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Full text of "Studien über Leonardo da Vinci. Aus dem Dänischen übers. von Ida Jacob-Anders"

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Lange,  Julius  Henrik 

Studien  über  Leonardo 
da  Vinci 


ZUR  KUNSTGESCHICHTE  DES  AUSLANDES 

HEFT  87. 


STUDIEN  ÜBER  LEONARDO  DA  VINCI 

VON 

JULIUS  LANGE 

AUS  DEM    DÄNISCHEN  ÜBERSETZT 

VON 

IDA  JACOB-ANDERS 


MIT  14  ABBILDUNGEN 


STRASSE  URG 
J.  H,  ED.  HEITZ  (HEITZ  &  MÜNDEL) 

1911 


Verlag  von  J.  H.  ED.    HEITZ    (HEITZ   &    MÜNDEL). 


ZUR  KUNSTGESCHICHTE  DES  AUSLANDES. 

1.  Heft.  Studien  zur  Geschichte  der  spanischen   Plastik.  Juan  Martinez  Mon- 
tanes    Alonso  Cano  —  Pedro  de  Mena  —  Francisco  Zarcillo.   Von  Prof.  Dr, 

B.  Haefidcke.    Mit   ii  Tafeln.  3.  — 

2.  Michelozzo  di  Bartolommeo.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  Architektur  und 
Plastik  im  Quattrocento.    Von  Dr.  F?it^    ^olff.  4.  — 

3.  Die  Antike  in  der  bildenden  Kunst  der  Renaissance.  I.  Die  Antike  in  der 
Florentiner  Malerei  des  Quattrocento.   Von  Dr.  E77iil  Jaeschke.  3.  — 

4.  Des  Marcus  Vitruvius  Pollio  Basilika  zu  Fanum  Fortunae.  Von  Dr.  Jakob 
Prestel.    Mit  7  Tafeln  in  Lithographie.  6.  — 

5.  Altchristliche  Ehedenkmäler.  Von  Dr.Otto  Pelka.  Mit 4  Lichtdrucktafeln.  8.  — 

6.  Die  Darstellung  der  Anbetung  der  hl.  drei  Könige  in  der  toskanischen  Malerei 
von  Giotto  bis  Lionardo.  Von  Neena  Hamilton.  Mit  7  Lichtdrucktafeln.  8.  — 

7.  Die  Kirchentür  des  heiligen  Ambrosius  in  Mailand.  Ein  Denkmal  früh- 
christlicher Skulptur.  Von  Adolph  Goldschmidt.  Mit  6  Lichtdrucktafeln.  3.  — 

8.  Die  Baugeschichte  des  jüdischen  Heiligtums  und  der  Tempel  Salomons. 
Von  Dr.  Jakob  Prestel.    Mit  7  Tafeln  auf  zwei  Blätter.  4.   5o 

9.  Giottos  Schule  in  der  Romagna.  Von  Albert  Brach.  Mit  1 1  Tafeln.     8.  — 

10.  Die  Anfänge  christlicher  Architektur.  Gedanken  über  Wesen  und  Entstehung 
der  christlichen  Basilika.  Von  Felix  Witting.  Mit  26  Abbildungen  im  Text.       6.  — 

11.  Das  Porträt  an  Grabdenkmalen;  seine  Entstehung  und  Entwickelung  vom 
Altertum  bis  zur  italienischen  Renaissance.  Von  Dr.  Reifihold  Freiherr  von 
Lichtenberg-.  Mit  44  Lichtdrucktafeln.  i5.  — 

12.  Die  Darstellungen  des  fra  Giovanni  Angelico  aus  dem  Leben  Christi  und 
Mariae.  Ein  Beitrag  zur  Ikonographie  der  Kunst  des  Meisters.  Von  Dr.  Walter 
Rothes.  Mit   12  Lichtdrucktafeln.  6.  — 

i3.  Die  Koimesiskirche  in  Nicäa  und  ihre  Mosaiken  nebst  den  verwandten  kirch- 
lichen Baudenkmälern.  Eine  Untersuchung  zur  Geschichte  der  byzantinischen  Kunst 
im  L  Jahrtausend  von  Oskar  Wulff.  Mit  6  Tafeln  und  43  Abb.  im  Text.         12.  — 

14.  Schnitzaltäre  in  schwedischen  Kirchen  und  Museen  aus  der  Werkstatt  des 
Brüsseler  Bildschnitzers  Jan  Bormann.  Von  Johnny  Roosval.  Mit  61   Abb.  6.  — 

i5.  Urbano  da  Cortona.  Ein  Beitrag  zur  Kenntnis  der  Schule  Donatellos  und 
der  Sieneser  Plastik  im  Quattrocento.  Nebst  einem  Anhang  :  Andrea  Guardi. 
Von  Paul  Schubring.  Mit  3o  Abbildungen.  6.  — 

16.  Nicola  und  Giovanni  Pisano  und  die  Plastik  des  XIV.  Jahrhunderts  in 
Siena.  Von  Albert  Brach.  Mit   18  Lichtdrucktafeln.  8.  — 

17.  Donatello  und  die  Reliefkunst.  Eine  kunstwissenschaftliche  Studie  von 
S.  Fechheimer.  Mit   16  Lichtdrucktafeln.  6.  — 

18.  Formalikonographische  Detail-Untersuchungen.  I.  Das  Taubensymbol 
des  hl.  Geistes  (Bewegungsdarstellung,  Stilisierung:  Bildtemperament).  Von 
Walter  Stengel.  Mit   100  Abbildungen.  _  2.   5o 

19.  Westfranzösische  Kuppelkirchen.  Von  Felix  Witting.  Mit  9  Abb.         3.  — 

20.  Der  anonyme  Meister  des  Poliphilo.  Studie  zur  ital.  Buchillustration  u.  zur 
Antike  in  der  Kunst  des  Quattrocento.  Von  Jos.  Poppelreuter.  Mit  25  Abb.    4.  — 

21.  Roger  van  Brügge,  der  Meister  von  Flemalle.  Von  C.  Hasse.  M.  8  Tfln.  4.  — 

22.  Die  Fresken  des  Antoniazzo  Romano  im  Sterbezimmer  der  hl.  Catarina 
von  Siena  zu  S.  Maria  sopra  Minerva  in  Rom.  Von  Adolf  Gottschewski.  Mit  11 
Lichtdrucktafeln.  4-   ~ 

23.  Das  Tabernakel  mit  Andrea's  del  Verrocchios  Thomasgruppe  an  Or  San 
Michele  zu  Florenz.  Ein  Beitrag  zur  Florentiner  Kunstgeschichte.  Von  Gurt  Sachs. 
Mit  4  Lichtdrucktafeln.  3.  — 

24.  Emieitende  Voruntersuchung  zu  einer  Rhythmik  romanischer  Innenräume 
in  der  Normandic.  Von   Wilhebn  Pinder.  Mit  3  Doppeltafcln.  4.  — 

26.  Die  Blütezeit  der  sienesischen  Malerei  und  ihre  Bedeutung  für  die  Ent- 
wickelung der  italienischen  Kunst.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  sienesischen 
Malerschule.    Von    Walter  Rothes.    Mit  52   Lichtdrucktafeln.  20.  — 

26.  Jacques  Dubroeucq  von  Mons.  Ein  niederländischer  Meister  aus  der  Frühzeil 
des  italienischen  Einflusses.  Von  Robert  Hedicke.  Mit  42  Lichtdrucktafeln.    3o.  — 

27.  Fiorenzo  di  Lorenzo.  Eine  kunsthistorische  Studie.  Von  Siegfried  Weber. 
Mit  25  Lichtdrucktafcln.  12.  — 

28.  Kirchenbauten  der  Auvergne.  Von  Fe/zx  fFi7//w^.  Mit  9  Abb.  im  Text.  3.  5o 


ZUR  KUNSTGESCHICHTE   DES  AUSLANDES.  HEFT  87. 


STUDIEN  ÜBER  LEONARDO  DA  VINCI 


STUDIEN  ÜBER  LEONARDO  DA  VINCI 


VON 


JULIUS  LANGE 


AUS  DEM    DANISCHEN   ÜBERSETZT 


VON 


IDA  JACOB-ANDERS 


MIT  14  ABBILDUNGEN 


STRASSE  URG 
J.  H.  ED.  HEITZ  (HEITZ  &  MÜNDEL) 

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STüUIt:iN  ÜBER  LEONARDO  DA  VINCI. 

(1886). 

Die  letzten  Jahre  haben  sehr  wichtige  Ausgaben  von  Leonardo  da  Vincis  nach- 
gelassenen Schriften  gebracht,  vor  allem  Jean  Paul  Richters  schönes  Werk :  The  lite- 
rary  works  of  L.  d.  V.  (London  1884),  zwei  dicke  Bände,  enthaltend  den  italienischen 
Text  seiner  originalen  Handschriften  mit  englischer  üebersetzung  und  ein  paar  hundert 
schöner  Heliogravüren  nach  Handzeichnungen  von  ihm.  Kurz  vorher  hatte  Heinrich 
Ludwig  die  neueste  und  beste  Ausgabe  seiner  sogenannten  «Abhandlung  über  die 
Malerei»  (L.  d.  V.,  Das  Buch  von  der  Malerei,  herausgegeben,  übersetzt  und  erläutert 
von  H.  L.,  Wien  1882.  Quellenschriften  zur  Kunstgeschichte)  nach  einer  alten  Hand- 
schrift erscheinen  lassen,  die  jedoch  nicht  von  Leonardo  selbst  niedergeschrieben 
ist.  Trotzdem  die  Abhandlung  über  die  Malerei  in  dieser  Gestalt  nicht  ganz  den- 
selben authentischen  Wert  hat  wie  die  originalen  Handschriften,  die  Richter  heraus- 
gegeben hat,  und  zum  Teil  denselben  Stoff  behandeln,  so  darf  dennoch  —  was  zu 
entwickeln  hier  zu  weitläufig  wäre  —  diese  Ausgabe  nicht  unbeachtet  bleiben  und 
kann   die  geziemende  Rücksicht  beanspruchen. 

Von  Leonardos  Schriften,  die  übrigens  eine  mannigfaltige  Anzahl  philosophischer, 
ästhetischer,  naturwissenschaftlicher  und  technischer  Stoffe  behandeln,  habe  ich  mit 
besonderem  Interesse  die  eine  studiert,  die  sich  mit  der  künstlerischen  Darstellung  des 
Menschen  und  der  menschlichen  Gestalt  beschäftigt.  Manche  ihrer  Partieen  sind  ge- 
radezu geeignet,  eine  Aufklärung  über  seine  eigenen,  berühmten  Kunstwerke  zu  geben. 
Hier  soll  von  seinem  Abe  n  d  m  ah  Isbild  die  Rede  sein:  Andere  von  Leonardos 
Aussprüchen  geben  sehr  merkwürdige,  allgemeine  Gedanken  über  die  Darstellung 
der  menschhchen  Gestalt,  Ratschläge  und  Regeln  dafür,  die  im  Hinblick  auf  seine 
ganze  Kunst  noch  größere  Bedeutung  erhalten.  Daher  teile  ich  im  folgenden  mit,  was 
mir  für  einen  größeren  Leserkreis  Interesse  zu  haben  scheint. 

L.  1 


—     2 


Ch.  Ravaisson-Molliens  angefangene  Haiipiausgabe  derjenigen  seiner 
Manuskripte,  die  sich  im  «Institut  de  France»  befinden,  habe  ich  bei  der  Ausarbeitung 
nicht  zu  meiner  Verfügung  gehabt.  Aber  ich  glaube  nicht,  daß  diese  Ausgabe  in  der 
oben  angegebenen  Richtung  etwas  SonderHches  enthält. 


I. 

Welche  Richtung  Leonardos  künstlerisches  Streben  hatte,  ersieht  man  am  aller- 
besten aus  seinem  berühmten  Gemälde:  Das  Abendmahl  im  Refektorium 
des  Klosters  delle  Grazie  in  Mail'and,  vollendet  in  einem  der  letzten  Jahre 
des  15.  Jahrhunderts. 

Es  war  ganz  allgemein  üblich  gewesen,  lange  ehe  Leonardo  sein  Bild  malte, 
die  Speisesäle  der  Klöster  mit  Christi  letzter  Mahlzeit  mit  den  Aposteln  und  —  mit 
dem  Verräter  zu  schmücken.  Und  nicht  allein  kirchliches  Herkommen  hatte  Leo- 
nardo den  Stoff  überliefert;  er  war  ihm,  wie  alle  solche  kirchlichen  Stoffe,  aus  der 
früheren  Kunst  in  einer  gegebenen  Form  überliefert  worden,  an  die  freilich  kein 
Künstler  gebunden  war,  die  aber  einen  festen  Ausgangspunkt  für  seine  Arbeit  an 
der  Idee  abgab.  Ob  dann  seine  Behandlung  dem  Thema  eine  neue  Seite  abgewinnen 
konnte,  das  bheb  seine  Sache. 

Gerade  in  der  Darstellung  des  Abendmahls    war    die  Kunst   bis   zu    Leonardos 
Zeit  sehr  konservativ  gewesen.  Man  malte  Christus  und  alle  seine  treuen  Apostel  in 
einförmiger  Reihe  an  derselben  Seite  des  langen  Tisches  sitzend,  so  daß  sie  alle  von 
vorn  gesehen  werden  konnten.  Die  Figuren  sitzen  jede  für  sich  in  gleich  großen  ge- 
genseitigen Abständen;  nur  Johannes  lehnt  sich  schlafend  gegen  Christi  Brust,  indem 
die  alte  Kunst  die  Worte  des  Evangeliums  (Joh.  13,  23),  daß  er    <zu  Tische   an  der 
Brust  Jesu  saß>,  ganz  buchstäblich  auslegt.  In  den  Mienen  ist  Trauer  ausgedrückt.  Frei- 
lich können  auch  Blick  oder  Handbewegungen  der  Figuren  ein  gewisses  dramatisches: 
Spiel,  ein  verschiedenes  seeUsches  Verhältnis  zu  dem  Gedanken  an  den  Verrat  zeigen 
doch  bleibt  dieser  Ausdruck    der  Situation    sehr  zurückhaltend  und  stört  die  ruhige 
Haltung  der  einzelnen  Personen  nicht.  Die  Hauptbedeutung  hat  dieser  ernsthafte  und 
würdige  Charakter  der  einzelnen  Situationen  ;  jeder  der  Apostel  könnte  für  sich  asl 
Heiligenbild  eingerahmt  werden.    In  den   mittelalterlichen   Gemälden,    denen,    die  aus 
dem  Jahrhundert  nach  Giotto  stammen  (z.  B.  dem  Werk  im  Refektorium  der  Kirche 
St.  Croce  in  Florenz)  ist  der  Charakter  mehr  typisch  und  allgemein,    aber  auch  mit 
außerordentlicher    Selbständigkeit   und  Ernsthaftigkeit  ausgedrückt;  es  ist  —  wieviel 
man  auch  Giotto  als  Vorgänger  der  Kunst  verdankt  —  doch    noch   im   wesentlichen 
das  Prinzip  der  romanischen  oder  byzantinischen  Kunst,  das  sich  hier  geltend  macht, 
und  im  weiteren  Sinne  eine  Nachwirkung  der  antiken  Kunst.  Die  Renaissance  —  z.  B. 
Domenico  Ghirlandajos  Abendmahlsbilder  in  Ognisanti  (1480,  Abb.  1)  und  in  S.  Marco 


—    3    — 

—  gibt  den  Gestalten  einen  meiir  realistischen  und  individuellen  Charakter  und  bringt 
etwas  mehr  dramatische  Abwechslung  in  sie  hinein,  legt  aber  doch  die  Szene  als, 
Ganzes  in  der  alten  Weise  zurecht. 

In  diesen  älteren  Bildern  —  denen  aus  dem  Mittelalter  und  denen  aus  der 
Renaissance  —  sitzt  der  Verräter  Judas  ganz  allein  für  sich  an  der 
entgegengesetzten  Seite  des  Tisches,  so  daß  man  ihn  zum  Teil  vom 
Rücken  sieht.  Das  hat  einen  Sinn,  solange  der  Hauptzweck  des  Bildes  ist,  zu  er- 
bauen und  in  Stimmung  zu  versetzen  durch  den  reinen,  ungestörten  Eindruck  von 
der  Würde  der  heiligen  Männer:  sollte  man  Judas  in  der  guten  Gesellschaft  dulden? 
Sollte  er  in  einer  Reihe  mit  den  heiligen  und  treuen  Aposteln  sitzen?  Leonardo  ist 
anfangs  auf  diese  Kompositionsweise  eingegangen,  indem  er  ohne  weiteres  da  zuge- 
grifTen  hat,  wo  seine  Vorgänger  aufhörten.  Davon  zeugen  einzelne  gezeichnete  Ent- 
würfe, die  man  von  seiner  Hand  besitzt  und  die  sich  viel  enger  an  die  ältere  Kunst 
anschließen,  als  sein  eigenes,  ausgeführtes  Gemälde.  Judas  sitzt  für  sich  allein  den 
anderen  gegenüber,  und  Johannes  ist  schlafend  dargestellt ' . 

Aber  indem  Leonardo  sich  das  Ereignis  vergegenwärtigte  und  darüber  nachdachte, 
wie  es  sich  allgemach  entwickelt  hat,  und  als  er  sich  in  der  Phantasie  in  das  eigene, 
subjektive  Leben  der  Personen  hineinversetzte,  sie  selbst  fühlen  und  handeln,  sich  ihren 
Platz  wählen  ließ,  muß  es  ihm  einmal  —  vermutlich  ziemlich  spät  —  klar  geworden 
sein,  wie  ungeheuer  naiv  die  frühere  Kunst  sich  doch  eigentlich  betragen  habe,  da 
sie  Judas  einen  Platz  für  sich,  allen  anderen  gegenüber,  angewiesen  hatte.  Denn 
wenn  Judas  —  als  ein  lebender  Mensch  gedacht  —  sich  schon  durch  den  von 
ihm  gewählten  Platz,  als  aus  dem  Kreise  der  anderen  ausgestoßen  betrachtete,  dann 
hat  er  ja  selbst  im  voraus  seinen  Verrat  angezeigt,  so  daß  jeder  sich  vor  ihm 
hüten  kann,  und  dann  ist  er  gewissermaßen  kein  Verräter  mehr.  Nein,  das  hat 
keinen  Sinn,  wenn  es  nicht  nur  darauf  ankommt,  einige  erbauhche  und  würdige 
Figuren  auf  eine  Wand  zu  malen,  sondern  einen  lebhaften  Verkehr  unter  diesen 
Menschen  zu  schildern.  Der  große  Wendepunkt  in  Leonardos  Arbeit  an  dieser  Idee 
tritt  mit  dem  Augenblick  ein,  als  er  Judas  an  die  andere  Seite  des  Tisches  ver- 
setzt, ihn  als  Apostel  mitten  unter  all  den  anderen  weilen  läßt,  die  von  dem  Verrat 


'  So  namentlich  auf  der  Rotkreidezeichnung  in  der  Akademie  zu  Venedig, 
wiedergegeben  bei  Richter  I,  PI.  XLV  (Abb.  2).  Diese  Zeichnung,  deren  Echtheit 
über  allen  Zweifel  erhaben  ist,  ist  offenbar  die  älteste  Vorstudie  zu  dem  Bilde,  die  man 
bisher  kennt.  Darauf  folgen,  wie  es  scheint,  ein  paar  äußerst  flüchtige  Federstriche 
auf  einem  Blatt  in  Windsor  Castel,  Richter  I,  PI.  XLV.  Auch  hier  hat  Judas  seinen 
Platz  auf  der  anderen  Seite  des  Tisches.  Die  flüchtige,  aber  schöne  Federzeichnung 
im  Louvre,  Richter  I,  297,  enthält  freilich  etwas,  das  durchaus  nichts  mit  dem  Abend- 
mahl zu  tun  hat  und  anderes,  das  nicht  unmittelbar  mit  ihm  zusammenhängt,  aber 
auch  einige  Figuren,  mit  denen  nichts  anderes  gemeint  sein  kann,  als  Christus,  der 
das  Brotstück  reicht  und  Judas.  Die  Figuren  sind  einzeln,  ohne  Zusammenhang  ge- 
zeichnet; aber  hier  scheint  Leonardo  sich  doch  Judas  mit  Christus  auf  einer  Seite 
sitzend  gedacht  zu  haben.  Diese  Skizze  zu  Judas  ist  höchst  genial ;  er  legt  die  Eflen- 
bogen  auf  den  Tisch  vor  sich  und  hält  die  Hände  an  die  Wangen  wie  ein  Paar 
Scheuklappen,  hinter  denen  man  den  schuldbewußt  starrenden  Blick  ahnt. 


—     4     — 

keine  Ahnung  haben,  den  er  selbst  sorgfältig  in  seinem  bösen  Gewissen  verbirgt. 
Dann  erst  schlägt  Christi  Wort :  «Einer  unter  euch  wird  mich  verraten, >  wie  ein 
Blitz  bei  ihnen  allen  ein,  bei  den  Treuen,  wie  bei  dem  Verräter  selbst,  wie  ein  großes 
Rätsel,  das  eine  unvergleichliche  psychologische  Fülle  an  Ausdrücken  entwickelt. 

Ein  einzelner  Zug  des  ausgeführten  Gemäldes  zeigt,  wie  lebhaft  Leonardo  sich 
gerade  dieses  Inkognito  Judas'  vorgestellt  hat.  Judas  hat  seinen  Platz  bei  Tisch  zwischen 
Petrus  und  Johannes,  die  Christu.s  zunächst  sitzen.  Die  erste  Wirkung,  die  Christi 
Worte  auf  den  jähzornigen  Petrus  geübt  haben,  ist  die,  daß  er  unwillkürlich  nach 
dem  Messer  greift  —  kein  Tischmesser,  sondern  eine  Waffe,  dasselbe  große  Messer, 
das  er  später  gegen  den  Diener  des  Hohepriesters  gebraucht  —  um  den  Verräter 
niederzustoßen.  Aber  die  Hitze  des  ersten  Augenblickes  wird  gedämpft,  da  er  nur 
nicht  weiß,  wer  es  entgelten  soll,  wer  der  Verräter  ist,  daß  es  zufällig  sein  Neben- 
mann ist.  Nun  muß  er  Näheres  wissen  und  setzt  sich  hinter  Judas'  Rücken  mit  Jo- 
hannes in  Verbindung,  indem  er  ihm  die  Hand  auf  die  Schulter  legt  und  ihm  zuflüstert, 
er  solle  den  Meister  fragen.  Judas  stößt  ihn  zur  Seite  gegen  den  Tisch ;  er  achtet 
ihn  gar  nicht  und  hat  ihn  wohl  außerdem  nie  leiden  können.  Mit  seiner  rechten 
Hand,  die  Judas  berührt,  hält  er  noch  das  Heft  des  Messers,  wendet  aber  doch  die 
gefährliche  Messerklinge  von  ihm  ab,  wie  es  jeder  tun  würde,  der  in  Gesellschaft  anderer 
sich  unwillkürlich  davor  in  Acht  nimmt,  ihnen  Schaden  zuzufügen. 

Freilich  scheint  anderen  der  Apostel  eine  bestimmte  Ahnung  aufzugehen,  wen 
Christus  mit  seinen  Worten  meint,  z.  B.  dem  vorletzten  rechts,  der  den  Zweifel  und 
das  Staunen  seines  Nebenmannes  damit  beantwortet,  daß  er  geheimnisvoll  mit  seinem 
Daumen  rückwärts,  in  der  Richtung  von  Juda.s  deutet,  oder  des  vorletzten  links 
(<Jakobus>),  der  seinem  Nebenmann  Andreas  seinen  Verdacht  ins  Ohr  zu  flüstern 
scheint.  Aber  für  all  die  anderen  kommen  Christi  Worte  wirklich  wie  ein  Blitz 
aus  dem  heiteren  Himmel.  Sie  haben  für  jeden  einzelnen  aus  der  Gesellschaft  den 
gleichen  Klang,  üben  aber,  je  nach  dem  Charakter  und  den  Voraussetzungen  eine 
verschiedene  Wirkung  aus.  Sie  erregen  die  reinste  Ueberraschung,  wie  bei  jenem 
am  Tischende  links  («Bartholomäus»),  der  sich  erhebt,  beide  Handflächen  auf  den 
Tisch  stützt  und  sich  vorbeugt,  indem  er  mit  scharf  gerunzelten  Brauen  vorwärts 
starrt,  wie  um  zu  fragen,  ob  er  richtig  gehört  habe;  bei  anderen  w^chreeken,  wie  bei 
dem  alten  Andreas,  der  die  beiden  Handflächen  mit  den  gespreizten  Fingern  vorge- 
streckt hat;  oder  Neugier  zu  erfahren,  wer  gemeint  ist  («Thomas>),  oder  Zweifel 
(«Simon»),  oder  das  sichere  Vertrauen,  das  den  Zweifel  abweist  («Matthäus»).  Endlich 
die  tiefe,  stille,  schmelzende  Trauer  in  dem  liebevollen  Herzen  des  jungen  Johannes; 
er  faltet  die  beiden  Hände  auf  dem  Tisch  und  neigt  den  Kopf  zur  Seite,  wie  in  weib- 
licher Nachgiebigkeit  gegen  den  Kummer:  daß  es  soweit  kommen  mußte!  Und  in  all 
den  Ausdrücken  sind  die  Gefühle  menschlich  gemischt,  nicht  rein  und  abstrakt  aus- 
gesondert. Eine  merkwürdige  Ausdrucksmischung  zeigt  der  Kopf  Jakobus  des  Aelteren, 
der  Christus  zunäch.st,  links  von  ihm,  sitzt.  Die  Miene  ist  fast  qualvoll  verzogen  und 
der  Blick  scharf  fragend  auf  Christus  gerichtet,  mit  plötzlicher  Ueberraschung,  voll 
Kummer    und    Bedauern,    fast    Ekel,    wie  bei    einer   widerwärtigen  Vorsteflung,    der 


—    5    — 

Raum  zu  geben  die  Seele  sich  weigert,  und  in  zögerndem  Zweifel,  der  das  Wort  erst 
noch  einmal  bestätigt  hören  wilP. 

All  dies  entwickelt  sich  erst  aus  Judas'  Inkognito  und,  in  Verbindung  damit, 
aus  dem  Umstände,  daß  Christus  als  Verräter  nur  «einen  unter  euch»,  aber 
keinen  Namen  nennt.  Die  merkwürdigste  Folge  hiervon  ist  jedoch  die,  daß  einzelne 
der  Apostel  im  ersten  Augenblick  Christi  Worte  auf  sich  selbst  zurückfuhren.  Nicht 
gerade,  daß  ihr  Gewissen  sie  anklagt;  aber  sie  werden  bis  ins  innerste  Herz  beun- 
ruhigt, ihr  ^ Allgemeingewissen»  fühlt,  was  ihr  Meister  sagt.  Es  steht  im  Evangelium 
Matthäi  (26,  22),  daß  die  Apostel  über  Christi  Worte  äußerst  betrübt  waren  und  be- 
gannen, jeder  für  sich,  zu  ihm  zu  sagen:  «Herr,  bin  ich's?> 

Für  das  Verständnis  der  tiefen  psychologischen  Andeutung,  die  hierin  liegt,  ist 
Leonardo  der  rechte  Mann  gewesen ;  aber  er  hat  sie  weise  auf  ein  paar  der  Figuren 
beschränkt.  Der  Alte  am  Tischende  rechts  («Simon») ^  fühlt  sich  gleichsam  in  seinem 
Ehrgefühl  verletzt  und  streckt  seine  Hände  aus,  wie  um  zu  fragen,  ob  jemand  sagen 
könne,  daß  Hände  wie  diese  mit  Verrat  beschmutzt  sein  sollten.  So  wirken  Christi 
Worte  auf  den  Alten,  der  sich  der  Redlichkeit  und  Treue  eines  langen  Lebens  be- 
wußt ist.  Aber  einer  der  jüngsten,  Philippus^  ein  weicher,  fast  weiblicher  Charakter 
wie  Johannes,  erhebt  sich  vom  Tisch,  beugt  sich  gegen  Christus  vor  und  berührt 
mit  den  Fingerspitzen  seine  Brust,  als  sei  der  Zweifel  eine  marternde  Waffe,  die  in 
sie  eingedrungen.  Es  ist,  als  flehe  er  Christus  an,  ihn  zu  reinigen,  ihm  eine  Bestä- 
tigung seiner  Unschuld  zu  geben. 

Inmitten  dieser  heftigbewegten  Wellen  sitzt  Christus  selbst  wie  ein  ruhiger  Fels. 
Er  legt  die  linke  Hand  geöffnet,  mit  der  Innenfläche  nach  oben,  auf  den  Tisch,  in 
dem  er  hiermit  ihnen  allen  das  traurige  Faktum  gleichsam  vorlegt.  Die  rechte  Hand 
ruht   auch  auf  dem  Tisch,   aber  mit  der  Innenfläche  nach  unten  und  die  Finger  ein 


^  Ich  habe  diesen  Ausdruck  nicht  nach  dem  Kopf  auf  dem  Gemälde  geschildert, 
der  gerade  hier  sehr  verdorben  und  übermalt  ist,  sondern  nach  einer  Zeichnung 
Leonardos  in  der  Sammlung  des  Louvre  (Abb.  3),  photographiert  und  herausgegeben 
von  Ad.  Braun  (vgl.  Catalogue  general  des  photographies  etc.  par  Ad.  Braun,  Paris 
1S82,  S.  305,  Nr.  195).  Ich  habe  nicht  bemerkt,  daß  andere  diesen  Kopf  auf  «das 
Abendmahl >  zurückgeführt  haben  ;  aber  es  erscheint  mir  infolge  seines  Ausdruckes 
und  Charakters  ganz  zweifellos,  daß  er  eine  Vorstudie  zu  einem  der  Apostelköpfe  ist, 
und  zwar  zum  Kopfe  Jakobus  des  Aelteren. 

^  Auch  bei  diesem  Kopf  habe  ich  weniger  das  sehr  verdorbene  Gemälde  vor 
Augen  gehabt  als  eine  von  Leonardos  Zeichnungen :  ein  Greisenkopf,  das  Profil  links, 
völlig  kahlköpfig  und  bartlos  (in  den  Uffizien  Abb.  1).  Ich  weiß  wohl,  daß  der  ent- 
sprechende Kopf  auf  dem  Gemälde  einen  Bart  hat,  aber  Charakter  und  Ausdruck  des 
gezeichneten  Kopfes  entsprechen  durchaus  dem  Simons  auf  dem  Gemälde. 

'  Die  Art,  in  der  die  Tradition  die  Namen  der  Apostel  unter  Leonardos  Figuren 
verteilt  hat,  entbehrt  wohl  jeder  wirklichen  Berechtigung,  natürlich  abgesehen  von 
den  bekanntesten  Namen:  Johannes,  Petrus  und  vielleicht  auch  Andreas  und  den 
älteren  Jakobus.  Auf  der  Rotstiftzeichnung  in  Venedig  hat  Leonardo  selbst  die  Figuren 
mit  Namen  versehen,  aber  die  Sache  so  leicht  genommen,  daß  der  Name  Filippo 
zweimal  vorkommt.  Im  ganzen  entsprechen  die  Namen  dort  nicht  denen,  die  man  für 
das  Gemälde  angenommen  hat. 


—     6     - 

wenig  über  der  Tischplatte  erhoben  —  es  ist  gleichsam  ein  Zugeständnis  an  die 
anderen,  daß  er  ihren  Schmerz,  Zweifel  und  ihr  Staunen  vollauf  versteht ;  aber  — 
sagt  dann  wieder  die  andere  offene  Hand  —  so  ist  es,  und  es  kann  nicht  widerrufen 
werden.  Christus  ist  hier  als  derjenige  aufgefaßt,  dessen  Bewußtsein  das  aller 
anderen  umfaßt.  Sowohl  das  böse  Gewissen  des  Verräters  wie  das  gute,  aber  be- 
unruhigte der  Getreuen.  Er  weiß,  was  geschehen  ist  und  was  geschehen  wird,  und  er 
wählt  selbst  seinen  Augenblick.  Seine  Ruhe  und  Ueberlegenheit  über  die  Situation 
ist  vorzüglich  gekennzeichnet  durch  die  schlichte  Symmetrie  in  den  Linien  der  Figur, 
die  sich  klar  von  der  Türöffnung  im  Hintergrund  abhebt.  Doch  die  Symmetrie  ist 
nicht  hart  und  steif:  in  der  leichten  Neigung  des  Kopfes  nach  der  linken  Seite,  und 
in  dem  wehmütigen,  schmerzlichen  Antlitz  mit  den  gesenkten  Augenlidern  äußert 
sich  die  tiefe,  menschliche  Klage,  darüber,  daß  es  so  sein  muß'.  Judas  fährt  zurück, 
als  er  Christi  Worte  hört,  er  sieht  mit  unverwandtem,  gleichsam  festgenageltem  Blick 
auf  den,  der  plötzlich  sein  wohlbehütetes  Geheimnis  offenbart,  aber  die  Börse,  die 
zugleich  mit  dem  gemeinsamen  Eigentum  auch  den  Lohn  des  Verrats  birgt,  zieht 
er  unwillkiirhch  zu  sich  heran:  soll  er  den  Kreis  verlassen,  dann  soll  sie  ihm  folgen. 
Die  andere  Hand  schiebt  er  unsicher  und  zitternd  Christi  Hand  entgegen ;  er  fragt  ja 
auch:  bin  ich  es?  Obwohl  in  einem  anderen  Geiste  als  die  anderen.  Judas'  scharfes 
Profil  erscheint  sehr  dunkel  gegen  die  Farbe  von  der  es  sich  abhebt;  das  ist  zum 
Teil  eine  Folge  der  Beleuchtung  des  ganzen  Raumes,  teils  des  Umstandes,  daß  er 
wirklich  dunkel  ist  und  eine  braune  Hautfarbe  hat.  Doch  im  übrigen  mußte  Leonardo 
notgedrungen,  infolge  des  Gedankenganges,  der  ihn  zu  seinem  Resultat  führte,  sich 
dessen  bewußt  sein,  daß  alle  naiven  und  äußedichen  Mittel  um  die  schwarze  Seele  des 
Judas  zu  kennzeichnen,  hier  vermieden  werden  mußten;  denn  wie  konnte  er  unbekannt 
sein,  wenn  ihm  der  Stempel  des  Verräters  deutlich  aufgedrückt  war?  Darin  liegt 
ein  ungeheurer  Fortschritt  in  der  Richtung  wahrer  und  feiner  psychologischer  Kunst, 
besonders  gegenüber  den  mittelalterlichen  Gemälden,  auf  denen  die  Gestalt  des  Judas 
von  den  übrigen  abgesondert,  sogar  in  kleinerem  Maßstabe  gehalten  ist  als  die  anderen. 
Sowohl  auf  Leonardos  Gemälde  wie  auf  der  noch  erhaltenen  Handzeichnung  (Abb.  5), 
die  eine  Vorstudie  zu  Judas"  Kopf  ist,  zeigt  der  Kopf  einen  bei  Leonardo  häufigen 
Typus  mit  scharfen  Zügen,  krummer  Nase,  vorstehendem  Kinn  usw.  Auf  der  Zeich- 
nung ist  die  böse,  gierige  Seele  nur  schwach  charakterisiert.  Das  Gemälde  weicht 
etwas  von  der  Zeichnung  ab:  die  Stirn  ist  niedriger,  das  schwarze  Haar  dicker, 
buschiger,  der  Ausdruck  düsterer ^     Die  Entwicklung,  die  Leonardo  in  dieser  Arbeit 


^  Den  berühmten  in  Pastell  gezeichneten  Christuskopf  in  der  Brera-Galerie 
zu  Mailand  erklärt  Richter  für  dermaßen  retuschiert  und  überzeichnet,  daß  man  nicht 
mit  Sicherheit  sagen  könne,  ob  er  ursprünglich  von  Leonardo  sei  oder  nicht.  Richter 
hat  freilich  guten  Grund  zu  einer  Warnung  vor  dem  früheren  oft  blinden  Zutrauen 
zu  dieser  Zeichnung ;  aber  er  scheint  uns  sein  Mißtrauen  all  zu  weit  zu  treiben,  wenn 
er  gar  nicht  anerkennen  will,  daß  in  dieser  Zeichnung  etwas  für  Leonardo  Tyi)isches 
erhalten  geblieben  ist. 

-  Vasaris  alte  Geschichte,  daß  Leonardo  den  Pi'ior  des  Klosters  porträtiert  haben 
sollte,    muß  als  aus  Diskussionen  entstanden  betrachtet  werden.     Die  Zeichnung  des 


zurücklegt,  hat  denselben  Weg  genommen,  den  die  bildenr'  Kunst  immer  in  der 
Darstellung  des  Menschen  nimmt,  wo  sie  wirklich  in  der  Entwicklung  begriffen  ist; 
Leonardo  ist  diesen  Weg  gegangen,  nicht  weil  er  seine  allgemeine  Gültigkeit  gekannt 
hat,  sondern  kraft  eines  intensiveren  und  tieferen  Verhältnisses  zu  dem  Thema,  das 
er  darstellen  w^ollte.  Er  hat  weit  kräftiger  als  seine  Vorgänger  obj  ektiviert, 
von  sich,  dem  betrachtenden  Künstler,  selbst,  unabhängiger  gesehen,  daß  seine  Gestalt 
ihr  eigenes  Leben  lebte.  Dadurch  hat  er  dargetan,  daß  er  tiefer  in  die  Subjekti- 
vität seiner  Personen,  ihre  inneren  Eingebungen  und  sich  daraus  ergebenden  Hand- 
lungen eindrang.  Er  hat  jeder  der  Figuren  ihren  Charakter,  ji  h  r  e  Subjektivität 
gegeben,  und  sie  dadurch  erst  recht  voneinander  befreit;  aber  er  hat  ihre  Subjek- 
tivität gerade  dadurch  hervorgehoben,  daß  er  ein  reicheres  gegenseitiges  Verhält- 
nis schuf,  nicht  allein  das  gemeinsame  Hauptverhältnis  zur  Mittelfigur  Christi  schilderte, 
sondern  sie  auch  in  allerhand  Mebenbeziehungen  untereinander  brachte.  Er  hat  einen 
lebendigen  Verkehr  geschaffen ;  und  dieser  bringt  stets  den  Ausdruck  am  reich- 
sten und  stärksten  in  Bewegung.  Und  diese  Bewegung  wird  davon  bedingt,  daß  er 
den  Augenblick  akzentuiert  hat,  den  einzelnen  Punkt  in  der  Kontinuität  der  Zeit, 
einen  Augenblick,  in  dem  sich  alles  anders  formt  als  vorher  oder  nachher.  Leonardo 
konnte  das  Momentane,  das  Zeitweise  stark  betonen  :  Im  Abendmahlsbilde  ist  die  Kom- 
position nicht  so  rasch  in  ihrem  Fluß,  reißt  nicht  den  Charakter  dermaßen  in  die 
Leidenschaft  hinaus,  er  behält  vielmehr  größere  Tiefe  und  einen  reicheren  Inhalt, 
Während  diese  ganze  Entwicklung  wie  gesagt  den  ewigen  Weg  der  Kunst  bezeich- 
net, läßt  sich  kaum  ein  einzelnes  Werk  nachweisen,  das  auf  einmal  einen  so  großen 
Fortschritt  bezeichnet.  Alles  ist  hier  umgeschaffen.  Welche  Kraft  hat  nicht  zu  einem 
solchen  Durchbruch  gehört!  Es  ist  dieses  außerordentliche  Quantum  gebundener  Kraft, 
welches  das  Bild  als  Kunstwerk  so  sehr  wertvoll  macht.  Bahnbrechende  Werke  sind 
stets  die  besten. 

Noch  eine  andere  Erscheinung  zeigt  sich  hier,  eine,  die  mit  der  neuen  und  reichen 
Auffassung  des  menschlichen  Verkehrs  zusammenhängt,  nämlich  die  Art,  wie  die 
Apostelfiguren  durch  ihre  Linien  und  Massen  sich  zu  je  drei  und  drei  in  Gruppen 
sammeln.  Es  ist  sicherlich  das  erstemal  seit  der  reifsten  Periode  des  Altertums,  daß 
die  Plastik  oder  Malerei  eine  durchgeführte  und  wirklich  künstlerische  Gruppen- 
komposition geliefert,  zwei  oder  drei  Figuren  '  zu  ]  rhythmischen  Einheiten  für 
das  Auge  gesammelt  hat.  liier  besteht  wirkUch  eine  AehnUchkeit  zwischen  dem, 
was  Leonardo  in  der  neueren  Kunst  ausrichtete,  und  dem  was  Phidias  im 
Altertum  in  der  Komposition  der  Giebelfelder  des  Parthenon  leistete.  Im  Vergleich 
zu  den  älteren  Abendmahlsbildern  gewährt  diese  Kompositionsweise  gleichzeitig 
Abwechslung  und  Ruhe  und  schnellen  Ueberblick ;  sie  gewährt  auch  der  rein 
äußeren    Auffassung  einen    Eindruck   des    Verkehrs    zwischen    den    Gestalten.     Und 


Judaskopfes  in  der  Bibliothek  des  Schlosses  zu  Windsor  ist  in  Richters  Werk  I,  PI.  L 
wiedergegeben.  In  derselben  Sammlung  befinden  sich  Leonardos  eigenhändige  Studien 
zum  Kopfe  des  Matthäus  (Richter]. 


doch  ist  hier  nur  von  etwas  ganz  Aeußerhchem  die  Rede :  die  körperliche  Nähe 
unter  den  Figuren  und  der  rhythmische  Zusammenhang  in  ihren  Linien  bezeichnet 
zuweilen  eine  vollkommene  Entferntheit  in  seelischer  Beziehung,  was  man  besonders 
aus  der  dichten  Gruppe  ersehen  kann,  die  von  Johannes,  Petrus  und  —  Judas 
gebildet  wird.  Das  innere  dramatische  Zusammenspiel  kreuzt  und  durchfährt  die 
plastischen  Gruppen  auf  mancherlei  Art :  Blicke,  Mienen,  Handbewegungen  bilden 
telegraphische  Leitungen  zwischen  den  verschiedenen  Gliedern  der  Komposition.  Und 
doch  formt  alles  in  diesem  Bilde,  so  durchdacht  es  in  jeder  Einzelheit  ist,  sich  mit 
vollkommener  Natürlichkeit,  was  Leonardo  nicht  immer  glückt.  Seine  vollendet  kunst- 
volle Gruppierung  erhielt  von  nun  an  einen  großen  Einfluß  auf  die  Kompositions- 
weise der  italienischen  Kunst,  vor  allem  auf  Fra  Bartolommeo  in  Florenz  und,  teils 
durch  diesen,  teils  unmittelbar  auf  Raphael. 

Wie  Leonardo  ein  solches  Resultat  wie  das  Abendmahlsbild  erreichte,  darüber 
geben  uns  seine  Notizen  und  gezeichneten  Studien  einigen  Aufschluß,  freilich  im  Vergleich 
zu  dem,  was  vorhanden  gewesen  ist,  ist  uns  sehr  wenig  erhalten  geblieben,  und  nichts, 
was  mit  dem  biblischen  Vorwurf  des  Werkes  im  besonderen  Zusammenhang  sieht.  Es  liegt 
überhaupt  kein  Grund  zu  der  Annahme  vor,  daß  er  Bibelstudien  in  weiterem  Umfange 
gemacht  habe,  obwohl  es  einleuchtend  ist,  daß  er,  um  die  Tradition  zu  durchbrechen, 
auch  einen  scharfen  und  tiefen  Einblick  in  die  Erzählung  vom  Abendmahl,  wie  sie  in 
den  Evangelien  steht,  tun  mußte.  Dagegen  hat  er  —  ganz  wie  bei  der  *  Schlacht  von 
Anghiari>  —  im  wirklichen  Leben,  in  seiner  Umgebung  sich  jeden  Zug  gemerkt,  der  ihm 
dienlich  sein  konnte,  indem  er  hier  wieder  sein  Thema  generalisiert,  es  in  breitere 
Gewöhnlichkeit  aufgefaßt  hat.  Es  gehörte  überhaupt  zu  seiner  Methode,  Ausdruck 
und  Wesen  der  Leute  zu  beobachten,  wenn  sie  miteinander  sprachen  und  wenn  sie 
zuhörten.  Eine  seiner  Aufzeichnungen '  beschäftigt  sich  mit  der  Darstellung  eines 
Menschen,  der  inmitten  mehrerer  Personen  spricht,  und  enthält  verschiedene  feine 
mimische  Beobachtungen,  von  denen  manche  an  das  Abendmahlsbild  erinnern.  Ein 
gezeichnetes  Blatt  in  der  Louvresammlung  (Abb.  (>),  das  wir  oben  angeführt  haben  ^, 
enthält  Skizzen  plaudernder  Personen,  namentlich  eine  vorzügliche  Studie  zu  einem 
lebhaften,  animierten  Tischgespräch;  die  Figuren  sind  nackt  abgebiUet.  Sie  sollen 
keine  Apostel  darstellen,  und  es  ist  klar,  daß  nicht  von  so  ernsthaften  Dingen  wie 
vom  Abendmahl  die  Rede  ist;  aber  daß  Leonardo  trotzdem  bei  dieser  Studie  an  das 
Abendmahl  gedacht  hat,  kann  man  mit  ziemlicher  Sicherheit  daraus  ersehen,  daß 
auf  demselben  Blatt  Figuren  von  Christus  und  Judas  am  Abendmahlstisch  skizziert 
sind. 

Eine  von  Leonardos  Aufzeichnungen  beschäftigt  sich  gleichfalls  mit  einem  Tisch- 
gespräch. Sie  lautet:  «Jemand,  der  im  Begriffe  war  zu  trinken,  aber  das  Glas  auf 
seinem  Platze  stehen  heß  und  den  Kopf  nach  dem  Sprecher  umwandte.  Ein  Anderer 
flicht    die   Finger   beider    Hände    zusammen    und    wendet   sich    mit    einem    strengen 


'  Richter  I,  Nr.  594. 

■^  Wiedergegeben  bei  Richter  I,  p.  297. 


—    9    — 

Blick  an  seinen  Nebenmann.  Wieder  ein  Anderer  öffnet  die  Hände  und  zeigt  ihre 
inneren  Flächen,  hebt  die  Schultern  zu  den  Ohren  empor  und  verzieht  erstaunt  den 
Mund  (Ca  la  bocca  della  maraviglia) '.  Ein  Anderer  sagt  einem  Nebenmann  etwas 
ins  Ohr;  dieser  wendet  sich  zu  ihm  um  und  neigt  ihm  das  Ohr  zu,  indem  er  ein 
Messer  in  der  einen  Hand  und  das  mit  dem  Messer  halb  durchgeschnittene  Brot  in  der 
anderen  hält ;  der  zunächst  Sitzende  wendet  sich  mit  einem  Messer  in  der  Hand  um 
und  wirft  mit  dieser  Hand  ein  Glas  auf  dem  Tisch  um.  Der  Nächste  legt  die'Hände 
auf  den  Tisch  und  betrachtet  sie;  der  Nächste  bepustet  seinen  Bissen;  der  Nächste 
beugt  sich  vor,  um  den  Redner  zu  sehen  und  beschattet  die  Augen  mit  der  iland; 
der  Nächste  rückt  hinter  den  Vorgebeugten  und  blickt  zwischen  ihm  und  der  Wand 
zum  Redner  hin.=^ 

Man  kann  aus  dieser  Aufzeichnung  viel  lernen,  wenn  man  sie  nui  recht  versteht. 
Es  ist  ja  klar,  daß  sie  durchaus  nicht  direkt  vom  Abendmahlsbilde  handelt :  wie 
sollte  Leonardo  darauf  kommen,  den  Namen  Christi  mit  dem  Worte  der  «Redner» 
(il  proponitore)  zu  umschreiben  ?  Auch  hat  er  nicht  mit  einer  Silbe  angedeutet,  was 
im  Abendmahl  gesprochen  wird,  nicht  einmal  von  dessen  ernsthafter  und  ergreifender 
Stimmung.  Das  Ganze  sind  nur  Beobachtungen  eines  gelegentlichen  Tischgespräches, 
bei  dem  hauptsächlich  einer  das  Wort  führt  und  eine  überraschende  Mitteilung  macht". 

Ein  einzelner  dieser  Züge  —  jener,  der  einen  Bissen  «;bepustet>  -  hat  sogar 
einen  derart  alltäglichen  Charakter,  daß  er  schlecht  in  ein  so  ernsthaft  bewegtes 
Thema  wie  das  Abendmahl  passen  würde.  Muß  man  deshalb  gegen  eine  allzu  direkte 
Anwendung  dieser  Notiz  auf  Leonardos  berühmte  Komposition  protestieren,  so  muß 
man  nichtsdestoweniger  zugeben,  daß  die  Notiz  zweifellos  wirklich  eine  Vorstudie 
zum  Bilde  ist,  nämlich  indirekt,  in  ähnlicher  Weise  wie  die  oben  erwähnte  ge- 
zeichnete Skizze  eines  Tischgespräches.  Die  Figur  des  Andreas  auf  dem  Abendmahls- 
bilde gleicht  auch  so  sehr  der  Person  mit  den  seitlich  geöffneten  Händen,  den  hoch- 
gezogenen Schultern  und  dem  verwunderten  Mund,  daß  sie  Beschreibung  und  Bild 
verbindet. 


*  Welche  Miene  hiermit  gemeint  ist,  darüber  erhält  man  Aufklärung  in  dem 
oben  angeführten  Stück,  das  davon  handelt,  «Jemand  darzustellen,  der  inmitten 
mehrerer  Personen  spricht».  Dort  liest  man  folgendes:  «Du  mußt  irgend  einen  alten 
Mann  aus  Verwunderung  über  das  Gehörte  die  Mundwinkel  ht'rabziehen  lassen,  so 
daß  sich  viele  Falten  in  den  Wangen  bilden,  und  mit  den  Augenbrauen  über  der 
Nase  hochgezogen,  so  daß  viele  Falten  in  der  Stirn  entstehen >. 

^  Die  Ausdrucksweise  am  Anfang  des  Stückes,  die  Anwendung  der  Vergangen- 
heitsform («Einer  der  im  Begriff  war>  usw.)  deutet  darauf  hin,  daß  Leonardo  be- 
gonnen hat,  eine  einzelne  wirkliche  frische  Beobachtung  niederzuschreiben.  Indem 
er  dazu  übergeht,  die  Gegenwartsform  anzuwenden,  hat  er  wohl  eine  freiere  Vor- 
stellung oder  Beobachtung  benutzt 


—     10     — 

II. 

/  Leonardo  erhebt  an  mehreren  Stellen  in  seinem  Trattato  della  pittura^ 

■  den  bestimmten  Anspruch  an  den  Maler,  daß  er  universal  sei;  es  ist  nicht 
/  genug,  daß  er  nur  ein  einzelnes  Ding  gut  machen  könne,  wie  eine  nackte  Figur,  oder 
einen  Kopf,  oder  ein  Gewand,  oder  Tiere,  oder  Landschaften,  wenn  er  das  Andere 
schlecht  macht;  das  paßt  nicht  zu  der  Würde  der  Kunst.  Selbst  der  wenig  Begabte 
kann  lernen,  eine  einzelne  Sache  gut  zu  machen,  wenn  er  sich  unablässig  gerade 
mit  dieser  abgibt.  Aber  man  bedenke,  schärft  Leonardo  ein,  daß  die  Malerei  all  die 
Dinge  umfaßt,  welche  die  Natur  erzeugt  und  welche  der  Mensch  daraus  herstellt.  Die 
mildtätige  Natur  hat  ja  dafür  gesorgt,  daß  man  überall  etwas  nachzuahmen  findet. 
Welchen  Reichtum  an  wechselseitiger  Verschiedenheit  bietet  nicht  allein  die  Art  des 
Menschen  zu  existieren  dar!  Und  welch  ein  Unterschied  in  der  Welt  der  Tiere, 
der  Bäume,  der  Kräuter,  der  Blumen,  und  in  der  Landschaft,  zwischen  Gebirgen 
und  Ebenen,  Quellen,  Flüssen,  und  wieder  zwischen  Städten,  öffenthchen  und  pri- 
vaten Gebäuden,  Werkzeugen  zum  menschlichen  Gebrauch,  Gewändern,  Schmuck- 
sachen, Kunstarbeiten.  Der  gute  Künstler,  dessen  Seele  wie  ein  Spiegel  sein  soll, 
der  das  Bild  der  gesammelten  Welt  aufnimmt,  muß  es  verstehen,  all  diesen  Dingen 
gerecht  zu  werden.  Aber  das  ist  uno  tristo  maestro,  der  nicht  weiter 
gekommen  ist  als  auf  einem  einzelnen  Gebiet  etwas  Gutes  zu  leisten. 

Solche  Aussprüche,  die  wir  hier  nach  Leonardos  eigenen  Worten  angeführt  haben, 
und  die  von  seiner  Seite  gewiß  nicht  zu  den  leichthingeworfenen  gehörten,  stehen 
in  einem  gewissen  Gegensatz  zu  der  in  der  italienischen  bildenden  Kunst,  wenn  auch 
nicht  allein  herrschenden,  so  doch  stark  vorherrschenden  humanistischen 
Richtung,  ihrer  entschiedenen  Vorliebe  für  die  Darstellung  und  Verherrlichung  des 
Menschen.  Spezialisten  auf  anderen  Gebieten  der  bildenden  Kunst,  z.  B.  Land- 
schaftsmaler, Blumenmaler,  Tiermaler  usw.  gab  es  ja  damals  noch  nicht;  dagegen 
gab  es  italienische,  besonders  florentinische  Künstler,  die  mit  ausgesprochener  Ein- 
seitigkeit die  menschliche  Gestalt  zum  fast  ausschließlichen  Gegenstand  ihrer  Kunst 
machten.  Zweifellos  galt  Leonardos  Polemik  dieser  Richtung,  die  mit  Michelangelo 
ihren  Höhepunkt  erreichte.  Indem  er  sich  von  ihr  entfernt,  nähert  er  sich,  wie  es 
scheint,  der  zeitgenössischen  oder  eigenthch  vorhergehenden  niederländischen  Kunst. 
Wenn  einer  der  Forderung  durchaus  beigestimmt  hätte,  die  Malerei  solle  ein  Spiegel 
der  ganzen  sichtbaren  Umwelt  sein,  so  wäre  es  wahrscheinhch  Jan  van  Eyck  ge- 
wesen. 

Damit  steht  in  Verbindung,  daß  Leonardo  in  seiner  Theorie  der  Malerei  vor  der 
Skulptur  und  den  anderen  Künsten  in  begeisterten  Worten  den  Vorrang  gibt,  in- 
dem er  betont,  daß  die  Malerei  viel  mehr  Aufgaben  biete,  als  die  Bildhauerei  ^  Auch 
darin   hätten   die  Niederländer    ihn   sich  zu  Nutze  machen  können,   während  Michel- 


'  Richter  I,  Nr.  4!J9,  500,  503,  504,  505,  506. 

2  Richter  I,  652—655.     Besonders   in  655   vergleicht  Leonardo   die  Malerei  mit 
der  Skulptur. 


-   11   — 

angelo  bekanntlich  mit  der  ihm  eigenen  Nachdrücklichkeit  erklärte:  die  Skulptur  sei 
piu  nobile  als  die  Malerei;  er  ignorierte  dabei  alle  die  Aufgaben  derselben,  die  mit  der 
menschlichen  Gestalt  nichts  zu  schaffen  haben ' . 

Leonardo  war  überhaupt  in  die  Mannigfaltigkeit  der  Welt  verliebt  und  hätte  um 
keinen  Preis  auch  nur  das  Geringste  davon  missen  mögen.  Gedenkt  man  seiner 
Forschung  und  Arbeit  in  ihrem  ganzen  Umfange,  in  aller  möglichen  Naturerkenntnis 
und  Technik,  dann  begreift  man  es  umso  besser,  daß  er,  der  vielseitigste  von  allen 
Menschen,  auch  auf  dem  Gebiete  der  Kunst  für  die  Sache  der  Universahtät  eintreten 
mußte.  Wohin  er  sich  in  der  Welt  wandte,  gab  es  eine  Frage  und  eine  Aufgabe 
für  ihn.  In  seinen  Schriften  spricht  er  ausführiich  über  die  Darstellung  von  Staub 
und  Rauch,  von  Lichtwirkungen  und  Horizonten,  von  Wolken  und  Pflanzen  usw. 

Auch  in  seiner  eigenen  Wirksamkeit  als  ausübender  Künstler  finden  sich  einzelne 
Züge,  die  seinem  Programm  durchaus  entsprechen.  Man  lese  z.  B.  Vasaris  Lob- 
preisung des  Kartons  von  Adam  und  Eva  im  Paradiese,  den  Leonardo  in  seiner 
Jugend  Grau  in  Grau  ausführte ;  Vasari  geht,  merkwürdig  genug,  auf  die  Figuren  in 
diesem  Werk  nicht  genauer  ein,  sondern  verliert  sich  ganz  und  gar  in  dem  Entzücken 
über  die  Behandlung  der  Pflanzenwelt,  die  Wiedergabe  der  mannigfachen  Kräuter, 
die  Zeichnung  und  Verkürzung  des  Laubes  am  Feigenbaume,  die  Rundung  der  Zweige 
am  Palmbaume.  Ebenso  preist  Vasari  an  einem  anderen  Werk,  das  er  auf  Leonar- 
dos Jugend  zurückführt,  einem  Madonnenbild  im  Besitz  Papst  Clemens'  VII.,  ganz 
besonders  die  unvergleichliche  Ausführung  einer  Nebensache,  einer  Glasvase  mit 
Blumen  und  Tautropfen.  Derartige  Zuge  zeigen  wirklich  eine  gewisse  Üeberemstim- 
mung  mit  dem  nordischen  Naturalismus :  man  muß  unwillkürlich  an  Quinten  Massys 
oder  Holbein  denken,  und  man  ahnt  schon  die  kommende  Zeit,  die  aus  solchen  Auf- 
gaben selbständige  malerische  Vorwürfe  ableitet.  Von  all  den  künstlerischen  Auf- 
gaben, die  nicht  direkt  das  Menschliche  betreffen,  war  es  besonders  eine,  die  für 
Leonardo  der  Gegenstand  emsigsten  Arbeitens  und  Studierens  bildete,  sowohl  pla- 
stisch, wie  malerisch  und  wissenschaftlich:  nämlich  die  Darstellung  des  Pferdes, 
wie  wir  es  früher  bei  einigen  seiner  größten  Schöpfungen  gesehen  haben,  seinen 
Reitermonumenten  und  dem  Karton  von  der  Schlacht  bei  Anghiari. 

Ein  merkwürdiges  Schicksal  hat  es  nun  so  gefügt,  daß  gerade  all  jene  Arbeiten, 
in  denen  sein  Interesse  für  die  Pflanzen-  und  Tierwelt,  überhaupt  das  Nicht-mensch- 
liche klar  zutage  trat  und  so  glänzendes  Zeugnis  für  sich  abgelegt  hatte,  der  Nach- 
welt  verloren    gegangen    sind;    nur   spätere   Reproduktionen   oder  Leonardos    eigene 

1  Siehe  Michelangelos  Brief  an  Benedetto  Varchi  aus  Rom  1549  (Milanesi 
Lettere  di  Michelagniolo,  522;  mein  Buch :  Die  bildende  K  u  n  s  t,  S.  93)  .  .  . 
Michelangelo  meint  mit  seinen  groben  Worten :  ^Wenn  der  Mann,  der  da  geschrieben 
hat,  daß  die  Malerei  der  Bildhauerkunst  vorzuziehen  sei,  sich  ebensogut  auf  die 
anderen  Dinge  verstand,  die  er  geschrieben  hat,  dann  könnte  meine  Köchin  besser 
darüber  geschrieben  haben >,  gewiß  keinen  Geringeren  als  Leonardo  da  Vinci,  gegen 
den  er  von  altersher  sehr  unfreundliche  Gesinnungen  hegte  und  dessen  Autorität  ihm 
ein  Dorn  im  Auge  war. 


-     12    — 

gezeichnete  Entwürfe  (Abb.  7)  könnon  uns  von  ihnen  eine  Vorstellung  geben.  Wie 
Leonardos  Produktion  jetzt  vorliegt,  nicht  allein  in  den  v^enigen  uns  erhaltenen 
Gemälden,  sondern  auch  in  den  vielen  Handzeichnungen,  tritt  er,  ganz  ebenso,  wie 
z.  ß.  Raphael  als  Darsteller  des  Menschen  auf.  Für  unsere  Zeit  liegt  die  Be- 
deutung seiner  Produktion  überwiegend  auf  diesem  Gebiet.  Es  ist  ihm  von  altersher 
hoch  angerechnet  worden,  wie  vorzüglich  er  das  Tischtuch  auf  dem  Abendmahlsbilde 
gezeichnet  hat  —  aber  darüber  können  doch  die  Meinungen  nicht  geteilt  sein,  daß 
sein  Name  durch  seine  Darstellung  Christi  und  der  Apostel  in  ganz  anderer  Weise  in 
die  Kunstgeschichte  eingetragen  worden  ist.  Und  wenn  wir  auch  alle  geziemende  Rück- 
sicht darauf  nehmen,  was  man  von  seinen  verlorengegangenen  Werken  weiß,  so 
zeigt  sich  seine  Hauptaufgabe  trotzdem  deutlich  genug  als  der  Mensch  und  das  Mensch- 
liche. Das  beweisen  auch  seine  Schriften  über  die  Kunst,  von  wie  vielen  anderen 
Dingen  sie  auch  handeln.  Er  war  doch  zuguterletzt  ein  Vollblut-Italiener  und  hatte 
mit  Michelangelo  viel  mehr  Aufgaben  gemein  als  mit  van  Eyck.  So  charakteri- 
stisch jene  in  seinen  Notizen  enthaltenen  Forderungen  auf  Universalität  in  der  Kunst 
für  ihn  sind,  sie  auf  seine  eigene  künstlerische  Tätigkeit  anzuwenden,  ist  immerhin 
etwas  gewagt.  Hält  man  sich  nur  an  ihren  Wortlaut,  so  ergibt  dieser  eine  Ansicht, 
die  von  den  Tatsachen,  seinen  Werken,  nicht  bestätigt  wird.  Seine  Aufzeichnungen 
sind  wohl  eher  ein  Produkt  vorauseilender  Gedanken,  als  ein  Programm  für  eigenes 
Schaffen.  Leonardos  Seele  war  in  Wirklichkeit  nicht  der  ruhige,  passive  Spiegel  der 
Umwelt:  das  ist  ein  Vergleich,  der  weit  besser  für  die  Niederländer  paßt.  Er  griff 
die  Aufgaben  mehr  aktiv,  in  vielen  einzelnen  Richtungen,  an.  Die  Malerei  war 
für  ihn  «eine  subtile  Erfindung»,  die  mit  philosophischer  und  subtiler  Spekulation 
alle  charakteristischen  Formen  betrachtet:  Meere  und  Länder,  Pflanzen  und  Tiere, 
Kräuter  und  Blumen,  all  das,  was  von  Licht  und  Schatten  umgeben  ist,  und  deshalb 
ist  sie  in  Wahrheit  Wissenschaft,  die  legitime  Tochter  der  Natur,  und  mit  Gott  ver- 
wandt'. Er  durchdrang  die  ruhige  Fläche  des  Phänomens  mit  der  ihm  eigenen  un- 
vergleichlichen Tiefe  und  Feinheit  des  Verständnisses,  seine  selbstgewähllen  Aufgaben 
mochten  nun  die  verschiedensten  Gebiete  berühren:  die  Psychologie  und  Physignomik 
des  Menschen,  oder  sonst  einer  anderen  organischen  Gestalt  der  Natur,  das  Spiel 
des  Lichtes  im  Wasser  oder  im  Glase.  Er  erreichte  infolge  ausdauernder  Arbeit 
ein  Resultat,  das  seine  Zeitgenossen  stutzen  machte,  sie  auf  ein  höheres  Niveau  er- 
hob, auch  wo  es  sich  nur  um  Unvollendetes  handelte.  Inzwischen  war  er  selbst 
wieder  verschwunden,  in  eine  neue  Aufgabe  vertieft.  Was  ihm  selbst  zu  vollenden 
nicht  vergönnt  war,  das  konnten,  so  dachte  er,  die  kommenden  Geschlechter  tun. 

'  Richter,  652. 


—     13     -  ■ 

III. 

Wir  betrachten  also  Leonardo,  nicht  aHein  im  Anschluß  an  unsere  en^er 
gewählte  Aufgabe,  sondern  im  Hinblick  auf  seine  eigenen  künstlerischen  Ziele,  als 
Darsteller  des  Menschen.  Aber  der  erste  Charakterzug,  auf  den  wir  innerhalb  des 
engeren  Gebietes  stoßen,  ist  hier  wiederum  sehie  Forderung  der  Universalität. 
Er  Hebt  das  Verschiedenartige  und  ist  sehr  auf  dem  Posten  gegen  das  Einförmige. 
Das  war  ein  Naturzug  bei  ihm,  eine  Leidenschaft.  Vasari  erzählt  :  wenn  Leo- 
nardo merkwürdige  Köpfe  sah,  mit  wild  und  frei  wachsendem  Haar  und  Bart,  dann 
fühlte  er  sich  dermaßen  davon  angezogen,  daß  er  einem  solchen  Menschen,  der  ihm 
recht  gefallen  hatte,  einen  ganzen  Tag  folgen  konnte.  Er  prägte  sich  eine  solche 
merkwürdige  Physiognomie  derart  ins  Gedächtnis  ein,  daß  er  sie  nachher,  heimge- 
kehrt, zeichnen  konnte,  als  ob  er  sie  noch  vor  Augen  hätte.  Von  dieser  Sorte  zeich- 
nete er  viele  Köpfe,  Männer  und  Frauen.  Vasari  besaß  selbst  in  seiner  Sammlung 
verschiedene  solcher  Federzeichnungen  und  führt  außerdem  eine  Kohlezeichnung  an, 
einen  sehr  schönen  Greisenkopf \  Amerigo  Vespucci  darstellend,  und  ein  Bild  des 
Zigeunerhauptmanns  Scaramuccia. 

Um  in  seine  Eindrücke  der  unendlich  verschiedenartigen  Physiognomien  Ordnung 
und  Klarheit  hineinzubringen,  hatte  Leonardo  sich  eine  Art  physiognomischen  Svstems 
zurecht  gelegt,  das  er  anderen  Künstlern  zum  praktischen  Gebrauche  aiiempfahl.  Leo- 
nardos Schriften  zeugen  in  mannigfacher  Weise  davon,  daß  er,  als  ein  philosophischer 
Kopf,  den  Drang  verspürte,  sich  durch  Systematisieren  die  Uebersicht  über  das  bunte 
Gewimmel  von  Phänomenen  zu  sichern.  Er  selbst  war  ja  zugleich  der  geniale  Beobachter 
und  die  reiche  Künstlernatur,  die  da  wußte,  was  in  die  Rubriken  des  Systems  gefüllt 
werden  sollte.  Aber  er  hat  sich  freilich  von  dem  Nutzen,  den  andere  Künstler  davon 
haben  konnten,  allzu  sanguinische  Vorstellungen  gemacht,  wie  er  überhaupt  in  die 
Resultate  des  künstlerischen  Unterrichts  auf  theoretischem  Wege  zu  viel  Vertrauen 
setzte.  Deshalb  erscheint  das  nachfolgende  kleine  System  der  menschlichen  Nasen 
rein  als  Kuriosum  und  erhält  nur  Bedeutung  als  Zeugnis  seines  eigenen  unvergleich- 
lich scharfen  Bhckes  für  alle  Unterschiede  im  Aeußeren  des  .Menschen. 

Er  sagt-:  «Wenn  du  es  erzielen  willst,  dir  den  Charakter  eines  Gesichts  leicht 
einzuprägen,  so  präge  dir  zunächst  in  deinen  Sinn  eine  Menge  verschiedener  Köpfe, 
Augen,  Nasen,  Münder,  Kinnladen,  Kehlen,  Hälse  und  Schultern  ein.  Und  z.  B.  von 
Nasen  gibt  es  zehn  verschiedene  Arten :    gerade,    bucklige,    hohle,  mehr    vorstehende 


^  Die  bekannte  großartige  Zeichnung  eines  Greisenkopfes  in  der  Turiner  Samm- 
lung (Abb.  8),  die,  wie  allgemein  angenommen,  Leonardo  da  Vinci  selbst  vorstellen 
soll,  und  die  Richter  zum  Titelbilde  seines  Werkes  —  als  Porträt  Leonardos  ~-  be- 
nutzt hat,  kann  ihn  in  Wirklichkeit  doch  unmöglich  vorstellen,  da  Leonardo  bei 
weitem  kein  so  hohes  Alter  erreichte,  wie  die  hier  abgebildete  Person.  Das  ist  ein 
Greis  zwischen  80  und  90,  und  Leonardo  war  bei  seinem  Tode  G7  Jahre  alt.  Die 
Züge  gleichen  auch  den  sicheren  Porträts  Leonardos  nicht  allzusehr.  — Ob  diese  Zeich- 
nung nicht  eher  das  von  Vasari  erwähnte  Bild  von  Amerigo  Vespucci  sein  sollte*^ 

2  Richter  I,  572.  Vgl.  Ludwig  §§  288,  289,  290,  Nr.  403-405. 


—     14     — 

—  entweder  oben  oder  unten  oder  in  der  Mitte  —  Adlernasen,  regelmäßige',  flache, 
runde  und  spitze.  All  dies  gilt  von  Nasen  im  Profil.  Von  vorn  gesehen,  gibt  es  elf 
verschiedene  Sorten  von  Nasen:  gerade,  dick  in  der  Mitte,  dünn  in  der  Mitte,  dick 
am  Ende  und  dünn  oben,  dünn  am  Ende  und  dick  oben,  mit  offenen  Nasenflügeln 
oder  mit  engen,  mit  hohen  Nasenflügeln  oder  mit  niedrigen,  mit  Nasenflügeln,  die 
sich  in  die  Luft  recken,  oder  die  von  der  Nasenspitze  gedeckt  werden.  Und  so  wirst 
du  auch  in  den  anderen  Teilen  Verschiedenheiten  finden.  Solche  Dinge  mußt  du 
nach  der  Natur  zeichnen  und  sie  dir  in  deinen  Sinn  einprägen.  Oder  wenn  du  ein 
Gesicht  nach  dem  Gedächtnis  zeichnen  sollst,  dann  mußt  du  ein  Büchlein  bei  dir 
tragen,  in  dem  solche  Züge  notiert  sind ;  und  wenn  du  einen  BHck  auf  das  Gesicht 
der  Person  geworfen  hast,  die  du  zeichnen  willst,  dann  sieh  nach,  welche  Nase  oder 
welcher  Mund  ihr  am  meisten  ähnhch  sehen  und  mache  dir  eine  kleine  Anmerkung 
an  der  passenden  Stelle  dabei ;  um  es  nachher  wieder  herauszufinden.  Von  den  mon- 
strösen Gesichtern  spreche  ich  hier  nicht,  weil  man  sie  ohne  besondere  Mühe  im  Ge- 
dächtnis behält.» 

Von  seinem  großen  Interesse  gerade  für  die  monströsen  Gesichter  zeugen  seine 
ziemlich  zahlreich  erhaltenen  Karikaturzeichnungen-  (Abb.  9—10). 
Auch  wenn  Leonardo  —  was  ihm  wohl  ähnlich  sähe  —  wirklich  geäußert  hat,  daß 
die  Kunst  in  der  Richtung  des  Lächerlichen  so  weit  kommen  könne,  <daß  man  die 
Toten  im  Grabe  damit  zum  Lachen  brächte»  —  denn  seine  Ansprüche  an  die 
Seefische  Wirkung  eines  Kunstwerkes  übertrafen  die  der  Vergangenheit  in  jeder 
Beziehung  —  so  können  seine  Karikaturen  im  großen  Ganzen  durchaus  nicht  als 
Ausdruck  einer  komischen  Laune  betrachtet  werden:  Sie  kitzeln  keineswegs  die 
Lachmuskeln  der  Beschauer,  sondern  sind  Niederschläge  seines  unersättlichen  Dranges 
nach  allseitigen  Kenntnissen  und  Versuchen  inbezug  auf  die  menschlichen  Möglich- 
keiten. Er  wollte  sehen,  was  alles  sich  aus  der  menschlichen  Physiognomie  heraus- 
holen fieße.  Er  behandelt  sie  wie  einen  der  elastischen  Guttaperchaköpfe,  die  man 
in  früheren  Zeiten  als  Spielzeug  verwandte,  und  auf  denen  man  vermittelst  eines 
Druckes  die  wunderlichsten  Grimassen  hervorrufen  konnte,  nur  daß  Leonardo  dessen 
eingedenk  ist,  daß  der  menschliche  Körper  nicht  aus  einer  gleichartigen  elastischen 
xMasse  besteht,  und  daß  selbst  seine  verwegensten  Abweichungen  von  der  Regel 
Naturgesetzen  unterworfen  sind,  die  im  wirklichen  Leben  beobachtet  und^studiert 
werden  müssen.  Er  studierte,  wie  ein  französischer  Schriftsteller  sehr  trefl'end  von 
diesen  Karikaturen  gesagt  hat^  <^wie  weit  der  Mund  sich  zurückziehen  konnte  und 
wie  er  sich  dadurch  formte,  welche  Kurven  Nase  und  Kinn  bildeten,  wenn  die  Zähne 


'    «Pari>.  Der  Ausdruck  ist  dunkel.  Richter  übersetzt:  «regulär». 

-  Unter  den  Sammlungen  von  Reproduktionen  leonardesker  Karikaturen  (von 
Wenzel  Hollar,  Sandrart,  Caylus,  Gerli  und  Chamberlain)  zeichnen  die  Wiedergaben 
Wenzel  Hollars  sich  nicht  aflein  durch  den  gewöhnlichen  talentvollen  Stich  dieses 
Künstlers  aus,  sondern  auch  durch  eine  treue  und  feine  Aufl"assung  von  Leonardos 
Geist  und  Stil. 

»  Champüeury  in  der  Gazette  des  beaux  arts  1879,  II,  190  ff(«anatomie  du  laid»). 


-     15     - 

ausgefallen  waren ;  wie  sobald  das  Gemüt  —  im  geistigen  Sinne  —  seine  Gesundheit 
und  sein  Gleichgewicht  verloren  hat,  das  Nervensystem  allmählich  den  Zaum  des 
Willens  zernagt,  und  die  Maske  des  Gesichts  dadurch  in  Unordnung  gerät». 

Seine  Studien   des  Barocken   und    des    Pathologischen    galten    nicht    allein   der 
Form   und  Maske,   sondern    auch    der    augenbhcklich    potenzierten    Lebensäußerung. 
Ein  paar  Generationen  nach  seiner  Zeit  erzählte  die  Tradition  in  Mailand  folgendes  ^ : 
Als  Leonardo  einmal  ein  Gemälde  von  einigen  lachenden    Bauern   machen  wollte  — 
das  er  freilich  nie  ausführte,  sondern  nur  zeichnete  —  wählte  er  ein  paar  Personen 
aus,    die    ihm   für    sein   Thema  geeignet  erschienen  ;    und  als  er  sich  mit  ihnen  auf 
vertrauten  Fuß  gestellt  hatte,   arrangierte   er  mit  Hilfe  einiger  Freunde  ein   Fest  für 
sie.  Er  setzte  sich  dann  zu  ihnen  und  begann   die  schnurrigsten    und    lächerlichsten 
Dinge  von  der  Welt  zu  erzählen,  über  die  sie  sich  zu  Schanden  lachen  wollten,  ohne 
selbst  recht  zu  wissen,  weshalb.     Er  beobachtete  dann  sorgfältig  ihre  Gebärden  und 
Manieren  während  der  Erzählung;   und  als  sie  gegangen  waren,   zog  er  sich  in  sein 
Zimmer  zurück,  und  dort  zeichnete  er  sie  so  vollkommen,  daß  die  Zeichnungen  eben- 
sosehr das  Lachen  des  Beschauers  erregten,  wie  seine  Erzählungen   das  der  Bauern 
erregt  hatten!  —  Diese  hinreißend  komische  Wirkung   gestatten   wir   uns   in   Rück- 
sicht   auf   seine    hinterlassenen  Karikaturen   mit    einem  Fragezeichen    zu    versehen ; 
aber  die  Geschichte   von    Leonardos    psychologischen    und  physiognomischen  Experi- 
menten mit  Leuten  aus   dem  Volke  ist    in  hohem    Grade   glaubhaft.     Aus    derselben 
Quelle  stammt  auch  eine  Nachricht,  daß  Leonardo  Missetätern  zur  Richtstätte  gefolgt 
sein    solle,    um    die   Züge    der    marternden    Angst    und    Verzweiflung    in   ihren    Ge- 
sichtern   zu    beobachtend     Möghcherweise   hat    er    dann   auch,   wie  man   vermutet, 
die  Geisteskranken  in  den  Irrenhäusern  besucht,  wo  sie  ja  damals  in  Ketten  gehalten 
und  zur  Strafe  für  ihr  Unglück  gepeitscht  wurden.     Wie  Leonardo   die  Leidenschaft 
in  ihrer  höchsten  f  u  r  i  a  schilderte  und  ihre  Physiognomik  studierte,  das  sieht  man 
auf  der    «Schlacht    bei    Anghiari».     Seine    Schriften    enthalten    andere   Winke    über 
die  Physiognomik  des  Zorns  und  der  Verzweiflung,  des  Lachens  und  des  Weinens  u.  dgl. 
Eine    scharfe    und    fleißige    Beobachtung   der  Wirkhchkeit    war    in   der  floren- 
tinischen  Kunst  nichts  Neues :    in  dieser  Richtung    hat  er  jede  nur  nötige  Anregung 
von  seinem  Lehrer  Verrocchio   erhalten.    Doch   Leonardo   beobachtete    und   benutzte 
seine  Beobachtungen  nicht  in  demselben  Geiste  wie  seine  Vorgänger,  deren  Menschen 
häufig  ein  gewisses  alltägliches,  bürgerliches  Gepräge  haben.  Wohl  spähte  er  auf  der 
Straße  aufmerksam  aus;   aber   er   nahm   keineswegs  mit  dem  Ersten   Besten  fürlieb. 
Er  bevorzugte  das  Seltene,    das  Kuriose,  die  höchsten  Potenzen  in  allen  Richtungen, 
wenn  es  auch  nur  auf  den  Wuchs  des  Ilaares  und  des  Bartes  ankam,    die   ihn   be- 
sonders ergötzt  zu  haben  scheinen.   Er  gestattete  ja  auch  seinem  eigenen  prächtigen  " 
Haarwuchs  und  Bart  die  ansehnlichsten  Dimensionen  anzunehmen.  Aber  hierin  steckte 


^  Lomazzo,  trattato  della  pittura,  Lib.  II,  Kap.  1 .  —  Angeführt  an  vielen  Stellen, 
z.  B.  in  Milanesis  Ausgabe  von   Vasari  IV,  27,  Note. 

*  Galienberg,  Leonardo  da  Vinci,  Leipzig  1834,  48  mit  Beziehung  auf  Lomazzo. 


—     16     — 

mehr  als  ein  Amüsement  und  aufgestachelte  Neugierde :  seine  Beobachtungen  wurden 
von  einem  forschenden  und  philosophischen  Geiste  geleitet,  —  Er  war  ein  Entdecker, 
ein  Weltumsegier  im  geistigen  Sinne,  den  es  dazu  drängte,  auch  die  entferntesten 
Möglichkeiten  des  menschlichen  Wesens,  die  unendlich  variable  Umformung  des  ge- 
meinsamen Modells  kennen  zu  lernen. 

Und  über  die  Grenze  des  rein  Menschlichen  hinweg  ließ  er  den  Blick  noch 
weiter  hinausschweifen  und  erschaute  eine  unendlich  größere  Welt  von  Unterschieden, 
die  doch  alle  von  einem  gemeinsamen  Plan  und  gemeinsamen  Gedanken  zusammen- 
gehalten wurden.  Es  ist  <e  i  n  e  leichte  Sache»  meinte  er  einmal  in  einem 
seiner  merkwürdig  sanguinischen  Augenblicke',  <u  n  i  v  e  r  s  a  1  zu  werden,  weil  der 
Mensch  und  alle  « Landtiere >  dieselben  Bestandteile  in  ihrem  Bau  haben  und  die 
Abweichungen  auf  Unterschiede  in  Längen-  und  Breitenmaß  der  einzelnen  Teile  re- 
duziert werden  können»  ;  was  die  «Wassertiere»  und  die  Insekten  anlangt,  so  fand  er 
die  Sache  doch  weniger  leicht,  <weil  hier  eine  fast  unbegrenzte  Verschiedenheit 
herrscht».  Aber  sein  Gedankengang  bewegte  sich  wirklich,  wie  man  auch  aus  anderen 
Aphorismen  ersehen  kann,  in  der  Richtung  der  wissenschaftlichen  Verzweigung,  die 
sich  30Ü  Jahre  später  als  vergleichende  Anatomie  entwickelte.  Er 
macht  sich  z.  B.  an  einer  Stelle  anheischig,  den  Bau  der  Hand  an  jedem  Tier  (also 
Hand,  Pfote,  Klaue,  Huf,  Flügel  usw.j  nachzuweisen  und  behauptet  bestimmt  —  und 
äußerst  revolutionär  -daß  der  Mensch  als  ein  vierfüßiges  Tier 
aufzufassen  sei^:  als  kleines  Kind  kriecht  er  ja  auch  wirklich  auf  vier 
Beinen. 

Es  steckt  überhaupt  in  Leonardos  Anschauungsweise  des  Menschlichen  etwas 
Naturwissenschaftliches,  und  deshalb  auch  etwas  Indiiferentes  inbezug  auf  die  ethischen 
Ideale:  wenn  das  Phänomen  selten  und  merkwürdig  ist,  zieht  es  den  Künstler  an, 
gleichgültig  ob  es  etwas  Gutes  oder  Böses,  etwas  Erhabenes  oder  Verächtliches  be- 
deutet. Er  nennt  selbst  solche  Szenen  wie  er  sie  in  der  «Schlacht  bei  Anghiari» 
schilderte,  i)azzia  bestialissima,  eine  ganz  bestialische  Raserei  ^.  Aber, 
wird  man  einwenden,  das  ist  ja  derselbe  Künstler,  der  «Das  Abendmahl»  mit  seinen 
reinen  und  erhabenen  Charakteren,  seiner  Schilderung  von  Treue  und  Unschuld  im 
Gegensatz  zum  Verrat  dargestellt  hat  —  das  kann  man  doch  nicht  ethisch  indilTerent 
nennen.  Und  allerdings  macht  Leonardo  in  seiner  Kunst  auch  einen  Unterschied 
zwischen  Gut  und  Böse  ;  das  ist  ja  nämlich  einer  der  unzähligen  Unterschiede,  die 
das  Menschenleben  selbst  der  Betrachtung  darbietet.  Ebenso  wie  er  einschärft,  die 
Kunst  müsse  es  verstehen,  einen  Unterschied  zwischen  Herrn  und  Diener,  zwischen 
Kind  und  Erwachsenen,  zwischen  den  Bauern  und  den  feinen  Adligen,  zwischen    dem 


'  Richter  I,  505. 

-  Richter  II,  817,  8:^2,  H2'A,  824,  825  ( li  animah  di  quattro  piedi,  infra  li 

quali  e  l'omo,  che  ancora  lui  nella  infantia  va  con  4  piedi).  Kerner  826  mit  der  aus- 
gezeichneten anthropologischen  Beobachlunf,^  iiber  die  Analogie  des  menschlichen 
Ganges  mit  il  universale  andare  delli  animali  di    1  piedi. 

^  Ludwig,  §   17/,  Nr.  243. 


—     17     — 

Starken  und  dem  Schwachen,  zwischen  der  Dirne  und  dem  ehrbaren  Weibe,  zwischen 
dem  Wesen  des  Mannes  und  dem  des  Weibes  zu  machen  '  —  so  verlangt  er  auch, 
daß  «die  Bewegungen  der  Menschen  so  dargestellt  werden  sollen,  wie  es  entweder 
ihre  Würdigkeil  oder  Unwürdigkeit  (degnita  o  vilta)  erfordert>,  und  daß  man  im- 
stande sei,  einen  braven  Mann  im  Gegensatz  zu  einem  bestialischen  Menschen  zu 
schildern  (un  uomo  da  bene  un  uomo  bestialej".  Man  kann  bei  solchen  Ausdrücken 
an  das  Bild  Francesco  Sforzas  im  Gegensalz  zu  den  lachenden  Bauern  oder  anderen 
Karikaturen,  oder  an  die  treuen  Apostel  im  «Abendmahl»  im  Gegensatz  zu  Judas 
denken.  Lionardo  verlangt  außerdem  nachdiücklich,  daß  das  Werk  seiner  Aufgabe 
und  seinem  Zweck  entspreche;  daß  du,  wenn  du  eine  Figur  ausführen  sollst,  wohl 
überdenkst,  was  es  für  eine  Art  Mensch  ist,  und  was  du  willst,  daß  er  tue'.  Er 
denkt  hierbei  sicherUch  nicht  speziell  an  die  bürgerliche  Verpflichtung  des  Künstlers, 
auszuführen,  was  man  bei  ihm  bestellt  hat ;  die  von  außen  gestellten  Aufträge  mußten 
seiner  ganzen  Veranlagung  nach  eine  wertvolle  Anregung  erhalten,  universell  zu 
werden,  sich  nach  möglichst  vielen  Richtungen  zum  Herrn  über  alle  wechselnden 
Erscheinungen  des  Lebens  zu  machen. 

Der  Unterschied  zwischen  dem  Bösen  und  dem  Guten,  dem  Edlen  und  dem 
Unedlen  im  Charakter  der  Figur  ist  also  für  ihn  nur  eine  aus  dem  ganzen 
menschlichen  Leben  mit  seinem  unerschöpflichen  Reichtum  an  Möglichkeiten  heraus- 
gegriffene Nummer.  In  seiner  Kunstbetrachtung  nahm  er  nicht  in  der  Weise  Partei, 
für  das  Edle  und  Erhabene,  daß  er  den  schlechten  Charakter  aus  ihrem  Gebiete 
verbannt  oder  zurückgedrängt  haben  wollte,  im  Gegenteil :  das  würde  ja  die  Kunst 
einförmig  machen.  Er  stand  auch  hierdurch  im  Gegensatz  zu  dem  ursprünglichen 
antiken  Ideahsmus  und  all  der  Kunst,  die  von  ihm  abgeleitet  oder  geistig  mit  ihm 
verwandt  ist. 


Aber  ist  denn  in  Leonardos  :3childerung  der  Menschen  gar  keine  Einheit?  Gibt 
es  denn  in  dieser  unermüdlichen  Jagd  nach  dem  Verschiedenartigen,  dem  Periphe- 
rischen und  dem  Ultraperipherischen  nichts  Zentrales?  Tragen  seine  Figuren  nicht, 
wie  die  anderer  Künstler,  den  Stempel  des  darstellenden  Künstlers  selbst  und  .seiner 
eigenartigen  Persönhchkeit? 

Richtet  man  diese  Fragen  an  seine  Schriften,  d.  h.  an  seine  Gedanken  darüber, 
wie  die  Kunst  ausgeübt  werden  soll,  so  wird  man  lauter  negative  Antworten,  Ab- 
weisungen, Warnungen  finden. 

Vor  nichts  hat  er  größere  Angst,  als  vor  der  Einförmigkeit.  Wenn  ein  Maler 
ein  Bild  herstellt,  so  ist  es  in  Leonardos  Augen  «die  größte   Versündigung»    (sommo 


'  Ludwig,  §  37G,  Nr.  385. 
''  Richter  I,  598,  593. 
5  Richter  I,  599. 


—    18    — 

peccatoj  die  üuaicliler  einander  ähnlich  zu  machen,  und  es  ist  ein  großer  Fehler, 
die  Stellungen  zu  wiederholend  Und  nicht  allein  in  ein  und  demselben  Bilde  ist 
dergleichen  zu  vermeiden.  Wer  sich  keine  Rechenschaft  ablegt  von  der  Verschieden- 
heit des  Lebens  ^git^t  all  seinen  Figuren  ein  und  dieselbe 
Form  (fa  sempre  le  figure  sue  in  stampe),  so  daß  sie  alle  Brüder  zu 
sein    scheinen,    was    sehr    zu    tadeln    ist'^ 

Die  allgemeine  Erfahrung,  daß  die  Figuren  eines  Künstlers 
eine  gewiss'eAehnlichkeit  aufweisen,  beschäftigt  seine  Gedanken 
lebhaft.  Er  leugnet  es  nicht,  daß  etwas  Naturgemäßes  darin  liegt;  aber  er  betrachtet 
es  als  eine  Art  Erbsünde  in  der  Kunst,  die  durch  Studium  bekämpft  werden  müsse. 
Es  ist  ein  den  italienischen  Malern  gemeinsamer  Fehler,  sagt  er,  daß  man  die 
Miene  oder  die  Gestalt  des  Künstlers  in  den  vielen  Figuren  wiedererkennt,  die  er 
malt^.  «Ich  habe  einige  gekannt,  die  in  all  ihren  Figuren  sich  selbst  nach  der  Natur 
porträtiert  zu  haben  scheinen,  so  daß  man  in  den  Figuren  die  Gebärden  und  Manieren 
ihres  Schöpfers  sieht.  Ist  der  Meister  flink  in  Rede  und  Bewegung,  dann  sind  auch 
die  Figuren  rasch  und  hurtig;  ist  der  Meister  fromm,  dann  verrenken  sich  auch 
seine  Gestalten  die  Hälse  und  haben  andächtige  Mienen ;  wenn  er  eine  faule  Person 
ist,  dann  machen  seine  Figuren  den  Eindruck  leibhaftiger  Faulheit;  ist  er  schlecht 
proportioniert,  dann  sind  es  die  Gestalten  gleichfalls;  und  ist  er  ein  Narr,  so  offen- 
bart sich  das  zum  Ueberfluß  in  dem  Mangel  an  allem  geschlossenen  und  gesammelten 
Wesen  in  seinen  Gemälden,  indem  die  Figuren  keine  Aufmerksamkeit  für  das  zeigen, 
was  sie  zu  tun  haben,  sondern  im  Gegenteil  die  eine  hierhin,  die  andere  dorthin 
sieht,  als  ob  sie  daständen  und  träumten.  Und  so  ist  jede  Eigenschaft  im  Gemälde 
die  Folge  einer  entsprechenden  Eigenschaft  des  Meisters  selbst>  *.  Besonders  betont 
jedoch  Leonardo  an  mehreren  Stellen,  daß  die  körperlichen  Eigentümlich- 
keiten des  Malers,  d.  h.  das  Unschöne  und  Unregelmäßige  seines  Körperbaues,  auf 
die  von  ihm  dargestellten  Figuren  übergehen  wird.  Der  Maler,  der  plumpe  Hände 
hat,  wird  ähnliche  Hände  auch  in  seinen  Werken  malen,  und  dasselbe  wird  mit 
jedem  anderen  Körperteil  der  Fall  sein,  es  sei  denn,  ein  langes  Studium  habe  ihn 
gelehrt,  dies  zu  vermeiden;^.  Bedarf  man  einer  Autorität  dafür,  daß  es  sich  wirklich 
so  verhält,  dann  kann  man  kaum  eine  bessere  linden  als  einen  Kenner  und  Meister 
wie  Leonardo. 

Er  reflektiert  auch  über  den  Grund  dieses  Phänomens.  Er 
denkt  sich  die  Sache  so,  daß  die  Seele,  die  der  Herr  des  Körpers  ist,  auch  die  Ge- 
stalt des  Menschen  nach  einem  ^unbewußten)  ästhetischen  Urteil  geformt  hat,  z.  B. 
die  Nasen  lang,  kurz  oder  stumpf  gebildet,  die  Größe  und  Gestalt  bestimmt  hat.  Dieses 
Urteil  ist  also  eine  der  seehschen  Kräfte  oder   es    ist  gleichbedeutend    mit    der  Seele 

'  Ludwig,  §   178,  Nr.  250. 
2  Richter  I,  503. 
^  Ludwig,  §  ISO,  Nr.  252. 
*  Ludwig,  §  lOS,  Nr.  73. 
^  Richter  I,  580. 


-      19     — 

.selbst  und  ist  vorhanden  ehe  der  Mensch  es  sich  zu  eigen  gemacht  oder  zum  Be- 
wußtsein geführt  iiat.  So  große  Macht  hat  es,  daß  es  dem  Menschen,  wenn  er  seiner- 
seits GeslaUen  bilden  will,  selbsttätig  die  Hand  führt  und  ihn  so  veranlaßt,  seine 
eigene  Figur  zu  wiederholen.  Dann  es  findet  fast  immer  Gefallen  an  Werken,  die 
dem  gleichen,  was  es  selbst  bei  der  Bildung  des  Körpers  ausgeführt  hat,  und  so 
kommt  es  zu  der  Annahme,  daß  das  gerade  die  wahre  Art  ist,  die  Figur  der  Menschen 
darzustellen,  und  daß  der,  der  es  nicht  so  macht,  es  nicht  richtig  macht.  Und  so 
geht  es  nicht  allein  in  der  Kunst,  sondern  auch  im  Leben.  Wenn  die  Seele  jemand 
findet,  der  ihrem  eigenen  Körper  gleicht,  verliebt  sie  sich  gewöhnlich  in  eine  solche 
Person :  es  ist  deshalb  kein  Weib  so  häßlich,  daß  es  nicht  noch  einen  Liebhaber 
fände  —  wenn  es  nicht  gerade  eine  Mißgeburt  ist.  So  verliebt  man  sich  und  so  ver- 
heiratet man  sich,  und  die  Kinder,  die  in  einer  solchen  Ehe  geboren  werden,  gleichen 
den  Eltern'.  Soweit  Leonardo.  Aber  wenn  wir  die  zuletzt  angeführten  Worte  seiner 
eigenen  Betrachtung  aufgreifen,  dann  können  wir  in  ihnen  wohl  ein  Korrektiv  dazu 
finden.  Er  berührt  nämlich  die  Erblichkeit  der  äußeren  Gestalt  des  Menschen.  Und 
wenn  man  seinen  Eltern  oder  überhaupt  seinen  Vorfahren  seine  plumpen  Hände 
und  alle  anderen  Züge  seines  Aeußeren  verdankt,  so  wird  es  zweifelhaft  sein,  ob  man 
sagen  kann,  daß  es  die  Seele  ist,  die  sich  ihren  Körper  bildet.  Aber  darin  hat  Leo- 
nardo sicherlich  Recht,  eines  Künstlers  Geschmacksurteil  über  die  menschliche  Figur 
ist  nicht  auf  einen  abstrakten  Menschenbegriff  zurückzuführen,  der  überhaupt  keine 
wirkliche  Existenz  besitzt,  sondern  von  etwas  Menschlichem  abhängig  ist,  das  indi- 
viduell existiert,  nämlich  von  ihm  selbst  als  Menschen.  Daß  es  hierbei  nicht  allein  auf 
die  angeborene  seelische  und  körperliche  Veranlagung  des  Künstlers  ankommt,  sondern 
noch  mehr  auf  seinen  bestimmten  gegebenen  Platz  in  einer  historischen  und  kunsthisto- 
rischen Entwickelung,  dafür  scheint  Leonardo  kein  Auge  gehabt  zu  haben.  Sein  Geist 
war  überhaupt  nicht  auf  das  Historische  gerichtet,  und  er  sowie  sein  ganzes  Zeit- 
alter, waren  viel  zu  eifrig  damit  beschäftigt  Kunstgeschichte  zu  machen,  um 
einen  rückblickenden  Begriff  von  einer  kunsthistorischen  Entwickelung  haben  zu 
können. 

Leonardo  gibt  ferner  die  Mittel  zur  Vermeidung  der  Fehler 
an,  die  des  Künstlers  Individualität  seinen  Figuren  zufügen  könnte.  <Der  Maler  soll 
sich  seine  Mustergestalt  nach  den  Regeln  eines  natürlichen  Körpers  bilden,  eines  Kör- 
pers, der  im  allgemeinen  inbezug  auf  die  Proportionen  für 
lobenswert  gilt.  Außerdem  soll  er  seinen  eigenen  Körper  ausmessen  und 
sehen,  in  welchem  Teil  er  wesentlich  oder  unwesentlich  von  der  oben  erwähnten 
lobenswerten  Figur  abweicht ;  und  nachdem  er  sich  das  gemerkt,  soll  er  bei  all 
seinem  Studium  zu  vermeiden  bestrebt  sein,  daß  die  von  ihm  ausgeführten  Figuren 
unter  denselben  Mängeln  leiden,  die  seine  eigene  Person  aufweist'.  —  An  einer 
anderen  Stelle  sagt  er:   «Der  Maler,  der  seinen  Gestalten  schöne  Gesichter  zu  geben 


^  Ludwig,  §  73,  Nr.  108;  §  74,  Nr.  109;  §  499,  Nr.  422. 
«  Richter  I,  587. 


—    20    — 

versteht,  hat  darin  offenbar  ein  großes  Anlockungsmittel.  Und  der  Maler,  der  diese 
Fähigkeit  nicht  von  Natur  aus  besitzt,  kann  sie  durch  folgende  Art  des  Studiums 
von  außen  erwerben:  Achte  darauf,  die  schönen  Teile  vieler  schönen  Gesichter  zu 
wählen  —  solcher,  die  mehr  durch  allgemeinen  Ruf  als 
durch  dein  eigenes  Urteil  für  Schönheiten  gelten,  weil 
du  dich  täuschen  kannst,  indem  du  Gesichter  wählst,  die  mit  deinem  eigenen  Aehn- 
hchkeit  haben;  denn  es  hat  oft  den  Anschein,  daß  solche  Aehnlichkeiten  uns  gefallen; 
und  wenn  du  häßlich  wärest,  so  würdest  du  auch  häßliche  Gesichter  wählen  und 
ausführend 

Ueberall  sonst  —  in  der  objektiven  Welt  —  gestattet  er  jedem,  seine  eigene 
Individualität  zu  haben;  ja,  er  findet  gerade  in  dem  unendlichen  Reichtum  an  Indi- 
vidualitäten eine  Quelle  staunenswerten  Genusses.  Leonardo  sagt  an  einer  Stelle  so 
schön,  wenn  alle  Menschen,  die  in  gleich  hohem  Grade  sich  durch  Schönheit  ausge- 
zeichnet hätten,  wieder  ins  Leben  zurückgerufen  werden  könnten,  so  würden  sie 
eine  Volkszahl  ausmachen,  größer  als  die  seines  ganzen  Zeitalters  und  doch  würden 
nicht  zwei  von  ihnen  einander  durchaus  ähnlich  sehen,  ebensowenig  wie  zwei  Per- 
sonen zu  einer  bestimmten  Zeit  einander  vollkommen  gleichen.  Doch  die  Individuali- 
tät des  Künstlers  in  subjektiver  Bedeutung  ist  für  Leonardo  so  wenig  ein  Quell  der 
Freude,  und  er  ruumt  ihr  so  wenig  Rechte  ein,  daß  er  verlangt,  sie  solle  sich  vor 
einer  gewissen  allgemeinen  Ansicht  darüber,  was  schön  und  regel- 
mäßig in  Gesicht  und  Gestalt  ist,  demütigen.  Weit  davon  entfernt,  selbst  nach  eigener 
Anregung  die  Verkünderin  der  Schönheit  zu  sein,  solle  sie  im  Gegenteil  bei  anderen, 
bei  einer  unbestimmten  Majorität,  sich  genau  erkundigen.  Aber  wo  gibt  es  denn 
eigentUch  das  Werturteil  über  die  Schönheit?  Wer  hat  es?  Man  kommt  ja  zuguter- 
letzt  doch  zu  etwas  Individuellem. 

Aber  Leonardo  tut  der  Individuahtät  Unrecht.  Ja,  er  wird  zuweilen  fast  grob 
gegen  sie.  «Wenn  du  ein  bestialisches  Aeußere  hast»,  sagt  er,  «so  werden  es  deine 
Figuren  auch  erhalten.»  Aber  warum  denn  nicht  einmal  zur  Abwechslung  die  Sache 
umkehren  und  sagen :  Wenn  du  selbst  schön  und  edel  bist,  so  werden  es  deine 
Figuren  auch  sein.  Leonardo  würde  nicht  leugnen  können,  daß  dies  eine  richtige 
Konsequenz  seiner  eigenen  Betrachtung  ist,  und  es  würde  um  so  näher  liegen,  ihm 
dies  zu  sagen,  als  er  ja,  wie  die  Zeugnisse  seiner  Zeitgenossen  bekunden,  ein  so 
schöner  und  vollkommener  Mensch  gewesen  ist  Er  scheint  mit  seinen  theoretischen  Er- 
mahnungen ausschließlich  an  die  gedacht  zu  haben,  die  von  der  Natur  stiefmütterlich 
bedacht  worden  waren ;  und  es  ist  wohl  überhaupt  etwas  Richtiges  daran,  wenn 
man  unermiidlich,  beständig  auf  die  objektiven  P'orderungen  hinweist;  denn  man  weiß 
ja,  daß  Subjektivität  und  Individualität  bei  dem  Künstler  schon  von  selbst  ihr  Recht 
geltend  machen  werden,  und  nicht  sie  ausdrücklich  in  den  Vordergrund  gedrängt  zu 
werden  brauchen.  Aber  so  hat  Leonardo  in  seiner  Theorie  die  reiche  und  positive  Seite 
der  Individualität  als  das  Schönste  vernachlässigt,  das  nur  ein  Künstler  geben   kann, 

^  Ludwig,  §   107,  Nr.  251. 


—    21     — 

der  frisch  und  keck  aus  seiner  eigenen  Natur  schöpft.  Man  soll  außerdem  nicht 
wider  den  Stachel  locken  ;  beruht  es  wirklich  auf  einem  Naturgesetz,  daß  ein  Künstler 
seine  Figuren  in  seinem  eigenen  Bilde  schafft,  dann  nützt  es  nicht  viel,  Rezepte  da- 
gegen zu  geben. 

Und  deshalb  ist  es  auch  so  gegangen,  daß  Leonardo  selbst  all  seinen  strengen 
Warnungen  zum  Trotz,  in  denselben  «Fehler»  verfallen  ist,  den  er  den  übrigen 
italienischen  Malern  vorwirft,  nämlich,  daß  seine  Gestalten,  wie  die  jedes  anderen 
Künstlers  eine  gegenseitige  individuelle  Aehnlichkeit  haben.  Freilich  erkennt  man 
nicht  allein  aus  seinen  Schriften  sondern  auch  aus  seinen  hinterlassenen  Kunst- 
werken sein  starkes  Streben  nach  Universalität;  aber  die  individuelle  und  persön- 
liche Einheit,  die  auf  einer  Naturanlage  und  ihrer  selbständigen  Entwicklung  beruht, 
fehlt  ihm  am  allerwenigsten.  Ein  jeder,  der  seine  Kunst  kennt,  sieht  über  ihr  und 
über  all  ihren  Figuren  ein  höchst  eigenartiges  Künstlergepräge,  das  es  sehr  unwahr- 
scheinlich macht,  daß  er  für  seine  Person  bei  dem  Studium  der  Schönheit  mehr  dem 
allgemeinen  Urteil  als  seinem  eigenen  Geschmacke  gefolgt  sein  sollte.  Und  darüber 
sind  wir  sehr  froh  und  möchten  es  nicht  anders  haben.  Aber  unleugbar  ist  hierbei 
nicht  die  Rede  von  der  äußerlichen  und  mechanischen  Wiederholung  seiner  selbst, 
die  man  bei  gedankenlosen  Praktikern  findet :  Die  Individuahtät  offenbart  sich  bei 
einem  Künstler  wie  Leonardo  auf  eine  reichere  und  tiefere  Art,  durch  einen  inten- 
siveren Kampf  mit  den  Aufgaben,  funkelt  aber  vielleicht  gerade  deshalb  in  um  so 
klarerem  Licht. 


IV, 

Worin  besteht  also  die  Einheit? 

Sie  liegt  zunächst  in  etwas,  das  dem  Ausdruck  angehört.  Vor  allen  anderen 
Künstlern  Italiens  ist  Leonardo  ein  Seelenmaler.  Für  seine  Kunstbetrachtung  war 
der  Ausdruck  auch  die  notwendige  Bedingung  für  künstlerischen  Wert  und  den 
höchsten  Anspruch  auf  Lob,  «Eine  Figur  wird  nicht  lobenswert,  wenn  sie  nicht  ihren 
Seelenzustand  ausdrückt,>  «Die  Figur  ist  die  lobenswerteste,  die  in  ihrer  Bewegung 
am  besten  ihren  Gemütszustand  ausdrückt»  ^  Rein  körperliche  Vollkommenheit, 
Schönheit,  Kraft  schienen  ihm  für  das  künstlerische  Interesse  des  Werkes  weit  we- 
niger zu  besagen,  als  einigen  seiner  großen  Zeitgenossen  —  Michelangelo,  Tizian 
— ,  die  deshalb  auch  einen  größeren  Einfluß  auf  die  Darstellung  der  äußeren  Gestalt 
des  Menschen  ausübten  als  er. 

Von  seinen  Beobachtungen   über  den  menschlichen  Ausdruck  haben  wir  früher 


1  Richter  I,  584.  600. 


09 


verschiedene  Züge  mitgeteilt,  und  seine  Schriften  enthalten  in  Wirkhchkeit  weit  mehr, 
was  hier  übergangen  werden  muli  Seine  Gemälde  und  Zeichnungen  zeigen  eine  un- 
vergleichliche OriginaUtät  und  Feinheit  in  der  Darstellung  der  redenden  Miene,  des 
fragenden  Blickes,  der  Aeußerung,  die  der  Person  auf  der  Zunge  schwebt.  Ganz 
besonders  meisterhaft  weiß  er  eine  angespannte  Wachsamkeit  der  Seele  anzudeuten; 
mit  seinen  Figuren  verglichen,  sehen  alle  Gestalten  der  früheren  Kunst  —  und  auch 
viele  der  späteren  —  aus,  als  ob  sie  in  einem  Schlummer-  oder  Traumzustand  lebten. 
Seine  kriegerischen  Gestalten  zeigen  ihn  als  Darsteller  der  Leidenschaft;  aber  unter 
Leidenschaft  ist  hier  eher  alles  andere  als  das  Schwanken  und  Taumeln  einer  um- 
nebelten oder  aufgelösten  Seele  zu  verstehen :  es  ist  im  Gegenteil  ein  übermäßig  und 
leidensvoll  zusammengedrängter  Zustand  der  Seele,  ihr  schimmernder  Blitz,  ihre 
am  schärfsten  und  feinsten  geschliffenen  Worte. 

Deshalb  ist  in  Leonardos  Kunst  der  Sprung  von  Leidenschaft  zu  Selbstbestimmung 
nicht  groß  obwohl  diese  Bezeichnungen  sonst  etwas  ganz  Entgegengesetztes  an- 
deuten. Der  Ausdruck  des  Bewußtseins  ist  vielleicht  der  all  seinen  Figuren  besonders 
eigene  und  bei  ihnen  stets  wiederkehrend :  das  Zentrum  des  Bewußtseins  scheint 
in  ihnen  tiefer  zu  liegen  als  bei  denen  irgend  eines  anderen  Künstlers.  Sie  sind  so 
klug,  so  distinguiert,  es  ist  etwas  eigenartig  Individuelles  in  ihnen.  Fast  immer, 
wenn  ich  vor  einem  Gemälde  oder  einer  Zeichnung  Leonardos  gestanden  habe, 
ist  es  mir  geschehen,  daß  dieses  Wort  « Bewußtsein >  sich  in  meinem  Gedanken- 
gange von  selbst  als  die  Signatur  von  Leonardos  Gestalten  vorgedrängt  hat,  und  das 
ist  eine  Signatur,  die  noch  nie  ein  anderer  nachmachen  konnte.  Dies  gilt  von  allen 
möglichen  Arten  von  Figuren,  Heiligen  und  Welthchen,  Porträts  und  Idealen,  Engeln, 
Madonnen  und  Hofdamen,  ja,  sogar  von  Kindern  wie  von  Greisen.  Man  achte  dar- 
auf, daß  das  Abendmahlsbild  nach  Leonardos  neuer  Auffassung  dieses  Stoffes  ganz 
und  gar  auf  dem  Begriff  des  Selbstbewußtseins,  auf  dem,  was  die  Personen  von 
sich  selbst  wissen,  aufgebaut  ist.  Das  tiefe  und  umfassende  Bewußtsein  Christi 
umfaßt  das  all  der  Anderen,  und  durch  seine  Worte,  die  sich  an  das  Bewußt- 
sein jedes  Einzelnen  wenden,  wird  dieses  bewegt,  wird  es  plötzlich  zu  wachsamem 
Leben  und  Ausdruck  erweckt :  Das  böse  Gewissen  des  Verräters  und  das  gute  aber 
beunruhigte  Gewissen  der  treuen  Apostel.  Darauf  baut  sich  auch  die  andere  seiner 
reifsten  und  vollendetsten  Kompositionen  auf:  Der  Karton  der  heiligen  Famihe  in  der 
Sammlung  der  Londoner  Kunstakademie  (Abb.  1".^).  Es  ist  ein  Spiel  des  Verständ- 
nisses, eine  Stufenreihe  von  einem  Niedrigeren  zu  einem  Höheren:  der  einfältige 
Kindcrglaube  des  kleinen  Johannes,  das  Staunen  des  erwachenden  Verständnisses  in 
der  heiligen  Anna,  das  tiefe,  eingeweihte  Mitwissen  bei  Maria,  das  wehmütige  Be- 
wußtsein von  dem  Martyrium  der  Zukunft  bei  dem  Jesuskindlein*. 


*  Vor  längerer  Zeit  wurde  ein  Gemälde  weit  und  breit  gerühmt,  das  dei'  bekannte 
und  hoch  verdiente  Direktor  der  Berliner  Galerie,  Dr.  Wilh.  Bode,  xov  kurzem 
aus  dem  Magazin  des  Museums  selbst  hervorgezogen  und  in  der  Sammlung  aufgehängt 
hatte  mit  der  bestimmten  Angabe,  daß  das  Gemälde  von  Leonardo  da  Vinci  sei. 
Eigentlich  eine  unerhörte  Kühnheit,  um  so  mehr,  als  es  an  jedem  originalen  l'okument 


—    23    — 

Und  ist  diese  immer  wiederkehrende  Vorliebe  für  den  Ausdruck  des  Bewußt- 
seins nicht  gerade  etwas,  das  von  dem  Zentralen  in  Leonardo,  von  den  Ansprüchen 
seiner  eigenen  Subjektivität,  herrührt?  Kr  steht  ja  selbst  unter  den  italienischen 
Künstlern  als  der  kluge,  durchdringende,  tiefblickende  Geist  da,  als  Erfasser  so  man- 
cher früh  erkannten  Wahrheiten,  die  für  seine  Zeit  noch  Geheimnisse  waren.  Wie 
sollte  es  ihn  befriedigen  können,  dumme  Dutzendmenschen  zu  malen  ?  Innerhalb  jenes 
ewigen  Strebens  nach  Universalität,  mit  dem  er  die  ganze  menschliche  Peripherie 
musterte,  thronte  das  forschende,  denkende,  verstehende  Ich  selbst,  das  den  Menschen 
in  seinem  Bilde  zu  sehen  verlangte.  Und  wie  merkwürdig  auch  Leonardos  experimen- 
tierende Wirksamkeit  sein  kann  —  siehe  jene  Karikaturen  und  die  übrigen  Studien  des 
Bestiahschen  — ,  so  darf  es  doch  nicht  übersehen  werden,  daß  sie  nur  einen  geringen 
Platz  in  seiner  Produktion  einnimmt,  oder  richtiger:  daß  sie  ein  halb  unterirdisches  und 
verborgenes  Dasein  in  mehr  oder  weniger  flüchtigen  Zeichnungen  führt.  Der  Teil 
seiner  Produktion,  der  im  Lichte  aufwuchs  und  seine  Zeitgenossen  am  meisten  be- 
einflußte, besteht  aus  Gestalten,  wie  sie  nicht  allein  sein  Verstand,  sondern  auch  sein 
Herz  zu  sehen  begehrte. 

Der  Ausdruck  von  Bewußtsein  ist  nicht  allein  Leonardos  Stärke,  sondern  auch 
seine  Achillesferse;  denn  er  läßt  sich  nicht  vereinen  mit  seinem  Gegensatz,  dem 
Naiven,  dessen  Zauber  Leonardo  wirklich  auch  entbehren  muß.  Man  fühlt  es  be- 
sonders, wenn  man  ihn  itn  Vergleich  mit  Baphael,  den  Venezianern  oder  Correggio 
sieht.  Hin  und  wieder  kann  Leonardos  Reflexion  sich  gar  zu  sehr  bemerkbar  machen : 
er  kann  gesucht  werden. 

Und  doch  ist  es  merkwürdig,  daß  dieses  bewußte  Wesen  nicht  mehr  Trocken- 
heit und  Altklugheit  mit  sich  bringt.  Es  vermählt  sich  auf  die  staunenswerteste  Weise 


und  an  allen  literarischen  Nachrichten  über  das  Gemälde  fehlt  und  die  ganze  Fest- 
stellung dem  «Kennerblick»  überlassen  bleibt;  und  eine  Kühnheit,  für  die  Bode  denn 
auch  viel  Uebles  hören  mußte.  Mir  erscheint  es  auch  als  unberechtigt  und  irreführend, 
das  Gemälde,  so  wie  wir  es  nun  sehen,  ohne  weiteres  als  ein  Werk  Leonardos  zu 
bezeichnen.  Meine  Auffassung  äußerte  und  begründete  ich  im  Frühjahr  1885  in  einem 
Brief  ah  Bode,  den  er  in  der  Beilage  zu  den  Jahrbüchern  des  Berliner  Museums 
(«Der  Kunstfreund»)  abdrucken  ließ.  Sie  geht  darauf  aus,  daß  die  mittelste  Figur  des 
Bildes,  ein  dem  Grabe  entschwebender  Christus,  in  keiner  Weise  als  Leonardos  Ar- 
beit betrachtet  werden  kann  ;  wogegen  die  beiden  anderen  Figuren,  ein  Heiliger  und 
eine  Heilige  unten,  beide  knieend,  sicherlich  in  allem  Wesentlichen  von  ihm  sind : 
darauf  deutet  die  ganze  Behandlung;-  und  außerdem  gerade  jener  oben  erwähnte  be- 
sondere Ausdruck  tiefen  Bewußtseins,  den  die  geringeren  Geister  am  allerwenigsten 
haben  nachahmen  können.  Er  hat  seine  Arbeit  unvollendet  oder  richtiger  nur  an- 
gefangen, stehen  lassen,  wie  er  es  ja  zu  tun  pflegte,  und  einer  seiner  späteren  lombar- 
dischen Nachfolger  hat  dann  ein  Altargemälde  daraus  gemacht,  indem  er,  wie  ich 
glaube,  den  ursprünglichen  Gedanken  dadurch  veränderte,  daß  er  einen  schwebenden 
Christus  an  einem  Platz  anbrachte,  wo  sich  Leonardo  eher  einen  Christus  am  Kreuz 
dachte.  —  Es  muß  übrigens  anerkannt  werden,  daß  es  für,"  die  Berliner  Galerie  im 
Ganzen  ein  großer  Gewinn  gewesen  ist,  einen  Sammler  und  Leiter  wie  Bode  zu  haben, 
der  so  rasch  zugreift  und  sich  lieber  der  Gefahr  aussetzt,  sogar  einen  ernsthaften 
Fehler  zu  begehen,  als  einen  großen  Wert  sich  unter  den  Händen  entgleiten  oder  un- 
genutzt liegen  zu  lassen. 


—     24     — 

mit  dem  reichsten,  wärmsten,  schmelzendsten  Gefühl  einer  raffiniert  süßlichen  Empfind- 
samkeit und  außerdem  mit  einer  sichtlichen  Vorliebe  für  die  ganz  jugendliche  und 
feine  Gestalt.  Hierfür  habe  ich  früher  Beispiele  nachgewiesen  in  den  Entwürfen  zu  dem 
Monument  Francesco  Sforzas,  in  denen  Leonardo  den  alten  Heerführer  und  Regenten 
in  eine  junge  Idealfigur  verwandelt  hatte.  Betrachtet  man  Leonardo  als  Glied  in  der 
Entwicklung  der  italienischen  Kunst,  so  sieht  man  ganz  deutlich,  wie  die  Bewegung 
im  Ganzen  die  Richtung  auf  das  Jugendlich-Ideale  niunnt.  Er  hat  die  herrlichsten 
Gestalten  von  Greisen  und  entwickelten  Männern  geschaffen ;  aber  inbezug  auf  Gehalt 
und  Kraft  in  der  Charakteristik  der  voll  entwickelten  Männlichkeit  bietet  er  kaum 
mehr  als  Masaccio,  Donatello,  Mantegna  oder  Verrocchio  (in  der  Statue  Colleonis). 
Auf  diesem  Gebiet  liegt  das  Neue,  das  er  brachte,  weit  mehr  in  dem  reichen  und 
wahren  dramatischen  Leben.  Aber  seine  Behandlung  des  weichen  und  feinen  Tones 
des  Jugendlichen  und  Weiblichen  machte  durchweg  Epoche  für  die  nachfolgende 
lombardische  Kunst,  bei  der  sein  Einfluß  sich  noch  mehr  zur  Geltung  brachte  als  bei 
der  florentinischen.  Gorreggio  steigerte  dann  diese  Vorliebe  für  das  Jugendliche  bis 
ins  alleräußerste  Extrem. 

Sehr  bezeichnend  für  Leonardos  jugendliche  Gestalten  ist  das  Lächeln  über 
ihrem  Antlitz.  Das  Lächeln  ist  in  einer  Hinsicht  etwas  sehr  Altes  in  der  Kunst;  aber 
wie  es  sich  bei  ihm  zeigt,  ist  es  trotzdem  etwas  wesentlich  Neues.  Es  wäre  hier 
eigentlich  angebracht,  in  aller  Eile  so  eine  Art  Uebersicht  darüber  zu  geben,  wie  das  Lä- 
cheln in  der  Geschichte  der  älteren  Kunst  aufgetreten  ist,  wie  es  zeitweise  hervor- 
bricht und  zeitweise  wieder  verschwindet.  Es  ist  gleichsam,  als  sähe  man  über  eine 
Landschaft  hinaus,  die  abwechselnd  vom  Licht  der  Sonne  gestreift  wird  und  dann 
wieder  im  Schallen  der  vorübereilenden  Wolken  liegt, 

Uas  stramme  und  harte  selbstbewußte  Lächeln  um  die  Lippen  der  alten  Aegypter 
und  Assyrer  bezeichnet  ein  gewisses  Triumphgefühl,  das  sich  am  besten  für  Despoten 
eignet,  die  in  dem  Glauben  an  ihre  eigene  Unüberwindlichkeit  leben;  denn  der  des- 
potische Monarch  war  der  erste  Herr  in  der  Kunst  und  ihr  Ideal,  und  nach  seinem 
Bilde  wurde  auch  das  Bild  der  anderen  Menschen  geschaffen.  Noch  bei  den  alten 
Griechen  finden  wir  ein  verwandtes  liefühl:  uns  allen  ist  wohl  das  steife,  einförmige 
Lächeln  aller  Figuren  aus  Aegina  in  der  Erinnerung.  Es  scheint  zu  sagen,  ob  nun 
ein  Mann  falle  oder  siege,  so  zieme  es  sich  für  ihn  «gute  Miene>  zu  machen.  Aber 
nachdem  die  Griechen  handelnd  und  denkend  gezeigt  halten,  wie  schwach  es  in 
Wirklichkeit  bei  den  Orientalen  um  das  Selbslverlrauen  und  den  Glauben  an  die 
Unveränderlichkeit  des  Glückes  bestellt  war,  haben  sie  sicherlich  jenes  alte  ewige 
Lächeln  als  etwas  Törichtes  betrachtet :  jedenfalls  nahm  das  Antlitz  jetzt  den  ruhigen 
großartigen  Ernst  an,  der  uns  besonders  in  der  Kunsl  aus  dem  Zeitalter  des  Peri- 
kles,  der  Periode  des  Phidias,  imponiert.  Ungefähr  ein  Jahihundert  hindurch 
lächelt  nun  die  griechische  Kunst  gar  nicht;  erst  eine  ganz  neue  Künstlcigeneration, 
aufgewachsen  unter  dem  Einiluß  der  intimeren  Vertiefung  der  IMiilosophen  und  Dichter 
in  die  menschliche  Subjektivität,  zieht  es  wieder  hervor,  fein  diskret,  echt  mensch- 
lich, besonders  weiblich.     So  z.  ß.    bei  Praxiteles'  knidischer  Aphrodite   oder  seineni 


—    25     — 

Hermes  aus  Olympia,  dessen  Kopf  —  beiläufig  gesagt  —  inbezug  auf  den  Ausdruck 
ein  wenig  an  die  Köpfe  von  Leonardo  da  Vinci  erinnert.  So  auch  bei  Malern  wie 
Apelles  usw. 

Aber  in  der  Kunst  des  Altertums  wird  trotzdem  niemals  viel  gebichelt:  wo  man 
nach  den  Voraussetzungen  unserer  Zeit  muntere  Gesichter  erwarten  sollte,  trifft  man 
doch  meist  «erhabene  Mienen». 

lieber  den  frühesten  Bildern  von  Christus  als  dem  «guten  Hirten»  (aus  den  Ka- 
takomben) liegt  oft  ein  mildes  und  freundliches  Lächeln  wie  eine  Art  Vorbote  einer 
fernen  Zukunft  in  der  Kunst ;  im  übrigen  weist  die  ältere  christliche  Kunst,  besonders 
nachdem  sie  sich  über  die  Welt  verbreitet  und  in  den  hienst  des  Christentums  als 
Staatsreligion  gestellt  hatte,  Gesichter  von  beinahe  abschreckendem  Ernst  auf.  Und  so 
blieb  es  lange  Zeit.  Wenn  man  in  Erwartung  des  baldigen  Weltunterganges  und  des 
herannahenden  jüngsten  Gerichts  umhergeht,  ist  man  nicht  zum  Läclieln  aufgelegt.  Es 
würde  der  Mühe  lohnen  in  Erfahrung  zu  bringen,  ob  in  der  ganzen  europäischen  Kunst 
seit  dem  Untergang  des  Altertums  bis  gegen  das  Jahr  12u0  sich  überhaupt  ein  lächelndes 
Antlitz  finden  läßt.  Dann  aber  —  also  gleichzeitig  mit  der  frühesten  Entwickelung  des 
gotischen  Baustils  —  findet  das  Lächeln  sich  wiederum  als  Ausdruck  eines  gewissen 
allgemeinen  Gefühls  individueller  Freiheit  und  Glückseligkeit  ein.  Man  findet  es  bei 
den  Statuen  der  mitteleuropäischen,  besonders  der  französischen  Kathedralen ;  leb- 
haft zündend,  freundlich  und  höflich,  echt  französisch  könnte  man  oft  sagen,  und 
eigenthch  mehr  weltlich  als  religiös  im  Ausdruck.  Da  die  Kunst  noch  außerstande 
ist,  die  feineren  reicheren  Uebergänge  in  der  Form  zu  beherrschen,  so  wirkt  es  etwas 
steif  und  maskenhaft.  Und  seit  der  Zeit,  unter  dem  reicheren  Katholizismus  des 
späteren  Mittelalters,  auch  unter  dem  beginnenden  ReaUsmus  in  Burgund  und  den 
Niederlanden  sind  die  lächelnden  Gesichter  nicht  ganz  selten.  Sie  sind  freilich  im 
nördlichen  Europa  häufiger  als  in  Italien,  wo  sie  zwar  (z.  B.  bei  Fiesole  Robbia)  vor- 
kommen, wo  aber  die  Kunst  doch,  bis  zu  Leonardos  Zeiten  hinauf,  einen  sehr  zurück- 
haltenden, zuweilen  sogar  sehr  strengen  Ausdruck  erhält. 

Trotz  der  langen  Vorgeschichte  des  Lächelns,  von  der  Leonardo  selbst  nur 
einen  äußerst  geringen  Begriff  hatte,  ist  man  immerhin  berechtigt,  ihn  als  dessen 
eigentlichen  Entdecker  zu  bezeichnen.  Niemand  hat  es  in  seiner  seelischen  Tiefe  auf- 
gefaßt wie  er,  niemand  in  dieser  Weise  seine  Geheimnisse  offenbart.  Er  führt  es  ein, 
wo  es  nie  zu  Haus  gewesen  —  im  Porträt  —  natürlich  das  zu  jugendliche  und 
weibliche.  Wie  er  in  seinen  historischen  Kompositionen  kräftiger  als  seine  Vorgänger 
das  augenblickliche  Seelenleben  betont,  so  gibt  er  sogar  dem  Porträt  den  Cha- 
rakter des  Augenblickhchen,  und  das  gerade  durch  das  Lächeln:  denn  das  erhöhte 
seelische  Leben,  welches  das  Lächeln  dem  Antlitz  verleiht,  ist  ja  infolge  seines  Wesens 
etwas  Vorübergehendes,  etwas  Bewegliches  und  Unruhiges ;  nichts  macht  derart, 
den  Eindruck  widerwärtiger  Falschheit  als  ein  ständiges  Lächeln.  Bei  Leonardo 
zeigt  es  sich  ganz  und  gar  in  seinem  wahren  und  flüchtigen  Charakter.  Es  machte 
geradezu  Epoche  in  der  Geschichte  der  Kunst,  ja  man  darf  vielleicht  hin/.ufügen  :  in 
der  Geschichte  der  Sitten,  es  eröffnete  einen  verborgenen  Schatz  menschlicher  Freude 


-     26     - 

und  Wärme,  um  den  sich  immer  mehr  scharten,  wie  wenn  ein  Goldlager  gefunden 
wird.  Es  war  vor  allen  Dingen  die  lombardische  Schule,  z.  B.  Luini  und  ganz  be- 
sonders Correggio,  die  sich  den  Fund  aneignete.  Jeder  benutzte  ihn  in  seinem 
Geiste'.  Allmählich,  im  17.  und  1<S.  Jahrhundert,  wurde  es,  besonders  in  der  franzö- 
sischen Kunst,  in  dem  unleidlichsten  Maße  erniedrigt  und  triviahsiert ;  es  wurde  zu 
dem  billigsten  Modeputz,  den  zuletzt  kein  Porträt  entbehren  konnte.  In  der  Periode 
des  großen  Ludwigs  lächeln  sogar  Könige  und  Minister,  Generäle  und  Erzbischöfe, 
alle,  als  w^iren  sie  junge  Mädchen,  die  in  einen  Ballsaal  treten. 

Aber  in  der  Kunst  Leonardos,  wie  in  der  keines  anderen,  hat  das  Lächeln  eine 
wirkhche  mysteriöse  Kostbarkeit:  man  fühlt,  daß  er  selbst  der  Entdecker  des  Schatzes 
ist  und  mit  Ehrfurcht  seinen  Wert  ahnt.  Wie  verhielt  es  sich  eigentlich  mit  diesem 
klugen  Manne,  diesem  vertieften  Denker,  der  zugleich  schön,  stattUch,  unterhaltend 
war  wie  kein  anderer?  In  dem,  was  man  von  seiner  Biographie  kennt,  findet  sich 
keine  Spur  von  Liebe  zu  einem  Weibe;  und  in  seiner  Kunst  trittj^er  als  ein  ent- 
zückter Liebhaber  auf,  dem  die  Weibesseele  ihre  Knospe  erschlossen  und  zum  ersten 
Male  den  süßen  Duft  aus  ihrem  Becher  gesandt  hat.  Sie  schmilzt  und  schmilzt,  lockt 
und  lockt;  aber  dann  steht  wieder  jener  tiefe  und  eigenartige  Ausdruck  des  Selbst- 
bewußtseins auf  der  Wacht  vor  dem  Heiligtum  und  schützte  es  dagegen,  eitel  auf- 
gefaßt zu  werden,  umgibt  es  mit  einem  unbeschreiblich  vornehmen  «Noli  me  tangere». 

Während  des  Lebens  an  einem  Fürstenhofe  ging  all  dies  Leonardo  zuerst  auf. 
Und  der  Hof,  den  Lodovico  il  Moro  Ende  des  15.  Jahrhunderts  in  Mailand  hielt,  sieht 
—  was  Tugend  und  Ehrbarkeit  anlangt  —  in  keinem  guten  Ruf.  Doch  Leonardos 
Bilder  von  seinen  Persönlichkeiten  geben  ihm  trotzdem  eine  Rechtfertigung :  mögen 
seine  Sitten  auch  noch  so  wenig  moralisch  reguliert  gewesen  sein,  so  müssen 
seine  Menschen  doch  unendlich  viel  frischer,  inhaltsreicher,  ursprünghcher  gewesen 
sein  als  z.  B.  das  Gezücht,  das  Ludwig  XV.  in  Versailles  umgab.  Das  Gesehene 
hängt  keineswegs  von  den  Augen  ab,  die  sehen;  dies  würde  voraussetzen,  daß  die  Kunst 
eine  Art  Halluzination  sei.  Selbst  die  genialste  Kunst  muß  reale  Impulse  in  dem  sie 
umgebenden  Leben  haben;  und  die  schlechte  und  wertlose  Kunst  gedeiht  nur  in 
schlechter  Umgebung.  Wenn  Leonardos  Bilder  uns  die  köstlichsten  Juw^elen  mensch- 
lichen Wesens  vorstellen,  so  kam  dies  nicht  allein  daher,  daß  er  ein  großer  Künstler 
war,  sondern  auch  weil  Italien  eine  Fülle  ausgezeichneter,  glänzender  Menschen  be- 
saß. Sie  waren  sehr  sündhaft,  vom  sozialen  Standpunkt  aus  betrachtet,  und  die 
sozialen  Zustände  waren  schrecklich ;  aber  es  dauerte  eine  geraume  Zeit,  ehe  die 
Zustände  dem  Geschlecht  das  Mark  ausgesogen  hatten. 

Leonardo  meinte  indessen  nicht,  daß  das  Lächeln  notwendigerweise  zu  einem 
Frauenporträt  gehöre :  dann  wäre  es  ja  etwas  rein  Konventionelles  gewesen,  das 
keine  Beziehung  zur  Indivichuilitäl  halte,  i'^ines  seiner  Porträts  der  Schönheiten  in 
Mailand,  das  herrliche  Brustbild  in  der  Louvre-Galerie,  das  sogenannte  la  belle  fer- 
roniere,   lächelt  nicht,    sondern  wendet  seinen  ernsthafien  Blick  voll  und  groß  dem 


^  Ich  verweise  auf  meine  Artikel  über  Correggio. 


—     27     — 

Beschauer  zu.  Aber  auf  den  anderen  Gesichtern  dieser  Art,  die  er  gezeichnet  und 
gemalt  hat,  findet  sich  das  I^ächeln,  verschieden  je  nach  der  Persönlichkeit  des  ein- 
zelnen Weibes,  aber  als  ein  gemeinsames  Zeugnis  von  der  frohen  Munterkeit  der 
Seele,  freilich  auch  von  einer  gewissen  Leichtigkeit  im  Umgangston,  ein  kleines 
Gramm  Ironie,  wie  es  für  einen  Hof  paßt :  mit  Leonardos  Porträts  weiblicher  Schön- 
heiten verglichen,  sehen  die  der  älteren  Künstler  alle  miteinander  so  merkwürdig 
mürrisch  und  provinziell  aus. 

Das  älteste  von  Leonardos  Mailänder  Üamenporträts  ist  sicherlich  das  Profilbild 
in  der  Ambrosiana  zu  Mailand,  ganz  jugendlich,  fast  kindlich  munter^  lAbb.  11). 
Dann  ist  da  die  herrliche  Rötheizeichnung  von  der  jungen  Dame,  die  die  Arme  ver- 
schränkt und  ihren  Kopf  so  prächtig  auf  dem  stolz  zurückgebogenen  Hals  trägt 
und  unter  den  gesenkten  Augenlidern  herabblickt.  Sie  ist  jugendlich  stolz  und  über- 
mütig und  hat  hinter  ihrer  hohen  wolkenlosen  Stirn  eine  ziemlich  erhabene  Vor- 
stellung von  der  Macht  ihrer  eigenen  Anmut ;  aber  wie  hebenswürdig  und  wonnevoll 
wirkt  nicht  das  Lächeln,  das  ihre  Lippen  kräuselt  !  Womöglich  noch  besser  ist  das 
Pastellbild  in  der  Ambrosiana,  das  Porträt  einer  jungen  Frau,  ein  wunderschönes 
Gesicht,  das  geradeaus  blickt,  so  daß  die  Umrisse  des  Scheitels  mit  dem  reichen 
vollen  Haar,  das  aufgelöst  über  den  Nacken  fällt,  einen  ungewöhnlich  stolzen  und 
großartigen  Eindruck  machen.  Sie  lächelt  halbversteckt  und  senkt  die  Augenlider, 
als  ob  sie  sich  plötzlich  von  einem  Blick  getroffen  gefühlt  hätte,  der  ihr  ein  all- 
zu unverkennbares  Geständnis  zu  enthalten  schien.  Dieses  Porträt  ist  auch,  meiner 
Ansicht  nach,  dadurch  besonders  beachtenswert,  daß  es  mehr  als  alle  anderen  Leo- 
nardos idealen  Frauentypus  mit  seinen  weichen  Formen,  seiner  spitz  zulaufenden 
Nase  und  dem  schmallippigen  Mund,  diesem  Typus,  der  von  Leonardo  auf  die  ganze 
lombardische  Kunst  überführt  wurde,  sich  auf  die  Persönhchkeit  eines  einzigen  wirk- 
hchen  Weibes  zurückführen  läßt. 

Die  gesenkten  Augenlider  kommen  häufiger  bei  Leonardo  mit  einer  für  ihn 
höchst  charakteristischen  Bedeutung  vor:  so  viel  unausgesprochene  Gedanken  und 
zurückgehaltene  Ansichten  können  sich  unter  ihnen  verbergen,  z.  B.  bei  den  Haupt- 
personen im  «Abendmahl»  (Christus)  und  auf  dem  Karton  in  London  Maria,  Abb.  12). 
Besonders  sei  an  drei  Köpfe  von  Leonardos  Hand  erinnert:  alle  in  vorgebeugter 
Stellung  und  alle  im  Profil  gesehen.  Der  eine,  übrigens  zweifellos  echte,  ist  eine  äußerst 
sorgsame,  beinahe  peinlich  durchgeführte  Kreidezeichnung  in  Florenz,  mit  einem 
etwas  gesuchten,  etwas  sentimentalen  Lächeln  (Abb.  13);  der  zweite  gleichfalls  in 
Florenz,  ist  ein  leichter  Entwurf  in  Oel,  grau  in  grau  von  schhchterem  ernsthafterem 
Ausdruck.  Der  letzte  endlich  in  der  Galerie  zu  Parma  sehr  ausgearbeitet,  ebenfalls 
grau  in  grau,  in  Oel,  zeigt  am  deuthchsten,  daß  die  ganze  Reihe  Annäherungsversuche 


'  Es  ist  mir  unmöglich,  an  dieser  Stelle  darauf  Rücksicht  zu  nehmen,  daß  Iwan 
LermoUeff  (Giovanni  Morelli),  dessen  grenzenlos  willkürliches  Sehalten  und  Walten 
mit  dem  künstlerischen  Eigentum  der  großen  italienischen  Maler  ich  schon  früher 
einer  Kritik  unterzog,  auch  Leonardo  dieses  Porträt  (und  noch  andere)  absprechen 
wollte. 


—     28     — 

an  irgend  eine  Figur  eines  kirchlichen  Gemäldes  bezeichnet.  Es  ist  einer  von 
Leonardos  kostbarsten  Ausdrücken,  ein  Honigtropfen  der  Seele.  Die  Augenlider  sind 
fast  vollständig  über  den  Blick  gesenkt,  der  Mund  lächelt  ganz  fein  und  leicht,  froh- 
bewegt und  doch  mit  einer  gewissen  unaussprechlichen  Wehmut.  Als  Leonardo 
während  eines  Aufenthaltes  in  Florenz  in  den  ersten  Jahren  des  IG.  Jahrhunderts 
die  schöne  florentinische  Bürgersfrau  Mona  Lisa  malte  (Abb.  14),  sorgte  er,  wie  Va- 
sari  erzählt,  während  der  Sitzung  unablässig  für  Musik  und  Tanz  und  lustige  Ge- 
sellschaft, die  die  Seele  der  Dame  munter  erhielten  und  das  Gepräge  von  Lange- 
weile und  Verstimmtheit  entfernten,  das  man  so  häufig  auf  Porträts  sieht.  Nirgends 
als  in  diesem  Porträt  fühlt  man  in  Wirklichkeit,  wie  Leonardo  darauf  bedacht  war, 
die  harte,  kalte  Schale  zu  entfernen,  die  den  Ausdruck  der  Seele  umgeben  kann,  um 
uns  in  ihre  glühende,  reich  bewegte  Tiefe  blicken  zu  lassen.  Es  hängt  nun  an  seinem 
Ehrenplatz  im  Louvre  in  der  Nähe  von  Meisterwerken  Raphaels  und  Tizians,  Rem- 
brandts  und  van  Eycks  ;  aber  es  ist  nicht  übertrieben,  wenn  man  behauptet,  daß  all 
die  anderen  Köpfe  maskenhaft  aussehen  neben  diesem,  der  doch  im  Laufe  der  Zeit 
schwärzer  und  farbloser  geworden  ist,  als  all  die  anderen.  Sein  Ausdruck  ist  wie 
flackernde  Flammen  oder  wie  strömendes  Wasser,  reich,  unbestimmt,  unendlich 
mannigfaltig  wie  die  menschliche  Seele  selbst.  Unmöglich  zu  sagen,  was  es  ausdrückt. 
Jedenfalls  nichts  ethisch  Zweifelloses  und  Zuverlässiges,  wie  der  Ausdruck  in  nordi- 
schen Porträts  z.  B.  von  Memling,  Dürer,  Holbein.  Es  ist  Milde,  eine  gewisse  musi- 
kalisch klingende  Freude,  einschmeichelnde  Süßigkeit  und  wiederum  dieses  unbe- 
schreiblich Vornehme,  Distinguierte  in  Haltung  und  Bewußtsein :  hierin  steht  jedes 
Königinnenporträt  hinter  dem  dieser  Bürgersfrau  zurück.  Man  hat  zugleich  in  ihrem 
Ausdruck  etwas  Heimtückisches,  etwas  «Katzenartiges»,  eine  «Giftmischerin»,  jeden- 
falls etwas  Unruhiges,  Gefährhches  gefunden.  Es  ist  eine  unergründliche  Tiefe  all  der 
Möglichkeiten  in  dieser  jungen,  noch  in  keiner  einzelnen  Richtung  gefestigten  Seele. 

Dem  entspricht  auch  das  Eigenartige  in  Leonardos  malerischer  Technik. 

Man  muß  es  bewundern,  sagt  Vasari,  wie  Leonardos  Genie  in  seinem  Bestreben, 
dem  Gegenstande  Rundung  zu  geben,  nach  der  Erfindung  und  Darstellung  einer 
schwarzen  Farbtinte  trachtete,  die  schwärzer  war  als  alles,  was  man  bisher  gekannt 
hatte,  und  von  der  dies  Leuchten  noch  leuchtender  abstechen  konnte.  Endlich  gelang 
es  ihm  denn  auch,  jene  vollkommen  dunklen  Tinten  zu  finden,  in  denen  gar  kein 
Licht  mehr  ist,  und  die  sich  besser  dazu  eignen,  die  Nacht  wiederzugeben  als  auch 
nur  den  schwächsten  Tagesschimmer.  Aber  all  das  tat  er,  um  dem  Gegenstande  Run- 
dung und  die  letzte  Vollendung  zu  geben. 

Es  hegt  in  diesem  Suchen  Leonardos  nach  dem  Schwarz  etwas,  woran  man  auf 
eine  bedauernswerte  Weise  erinnert  wird,':"wenn  man  das  alte,  jetzt  so  schwarze  und 
farblose  Porträt  der  Mona  Lisa  sieht.  In  seinem  unablässigen  Experimentieren  mit 
neuen  und  unerprobten  Methoden  w^ar  Leonardo  ein  unvorsichtiger  Techniker,  und 
das  haben  seine  Bilder  entgelten  müssen,  die  sich  darüber  schwarz  gegrämt  haben. 
Aber  es  ist  auch  sein  Suchen  nach  dem  Schwarzen,  dem  das  Porträt  seine  Vortreff- 
lichkeit schuldet.  Nicht  um  der  Schwärze  selbst  willen  machte  er  jene  Experimente ; 


—     29     — 

was  er  wollte,  war,  die  ganze  Tonskala  zwischen  dem  höchsten  Licht  und 
dem  tiefsten  Schatten  zu  erweitern,  er  wollte,  um  ein  Gleichnis  aus  der  Musik 
anzuwenden,  das  Klavier  links  und  rechts  um  neue  Saiten  vermehren.  Das  wollte 
er,  wie  Vasari  sagt,  der  Rundung  wegen,  oder  vielleicht  noch  genauer:  der  feineren 
und  reicheren  Uebergänge  wegen.  Er  schob  die  Außenpunkte  zu  beiden  Seiten 
möghchst  weit  hinaus,  um  sich  mehr  Nuancen  zu  schaffen.  Sie  sollten  ihm  dazu  dienen 
den  volleren,  feineren  Ausdruck  für  den  Reichtum  der  Seele  zu  geben.  Auf  diese 
Weise  wurde  es  ihm  möglich,  alles  zu  überwinden,  was  in  der  Formgebung  seiner 
Vorgänger  und  Zeitgenossen  steif  und  maskenhaft  war. 

Es  war  ganz  überwiegend  die  Form,  die  ihn  interessierte.  Er  modellierte  in 
seinen  Gemälden  die  Form  völlig  fertig,  mit  Licht  und  Schatten  («Ghiaroscuro»,  «grau 
in  grau>)  sogar  bis  zur  äußersten  Feinheit,  ehe  er  nie  Farbe  auftrug.  Die  Farbe 
wurde  also  gewissermaßen  nur  eine  Kolorierung  mit  leichten  durchsichtigen  Lasu- 
ren, wodurch  sich  erstens  erklärt,  daß  sie  sich  im  Laufe  der  Zeit  so  schlecht  ge- 
halten hat,  zweitens,  daß  sie  in  keiner  Weise  benutzt  worden  ist  um  das  eigentlich 
Stoffliche  des  Körpers  zu  charakterisieren. 


Bemerkungen  über  Leonardo  da  Vinci. 

Leonardos  Gemälde  hat  man  jetzt  an  die  vier  Jahrhunderte  gekannt  und  geehrt: 
nicht  allein  hat  die  Kunstgeschichte  sie  in  ihr  goldenes  Buch  eingeschrieben ;  sondern 
eines  von  ihnen  —  das  Abendmahlsbild  in  Mailand  --  ist  durch  Abbildungen  und 
Besprechungen  fast  bekannter  geworden  als  irgend  ein  anderes  Kunstwerk  der  Well. 
Man  hat  auch  immer  gewußt,  daß  der  Maler  nur  die  eine  Seite  dieses  großen  Mannes 
war,  daß  er  gleichzeitig  Bildhauer,  Denker,  Schriftsteller,  Virtuose  in  vielen  Beziehungen 
gewesen  ist,  und  daß  seine  mannigfachen  nachgelassenen  Manuskripte  eine  Fülle  von 
Studien  in  allerhand  Naturforschung,  Aesthetik,  Philosophie  usw.  usw.  enthielten.  Die 
größten  und  ausgesuchtesten  öffentlichen  und  privaten  Bibhotheken  waren  stolz  dar- 
auf, irgend  ein  Manuskript  des  Mannes  zu  besitzen,  den  man  den  genialsten  genannt  hat, 
der  je  gelebt  hat.  Aber  leider  wußte  niemand  recht,  was  in  ihnen  stand  :  man  wußte 
nur  so  ungefähr,  wovon  sie  handelten  und  hatte  nur  ein  wenig  in  den  Inhalt  hinein- 
geguckt. So  hellten  sie  das  Sein  dieses  Mannes  für  uns  nicht  auf,  sondern  umgaben 
eher  seinen  Namen  mit  einer  gewissen  mystischen  Dunkelheit,  einem  Ruhm  fast  ma- 
gischer Universalität,  die  nicht  genauer  definiert  wurde,  aber  umso  größere  Anziehungs- 
kraft auf  die  Phantasie  ausübte. 

Weshalb  hat  man  sich  denn  nicht  schon  längst  hingesetzt,  um  sie  zu  lesen? 
Ja,  das  ist  leichter  gesagt  als  getan.  Sie  sind  ringsum  verstreut,  auch  ni  privaten 
Bibhotheken,  die  nur  schwer  zugänglich  sind.  Leonardos  Manuskripte  sind  außerdem 
keine  Abhandlungen,  die  ins  Reine  geschrieben,  druckfertig  vorliegen,  sondern  treie 
und  flüchtige  Aufzeichnungen  ohne  jede  systematische  Ordnung,  abgefaßt  m  emem 
Italienisch,  das  jetzt  veraltet  ist  und  mit  einer  Orthographie,  die  vollständig  jeder 
Regelmäßigkeit    entbehrt   —   aus    einem   Zeitalter,   das   überhaupt   keine    regelrechte 


—     30     — 

Orthographie  hatte.  Ferner  wurde  die  Lektüre  dadurch  erschwert,  daß  Leonardo  nicht 
wie  andere  honnette  Menschen  von  links  nach  rechts,  sondern  wie  die  Orientalen 
von  rechts  nach  Hnks  schrieb.  Ohne  rechthaberisch  zu  sein,  möchte  ich  mir  die  Ver- 
mutung erlauben,  daß  er,  der  inbezug  auf  Feinheit  und  Präzision  in  der  künstle- 
rischen Arbeit  das  Aeußerste  erstrebte,  eine  Verteilung  der  Arbeit  zwischen  seine 
beiden  Hände  einführen  wollte,  in  der  Weise,  daß  die  Rechte  die  eigentliche  künst- 
lerische Wirksamkeit  übernahm  und  von  der  gewohnheitsmäßigen  einförmigen  Be- 
wegung befreit  wurde,  die  mit  dem  vielen  Schreiben  verbunden  und  die  allerdings  der 
Kunst  nicht  dienlich  ist  —  während  die  Linke  in  den  Dienst  der  Literatur  trat.  Aber 
was  für  einen  Grund  es  auch  haben  mag,  so  ist  diese  Handschrift  für  den  Leser 
sehr  abschreckend,  und  verlangt  eine  ganz  spezielle  Uebung  und  Gew'ohnheit.  Die 
meisten  Erfahrungen,  sollen  gezeigt  haben,  daß  man  viel  weiter  kommt,  wenn  man 
einige  Zeit  auf  systematische  Einübung  in  die  Lektüre  einer  derartigen  Schrift  ver- 
wendet, als  w'enn  man  sie  in  einem  Zuge  liest. 

Aber  die  äußeren  Schwierigkeiten  ließen  sich  überwinden  ;  daß  man  ein  ernst- 
haftes Studium  der  Manuskripte  solange  aufgeschoben  hat,  läßt  sich  nur  aus  inneren 
und  historischen  Gründen  erklären. 

Leonardos  eigene  Zeitgenossen  hatten  sich  einiges  aus  seiner  Niederschrift  an- 
geeignet und  verbreitet,  besonders  den  Teil,  der  von  der  Malerei  handelt,  und  der 
seit  dem  10.  Jahrhundert  unter  dem  Namen  Trattato  della  Pittura  bekannt  ge- 
worden ist,  obwohl  sie  eigentlich  von  Leonardos  Hand  nie  eine  gesammelte  Abhand- 
lung sondern  nur  eine  Menge  Aufzeichnungen  gewesen  zu  sein  scheint. 

Doch  im  übrigen  muß  anerkannt  werden,  daß  seine  eigene  Zeit  nicht  hinreichend 
imstande  war,  seine  wissenschaftlichen  Aphorismen  zu  verstehen.  Inwiefern  sie  im 
einzelnen  einigen  Einfluß  ausgeübt  haben  und  wie  weit  dieser  ging  —  darüber  läßt 
sich  jetzt  allerdings  unmöglich  etwas  sagen.  Jedenfalls  kam  bald  eine  Zeit,  da  sie  nicht 
mehr  das  Interesse  hatten,  das  sich  an  Aktuelles  knüpft,  indem  die  Wissenschaft 
schon  auf  anderen  Wegen  über  seine  Entwicklungsstufe  hinausgekommen  war.  Auch 
machte  sich  erst  gegen  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  jenes  rückblickende  historische 
Interesse  geltend,  das  erforderlich  ist,  wenn  man  sich  in  ein  überwundenes  Stadium 
der  fortschreitenden  Entwicklung  der  Wissenschaft  vertiefen  soll.  Aber  in  unserem 
Jahrhundert  haben  sich  viele  von  der  großen  Aufgabe  angezogen  gefühlt,  seine  Manu- 
skripte zu  lesen,  herauszugeben  und  auszulegen.  Ich  erinnere  mich  aus  meiner  Jugend, 
wie  ein  später  weltbekannter  Literarhistoriker  und  Kritiker  ^  sich  versucht  fühlte, 
dieses  Werk  auszuführen,  für  das  er  auch  eine  bedeutende  Energie  und  Intelligenz 
mitgebracht  hätte,  und  ich  habe  kürzlich  aus  dem  Ausspruch  eines  Franzosen  er- 
sehen, daß  es  vielen  wie  ihm  erging. 

Nun  ist  es  geschehen.  18<S3  erschien:  The  literary  w'orks  of  Leonardo  da  Vinci 
by  J.  F.  Richter.  Der  Herausgeber,  übrigens  ein  deutscher  Gelehrter,  kein  Englän- 
der,   gibt    hier  einen  Abdruck  der  meisten  eigenhändigen  Manuskripte  des  Künstlers. 

Als  historische  Person,  inbezug  auf  seine  Bedeutung  für  die  Entwicklung  des 
geistigen  Lebens,  kann  Leonardo  da  Vinci  selbst,  vielleicht  vor  allen  anderen  Künstlern 
früherer  oder  späterer  Zeiten,  der  Mensch  aller  Möglichkeiten  genannt  werden. 
Es  war  sein  Sehnen  und  das  Ziel  seiner  Arbeit,  die  Grenzpfähle  der  Möglichkeiten 
weiter  vorzurücken,  Fähigkeiten  und  Macht  des  Menschen  nach  allen  Richtungen  hin 
zu  erweitern  Dazu  spornte  ihn  seine  Zeit,  soeben  von  der  lichtscheuen  Verstaubtheit 
des  Mittelalters  emanzipiert,  energisch  an  und  flößte  ihm  den  höchsten  Mut  ein.  Und 
zugleich  w^ar  die  Zeit  noch  nicht  so  weit  vorgeschritten,  daß  die  Arbeit  auf  dem 
Gebiet  der  Kultur  —  der  Bildhauerei,  der  Architektur,  der  Musik,  allerhand  Kultur- 
wissenschaften und  technischen  Künste  —  sich  in  Fächer  verzweigt  hatte,  die  jedes 
für  sich  die  volle  Kraft  eines  Mannes  beanspruchen  konnten.  Heutzutage  ist  jede 
wirkliche  Arbeit  im  Dienst  der  Kultur  eine  Facharbeit  :  besitzt  ein  Mann  Fähigkeiten, 

*  G.  Brandes. 


—    31     - 

die  seinem  Fache  nicht  zugute  kommen  können,  so  verheren  sie  sich  in  Dilettantis- 
mus und  Phantasterei.  Die  Facharbeit  selbst  ist  eine  Beschränkung,  wie  einseitige 
Entwicklung  der  Fähigkeiten,  die  wohl  ihr  Behagen  bereiten  können,  wenn  die  Fä- 
higkeiten gerade  für  das  Fach  passen,  die  nian  aber  immer  mehr  oder  weniger  als 
Knechtschaft  empßnden  wird.  Das  Leben  ist  in  unserer  Zeit  so  eingerichtet,  daß  es 
sich  von  einem  gewissen  Punkt  im  Leben  des  Menschen  aus  straft,  wenn  er  nicht 
einseitig  ist,  während  es  vor  diesem  Wendepunkt  im  Leben  erforderhch  ist,  allseitig 
zu  sein :  darauf  ist  der  heutige  Unterricht  begründet.- 

Und  es  steht  fest,  daß  die  Allseitigkeit  etwas  Jugendliches  ist,  sowohl  im  Leben 
des  einzelnen  Menschen  wie  in  dem  des  ganzen  Geschlechts.  Leonardo  steht  in  der  Ent- 
wicklungsgeschichte des  Menschengeschlechts  gerade  auf  dem  Höhepunkt  dieses  jugend- 
hchen  Uebergangsstadiums.  Er  vereint  in  sich  gleichsam  wie  in  einem  glühenden  Kern 
die  ganze  Grundkraft  der  modernen  Kultur  :  wir  sehen  sie  in  seiner  Arbeit  entstehen 
infolge  einer  inneren  persönlichen  Anregung,  einer  Ausdehnungskraft  nach  allen 
Richtungen,  eines  Dranges,  die  Macht  des  Menschen  über  die  Umwelt  geltend  zu  machen. 
Deshalb  ist  für  ihn  in  einem  ganz  einzig  dastehenden  Grade  die  Arbeit  eine  Lust 
und  die  Lust  eine  Arbeit.  Er  wird  schon  von  einigen  Zeitgenossen  und  der  nächsten 
Generation  wegen  seiner  unvergleichlichen  Ausdauer,  seiner  Geduld  und  seines 
Fleißes  in  der  Arbeit  bewundert ;  aber  diese  Geduld  ist  nicht  sklavisch  oder  hand- 
werksmäßig; an  jedem  Punkte  schimmert  die  innige  persönhche  Liebe  zur  Sache 
durch.  Und  merkwürdig  genug  führte  ja  seine  Geduld  so  selten  zu  fertigen  Resul- 
taten ;  die  meisten  seiner  Arbeiten  blieben  unvollendet ;  es  bestand  zweifellos  eine 
gewisse  Unlust  bei  ihm,  ein  Resultat  festzustellen.  Vasari  wendet  auf  ihn  treffend 
Petrarcas  Worte  an :  Du  kennst  mein  Wesen,  meinen  brennenden  Wissensdurst,  der 
so  groß  ist,  daß  selbst  die  Arbeit  dadurch  aufgehalten  wird. 

Leonardo  selbst  war  ein  außerordentlich  scharfer  und  fleißiger  Beobachter  der 
Wirklichkeit;  aber  er  gehörte  am  allerwenigsten  zu  denen,  die  mit  dem  ersten  Besten, 
das  sie  auf  der  Straße  finden,  fürlieb  nehmen.  Einige  seiner  nächsten  Vorgänger 
in  der  florentinischen  Kunst,  nicht  zum  wenigsten  sein  Lehrer  Verrocchio,  hatten 
etwas  Alltägliches,  Bürgerliches,  sogar  Spießbürgerliches  in  ihrer  Auffassung  der 
Menschen ;  im  Gegensatz  zu  ihnen  trifft  Leonardo  eine  viel  interessantere  Auswahl 
unter  den  Menschen,  die  er  studiert  und  schildert.  Er  bevorzugte  das  Seltene,  da? 
Kuriose,  die  höchsten  Potenzen  in  jeder  Richtung.  Er  war  im  geistigen  Sinne  ein 
Weltumsegler;  es  war  ihm  ein  Bedürfnis,  die  entferntesten  Möglichkeiten  des  mensch- 
lichen Wesens  zu  kennen,  um  das  Wesen  selbst  zu  verstehen. 

Alle  Lust  und  aller  Schmerz  des  Menschen,  sagt  er,  beruhen  auf  Wissen  und 
Nichtwissen,  Wollen  und  Niehtwollen,  Können  und  Nichtkönnen.  In  seinem  unersätt- 
lichen Streben  hatte  er  sicherlich  Enttäuschungen  und  Fehlgrilfe  erlebt,  war  mit  dem 
Kopf  gegen  die  Mauer  des  Unmöglichen  gerannt  oder  hatte  Dinge  gewollt,  die  —  selbst 
wenn  er  sie  erreichte  —  ihm  Verdruß  eintrugen.  Hatte  aber  dann  den  einzig  sicheren  Weg 
gefunden,  seine  Fähigkeiten  wirklich  auszudehnen,  die  Ueberzeugung  gewonnen,  daß 
eine  unerschütterliche  Notwendigkeit  Naturgesetz  und  Mutter  der  Erfindungen  ist,  daß 
nur  Erfahrung  und  Versuch  wirkhche  Kenntnis  vermitteln,  daß  es  nicht  die  Erfahrung 
ist,  die  Fehler  begeht,  sondern  daß  dies  nur  unsere  eigenen  leeren  und  törichten 
Wünsche  tun,  die  uns  dazu  hinreißen,  uns  Dinge  von  der  Erfahrung  zu  versprechen, 
die  nicht  in  deren  Macht  stehen,  und  daß  der  Wille  deshalb  in  seinem  Streben  nach 
Vervollkommnung,  nach  reicheren  Möglichkeiten,  den  guten  und  geraden  Weg  zu 
gehen  hat^. 


^  Vgl.  sein  bekanntes,  von  Lomazzo  aufbewahrtes  Sonnett:  Chi  non  puo  quel 
che  vuol,  quel  che  puo  voglia  usw.  (Wer  nicht  kann,  was  er  will,  der  muß  sehen 
zu  wollen,  was  er  kann ;  denn  es  ist  Torheit,  das  Unmögliche  zu  wollen.  Weise  ist 
der,  der  seinen  Willen  fern  hält  von  dem,  was  er  nicht  kann.  Alle  menschliche  Freude 


—     32     — 

Doch  die  Resignaiii»n,  die  das  Leben  ihn  lehrte,  unterjochte  keineswegs  seinen 
stets  jugendHchen  Erweiterungsdrang  und  die  Lust,  sich  in  allen  MögUchkeilen  /u 
baden.  Man  kann  das  nicht  allein  aus  seiner  Arbeit,  sondern  auch  aus  seinen  Sclicizon 
ersehen,  aus  jenen  Narrenstreichen,  (pazzie),  die  den  bewunderten  und  genialen  Mann 
zu  einem  so  vortrefflichen  Unterhaltungs-  und  Gesellschaftstnenschen  machten.  Als 
ahernder  Mann  ergötzt  er  sich  während  seines  Aufenthaltes  in  Rom  damit,  lilasen 
und  Därme  so  fein  zu  präparieren,  daß  man  sie  wie  ein  kleines  Päckchen  in  der 
Hand  halten  konnte;  vermittelst  versteckler  Blasebälge  im  Nebenzimmer  beginnen  sie 
sich  dann  auszudehnen  und  werden  allmählich  dermaßen  ausgedehnt  und  füllen  die 
Stube,  daß  die  Anwesenden  in  eine  Ecke  flüchten  mußten  ;  da  die  Blasen  anfangs 
nur  so  wenig  Platz  einnahmen,  sich  aber  später  so  sehr  erweiterten,  verglich  Leo- 
nardo sie  geistreich  mit  dem  Genie  (virtü).  Es  ist  also  gerade  das  Bild  menschlicher 
Ausdehnungsfähigkeit.  Sowohl  in  der  Jugend  wie  in  späteren  Jahren  jagt  er  den 
Leuten  gern  Schrecken  ein,  indem  er  —  in  einem  Gemälde  oder  in  Wirklichkeit  — 
seltsame  Ungeheuer  aus  den  verschiedensten  r)estandteile  fabriziert,  Schlangen  mit 
Flü'^eln  und  Hörnern  ausstattet  und  dgl.  Das  ist  ein  Sehöpferdrang,  in  dem  etwas 
von  dem  Triebe  enthalten  ist,  das  mit  allen  Organen  und  Möglichkeiten  ausgerüstete 
Wesen  hervorzubringen,  das  Mephistoplieles  in  Goethes  <r; Faust»  mit  Herr  Mikrokos- 
mus tituliert.  («Des  Lcnven  Mut,  des  Hirsches  Schnelligkeit,  des  Italieners  feurig  Blut, 
des  Nordens  Dauerbarkeit>   usw.) 

Wieder  ist  es  der  Gedanke  an  die  menschlichen  Möglichkeiten,  der  in  einem 
Sonnett  von  Leonardo  auftaucht.  Doch  in  diesem  Sonnett,  künstlich  gedrechselt  wie 
ein  einziges  Wortspiel,  fühlt  man,  daß  Leonardo,  der  es  vermutlich  in  seinen  spä- 
teren Jahren  gedichtet,  sehr  ernste  Erfahrungen  inbezug  auf  die  Grenzen  des  Kön- 
nens gemacht  hat,  daß  das  Leben  ihm  Resignation  auferlegte,  und  daß  er  nun  den 
ewigen  Kampf  um  die  Erweiterung  der  Möglichkeiten  von  einem  überlegenen  Stand- 
punkt aus  betrachtet. 


und  Trauer  beruht  auf  Wissen  und  Nichtwissen,  Wollen  und  Nichtwollen,  Können 
und  Nichtkönnen.  Und  der  einzige,  der  wirklich  kann,  ist  der,  der  im  Gefühl  dessen,  was 
er  muß,  nicht  den  Versuch  macht,  die  Vernunft  über  ihre  Schwelle  hinaus  zu  ziehen. 
Auch  soll  ein  Mensch  nicht  immer  das  wollen,  was  er  kann.  Oft  scheint  etwas  süß, 
das  sich  in  Bitternis  verkehrt,  und  kaum  habe  ich  erlangt,  wonach  ich  trachtete,  so 
mußte  ich  meinen  eigenen  Willen  beweinen.  Und  deshalb,  lieber  Leser  dieser  Zeilen, 
willst  du  gut  gegen  dich  selbst  sein,  so  richte  deinen  Willen  stets  darauf,  zu  können, 
was  du  mußt.»)  —  Vgl.  hiermit  die  merkwürdigen  Aussprüche,  die  noch  in  seinen 
Manuskripten  vorliegen;  Richter  1,  U)— la  (von  der  einfachen  und  großen  Erfahrung, 
der  wahren  Lehrmeisterin),  II  111'.)  (Erfahrung,  Notwendigkeit,  Vernunft),  lir)0  (die 
Weisheit  ist  eine  Tochter  der  Erfahrung),  1151  von  den  noch  verborgenen,  in  die 
Erfahrung  aufgenommenen  Ursachen  der  Natur),  1153  (Unfehlbarkeit  der  Erfahrung), 
ll<Sü  (die  größte  Täuschung  der  Menschen  liegt  in  ihren  eigenen  Ansichten^  usw. 


TAFELN 


Tafel  I. 

(Zu  S.  2.  u.  3 


1 

I^Hi^^^^^^H|||||P^^|^^^^r,xs==...^2L  j&^^^S^^HflSf^HBylB^MHiiHki^^^i 

I,  Ghirlandajo.     Das  Abendmahl  (Florenz). 


2.  Studie  zum  Abendmahl  (Venedig). 


Tafel  IL 

i  S.  5,  6  u-  8.) 


3.  Studie  zu  Jakobus  dem  älteren  (Louvre). 


4.  Studie  zu  Simons  Kopf  (Florenz). 


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5.  Studie  zu  Judas  Kopf  (Windsor). 


(3,  Studie  (Louvre). 


Tafel  III. 

(Zu   S.    12   u.   ff 


7.  Blumenstudie  (Louvre). 


]j>iii   rViLci    (  i.  ui  in 


9.  Karikaturen  (Mailand;. 


10.  Karikaturen  (Windsorj. 


Tafel  IV. 

LI    S.     2/     U.    f.) 


II.  Frauenporträt  (jNIailandj. 


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12.  Die  heilige  Familie  (London). 


13.  Frauenkopf  (Florenz;. 


14.  Mona  Lisa  (Louvre) 


Verlag  von  J.  H.  ED.  HEITZ  (HEITZ  &  MÜNDEL), 


29.  Rembrandt  u.  seine  Umgebung.  Von   W.  R.   Valentiner.  Mit  7  Tfln.     8.  — 

30.  Roger  van  der  Weyden  und  Roger  van  Brügge  mit  ihren  Schulen.  Von 
C  Hasse.     Mit   i5  Tafeln.  6.  — 

3i.  Die  Schlange  des  Paradieses.  Von  Hugo  Schmerber.  Mit  3  Tafeln.   2.   5o 

32.  Florentinische  Maler  um  die  Mitte  des  XIV.  Jahrhunderts.  Von  Wilhelm 
Suida.     Mit  35  Lichtdrucktafeln.  8.  — 

33.  Don  Lorenzo  Monaco.  Von  Osvald  Siren.  Mit  54  Lichtdrucktafeln.  20.  — 

34.  Die  Entstehung  des  jonischen  Kapitells  und  seine  Bedeutung  für  die  grie- 
chische Baukunst.  Von  Maximilian  j^on  Groote.  3.  — 

35.  Der  Nimbus  und  verwandte  Attribute  in  der  frühchristlichen  Kunst.  Von 
Adolf  Krücke.  Mit  7  Lichtdrucktafeln.  8.  — 

36.  Zur  Rhythmik  romanischer  Innenräume  in  der  Normandie.  Weitere  Unter- 
suchungen. Von    Wilhelm  Pinder.  Mit  4  Doppeltafeln.  4.  — 

37.  Raflfaels  Disputa.  Eine  kritische  Studie  über  ihren  Inhalt.  Von  Anton 
Grofier.  Mit  2  Lichtdrucktafeln.  3.   5o 

38.  Die  romanische  Portalarchitektur  in  der  Provence.  Von  Rudolf  Bernoulli. 
Mit  19  Abbildungen  und  i   Uebersichtskarte.  4.  — 

39.  Die  «Madonna  piccola  Gonzaga».  Untersuchungen  über  ein  verschollenes 
und  angeblich  wiedergefundenes  Madonnenbild  von  Raphael.  Von  Emil  Jacohsen. 
Mit  3  Lichtdrucktafeln.  2.  5o 

40.  Zur  Charakteristik  der  klassischen  Basilika.  Von  Hermafin  Wur^.  Mit  12 
Abbildungen  im  Text  und  5  Lichtdrucktafeln.  5.  — 

41.  Die  Madonnendarstellung  in  der  altniederländischen  Kunst  von  Jan  van 
Eyck  bis  zu  den  Manieristen.  Von  Margarete  Siebert.  2.  5o 

42.  Betrachtungen  über  die  italienische  Malerei  im  17.  Jahrhundert.  Von  Dr. 
Hugo  Schmerber.  Mit  3o  Tafeln  in  Lichtdruck.  20.  — 

43.  Plastische  Dekoration  des  Stützwerkes  in  Baukunst  und  Kunstgewerbe  des 
Altertums.  Von  Erwin   Wu7~^.  Mit  83  Abbildungen.  8.  — 

44.  Giacomo  Barozzi  da  Vignola.  Von  Hans  Willich.  Mit  38:Abbildungen  im 
Text  und  22  Tafeln.  12.  — 

45.  Der  Gemäldezyklus  der  Galerie  der  Maria  von  Medici  von  Peter  Paul  Rubens. 
Von  Karl  Grossmann.    Mit  9  Lichtdrucktafeln.  8.  — 

46.  Francesco  Botticini.  Von  Etvtst  Kühnel.  Mit  40  Abb.  auf  i5  Tafeln.     7»  — 

47.  Die  ravennatischen  Sarkophage.  Von  Karl  Goldmann.   Mit  9  Tafeln.  5.  — 

48.  Die  wichtigsten  Darstellungsformen  des  hl.  Sebastian  in  der  italienischen 
Malerei  bis  zum  Ausgang  des  Quattrocento.  Von  Detlev  Freiherr  von  Hadeln. 
Mit  7  Lichtdrucktafeln.  4.  — 

49.  Studien  zu  Michelangelo.  Von  Frit'{  Burger.  Mit  6  Lichtdrucktafeln  und 
7  Autotypien.  3.  — 

50.  Francesco  Laurana.  Eine  Studie  zur  italienischen  Quattrocentoskulptur. 
Von  Frit^  Burger.  Mit  37  Lichtdrucktafeln  und  49  Abbildungen  im  Text.     20.  — 

5i.  Sienesische  Meister  des  Trecento  in  der  Gemäldegalerie  zu  Siena.  Von 
Emil  Jacobsen.  Mit  55  Abbildungen  auf  26  Tafeln.  8.  — 

52.  Die  kirchliche  Kunst  des  XIII.  Jahrhunderts  in  Frankreich.  Studie  über 
die  Ikonographie  des  Mittelalters  und  ihre  Quellen.  Von  Emile  Male.  Mit  127 
Abbildungen  im  Text  und  i  Lichtdrucktafel.  Deutsch  von  L.  Zuckermandel.  20.  — 

53.  Meister-  und  Schülerarbeit  in  fra  Angelicos  Werk.  Von  Alois  Wurm 
Mit  3  Lichtdrucktafeln.  4.  — 

54.  Die  Entwickelung  des  Madonnentypus  bei  Leonardo  da  Vinci.  Von  Ale- 
xandra Konstant inowa.     Mit  10  Lichtdrucktafeln.  6.  — 

55.  Die  kirchliche  Kunst  im  italienischen  Mittelalter.  Ihre  Beziehungen  zu 
Kultur  und  Glaubenslehre.    Von  Hans  von  der  Gabelent\.  14.  — 

66.  Leonardostudien  von  Hans  Klaiber.  6.  — 

57.  Zur  Kunst  der  Bassani.  Von  Lz/<iM;/^Zo//W(3«;/.  M.  47  Abb.  auf  26  Taf.   10.  — 

58.  Ueber  die  Porträts  der  Caterina  Sforza  und  über  den  Bildhauer  Vincenzo 
Onofri.  Von  Adolf  Gottschewski.  Mit  46  Abbildungen  auf  18  Tafeln.  8.  — 

59.  Das  Quattrocento  in  Siena.  Studien  in  der  Gemäldegalerie  der  Akademie.  Von 
Emil  Jacobsen.  Mit   120  Abb.  auf  56  Tafeln.  20.  — 

60.  Vita  e  Opere  di  Salvator  Rosa,  pittore,  poeta,  incisore.  Con  poesie  e  docu- 
menti  inediti  del  Leandro  0'{'{ola.  Con  41   illustrazioni  in   2 1   tavole.  20.  — 

61.  Anfänge  und  Entwickelungsgängeder  alt-umbrischen  Malerschulen,  insbeson- 
dere ihre  Beziehungen  zur  frühsienesischen  Kunst.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte 
der  umbrischen  Malerei.  Von  Walter  Rothes.  Mit  46  Abb.  auf  25  Tafeln.  10.  — 


Verlag  von  J.   H.   ED.   HEITZ  (HEITZ  ^  MÜNDEL). 


62.  Der  Kruzifixus"  in  der  bildenden  Kunst.  Von  Dr.  Gustav  Schönermark. 
Mit  ioo  Abbildungen.  (gebd.  M.   12.  — )   11.  — 

63.  Leben.  Werke  und  Schriften  des  Bildhauers  E.-M.  Falconet  (1716 — 1791J. 
Yov\  Edmund  Hildebrandt.  Mit  39  Abbildungen  auf  21    Lichtdrucktafeln.   i5.  — 

64.  Die  Architekturen  Raffaels  in  seinen  Fresken,  Tafelbildern  und  Teppichen. 
Yon  Max  EfV7ie?^s.     Mit  34  Abbildungen  auf  17  Tafeln.  ^  10.  — 

65.  Die  Grundrißentwicklung  der  römischen  Thermen.  Nebst  einem  Verzeichnis 
der  erhaltenen  altrömischen  Bäder  mit  Literatui'nachweis.  Von  Ernst  Pfret:{schner. 
Mit  67  Abb.  auf  11   Doppeltafeln  in  Lichtdruck.  8.  — 

66.  Eine  Gebäudegruppe  in  Olympia.  Von  Albert  Schwaristein.  M.  5  Tfln.  3.  5o 
6-.  Antikes  Trautleisten-Ornament,    Von  Martin  Schede.  Mit  81   Abb.  auf  \i 

Lichtdrucktafeln.  .  .  ,  .       .       ^-  .^*^ 

68  Die  Werke  des  florentinischen  Bildhauers  Agostino  d'Antonio  di  Duccio. 
Von  ' Andy  Pointner.     Mit  39  Abb.  auf  22  Lichtdrucktafeln.  20.  — 

6q  Der  Felsendom  in  Jerusalem  und  seine  Geschichte.  Von  Richard  Hart- 
mann.    Mit  6  Lichtdrucktafeln.  4.  5o 

70.  Jesuitismus  und  Barockskulptur  m   Rom.    Von    Walther   Weibel.     Mit   10 

Lichtdrucktafeln.  ^       .1    ^'  T 

71.  Das  Pelargikon.  Untersuchungen  zur  ältesten  Befestigung  der  Akropolis 
von  Athen.     Von  August  Köster.     Mit  6  Lichtdrucktafeln.  3.  5o 

72.  Das  Quellwunder  des  Moses  in  der  altchristlichen  Kunst.  Von  Erich 
Becker.     Mit  7  Tafeln.  8.  — 

73.  Die  Porträtdarstellungen  der  Mediceer  des  XV.  Jahrhunderts.  Von  Trifon 
Trapesnikoff.     Mit  60  Abb.  auf  35  Tafeln.  8.  — 

-4.  Sodoma  und  das  Cinquecento  in  Siena.  Studien  in  der  Gemäldegalerie 
in  ^  Siena.  Mit  einem  Anhang  über  die  nichtsienesischen  Gemälde.  Von  Emil 
Jacobsen.     Mit  112  Abb.  auf  54  Tafeln.  20.  — 

.75.  Der  Sockel,  seine  Form  und  Entwicklung  in  der  griechischen  und  hellenistisch- 
römischen  Architektur  und  Dekoration  von  den  ältesten  Zeiten  bis  zur  Verschüttung 
Pompejis.     Von  Max   Vetter.     Mit  8  Tafeln.  5.  — 

"-6.  Studien  über  Michelangelo.  Von  Julius  Lange.  Aus  dem  Dänischen  über- 
setzt'von  Ida  Jacob-Anders.     Mit  7  Tafeln.  4.  5o 

77.  Der  italienische  Einfluß  in  der  vlämischen  Malerei  der  Frührenaissance. 
Von  Charlotte  Aschenheim.     Mit  5   Lichtdrucktafeln.  3.  — 

78.  Matteo  da  Siena  und  seine  Zeit.  Von  G.  F.  Hartlaub.  Mit  i5  Licht- 
drucktafeln. ,       •    ,         TT        r-  ;•      rrr-     • 

70.  Vier  Beiträge  zur  Geschichte  der  Baukunst  Frankreichs.  Von  I^elix  Witting. 
Mit  4  Lichtdrucktafeln  und  4  Zinkkliches.  3.  5o 

80.  Versuch  einer  Entwicklungsgeschichte  der  Deckenmalerei  in  Italien  vom 
XV.  bis  zum  XIX.  Jahrhundert.  Von  Sylva  Scheglmann.  xMit  6  Lichtdruck- 
tafeln. 4'  — 

81.  Die  Werke  Angelo  Bronzinos.    Von    Hanns  Schulde.     Mit  21   Lichtdruck- 

tiil'eln.  ,  ,  ,      ,.  •  r        TT  I.     ^'  "" 

82.  Eugene  Carriere,   Schriften  und  ausgewählte  Briefe.     Herausgegeben  von 

J.  Ddvolve,  autorisierte  Uebersetzung  von  F.  Ed.  Schneegans.  8.  — 

83.  Die  Stickereien  nach  Entwürfen  des  Antonio  Pollaiuolo  in  der  Opera  di 
S.  Maria  dcl  Fiore  zu  Florenz.  Von  Sascha  Schwabacher.  Mit  37  Lichtdruck- 
tafeln. ^^'  — 

'  84.'  Giocondo    Albertolli    der    Ornamentiker    des    italienischen    Klassizismus. 
Von  Arthur  Kauffmann.     Mit   16  Abb.  auf  9  Lichtdrucktafeln.  6.  5o 

85.  Leone  Battista  Alberti  als   Kunstphilosoph.  Von  b^ene  Behn.  5.  — 

86.  Antike  Bildwerke.  Venus  von  Milo,  Ilioneus,  Torso  vom  Belvedere, 
Torso  von  Subiaco.     Von  C.  Hasse.     Mit   i3  Tafeln. 

87.  Studien  über  Leonardo  da  Vinci.    Von  Jul.  Lange.    Mit  14  Abbildungen. 

Unter  der  Presse: 

Kritisches  Verzeichnis  der  Handzeichnungen  zu    den    Medicigräbern.     Von 
.Julius  Baum.  Mit  zahlreichen  Abbildungen. 

Beiträge   zu  Nicola   Pisano.     Von  Hans  Graber.     Mit    5    Lichtdrucktafeln. 


Weitere  Hefte  in  Vorbereitung.   -  Jedes  Heft  ist  einzeln  käuflich. 


WD  Lange,  Julius  Henrik 

623  Studien  über  Leonardo  ( 

L5L31$    Vinci 


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