heitre Steger tft der ſchönſte Sieger ſtets. 
Seht den Lenz, den Freiheitshelden, lernt von ihm es, wie man flegt 
Wenn mit dem Tyrannen Winter er im harten Kampfe Liegt ! 
Ein Defpote tft der Winter, gar ein arger Obflurant, + 
Denn in feine langen Nächte hüllt’ er ewig gern das Land; 
Winter tft ein arger Zwingherr: in den eiſ'gen Feſſeln feit 
Hält des Lebens fretheitäluft’ge frifhe Quellen er gepreßt. 
Sieh’, im Lager überrumpelt dat den trägen Alten ſchnell 
Jetzt mit feinem ganzen Deere Lenz, der fröhliche Rebell! 
Sonnenftrahlen feine Schwerter, grüne Halme feine Speer’ ! 
O wie Strahlen und wie bliten Speer und Schwerter rings umber! 
Seine Trommler und Trompeter das find Fink und Nachtigall 


Sein Marfeillaife pfeifen Lerchen Hoch mit lautem Schall. 19 


770 Anaftafins Gri Grin 


Bomben find die Blumenknospen, Kugeln iſt der Morgenthau; 

Wie die Bomben und die Kugeln fliegen über Feld und Au! 

Und den Farbeloſen, denen die dret Farben ſchon zuviel, 

Zeigt er keck des Regenbogens ganzes, buntes Sarbenfpiel, 

Als Kokarden junger Freiheit bat er Blüthen audgefät, 

Ha, wie rings das Land voll bunter, farbiger Kokarden fteht! 
Rundum hat die Städt’ und Dörfer der Rebell in Brand gejebt; 

Sa, tm aold’nen Sonnenbrande glänzen hell und blank fie jet. 
Drüber flatternd body fetn Banner ätherblau und leuchtend weht, 
D'rin als Schild ein Roſenwölkchen mit der Inſchrift: Freiheit! ſteht. 
Het, der Winter tft gefchlagen! und mit feinem Feſſelband, 

Seinem Froſte, feinen Nächten flieht er fort nım aus dem „and. 
Frei und fröhlich zieht ftatt feiner rajch der junge Sieger ein 

Mit Gefang und grünen Kränzen, Bıüthenfcherz und Sornnenſchem! 
Und in grüne Farbe kleidet er Gebirge, Thal und 

Freiheit geb’ ich euch und Gleichheit! Gleich beglüdt (ont a ihrfein!.... 


AN 


Ingebetene Säfte. 


Nes Feſtes Ordner fchrettet durch den Saal, 

Ein kleiner Herrgott, deffen Wort befahl: 
„Berkörpert fet der Seele. liebfter Traum, 
Das fchönfte Gotteswort: Es werde Licht!” 
Wie Etern bei Stern rings Herz’ an Kerze bit! 
Ein alanzvoll Fumament war diefer Raum; 
Als Monde, Eonnen um den Glanzpreis ringen 
Lichtkolben, Kardelaber, Ghandolen; 
Daß nicht den Lichtbewohnern fı hlen Schwingen, 
Wob Flügel auch Muſik um Leib und Sohlen, 
Nun ſrutſt du, Jungfrau, ein mit zagem Tritt, 
Ans dunkle Trugmeer Welt dein after Critt! 
Du bebft und fönnteft fühn, alletn von Allen, 
Aufrecht und ftolz tm fchärfften Lichiftrahl wallen, 
Denn deines Leibs entdeckt er keine Fehle 
Und findet keinen Makel Deiner Seele. 
Und doch führſt du zum Feſt an zarter Hand 
Ein wüft Gefolg unheimlicher Geftalten, — 
Ufzart ihr Yetb, unfeftlich ihr Gewand, 
Geballt bie Fanft beinab, die Stirn in Falten; — 
Nicht Tennend der Geſcuſchaft Grund und Veſte, 
Die Satzung, bändigend die Anarchie 
Ben Frack und Handſchuh, von Krewatt’ und Weſte. 
Fort wiel’ empört der Troß der Diener ſie, 
Toch ſieht mein Aug’ allen die finſtern Gäfte, 
Da tft ein Mann, Seewafler in den Haaren, 
Sin langgeborner Tıiton, der gefahren 
Sn feiner Slode dunklem Todienſchrein 








— 7 = — — — 


Aungaſtaſius Grin — 


Zum tiefften Meereögrund um deinetivegen, 

Dir ſchöne Perlen um den Hals zu legen. 

Der bat ein Anrecht wohl, dir nah zu fen? 

Da tft der Bergmann, ein ergretäter Knabe, 

Mit Sckurzfell, Grubenliht und Hämmerlein; 

Er hat ſich ſelbſt geweiht zum frühen Grabe, 
Aus grünen Thalen, ſonniger Luft gebannt, 

Daß aus ber Tiefe gold'nes Erz er bringe 

Für deine blanken Epangen, deine Ringe, 

Die netdengwerth dir füllen Arm und Hand. 

Der Lampe rothes Züngleln überſchimmert 

Gar feltiom grell den Glanz,-der ringsum flimmert, 
Ein Blutfled ſcheint's, auf weißen Schleter fallend, 
Ein Wehfchrei, durch des Wohllaut3 Wogen hallend! — 
Da tft ein Mann, der Rieſenberge Sohn, 

Ein frommer Chriſt, er betet, huftet, faftet 

Am Webeftuhl, def’ Schifflein nimmer raftet, 

Und darbt mit Weib und Kind fett Jahren ſchon, 
Der Linnen feinft Gefpinnft um dich zu legen, 
Das did umfchmiegt, rein, wie ein Vaterſegen. — 
Da tft die Blumenmatd, Jungfrau, wie du, 

Doch bleich und abgehärmt! Kein Frühlingswind 
Spielt je um's Lodenhaar dem blaflen Kind; 

Ste ſchloß ihr Thor den Frühlingswonnen zu, 
Um felbft dein Lenz zu fein in Wintersruh’, 

Dir Blumen bildend aus bemalten Flittern, 

Die farbig ald Gutrland’ um's Haupt dir zittern, 
Wenn ftarr die Erde, todeskalt die Luft; 

Dem Kranz nur fehlt Die Blumenfeele: Duft; 
Mahnt er dich nit an jene, die ihn wand? 

Da tft das fremde Weib mit franfen Buben, 

Ein Feigenblatt von Woll' ihr Feſtgewand, 

Man hieße frech es, wär’ es nicht fo elend! 

Ste leben wühlend in Braſiliens Gruben, 

Den Demant dir und fi das Fieber wählend. — 
Das tft ein Knabe, vorgereift dem Alter, 

Gefandt zum Seelentod in Lafterfehulen, 

Zur großen Weikſtatt, mit den Setdinfpulen 

Ein Bänden dir zu wirken, bunt wie Falter; 
Er felbft ein Seidenwürmlein, — fterben muß es, 
Bevor zum Flug entfaltet fene Schwingen. 
Leichtfinnig flattern deines Bandes Sclingen, 
Bergaß ed ganz das Eäufeln ſeines Grußes? — 
Da ıft ein Eeemann braun vom Sonnenbabe, 

Mit ıother Schärp' und braunem Lederhut; 

Er fuhr durch Sturn windbrauſen, Tropengluth, 
Damit ein Shawl von Hindohand Geftade 

Dir wei) und wurm mag um die Schulter fallen, 


— nn — — — — 
— — — —— — — 


772 | Anaſtaſius Grün. 





Daß nicht im Frei'n der Nachtluft leiſes Wallen 
Den tanzerhigten Lebensgeiſtern ſchade. 
ertönt, geknickt, entweiht To viele Leben, 

Daß du ein Stündchen magft tm Reigen fchweben, 
O Jungfran, unſchuldsvoll und feelenrein ! 
Du fiehſt fie nicht, ich fehe fie allein, 
An deine Sichtaeftalt fi finfter reiben 
Und frage nicht die ſchwarzen Schatten weiter, 
Der dunkleren Geſtalten Feſtbegleiter. 


— 
—©| Vnſere Seit. Cum 


A: uf bem grünen Tiſche prangen ruf und Kerzenlicht; 

chöff' und Raͤthe, ſchwarz gefleidet, ſitzen ernft dort au Gericht. 
Denn ſie luden vor die Schranken unſre Zeit, die Frevlerin, 
Weil ſie trüb und unheildrohend und von ſturmbewegtem Sinn! 


Doch es kommt nicht die Geruf'ne; denn die Zeit, fe ‚dat nit Zeit, 
Kann nit hide | ftehn tm Saale tweltlicher Gerechtigke 

rend fie zwei Stunden harren, tft fie ſchon * uunden fern; 
Doch ſie ſendet ihren Auwalt, alſo ſprechend zu den Herrn: 


„Läftert nicht die Zeit, Die reine! Schmäht ihr fie, To —* t ihr euch! 
Denn e3 ift die Zeit dem weißen, unbeſchriebnen Blatte gleich. 
Das Papier tft ohne Makel, doch bie Schrift darauf Ten thr! 
Wenn die Schrift juft nicht erbaulich, nım, was kann das Blatt dafür?“ 


„Ein Bolal durchſicht'gen Glaſes ſt die Zeit, fo hell, fo rein; 
Wollt deg füßen Weins ihr fchlürfen, beßt nicht eure al drein! 
Und es tft die Zeit ein Wohnhaus, nahm ganz ftattlich ſonſt fi aus; 
Freilich, fett ihr eingezogen, ſcheint es oft ein Narrenhaus.“ 


„Seht, es ift die Zeit ein Saatfeld, da ihr Difteln audgefät, 
6, wie Könnt thr drob euch wundern, daß es nicht voll woofen fteht ? 
Säfer focht auf foldem Felde Schlachten der Unſterblichkeit, 

Doch auh Memmen, zum Entlaufen, ift es fattfam groß und welt.“ 


„zeit ift eine Ihammne Harfe; ; gift ein Stümper ihre Kraft, 

eulen jammernd Hund und Kater in der ganzen Nachbarſchaft! — 
Nun wohlan, jo greift begeiftert, wie Amphion, feſt darein, 

Daß auch Sturm und Wald euch Iaufche, Leben fahre in den Stein! 


—Xx 

















| 
| Konrad Beißwanger, 


geboren am 18. März 1869 zu Dettingen (Ried), gelernter Vuchdrucker, 
ift Inhaber des unter der Firma „Litterarifches Bureau Rirrberg“ 
von ihm betriebenen Derlagsgeichäftes. 














— Sram und Tirklichkeit. — 


Kamen eilt die Göttin Freiheit, 

Bricht der Ketten hemmend Band, 
Kraftvoll wirft fie in die Menfchheit 
Der Erlenntniß Feuerbrand. 


Segen folget ihren Spuren, 
Srohfinn zeichnet ihren Lauf, 
Die befreiten Kreaturen 
Blicken jubelnd zu ihr auf. 


Alte Frohn und alte Rechte 

Sind gebannt aus Stadt und Land 
Um bie Herren, um bie Knechte 
Schlinget fi der Gleichheit Band. 


Eonnengold und Roſendüfte 

Weben auf ber Erbenrund’, 
Menſchenkinder — fhwergeprüfte — 
Einigend zum Völkerbund. 





714 


Fort find Throne und Altäre 
Sn der Rumpellammer Graus, 
Sm der Freiheit goldner Sphäre 
Wird Natur zum Gotteshaus. 


Da wo eitle Fürften ftrahlten 
Wohnt jebt die Gerechtigkeit, 
Und wo frede Schrangen prahlten 
Thronet nun Eintraͤchtigkeit. 


Ringsum hat ein nenes: Werde! 
Uns den Himmel aufgebaut, 
Freiheit, die ſo oft begehrte, 
Jedem Menſchen angetraut. 


Endlich iſt das Ziel erzwungen, 
Darum das menſchliche Geſchlecht 
Seit Jahrtauſenden gerungen: 
Freiheit, Gleichheit, Menſchenrecht! 


Alſo träumt ich, doch erwachend 
Seh rings die Feſſeln noch, 
Seh ich rings, des Volkes lachend, 
Söldner frech; das Volk im Joch. 





Konrad Beißwanger. 


Blöden, abgeftumpften Geiftes 
Eitle Herren; wie verthiert 
Zittern Knechte, wenn ein feiſtes 
Herrenantlitz ſichtbar wird. 


Freie Männer ſeh ich wanken 
Und vor feilen Schergen flieh'n, 
Seh die Mörder der Gedanken 
Ringsum durch die Lande zieh'n. 


Freiheitsfeinde auf den Thronen, 
Herrenfreuude am Altar, 

Schätze ſammelnd für die Drohnen 
Rings der Arbeitsbienen Schaar. 


Freiheit gleich der frechen Dirne 
—53 und verbannt, 
Ihren Jüngern auf die Stirne 
Ein Verbrechermal gebrannt. 


— — — ———— ——— — —— —— — 


Sehnſucht, wilde ungeſtillte 
Mir durch meine Seele ſtrich, 
Als ich jenes Traumgebilde 
Mit der Wirklichkeit verglich. 


8 
Schliefzt Such an! 


Ermunterungsruf an bie Arbeiterfrauen. 


riſch heraus aus Euren Hütten, 

Tretet ein in unſ're Reih'n, 
Die Ihr lang genug gelitten, 
Sucht euch endlich zu befrei'n. 


sang genug babt Ihr geſchmachtet 
Sn der Sklaverei der Noth, — 
Ohne Rechte, ſtets mißachtet, 
Euch die Welt nur Leiden bot. 


Drum heraus aus Euren Hütten, 
Drum heraus aus Eurer Qual, 
Friſch und mutbig ‚mitgeftritten, 
Mehrt der Freiheitskämpfer Zahl. 


Fechtet, kämpft mit Wort und Thaten 
Gegen Lug und Infamie, 
Schleudert Blitze, Leuchtgranaten 
In die Nacht der Lethargie. 


Laßt die Siegesbanner wehen, 
Für ein freieres Geſchlecht, 

Und in Strahlenglanz erſtehen: 
Freiheit, Gleichheit, Menſchenrecht! 














- I I —n no 










geboren am 18. November 1863 in Wendiſch-Hermsdorf, lebt gegen: 
märtig in Berlin-PBantom. Ein fehr fıuchtbarer Poet mit Ternigem 


— Sin Raͤrtyrer. — 


Ser folt ihr Hören ein rauhes Vied, 
Bon Zagen und Erbarmen leer! 
Der Winternahtäfturm ſchreit im Niet 
Und peitſcht dag Schilf wie Heu umher! 
Bor feinem Schnauben erftarrt dad Moor, 
Zerintden die Binfen, zerbricht das Rohr. 


Die Hütte umbeult er am Heiderand 

Und ſchüttelt die Pfoſten ber riefigen Wand 
Und reißt an den Hafpen und Sparren, 
Daß im Froſte fie kreiſchen und fnarren, 
Und drinnen die Kinder erfhauern 

Und dichter zur Mutter fih fauern. 


Die ftredt von Aengſten dumpf gerührt 

Zum Bater, der finiter mit haftiger Fauft 
Flugſchriften zu Stößen und Ballen fhnürt, 

Die bittenden, zitternden Hände: 

„Ad, Mann! Geh’ nicht durch's Moor! Mir grauft!“ 
Do ftumm aus dem Paden ein Blatt er zauft 

Und weilt ihr die Worte am Ende: 


„Menſch preßte den Menichen in Schmacht und Acht, 
Weil Jeder nur immer fich felber bevadıt, 

So habt thr Euch felber zu Knechten gemadit; 
Drum fhaart Euch, Ihr Schwachen, zufammen ! 
Stützt Rüden an Rüden zum rettenden Heer, 

So ſchwellen die Wellen zum donnernden Meer, 

Die Fünkchen zu ſauſenden Flammen!“ 


Die Baden ihm zuden, hart er ſpricht: 

„Drum bettle niht! Drum quäl’ mich nicht! 
Ich hab's den Genofjen geſchworen: 

Der Wahlruf muß heut noch hinüber in's Dorf, 
Sonſt mach' ich den Sieg uns verloren!“ 

„Geh' nicht, geh' nicht! Was ſchiert der Sieg 
Dein Weib und die jammernden Kleinen!“ 





776 


Dr. Richard Dehmel. 


„Seh’ nicht, geh’ nicht, — bie zweite Nacht 
Das Eis erit ſteht! O Gott, es kracht, 
Es bricht! O ſieh' mich weinen! 


Es ſchreit zum Himmel! Dein Leben iſt mein —“ 
Da flackert ſein Auge von Zorn und Pein: 
„Schrei lieber zu Teufel und Hölle!“ 

Und grimmig wuchtet die Laſt er hoch 

Und knirſcht, ſchon betritt er die Schwelle; 


„Hat's etwa Dein Herrgott zu Dank Dir gemacht, 
Daß Morgen um Morgen ich muß in den Schacht, 
Die Knochen für Hungerlohn tragen! 

Und ſollte mein Leben nicht eine Nacht 

Für Glück und Gerechtigkeit wagen? 


Leb' wohl!“ — Ins Schloß die Klinke knallt 
Die Windsbraut ſtöhnt und ächzt im Schlot. 

Des Mondes Stirne blank und kalt 

Am fahlen Horizonte droht. 

Der Bergmann glüht! er trieft von Schweiß. 
Wie Thränenſtröme flimmern im Eis 

Des Mondes bleiche Blicke. 


Der Bergmann glüht, der Bergmann keucht, 

Doch bald, dann hat er die Brüder erreicht, 

Schon glitzern — da kniſtert's, da biegt es ſich ſacht — 
Ein Hilfegeſtammel — da ſpellt es und kracht 

Und ſchollert — ein Seufzer verbrodelt im Moor — 
Schrill winſelt's im Schilf, hohl röchelt's im Rohr, 
Hut! Ziſcht es und pfeift's In den Binſen ... 


O ranber, o rauher, mein rauhes Lied! 

Kein Wittwengewimmer, fein Watjengeftöhn! 
Nah Opfern * der Sturm im Riet! 
Doch fernher rauſcht der Frühlingsföhn! 
Dann beben die Schollen, es ſprießt die Saat, 
Die Ernte der Schnitter des Elends naht! 


Dann ſchmilzt im Sturm das morſche Eis, 
Dann wühlt er die Opfer empor vom Grund, 
Die Helden alle, die Niemand weiß, — 

Und jedes Todten verwitterter Mund 

Wird klaffend gen Himmel dann bleden 

Und Taufend Lebendige weden! 


BRUT 











Dr. Rihard Dehmel. | 777 








g Sturm hat feine Schlangen Iosgelaflen, 
In langen Wogen ziſchen Gras und Rohr 
Und feucht der See and Land; bie filberblaffen, 
Zerwühlten Weiden feufzen laut empor. 

Empor, empor. Dort, wo die Sttefern faufen, 
Aut kahler Höhe will ih einfam ftehn 

Und meine ferne Heimath dämmern fehn 

Und bören, wad bie bunfeln Wolfen braufen. 


— Sergpfalm, — 


Ihr grauen Pilger über mir: wohin?! 

O könnt id mit euch, ziellos, ohne Stoden, 

Dies tumpfe Sehnen ohne Maß und Sinn 
Ausfhütten in den Sturm wie Nebelfloden ! 

D meine Helmath! Silbern grüßt der Fluß 

Und glänzt zum Himmel aus dem Blau der Bänme, 
Und aus dem Zauberwald der Kinderträume 

Winkt hell der Mutter Blid und Kuß. 


Was weinft du, Sturm? — Htnab, Erinnerungen! 
Dort pulft im Dunft der Weltftadt zitternd Herz! 

Es grollt ein Schrei von Miltonen Zungen 

Nah Glück und Frieden: Wurm, was will dein Schmerz! 
Nicht fidert einfam mehr von Bruft zu Brüften 

Wie einft die Sehmjudt, nur ein filller Quell; 

Heut ftöhnt ein Volt nach Klarheit, wild und gell, 

Und Du ſchwelgſt noh in Wehmuthslüſten? 


Stehft du den Qualm mit diden Yäuften drohn 
Dort überm Wald der Schlote und der Efien? 

Auf deine Reinhetlöträume fällt der Hohn 

Der Arbeit, fühl's: fie ringt, von Schmuß zerfreflen ! 
Du haft mit deiner Sehnſucht blos gebuhlt, 

In trüber Ginth dich felber nur genoffen; 

Schütte die Kraft aus, die dir zugefloffen, 

Und du wirft frei vom Drud der Schuld! 


Und blutig alüht es um die zadigen Thürme, 
Ein Dornentranz umflammt die Stirn der Stadt, 
Ein goldner Fächer feucht die Wolkenftürme, 
Hernteder ftrahlt ein Sonnenpalmenblatt. 

O Herz der Weltftadt, Milltonenftimme, 

Die gell nah) Brot vor Seelenhunger fchreit: 
Hinquillt wie Heilandseblut in dieſe Zeit, 

Die Viebe quillt aud deinem Grimme! 











178 


N 


Dr. Richard Dehmel. 


Den Kelch des Schweißes ſeh ich geiſtverklärt, 
Das Kreuz der Muͤhſal blüthenlaubumflattert — 
Was lacht der Sturm!? Im Rohr der Nebel gährt, 
Die Kiefer knarrt und ächzt, mein Mantel mattert: 
Empor aus deinem Rauſch! Mitleid, glüh ab! 
Laß dir die Kraft nicht von Gefühlen beugen! 

inab! Laß deine Sehnfuht Thaten zeugen! 

or, Gehirn: Hinab, mein Herz! Hinab! 


at» 
Srnutelied. 


& ftebt ein goldnes Grabenfelb, 
Das geht bis an den Rand der Welt. 
Mahle, Mühle, mahle! 


Es ftodt der Wind im weiten Land, 
Biel Mühlen ftehn am Himmelsrand. 
Mahle, Mühle, mahle! 


Es kommt ein dunkles Abendroth, 
Viel arme Leute ſchrein nach Brot. 
Mahle, Mühle, mahle! 


Es hält die Nacht den Sturm im Schooß, 
Und morgen geht die Arbeit los. 
Mahle, Mühle, mahle! 


Es fegt der Sturm die Felder rein, 


Es wird kein Menſch mehr Hunger ſchrein. 
Mahle, Mühle, e 


= 


ar 















frobnender Dichter, der in einer ſächſiſchen Stadt feine Heimath hat 


Rudolf Tavant. | 
Unter biefem Pfeudonym birgt fi ein im Dienfte des Kapitals 





und infolge jener geſellſchaftlichen Stellung fein Pfeudonym wahren 





RX u © einen Ehrenplatz im im Kreiſe der deutſchen Arbeiterdichter geſchaffen. R 


muß. Lavant hat durch feine prädtigen, formvollendeten Gedichte fi 





m u — 
ö —— — — ⸗* 


BDDDDIDIDIIDIDIDINIAIINIDIS 


Hſterglocken. 


A. th ein Jüngling war mit braunen Loden, 

Da war bei Tag und Nicht auf Weg und Stegen 
In mir ein boffnungdfrendiged Froyloden 

Und führer Wünſche ungeſtümes Regen. 

Die Hoffnung ſchwand und wurde mir zur Sage, 

Und wie ſie weit und weiter ſich entfernte, 

Ward ſtiller es in mir mit jedem Tage, 

Bis ich das Wünſchen halb und halb becrlernte. 


Doch ob die meiſten Wünſche auch entſchliefen, 
Wie Kinder, die ſich mattgeweint vor Hunger, 
Lebendig blieb in meiner Seele Tiefen 

Ein Wunſch, ein Heißer, ftarfer, ein ewig junger. 
Wie Frühlmgeſturm hat er mich überfallen 
Urfprünglid oft, in Träumen ftillveritohlen, 
Und beide Fäufte mußt’ ih ftumm dann ballen 
Und aus der Bruft fam ſchwer das Athemholen. 


Ein einz'ges Mal möcht” ih zum Thürmer werden, 
Der niederfpäht durch eine ſchmale Scarte, 

Und dann mit Macht den Völkern al’ auf Erden 
Den Oftergruß zudröhnt von hoher Warte, 

Der allen Landen im Triumph verfündet, 

Man ſchmiede um zu Stheln nun Die Waffen, 
Der Freiheit ſei der Friede eng verbündet, 

Und werde Heil und Segensfülle ſchaffen. 


Wie wollt’ ich ziehen an dem Glodenfirange 
Mit rüft’gem Arm, bis mir die Kraft geſchwunden! 
Ste müßte läuten, läuten voll und lange, 
In diefer Ofternacht geweihten Stunden. 
Und fühlt ih dann ein tiefe Beben wallen 
Durh alle Quadern des gewalt’gen Thurmes, 
Ich dächte gern, es fet erzeugt vom Hallen ° 
Der Glode nur und nit vom Weh’n des Sturmes. 


Der Stirne Brand ließ ih vom Winde fühlen, 
Der meine Bruft in vollen Stößen träfe; | 


780 


Rudolf Lavan!. 


nn 1 eg — —— 
u m —— 


Ich ließe mir von ihm das Haar zerwühlen, 
Daß wirr und frei e8 flöge um die Schläfe, 
Und ab und zu dann würd’ ich nieder laufen 
Und weiter länten, Ang’ ımd Herz in Sluthen, 
Wenn ich vernommen jenes dumpfe Raufchen, 
Mit dem die Maffen auf und nieder fluthen. 


In meiner Höhe würd’ ih ihn empfinden, 

Den froben Herzichlag der erregten Maflen, 

Die fih, ein Schredniß für die ewig Blinden, 
Ins Freie drängen aus ben finfl’ren Gaſſen; 

Ihr Sreudenruf nad ſtumm getrag’nen Schmerzen, 
Der feige Seelen füllt mit bangem Sraufen — 
Mir ginge tiefer, roller er zu Herzen, - 

Als je Choralgewog und Orgelbraufen. 


Und träte ernft in diefer felben Stunde 

Zu mir der Tod — ih würde nicht erſchaudern; 
Ich folgte ihm, ein Lächeln auf dem Munde, 
Zufrieden, ftillgefaßt und ohne Zaubern. 

Der Tod tm bittern, ausſichtsloſen Kriege 

Mit blödem Knechtſinns frefiendem Verderben — 
Wohl mag er fchwer fein; doch im vollen Siege — 
Wie tft es leicht, wie tft es ſüß, zu fterben! 


Es ift ein Traum und muß ein Traum wohl bletben, 
Wie ſie auf Schritt und Tritt und fchmeichelnd Ioden; 
Ich werde mid in Sram und Groll zerreiben 

Und faſſe nte den Strang der Oftergloden; 

Doch wird mich ftetö, wenn diefe Gloden hallen 


Durchs nächt'ge Schweigen. wie ein lautes Dichten, 


Derſelbe Wunſch mit Allmacht überfallen 
Und ſeufzend nur werd' ich auf ihn verzichten. 


Le. 00 a 


Das Fahr - - ein eben. 


te Lüfte lau, der Himmel blau, 
Der Bad) befreit vom Eife, 
Und aus dem Wald verntimmft du Fald 
Des Kukuks traute Weiſe! 
Die Schwalbe kehrt zum alten Herd, 
Die Veilden blühn am Raine; 
Die Lerche ſchwirrt, der Falter tırt 
Durch Inofpenreihe Haine, 
Und freudig fhaun und vol Bertraun. 
Bor und die Bahn wir offen; 
War auch dein Herz voll Sram und Schmerz — 
Der Lenz bringt neues Hoffen! 


Rudolf Vavant. 


Bom Sonnenbrand gebräunt die Hand, 
Die Stirn bededt von Tropfen, 

Hörſt du ſodann im tiefem Tann 

Der Spechte ferned Klopfen; 

Bom Staub beweht am Wege fteht 
In Mittagägluth die Weide — 

Den langen Tag Flingt Wachtelſchlag 
Aus wogendem Getrelde. 

Ein Wetter droht; vom Blitz umloht 
Mußt du die Garben raffen; 

Wem ſich in Kraft der Arm noch ſtrafft, 
Der ſoll im Sommer ſqaffen! 


Sn bunte Tracht, in ſtille Pracht 

at ſich der Wald gekleidet; 

eſchaart zum Zug für langen Flug 
Das Heer der Sänger ſcheidet. 
Die Traube reift; von Stengel ſtreift 
Der Herbft die letzte Rofe 
Und feltfam fahl im Wiefenthal 
Blüht nun die Herbftzettlofe. 
Die Halmenflur zeigt Stoppel nur, 
Die Herbfteswinde Tlagen; 
Es mag mit Grund dein ernfter Mund 
Nur nad der Ernte fragen. 


Dann weit und breit das Land verfchnett, 
Gehüllt in Nebelfhichten ! 

Bon Froſt erftarrt das Hochwild ſcharrt 
Nach Moos am Fuß der Fichten, 

Ein Blumenflor ſchoß nachts empor 

An deines Fenſters Scheiben; 

Der raſche Fluß, der blaue, muß 
Verdroſſen Schollen treiben. 

Der Sturm pfeift ſchrill ſonſt Alles ſtill, 
Die Welt verſank in Schweigen; 

Nun magſt auch du das Haupt zur Ruh', 
Zur wohlverdienten, neigen. 


781 


— 













Couiſe Otto, 


geboren am 26. März 1819 in Meißen, bat "ch als Schriftſtellerin und 
Dichterin, wie aud als Kämpferin für die Srauenbewegung in hervor- 
ragender Weife VB rdienfte erworben. 1865 gründete fie den „Allg. 
deutfchen Frauenverein” in Leipzig. Starb im Jahre 1895 in Leipzig. 


DODDDDDDODNDIERD SDODDMDE KANAL 
6 Heli. O 


te Bänme ftehn im erften Jugendſchmüucke 

Mit Brün umhüllt glei ein m Iuft’gen Schleier, 
Der Winter wid) mit feinem ftarren Diude 
Und ringg bereitet fich des Feſtes Feier 
Eo ift ein warmer Lebensſtrahl entglommen, 
Sn dem fih rüfttg Wald und Feld verflärtem, 
Denn wieder will ein Oſtern fommen 
Und wieder will es Frühling werden. 


Die Schwalben Ehren Tangeefnd zurüd 
Und zeigen in der Sonne thr ©: fleder, 
Die Lerchen fingen von der Freiheit Glück 
Und fchmettern himmelaufwärts thre Lieder. 
Und rirgs im Lande werden fie vernommen 
Mit ſüßem Gruß und fröhlichen Geberden! 
Denn wieder will ein’ Oftern kommen 
Und wieder will es Frühling werden. — 


Der Armen Herzen ſchlagen froh entzüdt 
Ter neuen, milden Lenzesluft entgegen, 
Für Alle, die des Winters Noth bidrüdt, 
Wil die Natur fich jet erbarmerd regen. 
Sie danken im Gebet, im kindlich Frommen, 
Den Mächten, die ihr banges Schrei'n erhörten, 
Denn wieder will ein Oitern kommen 
Und wieder will ed Frühling werden, 


Denn auferfiehen! heißt das Looſungswort, 
Das wie ein Echo durch die Yande klinget, 
Und aufırftehen! heißt der Freiheit Hort, 

Tie ihre Banner durd die Lüfte ſchwinget. 
Tie neue 3.it hat wohl dad Wort vernommen, 
Ringt im Geſicſi zu geben auf der Erden: 
Denn endlich muß ein Oſtern kommen 

Und endlich muß es Frühling werden! — 


Sa, endlich nur! denn ah! in Fern und Nah 
Noch fene That mit unferm Freih ttäftreben, 
Durch die es ſeine Kraft bewährt gefhah! 
Doch puiſt durch unfre Bett cin nenes Leben! 


OO 


EUDIEDT 








183 


Boutfe Otto. 


Sind unfre Herzen noch jo angfibellommen, 
Ste werden finden, was fle heiß begehrten: 
Denn endlih muß ein Oftern kommen 
Und endlih muß es Frühling werden! 


Die Zahreszeiten haben ihren Lauf, 


So auch der Völker wandelnde Gefchide, 


Noch hielt ja Niemand die Geſchichte auf 

Und lenkte ihren heil'gen Strom zurüde! 

Wie unfre Zukunft auch tm Nacht verſchwommen, 
Den heil'gen Glauben kann uns Nichts gefährden: 
Es muß, ed muß ein Oſtern kommen 

Und endlih muß es Frühling werden! — 


6 Feberlied. O-- 


S% auf dem Felde die Lilten an: 
te arbeiten nicht 

Und die fpinnen niht — 
Doch ſcheint ja die liebe Eonne fie an, 
Doch ragen fie Kleider, ſchön gemacht, 
Noch ſchöner als Salomo in feiner Pradit. 


Seht auf den Bäumen die Vöglein an: 
Sie arbeiten nicht | 
Und bie fpinnen nit — 
Die fingen nur froh zu dem Himmel hinan 
Und werden ja alle, all’ ernährt 
Und nimmer wird Ihnen das Leben erſchwert! 


Am Webftuhl aber da ftehen wir, 
Wir arbeiten früh 
Und wir fpinnen fpät: 
Doch tragen wir Zumpen, doch hungern wir — 
Doch finden wir nimmer des Lebens Freud' 
Und ſchleppen mit uns ein nie endendes Leid! — 


— 6 Bergban. 9 

b Nord od Eid, ob Schnee ob Sommergluthen, 

Das kümmert nie ein echte Bergmannskind. 
Aus ihren Adern muß die Erde bluten, 
Wo ed am Retäften drinnen wollt und rinnt. 
Der Fäuſtel klingt — der Andern Obr verborgen, 
Die Droben wohnen in des Simmel: Blau. 
Es fällt ein Schuß — ber Tiefe Geifter horchen 
Und rings erhebt der unterwühlte Bau, 


So iſt es bier, fo ift e8 olfer Orten: 
Dem Erz ift Shon im Murtterleib die Kraft, 





Den, der ihm naht, Gefahr zu bringen, worden : 


Boutfe Otto. 754 


Nur Fleiß und Kampf befreit e3 feiner Haft: 

Und Fleiß und Kampf tft fein Geſchick hienteden, 

So bient es Jedem, der fih’3 unterwarf, 

Mag d'raus die Pflugſchar, mag das Schwert man ſchmieden, 
Den Schienenweg, der Länder einen darf. 


Dir, Eifen! möcht’ ein ſtolzes Lied ich fingen, 
"Du Tannft ein Engel für die Menfchheit fein, 
Auf Deinen Wegen ihr Erlöfung bringen, 
Mit deinen Shwertern kämpfend fte befrein! 
Als Pflugſchar in dem Schoos der Eıde wühlen, 
Bis er fih, Segen bringend, rings erſchließt 
Und grün und reich, gleih wie im ſüßen Spielen, 
Kährendes Korn für Alle ihm entiprießt. | 


Du aber, Stiber, mit dem bleiden Schimmer 
Und Du fen ſtolzer Bruder, Iodend Gold: 
Ihr Beide brachtet ſolchen Segen nimmer, 
Die Freiheit niht — Knechtſchaft Habt Ihr gewollt. 
Und wär’t als Engel Ihr der Welt erfchtenen, 
Sp hat die Welt zu Teufeln Euch gemadt ! 
Dem Satan nur und feinem Ruhm zu dienen, 
Steigt Ihr zum Licht empor aus Eurer Nacht. 


Steigt Ihr empor — und auf den bleiben Wangen 
Des armen Bergmanns glüht ein plöglih Roib — 
An Eurem Glanze feine Blide Hangen, 

Bei Eurem Glanze denft er feiner Noth! 

Sit e8 doch all’ fein Sorgen und fein Mühen, 
Euch aus dem Erdenterter zu befrein, 

Ihr aber wollt ihn dann auf ewig fliehen 
Und glänzt ihm nur zu höhnen feine Pein. 


Er hat fein Silber und fein Gold im Haufe, 
Nur Thränen, nur der Kinder Hungerfchret, 
Die harren fein in feiner engen laufe, 
Ein bleihes Weib in Noth und Elend treu. 
Und müde finft er auf fein Laer nieder 
Und ftöhnt und bat ein böſes Traumgeſicht: 
Als höb das Eiſen troß'ge Riefengliedber 
Uub bielt ob Gold und Silber Strafgeridt. 


Er fpringt empor — bebt ſtolz die jtarfen Arme — 
Da fährt dad Weib erfchroden in die Höh | 
Und flüftert tonlo8 — matt vom großen Harme: 
„Mir tft als ob ich's plötzlich tagen ſeh'!, 
Da ift ihm vor dem Wort der Traum entſchwunden, 
Er tft erwacht und fpridt: „Schnell tft der Lauf 
Der kargen, zugemeff’nen Ruheſtunden. 
Das Slödchen ruft mich fort — leb wohl!" — „Slüd auf!” 


er 











Louiſe Dito. 


Link und Fetzt. 


s lag ein ftillee Frieden um bie Hütten, 

Die einfam ftehn im grünen tiefen Thal 
Dom fteilen Berg kam ich berabgeichritten 
Und grüßte fie im letten Sonnenftrahl. 


Die Rämmerbeerden zogen durch die Wieſen, 
Ihr Glödleinflang das einzige Getön, N 
Womit die Fluren fanft den Wandrer grüßen 


Gleichwie mit Friedenswünſchen fromm und ſchön. — 


Und an der Linde ſtanden ſie beiſammen, 
Ein zärtliches, ein hochbeglücktes Paar. 
Er ließ ſein Auge in ihr Antlitz flammen, 
Sie bot ihm ſchüchtern ihre Wange bar. 


Dit gegenüber wo aus grünen Bäumen 
Gar traulih winkt ein ftrobgebedtes Dad: 
Hier mögen fie den eignen Herb fih träumen, 
Hier fi ihr Wunſch der Zukunft Glück veriprad). 


Die Kinder fpielen die gewohnten Spiele, _. :- 
Als Pferde ſpannen fie dem Pflug fi vor; 
Ein Knabe lenkte zum beftimmten Siele 
Mit Peitſchenknall den muntern Brüderdor. — 


Das war vor Heiten. — Als ih wieder kommen | 


Bu jenem ftillen waldumkränzten Thal --: 
Hei! wie da aller Friede ift genommen! 
Het! wie da Alles anders auf einmal! 


Das neue Schidjal, das die Welt regieret 
Es hat auch hierher feinen Schritt gelenkt. 
Seht, wie ein Pfad jebt durch die Berge führet 
Und darauf Wagen fih an Wagen drängt! 


Statt Heerbenglödlein läutende Signale, 
Es rauſcht und zieht und fauft mit Ungeftüm 
Und rüttelt alle’ Träumer auf im Thale 
Das mächt'ge, feueripei'nde Ungeihüm. — 


Wird lang das Paar noch bei ber Linde bleiben? 
Die Maid fteht Blei von naher Trennungsqual 
„Mich will’s hinaus in's rafche Leben treiben!“ 
Ruft er, „leb' wohl! ſchon pfiff’e zum dritten Mal!” 


185 


50 








786 


Louiſe Ditto. 


Sie ſchaut ihm nad mit ſehnſuchtsvollen Blicen, 
Wohl ahnt fie draußen die bewegte Welt — 
Wird nicht ihr Glanz bes Liebften Herz umftriden? 
Iſt dies Fein Riff an demFihr Glück zerſchellt? — 


Wo find die Knaben, die fich bier erfreuten? 
Das alte Pflugfpiel ift zu fchlecht und Klein, 
Denn Keiner will mehr Peitſchenhiebe leiden 
Und Keiner will des Andern Pferd mehr fein. — 


Dahin, dahin der einjam ſtille Frieden, 
Dahin, dahin ein jed' idylliſch Glück! 
Denn alle Ruh' iſt aus der Welt geſchieden — 
D Dampf! fürwahr, das iſt bein Meiſterſtück! 


Sa, Frieden, ftirb! — Du ftiller Kichhofftieben 
Du baft fürmahr zu lange ſchon gewährt! 
Ein ander Glüd giebt’s noch für uns bienieben, 
Ein andrer Glanz hat unſre Zeit verklärt! 


Seht dort den Greis in dünnen Silberhaaren, 
Indeß die Wagen fliegen, hört fein Flehn: | 
„Run Herr laß Deinen Knecht in Frieden fahren, | 
Nun er die Wunder diefes Tags geſehn!“ 


Er ahnt es wohl, doch wußt er’s nicht zu jagen, 
Als ihn Bewunderung aufs Knie geſenkt: 
Es weht ein neuer Geiſt um diefe Wagen, 
Der raftlos fort auf Eiſenſchienen drängt! 


Rings lärmt es auf zum rüftigen Bewegen 
Und biefes Läuten ruft: Habt Acht! habt Act! 
Mit jeder Schiene, die fie weiter legen, 

Wird neues Leben in bie Welt gebradt. 


Und eh’ fie noch die Gotteskraft verftehen, 
Sind fi die Völker jubelnd nah gebradt, 
Unb laſſen ihre Freibeitsbanner wehen 
Und dur die Lüjte ſauſt's: „Erwacht! erwacht!“ 


Er 















Friedrich Wilhelm Fritzſche 
wurde geboren um 27. März 1825 zu Leipzig, lernte als Cigarrenarbeiter, betheiligte fi 


an ben Aufſtänden 1848 und 1849, wurde als Barrikadenkämpfer in Dresden gefangen. 
Bon 1868—1881 war er ſozialdemokratiſcher Reihätagsabgeordnieter, wanderte dann nad 


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Frolog zur Feier des 18. Faͤrz. 
1848. 


Maufron lag auf beutfcher Erde, | Bis ein Völferfrühlings-Morgen, 
Und auf Aeſt' und Bweigen lag | Geiftgeboren, zog in’s Land; 


Dichter Reif; ein grauer Nebel 
MWehrt dem jungen Frühlingstag, 
Wehrt dem Freiblid in die Ferne, 
Wehrt der Sonne warmem Strahl, 
Lebensleime zu befruchten; 

Grau umnadtet Berg und Thal. 


Doch der Lenz, der Sonne Bote, 
Märzgeboren, bricht ben Bann 
Und zerreißt bie Nebeljchleier, 

Die der Winter tückiſch ſpann. 
Neues Leben wedt die Sonne, 
Leben fproßt aus jebem Korn; 
Hoffnung, Liebe, Luft und Wonne, 
Leben fprubelt jeder Born. | 


So auch auf dem beutichen Volke 
Lag der Alp der Realtion, 
Zwängt ine Joch bes Volles Naden 
Und zermalmt, im Keime jchon, 
Jedes neue geifl’ge Leben; 

In der Kerker öder Nacht 
Lag in Ketten und in Banden, 
Wer getrotzt der Herrſcher Macht. 


Achtzehnhundert einundſiebzig 
Wieder athmet Mannesbruſt 
Märzenluft, der Freiheit Odem, 
Frühlingshoffen, Kampfesluſt. 
Märzenſturm brauſt über Fluren, 
Die empfangen blut'ge Saat, 
Ueber Nacht ſtürzt er in Trümmer, 
Des Cäſaren Thron und E it. 


Wahrheit, Licht und neues Leben 
Spenbet feine milde Hanb. 
Freiheit! jubeln laut bie Sänger, 
Freiheit! tönt's von Drt zu Det, 
Nieder mit den feilen Schergen, 
Der Tyrannen Schirm und Hort. 


Schwerter bligen aus der Scheide 
Und die Kugel rollt im Lauf, 
Selber ſchärft ſich Spitz und Schneide 
Und die Lanze bebt fih auf, 

Und es richtet fi bie Senje, 
Und von felber fie ſich ſchleift, 
Weil in ſolchem mächt'gen Lenze 
Alles lebt und alles reift.*) 


Und das Blut ber Freiheitshelden 
Düngt den Boden für bie Saat, 
Der die Freiheit ſollt entiprießen. 
Krachend wankt der alte Staat. 
Doch bie Erben jener Helden, 
Trunken von der Freiheit Schein, 
Ließen jene Saat verlobdern, 
Heimſten nicht die Ernte ein. 


1871. 


Um ber Freiheit ftolges Banner 
Reiht fi jene kühne Schaar, 
Die geitählt der Arbeit Mühen, 
Es zu ſchirmen vor Gefahr. 
Schon erhebt ihr Haupt bie Hyber, 
Stredet aus die Fänge ſchon, 
Um bie Freiheit zu erwürgen 
Und zu zimmern neu den Thron. 


*) Diefe Strophe iſt aus einem alten Freiheits⸗Sang. 


50* 





788 


Nicht ein Fürft von Gottes Gnaben 
Treibt die Henker zur Orgie — 
Orbdnungsſchächer, Krämerjeelen, 
Freiheitsheuchler heben fie. 

Rache ſchnaubt die Würgerborde, 
Mordet, ſengt und brennt und raubt, 
Stößt ben Stahl in’s Herz des Kindes, 
Spaltet kalt der Mutter Haupt. 


Aus erihlag’nen Feinden thürmen 
Leihenwälle ſich empor, 
Fable Lippen zuckend wimmern 
Schauerlich ben Sterbechor; 
Purpurroth, wie ihre Fahne, 
Stroͤmt der Freiheitskämpfer Blut, 
Und den Himmel roth und blutig 
Faͤrbt ber Flammengarben Gluth. 


Friebdrich Wilhelm Fritzſche. 


Und die Helden Aberwunden 
Von der hundertfachen Macht, 
Sinken flucherfüllten Herzens 
In die ew'ge Grabesnacht. 

Was im Kampfe nicht gefallen, 
Was dem Standrecht noch entrann, 
Frißt die trock'ne Guillotine 

Sn Cayenne, würgt der Bann 


Doch ber Fluch im Herz ber Tobten 

Keimt ale Racheſaat empor, 

Wenn ein neuer Völfer-Frübling 
Neues Leben Iodt hervor. 

Aus der Aſche jener Helden 
Steiget auf, dem Phönir gleich, 
Dann die Freiheit, um zu feften 
Ewiglich ihr herrlich Reich. 


fe - 
Bas Proletariat. 


obläugig, gramdurhfurdt die Wangen - 
Und bleih, die Blöße faum verhällt 

Kommt ſchleichend es daher gegangen, 

Und wer es fieht, deß Herz erfüllt 

Ein furdtbar, namenlojes Bangen. 

Wer, graufiges Phantom, bift bu? 

Dein Odem ſchnürt Die Bruft mir zu. 

Steh’ Rebe! Was tft dein Verlangen? — 

Da hält es ein auf feinem Pfad: ) 
Ich bin das Proletariat!“ | 


So dumpf und hohl mit Ieifem Stoͤhnen 
Keucht bang das ſchreckliche Gebild; 
Doch bald, gleich wie des Donners Dröhnen, 
Sein Zornesruf allmächtig ſchwillt. 
Von Millionen Zungen tönen 
Die Worte, daß das Herz erbebt, 
Als wieder es die Stimm' erhebt 
Und heult: „Von meinen eig'nen Söhnen 
Ward ich verrathen früh und ſpat; 
„Ich bin das Proletariat! 


„Mi bat ber Weberfluß geboren, 
„Ih bin das Stieffind ber Natur, 
„Nichts auf der Welt hab’ ich verloren, 
„Treu blieb das Elend meiner Spur, 
„Als Wiegenlied tönt meinen Obren 


Friedrich Wilhelm Fritzſche. | 189 


„Der Armuth bittrer Schmerzenslaut, 
„Die bleiche Noth ift meine Braut; 

„Ss bat fich gegen mich verſchworen 
„Macht und Gewalt in Voll und Staat. 
„Ich bin das Proletariat! | 

„SH buldete, ih war gebrochen, 
„Zerſchlagen warb mein ganzes Sein. 
„Du ſollſt“, hat da ein Mann geiprocdhen,”) 
„„Der Fels der Zukunftskirche fein.” 

„„Da bebt das Mark mir in den Knochen, 

„Ich raff die legten Kräfte auf, 

„Beginne langfam meinen Lauf, 

„An jedem Haufe anzupocden: 

„Wacht auf, ihr Schläfer, auf zur That! 
„Ih bin das Proletariat! 

„An die Paläfte, an die Hütten 
„Klopf’ mahnend überall ih an. 

„Borbei ift Jammern, Fleh'n und Bitten, 

„ZVorüber ift der falihe Wahn — 

„Als ſei die Noth, die ich gelitten, 

„Beltimmung, die Gott auferlegt, 

„Damit Barmberzigkeit man pflegt. 

„Drum zum PVerzweiflungsfampf geſchritten: 

„Sieg oder Tod! — das ift mein Rath; 
„Ich bin das Proletariat." 


8 
Feißzt die Götter von dem Fhrone. 


m echten Ruhm dir zu .erringen, 

Der von ber Selbftiuht Schlade frei, 
Mußt du mit jenem Rieſen ringen, 
Den großgefäugt die Tyrannel. 
Die Gottheit kämpft mit ihm vergebens, 
Weil er in ihren Dienften ftebt 
Und mit dem Ende feines Lebens 
Ihr Himmelreih in Trümmer geht. 


Es iſt der Unverſtand der Mailen, 

Des Aberglaubens Riejenfohn, 

Willſt du ihm nah dem Leben faſſen, 

Dann reif? die Götter erft vom Thron, 

Die du im Herz bisher geborgen, 

Befret’ dich von des Glaubens Drud; 

Mußt Did um Hab und Schimpf nicht forgen, 
Sie find des Ruhmes fhönfter Schmud. 


454 


*) Ferdinand Laffale. 


790 


Friedrich Wilhelm Fritzſche. 


Der Santalus des XIX. Jahrhunderts. 


tie Krater der Hölle fpeit riefige Maſſen 
Gluthſprühender Wolken ein Schlotenwalb aus; 
Im Grunde erbeben bie Häufer ber Gaſſen 
Vom bröhnenden Hämmer- unb NRäbergebraus; 
Wild Shäumende Dämpfe fie kreiſchen und zifchen, 
Als ob fie dem Keſſel der Heren entflohn; 
Schrill gellen die Pfeifen des Satans dazwiſchen; 
Sie rufen die rußigen Cyklopen zur Frobn. 
Es ächzet und beult, und es wimmert unb weint, 
Wie's Käuzhen im Sturm, das ein Tobtenlied greint. 


Und dennoch, wel’ Reichthum und Segen erjprießen 
Dem bölliihen Spud; dur ihn, aus dem Schooß 
Der Erbe, ſich goldene Ströme ergießen, 

Zu tränken mit Freuden der Sterblichen Loos. | 
Das Scifflein des Webers fliegt längft ohne Hände, 
Die Erde bat jeden Tribut uns gezollt; 

Die Hämmer der Schmiede, ohn' Raft ohne Enbe, 
Verwandeln das Eijen in blinkendes Gold. 

Es haben die Menſchen mit göttlider Macht 

Die Kräfte der Welt fih zu Sklaven gemadit. 


Und Marmorpaläfte mit goldenen Binnen, 
Mit Gärten wie Eden, mit trautem Gemad, 
Sie bergen Geſchmeide und köſtliches Linnen, 
Und Sammet und Seide, bis hoch auf zum Dad. 
Nicht Fallen die Scheuern bie köſtliche Beute, 
Die glühend in Liebe die Sonne befcheint; 
Nicht faſſen die Keller die Thränen der Freude, 
Die ob ſolchen Segens die Rebe neweint 
Wo immer ber Menſch auch zur Nube fi ftredt, 
Hat Mutter Natur auch den Tiich ihm gebedt. 


Wohl ſchufſt du, gewaltiger Rede, die Güter; 
Du ſchufſt fie im Schweiße des Angefichts fchier, 
Unb dennod, erbärmlicde Zwerge als Hüter, 
Bewachen, glei Argus, die Schäße vor bir: 
Berprafien das Deine -- kaum baß bu bie Broden 


. Demüthig erflehft, die entfall'n ihrem Tiſch; 


Bor Horneswuth müßte das Herzblut dir ftoden, 

Und dennoch bleibft ſtumm bu und kalt wie ein Fiſch, 
Haft Hunger inmitten von Ueberfluß — 

Ermanne did endlich, o Tantalus. 








— — 


Artheile der Arbeiterpreſſe 


; 


ießen 


I. on 


über die „Stimmen der Freiheit,“ 


Der „Vorwärts'-Tahan Schreibt u. A: . 

Wenn Du, Genoffe oder freundlicher Leer unjeres Blattes, den 
ganzen Tag im Bergwerk ſchweißtriefend, keuchend, in ber Glashütte 
vor Hitze verfengend, am Webſtuhl hungernd, barbend, mit krauſer 


“ forgenvoller Stirn im Feld pflügend, in der Werkftätte lange Stunden 


um Brot ringend, wenn all Ihr Arbeitsfclaven von Fabrik, Land, Ge- 
werbe ermübet zur Feierflunde mit durch bie Arbeit niedergebrüdtem 
Geifte, jorgenvoll, ftirnrunzelnd Euch der Ruhe widmet, dann werft einen 
Bli in die „Stimmen der Freiheit." Ste erweitern ben Geiftesblid, 
ſchaffen Kampfesfreudigkeit, durchglühen das Denken und Schaffen, 
bringen neuen Muth zum Kampf ums jchwere Dafein. In jeder Familie, 
wo die „Stimmen der Freiheit” Eingang finden, jchaffen fie einer freien 


- Geiftesrihtung den Weg. Der Verfaſſer bat es verftanden, mehr als 


tunfivoll die Geiftesheroen des Proletariats vorzuführen. Eine derartige 
Ansgabe von einer Blüthenlefe der hervorragenditen Schöpfungen unjerer 
Arbeiter- und Volksdichter war lange ein dringendes Bedürfniß für bie 
vom Bildungsdrang ergriffene Arbeiterſchaft. 


Das „Hamburger Eho“ ſchreibt u. A: 


Das uns vorliegende Wert ift außerordentlich elegant gehalten 
und dürfte mit Recht allfeitig Beachtung finden, wie überhaupt das 
Unternehmen unjerer Arbeiterfchaft angelegentlihft zu empfehlen fein 
dürfte. Wie der Proſpekt beſagt, wirb es beionders Aufgabe der Lieder- 
Sammlung jein, unfere zeitgenöffiichen Arbeiterbichter, die heute größten- 
theils nur wenig befannt und gewürbigt werben, in ihren beften Schöpfungen 
der deutichen Arbeiterihaft vorzuführen. 


Die „Fränkiſche Tagespofl" in Nürnberg nennt bie 

aunmen ber Freiheit: „Ein politifches Liederbuch für das 
olt.“ 

In der Leipziger Arbeitermonatsſchrift „Derfreie Bund“ 
heißt es über die „Stimmen der Freiheit“: 

„Aus dieſen Dichtungen grüßt den Arbeiter das Ideal ſeiner 
eigenen Befreiung. Das gigantiſche Ringen des Proletariats tritt uns 
hier in wuchtigen Verſen und luſtigen Spottreimen entgegen. Das 
Werk wird für jeden Arbeiter, den die Sorgen und Plagen bes Tages 
den Kampfesmuth geſchwächt haben, eine Erquickung jein, ein Due, 
aus dem er neue Zuverſicht jchöpfen kann. In biefen Sammlungen 
tritt die Dichtung dem Arbeiter als Kampfgenojfin entgegen. Ste fordert 


792 Urtheile ber Arbeiterpreffe. 














ein warmes Herz und ein Stundchen Beit und giebt dafür Geifteskräfte 
unb reine Herzensfrenden. ‚ 

Früher lag bier und da in der Wohnftube auf einem Tiſch ober 
einer Rommobe ein Gefang- und Gebetbuh zu ftünblicher Erbauung. 
Diefe Sitte ift heute verſchwunden, aber ein Erbauungsbuch thäte uns 
doch wohl manchmal noty. - Legen wir barum ein ſolches Gedichtbuch 
nieder, es wird uns feftigen und erbauen, fobald wir in unferer Be- 
hauſung mit Andacht barin leſen.“ 

Die ſozhaliſtiſche Monatsſchrift „Zeitihmwingen" in Saaz 

öhmen) fhreibt Über bie Heftausgabe ber „Stimmen ber 
reiheit u. 9.: B 

Nach den bereits vorliegenden Heften zu uriheilen, verſpricht bas 
Werk einzig in feiner Art zu werden unb jollte daſſelbe daher, zumal 
der Preis ein fehr niedriger ift, in Feiner Familie, ganz befonbers aber 
in feiner Bibliothet unferer Arbeitervereine fehlen. In biefem Werke 
wird bem Volke nit nur eine ausgezeichnete Sammlung von Dichtungen 
geboten, ſondern ber Verlag hat bdemjelben dadurch einen befonberen 
Werth verliehen, daß er den Dichtungen die vorzüglich ausgeftatteten 
Porträts ber einzelnen Dichter ſowie kurzgefaßte blographiſche Daten 
über biefelben beifügt. Das Werk verbient unter allen ben bisher er- 
ſchienenen Werken unftreitig ben erfien Platz.“ 

Und an anderer Stelle ſchreibt genannte Zeitſchrift: 

„Pragptvoll gebundene Exemplare bes Werkes find zu einem Spott- 
preife zu haben. Wir empfehlen biejes ausgezeichnete Bud; jeber 
Arbeiterbibliothef.* 

Der „Correfpondent für Deutſchlands Buchdrucker“ fagt: 

„Das Buch fol eine Blüthenlefe ber hervorragendſten Schöpfungen 
unferer Arbeiter und Volksdichier des In- und Auslandes bieten und 
vor allem ein Ermunterer im Kampfe um bie Ideale ber Menfchheit 
werben. Wir brauden wohl nicht erſt befonbers zu betonen, daß eine 
ſolche Ermunterung gerade in heutiger Zeit mehr als je von nöthen if.“ 


Im ähnlichem Sinne äußerten fi über bie „Stimmen ber Frei⸗ 
beit außerdem eine ftattliche Anzahl von Arbeiterzeitungen Deutſchlands 
und Deſterreiche. °