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über den
serbisch -bulgarischen Krieg 1885
Von
Alfons Dragfoni Edlen von Rabenhorst,
k. k. Hauptmann im k. k. Infanterie-Regimente Prinz zu Hohenlohe-Schillingsfürst Nr. 87.
Mit 1 Uebersiöhts- nnd 2 Operationskarten.
Graz 1886.
In Commission bei L W. Seidel & Sohn, k. k. Hofbuchhändler,
I., Graben 13.
Buchdruckerei Gutenberg, Graz.
Mit Vorbehalt aller Rechte.
Vorwort.
fts mag verfrüht, ja vielleicht sogar gewagt erscheinen, heute,
wo der Kanonendonner kaum noch verhallt ist, wo noch der vollständige
üeberblick über die Ereignisse und Handlungen fehlt, wo endlich
die officielle Darstellung der kriegerischen Begebenheiten weder von
der einen, noch von der anderen Seite verlautbart wurde, sich in
eine Kritik über diesen Krieg einzulassen.
Die Basis dieser ,, Strategischen Betrachtungen" konnten somit
naturgemäss nur die in den verschiedenen Tages-Journalen über die
kriegerischen Ereignisse verlautbarten Telegramme, Berichte etc.
bilden, Dass unter solchen Umständen sich in die vorliegende Arbeit
vielleicht auch manche Fehler und Irrthümer eingeschhchen haben
werden, kann nicht Wunder nehmen, wenn man bedenkt, wie ein-
seitig oft der Standpunkt des Berichterstatters in einem Haupt-
quartiere ist ; ja, wie demselben oft gerade dasjenige, was hinter
den Ooulissen vorgeht — also die eigentlichen Triebfedern,
Beweggründe und Ursachen — verborgen bleiben. Und
bekanntermassen sind doch gerade diese für eine richtige Beur-
theilung der Thatsachen von höchstem Werthe.
Entgegen dem, bei ähnlichen Studien sonst üblichen Gebrauche,
wurde in diese „Betrachtungen" von den kriegerischen Thatsachen
so viel aufgenommen, als für die Kenntnis des Peldzuges unum-
gänglich nothwendig ist.
Weit davon entfernt, zu glauben, in den nachstehenden Zeilen
immer das Richtige getroffen zu haben — wozu ja auch eine weitaus
grössere Erfahrung gehört — hat die vorliegende Arbeit einzig nur
den Zweck : den Leser zu eigenem LJrtheile über diesen zwar
kurzen, aber in jeder Beziehung höchst lehrreichen
und interessanten Feldzug anzuregen.
Graz, den 15. März 1886.
»
Der Verfasser.
Benützte Quellen. ^
1. Agramer Zeitung. (Agram.) 1 \
2. Allgemeine Militär-Zeitung. (Darmstadt.) *
3. Allgemeine Schweiz. Militär-Zeitung. (Basel.) ,
4. Allgemeine Zeitung. (Früher in Augsburg, jetzt München.)
5. Armeeblatt. (Wien.)
6. Armee- und Marine-Zeitung. (Wien.) i
7. Budapester Tagblatt. (Budapest.)
8. Deutsche Heereszeitung. (Berlin.)
9. Fremden-Blatt. (Wien.) . \
10. Internationale Revue über die gesammten Armeen und Flotten. (Dresden.)
11. Kölnische Zeitung. (Köln.)
12. Kreuzzeitung (Berlin.) i
13. Militär- Wochenblatt. (Berlin.) !
14. Militär-Zeitung. (Wien.)
15. Narodnij Glas. (Philippopel.)
16. Närodni Listy. (Prag.) j
17. Neue Freie Presse. (Wien.) i
18. Norddeutsche Allgemeine Zeitung. (Berlin.)
19. Pester Lloyd. (Budapest.) ^
20. Sepske Novine. (Belgrad.)
21. Tagespost. (Graz.) i
22. Trnovska konstitucija. (Sofia.) "j
23. Vedette. (Wien.) '
24. Videlo. (Belgrad.) |
25. Wehrzeitung. (Wien.) |
26. Wiener Allgemeine Zeitung. (Wien.) i
27. Wiener Tagblatt. (Wien.) i
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IHHÄLT.
Seite
1. Die politischen, geographischen und militärischen Verhältnisse vor Beginn
des Krieges 1
II. Operationsplan der Serben und Bulgaren ^ 19
III. Die Serben ergreifen die Offensive, — Kämpfe um SHvnica vom 17. bis
19. November 39
IV. Unmittelbare Folgen der von den Bulgaren errungenen Siege bei Slivnica. —
Schlacht bei Pirot am 26. und 27. November 53
V. Die Operationen im Vidiner-Kreise. — Gefecht bei Adlije am 16. November 63
VI. Schlusswort 69
%-*.
^ @I>c
I.
Die politischen, geographischen und militärischen
Verhältnisse vor Beginn des Krieges.
Die politischen Verhältnisse.
Bulgarien.
Der den Frieden von San Stefano rectificierende Berliner
Congress hatte, entgegen den Wünschen des bulgarischen Volkes
und- jenen ßusslands, das Project eines unabhängigen und
ge ei «igten grossen bulgarischen Reiches verworfen und,
wie allgemein bekannt, ein der Türkei tributpflichtiges Fürstenthum
Bulgarien und eine grosse türkische Provinz — Ostrumelien
genannt — geschaffen. Für die Beurtheilung der folgenden Begeben-
heiten kann nicht unerwähnt gelassen werden, dass derjenige Theil
des Gebietes, welcher bezüglich der Ertragsfähigkeit und der Kultur
des Landes, sowie bezügUch der Wohlhabenheit und der Bildung der
Bevölkerung der bessere war, mit einem Worte : dass derjenige Theil
des von Bulgaren bewohnten Landgebietes, in welchem die eigent-
lichen Lebensnerven eines bulgarischen Staatswesens wurzelten, der
südHch des Balkan gelegene ist; — und gerade dieser Theil wurde
zur türkischen Provinz geschlagen. Was das bulgarische Volk damals
schon an inneren und äusseren Gütern besass, blieb mithin dem,
ihren nationalen Wünschen noch am ehesten entsprechenden Staats-
wesen, dem Fürstenthurre, äusserhch wenigstens vorenthalten.
Ohne des Näheren zu erörtern, was in den beiden bulgarischen
Provinzen sich seit dem Jahre 1878 alles zugetragen, welche „Mittel
zum Zwecke" in Bewegung gesetzt wurden, — genug an dem : am
18. September 1885 wurde zum Staunen aller Tractat-Mächte des
Berliner Oongresses der in Phihppopel befindliche türkische G«-neral-
1
— 2 —
V
Gouverneur Gavril Pascha durch eine gut vorbereitete, mit über-
raschender Schnelhgkeit, jedoch in unblutiger Weise durchgeführte
Eevolution seines Amtes entsetzt, die Vereinigung OstrumeHen's mit
dem Fürstenthume Bulgarien proclamiert und Fürst Alexander I. von
Bulgarien zum F ü r s t e n der nun vereinigten bulgarischen
Landestheile ausgerufen. Am 19. September — also schon
dem darauf folgenden Tage — wurde vom Fürsten diese „Vereinigung,
unbeschadet der Hoheitsrechte des Sultans, „als vollzogen erklärt",
und die Mobilmachung der bulgarischen sowie ostrumelischen Truppen
angeordnet. Der Fürst selbst eilte nach Philippopel, wo .er am
21. September seinen Einzug hielt. Am 23. Se])tember wurde die
Mobihsierung — da tagsvorher auch Serbien die Mobilmachung seiner
„activen Armee", und die Türkei die Concentrierung von Truppen
an der ostrumelischen Grenze angeordnet hatte — aller Auf-
gebote beider Bulgarien anbefohlen.
Die erste Ruhestörung im Oriente war somit von Bulgarien
ausgegangen. Wenn Serbien in der Folge provocierte, so war es
doch schon früher durch die factische Vollziehung der bulgarischen
Union provociert. Wenn es über den BerUner Vertrag hinausgrifif, so
war es, um sich und seine Interessen gegen eine flagrante Verletzung
dieses Vertrages zu schützen. Fürst Alexander war niemals das ganz
schuldlose Opfer fremder Gewaltthätigkeit und Begehrlichkeit, als
welches er sich in dem weiteren Verlaufe so gern hinstellen wollte.
Ein gerechtes ürtheil wird vielmehr auf die Ausgangspunkte zurück-
greifen, und dieses wird zweifellos die Priorität des Verschuldens
Bulgarien zuerkennen müssen. Seine Auflehnung gegen den Willen
Europa's hat die serbische Emancipation von allen Friedensmahnungen
und Vorstellungen der Mächte erst hervorgerufen.
Ob Fürst Alexander von dem Philippopler-Putsch früher etwas-
gewusst hat? — Er selbst und ganz Bulgarien behaupteten im
vorigen Jahre: nein. Seither sind jedoch Thatsachen bekannt
geworden, die einen gewissen Zweifel zulassen. So soll Fürst Alexander,
der mit König Milan stets eng befreundet war, seitderii er in Sofia
residierte, jede durch den Geburts- oder Namenstag des Königs, der
Königin oder des Kronprinzen sich bietende Gelegenheit benützt
haben, um telegraphisch in herzlichster Weise zu gratulieren ; es
gab keinen einzigen Fall, dass Fürst Alexander an eine solche Auf-
mejksamkeit vergessen hätte. Nun lallen zufällig in den Monat August
nacheinander der Geburtstag des Königs, der Namenstag der Königin
und der Geburtstag des Kronprinzen — und im Monate August 1885
kam zum Staiiiieii d-r königlichen Familie kein Zeichen der Erinnerung
— 3 -
vom Fürsten Alexander. — Ein zweites, viel markanteres Detail ist :
Die Ausführung der passageren Befestigungen bei
Slivnica. Wie durch zahlreiche Zeugen erhärtet und auch von den
fremden Officieren — namentUch den im Spätsommer dort gewesenen
schweizerischen Officieren — bestättiget w^ard, war dieselbe bereits
Mitte August 1885 in Angriff genommen worden, desgleichen
war die wiederholt aus Sofia verbreitete Meldung, dass SHvnica seit
Jahren ein ständiges Uebungslager der bulgarischen Truppen gewesen,
eine absolute Erfindung. Das Uebungslager der bulgarischen Truppen
war -stets östlich in der Nähe Sofia's gelegen. Auf der Hauptstrasse
von Sofia nach Oaribrod, respective Pirot hätte doch sonst jemand
jemals dieses Lager oder diese Befestigungen gesehen, die auch heute
von der Strasse aus gut wahrzunehmen sind.
Serbien.
Auf dem Berhner-Congresse waren es zunächst Oesterreich-
üngarn, dann die Westmächte, welche Serbien Nis und Pirot als
Lohn für die gebrachten Kriegsopfer verschafften. Man hatte die
Absicht, durch die Ausdehnung und Erhebung der Macht Serbien's
den Einfluss Eussland's auf der Balkan-Halbinsel einzuengen.
In den Krieg gegen die Türkei, der dem letzten grossen
russisch-türkischen Kriege voranging, waren die Serben durch die
Machinationen russischer Intriganten hineingedrängt worden. Sie waren
der Uebermacht erlegen und hatten dafür nicht Theilnahme, sondern
öffenthche Beschimpfung von Seiten des Ozars geerntet. An dem
neuen Kriege hatten sie wieder Theil genommen und nach Kräften
ihre Schuldigkeit gethan. Trotzdem mussten sie es über sich ergehen
lassen, dass General Ignatieff in San Stefano sich um ihre Inter-
essen gar nicht kümmerte, dass er ausschliesslich Sorge dafür trug,
ein neues, grosses Bulgarenreich auf der Balkan- Halbinsel zu etablieren,
welches nach Umfang und ßeichthum den kleinen serbischen Staat
weit überragte. Dass unter solchen Umständen die Beziehungen des
Königreiches Serbien zu dem Fürstenthume Bulgarien sich vom
Anfange an nicht sehr freundlich gestaheten, ist begreiflich ; Serbien,
welches für die eigene Befreiung und die Schwächung der Türkei
so viele gefährliche und aufopfernde Kriege geführt hatte, mochte
nicht leicht den Gedanken ertragen, dass es nun von Bulgarien über-
flügelt werde. Bulgarien aber, welches jene Gesinnung Serbien's
genau kannte, wusste ebenso, dass Serbien sein Begehren nur auf
Kosten jener Rechte befriedigen konnte, welche es selbst für sich in
Anspruch nahm. Die Missgunst gegen den bulgarischen Empor-
— 4 -
kömmling somit wirkte dabei auf terbischer Seite zusammen mit
dem Unmuthe, über seinen russischen Protector. Die Regierung des
Fürsten Alexander war aber auch der des Königs Milan nichts weniger
als ein williger Nachbar. Zu wiederholten Malen benahm sich Bul-
garien feindselig, ja sogar herausfordernd gegen Serbien, so, dass
bekanntlich schon im Juni 1884 die diplomatischen Beziehungen
zwischen Belgrad und Sofia abgebrochen wurden. Den Anlass hiezu
bot damals der Umstand, dass Bulgarien die aus Serbien vertriebenen
Aufständischen und Parteigänger des Prätendenten -Karagyorgyevics
nicht nur gastlich aufnahm, sondern auch entlang der serbischen
Grenze ansiedelte, dieselben mit Waffen und Munition ausrüstete und
damit zu räuberischen Streifzügen nach serbischem Gebiete befähigte.
Der zweite Streitpunkt betraf das Gebiet von Bregovo, welches nach
dem Berliner Vertrage zu Serbien gehörte und ganz eigenmächtig und
widerrechtlich von bulgarischen Milizen besetzt worden war. Benahm
sich also das kleine Bulgarien so freundnachbarlich gegen das
Königreich Serbien, was hatte letzteres erst von einem sehr beträchtlich
vergrösserten ,,Nord- und Südbulgarien" zu gewärtigen!
Ist es somit begreiflich, dass König Milan schon am 22. Sep-
tember die Mobilmachung der ,,activen Armee" anordnete, so kann
man sich doch auch eines gewissen Zweifels nicht erwehren, ob es
im ersten Mome nte in der Absicht der serbischen Regierung
gelegen sein mag, die Spitze derselben gegen Bulgarien zu
kehren.
Seit dem Berhner Oongresse, war das fernere Schicksal/
Serbien's innig verflochten mit dem absterbenden osmanischen Reiche'
und dessen unaufhaltsamen Rückgange. Hielt Serbien die Stunde
dieses Zusammenbruches lür gekommen, so musste es auch begreiflich
erscheinen, dass es rüstete und eingedenk alter ruhmvoller Tradi-
tionen zu den Fahnen eilte, um südwärts auf altserbischem Boden
wieder festen Fuss zu fassen. In Wahrheit scheint es somit, dass
man nicht .-nur in Belgrad sondern auch in Athen im Augenblicke
des Ausbruches der ostrumehschen Krise darauf gerechnet hatte,
dass der Momerft der „Liquidation" im Anzüge oder auch schon
gekommen sei und dass man daher als ,, berufene Erben" sich bereit
zeigen müsse, seine Ansprüche mit dem gebührenden Nachdrucke
anzumelden. Darin haben sich nun, — wie die Erfahrung lehrte,
wie insbesondere die Haltung der Türkei und die Gesinnung der
europäischen Mächte es bekundete, ~ die christlichen Balkan-Staaten
total verrechnet. Ob Serbien sich wirklich in dieser schwierigen,
weil falschen Position befand, kann wohl nicht mit Bestimmtheit
— 5 —
angegeben werden ; jedenfalls aber war ein Ausweg aus derselben
— ohne das offene Eingeständniss des begangenen Irrthums — nur
in der Weise möglich, wie Serbien es thatsächhch that, indem es
durch seine diplomatischen Vertreter bei den Mächten erklären
Hess, dass:
,,!• das serbische Volk in keiner Art für den stattgehabten
,, Bruch des BerHner Vertrages verantwortlich gemacht werden
,, könne ;
,,2. i'm Gegentheile Serbien in loyaler Weise diesen Ver-
,,trag in jeder Richtung respectierte nnd mit grossen Opfern
,,die wahrhaft onerosen Bedingungen, die ihm durch denselben
auferlegt waren, erfüllt hat;
„3. durch die sehr beträchtliche Vergrösserung Bulgarien's
,,ohne eine entsprechende Gebietscompensation an Serbien jenes
,, Land eine stätige*l?edrohung Serbien's würde und dass solch'
„ein Stand der Dinge die friedlichen Beziehungen zwischen
,, beiden Staaten nicht fördern, sondern im Gregentheile ihre
,, zukünftige Entwicklung im höchsten Grade gefährden würde.
„Für Serbien sei es daher eine Lebensfrage, dass das Gleich-
,,gewicht der I^räfte auf der Balkan-Halbinsel erhalten
„bleibe. Die Massregeln, welche die serbische Regierung betreffs
,,der Mobilisierung der Armee ergriffen, seien yon keinerlei
,, Motiven der Ambition eingegeben , sondern nur zu dem
,, Zwecke getroffen worden, die nationale Unabhängigkeit, für
,, deren Erlangung das serbische Volk Jahrhunderte hindurch
,,gefoehten und die gegenwärtig mit Vernichtung bedroht ist,
,,zu erhalten."
Wenn somit König Milan vor Ausbruch des Krieges dem
Fürsten Alexander gegenüber persönKche Schroffheit, ja FeindseHg-
kt^it an den Tag legte, wenn er sich von der Besorgniss erfüllt
zeigte, dass das vergrösserte Bulgarien dem Königreiche Serbien
gefährlich werden könnte, wenn er sich deshalb zum '-Hüter des
Berliner Vertrages aufwarf, obgleich weder die Türkei, noch die
Grossmächte dies von ihm verlangten, so ist seiii Vorgehen von
dem Vorwurfe nicht freizusprechen, innerlich unwahr gewesen
zu sein. Thatsächhch suchte er nur einen Vorwand, um sich das
wieder zu holen, was ihm der Berhner Oongress — vielleicht mit
Unrecht — versagt hatte, weil ein von der Pforte losgelöstes, auf
die Bahn seiner eigenen Kraft und seiner eigenen Aspirationen
gestelltes grossbulgarisches Königreich eine Gefahr für Serbien
gewesen wäre, was unb es treitba^r bleibt. Erkannte man aber
/%'/^
— 6 -
das in Belgrad, so hatte man ja nur dasjenige erkannt, was
Europa auf dem Berliner Congresse selbst lebhaft aufgegriffen
hatte, indem es den Vertrag von San Stefano gerade in diesen
Punkten einer entscheidenden Eevision unterzog und der künftigen
Stellung Bulgarien's bescheiden er e Grenzen anwies. Wenn daher
König Milan angesichts solcher Besorgnisse seine Armee mobilisirte,
so war dies vielleicht eine üb er ei 1 te Handlung, nie und nimmer
kann man aber sagen, dasssievon vorn eher im Wider-
spruche mit dem Grundgedanken des Berliner Ver-
trages gestanden, oder aber ein Akt der Heraus-
forderung gewesen wäre.
Nachdem endlich auch der, im letzten Jahrzehnte stets geübte
Brauch, die Entscheidung der Mächte in internationalen fragen im
Wege einer ,,Conferenz" herbeizuführen, nicht nur zu keiner Ent-
scheidung führte, sondern gerade die Conferenz der Botschafter in
Constantinopel die ganze Angelegenheit nur zu verschleppen
schien, so beauftragte König Milan den mit der Vertretung Serbien's
betrauten griechischen Gesandten in Sofia Herrn Ehangabe am
Abende des 13. November der südHch-bulgarischen Regierung um
1 Uhr Nachts am 14. November zu erklären, dass er In Folge
des unmotivirten üeberfalles durch* bulgarische
Truppen und deren Eindringen auf serbisches Gebiet
mit der Kriegserklärung antworte. Die serbische Regierung machte
somit den Ueberfall der Bulgaren auf die Serben bei Vlasina und
Dascani kladenac, welcher am Morgen des 13. November stattfand,
zum casus belh, hat aber mit der Kriegserklärung bis 1 Uhr Nachts
zum 14. November gewartet, u. zw. aus dem einzigen Grunde, weil
der 13. November ein Freitag — „ein Unglückstag'' — war; jeden-
falls ein Unikum in der Kriegsgeschiehte.
Summirt man die politischen Vorgänge auf beiden Seiten vor
Beginn des Krieges, so resultirt : dass Bulgarien sich politisch
offensiv, Serbien aber defensiv verhalten hatte, dass ersteres
dagegen militärisch defensiv, letzteres offensiv auftrat.
Am 16. October hielt König Milan in Nis eine grosse Revue
^ über die Armee, wobei derselbe unter anderem in seiner Ansprache
^ sagte : ,,In zwei Tagen wird die Entscheidung fallen." — Am
16. Oktober war also die Armee — abgesehen von dem M u n i-
.. . tionsmangel, der aber auch einen Monat später noch
,iut^ herrschte — operationsfähig. War nun die serbische Armee zuin
Kampfe entschlossen — und sie war es von allem Anfange her —
— 7 —
so war es Sache der Politik, den casus belli rasch zu ergreifen, —
den an der Südgrenze Ostrumelien's aufmarschierten Bulgaren nicht
Zeit zu gönnen sich bei Sofia zu concentr-ieren, — sich nicht durch
die Intervention der Traetat mächte des Berliner Vertrages irre
machen zu lassen, — dem ,,fait accompli" der Bulgaren sofort
ein ,,fait accompli" der Serben, das ist: die Einnahme von^:
Sofia folgen zu lassen. Mitte Oktober wäre dies den Serben trotz ^ '»» -
Munitionsmangel und fehlerhafter Operationen immerhin ein Leichtes
gewesen. Das Zaudern der serbischen Politik war daher ein
Fehler, 80 gross, wie kein anderer in diesem Kriege,
Nicht unerwähnt kann schliesslich — wiewohl nicht strenge
hieher gehörend — das eigenthümliche Benehmen der Berhner
Tractatmäehte gelassen werden ; es hat zu den curiosesten An-
schauungen und Oonstellationen geführt. Man sah hintereinander
ein Russland, welches die Ideen des Vertrages von San Stefano ver-
warf, und ein England, welches seine eigenste Congressschöpfung :
die Sonderstellung Ostrumelien's, fallen hess; in der österr. und ung.
Monarchie ergab es sich, dass in der Volksvertretung gerade diejenigen
Elemente am eifrigsten für die Herstellung des status quo ante und
die Unatitastbarkeit des Berliner Vertrages eintraten, die vor wenigen
Jahren keinen Anstand genommen hatten, diesen von ganz Europa
angenommenen und ratificierten Vertrag durch ein sollennes Parteivotum
zu invalidieren ; man sah Serbien einen Angriff auf ein Gebiet unter-
nehmen, das zwar unzweifelhaft türkisches, aber doch zugleich das
Gebiet einer insurgierten Provinz war, so dass die Pforte in diesem
Angrif!*e nicht noth wendig einen casus belH erbhcken musste. Und,
um das Mass dieser politischen und völkerrechthchen Verwirrungen
voll zu machen, erfolgte dieser Angriff angesichts der Berathungen
der Conferenz in Constantinopel, also in einem Augenbhcke, in welchem
Europa in aller Form seinem Willen Ausdruck gegeben hatte, alle
die Verhältnisse zu beherrschen und ihrer definitiven Entscheidung
zuzuführen.
Die geograpliisciien Verhältnisse.
Kriegstheater: Ganz Bulgarien und ganz Serbien. Taf. i.
Kriegsschauplatz: Der Raum zwischen der Morava, Donau,
dem Isker und der Struma.
Das serbische Bergland, von unregelmässiger Vertheilung, aber
innig verwachsen mit dem Rumpfe der Balkan- Halbinsel, gruppiert
sich wesentlich um das Flussnetz der grösstentheils schiffbaren Morava,
welche eigentlich die Lebensader des Landes, sowohl .durch Befruch-
— 8 —
tung der niederen Gegenden ihres ausgedehnten Bereiches^ wie durch
Vermittlung des Binnenverkehres zur Dc»nau bildet; — indess Bul-
garien in seinem westhchen Theile von der Stara planina (Hodza-
Balkan), in seine n mittleren und östlichen Theile von den Nord-
abfällen des Grossen Balkan durchzogen wird.
Serbien ist seiner vielghederigen Gebirgsverflechtung wegen im
Allgemeinen unzugänglich und unwegsam ; Bulgarien dagegen setzt
in seiner nördlichen Hälfte — die vielen Flussläufe abgerechnet —
der Bewegung wenig Hindernisse entgegen. Das jetzige Strassennetz
Serbien's verzweigt sich um ein von der Natur vorgezeichnetes
Strassenkreuz, dessen Nordspitze die Hauptstadt Belgrad bildet ; ein
geregelter Strassenbau, vervollständigt durch die Eisenbahn ßelgrad-
Nis-Vranja, führt an den Ufern der grossen Morava nach Süden.
Für den hier in Betracht kommenden bulgarischen Theil des Kriegs-
schauplatzes bildet Sofia denjenigen Punkt, von dem aus die Oom-
municationen strahlenförmig ausgehen. Das an sich praktikable und
iür Truppenbewegungen brauchbare Strassennetz erfüllt indessen
seinen Allgemeinzweck nicht, so lange es nicht genügend ineinander
verknüpft ist, wozu die bisher nur unbeträchtlichen Zwischenverbin-
dungen kunstmässiger Vicinal^ und fahrbarer Saumwege keinesfalls
ausreichen. Erst die Fortentwicklung des Eisenbahnwesens wird eine
Weiterausbildung der Wege des grösseren und kleineren Verkehrs
erwirken. An den weiteren Ausbau der bereits bestehenden Balkan-
bahnen wird Serbien sowohl als auch Bulgarien in der Erkenntniss
der sehr fühlbar gewordenen Lücken sobald wie möglich herangehen
müssen; es ist dies die Strecke von Nis üder Sofia an die Marica-
Bahn, für Serbien weiters noch von Vranja nach Skoplje an die
Vardar-Bahn etc.
Die strategische Grenze Serbien's gegen Bulgarien gestaltet
sich sowohl am Timok wie auch weiter südwärts zum Balkan recht
günstig. Natürliche Vertheidigungsmauernschützen__ge^en^^
Einfälle und erh4toLjiie Widerstandskraft des Landes. Nur durch
Gebirgslücken findet die Invasion aus dem benachbarten Lande Ein-
gang zum inneren Serbien. Diese Defileen, von festen Klöstern und
leicht zu befestigenden Depotplätzen gesperrt, können längere Zeit
erfolgreichen Widerstand leisten, um so mehr, als sie nur auf grossen
Umwegen und mit Zeitverlust zu umgehen sind. Als Ausfallsthore
unterstützen sie die active Vertheidigung, anderseits können sie je
nach Umständen Fallthüren für den eingedrungenen Feind werden.
In dem vorliegenden Falle hatte der südöstliche Abschnitt — das
hochwellige Plateau des Flussgebietes der Ost-Morava — welcher
— 9 —
keilartig zum Balkan vorgetrieben, Bulgarien vom Imselfelde trennt,
die hervorragendste Bedeutung. Zwischen den vielgestalteten Berg-
reihen strömen der Morava und Nisava von Südwest und Südost
zahlreiche Nebengewässer zu, deren Thalränder Uebersicht über das
Vor- und Seitenterrain gewähren und ausgiebige Gefechtsstellungen
zur Deckung der grossen Slrassen, welche den Thalsenkungen der
genannten Flüsse folgen, ermögUchen. Vom Donaustrande endlich
zwischen Morava und Timok, sich südlich bis zum Tieflandsstreifen
der Nisava erstreckend, verzweigt sich das Hochland in viele Stufen,
die mit steilen Abbruchen nach Aussen abfallen und nur auf schwie-
rigen Gebirgspässen zugänghch sind, wodurch die lokale Kriegführung
dieses Abschnittes wesentlich begünstigt wird. Dass das Operations-
ziel einer bulgarischen Armee — Belgrad — unter den geschilderten
Verhältnissen hinreichend gedeckt war, bedarf wohl keines näheren
Beweises.
Fasst man das bisher Gesagte in kurzen Worten zusammen,
so fällt wohl bei einem nur flüchtigen Blick auf die Karte in's Auge,
dass für eine serbische Offensive die Eichtung Nis-Pirot-Slivniea-Sofia
die hervorragendste, jene aus dem unteren Timok-Thale nach Nord-
Bulgarien nur eine nebensächhche Bedeutung hatte.
Wie ungünstig gestalteten sich dem gegenüber die geographischen
Verhältnisse für Bulgarien. Sofia, die Hauptstadt des Landes, kaum
etwas über 4 Tagmärsche von Pirot entfernt, lag eigentlich — bis
auf die Position von Slivnica, welches in der That als der Schlüssel
des ganzen Balkan-Plateau's und der bulgarischen Hauptstadt' anzu-
sehen ist, und auch dementsprechend fortificatorisch verstärkt war —
einer serbischen Invasion vollkommen ungedeckt da.
Selbstverständlich standen einer bulgarischen Offensive dieselben
Räume zur Verfügunng.
Die militärischen Verhältnisse.
1. Das materielle Element.
a. Stärke-Verhältniss. Die bulgarische Armee be-
stand aus Truppen des Fürstenthumes Bulgarien und der türkischen
Provinz Ostrumehen ; dieselbe setzte sich zusammen aus der „activen
Armee" oder dem 1. Aufgebote, aus den Formationen des 2. Auf-
gebotes, endhch aus Landsturm- und Freiwilhgen-Formationen. Dem-
gemäss hatte die bulgarisch-ostrumelische Armee aa Streitbaren
eine Gesammtstärke von höchstens : 85.000 Mann der Fusstruppen,
1.350 Reitern und 100 Geschützen. Hievon entfielen 36.000 Mann
Fusstruppen, 1.350 Reiter und 100 Geschütze auf die „active Armee",
— 10 -
30.000 Mann der Fusstruppen auf die Formationen des 2. Aufgebotes,
weiters 14.000 Mann der Fusstruppen auf die Landsturm- und Frei-
willigen-Formationen. Endlich besass Bulgarien eine Donau-Flottille
von 6 Dampfern mit 15 Geschützen, sowie 6 Torpedo-Boote.
Serbien besass die „active Armee", d.i. denjenigen Theil der
Wehrkraft, welcher das 1. Aufgebot der Wehrpflichtigen , die
10 jüngsten Altersklassen (vom 20. bis zum 30. Lebensjahre) umAisst.
Die aus dem 2. Aufgebote zu formirende „Reserve-Armee" und der,
das 3. Aufgebot umfassende „Landsturm" wurden vorerst nicht
mobihsiert. Das stehende Heer (der „permanente Cadre") zählte im
Frieden Alles in Allem 17.000 Mann mit 144 bespannten Geschützen
und sollte im Kriege die „active Armee" bilden, an Streitbaren*)
zusammen : 50.000 Mann der Fusstruppen, 3.200 Reitern und 264 Ge-
schützen Die Mobilisierung hatte aber gezeigt, dass diese auf dem Papiere
stehenden Zahlen in Wirklichkeit unerreichbar waren. Diese oder jene
vom 1. Aufgebote sollen nicht einberufen worden sein, so dass die
ohnehin schwachen serbischen Compagnien (186 Mann) um 20 bis 30
Nepoten unter dem Stande waren, die Combattantenzahl der Fusstruppen
der „activen Armee" demnach auf kaum 40.000 Mann herabsank. Mit
den beim Timok-Corps eingetheilten 7 Bataillonen 2. Aufgebotes mochte
die gesammte Armee etwa 45.000 Combattanten erreicht haben.
Auch die MobiHsierung der organisationsgemässen Anzahl von
Escadronen und Batterien scheint auf Hindernisse gestossen zu sein.
Es fehlte im Lande an geeigneten Reit- und Zugpferden in der er-
forderlichen Menge.
Die Verstärkung der „activen Armee" durch die „Reserve-
Armee' (Wehrpflichtige des 2. Aufgebotes vom 30, bis 37. Lebens-
jahre) etwa 50.000 Mann und des „Landsturmes" (Wehrpflichtige
des 3. Aufgebotes vom 37. bis zum 50. Lebensjahre) etwa 110.000
Mann war zunächst nicht in Aussicht genommen..
Die gegenseitigen Kräfte der mobilisierten bulgarisch-ostrume-
lischen Armee zur serbischen Armee verhielten sich demnach:
Combattanten der Fusstruppen wie 2 : 1
Reiter und Geschütze . . . „ 1:2
J. Ergänzung. Beide Armeen nach dem Principe der all-
gemeinen Wehrpflicht, u. z. währt dieselbe in Bulgarien und Ost-
rumelien vom 20. bis zum 32. Lebensjahre, in Serbien vom 20. bis
zum 50. Lebensjahre.
*) Es sei hier erwähnt, dass zu den ,, Streitbaren oder Combattanten" stets nur die „Bajo-
nette" der Infanterie, beziehungsweise die „Säbel" der Cavallerie gerechnet werden. Die Artillerie
wird nach der Zahl der Geschütze ausgewiesen.
— 11 —
c. Organisation. Während die bulgarische und ost-
rumelische Armee noch den ausgesprochenen Charakter eines
„Mihzheeres hatten, könnte man die serbische, d.i. die „active
Armee" schon annähernd zu den „stehenden Heeren" zählen. Die
Organisation der serbischen Armee war demnach jener der bulgarischen
und ostrumelischen.weit überlegen. Sie trug nicht mehr den Charakter
einer Improvisation, sondern fusste auf so sicheren organischen und
administrativen Grundlagen, dass sie allgemein als die beste und
stärkste unter allen übrigen Armeen der Balkanländer erscheinen
musste. Bei allen drei Armeen endUch lag das Princip des
Territorial-Systems der Organisation der Wehrmacht zu Grunde;
in den beiden ersteren war das System der Centralisation , in
letzterer theilweise der D ecentr alisation der Vorräthe durch-
geführt.
d. Bewaffnung. Bei der bulgarischen und ostrume-
lischen Armee eine gemischte aus alten und neuen von der
russischen Armee adoptierten Systemen, u. z. erhielten bei der ost-
rumeHschen Infanterie die Reserven, welche in die „active Armee"
eingetheilt wurden, fast ausschliesslich das ältere Krnka-Gewehr,
während die active (präsente) Truppe, sowie die bulgarische Armee
mit dem neuen Berdan-Gewehre versehen war. Die Freiwilligen
endhch der ostrumelischen Armee, sowie die Wehrpflichtigen des
2. Aufgebotes wurden mit dem Martini-Gewehre betheilt. Unter den
Batterien befanden sich einige mit Krupp-Geschützen (türkische Beute)
und russischer Dotation ausgerüstete.
Das serbische Mauser-Milovanovic-Gewehr — das beste der
europäischen Ordonnanz-Gewehre — ist dem bulgarischen, eigentlich
russischen Berdan-Gewehre weit überlegen. Mit demselben war die
„active Armee" Serbien's ausgerüstet; für das 2. Aufgebot waren
Gewehre — System Prabody — bestimmt. Die Artillerie hatte noch
Rücklade-Feldgeschütze (la Hitte) veralteter Construction. Für die
heutige Kriegführung war demnach das Geschützmaterial Serbien's
qualitativ derart unzulängHch, dass man darauf verzichtet zu haben
schien, der Feldarmee den ganzen Ballast an alten Bronce-Geschützen
mitzugeben, welcher in den Depots der Formirungsorte aufgespeichert
war. Da man die Neubewaffnung mit Geschützen des französischen
System's de Bange erst kurz vor der Mobilmachung beschlossen hatte,
ihre Einführung daher kaum begonnen war, so beschränkte sich das tt^u*/
für den Feldgebrauch verwendbare Geschützmaterial Serbien's. auf
eine gewisse Anzahl in Kragujevac adaptierter Bronce-Geschütze, sowie
auf einige Geschütze der Systeme Krupp, Armstrong und de Bange,
M'/.
eJl.
— 12 —
welche theils als türkische Beute, theils zu Versuchszwecken in's
Land gekomnaen waren.
e. Ausrüstung. In Bulgarien und Ostrumelien war
die gesammte Ausrüstung in Sofia beziehungsweise Phihppopel cen-
tralisirt; in Serbien dagegen theilweise decentralisirt. Die
Armee-Haupt-Ausrüstungsanstalten Serbien's waren in Belgrad und
Kragujevac concentriert. In jedem Divisions-Bezirke befanden sich
aber Depots, sogenannte „Handmagazine" für Artillerie- (Munitions-),
Ingenieur- und Sanitätszwecke, ausserdem permanente und zeitliche
Proviantmagazine, mindestens ein grosses Artillerie-Magazin mit
Pulverdepot und endlich permanente oder zeitHche Militär- und Thier-
spitäler. Dass beiden Armeen die Ausrüstung für einen Winter-
feldzug mangelte, ist zur Genüge bekannt. Was aber erst in den
letzten Monaten in die Oeffentlichkeit drang, steht bisher in der
Kriegsgeschichte wohl einzig da, und war das grösste Verhängniss,
das über die serbische Armee hereinbrechen konnte, es war:
Munitionsmangel.
Der Kriegsberichterstatter Herr J. Lukes der ^Wiener Allg.
Ztg." schreibt hierüber im „Armeeblatt" vom 2. Februar 1886:
„An demselben litt die serbische Armee an der Nisava seit dem
zweiten Kampftage von SHvnica, seit dem fünften Tage des Krieges
überhaupt^ d. i. seitdem 18. November. An diesem Tage berechnete
man im Armee-Hauptquartier die gesammte Taschen- und Eeserve-
Munition, bei der Armee wie im ganzen Lande überhaupt, auf
140 Patronen durchschnittlich per Peuergewehr. Nichtsdestoweniger
waren schon damals einzelne Divisionen so gut wie ohne Munition,
weil selbst die vorhandene nicht in der Kampflinie zur Stelle war,
sondern erst nachgeschoben werden musste. Zu Beginn der Kämpfe
bei Pirot am 26. November zählte man nur mehr 70 bis 80 Patronen
per Mann und am Abend des 27. war die ganze Armee so gut wie
verschossen, so dass sie am 28. beinahe ohne Munition dastand.
Beweis dessen Keferte eine Visitation des 19. (Garde) Bataillons am
8. December, welche durch den Commandanten desselben, Haupt-
mann Lazar Petrovich, in Ponor vorgenommen wurde, wobei die
Leute 4 bis 10 Patronen in den Taschen, einzelneaber
gar keine mehr hatten, wesshalb dieselben abgenommen und
neu vertheilt wurden, so, dass 6 bis 7 Patronen auf den Mann
entfielen. Der erste grössere Transport, der über Hals und Kopf
in Ki'agujevac und sonst fabricirten neuen Munition traf aber
erst am 13. December bei der Nisava-Armee ein". — Dieser Umstand
erklärt nun allerdings so manche Vorgänge in der serbischen Armee
— IB -
während der Operationen, die dem Fernstehenden unbegreiflich
erschienen.
f. M 0 b i 1 i s i e r u n g. Ob eigene Vorschriften hiefür, ähnUch wie
dies bei den Militär-Staaten des Continents der Fall i.st, und in
welchem Umfange sie etwa bestanden, oder nicht, und in wie
weit sie entsprachen etc., kann — bei der völhgen ünkenntniss über
dieselben — einer Kritik nicht unterzogen werden. Im vorhegenden
Falle war dies jedoch insoferne von keinem Belange, als ja beide
Armeen 8 Wochen Zeit zur Mobilmachung hatten. Thatsache ist es,
dass die Serben schon nach 4 Wochen — abgesehen von dem
Munitionsmangel — Operations fähig waren. Was dagegen die
bulgarische Armee anbelangt, so dürfte für dieselbe jedenftills
der Ausspruch ihres gewesenen Kriegsministers, des russischen Generals
Oantacuzene massgebend sein. Nach demselben war : „Die bulgarische
Armee 6 Tage, nachdem die Mobilisierungs-Ordre erflossen, bereit,
in's Feld zu rü« lv(^n, mit blosser Ausnahme jener Regimenter, welche
in den entfernteren Theilen des Fürstenthumes garnisonirt waren.
13 Tage nach der Promulgierung des Mobihsierungs-Decretes war
die gesammte bulgarische- Streitmacht auf dem Marsche".
g. Erhaltung. Die Streitmassen, welche in den Kriegen der
Jetztzeit auf einem verhältnissmässig kleinen Räume vereint werden,
erfordern besondere Vorkehrungen für die Erhaltung und Ernährung,
und dies umsomehr, wenn es sich — wie in diesem Kriege — um
einen Win terfeldzu g handelte.
Diesen Forderungen scheinen die Serben nicht entsprochen
zu haben, denn der Zustand und die Fachbildung der Verptlegs-,
Verwaltungs- und Nachschubs-Behörden Hess entschieden Alles zu
wünschen übrig. Man muss es offen anerkennen, dass die Bulgaren
dies ganz anders verstanden. Serbien besass doch organisations-
gemäss einen Train ; Bulgarien hatte nicht einmal das Embryo eines
solchen *) und doch welch' grosser Unterschied im Nachschubswesen !
Während des ganzen Vor- und Rückmarsches war die Armee dem
Verhungern nahe, ja selbst in allerletzter Zeit und im eigenen
Lande an der Bahn bei Nis soll Unzufriedenheit in der Armee
geherrscht haben, weil die Truppen nur trockenes Brod und gar keine
warmen Speisen erhielten. Das sind nun allerdings Unterlassungs-
sünden, die nicht nur der serbischen Intendanz, sondern auch der
Kriegs Verwaltung schwer zur Last fallen.
*) Nach Angabe des Fürsten Cantacuzene wurde der Train durch Bauern beigestellt, deren
Gefährte in gesetzlicher Weise requierirt wurden.
— 14 —
Entsprach auch das bulgarische Nachschubswesen nicht dem
europäischen Begriffe desselben, so kam ihm anfangs der Aufenthalt
im eigenen Lande und die Entfernung nur eines Tagmarsches von
der Operations-Basis jedenfalls vorzüglich zu statten.
i. Zusammensetzung der Streitmittel. Bulgarisch-
ost rumelische Armee: 3 Divisionen 1 . Aufgebotes ä 2 Brigaden ;
Bataillone 2. Aufgebotes ; Frei wiUigen- Bataillone ; Landsturm-Bataillone ;
sämmthche unter dem Oberbefehle des Fürsten Alexander I. von
Bulgarien. Generalstabs-Chef : Hauptmann Petrow.
, Die durch Verhältnisse herbeigeführte Gruppirung der Streit-
kräfte hatte von Haus aus ein Festhalten an den höheren Armee-
Verbänden (Brigaden, Divisionen) nicht gestattet. Hierüber äusserte
sich in einem Berichte der bulgarische Correspondent (es soll dies
der bulgarische Oberstlieutenant von Corvin gewesen sein) der „Kölner
Zeitung" an dieses Blatt folgendermassen : „Die durch den Abgang
der Russen gelöste hierarchische Ordnung des Heeres war eigenthch
für die unteren taktischen Einheiten wieder hergestellt worden, d. h.
es gab nur Regimenter, Bataillone, Oompagnien, beziehungsweise
Schwadronen. Für die Reiterei war auch ein Brigade-Oommando
(OberstUeuteoant von Corvin) vorhanden ; für die Artillerie ein Artillerie-
Obercommando (Hauptmann Panow), dem alle Batterien unmittelbar
unterstanden 5 für die Infanterie aber gab es an Stelle regelrechter
Brigaden und Divisionen nur „Detachements", die in ganz ungleich-
massiger Stärke bald Brigaden, bald Divisionen genannt wurden, aber
namenthch was die Division betrifft, diesen Namen eigentlich nicht
verdienten, da ihnen die ünterabtheilungen, die Brigaden, fehlten.
Alle Regimenter einer Division unterstanden dem unmittelbaren Befehle
des Divisions-Oommandeurs, ebenso die zahlreichen nicht regimentierten
Bataillone, Mihzen, FreiwiUige und Ostrumelier. Dabei wechselten
die Stärken der Divisionen unaufhörlich. Das schlagendste Beispiel
in dieser Beziehung bot die, die Vertheidigung von Slivnica führende
Division Gutschew, die am 15. November nur 7.000 Mann stark war,
um bis zum 20. auf fasst 35.000 Mann anzuschwellen, ohne dass in
der Eile die Errichtung von ünterabtheilungen möglich gewesen wäre.
Dabei bestand Major Gutschew's ganzer Stab aus einem Hauptmann
und einem Lieutenant als „Generalstabs-Officiere", zwei Lieutenants
als „Divisions-Adjutanten".
Serbische Armee: 4 Divisionen und 1 Cavallerie-Brigade
— *die Nisava-Armee — unter dem Oberbefehle des Königs Milan.
Generalstabs-Chef: Kriegsminister General Petrovich.
— 15 -
1 Division und mehrere Bataillone 2. Aufgebotes — das Timok-
Corps — unter General Ljesanin. Generalstabs-Ohef : Oberst Miletic.
Was die Stärkeverhältnisse der Truppen sowohl
als der Heereskörper anbelangt, so gibt die Beilage zu Nr. 5
des , Militär- Wochenblattes" (Berlin, den 16. Jänner 1886) dieselben
folgendermassen an:
Bulgaren
Ostrumelier
Serben
Mann der
Fusstruppen
Reiter
ee-
Bchütze
Mann der
Fusstruppen
Reiter
Ge-
schütze
Mann der
Fusstruppen
Reiter
Ge.
schütze
250
243
186
150
150
176
1024
973
754
30841)
3014*)
600
714
8
4
6
13500
600
48
12400
350
4
10000
700
48
1 Infant.-Oompagnie
1 Escadron (Sotnie)
1 Infant. - Bataillon
(Druschine) . . .
1 Infant.-Regiment
1 Cavallerie-Regiin.
(4 Escadroneii) .
1 Feldbatterie . . .
l Infant. -Division .
2. Das geistige Element.
a) Geist im Heere: Auf beiden Seiten vortrefflich. Die
Bulgaren und Ostrumelier kämpften um ihre nationale Ver-
einigung und Selbststäudigkeit; sie wussten, dass sie im ungünstigsten
Falle nichts zu verlieren hatten. Bei den Serben entsprach der
Krieg den Intentionen und Traditionen der Bevölkerung. Trotz den
Misserfolgen haben sich die Truppen mit einer ausserordentlichen
Bravour geschlagen.
b) Ausbildung. In der bulgarischen Armee erfolgte
die Ausbildung der Officiere in den russischen Militärschulen. Die
Reglements, die Dienst- und Commandosprache war die russische.
Bei Beginn des Krieges war die Ausbildung der bulgarischen Armee
eigentlich noch in ihrer Entwicklung begriffen, nichtsdestoweniger
war schon damals die vorzügliche Ausbildung und Disciplin der
jungen Armee, für die man erst in den letzten Jahren ein heimat-
liches Officiers-Corps zu schaffen begann, anerkannt. Da sich die
bulgarischen Abtheilungen bereits im letzten Feldzuge unter russischer
Führung bedeutend hervorgethan haben, konnte man mit Recht an-
nehmen, dass sie bei einem eventuellen künftigen Feldzuge alle/
*) Die bulgarischen Regimenter hatten 3, die serbischen 4 Bataillone.
6 ■C'
/
/
— 16 -
Anforderungen und Hoffnungen, welche man in sie setzte, erfüllen
werden. Bemerkenswerth ist der Anspruch des mehrgenannten Fürsten
Cantacuzene über den bulgarischen Soldaten. Derselbe sagt: .„Der
bulgarische Landmann gibt ein prächtiges Rohmaterial für die Armee
ab, er marschirt so gut, wie wenige europäische Soldaten. In der
letzten Campagne sind wiederholt Fälle vorgekommen, dass Abthei-
lungen nach Märschen von 30 bis 40 Kilometern keine Spur von
einer Ermüdung zeigten. Der bulgarische Soldat verbringt 5 Jahre
in den Beihen, während der serbische Soldat nominell 2 Jahre im
activen Dienste steht, in WirkHchkeit aber seine mihtärische Dienst-
pflicht selten die Zeit von 6 Monaten überschreitet".
Es ist bekannt, dass die bulgarische Armee durch den Abgang
der russischen Officiere nicht nur ihre Führer, sondern fasst alle
ihre Officiere verloren hatte. Durch den Machtspruch des Kaisers
Alexander von Russland nämhch verliessen säramtliche russische
Officiere, also der ganze Generalstab, das ganze Kriegsministerium,
alle Stabsoffi eiere und etwa 2 Drittel der Hauptleute die Armee,
ßussland hatte hiedurch einen fast zerschmetternden Schlag gegen
das bulgarische Heer geführt. Dass jedoch dieser Umstand nicht
zersetzend auf die Armee wirkte, dass sie denselben überhaupt
überdauerte und trotz alldem ihre Schlagfähigkeit bewahrt hatte,
ist gewiss ein glänzendes Zeugniss für ihren inneren Gehalt. Aller-
dings muss hervorgehoben werden, dass die Strammheit, mit welcher
die Bulgaren in den Kampf eintraten, nicht nur nationales Selbst-
verdienst, sondern — in dieser Beziehung, hatte der, nach Beendigung
des Krieges erlassene Tagesbefehl des Kaisers Alexander allderdings
die Wahrheit -gesagt — : „die Frucht harter und unbeugsamer rus-
sischer Erziehung war." — Eine „Armee, geführt von Lieutenants",
hat man sie nicht mit Unrecht genannt, und der Spott, mit dem
man diese seltsamen Verhältnisse besprach, verwandelte sich allmählich
in einen gewissen Respect vor den „Hauptmann-Brigadiers" und
„Lieutenant-ßataillons-Commandanten", die da in Action traten. Die
ostrumelische Miliz verfügte wohl über einzelne , " aber doch über
zu wenig höhere Officiere, um eine wesentliche Aushilfe leisten
zu können.
. I Ueber die mihtärische Thätigkeit der ostrumehschen Milizen
! hatte der „Russische Invalide" auf Grund der im Jahre 1884 statt-
gehabten Sommerübungen einige kritische Bemerkungen veröffentlicht.
Vor allem wurde die schlechte Marschdisciplin gerügt; im Lager
I herrschte wenig Ordnung. Weder die Infanterie noch die Artillerie
wusste, was Feuerdisciplin sei, indem sie die Action auf viel zu grosi^e
17 -
1^
Entfernungen eröffnete. Die Organisation des Proviantwesens wurde
ebenfalls als schlecht bezeichnet. Die Thatsachen haben jedoch auch
hierin gerade das Gegentheil gezeigt.
In der serbischen Armee besorgte die Ausbildung des
Officiers-Corps die Militär- Akademie in Belgrad. Die Individuahtät
der waffenfähigen Bevölkerung bietet unter normalen Verhältnissen
ein äusserst brauchbares Truppenmateriel. Von kräftigem Körperbau,
genügsam und abgehärtet, ist der Serbe von Natur ein tüchtiger
Soldat; es bedarf nur einer guten Ausbildung und festbegründeter
Disciphn , um die Keime seiner vortrefflichen militärischen Eigen-
schaften zur Reife zu bringen.
Unleugbar ist es, dass die serbische Armee in den letzten Jahren
nicht nur in ihrer Organisation, sondern auch in ihrer Ausbildung
bedeutende Fortschritte gemacht hatte und in letzterer Beziehung der
bulgarischen Armee weitaus überlegen war. Die taktischen, sowie die -^^^^z
militärischen Vorschriften, weiters die Einrichtung der Heeresanstalten ^ .^
lehnen sich mehrfach an die unseren an, wie denn auch seit einer /
Eeihe von Jahren serbische Officiere theils im praktischen Dienste
bei der österreichisch-ungarischen Truppe, theils in den Wiener höheren
Fachanstalten ihre Studien vollendet haben. Trotz all' dem soll das
Feuer der Serben den Bulgaren wenig Schaden beigebracht haben,
da die Serben meist überschössen. Es zeigte sich ferners, dass den
Serben die Kunst, zu recognosziren, mangelte ; sie wussten nie recht,
wo der Feind stand. Die Entwicklung ihrer Gefechtslinien war stets
zu lang, indess die Bulgaren sich immer zu concentrieren suchten.
Alles in Allem zusammengefasst geht hervor, dass die serbische
Heeresleitung und mit ihr fasst die ganze „militärische Welt" glaubte,
es nur mit einer rohen Mihz ohne alle militärische Qiialification zu
thun zu haben ; die WirkUchkeit aber hatte es den Serben grausam
bewiesen, wie wenig zutreffend diese Voraussetzung gewesen.
c) Generalstab. Die bulgarisch -ostrumelische
Armee besass denselben eigentlich nicht. Der ganze Generalstab
des bulgarischen Hauptquartiers bestand aus dem Generalstabs-Ohef
Hauptmann Petrow und dessen Gehilfen Hauptmann Paprikow, beide
in der russisehen Generalstabs-Akademie in Petersburg ausgebildet.
Es hegt auf der Hand, dass unter solchen Umständen die Befehls-
gebung ungemein schwierig werden musste. Dagegen muss hervor-
gehoben werden, dass der Kundschaftsdienst recht gut bestellt
war, weil die Landbevölkerung dem bulgarischen Heere freiwillig
Kundschafterdienste leistete, was zur weiteren Folge hatte, dass das-
selbe mit den Terrainverhältnissen besser vertraut war, als die Serben.
2
ri
— 18 —
Der serbische Generalstab im Frieden organisiert und bei
den Territorial-Divisionen eingetheilt, entsprach — was wissenschaft-
hche Bildung anbelangt, — wohl theilweise den an einen General-
'^ stabs-Otfizier zu stellenden Anforderungen. Zum Chef desselben
'^^'''•' wurde der Kriegsminister General Petrovich ernannt. Die Berufung
hni-h ^'j des Kriegsrainisters auf den Posten als ersten strategischen Rathgeber
p{^P ^ des Königs in einem Zeitpunkte, wo ein Wechsel im Kriegsministerium
r-
S/J sj J unbedingt nachtheilig sein musste, wo es von der höchsten Wichtig-
keit war, dass der Leiter dieses Ministeriums die genaueste Kennt-
niss von der in Belgrad concentrierten Armeeverwaltung hatte, um
nicht nachtheihg auf die Ausrüstungsverhältnisse einzuwirken, war
eine unmittelbare Folge der Verabsäumung, schon im Frieden eine
geeignete Person an die Spitze des Generalstabes gesteht zu haben.
d. Feldherrn. Beide Monarchen sind auf dem Gebiete der
Kriegführung bisher als Neulinge aufgetreten. Militärische Urtheils-
kraft und zielbewusste Entschlossenheit ist beiden Herrschern in
gleichem Masse eigen, beide verstehen es eine, grosse Sache geschickt
zu führen, beide reden vortrefllich und wissen hiedurch ihre Truppen
zu begeistern und hiozureissen.
Unstreitig war es eine der verzweiflungsvollsten Situationen, in
der Fürst Alexander I. von Bulgarien am Abende des 15. November
sich befunden haben mag. Dass er dieselbe so erfolgreich zu lösen
verstand, beweist doch unzweifelhaft, dass ihm nicht nur alle Soldaten-
tugenden in einem höheren Grade eigen sein müssen, sondern dass
er auch zu den wenigen von der Vorsehung begnadeten Menschen
gehört, die auch die Talente eines Heerführers besitzen.
^€-
f
/ t'tItTITTItitiiiiTiii» ^
IL
Operationsplan der Serben und Bulgaren.
Ein Operationsplan — wenn er Anspruch auf Zweckmässigkeit
haben soll — kann kein Eecept sein, das vom Beginne, wo der
Vorhang des Kriegstheaters aufgezogen wird, bis zum Schlüsse des
Dramas eine genaue Vorschrift über alle Bewegungen und Gefechte
gibt. Er kann somit, mit Rücksicht auf das Terrain und die wahr-
scheinliche Gruppirung der feindlichen Kraft nur bis zur ersten Etape,
dem ersten Hauptschlage führen, dann aber gibt die hier geifallene
Entscheidung erst den Massstab für die weiteren Operationen. Aller-
dings muss man die beiden EventuaUtäten : Sieg oder Niederlage
in's Auge fassen und vor denken, welche Wege dann nach vor-
oder rückwärts einzuschlagen möghch oder nothwendig sein werden,
welche technischen und sonstigen Vorkehrungen erforderlich werden
dürften, denn der Feldherr darf sich nie vom Schicksale überraschen
lassen. Welche Wege aber dann wirkUch eingeschlagen werden, das
weiss zur Zeit der Kriegserklärung wohl Gott allein. Unter
allen Verhältnissen bildet aber, — mögen die Verhältnisse
welche immer sein — das erste, wichtigste und entscheidendste
Operationsobjekt: Die feindliche Hauptarmee; ist diese ge-
schlagen, zersprengt, mit einem Worte : hat sie ihre Widerst ands-
kraft verloren, so fällt alles Uebrige als reife Frucht in den
Schoss des Siegers.
Serben.
Wie wenig, besser gesagt , gar nicht entsprach der serbische Taf. i. il.
Operationsplan diesen ersten und wichtigsten Lehrsätzen der Strategi e
Wahrlich, es scheint, als ob der deutsch-französische Krieg 1870/71
für den serbischen Generalstab in den Bereich der Fabeln gehören,
eine Literatur über denselben gar nicht existieren würde, denn sonst
ist es nicht zu begreifen, wieso derselbe in solche Fehler ver-
fallen konnte. Nur ein Blick in dass „ Memorie" über den Operations-
2*
/fljui.W
— 20 —
plan der Deutsßhen*) hätte genügt, um daraus zu entnehmen, dass
Moltke: „Die Hauptmacht des Gegners aufzusuchen, und wo man sie
findet anzugreifen', als das nächste Operations ziel in dem-
selben bezeichnet. Dem entgegen fällt im serbischen Operationsplane
der Tenor auf das „geographische Moment".
Die Politik Serbiens war zunächst auf die Erhaltung des status
quo ante, d. h. auf die Verhinderung der Union Bulgarien's mit Ost-
rumehen gerichtet. Für den Fall, als durch höhere Einflüsse die
Union zu Stande kommen sollte, hatte die serbische Politik wenigstens
die Erhaltung des Gleichgewichtes aufderBalkan-
Halbinsel in's Auge gefasst, indem von den neuentstehenden
Gross-Bulgarien die von- Serben bewohnten westlichen Grenz-Districte,
namentlich jene von Trn und Vidin, zu Serbien geschlagen
werden sollten. Es fehlte sogar nicht an gewichtigen Stimmen,
welche das gesammte Territorium von der serbischen Ost- und Süd-
ostgrenze bis zu der durch die Flüsse Isker und Struma ge-
bildeten Linie für Serbien reclamierten ; ein Territorium, welches
nahezu so gross ist^ als halb Serbien selbst. Die serbische Heeres-
leitung ging somit in erster Linie aufdieOccupation des
begehrten Territoriums aus und dachte erst in
zweiter Linie an das erste und wichtigste Operations-
ziel, dem — wie schon erwähnt — alle andern Ziele als reife
Frucht in den Schoss fallen: Die Zersprengung der feindlichen
Hauptmacht. Nebst Besetzung der ebengenannten Bezirke war un-
verkennbar als das nächste Operationsziel: „Sofia", — in Aus-
sicht genommen, als „leitender Gedanke" zur Erreichung desselben
zeigte sich schon von den ersten Bewegungen das Bestreben des
serbischen Hauptquartieres: die feindliche Hauptmacht durch eine
einfache strategische Umgehung ihres linken
Flügels in nördhcher Richtung gegen den Balkan zu-, also von
ihrer natürlichen Verbindung mit Sofia abzudrängen.
Bulgaren.
Taf. I. II. Es wird immer ein glänzendes Zeugnis für das politische und
militärische Talent des Fürsten Alexander 1. bleiben, dass derselbe
I mihtärisch überrascht, pohtisch isoliert, von zwei in der Versammlung
, begriffenen Heeren, einem türkischen im Osten und Süden, einem
1 serbischen im Westen, gleichzeitig bedroht, nicht einem schnellen
Unterg mge entgegen ging. Man versetze sich doch nur einen Moment
j *) Der deutsch-französische Krieg 1870/71, redigirt von der kriegsgeschichUichen Abtheilung
dos grossen Gencralstabcs. I. Theil, Heft 1, Seite 73.
- 21 —
in die verzweiflungsvolle, in der Kriegsgeschichte wohl beispiellos
dastehende Lage des Fürsten. Mit den grössten Theil seiner Armee
an der Südgrenze Ostrumelien's aufmarschiert, welcher der bisherige
Schirmherr Bulgarien's während der Mobilmachung fast alle Offiziere
entzogen hatte, durch die „Streichung" aus den russischen „Offiziers-
listen" persönlich beleidigt, erhält Fürst Alexander am 14. November
in Philippopel die Kriegserklärung Serbien's. Mit der noch in der
Neu-FormJerung begriffenen Armee — Front gegen die Türkei
stehend — ohne Off'icieren, soll nun dem von Nordwesten anrückenden
Gegner die Stirne geboten werden, welchen nur 4 Tagemärsche von
Sofia trennen, während man selbst bis dahin, deren 4 bis 7 zurück-
zulegen hatte. Wäre es unter diesen Verhältnissen ein Wunder ge-
wesen, wenn Fürst Alexander Alles „im Stiche" gelassen hätte und
plötzhch vom Schauplatze verschwunden wäre ?!— Gewiss nicht! —
Hatte sich aber der Fürst die Aufgabe gestellt: Herr der Situation
zu bleiben, war er entschlossen treu bei seinem Volke auszuharren,
dann galt es rasch zu handeln.
Was konnte, was m u s s t e also geschehen ? — Die Antwort
auf diese Frage : sich bei Sofia sammeln, war allerdings
sehr leicht; die Durchführung äusserst schwer, wenn nicht
unmöglich. Fern von allen künstlichen Combinationen, unvermögend
dem Gegner auf allen Theilen der nahezu 290 km langen Grenzlinie
eine ebenbürtige Kraft entgegenzustellen, endlich eingedenk des
Grundsatzes : „Wer Alles decken will, deckt Nichts", — concentrierte
demnach auch Fürst Alexander alle seine Kräfte auf einem, u. z.
dem Hauptpunkte, um — da seine numerische Kraft im Be-
ginne der Operationen der feindlichen untergeordnet war — wenigstens
auf diesem als der „relativ Stärkere" auftreten zu können.
Von Haus aus militärisch auf die Defensive gewiesen, war somit
der Plan Alexander^s dahin gerichtet : unter Vermeidung
jeder Zersplitterung seiner Kräfte und aller zu
keiner Entscheidung an der Grenze führenden kleinen Ge-
fechten, seine Armee in einer technisch vorbereiteten Stellung zu
sammeln und in derselben eine Schlacht anzunehmen. Dass dem
thatsächlich so war, darüber sagt der Kriegsberichterstatter der
„Kölnischen Zeitung" — der im Hauptpuartiere jedenfalls eine her-
vorragende Stellung eingenommen, da derselbe sogar in Caribrod
mit dem Bruder des Fürsten in einem Zimmer untergebracht war
— Folgendes : „Der Plan der bulgarischen Befehlshaber ging nun
naturgemäss dahin, den Feind möghchst lange, d. h. bis zum Ein-
treffen der sehnlichst erwarteten Verstärkungen aufzuhalten. Die
■*J ' \
— 22 —
ganze Hoffnung des bulgarischen Generalstabes ging dahin, den
Feind zu einem Angriffe auf die Hauptstellung zu vermögen ; man
hatte die üeberzeugung, dass er diese nicht durchbrechen könne,
und man berechnete, dass er durch solche fruchtlose Angriffe einige
Tage verlieren werde". — Entschied jedoch in dem zu gewärtigenden
Hauptschlage die Kriegsgöttin gegen die Bulgaren, dann allerdings
war das Schicksal Sofia's besiegelt. Der bulgarischen Armee erübrigte
nur eine Aufstellung nordösthch in Etropol-Balkan. Durch dieselbe
wäre jede gegen Nord-Bulgarien operierende serbische Armee in der
rechten Flanke bedroht und die bei Sofia stehende Armee festge-
halten worden. Einen Angriff auf den Balkan konnte die serbische
Armee nicht so leicht unternehmen, weil sie hiezu zu einer Front-
veränderung gezwungen worden wäre und dadurch den von Eumelien
heranmarschirenden Kräften Gelegenheit zu einem Angriffe auf ihre
rechte Flanke, ja selbst den Rücken gegeben haben würde. Eine
Forcierung des Balkan wäre daher erst nach Niederwerfung dieser
Kräfte möglich gewesen.
Das erste Operationsziel der bulgarischen Armee war
demnach : Die Niederwerfung der feindlichen Haup t-
V(\i ' i I a r m e e.
Prüft man nun diese Operationspläne an der Hand der Theorie,
d. h. vergleicht man dieselben mit jenen Anforderungen, welche die
Wissenschaft an einen Operationsplan stellt, so zeigt sich:
I. Stärke-Verhältnisse der beiderseitigen
Armeen.
Aus dem politischen Grundfehler des serbischen
Operationsplanes folgen alle anderen Fehler desselben sozusagen:
von selbst. Serbien hatte nur sein erstes Aufgebot, die „active
Armee" und einen geringen Theil des zweiten Aufgebotes für die
Durchführung seines Kriegsplanes mobilisiert. Es wollte keinen Krieg
mit weitgehendem Ziele führen, es strebte nicht die Vernichtung
des Gegners an; seine Absicht war ein Krieg mit beschränktem
Ziele : Herstellung des status quo ante oder aber Erwerbung des
Vidiner- und Trner-Kreises. Dass hiebei jedoch auch der Gegner
etwas mitzureden hatte, dazu wäre es wahrlich nicht nölhig gewesen
zu mobihsieren, Millionen hinauszuwerfen und mit blutigem Kopfe
„heimgeschickt" zu werden. Diese Lehre hätte Serbien aus den ewig
denkwürdigen Kämpfen des Jahres 1870/71 und aus dem ,,Fiasco"
Eusslands 1877 weit bilhger ziehen können. In ersteren versuchte
auch Napoleon HI. nur einen Krieg mit ,, beschränktem Ziele" (Er-
- 23 -
Werbung des linken Eheinufers, Erhaltung der Dynastie) zu führen
— in letzterem wollte der Czar anfänglich mit nur 6 Armee-Corps
die Türkei niederwerfen, war aber schliessUch gezwungen, fast
seine ganze Armee zu mobilisieren und ausserdem noch die zu Be-
ginne des Krieges fast verächtlich behandelten Eumänen
um ihre Unterstützung zu bitten. Diese Beispiele der allerjüngsten
Kriegsepochen hatten doch zur Genüge gezeigt, wohin eine
Unterschätzung des Gegners führt.
Das serbische Ober-Oommando hat allerdings post festum selbst
zugegeben: „dass mit zu wenig Kräften in's Feld gerückt wurde,
dass, wenn gleich vom Anfange an die ganze Kraft aufgeboten worden
wäre, demselben wohl alle Niederlagen erspart geblieben wären".
Ganz eigenthüniliche Gedanken aber befallen dem Leser bei den
Worten: „Wir haben geglaubt, es mit den Streitkräften
B u 1 g a r i e n's allein zu thun zu haben ; wie hätte man auch
denken sollen, dass der Gegner fremde Truppen gegen uns in's
Feld führen werde ! Die Truppen Ostrumehen's sind doch Streitkräfte
der Türkei . . . ."*)
Es wurde bereits erwähnt (siehe Seite 2) dass Fürst Alexander
schon am 23. September die anbefohlene Mobilmachung der bulgari-
schen Armee und ostrumelischen Miliz auf alle Aufgebote aus-
dehnte; bereits am 26. Oktober wusste alle Welt, dass die letzten
bulgarischen Regimenter von Köstendil nach Norden berufen worden
waren, um das Lager bei Slivnica mit den nöthigsten Truppen ver-
sehen zu können; dass jeden Tag aus Eumehen frische Truppen
in Sofia eintrafen, welche sofort gegen die serbische Grenze weiter
befördert wurden, und die serbische Heeresleitung — hiebei wohl
am meisten interessirt — sollte allein nichts davon gewusst haben ! ?
Wie endlich konnte man im serbischen Hauptquartiere bei der vom
Fürsten Alexander bereits gezeigten Energie auch nur einen Mo-
ment darüber in Zweifel sein, dass derselbe die ostrumelische Miliz
gleichfalls gegen Serbien aufbieten würde!? Warum also — da
die "Verhältnisse doch vollkommen klar lagen — hat Serbien nicht
seine ganze Macht von allem Anfange her mobilisiert und mit
dieser Uebermacht die Offensive ergriffen, um so mit einem kräftigen
Schlage den Feind niederzuwerfen!? Geschah dies aus Ersparungs-
rücksichten, dann waren diese gewiss schlecht angebracht, weil
gerade das Gegentheil von Ersparung erzielt wurde.
*) Armeeblatt Nr. 5 vom 2. Februar 1886: ,, Kritische Rückblicke auf die serbische Krieg-
führung" von Kriegsberichterstatter J. Lukes.
— 24 —
Wie konnte nach all' dem Serbien es wagen mit einer Macht
von kaum 45.000 Combattanten auf 3 von einander räumlieh ge-
trennten Linien eine Invasion in Feindesland zu einem Zeitpunkte
(Mitte November) zu unternehmen, zu welchen der Gegner bereits
80.000 Combattanten, allerdings noch nicht vereinigt, aber bereits
— Direction Sofia — in der Concentrierung begriffen auf den Beinen
hatte ! ? Dass die Stärke der bulgarisch-ostrumelischen Armee that-
sächhch jene Höhe erreicht hatte, hiefür liefert den besten Beweis
ein um die Jahreswende von der gesammten Tagespresse veröffent-
lichtes Schreiben *), das Fürst Alexander an den Czar gerichtet haben
soll; in denselben war zu lesen: ,,Der gegenwärtige Stand des bul-
,. garischen Heeres beträgt 80.000 Mann, nicht eingerechnet das
,,Vidiner-Corps in der Stärke von 15.000 Mann."
2. Vorbereitungen für den Krieg.
Zum Staunen der militärischen Welt haben die Thatsachen ge-
zeigt, dass Serbien denselben nicht jene Sorgfalt gewidmet hatte,
wie man es von diesem Staate voraussetzen musste. Selbst abge-
sehen von den vielen Mängeln, welche im Verlaufe der MobiHsierung
zu Tage traten, haben die Ereignisse constatiert, dass Serbien für
einen Feldzug überhaupt nicht gerüstet war, geschweige denn erst
für einen Winterfeld zug. Um die Invasion in ein fremdes Land
zu tragen, zumal in ein mit wenig Communicationen versehenes,
dünnbevölkertes, resoureenarmes Gebirgsland, wo nicht der Krieg den
Krieg ernährt, sondern die Bedeckung aller Erfordernisse aus dem
eigenen Lande mit einem wohlorganisierten Train nachgeschoben
werden müssen, dazu gehören allerdings andere Vorbereitungen, als
Serbien hiefür getroffen hatte. Fügt man all' dem das Oardinal-
Verbrechen der serbischen Kriegsvorbereitung — nicht genug oft
kann dies wiederholt werden — den Munitionsmangel hinzu,
erwägt man — auch dies wurde schon betont — dass einzehie Divisionen
der Nisava-Armee schon am 5. Operiitionstage (18 November) fast
ohne Munition waren, so muss man eigentUch über die Kühnheit
staunen, mit der der serbische Kriegsminister vor der Mit- und Nach-
welt die Verantwortung für diesen Kampf auf seine Schultern lud.
Lassen bulgarische rseits die Vorbereitungen für den
Krieg allerdings auch Vieles zu wünschen übrig, so muss doch betont
werden, dass — den Aeusserungen des mehrgenannten bulgarischen
Ex-Kriegsministers Fürsten Cantacuzene zu folge — die bulgarische
Armee am 6. Tage, nachdem die Mobilisierungsordre erlassen war,
*) Ob dieses Schreiben wirklich verfasst und abgesendet wurde, kann wohl nicht mit
Bestimmtheit angegeben werden.
— 25 —
also am 25. September, bereit stand, ins Feld zu rücken und am
13. Tage, also am 2. October, die gesammte bulgarische Streitmacht
sich bereits im Marsche befand. Wenn auch die materiellen Vor-
bereitungen für einen Feldzug, namentlich einen W i n t e r f e 1 d z u g ,
recht misshche waren, so sprach andererseits zu Gunsten der Bul-
garen, dass dieselben auf die Vertheidigung des eigenen Landes ver-
wiesen waren und in der Nähe ihrer Operationsbasis : Sofia, sich
befanden ; ein umstand, der ihrem Nachschubswesen wesentlich zu
Statten kam.
Nicht unerwähnt endhch darf gelassen werden, dass die bul-
garische Heeresleitung die Befestigungen V(.,n Slivniea schon Mitte
August des Jahres 1885 (siehe Seite 3) in Angriff nehmen liess.
3. Geographische Verhältnisse.
Die Würdigung derselben war — wiewohl sie einem rothen
Faden gleich alle serbischen Unternehmungen durchzog —
zweifelsohne keine entsprechende, d^^nn sonst wäre eine Verzettelung
der Armee längs der ganzen Grenze und das Ergreifen der Offensive
auf allen Linien unmöglich gewesen. (Mehr hierüber siehe Punkt 4.)
Die Versammlung fast der gesammten bulgarisch-ost-
r u m e 1 i s c h e n Armee in dem entscheidenden Räume, auf der
Schwerhnie des Reiches (Slivnica-Sofia) zeigt, welch' hohen Werth
Fürst Alexander dem geographischen Elemente beilegte. Dieser Theil, •
unstreitig der vortheilhaf teste für die Vertheidigung des bulgarischen
Gebietes, bietet andererseits auch offensiven Operationen nach Serbien
die meisten Chancen.
4. Strategischer Aufmarsch.
Bei dem ersten Aufmarsche einer Armee kommen allerdings
neben den militärischen vielfache poUtische und geographische Er-
wägungen in Betracht. Fehler in der ursprünglichen Versammlung
des Heeres sind im ganzen Verlaufe des Feldzuges kaum wieder gut
zu machen Alle diese Anordnungen aber lassen sich lange vorher
erwägen und — die Kriegsbereitschaft der Truppen, die zweckent-
sprechende Organisation des Transportswesens vorausgesetzt — müssen
sie zu dem beabsichtigten Resultate führen.
In wieweit entsprach nun der strategische Aufmarsch diesen
theoretischen Hauptanforderungen?
Serben.
Die Ländermassen Serbien's und Bulgarien's standen vermittelst Taf. i. ii.
einer 290 km langen Grenze im Contacte ; nördlich und südhch dieser ^^^•
Begrenzungslinie legten neutrale Staaten (Rumänien, Türkei) der
- 26 -
kriegerischen Action Schranken. Sieht man von der etwa 45 km
langen Strecke im Norden ab, wo der Timok beide Staaten von
einander trennt, so präsentiert sich der 245 km lange Rest der Grenz-
linie als eine trockene Grenze, die^ mit Ausnahme des gegen den
Hodza-Balkan vorspringenden rechten Winkels, fast in gerader Linie
von Norden nach Süden zieht.
In dieser ganzen Linie bewirkte die serbische Armee ihren
strategischen Aufmarsch, u. z. in 3 Gruppen :
Taf.i.m. a, Nordgruppe; das Timok-Corps, unter dem Commando des
Generals Sjesanin (Generalstabs-Chef Oberst Miletic), circa 10.000 Mann
Streitbare. Dasselbe vollzog seinen Aufmarsch im Timok-Thale, ost-
wärts von Zajecar, u. z. mit dem Centrum der 5. (Timok-) Division,
8 Bataillonen, 3 Escadronen und 2 Batterien, unter dem Befehle des
Artillerie-Obersten Djuknic, in Canlonnements von Vrazogrnac bis
M. Izvor, mit starken Yortruppen auf Izvor und Vrska Cuka —
mit dem unter dem Befehle des Oberstheutenants Dinic stehenden
linken Flügel, 4 Bataillone stark, im unteren Timok-Thale
zwischen Negotin und Bregova — mit dem vom Oberstlieutenant Putnik
befehligten rechten Flügel, 3 Bataillone, 1 Gebirgs-Batterie, bei
Kadibogas, also in einer Frontausdehnung von 80 km oder 4 Tag-
märschen. Der rechte Flügel hatte überdies den Sv. Nikolaja-Pass,
welcher noch einen Tagmarsch weiter südwärts hegt, zu besetzen
oder zu beobachten.
Taf. I. II. h. Mittelgruppe; diese aus 3 Divisionen (2. [Drina-],
V
3. [Donau-], 4 [Sumadya-] Division) und der Cavallerie-Brigade
Oberst Praporcetovic bestehende, unter dem Oberbefehle des Königs
Milan stehende Hauptarmee mochte ungefähr 27.000 Com-
battanten gezählt haben. Sie bewirkte ihren Aufmarsch im Nisava-
Thale südlich von Pirot und hatte gegen Osten auf den in der
Richtung des Ginci-Passes führenden Communicationen Detachements
bis zur Ortschaft Rzane als dem äussersten linken Flügel und auf
die Tepos-Höhe^ dann Vortruppen entlang der gegen Südwest lau-
fenden Grenze bis zur Sukova vorgeschoben Die Ausdehnung dieser
Gruppe betrug somit 30 km, sie war demnach in der Lage, ihre
Kräfte binnen 1 Tagemarsch zu concentriren.
Taf. I. II. c. Südgruppe; dieL (Morava-) Division unter dem Com-
mando des Generalstabs-Obersten Topalevics, circa 8.000 Combattanten
Diese Division gehörte eigentlich zur iNisava-Armee; nachdem die-
selbe aber thatsächlich von ihr getrennt war und sich erst am Rück-
zuge bei Pirot wieder mit der Hauptarmee vereinigte, muss sie als
selbstständige Gruppe behandelt werden. Sie bewirkte ihren Auf-
— 27 —
marsch vom Morava-Thale gegen Osten, hatte ihre Vortruppen zwischen
Dascani kladenac und Vlasina. Dieselbe war von der Mittelgruppe
circa 40 km — also 2 Tagmärsche — entfernt und hatte selbst
wieder eine Ausdehnung (Dascani-kladenac-Vlasina gleich 34 km),
dass ihre einzelnen Theile mit Eücksicht auf das Terrain taktisch
nicht in der Lage waren, im Verlaufe eines Tages in Verbindung
zu treten.
Wenn auch zugegeben werden muss, dass die Territorial-Ein-
theilung des Landes und die Lage der einzelnen Divisionsbezirke zur
bulgarischen Grenze diesen Aufmarsch der Armee begünstigte, da
die beiden Flügel-Divisionen innerhalb ihrer Ersatzbezirke und die
3 Divisionen der Hauptarmee an der Strasse und in der Reihenfolge
standen, in welcher sie im Aufmarschraume eingetroffen waren, so
muss andererseits hervorgehoben werden, dass die kaum 45.000 Com-
battanten zählende serbische Armee in einer Ausdehnung von nahezu
260 km, also — wenn man selbst das die Verbindung unendhch
hemmende Terrain nicht in Betracht zieht — mindestens 12 bis
13 Tagmärsche auseinandergezogen war. Dass diese Verzettelung
der einzelnen Divisionen, welche eher auf eine
cordonmässige Besetzung der Grenze, als auf das Er-
greifen einer energischen Offensive hindeutet, dem serbischen Ober-
Coramando zum grossen Fehler angerechnet werden muss, bedarf
keines weiteren Beweises. Der Grund zu diesem fehlerhaften stra-
tegischen Aufmarsche, der naturgemäss schon den Keim der taktischen
Niederlagen enthielt, lag — wie bereits erwähnt — in dem fehler-
haften Operationsziele, das bekanntermassen in erster
Linie in der Besetzung der Kreise Vidin und Trn bestand, und
erst in zweiter Linie die Niederwerfung der feind-
lichen Armee in Aussicht genommen hatte, statt gerade den
umgekehrten Weg zu wählen, also das wichtigste Ope-
rationsziel: die feindliche Armee zuerst mit vereinter
Kraft zu zersprengen, wodurch die zur Annection in Aussicht
genommenen Bezirke den Serben von selbst in die Hände gefallen
wären.
Ob die Detachirung einer ganzen Division am Timok be-
rechtigt war, oder nicht, soll dahingestellt bleiben; zweifelsohne
lassen sich viele Gründe dafür und dagegen anführen. Jeden-
falls aber war das Ergreifen der Offensive seitens dieser Division
ein Fehler, und für eine defensive Aufgabe hätten weniger
Kräfte genügt. . ..
— 28 —
In gleicherweise war es ein grober Fehler, zur Deckung
der rechten Flanke der Armee den vierten Theil derselben, und
noch dazu derart zu entsenden, dass man — abgesehen von sangui-
nischen Hoffnungen — bei nur einiger Berücksichtigung der Com-
municationen, des Terrains und der Jahreszeit, auf die Mitwirkung
dieses Theiles zum Hauptschlag schon von Haus aus verzichten musste.
Was in alle Welt — so muss man fragen — berechtigte den ser-
bischen Generalstabs-Chef General Petrovich und den Vorstand der
Operations-Kanzlei Oberstlieutenant Athanaskovich dazu, die bulgarisch-
ostrumelische Armee so en bagatelle zu behandeln, gleich am ersten
Operationstage (den 14» November) auch noch die 4. (Sumadija-)
Division in die rechte Flanke zu entsenden ! ? Schlecht genug, dass
schon eine (die Morava-) Division auf „Niemehrwiedersehen" aus-
gespielt war; nun musste in dieselbe Eichtuug auch, noch eine
zweite Division rücken. Das serbische Ober-Commando hatte somit
drei Fünftel seiner ganzen Armee bereits aus der Hand gegeben,
bevor überhaupt noch ein Schuss gefallen war; mit zwei Fünftel
— also kaum 17- bis 18.000 Combattanten — hoffte es die bulgarische
Armee vor Sofia zu vernichten! „Getrennt marschiren", — „den Gegner
durch Umfassungen aus seiner Stellung hinauszumanövriren", lehrt
allerdings die moderne Strategie, aber sie lehrt auch : „vereint
schlagen", — sie lehrt: „dass bei Umfassungen die Frontgruppe so
stark sein muss, dass sie eventuell auch einem Anpralle des Feindes
allein so lange Stand zu halten vermag, bis die Umfassung wirk-
sam wird", — sie lehrt endlich, und dies schon auf der ersten Seite :
„dass im Kriege nur das Einfache möglieh und durch-
führbar ist, alles Gekünstelte aber sicher zum Ver-
derb en führt."
Die serbischen Divisionen waren klein, 3 selbst alle 4 Divisionen,
mit einem Worte: die ganze Nisava- Armee, kaum 35.000 Combattanten
zählend, konnte mit dem Gefechts-Train auf der Haupt-Operations-
linie marschiren. Es wäre dies gewiss nichts Besonderes gewesen.
Werden doch die grossen europäischen Armeen in jedem Kriege ge-
zwungen sein, 1 bis 2 Armee-Corps (2 bis 6 Divisionen) also 30 bis
90.000 Mann auf einer Linie marschiren zu lassen.
Wie, wenn am 17. November vor Slivniea statt 1 Division
4 Divisionen gestanden, oder — was noch richtiger gewesen wäre —
schon am Mittag des 16. November einen Angriff unter-
nommen hätten?
Die serbische Heeresleitung kann für ihren strategischen Auf-
marsch nicht einmal das Moment der „Täuschung", das dem
— 29 -
Feinde zu verschiedenen Conibinationen, respective Befürchtungen
Anlass geben soll, in A^rspruch nehmen, weil im vorliegenden Falle
im bulgarischen Hauptquartiere — bei den gründlichen Informationen,
welches dasselbe hatte — kein Zweifel darüber obwalten konnte, in«
welcher Richtung die serbische Offensive stattfinden dürfte.
Wollte endhch das serbische Ober-Coraraando durchaus umfassen,
so entsteht die Frage^ ob die verhältnissmässig ressourcenreichste,
mit den meisten Ortschaften versehene nördhehe Neben-Operations-
linie Pirot-Stanjalci-Pecenobrdohan- Sofia nicht der südlichen vorzu-
ziehen gewesen Wcäre. Eine auf dieser guten Marschlinie durchge-
führte einfache strategische Umgehung des bulga-
rischen rechten Flügels würde — bei gleichzeitiger Besetzung
des Ginci-Passes, wodurch weder Verstärkungen von Lom Palanka
nach Berkovica, noch Cooperationen mit den im Vidiner-Kreise
stehenden Streitkräften möglich gewesen wären, — immerhin eher
zum Ziele geführt haben. Wahrscheinlicherweise aber hätte Fürst
Alexander auch (his Debouchiren dieser Oolonne — etwa in der Gegend
bei Caikovce — zu verhindern gewusst.
Aehnhche Gedanken scheinen nun das serbische Ober-Commando
allerdings nicht beschäftigt zu haben, denn sonst hätte die Offensive
der serbischen Armee nicht ein so klägUches Ende nehmen können.
Betrachtet man nun die Verhältnisse der serbischen Armee, wie
sie thatsächlich waren, erwägt man die verzweiflungsvolle strategische
Situation der Bulgaren und Ostrumelier um den 20. Oktober — einem
Zeitpunkte, an welchem die serbische Armee bereits operationsfähig
war — dann entsteht allerdings die Frage : Wer hätte Serbien, wenn
es seinen ersten Impulsen gefolgt und auch gleich vormarschiert wäre,
in einem Momente, wo fast die ganze bulgarisch -ostrumehsche Streit-
macht an der rumelisch-türkischen Grenze versammelt war, den
E i n z u g i n S 0 f i a verwehren können? ; wenn nicht — wie bekannt —
die europäische Diplomatie dem zum Losschlagen bereiten
Serbien in den Arm gefallen und dasselbe, auf die Verhand-
lungen der Gonstantinopeler Conferenz verwiesen hätte. Serbien hatte
somit den günstigsten Moment versäumt; ein ganzer Monat
war vergangen, innerhalb welchem die serbische Armee „Gewehr bei
Fuss" zur ünthätigkeit verurtheilt war. Innerhalb dieses Monates
hatte sich aber auch die strategische Situation bei der bulgarisch-
ostruraelischen Armee wesentlich geändert. In welcher Weise mussten
nun die Serben vorgehen, um Sofia zu erreichen, bevor die bulgarisch-
ostrumelische Armee sich denselben an irgend einem entscheidenden
Punkte an der Defilee-Strassp Oaribrod-Slivnica — dass die Bulgaren
— 30 —
in der Ebene von Sofia der serbischen üeberlegenheit sich preisgeben
würden, durfte wohl nicht angenommen werden — entgegen stellen
konnte ?
Taf. I. II. Es bedarf keines Beweises, dass der bewegliche, also der
Manövrir- und Angriffskrieg, somit das Offensivfeld in
den südhchen Raum (Haupt- Operationslinie Pirot-Sofia), zu verlegen
war. Da aber auf ein rechtzeitiges Eintreffen der seitwärts der
Haupt-Operationshnie im Gebirge verwickelten Didsionen nicht mit
Sicherheit gerechnet werden konnte, man schhesslich auch nicht
wusste, an welchem Punkte die Entscheidung eintreten würde, so
musste auf der H^upt-Operationslinie auch die Hauptkraft, daher
4 und nicht 2 Divisionen vorrücken, was — wie bereits
erwähnt — auch im marschtechnischen Sinne keine Schwierigkeiten
gehabt hätte. Dementsprechend hatte die Hauptarmee — 4 Divisionen
stark — ihren strategischen Aufmarsch im Thale der Nisava bei und
südlich von Pirot zu bewerkstelligen.
Die Deckung der beiden Flanken war wichtig; des-
halb musste nach Bresnik 1 Regiment (4 Bataillone), leicht ausge-
rüstet, mit einer halben Escadron Cavallerie, Gebirgs-Artillerie und
Gebirgs-Train, detachirt werden. Dieses Detachement konnte seinen
Aufmarsch im Thale der Mala r. (Seitenthal der Vlasina) etwa bei
Gradska, Kaona und Preslop bewirken und über Miroslavci, Glava-
novci, Turekovci, Trn nach Bresnik vorrücken. Bresnik selbst war
wichtig, weil man von dort aus die von Sofia, von Samakov, von
Dubnica und von Köstendil kommenden Strassen leicht beherrschte,
dadurch die südHche Flanke verlässhch deckte und sich selbst die
volle Bewegungsfreiheit nach jeder Richtung sicherte. Desgleichen
mussten nach dem Ginci-Passe etwa 2 Bataillone, gleichfalls mit
■ Gebirgs-Artillerie, Gebirgs-Train und etwas Cavallerie detachirt
werden, weil durch die Besetzung dieses Passes etwaigen Zuzügen
am besten vorzubeugen gewesen wäre. Dieses Detachement konnte auf
dem Tepos-Berge aufmarschieren und hatte — bei Berücksichtigung
des Weges Slavinje-Krivodol-Komastica — über Protopopnica-Stan-
jalci-Komastica gegen den Ginei-Pass vorzurücken.
I Die Cavallerie-Brigade Proporcetovic endlich, vielleicht unter
Beigabe eines Bataillons und reitender Artillerie wäre — wollte man
das Gros der Reiterei schon nicht an die Queue der Haupt-Colonne
anschliessen und für die voraussichtliche Action in der Ebene von
Sofia reservieren, — von Haus aus über Belograd6ik nach Berkovica
zu disponieren gewesen, auf welcher Marschlinie sie als Verbindungs-
glied mit den Kräften am unteren Timok gedient, den ganzen Raum
— 31 —
zwischen Timok, Lom, und dem obersten Theile des Ogost beherrscht
hätte und schHesshch durch den Ginci-Pass, welchen die Unke
Seitencoionne der Hauptarraee festhielt, in die Ebene von Sofia
gezogen werden konnte. Dieser Aufgabe entsprechend, hatte die
Cavallerie-Brigade ihren Aufmarsch im Thale des Trgoviski-Timok j
etwa zwischen Jalovik-Izvor und Balta-Berilovci zu bewerkstelligen. '
Was den Raum am unteren Timok betrifift, so ist derselbe so
gross und wichtig, dass ihn ohne Schwertstreich dem Feinde über-
lassen, diesem doch übergrosse Vortheile zuwenden geheissen hätte,
und dies umsomehr, wenn man bedenkt, dass durch denselben die
kürzeste Linie auf Belgrad zieht. Hiezu aber hätte eine halbe Divi-
sion, also etwa 6 Bataillone, vielleicht durch 2 Bataillone des 2. Auf-
gebotes verstärkt, unter Beigabe der gesammten Artillerie einer j
Division und einiger Escadronen genügt. In diesen Raum war somit
das Defensiv feld des Kriegsschauplatz es zu verlegen.
Das Benehmen dieser verstärkten Brigade, sollte sie ihrer Aufgabe
gerecht werden, wäre allerdings kein leichtes gewesen ; häufiger
Wechsel der Stellungen, fortwährende forcierte Hin- und Hermärsche j j /
längs des Timok, plötzhches Erscheinen und Wiederverschwinden I
auf den verschiedensten Punkten etc., wären hiezu nöthig gewesen.
Die Vertheilung der Streitkräfte in der eben angedeuteten
Weise, wäre nicht nur einfach, sondern, was noch weit mehr gilt,
auch, sicher gewesen. Vier Divisionen am 16. November zum An-
griffe angesetzt, hätten einen Widerstand der Bulgaren bei Siivnica
gar nicht aufkommen lassen; ja man kann selbst heute noch, wie-
wohl die Thatsachen gerade das Gegentheil gezeigt haben, behaupten,
dass die bulgarische Armee zersprengt worden wäre.
Bulgaren.
Als Herr Rhangabe in der Nacht vom 13. zum 14. November
in Sofia die serbische Kriegserklärung übergab, standen bekannter-
massen mehr als die Hälfte der bulgarischen Truppen in OstrumeUen.
Die Vertheilung derselben war folgende:
I. Front gegen die Türkei:
a. Bei Phihppopel und längs der Eisenbahn nach Adrianopel Taf. i.
bis zur türkischen Grenze; die ostrumehsche Mihz und 1 Division
bulgarischer Truppen, zumeist aus den östhchen Bezirken stammend ;
im Ganzen etwa 25.000 Oombattanten, unter dem Commando des
Obersten Nikolajew.
— 32 —
h. Bei Jamboli : circa 10.000 Corabattanten unter dem Befehle
des Oberstlieutenants Filow.
c. Bei Aidos: etwa 3.000 Combattanten.
II. Front gegen Serbien:
Taf. I. Entsprechend dem serbischen Aufmarsche, haben auch die
Bulgaren im grossen Ganzen sich in 3 Gruppen aufgestellt u. zw.:
Taf. I. III. a. Bei Vidin : 5 Bataillone Infanterie mit 4.000 Freiwilligen,
1 Escadron und 5 Batterien — etwa 7.000 Combattanten unter dem
Befehle des Hauptmannes üsunoff. Diese Gruppe hatte ihre Vor-
truppen über Adlije gegen Zajecar vorgeschoben. Selbstständige
Detachements standen bei Salas in der linken, bei Bregova in der
rechten Planke.
Taf. I. II. h. Bei Slivnica : 1 Division Infanterie, 2 Escadronen und
6 Batterien, meist aus Truppen der westlichen Bezirke zusammen-
gezogen, — etwa 10.000 Combattanten, — anfänglich unter dem
Commando des Hauptmannes Gutsehew ; dieselbe hatte ihre Vor-
truppen, 2 Bataillone, 2 Escadronen und 2 Batterien, über den
Dragoman-Pass bis Caribrod, IV2 Bataillone und 1 Batterie auf
Cöte 440 zwischen Peterlas und Odorovci, 1 Bataillon endlich nach
Slavinje vorgeschoben.
Taf. I. II. c. Bei Trn : 2 Bataillone Infanterie mit 1500 Freiwilhgen,
2 Escadronen und 3 Batterien — etwa 3000 Combattanten — unter
dem Befehle des Hauptmannes Philipow mit vorgeschobenen kleinen
Abtheilungen bis an die serbische Grenze.
Fürst Alexander mit dem Hauptquartier war in Philippopel.
Schon dieser, g^g^n Serbien mit noch untergeordneten Kräften
bewirkte Aufmarsch der Bulgaren, lässt die Absicht des Fürsten
Alexander klar und deutlich erkennen, dass derselbe weit ent-
fernt von allen künstlichen Combinationen bestrebt war, seine Haupt-
kraft nordwestlich Sofia, also auf der wichtigsten Linie (Caribrod-
Sofia) zusammenzuziehen, und dies umsomehr, als er ja auf dieser
Linie die ganze Armee seines Gegners, wenigstens aber 3 bis 4
Divisionen vermuthen musste; dass er sie daselbst nicht antraf,
muss auf das ,,Glücksconto" gesetzt werden, das im Kriege so oft
eine grosse Rolle spielt.
Allerdings konnte auch der Fürst den Vidiner- urid Trn er-
Kreis nicht ganz unberücksichtigt lassen, u. zw. schon aus dem
Umstände, weil dem Kundschafts-Bureau des Hauptquartiers, welches
sehr gut functionirte, die Ansammlung serbischer Streitkräfte in
^ 3ä -
Zajecar und auf dem Vlasina- Plateau jedenfalls bekannt war. Welch'
geringen Werth das bulgarische Ober-Commando aber dessenungeachtet
diesen Theilen des Kriegsschauplatzes beigelegt hatte, geht schon
daraus hervor, dass es auf dieselben vorzüglich die ,, Freiwilligen-
Bataillone", sowie die 4 Kreis-Commanden Nationalmiliz (Land-
sturm) des Vidiner-, Belogradciker-, Caribroder-, endlich des Trner-
Kreises dirigierte und ihnen nur als „Kern" reguläre Truppen
zuwies. Vidin endlich, wenn auch eine Festung alten Systemes, musste
immerhin seine Besatzung erhalten; zum Schutze derselben von der
Donauseite war überdies die bulgarische Flotille bestimmt.
Angesichts der serbischen Kriegserklärung, die dem Fürsten
Alexander am Mittage des 14. November zugekommen war, verliess
derselbe mit seinem Hauptquartiere Philippopel. Gleichzeitig hatte er
alle in OstrumeUen versammelten Truppen, auch die an der türkischen
Grenze stehenden, nach Sofia in Marsch gesetzt. Die freilich wenig
leistungsfähige Eisenbahn bis Jenihan sollte dabei nach Möglichkeit
mitbenutzt werden.
Am 15. November vormittags war der Fürst, nachdem er die
vorangegangene Nacht in Ichtiman zugebracht hatte, in Sofia ein-
getroffen.
Von Sofia bis Jenihan-Saranbeg waren circa 90 km, bis
Philippopel 140 km zurückzulegen; dem Fürsten standen hiezu zwei
Strassen, jene über Ichtiman und Samakov zur Verfügung. Der erste
Staffel der Verstärkungen konnte somit im günstigsten Falle erst am
17. November in Sofia eintreffen. Mehrere Tage mussten also noch
vergehen, bis die Vereinigung der bulgarisch-ostrumelischen Armee
vollendet war, und ausserordentliche Tagesleistungen seitens der
marschierenden Truppen waren erforderlich, sollte der letzte Staffel
derselben etwa am 20. November in Sofia eintreffen. So lange musste
also vorwärts Sofia den Serben Widerstand geleistet werden.
lieber aUes Lob erhaben und wahrhaft bewunderungswürdig
waren die Marschleistungen der bulgarischen Truppen zur Ooncen-
trierung bei Sofia gewesen. So hatte beispielsweise das Primorsky-
Polk (Seeregiment aus der Gegend von Varna) in 32 Stunden 95 km
bei schlechtesten Wetter zurückgelegt und dabei noch den Ichtiman-
Pass überschritten. Während dieses ßiesenmarsches hatte das 4.500
Mann starke Regiment nur 62 Nachzügler, was gewiss sehr wenig
ist. Die Truppe hatte auf diesem Marsche ihr gesammtes Gepäck
zurückgelassen und führte nur Gewehre und Munition mit sich. Wie
sehr überhaupt ,,das Feuer auf den Fingern brannte", wie sehr es
dem Fürsten darum zu thun war, auf einem, — allerdings dem
3
— 34 —
Hauptpunkte, — mit relativer Ueberlegenheit aufzutreten, beweist
am besten Folgendes : In den ersten Tagen der Kämpfe um Slivnica,
waren in Sofia Truppen derart erschöpft angekommen, dass sie
absolut nicht einen Schritt mehr weiter konnten, man musste sie
aber in Slivnica haben. Der Entschluss war rasch gefasst, man
setzte die Leute auf die Pferde eines in Sofia in der Bildung
begriffenen Cavallerie-Regimentes und beförderte sie — je 2 Mann
auf einem Pferde — auf diese Weise mit äusserster Schnelligkeit
bis in die Feueriinie ; ein Versuch, der übrigens nur in einem Lande
gehngen kann, wo, wie in Bulgarien, jedermann von Kindesbeinen an
ein Reiter ist.
I I Ohne zu untersuchen, ob Fürst Alexander nicht etwa aus der
I „Noth eine Tugend" machte, Thatsache ist es, dass dem natür-
lichen, einfachen, dafür aber auch sicheren Operations-
{ , plane, d. i. : den vorrückenden Gegner durch kleine Rückzugsgefechte
in den zahlreichen, vorwärts Sofia gelegenen Defil<^en aufzuhalten,
unterdessen die ganze bulgarisch-ostrumelische Armee in einer festen
Stellung zu vereinigen, in derselben den Angriff des Gegners
abzuwarten, eventuell aus derselben selbst zur Offensive überzugehen,
auch ein richtiger, weil natürlicher , strategischer Auf-
marsch entsprach. Zu schwach, um den Serben überall entgegen-
treten zu können, musste logischer Weise des Fürsten Streben
dahin gerichtet sein, mit numerisch überlegener Kraft
wenigstens auf der Hauptlinie über die Serben herzufallen und sie
zu schlagen, eingedenk eines der wichtigsten Grundsätze der Strategie :
i ,,dass die feindliche Hauptmacht das erste, das wichtigste
Operations-Object sei." Und wahrlich, die Serben haben es
durch ihre Zersplitterung den Bulgaren leicht gemacht, diesen Grund-
j satz zu befolgen. „Mit Kunst", — so sagte ein Artikel des „Pester
Lloyd", — „hat Serbien diesen Feldzug verloren".
5. Operati onsbasis.
Taf. I. Im serbischen Operationsplane bildete die Morava in ihrem
mittleren und oberen Laufe die Basis. Sie weist günstige Verhält-
nisse zum Vormarsche und zu den Verbindungen mit dem Inneren
des Landes auf. Für ihre Sicherung war allerdings nichts geschehen,
dagegen konnte die Ansammlung der Armee in derselben — bei Zu-
hilfenahme der Eisenbahn Belgrad-Nis-Vranja — mit einer, immerhin
nicht zu unterschätzenden grösseren Schnelligkeit erfolgen. Beide
Flanken sind durch neutrale Staaten geschützt; im Oentrum liegt
Ni§ als vorzüglicher Stützpunkt, doch mangelte es auch hier an einer
technischen Verstärkuno;. Die Rocadc-Verhältnisse sind, da zwei Strassen
- 35 --
von Nis abwärts (auf beiden Seiten der Morava) eine von dieser Stadt auf-
wärts, überdies die Eisenbahn Belgrad-Nis-Vranja im Thale führen, sehr
günstig Die Haupt-Operationslinie liegt allerdings mehr auf dem rechten
Flügel, auch geht sie aus der Basis mehr unter einem spitzen Winkel
(gegen die rechte Flanke) nach vorwärts, was als ein Nachtheil be-
zeichnet werden muss.
Der Isker mit der Hauptstadt Sofia bildete die Basis der
Bulgaren; im Norden und Süden gleichfalls durch neutrale Staaten
gedeckt. Zum Ergreifen der Offensive wie zum Ansammeln der
Armee im Basisraume bei Sofia, stehen mehrere Oommunicationen zur
Verfügung. Die Lage der Operationsrichtung muss als günstig be-
zeichnet werden, da die OperationsHnie aus der Mitte der Basis senk-
recht nach vorwärts führt.
6. Operationslinien. Taf. i. ii.
Um dieselben würdigen zu können, ist es nothwendig, nochmals
zu betonen, das die Grenzen zwischen Serbien und Bulgarien sich in
einer Ausdehnung von 290 hm berührten; nördlich und südheh davon
waren neutrale Staaten.
Es standen somit den Serben als Operationsrichtungen zur
Verfügung :
a) Auf Nord-Bulgarien (Gebiet zwischen Donau und Balkan).
h) Auf Sofia.
Im Falle ad a) konnten benützt werden :
1. Die Linie Paracin-Zajeöar-Vidin.
2. Aleksinac - Knjazevac - Belogradcik - Lom Palanka (oder Ber-
kovica).
Im Falle ad h) ergaben sich die Linien :
a. Nis-Pirot-Krapac-Stanjalci - Pecenobrdo han - Caikovce - Sofia.
ß. Nis-Pirot-Caribrod-Sofia.
>t. Aus dem Thale der Vlasina über Nalovci oder das Mala r.
Thal, Dascani kladenac, Glavanovca über Trn-Bresnik-Pernik- Sofia.
Das Haupt-Operationsgebiet: Sofia konnte somit in zwei Haupt-
richtungen (a, ß, y. und eventuell 2.) erreicht werden.
Unter der Voraussetzung, dass die Armee bei Nis im Thale der
Morava aufmarschierte, konnte der serbische Operationsplan nur eine
Haupt-OperationsHnie wählen, d. i. im Thale der Nisava über Pirot,
Caribrod, Slivnica nach Sofia. Die wesentlichsten Vortheile dieser
Operationslinie sind :
a) Sie ist die kürzeste (circa 85 km, also 4 Tagmärsche) ;
3*
— 36 —
h) führt sie directe auf Sofia:
,c) besitzt sie in den sub a und x. genannten Cornmunicationen.
Neben-Operationslinien, die unter gewissen Voraussetzungen
— namentlich jene sub a — für die Porcierung der Haupt-Operations-
linie von grösserem Werthe werden konnten; endlich
d) ist sie die besterhalten st e, was im Hinblicke auf den
nahenden Winter nicht übersehen werden durfte.
Als Nachtheil dieser Operationslinie muss hervorgehoben werden,
dass dieselbe nur wenig Ortschaften aufzuweisen h»t, ein Umstand,
welcher dem Nachschubs- und Etapen-Dienste nicht zu statten kam.
Naturgemäss standen den Bulgaren dieselben Linien zu Gebote.
Zieht man jedoch in Erwägung, dass bei Ausbruch des Krieges nahezu
2 Drittel der gesammten bulgarischen Armee in Ost-Rumelien stand,
so resultiert daraus wohl von selbst, dass für das bulgarische Haupt-
quartier nur jene Linie von Wichtigkeit sein konnte, die die Haupt-
stadt zu decken vermochte. • Wie die Verhältnisse beschaffen waren,
konnte dies nur die Linie Sofia-SHvnica-Caribrod-Pirot sein.
7. Technische Verstärkung des Kriegsschauplatzes.
Taf, I. Diesen Anforderungen wird im serbischen Operationsplane
nicht entsprochen und doch wäre es so nothwendig gewesen, einen
vertheidigungsfähigen Raum zu schaffen, innerhalb welchem,
beim MissHngen der Offensive, die Defensive durchgeführt werden
konnte. *Bei einer nur flüchtigen Betrachtung des Kriegsschauplatzes
ergibt sich Nis mit Leskovac, Pirot, Knjazevac und Aleksinac als
derjenige Raum, der wenigstens mit den Mitteln der Feldbefestigung
zu einer Gruppe vereint, demnach in Vertheidigungsstand zu setzen
gewesen wäre. An Zeit konnte es nicht gemangelt haben, weil ja
vom Erlass des Mobilisierungs-Befehles bis zum Beginne der Operationen
8 Wochen' verflossen waren. Was wäre w^ohl mit Nis geworden,
wenn das Erscheinen des österr.-ungar. Gesandten Grafen Kheven-
hüller im bulgarischen Hauptquartiere nach den Kämpfen bei Pirot
dem Kriege nicht ein Ende gemacht hätte ?
Zajecar sollte zu einem befestigten Lager hergerichtet werden ;
ob es thatsächhch geschehen ist, konnte nicht mit Bestimmtheit
erhoben werden.
Eigenthche, den modernen Anforderungen entsprechende Festungen
besitzt Serbien nicht; weder Belgrad noch Nis könnten als solche
bezeichnet werden.
Auch die Bulgaren besitzen keine modernen Festungen, allein
sie haben es verstanden, sich die Feldbefestigung zu Nutze zu machen.
— 37 —
Zunächst wurden die alten Befestigungen von Sofia — etwa
4 km westlich dieser Stadt ~ ausgebessert, theilweise neue errichtet.
Einen besonderen Ernst scheinen jedoch die Bulgaren diesen Be-
festigungen selbst nicht beigelegt zu haben, so dass es den Anschein
hatte, als ob vor Sofia nur aus dem Grunde gearbeitet worden wäre,
um das eigene Gewissen zu beruhigen.
Gleichzeitig, eigentlich schon im Monate August (siehe Seite 3)
wurde die Befestigung von Slivnica — von den Türken Haikali
genannt — von Ingenieuren in Angriff genommen. Slivnica ist
als Schlüssel des' ganzen Balkan-Plateau's und als das Thor der
bulgarischen Hauptstadt anzusehen , und wurde dementsprechend
auch technisch verstärkt.
In einer Frontausdehnung von 4 bis 5 km beiderseits der
Chaussee mit Versehanzungen, ßedouten und Batterien ausgestattet,
wurde die schon von Natur aus sehr schwer zugänghche Stellung
zu einer Art verschanztem Lager umgestaltet. Im Centrum be-
herrschten drei Hü^el die Ebene auf eine Distanz von mehreren Kilo-
metern; beide Flügel waren durch Redouten, welche die Auf-
stellung von je 12 schweren Geschützen gestatteten, verstärkt, der
rechte überdies durch die sumpfige Niederung des Blato-Baches,
der linke theilweise durch einige Hügel gestützt. Den grössten Theil
der Front endlich deckte das breite Thal des nicht überall dürch-
fuhrtbaren Shvnica-Baches. Allerdings hatte die Position von Slivnica
auch einen Nacbtheil, welcher darin bestand, dass sie von deti Höhen,
welche im Bereiche der serbischen Vorposten auf grössere Geschütz-
distanz der Front gegenüber lagen, dominiert wurden und dass das
Gelände in der linken Flanke, nach dem zwischen Shvnica und Bresnik
sich hinziehenden Visker-Gebirgsrüeken zu, für Infanterie — wenn
auch schwer — so doch überall, für Artillerie meist gangbar war,
demnach den Serben Gelegenheit zu Umgehungen und dominierenden
Flankenangriffen bot.
Aehnlich wie bei Slivnica waren in den Strassen-Defileen bei
Caribrod, Karaula, Dragoman, weiters im Westen und Südwesten
Sofia's, auf der Visker pl. und namentlich bei dem nahen, an der
chaussierten Strasse gelegenen Vladaja, Vertheidigungs-Stellungen und
Strassensperren vorbereitet worden.
Augenzeugen haben in der Anlage der bulgarischen Feld-
befestigungen gelungene Nachbildungen der türkischen Yertheidigungs-
Anlagen von Plevna erkannt. „Es ist unglaublich", heisst es da z. B.,
„welche Massen von Erde hier aufgewühlt worden sind, die Familien-
„ähnhchkeit mit Plevna springt auf den ersten Blick in's Auge. Die-
— 38 —
„selben stark profilierten, theilweise selbst gegen Geschätzfeuer ein-
„geriehteten, oft ein drei- bis vierfaches Etagenfeuer gestattenden
„Schützengräben, welche in grösseren oder kleineren Eedouten Stütz-
„punkte fanden, vorzüglich eingerichtete Geschützaufstellungen mit
„Schutzräumen für die Bedienung, so stellt sich die Befestigung von
„Shvnica als eine vorzügliche Nachahmung der türkischen Befestigungs-
„kunst dar".
Vergleicht man beide Operationspläne miteinander, so charakteri-
sieren sich dieselben in kurzen Worten folgendermassen :
Der serbische Operationsplan ist compliciert, zeigt
überall halbe Massregeln; die offensive Absicht ist
allerdings in demselben enthalten, aber wie durch-
geführt; das politische Ziel schob das geogra fische
Moment in den Vordergrund, in Folge dessen wurde
die Kraft zersplittert und das Hauptoperationsobject:
die Armee kam in den Hintergrund, er steht somit viel-
fach im Widerspruche mit den Hauptprincipien der Kriegführung.
Der bulgarische Operation splan dagegen ist einfach
und sachgemäss; seine Bestimmungen sind zunächst auf
die Concentrierung der gesammten bulgarisch - ostrumelischen
Armee auf einem Punkte zum taktischen Entscheidungsschlage
gerichtet.
;♦:■:■:■;■:■i■:♦:■:■^x^.:♦!■:^joVjg:■:•i■!v;<>^^^^^
;:-.«:i:v:v:*:v:-:v:. ♦:■:■: Xv>!:>;:v.».-:v:v:.»>::v:-::»!!>l:IV:!:-!-!:!*^
^aj. ajsajssjsajyajsajiji^s ^sij^aiJs^eJöiisaJSs e^ej^aie^sxijsx^ssjselisa^ «isej;» •it<sj98jsä|;s(?H^aj;saiö4s2^a&'2)Hs2i^«!SsaJs4s
III.
Die Serben ergreifen die Offensive. — Kämpfe um
Slivnica vom 17. bis 19. November.
Die Serben ergreifen die Offensive.
Serben.
Nachdem die serbische Armee fast vier Wochen lang hart Taf. ii.
an der bulgarischen Grenze aufmarschiert war und eine zuwartende
Stellung beobachtet hatte, ergriff sie endlich nach vorangegangener
Kriegserklärung die Offensive. Gleichzeitig mit der letzteren hatte
König Milan sein Hauptquartier von Nis nach Pirot verlegt und der
Nisava- Armee den Befehl gegeben, den Vormarsch derart anzutreten,
dass die Spitzen der einzelnen Colonnen Samstag den 14. November
6 Uhr Früh auf der ganzen Linie die bulgarische Grenze passieren
können.
Für die beabsichtigte Einnahme von Sofia hatte das serbische
Ober-Commando — in grossen Zügen — nachstehende Disposition
erlassen :
„ Am äussersten rechten Flügel hatte die Morava - Division
„über Trn auf ßresnik zu operieren und den Angriff des Gros auf
„die feindliche Hauptmacht zu unterstützen.
"„Von den im Centrum stehenden drei Divisionen hatten:
V
a. „Die Sumadija-Division von Sukovska Most auf der nach
„Trn fahrenden Strasse vorzugehen, auf der Höhe von Belik (Stol)
„südöstHch abzubiegen^ Direction auf Brusnik und Gaber zunehmen,
„nebstbei eventuell auch auf Trn zu drücken und dadurch der Morava-
„ Division das Debouchieren zu erleichtern;
h. „Die Donau- Division ä cheval der Strasse Pirot-Sofia vor-
„zurücken:
— 40 —
c. „Die Drina-Division, als Beserve bestimmt, im Thale der
„Lukavicka r. aufwärts vorzugehen und die Verbindungen zwischen
„der Sumadija- und der Donau-Division zu erhalten.
„Auf den Hnken Flügel wurde die Cavallerie-Brigade mit 1 In-
„fanterie-ßataillon und 1 Feld-Batterie auf die Strasse von Pirot über
„Krupac, Stanjalci gegen den Ginci-Pass, und zwar „zur Deckung
„der hnken Flanke" disponirt. Weiter wurde auf die nördhche
„Parallel-Oommunication von Pirot gegen den Ginci-Pass 1 Bataillon
„2. Aufgebotes bis Rzane behufs „Beobachtung" detachirt."
Diese Disposition verdankte ihre Entstehung zunächst wohl
nur dem, im vorhergehenden Capitel beleuchteten fehlerhaften
Operations-Plane, der bekanntermassen in erster Linie auf
die Occupation des zur Annection in Aussicht genommenen
Trner - Kreises ausging, und erst in zweiter Linie auf die Be-
kämpfung der feindlichen Armee bedacht war. Mag somit in dem
pohtischen Theile des Operations-Planes ein verzeihlicher, weil be-
greiflicher Fehler unterlaufen sein, so kann für die strategischen
Sünden dieser Disposition, die schon bei ihrer Geburt das Unglück
von Slivnica in ihrem Schosse trug, absolut kein Entschuldigungs-
grund für das serbische Ober-Commando gefunden werden.
" Nach den Nachrichten, die eingelaufen waren, hatte man im
serbischen Hauptquartiere im Wesentlichen ein ziemlich zutreffendes
Bild von der Vertheilung der bulgarisch-ostrumelischen Streitkräfte.
Abgesehen also von der zunächst in's Auge gefassten Occupation eines
möglichst grossen Theiles des Trner-Kreises, zeigt die grundlegende
Absicht der eben citierten Disposition die Idee : den strategischen
Angriff mit einer einfachen Umgehung einzuleiten;
hiebei sollte die Haupt- Armee die Frontgruppe, die 1. (Morava-) Division
die Flankengruppe bilden. Ohne der Idee der einfachen strategischen
Umgehung des bulgarischen linken Flügels das Wort reden zu wollen,
muss immerhin zugegeben w^erden, dass die strategische Aufstellung
der serbischen Nisava-Armee den an die einfache Umgehung zu
stellenden Bedingungen entsprach; denn, bei exacter, schneller
und stricter Durchführung der Operationen konnte man
wenigstens hoffen:
1. Die bulgarische Armee vor Slivnica zum Schlage gegen
doppelte Ueberlegenheit zu zwingen (am 16. November hätten die
3 serbischen Divisionen kaum mehr als 1 bulgarische Division au-
getroöen) ;
— 41 —
2. die bulgarische Armee von ihren Verbindungen mit Sofia
und Ostrumelien abzudrängen und nach Norden in den Balkan zu
werfen.
Bekanntermassen liegt das Schwächemoment einer jeden Um-
gehung — insolange dieselbe sich nicht geltend macht — im Pivot
derselben. Letzteres muss somit durch den Raum, oder durch die
innehabende Kraft oder endlich, durch eine entsprechende Com-
bination von Raum und Kraft gesichert werden.
Der Bedingung des Raumes wäre leicht zu entsprechen
gewesen, wenn die Morara-Division einen Vorsprung von Einem
Tagmarsche erhalten hätte, was umsoleichter durchführbar gewesen
wäre, wenn das serbische Ober-Commando einen „Freitag" nicht
als einen „Unglücks tag" angesehen, sondern den von den Bulgaren
auf die Serben am Freitag den 18. November ausgeführten üeber-
fall bei Dascani kladenac, Vlasina sofort mit der Kriegserklärung
beantwortet und der Morava - Division den Befehl ertheilt hätte,
nach Bulgarien einzurücken, statt — wie es thatsächlich geschehen
— diese Division, überhaupt alle Colonnen die Grenze erst um 6 Uhr
Früh am 14. November überschreiten zu lassen. Für den rechten
Flügel war hiedurch ein Tag verloren, ein Tag mar seh ver-
säumt, was an der Niederlage bei Slivnica, nebst dem Munitions-
mangel wohl auch seinen Theil hatte. — Der Bedingung der
Kraft war entsprochen, durch, die numerische üeberlegenheit der
bei Pirot concentrierten serbischen Kräfte (27.000 Mann) über die
bis zum 16. November bei Slivnica concentrierte bulgarische Macht
(10.000 Mann).
Beurtheilt man weiters die Aufgaben, die sich das serbische
Ober-Commando gestellt hatte, so ergeben sich gleichsam von selbst
die Directiven für die Kräfte-Gruppierung bei der Offensive, u. zw. :
1. Vorwerfen der Cavallerie-Brigade zur näheren Aufklärung
über die Verhältnisse beim Gegner; wenn es etwa — mit Rücksicht
auf das zu durchziehende Terrain — nicht besser gewesen wäre, sich
zu diesem Zwecke blos der bei den Divisionen eingetheilten Cavallerie
zu bedienen und das Gros der Cavallerie an der Queue der Haupt-
colonne einzutheilen , um sie für die voraussiehthche Action in der
Ebene bei Sofia zur Hand zu haben. Dieser Forderung wurde nicht
entsprochen, da die Cavallerie zu einer speciellen Aufgabe und in ein
Terrain disponiert war, wo nur Infanterie mit einigen Gebirgsgeschützen
und etlichen Ordonnanzreitern auf die Dauer mit Erfolg zu verwenden
gewesen wäre.
- 42 —
2. Die Divisionen müssen gefechtsbereit vorrüeken ; daher wo
es nöthig, Theilung in Oolonnen, jedoch derart, dass dieselben zu-
versichtlich sich gegenseitig zu unterstützen vermögen und rasch zum
Gefechte entwickeln können. Wollte also das serbische Ober-Commando
absolut mehrere Oolonnen formieren, so hätte hiezu — wenn man
sich die kleinen serbischen Divisionen vergegenwärtigt^ deren ver-
einte Bewegung auf einer Strasse vom marschtechnischen Stand-
punkte gewiss keinen Schwierigkeiten unterliegen konnte — von der
Einmündung der Lukavicka in die Nisava eine Theilung in 2 Oolon-
nen vollkommen genügt; u. zw. auf der Ohaussee 2 bis 2V2 Divisionen,
im Lukavicka-Thale aufwärts über Visan, Tabani, Solince, Vladimirovce
V2 Division mit Gebirgsartillerie. Zur Sicherung der rechten Flanke,
beziehungsweise des Eückens über Banjski Dol, hätte bis zur her-
gestellten Verbindung mit der Morava-Division ein kleines Detachement
genügt, welches dann sofort wieder zur Hauptcolonne einzurücken
gehabt hätte.
Statt nun in der eben skizzierten einfachen, dafür aber
sicheren Weise eine Theilung in 2 Oolonnen vorzunehmen, hatte
das serbische Ober-Ooramando alle Divisionen fächerartig aus-
einander und in die erste Linie vorgezogen, so, dass schon am
2. Operationstage, dem 15. November — da die Drina-Division beordet
worden war, die Verbindung zwischen der Donau-Division auf der
V
Pirot-Sofia-Strasse und der Sumadija- Division auf der Pirot-Trner-
Strasse zu erhalten — keine Ghederhng in die Tiefe mehr existierte.
Die drei Divisionen der Hauptarmee standen schon an diesem Tage in
einer Ausdehnung von circa 20 km Lufthnie (Karaula - Visan - Vrapce-
Trn) demnach, bei Berücksichtigung des Terrains, eine Vereinigung
derselben gegen die, den linken Flügel bildende Donau- Division zum
taktischen Schlage, nicht mehr möghch war. Noch missUcher musste
sich natürlich die Ausdehnung der Armeefront (Stanjalci-Karaula-
Visan-Vrapce-Trn- Turekovci) gestalten ; sie betrug bereits über 40 km
Luftlinie.
3. Der Gegner sollte vorwärts Sofia zum schlagen gezwungen
und — wenn möglich — vernichtet werden ; Schwergewicht demnach
auf denjenigen Flügel, von welchem aus dem Feinde das Ausweichen
am nachtheiligsten verhindert werden kann. — Die getroffenen
Dispositionen entsprachen dieser Forderung allerdings in einem nur
zu überreichen Masse ; bekanntermassen hatte das serbische Ober-
Oommando auf den rechten Flügel der Armee schon am 2. Operations-
tage 3 Divisionen (Morawa-, Sumadija- und Drina-Division), also
drei Viertel seiner Gesammtkraft, aber in einer Weise disponiert.
— 43 —
dass diese Divisionen sieh untereinander nicht unterstützten, demnach
auch einen vereinten und überwältigenden Druck auf den
bulgarischen linken Flügel nicht in Scene setzen konnten. Dagegen
war das sogenannte „Centrum" — die Donau-Division — den Bul-
garen förmlich geopfert.
4. Musste die serbische Oberleitung mit Bestimmtheit darauf
rechnen, dass das bulgarische Hauptquartier bestrebt sein werde, mit
Zuhilfenahme aller nur denkbaren Beschleunigungsmitteln, die bul-
garisch-ostrumehsche Armee noch zeitgerecht vorwärts Sofia zum
taktischen Entscheidungsschlage zu concentrieren. Unter solchen
Verhältnissen war Schnelligkeit, wenn möghch LI eberrasch-
ung bei der Durchführung der beabsichtigten Operationen gewiss
von hohem Werthe, weil jeder Tag, ja jede Stunde, den bei Süvnica
stehenden bulgarischen Kräften, Verstärkungen brachte. Von der
serbischen Grenze bis Slivnica sind es etwa 34 km. Wenn man
selbst das Gefecht bei Caribrod und bei Karaula berücksichtigt, so
hätte die serbische Armee immer noch am 16. November mittags
zum Angriife auf Slivnica schreiten können. 34 Kilometer während
zweier Marsch- und kleiner Gefechtstage — am 14. und 15. No-
vember — und einem kleinen Angriffs mar sc he — am 16. November
— auf Slivnica, wären wahrlich keine besonderen Marschleistungen
gewesen. Dementgegen hat die Nisava-Ärmee nur ganz kleine Märsche
gemacht. Ihre Front stand am Abende des 14. November in der
Linie Caribrod *)-Corin Dol - Banjski Dol, die einzelnen Divisionen
hatten somit kaum 7 bis 9 Kilometer zurückgelegt; am Abende des
15. November war die Linie Karaula-Visan-Vrapce-Trn erreicht,
somit auch an diesem Tage nach vorwärts kaum 10 bis 16 km Eaum
gewonnen; am Abende des 16. November endlich gelangte die
Front der Haupt -Armee in die Linie Dragoman - Sohnce - Brusnik,
in der eigentlichen Marschrichtung waren somit abermals kaum
etliche 7 bis 8 km hinterlegt, und doch waren die auf Umgehungen
ausgesandten Divisionen phisisch so gut wie „ausgepumpt".
Die Schuld von all' dem fällt wohl auch hier dem serbischen
Ober-Commando zur Last. Statt nämhch die Divisionen — wenigstens
die Sumadija und Drina — auf der Haupt-Comraunication zu belassen,
hatte man ihnen ganz nutz- und zwecklos Marschlinien ange-
wiesen, auf welchen sie furchtbare Marschschwierigkeiten zu bewältigen
hatten. Sie mussten ressourcenarme Waldgebirge von 700 bis 1.200
Meter Höhe durch mehrere Tage passieren. Winternebel, Schnee und
*) Die Donau-Division unter dem Commando des Generals Jovanovic überschritt die
Grenze statt in der Früh, erst um 2 Uhr Nachmittags.
— 44 —
Regen durchweichten . den Boden der schlechten Waldwege, die berg-
auf und bergab ziehen, derart, dass die Truppen das Gewehr als
Bergstock benützend und mit schweren Sack und Pack daherkeuchend
bis zu den Knien in Schnee watteten oder bis zu den Waden im
Moraste versanken, während der eiskalte Wind über die leblosen,
winterstarren Berghänge heulte und der müden einhermarschierenden
Mannschaft die Finger erstarren machte. EndUch müssen bei diesen
j Marchleistungen noch die endlos langen Nächte in Anschlag gebracht
i werden, die weder das Fortkommen von Menschen und Thieren auf
dem ungebahnten nassen Boden gestatteten, noch auch der ermatteten
im Regen und Schnee unter freiem Himmel campierenden Truppe,
irgend eine Erholung gewährten. — Kann man sich unter solchen
Verhältnissen wundern, wenn die Umgehungs-Oolonnen — und
darauf scheint ja das Ober-Oommando mit Sicherheit gerechnet zu
haben, den durch Manöver sollte der Feind zurückgeworfen werden
— nicht rechtzeitig zum Angriffe auf Slivnica eintrafen*?!
Bulgaren.
Taf. II. Es war eine bedenkliche militärische Situation, in der Fürst
Alexander und seine Armee im Augenblicke der serbischen Kriegs-
erklärung sich befunden haben, und, bei der Initiative, mit der König
Milan die Gunst seiner militärischen Situation für die Operationen
auszunützen bestrebt schien — mögen die Tage vom 14. bis 17.
November dem Fürsten wohl wie eine Ewigkeit geschienen haben;
schon deshalb, weil heute, wo die Entschlossenheit, Kühnheit und
Thatkraft des Fürsten so glänzende Proben abgelegt hat, man mit
Bestimmtheit sagen kann : Fürst Alexander hätte, wäre die militärisch
günstige Situation bei der Kriegserklärung auf seiner Seite gewesen,
dieselbe gewiss in ganz anderer Weise ausgenützt. Das Loos, das alle
Welt bei Beginn des Krieges der bulgarischen Armee prophezeiht
hatte, wäre ihr — hätte der serbische Generalstab seine Sache richtig
aufgefasst — ^wohl nicht erspart geblieben.
Von Haus aus strategisch auf die Defensive gewiesen, mussten
alle Handlungen des Fürsten auf Zeit g e wi n n berechnet sein; denn
nur, wenn es ihm, vom Momente der Kriegserklärung an gerechnet,
gelang, den taktischen Entscheidungsschlag um 4 bis 5 Tage hinaus-
zuschieben, konnte er hoffen in diesen mit ebenbürtigen Kräften
einzutreten. Und es war ihm thatsächlich gelungen; allerdings hatte
jedoch der Fürst diesen Erfolg, nebst seinen persönlichen Eigen-
schaften, den Fehlern seines Gegners zu verdanken.
- 45 —
Mit welcher Freude mag man im fürstlichen Hauptquartiere die
Nachricht vernommen haben, dass drei Viertel der serbischen Nisava-
Armee sich im pfad- und ressourcenlosen Wald- und Karstgebirge des
Trner- Kreises umhertreibe. Mit jedem Schritte, welchen die feindliche
Armee gegen die Grloska pl., Visker pl., Lünlün pl., und den Vitos
vorwärts machte, in denen sie sich verwickeln musste, gewann die
numerisch täglich stärker werdende bulgarische Armee offenbar an
Vortheilen über jene Truppen des Gegners — es war dies nur die
Donau-Division — die sich auf der Chaussee Caribrod-Dragoman
gegen Slivnica heran bewegten ; die Aussicht, diese einzelne Division
anzufallen und mit relativer üeberlegenheit zu schlagen, ward dadurch
eine immer wahrscheinlichere.
Ohne des Näheren in die Schilderung der kleinen Gefechte
bei Odorovci und Gulenovci, Caribrod und Banjski Dol am 14. No-
vember, — bei Stanjalci und Razbojste, bei Karaula und Trn am
15. November, — einzugehen, die übrigens serbischerseits strategisch
auch ganz belanglos waren, sei nur erwähnt, dass Fürst Alexander, als er
am Abende des 16. November im Lager von SUvnica eintraf, das Gros
seiner Armee, etwa 15.000 Mann, in einer technisch vorzüglich ver-
stärkten Stellung antraf, der gegenüber - wie ihm berichtet wurde
— die serbische Armee (wie man es jetzt weiss, war dies allerdings
nur die Donau-Division allein) vom Dragoman- Passe herabsteigend,
an diesem Tage nicht zum Angriffe geschritten, sondern — und dies
musste für Alexander von grosser Bedeutung sein — in einer Ent-
fernung von etwa 5 km vor den Befestigungen Halt gemacht hatte.
Auch die Zuversicht der Armee und des ganzen Landes war
durch den der Landeshauptstadt drohenden concentrischen Vormarsch
der serbischen Oolonnen nicht erschüttert ; der moralische Gehalt
seines Heeres hatte durch die bisherigen Kückzugsgefechte, in welchen
die Serben stets eine kolossale Uebermacht entwickelten, nicht ge-
litten. Wusste man doch in der ganzen Armee, dass der Zweck
dieser kleinen Rückzugsgefechte : Zeitgewinn war. Und dieser Zweck
wurde vollkommen erreicht, weil es inzwischen dem bulgarischen
Hauptquartiere gelungen war, die bei Shvnica stehenden Kräfte
durch die täglich, ja stündlich aus Ostrumelien und dem Norden von
Bulgarien eintreffenden frischen Truppen ansehnUch zu verstärken.
Kämpfe um Slivnica von 17. bis 19. November.
Die strategische Beurtheilung dieser Kämpfe lässt sich am ein- Taf. ii.
fachsten in folgenden Hauptpunkten zusammenfassen :
1. Die strategische Einleitung und Zweck.
2. Das beiderseitige Kräfte-Verhältniss.
— 46 —
3. Die Form des strategischen Angriifes.
4. Die Angriffs-Eichtung.
5. Der Erfolg.
ad 1. Qeber die strategische Einleitung wurde bereits in der
ersten Hälfte dieses Kapitels zum grösseren Theile gesprochen ; es
bedarf somit nur mehr einiger kurzer Ergänzungen.
Wie schon erwähnt, hatte auf serbischer Seite die Armee-
front am Abende des 2. Operationstages — dem 15. November —
eine Ausdehnung von weit über 40 km erreicht. In Folge dessen
sah sich das Ober-Oommando genöthigt, die sieh noch mehr aus-
einanderziehende Armeefront dadurch einigermassen zu kürzen, dass
sie den Unken Flügel einzog, die Cavallerie- Brigade also von der
Strasse Pirot-Stanjalci-Ginci-Pass zum Centrum auf der Strasse Pirot-
Sofia, bei Dragoman beorderte. Hiedurch wurde allerdings die Armee-
front um einige Kilometer kürzer gemacht, aber die strategisch ver-
fehlte Disponierung der Cavallerie-Brigade seitens der Armeeleitung
blieb wesentlich dieselbe, da sie abermals nicht vor die Armeefront
zum Aufklärungsdienste, sondern wieder in's Gebirge, ja sogar hinter
den linken Flügel gezogen worden war. Wie gleich des Näheren
erwähnt werden soll, hatte die Nisava- Armee am 17. November Rast-
tag zu halten. Um so noth wendiger wären schon am Vortage, dem
16. November, ausgreifende Recognoscierungen gewesen; geradezu
peremptorisch geboten waren sie jedoch am 17. November. Der Rast-
tag wurde indessen auch auf die Cavallerie-Brigade ausgedehnt, so
dass gerade das Gegentheil von dem geschah, was geschehen hätte
sollen. Da überdies die Cavallerie - Brigade vom 16. auf
den 17. November, ja selbst am Vormittage dieses letzteren Tages
bei Golemo Malovo nicht weniger als 15 km hinter dem Hnken
Flügel der Nisava-Armee stand, so ist es ja leicht erkläiHch, dass
der Gegner auf seinem rechten Flügel sich massieren und den linken
Flügel der Donau-Division umgehen konnte, ohne von derselben
früher bemerkt zu werden, als bis er sie mit überlegenen Kräften
in ihrer linken Flanke anfiel.
Erwägt man weiters, dass das serbische Ober-Commando sich
mit der beinahe ohne Kampf erfolgten Besetzung des Dragoman-
Passes durch die schwache Donau-Division nicht begnügte und die-
selbe — statt südöstlich von Dragoman eine technisch möglichst zu
verstärkende Defensiv-Stellung zu beziehen, — bis auf die Höhe
Tri Usi vormarschieren Hess, so muss man zugeben, „dass dies" —
wie Herr J. Lukes in seinen kritischen Schilderungen sagt: „den
— 47 --
„Feind förmlich provocierte, von dem Vortheile seiner relativen
„üeberlegenheit Gebrauch zu machen und über die schwächere
„Donau-Division herzufallen".
„Am Nachmittage des 3. Operationstages — dem 16. November —
„sagt Herr Lukes weiter: „fand sich König Milan bei der Drina-
V
„Division nächst Solince (Balja) und jenen Theilen der Sumadija-
„ Division bei Gaber ein, welche nicht bei Trn engagiert waren, und
„hielt einen Kriegsrath ab, welchem, mit Ausnahme des Comman-
„danten der Morava-Division, der im Marsche auf Breznik begriffen
„war, sämmtliche übrigen Ünter-Commandanten anwohnten. Dieser
„Kriegsrath beschloss, dass Slivnica am 17. — dem 4. Operationstage —
„angegriffen werden solle. Der Commandant der Sumadija-Division,
„Oberst Benicky, sprach sich jedoch in der entschiedensten Weise
„dagegen aus. Sämmtliche Armeetheile hatten drei Marsch- und Ge-
V
„fechtstage hinter sich; Theile der Sumadija-Division waren überdies
„von Trn, wo sie die Morava-Division im Debouchieren unterstützt
„hatten, noch nicht zum Gros der ersteren eingerückt. Oberst Benicky
„drang daher darauf, dass erst am 18. angegriffen, am 17. aber g e-
„r astet, r alliiert und recognosciert werde. Der König pflichtete
„schhesslich dem Obersten Benicky bei. Es wurden für den 17. Re-
„cognoscierungen angeordnet, überdies die Cavallerie auf den linken
„Flügel der Donau-Division disponiert und nebstbei das Hauptquartier
„von Pirot nach Caribrod verlegt."
Mit dem „Rasttaghalten" hat es nun im Kriege, sobald einmal
die beiden Armeen sich auf Kampfesweite gegenüberstehen, aller-
dings seine eigene Bewandtnis, Man vergiesst zumeist, dass der
Gegner da auch etwas mitzureden hat und gerade in den meisten
Fällen den Rasttag nicht acceptiren will. Die Kriegsgeschichte
weist auf gar viele ähnüche Fälle hin. So war es beispielsweise im
Jahre 1866 auch die Absicht des Commandanten der österreichischen
Nord-Armee gewesen: „der Armee", — wie er dies in dem am
2. Juli um 12 Uhr Mittags gehaltenen . Kriegsrathe sagte — „in der
„von ihr eingenommenen 8telhing Ruhe zu gönnen"; — merkwürdiger-
weise wollten aber die Preussen keinen Rasttag halten.
Fasst ganz dieselben Verhältnisse zeigen die Bulgaren am
17. November. Nachdem der Fürst bis 10 Uhr Vormittags auf den
Angriff der Serben gewartet hatte und dieser nicht erfolgte, ordnete
er einen Verstoss vom rechten Flügel aus an, — um „über die
Stärkevertheilung der Serben Zuverlässiges zu erfahren", — der,
durch das Nebelwetter begünstigt, über Malo Malovo ausgeführt,
vorzüglich gelang, den linken Fh'igel der serbischen Donau-Division
- 48 -^
vollkommen überraschte und in Unordnung zurückwarf. Wären 3 oder
wenigstens 2^/2 serbische Divisionen ä cheval der Chaussee gestanden,
es hätte wahrlich keines Easttages bedurft, um die Bulgaren total
zu schlagen. Aber auch mit den für diesen Tag angeordneten Re-
cognoscierungen hatte es seine eigenthümlichen Wege. Nach der
Lage der Dinge fielen diese zunächst, der vom Feinde etwa nur
5 hm entfernten Donau-Division und selbstverständlich auch der
Cavallerie - Brigade zu, und doch hatte weder diese noch jene
bis 10 Uhr vormittags etwas gethan. Ueberhaupt wurden dem
Comraandanten der ersteren, General Jovanovic, nicht nur grobe
Fehler in der Triippenführung, sondern auch eine an's Unglaubliche
grenzende Fahrlässigkeit in der Handhabung des Sicherheitsdienstes
zur Last gelegt; ja selbst der sonst sehr tüchtige Commandant der
Cavallerie-Brigade, Oberst Praporcetovic, war dem am 16. November
erhaltenen Befehle, am 17. November an den linken Flügel der Donau-
Division vorzumarschieren und eine Recognoscirung vorzunehmen,
nicht nachgekommen. Wie die Thatsachen zeigen, war es auch bei
der Cavallerie-Brigade so weit gekommen, dass selbst die für den
„Zustand der Ruhe" im Felddienste vorgeschriebenen einfachsten
Sicherheitsmassregeln nicht gehandhabt wurden, denn nur so lässt
es sich erklären;, dass plötzlich Gewehr- und Geschützprojectile in
das Lager derselben einschlugen, ohne dass das Anrücken des Feindes
von irgend einer Seite gemeldet worden wäre,
Ueber den Zweck des Kampfes wurde schon gesagt, dass
derselbe serbischerseits in der Niederwerfung der bulgarischen
Armee und der Einnahme von Sofia, — bulgari sc hersei ts aber
darin bestand, die weitere Offensive der Serben zum Stillstande zu
bringen, die Vereinigung der ausser aller Verbindung marschierenden
serbischen Colonnen zu vereiteln und — die relative Ueberlegenheit
ausnützend — die auf der Chaussee diesseits des Dragoman-Passes
stehende nächste Gruppe zu schlagen.
ad 2. Es standen am 17. November um 10 Uhr Vormittags:
a. Von den Serben: 1. Die Donau-Division (zählte nur
9 Bataillone) und die Cavallerie-Brigade auf Tri Usi, beziehungsweise
Golemo Malovo: in Summe an Streitbaren kaum 7.000 Mann Fuss-
truppen, 1.200 Reiter und 30 Geschütze;
2. Die Drina-Division bei Vladimirovce ; 7.500 Mann Fuss-
truppen, 200 Reiter, 24 Geschütze;
V
3. Die halbe Sumadija- Division bei Gaber; 4.000 Mann Fuss-
truppen, 100 Reiter, 12 Geschütze;
— 49 --
Zieht man die Entfernungen in Betracht, auf welche diese
Divisionen yom Gefechtsfelde standen, so zeigt es sich, dass auf dem-
selben unbedingt alle erscheinen konnten; selbst abgesehen
davon, dass an diesem Tage Rasttag gehalten Avurde. Thatsächlich
nahmen am Kampfe nur die sub 1. und 2. genannten Divisionen
theil, und die sub 2 genannte auch erst von 11 Uhr 30 Minuten
Mittags; die Sumadija-Division aber ohne Rücksicht auf das „marcher
au canon" blieb selbst mit den schon am Abende des 16. November
bei Gaber eingetroffenen Theilen ruhig im Lager stehen, unbeküm-
mert um den sich bei Slivnica entsponnenen Kampf.
h. Von den Bulgaren-Ostrumelier n etwa 18.000 Mann
Fusstruppen, 400 Reiter und 48 Geschütze. Hievon ergriffen die
Offensive gegen die sub 1 der Serben genannten Kräfte etwa 12.000
Mann Fusstruppen, 400 Reiter und 12 Geschütze, während der Rest
zur Abwehr eines Angriffes in der Hauptstellung verblieb.
Vergleicht man nun die gegenseitig in Action gebrachten Massen,
so zeigt sich, dass die zum Offensivstosse verwendeten bulgari-
schen Kräfte der serbischen Donau-Division von Haus aus so ent-
schieden überlegen waren, dass an ein Aufhalten derselben
nicht zu denken war; überdies musste die Cavallerie- Brigade schon
aus dem Umstände von Golemo Malovo nach Dragoman zurück-
gehen, weil sich bei ihr der fatale Munitionsmangel zuerst
fühlbar machte.
Die zur Defensive in der Hauptstellung rückgelassenen Streit-
kräfte — 6.000 Mann Fusstruppen, 36 Geschütze — genügten voll-
kommen, um den, wie bekannt, nur von der Drina- Division ausge-
führten Angriff abzuweisen.
Am 18. und 19. November schlug das nummerische Kräfte ver-
hältniss entschieden zu Gunsten der Bulgaren um, den während
jenes der 3 serbischen Divisionen kaum 19.000 Mann Fusstruppen
betragen hatte, führten die Bulgaren deren allein über 32.000 bis
35.000 Mann in's Feuer.
Von der Morava-Division der Serben war weder am 18. noch
am 19. November irgend ein erheblicher Theil vor Slivnica erschienen.
Diese Division war trotz ihrer Siege bei Trn und Bresnik für die
entscheidenden Kämpfe so gut wie gar nicht vorhanden.
ad 3. Was die Form betrifft, so soll die Tendenz eines stra-
tegischen Angriffes in der Schlacht taktisch zum Ausdruck kommen.
Die Aufgabe, die sich das serbische Ober-Commando gestellt
hatte, war : die bulgarische Haupt-Armee bei Slivnica in ihrer linken
Flanke zu umgehen und von Sofia abzudrängen. Dies erforderte vor
4
— 50 —
AJlem : verhindern, dass die bei Slivniea stehenden bulgarischen
Kräfte auf der Hanptlinie selbst zur Offensive schreiten, demnach
entsprechend Star ke Fron tgruppe und entsprechend starker
Druck auf die linke F'lanke. Dem entgegen hessen die Serben
ihre Frontgruppe — weil numerisch viel zu schwach — über den
Haufen rennen und die Divisionen der Flankengruppe, auf 3 diver-
gierenden Linien vorgehend, waren nicht im Stande, sich gegenseitig
zu unterstützen, griffen demnach entweder gar nicht oder nur ver-
einzelt an. Was natürhcher, als dass im entscheidenden Momente
der wuchtige Stoss in des Gegners Flanke *) fehlte, selbst abgesehen
davon, dass die auf abenteuerliche Umgehungen ausgesandte Suraadija-
und Morava-Division zwecklos enormen Strapazen und Menschen-
opfern ausgesetzt waren Wie ganz anders hätten sich die Gefechte
bei SJivnica schon am 17. November gestalten müssen, wenn ~
wie wiederholt betont — die Serben dort die inzwischen in der
Berg- und Waldwildnis nutzlos umherirrenden 2 Divisionen , die
zusammen etwa 16.000 Oombattanten zählten, zur Hand gehabt hätten !
• Das Streben des bulgarischen Hauptquartiers musste
darauf gerichtet sein, durch einen wuchtigen Angritf auf den ser-
bischen hnken Flügel, hinter welchem die Rückzugslinie nach Pirot
lag, den Gegner von derselben,, also von der Chaussee, abzudrängen,
in die Visker pl. zu werfen, somit in den Besitz der serbischen
ßückzugslinie zu gelangen. Thatsächhch wurden auch alle von den
Bulgaren während der dreitägigen Kämpfe um Slivniea ausgeführten
Offensivstösse gegen den Hnken serbischen Flügel geführt.
ad 4. Die einfache strategische Umgehung des bulgarischen
linken Flügels musste serbischerseits in der Schlacht selbst
durch den taktischen Schlag gegen den feindlichen linken Flügel
zu Ende geführt werden, somit in einen Flankenangriff auslaufen.
Am 14. November wird von den Serben der strategische
Angriff durch die Morava-, Sumadija- und Drina-Division — am
17. November, dem 1. Schlachttag selbst, nur mehr durch die
V
Sumadija- und Drina-Division — eingeleitet; zum wirklichen, d. i. zum
taktischen Flankenangriffe aber geht nur mehr Eine Division (die
Drina-Division) über. Es wurde somit statt dem Maximum der
Kraft in der entscheidenden Richtung nur das Minimum eingesetzt.
*) Es ist hier am Platze, eines bekannt gewordenen Bon-mot des serbischen Generalstabs-
Chefs des General Petrovic Erwähnung zu thun. Als am 17. November der Hauptmann vom
(ieneralstabe, Nesic, die Meldung brachte, die Rückzugslinie des linken Flügels sei bedroht, befragte
der König sofort den Chef des Generalstobes um seinen Rath, worauf derselbe folgende seltsame
Antwort gegeben haben soll: »Greift der Bulgare unseren linken Flügel an, so werden wir
seinen linken Flügel anj" reifen.«
^ 51 —
Am 18. November wurde, als ob inzwischen nichts vorgefallen
wäre, der am 16. im Kriegsrathe beschlossene Angriff auf SHvnica
von der Drina- und Sumadija-Division u. zw. auf den linken Flügel
der Bulgaren, unternommen. Die Frontgruppe — Donau-Division —
war aber in der linken Flanke und im Eücken bereits sehr stark
bedroht, hatte überdies immense Verlaste, htt endhch schon derart an
Munitionsmangel, dass sie gegen den Dragoman-Pass retirieren,
und die beiden anderen Divisionen sich selbst überlassen musste.
V
Am 19. November endlich musste auch die Sumadija- und die
Drina-Division nach einem ernsten aber fruchtlosen Versuche, sich
zu halten, ebenfalls den Rückzug antreten.
Am 19. November, wenn schon nicht theil weise am 18. war
somit die Idee der strategischen Angriffs richtun g
aufgegeben; es kann somit eigentlich nur von einzelnen von den
zwei Divisionen der Flankengruppe ohne Zusammenhang ausgeführten
„Verzweiflungsversuchen" die Eede sein.
ßulgarischerseits musste das Streben dahin gerichtet
sein, die Trennung beim Gegner auszubeuten, demnach unter Aus-
nützung der relativen Üeberlegenheit, (}ie Vertheidigung
möglichst activ zu führen, somit jeden Schwäehemoment des
Gegners auszunützen.
Wie schon erwähnt, standen am Vormittage des 17. November
vom Gegner nur etwa 7.000 Mann Fusstruppen, 1.200 Reiter und
30 Geschütze zwischen Tri üsi und Golemo Malovo. Dies war der
grösste Schwächemoment für die Serben, — der
günstigste Moment für die Bulgaren zum Ergreifen der
Offensive. In vollkommen richtiger Weise wurden diese Verhältnisse,
bei Zugrundelegung der strategischen Angriffsrichtung vom Fürsten
Alexander nicht nur gewürdigt, sondern auch correct durchgeführt,
und — da der Erfolg dieser richtig erkannten Offensive schon am
17. November nicht fehlte — dieselbe auch am 18. und 19. No-
vember neuerdings in derselben Richtung vorgetrieben.
a d 5. Die Serben treten den Rückzug an ; die von ihnen
eingeleitete einfache strategische Umgehung war total misslungen.
Auf bulgarischer Seite war der Erfolg ein durchschla-
gender. Die bulgarische Hauptstadt war gerettet ; die serbischen
Divisionen mussten auf allen Linien den Rückzug antreten und dieser
hätte,- — da er am 19. November den Serben eigentlich verlegt
war, — zu einer Katastrophe führen müssen, wenn nicht die
beschränkte Offensivfähigkeit der Bulgaren die Serben gerettet hätte.
4*
^ 52 —
Ohne Munition, war die serbische Armee, wenn die bulgarische
am 19. November oder längstens am 20. November energisch vor-
gestossen wäre, dem Untergange geweiht.
Gross waren die Opfer dieses dreitägigen Ringens; den Serben
hatten dieselben etwa 3.500 Mann an Todten und Verwundeten und
etwa 500 Mann an Gefangenen, also nahe IT^/o, — den Bulgaren
dagegen kaum 800 Mann an Todten und Verwundeten, also nicht
ganz 4V2V0 ^^^ Gefechtsstandes gekostet.
05
ßj I _ _
IV.
Unmittelbare Folgen der von den Bulgaren
errungenen Siege bei Slivnica. —
Schlacht bei Pirot am 26. und 27, November.
Unmittelbare Folgen der von den Bulgaren errungenen Siege bei
Slivnica.
Serben.
Der unglückliche Ausgang der vor Slivnica gelieferten Kämpfe Taf. ii.
wirkte zunächst höchst deprimierend auf König Milan und alle Jene,
die ihn in diesen schweren Tagen zu berathen und zu unterstützen
hatten. — Drei Divisionen waren einzeln geschlagen und zum Rück-
zuge gedrängt worden ; was aber .jedenfalls vereinzelt in der Kriegs-
geschichte dasteht: sie hatten sich verschossen, Ersatz an Muni-
tion fehlte, — sie waren somit im vollsten Sinne des Wortes
kampfunfähig. Die strategische Situation für die Serben war somit
höchst ungünstig ; nicht nur die Vorsicht, sondern auch das
eiserne Gesetz des Gegners zwang sie zur Defensive. Diese letztere
aber verlangte den Eückzug in die Heimat respective die endliche
Vereinigung der auseinander gekommenen Theile der Nisava-Armee,
Der Rückzug kann — bekanntermassen — ein freiwilliger
sein, u zw. vor Beginn der Schlacht, überhaupt vor Eintritt der Ent-
scheidung, oder ein erzwungener nach verlorener Schlacht. Es
bedarf wohl keiner weiteren Beweisführung, dass die Serben zum
Rückzuge gezwungen waren. Vom strategischen Standpunkte wäre
der Rückzug mit Bezug auf folgende Punkte zu beurtheilen :
a. den zu erreichenden Endpunkt;
b. die Gruppierung der Kräfte ;
c. die allgemeine Richtung, und
d. den Zeitpunkt.
— 54 —
ad a. Der nächste grosse Terrainabschnitt, wo die Serben
hofl'en durften, sich mit Aussicht auf Erfolg vorläufig behaupten zu
können, war die Morava-Linie bei und um Nis. Sie entsprach voll-
kommen den Anforderungen, welche die Theorie an das Ziel nach
einem erzwungenen Kückzuge stellt. Sie war nicht zu weit aber
doch genügend entfernt, um sich der feindlichen Machtsphäre zu
entziehen und bot die MögUchkeit, die Armee an derselben wieder
zu retablieren und Verstärkungen aus dem Innern an sich zu ziehen.
Allerdings wären die Verhältnisse noch bedeutend günstiger gewesen,
wenn die Morava als ,,Vertheidigungs-Linie" technisch verstärkt
und hergerichtet, überhaupt ein ,,Vertheidigungs-Raum'' — wie dies
im Capitel II, Seite 36 erwähnt wurde — an derselben geschaffen
worden wäre. Eine besondere Wichtigkeit hätte aber Nis als Ziel
des Rückzuges dadurch erhalten, dass Fürst Alexander dann zu
einer Theilung seiner Streitkräfte gezwungen worden wäre. Während
nähmlich wahrscheinlicherweise das bulgarische Gros über die
Bjelava pl. gegen die untere Nisava, beziehungsweise über Ponor
und Bela Palanka gegen Nis vorgegangen wäre, dürfte ein zweiter
Heerestheil zum Schutze der rechten Flanke der Hauptcolonne und
der Verbindung mit Pirot die Directive über die Babina Glava gegen
das obere Timok-Thal, beziehungsweise von Pirot über Temska,
Knjazevac erhalten haben. Dazu bietet die wohlbebaute und dicht-
bevölkerte Umgebung von Knjazevac. wie überhaupt das ganze frucht-
bare Timok-Thal einen so guten Ausgangspunkt zn Operationen gegen
Flanke und Rücken einer von Pirot über Bela Palanka auf Nis vor-
rückenden Armee, dass die Serben entweder von irgend einem
Punkte aus die Vortheile dieser Flankenstellung ausgenützt haben
würden, oder aber in der Lage gewesen wären, die auf der Chaussee
vorgehenden Heerestheile bei ihren Debouchieren aus dem Gebirge
vorwärts Nis mit relativer üeberlegenheit anzufallen. Es muss endlich
noch dahingestellt bleiben, ob die bulgarische Armee bei einem
Manövrieren auf zwei Operations-Linien, bei der damit wachsenden
Ausdehnung des Operations-Raumes, endHch den sonstigen unver-
meidlichen Reibungen und Schwierigkeiten, sich auch dann so
bewährt haben würde, wie unter der unmittelbaren Leitung und
Führung des Fürsten selbst.
Die Terrain- Verhältnisse gestatteten allerdings auch, wie es
thatsächlich geschah, vor der Morava — bei Pirot — einen Auf-
enthalt. Allein da man es verabsäumt hatte, Pirot schon während
der Mobilisierung fortificatorisch zu verstärken, so wäre es schon
deshalb richtiger gewesen, gleich bis Nis zu gehen, weil nur dieser
— 55 —
Ort — als Bahnstation — der in einer verhältnismässig gesicherten,
ressourcenreichen Lage au der Basis, der serbischen Armee die
JVlöghchkeit geboten hätte sich zu erholen, zu sammeln und zur
Wiederaufnahme der Offensiv-Operationen vorzubereiten.
ad b. Die Gruppierung der Kräfte war durch die Auf-
stellung am Abende des 19. November von selbst gegeben; man
war somit genöthigt in zwei Gruppen zurückzugehen. Die Dirigierung
sowohl der Haupt ^Armee als auch jene der Morava-Division an einem
Punkt war eine richtige, weil doch endlich an die Vereini-
gung aller 4 Divisionen der Nisava-Armee gedacht werden musste.
ade. Die allgemeine Rückzugsrichtung entsprach
wohl dem theoretischen Begriffe einer concentrischen Eückbewegung;
dasselbe war jedoch nicht bei den einzelnen Oolonnen der Fall. Der
Bückzug der Donau-Division war beispielsweise mit Bezug auf die
eigentliche Eückzugs-Linie Slivnica-Dragoman-Pirot in e x c e n t r i-
scher Richtung erfolgt.
Hätte der Fürst von Bulgarien an den folgenden Tagen, dem
20. und 21. November, die so glücklich begonnene Ofiensive auf
Dragoman fortgesetzt, so wäre das serbische Gros auf Trn geworfen
und total vernichtet worden. Der Rückzug hätte sodann stets
in excentrischer Richtung weitergeführt werden müssen und braucht
es nicht erst des Näheren erörtert zu werden, was in diesem Falle
das Los der serbischen Armee geworden wäre.
Erst als man sich im serbischen Hauptquartiere von dem ersten
Schrecken wieder einigermassen erholt hatte, wurde der Dragoman-
Pass, der durch einige Tage herrenlos war,, wieder occupiert.
ad 4. Es ist eine wissenschaftliche Frage von hohem mili-
tärischem Interesse, was denn das serbische Ober-Commando, res-
pective dessen Generalstab bewogen haben mag, dieselben,
wiederholt im Kampfe gestandenen, morahsch und phisisch herab-
gekommenen Truppen am 19. November einem neuen gewissen
Echec gegen die grosse Uebermacht der Bulgaren auszusetzen.
Betrachtet man die Verhältnisse bei der serbischen Armee, wie
sie thatsächhch waren, so ist es wohl klar, dass schon am Abende
des 17. November an eine Offensive kaum mehr zu denken war.
Jedenfalls aber hatte man am Abende des 18. November keine Aus-
sicht mehr, die Offensive am 19. zu ergreifen ; war dies aber der
Fall, dann musste mit Ruhe, aber ohne Zaudern geschehen, was
zur Abwehr des feindlichen Einbruches im eigenen Lande dienlich
- 56 —
sein konnte. Hatte man zu Beginn des Krieges die Offensive er-
griffen, so galt es jetzt, wo man strategiscli auf die Defensive gesetzt
war, unter Verwerfung aller mit ihr nicht zusammenhängender
Pläne, sie so gut als möglieh zu führen. Ohne Kampf war der
Rückzug am 19. November allerdings nur mehr schwer durchführ-
bar. Die serbischen Arrierre-Garden hätten aber im Dragoman- Passe
— wie es thatsächUch am 22. November der Fall war — günstige
Bedingungen für Nachhut-Gefechte gefunden, welche Zeit der rück-
marschierenden Armee zu Gute gekommen wäre. Dieser Rückmarsch
hätte aber noch am 19. November, oder wenigstens in der Nacht
vom 19. auf den 20, November mit aller Energie angetreten werden
müssen. Die Gefahren und Schwierigkeiten, welche die Armee auf
diesem Rückwege bedrohen konnten, mussten mit kaltem Blute
gemessen werden^ und es w^äre ein glücklicher Umstand gewesen,
wenn sich daraus im Geiste des Feldherrn respective seines General-
stabes, der beruhigende Gedanke ergeben hätte, dass diese Gefahren
kleiner seien, als das Unglück am 19. November, zum Kampfe noch-
mals anzusetzen.
Wie die Thatsachen bewiesen haben, konnte die bulgarisch-ost-
rumehsche Armee am 19. November den Rückzug noch nicht erheblich
stören, denn die den Serben gegenüber gestandenen Truppen waren
durch die vorausgegangenen Kämpfe noch selbst zu sehr erschöpft ; —
die letzten Staffel der Verstärkungen aus Ost-Rumelien hatten aber
noch zu grosse Strecken zurückzulegen, um sofort unterstützend ein-
greifen zu können. Bei Anwendung aller durch derlei ungünstige
Verhältnisse gebotenen Sicherheitsmassregeln wären die Arriere-Garden
der Serben bereits am 19. November Mittags im Dragoman-Passe
gestanden, am 20. November aber hätte sich die serbische Armee
der Kampfessphäre der Bulgaren entzogen gehabt.
Das ruhige Verharren des Fürsten Alexander am 20. und 21. No-
vember bei Shvnica hatte es nur zu deutlich gezeigt, dass auch den
Bulgaren die Erfolge der dreitägigen Kämpfe schwere Opfer gekostet
hatten und dass auch sie sehr dringend der Sammlung und Erholung
bedurften.
Erwägt man ferners, dass die Truppen der Donau- und Driua-
Division in den SteUungen Dragoman - Jarlovce - Solince durch fünf-
tägige Märsche und zwei grosse unglückliche Gefechte gegen einen
an Zahl weit überlegenen und in trefflichen Erdwerken geborgenen
Gegner erschüttert waren, — dass Verstärkungen im allergünstigsten
Falle vor 8 bis 10 Tagen, von keiner Seite eintreffen konnten, —
— 57 —
dass das Eintreffen dieser Verstärkungen aber auch nicht in den eben
genannten Stellungen abzuwarten möglich war, weil bei der bisher
vom Fürsten Alexander und seiner Armee gezeigten Initiative ein so
langer Stillstand in den Operationen nicht angenommen werden
durfte — so muss man eigenthch staunen, dass der serbische
Generalstab nicht schon am Abende des 17., geschweige denn erst
am Abende des 18. November auf die einzig richtige Idee:
augenblickliche Räumung Bulgarien's und Eetablierung
der Armee beiNis verfallen war. Selbst am 20., ja vielleicht
sogar noch am 21. November, hätten die Serben Zeit gehabt, den
Rückmarsch in die Heimat geordnet und ohne wesenthche Belästigung
des Gegners durchzuführen. So aber Hessen sie zwei Tage ver-
streichen, ohne den Rückzug anzutreten, und am 22. November
hatte Fürst Alexander, nachdem bis zu diesem Tage der letzte
Truppenstaffel aus Ost-Rumehen eingerückt war, mit einer bedeutenden
nummerischen üebermacht abermals die Off'ensive ergritfen.
Bulgaren.
Die unmittelbaren Folgen von Slivniea waren, dass die junge
bulgarisch-ostrumelische Armee ihr Dasein in denselben kräftigst
gezeigt; dass sie ihre erste Probe glänzend bestanden; sich — gegen
alle Erwartung — als ein Factor erwiesen, mit dem künftig auf der
Balkan-Halbinsel sehr bedeutend zu rechnen sein wird ; dass endhch
— und dies wohl in erster Linie — ihre Erfolge als das persönlichste
Werk des Fürsten Alexander angesehen werden müssen, der mit
kräftiger Hand sein Schicksal und dasjenige seines Landes in unge-
ahnte Bahnen gelenkt hatte. Man mag über die Politik des Fürsten
Alexander wie immer denken, militärisch bleibt er unter allen
Umständen eine glänzende Gestalt, ein Feldherr, der zuerst wägt und
dann wagt.
Die bulgarische Hauptstadt war gerettet ; die serbische Armee
geschlagen und auf die Defensive geworfen. Der Erfolg war somit
gross, aber er hätte ein noch grösserer sein können, wenn Fürst
Alexander nicht erst die letzten Staffel seiner Verstärkungen abge-
wartet, sondern mit den bereits zur Stelle befindlichen Truppen die
Off'ensive am 20. oder wenigstens am 21. November kräftigst fort-
gesetzt hätte. Dieser Vorgang hat nicht stattgefunden. Zweifellos
ist es aber — es ist dies keine gewagte Behauptung — dass im
ersteren Falle die serbische Armee Pirot überhaupt nicht
mehr erreicht hätte; — dass dieselbe, bei den traurigen Ver-
hältnissen, die in dieser Armee damals bereits geherrscht hatten,
— 58 —
bei dem grossen Munitionsraangel, abgeschnitten von ihren Verbin-
dungen, den Unbilden der bereits angebrochenen strengen Jahreszeit
in dem südwestHch der Strasse Pirot-SKvnica hegenden ressourcen-
armen Wald- und Karstgebirge ausgesetzt, unrettbar einer Katastrophe
entgegen gegangen; — dass den Bulgaren endlich Pirot erspart
geblieben wäre, wenn sie am 20., ja vielleicht selbst noch am
21. November, der Offensive den Vorzug vor den Rast-
tagen gegeben hätten.
Schlacht bei Pirot am 26. und 27. November.
Mit dem vollständigen Rückzuge der Serben war am Abende
des 19. November eine entscheidende Wendung in der allgemeinen
Kriegslage eingetreten und das am 14. November begonnene Ringen
der beiderseitigen Heere zu einem vorläufigen Abschlüsse gelangt.
Naturgemäss mussten sich die Heeresleitungen der kriegführenden
Parteien über die Fortführung der Operationen klar werden; dies
bedingte die B^estsetzung des Operations-Planes in seiner Fortsetzung.
Auf bulgarischer Seite war die Auffassung vorherrschend,
dass es im Interesse der Serben liegen müsse, so früh als möglich
die Vereinigung aller Theile der Nisava- Armee mit den in der Aus-
rüstung begrifienen Streitkräften des 2 Aufgebotes zu bewerkstelligen.
Deshalb richteten sich alle Massregeln des bulgarischen Hauptquartiers
beständig auf das eine Ziel, die Ausführung jenes vermutheten Vor-
habens des Gegners zu verhindern, also : die am 22. November be-
gonnene Offensive rasch und energisch auf der Strasse Slivnica-Pirot
vorzutreiben, um möglicherweise den im Gebirge südwestlich dieser
Strasse sich noch befindlichen serbischen Colonnen den Rückweg zu
verlegen. Um aber die gesamrate Kraft gegen König Milan in Thätigkeit
bringen zu können, wurde die Haupt-Colonne auf der Chaussee im
Marsche so lange zurückgehalten, bis die mit der Vertheidigung der
Visker-Üebergänge betraute Colonne unter dem Commando des Haupt-
mannes Popow, die in den letzten Tagen auf etwa 9 Bataillone
angewachsen war, zur Offensive übergegangen und Bresnik besetzt
hatte, was am Abende des 20. November geschehen war.
In der Vornahme des hnken bulgarischen Flügels, um im Ver-
laufe der Operationen mit selbem annähernd mit der Haupt-Colonne
auf gleicher Höhe zu bleiben, in der mangelhaften Orientierung über
die Verhältnisse auf feindlicher Seite, in dem notorischen Mangel
an Cavallerie, in der Unklarheit der Verhältnisse indem Räume
zwischen Slivnica und Bresnik noch am 22. November, d. h. ob der Gegner
— 59 —
thatsächlich bereits auf allen Linien den Rückzug angetreten habe, oder
ob er noch eine Umgehung versuchen wolle, mögen wohl jene Gründe
zu suchen sein, die das bulgarische Hauptquartier — entgegen der
bisher gezeigten Energie und Thatkraft ~ abgehalten haben, die
Ofifensive schon am 20., beziehungsweise am 21. November fortzusetzen.
Als die Bulgaren am Morgen des 22. November die Vorrückung
wieder aufnahmen, fanden sie den Dragoman-Pass von der Drina-
Division unter dem Commando des Obersten Miskovic besetzt. Diese
letztere erfüllte ihre Aufgabe: „den Rückzug zu decken", - mit
grösster Bravour, und ihrem heroischen Widerstände hatte es die
Donau-Division überhaupt zu danken, dass sie Caribrod erreichte,
die anderen Armeetbeile aber den Rückzug auf dem Umwege süd-
westlich der Chaussee bewerksteUigen konnten.
Am 23. November wurde die Verfolgung wieder aufgenommen
und die Serben schrittweise bis über die Grenze gedrängt. Fürst
Alexander schlug an diesem Tage sein Hauptquartier in Caribrod auf
und bezog dieselbe Wohnung, welche König Milan durch mehrere
Tage innegehabt hatte.
Am 24. November war es nochmals zu einem kurzen Kampfe
gekommen, in welchem beide Theile den Erfolg für sich in Anspruch
nahmen. Die Serben hatten hierauf das bulgarische Gebiet geräumt
und ä cheval der Strasse zunächst der Grenze eine Aufstellung be-
zogen. In Folge Aufforderung der Grossmächte jedoch: „die Feind-
seligkeiten einzustellen", — hatte König Milan noch am Abende des
24. November den Befehl h i e z u gegeben und gleichzeitig den Rück-
zug nach Pirot angeordnet, welcher am 25. November ausgeführt
wurde.
Dementsprechend hatten die Serben das Gros ihrer auf Pirot
abgezogenen 4 Divisionen, unter Zurücklassung schwacher Vorposten
im Sukova- und oberen Nisava-Thale, in eine Stellung westhch Pirot
geführt, welche sich links an den steilen Thalrand der Nisava, rechts
an den kleinen Pasjaca-Bach anlehnte und somit bei einer Front-
länge von etwa 5 Kilometer, sowohl die Strasse von Pirot nach
Knjazevac, als auch diejenige von Pirot nach Leskovac und über
Bela Palanka nach Nis beherrschte. Während aus ihrer vordersten
Linie die betreffenden Ausgänge Pirot's noch unter Feuer genommen
werden konnten, bheben ihre am weitesten zurückgelegenen und zu-
gleich höchsten Geschützstellungen etwa 6 Kilometer von diesem
Orte ab. Die Verstärkung der Stellung durch Feldbefestigungen hätte
allerdings eine ganz andere sein können, als sie es thatscächlich war,
— 60 — .
denn sie bestand blos in einem etwa 1.200 Schritte langen Jäger-
graben südwestlich Pirot und ä cheval der Strasse. Kadheh wurden
der Armee einige Ergänzungs-Mannschaften aus den bei Nis in der
Versammlung begriffenen Formationen 2. Aufgebotes zugeführt.
Die Bulgaren standen nach Bewältigung der serbischen
Invasion mit ihren Hauptkräften — den Divisionen Gutsehew und
Nicolajew, etwa 34.000 Oombattanten, — um Oaribrod. Eine 12 Ba-
taillone, 2 Batterien, etwa 12.000 Oombattanten, zählende Oolonne
unter dem Commando des Hauptmannes Popow war, nach Detachirung
der ihm unterstellten Abtheilungen des Hauptmannes Philipow nach
den Zugängen der Vlasina, vorwärts Trn bis in die Gegend von
Odorovci gelangt. Eine Brigade, meist aus Freiwilligen-Formationen
bestehend, unter dem Commando des Hauptmannes Panicza, etwa
5.000 Mann stark, stand im Gebirge nördlich Caribrod an der vom
Ginci-Passe kommenden Strasse bei Odorovci.
Am 25. November begab sich König Milan mit dem Kriegs -
minister und dem Minister Garasanin nach Belgrad behufs Betreibung
der schnelleren Aufstellung des 2. Aufgebotes. Den Befehl über die
Nisava- Armee übernahm Oberst Topalovic; dessen Morava-Division,
Oberstlieutenant Milovan Pawlovic und die Functionen des General-
stabs-Chefs der Nisava-Armee, Oberstlieutenant Koka Milovanovic.
Was die Bulgaren betraf, so ward ihre Lage um so schwie-
riger, je weiter sie sich von Sofia, ihrer Basis, dem Stapelplatze aller
ihrer Kriegs- und Verpflegsbedürfnisse, entfernten. Bei Beginn der
Operationen hatten die Bulgaren den Vortheil, dass der Raum, aus
welchem sie ihren Bedarf bezogen, in unmittelbarer Nähe hinter ihnen
lag, während die Serben, je weiter sie vordrangen, desto mehr mit
den Schwierigkeiten des Nachschubes zu kämpfen hatten. Mit jedem
Schritte also, welchen die Bulgaren nach vorwärts machten, änderten
sich natürüch diese Verhältnisse gerade in umgekehrter Weise.
Da es nicht in der Absicht dieser Betrachtungen liegt, sich
mit den taktischen Details der Kämpfe zu befassen, so soll auch die
Beurtheilung der Schlacht von Pirot nur mit Rücksicht auf nach-
folgende Hanptmomente stattfinden:
1. Strategische Einleitung und Zweck,
2. Kraft,
3. Strategische Form der Schlacht,
4. Angriffsrichtungen,
5. Erfolg.
— 61 —
ad 1. Die Operationen, die zu derselben führten^ wurden eben
besprochen.
Was den Zweck anbelangt, so kann man annehmen, dass —
da durch die Intervention der Grossmächte die Herbeiführung eines
Waflfenstillstandes bereits im Zuge war, — beide Theile bei den
diesbezügUchen Verhandlungen mit den möghchst günstigsten Chancen
erscheinen wollten. Auf serbischer Seite also mochte es in der Ab-
sicht gelegen sein, durch einen glücklichen taktischen Schlag, der
ihr allerdings aufgedrungen war, den Gegner zur Eäumung Serbien's
zu zwingen, — auf bulgarischer Seite dagegen, durch eine
dauernde Festsetzung in Pirot ein Compensations-Object für den von
Serben besetzten Vidiner-Kreis zu haben.
a d 2. . Die serbische Nisava- Armee war vollständig ver-
sammelt: 4 Infanterie-Divisionen, 1 Cavallerie-Brigade ; höchstens
26.000 Combattanten.
Die bulgarisch-ostrumelische Armee : 2 Divisionen
und 2 Flanken-Colonnen, etwa 55.000 Combattanten, hatte gleichfalls
alle verfügbaren Kräfte zur Schlacht herangezogen.
ad 3. Die Form der Schlacht schloss sich an die des strate-
gischen Angriffes an: einfache Umgehung. Die strategische
Umgehung des serbischen rechten Flügels, hinter welchem die Eück-
zugsUnie von Pirot über Bela Palanka lag, war eigentlich schon am
26. November vollendet; am 27. November folgte die taktische Ueber-
flügelung des rechten serbischen Flügels durch einen bergauf bergab
durchgeführten Flankenmarsch der hnken Flanken-Colonne, nahe an
der feindhchen Front vorüber. Der linke serbische Flügel konnte
der Anlehnung an die Nisava halber, nicht umfasst werden, somit
war auch die doppelte Umgehung ausgeschlossen. Wiewohl also die
einfache Umgehung des strategisch richtigen rechten Flügels der
Serben die leitende Idee des bulgarischen Hauptquartiers war, so er-
folgte thatsächlich am Abende des ersten Schlachttages der Durch-
bruch, welchen übrigens die äusserst schwachen Kräfte der Serben
im Centrum — es war dies nur 1 Bataillon und 1 Ca vallerie -Regi-
ment — förmhch zu provocieren schienen.
Sonst war die Gruppierung der serbischen Armee im Allge-
meinen eine gute, die Eeserve hinter dem rechten Flügel bei Blato
richtig postirt.
a d 4. Die bulgarische rechte Flanken-Colonne bildete eigentlich
den stehenden Pivot; der gesammte Rest wurde für die offensive
Aufgabe: Angriff der feindhchen Front, Aufsuchen und Umgehen
des rechten serbischen Flügels verwendet.
— 62 ~-
ad 5. Mehr oder weniger massen sich beide Theile den Sieg
in dieser Schlacht zu. Taktisch neigte sich der Erfolg jedenfalls
auf bulgarische Seite, wiewohl es eigentlich noch eines dritten Kampf-
tages bedurft hätte, um die totale Niederlage des einen oder des
anderen Theiles herbeizuführen Der strategische Erfolg dieser
Schlacht war für beide Theile eigentlich ein negativer, weil derselbe
— da weder Bulgarien noch Serbien aus diesem Kampfe Nutzen zu
ziehen in der Lage waren — nur auf beiden Seiten kolossale Menschen-
opfer im Gefolge hatte.
Der Verlust betrug an Todten, Verwundeten und Verraissten
bei den Serben 1.000 Mann, — bei den Bulgaren und Ost-Rumehern
2.000 Mann, also auf beiden Seiten etwa 4 % des Gefechtsstandes.
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V.
Die Operationen im Vidiner-Kreise. — Grefeclit bei
Adlijö am 16. November.
Die Operationen im Vidiner-Kreise.
Serben.
Ueber den fehlerhaften Operationsplan, dem zu Folge auch das Taf. iii.
Timok-Corps zur Occupation von möghchst viel bulgarischen
Territoriums zu schreiten, also auch die Offensive zu ergreifen
hatte ; über die hiezu verwendete K r a f t ; endUch den strategischen
Aufmarsch wurde bereits im Oapitel II gesprochen. Alle hiebei
unterlaufenen strategischen Fehler in der Gesammt-Conception belasten
wohl nur das serbische Ober-Commando. Und merkwürdig, trotz
aller verfehlten Strategie verdient gerade das Timok-Corps nicht bloss
aus dem militärischen Grunde Beachtung, weil es siegreich bis vor Yidin
gedrungen war, sondern auch aus politischen Rücksichten, da es ein
beträchtUches Territorium des Fürstenthums Bulgarien occupiert hatte,
welches bei dem Friedensschlüsse die Serben zweifellos vor Gebiets-
verlust, mindestens aber vor Zahlung einer Kriegsentschädigung rettete.
Wiewohl das Timok-Corps zur Durchführung einer selbst-
ständigen Operation auf einem vom Hauptkriegsschauplatze abseits
liegenden Territorium berufen war, so wurde dem Commando des-
selben dennoch nicht freier Spielraum gelassen. Nicht nur, dass es
unter dem Drucke der durch den Operationsplan vorgezeichneten
Aufgabe stand, auch die Art der Durchführung derselben wurde ihm
zumeist vorgeschrieben. '7 .
Um der gestellten Aufgabe : Besetzung des Yidiner Kreises und
Sicherung des eigenen Gebietes vor einer feindlichen Invasion nach-
zukommen, liess sich General Ljesanin — wie die Verhältnisse lagen,
^ 64 -
scheint übrigens auch hierin das Ober-Commando seinen Einfluss
geltend gemacht zu haben — mit kaum 10.000 Corabattanten ver-
leiten, eine derart ausgedehnte Aufstellung zu nehmen, dsss er zur
Concentrierung seiner Streitkräfte auf einen Flügel mindestens 4 Tag-
märsche benöthigt hätte, was verderbenbringend, somit absolut als
fehlerhaft bezeichnet werden muss.
Für den Beginn der Operationen scheint es die Absicht des
Corps-Oommandos gewesen zu sein, durch die bei Kadibogas und
Bregovo detachirten Flügel die Timok-Linie zu decken und gleich-
zeitig den Gegner nächst Belogradcik und in Vidin festzuhalten, mit
dem Centrum aber den offensiven Verstoss zu führen, dessen Eesultat
sodann für das Weitere massgebend sein sollte. Die vom Corps-
Hauptquartier zur Durchführung dieser Absicht getroffenen Dis-
positionen lauteten:
„Der rechte Flügel (Oberstheutenant Putnik) hatte mit 2 Batail-
„lonen 2. Aufgebotes und 1 Gebirgs - Batterie von Kadibogas gegen
„Belogradcik zu rücken und die Passsperre dortselbst zu nehmen oder
„zu blokiren; 1 BataiUon 2. Aufgebotes war ausserdem auf den Pass
„von Sveti Nikola dirigiert, um denselben zu besetzen, festzuhalten
„und nach Möghchkeit mit den ersteren 2 Bataillonen nach Belogradcik
„vorzugehen.
„Der linke Flügel (Oberstlieutenant Dinic) war beordert, mit
„4 Bataillonen bei Bregovo einen durch einen Brückenkopf gesicherten
„üebergang über den Timok herzusteUen und gegen Ginzova zu rücken.
„Das Centrum, bei welchem sich das Corps-Commando befand,
„mit 6 Bataillonen des 1. und 2 Bataillonen des 2. Aufgebotes, 3 Es-
„cadronen und 2 Feldbatterien war bestimmt, gegen Adlije vorzugehen
„und den dort stehenden Feind anzugreifen."
Am 15. November überschritt General Ljesanin um 10 Uhr
V
vormittags, also einen Tag nach der Kriegserklärung, bei Vrske Cuke
mit dem Centrum die serbisch-bulgarische Grenze in der Richtung
gegen Adlije, schlug die Bulgaren an diesem Tage daselbst und zer-
sprengte sie am darauffolgenden — ■ dem 16. November — vollends.
Mit diesem zweiten Schlage des Generals Ljesanin waren die gegne-
rischen Kräfte, welche ihm die Strasse nach Vidin verlegen wollten,
gänzhch aus dem Wege geräumt. Der Weg nach Vidin war frei, nur
wurde derselbe nicht gleich betreten.
Inzwischen waren auch die beiden detachirten Flügel in Action
getreten. Der rechte war bis Salas vorgegangen, musste aber, von
überlegenen Kräften gedrängt, wieder auf Kadibogas zurück; der linke
wurde mitten in der Vorbereitung des üeberganges über den Timok
— 65
von den Bulgaren aus Vidin angegriffen, welche am 16. November
diesen Fluss überschritten, um zunächst in Negotin einzufallen, aber
von Oberstlieutenant Dinic zurückgeworfen wurden, worauf die Serben
die Offensive ergriffen, den unteren Timok überschritten und auf
Ginzova vorrückten.
Die verschiedenen Erfolge dieser einzelnen Gruppen zeigen wohl
am deutlichsten, wie ungerechtfertigt, d.i. gefehlt die übermässige
Ausdehnung im Aufmarsche war, die eben nur auf das Besetzen
möglichst^rosser Länderstrecken ausging, ein auf gegenseitiger Unter-
stützung berechnetes Handeln aber, ein Sichvereinen zum taktischen
Schlage, gänzhch unmöglich machte.
Einen der grössten Fehler in den Operationen des Timok-Corps
— und dieser kann wohl nur dem Corps-Commando selbst zur Last
gelegt werden — bildete aber der Umstand, dass General Ljesanin
den errungenen Sieg nicht sofort ausnützte. Vidin musste un-
mittelbar nach dem Schlage von Adlije überrumpelt werden. Nur in
diesem einzigen Falle, d. i. wenn die Haupt-Colonne — nachdem
einmal die beiden Flügel-Colonnen schon von Haus aus ausser aller
Verbindung mit ihr waren — den geschlagenen Bulgaren auf den
Fersen, coüte qu'il coüte, gefolgt wäre, konnte das Corps-Commando
hoffen, Vidin mit einem Handstreiche zu nehmen. Bei der völligen
Entblössung dieser Festung von Streitkräften und bei der Verfassung
der geschlagenen Schaaren, die sich allenfalls in dieselbe geflüchtet
hatten, konnte immerhin mit einiger Sicherheit auf die Ueberrumplung
des Platzes gerechnet werden. Statt nach der Zersprengung des
Feindes bei Adlije sich somit mit langen Recognoscierungen zu befassen
und Streifungen bis an den Lom nach allen Seiten durchzuführen,
worüber 3 Tage — vom 17. bis 19. November — vergangen waren,
musste das Timok-Corps rasch, d. i. mit möglichster Schnellig-
keit gegen Vidin stossen. War dieser Moment verpasst, dann
war wenig, eigentUch gar keine Aussicht mehr vorhanden, in Vidin
sobald die serbische Fahne gehisst zu sehen.
Zieht man die Vorgänge bei Slivnica in Berücksichtigung; —
erwägt man, dass erst am 20, November die concentrische Vorrückung
des Centrums und des linken Flügels begann, (der rechte war nach
der misslungenen Offensive bei Kadibogas festgenagelt), dass dieselbe
durch dichten Nebel verschiedene Recognoscierungen sich bis zum
23. November hinzog ; — dass erst am 24. November die Berennung
Vidin's erfolgte ; — dass seit Adlije 7 Tage verflossen waren, inner-
halb welcher die zersprengten bulgarischen Kräfte hinreichende Zeit
5
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gefunden hatten, um sich zu sammeln und ihren morahsehen Halt
wieder zu gewinnen; — dass die Haupt-Colonne des Tiraok-Corps
in der Zeit von 7 Tagen nur 57 km, also durchschnittlich per Tag
8 hm, d. i. kaum 2V2 Marschstunden zurücklegte, somit gerade das
Gegentheil von Raschheit, d. i. der möglichsten Lang-
samkeit sich befleissigte; — dass endlich nach Abschlag der vielen
Detachierungen die vor Vidin anlangenden 8.000 bis 9.000 Combattanten
kaum die Berennung und Einschliessung der Landfronten der Festung
zu bewältigen vermochten; — so erhellt hieraus wohl zur Genüge,
wie wenig dieselben geeignet waren, einen belagerungsmässigen
Angriff durchzuführen. Für diesen selbst aber war in erster Linie
eine genügende Anzahl schwerer Belagerungsgeschütze erforderlich,
für deren Bereitstellung doch vom Beginne der Mobihsierung bis zur
Eröffnung der Feindseligkeiten wahrlich genug Zeit vorhanden war. —
Mit vielen „Ach und Krach" waren endlich für das Bombardement
am 26., 27. und 28. November 13 Belagerungsgeschütze*) zur
Stelle ; was konnte mit diesen erreicht werden ? !
Endlich darf nicht unerwähnt bleiben, dass das gänzüche
Ausserachtlass en der Donau von serbischer Seite — also
nicht einmal der Versuch, Vidin von der Wasserseite irgend welchen
Schaden beizubringen — ein grosser Fehler war. Die Bulgaren be-
sassen ja eine Donau-Flottille von 6 Dampfern mit 15 Geschützen
und 6 Torpedo-Booten, welch' erstere lebhaft damit beschäftigt waren,
aus den Städten und Bezirken längs der Donau Mannschaften und Ver-
theidigungsmaterial heranzubringen, was überhaupt noch aufgetrieben
werden konnte. Unter ihrem Schutze wurde ferner die in ßuscuk,
dem Arsenale Bulgarien's, vorhandene artilleristische Ausrüstung —
es sollen dies mindestens 30 schwere Geschütze gewesen sein — so
wie die in diesem Orte mobiUsierte Festungs - Artillerie - Compagnie
nach Vidin transportiert. An eine Störung dieser ganz gemüthlichen
Fahrten, d. i. wenigstens an eine theilweise Isolierung Vidin's von der
Wasserseite, scheinen jedoch die Serben gar nicht gedacht zu haben.
Die Operationen des Timok-Corps kosteten den Serben an
Todten, Verwundeten und Vermissten im Ganzen nur etwa 300 Mann,
also etwas über 2%; den Bulgaren etwa 1.900 Mann, worunter
allerdings 1.700 Gefangene, somit etwa 25%.
*) Nach den Angaben des Kriegsberichterstatters Herrn J. Lukes (Armee-Blatt Nr. 9 vom
2. März 1886) waren vorhanden: 3 gezogene 12-Pfünder; 2 15cwi. Hinterlader lange Krupps
1 15 cn». Hinterlader kurzer Krupp; 1 15c/w. serbischer Bronce - Hinterlader ; 6 12 -pfundige
gezogene Mörser.
— 67 -
Bulgaren.
Die Aufgabe der in den Vidiner-Kreis gesandten Truppen war,
denselben vor der feindlichen Invasion zu schützen. Es war dies eine
Aufgabe, die jedenfalls leicht „gesagt", aber unendlich schwer
„durchführbar" war. Dass somit die den Serben in keiner Be-
ziehung gewachsenen und nur lose zusammengehaltenen bulgarischen
Landsturm- und Freiwilligen-Bataillone, welchen nur etwa 2.500 Mann
regulären Truppen als Kern dienten, diese Aufgabe nicht zu lösen
im Stande sein werden, darüber musste selbst jeder Laie schon vor
dem Beginne des Kampfes im Reinen sein.
War also eine offensive Vertheidigung des Vidiner-Kreises
undurchführbar — und dies musste ebenso dem Commandanten der
in diesem Kreise concentrierten Truppen klar sein, wie es über-
haupt aller Welt klar war — so erübrigte wohl nur eine Lösung
der Aufgabe in defensiven Sinn. Diese aber erforderte: Con-
centrierung der Kräfte bei und umVidin, bei Ver- y
*^''^^ meidung eines jeden entscheidenden Gefechtes im freien Felde,/ / -^
;^'' was jedoch nicht ausschloss, dass den einmarschierenden Serben die yi^^^^^i^
HA Vorrückung mit Zuhilfenahme aller für derartige Fälle von der Theorie^v^^iti/lvv
f-^/^ angegebenen Mitteln — so weit als möglich zu erschweren gef%,^.t.u^
''^'^ wesen wäre.
'j^'y Gefecht bei Adlije am 16. November.
^1/UM^^^M
.5 \A
Abgesehen von der strategischen Einleitung zu diesem Gefechte, Taf. iii.
^^^^ ; über die am Anfange dieses Oapitals gesprochen wurde, kommen
: noch — wie immer — die folgenden Punkte einer kurzen Würdi-
gung zu unterziehen :
1. Zweck,
2. Kraft,
3. Angriffsrichtung,
4. Erfolg.
ad 1. Auf serbischer Seite offenbar mit einem kräftigen
Schlage die bulgarischen Streitkräfte zu vernichten, sodann den
Vidiner Kreis zu besetzen; auf bulgarischer Seite dagegen die
Besesetzung des Vidiner Kreises, wenn nicht unmöglich zu machen,
so doch wenigstens zu erschweren. Ob dieser Absicht nicht eine Ver-
sammlung der Kräfte unter den Mauern von Vidin besser entsprochen
hätte, mag dahingestellt sein; immer aber wird es unbegreiflich —
weil unerklärlich — bleiben, wieso man die, deu Truppen Ljesauia's
in jeder Beziehung inferioren Kräfte der Bulgaren, die schon tags-
vorher eine empfindliche Schlappe erlitten hatten, abermals — und
i diesmal gewiss — einem Echec im freien Felde aussetzen konnte.
" 5*
— 68 —
r , ad 2 Die S erben hatten an Combattanten : 6.500 Mann Puss-
f ' truppen, 400 Reiter, 12 Geschütze; — die Bulgaren: 5.000 Mann
P^sstruppen (darnnter etwa die Hälfte Freiwillige) 150 Reiter~und
''^^ / I 8 Geschütze. Die nummerische und intellectuelle Kraft war
ivIA^-^^ somit entschieden auf Seite der Serben.
/ ad 3. Der strategische Flügel für die Serben war jedenfalls
der bulgarische rechte, desshalb wurde derselbe auch angegriffen und
t^
/ ^ über den Witbol geworfen; die Bulgaren somit eigentlich von ihrer
^A V ^ ^ RüokzugsHnie Adlije-Vidin abgedrängt.
Wt^^ ad 4. Auf serbischer Seite gross; die bulgarischen Streit-
kräfte in freiem Felde waren vernichtet, der Vidiner Kreis in den
Händen des Siegers. Der Erfolg wäre aber ein ungleich grösserer
gewesen, wenn — wie schon erwähnt — General Ljesanin einer
ungestümen Verfolgung des Feindes und Vorrückang auf
Vidin den Vorzug, vor der übermässigen — weil hier nicht gerecht-
fertigten — Vorsicht gegeben hätte.
TJXjro uTjnjru-CTTJ xyTSXJ'XJ'U'~wxxxj-crxj-xjrxj-(j^ crtj cru T^rT^ijrTSXTXJ-jjrij-\j'XSXjrisxj~u-Tjrxj cru crcr o crn
VI.
Schlusswort.
Am Morgen des 28. November — also 14 Tage nach Eröffnung
der Operationen durch die Serben — passierte der österreichisch -
ungarische Gesandte Graf Khevenhüller in Belgrad die beiderseitigen
Vorpostenlinien und brachte, in Pirot angelangt, dem Fürsten Alexander
ein von den Grossmächten, in erster Linie von Oesterreich-Ungarn
gestelltes Ansuchen, die Feindseligkeiten sofort einzustellen, somit
seine Armee nicht über Pirot vorrücken zu lassen. — Schon nach
wenigen Stunden wurde zwischen den beiderseitigen Ober-Commandos
die Einstellung der Feindseligkeiten unter Belassung der Truppen in
ihren momentanen Positionen vereinbart. Beide Armeen behielten
annähernd gleich wertbige Terrain-Abschnitte des Gegners besetzt ; die
serbische eine grössere Fläche, die bulgarische in Pirot einen wich-
tigen Punkt.
Am 21. December 1885 wurde durch die in Wien sich befind-
Hchen Mihtär - Bevollmächtigten der Berliner Congressmächte ein
Waffenstillstand vereinbart, dem am 3. März 1886 der Friede von
Bukarest folgte, laut welchem ,,der Zustand wieder hergestellt
„wurde, wie er vor dem 14. November 1885 zwischen den krieg-
„ führenden Parteien bestanden hatte."
Im Verlaufe der kriegerischen Operationen hatte Serbien
6.800 Mann an Todten und Verwundeten und etwa 1.200 Gefangene
verloren. Das bulgarisch-ostrumelische Heer konnte
seinen Verlust auf 2.400 Todte und Verwundete und etwa 3.300 Ge-
fangene berechnen. Den Serben hatte der dritte Tag bei Slivnica
der 19. November ; — den Truppen des Fürsten Alexander der zweite
Schlachttag bei Pirot, der 27. November, die meisten Opfer gekostet.
Thatsache ist es, dass die in's Feld gestellten serbischen 45.000 Com-
battanten — ganz abgesehen von den Kranken, Maroden und Ge-
fangenen— in dem kurzen 14tägigen Feldzuge mehralsdecimiert
^ 70 -^
wurden, da jeder 6. bis 7. Mann entweder auf dem Schlaehtfelde
blieb oder mehr oder minder schwer verwundet aus den Reihen der
Kämpfenden zurückgezogen werden musste.
Ein materieller Gewinn war weder von den Serben noch
von den Bulgaren erreicht worden.
Auf der einen Seite wäre es ein grosser Irrthum, wollte man
glauben, Serbien sei durch die Bulgaren geschlagen
niedergeworfen und in einen Zustand der Wehr-
losigkeit versetzt worden, in welchem die letzteren den ersteren
den Frieden einfach nur dictieren hätten können ; — auf der anderen
Seite haben die Bulgaren zum Staunen von ganz Europa
bewiesen, welch' tüchtiger Kern in ihnen stecke,
sowie, da SS sie, b ef reit von fremden Einflüssen, gar wohl
im Stande seien, sich selbst zu erhalten und zu
regieren.
Die Vereinigung Bulgarien's mit Ost-Rumelien ist heute bereits
eine Thatsache. Fürst Alexander ist innerhalb der bulgarischen Welt
Herr und anerkannter Führer, gegen dessen Willen die bisher so
einflussreichen russischen Agitatoren nicht einen Schritt nach rechts
oder links von dem vorgezeichneten Pfade wagen dürfen. Das bul-
garische Volk aber hat seinen sehnhchsten nationalen Wunsch: die
Vereinigung erreicht, wiewohl dieselbe mit seinem
Blute erkauft; auf beiden Seiten des Balkan hat es sich als
kriegstüchtig über alles Erwarten, als disciphniert gegen alle Vor-
aussetzung bewährt, mit einem Worte : als ein Element, mit
welchem fortan bei Behandlung der Orientfragen
in ganz anderer Weise als bisher wird gerechnet
werden müssen.
Bei den Serben lag der Grund zu allen sonst militärisch geradezu
unbegreiflichen Vorgängen bei der Nisava Armee vom 2. Kampftage
bei Slivnica angefangen, also vom 18. bis 28. November, in der schon
im Capitel I erwähnten Thatsache: dass diese Armee sich grössten-
theils bereits am 18. November verschossen hatte.
„Das war das grosse öffentliche Geheimniss innerhalb der
„Reihen der Nisava- Armee vom einfachsten Soldaten .bis zum Könige
„hinauf", — sagt der Kriegsberichterstatter Herr J. Lukes der „W.
„Allg. Ztg." — „und unter der furchtbaren lähmenden Wucht dieser
„Thatsache erstarb die ganze serbische Kriegführung an der Nisava
„im Kleinen wie im Grossen Die Patrontasche des Soldaten, der sich
„ganz brav, ja musterhaft schlug, war in der Hitze des Kampfes leer
„geworden. Fest behauptete, eigene, ja selbst genommene feindliche
— 71 —
„Positionen mussten schon bei Slivniea geräumt werden, weil man das
„gegnerische Feuer nicht erwidern konnte. Aber auch rückwärts
„fanden sich die ersehnten Tragthiere mit den Munitionskisten nicht
„vor und unwiUig fragten sich die Bücke der Officiere, der Truppen-
„Commandanten, was das bedeuten solle. Umsonst sprengten die
„Adjutanten zum Train, um die Munitions-Oolonnen aufzusuchen und
„ihnen den Weg zu den Truppen zu weisen. Es waren keine
„Munitions-Oolonnen zu finden, weil überhaupt keine da waren, oder
„es musste mit dem bischen noch vorhandener Munition gespart
„werden. Yoll Ingrimm gaben die Commandanten Befehl zu weiterem
„Rückzuge. Mit verhaltener Wuth In Blick und Miene führten die
„OIfi(?iere ihre Abtheilungen vor dem schnellfeuernden Feinde kampflos
„zurück. Eine masslose Bestürzung nahm in den Reihen der Mann-
„schaft überhand und, avo sonst siegbewusster Heldenmuth geherrscht,
„waltete verderbenbringende Panik. So sah es bei den Truppen aus.
„Im Hauptquartiere aber ging es noch trostloser her. Zu den
„offenkundigen politischen, strategischen und taktischen Gebrechen der
„eigenen Kriegführung, welche bei Slivniea zu dem jähen Umschlage
„des Siegeslaufes der ersten drei Kriegstage geführt hatten, trat nun
„das wohl einzig dastehende administrative Verschulden der Kriegs-
„ Verwaltung, welches mit völligem Verderben drohte. Jedwede strate-
„gische Conception war in vorhinein illusorisch, jedwede taktische
„Massnahme völlig haltlos geworden. Position um Position musste aufge-
„ geben, Kampf um Kampf abgebrochen, Marsch um Marsch retiriert
„werden, denn die für einen einzigen Kampftag reichende Munition
„musste für den Verzweiflungskampf aufgespart werden. Kurz, das
„ganze Hauptquartier, Generalstab wie Ober-Commandant, waren völhg
„lahm gelegt und nie noch hat vielleicht ein Herrscher so furchtbare
„Tage und Nächte durchlebt, als König Milan vom 18. bis zum
„28. November."
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: n Ha,.,,tquartl»r.
> Qrenztii. %=s^=5 Erhtttene Stratsen. ■*_— WcA/ erhaltene Fahrwege. -Saumwtge.
OTCd^oi
Uebersichtliche Darstellung
der strategischen Situationen an den nachbezeichneten Tagen.
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Heereskörper
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V, JarloFce
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Rri^rf. '■■ Nord-Bulgarion
Haup,r„r?.„ic.a - t.|^?eü'""«
Ginci-Pass
Smilovca
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(«n der Stnae Cind-
P»«— Pirot)
in.
Donau-
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südlieh dos Drago-
man-Passes
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Division lai:™-
Hauptm. Gutschew ^''™'^*
Tri üii
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StiiiovskA M.
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Qradeinica
Dirision zwischen Timovo
Oberst Nikolnjew und Pbilipiiopel
im Marsche nach
Slivnica
Slivnica
Caribrod
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»vallerie-Brigade
TepoS-Huhe
V» Drngoinan
Vi Gol. MrIoto
Knlotiüci
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Huup^rpopo. -:sÄa
im Mnrficho nach
Br«soik und Pornik
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Neben-Kriegsschauplatz,
.Buigaren.
H Cot l'-'uno/f Colonne Usatwf.
M lU/f/iiii Detachemmit.
« Snä// Bataülon.
• Jf Hauptquartier.
vH'y^'H' Qfomen. ^s^'^^^^^.irbaJtBne Strassen. ^^-—^ Nloht erhaitene Fahrivege. ,.'-—~Saumwe^e.
Uebersichtliche Darstellung
der strategischen Situationen an den naclibezeichneten Tagen.
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Heeresk&rper
13. 1 16. 1 19. 1 24.
Heereskörper
13. 1 16. 1 19. 1 24.
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Hauptqoartier
Zaje&r
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Osmanlije
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Hauptquartier
Vidin
V. Timok-Di-
Zajefiar
Adlij«
Vi Adlijß
*;i Osrnanljje
'U flupca
•;. Taurdaik»)
',', Novoseici. Tilbol
Detachenient in
Bregovo
Bregovo
Vidin
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Colonne
Oberstlt. Dinii
zwischen Negotin und Bregoro
Ginzova
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