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Full text of "Strategische Betrachtungen uber den serbisch-bulgarischen Krieg 1885"

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über  den 


serbisch -bulgarischen  Krieg  1885 


Von 


Alfons  Dragfoni  Edlen  von  Rabenhorst, 

k.  k.  Hauptmann  im  k.  k.  Infanterie-Regimente  Prinz  zu  Hohenlohe-Schillingsfürst  Nr.  87. 


Mit  1  Uebersiöhts-  nnd  2  Operationskarten. 


Graz  1886. 


In  Commission  bei  L   W.  Seidel  &  Sohn,  k.  k.  Hofbuchhändler, 

I.,  Graben  13. 

Buchdruckerei  Gutenberg,  Graz. 


Mit  Vorbehalt  aller  Rechte. 


Vorwort. 


fts  mag  verfrüht,  ja  vielleicht  sogar  gewagt  erscheinen,  heute, 
wo  der  Kanonendonner  kaum  noch  verhallt  ist,  wo  noch  der  vollständige 
üeberblick  über  die  Ereignisse  und  Handlungen  fehlt,  wo  endlich 
die  officielle  Darstellung  der  kriegerischen  Begebenheiten  weder  von 
der  einen,  noch  von  der  anderen  Seite  verlautbart  wurde,  sich  in 
eine  Kritik  über  diesen  Krieg  einzulassen. 

Die  Basis  dieser  ,, Strategischen  Betrachtungen"  konnten  somit 
naturgemäss  nur  die  in  den  verschiedenen  Tages-Journalen  über  die 
kriegerischen  Ereignisse  verlautbarten  Telegramme,  Berichte  etc. 
bilden,  Dass  unter  solchen  Umständen  sich  in  die  vorliegende  Arbeit 
vielleicht  auch  manche  Fehler  und  Irrthümer  eingeschhchen  haben 
werden,  kann  nicht  Wunder  nehmen,  wenn  man  bedenkt,  wie  ein- 
seitig oft  der  Standpunkt  des  Berichterstatters  in  einem  Haupt- 
quartiere ist ;  ja,  wie  demselben  oft  gerade  dasjenige,  was  hinter 
den  Ooulissen  vorgeht  —  also  die  eigentlichen  Triebfedern, 
Beweggründe  und  Ursachen  —  verborgen  bleiben.  Und 
bekanntermassen  sind  doch  gerade  diese  für  eine  richtige  Beur- 
theilung  der  Thatsachen  von  höchstem  Werthe. 

Entgegen  dem,  bei  ähnlichen  Studien  sonst  üblichen  Gebrauche, 
wurde  in  diese  „Betrachtungen"  von  den  kriegerischen  Thatsachen 
so  viel  aufgenommen,  als  für  die  Kenntnis  des  Peldzuges  unum- 
gänglich nothwendig  ist. 


Weit  davon  entfernt,  zu  glauben,  in  den  nachstehenden  Zeilen 
immer  das  Richtige  getroffen  zu  haben  —  wozu  ja  auch  eine  weitaus 
grössere  Erfahrung  gehört  —  hat  die  vorliegende  Arbeit  einzig  nur 
den  Zweck  :  den  Leser  zu  eigenem  LJrtheile  über  diesen  zwar 
kurzen,  aber  in  jeder  Beziehung  höchst  lehrreichen 
und  interessanten  Feldzug  anzuregen. 

Graz,   den  15.  März  1886. 

» 

Der  Verfasser. 


Benützte  Quellen.  ^ 

1.  Agramer  Zeitung.  (Agram.)  1  \ 

2.  Allgemeine  Militär-Zeitung.  (Darmstadt.)  * 

3.  Allgemeine  Schweiz.  Militär-Zeitung.  (Basel.)  , 

4.  Allgemeine  Zeitung.  (Früher  in  Augsburg,  jetzt  München.) 

5.  Armeeblatt.  (Wien.) 

6.  Armee-  und  Marine-Zeitung.  (Wien.)  i 

7.  Budapester  Tagblatt.  (Budapest.) 

8.  Deutsche  Heereszeitung.  (Berlin.) 

9.  Fremden-Blatt.  (Wien.)  .  \ 

10.  Internationale  Revue  über  die  gesammten  Armeen  und  Flotten.  (Dresden.) 

11.  Kölnische  Zeitung.  (Köln.) 

12.  Kreuzzeitung  (Berlin.)  i 

13.  Militär- Wochenblatt.  (Berlin.)  ! 

14.  Militär-Zeitung.  (Wien.) 

15.  Narodnij  Glas.  (Philippopel.) 

16.  Närodni  Listy.  (Prag.)  j 

17.  Neue  Freie  Presse.  (Wien.)  i 

18.  Norddeutsche  Allgemeine  Zeitung.  (Berlin.) 

19.  Pester  Lloyd.  (Budapest.)  ^ 

20.  Sepske  Novine.  (Belgrad.) 

21.  Tagespost.  (Graz.)  i 

22.  Trnovska  konstitucija.  (Sofia.)  "j 

23.  Vedette.  (Wien.)  ' 

24.  Videlo.  (Belgrad.)  | 

25.  Wehrzeitung.  (Wien.)  | 

26.  Wiener  Allgemeine  Zeitung.  (Wien.)  i 

27.  Wiener  Tagblatt.  (Wien.)  i 


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IHHÄLT. 

Seite 
1.  Die   politischen,  geographischen  und    militärischen  Verhältnisse  vor  Beginn 

des  Krieges 1 

II.  Operationsplan  der  Serben  und  Bulgaren ^ 19 

III.  Die  Serben   ergreifen   die  Offensive,    —   Kämpfe   um  SHvnica   vom   17.   bis 

19.  November 39 

IV.  Unmittelbare  Folgen  der  von  den  Bulgaren  errungenen  Siege  bei  Slivnica.  — 

Schlacht  bei  Pirot  am  26.  und  27.  November 53 

V.  Die  Operationen  im  Vidiner-Kreise.  —  Gefecht  bei  Adlije  am  16.  November  63 

VI.   Schlusswort 69 


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I. 

Die  politischen,  geographischen  und  militärischen 
Verhältnisse  vor  Beginn  des  Krieges. 


Die  politischen  Verhältnisse. 

Bulgarien. 

Der  den  Frieden  von  San  Stefano  rectificierende  Berliner 
Congress  hatte,  entgegen  den  Wünschen  des  bulgarischen  Volkes 
und- jenen  ßusslands,  das  Project  eines  unabhängigen  und 
ge  ei  «igten  grossen  bulgarischen  Reiches  verworfen  und, 
wie  allgemein  bekannt,  ein  der  Türkei  tributpflichtiges  Fürstenthum 
Bulgarien  und  eine  grosse  türkische  Provinz  —  Ostrumelien 
genannt  —  geschaffen.  Für  die  Beurtheilung  der  folgenden  Begeben- 
heiten kann  nicht  unerwähnt  gelassen  werden,  dass  derjenige  Theil 
des  Gebietes,  welcher  bezüglich  der  Ertragsfähigkeit  und  der  Kultur 
des  Landes,  sowie  bezügUch  der  Wohlhabenheit  und  der  Bildung  der 
Bevölkerung  der  bessere  war,  mit  einem  Worte :  dass  derjenige  Theil 
des  von  Bulgaren  bewohnten  Landgebietes,  in  welchem  die  eigent- 
lichen Lebensnerven  eines  bulgarischen  Staatswesens  wurzelten,  der 
südHch  des  Balkan  gelegene  ist;  —  und  gerade  dieser  Theil  wurde 
zur  türkischen  Provinz  geschlagen.  Was  das  bulgarische  Volk  damals 
schon  an  inneren  und  äusseren  Gütern  besass,  blieb  mithin  dem, 
ihren  nationalen  Wünschen  noch  am  ehesten  entsprechenden  Staats- 
wesen, dem  Fürstenthurre,  äusserhch  wenigstens  vorenthalten. 

Ohne  des  Näheren  zu  erörtern,  was  in  den  beiden  bulgarischen 
Provinzen  sich  seit  dem  Jahre  1878  alles  zugetragen,  welche  „Mittel 
zum  Zwecke"  in  Bewegung  gesetzt  wurden,  —  genug  an  dem :  am 
18.  September  1885  wurde  zum  Staunen  aller  Tractat-Mächte  des 
Berliner  Oongresses  der  in  Phihppopel  befindliche  türkische  G«-neral- 

1 


—  2  — 


V 


Gouverneur  Gavril  Pascha  durch  eine  gut  vorbereitete,  mit  über- 
raschender Schnelhgkeit,  jedoch  in  unblutiger  Weise  durchgeführte 
Eevolution  seines  Amtes  entsetzt,  die  Vereinigung  OstrumeHen's  mit 
dem  Fürstenthume  Bulgarien  proclamiert  und  Fürst  Alexander  I.  von 
Bulgarien  zum  F ü r s t e n  der  nun  vereinigten  bulgarischen 
Landestheile  ausgerufen.  Am  19.  September  —  also  schon 
dem  darauf  folgenden  Tage  —  wurde  vom  Fürsten  diese  „Vereinigung, 
unbeschadet  der  Hoheitsrechte  des  Sultans,  „als  vollzogen  erklärt", 
und  die  Mobilmachung  der  bulgarischen  sowie  ostrumelischen  Truppen 
angeordnet.  Der  Fürst  selbst  eilte  nach  Philippopel,  wo  .er  am 
21.  September  seinen  Einzug  hielt.  Am  23.  Se])tember  wurde  die 
Mobihsierung  —  da  tagsvorher  auch  Serbien  die  Mobilmachung  seiner 
„activen  Armee",  und  die  Türkei  die  Concentrierung  von  Truppen 
an  der  ostrumelischen  Grenze  angeordnet  hatte  —  aller  Auf- 
gebote beider  Bulgarien  anbefohlen. 

Die  erste  Ruhestörung  im  Oriente  war  somit  von  Bulgarien 
ausgegangen.  Wenn  Serbien  in  der  Folge  provocierte,  so  war  es 
doch  schon  früher  durch  die  factische  Vollziehung  der  bulgarischen 
Union  provociert.  Wenn  es  über  den  BerUner  Vertrag  hinausgrifif,  so 
war  es,  um  sich  und  seine  Interessen  gegen  eine  flagrante  Verletzung 
dieses  Vertrages  zu  schützen.  Fürst  Alexander  war  niemals  das  ganz 
schuldlose  Opfer  fremder  Gewaltthätigkeit  und  Begehrlichkeit,  als 
welches  er  sich  in  dem  weiteren  Verlaufe  so  gern  hinstellen  wollte. 
Ein  gerechtes  ürtheil  wird  vielmehr  auf  die  Ausgangspunkte  zurück- 
greifen, und  dieses  wird  zweifellos  die  Priorität  des  Verschuldens 
Bulgarien  zuerkennen  müssen.  Seine  Auflehnung  gegen  den  Willen 
Europa's  hat  die  serbische  Emancipation  von  allen  Friedensmahnungen 
und  Vorstellungen  der  Mächte  erst  hervorgerufen. 

Ob  Fürst  Alexander  von  dem  Philippopler-Putsch  früher  etwas- 
gewusst  hat?  —  Er  selbst  und  ganz  Bulgarien  behaupteten  im 
vorigen  Jahre:  nein.  Seither  sind  jedoch  Thatsachen  bekannt 
geworden,  die  einen  gewissen  Zweifel  zulassen.  So  soll  Fürst  Alexander, 
der  mit  König  Milan  stets  eng  befreundet  war,  seitderii  er  in  Sofia 
residierte,  jede  durch  den  Geburts-  oder  Namenstag  des  Königs,  der 
Königin  oder  des  Kronprinzen  sich  bietende  Gelegenheit  benützt 
haben,  um  telegraphisch  in  herzlichster  Weise  zu  gratulieren ;  es 
gab  keinen  einzigen  Fall,  dass  Fürst  Alexander  an  eine  solche  Auf- 
mejksamkeit  vergessen  hätte.  Nun  lallen  zufällig  in  den  Monat  August 
nacheinander  der  Geburtstag  des  Königs,  der  Namenstag  der  Königin 
und  der  Geburtstag  des  Kronprinzen  —  und  im  Monate  August  1885 
kam  zum  Staiiiieii  d-r  königlichen  Familie   kein  Zeichen  der  Erinnerung 


—  3  - 

vom  Fürsten  Alexander.  —  Ein  zweites,  viel  markanteres  Detail  ist : 
Die  Ausführung  der  passageren  Befestigungen  bei 
Slivnica.  Wie  durch  zahlreiche  Zeugen  erhärtet  und  auch  von  den 
fremden  Officieren  —  namentUch  den  im  Spätsommer  dort  gewesenen 
schweizerischen  Officieren  —  bestättiget  w^ard,  war  dieselbe  bereits 
Mitte  August  1885  in  Angriff  genommen  worden,  desgleichen 
war  die  wiederholt  aus  Sofia  verbreitete  Meldung,  dass  SHvnica  seit 
Jahren  ein  ständiges  Uebungslager  der  bulgarischen  Truppen  gewesen, 
eine  absolute  Erfindung.  Das  Uebungslager  der  bulgarischen  Truppen 
war  -stets  östlich  in  der  Nähe  Sofia's  gelegen.  Auf  der  Hauptstrasse 
von  Sofia  nach  Oaribrod,  respective  Pirot  hätte  doch  sonst  jemand 
jemals  dieses  Lager  oder  diese  Befestigungen  gesehen,  die  auch  heute 
von  der  Strasse  aus  gut  wahrzunehmen  sind. 

Serbien. 

Auf  dem  Berhner-Congresse  waren  es  zunächst  Oesterreich- 
üngarn,  dann  die  Westmächte,  welche  Serbien  Nis  und  Pirot  als 
Lohn  für  die  gebrachten  Kriegsopfer  verschafften.  Man  hatte  die 
Absicht,  durch  die  Ausdehnung  und  Erhebung  der  Macht  Serbien's 
den  Einfluss  Eussland's  auf  der  Balkan-Halbinsel  einzuengen. 

In  den  Krieg  gegen  die  Türkei,  der  dem  letzten  grossen 
russisch-türkischen  Kriege  voranging,  waren  die  Serben  durch  die 
Machinationen  russischer  Intriganten  hineingedrängt  worden.  Sie  waren 
der  Uebermacht  erlegen  und  hatten  dafür  nicht  Theilnahme,  sondern 
öffenthche  Beschimpfung  von  Seiten  des  Ozars  geerntet.  An  dem 
neuen  Kriege  hatten  sie  wieder  Theil  genommen  und  nach  Kräften 
ihre  Schuldigkeit  gethan.  Trotzdem  mussten  sie  es  über  sich  ergehen 
lassen,  dass  General  Ignatieff  in  San  Stefano  sich  um  ihre  Inter- 
essen gar  nicht  kümmerte,  dass  er  ausschliesslich  Sorge  dafür  trug, 
ein  neues,  grosses  Bulgarenreich  auf  der  Balkan- Halbinsel  zu  etablieren, 
welches  nach  Umfang  und  ßeichthum  den  kleinen  serbischen  Staat 
weit  überragte.  Dass  unter  solchen  Umständen  die  Beziehungen  des 
Königreiches  Serbien  zu  dem  Fürstenthume  Bulgarien  sich  vom 
Anfange  an  nicht  sehr  freundlich  gestaheten,  ist  begreiflich ;  Serbien, 
welches  für  die  eigene  Befreiung  und  die  Schwächung  der  Türkei 
so  viele  gefährliche  und  aufopfernde  Kriege  geführt  hatte,  mochte 
nicht  leicht  den  Gedanken  ertragen,  dass  es  nun  von  Bulgarien  über- 
flügelt werde.  Bulgarien  aber,  welches  jene  Gesinnung  Serbien's 
genau  kannte,  wusste  ebenso,  dass  Serbien  sein  Begehren  nur  auf 
Kosten  jener  Rechte  befriedigen  konnte,  welche  es  selbst  für  sich  in 
Anspruch    nahm.     Die  Missgunst    gegen    den    bulgarischen  Empor- 


—  4  - 

kömmling  somit  wirkte  dabei  auf  terbischer  Seite  zusammen  mit 
dem  Unmuthe,  über  seinen  russischen  Protector.  Die  Regierung  des 
Fürsten  Alexander  war  aber  auch  der  des  Königs  Milan  nichts  weniger 
als  ein  williger  Nachbar.  Zu  wiederholten  Malen  benahm  sich  Bul- 
garien feindselig,  ja  sogar  herausfordernd  gegen  Serbien,  so,  dass 
bekanntlich  schon  im  Juni  1884  die  diplomatischen  Beziehungen 
zwischen  Belgrad  und  Sofia  abgebrochen  wurden.  Den  Anlass  hiezu 
bot  damals  der  Umstand,  dass  Bulgarien  die  aus  Serbien  vertriebenen 
Aufständischen  und  Parteigänger  des  Prätendenten  -Karagyorgyevics 
nicht  nur  gastlich  aufnahm,  sondern  auch  entlang  der  serbischen 
Grenze  ansiedelte,  dieselben  mit  Waffen  und  Munition  ausrüstete  und 
damit  zu  räuberischen  Streifzügen  nach  serbischem  Gebiete  befähigte. 
Der  zweite  Streitpunkt  betraf  das  Gebiet  von  Bregovo,  welches  nach 
dem  Berliner  Vertrage  zu  Serbien  gehörte  und  ganz  eigenmächtig  und 
widerrechtlich  von  bulgarischen  Milizen  besetzt  worden  war.  Benahm 
sich  also  das  kleine  Bulgarien  so  freundnachbarlich  gegen  das 
Königreich  Serbien,  was  hatte  letzteres  erst  von  einem  sehr  beträchtlich 
vergrösserten  ,,Nord-  und  Südbulgarien"  zu  gewärtigen! 

Ist  es  somit  begreiflich,  dass  König  Milan  schon  am  22.  Sep- 
tember die  Mobilmachung  der  ,,activen  Armee"  anordnete,  so  kann 
man  sich  doch  auch  eines  gewissen  Zweifels  nicht  erwehren,  ob  es 
im  ersten  Mome  nte  in  der  Absicht  der  serbischen  Regierung 
gelegen  sein  mag,  die  Spitze  derselben  gegen  Bulgarien  zu 
kehren. 

Seit  dem  Berhner  Oongresse,  war  das  fernere  Schicksal/ 
Serbien's  innig  verflochten  mit  dem  absterbenden  osmanischen  Reiche' 
und  dessen  unaufhaltsamen  Rückgange.  Hielt  Serbien  die  Stunde 
dieses  Zusammenbruches  lür  gekommen,  so  musste  es  auch  begreiflich 
erscheinen,  dass  es  rüstete  und  eingedenk  alter  ruhmvoller  Tradi- 
tionen zu  den  Fahnen  eilte,  um  südwärts  auf  altserbischem  Boden 
wieder  festen  Fuss  zu  fassen.  In  Wahrheit  scheint  es  somit,  dass 
man  nicht  .-nur  in  Belgrad  sondern  auch  in  Athen  im  Augenblicke 
des  Ausbruches  der  ostrumehschen  Krise  darauf  gerechnet  hatte, 
dass  der  Momerft  der  „Liquidation"  im  Anzüge  oder  auch  schon 
gekommen  sei  und  dass  man  daher  als  ,, berufene  Erben"  sich  bereit 
zeigen  müsse,  seine  Ansprüche  mit  dem  gebührenden  Nachdrucke 
anzumelden.  Darin  haben  sich  nun,  —  wie  die  Erfahrung  lehrte, 
wie  insbesondere  die  Haltung  der  Türkei  und  die  Gesinnung  der 
europäischen  Mächte  es  bekundete,  ~  die  christlichen  Balkan-Staaten 
total  verrechnet.  Ob  Serbien  sich  wirklich  in  dieser  schwierigen, 
weil  falschen  Position    befand,    kann    wohl    nicht    mit    Bestimmtheit 


—  5  — 

angegeben  werden ;  jedenfalls  aber  war  ein  Ausweg  aus  derselben 
—  ohne  das  offene  Eingeständniss  des  begangenen  Irrthums  —  nur 
in  der  Weise  möglich,  wie  Serbien  es  thatsächhch  that,  indem  es 
durch  seine  diplomatischen  Vertreter  bei  den  Mächten  erklären 
Hess,  dass: 

,,!•  das  serbische  Volk  in  keiner  Art  für  den  stattgehabten 
,, Bruch  des  BerHner  Vertrages  verantwortlich  gemacht  werden 
,, könne  ; 

,,2.  i'm  Gegentheile  Serbien  in  loyaler  Weise  diesen  Ver- 
,,trag  in  jeder  Richtung  respectierte  nnd  mit  grossen  Opfern 
,,die  wahrhaft  onerosen  Bedingungen,  die  ihm  durch  denselben 
auferlegt  waren,  erfüllt  hat; 

„3.  durch  die  sehr  beträchtliche  Vergrösserung  Bulgarien's 
,,ohne  eine  entsprechende  Gebietscompensation  an  Serbien  jenes 
,, Land  eine  stätige*l?edrohung  Serbien's  würde  und  dass  solch' 
„ein  Stand  der  Dinge  die  friedlichen  Beziehungen  zwischen 
,, beiden  Staaten  nicht  fördern,  sondern  im  Gregentheile  ihre 
,, zukünftige  Entwicklung  im  höchsten  Grade  gefährden  würde. 
„Für  Serbien  sei  es  daher  eine  Lebensfrage,  dass  das  Gleich- 
,,gewicht  der  I^räfte  auf  der  Balkan-Halbinsel  erhalten 
„bleibe.  Die  Massregeln,  welche  die  serbische  Regierung  betreffs 
,,der  Mobilisierung  der  Armee  ergriffen,  seien  yon  keinerlei 
,, Motiven  der  Ambition  eingegeben ,  sondern  nur  zu  dem 
,, Zwecke  getroffen  worden,  die  nationale  Unabhängigkeit,  für 
,, deren  Erlangung  das  serbische  Volk  Jahrhunderte  hindurch 
,,gefoehten  und  die  gegenwärtig  mit  Vernichtung  bedroht  ist, 
,,zu  erhalten." 

Wenn  somit  König  Milan  vor  Ausbruch  des  Krieges  dem 
Fürsten  Alexander  gegenüber  persönKche  Schroffheit,  ja  FeindseHg- 
kt^it  an  den  Tag  legte,  wenn  er  sich  von  der  Besorgniss  erfüllt 
zeigte,  dass  das  vergrösserte  Bulgarien  dem  Königreiche  Serbien 
gefährlich  werden  könnte,  wenn  er  sich  deshalb  zum '-Hüter  des 
Berliner  Vertrages  aufwarf,  obgleich  weder  die  Türkei,  noch  die 
Grossmächte  dies  von  ihm  verlangten,  so  ist  seiii  Vorgehen  von 
dem  Vorwurfe  nicht  freizusprechen,  innerlich  unwahr  gewesen 
zu  sein.  Thatsächhch  suchte  er  nur  einen  Vorwand,  um  sich  das 
wieder  zu  holen,  was  ihm  der  Berhner  Oongress  —  vielleicht  mit 
Unrecht  —  versagt  hatte,  weil  ein  von  der  Pforte  losgelöstes,  auf 
die  Bahn  seiner  eigenen  Kraft  und  seiner  eigenen  Aspirationen 
gestelltes  grossbulgarisches  Königreich  eine  Gefahr  für  Serbien 
gewesen  wäre,  was   unb  es  treitba^r  bleibt.     Erkannte    man    aber 


/%'/^ 


—  6  - 

das  in  Belgrad,  so  hatte  man  ja  nur  dasjenige  erkannt,  was 
Europa  auf  dem  Berliner  Congresse  selbst  lebhaft  aufgegriffen 
hatte,  indem  es  den  Vertrag  von  San  Stefano  gerade  in  diesen 
Punkten  einer  entscheidenden  Eevision  unterzog  und  der  künftigen 
Stellung  Bulgarien's  bescheiden  er e  Grenzen  anwies.  Wenn  daher 
König  Milan  angesichts  solcher  Besorgnisse  seine  Armee  mobilisirte, 
so  war  dies  vielleicht  eine  üb  er  ei  1  te  Handlung,  nie  und  nimmer 
kann  man  aber  sagen,  dasssievon  vorn  eher  im  Wider- 
spruche mit  dem  Grundgedanken  des  Berliner  Ver- 
trages gestanden,  oder  aber  ein  Akt  der  Heraus- 
forderung gewesen  wäre. 

Nachdem  endlich  auch  der,  im  letzten  Jahrzehnte  stets  geübte 
Brauch,  die  Entscheidung  der  Mächte  in  internationalen  fragen  im 
Wege  einer  ,,Conferenz"  herbeizuführen,  nicht  nur  zu  keiner  Ent- 
scheidung führte,  sondern  gerade  die  Conferenz  der  Botschafter  in 
Constantinopel  die  ganze  Angelegenheit  nur  zu  verschleppen 
schien,  so  beauftragte  König  Milan  den  mit  der  Vertretung  Serbien's 
betrauten  griechischen  Gesandten  in  Sofia  Herrn  Ehangabe  am 
Abende  des  13.  November  der  südHch-bulgarischen  Regierung  um 
1  Uhr  Nachts  am  14.  November  zu  erklären,  dass  er  In  Folge 
des  unmotivirten  üeberfalles  durch*  bulgarische 
Truppen  und  deren  Eindringen  auf  serbisches  Gebiet 
mit  der  Kriegserklärung  antworte.  Die  serbische  Regierung  machte 
somit  den  Ueberfall  der  Bulgaren  auf  die  Serben  bei  Vlasina  und 
Dascani  kladenac,  welcher  am  Morgen  des  13.  November  stattfand, 
zum  casus  belh,  hat  aber  mit  der  Kriegserklärung  bis  1  Uhr  Nachts 
zum  14.  November  gewartet,  u.  zw.  aus  dem  einzigen  Grunde,  weil 
der  13.  November  ein  Freitag  —  „ein  Unglückstag''  —  war;  jeden- 
falls ein  Unikum  in  der  Kriegsgeschiehte. 


Summirt  man  die  politischen  Vorgänge  auf  beiden  Seiten  vor 
Beginn  des  Krieges,  so  resultirt :  dass  Bulgarien  sich  politisch 
offensiv,  Serbien  aber  defensiv  verhalten  hatte,  dass  ersteres 
dagegen  militärisch  defensiv,  letzteres  offensiv  auftrat. 

Am  16.  October  hielt  König  Milan    in  Nis   eine    grosse  Revue 

^       über  die  Armee,  wobei  derselbe  unter  anderem  in  seiner  Ansprache 

^       sagte :    ,,In   zwei   Tagen    wird    die    Entscheidung    fallen."   —   Am 

16.  Oktober    war    also   die  Armee  —  abgesehen    von    dem   M  u  n  i- 

..  .  tionsmangel,    der    aber  auch    einen  Monat    später    noch 

,iut^       herrschte  —  operationsfähig.     War  nun  die  serbische  Armee  zuin 

Kampfe  entschlossen  —  und  sie  war  es  von  allem  Anfange  her  — 


—  7  — 

so  war  es  Sache  der  Politik,  den  casus  belli  rasch  zu  ergreifen,  — 
den  an  der  Südgrenze  Ostrumelien's  aufmarschierten  Bulgaren  nicht 
Zeit  zu  gönnen  sich  bei  Sofia  zu  concentr-ieren,  —  sich  nicht  durch 
die  Intervention  der  Traetat mächte  des  Berliner  Vertrages  irre 
machen  zu  lassen,  —  dem  ,,fait  accompli"  der  Bulgaren  sofort 
ein  ,,fait  accompli"  der  Serben,  das  ist:  die  Einnahme  von^: 
Sofia  folgen  zu  lassen.  Mitte  Oktober  wäre  dies  den  Serben  trotz  ^ '»»  - 
Munitionsmangel  und  fehlerhafter  Operationen  immerhin  ein  Leichtes 
gewesen.  Das  Zaudern  der  serbischen  Politik  war  daher  ein 
Fehler,  80  gross,  wie  kein  anderer  in  diesem  Kriege, 

Nicht  unerwähnt  kann  schliesslich  —  wiewohl  nicht  strenge 
hieher  gehörend  —  das  eigenthümliche  Benehmen  der  Berhner 
Tractatmäehte  gelassen  werden ;  es  hat  zu  den  curiosesten  An- 
schauungen und  Oonstellationen  geführt.  Man  sah  hintereinander 
ein  Russland,  welches  die  Ideen  des  Vertrages  von  San  Stefano  ver- 
warf, und  ein  England,  welches  seine  eigenste  Congressschöpfung : 
die  Sonderstellung  Ostrumelien's,  fallen  hess;  in  der  österr.  und  ung. 
Monarchie  ergab  es  sich,  dass  in  der  Volksvertretung  gerade  diejenigen 
Elemente  am  eifrigsten  für  die  Herstellung  des  status  quo  ante  und 
die  Unatitastbarkeit  des  Berliner  Vertrages  eintraten,  die  vor  wenigen 
Jahren  keinen  Anstand  genommen  hatten,  diesen  von  ganz  Europa 
angenommenen  und  ratificierten  Vertrag  durch  ein  sollennes  Parteivotum 
zu  invalidieren ;  man  sah  Serbien  einen  Angriff  auf  ein  Gebiet  unter- 
nehmen, das  zwar  unzweifelhaft  türkisches,  aber  doch  zugleich  das 
Gebiet  einer  insurgierten  Provinz  war,  so  dass  die  Pforte  in  diesem 
Angrif!*e  nicht  noth wendig  einen  casus  belH  erbhcken  musste.  Und, 
um  das  Mass  dieser  politischen  und  völkerrechthchen  Verwirrungen 
voll  zu  machen,  erfolgte  dieser  Angriff  angesichts  der  Berathungen 
der  Conferenz  in  Constantinopel,  also  in  einem  Augenbhcke,  in  welchem 
Europa  in  aller  Form  seinem  Willen  Ausdruck  gegeben  hatte,  alle 
die  Verhältnisse  zu  beherrschen  und  ihrer  definitiven  Entscheidung 
zuzuführen. 

Die  geograpliisciien  Verhältnisse. 

Kriegstheater:  Ganz  Bulgarien  und  ganz  Serbien.  Taf.  i. 

Kriegsschauplatz:  Der  Raum  zwischen  der  Morava,  Donau, 
dem  Isker  und  der  Struma. 

Das  serbische  Bergland,  von  unregelmässiger  Vertheilung,  aber 
innig  verwachsen  mit  dem  Rumpfe  der  Balkan- Halbinsel,  gruppiert 
sich  wesentlich  um  das  Flussnetz  der  grösstentheils  schiffbaren  Morava, 
welche  eigentlich  die  Lebensader  des  Landes,  sowohl  .durch  Befruch- 


—  8  — 

tung  der  niederen  Gegenden  ihres  ausgedehnten  Bereiches^  wie  durch 
Vermittlung  des  Binnenverkehres  zur  Dc»nau  bildet;  —  indess  Bul- 
garien in  seinem  westhchen  Theile  von  der  Stara  planina  (Hodza- 
Balkan),  in  seine  n  mittleren  und  östlichen  Theile  von  den  Nord- 
abfällen des  Grossen  Balkan  durchzogen  wird. 

Serbien  ist  seiner  vielghederigen  Gebirgsverflechtung  wegen  im 
Allgemeinen  unzugänglich  und  unwegsam ;  Bulgarien  dagegen  setzt 
in  seiner  nördlichen  Hälfte  —  die  vielen  Flussläufe  abgerechnet  — 
der  Bewegung  wenig  Hindernisse  entgegen.  Das  jetzige  Strassennetz 
Serbien's  verzweigt  sich  um  ein  von  der  Natur  vorgezeichnetes 
Strassenkreuz,  dessen  Nordspitze  die  Hauptstadt  Belgrad  bildet ;  ein 
geregelter  Strassenbau,  vervollständigt  durch  die  Eisenbahn  ßelgrad- 
Nis-Vranja,  führt  an  den  Ufern  der  grossen  Morava  nach  Süden. 
Für  den  hier  in  Betracht  kommenden  bulgarischen  Theil  des  Kriegs- 
schauplatzes bildet  Sofia  denjenigen  Punkt,  von  dem  aus  die  Oom- 
municationen  strahlenförmig  ausgehen.  Das  an  sich  praktikable  und 
iür  Truppenbewegungen  brauchbare  Strassennetz  erfüllt  indessen 
seinen  Allgemeinzweck  nicht,  so  lange  es  nicht  genügend  ineinander 
verknüpft  ist,  wozu  die  bisher  nur  unbeträchtlichen  Zwischenverbin- 
dungen kunstmässiger  Vicinal^  und  fahrbarer  Saumwege  keinesfalls 
ausreichen.  Erst  die  Fortentwicklung  des  Eisenbahnwesens  wird  eine 
Weiterausbildung  der  Wege  des  grösseren  und  kleineren  Verkehrs 
erwirken.  An  den  weiteren  Ausbau  der  bereits  bestehenden  Balkan- 
bahnen wird  Serbien  sowohl  als  auch  Bulgarien  in  der  Erkenntniss 
der  sehr  fühlbar  gewordenen  Lücken  sobald  wie  möglich  herangehen 
müssen;  es  ist  dies  die  Strecke  von  Nis  üder  Sofia  an  die  Marica- 
Bahn,  für  Serbien  weiters  noch  von  Vranja  nach  Skoplje  an  die 
Vardar-Bahn  etc. 

Die  strategische  Grenze  Serbien's  gegen  Bulgarien  gestaltet 
sich  sowohl  am  Timok  wie  auch  weiter  südwärts  zum  Balkan  recht 
günstig.    Natürliche  Vertheidigungsmauernschützen__ge^en^^ 
Einfälle  und  erh4toLjiie  Widerstandskraft  des  Landes.     Nur  durch 


Gebirgslücken  findet  die  Invasion  aus  dem  benachbarten  Lande  Ein- 
gang zum  inneren  Serbien.  Diese  Defileen,  von  festen  Klöstern  und 
leicht  zu  befestigenden  Depotplätzen  gesperrt,  können  längere  Zeit 
erfolgreichen  Widerstand  leisten,  um  so  mehr,  als  sie  nur  auf  grossen 
Umwegen  und  mit  Zeitverlust  zu  umgehen  sind.  Als  Ausfallsthore 
unterstützen  sie  die  active  Vertheidigung,  anderseits  können  sie  je 
nach  Umständen  Fallthüren  für  den  eingedrungenen  Feind  werden. 
In  dem  vorliegenden  Falle  hatte  der  südöstliche  Abschnitt  —  das 
hochwellige   Plateau    des   Flussgebietes    der   Ost-Morava  —  welcher 


—  9  — 

keilartig  zum  Balkan  vorgetrieben,  Bulgarien  vom  Imselfelde  trennt, 
die  hervorragendste  Bedeutung.  Zwischen  den  vielgestalteten  Berg- 
reihen strömen  der  Morava  und  Nisava  von  Südwest  und  Südost 
zahlreiche  Nebengewässer  zu,  deren  Thalränder  Uebersicht  über  das 
Vor-  und  Seitenterrain  gewähren  und  ausgiebige  Gefechtsstellungen 
zur  Deckung  der  grossen  Slrassen,  welche  den  Thalsenkungen  der 
genannten  Flüsse  folgen,  ermögUchen.  Vom  Donaustrande  endlich 
zwischen  Morava  und  Timok,  sich  südlich  bis  zum  Tieflandsstreifen 
der  Nisava  erstreckend,  verzweigt  sich  das  Hochland  in  viele  Stufen, 
die  mit  steilen  Abbruchen  nach  Aussen  abfallen  und  nur  auf  schwie- 
rigen Gebirgspässen  zugänghch  sind,  wodurch  die  lokale  Kriegführung 
dieses  Abschnittes  wesentlich  begünstigt  wird.  Dass  das  Operations- 
ziel einer  bulgarischen  Armee  —  Belgrad  —  unter  den  geschilderten 
Verhältnissen  hinreichend  gedeckt  war,  bedarf  wohl  keines  näheren 
Beweises. 

Fasst  man  das  bisher  Gesagte  in  kurzen  Worten  zusammen, 
so  fällt  wohl  bei  einem  nur  flüchtigen  Blick  auf  die  Karte  in's  Auge, 
dass  für  eine  serbische  Offensive  die  Eichtung  Nis-Pirot-Slivniea-Sofia 
die  hervorragendste,  jene  aus  dem  unteren  Timok-Thale  nach  Nord- 
Bulgarien  nur  eine  nebensächhche  Bedeutung  hatte. 

Wie  ungünstig  gestalteten  sich  dem  gegenüber  die  geographischen 
Verhältnisse  für  Bulgarien.  Sofia,  die  Hauptstadt  des  Landes,  kaum 
etwas  über  4  Tagmärsche  von  Pirot  entfernt,  lag  eigentlich  —  bis 
auf  die  Position  von  Slivnica,  welches  in  der  That  als  der  Schlüssel 
des  ganzen  Balkan-Plateau's  und  der  bulgarischen  Hauptstadt' anzu- 
sehen ist,  und  auch  dementsprechend  fortificatorisch  verstärkt  war  — 
einer  serbischen  Invasion  vollkommen  ungedeckt  da. 

Selbstverständlich  standen  einer  bulgarischen  Offensive  dieselben 
Räume  zur  Verfügunng. 

Die  militärischen  Verhältnisse. 

1.  Das  materielle  Element. 

a.  Stärke-Verhältniss.  Die  bulgarische  Armee  be- 
stand aus  Truppen  des  Fürstenthumes  Bulgarien  und  der  türkischen 
Provinz  Ostrumehen ;  dieselbe  setzte  sich  zusammen  aus  der  „activen 
Armee"  oder  dem  1.  Aufgebote,  aus  den  Formationen  des  2.  Auf- 
gebotes, endhch  aus  Landsturm-  und  Freiwilhgen-Formationen.  Dem- 
gemäss  hatte  die  bulgarisch-ostrumelische  Armee  aa  Streitbaren 
eine  Gesammtstärke  von  höchstens :  85.000  Mann  der  Fusstruppen, 
1.350  Reitern  und  100  Geschützen.  Hievon  entfielen  36.000  Mann 
Fusstruppen,  1.350  Reiter  und  100  Geschütze  auf  die  „active  Armee", 


—  10  - 


30.000  Mann  der  Fusstruppen  auf  die  Formationen  des  2.  Aufgebotes, 
weiters  14.000  Mann  der  Fusstruppen  auf  die  Landsturm-  und  Frei- 
willigen-Formationen. Endlich  besass  Bulgarien  eine  Donau-Flottille 
von  6  Dampfern  mit  15  Geschützen,  sowie  6  Torpedo-Boote. 

Serbien  besass  die  „active  Armee",  d.i.  denjenigen  Theil  der 
Wehrkraft,  welcher  das  1.  Aufgebot  der  Wehrpflichtigen ,  die 
10  jüngsten  Altersklassen  (vom  20.  bis  zum  30.  Lebensjahre)  umAisst. 
Die  aus  dem  2.  Aufgebote  zu  formirende  „Reserve-Armee"  und  der, 
das  3.  Aufgebot  umfassende  „Landsturm"  wurden  vorerst  nicht 
mobihsiert.  Das  stehende  Heer  (der  „permanente  Cadre")  zählte  im 
Frieden  Alles  in  Allem  17.000  Mann  mit  144  bespannten  Geschützen 
und  sollte  im  Kriege  die  „active  Armee"  bilden,  an  Streitbaren*) 
zusammen  :  50.000  Mann  der  Fusstruppen,  3.200  Reitern  und  264  Ge- 
schützen Die  Mobilisierung  hatte  aber  gezeigt,  dass  diese  auf  dem  Papiere 
stehenden  Zahlen  in  Wirklichkeit  unerreichbar  waren.  Diese  oder  jene 
vom  1.  Aufgebote  sollen  nicht  einberufen  worden  sein,  so  dass  die 
ohnehin  schwachen  serbischen  Compagnien  (186  Mann)  um  20  bis  30 
Nepoten  unter  dem  Stande  waren,  die  Combattantenzahl  der  Fusstruppen 
der  „activen  Armee"  demnach  auf  kaum  40.000  Mann  herabsank.  Mit 
den  beim  Timok-Corps  eingetheilten  7  Bataillonen  2.  Aufgebotes  mochte 
die  gesammte  Armee  etwa  45.000  Combattanten  erreicht  haben. 

Auch  die  MobiHsierung  der  organisationsgemässen  Anzahl  von 
Escadronen  und  Batterien  scheint  auf  Hindernisse  gestossen  zu  sein. 
Es  fehlte  im  Lande  an  geeigneten  Reit-  und  Zugpferden  in  der  er- 
forderlichen Menge. 

Die  Verstärkung  der  „activen  Armee"  durch  die  „Reserve- 
Armee'  (Wehrpflichtige  des  2.  Aufgebotes  vom  30,  bis  37.  Lebens- 
jahre) etwa  50.000  Mann  und  des  „Landsturmes"  (Wehrpflichtige 
des  3.  Aufgebotes  vom  37.  bis  zum  50.  Lebensjahre)  etwa  110.000 
Mann  war  zunächst  nicht  in  Aussicht  genommen.. 

Die    gegenseitigen  Kräfte  der  mobilisierten  bulgarisch-ostrume- 
lischen  Armee  zur  serbischen  Armee  verhielten  sich  demnach: 
Combattanten  der  Fusstruppen  wie  2  :  1 
Reiter  und  Geschütze     .     .     .     „     1:2 

J.  Ergänzung.  Beide  Armeen  nach  dem  Principe  der  all- 
gemeinen Wehrpflicht,  u.  z.  währt  dieselbe  in  Bulgarien  und  Ost- 
rumelien  vom  20.  bis  zum  32.  Lebensjahre,  in  Serbien  vom  20.  bis 
zum  50.  Lebensjahre. 

*)  Es  sei  hier  erwähnt,  dass  zu  den  ,, Streitbaren  oder  Combattanten"  stets  nur  die  „Bajo- 
nette" der  Infanterie,  beziehungsweise  die  „Säbel"  der  Cavallerie  gerechnet  werden.  Die  Artillerie 
wird  nach  der  Zahl  der  Geschütze  ausgewiesen. 


—  11  — 

c.  Organisation.  Während  die  bulgarische  und  ost- 
rumelische  Armee  noch  den  ausgesprochenen  Charakter  eines 
„Mihzheeres  hatten,  könnte  man  die  serbische,  d.i.  die  „active 
Armee"  schon  annähernd  zu  den  „stehenden  Heeren"  zählen.  Die 
Organisation  der  serbischen  Armee  war  demnach  jener  der  bulgarischen 
und  ostrumelischen.weit  überlegen.  Sie  trug  nicht  mehr  den  Charakter 
einer  Improvisation,  sondern  fusste  auf  so  sicheren  organischen  und 
administrativen  Grundlagen,  dass  sie  allgemein  als  die  beste  und 
stärkste  unter  allen  übrigen  Armeen  der  Balkanländer  erscheinen 
musste.  Bei  allen  drei  Armeen  endUch  lag  das  Princip  des 
Territorial-Systems  der  Organisation  der  Wehrmacht  zu  Grunde; 
in  den  beiden  ersteren  war  das  System  der  Centralisation ,  in 
letzterer  theilweise  der  D  ecentr  alisation  der  Vorräthe  durch- 
geführt. 

d.  Bewaffnung.  Bei  der  bulgarischen  und  ostrume- 
lischen  Armee  eine  gemischte  aus  alten  und  neuen  von  der 
russischen  Armee  adoptierten  Systemen,  u.  z.  erhielten  bei  der  ost- 
rumeHschen  Infanterie  die  Reserven,  welche  in  die  „active  Armee" 
eingetheilt  wurden,  fast  ausschliesslich  das  ältere  Krnka-Gewehr, 
während  die  active  (präsente)  Truppe,  sowie  die  bulgarische  Armee 
mit  dem  neuen  Berdan-Gewehre  versehen  war.  Die  Freiwilligen 
endhch  der  ostrumelischen  Armee,  sowie  die  Wehrpflichtigen  des 
2.  Aufgebotes  wurden  mit  dem  Martini-Gewehre  betheilt.  Unter  den 
Batterien  befanden  sich  einige  mit  Krupp-Geschützen  (türkische  Beute) 
und  russischer  Dotation  ausgerüstete. 

Das  serbische  Mauser-Milovanovic-Gewehr  —  das  beste  der 
europäischen  Ordonnanz-Gewehre —  ist  dem  bulgarischen,  eigentlich 
russischen  Berdan-Gewehre  weit  überlegen.  Mit  demselben  war  die 
„active  Armee"  Serbien's  ausgerüstet;  für  das  2.  Aufgebot  waren 
Gewehre  —  System  Prabody  —  bestimmt.  Die  Artillerie  hatte  noch 
Rücklade-Feldgeschütze  (la  Hitte)  veralteter  Construction.  Für  die 
heutige  Kriegführung  war  demnach  das  Geschützmaterial  Serbien's 
qualitativ  derart  unzulängHch,  dass  man  darauf  verzichtet  zu  haben 
schien,  der  Feldarmee  den  ganzen  Ballast  an  alten  Bronce-Geschützen 
mitzugeben,  welcher  in  den  Depots  der  Formirungsorte  aufgespeichert 
war.  Da  man  die  Neubewaffnung  mit  Geschützen  des  französischen 
System's  de  Bange  erst  kurz  vor  der  Mobilmachung  beschlossen  hatte, 
ihre  Einführung  daher  kaum  begonnen  war,  so  beschränkte  sich  das  tt^u*/ 
für  den  Feldgebrauch  verwendbare  Geschützmaterial  Serbien's. auf 
eine  gewisse  Anzahl  in  Kragujevac  adaptierter  Bronce-Geschütze,  sowie 
auf  einige  Geschütze  der  Systeme  Krupp,  Armstrong  und  de  Bange, 


M'/. 


eJl. 


—  12  — 

welche  theils  als  türkische  Beute,  theils  zu  Versuchszwecken  in's 
Land  gekomnaen  waren. 

e.  Ausrüstung.  In  Bulgarien  und  Ostrumelien  war 
die  gesammte  Ausrüstung  in  Sofia  beziehungsweise  Phihppopel  cen- 
tralisirt;  in  Serbien  dagegen  theilweise  decentralisirt.  Die 
Armee-Haupt-Ausrüstungsanstalten  Serbien's  waren  in  Belgrad  und 
Kragujevac  concentriert.  In  jedem  Divisions-Bezirke  befanden  sich 
aber  Depots,  sogenannte  „Handmagazine"  für  Artillerie-  (Munitions-), 
Ingenieur-  und  Sanitätszwecke,  ausserdem  permanente  und  zeitliche 
Proviantmagazine,  mindestens  ein  grosses  Artillerie-Magazin  mit 
Pulverdepot  und  endlich  permanente  oder  zeitHche  Militär-  und  Thier- 
spitäler.  Dass  beiden  Armeen  die  Ausrüstung  für  einen  Winter- 
feldzug mangelte,  ist  zur  Genüge  bekannt.  Was  aber  erst  in  den 
letzten  Monaten  in  die  Oeffentlichkeit  drang,  steht  bisher  in  der 
Kriegsgeschichte  wohl  einzig  da,  und  war  das  grösste  Verhängniss, 
das  über  die  serbische  Armee  hereinbrechen  konnte,  es  war: 
Munitionsmangel. 

Der  Kriegsberichterstatter  Herr  J.  Lukes  der  ^Wiener  Allg. 
Ztg."  schreibt  hierüber  im  „Armeeblatt"  vom  2.  Februar  1886: 
„An  demselben  litt  die  serbische  Armee  an  der  Nisava  seit  dem 
zweiten  Kampftage  von  SHvnica,  seit  dem  fünften  Tage  des  Krieges 
überhaupt^  d.  i.  seitdem  18.  November.  An  diesem  Tage  berechnete 
man  im  Armee-Hauptquartier  die  gesammte  Taschen-  und  Eeserve- 
Munition,  bei  der  Armee  wie  im  ganzen  Lande  überhaupt,  auf 
140  Patronen  durchschnittlich  per  Peuergewehr.  Nichtsdestoweniger 
waren  schon  damals  einzelne  Divisionen  so  gut  wie  ohne  Munition, 
weil  selbst  die  vorhandene  nicht  in  der  Kampflinie  zur  Stelle  war, 
sondern  erst  nachgeschoben  werden  musste.  Zu  Beginn  der  Kämpfe 
bei  Pirot  am  26.  November  zählte  man  nur  mehr  70  bis  80  Patronen 
per  Mann  und  am  Abend  des  27.  war  die  ganze  Armee  so  gut  wie 
verschossen,  so  dass  sie  am  28.  beinahe  ohne  Munition  dastand. 
Beweis  dessen  Keferte  eine  Visitation  des  19.  (Garde)  Bataillons  am 
8.  December,  welche  durch  den  Commandanten  desselben,  Haupt- 
mann Lazar  Petrovich,  in  Ponor  vorgenommen  wurde,  wobei  die 
Leute  4  bis  10  Patronen  in  den  Taschen,  einzelneaber 
gar  keine  mehr  hatten,  wesshalb  dieselben  abgenommen  und 
neu  vertheilt  wurden,  so,  dass  6  bis  7  Patronen  auf  den  Mann 
entfielen.  Der  erste  grössere  Transport,  der  über  Hals  und  Kopf 
in  Ki'agujevac  und  sonst  fabricirten  neuen  Munition  traf  aber 
erst  am  13.  December  bei  der  Nisava-Armee  ein".  —  Dieser  Umstand 
erklärt  nun  allerdings  so  manche  Vorgänge  in  der  serbischen  Armee 


—  IB  - 

während  der  Operationen,  die  dem  Fernstehenden   unbegreiflich 
erschienen. 

f.  M  0  b  i  1  i  s  i  e  r  u  n  g.  Ob  eigene  Vorschriften  hiefür,  ähnUch  wie 
dies  bei  den  Militär-Staaten  des  Continents  der  Fall  i.st,  und  in 
welchem  Umfange  sie  etwa  bestanden,  oder  nicht,  und  in  wie 
weit  sie  entsprachen  etc.,  kann  —  bei  der  völhgen  ünkenntniss  über 
dieselben  —  einer  Kritik  nicht  unterzogen  werden.  Im  vorhegenden 
Falle  war  dies  jedoch  insoferne  von  keinem  Belange,  als  ja  beide 
Armeen  8  Wochen  Zeit  zur  Mobilmachung  hatten.  Thatsache  ist  es, 
dass  die  Serben  schon  nach  4  Wochen  —  abgesehen  von  dem 
Munitionsmangel  —  Operations  fähig  waren.  Was  dagegen  die 
bulgarische  Armee  anbelangt,  so  dürfte  für  dieselbe  jedenftills 
der  Ausspruch  ihres  gewesenen  Kriegsministers,  des  russischen  Generals 
Oantacuzene  massgebend  sein.  Nach  demselben  war :  „Die  bulgarische 
Armee  6  Tage,  nachdem  die  Mobilisierungs-Ordre  erflossen,  bereit, 
in's  Feld  zu  rü«  lv(^n,  mit  blosser  Ausnahme  jener  Regimenter,  welche 
in  den  entfernteren  Theilen  des  Fürstenthumes  garnisonirt  waren. 
13  Tage  nach  der  Promulgierung  des  Mobihsierungs-Decretes  war 
die  gesammte  bulgarische-  Streitmacht  auf  dem  Marsche". 

g.  Erhaltung.  Die  Streitmassen,  welche  in  den  Kriegen  der 
Jetztzeit  auf  einem  verhältnissmässig  kleinen  Räume  vereint  werden, 
erfordern  besondere  Vorkehrungen  für  die  Erhaltung  und  Ernährung, 
und  dies  umsomehr,  wenn  es  sich  —  wie  in  diesem  Kriege  —  um 
einen  Win  terfeldzu  g  handelte. 

Diesen  Forderungen  scheinen  die  Serben  nicht  entsprochen 
zu  haben,  denn  der  Zustand  und  die  Fachbildung  der  Verptlegs-, 
Verwaltungs-  und  Nachschubs-Behörden  Hess  entschieden  Alles  zu 
wünschen  übrig.  Man  muss  es  offen  anerkennen,  dass  die  Bulgaren 
dies  ganz  anders  verstanden.  Serbien  besass  doch  organisations- 
gemäss  einen  Train ;  Bulgarien  hatte  nicht  einmal  das  Embryo  eines 
solchen  *)  und  doch  welch'  grosser  Unterschied  im  Nachschubswesen  ! 
Während  des  ganzen  Vor-  und  Rückmarsches  war  die  Armee  dem 
Verhungern  nahe,  ja  selbst  in  allerletzter  Zeit  und  im  eigenen 
Lande  an  der  Bahn  bei  Nis  soll  Unzufriedenheit  in  der  Armee 
geherrscht  haben,  weil  die  Truppen  nur  trockenes  Brod  und  gar  keine 
warmen  Speisen  erhielten.  Das  sind  nun  allerdings  Unterlassungs- 
sünden, die  nicht  nur  der  serbischen  Intendanz,  sondern  auch  der 
Kriegs  Verwaltung  schwer  zur  Last  fallen. 


*)  Nach  Angabe  des  Fürsten  Cantacuzene  wurde  der  Train  durch  Bauern  beigestellt,  deren 
Gefährte  in  gesetzlicher  Weise  requierirt  wurden. 


—  14  — 

Entsprach  auch  das  bulgarische  Nachschubswesen  nicht  dem 
europäischen  Begriffe  desselben,  so  kam  ihm  anfangs  der  Aufenthalt 
im  eigenen  Lande  und  die  Entfernung  nur  eines  Tagmarsches  von 
der  Operations-Basis  jedenfalls  vorzüglich  zu  statten. 

i.  Zusammensetzung  der  Streitmittel.  Bulgarisch- 
ost rumelische  Armee:  3  Divisionen  1 .  Aufgebotes  ä  2  Brigaden  ; 
Bataillone  2.  Aufgebotes ;  Frei wiUigen- Bataillone ;  Landsturm-Bataillone ; 
sämmthche  unter  dem  Oberbefehle  des  Fürsten  Alexander  I.  von 
Bulgarien.  Generalstabs-Chef :  Hauptmann  Petrow. 

,  Die  durch  Verhältnisse  herbeigeführte  Gruppirung  der  Streit- 
kräfte hatte  von  Haus  aus  ein  Festhalten  an  den  höheren  Armee- 
Verbänden  (Brigaden,  Divisionen)  nicht  gestattet.  Hierüber  äusserte 
sich  in  einem  Berichte  der  bulgarische  Correspondent  (es  soll  dies 
der  bulgarische  Oberstlieutenant  von  Corvin  gewesen  sein)  der  „Kölner 
Zeitung"  an  dieses  Blatt  folgendermassen :  „Die  durch  den  Abgang 
der  Russen  gelöste  hierarchische  Ordnung  des  Heeres  war  eigenthch 
für  die  unteren  taktischen  Einheiten  wieder  hergestellt  worden,  d.  h. 
es  gab  nur  Regimenter,  Bataillone,  Oompagnien,  beziehungsweise 
Schwadronen.  Für  die  Reiterei  war  auch  ein  Brigade-Oommando 
(OberstUeuteoant  von  Corvin)  vorhanden ;  für  die  Artillerie  ein  Artillerie- 
Obercommando  (Hauptmann  Panow),  dem  alle  Batterien  unmittelbar 
unterstanden  5  für  die  Infanterie  aber  gab  es  an  Stelle  regelrechter 
Brigaden  und  Divisionen  nur  „Detachements",  die  in  ganz  ungleich- 
massiger  Stärke  bald  Brigaden,  bald  Divisionen  genannt  wurden,  aber 
namenthch  was  die  Division  betrifft,  diesen  Namen  eigentlich  nicht 
verdienten,  da  ihnen  die  ünterabtheilungen,  die  Brigaden,  fehlten. 
Alle  Regimenter  einer  Division  unterstanden  dem  unmittelbaren  Befehle 
des  Divisions-Oommandeurs,  ebenso  die  zahlreichen  nicht  regimentierten 
Bataillone,  Mihzen,  FreiwiUige  und  Ostrumelier.  Dabei  wechselten 
die  Stärken  der  Divisionen  unaufhörlich.  Das  schlagendste  Beispiel 
in  dieser  Beziehung  bot  die,  die  Vertheidigung  von  Slivnica  führende 
Division  Gutschew,  die  am  15.  November  nur  7.000  Mann  stark  war, 
um  bis  zum  20.  auf  fasst  35.000  Mann  anzuschwellen,  ohne  dass  in 
der  Eile  die  Errichtung  von  ünterabtheilungen  möglich  gewesen  wäre. 
Dabei  bestand  Major  Gutschew's  ganzer  Stab  aus  einem  Hauptmann 
und  einem  Lieutenant  als  „Generalstabs-Officiere",  zwei  Lieutenants 
als  „Divisions-Adjutanten". 

Serbische  Armee:  4  Divisionen  und  1  Cavallerie-Brigade 
—  *die  Nisava-Armee  —  unter  dem  Oberbefehle  des  Königs  Milan. 
Generalstabs-Chef:  Kriegsminister  General  Petrovich. 


—  15  - 


1  Division  und  mehrere  Bataillone  2.  Aufgebotes  —  das  Timok- 
Corps  —  unter  General  Ljesanin.  Generalstabs-Ohef :  Oberst  Miletic. 

Was  die  Stärkeverhältnisse  der  Truppen  sowohl 
als  der  Heereskörper  anbelangt,  so  gibt  die  Beilage  zu  Nr.  5 
des  , Militär- Wochenblattes"  (Berlin,  den  16.  Jänner  1886)  dieselben 
folgendermassen  an: 


Bulgaren 

Ostrumelier 

Serben 

Mann  der 
Fusstruppen 

Reiter 

ee- 

Bchütze 

Mann  der 
Fusstruppen 

Reiter 

Ge- 
schütze 

Mann  der 
Fusstruppen 

Reiter 

Ge. 
schütze 

250 

243 

186 

150 

150 

176 

1024 

973 



754 



30841) 

3014*) 

600 

714 

8 

4 

6 

13500 

600 

48 

12400 

350 

4 

10000 

700 

48 

1  Infant.-Oompagnie 
1  Escadron  (Sotnie) 
1  Infant.  -  Bataillon 

(Druschine)  .  .  . 
1  Infant.-Regiment 
1  Cavallerie-Regiin. 

(4  Escadroneii)  . 
1  Feldbatterie  .  .  . 
l  Infant. -Division  . 


2.  Das  geistige  Element. 

a)  Geist  im  Heere:  Auf  beiden  Seiten  vortrefflich.  Die 
Bulgaren  und  Ostrumelier  kämpften  um  ihre  nationale  Ver- 
einigung und  Selbststäudigkeit;  sie  wussten,  dass  sie  im  ungünstigsten 
Falle  nichts  zu  verlieren  hatten.  Bei  den  Serben  entsprach  der 
Krieg  den  Intentionen  und  Traditionen  der  Bevölkerung.  Trotz  den 
Misserfolgen  haben  sich  die  Truppen  mit  einer  ausserordentlichen 
Bravour  geschlagen. 

b)  Ausbildung.  In  der  bulgarischen  Armee  erfolgte 
die  Ausbildung  der  Officiere  in  den  russischen  Militärschulen.  Die 
Reglements,  die  Dienst-  und  Commandosprache  war  die  russische. 
Bei  Beginn  des  Krieges  war  die  Ausbildung  der  bulgarischen  Armee 
eigentlich  noch  in  ihrer  Entwicklung  begriffen,  nichtsdestoweniger 
war  schon  damals  die  vorzügliche  Ausbildung  und  Disciplin  der 
jungen  Armee,  für  die  man  erst  in  den  letzten  Jahren  ein  heimat- 
liches Officiers-Corps  zu  schaffen  begann,  anerkannt.  Da  sich  die 
bulgarischen  Abtheilungen  bereits  im  letzten  Feldzuge  unter  russischer 
Führung  bedeutend  hervorgethan  haben,  konnte  man  mit  Recht  an- 
nehmen,   dass    sie    bei    einem    eventuellen    künftigen    Feldzuge    alle/ 


*)  Die  bulgarischen  Regimenter  hatten  3,  die  serbischen  4  Bataillone. 


6  ■C' 


/ 


/ 


—  16  - 

Anforderungen  und  Hoffnungen,  welche  man  in  sie  setzte,  erfüllen 
werden.  Bemerkenswerth  ist  der  Anspruch  des  mehrgenannten  Fürsten 
Cantacuzene  über  den  bulgarischen  Soldaten.  Derselbe  sagt:  .„Der 
bulgarische  Landmann  gibt  ein  prächtiges  Rohmaterial  für  die  Armee 
ab,  er  marschirt  so  gut,  wie  wenige  europäische  Soldaten.  In  der 
letzten  Campagne  sind  wiederholt  Fälle  vorgekommen,  dass  Abthei- 
lungen nach  Märschen  von  30  bis  40  Kilometern  keine  Spur  von 
einer  Ermüdung  zeigten.  Der  bulgarische  Soldat  verbringt  5  Jahre 
in  den  Beihen,  während  der  serbische  Soldat  nominell  2  Jahre  im 
activen  Dienste  steht,  in  WirkHchkeit  aber  seine  mihtärische  Dienst- 
pflicht selten  die  Zeit  von  6  Monaten  überschreitet". 

Es  ist  bekannt,  dass  die  bulgarische  Armee  durch  den  Abgang 
der  russischen  Officiere  nicht  nur  ihre  Führer,  sondern  fasst  alle 
ihre  Officiere  verloren  hatte.  Durch  den  Machtspruch  des  Kaisers 
Alexander  von  Russland  nämhch  verliessen  säramtliche  russische 
Officiere,  also  der  ganze  Generalstab,  das  ganze  Kriegsministerium, 
alle  Stabsoffi eiere  und  etwa  2  Drittel  der  Hauptleute  die  Armee, 
ßussland  hatte  hiedurch  einen  fast  zerschmetternden  Schlag  gegen 
das  bulgarische  Heer  geführt.  Dass  jedoch  dieser  Umstand  nicht 
zersetzend  auf  die  Armee  wirkte,  dass  sie  denselben  überhaupt 
überdauerte  und  trotz  alldem  ihre  Schlagfähigkeit  bewahrt  hatte, 
ist  gewiss  ein  glänzendes  Zeugniss  für  ihren  inneren  Gehalt.  Aller- 
dings muss  hervorgehoben  werden,  dass  die  Strammheit,  mit  welcher 
die  Bulgaren  in  den  Kampf  eintraten,  nicht  nur  nationales  Selbst- 
verdienst, sondern  —  in  dieser  Beziehung,  hatte  der,  nach  Beendigung 
des  Krieges  erlassene  Tagesbefehl  des  Kaisers  Alexander  allderdings 
die  Wahrheit -gesagt  — :  „die  Frucht  harter  und  unbeugsamer  rus- 
sischer Erziehung  war."  —  Eine  „Armee,  geführt  von  Lieutenants", 
hat  man  sie  nicht  mit  Unrecht  genannt,  und  der  Spott,  mit  dem 
man  diese  seltsamen  Verhältnisse  besprach,  verwandelte  sich  allmählich 
in  einen  gewissen  Respect  vor  den  „Hauptmann-Brigadiers"  und 
„Lieutenant-ßataillons-Commandanten",  die  da  in  Action  traten.  Die 
ostrumelische  Miliz  verfügte  wohl  über  einzelne , "  aber  doch  über 
zu  wenig  höhere  Officiere,  um  eine  wesentliche  Aushilfe  leisten 
zu  können. 
.  I  Ueber   die    mihtärische  Thätigkeit   der  ostrumehschen   Milizen 

!  hatte  der  „Russische  Invalide"  auf  Grund  der  im  Jahre  1884  statt- 
gehabten Sommerübungen  einige  kritische  Bemerkungen  veröffentlicht. 
Vor  allem  wurde  die  schlechte  Marschdisciplin  gerügt;  im  Lager 
I  herrschte  wenig  Ordnung.  Weder  die  Infanterie  noch  die  Artillerie 
wusste,  was  Feuerdisciplin  sei,  indem  sie  die  Action  auf  viel  zu  grosi^e 


17  - 


1^ 


Entfernungen  eröffnete.  Die  Organisation  des  Proviantwesens  wurde 
ebenfalls  als  schlecht  bezeichnet.  Die  Thatsachen  haben  jedoch  auch 
hierin  gerade  das  Gegentheil  gezeigt. 

In  der  serbischen  Armee  besorgte  die  Ausbildung  des 
Officiers-Corps  die  Militär- Akademie  in  Belgrad.  Die  Individuahtät 
der  waffenfähigen  Bevölkerung  bietet  unter  normalen  Verhältnissen 
ein  äusserst  brauchbares  Truppenmateriel.  Von  kräftigem  Körperbau, 
genügsam  und  abgehärtet,  ist  der  Serbe  von  Natur  ein  tüchtiger 
Soldat;  es  bedarf  nur  einer  guten  Ausbildung  und  festbegründeter 
Disciphn ,  um  die  Keime  seiner  vortrefflichen  militärischen  Eigen- 
schaften zur  Reife  zu  bringen. 

Unleugbar  ist  es,  dass  die  serbische  Armee  in  den  letzten  Jahren 
nicht  nur  in  ihrer  Organisation,  sondern  auch  in  ihrer  Ausbildung 
bedeutende  Fortschritte  gemacht  hatte  und  in  letzterer  Beziehung  der 
bulgarischen  Armee  weitaus  überlegen  war.  Die  taktischen,  sowie  die  -^^^^z 
militärischen  Vorschriften,  weiters  die  Einrichtung  der  Heeresanstalten  ^  .^ 
lehnen  sich  mehrfach  an  die  unseren  an,  wie  denn  auch  seit  einer  / 
Eeihe  von  Jahren  serbische  Officiere  theils  im  praktischen  Dienste 
bei  der  österreichisch-ungarischen  Truppe,  theils  in  den  Wiener  höheren 
Fachanstalten  ihre  Studien  vollendet  haben.  Trotz  all'  dem  soll  das 
Feuer  der  Serben  den  Bulgaren  wenig  Schaden  beigebracht  haben, 
da  die  Serben  meist  überschössen.  Es  zeigte  sich  ferners,  dass  den 
Serben  die  Kunst,  zu  recognosziren,  mangelte ;  sie  wussten  nie  recht, 
wo  der  Feind  stand.  Die  Entwicklung  ihrer  Gefechtslinien  war  stets 
zu  lang,  indess  die  Bulgaren  sich  immer  zu  concentrieren  suchten. 

Alles  in  Allem  zusammengefasst  geht  hervor,  dass  die  serbische 
Heeresleitung  und  mit  ihr  fasst  die  ganze  „militärische  Welt"  glaubte, 
es  nur  mit  einer  rohen  Mihz  ohne  alle  militärische  Qiialification  zu 
thun  zu  haben ;  die  WirkUchkeit  aber  hatte  es  den  Serben  grausam 
bewiesen,  wie  wenig  zutreffend  diese  Voraussetzung  gewesen. 

c)  Generalstab.  Die  bulgarisch -ostrumelische 
Armee  besass  denselben  eigentlich  nicht.  Der  ganze  Generalstab 
des  bulgarischen  Hauptquartiers  bestand  aus  dem  Generalstabs-Ohef 
Hauptmann  Petrow  und  dessen  Gehilfen  Hauptmann  Paprikow,  beide 
in  der  russisehen  Generalstabs-Akademie  in  Petersburg  ausgebildet. 
Es  hegt  auf  der  Hand,  dass  unter  solchen  Umständen  die  Befehls- 
gebung  ungemein  schwierig  werden  musste.  Dagegen  muss  hervor- 
gehoben werden,  dass  der  Kundschaftsdienst  recht  gut  bestellt 
war,  weil  die  Landbevölkerung  dem  bulgarischen  Heere  freiwillig 
Kundschafterdienste  leistete,  was  zur  weiteren  Folge  hatte,  dass  das- 
selbe mit  den  Terrainverhältnissen  besser  vertraut  war,  als  die  Serben. 

2 


ri 


—  18  — 

Der  serbische  Generalstab  im  Frieden    organisiert  und    bei 

den  Territorial-Divisionen  eingetheilt,  entsprach  —  was  wissenschaft- 

hche  Bildung  anbelangt,    —    wohl  theilweise  den  an  einen  General- 

'^  stabs-Otfizier    zu    stellenden    Anforderungen.     Zum    Chef    desselben 

'^^'''•'  wurde  der  Kriegsminister  General  Petrovich  ernannt.     Die  Berufung 

hni-h  ^'j     des  Kriegsrainisters  auf  den  Posten  als  ersten  strategischen  Rathgeber 

p{^P  ^    des  Königs  in  einem  Zeitpunkte,  wo  ein  Wechsel  im  Kriegsministerium 


r- 


S/J  sj  J  unbedingt  nachtheilig  sein  musste,  wo  es  von  der  höchsten  Wichtig- 
keit war,  dass  der  Leiter  dieses  Ministeriums  die  genaueste  Kennt- 
niss  von  der  in  Belgrad  concentrierten  Armeeverwaltung  hatte,  um 
nicht  nachtheihg  auf  die  Ausrüstungsverhältnisse  einzuwirken,  war 
eine  unmittelbare  Folge  der  Verabsäumung,  schon  im  Frieden  eine 
geeignete  Person  an  die  Spitze  des  Generalstabes  gesteht  zu  haben. 
d.  Feldherrn.  Beide  Monarchen  sind  auf  dem  Gebiete  der 
Kriegführung  bisher  als  Neulinge  aufgetreten.  Militärische  Urtheils- 
kraft  und  zielbewusste  Entschlossenheit  ist  beiden  Herrschern  in 
gleichem  Masse  eigen,  beide  verstehen  es  eine,  grosse  Sache  geschickt 
zu  führen,  beide  reden  vortrefllich  und  wissen  hiedurch  ihre  Truppen 
zu  begeistern  und  hiozureissen. 

Unstreitig  war  es  eine  der  verzweiflungsvollsten  Situationen,  in 
der  Fürst  Alexander  I.  von  Bulgarien  am  Abende  des  15.  November 
sich  befunden  haben  mag.  Dass  er  dieselbe  so  erfolgreich  zu  lösen 
verstand,  beweist  doch  unzweifelhaft,  dass  ihm  nicht  nur  alle  Soldaten- 
tugenden in  einem  höheren  Grade  eigen  sein  müssen,  sondern  dass 
er  auch  zu  den  wenigen  von  der  Vorsehung  begnadeten  Menschen 
gehört,  die  auch  die  Talente  eines  Heerführers  besitzen. 


^€- 


f 


/  t'tItTITTItitiiiiTiii»  ^ 


IL 

Operationsplan  der  Serben  und  Bulgaren. 

Ein  Operationsplan  —  wenn  er  Anspruch  auf  Zweckmässigkeit 
haben  soll  —  kann  kein  Eecept  sein,  das  vom  Beginne,  wo  der 
Vorhang  des  Kriegstheaters  aufgezogen  wird,  bis  zum  Schlüsse  des 
Dramas  eine  genaue  Vorschrift  über  alle  Bewegungen  und  Gefechte 
gibt.  Er  kann  somit,  mit  Rücksicht  auf  das  Terrain  und  die  wahr- 
scheinliche Gruppirung  der  feindlichen  Kraft  nur  bis  zur  ersten  Etape, 
dem  ersten  Hauptschlage  führen,  dann  aber  gibt  die  hier  geifallene 
Entscheidung  erst  den  Massstab  für  die  weiteren  Operationen.  Aller- 
dings muss  man  die  beiden  EventuaUtäten  :  Sieg  oder  Niederlage 
in's  Auge  fassen  und  vor  denken,  welche  Wege  dann  nach  vor- 
oder  rückwärts  einzuschlagen  möghch  oder  nothwendig  sein  werden, 
welche  technischen  und  sonstigen  Vorkehrungen  erforderlich  werden 
dürften,  denn  der  Feldherr  darf  sich  nie  vom  Schicksale  überraschen 
lassen.  Welche  Wege  aber  dann  wirkUch  eingeschlagen  werden,  das 
weiss  zur  Zeit  der  Kriegserklärung  wohl  Gott  allein.  Unter 
allen  Verhältnissen  bildet  aber,  —  mögen  die  Verhältnisse 
welche  immer  sein  —  das  erste,  wichtigste  und  entscheidendste 
Operationsobjekt:  Die  feindliche  Hauptarmee;  ist  diese  ge- 
schlagen, zersprengt,  mit  einem  Worte :  hat  sie  ihre  Widerst  ands- 
kraft  verloren,  so  fällt  alles  Uebrige  als  reife  Frucht  in  den 
Schoss  des  Siegers. 

Serben. 

Wie  wenig,  besser  gesagt ,  gar  nicht  entsprach  der  serbische  Taf.  i.  il. 
Operationsplan  diesen  ersten  und  wichtigsten  Lehrsätzen  der  Strategi  e 
Wahrlich,  es  scheint,  als  ob  der  deutsch-französische  Krieg  1870/71 
für  den  serbischen  Generalstab  in  den  Bereich  der  Fabeln  gehören, 
eine  Literatur  über  denselben  gar  nicht  existieren  würde,  denn  sonst 
ist  es  nicht  zu  begreifen,  wieso  derselbe  in  solche  Fehler  ver- 
fallen konnte.  Nur  ein  Blick  in  dass  „  Memorie"  über  den  Operations- 

2* 


/fljui.W 


—  20  — 

plan  der  Deutsßhen*)  hätte  genügt,  um  daraus  zu  entnehmen,  dass 
Moltke:  „Die  Hauptmacht  des  Gegners  aufzusuchen,  und  wo  man  sie 
findet  anzugreifen',  als  das  nächste  Operations  ziel  in  dem- 
selben bezeichnet.  Dem  entgegen  fällt  im  serbischen  Operationsplane 
der  Tenor  auf  das  „geographische  Moment". 

Die  Politik  Serbiens  war  zunächst  auf  die  Erhaltung  des  status 
quo  ante,  d.  h.  auf  die  Verhinderung  der  Union  Bulgarien's  mit  Ost- 
rumehen gerichtet.  Für  den  Fall,  als  durch  höhere  Einflüsse  die 
Union  zu  Stande  kommen  sollte,  hatte  die  serbische  Politik  wenigstens 
die  Erhaltung  des  Gleichgewichtes  aufderBalkan- 
Halbinsel  in's  Auge  gefasst,  indem  von  den  neuentstehenden 
Gross-Bulgarien  die  von-  Serben  bewohnten  westlichen  Grenz-Districte, 
namentlich  jene  von  Trn  und  Vidin,  zu  Serbien  geschlagen 
werden  sollten.  Es  fehlte  sogar  nicht  an  gewichtigen  Stimmen, 
welche  das  gesammte  Territorium  von  der  serbischen  Ost-  und  Süd- 
ostgrenze bis  zu  der  durch  die  Flüsse  Isker  und  Struma  ge- 
bildeten Linie  für  Serbien  reclamierten ;  ein  Territorium,  welches 
nahezu  so  gross  ist^  als  halb  Serbien  selbst.  Die  serbische  Heeres- 
leitung ging  somit  in  erster  Linie  aufdieOccupation  des 
begehrten  Territoriums  aus  und  dachte  erst  in 
zweiter  Linie  an  das  erste  und  wichtigste  Operations- 
ziel, dem  —  wie  schon  erwähnt  —  alle  andern  Ziele  als  reife 
Frucht  in  den  Schoss  fallen:  Die  Zersprengung  der  feindlichen 
Hauptmacht.  Nebst  Besetzung  der  ebengenannten  Bezirke  war  un- 
verkennbar als  das  nächste  Operationsziel:  „Sofia",  —  in  Aus- 
sicht genommen,  als  „leitender  Gedanke"  zur  Erreichung  desselben 
zeigte  sich  schon  von  den  ersten  Bewegungen  das  Bestreben  des 
serbischen  Hauptquartieres:  die  feindliche  Hauptmacht  durch  eine 
einfache  strategische  Umgehung  ihres  linken 
Flügels  in  nördhcher  Richtung  gegen  den  Balkan  zu-,  also  von 
ihrer  natürlichen  Verbindung  mit  Sofia  abzudrängen. 

Bulgaren. 

Taf.  I.  II.  Es  wird  immer  ein  glänzendes  Zeugnis  für  das  politische  und 

militärische  Talent  des  Fürsten  Alexander  1.  bleiben,    dass  derselbe 

I       mihtärisch  überrascht,  pohtisch  isoliert,  von  zwei  in  der  Versammlung 

,        begriffenen  Heeren,    einem    türkischen   im  Osten  und  Süden,    einem 

1       serbischen  im  Westen,    gleichzeitig  bedroht,    nicht    einem   schnellen 

Unterg mge  entgegen  ging.  Man  versetze  sich  doch  nur  einen  Moment 

j  *)  Der  deutsch-französische  Krieg  1870/71,  redigirt  von  der  kriegsgeschichUichen  Abtheilung 

dos  grossen  Gencralstabcs.  I.  Theil,  Heft  1,  Seite  73. 


-  21  — 

in  die  verzweiflungsvolle,  in  der  Kriegsgeschichte  wohl  beispiellos 
dastehende  Lage  des  Fürsten.  Mit  den  grössten  Theil  seiner  Armee 
an  der  Südgrenze  Ostrumelien's  aufmarschiert,  welcher  der  bisherige 
Schirmherr  Bulgarien's  während  der  Mobilmachung  fast  alle  Offiziere 
entzogen  hatte,  durch  die  „Streichung"  aus  den  russischen  „Offiziers- 
listen" persönlich  beleidigt,  erhält  Fürst  Alexander  am  14.  November 
in  Philippopel  die  Kriegserklärung  Serbien's.  Mit  der  noch  in  der 
Neu-FormJerung  begriffenen  Armee  —  Front  gegen  die  Türkei 
stehend  —  ohne  Off'icieren,  soll  nun  dem  von  Nordwesten  anrückenden 
Gegner  die  Stirne  geboten  werden,  welchen  nur  4  Tagemärsche  von 
Sofia  trennen,  während  man  selbst  bis  dahin,  deren  4  bis  7  zurück- 
zulegen hatte.  Wäre  es  unter  diesen  Verhältnissen  ein  Wunder  ge- 
wesen, wenn  Fürst  Alexander  Alles  „im  Stiche"  gelassen  hätte  und 
plötzhch  vom  Schauplatze  verschwunden  wäre  ?!—  Gewiss  nicht!  — 
Hatte  sich  aber  der  Fürst  die  Aufgabe  gestellt:  Herr  der  Situation 
zu  bleiben,  war  er  entschlossen  treu  bei  seinem  Volke  auszuharren, 
dann  galt  es  rasch  zu  handeln. 

Was  konnte,  was  m  u  s  s  t  e  also  geschehen  ?  —  Die  Antwort 
auf  diese  Frage :  sich  bei  Sofia  sammeln,  war  allerdings 
sehr  leicht;  die  Durchführung  äusserst  schwer,  wenn  nicht 
unmöglich.  Fern  von  allen  künstlichen  Combinationen,  unvermögend 
dem  Gegner  auf  allen  Theilen  der  nahezu  290  km  langen  Grenzlinie 
eine  ebenbürtige  Kraft  entgegenzustellen,  endlich  eingedenk  des 
Grundsatzes :  „Wer  Alles  decken  will,  deckt  Nichts",  —  concentrierte 
demnach  auch  Fürst  Alexander  alle  seine  Kräfte  auf  einem,  u.  z. 
dem  Hauptpunkte,  um  —  da  seine  numerische  Kraft  im  Be- 
ginne der  Operationen  der  feindlichen  untergeordnet  war  —  wenigstens 
auf  diesem  als  der  „relativ  Stärkere"  auftreten  zu  können. 
Von  Haus  aus  militärisch  auf  die  Defensive  gewiesen,  war  somit 
der  Plan  Alexander^s  dahin  gerichtet :  unter  Vermeidung 
jeder  Zersplitterung  seiner  Kräfte  und  aller  zu 
keiner  Entscheidung  an  der  Grenze  führenden  kleinen  Ge- 
fechten, seine  Armee  in  einer  technisch  vorbereiteten  Stellung  zu 
sammeln  und  in  derselben  eine  Schlacht  anzunehmen.  Dass  dem 
thatsächlich  so  war,  darüber  sagt  der  Kriegsberichterstatter  der 
„Kölnischen  Zeitung"  —  der  im  Hauptpuartiere  jedenfalls  eine  her- 
vorragende Stellung  eingenommen,  da  derselbe  sogar  in  Caribrod 
mit  dem  Bruder  des  Fürsten  in  einem  Zimmer  untergebracht  war 
—  Folgendes :  „Der  Plan  der  bulgarischen  Befehlshaber  ging  nun 
naturgemäss  dahin,  den  Feind  möghchst  lange,  d.  h.  bis  zum  Ein- 
treffen   der    sehnlichst    erwarteten   Verstärkungen  aufzuhalten.     Die 


■*J '        \ 


—  22  — 

ganze  Hoffnung  des  bulgarischen  Generalstabes  ging  dahin,  den 
Feind  zu  einem  Angriffe  auf  die  Hauptstellung  zu  vermögen ;  man 
hatte  die  üeberzeugung,  dass  er  diese  nicht  durchbrechen  könne, 
und  man  berechnete,  dass  er  durch  solche  fruchtlose  Angriffe  einige 
Tage  verlieren  werde".  —  Entschied  jedoch  in  dem  zu  gewärtigenden 
Hauptschlage  die  Kriegsgöttin  gegen  die  Bulgaren,  dann  allerdings 
war  das  Schicksal  Sofia's  besiegelt.  Der  bulgarischen  Armee  erübrigte 
nur  eine  Aufstellung  nordösthch  in  Etropol-Balkan.  Durch  dieselbe 
wäre  jede  gegen  Nord-Bulgarien  operierende  serbische  Armee  in  der 
rechten  Flanke  bedroht  und  die  bei  Sofia  stehende  Armee  festge- 
halten worden.  Einen  Angriff  auf  den  Balkan  konnte  die  serbische 
Armee  nicht  so  leicht  unternehmen,  weil  sie  hiezu  zu  einer  Front- 
veränderung gezwungen  worden  wäre  und  dadurch  den  von  Eumelien 
heranmarschirenden  Kräften  Gelegenheit  zu  einem  Angriffe  auf  ihre 
rechte  Flanke,  ja  selbst  den  Rücken  gegeben  haben  würde.  Eine 
Forcierung  des  Balkan  wäre  daher  erst  nach  Niederwerfung  dieser 
Kräfte  möglich  gewesen. 

Das  erste   Operationsziel    der  bulgarischen  Armee  war 
demnach :  Die  Niederwerfung  der  feindlichen  Haup  t- 
V(\i '    i  I      a  r  m  e  e. 

Prüft  man  nun  diese  Operationspläne  an  der  Hand  der  Theorie, 
d.  h.  vergleicht  man  dieselben  mit  jenen  Anforderungen,  welche  die 
Wissenschaft  an  einen  Operationsplan  stellt,  so  zeigt  sich: 

I.  Stärke-Verhältnisse  der  beiderseitigen 

Armeen. 

Aus  dem  politischen  Grundfehler  des  serbischen 
Operationsplanes  folgen  alle  anderen  Fehler  desselben  sozusagen: 
von  selbst.  Serbien  hatte  nur  sein  erstes  Aufgebot,  die  „active 
Armee"  und  einen  geringen  Theil  des  zweiten  Aufgebotes  für  die 
Durchführung  seines  Kriegsplanes  mobilisiert.  Es  wollte  keinen  Krieg 
mit  weitgehendem  Ziele  führen,  es  strebte  nicht  die  Vernichtung 
des  Gegners  an;  seine  Absicht  war  ein  Krieg  mit  beschränktem 
Ziele :  Herstellung  des  status  quo  ante  oder  aber  Erwerbung  des 
Vidiner-  und  Trner-Kreises.  Dass  hiebei  jedoch  auch  der  Gegner 
etwas  mitzureden  hatte,  dazu  wäre  es  wahrlich  nicht  nölhig  gewesen 
zu  mobihsieren,  Millionen  hinauszuwerfen  und  mit  blutigem  Kopfe 
„heimgeschickt"  zu  werden.  Diese  Lehre  hätte  Serbien  aus  den  ewig 
denkwürdigen  Kämpfen  des  Jahres  1870/71  und  aus  dem  ,,Fiasco" 
Eusslands  1877  weit  bilhger  ziehen  können.  In  ersteren  versuchte 
auch  Napoleon  HI.  nur  einen  Krieg  mit  ,, beschränktem  Ziele"    (Er- 


-  23  - 

Werbung  des  linken  Eheinufers,  Erhaltung  der  Dynastie)  zu  führen 
—  in  letzterem  wollte  der  Czar  anfänglich  mit  nur  6  Armee-Corps 
die  Türkei  niederwerfen,  war  aber  schliessUch  gezwungen,  fast 
seine  ganze  Armee  zu  mobilisieren  und  ausserdem  noch  die  zu  Be- 
ginne des  Krieges  fast  verächtlich  behandelten  Eumänen 
um  ihre  Unterstützung  zu  bitten.  Diese  Beispiele  der  allerjüngsten 
Kriegsepochen  hatten  doch  zur  Genüge  gezeigt,  wohin  eine 
Unterschätzung  des  Gegners  führt. 

Das  serbische  Ober-Oommando  hat  allerdings  post  festum  selbst 
zugegeben:  „dass  mit  zu  wenig  Kräften  in's  Feld  gerückt  wurde, 
dass,  wenn  gleich  vom  Anfange  an  die  ganze  Kraft  aufgeboten  worden 
wäre,  demselben  wohl  alle  Niederlagen  erspart  geblieben  wären". 
Ganz  eigenthüniliche  Gedanken  aber  befallen  dem  Leser  bei  den 
Worten:  „Wir  haben  geglaubt,  es  mit  den  Streitkräften 
B  u  1  g  a  r  i  e  n's  allein  zu  thun  zu  haben  ;  wie  hätte  man  auch 
denken  sollen,  dass  der  Gegner  fremde  Truppen  gegen  uns  in's 
Feld  führen  werde !  Die  Truppen  Ostrumehen's  sind  doch  Streitkräfte 
der  Türkei  .  .  .  ."*) 

Es  wurde  bereits  erwähnt  (siehe  Seite  2)  dass  Fürst  Alexander 
schon  am  23.  September  die  anbefohlene  Mobilmachung  der  bulgari- 
schen Armee  und  ostrumelischen  Miliz  auf  alle  Aufgebote  aus- 
dehnte; bereits  am  26.  Oktober  wusste  alle  Welt,  dass  die  letzten 
bulgarischen  Regimenter  von  Köstendil  nach  Norden  berufen  worden 
waren,  um  das  Lager  bei  Slivnica  mit  den  nöthigsten  Truppen  ver- 
sehen zu  können;  dass  jeden  Tag  aus  Eumehen  frische  Truppen 
in  Sofia  eintrafen,  welche  sofort  gegen  die  serbische  Grenze  weiter 
befördert  wurden,  und  die  serbische  Heeresleitung  —  hiebei  wohl 
am  meisten  interessirt  —  sollte  allein  nichts  davon  gewusst  haben  ! ? 
Wie  endlich  konnte  man  im  serbischen  Hauptquartiere  bei  der  vom 
Fürsten  Alexander  bereits  gezeigten  Energie  auch  nur  einen  Mo- 
ment darüber  in  Zweifel  sein,  dass  derselbe  die  ostrumelische  Miliz 
gleichfalls  gegen  Serbien  aufbieten  würde!?  Warum  also  —  da 
die  "Verhältnisse  doch  vollkommen  klar  lagen  —  hat  Serbien  nicht 
seine  ganze  Macht  von  allem  Anfange  her  mobilisiert  und  mit 
dieser  Uebermacht  die  Offensive  ergriffen,  um  so  mit  einem  kräftigen 
Schlage  den  Feind  niederzuwerfen!?  Geschah  dies  aus  Ersparungs- 
rücksichten,  dann  waren  diese  gewiss  schlecht  angebracht,  weil 
gerade  das  Gegentheil  von  Ersparung  erzielt  wurde. 


*)  Armeeblatt  Nr.  5  vom  2.  Februar  1886:  ,, Kritische  Rückblicke  auf  die  serbische  Krieg- 
führung" von  Kriegsberichterstatter  J.  Lukes. 


—  24  — 

Wie  konnte  nach  all'  dem  Serbien  es  wagen  mit  einer  Macht 
von  kaum  45.000  Combattanten  auf  3  von  einander  räumlieh  ge- 
trennten Linien  eine  Invasion  in  Feindesland  zu  einem  Zeitpunkte 
(Mitte  November)  zu  unternehmen,  zu  welchen  der  Gegner  bereits 
80.000  Combattanten,  allerdings  noch  nicht  vereinigt,  aber  bereits 
—  Direction  Sofia  —  in  der  Concentrierung  begriffen  auf  den  Beinen 
hatte  !  ?  Dass  die  Stärke  der  bulgarisch-ostrumelischen  Armee  that- 
sächhch  jene  Höhe  erreicht  hatte,  hiefür  liefert  den  besten  Beweis 
ein  um  die  Jahreswende  von  der  gesammten  Tagespresse  veröffent- 
lichtes Schreiben  *),  das  Fürst  Alexander  an  den  Czar  gerichtet  haben 
soll;  in  denselben  war  zu  lesen:  ,,Der  gegenwärtige  Stand  des  bul- 
,. garischen  Heeres  beträgt  80.000  Mann,  nicht  eingerechnet  das 
,,Vidiner-Corps  in  der  Stärke  von  15.000  Mann." 

2.  Vorbereitungen  für  den  Krieg. 

Zum  Staunen  der  militärischen  Welt  haben  die  Thatsachen  ge- 
zeigt, dass  Serbien  denselben  nicht  jene  Sorgfalt  gewidmet  hatte, 
wie  man  es  von  diesem  Staate  voraussetzen  musste.  Selbst  abge- 
sehen von  den  vielen  Mängeln,  welche  im  Verlaufe  der  MobiHsierung 
zu  Tage  traten,  haben  die  Ereignisse  constatiert,  dass  Serbien  für 
einen  Feldzug  überhaupt  nicht  gerüstet  war,  geschweige  denn  erst 
für  einen  Winterfeld  zug.  Um  die  Invasion  in  ein  fremdes  Land 
zu  tragen,  zumal  in  ein  mit  wenig  Communicationen  versehenes, 
dünnbevölkertes,  resoureenarmes  Gebirgsland,  wo  nicht  der  Krieg  den 
Krieg  ernährt,  sondern  die  Bedeckung  aller  Erfordernisse  aus  dem 
eigenen  Lande  mit  einem  wohlorganisierten  Train  nachgeschoben 
werden  müssen,  dazu  gehören  allerdings  andere  Vorbereitungen,  als 
Serbien  hiefür  getroffen  hatte.  Fügt  man  all'  dem  das  Oardinal- 
Verbrechen  der  serbischen  Kriegsvorbereitung  —  nicht  genug  oft 
kann  dies  wiederholt  werden  —  den  Munitionsmangel  hinzu, 
erwägt  man  —  auch  dies  wurde  schon  betont  —  dass  einzehie  Divisionen 
der  Nisava-Armee  schon  am  5.  Operiitionstage  (18  November)  fast 
ohne  Munition  waren,  so  muss  man  eigentUch  über  die  Kühnheit 
staunen,  mit  der  der  serbische  Kriegsminister  vor  der  Mit-  und  Nach- 
welt die  Verantwortung  für  diesen  Kampf  auf  seine  Schultern  lud. 

Lassen  bulgarische rseits  die  Vorbereitungen  für  den 
Krieg  allerdings  auch  Vieles  zu  wünschen  übrig,  so  muss  doch  betont 
werden,  dass  —  den  Aeusserungen  des  mehrgenannten  bulgarischen 
Ex-Kriegsministers  Fürsten  Cantacuzene  zu  folge  —  die  bulgarische 
Armee  am  6.  Tage,    nachdem  die  Mobilisierungsordre   erlassen  war, 

*)  Ob  dieses  Schreiben  wirklich  verfasst  und  abgesendet  wurde,  kann  wohl  nicht  mit 
Bestimmtheit  angegeben  werden. 


—  25  — 

also  am  25.  September,  bereit  stand,  ins  Feld  zu  rücken  und  am 
13.  Tage,  also  am  2.  October,  die  gesammte  bulgarische  Streitmacht 
sich  bereits  im  Marsche  befand.  Wenn  auch  die  materiellen  Vor- 
bereitungen für  einen  Feldzug,  namentlich  einen  W  i  n  t  e  r  f  e  1  d  z  u  g , 
recht  misshche  waren,  so  sprach  andererseits  zu  Gunsten  der  Bul- 
garen, dass  dieselben  auf  die  Vertheidigung  des  eigenen  Landes  ver- 
wiesen waren  und  in  der  Nähe  ihrer  Operationsbasis :  Sofia,  sich 
befanden ;  ein  umstand,  der  ihrem  Nachschubswesen  wesentlich  zu 
Statten  kam. 

Nicht  unerwähnt  endhch  darf  gelassen  werden,  dass  die  bul- 
garische Heeresleitung  die  Befestigungen  V(.,n  Slivniea  schon  Mitte 
August  des  Jahres  1885  (siehe  Seite  3)  in  Angriff  nehmen  liess. 

3.  Geographische  Verhältnisse. 

Die  Würdigung  derselben  war  —  wiewohl  sie  einem  rothen 
Faden  gleich  alle  serbischen  Unternehmungen  durchzog  — 
zweifelsohne  keine  entsprechende,  d^^nn  sonst  wäre  eine  Verzettelung 
der  Armee  längs  der  ganzen  Grenze  und  das  Ergreifen  der  Offensive 
auf  allen  Linien  unmöglich  gewesen.  (Mehr  hierüber  siehe  Punkt  4.) 

Die  Versammlung  fast  der  gesammten  bulgarisch-ost- 
r  u  m  e  1  i  s  c  h  e  n  Armee  in  dem  entscheidenden  Räume,  auf  der 
Schwerhnie  des  Reiches  (Slivnica-Sofia)  zeigt,  welch'  hohen  Werth 
Fürst  Alexander  dem  geographischen  Elemente  beilegte.  Dieser  Theil,  • 
unstreitig  der  vortheilhaf teste  für  die  Vertheidigung  des  bulgarischen 
Gebietes,  bietet  andererseits  auch  offensiven  Operationen  nach  Serbien 
die  meisten  Chancen. 

4.  Strategischer  Aufmarsch. 

Bei  dem  ersten  Aufmarsche  einer  Armee  kommen  allerdings 
neben  den  militärischen  vielfache  poUtische  und  geographische  Er- 
wägungen in  Betracht.  Fehler  in  der  ursprünglichen  Versammlung 
des  Heeres  sind  im  ganzen  Verlaufe  des  Feldzuges  kaum  wieder  gut 
zu  machen  Alle  diese  Anordnungen  aber  lassen  sich  lange  vorher 
erwägen  und  —  die  Kriegsbereitschaft  der  Truppen,  die  zweckent- 
sprechende Organisation  des  Transportswesens  vorausgesetzt  —  müssen 
sie  zu  dem  beabsichtigten  Resultate  führen. 

In  wieweit  entsprach  nun  der  strategische  Aufmarsch  diesen 
theoretischen  Hauptanforderungen? 

Serben. 

Die  Ländermassen  Serbien's  und  Bulgarien's  standen  vermittelst  Taf.  i.  ii. 
einer  290  km  langen  Grenze  im  Contacte ;  nördlich  und  südhch  dieser      ^^^• 
Begrenzungslinie    legten    neutrale    Staaten    (Rumänien,    Türkei)    der 


-  26  - 

kriegerischen  Action  Schranken.  Sieht  man  von  der  etwa  45  km 
langen  Strecke  im  Norden  ab,  wo  der  Timok  beide  Staaten  von 
einander  trennt,  so  präsentiert  sich  der  245  km  lange  Rest  der  Grenz- 
linie als  eine  trockene  Grenze,  die^  mit  Ausnahme  des  gegen  den 
Hodza-Balkan  vorspringenden  rechten  Winkels,  fast  in  gerader  Linie 
von  Norden  nach  Süden  zieht. 

In   dieser    ganzen  Linie    bewirkte    die    serbische  Armee    ihren 
strategischen  Aufmarsch,  u.  z.  in  3  Gruppen : 

Taf.i.m.  a,  Nordgruppe;  das  Timok-Corps,  unter  dem Commando  des 

Generals  Sjesanin  (Generalstabs-Chef  Oberst  Miletic),  circa  10.000  Mann 
Streitbare.  Dasselbe  vollzog  seinen  Aufmarsch  im  Timok-Thale,  ost- 
wärts von  Zajecar,  u.  z.  mit  dem  Centrum  der  5.  (Timok-)  Division, 
8  Bataillonen,  3  Escadronen  und  2  Batterien,  unter  dem  Befehle  des 
Artillerie-Obersten  Djuknic,  in  Canlonnements  von  Vrazogrnac  bis 
M.  Izvor,  mit  starken  Yortruppen  auf  Izvor  und  Vrska  Cuka  — 
mit  dem  unter  dem  Befehle  des  Oberstheutenants  Dinic  stehenden 
linken  Flügel,  4  Bataillone  stark,  im  unteren  Timok-Thale 
zwischen  Negotin  und  Bregova  —  mit  dem  vom  Oberstlieutenant  Putnik 
befehligten  rechten  Flügel,  3  Bataillone,  1  Gebirgs-Batterie,  bei 
Kadibogas,  also  in  einer  Frontausdehnung  von  80  km  oder  4  Tag- 
märschen. Der  rechte  Flügel  hatte  überdies  den  Sv.  Nikolaja-Pass, 
welcher  noch  einen  Tagmarsch  weiter  südwärts  hegt,  zu  besetzen 
oder  zu  beobachten. 

Taf.  I.  II.  h.  Mittelgruppe;    diese    aus    3    Divisionen    (2.  [Drina-], 

V 

3.  [Donau-],  4  [Sumadya-]  Division)  und  der  Cavallerie-Brigade 
Oberst  Praporcetovic  bestehende,  unter  dem  Oberbefehle  des  Königs 
Milan  stehende  Hauptarmee  mochte  ungefähr  27.000  Com- 
battanten  gezählt  haben.  Sie  bewirkte  ihren  Aufmarsch  im  Nisava- 
Thale  südlich  von  Pirot  und  hatte  gegen  Osten  auf  den  in  der 
Richtung  des  Ginci-Passes  führenden  Communicationen  Detachements 
bis  zur  Ortschaft  Rzane  als  dem  äussersten  linken  Flügel  und  auf 
die  Tepos-Höhe^  dann  Vortruppen  entlang  der  gegen  Südwest  lau- 
fenden Grenze  bis  zur  Sukova  vorgeschoben  Die  Ausdehnung  dieser 
Gruppe  betrug  somit  30  km,  sie  war  demnach  in  der  Lage,  ihre 
Kräfte  binnen  1  Tagemarsch  zu  concentriren. 
Taf.  I.  II.  c.  Südgruppe;    dieL  (Morava-)  Division   unter   dem  Com- 

mando des  Generalstabs-Obersten  Topalevics,  circa  8.000  Combattanten 
Diese  Division  gehörte  eigentlich  zur  iNisava-Armee;  nachdem  die- 
selbe aber  thatsächlich  von  ihr  getrennt  war  und  sich  erst  am  Rück- 
zuge bei  Pirot  wieder  mit  der  Hauptarmee  vereinigte,  muss  sie  als 
selbstständige  Gruppe   behandelt   werden.     Sie   bewirkte   ihren  Auf- 


—  27  — 

marsch  vom  Morava-Thale  gegen  Osten,  hatte  ihre  Vortruppen  zwischen 
Dascani  kladenac  und  Vlasina.  Dieselbe  war  von  der  Mittelgruppe 
circa  40  km  —  also  2  Tagmärsche  —  entfernt  und  hatte  selbst 
wieder  eine  Ausdehnung  (Dascani-kladenac-Vlasina  gleich  34  km), 
dass  ihre  einzelnen  Theile  mit  Eücksicht  auf  das  Terrain  taktisch 
nicht  in  der  Lage  waren,  im  Verlaufe  eines  Tages  in  Verbindung 
zu  treten. 

Wenn  auch  zugegeben  werden  muss,  dass  die  Territorial-Ein- 
theilung  des  Landes  und  die  Lage  der  einzelnen  Divisionsbezirke  zur 
bulgarischen  Grenze  diesen  Aufmarsch  der  Armee  begünstigte,  da 
die  beiden  Flügel-Divisionen  innerhalb  ihrer  Ersatzbezirke  und  die 
3  Divisionen  der  Hauptarmee  an  der  Strasse  und  in  der  Reihenfolge 
standen,  in  welcher  sie  im  Aufmarschraume  eingetroffen  waren,  so 
muss  andererseits  hervorgehoben  werden,  dass  die  kaum  45.000  Com- 
battanten  zählende  serbische  Armee  in  einer  Ausdehnung  von  nahezu 
260  km,  also  —  wenn  man  selbst  das  die  Verbindung  unendhch 
hemmende  Terrain  nicht  in  Betracht  zieht  —  mindestens  12  bis 
13  Tagmärsche  auseinandergezogen  war.  Dass  diese  Verzettelung 
der  einzelnen  Divisionen,  welche  eher  auf  eine 
cordonmässige  Besetzung  der  Grenze,  als  auf  das  Er- 
greifen einer  energischen  Offensive  hindeutet,  dem  serbischen  Ober- 
Coramando  zum  grossen  Fehler  angerechnet  werden  muss,  bedarf 
keines  weiteren  Beweises.  Der  Grund  zu  diesem  fehlerhaften  stra- 
tegischen Aufmarsche,  der  naturgemäss  schon  den  Keim  der  taktischen 
Niederlagen  enthielt,  lag  —  wie  bereits  erwähnt  —  in  dem  fehler- 
haften Operationsziele,  das  bekanntermassen  in  erster 
Linie  in  der  Besetzung  der  Kreise  Vidin  und  Trn  bestand,  und 
erst  in  zweiter  Linie  die  Niederwerfung  der  feind- 
lichen Armee  in  Aussicht  genommen  hatte,  statt  gerade  den 
umgekehrten  Weg  zu  wählen,  also  das  wichtigste  Ope- 
rationsziel: die  feindliche  Armee  zuerst  mit  vereinter 
Kraft  zu  zersprengen,  wodurch  die  zur  Annection  in  Aussicht 
genommenen  Bezirke  den  Serben  von  selbst  in  die  Hände  gefallen 
wären. 

Ob  die  Detachirung  einer  ganzen  Division  am  Timok  be- 
rechtigt war,  oder  nicht,  soll  dahingestellt  bleiben;  zweifelsohne 
lassen  sich  viele  Gründe  dafür  und  dagegen  anführen.  Jeden- 
falls aber  war  das  Ergreifen  der  Offensive  seitens  dieser  Division 
ein  Fehler,  und  für  eine  defensive  Aufgabe  hätten  weniger 
Kräfte  genügt.  .  .. 


—  28  — 

In  gleicherweise  war  es  ein  grober  Fehler,  zur  Deckung 
der  rechten  Flanke  der  Armee  den  vierten  Theil  derselben,  und 
noch  dazu  derart  zu  entsenden,  dass  man  —  abgesehen  von  sangui- 
nischen Hoffnungen  —  bei  nur  einiger  Berücksichtigung  der  Com- 
municationen,  des  Terrains  und  der  Jahreszeit,  auf  die  Mitwirkung 
dieses  Theiles  zum  Hauptschlag  schon  von  Haus  aus  verzichten  musste. 
Was  in  alle  Welt  —  so  muss  man  fragen  —  berechtigte  den  ser- 
bischen Generalstabs-Chef  General  Petrovich  und  den  Vorstand  der 
Operations-Kanzlei  Oberstlieutenant  Athanaskovich  dazu,  die  bulgarisch- 
ostrumelische  Armee  so  en  bagatelle  zu  behandeln,  gleich  am  ersten 
Operationstage  (den  14»  November)  auch  noch  die  4.  (Sumadija-) 
Division  in  die  rechte  Flanke  zu  entsenden !  ?  Schlecht  genug,  dass 
schon  eine  (die  Morava-)  Division  auf  „Niemehrwiedersehen"  aus- 
gespielt war;  nun  musste  in  dieselbe  Eichtuug  auch,  noch  eine 
zweite  Division  rücken.  Das  serbische  Ober-Commando  hatte  somit 
drei  Fünftel  seiner  ganzen  Armee  bereits  aus  der  Hand  gegeben, 
bevor  überhaupt  noch  ein  Schuss  gefallen  war;  mit  zwei  Fünftel 
—  also  kaum  17-  bis  18.000  Combattanten  —  hoffte  es  die  bulgarische 
Armee  vor  Sofia  zu  vernichten!  „Getrennt  marschiren",  —  „den  Gegner 
durch  Umfassungen  aus  seiner  Stellung  hinauszumanövriren",  lehrt 
allerdings  die  moderne  Strategie,  aber  sie  lehrt  auch :  „vereint 
schlagen",  —  sie  lehrt:  „dass  bei  Umfassungen  die  Frontgruppe  so 
stark  sein  muss,  dass  sie  eventuell  auch  einem  Anpralle  des  Feindes 
allein  so  lange  Stand  zu  halten  vermag,  bis  die  Umfassung  wirk- 
sam wird",  —  sie  lehrt  endlich,  und  dies  schon  auf  der  ersten  Seite : 
„dass  im  Kriege  nur  das  Einfache  möglieh  und  durch- 
führbar ist,  alles  Gekünstelte  aber  sicher  zum  Ver- 
derb en  führt." 

Die  serbischen  Divisionen  waren  klein,  3  selbst  alle  4  Divisionen, 
mit  einem  Worte:  die  ganze  Nisava- Armee,  kaum  35.000  Combattanten 
zählend,  konnte  mit  dem  Gefechts-Train  auf  der  Haupt-Operations- 
linie marschiren.  Es  wäre  dies  gewiss  nichts  Besonderes  gewesen. 
Werden  doch  die  grossen  europäischen  Armeen  in  jedem  Kriege  ge- 
zwungen sein,  1  bis  2  Armee-Corps  (2  bis  6  Divisionen)  also  30  bis 
90.000  Mann  auf  einer  Linie  marschiren  zu  lassen. 

Wie,  wenn  am  17.  November  vor  Slivniea  statt  1  Division 
4  Divisionen  gestanden,  oder  —  was  noch  richtiger  gewesen  wäre  — 
schon  am  Mittag  des  16.  November  einen  Angriff  unter- 
nommen hätten? 

Die  serbische  Heeresleitung  kann  für  ihren  strategischen  Auf- 
marsch  nicht    einmal    das  Moment   der   „Täuschung",    das   dem 


—  29  - 

Feinde    zu    verschiedenen    Conibinationen,    respective   Befürchtungen 
Anlass  geben  soll,  in  A^rspruch  nehmen,  weil  im  vorliegenden  Falle 
im  bulgarischen  Hauptquartiere  —  bei  den  gründlichen  Informationen, 
welches  dasselbe  hatte  —  kein  Zweifel  darüber  obwalten  konnte,   in« 
welcher  Richtung  die  serbische  Offensive  stattfinden  dürfte. 

Wollte  endhch  das  serbische  Ober-Coraraando  durchaus  umfassen, 
so  entsteht  die  Frage^  ob  die  verhältnissmässig  ressourcenreichste, 
mit  den  meisten  Ortschaften  versehene  nördhehe  Neben-Operations- 
linie  Pirot-Stanjalci-Pecenobrdohan- Sofia  nicht  der  südlichen  vorzu- 
ziehen gewesen  Wcäre.  Eine  auf  dieser  guten  Marschlinie  durchge- 
führte einfache  strategische  Umgehung  des  bulga- 
rischen rechten  Flügels  würde  —  bei  gleichzeitiger  Besetzung 
des  Ginci-Passes,  wodurch  weder  Verstärkungen  von  Lom  Palanka 
nach  Berkovica,  noch  Cooperationen  mit  den  im  Vidiner-Kreise 
stehenden  Streitkräften  möglich  gewesen  wären,  —  immerhin  eher 
zum  Ziele  geführt  haben.  Wahrscheinlicherweise  aber  hätte  Fürst 
Alexander  auch  (his  Debouchiren  dieser  Oolonne  —  etwa  in  der  Gegend 
bei  Caikovce  —  zu  verhindern  gewusst. 

Aehnhche  Gedanken  scheinen  nun  das  serbische  Ober-Commando 
allerdings  nicht  beschäftigt  zu  haben,  denn  sonst  hätte  die  Offensive 
der  serbischen  Armee  nicht  ein  so  klägUches  Ende  nehmen  können. 

Betrachtet  man  nun  die  Verhältnisse  der  serbischen  Armee,  wie 
sie  thatsächlich  waren,  erwägt  man  die  verzweiflungsvolle  strategische 
Situation  der  Bulgaren  und  Ostrumelier  um  den  20.  Oktober  —  einem 
Zeitpunkte,  an  welchem  die  serbische  Armee  bereits  operationsfähig 
war  —  dann  entsteht  allerdings  die  Frage :  Wer  hätte  Serbien,  wenn 
es  seinen  ersten  Impulsen  gefolgt  und  auch  gleich  vormarschiert  wäre, 
in  einem  Momente,  wo  fast  die  ganze  bulgarisch -ostrumehsche  Streit- 
macht an  der  rumelisch-türkischen  Grenze  versammelt  war,  den 
E  i  n  z  u  g  i  n  S  0  f  i  a  verwehren  können? ;  wenn  nicht  —  wie  bekannt  — 
die  europäische  Diplomatie  dem  zum  Losschlagen  bereiten 
Serbien  in  den  Arm  gefallen  und  dasselbe,  auf  die  Verhand- 
lungen der  Gonstantinopeler  Conferenz  verwiesen  hätte.  Serbien  hatte 
somit  den  günstigsten  Moment  versäumt;  ein  ganzer  Monat 
war  vergangen,  innerhalb  welchem  die  serbische  Armee  „Gewehr  bei 
Fuss"  zur  ünthätigkeit  verurtheilt  war.  Innerhalb  dieses  Monates 
hatte  sich  aber  auch  die  strategische  Situation  bei  der  bulgarisch- 
ostruraelischen  Armee  wesentlich  geändert.  In  welcher  Weise  mussten 
nun  die  Serben  vorgehen,  um  Sofia  zu  erreichen,  bevor  die  bulgarisch- 
ostrumelische  Armee  sich  denselben  an  irgend  einem  entscheidenden 
Punkte  an  der  Defilee-Strassp  Oaribrod-Slivnica  —  dass  die  Bulgaren 


—  30  — 

in  der  Ebene  von  Sofia  der  serbischen  üeberlegenheit  sich  preisgeben 
würden,  durfte  wohl  nicht  angenommen  werden   —  entgegen  stellen 
konnte  ? 
Taf.  I.  II.  Es    bedarf   keines    Beweises,    dass    der    bewegliche,    also    der 

Manövrir-  und  Angriffskrieg,  somit  das  Offensivfeld  in 
den  südhchen  Raum  (Haupt- Operationslinie  Pirot-Sofia),  zu  verlegen 
war.  Da  aber  auf  ein  rechtzeitiges  Eintreffen  der  seitwärts  der 
Haupt-Operationshnie  im  Gebirge  verwickelten  Didsionen  nicht  mit 
Sicherheit  gerechnet  werden  konnte,  man  schhesslich  auch  nicht 
wusste,  an  welchem  Punkte  die  Entscheidung  eintreten  würde,  so 
musste  auf  der  H^upt-Operationslinie  auch  die  Hauptkraft,  daher 
4  und  nicht  2  Divisionen  vorrücken,  was  —  wie  bereits 
erwähnt  —  auch  im  marschtechnischen  Sinne  keine  Schwierigkeiten 
gehabt  hätte.  Dementsprechend  hatte  die  Hauptarmee  —  4  Divisionen 
stark  —  ihren  strategischen  Aufmarsch  im  Thale  der  Nisava  bei  und 
südlich  von  Pirot  zu  bewerkstelligen. 

Die  Deckung  der  beiden  Flanken  war  wichtig;  des- 
halb musste  nach  Bresnik  1  Regiment  (4  Bataillone),  leicht  ausge- 
rüstet, mit  einer  halben  Escadron  Cavallerie,  Gebirgs-Artillerie  und 
Gebirgs-Train,  detachirt  werden.  Dieses  Detachement  konnte  seinen 
Aufmarsch  im  Thale  der  Mala  r.  (Seitenthal  der  Vlasina)  etwa  bei 
Gradska,  Kaona  und  Preslop  bewirken  und  über  Miroslavci,  Glava- 
novci,  Turekovci,  Trn  nach  Bresnik  vorrücken.  Bresnik  selbst  war 
wichtig,  weil  man  von  dort  aus  die  von  Sofia,  von  Samakov,  von 
Dubnica  und  von  Köstendil  kommenden  Strassen  leicht  beherrschte, 
dadurch  die  südHche  Flanke  verlässhch  deckte  und  sich  selbst  die 
volle  Bewegungsfreiheit  nach  jeder  Richtung  sicherte.  Desgleichen 
mussten  nach  dem  Ginci-Passe  etwa  2  Bataillone,  gleichfalls  mit 
■  Gebirgs-Artillerie,  Gebirgs-Train  und  etwas  Cavallerie  detachirt 
werden,  weil  durch  die  Besetzung  dieses  Passes  etwaigen  Zuzügen 
am  besten  vorzubeugen  gewesen  wäre.  Dieses  Detachement  konnte  auf 
dem  Tepos-Berge  aufmarschieren  und  hatte  —  bei  Berücksichtigung 
des  Weges  Slavinje-Krivodol-Komastica  —  über  Protopopnica-Stan- 
jalci-Komastica  gegen  den  Ginei-Pass  vorzurücken. 
I  Die  Cavallerie-Brigade  Proporcetovic    endlich,    vielleicht   unter 

Beigabe  eines  Bataillons  und  reitender  Artillerie  wäre  —  wollte  man 
das  Gros  der  Reiterei  schon  nicht  an  die  Queue  der  Haupt-Colonne 
anschliessen  und  für  die  voraussichtliche  Action  in  der  Ebene  von 
Sofia  reservieren,  —  von  Haus  aus  über  Belograd6ik  nach  Berkovica 
zu  disponieren  gewesen,  auf  welcher  Marschlinie  sie  als  Verbindungs- 
glied mit  den  Kräften  am  unteren  Timok  gedient,  den  ganzen  Raum 


—  31  — 

zwischen  Timok,  Lom,  und  dem  obersten  Theile  des  Ogost  beherrscht 
hätte  und  schHesshch  durch  den  Ginci-Pass,  welchen  die  Unke 
Seitencoionne  der  Hauptarraee  festhielt,  in  die  Ebene  von  Sofia 
gezogen  werden  konnte.  Dieser  Aufgabe  entsprechend,  hatte  die 
Cavallerie-Brigade  ihren  Aufmarsch  im  Thale  des  Trgoviski-Timok  j 
etwa  zwischen  Jalovik-Izvor   und  Balta-Berilovci   zu   bewerkstelligen.     ' 

Was  den  Raum  am  unteren  Timok  betrifift,    so  ist  derselbe  so 
gross  und  wichtig,    dass  ihn  ohne  Schwertstreich  dem  Feinde  über- 
lassen, diesem  doch  übergrosse  Vortheile  zuwenden  geheissen  hätte, 
und  dies  umsomehr,  wenn  man  bedenkt,    dass    durch   denselben    die 
kürzeste  Linie  auf  Belgrad  zieht.  Hiezu  aber   hätte  eine  halbe  Divi- 
sion, also  etwa  6  Bataillone,  vielleicht  durch  2  Bataillone  des  2.  Auf- 
gebotes   verstärkt,    unter    Beigabe    der    gesammten    Artillerie    einer      j 
Division  und  einiger  Escadronen  genügt.  In  diesen  Raum  war  somit 
das  Defensiv  feld    des   Kriegsschauplatz  es    zu    verlegen. 
Das  Benehmen  dieser  verstärkten  Brigade,    sollte   sie  ihrer  Aufgabe 
gerecht    werden,    wäre    allerdings    kein    leichtes    gewesen ;    häufiger 
Wechsel  der  Stellungen,  fortwährende  forcierte  Hin-  und  Hermärsche    j    j  / 
längs    des   Timok,    plötzhches    Erscheinen    und  Wiederverschwinden         I 
auf  den  verschiedensten  Punkten  etc.,  wären  hiezu    nöthig  gewesen. 

Die  Vertheilung  der  Streitkräfte  in  der  eben  angedeuteten 
Weise,  wäre  nicht  nur  einfach,  sondern,  was  noch  weit  mehr  gilt, 
auch,  sicher  gewesen.  Vier  Divisionen  am  16.  November  zum  An- 
griffe angesetzt,  hätten  einen  Widerstand  der  Bulgaren  bei  Siivnica 
gar  nicht  aufkommen  lassen;  ja  man  kann  selbst  heute  noch,  wie- 
wohl die  Thatsachen  gerade  das  Gegentheil  gezeigt  haben,  behaupten, 
dass  die  bulgarische  Armee  zersprengt  worden  wäre. 

Bulgaren. 

Als  Herr  Rhangabe  in  der  Nacht  vom  13.  zum  14.  November 
in  Sofia  die  serbische  Kriegserklärung  übergab,  standen  bekannter- 
massen  mehr  als  die  Hälfte  der  bulgarischen  Truppen  in  OstrumeUen. 
Die  Vertheilung  derselben  war  folgende: 

I.  Front  gegen  die  Türkei: 

a.  Bei  Phihppopel   und  längs   der  Eisenbahn    nach  Adrianopel   Taf.  i. 
bis  zur  türkischen  Grenze;    die    ostrumehsche  Mihz   und    1  Division 
bulgarischer  Truppen,  zumeist  aus  den  östhchen  Bezirken  stammend ; 
im  Ganzen  etwa  25.000  Oombattanten,    unter    dem  Commando    des 
Obersten  Nikolajew. 


—  32  — 

h.  Bei  Jamboli :  circa  10.000  Corabattanten  unter  dem  Befehle 
des  Oberstlieutenants  Filow. 

c.  Bei  Aidos:  etwa  3.000  Combattanten. 

II.  Front  gegen  Serbien: 

Taf.  I.  Entsprechend    dem    serbischen    Aufmarsche,    haben    auch    die 

Bulgaren  im  grossen  Ganzen  sich  in  3  Gruppen    aufgestellt    u.  zw.: 

Taf.  I.  III.  a.  Bei  Vidin :    5  Bataillone  Infanterie    mit    4.000   Freiwilligen, 

1  Escadron  und  5  Batterien  —  etwa  7.000  Combattanten  unter  dem 
Befehle  des  Hauptmannes  üsunoff.  Diese  Gruppe  hatte  ihre  Vor- 
truppen über  Adlije  gegen  Zajecar  vorgeschoben.  Selbstständige 
Detachements  standen  bei  Salas  in  der  linken,  bei  Bregova  in  der 
rechten  Planke. 

Taf.  I.  II.  h.   Bei   Slivnica :     1   Division    Infanterie,    2    Escadronen    und 

6  Batterien,  meist  aus  Truppen  der  westlichen  Bezirke  zusammen- 
gezogen, —  etwa  10.000  Combattanten,  —  anfänglich  unter  dem 
Commando  des  Hauptmannes  Gutsehew ;  dieselbe  hatte  ihre  Vor- 
truppen, 2  Bataillone,  2  Escadronen  und  2  Batterien,  über  den 
Dragoman-Pass  bis  Caribrod,  IV2  Bataillone  und  1  Batterie  auf 
Cöte  440  zwischen  Peterlas  und  Odorovci,  1  Bataillon  endlich  nach 
Slavinje  vorgeschoben. 

Taf.  I.  II.  c.  Bei   Trn :    2    Bataillone    Infanterie    mit    1500    Freiwilhgen, 

2  Escadronen  und  3  Batterien  —  etwa  3000  Combattanten  —  unter 
dem  Befehle  des  Hauptmannes  Philipow  mit  vorgeschobenen  kleinen 
Abtheilungen  bis  an  die  serbische  Grenze. 

Fürst  Alexander  mit  dem  Hauptquartier  war  in  Philippopel. 

Schon  dieser,  g^g^n  Serbien  mit  noch  untergeordneten  Kräften 
bewirkte  Aufmarsch  der  Bulgaren,  lässt  die  Absicht  des  Fürsten 
Alexander  klar  und  deutlich  erkennen,  dass  derselbe  weit  ent- 
fernt von  allen  künstlichen  Combinationen  bestrebt  war,  seine  Haupt- 
kraft nordwestlich  Sofia,  also  auf  der  wichtigsten  Linie  (Caribrod- 
Sofia)  zusammenzuziehen,  und  dies  umsomehr,  als  er  ja  auf  dieser 
Linie  die  ganze  Armee  seines  Gegners,  wenigstens  aber  3  bis  4 
Divisionen  vermuthen  musste;  dass  er  sie  daselbst  nicht  antraf, 
muss  auf  das  ,,Glücksconto"  gesetzt  werden,  das  im  Kriege  so  oft 
eine  grosse  Rolle  spielt. 

Allerdings  konnte  auch  der  Fürst  den  Vidiner-  urid  Trn  er- 
Kreis nicht  ganz  unberücksichtigt  lassen,  u.  zw.  schon  aus  dem 
Umstände,  weil  dem  Kundschafts-Bureau  des  Hauptquartiers,  welches 
sehr  gut    functionirte,    die  Ansammlung    serbischer    Streitkräfte    in 


^  3ä  - 

Zajecar  und  auf  dem  Vlasina- Plateau  jedenfalls  bekannt  war.  Welch' 
geringen  Werth  das  bulgarische  Ober-Commando  aber  dessenungeachtet 
diesen  Theilen  des  Kriegsschauplatzes  beigelegt  hatte,  geht  schon 
daraus  hervor,  dass  es  auf  dieselben  vorzüglich  die  ,, Freiwilligen- 
Bataillone",  sowie  die  4  Kreis-Commanden  Nationalmiliz  (Land- 
sturm) des  Vidiner-,  Belogradciker-,  Caribroder-,  endlich  des  Trner- 
Kreises  dirigierte  und  ihnen  nur  als  „Kern"  reguläre  Truppen 
zuwies.  Vidin  endlich,  wenn  auch  eine  Festung  alten  Systemes,  musste 
immerhin  seine  Besatzung  erhalten;  zum  Schutze  derselben  von  der 
Donauseite  war  überdies  die  bulgarische  Flotille  bestimmt. 

Angesichts  der  serbischen  Kriegserklärung,  die  dem  Fürsten 
Alexander  am  Mittage  des  14.  November  zugekommen  war,  verliess 
derselbe  mit  seinem  Hauptquartiere  Philippopel.  Gleichzeitig  hatte  er 
alle  in  OstrumeUen  versammelten  Truppen,  auch  die  an  der  türkischen 
Grenze  stehenden,  nach  Sofia  in  Marsch  gesetzt.  Die  freilich  wenig 
leistungsfähige  Eisenbahn  bis  Jenihan  sollte  dabei  nach  Möglichkeit 
mitbenutzt  werden. 

Am  15.  November  vormittags  war  der  Fürst,  nachdem  er  die 
vorangegangene  Nacht  in  Ichtiman  zugebracht  hatte,  in  Sofia  ein- 
getroffen. 

Von  Sofia  bis  Jenihan-Saranbeg  waren  circa  90  km,  bis 
Philippopel  140  km  zurückzulegen;  dem  Fürsten  standen  hiezu  zwei 
Strassen,  jene  über  Ichtiman  und  Samakov  zur  Verfügung.  Der  erste 
Staffel  der  Verstärkungen  konnte  somit  im  günstigsten  Falle  erst  am 
17.  November  in  Sofia  eintreffen.  Mehrere  Tage  mussten  also  noch 
vergehen,  bis  die  Vereinigung  der  bulgarisch-ostrumelischen  Armee 
vollendet  war,  und  ausserordentliche  Tagesleistungen  seitens  der 
marschierenden  Truppen  waren  erforderlich,  sollte  der  letzte  Staffel 
derselben  etwa  am  20.  November  in  Sofia  eintreffen.  So  lange  musste 
also  vorwärts  Sofia  den  Serben  Widerstand  geleistet  werden. 

lieber  aUes  Lob  erhaben  und  wahrhaft  bewunderungswürdig 
waren  die  Marschleistungen  der  bulgarischen  Truppen  zur  Ooncen- 
trierung  bei  Sofia  gewesen.  So  hatte  beispielsweise  das  Primorsky- 
Polk  (Seeregiment  aus  der  Gegend  von  Varna)  in  32  Stunden  95  km 
bei  schlechtesten  Wetter  zurückgelegt  und  dabei  noch  den  Ichtiman- 
Pass  überschritten.  Während  dieses  ßiesenmarsches  hatte  das  4.500 
Mann  starke  Regiment  nur  62  Nachzügler,  was  gewiss  sehr  wenig 
ist.  Die  Truppe  hatte  auf  diesem  Marsche  ihr  gesammtes  Gepäck 
zurückgelassen  und  führte  nur  Gewehre  und  Munition  mit  sich.  Wie 
sehr  überhaupt  ,,das  Feuer  auf  den  Fingern  brannte",  wie  sehr  es 
dem    Fürsten    darum    zu    thun  war,    auf  einem,  —  allerdings   dem 

3 


—  34  — 

Hauptpunkte,  —  mit  relativer  Ueberlegenheit  aufzutreten,  beweist 
am  besten  Folgendes :  In  den  ersten  Tagen  der  Kämpfe  um  Slivnica, 
waren  in  Sofia  Truppen  derart  erschöpft  angekommen,  dass  sie 
absolut  nicht  einen  Schritt  mehr  weiter  konnten,  man  musste  sie 
aber  in  Slivnica  haben.  Der  Entschluss  war  rasch  gefasst,  man 
setzte  die  Leute  auf  die  Pferde  eines  in  Sofia  in  der  Bildung 
begriffenen  Cavallerie-Regimentes  und  beförderte  sie  —  je  2  Mann 
auf  einem  Pferde  —  auf  diese  Weise  mit  äusserster  Schnelligkeit 
bis  in  die  Feueriinie ;  ein  Versuch,  der  übrigens  nur  in  einem  Lande 
gehngen  kann,  wo,  wie  in  Bulgarien,  jedermann  von  Kindesbeinen  an 
ein  Reiter  ist. 

I  I  Ohne  zu  untersuchen,  ob  Fürst  Alexander   nicht  etwa  aus  der 

I    „Noth  eine  Tugend"  machte,  Thatsache   ist  es,    dass   dem    natür- 
lichen,   einfachen,    dafür    aber    auch    sicheren   Operations- 

{ ,  plane,  d.  i. :  den  vorrückenden  Gegner  durch  kleine  Rückzugsgefechte 
in  den  zahlreichen,  vorwärts  Sofia  gelegenen  Defil<^en  aufzuhalten, 
unterdessen  die  ganze  bulgarisch-ostrumelische  Armee  in  einer  festen 
Stellung  zu  vereinigen,  in  derselben  den  Angriff  des  Gegners 
abzuwarten,  eventuell  aus  derselben  selbst  zur  Offensive  überzugehen, 
auch  ein  richtiger,  weil  natürlicher  ,  strategischer  Auf- 
marsch entsprach.  Zu  schwach,  um  den  Serben  überall  entgegen- 
treten zu  können,  musste  logischer  Weise  des  Fürsten  Streben 
dahin  gerichtet  sein,  mit  numerisch  überlegener  Kraft 
wenigstens  auf  der  Hauptlinie  über  die  Serben  herzufallen  und  sie 
zu  schlagen,  eingedenk  eines  der  wichtigsten  Grundsätze  der  Strategie : 

i  ,,dass  die  feindliche  Hauptmacht  das  erste,  das  wichtigste 
Operations-Object  sei."  Und  wahrlich,  die  Serben  haben  es 
durch  ihre  Zersplitterung  den  Bulgaren  leicht  gemacht,  diesen  Grund- 

j       satz  zu  befolgen.  „Mit  Kunst",  —  so  sagte  ein  Artikel  des  „Pester 
Lloyd",  —  „hat  Serbien  diesen  Feldzug  verloren". 
5.  Operati  onsbasis. 
Taf.  I.  Im  serbischen  Operationsplane  bildete  die  Morava  in  ihrem 

mittleren  und  oberen  Laufe  die  Basis.  Sie  weist  günstige  Verhält- 
nisse zum  Vormarsche  und  zu  den  Verbindungen  mit  dem  Inneren 
des  Landes  auf.  Für  ihre  Sicherung  war  allerdings  nichts  geschehen, 
dagegen  konnte  die  Ansammlung  der  Armee  in  derselben  —  bei  Zu- 
hilfenahme der  Eisenbahn  Belgrad-Nis-Vranja  —  mit  einer,  immerhin 
nicht  zu  unterschätzenden  grösseren  Schnelligkeit  erfolgen.  Beide 
Flanken  sind  durch  neutrale  Staaten  geschützt;  im  Oentrum  liegt 
Ni§  als  vorzüglicher  Stützpunkt,  doch  mangelte  es  auch  hier  an  einer 
technischen  Verstärkuno;.  Die  Rocadc-Verhältnisse  sind,  da  zwei  Strassen 


-  35  -- 

von  Nis  abwärts  (auf  beiden  Seiten  der  Morava)  eine  von  dieser  Stadt  auf- 
wärts, überdies  die  Eisenbahn  Belgrad-Nis-Vranja  im  Thale  führen,  sehr 
günstig  Die  Haupt-Operationslinie  liegt  allerdings  mehr  auf  dem  rechten 
Flügel,  auch  geht  sie  aus  der  Basis  mehr  unter  einem  spitzen  Winkel 
(gegen  die  rechte  Flanke)  nach  vorwärts,  was  als  ein  Nachtheil  be- 
zeichnet werden  muss. 

Der  Isker  mit  der  Hauptstadt  Sofia  bildete  die  Basis  der 
Bulgaren;  im  Norden  und  Süden  gleichfalls  durch  neutrale  Staaten 
gedeckt.  Zum  Ergreifen  der  Offensive  wie  zum  Ansammeln  der 
Armee  im  Basisraume  bei  Sofia,  stehen  mehrere  Oommunicationen  zur 
Verfügung.  Die  Lage  der  Operationsrichtung  muss  als  günstig  be- 
zeichnet werden,  da  die  OperationsHnie  aus  der  Mitte  der  Basis  senk- 
recht nach  vorwärts  führt. 

6.  Operationslinien.  Taf.  i.  ii. 

Um  dieselben  würdigen  zu  können,  ist  es  nothwendig,  nochmals 
zu  betonen,  das  die  Grenzen  zwischen  Serbien  und  Bulgarien  sich  in 
einer  Ausdehnung  von  290  hm  berührten;  nördlich  und  südheh  davon 
waren  neutrale  Staaten. 

Es  standen  somit  den  Serben  als  Operationsrichtungen  zur 
Verfügung : 

a)  Auf  Nord-Bulgarien  (Gebiet  zwischen  Donau  und  Balkan). 

h)  Auf  Sofia. 

Im  Falle  ad  a)  konnten  benützt  werden : 

1.  Die  Linie  Paracin-Zajeöar-Vidin. 

2.  Aleksinac  -  Knjazevac  -  Belogradcik  -  Lom  Palanka  (oder  Ber- 
kovica). 

Im  Falle  ad  h)  ergaben  sich  die  Linien : 

a.  Nis-Pirot-Krapac-Stanjalci  -  Pecenobrdo    han  -  Caikovce  -  Sofia. 

ß.  Nis-Pirot-Caribrod-Sofia. 

>t.  Aus  dem  Thale  der  Vlasina  über  Nalovci  oder  das  Mala  r. 
Thal,  Dascani  kladenac,  Glavanovca  über  Trn-Bresnik-Pernik- Sofia. 

Das  Haupt-Operationsgebiet:  Sofia  konnte  somit  in  zwei  Haupt- 
richtungen (a,  ß,  y.  und  eventuell  2.)  erreicht  werden. 

Unter  der  Voraussetzung,  dass  die  Armee  bei  Nis  im  Thale  der 
Morava  aufmarschierte,  konnte  der  serbische  Operationsplan  nur  eine 
Haupt-OperationsHnie  wählen,  d.  i.  im  Thale  der  Nisava  über  Pirot, 
Caribrod,  Slivnica  nach  Sofia.  Die  wesentlichsten  Vortheile  dieser 
Operationslinie  sind : 

a)  Sie  ist  die  kürzeste  (circa  85  km,  also  4  Tagmärsche) ; 

3* 


—  36  — 

h)  führt  sie  directe  auf  Sofia: 

,c)  besitzt  sie  in  den  sub  a  und  x.  genannten  Cornmunicationen. 
Neben-Operationslinien,  die  unter  gewissen  Voraussetzungen 
—  namentlich  jene  sub  a  —  für  die  Porcierung  der  Haupt-Operations- 
linie von  grösserem  Werthe  werden  konnten;  endlich 

d)  ist  sie  die  besterhalten  st  e,  was  im  Hinblicke  auf  den 
nahenden  Winter  nicht  übersehen  werden  durfte. 

Als  Nachtheil  dieser  Operationslinie  muss  hervorgehoben  werden, 
dass  dieselbe  nur  wenig  Ortschaften  aufzuweisen  h»t,  ein  Umstand, 
welcher  dem  Nachschubs-  und  Etapen-Dienste  nicht  zu  statten  kam. 

Naturgemäss  standen  den  Bulgaren  dieselben  Linien  zu  Gebote. 
Zieht  man  jedoch  in  Erwägung,  dass  bei  Ausbruch  des  Krieges  nahezu 
2  Drittel  der  gesammten  bulgarischen  Armee  in  Ost-Rumelien  stand, 
so  resultiert  daraus  wohl  von  selbst,  dass  für  das  bulgarische  Haupt- 
quartier nur  jene  Linie  von  Wichtigkeit  sein  konnte,  die  die  Haupt- 
stadt zu  decken  vermochte.  •  Wie  die  Verhältnisse  beschaffen  waren, 
konnte  dies  nur  die  Linie  Sofia-SHvnica-Caribrod-Pirot  sein. 
7.  Technische  Verstärkung  des  Kriegsschauplatzes. 
Taf,  I.  Diesen  Anforderungen  wird   im    serbischen    Operationsplane 

nicht  entsprochen  und  doch  wäre  es  so  nothwendig  gewesen,  einen 
vertheidigungsfähigen  Raum  zu  schaffen,  innerhalb  welchem, 
beim  MissHngen  der  Offensive,  die  Defensive  durchgeführt  werden 
konnte.  *Bei  einer  nur  flüchtigen  Betrachtung  des  Kriegsschauplatzes 
ergibt  sich  Nis  mit  Leskovac,  Pirot,  Knjazevac  und  Aleksinac  als 
derjenige  Raum,  der  wenigstens  mit  den  Mitteln  der  Feldbefestigung 
zu  einer  Gruppe  vereint,  demnach  in  Vertheidigungsstand  zu  setzen 
gewesen  wäre.  An  Zeit  konnte  es  nicht  gemangelt  haben,  weil  ja 
vom  Erlass  des  Mobilisierungs-Befehles  bis  zum  Beginne  der  Operationen 
8  Wochen'  verflossen  waren.  Was  wäre  w^ohl  mit  Nis  geworden, 
wenn  das  Erscheinen  des  österr.-ungar.  Gesandten  Grafen  Kheven- 
hüller  im  bulgarischen  Hauptquartiere  nach  den  Kämpfen  bei  Pirot 
dem  Kriege  nicht  ein  Ende  gemacht  hätte  ? 

Zajecar  sollte  zu  einem  befestigten  Lager  hergerichtet  werden  ; 
ob  es  thatsächhch  geschehen  ist,  konnte  nicht  mit  Bestimmtheit 
erhoben  werden. 

Eigenthche,  den  modernen  Anforderungen  entsprechende  Festungen 
besitzt  Serbien  nicht;  weder  Belgrad  noch  Nis  könnten  als  solche 
bezeichnet  werden. 

Auch  die  Bulgaren  besitzen  keine  modernen  Festungen,  allein 
sie  haben  es  verstanden,  sich  die  Feldbefestigung  zu  Nutze  zu  machen. 


—  37  — 

Zunächst  wurden  die  alten  Befestigungen  von  Sofia  —  etwa 
4  km  westlich  dieser  Stadt  ~  ausgebessert,  theilweise  neue  errichtet. 
Einen  besonderen  Ernst  scheinen  jedoch  die  Bulgaren  diesen  Be- 
festigungen selbst  nicht  beigelegt  zu  haben,  so  dass  es  den  Anschein 
hatte,  als  ob  vor  Sofia  nur  aus  dem  Grunde  gearbeitet  worden  wäre, 
um  das  eigene  Gewissen  zu  beruhigen. 

Gleichzeitig,  eigentlich  schon  im  Monate  August  (siehe  Seite  3) 
wurde  die  Befestigung  von  Slivnica  —  von  den  Türken  Haikali 
genannt  —  von  Ingenieuren  in  Angriff  genommen.  Slivnica  ist 
als  Schlüssel  des'  ganzen  Balkan-Plateau's  und  als  das  Thor  der 
bulgarischen  Hauptstadt  anzusehen ,  und  wurde  dementsprechend 
auch  technisch  verstärkt. 

In  einer  Frontausdehnung  von  4  bis  5  km  beiderseits  der 
Chaussee  mit  Versehanzungen,  ßedouten  und  Batterien  ausgestattet, 
wurde  die  schon  von  Natur  aus  sehr  schwer  zugänghche  Stellung 
zu  einer  Art  verschanztem  Lager  umgestaltet.  Im  Centrum  be- 
herrschten drei  Hü^el  die  Ebene  auf  eine  Distanz  von  mehreren  Kilo- 
metern; beide  Flügel  waren  durch  Redouten,  welche  die  Auf- 
stellung von  je  12  schweren  Geschützen  gestatteten,  verstärkt,  der 
rechte  überdies  durch  die  sumpfige  Niederung  des  Blato-Baches, 
der  linke  theilweise  durch  einige  Hügel  gestützt.  Den  grössten  Theil 
der  Front  endlich  deckte  das  breite  Thal  des  nicht  überall  dürch- 
fuhrtbaren  Shvnica-Baches.  Allerdings  hatte  die  Position  von  Slivnica 
auch  einen  Nacbtheil,  welcher  darin  bestand,  dass  sie  von  deti  Höhen, 
welche  im  Bereiche  der  serbischen  Vorposten  auf  grössere  Geschütz- 
distanz der  Front  gegenüber  lagen,  dominiert  wurden  und  dass  das 
Gelände  in  der  linken  Flanke,  nach  dem  zwischen  Shvnica  und  Bresnik 
sich  hinziehenden  Visker-Gebirgsrüeken  zu,  für  Infanterie  —  wenn 
auch  schwer  —  so  doch  überall,  für  Artillerie  meist  gangbar  war, 
demnach  den  Serben  Gelegenheit  zu  Umgehungen  und  dominierenden 
Flankenangriffen  bot. 

Aehnlich  wie  bei  Slivnica  waren  in  den  Strassen-Defileen  bei 
Caribrod,  Karaula,  Dragoman,  weiters  im  Westen  und  Südwesten 
Sofia's,  auf  der  Visker  pl.  und  namentlich  bei  dem  nahen,  an  der 
chaussierten  Strasse  gelegenen  Vladaja,  Vertheidigungs-Stellungen  und 
Strassensperren  vorbereitet  worden. 

Augenzeugen  haben  in  der  Anlage  der  bulgarischen  Feld- 
befestigungen gelungene  Nachbildungen  der  türkischen  Yertheidigungs- 
Anlagen  von  Plevna  erkannt.  „Es  ist  unglaublich",  heisst  es  da  z.  B., 
„welche  Massen  von  Erde  hier  aufgewühlt  worden  sind,  die  Familien- 
„ähnhchkeit  mit  Plevna  springt  auf  den  ersten  Blick  in's  Auge.  Die- 


—  38  — 

„selben  stark  profilierten,  theilweise  selbst  gegen  Geschätzfeuer  ein- 
„geriehteten,  oft  ein  drei-  bis  vierfaches  Etagenfeuer  gestattenden 
„Schützengräben,  welche  in  grösseren  oder  kleineren  Eedouten  Stütz- 
„punkte  fanden,  vorzüglich  eingerichtete  Geschützaufstellungen  mit 
„Schutzräumen  für  die  Bedienung,  so  stellt  sich  die  Befestigung  von 
„Shvnica  als  eine  vorzügliche  Nachahmung  der  türkischen  Befestigungs- 
„kunst  dar". 

Vergleicht  man  beide  Operationspläne  miteinander,  so  charakteri- 
sieren sich  dieselben  in  kurzen  Worten  folgendermassen : 

Der  serbische  Operationsplan  ist  compliciert,  zeigt 
überall  halbe  Massregeln;  die  offensive  Absicht  ist 
allerdings  in  demselben  enthalten,  aber  wie  durch- 
geführt; das  politische  Ziel  schob  das  geogra fische 
Moment  in  den  Vordergrund,  in  Folge  dessen  wurde 
die  Kraft  zersplittert  und  das  Hauptoperationsobject: 
die  Armee  kam  in  den  Hintergrund,  er  steht  somit  viel- 
fach im  Widerspruche  mit  den  Hauptprincipien  der  Kriegführung. 

Der  bulgarische  Operation  splan  dagegen  ist  einfach 
und  sachgemäss;  seine  Bestimmungen  sind  zunächst  auf 
die  Concentrierung  der  gesammten  bulgarisch  -  ostrumelischen 
Armee  auf  einem  Punkte  zum  taktischen  Entscheidungsschlage 
gerichtet. 


;♦:■:■:■;■:■i■:♦:■:■^x^.:♦!■:^joVjg:■:•i■!v;<>^^^^^ 


;:-.«:i:v:v:*:v:-:v:. ♦:■:■:  Xv>!:>;:v.».-:v:v:.»>::v:-::»!!>l:IV:!:-!-!:!*^ 


^aj.  ajsajssjsajyajsajiji^s  ^sij^aiJs^eJöiisaJSs  e^ej^aie^sxijsx^ssjselisa^  «isej;»     •it<sj98jsä|;s(?H^aj;saiö4s2^a&'2)Hs2i^«!SsaJs4s 


III. 

Die  Serben  ergreifen  die  Offensive.  —  Kämpfe  um 
Slivnica  vom  17.  bis  19.  November. 


Die  Serben  ergreifen  die  Offensive. 

Serben. 

Nachdem  die  serbische  Armee  fast  vier  Wochen  lang  hart  Taf.  ii. 
an  der  bulgarischen  Grenze  aufmarschiert  war  und  eine  zuwartende 
Stellung  beobachtet  hatte,  ergriff  sie  endlich  nach  vorangegangener 
Kriegserklärung  die  Offensive.  Gleichzeitig  mit  der  letzteren  hatte 
König  Milan  sein  Hauptquartier  von  Nis  nach  Pirot  verlegt  und  der 
Nisava- Armee  den  Befehl  gegeben,  den  Vormarsch  derart  anzutreten, 
dass  die  Spitzen  der  einzelnen  Colonnen  Samstag  den  14.  November 
6  Uhr  Früh  auf  der  ganzen  Linie  die  bulgarische  Grenze  passieren 
können. 

Für  die  beabsichtigte  Einnahme  von  Sofia  hatte  das  serbische 
Ober-Commando  —  in  grossen  Zügen  —  nachstehende  Disposition 
erlassen : 

„  Am  äussersten  rechten  Flügel  hatte  die  Morava  -  Division 
„über  Trn  auf  ßresnik  zu  operieren  und  den  Angriff  des  Gros  auf 
„die  feindliche  Hauptmacht  zu  unterstützen. 

"„Von  den  im  Centrum  stehenden  drei  Divisionen  hatten: 

V 

a.  „Die  Sumadija-Division  von  Sukovska  Most  auf  der  nach 
„Trn  fahrenden  Strasse  vorzugehen,  auf  der  Höhe  von  Belik  (Stol) 
„südöstHch  abzubiegen^  Direction  auf  Brusnik  und  Gaber  zunehmen, 
„nebstbei  eventuell  auch  auf  Trn  zu  drücken  und  dadurch  der  Morava- 
„ Division  das  Debouchieren  zu  erleichtern; 

h.  „Die  Donau- Division  ä  cheval  der  Strasse  Pirot-Sofia  vor- 
„zurücken: 


—  40  — 

c.  „Die  Drina-Division,  als  Beserve  bestimmt,  im  Thale  der 
„Lukavicka  r.  aufwärts  vorzugehen  und  die  Verbindungen  zwischen 
„der  Sumadija-  und  der  Donau-Division  zu  erhalten. 

„Auf  den  Hnken  Flügel  wurde  die  Cavallerie-Brigade  mit  1  In- 
„fanterie-ßataillon  und  1  Feld-Batterie  auf  die  Strasse  von  Pirot  über 
„Krupac,  Stanjalci  gegen  den  Ginci-Pass,  und  zwar  „zur  Deckung 
„der  hnken  Flanke"  disponirt.  Weiter  wurde  auf  die  nördhche 
„Parallel-Oommunication  von  Pirot  gegen  den  Ginci-Pass  1  Bataillon 
„2.  Aufgebotes  bis  Rzane  behufs  „Beobachtung"  detachirt." 

Diese  Disposition  verdankte  ihre  Entstehung  zunächst  wohl 
nur  dem,  im  vorhergehenden  Capitel  beleuchteten  fehlerhaften 
Operations-Plane,  der  bekanntermassen  in  erster  Linie  auf 
die  Occupation  des  zur  Annection  in  Aussicht  genommenen 
Trner -  Kreises  ausging,  und  erst  in  zweiter  Linie  auf  die  Be- 
kämpfung der  feindlichen  Armee  bedacht  war.  Mag  somit  in  dem 
pohtischen  Theile  des  Operations-Planes  ein  verzeihlicher,  weil  be- 
greiflicher Fehler  unterlaufen  sein,  so  kann  für  die  strategischen 
Sünden  dieser  Disposition,  die  schon  bei  ihrer  Geburt  das  Unglück 
von  Slivnica  in  ihrem  Schosse  trug,  absolut  kein  Entschuldigungs- 
grund für  das  serbische  Ober-Commando  gefunden  werden. 

"  Nach  den  Nachrichten,  die    eingelaufen  waren,    hatte  man  im 

serbischen  Hauptquartiere  im  Wesentlichen  ein  ziemlich  zutreffendes 
Bild  von  der  Vertheilung  der  bulgarisch-ostrumelischen  Streitkräfte. 
Abgesehen  also  von  der  zunächst  in's  Auge  gefassten  Occupation  eines 
möglichst  grossen  Theiles  des  Trner-Kreises,  zeigt  die  grundlegende 
Absicht  der  eben  citierten  Disposition  die  Idee :  den  strategischen 
Angriff  mit  einer  einfachen  Umgehung  einzuleiten; 
hiebei  sollte  die  Haupt- Armee  die  Frontgruppe,  die  1.  (Morava-)  Division 
die  Flankengruppe  bilden.  Ohne  der  Idee  der  einfachen  strategischen 
Umgehung  des  bulgarischen  linken  Flügels  das  Wort  reden  zu  wollen, 
muss  immerhin  zugegeben  w^erden,  dass  die  strategische  Aufstellung 
der  serbischen  Nisava-Armee  den  an  die  einfache  Umgehung  zu 
stellenden  Bedingungen  entsprach;  denn,  bei  exacter,  schneller 
und  stricter  Durchführung  der  Operationen  konnte  man 
wenigstens  hoffen: 

1.  Die  bulgarische   Armee  vor  Slivnica    zum    Schlage    gegen 

doppelte  Ueberlegenheit    zu  zwingen  (am    16.  November   hätten    die 

3  serbischen  Divisionen  kaum  mehr  als  1  bulgarische  Division  au- 
getroöen) ; 


—  41  — 

2.  die  bulgarische  Armee  von  ihren  Verbindungen  mit  Sofia 
und  Ostrumelien  abzudrängen  und  nach  Norden  in  den  Balkan  zu 
werfen. 

Bekanntermassen  liegt  das  Schwächemoment  einer  jeden  Um- 
gehung —  insolange  dieselbe  sich  nicht  geltend  macht  —  im  Pivot 
derselben.  Letzteres  muss  somit  durch  den  Raum,  oder  durch  die 
innehabende  Kraft  oder  endlich,  durch  eine  entsprechende  Com- 
bination  von  Raum  und  Kraft  gesichert  werden. 

Der  Bedingung  des  Raumes  wäre  leicht  zu  entsprechen 
gewesen,  wenn  die  Morara-Division  einen  Vorsprung  von  Einem 
Tagmarsche  erhalten  hätte,  was  umsoleichter  durchführbar  gewesen 
wäre,  wenn  das  serbische  Ober-Commando  einen  „Freitag"  nicht 
als  einen  „Unglücks tag"  angesehen,  sondern  den  von  den  Bulgaren 
auf  die  Serben  am  Freitag  den  18.  November  ausgeführten  üeber- 
fall  bei  Dascani  kladenac,  Vlasina  sofort  mit  der  Kriegserklärung 
beantwortet  und  der  Morava  -  Division  den  Befehl  ertheilt  hätte, 
nach  Bulgarien  einzurücken,  statt  —  wie  es  thatsächlich  geschehen 
—  diese  Division,  überhaupt  alle  Colonnen  die  Grenze  erst  um  6  Uhr 
Früh  am  14.  November  überschreiten  zu  lassen.  Für  den  rechten 
Flügel  war  hiedurch  ein  Tag  verloren,  ein  Tag  mar  seh  ver- 
säumt, was  an  der  Niederlage  bei  Slivnica,  nebst  dem  Munitions- 
mangel wohl  auch  seinen  Theil  hatte.  —  Der  Bedingung  der 
Kraft  war  entsprochen,  durch,  die  numerische  üeberlegenheit  der 
bei  Pirot  concentrierten  serbischen  Kräfte  (27.000  Mann)  über  die 
bis  zum  16.  November  bei  Slivnica  concentrierte  bulgarische  Macht 
(10.000  Mann). 

Beurtheilt  man  weiters  die  Aufgaben,  die  sich  das  serbische 
Ober-Commando  gestellt  hatte,  so  ergeben  sich  gleichsam  von  selbst 
die  Directiven  für  die  Kräfte-Gruppierung  bei  der  Offensive,    u.   zw. : 

1.  Vorwerfen  der  Cavallerie-Brigade  zur  näheren  Aufklärung 
über  die  Verhältnisse  beim  Gegner;  wenn  es  etwa  —  mit  Rücksicht 
auf  das  zu  durchziehende  Terrain  —  nicht  besser  gewesen  wäre,  sich 
zu  diesem  Zwecke  blos  der  bei  den  Divisionen  eingetheilten  Cavallerie 
zu  bedienen  und  das  Gros  der  Cavallerie  an  der  Queue  der  Haupt- 
colonne  einzutheilen ,  um  sie  für  die  voraussiehthche  Action  in  der 
Ebene  bei  Sofia  zur  Hand  zu  haben.  Dieser  Forderung  wurde  nicht 
entsprochen,  da  die  Cavallerie  zu  einer  speciellen  Aufgabe  und  in  ein 
Terrain  disponiert  war,  wo  nur  Infanterie  mit  einigen  Gebirgsgeschützen 
und  etlichen  Ordonnanzreitern  auf  die  Dauer  mit  Erfolg  zu  verwenden 
gewesen  wäre. 


-    42  — 

2.  Die  Divisionen  müssen  gefechtsbereit  vorrüeken ;  daher  wo 
es  nöthig,  Theilung  in  Oolonnen,  jedoch  derart,  dass  dieselben  zu- 
versichtlich sich  gegenseitig  zu  unterstützen  vermögen  und  rasch  zum 
Gefechte  entwickeln  können.  Wollte  also  das  serbische  Ober-Commando 
absolut  mehrere  Oolonnen  formieren,  so  hätte  hiezu  —  wenn  man 
sich  die  kleinen  serbischen  Divisionen  vergegenwärtigt^  deren  ver- 
einte Bewegung  auf  einer  Strasse  vom  marschtechnischen  Stand- 
punkte gewiss  keinen  Schwierigkeiten  unterliegen  konnte  —  von  der 
Einmündung  der  Lukavicka  in  die  Nisava  eine  Theilung  in  2  Oolon- 
nen vollkommen  genügt;  u.  zw.  auf  der  Ohaussee  2  bis  2V2  Divisionen, 
im  Lukavicka-Thale  aufwärts  über  Visan,  Tabani,  Solince,  Vladimirovce 
V2  Division  mit  Gebirgsartillerie.  Zur  Sicherung  der  rechten  Flanke, 
beziehungsweise  des  Eückens  über  Banjski  Dol,  hätte  bis  zur  her- 
gestellten Verbindung  mit  der  Morava-Division  ein  kleines  Detachement 
genügt,  welches  dann  sofort  wieder  zur  Hauptcolonne  einzurücken 
gehabt  hätte. 

Statt  nun  in  der  eben  skizzierten  einfachen,  dafür  aber 
sicheren  Weise  eine  Theilung  in  2  Oolonnen  vorzunehmen,  hatte 
das  serbische  Ober-Ooramando  alle  Divisionen  fächerartig  aus- 
einander und  in  die  erste  Linie  vorgezogen,  so,  dass  schon  am 
2.  Operationstage,  dem  15.  November  —  da  die  Drina-Division  beordet 
worden  war,    die  Verbindung  zwischen  der  Donau-Division   auf    der 

V 

Pirot-Sofia-Strasse  und  der  Sumadija- Division  auf  der  Pirot-Trner- 
Strasse  zu  erhalten  —  keine  Ghederhng  in  die  Tiefe  mehr  existierte. 
Die  drei  Divisionen  der  Hauptarmee  standen  schon  an  diesem  Tage  in 
einer  Ausdehnung  von  circa  20  km  Lufthnie  (Karaula  -  Visan  -  Vrapce- 
Trn)  demnach,  bei  Berücksichtigung  des  Terrains,  eine  Vereinigung 
derselben  gegen  die,  den  linken  Flügel  bildende  Donau- Division  zum 
taktischen  Schlage,  nicht  mehr  möghch  war.  Noch  missUcher  musste 
sich  natürlich  die  Ausdehnung  der  Armeefront  (Stanjalci-Karaula- 
Visan-Vrapce-Trn-  Turekovci)  gestalten  ;  sie  betrug  bereits  über  40  km 
Luftlinie. 

3.  Der  Gegner  sollte  vorwärts  Sofia  zum  schlagen  gezwungen 
und  —  wenn  möglich  —  vernichtet  werden ;  Schwergewicht  demnach 
auf  denjenigen  Flügel,  von  welchem  aus  dem  Feinde  das  Ausweichen 
am  nachtheiligsten  verhindert  werden  kann.  —  Die  getroffenen 
Dispositionen  entsprachen  dieser  Forderung  allerdings  in  einem  nur 
zu  überreichen  Masse ;  bekanntermassen  hatte  das  serbische  Ober- 
Oommando  auf  den  rechten  Flügel  der  Armee  schon  am  2.  Operations- 
tage 3  Divisionen  (Morawa-,  Sumadija-  und  Drina-Division),  also 
drei  Viertel  seiner  Gesammtkraft,    aber  in  einer  Weise  disponiert. 


—  43  — 

dass  diese  Divisionen  sieh  untereinander  nicht  unterstützten,  demnach 
auch  einen  vereinten  und  überwältigenden  Druck  auf  den 
bulgarischen  linken  Flügel  nicht  in  Scene  setzen  konnten.  Dagegen 
war  das  sogenannte  „Centrum"  —  die  Donau-Division  —  den  Bul- 
garen förmlich  geopfert. 

4.  Musste  die  serbische  Oberleitung  mit  Bestimmtheit  darauf 
rechnen,  dass  das  bulgarische  Hauptquartier  bestrebt  sein  werde,  mit 
Zuhilfenahme  aller  nur  denkbaren  Beschleunigungsmitteln,  die  bul- 
garisch-ostrumehsche  Armee  noch  zeitgerecht  vorwärts  Sofia  zum 
taktischen  Entscheidungsschlage  zu  concentrieren.  Unter  solchen 
Verhältnissen  war  Schnelligkeit,  wenn  möghch  LI eberrasch- 
ung  bei  der  Durchführung  der  beabsichtigten  Operationen  gewiss 
von  hohem  Werthe,  weil  jeder  Tag,  ja  jede  Stunde,  den  bei  Süvnica 
stehenden  bulgarischen  Kräften,  Verstärkungen  brachte.  Von  der 
serbischen  Grenze  bis  Slivnica  sind  es  etwa  34  km.  Wenn  man 
selbst  das  Gefecht  bei  Caribrod  und  bei  Karaula  berücksichtigt,  so 
hätte  die  serbische  Armee  immer  noch  am  16.  November  mittags 
zum  Angriife  auf  Slivnica  schreiten  können.  34  Kilometer  während 
zweier  Marsch-  und  kleiner  Gefechtstage  —  am  14.  und  15.  No- 
vember —  und  einem  kleinen  Angriffs  mar  sc  he  —  am  16.  November 
—  auf  Slivnica,  wären  wahrlich  keine  besonderen  Marschleistungen 
gewesen.  Dementgegen  hat  die  Nisava-Ärmee  nur  ganz  kleine  Märsche 
gemacht.  Ihre  Front  stand  am  Abende  des  14.  November  in  der 
Linie  Caribrod  *)-Corin  Dol  -  Banjski  Dol,  die  einzelnen  Divisionen 
hatten  somit  kaum  7  bis  9  Kilometer  zurückgelegt;  am  Abende  des 
15.  November  war  die  Linie  Karaula-Visan-Vrapce-Trn  erreicht, 
somit  auch  an  diesem  Tage  nach  vorwärts  kaum  10  bis  16  km  Eaum 
gewonnen;  am  Abende  des  16.  November  endlich  gelangte  die 
Front  der  Haupt -Armee  in  die  Linie  Dragoman  -  Sohnce  -  Brusnik, 
in  der  eigentlichen  Marschrichtung  waren  somit  abermals  kaum 
etliche  7  bis  8  km  hinterlegt,  und  doch  waren  die  auf  Umgehungen 
ausgesandten  Divisionen  phisisch  so  gut  wie  „ausgepumpt". 

Die  Schuld  von  all'  dem  fällt  wohl  auch  hier  dem  serbischen 
Ober-Commando  zur  Last.  Statt  nämhch  die  Divisionen  —  wenigstens 
die  Sumadija  und  Drina  —  auf  der  Haupt-Comraunication  zu  belassen, 
hatte  man  ihnen  ganz  nutz-  und  zwecklos  Marschlinien  ange- 
wiesen, auf  welchen  sie  furchtbare  Marschschwierigkeiten  zu  bewältigen 
hatten.  Sie  mussten  ressourcenarme  Waldgebirge  von  700  bis  1.200 
Meter  Höhe  durch  mehrere  Tage  passieren.  Winternebel,  Schnee  und 


*)  Die    Donau-Division  unter    dem    Commando   des    Generals   Jovanovic    überschritt    die 
Grenze  statt  in  der  Früh,  erst  um  2  Uhr  Nachmittags. 


—  44  — 

Regen  durchweichten .  den  Boden  der  schlechten  Waldwege,  die  berg- 
auf und  bergab  ziehen,  derart,  dass  die  Truppen  das  Gewehr  als 
Bergstock  benützend  und  mit  schweren  Sack  und  Pack  daherkeuchend 
bis  zu  den  Knien  in  Schnee  watteten  oder  bis  zu  den  Waden  im 
Moraste  versanken,  während  der  eiskalte  Wind  über  die  leblosen, 
winterstarren  Berghänge  heulte  und  der  müden  einhermarschierenden 
Mannschaft  die  Finger  erstarren  machte.  EndUch  müssen  bei  diesen 
j  Marchleistungen  noch  die  endlos  langen  Nächte  in  Anschlag  gebracht 

i  werden,  die  weder  das  Fortkommen  von  Menschen  und  Thieren  auf 

dem  ungebahnten  nassen  Boden  gestatteten,  noch  auch  der  ermatteten 
im  Regen  und  Schnee  unter  freiem  Himmel  campierenden  Truppe, 
irgend  eine  Erholung  gewährten.  —  Kann  man  sich  unter  solchen 
Verhältnissen  wundern,  wenn  die  Umgehungs-Oolonnen  —  und 
darauf  scheint  ja  das  Ober-Oommando  mit  Sicherheit  gerechnet  zu 
haben,  den  durch  Manöver  sollte  der  Feind  zurückgeworfen  werden 
—  nicht  rechtzeitig  zum  Angriffe  auf  Slivnica  eintrafen*?! 

Bulgaren. 

Taf.  II.  Es  war  eine  bedenkliche   militärische    Situation,  in    der    Fürst 

Alexander  und  seine  Armee  im  Augenblicke  der  serbischen  Kriegs- 
erklärung sich  befunden  haben,  und,  bei  der  Initiative,  mit  der  König 
Milan  die  Gunst  seiner  militärischen  Situation  für  die  Operationen 
auszunützen  bestrebt  schien  —  mögen  die  Tage  vom  14.  bis  17. 
November  dem  Fürsten  wohl  wie  eine  Ewigkeit  geschienen  haben; 
schon  deshalb,  weil  heute,  wo  die  Entschlossenheit,  Kühnheit  und 
Thatkraft  des  Fürsten  so  glänzende  Proben  abgelegt  hat,  man  mit 
Bestimmtheit  sagen  kann  :  Fürst  Alexander  hätte,  wäre  die  militärisch 
günstige  Situation  bei  der  Kriegserklärung  auf  seiner  Seite  gewesen, 
dieselbe  gewiss  in  ganz  anderer  Weise  ausgenützt.  Das  Loos,  das  alle 
Welt  bei  Beginn  des  Krieges  der  bulgarischen  Armee  prophezeiht 
hatte,  wäre  ihr  —  hätte  der  serbische  Generalstab  seine  Sache  richtig 
aufgefasst  — ^wohl  nicht  erspart  geblieben. 

Von  Haus  aus  strategisch  auf  die  Defensive  gewiesen,  mussten 
alle  Handlungen  des  Fürsten  auf  Zeit g e wi n  n  berechnet  sein;  denn 
nur,  wenn  es  ihm,  vom  Momente  der  Kriegserklärung  an  gerechnet, 
gelang,  den  taktischen  Entscheidungsschlag  um  4  bis  5  Tage  hinaus- 
zuschieben, konnte  er  hoffen  in  diesen  mit  ebenbürtigen  Kräften 
einzutreten.  Und  es  war  ihm  thatsächlich  gelungen;  allerdings  hatte 
jedoch  der  Fürst  diesen  Erfolg,  nebst  seinen  persönlichen  Eigen- 
schaften, den  Fehlern  seines  Gegners  zu  verdanken. 


-  45  — 

Mit  welcher  Freude  mag  man  im  fürstlichen  Hauptquartiere  die 
Nachricht  vernommen  haben,  dass  drei  Viertel  der  serbischen  Nisava- 
Armee  sich  im  pfad-  und  ressourcenlosen  Wald-  und  Karstgebirge  des 
Trner- Kreises  umhertreibe.  Mit  jedem  Schritte,  welchen  die  feindliche 
Armee  gegen  die  Grloska  pl.,  Visker  pl.,  Lünlün  pl.,  und  den  Vitos 
vorwärts  machte,  in  denen  sie  sich  verwickeln  musste,  gewann  die 
numerisch  täglich  stärker  werdende  bulgarische  Armee  offenbar  an 
Vortheilen  über  jene  Truppen  des  Gegners  —  es  war  dies  nur  die 
Donau-Division  —  die  sich  auf  der  Chaussee  Caribrod-Dragoman 
gegen  Slivnica  heran  bewegten ;  die  Aussicht,  diese  einzelne  Division 
anzufallen  und  mit  relativer  üeberlegenheit  zu  schlagen,  ward  dadurch 
eine  immer  wahrscheinlichere. 

Ohne  des  Näheren  in  die  Schilderung  der  kleinen  Gefechte 
bei  Odorovci  und  Gulenovci,  Caribrod  und  Banjski  Dol  am  14.  No- 
vember, —  bei  Stanjalci  und  Razbojste,  bei  Karaula  und  Trn  am 
15.  November,  —  einzugehen,  die  übrigens  serbischerseits  strategisch 
auch  ganz  belanglos  waren,  sei  nur  erwähnt,  dass  Fürst  Alexander,  als  er 
am  Abende  des  16.  November  im  Lager  von  SUvnica  eintraf,  das  Gros 
seiner  Armee,  etwa  15.000  Mann,  in  einer  technisch  vorzüglich  ver- 
stärkten Stellung  antraf,  der  gegenüber  -  wie  ihm  berichtet  wurde 
—  die  serbische  Armee  (wie  man  es  jetzt  weiss,  war  dies  allerdings 
nur  die  Donau-Division  allein)  vom  Dragoman- Passe  herabsteigend, 
an  diesem  Tage  nicht  zum  Angriffe  geschritten,  sondern  —  und  dies 
musste  für  Alexander  von  grosser  Bedeutung  sein  —  in  einer  Ent- 
fernung von  etwa  5  km  vor  den  Befestigungen   Halt  gemacht   hatte. 

Auch  die  Zuversicht  der  Armee  und  des  ganzen  Landes  war 
durch  den  der  Landeshauptstadt  drohenden  concentrischen  Vormarsch 
der  serbischen  Oolonnen  nicht  erschüttert ;  der  moralische  Gehalt 
seines  Heeres  hatte  durch  die  bisherigen  Kückzugsgefechte,  in  welchen 
die  Serben  stets  eine  kolossale  Uebermacht  entwickelten,  nicht  ge- 
litten. Wusste  man  doch  in  der  ganzen  Armee,  dass  der  Zweck 
dieser  kleinen  Rückzugsgefechte :  Zeitgewinn  war.  Und  dieser  Zweck 
wurde  vollkommen  erreicht,  weil  es  inzwischen  dem  bulgarischen 
Hauptquartiere  gelungen  war,  die  bei  Shvnica  stehenden  Kräfte 
durch  die  täglich,  ja  stündlich  aus  Ostrumelien  und  dem  Norden  von 
Bulgarien  eintreffenden  frischen    Truppen    ansehnUch  zu  verstärken. 

Kämpfe  um  Slivnica  von  17.  bis  19.  November. 

Die  strategische  Beurtheilung  dieser  Kämpfe  lässt  sich  am  ein-   Taf.  ii. 
fachsten  in  folgenden  Hauptpunkten  zusammenfassen : 

1.  Die  strategische  Einleitung  und  Zweck. 

2.  Das  beiderseitige  Kräfte-Verhältniss. 


—  46  — 

3.  Die  Form  des  strategischen  Angriifes. 

4.  Die  Angriffs-Eichtung. 

5.  Der  Erfolg. 

ad  1.  Qeber  die  strategische  Einleitung  wurde  bereits  in  der 
ersten  Hälfte  dieses  Kapitels  zum  grösseren  Theile  gesprochen ;  es 
bedarf  somit  nur  mehr  einiger  kurzer  Ergänzungen. 

Wie  schon  erwähnt,  hatte  auf  serbischer  Seite  die  Armee- 
front am  Abende  des  2.  Operationstages  —  dem  15.  November  — 
eine  Ausdehnung  von  weit  über  40  km  erreicht.  In  Folge  dessen 
sah  sich  das  Ober-Oommando  genöthigt,  die  sieh  noch  mehr  aus- 
einanderziehende Armeefront  dadurch  einigermassen  zu  kürzen,  dass 
sie  den  Unken  Flügel  einzog,  die  Cavallerie- Brigade  also  von  der 
Strasse  Pirot-Stanjalci-Ginci-Pass  zum  Centrum  auf  der  Strasse  Pirot- 
Sofia,  bei  Dragoman  beorderte.  Hiedurch  wurde  allerdings  die  Armee- 
front um  einige  Kilometer  kürzer  gemacht,  aber  die  strategisch  ver- 
fehlte Disponierung  der  Cavallerie-Brigade  seitens  der  Armeeleitung 
blieb  wesentlich  dieselbe,  da  sie  abermals  nicht  vor  die  Armeefront 
zum  Aufklärungsdienste,  sondern  wieder  in's  Gebirge,  ja  sogar  hinter 
den  linken  Flügel  gezogen  worden  war.  Wie  gleich  des  Näheren 
erwähnt  werden  soll,  hatte  die  Nisava- Armee  am  17.  November  Rast- 
tag zu  halten.  Um  so  noth wendiger  wären  schon  am  Vortage,  dem 
16.  November,  ausgreifende  Recognoscierungen  gewesen;  geradezu 
peremptorisch  geboten  waren  sie  jedoch  am  17.  November.  Der  Rast- 
tag wurde  indessen  auch  auf  die  Cavallerie-Brigade  ausgedehnt,  so 
dass  gerade  das  Gegentheil  von  dem  geschah,  was  geschehen  hätte 
sollen.  Da  überdies  die  Cavallerie  -  Brigade  vom  16.  auf 
den  17.  November,  ja  selbst  am  Vormittage  dieses  letzteren  Tages 
bei  Golemo  Malovo  nicht  weniger  als  15  km  hinter  dem  Hnken 
Flügel  der  Nisava-Armee  stand,  so  ist  es  ja  leicht  erkläiHch,  dass 
der  Gegner  auf  seinem  rechten  Flügel  sich  massieren  und  den  linken 
Flügel  der  Donau-Division  umgehen  konnte,  ohne  von  derselben 
früher  bemerkt  zu  werden,  als  bis  er  sie  mit  überlegenen  Kräften 
in  ihrer  linken  Flanke  anfiel. 

Erwägt  man  weiters,  dass  das  serbische  Ober-Commando  sich 
mit  der  beinahe  ohne  Kampf  erfolgten  Besetzung  des  Dragoman- 
Passes  durch  die  schwache  Donau-Division  nicht  begnügte  und  die- 
selbe —  statt  südöstlich  von  Dragoman  eine  technisch  möglichst  zu 
verstärkende  Defensiv-Stellung  zu  beziehen,  —  bis  auf  die  Höhe 
Tri  Usi  vormarschieren  Hess,  so  muss  man  zugeben,  „dass  dies"  — 
wie  Herr  J.  Lukes  in    seinen    kritischen    Schilderungen   sagt:     „den 


—  47  -- 

„Feind  förmlich  provocierte,  von  dem  Vortheile  seiner  relativen 
„üeberlegenheit  Gebrauch  zu  machen  und  über  die  schwächere 
„Donau-Division  herzufallen". 

„Am  Nachmittage  des  3.  Operationstages  —  dem  16.  November  — 
„sagt  Herr  Lukes  weiter:    „fand    sich  König  Milan    bei    der  Drina- 

V 

„Division  nächst  Solince  (Balja)  und  jenen  Theilen  der  Sumadija- 
„  Division  bei  Gaber  ein,  welche  nicht  bei  Trn  engagiert  waren,  und 
„hielt  einen  Kriegsrath  ab,  welchem,  mit  Ausnahme  des  Comman- 
„danten  der  Morava-Division,  der  im  Marsche  auf  Breznik  begriffen 
„war,  sämmtliche  übrigen  Ünter-Commandanten  anwohnten.  Dieser 
„Kriegsrath  beschloss,  dass  Slivnica  am  17.  —  dem  4.  Operationstage  — 
„angegriffen  werden  solle.  Der  Commandant  der  Sumadija-Division, 
„Oberst  Benicky,  sprach  sich  jedoch  in  der  entschiedensten  Weise 
„dagegen  aus.  Sämmtliche  Armeetheile  hatten  drei  Marsch-  und  Ge- 

V 

„fechtstage  hinter  sich;  Theile  der  Sumadija-Division  waren  überdies 
„von  Trn,  wo  sie  die  Morava-Division  im  Debouchieren  unterstützt 
„hatten,  noch  nicht  zum  Gros  der  ersteren  eingerückt.  Oberst  Benicky 
„drang  daher  darauf,  dass  erst  am  18.  angegriffen,  am  17.  aber  g  e- 
„r astet,  r alliiert  und  recognosciert  werde.  Der  König  pflichtete 
„schhesslich  dem  Obersten  Benicky  bei.  Es  wurden  für  den  17.  Re- 
„cognoscierungen  angeordnet,  überdies  die  Cavallerie  auf  den  linken 
„Flügel  der  Donau-Division  disponiert  und  nebstbei  das  Hauptquartier 
„von  Pirot  nach  Caribrod  verlegt." 

Mit  dem  „Rasttaghalten"  hat  es  nun  im  Kriege,  sobald  einmal 
die  beiden  Armeen  sich  auf  Kampfesweite  gegenüberstehen,  aller- 
dings seine  eigene  Bewandtnis,  Man  vergiesst  zumeist,  dass  der 
Gegner  da  auch  etwas  mitzureden  hat  und  gerade  in  den  meisten 
Fällen  den  Rasttag  nicht  acceptiren  will.  Die  Kriegsgeschichte 
weist  auf  gar  viele  ähnüche  Fälle  hin.  So  war  es  beispielsweise  im 
Jahre  1866  auch  die  Absicht  des  Commandanten  der  österreichischen 
Nord-Armee  gewesen:  „der  Armee",  —  wie  er  dies  in  dem  am 
2.  Juli  um  12  Uhr  Mittags  gehaltenen .  Kriegsrathe  sagte  —  „in  der 
„von  ihr  eingenommenen  8telhing  Ruhe  zu  gönnen";  —  merkwürdiger- 
weise wollten  aber  die  Preussen  keinen  Rasttag  halten. 

Fasst  ganz  dieselben  Verhältnisse  zeigen  die  Bulgaren  am 
17.  November.  Nachdem  der  Fürst  bis  10  Uhr  Vormittags  auf  den 
Angriff  der  Serben  gewartet  hatte  und  dieser  nicht  erfolgte,  ordnete 
er  einen  Verstoss  vom  rechten  Flügel  aus  an,  —  um  „über  die 
Stärkevertheilung  der  Serben  Zuverlässiges  zu  erfahren",  —  der, 
durch  das  Nebelwetter  begünstigt,  über  Malo  Malovo  ausgeführt, 
vorzüglich  gelang,    den  linken  Fh'igel  der  serbischen   Donau-Division 


-  48  -^ 

vollkommen  überraschte  und  in  Unordnung  zurückwarf.  Wären  3  oder 
wenigstens  2^/2  serbische  Divisionen  ä  cheval  der  Chaussee  gestanden, 
es  hätte  wahrlich  keines  Easttages  bedurft,  um  die  Bulgaren  total 
zu  schlagen.  Aber  auch  mit  den  für  diesen  Tag  angeordneten  Re- 
cognoscierungen  hatte  es  seine  eigenthümlichen  Wege.  Nach  der 
Lage  der  Dinge  fielen  diese  zunächst,  der  vom  Feinde  etwa  nur 
5  hm  entfernten  Donau-Division  und  selbstverständlich  auch  der 
Cavallerie  -  Brigade  zu,  und  doch  hatte  weder  diese  noch  jene 
bis  10  Uhr  vormittags  etwas  gethan.  Ueberhaupt  wurden  dem 
Comraandanten  der  ersteren,  General  Jovanovic,  nicht  nur  grobe 
Fehler  in  der  Triippenführung,  sondern  auch  eine  an's  Unglaubliche 
grenzende  Fahrlässigkeit  in  der  Handhabung  des  Sicherheitsdienstes 
zur  Last  gelegt;  ja  selbst  der  sonst  sehr  tüchtige  Commandant  der 
Cavallerie-Brigade,  Oberst  Praporcetovic,  war  dem  am  16.  November 
erhaltenen  Befehle,  am  17.  November  an  den  linken  Flügel  der  Donau- 
Division  vorzumarschieren  und  eine  Recognoscirung  vorzunehmen, 
nicht  nachgekommen.  Wie  die  Thatsachen  zeigen,  war  es  auch  bei 
der  Cavallerie-Brigade  so  weit  gekommen,  dass  selbst  die  für  den 
„Zustand  der  Ruhe"  im  Felddienste  vorgeschriebenen  einfachsten 
Sicherheitsmassregeln  nicht  gehandhabt  wurden,  denn  nur  so  lässt 
es  sich  erklären;,  dass  plötzlich  Gewehr-  und  Geschützprojectile  in 
das  Lager  derselben  einschlugen,  ohne  dass  das  Anrücken  des  Feindes 
von  irgend  einer  Seite  gemeldet  worden  wäre, 

Ueber  den  Zweck  des  Kampfes  wurde  schon  gesagt,  dass 
derselbe  serbischerseits  in  der  Niederwerfung  der  bulgarischen 
Armee  und  der  Einnahme  von  Sofia,  —  bulgari sc  hersei ts  aber 
darin  bestand,  die  weitere  Offensive  der  Serben  zum  Stillstande  zu 
bringen,  die  Vereinigung  der  ausser  aller  Verbindung  marschierenden 
serbischen  Colonnen  zu  vereiteln  und  —  die  relative  Ueberlegenheit 
ausnützend  —  die  auf  der  Chaussee  diesseits  des  Dragoman-Passes 
stehende  nächste  Gruppe  zu  schlagen. 

ad  2.  Es  standen  am  17.  November  um    10  Uhr    Vormittags: 

a.  Von  den  Serben:  1.  Die  Donau-Division  (zählte  nur 
9  Bataillone)  und  die  Cavallerie-Brigade  auf  Tri  Usi,  beziehungsweise 
Golemo  Malovo:  in  Summe  an  Streitbaren  kaum  7.000  Mann  Fuss- 
truppen,  1.200  Reiter  und  30  Geschütze; 

2.  Die  Drina-Division  bei  Vladimirovce ;  7.500  Mann  Fuss- 
truppen,  200  Reiter,  24  Geschütze; 

V 

3.  Die  halbe  Sumadija- Division  bei  Gaber;  4.000  Mann  Fuss- 
truppen,  100  Reiter,  12  Geschütze; 


—  49  -- 

Zieht  man  die  Entfernungen  in  Betracht,  auf  welche  diese 
Divisionen  yom  Gefechtsfelde  standen,  so  zeigt  es  sich,  dass  auf  dem- 
selben unbedingt  alle  erscheinen  konnten;  selbst  abgesehen 
davon,  dass  an  diesem  Tage  Rasttag  gehalten  Avurde.  Thatsächlich 
nahmen  am  Kampfe  nur  die  sub  1.  und  2.  genannten  Divisionen 
theil,  und  die  sub  2  genannte  auch  erst  von  11  Uhr  30  Minuten 
Mittags;  die  Sumadija-Division  aber  ohne  Rücksicht  auf  das  „marcher 
au  canon"  blieb  selbst  mit  den  schon  am  Abende  des  16.  November 
bei  Gaber  eingetroffenen  Theilen  ruhig  im  Lager  stehen,  unbeküm- 
mert um  den  sich  bei  Slivnica  entsponnenen  Kampf. 

h.  Von  den  Bulgaren-Ostrumelier n  etwa  18.000  Mann 
Fusstruppen,  400  Reiter  und  48  Geschütze.  Hievon  ergriffen  die 
Offensive  gegen  die  sub  1  der  Serben  genannten  Kräfte  etwa  12.000 
Mann  Fusstruppen,  400  Reiter  und  12  Geschütze,  während  der  Rest 
zur  Abwehr  eines  Angriffes  in  der  Hauptstellung  verblieb. 

Vergleicht  man  nun  die  gegenseitig  in  Action  gebrachten  Massen, 
so  zeigt  sich,  dass  die  zum  Offensivstosse  verwendeten  bulgari- 
schen Kräfte  der  serbischen  Donau-Division  von  Haus  aus  so  ent- 
schieden überlegen  waren,  dass  an  ein  Aufhalten  derselben 
nicht  zu  denken  war;  überdies  musste  die  Cavallerie- Brigade  schon 
aus  dem  Umstände  von  Golemo  Malovo  nach  Dragoman  zurück- 
gehen, weil  sich  bei  ihr  der  fatale  Munitionsmangel  zuerst 
fühlbar  machte. 

Die  zur  Defensive  in  der  Hauptstellung  rückgelassenen  Streit- 
kräfte —  6.000  Mann  Fusstruppen,  36  Geschütze  —  genügten  voll- 
kommen, um  den,  wie  bekannt,  nur  von  der  Drina- Division  ausge- 
führten Angriff  abzuweisen. 

Am  18.  und  19.  November  schlug  das  nummerische  Kräfte ver- 
hältniss  entschieden  zu  Gunsten  der  Bulgaren  um,  den  während 
jenes  der  3  serbischen  Divisionen  kaum  19.000  Mann  Fusstruppen 
betragen  hatte,  führten  die  Bulgaren  deren  allein  über  32.000  bis 
35.000  Mann  in's  Feuer. 

Von  der  Morava-Division  der  Serben  war  weder  am  18.  noch 
am  19.  November  irgend  ein  erheblicher  Theil  vor  Slivnica  erschienen. 
Diese  Division  war  trotz  ihrer  Siege  bei  Trn  und  Bresnik  für  die 
entscheidenden  Kämpfe  so  gut  wie  gar  nicht  vorhanden. 

ad  3.  Was  die  Form  betrifft,  so  soll  die  Tendenz  eines  stra- 
tegischen Angriffes  in  der  Schlacht  taktisch  zum  Ausdruck  kommen. 
Die  Aufgabe,  die  sich  das  serbische  Ober-Commando  gestellt 
hatte,  war :  die  bulgarische  Haupt-Armee  bei  Slivnica  in  ihrer  linken 
Flanke  zu  umgehen  und  von  Sofia  abzudrängen.    Dies  erforderte  vor 

4 


—  50  — 

AJlem :  verhindern,  dass  die  bei  Slivniea  stehenden  bulgarischen 
Kräfte  auf  der  Hanptlinie  selbst  zur  Offensive  schreiten,  demnach 
entsprechend  Star  ke  Fron  tgruppe  und  entsprechend  starker 
Druck  auf  die  linke  F'lanke.  Dem  entgegen  hessen  die  Serben 
ihre  Frontgruppe  —  weil  numerisch  viel  zu  schwach  —  über  den 
Haufen  rennen  und  die  Divisionen  der  Flankengruppe,  auf  3  diver- 
gierenden Linien  vorgehend,  waren  nicht  im  Stande,  sich  gegenseitig 
zu  unterstützen,  griffen  demnach  entweder  gar  nicht  oder  nur  ver- 
einzelt an.  Was  natürhcher,  als  dass  im  entscheidenden  Momente 
der  wuchtige  Stoss  in  des  Gegners  Flanke  *)  fehlte,  selbst  abgesehen 
davon,  dass  die  auf  abenteuerliche  Umgehungen  ausgesandte  Suraadija- 
und  Morava-Division  zwecklos  enormen  Strapazen  und  Menschen- 
opfern ausgesetzt  waren  Wie  ganz  anders  hätten  sich  die  Gefechte 
bei  SJivnica  schon  am  17.  November  gestalten  müssen,  wenn  ~ 
wie  wiederholt  betont  —  die  Serben  dort  die  inzwischen  in  der 
Berg-  und  Waldwildnis  nutzlos  umherirrenden  2  Divisionen  ,  die 
zusammen  etwa  16.000  Oombattanten  zählten,  zur  Hand  gehabt  hätten  ! 
•  Das  Streben  des  bulgarischen  Hauptquartiers  musste 
darauf  gerichtet  sein,  durch  einen  wuchtigen  Angritf  auf  den  ser- 
bischen hnken  Flügel,  hinter  welchem  die  Rückzugslinie  nach  Pirot 
lag,  den  Gegner  von  derselben,,  also  von  der  Chaussee,  abzudrängen, 
in  die  Visker  pl.  zu  werfen,  somit  in  den  Besitz  der  serbischen 
ßückzugslinie  zu  gelangen.  Thatsächhch  wurden  auch  alle  von  den 
Bulgaren  während  der  dreitägigen  Kämpfe  um  Slivniea  ausgeführten 
Offensivstösse  gegen  den  Hnken  serbischen  Flügel  geführt. 

ad  4.  Die  einfache  strategische  Umgehung  des  bulgarischen 
linken  Flügels  musste  serbischerseits  in  der  Schlacht  selbst 
durch  den  taktischen  Schlag  gegen  den  feindlichen  linken  Flügel 
zu  Ende  geführt  werden,  somit  in  einen  Flankenangriff  auslaufen. 

Am  14.  November  wird  von  den  Serben  der  strategische 
Angriff  durch  die  Morava-,  Sumadija-  und  Drina-Division  —  am 
17.   November,    dem    1.   Schlachttag    selbst,    nur    mehr    durch    die 

V 

Sumadija-  und  Drina-Division  —  eingeleitet;  zum  wirklichen,  d.  i.  zum 
taktischen  Flankenangriffe  aber  geht  nur  mehr  Eine  Division  (die 
Drina-Division)  über.  Es  wurde  somit  statt  dem  Maximum  der 
Kraft  in  der  entscheidenden  Richtung  nur  das  Minimum  eingesetzt. 

*)  Es  ist  hier  am  Platze,  eines  bekannt  gewordenen  Bon-mot  des  serbischen  Generalstabs- 
Chefs  des  General  Petrovic  Erwähnung  zu  thun.  Als  am  17.  November  der  Hauptmann  vom 
(ieneralstabe,  Nesic,  die  Meldung  brachte,  die  Rückzugslinie  des  linken  Flügels  sei  bedroht,  befragte 
der  König  sofort  den  Chef  des  Generalstobes  um  seinen  Rath,  worauf  derselbe  folgende  seltsame 
Antwort  gegeben  haben  soll:  »Greift  der  Bulgare  unseren  linken  Flügel  an,  so  werden  wir 
seinen  linken  Flügel  anj" reifen.« 


^  51  — 

Am  18.  November  wurde,  als  ob  inzwischen  nichts  vorgefallen 
wäre,  der  am  16.  im  Kriegsrathe  beschlossene  Angriff  auf  SHvnica 
von  der  Drina-  und  Sumadija-Division  u.  zw.  auf  den  linken  Flügel 
der  Bulgaren,  unternommen.  Die  Frontgruppe  —  Donau-Division  — 
war  aber  in  der  linken  Flanke  und  im  Eücken  bereits  sehr  stark 
bedroht,  hatte  überdies  immense  Verlaste,  htt  endhch  schon  derart  an 
Munitionsmangel,  dass  sie  gegen  den  Dragoman-Pass  retirieren, 
und  die  beiden  anderen  Divisionen  sich  selbst  überlassen  musste. 

V 

Am  19.  November  endlich  musste  auch  die  Sumadija-  und  die 
Drina-Division  nach  einem  ernsten  aber  fruchtlosen  Versuche,  sich 
zu  halten,  ebenfalls  den  Rückzug  antreten. 

Am  19.  November,  wenn  schon  nicht  theil weise  am  18.  war 
somit  die  Idee  der  strategischen  Angriffs  richtun  g 
aufgegeben;  es  kann  somit  eigentlich  nur  von  einzelnen  von  den 
zwei  Divisionen  der  Flankengruppe  ohne  Zusammenhang  ausgeführten 
„Verzweiflungsversuchen"  die  Eede  sein. 

ßulgarischerseits  musste  das  Streben  dahin  gerichtet 
sein,  die  Trennung  beim  Gegner  auszubeuten,  demnach  unter  Aus- 
nützung der  relativen  Üeberlegenheit,  (}ie  Vertheidigung 
möglichst  activ  zu  führen,  somit  jeden  Schwäehemoment  des 
Gegners  auszunützen. 

Wie  schon  erwähnt,  standen  am  Vormittage  des  17.  November 
vom  Gegner  nur  etwa  7.000  Mann  Fusstruppen,  1.200  Reiter  und 
30  Geschütze  zwischen  Tri  üsi  und  Golemo  Malovo.  Dies  war  der 
grösste  Schwächemoment  für  die  Serben,  —  der 
günstigste  Moment  für  die  Bulgaren  zum  Ergreifen  der 
Offensive.  In  vollkommen  richtiger  Weise  wurden  diese  Verhältnisse, 
bei  Zugrundelegung  der  strategischen  Angriffsrichtung  vom  Fürsten 
Alexander  nicht  nur  gewürdigt,  sondern  auch  correct  durchgeführt, 
und  —  da  der  Erfolg  dieser  richtig  erkannten  Offensive  schon  am 
17.  November  nicht  fehlte  —  dieselbe  auch  am  18.  und  19.  No- 
vember neuerdings  in  derselben  Richtung  vorgetrieben. 

a  d  5.  Die  Serben  treten  den  Rückzug  an ;  die  von  ihnen 
eingeleitete  einfache  strategische  Umgehung  war  total  misslungen. 

Auf  bulgarischer  Seite  war  der  Erfolg  ein  durchschla- 
gender. Die  bulgarische  Hauptstadt  war  gerettet ;  die  serbischen 
Divisionen  mussten  auf  allen  Linien  den  Rückzug  antreten  und  dieser 
hätte,-  —  da  er  am  19.  November  den  Serben  eigentlich  verlegt 
war,  —  zu  einer  Katastrophe  führen  müssen,  wenn  nicht  die 
beschränkte  Offensivfähigkeit  der  Bulgaren    die  Serben  gerettet  hätte. 

4* 


^  52  — 

Ohne  Munition,  war  die  serbische  Armee,  wenn  die  bulgarische 
am  19.  November  oder  längstens  am  20.  November  energisch  vor- 
gestossen  wäre,  dem  Untergange  geweiht. 

Gross  waren  die  Opfer  dieses  dreitägigen  Ringens;  den  Serben 
hatten  dieselben  etwa  3.500  Mann  an  Todten  und  Verwundeten  und 
etwa  500  Mann  an  Gefangenen,  also  nahe  IT^/o,  —  den  Bulgaren 
dagegen  kaum  800  Mann  an  Todten  und  Verwundeten,  also  nicht 
ganz  4V2V0  ^^^  Gefechtsstandes  gekostet. 


05 

ßj  I  _    _ 


IV. 

Unmittelbare  Folgen  der  von  den  Bulgaren 

errungenen  Siege  bei  Slivnica.  — 

Schlacht  bei  Pirot  am  26.  und  27,  November. 


Unmittelbare  Folgen  der  von  den  Bulgaren  errungenen  Siege  bei 

Slivnica. 

Serben. 

Der  unglückliche  Ausgang  der  vor  Slivnica  gelieferten  Kämpfe  Taf.  ii. 
wirkte  zunächst  höchst  deprimierend  auf  König  Milan  und  alle  Jene, 
die  ihn  in  diesen  schweren  Tagen  zu  berathen  und  zu  unterstützen 
hatten.  —  Drei  Divisionen  waren  einzeln  geschlagen  und  zum  Rück- 
zuge gedrängt  worden ;  was  aber  .jedenfalls  vereinzelt  in  der  Kriegs- 
geschichte dasteht:  sie  hatten  sich  verschossen,  Ersatz  an  Muni- 
tion fehlte,  —  sie  waren  somit  im  vollsten  Sinne  des  Wortes 
kampfunfähig.  Die  strategische  Situation  für  die  Serben  war  somit 
höchst  ungünstig ;  nicht  nur  die  Vorsicht,  sondern  auch  das 
eiserne  Gesetz  des  Gegners  zwang  sie  zur  Defensive.  Diese  letztere 
aber  verlangte  den  Eückzug  in  die  Heimat  respective  die  endliche 
Vereinigung    der  auseinander  gekommenen  Theile  der  Nisava-Armee, 

Der  Rückzug  kann  —  bekanntermassen  —  ein  freiwilliger 
sein,  u  zw.  vor  Beginn  der  Schlacht,  überhaupt  vor  Eintritt  der  Ent- 
scheidung, oder  ein  erzwungener  nach  verlorener  Schlacht.  Es 
bedarf  wohl  keiner  weiteren  Beweisführung,  dass  die  Serben  zum 
Rückzuge  gezwungen  waren.  Vom  strategischen  Standpunkte  wäre 
der  Rückzug  mit  Bezug  auf  folgende  Punkte  zu  beurtheilen : 

a.  den  zu  erreichenden  Endpunkt; 

b.  die  Gruppierung  der  Kräfte ; 

c.  die  allgemeine  Richtung,  und 

d.  den  Zeitpunkt. 


—  54  — 

ad  a.  Der  nächste  grosse  Terrainabschnitt,  wo  die  Serben 
hofl'en  durften,  sich  mit  Aussicht  auf  Erfolg  vorläufig  behaupten  zu 
können,  war  die  Morava-Linie  bei  und  um  Nis.  Sie  entsprach  voll- 
kommen den  Anforderungen,  welche  die  Theorie  an  das  Ziel  nach 
einem  erzwungenen  Kückzuge  stellt.  Sie  war  nicht  zu  weit  aber 
doch  genügend  entfernt,  um  sich  der  feindlichen  Machtsphäre  zu 
entziehen  und  bot  die  MögUchkeit,  die  Armee  an  derselben  wieder 
zu  retablieren  und  Verstärkungen  aus  dem  Innern  an  sich  zu  ziehen. 
Allerdings  wären  die  Verhältnisse  noch  bedeutend  günstiger  gewesen, 
wenn  die  Morava  als  ,,Vertheidigungs-Linie"  technisch  verstärkt 
und  hergerichtet,  überhaupt  ein  ,,Vertheidigungs-Raum''  —  wie  dies 
im  Capitel  II,  Seite  36  erwähnt  wurde  —  an  derselben  geschaffen 
worden  wäre.  Eine  besondere  Wichtigkeit  hätte  aber  Nis  als  Ziel 
des  Rückzuges  dadurch  erhalten,  dass  Fürst  Alexander  dann  zu 
einer  Theilung  seiner  Streitkräfte  gezwungen  worden  wäre.  Während 
nähmlich  wahrscheinlicherweise  das  bulgarische  Gros  über  die 
Bjelava  pl.  gegen  die  untere  Nisava,  beziehungsweise  über  Ponor 
und  Bela  Palanka  gegen  Nis  vorgegangen  wäre,  dürfte  ein  zweiter 
Heerestheil  zum  Schutze  der  rechten  Flanke  der  Hauptcolonne  und 
der  Verbindung  mit  Pirot  die  Directive  über  die  Babina  Glava  gegen 
das  obere  Timok-Thal,  beziehungsweise  von  Pirot  über  Temska, 
Knjazevac  erhalten  haben.  Dazu  bietet  die  wohlbebaute  und  dicht- 
bevölkerte Umgebung  von  Knjazevac.  wie  überhaupt  das  ganze  frucht- 
bare Timok-Thal  einen  so  guten  Ausgangspunkt  zn  Operationen  gegen 
Flanke  und  Rücken  einer  von  Pirot  über  Bela  Palanka  auf  Nis  vor- 
rückenden Armee,  dass  die  Serben  entweder  von  irgend  einem 
Punkte  aus  die  Vortheile  dieser  Flankenstellung  ausgenützt  haben 
würden,  oder  aber  in  der  Lage  gewesen  wären,  die  auf  der  Chaussee 
vorgehenden  Heerestheile  bei  ihren  Debouchieren  aus  dem  Gebirge 
vorwärts  Nis  mit  relativer  üeberlegenheit  anzufallen.  Es  muss  endlich 
noch  dahingestellt  bleiben,  ob  die  bulgarische  Armee  bei  einem 
Manövrieren  auf  zwei  Operations-Linien,  bei  der  damit  wachsenden 
Ausdehnung  des  Operations-Raumes,  endHch  den  sonstigen  unver- 
meidlichen Reibungen  und  Schwierigkeiten,  sich  auch  dann  so 
bewährt  haben  würde,  wie  unter  der  unmittelbaren  Leitung  und 
Führung  des  Fürsten  selbst. 

Die  Terrain- Verhältnisse  gestatteten  allerdings  auch,  wie  es 
thatsächlich  geschah,  vor  der  Morava  —  bei  Pirot  —  einen  Auf- 
enthalt. Allein  da  man  es  verabsäumt  hatte,  Pirot  schon  während 
der  Mobilisierung  fortificatorisch  zu  verstärken,  so  wäre  es  schon 
deshalb  richtiger  gewesen,  gleich  bis  Nis  zu  gehen,    weil  nur  dieser 


—  55  — 

Ort  —  als  Bahnstation  —  der  in  einer  verhältnismässig  gesicherten, 
ressourcenreichen  Lage  au  der  Basis,  der  serbischen  Armee  die 
JVlöghchkeit  geboten  hätte  sich  zu  erholen,  zu  sammeln  und  zur 
Wiederaufnahme  der  Offensiv-Operationen  vorzubereiten. 

ad  b.  Die  Gruppierung  der  Kräfte  war  durch  die  Auf- 
stellung am  Abende  des  19.  November  von  selbst  gegeben;  man 
war  somit  genöthigt  in  zwei  Gruppen  zurückzugehen.  Die  Dirigierung 
sowohl  der  Haupt ^Armee  als  auch  jene  der  Morava-Division  an  einem 
Punkt  war  eine  richtige,  weil  doch  endlich  an  die  Vereini- 
gung aller  4  Divisionen  der  Nisava-Armee   gedacht   werden    musste. 

ade.  Die  allgemeine  Rückzugsrichtung  entsprach 
wohl  dem  theoretischen  Begriffe  einer  concentrischen  Eückbewegung; 
dasselbe  war  jedoch  nicht  bei  den  einzelnen  Oolonnen  der  Fall.  Der 
Bückzug  der  Donau-Division  war  beispielsweise  mit  Bezug  auf  die 
eigentliche  Eückzugs-Linie  Slivnica-Dragoman-Pirot  in  e  x  c  e  n  t  r  i- 
scher  Richtung  erfolgt. 

Hätte  der  Fürst  von  Bulgarien  an  den  folgenden  Tagen,  dem 
20.  und  21.  November,  die  so  glücklich  begonnene  Ofiensive  auf 
Dragoman  fortgesetzt,  so  wäre  das  serbische  Gros  auf  Trn  geworfen 
und  total  vernichtet  worden.  Der  Rückzug  hätte  sodann  stets 
in  excentrischer  Richtung  weitergeführt  werden  müssen  und  braucht 
es  nicht  erst  des  Näheren  erörtert  zu  werden,  was  in  diesem  Falle 
das  Los  der  serbischen  Armee  geworden  wäre. 

Erst  als  man  sich  im  serbischen  Hauptquartiere  von  dem  ersten 
Schrecken  wieder  einigermassen  erholt  hatte,  wurde  der  Dragoman- 
Pass,  der  durch  einige  Tage  herrenlos  war,,  wieder  occupiert. 

ad  4.  Es  ist  eine  wissenschaftliche  Frage  von  hohem  mili- 
tärischem Interesse,  was  denn  das  serbische  Ober-Commando,  res- 
pective  dessen  Generalstab  bewogen  haben  mag,  dieselben, 
wiederholt  im  Kampfe  gestandenen,  morahsch  und  phisisch  herab- 
gekommenen Truppen  am  19.  November  einem  neuen  gewissen 
Echec  gegen  die  grosse  Uebermacht  der  Bulgaren  auszusetzen. 

Betrachtet  man  die  Verhältnisse  bei  der  serbischen  Armee,  wie 
sie  thatsächhch  waren,  so  ist  es  wohl  klar,  dass  schon  am  Abende 
des  17.  November  an  eine  Offensive  kaum  mehr  zu  denken  war. 
Jedenfalls  aber  hatte  man  am  Abende  des  18.  November  keine  Aus- 
sicht mehr,  die  Offensive  am  19.  zu  ergreifen ;  war  dies  aber  der 
Fall,  dann  musste  mit  Ruhe,  aber  ohne  Zaudern  geschehen,  was 
zur  Abwehr  des   feindlichen  Einbruches    im    eigenen  Lande   dienlich 


-  56  — 

sein  konnte.  Hatte  man  zu  Beginn  des  Krieges  die  Offensive  er- 
griffen, so  galt  es  jetzt,  wo  man  strategiscli  auf  die  Defensive  gesetzt 
war,  unter  Verwerfung  aller  mit  ihr  nicht  zusammenhängender 
Pläne,  sie  so  gut  als  möglieh  zu  führen.  Ohne  Kampf  war  der 
Rückzug  am  19.  November  allerdings  nur  mehr  schwer  durchführ- 
bar. Die  serbischen  Arrierre-Garden  hätten  aber  im  Dragoman- Passe 
—  wie  es  thatsächUch  am  22.  November  der  Fall  war  —  günstige 
Bedingungen  für  Nachhut-Gefechte  gefunden,  welche  Zeit  der  rück- 
marschierenden Armee  zu  Gute  gekommen  wäre.  Dieser  Rückmarsch 
hätte  aber  noch  am  19.  November,  oder  wenigstens  in  der  Nacht 
vom  19.  auf  den  20,  November  mit  aller  Energie  angetreten  werden 
müssen.  Die  Gefahren  und  Schwierigkeiten,  welche  die  Armee  auf 
diesem  Rückwege  bedrohen  konnten,  mussten  mit  kaltem  Blute 
gemessen  werden^  und  es  w^äre  ein  glücklicher  Umstand  gewesen, 
wenn  sich  daraus  im  Geiste  des  Feldherrn  respective  seines  General- 
stabes, der  beruhigende  Gedanke  ergeben  hätte,  dass  diese  Gefahren 
kleiner  seien,  als  das  Unglück  am  19.  November,  zum  Kampfe  noch- 
mals anzusetzen. 

Wie  die  Thatsachen  bewiesen  haben,  konnte  die  bulgarisch-ost- 
rumehsche  Armee  am  19.  November  den  Rückzug  noch  nicht  erheblich 
stören,  denn  die  den  Serben  gegenüber  gestandenen  Truppen  waren 
durch  die  vorausgegangenen  Kämpfe  noch  selbst  zu  sehr  erschöpft ;  — 
die  letzten  Staffel  der  Verstärkungen  aus  Ost-Rumelien  hatten  aber 
noch  zu  grosse  Strecken  zurückzulegen,  um  sofort  unterstützend  ein- 
greifen zu  können.  Bei  Anwendung  aller  durch  derlei  ungünstige 
Verhältnisse  gebotenen  Sicherheitsmassregeln  wären  die  Arriere-Garden 
der  Serben  bereits  am  19.  November  Mittags  im  Dragoman-Passe 
gestanden,  am  20.  November  aber  hätte  sich  die  serbische  Armee 
der  Kampfessphäre  der  Bulgaren  entzogen  gehabt. 

Das  ruhige  Verharren  des  Fürsten  Alexander  am  20.  und  21.  No- 
vember bei  Shvnica  hatte  es  nur  zu  deutlich  gezeigt,  dass  auch  den 
Bulgaren  die  Erfolge  der  dreitägigen  Kämpfe  schwere  Opfer  gekostet 
hatten  und  dass  auch  sie  sehr  dringend  der  Sammlung  und  Erholung 
bedurften. 

Erwägt  man  ferners,  dass  die  Truppen  der  Donau-  und  Driua- 
Division  in  den  SteUungen  Dragoman  -  Jarlovce  -  Solince  durch  fünf- 
tägige Märsche  und  zwei  grosse  unglückliche  Gefechte  gegen  einen 
an  Zahl  weit  überlegenen  und  in  trefflichen  Erdwerken  geborgenen 
Gegner  erschüttert  waren,  —  dass  Verstärkungen  im  allergünstigsten 
Falle  vor    8  bis  10  Tagen,  von  keiner  Seite    eintreffen    konnten,  — 


—  57  — 

dass  das  Eintreffen  dieser  Verstärkungen  aber  auch  nicht  in  den  eben 
genannten  Stellungen  abzuwarten  möglich  war,  weil  bei  der  bisher 
vom  Fürsten  Alexander  und  seiner  Armee  gezeigten  Initiative  ein  so 
langer  Stillstand  in  den  Operationen  nicht  angenommen  werden 
durfte  —  so  muss  man  eigenthch  staunen,  dass  der  serbische 
Generalstab  nicht  schon  am  Abende  des  17.,  geschweige  denn  erst 
am  Abende  des  18.  November  auf  die  einzig  richtige  Idee: 
augenblickliche  Räumung  Bulgarien's  und  Eetablierung 
der  Armee  beiNis  verfallen  war.  Selbst  am  20.,  ja  vielleicht 
sogar  noch  am  21.  November,  hätten  die  Serben  Zeit  gehabt,  den 
Rückmarsch  in  die  Heimat  geordnet  und  ohne  wesenthche  Belästigung 
des  Gegners  durchzuführen.  So  aber  Hessen  sie  zwei  Tage  ver- 
streichen, ohne  den  Rückzug  anzutreten,  und  am  22.  November 
hatte  Fürst  Alexander,  nachdem  bis  zu  diesem  Tage  der  letzte 
Truppenstaffel  aus  Ost-Rumehen  eingerückt  war,  mit  einer  bedeutenden 
nummerischen  üebermacht  abermals  die  Off'ensive  ergritfen. 

Bulgaren. 

Die  unmittelbaren  Folgen  von  Slivniea  waren,  dass  die  junge 
bulgarisch-ostrumelische  Armee  ihr  Dasein  in  denselben  kräftigst 
gezeigt;  dass  sie  ihre  erste  Probe  glänzend  bestanden;  sich  —  gegen 
alle  Erwartung  —  als  ein  Factor  erwiesen,  mit  dem  künftig  auf  der 
Balkan-Halbinsel  sehr  bedeutend  zu  rechnen  sein  wird ;  dass  endhch 
—  und  dies  wohl  in  erster  Linie  —  ihre  Erfolge  als  das  persönlichste 
Werk  des  Fürsten  Alexander  angesehen  werden  müssen,  der  mit 
kräftiger  Hand  sein  Schicksal  und  dasjenige  seines  Landes  in  unge- 
ahnte Bahnen  gelenkt  hatte.  Man  mag  über  die  Politik  des  Fürsten 
Alexander  wie  immer  denken,  militärisch  bleibt  er  unter  allen 
Umständen  eine  glänzende  Gestalt,  ein  Feldherr,  der  zuerst  wägt  und 
dann  wagt. 

Die  bulgarische  Hauptstadt  war  gerettet ;  die  serbische  Armee 
geschlagen  und  auf  die  Defensive  geworfen.  Der  Erfolg  war  somit 
gross,  aber  er  hätte  ein  noch  grösserer  sein  können,  wenn  Fürst 
Alexander  nicht  erst  die  letzten  Staffel  seiner  Verstärkungen  abge- 
wartet, sondern  mit  den  bereits  zur  Stelle  befindlichen  Truppen  die 
Off'ensive  am  20.  oder  wenigstens  am  21.  November  kräftigst  fort- 
gesetzt hätte.  Dieser  Vorgang  hat  nicht  stattgefunden.  Zweifellos 
ist  es  aber  —  es  ist  dies  keine  gewagte  Behauptung  —  dass  im 
ersteren  Falle  die  serbische  Armee  Pirot  überhaupt  nicht 
mehr  erreicht  hätte;  —  dass  dieselbe,  bei  den  traurigen  Ver- 
hältnissen,   die  in  dieser  Armee    damals    bereits    geherrscht   hatten, 


—  58  — 

bei  dem  grossen  Munitionsraangel,  abgeschnitten  von  ihren  Verbin- 
dungen, den  Unbilden  der  bereits  angebrochenen  strengen  Jahreszeit 
in  dem  südwestHch  der  Strasse  Pirot-SKvnica  hegenden  ressourcen- 
armen Wald-  und  Karstgebirge  ausgesetzt,  unrettbar  einer  Katastrophe 
entgegen  gegangen;  —  dass  den  Bulgaren  endlich  Pirot  erspart 
geblieben  wäre,  wenn  sie  am  20.,  ja  vielleicht  selbst  noch  am 
21.  November,  der  Offensive  den  Vorzug  vor  den  Rast- 
tagen gegeben  hätten. 

Schlacht  bei  Pirot  am  26.  und  27.  November. 

Mit  dem  vollständigen  Rückzuge  der  Serben  war  am  Abende 
des  19.  November  eine  entscheidende  Wendung  in  der  allgemeinen 
Kriegslage  eingetreten  und  das  am  14.  November  begonnene  Ringen 
der  beiderseitigen  Heere  zu  einem  vorläufigen  Abschlüsse  gelangt. 

Naturgemäss  mussten  sich  die  Heeresleitungen  der  kriegführenden 
Parteien  über  die  Fortführung  der  Operationen  klar  werden;  dies 
bedingte  die  B^estsetzung  des  Operations-Planes  in  seiner  Fortsetzung. 

Auf  bulgarischer  Seite  war  die  Auffassung  vorherrschend, 
dass  es  im  Interesse  der  Serben  liegen  müsse,  so  früh  als  möglich 
die  Vereinigung  aller  Theile  der  Nisava- Armee  mit  den  in  der  Aus- 
rüstung begrifienen  Streitkräften  des  2  Aufgebotes  zu  bewerkstelligen. 
Deshalb  richteten  sich  alle  Massregeln  des  bulgarischen  Hauptquartiers 
beständig  auf  das  eine  Ziel,  die  Ausführung  jenes  vermutheten  Vor- 
habens des  Gegners  zu  verhindern,  also :  die  am  22.  November  be- 
gonnene Offensive  rasch  und  energisch  auf  der  Strasse  Slivnica-Pirot 
vorzutreiben,  um  möglicherweise  den  im  Gebirge  südwestlich  dieser 
Strasse  sich  noch  befindlichen  serbischen  Colonnen  den  Rückweg  zu 
verlegen.  Um  aber  die  gesamrate  Kraft  gegen  König  Milan  in  Thätigkeit 
bringen  zu  können,  wurde  die  Haupt-Colonne  auf  der  Chaussee  im 
Marsche  so  lange  zurückgehalten,  bis  die  mit  der  Vertheidigung  der 
Visker-Üebergänge  betraute  Colonne  unter  dem  Commando  des  Haupt- 
mannes Popow,  die  in  den  letzten  Tagen  auf  etwa  9  Bataillone 
angewachsen  war,  zur  Offensive  übergegangen  und  Bresnik  besetzt 
hatte,  was  am  Abende  des  20.  November  geschehen  war. 

In  der  Vornahme  des  hnken  bulgarischen  Flügels,  um  im  Ver- 
laufe der  Operationen  mit  selbem  annähernd  mit  der  Haupt-Colonne 
auf  gleicher  Höhe  zu  bleiben,  in  der  mangelhaften  Orientierung  über 
die  Verhältnisse  auf  feindlicher  Seite,  in  dem  notorischen  Mangel 
an  Cavallerie,  in  der  Unklarheit  der  Verhältnisse  indem  Räume 
zwischen  Slivnica  und  Bresnik  noch  am  22.  November,  d.  h.  ob  der  Gegner 


—  59  — 

thatsächlich  bereits  auf  allen  Linien  den  Rückzug  angetreten  habe,  oder 
ob  er  noch  eine  Umgehung  versuchen  wolle,  mögen  wohl  jene  Gründe 
zu  suchen  sein,  die  das  bulgarische  Hauptquartier  —  entgegen  der 
bisher  gezeigten  Energie  und  Thatkraft  ~  abgehalten  haben,  die 
Ofifensive  schon  am  20.,  beziehungsweise  am  21.  November  fortzusetzen. 

Als  die  Bulgaren  am  Morgen  des  22.  November  die  Vorrückung 
wieder  aufnahmen,  fanden  sie  den  Dragoman-Pass  von  der  Drina- 
Division  unter  dem  Commando  des  Obersten  Miskovic  besetzt.  Diese 
letztere  erfüllte  ihre  Aufgabe:  „den  Rückzug  zu  decken",  -  mit 
grösster  Bravour,  und  ihrem  heroischen  Widerstände  hatte  es  die 
Donau-Division  überhaupt  zu  danken,  dass  sie  Caribrod  erreichte, 
die  anderen  Armeetbeile  aber  den  Rückzug  auf  dem  Umwege  süd- 
westlich der  Chaussee  bewerksteUigen  konnten. 

Am  23.  November  wurde  die  Verfolgung  wieder  aufgenommen 
und  die  Serben  schrittweise  bis  über  die  Grenze  gedrängt.  Fürst 
Alexander  schlug  an  diesem  Tage  sein  Hauptquartier  in  Caribrod  auf 
und  bezog  dieselbe  Wohnung,  welche  König  Milan  durch  mehrere 
Tage  innegehabt  hatte. 

Am  24.  November  war  es  nochmals  zu  einem  kurzen  Kampfe 
gekommen,  in  welchem  beide  Theile  den  Erfolg  für  sich  in  Anspruch 
nahmen.  Die  Serben  hatten  hierauf  das  bulgarische  Gebiet  geräumt 
und  ä  cheval  der  Strasse  zunächst  der  Grenze  eine  Aufstellung  be- 
zogen. In  Folge  Aufforderung  der  Grossmächte  jedoch:  „die  Feind- 
seligkeiten einzustellen",  —  hatte  König  Milan  noch  am  Abende  des 
24.  November  den  Befehl  h  i  e  z  u  gegeben  und  gleichzeitig  den  Rück- 
zug nach  Pirot  angeordnet,  welcher  am  25.  November  ausgeführt 
wurde. 

Dementsprechend  hatten  die  Serben  das  Gros  ihrer  auf  Pirot 
abgezogenen  4  Divisionen,  unter  Zurücklassung  schwacher  Vorposten 
im  Sukova-  und  oberen  Nisava-Thale,  in  eine  Stellung  westhch  Pirot 
geführt,  welche  sich  links  an  den  steilen  Thalrand  der  Nisava,  rechts 
an  den  kleinen  Pasjaca-Bach  anlehnte  und  somit  bei  einer  Front- 
länge von  etwa  5  Kilometer,  sowohl  die  Strasse  von  Pirot  nach 
Knjazevac,  als  auch  diejenige  von  Pirot  nach  Leskovac  und  über 
Bela  Palanka  nach  Nis  beherrschte.  Während  aus  ihrer  vordersten 
Linie  die  betreffenden  Ausgänge  Pirot's  noch  unter  Feuer  genommen 
werden  konnten,  bheben  ihre  am  weitesten  zurückgelegenen  und  zu- 
gleich höchsten  Geschützstellungen  etwa  6  Kilometer  von  diesem 
Orte  ab.  Die  Verstärkung  der  Stellung  durch  Feldbefestigungen  hätte 
allerdings  eine  ganz  andere  sein  können,  als  sie  es  thatscächlich  war, 


—  60  —      . 

denn  sie  bestand  blos  in  einem  etwa  1.200  Schritte  langen  Jäger- 
graben südwestlich  Pirot  und  ä  cheval  der  Strasse.  Kadheh  wurden 
der  Armee  einige  Ergänzungs-Mannschaften  aus  den  bei  Nis  in  der 
Versammlung  begriffenen  Formationen  2.  Aufgebotes  zugeführt. 

Die  Bulgaren  standen  nach  Bewältigung  der  serbischen 
Invasion  mit  ihren  Hauptkräften  —  den  Divisionen  Gutsehew  und 
Nicolajew,  etwa  34.000  Oombattanten,  —  um  Oaribrod.  Eine  12  Ba- 
taillone, 2  Batterien,  etwa  12.000  Oombattanten,  zählende  Oolonne 
unter  dem  Commando  des  Hauptmannes  Popow  war,  nach  Detachirung 
der  ihm  unterstellten  Abtheilungen  des  Hauptmannes  Philipow  nach 
den  Zugängen  der  Vlasina,  vorwärts  Trn  bis  in  die  Gegend  von 
Odorovci  gelangt.  Eine  Brigade,  meist  aus  Freiwilligen-Formationen 
bestehend,  unter  dem  Commando  des  Hauptmannes  Panicza,  etwa 
5.000  Mann  stark,  stand  im  Gebirge  nördlich  Caribrod  an  der  vom 
Ginci-Passe  kommenden  Strasse  bei  Odorovci. 

Am  25.  November  begab  sich  König  Milan  mit  dem  Kriegs - 
minister  und  dem  Minister  Garasanin  nach  Belgrad  behufs  Betreibung 
der  schnelleren  Aufstellung  des  2.  Aufgebotes.  Den  Befehl  über  die 
Nisava- Armee  übernahm  Oberst  Topalovic;  dessen  Morava-Division, 
Oberstlieutenant  Milovan  Pawlovic  und  die  Functionen  des  General- 
stabs-Chefs  der  Nisava-Armee,  Oberstlieutenant  Koka  Milovanovic. 

Was  die  Bulgaren  betraf,  so  ward  ihre  Lage  um  so  schwie- 
riger, je  weiter  sie  sich  von  Sofia,  ihrer  Basis,  dem  Stapelplatze  aller 
ihrer  Kriegs-  und  Verpflegsbedürfnisse,  entfernten.  Bei  Beginn  der 
Operationen  hatten  die  Bulgaren  den  Vortheil,  dass  der  Raum,  aus 
welchem  sie  ihren  Bedarf  bezogen,  in  unmittelbarer  Nähe  hinter  ihnen 
lag,  während  die  Serben,  je  weiter  sie  vordrangen,  desto  mehr  mit 
den  Schwierigkeiten  des  Nachschubes  zu  kämpfen  hatten.  Mit  jedem 
Schritte  also,  welchen  die  Bulgaren  nach  vorwärts  machten,  änderten 
sich  natürüch  diese  Verhältnisse  gerade  in  umgekehrter  Weise. 

Da  es  nicht  in  der  Absicht   dieser  Betrachtungen    liegt,    sich 

mit  den  taktischen  Details  der  Kämpfe  zu  befassen,  so  soll  auch  die 

Beurtheilung  der  Schlacht  von  Pirot  nur  mit  Rücksicht  auf  nach- 
folgende Hanptmomente  stattfinden: 

1.  Strategische  Einleitung  und  Zweck, 

2.  Kraft, 

3.  Strategische  Form  der  Schlacht, 

4.  Angriffsrichtungen, 

5.  Erfolg. 


—  61  — 

ad  1.  Die  Operationen,  die  zu  derselben  führten^  wurden  eben 
besprochen. 

Was  den  Zweck  anbelangt,  so  kann  man  annehmen,  dass  — 
da  durch  die  Intervention  der  Grossmächte  die  Herbeiführung  eines 
Waflfenstillstandes  bereits  im  Zuge  war,  —  beide  Theile  bei  den 
diesbezügUchen  Verhandlungen  mit  den  möghchst  günstigsten  Chancen 
erscheinen  wollten.  Auf  serbischer  Seite  also  mochte  es  in  der  Ab- 
sicht gelegen  sein,  durch  einen  glücklichen  taktischen  Schlag,  der 
ihr  allerdings  aufgedrungen  war,  den  Gegner  zur  Eäumung  Serbien's 
zu  zwingen,  —  auf  bulgarischer  Seite  dagegen,  durch  eine 
dauernde  Festsetzung  in  Pirot  ein  Compensations-Object  für  den  von 
Serben  besetzten  Vidiner-Kreis  zu  haben. 

a d  2.  .  Die  serbische  Nisava- Armee  war  vollständig  ver- 
sammelt: 4  Infanterie-Divisionen,  1  Cavallerie-Brigade ;  höchstens 
26.000  Combattanten. 

Die  bulgarisch-ostrumelische  Armee :  2  Divisionen 
und  2  Flanken-Colonnen,  etwa  55.000  Combattanten,  hatte  gleichfalls 
alle  verfügbaren  Kräfte  zur  Schlacht  herangezogen. 

ad  3.  Die  Form  der  Schlacht  schloss  sich  an  die  des  strate- 
gischen Angriffes  an:  einfache  Umgehung.  Die  strategische 
Umgehung  des  serbischen  rechten  Flügels,  hinter  welchem  die  Eück- 
zugsUnie  von  Pirot  über  Bela  Palanka  lag,  war  eigentlich  schon  am 
26. November  vollendet;  am  27.  November  folgte  die  taktische  Ueber- 
flügelung  des  rechten  serbischen  Flügels  durch  einen  bergauf  bergab 
durchgeführten  Flankenmarsch  der  hnken  Flanken-Colonne,  nahe  an 
der  feindhchen  Front  vorüber.  Der  linke  serbische  Flügel  konnte 
der  Anlehnung  an  die  Nisava  halber,  nicht  umfasst  werden,  somit 
war  auch  die  doppelte  Umgehung  ausgeschlossen.  Wiewohl  also  die 
einfache  Umgehung  des  strategisch  richtigen  rechten  Flügels  der 
Serben  die  leitende  Idee  des  bulgarischen  Hauptquartiers  war,  so  er- 
folgte thatsächlich  am  Abende  des  ersten  Schlachttages  der  Durch- 
bruch, welchen  übrigens  die  äusserst  schwachen  Kräfte  der  Serben 
im  Centrum  —  es  war  dies  nur  1  Bataillon  und  1  Ca vallerie -Regi- 
ment —  förmhch  zu  provocieren  schienen. 

Sonst  war  die  Gruppierung  der  serbischen  Armee  im  Allge- 
meinen eine  gute,  die  Eeserve  hinter  dem  rechten  Flügel  bei  Blato 
richtig  postirt. 

a  d  4.  Die  bulgarische  rechte  Flanken-Colonne  bildete  eigentlich 
den  stehenden  Pivot;  der  gesammte  Rest  wurde  für  die  offensive 
Aufgabe:  Angriff  der  feindhchen  Front,  Aufsuchen  und  Umgehen 
des  rechten  serbischen  Flügels  verwendet. 


—  62  ~- 

ad  5.  Mehr  oder  weniger  massen  sich  beide  Theile  den  Sieg 
in  dieser  Schlacht  zu.  Taktisch  neigte  sich  der  Erfolg  jedenfalls 
auf  bulgarische  Seite,  wiewohl  es  eigentlich  noch  eines  dritten  Kampf- 
tages bedurft  hätte,  um  die  totale  Niederlage  des  einen  oder  des 
anderen  Theiles  herbeizuführen  Der  strategische  Erfolg  dieser 
Schlacht  war  für  beide  Theile  eigentlich  ein  negativer,  weil  derselbe 
—  da  weder  Bulgarien  noch  Serbien  aus  diesem  Kampfe  Nutzen  zu 
ziehen  in  der  Lage  waren  —  nur  auf  beiden  Seiten  kolossale  Menschen- 
opfer im  Gefolge  hatte. 

Der  Verlust  betrug  an  Todten,  Verwundeten  und  Verraissten 
bei  den  Serben  1.000  Mann,  —  bei  den  Bulgaren  und  Ost-Rumehern 
2.000  Mann,    also  auf  beiden  Seiten  etwa  4  %  des  Gefechtsstandes. 


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V. 

Die  Operationen  im  Vidiner-Kreise.  —  Grefeclit  bei 
Adlijö  am  16.  November. 


Die  Operationen  im  Vidiner-Kreise. 

Serben. 

Ueber  den  fehlerhaften  Operationsplan,  dem  zu  Folge  auch  das  Taf.  iii. 
Timok-Corps  zur  Occupation  von  möghchst  viel  bulgarischen 
Territoriums  zu  schreiten,  also  auch  die  Offensive  zu  ergreifen 
hatte ;  über  die  hiezu  verwendete  K r  a f t ;  endUch  den  strategischen 
Aufmarsch  wurde  bereits  im  Oapitel  II  gesprochen.  Alle  hiebei 
unterlaufenen  strategischen  Fehler  in  der  Gesammt-Conception  belasten 
wohl  nur  das  serbische  Ober-Commando.  Und  merkwürdig,  trotz 
aller  verfehlten  Strategie  verdient  gerade  das  Timok-Corps  nicht  bloss 
aus  dem  militärischen  Grunde  Beachtung,  weil  es  siegreich  bis  vor  Yidin 
gedrungen  war,  sondern  auch  aus  politischen  Rücksichten,  da  es  ein 
beträchtUches  Territorium  des  Fürstenthums  Bulgarien  occupiert  hatte, 
welches  bei  dem  Friedensschlüsse  die  Serben  zweifellos  vor  Gebiets- 
verlust,  mindestens  aber  vor  Zahlung  einer  Kriegsentschädigung  rettete. 

Wiewohl  das  Timok-Corps  zur  Durchführung  einer  selbst- 
ständigen Operation  auf  einem  vom  Hauptkriegsschauplatze  abseits 
liegenden  Territorium  berufen  war,  so  wurde  dem  Commando  des- 
selben dennoch  nicht  freier  Spielraum  gelassen.  Nicht  nur,  dass  es 
unter  dem  Drucke  der  durch  den  Operationsplan  vorgezeichneten 
Aufgabe  stand,  auch  die  Art  der  Durchführung  derselben  wurde  ihm 
zumeist  vorgeschrieben.  '7  . 

Um  der  gestellten  Aufgabe :  Besetzung  des  Yidiner  Kreises  und 
Sicherung  des  eigenen  Gebietes  vor  einer  feindlichen  Invasion  nach- 
zukommen, liess  sich  General  Ljesanin  —  wie  die  Verhältnisse  lagen, 


^  64  - 

scheint  übrigens  auch  hierin  das  Ober-Commando  seinen  Einfluss 
geltend  gemacht  zu  haben  —  mit  kaum  10.000  Corabattanten  ver- 
leiten, eine  derart  ausgedehnte  Aufstellung  zu  nehmen,  dsss  er  zur 
Concentrierung  seiner  Streitkräfte  auf  einen  Flügel  mindestens  4  Tag- 
märsche benöthigt  hätte,  was  verderbenbringend,  somit  absolut  als 
fehlerhaft  bezeichnet  werden  muss. 

Für  den  Beginn  der  Operationen  scheint  es  die  Absicht  des 
Corps-Oommandos  gewesen  zu  sein,  durch  die  bei  Kadibogas  und 
Bregovo  detachirten  Flügel  die  Timok-Linie  zu  decken  und  gleich- 
zeitig den  Gegner  nächst  Belogradcik  und  in  Vidin  festzuhalten,  mit 
dem  Centrum  aber  den  offensiven  Verstoss  zu  führen,  dessen  Eesultat 
sodann  für  das  Weitere  massgebend  sein  sollte.  Die  vom  Corps- 
Hauptquartier  zur  Durchführung  dieser  Absicht  getroffenen  Dis- 
positionen lauteten: 

„Der  rechte  Flügel  (Oberstheutenant  Putnik)  hatte  mit  2  Batail- 
„lonen  2.  Aufgebotes  und  1  Gebirgs  -  Batterie  von  Kadibogas  gegen 
„Belogradcik  zu  rücken  und  die  Passsperre  dortselbst  zu  nehmen  oder 
„zu  blokiren;  1  BataiUon  2.  Aufgebotes  war  ausserdem  auf  den  Pass 
„von  Sveti  Nikola  dirigiert,  um  denselben  zu  besetzen,  festzuhalten 
„und  nach  Möghchkeit  mit  den  ersteren  2  Bataillonen  nach  Belogradcik 
„vorzugehen. 

„Der  linke  Flügel  (Oberstlieutenant  Dinic)  war  beordert,  mit 
„4  Bataillonen  bei  Bregovo  einen  durch  einen  Brückenkopf  gesicherten 
„üebergang  über  den  Timok  herzusteUen  und  gegen  Ginzova  zu  rücken. 

„Das  Centrum,  bei  welchem  sich  das  Corps-Commando  befand, 
„mit  6  Bataillonen  des  1.  und  2  Bataillonen  des  2.  Aufgebotes,  3  Es- 
„cadronen  und  2  Feldbatterien  war  bestimmt,  gegen  Adlije  vorzugehen 
„und  den  dort  stehenden  Feind  anzugreifen." 

Am  15.  November   überschritt    General    Ljesanin    um   10  Uhr 

V 

vormittags,  also  einen  Tag  nach  der  Kriegserklärung,  bei  Vrske  Cuke 
mit  dem  Centrum  die  serbisch-bulgarische  Grenze  in  der  Richtung 
gegen  Adlije,  schlug  die  Bulgaren  an  diesem  Tage  daselbst  und  zer- 
sprengte sie  am  darauffolgenden  — ■  dem  16.  November  —  vollends. 
Mit  diesem  zweiten  Schlage  des  Generals  Ljesanin  waren  die  gegne- 
rischen Kräfte,  welche  ihm  die  Strasse  nach  Vidin  verlegen  wollten, 
gänzhch  aus  dem  Wege  geräumt.  Der  Weg  nach  Vidin  war  frei,  nur 
wurde  derselbe  nicht  gleich  betreten. 

Inzwischen  waren  auch  die  beiden  detachirten  Flügel  in  Action 
getreten.  Der  rechte  war  bis  Salas  vorgegangen,  musste  aber,  von 
überlegenen  Kräften  gedrängt,  wieder  auf  Kadibogas  zurück;  der  linke 
wurde  mitten  in  der  Vorbereitung  des  üeberganges  über  den  Timok 


—  65 


von  den  Bulgaren  aus  Vidin  angegriffen,  welche  am  16.  November 
diesen  Fluss  überschritten,  um  zunächst  in  Negotin  einzufallen,  aber 
von  Oberstlieutenant  Dinic  zurückgeworfen  wurden,  worauf  die  Serben 
die  Offensive  ergriffen,  den  unteren  Timok  überschritten  und  auf 
Ginzova  vorrückten. 

Die  verschiedenen  Erfolge  dieser  einzelnen  Gruppen  zeigen  wohl 
am  deutlichsten,  wie  ungerechtfertigt,  d.i.  gefehlt  die  übermässige 
Ausdehnung  im  Aufmarsche  war,  die  eben  nur  auf  das  Besetzen 
möglichst^rosser  Länderstrecken  ausging,  ein  auf  gegenseitiger  Unter- 
stützung berechnetes  Handeln  aber,  ein  Sichvereinen  zum  taktischen 
Schlage,  gänzhch  unmöglich  machte. 

Einen  der  grössten  Fehler  in  den  Operationen  des  Timok-Corps 
—  und  dieser  kann  wohl  nur  dem  Corps-Commando  selbst  zur  Last 
gelegt  werden  —  bildete  aber  der  Umstand,  dass  General  Ljesanin 
den  errungenen  Sieg  nicht  sofort  ausnützte.  Vidin  musste  un- 
mittelbar nach  dem  Schlage  von  Adlije  überrumpelt  werden.  Nur  in 
diesem  einzigen  Falle,  d.  i.  wenn  die  Haupt-Colonne  —  nachdem 
einmal  die  beiden  Flügel-Colonnen  schon  von  Haus  aus  ausser  aller 
Verbindung  mit  ihr  waren  —  den  geschlagenen  Bulgaren  auf  den 
Fersen,  coüte  qu'il  coüte,  gefolgt  wäre,  konnte  das  Corps-Commando 
hoffen,  Vidin  mit  einem  Handstreiche  zu  nehmen.  Bei  der  völligen 
Entblössung  dieser  Festung  von  Streitkräften  und  bei  der  Verfassung 
der  geschlagenen  Schaaren,  die  sich  allenfalls  in  dieselbe  geflüchtet 
hatten,  konnte  immerhin  mit  einiger  Sicherheit  auf  die  Ueberrumplung 
des  Platzes  gerechnet  werden.  Statt  nach  der  Zersprengung  des 
Feindes  bei  Adlije  sich  somit  mit  langen  Recognoscierungen  zu  befassen 
und  Streifungen  bis  an  den  Lom  nach  allen  Seiten  durchzuführen, 
worüber  3  Tage  —  vom  17.  bis  19.  November  —  vergangen  waren, 
musste  das  Timok-Corps  rasch,  d.  i.  mit  möglichster  Schnellig- 
keit gegen  Vidin  stossen.  War  dieser  Moment  verpasst,  dann 
war  wenig,  eigentUch  gar  keine  Aussicht  mehr  vorhanden,  in  Vidin 
sobald  die  serbische  Fahne  gehisst  zu  sehen. 

Zieht  man  die  Vorgänge  bei  Slivnica  in  Berücksichtigung;  — 
erwägt  man,  dass  erst  am  20,  November  die  concentrische  Vorrückung 
des  Centrums  und  des  linken  Flügels  begann,  (der  rechte  war  nach 
der  misslungenen  Offensive  bei  Kadibogas  festgenagelt),  dass  dieselbe 
durch  dichten  Nebel  verschiedene  Recognoscierungen  sich  bis  zum 
23.  November  hinzog ;  —  dass  erst  am  24.  November  die  Berennung 
Vidin's  erfolgte ;  —  dass  seit  Adlije  7  Tage  verflossen  waren,  inner- 
halb welcher  die  zersprengten  bulgarischen  Kräfte   hinreichende  Zeit 

5 


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—  66  — 


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gefunden  hatten,  um  sich  zu  sammeln  und  ihren  morahsehen  Halt 
wieder  zu  gewinnen;  —  dass  die  Haupt-Colonne  des  Tiraok-Corps 
in  der  Zeit  von  7  Tagen  nur  57  km,  also  durchschnittlich  per  Tag 
8  hm,  d.  i.  kaum  2V2  Marschstunden  zurücklegte,  somit  gerade  das 
Gegentheil  von  Raschheit,  d.  i.  der  möglichsten  Lang- 
samkeit sich  befleissigte;  —  dass  endlich  nach  Abschlag  der  vielen 
Detachierungen  die  vor  Vidin  anlangenden  8.000  bis  9.000  Combattanten 
kaum  die  Berennung  und  Einschliessung  der  Landfronten  der  Festung 
zu  bewältigen  vermochten;  —  so  erhellt  hieraus  wohl  zur  Genüge, 
wie  wenig  dieselben  geeignet  waren,  einen  belagerungsmässigen 
Angriff  durchzuführen.  Für  diesen  selbst  aber  war  in  erster  Linie 
eine  genügende  Anzahl  schwerer  Belagerungsgeschütze  erforderlich, 
für  deren  Bereitstellung  doch  vom  Beginne  der  Mobihsierung  bis  zur 
Eröffnung  der  Feindseligkeiten  wahrlich  genug  Zeit  vorhanden  war.  — 
Mit  vielen  „Ach  und  Krach"  waren  endlich  für  das  Bombardement 
am  26.,  27.  und  28.  November  13  Belagerungsgeschütze*)  zur 
Stelle ;  was  konnte  mit  diesen  erreicht  werden  ? ! 

Endlich  darf  nicht  unerwähnt  bleiben,  dass  das  gänzüche 
Ausserachtlass  en  der  Donau  von  serbischer  Seite  —  also 
nicht  einmal  der  Versuch,  Vidin  von  der  Wasserseite  irgend  welchen 
Schaden  beizubringen  —  ein  grosser  Fehler  war.  Die  Bulgaren  be- 
sassen  ja  eine  Donau-Flottille  von  6  Dampfern  mit  15  Geschützen 
und  6  Torpedo-Booten,  welch'  erstere  lebhaft  damit  beschäftigt  waren, 
aus  den  Städten  und  Bezirken  längs  der  Donau  Mannschaften  und  Ver- 
theidigungsmaterial  heranzubringen,  was  überhaupt  noch  aufgetrieben 
werden  konnte.  Unter  ihrem  Schutze  wurde  ferner  die  in  ßuscuk, 
dem  Arsenale  Bulgarien's,  vorhandene  artilleristische  Ausrüstung  — 
es  sollen  dies  mindestens  30  schwere  Geschütze  gewesen  sein  —  so 
wie  die  in  diesem  Orte  mobiUsierte  Festungs  -  Artillerie  -  Compagnie 
nach  Vidin  transportiert.  An  eine  Störung  dieser  ganz  gemüthlichen 
Fahrten,  d.  i.  wenigstens  an  eine  theilweise  Isolierung  Vidin's  von  der 
Wasserseite,  scheinen  jedoch  die  Serben  gar  nicht  gedacht  zu  haben. 

Die  Operationen  des  Timok-Corps  kosteten  den  Serben  an 
Todten,  Verwundeten  und  Vermissten  im  Ganzen  nur  etwa  300  Mann, 
also  etwas  über  2%;  den  Bulgaren  etwa  1.900  Mann,  worunter 
allerdings  1.700  Gefangene,  somit  etwa  25%. 


*)  Nach  den  Angaben  des  Kriegsberichterstatters  Herrn  J.  Lukes  (Armee-Blatt  Nr.  9  vom 
2.  März  1886)  waren  vorhanden:  3  gezogene  12-Pfünder;  2  15cwi.  Hinterlader  lange  Krupps 
1  15  cn».  Hinterlader  kurzer  Krupp;  1  15c/w.  serbischer  Bronce  -  Hinterlader ;  6  12 -pfundige 
gezogene  Mörser. 


—  67  - 

Bulgaren. 
Die  Aufgabe  der  in  den  Vidiner-Kreis  gesandten  Truppen  war, 
denselben  vor  der  feindlichen  Invasion  zu  schützen.  Es  war  dies  eine 
Aufgabe,  die  jedenfalls  leicht  „gesagt",  aber  unendlich  schwer 
„durchführbar"  war.  Dass  somit  die  den  Serben  in  keiner  Be- 
ziehung gewachsenen  und  nur  lose  zusammengehaltenen  bulgarischen 
Landsturm-  und  Freiwilligen-Bataillone,  welchen  nur  etwa  2.500  Mann 
regulären  Truppen  als  Kern  dienten,  diese  Aufgabe  nicht  zu  lösen 
im  Stande  sein  werden,  darüber  musste  selbst  jeder  Laie  schon  vor 
dem  Beginne  des  Kampfes  im  Reinen  sein. 

War  also  eine    offensive  Vertheidigung  des  Vidiner-Kreises 
undurchführbar  —  und  dies  musste  ebenso  dem  Commandanten  der 
in  diesem  Kreise  concentrierten  Truppen  klar  sein,    wie    es    über- 
haupt aller  Welt   klar   war  —  so  erübrigte  wohl  nur  eine  Lösung 
der  Aufgabe  in  defensiven  Sinn.     Diese  aber  erforderte:    Con- 
centrierung    der   Kräfte    bei    und    umVidin,    bei    Ver-    y 
*^''^^     meidung  eines  jeden  entscheidenden  Gefechtes  im  freien  Felde,/  /    -^ 
;^''      was  jedoch  nicht  ausschloss,  dass  den  einmarschierenden  Serben  die  yi^^^^^i^ 
HA    Vorrückung  mit  Zuhilfenahme  aller  für  derartige  Fälle  von  der  Theorie^v^^iti/lvv 
f-^/^  angegebenen  Mitteln   —    so    weit    als    möglich    zu    erschweren    gef%,^.t.u^ 
''^'^    wesen  wäre. 
'j^'y  Gefecht  bei  Adlije  am  16.  November. 


^1/UM^^^M 


.5   \A 


Abgesehen  von  der  strategischen  Einleitung  zu  diesem  Gefechte,    Taf.  iii. 
^^^^    ;  über  die    am  Anfange    dieses  Oapitals    gesprochen    wurde,    kommen 
:  noch  —  wie  immer  —  die  folgenden    Punkte    einer  kurzen  Würdi- 

gung zu  unterziehen : 

1.  Zweck, 

2.  Kraft, 

3.  Angriffsrichtung, 

4.  Erfolg. 

ad  1.  Auf  serbischer  Seite  offenbar  mit  einem  kräftigen 
Schlage  die  bulgarischen  Streitkräfte  zu  vernichten,  sodann  den 
Vidiner  Kreis  zu  besetzen;  auf  bulgarischer  Seite  dagegen  die 
Besesetzung  des  Vidiner  Kreises,  wenn  nicht  unmöglich  zu  machen, 
so  doch  wenigstens  zu  erschweren.  Ob  dieser  Absicht  nicht  eine  Ver- 
sammlung der  Kräfte  unter  den  Mauern  von  Vidin  besser  entsprochen 
hätte,  mag  dahingestellt  sein;  immer  aber  wird  es  unbegreiflich  — 
weil  unerklärlich  —  bleiben,  wieso  man  die,  deu  Truppen  Ljesauia's 
in  jeder  Beziehung  inferioren  Kräfte  der  Bulgaren,  die  schon  tags- 
vorher  eine  empfindliche  Schlappe  erlitten  hatten,    abermals  —   und 

i  diesmal  gewiss  —  einem  Echec  im  freien  Felde  aussetzen  konnte. 

"  5* 


—  68  — 

r    ,  ad  2    Die  S  erben  hatten  an  Combattanten  :  6.500  Mann  Puss- 

f  '  truppen,  400  Reiter,  12  Geschütze;  —  die  Bulgaren:  5.000  Mann 

P^sstruppen    (darnnter  etwa   die  Hälfte  Freiwillige)    150  Reiter~und 

''^^  /     I        8  Geschütze.  Die  nummerische  und  intellectuelle  Kraft  war 

ivIA^-^^       somit  entschieden  auf  Seite  der  Serben. 

/  ad  3.    Der  strategische   Flügel    für  die  Serben   war  jedenfalls 

der  bulgarische  rechte,  desshalb  wurde  derselbe  auch  angegriffen  und 


t^ 


/       ^       über  den  Witbol  geworfen;    die  Bulgaren  somit  eigentlich  von  ihrer 

^A  V ^  ^     RüokzugsHnie  Adlije-Vidin  abgedrängt. 

Wt^^  ad  4.  Auf  serbischer  Seite  gross;    die  bulgarischen   Streit- 

kräfte in  freiem  Felde  waren  vernichtet,  der  Vidiner  Kreis  in  den 
Händen  des  Siegers.  Der  Erfolg  wäre  aber  ein  ungleich  grösserer 
gewesen,  wenn  —  wie  schon  erwähnt  —  General  Ljesanin  einer 
ungestümen  Verfolgung  des  Feindes  und  Vorrückang  auf 
Vidin  den  Vorzug,  vor  der  übermässigen  —  weil  hier  nicht  gerecht- 
fertigten —   Vorsicht  gegeben  hätte. 


TJXjro  uTjnjru-CTTJ  xyTSXJ'XJ'U'~wxxxj-crxj-xjrxj-(j^  crtj  cru  T^rT^ijrTSXTXJ-jjrij-\j'XSXjrisxj~u-Tjrxj  cru  crcr  o  crn 


VI. 
Schlusswort. 


Am  Morgen  des  28.  November  —  also  14  Tage  nach  Eröffnung 
der  Operationen  durch  die  Serben  —  passierte  der  österreichisch - 
ungarische  Gesandte  Graf  Khevenhüller  in  Belgrad  die  beiderseitigen 
Vorpostenlinien  und  brachte,  in  Pirot  angelangt,  dem  Fürsten  Alexander 
ein  von  den  Grossmächten,  in  erster  Linie  von  Oesterreich-Ungarn 
gestelltes  Ansuchen,  die  Feindseligkeiten  sofort  einzustellen,  somit 
seine  Armee  nicht  über  Pirot  vorrücken  zu  lassen.  —  Schon  nach 
wenigen  Stunden  wurde  zwischen  den  beiderseitigen  Ober-Commandos 
die  Einstellung  der  Feindseligkeiten  unter  Belassung  der  Truppen  in 
ihren  momentanen  Positionen  vereinbart.  Beide  Armeen  behielten 
annähernd  gleich wertbige  Terrain-Abschnitte  des  Gegners  besetzt ;  die 
serbische  eine  grössere  Fläche,  die  bulgarische  in  Pirot  einen  wich- 
tigen Punkt. 

Am  21.  December  1885  wurde  durch  die  in  Wien  sich  befind- 
Hchen  Mihtär  -  Bevollmächtigten  der  Berliner  Congressmächte  ein 
Waffenstillstand  vereinbart,  dem  am  3.  März  1886  der  Friede  von 
Bukarest  folgte,  laut  welchem  ,,der  Zustand  wieder  hergestellt 
„wurde,  wie  er  vor  dem  14.  November  1885  zwischen  den  krieg- 
„ führenden  Parteien  bestanden  hatte." 

Im  Verlaufe  der  kriegerischen  Operationen  hatte  Serbien 
6.800  Mann  an  Todten  und  Verwundeten  und  etwa  1.200  Gefangene 
verloren.  Das  bulgarisch-ostrumelische  Heer  konnte 
seinen  Verlust  auf  2.400  Todte  und  Verwundete  und  etwa  3.300  Ge- 
fangene berechnen.  Den  Serben  hatte  der  dritte  Tag  bei  Slivnica 
der  19.  November ;  —  den  Truppen  des  Fürsten  Alexander  der  zweite 
Schlachttag  bei  Pirot,  der  27.  November,  die  meisten  Opfer  gekostet. 
Thatsache  ist  es,  dass  die  in's  Feld  gestellten  serbischen  45.000  Com- 
battanten  —  ganz  abgesehen  von  den  Kranken,  Maroden  und  Ge- 
fangenen— in  dem  kurzen  14tägigen  Feldzuge  mehralsdecimiert 


^  70  -^ 

wurden,  da  jeder  6.  bis  7.  Mann  entweder  auf  dem  Schlaehtfelde 
blieb  oder  mehr  oder  minder  schwer  verwundet  aus  den  Reihen  der 
Kämpfenden  zurückgezogen  werden  musste. 

Ein  materieller  Gewinn  war  weder  von  den  Serben  noch 
von  den  Bulgaren  erreicht  worden. 

Auf  der  einen  Seite  wäre  es  ein  grosser  Irrthum,  wollte  man 
glauben,  Serbien  sei  durch  die  Bulgaren  geschlagen 
niedergeworfen  und  in  einen  Zustand  der  Wehr- 
losigkeit  versetzt  worden,  in  welchem  die  letzteren  den  ersteren 
den  Frieden  einfach  nur  dictieren  hätten  können ;  —  auf  der  anderen 
Seite  haben  die  Bulgaren  zum  Staunen  von  ganz  Europa 
bewiesen,  welch'  tüchtiger  Kern  in  ihnen  stecke, 
sowie,  da  SS  sie,  b  ef  reit  von  fremden  Einflüssen,  gar  wohl 
im  Stande  seien,  sich  selbst  zu  erhalten  und  zu 
regieren. 

Die  Vereinigung  Bulgarien's  mit  Ost-Rumelien  ist  heute  bereits 
eine  Thatsache.  Fürst  Alexander  ist  innerhalb  der  bulgarischen  Welt 
Herr  und  anerkannter  Führer,  gegen  dessen  Willen  die  bisher  so 
einflussreichen  russischen  Agitatoren  nicht  einen  Schritt  nach  rechts 
oder  links  von  dem  vorgezeichneten  Pfade  wagen  dürfen.  Das  bul- 
garische Volk  aber  hat  seinen  sehnhchsten  nationalen  Wunsch:  die 
Vereinigung  erreicht,  wiewohl  dieselbe  mit  seinem 
Blute  erkauft;  auf  beiden  Seiten  des  Balkan  hat  es  sich  als 
kriegstüchtig  über  alles  Erwarten,  als  disciphniert  gegen  alle  Vor- 
aussetzung bewährt,  mit  einem  Worte :  als  ein  Element,  mit 
welchem  fortan  bei  Behandlung  der  Orientfragen 
in  ganz  anderer  Weise  als  bisher  wird  gerechnet 
werden  müssen. 

Bei  den  Serben  lag  der  Grund  zu  allen  sonst  militärisch  geradezu 
unbegreiflichen  Vorgängen  bei  der  Nisava  Armee  vom  2.  Kampftage 
bei  Slivnica  angefangen,  also  vom  18.  bis  28.  November,  in  der  schon 
im  Capitel  I  erwähnten  Thatsache:  dass  diese  Armee  sich  grössten- 
theils  bereits  am  18.  November  verschossen  hatte. 

„Das  war  das  grosse  öffentliche  Geheimniss  innerhalb  der 
„Reihen  der  Nisava- Armee  vom  einfachsten  Soldaten  .bis  zum  Könige 
„hinauf",  —  sagt  der  Kriegsberichterstatter  Herr  J.  Lukes  der  „W. 
„Allg.  Ztg."  —  „und  unter  der  furchtbaren  lähmenden  Wucht  dieser 
„Thatsache  erstarb  die  ganze  serbische  Kriegführung  an  der  Nisava 
„im  Kleinen  wie  im  Grossen  Die  Patrontasche  des  Soldaten,  der  sich 
„ganz  brav,  ja  musterhaft  schlug,  war  in  der  Hitze  des  Kampfes  leer 
„geworden.    Fest  behauptete,  eigene,  ja  selbst  genommene  feindliche 


—  71  — 

„Positionen  mussten  schon  bei  Slivniea  geräumt  werden,  weil  man  das 
„gegnerische  Feuer  nicht  erwidern  konnte.  Aber  auch  rückwärts 
„fanden  sich  die  ersehnten  Tragthiere  mit  den  Munitionskisten  nicht 
„vor  und  unwiUig  fragten  sich  die  Bücke  der  Officiere,  der  Truppen- 
„Commandanten,  was  das  bedeuten  solle.  Umsonst  sprengten  die 
„Adjutanten  zum  Train,  um  die  Munitions-Oolonnen  aufzusuchen  und 
„ihnen  den  Weg  zu  den  Truppen  zu  weisen.  Es  waren  keine 
„Munitions-Oolonnen  zu  finden,  weil  überhaupt  keine  da  waren,  oder 
„es  musste  mit  dem  bischen  noch  vorhandener  Munition  gespart 
„werden.  Yoll  Ingrimm  gaben  die  Commandanten  Befehl  zu  weiterem 
„Rückzuge.  Mit  verhaltener  Wuth  In  Blick  und  Miene  führten  die 
„OIfi(?iere  ihre  Abtheilungen  vor  dem  schnellfeuernden  Feinde  kampflos 
„zurück.  Eine  masslose  Bestürzung  nahm  in  den  Reihen  der  Mann- 
„schaft  überhand  und,  avo  sonst  siegbewusster  Heldenmuth  geherrscht, 
„waltete  verderbenbringende  Panik.  So  sah  es  bei  den  Truppen  aus. 
„Im  Hauptquartiere  aber  ging  es  noch  trostloser  her.  Zu  den 
„offenkundigen  politischen,  strategischen  und  taktischen  Gebrechen  der 
„eigenen  Kriegführung,  welche  bei  Slivniea  zu  dem  jähen  Umschlage 
„des  Siegeslaufes  der  ersten  drei  Kriegstage  geführt  hatten,  trat  nun 
„das  wohl  einzig  dastehende  administrative  Verschulden  der  Kriegs- 
„ Verwaltung,  welches  mit  völligem  Verderben  drohte.  Jedwede  strate- 
„gische  Conception  war  in  vorhinein  illusorisch,  jedwede  taktische 
„Massnahme  völlig  haltlos  geworden.  Position  um  Position  musste  aufge- 
„ geben,  Kampf  um  Kampf  abgebrochen,  Marsch  um  Marsch  retiriert 
„werden,  denn  die  für  einen  einzigen  Kampftag  reichende  Munition 
„musste  für  den  Verzweiflungskampf  aufgespart  werden.  Kurz,  das 
„ganze  Hauptquartier,  Generalstab  wie  Ober-Commandant,  waren  völhg 
„lahm  gelegt  und  nie  noch  hat  vielleicht  ein  Herrscher  so  furchtbare 
„Tage  und  Nächte  durchlebt,  als  König  Milan  vom  18.  bis  zum 
„28.  November." 


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Zeichen -Erklärung. 

Serben.  Bulffaren-  Ostramelier. 


■  7.  />.  /.  AV'ilon. 

^  "t  I.  J).  V»  /.  DivUüm. 

U  '3  J  P  ^If  l  Divmon. 

\^m  Cfw  -  Brgd.  CavalUrie-Brigade. 

y|  'i   CftP  -ßrgt}  '/•  Catx^lerie-Brigade. 

•  //-  Hauptquartier. 


■  />,////    <;,il_^ilirn'  DivUion   Gulgchew. 

Hl  Ä/yf/.  Panitsti  Brigadf.  Paniaa, 

H  fiftehM.Pkitipolo  Det^icJiement  PhiUpmo. 

M  't   (W.  Popow  */j   Colonne  Popow. 

^m  Cn/f.- Brtfd  CavallerU-Brigade  Korvin. 

:  n  Ha,.,,tquartl»r. 


>  Qrenztii.    %=s^=5  Erhtttene  Stratsen.     ■*_—  WcA/  erhaltene  Fahrwege. -Saumwtge. 


OTCd^oi 


Uebersichtliche  Darstellung 

der  strategischen  Situationen  an  den  nachbezeichneten  Tagen. 


\ 


A  m 

A  m 

Heereskörper 

IS.             1              16.              1              19.             I              26. 

He 

«r«kÄrp«r                         'ä.             |             16.              |              19.              |              26. 

Not-ember 

November 

9 
« 

u 
9 

K 

Hauptquartier 

Pirot 

Caribrod 

Bela  Palanka 

Pirot 

h 

e 

« 

a 

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b 

ä 

« 

s 

n 

a 

a, 
a 
< 

Hauptquartier               Philippopel 

Slivoica 

Caribrod 

I. 

Moreva- 

ö 

Vi  DafiaiDi  Ifladenac 
■„  Vlasina 

BreBQik 

Vi  BratuikoBölo 
V,  Brosnik 
V,   Pernik 

Blato 

Detaeheroent                     «> 
Hauptmami  Philipow 

Badomir 

Gramada 

Vlftsina-Plftteau 

n. 

Drina- 

Ri&ae 

Solince 

Vi  Solince 
V,  JarloFce 

Rainics 

Rri^rf.              '■■  Nord-Bulgarion 
Haup,r„r?.„ic.a    -  t.|^?eü'""« 

Ginci-Pass 

Smilovca 

Odorovci 

(«n  der  Stnae  Cind- 
P»«— Pirot) 

in. 

Donau- 

Ail&Y.   C. 

Tri  Däi 

südlieh  dos  Drago- 
man-Passes 

I'irot 

Division                                        lai:™- 
Hauptm.  Gutschew                               ^''™'^* 

Tri  üii 

Caribrod 

IT. 

äumadga- 

StiiiovskA  M. 

Brusnik 

Bratuikoeelo 

Qradeinica 

Dirision               zwischen  Timovo 
Oberst  Nikolnjew         und  Pbilipiiopel 

im  Marsche  nach 
Slivnica 

Slivnica 

Caribrod 

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»vallerie-Brigade 

TepoS-Huhe 

V»  Drngoinan 
Vi  Gol.  MrIoto 

Knlotiüci 

•/,  Tepo6-Hoiie 
■/,  Gojio  Dol 

Huup^rpopo.  -:sÄa 

im  Mnrficho  nach 
Br«soik  und  Pornik 

•/,  Kniid 

Odorovci 

In  der 
die  T 

Oper 

itioDS-Kart«  sind 
beMichnet  mit: 

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Lt 

In  d^r  Operalions-Kfirte  sind                  ^m 
die  Tage  bezeichnet  mit:                   B 

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Neben-Kriegsschauplatz, 


.Buigaren. 

H  Cot   l'-'uno/f     Colonne  Usatwf. 
M      lU/f/iiii  Detachemmit. 

«       Snä//  Bataülon. 

•      Jf  Hauptquartier. 

vH'y^'H' Qfomen.  ^s^'^^^^^.irbaJtBne  Strassen.  ^^-—^  Nloht  erhaitene  Fahrivege.  ,.'-—~Saumwe^e. 


Uebersichtliche  Darstellung 

der  strategischen  Situationen  an  den  naclibezeichneten  Tagen. 


A  m 

A  m 

Heeresk&rper 

13.               1               16.              1               19.               1               24. 

Heereskörper 

13.              1               16.               1               19.               1               24. 

N  ovem  ber 

November 

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Hauptqoartier 

Zaje&r 

Adlij« 

Osmanlije 

TalBrdäik 

fl 

1 

S 

n 

J 

1 
1 
§ 

Hauptquartier 

Vidin 

V.  Timok-Di- 

Zajefiar 

Adlij« 

Vi  Adlijß 
*;i  Osrnanljje 

'U  flupca 

•;.  Taurdaik») 

',',  Novoseici.  Tilbol 

Detachenient  in 
Bregovo 

Bregovo 

Vidin 

H 

Colonne 
Oberstlt.  Dinii 

zwischen  Negotin  und  Bregoro 

Ginzova 

'/■  Kcrunbek 

»,'(  Kapilanovce 

','.  Smrdan 

Colonne  Haupt- 
mann Usanoff 

Vidin 

Kuäoviea 

Vidin 

Colonno 
Oberstlt.  Putnik 

Eadibogo« 

Salas 

Eadibogas 

i" 

Dotacbernent  in 
Öalns 

Salaä 

Belograd£ik 

Salal 

In  der  Operations-Karle 
sind  die  Tage 
bezeichnet  mit: 

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In  der  OperattODS-Karto 
sind  die  Tage 
bezmcbnet  mit: 

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'f'ari. 


Belff/ru, 


UEBERSICHTS -KARTE, 


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Mafsslab:  1 : 3.400.000. 

DrnhclieMi'ilriiJ'i  Unjii.Cr.  läloiiieln:  Jä.i  lAe/iiiXir 


l!('ir/isiiir/r/.i'ii 
/ü'seiihaimcii 
n-njelit.  Ihe/ibdJiiiai 


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1 


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