Google
This is a digital copy of a book that was prcscrvod for gcncrations on library shclvcs bcforc it was carcfully scannod by Google as pari of a projcct
to make the world's books discoverablc online.
It has survived long enough for the Copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject
to Copyright or whose legal Copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books
are our gateways to the past, representing a wealth of history, cultuie and knowledge that's often difficult to discover.
Marks, notations and other maiginalia present in the original volume will appear in this flle - a reminder of this book's long journcy from the
publisher to a library and finally to you.
Usage guidelines
Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken Steps to
prcvcnt abuse by commercial parties, including placing lechnical restrictions on automated querying.
We also ask that you:
+ Make non-commercial use ofthefiles We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for
personal, non-commercial purposes.
+ Refrain fivm automated querying Do not send automated queries of any sort to Google's System: If you are conducting research on machinc
translation, optical character recognition or other areas where access to a laige amount of text is helpful, please contact us. We encouragc the
use of public domain materials for these purposes and may be able to help.
+ Maintain attributionTht GoogXt "watermark" you see on each flle is essential for informingpcoplcabout this projcct and hclping them lind
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it.
+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are lesponsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other
countries. Whether a book is still in Copyright varies from country to country, and we can'l offer guidance on whether any speciflc use of
any speciflc book is allowed. Please do not assume that a book's appearance in Google Book Search mcans it can bc used in any manner
anywhere in the world. Copyright infringement liabili^ can be quite severe.
Äbout Google Book Search
Google's mission is to organizc the world's Information and to make it univcrsally accessible and uscful. Google Book Search hclps rcadcrs
discover the world's books while hclping authors and publishers rcach ncw audicnccs. You can search through the füll icxi of ihis book on the web
at|http: //books. google .com/l
Google
IJber dieses Buch
Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Realen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfugbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde.
Das Buch hat das Uiheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch,
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist.
Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin-
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat.
Nu tzungsrichtlinien
Google ist stolz, mit Bibliotheken in Partnerschaft lieber Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nie htsdesto trotz ist diese
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch
kommerzielle Parteien zu veihindem. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen.
Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien:
+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche Tür Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden.
+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials fürdieseZwecke und können Ihnen
unter Umständen helfen.
+ Beibehaltung von Google-MarkenelementenDas "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht.
+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein,
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben.
Über Google Buchsuche
Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppcn zu erreichen.
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter|http: //books . google .coiril durchsuchen.
^
LIBRARY
OF THE
UNIVERSITY OF CALIFORNIA.
%eceived J U N 2 3 1 892 .189
iAccessions No. -K^o/Ze) . Class No.
i
i
f
•^M
\**
i-4
".^'^
■ 1*
• B <■
i
:v-
t3
1
f
i
SYSTEM
DER
LOGIK
XJKD
eSSCHIGHTE DER LOGISCHEN LEHREN.
TON
DB. FBIEDBICH ÜEBEBWEG,
WBIL. FBOVBSaOB DBB PHILOflOPHIS AH DBB ÜBIYBBSITIT KU KÖBIQWBBBO.
Fünfte, verbesserte, yemehrte und mit einem Namen- nnd
Sneh-Reg^ister yerseliene Anflage,
bearbeitet imd hemugegeben
▼on
Jürgen Bona Meyer,
ordentl. Profeeeor der Philosophie an der Univereltit Bonn.
KiJ^ 0? THP. M. \
BONN,
BEI ADOLPH MARCUS.
1882.
*
/
^'To't
c->"
aaviis £aiXQaTOvg, rijg «f^ alfi&iCag noXv fjialXoVj
iav fjiiv Tf vfiiv doxoi älriB-kc XiyeiVf ^wofxolo/rj'
aoTSy ti Sk fifi, nttVTl X6y(p aviiJ^CvaiB»
Socratea apud PUUonem.
Tovrtjv ik ra fikv noJJiai xtä nalouol Xiyovaiv,
TovTüiv €vXoyov SiafxttQriavuv rolg oXois, aXX^ ^v yi
Ti ^ xal ta nXiiata xaroQ&ouy,
ArisMdes,
Intelligfitur, quod ars illa^ quae dividit genera
in species et species in genera resolvit, quae <fut-
XiXTixri dicitur, non ab humanis machinationibos
Bit facta, sed in natura reram ab auctore omnium
artium, quae vere artes sunt, oondita et a sapien-
tibus inventa et ad utilitatem solerti reram inda-
gine usitata.
Johannes Scoius (Erigena),
Nam normae illae: experientia, principia, intel-
lectns consequentiae, sunt revera vox divina.
Dm Recht der Uebereelsoaf tot Torbehallen.
Yorwort des Heransgebers.
Dem Wunsche des Verlegers dieses Buches, auch die
Herausgabe der 5. Auflage desselben zu ttbemehmen, bin ich
gern gefolgt, da es mir für das Studium der Logik nützlich
erscheint, das Werk des leider zu früh rerstorbenen Ver-
fassers auf dem Büchermärkte käuflich zu erhalten. Die
letzte Zeit hat manches Buch der Logik gebracht, das neue
Bahnen der Betrachtung einschlägt und gerade in diesem
Fortschritt volle Beachtung rerdient, aber keines dieser Bücher
ist so reich an „historisch-literarischen Mittheilungen und
Untersuchungen, bei denen der Aristotelische Oesichtspunkt
der schuldigen dankbaren Rttckbeziehnng auf alle wesentlichen
Entwickelungsmomente der wissenschaftlichen Wahrheit der
leitende war''. Nach diesem Gesichtspunkt, den Ueberweg
in der Vorrede als den seinigen bezeichnet, rerdient sein
Buch auch heute noch vor allen älteren und neueren Werken
ttber Logik die vollste Achtung und allseitige Beachtung, wenn
die philosophische Arbeit nicht auch auf diesem Gebiete zu
der Vereinzelung führen soll, bei der ein Jeder nur seine
Ansicht darlegt, sich nur auf sich selbst bezieht oder allenfalls
einmal einen Gegner beiläufig anfahrt, um ihn kurz abzuweisen,
auch wohl mal einen Gleichgesinnten nennt, um die Genug-
thnung ttber die Zustimmung desselben auszusprechen.
Dem ausgesprochenen Gesichtspunkte Ueberweg's ge-
treu ist auch bei dieser neuen Auflage das Hauptgewicht dar-
auf gelegt, die historisch-literarische Seite des Buches dem
Stande neuerer Arbeiten entsprechend zu erweitem. Es ist
mit thunlichst weiter Umsicht in den betreffenden Paragraphen
Alles beachtet worden, was seit Ueberweg 's Tode auf dem
rV Vorwort des Herausgebers.
(resammtgebiete und den YeTscbiedenen Einzelgebieten der
Logik gearbeitet ist. Jeder Knndige wird diese Zusätze schon
aus dieser Zeitbestimmung leicht erkennen. Dieselben durch-
ziehen an den Hauptpunkten das ganze Buch, treten aber
ganz besonders natürlich wieder bei der Geschichte der Logik
in den §§ 34 und 35 hervor. Alle Zusätze zusammen haben
das Buch um 51 Seiten im kleinen Druck erweitert.
Bei diesen Zusätzen, sofern sie über die Ansichten neuerer
Logiker berichten, erschien es um der Objectivität willen
gerathen, diese Logiker so weit irgend möglich mit ihren
eigenen Worten reden zu lassen, sich aber der Beurtheilung
ihrer Ansichten völlig zu enthalten, da der Herausgeber ans
dem Geiste Ueberweg's heraus zu urtheilen doch fttgUeh
nicht unternehmen konnte, durch Einmischung eigener Urtheile
aber die Einheit des Buches nicht beeinträchtigen wollte.
Das Urtheil des Herausgebers wird also nur in der Werth-
schätzung zu Tage treten, die zu Unterschieden in der Be-
rücksichtigung der Ansichten neuerer Logiker geführt hat.
Hoffentlich ist die nöthige Auswähl hier im Sinne Ueber-
weg's richtig getroffen.
Die vorgenommenen Verbesserungen betreffen wesentlich
die Genauigkeit der Gitate. Insbesondere sind durchweg die
aus dem Aristoteles angeführten Stellen jetzt nach der grossen
Berliner Akademischen Ausgabe des Aristoteles genau be-
zeichnet, wo es wichtig schien auch ausgeführt und er^uizt,
einzelne, wo sich L*rthümer fanden, auch berichtigt. Die gross
gedruckte Substanz der Paragraphen ist fast ganz unverändert
geblieben.
Zur Erleichterung des Gebrauches ist das Buch noch
um ein Namen- und Sach-Begister vermehrt worden.
Der Herausgeber hofft durch alle diese Znthaten das
Buch wieder zu einem brauchbaren Lehrbuch der Logik nach
dem neuesten Stande dieser Wissenschaft gemacht zu haben.
Bonn, den 25. November 1881.
Jürgen Bona Meyer.
Vorrede des Verfassers.
Schleiermacher, dessen philosophische Be-
deutung nur zu oft neben der theologischen übersehen
zu werden scheint, hat in seinen Vorlesungen über
die ^Dialektik' (herausg, von Jonas, Berlin 1839)
die Formen des Denkens aus dem Wissen als dem
Zwecke des Denkens zu begreifen und die Einsicht
in ihren Parallelismus mit den Formen der realen
Existenz zu begründen versucht. Diese Auffassung
der Denkformen hält die Mitte zwischen der subjec-
tivistisch-formalen tmd der metaphysischen liOgik
und steht im Einklang mit der logischen Grundan-
sicht des Aristoteles. Die subjectivistisch- formale
Logik, vornehmlich von der Kantischen und Her-
bart'sehen Schule vertreten, setzt die Formen des
Denkens zu den Formen des Seins ausser Beziehung ;
die metaphysische Logik dagegen, wie Hegel sie ge-
schaffen hat, identificirt beiderlei Formen und glaubt
in der Selbstbewegung des reinen Gedankens zugleich
die Selbsterzeugung des Seins erkannt zu haben.
Aristoteles, gleich fern von beiden Extremen, sieht
in dem Denken das Abbild des Seins, ein Abbild,
welches von seinem realen Correlate verschieden ist,
ohne doch zu ihm ausser Beziehung zu stehen, und
demselben entspricht, ohne mit ihm identisch zu sein.
In engerem Anschluss an Schleiermacher haben
namentlich Ritter und Vorländer (später auch
Leop. George) die Logik bearbeitet; mehr oder
minder liegen in der gleichen Richtung auch die
VI Vorrede des Verfassers.
erkenntnisstheoretischen Untersuchungen der meisten
unter den neueren Logikern, die nicht einer bestimm-
ten Schule zugethan sind. So berührt sich nament-
lich Trendelenburg, indem er die echte Aristo-
telische Logik erneut, eben darum auch vielfach
mit Schleiermacher's Platonisirender Erkenntniss-
lehre, wiewohl ohne Abhängigkeit von dem letz-
teren *) und auf einer in der Polemik gegen Hegel
und Herbart selbständig errungenen Basis metaphy-
sischer Kategorien; eine entferntere Verwandtschaft
zeigt u. A. die der Kantischen sich wiederum an-
nähernde Ansicht Lotze's, wonach in den Formen
und Gesetzen des Denkens nur die nothwendigen
metaphysischen Voraussetzungen des menschlichen
Geistes über die Natur und den Zusammenhang
der Dinge sich wiederspiegeln ; von Schleiermacher's
Grundsätzen ist in wesentlichen Beziehungen, na-
mentlich was das Verhältniss des Denkens zur
Wahrnehmung imd der Wahrnehmung zum Sein
betrifft, auch Beneke ausgegangen, um dieselben
darnach mit seiner theilweise im Anschluss an Her-
bart ausgebildeten psychologischen Theorie zu einem
neuen Ganzen zu verschmelzen.
In der durch die Leistungen dieser Männer be-
zeichneten Richtung, jedoch unter Wahrung des Rech-
tes voller Selbständigkeit in der Art der Durch-
führung, bewegt sich die vorliegende Bearbeitung
der Logik. Dieselbe setzt sich sowohl die wissen-
schaftliche Aufgabe einer Mitarbeit an der Fort-
*) Wenigstens ohne ein unmittelbares Abh&ngrigkeitsverhältniss ;
Schleiermaoher'B 1889 veröfifentlichte Vorlesungen über die Dialektik
sind von ihm nur sporadisch berüoksichtigt worden. Doch soheint sich
namentlich in der Lehre vom Begriff und vom Urtheil ein Einfluss
der Ritter'schen Logik zu bekunden.
Vorrede des Verfassers. VII
bildung derLogik, als auch die didaktische einer
Einführung in das Studium derselben.
In der ersten Beziehung hofft der Verfasser,
dass es ihm gelungen sein möge, in der vorliegenden
Schrift zur Lösung sowohl der Principienfragen über
die Aufgabe, Begrenzung und Anordnung der Logik
und über die erkenntnisstheoretischen Standpunkte,
als auch mancher einzelnen Probleme einen nicht
werthlosen Beitrag zu liefern. Polemik ist zwar über-
all, wo die Sache es zu erfordern schien, in aller
Schärfe ohne Rückhalt, aber doch namentlich wohl
nur gegen solche geübt worden, von welchen ich
mit Wahrheit sagen j^ann: Verecunde ab illis dis-
sentio'. Dass das einzige Interesse, welches mich in
jedem Falle zur Zustimmung oder zum Widerspruch
bestimmte, das der Wahrheit war, wird nicht erst
der Versicherung bedürfen, sondern für den unbe-
fangenen Beurtheiler aus dem Werke selbst hervor-
gehen. Auch ich werde meinerseits jede auf die
Sache gründUch eingehende Bekämpfung nicht min-
der, als Zustimmung willkommen heissen, und nur
das Eine möchte ich nicht, dass das auf der Aristo-
telischen Grundlage selbständig durchgeführte Werk
mit der Subsumtion unter diese oder jene allgemeine
Bubrik, wie z. B. Empirismus oder Rationalismus
oder Eklekticismus abgethan werdc; worin die Un-
wahrheit liegen würde, dasselbe für die blosse Ex-
position irgend eines einseitigen und veralteten Par-
teistandpunktes zu erklären, oder, da es zu den
sämmtlichen philosophischen Richtungen in wesent-
lichen Beziehungen steht, mit Verkennung des lei-
tenden Grundgedankens der Principlosigkeit zu be-
schuldigen«
VIII Vorrede des Verfassers.
Als einen durchgeführten Versuch einer objec-
tivistischen Erkenntnisslehre im Gegensatz zu K a n t's
subjectivislischer Vemunftkritik möchte ich das vor-
liegende Werk insbesondere auch der Beachtung
der Naturforscher empfohlen haben; specielleren
Darstellungen der Methodik kann es zur philoso-
phischen Basis dienen. Der Kern meines Gegen-
satzes gegen Kant liegt in dem durchgeführten
Nachweis, wie die wissenschaftliche Einsicht, welche
die blosse Erfahrung in ihrer Unmittelbarkeit noch
nicht gewährt, nicht mittelst aprioristischer Formen
von rein subjectivem Ursprung, die nur auf die im
Bewusstsein des Subjects vorhandenen Erscheinimgs-
objecte Anwendung finden, gewonnen wird (auch
nicht, wie Hegel und Andere wollen, a priori und
doch mit objectiver Gültigkeit), sondern durch die
Combination der Erfahrungsthatsachen nach logi-
schen, durch die objective Ordnung der Dinge selbst
mitbedingten Normen, deren Befolgung unserer Er-
kenntniss eine objective Gültigkeit sichert. Ich suche
zu zeigen, wie insbesondere die räumlich-zeitliche
und causale Ordnung, auf deren Erkenntniss die
Apodikticität beruht, nicht erst von dem anschauen-
den und denkenden Subjecte in einen chaotisch ge-
gebenen Stoff hineingetragen, sondern in Ueber-
einstimmung mit der (natürlichen und geistigen)
Realität, in der sie ursprünglich ist, successive durch
Erfahrung und Denken von dem subjectiven Be-
wusstsein nachgebildet wird.
In didaktischer Hinsicht war mein Streben
auf eine klare, exacte, übersichtliche und relativ
vollständige Darstellung der allgemeinen Logik als
Erkenntnisslehre und der Hauptmomente ihrer ge-
Vorrede_de8 Yerfassere. IX
schiclitliclien Entwickelung gerichtet; das allgemein
Anerkannte sollte in präciser und streng systema-
tischer Form wiedergegeben, das Zweifelhafte und
Streitige aber zwar nicht mit monographischer Aus-
führlichkeit^ jedoch mit zureichender Erwägung der
die Entscheidung bedingenden Momente genau er-
örtert werden. Eine systematische Darstellung der
wissenschaftlichen Logik muss, auch sofern sie Neu-
hinzutretenden als Lehrbuch zu dienen bestimmt ist,
doch stets echte Jünger der Wissenschaft voraus-
setzen, welche die Schwierigkeiten nicht zu umgehen,
sondern zu überwinden trachten. Einzelne Partien
mögen immerhin beim ersten Studium übergangen
werden; dieselben sollen dem Bedürfniss derer ent-
gegenkommen, die, mit den Elementen bereits ver-
traut, nun auch in die tieferen Forschungen ein-
geführt werden möchten. Die Beispiele sollen die
Bedeutung der logischen Gesetze in den sämmtlichen
Wissenschaften zur Anwendung bringen. Durch die
historisch - litterarischen Mittheilungen und^ Unter-
suchungen endlich, bei denen der Aristotelische Ge-
sichtspunkt der schuldigen dankbaren Rückbeziehung
auf alle wesentlichen Entwickelungsmomente der wis-
senschaftlichen Wahrheit der leitende war, weist die
vorliegende Schrift über sich selbst hinaus, um zu
möglichst vielseitigen logischen Studien anzuleiten.
In einer Zeit, wo in anscheinend praktischem
Interesse eine Mannigfaltigkeit verschiedenartiger
Aufgaben den Studirenden in eine zerstreuende Viel-
thätigkeit hineinzuziehen und ihm die Müsse zu phi-
losophischer Vertiefung zu rauben droht, ist die
Beobachtung um so erfreulicher, dass der Sinn für
logische Studien noch unerloschen ist.
X Vorrede des Verfassers.
Von der Leidenschaftlichkeit, mit der solche
philosophische Parteifragen behandelt zu werden pfle-
gen, welche die Grundlagen unserer gegenwärtigen
politischen und kirchlichen Gemeinschaften betreffen^
sind [die logischen Controversen unter allen am
wenigsten tangirt; die Unbefangenheit der Unter-
suchung wird hier nicht leicht getrübt durch den Hin-
blick auf gewünschte oder unerfreuliche Resultate;
in den logischen Problemen erschliesst sich das
freieste Gebiet für die erste philosophische Gym-
nastik, und dieselben haben doch zugleich ein hohes
Interesse für den denkenden Geist durch die Bedeu-
tung ihres Objects und durch ihre grundlegende Be-
ziehung zu aller andern philosophischen Erkenntniss.
Mit lebhaftem Interesse bin ich den Bestrebun-
gen der Männer gefolgt,- welche für Neubelebung
des * propädeutisch -philosophischen Unterrichts auf
Gymnasien in jüngster Zeit eifrig und erfolgreich
gewirkt haben. Dieser Unterricht, dessen Haupt-
object und vielleicht zur Zeit einziges Object die
Elemente der Logik bilden müssen (denn kein an-
derer Zweig der Phüosophie und am wenigsten die
Psychologie besitzt gegenwärtig gleich der Logik
einen^ Kreis von gesicherten und allgemein aner-
kannten Theoremen, wie solche für den Schulunter-
richt unbedingt erforderlich sind), liegt nicht nur
im Interesse des Studiums der Philosophie, insbe-
sondere auf der Universität, sondern auch im In-
teresse des Gymnasiums selbst. Der Universitäts-
vortrag und die eigene Leetüre muss, um rechte
Frucht zu bringen, die Kenntniss der Elemente und
eine Vertrautheit mit denselben, wie sie nur durch
schulmässige Einübung gewonnen werden kann, vor-
Vorrede des Verfassers. XI
aussetzen. Für die Gymnasialstudien aber ist die
philosophische Propädeutik von Werth theils als
angemessener Abschluss der intellectuellen Bildung,
theils noch insbesondere als ein unabweisbares Hülfs-
mittel des deutschen Unterrichts (wiewohl es zu dem
letzteren Zweck der mit mehrfachen Unzuträglich-
keiten verknüpften Einschiebung der Propädeutik
in die deutschen Stunden nicht bedarf).
Ich habe mich bemüht in den neuen Auflagen
dieses Buches (die zweite ist 1865 die dritte 1868 er-
schienen) nicht nur durch eine, noch schärfere Fas-
sung mancher Theoreme und durch eine eingehende
Berücksichtigung neu hervorgetretener Aporien den
wissenschaftlichen Werth des Werkes zu erhöhen, son-
dern auch in der Art der Erläuterungen und in der
Wahl der Beispiele noch mehr, als es in der ersten
1857 erschienenen geschehen war, dem Bedürfniss der
Lehrer, welche den propädeutischen Unterricht er-
theilen, entgegenzukommen, ebenso wie auch dem
Bedürfniss der Studirenden, welchen es um eine
solide Grundlage philosophischer Studien ernstlich
zu thun ist.
Der Männer, deren Lehren von wesentlichem
Einfluss auf das vorliegende Werk gewesen sind,
bleibe ich dankend mit Anerkennung und Achtung
eingedenk.
F. Ueberweg.
Inhaltsverzeichniss.
Elnleltmig«
Begriff, Eintheilnng und allgemeine Geschiebte der Logik.
Seite
§ 1. Definition der Logik 1
§ 2. Die Erkenntnissformen. Ihre zweifache Bedingtheit. Ihre
Beziehung auf den Inhalt der Erkenntniss ... 2
§ 8. Der Zweck der Erkenntnissthätigkeit. Die Wahrheit.
Das Wissen 4
§ 4. Die Möglichkeit der Logik als Wissenschaft ... 8
§ 6. Der absolute und relative Werth der Logik ... 8
§ 6. Die Stellung der Logik im Systeme der Philosophie . 9
§ 7. Das Studium der Logik als Propädeutik zu dem Studium
der übrigen philosophischen Disciplinen ... 12
§ 8. Eintheilung der Logik 13
§ 9. Der Werth der Geschichte der Logik ... 15
§ 10. Der historische Ursprung der Logik . .16
§ 11. Die Ionischen Naturphilosophen, die Pythagoreer und
die Eleaten 18
§ 12. Die Sophisten und Sokrates 21
§ 13. Die einseitigen Sokratiker 22
§ 14. Plato 24
§ 15. Die Platoniker 26
§ 16. Aristoteles 26
§ 17. Die Peripatetiker . 30
§ 18. Die Epikureer, Stoiker und Skeptiker . . . . 31
§ 19. Die Neuplatoniker 32
§ 20. Die Kirchenväter. Das Studium der Dialektik in den
Schulen bei den Christen, Arabern, Juden ... 33
§ 21. Die Scholastiker 34
§ 22. Das Beformationszeitalter 36
§ 23. Baco von Yerulam 38
§ 24. Cartesius 39
Xiy Inhaltsverzeiohniss.
Seite
§ 25. Spinoza 42
§ 26. Locke 42
§ 27. Leibniz und Wolff 48
§ 28. Kant 47
§ 29. Die Eantiflche Schale and verwandte Bichtangen. Fries.
Herbart 51
§ 30. Fichte, Schelling und ihre Schalen 54
§ 81. Hegel 56
§ 32. Die Hegel'flche Schale 61
§ 33. Schleiermacher 61
§ 34. Die neuesten deutschen Logiker 63
§ 85. Neuere Logiker ausserhalb Deutschlands .... 79
I. Tbett.
Die Wahrnehmung in ihrer Beziehung zu der objectiven Bäumlichkeit
und Zeitlichkeit.
§ 36. Definition der Wahrnehmung 95
A. Die äussere oder sinnliche Wahrnehmung.
§ 87. Argumente gegen die üebereinstimmung der sinnlichen
Wahrnehmung mit der äusseren Wirklichkeit . 97
§ 38. Die Unrichtigkeit der Eantischen Treimung von Stoff
und Form der Wahmehmuug 98
§ 39. Ueber die Erkennbarkeit der Existenz von afficirenden
Objecten auf Grund der sinnlichen Wahrnehmung . 100
B. Die innere oder psychologische Wahrnehmung.
§ 40. Die üebereinstimmung der inneren Wahrnehmung mit
der wahrgenommenen Bealität 101
G. Die Yerbindung der inneren und äusseren Wahrnehmung.
§ 41. Die Erkenntniss der Mehrheit beseelter Wesen . 106
§ 42. Die Erkenntniss der Stufenreihe der Wesen . . 108
§ 48. üeber die Bealität von Materie und Kraft .112
§ 44. üeber die Bealität von Baum und Zeit . . .112
Inlialtsyerzeicfanias. XV
Seite
D. ThelL
Die Einzelvorstelliing oder Anschauung in ihrer Beziehung eu der
objectiyen Einzelexistenz.
§ 45. Definition der Einzelvorstellung oder An-
schauung 124
§ 46. Die Unterscheidung der Individuen vermittelst der Ein-
zelvorstellungen 124
§ 47. Die Formen der Einzelvorstellung und die Formen der
Einzelexistenz. Die Kategorien im Aristoteli-
schen Sinne. Der Parallelismus zwischen den Formen
der Einzelexistenz, den Yorstellungsformen und den
Wortarten 128
§ 48. Die klare und deutliche Vorstellung .... 186
§ 49. Das Merkmal und die Theilvorstellung . 186
§ 60. Der Inhalt der Vorstellung. Die Partition . 186
m. ThelL
Der Begriff nach Inhalt und Umfang in seiner Beziehung zu dem
objeotiven Wesen (essentia) und der Grattung (genus).
§61. Die Reflexion und Abstraction. Die allgemeine Vorstellung 188
§ 52. Die Determination . , 140
§ 63. Der Umfang. Die Division. Die Verhältnisse der Vor-
stellungen zu einander nach Umfang und Inhalt 140
§ 64. Das Verhältniss zwischen Inhalt und Umfang 144
§ 65. Die Stufenordnung (Pyramide) der Vorstellungen . . 147
§ 66. Definition des Begriffs. Das Wesen ... 147
§ 57. Die Erkenntniss des Wesentlichen. Die Idee und die
Werthverhältnisse. Das Element a priori und a poste-
riori in der Begriffsbildung 167
§ 68. Die Glasse, Gattung, Art etc. Ihre Realität und ihre
Erkennbarkeit 161
§ 69. Der Individualbegriff 164
§ 60. Die Definition. Ihre Elemente: Gattungsbegriff und
spedfische Differenz 166
§ 61. Die Arten der Definitionen 169
§ 62. Die bemerkenswerthesten Definitionsfehler . 176
§ 63. Die Eintheilung. Der Eintheilungsgrund. Die £in-
theilungsglieder. Die Dichotomie. Trichotomie etc. 180
§ 64. Die Unter- und Nebeneintheilung 184
§ 66. Die bemerkenswerthesten Eintheilungsfehler . . . 186
9 66. Der Zusammenhang der Begriffsbildung mit den übrigen
Functionen des erkennenden Denkens .... 187
XYI InhalUyerzeiohniBB.
IT« Theo.
Seite
Das ürtheil in seiner Beziehung zu den objeotiven Grund-
verhältnissen oder Relationen.
§ 67. Definition des ürtheils . . . . . 189
§ 68. Das einfache und das zusammengesetzte ürtheil. Die ein-
zelnen Urtheilsverhältnisse und ihre Beziehung auf die
entsprechenden Exis tenzv erhältnisse. Die Kategorien
der Relation im Eantischen Sinne . . 196
§ 69. Die Qualität und die Modalität der ürtheile . . 207
§ 70. Die Quantität 216
§ 71. Combination der Eintheilungen nach der Qualität und
Quantität. Die vier ürtheilsformen a, e, i und o . 216
§ 72. Der contradictorische und der conträre Gegensatz zwi-
schen zwei Urtheilen und die Subalternation . . 219
§ 73. Die Form und Materie der ürtheile. Das A priori und
A posteriori in der ürtheilsbildung . . . 221
T. TheU.
Der Schluss in seiner Beziehung zu der objectiven Gesetzmässigkeit.
§ 74. Definition des Schlusses 224
§ 75. Die Prinoipien des Schliessens im Allgemeinen 229
§ 76. Der Grundsatz der Identität 230
§ 77. Der Grrundsatz des Widerspruchs 234
§ 78. Der Grundsatz des ausgeschlossenen Dritten oder Mitt-
leren zwischen zwei contradictorisch entgegengesetzten
urtheilen 264
§ 79. Zusammenfassung der Grundsätze des Widerspruchs und
des ausgeschlossenen Dritten in dem Princip der oon-
tradictorischen Disjunction 266
§ 80. Die Verhältnisse zwischen urtheilen mit conträr ent^
gegengesetzten Prädicaten. Die dialektische Opposition.
Der Satz des zwischen conträren Gegensätzen in der
Mitte liegenden Dritten. Der Satz der Vermittlung
oder der Goincidenz der Gegensätze .... 267
§ 81. Der Satz des (zureichenden) Grundes .... 270
§ 82. Die Formen der unmittelbaren Schlüsse überhaupt 275
§ 83. Die analytische ürtheilsbildung als Ableitung eines ür-
theils aus einem Begriff, und die synthetis<£e ürtheils-
bildung 277
§ 84. Die Conversion überhaupt. Dire innere Berechtigung . 282
§ 85. Die CSonversion des allgemein bejahenden ürtheils . 284
§ 86. Die Conversion des particular bejahenden ürtheils . 289
§ 87. Die Conversion des allgemein verneinenden ürtheils . 291
§ 88. Die Unmöglichkeit der Conversion des particular ver-
neinenden ürtheils 296
§ 89. Die Contraposition überhaupt. Dire innere Berechtigung 297
§ 90. Die Contraposition des allgemein bejahenden ürtheils . 298
§
91.
§
92.
§
98.
§
94.
§
96.
§
96.
§
97.
§
98.
Inhaltsverzeichniss. XVII
Seite
Die Oontraposition des allgemein verneinenden ürtheils 800
Die Ck)ntrapo8ition des particular verneinenden ürtheils 301
Die Unmöglichkeit der Contraposition des particular
bejahenden ürtheils 801
Die Umwandlung der Relation 806
Die Subalternation 806
Die (qualitative) Aeqnipollenz 307
Die Opposition 808
Die modale Gonsequenz 810
§ 99. Die mi^fctelbaren Schlüsse. Der Syllogismus und
die Induction 812
§ 100. Der einfache und der zusammengesetzte Syllogismus.
Die Bestandtheile des Syllogismus. Die Relation des-
selben 814
§ 101. Der Syllogismus als Erkenntnissform. Seine Beziehung
auf die reale Gesetzmässigkeit 816
§ 102. Der einfache kategorische Syllogismus. Die drei
Termini desselben 826
§ 103. Die drei Hanptclassen (Figuren im umfassenderen Sinne)
oder vier Abtheilungen (Figuren im beschränkteren
Sinne) der einfachen kategorischen Syllogismen . 827
§ 104. Die verschiedenen Combinationsformen der Prämissen.
Die Modi 846
§ 106. Die Sphärenvergleichung als Kriterium der Schluss-
fähigkeit 847
§ 106. £x mere negativis nihil sequitur. Ausscheidung der
Ck)mbinationsformen e e. o e, e o, o o . . . . 348
§ 107. Ex mere particularibus nihil sequitur. Ausscheidung der
Ck)mbinationsformen ii, oi, io 861
§ 106. Die Gombination eines partioularen Obersatzes mit einem
negativen Untersatze ist nicht schlussfähig. Aus-
scheidung der Gombinationsform ie . . . . 363
§ 109. Die erste Fig^ im engeren Sinne, Ausscheidung der
Combinationsformen i a, o a ; a e, a o . . . . 366
§ 110. Der erste Modus der ersten Figur: Barbara . . 868
§ 111. Die übrigenModi der ersten Figur: Celarent, Darii, Ferio 869
§ 112. Die zweite Figur, Ausscheidung der Combinations-
formen i a, o a ; a a, a i 872
§ 113. Die gültigen Modi der zweiten Figur: Cesare, Camestres
Festino, Baroco 378
§ 114. Die dritte Figur. Ausscheidung der Combinationsfor-
men a e und a o . ' 379
§ 116. Die gültigen Modi der dritten Figur: Darapti, Felapton,
Disamis, Datisi, Booardo, Ferison .... 380
§116. Die vierte Figur. Ausscheidung der Combinationsformen
oa, ao; ai 884
§ 117. Die gültigen Modi der vierten Figur oder der zweiten
Abtheilung der ersten Fig^r im umfassenderen Sinne :
Bamalip, C^alemes, Dimatis, Fesapo, Fresison . . 886
Xyni Inhalteverzeichniss.
Seite
§ 118. Vergleichende üebenicht über die verschiedenen Figuren
und Modi. Die Form des Schlusssatzes. Die Modi
Barbari, Celarent; Cesaro, Camestros; Calemos. Das
Werihverhältniss der verschiedenen Formen. Die Namen
der sämmtlichen Modi 890
§ 119. Die Modalitat des Syllogismus 898
§ 120. Die Substitution eines Begriffs für einen andern in
einem objectiven oder attributiven Verhältniss. Zu-
rückführung der Syllogismen aus zwei einfachen kate-
gorischen üriheilen auf das Substitutionsprincip 896
§ 121. Die Syllogismen aus subordinirt zusammengesetzten und
insbesondere aus hypothetischen Prämissen . 399
§ 122. Vermischte Schlüsse aus einer hypothetischen und einer
kategorischen Prämisse oder die vorzugsweise soge-
nannten hypothetischen Syllogismen .... 404
§ 128. Vermischte Schlüsse mit coordinirt zusammengesetzten
Prämissen und insbesondere mit einer disjunctiven
Prämisse. Das Dilemma, Trilemma, Polylemma, oder
der sogenannte Syllogismus comutus .... 406
§ 124. Zusammengesetzte Schlüsse. Die Schlusskette. Der
Prosyllogismus und Episyllogismus .... 418
§ 125. Einfache und zusammengesetzte Schlüsse mit verkürz-
tem Ausdruck. Das Enthymem. Das Epicherem. Der
Eettensohluss oder Sorites 415
§ 126. Die Paralogismen und Sophismen 418
§ 127. Die Induction überhaupt 422
§ 128. Die voUslÄndige Induction 426
§ 129. Die unvollständige Induction 427
§ 180. Die bemerkenswerthesten Inductionsfehler . . 488
§ 131. Der Schluss der Analogie 484
§ 132. Die Bestimmung des Wahrscheinlichkeitsgrades 442
§ 188. Die materiale Wahrheit der Prämissen und des
Schlusssatzes 444
§ 184. Die Hypothese 446
§ 135. Der Beweis 458
§ 186. Die Widerlegung. Die Untersuchung. Das Problem . 462
§ 187. Die bemerkenswerthesten Beweisfehler .... 464
Tl. ThelL
Das System in seiner Beziehung zu der Ordnung der objectiven Totalität.
§ 188. Definition des Systems. Das Denkgesetz der Totalität 478
§ 139. Das Princip. Die Analysis und Synthesis . 474
§ 140. Die analytische (oder regressive) Methode . . 478
§ 141. Die synthetische (oder constructive) Methode . . 483
Einleitung.
Betriff, EiBtheilmig und allgemeine GeBehiehte der Logik.
§ 1. Die Logik ist die Wissenschaft von den
normativen Gesetzen der menschlichen Erkennt-
nifis. Das Erkennen ist die Thätigkeit des Geistes, vermöge
deren er mit Bewasstsein die Wirklichkeit in sich reproducirt.
Es ist theils unmittelbares Erkennen oder äussere und innere
Wahrnehmung, theils mittelbares oder denkendes Erkennen.
Die auf mittelbares Erkennen abzielende Geistesthätigkeit ist
das Denken. Die normativen Gesetze (Gebote, Vorschriften)
sind diejenigen allgemeinen Bestimmungen, denen die Erkennt-
nissthätigkeit sich um der Erreichung des Erkenntnisszweckes
willen unterwerfen muss.
Die Logik als Erkenntnisslehre hält die Mitte zwischen
der gewöhnlich sogenannten formalen, oder bestimmter: subjecti-
▼istisch-formalen Logik, welche das Denken mit Abstraction von
seiner Beziehung auf das zu erkennende (objective) Sein betrachtet, und
der mit der Metaphysik identificirten Logik, welche mit den
Gesetzen des Erkennens zugleich den allgemeinsten (metaphysischen oder
ontologischen) Inhalt aller Erkenntniss darstellen will. Das Nähere
hierüber und namentlich die Rechtfertigung dieser Mittelstellung s. un-
ten bei §§ 3 und 6 und in dem Ueberblick über die allgemeine Ge-
schichte der Logik besonders §§ 28—35. — Die Erkenntniss in dem
weiteren Sinne, in welchem wir hier das Wort gebrauchen, umfasst so-
wohl die Kenntniss, welche auf der Wahrnehmung (und dem die
fremde Wahrnehmung überliefernden Zeugniss) beruht, als die Er-
kenntniss im engeren Sinne, die durch das Denken gewonnen
wird. — - Das menschliche Erkennen als Nachbildung des Wesens der
Dinge im menschlichen Bewusstsein ist zugleich ein Nachdenken der
Gedanken, welche das schöpferische göttliche Denken in die Dinge hin-
eingebildet hat. Im Handeln soll der vorausgehende Gedanke die
Wirklichkeit bestimmen, im Erkennen aber die an sich vemunft-
gemasse Wirklichkeit den menschlichen Gedanken. Das hier in der
1
2 § 2. Die Erkenntnissformen.
Einleitung Gesagte soll nur als Anticipation der später (von §37 an)
durch eine davon unabhängige Untersuchung zu gewinnenden
Resultate gelten; es soll hier nur zur vorläufigen Orientirung dienen.
Die hier aufgestellten Definitionen sind zunächst nur Nominalerklä-
rungen (s. u. § 61), deren Gültigkeit (gerade so, wie in Euklid's Geo-
metrie die der an die Spitze gestellten Definitionen) so lange dahin
gestellt bleibt, bis die nachfolgende Untersuchung dieselbe darthut.
Den Gedanken, dass durch das Sein das Erkennen bedingt sei,
äussert Plato Rep. Y, p. 477 ed. Steph. Zumeist in Beziehung auf
das Urtheil entwickelt denselben Aristoteles. Arist. Gat. 12. 14.
b. 18: ^aii J^ o fikv alridTfg Xoyog ov^afias airios tov elvai ro TiQayfia,
t6 /niyrot n^äyfia tpaCverai natg atriov tov eJvai äkti&fj tov Xoyov Ttp
yicQ elvat t6 nQÜyfta rj juii alrj&rig 6 loyog i} ipivSiig XfyeToi, Arist.
Metaph. VIII. 10. 1051. b. 8: ak€&€v€i fjikv 6 t6 dir^QiniJLivov oi6fi€Vog
JtatQiTadfu xal to avyxeffievov (Tvyxstff&aty f\f/€vaTtu dk 6 ^vavrCiog ^x^v
rj Ttc TtqayfxaTa ' . . , ov yäg dia t6 rif4ag oUadtu alijO^clig a€ Xivxov
eJyai s1 ah levxogy alka diä ro ak elviu Xfvxov ^fiiig ol tpayreg tovto
al7i&€vofji6v. Arist. Metaph. IX. 6. 1057. a. 11: tqotiov riva ri irnaT^fitf
fLteTQslTcu T(ß IniaTrfT^. Schleiermacher, Dialektik, herausg. von
Jonas, S. 487: >Zu dem Satz: das Denken soll dem Sein gleich sein,
gehört ein zweiter: das Sein soll dem Denken gleich sein. Dieser
Satz ist das Princip und Maass für alle Willensthätigkeiten, wie
jener für alle Denkthätigkeitenc. Vgl. Schelling, System des trana-
scendentalen Idealismus, 1800, S. 18 ff.; Hegel, Encycl. § 225. —
Lotze's Bemerkung, der Geist sei besser als die Dinge und brauche
im Erkennen nicht ihr Spiegel zu sein, hebt unser logisches Princip
nicht auf, weil 1. die zu erkennende Objectivität nicht bloss ausNatur-
object^n, sondern (in der Geschichte etc.) auch aus geistigem Inhalte
besteht, 2. die Spiegelung im Bewusstsein, obschon Reproduction, doch
auch das eigene, relativ selbständige Werk des Geistes ist, 8. nicht die
ganze Thätigkeit des Geistes in die Erkenntniss aufgeht, sondern da-
neben die schöpferische, das Gegebene in der Vorstellung veredelnd
fortbildende Wirksamkeit der Phantasie und das sittliche Handeln seine
Aufgabe ist. — Vgl. die Note zu § 87.
§ 2. Das Erkennen ist, da der menschliche Geist mit
Bewasstsein die Wirklichkeit reproduciren soll (§1), zwei-
fach bedingt: a. snbjectiv durch das Wesen und die Na-
turgesetze der menschlichen Seele, insbesondere der mensch-
lichen Erkenntnisskräfte, b. objectiv durch die Natur dessen,
was erkannt werden soll.. Die Beschaffenheiten und Verhältnisse
des zu Erkennenden, sofern dieselben verschiedene Weisen
der Nachbildung im Erkennen bedingen, nennen wir die Exi-
stenzformen. Die Begriffe von den Existenzformen sind die
metaphysischen Kategorien (z. B. Subsistenz und In-
§ 2. Die Erkenntnissformen. 3
harenz). Die den Existenzformen entsprechenden Weisen, wie
das Seiende im Erkennen anfgefasst nnd nachgebildet wird,
sind die Erkenntnissformen; das Abbild selbst als das
Resultat der Erkenntnissthätigkeit ist der Inhalt der Er-
kenntniss. Die Begriffe von den Erkenntnissformen sind
die logischen Kategorien (z. B. das kategorische Urtheil).
Da die Gesetze des Erkennens als solche nur die Weisen der
Nachbildung oder die Formen der Erkenntniss, nicht den In-
halt derselben bestimmen, so kann die Logik auch näher
als die Lehre von den Gesetzen der Erkenntniss-
formen erklärt werden. Die Logik ist somit eine formale
Wissenschaft; aber die in ihr behandelten Formen sind, indem
sie den Existenzformen entsprechen, durch die Objectivität
bedingt. Auch stehen dieselben nicht nur im Allgemeinen zu
dem Erkenntnissinhalte überhaupt, sondern auch in ihrer jedes-
maligen besonderen Gestaltung zu der Besonderheit des In-
haltes in wesentlicher Beziehung.
Sofern die Logik sich auf die Gesetze des Seelenlebens gründet,
bat sie eine anthropologische Seite, und sofern auf die allgemeinen Ge-
setze des Seienden überhaupt» eine metaphysische Seite. Diese beiden
Elemente aber bilden nicht selbständige Theile der# Logik, sondern
dienen nur der Begründung der normativen Gesetze, und sind dem-
zufolge auch nur in der Form von Hülfssätzen aus der Psychologie und
Metaphysik bei der Behandlung der einzelnen Partien an den betreffenden
SteUen aufzunehmen oder nur insoweit zu erörtern, als dies für den
logischen Zweck erforderlich ist. Die Logik soll nicht eigens von
dem Sein, dem Wesen, der Causalität, der bewegenden Ursache und der
Zweckursache etc., noch auch von den psychischen Gesetzen handeln,
so wenig wie die Diätetik von den chemischen und physiologischen
Processen, wohl aber vorbereitend oder nachfolgend sich auf solche
Dntersnchungen beziehen. Keineswegs aber sind (wie Drobisch meint,
Log. 8. u. 4. Aufl. Vorr. S. XYII) hiermit zugleich auch Untersuchungen
wie die über die Erkennbarkeit der Dinge, über die reale Gültigkeit
der Begriffe, Baum, Zeit, Causalität etc. von ihr auszuschliessen ; denn
diese Untersuchungen betreffen nicht die Existenzformen als solche,
sondern unsere Erkenntniss.
Zur Yeranschanlichung des Verhältnisses der logischen Formen
zu den metaphysischen diene vorläufig die Beziehung von Subject und
Prädicat im kategorischen Urtheil auf die Existenzformen: Substantia-
liUt und bihärenz, femer die Beziehung der über- und untergeordneten
Begriffe auf die Existenzweise der Dinge in Gattungen und Arten etc.
Vgl. $ 8.
4 § 8. Der Zweck der Erkenntnissthätigkeit. Wahrheit und Wissen.
Sehr mit Unrecht deuten Viele (z.B. Steinthal, Gramm., Log.
und Psycho!., Berlin 1655, S. 146) den Ausdruck: »formale Logik«
so, als ob derselbe nothwendigerweise die Abstraction von jeder Be-
ziehung zur Wirklichkeit involvire. Die Logik bleibt formal, weil sie
die Lehre von der richtigen Form oder Weise des Denkens ist, auch
dann, wenn man eben diese Form durch den Zweck der Uebereinstim-
mung des Denkinhaltes mit der Wirklichkeit bedingt sein lässt. Jene
nur auf die subjective Uebereinstimmung des Denkenden mit sich selbst
gerichtete Logik ist subjectivistisch-formal.
Bei Kant und seiner Schule knüpft sich an die Unterscheidung
der analytischen und synthetischen Urtheilsbildung (s. u. § 88) die
Unterscheidung der formalen Logik in dem Sinne, dass dieselbe
nur die Normen der analytischen Erkenntniss aufstellen soll, und
der Kritik der reinen Vernunft, welche nach der Möglichkeit einer
allgemeingültigen synthetischen Erkenntniss fragt. Die Aristote-
lische Logik will eine analytische Theorie des Denkens sein,
die analytisch-formale Logik im Kantischen Sinne aber eine Theorie
des analytischen Denkens. Mit der Kantischen ist die Beneke-
sche Unterscheidung des analytischen oder » logischen« Denkens und
der synthetischen Grundlagen des Denkens verwandt, wie auchUlrici's
Eintheilung des Denkens in das producirende (synthetische) und das
unterscheidende (analytische) Denken. Doch möchte nicht zu billigen
sein, dass eine Unterscheidung, die allerdings in Betreff der Urtheils-
bildung Werth und Wahrheit hat, zum Princip einer Zerlegung der
gesammten Logik in zwei gesonderte ^heile erhoben wird. Dieses Ver-
fahren würde dem des Geometers gleichen, der etwa seine Wissenschaft
aus dem Gesichtspuncte, welche Sätze ohne das elfte Euklidische Axiom
bewiesen werden können, und welche dasselbe mit Nothwendigkeit vor-
aussetzen, in zwei gesonderte Theile zerfallen wollte. Derartige Be-
trachtungen haben allerdings als Monographien über einzelne Axiome
ihren vollen wissenschaftlichen Werth, dürfen aber nicht die gesammte
Gliederung des Systems bestimmen, die auf umfassenderen Gesichts-
puncten beruhen muss.
§ 3. Das Ziel der theoretischen Thätigkeit des Geistes
ist die Wahrheit. Die zur Wahrheit gelangte Erkenntniss
ist das Wissen. Man pflegt die materiale (oder reale) Wahr-
heit und die (formale) Bichtigkeit zu unterscheiden. Die mate-
riale Wahrheit im absoluten Sinne oder die Wahrheit schlecht-
hin ist die Uebereinstimmung des Erkenntnissinhaltes mit der
Wirklichkeit. Die materiale Wahrheit im relativen Sinne
oder die phänomenale Wahrheit ist die Uebereinstimmung des
mittelbar gewonnenen Gedankeninhaltes mit den unmittelbaren
äusseren oder inneren Wahrnehmungen, welche bei ungestörter
Gesundheit der Seele und der leiblichen Organe entstehen
§ 8. Der Zweck der Erkenntnissthätigkeit. Wahrheit und Wissen. 6
oder doch unter den entsprechenden äusseren Bedingungen
entstehen würden. Unter der formalen Wahrheit pflegen
Vertreter der subjectivistisch-formalen Logik die Widerspruchs-
losigkeit oder die Einstimmigkeit der Gedanken unter einander
zu verstehen. Die materiale Wahrheit schliesst die formale
im Sinne der Widerspruchslosigkeit in sich; diese dagegen
kann ohne die materiale Wahrheit sein. Im volleren Sinne
ist die formale Richtigkeit die Uebereinstimmnng der Erkennt-
nissthätigkeit mit ihren (logischen) Gesetzen. Wenn allen
logischen Anforderungen an die Form der Wahrnehmung so-
wohl als des Denkens zugleich genügt wird, so kann auch
die (mindestens relative) materiale Wahrheit nicht fehlen und
die formale Richtigkeit in dem vollen Sinne verbürgt daher
allerdings auch diese ; die Richtigkeit des Denkens allein aber
bürgt nur daftir, dass der Zusammenhang zwischen den Voraus-
setzungen und den Folgen so, wie er wirklich ist, also mit
Wahrheit, erkannt werde und dass daher, falls die Voraus-
setzungen materiale Wahrheit haben, dieselbe auch dem daraus
Abgeleiteten zukomme. In Hinsicht auf den Zweck des Er-
kennens ist demnach die Logik die wissenschaftliche
Lösung der Frage nach den Kriterien der Wahr-
heit oder die Lehre von den normativen Gesetzen,
auf deren Befolgung die Realisirung der Idee der
Wahrheit in der theoretischen Vernunftthätigkeit
des Menschen beruht.
Der Wahrheit in dem logrischen Sinne: üebereinstimmang des
Gedankens mit seinem Objecto, steht die ethische Bedeutung: üeber-
einstimmung des Objectes mit seiner Idee oder seiner inneren Bestim-
mung, ergänzend gegenüber. Hinter dem vollen logischen Sinne bleibt
zurück die Erklärung der sogenannten »formalen Wahrheit« als >Zu-
sammenstimmung der Erkenntniss mit sich selbst bei gänzlicher Ab-
atraction von allen Objecten insgesammt und von allem Unterschiede
derselben« (Kant, Logik, hrsg. v. Jäsche, S. 66); über denselben geht
hinaus die Erklärung der sogenannten transscendentalen Wahrheit als
der Ordnung der realen Objecte: »veritas, quae transscendentalis appel-
latur et rebus ipsis inesse intelligitur , est ordo eorum, quae enti con-
veniuntc (Christian Wolff, Ontolog. § 496).
Uebereinstimmen heisst : gleich sein in gewissen Beziehungen.
Sofern die Logik untersucht» ob und in wie weit üebereinstimmung des
Erkenntnissinhaltes mit der objectiven Realität erreichbar sei, ist sie
Erkenntnisskritik; soweit sie lehrt, durch welches Verfahren das
6 § 3. Der Zweck der Erkenntnissthätigkeit. Wahrheit und Wissen.
erreichbare Maass der UebereinstimmuDg wirklich erreicht werde, ist
sie Logik im engeren Sinne. Beide Fragen sind in jedem Ab-
schnitt der Logik in Verbindung mit einander zu beantworten; doch
wird in der Lehre von der Wahrnehmung die erste, in der Lehre vom
Denken die andere prävaliren; soweit normative Gesetze für die Wahr-
nehmung aufzustellen sind, kann dies nur im Anschluss an die Lehre
von den Denkgesetzen geschehen (s. unten einerseits §§ 86 ff., anderer-
seits §§ 27 ff. und 140).
Gegen die Möglichkeit, die materiale Wahrheit zu erreichen
und derselben gewiss zu werden, erhebt der Skepticismus und der
Kriticismus gewichtige Bedenken. Um der Wahrheit im absoluten
Sinne uns zu vergewissern, müssten wir unsere Vorstellung mit dem
Objecto vergleichen können; wir haben aber (behauptet der Kriticismus)
das Object nicbt anders, als in unserer Vorstellung, niemals rein an
sich selbst; wir werden also in der That nur unsere Vorstellung mit
unserer Vorstellung vergleichen, nicht mit der Sache an sich. Die ma-
teriale Wahrheit im relativen Sinne unterliegt der Schwierigkeit, welche
die alten Skeptiker durch die Frage bezeichneten: r/c xQiVft t6v vyiti--
v6v ; oder : T(g 6 XQCvtov tov vyiaivorra xal ol(og tov ne^l 'ixuara xqi-
vovvra 6g&ä)s\ (Arist. Metaph. IIL 6. 1011 a. 5). Die formale Wahr-
heit oder Richtigkeit endlich im Sinne der Widerspruchslosigkeit fuhrt
uns nicht über das hinaus, was wir mindestens implicite schon besitzen ;
wie aber gewinnen wir die erste Erkenntniss, und wie einen Fortschritt
im Erkennen? Zu diesen allgemeinen Schwierigkeiten treten besondere
hinsichtlich der einzelnen Erkenntnissformen hinzu, welche später er-
wähnt werden müssen. Die Losung ist die Aufgabe des gesammten
Systems der Logik und kann eben darum an dieser Stelle noch nicht
gegeben werden (vgl. insbesondere § 81 und die daselbst citirte Ab-
handlung über den Idealismus etc., femer §§ 37, 40, 41 — 44).
Gegen die Identificirung der Logik mit der Lehre von den nor-
mativen Gesetzen der Erkenntniss hat man eingewandt, dass doch die
logischen Grundgesetze feststehen würden, auch wenn es keine Dinge
und keine Erkenntniss gäbe, und dass eine Denkart, z. B. ein Sohluss,
logisch (formell) richtig sein könne, auch wenn er materiell (schon in
seinen Prämissen) falsch sei (Ulrici; vgl. Drobisch, Log. 2. A. §7,3. u.
4. A. § 6 und Vorr. S. XV, wonach von der Erkenntnisslehre nur so
viel in die Einleitung zur Logik aufgenommen werden soll, als nÖthig
sei, um für die eigentliche Aufgabe derselben die Data zu gewinnen).
Dieser Einwand aber läuft in seinem ersten Theile auf eine petitio prin-
cipii hinaus. Allerdings giebt es gewisse logische Gesetze, bei welchen
von der Beziehung des Denkens auf die Dinge abstrahirt werden kann.
Dies gilt namentlich von dem Gesetze der Identität und des Wider-
spruchs, welches die Uebereinstimmung der Gedanken untereinander
fordert (die eine Bedingung der Uebereinstimmung mit dem Sein ist),
sowie von allen nur hieraus abgeleiteten Gesetzen. Wer nun die Logik
auf diese Partien beschränkt, der wird freilich behaupten müssen, dass
die logischen Gesetze auch ohne Beziehung zur objeotiven Realität gelten
§ 8. Der Zweck der Erkenntnissthätigkeit. Wahrheit und Wissen. 7
würden; wer aber der Logik eine umfassendere Aufgabe zuweist, der
wird jene Behauptung in ihrer Allgemeinheit nicht als richtig an-
erkennen. Wer dafür hält, dass die Logik hinter ihrer Aufgabe zurück-
bleibe, wenn sie nicht auch Normen für die richtige Bildung des Be-
griffs in seinem Unterschiede von der blossen allgemeinen Vorstellung,
fSir die natürUohe Eintheilung, für die wissenschaftliche Form der
Dednctionen, Liductionen und Analogien aufstelle; wer als Princip der
Logik nicht die blosse Einstimmigkeit des denkenden Subjectes mit sich
selbst, sondern die Wahrheit als Uebereinstimmung mit dem Sein an-
erkennt und daher nicht eine dem subjectiven Geiste schlechthin im-
manente Denknothwendigkeit, sondern vielmehr eine Correspondenz der
logischen Kategorien mit metaphysischen Kategorien in Betracht zieht:
der wird nicht zugestehen, dass die hierauf bezüglichen logischen Gesetze
ganz ebenso auch dann noch gelten würden, wenn es keine Dinge und kein
Erkennen gäbe. Was den zweiten Theil des obigen Einwandes an-
belangt, so ist es wahr, dass das Denken einzelnen logischen Gesetzen
— und zwar auch einzelnen von den Gesetzen der' Logik als Erkennt-
niaslehre — angemessen sein kann, ohne materiale Wahrheit zu haben;
aber die Uebereinstimmung der ganzen Erkenntnissthätigkeit mit
allen diesen Gesetzen sichert auch die materiale Wahrheit. Wer bei
einem Schlüsse auch schon in der Bildung der Prämissen und in den
vorbereitenden Operationen allen Gesetzen der Wahrnehmung und des
erkennenden Denkens genügt hat, der gelangt auch durch den Sohluss
(sei es unmittelbar oder, wie beim indirecten Beweise, mittelbar) zur
materialen Wahrheit. Der Boman geht nicht auf (historische) Erkennt-
niss aus und muss doch logischen Gesetzen folgen; aber er muss dieses
Letzere nur in der Verknüpfung der Voraussetzungen mit den Folgen.
Bildete der Dichter die Voraussetzungen selbst aus dem Wahmehmungs-
inhfllte ebenso nach logischen Normen, wie der Historiker oder der
Richter, so würde er auch durchgängig zu materialer Wahrheit
gelangen; befolgt er die logischen Gesetze in der Verknüpfung von
Voraussetzungen und Folgen, so gewinnt er hierdurch für diese Ver-
knüpfung mehr als blosse Uebereinstimmung in sich, nämlich auch
Uebereinstimmung mit den Gesetzen der objectiven Bealität. Die
formale Richtigkeit der blossen Schlussbildung oder überhaupt irgend
eines bestimmten Theil es der gesammten Erkenntnissthätigkeit sichert
die materiale Wahrheit gerade insoweit, als sie selbst reicht, d. h. sie
gewährt die Bürgschaft, dass wir, sofern wir (z. B. bei dem Schluss
auf die Wiederkehr eines Kometen oder auf den Eintritt einer Sonnen-
finstemiss) von materiell wahren Voraussetzungen ausgehen, auch in
der materialen Wahrheit beharren und zu materiell wahren Resultaten
gelangen. Und gerade dieses ist es, was nach der Ansicht, dass die
logischen Normen auf dem Princip der materialen Wahrheit beruhen,
erwartet werden muss, wogegen eben dasselbe mit der entgegengesetzten
Ansicht nicht zusammenstimmt, welche die logischen Normen mit
Abstraotion von der materialen Wahrheit verstehn will; denn nach
der Gonsequenz dieser Ansicht könnte durch Befolgung der logischen
8 § 4. Die Möglichkeit der Logik ah Wissenschaft.
Nonnen weder partiell (z. B. von den Prämissen bis zu dem Sohlusssatze
hin) noch absolut die materiale Wahrheit gesichert werden; um
das Beharren in der Wahrheit zu erklären, muss auf diesem Standpunote
angenommen werden, dass alle log^ischen Operationen uns nicht über
den schon im Voraus vorhandenen Inhalt der Erkenntniss hinausfuhren,
sondern diesen nur zu vollerer Klarheit und Deutlichkeit erheben, was
aber der Thatsache der Erweiterung unserer Erkenntniss durch logi-
sche Combination, insbesondere durch (sowohl deductives, wie inducti-
ves) Schliessen widerstreitet. Die Normen, denen das Denken im prak-
tischen Leben und in der wissenschaftlichen Forschung folgt, können
nur dann begriffen und begründet werden, wenn über die Betrachtung
der Beziehung des Denkens auf sich selbst hinaus und zu der Betrach-
tung seiner Beziehung auf die Objectivität fortgegangen wird.
§ 4. Die Möglichkeit der bewussten AaffasBang nnd
systematischen Darstellung der logischen Gesetze beruht auf
der vorangegangenen unbewussten Wirksamkeit derselben und
somit die Logik als Wissenschaft auf vorangegangener
Uebung der Erkenntnissthätigkeit. Andererseits
macht die Wissenschaft der Logik eine bewusste Anwendung
der logischen Gesetze und somit eine bewusste logische Denk-
thätigkeit möglich.
Auf diesen Verhältnissen beruht die seit den Scholastikern üb-
liche Unterscheidung der Logica naturalis (connata et acquisita),
der Logica scholastica docens und der Logica scholastica
utens. Doch kommt strenggenommen der Name Logik nur der Lo-
gica scholastica docejQ&^n, und wird daher auch von den neueren Lo-
gikern mit Recht meist nur in diesem Sinne gebraucht. *
Der Gebrauch der logischen Formen und die Ausübung der
logischen Gesetze darf und muss der Theorie derselben vorangehen, da
ja die Theorie selbst nur durch solchen Gebrauch möglich wird; aber
durch die Theorie wird dann der Gebrauch ein geordneter und
strengerer. Geschichtlich haben sich an das Denken zuerst einzelne
Sätze über das Denken geknüpft, und nicht ohne Anwendung dieser
Sätze ist dann eine logisch geordnete Darstellung der Wissenschaften
und auch der Logik selbst in stufenweisem Fortschritt erfolgt.
§ 5. Die Logik hat theils einen absoluten Werth
als wissenschaftlicher Selbstzweck, theils einen relativen
vermöge der fördernden Beziehung, in welcher sie als Theorie
der Kunst des Denkens und des Erkennens zu der Uebung
der Erkenntnissthätigkeit steht. Die Theorie des Denkens
übt einen Einfluss auf das Denken: Eunstlehre ist die Logik
a. wesentlich schon durch die Aufstellung der normativen
Gesetze selbst, indem das wissenschaftliche Bewusstsein von
§ 6. Der Werth der Logik. 9
denBelben die Trene in ihrer praktischen Beobachtung fördert;
sie kann es ausserdem noch b. durch Rathschläge über das
zweckmässigste Verfahren werden, wie unter den subjectiyen
Schranken und Hindernissen die Forderungen der logischen
Gresetze zu erfüllen seien. In technischer Beziehung ist die
Logik, falls sie nur als Lehre von ^er Uebereinstimmnng des
Denkens mit sich selbst behandelt wird, ein blosser Kanon
und ein Kathartikon des Denkens, falls sie aber auch
die Kriterien der materialen Wahrheit aufstellt, zugleich ein
Kanon und ein Organen der Erkenntniss, wiewohl
nur mittelbar in der Anwendung ihrer Gesetze auf einen ge-
gebenen Erkenntnissstoff.
Es ist gleich falsch, die Logik nur als Organon oder Kanon, also
nur als Mittel, und sie nur als Selbstzweck gelten zu lassen. Mit Recht
bemerkt Hegel, so entschieden er sich (Wiss. der Logik, Ausg. von
1833 — 34, L S. 18 — 17) gegen die erste Einseitigkeit erklärt, doch auch
der zweiten gegenüber (Encycl. § 19), dass das an sich WerthvoUste,
das Vortrefflichste, Freieste und Selbständigste, auch das Nützlichste
sei und auch das Logische so gefasst werden könne.
§ 6. Die Logik ist ein integrirender Theil des
Systems der Philosophie. Die Philosophie lässt sich
definiren als die Wissenschaft des Universums, nicht nach
seinen Einzelheiten, sondern nach den alles Einzelne bedingen-
den Frincipien oder als die Wissenschaft der Principien des
durch die Special -Wissenschaften Erkennbaren. Die Princi-
pien sind die im absoluten oder relativen Sinne ersten Ele-
mente, Ton denen Reihen anderer Elemente abhängig sind.
Im Systeme der Philosophie bildet die Metaphysik mit Ein-
schluss der allgemeinen rationalen Theologie {nQutzri q)LXo'
aoqiia, Aristot.) als die Wissenschaft von den Principien im
Allgemeinen^ sofern sie allem Seienden gemeinsam sind, den
ersten Haupttheil; den zweiten und dritten bilden die Philo-
sophie der Natur und die Philosophie des Geistes als die
Wissenschaften von den besonderen Principien der beiden
Hauptsphären des Seienden, die sich durch den Gegensatz der
Unpersönlichkeit oder (relativen) Selbstlosigkeit und der Per-
sönlichkeit oder der Fähigkeit zur denkenden Erkenntniss der
Wirklichkeit und zur sittlichen Selbstbestimmung und Vervoll-
kommnung unterscheiden. Li der Geistesphilosophie schliessen
10 § 6. Die Stellung der Logik im Systeme der Philosophie.
sich an die Psychologie oder die Wissenschaft von dem
Wesen und den Naturgesetzen der menschlichen Seele zunächst
drei normative Wissenschaften an : die Logik^ Ethik und Aesthe-
tik oder die Wissenschaften von den Gesetzen, auf deren Be-
folgung die' Bealisirung der Ideen des Wahren, Guten und
Sdhl5nen beruht. Das Wahre ist die der Wirklichkeit entspre-
chende Erkenntniss ; das Gute ist die ihrer inneren Bestimmung
oder ihrer Idee entsprechende Wirklichkeit als Object des Wol-
lens und Handelns ; das Schöne ist die ihrer inneren Bestim-
mung oder ihrer Idee entsprechende Erscheinung als Object
des Geftthls und der Darstellung. An diese Wissenschaften
schliesst sich femer als zugleich contemplativ und normativ
die Pädagogik oder die Lehre von der durch die genetischen
Gesetze des Seelenlebens (oder die psychologischen Gesetze)
bedingten Leitung der Bildungsfähigen zu den ideellen Zielen,
d. h. zur Erkenntniss der Wahrheit, zum Wollen des Guten
und zum Sinn für das Schöne, und die Philosophie der Ge-
schichte oder die Wissenschaft von der thatsächlichen Ent-
wickelung des Menschengeschlechts, wiefern dieselbe in Ueber-
einstimmung oder in Widerstreit mit den idealen Entwicke-
lungsnormen erfolgt ist (mit Einschluss der philosophischen
Betrachtung der Entwickelung der Cultur, der Beligion, der
Kunst und Wissenschaft).
Die volle Reohtfertignng dieser Begriffsbestimmung und Einthei-
long der Philosophie würde über die Grenzen dieser Einleitung hin-
ausführen; daher beschränken wir uns hier auf folgende Bemerkungen.
Wollten wir unter Princip nur das schlechthin Voraussetzungslose
verstehen, so würde folgerecht nur von Einem Princip die Rede sein
können; nach der oben aufgestellten Begriffsbestimmung aber darf eine
Mehrheit von Prindpien aufgenommen werden, deren jedes in seiner
eigenen Reihe das Herrschende ist, beim Zutritt anderer Reihen aber,
die von anderen Principien abhängen, mit diesen zugleich sich einem
höheren Princip unterordnen kann, von dem es nunmehr seine Herr-
schaft gleichsam zu Lehen trägt. In diesem Sinne sind die gemein-
samen Principien alles Seienden und die besonderen Principien der ein-
zelnen Sphären zu unterscheiden. Offenbar wird bei systematischer
Gliederung diejenige Wissenschaft, welche von den ersteren handelt,
den ersten Haupttheil der Philosophie bilden müssen. Sie führt, seit-
dem sie durch Aristoteles eine selbständige Gestalt gewonnen hat, den
Namen: erste Philosophie (Arist. Phys. I, 9. 192 a. 86; II. 2. 194. b. 14;
Metaph. V. 1. 1026. a. 16, 24; X. 4. 1061. b. 19 (ipiXoawpüt simplidter
§ 6. Die Stellang der Logik im Systeme der Philosophie. 11
i. q. Tiotoxri iptXoaoif'Ca Met. X. 3. 1061. b. 5. 4. 1061. b. 25) und nach
ihrer Stellang hinter der Physik im Systeme der Aristotelischen Werke
den Namen Metaphysik. (Diese Anordnung stammt zwar nicht von
Aristoteles selbst, sondern aus späterer Zeit, wahrscheinlich von An-
dronikus dem Rhodier her, entspricht aber dem didaktischen Grundsatze
des Aristoteles, dass, was den Sinnen näher liege, für uns, sofern wir
die wissenschaftliche Bildung erst noch suchen, ein Früheres, das
Principielle aber ein Späteres sei). Der Metaphysik aber stehen die-
jenigen Theile der Philosophie gegenüber, welche von den besonderen
Principien der einzelnen Sphären des Seins handeln. Die Ein-
theilung dieser Sphären in die beiden Hauptgruppen der Natur und
des Geistes, des unpersönlichen und des persönlichen Seins, darf hier
als anerkannt vorausgesetzt werden. Aus dieser Voraussetzung aber
folgt unmittelbar, dass die Naturphilosophie und die Philosophie des
Geistes als zweiter und dritter Haupttheil des Systems der Philosophie
sich der Metaphysik anschliessen müssen. Die Eintheilung der Philo-
sophie des Geistes gründet sich auf das schon von Aristoteles er-
kannte Gesetz, dass in der Stufenreihe der irdischen Wesen jedes
höhere die Charaktere des niederen modificirt wiederum in sich trägt,
und andere, höhere Charaktere hiermit vereinigt. So hat auch der
Geist in sich die Naturgrundlage und Naturgesetzmässigkeit, und die
Reihe der Zweigwissenschaften der Geistesphilosophie eröffnet sich
daher mit der Wissenschaft von der Naturseite und den Naturgesetzen
des geistigen Lebens, d. i. mit der Psychologie. Die persönliche Selbst-
bestimmung aber, wodurch der Geist sich über die Natur erhebt, wird
durch das Bewusstsein von normativen Gesetzen oder Gesetzen des
Sollens bedingt. Indem diese Gesetze aus der allgemeinen Anforderung
herfliessen, die Ideen im Leben zu verwirklichen, jede der drei Haupt-
richtongen des geistigen Lebens aber, Erkenntniss, Wille und Gefühl
durch ihre eigenthümliche Idee beherrscht wird, so ergeben sich drei
einander coordinirte Wissenschaften von den Normal- oder Ideal-Gesetzen,
nämlich die Wissenschaften von den Gesetzen der Wahrheit, der Güte
und der Schönheit. Da endlich der Gegensatz der Naturgesetze und der
normativen Gesetze auf eine einigende Yermittelung hinweist, indem
unter der Herrschaft des göttlichen Geistes Sollen und Sein eins ist, so
muBs zu der Psychologie und den normativen Wissenschaften die Päda-
gogik und die Philosophie der Geschichte treten und die Reihe der
Zweigwissenschaften der Philosophie des Geistes beschliessen.
Die Ideen der Wahrheit und Schönheit stehen mit der Idee der
sittlichen Güte in wesentlich gleichem Verhältniss. Sie alle können und
sollen zwar auch zum göttlichen Geiste in Beziehung gesetzt werden»
wie überhaupt alle früheren Kategorien in der letzten und höchsten
Sphäre als Momente wiederzukehren bestimmt sind; an sich aber
müssen Wahrheit und Schönheit ebensowohl wie sittliche Güte aus dem
Wesen des endlichen Geistes ihr nächstes wissenschaftliches Yerständ-
niss finden. Wir können demnach nicht (mit Hegel) den Gegensatz
gegen den ursprünglich noch mit der Natur verflochtenen und das erste
12 § 6. Die Stellung der Logik im Systeme der Philosophie.
Stadium seiner Selbstbefreiung durchlaufenden »subjectiven Geiste aus-
sohliesslich in den ethischen Verhältnissen, in Recht, Moralitftt und
Sittlichkeit finden, sondern weisen der zweiten Sphäre ebensowohl, wie
die Ethik, auch die Aesthetik und die Logik zu.
In der Lehre von den normativen Gesetzen der Erkenntniss
ist die Lehre von den normativen Gesetzen des Denkens als ein Tbeil
mitenthalten, der aber auf den Rang einer selbständigen philosophi-
schen Doctrin keinen Anspruch hat.
Der Versuch, die Erkenntnisslehre mit der Metaphysik zu einer
und der nämlichen Wissenschaft, der metaphysischen oder onto-
logischen Logik, zu verschmelzen, ist darum unhaltbar, weil es
den Grundsätzen einer vemunftgemässen Systematisirung widerstreitet,
diejenige philosophische Wissenschaft, welche auf die allgemeinsten
Principien geht, mit einer einzelnen von den Zweigwissenschaften der
Philosophie des Geistes unter den nämlichen Begriff zu stellen. Diese
Inconvenienz würde wegfallen, wenn es gestattet wäre (mit Hegel)
die Erkenntnissformen für allgemeine Formen alles Seienden, der Na-
turdinge ebensowohl wie der geistigen Wesen, zu erklären. Aber dieses
Verfahren ist ein gewaltsames. Hegels metaphysische Logik handelt
nicht nur vom Begriff, Urtheil und Schluss, sondern auch von der ana-
lytischen und synthetischen Methode, von der Definition, der Einthei-
lung, dem Theorem, der Coustruction, dem Beweis etc. ; es müssen also
alle diese Formen für metaphysische, mithin für Formen der Natur und
des Geistes, erklärt werden, was offenbar unrichtig ist. Aber konnte
auch jene Voraussetzung zagegeben werden, so würde doch immer noch
der wesentliche Unterschied obwalten, dass jene Formen in der Aussen-
welt nur zu einer unbewussten und gebundenen, in dem erkennenden
Geiste aber zu einer bewussten und freien Existenz gelangen, und
schon dieser Unterschied wäre bedeutend genug, um eine eigene Be-
trachtung dieser Formen als Formen des Geistes zu erheischen, wie
denn auch in der That bei Hegel die Lehre vom Begriff an drei ver-
schiedenen Stellen des Systems : in der Logik, in der phänomenologischen
Lehre von der Vernunft und in der psychologischen Lehre von der In-
telligenz, immer wieder vorkommt. Wir würden also trotz jenes (übri-
gens unzulässigen) Zugeständnisses dennoch einer besonderen Theorie
der menschlichen Erkenntniss neben der Metaphysik bedürfen. Von
diesen beiden Disciplinen aber würde die Erkenntnisslehre auf den
Namen Logik aus sprachlichen und aus historischen Gründen das
vollere Anrecht haben.
§ 7. Die Logik nimmt hiernach in dem rein wissenschaft-
lich gegliederten Systeme der Philosophie keineswegs die erste
Stelle ein; nichtsdestoweniger aber ist es gestattet und zweck-
mässig, das Studium derselben propädeutisch dem Studium
aller tlbrigen philosophischen Disciplinen vorausgehen zu las-
sen. Gestattet; denn es gentigt^ aus den vorangehenden Dis-
§ 1. Die Stelle des Stadiums der Logik. 18
eiplinen/ namentlich der Metaphysik und der Psychologie (vgl.
§ 2) wenige allgemeine Bestimmungen aufzunehmen, die auch
ausserhalb ihres eigenthttmlichen Zusammenhangs verständlich
und einer gewissen Rechtfertigung fähig sind. Zweckmässig ;
denn a. das Studium der Logik bietet geringere Schwierig-
keiten, als das Studium derjenigen philosophischen Disciplinen,
die ihr im systematischen Zusammenhange vorangehen; b. die
Logik bringt die Methoden zum Bewusstsein, welche in ihr selbst
und in den übrigen Zweigen der Philosophie zur Anwendung
kommen müssen, und sie übt das Denken; die Voranstellung
der Logik ist somit flir das gesammte philosophische Studium
in formeller Beziehung förderlich; c. die wissenschaftliche
Darstellnng des Systems der Philosophie, insbesondere der
Metaphysik, bedarf einer das Verhältniss von Erscheinung und
Sein betreffenden Einleitung, um das Bewusstsein auf den
Standpnnct der philosophischen Betrachtung zu führen ; die Auf-
gabe dieser Einleitung aber findet in der Logik, sofern die-
selbe Erkenntnisskritik ist, ihre erschöpfendste und wissen-
schaftlichste Lösung.
Ueber die philosophische Propädeutik überhaupt (und wohl zu-
meist in Beziehung auf die Logik als Propädeutik) sagt Hegel in
seinem Schreiben an v. Raumer (Werke XVII, S. 856), sie habe ins-
besondere die formelle Bildung und Uebung des Denkens zu leisten;
sie vermöge dies nur durch gänzliche Entfernung vom Phantastischen,
durch Bestimmtheit der Begriffe und einen consequenten methodischen
Gang; sie vermöge es aber in einem höheren Maasse, als die Mathe-
matik, weil sie nicht, wie diese, einen sinnlichen Inhalt habe. [Yergl.
W. Hamilton's Discussions p. 282 ff.]
§ 8. Die Formen und Gesetze der Erkenntniss können
thefls in ihrem allgemeinen Charakter, theils in ihren beson-
deren Modificationen, welche sie je nach der Verschiedenheit
des Erkenntnissinhaltes annehmen (s. § 2), betrachtet werden.
Das Erste ist die Aufgabe der reinen oder allgemeinen,
das Zweite die der angewandten oder besonderen Lo-
gik. Die reine Logik lehrt theils die normativen Gesetze des
immittelbaren Erkennens oder der Wahrnehmung, theils die
des mittelbaren Erkennens oder des Denkens. Wie nämlich
die Erkenntniss überhaupt das Wirkliche nach seinen Ezi-
Btenzformen abspiegelt, so insbesondere
14 § 8. Eintheilung der Logik.
die Wahrnehmung die äussere Ordnung der Dinge
oder ihre Räumlichkeit und Zeitlichkeit, wobei sie auf ideale
Weise die reale Bewegung nachbildet, und
das Denken die innere Ordnung,
welche der äusseren zum Grunde liegt. Die Formen des Den-
kens gliedern sich gemäss den Existenzformen, in welchen
die innere Ordnung besteht, und entsprechen denselben in
folgender Weise:
die Anschauung oder Einzelvorstellung der objectiven
Einzelexistenz,
der Begriff nach Inhalt und Umfang dem Wesen und
der Gattung oder Art,
das Urtheil den objectiven Grundverhältnissen oder
Belationen,
der Schluss der objectiven Gesetzmässigkeit,
das System der objectiven Totalität.
Die Eintheilung der angewandten oder besonderen Lo-
gik wird durch die Wissenschaften bestimmt, auf welche die
logischen Lehren Anwendung finden. Namentlich betrachtet
dieselbe die Methoden der Mathematik oder der Wissenschaft
von den Verhältnissen der Quantität und Form, der erklären-
den und der beschreibenden Wissenschaften der Natur, der
erklärenden und der beschreibenden Wissenschaften des Gei-
stes, und der Philosophie oder der Wissenschaft der Principien.
Die Bechtfertigung dieser Eintheilung im JSinzelnen fällt, sofern
sie anf logischen Principien beruht, dem Contexte der systematischen
Darstellung zu ; sofern sie aber von metaphysischen Principien abhängt,
findet die erste Anmerkung zu § 2 (s. oben S. 3) Anwendung. — Zur
Tergleichung dieser Eintheilung mit der früher (seit Kant) gewöhn-
lichsten (A. Allgemeine Logik: I. Reine allgemeine Logik : a. Elemen-
tarlehre, b. Methodenlehro; II. Angewandte allgemeine Logik. B. Be-
sondere Logik) bemerken wir: Sofern man unter der »angewandten
Logik c die Lehre von der Wahrnehmung und dem Yerhaltniss des
Denkens zur Wahrnehmung versteht, fällt sie in das Gebiet unserer
»reinen Logik«, sofern aber (mit Kant, Kritik der r. V., 2. Aufl. 8. 77 — 79,
und Logik, herausg. von Jäsche 1800, S. 14) die praktischen Winke für
das angemessenste Verhalten unter den mancherlei subjectiven Hinder-
nissen des Denkens, können wir ihr nicht das Recht zugestehen, einen
Abschnitt der logischen Wissenschaft zu bilden, weil sie vielmehr einen
pädagogischen Charakter tragen [vergl. Hamilton, lect. on logic. I, 60],
und so bleibt nur übrig, den Begriff der angewandten Logik in
§ 9. Werth der Gesohichie der rx>gik. 15
demselben Sinne zn verstehen, wie man auch den der angewandten
Mathematik etc. versteht, nämlich yon der Anwendung der allgemeinen
Regeln auf die einzelnen Gebiete, für welche sie gelten, und der Be-
trachtung der Modificationen, unter welchen sie auf ein jedes derselben
Anwendung finden. In diesem Sinne aber fällt der Begriff der angewandten
Logik mit dem der besondem Logik zusammen, und demgemäss ist
auch auf der andern Seite die reine Logik mit der allgemeinen Logik
zu identificiren. — Die Eintheilung der reinen Logik in Elementar-
lehre und Methodenlehre [vergl. Hamilton das. I, 64] vermischt das
wissenschaftliche Interesse mit dem didaktischen. Im wissenschaftlichen
Sinne sind nicht bloss Begriff, Urtheil und Schluss Elemente der
Methode, sondern ist auch schon der Begriff ein Element des Urtheils
und dieses ein Element des Schlusses, der Begriff der Elementarlehre
also zu relativ, als dass er den Gegensatz gegen das Methodologische
bezeichnen könnte.
§ 9. Die Geschichte der Logik hat in zweifacher
Beziehung Werth und Bedeutung: a. an sich selbst, indem
sie das fortschreitende Streben des menschlichen Geistes zur
Anschauung bringt, sich das Verständniss seiner Denk- und
Erkenntnissgesetze zu erarbeiten, b. als Mittel zum Verständ-
nlss der heutigen Gestalt der Logik, indem sie die Genesis
sowohl der wissenschaftlich gesicherten Partien, als auch der
in der Gegenwart herrschenden Gegensätze nachweist.
Unter den Werken, die über die allgemeine Geschichte der Logik
handeln, ist das ausführlichste und gründlichste die »Geschichte der
Logik im Abendlande c von C. Prantl, I.Band (die Entwickelung der
Logik im Alterthum enthaltend) Leipzig 1855, 2. Band (auf die erste
Hälfte des Mittelalters bezüglich) ebend. 1861, 3. Band (auf die spätere
mittelalterliche Zeit bezüglich) ebend. 1867, 4. Band (auf die Zeit von
der Mitte des 14. bis ins erste Drittel des 16. Jahrh. bezüglich) ebend. 1870.
•Bine kürzere Darstellung der Geschichte der Logik haben geboten : Barth.
Keckermann, Praecognitorum logicorum tractatus UL Hanov. 1598.
1604. — P. Gassendi, De origine et varietate logicae. Opp. omn.
Lugd. Bat. 1658. T. I. — Jac. Frd. Reimmann, Kritischer Geschichts-
kalender V. d. Logica, darin das Steigen und Fallen dieser so vortrefiFl.
Disdplin v. Anfang d. Welt bis auf d. J. nach Christi Geb. 1600 ent-
worf. Frankf. a. M. 1699. — Joh. Alb. Fabricius, Specimen elencticum
historiae logicae. Hamburgi 1699. — Ger. Joh. Vossius, De logices
et rhetoricae natura et constitutione libri IL Nap. 1658. — G. Wegner,
Disqnisitiuncula historico-philosophica de origine logices. Oels 1667. —
Sam. Christ. Hollmann, In universam philosophiam introductio.
Viteonbergae 1754 (de ortu, progressu et incrementis logicae). — Joh.
G. Waloh , Historia logicae, in s. Parerga acad. Lips. 1721. '— J. J.
Syrbius, Institutiones philos. ration. edecticae; u. praefat. bist, logicae
16 § 10. Der historisohe Ursprung der Logik.
suBoinete delineatnr. ed. alt. Jena 1728. — Col. Rosser, Insiitationes
logioae (append. : de artis logicae scriptoribus) Wiroeb. 1776. — J. G.
H. Feder, Logik u. Metaph. 4. Aufl. Hanau u. Leipzig 1776. 6. Aufl.
Göit. 1786. (Instit. logicae et metaphys. 8 ed. Gott. 1787), darin Abriss
e. Gtesch. d. Logfik. — Andr. Metz, Institutiones logicae (append.:
histor. logices) Bamb. et Wiroeb. 1796. — Fr. Calker, Denklehre od.
Logik u. Dialektik nebst e. Abriss der Greschichte u. Literatur ders.
Bonn. 1822. S. 13—198. — G. Fr. Bachmann, System der Logik.
(Tb. 8. Zur Geschichte der Logik. S. 669—644.) Leipzig 1828. —
G. Mussmann, De logioae et dialecticae notione historica. Berlin. 1828.
— L. Rabus, Logik u. Metaphysik. Th. I. Erkenntnisslehre, Geschichte
der Logik, System der Logik, nebst einer dironolog. Inhalt-Uebers.
üb. d. log. Literatur (s. Geschichte d. Logik bes. 2. Abth. S. 123—242.
§ 18—64 u. Literatur S. 614). Erlangen 1868. — Fr. Harms, Die
Philosophie in ihrer Geschichte. Th. 2. Geschichte der Logik (nach d.
Tode d. Verf. hrsg. v. Lassen). Berlin. 1881. — Ad. Franck, Esquisse
d'une histoire de la logique, prSc^d^e d'une analyse Stendue de Porganon
d'Aristote. Paris. 1888. Für die historische Darstellung der Logik bei ein-
zelnen Völkern oder in bestimmten Zeiten sind zu. nennen : Joach. Geo.
Daries, Meditationes in logicas veterum (bis auf Cartesius); in s. Via
ad veritatem. 2. ed. Jenae 1764. — G. G. Fülleborn, Kurze Geschichte
d. Log. b. d. Griechen; in s Beiträgen z. Gesch. d. Philos. St. 4. S. 160 ff.
Züllichau 1794. — J. G. Buhle, Gomment. de philosophor. Graecor.
ante Aristotelem in arte log^ica inyenienda et perficienda conaminibus, in
Gomment. soc. reg. scientt. Göttingen T. XL 3. p. 234 ff. 1793. — W. L. H.
Freiherr von Eberstein, Vers, einer Geschichte d. Logik u. Metaph.
b. d. Deutschen v. Leibnitz bis auf gegenwärtige Zeit. 2 Bde. Halle
1794 — 99. — Andr. Metz, De philosophorum critioorum de logica
meritis atque nonnullis, quae inter illos adhuc controversa sunt, ca-
pitibus logicis. Wirceb. 1799. — Louis Liard, Les logiciens anglais
contemporains. Paris 1878. (autoris. Uebers. v. J. Imelmann. Berlin
1880). — L. Rabus, Die neuesten Bestrebungen auf d. Gebiete der
Log^ b. d. Deutschen u. d. log. Frage. Erlangen 1880. — Schnitzer,
Ueber d. neuesten Systeme d. Logik in Deutschland u. England, mit
Rucks, auf Aristot Gymn.-Progr. Ellwangen 1868.
§ 10. Die Begründung der Logik als Wissenschaft
ist ein Werk des griechischen Geistes, welcher, gleich
fem von der Rohheit des Nordens und von der Verweich-
lichung der Orientalen, Kraft und Empfänglichkeit harmonisch
in sich vereinigt.
Vgl. zur allgemeinen Charakteristik Plat. de republ. IV, p. 485 E
(ed. Steph.) und Arist. Polit. VIl, 7. Es fehlt der empfänglichen Phan-
tasie der Orientalen das Maass und die Haltung des strengen Gedankens;
es mangelt die geistige Kraft zu echter Wissenschaftlichkeit; in ihrem
Philosophiren herrscht nicht die Tendenz zur strengen Beweisführung
§ 10. Der historisohe ÜrBpmsg der Logik. 17
nnd zur Barstellong in systematisoher Form; wo aber die Eunet des
streng wissenschaftlichen Denkens fehlt, da kann sich die Theorie
noch weniger entwickeln. Doch lassen sich einige wahre und tiefe
Grundgedanken nachweisen, die sich wohl geeignet hätten, einem
Systeme der Logik zum Fundamente zu dienen, wenn sie oonsequent
durchgeführt worden wären. So sagt der Chinese Meng-tse, ein
Schüler des Eon-fu-tse: >Der menschliche Geist hat in sich die Mög-
lichkeit, alle Dinge zu erkennen ; er muss daher auf seine eigene Natur
und sein Wesen achten, sonst irrt er. — Nur der Tugendhafte kann
sein eigenes Wesen ergründen; wer seine eigene Natur ergründet, kann
auch die der anderen Menschen erkennen, er kann das Wesen der Dinge
ergründen.« — Die allgemeine vernünftige ürkraft beweist sich im
Menschen als das Gesetz der Tugend (s. Wuttke, das Heidenthumll,
Breslau 185S, S. 102). — Bei den Indern finden wir namentlich in der
S4nkl^a und Njäja-Philosophie ^ine Aufzählung von Arten und von
Gegenständen der Erkenntniss; die Sankhja-Lehre nennt Wahrnehmung,
Folgerung (von der Ursache auf die Wirkung und umgekehrt und nach
Analogie) und Tradition (nach menschlichem Zeuguiss und göttlicher
Offenbarung), die Njaja ausserdem noch die Yergleichung als Erkennt-
nissweisen; die Njaja, die sich vielleicht erst unter griechischem Ein-
floBS ausgebildet hat, kennt auch bereits den Syllogismus, Nj^a, nach
welchem das System selbst 'benannt ist, in der Form von fünf Sätzen,
die jedoch nur durch Wiederholung des Unter- und Schlusssatzes aus
den drei Urtheilen hervorgehen, nach folgendem Schema. Thesis: der
Hügel ist feurig. Grand: denn er raucht. Beweis: was raucht, ist
feurig. Anwendung: der Hügel raucht. Schlusssatz: also ist er feurig.
[Yeigl. Golebrooke's Mise. Essays I. 8 S. 292 und Aphorisms of the
Nyaya Philosophy by Gautama, Allahabad 1850.] — Ob die Aegypter
logische Theorien gebildet haben, ist mindestens sehr zweifelhaft. Plato
rahmt wohl das Alter ihrer Erfahrung, aber keineswegs die Höhe ihrer
philosophischen Bildung. Die griechischen Denker mussten, wiewohl
sie mit der ägyptischen Weisheit bekannt geworden waren, doch die
Grnmdlehren der Logik ebensowohl, wie die Beweise zu den Elementar-
satzen der Geometrie erst selbst auffinden. — Die Griechen haben
ohne Zweifel in materieller Beziehung von den Aegyptern und von den
Orientalen überhaupt nicht Weniges gelernt ; der griechische Geist mag
za seiner Entwickelung der Anregung von Aussen bedurft haben; aber
daa Wesentlichere, die wissenschaftliche und künstlerische Form, ver-
dankt er nicht der Fremde, mit wie reger Empfänglichkeit er auch ihre
S<äiätze sich angeeignet haben mag, sondern der ihm eingebornen selb-
ftSndigen Kraft. Vgl. Hegel, Philos. der Geschichte, 1887, S. 246:
>su8 dem natürlich Empfangenen haben die Griechen das Geistige be-
reitet«, und die hiermit zusammenstimmende Aussage von Lepsin s
(die Chronologie der Aegypter, Bd. I, S. 65): dass »die Griechen in
dieser wichtigen Periode (des Thaies, Pythagoras etc.) die Gelehrsamkeit
der Barbaren aller Orten wie reifes Korn in den Scheunen sammelten
VL neuer Aassaat auf ihrem eigenen triebkr&ftigen Boden«.
2
18 § 11. I)ie tonischen Naturpliilofloplien, die Pythagoreer n. Eleaten.
§ 11. Die Specnlation der ältesten Ionischen Na-
turphilosophen (im 6. Jahrh. vor Chr.) namentlich des
Thaies, Anaximander, Anaximenes, richtete sich nur unmittel-
bar auf die Dinge, nicht auf die menschliche Erkenntniss der
Dinge. Jüngere Naturphilosophen (im 5. Jahrh.) nament-
lich Heraklit, Anaxagoras, Leukippus unä Demokritus, er-
klären die Sinnes Wahrnehmung als solche für unzuverlässig;
erst die mit ihr yereinigte und sie durchdringende Vernunft
entscheide ttber die Wahrheit. Empedokles lehrt, dass die
Dinge und der Mensch aus den gleichen materiellen und ideellen
Elementen bestehen und dass das Gleiche durch das Gleiche
erkannt werde. Die Pythagoreer halten dafttr, dass die
Elemente der Zahlen, Grenze und Unb^renztheit, die Elemente
aller Objecte seien ; sie suchen demgemäss durch mathematische
Forschung und durch Zahlenspeculation alle Erkenntniss zu
gewinnen. Xenophanes aus Eolophon, der Begründer der Elea-
ti sehen Philosophie, unterscheidet aus Anlass seiner theolo*
gischen Speculation das sichere Wissen von der zufällig rich-
tigen Meinung. Sein Nachfolger Parmenides, der bedeutendste
unter den Eleatischen Philosophen, gewinnt in der Polemik
gegen die Heraklitische Lehre von dem allgemeinen Flusse
der Dinge und von der Identität der Gegensätze zuerst das
theoretische Bewusstsein von dem Grundsatze der Identität und
des Widerspruchs, wiewohl noch in unvollkommener Form.
Zugleich lehrt Parmenides die Identität des Denkens mit dem
Seienden, welches gedacht werde. Er setzt die durch das
Denken zu gewinnende ttberzeugungskräftige Erkenntniss des
Einen, das wahrhaft sei, zu der auf 'Sinnentrug beruhenden
Meinung von der Vielheit und dem Wechsel des Seienden in
strengen Gegensatz. Sein jüngerer Genosse, der Eleate Zeno,
übte zuerst in strengerer Form die Kunst der philoso*phischen
Gesprächführung, insbesondere die Kunst des indirecten Be-
weises, weshalb ihn Aristoteles den Erfinder der Dialektik
nennt
Heraklit bei Sext. Empir. adv. Math. VII, 126: Kuxoi fiafnvQis
avd^tonoioiV otp^Xfiol xal ma ßoQßogov rffv^^S IjifotTOf (nach der Coiio
jectur von Jac. BernayB; grew.: ßa^ßa^om yn/x^g ix^vrotv). Derselbe bei
Diog. LaSrt. IX, 1 : ÜoXvfia&lri voov ov SiSaanH '...?» to aotpov • M*
Giaa&ai yytafiijv, ^t« ofcrx/(ef (nach der Con jectur Yon Bemays; gew.:
§ 11. Die Ionischen Katurphilosophen, die Pytliagoreer u. Eleaten. 19
^c oi iyxvfli^yriffei, Sohleierm.: ^rc oiti nvßegyfjaei) navtm Sut navrmy.
Doch ist dfts Denken, wodurch die Weisheit gewonnen wird, naoh
Heraklits Anschauung nicht sowohl eine von der Sinneswahrnehmung
trennbare und derselben entgegengesetzte Geistesthätigkeit, als viel-
mehr nur das volle Offensein der Sinne für die allgemeine allherr-
sehende Vernunft, die Isolimng aber begründet den Irrthum, s. Sext.
Emp. adv. Math. YII, 129. — Anaxagoras bei Sext. £mp. adv.
Math. YII, 90: vno atpauQorrjros aurw {rcjv ttia&ria€(ov) ov dwuroC lofjitv
3tgiv€tv raXfi&^g, Nach Anaxag. bei Simplio. in Arist. phys. fol. 88 sq.
erkennt die göttliche Vernunft alle Dinge, die menschliche aber ist ihr
gleichartig: narra fyyto voog ' — voos dk nac ofAoioi iaii xal ö fi^C^v
xdi 6 iHaamy, — Von Demokrit berichtet Sext. Emp. adv. Math.
138, er theile die Erkenntniss ein in die, welche durch die Sinneswahr-
nehmung und die, welche durch den Verstand gewonnen werde; jene
nenne er die dunkle ((rxor/17), diese die echte (YVf\aCyi)\ ebendaselbst 140,
das Werk der iwoia sei die irii^any die Erforschung des Unbekannten
auf Grund der sinnlichen Erscheinungen. Doch gewährt dieses Denken
nur relativ eine höhere Gewissheit; der Mensch hat überhaupt kein
Wissen im strengen Sinne des Wortes. Demokrit bei Diog. Laert. IX,
72: (n^ Sk ovSkv tSfitv iv ßv&^ yoQ ri aXfj&iia — Empedokles
bei Aristot. de anima I, 2. 404. b. 18:
yaiff (Akv ycLQ yutav ontonafiev, vStni d* vdoig^
täd'iQi d' ai&^^ iiaVf ixaq nvQi ttvq utSii\lov<,
ato^yj Jl OTo^ytlv, vttxog ^4 ts veixe'i Xvygtß.
Die Lehren der alten Pythagoreer sind uns nicht mehr in der
eigenen Darstellung jener Philosophen zugänglich, da selbst die dem
Philolaus mgeschriebene Schrift, aus der uns noch manche (durch
Boeckh Berl. 1819 herausgegebene und erläuterte Fragment^ erhalten
sind, naoh Schaarschmidts Untersuchungen (die angebliche Sehriftstellerei
des Philolaus und die Bruchstücke der ihm zugeschriebenen Bücher,
Bonn 1864) für unecht gehalten werden muss. Wir können uns mit
Zuversicht bloss an die Angaben des Aristoteles halten (Metaph. I, 6
u. 0.). Nur als Zeugnisse für die Richtung des späteren Pythagoreis-
mus dürfen Stellen wie folgende gelten: Pseudo-Philolaus bei Stob.
Eclog. I, 1, 3 (s. Boeckh Philol. S. 141): ov yoQ r^g Srjkov oi/^oi ov&kv
tw TtQayfjLtttwv^ ovre avttav tto^' (TiQOi) auta ovTt cillio not^ aXio, et /iaii
lic iiQt&fiog xal a rovifo taata* Nvv dk ovtos xar räv iffv^av a(>^oC»v
«da^(¥€t Ttttvra yvmarä xcä rtordyoQa (d. h. ngogi^oQu, einander ent-
sprechend und befreundet) aXXdXots dniQyd^ettti, Bei Sext. Emp. adv.
Math. VII, 92 (s. Boeckh Philol. S. 191—92): imo rov o.uo/bf rb ofioiov
xataXafißdyia^nt niiptfxtv, — Xenophanes bei Sext. Emp. adv. Math.
Vn, 49; 110; VIU, 826:
xal x6 fikv ovv Gtt(pkg ovrig dytig J^tv ovii us iorta
(iSug, afi(pl &s6iv re xal aaaa X^yto ne^l ndmov '
ii yaq xal rn fiaXiara Tv/ot TiJiXiOfjiivov c/tioiv,
ainoi ofäMS ovx oJdi, äoxos S^ inl naai tirvxrtu, —
Parmenides spricht den Sata der Identität im metaphysischen Sinne
20 § 11. Die Ionischen Naturphilosophen, die Pytkagoreer u. Eleaten.
mit den Worten aus: Haitv^ oder: lern yttg ilmi, und den Satz des
Widerspruchs mit den Worten: ovx lori fiti elvm oder fitidkv «T {(arlv)
ovx ^Ivm, Er erklärt für falsch die Meinung der irrenden, zweihäup-
tigen (dixQavoi) Sterbliehen, der unkritischen Schaaren (wtQira ipvXa)^
welche Sein und Nichtsein für identisch und zugleich auch für nicht
identisch halten und ein Jegliches in sein Gegentheil umschlagen lassen:
olg To niXeiv rt xtd ovx c/yai rtoirrov vivo^iartu
xov TWftov, navTiov t€ naXlvTQonog i<m x^Uv&os.
(Parm. fragm. ed. Mullach vs. 36; 43—44; 45—51.) Parmenides nimmt
in den zuletzt angeführten Versen höchst wahrscheinlich Bezug auf
Heraklit (worauf auch Steibhart in der Hall. allg. Literaturz. 1845
S. 892 f. undBemays im Rhein. Museum VII, S. 114 f. aufmerksam ge-
macht haben), denn Heraklit ist es, der eben diese Lehre aufstellt:
TttVTo r' In (leg. tccitov ian) C^v X€d ts&vrixog x. r. A., navta ilvtu xai
fATi ilvtu (Plut. consol. c. 10; Arist. Metaph. III. 7. 1012. a. 24 of. UL 8.
1005. b. 25*), nalCvTovog (naUvTQonog) agjnovia xoCfiov, oxwsntQ Iv^s
xai To^ov (Plutarch. de Is. et Os. c. 45; de an. proer. 27, 2); aber nicht
auf Heraklit als vereinzelten Denker, sondern als Choregen der »kritik-
losen Menge«, die den Sinnen trauend, in eben jener widerspruchsvollen
Ansicht befangen sei. welche Heraklit in philosophischer Form vortragt.
(So sagt ja auch Aristoteles de an. I, 2. 405. a. 28: ^y xivr^aei «T ilvtu
TU ovra xaxetvog ^€to xal ol nolkol^ vgl. Plat. Theaet. p. 179, und
in ganz analoger Weise wirft Herbart Hegel »Empirismusc vor.) Indem
Heraklit die synthetische Einheit der Gegensätze als Identität, ihr Ver-
einigtsein als Einssein bezeichnete, reizte er den strengen Denker Par-
menides zum Widerspruch und zur Ergreifung des entgegengesetzten
Extrems: Parmenides verneint von dem wahrhaft Seienden alle Vielheit
und allen Wechsel. (Es ist der nämliche Gegensatz philosophischer Grund-
ansichten, der sich in dem Hegel'schen und dem Herbart'schen Systeme
wiederholt, jedoch mit dem Unterschiede, dass Heraklits unmittelbare
Anschauung sich bei Hegel zur dialektischen Methode vertieft hat, und
dass Herbart nur die Vielheit der Eigenschaften Eines Dinges und die
Veränderung für widersprechend hält, aber nicht die Vielheit einfacher
realer Wesen aufhebt, und den von Parmenides nicht gewagten Versuch
unternimmt, den Schein der Veränderung aus dem Sein des Unverän-
derlichen philosophisch abzuleiten). Das Denken, lehrt Parmenides fer-
ner, gehört dem Einen wahrhaft Seienden, welches gedacht wird an und
ist identisch mit ihm, das Seiende selbst ist das Denkende, der yovf.
Parmen. fragm. vrs. 94—97:
Ttavrbv J' iarl voetv n xiä ovvtxiv iau vor^fia *
oh yttQ aviv tou iovtog, iv ^ ntfpariafiivov iailv,
fv^Tjaetg 70 vofTv ov «T ffv yuQ ij Harip ^ Hartti
ilXo noQkx tov iortog.
*) Metaph. HI, S, ist vielleicht xa^neg uvh oTovreu ^ffQaxUirov
zu lesen und dem Sinne nach vnolafjißnvdVj nicht Xfyttv, zu ergänzen;
denn gesagt hat Heraklit wirklich, dass das Nämliche sei und auch
§ 12. Die Sophisten und Sokratee. 21
üeber die WaJirheit sollen nicht die tauschenden Sinne nrtheilen, son-
dern die Yemnnft. Parm. fragm. vrs. 54 — 67:
fiii6i a* i^oi nolvniiQov odov xarit rrivSi ßiaadta^
THOfAav aaxonov ofAfÄtt xai tj^^rjcaauv axoviiv
xal yXtiaaav' xQivai Sk loyt^ nolvSfjQiv iXiy/ov
Ueber Zeno den Eleaten berichtet Diog. Laert. IX, 26: (pn^l äk ^JtQt'
üTorilfig iv r^p ^otpiarj, evgeiriv avrov yevia&ai Sialexrix^c» 2ieno's
dialektische Kunst bestand wesentlich darin, dass er durch Argumen-
tationen gegen das Sein des Vielen (Simplic. in Phys. fol. 80 b) und
der Bewegung (Arist. Phys. VI, 9. 289. b) den indirecten Beweis für
die Wahrheit der Parmenideischen Lehre von dem Einen, welches wahr-
haft sei, zu fahren unternahm, s. (Plat.?) Pannen, p. 128. Seine Dialoge
scheinen nach (Plat. ?) Pannen, p. 127 mehrere geordnete Argumentations-
reihen, Xoyovf, enthalten zu haben.
Zu vergl.: Beruh. Münz, Die Keime der Erkenntnisstheorie in
der vorsophist. Periode der grieoh. Philosophie. Wien 1880. — Hera-
klit's Philosophie hat imAnschluss an Hegel als »die Philosophie des
logischen Gedankengesetzes von der Identität des Gegensatzes« dargest.
F. Lasalle, Die Philos. Herakl. des Dunkeln v. Ephesos. 2 Bde.
Berlin. 1868. Darüber: R. Mariano, Lassalle e il sao Eraclito, saggio di
filosofia egheliana. Firenze 1865. — üeber Demokrit's Sensualismus
zu vergL J. F. W. Burchard Democriti philosophiae de sensibus
firagm. Minden 1830. — Ed. Johnson, Der Sensualismus des Demokritos
u. s. Vorgänger, mit Bezug auf verwandte Erscheinungen d. neueren
Philos. Gynm.-Progr. Plauen. 1868.
§ 12. Durch die Sophisten wurde mit der Khetorik
auch eine Kunst des doppelseitigen Disputirens ausgebildet,
die der snbjectiven Willkür diente. Die dialektische Kunst
stellt Sokrates (470—399 v. Chr.), beseelt von der Idee des
Wissens, in den Dienst des Strebens nach objectiv gültiger
Erkenntniss, welche von jedem denkenden Subjecte gleich-
massig und mit Nothwendigkeit als wahr anzuerkennen sei.
Auf Grund des Einzelnen sucht er zusammenfassend und prü-
fend das Allgemeine zu erkennen, über welches er dann
mittelst der Begriffsbestimmung Rechenschaft giebt So wird
er der Urheber der Induction und Definition, aber zunächst
nur in der Anwendung auf ethische Probleme und ohne die
logische Theorie.
nicht sei (vgl. cJfiev xal ovx elfiBV bei Heraklides, Alleff. Hom. a 24)»
aber annehmen, denken konnte er es nicht, weil dies überhaupt
nicht moglieh ist.
22 § IB. Die einseitigen Sokratiker«
Protagoras ap. Diog. L. IX, 51: nawTtav xQnf^artov fiirQov av-
O-Qcanogy rcüv fjikv ovtojv log fau^ iwv Sh ovx ovrtav tos ovx iauv. Ibi-
dem: nomos ^(pri Svo Xoyovg eJvai nSQi navios ngay^arog avrixfi/jtivovg
ttllrikotg. (Arist.?) de Melisse, Xenophane, Gorgia a 6: (6 rogylag)
ovx ilvaC (pfjaiy ohdiv ' €i Sk eariy, äyvaxnov €?vat ' ai Jk xal lori xai
yvfoajoVy aXV ov drjXanov alXoig. — Yergl. M. Sohanc, Beiträge z. vor-
sokr. Philos. aus Plato. Hft 1. Die Sophisten. Göttingen. 1867. — H.
Siebeck, Das Problem des Wissens b. Sokrates u. d. Sopbistik. Real-
sch.-Progr. Halle 1870. — £. Schnippel, Die Hauptepochen in d. £nt-
wickelung des Erkenntnissprobl. I. Die Widerlegung der sophist. Er-
kenntnisstheorie in Piaton Theaetet. Realsoh.-Progr. G^era 1874. — Wolff,
Num Plato quae Protag. de sensnum et sentiendi ratione tradidit recte
exposuerit. Gymn.-Progr. Jever 1871.— Fr. Lange, üeber d. Sensualismus
des Sophisten Protag. u. die dagegen v. Plato im 1. Theile des Theaet.
gemachten Einwürfe. Dissert. Göttingen 1873. — Beruh. Müns, Die
Erkenntnisse u. Sensationstheorie des Protagoras. Wien 1880.
Arist. Metaph. XH. 4. 1018 b. 27: Sio yuQ itnty a ns &v änoSoitj
Xüjxgdrei dixa/oic, tovs t' inaxrtxovg Xoyovg xal to o^lCead-tu xa&oXov
Tuvta ya^ iartv afopfo ne^l ctg^k^ iTuarr^fAfig» Arist. Metaph. I, 6. 987.
b. 1: Ztax^ovg 6k negl ftkv ric ti&ixa nQayfJittTSvofAivoVy mqI 6k r^;
oXrig (pvaetfi ov&iVf iv fiivroi rouioig ro xadoXov Cv^ovvroe xal 7t€Ql
o^ajLHÜv iTtiarriaavTos nQearov rriv Siavotav. YgL Xenoph. Memorab« lY,
5, 12; lY, 6, 1. — L. Noack, Sokrates u. d. Sophisten in Psyche.
B. 2. 1869. — 0. Weishaupt, Sokrates im Yerh. z. Sophistik. Gymn.-
Progr. Böhm. Leipa. 1870. — H. Sieb eck, Unters, z. Philos. d. Griechen
(I. Sokrates Yerh. z. Sophistik). Halle 1873. — Phil. Jak. Ditges,
Die epagog. oder inductor. Methode des Sokrates u. d. Begriff. Gymn.-
Progr. Oöln 1864. —
§ 13. Unter den einseitigen Sokratischen Schu-
len behandeln die Cynische des Antisthenes und die Cy-
renaische oder hedonische des Aristippus hauptsächlich die
ethischen Probleme und berühren die logischen fast nur in
negativer Polemik gegen gleichzeitige Systeme. Die Meg ari-
sche Schule des Euklides und die mit ihr verwandte Eli sc h-
Eretrische Schule des Phädo undMenedemus verschmelzen
mit den Sokratischen Principien die Eleatischen Lehren. In-
dem die Megariker, um die Einheit des Seienden zu verthei-
digen, die Wahrheit der sinnlichen Erscheinungen bestreiten,
geht ihre Dialektik allmählich immer mehr in blosse Eristik
auf, die sich besonders in der Erfindung zahlreicher Fang- und
Trugschlttsse gefällt.
Antisthenes betreitet die Platonische Ideenlehre: es könne
wohl angegeben werden, wem ähnlich, aber nicht, was die Dinge seien.
§ 18. Die eiDseitigen Sokratiker. 28
Definitioneii einfaoher Begriffe seien ein nutsloser Wortanfwand (jao-
*g6i Xoyos). Simplic. in Ariat. Categ. fol. 54 b. Es lasse sich von jedem
Ding nur sein eigenthümlicher Begriff aussagen. Arist. Metaph. lY.
29. 1024. b. 82. !dywta^ivrii ^cro kwi^toi firidhv «{/uf liy^a^ai nliiv
f 5^ €ix^(^ Xoyip iv iff* ivos * i^ tov 0w4ßtuv€ fiti ilvm avuläyeiv, aj((d6v
Sk (Afidh yuvSMa&tu. — In der Schule des Antisthenes ward die Be-
hauptung aufgestellt, es sei nicht möglich, das Was zu definiren, sondern
es sei nur möglich die Beschaffenheit eines Dinges anzugeben; vom
Silber z. B. lasse sich nicht sagen, was es sei, sondern nur so viel, es
sei etwas Aehnliches wie Zinn. Arist. Metaph. VII. 3. 1048. b. 24.
maji ^ itnoQla fiv oi *j£vno^4vii(H xaX ol ovttog anaCdiuroi tfnoQOvv, tf)[€i
jiya TttuQoVy Oll ovx taxi lo U taxiv oQloaa&w (rov yttQ oqov Xoyov elvai
uaxQov), aXXa nolov fikv li lariv iv^^x^rai xal ^i^uSaif SanCQ agy^QOVf
t£ uiv ioTtyy ov, ort «T olov xarrtiegos. Vgl. Plat. Theaet. p. 201,
Soph. p. 251. — Die Gyrenaiker beschränken das Wissen auf das
Bewnastaein um die sinnlichen Affectionen als solche; wie aber das
Gegenstandliche sei, welches dieselben hervorrufe, ob auch dieses an
sich selbst weiss oder süss etc. sei, könne nicht gewusst werden.
Sext. £mp. adv. Math. VH, 191. — Euklides von Megara iden-
tificirt das Eine, wahrhaft Seiende der Eleaten mit dem Guten des
Sokratee. Diog. L. II, 106; Cia Acad. pr. II, 42. Er vertheidigt diese
Lehre ebenso wie Zeno durch eine indirecte Beweisführung, indem er
aus der entgegenstehenden Ansicht, welche der Vielheit und dem Wech-
sel Bealitat zuschreibt, ungereimte Consequenzen abzuleiten sucht. Diog.
L. II, 107. rare r£ a7iodi(^%<Stv ivlarmo ov xma X'^jnfiara, aXXa xat*
int^OQov xal ruv Sui Tta^ßoXiji Xoyop ay^n^ Xfywv ^oi ü ofxottnß avrhv
i K infOfioittv aw^OTttü^ü*, xak €i fikv i^ ofioltov^ ne^ auia Jiiv fMtXloy
^ eis ofioia ioTiv avaar^iffea^m ' €i J' l( avofxoCbiVy noQ^kxuv Jtjv naga-
&€aiv. Zu diesem Behuf haben namentlich seine Nachfolger Eubulides,
iHodoms £[ronu8, Alexinus eine Reihe von Fangschlüssen ersonnen,
s. B. den »Lügnerc, den »VerhüUtenc, den »Gehörnten«, den »Sorites«,
den »Kahlkopfe, s. Joh. Casp. Guntheri, Diss. de methodo disputandi
megarica. Jenae 1707. — Joh. Geo. Hageri, Diss. de methodo di-
sputandi Eudidis. Lipsiae 1786. — Theils den Megarikern überhaupt,
theils insbesondere dem ihre Lehre mit der Cynischen verschmelzenden
Stilpo (Plut. adv. Col. 28), wie auch demEretrier Menedemns(Sim-
plic inPhys. 20 a) wird die Lehre zugeschrieben, es dürfe keinem Sub-
ject ein Pradicat beigelegt werden, welches von ihm verschieden sei
(z. B. der Mensch ist weise), sondern es dürfe nur ein Jegliches von
sich selbst ausgesagt werden (z. B. der Mensch ist Mensch) — eine
naheliegende Consequenz der Lehre von der Einfachheit und Unveränder-
licfakeit des wahrhaft Seienden. Stilpo bestritt die Gültigkeit der
Artbegriffe und behauptete, alle Urtheile seien identische. Diog. L. II.
119. ^Hvos <r Syav äv iv röis iiuprtxoig avfjfi€i xctl xa Mtf * xcti iltye
ibw Xiyovra &9^^gwiop ilvm fAnSiva * ovr£ yag rov^t tivm ovr€ rovdt *
t/ /m^ fiäXXov jQP^t ^ rovSe ; ovi* aga Tovcfc. xal nihv ' ro Xdxavop ovx
im ro* dtutvifAtPov Jla/avoy fiiv yaq ijy ngo fivgtmv ituv' ov» a^
21 § 14. Pkto.
(arl rovTO luxovov, — s. Job. Christ. Schwab, Bemerkongen über
Stilpo, in Eberhard's philos. Archiv. Bd. IL St. 1. — - J. F. G. Graesse,
Bisa., qua iudiciorum analytic et synthetic. naturam iam longe ante Kan-
tium antiquitatis scriptoribus non fiiisse perspectam, contra Schwabium
probatur. Goth. 1794. — Menedemus soll die bedingten, die zusammen-
gesetzten und verneinenden Urtheile verworfen haben. Diog. L. IL
184. 186.
§ 14. Ausgehend von der Sokratischen Methode der In-
dnction und Definition vervollkommnet Plato (427—347 vor
Chr.) die logische Kunst in mehrfacher Beziehung: a. indem
er sie um die Methode der Eintheilung und auch der Deduction
bereichert, b. indem er ihre Beschränkung auf die ethischen
Probleme aufhebt und sie Aber die sämmtlichen Gebiete des
philosophischen Denkens ausdehnt, c. indem er sie mit genia-
lem Scharfsinn und gewissenhafter Treue, Sorgfalt und Gründ-
lichkeit übt, Vorzüge, deren Werth durch Plato's meisterhafte
künstlerische Darstellung noch erhöht wird. Die Theorie
des Denkens fordert Plato gleichfalls in mehrfacher Beziehung:
a. indem er auf die Kunst des philosophischen Denkens im
Allgemeinen reflectirt und dieselbe unter einen allgemeinen
Begriff (den Begriff der Dialektik) fasst, b. indem er das
philosophische Denken nicht nur, wie die Früheren, von der
sinnlichen Wahrnehmung, sondern auch von dem mathemati-
schen Denken streng unterscheidet, c. indem er sich auch
einzelne Denkoperationen, insbesondere die Begriffsbildung,
Definition, Division und zum Theil auch die Deduction, zum
Bewusstsein bringt und Rechenschaft darüber zu geben unter-
nimmt Indem aber die logischen Theoreme Plato's durchweg
noch die Spuren ihres Ursprungs aus der Beflexion über das
auf ideologische Probleme gerichtete Denken an sich tragen,
so mangelt denselben theils sachlich die strengere Unter-
scheidung des logischen und des metaphysischen Elementes
und die wissenschaftliche Vollständigkeit, theils in der Dar-
stellung die systematische Form.
Hat Piato^B hohe KanBt des Denkens und der Darstellung mit
Recht von jeher Bewunderung erregt, so sind seine Förderungen der
logischen Theorie für die Geschichte unserer Wissenschaft von nicht
geringerer Bedeutung. In dem Sein findet Plato das Maass des Den-
kens, Rep. V, p. 477 (vgl. GratyL p. 886 B: loyo^^ — oi av tit ovta Xiyy
«f loter, ttXii&TiSf oi (f' &v, t^s ovx lirr», JffCvi^Sf Soph. p. 268 B: I4y€i
§ U. Plato. 86
if^ 6 fihv ttlff&fis Xoyog ra ovta ak Icrriv, o Sk ifftv^ti^ Irepa räv aytwf,
tm (ui ovra aga wg ovra Ifyei), Der dialektischen Kunst weist Plato
theoretisch dieselbe Doppelaufgabe zu, die er auch im wirklichen Den-
ken zu losen sucht: 1. »das überall hin Zerstreute anschauend zusam-
mensnfassen in Eine Gestalt, um ein Jedes genau zu bestimmen c
(Phaedr. p. 265: der Weg der Begriffsbildung durch Abstraction,
und Begriffsbestimmung oder Definition) und auf diesem Wege in
gleicher Art weiter zu den höheren Begriffen bis zu dem absolut höch-
sten aufzusteigen (de Rep. lib. YI, p. 611 ; of. lib. VU, p. 53 'J sqq.), 2. dann
wieder von dem höheren Begriffe .ans zu den niederen, die ihm unter-
geordnet sind, herabzusteigen, »nach Artbegriffen zertheilen zu kön-
nen, gliedermassig wie ein Jedes gewachsen ist« (Phaedr. 1. 1.: Ein-
theilung oder Division), und das, was aus den zum Grunde gelegten
Voraussetzungen hervorgehe, zu betrachten (Phaedon 101 : Deduotion),
am auch diesen Weg bis zu den letzten Consequenzen zu verfolgen.
Den richtig gebildeten Begriffen aber entsprechen reale Wesen, welche
durch sie erkannt werden, die Ideen, und diese gliedern sich nach
derselben Stufenfolge, wie die Begriffe, von den niederen bis hinauf
zu der absolut höchsten Idee» der Idee des Guten (Rep. p. 509). Die
Mathematik geht von Voraussetzungen aus, welche nicht die obersten
sind; die Dialektik gebraucht diese nämlichen Voraussetzungen als
Grundlagen der Erhebung zu den ideellen Principien ; die Mathematik
aber nimmt den entgegengesetzten Weg, indem sie aus denselben das
Besondere und Einzelne ableitet. Aus diesem Grunde steht die ma-
thematische Erkenntniss in der Mitte zwischen dem reinen Denken und
der sinnlichen Wahrnehmung. Ebenso sind auch die mathematischen
Objeete Mittelwesen zwischen den Ideen und den sinnlichen Dingen.
Indem Plato bei der sinnlichen Erkenntniss wiederum das Vertrauen
aaf die sinnliche Wahrnehmung und die blosse Vermuthung, und in
entsprechender Weise unter den sinnlichen Objecten die sinnlich wahr-
nehmbaren Dinge und die Schattenbilder unterscheidet, so gewinnt er
(Rep. VII, 588 sq.) die folgende Eintheilung der Erkenntnissweisen :
Noriatg
iniarrifA'n \ diavoia
nCartQ \ etxaaia
and die folgende analoge Eintheilung der Gesammtheit des Seienden:
NorfTov yfvoQ ] 'O^rov yivog
tdim I fia&Tifiaruea atififtra | iixoveg.
Es ist nicht nur für Plato's Methode charakteristisch, dass er die
Untersuchungen über das Denken und über das Gedachte überall ge-
meinschaftlich führt, sondern auch für den Inhalt seiner Lehre, dass
er die sämmtlichen Verhältnisse der Denkformen auch auf die Denk-
objecte fibertragrt. Das Logische und das Metaphysische steht bei ihm
nodk in sehr naher £feziehung und fast in unmittelbarer Einheit (ohne
dass er jedoch zur Identificirung fortginge).
Als besondere Schriften über Plato's Logik u. Erkenntnisslehre
sind zu nennen : Dav. Peipers, Untersuchungen über d. System Platons.
L Th.: iKe Erkenntnisstheorie PL's mit bes. Bfioksioht auf d. Theaetet
26 §§ 15. 16. Die Plstoniker. Aristoteles.
unters. Leipsig 1874. — E. Eiohhoff, Log^ca trium dial. PL explio.
(Menon, Eriton, Phaedon). 6yin]i.-Prg. Duisburg 1854. — Hölzer, Grund-
züge der Erkenntnisslehre in Pl.'s Staat. Gymn.-Prg. Gottbus 1861. •—
Faber, De universa cognitionis lege qualem Plat. oonst. cum Arist. comp.,
Diss. Vratisl. 1865. — B. Kleinpaul, Der Begr. d. £rk. in PL's Theaetet,
Diss. Lips. Gotha 1867. — Joh. Wolff, Die plat. Dialektik, ihr Wesen
u. ihr Worth f. d. mensohl. Erkenntniss in d. Zeitschr. f. Philos. u. phil.
Kr. N. F. Bd. 64. 65. 66. Halle 1874 u. 1875.
§ 15. Flato's Nachfolger in der Akademie bedurften
zum Zweck des zusammenbängenden Lehrvortrags der stren-
geren systematischen Form. Hierdurch wurde Speusippns ver-
anlasst, die Wissenschaften überhaupt, und Xenokrates, die
philosophischen Disciplinen übersichtlich einzutheilen. Xeno-
krates soll zuerst die Eintheilung der Philosophie in Physik,
Ethik und Dialektik ausdrücklich aufgestellt haben. Die zweite
und dritte akademische Schule oder die sogenannte mittlere
Akademie, begründet durch Arkesilaus und Eameades,
neigte sich zum Skepticismus hin, die vierte und fünfte, be-
gründet durch Philo und Antiochus von Askalon, zum Dog-
matismus und Synkretismus.
Ueber Speusippus s. Diog. Laert. IV, 2: ovtog n^iotog iv toig
fittd-rffdaatv i'^saaaio t6 xotvov xal awt^xiCfaai xa&oaov ^v ^vyatov aXXtf-
iotg. Ueber Xenokrates s. Sext. Empir. adv. Math. YII, 16: a>v Su'
Vttfiii /ukv nXtufov iarlv ffQXVy^^y ^^Q^ noXlav /nkv tpvaixtay, n€gl noX-
iftiv dk tid^ixäVf ovx oUytov dk hoyix^v dtalex^t^S ' ^i^rorccr« ^k ot n€Qi
Tov SfvoxgaTtf xtd ot ano tov JliQatdroVf hi ^k oi ano t% £Toäg f^^^
TOI rijs^e rijg ^lai^iaeiog. Ueber Karneades, der kein Kriterium der
Wahrheit zugab, aber eine Lehre von der Wahrscheinlichkeit aufstellte,
s. Sext. Empir. adv. Math. YII, 159 sqq.; 166 sqq.; über Philo Gic
Aoad. pr. II, 6, und über Antiochus Gic. ib. II, 6*— 18; 43.
§ 16. Aristoteles (384—322 v. Chr.) fusst in der
Theorie der Logik, wie überhaupt in allen Zweigen seines
Systems, auf den durch Plato gelegten Fundamenten. Sein
eigenthttmliches Verdienst aber ist a. die kritische Umbildung
der logischen Lehren Plato's, b. die Vervollständigung der-
selben, c. die systematische Darstellung. Die kritische Um-
bildung besteht im Allgemeinen darin, das Aristoteles das
Verhältniss des logischen und des metaphysischen Elementes
genauer zu bestimmen sucht. Die Vervollständigung betrifiFt alle
Theile der Logik; vornehmlich aber hat Aristoteles die syllo-
gistische Theorie geschaffen, in der ihm kaum vorgearbeitet
§ 16. Aristotelefl. 27
war. Die systematische Gliederang erstreckt sich gleichmässig
anf die Darstellung des Ganzen und des Einzelnen, indem
Aristoteles den sämmtlichen Haupttheilen der Logik als Denk-
lehre eigene Schriften gewidmet. nnd einer jeden derselben eine
streng wissenschaftliche Form gegeben hat. Um dieser Ver-
dienste willen heisst Aristoteles mit Recht der Vater der
Logik als Wissenschaft. Aristoteles fasst den wichtigsten Theil
seiner logischen Untersuchungen, die Lehre vom Schluss imd
Beweis, unter dem Namen Analytik zusammen, weil hier
die logischen Gebilde gleichsam aufgelöst, d. h. zergliedert und
auf ihre Elemente zurückgeführt werden. Ein allen Theilen
gemeinsamer Name findet sich bei ihm nicht. Von den Her-
ausgebern und Gommentatoren wird die Gesammtheit seiner
logischen Werke Organen genannt. Dialektik nennt
Aristoteles die Kunst der Prüfang, wie dieselbe (nach dem
Vorbilde der Sokratischen i^haaig) bei Disputationen und bei
Nachbildungen des Disputirens (sei es mit oder ohne die dia-
logische Form) zu üben ist, oder das Verfahren, aus auf-
gestellten Behauptungen Schlüsse zu ziehen, um dadurch die
Entscheidung über ihre Haltbarkeit oder Unhaltbarkeit zu
gewinnen, und zwar auf Grund wahrscheinlicher Sätze (ivdo^a).
Logisch nennt Aristoteles die Erörterung aus blossen all-
gemeinen Begriffen, Xoyoig, im Gegensatze zu der physischen
Betrachtung, welche die specifischen und individuellen Eigen-
thttmlichkeiten berücksichtigt. Die in dem Organen dargestellte
Wissenschaft wird von den Gommentatoren des Aristoteles
Logik genannt.
Die Aristotelische Umbildung der Platonischen Lebren darf nicht
so aufgefasst werden, wie sie von Neueren nicht selten missverstanden
worden ist, als wolle Aristoteles das Denken nnr in seiner Beziehung
auf sich selbst und nicht in seiner Beziehung auf die objective Realität
I betrachten. Der Standpunct der Aristotelischen Logik ist, wie schon
. Ritter (in seiner Qesohichte der Philos. III, S. 117 ff. 1831) und be-
* sonders Trend elenburg (in seinen »Logischen Untersuchungenc I,
;S. 18—21, 1840; 2. u. 3. A., S. 30—33, 1862 u. 1870; of. Elem. log.
^ Ariat ed. II, 1842, ed. V, 1862, ed. YI, 1868, ad § 63) dargethan haben,
^ denen auch Zell er (Philos. der Griechen, II, S. 373 ff., 1846; 2. A. II, 2,
^ & 181 ff., 1860, 3. A. 1879. S. 186 ff.), Bonita ((Kommentar zur Arist
Met^h. S. 187, 1849), Brandis (G^ch. der Gr.-R. Phil. II, 2 a, S.
^371 ff.; 432 ff*, 1853), wiewohl dieser zwischen der Aristotelischen und
38 § 16. Aristoteles.
^ der modernen formalen Logik eine etwas grossere Yerwandtscliaft an-
- nimmt, und Prantl (Gesch. der Logik I, S. 87 ff.; S. 104 ff.; S. 185.
1856) sich anschliessen, keineswegs identisch mit dem der modernen sub-
jectivistisch-formalen Logik. Die Norm der Wahrheit findet Aristoteles,
gleich wie Plato, in der Uebereinstimmnng des Gedankens mit der Wirk-
lichkeit, welche das Maass der Wissenschaft ist. Metapb. III, 7. 1011.
b. 25. dijlov 6k TiQmov (ilv o^iaafiivoiq xl jo alij^ks xal tf/evdog ro fihv
yitQ Xfyny t6 ov /tiij fJvm ^ t6 fiij ov elvtu ^evSoCy ro (f^ ro ov tlvai xal to
Ufl ov firi tJvai «Jiij^^c, cScTT« xal o X^ytov ilvtu rj fiii aXijf^evaei ^ tpevatrai. —
VIII, 10. 1051. b. 1. TO 6k xvQuaTara ov aXri^ks V ^ivJog, rouro (T (nl rtüv
TrQayfittTtov iarl rf avyxsTa&m rj öifjQTJad^u, mare alfi^ev€i fikv 6 xo Sifjinri'-
fiivov oiofAtvog 6t€UQ€Ta&m xttl ro avyx€£fifvov avyxfia&Mj iyfevottti 6i 6
ivttVTimg i;(Q}V 5 T« TrQtty/nttTttj ttot' iailv rj ovx tan to alriO-kg Uyojuevov ij
ifffv^og; TovTo yng ax(nr4ov xl Ifyouev. — cf. Categ. 12. 14. b. 21 : t^ yap
elrai x6 nfmyfia ^ ftri aXrj&rjs 6 koyos rj y߀v6rig X4yitm. Der richtig gebil-
dete Begriff entspricht nach Aristoteles dem Wesen der Dinge (ova(a oder
TO xi ^v elvai, worüber unten, § 56, in der Lehre vom Begriff das
Nähere); das Urtheil ist eine Aussage über ein Sein oder Nichtsein:
die Bejahung und Verneinung entspricht der Verbindung und Trennung
in den Dingen; die verschiedenen Formen der Begriffe in denUrtheilen
(oder die Arten der Bezeichnung des Seienden, axri/uiaxa x^s xaxrjyoQtag
xmv ovTotv) bestimmen sich nach Existenzformen; der Mittelbegriff
in dem gut gebildeten Syllogismus entspricht der Ursache in dem
Zusammenhange des realen Geschehens; die Principien der wissen-
schaftlichen Erkenntniss entsprechen dem, wa« auch der Natur nach
in den Dingen das Erste ist. — Aristoteles giebt der Gesammtheit
seiner logischen Untersuchungen den Namen Analytik {xa aVttXutixa)
d. h. Zergliederung des Denkens (aber nicht: Lehre von einem bloss
zergliedernden Denken), und verlangt, dass man sich mit denselben
schon vorher vertraut gemacht habe, ehe man zu der Beschäftigung
mit der ersten Philosophie (oder Metaphysik) übergehe (Metaph. III, 8.
1005. b. 8. St^ anaidevaUtv rdiv irvaXvxixijv xovxo Sqmüiv ' <f«r yicg nf^i
xovttov rixiiv nQoaniaxafAivtog^ aXX« fiij axovovras Cvf^tiV. cf. VI, 12.
1087. b. 8). Was die einzelnen logischen Schriften betrifft, so handelt
das Buch de Categoriis, n(Ql xarriyogitiv (dessen Echtheit nicht ganz
ausser Zweifel steht; vielleicht sind jedoch nnrCap. 10 — 15 von fremder
Hand hinzugefügt worden) von den Formen der Begriffe und den ent-
sprechenden Existenzformen, das de Interpretatione , 7r«^> ig^tivfütg
(dessen Echtheit Andronikus von Rhodus anzweifelte) vom Satz und
Urtheil, die zwei Bücher Analytica priora, avaXvxixa nnoxigaf vom
Schluss, die zwei Bücher Analytica posteriora, aviuvxixa Sffrcpct, vom
Beweis, von den Definitionen und Eintheilungen und von der Erkennt-
niss der Principien, die acht Bücher Topioa, xonixd, von den dialekti-
schen oder Wahrscheinlichkeitsschlüssen, endlich das Buch de Elenchia
sophisticis, ;rcpl aoipiaxixwv My^tov^ von den Trugschlüssen der Sophisten
und ihrer Auflösung. *- Die beste neuere Gesammtausgabe dieser
Schriften ist folgende: Aristotelis Organon ed. Theod. Waitz. 2 Bde.
§ 16. Aristoteles. 29
Lips. 1844—46. Ein vortreffliches Hülfsmittel zum Stadium der Haapt-
lehren des Aristotelischen Organons bieten Trendelenburg's £lementa
logioes Aristoteleae, Berol. 18S6, 6. Aufl. 1868 (daza: Erläuterungen zu
d. Elementen der anst. Logik. Zunächst f. d. Unterricht in Gymnasien 1. A.
Berlin« 1842. 8. A. 1876}, zu einem weiter eindringenden Studium mag
ausser dem schon oben genannten Geschichtswerke von Prantl be*
sonders auch die Darstellung der Aristotelischen Philosophie von
Brandis in seinem Handbuche der Gesch. der Griech.-Böm. Philos. 11,
2 a, 1853 anleiten; auch Biese (die Philosophie des Aristoteles, l.Bd.:
Logik und Metaph., 1885) mag verglichen werden; ebenso C. Prantl,
über die Entwicklung der Aristot. Logik aus der Piaton. Philos. in d.
Abhdl. der Bayer. Akad. der Wiss. I. CL YIL Bd., 1. Abth.; auch
Trendelenburg, Gesch. der Kategorienlehre, Berlin 1846, und R.
Eucken, die Methode der Aristot. Forschung in ihrem Zusammenh.
mit den philos. Grundprincipien des Arist, Berlin 1872. lieber die
Bedeutung der Ausdrücke: Analytik und Dialektik bei Aristoteles
handeln u. A. Trendelenburg, Elem., annot. init. u. zu § 83, und
Charles Thurot, J^tudes sur Aristote, Paris 1860, S. 118 ff., und über
die Bedeutung von loytxog Waitz ad Organen Arist. 82 b, 36 ; Schwegler
ad. Arist. Metaph. VII, 4, § 5; XI, 10, § 11; Prantl, Gesch. der Log. I,
S. 535 f. Aristoteles schreibt das loyixdii Cv^^v (im Gegensatz gegen
die ipvaixii axi^nq) besonders Plato und den Platonikem zu (Metaph«
XII, 1, § 5 u. öfter) theils mit Anerkennung' der Vorzüge der Forschung
in Begriffen (Metaph. XIII, 5, § 11), theils und vorwiegend mit Tadel,
weil die bloss logische Betrachtung, je mehr sie auf das Allgemeine
gehe, um so ferner von dem Eigenthümlichen sei. Arist. de general
animal. II, 8. 747. b. 28; liytü Sh loyixriv {rrfv änodu^iv) dia tovtOj
oTi oaip xad^lov fzälXoVj no^t^unigto i^v oixeitov (arlv kqx^v, — Zur
Zeit Cicero's war der Name Xoytxti für die Lehre von der Erkenntniss
und Darstellung (besonders wohl unter dem Einfluss der Stoiker) schon
ganz üblich geworden. So sagt z.B. Cic. de fin. 1, 7: in altera philo-
sophiae parte, quae est quaerendi ac disserendi, quae layix^ dicitur.
Bei Alexander von Aphrodisias, dem Exegeten des Aristoteles, findet
sich häufig der Ausdruck: ri Xoyixti n^€ty/ji€tT€^a. BoÖthins sagt: logploen
Peripatetici veteres appellaverunt. Seneca und Quintilian gebrauchen
den Ausdruck rationalis philosophia oder rationalis pars philosophiae.
Den Sinn dieser Bezeichnung erläutert sehr gut Thomas von Aquino
in seinem Gommentar zu Arist. Anal, post. dahin: Ratio de suo actu
ratiocinari potest — et haec est ars logica, i. e. rationalis soientia, quae
non solum rationalis ex hoc, quod est seoundum rationem, quod est
Omnibus artibus commune, sed etiam in hoc, quod est circa ipsam artem
rationis sicut circa propriam materiam. Vgl. Kant, Log. hrsg. von
Jäsche, 8. 7: >das8, sie (die Logik) eine Vemunftwissenschaft sei nicht
der blossen Form, sondern der Materie nach, da ihre Regeln nicht aus
der Erfahrung hergenommen sind, und da sie zugleich die Vernunft zu
äirem Objecto hat.c
Als besondere Schriften über Aristoteles Logik der Erkenntniss-
30 § 17. Die Peripatetiker.
lebre sind noch zu nennen: Ph. Gumposch, Ueber d. Logik u. d. log.
Scbriften/ des Arist. Leipzig 1889. — Barthelemy St. Hilaire,
M^m. Bur l'organ. d'Arist. cour. par l'Jnstit. 2 vol. Paris 1838 et Rap-
port de M. Damiron aar le concoors, in T. S. des M6m. de l'Acad.
deB Bc. mor. et polit. — C. L. W. Heyder, Krit. Darst. u. Vergl. der
Arist. und HegePscfaen Dialektik. l.Bd. 1. Abth. Die Methodologie der
Arist. Philos. u. der frühem Systeme. Erlangen 1845. — A. L. Gast-
mann, De methodo philos. Arist. Groning. 1846. — C. Weinholtz,
De finibns atqae pretio logicae Aristotelis. Rostockii 1826. — H.
Hettner, De logices Aristotelicae speculativo principio. Hai. 1848. —
A. T egge, De vi atque notione dialecticae Aristoteleae. Treptow. 1877.
— Sal. Maimon, Die Kategor. des Arist. MitAnm. erl. u. als Propaed,
zn einer neuen Theorie des Denkens dargest. Berlin 1794. — Ad.
Trendelenbnrg, De Arist. categoriis prolnsio academ. Berol. 1838.
— H. Bonits, Ueber d. Eatögorien des Arist., in d. Sitzungsb. d.
Wien. Akad. der Wiss., hist-philol. Gl. Bd. X. 1863. — A. F. C.
E ersten, Qno jare Kantius Arist. categorias reiecerit. Prg. d. Cöln.
Realgymnas. Berlin 1868. — Wil. Schuppe, Die arist. Kategorien.
Gymn.-Prg. Gleiwitz 1866 (u. Berlin 1871). — Luthe, Die arist. Kategorien.
Realsch.-Prg. Ruhrort 1874. — A. Wentzke, Die Kategorien des ür-
theils im Anschl. an Aristoteles erl. u. begr. Gymn.-Prg. Culm 1868. —
EL Rassow, Aristotelis de notionis definitione doctrina. Berol. 1848.
— Gar. Kühn» De notionis definitione qualem Arist. constituerit.
Hai. 1844. — £. Essen, Die Definition nach Arist. Gymn.-Prg. Stargard
1864. — Ghr. Francke, De Arist. iis argumentandi modis, qui reoe-
dunt a perfecta syllogismi forma. Rostockii 1824. — A. Yera, Pia-
tonis, Aristotelis et Hegelii de medio termino doctrina. Paris 1845. —
J. Hermann, quae Arist. de ultimis cognoscendi principiis docuerit.
Berol. 1864. — Fr. Zelle, Der Untersch. in d. Auffassung d. Logik b.
Arist. u. b. Kant. Berl. 1870. — F.F.Kampe, Die Erkenntnisstheorie
des Arist. Leipzig 1870. — Gl. B'äumker, Des Arist. Lehre v. d.
ausser, u. inner. Sinnesvermögen. Diss. v. Münster. Lpz. 1877. — J.
Neuhaeuser, Arist. Lehre v. d. sinnl. Erkenntnissvermögan u. s. Gr-
ganen. Leipzig 187H. — Dembowski, Quaestiones Arist. duae (I. de
xoivov ttta&ifrrjQiov natura et notione). Diss. Bonn. Königsberg. 1881. —
R. Biese, Die Erkcnntnisslehrö des Arist. u. Kaut's in Vergl. ihrer
Grundprinz, hist-krit. dargest. Berlin 1877. — T. Gase, The elements
of Arist. logic, following the order of Trendelenburg with introd.
Lotidon 1880.
§ 17. Die älteren Peripatetiker, überwiegend empi-
rischer Forschung zugewandt, bilden die Logik des Aristo-
teles nur in wenigen Einzelheiten weiter fort. Die späteren
beschränken sich darauf, durch Commentare das Studium der
Aristotelischen Werke zu fördern.
Theophrast und Eudemus begründen die Theorie der hypo-
thetischen und disjunctiven Schlüsse und erweitern die Theorie der ka-
§ 18. Die Kpikareer, Stoiker und Skeptiker. 81
t^foruchea Schlüsse, indem sie zu den yierzehn Aristotelisehen Sohlnss-
modis fünf neue hinzufügen, und zwar als Modi der ersten Figfor; es
sind dies aber die nämliohen, aus welchen später die sogenannte vierte
Sohlussfigur gebildet worden ist. Siehe unten bei der Lehre vom Schluss
(sn §. 108) das Nähere. Unter den Späteren verdienen besonders An-
dronikus von Rhodus (um 70 n. Chr.), der Ordner der Aristoteli-
soihen Werke, Alexander von Aphrodisias (um 200 n. Chr.), der Exe-
get, «nd der Eklektiker Galenus (um 200 n. Chr.) genannt zu wer-
den. An ihre Bemühungen schliessen sich die der Neuplatoniker an.
Siehe Brandis über die griechischen Ausleger des Aristotelischen Orga*
iMss, in den Abhandlungen der Berliner Akademie der Wissensoh. 1888.
§ 18. Epikur (341—270 v. Chr.) setzt denWerth der
Logik (die er als „KaDonik'^ bezeichnet) herab, indem er sie
aossehliesslich in den Dienst seiner hedonisehen Ethik stellt,
ttbergeht die schwierigeren Lehren nnd weist der sinnlichen
Wahrnehmung nnd den aus dieser hervorgehenden Vorstel-
lungen die endgültige Entscheidung über die Wahrheit zu.
Die Stoiker, deren Richtung durch Zeno aus Gittium (um
3O0 V. Chr.) begründet und besonders durch Chrysippus, der
von 282—209 v. Chr. lebte, ausgebildet wurde, ergänzen nicht
nur die Aristotelische Denklehre in eineinen Partien, nament-
lich durch Bearbeitung der Lehre von den hypothetischen und
disjunctivBn Schlüssen, sondern Ittgen auch die ersten Anfänge
einer Theorie der Wahrnehmung und ihres Werthes für die
Erkenntniss hinzu. Durch ihre Untersuchungen über das Eri-
terinm der Wahrheit erhält ihre Logik noch entschiedener,
als die Aristotelische, den Charakter einer Erkenntnisslehre.
Sie sprechen schon der Sinneswahmehmung, in höherem Maasse
aber dem Denken die Fähigkeit zu, ein treues Abbild der
Wirklichkeit zu erzeugen. Unter dem Namen Logik fasst
ein Theil der Stoiker die dialektischen (d. h. die Theorie des
Denkens und Erkennens betreflfenden) und die grammatisch-
rhetorischen Lehren zusammen. Die Skeptiker bekämpfen
den Dogmatismus überhaupt, insbesondere aber den der Stoiker.
Die Hauptvertreter des Skepticismus sind die Anhänger des
Pyrrho aus Elis (um 320 v. Chr.) und die Philosophen der
mittleren Akademie.
üeber Epikur siehe Biog. L. X, 31: iv tolvw r^ Kavovi Ifyei
6 *E7t£xovQogt XQttrJQta rrjg alri&elag €?Kxt ras ttta^ffetg xal n^lr^yptig xeel
xk nu^. Gic. de Fin. I, 7: tollit defioitiones, nihil de diTidendo ac
32 § 19. Die Neuplatoniker.
partiendo dooet; non quo modo effioiatur condudaiarque ratio iradit;
non qaa via captiosa solvantur, ambig^a distinguantur ostendit; iudicia
rernm in sensibas ponit; of. ib. II, 6. üeber das Schliessen aus Zeichen
{arifitttty atifjieiova^a) haben im Anschluss an Epiknr einige spätere
Epikureer, namentlich Zeno um 100 t. Chr.) und dessen Schüler Phi-
lodemus eingehender gehandelt. — Ueber die Stoische Eintheiluiig
der Logik siehe Diog. L. VII, 41: t6 äk loytxov fi^Qos (paalv $vtoi iig
Svo SuttQiia^iu imOT^^ttSt iic ^ffroQixriv xal €ig dtaXciettxriy, cf. Senec
£p. 89; über die (panttaia xantlfinTixii als Kriterium und die daraus
erwachsende 7iQolrj\iftg Diog. L. YII, 46; Cic. Acad. post. I, 11: visis
non Omnibus adiungebant fidem, sed iis solum, quae propriam quan-
dam haberent declarationem earum rerum, quae viderentur — unde
postea notiones rerum in animis imprimerentur. — Stob. Eclog. eth.
n, p. 128: (Ivai dh tijv (Trior^firjr xcczaXtjilfiv aatf^alrj xal tt/undnTanor
vno Xoyov. — Die Logik der Stoiker haben folg. bes. Schriften behan-
delt: D. Tiedemann, System d. stoisch. Philosophie. 8 Thle. Lps.
1776. — J. H. Ritter, De Stoic. doctr. praes. de eorum logica. Bresl.
1849. — AdamBursii, Logica Ciceronis Stoica. Hannov. 1604. —
Nicolai, De log. Chrys. libris. Gymn.-Prg. Quedl. 1859. — V. Brochard,
De assensione Stoici quid senserint. Nancy 1879. — Rud. Hirzel, De
logica Stoioorum. Lpz. 1879. — M. Heinze, Zur Erkenntnisslehre der
Stoiker. Univ.-Prg. Lpz. 1879/80. — Zu vergl. R. Schmidt, Stoicorum
grammatica. Halle 1889. — Die Skeptiker finden weder in der Wahr-
nehmung noch im Begriff einen sicheren Entscheidungsgrund zwischen
den entgegengesetzten Ansichten und beschränken sich daher darauf,
die Erscheinungfen als solche aufzufassen unter Enthaltung (inoxri) von
jeglichem Urtheil über ihre objective Wahrheit. Diog. L. IX, 103 sqq.
Zehn Zweifelsgründe, welche nach Aristocles ap. Euseb. praepar. evang.
XIY, 18 von Aenesidemus (im erst. Jahrh. n. Chr.) zusammengestellt
worden zu sein scheinen, werden angeführt von Sext. Emp. hypotyp.
Pyrrhon. I, 86 sqq.; Diog. L. IX, 79 sqq. Sie stützen sich vorzüglich
auf die, durch die Relativität der Vorstellungen bedingten, subjectiven
Verschiedenheiten derselben, s. R. Goebel, Die Begründung der Ske-
psis des Acnes, durch die zehn Tropen. Gymn.-Prg. Bielefeld 1880. Eine
sehr reichhaltige Zusammenstellung der sämmtlichen skeptischen Argu-
mente des Alterthums gibt Sextus, ein Arzt der empirischen Schule
(um 200 n. Chr.), in seinen beiden uns erhaltenen Werken: iZi^^cv-
viltov vnoTvnt6a€(ov ßißXia XQ(a und IJQog ^a^fiurixovg ßißlia ^v^fxa.
Ex recens. Imm. Bekkeri. Berol. 1842. — Die Pyrrhon Grundzüge
a. d. Griech. übers, u mit e.Einl. u. Erläuter. vers. v. Eng. Pappen-
heim in d. Philos. BibUoth. hrsg. v. J. H. v. Kirchmann. Bd. 74.
Lpz. 1877.
§ 19. Die Neuplatoniker (deren Richtung im dritten
Jahrhundert nach Chr. aufkam), metaphysisch-theosophischen
Speculationen zugewandt, stellen die ekstatische Anschauung
des Göttlichen höher, als die wissenschaftlich vermittelte
§§ 19. 20. DieKeuplatoniker, das Stadium der Dialektik in den Schalen. 88
Erkenntniss. Sie wenden den logischen Untersnchnngen des
Plato and Aristoteles ein eifriges Studium zu, ohne dieselben
in selbständiger Weise wesentlich fortzubilden.
Plotinas (204 — 269 n. Chr.) yersuoht die Aristotelische Katego-
rienlebre amzabilden; die späteren Neuplatoniker kehren jedoch za
derselben zarüok. Porphyr ins (232 — 304 n. Chr.)» des Plotinus
Schaler, ist der Verfasser der besonders im Mittelalter vielgelesenen
Isagoge in Aristotelis Organen, worin er von den logischen Begriffen:
Gattung, Art, Differenz, Eigenthümliches and Aasserwesentliches han-
delt. De qninque vocibas sive categ. Arist. introdactio. Paris 1643.
Von den Stadien der späteren Neaplatoniker zeugen ihre zahlreichen,
zum Theil noch erhaltenen Commentare za den Platonischen and Ari-
stotelischen Schriften«
§ 20. Die Philosophie der Kirchenväter ist wesent-
lich Religionsphilosophie und wendet, mit den Schwierigkeiten
ihrer nächsten Aufgabe ringend, den logischen Problemen
nar ein secundäres Interesse zu. Die Platonische Ideenlehre
behauptet ihr Ansehen, jedoch in einem Sinne, der von dem
ursprünglichen wesentlich abweicht, indem namentlich Augu-
stinus im Anschluss an Plotin die Ideen dem göttlichen Geiste
immanent sein lässt. Die Hauptlehren des Aristotelischen Or-
ganons werden den Lehrbttchern der sogenannten sieben
freien Künste einverleibt, und bilden so (seit dem 6. Jahr-
handert) in den christlichen Schulen einen Gegenstand des
Unterrichts. Auch bei arabischen und jtldischen Gelehrten
findet das Organon, wie überhaupt die Aristotelischen Werke,
ein fleissiges Studium.
Das Verhältniss der Kirchenväter zar griechischen Philosophie ist
ein Tcrschiedenes. Justin der Martyr (um 160 n. Chr.) spricht als
seine Ueberseagang aus: ol /Atra uioyov pnoaovtig Xgiariayoi itai, xav
ti&ioi ivofi£a^aaVy olov iv 'EXiriai fiiv ^taxQorris xai *HQaxl€itog xal ol
ofAOiot aiftöig (lastin. Apolog. I, 46, p. 88 C). Aach Clemens von
Alexandrien (am 200 n. Chr.), Origenes (185 — 254 n. Chr.) and An-
dere sind Freunde der griechischen Philosophie und stellen sie in den
Dienst der christlichen Theologie. Andere dagegen, wie Iren aus (um
140^202 n. Chr.) und Tertullian (160—220 n. Chr.) (auch Arno-
bius und Lactantius (beide um SOO n. Chr.)), durch gnostischen
Synkretismus geschreckt, fürchten von ihr eine Gefährdung der Rein-
heit der christlichen Lehre; wieder Andere, wie namentlich August in
(354-— 430 n. Chr.)» huldigen einer vermittelnden Bichtung. Am eng-
ttea ist die theils befreundete, theils gegnerische Berührung mit dem
Keuplatonismus. Auf die Wahrheit der Erkenntniss von dem innern
3
34 § 21. Die Scholastiker.
Leben gpründet Augustin die Wahrheit der Erkenntniss überhaupt (s.
unten zu § 40). Die Ideen sind ihm principales formae quaedam vel
rationes rerum stabiles atque incommutabiles, quae in divina intelligentia
continentur (de div. qu. 46). Jac. Merten, Ueber d. Bedeutung der
Erkenntnisslehre d. h. August, u. d. h. Thom. v. Aquino f. den gesch.
Entwicklungsgang der Philosophie als rein. Vemunftwissensch. Trier
1866. — NiaJos. Lud w. Schütz, August, de orig. et via oognitionis
intellect. doctrina ab ontologismi nota yindicata. Monast. 1867. — G.
Melzer, August, atque Cartes. placita de mentis human, sui cogpütione
quomodo inter se oongruant a seseque differant; Diss. Bonnae 1860.
Boethius (470—526) übersetzte und commentirte mehrere Schriften
des Aristotelischen Organons und erläuterte die durch den Rhetor Vi-
ctorinus verfertigte Uebersetzung der Isagoge des Porphyrius. Mar-
cianus Gapella (um 480) und Gassiodorus (um 500) in ihren
Lehrbüchern der septem artes liberales (Grammatik, Rhetorik, Dia-
lektik — Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik) handeln
unter anderem auch von der Dialektik oder Logik im Anschluss an
Aristoteles. Auf ihn en fussen dann Isidorus Hispalensis (um 600),
Beda (um 700) und Alcuin (786—804). Unter den arabischen Ari-
stotelikem sind besonders Avicenna (Ibn Sina, um 1000 n. Ghr.) und
Averroes (Ibn Roschd, um 1176) berühmt (Ibn Sina's Log^k behan-
delte B. Haneber g. Zur Erkenntnisslehre v. Ibn Sina u. Alb. Magnus,
in d. Abb. d. philos.-philol. Ol. d. k. bayer. Akad. d. Wissensch. XI. 1.
München 1866); unter den jüdischen ist des Averroes Zeitgenosse Mo-
ses Maimonides (Moses Ben Maimun, 1185 — 1204), »dieses Licht
unter den Juden des Mittelalters«, der bedeutendste.
§ 21. Im Mittelalter entwickelt sich unter dem Einflnsse
theils der Kirchenväter, theils logischer Schriften des Aristo-
teles und später (etwa seit dem Anfange des dreizehnten Jahr-
hunderts) auch der übrigen Aristotelischen Werke die scho-
lastische Philosophie. Das Wesen der mittelalterlichen
Scholastik ist die Uebung des ordnenden und schliessenden
Verstandes an der formalen Aussenseite des Dogmas und der
Wissenschaften bei traditionell gegebenem Inhalte. Für die
Logik ist sie in zweifacher Beziehung von Bedeutung : a. durch
ein subtiles Ausspinnen der Aristotelischen Syllogistik, b. durch
den Kampf des Bealismus und Nominalismus in der Frage
nach der realen Existenz der Universalien. Der Sealismus
behauptet in der Zeit der Culmination der Scholastik eine
fast unbeschränkte Herrschaft. Der Nominalismus, der durch
seine Behauptung, dass das Allgemeine nicht etwas Beales
sei, sondern nur im Wort oder auch etwa noch in der Vor-
stellung (Conceptualismus) existire, de?n Werth der schola-
§ 21. Die Scholastiker. 85
stiBchen Kunst lierabzusetzen droht, findet nur theils beim
Beginne der Scholastik eine vereinzelte oder vorübergehende,
thefls in der späteren Zeit eine allgemeinere und siegreiche
Vertretung.
Die allgemeine Tendenz der Scholastik bezeichnet der Wahlspruch
des Anselmus von Canterbury (1088—1109): »Credo, ut intelligam«.
Dock richtet sich, wie es in der Natur der Sache liegt, das Streben
nach wissenschaftlicher Yemunfteinsicht zunächst vorwiegend auf die
äussere, formale Verarbeitung des gegebenen Inhaltes der Glaubenslehre
und der weltlichen Wissenschaften. Die Kenntniss der logischen Werke
des Aristoteles war bis zur Zeit Abälards (der von 1079 — 1142 lebte)
anf die Uebersetzungen der Categ. und der Schrift de Interpr. beschränkt,
^vrozu die Isagoge des Porphyrius und von Boethius verfasste Lehrbücher
(nebst den Augustinischen Principia dialect. und der pseudo- Augustini -
sehen Schrift über die zehn Kategorien) kamen (nach dem Zeugniss des
Abälard bei Cousin, oeuvres inM. p. 228, s. Prantl, Gesch. der Logik II,
S. 100; Abälard kannte ausserdem vielleicht mittelbar einzelne Sätze,
die Aristoteles in den übrigen logpischen Schriften aufstellt). Bald nach-
her, um die Mitte und schon vor der Mitte des zwölften Jahrhunderts,
verbreitete sich allmählich mehr und mehr die Kenntniss der beiden
Analytiken und der Topik nebst Soph. £1. theils in der Boethianisohen,
theils in anderen, neuen und wörtlicheren Uebersetzungen. Johann von
Salisbury (gest. 1180 als Bischof von Ghartres) kannte das ganze Organen.
Theils vielleicht schon im Laufe des zwölften, theils und besonders im
Anfang des dreizehnten Jahrhunderts gewann die Logik eine neue Aus-
bildung, deren wesentlicher Charakter in der Mitaufnahme grammatisch-
logischer Begriffe und Lehren liegt; diese neue Form verbreitete sich
zumeist durch das Compendium des (als Papst Johann XXI im Jahre
1277 gestorbenen) Petrus Hispanus: »Summulae logicalesc (worin u. a.
auch die voces memoriales für die Formen der Schlüsse sich finden).
I>ie logischen Lehren des Aristoteles wurden hier in sechs Abschnitten
(tractatus) vorgetragen, wovon der erste den Inhalt des Buches de
interpr. wiedergab, der zweite die »quinque voces« des Porphyrius
(genus, species, differentia, proprium und accidens) behandelte, der dritte
die Kategorien, der vierte die Syllogistik, der fünfte die Topik, der
sechste die Soph. Elench. ; dazu trat dann ein siebenter Abschnitt, worin
»de terminorum proprietatibusc : über den Gebrauch der Substantiva,
namentlich über deren »Suppositioc, d. h. die Vertretung des specielleren
durch ein allgemeineres, des Eigennamens durch einen Gemeinnamen,
femer der Adjectiva und Verba und der »Syncategoremata«, d. h. der
Gesammtheit der übrigen Redetheile, gehandelt wurde. Dieser siebente
Abschnitt wurde auch t parva logioaliat genannt, und unter diesem Titel
häufig eigens gedruckt. Der altbekannte Theil der Aristotelischen Logik
hiess vetus logica, der um 1140 bekannt gewordene Theil derselben
nova logica ; die Vertreter der durch die Lehre de prop. term. erweiterten
Logik aber hiessen moderni, und die betreffenden Abschnitte der ge-
d6 § 22. Das fteformationszeitalter.
sammten Log^k tractatus modemoram. Durch Occam, den Emenerer
des Nominalismus (um 1820), wurden die Sätze und Termini dieser
Abschnitte (nach Prantl, Sitzungsber. der Münchener Akad. 1864, II, 1,
S. 65; vgl. den Abschnitt über Occam in Prantl's Gesch. der Logik)
»in die ganze Lehre von den Universalien verweben«. Dass diese
»moderne« Logik auf einem byzantinischen Einfluss beruhe, ist wohl
nicht (mit Prantl) anzunehmen; ein griechisches Compendium^ welches
dieselbe in ganz gleicher Weise, wie die Summulae des Petrus Hispanus
enthält, wird von Einigen dem Michael Psellus (der im 11. Jahrh. lebte)
zugeschrieben, aus dem dann Petrus Hispanus und andere lateinische
Logiker geschöpft haben müssten, gilt aber Andern mit Recht als eine
Uebersetzung des Lehrbuchs des Petrus Hispanus. Thurot, De la lo-
gique de Pierre d'Espagne. Bes. Abdr. a. d. Rev. arch6olog. 1664 (gegen
Prantl) und ferner K. Prantl, M. Psellus u. Petrus Hispanus. Eine
Rechtfertigung. Lpz. 1867. Die metaphysischen und physischen Schriften
des Aristoteles wurden (wie A. Jourdain, recherches crit. sur Tage et
Torigine des trad. lat. d'Aristote. Par. 1819. 2. Aufl. 1843, u. A. nach-
gewiesen haben) seit dem Ende des zwölften und Anfange des drei-
zehnten Jahrhunderts dem Abendlande bekannt, hauptsächlich dadurch,
dass arabische und hebräische Uebersetzungen derselben in's Lateinische
übertragen wurden ; doch wurden bald auch griechische Texte aus Con-
stantinopel geholt, zumal seit die Einnahme dieser Stadt durch die
Kreuzfahrer (1204) diesen Weg erschlossen hatte. — Dem Realismus
huldigten namentlich Anselm, Albertus Magnus, Thomas von
Aquino, Duns Scotus; dem Nominalismus Roscellin, und auch
(unter Annäherung an den Conceptualismus) Abälard, und später,
seit dem 14. Jahrhundert, Wilhelm von Occam, Buridan, Peter von
Ailly, Biel und Andere. Auch Melanchthon war Nominalist. —
Selbst die Häupter der Scholastik, wie namentlich Albertus Magnus
(1193—1280), Thomas von Aquino (1225-~1274) und Duns Scotus
f^est. 1308) verschmähten es nicht, über logische Werke des Aristoteles
Commentare zu schreiben. — Ueber die phantastische >ars magna et
ultima« des Raymundus LuUius (1234—1315), eine Art combinatori-
Bcher Topik, urtheilt Des Cartes mit Recht (Diso, de methode, H), sie
diene nur >ad oopiose et sine iudicio de iis, quae nescimus, garriendum«.
§ 22. Das wiederauf blühende Studium der altclassi-
sehen Litteratur und der grosse Kampf um die Refor-
mation der Kirche verdrängten die scholastischen Streit-
fragen aus dem Interesse der Zeit. Doch liegt in dem all-
gemeinen Bruch mit dem Traditionalismus auch der Keim zu
einer neuen selbständigen Fortbildung der Logik, wie der Philo-
sophie überhaupt. Zunächst erhält sich das Studium der
Aristotelischen Logik und wird auch jvon den Reformatoren
gefördert. Melanchthon 's auf Grund der Aristotelischen
§ 22. Da8 Reformationszeitalter. 87
Werke yerfasste Lehrbücher dienen in den protestantischen
Schulen lange als Grandlage des logischen Unterrichts. Als
Gegner nicht nur der scholastischen, sondern selbst der Aristo-
telischen Logik tritt Petras Ramus anf.
Unter den classisch gebildeten Männern jener Zeit machten sich
besonders Lanrentins Yalla (1415 — 65), Agricola (1442— 86) und Lud.
Yives (1492 — 1540) um die Logik durch Reinigung von scholastischen
Subtilitaten verdient. Die logisch- rhetorische Schrift Agricola*s,
die zuerst 1480, dann 1515 zu Löwen, und 1528 zu Köln herausgegeben,
suchte Aristoteles, Cicero und Quintilian zu verbinden. Melanchthon
and Ramus rfihmten dieselbe. Sie wurde bald in mehrere Collegien
der Universität Paris eingeführt und gewann solchen Einfluss, dass
1580 die dortige theologische Facultat gegen die Facultät der Künste
die Klage aussprach, sie verlasse den Aristoteles für Agricola. Me-
lanchthon (1497 — 1560) in seinen Schriften: Dialectica 1520 u. ö.,
£rotemata dialectices 1547 u. ö., stellt die didaktische Seite in den
Vordergrund, indem er die Dialektik als ars et via docendi erklärt.
Sein Beispiel und sein Ausspruch: »carere monumentis Aristotelis
non possumusc stützen innerhalb des Protestantismus wiederum
die Autorität des Aristoteles, die Luthers anfängliche Angriffe zu er-
schüttern gedroht hatten. Vgl. A. Richter, Melanohthon's Verdienste
um d. philoe. Unterricht, Leipzig 1870. — Ueber den Aristoteles in
den Schulen der Protestanten s. J. H. ab Eis wich in der von ihm
Yiteb. 1720 neu herausg. Schrift von Launoy^ De varia Ar! st. fortuna
in Acad. Paris. — Petrus Ramus (Pierre de la Ramee, 1515 — 72)
in seinen Dialectioae portiones 1543, Institutiones dialect. 1547, Scholae
dialect. 1548, hat durch seine Bekämpfung des Aristoteles mehr an-
regend als positiv fortbildend gewirkt. Ramus bestimmte die Dialektik
als die Kunst zu urtheilen und zu schliessen (de raisonner) und zu
streiten (de disoourir) und schrieb ihr zwei Functionen zu: die Erfin-
dung (invention), die darin besteht die Argumente zu finden, und das
Urtheil (jugement), welches darin besteht sie anzuwenden und zurecht
ZQ l^en. Dieses zweifache Vermögen galt ihm als der menschlichen
Seele eingeboren und durch Beobachtung zu erkennen. Die Theile
seiner Logik behandelten als die vier Hauptpunkte: idSe, jugement,
raisonnementy methode. Darin folgten ihm Gassendi und die Ver-
fasser der Logik des Port^Royal. Viele Gegner des Aristoteles und der
Scholastik in Frankreich, Deutschland und der Schweiz schlössen sich
eine Zeit lang ihm an. Die Bemer Akademie zeigte noch Spuren des
Ramismus im 18. Jahrh. S. Gh. Waddington, Ramus, sa vie, ses
derits et see opinions. Paris 1856, u. K. Prantl, über P. Ramus in d.
Sitzgsber. der kgl. bayer. Ak. d. Wissensoh. philos.-philol.-hist Gl. 1878.
— Von geringerer Bedeutung für die Logik sind die tumultuarischen
Bestrebungen der gleichzeitigen italienischön Naturphilosophen, eines
Telesinsy Campaneila, Bruno und Vanini, ebenso auch des naturphilo-
Bophisclien Arztes Paracelsus und Anderer, die jedoch bei aller Phanta-
88 § 28. Baco von Yerulam.
stik sioh insoweit ein bleibendes Verdienst erworben haben, als sie ihre
Naturlehre und Weltanschauung auf Beobachtung und Mathematik be-
gründeten. Durch die Forderung: »cominciare dall' ösperienza e per
mezzo di questa scoprirne la ragionec ist Leonardo daYinci
(1452 — 1619) ein Vorläufer Baco's geworden. — Ueber Galilei und
Kepler als Logiker hat gehandelt E. Prantl in d. Sitzgsber. d. kgl.
bayer. Akad. d. Wissensch. philos.-philol. Gl. 1876.
§ 23. Ein wesentlich neues Element führt als ein Vor-
kämpfer der antischolastischen, auf Naturforschong ausgehen-
den Richtung seiner Zeit Baco von Verulam (1561—1626)
durch seine Theorie der inductiven Erkenntniss in die
Logik ein. Er verlangt, dass dielnduction von dem Einzelnen
der Erfahrung aus erst zu BegriflFen und Sätzen von mittlerer
Allgemeinheit und danach stufenweise zu Erkenntnissen von
höherer AUgemeinheit aufsteige. Den Syllogismus lässt Baco
nicht als ein Mittel wissenschaftlicher Forschung gelten, weil
derselbe zu den Principien nicht führe, in der Ableitung aus
den Principien aber der Feinheit der Natur nicht gewachsen
sei und nur für die populären Wissenschaften passe. Baco
verkennt jedoch den Werth der Deduction des Besonderen
aus dem Allgemeinen und die Bedeutung, welche der Syllo-
gismus für die deductive und mittelbar auch für die inductive
Erkenntniss hat.
Baco hat seine Ansichten in der Abhandlung de dignitate et aug-
mentis scientiarum und in dem Novam Organum niedergelegt. Er sagt
de augm. sc. I, 18: Sci^ntia nihil aliud est, quam veritatis imago; nam
veritas essendi et veritas cognosoendi idem sunt» nee plus a se invicem
differunt, quam radius directus et radius reflexus. — Novum Org. I,
aphor. XIII: Syllogismus ad prinoipia scientiarum non adhibetur, ad
media axiomata frustra adhibetur, quum sit subtilitati naturae longe
impar. Assensum igitur constringit, non res. Ib. XIV : Syllogismus ex
propositionibus constat, propositiones e verbis, verba notionum tdsse-
rae sunt. Itaque si notiones ipsae, id quod basis rei est, confusae sint
et temere a rebus abstraotae, nihil in iis quae superstruuntur est fir-
mitudinis. Itaque spes una est in inductione vöra. Nach N. 0. 1, 127
soll die inductive Logik nicht, wie die gewöhnliche, nur eine Norm für
die in sich verharrende intelleotuelle Thätigkeit, sondern eine Norm der
Erkenntniss der Dinge sein: ita mentem regimus, ut ad r^rum natu^am
se applicare possit. Diese Logik rühmt er als den Schlüssel der
übrigen Wissenschäften, da sie den denkenden Geist in seinem Streben
nach Erkenntniss zugleich leite und kräftige, de augm. so. V, 1: Ra-
tionalis sdentiaö reliqnarom omnino claves sunt; atque quemadmodum
manns instrumentum instrumentomm, anima forma formarum, ita et
§ 24. Carteeias. 89
illae arte« artium ponendae sunt. Neque solum dirigunt, söd et robo-
rant, sicut sagittandi usus uon tantum facit, ut melius quis coliineet,
sed ut arcum tendat fortiorem. Im N. 0. I, 127 behauptet Baco auch
die Anwendbarkeit seiner inductiven Methode auf die intellectuellen
und moralischen Wissenschaften, ohne jedoch auf diese Anwendung
nAher einzugehen ; sie war ihm erst »eine dunkle Ahnung aus der Ferne
her« (Beneke). — Baco hat selten im Einzelnen die richtigen For-
schungsmethoden angegeben, viel weniger noch durch eigene Forschung
iwissenschaftlich gültige Hesultate erhalten, nicht einmal das Beste von
dem durch Andere zu seiner Zeit schon Erforschten zu würdigen und
«ich anzueignen gewusst (was alles besonders Lassen über Baoo's y.
Yerulam wissensch. Principieu 1860 und Lieb ig über Francis Baco
V. Yerulam und die Methode der Naturforsch. 1868, der früher viel
verbreiteten üeberschätzung Baco's entgegen tretend, hervorgehoben
haben), aber doch bleibt ihm das Verdienst, die allgemeine metho-
dische Forderung einer empirisch basirten, inductiven Forschung krafti-
ger, als irgend einer seiner Vorgänger» vertreten und die neue Bichtung
in ihrem methodischen Princip zum logischen Bewusstsein erhoben zu
haben. Vgl. § 184 über Hypothese und »Experimentum crucisc ; und
K. Sigwart über Bacon in Preuss. Jahrb. Bd. XII u. XIII, 1868 u. 64,
H. Böhmer über Fr. Bacon v. V. u. die Verbindung der Philo s. mit
d. Naturw. 1864; A. Dorner de Baconis philosophia 1867. — Const.
Schlottmann, B.'s Lehre von den Idolen u. ihre Bedeutung für die
Gegenwart in Gelzer's protest. Monatsbl. Bd. 21. 1868. — A. E. Finsh,
On the indnctive philosophy, including a parallel between Lord B. and
A. Comte as philosophers. Lond. 1872. — Eine sehr beachtenswerthe
Ausgabe bot neuerdings Prof. Th. Fowler: Bacon's novum Organum,
edit. with introduct., notes etc. Oxford, Clarendon Press (London. Mac-
millan). 1878, — eine brauchbare Uebers. mit Erl. u. Lebensbeschr.
J. H. V. Eirchmann in d. Philos. Biblioth. Bd. 82. Berlin. 1870.
§ 24. Hatte Baoo fast ausschliesslich die sinnliche Er-
fahrnng nnd äussere Natur berücksichtigt, so findet dagegen
Cartesius (1596—1650) nur in der Selbstgewissheit des
Denkens von seinem eigenen Sein den gegen jeden Zweifel
gesicherten Ausgangspunkt der philosophischen Erkenntniss.
Er setzt das Kriterium der objectiven Wahrheit in die sub-
jective Klarheit und Bestimmtheit der Erkenntniss, und findet
eine Bilrgschaft für die Gültigkeit dieses Kriteriums in der
göttlichen Wahrhaftigkeit, die nicht zulasse, dass die klare
nnd bestimmte Vorstellung dennoch eine täuschende sei. Diesem
Kriterium gemäss hält Cartesius daftlr, dass der menschliche
Geist theils sein eigenes Denken im weitesten Sinne oder die
Gesammtheit der bewussten inneren Thätigkeiten, theils die
Gottheit} theils endlich als Eigenschaften der Aussendinge die
40 § 24. Gartesius.
räumliche Ausdehnniig und deren Modi mit Wahrheit zn
erkennen vermöge, so dass die Erkenntniss mit dem Sein
ihrer Objecte übereinstimme. Die unmittelbare Erkenntniss
nennt Gartesius Intuition; alle mittelbaren Erkenntniss-
weisen fasst er unter den verallgemeinerten Begriff der De-
duetion zusammen. In Bezug auf die mittelbare Erkennt-
niss unterscheidet Gartesius bei Gelegenheit einer zweifachen
Darstellung seiner Grundlehren die analytische und die
synthetische Methode; jene, die von dem unmittelbar
Gegebenen zu den Principien aufsteige, diene der Erfindung,
diese, die von den Principien ausgehend die einzelnen Lehr-
sätze deducire, diene der strengen Beweisführung. Gartesius
glaubt mit vier allgemeinen Vorschriften ttber die Methode
auszureichen. Die erste Vorschrift fordert Evidenz, die auf
vollkommene Klarheit gegründet sei, die zweite fordert Thei-
lung der Schwierigkeiten, die dritte einen geordneten, die
vierte einen lückenlosen Fortschritt der Untersuchung. Aller
Irrthum beruht auf dem Missbrauch der Willensfreiheit zu
einem vorschnellen Urtheil.
Gartesius stellt Princip. philos. I, § 45 von der Klarheit und Be-
stimmtheit folgende DefinitioDen auf: Ciaram vooo illam perceptionem,
qnae menti attendenti praesens et aperta est, destinctam autem illam,
quae qunm clara sit, ab omnibus aliis ita seiuncta est et praecisa, ut
nihil plane aliud, quam quod darum est, in se oontineat. Die vier
methodischen Regeln (die aber nicht sowohl logische Gesetze sind, als
vielmehr Regeln, wie ¥dr uns subjectiv 2su verhalten haben, um den
logischen Normen nachkommen zu können und Fehler zu vermeiden)
finden sich in dem Disoours de la methode pour bien conduire sa rai-
son et chercher la verite dans les sdences, 1687 (Discursus de me-
thodo recte ntendi ratione, 1644), sec. part. Des Cartes sagt: »Ainsi,
au lieu de oe grand nombre de pr6oeptes dont la logfique est composöe,
je crus que j'aurais assez des quatre suivants, pourvu que je prisse
une ferme et oonstante resolution de ne manquer pas une seule fois ä
les observer. Le premier etait de ne recevoir jamais auoune chose
pour vraie, que je ne la connusse evidemment etre teile: c'est ä dire
d'6viter soigneusement la preoipitation et la pr6vention et de ne com-
prendre rien de plus dans mes jugements que oe qui se presenterait
si dairement et si destinctement k mon esprit, que je n'eusse auoune
occasion de le mettre en doute. Le second, de diviser chacune des
difficultes que j'examinerais, en autant de paroelles qu'il se ponmdt
et qu'il serait requis pour les miöuz resoudre. Le troisidme, de con-
duire par ordre mes pensees, en commengant par les objets les plus
§ 24. GartesiuB. 41
simples et las plus aises k oonnaitre, ponr monier peu ä peu comme
par degris jusques ä la connaissanoe des plus oomposes, et supposant
meme de l'ordre entre ceux qui ne se precddent point naturellement
les uns les autres. Et le demier, de faire partout des denombrements
si entiers et des revues si generales, que je fusse assure de ne rien
omettre.« Von den Syllogismen und den meisten andern Lehren der
Ijogik nrtheilt Des Cartes (an derselben Stelle), dass sie mehr didak-
tiflohen, als scientifisohen Werth haben: >que pour la logique, ses syl-
logrismes et la plupart de ses autres instructions s6rvent plutot ä ex-
pliquer ä autrui les ohoses qu'on sait, — qu*ä les apprendre.t Vgl.
unten die historischen Angaben zu § 101. Den Unterschied der ana-
lytischen und der synthetischen Methode berührt Gartesius in seinen
Erwiderungen auf die Einwürfe gegen seine Meditationes de prima
philosophia, respons. ad secund. obiect. In der Schrift: Begulae ad
directionem ingenii, zuerst veröffentlicht in den Opuscula posthuma,
Amstelod. 1701, unterscheidet Gartesius die Intuition oder die unmittelbar
gewisse Erkenntniss, wodurch wir uns der Principien bewusst werden,
und die Deduction oder die Operation, wodurch wir die eine Erkennt-
niss aus der andern ableiten und daher dasjenige erkennen, was die
nothwendige Folge von Anderem ist. Die Forderungen, welche in den
vier methodischen Vorschriften des Disoours liegen, führt Gartesius in
den Begulae weiter aus, indem er sie zugleich auf einzelne philoso-
phische und besonders mathematische Probleme anwendet. — Aus der
Schule des Gartesius ist als das vorzüglichste logische Werk hervor-
gegangen: La logique ou l'art de penser, Paris 1662 u. ö., worin die
Aristotelischen Lehren mit den Gartesianischen Principien combinirt
werden. Die Logik wird definirt als die Kunst des rechten Vemunft-
gebrauchs beim Erkennen der Dinge (l'art de bien oonduire sa raison
dans la connaissance les choses, tant pour s'instruire soi-meme que pour
en instruire les autres). Dieses Werk ist wahrscheinlich von Ant.
Arnauld unter Mitwirkung des Nicole und vielleicht auch anderer
Jansenisten des Port-Royal verfasst worden, s. T. S. Baynes, the
port royal logic transl. from the French with introd., notes and ap-
pend. 7. ed. London 1872. —- Nicole Malebranche (1638—1715), der
Vertreter der Lehre, dass wir alle Dinge in Gott schauen, fusst in
seinem Werke: de la recherche de la verit^, Paris 1673, auf den Grund-
sätzen des Gartesius. — Auch Arn. Geulinx schrieb eine Logica fun-
damentis suis, a quibns hactenus collapsa fuerat, restituta Lugd. Bat.
1662, Amst. 1698. üeber ihn schrieb E. Grimm: Am. Geulinx Er-
kenntnisstheorie u. Occasionalismus. Jena 1876. — Als Anhänger des
Gartesius in Deutschland schrieb der an d. Univers. Duisburg lehrende
Joh. Glauberg seine 1668 u. ö. ersch. Logica vetus et nova, modum
ioTeniendae ac tradendae veritatis, in generi simul et analysi, faoili me-
thodo exhibens. — Unter den Gegnern des Gartesius verdient hier be-
sonders Gassendi (1592 — 1655) wegen seiner klaren und wohlgeord-
neten Darstellung der Logik Erwähnung.
42 § 25. 26. Spinoza und Locke.
§ 25. Spinoza (1632—1677) führt die unwahre oder
inadäquate Erkenntniss anf den Einfinss der Einbildungskraft,
die wahre oder adäquate aber auf das Denken zurtlck. Wahr-
heit ist Uebereinstimmung der Idee mit ihrem Gegenstande.
Die Wahrheit bekundet sich selbst und den Irrthum. Der
intuitive Verstand erkennt jedes Einzelne aus seinen Ursachen
und das Endliche überhaupt aus dem Unendlichen; er richtet
sich zuvörderst auf die Idee der Einen Substanz, deren Wesen
(essentia) das Sein (existentia) in sich schliesst, um Denken
und Ausdehnung als ihre Attribute und die Einzelweisen als
ihre Modi zu erkennen. Die Ordnung und Verbindung der
Gedanken entspricht der Ordnung und Verbindung der Dinge.
Die philosophische Methode ist mit der mathematischen identisch.
Yon den Werken des Spinoza gehört hierher besonders der Trao-
tatns de intellectus emendatione, in den Opera posthnma, Amstelod.
1677, womit mehrere Stellen der Ethik zu vergleichen sind. Die Grund-
forderang des Spinoza ist: >Ut mens nostra omnino referat naturae
exemplar, debet omnes suas ideas producere ab ea, quae refert origi-
nem et fontem totius natnrae, ut ipsa etiam sit fons ceterarum idea-
rum.< Die Wahrheit definirt Spinoza Eth. I, 36 als oonvenientiam
ideae cam suo ideato. — Spinoza unterscheidet drei Arten oder Stufen
der Erkenntniss: imaginatio {(pavraaia), ratio (die iniatrifiri des Ari-
stoteles) und intellectus (die intuitive Erkenntniss der Principien), gleich
dem Aristotelischen vovg\ doch hält Spinoza die Aristotelische Abgren-
zung gegen die im<nrififj nicht streng inne, indem er auch Deduction
aus dem obersten Princip dem Intellectus zuschreibt. Der Philosoph
betrachtet alle Dinge als Momente der Einen Substanz, sub specie aeter-
nitatis. Die »concatenatio intellectus c soll »concatenationem naturae
referrec. — Vom Standpunkte des Spinoza aus handelt Euf feler in
seinem Specimen artis ratiocinandi naturalis et artificialis, ad pantoso-
phiae principia manuducens, Hamb. 1684, über die Methode der philo-
sophischen Forschung.
§ 26. Locke (1632—1704), die Methode Baco's anf
die Objecte der inneren Erfahrung anwendend, erörtert das
psychologische Problem des Ursprungs der menschlichen Be-
griffe in der Absicht, um dadurch fUr die Entscheidung der
logischen (erkenntnisstheoretischen) Frage nach der objectiven
Wahrheit der Begriffe eine sichere Grundlage zu gewinnen.
Locke unterscheidet die Sensation oder sinnliche Wahr-
nehmung und die Reflexion oder die Wahrnehmung der
inneren Verrichtungen, welche die Seele auf Anlass der äusseren
§ 27. Leibniz und Wolff. 48
Affectionen ansfibt. Ans diesen beiden Quellen entspringen
alle Vorstellungen ; „angeborene Ideen'' giebt es nicht Nihil
est in intellectUy quod non fuerit in sensu. In ähnlicher Weise,
wie Cartesius, gesteht auch Locke der inneren Wahrnehmung
YoUe, der äusseren nur theilweise Wahrheit zu. Locke wird
durch seine Besultate Vorläufer des Condillac'schen Sen-
sualismus, der auch die Reflexion wiederum auf die Sensation
asurttckzufahren sucht, durch seine Methode hingegen Vorläufer
des Berkeley*schen Idealismus, des Hume'schen Skepti-
ciBmns, des Empirismus der schottischen Schule und des
Kantischen Eriticismus.
L 00 ke's Hauptwerk: An essay ooncerning human understandiDg,
erschien zuerst London 1690. Indem Locke die durch sinnliche Wahr-
nehmung gewonnenen Vorstellungen nicht für treue Abbilder der 6e-
grenstande halten konnte (weil er in Üebereinstimmung mit Demokrit,
Baco and Des Cartes annimmt, dass zwar die Gestalt und Grösse, über-
haupt das mathematisch Bestimmbare oder die Ton ihm sogenannten
B primären Qualitäten c, aber nicht Farbe, Ton etc., überhaupt das nur
von einzelnen Sinnen Percipirte oder die »secundären Qualitätenc ob-
jective Gültigkeit haben), so beschränkte er die Wahrheit der Gedan-
ken auf die objectiy-richtige Verbindung und Trennung der Zeichen
der Dinge (Essay, B. IV, Ch. 5, § 2). — „Die Logik Locke's im Zu-
sammenh. mit s. Philosophie^ hat neuerdings behandelt: 0. Dost,
Planen 1877. An Locke schliessen sich an: J. P. de Grousaz, la Logique,
Amst. 1712; Is. Watt, Logic, 1736. — Condillac, essay sur l'origine
des connaissances humaines, 1746; traite des sensations 1754; Logique,
1781. 8. über ihn: L. Robert, les theories logiques deCondillac. Paris
1869. — Hume, enquiry concerning human understanding 1748. —
Auch der Idealismus des Berkeley (1685— 176S), wonach nur Geister
und deren Ideen existiren, indem alle nichtdenkenden Objeote Ideen
der empfindenden und denkenden Wesen seien, wie auch die zur Be-
rufung auf angebome Ueberzeugungen als Thatsachen der inneren
Wahrnehmung zurückkehrende schottische Schule (Reid, Beattie,
Dugald Stewart, Brown) ist mit der Locke'schen Richtung bei aller
Polemik doch in sehr wesentlichen Beziehungen verwandt.
§ 27. Leibniz (1646—1716) vertheidigt gegen Locke
die Lehre von den angebornen Ideen, erklärt jedoch allen
Inhalt des Bewasstseins für das Prodnct der inneren Selbst-
entwiekelnng der Seelenmonade. Die Bürgschaft fttr die ob-
jective Wahrheit der klaren nnd deutlichen Vorstelinngen
findet Leibniz in der durch Gott prästabilirten Harmonie
xwisQhen der Seele und den Aussendingen. Der Irrthnm be-
44 § 27. Leibniz und Wolff.
mht anf dem Mangel an Klarheit und Deutlichkeit. Die
dunkle und verworrene Erkenntniss der Sinne soll durch die
Demonstration zur Klarheit und Deutlichkeit erhoben werden.
Die logischen Regeln erklärt Leibniz (im Gegensatz zu Car-
tesius), da von ihrer Befolgung die Richtigkeit der Demon-
stration abhänge, für nicht zu verachtende Kriterien der
Wahrheit. Als die allgemeinsten Principien aller Demon-
stration gelten ihm der Satz des Widerspruchs und der Satz
des zureichenden Grundes. — Gestützt auf die Leibnizische
Theorie stellt Wolff (1679—1754) die Logik (wie überhaupt
fast die sämmtlichen philosophischen Disciplinen) in syste-
matischem Zusammenhang nach mathematischer Methode dar.
Die Logik behandelt er als Erkenntnisslehre und setzt die
logischen Formen theils zu den ontologischen Formen, theils
zu den psychologischen Gesetzen in wesentliche Beziehung.
Leibniz hat seine auf die Erkenntnisslehre bezüglichen An-
Bichten theils in kleineren Abhandlungen niedergelegt, theils in den
gegen Locke gerichteten Nouveaux essays sur l'entendement humain,
die erst lange nach seinem Tode durch Raspe 1765 veröffentlicht wur-
den. Leibniz billigt im Allgemeinen das Gartesianische.Princip : »quid-
quid clare et distincte de re aliqua percipio, id est verum seu de ea
enunciabilec. Aber er halt für nöthig, dem vielfach eingerissenen Miss-
brauch desselben durch Angabe von Kriterien der Klarheit und Be-
stimmtheit entgegenzutreten. Demnach definirt er die klare Vorstellung
(notio clara) als diejenige, welche genüge, um das vorgestellte Object
zu erkennen und von anderen zu unterscheiden. Die klare Vorstellung
aber ist entweder verworren (confusa) oder bestimmt und deutlich
(distincta) ; Verworrenheit nämlich ist Unklarheit der einzelnen Merkmale
(notae), Bestimmtheit oder Deutlichkeit dagegen ist Klarheit der einzelnen
Merkmale einer zusammengesetzten Vorstellung; bei absolut einfachen
Vorstellungen ist zwischen Klarheit und Deutlichkeit kein Unterschied.
Die deutliche Vorstellung endlich ist in dem Falle adäquat, wenn auch
die Merkmale der Merjanale bis hinab zu den letzten, einfachen Ele-
menten klar vorgestellt werden. Siehe Leibnitii Meditationes de oo-
gnitione, veritate et ideis, in Actis eruditorum Lips. 1684, p. 537 sqq. —
Diese Bestimmungen sind an sich nicht frei von Tadelhaftem (denn
Bestimmtheit und Verworrenheit sind von Klarheit und Unklarheit
specifisch und nicht bloss graduell verschieden, gleich wie Genauigkeit
und Ungenauigkeit einer Zeichnung von heller und matter Beleuchtung);
aber sie liegen in der Consequenz des Systems der prästabilirten Har-
monie, welches eine von der Unklarheit specifisch verschiedene Quelle
des Irrthums nicht zugeben darf. — Die Möglichkeit, welche in der
Freiheit von innerem Widerspruch lieg^ und durch vollständige Aof-
§ 27. Leibniz and Wolff. 45
loaung der Vorstellung in ihre Bestandtheile erkannt wird, gilt Leibniz
als Bärgsohaft der objectiven Gültigkeit oder Wahrheit. Er sagt a. a. 0.
S. 540: Patet etiam, quae tandem sit idea vera, quae falsa: vera sci-
lioet quam notio est possibilis, falsa quam contradictionem involvit.
Durch die Zerlegung der Vorstellung in widerspruchslose Merkmale
lasst sich a priori, andererseits aber durch Erfahrung oder a posteriori
die Gültigkeit einer Vorstellung erkennen. Die Wahrheit der Sätze
liegt in der Correspendenz derselben mit den Objecten, worauf sie gehen.
Sie wird erlangt durch genaue Erfahrung und logisch richtige Beweis-
fuhrung. Medit p. 540 — 41: de caetero non oontemnenda veritatis
enunciationum criteria sunt regulae communis Logicae, quibus etiam
Geometrae utuntur, ut scilicet nihil admittatur pro oerto, nisi ac-
curata experientia vel firma demonstratione probatum; firma autem
demonstratio est, quae praescriptam a Logica formam servat. lieber
den Satz des Widerspruchs und den Satz des zureichenden Grundes
als Principien aller Demonstration siehe die Monadologie (Principia
philosophiae) § 30—81. Leibniz wünschte der Logik als zweiten Theil
eine Lehre von der Wahrscheinlichkeit beigefügt zu sehen, lieber Leib*
niz Log^k vergl. Dr. J. B. Kvdt, Leibnizens Logik, Prag 1857,
und Trendelenburg, histor. Beiträge z. Philos. Bd. 3. Art. 1 u. 2.
Berlin 1867. — Christian Wolff stellt die Logik systematisch dar in
seiner kürzeren deutschen Schrift: Vernünftige Gedanken von den Kräf-
ten des menschlichen Verstandes, 1710, und in dem ausführlichen Werke:
Pliilosophia rationalis sive Logica, 1728. Er definirt die Logik als
acientiam dirigendi facultatem cognoscitivam in cognoscenda veritate
(Log. discursus praeliminaris § 61; prolegom. § 10). Die Regeln, nach
denen die menschliche Seele das Wesen der Dinge erkennen soll, müssen
aich einerseits auf psychologische, andererseits auf ootologische Prin-
cipien stützen (discurs. prael. § 89; proleg. § 28); aus Gründen didak-
tischer Zweckmässigkeit ist es zwar räthlich, die Logik der Ontologie
und Psychologie vorangehen zu lassen, und so will Wolff in der That
verfahren (discurs. praelim. § 91 : methodum studendi praeferre malui-
mos methodo demonstrandi) ; aber der Beweis der logischen Sätze darf
darum nicht wegfallen, sondern es müssen nur die betreffenden Lehren
der Ontologie und Psychologie in die Logik zum Voraus aufgenommen
werden, wo sie sich theils durch unmittelbare Evidenz, theils durch
ihre üebereinstimmung mit der Erfahrung vorläufig rechtfertigen mögen
(Log. § 2; § 28). Demgemäss stellt Wolff einige psychologische Be-
toichtungen (§ SO ff.) und einen Abschnitt >de notitiis quibnsdam ge-
neralibus entisc (§ 59 ff.) an die Spitze seines logischen Systems. Er
theüt die Logik in die theoretische (vom Begriff, Urtheil, Schluss) und
praktische (vom Gebrauch der Logik bei der Beurtheilang und bei der
Erforschang der Wahrheit, beim Studium und beim Verfassen von
Bachern, bei der Mittheilung der Erkenntniss, bei der Abschätzung der
individuellen Erkenntnisskräfte, und endlich in der Praxis des Lebens
and beim Studium der Log^k selbst). Als Nominaldefinition der Wahr^
heit stellt Wolff die Bestimmung auf: Est veritas consensus iudioii
46 § 27. Leibniz und Wolff.
nostri cum obiecto seit re repraesentata (Log. § 605), und als Beal-
definition der Wahrheit: Yeritas est determlnabilitas praedicati per
notionem subiecti (Log. § 518). Dem wahren affirmativen Url^eil ent-
spricht der mögliche Begriff (§ 520); die Möglichkeit aber liegt in der
Widerspruchslosigkeit (§ 518). Auf dieses (Leibnizische) Kriterium
führt Wolff ausser dem Cartesischen auch das von Leibnizens Zeitgenossen
Tschirn hausen (1651 — 1708) in dessen Medicina mentis 1687 auf-
gestellte Kriterium der Conceptibilität (»verum est quidqnid ooncipi
potest, falsura vero quod non concipi potestc) zurück (§§622; 528). —
unter Leibnizens Zeitgenossen ist ausser Tschirnhausen noch Christian
Thomas ins (1655 — 1728) zu erwähnen, der die Logik praktischer zu
gestalten sucht und eine Mittelstrasse zwischen den Aristotelikern und
den Cartesianem halten zu wollen erklärt. Er machte sich (wie später
Wolff) besonders auch dadurch verdient, dass er durch sein Beispiel die
wissenschaftlichen Gedanken in deutscher Sprache ausdrücken lehrte. —
Unter den Gegpaern Wolffs sind Lange, Crusius, Daries und Euler
zu nennen. An Wolff schliessen sich mehr oder minder an: Baumeister,
Baumgarten, Meier, Reimarus (Yemunftlehre 1756; 5. Aufl. 1790),
Ploucquet (Methodus calculandi in logicis 1758; methodus tam de-
monstrandi omnes syllogismorum species, quam vitia formae detegendi
ope unius regulae 1768). Neben vielem, was nach Inhalt und logischer
Form verfehlt ist, giebt doch auch manches Originale und Bedeutende
Lambert, dessen Keues Organen 2 Bde. (Leipzig 1764) sich in vier
Abschnitte gliedert, die Lambert nennt: Di&noiologie , Alethiologie,
Semiotik und Phänomenologie; nach seiner Erklärung sollen dieselben
»zusammengenommen auf eine vollständigere Art das ausmachen, was
Aristoteles und nach demselben Baco ein Organen genannt hatc. Diese
Wissenschaften sind »instrumental« oder Werkzeuge des menschlichen
Verstandes bei der Erforschung der Wahrheit. Die Dianoiologie ist
nach Lambert die Lehre von den Denkgesetzen, die der Verstand zu
befolgen hat, wenn er von Wahrheit zu Wahrheit fortschreiten will,
die Alethiologie die Lehre von der Wahrheit, sofern sie dem Irrthum
entgegengesetzt ist, von der Kenntlichkeit der Wahrheit, die Semiotik
die Lehre von der Bezeichnung (besonders der sprachlichen Bezeichnung)
des Gedankens, die Phänomenologie die Lehre vom Schein und den
Mitteln der Vermeidung des Scheins. — Auf den Leibnizischen Prin-
cipien fussen mehr oder minder auch Bilfinger (der auch eine Ver-
nunftlehre für die »unteren Erkenntnisskräfte« wünschte), Feder
(Grundsätze der Logik und Metaphysik 1769 und öfter; institutiones
logicae et metaphysicae 1777), Eberhard (Allgemeine Theorie des
Denkens und des Empfindens 1776) und Ernst PI atn er (Philosophische
Aphorismen 1776 und öfter; Lehrbuch der Logik und Metaphysik
1795). — Aus der Schule Wolff 's gingen auch einige Versuche zur
Popularisirung der Logik hervor, so: M. F. Ebeling, Vers, einer
Logik f. d. gesund. Verstand. Eine Preisschr. Berlin 1785. 1797. -— P.
Villaume, prakt. Logik f. junge Leute, die nicht studiren wollen.
Berlin u. Löban 1787. 1794 u. s. populäre Logik zur Einl. in d. Schul-
§ 38. Kant. 47
wifls. Hamb. n. Mains 1805. — E. H. L. Pölitz, Elementarlog. f. pa-
dag. Zweoka Dresden u. Leipzig 1802. — J. G. Dols, El. Denklehre.
Leipzig 1807. — F. £bh. v. Rochow, El. Logik f. Frauenzimmer.
BramiBcbweig 1789. — Phil. Freiin v. Enigge, Vers, einer Logik f.
Frauenzimmer. Hannover 1789.
§ 28. Kant (1724—1804) verwirft die von Cartesius
und Leibniz behauptete Identität der Klarheit, Deutlichkeit
and Widersprachslosigkeit mit der materialen Wahrheit der
Erkenntniss und wendet sich wiedernm der Locke*schen Ansicht
zn, dass nur der Ursprung der Erkenntniss Aber ihre Wahr-
heit entscheiden könne, ohne jedoch die Locke'sche Theorie
des empirischen Ursprungs aller menschlichen Erkenntniss zu
adoptiren. Demgemäss untersucht Kant in seiner „Kritik der
reinen Vernunft" aufs Neue den Ursprung, Umfang und die
Grenzen der menschlichen Erkenntniss. Er unterscheidet die
analytischen oder ErläuterungsurtheilC; welche allein auf dem
Satze des Widerspruchs beruhen, von den synthetischen oder
Erweiterungsurtheilen, und unter den letzteren wiederum die
Urtheile, denen eine beschränkte und zufällige Gttltigkeit zu-
kommt, von denjenigen, durch welche das Allgemeine und
Nothwendige erkannt wird. Alle strenge Allgemeinheit und
Nothwendigkeit glaubt aber Kant auf Apriorität, d. h. auf
einen von aller Erfahrung unabhängigen, rein subjectiven
Ursprung zurflckfUhren zu müssen. Er gelangt unter dem
Einfluss dieser sein ganzes Denken beherrschenden Voraus-
setzung (welche freilich einen durch den mehrdeutigen Mittel-
begriff a priori vermittelten Sprung von der Apodikticität
auf blosse Subjectivität involvirt) von der Grundfrage aus:
„Wie sind synthetische Urtheile a priori möglich?" — zu
dem Resultat, dass zwar die Materie der Erkenntniss uns
vermittelst der sinnlichen Affectionen von Aussen zukomme,
die Formen derselben aber von der menschlichen Seele a
priori hinzugethan werden. Diese apriorischen Erkenntniss-
formen sind nach Kant a. die beiden Anschauungsformen des
äusseren und inneren Sinnes: Raum und Zeit; b. die zwölf
Kategorien oder reinen Stammbegriffe des Verstandes, und
zwar 1. die drei Kategorien der Quantität: Einheit, Vielheit,
Allheit, 2. die drei Kategorien der Qualität: Realität, Negation,
Limitation, 3. die SLategorien der Relation, Substantialität,
48 § 28. Kant.
Cansalität, Gememschaft, 4. die Kategorien der Modalität:
Möglichkeit, Dasein, Notb wendigkeit ; c. die Vemunftideen
von der Seele, der Welt und Gott. Diese apriorischen Er-
kenntnisselemente hält Kant gerade um ihres subjectiven Ur-
sprungs willen fttr unfähig, uns das eigene Wesen der Dinge
zu offenbaren. Die menschliche Erkenntniss erstrecke sich
nur auf die Erscheinungswelt, in welche wir unbewnsst jene
Formen hineintragen und welche sich daher nach diesen Formen
richten müsse, aber gar nicht auf die Dinge, wie sie an sich
ausserhalb unseres Erkenntnissvermögens existiren ; mithin sei
auch über das Wesen der menschlichen Seele, der intelligiblen
Welt und Gottes keine theoretische Einsicht, wiewohl doch'
auf Grund des moralischen Bewusstseins ein fester praktischer
i Glaube zu gewinnen. — - Alle diese erkenntnisstheoretischen
Betrachtungen schliesst jedoch Kant aus der allgemeinen for-
malen Logik völlig aus. Er definirt diese als die Vernunft-
wissenschaft von den notbwendigen Gesetzen des Denkens
nicht in Ansehung besonderer Gegenstände, sondern aller
I Gegenstände überhaupt oder von der blossen Form des Denkens
überhaupt, oder als die Wissenschaft des richtigen Verstandes-
und Vernunftgebrauches nach Principien a priori, wie der
Verstand denken solle. Kant theilt die allgemeine Logik in
die reine und angewandte; jene betrachte den Verstand fttr
sich allein, diese, die jedoch eigentlich zur Psychologie ge-
höre, betrachte den Verstand in seiner Vermischung mit andern
Gemttthskräften. Die reine allgemeine Logik zerfällt in die
Elementarlehre und Methodenlehre. Die besondere Logik
handelt von den besonderen Methoden der einzelnen Wissen-
schaften. Die transscendentale Logik gehört zur Kritik der
reinen Vernunft und macht den Theil derselben aus, welcher
von den ^tegorien des Verstandes und ihrem Werthe fttr die
Erkenntniss handelt Die reine allgemeine Logik soll die
Denkformen mit Abstraction von allen metaphysischen und
psychologischen Verhältnissen aus sich selbst verstehen und
dieselben nur dem Gesetze der Identität und des Widerspruchs
unterwerfen. Diese Tendenz begründet den subjectivistisch-
formalen Charakter der Kantischen Logik.
Kant 's theoretifiohes Hauptwerk, die »Kritik der reinen Yemanft«,
§ 28. Kant. 49
erschien zuerst 1761, formell*) umgearbeitet in der zweiten Auflage
1787, seitdem in den späteren Auflagen unverändert. Die »Logikc wurde
nach Kant's handschriftlichen Anmerkungen und Erläuterungen zum
Meier 'sehen Lehrbuch der Logik (die Kant diesem zum Zweck seiner
Vorlesnngen beigefügt hatte) von' Ja sehe 1800 herausgegeben. In
mehrfacher Beziehung schliesst sich Kant in der Logik (theils bei-
stimmend,, theils polemisch) zunächst an Reimarus an. Kant sucht
seine Isolimng der formalen Logik durch den Satz zu begründen, es
sei nicht Vermehrung, sondern Verunstaltung der Wissenschaften, wenn
man ihre Grenzen in einander laufen lasse; die Grenze der Logik sei
aber dadurch ganz genau bestimmt, dass sie eine Wissenschaft sei,
welche nichts als die formalen Regeln alles Denkens ausführlich darlege
and streng beweise. t)ie Logik gehe seit Aristoteles den sicheren Gang
der Wissenstihaft; sie habe keinen Schritt rückwärts thun, d. h. keine
£2rmngQnsehaft des Aristoteles als eine eitle und trügerische wieder auf-
geben dürfen, aber auch keinen Schritt vorwärts thun, keine wesentliche
Erweiterung gewinnen können. Diesen Vortheil wissenschaftlicher Sicher-
heit und Vollendung verdanke sie allein ihrer Eingeschränktheit, wo-
durch sie berechtigt und verbunden sei, von allen Objecten der Erkennt-
ni^s nnd ihrem Unterschiede zu abstrahiren, wonach also der Verstand
*) Dass die Umarbeitung nur die Form der Darstellung und nicht
den Inhalt betreffe (indem das realistische Moment, das auch in der
ersten Auflage nicht fehlt, aber als selbstverständlich zurücktritt, ge-
« genübcr dem in einer Recension hervorgetretenen Missverständniss,
welches dasselbe verkannte und Kant's Lehre zu sehr der Berkeley'-
sehen annäherte, deutlicher und nachdrücklicher bezeichnet wird) sagrt .
Kant in der Vorrede zur zweiten Auflage selbst; Michelet, Schopen-
hauer und Andere haben nichtsdestoweniger eine Umbildung des Kanti-
schen Standpunktes seihst zu erkennen geglaubt; dass aber Kant's Aus-
sage sich bei der Vergleichung der beiden Ausgaben durchaus bewahr-
heite, suchte ich in der Abhandlung de priore et posteriore forma Kan-
tianae Critices rationis purae, Berol. 1862, zu erweisen und halte daran
fest auch nach Michelet's Entgegnung (Gedanke, III, 1862, S. 237—248),
der die uns afficirenden »Dinge an sich«, die den Stoff zu empirischen
Anschanungen geben (Kant's Werke, hrsg. v. Rosenkranz und Schubert,
I, S. 436), hegelianisirend als »die Einheit des Wesens in der Mannig-
faltigkeit der Erscheinungen« umdeutet. Dass Kant in der ersten Auf-
lage seiner Vernunftkritik sich dahin äussere, es sei nicht unmöglich,
dass das Ich und das Ding an sich eine und dieselbe denkende Substanz
sei nnd dass er demnach hier als Hypothese aufstelle, was später Fichte
lehrte, dass das loh nicht durch ein fremdes Ding an sich, sondern rein
durch sich selbst afficirt werde, diese Angaben (Michelet's und Schweg-
ler's) bedürfen der tbatsächlichen Berichtigung ; Kant redet an der an-
gezogenen Stelle (über den psychologischen Paralogismus) gar nicht von
einer blossen Affection des Ich durch sich selbst, sondern davon, dass
eine von unserm Ich verschiedene Substanz, die, wenn sie uns afficirt,
von uns als räumlich angeschaut wird, sich selbst als ein denkendes
Wesen erscheinen könne. Vgl. die Bemerkungen in m. Grundr. der
Gesch. der Philos. III, § 16, 2. Aufl., Berlin 1868, S. 157 u. S. 181-188.
3. Aufl., Berlin 1872, S. 199. — Darüber neuerdings: B. Er d mann,
Kant's Kriticismus in der 1. u. 2. Aufl. der Krit. d. r. V. Leipzig 1878.
60 § 28. Kant.
es in ihr nur mit sich selbst und seiner Form zu thun habe (Kritik
der reinen Vernunft. 2. Aufl., Vorrede S. VIII— IX; vgl. S. 74 ff. und
Logik herausg. v. Jäsche^ S. 3 ff.). — Allerdings müssen wir mit Kant
anerkennen, dass der Gegenstand der Logik nur die richtige Form des
Denkens ist, und dass sie nioht die Aufgabe haben kann, zugleich
Metaphysik und Psychologie oder auch nur einzelne Abschnitte dieser
Wisssenschaften zu lehren; aber es ist darum doch keineswegs zuzugeben,
dass die Logik als Wissenschaft keiner Rückbeziehung auf psychologische
und metaphysische Principien bedürfe, um ihre Gesetze über die rich-
tige Form des Denkens zu begründen — gleich wie auch die Therapie
als die Wissenschaft von der Wiederherstellung der Gesundheit, gleich-
sam der richtigen Form des leiblichen Lebens, zwar nicht Physiologie
und allgemeine Naturwissenschaft ganz oder theilweise lehren soll,
wohl aber der Rückbeziehung auf physiologische und allgemein-natur-
wisseoschaftliche Principien bedarf, um ihre Vorschriften wissenschaft-
lich zu begründen. Diejenige Form des Denkens ist die richtige, die
den menschlichen Goist zur Erkenn tniss der Dinge befähigt» und darum
ist jene zweifache Rücksicht in der Logik unerlässlich. Vgl. oben § 2.
Die Abstraction von dem Verhältnisse der Denkformen zu den Existenz-
formen, zu den psychologischen Gesetzen, zum Inhalte des Gedachten
im Allgemeinen (wovon die Besonderheit des jedesmaligen Inhaltes
wohl zu unterscheiden ist), und ihre Sonderung von den Formen der
Wahrnehmung, kurz, die Beseitigung der schwierigeren Probleme, hat
ohne Zweifel in didaktischer Beziehung ihre Vortheile; eine solche
Darstellung mag als propädeutische Vorstufe zweckmässig und viel-
leicht mitunter unentbehrlich sein; soll sie aber für mehr, soll sie
für ein Letztes und Höchstes gelten, so raubt sie der Logik einen
wesentlichen Thcil ihres wissenschaftlichen Charakters. Wäre auch die
Kantische Grundlehre wahr, dass die Dinge an sich unerkennbar seien,
so würden doch die logischen Formen, um wissenschaftlich verstanden
zu werden, in Beziehung auf die metaphysischen Formen der Er-
scheinungswelt (Substantialität, Causalität etc.) gesetzt werden müssen.
Kant selbst erkennt dies in der »Kritik der reinen Vernunft c wenigstens
hinsichtlich des Urtheils an, wenn er (§ 19 S. 140 der 2. Aufl.) die
Erklärung desselben als der Vorstellung eines Verhältnisses zwischen
zweien Begriffen als ungenügend tadelt und die Bestimmung aufgenommen
wissen will, es sei ein objectiv gültiges Verhältniss (S. 142), es sei die
Art, gegebene Erkenntnisse zur objectiven Einheit der Apperception
zu bringen (S. 141), und wenn er demzufolge, da die metaphysischen
Kategorien die verschiedenen objectiven Verhältnisse ausdrücken, die
Urtheilsfunctionen zu den Kategorien in Beziehung setzt, z. B. das
logische Verhältniss von Subject und Pr&dicat im kategorischen Urtheil
zu dem metaphysischen Verhältniss von Subsistenz und Inhärenz, das
logische Verhältniss des bedingenden und bedingten Urtheils zu dem
metaphysischen Verhältniss der Causalität und Dependenz u. s. w. Hätte
Kant diesen Standpunkt in der Logik festgehalten und oonsequent
durchgeführt, so würde dieselbe durch ihn im Wesentlichen die Gestalt
' § 29. Die Kantisdie Schule u. verwandte Richtungen. Fries. Herbart. 51
erhalten haben, welche ihr später L o t z e gegeben hat. Allein Kant hat
for seine »Logik« jene richtige Einsicht nicht fruchtbar werden lassen,
sondern abstrahirt in ihr wiederum von allen objectiven Verhältnissen.
Diese Abstraction wird aber noch viel weniger wissenschaftlich berech-
tigt sein, wenn jene Kantische Grundlehre von der Unerkennbarkeit
der realen Objecte unhaltbar ist und vielmehr die metaphjrsischen Formen
auch reale Bedeutung haben, wie dies unten in unserer systematischen
Darstellung gezeigt werden soll. Die von Kant errichteten Erkenntniss-
schranken weder durch ein die Identität von Denken und Sein
poetulirendes Axiom gewaltsam zu durchbrechen, noch auch irgendwie
durch eine unbewusste Uebertragung von Denkgesetzen auf die Dinge
an sich zu. umgehen, sondern gleichsam stufenweise methodisch ' abzu-
tragen und aufzuheben, dazu ist das gesammte vorliegende Werk be-
stimmt Vgl. insbesondere §§ 38, 40, 41 — 44 und die Bemerkungen zu
§§ 139, 131, 137; vgl. auch die Abh. über. Idealismus, Realismus und
Idealrealismus in Fichte's Zeitschr. für Philos., Bd. 34, 1S59, S. 63—80. —
Kant's Fehlschluss lässt sich auf folgende kurze Form bringen: das
Apodiktische ist apriorisch; das Apriorische ist bloss subjectiv (ohne
Beziehung auf die »Dinge an sich«); folglich ist das Apodiktische bloss
snbjectiv (ohne Beziehung auf die »Dinge an siehe). Die erste Prämisse
aber (der Untersatz) ist, wenn die Apriorität in dem Kantischen Sinne
als ünabhängfigkeit von aller Erfahrung verstanden wird, irrig. Kant
hält fälschlich für eine von aller Erfahrung unabhängige oder apriori-
stische Gewissheit diejenige Gewissheit, die wir in der That durch die
nach den logischen Normen erfolgende Combination vieler Erfahrungen
mit einander erlangen, welche Normen durch die Beziehung des Sub-
jeets zu der objectiven Realität bedingt und nicht Formen a priori
sind; er hält fälschlich alle Ordnung (sowohl die räumlich- zeitliche, als
die causale) für bloss subjectiv. — Ueber das Verhalten der Kantischen
Logik zur Aristotelischen vgl. die Bemerkungen zu §§ 2; 16. — Vergl.
F. Zelle, Der Unterschied in d. Auffassung der ^ogik bei Aristoteles
and bei Kant. Berlin 1870. — Ernst Wickenhagen, Die Logik b.
Kant. Diss. Jena 1869. — Mor. Steckelmacher, Die form. Logik
Kant's in ihren Beziehungen z. transscendentalen. Eine v. d. philos.
Facult. d. Univ. Breslau gekr. Preisschr. Breslau 1879. — J. Volkelt,
Kant's Stellung z. unbewusst. Logischen, in d. Philos. Monatsheften. Bd.
9. 1871. S. 49 u. 113. -~ W. Schuppe, Das Verhältn. zw. Kant's
formal, u. transsc. Logik, in d. Philos. Monatsh. Bd. 16. 1880. S. 513— 628.
§ 29. In gleichem Sinne, wie von Kant, ist die Logik
innerhalb seiner Schule namentlich von Jacob, Kiese -
Wetter, Hoffbaner, Maass, Tieftrank, Krug, Gerlach u. A.
bearbeitet worden. Einen ähnlichen Standpunkt bekunden
im Allgemeinen auch die logischen Werke von Salomon
Haimon, G. E. Schulze, Bouterwek, Sigwart, Twcsten,
Ernst Reinhold, Bachmann, Friedr. Fischer und
52 § 29. Die Kantische Schale u. verwandte Richtungen. Pries. Herbart.
Anderen. Pries giebt der Logik eine psychologische Grund-
lage. Er versteht unter der Logik die Wissenschaft von den
Regeln des Denkens und theilt dieselbe in die reine Logik,
die von den Formen des Denkens, und die angewandte, die
von dem Verhältniss der Denkformen zu dem Ganzen der
menschlichen Erkenntniss handle; die reine wiederum in die
anthropologische Logik, welche das Denken als Thätigkeit des
menschlichen Geistes betrachte und die philosophische oder
demonstrative Logik, welche die Gesetze der Denkbarkeit auf-
stelle; die angewandte in die Lehre vom Verhältniss des
Denkens zum Erkennen im Allgemeinen, die Lehre von den
Gesetzen der gedachten Erkenntniss oder von der Aufklärung
unserer Erkenntniss, und die Methodenlehre. An ihn schliesst
sich Friedr. van Galker an, der die Denklehre oder die Logik
und Dialektik als die Wissenschaft von der Form des höheren
Bewusstseins erklärt und in Erfahrungslehre, Gesetzlehre und
Kunstlehre des Denkens eintheilt Her hart definirt die Logik
als die Wissenschaft, welche die Deutlichkeit in Begriffen und
die daraus entspringende Zusammensetzung der letzteren zu
Urtheilen und Schlüssen im Allgemeinen betrachte. Er schliesst
die Frage, welche Bedeutung die Denkformen für die Erkennt-
niss haben, ganz von der Logik aus, um sie der Metaphysik
zuzuweisen und hält dafür, dass die logischen Normen einer
wissenschaftlichen Begründung durch metaphysische und psy-
chologische Betrachtungen weder bedürftig noch fähig seien.
An ihn schUessen sich Dro bisch, Hartenstein, Griepenkerl,
Bobrik, Strümpell, Allihn, Lott, Waitz u. A. an.
Die logischen Werke, welche aus der Kantischen Schule hervor-
gegangen sind oder doch die Richtung derselben im Wesentlichen theilen,
lassen das Eingehen auf die tieferen Probleme vermissen, und nicht
alle compensiren diesen Mangel durch volle Strenge, Genauigkeit und
Klarheit auf ihrem engbegrenzten Gebiete. Jacob 's Grundriss der all-
gemeinen Logik erschien zuerst 1788; Kiesewetter 's Grundriss der
Logik 1791, 2. Aufl. 2 Bde. 1795—96; dagegen: Flatt'sFragm. Bemer-
kungen gegen d. Kant. u. Kiesew. Grundr. d. r. allgem. Logik. Tübing.
1802. — Joh. Chr. Aug. Grohmann, Neue Beitrage z. krit.Philo6. n.
insbes. z. Logik. Leipzig 1796. — Hoff bau er's Analytik der Urtheile
und Schlüsse 1792, Anfangsgründe der Logik 1794; Maass' Grundriss
der Logik 1798, 4. Aufl. 1828; Maimon's Versuch einer neuen Logik
oder Theorie des Denkens 1794; Bonterwek's Idee einer Apodiktik
§ 29. Die Eantisohe Schule u. verwandte Rieht angen. Fries. Herbart. 68
2 Bde. 1799, Lehrbuch der philoeophischen Wissensohaften 2 Thle.
1813; Tieftrunk'B Grandriss der Logik 1801; Sohulze's Gnindsätze
der allgemeinen Logik 1802, 4. Aufl. 1822: Krug's Logik oder Denk-
lehre 1806; eine »Kritik der Logik aus dem Standpunkte der Sprache c
von Karl Leonhard Reinhold 1806; Gerlach's Grundriss der Logik
1817; Sigwart's Handbuch zu Vorlesungen über die Logik (d. Logik
in ihrer Bezieh, z. allgem. Sprachlehre) 1818, 8. Aufl. 1885; Ernst
Reinhold's Versuch einer Begründung und neuen Darstellung der
logischen Formen 1819, Logik oder allgemeine Denkformen 1827, Theorie
des menschlichen Erkenntnissvermogens 1882; Twesten's Logik, ins-
besondere die Analytik 182j^, Grundriss d. anal. Logpik 1834: Bach-
mann's System der Logik 1828 (ein sehr instructives Werk); Friedr.
F i s c h e r's Lehrbuch der Logik 1888; — Fries' System der Logik
1811, 8. Aufl. 1887, Grundriss der Logik 3. Aufl. 1827; van Calker's
Denklehre oder Logik und Dialektik nebst e. Abriss der Gesch. u.
Litterat. ders. 1822 (der Abr. d. Gresch. ist bes. beachtenswerth wegen
der Litteratur- Angaben). — Herbart's Lehrbuch zur Einleitung in die
Philosophie 1818 (5. Aufl. 1860), worin §§ 84—71 ein Abriss der Logik
enthalten ist; GriepenkerPs Lehrbuch der Logik in kurzen Umrissen
1881; Drobisch' neue Darstellung der Logik nach ihren einfachsten
Verhältnissen nebst einem logisch-mathematischen Anhange 1886 (2.
TÖllig umgearbeitete Auflage 1861, 8. neu bearbeitete Auflage 1868, 4.
Aufl. 1876; anerkanntermaassen die trefflichste Darstellung der Logik
▼on jenem Standpunkte aus, sehr schätzbar wegen ihrer Klarheit,
Schärfe und relativen Vollständigkeit); Bobrik's System der Logik
1888; J. H. W. Waitz' Hauptlehren der Logik 1840; Lott's Sdftrift:
Zur Logik 1846; StrümpelFs Entwurf der Logfik 1846 (vgl. dessen
Abh. über den Vortrag der JiOgik mit besonderer Rücksicht auf die Natur-
wissenschaften, Berlin 1868), Grundriss d. Logik oder der Lehre v.
wissensch. Denken für Studirende u. Lehrer. Leipzig 1881. (Einige von
ihm noch jetzt gebilligte Stücke des s. Ansicht nach in Deutschland
wenig beachteten Entwurfs der Log^k hat der Verf. in diesen Grundriss
wieder mit aufgenommen ; die Behandlungsweise ist dadurch bestimmt,
dass ebenso sehr die speculative, erkenntnisstheoret. Auffassung der
logfischen Fragen, als auch der Formalismus der gew. Logik vermieden,
und insbes., wo möglich, der Zusammenhang mit d. Praxis der Wissen-
schaften hervorgehoben werden sollte.) — (Allihn's) Antibarbarus lo-
gicos 1861 (2. Aufl. der ersten Abth. 1868); Rob. Zimmermann's
Pfailoe. Propädeutik Wien 1862, 2. Aufl. ebd. 1860, 8. Aufl. 1867; ^ust.
Ad. Lindner's Lehrbuch der formalen Logik Graz 1861, 2. Aufl. Wien
1867, 8. erw. Aufl. das. 1872, 4. Aufl. 1877; Mathias Amos DrbaPs
Lehrbuch der propädeutischen Logfik Wien 1866 ; Prakt. Logik od. Denk-
lehre Wien 1872; Stoy, Philos. Propäd. Abth. 1 Die philos. Probleme
u. die Logik Leipzig 1869. — Ign. Pokorny , Neuer Grundriss d. Logik.
Wien 1878. — Jos. Mich, Grundriss d.Log^k. Gemeinfassl. dargest. 8.
Aufl. Wien u. Troppau 1877 (angehenden Li]i »crn;.»;^ lapiMcprinnen der
Volksschule gewidmet).
•* /.
^<
54 § 30. Fichte, Schelling und ihre Schalen.
§ 30. Fichte (1762—1814) führt in seiner Wissen-
schaftslehre, um die inneren Widersprüche der Kantischen Er-
kenntnisslehre zu überwinden, nicht nur die Form, sondern
auch die Materie der Erkenntniss ausschliesslich auf das den-
kende Subject oder das Ich zurück, und begründet somit den
strengsten subjectiven Idealismus. Er hält die formale Logik
für keine philosophische Wissenschaft, weil dieselbe den Zu-
sammenhang zerreisse, in welchem Form und Inhalt der Er-
kenntniss untereinander und mit den höchsten Erkenntniss-
principien stehen. -Das gleiche Urtheil fällt Schelling
(1775 — 1854) über die formale Logik, indem er gleichfalls Form
und Inhalt und zudem auch die subjective und die objective
Vernunft auf ein einziges Princip, das Absolute, zurückführt,
dessen Wesen er durch intellectuelle Anschauung zu erkennen
glaubt. Doch haben Beide nicht selbst die Logik bearbeitet.
Joh. Gottl. Fichte fordert in seiner Schrift über den B^riff
der Wissenschaftslehre (1794), dass alles Wissen aus einem einzigen
Prinoip abgeleitet werde, und sucht in seiner »Grundlage der gesammten
Wissenschaftslehrec (1794 u. ö.) diese Forderung durch Ableitung aller
Erkenntniss nach Inhalt und Form aus dem Ichprincip zu erfüllen. Die
logischen Grundsätze gelten ihm als Erkenntnissgründe für die obersten
Sätze der Wissenschaftslehre und diese hinwiederum als die Realgriinde
für jene. Die formale Logik wollte Fichte anfangs noch gleich wie
Kant neben der transscendentalen bestehen lassen, später aber (besonders
in der Vorlesung über das Yerhältniss der Logik zur Philosophie, in den
nachgelassenen Werken, hrsg. von I. H. Fichte, Bonn 1884 — 35, 1, S. 1 1 1 f.)
sie ganz und gar aufheben und von Grund und Boden aus zerstören
durch die transscendentale Logik. Er wirft ihr vor, dass sie als gegeben
annehme, was doch selbst erst Product des zu erklärenden Denkens
sei, und dass sie sich daher bei der Erklärung des Denkens im Cirkel
bewege. Aus Fichte *s Schule sind die Logiken von G. E. A. Mehmel
(analytische Denklehre, Erlangen 1803) und besonders von Joh. Bapt.
Seh ad (transscendentale Logik nach den Principien der Wissenschafts-
lehre, Jena und Leipzig 1801; institutiones philosophiae universae, tom. I.
logioam oomplectens 1812) hervorgegangen. — Schelling lehrt: der ur-
sprüngliche Inhalt und die ursprüngliche Form des Wissens sind wechsel-
weise durch einsmder bedingt. Das Princip alles Wissens ist der Punkt, wo
durch einen untheilbaren Act der Intelligenz zugleich Inhalt und Form des
Wissens entspringt. Entsteht die Logik auf wissenschaftliche Art, so
gehen ihre Grundsätze durch Abstraction aus den obersten Grundsätzen
des Wissens hervor. Die Logik in ihrer gewöhnlichen rein formalen
Gestalt gehört ganz zu den empirischen Versuchen in der Philosophie.
Dialektik nennt Schelling die Logik als Wissenschaft der Form und
§ so. Fichte, Schelling and ihre Schulen. 56
reine Kanstlehre der Philosophie (System des transscendentalen Idealismus
1800, S. 36 — 38; Vorlesungen über die Methode des akademischen
Studiums 180ßy S. 17 ff.; 122—129). Der Sohelling'schen Schule ge-
hören an die logischen Werke von Klein (Verstandeslehre oder An-
schauungs- und Denklehre 1810 u. ö.); Thanner (Wissenschaftliche
Logik 1811); Trox 1er (1780—1866; Logik, die Wissenschaft des
Denkens und Kritik aller Erkenntniss 1829 — SO); Joh. Jak. Wagner
(1775—1841; Organon der menschl. Erkenntniss, Erlangen 1830) und
Andere: in manchem Betracht schliesst sich an Troxler W. J. A.
Werber (Die Lehre von der menschl. Erkenntniss, Karlsruhe 1841)
und an Wagner (zum Theil auch an Baader) Leonhard Rabus an:
Logik und Metaphysik, erster Theil: Erkenntnisslehre, Geschichte der
Logik, System der Logik, nebst einer chronologisch gehaltenen Ueber-
sicht über die logische Litteratur, Erlangen 1868. Die neuesten Be-
strebungen auf d. Gebiete der Logik b. d. Deutschen u. d. logische
Frage. Erlangen 1880; — Die Ursachen der modernen Reform versuche
auf dem Gebiete der Logik. Progr. d. kgl. Studienanstalt. Speyer
1880. — In d. Zeitschr. f. Philos. N.F. Bd. 77. 1880. Ergänzungsheft
Zur logischen Frage (Wundt's Logik S. 106). — Nahe verwandt mit der
Schelling'schen Richtung ist die von Krause (1781—1882; Grundriss
der historischen Logik 1803, Abriss des Systemes der Logik, f. s. Zu-
hörer 1826. 2. mit d. metaphys. Grundlag. d. Log. verm. Ausg. 1828.
— Die Lehre vom Erkennen u. v. d. Erkenntniss, od. Vorslesgn. über
d. analyt. Logik u. Encyklop. d. Phi]os. f. d. ersten Anfang im philos.
Denken, hrsg. v. H. K. v. Leonhardi. 1836; an Krause schliessen
sich Lindemann (Denkkunde oder Logik, Solothurn 1846) und
Tiberghien (Esaai sur la genöration des connaissanoes humaines,
Paris und Leipz. 1844; Logique, la science de la connaissance, Paris
1866) an. Auch Franz von Baader's (1765—1841) Philosophie ist
mit der Schelling'schen verwandt. Die Baader'sche Schule unterscheidet
eine theosophisohe und eine anthroposophische Logik, die sich zu ein-
ander wie Urbild und Abbild verhalten; jene betrachte die Totalitat
der absoluten Denk- und Erkenntnissformen des unendlichen Geistes,
diese die Totalität der Gesetze und Formen, denen das nachbildliche
Erkennen des endlichen Geistes unterworfen sei. Den Baader'schen
Principien gemäss stellt Franz Ho ff mann in der Schrift: »Speculative
Entwidteliing der ewigen Selbsterzeugung Grottesc Amberg 1885, und
in der »Vorhalle zur speculativen Lehre Franz Baader 's« Asohaffen-
burg 1836 das göttliche Erkennen als Moment des göttlichen immanen-
ten Lebensprocesses dar. Vgl. auch Hoffmann, Grundzüge einer Ge-
schichte des Begriffs der Logik in Deutschland von Kant bis Baader
(besonderer Abdruck der Vorrede und Einleitung zu Franz von Baader's
sammtl. Werken I, 1), Leipz. 1851; Grundriss der allg. reinen Logik,
2. Aufl. Würzburg 1855. Einer ähnlichen Richtung gehört an Emil
Aug. V. Schaden's (1814—1852) (höchst phantastisches) System der
positiven Logik, Erlangen 1841. Auf Schelling's Principien fusst in
wesenilieken Bezidiimgen die (unten näher zu charakterisirende) Dia«
lektik von Schleiermacher.
56 § 31. Hegel.
In dieser Richtung liegt auch das jüngst ersch. Werk des unter
dem Einfluss der Philosophie Günther's stehenden J. H. Loewe,
Lehrbuch der Logik, Wien 1881, dessen Gedanken zum Theil schon
ein verstorbener Schüler Loewe' s, W. Eanlich in s. Handbuch der
Logik, Prag 1869, mitgetheilt und selbst verwendet hatte. Loewe selbst
hatte seine Ansichten kurz schon früher geäussert in der Schrift: Ueber
den Begriff der Logik, Wien 1849 und in der Schrift: Ueber den
Unterricht in der philosoph. Propädeutik, Prag 1865.
§ 31. Hegel (1770—1831) begründet im Anschlags an
die Fichte'schen und Schelling'schen Principien die meta-
physische Logik. Hatte Kant Form and Inhalt des Denkens
für unabhängig von einander gehalten und die Form aus-
schliesslich auf den denkenden Geist, den Inhalt ausschliesslich
auf die afficirenden Dinge zurückgeführt, so beruht im Glegen-
theil Hegel's Logik auf der zweifachen Identificirung 1. von
Form und Inhalt, 2. von Denken und Sein. Hegel urtheilt
nämlich 1. mit Fichte und Schelling, dass eine Sonderung
von Form und Inhalt unzulässig sei, vielmehr mit der Form
zugleich der allgemeinste Inhalt der Erkenntniss begriffen
werden müsse; 2. mit Schelling, dass die nothwendigen Ge-
danken des menschlichen Geistes nach Inhalt und Form mit
dem Wesen und den Entwickelungsformen der Dinge in ab-
soluter Uebereinstimmung stehen. Hierzu fügt Hegel seiner-
seits 3. das methodische Postulat, dass der reine Gedanke in
dialektischer Selbstentwickelung von dem leersten und ab-
stractesten Begriffe aus zu immer reicheren und concreteren
Begriffen bis zum absolut höchsten vermöge der den Begriffen
innewohnenden Negativität und Identität schöpferisch fort-
schreite, und zwar in absoluter Einheit mit der Selbsterzeugung
des Seins, so dass die subjective Denknothwendigkeit zugleich
das Kriterium der objectiven Wahrheit sei. Die Hegersche
Logik führt diese Selbstentfaltung des Begriffs vom reinen
Sein bis zur absoluten Idee, die Naturphilosophie von Raum
und Zeit bis zum thierischen Organismus, die Geistesphilo-
sophie vom subjectiven bis zum absoluten oder göttlichen Geist.
Die Logik ist nach Hegel das System der reinen Vernunft,
der Gedanke, wie er ohne Hülle an sich selbst ist, die Wissen-
schaft der reinen Idee, das ist der Idee in ihrem AnundfÜr-
sichsein oder der Idee im abstracten Elemente des Denkens.
§ 31. Hegel. 57
Sie zerrällt in drei Theile: die Lehre vom Sein, vom Wesen
nnd vom Begriff. Der erste Theil handelt von den Kategorien
der Qualität, Quantität und des Maasses ; der zweite vom Wesen
als Grund der Existenz, von der Erscheinung und von der
Wirklichkeit; der dritte vom subjectiven Begriff (d. i. von
dem Mechanismus, Chemismus und der Teleologie) und von der
Idee; die Momente der Idee sind das Leben, das Erkennen
und die absolute Idee, die absolute Idee ist die absolute Wahr-
heit, die sich selbst denkende Idee, die reine Form des Be-
griffs, die ihren Inhalt als sich selbst anschaut In die Lehre
vom subjectiven Begriff verflicht Hegel die Hauptbestimmungen
der formalen Logik, aber indem er sie einer wesentlichen
Umgestaltung nach den Forderungen der dialektischen Methode
unterwirft und ihnen zugleich eine objective Deutung giebt.
Hegel' 8 logische Werke sind: Wissenschaft der Logik 1812 — 16,
2. Ausg. 1833 — 84 (I. objective Logik: A. Lehre vom Sein, B. Lehre
vom Wesen; U. subjective Logik), und: Enoyclopädie der philosophi-
schen Wissenschaften im Grundrisse 1817 und öfter; erster Theil: die
Wissenschaft der Logik §§ 19 — 244. So sehr Hegel's Polemik berech-
tigt ist, so wenig sind seine eigenen positiven Bestimmungen haltbar.
Mit Recht tadelt Hegel die Kantischen Isolirungen; aber er seltibt ist
in das entgegengesetzte Extrem überspannter Identificirungen verfallen.
»Der W^ des Kriticismus trennte, was Gott vereint hatte; der Weg der
Identisirung wollte einen, was Gott geschieden« (Troxler). Was ins-
besondere 1. die Identificirung von Form und allgemeinstem Inhalt des
Denkens und demgemäss auch von Logik und Metaphysik betrifft, so
sind zwar Form und Inhalt von einander nicht unabhängig und for-
dern eine wissenschaftliche Erörterung ihres gegenseitigen Verhältnisses,
bilden aber nichtsdestoweniger zwei wesentlich verschiedene Objecte
der Erkenntniss, deren Betrachtung demnach auch zwei verschiedenen
Zweigen der Einen philosophischen Gbsammtwissenschaft zuföllt. Eine
gesonderte Darstellung der Logik ist, falls nur die metaphysischen Be-
ziehungen nicht verkannt werden, nicht nur zulässig (wie dies u. A.
auch Schelling anerkennt, indem er die Dialektik als Wissenschaft der
Form des philosophischen Denkens für eine philosophisch berechtigte
Wissenschaft hält und auch schon eine Logik, welche die Gesetze des
»reflectirten Erkennens« aus speculativen Gründen ableitet, als »eine
besondere Potenz in dem allgemeinen Systeme der Yernunftwissensohaft«
gelten lässt), sondern auch eine nothwendige Bedingung der wissen-
schaftlichen Vollendung. Die Platonische Ungeschiedenheit (die dies
übrigens auch nur im relativen Sinne ist) war naturgemäss in jenem
Anfingsstadium, da beide Wissenschaften eben erst aus dem gemein-
samen Keim des philosophischen Denkens überhaupt hervorzutreten be-
58 § 31. Hegel.
gannen. Die völlige Isolirung andererseits war allerdings eine Ver-
irruug, der jedoch das richtige Gefühl der Nothwendigheit einer stren-
geren Unterscheidung ssum Grande lag. Als Reaction gegen diese
Isolirung mit ihren dürren und unfruchtbaren Abstractionen mochte
vorübergehend selbst eine Rückkehr zur alten Ungeschiedenheit heilsam
sein; doch wird auf die Dauer schwerlich verkannt werden können,
dass das wahre Verhaltniss in der relativen Selbstöndigkeit liegt. Dem-
nach sind diejenigen Kategorien, von denen Hegel in den beiden
Haupttheilen über das Sein und über das Wesen handelt, aus der Logik
auszuscheiden und der Metaphysik zuzuweisen; dasjenige femer, was
Hegel in dem Abschnitt über die Objectivität (Mechanismus, Chemismus,
Teleologie) vorträgst, gehört der Naturphilosophie an, und nur die
Probleme, welche Hegel in dem Abschnitt vom subjectiven Begriff und
theilweise die. welche er in dem Abschnitt von der Idee behandelt,
gehören in der That zu den Objecten der Logik. Als Erkenntnisslehre
aber findet die Logik ihre richtige Stelle nicht in oder unmittelbar
neben der Metaphysik (es sei denn, dass sie dieser propädeutisch vor-
angehe, s. 0. § 7), sondern unter den Zweigwissenschaften der Philo-
sophie des Geistes. S. oben § 6. Was 2. die Identificirung der Denk-
formen mit den Existenzformen und insbesondere die dem Begriff,
Urtheil und Schluss zuerkannte objective Bedeutung betrifiPt, so hat
Hegel auch hier das Yerhältniss der Gleichheit zu finden geglaubt,
während doch in der That nur das Yerhältniss der g^enseitigen Beziehung
und des Parallelismus stattfindet. Begriff, Urtheil und Schluss sind For-
men des denkenden und erkennenden Geistes. Sie finden in den Erkennt-
nissobjecten ihre Gorrelate, der Begriff in dem Wesen der Dinge, das
Urtheil in den Verhältnissen der Subsistenz und Inhärenz etc., der
Schluss in dem gesetzmässigen Zusammenhange des wirklichen Ge-
schehens, und der subjectivisch- formalen Logik gegenüber, welche diese
Beziehungen verkannte, mochte immerhin auf dieselben in der paradoxen
Form aufmerksam gemacht werden: den Dingen ist der Begriff imma-
nent, die Dinge urtheilen und schliessen, das Planetensystem, der Staat,
alles Vernünftige ist ein Schluss. Aussprüche dieser Art sind als poe-
tische Metaphern wahr und sehr geeignet das tiefere Nachdenken zu
wecken; aber für streng wissenschaftlich dürfen sie nicht gelten, denn
sie fassen Denk- und Existenzformen, die nur in gewissen Bestimmun-
gen verwandt sind, unter den nämlichen Begriff, gleich als ob sie in
allen wesentlichen Bestimmungen übereinkämen. (Diese Bildlichkeit
erkennt auch Zell er an in seinem Heidelberger Antrittsvortrag über
die Bedeutung und Aufgabe der Erkenntnisstheorie, Heidelb. 1862, S. 6,
wogegen Michelet den Hegel'schen Standpunkt vertheidigt in seiner
Zeitschrift: Der Gedanke, Bd. III, Heft 4, 1862, S. 288 ff.) Wie aber
die Formen der Wahrnehmung sich zur äusseren Realität verhalten,
dieses Problem hat Hegel kaum berührt. Wenn doch jedenfalls, wie
auch über die Art und die Möglichkeit der Affection geurtheilt werden
mag, als unzweifelhaft anerkannt werden mnss, dass die Wahrnehmung
durch irgend ein Zusammenwirken des wahrnehmenden Individuums
§ 81. Hegel. 59
mit der Aussenwelt zu Stande kommt, so ist Kant's verständiire Unter-
scbeidang einee subjectiven und eines objeotiven Elementes derselben
keineswegs abzuweisen. Die Annahme einer durchgängigen üeberein-
Stimmung des vom Subject hinzugegebenen Elementes mit dem eigenen
Sein der Aussenwelt würde im besten Falle nur eine sehr unsichere
Hypothese sein, den Ergebnissen der neueren Physik und Physiologie
gegenüber aber auch nicht einmal als eine blosse Hypothese aufrecht
erbalten werden können. — Wenn Hegel überhaupt das ganze Eanti-
sche Unternehmen einer Prüfung des Erkenntnissvermögens abweist,
weil das Erkennen des Erkennens dem Erkennen der Kealität nicht
vorangehen könne, so ist zu erwidern, dass das Erkennen des Erkennens^
wiewohl das zweite Stadium der Erkenntniss überhaupt, doch reckt
wohl das erste Stadium der philosophischen Erkenntniss sein könne.
Zuerst richtet sich die menschliche Erkenntnissthätigkeit auf die Aussen-
welt und allmählich auch auf manche psychologische Verhaltnisse ; dann
erst in kritischer Reflexion auf sich selbst und ihre eigene Erkenntniss-
fahigkeit; endlich wiederum, sofern das Resultat dieser Prüfung ein
positives ist, auf die Realität überhaupt in Natur und Geist. Wir
müssen vom Vertrauen auf unsere Erkenntnisskraft ausgehn, nicht vom
Misstrauen, wenn überhaupt irgend ein Grewinn erzielt werden soll;
aber dieses Vertrauen, ursprünglich blind, darf nicht ein blindes blei-
ben. Sofern sich bestimmte Gründe ergeben, der Wahrnehmung oder
dem Denken im Einzelnen oder im Allgemeinen die materiale Wahr-
heit oder üebereinstimmung mit dem Sein abzusprechen, dürfen die-
selben nicht um jenes Vertrauens willen gewaltsam beseitigt werden.
Die Prüfung kann nur denkend vollzogen werden; auch diesem prüfen-
den Denken wird so lange das Vortrauen auf seine Kraft, das richtige
Verhältniss zu ermitteln, geschenkt werden müssen, als nicht bestimmte
Gründe vorliegen, ihm dasselbe zu versagen, und bei der Prüfung
dieser Gründe gilt wiederum das Gleiche. Dieses Verfahren verliert sich
nicht in's Endlose, weil keine Nothwendigkeit vorliegt, dass immer
wieder neue Gründe zum Misstrauen gegen das prüfende Denken her-
vortreten, sondern recht wohl an irgend einem Punkte ein eben so be^
friedigender Abschluss gewonnen werden mag, wie in der mathematischen
Beweisführung. Aber HegePs Axiom einer Identität von Denken und
Sein ist vielmehr eine Flucht vor der Kantisohen Kritik, als eine Ueber-
windung derselben. (Vgl. die Abhandlung des Verf. über Idealismus,
Realismus und Ideal-Realismus in Fichte's Zeitsohr. f. Philos., Bd. XXXIV,
18&9, S. 6S--80.) 3. Die dialektische Methode stellt sich eine falsche
Aufgabe und vermag dieselbe nur scheinbar zu lösen. Die Aufgabe ist
unrichtig gestellt. Denn wie gerade vom Hegel'schen Standpunkte aus
mit Recht gefordert worden ist, dass nicht eine naturlose, sondern eine
naturfreie Sittlichkeit erstrebt werde, so gilt auch auf dem intellec-
tuelleQ Gebiete der analoge Satz: das Denken soll nicht ein empirie-
kwes, sondern ein ompiriefreies sein. Nicht ein in sich verharrendes
Denken^ sondern nur ein Denken, welches den ursprünglich durch die
äussere und inuerö Wahrnehmung gewonnenen Stoff nach den auf die
60 § 31. Hegel.
Idee der Wahrheit gegründeten Normen verarbeitet, erzeugt thatsächlich
die menschliche Erkenntniss und hätte in der Logik den Gegenstand
der Betrachtung bilden sollen. Die dialektische Aufgabe ist unlösbar.
Denn a. im Geiste des denkenden Subjectes kann der abstraotere
Begriff nicht aus sich allein die ooncreteren Begriffe erzeugen, da
»das Prodnct nicht mehr enthalten kann, als was die Factoren hinein-
gehen c (Beneke), und dass auch in der That bei Hegel die einzelnen
dialektischen üebergänge logische Fehler enthalten, ist durch zahlreiche
Nachweisungen von Seiten scharfsinniger Gegner (insbesondere von
I. H. Fichte, Schelling, Trendelenburg (log. Unters, u. bes. auch die
logische Frage in Hegel's System, zwei Streitschriften. Leipzig 1843),
Kym (insbes. Hegel's Dialekt, in ihrer Anwendung auf d. Gesch. d.
Philos. Zürich 1849, abjo^edr. in s. motaphys. Untersuchungen. München
1875), Lotze, Chalybäus, George, Ulrici, Reifif (über d. HegePsche
Dialektik. Tübingen 1866), v. Hartmann (über d. dialekt Methode,
histor. krit. Untersuchungen. Berlin 1868) und der Herbart'schen Schule
dargethan worden ; b. bei der Uebertragung des dialektischen Prooesses
auf die Realität werden die »logischen« Kategorien vermöge einer
Hypostasirung, die der von Aristoteles bekämpften Platonischen Sub-
stantiirung der Ideen analog ist, gleichsam als selbständige Wesen
behandelt, die einer eigenthümlichen Entwickelung und eines Ueber-
ganges in einander fähig seien; wie der Fortgang vom Sein zum Nichts,
dann zum Werden etc. bis zur absoluten Idee in der objectiven Realität
als ein zeitloses Prius der (in der Natur- und Geistesphilosophie be-
trachteten) natürlichen und geistigen Entwickelung statt haben könne,
ist nicht nur unvorstellbar, sondern wohl auch undenkbar; die Priorität
der »logischen« Kategorien aber und ihre dialektische Aufeinanderfolge
für eine blosse subjective Abstraction zu halten, würde HegePs Prindpien
widerstreiten. — Die Wahrheit, die der dialektischen Methode zum
Grunde liegt, ist die teleologische Betrachtung der Natur und des Geistes,
wonach beide sich vermöge einer ihnen unbewusst oder bewusst inne-
wohnenden vernunftgemässen Nothwendigkeit durch Kampf und Ver-
mittlung von Gegensätzen fortschreitend von den niederen zu den
höheren Stufen entwickeln. Allein das menschliche Denken vermag
die Stufenreihe der Entwickelungen nur, indem es auf der äusseren und
inneren Erfahrung fusst, zu erkennen, und so gewinnt auch die dialek-
tische Methode ihre Üebergänge nur scheinbar durch die rein logischen
Mittel der Negativität und Identität, in der That aber dadurch, dass
der Denker vermöge seines anderweitig bereits entwickelten Bewusst-
seins die jedesmal höhere Stufe schon kennt oder ahnt, und im Ver-
gleich mit ihr die niedere ungenügend findet. ~ (Die subject. Logrik
übers, in's Französ. mit Erläut. H. Sloman u. J. Wallen, Paris 1864,
Die ganze Logik mit Einl. u. Comment. A. Vera, 2 Bde., Paris 1869. —
Hegel's Logic, translat. for the Encydopaedia of philosoph. sciences with
proleg. by W. Wallace. London 1874. — Ueber HegePs Logik zu vergl.
AI. Schmid, Entwickelungsgesch. der HegePschen Logik. Ein Hilfs-
buch zu einem gesch. Studium ders. mit Berüoks. d. neuest. Schriften
§§ 32. 88. Die Hegel'sche Schale. Schleiermacher. 61
V. Haym u. Rosenkranz. Regensbnrg 1858. — Gonr. Hermann, Hegel
Q. d. log. Frage der Philosophie in d. Gegenwart. Leipzig 1878. Ders.
zoTor: in d. Philos. Monatsheften. Bd. 8. S. 15 u. S. 511. 1870.
§ 32. Innerhalb der Hegel'ßchen Schule haben Hin-
richs, Schaller, Gabler, Werder, Erdmann, Rosenkranz,
Weissenbom, Kuno Fischer u. A. theils das System der
Logik wissenschaftlich dargestellt, theils Princip, Methode und
einzelne Probleme der Logik in Erläuterungs- und Vertheidi-
gnngsschriften behandelt.
Logische Werke aus der HegePschen Schule sind: Hinrichs,
Grundlinien der Philosophie der Logik, Halle 1826; Die Genesis des
WisseoB, erster metaphysischer Theil, Heidelberg 1885. Georg Andreas
Gabler, Lehrbuch der philos. Propädeutik, Erlangen 1827. Mussmann
De logicae ac dialecticae notione historica, Berl. 1828; Grundlinien der
Logik und Dialektik, ebd. 1828. Lautier, Die Philosophie des absoluten
Widerspruchs im Umrisse der Fundamentalpbilosophie, Logik, Aestbetik,
Politik, Ethik, Ecclesiastik und Dialektik, Berlin 1887. Werder, Logik
als Commentar und Ergänzung zu Hegel's Wissenschaft der Logik, I. Abth.,
Berlin 1841. J. E. Erdmann, Grundriss der Logik und Metaphysik,
Halle 1841, 4. Aufl. ebd. 1864. Franz Biese, Philos. Propädeutik,
Berlin 1845. Rosenkranz, Die Modificationen der Logik abgeleitet
aus dem Begriffe des Denkens, Leipzig 1846; System der Wissenschaft,
ein philosophisches Enchiridion, Königsberg 1850; Wissenschaft der lo-
giseben Idee, 1. Theil: Metaphysik, Königsberg 1858; 2. Thcil: Logik
und Ideenlehre, ebend. 1859. Epilegomena dazu als Replik gegen
Michelet u. Lasalle 1862. Weissenborn, Logik und Metaphysik 1850.
Kuno Fischer, Logik und Metaphysik oder Wissenschaftslehre, Heidel-
berg 1852; 2. völlig umgearbeitete Aufl. ebd. 1865. G. Thaulow,
Einleitung in die Philosophie, Kiel 1862.
§ 33. Schleiermacher (1768-1834) versteht unter
der Dialektik die Kunstlehre des wissenschaftlichen Denkens
oder die Darlegung der Grundsätze für die kunstmässige Ge-
spräehfahrung im Gebiete des reinen Denkens. Das reine
Denken (im Unterschiede ?on dem geschäftlichen und dem
kttnstlerischen Denken) ist das Denken um des Wissens willen ;
das Wissen aber ist das von allen Denkenden identisch zu
prodncirende und mit dem Sein, welches gedacht wird, ttber-
einstimmende Denken. Der transscendentale Theil der Dia-
lektik betrachtet das Wesen des Wissens oder die Idee des
Wissens an und für sich, der formale oder technische Theil
das Werden des Wissens oder die Idee des Wissens in der
62 § 33. Schleiermacher.
Bewegung. Schleiermacher bestreitet die (Hegel* sehe) Annahme,
dasB das reine Denken von allem andern Denken getrennt
einen eigenen Anfang nehmen und als ein besonderes fttr sich
ursprünglich entstehen könne, und lehrt, dass in jedem Denken
die Thätigkeit der Vernunft nur auf Grund der äusseren und
inneren Wahrnehmung geübt werden könne, oder dass kein
Act ohne die »intellectuelle« und keiner ohne die »orga-
nische Function« sei, und dass in den verschiedenen Weisen
des Denkens nur ein relatives Uebergewicht der einen oder
andern Function stattfinde. Die Uebereinstiromung mit dem
Sein ist in der inneren Wahrnehmung unmittelbar gegeben
und mittelbar auch auf Grund der äusseren Wahrnehmung
erreichbar. Die Denkformen, namentlich Begriff und Urtheil,
setzt Schleiermacher in Parallele mit analogen Formen der
realen Existenz, namentlich den Begriff mit den substantiellen
Formen und das Urtheil mit den Actionen.
Schleiermacher 's »Dialektik« ist aus seinem handschriftlichen
Nachlass und nachgeschriebenen Vorlesungen 1639 von Jonas heraus-
gegeben worden als 2. Abtheilung des zweiten Bandes des litterarischen
Nachlasses oder als 2. Theil des vierten Bandes der dritten Abtheilung
von Schleiermacher's sämmtlichen Werken. Die Idee und den Namen
der Dialektik hat Schleiermacher theils von Plato, theils vonSchelling
entnommen. Er sucht das Schelling'sche Postulat der Dialektik als einer
»Wissenschaft der Form und gleichsam reinen Kunstlehre der Philo-
sophie« durch wirkliche Darstellung zur Ausführung zu bringen. Schleier-
macher hält die Kunstform des wissenschaftlichen Denkens vom Inhalte
derselben für hinlänglich unterscheidbar, um das Object einer relativ
selbständigen Disciplin zu bilden; er anerkennt zwischen den Formen,
in denen das Denken und Erkennen sich vollzieht, und den Formen der
realen Existenz wohl einen Parallelismus, aber nicht Identität; er lässt
das Denken durch die Wahrnehmung und diese wiederum durch die
Einwirkung, Affeotion oder Impression, die von den G^enständcn oder
dem Sein ausser uns ausgeht, vermittelt sein. In allen diesen Beziehungen
stimmt seine Ansicht nicht nur mit den Ergebnissen einer unbefangenen
Einzelforschung überein, sondern entspricht auch treuer, als Hcgel's
Lehre, der Idee des Universums als eines Gesammtorganismus, in welchem
die Einheit des Gänsen der Vielheit und relativen Selbständigkeit der
einzelnen Seiten und Glieder keinen Eintrag thut, die Gleichheit in
gemeinsamen Grundcharakteren die Verschiedenheit in specifischcu und
individuellen Eigenschaften nicht aufhebt oder bedeutungslos macht,
und nicht irgend ein Glied der Wechselwirkung mit jedem anderen und
der Bedingtheit durch jedes andere enthoben ist. Dagegen möchte nicht
zu billigen sein, dass Sohleiermacher die Kunstlehre des Denkens an die
§ 34. Die neuesten deutschen Logiker. 63
Stelle der Metaphysik will treten lassen, da doch in der That das System
der Philosophie für beide Wissenschaften Raum hat und einer jeden von
ihnen eine eigenthUmliche Bedeutung und Aufgabe zuweist (S. o. § 6.)
Femer scheint die Art, wie Schleiermacher das Verhältniss des Denkens
zur Wahrnehmung und wie er den Parallelismus der Denk- und Existenz-
formen bestimmt, im Einzelnen gewisse Berichtigungen zu erfordern,
wie dies unten im Zusammenhange der systematischen Darstellnng näher
zu zeigen sein wird. Endlich können wir uns die Eintheilung der
Dialektik nicht aneignen, wonach Schleiermacher einen transsoendentalen
und einen technischen oder formalen Theil unterscheidet und in jenem
den Begrriff und das Urtheil als die Formen des Wissens an und für
sich in ihrem Verhältniss zu den entsprechenden Existenzformen, in
diesem den Syllogismus, die Induction und Deduction und die combina-
torischen Denkformen als die Formen der Genesis des Wissens oder der
Idee des Wissens in der Bewegung betrachtet. Denn auch die Formen,
die Schleiermacher der zweiten Classe zuweist, entsprechen gewissen
Formen des Seins, nur mit dem Unterschiede, dass der Begriff und
das Urtheil als die elementarsten Denkformen die einfachsten Formen
und dagegen der Schluss und die übrigen Weisen der Construction und
Combination den weiteren und allgemeineren Zusammenhang des Seins
abspiegeln. Weit entfernt demnach, dass diese letzteren Formen der
Genesis des Wissens angehören sollten und mithin bedeutungslos und
entbehrlich wurden, nachdem das Denken im Wissen zu seiner Voll-
endung gelangt wäre, kann im Gegentheil gerade das vollendete Wissen
nur in ihnen ein Dasein haben. Da also diese Formen des Denkens
el)enso sehr eine »transscendentalec Beziehung auf das Sein haben und
der Wissenschaft als solcher eben so wesentlich angehören, wie Begriff
und Urtheil, so würden sie alle in den »transsoendentalen Theil« hinein-
gezogen werden müssen, und für den »technischen oder formalen Theil«
würden nur etwa gewisse psychologische Betrachtungen und didaktische
Rathschläge übrig bleiben; solche aber mögen, sofern es ihrer über-
haupt bedarf, füglicher den einzelnen Abschnitten eingestreut, als zu
einem eigenen Theile zusammengestellt werden. — Diese einzelnen Aus-
stellungen heben indess keineswegs die Anerkennung auf, dass Schleier-
macher's dialektische Grundsätze im Allgemeinen die Richtung bezeichnen,
in welcher die wahre Vermittelung zwischen den Gegensätzen der sub-
jectivistisch-formalen und der metaphysischen Log^ zu suchen ist.
§ 34. An Schleieimacher schliessen sich in der Bear-
beitung der Logik namentlich Ritter und Vorländer, auch
George (der die entgegengesetzten Bestrebungen Hegers und
Schleiermacher's vermittein will) an; in einzelnen wesent-
liehen Beziehungen berühren sich mit seinen logischen Grund-
ansichten auch Beneke, Trendelenburg und Lotze.
Endlich haben mehr oder minder die sämmtlichen nachhegel-
sehen Bestrebungen auf dem Gebiete der Denk- und Erkennt-
64 § 84. Die neuesten deutschen Logiker.
nisslehre, sofern sie nicht irgend einer der schon erwähnten
Schnlen ausschliesslich angehören, eine gemeinsame Tendenz
znr Vermittlung zwischen den Gegensätzen der sabjectivistisch-
formalen und der metaphysischen LiOgik.
Eine philosophische Schule im strengeren Sinne hat Schleiermacher
nicht gestiftet und nicht zu stiften beabsichtigt ; er wollte nur vielseitig
anregen und Eigenthümlichkeit wecken. Auch sind seine Vorträge und
Schriften durch ihren Reichthum an geistvollen und scharfsinnigen
Gredanken eben so geeignet, überallhin belebend und befruchtend zu
wirken, als bei dem Mangel an einer geschlossenen Systematik und
festen Terminologie (die Schleiermacher zum Theil absichtlich aus Scheu
vor der Gefahr dogmatistischer Erstarrung vermied) ungeeignet, das
einigende Symbol einer Schule zu bilden, zumal da diejenigen unter
Schleiermacher's philosophischen Werken, in welchen er einer strengeren
systematischen Form zustrebt, erst nach seinem Tode veröffentlicht
worden sind. Und so können auch diejenigen Logiker, welche sich am
nächsten an Schleiermacher anschliessen, doch nur in dem weiteren Sinne
als seine Schüler bezeichnet werden, dass sie sich vorwiegend in den
durch ihn angeregten Gedankenkreisen bewegen. — Die logischen Schriften
der oben genannten Philosophen sind folgende: Heinr. Ritter, Vor-
lesungen zur Einleitung in die Logik 1828; Abriss der* philosophischen
Logik 1824, 2. A. 1829; System der Logik und Metaphysik, 2 Bde.,
1856; Encyclopädie der philos. Wissenschaften, 8 Bde., 1862— -64. —Franz
Vorländer, Wissenschaft der Erkenntniss, Marburg u. Leipzig 1847.
— L. George, Die Logik als Wissenschaftslehre, Berlin 1868. Krit.
Bemerkungen über George s. b. Ulrici, Zur log. Frage in Zeitschr.
f. Philos. N. F. Bd. 55. 1869, dagegen George, Sendschr. an Ulrici
betr. 8. Stellung z. log. Frage das. Hd. 57. 1870. S. 85. Eine Antwort v.
Ulrici. S. 108. —Ed. Beneke (1798—1864), Erkenntnisslehre in
ihren Grundzügen dargelegt, Jena 1820; Lehrbuch der Logik als Kunst-
lehre des Denkens, Berlin 1882; System der Logik als Kunstlehre des
Denkens, Berlin 1842. Beneke kommt mit Schi ei er mach er haupt-
sächlich in folgenden logischen Ansichten von principieller Bedeutung
überein: 1. in der allgemeinen Auffassung und Behandlung der Logik
als »Kunstlehre des Denkens c ; 2. in der Lehre, dass alles Denken und
insbesondere auch das philosophische nur auf dem Grunde der äussern
und innem Wahrnehmung erfolge, dass diese den Denkstoff, die in-
tellectuelle Thätigkeit aber di^ Form der »Einheitsetzung und Entgegen-
setzung« (Schleiermacher) hinzubringe, oder dass »in vielfachem Ilin-
über- und Herüberwirken Wahrnehmung und Denken sich fortwährend
gegenseitig fordern müssen, wenn die empirische Erkenntniss zu höherer
Vollkommenheit gedeihen solle (Beneke), und dass dem Menschen das
sogenannte reine, von aller Wahrnehmung unabhängige und gleichsam aus
dem Nichts schaffende Denken nicht zukomme; 8. in der Lehre, dass
durch die innere Wahrnehmung eine Erkenntniss erreicht werde, welcher
volle materiale Wahrheit zukomme, und swar zunächst die Erkenntniss des
§ 84. Die neuesten deutechen Logiker. 65
eigenen psychischen Seins, indem im Selbstbewusstsein Vorstellen und
Sein nicht aussereinander, sondern unmittelbar ineinander seien; dass
in der Erkenntniss eines Seins ausser uns die Anerkennung einer Mehr-
heit psychischer Wesen oder denkender Subjecte die erste sei, und dass
diese im Zusammenwirken mit der äusseren Wahrnehmung und mit der
intellectuellen Thätigkeit die Erkenntniss des realen Seins der übrigen
äusseren Wesen vermittle. Dagegen weicht Beneke von Schleiermacher
hauptsächlich in folgenden zwei Beziehungen ab: 1. darin, dass er die
Art und Weise des Zusammenwirkens der äusseren und inneren Wahr-
nehmung mit dem Denken näher nachzuweisen sucht, 2. darin, dass er
den Denkformen nur eine subjectiv-psychologisohe Bedeutung zugesteht
und einen Parallelismus derselben mit den Formen und Verhältnissen
des Seins nicht anerkennt, wenigstens nicht bei dem »analytischen Denken«,
doch giebt er zu, dass mittelst des »synthetischen Denkens c die »syn-
thetischen Grundverbältnissec der realen Objecte in den »logischen
Formen des Begriffs, Urtheils, Schlüsse verarbeitet werden. Zur Kritik
dieser Ansicht, die ohne Grund blos in dem »analytischen Denken c das
eigentlich L€>gische findet, vergl. §§ 56, 67 u. 120. An Beneke schliesst
sich J. G. Dressler an: Praktische Denklebre nach Beneke's Vorgange
auf d. Thatsachen d. inneren Erfahrung gebaut. F. alle Freunde des
Denkens, bes. f. Lehrer, Bautzen 1852; die Grundlehren der Psychologie
und Logik, ein Leitfaden zum Unterricht in diesen Wissenschaften für
höhere Lehranstalten, sowie zur Selbstbelehrung, Leipzig 1867, 2. Aufl.
1870; ebenso Dittes, prakt. Logik, bes. f. Lehrer, Wien 1872; Lehr-
buch der Psychologie u. Logik (Gesammt-Ausg. d. prakt. Log. 4. Aufl.),
Wien 1874. — Trendelenburg, logische Untersuchungen, Berlin 1840;
2. ergänzte Aufl. 2 Bde. Leipzig 1862; 8. verm. Aufl. 1870; die logische
Frage in HegePs System, zwei Streitschriften (abgedr. a. d. neuen jenaisoh.
allgem. Litteraturz. 1842. K. 99 ff., 1848 N. 45 ff.), 1843. Histor. Beiträge
z. Philos. Bd. 1. Gesch. d. Eategorienlehre, Berlin 1846; Bd. 8. Abth. II.
über das Element der Definition in Leibnizens Philosophie. 1867. —
Elementa logices Aristotelicae. Berolini 1886. 2. Aufl. 1842. 6. Aufl.
1868. Dazu Erläuterungen. Berlin 1842. 8. Aufl. 1876 (mit einer lesens-
werthen Vorr. über d. philos. Unterricht auf d. Gymnsksien). Den eigenen
Standpunkt seiner Logik bezeichnet Trendelenburg in den log.
Unters. 8. Aufl. Kap. I. Logik und Metaphysik als grundlegende Wissen-
schaft folgendermassen S. 6: »In jeder Wissenschaft finden sich nach
zwei Seiten Elemente, welche auf gleiche Weise dem Theil wie dem
Ganzen angehören oder im Besonderen die Macht eines Allgemeineren
offenbaren. Der besondere Gegenstand jeder Wissenschaft thut sich als
die Verzweig^ung eines allgemeinen Seins und die eigenthümliche Methode
thut sieh als eine besondere Richtung des erkennenden Denkens, des
Denkens überhaupt knnd. Jene Beziehung führt von jeder Wissenschaft
aus zur Metaphysik und diese Beziehung zur Logik, c — und weiter S. 11 :
»Wenn alle Wissenschaften insgesammt hier auf die Logik, dort auf die
Metf^hysik hinweisen, als auf die Erkenntniss eines Allgemeinen, das
sie voraussetzen: so wird diejenige Erkenntniss, welche die Wissenschaft
5
66 § 84. Die neaesten deatsohen Logiker.
in ihrem Wes^n begreifen and Theorie der WiBsensohaft sein will, die
Metaphysik und die Logik gemeinsam umfassen müssen. Erst aus beiden
Beziehungen lässt sich die innere Möglichkeit des Wissens verstehen
und das Denken in seinem Streben zum Wissen begreifen. Man hat
die Wissenschaft, welche die Betrachtung des Denkenden und Seienden
als solche ^rring^, mit Plato Dialektik genannt; wir nennen sie lieber,
um einen Nebenbegriff zu vermeiden, Logik im weiteren Sinne und
richten auf eine solche Logik unsere »logischen Untersuchungen c. —
An Trendelenburg angeschlossen haben sich u. A.: Carl Heyder,
kritische Darstellung u. Vergleich, der Aristot. u. Hegel'schen Dialektik,
Bd. I, Abth. I, Erlangen 1846; und die Lehre von den Ideen in einer
Keihe von Untersuchungen über Gesch. u. Theorie ders., Abth. L Zur
Gesch. d. Ideenlehre, Frankfurt a. M. 1874; A. L. Eym, Trendelen-
burg's log. Untersuch, u. ihre Gegner, Abhdl. 1 Diö Streitfragen zwischen
E. Fischer u. Trendelenburg in Zeitschr. f. Ph. u. ph. Krit., Bd. 54,
S. 261—817. Abhdl. 2, Krit. d. WissenschafteL K. Fisoher's in Philos.
Monatshefte lY, 1870. S. 486—483. — Vereint mit einer Abh. über
Weisse u. I. H. Fichte sind jtoe beiden Abhdlgen. wieder abgedr.
in Kym^s Metaph. Untersuchungen. München 1876. In der Vorrede
hat Eym seine Ansicht kurz also zusammengefasst: »Die Abhandlungen
beziehen sich auf die log. Untersuchungen von A. Trendelenburg (8. A.)
und zwar ausschliesslich auf deren metaph.-log. Grundlage; von der Ansieht
ausgehend, dass in d. Unters, der Principien und ihres organ. Zusammen-
hanges, die philos. Arbeit sich zu concentriren hatte. Steht erst die
princip. Grundlage fest, so lässt sich darauf auch ein sicherer Bau auf-
führen. Die log. Unters, erscheinen uns namentlich in dem als sehr
bedeutsam, was sie in Bezug auf Bewegung, Raum u. Zeit geleistet haben
— u. zwar nicht bloss wenn man diese Begriffe in ihrem metaph. Werthe,
sondern namentlich auch, wenn man ihre Tragweite als fandamentale
Anschauungen des Geistes im Erkenntnissprocässe verfolgt. Da schien
es uns stets, als habe Trendelenburg dem Geiste und seiner Begriffsbildung
recht eigentlich auf den Grund gesehen u. ein fundament. Element der
Eant. Erkenntnisstheorie — die Anschauung — und zwar nach ihrer
aprior. wie empir. Tragweite, gerettet. Namentlich dem sogen, »reinen
Denken c gegenüber, wie es in Hegel zum vollen Durohbruche und zur
consequenten Ausbildung gelang^, erscheint uns der Rückgriff auf das
Moment der Anschauung im Wissen von hoher Bedeutung. Im An-
schauungsmoment erblicken wir geradezu eine Grundbeding^ung zur ge-
sunden Erkenntnisstheorie. Diese Wahrheit ruht freilich ursprünglich
in Eant's transsc Aesthetik, wurde abär später durch diö dialektische
Methode des reinen Denkens beinahe ganz in den Hinterg^rund gedrängt.
In jener Vermittlung zwischen Eategorie und Anschauung ruht der
Angelpunkt der Kantischen wie jeder künftigen Erkenntnisstheorie, t —
In der erneuerten Basirung der Logik auf Aristotelische Principien
stimmt auch dieses Buch mit Trend eleu bürg überein. Vergl. darin
auch Carl Aug. Hoffmann, .Abriss der Logik für den Gymnasial-
unterricht, Clausthal 1869; 2. Aufl. 1868. ^ Rud. Herm. Lotze, Logik,
§ 84. Die neaest«]! deutsoheii Logiker. 67
Leipzig 1643. VergL über Lotze's Logik die Bemerkung in § 28, S. 51.
Nach Lotse soll die Logik »nicht eine Aufzählung der Gesetze des
Denkens, sondern eine Erklärung und wiBsenschaftliche Darstellung ihres
Ursprungs und ihrer Beziehungen zu andern Thätigkeiten des Geistes
sein, dadurch aber hauptsächlich sich einen nähern Einfluss auf die Aus-
bildung der wirklichen Erkenntniss gewinnen, als es durch den abstracten
Formalismus geschehen kannc. (S. 6.) Auf die Frage, ob er eine for-
male oder eine reale Logik zu geben beabsichtige, antwortet er (8. IS):
»weder die eine, noch die andere; in gewissem Betracht aber sowohl
die eine als die andere. Formal soll die Logik in dem Sinne durchaus
sein, dass sie eine Lehre von den Operationen des Denkens ist, durch
welche das Subjeot seine Gedanken zum Erkennen vorbereitet; sie soll
es aber nicht in dem Sinne sein, als wären diese Denkformen ein factisch
Vorhandenes, das nicht in ausdrücklichem Bezug zu der Aufgabe der
Erkenntniss des Realen stände. Real soll die Logik femer nicht so sein,
als wären ihre Formen zugleich Momente in dem Wesen der Dinge,
wohl aber insofern als diese Formen von solchen Momenten abhängen,
indem in der Natur der Dinge Motive liegen, welche das Wesen des
erkennenden Geistes nöthigen, in seinen subjectiven Bewegungen gerade
diese Gestalten der Auffassung und Verknüpfung des Gegenstandlosen
hervorzubringen. Wie nahe auch Logik und Metaphysik sich berühren
mögen, eine Einheit beider scheint uns ein verfehlter Gedanke; vielmehr
muss die Art der Beziehung zwischen beiden ein Gegenstand besonderer
Aufmerksamkeit für unsere Darstellung sein.c — Zur Vollendung einer
philosophischen Logik würde Lotze weiter eine teleologische Durch-
forschung des Systems der geistigen Thätigkeiten verlangen, »um zu
zeigen, dass die logischen Formen allerdings aus dem Wesen des sub-
jectiven Geistes hervorgehen, aber nicht als ein Ergebniss schlechthin
vorhandener Seelenkräfte, sondern als ein Erzeugniss, eine That, deren
Nothwendigkeit darin liegt, dass nur durch sie der Geist seine ethische
Natur verwirklichen, seine wahre Bestimmung erreichen kann. So
wnrden wir die logischen Formen auf einen Grund zurückgeführt haben,
dem seine Nothwendigkeit um seines unbedingten Werthes willen zu-
käme, und dies in der That halte ich für die Aufgabe der philosophi-
schen Logik. So wie der Anfang der Metaphysik, so liegt auch der der
Logik in der Ethik, und zwar durch das Mittelglied der Metaphysik
selbst.« — Später hat sich Lotze über logische Fragen noch ausge-
sprochen in s. Mikrokosmos, 2. Aufl. 1869, Bd. 2, Buch 5, Gap. 8, das
Sprechen u. das Denken. Cap. 4, die Erkenntniss u. d. Wahrheit, und
Bd. 3, Buch 8, Cap. 1, die Wahrheit u. d. Wissen. — Neuerdings er-
schien von demselben: System d^ Philosophie Th. 1. Logik, drei Bücher
vom Denken, vom Untersuchen und vom Erkennen. Leipzig 1874. u.
2. A. 1880 (die ausser einigen kl. Verbesserungen der Darstellung nur
einen grösseren Zusatz über den logischen Calcul enthält. S. 266—269).
— Im Vorwort spricht Lotze sich selbst über s. Darstellung also aus:
»Das erste Buch, obwohl völlig neu geschrieben, wiederholt im Wesent-
lidien den Gedankengang meiner kl. längst vergriffenen Logik vom J.
68 § 84. Die neuesien deatsohen Logiker.
1843; idh habe nicht Ursache gefunden diesen zu ändern, und noch
jetzt wie damals liegt nur in ihm das Interesse, das ich selbst an der
Darstellung der Logik nehme ; Erweiterungen und Verbesserungen ihres
Formalismus zu versuchen, jedoch innerhalb des allgem. Charakters,
den derselbe einmal hat und haben muss, halte ich jetzt wie damals
für unfruchtbare Arbeit; was von ihm wissenswürdig ist, sei es auch nur
in einer Art von culturgesch. Interesse, glaube ich dennoch vollständig
mitgetheilt zu haben, und bin bemüht gewesen es in der einfachsten Form
zu thunc. Auf den Schriften Lotze's und insbesondere auf dem Mikro-
kosmos beruhen die philosophischen Voraussetzungen von Wil. HoUen-
berg's Logik, Psychologie u. Ethik als philos. Propädeutik, Elberfeld
1869. 2. A. 1875 (Die Erweiterungen in d. Logik (§ 26 ff.) beziehen
sich bes. auf die Ausbildung der Methodenlehre, die in der 1. A. zu kurz
gekommen war.)
Femer mögen an dieser Stelle einige logische Schriften erwähnt
sein, die zwar im Vergleich mit einander einen sehr verschiedenen
Charakter tragen, aber doch darin wenigstens übereinkommen, dass sie
weder den reinen Subjectivismus der Kantischen Logik, noch die
Hegel'sohe Identificirung von Denken und Sein sich aneignen, sondern
eine irgendwie vermittelnde Richtung suchen: — JuL Braniss (von
Schleiermacher und von dem mit Schelling befreundeten Steffens an-
geregt), die Logik in ihrem Verhältnisse zur Philosophie geschichtlich
betrachtet 1828; Qrundriss der Logik 1830. — Imm. Herrn. Fichte
(1796 — 1879), Qrundzüge zum System der Philosophie, 1. Abth.: das
Erkennen als Selbsterkennen, Heidelberg 1888. — Bemh. Bolzano,
Wissenschaftslehre, Sulzbaoh 1887. — H. M. Chalybäus (1792—1862),
Wissenschaftslehre, Kiel 1846; Fundamentalphilosophie, Kiel 1861. —
Hermann Ulrici (geh. 1806), System der Logik, Leipzig 1852; Com-
pendium der Logik, Leipzig 1860, 2. Aufl. 1872 (s. d. Selbstanaeige in
d. Zeitsc&r. f. Philos. Bd. 60. 1872. S. 806); Zur log. Frage, Abdr. a.
d. Zeitschr. f. Philos. u. philos. Kritik, Halle 1870. Ulrici glaubt
dargethan zu haben, dass nicht nur HegePs Identificirung der Logik mit
der Metaphysik, sondern auch die neuerdings beliebte (von Trendelen-
burg u. A. vertretene) Verschmelzung derselben mit der Erkenntniss-
theorie unhaltbar sei. Seine Behandlung lässt die Logik in ihrer In-
tegrität als formale, Grund legende Wissenschaft bestehen und setzt sie
doch zugleich zur Erkenntnisstheorie wie zur Psychologie und Meta-
physik in unmittelbare Beziehung. Er glaubt dargethan zu haben, dass
nur die formale Logik ein Recht auf den Namen Logik und auf die
Würde der ersten Grund legenden Disciplin der Philosophie wie aller
Wissenschaften besitze. Auch glaubt er die formale Log^ erst wissen-
schaftlich begründet, die logischen Gesetze deducirt und damit nach-
gewiesen zu haben, worauf ihre (Gesetzeskraft beruht, warum sie schlecht-
hin allgemein gültige Gesetze unseres Denkens sind, und was der wahre
Sinn derselben ist. Eben damit glaubt er endlich nachgewiesen zu haben,
dass die logischen Gesetze, Normen und Formen nicht nur selbst einen
bestimmten Inhalt haben, sondern auch zu dem reellen objectiven Sein,
§ 84. Die neuesten dentsohen Logiker. 69
das mittelst ihrer nnd in ihnen von uns aufgefasst wird, in unmittel-
barer Beziehung stehen, weil sie eben ihrer Natur nach nicht bloss sub-
jective, sondern auch objective Gültigkeit haben. Und eben damit
glaubt er auch dargethan zu haben, dass die Logik, obwohl formal,
doch keineswegs ein isolirtes, für den Auf- und Ausbau der Wissenschaft
werthloses Aussenwerk sei, sondern im Gegentheil mit der Erkenntniss-
theorie in so engem Zusammenhange stehe, dass sie nur als der erste,
Grund legende Theil derselben betrachtet werden kann. — Ulrioi hat
neuerdings seine Ansicht gegenüber neueren Versuchen vertheidigt in
verschied. Artikeln der von ihm herausg. Zeitschr. f. Philos., so in:
Bd. 66. 1875. S. 281 Die Aufgabe der Logik mit Bezug auf Sigwart
Logik. Bd. 1 — u. Bd. 76. 1880. S. 281 Zur logischen Frage mit Bezug
auf Sigwart, Schuppe, Bergmann. In dem ersten Artikel glaubt Ulrici
dargethan zu haben, dass Sigwart's Fassung des Verhältnisses von
Log^ und Erkenntnisstheorie, nach welchem letztere als Lehre von
den Methoden, die anzuwenden sind um zur Erkenntniss zu gelangen,
einen integrirenden Theil der Logik bildet, unhaltbar sei, beide viel-
mehr besonders behandelt werden müssen. Im zweiten Artikel aber
erklärte derselbe, da S ig wart's Ausführung der Methodenlehre darauf
hinauslaufe, dass die Erkenntnisstheorie nur auf der Basis der Logik
sieh aufbauen lasse und er in s. Logik u. Erkenntuisstheorie denselben
Satz zu beweisen gesucht habe, so falle die Differenz ihrer Auffassungen
in diesem Punkte thatsächlich hinweg. Auch mit der Ausführung der
Erkenntnisstheorie Sigwart's bes. in Betreff ihrer prindp. Opposition
gegen den modernen einseitigen Empirismus erklärt sich Ülrici prin-
cipiell einverstanden. Einen Mangel der Logik S i g w a r t ' s will Ulrici
darin erkennen, dass die mitwirkenden apriorischen Formen unseres
Vorstellens nicht aus der Natur der unterscheidenden Thätigkeit ab-
geleitet u. mittelst einer genauen Analyse der unterscheidendeb Thätig-
keit die allgemeine Anerkennung jener Ableitung nicht in ihre Gon-
sequenzen verfolgt ist. Dies gethan zu haben soll der Vorzug seiner
Logik sein u. aus diesem Unterschied sollen trotz der principiellen
Uebereinstimmung in Bichtung und Ziel ihre Differenzen in Ausführung
und Resultat entspringen. Aach bei Bergmannes Auffassung der
Logik als Eunstlehre des Denkens vermisst Ulrici eine klare Dar-
legung ihres Verhältnisses zur Erkenntnisstheorie, wie er sie gegeben
zu haben glaubt, und entschiedener noch tadelt er als unklar die Art,
wie Schuppe eine erkenntnisstheoretische Ansicht zum Princip und
somit zur Voraussetzung der Logik machen wolle. — Carl Prantl,
die Bedeutung der Logik für den jetzigen Standpunkt der Philosophie,
München 1849 (sucht eine sprachliche Logik durchzuführen als diejenige,
welche mit Bewahrung des Dialekticismus, als der einzig richtigen Me-
thode der Philosophie, die Idealität und Bealität des menschlichen
Denkens in ihrer wirklichen Identität erfasse und entwickle, worin die
Logik weder ausschliesslich formal, noch ausschliesslich das Reale sei,
sondern als wirklich beides zugleich in der Form des Inhaltes den In-
halt ala Form entwickle). In s. der philos.-philol. Gl. der kgl. bayer.
70 § 84. Die neaesten deutschen Logiker.
Akad. d. Wissensch. Sitz. v. 6. März 1876 vorgetragenen »Reform-
gedanken zur Logik« hebt Prantl hervor, dass in neuerer Zeit mehr-
fach bes. aber durch Lotze's u. Sigwart*s Werke dargethan sei, dass
der breit getretene Pfad der gewÖhnl. formalen Schul-Logik nicht der
richtige sei und spricht sich dann selbst über die von ihm geforderte
Logik der Zukunft also $us: »Ein weit greifendes Ergebniss unserer
bisherigen Untersuchungen ist für das System der Logik die entschiedene
Voranstellung der Lehre vom ürtheile. Indem wir Denken und
Sprechen nicht von einander trennen können, gilt uns jeder Satz für
die Logik als einUrtheil, und ein jedes aus dem Satze hervorgehobene und
bewusst fest gehaltene Wort — als Begriff, und jede Verbindung von
Sätzen, welche in der gedankenhaltigen Rede verschied. Beziehungen an
ein begrifflich erfasstes Wort knüpft, gilt uns für die Logik als ein
Schluss, welcher ein Mittel zu dem Zwecke ist, dass jener Begriff in
definitorischem Wissen sich vollständig entfalte und darlege; die
stete Wechselbeziehung endlich, welche bei Letzterem zwischen idealer
Allgemeinheit und empir. Einzelnheit besteht, führt zur log. Bewältigung
dieses Zwiespaltes selbst mittelst einer Methodenlehre, durch welche
das Zustandekommen der Wissenschaft seinen Abschluss findet. Solcher
Art wäre der Entwurf eines Bildes, welcher mir betreffs einer Logik der
Zukunft vorschwebt.« — An diese Reformgedanken anknüpfend hat
Prantl im J. 1877 als Festgabe zum Doctor- Jubiläum SpengePs eine
Abhdl. veröffentlicht, betitelt: »Verstehen und Beurtheilen«. Dieselbe
führt folgenden S. 4 kurz hingestellten Gedanken aus: »Durch die formale
Seite der Logik (Lehre v. Ürtheile, v. Begriffe, v. Schlüsse und v. d. De-
finition) gewinnen wir nur eine Logik der Widerspruchslosigkeit, noch
nicht aber eine Logik der materiellen Wahrheit ; zur letzteren vollendet
sich die Logik erst durch die wissensch. Bewältigung ihrer phänomenalen
Seite d. h. des Verstehens und Beurtheilens. Und da wir, wie sich von
selbst versteht, keine materielle Wahrheit ausserhalb unseres Denkens be-
sitzen, so wird die Wissenschaftslehre nur durch ihren phänomenalen
Abschluss dasjenige sein können, was sie sein soll, nämlich: Entwicklung
der Wahrheit des menschlichen Denkens selbst. « — Martin Eatzenberger,
Grundfragen der Logik, Leipzig 1858. — J. Scngler, Erkenntnisslehre,
Heidelberg 1868. — Ernst Ferdinand Friedrich, Beiträge zur Förde-
rung der Logik, Noetik und Wissenschaftslehre (d. h. »der Sach-
vernnnftwissenschaft, Denkungstheorie und Kundigkeitslehre« oder zur
sog. »Metaphysik, formalen Logik und inductiven Logik«), Bd. L
Leipzig 1864. — J. H. v. Kirchmann, die Philosophie des Wissens,
Bd. I. Berl. 1864 ; die Lehre vom Wissen als Einl. i. d. Studium philos.
Werke (Philos. Biblioth. Bd. I), Berlin 1868 (übers, in's Italien, mit
Noten u. Appendix v. Riocoboni u. einer Einleitung v. de Dominicis,
"Venedig 1871). Realistisch als Philosophie des Wissens hat derselbe
die Logik auch behandelt in s. Katechismus der Philosophie. Leipzig
1877 (Th. 1. A. Die Lehre v. Vorstellen. B. Die Lehre vom Erkennen.
S. 18—76). — Rud. Seydel, Logik oder Wissenschaft vom Wissen,
Leipz. 1866 (schliesst sich zunächst an Chr. H. Weisse u. an Schelling
§ 84. Die neuesten deutschen Logiker. 71
an). — Wilh. Bosenkrantz, die Wissenschaft des Wissens und Be-
gründung der besonderen Wissenschaften durch die allg. Wissenschaft,
Bd. I, 2. Aufl., Mainz 1869, Bd. 11 ebd. 1869. — L. Babüs (s. o. S. 66),
Logik u. Metaph. L : Erkenntnisslehre, Gesch. der Log., Syst. der Log.,
Erhingen 1868. (schliesst sich an J. J. Wagner an). Vgl. von dems.
Zur logischen Frage, in den Philos. Monatsh. Bd. 9. 1874. S. 17. 67. 306.
409 — Bd. 10. S. 433, u. D. neuest. Bestrebungen auf d. Gebiete der
Logik b. d. Deutschen u. d. log. Frage. Erlangen 1880. — Eine A^^s-
einandersetzung mit den Ansichten dieser letzten Schrift versuchte
ülrioi in d. Zeitschr. f. Philos. Bd. 78. 1881. S. 168. — Einen eigen-
thümlichen Weg, die Lo^ik zu fördern, schlug E. Dühring ein in
8. natürl. Dialektik, neue log. Grundfragen der Wissensch. u. Philos.,
Berlin 1865. Er will darthun, dass es keine einzige fertige formale
logische Einsicht giebt, die nicht auf den Formen des aus der reinen
Mathematik bekannten Yorstellens beruhte. Die Verlegenheiten bei
mathematischen Begriffsfassuagen sollen eine allgemeine Bedeutung für
allen Verstandesgebrauch haben, mit der Lösung der fraglichen Schwie-
rigkeiten soll daher die gesammte Dialektik von einer gewaltigen Fessel
befreit werden. Besonders in der Kritik der Unendlichkeitsbegriffe
sucht er den Schwerpunkt der höheren Logik und will mit seinem
Grundgedanken die ganze Frage da aufnehmen, wo der in Deutchland
in der fraglichen Beziehung niemals berücksichtigte Garnot sie vor
einem halben Jahrhundert gelassen hatte. Neuerdings hat Dühring
diese seine Ansichten ausgeführt in s. Logik und Wissenschaf tstheorie.
Leipzig 1878. Dühring sucht darzuthun, dass die logischen Ein-
sichten in innigem Anschluss an die besondere und positive Wissenschafts-
bildung selbst erwachsen sind und dass der ganze Umfang der Vortheile
ans dem Gebrauch logischer Theorien sich erst herausstellen kann, wenn
der bisher zu eng begrenzte Bahmen der Logik bedeutend erweitert
und eine allgemeine Wissenschaftstheorie als natürlicher Abschluss aller
vorgangigen Lehren hinzugefügt wird. Auf die Vollendung der Logik
in einer solchen umfassenden Wissenschaftstheorie, die sich aber von
Allem, was bisher Wissenschaftslehre genannt ist, unterscheiden soll,
ist sein Buch wesentlich gerichtet. Die Ausmerzung der völlig hohlen
Verschultheiten der gewöhnlichen Logik betrachtet D. als ein Verdienst
seines Buches und glaubt durch seine Wirklichkeitsphilosophie die
Begriffslogik in Uebereinstimmung mit der Sachlogik dargestellt zu
hab^i. — J. Hoppe, die gesammte Logik, ein Lehr- und Handbuch,
ans den Quellen bearb., vom Standpunkte der Naturwissenschaften, und
gleichzeitig als Kritik der bisherigen Logik, Paderborn 1868; die kleine
Logik, ebend. 1869; das Entdecken und Finden, ein Beitrag z. Lehre
von der empirisch. Forschung. Freiburg i. Breisg. 1870; die Analogie,
eine allgem. verständl. DarstelL a. d. Gebiete der Logik, Berlin 1873.
Hoppe will die Logik in einer neuen Weise und zwar vom Stand-
punkte der sogenannten naturwissenschaftlichen Bearbeitung aufgebaut
haben. Aueh meint er die Logik von allen schematisohen Lehren und
von allem Formwesen gereinigt und die gänzliche Unhaltbarkeit der
72 § 84. Die nenesten deutschen Logiker.
bisherigen schematischen und formalen Logik dargethan zu haben.
Statt einer solchen sei nun zum ersten Male eine erfahrungsbegriffliche
Logik aufgestellt, dabei die Lehre vom Schlüsse zu einer grösseren
Vollendung gebracht und endlich die schwierige Frage der Analogie
und Induction gelöst. Die kleine Logik ist ein Auszug aus dem vor-
angegangenen grösseren Buche. — Ebenfalls eigene Wege schlägt
ein Fr. A. Hartsen, Grundzüge der Logik, nach einer neuen
Methode, Berlin 1873. Er fasst die Logik als Wissenschafts- oder £r-
könntnisslehre und giebt ihr die praktische Aufgabe, den Menschen zu
lehren, seine Gedanken so anzuordnen, dass sie ihm dienen mögen,
um so kräftig als möglich die Welt modificiren zu können, d. h. das
Verhältniss der Theile der Welt umzuändern. Er will daher sämmt-
liehe Regeln der Logik aus der Natur unserer praktischen Bedürfnisse
ableiten. — Das von Karl Alex. v. Reichlin- Meldegg ersch. System
der Logik nebst Einl. in die Philosophie, Wien 1870, fasst die Logik
als anthropologische, speciell psychologische Wissenschaft. Eine das
Buch im Ganzen Lehrenden und Lernenden zum Studium empfehlende An-
zeige dess. schrieb d. Verf. dieses Buches in d. Zeitschr. f. Philos. u. philos.
Krit. Bd. 57. 1870. S. 174. — Werner Luthe hat Beiträge z. Logik
2 Thle. Berlin 1872 u. 1877 dargeboten. Die Beiträge zur Logik sollen
die Hauptpunkte der gew. Logfik untersuchen. Der 1. Theil befasst sich
mit der Lehre von der Vorstellung, dem Begriff und demUrtheil; der 2. Theil
schliesst sich mit Untersuchungen über die Kategorien an die im 1. Theil
gegebene Lehre vom Begriff an (abgedr. a. d. Ruhrort. Progr. v. 1874)
und bringt eine Kritik der Schlussformen d. Aristoteles. Es soll ge-
zeigt werden, dass die Grundlagen derselben grossen Theils unhaltbar
sind, und dass die Syllogistik einer wesentl. Umgestaltung bedarf.
Ders. hatte schon früher einen Theil seiner Ansichten ausgesprochen
in einer Abh.: Zur log. Frage mit bes« Bez. auf Ueberweg u. Drobisch
in d. Zeitschr. f. Philos. u. philos. Krit. Bd. 60. 1872. S. 151. Eine
Kritik seiner Beiträge gab U Ir ici das. Bd. 61. 1872. S. 282. — Gedanken
zu einer Reform der Logik hat noch angeregt: Fr. Harms, Die Reform
der Log^k. A. d. Abhdlgn. d. Berl. Akad. d. Wissensch. 1874 (einen
ausführl. Bericht gab Bratusdhek in d. philos. Monatsh. Bd. 11. 1875.
S. 210.) und über d. Begriff d. Wahrheit in d. Abhdlgn. d. kgl. Akad.
d. Wissensch. zu Berlin 1876. Eine historische Durchführung der in d.
ersten Abhdl. dargelegten Ideen gelebt die aus d. Nachlass ▼. Lassen
herausg. Geschichte d. Logik (d. Philos. in ihrer Gesch. Th. 2), Berlin
1881. Dieselbe schliesst mit dem bezeichnenden Satze: »Es giebt keine
bessere Anleitung zum system. Durchdenken der Probleme der Logik als
das Durchdenken der Lösungsversuche, die in der Geschichte der Philo-
sophie uns entgegentreten c. — Aus dem Nachlasse Friedr. Alb. Lange's
hat H. Cohen herausg.: Logische Studien. Ein Beitrag z. Nenbegr. der
form. Logik u. d. Erkenntnisstheorie. Iserlohn 1877. Das Fragment
ist drei Wochen vor des Verf. Tode vollendet und von demselben dmck-
fertig dem Herausgeber übergeben worden. Es behandelt die form. Logik
und Erkenntnisslehre — die Modalität der Urtheile — das particul.Ürtheil
^ § 84. Die neaesten dentsohen Logiker. 78
and d. Lehre von d. Umkehrung der ürtheile — die Syllog^itftik — die disj.
Urtheile u. die Elemente der Wahrscheinlichkeitslehre — Baum, Zeit u.
Zahl. Ein zweiter Theil sollte sich mehr den Fragen der Psychologie
imd Methode des Denkens zuwenden. — Eine krit. Bespreohnng dieser
Schrift, welche L.'s Kritik der überlief. Logik werthvoller findet als
das von ihm zur Nenbegründong Dargebotene, gab A. Riehl in d. Viertel-
jahrsschr. f. wiss. Fhilos. Bd. 2. 1878. S. 240—260. ^ Mit Bezug auf
F i 0 h t e's Wissenschaftslehre und H e g e 1 's Logik schrieb einen : Grundriss
d. Logik u. Metaph. darg. als Entwicklung des endl. Geistes Günther
Thiele. Halle 1878. — Von empirisch-induct. Standpunkt aus unter
Anknüpfung an Kant hat Herm. Wolff Logik u. Spraohphilos. Eine
Kritik des Verstandes. Berlin 1880 herausgegeben. — Als Voraussetzung
der Erkenntnisslehre hat vom erkenntnisstheoretischen Standpunkt aus
angefangen die Logik neu zu entwickeln A. Döring, Grundzüge der
allgem. Logik als einer allgem. Methodenlehre des theoret. Denkens.
Th. 1. Einl. u. Naturlehre des theoret. Denkens. Dortmund 1880.
Eine Selbstanzeige findet sich in d. Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos.
Bd. 4. S. 506. — In aristotelisch-scholastischem Sinne, jedoch mit Be-
rücksichtigung neuerer Forschung, ist verfasst: Georg Hagemann,
Logik und Noetik, Münster 1868. Das Gleiche gilt von A. Stöckl,
Lehrb. d. Philos., Abth. I, Mainz 1868, 8. Aufl. 1872.
Eine sehr ausführliche »erkenntnisstheoretische Logik c hat Wilh.
Schuppe Bonn 1878 geboten; ihren Standpunkt bezeichnet schon der
Titel. Es wird dargethan, dass es für die Logik grundlegende Bedeu-
tung habe, die Elemente jedes Wahmehmungs- und Denkaktes, ihres Zu-
sammen und ihrer Gewinnung recht zu erfassen, und ihre Bedeutung
als Grandlage der ürtheils- und somit auch Begriffs- und Schlussbildung
anzuerkennen. Zugleich soll nachgewiesen werden, dass alle anderen
Standpunkte wider Willen diese erkenntnisstheoretisehe Auffassung als
die richtige bestätigen, da noch keine Logik ohne erkenntnisstheoret.
Voraussetzungen dargestellt sei. — Diese Ansicht hatte der Verf. kurz
schon früher ausprochen in s. Buch : Das menschl. Denken, Berlin 1870.
lieber das Verhaltniss seiner Logik zu derjenigen Sigwart's hat sich
Schuppe ausgespr. in d. Jenaer Literaturztg. 1879. Nr. 21 und in d.
Philosoph. Monatsh. Bd. 16. 1880. S. 84—99, zu Bergmannes Logik
in d. Vierteljahrsschr. f. wissensch. Philos. Bd. 8. 1879. S. 467. Eine
Entgegnung unter d. Titel : »Idealist. Differenzen c lieferte B. im folg.
Bd. 4. 1880. S. 226. Eine kritische Anzeige gab Ulrici in d. Zeit-
tchr. f. Philos. Bd. 76. 1880. S. 295 und Witte in d. Philos. Monatsh.
Bd. 15. 1879. S. 247, eine Replik Schuppe das. S. 657, eine Duplik
Witte das. 659. Eine Rechtfertigung seiner Ansicht gegen Ulrici
lieferte Schuppt in d. Zeitschr. f. Philos. Bd. 78. 1881. S. 90.
Eine hervorragende Leistung unter den neueren logischen Arbeiten
ist unstreitig Christoph Sigwart's Logik. 2 Bde. Tübingen 1878 u. 7a
Sigw ar t will die Logik unter dem Gesichtspunkte der Methodenlehre ge-
stalten und sie dadurch in lebendige Beziehung zu den wissenschaftlichen
Aufgaben der Gegenwart setzen« Er fasst die Logik als Kunstlehre des
74 § 84. Die neuesten deutschen Logiker.
Denkens, welche Anleitung geben soll zu gewissen und allgemein gültigen
Sätcen zu gelangen. Durch seine Fassung der Aufgabe und Anordnung
der Untersuchung glaubt S. die verschiedenen Gesichtspunkte zu vereini-
gen, welche in der Bearbeitung der Logik herausgetreten sind. Er
sagt darüber in der Einl. § 4. 4 S. 19: »Denn wenn man einerseits
der Logik zuwies, die Naturformen und Naturgesetze des Denkens
aufzustellen, denen es nothwendig folge, so erkennen wir die Noth-
wendigkeit an, solche Naturgesetze, unter denen alles Urtheilen über-
haupt steht, aufzustellen, und die Principien zu finden, unter denen es
als bewusste Function von dieser bestimmten Art nothwendig stehen
muBS ; aber wir leugnen, dass damit die Aufgabe der Logik erfüllt sei,
weil diese nicht eine Physik, sondern eine Ethik des Denkens sein will;
wenn man sie andererseits als Lehre von den Normen des menschlichen
Denkens oder Erkennens definirt hat, so erkennen wir an, dass ihr
dieser normative Charakter wesentlich ist ; aber wir leugnen, dass diese
Normen erkannt werden können anders als auf der Grundlage des
Studiums der natürlichen Kräfte und Functionsformen, welche durch
jene Normen geregelt werden sollen, und wir leugnen ebenso, dass ein
blosser Codex von Normalgesetzen für sich schon fruchtbar sei und
genüge, denZweck, um dessen willen es überhaupt eine Logik aufzustellen
lohnt, zu erreichen. Vielmehr halten wir es für nothig dasjenige, was
meist nur anhangsweise abgehandelt wird, zum eigentlichen, letzten und
Hauptziel unserer Wissenschaft zu machen, nämlich die Methodenlehre.
Indem diese zu ihrem Hauptgegenstande das Werden der Wissenschaft
aus den natürlich gegebenen Voraussetzungen des Wissens haben muss,
hoffen wir auch denjenigen gerecht zu werden, welche, um der Leerheit
und Abstractheit der formalen Schullog^k zu entgehen, ihr die Aufgabe
der Erkenntnisstheorie zuweisen, nur dass wir allerdings alle Fragen
über die metaphysische Bedeutung der Denkprocesse ausschliessen und uns
rein innerhalb des vorgeschriebenen Rahmens halten, innerhalb dessen wir
das Denken als subjective Function betrachten, und die Anforderungen
an dasselbe nicht auf eine Erkenntniss des Seienden ausdehnen, sondern
auf das Gebiet derNothwendigkeit und Allgemeinzulässigkeit beschränken i
in welchen Charakteren der Sprachgebrauch immer und überall das
unterscheidende Wesen des Logischen sieht.« ~* Diese Gesichtspunkte
hat Sigwart so ausgeführt, dass er in Bd. 1 im analytischen Theil
das Wesen und die Voraussetzungen des Urtheilens und im zweiten
normativen Theil die logische Vollkommenheit der Urtheile und ihre
Bedingungen, bestimmte Begriffe und gültige Schlüsse betrachtet. Der
ganze stärkere Bd. 2 enthält dann die Methodenlehre. — Die Bedeutung
dieser Logik ist in den verschiedenen kritischen Besprechungen der^
selben anerkannt, es sei verwiesen: auf Ulrici's Artikel Die Aufgabe
der Logik mit Bezug auf Sigwart (Bd. 1) in d. Zeitsohr. f. Philos. u.
philos. Erit. Bd. 66. 1875. S. 118 und den zweiten Artikel zur log. Frage
das. Bd. 76. 1880. S. 281; — auf Windelband's Besprechung Zur
Logik in d. Philos. Monatsh. Bd. 10. 1874. S. 3S. 85 u. 103; — auf
die Anzeige v. M. Heinze im Centralbl. Zamoke's .1875. Nr. 12.
§ 84. Die neuesten dentsohen Logiker. 76
S. 860; — aaf den Art. von J. Y enn im Mind, Bd. 4. 1879. p. 426. —
Einzelne logische, mathemat. und naturwissensch. Schnitzer hat in der
wenig berechtigten Form satirischer Bissigkeit der Logik Sigwart's
nachweisen zu müssen geglaubt W. Schlote 1 in »einer zur Privat-
mittheilung bestimmten c und personlich verschickten Schrift mit dem
seltsamen Titel: »Dootor Nobiling u. s. Lehrmeister«. Satyrspiel mit Tri-
logie. Gedr. z. Stuttgart 1879. In anderer Form vorgebracht würde
wohl Einiges mehr Beachtung finden. — Sigwart selbst hat in der
Yierteljahrsschr. f. wissensch. Philos. Bd. 4 u. 5. 1880 u. 81 S. 465 u.
97 zwei Artikel veröffentlicht: »Logische Fragen. Ein Versuch zurVer-
ständigung«, die sich wesentlich mit Wundt und Bergmann zurecht zu
setzen suchen, während ein Eingehen auf Schuppe's Kritik abgelehnt
wird. Windelband's Kritik findet daselbst in einem nebensächlichen
Punkt Beachtung, nämlich in dem Vorschlag die Termini analytisch und
synthetisch auf die Entstehung des ürtheils zu beziehen und nicht auf
die Kantisehe Unterscheidung.
Im Vergleich mit den genannten Werken Lotze's, Sigwart's
und Schuppe's soll ein conservativer Zug der Logik Bergmannes
eigen sein. Derselbe hat von einer auf 2 Thle. angelegten »Allgemeinen
Logik c den ersten Berlin 1879 herausgegeben. Unter dem Titel »reine
Logik c bietet derselbe die Lehre vom Urtheil, mit Einschluss der Lehre
von der Folgerung und dem Schlüsse, soweit dieselbe untersucht, wie über-
haupt Urtheile in solchem Zusammenhange stehen hönnen, dass die Wahr-
heit des letzten durch die Wahrheit der vorhergehenden verkürzt wird;
der zv^eite Band soll unter dem Titel »angewandte Logik« die Lehre vom
Begriffe vortragen. Die Logik wird als Kunstlehre des Denkens und
insofern denken urtheilen ist als Kunstlehre des Urtheilens bezeichnet;
sie soll auch eine Kunstlehre des Erkennens sein, sofern wir unter
Erkennen das Denken verstehen, dessen Gedachtes mit dem Sachverhalte
übereinstimmt d. h. wahr ist. Eine Wahrheit, die wir erkannt haben,
bleibt, nachdem wir sie zu denken aufgehört haben, doch in gewissem
Sinne in unserem Besitze als Wissen. Erkennen und Wissen sind der
Zweck, dem die Kunstlehre des Denkens dienen soll. Wie jede Kunst-
lehre soll auch die Logik den ganzen Zweck der Thätigkeit, deren
Theorie sie ist, in's Auge fassen, nicht bloss eine Seite desselben, — als
allgemeine Kunstlehre zwar nur den Zweck in seiner Allgemeinheit, aber
in seiner Allgemeinheit allseitig, und so soll es auch die Logik nicht ab-
lehnen von derjenigen Seite der Wahrheit zu handeln, durch welche die
formale Wahrheit zur ganzen, zur materialen Wahrheit ergänzt wird.
An die Spitze ihrer Forderungen soll sie die zu stellen haben, dass das
Gedachte wahr schlechthin sei, und ein Gedachtes, welches allen For-
derungen der Logik entspricht, soll daher nicht bloss formale, sondern
auch materiale Wahrheit besitzen. — Eine beachtenswerthe Besprechung
dieser Logik bot Lassen in den Philos. Monatsheften Bd. 16. 1880.
S. 338. Kritisch vertheidigten ihre eigenen Ansichten gegen dieselbe
Ulrici u. d. Zeitsohr. f. Philos. Bd. 76. 1880. S.800 und Sigwart in
d. Vi^teUahrssebr. f. wiss. Philos. Bd. 5. 1881. S. 97. ~ Im Mind,
76 § 34. Die neuesten dentedhen Logiker.
Vol. y. 1680. Griiia notices p. 189 .hat Alfr. Sidgwick dieselbe be-
sprochen.
Den neuesten grösseren Versuch zu einer Reform der Logik hat
Wundt unternommen in seiner auf 2 Bde. angelegten: »Logik. Eine
Untersuchung der Frincipien der Erkenntniss u. d. Methoden wissensoh.
Forschung, c, deren Bd. 1 Erkenntnisslehre. Stuttgart 1880 erschienen ist.
Dieser logisoh-erkenntnisBtheoret. Theil behandelt die Entwicklung des
Denkens, die logischen Normen desselben und die für das log. Denken und
seine Anwendungen gültigen Frincipien. Der methodologische zweite Theil
soll eich mit den Formen des systemat. Denkens und mit den Methoden
der wissensoh. Untersuchung beschäftigen. Den Standpunkt dieser Logik
bezeichnet die Einleitung folgendermassen : »Die wissenschaftliche Logik
hat Bechenschaft zu geben von denjenigen Gesetzen des Denkens, welche
bei der Erforschung der Wahrheit wirksam sind. Durch diese Begriffs-
bestimmung erhält die Logik ihre Stellung zwischen der Psychologie,
der allgem. Wissenschaft des Geistes, und der Gesammtheit der übrigen
theoretischen Wissenschaften. Während die Psychologie uns lehrt, wie sich
der Verlauf unserer Gedanken wirklich vollzieht, will die Logfik fest-
stellen, wie sich derselbe vollziehen soll, damit er zu richtigen Erkennt-
nissen führe. Während die einzelnen Wissenschaften die thatsächliche
Wahrheit, jede auf dem ihr zugewiesenen Gebiete, zu ermitteln bestrebt
sind, sucht die Logik für die Methoden des Denkens, die bei diesen
Forschungen zur Anwendung kommen, die allgemeingültigen Kegeln
festzustellen. Hiernach ist sie eine normative Wissenschaft, ähnlich
der Ethik. Wie diese die Gefühle und Willensbestimmungen, deren Ver-
halten die Psychologie schildert» nach ihrem sittlichen Werthe prüft,
um Normen zu gewinnen für das praktische Handeln, so scheidet die
Logik aus den mannigfachen Vorstellungsverbindungen unseres Bewusst-
seins diejenigen aus, die für die Entwicklung unseres Wissens einen
gesetzgebenden Gharaktei' besitzen. Die Aufgaben der Logik weisen
dieser ihrer Stellung gemäss einerseits auf die psychologische Unter-
suchung zurück, und anderseits führen sie vorwärts zu den allgem. Er-
kenntnissprincipien und den Verfahrungsweisen der wissensoh. Forschung.
Demgemäss verlangen wir von einer wissensoh. Logik neben der Dar-
stellung der logischen Normen dreierlei : eine psycholog. Entwicklungs-
geschichte des Denkens, eine Untersuchung der Grundlagen und Bedin-
gungen der Erkenntniss, und eine Berücksichtigung der logischen Me-
thoden der wissensoh. Forschung. Da die psycholog. Entwicklungs-
geschichte des Denkens der Untersuchung der Grundlagen der Erkenntniss
beigezählt werden kann, so lassen sich diese drei Forderungen in die
zwei vereinen: die Logik bedarf der Erkenntnisstheorie zu ihrer
Begründung und der Methodenlehre zu ihrer Vollendung, c Diese erkennt-
nisstheoretische und methodol. Bearbeitung der Logik soll mitten inne
stehen zwischen der formalen und der metaphysischen oder dialektischen
Auffassung dieser Wissenschaft. Die formale Logik sehe die Darstellung
der Formen des Denkens als die einzige Aufgabe der logischen Wissen-
schaft an. Sie behaupte, dass es eine bloss formale Wahrheit gebe, und
§ S4. Die neuesten deatschen Logiker. 77
dasB diese es sei, mit der sich die Logik zu beschäftigen habe. VoU-
kommen oonsequent habe von diesem Standpunkte aus Whately die
Logik als die Wissenschaft des Schliessens bezeichnet. Begriffe und
Urtheile kämen hier in der That nur in Betracht, insofern sie Bestand-
theile der Schlüsse bildeten. Die Untersuchung ihrer Entstehungsweise
und die Frage nach ihrer Wahrheit werde als eine fremde Aufgabe zu-
rückgewiesen. Der technische Charakter dieser formalen Logik, nach
welchem die Urtheils- und Schlussformen bloss als äussere Hülfsmittel
des Denkens dargestellt würden, werde auch durch den von den einzelnen
ihrer Vertreter gebrauchten Namen einer Knnstlehre des Denkens
angedeutet. Im Gegensatz hierzu halte die metaphysische Logik das
logische Denken für das Werkzeug, welches dem Wissen nicht bloss seine
Form gebe, sondern auch den Inhalt desselben aus sich hervorbringe.
Diese dialektische Auffassung der Logik reiche von der Zeit der Eleaten
und Plato's bis in die Neuzeit. Hinter allen diesen dialektischen Be-
strebungen liege die Annahme einer Identität des Denkens und Seins
verborgnen, wenn auch spät erst diese Identität ausdrücklich postulirt
worden sei Freilich habe aber der spröde Stoff der Erfahrungs-
begriffe einer durchgängigen Anwendung des dialektischen Verfahrens
stets als Hindemiss im Wege gestanden. Zwei Aushülfen seien versucht
worden. Entweder habe man die Identität zu einem blossen Parallelis-
mus ermässigt. Dies sei der Weg, den zuerst Aristoteles einge-
schlagen und der noch heute von Manchen verfolgt werde, die der
metapb. Logik in ihren anderen Formen entgegentreten oder sich
wohl auch selbst als Vertreter einer erkenntnisstheoretischen Richtung
betrachten möchten, wie z. B. Schleiermacher, Trendelenburg
und der Verf. dieses Buches. Oder man habe dem Denken nur für gewisse
Gebiete des Wissens, und zwar für die höchsten und abstractesten, die
Kraft zuerkannt, aus sich selber zu schöpfen, während man es im Be-
reiche der Erfahrungsbegriffe abhängig machte von äusseren Einflüssen.
Das sei im Ganzen die herrschende Richtung des philosoph. Rationalis-
mus. In solchem Sinne trete bei Desoartes, Spinoza u. Leibniz
das adaequate dem inadaequaten Erkennen, das intelligere dem imagi-
nari, das klare dem verworrenen Vorstellen gegenüber. Erst die
neueste panlogistische Gestaltung des Rationalismus habe diesen Zwie-
spalt beseitigt, indem sie an die Platonische Dialektik wieder an-
knüpfend, den Satz von der Identität des Denkens und Seins unerschrocken
bis zu seinen äussersten Consequenzen durchführe. Bei Hegel werde auf
diese Weise die Logik zur Darstellung des Denkens in seiner das Wissen
erzeugenden Selbstbewegung.
Formale und metaph. Logik nun sollen beide in Widerspruch treten
mit den Forderungen der einzelnen Wissenschaften. Die form. Logik
befriedige nicht das berechtigte Verlangen der einzelnen Disciplinen
nach dem Nachweis, wie die Denkgesetze entstehen, nach dem Beweis,
warum dieselben gültig sind, nach dem Zurückführen der wissenschaft-
lichen Verfahmngsweisen auf ihre logischen Regeln. Die metaph. Logfik
dagegen setze sich sowohl über die Ergebnisse der Einzelwissenschaften,
78 § 34. Die nenestep deatsohen Logiker.
wie über die von denselben thatsäohlioh getibten Methoden der FonMshung
hinweg, um . neben dem wissensch. System, das ans der Verbindung
aller Einzelforschongen hervorgehe, ein besonderes System des philos.
Wissens zu stellen, das seine eigene Methode besitze, die mit der sonst
geübten wissensoh. Logik nichts als den Namen gemein habe. Zwischen
diesen einseitigen Richtungen stehe nun diejenige Bearbeitung der
Logik, welche in der Entwicklung der Grundlagen und Methoden der
wissenschaftlichen Erkenntniss ihre Aufgabe sehe. — Dies der Standpunkt
von Wundt's Logik. Eine eingehende Besprechung derselben boten
Sigwart in d. Yierte^jahrsschr. f. wiss. Philos. Bd. 4. 1880. S. 484;
— Th. Lipps in d. Philos. Monatsh. Bd. 16. 1880. S. 529 und Bd. 17.
1881. S. 28 u. S. 198; *- Rabus in d. Zeitschr. f. Philos. Bd. 77. 1880.
S. 106; — Lache Her in d. Rev. philosoph. X. 1880. p. 23 und Alfr.
Sidgwick im Mind V. 1880. CriUc. notices S. 409.
Als kleinere Lehrbücher der Logik zum Behufe des Unterrichta
in der philosophischen Propädeutik ausser den schon früher bei Er-
wähnung der Schüler Herbart's § 29 S. 63, Beneke's § 34 S. 65 und
Trendelenburg's ebenda noch besonders zu nennen: A. Matthiae,
Lehrb. f. d. erst Unterricht in d. Philos. 2. A. Leipzig 1827. 3. A. 1833
(Logik §70— 116. S.71--120). — J. Beck, PhUos. Propädeutik. Bd. 1.
Empir. Psychologie u. Logik. 1. Aufl. 1840. 11. Aufl. 1873 (der Verf. fühlt
sich bes. Sigwart, Twesten, Baohmann, Trendelenburg für d. logische
Belehrung yerpflichtet). — Frz. Biese, Philos. Propädeutik f. Gym*
nasien u. höh. Bildungsanst. Berlin 1846 (behandelt die Entwicklungs-
stufen des Geistee u. bes. im Cap. 2 die Logik als Denken des Ver-
standes S. 59—138). — E. Ad. Ed. Galinich, Philos. Propädeutik f.
Gymnas., Realsch. u. höh. Bildungsanst., sowie z. Selbstnnterr. (Seelenl.,
Denklehre, Kunstl.) Dresden 1847 (will in d. Denklehre Krug, Fries,
Hegel, Bacbmann, Drobisch, Beneke u. bes. Trendelenburg benutzt haben
§ 48--§ 110. S. 69—145). — Chr. Friedr. Gockel, Encyklop. Einl. in d.
Philos. Lehrb. d. philos. Propäd. f. Gelehrtensch. u. Anleit z. Selbst»
unterr. Karlsruhe 1855 (Logik §87—96. S.31— 34). — Theod.Rumpel,
Philos. Propäd. od. die Uauptlehren der Logik u. PsychoL z. Gebrauch
in Gelehrtensch. Gütersloh 1865. 4. Aufl. 1876 (Logik S. 10—101). —
J. A. Wentzke. Ck>mpend. d. Psychol. u. Logik f. Gymnas. u. Realsch.
1. A. Leipzig 1868 (betrachtet die Logik als integrirenden Theil der
Psychologie, benutzt vielfach Trendelenburg's Erläuter. z. d. Elementen
der arist. Logik und stellt wieder herAristot. Eintheil. der Logik in die
Lehre vom Urtheil, Schluss, Begriff u. Beweis). — K. A. J. Hof f mann ,
Abriss d. Logik. 1. A. Clausthal 1859. 2. A. 1868 (nimmt bes. Bezug
auf Trendelenburg's Erläuter. z. d. Elementen d. arist. Logik oder auf
dieses Buch u. behandelt d. Lehre v. Urtheil, Beweis, Classification u.
Definition. Die 2. Aufl. hat in Betreff des grösseren Vorraths von Bei-
spielen bes. auf Drbal's Lehrb. d. prop. Logik 1866 hingewiesen.) —
F. Gh. Poetter, Logik. Gütersloh 1875 (als Th. 2 v. A. Yogel's Philos.
Repetitorinm, — hat hauptsächl. Trendelenburg, dieses Buch» K. Fischer,
Lotze u. Sigwart benutzt und die in .das Gebiet der Psychologie fallenden
§ 86. Neaere Logiker ausserhalb Dentsehlands. 79
Erortemngen Ton der Logik ausgeschlossen). — Wilh. Hollenberg,
Philos. Propad. (Logik, Psychologie u. Ethik) f. höhere Schulen. Elber-
feld 1875. 2. A. 1869 (in der 2. Aufl. hat bes. die Logik Aenderungen
erfahren, nicht in der Bichtung von Trendelenburg, die Erweiterungen
beziehen sich bes. auf die Ausbildung der Methodenlehre, aus didaktischem
Princip sind den Paragraphen Fragen angehängt). *— Theob. Ziegler,
Lehrb. d. Logik f. den Unterricht an höher. Lehranst. u. z. Selbstst.
Schaffhausen 1876. 2. Aufl. Bonn 1881 (giebt im Allg. d. traditionelle
Logik, verhalt sich aber zu ihr, wo immer möglich, kritisch, ffigt zu
dieser alten aristot. Logik die für die moderne Welt wichtige Lehre
▼on derlnduction in der ihr gebührenden Ausführlichkeit hinzu, folgt
in dieser Hinsicht Mill und hat seine krit. Bemerkungen vielfach der Logik
Sigwmrt's entnommen ; die 2. Aufl. ist bes. in Rücksicht auf Veransohau-
liohung durch Beispiele erweitert, indem die 1878 als Nachtrag zur 1. Aufl.
veröffentlichten »logischen fieispielec in das Lehrbuch hineingenommen
sind, auch Wundt's Logik ist hier benutzt und Taine's Buch über d. Ver-
stand, dagegen ist die mathemat. Behandlung, wie sie unter englischem
Einfluss vielfach beliebt wird, von dieser Schullogik ausgeschlossen)* —
Fr. Kirchner, Katechismus der Logik. Leipzig 1881 — will denjeni-
gen, welche diese Disciplin zu lernen oder zu lehren haben ein brauch-
bares Hülfsbuch, sodann aber auch den Gebildeten überhaupt ein zu-
verlässiger und zugleich interessanter Führer sein. Vorangestellt ist
eine Geschichte der Logik, der erste Theil bietet eine Erkenntniss-
theorie. Die Darstellung ist in katechetischer Entwicklung gegeben.
§ 35. Auf die neueren Bearbeitungen der Logik
ausserhalb Deutschlands hat die neuere deutsche Spe-
cnlation im Allgemeinen nur geringen Einfluss geübt. Eine
selbständige Entwicklung hat der Streit der materiellen oder
inductiven und der formalen Logik neuerdings besonders in Eng-
land genommen. Die Theorie der Induction ist dort besonders
in Anwendung auf die Naturwissenschaften namentlich durch J.
Herschel, Whewell, Mill, Bain und H. Spencer in
selbständiger Weise fortgebildet worden, wie in Frankreich
durch Cournot und A. Gomte, während die formale Logik
durch O. Bentham, Hamilton, Hansel, Thomson, de
Morgan, Boole, Jevons besonders auch in Beziehung zur
Mathematik gefördert ward.
Die neuere Entwicklung der Logik in England haben neuerdings
treCFlich dargestellt Thomas M. Lindsay in einem seiner London
1871 ersch. Uebersetzung dieses Buches beigefügten Appendix A on
recent logical specnlation in England — u. Louis Liard in s. Werk:
Leslogiciens anglais contemporains. Paris 1878, von dem J. Imelmann
eine autorisirte deutsche Uebersetzung geliefert hat, Berlin 1680, u.
80 § 86. Neuere Logiker aasserhalb Deutschlands.
A. Riehl, Die engl. Logik d. Gegenwart, in d. Yierteljahrssohr. f.
wissensch. Philos. Bd. 1. 1877. S. 50. — n. im Mind die Artikel von
J. N. Eeynes, on the position of formal logio u. J. Yenn, The
difficulties of material logic, vol. lY. p. 362 n. 86. — Die Terechiedenen
Richtungen der dortigen logischen Studien charakterisirt Lindsay
folgendermassen: »The revival of logioal study in England dates from
the republication of Archbishop Whately's Elements of logic. Before
the appearanoe of this work, the study of the science had fallen into
uniTersal negleot. — The Elements of Whately was by no means a good
tezt-book. The author wrote without having a very extensive know-
ledge of bis subject, and did nothing to enlarge the science he profee-
sed to teach; but he had the gread gifts of a clear piain style, good
arrangement, and a wonderful power of fresh and interesting illustra-
tion.c Dadurch habe das Buch doch das Yerdienst ein wirkliches Stu-
dium der Logik angeregt zu haben. »A more scientific spirit soon
showed itself among English logicians, and, when it appeared, took a
double direotion, due to its twofold origin. Two influences were wor-
king in men's minds, that of Kant and that of Hume. The Kantian
influence gave us the formal Logic of Hamilton, Mansel, and Thom-
son; the influence of Hume, the Logic of Mill and Bain. — These two
schools, however, do not exhaust the list of scientific Englisch logicians.
Among the formal logicians, the doctrine of a quantified predicate
became a leading doctrine, and this prepared the way for the mathe-
matical Logic of Boole. Among the sensationalist logicians the doc-
trine of Induction was most important, and their theories cannot be
explained without discussing the relative theories of Dr. Whewell. —
We have thus two classes of logricians *- Formal and Sensationalist;
the former by their doctrine of a quantified predicate inseparably re-
lated to the mathematical Logic of Boole, and the latter by their theory
of induction closely allied to the inductive Logic of Whewell.« Aehn-
lich bemerkt Li ard (a. a. 0. S. 1: »Les logiciens anglais contemporains
se distribuent en deux 6coles prinoipales: L*6cole de la logique roat6ri-
eile ou inductive, et Pecole de la logique formelle. Pour les uns, la
logique est uniquement la theorie de Tinduction et de la preuve ex-
perimentale ; pour les autres, eile est, comme la voulu Kant, la science
des lois de la pensee en tant que pensee. Mais, malgre oet antagonisme
fondamental, tous s'accordent k condamner la logique d'Aristote et
pretendent y substituer un Systeme nouveau et plus vrai. Seulement,
tandis que les uns, ramenant toute inference a l'inference inductive, ne
voient dans le syllogisme qu'une induction deguisee et nient ainsi la
16gitimite de la logique formelle, les autres, admettant la validite de la
d^duction, se proposent de remplacer les mSthodes firagmentaires et
particulidres de l'analytiqne ancienne par une methode oompUte et
g6n6rale de deduction.«
Die Logiker der inductiven Richtung gehen selbetverstÄndlich
auf Bacon und Hume zorück. Bacon's Novum Organum ist neuer-
dings mit Einl. und Noten trefiflich herausgegeben worden von Thomas
§ 36. Nettere Logiker ansserhalb Deutschlands. 81
Fowler, Prof. d. Logik. Oxford 1878. Besonders beachtenswerth ist
die Torangeschiokte historische Einleitung über das Yerhältniss Bacon's
zur Wissenschaft seiner Zeit und über seinen Einfluss auf die Folgezeit.
Der Herausgeber ist selbst der Verf. eines in England viel gebrauchten
Werkes: The elements of inductive logic, designed mainly for the us^
of students in the universities. Oxford 1876. — Diese Baconische
Richtung vertrat J. Herschel in der Schrift: »Preliminary discourse
on the study of natural philosophy. N. ed. London 1851, deutsch von
A. Weinlig. Leipzig 1886; über s. Yerhältn. z. Whewell s. die Recens.
seiner Werke in d. Quaterly review Juni 1841. — Derselben Bichtung folgt
unter dem Einfluss der Eantischen Erkenntnisslehre: W. Whewell,
History of the inductive sciences. 8 Bde. London 1887; 'deutsch v.
Littrow 1859 — 42; the philosophy of the inductive sciences founded
upon their history. London 1840. 2 ed. 1847. 8 ed. 1857; daraus
entnommen History of scientific ideas. 2 Bde. London 1856. 8 ed. 1858;
On indnction, with especial reference to J. St. Mill, system of logic
London 1849; Novum Organum renovatum. London 1858; On the
philosophy of discovery. London 1860. — Die von Herschel und
Whevell beschriebenen inductiven Methoden dienen der wissenschaft-
lichen Forschung vorzugsweise als Regeln zur Entdeckung. In derselben
inductiven Richtung liegend besteht nach Bain's Bemerkung J. St.
Mill's besonderes Verdienst darin, »eine scharfe Grenzlinie zwischen
der Kunst der Entdeckung und der Kunst der Beweisführung« gezogen
zu haben. Die Logik gilt ihm als »die Wissenschaft von den Yer-
standesrichtungen, welche der Schätzung von Beweisgründen dienen,
von dem allgemeinen Processe sowohl, der vom Bekannten zum Un-
bekannten fuhrt, als auch von den Hülfsverrichtungen dieser funda-
mentalen Fähigkeit«. — Mi 11 schrieb: a System of logic rationative
and inductive. London 1843. 8 ed. mit Berücksichtigung der Einwände
WhewelPs 1850; 7 ed. 1868. 8 ed. 1872. In s. Autobiographie, London
1873 p. 226 (übers, v. Kolb, Stuttgart 1874, S. 187) sagt Mill selbst
über dies Buch: »Ich habe nie der Selbsttäuschung Raum gegeben, dass
durch das Buch ein beträchtlicher Einfluss auf die philosophische
Meinung geübt werden dürfte. Die deutsche oder aprioristische An-
sehanimg vom menschlichen Wissen und dem Erkenntnissvermögen wird
wahrscheinlich (obschon ich hoffe, in abnehmendem Grade) noch einige
Zeit länger vorherrschen unter denen, welche sich diesseits und jenseits
des Ganais mit dergleichen Fragen befassen; aber »das System der
Logik« entspricht einem Bedürfniss als Textbuch der entgegengesetzten
Doetrin, welche alles Wissen aus der Erfahrung und alle moralischen
und intellectuellen Qualitäten hauptsächlich aus der Richtung ableitet,
die durch die Association gegeben wird. — In dem Versuch, die wahre
Natur des Beweises mathematischer und physikalischer Wahrheiten auf-
zuklären, begegnete das »System der Logik« den intuitiven Philosophen
auf einem Boden, den sie bisher für unangreifbar gehalten, und gab aus
der Erfahrung und Association ihre eigene Erklärung von dem eigen-
thunüicfaen Charakter der sogen, nothwendigen Wahrheiten, welcher
6
82 § 36. Neuere Logiker ausserhalb Deutschlands.
als Beweis angezogen wird, dass ihre Beweiskraft ans einer tieferen
Quelle kommen müsse, als aus der Erfahrung, c — Eine üebers. dieser
Logik in's Deutsche gab J. Schiel, Braunschweig 1849; 3. Aufl. nach
der 5. A. des Originals fi Bde. ebenda 1868; 4. A. nach der 8. A. des
Orig. erweit. das. 1877; — von demselben ersch.: die Methode der in-
duot. Forschung als die Methode der Naturforschung, in gedrängter Dar-
stellung, haupts. nach J. St.Mill. Braunschweig 1865; — MilPs gesamm.
Werke. Autoris. Uebers. unter Redact v. Th. Gomperz. Syst. d. Logik.
Bd. 2—4. Leipzig 1873. Bes. wichtig noch die: Examination of Sir
W. Hamilton's philosophy. London 1865. 8 ed. 1868. — üeber resp.
für oder gegen Mi 11 schrieben: H. Taine, le positivisme anglais, Paris
1864. — J. M' Cosh, an examination of MilPs philosophy being a
Defence of fundamental truth (vertheidigt Hamilton gegen Mill). Lond.
1866. 2 ed. 1877; — W. Stebbing, analys. of M/s syst, of logiß.
London. 2 ed. 1867. — W. L. Cour tu ey, The metaphysics of J. St
Mill. London 1879 (bes. eh. YIII u.IX). — Mill's Schrift gegen Hamilton
besprachen: G. Grote London 1866, bes. abgedr. a. Westm. rev. Jan.
1868; — H. Spencer in d. Fortnightly rev. July 186B. — Massow,
recent brit. philos., a review with critidsm London 1865 ; vom Standpunkte
Berkeley 's aus Collyns Simon: Hamilton versus Mill, a thorough
discours. of each chapter in M.'s exam. 8 Hfte. Edinb. 1866 — 68. —
Mind. lY. 1879. p. 211. 375. 520. Y. 1880. p. 82. A. Bain, J. St. Mill,
ein Bericht über s. Leben, der v. d. Logik bes. lY. p. 528 spricht. —
Eine lobende Anzeige hatte Bain geschr. in Westminster review. April
1848; eine beachtenswerthe Kritik lieferte gleich W. G. Ward in d.
Herbstnummer d. British Critic. — Eine Kritik der Richtung lieferten
in Deutschland: Ulrici in d. Zeitsohr. f. Philos. N. F. Bd. 21. 1852.
S. 159. Die sogen, induct. Log^k ; — Apelt, Die Theorie der Induetion
Leipzig 1854 u. Schnitzer, über d. neuest. Systeme d. Logik in
Deutschi. u. Engl. Progr. d. kgl. Gymnas. in Ellwangen 1868, sowie
W. Jordan/ die Zweideutigkeit der Gopula bei Mill. Gymn.-Progrr.
Stuttgart 1870. — Neuerdings hat in England diese Richtung mit Selbst-
ständigkeit vertreten: A. Bain, logic, deduct. and inductive. 2 parts.
London 1870 u. 71. — Im Wesentlichen schUesst sich derselben auch
ELSpenceran, der in s. principles of psychology. 2 ed. London 1870/72.
V. n. P. 6. Cap. 2—8 die alte formale Log^ik noch entschiedener an-
gegriffen bat als M i 1 1. i Seine Definition der Logik beruht — nach L i ar d's
Darstellung — auf seiner Unterscheidung der Gesetze der äusseren
und der inneren Gorrelationen, einer Unterscheidung, welche ihrerseits
die Folge ist seiner grundlegenden Lehre von der Correspondenz der
Innen- u. der Aussenwelt und der bestandigen Unterordnung jener unter
diese. — Die Logik ist wie die Mathematik eine Wissenschaft der ob-
jectiven Existenz; sie sagt nothwendige Yerbindungen zwischen den
Dingen und nicht zwischen den Gedanken aus ; wenn sie zuweilen auch
diese letztere Function erfüllt, so thut sie das nur in zweiter Reihe und
nur sofern die Yerbindungen der Gedanken denen der Dinge ent-
sprechen und nach ihnen geformt sind; sie kann aber nicht, wie man
§ 85. Nettere Logiker ausserhalb Deutschlands. 83
gewollt hat, eine Wissenschaft der Gesetze des Denkens seine. — Diö
Beweise für diese Behauptung werden z. Th. aus der formalen Logik
selbst hergenommen. — DeMorgan's Lehre vom quantificirten Syllo-
gismus, Boole's algebraische Methoden, Jevons' logische Maschine
sollen Zeugniss ablegen zu Gunsten der Ansicht, dass die Logik sich
auf die Zusammenhänge unter den Dingen bezieht, nicht auf die cor-
relaten Zusammenhänge unter unsem Bewusstseinszustanden. Der
Syllogistik wird mit dieser Theorie jeder Werth abgesprochen.
Die gewohnliche formale Logik hatte in England einen Haupt-
vertreter an dem Erzbischof Whately, Clements of logic. London 1826,
9 ed. 1868. Erst versuchten die Logiker dieser Richtung eine Reform
derselben durch die Lehre von der Quantificirung des Prädicates. Diese
Lehre, welche den Prädicaten aller ürtheile eine bestimmte Quantität
beilegt, ist beinahe gleichzeitig von Hamilton, Thomson und de
Morgan gefimden und formulirt worden, hat aber, wie Liard nach-
gewiesen, in der üeberzeugung von der Nothwendigkeit, die Quantifi-
eirong des Prädicates auch auf die negativen ürtheile auszudehnen,
schon einen Vorläufer an Georg Bentham gehabt in s. Outline of a
new System of logic. 1827. — Als formale Wissenschaft von den Ge-
setzen des Denkens, die von der Beziehung zum Inhalt des Erkennens
absieht, von diesem nur die allgem. Form betrachtet, hat Sir William
Hamilton die Logik aufgefasst; s. s. Lectures on metaphysics and
bgic edit. by H. L. Mansel, Oxford and Joh. YeitcL 4 vlms. (HI u.
lY on logic) Edinburgh u. London 1850— 60; discussions on philosophy
and literatnre, eduoation etc. London 1826. 8 edit. 1869; — J. Yeitch,
Memoir of Sir W. Hamilton. London 1869. — Hamilton's Standpunkt
gleicht der Auffassung Eant's durch Fries. Ueber ihn s. Baynes,
an essay on the new analytic of logical formes. Edinburg 1850. — 0.
W. Wight, the philosophy of Sir W. H. N.-York. 1853. 3 ed. 1865;
— H. L. Mause 1, the philosophy of the conditioned: Sir W. H. and
J. St. MilL London 1865; — J. H. Stirling, Sir W. H. being the
philosopher of perception: an analysis. London 1865. 2 edit. 11368; —
J. M* Cosh, Philosophical papers L examinat. of Sir W. H.'s logic,
n. reply to Mr. Mill's 8 edit. etc. London 1868; — femer die oben bei
Mill genannten Schriften. — In Deutschland s. ülrici, Englische
Philosophen, Sir W. Hamilton; in d. Zeitschr. f. Philos. N. F. Bd. 27.
1855. S. 69; u. das.; Bd. 36. 1860. S. 247 und Bd. 49, 1866. Der
Streit zwischen der schottischen u. engl. Schule der Philosophie (dar-
gett. als Streit sensualist. u. Idealist. Empirismus) S. 29. — Ebenso H.
L. Mansel, ein Schüler Hamilton's, hat die Logik als die Wissen-
schaft von den formalen Denkgesetzen dargestellt, in s. prolegomena
logicsy an inquiry into the psychological character of logic, processes.
Oxford 1851 u. 1860; artis logicae rudimenta from the text of Aldrich
with notes and marginal references. 2 ed. Oxford 1852; — the limits
of demonstrat. sciences, oonsidered in a letter to the Rev. W. Whewell.
Oxford 1868, nnd das oben cit. Werk über Hamilton. Ueber ihn s.
Erdmann in Zeitschr. f. Philos. N. F. Bd. 80. 1857. Deutsche Philo-
84 § 85. Neuere Logiker ausserhalb Deutschlands.
sopheme u. brit. Philosophen. — Derselben Richtung folgte W. Thom-
son, an outline of the necessary laws of thought, a treatise on pure
and applied logic. 3 ed. London 1852 (s. darüber Erdmann a. a. 0.;
es handelt sich wesentlich auch um den apriorist Charakter der Ana-
logien der Erfahrung) ; — u. J. M' Cosh, the laws of discurs. thought,
being a textbook of formal logic London 1870. — Auch für de
Morgan ist die Logik eine rein formale Wissenschaft» aber er ist kein
unmittelbarer Schüler Hamilton's, er theilt mit ihm die üebenseu-
gung von der Nothwendigkeit einer Aenderung der aristotelischen
Syllogistik, gelangt aber zu anderen, eigenthümlichen Erweiterungen. »Es
war seine Absicht — bemerkt Liard — die Grundlagen der Logik
wie der Mathematik zu gleicher Zeit durch genaue Bestimmung der
Analogien der qualitativen und der quantitativen Schlüsse zu verbreiten.!
Seine logischen Schriften sind: first notions of logia 1889, vervoll-
ständigt in einer Abhdl. der Transactions of the Cambridge philos.
Society. Bd. Vni Nr. 29. Octob. 1846; formal logic, on the calculus
of inference necessary and probable. 1847; vier Abhdlgen. über d.
Syllogismus in d. Cambr. philos. transact. Bd. IX u. X. 1850. 58. 60 u.
63; Art. Logic u. Syllabus of a proposed system of logic in d.
English Cyclopaedia. 1860 (letzteres auch bes. abgedr.)« — Ein Art. über
ihn V. Stanley Jevons in d. Britannica Cyclopaedia; über s. Leben
u. s. Schriften: Rangard ind. Monthly notices of the royal astronomia
Society. Bd. XXn. Febr. 1872. — Bedeutenderen Einfluss als Mathe-
matiker und Logiker hat gewonnen G. Boole durch s. Schriften: the
mathematic. analysis of logic, being an essay toward a calculus of de-
ductive reasoning. Cambridge 1847 u. an investigation of the laws of
thought on which are founded the mathemat. theories of logic and
probabilities. London 1854. Boole will das Gebiet der deduct. Logik
erweitern und ihre Tragweite erhöhen. Nach ihm soll die deduct. Ope-
ration in der Eliminirung eines Mittelbegriffs in einem System von
drei Begriffen bestehen. — Eine krit Anzeige des zweiten Werkes
lieferte ülrici in d. Zeitschr. f. Philos. N. F. Bd. 27. 1855. S. 278;
— Liard in d. art. la logique de Boole in d. Rev. philos. de la France
et de Petranger. T. lY. 1877. p. 285; — G. Bruce Halste ad, logio-
method of B. in d. Journal of speculat. philos., ed. by Harris, H. Louis,
Jan. et Avril 1878 (schon früher das. Art T. IV. Sept. 1877), vergl.
auch Halstead, Jevons' criticism of Boole^s logic im Mind, IH. 1878 p.
184: — femer J. Venu, B.'s logical System im Mind» L 1876. p.
479. — Als selbständiger Schüler Boole' s hat diese Richtung weiter
ausgebildet: Stanley Jevons' (jetzt Prof. d. Nationalökonom, am
Univorsity College in London) in folg. log. Schriften: Pure logio, or
the logic of quality apart from quantity, with remarks on Boole's
System and on the relation of logic and mathematios. London 1864;
The substitutions of similars as the true principle of reasoning, derived
from a modificatiou of Aristotles dictum. London 1869; On a general
System of numerically definite reasoning. Denkschriften d. litterar.
u. philos. Gesellsch. zu Manchester. 8. F. Bd. 4. 1870; Elementary
§ 35. Neuere Logiker ausserhalb Deutsohlands. 85
lessons on logic dedaot. and induct., witli oopious questions and examples
and a vocabnlary of logical terms. London 1870; On the mechani-
cal Performance of logical inferenoe in d. Philosoph. Transact. of the
roy. Society 1870. Bd. 160; On the inverse, or indact. logical pro-
blem, in den Denksohr. d. litter. u. philos. Gesellsch. z. Manchester.
3. F. Bd. 5. 1872; the prindples of science: a treatise on logic and
scientif. method. 4 Bde. London 1874 (s. bedeutendstes Werk); — end-
lieh eine kl. Logik. London 1876 u. Studios in deduct. logic, a manual
for stndents. London 1880. — Jevons' log. Elementarbücher sollen in
engl. u. amerikan. Schulen eingeführt sein. — lieber ihn: G. Or. Robert-
son im Mind. L 1876. Jevons formal logic; — Liard, un nouveau
syst de logique formelle: St. Jevons in d. Rev. philosoph. de la
France etc. T. ÜI. Paris 1877. p. 277. — Eine neue Theorie der Logik
hat noch versucht Carveth Read, on the theory of logic, an essay.
London 1878; vergl. auch s. Art. on some principles of logic u.
the number of terms in a syllogism im Mind, II. 1877. p. 8S6 ; u. IV.
1878. p. 116; — über s. Logik s. J. Venu, das. III. 1878. p. 589; —
Keynes, »matter of facti logic. das. IV. 1878 p. 120; — A. Sidgwick,
iheoretio. and practic. logic. das. p. 122. — Der als Kritiker anderer
Logiker oft angeführte J. V en n selbst hat dargeboten : the logic of chance,
an essay of the province and foundations of the theory of probability
with special reference to its appliccation to moral and social subjects.
London 1866. 2 ed. 1876.
Das Studium der Philosophie in Nordamerika folgt wesentlich
den von England, Frankreich und Deutschland übertragenen Anregun-
gen, 8. Dr. Noah Porter über die neuere Philosophie in Grossbritannien
ond Amerika, als Anhang zu Morris' Uebersetzung von üeberweg*s
Geschichte der Philosophie. N.-York 1874, und darnach in d. Philos.
Monatsheften Bd. 11. 1875. S. 868. 424 u.474; — femer E. Mätzner,
Die speculat. Frage in d. Ver. Staaten, das. Bd. 1. 1868. S. 132; —
kurze Daten in William T. Harris, the history of philosophy in
outline in d. von ihm herausg. Journal of speculative philosophy. v. X.
1876. Nr. 3. p. 269; — und ausführlicher s. Octavius Brooks Fro-
thingham, Transscendentalism in N.-England, a history. N.-York
1876. Aus dem in diesen Berichten Angeführten ersieht man, dass
Dr. Porter wohl mit Recht bemerkt hat, in Amerika sei bisher die
Philosophie hauptsachlich als angewandte Wissenschaft und zwar in
ihrer besonderen Beziehung zu Moral, Politik und Theologie betrieben
worden. Erst neuerdings haben auch die Studien der Logik und Er-
kenntnisslehre freiere Aufnahme und Förderung gefunden. Zu nennen
sind: Noah Porter, the human intellect. N.-York 1869 und the
elements of intellectual science, ebd. 1872, unter dem Einfluss von
Trendelönburg's log. Untersuchungen, als dessen Schüler auch der oben-
genannte Morris, Prof. d. Philos. in Michigan, gilt. Als Anhänger
Hegel's schrieb Rev. G. G. Everett, the science of thought. 1869,
Harris nennt seinen Standpunkt den einer psychologischen Ontologie.
Mehr in der Richtung Eantischer Erkenntnisslehre hat geschrieben
86 § 35. Neuere Logiker aasserhalb Deutschlands.
Laurenoe P. Hie kok, the logic of reason, universal and eternal.
Boston 1875 (s. darüber Journal of specul. philos. y. IX. 1675. p. 222
u. p. 430. Hickok, Pantheism versus the logic of reason; auch v. X.
1876 p. 97. Dr. Hickok's definition of transsoendental logic vom Editor
u. das. p. 158 Hickok, the two kinds of dialectic). — Im Anschluss
an Hamilton hat geschrieben James Mao Cosh (president of Princeton
College, N.-Jersey), the laws of discursive thought, being a textbook
of formal logic. N.-York 1879 (s. darüber L. Liard in d. Rev. philos.
T. YII. 1879. p. 692). — Kritische Darstellungen der Logik und der
Systeme Cousin's und Hamilton's lieferte auch Francis Bowen. — Eine
nicht geringe Anzahl Artikel über Logik finden sich auch in dem
Journal of speculat. philosophy, so von Vera ausser den schon früher
gen. Art. in v. II. 1868 the validity of the laws of logic; ferner v. III.
1869 p. 257. Outlines of Hegel's logic; — v. VL 1872 p. 97. Rosen-
kranz on HegePs logic; — v. V. 1871 p. 307. Thoughts on logic and
dialectic (übers, aus Schopenhauer); — femer v. VH. Nr. 4. F. P.
Stearns, old and new Systems of logic, comparison of the English
conservat. and Hegelian methods as developed in Bowen's logic and
Everett's science of thought; v. "VTH. 1874. Nr. 1. p.86. Jos. G.Ander-
son On logic; — V. IX. 1875. Nr. 4. p. 417 ders. What is logic?; —
V. X. 1876. Nr. 1. p. 17. Joh. Watson, Empirism and common logic ;
— V. XI. 1877. Nr. 4. p. 410. Emery, Does formal logic explain
active processes?
Ueber den Zustand der logischen Wissenschaft in Frankreich ist
zu vergl.: Barthelemy St. Hilaire, de la logique d'Aristote, sect.
ni, chap. Xn, T. II. Paris 1838; von demselben der Art. Logique im
Dictionn. des sciences philosoph. T. 3® Paris 1847. 2. A. in 1. Bd. 1875;
— Ad. Franck, esquisse d'une histoire de la logique, Paris 1838; u.
die Bemerkungen von L. Peisse in d. Vorrede seiner Uebers. der
Fragments de philosophie par W. Hamilton, Paris 1840. Derselbe
constatirt das. p. GXX einen Verfall der logischen Studien: »Getto
d6cadence date de loin; eile n'est que le dernier retentissement de la
reforme cartesienne et baoonienne, qui detruisit la soolastique: or la
soolastique s'identifiait presque avec la logique. Je n'insisterai pas sur
les preuves du fait, qui n'est que trop Evident. H serait facile de
montrer les phases sucoessives de cötte eztinction graduelle de la
logique k partir de Desoartes jusqu' k Condillac, et de Ck)ndillac
jusqu' ä Destutt de Tracy.« Peisse beruft sich dafür auf den von
Barthelemy St. Hilaire gegebenen Nachweis. Vergl. F. Ravaisson,
la philos. en France au 19 s. (Recueil de rapports eta) Paris 1868,
p. 206. — Es kommen folgende logische Arbeiten in Betracht: Con-
dillac, la logique ou les premiers dSveloppements de Tart de penser,
Paris 1789; — über ihn F. Rethore, Condillac ou Pempirisme et les
rationalisme. Paris 1864. — Destuti deTracy, Elements d'ideologie
5 parties in 4 volms. 1 ^. 1804. 3® part. Logique 2 ädit. Paris 1818.
(Vertritt und entwickelt die sensualistische Logik Condillac's; s. über
ihn J. B. Meyer in Zeitschrift f. PhiL u. phil. Erit. N. F. Bd. 80.
§ 36. Neuere Logiker ausserhalb Deutschlands. 87
1857). — Eine andere Auffassung findet die Logik in der psychologischen
Schule, so bei: Maine de Biran, oeuvres philos. publ. par Cousin.
T. n. Paris 1841, p. 847. Remarques sur la logique de M. de Traoy;
o. oeuvres in^t. pubL par £. NaviUe. T. IL Paris 1869, p. 221, Section
4e systdme reflexif. ^ Ph. Damiron, oonrs de philosophie. 3« part.
Logique. Paris 1836. — Gh. Waddington, essais de logique, le^ons
faites a la Sorbonne de 1848 k 1866, Paris 1857. — Die SohuUogik
stellen dar: Manuel de philosophie par Am. Jacques, Jules Simon,
Em. Saisset, oeuyr. autoris^ par le conseil de Pinstruct. publ. 2 edit.
Paris 1855. — Gh. Jourdain, notions de logique, redig. cpnformem.
aux programmes ofGoiels du 80 aoüt 1854 et du 8 aoüt 1857. 5 edit.
Paris 1858. — Pellissier, precis d'un cours element. dö logique
d'apr^ les progr. offic. de 1857, 2 ed. Paris 1860; — Gh. Benard,
la logique enseignee par les auteurs, Paris 1858. — Auf dem Boden
der Erkenntnisstheorie behandelt die Logik: A. Gournot, essai sur
les fondements de nos connaissances et sur les caractöres de la oritique
philos. 2 tms. Paris 1851; u. traite de l'enchainement des idöes fonda-
mentales dans les scienoes et dans Phistoire 1861; — ebenso im An-
sehluss an Eant's Kritidsmus Gh. Renouvier, essais de oritique ge-
nerale. 2 Bde. (bes. Bd. 1 analyse generale de la connaissanoe, bomes
de la connaissanoe, plus un appendice sur les principes generaux de
la logique et des mathdmatiques. Paris 1854 u. 59 (n. Ausg. 1875); —
über ihn s. Shadworth H. Hodgson im Mind. January 1881. p. 31.
Renouvier's philosophy — logic — April, p. 178. — psydhology. — Der Er^
kenntnisslehre gehört auch der Hauptinhalt des Werkes von E. V acke-
re 1 an: la m^taphysique et la sdence, Paris 1858, 2 6d., Paris 1863;
femer J. Tissot, essai de logique objective ou th4orie de la connais-
sanoe de la v6rit6 et de la oertitude, Dijon 1867. — Zu beachten ist A.
Rondelet, th^rie logique des propositions modales, Paris 1861. —
Die Methodenlehre behandelt J. M. G. Duhamel, des m6thodes dans
les scienoes du raisonnement, Paris 1865. — Beachtenswerth ist auch:
Gh. de Remusat, essais de philos. 2 tomes, Paris 1842 (bes. T. 2. essai
Vni du jugement). — In der theologischen Schule ist die Logik be-
handelt worden von: Lamennais, esquisse d'une philosophie, 4 tomes,
Paris 1840 (T. 2 liv. III chap. III— IX); — A. Gratry, logique, 2 tomes,
Paris 1855; — Noirot, le^ns de philosophie profess6es au lyc6e de
Lyon (logique p. 148—220) Lyon et Paris 1852. — Einen auf Natur-
forschnng und Mathematik basirten »Positivismusc vertritt A. Gomte
in s. cours de philosophie positive 6 tomes, Paris 1880—42, ünver. n.
Aufl. 1864. 68. 76; die logischen Grundanschauungen seines inductiven
Empirismus sind besonders am Anfang des ersten und am Ende des
letaiten Bandes dargelegt. Eine ausfuhrlichere Behandlung haben die-
selben noch gefanden in s. Buch: Synthese subjective T. I. conten. lo
systdme de logique positive ou traite de philosophie math6mat Paris
1866. — Einen Auszug aus Gomte 's grossem Werke gab im Auftrage
der Testamentsvollstrecker Gomte's Jules Rig: A. Gomte, la philosophie
positive, resnmö. 2 Tms. Paris 1881. — Zu vergL über Gomte das Buch
88 § 35. Neuere Logiker ausserhalb Deutechlands.
von E. Littre, A. Comte et la philosophie positive. Paris 1868 (ins-
bes. 8® part. chap. v. la mathematique est-elle identiqne k la logriqae?);
— und J. St. Mi 11, A. Comte and positivism. London 1855 (oder ges.
Werke übers, v. Gompertz, Bd. 9, Leipzig 1874). — Der neueren empi-
ristischen auf Condillac zurückgreifenden und an die neueren engli*
sehen Logiker anknüpfenden Richtung gehört als hervorragender selbst-
ständiger Denker an: H. Taine: de l'intelligenoe. 2 Tms. Paris 1870.
8. Aufl. 1678 (äutoris. deutsche Ausg. nach d. 8. franz. Aufl. übers,
v. L. Siegfried, 2 Bde. Bonn 1880). lieber s. Methode und ihre Aus-
führung sagt Taine selbst in der Vorrede: >Im ersten Theil habe ich
die Elemente der Erkenntniss entwickelt, von Beduotion zu Reduotion
bin ich zu den einfachsten gekommen, von da weiter zu physiologischen
Veränderungen, die ihre Entstehung bedingen. Im zweiten Theile habe
ich anfangs den Mechanismus und die Gesammtwirkung ihres Zusammen-
tretens geschildert, dann habe ich, unter Anwendung des aufgefundenen
Gesetzes, die Elemente, die Formation, Zuverlässigkeit und Tragweite
der vorzüglichsten Arten der Erkenntniss untersucht, von der Erkennt-
niss individueller, bis zu der genereller Gegenstände, von den speciell-
sten Wahrnehmungen, Vermuthungen und Erinnerungen, bis zu den
universellsten Urtheilen und Axiomenc. — »In dieser langen Unter-
suchungsreihe habe ich die von Andern entlehnten Theorien sorgfölUgst
bezeichnet. Es sind deren vorzüglich drei: die erste jedoch höchst
fruchtbare ist von Condillac entworfen und befestig^, jedoch ohne
Entwickelungen und hinlängliche Beweise; sie nimmt an, dass alle
unsere allgemeinen Begriffe auf Zeichen sich zurückführen lassen ; die
zweite, über die wissenschaftliche Induction, gehört St. Mill (jedoch
— anstatt, wie St. M., die Induotion auf eine bloss wahrscheinliche
und nur in unserm Stemensystem anwendbare Hypothese zu g^ründen,
habe ich sie an ein Axiom geknüpft, was ihren Charakter ändert und
zu einer andern Weltanschauung führt); die dritte, über den Begriff
des Raumes, Bain an; ich habe den Text ausführlich citirt. So weit
ich benrtheilen kann, ist das Uebrige neu, Methoden wie Schlüsse, c —
Kritische Besprechungen der neueren englischen und deutschen Lo-
giker haben bes. Lachelier, Liard, Charpentier und Tannery
in d. Revue philos. de la Fr. etc. geliefert Von Lachelier ist auch
selbständig erschienen: De natura syllogismi apud Facultatem Paris,
haec disputabat. Paris 1871 u. du fondement de l'induction. Paris 1871.
— Hier anschliessend sei verwiesen auf zwei Werke aus der französ.
Schweiz, ' nämlich : Ch. Secretan, recherches de la m^thode qui oon-
duit ä la v6rit6 sur nos plus gprands interets avec quelques appli*
oations et quelques exemples. Neuchatel, Bale et Leipzig 1867 (S. will
das Gewissen als Kriterium der Wahrheit betrachten — s. darüber
J. B. Meyer in d. Zeitschr. f. Philos. N. F. Bd. 81. 1857. S. 280). ->
Em. Naville, la logique de Fhypoth^e. Paris 1880. (ders. zuvor in
d. Revue philos. de la Fr. T. 2. 1876. p. 49 u. 118 la place de Fhy-
pothese dans la science).
In Belgien schrieb unter dem Einfluss der Kant'sohen Erkennt-
§ dö. Neuere Logiker ausserhalb Deutsohlands. 89
oisslehre: A. Tandel, oours de logique, Li^ge 1844. Als Anhänger
der Philosophie Krause's behandelte die Logik: H. Tiberghien,
Logique, la scienoe de la oonnaissanoe. 2 vol. Paris 1864— -66; In-
troduction a la philosoph. et preparat. k la mötaphys. Paris 1880. —
An die Logiker, welche, zwischen Kant und Hegel eine Mitte suchend,
die Logik als die Wissenschaft von den Regeln auffassen, durch deren
Befolgung das Wissen, d. h. die den Dingen oonforme Erkenntniss er-
langt werde, und in manchem Betracht zunächst an das vorliegende
Werk schliesst sich Joseph De Iboeuf an (prolegomdnes philoeophiques
de la gtometrie et Solution des postulats. Suivie de la tradnotion
d'une dissert. sur les principes de la g^m^trie par Fr. Ueberweg.
Li^ 1860, und essai de logique' scientifique, proleg. suiv. d'une etude
sur la question du mouvement consid. dans ses rapports avec le prin-
cipe de oontradiotion. Liege 1865); Logique algorithm. Brux. 1877.
Ders. Algorithmie de la logique in d. Revue philos. de la Fr. T. 2.
1876. p. 226. 336 u. 645. — Ueber s. prolegom. s. den Verf. dieses
Buches in Zeitschr. f. Philos. N. F. Bd. 37. 1860. S. 148; — über s.
essai de logique s. Reichlin Meldegg in d. Zeitschr. f. Philos.
N. F. Bd. 61. 1867. S. 119.
Li anderem Sinne als Mill neigt sich in Holland zum Empirismus
G. W. Opzoomer, de waarheid en hare kenbronnen, 2. Aufl., Leyden
1868; het Wezen der Kennis, een Leesboek der Logika, Amsterdam
1868. Vgl. G. W. Opzoomer, die Methode der Wissenschaft, ein
Handbuch der Logik, aus dem Holland, von G. Schwindt, Utrecht 1862.
— Auch scheinen noch die log. Ansichten Roorda's zu gelten. Dar-
über schrieb: L. A. te Winkel, de logische analyse, besohouwingen
naar anleiding van Prof. T. Roorda's redeoutleding of logische analyse
Zuphten 1856.
Ueber die Behandlung der Logik in der neueren Philosophie
Italiens ist Einiges aus den neuerdings dargebotenen Gesammtdar-
stellungen der neueren Philosophie dieses Landes zu entnehmen, d. i.
aus: Marc Debrit, Histoire des doctrines philosoph. dans PltaUe oon-
temp. Paris 1859; — Maria no, la philosophie contemporaine en Italic
Paris 1868; — L. Ferri, essai sur l'histoire de la philosophie enitalie
an 19 8. P^ris 1869; — Ad. Franck, la philosophie ital. im Joum.
des Savants 1871 u. 72; — Jos. Weisz, Italien. Philosophie nach
Ferri in d. Philos. Monatsheften Bd. 8. 1872. S. 22; — F. Fioren-
tino, die philosoph. Bewegung Italiens seit 1860 in derltalia, herausg.
V. K. HiUebrand. Bd. 2. Leipzig 1875. 8. 1—57; — Yincenzo Botta,
Die neuere italien. Philosophie, als Anhang zu Morris' Uebers. des
Grundr. d. Gesch. d. Philos. v. d. Verf. dieses Buches. N.-York 1874;
— im Katholik: Studien über die italienische Philosophie in d. Gegen-
wart. Jahrg. 1868 u. 69. — Diesen Darstellungen ist für die Logik
Folgendes zu entnehmen: Als Eklektiker hat der Nationalökonom
Antonio Genovesi (1712—1769) die Logik behandelt in: De arte logica
Neapel 1745; logica della gioventu. Neapel 1766. — Unter dem Ein-
flnss des Sensualismus sehrieben: der Jurist Gian. Domenioo Roma-
90 § 85. Neuere Logiker ausserhalb Deutsohlauds.
gnosi (1761—1835) che oosa e la mente sana. 1827; und dall in-
spgnamento primitivo delle matematiche 2 yolms. 1832; — der National-
okonom Melchior Gioja (1767—1828) 8.Logica statistica Milano 1803;
elementr di filosofia alP uso delle scuole. 2 vlms. Milano 1818; Ideo-
logia 2 volms. Milano 1822; — Escrizio logica Milano 1823; philo-
soph. Statist. 1826 (2 ed. mit e. Biographie 1829). — Gegen die Ideo-
logie gerichtet schrieb vom Standpunkt katholischer Offenbarungs-
Philosophie als Professor des Barnabiten-Ordens Ermenegildo Pini
(1741 — 1825), Protologia analysim scientiae sistens ratione prima ex-
hibitam. Milano 1803. — Auf eine Reform der Philosophie durch För-
derung der Erkenntnisslehre unter Anknüpfung an Reid und Kant sind
die Schriften Pasquale Galuppi's (1770—1846) gerichtet, er will die
Deduction der Vernunft mit der Erfahrung des inneren Sinns ver^
binden, s. bes.: Saggio filosofioo sulla artica della conosoenza. 6 vlms.
Napoli 1819—32; Lottere filosofiche sulla vioende della filosofia relativa-
mente ai principii della oonosoenze uman, da Cartesio sino a Kant
inclusivamente. Messina 1827. 2 edit. Napoli 1838; übers, in's Franz.
V. L. Peisse. Paris 1844; Elementi di ülosofia. Messina. 4 volms. 1832;
Introduzione allo studio della filosofia, per uso dei fanciulli. Na^
poli 1832; Lezioni di logica e di metafisica composte ad uso della
regia üniversita. 2 vlms. Napoli 1832 u. 33. n. edit. 5 vlms. 1842
(s. weit, in Art. Galuppi v. Em. Beaussire in Diction. des sa philos.).
— Eine an die Tradition italienischer Philosophie anknüpfende Richtung
gemässigten Idealismus schlug ein Antonio Rosmini-Serbati (1797
bis 1855), veröffentlichte 1849 das von der Index -Congregation ver-
urtheilte Operette spirituale, für das aber nach einer neuen vom
Papst Pius IX. angeordneten Untersuchung am 10. Aug. 1854 doch das
dimittatur ausgesprochen wurde. Seine philosophische Richtung, die
sich dem Einflnss der deutschen Philosophie, bes. Kant's Subjectivismus
und dem französischen Eklekticismus entgegenwirft, und besonders
auch seine Stellung zur Logik, die durch Analyse des Urtheüs zur
angeborenen Idee gelangen will, ist besonders zu ersehen aus: Nuovo
saggio sulP origine della idea. 8 vlms. Roma 1830 (Torino 1855);
Renovazione della filosofia ital. Milano 1836; logica Torino 1854.
— S. Werke sind vollst, in 30 Bden. herausg- v. Buchhändler Pogliardi.
lieber ihn schrieb: Nia Tomaseo Turin 1855 u. Y. Li IIa, Kant e
Rosmini Torino 1869; -^ art. Rosmini v. E. Charles in Dict. des sc.
philos. — Als Hauptvertreter einer solchen eigenthümlioh italienischen*
Fortentwickelung der Philosophie ist dann zu nennen Terenzio Ma-
miani, comte della Reverö, geb. 1799; derselbe hat zuerst eine syste-
mat. Combination der Thatsachen der Vernunft und der Erfahrung
gesucht unter dem Einflnss vonRomagnosi u. Galuppi, so in d. 1836
z. Flor, ersch. Schrift Del rinnovamento della filosofia antica Italiana,
dann gegen den Skepticismus die Philosophie des gesunden Menschen-
verstandes erneuert in den drei Schriften : delP ontologia e del metodo,
1841 u. 1843, dialoghi di scienzia prima. 1846 u. principii della filosofia
del diritto, zuletzt ist er bei einem demonstrat. aprioristisohen Plato-
§ 35. Neuere Logiker ausserhalb Deutschlands. 91
niBmuB, der nach Jos. Weisz auch an den älteren Reinhold erinnern
soll, angelangt in der Schrift oonfessioni di un metafisioo. Flor. 1866.
Mamiani ist Herausgeber der seit 1871 erscheinenden Zeitschrift:
la filosofia della scuole italiane, rivista trimestrale contenente gli atti
sodetit promotrioe degli studj filosofici e letterarj; dieselbe enthält
mehrere betreff. Artikel Mamiani's, s. vol. lY. t. 2. Theorie der Ob-
jeotiTität der Idee, vol. V. t. 1. Bildung der Idee, Dialog eines Kantian.
u. Platonikers, vol. VI. t. 1. Charakter der italien. Philosophie und
der letzte Versuch der Piaton. Doctrin, t. 2. Sohluss betr. Kant und
8. Kritik der Erkenntniss. — Als Mitarbeiter an dieser Zeitschrift sind
genannt Bertini, Ferri, Bonatelli und Barzellotti. — Von
Bonatelli s. das. vol. Yll. t. 1 einen Artikel über den Begriff der
Logik. — Von einem anderen Mitarbeiter F. Lavarino ersch.: la
logica e la filosofia del oonte Ter. Mamiani. Flor. 1870. — - Eine För-
derung der Philosophie in nationaler Richtung erstrebte auch der Abb6
Yincenzo Gioberti 1801— -1862, dessen introduzione allo studio della
filosofia 1839 logisch bes. in Betracht kommt, nach s. Tode erschien
noch la protologia. Turin 1857. Nach Jos. Weisz Bericht soll er sich
in seinem polit. Exil zu Brüssel bes. mit Hegel beschäftigt und dessen
logische Ausführungen damals bekämpft, dagegen in seiner späteren
Philosophie eine Mischung Ptatonisch-HegePscher Gedanken dargeboten
haben. — Für die Ansichten HegePs ist vorzüglich eingetreten A. Vera,
auch als Uebers. der Logik' Hegel's in's Französ. mit Einl. 2 tms. Paris
1869. Derselbe hat zur Ausbreitung dieser Richtung auch eine Reihe
von Artikeln als Introduction to speculative logric and philosophy ver-
öffentlicht in dem von Will. T. Harris, St. Louis, herausg. Journal of
speculat. philosophy, so v. YH. Vin. 1873 u. 74. u. das. YU. 1. Tren-
delenborg as Opponent of H^el. — Als Anhängerin Yera's ist die
Marquise Florenzo im J. 1864 mit Studien über Hegel's Psychologie
und Logik aufgetreten. — Als Hauptvertreter der Philosophie Hegel's
ist an der Universität Neapel Bertrando Spaventa zu nennen, dessen
{diiiloB. Yorträge 1861 erschienen sind. Yon seinen zahlreichen Schülern
ist hier bes. Felioe Tooco, Prof. der Anthropologie in Rom, zu
nennen, insofern dessen Handbücher zum Studium der Philosophie die
früher gebrauchten scholastischen Lehrbücher Conti' s vielfach ver-
drängt haben. — Eine mehr kritische, auf Studien zur Erkenntnisslehre
gewandte Richtung hat neuerdings wieder eingeschlagen: Ausonio
Franohi bes. in s. Werke Su la teorica del giudizio lottere di A. Fr.
a Nicola Mameli. 2 Tms. Milano 1871. — Auch die unter demEinfluss
des fraiusös.-engL Positivismus stehenden Arbeiten von Angiulli, la filo-
sofia e la riceroa positiva 1869, von De Dominici's »Galilei u. Kant
oder EMahrung u. Kritik c, und ebenso L. Barbera, logica inventiva
liegen in dieser Richtung. — Im üebrigen sind noch folgende Schriften
zu nennen: Garelli, della logica o teoria della scienza. 2 ed. Torino
1869; — T. G. ülber, logico oesia teoria del pensiero Napoli 1863; —
6. Peyretti, saggio di logica generale. Torino 1869; — R. Pozzi,
le prime analis. del pensiero e deUa parola ossia introduzione agli
92 § 86. Neuere Logiker ausserhalb Deutschlands.
study della logica a della grammatica generale. Milano 1869. — H.
Purgotti, Euclide e la logica naturale, riflessioni. Perugia 1868. —
Turbiglio, l'empire de la logique, essai d'un nouv. syst, de philos.
Turin 1870. — Für die philosophische Schulung der kathol. (Geistlichen
herrscht der Thomismus, vertreten durch den P. Liberatore, In-
stitutiones philos. ad triennium accommodatae, Neapel 1851. ed. III. Rom.
1864; logica et metaph. Born 1868; — und Tongiorgi, Institutio-
nes philosophicae.
üeber neuere logische Studien in Spanien und Portugal fehlt
eine genügende Kenntniss. Für Spanien hat A. de Gastro, Obras
escogidas de filosofos. Madrid 1877 die Abfassung einer Geschichte der
spanischen Philosophie angeregt, aber nicht selbst dargeboten. Zu ver-
weisen ist auf: J. L. Balmes (presbytero) el criterio. Barcel. 1845;
curso de filosoiia elemental (logica, metafisica, etica, historia de la
filosofia). Madrid 1887, Barcelona 1847, Paris 1651, in's Deutsche übers.
V. F. Lorinser, Begensburg 1862. — Für Portugal ist zu verweisen
auf: Lopes Pra^a, historia da philosophia om Portugal nas suas rela^es
com o movimento geral da philosophia. Coimbra 1868; — und auf
J. J. Louzada de Magalhaes, Silvestre Pinheiro Ferreira, s. Leben
u. s. Philosophie, mit einer Einl. über die wichtigsten portugies. Phi-
losophen vor ihm, Inaug.-Dissert. Bonn 1881. — Aus letzterer Schrift
ersieht man, dass nach langer Herrschaft der Scholastik und nach dem
Brachlegen philos. Studien durch die Jesuiten der genannte 1769 geb.
und 1846 gestorbene Philosoph und Staatsmann Ferreira die Philo-
sophie unter dem Einfluss des Sensualismus Condillac's im Gegensatz
zum deutschen Idealismus, den er bei längerem Aufenthalt in Deutsch-
land kennen gelernt hatte, zu fördern strebte. Von seinen Schriften
kommen hier in Betracht: Essai sur la psychologie, compren. la theorie
du raisonnement et du langage, l'ontologie, Pesthetique et la dioSosyne.
Paris 1826. 2. A. 1878; — NoQoes elementares de philosophia gerale
applicada as sciencias moraes e politicas. Ontologia, psychologia, ideo-
logia. Paris 1889 und dass. Pr6cis d'un cours de philos. element. Paris
1841. — Ein in Brasilien gedrucktes, aber nur in wenigen Exemplaren
abgezogenes, deshalb seltenes Werk aPrelecgdes philosophicasc enthält
nach dem Berichte Pra^a's auch eine Theorie der Rede und Sprache,
welche die Principien der Logik, der allgemeinen Grammatik und der
Rhetorik auseinandersetzt.
lieber das Studium der Logik in Polen hat neuerdings eine
eingehende Darstellung geboten: J. v. Struve (Prof. d. Philos. a. d.
Univers. Warschau) in s. polnisch geschr. System der Logik 1870 und
nach seinem Buche ders. in d. Art. Die philos. Litteratur der Polen in
d. Philosoph. Monatsheften. Bd. 10. 1874. S. 222 u. 298. — Daselbst
wird auch hingewiesen auf eine kurz gefasste Darstellung in deutscher
Sprache bei Ym. Clemens Hankiewicz, Grundzüge der slavischen
Philosophie. 2. Aufl. 1878. — Nach dem Berichte Struve's hat zur
Wiederbelebung philos. Studien in Polen besonders beigetragen eine
polnische Uebersetzung von Gotsched's ersten Gründen der ges.
§ 86. Neuere Logiker ausserhalb DeuischlaiidB. 98
Weltweisheit 1760. Dieses Werk schaffte der Leibniz-Wolff'sohen
Deiikweise Eingang; aus ihr ging hervor eine polnische Bearbeitung
der Logik durch Kasimir Narbutt im J. 1766, die in 26 Jahren fünf
Auflagen erlebte. Nach der Aufhebung des Jesuitenordens im J. 1778
gerieth eine Zeit lang mit der alten Scholastik die Philosophie über-
haupt in Missachtung; eine neue Erhebung ward dann im Anschluss
an den Sensualismus gesucht. Die Educations-Behörde selbst forderte
Condillac auf, eine Logik für polnische Schulen zu schreiben; dieser
Aufforderung nachkommend schrieb Condillac s. logique ou les Pre-
miers developpements de Tart de penser. 1780, von der 1802 eine poln.
üebersetzung erschien, eine 2. Aufl. 1819. Auf Locke's Versuch
über den menschlichen Verstand war schon zuvor 1784 durch eine
polnische Üebersetzung auserlesener Stellen hingewiesen worden. Der
EinfluBs dieser Richtung trat besonders hervor bei dem in Göttingen
unter Kastner und Feder gebildeten Mathematiker und Astronomen
Joh. Sniadecki (spr. Siniadetzki), der sich 1819 u. 20 in einer Schrift
über Philosophie gegen Kant's Idealismus wendete. — Für Kant war
zuvor sein Bruder, der Physiologe und Chemiker Andreas Sn., mit
einer Schrift: ȟber den Mangel an Gewissheit in den empir. Wissen-
schaftenc 1799 eingetreten. Ihm war 1812 mit einem dreibändigen Werk
über Philosophie gefolgt Felix Jaronski, Krak. Probst u. Prof. der Philo-
sophie. Das Werk soll nach Struve meist nur in einer Umarbeitung
von WentzePs Elementa philos. methodo critica adomata. 1807 bestehen.
Bedentender als Kantianer bes. in der Pflege der Gebiete der prakt.
Vernunft wird gen. der in Königsberg selbst als Jurist gebildete Joseph
Szaniawski (spr. Schaniawski) 1764—1848. Durch diese Manner wur-
den bes. üebersetzungen von den Schriften der Kantianer Snell und
Kiesewetter in's Polnische angeregt. — Einen Versuch, Schel-
ling's Philosophie nach Polen zu verpflanzen, machte Joseph Golu-
chowski (1797 — 1868) durch ein geistreiches Buch: »Die Philosophie
in ihrem Verhältn. z. Leben ganzer Völker u. einzelner Menschen c
1822; die Logik konnte auf diesem Wege freilich nichts gewinnen. —
Spater machte sich dann besonders durch Jos. Kremer, Bronislaw,
Trentowski, Karl Libelt, Aug. von Cieskowski, die in Berlin
HegePs Schüler wurden, der Einfluss dieser Philosophie geltend. Unter
ihnen hat bes. der in Freiburg i. Br. habilitirte und 1869 gestorbene
Trentowski die Logik in eigenthümlicher Weise zu fördern gesucht
durch sein polnisch geschr.: »System der nationalen Logikc 2 Bde.
1844. Der Pole scheint ihm berufen zu sein, den Empirismus des
Romanen und den abstracten Idealismus des (Germanen ideal-realistisch
zu verbinden; der Grundgedanke dieser Logik verläuft nach Struve's
Ürtheil einseitig in einer höchst schematischen Ausbildung der Kate-
gorienlehre nach den Kategorien der Position, Negation und Synthese.
Nach dem von Struve Mitgetheilten scheint allerdings das von dieser
Logik versuchte Umstossen der einfachsten Regeln der formalen Logik
wenig Halt zu haben. — Das in St. Louis ersch. Journal of speculat.
philos. V. IV. 1870 enthält einen Art. : Trentowski, Introduct. to logic. —
94 § 85. Neuere Logiker ansserhalb DentschlandB.
In der neuesten Zeit ist in Rückwirkung gegen diese Bichtnngen mehrfach
der Versuch gemacht den Streit des Glaubens und Wissens durch das
Zurückgreifen auf die Autorität der Kirche zu schlichten. Eine Frau
Eleonore Ziemiecka(Sjemient2ka) gründete dazu 1842 eine Zeitschrift :
»Der Wanderer c und bot 1867 einen »Abriss der kath. Philosophie c ;
sie fand Anhänger an Felix Kotztowski (Christi. Philos. 2 Bde. 1845)
und Maximilian Jakubowicz (Christi. Lebensphilos. 8 Bde. 1852), die
zugleich von Günther'schen Anschauungen ausgingen, bevor dessen
Philosophie 1857 von Rom verurtheilt war. Als der bedeutendste
in dieser Richtung wird Prof. Alex. Tyszynski genannt, ders. schrieb
Aufsätze u. Erit. 1854 u. Grundprincipien der allg. Kritik. 2 Bde. 1870.
— Struve velbst, der seit 1863 als Professor an der Universität War-
schau Philosophie in der Richtung des Ideal-Realismus lehrt^ hat 1870
das schon genannte System der Logik veröffentlicht.
Wie es mit der Pflege logischer Studien in Schweden und
Norwegen steht, ist aus den uns zugänglichen Berichten über die
Philosophie dieser Länder nicht ersichtlich. Ein ausführliches Werk
über die Philosophie in Schweden hat angefangen: Axel Nyblaeus
(Prof. in Lund), das filosofiska forskningan i Sverig^ frän slated af
adertonde ftrhundradet, framstaelld i sitt sammanhang med filosofiens
allmänna utveckling 2 Bde. Lnnd 1878—75; ein dritter Band soll
demnächst erscheinen. Einen über die in diesen ersten Bänden dar-
gestellte Zeit hinausgehenden kurzen Bericht gab Harald Hoff ding
(in Kopenhagen), Die Philosophie in Schweden. Beitrag z. Kritik des
specnlat. Idealismus, in d. Philos. Monatsheften Bd. 15. 1879. S. 193.
— Zur Ergänzung desselben kann noch verwiesen werden auf einen
Art. V. £. Mätzner über Christopher Jacob Boström's Philosophie,
das. Bd. 8. 1869. S. 208; — auf Art. v. E. G. über Schweden VIU.
Etliche Züge aus d. geistigen Leben in d. Augsb. AUgem. Zeitung.
Beil. Nr. 97. 98 u. 99; 1881; — auf den kurzen Bericht v. K. K.
Geijer, Privatdoc. inUpsala, für des Verf. Grundr. d. Gesch. d. Philos.
Bd. 8. 5. Aufl. herausg. v. M. Heinze. 1880. S. 423. — Ueber die
Richtung der philos. Studien in den skandin. Ländern ist auch Manches
zu entnehmen dem Buche des Norweg. Professors Monrad,« Denk-
richtnngen der neueren Zeit. Bonn 1879.
Erster Theil.
Die Walurneliniiiig in ihror BezieliMg zn der olijeetivei RftuHliekkeit
Hl« ZeiÜieiikeit.
§ 36. Die Wahrnehmung (perceptio) ist die unmittel-
bare Erkenntniss des neben- und nacheinander Existirenden.
Die äussere oder sinnliche Wahrnehmung ist auf die Aussen-
welt, die innere oder psychologische Wahrnehmung auf das
psychische Leben gerichtet.
Die Wahrnehmung ist die erste nnd nnmittelbarste Erkenntniss-
fonn, weil in ihr die Beziehung des Subjectee zn dem Objecto auf ge-
gebenen Natnrverhältnissen beruht, so dass sie keine anderen Erkennt-
niseformen voraussetzt, sondern allen anderen zum Grunde liegt und
nur durch die Gregenwart ihres Objectes bedingt wird. Das geistige
Element ist in ihr noch am engsten mit der Naturbestimmtheit ver-
flochten, und diese Verflechtung ist überall nach dem allgemeinen
Gesetze der Entwickelung des Geistes (vgl. o. § 6) die frühere Form.
Doch ist die Unmittelbarkeit des Erkennens im Wahrnehmen immer
nur eine relative, da in ihr mit der Sinnesthätigkeit bereits viele, wenn
gleich nicht einzeln in's Bewusstsein tretende, sondern nur das Ge-
sammtergebniss mitbedingende geistiges Operationen verschmolzen sind.
Von der blossen Empfindung, deren n&here Betrachtung nur
der Psychologie anheimfällt, unterscheidet sich die Wahrnehmung da-
durch, dass das Bewusstsein in jener nur an dem subjectiven Zustand
hafiet, in der Wahrnehmung aber auf etwas geht, was wahrgenommen
wird, was demnach, mag es der Aussenwelt oder dem Subjecte selbst
angehören, dem Acte des Wahmehmens als etwas irgendwie Objectives
g^nnbersteht. Ton dem Denken, durch welches, indem es die
Wahrnehmungen in ihre Elemente zerleget und diese wiederum mit ein-
ander combinirt, die mittelbare Erkenntniss gewonnen wird, ist die
Wahrnehmung durch ihre (wenn schon nur relative) Unmittelbarkeit
verschieden. Doch ist es gestattet, das Denken in einem weiteren
Sinne zn nehmen und darunter die Gesammtheit der auf die Repräsen-
tation irgend welcher Objectivität in unserm Bewusstsein abzielenden
96 § 86. Wahrnehmung als Erkenntniss des Existirenden.
(theoretischen) Functionen zu verstehen; in diesem Falle ist auch das
Wahrnehmen selbst bereits als ein Denken zu bezeichnen.
Die Wahrnehmung ist in Hinsicht der Weise, wie sie geschieht,
Gegenstand der Psychologie, in Hinsicht der Uebereinstimmung oder
Nichtübereinstimmung ihres Inhaltes mit dem Sein aber Gegenstand der
Logik als Erkenntnisslehre. Die logische Theorie der Wahrnehmung
ist ein integrirender Theil der Logik der Erkenntnisslehre, nicht eine
blosse »psychologische Einleitung« zu der Darstellung der normativen
(besetze der Denkoperationen.
Es liegt kein Widerspruch in der Annahme, dass die Wahrneh-
mung und das Denken durch die Dinge, wie sie an sich sind, und unsere
Erkenntniss der Gesetze der Wahrnehmung und des Denkens durch
unsere Erkenntniss der Dinge, wie sie an sich sind, bedingt sei. Die
Meinung, es liege hierin ein Widerspruch, beruht auf der irrthümlichen
Voraussetzung, dass zum Behuf der Erkenntniss eines »Dinges an siehe
dieses selbst in unser Bewusstsein eingehen müsste. In uns kann
nicht das »Ding an siehe, sofern dasselbe ein Äussending ist, wohl aber
unser Wissen uro dasselbe sein. Hätten wir nur Eine Erkenntnissweise,
nämlich bloss die (sinnliche) Wahrnehmung, dann würden wir allerdings
über das Maass der Treue des Bildes kein Bewusstsein gewinnen können ;
wir wären an eine einzige Auffassung der Wirklichkeit gebundeil. Durch
eine denkende Betrachtung der Wahrnehmung aber vermögen wir von
dieser selbst auf ihre Ursachen und ebenso vom Denken auf dessen
Ursache zurüokzuschliessen« Es ist kein Widerspruch, dass eine nach
Treue und Vollständigkeit mannigfach abgestufte Erkenntniss von dem,
was ausserhalb meines Bewusstseins ist, in meinem Bewusstsein sei, und
dass auf den höheren Erkenntnissstufen, indem die Reflexion des Sub-
jeotes sich auch auf seine eigene Erkenntnissthätigkeit und deren Be-
dingungen richtet, die Erkenntnissfactoren selbst erkannt und von ein-
ander gesondert werden. Nachdem dies geschehen ist, vergleichen wir
die erste Auffassung dir e et mit unserer höher stehenden Erkenntniss,
eben hierdurch aber indirect mit den Dingen, wie sie an sich sind.
Eine Wahrnehmung kann schon durch andere, genauere Wahrnehmungen
berichtigt, d. h. der Uebereinstimmung mit dem, was an sich ist,
näher gebracht werden; eine höhere Stufe liegt in der Reflexion auf
äussere subjective Bedingungen der Wahrnehmung und in der abstrac-
tiven Ausscheidung derselben aus dem Erkenntnissobjecte (z. B. bei der
astronomischen Theorie in der Reflexion auf die Erdbewegung), wieder-
um eine höhere Stufe mit fortschreitender Annäherung an die volle
Wahrheit in der physikalisch-physiologischen und in der psychologisch-
logischen Betrachtung.
Der Kurzsichtige vermag theils durch physikalische Hülfsmittel,
theils durch Reflexion dem ihm durch sein Auge gelieferten Bilde ein
anderes entg^enznstellen, von dem er wissen kann, dass es mit dem
Bilde, welches der Normalsichtige direot gewinnt, mehr, als jenes, über-
einkommt. Er vermag dies zu wissen, obsohon er nicht aus seinem Be-
wusstsein heraustreten, nicht sein Bewusstsein direct mit dem des An-
§ S7. Sinnliche Wahrnehmang and äussere Wirklichkeit. 97
dem vergleichen, sondern immer nur eine seiner Auffassungsweisen mit
einer andern seiner Auffassungsweisen direct vergleichen kann. Ist es
nun hier kein »Widerspruche, dass er über den Grad der Uebereinstim-
mung seiner Auffassungsweisen mit der ausserhalb seines Bewusstseins
liegenden Auffassung des Andern zu urtheilen vermag, so kann eben
80 wenig ein 9Widerspruohc darin liegen, dass wir über den Grad der
IJebereinstimmung unserer Auffassungsweisen mit dem »Ansichc ein
ürtheil zu gewinnen vermögen.
Eine Erkenntniss der > Dinge an siehe ist nicht eine Erkennt niss
ohne Erkenntniss; sie involvirt nicht den Widerspruch, dass das Ding
an sieh (ausserhalb unseres Bewusstseins) in uns (in unserem Bewusst-
sein) sei. Ich soll das Ding an sich denken, nicht ohne dass ich es
denke, aber ohne dass ich mich dabei denke, und dies ist kein Wider-
spruch. Um Cäsar 's Ermordung zu denken, muss ich sie denken;
um mir davon Rechenschaft zu geben, dass ich sie denke, muss
ich mich, das denkende Subject, auch wieder zum Subject meines
Denkens machen. Aber ich muss nicht, um Cäsar's Ermordung zu denken,
mich mitdenken (als ob ich selbst dabei betheiligt gewesen wäre). In
dem ersten Denken fungire ich nur als denkendes Subject; zum Object
werde ich mir selbst erst in dem zweiten, reflectirenden Denken. Wäre
nun das erste Denken sofort solcher Art, dass dabei nichts Subjectives
für objectiv genommen würde, so wäre es sofort schon eine Erkenntniss
des Ansich. Es ist dies nicht, weil es nothwendigerweise durch die eigene
Natur des Subjects irgendwie modificirt ist, das naive Denken aber
seiner Natur nach auch dieses subjective für etwas objectiv Gültiges
nimmt Obschon hierdurch das naive Denken unvermeidlich mit solchen
Bubjectiven Elementen behaftet ist, welche fälschlich für objectiv gültig
genommen werden, so kann doch die Reflexion auf denErkenntnissvorgang
selbst zur fortschreitenden Ausscheidung der derartigen Elemente führen,
d. h. zur fortschreitenden Annäherung meiner Erkenntniss der Dinge, wie
sie an sich (unabhängig von unserm auf sie gerichteten Erkenntnissacte)
sind.
A. Die Inssers eder slulielie WahmehBang.
§ 37. Der Logik als Erkenntnisslehre eignet die Frage,
ob in der sinnlichen Wahrnehmung die Dinge uns
ebenso erscheinen, wie sie in Wirklichkeit exi-
stiren oder an sich sind. Oegen die Bejahung dieser
Frage spricht zunächst das skeptische Argument, dass die
Uebereinstimmung der Wahrnehmung mit dem Sein, selbst
wenn sie bestände, nicht erkennbar sein würde, da die sinn-
liche Wahrnehmung niemals mit ihrem Objecto, sondern immer
nur mit einer andern Wahrnehmung verglichen werden könne.
Der Zweifel wird verstärkt durch die Reflexion über das Wesen
der sinnlichen Wahrnehmung. Denn diese muss als ein Act
7
98 § 38. Falsche Trennung von Stofif und Form der Wahrnehmung.
unserer Seele entweder von einem rein sabjectiven Ursprung
sein oder doch ein snbjectiyes Element in sich tragen; in
beiden Fällen aber würde die Annahme, dass sie das eigene
reale Sein des Wahrgenommenen ungetrübt und erschöpfend
wiedergebe, nur durch künstliche und schwer zu rechtfertigende
Hypothesen gestützt werden kOnnen. Die Beschaffenheit der
Erscheinungswelt wird durch die subjectiye Natur unserer
Sinne mindestens mitbedingt, die bei anderen Wesen anders
construirt sein können und demgemäss zu anderen Arten der
sinnlichen Weltanschauung fähren mögen, Yon welchen allen
die Wirklichkeit als solche, wie sie, abgesehen von jeder
Auffassungsweise an sich selbst ist, oder das „Ding an sich^'
verschieden ist.
Die ünzuverlässigkeit der Binnlichen Wahrnehmung wurde schon
von den Eleaten, in gewissem Maasse auch von Demokrit und
anderen Naturphilosophen, demnäc&st von Plato, und mit neuen Ar-
g^imenten von den alten Skeptikern behauptet. Das Stoische Kri-
terium der (pavraaia xataXfinjixri war eine oherflächliche Annahme,
wodurch die Skepsis nicht überwunden werden konnte. Von den neueren
Philosophen begründen den Satz, dass der sinnlichen Wahrnehmung
wenigstens die volle materiale Wahrheit nicht zugesprochen werden
dürfe, hesonders Des Cartes (Medit. init.), Locke (hinsichtlich der
von ihm sogenannten, secundären Qualitäten, d. h. derjenigen, die nur
durch einzelne Sinne aufgefasst werden), Kant (Kritik der r. Vem.,
Elementarlehre 1. Theil: transscendentale Aesthetik, und in der von
Jäsche herausgegehenen Logik S. 69 f.), Her hart (Einl. in die Philo-
sophie § 19 ff.) und Beneke (Metaphysik S. 91 — 110). Die Bedenken,
welche sich an die Nichtvergleichharkeit der Vorstellung mit dem Ob-
jecto selbst knüpfen, erörtert neuerdings namentlich auch Jos. Delboeuf
Log. S. 85 sqq.; 71 sqq.; 98 sqq.; vgl. S. 106, wo Delboeuf die For-
mel gebraucht : A = f (a, x), d. h. das Reale A ist uns nicht als solches
bekannt, sondern müsste erst ermittelt werden aus a, d. h. der Art,
wie es uns erscheint, und x, d. h. der Natur unseres Geistes.
§ 38. Das subjectiye Element der Sinneswahmeh-
mung lässt sich von dem objectiven nicht in der Weise
sondern, dass die Bänmlichkeit nnd Zeitlichkeit bloss
auf das Snbject nnd doch zugleich das Raum- nnd Zeit-
erfttllende oder Stoffliche (Farbe, Ton etc.) auch auf die
unsere Sinne afficirenden Aussendinge zurtlckgeftlhrt wird.
Denn unter dieser Voraussetzung könnte zwar die Noth-
wendigkeit bestehen, den Stoff der sinnlichen Wahrnehmung
§ 88. Falsche Trennang von Stoff und Form der Wahrnehmung. 99
in irgend welche räumlich-zeitliche Formen zu fassen-, aber
es würde jeder besondere Stoff zu jeder besonderen Form
beziehungslos sem und mithin, ohne eine reale Veränderung
erlitten zu haben, auch in anderer Form wahrgenommen werden
können, als worin er wirklich erscheint. Allein in der That
fllhlen wir uns bei der Wahrnehmung jedesmal an die Ver-
bindung bestimmter Formen mit bestimmten Stoffen gebunden.
Dazu kommt, dass die neuere Physik und Physiologie, indem
sie Ton, Wärme und Farbe auf die Perception von Schwin-
gungen der Luft und des Aethers, Geruch und Geschmack
auf die Perception gewisser mit chemischen Vorgängen ver-
bundenen Bewegungen zurückführt, eben hierdurch die Ab-
hängigkeit des Wahmehmungsinhaltes von Bewegungen, also
von Veränderungen der räumlich -zeitlichen Formen darthut,
wodurch die Ansicht unmöglich wird, dass, indem jener Inhalt
auf Affectionen beruhe, die wir von aussen her erleiden, doch
zugleich diese Formen aus dem wahrnehmenden Subjecte allein
herstammen und nicht durch die dasselbe afficirende Aussen -
weit bedingt seien.
Die hier bekämpfte Ansicht ist diejenige, welche Eant (Erit.
der r. Yem. Elementarl. I. Theil: transscendentale Aesthetik) aufge-
stellt hat. Die von Locke sogenannten »primären Qualitätenc, welche
dieser fctr objectiy hielt, erklärt Eant für rein subjectiv. Der berechtigte
Gedanke, dass in der Wahrnehmung ein subjectives und ein ob-
jectives Element zu unterscheiden sei, nahm eine höchst unglückliche
und ganz von der Wahrheit ablenkende Wendung, indem Eant jenes Ele-
ment die Form, dieses den Inhalt oder Stoff der Wahrnehmung
nannte und die Form näher als die Bäumlichkeit und Zeitlich-
keit bestimmte. Nach Eant sollen die Empfindungsqualitäten, wie
blaa, grün, süss eta, zwar als solche nur subjectiv sein, aber doch auf
bestimmten äusseren Affectionen beruhen, die eben ihre jedesmalige Be-
stimmtheit bedingen, und diese Lehre (die später von Joh. Müller
za der Lehre von den specifischen Sinnesenergien fortgebildet worden
ist) ist untadelhaft; die räumlich-zeitliche Form dagegen soll etwas
rein Subjectives, weil Apriorisches, sein, und doch ist es durchaus un-
zulässig, den räumlichen nicht mindestens das gleiche Maass objec-
tiver Bedingtheit zuzugestehen, welches den Empfindungsquali täten
zugestanden wird, weil diese, wie die Physik zeigt, auf bestimmten Be-
wegungen beruhen. Uebrigens liegt in Eant's Lehre von den räum-
lichen (und zeitlichen) Formen etwas Schwankendes, sofern einerseits
(worauf unsere obige Angabe fusst) dieselben auch in ihrer jedes-
maligen Bestimmtheit aus dem Subject allein stammen
müssen, welches nur einen noch durchaus ungeordneten Stoff vor-
100 § 89. Unzulänglichkeit der sinnl.WahrDehmang zur ErkenntiÜBs.
finden darf, um denselben ausschlieflslich nadh seinen apriorischen For-
men ordnen zu können, andererseits aber doch die einzelnen be-
stimmten Formen und sogar die speciellen Naturgesetze empirisch
gegeben sein sollen und daher ihre jedesmalige Bestimmtheit
doch nicht aus dem Subject allein stammen kann, sondern
auf der Art beruhen muss, wie jedesmal das Subject seitens der »Dinge
an siehe vermöge deren eigenen Ordnung afficirt wird. — Die Un-
haltbarkeit jener Trennung erkennend erklärte Fichte sowohl den
Stoff, als die Form der Wahrnehmung für bloss subjectiv, Schelling
und Hegel für zugleich subjectiv und objectiv. Her hart unterwirft
die Kantisohe Ansicht einer eingehenden Kritik (Einl. in die Philosophie
§ 127; Psychol. als Wissenschaft, in Herb, sämmtlichen Werken Y, S.
504 ff.), lieber die Sinnesreize als Schwingungen der Materie s. beson-
ders Joh. Müller, Physiologie, 4. Aufl., Bd. I, S. 667 ff.; Bd. ü, S.
249 ff.; vgl. George, die fünf Sinne, S. 27—42: Maximilian Jacobi,
Natur- und Geistesleben, S. 1 — 34; Lotze, mediciniscfae Psychologfie,
1862, S. 174 ff., Mikrokosmus, Bd. I, 1866, S. 374 ff., 2 Aufl., 1869,
Bd. I, S. 386 ff.; Helmholtz, über die Natur der menschlichen Sinnes-
empfindungen, 1852, S. 20 ff. (wo der Unterschied der Sinnesempfindungen
von den sie veranlassenden Schwingungsverhältnissen hervorgehoben und
mit Recht den Sinnen »Danke gezollt wird, dass sie aus jenen die Farben,
die Töne etc. »hervorzaubemc und uns ihre Nachrichten von der Aussen-
welt durch die Empfindungen als durch »Symbolec überbringen); Helm-
holt z, über das Sehen des Menschen, Leipzig 1855, insbes. auch s.
Handb. d. physiol. Optik, Leipz. 1867. Abschn. 3 und ebenso s. popul.
wissensch. Vorträge, Braunschweig 1871, Heft 2. AbhdL 1. Die neueren
Fortschritte in d. Theorie des Sehens. Die Lehre von der specifischen
Energie der Sinnesnerven hat neuerdings Wundt bestritten, er hält
dieselben nicht für ursprünglich, sondern für erworben (s. Grundzüge
der physiol. Psychologie, 1873. S. 347 ff. 2. A. 1880. Bd. I. S. 316 ff.
— Zur Kritik der Kantischen Ansicht vgl. m. Grundr. der Gesch. der
Philos. m, § 16, 2. Aufl., S. 167 ff., 176 u. ö. 8. Aufl. 8. 181 ff., 192 u. ö.
§ 39. Auf Grund der sinnlichen Wahrnehmung allein
würde nicht nur das Maass ihrer objectiven Bedingtheit nicht
ermittelt, sondern auch nicht einmal die Existenz von
afficirenden Objecten erkannt werden könnnen. Denn
da die Wahrnehmungen Acte unserer Seele sind, so führen
sie als solche uns nicht tlber uns selbst hinaus. Die lieber-
Zeugung von dem Dasein äusserer Objecte, die uns afficiren,
gründet sich auf die Voraussetzung von Causalverhältnisseni
welche nicht auf der sinnlichen Wahrnehmung allein beruht
Die Lehre Friedrich Heinrich Jacobi 's, dass ein Glaube, der sich
nicht in wissenschaftliche Erkenntniss auflösen lasse, uns das Dasein der
AuBsenwelt offenbare, ist eine Fiction, die durch die Aufzeigung des
§ 40. ErkeiiBbarkeit psychischer Objecte durch innereWahmehmung. 101
wirklichen Weges der ErkeDntniss der Aussendinge aufzuheben ist. —
Die Entscheidung über die in diesem Abschnitt aufgestellten Probleme
kann aber erst unten (C, § 41—44) gegeben werden.
& Die laaere •iet psyeh^log^sehe WakmekMUi;.
§ 40. Die innere Wahrnehmung oder die nn-
mittelbare Erkenntniss der psychischen Acte und Ge-
bilde vermag ihre Objecte so, wie sie an sich sind,
mit materialer Wahrheit anfznfassen. Denn die innere
Wahmehmnng erfolgt, indem das einzelne Gebilde durch
den Associationsprocess als ein integrirender Theil der Ge-
sammtheit unserer psychischen Gebilde aufgefasst wird; sie
ist in ausgebildetster Form, mit dem Denken verschmolzen,
dann vorhanden, wenn das betreffende psychische Gebilde
unter den Begriff gestellt wird, unter welchen es gehört,
und wenn zugleich das Bewusstsein, welches der, der die
innere Wahrnehmung vollzieht, von sich hat, die Form des
Ichbewusstseins gewonnen hat. Nun aber kann a. die
Association des einzelnen Gebildes mit den ttbrigen dasselbe
nach Inhalt und Form nicht verändern ; es geht s6, wie es ist,
in dieselbe ein; wie daher gegenwärtig unsere Vorstellungen,
Gedanken, Geftlhle, Begehrungen, überhaupt die Elemente
unseres psychischen Lebens und deren Verbindungen unter-
einander wirklich sind, so sind wir uns ihrer bewusst, und
wie wir uns ihrer bewusst sind, so ist ihr wirkliches Sein,
indem bei den Seelenthätigkeiten als solchen Bewusstsein und
Dasein identisch ist. b. Bei der Wiedererinnerung an frühere
Seelenthätigkeiten werden die im Unbewusstsein verharrenden
Gedächtnissbilder derselben wiedererregt und daher können
die früheren Acte, obschon mit verminderter Intensität, doch
in qualitativer Uebereinstimmung mit ihrem ursprünglichen
Sein reproducirt werden, c. Bei der Subsumtion der einzelnen
Acte und Gebilde unter die entsprechenden allgemeinen Be-
griffe wird die Bewusstseinsstärke ihrer gemeinsamen Merk-
male erhöht, aber ohne Zumischung irgend einer fremdartigen
Form ; folglich steht auch das hierdurch gewonnene Bewusst-
sein von unseren psychischen Acten und Gebilden seiner Natur
nach in qualitativer Uebereinstimmung mit dem realen Sein
dieser Elemente. Doch wächst hierbei allerdings die Möglich-
102 § 40. Erkennbarkeit psychischer Objecto durch innere Wahrnehmung.
keit des Irrthams um so mehr, je mehr über das Qebflde
selbst hinausgegangen wird und die Genesis und die Be-
ziehungen desselben zur Bestimmung seines Begriffs mit in
Betracht kommen (wie z. B. bei der Frage, ob eine gewisse
Vorstellung eine Wahrnehmung oder eine Vision sei), d. Das
Selbstbewusstsein im engeren Sinne oder das Ichbewnsstsein
entwickelt sich in drei Momenten. Das erste Moment ist die
Einheit eines bewusstseinsfähigen Individuums, vermöge wel-
cher alles Einzelne in ihm nicht als ein selbständiges Einzel-
wesen, welches sich mit anderen zu einem zufälligen Aggregate
zusammenfände, sondern als ein Glied eines einigen Gtesammt-
organismus angesehen werden muss. Das zweite Moment ist
das Bewusstsein des Einzelnen von sich als Einem Individuum
oder die zusammenhängende Wahrnehmung der eigenen
psychischen Acte und Gebilde in ihrer gegenseitigen Verbin-
dung, wonach sie sämmtlich dem nämlichen Wesen angehören.
Das dritte Moment ist die fernere Wahrnehmung, dass auch
jenes Bewusstsein, welches der Einzelne von sich hat, wiederum
dem nämlichen Wesen angehört, wie die Acte und Gebilde,
auf welche es gerichtet ist, mit anderen Worten: die Wahr-
nehmung, dass das vorgesteUte und das vorstellende Wesen
oder das Object und das Subject der Vorstellung ein und
dasselbe Wesen ist. Das erste und zweite Moment bilden die
Voraussetzungen oder Grundlagen, das dritte constituirt das
Wesen des Selbstbewusstseins als Ichbewusstseins. Da mit-
hin dieses nur eine potenzirte innere Wahrnehmung ist, so
bringt es wiederum nichts hinzu, was unserem wirklichen
Sein fremd wäre. Demgemäss steht bei allen Formen der auf
das eigene Seelenleben gerichteten inneren Wahrnehmung
und des mit ihr verschmelzenden und sie zur inneren Er-
fahrung durchbildenden Denkens die Erscheinung mit der
psychischen Wirklichkeit in wesentlicher Uebereinstimmung.
Dass mein Schmerz mir als Schmerz erscheine^ meine Farben-
empfindung als Farbenempfindnng etc., ist selbstverständlich, und dies
erst beweisen zu wollen, wäre allerdings überflüssig und »wunderliche;
aber von dem Schmerz, von der Ton- und Farbenempfindung etc. als
psychischer Erscheinung unterscheidet der psychologische Transscen-
dentalist (nicht nur das Wesen und die Substanz der Seele, und die
inneren Bedingungen der einzelnen psydiisohen Vorgänge, auch nicht
§ 40. Erkennbarkeit psychischer Objecto durch innereWahmehmung. 103
bloss die yeranlassende äussere Affection, auf was alles die gegenwär-
tige üntersachnng sich nicht bezieht, sondern auch) ein An sich eben
desjenigen einzelnen Zustandes in mir, der mir als Schmerz, Farben-
empfindnng etc. erscheint, nnd auf den Nachweis, dass diese Unter-
scheidung unberechtigt sei, zielt die vorstehende Argumentation ab.
Durch die sinnliche Wahrnehmung percipire ich einen Ton, eine
Farbe etc. im empirischen Sinne richtig, wenn ich so percipire, wie
bei normaler Sinneswahmehmung percipirt werden muss, und ich
erinnere mich richtig, falls meine Erinnerungsvorstellung mit eben
dieser normalen Perception übereinstimmt; doch fragt sich dabei immer
noch, ob diese normale Perception mit dem Vorgang, wie er an sich
ausserhalb meines Bewusstseins stattfindet und durch Einwirkung auf
meine Sinne zu meiner Perception den Anlass giebt, in Uebereinstim-
mung stehe; eben diese Frage aber hat keinen Sinn mehr, wenn es sich
um die (psychologische) Auffassung einer meiner Empfindungen oder
überhaupt eines meiner psychischen Gebilde handelt; auf diese Auf-
fassung kann die bei der äusseren Wahrnehmung berechtigte und noth-
wendige Unterscheidung der Wahrheit im > empirischen c und im »trans-
soendentalenc Sinne nur durch eine falsche Analogie übertragen werden.
Es hat einen guten Sinn, nicht nur nach den äusseren, sondern auch
nach den inneren Bedingungen der Entstehung eines psychischen Grebildes
zu fragen; aber es hat keinen Sinn, falls das psychische Gebilde als
solches das Objeot meiner Auffassung ist, das Sein desselben in meinem
Bewusstsein (fdr mich) und das Sein desselben ausserhalb meines Be-
wusstseins (an sich) zu unterscheiden; denn das aufzufassende Object
ist hier ein solches, welches eben nicht, wie das Object der äusseren
Wahrnehmung, an sich selbst ausserhalb meines Bewusstseins, sondern
nur innerhalb desselben existirt. Bei der äusseren Wahrnehmung kann
das (Gebilde des Subjects nicht nur Elemente enthalten, die mit der
Objectivitat übereinstimmen, sondern auch Elemente, die von ihr ab-
weichen, und diese letzteren oder die rein subjectiven Elemente be-
gründen eine Discrepanz zwischen dem Bilde und der objectiven Rea-
lität; bei der inneren Wahrnehmung dagegen, sofern diese auf unsere
eigenen noch unmittelbar (ohne dass die Erinnerung vermittelnd ein-
zutreten braucht) in unserm Bewusstsein gegenwärtigen Gebilde geht,
kann das Gebilde des Subjects, da es ja nunmehr selbst das Object der
Auffassung ist, nicht solche Elemente enthalten, die eine Nichtüberein-
stimmnng mit dem aufzufassenden Object begründeten; alles Subjective
ist hier, bei dieser Selbstauffassung, zugleich auch objectiv. Es sind
hier nicht zwei Gebilde zu unterscheiden, die mit einander überein-
stimmen oder auch nicht übereinstimmen könnten, sondern es giebt
hier nur Ein mit sich selbst identisches Gebilde. Bei Erinnerungs-
vorstellnngen und bei der Subsumtion der psychischen Gebilde unter
psychologische Begriffe kommt allerdings die Uebereinstimmung in Frage;
hier besteht nicht mehr das Yerhältniss der Identität ; wohl aber kann
hier das auffassende Gebilde dem aufzufassenden, indem beide dem
li<^ien beseelten Wesen angehören, in einem Maasse gleichartig
104 § 40. Erkennbarkeit psychischer Objecte durch innere Wahrnehmung.
sein, wie dies sich bei der sinnlichen Wahrnehmung, bei welcher das
auffassende Gebilde uns, das aufzufassende der Aussenwelt angehört,
nicht präsumiren lässt.
Wer die Natur des Selbstbewusstseins yerstehen will, muss
den Irrthum derer vermeiden, welche die Identität des vorstellenden
und des vorgestellten Wesens oder die Identität der Person mit einer
vermeintlichen Identit&t des Actes der Selbstvorstellung und der Acte
und Gebilde, worauf die Selbstvorstellung gerichtet ist, verwechseln,
wie auch den Irrthum derer, welche die Identität der Person als der
alle Acte und Gebilde in sich fassenden concreten Einheit mit der
vermeintlichen Identität einer fingirten, auf eine einfache Qualität re-
ducirenden Monade verwechseln, welche nach Abstraction von allen
wirklichen Acten und Gebilden übrig bleibt. Bezeichnen wir diejeni-
gen psychischen Elemente (Vorstellungen, Gefühle, Begehrungen), auf
welche die innere Wahrnehmung gerichtet ist, in ihrer Gesammtheit
mit A, die innere Wahrnehmung von denselben mit B, so ist B mit A
nicht identisch (wiewohl in qualitativer Uebereinstimmung), sondern nur
vereinigt; das Wesen aber, welchem beide als integrirende Theile an-
gehören, ist identisch oder ein und das nämliche Wesen. Jenes B ist
nun erst das Bewusstsein des Einzelnen 'von sich als einer Person,
welches Bewusstsein sich in der Sprache durch die Nennung des eigenen
Namens kund giebt; das Selbstbewusstsein aber als Ichbewusstsein, C,
ist das Bewusstsein des Zusammenseins von A und B in einem und dem
nämlichen Wesen, unserem Ich, welches die Gesammtheit aller unserer
Acte und Gebilde in sich schliesst.
Der in § 3 und § 37 erwähnte Einwand gegen die Möglichkeit
der Wahrheit im materialen Sinne irgendwie gewiss zu wenden, weil
nämlich niemals eine Vergleichung unserer Vorstellungen mit dem
Sein, sondern immer nur wieder mit unseren Vorstellungen möglidi
sei, findet dem Obigen gemäss auf die innere Wahrnehmung von un-
seren psychischen Acten und Gebilden keine Anwendung. Von dem
materiellen Aussendinge nehmen wir nur ein Ungewisses Bild
in uns auf; in adäquaterer Form bilden wir den Gedanken,
das Gefühl und den Willen des Andern in uns nach; wiederum
treuer kann die Erinnerung an meine eigenen früher gehegten Ge-
danken und an mein eigenes Fühlen und Wollen sein; nothwendig
treu ist die unmittelbare Auffassung des gegenwärtig in mir
vorhandenen psychischen Gebildes und erst bei der versuchten
Subsumtion desselben unter einen allgemeinen Begriff wird ein
Irrthum möglich. In diesem Sinne ist die innere Wahrnehmung
zuverlässiger als die äussere und bildet die Grundlage alles philosophi-
schen Wissens. Dass wir von unserem eigenen psychischen Inneren
eine Wahrnehmung haben, in welche das Sein unmittelbar eingeht,
ohne Zumischung einer fremden Form, ist der erste feste Punkt der
Erkenntnisstheorie.
Schon Meli SS US, der Eleate, fraget: »Wenn nichts wäre, wie könnte
geredet werden als von einem Seienden ?c ihm gilt also die Gewissheit
§ 40. Erkennbarkeit psychischer Objecte durch innere Wahrnehmung. 105
der Existenz des Redens und demgemäss auch des Denkens als die erste,
und die Gewissheit des Denkens von seiner eigenen Existenz liegt bereits
den Aussprüchen des Eleaten Parmenides über das Denken zum Grunde.
Nachdem der individualistische Subjectivismus des Prot agoras Schein
und Sein identificirt hatte, hob Aristippus die subjective Wahrheit
der Sinnesempfindungen hervor. Von dem Aeusseren, das die Affectionen
bewirkt, wissen wir nur, dass es ist, nicht, wie es ist, die Empfindung
selbst aber ist in unserem Bewusstsein (ro nad-og rj^uTv iari (patvo/xevov^
Aristippus bei Sext. Erap. adv. math. VII, 91). Die Sokratische Bevor-
zogfung der Ethik und die christliche Soteriologie richteten den Blick auf
das innere Leben. Augustin erkannte, dass zwar die Vorstellungen,
die wir von äusseren Dingren haben, uns täuschen können, dass aber
das Bewusstsein des Geistes von seinem eigenen Leben, Erinnern, Denken
und Wollen frei von Täuschung sei. Er stellt auch in diesem Sinne
die Forderung auf (de vera religione 39, 72) : »noli foras ire, in te redi,
in interiore homine habitat veritas (et ei animam mutabilem inveneris,
iransscende te ip8um)c. Vgl. contra Academioos III, ^26: noli plus
aasentiri, quam ut ita tibi apparere persuadeas, et nulla deceptio est.
Soliloqu. n, 1: tu qui vis te nosse, scis esse te? scio; unde scis? nescio;
simplicem te scis an multiplicem? nescio; moveri te scis? nescio; oogitare
te sds? scio. De trinitate X, 14: si dubitat, vivit; si dubitat, unde
dubitet, meminit; si dubitat, dubitare se intelligit; si dubitat, certus
esse vult; si dubitat, oogitat; si dubitat, seit se nescire; si dubitat
iudicat non se temere consentire oportere. Cf. de civ. Dei XI, 26. Ebenso
lehrte im Mittelalter der Nominalist Occam, Satze wie: ich weiss,
dass ich lebe, bin, denke etc. seien sicherer als alle Sinneswahmehmungen.
Cartesius aber hat zuerst auf dieses Princip ein System der Philo-
sophie gegründet. Das Denken (cogitare) ist ihm das Gewisseste ; unter
dem Denken aber, erklärt er, begreife ich alles, was mit Bewusstsein
in uns vorgeht, sofern wir uns dessen bewusst sind, also auch das
Wollen, Vorstellen und Empfinden (Medit. U.; Princip. philos. I, 9).
Kant dagegen stellt auch die Wahrheit der Selbsterkenntniss in Ab-
rede. Die zeitliche Entwiokelung gehöre unserem Wesen, wie es an
sich sei, nicht in Wirklichkeit an, sondern sei nur eine Erscheinung,
die darauf beruhe, dass der i innere Sinn« die Anschauungsform der
Zeit hinznbringe ; unser wahres Sein bleibe uns völlig unbekannt. Allein
gäbe es auch einen inneren Sinn von solcher Art, wie ihn Kant sich
denkt, so dass, indem unser an sich zeitloses Sein denselben afficirte,
hieraus die Erscheinung unseres bewussten zeitlichen Lebens resultirte,
so wäre doch dies eben ein wirklich gewordenes Resultat; es wäre also
doch in Betrefif dieser unserer zeitlichen Entwiokelung Bewusstsein und
Dasein identisch, und der Satz würde gültig bleiben: unser zeitliches
Seelenleben ist so, wie wir uns seiner bewusst sind, und wie es ist, so
sind wir uns seiner bewusst. Zudem wird durch eine genauere psycho-
logische Betrachtung der Natur der inneren Wahrnehmung die ünhalt-
barkeit jener Kantischen Voraussetzung über den inneren Sinn offenbar.
Wir fassen auch unsere Selbstauffassung, die doch auch nach Kant zeit-
106 § 41. Die Erkenntniss der Mehrheit beseelter Wesen.
lioh ist, wiederum aaf; durch welchen »Innern Sinn« und durch welche
»Form« desselben sollte dies geschehen? Die innere Wahrnehmung
kann nicht die Zeit zu dem an sich Zeitlosen hinzubringen, sondern
nur das, was schon an sich zeitlich ist, als ein Zeitliches erkennen.
(Eine ganz andere Frage, die aber nicht der Erkenntnisslehre, sondern
der Metaphysik angehört, ist es, ob die Zeit eine selbständige Realität
oder Substantialiiät habe, oder nur ein Ausfluss der Wesensbestimmt-
heit der Dinge und in diesem Sinne eine blosse Erscheinung, und
wenn das Letztere, in wie fern sie für alle Dinge in Wahrheit die gleiche
sei, und in wie fern ein jedes Ding sein eigenes Zeitmaass in sich selbst
trage. Die Vermischung des metaphysischen Gegensatzes
zwischen Wesen und Wesensäusserung, wobei beide Seiten
dem eigenen Sein der Dinge angehören, mit dem logischen
oder erkenntnisstheoretischen Gegensatze zwischen dem
eigenen Sein der Dinge oder ihrem Ansichsein und der
Erscheinung, die nur in dem Betrachtenden als eine —
treue oder untreue — Abspiegelung der Dinge ist, hat
bei diesen Untersuchungen unsägliche Verwirrungen an-
gestiftet). Hegel lässt die innere Wahrnehmung ebenso wie die
äussere als propädeutischen Ausgangspunkt, wiewohl nicht als wissen-
schaftliche Grundlage der Philosophie gelten, und gesteht den psychischen
Processen in so fern Wahrheit zu, als sie Momente in der dialektischen
Selbstentwickelung des Absoluten bilden (Phänomenol. des Geistes, und
Encyclop. § 4 1 8 £f.). Schleiermaoher findet in dem Selbstbewusstsein
mit Recht den Punkt, wo Denken und Sein ursprünglich identisch sind:
»wir sind denkend und denken seiend« (Dialektik § 101 ff., S. 63 u.
Erläut. S. 54 ff., vgl. Beil. D, 18, 19, S. 462 ff. u. Beil. E XX— XXIII
S. 488 ff.). In Uebereinstimmung mit Schleiermaoher lehrt Beneke:
»Jede Erkenntniss unserer Seelenthätigkeiten ist die Erkenntniss eines
Seins-an-sich, d. h. die Erkenntniss eines Seins, welche dasselbe vor-
stellt, wie es an und für sich oder unabhängig von seinem Vorgestellt-
werden ist« (Neue Grundlegung zur Metaphysik 1822, 8. 10), und macht
diesen Satz zum ersten Grundpfeiler seines Lehrgebäudes der (bei ihm
die Erkenntnisslehre in sich mitbefassenden) Metaphysik (System der
Metaph. 1840, S. 68—75; Lehrbuch der Psychol. 1845, § 129, S. 121).
Vgl. W. F. Volkmann, Grundriss der Psychologie, Halle 1856. § 72
u. ff. 2. Aufl. 1876. Bd. 2. § 102 u. ff.
C. Die yerbiB4ia|; der laaerea und lisserea Wiliraeluinig.
§ 41. Auf der Verbindung der äusseren Wahr-
nehmung mit der inneren beruht die Erkenntniss der
Aussenwelt. Unsere von uns selbst sinnlich wahrgenom-
menen leiblichen Zustände stehen mit den in die innere
Wahrnehmung eingehenden Zuständen unseres psychischen
Lebens in einem gesetzmässigen Zusammenhange. In Folge
§ 41. Die Erkenntniss der Mehrheit beseelter Wesen. 107
dieses Zasammenhanges bildet sich in uns jene Association,
yermöge deren wir bei der sinnlichen Wahmehmnng yon leib-
lichen Zuständen, die unseren eigenen analog sind, auch ein
unserem eigenen analoges psychisches Sein voraussetzen.
Diese Combination, welche ursprünglich ohne alle bewnsste
Beflexion nach psychischen Gesetzen gleichsam instinctartig
vollzogen wird, nimmt logisch entwickelt die Form eines
Schlusses der Analogie an, nämlich: wie sich unsere eigene
somatische Erscheinung zu unserer psychischen Realität ver-
hält, 80 die andere somatische Erscheinung, zu der (hiernach
vorauszusetzenden) fremden psychischen Realität. Was aber
die logische Berechtigung der Voraussetzung einer Mehr-
heit personlicher Wesen nach der Analogie unseres eigenen
Seins betrifft, so steht dieselbe im Allgemeinen mit zweifel-
loser Gewissheit fest: wir ergänzen durch diese Combination
des Inhaltes der äusseren Wahrnehmung mit dem der inneren
den ersteren um ein Moment, welches, obschon, seiner Natur
nach nicht in die äusseren Sinne fallend, der Realität selbst
angehört. Der Beweis hierfttr liegt theils in dem Bewusst-
sein, dass die Art und Folge der betreffenden äusseren Er-
scheinungen in der blossen Gausalität unseres eigenen indi-
viduellen Seelenlebens nicht ihre volle Begründung findet,
theils in der durchgängigen positiven Bestätigung, welche
jener Voraussetzung von Seiten der Erfahrung zu Theil wird.
Die psychologische Seite dieses Vorgangs näher zu erörtern, ist
nicht Sache der Logik« welche das Psychologische nur in der Form von
anderweitig zu begründenden Hülfssätzen annehmen kann. Dagegen
kommt es der Logik zu, das logische Recht zu prüfen, oder über die
Frage zu entscheiden, ob die ursprünglich mit psychologischer Noth-
wendigkeit gebildete Annahme Wahrheit, d. h. Uebereinstimmung mit
dem Sein enthalte. So fordert es der allgemeine Begriff beider Wissen-
schaften. S. o. §§ 2 und 6 und 86.
Dass bei der Erkenntniss des Seins ausser uns die Setzung einer
Mehrheit beseelter Subjecte die erste ist, hat zuerst Schleiermacher
(DiaL a. a. 0.) richtig erkannt. Beneke, der ihm auch hierin folgt,
aber das Verhältniss psychologisch viel bestimmter ausprägt, findet
darin die zweite wesentliche Grundlage der Metaphysik (Grundlegung
zur Metaph. S. 28; System der Metaph. S. 76—90; Lehrbuch der
Psychol. 2. Aufl. § 169, S. 149 f.). Vgl. Herbart, Werke V, S. 187;
VI, S. 501 f.
I
I 108 § 42. Die Erkenntniss der Stufenreihe der Wesen.
§ 42. Die Betrachtung der Aussenwelt erweiternd, er-
kennt der Mensch das Innere anderer Wesen über-
haupt vermöge der verwandten Seiten seines eigenen Inneren.
Er bildet das Sein der höheren und der niederen Objecte
in sich nach, indem er die entsprechenden Momente des
Inhaltes und der Formen seiner psychischen Gebilde theils
erhöht, theils erniedrigt, und in dieser Gestalt dem
durch die Smne Wahrgenommenen nach Maassgabe der jedes-
maligen Erscheinungen ergänzend unterlegt. Durch solche
Nachbildung in seiner eigenen Ausbildung gefördert und zu
tieferer Selbsterkenntniss befähigt, sucht er dann wiederum
stufenweise in höherer Vollkommenheit das Innere anderer
Wesen nachbildend zu erkennen. Die Wahrheit dieser Er-
kenntnisselemente stuft sich nach zwei Verhältnissen ab: 1. in
objectiver Beziehung nach dem Maasse des Abstandes der
jedesmaligen Erkenntnissobjecte von unserem eigenen Sein,
2. in subjectiver Beziehung nach dem Maasse der Unterschei-
dungen zwischen näherer und entfernterer Analogie, und der
angemessenen Anwendung dieser Unterscheidung auf die Er-
scheinungen.
Die vorstehenden Sätze enthalten die logischen Principien für die
Entscheidung einer Beihe wichtiger Streitfragen auf verschiedenen
Gebieten des realen Wissens. In der Stufenreibe der irdischen Wesen
gilt das (vielleicht schon von den Pythagoreern symbolisch an-
gedeutete, bestimmter von Plato und Aristoteles in ihrer psycho-
logischen Doctrin erkannte, von Schelling zum Princip der Natur-
philosophie erhobene und den ganzen Verlauf der Hegel 'sehen Dialektik
bestimmende) Gesetz, dass das höhere Wesen die Charaktere des niede-
ren als Momente in sich aufhebt. Das Tbier, indem es sich durch das
Vermögen des Bewusstseins über die Pflanze erhebt, tragt doch auch
wieder die vegetativen Kräfte in sich gleichsam als den Boden, in
welchem das eigenthümlich animalische Leben wurzelt, und in gleicher
Weise vereinigt der Mensch in sich mit der Vemunftthätigkeit die
Kräfte des vegetativen und des animalischen Lebens. Eben hierdurch
wird er befähigt, indem er auf das Niedere in sich reflectirt und den
Charakter desselben in seiner Vorstellung wiederum erniedrigt und
gleichsam auf eine tiefere Potenz herabsetzt, ein annähernd wahres
Verständniss von dem Leben des Thieres und hinsichtlich des Begriffs
wirkender Kräfte überhaupt sogar auch von dem Wesen der Pflanze
und des Naturganzen zu gewinnen. Mit Recht sagt in diesem Sinne
ein neuerer Naturforscher: »Wie die Naturforschung ursprünglich aus
dem Gefühle der inneren Verwandtschaft der Natur mit dem Wesen
§ 42. Die ErkenntBisB der Stufenreihe der Wesen. 109
des Menschen hervorging, so ist es auch ihr Ziel, diesen Zasammenhaiig
in seiner ganzen Tiefe zu erfassen und zur Erkenntniss zu bringen, c —
»Durch Anknüpfung an die Entwickelungsgeschichie des Menschen ge-
winnt die Naturgeschichte ihre höchste Bedeutung« (Braun, Betrach-
tungen über die Verjüngung in der Natur 1850, S. XI; S. 13). Nach
der anderen Seite hin erfasst der Mensch das Höhere und Gröttliche
durch Idealisirung des eigenen Innern, und zwar, da er hierfür nicht
die völlig adäquaten Erkenntnissgrundlagen hinzubringt, in der Form
des Glaubens und der Ahnung. Will man (mit F. H. Germar in
seiner Schrift: die alte Streitfrage, Glauben oder Wissen? Zürich 1866)
das Verhaltniss des Glaubens im allgemeineren Sinne zum Wissen als
das desTactes zur Prüfung bestimmen*), so fällt unter diesen wei-
teren Begriff des Glaubens auch der speciellere des unmittelbaren Zu-
trauens zu dem Höheren und der Anerkennung seiner Autorität. Denn
dieses Zutrauen muss, weil das Niedere als solches das Höhere nicht
vollständig in sich nachzubilden und daher nicht in der Form der
wissenschaftlichen Reflexion zu prüfen vermag, die Form des Tactee
an sich tragen. In dem Maasse aber, wie unser eigenes Sein durch
fortschreitende intellectuelle und moralische Entwickelung ein höheres
wird, kann auch das Höhere ausser un9 mehr und mehr in adäquater
Weise von uns erkannt oder der Glaube in ein Wissen oder > Schauen c
verwandelt werden. Es folgt hieraus, dass innerhalb gewisser Grenzen
je nach den verschiedenen Entwickelungsstufen der nämliche Erkennt-
nissinhalt, welcher für den Einen nur Gegenstand des Glaubens ist, für
den Anderen Object des Wissens werden kann ; so oft aber ein gewisses
Gebiet dem Wissen angeeignet ist, öffnet sich stets ein neues und höheres
Glaubensgebiet. — Was das subjective Kriterium oder die Unterscheidung
zwischen näherer und entfernterer Analogie betrifft, so unterliegt das
ungebildete Bewusstsein gleichzeitig nach beiden Seiten hin dem Fehler,
das Niedere zu nahe an das Eigene zu erheben und das Höhere zu
nahe an dasselbe herabzuziehen. Denn da unser eigenes Sein für uns
das einzige unmittelbar gegebene ist, so tritt zunächst nothwendig eine
vervielfachte Setzung eines eben solchen Seins ein, bis die Erscheinun-
gen diese nächste Hypothese widerlegen. »Der Mensch leiht den Bezug
seines eigenen Wesens der Natur und wirft die Vorstellung mensch-
licher Verhältnisse in die Welt der Dinge« (Trendelenburg). Die
*) Der Tact ist das Vermögen, durch unreflectirte Combination
mannigfacher Elemente ohne klares Bewusstsein von den einzelnen
Gliedern ein bestimmtes Resultat zu gewinnen. Die Prüfung oder Ana-
lyse erhebt die einzelnen Glieder zum Bewusstsein und unterscheidet
<Qe wahren und falschen Elemente. Vgl. Beneke, Lehrbuch der
Psychol. § 158; psychol Skizzen U, S. 275 ff., System der Logik I, S. 268 f.,
Lazarus, das Leben der Seele, Bd. II, Berlin 1867, S. 286: »wenn auch
die kaum iu's Bewusstsein gekommenen Vorstellungen so auf das Urtheil
und den Entschluss des Menschen wirken, wie die klaren und bewussten
Vorstellungen, dann hat er Tact.« Germar hebt besonders hervor,
dass die Tacturtheile keineswegs nothwendig richtig sein müssen, sondern
der Prüfung durch die zergliedernde Reflexion bedürfen.
110 § 42. Die ErkenntnisB der Stufenreihe der Weeen.
Beföhigung sowohl zu der yoUen Idealisirung, als zu der rechten
Weise der Spaltung und Depotenzirung unseres eigenen Seins wird nur
sehr allmfihlich und unter manchen, selbst von den Wissenschaften
noch heute keineswegs yollstöndig überwundenen Schwankungen ge-
wonnen. Der Anthropomorphisnius lässt das Naturvolk so wenig
nach oben hin zum reinen Ideal, wie nach unten hin zu den abstracten
Kategorien der wissenschaftlichen Physik gelangen. Derselbe äussert
sich in unzähligen Aussprüchen der Dichter und der älteren Philo-
sophen. Ans dieser Anschauungsweise ist z. B. jener bekannte astro-
nomische Satz des Heraklit geflossen: >Die Sonne wird ihr Maass
nicht überschreiten, denn wollte sie es, so würden die Erinnyen, die
Dienerinnen der Dike sie finden c — der antike Ersatz der modernen
Gravitationstheorie. Timoleon errichtet einen Altar der Automatia, der
personificirten Macht des seinem Begriffe nach den geraden Gegensatz
zur selbetbewussten Persönlichkeit bildenden Zufalls. Den Gnostikem
erscheint die Erhabenheit des Christenthums über das Judenthum als
Erhabenheit des Ghristengottes über den Judengott; Clemens von
Alexandrien lässt die griechische Philosophie vermittelst der niederen
Engel von Gott den Menschen gegeben sein. Noch bis auf die Gegen-
wart wirkt dieser Anthropomorphismus nach, nicht nur in den tausend-
fachen Formen des Yolksaberglaubens bis zu dem Wahn der Tisch-
dämonen herab, sondern auch auf eine minder augenfällige, aber um
sd nachtheiligere Weise als Hemmniss der Entwicklung der Wissen-
schaften in einer Reihe »symbolisirender Mythen, welche unter alten
Firmen als ernste Theorien auftreten« (AI. v. Humboldt, Kosmos,
Bd. II, 8.899; vgl. Bd.I, S. 66 f.), so in der Hypostasirung und Quaai-
Personifidrung der Seelenvermögen, der animalischen und vegetativen
Lebenskraft, der Ideen und Kategorien etc. Auf der Befangenheit in
dieser Ansohanungsform beruht nicht nur die antike und noch Aristo-
telisoh-soholastische Personificirung der Gestirne oder ihrer bewegenden
Principien zu Göttern oder Engeln, sondern auch noch Keplers pytha-
goreisirende Theorie von der himmlischen Harmonie, die ihm den Weg
zu Newton' s grossen Entdeckungen verschloss, indem sie ihn nicht die
wirklichen Kräfte erkennen Hess*). In seiner Weise drückt der fran-
zösische Philosoph Aug. Comte in seiner »Philosophie positive« dieses
Yerhältniss der vollen Personification, der blossen Hypostasirung und
der adäquaten Auffassung durch die Unterscheidung der Theologie, Me-
taphysik und positiven Wissenschaft aus, indem er sofort ganze Doctrinen
an jene logischen Fehler kettet, die in der Erklärung des* Blitzes
*) Vgl. G. C. Hense, poet. Personification in griech. Diditungen
mit Berücksichtigung latein. Dichter und Shakespeare's, I., Halle 1868.
In Gust. Wolff^s Ausgabe u. Erläuterung der Schrift des Porphyrius de
philosophia ex oraculis haurienda enthält besonders der Abschnitt de
statuarum consecratione (S. 206 ff.), der die Behandlung der Statuen
gleich lebenden Wesen nachweist, viele Anffaben, die als schätzbare
ielege zu den oben aufgestellten Sätzen aus der Erkenntnisslehre gelten
können.
§ 42. Die Erkenntniss der Stafenreihe der Wesen. 111
dorch den zürnenden Zeus und des Feuers durch den Brennstoff (Phlo-
giston) zu Tage treten. Auf der anderen Seite hat nicht selten die
Polemik des wissenschaftlichen Sinnes gegen jene Kindlichkeiten die
Grenze verkannt, jenseit welcher sie, indem sie die factisch vorhandene
Analogie verneint, in Unwissenschaftlichkeit umschlägt und einen falschen
Dualismus begünstigt. In diesen Fehler verfiel schon die Anaxagoreische
Physik, und weit mehr noch die Cartesianische Naturphilosophie, die,
in der Natur nur Druck und Stoss suchend, der Schwerkraft, den vege-
tativen und den animalischen Kräften die Anerkennung weigerte. Eben
diese Verirrung des wissenschaftlichen Strebens war es, die Spinoza
and viele Andere zur Bekämpfung aller Teleologie, der wahren zugleich
mit der falschen verleitete.
Die volle Entscheidung über alle diese Fragen wird nur durch
Hinzunahme von Betrachtungen möglich, die den positiven Wissen-
schaften angehören; soweit aber die Entscheidungsgründe in dem Wesen
der menschlichen Erkenntnisskraft im Allgemeinen liegen, ist es Sache
der Logik als Erkenntnisslehre, dieselben zu erörtern. Eine Logik,
welche jene Probleme unbeachtet lässt, bleibt in sehr wesentlichen
Beziehungen hinter ihrer Aufgabe zurück.
Dass das Gleiche und Aehnliche in den Dingen durch das Gleiche
and Aehnliche in uns erkannt werde, ist die übereinstimmende Lehre
der älteren orientalischen und fast aller griechischen Philo-
sophen mit Ausnahme des Anaxagoras. YgL Arist. de anima I, 2,
404. b. 17. ytyvdaxia^ai yiiQ t^ oftoCi^ %b o^otov. In neuerer Zeit kehrt
dieselbe Ansicht wieder in der Leibnizischen Monadologie, in der
Kantischen Ansicht vom Naturzweck als dem Analogon des Sitten-
gesetzes, in der Herbart'schen Theorie, welche alles 'wirkliche Ge-
schehene oder allen Wechsel der inneren Zustande der einfachen realen
Wesen auf die Analogie der Vorstellungen oder »Selbsterhaltungen«
und der Vorstellungsverhältnisse der menschlichen Seele zurückführt,
in der Schelling'schen Naturphilosophie und in der Hegel'schen
Lehre von der Identität des Denkens und Seins. Schleiermacher
lehrt die Kräfte der Naturwesen als niedere Analoga des menschlichen
Willens und demgemäss die ganze Natur als eine verminderte Ethik
ansehen (Dial. S. 160). Der Mensch ist Mikrokosmus, indem er alle
Stufen des Lebens in sich hat und hieran seine Vorstellungen vom
äusseren Sein anbildet (Dial. S. 109). Auf eine Ideutificirung der Be-
griffe Kraft und Wille gründet Schopenhauer seinen Panthelema-
tismns, doch mit zu geringer Beachtung des wesentlichen Unterschiedes
zwischen dem blinden Trieb und dem auf bewusste Zwecke gerichteten
Willen. Dass die Analogie zwischen den Kategorien, nach denen die
Natur und nach denen der menschliche Geist sich entwickelt, nicht als
Identität zu deuten sei, sondern eine wesentliche Verschiedenheit und
Gegensätzlichkeit in sich einschliesse, hebt der Günther 'sehe Dualis-
mus hervor, der den Gegensatz mit Vorliebe betont. Am vollständig-
sten und genauesten erörtert Beneke (System der Metaph. und
KpligionsphiL, besonders S. 102—6; 140—43; 495—611) die hier be-
112 § 48. üeber die Realität der Materie.
rührten erkenntnisstheoretischen Probleme. Vgl. Trendelenburg,
log. Untersachangen II, S. 355 ; 2. A. S. 460; 8. A. 418 ff., histor.
Beiträge zur Philosophie II, S. 128—24.
§ 43. Indem die Uebertragung der Analoga unserer
eigenen psychischen Gebilde, dnrch welche wir das psychische
Leben theils anderer Menschen, theils auch der Thiere mit
approximativer Wahrheit erkennen, bei anderen Erscheinungen
nicht zuzutreffen scheint, die doch um des Bewusstseins willen,
dass sie nicht bloss in unserer eigenen psychischen Gausalität
begrtlndet sind, nicht für bloss subjectiv gehalten werden
können, so führen diese Erscheinungen auf die Annahme eines
an sich in todterRuhe yerharrenden und nur durch äusseren
Anstoss veränderlichen Stoffes oder der Materie. Der so
gefasste Begriff der Materie aber würde nicht dem wirklichen
Sein derselben entsprechen. Jede objectiv begründete Er-
scheinung ist vielmehr, wie dies die wissenschaftliche Er-
forschung der Naturgesetze durchgängig erweist, auf irgend
welche wirkende Kräfte als ihren realen Grund zurückzu-
führen. In aller Materie, und, falls es Atome giebt, in jedem
Atome müssen innere Zustände oder Qualitäten liegen,
die, wenn sie bei unmittelbarer Berührung oder auch bei
partieller oder totaler Durchdringung der Stoffe zu einander
in Beziehung treten, durch ihren Gegensatz in Bezug auf ein-
ander zu Kräften werden.
Die Begriffe Materie und Kraft bezeichnen die zweifache Auf-
fassung einer untrennbaren Einheit, einestheils durch die Sinneswahr-
nehmung, anderentheils nach der Analogie der inneren Wahrnehmung
von unserer eigenen Willenskraft. Mit Hecht sagt Helmholtz (Er-
haltung der Kraft, Berlin 1847, S. 4 f.): »Materie und Kraft sind Ab-
stractionen von dem Wirklichen; die Wissenschaft bezeichnet die Ge-
genstände der Aussenwelt ihrem blossen Dasein nach, abgesehen von
ihren Wirkungen auf andere Gegenstände oder auf unsere Sinnesorgane,
als Materie« (Substanz); »als wirkenden aber theilen wir denselben
Kräfte zu«. — Was Herbart von den Qualitäten seiner fingirten punc-
tuellen Wesen lehrt, gilt in der That von den Qualitäten der ausge-
dehnten Stoffe: sie wirken bei der Berührung als Kräfte.
§ 44. Das Zusammenbestehen und Zusammenwirken
verschiedener Kräfte setzt irgend ein reales Neben- und Nach-
einander oder eine reale Räumlichkeit und Zeitlich-
keit voraus. Dass diese aber nicht von anderer Art sein
§ 44. üeber die Realität von Baum und Zeit. 113
kann, als der Ranm und die Zeit der sinnlichen Wahrneh-
mung, ergiebt sich besonders daraus, dass unter der Voraus-
setzung und nur unter der Voraussetzung, dass ein solcher
Saum von drei Dimensionen, wie die Mathematik ihn kennt,
auch ausserhalb unseres Geistes in Wirklichkeit existire, die
physikalisch - physiologischen Thatsachen, die yermöge der
Affection unserer Sinnesorgane statthaben, ihre zureichende
naturgesetzliche Erklärung finden. Demnach spiegelt
sich in der räumlich-zeitlichen Ordnung der äusse-
ren Wahrnehmung die eigene räumlich-zeitliche
Ordnung und in der inneren Wahrnehmung die
eigene zeitliche Ordnung der realen Objecte ab.
Die sinnlichen Q.ualitäten aber, die Farben und
Töne etc., sind zwar als solche nur subjectiy und
nicht Abbilder von Bewegungen, stehen aber zu
bestimmten Bewegungen als deren Symbole in einem
gesetzmässigen Zusammenhange (vgl. oben § 38).
Aus der Wahrheit der inneren Wahrnehmung (§ 40) folgt, dass
mindestens die Zeitfolge nicht bloss eine subjeotive Erscheinung, son-
dern eine Realität ist*). Nun aber lässt sich, auch wenn nicht unmit-
telbar auf Grund der inneren Wahrnehmung den psychischen Gebilden
die Räumlichkeit zugestanden wird, mittelbar aus der Realität der Zeit
auch die Realität der räumlichen Ausdehnung in drei Dimensionen
folgern, die danach auch den Dingen an sich selbst und nicht bloss
unserer Auffassung der Dinge wird zugeschrieben werden müssen. Die
uns empirisch gegebene Zeitordnung, der Wechsel von Tag und Nacht,
der Wechsel der Jahreszeiten etc., ist an mathematisch-physikalische
Gesetze gebunden, welche, den Principien der Mechanik gemäss, nur
unter der Voraussetzung eines Raumes, der mit dem Räume der sinn-
lichen Wahrnehmung in allen wesentlichen Beziehungen übereinkommt,
bestehen können. Wir werden zu bestimmten Zeiten von bestimmten
*) D. h. dass nicht bloss unsere Auffassung der psychischen Yor-
gjunge in der Form der Zeit geschehe, sondern auch die psychischen
Vorgänge selbst in uns zeitlich verlaufen, und demgemäss ebenso auch
in anderen beseelten Wesen, wonach weiterhin die Realität des zeit-
lichen Verlaufs überhaupt auf Grund der oben erörterten, nirgendwo
abreissenden Analogie anzunehmen ist. Eine üebertragung einer bloss
in uns psychisch-realen »Anschauungsform« der Zeit auf die äussere
Realität würde unberechtigt sein; denn eine subjective Anschauungs-
form könnte zu einer »uns ganz unfassbaren Ordnung der Dinge« in
Beziehung stehen; ist aber die Zeitfolge in uns eine psychische Rea-
lität, so geschieht der Scbluss von uns auf andere Wesen mit logischem
Recht.
8
1 14 § 44. Üeber die Realität von Raum und Zeit.
Dingen affioirt, die an sich ausserhalb unseres Bewusstseins existiren.
Die Ordnung der durch diese Affectionen bedingten Erscheinungen be-
ruht aber auf einem Causalnexus, welcher nicht ein bloss dem Subject
immanenter sein kann, sondern auch die das Subject affioirenden Dinge
an sich betrifft. Die auf diesen Causalnexus bezüglichen Gesetze sind
mit Nothwendigkeit an einen Raum von drei Dimensionen geknüpft.
So setzt insbesondere das Newtonsche Gesetz, wonach die Intensität der
Schwerkraft bei constanten Massen im umgekehrten Yerlulltniss zu den
Quadraten der Entfernungen steht, einen realen Raum von drei Dimen-
sionen mit Nothwendigkeit voraus, da bei einem Räume von nur zwei
Dimensionen jene Intensität zu den Entfernungen selbst, bei drei Di-
mensionen zu den Quadraten der Entfernungen und bei jeder andern
Voraussetzung zu einer andern Function der Entfernungen im um-
gekehrten Verhältniss stehen muss; denn indem sich die Wirkung bei
der Voraussetzung zweier Dimensionen in jeder bestimmten Entfernung
auf die Peripherie des Kreises vertheilt, dessen Radius jene Ent-
fernung ist, bei drei Dimensionen aber auf die entsprechenden Kugel-
oberflächen, und so bei jeder andern Voraussetzung anders, und da die
Peripherien sich zu einander, wie die Radien, die Kugelflächen aber,
wie die Quadrate der Radien verhalten, so wird jeden einzelnen Punkt
jedesmal ein hierzu im umgekehrten Verhältniss stehender Theil der
Gesammtwirkung treffen. Bei allen physikalischen Erscheinungen decken,
sobald deren Reduction auf räumliche Bewegungen gelungen ist, die
Ursachen und Wirkungen einander durchaus, so dass eine klare wissen-
schaftliche Einsicht in den realen Zusammenhang gewonnen werden
kann. Mithin ist der Grundgedanke dieses Abschnittes gerechtf^i^igt,
der die Räumlichkeit und Zeitlichkeit des Wahmehmungsbildes der
eigenen Räumlichkeit und Zeitlichkeit der objectiven Realität oorre-
spondiren lässt*).
*) Bei der vorstehenden Argumentation wird nicht etwa ein »in
drei Dimensionen realiter ausgedehntes Gehirne schon vorausgesetzt;
als Ausgangspunkt dient nur das in den vorigen Paragraphen bereits
Dargethane, dass es eine Mehrheit realer Wesen gebe, dass also auch
ausserhalb des Bewusstseins des Einen Wesens Vieles existire, und zwar
solches, das in irgend welchen wechselnden Beziehungen untereinander
und zu dem percipirenden Wesen stehe. Der mathematisch erkennbare
Zusammenhang zwischen den Erscheinungen in dem Bewusstsein des
percipirenden Wesens (z. B. zwischen den astronomischen Vorgängen,
wie dieselben am Himmelsgewölbe statt haben) ist nicht ausschliesslich
durch dessen subjective Perceptionsweise bedingt, sondern auch durch
die (keineswegs chaotische, keineswegs einen bis in's Einzelne hin durch
das Subject allein a priori zu ordnenden Stoff liefernde) Art, wie es
von den ausserhalb seines Bewusstseins liegenden Dingen afflcirt wird.
Wären nun diese letzteren anderen Gesetzen unterworfen, als solchen,
die aus der Natur des dem percipirenden Wesen geometrisch erkenn-
baren Raumes sich verstehen lassen, so würde dieses Wesen zwar eine
in sich harmonische reine Geometrie gewinnen können, aber keine
in sich harmonisch angewandte Geometrie, keine auf die durch
Sinnesaffectionen bedingten Erscheinungen passende geometrisch- physi-
§ 44. Üeber die Bealität von Raum und Zeit. 115
Das YerMltnisB der sinnlichen Qualitäten (Töne, Farben etc.,
welche Locke secundäre Qualitäten der Dinge genannt hat) zu den
Vibrationen gleicht dem der Laute zu den Buchstaben: feste (und
zwar dort natumothwendige, hier willkürliche) Beziehung und Gleich-
heit der Combinationen, ohne Aehnlichkeit der Elemente. Die Sinnen-
Qualitäten stehen hiemach zu der objectiven Realität in einer weniger
strengen Beziehung, als die Perception der Räumlichkeit und Zeit-
lichkeit.
Das skeptische Bedenken (s. o. § 87), welches die Erkenntniss der
Anssenwelt darum, weil eine Vergleichung derselben mit ihrem Objecto
unmöglich sei, für unmöglich oder doch für ungesichevt ausgab, er-
ledigt sich nunmehr dahin, dass die Erwägung der Oausalverhältnisse für
die fehlende unmittelbare Yergleichung den zureichenden Ersatz bietet
kaiische Erklärung. Zwar würde sich vermöge der Projection des
Aeussem in das Innere irgend eine von dem percipirenden Subject für
objecÜY gehaltene Ordnung herausstellen, auf Grund deren sich gewisse,
oft durch die Erfahrung Bestätigung findende Erwartungen bilden Hessen;
aber diese durch eine der Anschauungsform des Subjectes fremdartige
Gesetzmässigkeit mitbedingte Ordnung würde nicht aus der eigenen
Natur eben dieser Anschauungsform in dem Maasse verständlich sein,
wie uns die Abnahme der Schwere im umgekehrten Verhältniss der
Quadrate der Entfernungen aus den drei Dimensionen des Raumes
verständlich ist. So würde z. B. bei einer Projection aus einem
objectiv-realen Baume, der m +. a Dimensionen habe, in einen dem
Subject als Anschauungsform dienenden Raum von m Dimensionen
jede diesem Subjecte verständliche Beziehung der Intensität der Schwere
SU den Entfernungen schwinden, und das an diese Form gebundene
Subject würde, indem es dieselbe für objeotiv nähme, die von ihm an-
Seachauten Naturerfolge nicht nach Gesetzen, die ihm begreiflich aus
er Natur des Raumes, den es selbst kennt, ableitbar wären, construiren
können. Bei der Voraussetzung, dass in einem Räume von drei
Bimensionen, wie wir ihn kennen, auch die Dinge an sich seien, finden
die physikalischen Erscheinungen durchgängig die zutreffendste Erklä-
rung; ob aber irgend eine andere Voraussetzung sich gleichfalls mit
denThatsachen in Einklang bringen lasse, ist mindestens sehr zweifel-
haft. Wir haben demnach allen Grund, anzunehmen, dass unsere Vor-
cteUung von räumlich in drei Dimensionen ausgedehnten Substanzen
nicht etwa Dinge, die an sich in ganz anderer Art existiren, symbolisire,
sondern wirklich in drei Dimensionen vorhandene Dinge r&präsentire.
Unsere Vorstellung von räumlichen Dingen und ihren Bewegungen ist
hiemach das Resultat einer solchen »Organisation unserer Empfin-
duDffsanlagenc, welche die Harmonie, nicht die Discrepanz zwischen dem
Ansich und der Erscheinung in mathematisch-physikalischem Betracht
oder hinsichtlich der (von Locke so genannten) »primären Qualitäten c
ergiebt. Locke's Unterscheidung zwischen den von ihm sogenannten
»primären c und »secundären Qaalitätenc erweist sich auf Grund dieser
Betraohtungen als sachlich richtig, obschon seine Terminologie zu tadeln
ist (s. hierüber m. Grundr. der Gtesch. d. Philo s. III, § 10).
Aus der Unmöglichkeit, dass sich Bewegung in Bewusstsein »um-
setzet, folgt die Nothwendigkeit, ein latentes Bewusstsein anzunehmen,
welches durch bestimmte Bewegungen angeregt, durch Gombination und
Oonoentration verstärkt, aus der Latenz hervortreten könne.
i
116 § 44. üeber die Realität von Raum und Zeit.
(gleich wie die mathematische Berechnung einer Entfernung für die
directe Messung). — Der Beweis des Des Cartes aus der veradtS de
Dieu und die Argumentation Delboeufs (Log. S. 78 — 76) aus der Vera-
cität des Gedankens sind Expositionen unseres Glaubens, nicht strenge
Beweise.
Bereits oben § 86 hatte sich der Kantische Dualismus, der die
Quelle des stofiTlichen Gehaltes der Wahrnehmung ausschliesslich in den
uns afficirenden »Dingen an sich«, die Quelle ihrer räumlich-zeitlichen
Form ausschliesslich in dem Subjecte sucht, als unhaltbar erwiesen. Aber
es blieb noch die Fichte'sche Annahme möglich, dass Materie und
Form beide yon rein subjectivem Ursprünge seien, femer die v er mit-
telnde Annahme (die in jüngster Zeit Vertreter gefunden hat), dass
zwar in den Dingen an sich ein Element vorhanden sei, welches, in-
dem es uns afficire, die räumlichen und zeitlichen Formen in uns ent-
stehen lasse, dass aber dieses Element selbst einen von diesen Formen
wesentlich verschiedenen Charakter habe. Nur vermittelst der Reflexion
auf die innere Wahrnehmung und ihr Zusammenwirken mit der äusseren
kann die Möglichkeit solcher Annahmen wissenschaftlich auf-
gehoben und die reale Wahrheit der räumlichen und zeitlichen Formen
dargethan werden. Man wähne nicht, sich der Nothwendigkeit dieser
wissenschaftlichen Untersuchung durch ein blosses Axiom überheben
zu können, worin man die Uebereinstimmung unserer Anschauungs-
formen mit den Existenzformen als etwas unmittelbar Gewisses oder als
eine Vemunftordnung oder ab Denknothwendigkeit oder als etwas
im Begriffe der Erkenntniss Liegendes (da doch die Gültigkeit dieses
so gefassten Begriffes erst zu erweisen wäre) bezeichnet. Solchen
dogmatischen Axiomen, die leicht zu bequemen Ruhekissen dienen,
werden immer wieder die skeptischen Bedenken und kritischen Lehren
mit ganz gleichem Recht oder Unrecht gegenübertreten, wie sie z. 6.
in der neueren Zeit Schopenhauer im Anschluss an Kant vertritt
(über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde, 2. Aufl.,
§ 21, S. 51, 8. Aufl., S. 52, sämmtL Werke, Bd. 1, S.52, 1878): »Man
muss von allen Göttern verlassen sein, um zu wähnen, dass die anschau-
liche Welt da draussen, wie sie den Raum in seinen drei Dimensionen
füllt, .... ganz objectiv-roal und ohne unser Zuthun vorhanden wäre.c
In Bezug auf Farbe, Ton etc. ist dieser Schopenhauer'sche Satz wahr,
in Bezug ' auf die räumliche Ausdehnung in drei Dimensionen aber
falsch. Sind wir für unsere Behauptung nicht von Argumenten verlassen,
dann (freilich auch nur dann) darf uns das Yerlassensein von den Scho-
penhauer'schen »Gtöttemc wenig bekümmern. Auch Behauptungen von
Naturforschem, welche an Kant anknüpfen, wie die des verdienten G.
Rokitansky (die derselbe z. B. in seiner Festrede zur Eröffnung
des pathologisch-anatomischen und chemischen Instituts zu Wien 1862,
S. 18 ausspricht), dass die Naturforsohung es immer und überall
nur mit Erscheinungen zu thun habe, finden durch das Vorstehende
ihre Berichtigung. Sofern es sich um die Resultate der Affectionen
der Sinne handelt, ist diese Behauptung wahr, sofern aber um die
§ 44. Ueber die Realität von Baum und Zeit. 117
Ursachen derselben, ist sie falsch; diese Ursachen oder die »Dinge
an siehe oder das »den Erscheinungen zu Grrunde liegende Metaphysische c
sind selbst raumlich-zeitliche Objecte. Die Thesis: die Erscheinungs-
welt richtet sich nach den Dingen an sich, und die Antithesis : dieEr-
scheinung^swelt richtet sich nach den Sinnesorganen, sind beide gleich
einseitig und halbwahr; sie ist das gemeinsame Resultat beider Facto-
ren, deren Beitrag ermittelt werden kann und muss. Nur die Qualitä-
ten (Ton, Farbe, Wärme etc.) sind als solche rein subjectiy, jedoch
Symbole von Bewegungen ; Raum und Zeit aber sind subjectiy und ob-
jectiv zugleich.
Schlei er mao her lehrt mit Recht (Dial. S. 886): »Raum und
Zeit sind die Art und Weise zu sein der Dinge selbst, nicht nur un-
serer Vorstellungen« ; (S. 886): »Der Raum ist das Aussereinander des
Seins, die Zeit ist das Aussereinander desThuns.« Aber Schleiermaoher
halt dafür (Dial. §§ 108 ; 118; 186), das Erfülltsein der Sinne sei durch
die Sinne für sich allein nur ein chaotisches Mannigfaltigfes von Ein-
drucken ; die »organische Function« sei als solche nur auf die »chaotische
Materie« oder die unbestimmte unendliche Mannigffaltigkeit des Raum-
undZeit-Erfüllenden gerichtet. Schleiermacher unterscheidet (Dial. §116)
die Wahrnehmung von der organischen Function, indem er
jene als die Einheit der organischen und der intellectuellen Function
mit dem Uebergewicht der organischen definirt, während im eigent-
lichen Denken die intellectuelle Function vorwiege und in der An-
schauung beide Functionen im Gleichgewichte stehen. Da Schleier-
macher sich nicht darüber erklärt hat, welches das intellectuelle
Element sei, das der Wahrnehmung innewohne, so könnten wir, indem
wir als solches die räumlich-zeitliche Ordnung bezeichneten, unsere
Theorie inUebereinstimmungmitder Sohleiermacher'schen setzen und als
Ergänzung und nähere Bestimmung derselben betrachten. Allein wir
geben nicht zu, dass auch nur die Thätigkeit der Sinne oder die
»organische Function« als solche jeder Ordnung ermangele. Allerdings
erfassen die Sinne alle diejenigen Existenzformen, auf deren Sonderung
die verschiedenen Denk formen beruhen (z. B. das Wesentliche und
Unwesentliche, auf dessen Sonderung die Begriffsbildung beruht, die
Substantialität und Inhärenz, welche dem Subject und Prädicat des
Urtheils zum Grunde liegen etc.) nur erst in ungeschiedener Einheit
und gleichsam »chaotischer« Vermischung; aber sie fassen nicht chao-
tisch, sondern in bestimmter Sonderung diejenigen Formen auf, welche
ihr eigenthümliches Object bilden, nämlich die räumlichen und
zeitlichen Verhältnisse oder die äussere Ordnung der Dinge, in welcher
die innere sich ausprägt. Die physiologische Betrachtung des Ge-
sichts- und Gefühlssinnes zeigt, dass die Fähigkeit, bestimmte Gestalten
aufzufassen, in ihrer Organisation begründet ist. Zwar sieht das Auge
nicht unmittelbar die dritte Dimension; aber die blosse Empfindung
reicht hin zur Unterscheidung flächenhafter Gestalten, worauf alle
weitere Beurtheilung der wirklichen Form des Geschehenen beruht, und
ist somit keineswegs chaotisch. Wollte man auch (mit Herbart und
118 § ^< Ueber die Realität von Raam und Zeit.
Lotze) annehmen, dass alle räumliche Sonderang derTheile des orga-
nischen Gesichtsbildes und der Affectionen der Gefühlsnerven in der
Raumlosigkeit der einfachen Seelenmonade verschwinde, um sich aus
der Qualität der Empfindungen überhaupt oder (nach Lotze) aus
gewissen qualitativen »Localzeichenc derselben für das Bewusstsein in
neuer Weise wiederzuerzeugen: so würde doch auch selbst bei dieser
HyiK>the8e (welcher übrigens vom Schleiermacher'schen Standpunkte
aus nicht zugestimmt werden könnte) anerkannt werden müssen, dass
die Erzeugung der jedesmaligen bestimmten Gestalt des zeitlich-räum-
lichen bewussten Bildes durch die zeitlich-räumliche Gestalt der jedes-
maligen organischen Affectionen bedingt sei, so wie diese wiederum
ihrerseits durch die Gestalt der afficirenden Aussendinge. Die organi-
sche Function wäre also auch in diesem Falle keineswegs chaotisch.
Dazu kommen philosophische Gründe. Aus Schleiermacher's eigenen
dialektischen Principien lässt sich seine Ansicht über die Natur der
Sinnesthätigkeit direct widerlegen. Denn wenn Schleiermacher in dem
Sein überhaupt »Kraft« und »Actione unterscheidet und jene auf
das Fürsichsein, diese auf das Zusammensein zurückführt, so föUt doch
gewiss sowohl die Ordnung der unsere Sinne afficirenden realen Objecto,
als auch die organische Function selbst unter den Begriff des Zusam-
menseins und Zusammenwirkens oder der »Actione ; die Art dieses Zu-
sammenwirkens aber kann nur durch das »System der Kräfte« bestimmt
sein, und da dieses nach Schleiermacher unzweifelhaft für ein vemunft-
gemässes zu erkennen ist, so muss auch das Zusammenwirken ein geord-
netes sein; folglich ist auch die organische Function als die »Actione
der Dinge in uns« (Dial. S. 56) nicht eine chaotische, sondern eine
geordnete Mannigfaltigkeit von Impressionen. Auctt indireot lässt
sich das Gleiche darthun. Wenn die organische Function als solche
ein blosses Chaos von Empfindungen erzeugte, so würde die Function
der Vemimft nicht mit ihr in einem wesentlichen Zusammenhang stehen,
sondern nur als ein Anderes, in sich selbst Beschlossenes, zu ihr hinzu-
treten können. In der Gonsequenz dieser Ansicht schreibt Söhleier-
macher in der That der organischen Function nur die Bedeutung zu,
dass sie die intellectuelle zur Selbstbethätigung anrege; er lässt »in der
Allen einwohnenden Einen Vernunft das System aller das Wissen oon-
stituirenden Begriffe auf eine zeitlose Weise gegeben seine (Dial. S. 104);
dieselben sollen allerdings wirkliche Begriffe erst werden im »Zusammen-
tritt mit der organischen Function e (Dial. S. 105); allein die letztere
gilt ihm dabei nicht als miterzeugender Factor der Begriffsbildung,
sondern nur als ein erregendes Element, auf dessen Teranlassung sich
die in der allgemeinen menschlichen Vernunft liegenden Begriffe in den
Individuen und Geschlechtem der Menschheit immer vollständiger und
reiner zum Bewusstsein entwickeln (Dial. S. 106 ff., § 177). Schleier-
macher gesteht somit der organischen Function, wie es von der Vor-
aussetzung ihres chaotischen Charakters aus oonsequent ist, nur einen
Einfluss auf die Bewusstwerdung, nicht auf die Gestaltung und Fort-
bildung der Begriffe zu. Nun aber erklärt Schleiermaoher doch auch
§ 44. üeber die Realitöt von Raum nnd Zeit. 119
du »reine Denken« im HegePschen Sinne oder das von dem Yerflooh-
tensein mit der organischen Function gänzlich befreite Sichbethatigen
der intellectuellen Kraft für unmöglich, und gewiss mit Recht, aber
schwerlich mit Conseqnenz; denn diese Unmöglichkeit eines derartigen
reinen Denkens widerstreitet durchaus den Voraussetzungen Schleier-
macher's über die organische Function und über das System der Begriffe.
Denn warum doch sollte unter jenen Voraussetzungen ein solches reines
Denken unmöglich sein, da ja die blosse Erregung der Vemunftthätig-
keit auch wohl einmal von einer anderen Seite her, als von der Sinnes-
thatigkeit aus, geschehen könnte, etwa von dem Willen und Entschlüsse,
sidi denkend zu verhalten und dem lebendigen Interesse des Wissen-
woUens? SagtS^hleiermacher: weil »die Thätigkeit der Vernunft, wenn
man sie ohne alle Thätigkeit der Organisation setzt, kein Denken mehr
wäre« (Dial. § 109, S. 57), oder: weil »ohne alle organische Function
kein Theilungsgr und für die Einheit des Seins zu finden ist« (Dial.
§ 168, S. 96), so beweist dies eben, dass von einem an sich in der
menschlichen Vernunft ewig gegebenen Systeme von Begriffen, die
nur noch der successiven Erregung zum Bewusstsein bedürften, nicht
die Rede sein darf; denn jedes System von Begriffen setzt bereit» eine
Theilnng des unbestimmten abstracten Seins voraus. Es muss also,
wenn die Lehre von der Unmöglichkeit jenes reinen Denkens und die
damit zusammenstimmende von der Unmöglichkeit, durch die blosse in-
tellectuelle Function die Einheit des Seins in eine Mehrheit bestimmter
Begriffe zu theilen, aufrecht erhalten werden soll, die Ansicht von dem
chaotischen Charakter der organischen Function und die mit dieser
Ansicht zusammenhängende Behauptung von demGegebensein des Systems
der Begriffe in der intellectuellen Function aufgegeben, und der mit-
telst der organischen Affectionen gewonnene Inhalt der Wahrnehmung
als ein miterzeugender Factor in dem Process der Begriffsbildung an-
erkannt werden, fjs wird hierdurch keineswegs der Begriff zu einem
blossen »secundären Froduct aus der organischen Function« herab-
gesetzt, welcher Lehre Schleiermacher mit Recht entgegentritt, sondern
nur der organischen Function ein wesentlicher Antheil an der Begriffs-
bildung zuerkannt. Dieser Antheil ist näher dahin zu bestimmen, dass
durch sie die äussere, zeitliche und räumliche Ordnung zum Be-
wusstsein gebracht wird, welche dann das Denken, von den in ihr ent-
haltenen Anzeichen geleitet, auf die innere Ordnung und die
tieferen, das Wesen der Dinge constituir enden Momente deuten soll.
Dies ist auch die Weise, wie die einzelnen Wissenschaften in
der Bildung ihrer Begriffe und Urtheile wirklich verfahren. Indem
das System der B^^riffe auf eine ewige Weise gegeben ist nicht in der
allgemeinen subjectiven Vernunft, sondern in der absoluten Vernunft,
welche über alle blosse Subjectivität übergreift und dieselbe mit der
Objectivitat vermittelt, so ist es für das Subject, welches das Wissen
gewinnen will, ein gleich wesentliches Erfordemiss, mittelst, der orga-
nischen Function vorwiegend in Beziehung zur Objectivitat zu treten,
wie mittelst der intellectuellen vorwiegend seine eigene Kraft (jedoch
120 § 44. üeber die Realität von Raum und Zeit.
immer im Dienste des Erkenntnisszwecks) zu bethätigen. Hierin liegt
aber wiederum die YorauBsetzung, dass die organische Function nicht
eine »chaotische Mannigfaltigkeit der Impression«, sondern schon ur-
sprünglich etwas Geordnetes sei, und zwar die Abspiegelung der eigenen
räumlichen und zeitlichen Ordnung der Dinge, die dem Denken zu-
verlässige Anhaltspunkte gewähren könne. Schleiermaoher selbst erkennt
dies fast . ausdrücklich an, indem er (Dial. § 106) die Correspondenz
zwischen dem Denken und dem (äusseren) Sein durch die reale Be-
ziehung vermittelt sein lässt, in welcher die Totalität des Seins mit
der Organisation stehe, was doch wohl auch jene höhere Bedeutung der
oi^anischen Function voraussetzt. Die Annahme eines chaotischen
Charakters der organischen Function kann nur als ein nech nicht völlig
überwundener Rest des Kantischen Subjectivismus angesehen werden,
nach welchem alle Ordnung aus der Spontaneität des Subjectes stammen
soll, mithin der organischen Afifection ganz fremd sein muss, während
die entgegengesetzten Aeusserungen Schleiermacher's auf dem tieferen
und wahreren Gedanken einer auch der objectiven Realität innewoh-
nenden Gesetzmässigkeit beruhen, wonach auch die organische Affection
als die unmittelbare Action der Dinge in uns oder als »unser Sein,
sofern es mit dem ausser uns gesetzten Sein identisch ist« (Dial. S. 56)
den Charakter einer vemunftgemässen Ordnung an sich tragen muss.
Zu dem ganzen vorstehenden Abschnitt vgl. des Verf. Abhandlung :
»Zur logischen Theorie der Wahrnehmung und der zunächst an die
Wahrnehmung geknüpften Erkenntnissweisen«, in der von I. H. Fichte,
ülrici und Wirth herausgegebenen Zeitschrift für Philosophie und
philos. Kritik, neue Folge, Bd. XXX, Heft 2, Halle 1867, 8. 191—226
(besonders S. 222—224 über die Realität des Raumes). (Daselbst ist S. 192,
Z. 18 V. o. statt begründenden begründeten, 8. 216, Z. 10 v. o. statt
Gestalt Existenz, S. 223, Z. 9 v. u. statt Erscheinungen Entfernungen
zu lesen.) Femer seine Abhandlung: »Zur Theorie der Richtung des
Sehens«, in Henle's und Pfeuffer's Zeitschrift für rationelle Medicin,
dritte Reihe, Bd. Y, 1858, S. 268—282 (besonders über den Unterschied
des objectiv-realen Raumes von dem Räume des Sehfeldes). Vgl. auch
die Noten zu seiner Uebersetzung von Berkeley's Principles of human
knowledge, Berlin 1869.
Die obige Argumentation für die Ausdehnung der »Dinge an
sich« in drei Dimensionen ist von Alb. Lange in seiner »Geschichte des
Materialismus«, Iserlohn 1866, S. 497 — 499 bekämpft worden, worauf
der Verfasser dieses Buches theils in seinem Grundriss der Gesch.
der Philos. Bd. HI, 1. Aufl., Berlin 1866, S. 279, 2. Aufl. ebd. 1869,
S. 808, theils oben in den Noten, S. 85 und 86—87, antwortete.
Vgl. s. Aufsatz über den Grundgedanken des Kantischen Kritioismus,
in der Altpreuss. Monatsschrift VI, 1869, S. 215—224.
Eine der vorstehenden verwandte Argumentation für den Satz,
dass die Ausdehnung in drei Dimensionen den Dingen an sich selbst
zukomme, führt Heinrich Böhmer in der dritten Abtheilung seiner
Schrift »die Sinneswahmehmung in ihren physiologischen und psycho-
§ 44. Ueber die Realität von Baum und Zeit. 121
logischen C^etzen«, Erlangen 1868, indem er S. 677 vorläufig bemerkt,
dass, während in Bezug auf die Existenz des Raumes die »apodiktische
Gewissheit« (? — sollte heissen: naive Zuversicht) des populären Be-
wnsstseins nicht schwankend gemacht werde durch missliche Thatsachen
der Erfahrung, dieselbe entschieden verstärkt werde durch die höchsten
Resultate der Wissenschaft, da das allgemeinste aller Naturgesetze, das
Gravitationsgesetz, und die umfassendste aller naturphilosophisohen
Theorien, die atomistische, beide gemeinsam in diese Riehtung deuten,
und S. 727 ff. auf Grund der Yoraussetzung der Realität der Natur-
gesetze überhaupt aus bestimmten Gesetzen, insbesondere aus dem Fall-
gesetze, dass die Fallräume sich wie die Quadrate der Fallzeiten ver-
halten, welches sich nicht »in die subjective Sprache übersetzen« lasse,
den Schluss auf die objectiv reale Existenz des Raumes zieht. Doch
fehlt in der Böhmer'sohen Argpimentation ein Zweifaches : 1) der durch-
geführte Nachweis der Beziehimg unseres Bewusstseins auf solches, was
unabhängig von demselben existirt und demgemass auch der Erweis
der objectiven Realit-ät der Naturgesetze aus der Art, wie unsere Sinne
afficirt werden, im Verein mit den Ergebnissen der inneren Erfahrung
(vgL oben § 41 ff.), 2) besonders aber der Nachweis des engen Zusammen-
hangs bestimmter Naturgesetze mit der eigenthümlichen Bestimmtheit
des in drei Dimensionen ausgedehnten Raumes, ohne welchen Nachweis
Bohmer's Frage keine zwingende Kraft hat (S. 780): »denn wie wäre
es möglich, die Existenz eines solchen (wirklichen Raumes) in der Rech-
nung zu substituiren und nachher die Resultate der Rechnung an einer
anders gestalteten Wirklichkeit zu prüfen?« Man könnte antworten,
die Harmonie zwischen Rechnung und Erscheinung sei allerdings mög-
lich, vermöge einer gegenseitigen Gompensation der beiden zusammen-
gehörigen Fehler, dass bei der Rechnung die in unserer Anschauung
(in Folge des Zusammenwirkens einer ihr ursprünglich eignenden Form
mit einer uns unf assbaren realen Ordnung der »Dinge an sich«) er-
scheinende räumliche Ordnung selbst für objectiv real gehalten, und
dass bei der Prüfung die Umbildung des objectiv Realen, die vermöge
der Projeotion desselben in unser Bewusstsein stattfände, vernachlässigt
würde; wir können ja nicht direct an einer »anders gestalteten Wirk-
lichkeit« prüfen, sondern direct nur an der Art, wie uns dieselbe erscheint.
Eine mit Bewusstsein begabte Cameraplatte würde sich in gewissem
Maasse Erwartungen über die Succession der Ereignisse nach vermeint-
lich erkannten »Naturgesetzen« machen können, die mindestens oft
Bestätigung finden würden, indem sie die ihr in's Bewusstsein tretende
Regelmässigkeit der ihr erscheinenden Ereignisse für die objectiv reale
Gesetzmässigkeit nähme, nach der die Ereignisse in einem, wie sie glauben
würde, nur in zwei Dimensionen existirenden realen Räume stattfandt^n,
und die Umbildung aller objectiv realen Erfolge durch deren Projeotion
in ihr Bewusstsein ihr unbekannt bliebe. Alles Gewicht ist bei dieser
Untersuchung auf den Umstand zu legen, dass die Platte die von ihr
für objectiv real gehaltenen Gesetze nicht aus der Natur des ihr allein
bekannten, in zwei Dimensionen ausgedehnten Raumes in dem Maasse
122 § 44. Ueber die Realität von Ranm und Zeit.
würde verstehen können, in welchem wir das Gravitationsgesetz ans
den drei Dimensionen des Raumes verstehen (s. o. S. 114); die ihr er-
scheinende R^elmässigkeit der thatsächlichen Erfolge stände mit der
Eigenthümlichkeit ihres Anschauungsraumes nicht in solcher Harmonie,
wie bei uns. Hierin liegt der Kern meines Beweises. — Uebrigens ist
zwar H. Böhmer*s Erklärungsversuch des Aufrechtsehens und des
Draussensehens, wie ich glaube, nachweisbar verfehlt, da die Strahlen,
denen nach seiner Annahme die Empfindung auf ihrem Wege nach
aussen hin nachfolgen soll, in der Gonstanz wie sie zum Behuf dieser
Erklärung bestehen mussten, thatsächlich nicht bestehen, und da,
wenn sie so beständen, doch schlechthin unerklärt bliebe, wie es der
Empfindung möglich sei, an ihnen hin aus uns herauszutreten; hier-
von abgesehen aber kommt seine Erkenntnisslehre, die er S. 661 ff.
in einer gedrängten und doch klaren und geistvollen Form entwickelt,
in den Grundgedanken mit der in dem vorliegenden »System der Logik«
vorgetragenen überein.
Ueber die neuere Entwicklung der Raumtheorien vergl.: 0.
Lieb mann, Raumcharakteristik und Raumdeduotion, in d. Viertel-
jahrsschr. f. wiss. Philos. Bd. 1. 1877. S. 201 und S ig wart, Logik.
Bd. 2. § 67 u. 68. ~ Lotze, Syst d. Philos. Bd. 2. Metaphysik. Buch
2. Gap. 1 — 3. — Wundt, Logik. Bd. 1. Abschn. 5. Cap. 3. Die An-
schauungsformen. S. 428 u. ff. — u. bes. B. Erdmann, Die Axiome
der Geometrie, eine philos. Untersuch, der Riemann-Helmholtz'schen
Raumtheorie. Leipzig 1877. — Helmholtz, Die Thatsachen der Wahr-
nehmung. Berlin 1879. — Eine logische Deduction des Raumes, welche
die Denknothwendigkeit beweisen will, hat neuerdings versucht: 0.
Schmitz-Dumont, Die mathemat. Elemente der Erkenntnisstheorie.
Berlin 1878. Dass bei diesem wie bei ähnlichen Versuchen mehr oder
minder verstohlene Anlehen bei der Anschauung gemacht werden, hat
A. Riehl in seinem Buche: Der philos. Kriticismus. Bd. 2. 1879.
Th. 1. S. 167 in dem überhaupt lesenswerthen Cap. 2 Entstehung und
Bedeutung der Vorstellungen von Zeit und Raum darzulegen gesucht.
— Auch Wundt will beweisen, dass es den Versuchen intelligibler
Raumconstructionen ebenso wie den logischen Deductionen des Raumes
widerfährt, dass sie diesen bereits voraussetzen. Bei jenen insbesondere
sollen die synthetischen Frocesse der räumlichen Wahrnehmung irgend-
wie ontologisch hypostasirt, bei diesen irrthümlich der psychologischen
Reconstruction der Raumanschauung eine logische Deduction des Raumes
substituirt werden. Der Begriff des objectiven Raumes könne blos auf
analytischem, nicht auf' synthetischem Wege gewonnen werden. — Ob
die psycholog^chen Processe, durch welche die Raumanschauung ent-
steht, ihre letzten Wurzeln ausschliesslich im Subject haben, oder ob
sie durch die Beschaffenheit des Empfundenen mit bedingt sind, will
S ig wart als eine Streitfrage ansehen, welche für die logische Betrach-
tung keine entscheidende Bedeutung hat Für die logische Analyse der
Ranmvorstellung sei diese jedenfalls eine gegebene, und es seien keine
Processe aufweurbar, durch welche wir sie in ihrer Gresammtheit mit
§ 44. üeber die Realität von Raum und Zeit. 123
Bewusstsein so erzeugten, dass wir die einzelnen Schritte auf einfache
Acte zurückführen könnten, wie dies beim Fühlen möglich sei. Die
logische Bearbeitung müsste demnach von der Gesammtvorstellung
des Raumes ausgehen, die sie thatsäohlich vorfinde, und könne nur
innerhalb derselben etwa Unterscheidungen vornehmen, um zu möglichst
einfachen und bestimmten Yorstellungselementen zu gelangen, die aber
alle von der Gesammtvorstellung getragen seien und diese voraus-
setzten. Ebenso beruhe zuletzt die Aufsuchung und Fizirung der
Elemente, welche in der Tor Stellung der Zeit enthalten sind, auf der
Fähigkeit, auf unsere im Bewusstsein des zeitlichen Verlaufs wirkenden
Functionen des erinnernden Zusammenfassens zu reflectiren und ihre
Relationen zu einander als nothwendige zum Bewusstsein zu bringen,
die bei jedem beliebigen Zeitinhalt dieselben sind.
Zweiter Theil.
Die Einzelvorstellnn^ oder Ansehaanng in ihrer Beziehung zu, der
ohjeetiyen Einzelexistenz.
§ 45. Die Einzelvorstellang oder die Anschan-
nng (repraesentatio singalaris, coneeptns singularis) ist das
psychische Bild der objectiven (oder doch mindestens als
objectiv fingirten) Einzelexistenz.
Die äuBsere oder räumliche und zeitliche Ordnung, welche sich
in der Wahrnehmung darstellt, soll durch das Denken überhaupt auf
die innere Ordnung, deren Ausfluss sie ist, gedeutet werden. Der erste
Schritt zur Lösung dieser Aufgabe ist naturgemäss die Unterscheidung
der Individuen vermittelst der Einzelvorstellungen.
Das Wort Vorstellung wird hier nicht in der Bedeutung : re-
producirte Wahrnehmung, aber auch nicht in der Bedeutung:
psychisches Gebilde überhaupt, sondern in dem Sinne: psy-
chisches Bild individueller Existenz gebraucht, und zwar
sowohl von dem bereits in der Wahrnehmung liegenden, als auch von
dem durch Erinnerung reproducirten Bilde. Die Vorstellung ist theils
Eiuzelvorstellung oder Anschauung, die auf Ein Individuum
(oder auch auf an Einem Individuum Befindliches) geht, theils allge-
meine Vorstellung, welche letztere, auf eine zusammengehörige
Gruppe von Individuen (oder doch von solchem, was an Individuen
sich findet) bezüglich die nächste psychische Grundlage des Begriffes
ausmacht. Was von beiden Arten der Vorstellung gleichmässig gilt,
soll schon in diesem Abschnitte zur Erörterung kommen.
§ 46. Die einzelnen Anschannngen heben sich
aus dem ursprünglich nngeschiedenen Gesammtbilde der Wahr-
nehmung allmählich hervor, indem der Mensch zunächst sich
selbst im Gegensatze gegen die Aussenwelt als ein Einzel-
wesen erkennt, danach dieselbe Form der Einzelexistenz
oder Individualität auch auf ein jedes äussere Sein über-
trägt, dessen Erscheinung sich gegen andere Erscheinungen
§46. üntersoheidnngr der Individuen durch die £inz6lvorBtellungeii. 125
als isolirbar erweist Was die logische Berechtigung
der Anwendung dieser Erkenntnissfonn betrifft, so stuft sich
dieselbe im Allgemeinen nach den nämlichen Kriterien ab,
wie (nach § 42) die Wahrheit der aus unserem Innern stam-
menden und die sinnliche Wahrnehmung ergänzenden Erkennt-
nisselemente überhaupt. Denn a. in Bezug auf die eigene
Person verbtlrgt uns das Selbstbewusstsein unmittelbar die
Realität der individuellen Existenz (vgl. § 40) ; b. allen anderen
persönlichen Wesen muss eben so gewiss, wie (nach § 41)
eine unserer eigenen analoge Existenz überhaupt, auch die
Existenzform als Einzelwesen zuerkannt werden; c. da (nach
§ 42) die Analogie der Dinge ausser uns mit unserem eigenen
Wesen zwar stufenweise abnimmt, aber an keinem Punkte
^Lnzlich verschwindet, so dürfen wir uns mit Recht überzeugt
halten, dass die Gliederung in relativ selbständige Individuen
auch der Gesammtheit des nicht persönlichen Seins in Wirk-
lichkeit zukommt und nicht bloss von uns vermöge einer sub-
jectiven Nothwendigkeit hineingelegt wird; doch beweisen
auch die sinnlichen Erscheinungen im Verein mit den ana-
logen Abstufungen auf dem Gebiete des geistigen Lebens, dass
die Grenze zwischen dem individuellen Dasein und dem Auf-
gehen in ein grösseres Ganzes um so unbestimmter und
schwankender wird, je tiefer ein jedes Object in der Stufen-
reihe der Wesen steht; d. nach der anderen Seite hin wird
bei der grössten geistigen Höhe die vollste individuelle Selb-
sföndigkeit zugleich mit der ausgedehntesten und innigsten
Gemeinschaft des Lebens und Wirkens gefunden. — Die An-
schauung oder Einzelvorstellung ist, gleich wie die Wahr-
nehmung (§ 41 — 42), um so zutreffender, je mehr jedesmal
die angegebenen Abstufungen richtig beobachtet worden sind.
•
Unter den positiven Wissenschaften sind besonders die Botanik
nnd die Zoologie vielfach im Einzelnen auf die hier behandelten Pro-
bleme geführt worden, deren volle Lösung jedodi nicht durch die eigen-
thümlichen Mittel dieser Wissenschaften allein, sondern nur dnrch Hin-
znnahme der allgemeinen logischen (erkenntnisstheoretischen) Betrach-
iongen gewonnen werden kann. Aristoteles geht weder in seinen
physischen, noch in seinen logischen und metaphysischen Schriften tiefer
auf dieselben ein. Er erklärt die Einzelwesen für die ersten Substanzen
{nffwtu ovaUu), ohne jedoch die Erkennbarkeit, das Wesen und die
126 § 46. Unterscheidung der Individuen durch die Einzelyorstellangen.
Grenzen der Individuitat einer genaueren üntersnohung zn unterwerfen.
Erst in der neueren Zeit sind solche Fragen, wie: ob die Pflanze oder
der einzelne Spross (Auge, Knospe etc. ; »gemmae totidem herbaec Linne;
vgl. Roeper, Linnaea, S. 434, J. V. Carus, Generationswechsel, S. 80,
und andere neuere botanische Schriften), und ebenso, ob der Korallen-
stock oder das einzelne Korallenthier das wahre Individuum sei, femer,
inwiefern das Leben des Embryo ein individuelles und selbständiges
und inwiefern es ein Theil des mütterlichen Lebens sei und dergl. mehr,
in ihrer vollen Bedeutung als wissenschaftliche Probleme erkannt worden.
Von der Einzelforschung aus sind auch Naturkundige zu der Ansicht
gelangt, dass das Individuum nicht in anderem Sinne für real gelten
dürfe, als auch die Species, das G^nus etc.; dass nicht die Einheit der
sinnlichen Erscheinung, sondern die Einheit der Entwickelungsreihe das
Individuum charakterisire ; dass das Pflanzenindividuum an innerer Ein-
heit weit hinter dem thierischen zurückstehe etc. S.Braun, die Ver-
jüngung in der Natur, 1850, S. 26; 844; Jürgen Bona Meyer, des
Aristoteles Thierkunde, 1855; Carl Nageli, die Individualit&t in der
Natur, in: Akad. Vorträge, Zürich 1856; Rud. Virchow, Atome und
Individuen, Vortrag, gehalten 1859, gedruckt in: 4 Reden über Leben
und Kranksein, Berlin 1862, S. 85—76, der S. 45 das Individuum definirt
als »eine einheitliche Gemeinschaft, in der alle Theile zu einem gleich-
artigen Zwecke zusammenwirken oder nach einem bestimmten Plane
thatig sind«. — Auch auf anderen Gebieten ist das Bewusstsein von
den Abstufungen der Individuität eine wesentliche wissenschaftliche An-
forderung und eine Bedingung, ohne welche sich die Lösung vieler
wichtigen Streitfragen nicht gewinnen lässt. So kann z. B. in der
Homerischen Frage der schroffe Gegensatz der Unitarier und der Ohori-
zonten nicht ohne die wissenschaftliche (schon von Aristoteles gewonnene)
Einsicht überwunden werden, dass das Epos seiner Natur nach als eine
frühere und minder hohe Entwickelungsstufe der Dichtung nicht der
streng geschlossenen Einheit des Dramas fähig ist, wiewohl es eine
gewisse poetische Einheit nicht ausschliesst ; dass ebenso der einzelne
epische Dichter jener ältesten Zeit innerhalb der Gemeinschaft der
Sängerfamilie, der er angehört, nur in geringerem Maasse selbständige
Eigenthümlichkeit besitzt, als der Dramatiker innerhalb seines Kreises,
und dass demgemäss nicht sowohl zu fragen ist, ob dem Einen oder
den Vielen das Gedicht, sondern welcher Antheil dem Einen und
den Vielen zuzuschreiben ist, insbesondere: was als vorhomerische Grund-
lage vorauszusetzen sein möge, welches das Werk des Einen Meisters
sei, der, vorgebildet durch Vertrautheit mit den kleineren Dichtungen
der auf Geschichte und Volkssagen fnssenden früheren Sängrer, den
Gedanken des grosseren Epos fasste und realisirte, was Zuthat der
naohhomerischen Dichter sei, und worin das Verdienst oder die Schuld
der Rhapsoden, der Sammler imd endlich der ordnenden, prüfenden*
und erläuternden Grammatiker bestehe.
Die Spinozis tische Lehre von der Einen Substanz setzt mit
unrecht alle individuelle Existenz auf das gleiche Maass der Bedentungs-
§46. Untersobeidang der Individuen durch die Einzelyontellungen. 127
losigkeit herab. Die Leibnizische nnd Herbart'sche Monaden-
lehre übertragt mit gleichem Unrecht die volle geschlossene Individnalität,
welche dem personlichen Mensohengeiste zukommt, auch auf die letzten
Elemente der organischen und unorganischen Natur, die ihr als raum-
lose selbständige Einzelwesen gelten. Der Kantische Eriticismus
glaubt die richtige Mitte zwischen diesen beiden Extremen in der Lehre
von der theoretischen Unentscheidbarkeit der betreffenden Probleme zu
finden, indem er die Kategorien: Einheit, Vielheit und Allheit zu den
subjectiven Erkenntnisselementen rechnet, die, in der Einrichtung unseres
Erkenntnissvermogens begründet, von uns zwar mit Nothwendigkeit auf
die Erscheinungswelt übertragen werden, aber auf die realen Wesen
oder die Dinge an sich keine Anwendung finden. Schellin g, Hegel
nnd Schleiermacher erkennen diesen Formen wiederum reale Gültig-
keit zu, suchen aber zugleich auch die verschiedenen Stufengrade der
Individualisation zu bestimmen, so zwar, dass Schelling und Hegel der
von Spinoza begründeten Einheitslehre, Schleiermacher dagegen in
gewissem Betracht dem Leibnizisöh - Herbart'schen Individualismus
näher steht.
Neuerdings hat auch Sigwart in seiner Logik Bd. 2 §78 »Die
verschiedenen Einheitsformen in den Begriffen der Dinge« dieses
Problem zum Gegenstand einer logischen Betrachtung gemacht. Nach
seiner Ansicht scheidet sich die Einheit von Begriffs-Elementen, welche
in den Begriffen der Stoffe gedacht wird, von der Einheit, welche im
Begriffe der individuellen Form lieg^. Und diese letztere Einheit ist ent-
weder eine bloss causale, oder zugleich eine teleologische. Während
bei der Synthese, welche den Begriff des Stoffes implicire, Gestalt und
Grösse gleichgültig sei und bei der Aufstellung des Begriffs von diesen
Bestimmungen als zufälligen und wechselnden abstrahirt werde, die
2kkhl der Theile in ihrer Lage zu einander durch keine Regel bestimmt
sei, finde hier eben dieses Yerhältniss der Theile zu einander seine
Stelle als Bestandtheil des Beg^ffs selbst, und vereinige sich mit den
den blossen Stoff ausdrückenden Merkmalen als constituirendes Element
der Synthese. Zunächst sei es die blosse geometrische Form einer
räumlich abgeschlossenen Begrenzung, welche den Objecten eine feste
Einheit gebe und die beliebige Theilbarkeit ausschliesse, wie z. B.
bei den Krystallen. Eine andere Bedeutung gewinne der Begriff der
Form da, wo er zugleich die Zusammensetzung eines Ganzen aus ver-
schiedenartigen^ in bestimmter räumlicher Lage verbundenen Theilen
implicire. Das leitende Element in der Auffassung und Unterscheidung
solcher orgranischen Formen sei zunächst das räumliche Bild, wie es
die blosse Zeichnung schon zu geben vermöge, mit der bestimmten An-
ordnung different geformter Theile ; aber die Frage, wodurch denn nun
dieses Yerhältniss der Theile zu einander in dieser Form bestimmt sei,
weise auf die Voraussetzung nothwendiger Beziehungen der Theile zu
einander hin, es werde somit für die Synthese dieser Begriffe ein
Princip dieser Beziehungen gesucht. Als ein solches Princip biete sich
zunächst ein causales Verluiltniss der Theile zu einander. Wo aber
128 § 46. Unterscheidung derlndividaen durch die Einzelvoratellnngen.
differente Bestandtheile in einer Form zusammentreten, welche nicht
als durch die Natur des Stoflfes nach allgemeinen Gesetzen bestimmt
erkannt werden könnten, biete sich ein anderes Princip der Einheit
der Synthese im Begriffe des Zweckes. Die Anwendbarkeit des Ter-
minus »Individuumc nun beginne erst, wo eine bestimmte Beziehung
zwischen der Einheit des Ganzen und der Vielheit der Theile bestehe,
wo die Theile eine bestimmte Einheit des Ganzen, oder der Zweck des
Ganzen eine bestimmte Zusammenfassung von Theilen nothwendig
mache, und darum die Einheit nicht willkürlich und zuföllig sei.
GoUectivbegriffe endlich enthielten eine Synthese individueller Einheiten,
die auch entweder bloss causal oder zugleich teleologisch seien. —
Betrachtungen über die psychologische Bildung des Begriffes eines Zeit-
und Raumindividuums und über den vitiösen Girkel bei der Bildung
dieses Begriffes finden sich in Schuppe's erkenntnisstheoret Logik.
Th. 2. Abschn. 1. Cap. XV. u. XVI. S. 416-496.
§ 47. Wie die Einzelvorstellnng ttberhaapt der Einzel-
existenz, so entsprechen die verschiedenen Arten oder
Formen derselben den verschiedenen Arten oder Formen
der Einzelexistenz. Die Einzelexistenz wird nämlich
zuerst an selbständigen Objecten erkannt. Wenn aber das
Object einer Vorstellung ein Ganzes ausmacht, an welchem
sich verschiedene Theile, Thätigkeiten, Attribute und Ver-
hältnisse unterscheiden lassen, so dürfen auch in entsprechender
Weise die verschiedenen Elemente einer solchen Vorstellung
wiederum einzeln als Vorstellungen betrachtet werden. Hier-
bei sind zwei Fälle zu unterscheiden. Entweder wird den
Objecten dieser Vorstellungen die Form der gegenständlichen
Selbständigkeit geliehen, jedoch mit dem Bewusstsein, dass
dieselbe nur eine fingirte, nicht eine reale ist, oder diese
Objecto werden schlechthin als unselbständige angeschaut.
Auf diese Verhältnisse gründen sich die Formen der sub-
stantivischen concreten, der substantivischen
abstracten, und der verbalen, attributiven und Be-
lations-Vorstellung. Die Formen der Einzelvorstellungen
und des sprachlichen Ausdrucks derselben in ihrer Beziehung
zu den entsprechenden Existenzformen (und metaphorisch die
letzteren selbst) sind die Kategorien im Aristotelischen
Sinne des Wortes. — Alle diese Kategorien werden von den
objectiv gültigen Vorstellungen aus auch auf solche übertragen,
deren Objecto (wie z. B. die mythologischen Wesen) blosse
Fictionen sind.
§ 47. Yontellnngsfonnen und Wortarten. 129
Wie die (logischen) Yorstellungsfonnen den (metaphysis oben)
Formen der Einselexistenz entsprechen, so entsprechen ihnen wiederam
die (grammatischen) Formen oder Arten der Worte. Das Wort
ist der Ausdmck der Vorstellung in der Sprache. Die Vorstellung eines
selbständig existirenden Gegenstandes wird durch das Substantivum
concretum ausgedrückt^ woran sich dasFronomen substantivum
als Bezeichnung der Person oder Sache durch ihr Verhältniss zu dem
Redenden anschliesst. Die Vorstellung dessen, was unselbständig existirt,
aber unter der entlehnten Form selbständiger Existenz angeschaut
wird, wird durch das Substantivum ab str actum bezeichnet, die
Vorstellung des unselbständig Existirenden als solchen, je nachdem das-
selbe eine Thätigkeit oder eine Eigenschaft (oder Beschaffenheit) oder
ein Verhältniss ist, durch das Verbum, das Adjectivum nebst dem
adjectivischen Pronomen und Adverb und durch die Präpo-
sition nebst den Flexi ons formen. Nur auf Grund der Begriffs-
bildung können die Numeralia verstanden werden, welche die Sub-
sumtion gleichartiger Objecto unter den nämlichen Begriff voraussetzen,
und nur auf Grund der Urtheils- und Schlussbildung die Conjunc-
tionen, welche Sätze und Satztheile mit einander verknüpfen, in deren
g^enseitigen Beziehungen sich die entsprechenden Verhältnisse von
Vorstellongsverbindungen zu einander bekunden, die ihrerseits wiederum
auf Verhältnissen zwischen realen Verbindungen beruhen müssen (wo-
gegen die Präpositionen mittelst der Beziehungen zwischen einzelnen
Worten und Wortcomplexen, welche die entsprechenden Beziehungen
zwischen einzelnen Vorstellungen zum Ausdruck bringen, die Verhält-
nisse einzelner Dinge, Thätigkeiten eta zu einander bezeichnen). Die
Interjectionen sind nicht eigentliche Worte, sondern nur der un-
mittelbare Ausdruck der nicht in Vorstellungen und Gedanken ent-
wickelten Empfindungen.
»Der Bau aller Sprachen weist darauf hin, dass seine älteste Form
im Wesentlichen dieselbe war, die sich bei einigen Sprachen einfachsten
Baues (z. B. beim Chinesischen) erb alten hat. Das, wovon alle Sprachen
ihren Ausgang genommen haben, waren Bedeutungslaute, einfache
Lautbilder für Anschauungen, Vorstellungen, Begriffe, die in jeder Be-
ziehung, d. h. als jede grammatische Form fungiren konnten, ohne dass
für diese Functionen ein lautlicher Ausdruck, so zu sagen ein Organ
vorhanden war. Auf dieser urältesten Stufe sprachlichen Lebens giebt
es also, lautlich unterschieden, weder Verba noch Nomina, weder Gon-
jugation noch Deolination. Die älteste Form für die Worte, die jetzt
im Deutschen That, gethan, thue, Thäter, thätig lauten, war
zur Entstehungszeit der indogermanischen Ursprache dha, denn dieses
dha (setzen, thun bedeutend; altindisch dha, altbaktrisch dha, grie-
chisch ^€ , litauisch und slavisch de, gotisch da, hochdeutsch ta) ergiebt
sich als die gemeinsame Wurzel aller jener Worte. In etwas späterer
Entwickelungsstufe des Indogermanischen setzte man, um bestimmte
Beziehungen auszudrücken, die Wurzeln, die damals noch als Worte
fnngirten, auch zweimal, fügte ihnen ein anderes Wort, eine andere
9
180 § 47. Vorstellungsformen und Wortarten.
Wurzel bei; doch war jedes dieser Elemente noch selbständig. Um z. B.
die erste Person des Präsens zu bezeichnen, sagte man dha dfaa mi,
aus welchen im späteren Lebensverlaufe der Sprache durch Verschmel-
zung der Elemente zu einem Ganzen und durch die hinzutretende Ver-
änderungsfähigkeit der Wurzeln dhadhami (altindisch d&dhami, alt-
baktrisch dadhami, griechisch Ti^tjfii^ althochdeutsch tom, tuom, 4^tami,
neuhochdeutsch thue) hervorging. In jenem ältesten dha ruhten die
verschiedenen grammatischen Beziehungen, die verbale und nominale
sammt ihren Modificationen, noch ungeschieden und unentwickelt, wie
solches sich bis jetzt bei den Sprachen beobachten lässt, die auf der
Stufe einfachster Entwiokelung stehen geblieben sind. Ebenso, wie mit
dem zufällig gewählten Beispiele, verhält es sich aber mit allen Worten
des Indogermanischen c (Aug. Schleicher, die Darwin'sche Theorie und
die Sprachwissenschaft, Weimar 1868, S. 21—28).
Das logische Bewusstsein von den verschiedenen Vorstellungs-
formen hat sich ursprünglich zugleich mit und an dem grammatischen
Bewusstsein von den verschiedenen Wortarten und dem metaphysischen
Bewusstsein von den verschiedenen Existenzformen entwickelt. Vgl.
Classen, de gramm. Graecae primordiis, Bonn 1829; L. Lorsch, die
Sprachphilosophie der Alten, Bonn 1888—41, Bd. II. (die Sprachkate-
gorien), Bonn 1840; 6. F. Schömann, die Lehre von den Bedetheilen
nach den Alten, Berlin 1862 ; H. Steinthal, Geschichte der Sprachwiss.
bei den Griechen und Kömem mit besonderer Rücksicht auf die Logik,
Berlin 1868. Plato kennt den g^ramma tischen Gegensatz des ovofia
und (}rjfia (Theaet. p. 206 D; vgl. Gratyl. p. 899 A). Der Verfasser des
Dialogs Soph. (p. 261 E sqq.) führt denselben auf den Gegensatz der
entsprechenden Existenzformen: Ding und Handlung zurück, und setzt
diesen letzteren wiederum in Beziehung zu dem allgemeineren Gegen-
satze der Beharrung und Bewegung, den er zugleich mit dem der Iden-
tität und Verschiedenheit unmittelbar unter die allgemeine Einheit des
Seins stellt. Aristoteles vervollständigt die Eintheilung der Wort-
arten durch Hinzufügung des avvJefffiog, d. h. der Partikel (die speciellere
Bedeutung Conjunction erhält dieses Wort erst später bei den Gramma-
tikern). Er lehrt, dass das Wort, namentlich das ovofia und das Qfifi€Cj
der Vorstellung, dem vorifjia^ entspreche: Mmi fjihv oiv ja iv rj (pavy
TÖiv iv rjf ^vx^ ntt&TifittTfov avfißoXa. -^ ra oiv ovoftara avra xal ra
^lifuara iotx€ Tip avev avv&iasats xtd diatQ^(r€<oe vo^ftaii (de interpr. 1.
16. a. 3 u. 18). Das ovofia ist eine conventionelle Bezeichnung ohne
Mitbezeichnung der Zeit, das ^^/u« unter Mitbezeichnung der Zeit;
der avvd^Ofioq grilt dem Aristoteles als unselbständige tpiavvi aaiifioCy
z. B. fiivy ^TOf, Sri (de interpr. c. 2 u. 8; Poet. c. 20. 1466 b). In
der Poet. (c. 20. 1457 a. 6) wird auch das ag^Qoy genannt; doch
ist die Lesart schwankend und die Echtheit der Stelle zweifelhaft
(vergl. V. Verfasser Aristotelis Ars poet., ad fidem potissinL oodic.
antiquiss. A,^- (Paris 1741). Berol. 1870. p. 25). — Die einzelnen
Vorstellungen und Worte nennt Aristoteles ra av^v avfinloxij(y ta
xara ftri^e^üev avftnloxrjv UyofAivu (Gat. c. 2. 1 a. 16; 0. 4. 1 b. 25),
§ 47. Die Kategorien im Aristotelischen Sinne. 131
d. h. die imyerbandenen Elemente, in die der Satz oder das ürtheil
(loyoc) sich bei der Zerlegrang auflöst. Aristoteles theilt die Vor-
stellungen nach ihren formalen Verschiedenheiten in zehn Classen
ein. Er lägst sich bei dieser Eintheilung von der Gmndansicht leiten,
dass die Vorstellungen als die Elemente des Gedankens den Elementen
der objectiven Wirklichkeit und demgemäss auch ihre Formverschieden-
heiten den Formverschiedenheiten des Vorgestellten entsprechen müssen.
Jede Vorstellung, wie auch ihr sprachlicher Ausdruck oder das Wort
bezeichnet entweder 1 . eine Substanz oder 2. eine Quantität oder 8. eine
QnaUtät oder 4. eine Relation oder 5. ein Wo oder 6. ein Wann oder
7. eine Lage oder 6. ein Haben (sich Verhalten) oder 9. ein Thun oder
10. ein Leiden. TiSv xmu ^nidefilav avfjLTiXoxJiv Xeyo/tiävwv axaarov rproi
ovaiay atifiaivH ^ noaov ^ noiov ^ nqog ii ^ nov ^ nmh ^ xsTa^ai ^
ffXf*y V noiiiv rj naa^fiy (de categ. c. 4. 1 b. 26). Die Aristotelischen
Beispiele sind: 1. avS-QatnoSy tnnog, 2. dlniixvy TQ^ntfj^v, 3. XtvxoVf ygafi-
fimucoPf 4. dtnXamov, fj/juav, fielCov, 6. iv uiuxtü^, iv ^yoQ^y 6. iz^^^t
nl^wstv, 7. avttxetrai, xad-ritat, 8. ava^iffertu, SnXtaTttt, 9. t^fivet, xaCei,
10. rifAV€Tttiy xaCtrai, In dieser Vollständigkeit werden die Kategorien
auch Top. I, 9, 103 b. 20 zusammengestellt, wo die erste wie auch
flosst nicht selten, tl iart genannt wird; an sehr vielen Stellen werden
einzelne Kategorien erwähnt. Anal. post. I, 22. 83 a. 22, Phys. V, 1.
225 b. 5, Metaph. IV, 7. 1017 a. 24 fallen xeta&ai und ^x^iv aus. Anal,
post. I, 22. 88 a, 25 — 28 wird die ovaia den av/ÄßeßtixoT« entgegen-
gesetzt. (Eine dankenswerthe schematische Zusammenstellung giebt
Prantl, Gesch. der Logik I, S. 257.) Aristoteles nennt diese Formen
ra y^vij oder t« ax^fiara r^; xaifjyoQkis oder rtSv xcetr^ogi^v^ auch
kommt häufig die wegen ihrer Kürze bequemere Bezeichnung xarriyo^Cai
vor. Nun heisst xajffyo^iu bei Aristoteles zunächst: Aussage oder Pr&-
dieat, und danach lässt sich der Ausdruck: ta yivri t^v xarrfyoQtwv
oder ai TantfyoQieu übersetzen: die Arten der Aussagen oder der Prä-
dieate. Wollten wir hiemach unter xarrjyoQia dasjenige verstehen, was
seiner Natur nach im Satze die Stelle des Prädicates und nicht die des
Subjectes einnehme, so würde diese Bezeichnung zwar auf die meisten
der nenn letzten Formen passen, aber nicht auf die erste, da dieser
rielmehr naturgemäss die Stelle des Subjectes zukommt. Nur die Vor-
stellungen der Genera oder der von Aristoteles sogenannten »zweiten
Substanzen f, aber nicht die Individualvorstellungen, die auf die Einzel-
substanzen, also auf die Substanzen im ersten, vollsten Sinne dieses
Wortes gehen, treten leicht und naturgemäss in die Stelle des Prä-
dicates; die Einzelsubstanz dagegen kann nur in Verbindung mit einem
noch nicht seiner eigenen Natur nach bestimmten Subjecte als Prädicat
ausgesagt werden, wi6 z. B. in dem Satze »dieses Weisse ist Sokratesc
oder: »dieses Herankommende ist Kalliasc. Da nun aber doch Aristo-
teles unter der Bezeichnung xatr^yogCai auch die Einzelsubstanzen mit-
befasst, so können darunter nicht die Pradicate überhaupt zu verstehen
sein, sondern nur die Pradicate gewisser Sätze. Welche Sätze Aristo-
teles im Auge habe, zeigt die vollständigere Bezeichnung: xarr^oQlM
133 § 47. Die Kateg^orien im Aristo telisohen Sinne.
Tov ovTog oder riSv ovtatv. Jedes ov (im weitesten Sinne dieses Wortes)
ist entweder eine ova^a oder ein noaov oder ein noiov etc. Alle bei-
stimmten Vorstellungen, mögen sie yon substantivischer Form oder
von adjectivischer oder verbaler etc. sein, sind Prädioate ihrer Objecto,
also der betreffenden Dinge, Eigenschaften, Tfaätigkeiten etC| in einem
Satze, dessen Subjeet durch eben diese, aber nur unbestimmt, als irgend-
welche ovta überhaupt, vorgestellten Objecto gebildet wird. Als Sub-
jeet ist ToDro t6 ov oder (nach Top. I, 5. 102 a. 34) ro nQoxii/nevov oder
(nach Top. I, 9. 103 b. SO) ro fxxelfitvoy zu denken. Der Plural xani'
yoQltu bezeichnet die Arten nach einer bekanntlich nicht ungewöhn-
lichen grammatischen Analogie: die xarriyo^fai lov ovros Met. VIII, 1.
1046 b. 28 sind die Arten oder Formverschiedenheiten der Aussagen
(und demgemäss auch der Vorstellungen von dem Seienden), sofern die-
selben den Arten oder Formverschiedenheiten des Seienden entsprechen,
und metonymisch die letzteren selbst. Der Begriff Art oder Formen-
verschiedenheit kann nicht durch den Plural, sondern auch durch ein
zu xttTriyoQ(a oder xarijyoQttti hinzutretendes Wort, wie «t/^jU« oder
y^vog ausgedrückt werden : Art der Aussage über das Seiende, der Pra-
didrung des Seienden, oder Form der Vorstellung von dem Seienden,
nämlich entweder substantivische Vorstellung, d. i. Bezeichnung des
Substantiellen, oder adjectivische Vorstellung, d. i. Bezeichnung des
Quäle etc. Metaph. IV, 28. 1024 b. 9. Die erste Kat^orie, die Kate-
gorie der Substanz, geht nach Aristoteles theils auf die von ihm so-
genannten ersten Substanzen {ngtorai ovaiai), d. h. die Individuen, theils
auf die zweiten Substanzen (öfviSQiu ova(ai\ d. h. die Arten und Gat-
tungen. An den ersten Substanzen unterscheidet Aristoteles die Materie
i^Xri oder vnoxilfiBvov\ die Form {itSoq oder fio^tpri oder ro rC ^v ehm
oder Ji xatit Xoyov ovaia) und das Ganze (ro ix rovriav afitpotv oder ro
avyokov). Die neun übrigen Vorstellungsarten fasst Aristoteles unter
dem gemeinsamen Namen ra avfißeßrjxora zuBVkmmen] mitunter (Metaph.
XIV, 2. 1089 b. 23) werden von ihm drei Hauptclassen, nämlich ovaiw,
TtttS'ri und TTQog ti unterschieden*). Die Stoiker bringen die zehn
*) Wie sich diese Eategorienlehre im Greiste des Aristoteles genetisch
entwickelt habe, ist ungewiss. Trendelenbnrg (de Ar ist. categ. 1888;
Geschichte der Kate^orienlehre, 1846, bes.S. 11— 33) glaubt, Aristoteles
sei darauf durch die Betrachtung grammatischer Beziehungen geführt
worden, namentlich der Wortarten, deren Kennzeichen in den Endungen
{nitoaitg) vorlagen. Insbesondere entspreche die erste Kategorie dem
Substantiv, die zweite, dritte und vierte dem Adjectiv nebst dem Nume-
rale, die fünfte und sechste dem Adverb des Ortes und der Zeit, die
siebente bis zehnte dem Verbum in seinen verschiedenen Flexionsformen.
In der That ist die Verwandtschaft der Kategorienlehre mit der
grammatischen Lehre von den Wortarten durch Trendelenburg ebenso
gründlich und scharfsinnig, wie evident dargethan worden ; ob aber der
Ursprung der Kategorienlehre in einer Betrachtung d4r Wortarten
und Unterscheidung derselben mit den jiTwang liege, dürfte wiederum
zweifelhaft sein. Die Aristotelische Unterscheidung der Redetheile f s. o.)
ist zu wenig durchgeführt, um diese Annahme zu begünstigen; nur
ovofta und (irjfiit sind als Begriffswörter unterschieden, die in einigem
§ 47. Die Kategorien im Aristotelischen Sinne. 183
Yon Aristoteles aufgestellten Kategorien auf vier zurück, welche sie r«
yinxtüitttTtt (die allgemeinsten Geschlechter) nennen und als Formen der
objeotiven Realität auffassen, nämlich 1. das Substrat (t6 vnoxsCfievov)^
Maasse wohl mit ovaCa und avfißißtjxos übereinkommen, aber nicht die
2jehnzahl der Kategorien begründen können ; zu den nxfoa^ig aber rechnet
Aristoteles (de int. o. 3) gerade solche Flexionsformen des Verbums,
auf welche er keine verbalen Kategorien gründet (wie die Tempora in
vyiavev und vyiaviT). Wenn ferner Aristoteles ein Substantiv {xaiQog)
als Beispiel eines logischen noos n anführt, so setzt dies eine von der
Unterscheidung der Wortarten unabhängige und auf wesentlich ver-
schiedenen Gründen beruhende Einsicht in die Bedeutung und die Unter-
schiede der Yor8tellun|;sformen voraus. Nicht sowohl die Wortarten,
als die Satztheile (Subject, Prädicat) hat Aristoteles unterschieden. Auf
diese letztere Unterscheidung bezieht sich die der ovo^mra und ^^juara.
Bei der Unterscheidung der verschiedenen Arten der letzteren von ein-
ander konnte sich Aristoteles an die in verschiedenen Sätzen empirisch
gegebenen Prädicate halten (wie z.B. Sokrates ist von geringer KÖrper-
grosse, Sokrates ist gebildet, Sokrates disputirt, widerlegt, ist widerlegt),
doch mag Aristoteles bei seiner Ausbildung der Kategorienlehre auch
durch bestimmte philosophische Beziehungen und namentlich durch seine
Polemik gegen die Platonische Ideenlehre auf die Kategorienlehre ge-
leitet worden sein. Aristoteles, der überall das Allgemeine im Besonderen
zu erkennen sucht, seine Speculation auf Empirie basirt, prüft die
Wahrheit der Ideenlehre an der Beziehung zu der gegebenen Wirklich-
keit. Bei diesem kritischen Streben konnte seinem Scharfblick das Miss-
verhältniss nicht entgehen, dass sich nicht alle Erscheinungen in gleicher
Weise als Abbilder der Ideen betrachten lassen, sondern einige schon
in formaler Beziehung dieser Ansicht widerstreben, und indem er sich
hierüber nähere Bechenschaft gab, musste er den Grund darin finden,
dass Plato die Ideen nur unter einer einzigen Existenzform denke und als
Ideen denken könne, nämlich unter der Form der Substantialität, während
sich die Wirklichkeit unter verschiedenen Existenzformen darstelle. Die
Idee des Guten z. B. soll eine einige sein von substantieUer Existenz
und doch zugleich das gemeinsame Urbild für alles in der Wirklichkeit
erscheinende Gute abgeben; dieses letztere aber ist nur zum Tb eil
gleichfalls etwas Substantielles, wie der Gott und der (von Aristoteles
substantiell gedachte) vovg, zum anderen Theil aber etwas Prädicatives
oder Accidentielles, eine Thätigkeit, eine Eigenschaft, ein Verhältniss,
wie die gute Handlung, die Güte der Gesinnung, die Brauchbarkeit des
Mittels zum Zweck etc., und diese formale Verschiedenheit widerstreitet
der formalen Einheit des von Plato angenommenen gemeinsamen Ur-
bildes (Arist. Eth. Nie. I, 4; Eth. Eud. I, 8, Metaph. I, 9, 990 b. 22;
Xn,4. 1079 a. 19; XIII, 2. 1089 b. 20). Durch derartige Betrachtungen
auf die Verschiedenheit der Existenzform aufmerksam geworden, musste
der ordnende und systematisirende Gteist des Aristoteles bald dahin
gelangen, eine geschlossene Reihe derselben aufzustellen. Als posi-
tive Anknüpfungspunkte konnten ihm bei der Erforschung der Kate-
gorien etwa die von Plato oder einem Platoniker im Sophista geführten
Untersuchungen über das Seiende überhaupt, über Ding und Handlung,
Beharrung und Bewegung, Identität und Verschiedenheit, Einheit und
unbestimmte Grösse und Kleinheit, femer Erörterungen wie Rep. IV,
p. 438 über relative Begriffe, Soph. p. 248 über noietv und ndaxav
als Arten der yiveais etc., Plat. Phaed. p. 98 B über Seele und Harmonie
dienen, jedoch wohl nur in geringem Maasse, weil bei Plato die Frage
nach den Formen der Einzelexistenz noch ganz hinter die Frage nach
dem Verhältniss des Einzelnen zum Allgemeinen zurücktritt; die Auf-
134 § 47. Die Kategorien der Stoiker und Anderer.
2. die (wesentliche) Eigenschaft (t6 noiov), 8. die (anwesentliche) Be^
schaffenheit (t6 nms txov\ 4. die Relation ijo ngog xi nm ^x^^)- Allen
diesen Kategorien ordnen sie den allgemeinsten aller Begriffe, nämlich
den des ov oder auch (wahrscheinlich später) den des r/ üher. (Von den
durch Aristoteles Metaph. XIII, 2. 1089 b. 23 zusammengestellten drei
Klassen von Kat^orien : ra fikv yag ova^at, xa 6k ;ro^, xa 6k TtQoc n,
kommt die erste mit der ersten und zweiten, die zweite mit der dritten,
und die dritte mit der vierten der Stoiker überein.) Zugleich bilden
die Stoiker die Lehre von den Wortarten weiter aus, indem sie das
oQ^ov als eine Wortart, nämlich als den Artikel bestimmen und später
auch das Adverbium {navd^xrijg s. v. a. fTil^^tifia) beifügen und das
ovofia in das xvqiov und die nQogtfyoftia eintheilen (Diog. L. YII, 57;
Charis. II, p. 175; vgl. Priscian II, 15 und 16: partes igitur orationis
secundum dialecticos duae : nomen et verbum, quia hae solae etiam per
se coniunctae plenam faciunt orationem ; alias autem partes syncategore-
mata, hoc est consignificantia appellabant; secundum Stoicos vero quin-
que sunt eins partes: nomen, appellatio, verbum, pronomen sive articulus,
coniunctio). Das M^^^fia dient der Erweiterung der Aussage, während
der avy6€a/ios der Verbindung der Hauptredetheile unter einander dient.
Die Lehre von der Achtzahl der Redetheile ist erst in der alexandrini-
sehen Zeit aufgekommen. Von den Philosophen waren nach logischen
Gesichtspunkten die Bestandtheile des Gedankens und demgemäss der
Rede gesondert worden; die Grammatiker, welche das empirisch ge-
gebene Sprachmaterial zu ordnen unternahmen, knüpften die von den
Philosophen im weiteren Sinne gebrauchten Bezeichnungen an bestimmte
einzelne Wortarten und brachten neue Bezeichnungen für die übrigen
Wortarten auf. Der avvJeafiofy welcher die Conjunction und Prä-
position umf asst hatte, bezeichnete nunmehr bloss die erstere, die Prä-
position ward Txgo^aaig genannt; von dem ovofxa zweigte sich die avito-
vvfACa (das Pronomen) ab ; zwischen das Verbum und das Nomen ward
das Particip (fAixoxri) gestellt; Adjeotiv und Numerale wurden dem
Nomen zugerechnet, die Interjection aber galt nicht als ein wirklicher
Theil der Rede. Priscian fusst in seiner Aufstellung der >octo partes
orationis c auf Apollonius Dyscolus; seine Theorie ist für die Folgezeit
maassgebend geblieben, während zugleich im Mittelalter die Aristote-
lische Kategorienlehre herrschte. Mit der Stoischen Kat^^rienlehre
sind die formalen metaphysischen Begriffe des Cartesius und des
Spinoza: substantia, attributum, modus, des Locke: substantia, modus,
relatio, und des Wolff: ens, essentialia, attributa, modi, relationes
extrinsecae verwandt; die Leibnizischen fünf allgemeinen Abthei-
stellung der Kategorien ist vielmehr als ein fast selbständiges Werk des
Aristoteles anzuerkennen. Vgl. Bonitz in den Sitzungsberichten der
ghil.-hist. Classe der Wiener Akad. der Wiss. Bd. X, S. 591—645, 1853,
randis, Gesch. der Gr.-Röm. Phil. II, 2, a, S. 375 ff.; Prantl, Gesch.
der Logik I, S. 182 ff., 1855; Wilh. Schuppe, die Aristotelischen
Kategorien, Berlin 1871 (zuvor im Jubiläumsprogramm des Gleiwitzer
Gymnasiums, Gleiwitz 1866).
§ 47. Die Kategorien der Stoiker nnd Anderer. 185
langen der Wesea (cinq titres g^^ranx des etres) : Substanzen, Quanti-
täten, Qualitäten, Actionen oder Passionen, und Belationen kommen der
Aristotelischen Eintheilung näher. Die Kantischen Kategorien oder
»reinen Stammbegriffe des Verstandest sollen nicht den Yorstellungs-
formen, sondern den Urtheilsverhältnissen zur metaphysischen Grund-
lage dienen. Herbart betrachtet die Formen der gemeinen Erfahrung:
Ding, Eigenschaft, Yerbältniss, Verneintes, sowie die zugehörigen Kate-
gorien der inneren Apperoeption: Empfinden, Wissen, Wollen, Handeln,
nur als Ergebnisse des psychologischen Mechanismus ohne metaphysische
und ohne logische Bedeutung. Hegel versteht unter den Kategorien
die allgemeinen begrifflichen Wesenheiten, von denen alle Wirklichkeit
durchflochten ist. Sohleiermacher gerundet seine formale Eintheilung
der Begriffe in »Subjects- und Prädicatsbegriffe«, welche er mit der
grammatischen Eintheilung der die Begriffe bezeichnenden Wörter in
Hauptwörter und Zeitwörter parallelisirt, auf den Unterschied der Exi-
stenzformen des für sich gesetzten Seins und des Zusammenseins, oder
der Dinge und der Actionen. Die Abstracta sind Substantiva, welche
die Action für den Subjectsgebrauch substantiiren. Das Zusammensein
zerfällt in Activität und Passivität, Thun und Leiden. Das Adjectiv,
welches die Qualität, d. h. das schon in das substantielle Sein aufge-
nommene Resultat einer Thätigkeit ausdrückt, muss man sich als ver-
mittelst der Participia und Verbalia aus dem Zeitwort entstanden denken
(Dial. S. 197). Lotze (Log. S. 77, vgl. S. 42 u. 60) theilt die mancherlei
Begriffe, die wir in unserem Bewusstsein vorfinden, in die drei grossen
Gruppen der Gegenstandsbegriffe, der prädicativen (d. i. verbalen und
adjectivischen) und der Relationsbeg^riffe; in jeder bedinge die Eigen-
thnmliohkeit des Kernpunktes, der als Ansatzpunkt für die Merkmale
diene, die gesammte Configuration der Theile, vergl. s. System der
Philos. Th. l. Logik. Buch 2. Cap. 1. S. 63 (Schluss). — Schon
früher war das Verhältniss von Vorstellungsformen und Wortarten ein-
gehender in Betracht gezogen worden von E. Rei nhold in seinem Lehr-
buch der philos.-propSdeut. Psychologie und der formalen Logik, Jena 1836
(2. A. 1889), sowie von K. F. Becker in seinem Organismus der Sprache.
Frankfurt a. M. 1827 (2. A. 1841); — in Bekämpfung der letzteren
Sdirift sodann besonders von Steinthal in seinem Buch: Grammatik,
Logik und Psychologie, ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander
Berlin 1855 und in seinem Abriss der Spraohwissensch. Th. 1. Berlin
1871 (2. A. 1881); — ferner im Anschluss an Steinthal von J. Glogau
in seiner Schrift: Steinthal's psycholog. Formeln zusammenhängend
entwickelt. Berlin 1876 nnd in seinem Abriss der philos. Grundwissen-
schaften. Th. 1. Die Form und die Bewegungsgesetze des Geistes. Breslau
1880. — Erörtert ist das Problem auch von Sigwart in seiner
Logik Bd. 1. Thl. 1. Abschn. 1. § 6 u. ff.; — von C. Hermann in seiner
Philos. Grammatik. Leipzig 1858 und in seinem Buch: Die Sprach-
wissenschaft nach ihrem Zusammenh. mit Log^k, menschl. Geistesbildung
und Philos. Leipzig 1875; — ebenso von H. Wolff in seinem Buche:
Logik und Sprachpfailosophie Berlin 1880. — Vgl. Trendelenburg,
Geschichte der Kategorienlehre, Berlin 1846.
136 §§ 48. 49. Klare und deutliche Yorstellungf. Die Merkmale.
§ 48. Eine Vorstellnng heisst klar (notio clara, im
Gegensatz zur notio obscura), wenn sie hinreichende Be-
wusstseinsstärke besitzt, um uns zur Unterscheidung ihres
Objectes von allen anderen Objecten in den Stand zu setzen.
Sie heisst deutlich oder bestimmt (notio distincta im
Gegensatz zur notio confusa), wenn auch ihre einzelnen Ele-
mente klar sind, mithin wenn sie zur Unterscheidung der
Elemente ihres Objectes von einander ausreicht.
Das CartesianiBche Kriterium der Wahrheit (s. o. §24) musste
Anlass geben, das Wesen der Klarheit und Deutlichkeit naher zu er-
forschen. Die obigen Bestimmungen sind dieLeibnizischen (s. §27).
Sie finden sich wieder in den sämmtlichen Logiken der Wolf fischen
und der Kantischen Periode, wo ihnen oft sogar eine fundamentale
Bedeutung beigelegt wird. Sie wurden dagegen von einem Theile der
neueren Logiker mit unverdienter Geringschätzung hintangesetzt, als
der Ueberschätzung der Klarheit und Deutlichkeit, die im 17. und 18.
Jahrhundert geherrscht hatte, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
eine Unterschätzung derselben gefolgt war.
§ 49. Merkmal (nota, Ten^rjQiov) eines Objectes ist
alles dasjenige an demselben, wodurch es sich von anderen
Objecten unterscheidet. Die Vorstellung des Merkmals ist in
der Vorstellung des Objectes als Theilvor Stellung, d. h.
als ein Theil der Gresammtyorstellung (repraesentatio parti-
cularis) enthalten.
Die Merkmale sind Merkmale der Sache, des realen (oder doch
80, als wäre es real, vorgestellten) Objectes. Von Merkmalen der
Vorstellung kaim nur insofern mit Becht geredet werden, als sie
selbst als etwas Objectives, d. h. als Gegenstand des auf sie gerichteten
Denkens betrachtet wird. »Ein Merkmal in die Vorstellung aufnehmen«
ist ein abgekürzter Ausdruck für: das Merkmal der Sache vermöge der
entsprechenden Theilvorstellung sich zum Bewusstsein bringen, oder:
in die Vorstellung ein Element aufnehmen, durch welches das betreffende
Merkmal der Sache vorgestellt wird.
§ 50. Die einzelnen Merkmale eines Objectes bilden nicht
ein blosses Aggregat, sondern stehen zu einander und zum
Ganzen in bestimmten Beziehungen, von denen ihre Gruppi-
rung, ihr eigenthümlicher Charakter und selbst ihr Dasein
abhängig ist. Dieses reale Verhältniss muss sich in dem
Verhältniss der Theilvorstellungen zu einander und zur Ge-
sammtvorstellung wiederspiegeln. Die Gesammtheit der Theil-
§ 50. Der Inhalt der Yorstellting. Die Partition. 187
YorsteUimgen in der durch die entsprechenden realen Verhält-
nisse bestimmten Weise ihrer gegenseitigen Verbindung ist der
Inhalt (complexus) einer Vorstellung. Die Zerlegung des In-
haltes einer Vorstellung in die Theilvorstellungen oder die An-
gabe der einzelnen Merkmale ihres Objectes heisst Partition.
Sofern die subjectivistisoh-formale Lo^k jenes reale VerlulltnisB
unbeachtet läset, vermag sie die Verbindung der Merkmale nur unter
dem ungenügenden Schema einer Summe oder dem ötwas näher zu-
treffenden, aber immer noch ungenügenden Bilde eines Productes auf-
zufassen. Wird ein Summand ss 0 gesetzt, so tangirt dies die übrigen
Summanden nicht und die Summe wird nur um den früheren Werth
jenes Summandus selbst vermindert; ist ein Factor ss 0, so wird das
Product selbst = 0. Die Aufhebung eines Merkmals aber pflegt weder
die übrigen Merkmale unberührt zu lassen, noch auch sofort das Ganze
zu annihiliren. Beides kann in gewissen Fällen geschehen ; in der Regel
aber werden durch die (reale oder als real gedachte) Aufhebung eines
Merkmals andere Merkmale theils aufgehoben, theils modificirt werden,
ohne dass doch sofort das Ganze mitaufgehoben würde.
Der Ausdruck Inhalt ist imAnschluss an ivvnagxuv iv rtp Xoy<p
rf ri lau Xfyoyri oder (vundg/ay iv Ttp xl lauVj Arist. anal. post. I, 4
73. a. 36 u. 86 gebildet. Der Ausdruck gegenseitige Determination
der Merkmale, dessen sich namentlich Lotze (Log. S. 68) zur Bezeich-
nung der gegenseitigen Abhängigkeit der Merkmale von einander bedient,
würde zweckmässig sein, wenn nicht der Terminus Determination
schon in einem andern, wiewohl verwandten Sinne (s. unten § 52) all-
gemein üblich wäre.
140 §§ 62. 68. Die Determination. Der Umfang. Die Division.
sie die Anfmerkaamkeit auf einen blossen Nebenvorgfang vorzugsweise
hinlenkt; denn nicht das Unbewusstwerden der ungleichartigen Elemente,
sondern die Conoentrirung des Bewusstseins auf die gleichartigen
ist (wie Kant selbst anerkennt) das Wesentliche in dem sogenannten
Abstractionsprooess.
Der Abstractionsprooess steht in Wechselbeziehung zu der Be-
zeichnung vieler gleichartigen Objecto durch das nämliche Wort:
durch ihn wird diese Gleichheit der Bezeichnung möglich, und sein
Resultat wird durch dieselbe wiederum gestützt und fixirt. Doch ver-
sucht mit Unrecht ein extremer Nominalismus den Abstractionspro-
cess gänzlich auf die blosse Identität der sprachlichen Bezeichnung zu
i^uoiren.
§ 52. Unter der Determination (Ttgogd'eaig) yersteht
man die Bildung minder allgemeiner Vorstellungen von den
allgemeineren aus, wobei der Inhalt der letzteren durch sach-
gemässe Hinzufttgung von neuen Vorstellungselementen ver-
mehrt und somit dasjenige, was an der allgemeineren Vor-
stellung unbestimmt geblieben war, näher bestimmt wird
(determinatur). Die Neubildung gültiger Vorstellungen durch
Determination setzt Einsicht in das reale Abhängigkeitsver-
hältniss der Merkmale voraus.
Die subjectivistisch-formale Logik vermag von ihrem Princip aus
die wesentliche Forderung, dass bei der Zufügung neuer Inhaltselemente
auf das reale Verhältniss der Merkmale zu einander und zum Ganzen
Bücksicht genommen werde, nicht zu begründen.
§ 53. Der Umfang (ambitus, sphaera, zuweilen auch
extensio) einer Vorstellung ist die öesammtheit derjenigen
Vorstellungen, deren gleichartige Inhaltselemente (vgl. § 50)
den Inhalt jener ausmachen. Die Angabe der Theile des Um-
fangs einer allgemeinen Vorstellung heisst Eintheilung
oder Division (divisio). Die allgemeine Vorstellung heisst
im Verhältniss zu denjenigen Vorstellungen, die in ihren Um-
fang fallen, die höhere oder übergeordnete, diese im
Verhältniss zu ihr die niederen oder untergeordneten
(Verhältniss der Subordination). Vorstellungen, welche der
nämlichen höheren untergeordnet sind, heissen einander
nebengeordnet (Verhältniss der Coordination). Gleich-
geltende oder Wechselvorstellungen (notiones aequi-
pollentes oder reciprocae) sind solche, deren Sphären mit ein-
ander identisch sind, ohne dass der Inhalt ganz der nämliche
§ 53. Verhältnisse d. Vontell^. sn einander nach Inhalt n. Umfang. 141
ist; identische Yorstelltmgen aber Bind solche, welche den
nämlichen Umfang nnd Inhalt haben. Diejenigen Yorstelinngen
sind einander conträr entgegengesetzt (notiones con-
trarie oppositae), welche innerhalb des Umfeings der nämlichen
höheren Yorstellnng am meisten von einander verschieden
sind nnd gleichsam am weitesten Ton einander abstehen,
sofern beide einen positiven Inhalt haben; enthält aber die
eine Yorstellnng nnr die Yerneinnng des Inhalts der anderen,
so pflegt man beide einander contradictorisch entgegen-
gesetzt zu nennen; der bloss verneinende Begriff selbst
fuhrt den Namen notio negativa seu indefinita (ovojita dogiarov
^ij/na aoQiGTov). Die Sphären verschiedener Yorstelinngen
krenzen sich, wenn sie theilweise in einander, theilweise
ausser einander fallen. Yorstelinngen heissen einstimmig
(notiones inter se convenientes), wenn sie in dem Inhalt ein
und der nämlichen Yorstellnng vereinigt sein können (mithin
wenn ihre Sphären ganz oder theilweise in einander fallen),
im entgegengesetzten Falle widerstreitend. Yorstelinngen
sind disjunct, sofern sie zwar in den Umfang der näm-
lichen höheren nnd insbesondere nächsthöheren Yorstellnng
fallen (mithin gemeinsame Inhaltselemente haben), aber keinen
Theil ihres eigenen Umfangs gemeinsam haben
(mithin nicht im Inhalt ein nnd der nämlichen Yorstellnng
vereinigt vorkommen), disparat dagegen, sofern sie nicht
in den Umfang der nämlichen höheren oder wenigstens nicht
nächsthöheren Yorstellnng fallen (mithin nicht gemein-
same Inhaltselemente haben), während sie bisweilen
einen Theil ihres eigenen Umfangs gemeinsam haben (oder
im Inhalt ein und der nämlichen Yorstellnng vereinigt vor-
kommen). Alle . diese Yorstellungsverhältnisse finden nicht
nnr bei substantivischen, sondern ebensowohl anch bei ver-
balen, adjectivischen nnd Belations-Yorstellungen statt. Das
formale Yerhältniss der Unterordnung mehrerer Yorstelinngen
unter die nämliche höhere führt auf den Begriff der Zahl,
die ursprünglich (als Anzahl) die Determination der Yiel-
heit der Individuen des Umfangs durch die Emheit ist.
Ein sehr zweckmässiges Hnlfsmittel zur YeransohauliohTing der
Umfangsverhaltnisse bieten die geometrischen Figuren, insbesondere
142 §68. Yerhältnitsed.Vontellgn.za einander nach Inhalt a. Umfang.
die Kreise (Ellipsen eta) und die Kreistheile dar. Das Snbordina-
tionsverhältnisB zwischen zwei Vorstellurgen, der übergeordneten
A (z. B. Mensch) und der untergeordneten B (z. B. Europäer) wird
versinnlicht durch zwei Kreise, von denen der eine ganz in den ande-
ren hineinfallt:
Die Nebenordnung zweier Vorstellungen A und B, die beide der
nämlichen dritten G untergeordnet sind (z. B. A = Tapferkeit, B ss
Massigkeit, C = Tugend, wird durch folgende Figur veranschaulicht:
Bei der Aequipollenz gehen die beiden Kreise in einen einzigen zu-
sammen, der zugleich die Sphäre von A (z. B. Perpendikel in der
Ebene eines Kreises auf einem Radius in dessen peripherischem End-
punkte; Begründer der wissenschaftlichen Logik) und von B (z. B.
gerade Linie, die mit der Peripherie eines Kreises, in derselben Ebene
liegend und unbegrenzt gedacht, nur einen Punkt gemein hat; philoso-
phischer Erzieher Alexanders des Grossen) bezeichnet:
Das Verhältniss des conträren Gegensatzes zwischen A und B
(z. B. weiss und schwarz, oder auch, in Hinsicht auf den weitesten Ab-
stand im Farbenkreise, roth und grün, gelb und violett, blau und
orange) mag auf folgende Weise angedeutet werden:
Bei dem contradictori sehen Gegensatze zwischen A und non-A
(z. B. weiss und nicht-weiss) wird die positiv bestimmte Vorstellung
A durch den Raum des Kreises, die negativ bestimmte, aber hinsieht-
§ 53. yerhältniflse d. Vorstellgn. zu einander naoh Inhalt a. umfang. 143
lieh ihres positiven Gehaltes unbestimmt gelassene Vorstellung B oder
non-A durch den unbegrenzten Fläohenraum ausserhalb des Kreises
symbolisirt:
B = non - A
Das Verhältniss der Kreuzung zwischen den Vorstellungen A und
B (s. B. Neger und Sklave, Apokrypha und Pseudepigrapha, regel-
mässige Figuren und Parallelogramme, roth und hell) findet sein Symbol
in zwei einander durchschneidenden Kreisen:
Das Schema der Einstimmigkeit (z. B. roth und farbig; RÖthe und
Farbe von der geringsten Zahl der Aethervibrationen; Rothe und
Hellif^keit) wird durch Combination der Schemata für die Subordination,
Aequipollenz und Kreuzung gewonnen. Das Schema des Widerstreits
(z. B. roth und blau) ist die völlige Trennung der Kreise:
Die disjuncten Vorstellungen (z. B. Athener und Spartaner; Be-
wegung und Buhe) gehören zu den widerstreitenden; nur kommt bei
ihnen die Bestimmung hinzu, dass sie unter ein und derselben höheren
Vorstellung befasst seien. Ihr Schema ist demnach:
Für das Verh<niss disparater Vorstellungen (z. B. Geist und Tisch ;
roth und tugendhaft; lang und tönend) giebt es kein ausreichendes
Schema, weil die negative Bestimmung, dass ihre Sphären nicht in den
Umfang irgend einer beiden gemeinsam übergeordneten Vorstellung
fallen (wiewohl mit Ausnähme mindestens der ganz allgemeinen und
unbestimmten Vorstellung des Etwas), sich nicht bildlich darstellen
lässt. Das positive Verhältniss ihrer Sphären aber bleibt insoweit nn-
144 § 54. Das Yerhältniss zwisohen Inhalt and Umfang.
bestimmt, dass es sowohl das der Kreuzung, als auoh das des yölligen
Getrenntseins sein kann.
In analoger Weise lassen sich die verschiedenen Verhältnisse in
den Urtheilen und Schlüssen symbolisiren, s. unten § 71 ; § 85 ff.; § 105 ff.;
das Greschiohtliche darüber s. unten § 85.
lieber die hierhorgehörigen Lehren des Plato und des Aristo-
teles vgl. §§ 51 und 56. Nach Plato hat das einzelne Gute Theil (^«r-
^X^i) an der Idee des Guten und so jedes Einzelne an der betreffenden
Idee; innerhalb der Ideenwelt wird (nach Plat.? Soph. p. 260 B) das
Niedere (logisch Untergeordnete) von dem Höberen umfasst (7r«^//f rm).
Das Allgemeinere ist dem Aristoteles das nQOTiQov fpvaei (s. unten
zu § 139); er gebraucht von Begriffen, die im Yerhältniss der Unter^
Ordnung stehen, die Ausdrücke: jtQmogy fiiaog und ia^^uTo^ oQog (Anal,
pr. I, 1 u. 4) und sagt von dem untergeordneten Begriff hinsichtlich
seines Umfangs, derselbe sei in dem höheren ganz einbegriffen oder von
demselben umfasst {Iv oXtp ih'm rtß /u^a^, — r^ nQunt^^ ebend.). An
diesen Aristotelischen Ausdruck hat sich die Darstellung der Yorstel-
lungsverhältnisse durch Kreise geknüpft, welche sich zuerst in dem von
J. Gh. Lange verfasstenNucleus Log. Weisianae 1712 nachweisen lässt,
s. unten § 85. üeber den conträren Gegensatz vgl. (Plat.?) Soph.
p. 257 B, wo (vavifov und hcQov unterschieden wird; Arist. Metaph.
IX, 4. 1055 a. 4, wo der Gegensatz als die fxeyiaTrj ^tatpoQa zwischen
Species derselben Gattung bestimmt wird. Auf gleichgeltende Yor-
stellungen bezieht sich der Aristotelische Ausdruck (Eth. Nie. Y, 8.
1130 a): larl fikvravro^ ro dh elvai ov to avto. Der Ausdruck disjunct
knüpft sich an den Aristotelischen avTtdirjiQrifi^vov (Top. YI, 6. 143 a.
34 und näher an den späteren Terminus Stn^iv^iq (vgl. unten § 123).
§ 54. Der höheren Vorstellung kommt, da sie nur die
übereinstimmenden Inhaltselemente mehrerer niederen Vor-
stellungen enthält, im Vergleich mit einer jeden der niederen
ein beschränkterer Inhalt, aber ein weiterer Umfang
zu. Die niedere Vorstellung dagegen hat einen reicheren
Inhalt, aber engeren Umfang. Doch wird keineswegs durch
jede Verminderung oder Vermehrung eines gegebenen Inhalts
der Umfang vermehrt oder vermindert, noch auch durch jede
Vermehrung oder Verminderung eines gegebenen Umfangs
der Inhalt vermindert oder vermehrt. Ebensowenig herrscht
in den Fällen, wo die Verminderung des Inhalts eine Ver-
mehrung des Umfangs und die Vermehrung des Inhalts eine
Verminderung des Umfangs zur Folge hat, das Gesetz einer
genauen umgekehrten Proportionalität.
Drobisoh (Logik, 2. Aufl. S. 196—200, 3. Aufl. S. 206, 4. Aufl.
S. 210) versucht das Yerhältniss, welches zwischen der Zunahme der
§ 54. Das YerhältmsB zwisohen Inhalt und Umfang. 145
Grome des Inhalts nnd der Abnahme der Grösse des ümfangs besteht,
auf einen mathematischen Ausdruck zu bringen. Er weist nach, dass
nicht der Inhalt dem Umfang umgekehrt proportional sei, sondern dass
andere Verhältnisse bestehen, und zwar (um hier nur das Wichtigste
zu erwähnen), dass unter der einfachsten Voraussetzung, d. i. wenn in
der Reihe der Unterordnungen die Zahl der Vorstellungen, die einör
jeden zunächst untergeordnet oder um ein Inhaltselement reicher sind,
immer wieder die gleiche sei, und wenn zugleich der Umfang ausschliess-
lich nach der Zahl der Vorstellungen der untersten Ordnung gemessen
werde, die Grösse des Umfangs nach einer geometrischen Beihe zu-
oder abnehme, während die Grösse des Inhalts nach einer arithmeti-
schen Beihe- ab oder zunehme. Drobisoh bringt diesen Satz noch
auf zwei andere gleichbedeutende Ausdrücke, nämlich: der Umfang
einer Vorstellung ist unter der obigen Voraussetzung umgekehrt pro-
portional derjenigen Potenz, deren Basis durch die Zahl der einer jeden
Vorstellung zunächst untergeordneten Vorstellungen, und deren Exponent
durch die Zahl der Inhaltselement« jener Vorstellung gebildet wird;
unter der gleichen Voraussetzung ist die Differenz zwischen der (grösseren)
Zahl der Inhaltselemente einer der untersten Vorstellungen und ider
(kleineren) Zahl der Inhaltselemente irgend welcher Vorstellung dem
Logarithmus der Zahl, welche die jedesmalige Grösse des Umfangs aus-
druckt, direct proportional. Die Anwendung dieser Untersuchung (die
als mathematisch-logische Speculation sehr werthyoll ist) scheitert jedoch
in den meisten Fällen an dem Umstände, dass die Möglichkeit des Zu-
sammenseins der Merkmale zufolge realer Abhängigkeitsverhältnisse
eigenthümlichen Beschränkungen zu unterliegen pflegt, die sich nicht
auf allgemeine Formeln bringen lassen. So fallen z. B. in den Umfang
der allgemeinen Vorstellung: Dreieck (oder genauer: ebenes gerad-
liniges Dreieck), wenn der Inhalt derselben durch die beiden Beihen
dlsjuncter Theilvorstellungen : spitzwinklig, rechtwinklig und stumpf-
winklig, und: gleichseitig, gleichschenklig und ungleichseitig, näher
bestimmt wird, nicht neun unterste Vorstellungen^ sondern nur sieben,
weil nämlich die beiden Combinationen : rechtwinkliges gleichseitiges,
und: stumpfwinkliges gleichseitiges Dreieck, zufolge der geometrischen
Abhängigkeitsverhältnisse zwischen den Seiten und Winkeln eines Drei-
ecks keine Gültigkeit haben*). Bei Vorstellungen, die sich auf Natur-
*) Zur Veranschaulichung diene folgendes Schema:
(Geradliniges ebenes) Dreieck.
spitzwinklig
gleichs. gleichsch.
ungleichs.
Werden die ungültigen
stumpfwinklig
[gleichs] gleichsch.
ungleichs.
rechtwinklig
[gleichs.] gleichsch.
ungleichs.
Gombinationsformen [gleichs. rechtw. Dr.] und
[gleichs. stumpfw. Dr.] mitgezählt, so ergiebt sich allerdings folgende
(den Drobisch'schen Sätzen entsprechende) Bechnung: Dreieck, Inh. =
a, Umf. = 9 = 8». Spitzw. Dr., Inh. = a + 1, Umf. = 3 = 3».
Gleichs. spitzw. Dr., Inh. = a -f 2, Umf. = 1 = 8°. Aber die
Ungültigkeit jener zwei Formen macht die Bechnung imaginär.
10
146 § 54. Das Verhältniss zwischen Inhalt nnd Umfang.
objeoie and Verhältnisse des geistigen Lebens beziehen, ist die An-
wendbarkeit dieser Gesetze sehr häufig noch in weit höherem Maasse
beschränkt. Mitunter findet sich allerdings die Voraussetzung realisirt,
unter der (wie Drobisch in der 4. Aufl. seinör Logik, S. 216, hervor-
hebt) die Theorie Gültigkeit hat, dass die Arten jeder Ordnung sämmt-
lich durch die Artunterschiede der folgenden Ordnung determinirt
werden können, aber in voller Strenge doch in verhältnissmässig seltenen
Fällen. Die subjectivistisch-formale Logik vermag als solche nicht auf
den Grund der beschränkten Gültigkeit jener Voraussetzung einzugehen,
der eben in realen Abhängigkeitsverhältnissen liegt.
Die allgemeine Vorstellung lässt sich (mit Trendelenburg,
log. Unters. II, S. 154; 2. Aufl. II, S. 220 ff., S. Aufl. S. 244 ff.) der
unbestimmten, aber in einigen Grundzügen markirten Zeichnung ver^
gleichen, bei welcher im Ganzen die Umrisse dastehen, aber im Einzelnen
ein freier Spielraum für die ergänzende Phantasie übrig bleibt, so dass
das Gemeinbild innerhalb der Grundstriche, die seine Grenzen bilden,
gleichsam elastisch ist und die mannigfaltigste Gestaltung annehmen
kann. Will man nun (mit Lotze, Logik, S. 71 ff.; S. 79 u. System
d. Philos. Bd. 1. Gap. 1. 31. S. 50) diese Unbestimmtheit und Elasticität
eine eben so grosse Anzahl unbestimmter, aber bestimmbarer Merkmale
oder Allgemeinheiten der Merkmale nennen, als die niedere Vorstellung
deren bestimmte einzelne in sich fasse, so lässt sich unter Voraussetzung
dieser Terminologie der alten Lehre, dass diö höhere Vorstellung bei
reicherem Umfang einen ärmeren Inhalt habe, mit einem gewissen
Rechte die neue Lehre gegenüberstellen, dass der Inhalt der höheren
Vorstellung dem Inhalte der niederen in der Zahl der Merkmale nicht
nachstehe. Allein diese Terminologie ist künstlich und ungerechtfertigt.
Die Kraft des reicheren Inhalts muss sich allerdings (wie Trendelen-
burg, log. Unters. II, S. 169, 2. Aufl. S. 226 ff., 3. Aufl. S. 250
fordert) auch in Bezug auf den Umfang bethätigen; aber die Weise,
wie sie sich bethätigt, ist nicht die Erweiterung des Umfangs, was
nur nach einer dem besonderen Charakter des vorliegenden Verhält-
nisses fremden Analogie erwartet werden könnte, sondern ist diö
fortschreitende Fixirung des Gedankens auf bestimmte Objecto, welcher
Aufgabe nicht durch Erweiterung, sondern nur durch Eingrenzung der
anfänglich schweifenden Möglichkeit genügt werden kann. Die Gesammt-
heit der Einzelvorstellungen ist in der allgemeinen Vorstellung nur der
Möglichkeit nach enthalten, wird aber der Wirklichkeit nach erst durch
den Hinzutritt der übrigen Inhaltselemente erzeugt. Nun aber giebt
es, der Natur der Sache gemäss, ausser dieser oder jener einzelnen
Verbindung des gemeinsamen Merkmals mit einer bestimmten Gruppe
ungleichartiger Merkmale in der Regel auch noch andere Verbindun-
gen, in welche das nämliche Merkmal eingehen kann. Der geringsten
Zahl von (logischen) Inhaltselementen und (realen) Merkmalen oder
Attributen entspricht zwar der weiteste, aber nur potentiell gesetzte
Umfang, der grösseren Zahl ein kleinerer, in der Individualvorstellung
der kleinste, aber actuell gesetzte Umfang; der weiteste Umfang end-
§ 65. Die Stnfenordnting (Pyramide) der Vorstellungen. 147
lieh gelangt zum actnellen Sein nur dnrch die Combination der gröss-
ten Zahl von Inhaltselementen in der Gesammtheit der Individual-
yorstellnngen.
§ 55. Indem sich das Verhältniss der Unter- und üeber-
ordnnng bei fortgesetzter Abstraction so lange unablässig
wiederholt, bis ein einfacher Inhalt gefunden ist, so lässt sich
die Gesammtheit aller Vorstellungen nach den Verhältnissen
des Umfangs und Inhalts zu einer vollständig gegliederten
Stufenfolge geordnet denken. Die Spitze oder obere
Grenze wird durch die allgemeinste Vorstellung Etwas ge-
bildet Zunächst unter derselben liegen die Kategorien.
Die Basis oder untere Grenze wird durch die unbegrenzte
Zahl der Einzelvorstellungen gebildet.
Die Stufenordnung der Vorstellungen lasst sich mit einer Pyra-
mide vergleichen; doch hat dieses Bild nur approximative Wahrheit,
ireil die Unterordnung der Vorstellungen nicht mit strenger Gleich-
massigkeit fortschreitet.
Die oberste Vorstellung ist nicht die Vorstellung des Seins,
sondern des Etwas, weil das Sein unter eine einzelne der Kategorien
fallt, nämlich unter die der attributiven (prädicativen) Existenz, und
dem Seienden als dem Substantiellen gegenübersteht, das Etwas da-
gegen über alle Kategorien übergreift. (Auch ein Handeln oder Leiden,
auch eine Eigenschaft, auch ein Verhaltniss wie z. B. bei, n^ben etc.
ist etwas.) Allerdings gestattet der Sprachgebrauch, falls nicht die
höchste formale Strenge erforderlich ist, für die in manchen Verbin-
dungen pedantisch erscheinende Form: das Seiende, die gefalligere:
das Sein, einzusetzen; aber die sprachliche Unbestimmtheit darf doch
die logische Grenze nicht verwischen. An die Kategorien als die obersten
formalen Bestimmungen schliessen sich die obersten materialen Gegen-
satze, wie Reales und Ideales, Natürliches und Geistiges, die, nach
einem anderen Eintheilungsgrunde unterschieden, sich in einer jeden
der Kategorien wiederholen.
§ 56. Der Begriff (notio, conceptus) ist diejenige Vor-
stellung, in welcher die Gesammtheit der wesentlichen
Merkmale oder das Wesen (essentia) der betreffenden Ob-
jecto vorgestellt wird. Unter dem Ausdruck: Merkmale des
Objectes begreifen wir nicht nur die äusseren Kennzeichen,
sondern alleTheile, Eigenschaften, Thätigkeiten und Verhält-
nisse desselben, überhaupt alles, was in irgend einer Weise
dem Objecto angehört. Wesentlich (essentialia) sind die-
jenigen Merkmale, welche a. den gemeinsamen und bleibenden
148 § 56. Der Begriff. Das Wesen.
Grand einer Mannigfaltigkeit anderer enthalten, and von
welchen b. das Bestehen des Objectes and der Werth and die
Bedeatang abhängt, die demselben theils als einem Mittel für
Anderes, theils and vornehmlich an sich oder als einem Selbst-
zweck in der Stafenreihe der Objecte zakommt. In einem
weiteren Sinne heissen auch diejenigen Merkmale wesentlich,
welche mit den im engeren Sinne wesentlichen Merkmalen and
nar mit diesen nothwendig verknüpft sind, and deren Vorhan-
densein daher das Vorhandensein jener mit Gewissheit anzeigt.
Die im engeren Sinne wesentlichen Merkmale werden aach
grandwesentlich (essentialia constitativa oder essentialia
schlechthin), die anderen, nar im weiteren Sinne wesentlichen
aber abgeleitet-wesentlich oder Ättribate (essentialia
consecativa, attribata) genannt. Die übrigen Merkmale eines
Objectes heissen aasserwesentlich (accidentia oder modi). Die
Möglichkeit der Modi gehört za den Attribaten; denn die
Fähigkeit, diese oder jene Modificationen anzanehmen, mass
im Wesen des Objects begründet sein. Unter den wesent-
lichen Bestimmungen sind diejenigen, welche der Begriff mit
den ihm neben- and übergeordneten Begriffen theilt, die
gemeinsamen (essentialia commania), diejenigen aber, wo-
durch er sich von jenen Begriffen unterscheidet, die eigen-
thümlichen (essentialia propria). Die Verhältnisse oder
Beziehungen (relationes) gehören in der Regel zu den
ausserwesentlichen, bei Verhältnissbegriffen aber zu den wesent-
lichen Merkmalen. In dem Maasse, wie die grandwesentlichen
Bestimmungen noch nicht erkannt sind, ist die Begriffsbildung
noch schwankend, so dass bei anderer Gruppirung der Objecte
andere Bestimmungen als gemeinsame und wesentliche er-
scheinen und das ganze Verfahren sich nicht über eine Relati-
vität, die auf zufälligen subjectiven Ansichten beruht, zu er-
heben vermag; in dem Maasse aber, wie dieselben erkannt
werden, gewinnen die Begriffe feste wissenschaftliche Be-
stimmtheit und objective Allgemeingültigkeit; nur insoweit,
als eine gewisse Relativität objectiv in dem nicht absolut
festen Typus der realen (natürlichen und geistigen) Gruppen
begründet ist, muss eine entsprechende Relativität auch bei
vollendeter Erkenntniss den Begriffen anhaften.
§ 56. Der Begriff. Das Wesen. 149
Wenn die Begriffsbildung nicht im rein wissenschaftlichen Inter-
esse erfolgt, sondern durch irgend einen äusseren Zweck bedingt ^ird
(und wäre es auch nur der Zweck der leichteren Ueber sieht über
irgend ein Gebiet von Objecten), so wird dasjenige als das Wesentlichste
erscheinen, was für jenen Zweck die höchste Bedeutung hat. So können
mehrere verschiedenartige Begriffsbildungen mit relativer Berechtigung
neben einander bestehen; aber absolut berechtigt ist doch immer nur
eine, nämlich diejenige, welche die Begriffe rein nach objectiven
Normen auf Grund dessen bestimmt, was für die Objecte an sich selbst
das Wesentlichste ist.
Nachdem das Bewusstsein über den Werth des Begriffs für die
Erkenntniss sich zuerst in Sokrates entwickelt hatte, suchte Plato
die Frage zu lösen^ welches Beale das eigentliche Object der begriff-
lichen Erkenntniss sei. Er bestimmt als solches die Idee (fS^a oder
cMo;) und unterscheidet dieselbe als die reale Wesenheit, welche durch
den Begriff erkannt werde, streng von dem Begriff selbst (dem Xoyog)
als dem entsprechenden subjectiven Gebilde in unserer Seele (de Rep.
V, p. 477; VI, 609 sqq.; VII, 638 sqq.; Tim. p. 27 D; 29 C; 37 B, C;
51 D, E; vgl. oben § 14)*). Man wird vergeblich in dem ganzen Um-
fange der Platonischen Schriften auch nur eine einzige Stelle suchen,
wo (l^og oder iS4a den subjectiven Begriff bezeichnete oder auch nur
mitbezeichnete, und wo nicht vielmehr diese Bedeutung nur vom Inter-
preten hineingetragen worden wäre. Mit Recht suchte Plato zu dem
subjectiven Begriff ein objectives Correlat; er fehlte nur darin, dass
er dieses Correlat, statt es in dem den Dingen innewohnenden Wesen
zu erkennen, zu einem neben den Dingen und gesondert von ihnen
existirenden Objecte hypostasirte, mit anderen Worten: darin, dass er
der Idee eine für sich seiende Existenz zuschrieb. Die Platonische
Ideenlehre ist die Ahnung der logisch - metaphysischen Wahrheit in
mythischer Form, wesshalb auch Aristoteles (Metaph. 11, 2. 997 b 10)
mit Recht die Platonischen Ideen den anthropoeidischen Gottheiten der
Mythologie vergleicht **). — Aristoteles polemisirt gegen das Plato-
*) Die in der ersten Auflage dieser Schrift angeführte Stelle Parm.
p. 182 B, die sehr anschaulich die Beziehung des Subjectiven auf das
Objective, der begrifflichen Erkenntniss auf das ideale Sein darstellt,
kann nicht zum Beleg dienen, wenn der Parm. unecht ist, was ich in
meinen Plat. Untersuchungen (Wien 1861, S. 175 — 184) und besonders
in einer Abhandlung über den Dialog Parmenides in den Jahrb. f.
dass. Philol. (Leipzig 1864, S. 97 — 126) zu erweisen gesucht habe.
Auch die Echtheit der Dialoge Sophistes und Politicus steht, wie
Schaarschmidt (im Rhein. Mus. f. Philol. N. F. XVUI. 1863, S. 1—28
und ebend. XIX, 1864, S. 68 — 96 und in seiner Schrift über die Plat.
Sehr., Bonn 1866) nachgewiesen hat, keineswegs ausser Zweifel.
*^) Es ist eine mit Plato's eigenen Aeusserungen, besonders in
seinen späteren 'Schriften, im Ganzen wohl zusammenstimmende, histo-
risch treue Auffassung und nicht, wie Einige meinen (Ritter, Gesch.
der Philos. m, 1831, S. 120), eine »offenbare Missdeutung t, wenn
Aristoteles bei Plato hypostasirte und von den sinnlichen Dingen ge-
trennt existirende Ideen findet; nur hat Aristoteles die bei Plato doch
150 § 56. Der Begriff. Das Wesen.
nische ;^(aQ(Cnv der Ideen, d. h. gegen die Annahme, dass die Ideen in
realer Trennung von den Einzelwesen als besondere Substanzen ezi-
stiren; aber er verwirft darum doch keineswegs die Lehre von einem
realen Correlat des subjectiven Begriffs, wie er überhaupt die Formen
des Denkens zu den Formen des Seins nicht ausser Beziehung setzt,
sondern zwischen beiden einen durchgängigen Parallelismus anerkennt.
(Vgl. oben § 16.) Dem Begriff entspricht nach Aristoteles das Wesen,
welches daher von ihm auch 17 xaja Xoyov ovaia genannt wird. Das
Wesen ist den Einzelobjecten immanent. Aristoteles sagt Anal. post.
I, 11. 77 a 5: BlSr\ fjiiv ovv tlvai rj l'v Tt nagic ra noXXa ovx avdyxti
— eJvai fiivTOi tv xara nolkdiy aXrid^kg einilv avayxii, — De anima lU,
8. 432 K h\iv ToTg Miai roig ala&TiToTs tu vorjfta iartv. Dieses Eine in dem
Vielen, dieses Intelligible in dem Sinnlichen wird von Aristoteles näher
.als die Form, das Was, und mit einem ganz eigenthümlichen Ter-
minus als das, was war. Sein, bezeichnet: /jioQtprjy elSos^ ij xara,
Xoyov ovaCa, ro tC iaii und ro U ^v flytei. Der Ausdruck ro rC ijv
Elvai wird von Aristoteles selbst als Bezeichnung des stoff losen Wesens
erklärt: Xfyat dh ovaCav av€v vXris 16 tl r^v eivai, Metaph. VI, 7. 10S2b
14; to tC r^v (2vcu entspricht demnach der abstracten Form des
Begriffs, mithin auch dem Substantivum abstractum (vgl. den von Plato
Phaed. p. 103 B erörterten Unterschied); doch geht es keineswegs auf
den blossen allgemeinen Gattungsoharakter, noch weniger auf eine blosse
ausserwesentliche Qualität, sondern auf die gesammte Wesenheit (auf
alles was in die Definition eingehen muss) und schliesst daher theils
den Gattungscharakter, theils die spedfische Differenz in sich ein. Das
r/ iari ist bei Aristoteles von einem weiteren und minder bestimmten
Gebrauch; es kann sowohl den Stoff (z. B. Met. YII, 3. 1043 b 27), als
das stofflose Wesen (z. B. de anima I, 1. 403 a 80), als endlich, und
zwar am gewöhnlichsten, die Vereinigung von beiden, das avvoXov i$
(Idovs xal vXfjs (z.B. Metaph. VII, 2. 1043 a 21 ofioCfag ^k xal otovg liQX'^"^
ant^iX^o OQOvs ' tov awdf4(p(o ydg datv. olov ri lau vrivifA.Ca\ riQEfACa
iv 7iXrj&€t d^Qos* vXti fikv yoLQ 6 dtiq, ivi^eta 6^ xal ovaCa 17 7iQifÄ{a,
j( hOTi yaXrjvri] of^aXotrig d-aXamig ' t6 fjikv ifnoxeifievov (os vXrj rj ditXccrray
1} (f' Mgyeia xal 17 fAOQtprj 17 ofjLaXoTtis. tpavegov 6ri ix twv klQtifiivuiV
lU 17 aia&fjrij ohala loil xal ntas ' ri fikv yäg ms vAi}, 17 (T «u; f^oQtpii oti
iviQyBia' rj Sk r^/rij 17 ix rourtov) bezeichnen, in welchem letzteren
immer noch in der Schwebe zwischen bildlicher und eigentlicher Gül-
tigkeit bleibende Darstellung etwas mehr, als es der ursprünglichen
Gonception des Dichterphilosophen entspricht, dogmatistisch gedeutet,
in engem Anschluss, wie es scheint, an Plato's eigene spätere Con-
structionen und an die Doctrinen mancher Platoniker. Jenes »Nicht-
loslassen wollen der Poesie von der Philosophie c, worin Sohleier-
macher in freilich unhaltbarer Verallgemeinerung den Charakter des
hellenischen Philosophirens überhaupt findet, ist der Charakter nicht
nur der Platonischen Darstellung, sondern auch des Platonischen Den-
kens. Aristoteles aber verdient Anerkennung, nicht Tadel, weil er diese
Form abgestreift und eben hierdurch die wissenschaftliche Logik
und Metaphysik begründet hat.
§ 56. Der Begriff. Das Wesen. 161
Falle es dann der concreten Form des Begriffs (mithin auch dem
Sabstantivam conoretmn) entspricht. Aber aosserwesentliohe Bestim-
mungen oder blosse Accidentien (avfißeßrixojtt), z. B. blosse Qualitäten
(nof a) oder Quantitäten (noad) könnei) nicht als Antwort auf die Frage
ii ioTt. dienen, wenigstens dann nicht, wenn, wie gewöhnlich geschieht,
nach dem tl ian eines Dinges gefragt wird. Aristoteles erkennt, dass
nicht nur bei Dingen (Substanzen), sondern auch bei Qualitäten, Quan-
titäten, Relationen, überhaupt in einer jeden Kategorie nach dem rC
ioTt und dem ti riv dvtu gefragt und das Wesentliche vom Unwesent-
lichen unterschieden werden könne; aber bei den Dingen, lehrt er, sei
das r£ ian in ursprünglicher und vorzüglicher Weise vorhanden, bei dem
unselbständig Existirenden (dem av/ußsßrixog) dagegen nur in abgeleiteter
Weise. Metaph. VI, 4. 1030 b 5; ixslvo dk (paviQov on o ngcirtog
xttl änXmg ogiOfiog xai to tl ijv dvat tcüv ovamv iauv. ov [xriv aXXa xai
imv aXXtav ofioCtog i(n£, nXijv ov ngartog. Durch diese Bemerkung werden
zwei von den Bedeutungen des Wortes ovaia: Wesen und Substanz,
zu einander in äine innere Beziehung gesetzt. Leider hat jedoch die
Yielheit der Bedeutungen dieses Wortes, welches bald die Substanz in
dem Sinne: das Substrat oder die materielle Grundlage der Existenz
{fb vnoxilfxeyoVy 17 vXn, subjectum), bald das dem Begriff entsprechende
Wesen (^ xtaa loyov ovala^ £J6og, f^oQtprfj t6 ilriv slvai, essen tia), bald
das Ganze oder das Seiende (t6 avvolovy ro U dfjupolVf ens) und zwar
in dem dritten Falle wiederum theils das Einzelding {icod^ u, Indivi-
duum), theils die Gesammtheit der zu Einer Gattung oder zu Einer
Art gehörenden Objecto (ro yivog^ ro slSog^ genus, species materialiter
sie dicta) bezeichnet, bis auf die neueste Zeit herab unzählige Unbestimmt-
heiten und YerwiiTungen verursacht. Ein noch empfindlicherer Mangel
lieg^ aber darin, dass bei Aristoteles die Kriterien der Wesentlichkeit
fehlen; der in der Schrift über die Kategorien öfters hervorgehobene
Unterschied, dass das, was zum Wesen gehöre, zwar von dem Subjecte
ausgesagt werden könne, aber nicht in dem Subjecte sei, dagegen das
Accidentielle in dem Subjecte sei (Sokrates ist Mensch, aber es ist nicht
der Mensch in ihm ; Sokrates ist gebildet, und die Bildung ist in ihm)
reicht nicht zu, da er den Gegensatz der substantivischen und adjecti-
vischen Fassung des Prädicatsbegrififes dem der Wesentlichkeit und
Unweeentlichkeit substituirt, der doch mit jenem sich kreuzt (Sokrates
ist lebens- und vernunftbegabt; Sokrates ist ein Gebildeter). Nicht im
Allgemeinen und nicht in den logischen Schriften, jedoch mitunter in
einzelnen Fällen macht Aristoteles zur Entscheidung über die Wesent-
lichkeit oder Unwesentlichkeit das Kriterium geltend, dasjenige, dessen
Hinwegnahme oder Aenderung einen Einfluss auf das Ganze übe, sei
ein wesentlicher Bestandtheil desselben (&gjB fjLttaii^efiivov nvog (liqovg
^ onpiXiQovfiivov ditt(piQiadtii Xttl xiveta&iu t6 olov, Poet. c. 8. 1451 a
88), wobei freilich das Maass des Einflusses auf die Gesammtheit
der übrigen Bestandtheile unbestimmt bleibt. Dass das durch die
Definition anzugebende Wesen der Sache zu dem innern Zweck in
Beziehung stehe, erkennt Aristoteles Top. VI, 12. 149b 37 an: ^xamov
152 § 56. Der Begriff. Das Wesen.
yao t6 ßilTiaiov iv rjf ova{(f juakiartt. Was in der Definition liegt,
kommt in seiner Gesammtheit nur dem Definirten zu oder ist diesem
eigenthümlich , wogegen einzelne Bestandtheile der Definition auch
anderen Objecten zukommen können (Anal. post. U, 18. 96 a). Es
kann aber ausser dem durch die Definition angegebenen Wesen noch
anderes dem Definirten eigenthümlich sein ; dieses letztere ist das tStoy
im engeren Sinne (Top. I, 4. 101 b 22; ib. 5. 102 a 18). Solche
Prädicate, welche aus dem Wesen mit Nothwendigkeit folgen, nennt
Aristoteles av/tß6ßrix6t€i zeug ovaiatq (Arist. de anima I, 1. 402 b 2, 18),
oder (gewöhnlicher) avußeßijxuta xa&^ airto (Metaph. IV, 30. 1025 a
30: oaa vndgx^*' ixaarqi xaS-^ avro /äti iv t^ ova^tf ovra, olov T(ß rgiytay^i
t6 ovo oQ&ctg ex^tv). Dieses Letztere nennen Spätere das oonsecutiv
Wesentliche oder die Attribute. Zu dem xa^oXov gehört auch dieses:
denn xa&oXov ist (nach Anal. post. I, 4) alles, was dem durch den
Subjectsbegriff Bezeichneten nach dem ganzen umfange dieses Begriffs
oder an sich oder sofern es ein solches ist {xaiä navtog und xaB^ avxo
xai Tf avTo) zukommt, im Unterschied von anderem irgendwie Gemein-
samem {xoivov)] das xa&olov ist xotvoVy aber nicht jedes xoivov ist
xaO^oXov, — Nach der Lehre der Stoiker existiren die Begriffe nur
als subjective Gebilde in der Seele. Zwar wohnt auch in den äusseren
Dingen der loyoq, die allgemeine Yernunftgemässheit, gegliedert in
eine Mehrheit besonderer Xoyoi, doch sind diese von den Stoikern wohl
nicht ausdrücklich in Beziehung auf die subjectiven Begriffe gestellt
und als dasjenige bezeichnet worden, was durch die Begriffe erkannt
werde. — Im Mittelalter huldigten die Realisten theils der
Platonischen, theils der Aristotelischen Ansicht: »universalia ante remc
— »universalia in rec; die Nominalisten aber gestanden den Uni-
versalien keine andere Existenz zu, als nur im Worte (strengere No-
minalisten) oder auch im denkenden Geiste (Conceptualisten) : >uni-
versalia post remc Die mehrfachen Mängel des Platonischen und des
Aristotelischen Realismus (s. o.) mussten den Nominalismus als das
entgegengesetzte Extrem hervorrufen und gaben demselben eine relative
Berechtigung. — Unter den neueren Philosophen hingen Cartesius
und Leibniz ebensowohl, wie Baco und Locke dem Nominalismus
oder vielmehr dem Conceptualismus an; von der Streitfrage, die
zwischen ihnen schwebte, ob die Begriffe wenigstens als unbewusste
Gebilde angeboren seien und alle Entwickelung derselben im Laufe
des Lebens sich darauf beschränke, dass sie allmählich immer deut*
lieber ins Bewusstsein treten, oder ob sie nach ihrem Inhalte ebenso-
wohl, wie nach ihrer Form Producte der durch die äusseren Ein-
wirkungen mitbedingten psychischen Entwickelung seien , von dieser
psychologischen Frage blieb jenes logisch-metaphysische Problem, welches
die Scholastiker beschäftigt hatte, unberührt. — Auch Kant und Her-
bart gestehen in nominalistischer Weise dem Allgemeinen nur subjective
Bedeutung zu. Her hart gebraucht den Namen Begriff für alle all-
gemeinen und Einzelvorstellungen, sofern dieselben nicht nach ihrer
psychologischen Seite, sondern in Bezug auf das, was ihnen vorgestellt
§ 56. Der Begriff. Das Wesen. 153
wird, betrachtet werden. (Doch sagt Herbart in seiner Bede bei Er-
ofinong der Vorlesungen über Pädagogik, 1803, Werke Bd. XI, Leipzig
1851, S. 63, an einer Stelle, wo er nicht eigens Logik lehren will»
soDdem nur gelegentlich eine logische Bemerkung macht: »Erst nach
dem ersten Versuch, Wesentliches und Zu fälliges zu scheiden, kann
die Definition ein bedeutender Ausdruck des Resultates dieser ganzen
Ueberlegung werden«, wo offenbar, da der Begriff nach dem Wesent-
hchen, nicht das Wesentliche nach dem Begriff bestimmt werden soll,
eine in der objectiven Realität liegende Verschiedenheit des Wesent-
lichen und Zufälligen und eine Bedingtheit der echten, den wissen-
schaftlichen und didaktischen Normen entsprechenden Bildung und
Erklärung der Begriffe durch diese objective Verschiedenheit yoraus-
gesetzt wird.) Die subjectivistisch- formale Logik, die den
Begriff mit der allgemeinen Vorstelluug zu identificiren pflegt, bezeich-
net, sofern sie überhaupt die Kategorie der Wesentlichkeit erörtert,
diejenigen Merkmale als wesentlich, ohne welche ein Object nicht mehr
sein wurde, was es ist, ohne welche es nicht mehr dasselbe Object bleiben
oder nicht mehr unter denselben Begriff fallen würde, oder mit anderen
Worten: diejenigen Merkmale, welche dem Objecto nach dem ganzen
Umfange seines Begriffs zukommen oder dessen Inhalt bilden. (S. z. B.
Drobisch, Log § 31.) Aber diese Erklärung ist unbefriedigend, da
sie auf den Girkel hinausläuft, dass der Begriff durch das Wesen und
doch auch wieder das Wesen durch den Begriff erklärt wird. Soll
(nach Drobisch, Log. § 2) die Logik die Normalgesetze des Denkens
feststellen, so muss sie auch die allgemeine Antwort auf die Frage
geben: nach welchen Merkmalen sind die Objecto zu gruppiren und die
Begriffe von ihnen zu bilden, die Pflanzen z. B. etwa nach den Farben
ihrer Blüthen? oder nach der Zahl ihrer Staubfäden? oder wie sonst?
— Nach den wesentlichen Merkmalen, wird uns geantwortet. — Und
welche Merkmale sind wesentlich? — Diejenigen, welche dem Objecto
nach dem ganzen Umfange seines Begriffs zukommen, die in seinem
Begriffe liegen und an welche der Name sich knüpft. — Aber wir suchen
ja erst den richtigen Begriff und Namen; nach welchen Merkmalen
sollen wir ihn bestimmen? — Nach den wesentlichen. — Und welche
sind die wesentlichen? — Die, welche im Begriffe liegen — et sie in
infinitum. Der Erfolg ist, dass die B^griffsbildung ganz der Willkür
anheimgegeben bleibt: wer die Pflanzen nach den Farben ihrer Blüthen
ordnet und danach seine botanischen Begriffe bildet, für den ist die Farbe
wesentlich, wer nach der Grösse, für den die Grösse u. s. f., oder dass
höchstens in den vorgefundenen Namen, die doch nur dem noch nicht
durch die Wissenschaft berichtigten vulgären Sprachgebrauche ange-
hören, ein Anhaltspunkt gefunden wird; aber es wird uns kein Weg
gezeigt, auch nur über die elementarste und ganz unwissenschaftliche
Weise der Begriffsbildung hinauszukommen*). Wenn wir schon wissen,
*) Drobisch gesteht dies in der dritten Auflage seiner Logik
in einer dem § 119 S. 137 (4. A. S. 139) beigefn^oQ Bemerkung in-
154 § 66. Der Begriff. Das Wesen.
welche Objecte ihrer Natur nach zusammengehören und den Umfang
eines und des nämlichen Begriffes ausmachen, so können wir uns hier-
nach freilich auch in der Aufsuchung der wesentlichen Eigenschaften
Orientiren; aber wie können wir jene Zusammengehörigkeit wissenschaft-
lich erkennen und die Grenzen des Umfangs richtig bestimmen, so lange
wir noch nicht die wesentlichen Merkmale von den unwesentlichen zu
unterscheiden vermögen? Gehören die Wale zum Umfange des Begriffs
der Fische? Gehört die Atomistik zum Umfange des Begriffs derSophi-
stik? Gehört die in den pseudo-dementinischen Homilien vertretene
Richtung zu denen, die in den Umfang des Begriffs der Ghiosis fallen?
Gehört Johannes Scotus (Erigena) zu den Scholastikern? Tiedemann
sagt (Geist der spec. Philos. lY, S. 838): »Scholastische Philosophie
ist diejenige Behandlung der Gegenstände a priori, wo nach Aufstellung
der meisten für und wider aufzutreibenden Gründe in syllogistischer
Form die Entscheidung aus Aristoteles, den Kirchenvätern und dem
herrschenden Glaubensgebäude genommen wirdc, und folgert aus dieser
Begriffsbestimmung, dass die eigentliche Scholastik erst nach dem Be-
kanntwerden der Metaphysik des Aristoteles, das gegen des zwölften
Jahrhunderts Ausgang erfolgt sei (nachdem vorher nur die »Vemunft-
lehrec bekannt war), im Anfang des dreizehnten Jahrhunderts begonnen
habe. Ob seine Begriffsbestimmung zu billigen sei, muss sich aus einer
von vorheriger Feststellung des Umfangs unabhängigen Erwägung der
Wesentlichkeit der Merkmale ergeben. Jede Frage dieser Art kann auf
wissenschaftliche Weise nur entschieden werden, wenn zuvor und also
unabhängig von der Begrenzung des Umfangs über die Wesentlichkeit
oder den Grad der Wesentlichkeit der Merkmale entschieden worden
ist. Worin liegen nun die Kriterien? Die subjectivistisch-formale
Logik, sofern sie die Denkformen nicht aus der Beziehung zu den Exi-
stenzformen verstehen und als Erkenntnissformen betrachten will, erweist
sich als unzulänglich, diejenige Begriffsbildung zu normiren, welche die
positiven Wissenschaften erstreben. — Nicht viel zureichender ist die
nicht seltene Erklärung der wesentlichen Merkmale als der bleiben-
den, beharrlichen Eigenschaften (z.B. in Bitter's Logik, 2. Aufl.
sofern unumwunden zu, als er erklärt, seine Unterscheidung sei da voll-
kommen gerechtfertigt und durch keine andere ersetzbar, wo es sich
nur um die analytische Definition eines durch seine allgemein gebräuch-
liche Benennung gegebenen Begriffes handle, wo wir nur den dem ge-
gebenen Namen entsprechenden Begriff suchen. Aber meine Behauptung
richtet sich eben darauf, dass die subjectivistisch-formale Logik ohne
Ueberschreitung ihres Princips nur die Normen für die Lösung jener
bloss elementaren und propädeutischen Aufgabe aufstellen könne, also
nur einen geringen Theil der Normen des Denkens und nicht, wie es
in Drobisch' Logik, § 2 (2. Aufl. S. 2; 8. u. 4. A. S. 3) verheissen
wird, schlechthin »die Normalgesetze des Denkens«. Die Betrachtung
der »synthetischen Formen des Denkens« kann nur dann wissenschaft-
lich befriedigen, wenn sie auf die Beziehung derselben zu den Existenz-
formen (z. B. des Erkenntnissgrundes zu dem realen Causalverhältniss,
des Begriffs zu dem realen Wesen) basirt wird.
§ 66. Der Begriff. Das Wesen. 166
S. 67). Denn in Hinsicht anf das Zeitmaass der Beharrung würde jene
Bestimmung gar nicht zutreffen, da oft die höchste und wesentlichste
Form gerade die vorzüglichste, der rasch vorübergehende Gulminations-
punkt des Lebens ist; soll aber damit nur die ünzertrennlichkeit von
dem Objecto bezeichnet werden, so lange dasselbe bleibt, was es ist,
oder so lange dasselbe noch unter den nämlichen Begriff fällt und mit
dem nämlichen Namen benannt werden darf, so wiederholt sich der
obige Cirkel. — Das Princip der Gruppirung der Objecto nach den
wichtigsten Eigenschaften als denen, welche die grösste Aehnlich-
keit oder natürliche Verwandtschaft begründen (auf welches
z. B. Hill, Induct. Logik, übers, v. Schiel, 1. Aufl. S. 626 ff., System
d. Log. Bd. 1, Buch 1, Gap. 8 u. Bd. 2, Buch 4» Gap. 4 die Begriffs-
bildnng basirt wissen will), lässt die Frage offen, in welchen Be-
ziehungen die betreffenden Objecto verwandt sein müssen. Eine
Aehnlichkeit in vielen und selbst in den meisten Beziehungen würde
die Zusammenfassung und Subsumirung unter den nämlichen Begriff
noch keineswegs rechtfertigen, wofern etwa die vielen gerade die
minder bedeutenden wären. Also in den bedeutenden, wichtigen,
wesentlichen Bestimmungen. Dann aber kommen wir eben auf die
Frage zurück, welche als die wesentlichen zu erachten seien. Aehn-
lich ist über H. Taine's Definition des wesentlichen Gharakters zu ur-
theilen (Philos. der Kunst, in's Deutsche übersetzt, Paris u. Leipzig
1866, S. 48): ader wesentliche Gharakter ist eine Eigenschaft, aus der
alle übrigen oder wenigstens viele andere Eigenschaften nach fest-
stehender Zusammengehörigkeit hervorgehen c ; die genetische Abfolge
ohne Berücksichtigung von Werthverhältnissen ist zur Bestimmung des
Wesentlichen schwerlich zureichend; zudem pflegt nicht ein Moment
eines Objects aus anderen, sondern die Gesammtheit der Merkmale aus
früheren, keimartigen Zuständen hervorzugehen; die Zusammengehörig-
keit und Ableitbarkeit aber pflegt gerade da, wo sie in der strengsten
Form vorhanden ist, eine wechselseitige zu sein, so dass in derselben
wiederum kein Kriterium liegt, welche unter den zusammengehörigen
Merkmalen die wesentlichen seien. — Die Schelling'sche Naturphi-
losophie, indem sie die (im Aristotelischen Sinne modificirte) Platonische
Ideenlehre mit der Substanzlehre des Spinoza zu verschmelzen sucht,
findet das reale Gegenbild der Begriffe in den Ideen als den schöpfe-
rischen Typen oder Gattungscharakteren, den Vermittlern zwischen der
Einheit der Substanz und der unendlichen Vielheit der Einzelwesen. —
Hegel sucht nicht ein reales Gegenbild des Begriffs, sondern hält den
B<^riff ebensosehr für die Grundform der objeotiven Realität, wie des
subjectiven Gedankens. Er definirt den Begriff als die höhere Einheit
und die Wahrheit des Seins und des Wesens, als die für sich seiende
substantielle Macht, daher als das Freie und die Wahrheit der Sub-
stanz (Logik II, S. 6 ff. in der Ausg. von 1884; Encydop. § 168 ff.).
Aber der Begriff als eine Form des menschlichen Denkens und Er-
kennens ist hierdurch nicht zureichend charakterisirt. — NachUlrici
(Log. S. 462) ist der logische Begriff die Allgemeinheit als Kategorie
166 § 66. Dör Begriff. Das Wesen.
des unterscheidenden Denkens. Aber durch die blosse Kategorie der
Allgemeinheit wird der Begriff noch nicht genügend von der allgemeinen
Vorstellung unterschieden. — In einer Monographie über den Begriff
erklärt Hippolyt Tausohinski (Wien 1866) denselben als das geistige
Zeichen für das Yerhältniss einer Vorstellungseinheit zu der Gesammt-
heit aller übrigen Vorstellungen (nämlich theils der verwandten, die
das genus prozimum ausmachen und von denen sie sich durch die
differentia specifica unterscheidet, theils der heterogenen Vorstellungen).
In der That handelt es sich bei dem Begriff vielmehr um die Vor-
stellung in ihrem Verhaltniss zu anderen oder mit Bücksicht auf ihr
Verhältniss zu anderen, als um dieses Verhaltniss selbst oder um ein
»geistiges Zeichen c desselben; die Natur dieses »Zeichens« ist dabei
ganz unbestimmt geblieben; die Eenntniss des Verhältnisses ist mehr
für die Erklärung und Entwiokelung des Begriffs, als für den Besitz des
Begriffs selbst nothwendig ; endlich gilt alles, was Tausohinski aufstellt,
sofern es überhaupt zutreffend ist, bereits von der unvollständig repro-
ducirten Vorstellung und berührt nicht das Eigenthümliche des Begriffs,
welches in der Beziehung auf die Wesentlichkeit der Merkmale liegt.
— Beneke rechnet (Syst. der Log. I, 256 ff., II, 199 ff.) den Begriff,
den er mit der allgemeinen Vorstellung identificirt, den Formen des
»analytischen Denkens c zu, und hält mit unrecht die Correspondenz
zwischen dem Begriff und Wesen für eine solche, die bloss in zufalligen
Umständen begründet sei. Doch g^ebt er zu, dass der Begriff dadurch,
dass er die Natur und das Wesen der Dinge, ihre charakteristischen
Eigenthümlichkeiten, ihre innere Organisation oder (nach Dressler's
Ausdruck, prakt. Denklehre S. 77) die Bedeutung, die den betreffenden
Objeoten in der Stufenreihe der Dinge zukomme, darstelle, seine vollste
wissenschaftliche Bedeutung gewinne. — ^ Schleiermacher unter-
scheidet die sinnliche und intellectuelle Seite des Begriffs. Die erstere
ist das Schema (Dial. § 110 ff.; § 260 ff.) oder das Gemeinbild, d. h.
das sinnliche Bild des Einzelobjectes, verschiebbar vorgestellt und da-
durch zum allgemeinen Bilde geworden, aus welchem mehrere, einander
nebengeordnete besondere Bilder gleich gut entstehen können. * Hinsicht-
lich der intellectuellen Seite erkennt Sohleiermacher (Dial. § 186 ff.) in
dem System der Begriffe dasjenige Gebilde der denkenden Vernunft oder
der »intellectuellen Function«, welchem im realen Sein das System der
»substantiellen Formen« oder der Kräfte und Erscheinungen entspreche,
im Gegensatz zu dem System der ürtheile als dem Correlate des Systems
der »Actionen«. Diese Schleiermacher'sche Bestimmung hält, sofern sie
den Begriff als Erkenntnissform zu einer entsprechenden Existenzform
in Beziehung setzt, im Allgemeinen die richtige Mitte zwischen den ein-
ander entgegengesetzten Einseitigkeiten der subjeotivistisch -formalen
und der metaphysischen Logik; ein Mangel derselben möchte jedoch darin
liegen, dass sie nicht scharf genug zwischen der Substanz in der Be-
deutung: Seiendes, Ding, ens, und Substanz in der Bedentung:
Wesen, Wesenheit, essen tia, unterscheidet, was, wie es scheint,
eine Nachwirkung der Aristotelischen Unbestimmtheit im Gebrauche des
§ 57. Die Erkenntniss des WeBentliohen. 167
Wortes ova(a ist. Nicht jede Yorstellung eines Dinges ist Begriff, und
nicht jeder Begriff geht auf ein Ding; die Vorstellung ist Begriff, falls
in ihr das Wesentliche vorgestellt wird, sei es von einem Dinge, oder
von einer Handlung, Eigenschaft, Beziehung (was zum Theil auch Schleier-
macher selbst anerkennt Dial. S. 197; 340; 545). Den Gegensatz des
höheren und niederen Begriffs parallelisirt Sohleiermacher (Dial. § 180 ff.)
mit dem Gegensatze von Kraft und Erscheinung oder allgemeinem Ding
(Gattung, Art) und Einzelding, so dass z. B. die Sehkraft des Auges
zu dem einzelnen Auge als einer Erscheinung dieser Kraft in analogem
Verhältnisse zu denken ist, wieder allgemeineBegriff des Auges zu dem
individuellen Begriff des einzelnen Auges. Diese Lehre wurzelt in der
Aristotelischen von der thätigen Kraft {l^vrilix^ta) als dem Wesen: i}
o^tg ovaia oipO-alfiov rj xarä top Xoyov (Arist. de anima II, 1). Mit
der Schleiermacher'schen Definition des Begriffs kommt die Ritt er 'sehe
überein (Log. 2. A. S. 50): »die Form des Denkens, welche den blei-
benden Grund der Erscheinung darstellte; (S. 56): »das Sein, welches
im Begriffe dargestellt wird, ist ein Bleibendes, welches aber in ver-
änderlichen Thätigkeiten sich bald so, bald anders zeigen kann; ein
solches Sein nennen wir ein lebendiges Ding oder eine Substanz c ; (Syst.
der Logik und Metaph. 11, S. 13): »wenn der Verstand das einzelne
Ding als den bleibenden Grund vieler Erscheinungen (oder nach S. 5
als Substanz) zu denken strebt, so wird sein Gedanke eine Form an-
nehmen müssen, in welcher die Bedeutung vieler Erscheinungen zu-
sammengefasst oder begriffen wird; einen jeden solchen Gedanken nennen
wir einen Begriff, und wenn er diese Bedeutung in den Gedanken
eines individuellen Dinges zusammcnfasst, einen individuellen Begriff;
(S. 297) : »der allgemeine Begriff stellt die Gesammtheit der besonderen
Wesen in ihren Thätigkeiten dar«. Trendelenburg versteht (Log.
Unters. U, Sect. XIV u. XV) unter dem Begriff die Form des Denkens,
die der realen Substanz als geistiges Abbild entspreche. In ähnlicher
Weise nennt Lotze (Log. S. 77 ff.) Begriff jeden Inhalt, der nicht
bloss wie die Vorstellung als das zusammengehörige Ganze seiner Theile
gedacht, sondern dessen Mannigfaltigkeit auf eine logische Substanz be-
zogen werde, die ihm die Weise der Verbindung seiner Merkmale zu-
bringe. In der That aber kommt die Beziehung auf eine Substanz auch
schon der substantivischen Vorstellung zu und ist nicht der unter-
scheidende Charakter des auf das Essentielle gehenden Begriffs. Dass
das Essentielle die Logik nichts angehe (wie Lotze meint, Log. S. 82),
kann wenigstens vom Standpunkte der Logik als Erkenntnisslehre aus
nicht zugegeben werden; vergl. Syst. d. Philos. Bd. 1, Cap. 1, S. 25 u. ff.
§ 57. Wir erkennen und unterscheiden das Wesent-
liche a. bei uns selbst theils unmittelbar durch das Gefühl,
theils mittelbar durch die Ideen. Das Gefühl ist das un-
mittelbare Bewusstsein von dem Yerhältniss unserer Thätig-
keiten und Zustände zu dem Bestehen und der Entwickelnng
168 § 57. Die Erkenntnias des Wesentlichen.
unseres Gesammtlebens oder auch der einzelnen Seiten und
Organe desselben, oder des Lebens anderer beseelter Wesen,
zu denen wir in Beziehung stehen. Die Förderungen werden
mit Lust, die Hemmungen und Zerstörungen mit Unlust und
Schmerz empfunden. Insbesondere bekundet sich in den
Achtungs- und Scham- Gefühlen die Abstufung des Werthes
der verschiedenen Förderangen, je nachdem dieselben sinn-
licher oder geistiger Art, von vorwiegender Passivität oder
Activität, vereinzelt oder zusammenhängend, auf den Einzelnen
beschränkt oder auf eine weitere Gemeinschaft ausgedehnt sind,
oder jenes Werthverhältniss, auf welchem die ethische Norm
des menschlichen WoUens und Handelns beruht. Aus den
einzelnen ethischen Gefühlen erwachsen (abstractiv) die ethi-
schen Ideen. Die Erkenntniss des eigenen Wesens beruht
theils auf dem Bewusstsein der sittlichen Ideen, theils auf
der Messung unseres wirklichen Seins an denselben, b. Ver-
möge der Erkenntniss des Wesentlichen in uns erkennen wir
das Wesen der Personen ausser uns mehr oder minder adäquat
je nach dem Maasse ihrer Verwandtschaft mit unserem eigenen
Sein. Doch ist das Verhäliniss zwischen der Erkenntniss unser
selbst und Anderer ein wechselseitiges; denn es ist auch
wiederum die Klarheit und Tiefe der Erkenntniss unseres
eigenen Wesens durch den Verkehr mit Anderen und durch
den lebendigen Zusammenhang mit der geschichtlichen Ge-
sammtentwickelung des Menschengeschlechtes* bedingt (gleich
wie man in theologischem Betracht sagen kann, das Verstand-
niss der inneren Offenbarung Gottes an uns sei ebensosehr
durch das Verständniss der geschichtlichen Offenbarung, wie
dieses durch jenes bedingt), c. Das Wesen oder der innere
Naturzweck des Thieres und der Pflanze ist das Analogen
der sittlichen Aufgabe des Menschen und nach dem Maasse
dieser Analogie erkennbar. Diese Analogie wird zwar be-
schränkt, aber nicht aufgehoben durch den dreifachen Gegen-
satz: dass die Kräfte der unpersönlichen Wesen von einer
sehr verschiedenen und niederen Art sind; dass sie nicht
durch ein Handeln mit Bewusstsein und Freiheit ihre Be*
Stimmung zu erreichen streben, sondern mit unbewusster
Nothwendigkeit den ihnen innewohnenden Trieb bethätigen,
§ 57. Die ErkenniniBB des Wesentlichen. 159
und dftss die Bedeutung ihres Seins als Selbstzweck durch die
Bedeutung ihres Seins für Anderes überwogen wird. d. Bei
den unorganischen Naturobjecten tritt das Sein als Selbstzweck
und die Selbstbestimmung hinter das Sein als Mittel für An-
deres und mechanische Bestimmtwerden durch Anderes, und
daher auch die Erkennbarkeit des inneren Wesens hinter die
Erkennbarkeit der äusseren Verhältnisse mehr und mehr zurück.
e. Bei dem, was nicht in der Form des selbständigen Seins
oder der Substantialität existirt, und bei dem, was nur als
Product der Kunst eine von Aussen hineingelegte Selbständig-
keit hat, wird das Wesentliche theils nach der Analogie mit
dem Leben selbständig existirender Individuen, theils und
hauptsächlich nach der Bedeutung erkannt, die ihm als Mittel
fttr Anderes zukommt. — Es ist demgemäss die materiale
Wahrheit in Betreff der begrifflichen Erkenntniss des Wesent-
lichen aus den nämlichen Gründen erreichbar, unterliegt aber
auch den nämlichen Einschränkungen und Abstufungen, wie
in Betreff der Wahrnehmung (§ 41—42) und der Einzelvor-
stellung (§ 46).
Die wesentliche Beziehung der Erkenntnissthätigkeit zn der To-
talitilt des geistig-sittlichen Lebens findet hierin ihre Begründung.
Die Frage, ob die menschlichen Begriffe >a priori« (sofern dieser
Ausdruck dem von Kant vertretenen Grebrauofae gemäss auf das aus
dem Subjeot als solchem Herstammende bezogen wird) in der Seele
g^leichsam als angeborene Besitzthümer vorhanden seien oder >a poste-
riori« mittelst der Erfahrung in allmählicher Entwickelung erworben
werden, lasst sich hiemach in folgender Weise entscheiden. Allerdings
enthält jeder Begriff ein > apriorisches« Element, nicht nur in dem
Sinne, in welchem dies auch schon von der Vorstellung gilt, sondern
insbesondere auch insofern, als die Erkenntniss des Wesentlichen in den
Dingen nur mittelst der (wenn gleich oft nicht zu vollem Bewusstsein
entwickelten) Erkenntniss des Wesentlichen in uns gewonnen werden
kann. Mit Recht stellt Schleie rmacher (DiaL § 178) die Entwicke-
lung des ganzen Systems der Begriffe in die Beziehung zu unserem
Selbstbewusstsein, dass der Mensch als Mikrokosmus alle Stufen des
Lebens in sich hat und hieran seine Yorstellungen vom äusseren Sein
ftnbildet; in diesem Sinne mag auch mit Recht gesagt werden, dass
das System aller Begriffe ursprünglich in der subjectiven Vernunft oder
»intellectuellen Function« enthalten sei, wenn nur das Missverständniss
fem gehalten wird, als ob darum das Begriffssystem der objectiven
Realität als etwas Fremdartiges und in sich selbst Beschlossenes gegen-
überstehe, da es doch vielmehr, wenn es anders richtig gebildet ist, das
160 § 67. Die Erkenntniss des Wesentlichen.
eigene Wesen und die eigene Ordnang der Objecto repräsentirt.
Ebensosehr aber, wie durch das subjective oder > apriorische c Element,
ist die Bildung eines jeden auf die Aussenwelt bezüglichen Begriffs
durch den 'äusseren oder » aposteriorischen c Factor bedingt; denn die
Ergänzungen des Inhalts der Wahrnehmung durch Analoga unseres
eigenen Wesens müssen den Erscheinungen angemessen, ja dürfen nur
Deutungen der äusseren Erscheinungen der Dinge auf ihr inneres
Wesen sein, wenn die begriffliche Erkenntniss Wahrheit haben soll.
Aber auch das »apriorischec Element ist nur in Bezug auf die Aussen-
welt apriorisch, und von der inneren Erfahrung keineswegs unabhängig.
Vgl. Schleiermacber, Ethik, hrsg. von A. Twesten, § 46, S. 55 ff.
Der Annahme angeborner Begriffe, die als Begriffe, obschon
unbewusst, von Anfang an in uns vorhanden seien, bedarf es nicht;
dieselbe widerstreitet in jeder Fassung dem menschlichen Entwickelung^-
gange. Das berechtigte Interesse aber, welches zu dieser unpsycholo-
gischen Annahme verleitete, nämlich die anscheinend dadurch ge-
sicherte objective Gültigkeit der Begriffe, wird durch dieselbe in der
That nicht befriedigt, da sich gerade an die Voraussetzung des »aprio-
rischen« Charakters derselben der reine Subjectivismus knüpfen kann
und in Eant's Eriticismus geknüpft hat; dass der Mensch auf die Er-
kenntniss der objectiven Bealitat »eingerichtet« sei, ist (wie auch J.
Hoppe, die gesammte Logik, I, Paderborn 1868, § 54, S. 45 mit Recht
bemerkt) die jener Doctrin zum Grunde liegende Wahrheit. Vgl. unten
§ 140. — üeber die Geschichte der Ausdrücke a priori und a poste-
riori hat neuerdings R. Eucken, Gesch. u. Kritik der Grundbegriffe
der Gegenwart. Leipzig. 1878. S. 69 u. ff. Folgendes aufgestellt: — »Die
Ausdrücke a priori und a posteriori weisen letzthin auf die Sitte des
Aristoteles zurück, das Allgemeine das (begrifflich) frühere, das Be-
sondere das spätere zu nennen, ein fester Sprachgebrauch gestaltete
sich daraus aber erst in der zweiten Hälfte des Mittelalters. Bei Al-
bert d. Gr. finden wir den Gegensatz der Erkenntniss aus den Grün-
den und den aus den Folgen durch die Ausdrücke per priora und per
posteriora bezeichnet; a pr. und a post. kommt nach Pr an tl 's Angabe
(Gesch. d. Logik IV, 78) zuerst bei Albert v. Sachsen, einem Gelehrten
des 14. Jahrh. vor. Die Ausdrücke hielten sich in der mittelalterl. Be-
deutung unverändert bis ins 17. Jahrh. — Mit Leibniz aber begann
eine Umwandlung der Begriffe, wobei freilich, wie bei ihm durchgehende,
die alte Form das Neue fast versteckte. Auch bei ihm ist die Erkenntniss
a priori eine Erkenntniss aus den Gründen, da aber die letzten Gründe für
ihn in der Vernunft selber liegen, so fängt der Ausdruck an, solche Ein-
sichten zu bezeichnen, die in der erkennenden Thätigkeit des Geistes ihren
Ursprung haben und bei denen daher Erkenntniss und Sachgrund sich
vollständig entsprechen. A posteriori heisst dem gegenüber die Erkennt-
niss, welche der Erfahrung entstammt.« — Der Verf. zeigt, wie sich
diese neue Bedeutung erst allmählich durch die alte durchgekämpft hat,
und demnach die Eantische Fassung, wonach das a priori das dem
Geiste ursprünglich Angehörige bezeichnet, mehrfach vorbereitet hat,
§ 68. Glasse, Art eto. und ihre Erkennbarkeit. 161
und wie dann diese Eantisohe Fassung wieder zum Ausgangspunkt
neuer Bewegungen gedient hat, so dass die Geschichte dieses Begriffes
die Geschichte des Kampfes um die Erkenntniss abspiegelt.
§ 58. Diejenigen Individuen, welche in den wesentlichen
Eigenschaften übereinstimmen, bilden zusammen eine C lasse
oder Gattung im allgemeineren Sinne. Die Gattung in
diesem Sinne ist demnach ebenso das reale Gegenbild zu dem
Umfange, wie das Wesen zu dem Inhalte des Begriffs. Diese
Beziehung findet ebensowohl bei abstracten, wie bei concreten
Begriffen statt. Sofern aber die Wesentlichkeit verschiedene
Grade hat, und demgemäss verschieden begrenzte Gruppen
von Merkmalen zum Bestimmungsgrunde der Begriffsbildung
dienen können, so lassen sich auch in entsprechender Weise
mehrere einander umkreisende Classen oder Gattungen unter-
scheiden, welche in absteigender Folge durch die Ausdrücke:
Reich (regnum), Kreis (orbis), Classe (classis), Ordnung
(ordo), Familie (familia), Gattung (genus), Art (species)
bezeichnet werden. Zwischen Reich und Kreis wird zuweilen
noch die Gruppe (cohors), zwischen Familie und Gattung
die Zunft oder das Geschlecht (tribus), zwischen Gattung
und Art oder auch an anderen Stellen die Abtheilung
(seetio), zwischen Art und Individuum die Abart (subspecies)
und Spielart (varietas) eingeschoben. Der Begriff der Race,
der nur in bestimmten Fällen, namentlich bei der allgemein-
sten Eintheilung der Menschen in naturhistorischer Beziehung,
zur Anwendung kommt, möchte sich auf den der Abart (sub-
species) zurückfuhren lassen. Der Gegensatz von Gattung
und Art wird häufig auch zur Bezeichnung des Verhältnisses
irgend welcher höheren Classe zu der niederen gebraucht,
sofern ihr diese ohne angegebene Zwischenglieder unmittelbar
untergeordnet wird. — Objecto heissen generisch verschie-
den, wenn sie verschiedenen Gattungen, speci fisch ver-
schieden, wenn sie verschiedenen Arten der nämlichen Gat-
tung angehören, graduell verschieden, wenn sie sich nur
nach Quantität oder Intensität unterscheiden, numerisch
verschieden endlich, sofern sie selbst bei aller etwaigen
Wesensgleichheit doch nicht bloss ein einziges Object oder
identisch, sondern mehrere Objecte sind.
11
162 § 58. Classe, Art eto. nnd ihre Erkennbarkeit.
Als natarhistorisches Kennzeichen der Art (species) gilt yielen
besonders unter den altem Naturforsohem die dauernd fruchtbare
Zeugung; die neuere Forschung relativirt dieses Kriterium. Bei ver^
schiedenen Arten einer und derselben zoologischen Gkittung ist in der
Regel höchstens nur eine Zeugung unfruchtbarer Bastarde möglich.
Doch ist dieses Merkmal, sofern es gilt, nur als ein oonseeutiv wesent-
liches, nicht als ein constitutiv wesentliches anzusehen; denn die Mög-
lichkeit oder Unmöglichkeit einer dauernd fruchtbaren Zeugung muss
durch den Gesammtcharakter der Organisation bedingt sein. Das wahr-
haft charakteristische Merkmal der Art (Species) ist demnach nicht die
Zeugung, sondern der Typus; nur darf unter dem Typus weder die
blosse äussere Form und Gestalt, noch auch die Eigenthümlichkeit
irgend eines angenommenen Musterexemplares verstanden werden, son-
dern der Gesammtcharakter der Organisation, die Platonische Idee nach
ihrem zwar vielleicht nicht historischen, aber wissenschaftlich wahren
Sinne, die Aristotelische Form, das Kantische »Urbild der Erzeugungen«
(Kritik der Urtheilskraft) oder (nach Spring, über Gattung, Art und
Abart, 1888) »das Bild, welchem nachgezeugt wirdc. Die Möglichkeit
der Fortpflanzung soll nur als ein Mittel dienen, die Üebereinstimmung
im Typus zu erkennen. Gebilde gehören zu einer Art, wenn sie, sofern
jedesmal die gleichen Entwickelungsstufen derselben miteinander ver-
glichen werden, üebereinstimmung in allen wesentlichen Merkmalen
zeigen. Die Vergleichung ist dabei freilich nur die Function des
erkennenden Subjectes; dieWesentlichkeit der verglichenen Merk-
male aber ist das objective Moment, welches dem Artbegriff eine
reale Bedeutung verleiht. Individuen, welche mit Recht von uns zu
Einer Art (und Classe überhaupt) gerechnet werden, stimmen nicht nur
in denjenigen Merkmalen mit einander überein, auf welche die Zusam-
menstellung selbst basirt worden ist, sondern auch in vielen anfänglich
grossentheils noch verborgenen Beziehungen, und eben hierdurch be-
kundet sich, dass der Artbegriff (und überhaupt jeder auf das Wesent-
liche gegründete Classenbegriff) in der objectiven Wirklichkeit selbst
begründet ist George Henry Lew es sagt (Arist., ein Abschnitt aus
einer Gesch. der Wissenschaften, nebst Analysen der naturwiss. Schrif-
ten des Arist., deutsch von Jul. Vict. Carus, Leipzig 1866, S. 282):
>Was ist das Ziel einer (zoologischen) Classification? Die Thiere in
einer solchen Weise zu gruppiren, dass jede Classe und Gattung den
Grad der von deren Organisation erreichten Complezität angiebt, so
dass die äussere Form die innere Structur andeutete. Doch ist die
Complexität der Organisation nur Bedingung und Kriterium der Stufe
in der Reihe der Wesen überhaupt. Vgl. unten § 63.
Wie es eine Inoonsequenz ist, die reale Existenz des Individuums
(vgl. oben § 46) anzuerkennen und dennoch die BeaUtät der Species
zu leugnen: ebenso würde es eine Inoonsequenz sein, die Realität der
Artunterschiede in der Natur anzuerkennen und dennoch zugleich den
umfassenden Gliederungen des Naturorganismus die Wirklichkeit ab-
zusprechen. Denn die Realität der Art weist auf die ReaHtöt der
§ 68. Classe, Art etc. und ihre Erkennbarkeit. 168
Wesen tlichkeit Eorück, so dass gewisse Elemente nicht nur als
▼orzüglich brauchbar zn snbjectiyen Anhaltspunkten bei unseren Be-
griffsbestimmungen, sondern als vorzüglich wichtig und entscheidend
fnr das Bestehen und die Bedeutung der realen Objecte selbst aner-
kannt werden müssen; ist aber dies einmal zugestanden, so lässt sich
auch die Anerkennung yon Abstufungen in der Wesentlichkeit und
damit zugleich die Anerkennung der RealilÄt der umfassenderen Glie-
derungen nicht mehr abweisen. Mit Recht sagt Braun (Verjüngung
in der Natur, S. 848): »wie das Individuum als Glied der Species, so
erscheint die Species als Glied der Gattung, die Gattung als Glied der
Familie, der Ordnung, der Glasse, des Reichs ; — die Anerkennung des
Naturorganismus und seiner Gliederungen als objectiver, von der Na-
tur selbst ausgesprochener Thatsachen ist für die höhere einheitliche
Gestaltung der Naturgeschichte ein wesentliches Bedürfniss.c (VgL auch
Rosenkranz, Logik 11, S. 48 ff.) — So sind auch bereits von Aristo-
teles, wie die Individuen als ovaitu im vollsten Sinne, so die Arten
und Gattungen als Stingat ovaiat (Gateg. 5) und somit als real aner-
kannt worden; er findet in den natürlichen Classen eine Stufenreihe
aufsteigender Vollkommenheit. Mit Recht sieht Linn6 in den Classen
and Ordnungen des künstlichen Systems nur einen Nothbehelf, bis die
natSrlichen erkannt seien, betrachtet aber die wahren Arten und Gat-
tungen entschieden als objective Werke der Natur (Philos. botan. § 161
sqq.). Die Erkenntniss der natürlichen Gattungen, Familien und Ord-
nungen ist allerdings unsicherer als die der Species. üebrigens schliesst
die Annahme einer objectiven Gültigkeit der natürlichen Eintheilung
nidit die Anerkennung einer gewissen Relativität des Artbegriffes aus,
so wenig, wie die objective Existenz der Individuen die partielle Un-
bestimmtheit der Grenzen des Individuums ausschliesst. Auch bei einer
Naturansicht, die (wie die Darwin'sche, deren Grundgedanken u. A.
auch bereits Kant in seiner Kritik der ürtheilskraft hypothetisch aus-
gesprochen hat) sich auf die Voraussetzung einer allmählichen Ent-
stehung und partiellen Veränderlichkeit der Arten gründet, kann die
Objectivität des Artbegriffs für die Welt, wie sie jetzt besteht, ange-
nommen werden, sofern eine realisirte Tendenz der Natur zur Bildung
bestimmter Formen anerkannt und Objectivität nicht mit absoluter
Stabilität verwechselt wird. Gerade auf Grund der Darwin'schen
Theorie kann der Species, sofern der Begriff derselben jedesmal auf die
zu irgend einer gegebenen Zeit gleichzeitig bestehenden Gebilde bezo-
gen wird, im vollen Sinne eine objective Gültigkeit vindicirt werden ;
die Systematik, als vollendet gedacht, würde den Stammbaum der Or-
ganisipen darstellen und so mit dem teleologischen Gesichtspunkt der
Stufenfolge den genetischen des gemeinsamen Ursprungs verbinden.
Vgl. in logischem Betracht Trendelenburg, log. Unt. II, S. 157 ff.,
2. Aufl. S. 286 ff., 8. Aufl. S. 289 ff. und über das naturwissenschaft-
liehe Problem Carl Nägeli, Entstehung und Begriff der naturhist. Art,
2. Aufl., München 1866, wo S. 84 das Bild des Pflanzen- und Thier-
reidis, wie es sich bei der Annahme der Veränderlichkeit der Arten
164 § 59. Der Individualbegriff.
■
gestalte, folgendermaassen bezeichnet wird: »Der Sohwerpunkt dernatur-
geschichtlicben Betrachtung liegt nicht mehr in der Species, sondern
darin, dass jede systematische Kategorie als eine natürliche Einheit
gefasst wird, welche den Durchgangspunkt einer grossen entwickelungs-
geschichtlichen Bewegung darstellt. Die Gattung und die höheren Be-
griffe sind (ebenso, wie die Species) keine Abstractionen, sondern oon-
crete Dinge, Complexe von zusammengehörigen Formen, die einen ge-
meinsamen Ursprung haben, c Doch vgl. andererseits Herrn. Ho ff mann,
Untersuch, zur Best, des Werthes von Species und Varietät, Giessen
1869. — Vergl. auch Karl Moebius, die Bildung u. Bedeutung der
Artbegrifife in d. Naturgesch. in Bd. 1 der Schriften des »naturw.
Vereins f. Schleswig-Holstein«, Kiel 1878, u. bes. Alb. Wigand, der
Darwinismus u. d. Naturforsch. Newtons u. Cuviers. Beiträge z. Metho-
dik der Naturforsch, u. z. Speciesfrage. Bd. 1. Braunschweig 1874 u.
J. B. Meyer, Fhilos. Zeitfragen. 2. Aufl. Bonn 1874. Kap. 8: Die Ent-
stehung der Arten, bes. S. 100 u. 101. — Ebenso wie auf dem natur-
historischen Gebiete, ist auf dem ethischen das Wesentliche aufzusuchen
und der Gruppirung der betreffenden Verhältnisse, mithin auch der Be-
griffsbildung zum Grunde zu legen, welche auch hier nicht der subjoc-
tiven Willkür anheimgegeben, sondern an objective Normen gebunden
ist. Auch hier beruht der Unterschied weiterer und engerer Sphären
auf den Abstufungen der Wesentlichkeit.
§ 59. In denjenigen Fällen, wo Individuen, die der näm-
lichen Species angehören, sich von einander durch wesent-
liche EigenthOmlichkeiten unterscheiden, lassen sich von den-
selben Individualbegriffe bilden. Der Individualbegriff
ist diejenige Einzelvorstellung, deren Inhalt die Gesammtheit
der wesentlichen allgemeinen und der wesentlichen eigenthttm-
lichen Eigenschaften oder Merkmale eines Individuums in sich
fasst. Auch dem Individualbegriff kommt jedoch insofern
imtner noch eine gewisse Allgemeinheit zu, als derselbe die
verschiedenen Entwickelungsstufen des Individuums unter sich
begreift. Die Vorstellung von einem in der Zeit lebenden In-
dividuum ist nur dann rein individuell, wenn dasselbe in einem
einzelnen Momente seines Daseins vorgestellt wird.
Die scholastische, durch den Gegensatz des AristoteUsmos zum
Piatonismus (vgl. Arist. Metaph. l, 6) bedingte Frage nach dem »prin-
cipium individuationisc ruht auf der Voraussetzung, dass das Allge-
meine nicht nur ein begriffliches, sondern auch ein reales Prius des
Individuellen sei; sie verliert ihre Bedeutung, sobald erkannt wird, dass
das Herabsteigen vom Allgemeinen zum Besonderen nur von dem den-
kenden Subjecte vollzogen werden kann und dass in der objeetiven
Realität das Wesen nicht in irgend einem Sinne vor dem Individuellen
§60. Die Definition. Ihre Elemente : Gattungsbegrifif u. specif. Differenz. 165
existiren kann, so dass dieses erst aus jenem sich hervorbilden müsste.
Dies haben die NominaHsten (die freilich andererseits zu weit gingen)
richtig erkannt, indem sie das Seiende als solches für individuell er-
klärten, und im Anschluss an sie auch Leibniz und Wolff, welche das
allseitig Bestimmte als solches (res omnimodo determinata oder ita
determinata, ut ab aliis omnibus distingui possit) für das Individuelle
erklären, das Allgemeine also als solches nur in der Abstraction exi-
BÜren lassen. Nicht irgend eine Bestimmung (wie Materie, Raum,
Zeit), sondern die Gesammtheit aller constituirt die Individuität. Dies
schliesst nicht aus, dass der Unterschied des Wesentlichen und Un-
wesentlichen und der Grade der Wesentlicbkeit der objectiven Realität
selbst angehöre. Sofern solches, was diesem oder jenem Individuum
eigenthümlich ist, wesentliche Bedeutung hat, giebt es Individual-
begriffe. Aus § 46 folgt, dass Individualbegriffe vorzugsweise von
den höchsten unter den persönlichen Wesen zu bilden sind.
§ 60. Die Definition oder Begriffsbestimmung
(definitiOy ögiofiog) ist die vollständige und geordnete Angabe
des Inhaltes (§ 50) eines Begriffs. In der Definition müssen
alle wesentlichen Inhaltselemente des Begriffs oder alle wesent-
lichen Merkmale der Objecte des Begriffs (§ 49) angegeben
werden; sie ist der Ausdruck des Wesens (der »essentia«) der
Objecte des Begriffs. Die wesentlichen Inhaltselemente sind
theils solche, die der zu definirende Begriff mit den ihm neben-
geordneten Begriffen theilt und die demgemäss auch den
Inhalt des übergeordneten Begriffs ausmachen, theils solche,
wodurch er sich von den nebengeordneten und von dem über-
geordneten unterscheidet. Indem nun (nach § 58) der Gegen-
satz von Gattung (genus) und Art (species) auch zur allge-
meinen Bezeichnung des Gegensatzes irgend einer höheren
Glasse zu einer niederen dient, sofern diese jener unmittelbar
untergeordnet wird, so können hiernach die wesentlichen In-
haltselemente des zu definirenden Begriffs in generische
und speci fische eingetheilt werden. Hierauf beruht die
Forderung, dass die Definition den übergeordneten
oder Gattungsbegriff und die specifische Differenz
oder den Artunterschied enthalte. Die Angabe des
Gattungsbegriffs hat zugleich die Bestimmung, die Form oder
Kategorie des zu definirenden Begriffs (ob derselbe ein
sabstantivischer oder adjectivischer etc. sei) mitzubezeichnen.
Einfache Begriffe, bei denen die Gesammtheit der Merkmale
1 66 § 60. Die Definition. Ihre Elemente : Gattungsbegriff u. speoif. Differenz.
(vgl. oben § 56) sich auf nur Ein Merkmai reducirt, lassen
keine eigentliche Definition zu (ygl. unten § 62).
Plato findet in der Definition {6(*£C^^^') und in der Einthei-
lung {SiaiQcaiSt xccr^ atdri diax4fjivitv) die beiden hauptsachlioben Momente
der Dialektik (Phaedr. p. 266 sqq.), ohne jedoch die Theorie dersel-
ben eingehender zu entwickeln. Er stellt noch nicht ausdrücklich den
Satz auf, dass die Definition den Gattungsbegriff und die specifisdie
Differenz enthalten müsse; doch verfahnt er thatsächlich diesem Grund-
satz gemäss, z. B. im Gorgias p. 462 ff. in der Definition der Rethorik,
in der Republ. in der Definition der Oardinaltugenden (Weisheit, Tapfer-
keit, Besonnenheit, Gerechtigkeit), indem er zu der Angabe des allge-
meinen Wesens die specifischen Eigenthümlichkeiten hinzufügt. Im
Dialog Euthyphron wird das oaiov als ein fiigog des SUaiov bestimmt
und dann gefragt: nöiov fd^Qog; worauf Euthyphron die Antwort er-
theilt: to negl rrjv riov ^eoiv S-egamfcev, Auch verfahrt thatsächlich so
bereits Sokrates z. B. in der Definition des <p^6vog (Xenoph. Mem. m,
9, 8) als die Ivnij inl raig rtov (pCXtov sunga^iatg. In dem Platonischen
Dialog Theaetet wird p. 206 — 209 von dem xwvov die SiatpoQa oder
dtixtpoQOTng unterschieden oder das arj/aeTov ip rwv andwatv ^unpäQSi ro
(Qtoiij&^v, wie wenn z. B. von dem TJXiog gesagt werde, derselbe sei t6
IttfingoTccTov rav xcrr' ovqccvov tovrwv negl yijv, Plato bekämpft die
Annahme, dass in dem Bewusstsein um die JtaipoQci das zureichende
Unterscheidungsmerkmal des Wissens von der blossen (obschon richtigen)
Meinung liege. Im Philebus wird (p. 12 u. 13} die generische Identität
und die SinKpogoxrig der fjiiQri (species) unterschieden, die sieh bis zum
vollsten Gegensatze steigern könne. Die Bemerkung, dass einfache Be-
griffe keine Definition zulassen, wird schon im Platonischen Theaetet
angeführt und einer Kritik unterworfen. Theaet. p. 202: äSCvarov
sJvai oTiovv xwif nQtimnf ^fi&rivat Xoytp, ov yag dvtu avr^, aXV fj ovo-
fiaCia^tu fiovov, ovofia yag fiovov ^^/e^y * ra äh ix jovtwv rj^ii tvyxeifievu
agneg ainä ninlexiaiy ovtto xal ra ovo/uartt ainwv ^vfdnXaxivra loyov
y^yovivai. In dem (Platonischen?) Dialog Politicus (p. 285) sind die
dtatpoQai vielmehr die Arten selbst, die in der Gattung enthalten sind
und worin dieselbe einzutheilen ist, als die specifischen Inhaltsele-
mente, welche in der Definition des Artbegriffs zu den generischen
hinzutreten müssen. Die Definition wird auf die Eintheilung basirt in
dem Dialog Soph. (p. 219 sqq.). (Vergl. Drobisch, Logik 4. Aufl.
§ 125. 8. S. 146.) In den Platonischen Leges wird (p. 895) unterschie-
den: i} ovaCa, rfjg ovalag 6 Xoyog^ rb ovofjia. Unter dem Xoyog versteht
hier Plato mit dem Begriff zugleich die Begriffsbestimmung, wie z. B.
der Xoyog dessen, was den Namen des Geraden {agtiov) trage, sei:
UQi&fxog StaiQovftevog eig taa Svo fiigti, — Aristoteles lehrt Analyt.
post. n, S. 90 b. 30: oQia/xog fxlv yicQ rov tC (an xal ovalag, Topic. VII,
5. 150 a. 81: oQiafAog fan Xoyog 6 t6 tI ijv slvm ari/Ltalvtov, Metaph.
VI, 4. 1029 b. 19: iv tp aga fxri Morai Xoyfp avro, Xiyovn nvro^ ovtog
6 Xoyog rov rC ijy dvtu ixaaripf d. h. in welcher Aussage also das Ob-
§ 60. DieDefinition. IhreElemente : Gattimgsbegriff u. speoif. DifiFerenz. 167
jeot (aemena Namen nach) nicht enthalten ist, während doch dieselbe
Aussage es (der Sache nach) bezeichnet, dieses ist die Aussage dee"^
Wesens (oder die Definition) für ein Jegliches. Top. I, 8. 103 b. 15:
o ogtofios ix yivovQ xai diatpogav iartv, definitio ex genere et diffe-
rentÜB oonstat. Der Ausdruck specifi'sche Differenz (differentia
spedfiica) ist die (zuerst bei Boethius nachweisbare) Uebersetzung des
Aristotelischen Ausdrucks dutipoga elSoTcoiog (Top. VI, 6. 148 b. 8:
näaa yoQ Monoton diaipo^ finä xov yivovg tldos notil). Spätere Lo-
giker fordern (im Anschluss an Arist. Top. Yl, 5. 143 a. 16, wo ge-
fordert wird: fiTi vntgßuivuv rä yivfi): »definitio fiat per genus proxi-
mnm et differentiam speoificamc. Dieser Forderung muss auch in der
Begel genügt werden, damit nicht mit mehreren Worten das Nämliche
gesagt werde, was mit wenigem gesagt werden kann. Aber sie ist
keineswegs von strenger Allgemeingültigkeit. So würde z. B. die De-
finition, welche den Kreis unter den nächsthöheren Grattungsbegriff
Kegelschnitt subeumirt, in der Mehrzahl der f^Ue minder bequem
und angemessen sein, aU die, welche ihn unter den allgemeineren Be-
griff ebene Figur subsumirt, und in der Elementargeometrie ist die
erstere sogar unzulässig. Im Allgemeinen lassen sich die Fälle dieser
Art auf folgende Formel bringen. Der zu definirende Begriff A falle
unter den nächsthöheren Grattungsbegriff B und mit diesem zugleich
unter den wiederum höheren Begriff G; es unterscheide sich A von B
durch die specifische Differenz a, B von G durch die specifische
Differenz b. Nun kann es geschehen, dass die beiden Differenzen (a und
b) sich einzeln nur mit Schwierigkeit bestimmen, aber leicht zu der
einen Gesammtdifferenz a, in der sie beide implicite enthalten sind,
zusammenfassen lassen. Wenn dieser Fall eintritt, so ist die Definition
mittelst eines entfernteren Gattungsbegriffes leichter und einfacher,
als die Difinition, welche den nächsthöheren Ckittungsbegriff enthält,
und daher vorzuziehen, sofern nicht in einzelnen Fällen der Zweck der
Darstellung dennoch die sdiwierigere Definition erheischt. — Sehr
grosses Gewicht legt auf die Definition der neuere Dogmatismus
seit Gartesius, und auch Kant, obschon er die Erkenntniss des
Wesens der Dinge nicht für erreichbar hält, giebt viel auf die Strenge
der definitoriBchen Form, üeber das Element der Definition in Leib-
nizens Philosophie handelt Trendelenburg in den Monatsber. der Berl.
Akad. d. Wiss. Juli 1860, wiederabg. in Tr.'s bist Beitr. zur Philos.
Bd. UI, Berlin 1867, S. 48-^62; vgl. Log. Unters. 2. Aufl., Bd. II.,
& 232, 3, Aufl. S. 247 ff. Leibniz lehrt, dass das Geschlecht und der
artbildende Unterschied sich nicht selten vertauschen lassen, indem der
üntersehied Geschlecht und das Geschlecht Unterschied werden könne;
diese Ansidit muss jedoch, wenn sich in dem gegenseitigen Yerhältniss
der Inhaltselemente nach der Gonsequenz der Aristotelischen Ansicht
ein reales Yerlmltniss abbilden soll, auf den Fall eingeschränkt werden,
wo mehrere Bestimmungen gleich wesentlich sind, wie z. B» das adu-
lari ebensowohl als mentiri laudando, wie auch als laudare mentiendo,
nt plaoeas laudato, definirt werden kann. Die He gel' sehe Philosophie
168 §60. Die Definition. Ihre Elemente: Gattungsbegriff u. specif. Differenz.
hebt die Begriffsbestimmung auf in der dialektischen Genesis des
Begriffs.
Nach der Ansicht Lotze's (Syst. d. Philos. Bd. l.Log^k Buohl.
Kap. 1. G. Die Bildung des Begriffs S. 45 — »scheint in der Logik
der Name des Begriffs nicht jene Yomehme Bedeutung haben zu dürfen,
die ihm die Schule Hegel 's gegeben hat, und in welcher er darauf
Anspruch macht, die Erkenntniss der wesentlichen Natur seines Gegen-
standes auszudrücken. Der Unterschied zwischen logischen Formen
und metaphys. Gedanken ist auch' hier zu beachten. Es mag einen
bevorzugten Begriff geben, welcher die Sache selbst in ihrem Sein und
ihrer Entwickelung verfolgt, oder zum Standpunkt der Auffassung den
in ihr selbst liegenden Mittelpunkt wählt, von welchem aus sie ihr
eigenes Verhalten bestimmt und ihre eigene Wirksamkeit gliedert;
aber es ist nicht Aufgabe der Logik, ihrer Begriffsform stets nur diese
auserlesene Füllung zu geben. Der logische Begriff gilt uns als eine
Denkform, welche ihren Inhalt, von irgend weldiem Standpunkte aus,
so auffasst, dass aus dieser Auffassung Folgerungen zu ziehen sind,
welche an bestimmten Punkten richtig wieder mit dem zusammen-
treffen, was aus diesem Inhalte selbst, aus der Sache selbst fliesst;
nach der Wahl jener Standpunkte, für deren jeden sich die Sache an-
ders projicirt, kann es daher verschiedene gleich richtige und gleich
fruchtbare logische Begriffe desselben Gegenstandes geben. Mag darum
Begriff immerhin jede Auffassung heissen, die, wenn auch nur mit
Hülfe eines selbst nicht weiter zergliederten Allgemeinbildes, dies leistet,
den gegebenen Gegenstand einer Regel seines Verhaltens zu unter-
werfen, deren Anwendung mit diesem wirklichen Verhalten in üeber-
einstimmung bleibte.
Sigwart in s. Logfik Bd. 1. Th. 1. Abschn. 1 Die Vorstellungen
als Elemente des Urtheils und ihr Verhältniss zu den Wörtern, und Th.
2. Absch. 1 Der Begriff — hat sich bemüht, die psychologische Be-
trachtung der verschiedenen Gattungen von Vorstellungen, die überall
die Voraussetzung des wirklichen Denkens und Redens bilden, von der
Aufstellung der idealen Normen der vollkommenen Constanz und Be-
stimmtheit der Vorstellung, sowie der Eindeutigkeit und Allgemein-
gültigkeit ihrer Wortbezeichnung, welche den logisch vollkommenen
Begriff constituiren, auch äusserlich zu trennen, hat übrigens wieder-
holt dabei hervorgehoben, dass die kunstmässige Begriffsbildung nur
den Process vollende, der überall schon begonnen hat. Er will nur
den Terminus »Begriffe für den logisch vollkommenen Begriff reser-
viren und die früheren Entwickelungsstadien mit dem allgemeineren
Wort > Vorstellung c bezeichnen, also psychologische und logische Be-
trachtungsweise trennen. In diesem Sinne hat er Bestimmtheit und
Allgemeingültigkeit als Merkmale des vollendeten Begriffs, den er
»logischen Begriffe nennt, hingestellt, aber diese Merkmale eben der
natürlichen Vorstellung, weil sie schwankend und individueU different
ist, abgesprochen. — Dass Wundt in s. Logik Bd. 1. 8.69 dies miss-
verstanden hat, wenn er in der Vertheidigping seiner Neigung den
§ 61. Die Arten der Definitionen. 169
TerminoB 9 Begriffe sohon auf die ersten YorBtellungen, die in den Be-
zeichnungen der Sprache ihre Verkörperung gefunden haben (das.
S. 86 ff.), Sigwart zu denjenigen Logikern rechnet, welche als Ele-
ment des primitiven ürtheils die Yorstellang ansehen und den Begriff
erst auftreten lassen, sobald es sich um die Verbindung gewisser Er-
kenntniasresultate handelt, hat Sigwart besonders entschieden in s.
Art. 1 Logrische Fragen in der Vierteljahrssch. f. wissensch. Philos.
Bd. 4. 1880. S. 456 hervorgehoben. — Von der Ueberzeugung geleitet,
dass es diö vornehmste Aufgabe ' der modernen Logik sei, diejenige
Weltauffassung, die heute bei Gelehrten und gebildeten Laien die herr-
sehende sei, vor ihr Forum zu ziehen, und femer, dass der Grundbe-
griff der ganzen Logik, der Begriff der Definition, der gerechteste
Richter sein würde, hat neuerdings E. Bethwisch den Versuch ge-
macht, diesen Begriff einer eingehenden Analyse zu unterwerfen in
seiner Schrift: Der Begriff der Definition und seine Bedeutung für die
monistische Entwiokelungslehre. Berlin 1880.
§ 61. Die Definitionen werden nach verschiedenen
Gesichtspunkten eingetheilt. Man nnterscheidet 1. die
Existential- und die erzeugende Definition (definitio
snbstantialis und genetica sive causalis): jene entnimmt den
Inhalt des zu definirenden Begriffs von dem Dasein, diese von
der Entstehung seines Objectes; 2. die Namen- und die
Sacherklärung (definitio nominalis und realis): die erstere
bestimmt nur, was unter einem Ausdruck verstanden werden
soll, die Sacherklärung aber geht auf die innere M?)glichkeit
des durch den Begriff bezeichneten Objectes und somit auch
auf die reale Gültigkeit des Begriffs, indem sie entweder selbst
durch Angabe der Entstehungsweise des Objectes den Beweis
der realen Gültigkeit des Begriffs in sich enthält oder sich
auf einen vorangegangenen Nachweis dieser Gültigkeit gründet;
3. die Essential-Definition und die distinguirende
Erklärung oder die Wesenserklärung und die Er-
klärung durch abgeleitete Bestimmungen (definitio essen-
tialis; definitio attributiva vel accidentalis sive declaratio
distingnens): jene giebt die constitutiv- wesentlichen Merkmale
an, diese die secundären, mithin die Attribute oder auch die
verschiedenen möglichen Modi, jedoch in solcher Zahl und
Verbindung, wie sie ausschliesslich denjenigen Objecten, welche
unter den zu bestimmenden Begriff fallen, diesen aber auch
allen zukommen und daher ausreichen, um dieselben von allen
anderen Objecten zu unterscheiden; 4. die analytisch ge-
170 § 61. Die Arten der Definitionen.
bildete und die synthetisch gebildete Definition
(definitio analytica und syntheticä): jene wird in Gemässheit
des bestehenden Sprachgebranchs oder der bis dahin in der
Wissenschaft üblichen Yorstellungsweise, diese ohne den An-
sprach einer Uebereinstimmung mit dem bisherigen Gebrauche
nen nnd frei gebildet — Mit der Definition sind als minder
strenge Formen der Angabe des zum Inhalt eines Begriffs
Gehörenden verwandt die Beschreibung (descriptio), die
Erörterung (expositio) und Entwickelung (explicatio).
Man pflegt auch wohl diese Formen mit der Definition unter
dem weiteren Namen der Erklärung (declaratio) zusammen-
zufassen. Die Erläuterung (illustratio, exemplificatio),
welche den Begriff durch Beispiele, die dem Umfange des-
selben entnommen sind, veranschaulicht, ist vielmehr der
Division, als der Definition verwandt.
Die Möglichkeit versohiedener Definitionen des näm-
lichen Begriffs, da doch das Wesen des nämlichen Objeotee nur
eins sein kann, beruht, sofern sie besteht, auf der gegenseitigen Ab>
hängigkeit der constitutiv und consecutiv wesentlichen Merkmale, so
dass, wenn irgend eins oder irgend eine Gruppe derselben angegeben
wird, die Gesammtheit der übrigen davon untrennbar ist. Mögen wir
z. B. den Kreis durch die ihn erzeugende Drehung der geraden Linie
oder durch den überall gleichen Abstand der Peripherie vom Mittel-
punkte oder durch den mit der Grundfläche parallelen Schnitt des
geraden Kegels oder durch die betreffenden Formeln der analytischen
Geometrie definiren, so ist doch jedes dieser Merkmale mit den übrigen
nach mathematischen Gesetzen nothwendig verbunden, daher audi der
deflnirte Begriff (des Ereises) jedesmal der nämliche. Dass jedoch nur
Eine Definition als definitio essentialis die Aufgabe der Definition im
vollsten Sinne erfülle, ist nichtsdestoweniger unleugbar. Schon Scotus
Erigena sagt mit Becht (de divisione nat. I, 48): quamvis multae
definitionum species quibusdam esse videantur, sola ac vere ipsa dicenda
est definitio, quae a Graecis ovaitodtig, a nostris vero essentialis vöoari
consuevit — Sola ovatcjSrjg id solum recipit ad definiendum» quod per-
fectionem naturae, quam definit, complet ac perficit.
Aus den obigen Bestimmungen lassen sich mehrere Sätze über
das Verhältniss ableiten, welches zwischen den Gliedern jener
verschiedenen Eintheilungen besteht. Die Ezistential-Definition
ist, wenigstens wenn sie für sich allein steht, in der Regel Nominal-
definition; die genetische ist stets, sofern nicht die angebliche Genesis
unmöglich ist, Realdefinition. Die Nominaldefinition ist mit der Aooi-
dentaldefinition oder der distinguirenden Erklärung und die Realdefini-
tion mit der Essentialdefinition verwandt; doch ist keineswegs jede No-
§ 61. Die Arten der Definitionen. 171
minaldefinition eine blosse AocidentaMefinition, sondern es kann auch
eine Nominaldefinition Essentialdefinition and somit eine Essentialdefi-
nition Nominaldefinition sein. Wenn z. B. Wolf f die Wahrheit als lieber-
einstimmung des Gedankens mit dem Seienden, welches gedacht wird,
definirt, so erklärt er selbst diese Definition mit Recht für eine nominale,
weil sie die Möglichkeit einer solchen Uebereinstimmung nicht aufzeige
und mithin die reale Gültigkeit des definirten Begriffs nicht verbürge ;
aber dennoch ist dieselbe die Essentialdefinition der Wahrheit, weil sie
das Wesen oder den grundwesentlichen Charakter derselben angiebt.
(Wäre das Wesen, wie Einige es bestimmen, der Grund der Sache, so
würde freilich jede Essentialdefinition zugleich genetisch, folglich auch
Realdefinition sein; aber das Wesen ist nur Grund der übrigen Merk-
male der Sache, nicht Grund der Sache überhaupt, sofern nicht Grund
seiner selbst.) Auch ist nicht jede Realdefinition zugleich Essential*
definition, sondern ejine Realdefinition kann auch Accidentaldefinition
und somit eine Accidentaldefinition Realdefinition sein. (Die Möglich-
keit der Sache kann auf eine mehr äusserliche Weise verbürgt sein,
etwa durch den Nachweis irgend einer Genesis, die doch nicht aus dem
Mittelpunkte des Wesens heraus erfolgt; in diesem Falle erhalten wir
eine Realdefinition, die doch nicht Essentialdefinition ist.) Die Ein-
theilung der Definitionen in analytisch und synthetisch gebildete hat
zu den übrigen Eintheilnngen kein bestimmtes Verhältniss.
Die Termini Nominal- und Realdefinition sind insofern
nicht völlig bezeichnend, als jede Definition an sich weder den Namen
noch die Sache, sondern den Begriff bestimmt, nebenbei aber sowohl
den Namen, ab auch die Sache, sofern dieselbe möglich ist. So lange
indess die reale Gültigkeit des definirten Begriffs nicht verbürgt ist,
bleibt es immer möglich, dass nur scheinbar ein gültiger Begriff, in
der That aber ein blosser Name und fingirter Begriff, dem nichts Reales
entspricht, definirt worden sei, und dagegen dient andererseits die De-
finition eines objectiv gültigen Begriffs zugleich auch zur Erkenntniss
der durch den Begriff bezeichneten Sache. In diesem Sinne gedeutet
lassen jene Eunstausdrücke sich rechtfertigen.
Von der Real- und Nominaldefinition unterscheiden einige Logiker
nodi als eine dritte Art die Verbaldefinition oder Worterklärung,
worunter sie die blosse Angabe der Wortbedeutung verstehen. Diese
Nebenordnung ist aber unstatthaft, weil bei der Angabe der Wortbe-
deutung nicht die Art der Erklärung, sondern das Object der Er-
klärung ein eigenthümliches ist: die sogenannte Worterklärung ist, falls
überhaupt Definition, dann entweder Nominal- oder Realdefinition des
Begriffs von emexß Worte.
Synthetisch gebildete Definitionen sind nur da zulässig, wo
die Wissenschaft in der That neuer Begriffe bedarf. Die Vermischung
solcher Bestimmungen, die in eine synthetische Definition eines Begriffs
nach eigenem Ermessen aufgenommen worden sind, mit den Inhalts-
elementen desjenigen Begriffs, der nach dem allgemeinen Spraohge-
brauohe den gleichen Namen führt, ist von jeher eine der ergiebigsten
172 § 61. Die Arten der Definitionen.
Quellen von Irrthümem nnd Verwirrungen gewesen. Beispiele liefern
sehrviele Definitionen Spinoza 's, wie von der Substanz, von der Liebe
etc., und nicht wenige E'ant's, wie von der Erkenntniss a priori, von
der Idee, von der Freiheit, femer die ethisirenden Definitionen des
Glaubens im Verhältniss zu der thatsächiichen und dem Sprachgebrauch
gemässen Beziehung desselben auf das Fürwahrhalten bestimmter Sätze
oder auch umgekehrt die in dem letzteren Sinn aufgestellten Definitionen
im Verhältniss zu einem davon abweichenden Gebrauch im Sinne der
Treue gegen Gott und Menschen etc. Vgl. unten § 126. (Die Termini
synthetische und analytische Definition, namentlich durch
Kant vertreten, sind besonders zur Bezeichnung der bestimmten Art
von quatemio terminorum, die auf der angegebenen Gonfusion beruht,
bequem; doch ist andererseits nicht zu verkennen, dass der durch sie
bezeichnete Unterschied nicht sowohl den Charakter der Definition selbst,
als vielmehr nur die Art der Genesis derselben in dem Subject betrifft,
also vielmehr ein psychologischer, als ein logischer Unterschied ist.)
Aristoteles lehrt: 6 oQiCofievog d^Uwaiv ^ t( iarivrj ri arjfitti'
v€i Tovvofia (Anal, poster. 11, 7. 92 b. 26). Die letztere Art der Defi-
nition nennt er Xoyog ovofxartoSrig (ib. II, 10. 98 b. 81), die erstere
wird von Aristotelikern oQog nQayfjiattodfiq (raalis) oder ogog ovatto^ti^
(essentialis) genannt. Wir können die V^ortbedeutung auch bei Be-
griffen feststellen, die keine reale Gültigkeit haben, wie z. B. bei rnic-
yäXafpog, das Wesen aber oder das r/ ian nur von dem erkennen,
was ist und wovon wir wissen, dass es ist, und daher z. B. nicht von
TQuy^Xatposi t£ cF' iarl TQay^latpog, advvatov Üd4vai (ib. 11, 7. 92 b. 7).
Die Erkenntniss schreitet vom Sein zum Wesen und Grunde fort:
^/ovreg oti lare, Cv^ovitev Jra U iartv. Die volle Erkenntniss des ri
iOTi schliesst zugleich die Erkenntniss des 6ta rl ianv in sich ein und
ist von derselben nur in formaler Beziehung verschieden; mit anderen
Worten: die Erkenntniss des Wesens der Sache muss sich auf die Er-
kenntniss ihres Ursprungs gründen, die Wesenserklärung daher ent-
weder die Ursache des Objectes in sich aufnehmen gleich der gene-
tischen Beweisführung, oder das Wissen um die Ursache voraussetzen
gleich dem Schlusssatze der Beweisführung. Nur bei den Definitionen
der ursachlosen, durch sich selbst gewissen Principien fällt diese For-
derung weg (ib. II, 10. 94 a. 9). Der Aristotelische Begriff der Wesens-
erklärung oder des ogta/ubg t6 t( fan arifiafviov vereinigt demnach in
sich die beiden Bestimmungen: Angabe der wesentlichen Merkmale
und erwiesene Realität des Objectes. — Leibniz unterscheidet >defi-
nitiones nominales, quae notas tantum rei ab aliis discernendae oon-
tinent, et reales, ex quibus constatrem esse possibilem« (Actaerudit.
1684, p. 540). Demgemäss nimmt Leibniz in den Begriff der definitio
realis einerseits eine Bestimmung weniger auf, als Aristoteles in den
entsprechenden Begriff des oQiafjiog to iC ian arj/na^vtav, indem er nicht
ausdrücklich die wesentlichen Merkmale fordert (denn das, woraus die
Möglichkeit erkannt wird, also die Genesis des Objectes, ist ja nicht
nothwendig mit dessen Wesen identisch), andererseits eine Bestimmung
§ 61. Die Arten der Definitionen. 178
mehr, indem er nicht, wie Aristoteles, beides zulässt, dass die Real-
definition entweder selbst den Nachweis der Realität und der Genesis
des Objectes enthalte oder anf den vorangegangenen Nachweis sich
grründe, sondern nur das Eine gestattet, dass sie selbst den Nachweis
der inneren Möglichkeit gebe. Durch diese Leibnizischen Bestimmungen
veranlasst, unterscheidet Wolff schärfer die beiden Elemente, die in
dem Aristotelischen Begriffe des ogiofiog tov ri lau vereinigt lagen,
und zerlegt so den Aristotelischen einfachen Gegensatz in den doppelten
einerseits der definitio nominalis und realis, andererseits der definiüo
accidentalis und essentialis* Er sagt: »definitio, per quam patet rem
definitam esse possibilem, realis vocatur« (Log. § 191); »definitionem
essentialem appello, in qua enumerantur essentialia, per quae defi-
nitum determinatur ; accidentalem dioo, in qua enumerantur vel
attributa, vel quae per modum attributorum insunt, modorum ac rela-
tionum possibilitates , quibus definitum determinatur c (Log. § 192)«
(Doch unterscheiden auch die älteren Logiker schon nach Boethius die
definitio secundum substantiam, quae proprio definitio dicitur und die
definitio secundum acoidens, quae descriptio nominatur. Vgl. Abelard,
diaL, bei Cousin, oeuvr. in6d. d'Ab. S. 493; Joh. Sootus a. a. 0.).
Kant dagegen vereinigt wiederum beide Bestimmungen, indem er in
seine Erklärung der Nominal- und Realdefinition zugleich auch die
Charaktere der Accidental- und Essentialdefinition mit aufnimmt (Log.
herausg. von Jäsche, § 106). Die nachkantischen Logiker sind theils
Wolff oder Kant gefolgt (wie namentlich Her hart, Lehrb. zur Einl.
in die Philos. § 42 im Anschluss an Wolfif und an Aristoteles das
charakteristische Merkmal der Realdefinition in der Gültigkeit des Be-
griffs findet), theils haben sie (wie namentlich Schleiermacher,
Dial. § 266 und D robisch. Log., 2. Aufl. § 109 ff.) den Unterschied
der Namen- und Sacherklärung auf denjenigen Unterschied umgedeutet,
welchen Wolff durch die Termini: Accidental- und Essentialdefinition
bezeichnet. (In der 3. u. 4. Auflage seiner Logik gebraucht Dro-
bisch in §§ 115 und 116, welche den §§ 109 und 110 der zweiten Auf-
lage entsprechen, die Ausdrücke: »distinguirende Erklärung c und:
»Definitionc in dem Sinne der Accidental- und Essentialdefinition, und
fuhrt in § 120 als die herkömmliche Weise, von der er jedoch selbst
nicht Gebrauch machen wolle, an, dass man unter der Realdefinition
diejenige Erklärung verstehe, aus welcher die Möglichkeit, oder rich-
tiger, die Gültigkeit eines Begriffes erhelle.) Jene Umdeutung möchte
jedoch nicht rathsam sein, theils weil die Wortbedeutung von Namen -
und Sa ch- Erklärung vielmehr auf den Unterschied der subjectiv willkür-
lichen und der objectiv oder real gültigen Begriffsbestimmung hinweist,
als auf den der ausserwesentlichen und der wesentlichen Merkmale,
theüs und besonders, weil der in der Logik vorwaltende Gebrauch sich
auch bereits ausserhalb derselben, insbesondere bei den Mathematikern
eingebürgert hat (Drobisch selbst folgt dem Gebrauche, den er noch
in der zweiten Auflage seiner Logik verwirft, in seiner »Empirischen
Psychologie« z. B. S. 292, wo er von den gangbaren Erklärungen der
174 § 61. Die Arien der Definitionen.
Seelenvermögen sagt: »sie sind überdies nur Namenerklärungen,
welche die Realität ihrer Objecte durchaus nicht verbürgen c); eine
Discrepanz der Terminologie in der Logik und in den anderen Wissen-
schaften wäre aber doch immer ein üebelstand, der um so weniger
zugelassen werden darf, da er nicht erst durch Neuerungen gehoben
zu werden braucht, sondern durch einfachen Anschluss an die nach
Aristoteles und Leibniz von Wolff gegebenen Bestimmungen leicht
vermieden werden kann. Es sind also hiernach z. B. diejenigen mathe-
matischen Definitionen, welche bei Euklid dem Nachweis der Entstehung*
der betreffenden Figuren vorangehen, mögen sie die constitutiv wesent-
lichen Merkmale oder seoundäre enthalten, Nominaldefinitionen zu
nennen, solche Definitionen aber, welche nur secundäre Bestimmungen
enthalten, wie z. B. die der geraden Linie als des kürzesten Weges
zwischen zwei Punkten (da das Wesen des Geraden vielmehr die in
sich oonstante Richtung ist), mag auch die objective Gültigkeit der-
selben unzweifelhaft sein, Attributiv- oder Accidentaldefinitionen oder
distinguirende Erklärungen. Wenn das Strafgesetzbuch Yerbrechen,
Vergehen und üebertretungen nach der Höhe der Strafe unterscheidet,
also z. B. definirt: »Eine mit Haft oder mit Greldstrafe bis zu fünfzig
Thalern bedrohte Handlung ist eine Üebertretungc, so ist dies eine
Attribntiv-Erklärang (distinguirende Erklärung); wird der »Versuche
definirt als »Bethätigung des Entschlusses, ein Verbrechen oder Ver^
gehen zu verüben, durch Handlungen, wölche einen Anfang der Aus-
führung dieses Verbrechens oder Vergehens enthalten,! so ist dies eine
Essentialerklärung; beide Erklärungen aber stehen einander in Bezug
auf den unterschied zwischen Nominal- und Realdefinition völlig gleich.
Die übliche Unterscheidung von Nominal- und Realdefinitionen
glaubte St. Mi 11 unbedingt verwerfen zu müssen. Er that dies zuerst
in einer Recension von Whately's Logik in der Westminster Review
für Januar 1828. — »Die Unterscheidung zwischen Nominal- und Real-
definitionen, zwischen Definitionen von Wörtern und sogen. Definitionen
von Dingen, — schrieb er das., — wenn sie auch mit den Vorstellun-
gen der meisten Aristotel. Logiker übereinstimmen, können, wie uns
scheint, doch nicht aufredit erhalten werden. Wir glauben, dass eine
Definition niemals den Zweck hat, »die Natur des Dinges zu enthüllen c.
Unsere Meinung wird dadurch bestätigt, dass es keinem von den
Schriftstellern, welche glaubten, es gebe Definitionen von Dingen, je-
mals gelang, ein Kriterien zu entdecken, durch welches die Definition
eines Dinges von einem andern, auf das Ding sich beziehenden Urtheil
unterschieden werden kann. Die Definition, sagen dieselben, enthält
die Natur des Dinges, aber keine Definition kann seine ganze Natur
enthüllen; und ein jedes Urtheil, in welchem irgend eine Eigenschaft
des Dinges ausgesagt wird, enthüllt einen Theil seiner Natur. Der
wahre Sachverhalt ist nach unserer Meinung der folgende. Alle De-
finitionen sind Definitionen von Namen und nur von Namen ; aber bei
manchen Definitionen ist es einleuchtend, dass sie nur die Bedeutung
des Wortes erklären sollen, während andere ausser der Worterklärung
§ 61. Die Arten der Definitionen. 175
nooh einBchliessen sollen, dass ein dem Wort entsprechendes Ding
ezistirtc. Diese Ansicht hat Mi 11 in seinem System der Logik, 4.
deatsohe Anfl., Th. 1, Buch 1, Cap. 8 Von den Definitionen — ein-
gehend zn begründen gesucht. Er sag^t hier S. 164: 9 Der einfachste
und richtigste Begpriff von einer Definition ist: ein Urtheil, das die
Bedeutung des Wortes erklart, sei es die Bedeutung bei der gewöhn-
lidien Anwendung desselben, sei es die, welche der Schreibende oder
Sprechende ihm für seine besonderen Zwecke beilegt, c
Vergleichbar behauptet Sigwart in s. Logik, Bd. 1, Th. 2, § 44
S. S29: 9 Eine Definition ist ein Urtheil, in welchem die Bedeutung
eines einen Begriff bezeichnenden Wortes angegeben wird, sei es durch
einen Ausdruck, der diesen Begriff in seinem Merkmale zerleget zeigt,
wodurch also der Inhalt des Begriffs vollstilndig dargelegt wird, sei es
durch Angabe der nächsthöheren Gattung und des artbildenden Unter-
schieds, wodurch seine Stellung im geordneten Systeme der Begriffe
angegeben wird. Jede logische Definition ist eine Nominaldefinition;
die Forderung einer Bealdefinition beruht auf der Yermischung der
metaphysischen und der logischen Aufgaben« — u. S.324: »Definition
in diesem Sinne kann also niemals etwas anderes als eine Nominal-
definition sein, welche die Bedeutung eines Wortes angiebt, und die
immer in dem Sinne eine Bealdefinition sein muss, dass sie den Inhalt
des dabei Gedachten analysirt und vom Inhalt anderer Begriffe scheidet c
Die sogen. Bealdefinition habe für uns in der Logik keinen Sinn mehr.
Lotze hat der Unterscheidung beider Definitionsarten doch einen
bedingten Nutzen zusprechen zu können geglaubt (Syst. d. Philos. Th. 1.
Die Logik. Buch 2, Gap. 1. Die Formen der Definition). Er sagt
das. S. 201 u. ff.: »Namen lassen sidi aussprechen oder übersetzen,
definiren aber können wir immer nur ihren Inhalt: unsere Vorstellung
nämlich von dem, was sie bezeichnen sollen; die Sache anderseits ist
ebenso wenig selbst in unserm Denken vorhanden, sondern nur das
Vorstellungsbild, das wir von ihr entworfen haben. Beide Arten der
Definition scheinen daher dasselbe bezeichnen zu müssen, und in der
That trifft dies für Alles zu, was ausserhalb unserer Gedanken keine
Wirklichkeit hat und dessen ganzer Inhalt deshalb durch das erschöpft
wird, was wir von ihm vorstellen. Von einer geometrischen Figur
giebt es keine reale Definition, die von der nominalen noch unter-
schieden wäre ; jede richtige, die wir geben, drückt zugleich die ganze
Natur dessen, was hier die Sache ist, und zugleich die ganze Bedeutung
des Namens aus. In anderen Fällen bedeutet jedoch der Unterschied
beider Definitionsweisen etwas, was der Mühe werth ist. Nennen wir die
Seele das Subject des Bewusstseins , des Vorstellens, Fühlens und
WoUens, so kann dies schicklich eine nominale Definition heissen: wir
machen damit die Bedingung namhaft, welche irgend ein Beales erfüllen
muss, um Anspruch auf den Namen einer Seele zu haben. Was aber
oder was nun Dasjenige ist, was durch seine eigenthümliche Natur
diese Bedingung zu erfüllen im Stande wäre, bleibt völlig dahingestellt;
erst eine Ansicht, welche bewiese, dass entweder nur ein übersinnliches
176 § 62. Die bemerkenswerthesten Definitionsfehler.
und untheilbares Wesen oder nur ein verbundenes System materieller
Elemente den Träger des Bewusstseins und seiner mannigfachen Er-
scheinungen bilden könne, würde die reale Definition der Seele festg»-
stellt haben. — Allgemein also : wenn entweder die Erfahrung uns eine
Merkmalgn^ppe p q r häufig vorkommend und beständig beisammen
bleibend vorfuhrt, oder wenn irgend ein Zusammenhang unserer Unter-
suchungen uns veranlasst, sie zusammen zu setzen und in ihr einen
Gegenstand weiterer Fragen zu sehen, so bilden wir zuerst für sie einen
Begriff M, dessen nominale Definition immer möglich sein wird, weil sie
nur jene Prädicate, die uns zur Schaffung seines Namens bewogen, oder
die Leistung zu bezeichen hat, die wir von dem so benannten Gr^penstande
erwarten. Aber die reale Definition wird nicht immer möglich sein; denn
nichts verbürgt, dass wir nicht in M Merkmale vereinigt haben, deren Ver-
knüpfung wir zwar aus irgend einem Grunde glaubten voraussetzen oder
wünschen zu dürfen, ohne dasä sich doch etwas auffinden Hesse, worin sie
wirklich verbunden vorkämen oder verbindbar wären. Da es ein häufiger
Irrthum ist, durch blosse Bezeichnung einer Aufgabe, die wir gelöst
sehen möchten, für die Lösung selbst anzusehen, so ist die Unter-
scheidung beider Definitionsarten eine nützliche Warnung, c
§ 62. Unter den Fehlern der Definitionen sind
die bemerkenswerthegten folgende: die zu grosse Weite oder
Enge (definitio latior, angnstior suo definito), wo das Definiens
von grösserem oder kleinerem Umfange ist als das Definitum
and daher gegen die Forderung Verstössen wird, dass die
Definition adäquat (definitio adaequata) oder das Definitum
und das Definiens Wechselbegriffe seien; die Abundanz
(definitio abundans), wo mit den grundwesentlichen Bestim-
mungen zugleich auch abgeleitete, die nur in die Entwickelung
desBegriffis gehören würden, angegeben werden ; die Tauto-
logie (idem per idem), wo der zu definirende Begriff ent-
weder ausdrücklich oder verhüllter Weise in der Definition
wiederkehrt; der Cirkel oder die Diallele (circulus sive
orbis in definiendo), wo Ä durch B und B wieder durch A,
oder auch A durch B, B durch C, C durch D etc. und D oder
überhaupt irgend ein folgendes Glied wieder durch A definirt
wird, und zwar gewöhnlich in Folge eines vazeQov ngozegov^
d. h. des Versuches, einen Begriff, dessen wissenschaftliche
Voraussetzungen noch nicht erkannt sind, zu definiren, was
dann nur mittelst solcher Begriffe, die ihn selbst schon voraus-
setzen, geschehen kann; die Definition durch bildliche
Ausdrücke, durch blosse Negationen, durch die neben-
§ 62. Die bemerkenswertbeBten Definitionsfebler. 177
geordneten and untergeordneten Begriffe. Doch ist bei
negativen Begriffen die negative Definition und bei ein-
fachen Begriffen die blosse Sonderung aus ihrem Yerflochten-
sein mit anderen Begriffen und Verdeutlichung vermittelst der
Angabe ihres Umfangs wissenschaftlich berechtigt.
Ein Beispiel der zu grossen Weite giebt folgende Definition des
unendlich Kleinen (die sich in einem neueren Lehrbnche der Differen-
tiabrechnang findet): »eine Grösse, welche wir als Bruch mit gleich-
bleibendem Zähler, aber bestandig wachsendem Nenner denken, nennen
wir unendlich klein, c Das definiens hat hier einen weiteren umfang,
als das definiendum, denn der Nenner wachst auch dann beständig,
wenn er in folgender Weise fortschreitet : 10, 15, 17'/«, 18'/« • • •, und
doch ist der Bruch in diesem Falle nicht unendlich klein. £s mnsste
die Bestimmung hinzugefügt werden, die Reihe der Brüche solle zu-
gleich von der Art sein, dass, welche feste Grösse auch gegeben sein
möge, immer ein Glied der Reihe gefunden werden könne, das seinem
absoluten Werthe nach kleiner sei oder der Null näher stehe; mit
anderen Worten, die Reihe solle Null zum Grenzwerth haben. — Zu
eng ist Cato's Definition: »orator est vir bonus dicendi peritusc: denn
es sind Individuen denkbar, die dem Umfange des definiendum und
doch nicht dem Umfange des definiens angehören. Zu eng ist auch
K. F. Becker's Definition: »der Gedanke ist derjenige Act der Intelli-
genz, durch welchen ein Thätigkeitsbegpriff und der Begriff des Seins
als Eins (oongruent) angeschaut wordene ; denn sie geht nur auf eine
Art der Gedanken. Die zu enge Definition ist auch als Satz oder als
(allgemeine) Behauptung falsch, die zu weite als Satz wahr, aber die
ümkebrung (wobei das Subject zum Prädicate und das Prädicat zum
Subjecte gemacht wird, s. unten in der Lehre von der Conversion § 85
das Nähere) falsch, wogegen bei der adäquaten Definition, weil das
Definitnm und das Definiens Wechselbegriffe sein müssen, auch die
Umkehrung wahr ist. Die Umkehrung kann daher als ein Prüfungs-
mittel der Definitionen dienen. — Eine Abundanz würde in der
Erklärung liegen: Parallellinien sind solche Linien, die gleiche Rich-
tung und überall gleichen Abstand von einander haben. Aber es ist
nur eine scheinbare Abundanz, dass in die Definition der Aehnlichkeit
geradliniger ebener Dreiecke sowohl die Gleichheit der Winkel, als
auch die Proportionalität der Seiten aufgenommen wird; denn wenn
gleich beim Dreieck die eine dieser beiden Bestimmungen aus der an-
deren gefolgert werden kann, so bezeichnen doch erst beide in ihrer
Yereinigung das volle Wesen der Aehnlichkeit, wie denn auch nur auf
die Yereinigung beider Merkmale die allgemeine Definition der Aehn-
lichkeit geradliniger ebener Figuren gegründet werden kann. — Tau-
tologien sind es, wenn das Gedächtniss als das Vermögen, des früher
bewusst Gewesenen wieder zu gedenken, oder die Lebenskraft als der
innere Grund des Lebens erklärt wird. Aber darin liegft keine Tau-
12
178 § 62. Die bemerkeiiBwerthesten Definitionsfehler.
tologie, wenn bei der Definition eines Artbegriffs, der keinen eigen-
thümlichen Namen trägt, sondern durch Zufügung eines Adjectivs zum
Grattungsnamen bezeichnet wird, der Gattungsname in dem definiens
wiederholt wird; auch ist dieses Verfahren keineswegs (wie wohl mit-
unter behauptet worden ist) bloss bei Nominaldefinitionen zulässig;
denn da die Species definirt werden soll, so muss in jedem Falle das
Genus zu den bereits früher definirten und daher als bekannt yoraus-
zusetzenden B^^riffen gehören. So ist z. B. die Definition auch als
Real- und Essentialdefinition tadellos: die gerade Linie ist die Linie
von einer in sich constanten Richtung; denn die Definition der Linie
(als des durch die Bewegung eines Punktes erzeugten Gebildes) muss
schon vorausgesetzt werden, wenn der Begriff der Species gerade
Linie definirt werden soll. — Ein Hysteronproteron liegt in der
Erklärung der Grösse als des der Vermehrung und Verminderung
Fähigen, was zur Girkelerklärung führt, sofern doch Vermehrung
nichts anderes ist, als Zunahme der Grösse und Verminderung Ab-
nahme der Grösse. Auf einen Girkel läuft auch die Definition hin-
aus, die J. G. E. Maass in seinem »Versuch über die Geffihlec vom
Angenehmen giebt. Er sagt: »ein Gefühl ist angenehm, sofern es um
seiner selbst willen begehrt wird« (Bd. I, S. 89); »wir begehren nur
das, was wir uns auf irgend eine Art als gut vorstellen« (S. 243) ; »der
Sinnlichkeit aber erscheint als gut, was Vergnügen gewährt oder ver-
spricht, uns also angenehm afficirt; — die Begierden beruhen auf an-
genehmen Gefühlen« (S. 244). Hier wird also das angenehme Gefühl
durch die Begierde und doch auch wieder die Begierde durch das an-
genehme (j^ühl erklärt. (Sollte dieser Girkel vermieden werden, so
musste schon bei der Definition des Gefühls auf den Begriff der
Lebensförderung, der dessen wissenschaftliche Voraussetzung bildet,
zurückgegangen werden. Das Gefühl des Angenehmen ist das unmittel-
bare Bewusstsein der Lebensförderung.) — Wenn Plato die Idee des
Guten die Sonne im Reiche der Ideen nennt, so gilt ihm diese bild-
liche Bezeichnung nicht als Definition, da er vielmehr das Gute als
einfachen und obersten Begriff für undefinirb^r hält; bei den Pytha-
goreem aber können wir wohl nicht das gleiche logische Bewusstsein
voraussetzen, wenn sie die Dinge als Zahlen, z. B. die Gerechtigkeit
als Quadratzahl, aQi&fios tadmg taos, definiren, noch auch bei Jakob
Böhme, wenn dieser sagt: »die Wiedergeburt ist die Entbindung des
himmlischen Wesens im Gentrum der animalischen Seele«; »die Natur
(Himmel und Erde und Alles, was darinnen ist) ist der Leib Gottes« etc.
Auch Erklärungen wie folgende: das Recht ist die Verkörperung der
sittlichen Idee; der Staat ist der Mensch im Grossen; die Earche ist
der Leib Christi ; das Gewissen ist der innere Gerichtshof, der in jedem
Menschen seinen Sitz aufgeschlagen hat, und ähnliche, die im Bilde
den wahren Gedanken enthalten, bedürfen doch der Deutung des
Gleichnisses auf den eigentlichen Sinn, um in wissenschaftliche Defi-
nitionen überzugehen. Versteckter, aber darum für die Wissenschaft
nur um so nachtheiliger ist die Bildlichkeit in der Zenonisohen Defini-
§ 62. Die bemerkenswertbesten Definitionsfehler. 179
tion des na^s als der aloyog Mal nag« tpvctv ^vx^^ xivfiaig (Diog. L.
yn, 110; cf. Gic. TiiBo. lY, 6: aversa a reota ratione contra naturam
animi commotio), wo die Bedeutung der »Bewegungt zwischen Gefühl
und Begehrung schwankt. An dem Fehler der versteckten Bildlichkeit
leidet Wundt's Erklärung (die auch Ruete sich aneignet), die Empfin-
dung sei der Schluss, den die Seele aus einer Beihe in dem physischen
Nervenprocess gelegener Merkmale ziehe, wo unter dem Bilde des
Sohliessens die Schwierigkeit sich verbirgt, ob und wie eine Em-
pfindung das Resultat von Bewegungen sein könne und von welcher
Art der hier thatsächlich bestehende Zusammenhang sei. — Die Eukli-
dische Definition: »Parallellinien sind gerade Linien in derselben Ebene,
die, ins unendliche nach beiden Seiten hin verlängert, mit einander
niemals zusammenstossenc, steht der Definition der Parallellinien als
Linien von gleicher Richtung in zweifacher Beziehung nach, weil sie
die Parallel linien durch eine bloss negative und zugleich nur ab-
geleitete, nicht grundwesentliche Bestimmung charakterisirt,
wesshalb sie auch bei der Deduction von Lehrsätzen in Verwickelungen
hineinführt, die nicht in der Natur der Sache begründet sind und bei
der auf den Begriff der Richtung gebauten Definition nicht eintreten.
(Vergl. unten zu § 110.) — Als Beispiel einer fehlerhaften Definition
mittelst eines nebengeordneten Begriffs betrachtet Aristoteles die
folgende: negttrov ((ort) ro fiovadt fiüiov affttov. Allerdings ist es in
formaler Beziehung richtiger, beide Glieder des Gegensatzes unabhängig
von einander mittelst des Gattungsbegriffs und ihrer specifischen Diffe-
renzen zu definiren, also z. B. das Gerade als die Zahl, welche durch 2
ohne Rest dividirbar ist, das Ungerade als die Zahl, welche, durch 2
dividirt, den Best 1 lässt; doch würde es auf formalen Rigorismus
hinauslaufen, wenn man die Abkürzung und üebersichtlichkeit, die durch
die Rückbeziehung auf die vorangegangene Definition eines nebengeord-
neten Begriffs in vielen Fällen gewonnen werden kann, ganz verschmähen
und z. B., nachdem die Definition der geraden Zahl vorausgeschickt
worden ist, die Definition nicht zulassen wollte: die ungerade Zahl ist
diejenige, welche sich von der geraden um eine Einheit unterscheidet.
— Die Yeranschaulichung eines Begriffs durch Aufzählung der
Glieder seines ümfangs (z. B. der Kegelschnitt ist dasjenige mathema-
tische Gebilde, welches in die vier besonderen Formen: Kreis, Ellipse,
Parabel, Hyperbel zerfällt) ist als Erläuterung des Begriffes werthvoU,
sofern sie der Definition vorangeht oder nachfolgt; soll sie aber die
Stelle der letzteren vertreten, so wird sie zur fehlerhaften definitio per
divisionem oder per disiuncta. — Da einfache Begriffe, wie schon
oben (§ 60) bemerkt worden ist, keine eigentliche Definition zulassen,
sondern nnr durch Abstraction und Isolirung zum Bewusstsein gebracht
und von anderen Begriffen bestimmt unterschieden werden können, so
wird hierfür durch die Form der Accidentaldefinition die höchstmögliche
wissenschaftliche Strenge erreicht. So ist z. B. der Begriff des Punktes
durch die fortschreitende Reihe von Abgrenzungen zu bestimmen, die
in den folgenden Accidentaldefinitionen ihren wissenschaftlichen Ausdruck
ISO § 68. Die Eintheilang.
findet: der Raum ist das Residuam ans der siimlichen Geeainzataii-
achauong, welches nach Abstraction von der Materie (dem bei der
Bewegung Unveränderten) übrig bleibt; der mathematische Körper ist
ein endlicher Theil des unendlichen Raumes oder ein begrenzter Raum;
die Fläche ist die Grenze des Körpers; die Linie ist die Grenze der
Fläche; der Funkt ist die Grenze der Linie. Nachdem aber einmal auf
diesem Wege das einfachste Element gewonnen worden ist, so können
nun von demselben aus die anderen Gebilde genetisch reoonstruirt und
durch Wesenserklärungen definirt werden.
§ 63. Die Eintheilang (divisio, diaigeaig) istdievoU-
ständige nnd geordnete Angabe der Theile des Umfangs eines
Begriffs oder die Zerlegung der Gattung in ihre Arten. Da
sich die Artbegriffe von dem Gattungsbegriffe dadurch unter-
scheiden, dass in ihnen die unbestimmteren Zttge des Gat-
tungsbegriffs in Folge des Hinzutritts der specifischen Diffe-
renzen die verschiedenen Formen oder Modificationen, deren
sie fähig sind, wirklich angenommen haben, so muss sich
auch bei der Eintheilnng des Gattungsbegriffs die Bildung
und Anordnung der Artbegriffe auf jene Modificationen der
Gattungscharaktere gründen. Demgemäss werden sich bei
einem jeden Gattungsbegriffe, welcher mehrere modificirbare
Charaktere in sich vereinigt, je nachdem die Arten nach den
Differenzirungen des einen oder anderen derselben unter-
schieden werden, verschiedene Eintheilungen ergeben. Das-
jenige Gattungsmerkmal, auf dessen Modificationen die Bildung
und Anordnung der Artbegriffe gegründet wird, heisst Ein-
theilungsgrund oder Eintheilungsprincip (funda-
mentum sive principium divisionis), die Artbegriffe selbst
Eintheilungsglieder (membra divisionis, minder genau
membra dividentia). Die Eintheilung ist Dichotomie, Tri-
chotomie, Tetrachotomie, Polytomie je nach der
Anzahl der Theilungsglieder. Pormale Anfordeiungen an die
Eintheilung sind, dass die Sphären der Eintheilungsglieder
zusammengenommen mit der Sphäre des einzutheilenden Be-
griffs genau zusammenfallen, mithin denselben ohne Lücke
(hiatus) ausfüllen, aber auch in keiner Art über denselben
hinausgehen, und dass sie einander nicht kreuzen, sondern
völlig ausschliessen : zweckmässig ist, dass bei der Anordnung
der Theilungsglieder jedesmal die, welche einander am nächsten
§ 68. Die Eintheilnng. 181
verwandt sind, zunächst zusammengestellt werden. Die durch
die Modificationen eines einzelnen Merkmals bestimmte Ein-
theilnng heisst ktlnstliche Eintheilnng; sie hat in dem
Maasse wissenschaftlichen Werth, in welchem die Voraus-
setzung zutrifft, dass vermöge irgend eines causalen Zusammen-
hangs die Modificationen dieses Merkmals mit entsprechenden
Modificationen der sämmtlichen wesentlichen Merkmale ver-
knüpft seien. Die vollkommenste Eintheilnng grttndet sich
auf die wesentlichen Modificationen der constitutiv wesent-
lichen Merkmale. Sie ist durch die Essentialdefinition des
einzutheilenden Begriffs bedingt. Der Name natürliche
Eintheilnng kommt ihr in demselben Sinne zu, in welchem
auch das System, das aus einer fortlaufenden Reihe solcher
Eintheilungen hervorgeht, nattlrliches System genannt zu werden
pflegt Die Eintheilungen dieser Art lassen sich keineswegs
sänmitlich nach einem äusserlich gleichförmigen Schematismus
bilden; die Erwartung, durch dieselben, sofern sie der idealen
Anforderung entsprechen, in allen Fällen die gleiche Zahl
von Theilungsgliedern zu erhalten, ist unberechtigt. Eine
strenge Dichotomie kann stets mit Hülfe eines negativen
Artbegriffes gewonnen werden, leidet aber dann auch an dem
Mangel, dass sie die unter der Negation zusammengefassten
Arten unbestimmt lässt; sind deren mehrere, so wird sich,
sobald dieselben nach deren positiven Merkmalen angegeben
werden sollen, jene Zweitheilung als illusorisch erweisen ; sie
kann daher nur etwa zu einer vorläufigen Orientirung bei
der Bildung und Prüfung der Eintheilungen dienen, ist aber
an sich ohne wissenschaftlichen Werth. Die Trichotomie
findet in der Regel da Anwendung, wo sich eine selbständige,
auf inneren Ursachen beruhende Entwickelung erkennen lässt,
weil diese sich in der Form des zweigliederigen Gegensatzes
und der Vermittelung als des dritten Gliedes zu vollziehen
pflegt Doch bleibt die blosse Dreitheilung nicht selten hinter
dem Reichthum der Wirklichkeit zurück, deren Entwickelung
zumal auf den höheren Stufen keineswegs stets in einfachen
Reihen fortschreitet, sondern oft erst auf eine grössere Zahl
einander kreuzender Gegensätze die höhere vermittelnde Ein-
heit folgen lässt
182 § 68. Eintheilungsgrund. Eintheilungsglieder. Dichotomie eic.
Unter der natürlichen Eintheilangsmethode versteht Gnvier
(R^gne animal, introduction) >un arrangement, dans lequel les ^tres dn
meme genre seraient plus voisins entre eux que de ceux de tous les
autres genres, les genres dn meme ordre plus que de cenz de tous les
autres ordres, et ainsi de snite«. Cuvier erklärt diese Methode für das
Ideal, dem die Naturgeschichte zustreben müsse; denn es liöge darin
»Pexpression exacte et oompldte de la nature entidrec Vgl. oben § 58.
Die Lehre von den Eintheilungen, deren wissenschaftlichen Werth
bereits Plato erkannte, bildet bei Aristoteles einen integrirenden
Theil der Analytik. Plato bevorzugt die Dichotomie. Jeder Gegensatz
ist zweigliederig (Protag, p. S32). Die Theile müssen Arten {Mri\
d. h. nach den wesentlichen Unterschieden gebildet sein, Phaedr. 266:
xor' OQ^Qa, tf n^(pvxiv. — €is ^V xal iirl nolXa nBipvxora oqSv, vgl. Polit.
262 sqq. In seiner späteren Zeit liebt es Plato, den beiden Gliedern des
Gegensatzes als drittes t6 i^ «fnpolif fitxiov zuzuzählen; doch erkennt
er in diesem dritten Gliede nicht (in HegePsoher Weise) das höchste,
sondern das mittlere Element (Tim. 85 A ; Phileb. 28 ; vgl m. Abh. im
Rhein. Mus. N. F., IX. 1858, bes. S. 64 ff.). In dem Dialog Soph. wird
(p. 258) die Dichotomie auf den allgemeinen Gesichtspunkt des raljov
und Hts^ov zurückgeführt (vgl. Polit. p. 287). Aus der Combination
zweier Eintheilungsgründe entsteht eine Viertheilung (Soph. p. 266).
Aristoteles berührt die Lehre vom Eintheilungsgründe Top. VI, 6
und de part. animal. I, 8, wo er insbesondere vor dem Hinüberspringen
aus einem Eintheilungsgründe in den andern warnt. Er erörtert Anal,
post. II, 13, de part. an. I, 2 u. 8 die Yortheile und Nachtheile der
mittelst der Negation gebildeten Dichotomie. (VergL J. B. Meyer, Aristot.
Thierkunde 1655, S. 76 — 112.) Die moderne Vorliebe für eine bestimmte
Zahl von positiven Eintheilungsgliedem ist ihm noch fremd. Dieselbe
ist zumeist aus der Kantischen Kategorienlehre hervorgegangen. — Kant
glaubt, da seine Kategorientafel alle Elementarbegriffe des Verstandes
vollständig und in systematischer Ordnung enthalte, nach derselben a
priori aUe Momente einer jeden speculativen Wissenschaft imd deren
Ordnung bestimmen zu können (Krit. der r. Vem. § 11). Demgemäss
hat denn auch schon ihm selbst und noch mehr seinen Anhängern der
Schematismus der Kategorientafel bei der Behandlung und Eintheilung
des verschiedenartigsten wissenschaftlichen Stoffes als leitendes Princip
gedient — wurde doch selbst Goethe durch Schiller einmal zu dem un-
dankbaren Versuche veranlasst, seine Farbenlehre nach den Kantischen
Kategorien zu gliedern. Sehr folgenreich ist eine von den »artigen
Betrachtungen c geworden, die Kant (a.a.O.) über seine Kategorientafel
anstellt. Er meint nämlich, alle Eintheilung a priori durch Begriffe
müsse sonst zwar Dichotomie sein (A ist theils B, theils non-B), hier
aber finde sich eine Dreiheit von Kategorien in jeder Classe, und zwar
söi jedesmal die dritte aus der Verbindung der zweiten mit der ersten
ihrer Classe entsprungen. Diese Kantische Bemerkung hat auf jenen
Schematismus der Thesis, Antithesis und Synthesis hingeleitet, der schon
in Fiohte's Constructionen und noch durchgreifender in Hegel 's
§ 63. EintheilungBgmnd. Eintheilungsglieder. Dichotomie etc. 183
Dialektik den methodischen Gang auf allen Punkten bestimmt. So gewiss
68 nun ist, dass solche Trichotomien nicht auf blosser Willkür, sondern
auf einem richtigen Blick in das Wesen der Entwickelung beruhen, so
wenig können sie doch als die alleingültige und überall zutreffende Form
der Eintheilung anerkannt werden, und zwar nicht nur aus dem Grunde,
den Hegel annimmt, dass zuweilen die Naturerscheinungen hinter dem
Begriffe zurückbleiben, noch auch bloss darum, weil das dialektische
Denken mitunter noch nicht durchaus der Sache Herr geworden sei,
sondern auch darum, weil die einfache Gleichförmigkeit der Trichotomie
an sich selbst nicht genügt, um die reiche Fülle der Erscheinungen
des natürlichen und geistigen Lebens zu erschöpfen. In vielen Fällen
entspricht dieser Fülle mehr der verschlungene Doppelzug der Schleier-
mache r 'sehen Tetrachotomie, die aus zwei einander kreuzenden Dicho-
tomien hervorgeht, zumal da Schleiermacher auch die Einheit, die über
dem Doppelgegensatze steht, nachzuweisen bestrebt ist. (Sc theilt er
z. B. die Wissenschaften ein in die speculative und empirische Erkennt-
nisa der Vernunft und die speculative und empirische Erkenntniss der
Natur oder in die Ethik, Geschichtskunde, Physik und Naturkunde nach
den Gegensätzen von Vernunft und Natur, Kraft und Erscheinung und
findet in der Dialektik, die auf ihre gemeinsamen Principien geht, den
beseelenden Einheitspunkt.) Aber auch diese Vier- oder Fünftheilung
kann nicht gleichmässig auf alle Stoffe Anwendung finden, ebensowenig
auch die aus einer Combination der Principien der HegeFsche^ und der
S<^eiermacher'schen Eintheilungsmethode hervorgegangene Nöuntheilung
von George und andere von Anderen vorgeschlagene Schemata, und
so kann als allgemeine Regel immer nur die Eine bestehen, dass jede
Eintheilung der Natur ihrer Objecte gemäss sein müsse. Vgl. Trendelen-
bnrg, log. Unt, ü, 2. A., S. 283 ff., 3. Aufl. S. 256 ff. und schon
Scotus Erigena bei Prantl H, S. 32, und Plato Phaedr. p. 265. — Die
Lehre von den Eintheilungen verdankt Herbart die Bemerkung, dass,
indem die Eintheilung eines Begriffs von der Eintheilung des Merkmals
abhangt, welches den Eintheilungsgrund bildet, zuletzt alle Eintheilun-
gen nothwendig auf gewisse Grundeintheilungen zurückgehen, bei denen
sich nicht mehr ein Merkmal des einzutheilenden Begriffs als Ein-
theilungsgrund angeben lässt, sondern dieser Begriff selbst zugleich der
Eintheilungsgrund ist und die Beihe der Arten oder Individuen daher
unmittelbar gegeben sein muss, so z. B. die Reihe der Farben, Töne,
2<ahlen etc. S. Herbart, Lehrbuch zur Einleitung in die Phil. § 43;
vgl. Drobisch, Logik, 2. Aufl., § 116, 3. u. 4. Aufl., § 123.
Lotze's Logik (System d. Philos. Bd. 1) hat die bei der Ein-
theilung maassgebenden Gesichtspunkte im Buch 1 Cap. 8 bei der Lehre
vom Schluss und den systematischen Formen etc. S. 147 zu besprechen für
gut befunden und das. S. 175. § 144 das Ergebniss seiner Betrachtun-
gen also zusammengezogen: »jedes Einzelne und jede Art einer Gattung
ist das, was sie ist, durch das Zusammenwirken der vollständigen
Summe ihrer Bedingpmgen ; diese Bedingungen aber bestehen darin,
daM eine Anzahl von Elementen oder Merkmalen, welche auch getrennt
184 § 64. Die Unter- and Nebeneintheilong.
von einander dein könnten, thatsachlich in einer bestimmten Verbindung
gegeben sind, neben der auch andere Verbindungen derselben denkbar
sind, und Grössenwerthe besitzen, ausser denen sie auch andere haben
könnten. Aus dieser gegebenen Vereinigung der Bedingungen folgt
nach allgemeinen Gesetzen, die über die Beziehungen jener Elemente
gelten, dieses ganz bestimmte Ergebniss; aus einer Veränderung dieser
Bedingungen jenes andere bestimmte. Jedes dieser Ergebnisse lasat
sich, nachdem es da ist, mit anderen vergleichen, und sich ihnen ala
Art den Arten beiordnen oder als Art der Gattung unterordnen; aber
man muss diesen Begri£fen, die wir bisher als den Schlüssel zum Ver-
ständniss des Gefüges ihrer Unterthanen betrachten, nicht eine andere
geheimnissvoUe Macht der Gesetzgebung zutrauen ausser der, kurze
Ausdrücke für eine bestimmte Vereinigung trennbarer Bestandtheile
zu sein, deren an sich nach allgemeinen Gesetzen überall gleichartige
Wechselwirkung durch diese Vereinigung zu diesen, durch eine andere
zu anderen Folgen führte. — Sigwart's Logik hat den Gegenstand
in Bd. 2 Die Methodenlehre, Abschn. 6 Die Systematik, § 108 Deductive
u. classifioat. Form der Systematik S. 588 ff. eingehend besprochen.
Es heisst das. S. 588 von der Systematik: »Sie hat ^ei Formen, je
nachdem das Verhältniss der Sätze oder das der Begriffe zu dorn die
Anordnung bestimmenden gemacht wird. Jene ist die system. Deduction,
diese die system. Classification. Bei jener ist die Classification unter-
geordnetes Hülfsmittel, bei dieser die Deduction. Die Classification hat
zur Form die logische Division der Begriffe, welche von einem höchsten
Begriffe durch entgegengesetzte Merkmale determinirend bis zu den
untersten Species als den vollkommen determinirten Begriffen fort-
schreitet, die auf Grund der Wahrnehmung als die das Wirkliche er-
schöpfend ausdrückenden Begriffe gelten. Die Zweckmässigkeit einer
Classification ist durch zwei Gesichtspunkte bestimmt; einmal durch
die Rücksicht darauf, dass sie die natürliche Verwandtschaft der Dinge
zum Ausdruck bringen, dann durch die Forderung, dass sie leichte und
sichere Subsumtion des Einzelnen gestatten soll. Wo die Aufstellung
der untersten Arten selbst Schwierigkeiten bietet, wie in der organi-
schen Welt, da ist entweder ein sicheres Kriterium für die artbildenden
unterschiede zu suchen, oder, wo ein solches nicht zu finden wäre,
sind bestimmte Formen als Typen auszusondern, um welche sich die
zunächst benachbarten in Gruppen ordnen c — Für die Aussonderung
solcher Typen ist auf die Bedeutung des teleologischen Gesichtspunktes
hingewiesen.
§ 64. Werden die einzelnen Theilungsglieder wiederum
in ihre Unterarten eingetheilt, so entsteht die Unterein-
theilnng (snbdivisio). Wird dagegen ein und derselbe Be-
griff nach einem zweiten Princip eingetheilt, so entsteht die
Nebeneintheilang (codivisio). Der nämliche Eintheilnngs-
-grandy worauf eine Nebeneintheilung des GattungsbegrifGa
§ 64. Die unter- und Nebeneintheilang. 186
benihty kann in der Regel anch als Eintheilnngsgrnnd ftir
die Untereintheilung oder für die Zerlegung der Arten in ihre
Unterarten dienen, jedoch mit den jedesmal in den gegen-
seitigen Abhängigkeitsverhältnissen der Merkmale begründeten
Beschränkungen (vgl. §§ 50 und 54). Die fortgesetzte Ein-
theilung soll durch Arten und Unterarten ohne Sprung stetig
fortschreiten (divisio fiat in membra proxima). Dass mit einer
Art die Unterabtheilnngen, in welche eine ihr nebengeordnete
Art sich zerlegen lässt, unmittelbar zusammengestellt werden,
so wie, dass statt sämmtlicher Arten unmittelbar die Unter-
arten eintreten, widerstreitet dem Gesetze der vollen formalen
Strenge ; doch ist eine derartige Licenz, zumal in Fällen, wo
die Grenze zwischen den verschiedenen Ordnungen der Arten
und Unterarten eine unbestimmtere ist, und insbesondere bei
einer weitverzweigten Eintheilung eines vielumfassenden Stoffes
nicht unbedingt abzuweisen, wenn nicht die Uebersichtlichkeit
oft ganz verloren gehen und die Eintheilung in dieser Be-
ziehung ihren Zweck verfehlen soll.
So wäre es z. B. ein ungerechtfertigter Rigorismas, wenn £in-
theilnngen wie die der Naturobjecte in Mineralien, Pflanzen,
Thiere (statt I. Unorganische Objecte oder Mineralien; II. Organische
Objecte: a. Pflanzen, b. Thiere) für schlechthin unzulässig erklärt wer-
den sollten, zumal da hier auch, wenn die Bewusstseinsfähigkeit zum
Fundamente der Haupteintheilung gewählt wurde, Mineralien und Pflan-
zen zusammen als Unterarten der Hauptart: unbeseelte Naturobjecte,
betrachtet werden könnten, wo dann die Thiere allein die zweite Haupt-
art ausmachen würden. Bei der einfachen Nebeneinanderstellung lässt
sich die Stufenfolge des inneren Wertbes als Eintheilungsgrund ansehen.
Wenn Epikur die Begierden in ethischer Beziehung in drei Glassen
eintheilt: naturales et neoessariae; naturales non necessariae; nee na-
turales nee neoessariae, so bildet die Stufenfolge in dem Maasse ihrer
Bereohtigrnng den Eintheilungsgrund, der diese Art der Nebeneinander-
stellung wohl rechtfertigen mag; jedenfalls ist der Tadel wenigstens
durch sein Uebermaass ungerecht, den Cicero (de flu. U, c 9) über
diese Eintheilung ausspricht, da er sag^: »hoc est non dividere, sed
frangere rem; — oontemnit disserendi elegantiam, oonfuse loquitur«.
Cicero wirft dem Epikur vor, dass er in dieser Eintheilung die Art als
Gattung aufzähle (ivitiosum est enim in dividendo partem in genere
numerarec), und will seinerseits nur die Eintheilung zulassen : I. natu-
rales; a. necessariae, b. non neoessariae; IL inanes. In dieser letzteren
Eintheilung sind freilich die naturales necessariae, so wie die naturales
non neoessariae blosse partes, und dagegen die inanes ein genus; aber
186 § 65. Die bemerkenswert besten Eintbeilnngsfebler.
es ist nicbt ebenso nach dem Epikurisoben Gesicbtspunkte, welcber in
der That auf drei einander nebenzuordnende Classen führt. — Die Ein-
theilung soll nur bis zu solchen Gruppen herabgeführt werden, die noch
wesentlich von einander verschieden sind; sie soll nicht um sehr ge-
ringer Unterschiede willen Unterabtheilungen bilden. Vor demUeber-
maasse, wozu namentlich in den Rhetorenschulen der Alten die Dispo-
nirübungen oft verleitet zu haben scheinen, warnt Seneoa mit den
Worten: >quidquid in maius crevit, facilius agnoscitur, si discessit in
partes: quas vero innumerabiles esse et minimas non oportet; idem
enim vitii habet nimia, quod nulla divisio; simile confuso est, quidqnid
usque in pulverem seotum est« (Epist. 89). Das Gleiche sagt Quin-
tilian von der partitio: »quum fecere mille particulas, in eandem in-
cidunt obscuritatem^ contra quam partitio inventa estc.
§ 65. Unter den formalen Fehlern der Einthei-
Inngen sind die bedeutendsten: die za grosse Weite oder
Enge (welche letztere am häufigsten dareh das Uebersehen
von Uebergangsformen entsteht) and die Zasammenstellnng
von Artbegriffen, die einander nicht rein ausschliessen,
sondern mit ihren Sphären ganz oder theilweise in einander
fallen, ferner die Vermischung verschiedener Ein-
theilungsprincipien.
Die Eintheilnngsfehler sind den Definitionsfehlem (§ 62) nahe ver-
wandt. Bei der zu grossen Weite gehen die Sphären der Eintheilungs-
glieder zusammengenommen über die Sphäre des einzutheilenden Be-
griffs hinaus (membra dividentia excedunt divisum; divisio latior est
suo diviso). Die Stoische Eintheilung der Leidenschaften {na&ii) in die
vier Hauptformen: laetitia, libido, aegritudo, metus, ist wenigstens in
dem Falle zu weit, wenn unter dem nds-oe nwih einer in jener Schale
anerkannten Definition die oQfirj nXiovaCovoa (appetitus vehementior
Gio. Tusc lY, 6) verstanden wird; denn die Eintheilungsglieder gehen
über die Sphäre des (positiven und negativen) Begehrens hinaus und
umfassen auch Gefühle. — Eintheilungen wie die der Menschen in gute
und böse, der Systeme in wahre und falsche, der Tbaten in freiwillige
und unfreiwillige, oder der Temperamente in die bekannten vier Grund-
formen sind zu eng, weil sie die unendlich vielen Uebergangsformen
unbeachtet lassen. Die Eintheilung der Körper in einfache und zu-
sammengesetzte übersieht die dritte Möglichkeit der atomistischen Ein-
heit, welche weder punktuelle Einfachheit, noch auch Zusammengesetzt-
heit aus ursprünglich getrennten Theilen ist. Derselbe Fehler wird
oft bei Disjunctionen begangen, welche Eintheilungen von Mög-
lichkeiten sind. — Beispiele s. unten § 187. — Zu dem Fehler, dass die
Sphären der Eintheilungsglieder einander nicht rein ausschliessen,
kann eine neuere Eintheilimg der Neigungen in Selbstliebe, Neigung
zu Anderen und gegenseitige Neigung als Beispiel dienen; denn die
§ G6. Begriflfsbildung und erkennendes Denken überhaupt. 187
g^l^enseitigen Neigungen sind diejenigen Neigungen zu Anderen, welohe
erwidert werden, also nicht eine dritte Art von Neigungen, sondern
eine Unterabtheilung der zweiten Art. — Eine Vermischung ver-
schiedener Eintheilungsprincipien liegt in der Eintheilung
der Tempora des Yerbums in Haupttempora und historische Tempora,
welohe besonders in der griechischen Grammatik üblich ist. Das Motiv
zu dieser unlogischen Eintheilung lag ohne Zweifel in der wohlbegrün-
deten Scheu vor der Bezeichnung der historischen Tempora als blosser
Nebentempora, da dies sachlich falsch wäre, und in der gleichfalls
wohlbegpründeten Scheu vor der bloss negativen Bezeichnung der einen
Classe als nicht historischer Tempora; unberechtigt aber war die aus
einer falschen Vorliebe für schematische Symmetrie entsprungene Ten-
denz, auf eine jede Seite die gleiche Zahl von Gliedern zu stellen, da
doch vielmehr hätte anerkannt werden sollen, dass die eine Regelgruppe
für eine Classe der Tempora, nämlich für die historischen, die andere
Regelgruppe aber im Wesentlichen gleichmässig für zwei Classen, näm-
lich für die präsentiscfaen und futurischen Tempora gelte, die aber
darum doch keineswegs im Gegensatze gegen die historischen unter
einen einzigen positiven Begriff zu subsumiren, sondern nur in Verbin-
dung mit einander zu nennen waren.
§ 66. Die Bildang von gültigen Begriffen und von
adäquaten Definitionen nnd Eintheilnngen kann nur im Zn-
Bammenhange mit den sämmtlichen übrigen Erkennt-
nissprocessen zur wissenscbaftlicben Vollendung gelangen.
Allerdings bedarf es zur Bildung allgemeiner Vorstellun-
gen nur der Combination gleichartiger besonderer Vorstellungen und
nicht des Urtheils, des Schlusses etc. Denn die Verbindung der In-
haltselemente der Vorstellung braucht nicht erst durch beilegende Ur-
theile erzeugt zu werden, da sie schon ursprünglich in den Wahrneh-
mungen und Anschauungen enthalten ist, ebensowenig die Absonderung
dessen, was nicht zu dem Inhalte der Vorstellung gehört, durch ab-
sprechende Urtheile, da dieselbe durch den Process der Reflexion nnd
Abstraction erfolgt, der keineswegs die Form des Urtheils voraussetzt.
Wer daher unter dem Begriff nur die allgemeine Vorstellung oder
auch die Vorstellung überhaupt in objectiver Beziehung versteht, würde
mit Unrecht die Begriffsbildung von einer vorausgegangenen Urtheils-
hildung abhängig machen. Wohl aber ist die Bildung des Begriffs
in dem volleren Sinne (als Erkenntniss des Wesens) durch die Bil-
dung von Urtheilen bedingt. Denn um entscheiden zu können, welche
Merkmale wesentlich seien, oder welche den gemeinsamen und blei-
benden Ghrund der meisten und wichtigsten anderen Merkmale und des
Werthes des Objectes überhaupt ausmachen, muss ermittelt werden, auf
welche Subjectsvorstellungen sich die alllgemeinsten, ausnahmslosesten
und wissenschaftlich bedeutendsten Urtheile gründen lassen. So ist
z. B. die Vervollkommnung der grammatischen Begriffe durch die stets
188 § 66. BegrifiEsbildung und erkennendes Denken überhaupt.
zn erneuernde Untersuchung bedingt, ob sich an die bisherigen ein be*
friedigendes System möglichst allgemeiner und ausnahmsloser Regeln
knüpfen lasse. Aber die Bedingtheit ist eine wechselseitige; denn es
setzt auch das wissenschaftliche ürtheil den wissenschaftlichen Begriff
voraus, wie es denn z. B. nicht möglich ist, zu einem irgendwie be-
friedigenden Systeme von grammatischen Regeln zu gelangen, wenn
nicht schon ein glücklicher Tact in der Bildung grammatischer Begriffe
vorgearbeitet hat; die Geschichte der Grammatik zeigt eine stufenweise
gegenseitige Vervollkommnung von Begriff und Regel. In diesem Sinne
sagt Schleiermacher (Dial. S. 82; 88; 402) mit Recht: das ürtheil
setzt seinem Wesen nach den Begriff, der Begriff das ürtheil voraus ;
der Begriff, der nach Maassgabe seiner Form den Gegenstand erschöpft,
muss ein ganzes System von ürtheilen vor sich her haben. In dem
gleichen Wechselverhältniss steht die Bildung des Begriffs zur syllo-
gistischen und inducti ven Schlussbildung, zur Erkenntniss der
Principien und zur Bildung vollständiger Systeme. Begriffe wie
Entelechie, Monade, Entwickelung^stufe, Culturstufe; Differential und
Integral; Gravitation; chemische Verwandtschaft etc. setzen ganze
wissenschaftliche Systeme voraus, wie sie ihrerseits auch wiederum die
Entwickelung der Systeme bedingen. Man kann sagen (mit J. Hoppe^
die gesammte Logik, Paderborn 1868, S. 20), dass der Begriff Ausgangs-
und Zielpunkt alles Denkens sein müsse, wofern ebensosehr mit dem
ergänzenden Satze Ernst gemacht wird, dass der Begriff als Mittel für
die übrigen Denkoperationen zu dienen habe und derselbe nicht in ein-
seitiger Ueberspannung für das »einzige Product der Seele« mit un-
gerechtfertigter Hintansetzung (vgl. unten die Note zu § 84) anderer
Functionen und der logischen Analysirung dieser letzteren erklärt wird.
Je nach der Stufe, bis zu welcher ein jedes Gebilde bereits entwickelt
ist, fördert es die Entwickelung der übrigen Gebilde, und wird dann
auch selbst wiederum von diesen gefördert. In der Wissenschaft wenig-
stens ist die gegenseitige Förderung aller Glieder durch alle kein leerer
Wahn. — Unbeschadet dieser Wechselbeziehung aber muss in der
systematischen Darstellung der Log^k die Lehre von dem Begriff als
der einfacheren Form vor der Lehre von dem ürtheil, Schluss und
System vorausgehen und auch bereits zu einem relativen Absohluss
geführt werden. (Abweichend von dieser Ansicht stellten neuerdings
George, Sigwart, Hartsen die Lehre vom ürtheile der Begriffslehre
voran.)
Vierter Theil.
Du ürtkeil in seiner Beziehnng sn den objeetiven OrnndverlifiltniABen
oder Relationen.
§ 67. Das Urtheil (iadicium, anofpavaiq, als Bestand-
theil des Schlusses auch propositio, nQozaaig genannt) ist das
Bewnsstsein über die objeetive Gtlltigkeit einer snbjectiyen
Verbindung von Vorstellungen, welche verschiedene, aber zu
einander gehörige Formen haben, d. h. das Bewusstsein, ob
zwischen den entsprechenden objectiven Elementen die analoge
Verbindung bestehe. Wie die Einzelvorstellung der Einzel-
existenz, so entspricht das Urtheil in seinen verschiedenen
Formen als subjectives Abbild den verschiedenen objectiven
Verhältnissen oder Relationen. Der sprachliche Ausdruck des
Urtheils ist die Aussage oder der Aussagesatz (ennn-
ciatio, dnöqxxpoig).
Von den einzelnen Voratellungen und deren Elementen schreitet
die Betrachtung im Urtheil zu der Verbindung mehrerer fort. Der
Fortgang ist hier (wie auch wiederum bei der Verbindung vonUrthei-
len und Schlüssen) ein synthetischer, wogegen der Fortgang von
der Wahrnehmung zu der Bildung von Einzelvorstellungen und Be-
griffen ein analytischer war. Das Urtheil ist das erste durch Synthesis
wiedergewonnene Ganze. Die logische Betrachtung aber darf nicht (wie
einige Logiker wollen) mit der Reflexion auf dieses (abgeleitete)
Ganze, sondern nur mit der Reflexion auf das unmittelbar gegebene
(primitive) Gkinze, d. h. auf die Wahrnehmung, begannen.
Einzelne Begriffe sind niemals Urtheile, auch Relationsbe-
griffe nicht; auch nicht blosse Begriffscombinationen j erst die hinzu-
tretende Ueberzeugung von dem Stattfinden oder Nichtstattfinden des
Gedachten bildet das UrtheiL Das Urtheil unterscheidet sich von der
bloss subjectiven Vorstellungsoombination durch die bewusste Beziehung
auf die Wirklichkeit oder zum mindesten auf die objeetive Erschei-
nung. Die Bestimmung, der Wirklichkeit zu entsprechen, giebt dem
Urtheil den Charakter eines logischen Gebildes. Wo das Bewusst-
190 § 67. Definition des Urtheüs.
sein über die objective Gültigkeit fehlt, da fehlt eben das ürtheil; wo
es ein irriges fst, da ist das Urtheil ein falsches.
Die Bildung der Yorstellungscombination und des Bewusstseins
über ihre Gültigkeit kann gleichzeitig erfolgen ; es kann aber auch die
Vorstellungsverbindung (z. B. die Verbindung der Vorstellung dieses
Angeklagten mit der Vorstellung der ihm zur Last gelegten That und
der ihm schuldgegebenen gesetzwidrigen Absicht) eine Zeit lang von
dem Bewusstsein der Ungewiisheit über ihre objective Gültigkeit be-
gleitet sein, bis sich zureichende Eutscheidungsgründe . ergeben, die zu
dem Bewusstsein von ihrer Uebereinstimmung oder Nichtübereinstim*
mung mit der objectiven Realität, d. h. zu dem (affirmativen oder ne-
gativen) ürtheil führen.
Auch bei den mathematischen Urtheilen fehlt die Beziehung^
auf die Objectivität keineswegs. Unsere Raumvorstellung entspricht
der objectiven Räumlichkeit, und das geometrische Urtheil ist das
Bewusstsein der Uebereinstimmung einer (subjectiven) Annahme mit
einem (objectiven) Verhältniss räumlicher Gebilde; der wahre Satz moss
bei wirklicher Gonstruction, wenn diese durch uns oder durch die Na-
tur selbst vollzogen wird, sich jedesmal in um so vollerem Maasse, je
genauer oonstruirt wird, als objectiv gültig bewähren. Auch der
Zahl begriff hat, obwohl die Zahl nicht als solche ausserhalb un-
seres Bewusstseins existirt, innerhalb der objectiven Realität seine Basis,
nämlich in der Quantität der Objecte und in dem Bestehen von Grat-
tungen und Arten, welche die Subsumtion vieler Objecte unter Einen
Begriff bedingen; der wahre arithmetische Satz muss mit den ob-
jectiven Qnantitätsverhältnissen so zusammenstimmen, dass, wo die Vor^
aussetzung (Hypothesis) realisirt ist, auch das Behauptete (die Thesis)
sich realisirt findet. Nehme ich von hundert Thalem dreissig weg und
lege zwanzig hinzu, so müssen ebensowohl in der Gasse sich neunzig
Thaler vorfinden, wie in abstracto die Gleichung gilt: 100 — 80 -|- 20
^ 90, und die Gültigkeit dieser letzteren ist eben ihre Anwendbarkeit
auf alle möglichen zählbaren Objecte. Zwar können die Zahlen von
dieser Beziehung durch Abstraction abgelöst und selbst zuDenkobjeo-
ten erhoben werden, erlangen aber als solche immer nur eine relative
Selbständigkeit.
Bei dem einzelnen Urtheil von einer formalen Richtigkeit zu reden,
die von der materialen Wahrheit getrennt sein könne, und z. B. den
materiell falschen Satz: »alle Bäume haben Blättert formell richtig zu
nennen, indem >die Logik gegen dieses Urtheil keine Einwendung zn
machen habet, ist ein wohl nicht billigenswerthes Verfahren DrbaPs
(in seinem Lehrbuch der propädeutischen Logik, Wien 1866, § 8, S. 8)^
gegen welches J. Hoppe (die gesammte Logik, Paderborn, 1868, §29,
S. 22 f., der das Denken als eine »Uebersetzungsarbeit bezeichnet) mit
Recht, obschon nicht durchgängig in richtigem Sinne polemisirt. Falsch
ist Drbal's Annahme, das Denken sei ein formales zu nennen, sofern
man es bloss von Seiten seiner Form betrachte. Mit demselben Rechte
könnte man sagen, die griechische Sprache sei eine formale zu nennen.
§ 67. Defimtion des Urtheils. 191
sofern man sie von Seiten ihrer grammatischen Form betrachte. For-
mal ist nicht das Denken, welches von Seiten seiner Form betrachtet
wird, sondern nnr die logische Betrachtung selbst, die sich auf die Form
des Denkens richtet, gleich wie nicht die grammatisch betrachtete
Sprache, sondern nnr die grammatische Betrachtung selbst formal ist.
Das Denken in der Logik (das logische, oder wie man bestimmter sagen
könnte, logikalische Denken) ist ein formales, d. h. die Form des Denkens
überhaupt betrachtendes Denken. Dieses »formale« Denken ist ein »be-
griffliches c, sofern es von den Denkoperationen die zutreffenden Begriffe
gewinnt, und kann und soll nicht, wie J. Hoppe zu wollen scheint,
zu Gunsten einer »begrifflichen Denklehre c aufhören; es richtet sich
aber nicht bloss auf den Begriff, sondern gleichmässig auf die sämmt-
liehen Denkformen. Das durch die Logik betrachtete und normirte
Denken ist ein logisches, sofern es den logischen Gesetzen gemäss ist;
es ist nicht eine besondere Art des richtigen Denkens neben anderen
Arten (etwa, wie Rabus in seiner Log. u. Metaph., Erlangen 1868,
§ 5, S. 65 u. ö. meint, das »begrenzende Denken«, insbesondere das
ürtheilen, welches als höhere Stufe über dem Wahrnehmen und Vor-
stellen und als niedere unter dem »genetischen Denken« stehe). Logisch
richtig (oder formell richtig) ist jede Operation des Denkens, sofern sie
den logischen Normen entspricht. Sofern nun die logische Anforderung
andasUrtheil dahin geht, dass dasselbe wahr sei, fällt bei dem ein-
zelnen Urtheil formale Richtigkeit und materiale Wahrheit in Eins
zusammen; man kann freilich jene auch auf die blosse Richtigkeit der
Structnr (der Subjects- und Prädicatsyerbindung) einschränken. Sofern
die Ableitung eines Urtheils aus (möglicherweise falschen) Datis den
für sie geltenden logischen Normen entspricht, ist sie formell richtig,
und das abgeleitete Urtheil selbst ist dann mit formaler Richtigkeit
abgeleitet worden, ohne dass es materiell wahr oder, als einzelnes
Urtheil an und f ör sich selbst betrachtet, logisch richtig zu sein braucht.
Die logische Richtigkeit der Gesammtheit aller auf Erkenntniss ab-
zielenden Operationen von der äussern und innern Wahrnehmung an
ist dagegen wiederum zwar nicht mit der materialen Wahrheit (welche
das durch sie erzielte Resultat ist) identisch, aber mit der materialen
Wahrheit (sei es in dem vollsten oder in einem irgendwie eingeschränkten
Sinne dieses Wortes) noth wendig verbunden. Ueber die Wahrheit
eines einzelnen gegebenen Urtheils kann die Logik darum nicht ent-
scheiden, weil sie überhaupt nur Normen aufstellt und nieh); selbst
die Anwendung vollzieht; ihre Aufgabe ist die Gesetzgebung allein.
Die Logik als solche hat gegen das Urtheil : »alle Bäume haben Blätter«
allerdings »keine Einwendung zu machen« ; aber es ist ein Missverständ-
niss, wenn dies so gedeutet wird, als ob sie dasselbe als ein »der Form
nach vollkommen richtiges Urtheil« anzuerkennen habe; sie macht
gegen dasselbe keine Einwendung nur darum, weil sie sich mit diesem
bestimmten Urtheil als solchem eben so wenig wie mit irgend einem
andern zu befassen hat; die Anwendung der logischen Forderung, dass
es ein Subject und Prädicat habe, ist mittelst bloss logischer, der lo-
192 § 67. Definition des ürtheiU.
gisohen Forderung aber, dass es wahr sei, mitiekt naturwissenschaft-
licher Kenntnisse zu vollziehen, durch welche sich die Falschheit des-
selben ergiebt. Auf die > blosse Widerspruchslosigkeit der Begriffe«
würde die »formale Richtigkeit« nur dann eingeschränkt sein, wenn
wirklich die logischen Normen nur auf diese Widerspruchslosigkeit ab-
zielten (vgl. oben § 3); aber selbst in diesem Falle würde die Logik
als die gesetzgebende Wissenschaft die Entscheidung über die (in diesem
Sinne freilich die materiale Wahrheit keineswegs involvirende) Richtig-
keit irgend eines einzelnen gegebenen Urthells nicht selbst zu vollziehen
und die einzelnen Widersprüche nicht selbst aufzudecken, sondern für
diese richterliche Function nur die Normen aufzustellen haben.
Wie die Yorstellungsformen ursprünglich zugleich mit und an
den Wortarten erkannt worden sind, so das Urtheil mit und an dem
Satze. Flato erklärt den Xoyos als die Bekundung des Gedankens {Jtayoia)
durch die Stimme (^ctii^) mittelst ^^f^ara und ovofjtaray indem der Ge-
danke in den aus dem Munde ausströmenden Lauten gleichsam sich
abpräge (Theaet. p. 206 D ; kürzer, aber minder genau ebd. p. 202 B :
6vof4ttr<ov yitQ ^v/inloxiiv itvta Xoyov ovalitv). In dem (wahrscheinlicher
von einem unmittelbaren Platoniker, als von Plato verfassten) Dialog
Sophistes wird (p. 262, 268 D) der Satz {X6yog\ welcher der sprachliche
Ausdruck des Gedankens (ihuvoia) sei (wie in nicht sehr glücklicher
Zusammenfassung der Bestimmungen Plato's im Theaet. hier gesagt
wird: to unb r^c ^ittvoCng ^svfux dict xov arofiarog tov fiera if&6yyov)t
in seiner einfachsten Grundform (z. B. av^^nonog fiav^vsif Geatirjros
xa&rirM) für diejenige Verbindung von Substantivum und Verbum er-
klart, die der Verbindung von Ding und Handlung entspreche {^vunloxti
oder ^uvd-ioig Hx « {irifidrfov yiyvofiitni xttl ovofAoitov, — ^uviiS-ivm ngay-
fia nQo^H <f(' ovofjittxoi xal ^rjfiarog) (s. darüber U p h u e s , Die
Definition des Satzes nach den platonischen Dialogen Eratylus,
Theaetet, Sophistes. Landsberg 1882). — Aristoteles (de Interpret c
4. 17 a) definirt das ürtheil als njiofpaais oder als loyog anoifttvtixog,
in welchem Wahrheit oder Nichtwahrheit sei, h tp lo altid'dsiv ^ if/Mt-
a^ui vnuQx^') oder mit Rücksicht auf den sprachlichen Ausdruck als
eine Aussage über ein Sein oder Nichtsein (o. 5. 17 a 22: Icrnv tf anlfj
an6<pavffig (ptoi^ arifiavrixij 7ie<)l tov vTiaQ^stv rj fjtii vnaQxfiv). Als Ele-
mente des einfachen Urtheils bezeichnet Aristoteles (c. 5; a 10) inüeber-
einstimmung mit Plato das ovo/aa xal ^rjfia. — Im Anschluss an die
Platonischen und Aristotelischen Bestimmungen definirt Wolff (Log.
§ 89): »actus iste mentis, quo aliquid a re quadam diversum eidem
tribuimns vel ab ea removemus, iudicium appellaturc. Das Urtheil
wird mittelst der Verbindung oder Trennung von Vorstellungen ge-
bildet (§ 40). Der Satz oder die Aussage (enunciatio sive propositio)
ist die Verbindung der den Vorstellungen als den Elementen des ur-
theils entsprechenden Worte, wodurch die Verbindung und Trennung
der Vorstellungen und somit auch, was der Sache zukomme oder nicht
zukomme, bezeichnet wird (§41 f.). Wolff fordert demnach noch ebenso,
wie Plato und Aristoteles, drei einander parallele Reihen: der Verbin-
§ 67. Definition des ürtheils. 198
düng in den Dingen soll die Yorstellungscombination und der letzteren
wiederum die Aussage entsprechen. Mehrere Logiker nach Wolff ge-
brauchen, um in der Definition des ürtheils die Disjunction: Verbin-
dung oder Trennung, zu vermeiden, den Ausdruck: das ürtheil ist die
Vorstellung eines Verhältnisses zwischen zwei Begriffen. — Kant de-
finirt das Urtheil (Log. § 17) als die Vorstellung der Einheit des Be-
wusstseins yerschiedener Vorstellungen, oder als die Vorstellung des
Verhältnisses derselben, sofern sie Einen Begriff ausmachen, oder be-
stimmter (Kritik der r. Vem. § 19) als die Art, gegebene Erkenntnisse
zur objectiven Einheit der Apperception zu bringen. Unter der ob-
jectiven Einheit versteht Kant die Zusammengehörigkeit nach jenen
Kat^orien, welche das Ich durch die ursprüngliche Bethätigung seiner
Spontaneität aus sich erzeuge, und welche das Ich zu dem Inhalt der
Wahrnehmungen als Formen a priori hinzubringe. Offenbar bezeichnet
die Objectivität in diesem Sinne nicht mehr die Beziehung auf eine an
sich reale Aussenwelt, sondern nur eine Art der Thätigkeit des Ich, so
dass diese Lehre vom «Urtheil ungeachtet des beibehaltenen Ausdrucks
der Objectivität doch durchaus nur den subjectivistischen Charakter der
Kantischen Philosophie offenbart. Auch bei den unter dem Kantischen
Einflüsse stehenden Logikern wird immer mehr die Ansicht vorherr-
schend, welche in dem Urtheil nur den Process der Subsumtion des
Besondem unter das Allgemeine erkennt In diesem Sinne lehrt Fries
(System der Logik § 28): das Urtheil ist die Erkenntniss eines Gegen-
standes durch Begriffe, indem der Begriff einem Gegenstande als Merk-
mal beigelegt und dadurch die Vorstellung des Gegenstandes verdeut-
licht wird. Her hart (Lehrbuch zur Einl. in die Phil. § 62) findet
in dem Urtheil die Entscheidung über die Verknüpfbarkeit gegebener
Begriffe. Twesten (Log. § 51) definirt das Urtheil als eine Behauptung
über das Verhältniss zweier Begriffe in Ansehung ihres Inhalts oder
Umfangs und macht vorzugsweise den Gesichtspunkt desUmfangs geltend,
wonach die Urtheile als Subsumtionen von Begriffen unter Geschlechts-
oder Artbegriffe anzusehen seien. Aber bei dieser Ansicht wird von
Seiten der Logiker, welche die Begriffsbildung subjectivistisch auffassen,
auch die Beziehung des Ürtheils auf die entsprechenden Existenzformen
verkannt. Hegel (Logik H. S. 65 ff.; EncycL §166 ff.) versteht unter
dem Urtheil die am Begriffe selbst gesetzte Bestimmtheit desselben,
oder den sich besondemden Begriff, oder die ursprüngliche Selbsttheilung
des Begriffs in seine Momente, die unterscheidende Beziehung des Ein-
zelnen auf das Allgemeine und die Subsumtion jenes unter dieses, aber
nicht als blosse Operation des subjectiven Denkens, sondern als allge-
meine Form aller Dinge. Hier wird wiederum, wie beim Begriff, die
Beziehung auf die Bealität zur Identität umgedeutet. Hegel unterscheidet
die Urtheile von den Sätzen, welche nicht das Subject auf ein allge-
meines Prädicat beziehen, sondern nur einen Zustand, eine einzelne
Handlung etc. von demselben aussagen. In der That aber mnss jeder
(Aussage-) Satz ein logisches Urtheil zum Ausdruck bringen. — Beneke
(System der Logik I, S. 166 ff.; 260 ff.) unterscheidet das logische Ur-
18
194 § G7. Definition des ürtheils.
theil als den analytischen Act der Subsumtion des Besondem unter das
Allgemeine, und die synthetischen Grundlagen des ürtheils oder die
Yorstellungscombinationen, durch welche die Fortführung der Erkennt-
niss geschehe und welchen jene Analysen als nur begleitende Acte zur
Seite liegen; im gewöhnlichen Leben sei es in der Regel nur um die
Synthesen zu thun, die dem eigentlichen Urtheil bei demjenigfen, welcher
dasselbe ursprünglich bilde, vorangehen, bei der Mittheilung des ürtheils
an Andere aber für diese durch das ürtheil vermittelt werden; das
logische Element dagegen sei die analytische Subsumtion des minder
allgemeinen Subjectsbegriffs (oder auch der Subjectsvorstellung) unter
den allgemeineren Pradicatsbegriff. Hieraus aber würde sich ergeben,
dass die Wahrheit oder Falschheit des eigentlichen ürtheils von der
"Richtigkeit der Subsumtion abhinge, während doch in der That das
ürtheil wahr oder falsch ist je nach der Art der Beziehung zur Wirk-
lichkeit. Nach der Gonsequenz der Beneke'schen Ansicht hätten die
Geschworenen wahr genrtheilt, wenn sie nichts anderes in begrififlicher
Subsumtion ausgesagt haben, als was in ihrer Vorstellungscombinatioii
wirklich lag, auch wenn diese Irrthum in Bezug auf die Thatsachen
involvirte. Eine Verurtheilung des Unschuldigen konnte demnach nicht
bloss ein wahrhaftes (auf Wahrheitsliebe beruhendes), sondern auch ein
wahres »eigentliches Urtheil c sein. Aber offenbar wäre dies eine un-
zulässige Sprachverwirrung zu Grünsten der Aufreohterhaltung der will-
kürlichen Voraussetzung, dass bloss das »analytische Denken c das »eigent-
lich logische« sei. In ähnlicher Weise, wie Beneke, und zum Theil mit
ausdrücklicher Beziehung auf Beneke unterscheidet Friedr. Fischer
(Logik, S. 69 ff.; vgl. S. 71) das eigentliche ürtheil als die Subsumtion
eines Gegenstandes unter einen Begriff, und das ürtheil im weiteren
Sinne als die Entwickelung und Aussage des inneren Verhältnisses
zweier Vorstellungen, welches das eigentliche ürtheil als die eine Art
und als die andere Art den blossen Satz oder die Auseinanderlegnng
eines Gegenstandes in seine Theile und E^igenschaften und eines Gau-
salnexus in seine Glieder, wie auch die Gausalfolgerung oder die Auf-
suchung der Ursachen zu den Wirkungen und dieser zu jenen unter
sich begreife. In ähnlicher Weise lehrt auch Ülrioi, dass das ürtheil
im logischen Sinne die Subsumtion des Besondern unter sein Allgemeines
sei (Log. S. 482 ff.) und unterscheidet davon den grammatischen Satz
als blossen Ausspruch einer Wahrnehmung oder Bemerkung (S. 467).
(Vergl. 8. Gompend. d. Logik 2. Aufl. 1872, § 72, S. 266 ff.) Es ist
aber vielmehr einem jeden ürtheil die Beziehung auf die Objectivitiit
wesentlich. Wie sich damit die Ansicht der Subsumtion vereinigen
lasse, darüber B. unten § 68, 1, b. — Schleiermaoher (Dial. §§ 188ff.;
166; 167; 198; 803 ff.) erklärt das ürtheU als dasjenige Gebilde der
intellectuellen Function oder der denkenden Vernunft, welchem die Ge-
meinschaftlichkeit des Seins oder das System der gegfenseitigen Ein-
wirkungen der Dinge, ihres Zusammenseins, ihrer Actionen und Pas-
sionen entspreche. Subjeot und Pradicat verhalten sich wie Nomen
und Verbum; jenes entspricht einem beharrlichen Sein oder einem für
§ 67. Definition des Urtheila. 195
sich gesetzten Sein ; dieses drückt einen Zustand, eine That, ein Leiden,
also ein in einem anderen gesetztes Sein ans. Nur bei dem nneigent-
Hchen Urtheil ist der Begriff des Prädicates im Subjecte gesetzt; das
eigentliche Urtheil geht auf eine Thatsache und sag^ etwas aus, das
im Begriff des Subjectes nur seiner Möglichkeit nach enthalten ist. Das
primitive Urtheil setzt die blosse Action, das unvollständige bloss deren
Beziehung auf das agirende Subject, das vollständige auch die Be-
ziehung auf das von der Action betroffene Object (Dial. S. 804 ff.).
Schleiermacher's Definition hebt mit Hecht die Beziehung des subjec-
tiven Elementes im Urtheil auf das objectiv-reale hervor. Sie fehlt nur
darin, dass sie, zu ausschliesslich das prädicative und das daran ge-
knüpfte objective Verhältniss ins Auge fassend, nicht auf die sämmt-
lichen Urtheilsverhaltnisse gleichmässig Rücksicht nimmt. Das Gleiche
gilt von den Ansichten Kitter*s, Trendelenburg's und Lotze's.
Ritter (Log. 2. A. S. 61) definirtdas Urtheil als die Denkform, welche
den veränderlichen Grund der Erscheinung bezeichne; (S. 56:) »das
Sein, welches in dem Urtheil dargestellt^wird, ist ein Veränderliches,
welches aber in einem Bleibenden als einem lebendigen Dinge gegründet
ist, ein solches Sein nennen wir eine Lebensthätigkeit« ; (S. 70:) »in
dem Urtheil wird die Möglichkeit veränderlicher Thätigkeiten darge-
stellte; (Syst der Log. u. Metaph. II, S. 85 ff.:) »die Verbindung von
Subject und Prädicat, welche dem thätigen Dinge eine veränderliche
Thätigkeit beilegt, ist ein Urtheil c; (S. 205 ff.:) »das reflexive Urtheil
geht auf die innere und freie, das transitive auf die übergehende
Thätigkeitt Trende lenburg (Log. Untersuch. II, S. 141, 2. Aufl. S. 208,
8. Aufl. S. 231) erkennt in dem Urtheil die logische Form, die der Thätigkeit
als der analogen Form des Seins entspreche; in dem unvollständigen
Urtheil werde die Thätigkeit allein als eine ursprüngliche aufgefasst;
in dem vollständigen Urtheil aber stelle das Subject die Substanz und
das Prädicat die Thätigkeit oder die Eigenschaft dar, die den Grundbegriff
der Thätigkeit in sich trage. Auch Lotze (Log. S. 86) giebt in der-
selben Weise vom Urtheil eine zu enge Erklärung, wenn er es als eine
Verknüpfung von Vorstellungen bezeichnet, deren Material in die lo-
gischen Formen gegossen werde, die den metaphysischen Voraussetzungen
über Substanz, Accidens und Inhärenz entsprechen. In seinem System
d. Philos. Bd. 1. Logik Cap. 2. S. 57 sagt Lotze: »Jedes Urtheil, welches
im natürlichen Gebrauch des Denkens gebildet wird, will ein Ver-
lüUtniia zwischen den Inhalten zweier Vorstellungen, aber nicht ein
Verhältniss dieser beiden Vorstellungen aussprechen. c — Mit der oben
gegebenen Definition des Urtheils einverstanden erklärt sich Sigwart,
Logik, 1878, Bd. 1, § 14, S. 77: »Alle die Definitionen des Urtheils,
welche dasselbe auf die bloss subjective Verknüpfung von Vorstellungen
oder Begriffen beschranken, übersehen, dass der Sinn einer Behauptuug
niemals ist, bloss dieses subjective Factum zu constatiren, dass ich im
Augenblick dieses Factum vollziehe ; vielmehr macht das Urtheil durch
seine Form Anspruch darauf, dass diese Verknüpfung die Sache be-
treffe, and dass sie eben darum von jedem andern anerkannt werde.«
196 § 68. Einfaches und zosammengesetztea ürtheil.
Wundt in seiner hogik Bd. 1. Absch. 8. Gap. 1. Entsi. des XJr-
theils S. 186 fif. hat neuerdings darznthun gesucht, dass weder die De-
finition des ürtheils als der Form der Verbindung oder Trennung der
Begriffe, noch die Definition desselben als der Vorstellung einer Ein-
heit oder eines Verhältnisses zwischen zwei Begriffen zureichend sei,
um das ürtheil von anderen Begriffsverbindungen zu unterscheiden.
Treffender scheint ihm das ürtheil definirt zu werden als eine iSer-
legung einer zusammengesetzten Vorstellung in ihre Bestandth^e. Das
ürtheil bringe nicht Begriffe zusammen, die getrennt entstanden waren,
sondern es scheide aus einer einheitlichen Vorstellung Begriffe aus. In
diesem Sinne könne man alles ürtheilen eine analytische Function
nennen. — Dieser Ansicht Wundt's gegenüber hat Sigwart in s.
Art. 1. Logische Fragen in der Viertel jahrsschr. f. wissensoh. Philos.
Bd. 4. 1880. S. 459 die von ihm vertretene Ansicht vertheidigt, dass
der ürtheilsact, der dem gesprochenen Satze als Inneres entspricht,
eine Verknüpfung von Vorstellungen sei. Der Auffassung Wundt's
i liege ein richtiger Gedanke zu Grande, aber sie werde getrübt durch
die Verwechslung des Ausgangspunktes des ürtheils mit dem Ürtheil
selbst, durch Verwechslung der einheitlichen Anschauung mit dem
durch allgemeine Vorstellungen hindurch gehenden ürtheil. — Berg-
mann in s. Allg. Logik Th. 1. Absch. 1. § 6 will den allgem. Begriff
des ürtheils dahin festgestellt sehen, dass im ürtheile zu einer oder
mehreren Vorstellungen eine Entscheidung über ihre Geltung hinzu-
komme. — Werner Luthe in s. Beiträge z. Logik Th. 1. 1672 S. 20
empfiehlt als Definition des ürtheils die folgende: »ürtheil ist das
Product derjenigen Denkthätigkeit, die eine Vorstellung als zum Sein
einer andern gehörend auffasstc und sucht diese seine Definition durch
eine eingehende Kritik der früheren Definitionen des Aristoteles, Kant,
Hegel, Beneke, ülrici, Schleiermacher, Trendelenburg, Herbart und des
Verfassers dieses Buches zu rechtfertigen.
Die Definition des Ürtheils muss weit genug sein, um die sammt-
liehen ürtheilsformen zu umfassen, ohne doch vag zu werden, d. h. ohne
die Grenze des Ürtheils gegen andere Formen zu verwischen.
§ 68. Die Urt heile sind theils einfach, theils zu-
sammengesetzt In den einfachen Ürtheilen sind
folgende Verhältnisse zu unterscheiden:
1. Das prädicative oder das Verhältniss von Subject
und Prädicat, d. h. die subjective Repräsentation des objectiv-
realen Verhältnisses der Subsistenz undlnhärenz. Dieses
begreift folgende Verhältnisse unter sich:
a) das Verhältniss des Dinges zur Thätigkeit oder zum
Leiden;
b) das Verhältniss des Dinges zur Eigenschaft als der
haftend gewordenen Thätigkeit (wohin auch das Ver-
§ 68. Einfaches und ztiflaminengesetztes ürtheil. 197
hältniss des Dinges za der Gesammtheit derjenigen
Merkmale, welche den Inhalt des übergeordneten
Begriffs ansmachen, gerechnet werden mnss);
c) das VerhUtniss der (als Snbject gedachten) Thätig-
keit oder Eigenschaft za der ihr anhaftenden näheren Be-
stimmnng.
Bei den sogenannten snbjectlosen Urtheilen (die dnrch
Sätze mit »impersonalen« Verben ausgedrückt werden) vertritt
die unbestimmt gedachte Totalität des uns umgebenden Seins
oder ein unbestimmter Theil derselben die Stelle des Subjectes,
und bei den Existential-Urtheilen das als inhärirend vor-
gestellte Sein oder die Existenz die Stelle des Prädicates.
(Die sprachliche Bezeichnung des prädicativen Ver-
hältnisses ist die grammatische Congruenz zwischen dem
Subjecte und Prädicate in der Nominal- und Verbalflexion.
In dem Falle unter a) ist das grammatische Subject ein Sub-
stantivum concretum, das Prädicat ein Verbum; unter b) ist
das Subject wiederum ein Subst concr., das Prädicat aber
entweder ein Adjectiv mit dem Hülfs verbum sein oder ein
Substantiv mit dem gleichen Hülfsverbum; unter c) ist das
Subject ein Substantivum abstractum, das Prädicat aber wie-
derum entweder ein Verbum oder ein Adjectiv oder ein Sub*
stantiv mit dem Hülfsverbum. Die Copula liegt in jedem
Falle nur in der Flexionsform; denn auch das Hülfsver-
bum sein gehört mit zum Prädicate und ist nicht, wie
gewöhnlich, aber mit Unrecht geschieht, selbst als grammati-
sche Copula anzusehen, da vielmehr nur die grammatische
Congruenz seiner Flexion mit der Flexion des Subjectes,
wodurch aus dem Infinitiv sein die Formen ist, sind etc.
werden, die Copula oder der Ausdruck des Inhärenzverhält-
nisses zwischen dem Prädicate und Subjecte ist)
2. Das Objectsverhältniss oder das Verhältniss des
Prädicates zu seinem Objecte, d. h. die subjective Bepräsentation
des objectiv-realen Verhältnisses der Thätigkeit zu dem
Gegenstande, aufweichen sie gerichtet ist. In dem Wesen
der Thätigkeit als der eigenen Veränderung des Subjectes
liegt mittelbar auch die Veränderung der Beziehung zu an-
derem. (Auch hier findet das reale Verhältniss im logischen,
198 § 68. Einfaches und zasainmengesetzteB ürtheil.
das logische im grammatischen seinen Aasdruck.) Das Ob-
ject ist entweder ergänzend oder bestimmend ; das ergänzende
Object entspricht dem unmittelbaren Gegenstande der Thätig-
keit, das bestinunende oder adverbiale Object einem Glegen-
Stande^ der zu der Thätigkeit in irgend einer mittelbaren Be-
ziehung steht. Diese Beziehungen sind namentlich die räum-
liche, zeitliche, modale, causale, conditionale und concessive,
instrumentale, consecntive und finale.
(Den sprachlichen Ausdruck der verschiedenen Grund-
formen des Objectverhältnisses bilden die obliquen Casus,
von denen der Accusativ, wie es scheint, ursprünglich die
Ferne und eben damit zugleich auch das Wohin oder das Ziel
der Thätigkeit, der Genitiv das Woher und Woraus oder den
Ausgangspunkt der Thätigkeit und der Dativ das Wo, Woran
und Womit oder den Ort, die Bestimmung und das Mittel
der Thätigkeit bezeichnet, wobei die causale Beziehung mit
der localen ursprünglich ebenso verflochten ist, wie sich auch
bei der Bildung von Einzelvorstellungen, Begriffen etc., über-
haupt bei allen logischen Operationen, mit dem räumlich-zeit-
lichen Bilde Elemente, die aus der inneren Wahrnehmung
herstammen, verflechten; zur Bezeichnung der mannigfachen
Modificationen jener Grundformen aber dienen theils eigene
Casus, theils die an die Casus sich anschliessenden Präpo-
sitionen.)
3. Das attributive Verhältniss. Dieses ist eine
Wiederholung des prädicativen und mittelbar auch
oft eine Wiederholung des Objects-Verhältnisses
als eines blossen Gliedes eines Urtheils, dessen Prädicat ein
anderes ist.
(Den sprachlichen Ausdruck dieses Verhältnisses
bildet die grammatische Gongruenz in der Nominal- und
Participialflexion, womit sich beim Hinzutritt objectiver Ver-
hältnisse der Gebrauch der Casus und Präpositionen
verbindet; mitunter, wie namentlich bei dem Genitivus pos-
sessivus, dienen dazu auch die Casus und Präpositionen allein,
indem nämlich die hinzuzudenkende participiale Bestimmung:
herstammend, seiend, nicht ausgedrückt zu werden pflegt)
Das mehrfache oder zusammengesetzte Urtheil
§ 68. Einfaohee und zusammengesetztes Urtheil. 199
besteht aas ein&chen Urtheilen (wie auch der zusammen-
gesetzte Satz ans einfachen Sätzen), die einander coordinirt
oder snbordinirt sind. Die Goordination bezieht sich
theils auf vollständige Urtheile (und Sätze), theils auf einzelne
Urtheilsglieder (and Satzglieder); sie kann copalativ, divisiv
and disjanctiy, comparativ, adversativ and restrictiv, concessiv,
cansal and conclasiv sein. Die Subordination beruht darauf,
dass ein Urtheil (und Satz) entweder als Ganzes oder mit
einem seiner Glieder sich in ein anderes Urtheil (einen
anderen Satz) einfttgt. Das subordinirte Urtheil ist a) je
nachdem es entweder als Ganzes oder nur mit einem seiner
Elemente in das übergeordnete eingeht, entweder Infinitiv-
oder Relativ-Urtheil (und demgemäss sein sprachlicher Aus-
druck, der subordinirte Satz, entweder Infinitiv- oder Relativ-
satz; mit jenem fällt logisch der »Gonjunctionalsatz«, mit
diesem der >Pronominalsatz« zusammen); b) nach der Stelle,
die es oder der sich einfügende Theil desselben in dem Ge-
sammturtheil (dem Gesammtsatze) einnimmt, entweder Sub-
jectiv- oder Prädicativ- oder Attributiv- oder ergänzendes
oder bestimmendes Objectiv- Urtheil (-Satz). Die bestimmen-
den Objectiv- oder Adverbial-Urtheile (und -Sätze) zerfallen
wiederum in locale, temporale, comparative, causale, conditio-
nale (oder hypothetische), concessive, consecutive und finale.
Mehrere Urtheile (Sätze), welche dem nämlichen Haupturtheil
(Hauptsatze) untergeordnet sind, können einander neben-
geordnet oder untergeordnet sein, und so z. B. copulativ-
hypothetische, disjunctiv- hypothetische Urtheile (Sätze) etc.
gebildet werden.
(Die Sprache bezeichnet die Verhältnisse zwischen den
eoordinirten und subordinirten Sätzen theils durch die Gon-
junctionen und Relativpronomina, theils durch eigen-
thflmliche syntaktische Formen.)
Aus der grossen Zahl dieser Verhältnisse hat die bisherige Logik
nur einzelne herausgehoben, während die Grammatik, mehr gewohnt,
sich an der Betrachtung des Einzelnen zu orientiren, dieselben schon
längst in g^rosserer Vollständigkeit erkannt und namentlich durch die
(was immer in historischem Betracht mit Recht eingewandt werden
möge, jedenfalls für das logische Verständniss der Sprache und ins-
besondere des Satzbaues sehr verdienstvollen) Forschungen Karl Fer-
200 § 68. EinfaoheB und zuBammengesetztes ürtheil.
dinand Beoker's tiefer verstehen gelernt hat. Falaofae Deatnng und
einseitige Ueberspannnng des logischen Charakters der Sprache laatt
sich widerlegen; die Annahme einer logischen Basis der grammatischen
Verhältnisse aber selbst zu bestreiten, ist eine Verkehrtheit, die sich
nicht logisch rechtfertigen, sehr wohl aber psychologisch erklären l&sst,
indem die lebhafte Bekämpfung des einen Extrems gar leicht zum ent-
gegengesetzten hindrängt.
Aristoteles handelt noch fast ausschliesslich von den (später
sogenannten) kategorischen Urtheilen (er selbst versteht unter dem ka-
tegorischen Urtheil das bejahende); aber schon die ersten Peripate-
tiker, wie auch die Stoiker ziehen die hypothetischen und die dis-
junctiven Urtheile mit in den Kreis ihrer logischen Üntersnohungreii
hinein. Kant (Kritik der r. Vem. § 9—11; Prolegom. z. e. j. k. Me-
taph. § 21 ; Log. § 28) gründet die Eintheilung der urtheile in kate-
gorische, hypothetische und disjunctive auf die Kategorien der Re-
lation: Subsistenz und Inhärenz, Causalität und Dependenz, und
Gemeinschaft oder Wechselwirkung. Aber diese Eintheilung ist keines-
wegs vollständig, und die Zurnckführung der Disjunction auf die reale
Wechselwirkung ein Fehlgriff, üebrigens lassen sich die Kantischen
Kategorien der Relation den Aristotelischen Kategorien naturgemäss
anreihen, indem diese auf die formalen Arten der Einzelexistenz
gehen, jene aber auf die formalen Arten der Verhältnisse, die
zwischen den verschiedenen Formen der Einzelexistenz und der Gruppen
gleichartiger Einzelexistenzen bestehen, und in entsprechender Weise
auch in der Anwendung auf das Logische die Aristotelischen Kategorien
die Vors tellungs formen bezeichnen, die Kantischen Kategorien der
Relation aber die Ürtheilsformen begründen. Die Mängel der Kan-
tischen Eintheilung sind von den späteren Log^ikem zwar theilweiaey
aber keineswegs genügend erkannt und vermieden worden. Die logi-
sche Bedeutung der grammatischen Satzverhältnisse wurde selten richtig
gewürdigt*). Was die Verhältnisse im einfachen Urtheil betri£fl, so
*) Man kann sagen (mit Trendelenburg, Log. Unt., 2. Aufl., Bd. U,
S. 258), die Logik verstehe unter demPradicat die objectiven Bestim-
mungen, falls solche vorhanden sind, mit; also z. B. in dem Satze:
A trifft B, sei nicht das blosse Treffen, sondern das Treffen des B das
logische Prädicat. Aber dann muss man bei dem so bestimmten Prä-
dicat noch das eigentlich prädicative Verhältniss imd das objeotive
unterscheiden, also das letztere doch wiederum einer besonderen Be-
trachtung würdigen. Gerade darum, weil es von einem eigenthümlichen
realen Grundverhältniss abhängt, berührt es auch die Logik als
Erkenntnisslehre und nicht die Grammatik allein; denn bloss gram-
matisch ist nur, was bloss die Form des sprachlichen Ausdrucks
betrifft. — Wenn aber femer gegen die Unterscheidung des prädi-
cativen und des hypothetischen Verhältnisses nach den Katego-
rien der Inhärenz und der Dependenz das Involvirtsein dieser in jener
hervorffehoben wird, so ist das kein Gegengrund, s. unten §§ 86 n. 94.
— (Vgl. d. abweichende Bemerkung Trendelenburg's log. Unters. 8. Aufl^
Bd. 11, XVI, S. 277 f. — lEs mag hier noch eine Bemerkung am Orte
sein, um das Grammatische und Logische in seinen Grenzen zu halten.
Was die Logik Prädicat nennt, unterscheidet sich von dem engem
§ 68. Einfaches und zusammengesetztoB Urtheil. 201
giebt Schleiermacher beachtenswerthe Winke über deren inneren
Zasammenhang. Das dem Urtheil entsprechende Sein ist nach ihm das
Znsammensein der Dinge, vermöge dessen ein jedes im anderen ist und
sowohl in ihm hervorbringt, als von ihm leidet (Dial. § 189). Das erste
urtbeilende Moment oder das primitive Urtheil setzt bloss die Action
ohne Beziehung auf ein agirendes Subject und auf ein leidendes Objeot,
deren Stelle durch die chaotisch gesetzte Totalitat des Seins vertreten
wird. Das primitive Urtheil wird in der Sprache durch das unpersön-
liche Verbum ausgedrückt (Dial. § 804). Die Fortbildung des Urtheils
ist ein Uebergang vom unbestimmteren zum bestimmteren. Wird zu-
nächst bloss die Beziehung auf das agirende Subject gesetzt, so geht
das primitive Urtheil in das unvollständige über; wird aber femer
das Factum auf seine beiden zusammenwirkenden Factoren zurück-
geführt, so entsteht das vollständige Urtheil, welches demgemäss
ausser dem prädicativen Verhältniss auch das Objectsverhältniss in sich
aufnehmen muss (Dial. § 806). Aus dem Inbegriff aller vollständigen
Urtheile entwickelt sich ein absolutes Urtheil, dessen Subject die
Welt oder die geordnete Totalität alles Seins ist (Dial. § 806—7). Das
Adjectiv als Epitheton (oder Attribut) ist das Resultat eines früheren
Urtheils, welches schon als Element in den Subjectsbegriff eingegangen
ist (Dial. § 250, S. 197 ff.).
Die (von Trendelenburg, Log. Unt. II, S. 168 ff., 2. Aufl. U, S. 287 ff.
8. A. S. 261 ff. vertretene) Eintheilung der Urtheile in Urtheile des In-
halts und Umfang s würde eine Auffassung voraussetzen, welche das
Urtheil, gleich als wäre es eine unselbständige Form (da doch Trendelen-
burg selbst ihm ein eigenthümliches »Gregenbild im Wirklichen c zu-
erkennt, nämlich die Thätigkeit der Substanz), nur nach seiner Beziehung
zu den Begriffsformen schätzt. Aber diese Auffassung erschöpft nicht
das Wesen des Urtheils, und die Eintheilung bleibt hinter der Mannig-
faltigkeit der Urtheilsverhältnisse zurück. Das Urtheil in seiner ge-
schmeidigen Form kann auch in den Dienst der Begriffsbildung treten ;
aber hierin geht nicht seine ganze Bedeutung auf. Die sogenannten
»Urtheile des Inhaltsc bezeichnen als kategorische Urtheile ein
Inhärenzverhältniss, und die Benennung mag passend sein, wenn
Begriff, welchen ihm die Grammatik beizulegei^ pflegt. Die Logik
venteht unter Prädicat, was von dem Subject ausgesagt wird, un-
angesehen ob das Ausgesagte ein einfacher oder ein durch ein Object
bestimmter Begriff ist, und begreift das grammatische Object mit zum
Prädicate. Die Grammatik hat die Bestimmungen, die als grammati-
sches Object zum Thätigkeitsbegriff, sei es ergänzend als Casus oder
nur ausführend, adverbial, hinzutretend, näher zu erwägen. Z. B. in
dem Satz aus Geliert's Fabel: »nun läuft das Blatt durch alleGassenc
betrachtet die Logik alles, was vom Blatte ausgesagt wird, als Prädicat ;
die Grammatik zunächst nur »läuft« und fasst alles andere als objeo-
tive Bestimmungen. Diese hängen von der realen Natur der Thätigkeit
ab und müssen durch die realen Kategorien verständlich geworden sein,
das Urtheil als Urtheil berühren sie nicht Neuerdings sind sie in die
Logik aufgenommen worden. Soll dies geschehen, so bedürfen sie einer
eigenen von der Grammatik unabhängigen Behandlung, c)
202 § 68. Einfaches und zusammengesetztes ürtheil.
es sich gerade um dielnhärenz wesentlicher Merkmale handelt, doch
lässt sich nicht jedes Inhärenzverhältniss (namentlich nicht die Inhä-
renz blosser Modi und Relationen) naturgemäss als ein Inhalts-
verhältnisB betrachten; als hypothetische Urtbeile gehen sie auf ein
Causalitätsyerhältniss, sei es, dass sie das Yerbundensein einer
Ursache mit ihrer Wirkung, oder umgekehrt das Yerbundensein einer
Wirkung mit ihrer Ursache, oder das Verbundensein mehrerer Wir-
kungen der nämlichen Ursache unter einander, oder endlich das in realen
Causalverhältnissen begründete Yerbundensein mehrerer subjectiven
Erkenntnisse bezeichnen; jedenfalls also entsprechen sie eigentbümlichen
Existenzverhältnissen und ihre Bedeutung geht nicht in den blossen
Ausdruck des Inhaltsverhältnisses auf. Die sogenannten »Urtheile
des Umfängst aber lassen sich auf »Urtheile des Inhalts« reduciren
und als Bezeichnungen des Yerhältnisses des Substituirenden zum In-
härirenden erkennen, wofern nur das wahre Prädicat nicht in dem
Prädioatssubstantiv, sondern (wie es geschehen muss) in der Verbindung
dieses Substantivs mit dem Sein, und die Copula nicht in dem Hülfs-
verbum, sondern in dem logischen Yerbundensein von Subject und Prä-
dicat, und ihr sprachlicher Ausdruck in der grammatischen Flezions-
form gesucht wird. (Das sogenannte Urtheil des Umfangs: jeder Mensch
ist seiner Rasse nach entweder Kaukasier oder Mongole oder Aethiope
oder Amerikaner oder Malaye, ist gleichbedeutend mit: jeder Mensch
hat entweder die Gesammtheit der Eigenschaften, welche den Kaukasier
charakterisiren oder etc. Das Kaukasiersein etc. ist das wahre Prädi-
cat; der Ausdruck der Copula liegt nur in der Flexion, wodurch aus
der Form sein die Form ist geworden ist.) Diese Reduction überhebt
uns auch der Nothwendigkeit, mit F. Fischer (Logik, S. 59 ff.) unter
dem Einen Begriffe oder wenigstens dem Einen Namen des Urtheils
Denkoperationen zusammenzufassen, die doch ganz verschiedenartig wären,
oder mit Fries, Hegel, Twesten, Beneke, Ulrici u. A. (s. o.)
die Subsumtion allein als logisches Urtheil gelten zu lassen, wobei
dieses Eine Urtheilsverhältniss aus seinem natürlichen Zusammenhange
mit der Gesammtheit der übrigen herausgerissen wird.
Lot ze hat in s. System d. Philos. Bd. 1. Logik. Gap. 2. S.57 u. ff.
die gewöhnliche Eintheilung der Urtheile einer scharfen Kritik unter-
worfen und 'dann seinerseits als Reihe der Urtheilsformen unterschieden:
A. Das impersonale Urtheil. Das kategorische Urtheil. Der Satz der
Identität. B. Das particulare Urtheil. Das hypothetische Urtheil. Der
Satz des zureichenden Grundes. C. Das generelle Urtheil. Das dis-
junotive Urtheil. Das Dictum de omni et nuUo und das Prinoip. ex-
clusi medii. — S ig wart in s. Logik. Bd. 1. Th. 1. Abschn. 2. §9 u. ff.
S. 57 u. ff. will unter den einfachen Urtheilen in dem von ihm be-
zeichneten Sinne zwei Classen genau unterscheiden: diejenigen, in denen
als Subject ein als einzeln existirend Vorgestelltes auftritt (dies ist
weiss) — erzählende Urtheile — und diejenigen, deren Subjects-
Vorstellung in der allgemeinen Bedeutung eines Wortes besteht, ohne
dass damit von einem bestimmten Einzelnen etwas ausgesagt vrarde
§ 68. Die Kategorien der Relation im Kantisohen Sinne. 203
(Blnt ist roth) — erklärende Urtheile. Unter den erzählenden Urtheilen
werden insbesondere unterschieden: Benennungsurtheile, fiigenschafts-
nnd Thätigkeitsurtheile und Belationsurtheile. Von diesen einfachen
Urtheilen werden dann im Abschn. 5. § 26 u. ff. S. 166 u. ff. die pln-
ralen Urtheile unterschieden als solche, welche in Einem Satze von
einer Mehrzahl von Subjecten ein Prädicat aassagen, und diese selbst in
positive und verneinende zerleg^. Als Ergebniss seiner weiteren kritischen
Betrachtung der hergebrachten und durch Kant hauptsächlich sanotio-
nirten, aber nach seiner Ansicht mangelhaften Eintheilung der Urtheile
wird sodann § 38 S. 257 folgendes hingestellt: »Die Urtheilsfunction
ist überall insofern dieselbe, als sie kategorische Aussage eines Prä-
dicates von einem Subject ist. Die Unterschiede, die an ihr heraus-
treten, hängen theils davon ab, ob die Synthese des Prädioates mit dem
Subjecte einfach ist, wie bei dem Benennungstheil, oder mehrfach, wie
bei den Urtheilen, welche auf den Kategorien der Eigenschaft, Thätig-
keit, Relation ruhen, theils davon, ob das Subject eines Urtheils eine
einheitliche Vorstellung, oder ob es selbst wieder eine urtheilsmässige
Synthese oder eine Verknüpfung von solchen ist, von der die Prädicate
falsch, möglich, nothwendig u. s. w. ausgesagt werden. Die gewöhn-
lich aufgestellten Unterschiede der Urtheile sind Unterschiede ihrer
Prädicate und Subjecte, und nicht Unterschiede der Urtheilsfunction;
während dieselbe Classe, die der kategorischen Urtheile, die wirklichen
Verschiedenheiten der Urtheilsfunction in sich vereinigt. Um so mehr
tritt die Bedeutung der Prädicate hervor, welche allen Urtheilen vor-
ausgesetzt sind, und welche als immer dieselben in den wechselnden
Subjecten des Urtheilens wieder zu erkennen das gemeinsame Wesen alles
Urtheilens ist. — Es giebt also in der That zuletzt nur einerlei Urtheilen,
die kategorische Aussage eines Prädicates von einem Subject; und die
Voraussetzung alles Urtheilens ist also nach einer Seite das Vorhanden-
sein einer Reihe von Prädicatsvorstellungen, welche in den Subjects-
vorstellungen wieder erkannt werden können, nach der andern die
Vorstellung der verschiedenen Formen der Synthese zwischen Prädioaten
und Subjecten, welche den Sinn der einfachen Aussage ausmachen, c —
Wundt in s. Log^k Bd. 1. Abschn. 3. Gap. 2. Die Formen des Ur-
theils S. 164 u. ff. unterscheidet: I. die Subjectsformen (das unbestimmte
Urtheil, das Einzelurtheil, das Mehrbeitsurtheil); 2. die Prädicats-
formen (das erzählende, das beschreibende, das erklärende Urtheil);
3. die Relationsformen (die Identitätsurtheile, die Urtheile der Ueber-
ordnnng und Unterordnung, die Urtheile der Coordination, das Ab-
hängigkeits- oder Bedingungsurtheil, die vernein, und problematischen
Urtheile). — Bergmann AUgem. Logik Thl. 1. §16, der den Begriff
des Urtheils dahin feststellen will, dass im Urtheile zu einer oder
mehreren Vorstellungen eine Entscheidung über ihre Haltung hinzu-
komme, will für die Unterscheidung der Urtheilsformen auf die
Unterscheidung der Vorstellungsformen zurückgreifen. Sofern sich
aber nnn die Form der Vorstellung aus der Natur des Objectes ver-
stehen lasse, soll auch der Gegensatz von Gültigkeit und Ungültigkeit,
204 § 68. Die Kategorien der Relation im Kantischen Sinne.
welcher an dieser Form haftet, und die verschiedenen Weisen, aaf
welche er auf eine Vorstellung bezogen werden kann, nur aus dieser
Beziehung der Form der Vorstellung zur Natur des Objectes zu ver-
stehen sein. Da nun dazu die nöthige Metaphysik noch fehle, soweit
schon in der Untersuchung der Vorstellung auf die nöthige Deduction
des Systems ihrer Formen habe verzichtet werden müssen, so sollen
wir uns gegenüber dem System der ürtheilsformen in derselben Lage
befinden und uns deshalb damit beg^nügen, diejenigen Eintheilungen
der Urtheile, welche ihr allgemeiner Begriff zu begründen vermöge,
in der Reihenfolge zu combiniren, die der Sache am ang^emessensten
zu sein scheine.
Die Streitfrage der Localisten und Causalisten in Betreff
der ursprünglichen Bedeutung der Casus möchte principiell in dem
Sinne zu entscheiden sein, dass die Einheit der causalen Beziehung mit
der raumlichen (und mit der dieser analogen zeitlichen) als das Ur-
sprüngliche, die strengere Sonderung der Bedeutungen aber als das
Spätere gelten müsse. Dieses Princip der ursprünglichen Einheit der
causalen Bedeutung mit der localen wird nicht widerlegt, sondern be-
stätigt durch den historischen Nachweis, dass wahrscheinlich der No-
minativ in den indogermanischen Sprachen ursprünglich durch ein dem
Stamme angehängtes s =3 sa = dieser (oder hier), der Accusativ durch
ein angehängtes m = amu = jener (oder dort) gebildet worden sei
(was bei Neutris wegfiel), so dass z. B. deus donum dat = »Gott hier
Gabe da geben erc ist (vgl. den Vortrag von G. Curtius über die loca-
listische Casustheorie auf der Philologen- Versammlung zu Meissen, 1868).
Unter den subordinirt zusammengesetzten Sätzen ist oben auch
der Prädicatssatz genannt worden. Wir rechnen dahin Sätze wie:
nonnulli philosophi sunt qui dicant, und ähnliche. Dass hier der
Relativsatz: qui dicant, seiner logischen Natur nach Prädicativsatz
ist, geht aus der Umformung in : multi sunt dicentes, hervor, und wird
besonders in solchen Fällen anschaulich, wo ein derartiger Satz als
coordinirtes Glied neben ein einfaches Prftdicat tritt, z. B. (Virgil. Aen.
IX, 206 sqq.) : est hie — animus lucis contemptor et istum qui vita bene
credat emi — honorem. Hier ist eben so gewiss, wie contemptor
Prädicat, der entsprechende Satz: qui credat, Prädicatssatz.
Nur die Copula als der Ausdruck der Verbindung zwischen Subjeot
und Prädicat, aber nicht das Prädicat ist der Umwandlung in einem
untergeordneten Satz unfähig.
Niemals kann einem Urtheil (und Satze) das Subject völlig feh-
len ; wohl aber kann die bestimmte Subjectsvorstellung fehlen und statt
derselben das blosse Etwas (es) eintreten. Vgl. vei und Zevg vet. Die
unbestimmte Vorstellung des Subjectes kann die frühere Form sein.
Die Ansicht, dass hypothetische und kategorische Urtheile
einander wie bedingte und unbedingte gegenüberstehen, wird von ein-
zelnen Logikern (Herbart, Einl. in die Philos. § 58; Drobisch, Log.
2. A. S. 54, S.A. S. 59 f.; Beneke, Log. I, S. 165) bekämpft. Urtheile,
wie: Gott ist gerecht, die Seele ist unsterblich, sollen nicht die Be-
§ 68. Die Kategorien der Relation im Kantischen Sinne. 205
hanptong involviren, dass es einen Gott, eine Seele gebe. Dies ist aber
allerdings der Fall ; wer die Voranssetzong nicht annehmen will, muss
jenen Sätzen die Clanseln beifügen, wodurch sie zn hypothetischen
werden: falls es einen (ein- oder mehrpersönlichen) Gott, eine (substan-
tielle) Seele giebt. Ein Satz, wie: wahre Freunde sind zu schätzen,
beruht auf der Voraussetzung, dass es solche gebe ; dieselbe liegt in
dem Indicativ; für den Ausdruck des Zweifels an dieser Voraussetzung
und der Verneinung derselben haben die Sprachen (am vollständigsten
und genauesten die griechische) andere Formen geschaffen. Nur wenn
der Zusammenhang des Ganzen (wie in einem Boman) oder der be-
kannte Sinn eines Wortes (wie Zeus, Sphinx, Chimäre etc.) auf eine
bloss fingirte Wirklichkeit oder auch auf eine blosse Namenerklärung
hinweist, ist eine derartige Glausel entbehrlich. Vgl. unten § 86 und
§ 94. Uebrigens ist die grammatische Frage, welchen Sinn ein im In-
dicativ ausgesprochener Satz von kategorischer Form habe, von. der
logischen Frage nach dem Sinne des kategorischen Urtheils wohl zu
unterscheiden. Mit (formell oder auch nur sachlich) negativen Urthei-
len solcher Art, dass dadurch der Subjectsbegriff selbst aufgehoben
wird (z. B.: eine schlechthin grössteZahl ist unmöglich), dürfen weder
die affirmirten ürtheile, noch auch solche negative Urtheile, die nur
ein bestimmtes Prädicat dem Subjecte absprechen (wie: dieser Ange-
klagte ist nicht schuldig) auf Eine Linie gestellt werden. Für Urtheile,
die das Subject selbst aufheben, wäre der genauere Ausdruck die
Negation der objectiven Gültigkeit der betreffenden Vorstellungen und
Worte (z. B. das Wort Zauberei ist ein leerer Schall), oder eine sprach-
liche Wendung, wie: es giebt nicht eine schlechthin grössteZahl. Weil
in dem kategorisch ausgedrückten Satze der Begel nach (mit der an-
gegebenen Einschränkung) die Voraussetzung der Bealität des Subjeots
bereits li^^ so würde die Setzung des blossen Seins als Prädicates in
der Begel eine Tautologie involviren; diese Setzung kann nur in aus-
drücklichem Gegensatz zu einer Anzweiflung oder Verneinung der
Existenz des Subjectes eintreten (wie wenn gesagt wird: Gott ist, die
Seele existirt), ist aber dann eine künstliche, dem allgemeinen Sprach-
gebrauche sich fast entfremdende Form ; das natürliche Sprachbewusst-
sein zieht, falls die Existenz behauptet werden soll, andere Formen vor
wie z. B. es (s. v. a. etwas) ist ein GK>tt, es g^ebt einen Gott, wo die
unbestimmt vorgestellte Totalität des Seienden oder ein unbestimmter
Theil derselben als Subject eintritt (gleich wie auch in den Sätzen: es
regnet, es schneit etc.), oder man sagt von dem bestimmten Subjecte
das Etwassein (sunt aliquid Manes), oder das Dasein, das Eintreten in
unsere Nähe, in den Baum unseres Beobachtungsfeldes aus, also mehr,
als das blosse Sein überhaupt, weil dieses eben durch die Aufstellung
des Subjectes selbst implicite bereits gesetzt ist.
Neuerdings hat Sigwart, Logik Bd. 1. § 86. 9 u. 10. S. 248 u. ff.
den vielverhandelten Streit über das Verhältniss des hypothetischen und
kategorischen Urtheils folgendermassen für erledigt erklärt: »Alle un-
bedingt allgemein kategorischen Urtheile sind völlig gleichbedeutend
206 § 68. Die Kategorien der Relation im Eantischen Sinne.
mit hypothetischen, weil sie gar nichts anderes aussagen, als die noth-
wendige Zusammengehörigkeit des Pradicats mit dem Subject, wonach
aus der Pradicirung eines Einzelnen mit dem Subject die mit dem
Prädicat nothwendig folgt; und sofern dem »Allee die Zweideutigkeit
anhaftet, bald ein empirisches, bald ein unbedingt allgemeines Urtheil
einzuführen, ist die hypothetische Form der strengere und adäquatere
Ausdruck. Alle Urtheile dagegen, in welchen bestimmten einzelnen
Subjecten bestimmte Pradicate zugewiesen worden, widerstehen selbst-
verständlich der Verwandlung in die hypothetische Form; andererseits
greift die Bedeutung und Anwendbarkeit des hypothetischen ürtheils
über Dasjenige hinaus, was in kategorischer Form ohne Zwang ausge-
sprochen werden kann. — 10. Anders, wenn von einem unbestimmt be-
zeichneten Subject veränderliche Eigenschaften, Thatigkeiten, Relatio-
nen im Vordersätze ausgesagt werden. Wenn Wasser unter 0 Grad
erkältet wird, wird es fest u. s. f. Da es sich hier ebenso um wieder-
holte Fälle an demselben Subject, wie um Falle an verschiedenen
Subjecten handeln kann, so ist der Ausdruck in einem allgemein ka-
tegorischen Ürtheil inadäquat; soll die Nothwendigkeit durch die un-
bedingte Allgemeinheit ausgedrückt werden, so bieten sich die allge-
meinen Relativsätze Jedesmal wenn, so oft als; und es geht daraus
hervor, dass jetzt auch dem hypothetischen ürtheil eine Zeitbeziehung
anhaftet, da Veränderliches nur in einer bestimmten Zeit eintreten
kann, und die Gültigkeit des Vordersatzes zu einer bestimmten Zeit
auch der Gültigkeit des Nachsatzes eine bestimmte Zeit anweist — die-
selbe oder eine unmittelbar folgende oder vorangehende. Diese Urtheile
sind es, die der Natur der Sache nach auf Causalitätsverhältnissen ruhen,
denn nur durch Causalzusammenhang kann der Eintritt der Verän-
derung eines Dinges den Eintritt einer zweiten Veränderung desselben
oder eines andern Dinges nach sich ziehen.« — Zu dieser Auffassung
Sigwart's scheinen die kritischen Gegenbemerkungen Bergmann 's,
Allgem. Logik Th. 1. S. 208 nicht zu passen, wie dies auch S ig wart
in s. Art. 2. Logische Fragen in d. Vierteljahrsschr. f. wissensch. Philos.
Bd. 6. 1881. S. 109 gezeigt hat.
Eigenthtimliche Ansichten über das hypothetische ürtheil hat.
Wundt in s. Logik Bd. 1. Abschn. 8. Cap. 2. 8. IV. S. 179 u. ff. ent^
wickelt. Die grammatische Aussenseite der Abhangigkeitsurtheile, dass
sie sich in zwei oder mehreren mit einainder verbundenen UrtheÜen glie-
dern, sieht Wundt zwar als höchst charakteristisch für dieselben an,
aber doch nur als eine Folge ihres logischen Wesens. Er verwirft es
daher, mit Rücksicht auf diesen Umstand etwa alle Urtheile in einfache
und zusammengesetzte einzutheilen. Das Abhängigkeitsurtheil in sei-
ner gewöhnlichen Form zerfalle wie jedes Urtheil in zwei Hauptglieder,
aber diese Glieder seien nicht einfache oder zusammengesetzte Begriffe,
sondern Unterurtheile, deren jedes ein Begriffsverhältniss ausdrücke,
und deren eines in der ganzen Abhängigkeitsbeziehung als das bestim-
mende, das andere als das bestimmte auftrete. Der Beziehungsausdmck,
welcher die Art der Abhängigkeit bestimme, sei bei dem in zwei Unter-
§ 69. Die Qualität und die Modalität der Urtheile. 207
artheilen zerfallenden Abhängigkeitaurtheil stets eine Conjunction. In
Bezug anf die Art der Abhängigkeit, welche Conjunotionen ausdrücken
könnten, zerfielen dieselben in die nämlichen drei Classen, wie die zum
Ausdruck äusserer Beziehungsformen gebrauchten Präpositionen: sie
seien localer, temporaler und traditionaler Natur. Nach diesen drei
Formen der Beziehung (des Raumes, der Zeit, der Bedingung) sollen
drei Hauptformen des Abhängigkeitsurtheils zu unterscheiden sein:
1. Das Urtheil der Raumbeziehung: >Wo die Alpenflora beginnt, da
gedeihen keine Waldbäume mehre. — 2. Das Urtheil der Zeitbeziehung:
»Sobald der Frühling anfängt, kommen die Schwalben c. — 8. Das Ur-
theil der Bedingung, a) Das Begründungsurtheil : »Wenn Dreiecke
gleiche Hohe und gleiche Grundlinie haben, so haben sie gleichen
Flächeninhalt«; »weil der Weltraum von einem materiellen Medium
erfüllt ist, so kann sich das Licht fortpflanzen zwischen den Gestirnen«.
Das erste Beispiel enthält die allgemeinere Beziehung des logischen
Grundes, das zweite die speciellere der Gausalität; das Causalitäts-
urtheil kann aber, insofern wir die Sache dem Grunde unterordnen,
als eine speoielle Form des Begründungsurtheils angesehen werden. ~
b) Das Beschaffenheitsurtheil : »wie der Herr, so der Diener«. — c) Das
Zweckurtheil : »wozu wir bestimmt sind, ist unbekannt«. — d) Das
Urtheil des Hülfsmittels: »er weiss nicht, womit er sich Anerkennung
erwerben soll«.
§ 69. Die Art der Beziehung der VorstellaDgsverbiBdaDg
auf die Wirklichkeit begründet die Eintheilnng der
Urtheile naeh der Qualität nnd nach der Modalität.
In dem Urtheil muss, seiner Definition gemäss, zum Bewusst-
sein kommen, ob die Vorstellnngsverbindung der Wirklichkeit
entspreche. Auf dem Ausfall der Entscheidung beruht die
Qualität, auf dem Orade und der Art der Oewissheit derselben
diß Modalität des Urtheils. Der Qualität nach ist das
Urtheil bejahend o.der verneinend. Der Begriff der B ej ahu n g
ist da& Bewusstsein der Uebereinstimmung der Vorstellungs-
oombination mit der Wirklichkeit, der Begriff der Vernei-
nung das Bewusstsein der Abweichung der Vorstellungs-
combination von der Wirklichkeit. Der Modalität nach ist
das Urtheil problematisch oder assertorisch oder apodiktisch.
Der problematische Charakter liegt in der Ungewissheit
der Entscheidung tlber die Uebereinstimmung der Vorstellungs-
combination mit der Wirklichkeit, der assertorische
Charakter in der unmittelbaren (auf eigene oder fremde Wahr-
nehmung gegründeten) Gewissheit, der apodiktische Cha-
208 § 69. Die Qualit'at und Modalitftt der ürtheile.
rakter in der vermittelten (auf Beweis^ aTtodei^igj gegründeten)
Gewissheit.
(Den sprachlichen Ansdrack der Yemeinnng bilden
die Verneinungspartikeln, den der Modalität die Modi des
Verbs und die entsprechenden Partikeln, z. B. vielleicht, ge-
wiss etc., welche sämmtlich zur Copula, nicht zum PiiUlicate,
gehören.)
Aristoteles theilt (de inierpr. c. 6 — 6) das einfache Urtheil
{anofpavats) in Bejahung (xaratpaais) und Verneinung (anotpaats)
ein; in der Bejahung werde ein Zusammensein, in der Verneinung ein
Auseinandersein ausgesagt {xaTatpaalg iaxtv an6(pavoCs nvoi xard nvog^
anotpaaig (ti icnv anoiftxvais uvos uno rivos). Sowohl in die Bejahung,
als auch in die Verneinung kann ein negativer Subjectsbegriff {ovofta
aoQunoy) oder auch ein negativer Prädicatsbegriff (^^f^a aoQiaTov) ein-
gehen (de interpr. o. 10). Die Negation, wodurch nicht ein einzelner
Begriff im Urtheil, sondern dieses selbst negativ wird, gehört demnach
der Copula zu. So stellten auch die Scholastiker den Kanon auf: in
propositione negativa negatio afficere debet copulam. Auch Wolff
unterscheidet mit Recht nur zwei Classen: das affirmative und negative
Urtheil, und lehrt, dass wenn nicht die Copula, sondern. das Subject
oder das Prädicat mit einer Negation behaftet sei, das Urtheil negativ
zu sein scheine, aber nicht sei. Er nennt solche Ürtheile propositiones
infinites (ungenau statt: mit notiones infin. behaftet) und so redet auch
Reimarus (Vemunftl. § 151) von »propositiones infiinitae ex parte
subiecti vel praedicatic. Kant (Krit. der r. Vem. § 9 — 11; Prolegom-
§21; Log. § 22) theilt die Ürtheile nach der Qualität in affirmative,
negative und limitative oder unendliche, gemäss den drei Kategorien
der Qualität: Realität, Negation und Limitation ; unter dem limitativen
oder unendlichen Urtheil versteht er ein solches, in welchem die Nega-
tion nicht mit der Copula, sondern mit dem Prädicate verbunden ist.
(Die Ürtheile mit negativem Subjecte lässt Kant unbeachtet.) Ürtheile
jener Art gehören aber vielmehr theils zu den affirmativen, theils zu
den negativen, jenachdem die Verbindung des Subjects mit dem nega-
tiven Prftdicate bejaht oder verneint wird. Zu der Dreitheilung hat
sich Kant durch die Vorliebe für die schematische Regelmassigkeit
seiner Kategorientafel verleiten lassen. — Die £intheilung der Ürtheile
aus dem Gesichtspunkte der Modalität in assertorische, apodiktische
und problematische hat sich aus der Aristotelischen Eintheilung her-
vorgebildet (Anal. pr. I, 2. 26 a. 1): naaa nQoraaCs iariv tj tov vna^
XHv 7f TOV i^ avayxris widg/eiv rj rov Mix^a^ai. vjid^x^ip. Doch geht
diese Aristotelische Stelle vielmehr auf die analogen objectiven Ver-
hältnisse, als auf den subjectiven Gewissheitsgrad. Der Zusatz Swmov,
M^xofiBvov^ i^ ävdyxrig, jedoch auch eine adverbiale Bestimmung wie
ta^itog in dem Satze ^ ailrpfti rax^tog anoxtt&tataraif heisst bei Ammo-
nius TQonos (zu n€Ql igfi, Cap. 12) und bei Boethius modus. Kant
§ 69. Die Qualität und Modalii&t der ürtheile. 209
(Kritik der r. Yem. § 9—11 ; Prolegom. g 21, Log. § 80) grimdet die
Eintheilung nach der Modalität auf die modalen Kategorien:
Möglichkeit und Unmöglichkeit, Dasein und Nichtsein, Nothwendigkeit
und Zufälligkeit, wobei jedoch die Zusammenstellung der Unmöglich-
keit, die eine neg^ative J^othwendigkeit ist, mit der Möglichkeit, und
ebenso der Zufälligkeit, die das nicht als nothwendig erkannte Dasein
bezeichnet, mit der Nothwendigkeit eine Ungenauigkeit enthält: die
Erkenntniss der Unmöglichkeit ist nicht ein problematisches, sondern
ein (negatiT-) apodiktisches Urtheil (was Kant in der Anwendung selbst
anerkennt, indem er z. B. Krit. der r. Y. S. 191 die Formel: es ist
unmöglich etc. als Ausdruck einer apodiktischen Gewissheit be-
trachtet), und die Erkenntniss des Zufälligen ist nicht ein apodik-
tisches, sondern ein assertorisches Urtheil. Ausserdem aber hat Kant
das subjectiye und objective Element in den Kategorien der Qualität
und Modalität nicht bestimmt genug unterschieden.
Das Yerhältniss des subjectiven und objectiven Ele-
mentes im Urtheilsacte ist bei der Qualität und Modalität ein anderes,
ab bei der Relation. Die Kategorien der Kelation sind Begriffe von
Existenzformen und zwar von Yerhältnissen zwischen objectiven Einzel-
eadstenzen, die in den entsprechenden Urtheilsverhältnissen ihr Abbild
finden; die Qualität und Modalität dagegen gehen auf die verschiedenen
Yerhältnisse, die zwischen der Yorstellungscombination und der Wirk-
lichkeit statthaben können, aber nicht zu Existenzverhältnissen umge-
deutet werden dürfen. Das Nichtsein existirt nicht als eine Form dessen,
was ist. Was in einem negativen Urtheil, welches wahr ist, gedacht
wird, gehört der objectiven Bealität nicht an. Es findet nur insofern,
als das subjective Bild dem objectiven Bestände nicht entspricht, auf
die Sache der Begriff des Nichtsoseins oder Nichtdiesseins, und auf das,
was als seiend vorgestellt wird, ohne wirklich zu sein, der Begriff des
Nichtseins Anwendung. In diesem Sinne sagt Aristoteles mit Becht:
av yoQ ioTi t6 ipsv^os xal t6 äXrid'h fv rotg ngay/naatv aW iv r j[ ^lavoitf,
— i} avfinloxri iari xal 17 6ia{Q€ais iv dtavoCq^ älV ovx (y Toig TtQciyfiaatv
(Metaph. Y, 4. 1027 a. 25 u. 30). Ygl. Trendelenburg, Log. Unters. I,
S. 31, 2. u. 3. A. I, S. 44: >die logische Negation wurzelt dergestalt
in dem Denken allein, dass si6 sich rein und ohne Träger nirgends in
der Natur finden kannc; U, S. 91, 2. A. II, S. 148, 3. A. S. 169: »die
reine Yemeinung findet sich nirgends ausser im Denken, c Dagegen ist
es nicht ganz zu billigen, wenn Aristoteles (Metaph. YUI, 10. 1061 a.
34) doch auch wiederum für die Negation eine Existenzform als Correlat
sucht und meint, es entspreche ihr die Trennung in den Dingen. Die
Trennung als reales Geschehen (und auch das Getrenntsein als realer
Zustand) ist vielmehr in einem positiven Urtheil auszusprechen, und
wo ein negatives Urtheil Gültigkeit hat, braucht darum keine Tren-
nung in den Dingen stattzufinden. (Die Winkelsumme eines ebenen
geradlinigen Dreiecks ist nicht grösser und ist nicht kleiner, als zwei
rechte Winkel, die Diagonale des Quadrats ist nicht der Seite oommen-
surabel; aber jene trennt sich darum doch nicht in Wirklichkeit von
14
210 § 69. Die Qualität und Modalität der ürtbeile.
einer Summe, die grösser oder kleiner als zwei rechte Winkel wäre,
diese nicht von der Commensurabilität.) In der Wirklichkeit giebt es
wohl positive Opposition oder Streit zwischen conträren Gegensätzen,
aber nur insofern Negationen und Analoga von Negationen, als es darin
Vorstellungen und Analoga von Vorstellungen giebt, jenes nämlich,
sofern psychische Wesen, die selbst vorstellen und denken, den Gegen-
stand unserer Vorstellungen und Urtheile bilden, Analoga aber von
Vorstellungen und Negationen, sofern die Tendenzen, Bewegungen und
Triebe, die auch den unbeseelten Wesen innewohnen, gleichsam ein
Bild dessen, was werden spll,. in sich tragen, und dieses Bild in Folge
von Gegenwirkungen nicht zur Verwirklichung gelangt (z. B. bei der
gehemmten Bewegung, bei der geknickten Blume). In solchen Fällen
kommt das Bild mit der äusseren Wirklichkeit in einen objectiven
Vergleich und wird nicht nur von uns in einen Vergleich mit dersel-
ben gestellt. Das verneinende ürtheil setzt voraus, wenn die Bildung
desselben nicht ein Spiel der Willkür sein soll, dass die Frage, auf
welche es als Antwort betrachtet werden kann, nicht absurd sei, dass
sich also irgend ein Motiv zur Bejahung denken lasse, und in der Kegel,
dass wenigstens der Gattungsbegriff, unter den der fragliche Piudicats-
begriff fällt, dem Subjecte als Prädicat zukomme ; es wird da am natur-
gemässesten sein, wo unsere Vorstellnngscombination durch eine objec-
tive Tendenz begründet war» die in Folge realer Hemmungen nicht
zur Erfüllung gelangt; aber es ist nicht auf diesen Einen Fall be-
schränkt. — Das Analoge gilt auch von der Modalität. Die Moda-
lität, auf welcher der unterschied des problematischen, assertorischen
und apodiktischen Urtheils beruht, existirt nur in der Beziehung un-
serer Vorstellungscombinationen zu dem Sein. Entweder beruht unsere
Entscheidung für die Bejahung oder Verneinung auf der Wahrnehmung
und dem die eigene Wahrnehmung ersetzenden zuverlässigen Zeugniss,
oder auf einer Ableitung aus anderen Urtheilen ; in dem ersteren Falle
urtheilen wir assertorisch; in dem letzteren aber kennen wir ent-
weder die Gesammtheit der Momente, auf welche die Entscheidung sich
gründen muss, was uns zu einem apodiktischen Urtheil in den Stand
setzt, oder nur einen Theil derselben, wo wir dann nur ein proble-
matisches ürtheil gewinnen können. Es lässt sich allerdings die
»Möglichkeit« als etwas Objectives von der subjectiven Üngewissheit
sehr bestimmt unterscheiden und sie wird davon auch schon durch den
Sprachgebrauch unterschieden (worauf auch Trendelenburg, Log.
Unters. II, S. 187, 8. A. S. 199 aufmerksam macht). So bezeichnet z. B.
die griechische Sprache durch ^vvaa&ai (fähig sein) das Können, Ver-
mögen, die Möglichkeit im objectiven Sinne, durch tatoi (vielleicht)
oder den Optativ mit av die (subjective) üngewissheit oder den proble-
matischen Charakter des urtheils, während M^x^a^'ku die (objective)
Möglichkeit von Seiten der äusseren Bedingungen und von ihrer nega-
tiven Seite bezeichnet: es geht an, s. v. a.: es verträgt sich mit den
umständen, es führt auf nichts unmögliches und ist daher auch selbst
§ 69. Die Qualität nnd Modalität der ürtheile. 211
nicht nnmöglich, oder nichts hindert, dass es sei*). Die Möglichkeit
im objeciiven Sinne beruht darauf, dass unter den Momenten, von
denen die Verwirklichung abhängt, nicht bloss (subjectiy) durch unser
Wissen um die einen und Nichtwissen um die anderen, sondern auch
(objectiv) durch die Natur der Sache eine wesentliche Scheidung be-
gründet ist. Die Gesammtheit dieser Umstände mmlich oder die Ge-
sammtursache zerlegt sich in der Regel in den (inneren) Grund und
die (äusseren) Bedingungen, wie z. B. die Gtesammtursache des Wachs-
thums einer Pflanze in die organischen Kräfte, die dem Samen inne-
wohnen, als den (inneren) Grund, und die chemischen und physikalischen
Kräfte des Bodens, der Luft und des Liehtes, als die (äusseren) Bedin-
gungen. Wo nun der Grund allein vorhanden ist oder die Bedingungen
allein, da besteht die Möglichkeit, wo beides zusammen, die Nothwen-
digkeit im objeotiven Sinne. In der £ichel liegt in diesem Sinne die
Möglichkeit (oder das Vermögen) der Entstehung eines Eichbaums.
Auch die historische Entwickelung beruht auf dem Fortgange von
einer objeotiven Möglichkeit oder Potenz zur Wirklichkeit. Es ist die
Möglichkeit im objeotiven Sinne, von der z. B. Buhle redet, indem er
(Gesch. der neuem Philosophie seit der Epoche der Wiederherstellung
der Wiss., Bd. n, Gott. 1800, S. 128) die Meinung für irrig erklärt,
dass durch die Ueberkunft gelehrter Griechen nach Italien und durch
ihre litterärische Thätigkeit, besonders durch ihre Lehrvorträge, die
Kenntniss der reinen Platonischen und Aristotelischen Philosophie wie-
der hergestellt sei, und sagt: »nur die Möglichkeit derselben stellten
sie wieder her dadurch, dass sie die Werke des Plato und Aristoteles
mit sich brachten oder in der Originalsprache verstehen lehrten, so
dass über kurz oder lang ein uneingenommener Kopf, der jene studirte,
den Unterschied bemerken konnte, was für eine Philosophie in jenen
eigentlich gelehrt werde und was für eine man daraus gemacht habec.
Ebenso ist nicht das > Vielleicht c (die subjective Ungewissheit), sondern
die Herstellung der Bedingungen, also eine objective Möglichkeit ge-
meint, wenn gesagt wird, die Erfindung der Röhren-Dampfkessel habe
die volle Anwendung der Dampfmaschinen für Eisenbahnen möglich
*) Waitz sagt (ad Arist. Org. I, p. 876), t6 ^wccjov sei das phy-
sisch Mögliche, t6 Mexo^ievov das logisch Mögliche, Problematische.
Diese Bestimmung ist hinsichtlich des övvarov richtig, hinsichtlich des
MtX^f*^'^^^ &^^^ ungenau. Dass sie mit dem wirklichen Gebrauche,
zunächst des Aristoteles, nicht ganz harmonire, gesteht Waitz selbst
zu, wenn er meint, dass Aristoteles »saepius alterum cum altero oon-
fnndit«. Unsere obige Bestimmung möchte zutreffender sein. Vgl. Arist.
Anal. pri. I, 13. 82 a. — Das dvvaad^at bezeichnet das Vorhandensein des
inneren Grundes, das Mix^ad^ai^ das Vorhandensein der äusseren Be-
dingungen und das Nichtvorhandensein von Hindernissen. So wird ins-
besondere bei der charakteristischen Zusammenstellung beider Ausdrücke
Metapk. XIH, 2. 1088 b. 19: ro 6k dvvarbv Mfyerai xctl iviQysTv nal
fjjl, nicht eine subjective Ungewissheit, sondern das Vorhandensein oder
Fehlen der Bedingungen der Thätigkeit, zu welcher die Anlage {ßvvafiig)
vorhanden ist, durch ivd^x^a&ai bezeichnet.
212 § 69. Die Qualität und Modalität der ürtheile.
gemacht^ oder wenn wir zu einem Knaben sagen: ich weiss, dass es
dir möglich ist, diese Aufgabe zu lösen, du kannst sie lösen, du hast
dazu die Fähigkeit. In der Annahme, dass die »Möglichkeitc etwas
objeotiv Reales sei, liegt nicht ein Widerspruch, als ob das Nämliche
für bloss möglich und doch auch für wirklich erklärt würde; sondern
das Ereigniss ist bloss möglich, die Möglichkeit desselben aber ist
wirklich, und zwar nicht in unserm Denken, sondern in dem Objeot
unseres Denkens als ein realer Complex von causalen Momenten, der
von den übrigen, deren Hinzutreten das Ereigniss nothwendig macht,
objectiy gesondert ist. Diese Möglichkeit wird aber als solche nicht
in einem problematischen, sondern am gewöhnlichsten in einem asser-
torischen Urtheil vermittelst der Verba: können, fähig sein etc. aus-
gesprochen, so wie die Nothwendigkeit in einem assertorischen Urtheil
vermittelst der Verba: müssen, nothwendig sein etc. (welche dann zum
Prädicat, daher zum Inhalt des ürtheils, und nicht, wie das > vielleicht c
etc. zur Copula und demgemäss zur Urtheilsform gehören) ; erst durch
eine hinzutretende Verflechtung mit der subjectiven Ungewissheit und
Gewissheit entsteht das problematische Urtheil: vielleicht kann es —
vielleicht muss es sein, und das apodiktische Urtheil: es ist erwiesen,
dass es sein kann — sein muss. Wie das verneinende Urtheil da am
naturgemässesten ist, wo es sich auf eine objective Negation in dem
oben angegebenen Sinne gründet, aber doch keineswegs an dieses Ver-
hältniss allein gebunden ist : so ist auch das problematische Urtheil da
am naturgemässesten, wo sich die subjective Ungewissheit über irgend
ein Ereigniss, eine Eigenschaft etc. auf eine erkannte objective Möglich-
keit gründet, d. h. wo die subjective Scheidung des uns bekannten und
des uns unbekannten (oder auch des von uns in's Auge gefassten und
des, zunächst wenigstens, noch nicht mit in Betracht gezogenen) Theiles
der Gesammtursache mit der objectiven Scheidung des Grundes und der
Bedingungen gerade zusammentrifft (überall, wo wir assertorisch wissen,
dass das Ereigniss eintreten kann oder objective Möglichkeit hat, dürfen
wir über das Ereigniss selbst das problematische Urtheil aussprechen,
dass es vielleicht eintreten werde); aber die Anwendung des proble-
matischen Urtheils überhaupt ist keineswegs auf dieses Eine Verhältniss
beschränkt, sondern tritt überall da ein, wo wir irgend einen Grund
der Wahrscheinlichkeit haben und kein absolutes Hindemiss, d. h. keine
Ursache der Unmöglichkeit kennen. Ebenso ist das apodiktische Urtheil
da am vollkommensten und gewährt dem nach Erkenntniss strebenden
Geiste die höchste Befriedigung, wo es auf der Einsicht in die reale
Genesis aus dem inneren Grunde und den äusseren Bedingungen beruht
(überall, wo wir das Vorhandensein dieser objectiven Nothwendigkeit
eines Ereignisses kennen, dürfen wir auch die subjective Gewissheit, dass
dasselbe eintreten werde, in einem apodiktischen Urtheil aussprechen);
aber die Anwendung des apodiktischen Urtheils überhaupt geht doch
auch wiederum über dieses Eine Verhältniss hinaus und umfasst alle
vermittelte subjective Gewissheit, auch wenn dieselbe auf anderem Wege
(z. B. durch einen indirecten Beweis) gewonnen worden ist.
§ 69. Die Qaalität und Modalität der ürtheile. 213
An dieser Ansicht des Yerf. dieses Buches hat neuerdings Lange
in 8. logischen Stadien. 1877. Cap. IL Die Modalität der ürtheile, eine
Berichtigung yomehmen zu müssen gemeint. Schon Lorenzo Yalla
und Ludw. Yives — bemerkt derselbe — hätten die aristotel. scholas-
tische Lehre von der Modalität der Ürtheile gänzlich verworfen, indem
sie behaupteten, dass die Ausdrücke der Möglichkeit oder Nothwendig-
kdt eines Seins oder Geschehens kein anderes logisches Yerhältniss be-
gründen, als beliebige andere Ausdrücke, von denen man das Sein ab-
hängig mache, oder durch die man es näher bestimmen könne. Beide
Männer hätten darin gefehlt, dass sie den Zusammenhang dieser Lehre
mit der aristotelischen Metaphysik nicht beachteten; denn nur diese
habe den Schlüssel dazu, warum gerade Möglichkeit, Stattfinden und
nothwendig Stattfinden bei Aristoteles eine solche Rolle spielen.
Dem Aristoteles habe die Möglichkeit nur Sinn als die unvollkommene
Yorstufe des Wirklichen. Sie sei für sich betrachtet nichts; nur in
ihrer Beziehung zum vollendeten Dinge habe sie überhaupt eine Be-
deutung. Es gebe da keine Summe von Naturkräften, von welchen
ein Theil vorhanden sei, ein anderer Theil fehle. Was der Möglichkeit
fehle, sei nichts als reine Unbestimmtheit und Unfertigkeit. Der in
den Dingen sich verwirklichende Begriff habe die Materie noch nicht
durchdrungen; daher die blosse Möglichkeit. Ganz anders unsere mo-
derne Anschauung 1 Es sei uns auch ganz geläufig, eine neue Erschei-
nung auf eine Summe von Bedingungen zurückzuführen, deren voll-
ständiges Zusammentreffen das Ergebniss mit Nothwendigkeit herbei-
führe, während das theilweise Yorhandensein nur eine gewisse Wahr-
scheinlichkeit des Ereignisses mit sich bringe. Diese ganze Betrach-
tungsweise stütze sich aber, bewusst oder unbewusst, schon auf die
moderne naturwissenschaftliche Weltanschauung, welche jedes Ereig-
niss aus dem Zusammenwirken unabänderlicher und unabhängig für
sich bestehender Naturkräfte hervorgehen lasse, uns d. h. Denjenigen,
welche an der unbedingten Herrschaft der Causalität und der Noth-
wendigkeit alles Geschehens festhielten, liege daher ob, die Begriffe
Möglichkeit und Nothwendigkeit so zu analysiren, dass sie vollständig
auf Functionen assertorischer ürtheile zurückgeführt würden.
Das assertorische ürtheil aber könne nicht aufgefasst werden als Aus-
druck einer beliebigen, grundlosen Behauptung, da die Logik mit
solchen Behauptungen nichts zu schaffen habe. Es sei der natürliche
Ausdruck des Wirklichen, der Thatsache, und es habe daher seine vor-
züglichste und eigentliche Bedeutung als Ausdruck der unmittelbaren
Wahrnehmung; demnächst als Ausdruck der als sicher angenommenen
UeberHeferung oder der inductiven Zusammenfassung mehrerer £r-
iahrungen in einem allgemeinen Satze. — Auf alle Fälle sei der asser-
torische Ausdruck der Ausdruck der grössten Gewissheit, welche wir
haben; denn auf der unbedingten Gültigkeit der einzelnen sinnlichen
Wahrnehmung — sofern nur die Wahrnehmung nicht mit ihrer Deu-
tung verwechselt werde — beruhe ja schliesslich der ganze Bau der
Erkenntniss. Wenn aber dies feststehe, so könne man auch nicht
214 § 69. Die Qualität and Modalitat der ürtheile.
länger die scholastische Lehre von der höheren Gewissheit des apo-
diktischen Urtheils aufrecht erhalten.
In einer beachtenswerthen (obsohon in dem Neuen oft irrenden
und manches Eichtige irrigerweise für neu haltenden) Monographie von
Gust. Knauer (Conträr und Gontradictorisch» nebst convergirenden
Lehrstücken, festgestellt und Kant's Eategorientafel berichtigt, Halle
1868) wird die Affirmation und Negation auf die Modalität bezogen,
mit der sie in der That unter den nämlichen Gesichtspunkt fällt, indem
es sich dabei nicht, wie bei der Belation, um verschiedene sich im
Urtheil wiederspiegelnde objective Verhältnisse, sondern um verschie-
dene Verhältnisse des Subjectivön zum Objectiven handelt. Hiemach
nennt Knauer die Verneinung im negativen Urtheil »modale Negationc
und unterscheidet von ihr die »qualitative Negative c, welche auf dem
Gegensatze — nicht der Realität und Negation, sondern des Positiven
und des demselben conträr entgegengesetzten Negativen beruhe (wie
lasterhaft zu tugendhaft, schwarz zu weiss den conträren Gegensatz
oder die »qualitative Negative c ausmacht). Diese Unterscheidung kommt
mit der Trendelenburg'schen zwischen »logischer Negation« und »realer
Opposition« überein. In entsprechender Weise will Knauer unter dem
»limitirten Urtheil« ein solches verstehen, in welchem das Prädioat
mit einer einschränkenden Bestimmung behaftet sei, die entweder durch
einen anschaulichen Beisatz (wie in: hellroth, dunkelroth, halbrichtig)
oder auch durch ein blosses nicht, welches aber als »qualitativer«
Zusatz zum Prädioat von dem der Gopula beigefügten »modalisohen
nicht« wohl zu unterscheiden sei, ausgedrückt werden könne. Knaner
hat hiebei aber übersehen, dass es sich bei der logischen Eintheilung
der Ürtheile um Unterschiede huidelt, welche die Form des Urtheils
als solche betreffen und nicht die Form irgend welcher von den in
das Urtheil eingehenden Begriffen (vgL oben § 53). Ob das Prädioat
eines Urtheils Mensch oder Unmensch, Thier oder Unthier, ob es roth
oder hellroth etc. lautet, das macht nur für die Form der betreffenden
Begriffe und für den Inhalt des Urtheils, aber nicht für die Form des
Urtheils einen Unterschied. Demgemäss widerstreitet die von Knauer
versuchte Rectification der Kantischen Kategorientafel, die Ersetzung
von Realität und Negation durch das Positive und Negative, dem obersten
Gesichtspunkte derselben, wonach die Kategorien die verschiedenen Ur-
theilsfunctionen bedingen sollen. Allerdings können Realität und Ne-
gation nicht gleich der Substantialität und den übrigen Kategorien der
Relation als Formen der Wirklichkeit gelten, sondern bezeichnen nur
ein Verhältniss zwischen unserm Denken und der Wirklichkeit aber
dies rechtfertigt nur den Tadel der Kantischen Kategorienlehre,
nicht den Knauer'sohen Verbesserungsvorsdüag. Richtig ist dagegen
der Satz Knauer's (in weldiem er »den Meister von Stagira als seinen
Bundesgenossen« anerkennt, der aber auch nicht einmal in dem Sinne
eine »neue Lehre« ist, dass er nach Aristoteles verloren gegangen und
erst von Knauer wieder an's Licht gezogen wäre), dass nur zwischen
Affirmation und Negation des Nämlichen und nicht zwischen Urtbeilen
§ 70. Die Quantität. 215
mit oonträr einander entgegengesetzten Prädicaten nothwendig Wider-
spruch bestehe, s. unten §§ 77 — 80.
§ 70. Nach der Quantität, d. h. nach der Ausdehnung,
in welcher dem Umfange des Sabjectsbegriffs das Prädicat
zuerkannt oder abgesprochen wird, pflegt man die Urtheile
in allgemeine, besondere und Einzelurtheile (univer-
sale, particulare und singulare Urtheile) einzutheilen.
Doch lassen sich die Urtheile der letzten Glasse unter die
beiden anderen Glassen subsumiren, und zwar unter die
erste, wenn das Subject ein bestimmtes und individuell be-
zeichnetes, unter die zweite, wenn das Subject ein unbestimm-
tes und nur durch einen allgemeinen Begriff bezeichnetes ist,
weil nämlich im ersten Falle das Prädicat der ganzen Sphäre
des Subjectsbegriffs (die sich hier auf ein Individuum redu-
cirt), im anderen Falle aber nur einem unbestimmten Theile
der Sphäre des Subjectsbegriffs zu- oder abgesprochen wird.
Aristoteles unterscheidet das allgemeine, particulare und un-
bestimmte Urtheil: TrQoraaig — ij tm&oIov i) iv fjiiQHfj a^io^atog {Anal.
pri. I, 1. 24 a. 17). Das der Quantität nach unbestimmte Urtheil,
welches von Aristoteles dem allgemeinen und particularen beigeordnet
wird, ist jedoch nicht eigentlich eine dritte Art, sondern ein unvoll-
endetes oder auch nur sprachlich unvollkommen ausgedrücktes Urtheil. —
Kant erkennt drei Classen an: singulare, particulare oder plurative,
und universale Urtheile, und führt dieselben auf die drei Kategorien
der Quantität: Einheit, Vielheit und Allheit zurück. (Doch betreffen
diese »Kategorien« nur die Existenz der Dinge in Glassen, welche
auf wesentlicher Gleichartigkeit der zu ihnen gehörenden Individuen
beruhen, also ein Verhältniss, das bereits bei der Begriffsbildung in
Betracht kommt und nicht erst als Grundlage der Urtheilsbildung. her-
vortritt. Quantitätsunterschiede bestehen nur bei der Zusammfassung
mehrerer Urtheile zu einem, welche durch die Subsumtion ihrer Sub-
jecte unter den nämlichen Begriff möglich wird.) Kant lehrt, die sin-
golaren Urtheile seien der logischen Form nach im Gebrauche den
allgemeinen gleich zu schätzen (Kritik der r. Vem. § 9—11; Prolego-
mena, § 20; Logik, § 21). Herbart sagt genauer, nur bei einem be-
stimmten Subjecte seien die Einzelurtheile den allgemeinen gleich zu
achten; wenn aber vermittelst des unbestimmten Artikels die Bedeu-
tung eines allgemeinen Ausdrucks auf irgend ein nicht näher bezeich-
netes Individuum beschränkt werde, so seien derartige Urtheile viel-
mehr zu den particularen zu rechnen (Lehrbuch zur Einl. in die Phil.
§ 62). Diese Weise der Reduction bewährt sich auch als die richtige
theils an sich selbst, weil es für die Urtheilsform als solche nicht
auf die Einzahl und Mehrzahl und überhaupt nicht auf die absolute
Zahl der Individuen ankommt, sondern auf das Verhältniss dieser Zahl
216 § 71. Gombination der Eintheilungen nach Qualität und Quantität.
zu der Zahl der unter den Subjectsbegriff fallenden Individuen über-
haupt, theils in der Anwendung auf die Formen des Sohlusses (vgl. u.
§ 107). — Das Subject des particularen ürtheils ist irgend ein Theil
der Sphäre des Subjectsbegrififs, also mindestens irgend ein ein-
zelnes der unter diesen Begri£f fallenden Individuen; die Grenze nach
oben hin kann sich bis zur Congruenz mit der Gesammtheit
erweitem, so dass das particulare Urtheil die Möglichkeit
des universalen nicht ausschliesst, sondern mitnmfasst.
Die Regel, dass das in Hinsicht der Quantität unbezeichnete
ürtheil, wenn es bejahe, allgemein sei, wenn es verneine, partioular,
ist mehr grammatisch, als logisch, und g^ilt nicht unbedingt.
Sigwart Logik Bd. 1. Th. 1. Abschn. 5. § 26. S. 167 vereinigt
als plurale ürtheile alle solche, welche in einem Satze von einer
Mehrzahl von Subjecten ein Prädicat aussagen und unterscheidet dann
unter diesen copulative Ürtheile (»wenn einfache ürtheile dasselbe
Prädicat an einer Reihe von Subjecten wiederholen, und der ürtheilende
dem Bewusstsein dieser Uebereinstimmung dadurch Ausdruck giebt,
dass er sprachlich die Prädicirung in einem Act in Beziehung auf eine
Mehrheit vollzieht, entstehen zunächst die ürtheile von der Form A
und B und G sind Sc) von dem pluralen ürtheil im engeren Sinne,
das dann entsteht, wenn A und B und G unter dieselbe Benennung
N fallen, welche sie als mehrere N zu zählen erlaubt oder auffordert,
und nach § 28. S. 177 soll >das sogen, particulare Urtheil, als dessen
allgem. Formel Einige A sind B angegeben wird, als empirisches ür-
theil über einzelne Dinge nur dann von dem rein pluralen verschieden
sein, wenn es dazu bestimmt ist, entweder dem allgemeinen g^enüber
eine Ausnahme zu oonstatiren oder ein allgemeines ürtheil vorau-
bereiten.« unter den pluralen ürtheilen werden weiter positive und
verneinende unterschieden und wird dabei die gegen plurale ürtheile
gerichtete Verneinung zur Sprache gebracht. — Auch Wundt's Logik
Abschn. 3. Gap. 2. 1. c. S. 157 unterscheidet als zwei Fälle des Mehrheits-
ürtheils das ürtheil mit mehreren Subjecten und das ürtheil mit
einem Mehrheitssubjeot. »Die Mehrheitsurtheile unterscheiden sich
von den Einzelurtheilen dadurch, dass sie zum Subject entweder eine
Mehrheit einzelner Begriffe oder den Begriff einer Mehrheit einzelner
(Gegenstände des Denkens haben, c
§ 71. Durch Gombination derEintheilnngen der
Ürtheile nach der Qualität und Quantität werden vier
Arten von Ürtheilen gefunden:
1. allgemein bejahende von der Form: alle S sind P;
2. allgemein verneinende von der Form: kein S ist P;
3. particular bejahende von der Form: ein oder einige
:S sind P;
4. particular verneinende von der Form : ein oder einige
S sind nicht P;
§ 71. Gombination der Eintheilungen nach Qualität and Quantität. 217
Die Logiker pfl^en dieselben der Reibe nach durch die
Buchstaben a, e, i, o zu bezeichnen (wobei a und i aus af-
firmOy e und o aus nego entnommen sind). Von den einzel-
nen Terminis ist, wie sich aus der Sphärenvergleichung er-
giebt, das Subject in jedem universalen Urtheil allgemein,
in jedem particularen particnlar gesetzt, das Prädicat aber
in jedem bejahenden Urtheil particular oder doch nur zufälli-
gerweise allgemein, da nach der Form des Urtheils sowohl
bei a als bei i seine Sphäre auch theilweise ausserhalb der
des Subjectes liegen kann, in jedem Temeinenden dagegen
universal, weil sowohl bei e die Gesammtheit der S, als auch
bei 0 der betreffende Theil der S immer von allen P, also
von der ganzen Sphäre des Prädicates getrennt gedacht wer-
den muss.
Die ürtheile von der Form a (S a P: alle S sind P) lassen sich
schematisch dnrch Gombination folgender zwei Figuren darstellen:
a, 1.
a, 2.
Für ürtheile von der Form e (S e P: kein S ist P) ist das
Schema folgendes:
e.
Die Ürtheile von der Form 1 (S i P: mindestens ein Theil von
S ist P) fordern die Gombination folgender vier Figuren (wovon 1
und 2 der Form i eigenthümlich sind, 8 und 4 aber das Schema der
Form a wiederholen):
'■ 00 "
i, 8.
i, 4.
218 § 71. Gombination der Eintheilnsgen nach Qaalit&t and Quantität.
Für Urtheile yon der Form o (S o F: mindestens ein Theil von
S ist nicht P) liegt das Schema in der Gombination folgender drei
Figuren (wovon 1 u. 2 in dieser Bedeutung der Form 0 eigenthüm-
lich sind, 3 aber das Schema der Form e wiederholt):
•> 1. f ^ f j ^ ) *' ^"
0, s.
Wird das Bestimmte durch ausgezogene, das Unbestimmte durch
punktirte Linien bezeichnet, so lässt sich das Symbol für Urtheile von
der Form a auf die Eine Figur bringen:
Das Symbol für Urtheile von der Form i ist unter derselben
Voraussetzung:
N
\
p \
und für Urtheile von der Form 0:
Der Gebrauch dieser Schemata ist keineswegs an diejenige Auf-
fassung des Urtheils gebunden, welche in demselben nur die Subsum-
tion eines niederen Subjectsbegrifils oder einer Snbjeotsvorstellung unter
einen höheren Prädicatsbegriff findet, und welche daher eine Substan-
tivirung des Pradicatsbegriffs auch in den Fällen fordert, wo eine
solche sachlich unangemessen ist. Wenn der Prädioatsbegrifif der eigent-
liche Gattungsbegriff des Subjectes ist, so ist es naturgemäss, ihn
§ 72. Gontradictoriach und oonträr entgegengesetzte Urtheile. 219
gleich diesem snbstantivisoh zu denken, aber nicht, wenn er eine Eigen-
schaft oder Thätigkeit bezeichnet, und dieser letztere Fall braucht
keineswegs um der Sphärenvergleichung willen auf den ersteren redu-
cirt zu werden. Es ist nicht nothwendig (wenn gleich in vielen Fällen
am bequemsten), den Kreis P so zu deuten, dass er die Gegenstände
umfasse, die unter den substantivirten Prädicatsbegriff fallen. Unter
der Sphäre P kann recht wohl auch die Sphäre einer adjectivischen
oder verbalen Vorstellung verstanden werden, d. h. die Gesammtheit
der Fälle, in welchen die entsprechende Eigenschaft oder Thätigkeit
vorkommt, während doch zugleich das S die Sphäre einer substanti-
vischen Vorstellung bezeichnet, d. h. die Gesammtheit der Gegenstände,
denen eine derartige Eigenschaft oder Thätigkeit zukommt; nur wird
unter dieser Voraussetzung das Zusammenfallen der Kreise oder Kreis-
theile nicht als Symbol für die Identität von Objecten, sondern als
Symbol für das Zusammensein des Subsistirenden und des Inhäri-
renden aufgefasst werden müssen. Vgl. unten § 105.
In A, 1 sind alle S nur ein Theil der P, in a, 2 aber sind alle
S auch alle P; in i, 1 sind einige S einige P etc. In der Beachtung
dieser Verhältbisse liegt eine »Quantificirung des Prädicates«,
welche auf Grund von Aeusserungen des Arist. de interpret. 7 und
nach partiellem Vorgange theils der Logique ou l'art de penser,
Par. 1664, theils Beneke's (s. unten zu § 120) von. Hamilton (lec-
tures on logic vol. II, 249 ff.) durchgeführt worden ist. Vgl. über
dieselbe Trendelenburg, Log. ünt., 2. A., ü, S. 304—807, 3. A.,
n, S. 877—341.
Ueber den Gebrauch dieser Schemata als Hülfsmittel der Beweis-
führung für die logischen Lehrsätze, welche die Schlüsse betreffen, s.
unten zu § 85 und § 105 ff.; vgl. oben § 53.
§ 72. Zwei Urtheile, von denen das eine genau das
Nämliche bejaht, was das andere verneint, widersprechen
einander oder sind einander contradictorirch entgegen-
gesetzt (iudicia repngnantia sive contradictorie opposita).
Der Widerspruch (contradictio) ist die Bejahung und Ver-
neinung des Nämlichen. Gonträr oder diametral ein-
ander entgegengesetzt (contrario opposita) sind diejeni-
gen Urtheile, welche in Bezug auf Bejahung und Verneinung
von einander am meisten verschieden sind und gleichsam am
weitesten abstehen. Subconträr pflegen Urtheile genannt
za werden, von denen das eine particular bejaht, das andere,
im Uebrigen mit jenem übereinstimmende, particular verneint.
Subaltern (iudicia subaltema) heissen solche Urtheile, von
denen das eine ein Prädicat auf die ganze Sphäre des Sub-
jectsbegriffs bejahend oder verneinend bezieht, das andere aber
220 § 72. Gontradictorisch und conträr entgegengesetzte ürtheile.
das nämliche Prädicat auf einen nnbestimmten Theil derselben
Sphäre in dem gleichen Sinne bezieht; jenes wird subalter-
nirendes Urtheil (indicium snbalternans), dieses subalternirtes
(indicium sabalternatam) genannt.
AristoteleB definirt (de interpr. c. 6. 17 a. 33): ?ryroj avTt(f>aats
Toiko * xttxafpaaig xal anoipaaig al avrtxU^Bvm. Er unterscheidet das.
7. 17 b. 16 u. 20 den contradictorischen Gegensatz (ttvrnpaxtx^g avrt'
xfia^ai' rj ttVTtx€ifji^Vfj anotfavmg) und den conträren (ivavriios tcvTi-
xsTa&ai' tj IvainCa anotfuevais). In dem Verfaältniss des oontradictori-
schen Gegensatzes stehen zu einander bei gleichem Inhalt die Ürtheile
von den Formen a und o (S a P und S o P), so wie die Ürtheile yon
den Formen e und i (S e P und S i P). In dem Verhältniss des dia-
metralen oder conträren Gegensatzes stehen die ürtheile von den Formen
a und e (S a P und S e P). Das nur scheinbar analoge Verhältniss
zwischen den ürtheilsformen i und o (S i P und S o P) nennt Aristo-
teles (Analyt. pr. II, 15. 68 b. 27) xara r^v X^^iv avTixeTa&at fiovov.
Spätere Logiker nennen solche Ürtheile nQoraaeig vnivavrCag^ iudicia
suboontraria. Aristoteles (de interpr. 10. 19 b. 32—86) stellt die vier
Ürtheilsformen: nag iarXv uv&Qtonog tfixaiog (a), ov rräg iailv av&Qmnog
dCxmog (o), nag (arlv av&Qtanog ov dCxaiog (6), ov nag iarlv cn^&Qfanog
ov dCxmog (i) nach folgendem Schema zusammen:
so dass die Ürtheile a und e, welche nach ihrem inneren Verhältniss
am weitesten von einander abstehen (und ebenso wiederum die Ürtheile
i und o) nach der Diagonale, ^idfifiQog, einander gegenüberliegen. In
dieses Schema lassen sich die sämmtlichen oben erwähnten Urtheils-
verhältnisse in folgender Weise eintragen:
a opposit. contradiot. o
9
"^^sy.
Si^
f(.
»*•
.^J^^'
O^'
x<*
.<v*
öfat
'^Ä
'^:
<9
«8
1 opposit. oontradict. e
Die neueren Logiker pflegen diese Verhältnisse in folgendem Schema
darzustellen (welches sich schon bei Boethius und mit einiger Ver-
schiedenheit in der Terminologie, aber gleicher Stellung der Ürtheils-
formen auch schon bei Appuleins findet):
§ 78. Die Form und Materie der ürtheile. 221
a opposit. contraria e
°^A^,v ^..t^*'
P so
i oppos. subcontrar. 0
was aus dem Grunde weniger angemessen ist, weil dann nicht mehr
die conträr entgegengesetzten ürtheilsformen einander diametral gegen-
überliegen, in anderm Betracht jedoch besser passt.
§ 73. Der Inhalt der Ürtheile stammt thefls direct,
theils durch Vennitfliiiig von Schlüssen aas der änssem nnd
Innern Wahrnehmung. Dieser Inhalt wird im Urtheilsact
in die Formen gefügt, welche durch die Eategorie der Be-
lation bezeichnet werden. Diese Formen erkennen wir a. zu-
nächst und unmittelber bei uns selbst in ihrer Verflechtung
mit dem betreffenden Inhalt vermittelst der inneren Wahr-
nehmungy z. B. das Verhältniss des Inhärirenden zum Sub-
sistirenden in dem Verhältniss der einzelnen Vorstellung, des
einzelnen Gefühls oder Willensactes zu der Gesammtheit
unseres Seins oder zu unserem Ich, das Verhältniss der Gau-
salität zur Dependenz in dem Verhältniss unseres Willens zu
seiner Aeusserung etc.; b. bei den persönlichen und unper-
sönlichen Wesen ausser uns, gleichfalls zunächst in Ver-
flechtung mit dem Inhalt, auf Grund ihrer Analogie mit
unserem eigenen inneren Sein. Die begriflTliche Auffassung
dieser Formen in ihrer Sonderung vom Inhalt erfolgt erst
später vermöge der hinzutretenden Abstraction. Die objec-
tive GtQtigkeit dieser Formen ist wiederum durch die näm-
lichen Momente verbürgt, unterliegt aber auch den nämlichen
Einschränkungen und Abstufungen, wie die Wahrheit der
inneren Wahrnehmung und ihrer Analoga überhaupt (§ 41 ff.)
und wie die Wahrheit der Vorstellung von Individuen (§ 46)
und der begrifflichen Erkenntniss des Wesentlichen (§ 57).
Kant fasst diese Formen als Yerstandesformen a priori (Stamm-
b^priffe des Verstandes) auf. Unter der Erkenntniss a priori wurde
bis auf die Zeit Kant's imAnschluss an den Aristotelischen Begriff:
nQOTiQov ipiau (s. u. § 139) in der Regel die Erkenntniss aus denUr-
. Fünfter Theil.
Der SekUiB im seiner Bezieknsg cm der olijeetiTeii Oesetznfigsigkeit.
§ 74. Der Schi US 8 (ratio, ratiocinatio, ratiocinimn, dis-
carsns, avlXoyni/aog) im weitesten Sinne ist die-Ableitnng
eines Urtheils aus irgend welchen gegebenen Elementen^ Die
Ableitung ans einem einzelnen Begriff, wie anch aus einem
einzelnen Urtheil ist der unmittelbare Schluss oder die
(unmittelbare) Folgerung (consequentia immediata), die
Ableitung aus mindestens zwei Urtheilen der mittelbare
Schluss oder der Schluss im engeren Sinne (conse-
quentia mediata).
Wie die Vorstellung aaf die Einzelexistenz und auf das, was an
ihr zu unterscheiden ist, und der Begpriff auf das Wesentliche geht, so
gehen das Urtheil und der Schluss auf die Verhältnisse der Einselezi-
stenzen zu einander, und zwar das Urtheil auf die ersten und nächsten
Verhältnisse, das einfache Urtheil auf ein einzelnes Grundverhältniss,
das zusammengesetzte Urtheil auf ein Zusammentreten mehrerer, der
Schluss aber auf eine solche Wiederholung gleichartiger oder auch ver-
schiedenartiger Verhältnisse, woraus sich eine neue Beziehung ergfiebt.
Die Möglichkeit der Schlussbildung und ihrer objeotiven Gültigkeit be-
ruht, wie unten näher zu erweisen ist, auf der Voraussetzung eines
realen gesetzmässigen Zusammenhangs. Doch gilt dies nur von dem
mittelbaren Schluss, da der unmittelbare eine blosse Umbildung der
subjecüven Form des Gedankens und des Ausdrucks ist.
»Ableiten« heisst: auf Grund eines Andern annehmen, so dass
die Annahme der Gültigkeit des Einen (des Abgeleiteten) von der An-
nahme der Gültigkeit des Andern (woraus abgeleitet wird) abhängfig
ist, d* h. darum und insofern stattfindet, weil und inwiefern die letz-
tere statthat.
Die »Unmittelbarkeit« bei dem sogenannten »unmittelbaren
Schlieasen« ist eine relative (indem es dabei nicht, wie bei dem »mittel-
baren Schliessen« der Hinzunahme eines zweiten gegebenen Elementes
§ 74. t)er Schlnsd. ^5
zu dem ersten bedarf, sondern sofort aus diesem selbst das abgeleitete
Urtheil sich ergiebt); es besteht nicht eine Unmittelbarkeit in dem
Tolleren Sinne, dass es, um das abgeleitete Urtheil zu gewinnen, nicht
einer Denkthätigkeit bedürfte. Da aber doch der jetzt traditionelle
Terminus im relativen Sinne gültig ist, so möchte eine Verwerfung
desselben nicht rathsam sein. Ist eine Aenderung der Terminologie
nicht unbedingt erforderlich, so ist sie vom Uebel, da sie das gegen-
seitige Yerständniss erschwert und zu Irrungen Anlass giebt.
Bei Plato findet sich avXXoyiCioStii und avkXoytOfjios noch nicht
im Sinne der spateren logischen Terminologie, sondern nur in der
weiteren und unbestimmteren Bedeutung: aus mehreren Daten gleich-
sam zusanmienrechnend das Resultat ziehen, und zwar vorvriegend: aus
dem Beeondem das Allgemeine ermitteln (Theaet. 186 D; of. Phileb.
41 C). Aristoteles definirt (Anal. pri. I, 1. 24 b. 18): avlkoyiafAog
Si ioTi Xoyog, iv <p ti&iwtov rivmv h-eQov n tüv xiifiivtov i^ avdyxfic
avfißtUvH T^ javra slptu. Diese Definition wird von Aristoteles nicht
auf den unmittelbaren Schluss mitbezogen, umfasst aber die beiden
Arten, in welche der mittelbare Schluss zerfallt, nämlich den Schluss
aus dem Allgemeinen auf das Besondere und den Schluss vom Besen-
dem auf das Allgemeine. In diesem Sinne ¥drd von Aristoteles unter-
schieden: o 6ia jov fjiioov avlloyia/ios und o Siä t^s inayutyrjs oder
6 H ^naymyrfi avlXoytafiog (Anal. pri. II, 23. 68 b). Der Syllogismus
im engeren Sinne aber ist der Schluss vom Allgemeinen auf das Be-
sondere: in diesem Sinne sagt Aristoteles (das. 68 b. 13): tqotiov uvä
uvrlxtirai 17 inayayyri t^ avXXoyiOfjKp. — UTsayra mat^vofLiv ^ dta avXXo'
yiOßAtw fj U inayatyijg. Im Anschluss an Aristoteles und gleich vde
dieser nur auf den mittelbaren Schluss Bezug nehmend, definirt Wolf f
(Log* § &0; § 332): est ratiocinatio operatio mentis, qua ex duabus
propositionibus terminum communem habentibus formatur tertia, com-
binando terminos in utraque diverses ; Syllogismus est oratio, qua ra-
tiooinium (seu discursus) distincte proponitur. Kant (Kritik der r.
Yem. S. 360; Log. § 41 ff.) definirt den Schluss als die Ableitung eines
Urtheils aus dem anderen. Dieselbe geschieht entweder ohne ein ver-
mittelndes Urtheil (iudicium intermedium) oder mit Hülfe eines solchen ;
hierauf gründet sich der Unterschied des unmittelbaren und des mittel-
baren Schlusses; jenen nennt Kant auch Verstandesschluss, diesen Yer-
nnnftschluss. Hegel (Log. U, S. 118 ff.; Encycl. § 181) sieht in dem
Schluss die Wiederherstellung des Begriffs im Urtheil, die Einheit und
Wahrheit des Begriffs und des Urtheils, die einfache Identität, in
welehe die Formunterschiede des Urtheils zurückgegangen sind, das
Ziel, zu welchem das Urtheil in seinen verschiedenen Arten sich stufen-
weise fortbestimmt, das Allgemeine, das durch die Besonderheit mit
der Einzelnheit zusammengeschlossen ist. Der Schluss gilt ihm als der
wesentliche Grund alles Wafaren, als das Vernünftige und alles Ver-
nünftige ab der Kreislauf der Vermittelung der Begriffsmomente des
Wiridichen. Hegel identificirt demnach . auch hier wiederum das lo-
gische und das metaphysische Verhältniss oder die Form der Erkennt-
15
226 § 74. Der Schloss.
niss und Existenz. Sohleiermaoher (DiaL S. 268) bestimmt den
SohluBB als die Herleitong eines Urtheils aus einem anderen vermittelst
eines Mittelsatzes. £r erkennt den Schluss nicht als eine selbständige
dritte Form neben Begriff und Urtheil an und gestellt ihm nicht ein
eigenthümliches reales Correlat zu; er glaubt demgemäss auch, der-
selbe habe keinen wissenschaftlichen Werth für die Erzeugung neuer
Erkenntnisse sondern nur didaktischen für die üeberlieferung der schon
bestehenden Erkenntniss. Wir halten diese Ansicht für irrig und wer-
den unten (§ 101) das reale Ck)rrelat des Schlusses und seine Bedeu-
tung als Erkenntnissform nachzuweisen suchen.
Trendelenburg in seinen logischen Untersuchungen 8. Aufl. Bd. 2.
XIII. S. 331 bemerkt: »Die Schlüsse werden in mittelbare und unmit-
telbare unterschieden. Die letzteren bedürfen keines neuen Begriffe«,
um aus einem Urtheil ein neues zu erzeugen, sondern begründen ans
der blossen Form eines Urtheils ein anderes. Es wird auf diesem Wege
kein eigentlich neuer Inhalt des Urtheils gewonnen, sondern nur für
einen vorliegenden Zweck eine bestimmtere Beziehung. Dabei handelt
es sich nur darum, was mit dem gefällten Urtheil zugleich mit aua-
gesprochen i6t.c Und S. 841: »Von den unmittelbaren Schlüssen unter-
scheiden sich die mittelbaren, die durch das Zwischenglied eines eigenen
Begriffes geschehen. Sie bilden den Syllogismus im engeren Sinne.« —
Dieser mittelbare Schluss — so wird weiter S. 386 bemerkt — sei mehr
als eine subjective Function, und bleibe nicht ohne reales G^^bild.
»Was im Realen der Grund ist, das ist im Logischen der Mittelbegriff
des Schlusses.« Und S. 890: »Wenn aber der Mittelbegriff dem her-
vorbringenden Grund entspricht, so vollendet sich der Syllogismus. In
dieser Bedeutung ist er ein Schluss des Wesens zur Erscheinung, wie
die Induction ein Schluss der Erscheinungen zum Wesen. Wie sich
das Wesen in die Erscheinungen ergiesst und darin bestätigt, so ist
die Induction auch von dieser Seite ein Gegenstück des Syllogismus, c
— Trendelenburg sucht femer darzuthun, dass der Schluss der In-
duotion als Schluss der Erfahrung in Beziehung stehe zum Schlüsse
der zweiten Figur, in dem die vollständigen Einzelnen als solche die
vermittelnde Mitte bilden, während der Schluss der Analogie die dritte
Figur des unmittelbaren Schlusses zu seinem abstraoten Schema habe,
sofern die Mitte der Analogie ein Einzelnes sei, aber im Sinne seiner
wesentlichen Allgemeinheit, während ein anderes Einzelnes Extrem sei»
welches mit jenem dieselbe allgemeine Natur habe (das. S. 868). In
diesem Verhältniss soll dann der Ausgleich des bemerkbaren Mangel»
des Syllogismus gesucht werden, dass der allgemeine Obersatz bereits
den Schlusssatz umfasst, den er erst erzeugen will, und den er, um
wahr zu sein, selbst voraussetzt (das. S. 894 u. 862). Trendelenburg
will also aristotelisch den Schluss der Deduction (den sogen, eigentl.
Schluss) und den Schluss der Induction und Analogie unter einem all-
gemeineren Gesichtspunkt zusammenfassen.
Auf das Gleiche scheinen im Wesentlichen die Betrachtungen
Lotze's in s. Syst. der Philos. Bd. 1. Logik. Gap. 8. A. Der Schlusa
§ 74. Der Schlase. 227
durch Subsumtion, durch Induction, durch Analogie S. 122 u. ff. — hin-
ausKulaufen, nur werden einseitiger die Aristotelischen Syllogismen,
sammtlich auf die unbestimmte Einordnung eines Begriffes in den Um-
fang eines andern gebaut, unter dem Namen des Schlusses durch Sub-
sumtion Eusammengefasst. Von den so begrenzten Aristotelischen
Syllogismen bemerkt Lotze, dass sie die gegebene Aufgabe nicht lösen
konnten. Die logischen Wahrheiten, deren sich das Denken in seiner
Behandlung des Vorstellungsinhalts nach und nach bewusst geworden
sei, habe das disjnnctive ürtheil yorläufig dahin zusammengefasst,
jedem S, weldies eine Art von M sei, komme von jedem der allgemei-
nen Pradicate des M eine besondere Modification mit Ausschluss aller
übrigen als sein Prädicat zu. Die zu losende Aufgabe sei nun die
Auffindung der Denkhandlungen, durch welche dies geforderte eigen-
thnmliohe Merkmal für ein gegebenes S bestimmbar würde. Lotze's
Ansicht scheint nun dahin zu gehen, dass weder der Sohluss der Sub-
sumtion, noch der Schluss der Induction, noch der Schluss durch
Analogie diese Aufgabe vollständig lose. Die allgemeine Aufgabe jedes
Schlussverfahrens bestehe naturgemäss darin, aus gegebenen Datis oder
Prilmissen so viel neue Wahrheit zu entwickeln als möglich; wie dies
geschehe, sei an sich völlig gleichgültig; das Verfahren werde sich
nach der Gestalt der Prämissen richten, die wir nehmen müssten, wie
sie uns die Erfahrung innere und äussere darbiete. Was so das natür-
liche Denken allenthalben wirklich ausübt, das will Lotze durch neue
logrische Formen auch für die Theorie dieses Thuns festzustellen suchen,
indem er die Gesetze mathematischer Folgerungen, und ebenso die
Gesetze der systematischen Formen der Classification, der erklärenden
Theorie und des dialektischen Ideals des Denkens aufsucht.
S ig wart, nachdem er in s. Logik Bd. 1. Th. 2. Abschn. 2. Die
Wahrheit der unmittelbaren Urtheile — dargethan hat, dass die Ur-
theile, welche wir vom natürlichen Denken ausgehend für unmittelbare
halten mussten, doch, sofern ein Grund ihrer Gewissheit verlangt wer-
den muss, sich bereits müssen als nothwendige Folgen eines allgemei-
nen Gesetzes darstellen lassen, die analytischen als Folgen des Grund-
satzes der Uebereinstimmung, die Wahmehmungsnrtheile als Folgen
der Gesetze, nach welchen wir aus subjeotiven Assertionen die üeber-
seugung realer Dinge gewinnen, bespricht dann im Abschn. 8 die Be-
gründung der vermittelten Urtheile durch die Regeln des Schlusses.
In beiden Abschnitten hat nach § 39. 5. S. 269 die Untersuchung die
Regeln aufzustellen, nach denen ein Urtheil mit Nothwendigkeit aus
seinen Voraussetzungen hervorgeht, da die Bedingung der logischen
Nothwendigkeit und Allgemeingültigkeit der Urtheile ist, dass sie be-
gründet sind. — Das logische Schliessen will Sigwart ausdrücklich
ontersohieden sehen von dem Folgern oder Schliessen im psycholo-
gischen Sinne, welches überall da stattfinde, wo wir zu dem Glauben
an die Wahrheit eines Urtheils nicht unmittelbar durch die in ihm
▼erknüpften Subjeots- und Prädicatsvorstellungen, sondern durch den
Glauben an die Wahrheit eines oder mehrerer anderer Urtheile be-
228 § 74. Der Schlnsi.
stimmt würden. Der Motive, welche psychologisch diesen Glauben her-
beiführen, seien mancherlei, und es geschehe hanfig, dass die Vermitt-
lung, welche die Gewissheit eines ürtheils aus der Gewissheit eines
andern ableite, nicht einmal deutlich zum Bewusstsein komme. Die
logische Theorie habe nun aber zu fragen, unter welchen Bedin-
gungen Schliessen gültig sei; d. h. da jeder Schluss die Behauptung
enthält, dass ein Urtheil (die Ck)nclusion, der Schlusssatz) wahr sei,
weil ein oder mehrere andere UrtheUe (die Prämissen) wahr seien,
habe sie die logische Nothwendigkeit dieser Behauptung zu untersuchen,
dass die Gonolusion durch die Prämissen begründet sei. Wenn nun
ein gültiges Urtheil A gegeben sei, so sei so viel klar, dass es ein
davon verschiedenes Urtheil X nur dann sicher begründen könne, wenn
der allgemeingültige Satz bestehe: Wenn A gilt, so gilt X; denn dieses
hypothetische Urtheil drücke ja eben gar nichts anderes ans, als dass
X nothwendige Folge von A sei, und wer A annehme, auch B anneh-
men müsse. Ohne eine solche Regel aber gebe es keine Folgerung.
Jede Grewissheit eines Schlusses von A auf X sei also von der Gewisa-
heit dieser hypothetischen Regel abhängig. Darum sei das allgemeinste
Schema alles und jedes Folgems der sogenannte gemischte hypothe-
tische Schluss. — Nach Sigwart's Ansicht wird also der Schluss we-
sentlich betrachtet als fortgesetzte Urtheilsbildung, sofern durch die-
selbe Gtewissheit erlangt wird, und werden demgemäss auch im Bd. 2.
Th. 8 die Methoden der Urtheilsbildung im Zusammenhange betrachtet,
im Abschn. 8 als diverse Methoden der Urtheilsbildung Deduotion und
Beweis mit ihren Voraussetzungen, dann Abschn. 4 die methodischen
Principien der Bildung der Wahmehmungsurtheile und Abschn. 5 das
Inductionsverfahren als Methode der Gewinnung allgemeiner Sätze aus
einzelnen Wahrnehmungen.
Schon diese ungewöhnliche Art der Behandlung und Anordnung
mag zum Theil bei Wundt und Bergmann die Missverständnisae
hervorgerufen haben in der Beurtheilung der Schlusslehre Sigwart'a,
die dann Sigwart in beiden Artikeln: Logische Fragen in d. Viertel-
jahrsschr. f. wissensch. Philos. Bd. 4 u. 5 zu berichtigen gesucht hat. —
In der Hauptsache bleibt aber als Differenz in der Auffassung des
Schlusses zwischen Sigwart und Wundt das bestehen, dass Wundt
die Beschränkung des Terminus »Schluss« auf die Folgerungen, bei
denön aus gegebenen Urtheilen ein neues mit Nothwendigkeit her-
vorgeht, aufheben und den Begriff des Schliessens so erweitern will,
dass mit dem Namen des Schliessens oder Folgerns jede Gedankenver-
bindung zu belegen ist, durch welche aus gegebenen Urtheilen neue
Urtheile hervorgehen, dass somit auch die Folgerungen, die zu einem
bloss wahrscheinlichen Ergebnisse fähren, darunter fallen. Im Uebrigen
stellt aber auch nach Wundt der Vorgang der Sohlussfolgerung sich
dar als eine Erweiterung des Urtheilsprooesses, insofern jeder
Schluss aus einer Verbindung selbständiger, aber unter einander durch
gemeinsame Begriffe zusammenhängender Urtheile besteht (siehe
Wundt Logik. Bd. 1. Abschn. 4. Gap. 1. S. 770).
§ 75. Die Principien des Schlieseens im Allgemeinen. 229
§ 75. Principien des Sehliessens sind die Grund-
sätze der Identität und Einstimmigkeit, der contradictorischen
Disjunction (oder des Widerspruchs und des ausgeschlossenen
Dritten) und des zureichenden Grundes. Auf dem ersten be-
ruht die Ableitung eines Urtheils aus einem Begriff, auf dem
ersten und zweiten die Ableitung eines Urtheils aus einem
ürtheil, auf dem ersten, zweiten und dritten die Ableitung
eines Urtheils aus mehreren Urtheilen.
Die Logik betrachtet diese Priuoipien als Normen unseres (er-
kennenden) Denkens. Inwiefern aber dieselben so einfach und in ihrer
Anwendung einleuchtend seien, dass sie bei klarem Denken gar nicht
verletzt werden können und in diesem Sinne etwa auch die Eigen-
schaft von Naturgesetzen für unser Denken gewinnen, oder inwie-
fern nicht; dies ist nicht mehr eine logische, sondern eine psycho-
logische Frage.
Aristoteles stellt jene Sätze nicht an die Spitze der Logik,
sondern trägt dieselben, soweit er sie überhaupt in wissenschaftlicher
Form aufstellt, theils nur gelegentlich als Normen der Schlussbildung,
theils und besonders in der Metaphys. (III, 8. 1005 b. 19) vor, wo ihm
der Satz des Widerspruchs als naadiv ßsßtuoraxri &qx^ gilt. Leibniz
(Monadol. § 81) halt dieselben für die Principien unserer Schlüsse
(raisonnements). Wolff verfährt wie Aristoteles. Daries und Rei-
marus sind die Ersten, welche in einzelnen von jenen Sätzen das
Princip der Logik finden. Reimarus setzt (Yemunftlehre, § 15) das
Wesen der Vernunft in die Kraft, nach den beiden Regeln der Ein-
stimmung und des Widerspruchs über die vorgestellten Dinge zu re-
flectiren, hält aber dafür, dass durch den richtigen Gebrauch der Ver-
nunft die Erkenntniss der Wahrheit zu gewinnen sei. Er definirt die
»Yemunftlehre« als eine Wissenschaft von dem rechten Gebrauche der
Vernunft in der Erkenntniss der Wahrheit (a. a. 0. § 3), die »Wahr-
heit im Denken« aber als die üebereinstimmung unserer Gedanken mit
den Dingen, woran wir gedenken (a. a. 0. § 17), und sucht den Satz
zu beweisen: »wenn wir nach den Regeln der Einstimmung und des
Widerspruchs denken, so müssen auch unsere Gedanken mit den Dingen
selbst übereinstimmen oder wahr gedacht sein« ; »eben diese Regeln
sind zureichend, alle Wahrheit und Richtigkeit aller unserer Gedanken
auszumachen« (a. a. 0. § 17 ff.). Kant dagegen reducirt die formale
Logik auf die Lehre von den Gesetzen, die aus dem Princip der Iden-
tität und des Widerspruchs herfliessen, in dem Sinne, dass durch die
Befolgung derselben die Üebereinstimmung des Denkens mit sich selbst
oder die Widerspruchslosigkeit erzielt werden soll, unter Verzicht auf
die von ihm für unmöglich gehaltene üebereinstimmung des Erkönnt-
nissinhalts mit dem wirklichen Sein oder den »Dingen an sich«. Mit
Recht bemerkt Fries (System der Logik, § 41), dass jene Grundsätze
nicht an die Spitze der ganzen Logik gesetzt werden dürfen, da sie
280 § 76. Der Grundsatz der Identit&t
erst dann in ihrer wahren Bedentnng verstanden werden können, wenn
man die Form der Begriffe und das VerhältniBs von Subject und Prii-
dicat im Urtheil schon kennen gelernt habe. In der That sind diesel-
ben, da sie das Yerhältniss mehrerer Urtheile zu einander betreffen,
erst bei der Schlusslehre von bestimmendem Einflnss. An die Spitse
der geeammten Logik stellt Delboenf (Log. S. 91 sqq., lOi sqq., US
sqq., 180 sqq.) drei Sitze, die bei ihm die obigen zum Theil vertreten.
Diese Sätze sind: 1. On peut oondure de la representation des phe-
nomönes aux phenomdnes eux-mSmes; 2. on peut poser oomme iden-
tiques les r^sultats de l'abstraotion des diff^renoes; 8. l'enchainement
logique des idees oorrespond k l'enchamement reel des ohoses. Er
leitet dieselben aus dem »postulat primitif de la raison« ab: >que la
oertitude est possiblec, und zwar durch folgende Argumentation: Soll
es Gewissheit geben, so muss es Wahrheit geben; soU es Wahrheit
geben, so müssen unsere Vorstellungen wahr sein können; sollen diese
wahr sein können, so muss: 1. der Geist im Stande sein, sich die Er-
scheinungen so, wie sie sind, vorzustellen, 2. müssen die Ursachen,
welche die EIrscheinungen bewirken, mit sich selbst identisch bleiben
in den verschiedenen Verbindungen, in welche sie eingehen, 3. muBs
die logische Kraft der Deduction auch der Wirklichkeit entsprechen,
die geistige Analyse ein treues (obschon umgekehrtes) Abbild der
reellen Synthese sein. Vermöge des ersten Princips gehen wir, sagt
Delboeuf, von der Vorstellung zur Wirklichkeit, vermöge des zweiten
von der vorgestellten Identität zur wirklichen Identität, vermöge des
dritten von der vorgestellten Verknüpfung (connexion) zn der wirk-
lichen Verknüpfung. Die Bürgschaft für die Uebereinstimmung eine«
Gedankens mit der Wirklichkeit findet Delboeuf in der durchgängigen
logischen Harmonie bei den Operationen : Observation, conjecture, veri-
fication (S. 85). In diesem Sinne verstanden, coincidirt das erste jener
drei Principien mit dem Princip des vorliegenden Systems der Logik
und einer jeden Logik, die eine Erkenntnisslehre sein will, dass näm-
lich die Uebereinstimmung der Gedanken mit der objectiven Wirklich-
keit dem Menschen durch Befolgung der Gesammtheit der logischen
Normen erreichbar und gesichert sei (s. oben § 8). Das zweite Princip
geht insbesondere auf den Process der Abstraction (s. oben § 61).
Von dem dritten Princip erkennt Delboeuf an, dass es den Schlüssen
(raisonnements) zum Grunde liege (vgl. unten § 81). — Delboeuf stellt
diesen drei Sätzen, die er als >principes reelsc bezeichnet, und
deren beiden ersten er das Princip der Identität, deren letztem er das
des zureichenden Grundes correspondiren lässt, noch als »principes
forme 1 sc den Satz des Widerspruchs und den des ausgeschlossenen
Dritten zur Seite (Log. S. 165 ff.).
§ 76. Der Grundsatz der Identität (principinm
identitatis) pflegt dahin ausgesprochen zu werden: A ist A,
d. h. ein Jedes ist, was es ist, oder: omne subiectum est
praedicatmn sui; und der damit verwandte Grundsatz der
r:
§ 76. Der Grandsatz der Identität. 231
Einstimmigkeit (principium convenientiae) dahin: A, wel-
ches B ist, ist B, d. h. ein jedes Merkmal, welches im Sab-
jectsbegriffe liegt, kann demselben als Prädicat beigelegt wer-
den. Der Gnmd der Wahrheit dieses Satzes liegt darin, dass
das im Inhalte des Begriffs vorgestellte Merkmal dem dnrch
eben diesen Begriff vorgestellten Gegenstände inhärirt, das
Inhärenzverhältniss aber dnrch das prädicative repräsentirt
wird. Der Satz: non-A ist non-A, ist nur eine Anwendung
des Gnudsatzes der Identität auf einen negativen Begriff,
nicht ein neuer Grundsatz, und ebenso ist der Satz : A, welches
non-B ist, ist non-B, nur eine Anwendung des Grundsatzes
der Einstimmigkeit. Die letztere Formel begründet den Ueber-
gang zu der Anwendung desselben Gedankens auf negative
Urthefle in dem Satze der Negation (principium nega-
tionis): A, welches nicht B ist, ist nicht B. — In einem er-
weiterten Sinne kann der Satz der Identität auf die Ueberein-
stinunung aller Erkenntnisse unter einander als die (nothwen-
dige, obschon nicht zureichende) Bedingung ihrer Ueberein-
stimmung mit der Wirklichkeit bezogen werden.
Der Satc der Identität hat nicht, wie Einige meinen, irgend einen
Scholastiker (wie etwa den von Polz nnd nach diesem auch von Bach-
mann u. A. angefahrten Scotisten Antonius Andrea, der die Formel
aulsteUte: ens est ens), noch weniger aber erst einen modernen Logfiker,
sondern den Eleaten Parmenides zum Urheber. Dieser spricht den-
selben in der einfachsten Form dahin aus : Hart (Parm. fragm. ed. Mullach
Y8. 85; 68), femer: xqti to Xiysiv n voitv r'* iov Ififievai' oportet
hoc dicere et oogitare: id quod sit, esse (vs. 48), nnd iari yuQ eJyat
(▼8. 43). Vgl. oben § 11. Den Gegensatz zwischen der Heraklitischen
Ansicht, dass ein Jegliches zugleich sei und auch nicht sei und alles
fliesse, und der Parmenideischen Ansicht, dass nur das Sein sei,
das Nichtsein aber nicht sei und alles beharre, sucht Plato durch seine
Unterscheidung der unwandelbaren Welt des Seins oder der Ideen,
deren jede ein stets mit sich selbst gleiches Wesen, tale, quäle est,
a€\ xarä raurä ov (Tim. p. 27 u. ö.) sei, und der wandelbaren Welt
des Werdens oder der sinnlichen Dinge zu lösen: das Wissen oder die
wahre Erkenntniss geht auf das Sein und besteht darin, dass das
Seiende als seiend erkannt wird. Rep. V, p. 477 B: ovxovv imar^fiti
fAkv (nl T^ om 7t^(pvxe yvmvat mg larr to ov; p. 478 A: iniffi'^fAfi fikv
yi Tiou inl Tip o>T» (n^tpvxe) ro ov yviSvai tag ^/et. VgL CratyL386B:
Xoyog — Off av r« ovra Xfyij mg fariv altj&rfgf og d* av mg ovx ItfTi,
^fwfijc. Die Annahme, dass die blosse Uebereinstimmung der Vor-
stellungen unter einander ein Kriterium ihrer Wahrheit sei, wird von
232 § 76. Der Grundsatz der Identität.
Plato (CratyL p. 436 C, D) ausdrücklich verworfen. Arietoteies
definirt Metaph. III, 7. 1011 b. 26: t6 fikv yaq XfyeiVj jo ov /i^ eiHw
rj ro /uri ov üvtUy \fJ€vdos' t6 ^k, to oy elvai xal to fii\ ov fiij dvai,
«Ai;^/;. Metaph. VlII, 10. 1051 b. 3: aXri&evBi fikv 6 to ^irjigfifjtivov ö/d-
f^evos ^ittiQ€Ta^€u xal ro avyxeijusvov ovyx€to&ur )^%f߀vat€u 6k 6 fvavriäpg
tx^y n Tce ngayfioTit, Wenn Aristoteles (AnaL pri. I, 32. 47 a. 8; cf.
Eth. Nioom. I, 8. 1098 b. 11) von der Wahrheit auch durchgängige
Uebereinstimmung mit sich selbst verlangt: diZ yoQ näv ro alr\&k£
auTo iavT^ 6/4oloyoviLt€yov €7v(u navrri' so geht dies doch nicht auf die
blosse tautologische Einheit, welche der Grundsatz der Identität nach
seinem engeren Sinne fordert, sondern auch auf die Uebereinstimmung
der Folgen mit den (Gründen; das als nothw endig Deducirte findet sich
bei der Analyse des Gegebenen auch thatsächlich bestätigt. In den
Erörterungen des Arist. de interpret. c. 11 über die Setzung von In-
haltsbestandtheilen des Begriffs als Prädicaten liegt der Satz der Iden-
tität in dem im Texte des Paragraphen bezeichneten Sinne. Leibniz
(Nouv. ess. IV, 2, § 1) stellt als erste affirmative Vernunftwahrheit
oder als erste identische Wahrheit den Satz auf: chaque chose est oe
qu'elle est, oder: A est A. In ähnlicher Art betrachtet Wolff (Log.
§ 270) als allgemeinstes identisches ürtheil den Grundsatz: idem ens
est illud ipsum ens, quod est, seu omne A est A. Der Wolffianer
Baumgarten (Metaph. 1739, § 11) gebraucht die Formel: omne pos-
sibile A est A, seu quidquid est, illud est, seu omne subiectum est
praedicatum sui, und nennt diesen Grundsatz »principium positionis
seu identitatisc. Der Wolffianer Polz (Fase comm. metaph. 1757,
p. 21; 26; 28; 39) findet das absolut erste Prindp in dem Satze: idem
sibimet ipsi est idem. Der Satz galt in der Wolffischen Schule im
Allgemeinen nicht als logisches, sondern vielmehr als metaphy-
sisches Princip. Der Eklektiker Daries (Vemunftkunst, 1731, § 1)
stellte zuerst den Satz des Widerspruchs, und Reimarus (Vemunft-
lehre, 1756, § 14) die »Regel der Einstimmung (principium identitatis)c
unter der Formel: ein jedes Ding ist das, was es ist, oder ist mit sich
selbst einerlei oder sich selbst ähnlich und gleich, zugleich mit der
»Regel des Widerspruchs« als oberstes Princip an die Spitze der Lo-
gik. Noch weiter ging in dieser Richtung die subjectivistisch-formale
Logik, wie sie sich in Folge der Kantischen Verzweiflung an der
Erkennbarkeit des wirklichen Seins gestaltete. Dieselbe betrachtet statt
der Uebereinstinmiung mit dem Sein (welche noch Wolff und Reimarus
gefordert und durch logisches Denken erreichen zu können geglaubt
hatten) die blosse Uebereinstimmung des Denkens mit sich selbst oder
der Gedanken unter einander als das Wesen der logischen Wahrheit
und erhebt demgemäss den Grundsatz der Identität und der Einstim-
migkeit in jener tautologischen Form : A =s A, oder: alles ist mit sich
selbst identisch, zum allbeherrschenden Princip des Systems der Logik.
Aber als tautologischer Satz ist die Formel: A ss A nichtssagend,
und keineswegs, die nothwendige positive Ergänzung zu dem Satze des
Widerspruchs. Denn dass der einmal als wahr anerkannte Gedanke
§ 76. Der Grondsats der Identität 283
nicht durch einen widersprechenden wieder aufgehoben werde, ist eine
berechtigte logische Anforderung; dass er aber sich selbst gleich und
also immer wieder wahr sei, ist eine überflüssige Bemerkung. Seh el-
lin g (Phil. Sehr. I, S. 407) erkennt die Unzulänglichkeit dieses Grund-
satses für eine wissenschaftliche Logik, und macht mit Recht darauf
anfmerksam, dass selbst identisch lautende Sätze ihrem Sinne nach
über das blosse analytische Princip: A =s A hinausgehen. Dem Grund-
satse der Identität in seiner gewöhnlichen Form setzt Hegel (Log. I,
2, S. 32 £f.; Encycl. § 115) die richtige Bemerkung entgegen, dass kein
Bewusstsein nach diesem Gesetze denke, noch vorstelle, noch spreche,
Tielmehr das Sprechen nach demselben (eine Pflanze ist — eine Pflanze;
der Planet ist — ein Planet etc.) für albern gelten würde. Schleier-
maoher (Dial. § 112) meint, dass der Satz, um nicht leer zu sein,
entweder auf Identität des Subjectes als Bedingung des Wissens oder
auf Identität des Gedachten und des Seins als Form des Wissens ge-
deutet werden müsse. Die Deutung einiger neueren Logiker auf
die feste und sich selbst gleiche Natur der menschlichen und insbe-
sondere der begrifflichen Erkenntniss (Weisse, über die philos. Be-
deutung des Grundsatzes der Identität, in Fichte's Zeitschrift für Phi-
k)eophie u. spea Theol. 1889, lY, 1, S. 1 ff.; L H. Fichte de princi-
piorum oontradictionis, identitatis, exclusi tertii in logicis dignitate et
ordine dissertatio, 1840, S. 10 ff.; S. 26), wobei auch der Satz des
Widerspruchs nur als die negative Form desselben Princips aufgefasst
wird, möchte sich allzusehr von deigenigen Bedeutung und Anwendung
entfernen, welche diesen Sätzen in der Logik und insbesondere in der
Schluss- und Beweislehre seit Aristoteles mit Recht zuerkannt wird;
auch hat die Lehre vom Begriff bereits ein anderes metaphysisches
Princip, nämlich in der Lehre vom Wesen, dessen Bedeutung durch
die blosse beharrliche Identität mit sich selbst keineswegs erschöpft
wird. S. oben § 56. Wenn freilich davon ausgegangen wird, dass der
Satz das Princip der gesammten Logik enthalten müsse, so ist eine
Umdentung in entsprechendem Sinne nothwendig; es muss dann die
Forderung hineingelegt werden, dass die Erkenntniss überhaupt wahr
sein, d. h. mit dem Sein übereinstimmen solle. Aber warum sollte
diese Forderung nicht lieber vermittelst des adäquaten Ausdrucks:
Idee der Wahrheit bestimmt bezeichnet, als unter der vieldeutigen
Formel: A =a A verhüllt werden? Delboeuf will den Satz der Iden-
tität entweder auf die Forderung gedeutet wissen, dass jedes Urtheil
wahr, d, h. mit der Wirklichkeit in Uebereinstimmung sei (welche
Deutung in der ersten Auflage der vorliegenden Schrift gegeben wurde),
oder auf das erste oder zweite seiner drei logischen Principien (s. oben
zu § 75).
Sigwart in seiner Logik Bd. 1. Th. 1. Abschn. 2. § 14 Die ob-
jective Gültigkeit des ürtheils und das Princip der Identität S. 77 u. ff.
— mochte es zutreffender finden, von dem Principe der Uebereinstim-
mong zu reden, nach welchem ein Urtheil darum objectiv gültig ist,
weil es nothwendig ist Uebereinstimmendes in Eins zu setzen. Was
234 § 77. Der Grandsaiz des Widenpruchs.
dieses Prinoip aussage, sei die Nothwendigkeit, dass, was durch die
Benennung verbunden und damit in Eins gesetzt werde, in seinem
y erstell ungsgehaite übereinstimme, dass das ürtheil, das die Einheit
von Subject und Prädicat behaupte, nur mit dem Bewusstsein dieser
Uebereinstimmung möglich sei, und dass kein Denkender sich darüber
täuschen könne, ob zwei Vorstellungen, die er als Subject und Prädi-
cat gegenwärtig habe, und sofern er sie gegenwärtig habe, überein-
stimmen oder nicht. Das Princip der Uebereinstimmung spreche also
die unmittelbare und unfehlbare Sicherheit in der Vergleichung als
eine nothwendige Voraussetzung alles Urtheilens und zugleich als eine
fundamentale psychologische Thatsache aus. Es scheint ihm nidit
rathsam, diesen Grundsatz mit dem Namen des Principes der Identität
zu belegen, dem man zu vielerlei Bedeutungen gegeben und zu vielerlei
Leistungen zugemuthet habe; auch an sich wäre das unpassend, denn
um absolute Identität zwischen Subjects- und Prädicatsvorstellung han-
dele es sich im strengsten Sinne nicht, sondern nur darum, dass das
unter dem Prädicatswort Vorgestellte im Subjecte wiedergefunden
werde. — Zu vergl. Sigwart's Berichtigung von Wundt's Missver-
ständniss seiner Auffassung des Identitötsgesetzes in seinem Art. 1. Lo-
gische Fragen in der Vierteljahrschr. f. wissensch. Fhilos. Bd. 4. 1880.
S. 462. Zur Erläuterung ist hier bemerkt: »Ich hatte zwei Bedeu-
tungen des sogen. Princips der Identität unterschieden; nach der einen
fordere es die Constanz der Begriffe, die in ein ürtheil eingfehen, weil
zwischen fortwährend Schwankendem und Zerfiiessendem sich keine
Synthese vollziehen lasse, betreffe also eine nothwendige Voraus-
setzung des Urtheils; nach der anderen betreffe es das ürtheil
selbst. In dieser Hinsicht bestritt ich, dass das Verhaltniss von Sub-
ject und Prädicat allgemein als das der Identität bezeichnet werden
könne; aber der Forderung der Constanz der Begriffe entspreche
hier die Eindeutigkeit des Urtheilsactes; in jedem ürtheil werde
etwas Bestimmtes behauptet, wie bei jedem Begriff und seiner Wort-
bezeichnung etwas Bestimmtes gedacht werden müsse ; diese Eindeutig-
keit des Urtheilsactes sei die positive Kehrseite zum Satze des Wider-
spruchs, der verbiete dasselbe zu bejahen und zu verneinen, c
§ 77. Der Grundsatz des (zu vermeidenden) Wider-
spruchs (principium contradictionis) lautet: contradictoriscli
einander entgegengesetzte Urtheile (wie: A ist B, und: A ist
nicht B) können nicht beide wahr, sondern das eine oder
andere muss falsch sein; aus der Wahrheit des einen folgt
die Falschheit des anderen. Oder: die Doppelantwort: j a
und nein, auf eine und dieselbe in dem nämlichen Sinne ver-
standene Frage ist unzulässig. Der Beweis dieses Satzes ist
vermittelst der Definitionen der Wahrheit (§ 3), des Urtheils
(§ 67) und der Bejahung und Verneinung (§ 69) zu ftthren.
§ 77. Der Ghrandsats des Widenpniohs. 285
Diesen Definitionen gemäss ist die Wahrheit der Bejahung
gleichbedeutend mit der Uebereinstimmung der Vorstellungs-
combination mit der Wirklichkeit, folglich mit der Falschheit
der Yerneinangy and die Wahrheit der Verneinung gleich-
bedeutend mit der Abweichung der VorsteUnngscombination
von der Wirklichkeit, folglich mit der Falschheit der Bejahung,
so dass, wenn die Bejahung wahr, die Verneinung falsch, und
wenn die Verneinung wahr, die Bejahung falsch ist, was zu
beweisen war.
Auf einen einzelnen Begriff (notio contradictionem in-
Yolvens sive implicans), sowie auf die Verbindung eines Be-
griffs mit einem einzelnen Attribute (contradictio in adiecto),
ferner auf den Widerstreit (repugnantia), d. h. den mittel-
baren Widerspruch, der erst durch Ableitung der Folgesätze
hervortritt, findet der Grundsatz des Widerspruchs insofern
Anwendung, als diese Formen sich stets in zwei Urtheile, die
einander contradictorisch entgegengesetzt sind, auflösen lassen.
So einfach und einleuchtend der Satz des Widerspruehs an sich
selbst ist, so haben sich doch an denselben im Laufe der Jahrhunderte,
während welcher er als ein metaphysisch-logisches Princip gegolten
hat^ manche Fragen und Bedenken geknüpft, die eine genauere Erör-
terung erheischen. Diese gehen namentlich auf seinen Ausdruck und
seine Bedeutung, auf seine Beweisbarkeit und Gnltigkeit und das Ge-
biet seiner Anwendung.
Was zunächst den Ausdruck betrifft, so ist die sehr häufig ge-
brauchte Formel: contradictorisch entgegengesetzte Urtheile können
nicht zugleich wahr sein, als ungenau zu verwerfen. Dieselbe lasst
ungewiss, ob das Zeitverhältniss, welches in dem »Zugleich c nach der
gewöhnlichen Auffassung liegen soll, auf die Urtheile selbst als Denk -
acte oder auf ihren Inhalt zu beziehen sei. Wenn das Erste (was
der Worteinn der Formel fordern würde), so sagt das Gesetz zu wenig.
Es reicht zur Vermeidung des Widerspruchs nicht aus, dass das eine
Glied desselben jetzt und das andere erst später gedacht wird. Oder
kann es etwa im 18. Jahrhundert wahr gewesen sein, dass die Home-
richen Werke von Einem Dichter herstammen, im 19. aber wahr sein,
dass sie verschiedene Urheber haben? — Soll aber der Sinn der For-
mel der andere sein : contradictorisch entgegengesetzte Urtheile können,
wofem ihr Inhalt auf dieselbe Zeit geht, nicht beide wahr sein, so
würden zunächst die Worte der Formel strenggenommen dies nicht
besagen, und daher der Ausdruck, der in solchen Formeln, wenn die-
selben irgend einen Werth haben sollen, gerade der allerstrengste sein
mun, an einer grammatischen Ungenauigkeit kranken. Femer aber
236 § 77. Der Grundsatz des Widerspruchs.
wäre das Gesetz mit einer überflüssigen Bestimmung beladen. Ein Ur-
theil, welches mit einem anderen im Uebrigen zwar übereinkommt,
aber eine abweichende Zeitbestimmung enthält (sei es auch, dass diese
Abweichung in den Worten nicht ausdrücklich hervortritt, sondern nur
versteckter Weise in der Beziehung auf die jedesmalige Gegenwart des
Urtheilenden liegt), ist nicht mehr das gleiche ürtheil; daher bildet
auch die Verneinung desselben nicht den contradictorischen Gegensatz
dos anderen Urtheils ; folglich findet das Gesetz des Widerspruchs, wel-
ches ja nur auf contradictorisch entgegengesetzte Urtheile geht, auf
Urtheile jener Art schon an sich keine Anwendung, und es ist nicht
die Aufnahme der Zeitbestimmung in die Formel desselben erforderlidi,
um diese Unanwendbarkeit festzustellen. Die Zeitbestimmung hat kein
grösseres Recht zur Aufnahme, als das Ortsverhältniss und alle anderen
adverbialen Beziehungen, die sämmtlich aus dem nämlichen Grunde,
weil urtheile, in denen sie verschieden sind, zu einander nicht im con-
tradictorischen Gegensatze stehen können, keiner besonderen Erwäh-
nung bedürfen. Soll aber unter dem »Zugleich« nicht das 2jeitver-
hältniss (simul), sondern das Zusammenwahrsein oder Gemeinschaft-
lichwahrsein (una) verstanden werden, so ist es besser, durch den Aus-
druck: sie können nicht beide wahr sein, den Doppelsinn, der manche
und nicht unbedeutende Logiker irre geleitet hat, zu vermeiden.
Weil die völlige Gleichheit des Sinnes sowohl der einzel-
nen Termini in beiden Urtheilen, als auch ihrer Bejahung oder
Verneinung die Bedingung ist, ohne welche kein oontradictorisoher
Gegensatz zwischen ihnen stattfinden kann, so ist bei gegebenen Ur-
theilen, die dem Wortlaute nach einander contradictorisch entgegen-
gesetzt zu sein scheinen, stets das Verhältniss der Gedanken in diesen
Beziehungen genau zu prüfen. Wenn die UrtheOe nur den Worten,
aber nicht dem Sinne nach einander widersprechen, oder wenn sie wegen
der Unbestimmtheit ihres Sinnes logische Urtheile nur zu sein scheinen,
in der That aber blosse Gedankenrudimente sind, so kann recht wohl
und muBS nicht selten auf die nämliche Frage zugleich ja und nein
geantwortet werden. Ob z. B. die Logik ein Theil der Psychologie
sei, kann bejaht und verneint werden, ohne dass zwischen beiden an-
scheinend contradictorisch einander entgegengesetzten Antworten ein
wirklicher Widerspruch zu bestehen braucht, wenn nämlich das Wort
Psychologie bei der Bejahung jener Frage in dem weitesten Sinne
(gleichbedeutend mit Geisteswissenschaft) gebraucht, bei der Verneinung
aber in einem engeren Sinne (wie z. B. von uns oben in § 6) verstan-
den wird. Erst nachdem durch Feststellung des schwankenden Sinnes
einer Frage und Berichtigung etwaiger irriger Voraussetzungen dersel-
ben die Möglichkeit einer einfachen Antwort begründet ist, tritt die
logische Forderung in Kraft, dass zwischen ja und nein zu wählen sei.
Nicht wenige leere Streitfragen und auch nicht wenige der hartimckig-
sten Irrthümer und täuschendsten Sophismen haben sich von jeher an
die Vernachlässigung dieser Vorsicht geknüpft. — Was die Art betrifft,
wie die Bejahung oder Verneinung zu verstehen ist, so beruht die Mog-
§ 77. Der Grundsatz des Widerspraohs. 287
lidikeit eines yerschiedenen Sinnes derselben darauf, dass die in dem
Urtheil erhaltene Yorstellungscombination entweder mit dem Sein im
absoluten Sinne oder mit der blossen objectiven Erscheinung, wie sie
durch die normale Function der Sinne bedingt ist, und mit dieser letz-
teren wiederum in verschiedener Weise in Vergleich gestellt werden
kann. Die Frage z. B., ob die Sonne sich im Baume fortbewege, muss
bejaht, verneint und wiederum bejaht werden, je nachdem sie auf die
nächste sinnliche Erscheinung, oder auf das Zusammensein der Sonne
mit den um sie rotirenden Körpern (abgesehen von ihrer eigenen Be
wegung um das Centrum der Gravitation), oder auf das Zusammensein
der Sonne mit der Fizsternwelt bezogen wird; wer endlich (mit Kant)
der Meinung wäre, dass alle Räumlichkeit nur der Erscheinung ange-
höre, wie diese durch die Eigenthümlichkeit der menschlichen Sinnes-
anschauung bedingt sei, und jene Frage auf die Sonne als »Ding an
siehe oder auf das »transscendentale Objectc bezöge, welches, indem es
uns affidre, die Erscheinung der Sonne im Baume veranlasse, würde
dieselbe auf diesem kritischen Standpunkte wiederum verneinen miissen.
Die Möglichkeit und Nothwendigkeit, den Satz des Widerspruchs
zu beweisen, pflegt in Abrede gestellt zu werden und zwar aus dem
Grunde, weil derselbe ein oberstes Princip und daher nicht aus
anderen ableitbar sei; höchstens könne er auf indirecte Weise daraus
erwiesen werden, dass kein Denkender in den einzelnen Fällen sich der
Anerkennung seiner Gültigkeit zu entziehen vermöge. Allein die Be-
hauptung, dass der Satz ein schlechthin Erstes und Unableitbares sei,
ist ihrerseits zweifelhaft und in der That mehrseitig von Skeptikern,
Empiristen und Dogmatikem bestritten worden; auch für uns ist das
oberste logische Princip nicht der Satz des Widerspruchs, sondern viel-
mehr die Idee der Wahrheit, d. h. der Uebereinstimmung des Wahr-
nehmungs- und Denkinhalts mit dem Sein (s. oben § 8 u. § 6). Dass
ein Beweis wünschenswerth sei, kann heute wohl nicht mehr in Abrede
gestellt werden, da nicht nur über die richtige Formel, sondern auch
aber die Gültigkeit des ;Satzes, über seine Voraussetzungen und die
etwaigen Grenzen seiner Anwendung so manche Discussionen schweben,
die ohne einen Beweis, aus welchem zugleich die wahre Bedeutung des
Satzes erhellen muss, wohl niemals eine allgemein anerkannte Erledi-
gung finden werden. Die Thatsache, dass in diesen Verhandlimgen
selbst die Wahrheit des Satzes ernsthaft in Frage gekommen ist, wider-
legt zugleich am schlagendsten jene vage Behauptung von einem > An-
geboren sein« desselben, wodurch alle philosophische Untersuchung
zn Gunsten einer blinden Unterwerfung unter die unbegriffene Autori-
tät des Satzes von vom herein abgeschnitten wird. Die Möglichkeit
eines Beweises beruht aber auf genauen Definitionen der Wahrheit, des
ürtheils und der Bejahung und Verneinung; sind solche vorausgeschickt
worden, so lässt er sich (als ein analytisch gebildeter Satz) durch blosse
Begriffszergliederung ohne Schwierigkeit ableiten. Demgemäss führt der
Satz (ebenso wie die verwandten) den Namen eines Grundsatzes nur
insofern mit Beoht, als er für eine Reihe anderer Sätze, namentlich
288 § 77. Der GrandsatE des Widerspracbs.
in der Scfaloss- und Beweislehre, eine fundamentale Bedentung hat,
aber nicht in dem Sinne, als ob er selbst anableitbar wäre.
Gegen die Beweisbarkeit überhaupt und insbesondere gegen die
oben (im Texte des §) gegebene Ableitung dfiB Satzes vom Widersprach
lassen sich allerdings noch mehrere Einwände erheben. Die Ablei-
tung, konnte man sagen, setze schon die Gültigkeit des Satzes
voraus; denn das Denken, welches ihn aus den Definitionen deducire,
sei nur unter der Voraussetzung möglich, dass nicht Widersprechendes
wahr sein könne. Aber dieser Einwand würde zu viel und daher gar
nichts beweisen; denn ganz das Gleiche gilt auch von allen anderen
logischen Gesetzen: das Denken, welches sie deducirt, ruht doch auch
selbst auf ihnen. Wenn dnrcii diesen Umstand die Beweise zu fehler-
haften Cirkelbeweisen würden, so müsste auf aUe wissenschaftUohe
Darstellung der Logik verzichtet werden. Allein so ist es nicht. Ein
Anderes ist die an sich bestehende Gültigkeit dieser Gesetze und
ihre (ursprünglich uns unbewusste) Wirksamkeit in unserem wirk-
lichen Denken, auch in demjenigen, welches sie selbst deda-
cirt, und ein Anderes das (mehr oder minder klare) Wissen um diese
Gesetze (vgl. oben § 4). Die Deduction des Satzes vom Widersprudh»
so wie eines jeden andern logischen Gesetzes, würde in den Fehler des
Cirkelbeweises fallen, wenn der Satz, der bewiesen werden soll, selbst
als gewusster und so als eins der Beweismittel, als Prämisse, offen-
barer oder versteckter Weise vorausgesetzt würde, was in der obigen
Ableitung nicht geschieht; aber dieser Fehler wird keineswegs schon
dadurch begangen, dass das dedudrende Denken ein richtiges, d. h.
ein dem abzuleitenden Gesetze, so wie allen anderen logischen Gesetaen
gemäss es ist*).
Hinsichtlich unseres Beweises und zugleich der Gültigkeit
des Satzes Hesse sich femer einwenden, dass die obige Ableitung die
Wirklichkeit als das feste Maass des Denkens voraussetze;
dies aber könne nur unter der metaphysischen Voraussetzung eines an*
wandelbaren Beharrens alles wirklichen Seins mit Eecht geschehen ;
denn unter der entgegengesetzten metaphysischen Voraussetzung und
also gewiss auch in Bezug auf die objective Erscheinungswelt sei jenes
Maass selbst der Veränderung in der Zeit unterworfen, also ein schwan»
♦) Nur diese Gemassheit scheint mir bei der Eintheilung der
möglichen Verhältnisse des Gedankens zur Wirklichkeit in Ueberein-
stimmung und Abweichung (s. o. § 69) stattzufinden, auf welcher Ein-
theilung der obi^e Beweis (S. 234) beruht. Diese Division ist eine
Zweitheilung, weil wir bei der Bildung der Begriffe Negation und
Falschheit alles, was nicht üebereinstimmung ist, unter Einem an-
deren Begriff zusammenfassen. Aber möchte man auch (mit Delboeuf,
Log. S. 61 ff.) in den Prämissen des obigen Beweises dasPrincip des
Widerspruchs finden, und somit denselben nicht als einen wirklichen
Beweis gelten lassen, so würde der obigen Betrachtung doch die Be-
deutung einer Beziehung jenes Princips auf die fundamentalen Defini-
tionen verbleiben (in welchem Sinne auch Delboeuf dieselbe billigt).
§ 77. Der Qrnndsats des Widenpniohs. 289
kendes, wodoroh nothwendig auch die Wahrheit des Satzes aufgehoben
oder mindestens zu einer sehr besohränkten herabgesetzt werde; nun
sei aber doch jene metaphysische Voraussetzung nicht die unsrige, da
wir ja (s. o. § 40) die voi) der menschlichen AufiEassung unabhängige
Realität der zeitlichen Veränderung anerkannt haben. Auch
zeige die Geschichte, dass ausgezeichnete Denker der ältesten Zeit, wie
der Gegenwart, dass namentlich Parmenides und Herbart, und in
gewisser Beziehung selbst Plato und Aristoteles die Gültigkeit dieses
logischen Princips und jener metaphysischen Lehre für solidarisch ver-
knüpft gehalten haben, sowie andererseits Heraklit und Hegel, welche
dem Werden und der Veränderung Realität zugestehen, auch den Satz
des Widerspruchs in den Strudel des allgemeinen Flusses mit hinein-
ziehen. Allein nichtsdestoweniger halten wir unsere beiden Thesen
gleichmässig fest: Bewegung und Veränderung überhaupt hat Realität,
und schliesst doch keineswegs die allgemeine Gültigkeit des Satzes aus,
dass contradiotorisch einander entgegengesetzte ürtheile nicht beide
wahr sein können. Der Schein, als ob die eine dieser Thesen die andere
aufhebe^ knüpft sich an jene einseitige Ansicht vom Urtheil, welche
nur Subject und Prädicat als wesentliche Bestandtheile desselben gelten
läset, da doch vielmehr alle die verschiedenen Satzglieder, welche die
Grammatik unterscheidet, ebensowohl auch logische Bedeutung haben
und ebenso vielen verschiedenen Urtheilsgliedem entsprechen. S. o. § 68.
So gehört auch die Zeitbestimmung zwar nicht der Formel des Gesetzes,
wohl aber den Urtheilen, worauf das Gesetz Anwendung findet, falls sich
diese auf ein Geschehen beziehen, wesentlich an. Ist nun das objective
Sein, worauf das Urtheil geht, ein wechselndes, so wird zu fordern sein,
dass der gleiche Wechsel auch in die Vorstellungscombination eingehe,
und dass in der mitaufzunehmenden Zeitbestimmung zum Bewusstsein
komme, auf welchen Zeitabschnitt die Vorstellung überhaupt und auf
welche Zeitpunkte innerhalb dieses Abschnitts die einzelnen Vorstellungs-
elemente bezogen werden müssen. So kann trotz der continuirlichen
Veränderung die Vorstellung des Geschehens an dem wirklichen (Ge-
schehen ihr festes, d. h. sicheres Maass finden. Ein historisches Factum,
z. B. die Ermordung Gäsars, obgleich es sowohl als Ganzes nur einem
bestimmten Zeitabschnitt angehört, wie auch während seines Verlaufes
in keinem Momente den Charakter des continuirlichen G^chehens ver-
leugnen kann, ist nichtsdestoweniger für das darauf bezügliche Urtheil
der das oontradiotorische Gegentheil ausschliessende Maassstab der Wahr-
heit: das Urtheil ist wahr, wenn sich in ihm die reale Bewegung beim
Ereignisse durch die entsprechende ideale Bewegung in der Vorstellungs-
combination in den richtigen Proportionen (obschon vielleicht in ver-
jüngtem Maasssiabe) getreu abspiegelt, so dass sich in unserem Bewusst-
aein misere Vorstellung des Ereignisses unserer Vorstellung des allge-
meinen Zusammenhangs der historischen Ereignisse überhaupt ebenso
einordnet, wie das Ereigniss diesem Zusammenhange in Wirklichkeit
angehört, und die Vorstellung eines jeden seiner Elemente der Vorstel-
lung seines gesammten Verlauft« ebenso, wie ein jedes dem wirklichen
240 § 77. Der Grundsatz des Widersprachs.
Verlaufe sich eingereiht hat. Historische Urtheile, wie: Plato ward
geboren im Jahr 429 v. Chr. und : Plato ward nicht im Jahr 429 v. Chr.
geboren (sondern 428 oder 427) sind, wiewohl auf ein in die Zeit
fallendes Geschehen bezüglich, eben so streng einander contradictorisch
entgegengesetzt und können eben so wenig beide wahr sein, wie die
mathematischen, auf ein unwandelbares Sein bezüglichen urtheile: die
Summe der Winkel eines jeden geradlinigen ebenen Dreiecks ist, und :
ist nicht gleich zwei rechten Winkeln. — Aber Hegel und Her hart
behaupten auch, dass die Bewegung und die Veränderung über-
haupt in sich selbst widersprechend, ja Hegel lehrt, dass die-
selbe der daseiende Widerspruch sei, indem jeder Augenblick des
Uebergangs aus dem einen Zustande in den anderen (z. B. der Anfang
des Tages) in sich die einander contradictorisch entgegengesetzten Prä-
dicate vereinige ; in Bezug auf denselben Moment seien daher, behauptet
Hegel, die einander widersprechenden Urtheile beide wahr; das aber,
meint Her hart, sei nach dem unumstösslichen Satze des Widerspruche
unmöglich, also habe der Uebergang und das Anderswerden keine Rea-
lität (Hegel, Wiss. der Logik I, 2, S. 69 der Aufl. von 1884; vgl. I,
1, S. 78 ff.; Encycl. § 88, S. 106 der 8. Ausg. 1830; Herbart, Einl.
in die Phil. § 117; Metaph. H, S. 801 ff.). Beides jedoch ist falsch.
Der Schein des Widerspruchs geht nur aus der Unbestimmtheit des
Sinnes hervor und löst sich auf, sobald alle einzelnen Ausdrücke auf
genau bestimmte Begriffe zurückgeführt werden. Durch genaue Begriffis-
bestimmungen werden zunächst feste Grenzpunkte gewonnen. So läset
sich z. B. als Beginn des Tages etwa der Augenblick bestimmen, in
welchem der mathematische Mittelpunkt der scheinbaren Sonnenscheibe
den Horizont überschreitet. Nun muss unter der Uebergangszeit, welche
die contradictorisch entgegengesetzten Prädicate in sich vereinigen soll,
entweder ein endlicher oder ein unendlich kleiner Zeitabschnitt oder
eine der Null gleiche Zeitgrösse verstanden werden. Geschieht das Erste,
so liegen die Theile des endlichen Zeitabschnitts entweder alle auf der
negativen oder auf der positiven oder auf verschiedenen Seiten der
Grenze. Im ersten Falle (wie wenn die Zeit der Dämmerung als Ueber»
gang von der Nacht zum Tage oder als Anfang des Tages bezeichnet
würde) ist das v,ßmeinende und nur das verneinende Urtheil wahr: die
Zeit des Uebergangs oder der Anfang in diesem Sinne ist nicht die
Zeit des Daseins (die Dämmerung ist nicht Tag). Im zweiten Falle,
wenn alle Theile auf der positiven Seite liegen (wie wenn die erste Zeit
nach jenem Durchgang der Anfang des Tages genannt wird), ist das
bejahende und nur das bejahende Urtheil wahr: der Anfang in diesem
Sinne gehört der Zeit des Daseins (z. B. dem Tage) bereits an. Im
dritten Falle, wenn die Theile des Zeitabschnitts, der den Uebergang
bildet, auf verschiedene Seiten fallen (wie wenn etwa die Zeit zwischen
dem Durchgang des oberen und dem des unteren Randes der Sonnen-
scheibe als Uebergangszeit oder ab Anfang des Tages betrachtet wird),
gilt von den verschiedenen Theilen des Subjectes Verschiedenes, und
es bestehen nunmehr die beiden Urtheile nebeneinander: der eine Theil
§ 77. Der Grandsatz des Widerspruohs. ^41
des Anfangs in diesem Sinne gehört der Zeit des Daseins (z. B. dem
Tage) an, der andere nicht, iivorin eben so wenig ein Widerspruch liegt,
wie in dem räumlichen Nebeneinandersein disjuncter Merkmale an
Einem Subjecte; in Bezug auf das unzerlegte Subject aber würde das
verneinende Urtheil und nur dieses wahr sein (die Zeit des üebergangs
in diesem dritten Sinne, als ein Ganzes betrachtet, ist nicht ein Theil
des Tages), was nicht ausschliesst, dass von einem Theile des Subjectes
das bejahende Urtheil und nur dieses gelte. Oder will man eine un-
endlich kleine Zeitlinie als Uebergang und Anfang bezeichnen, so muss
doch auch diese entweder auf die eine Seite des Grenzpunktes oder
auf die andere fallen oder sich auf beide vertheilen; in allen diesen
drei Fällen aber ergiebt sich aus den gleichen Gründen eben so wenig
etwas Widersprechendes, wie unter der Voraussetzung, dass unter der
Zeit des Üebergangs oder des Anfangs eine endliche Zeitlinie verstan-
den werde. Unter der dritten Voraussetzung endlich, dass der Grenz-
punkt selbst gemeint sei, der als solcher ohne alle Ausdehnung in der
Zeit ist, ergiebt sich gleichfalls kein Widerspruch, dessen Glieder doch
beide wahr wären. Denn dieser Grenzpunkt ist, da seine Ausdehnung
in der Zeit nur gleich Null gesetzt werden darf, in der That ein Nichts
von Zeit, und es dürfen ihm daher auch gar nicht irgend welche po-
sitive Prädicate mit logischem Rechte zugesprochen werden; in Wirk-
lichkeit schliesst sich unmittelbar ohne irgend eine (sei es endliche
oder unendlich kleine) Zvnschenzeit an das Nochnichtdasein das Dasein
an (z. B. an das Nochnichthindurchgegangensein des Mittelpunktes der
Sonnenscheibe durch den Horizont das Elindurchgegangensein). Der
Grenzpunkt, sofern er als etwas Seiendes vorgestellt wird oder als eine
reale Zwischenzeit, welche doch zugleich nur ein Nichts von Zeit sei,
ist eine blosse Fiction, die allerdings für mathematische Zwecke nicht
wohl entbehrt werden kann, in logischer Beziehung aber durch den
Widerspruch, den sie in sich trägt, sich selbst zerstört *). Wird nun
dieses als seiend fingirte Nichtseiende zum Subjecte einer positiven
Aussage gemacht (also etwa: der Zeitpunkt des Anfangs gehört der
2jeit des Daseins, z. B. der Anfangspunkt des Tages dem Tage an), so
ist diese Aussage falsch und nur die ihr contradictorisch entgegen-
gesetzte wahr, aber nicht in dem Sinne, als ob dieser fingirte Zeit-
punkt der Zeit des Nochnichtseins angehörte, sondern in dem Sinne,
dass er überhaupt keiner Zeit angehört, weil er eben gar kein Zeit-
theil, weder ein endlicher, noch ein unendlich kleiner, sondern ein
Nichts von Zeit ist, gleich wie nach der richtigen Bemerkung des
*) Diese Fiction beruht auf der Abstraction, welche von den bei-
den realiter untrennbaren Prädicaten: ausgedehntsein, und: einen Ort
einnehmen, das zweite festhält und modificirt, während sie das erste
völlig beseitigt. Die Leibnizische Monadeulehre, wie auch die Herbart-
sche Annahme einfacher realer Wesen, involvirt den Fehler, die nur in
der Abstraction bestehende Trennbarkeit beider Prädicate für real zu
nehmen und die Punktuälität zu hypostasiren.
16
242 § 77. Der Grundsatz des Widerspruchs.
Aristoteles das Urtheil: iQayiXaipog ian Uvxosy falsch uiid die Ver-
neinung desselben wahr ist, aber nicht in dem Sinne, als ob der Bock-
hirsch eine andere Farbe hätte, sondern weil es überhaupt kein solches
Wesen giebt und die Vorstellung desselben eine blosse Fiction ist. Wir
können uns demgemäss auch nicht mit Trendelenburg einverstanden
erklären, welcher zugiebt, dass in der Bewegung ein Widerspruch her-
vortrete (Log. Unters. I, S. 152, 2. A. I, S. 187, 3. A. I, S. 189: idie
Bewegung, die vermöge ihres BegrifiEs an demselben Punkte zugleich
ist und nicht ist, ist das lebendige Widerspiel der todten Identität c ;
1, S. 228, 2. A. I, S. 271, 8. A. I, S. 276: »der Punkt ist der erste
Träger^ desjenigen Widerspruchs, der in der Bewegung, sobald die
darin enthaltenen Elemente zerlegt wurden, hervorträte), und dennoch
der Bewegung Realität zuerkennt, weil nämlich der Grundsatz des
Widerspruchs, wiewohl innerhalb seiner Schranken von unumstösslicher
Gültigkeit, auf die Bewegung, die erst die Gegenstände seiner Anwen-
dung bedinge und erzeuge, nicht angewandt werden könne Ql, S. 96,
2. A. S. 154, S. A. S. 175). Der Grundsatz des Widerspruchs kann
allerdings auch auf die Bewegung (oder vielmehr auf den Satz: es giebt
Bewegung) angewandt werden, wenn wir nämlich nicht bei dem Satze
stehen bleiben, der noch diesseit der Schwierigkeiten liegt: die Bewe-
gung ist Bewegung, sondern ihren Begrifif zergliedern und so auf die
Elemente, die in ihr verschmolzen sind, zurückgehen, was ja auch von
Trendelenburg selbst in der oben angeführten Aeusserung geschieht,
dass die Bewegung (warum nicht vielmehr: das sich Bewegende?) an
demselben Punkte zugleich sei und nicht sei. Aber nach unseren vor-
stehenden Erörterungen ist dieses zugleich Sein und Nichtsein an dem-
selben Punkte ein blosser Schein, und die Bewegung ist eben
darum nicht unmöglich, weil sie nicht widersprechend ist.
Doch möchte es scheinen, als ob der Satz des Widerspruchs wenig-
stens in einem ganz speciellen Falle eine Ausnahme zuliesse, welche
durch die obige Begründung desselben nicht ausgeschlossen, sondern
gerechtfertigt würde. Die Wirklichkeit nämlich, auf welche das Urtheil
sich bezieht und an welcher es das Maass seiner Wahrheit findet, sei
dieselbe eine äussere oder innere (psychische), steht doch in beiden
Fällen dem Urtheil selbst in der Regel als .ein Anderes selbständig
gegenüber: die Wahrheit des Urtheils ist von ihr, aber sie ist nicht
ihrerseits von der Wahrheit des Urtheils abhängig. Nun aber giebt es
einen Fall, wo die Abhängigkeit eine gegenseitige ist, indem nämlich
durch das Urtheil (und zwar nicht erst mittelbar durch ein an das
Urtheil geknüpftes Hsndeln, sondern unmittelbar durch das Gedacht-
werden des Urtheils. selbst) die Wirklichkeit, aufweiche es sich bezieht,
eine andere wird, und daher das Urtheil durch seine eigene Wahrheit
unwahr werden zu können scheint. Offenbar wird dieser Fall dann und
nur dann eintreten, wenn die Wahrheit des Urtheils selbst der
Gegenstand des Urtheils ist oder doch zu dem Gegenstände des
Urtheils mitgehört. Schon die Alten haben diesen Fall, ohne sich
übrigens (soviel wir wissen) über die logische Natur desselben diese
§ 77. Der Grandsatz des Widersprachs. 248
Rechenschaft zu geben, empirisch aufgefunden; das Dictum: »der
Lügner« stellt denselben dar. Epimenides der Kretenser sagt: alle
Kretenser reden stets in allem die Unwahrheit {Xgifreg a€l if/ivcnai).
Hierin liegt nun freilich keine logische Schwierigkeit, wenn das Immer-
lugen nur auf die überwiegende Mehrzahl der Fälle oder vielmehr auf
die herrschende Neigung zum Lügen bezogen wird, was in der That der
Sinn des Satzes im Munde dessen ist, der den Charakter der Kretenser
schildern will; auch unterlieget es nicht dem mindesten Zweifel, dass
die Behauptung, wenn das Immerlügen streng wortlich verstanden werden
sollte, thatsachlich falsch und nur falsch sein würde. Allein es werde
angenommen, dass, abgesehen von diesem Ausspruche des Eretensers
Epimenides selbst, der Satz: alle Kretenser lügen stets in allem, was
sie sagen, in aUen übrigen Fällen ohne Ausnahme wahr sei. Diese
Annahme schliesst, wiewohl sie thatsachlich unstatthaft ist. doch keinen
inneren Widerspruch in sich ein, worauf es bei dieser Untersuchung
allein ankommt, und ist in diesem Sinne nicht unmöglich. Nun aber
fragt es sich, ob unter dieser Voraussetzung der Satz des Widerspruchs
in Bezug auf den Ausspruch des Epimenides Gültigkeit habe oder nicht,
also ob dieser Ausspruch zugleich mit seinem contradictorischen Gegen*
theil wahr sein könne oder nicht. Hierin liegt in der That ein logisches
Problem, welches wissenschaftlich gelöst sein will und nicht, wie von
vielen unter den neueren Logikern geschieht (die Alten haben sich
wenigstens emstlichst um die Lösung bemüht), durch die eine oder
andere Ausflucht umgangen werden darf, am allerwenigsten aber durch
die triviale Berufung auf das vorgebliche Angeborensein der Ueber-
zeugrung von der ausnahmslosen Wahrheit jenes Grundsatzes sich ab-
fertigen lässt. Ist unter der obigen Voraussetzung die Behauptung des
Epimenides allgemein zutreffend, also wahr, so würde damit zugleich,
hätte ein Fremder sie aufgestellt, ihr oontradictorisches G^entheil (die
Kretenser lügen nicht stets in allem, was sie sagen, sondern reden
mindestens zuweilen die Wahrheit) falsch sein und bleiben; da aber
Epimenides, der diese wahre Aussage über die Kretenser gethan hat,
selbst ein Kretenser ist, so giebt es ja nun doch diese Eine wahre Aus-
sage im Munde eines Kretensers; also ist der Satz, dass die Kretenser
stets in allem lügen, durch seine eigene Wahrheit falsch geworden, und
sein contradictorisches Gegentheil ist also eben so wahr, wie er selbst.
Dasselbe lässt sich auf folgende Weise schliessen. Ist jene allgemeine
Behauptung über die Kretenser wahr, so muss sie auch von Epimenides
dem Kretenser und seiner Aussage gelten ; er selbst muss also auch mit
diesem Ausspruch eine Unwahrheit gesagrt haben, und die Behauptung
hat sich wiederum durch ihre eigene Wahrheit als falsch erwiesen, so
dass auch ihr contradictorisches Gegentheil wahr sein muss* Auch sind
dann die beiden Sätze: dieser Ausspruch ist wahr, und: derselbe ist
nicht wahr, beide wahr, dem Princip des Widerspruchs zuwider. (Unsere
erste Betrachtung legt die Wahrheit der Aussage des Epimenides als
deren logisches Attribut zum Grunde, welches aber nunmehr mitdienen
muss, den objeotiven Thatbestand zu constituiren, und schliesst aus
244 § 77. Der Grundsatz des Widerspruchs.
diesem Thatbestande auf die Unwahrheit derselben hinsichtlich ihres
Inhalts ; die zweite geht von der Bedeutung der Wahrheit der Behaup-
tung in Anbetracht ihres Inhalts aus, und schliesst daraus auf einen
Thatbestand zurück, zu welchem mitgehört, dass derselben Aussage das
Attribut zukomme, unwahr zu sein.) Wollten wir aber zuerst annehmen,
dass der Ausspruch falsch sei, so würden wir uns mit gleicher Noth-
wendigkeit zu der Folgerung fortgetrieben sehen, dass er auch wahr
sein müsse. Denn alle anderen Aussagen der Kretenser sind, der obigen
Voraussetzung zufolge, Unwahrheiten; ist nun auch diese Aussage des
Kretensers Epimenides unwahr, so sind eben schlechthin alle unwahr;
dann aber ist ja um dieses Thatbestandes willen die Behauptung wahr,
dass alle Kretenser stets in allem die Unwahrheit sagen; der Satz ist
durch seine Unwahrheit wahr geworden. Das Gleiche kann auch auf
folgende Weise gezeigt werden. Ist die Behauptung unwahr, dass alle
Kretenser stets lügen, so heisst dies, dass es wenigstens Ein Beispiel
geben muss, wo ein Kretenser wahr redet; der obigen Voraussetzung
zufolge sind aber alle ihre übrigen Aussagen Unwahrheiten, also kann
die Aussage des Epimenides nicht auch unwahr sein, sondern muss
selbst jene Eine Ausnahme bilden, also wahr sein, und so hat sich uns
wiederum aus der Unwahrheit der Behauptung ihre Wahrheit ergeben.
Die Sätze: dieser Ausspruch ist unwahr, und: derselbe ist wahr, sind
also auch wiederum beide währ. (Hier legt in ganz analoger Weise,
wie vorhin, unsere erste Betrachtung die Unwahrheit der Aussage des
Epimenides als deren logisches Attribut zum Grunde, welches aber nun-
mehr den Thatbestand mitconstituirt, und folgert aus diesem Thatbestande
die Wahrheit derselben hinsichtlich ihres Inhalts; die zweite dagegen
geht von der Bedeutung der Unwahrheit der Behauptung in Rücksicht
ihres Inhalts aus und schliesst daraus auf einen Thatbestand zurück,
zu welchem mitgehört, dass derselben Aussage das Pradicat zukomme,
wahr zu sein.) — Aber dennoch, trotz jener scheinbaren Rechtfertigung,
würde es eine Uebereilung sein, wenn jemand zugeben wollte, dass hier
eine wirkliche Ausnahme von dem Gesetze des Widerspruchs statthabe.
Denn unter dem grammatisch einfachen Ausdruck sind zwei logisch
verschiedene Urtheile zusammengefasst, von denen das zweite gar nicht
gedacht werden kann, also gar nicht als wirkliches Urtheil existirt,
wofern nicht das erste zuvor gedacht worden ist. Das erste Urtheil
nämlich geht auf alle übrigen Aussagen der Kretenser; es ist unter der
Voraussetzung, von der wir hier überhaupt ausgegangen sind, dass jene
sämmtlich unwahr seien, wahr und nur wahr, sein contradictorisches
Gegentheil aber falsch und nur falsch. Erst mit Bezug auf dieses Urtheil
kann das zweite gebildet werden, worin die gleichlautende Behauptung
in solcher Allgemeinheit gedacht wird, dass sie sich auch auf das erste
Urtheil und dessen Wahrheit mitbezieht. Da nun aber in diesem ersten
Urtheil bereits eine wahre Aussage vorliegt, so ist der Satz in dieser
Erweiterung nicht mehr allgemein wahr, sondern falsch und nur falsch,
die Verneinung desselben aber oder sein contradictorisches Gegentheil
wahr und nur wahr. Wir dürfen also, wenn hier jene volle Strenge
§ 77. Der Grundsatz des Widerspmcbs. 245
des Gedankens und der Gedankenbezeichnung herrschen soll, ohne welche
alle derartigen Untersuchungen werthlos sind, den Ausdruck nicht fest>
halten, dass das nämliche Urtheil durch seine eigene Wahrheit den
Thatbestand, worauf es gehe, verändere und in Folge davon falsch werde,
sondern müssen denselben dahin berichtigen: durch die Wahrheit des
ersten ürtheils wird das zweite falsch, dessen ideelle Voraussetzung jenes
erste bildet. Und so behauptet der Satz des Widerspruchs auch gegen-
über diesem sehr verführerischen Scheine einer Ausnahme seine in der
That ausnahmslose Gültigkeit.
Die Aufgabe, den Widerspruch schlechthin zu vermeiden, fordert
eine so harmonische Durchbildung des Denkens und zugleich eine solche
Reinheit und Freiheit der Gesinnung, dass ihre Lösung ein immer
nur annäherungsweise zu erreichendes Ideal bleibt. Nicht nur die
Lücken unserer Forschung, sondern auch jede Art von sittlicher Be-
schränktheit, Haften an nationalen, religiösen, politischen und socialen
Yorurtheilen führt in Widersprüche. In den antithetischen Problemen
(s. § 136) bekundet sich die Schwierigkeit der Ueberwindung des Wi-
derspruchs.
Zur Geschichte des Satzes (worüber auch die schon oben zu
§ 76 angeführten Abhandlungen von Weisse und I. H. Fichte ver-
glichen werden mögen) bemerken wir noch Folgendes. Schon Par me-
nides, der Eleate, stellt dem positiven Grundsatze: tlanv, oder: iov
Ifufievai, oder: ^art ytcQ iJvaif den negativen zur Seite: ovx Htttt fiti
tlvtti (Parm. fragm. ed. Mullach. vs. 35), oder: ouib yaQ ovx iov ftni
(vs. 106), oder: ov yitQ qctrov ov^k vorjrov iariv on<og ovx l<m (vs. 64 — 65),
oder: ov yitQ jn-^nore rovro y* ?3 (y*«*^?) *?»'«« ^^ lovra (vs. 52). In die-
sen Aussprüchen und insbesondere in dem letzten (dessen angeführte
Form jedoch nicht durchaus urkundlich feststeht, sondern zum Theil
nur auf Conjecturen zu (Plät.?) Soph. p. 287 beruht) liegt der Keim
des Satzes vom Widerspruch ; denn es wird darin die Behauptung, dass
das sei, was nicht ist, für unstatthaft erklärt, also der Sache nach das
Zusammenbestehen oder Zusammenwahrsein des Ürtheils: dieses ist,
mit dem Urtheil: dieses ist nicht, verneint. (Der Satz hat also nicht
erst, wie Weisse a. a. 0. meint, in der Opposition des Aristoteles
gegen die Sophisten, noch auch, wie I. H. Fichte a. a. 0. S. 17 ver-
mnthet, in der Platonischen Ideenlehre seinen Entstehungsgrund.) Doch
haben jene Aeusserungen bei Parmenides vielmehr eine metaphysische,
als eine logische Tendenz. — Bei Xenophon Memorab. IV, 2, 21 sagt
Sokrates: oc av ßovXofiiVoq iaXri9^r\ Xfydv /arj^^noTC ta aura nfgl rtSv
nuTtiv Xfyg, teXV 6S6v re (fQuC^v ttjv aurtjv tot^ fihtf ttqos ?a>, totI Sh
TtQog kaniQav (pQct^i^, . . . drilog ort ovx o7d(v — Plato unterscheidet,
indem er die metaphysische Aufgabe behandelt, das Verhältniss von
Sein und Werden festzustellen, die intelligibeln und sinnlichen Dinge.
Ein jedes der sinnlichen Dinge, lehrt er, vereinig^ in sich das
Ent^i^egengesetzte : was gross ist, ist doch zugleich auch klein, was schön
ist, auch hässlich etc.; man kann nicht den Gedanken festhalten, dass
es sei, was es ist, noch auch, dass es das Gegentheil sei oder nicht sei,
246 § 77. Der Griindsatz des Widerspruchs.
denn alles Sinnliche ist in unablässigem Wechsel begriffen. Eben darum
kommt ihm nicht das Sein zn, sondern es schwebt in der Mitte zwischen
dem Sein und Nichtsein: aua ov re xdi fjtri ov — ixeZvo ro afnpojif^iov
fisrä^ov Tov tlvcU ji xal juti üvai. Von einer jeden der Ideen
dagegen gilt der Satz des Parmenides über das Sein: sie ist aäi xtaa
ravra tagavifoi ixovaa (Plat. de Bep. Y, p. 478 sqq.). Im Phädon
nennt Plato neben den Ideen und den sinnlichen Dingen noch ein
Drittes, nämlich die den sinnlichen Dingen inhärirenden Eigenschaften,
und spricht nicht nur den Ideen das beständige Sichgleichbleiben zu,
sondern behauptet auch von den Eigenschaften der sinnlichen
Dinge, dass dieselben, so lange sie überhaupt als das, was sie sind,
bestehen, niemals zugleich das Entgegengesetzte werden oder sein
können. Phädon p. 102 D: ov (aovov avio t6 fjiiye&oq ovdinot* i&iXaiv
ufitc fjiiya xal a/iix^ov elvaiy alXä xal ro iv fifitv fifyeOxtg oudinore
n^S^äx^a&ai jo a/ntxQov ov6^ i&äXeiv vniQ^x^a&atj alXa dvdiv jo m-
Qov^ ? (pevyeiy xal vmx/togetv — rj — anoXaXivai, Ib. 102 E: ovx
iO-iXii — ovSkv Ttav ivavriojv in ov oticq ij»» «,«« Tovvai^lov yiyvea&a£
7€ xal elvai. Ib. 103 B: avro ro ivavrlov iaur^ ivavriov ovx av ttotc
yivottOy ovT€ t6 iv ^/nTv^ oure to iv ry ipvau. Ib. 103 C: ^vvtü/uoXo-
y^xafÄCV aga — f^TjS^nore ivavxlov iavxijt jo ivavrCov iasa^ai. Von den
sinnlichen Dingen aber sagt Plato, dass stets das Entgegengesetzte
aus dem Entgegengesetzten werde, ja dass auch gleichzeitig die ent-
gegengesetzten Eigenschaften an ihnen seien. Phaedon p. 70 D : ovrwrl
yfyvitat navxay ovx aXXo&ev rj ix rtov ivavrltov xa ivavria. Ib. 103 B :
ix jov ivavtlov nQdyf4ajos to ivavxCov ngayfia yiyvea&ai. Ib. 102 B :
ag* ov — Xfyetg tot' elvat iv rtß 2if4.fiüf afiipoTSQa, xal fiiyidag xttk
afÄiXQOTtjTa; fyaoye. Vgl. an dem vorhin angef. Orte aus der Bep. die
Worte p. 479 B : ävdyxij — xal xaXa 7to}S avrä ata^Q^ fpavijvai xal oaa
aXXa igfotqs ' — ael ixaarov afitporiQUiV e^eiau (Ferner vgl. Plat Bep.
603 A: ovxovv i(pafiev t^ avT(p afia neol ravra ivavria ^o^dCeiv äJvva-'
TOV ilvai; — xal oQ&as y^ i(fafiev, wo hieraus bewiesen werden soll,
dass das XoyiOTixov, dessen ioyov das Messen etc. sei, verschieden sei
von den niederen Theilen der Seele: t6 noQa tu fiirga aga So^aCov
rijf ^fv/iig r^ xnra rä fiirfta ovx av etfj TairtoVy nicht die Yereinig^un^
der Glieder des Widerspruchs im Object, sondern das Bestehen des
Widerspruchs in dem denkenden Subject wird hier in Erwägung gezo-
gen.) Es bedurfte dieser ausführlichen Citate namentlich auch darum,
damit klar werde, inwiefern es eine ungenaue Angabe sei, wenn (wie
häufig geschieht) ohne nähere Bestimmung und Einschränkung gesagt
wird, dass Plato bereits den Grundsatz des Widerspruchs (insbesondere
Phaedon 103 G in den Worten: fnn^inoTB ivavtlov kaut^ to ivayilov
iasad-ai) aufgestellt habe. Der Satz des Widerspruchs geht ausschliess-
lich auf den oontradiotorischen Gegensatz; die angeführte Stelle im
Phädon dagegen bezieht sich, zunächst wenigstens, auf contrar entge-
gengesetzte Prädicate. Der Unterschied zwischen dem conträren und
contradictorischen Gegensatze ist aber auch überhaupt von Plato noch
nicht mit Bestimmtheit aufgestellt worden, was doch eine nothwendige
w
§ 77. Der Grundsatz des Widerspruchs. 247
BedingruBg der reinen Auffassung jenes Grundsatzes ist. So glaubt
denn Plato, da er in den sinnlichen Dingen conträre Gegensätze ver-
einigt findet, auch contradictorisch Entgegengesetztes ihnen zuschreiben
zu mtUsen; insbesondere erscheint ihm der Wechsel der Frädicate
als Widerspruch in den Dingen: dasselbe Ding hat jetzt, und hat
doch jetzt nicht mehr dasselbe Prädicat. (Die Reflexion, dass, weil der
zweite Zeitpunkt ein anderer ist, darum auch das zweite Urtheil in
affirmativer Form ein neues sein würde und in negativer Form daher
nicht mehr den contradictorisch en Gegensatz des ersten bilden kann,
würde diesen Schein aufgelöst haben, liegt aber jenseit des Piatonismus.)
Demgemäss schliesst Plato die sinnlichen Dinge als das, was zugleich
sei und nicht sei, von dem Gebiete der Herrschaft jenes Grundsatzes
(in beiderlei Sinne) aus, unterwirft derselben aber das eiktxgivcig oy,
welches gleichförmig und unveränderlich sei, wie die Ideen und die
mathematischen Objecto. Am wenigsten mit metaphysischen Beziehun-
gen verflochten und der logischen Form bei Aristoteles nahestehend,
erscheint der Satz Euthydem. p. 293 B, wo die Möglichkeit verneint
wird, dass etwas Seiendes eben das, was et sei, auch nicht sei (ri rdiv
oyrmv rovro, o Tvyj^avsi ov, aino tovro fxrj eJvai). — Aristoteles,
Piatos Lehren fortbildend, spricht den Satz dea Widerspruchs als me-
taphysischen Grundsatz in der folgenden vorsichtig umgrenzten
Formel aus: es ist unmöglich, dass dem Nämlichen das Nämliche in
der nämlichen Beziehung zugleich zukomme und nicht zukomme. Me-
taph. III, 3. 1005 b. 19: t6 avro afia vnaQx^vk t€ xal firi vnag^etv
tt^vvatov 7^ avT^ xai xaiä j6 avro. (Die Fassung dieses Satzes erinnert
an den von Plato Rep. lY, p. 436, wiewohl in einem anderen Sinne,
aufgestellten Satz: ^^Xov, on tuvtov tavavtia noieiv ^ ndax^'V xttwa
ittvtov ye xal ttqos Tavvov ovx l&slriff€t Sfia,) In der Parallelstelle Me^
taph. m, 6. 1010 b. 18 stellt Aristoteles den Ausdruck der Gleichzei-
tigkeit: Iv Tip avTtp XQ^'^V} i^och neben das aua ovro> xtü ovx ovrms.
Mit urgirter Bedeutung des tttino drückt Aristoteles den gleichen Grund-
satz in der kürzeren Formel aus : es kann nicht das Nämliche sein und
auch nicht sein. Anal. pri. II, 2. 53 b. 15: t6 airro afjia eJvcu t€ xal
ovx €lvai — a^vvajov, Metaph. 11, 2. 996 b. 30 : äSvvarov a/tta dvm xal
fifl flvtu, Gf. Metaph. III, 4. 1006 a. 1. Hiermit verknüpft Aristoteles
den entsprechenden logischen Grundsatz: widersprechende Aussagen
können nicht zusammen wahr sein, oder: es kann niemand anneh-
men, dass das Nämliche sei und nicht sei. Metaph. III, 6. 1011 b. 18:
ßeßaioroTfj do^a naamv to firi dvai aXrj^sZs afia rag avTixHfiivag (paaug.
Ib. b. 16: advvojov triv avtlipaatv alrjS-evsa&ai. a/uia xarä lov avroü,
8. 1012 a. 2 : ayitipaaeig — ovx °^^ ^^ ^f^^ äkti&eig elvai. Gf. de interpr. 6,
17 a. 38: xal ^arej avrlipaaig tovro' xatdipaaig xal änoipaaig al am-
xHfiivat, AnaL post. I, 11. 77 a. 10: ^^ ivftix^ad-ai u/Aa tpavat xal
anoipayai. Metaph. III, 8. 1005 b. 23: äSvvarov ovrivovv tahtbv imo-
XafAßavHv ilvai xal fAij ilvat. Es lässt sich eine Nachvdrkung der Pla-
tonischen Auffassung darin erkennen, dass auch Aristoteles meint, wenn
alles sich bewegte, so würde nichts wahr sein (Metaph. in, 8. 1012 b.
24d § 77. Der Grandsatz dos Widersprachs.
26: d ök nnvra xivfTutiy ovSkv eariu aXri&^s, navia kqh ijttvdr^, vgl.
III, 5. 1010 a. 15 und VIII, 10. 1051 b. 18), und dass er, um die Gül-
tigkeit des Satzes vom Widerspruch vollständig zu siohem, der An-
nahme eines durchaus unveränderlichen Seins zu bedürfen glaubt (III,
5. 1009 a. 36: «n cT a$ttoaofitv avrove vnoXafißavuv xal alXijv nva ovaiuv
dv€U Ttov otncDVf Tf ovj€ xCvrimg vnnQ/jt our« (p&oQa ovn yivtaig ro nu-
Qantsv u. 1010 a. 32); doch hält er auch in Bezug auf das Veränder-
liche den Satz nicht mit Flato für schlechthin ungültig, sondern lehrt
vermittelst seiner Unterscheidung zwischen Svvafiig und ivrilix^ia oder
iv^Oyiia genauer, dass das nämliche Object zwar die Anlage der Mög-
lichkeit zu Entgegengesetztem zugleich besitzen, aber nicht die Gegen-
sätze in ihrer Wirklichkeit oder ihrem Entwickeltsein zusammen in
sich tragen könne. Metaph. III, 5. 1009 a. 34: Ji'i'a/ia iv^ix^reu aua
ravTo ih'tu ric ^vavt(a, ivT€X€/€i<f (T ov. cf. VIII, 9. 1051 a. 5. Dieser
letzte Satz geht jedoch mehr auf die conträren, als auf die contradio-
torischen Gegensätze. Uebrigens hält Aristoteles den Satz des Wider-
spruchs noch nicht (wie die moderne formale Logfik) für das zurei-
chende Fundament des gesammten logischen Systems; er ist davon so
weit entfernt, dass er denselben in seinen logischen Schriften sogar
nur gelegentlich erwähnt und nur für ein Princip der Beweise gelten
lässt, aber auch dies nicht ohne diö Restriction, dass doch der Satz
des ausgeschlossenen Dritten eine nähere Beziehung zu den indirecten
Beweisen habe, als der Satz des Widerspruchs zu den direoten (Anal,
post. I, 11). Aristoteles versucht Metaph. III, 3. 1005 b. 16 die lo-
gische Form des Satzes aus der metaphysischen durch eine Argumen-
tation abzuleiten, die jedoch nicht ganz stringent ist, und auch umge-
kehrt Metaph. III, 6. 1011 b. 15 aus der vorausgesetzten Wahrheit doe
logischen Grundsatzes die Wahrheit des metaphysischen darzuthun, und
setzt somit beide zu einander in die engste Wechselbeziehung; für die
Wahrheit derselben aber von einem höheren Princip aus einen directen
Beweis zu führen, erklärt er aus dem Grunde für unmöglich, weil der
Satz (in seiner metaphysischen Form) selbst das oberste und gewisseste
aller Principien sei. Metaph. III, 8. 1005 b. 83: (fvaet yap aQxh ^"*
ttSv ttllojy a^Ko/LittTtov ttvrrj (ij cTol«) navitov. Ib. 4. 1006 a. 6: ßeßtao-
TUTTi avjfj jtov uQxoiv TTaawy, Nur indirect lasse sich die Gültigkeit
dieses Grundsatzes darthun, nämlich durch den Nachweis, dass sich
Niemand im wirklichen Denken und Handeln der Anerkennung dersel-
ben zu entziehen vermöge, und dass mit diesem Satze zugleich alle
Bestimmtheit des Denkens und des Seins aufgehoben werden würde
(Metaph. III, 4). Nach unseren obigen Erörterungen besteht indese
die Unmöglichkeit eines directen Beweises nur so lange, als noch strenge
Definitionen fehlen. Was insbesondere den Beweis des Satzes in seiner
metaphysischen Form betrifft, so lässt derselbe sich auf folgende
Weise führen. Wenn der Gedanke oder überhaupt das, was ein Ab-
bild der Wirklichkeit zu sein bestimmt ist, von seinem realen Vorbilde
abweicht, so finden, den früher aufgestellten Definitionen gemäss, die
Begriffe der Unwahrheit und des Nichtseins Anwendung, und
§ 77. Der Grandsatz des Widerspraclis. 249
zwar auf das Bild der Begriff der Unwahrheit, auf dasjenige aber, dem
es zu entsprechen bestimmt war, der Begriff des Nichtsoseins, und ins-
besondere auf dasjenige, was als reales Correlat der abweichenden
EHemente fölschlich gedacht wurde, der Begriff des Nichtseins. Wahr-
heit und Falschheit, so wie Bejahung und Verneinung, ist immer nur
im Bilde, sofern dasselbe auf die Sache bezogen wird, also im Reiche
der Wirklichkeit nur, sofern in derselben (bewusste oder unbewusste)
Bilder existiren. Der Begriff des Seins besteht unabhängig von dem
des Bildes (wogegen der Begriff der Realität schon das Anerkaunt-
werden des Seins durch ein gegenüberstehendes Denken mitbezeichnet,
also auf das Denken selbst nur insofern angewandt werden kann, als
dieses für ein anderes, auf dasselbe reflectirendes Denken zum Denk-
objecte wird). Das Nichtsein ist weder im Bilde (obschon in diesem
Verneinung sein kann), noch auch im Gegenstande (obschon dessen
Existenz in einem Urtheil, welches dann aber falsch ist, verneint werden
kann), sondern ist überhaupt nicht ; der Begrif des Nichtseins aber
ist ursprünglich in dem verneinenden Urtheil, in welchem die Dis-
crepanz zwischen Bild und Wirklichkeit gedacht wird, und kann mit
Wahrheit immer nur auf das, was, ohne zu sein, fälschlich als seiend
vorgestellt wird, also niemals auf das, was ist, bezogen werden. Mit
anderen Worten : es ist unwahr, dass das Nämliche, was ist, auch nicht
sei, oder (um mit Aristoteles zu reden): es ist unmöglich, dass das
Nämliche sei und auch nicht sei. (Vgl. Trendelenburg, Log. Unters.
II, S. 91 ff., 2. A. S. 148 ff., 3. A. 8. 169 ff.) — Die Aristotelische
Lehre blieb trotz einzelner Anfechtungen im Allgemeinen die herrschende
im späteren Alterthum, im Mittelalter und in der neueren Zeit. Im
Alterthum wird der Satz des Widerspruchs ausser von den Skepti-
kern, welche dafür halten, dass auch in contradictorischen Gegensätzen
das eine Glied um nichts mehr (ovSh' fiaklov) wahr oder wenigstens
beweisbar sei, als das andere, namentlich auch vonEpikur bekämpft.
Dieser will denselben nicht schlechthin, wohl aber insoweit aufheben,
als in den Dingen selbst Unbestimmtheit sei : die Fledermaus (vvxt€qCs)
z.B. sei ein Vogel und auch nicht ein Vogel; der Stengel des Pfriemen-
krautes {vagS-ri^) sei Holz und auch nicht Holz etc. (loann. Sic. schol.
ad. Hermog. VI, p. 201 ed. Walz, abgedr. bei Frantl, Gesch. der Log.
I, S. 360; vgl. Cic. de nat. deorum I, 25). (Uebrigens hatte auch schon
Plato hinsichtlich der Sinnenwelt das Gleiche behauptet, de Rep. V,
p. 479.) Aber dieser Einwurf ist falsch. Denn in Wahrheit* ist bei
solchen Mittelformen, die nach naturwissenschaftlichen Begriffen zu
einer bestimmten Glasse nicht mehr gehören, die Negation und nur
diese wahr; legt man aber einen erweiterten Begriff zum Grunde, der
sie mit einschliesst, so ist dann zwar die Bejahung wahr; allein das
ürthcil ist wegen der Veränderung des Prädicatbegriffs nun auch
materiell ein anderes geworden (trotz der Identität der Worte); also
steht diese Bejahung nicht im contradictorischen Gegensatze zu jener
Verneinung. — Während sich im Mittelalter noch die Thomisten
unbedingt an Aristoteles anschlössen, begann in der Schule der Sco-
250 § 77. Der Grundsatz des Widerspruchs.
tisten der Zweifel zwar nicht den Satz selbst, welchen Aristoteles,
die höchste Autorität in philosophischen Dingen, für das gewisseste
Princip erklärt hatte, aber doch gleichsam dessen Aussenwerke au-
zunageu. £s wurde die Frage aufgeworfen, ob dem Satze wirklich
die Ursprünglichkeit eines obersten Princips zukomme. Der Scotist
Antonius Andrea scheint der Erste gewesen zu sein, der diese Ur-
sprünglichkeit und die Unmöglichkeit eines directen Beweises in Abrede
stellte und den Satz des Widerspruchs aus dem Satze : ens est ens, der
als der positive der frühere sei, abzuleiten versuchte. Gegen ihn nahm
später der Thomist Suarez die Aristotelische Lehre in Schutz, und
erklärte die Formel: ens est ens, um ihrer Leerheit und Unfruchtbar-
keit willen für unberechtigt, als oberstes Princip und als Grund des
Satzes vom Widerspruch zu gelten (s. Polz, comm. metaph. p. 13; 21;
Gl sqq.) — Kühnere Angriffe erfuhr der Satz von Denkern der neueren
Zeit. Locke (Ess. IV, 7) verwarf ihn als eine schale Abstraction, als
ein künstliches Gebilde der Schule ohne Frucht für daci wirkliche Denken.
Aber das Ansehen des Satzes wurde nur um so mehr befestigt, als
Leibniz seine Vertheidigung übernahm und die Locke'schen Einwürfe
bekämpfte. Leibniz hält ihn für ein angeborenes, nicht aus der Er-
fahrung stammendes Princip, welches als Norm für die wissenschaftliche
Erkenntniss unentbehrlich sei (Nouv. ess. IV, 2, § 1). Er sagt (Monadol.
§ 31), dass wir in Kraft dieses Princips für falsch halten, was einen
Widerspruch involvire, und für wahr, was dem Falschen contradictorisch
entgegengesetzt sei. Der letztere Zusatz setzt jedoch voraus (was aber
Leibniz hierbei nicht anmerkt), dass die Falschheit auf andere Art
erkannt worden sei, als durch einen inneren Widerspruch. Denn jeder
Widerspruch mnss sich in der Form von zwei Urtheilen darstellen lassen,
die einander contradictorisch entgegengesetzt sind, und von denen daher
das eine oder andere nothwendig falsch ist, ohne dass wir jedoch ver-
möge des blossen Grundsatzes vom Widerspruch wissen können, welches
von beiden das falsche sei. Wir wissen nach diesem Grundsätze nur,
dass das gemeinsame Für wahrhalten beider Urtheile falsch ist; aber
diesem Falschen ist nichts anderes contradictorisch entgegengesetzt,
als nur der Satz : die beiden Glieder, die der Widerspruch in sich ent-
hält, sind nicht beide wahr — ein Satz, der freilich sehr richtig ist,
aber uns nicht aus den beiden Gliedern das wahre herausfinden lehrt,
was doch die Aufgabe war. Nur wenn wir anderweitig die Falschheit
eines bestimmten unter den beiden Gliedern kennen, erst dann wird der
Satz, dass das contradictorische Gegentheil des Falschen wahr sei, für die
Förderung unserer Erkenntniss Werth haben und aufhören illusorisch
zu sein. Wolff betrachtet mit Aristoteles als selbstverständlich den
metaphysischen Satz : fieri non potest, ut idem praedicatum eidem sub-
iecto sub eadem determinatione una conveniat et non conveniat, immo
repugnet (Log. § 529), oder: si est A, fieri non potest, ut simul A
non sit A (Log. § 271), und leitet daraus vermittelst der Definitionen
des conträren und contradictorischen Gegensatzes, sowie der Wahrheit
und Falschheit den logischen Satz ab : duae propositiones contrariae non
§ 77. Der Grundsatz des Widersprncbs. 261
poflsunt esse simal verae (Log. § 529); propositionuin oontradictoriarum
— altera necessario falsa (Log. § 532). Auch darin schliesst sich Wolfif
genau an Aristoteles an, dass er den Satz des Widerspruchs (wiewohl
er ihn seiner Ontologie zum Grunde legt) nicht als alleiniges Princip
der gesammten Logik auffasst, sondern denselben in der Logik nur
gelegentlich erwähnt« Daries (Yemunftkunst, § 1 ; philos. Nebenstunden,
IV. Samml. S. 176 — 185) betrachtet den Satz des Widerspruchs (-h A — A
3=0, oder: es kann nicht geschehen, dass etwas zugleich sei und nicht
sei) als den ersten Grund unserer Erkenntnisse durch Zeichen, aber nicht
unserer Erkenntniss durch Betrachtung der Dinge. Baumgarten sagt
in seiner Metaphysik (§ 7): nihil est A et non-A: — haec propositio
dicitur principium oontradictionis et absolute primum. Reimarus
OTemunfilehre, § 14), formulirt die Regel des Widerspruchs (principium
oontradictionis) so: ein Ding kann nicht zugleich sein und nicht sein.
Kant (Kritik der r. Yern. S. 190 ff.; vgl. S. 83 ff.) hält den Grund-
satz des Widerspruchs für das Princip der analytischen ürtheile,
deren Wahrheit sich jederzeit nach demselben hinreichend müsse er-
kennen lassen, und zugleich für ein allgemeines, ob zwar bloss negatives
Kriterium aller Wahrheit, indem der Widerspruch alle Erkenntnisse
gänzlich vernichte und aufhebe. Li Bezug auf die synthetische Er-
kenntniss müssen wir nach Kant stets bedacht sein, diesem unverletz-
lichen Grrundsatze niemals zuwider zu handeln, können aber von ihm in
Ansehung der Wahrheit derselben niemals einigen Aufschluss gewär-
tigen; er ist die conditio sine qua non, aber nicht der Bestimmungsgrund
der Wahrheit unserer synthetischen Erkenntniss; denn obgleich eine
Erkenntniss sich selbst nicht widerspräche, so kann sie doch noch im-
mer dem Gegenstande widersprechen. Den Ausdruck des Satzes be-
stimmt Kant dahin: »keinem Dinge kommt ein Prädicat zu, welches
ihm widerspricht«. Er verwirft die Aristotelisch- Wolf fische Formel: es
ist anmöglich, dass etwas zugleich sei und nicht sei, 'theils weil hier
die apodiktische Gewissheit (durch das Wort unmöglich) überflüssiger
Weise angehängt worden sei, die sich doch von selbst aus dem Satze
müsse verstehen lassen, theils und besonders, weil der Satz durch die
Bedingung der Zeit afflcirt sei, da er doch, als ein bloss logischer
Grandsatz, seine Aussprüche gar nicht auf die Zeitverhältnisse ein*
schränken müsse (vielmehr : weil der Begriff des contradictorischen Ge-
gensatzes die Identität des Zeitverhältnisses in den beiden Gliedern,
sofern überhaupt eine Zeitbeziehung in dem betreffenden Falle statt-
findet, schon in sich schliesst). Mit dem Satze des Widerspruchs fasst
Kant den Satz der Identität unter. der gemeinsamen Benennung: Satz
des Widerspruchs und der Identität zusammen (Logik, hrsg.
von Jäsche, S. 75). Die Vertreter der formalen Logik nach Kant
theilen im Allgemeinen seine Ansichten über jenen Grundsatz, urtheilen
aber verschieden über dessen Yerhältniss zu dem Satze der Identität:
die Einen suchen diesen aus jenem oder jenen aus diesem durch Trans-
formationen abzuleiteUi die Anderen halten jeden von beiden für einen
eigenthümlichen und selbständigen Grundsatz. Es kommt in dieser
252 § 77. Der Grundsatz des Widerspruchs.
Frage nur darauf an, wie ein j6der dieser beiden Sätze gefasst wird;
je nach dem verschiedenen Ausdruck und Verständniss werden dieselben
entweder nur als die positive und negative Form eines und des näm-
lichen Gesetzes, oder als zwei verschiedene Gesetze zu betrachten sein.
Fichte (Grundlage der Wissenschaftslehre , S. 17 ff.) sieht in den
Sätzen der Identität und des Widerspruchs den Erkenntnissgrund der
Urthätigkeit des Ich; nämlich der Setzung seiner selbst und des Nicht-
ich, wie er andererseits in dieser Thathandlung des Ich den Realgrund
jener Sätze findet. Hegel (Logik I, 2, S. 36 ff.; S. 57 ff.; Encyclop.
§115; vgl. § 119 und § 79—82) giebt dem Satze des Widerspruchs
den Ausdruck: A kann nicht zugleich A und nicht A sein, und be-
trachtet ihn als die negative Form des Satzes der Identität, wonach
A = A oder alles mit sich identisch ist. Er hält dafür, dass dieser
Satz, statt ein wahres Denkgesetz zu sein, nichts sei, als das Gesetz des
reflectirenden oder »abstractenc Verstandes. Die Form des Satzes wider-
spreche ihm schon selbst, da ein Satz auch einen Unterschied zwischen
Sttbject und Prädicat verspreche, dieser aber das nicht leiste, was
seine Form fordere; namentlich aber werde er durch die folgenden
sogenannten Denkgesetze (den Satz der Verschiedenheit, den Satz der
Entgegensetzung oder des ausgeschlossenen Dritten, und den Satz des
Grundes) aufgehoben. Die Wahrheit dieser Gesetze sei die Einheit
der Identität und des Unterschiedes, die in der Kategorie des Grundes
ihren Ausdruck finde. Nur das Denken als Verstand bleibe bei der
festen Bestimmtheit und der Unterschiedenheit derselben gegen andere
stehen; die nächsthöhere Stufe sei das eigene Sich-Aufheben solcher
endlichen Bestimmungen und ihr Uebergehen in ihre entgegengesetzten,
worin ihre Dialektik oder das negativ-vernünftige Moment
liege; die oberste Stufe endlich sei die Einheit der Bestimmungen in
ihrer Entgegensetzung, das speculative oder positiv-vernünf-
tige Moment, worin sowohl der Dualismus des Verstandes, als auch
der einseitige Monismus der negativen Vernünftigkeit zu ihrem Buchte
als aufgehobene Elemente der vollen speculativen Wahrheit kommen.
Diese Hegel'schen Lehren sind in Bezug auf conträre Gegensätze
nicht ohne Wahrheit (s. u. § 80); ihre Uebertragung aber auf dasVer-
hältniss des contradictorischen Gegensatzes beruht auf einer Ver-
wechselung der logischen Negation mit der realen Opposition, was
namentlich Trendelenburg in seinen »Logischen Untersuchungen«
mit solcher Evidenz dargethan hat, dass wir auf sein Werk an dieser
Stelle verweisen dürfen. Auch Chalybäus sagt (die hist. Entwicke-
lung der speculativen Philosophie von Kant bis Hegel, 2. Aufl., S. 321):
»Es muss zugegeben werden, dass es im Hegel'schen System genauer
anstatt Widerspruch überall heissen sollte: Gegensatz«. Vgl. o. § 31 u,
83 über die dialektische Methode; § 42 über die Anerkennung der
Stufenordnung der Dinge als die wahre Vermittelung zwischen den
beiden Extremen, die in der dualistischen oder »abstract- verständigen«
Scheidung und der monistischen oder »negativ- vernünftigen« Identifi-
cirung liegen ; ferner die Ausführung zum nächstfolgenden Paragraphen
§ 77. Der GrundBatz des Widerspruchs. 253
über das Gesetz des ausgeschlossenen Dritten. Was aber insbesondere
Hegel's Tadel anbetrifft, dass der Satz des Widerspruchs die Verschie-
denheit des Prädicates vom Subjecte nicht berücksichtige, so knüpft
sich dieser nur an die von ihm gewählte Form des Satzes, welche,
weit entfernt, demselben wesentlich zuzukommen, vielmehr ein sehr
unangemessener und von der wahren Bedeutung ablenkender Ausdruck
ist; der wahre Ausdruck schliesst die Bücksicht auf Subject und Prä-
dicat und überhaupt auf die sämmtlichen Urtheilsverhältnisse in sich
ein. Her hart (Lehrbuch zur Einl. in die Philos. § 39) bringt den
Satz des Widerspruchs auf die Formel: »Entgegengesetztes ist nicht
einerlei c. Er hält nicht nur an der Gültigkeit des Satzes fest, sondern
überspannt sogar die Bedeutung desselben dahin, dass dadurch ausser
der Vereinbarkeit contradictorischer Gegensätze oder der Bejahung und
Verneinung des Nämlichen auch die Vereinbarkeit oontrarer Gegensätze,
ja auch schon die Vereinbarkeit einer blossen Mehrheit von Prädicaten
in demselben Subjecte (falls dieses nicht ein Aggregat ohne wahre Ein-
heit sei) und daher namentlich die Denkbarkeit des Dinges mit meh-
reren und wechselnden Eigenschaften ausgeschlossen werden soll. Beide
Extreme, das HegeFsche und das Herbart'sche, sind nur die nach den
en^egengesetzten Seiten hingewandten Aeusserungen des nämlichen
Grundirrthums, nämlich der Verwechselung des contradictorischen und
des oonträren Gegensatzes: Hegel übertragt, was von diesem gilt, auch
auf jenen, Herbart, was von jenem, auch auf diesen.
S ig wart in s. Logik Bd. 1. Th. 1. Abschn. 4. Die Verneinung«
§ 23 Der Satz des Widerspruchs S. 144 ff. hat neuerdings versucht, der
Auffassung des Aristoteles und im Anschluss daran auch dem Satze
selbst eine andere Bedeutung beizulegen, als die oben angenommene.
Aristoteles soll in der angef. Stelle Metaph. UI, 3. 10O5 b. 19 u. 4.
1006 b. 33 nichts als eine Declaration über die Bedeutung der Ver-
neinung gegeben haben, die Wesen und Sinn derselben in einem Satze
darlege, der übrigens selbst nicht ohne die Verneinung ausgesprochen
werden könne, und darum nur den Werth habe, Demjenigen, der die
Negation g^ebrauche, sein eigenes Thun zum Bewusstsein zu bringen. —
»Ist dies der Sinn, in welchem Aristoteles sein Princip des Wider-
spruchs gemeint hat — bemerkt S ig wart S. 146 u. ff. — so erhellt
auch, was die positive Kehrseite desselben sein muss ; nämlich der Satz,
dass Jeder, der mit Bewusstsein Etwas behauptet, eben das behauptet,
was er behauptet, dass seine Rede einen festen Sinn haben muss,
weil er sonst in der That nichts sagte, wenn sich ihm, während er
denkt und spricht, ein anderer Sinn unterschöbe; es muss gelten: was
ich geschrieben, das habe ich geschrieben, was ich sage, das sage ich.
Es ist aber klar, dass damit nur eine Ergänzung zu dem gemeint sein
kann, was wir oben Constanz der Vorstellungen genannt haben;
es ist die Eindeutigkeit des Urtheilsaktes. Wollte man dem
aristotelischen Grundsatz ein Princip der Identität gegenüber stellen,
so mnsste diese Eindeutigkeit des Urtheilsaktes seinen Inhalt bilden.
Allein erst aus der Abweisung des zugleich Bejahens und Verneinens
264 § 78. Der Grandsatz des aasgeschloBsenen Dritten.
kommt diese Eindeatigkeit zum Bewnsstsein, und sagt nichts, was niobt
der Satz des Widerspruchs auch sagte. Es ist also vollkommen natar-
gemäss, dass Aristoteles den Satz des Widersprachs allein als Prin-
cip heraushebt, und seine positive Kehrseite nur gelegentlich zum
Ausdruck bringt (Metaph. lY, 4 £F.), wie auch lange Zeit unter dem
Principium identitatis der aristotelische Satz des Widerspruchs ver-
standen wurde.« — Dieser Auffassung Sigwart's hat Wundt in s.
Logik Bd. 1. Abschn. 6. Cap. 1. Ib. S. 606 u. ff. widersprochen. Es
scheint ihm, »dass mit diesem Begriff der Eindeutigkeit der Sinn des
Identitätsgesetzes nicht zutreffend bezeichnet ist, da der Satz A = A
nicht auf das Yerhältniss des Urtheils zu andern Urtheilen, sondern zu-
nächst nur auf die Stetigkeit der Begriffe im einzelnen Urtheil sich
bezieht.« — Gerade darum, weil der Satz des Widerspruchs nicht selbst
schon das Gresetz der positiven Urtheile sei, sondern nur auf dasselbe
zurückschliessen lasse, weil er es voraussetze, erscheine es angemessen,
abweichend von dem Gebrauche der älteren Logik das Identitätsgesetz
positiv zu formuliren. In derXhat übertreffe dasselbe in dieser seiner
positiven Form den Satz des Widerspruchs ebenso sehr an Bedeutung,
wie das positive das negative Urtheil. —
§ 78. Der Grundsatz des aasgeschlossenen
Dritten oder mittleren (principium exclusi tertii sive
medii inter duo contradictoria) laatet: contradictorisch einan-
der entgegengesetzte Urtheile (wie: AistB, nnd: A ist nicht
ß) können nicht beide falsch sein und lassen nicht die Wahr-
heit eines dritten oder mittleren Urtheils zu, sondern das eine
oder andere derselben muss wahr sein, und aus der Falsch-
heit des emen folgt daher die Wahrheit des anderen. Oder :
die Doppelantwort : weder ja noch nein, auf eine und die-
selbe in dem nämlichen Sinne verstandene Frage ist unzuläs-
sig. Die Gültigkeit dieses Gesetzes folgt wiederum aus den
Definitionen der Wahrheit (§ 3), des Urtheils (§ 67) und der
Bejahung und Verneinung (§ 69), welchen gemäss die Falsch-
heit der Bejahung gleichbedeutend ist mit der Abweichung
der Vorstellungscombination von der Wirklichkeit, folglich
mit der Wahrheit der Verneinung, und die Falschheit der
Verneinung gleichbedeutend mit der Uebereinstimmung der
Vorstellungscombination mit der Wirklichkeit, folglich mit
der Wahrheit der Bejahung.
Die obigen Bemerkungen zum Gesetze des Widerspruchs über die
im Begriffe des oontradictorischen Gegensatzes liegende Gleichheit der
Zeit und der anderen Beziehungen, über die Bestimmtheit des Sinnes
der Urtheile, über die Beweisbarkeit des Satzes und deren Voraas-
§ 78. Der Chrandsatz des ausgeschlossenen Dritten. 256
Setzungen und über den Fall der scheinbaren Ausnahme finden auch
wiederum auf das Gesetz des ausgeschlossenen Dritten Anwendung
und sind hier um so mehr zu beachten, da dieses Gesetz dem Missver-
ständnisse noch in höherem Maasse ausgesetzt ist. — An falsche An-
sichten über die Tendenz und den Sinn des Gesetzes knüpfen sich die
verschiedenen Einwürfe, die man theils gegen seinen Werth, theils
auch gegen seine Wahrheit erhoben hat. In der ersten Beziehung
hat man es (und zwar fast gleichmässig auf den ganz entgegengesetzten
Standpunkten der reitien Speculation und Empirie) der Leerheit und
Oberflächlichkeit beschuldigt und ihm aus diesem Grunde auch wohl
die Eixistenzbereohtigung in der Logik absprechen wollen: es unter-
scheide nicht zwischen den Fällen, wo die Verneinung angemessen und
wo sie unangemessen sei, und nicht zwischen der partiellen und totalen
Verneinung, was doch die erste Bedingung eines tieferen Eingehens
sein würde; mithin sei dasselbe eine bedeutungslose und unfruchtbare
Formel (Hegel, Encycl. § 119; Beneke, Logik I, S. 104 ff.). Aber
diese Vorwürfe beruhen nur darauf, dass von dem Satze gefordert
wird, was nicht in seiner Aufgabe liegt. Der richtig verstandene Sat2
sagt nicht, dass man bei jedem gegebenen Subjecte nach möglichen
Prädicaten gleichsam >ins Blaue hinauslangen c dürfe oder gar solle,
um dann ein jedes entweder durch den positiven Prädicatsbegriff oder
durch dessen oontradictorisches Gegentheil bestimmbar zu finden, dass
man also z. B., um Pradicate des Geistes zu erhalten, etwa die Eigen-
schaftsbegriffe grün und nicht-grün, hölzern und nicht-hölzern etc.
heranbringen und sich nun der Gewissheit erfreuen solle, dass jedesmal,
wenn nicht das eine, dann sicherlich das andere Prädicat zutreffen
mibse. Das wäre albern. Der Satz setzt vielmehr eine vernünftige
Fragestellung schon voraus. Welche Fragestellung aber vernünftig
sei, soll nicht erst durch ihn gezeigt werden^ sondern folgt aus dem
Wesen der Bejahung und Verneinung (vgl. oben § 69): es muss näm-
lich irgend ein Motiv der Bejahung geben können, also in der Regel
zum mindesten der Gattungsbegriff, unter welchen das fragliche Prä-
dicat föllt, dem Subjecte zukommen. Ist die Fragestellung nicht ver-
nunftgemäss, so führt der Satz des ausgeschlossenen Dritten zwar zu
einem unangemessenen, aber dennoch nicht zu einem unwahren Urtheil
(denn dass der Geist nicht blau, dass er kein Tisch sei etc. — ist nicht
unwahr, und der Modethorheit der Tischorakel gegenüber ist ja das
letztere Urtheil eine Zeitlang sogar nicht einmal unangemessen oder
überflüssig gewesen); der Satz gilt ohne Ausnahme bei jeder Frage-
stellung, wofern nur der Sinn der Frage unzweideutig bestimmt ist,
wesshalb derselbe auch nicht (wie I. H. Fichte a. a. 0. S. 30, und
ülrici, Logiky S. 125 fordern) durch Aufnahme der obigen Bedingung
in seiner Formel beschrankt werden darf; die Schuld der unange-
messenen Anwendung aber trifft nicht den Salz selbst. Doch musste
freilich der Name, den einige Logiker dem Satze des ausgeschlossenen
Dritten haben geben wollen: »Satz der Bestimmbarkeit jedes Gegen-
standes durch jedes Prädioät« und die Formel, dass jedem Dinge von
266 § 78. Der Grundsatz des ausgeschlossenen Dritten.
allen möglichen einander contradictorisch entgegengesetzten Pradicaten
das Eine zukommen müsse, jenes absurde »Hinauslangen in's Blauet
zu provociren scheinen, und einer solchen Auffassung gegenüber ist
jener Tadel nicht ohne eine gewisse Berechtigung. Dass der richtig
verstandene Satz nicht unfruchtbar ist, zeigt insbesondere seine Anwen-
dung bei indirecten Beweisen ; übrigens würde auch abgesehen von allen
Anwendungen die wissenschaftliche Pflicht systematischer Vollständig-
keit fordern, ihn dem Satze des Widerspruchs als dessen wesentliche
Ergänzung zur Seite zu stellen.
Aber nicht bloss gegen den Werth und die Fruchtbarkeit, son-
dern auch gegen die Wahrheit des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten
sind Einwürfe gerichtet worden: einige Logikerhaben denselben durch
gewisse Ausnahmen beschränken, andere völlig aufheben wollen. Jene
meinen, der Satz gelte in dem Falle nicht, wenn das Subject ein allge-
meiner Begriff sei; so sei z. B. das Dreieck überhaupt weder recht-
winklig, noch auch nicht rechtwinklig. (So lehrt namentlich Krug,
Denklehre, § 19.) Jedoch es ist nur die Unbestimmtheit des Sinnes, die
hier den Schein der Ungültigkeit erzeugt. Ist der Sinn des Satzes
dieser : jedes Dreieck ist rechtwinklig, so ist die Verneinung desselben
und nur die Verneinung wahr. Ist aber der Sinn: es giebt überhaupt
rechtwinklige Dreiecke als mathematische Objecto, so ist die Bejahung
und nur diese wahr. — Andere (wie namentlich Hegel und seine
Schule, und Friedr. Fischer, Logik, S. 40 ff.) versagen dem Satze
überhaupt die Anerkenung seiner Berechtigung. Das Mittlere sei viel-
mehr in sehr vielen Fällen gerade das wahre Prädicat; ja alle £nt-
wickelung beruhe auf der Vermittelung der Gegensätze. Zwischen
schuldig und nichtschuldig liege halbschuldig in der Mitte, zwischen
der vollen Zurechnung und der vollen Nichtzurechnung die partielle
Zurechnung, eine gesetzliche Ausschliessung dieser Mitte sei ein ver-
derblicher Irrthum, der die Richter nicht selten in die peinliche Alter-
native einer ungerechten Freisprechung oder ungerechten Verurtheilung
setze und so wider besseres Wissen und Wollen zu Aussprüchen von
nur halber Wahrheit zwinge. Die absolute Anerkennung oder Ver-
werfung, die einfache Eintheilung der Charaktere in gute und böse
mit Ausschluss der Mittelstufen, der Systeme in wahre und falsche
ohne Würdigung des allmählichen E'ortschritts der Erkenntniss, der
Erzählungen in glaubhafte und irrthümliche oder erlogene ohne Ver-
ständniss des Wesens des Mythus und der poetischen Wahrheit — dies
alles bezeichne in der Regel eine gewisse Rohheit des Denkens; der
Gebildete aber wisse die feineren Verzweigungen von Wahrheit und Irr-
thum zu erkennen und die überall verbreiteten Elemente der Wahrheit
aus der Hülle von Irrthümern, wie das Gold aus den Schlacken, her-
auszufinden. Hegel sagt (Philosophie der Geschichte, Ausgabe von
1887, S.202): »eine Philosophie der Geschichte hat in den verkümmertsten
Gestalten ein Moment des Geistigen aufzusuchenc. Schon Aristoteles
(Metaph. I, 10; cf. II, 1) und noch entschiedener Leibniz (im dritten
Briefe an Remond de Montmort, S. 704 der Erdmannschen Ausgabe)
§ 78. Der Grundsatz des ansgeschloflsenen Dritten. 35t
weisen auf die in den verschiedenfiten und einander aufs sohärfiBte
widerstreitenden Systemen verborgen liegenden Wabrheitselemente hin,
die der aufmerksame Blick des tieferen Forschers in ihnen allen zu
erkennen yermöge; ja Leibniz (de oonform. fid. et rat. §80) bemerkt
(gegen Bayle), dass die Vernunft, wo sie zwei einander entgegengesetzte
Ajisichten beide als falsch erkenne, da gerade die erhabenste Einsidit
rerheisse; jedoch hat sich weder Aristoteles, noch Leibniz über das
Verhältniss jener Belativität zu der absoluten Gültigkeit der logischen
Gesetze des Widerspruchs und des ausgeschlossenen Dritten, die von
beiden Philosophen anerkannt wird, näher erklärt. In Gegensatz wird
beides von Neueren gestellt. »Ist die Erkenntniss der Wahrheit nicht
in einer Entwickelung begriffene (sagt in Hegel's Sinne Erdmann,
Gesch. der neueren Philos. I, 2, S. 171), »so ist alles entweder ganze
Wahrheit oder ganze Unwahrheit; die werdende, sich entwidcelnde
Wahrheit ist beides oder keins von beiden c; ja von demselben wird
(in der von Fichte etc. herausg. Zeitschrift für Philos. Bd. XXVHI,
S. 8—9, 1856) das Festhalten an den Gesetzen der Identität und des
ausgeschlossenen Dritten, welche die Grundsätze des »Erzheiden Ari-
stoteles c seien, in scherzhaftem Ernst für unchristlich erklärt, weil die
Versöhnung der Gegensätze der Grundgedanke des Ghristenthums (die
Schuld als getilgte eine »felix culpa c), das Verharren im Gegensatze
aber heidnisch sei. Allein jene Bemerkungen, so richtig sie auch an
sich sind und so beachtenswerth, sofern wir sie als Warnungen vor
einer falschen Auffassung und Anwendung des Satzes vom ausg^
schlossenen Dritten betrachten dürfen, beweisen doch nichts gegen die
Gültigkeit des richtig verstandenen Satzes, sondern können nur durch
Verwechselung des contradictorischen und des conträren G^egensatses
für Instanzen g^gen denselben gehalten werden. Wer (wie Friedr.
Fischer, Logik, S. 40 ff.) erst erklärt, dass er unter non-A etwas
anderes verstehe, als die übrig^en Logiker, nämlich nicht, wie jene,
den contradictorischen, sondern den conträren Gegensatz, und hernach
denselben vorwirft, dass das von ihnen aufgestellte Gesetz unrichtig
seiy weil es nämlich, wenn es nach seiner eigenen Terminologie ge-
deutet wird, nicht mehr zutrifft: der verehrt nicht anders, als etwa
jener, welcher erst die Erklärung gäbe, dass er, von dem Euklidischen
Gebrauche abweichend, unter Dreieck das sphärische Dreieck ver-
st^en oder mitverstehen wolle, und hernach den EukKd tadelte, weil
dieser fölschlich lehre, die Summe der Dreieckswinkel sei immer gleich
zwei rechten. Doch hat der Tadel ein gewisses Recht gegenüb^ der
ungenauen Formel: jedem Gegenstande kommt entweder ein Begriff
oder dessen Gegentheil zu. Hält man sich aber streng an den Be-
griff des contradictorischen Gegensatzes, so bezeichnen dessen
Glieder nur das Vorhandensein und den Mangel einer genauen üeber*
eisstinnnnng der Vorstellungscombination mit der Wirklichkeit. Dass
nun stets eins dieser beiden Glieder wahr sein müsse, und also der
Satz des ausgeschlossenen Dritten, der richtig verstanden nur dies aus-
sagt, allgemeingültig sei, kann keinem begründeten Zweifel unterliegen,
17
268 § 78. Der GnmdsaU des aiug^eaohlosseiien Dritten.
und Hegt sohon in den Definitionen der Wahrheit und Falschheit, der
Bejahung und Verneinung; denn diesen gemäss heisst: die Verneinung
für falsch erklären, so viel als: die Abweichung von der Wirklichkeit
leugnen, also so viel als: bejahen oder die Bejahung für wahr halten;
ebenso heisst: die Bejahung für falsch erklären, so viel als: dieUeber-
einstimmung mit der Wirklichkeit leugnen, was wiederum gleidibe-
deutend ist mit: verneinen oder die Wahrheit der Verneinung aner-
kennen. Nur darf die Verneinung nicht mit der Bejahung des con-
trär entgegengesetzten Prädicates verwechselt werden: nicht sterblich
(was sich auch vom Steine sagen lässt) ist nicht gleichbedeutend mit
unsterblich oder ewig, nicht gut (»niemand ist gut als Gottc) nicht
mit schlecht oder hose (das neugeborene Kind ist nicht moralisch gut,
sondern bedarf der Erziehung und der Selbstbildnng, um gut zu wer-
den; aber dies heisst nicht: das Neugeborene ist moralisch böse), und
io in allen ähnlichen Fällen. Die Wahrheit der Verneinung, welche
die Uebereinstimmnng der affirmativen Behauptung mit der Wirklich-
keit ansschliesst, schliesst darum nicht irgend welchen Grad, auch
nicht den höchsten, der Annäherung an die Uebereinstimmnng ans.
Die Frage, ob dieser Angeklagte dieses bestimmten Verbrechens schul-
dig sei, mnss verneint werden, wenn nur eine halbe Schuld stattfindet,
weil in diesem Falle die Voraussetzung der Schuld, an der Wirk-
lichkeit gemessen, nicht zutrifft; aber die Verneinung dieser Frage
macht die fernere Frage nicht überflüssig, sondern nothwendig, ob und
in welchem Grade eine Annäherung an die volle Schuld statthabe. Der
Irrthum, der die Möglichkeit der halben Schuld und halben Zurech-
nung verkennt, liegt nicht in der contradictorischen Disjunction: schal-
dig oder nicht, sondern erst in der Verwechselung der Negation dieser
bestimmten Schuld mit der Affirmation einer völligen Unschuld, da
doch die Verneinung der Schuld in dem Sinne, wie die Anklage sie
behauptete, die Möglichkeit eines gewissen Grades von Schuld offen
lässt. So ist auch die Verneinung der vollen Znrechnungsfähigkeit
stets wahr, wenn die Bejahung derselben falsch ist ; aber dieselbe darf
keineswegs der Behauptung der vollen Zurechnungsfähigkeit gleiohgpe-
setzt werden. Die Uebergangsformen zwischen verschiedenen Arten
der mimlichen (Gattung sind ein Mittleres zwischen positiv bestimmten
Existenzen, die sich nicht wie Sein und Nichtsein, sondern wie Sosein
und Anderssein zu einander verhalten; derartige Uebergänge aber
werden durch das Cresetz des zwischen der Bejahung und Verneinung
des Nämlichen ausgeschlossenen Dritten nicht mit ausgeschlossen: das
Graue ist nicht ein Mittleres zwischen dem Weissen und Nichtweissen,
sondern zwischen dem Weissen und Schwarzen, gehört aber ebensowohl,
wie das Schwarze, zum Nichtweissen ; der gemischte Charakter ist nicdit
ein mittlerer zwischen dem guten und nicht^guten, sondern zwischen
dem guten und bösen, gehört aber selbst zu den nicht-guten Charakteren.
So ist auch die stufenweise Entwickelung der Erkenntniss und allmäh-
liche Annäherung an die volle Wahrheit durch jenen Grundsatz nicht
ausgeschlossen. Parteiansichten, die einander als conträre Gegensfttae
§ 78. Der GnmdBatz des aosgeschlosB^en Dritten. 2&9
entg^ensteheiiy sind in der Regel beide falsch, aber auol) beide niöbt
ohne ein Wahrheitselement, indem sie nach den beiden entgegengesetasten
Seiten hin von der reinen Wahrheit abweichen. In Fallen dieser Art
fordert die Anwendung des Gesetzes vom ausgeschlossenen Dritten viele
Behutsamkeit, da die Verwechselung des oontradictorisoh entgegenge-
setzten Urtheils und des Urtheils mit oontrar entgegengesetztem Prä*
dicate hier sehr nahe liegt und die Verneinung, die nach ihrem logi-
schen Sinne nur den Mangel einer genauen Uebereinstimmung in allem,'
mithin das Vorhandensein einer Abweichung mindestens in einigem
bezeichnen soll, gar leicht« zumal bei einer Verflechtung mit prakti-
schen Motiven, zur vollen Abweichung in allem theils den Urtheilep*
den selbst hinführt, theils von Anderen darauf gedeutet wird, so dass
dann die Bekämpfung der einen Partei mit demAnsohluss an die ent-
gegengesetzte unzertrennlich verknüpft zu sein scheint. Unter solchen
Verhältnissen mag, falls es sich um praktische Interessen handelt, auch
der, welcher geistig von beiderlei Parteiirrthümern frei ist, um nicht
in vernichtender Isolirung unterzugehen, und um nicht den Kern zu-
gleich mit der Schale, den Gedanken selbst mit dem inadäquaten Aus-
druck preiszugeben, dem Solonischen Gesetze gemäss sich zum Anschlusa
an den erträglicheren Parteürrthum hindrängen lassen, oder dooh bei
der Nichtbekämpfnng desselben sich beruhigen; in theoretischer Be*
Ziehung aber ist es logische Pflicht, sich selbst und denen, die ohne
Kebenrücksichten die Wahrheit suchen, die Unwahrheit beider Extreme
klar zumachen, und statt des einfachen Ja oder Nein die Begriffs* und
Urtheilsbildung zu suchen, die eine jangemessenere Fragestellnng
ermöglicht. Treffend sagt Dr. Richard (in der Schrift: Reiner Stock-
hausen, mit Gutachten von M. Jacobi, F. W. Böcker, C. Hertz, Fr.
Richarz, Elberfeld 1855, S. 131 ff.): »Die Unmöglichkeit, gewisse kate-
goriache Fragen, wie die nach Gesundheit oder Krankheit, Zurechnungs-
fähigkeit oder Zurechnungsunfähigkeit, eben so kategorisch mit einem
kurzen Ja oder Nein zu erledigen, ist der ärztlichen Wissenschaft, zu-
mal von Juristen, die für ihre Entscheidungen stete bündiger Aue-
sprüche der Sachverständigen bedürfen, nicht selten zum Vorwurfe ge-
macht und für ein Zeichen der Inferiorität ihres Standpunktes ausge-
geben worden. Mit grossem Unrecht; denn gerade auf dem Wege des
Fortschreitens entdeckt der Naturforscher mit Erweiterung seines Qe^
Sichtekreises häufig für bis dahin als verhältnissmässig einfach ange-
sehene Phänomene und Begriffe neue und weitere Bedingungen und
Beziehungen, welche die bisherige schlichte Bejahung oder Verneinung
aoa dem praktischen Lebensbedürfhiss erhobener Fragen nicht mehr
statthaft erscheinen lassen.! (Es ist mit Zurechnungsfähigkeit und
Unfähigkeit, wie mit Mündigkeit und Unmündigkeit: die naturwissen-
schaftliche, wie die pädagogische Beurtheilung findet eine continuir-
liohe Stufenfolge, und erst das praktische Bedürfniss zieht feste Grenzen,
die mar nach juristischen Normen zu bestimmen sind.) In der Ho-
merischen Frage bezeichnet dw unvermittelte Gegensatz der extremen
Ansichten das Anfangsstadium der Untersuchung; die gereiftere wissen«
A'
ii6Ö § 78. Der Grandsatz des audgeBcblosseiien Dritten.
schaftliche Behandlnng der Frage sucht nach Möglichkeit zu erforschen,
nicht ob, sondern wie weit das Werk auf den Einen oder die Vielen
zurückzuführen sei. Mit Recht sagt in diesem Sinne ein neuerer Phi-
lologe: »man sollte endlich aufhören, die Homerische Frage auf ja
und nein zu stellenc (G. Gurt ins in der Zeitschr. für die östr. Gymn.
1854, S. 115, der jedoch den Sitz der Poesie zu ausschliesslich in den
einzelnen Liedern und nicht auch in der Harmonie des Ganzen sucht,
und daher, so sorgsam er im Uebrigen alle Momente abwägt, doch
wohl mit unrecht die einheitliche Gestaltung des Ganzen, soweit eine
solche thatsächlich vorliegt, ohne die Voraussetzung eines ursprüng-
lichen umfassenden Planes im Geiste des Einen Dichters der Achilleis
schon aus der Einheit des Stoffes, der Gemeinsamkeit des poetischen
Geistes und der Nacharbeit Späterer verstehen zu können glaubt). Die
Frage: war Thaies Theist? kann weder bejaht, noch in dem Sinne
verneint werden, als ob er Atheist gewesen sei, da sein Standpunkt
noch vor und unter dem Gegensatze des ausgeprägten reinen Theis-
mus und Atheismus als deren gemeinsame Indifferenz liegt. Das Gleiche
gilt von der Frage, ob er als Naturphilosoph der dynamischen oder
der mechanischen Ansicht gehuldigt habe. Die Frage, ob Sokrates als
Philosoph ein Vertreter der antiken Sitte und des antiken naiven Glau-
bens seines Volkes gewesen sei, muss ebensowohl verneint werden, wie
die andere, ob er mit den Sophisten die gleiche Richtung getheilt
habe, weil sein Standpunkt bereits über diesen beiden Gegensätzen
als deren höhere Vermittelung liegt; durch eine Missdeutung aber,
welche leicht eintritt und so Klange die Eigen thümlichkeit des höheren
Standpunktes verkannt wird, sogar unvermeidlich ist, ist schon von
seinen ältesten Anklägern die berechtigte Verneinung der ersten Frage
als Grund der Bejahung der zweiten, und von nicht wenigen seiner
antiken und modernen Vertheidiger die berechtigte Verneinung der
swöiten als Grund der Bejahung der ersten angesehen worden. In den
naiven Aussagen der Kinder und der Personen von kindlichem Gemüthe,
die nicht die Richtung auf strenge Prüfung des objectiven Thatbe-
standes haben, ist nicht selten insofern Wahrheit, als darin ihr wirk-
liches subjectives Gefühl zum Ausdruck kommt, während die Vor-
stellungen, worin sich dasselbe verkörpert, nicht in genauer üeberein-
stimmung mit der äusseren Wirklichkeit stehen; wird nun die Frage
nach der Wahrheit derartiger Aeusserungen auf ja und nein gestellt,
80 scheint zvrst der Satz des ausgeschlossenen Dritten dieses Verfahren
Bu rechtfertigen, und rechtfertigt es in der That, sofern die Vernei-
nung in rein logischem Sinne dahin verstanden wird, dass nicht eine
vollkommene Uebereinstimmung in allem statthabe, aber nicht, sofern
die Verneinung auf volle Abweichung gedeutet wird. Nicht selten ist
in dieser Beziehung die Formulirung der Frage schwieriger, als die
Beantwortung, wesshalb auch in Criminalfällen die Antwort: schuldig
oder nicht schuldig, den Geschworenen überlassen werden darf, die
Fragestellung aber den wissenschaftlich gebildeten Richtern zufallt.
Ein philosophisches. System kann theilweise wahr sein, indem es wahre
§ 78. Der Gmndsatz des ausgesdiloasenen Dritten. 361
Urtheile neben anwahren enthält, aber auöh, indem jeder einzelne
Satz Bioh der Wahrkeit nnr mehr oder minder annähert; und geht bei
strenger Consequenz durch das ganze System ein gleicher Charakter
hindurch, so kann dieselbe Art und Stufe der Annäherung, welche in
den Prinoipien des Systems liegt, in allen einzelnen Sätzen desselben
sich wiederfinden. Die verschiedenen Systeme, die im Laufe der Ge-
Bchichte hervorgetreten sind, dürfen in diesem Sinne als die verschie-
denen Entwickelungsstufen der menschlichen Erkenntniss und als Grade
der Annäherung an das Wissen angesehen werden. Wer heute noch
angesichts dieser geschichtlichen Entwickelung der wissenschaftlichen
Begriffe fähig ist, Fragen wie folgende in jenem falschen Sinne nur
einfach auf ja und nein zu stellen: ob der menschliche Wille frei sei
oder nicht, ob die Freiheit ein wahres Gut sei öder nicht, ob die neu-
testamentlichen Schriften die christliche Gesammto£fenbarung enthalten
oder nicht, ob in Plato die Idee der Philosophie sich verkörpert habe
oder nicht, und so unzählige von ähnlicher Art: der beweist nnr, dass
er niemals über die betreffenden Probleme gründliche Studien ge-
macht hat; denn sonst würde er zuvor fragen: was ist die Freiheit?
was ist Offenbarung? was ist Wahrheit etc.? In welchem Sinne und
Maasse gilt die Bejahung und in welchem Sinne und Maasee die Ver-
neinung? Hier dürfen nicht Vorstellungen, die vor der wissenschaft-
lichen Untersuchung entstanden sind, als selbstverständlich vorausge-
setzt und nur noch ihre objective Gültigkeit in Frage gestellt werden
(in dieser Form, die sie vor der Untersuchung haben, sind sie gewiss
nicht schlechthin gültig, aber auch ebensowenig schlechthin ungültig);
sondern darin eben besteht die Hauptaufgabe, den wahrhaft gültigen
Begriff aufzufinden — eine Aufgabe, die freilich nicht der Bequem-
lichkeit zusagt, welche das Denken scheut, dessen Anstrengrang gerade
hier die allerhöchste sein muss, noch auch jenem unruhigen Thätig-
keitsdrange, der nur gleich mit einem fertigen Ja oder Nein an die
äussere Praxis, sei es des Stabilisirens oder des Revolutionirens heran-
gehen will, aber auch niemals von den Fesseln jener schlechten Gegen-
sätze sich losznwinden vermag; denn die echte Geistesfreiheit ist der
vorbehaltene Lohn der uninteressirten Hingabe an den reinen Gedanken.
So entschieden aber jeder falschen Beruhigung bei einer oberflächlichen
Bejahung oder Verneinung entgegengetreten werden muss, eben so
entschieden ist auch die Ueberzeugung festzuhalten, dass es eine reine
Wahrheit gebe, in deren Erreichung die Stufenordnung der An-
näherungen ihr Ziel und ihren Abschluss finde und sich zum adäquaten
Wissen vollende, so dass nunmehr die recht gestellte Frage, welche die
sachgemässen Determinationen bereits in sich selbst aufgenommen hat,
allerdings entweder mit Ja oder mit Nein zu beantworten ist. Auf
ihrem b^prenzten Gebiete hat die Mathematik fast durchweg (und
grossentheils auch die Naturwissenschaft) dieses Ziel erreicht, so dass
ihre Entwickelung fast nur Fortbau und fast nirgends Umbau sein
darf. Es wäre Thorheit, diesen hohen Vorzug für einen Mangel der
Mathematik als einer untergeordneten Wissenschaft, in der noch die
262 § 76. Der Grundsatz des ausgesofalossenen Dritten.
Gesetze des refleotirenden Verstandes gelten, zn eridären; nur das ist
wahr, dass der Mathematik bei der einfacheren Natur ihrer Probleme
die Erreichung der reinen Wahrheit leichter war, als der Philosophie
und der Mehrzahl der übrigen Wissenschaften, die jedoch alle, jede
auf ihrem Gebiete, das gleiche Ziel in allmählichem Fortschritt zu
erreichen bestimmt sind.
Wie sich das logische Bewusstsein von dem Satze des Wider*
sprudis bei Parmenides in der Polemik gegen Heraklit's gemeinsame
Bejahung der contradictorischen Gegensätze entwickelt hat, so lässt
sich der Ursprung der Lehre vom ausgeschlossenen Dritten in der
Aristotelischen Opposition gegen die Platonische Annahme eines
zwischen Sein und Nichtsein zwischentretenden Dritten oder Mittleren
nachweisen. Plato stellt auf die eine Seite die Ideen, als das, was
ist, auf die entg^engesetzte- Seite die Materie als das, was nicht ist
(nichtsdestoweniger aber das Substrat der sinnlichen Dinge ausmacht),
und zwischen Beide als das Dritte die sinnlichen Dinge, die nach ihm
als ein unbestimmt Vieles und in unablässigem Werden und Wechsel
Begriffenes weder wahrhaft sind, noch auch nicht sind, und als derai
wahrer Ort also die Mitte zwischen Sein und Nichtsein betrachtet werden
muss. Rep. 479 G: xal yäg tavra Ina^tpmiqiCHVy «al ovw^ üvtu cär€
fiff Blrtu avdiv avrnv dtfvarov nayUa^ wf^oai ot/r' afi^te^ ovr' ovd4-
T€ifov, ix^iC ovy — onot ^rj<S€ig xalUea d-iaiv r^; fifiaiv ovffias re xai tov
/u^ thwr, — Aristoteles dagegen lässt kein Mittleres zwischen den
Gliedern des Widerspruchs, zwischen Sein und Nichtsein zu. Metaph.
m, 7. 1011 b. 28: alXa fiiiv ovSk fina^ avxiipdts^tog iv^i^^w ehnu
ovd'iy. Ib. 8. 1012 b. 10 u. 12: avayxri rijs avTupaas^g d^€QOV tlvm
fioQtov itl^d'ig — aSvvtaov ä^fporega ijtivSri elvai, Gf. Analyt. post. I,
2. 72 a. 12: itvTÜpaoie Sk avrt^iaig, '^g ovx lern ^crolv xa^' avr^v. Die
Annahme eines Mittleren, meint Aristoteles, führe auf die absurde
Gonsequenz, dass das Seiende gleichsam anderthalbfach sei, nämlidi
aus dem Sein und halben Sein bestehend, ja dass auch zvrischen dem
Mittleren und dem Sein, so wie zwischen demselben und dem Nicht-
sein, wiederum ein Mittleres angenommen werden müsse, und so fort
ins Unendliche. Metaph. III, 7. 1012 a. 12: In iig ansiQov ßa&iftrai
xiA ov fiorov rjfAtoUa rä ovra Icrrai äXXa nXtif». — Wie Aristoteles, so
lehrt auch noch Wolff (Ontolog. § 52): inter contradictoria non dari
medium; (Log. § 682): propositionum contradictoriarum altera neoes-
sario yera. (Seltsam ist, da doch diese Wolffischen Worte nur die
Uebersetzung jener Aristotelischen sind, wie Bachmann, Log. S. 62,
meinen kann, der Satz des ausgeschlossenen Dritten finde sich als Prindp
der Wissenschaft erst in der neueren Zeit, und zwar bei Wolff.) —
Baumgarten gebraucht die Formel (Metaph. § 10): omne possibile
ant est A aut non A, seu omni subiecto ex omnibus praedioatis contra-
diotoriis alterutrum convenit — eine Formel, welche schon die oben
berührte Missdeutung nahe legt, als sollte zu einer aligemeinen Ver-
gleidhung eines jeden möglichen Subjectsbegriffs mit einem jeden mög-
lichen Prädicatsbegriffe aufgefordert werden. Kant (Logik, S. 76) erklart
§ 78. Der (^nrndsatz des ftusgesohlosBenen Dritten. 26S
den 8ats (den er ungenau Satz des auBschliessenden Dritten nennt)
für den Grund der logischen Noth wendigkeit in apodiktischen Ur-
theileuy ohne die Formel näher zu bestimmen. Im Ansohluss an Kant
sagt Kiese wetter: »jedem logischen Gegenstande muss von zwei ein-
ander widersprechenden Merkmalen nothwendig eins zukommen c.
Die Nothwendigkeit liegt hierbei jedoch nur in der nicht abzuweisenden
Wahl; aber welches von den beiden Gliedern des contradictorischen
Gegensatzes zu wählen sei, lehrt der Grundsatz überhaupt nicht und
am allerwenigsten mit apodiktischer Gewissheit, wesshalb jene Auffiia-
snng des Satzes als eines Princips apodiktischer Urtheile auf einem
Missrersföndniss beruht. Krug (Denklehre, § 19), der (nach dem Vor-
gänge Yon Polz, comm. metaph. S. 107 sqq.) die Anwendbarkeit des
Satzes in seiner gewöhnlichen Form auf Gattungsbegfriffe bestreitet (s.
o. S. 256), wählt die Formeln: »unter entgegengesetzten Bestimmungen
eines Dinges darfst du nur eine setzen, und wenn diese gesetzt ist,
musst du die andere aufhebenc, was jedoch vielmehr eine Formel fiir
den Satz des Widerspruchs ist, und: »es muss jedem als durchgängig
bestimmt gedachten Gegenstande jedes mögliche Merkmal entweder
zukommen oder nichtc, in welcher Formel beide Grundzätze zusammen-
gefasst sind ; Krug nennt diesen Satz das Princip der allseitigen Bestimm-
barkeit Fries (Log. § 41) gebraucht die Formeln: »jedem Gegen-
stande kommt entweder ein Begriff oder dessen Gegentheil zut, oder:
»jedem Dinge kommt jeder Begriff entweder bejahend oder verneinend
zuc, und wählt den Namen : Satz der Bestimmbarkeit jedes Gegenstandes
durch jedes Prildicat. Hierdurch ab^r wird die schon durch Baum-
gartens Formel (s. o.) nahe gelegte Missdeutung des Satzes noch mehr
provocirt. Gegen eine derartige falsche Auffassung ist Hegöl's Tadel
(Logik I, 2, S. 66 ff.; Encycl. § 119) berechtigt, aber nicht gegen den
Satz selbst. Hegel sagt: »der Unterschied an sich g^ebt den Satz: alles
ist ein wesentlich unterschiedenes, oder wie er auch auegedrückt n^orden
ist, von zwei entgegengesetzten Pradicaten kommt dem Etwas nur das
Eine zu, und es giebt kein Drittes c. (Dies ist jedoch in der Beziehung
nicht genau, dass die Bestimmung, nur das eine Prädioat, und nicht
beide zumal, komme dem nämlichen Subjecte zu, vielmehr dem Satze
des Widerspruchs angehört; der Satz des ausgeschlossenen Dritten da-
gegen sagt, jedenfalls das eine Prädicat, und nicht keins von beiden,
komme dem nämlichen Subjecte zu, was auch Hegel selbst Logik, I, 2,
S. 67 anerkennt). Hegel neifnt den Satz in jener Form Satz des
Gegensatzes oder der Entgegensetzung oder auch Satz des
ausgeschlossenen Dritten. Er meint, dieser Satz widerspreche
dem Satze der Identität, und bekämpft ihn insbesondere durch die
Bemerkung, es gebe allerdings ein Drittes oder Mittleres zwischen + A
und — A, nämlich A selbst seinem absoluten Werthe nach; auch die
Null sei ein Drittes zwischen plus und minus. Allein hier werden von
Hegel jene logischen Verhältnisse mit mathematischen identifioirt, von
denen sie trotz einiger Aehnlichkeit do<^ wesentlich verschieden sind.
Zwischen der positiven und negativen Grosse im mathemaUschen Sinne
26i § 78. Der GrondBatz des auagesohlossenen Dritten.
besteht nidit ein oontradiotoriBcher, sondern ein contrarer Gegensate
(was auch bereits Kant mit Recht bemerkt in seinem »Versuch, den
Begriff der negativen Grössen, in die Weltweisheit einzuführenc, 1763,
verm. Schriften, hrsg. v. Tieftrunk, I, 8. 266 £F.). Die negative Grosse
— A ist keineswegs mit der logischen Verneinung des + A identisch.
Eine Grösse braucht nicht entweder = + A oder s: — A su sein, wohl
aber entweder s= + A oder nicht = + A, und ebenso entweder ^ — A
oder nicht s: — A, und ihrem absoluten Werthe nach, abgesehen von
dem Vorseichen, entweder ss A oder nicht = A. Mit Recht hält
Her hart und seine Schule an der Gültigkeit des Grundsatzes vom aus-
geschlossenen Dritten fest. S. Her hart, L. z. Einl. in die Phil. § S9;
oommentatio de principio logioo exdusi medii inter contradictoria non
negligendo, Gotting. 1688; cf. Hartenstein, Diss. de methodo philo-
sophioa logicae legibus adstringenda, finibus non terminanda, Lips. 1885 ;
Drobisch, Logik, 2. A. § hl, 3. A. § 60.
Lotse in s. Syst. d. Philos. Bd. 1. Logik. Buch 1. Gap. 2. G.
S. 98 hat darzuthun gesucht, dass der genaue Ausdruck des Satzes vom
ausgeschlossenen Dritten sein würde: »von jedem genau bestimmten
Subject S gilt entweder die Bejahung oder die Verneinung eines ebenso
bestimmten Prädicats Q, und es gibt keine dritte Möglichkeit; überall,
wo eine solche stattzufinden scheint, ist S oder Q oder beide entweder
von Anfang an mehrdeutig und unbestimmt gefasst oder ihre Bedeu-
tung im Lauf der Ueberlegung unbewusst oder unwillkürlich verändert
wordene.
Sigwart in s. Logik Bd. 1. Th. 1. Abschn. 4. Die Verneinung
stellt 9 ^ den Satz der doppelten Verneinung dem Satz des ausge-
sohloBsenen Dritten § 26 S. 157 ff. voran. Das Wesen der Verneinung
soll nur dann vollständig erschöpft sein, wenn zu dem Satze des Wider-
spruchs der Satz hinzutritt, dass die Verneinung der Verneinung be-
jahe. »Aus dem Satze des Widerspruchs und dem Satze der doppelten
Verneinung — lautet dann § 25 — folgt von selbst, dass von zwei
conioradictorisch entgegengesetzten Urtheilen das eine nothwendig wahr
ist, dass es also neben Bejahung und Verneinung keine dritte Aussage
gibt, neben der jene beiden falsch wären. Dies ist der Satz vom
ausgeschlossenen Dritten, der demnach, wie die beiden voran-
gehenden, nur das Wes^i und die Bedeutung der Verneinung weiter
zu entwickeln bestimmt ist. — Die gewöhnliche Fassung des Prinoi-
pium exdusi tertii durch die Formel Quid A est aut B aut non B,
wonach jedem Subjecte von zwei contradictorisch entgegen gesetzten
Prädicaten eines zukommt, ist ebenso von dem ursprünglichen und
echten Satze des ausgeschlossenen Dritten verschieden, wie das gewöhn-
liche Principium oontradiotionis von dem Satze des Widerspruchs.« —
Auch Bergmann AUgem. Logik, Th. 1. Abschn. 2. §23 hat eine neue,
von Sigwart abweichende FormuUrung des Satzes versucht-
Im C^ensatz dazu will Wundt, Logik, Bd. 1. Abschn. 6. Gap. 1.
1.0. S. 568, an dem Aristoteles wesentlich festhaltend, dem Satz des
ausgeschlossenen Dritten eine selbständige Bedeutung zuerkennen.
§ 79. Das Princip der oontradictorisohen Disjunotion. 265
»Später — bemerkt Wandt — hat man ihn zuweilen für entbehrlich
angesehen, indem man meinte, er ergebe sich von selbst, wenn man
das Identitätsgesetz mit dem Satz des Widerspruchs verbinde. Wäre
dies richtig, so müsste in der Aristotelischen Formel lA «= B und A
=1 non-B widersprechen siehe, da dieselbe das positive und negative
Urtheil, die einander entgegengesetzt sind, enthält, auch unmittelbar
der Satz des ausgeschlossenen Dritten enthalten sein: >A ist entweder
B oder non-Bc. Dies ist aber nicht der Fall; die Erklärung, dass B
und non-B sich widersprechen, schliesst nicht aus, dass es neben beiden
noch ein Drittes gebe. Ebenso wenig folgt dies aus der Aufhebung
der doppelten Yemeinung (S ig wart). Denn diese zeigt nur an, dass
man durch die Häufung der Verneinungen keine neue logische
Function neben Bejahung und Verneinung erzeugen kann; es bleibt
aber dahingestellt, ob nicht neben der Verneinung noch eine ^ andere
Form der Aufhebung eines positiven Begriffs existirt. Dass dies nicht
der Fall ist, sagt eben der Satz des ausgeschlossenen Dritten. Dagegen
setzt dieser die Gesetze der Identität und des Widerspruchs voraus,
und wenn es daher durchaus darauf ankäme, die drei logischen Axiome
auf eines zurückzufahren, so wäre dazu, wie Schopenhauer (Die Welt
als Wille u. Vorst. Bd. II. Cap. 9) richtig erkannt hat, kein anderes
als der Satz des ausgeschlossenen Dritten geeignet. Gleichwohl würde
sich diese Beduotion kaum empfehlen. Denn auch hier findet in dem
neaen Gesetz zunächst die neue logische Function, welche durch das-
selbe bestimmt wird, ihren Ausdruck, und es entsteht daher durch eine
derartige Ableitung das Missverhältniss, dass man mit einem secundären
Gesete des Denkens zuerst bekannt wird. Die Eigenschaft der drei
logischen Axiome, dass jedes die ihm vorangegangenen fordert und
daneben doch noch eine besondere Thatsache des Denkens zur Geltung
bringt, darf nicht mit dem Grade der Allgemeinheit der Denkgesetze
verwechselt werden. Nicht dasjenige Axiom ist das allgemeinste, wel-
ches die meisten, sondern dasjenige, welches die wenigsten Voraus-
setsnngen in sich schliesst. Von diesem Gesichtspunkte aus ist aber die
Befaandliing der Axiome in der oben eingehaltenen Beihenfolge (Satz
der Identität, des Widerspruchs, vom ausgeschlossenen Dritten) geboten.«
§ 79. Der Grundsatz des Vfiderspruchs und der Grund-
satz des ausgeschlossenen Dritten lassen sich in der Formel
zusammenfassen: A ist entweder B oder ist nicht B;
jedem Subjecte kommt jedes fragliche Prädicat entweder zu
oder nicht; oder: von contradictorisch einander entgegenge-
setzten Urtheilen ist jedesmal das eine wahr, das andere falsch;
oder: auf jede völlig bestimmte und allemal in dem gleichen
Sinne verstandene Frage, die auf die Zugehörigkeit eines be-
stimmten Prädicates zu einem bestimmten Subjecte geht, muss
entweder ja oder nein geantwortet werden. Diese Formeln
266 § 79. Das Prinoip der oontradictorisoben Disjonotion«
enthalten den Satz des Widerspruchs, indem sie zwei einan-
der ausschliessende Glieder statniren, also aassagen, dass
Bejahung und Verneinung des Nämlichen nicht zusammen
wahr sei; A ist entweder B oder ist nicht B. Sie ent-
halten aber auch den Satz des ausgeschlossenen Dritten, in-
dem sie nur zwei einander ausschliessende Glieder statuiren,
also aussagen, dass jedes Dritte neben Bejahung und Vernei-
nung des Nämlichen unzulässig, also nicht beides falsch,
sondern irgend eins der beiden Glieder wahr sei : A ist ent-
weder B oder ist nicht B; es giebt kein Drittes. Die Zu-
sammenfassung der Grundsätze des Widerspruchs und des aus-
geschlossenen Dritten in den vorstehenden Formeln mag das
Princip der contradictorischen Disjunction (prin-
cipium disiunctionis contradictoriae) genannt werden.
Die yemunftgemässe Fragestellung ist audi bei der Anwendung
dieses Prinoips wiederum die natürliche Voraussetzung.
Das Hinüberziehen der Verneinung zum Prädicate: »A ist ent-
weder B oder non-Bc, ist nicht falsch, wofern unter non-B nur der
oontradictorische Gegensatz verstanden wird, ist aber eine unnütze
Künstelei, die leiöht die falsche Deutung auf den oonträren Gegensatz
veranlasst.
Die einfachste metaphysische Formel des Princips der oontradio-
torisdien Disjunction findet sich schon beiParmenides (fragm. vs. 72.
ed. Mullaoh; ap. Simplic. ad Arist. Phys. fol. 81 B): sartr ^ ovx fatof^
jedoch hier nur im Sinne des Satzes vom Widerspruch, so dass die
gemeinsame Wahrheit der Behauptung des Seins und des Ni<ditseins
dadurch abgewiesen wird: Sein und Nichtsein können nicht zusammen-
bestehen, das Eine schliesst das Andere aus. Aristoteles hingegen
gebraucht die zusammenfassende Formel vorwiegend im Sinne des Sataes
vom ausgeschlossenen Dritten. Metaph. III, 7. 1011 b. 23: allet fiifif
oväk fnira^v aVTi(fda((oi ^ydi^^m elvou ov^^v, alX* avayxri tj if/«vtu ii
änoipavtti ^v xaS^ ivbg ououv. Ib. 8. 1012 b. 11: nav ^ (ftavai tj ano'
fpayai avayftalov. Gateg. c. 10. 18 b. 27: inl rijs xaraipaatiag xuk rifi
anoipaaiiag aA — ro Mt€qov tarat jptvdog xai ro ^rtQov alti^is» Cf.
Anal. post. I, 11. 77 a. 22: ro d^ anav ipavcu ^ anotpavai ^ €is ro
aSuvttTov anodii^tg Xafißnvfi, Aristoteles sucht den Satz auf Grund der
Voraussetzung, dass nicht das I^mliohe sein und auch nicht sein kSnne,
aus den Definitionen der Wahrheit und Unwahrheit herzuleiten. Jedes
Urtheil muss (da es eine subjective Behauptung über das objective Sein
ist) unter eine der vier Gombinationsformen fallen: das Seiende ver-
neinen, das Nichtseiende bejahen; das Seiende bejahen, das Nichtseiende
verneinen. Hiervon sind die beiden ersten falsch, die beiden leisten
wahr (weil in jenen der Gedanke von der Wirklichkeit abweidit» in
§ 80. ürtheile mit oontrar entgegengesetzten Pradioaten. 267
diesen ihr entsprioht). Es ist also anter Yoraussetznng des Seins die
eine Aussage wahr, die andere falsch, und unter Voraussetzung des
Nichtseins ebenso. (Also ist jedenfalls entweder die Bejahung oder die
Verneinung wahr, und daher, da doch Wahrheit unser Ziel ist, 17 fpavat.
^ anoipayat avayxäiov, aber nicht beides falsch und ein Drittes, Mitt-
leres wahr; für ein Mittleres ist kein Raum mehr geblieben; es müsste,
wenn es wahr oder auch nur überhaupt denkbar sein und eine Bezie-
hung auf Wahrheit und Unwahrheit, wie sie jedem Urtheil wesentlich
ist, haben sollte, selbst eins jener Combinationsglieder sein, was es
doch seinem Begriffe nach nicht ist; denn) es wird (in dem Mittleren)
weder das Seiende verneint oder bejaht, noch das Nichtseiende. In
dieser Weise scheint die unvollständig ausgedrückte Argumentation des
Aristoteles gegen das Mittlere, Metaph. lU, 7. 1011 b. 25 u. 1012 a. 2
aufgefasst und ergänzt werden zu müssen. — Leibniz (Nouv. ess. IV,
2, § 1) stellt der affirmativen Form der primitiven identischen Ver-
nunftwahrheit : »jedes Ding ist, was es istc, die negative Form zur
Seite: »une proposition est ou vraie ou faussec. Er nennt diesen Satz
das Prindp des Widerspruchs und zerlegt ihn in die beiden Sätze, die
er in sich schliesse: »qu'une proposition ne saurait Stre vraie et fausse
h la fois«, und: vqu'il n'y a point de milieu entre le vräi et le faux,
ou bien: il ne se peut pas qu'une proposition ne soit ni vraie ni faussec.
Ebenso nennt Leibniz (Th^od. I, § 44) »principe de la oontradictionc
dasjenige, »qui porte que de deux propositions oontradictoires l'une
est vraie, l'autre faussec. Mithin versteht Leibniz hier unter dem
Princip des Widerspruchs denjenigen Satz, welcher den sonst allgemein
sogenannten Satz des Widerspruchs und den Satz des ausgeschlossenen
Dritten gemeinsam in sich begreift. An anderen Stellen jedoch (z. B.
im zweiten Schreiben an Glarke) folgt Leibniz der gewöhnlichen Ter-
minologie. Wolff (Ontol. § 62; Log. § 682) stellt die Formeln auf:
»qnodlibet vel est, vel non estc; »propositionum oontradictoriarum
altera neoessario vera, altera necessario falsa c, nnd sagt: »patet per
86, eidem subieoto A idem praedicatum B vel convenire, vel non con-
venire«. Sowohl von den früheren, als von den späteren Logikern
haben manche mit Unrecht die Formel: A ist entweder B oder nicht
B, welche das Prinoip des Widerspruchs und des ausgeschlossenen
Dritten in sich vereinigt, für den reinen Ausdruck des Satzes vom aus-
geschlossenen Dritten gehalten. — Vgl. zu dem Ganzen auch Katzen-
berg er, Grundfragen der Logik, Leipzig 1868.
§ 80. Die vorstehenden Grundsätze finden nicht auf
flolche Urtheile Anwendung, deren Prädicate zu einander
im Verhältniss des cont raren Gegensatzes (wie positive und
negative Grössen) stehen. Es können vielmehr bei diesem Ver-
hältniss unter gewissen Voraussetzungen a. beide Urtheile
falsch, aber auch b. beide UrtheUe wahr sein. Beide können
üsdach sein 1. wenn dem Subjecte derjenige Begriff, der den
268 § 80. Urtheile mit oontiür entgegengesetzten Pradicaten.
beiden einander conträr entgegengesetzten Pradicaten als der
gemeinsame Gattungsbegriff übergeordnet ist, nicht als Prädi-
cat zukommt (welches Verhältniss von Kairt dialektische
Opposition genannt wird); 2. wenn jener Gattungsbegriff
dem Subjecte zwar zukommt, aber ausser den beiden einander
conträr entgegengesetzten Pradicaten noch andere Artbegriffe
unter sich fasst, in welchem letzteren Falle der Satz des
zwischen conträren Gegensätzen in der Mitte lie-
genden Dritten (principium tertii intervenientis inter dua
contraria) znr Anwendung kommt. Beide Urtheile können
aber auch wahr sein, und zwar dann, wenn das Subject einen
Gegenstand bezeichnet, der weder schlechthin ein&ch, noch
auch ein blosses Aggregat, sondern eine synthetische Einheit
mannigfacher Bestimmungen ist; sofern nämlich unter diesen
einzelne zu einander im Verhältniss des conträren Gegensatzes
stehen, so findet auf dieselben der Satz der Vermittelung
(principium coincidentiae oppositorum) Anwendung, nach wel-
chem alle Entwickelnng auf dem Kampf und der Vermittelung
der Gegensätze beruht.
Urtheile, deren Prädicate zu einander in oontrarem Gegen-
satz (s. oben § 63) stehen, z. B. Gajus ist frx)h, Cajus ist traurig —
sind von Urtheilen, die als Urtheile zu einander in oontrarem
Gegensatz (s. oben § 72) stehen, z. B. alle Menschen sind gelehrt, kein
Mensch ist gelehrt — ^ wohl zu unterscheiden. Jene können nicht nur
beide falsch, sondern in gewissem Sinne auch beide wahr sein« wie
z. B. in dem Gefühle der Wehmuth Freude und Trauer beide enthalten
sind; diese dagegen können zwar beide falsch, aber nicht beide wahr
sein (s. unten § 97). Von diesen beiden Verhältnissen ist das des con*
tradictorischen Gegensatzes (z. B. Cajus ist froh, Cajus ist nidit froh;
alle Menschen sind gelehrt, es sind nicht alle Menschen gelehrt) ver-
schieden, dessen Glieder (nach § 79) weder beide wahr, noch beide falsoh
sein können.
Plato lehrt, ein und dasselbe Ding könne verschiedene und audi
einander entgegengesetzte Qualitäten in sich vereinigen, wiewohl die
Qualität selbst niemals mit der entgegengesetzten identisch sei (Phae-
don p. 103 B; vgl. Soph. p. 257 B, wo das ^vttvrtov von dem h^gow
unterschieden wird). — In ähnlicher Weise erklärt Aristoteles, dass
zwar der Gegenstand wechsele, indem er nacheinander die entgegen-
gesetzten Eigenschaften annehme, dass aber die Eigenschaft ihrem Be-
griffe nach sich selbst stets gleich bleibe (Metaph. III, 5. 1010 b. 21).
Indem Aristoteles mit Bestimmtheit ausspricht, dass nur der contra-
diotorisohe Gegensatz jede Mitte ausschliesse, giebt er deren Möglioh-
§ 80. Uriheile mit eontrar entgegengesetzten Prädicaten. 269
keit bei conträren Gegensätzen za (Metaph. III, 7. 1011 b. 28; of.
Categ. 10. 18 b. 2: inl yag fjiovtov romtov avayxaiov itil to fihv äXti&i^,
To ^k y^tv^og elvtu),^ — Die späteren Logiker haben selten die Verhält-
nisse der Urtheile mit conträr entgegengesetzten Prädicaten einer ge-
nauen Beachtnng ge'würdigt. Augustin sagt in seiner kurzen Lehr-
sduift an den Laurentius de fide, spe et caritate oap. 5 : omnis natura
etiamsi vitiosa est, in quantum natura est, bona est, in quantum vitiosa
est, mala est. Quapropter in his oontrariis, quae mala et bona vo-
cantur, illa dialectioorum regula deficit qua dicunt nuUi rei duo simul
inesse contraria. Nnllus enim aer simul est et tenebrosus et Incidus,
nnllus cibus aut potus simul dulcis et amarus, nullum corpus simul
ubi albnm ibi et nigrum .... sed mala omnino sine bonis et nisi in
bonis esse non possunt, quamvis bona sine malis poesint. Doch unter-
scheidet Augustin hier nicht streng den conträren Gegensatz von dem
contradictorischen. Nioolaus Cusanus und nach ihm Giordano Bruno
sind die Ersten, die ausdrücklich das principium coincidentiae oppo-
sitomm aufgestellt haben. — Kant unterscheidet den Gegensatz con-
t rarer Prädicate genau von dem Widerspruch. Urtheile der ersten Art
können beide falsch sein, wie man z. B. die Prädicate der Begrenztheit
und ünbegrenztheit beide mit gleichem Unrecht dem Unräumlichen,
oder die des Anfangs in der Zeit und der anfangslosen unendlichen
Dauer dem Zeitlosen beilegen würde; die Opposition ist hier nur eine
»dialektische c oder scheinbare (Krit. der r. Yern. 2. Aufl. S. 581 ff.).
Hegel und Her hart stellen, wiewohl in entgegengesetzter Weise,
beide Arten des Gegensatzes wiederum auf Eine Linie, wie bereits
oben näher nachgewiesen worden ist. Die Einsicht, dass das Ausein-
andertreten des Indifferenten in (conträre) Gegensätze und deren Yer-
mittelung zu einer höheren Einheit die Form aller Entwickelung im
Leben der Natur und des Geistes sei, darf als ein bleibendes Besultat
der Schelling'schen und HegePschen Speculation angesehen werden. In
diesem Sinne sagt z. 6. I. H. Fichte (de princip. contrad. 1840; vgl.
Ontol. 1836, S. 169, wo jedoch der »Unterschiede und »Gegensätze
fälschlich mit dem » Conträren c und » Contradictorischen c gleichgesetzt
wird; S. 165- ff.), während er (S. 25) jene Verwechselung rügt, mit
vollem Recht (S. 28): »est enim ubertas rei quaedam, si opposita ad
se referre et in se copulare possit«, und Trendelenburg, der der
dialektischen Methode Hegel's die Verwechselung der logischen Nega-
tion mit der realen Opposition nachweist (Log. Unters. I, S. 81 ff., 2.
n. 3. .A. I, S. 48 ff.), erkennt doch an (Elem. log. Arist. ad § 9, p. 66
ed. III, vgl. Log. Unters., 2. A,, H, S. 234, 3. A. H, S. 257): »solet
quidem natura, quo maiora gignit, eo potentius, quae contraria sunt,
oomplectic. Vgl. auch die oben (§ 69, S. 214) erwähnte Schrift:
Gustav Knauer, conträr und oontradictorisch, Halle 1866.
Wären die conträren Gegensätze durchaus unvereinbar, so gäbe
es keine Mannigfaltigkeit noch Entwickelung, sondern alles würde so
sein, wie Parmenides glaubt, dass das Eine allein wahrhaft Seiende
sei, imd in gemilderter Weise Herbart, dass ein jedes der Vielen sei.
270 § 81. Der Säte des (zureichenden) Grundes.
nämlich einfach und unveränderlich, unwandelbar beharrend in seiner
einfachen Qualität. Wären aber die conträren Gegensätze nicht relativ
selbständig gegen einander (oder wären gar die coptradictorischen Ge-
gensätze vereinbar), so gäbe es keine Einheit noch Beharrung, sondern
alles würde sich so verhalten, wie Heraklit und in einer mehr logisch
bestimmten Weise Hegel glaubt, dass es sich verhalte, lulmlich alles
wäre fliessend, ein jedes sich selbst gleich und auch nicht gleich, und
nichts durch feste Begriffe bestimmbar. In der That aber besteht beides
zumal, Einheit und Vielheit, Beharrung und Wechsel, und zwar nicht
schlechthin ausser einander, wie Plato von der Idee und den sinnlichen
Dingen, und kaum anders Kant von seinem »Ding an siehe und den
Erscheinungen glaubt, so dass jenes nur beharrte, diese nur wechselten,
sondern wie im Alterthum theilweise schon Aristoteles und die
Stoiker und in unserer Zeit in noch reinerer und tieferer Weise
Schleiermacher lehrt, in, mit und durch einander, so dass der Man-
nigfaltigkeit der Erscheinungen die einheitliche wesenhafte Form und
Kraft innewohnt, und den Wechsel der Actionen das unwandelbare
Gesetz behOTrscht.
§ S\. Der Satz des (bestimmenden oder zareichenden)
Grandes anterwirft die Ableitung verschiedener Erkennt-
nisse von einander der folgenden Norm: Ein Urtbeil lässt
sich aas anderen (sachlich von ihm verschiedenen) ürtheilen
dann and nar dann ableiten and findet in ihnen seinen za-
reichenden Grand, wenn der (logische) Gedankenzasanmien-
hang einem (realen) Gaasalzasammenhange entspricht. Die
Vollendang der Erkenntniss liegt darin, dass der Erkenntniss-
grand mit dem Realgrande zasammenfalle. Die Erkenntniss
des gesetzmässigen Realzasammenhangs wird wiedernm auf
dem nämlichen Wege gewonnen, wie (nach §§ 41 — 42; 46;
57; 73) die Erkenntniss des Inneren der Dinge ttberhanptnnd
insbesondere der Einzelexistenz, des Wesens and der Grand-
verhältnisse. Es wird nämlich die äassere Regelmässigkeit
der sinnlichen Erscheinungen nach der Analogie des bei uns
selbst wahrgenommenen Zusammenhangs, namentlich zwischen
dem Wollen und seiner Bethätigung (dessen wir zumeist durch
die Anstrengung bei einem Widerstände inne werden), mit
logischem Recht auf eine innere Gesetzmässigkeit gedeutet
In der einfacheren Regelmässigkeit der äusseren und insbesondere
der unorganischen Natur offenbart sich die reale Gesetzmässigkeit aller-
dings noch mehr auf eine anschauliche und Anerkennung erzwingende
Weise, als in den mannigfach complioirten psychischen Processen; nichta-
destoweniger aber sind diese die einzigen, in welchen dör eigentliche
§ 81. Der Satz des (zureiehenden) G^ndes. 271
Giarakter jener Gesetzmässigkeit als der BethätigUDg von inneren Kräften
munittelbar der Beobachtung zugänglich ist. So lange dem Menschen
noch keine Ahnung einer inneren Gesetzmässigkeit aufgegangen ist,
wird von ihm auch das äussere Geschehen auf die gesetzlose Willkür
dämonischer Naturwesen gedeutet.
Auch in den (objectiv-realen) Verhältnissen, auf welche die Ma-
thematik geht» findet die genetische Betrachtung eine durchgängige
caosale Gesetzmässigkeit. Der objective Zusammenhang zwischen den
Grossen und zwischen den Formen besteht an und für sich, auch ohne
dass das Subject ihn erkennt; auf ihm beruhen insbesondere die phy-
sikalischen Vorgänge, die unabhängig von dem erkennenden Subjecte
stattfinden und die Möglichkeit der Existenz erkennender Subjecte be-
dingen. In der objectiven Natur der Quantität und des
Raumes ist jene Regelmässigkeit begründet, die Kant
fälschlich auf subjectiven Ursprung deutet.
Die logische Form des obigen Satzes besagt nur, dass die Ver-
knüpfung von Urtheilen, wodurch aus gegebenen neue abgeleitet wer-
den, auf einem objectiven Causalverhältniss beruhen müsse; ob aber
nnd in welchem Sinne alles Objective in causalen Beziehungen stehe,
darüber ist anderweitig (in der Metaphysik und Psychologie) zu ent-
scheiden.
Schon Plato und Aristoteles finden in der durchgängigen
üebereinstimmung (ofAoXoyla, ^wddeiv, ^vfni^mviiv) der Erkenntnisse
untereinander und mit ihren Gründen eine wesentliche Bedingung ihrer
Wahrheit Plato lehrt (Tim. p. 28 A): nav xo yiyvofievov vn^ aMov
tiyof Ü avayxtfg yfyveaihu' navtX yoQ ä^vvatov x^^^ attCov yivBOiV ax^lv*
Cf. Phaedon p. 100 A; 101 D; de Rep. VI, p. 511. Aristoteles setzt
das Wesen des Wissens in die adäquate Erkenntniss der Ursachen und
will, dass insbesondere auch der Schluss diese Erkenntniss gewähre,
indem der Mittelb^^ff dem Realgrunde entspreche, Aristot. Anal,
poet. n, 2. 90 a. 6 ro ^^i^ yiiQ ' ahiov xo /4^aov, iv anaai dh tovto
Cn^Mlrtu. Cfr. Anal. pr. I, 82; Eth. Nicom. I, 8; Aristoteles unter-
scheidet in metaphysischem Betracht vier Gründe: Stoff, Form, Ur-
sache und Zweck, Metaph. I, 3 u. öfter, in Mitbeziehung auf unsere
Erkenntniss aber den Grund des Seins, des Werdens und des Er-
kennens, Metaph. IV^ 1. 1018 a. 17: naaüv iikv oiv xoivov tcjv
a^jjrofif t6 TtQmov elvat o^'iv rj iauv ^ y{yverat ^ yiyvtjaxncu' tomtov dk
at ^Iv ivwfdQxovaeU tiaiv, <ä cf^ ixros» Der Satz: »nihil fit sinecausac,
gilt bei den Alten und bei den Scholastikern als ein Axiom der Phy-
sik. Cicero beruft sich auf denselben z. B. de fin. I, 6, 19 gegen
Epikur: »nihil turpius physico, quam fieri sine causa quidquam dicere«.
Saarez (Metaph. I, S. 285) sagt: »omnia alia, praeter ipsum (Deum),
causam babentc. Jakob Thomasius (dilucid. Stahlianae, p. 127)
unterscheidet: »omne ens, qnod fieri dicitur, habet causam efficien*
temc; — »Ghristianis omnino statuendum est, canoni praesenti locum
esse quoque universaliter in causa finalit. — Aber erst Leibniz
stellt ausdrücklich den Satz des bestimmenden oder (wie er sich
272 § 81. Der Satz des (^ureiohenden) Grandes.
später auBzudrücken pflegt) des zureichenden Grundes (principinm
rationis determinantis sive suffioientis) dem Satze des Widerspruchs
als Princip unserer Schlüsse zur Seite. Er sagtThSod. I, § 44: >il faut
considSrer qu'il y a deux grands principes de nos raisonnemens: l'un
est le principe de la contradiction ; — l'autre principe est celui de la
raison determinante, c'est que jamais rien n'arrive, sans qu'il y ait une
cause ou du moins une raison determinante €, Monadologie (Princip.
philos.) § 30 sqq. ; unsere Vernunftschlüsse stützen sich auf zwei grosse
Principien: das Princip des Widerspruchs — und das Princip des zu-
reichenden Grundes, kraft dessen wir erkennen, dass kein Factum als
wirklich erfunden werden und kein Satz wahr sein könne ohne einen
zureichenden Grund, warum es vielmehr so, als anders sei. Im zweiten
Briefe an Clarke giebt Leibniz diesem Princip auch den Namen : »prin-
cipinm convenientiaec Am Ende des fünften Schreibens an Clarke
unterscheidet Leibniz (mit Aristoteles Metaph. lY, 1) dreifach: >ce
principe est celui d'une raison süffisante, pour qu'une chose existe,
qu'un evßnement arrive, qu'une verit6 ait lieuc. Die erste und zweite
Beziehung ist jedoch von metaphysischer und nur die dritte Ton lo-
gischer Art. Wolff (Ontol. § 70 sqq.; vgl. Metaph. § 80 ff.) und
Baumgarten (Metaph. § 20) suchen den Satz des Grundes aus dem
Satze des Widerspruchs abzuleiten, indem sie nur den letzteren als
schlechthin apriorisches (jedoch mit den Erfahrungen zu combinirendes)
Princip anerkennen ; denn wenn der Grund einer Sache in nichts liege,
so würde eben das Nichts der Grund derselben sein, was den Wider-
spruch enthalte, dass das Nichts als wirkendes Princip zugleich Etwas
sein müsste. Der Fehler in dieser Ableitung (die Hypostasirung des
Nichts) in der Formel : nichts ist der Grund, welche doch nur das gram-
matische Aequivalent ist für: es giebt keinen Grund) wurde jedoch
schon von gleichzeitigen Gegnern nachgewiesen. Wolff erklärt (Annot.
ad Met. S. 9 ff.) im Anschluss an Leibniz (Princ. phil. § 30 sqq.;
Epist. II. ad Cläre.) den Satz des Widerspruchs für den Grund der
nothwendigen, den Satz des zureichenden Grundes aber für die Quelle
der zufalligen Wahrheiten. Kant (Krit. der r. Vernunft, S. 232 ff.)
spricht das »Gesetz der Causa litätc dahin aus: »alle Veränderungen
geschehen nach dem Gesetze der Verknüpfung von Ursache und Wir-
kung«. Er betrachtet dasselbe als einen syifthetischen Grundsatz a
priori und als Grund möglicher Erfahrung oder der objectiven Erkennte
niss der Erscheinungen, in Ansehung des Verhältnisses derselben in
der Reihenfolge der Zeit; aber er gesteht demselben keine Anwend»
barkeit auf die »Dinge an siehe zu. In der Logik erklärt Kant den
»Satz des zureichenden Grundes« für das Princip der assertori-
schen Urtheile (Log. hrsg. v. Jäsche, S. 73). Er giebt ihm (in der Ab-
handlung über eine Entdeckung etc. 2. A. S. 15, Ausg. der Werke von
Rosenkranz I, S. 409 ff.) die Form: »jeder Satz muss einen Grund
haben«, will aber dieses logische Princip dem Satze des Widerspruchs
nicht beigesellen, sondern unterordnen; dagegen sei das transsoenden-
tale oder materielle Princip: »ein jedes Ding muss einen Grund habenc,
§ 81. Der Satz des (zureichenden) Grandes. 27S
ans dem Satze des Widerspruchs keineswegs ableitbar. An die Eantische
Theorie anknüpfend unterscheidet Arthur Schopenhauer (über die
vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde, 1813) das prin-
(dpium rationis sufficientis essendi, fiendi, agendi, oognoscendi als die
vier Grundformen der Synthesis a priori. Hegel führt (nach dem
Vorgänge Fichte's und der Neuplatoniker) das Gesetz des Grundes:
»alles hat seinen zureichenden Grunde auf das Gesetz der Yermittelung
der G^ensätze zurück: der Grund ist ihm die Einheit der Identität
und des Unterschiedes (Logik I, 2, S. 72 ff.; Encyd. § 121). Herbart
(Allg. Metaph. II, S. 68 ff.) sucht den realen Gausalzusammenhang durch
seine Theorie der Selbsterhaltungen der einfachen Wesen gegen
Störungen beim Zusammensein mit anderen zu erklären, und die
Frage, wie im Denken Grund und Folgen zusammenhangen, durch die
Yon ihm sogenannte »Methode der Beziehungenc zu lösen, d. h. durch
hypothetische Ergänzungen des Gegebenen, welche sich dadurch als
nothwendig erweisen sollen, dass nur, wenn sie angenommen werden,
das Gesetz des Widerspruchs unverletzt bleibe. Nach Schleiermacher
(Dial. S. 150 u. öfter) beruht, wie die Freiheit auf dem Fürsichsein
als Kraft, so die (causale) Nothwendigkeit auf der Verflechtung in das
System des Zusammenseins oder der Actionen. In den Bestimmungen
Hegel's, Herbart's und Schleiermacher's liegt die richtige Einsicht, dass
die Gesammtursache stets in den inneren Grund und die
äusseren Bedingungen zu zerlegen sei (vgL oben zu § 69,
S. 211). Die nähere Darlegung und Prüfung dieser Lehren würde je-
doch aus dem logischen Gebiete in das metaphysische hinüberführen.
An die im Texte des Paragraphen vertretene Auffassung schliesst sich
Delboeuf an, der als das Princip, welches alle unsere Schlüsse (rai-
sonnements) legitimire, den Satz aufstellt: Penchainement logique des
idees oorrespond ä Tenchainement r6el des choses (s. o. zu § 76). — Vgl.
die Monographie von Joseph Jäkel, der Satz des zureichenden Grundes,
Breslau 1868.
Das Leibnizische principium identitatis indiscerni-
bilium (Princ. de la nature et de la grace, § 9; Epist. IV. ad Cläre:
»non dantur duo individua plane indiscernibiliac) kann nur in der
Metaphysik, nicht in der Logik erörtert werden.
Auf einem Missverständniss der in diesem § dargelegten An-
sicht scheint die Entgegnung zu beruhen, zu welcher K. Chr. Planck
Anlass zu haben glaubte in s. Progr. »Grundriss der Logik als krit.
Einl. zur Wissenschaftslehre (Egl.Württemb. ev. theol. Semin. Blaubeuren
1873) S. 18 und später wiederholt in s. Schrift: »Logisches Causalge-
sets und natürliche Zweckthätigkeit, zur Krit. aller Eantischen und
nadikant. Begriffsverkehrung. Nördlingen 1877. S. 41. Diese Schrift
verallgemeinert den irrthümlichen Tadel zu der allgemeineren Behaup-
tung, dass die ganze bisherige Logik denselben Grundfehler theile,
dass sie das logische Causalgesetz schon auf eine empirisch reale
Gnmdlage und eine demgemässe Inhaltsverschiedenheit von Grund und
Folge (Ursache und Wirkung) bezieht, in welcher Form dies auch
18
274 § 81. Der Satz des (zureichenden) Grandes.
geschehen möge. Aach an den neaen Darstellangen der Logik von
S ig wart and Lotze wird in dieser Hinsicht die ein Logisches nnd
Empirisches anmittelhar zasammen nehmende Aaffassang des logischen
Caasalgesetzes getadelt. Durch seine Schrift will Planck zeigen, dass
aach auf dem logisch-kritischen Gebiete die letzte und tiefgreifendste
Entscheidung jetzt erst da ist, nämlich: jene vollständige und oonse-
quente Scheidung des Logischen vom Realen, die Kant nur angestrebt,
und statt welcher er durch das gerade Gegentheil, die durchgängige
Yerkehrung und Yeräusserlichung der reinen und universellen Denk-
formen in einen beschränkt empirischen »Verstände gesetzt habe. Das
Dargebotene bezeichnet Yerf. nur als einen Theil einer ausgearbeiteten
kritischen Neugestaltung der gesammten Logik.
Auch S ig wart hebt in s. Logik Bd. 1. Th. 1. Abschn. 6. §82.
Das Gesetz des Grundes S. 203. ff. hervor, dass das sog. Gesetz des
Grundes in seiner ursprünglichen Fassung bei Leibniz kein logisches
Gesetz, sondern ein metaphysisches Axiom sei, das nur auf einen Theil
unserer Urtheile Bezug hat. Im Uebrigen bemerkt er in Betreff des
Gesetzes: »Sofern jedes ürtheil die Gewissheit seiner Gültigkeit vor-
aussetzt, kann der Satz aufgestellt werden, es werde kein ürtheil ans*
gesprochen ohne einen psychologischen Grund seiner Gewissheit; und
sofern es nur berechtigt ist, wenn es logisch nothwendig ist, behauptet
jedes ürtheil einen logischen Grund zu haben, der es für jeden Den-
kenden nothwendig macht. Es erhebt aber damit nur einen Anspruch,
dessen Recht zu untersuchen eben Aufgabe der Logik ist. — Das Wesen
der Nothwendigkeit im Denken spricht der Satz aus, dass mit dem
Grunde die Folge nothwendig gesetzt, mit der Folge der Grund aufge-
hoben sei. Dieser Satz vom Grund und der Folge entspricht dem
Satze der Verneinung als ein fundamentales Funotionsgesetz unseres
Denkens, c
Auf die wechselnden Schicksale des Satzes vom Grunde hat auch
Wundt, Logik Bd. 1. Abschn. 6. Gap. 1. 1. d. S. 610. ff. treffend also
hingewiesen: »Langsam loste er sich ab von dem Gausalgesetz, um,
während dieses auf den Zusammenhang der Erfahrungen gehe, als ein
Princip betrachtet zu werden, welches die Verbindung unserer Er-
kenntnisse beherrsche. Nachdem diese Unterscheidung vollzogen war,
galt er aber zunächst nicht als ein logisches, sondern als ein metaphy-
sisches Axiom, und als man endlich begann ihn für die Logik in An-
sprach zu nehmen, wiederholten sich fortwährend Bestrebungen, ihn
aus den allgemeineren Sätzen der Identität und des Widerspruchs ab-
zuleiten. (Eine Note S. 514 bemerkt, dass solche Auffassung vertreten sei
z. B. von W. Hamilton, Logic. 8. edit. p. 86 note; — Riehl, Der philos.
Eriticism. Bd. 2. S. 236; — 0. Schmitz-Dumont, Die mathem«
Elemente der Erkenntnisstheorie S. 58.)
Nach Lotze 's eigenthümlicher Bemerkung (Syst. d. Phüos. Bd.
1. Logik, Buch 1. Gap. 2. 63. S. 87 — soll das imendlich oft erwähnte
Gesetz des zureichenden Grundes das wunderliche Schicksal gehabt
haben, auch von Denen, die am häufigsten sich auf es beriefen, eigenV
§ 82. Die Formen der unmittelbaren SchltisBe überhaupt. 276
lieb niemals formulirt zu werden. Denn die gewöhnliche Anweisung, zu
jedem Gültigkeit verlangenden Ausspruche müsse man einen Grund
seiner Geltung suchen, vergesse, dass man das nicht suchen könne, von
dem man nicht wisse, worin es bestehe; zuerst müsse offenbar klar
gemacht werden, in welchem Yerhältniss Grund und Folge zu einander
stehen, und in welchem Inhalt man folglich den Grund für einen andern
zu entdecken hoffen dürfe. 'Ich werde im kürzesten deutlich sein —
fahrt Lotze fort — wenn ich im Vergleich mit dem Ausdruck des
Identitätssatzes A == A sogleich die Formel A -|- B = C als Bezeich-
nung des Satzes vom Grunde aufstelle und folgende Erklärung hinzu-
fuge. Für sich allein würde A nur = A, B = B sein; aber nichts
hindert, dass eine bestimmte Verbindung A + B, deren in verschie-
denen Fällen sehr verschiedenartiger Sinn hier symbolisch das Addi-
tionszeichen vertritt, dem einfachen Inhalt der neuen Vorstellung C
äquivalent oder identisch sei. Nennen wir dann A + B den Grund und
C die Folge, so sind Grund und Folge völlig identisch, und der eine
ist die andere; man hat in diesem Falle unter A + B ein beliebiges
Subject sammt der Bedingung, von der es beeinflusst wird, unter G
aber nicht ein neues Folgeprädicat dieses Subjectes, sondern das Sub-
ject selbst in seiner durch dies Prädicat veränderten Gestalt zu ver-
stehen. — Wenn wir mit der Vorstellung A des Pulvers die Vor^
Stellung B der hohen Temperatur des glühenden Funkens verbinden,
mithin in A das Merkmal der gewöhnlichen Temperatur durch das der
erhöhten B ersetzen, so ist dieses A -f B die Vorstellung C des ex-
plodirenden Pulvers, nicht der Explosion überhaupt.« — Der gewöhn-
lidie Sprachgebrauch verfahre anders, meine aber unter anderen 'Be-
nennungen dasselbe.
§ 82. Die Formen der unmittelbaren Schlüsse
sind: theils die Ableitung eines Urtheils aus einem Begriff
d. h. die analytische Urtheilsbildung, theils die Ableitung
eines Urtheils aus einem Urtheil, welche wiederum sieben
Arten hat, nämlich: 1. Conversion, 2. Contraposition, 3. Um-
wandlung der Belation, 4. Subaltemation, 5. Aequipollenz,
6. Opposition, 7. modale Consequenz. Die Conversion
geht auf die Stelle der Elemente des Urtheils in demselben
hinsichtlich der Eelation desselben und mittelbar auch oft auf
die Quantität; die Contraposition geht gleichfalls auf die
Stelle der Elemente des Urtheils in demselben hinsichtlich
der Belation desselben, zugleich aber auch auf die Qualität
and mittelbar auch oft auf die Quantität ; die Umwandlung
der Belation geht auf die Belation selbst. Die Subalter-
nation betrifft die Quantität. Die Aequipollenz bezieht
sich auf die Qualität; die Opposition auf die Qualität und
276 § 82. Die Folgen der anmittelbaren Schlüsse überhaupt.
mittelbar anch oft auf die Quantität. Die modale Con-
sequenz geht anf die Modalität der ürtheile. Alle diese
Ableitungen beruhen auf den Grundsätzen der Identität und
der contradietorischen Disjunction.
Aristoteles erörtert die Gonversion {avTtcfTQiq>HV, avTKngfxpfjf
die er in den Dienst der Syllogistik stellt, Anal. pri. I, 2; 13; 17, das
Yerhältniss der Opposition (avTixiTa^tu) de interpr. o. 7 ff. und die
modale Consequenz de interpr. o. 18. Die Subaltemation kennt Ari-
stoteles nur als ein Element der syllogistischen Schlussbildung, nioht
als eine selbständige Form. Aristoteles sagt de interpret. a 10. 20 a.
39, der Satz: jeder Nicht- Mensch ist ein Nicht-Gerechter, sei gleich-
bedeutend mit dem Satze: kein Nichtmensch ist grerecht. Hierin liegt
die qualitative AequipoUenz. Der Name der AequipoUenz aber (auf
gleichgeltende ürtheile im weiteren Sinne bezogen) lässt sich zuerst bei
Galen US nachweisen, welcher eine Schrift negl rtüv iao6wafjLova&v
Tigotaaetüv verfasst hat. Galenus unterscheidet auch bereits zwischen
avTiargifpetv, worunter er die Gontraposition versteht, und avaaTQ^(p€iv,
welches bei ihm die Gonversion bezeichnet; er gebraucht beide Termini
sowohl in der Anwendung auf kategorische, als auch auf hypothetische
Ürtheile. Bei Appuleius findet sich zuerst der lateinische Terminus
aequipoUens mit der Definition:' »aequipollentes autem dicuntur (pro-
positiones), quae alia enunciatione tantundem possunt et simul verae
fiunt aut simul falsae, altera ob alteram scilicetc Boethius nennt
die gleichgeltenden Ürtheile iudicia convenientia oder oonsentientia;
er gebraucht den Terminus conversio per contrapositionem für die Gon-
traposition, und nennt die Gonversion im engeren Sinne conversio sim-
ples; diese letztere geschehe entweder principaliter, d. h. ohne Aen-
derung der Quantität, oder per accidens, d. h. mit Aenderung der
Quantität. Im Uebrigen findet sich bei Boethius schon ganz die Ter-
minologie der scholastischen und der modernen formalen Log^k. (S.
Prantl, Gesch. der Logik I, S. 668 ff.; 588; 692 ff.) Wolff nennt die
unmittelbaren Schlüsse nicht ratiocinia oder ratiocinationes (weil er un-
ter der ratiocinatio nur die Ableitung eines dritten ürtheils aus zwei
gegebenen versteht), sondern oonsequentias immediatas (Log. §459); er
erklärt dieselben für verkürzte hypothetische Syllogfismen (§ 460) und
trägt demgemäss auch die Lehre von denselben erst nach der Syllo-
gistik vor. Kant (Log. § 41 ff.) und mit ihm die meisten späteren
Logiker befolgen wiederum die entgegengesetzte Ordnung. Die Ein-
theilung der unmittelbaren Schlüsse gründet Kant auf seine Eategorien-
tafel: auf der Quantität beruht nach seiner Ansicht die Subalter-
nation, auf der Qualität die Opposition (während die AequipoUenz
nur eine Veränderung des Ausdrucks in Worten, nicht der Form des
Ürtheils sei), auf der Belation die Gonversion, auf der Modalität
die Gontraposition. Die späteren Logiker haben meist das Princip der
Kantischen Eintheilung festgehalten, aber die mehrfachen Ungenauig-
§ 88. Das synthetische und analytische ürtheilen. 277
keiten, die in der Eantischen Anwendung desselben liegen, mit grösse-
rem oder geringerem Erfolge zu beseitigen gesucht. — Die analyti-
sche Urtheilsbildung pflegt nicht den unmittelbaren Schlüssen
ragerechnet zu werden (und wurde es auch noch in der 1. Aufl. dieser
Logik nicht), gehört aber hierher.
§ 83. Die analytische Urtheilsbildnng bernht
auf dem Satze (§ 76), dass jedes Merkmal als Prädieat ge-
setzt werden kann. Die Unterscheidung des synthetischen
und des analytischen Urtheilens betrifft die Genesis
der Urtheüe. Jedes Urtheil ist insofern synthetisch, als es,
der Definition zufolge, das Bewusstsein ttber die reale Gültig-
keit einer Verbindung (Synthesis) von Vorstellungen ist.
Aber die Synthesis der Glieder des Urtheils kann auf ver-
schiedene Weise entstanden sein, entweder unmittelbar durch
Gombination der betreffenden Vorstellungen, oder mittelbar
durch Analysis einer früher gebildeten Gesammtvorstellung,
in welcher die Glieder des Urtheils in unentwickelter Form
bereits enthalten waren. In jenem Falle ist die Urtheils-
bildung synthetisch, in diesem analytisch. Das nur aus dem
Snbjectsbegriff abgeleitete analytische Urtheil gilt immer nur
unter der Voraussetzung dieses Subjectsbegriffes ; die Gültig-
keit des Subjectsbegriffes selbst kann niemals aus demselben
erschlossen werden.
In jedem Urtheil ist das Subject die anderweitig zwar be-
stimmte, hinsichtlich des Prädicates aber noch unbestimmte Vorstel-
lung. In den Sätzen: dieser Angeklagte ist schuldig; dieser Angeklagte
ist nicht schuldig — ist das Subject die Vorstellung des Angeklagten
sofern derselbe diese bestimmte Person ist, die unter der Anklage
steht, während für die Verknüpfung der Vorstellung der Schuld mit
der Subjectsvorstellung in dieser gleichsam nur eine offene Stelle vor-
handen ist, d. h. eine Unbestimmtheit, die im affirmativen oder nega-
tiven Sinne bestimmt werden kann und durch die Zuerkennung oder
Aberkennung des Prädicatsbegriffs bestimmt wird. Ganz ebenso ist
in dem Urtheil: die Erde ist ein Planet — das Subject die £rde, so-
fern sie anderweitig bestimmt ist, etwa als yrj ivgvartQvos, navKav
ISoq aöfpaXhg täil, aber hinsichtlich dessen, was das Prädieat besagt,
noch unbestimmt ist. Die Urtheile: Eisen ist Metall; jeder Körper
ist ausgedehnt; das Quadrat ist ein Parallelogramm — haben Sinn
und Bedeutung nur insofern, als der, welcher sie bildet, im Subjects-
begriff für die im Prädieat gegebene Bestimmung nur erst eine offene
Stelle, aber noch nicht diese Bestimmung selbst kennt, also das Eisen
etwa nur auf Grund der unmittelbaren sinnlichen Anschauung vorstellt,
278 § 83. Das synthetische und analytische Urtheilen.
unter dem Körper aber das wahrnehmbare Ding versteht, von dem es
zunächst noch dahinsteht, ob dasselbe immer auch ausgedehnt sei oder
nicht, das Quadrat als gleichseitiges rechtwinkliges Viereck vorstellt,
ohne dabei des Paralieüsmus der einander gegenüberliegenden Seiten
sich bereits bewusst zu sein; in einer Nominal-Definition wird das
Subject für sich nur als das den betreffenden Namen tragende Ding
gedacht; das Prädicat bringt dann die nähere Bestimmung dessen hinzu,
was in der Subjectsvorstellung noch unbestimmt geblieben war. Somit
sind alle diese ürtheile ihrem eigenen Charakter nach synthetisch,
und nur der Weg, auf welchem der ürtheilende zu der Synthesis der
ürtheilsglieder gelangt, kann ein verschiedener sein. Der Recurs auf
die Definition des Sübjectsbegriffs bei der analytischen Urtheilsbil-
dung hat die Bedeutung, Momente in's Bewusstsein zu rufen, die, so
lange noch bloss das Subject als solches vorgestellt wurde, nicht mit-
gedacht worden waren; die Analysis des hierdurch vervollständigten
Sübjectsbegriffs ergiebt dann das Prädicat des Urtheils. Bei der syn-
thetischen ürtheilsbildung kann entweder unmittelbar auf Grund der
Wahrnehmung die Synthesis erfolgen, oder mittelbar durch ein Sohliesaen,
welches wiederum entweder auf anderweitig bekannte Umstände sich
stützt (wie bei dem Indicienbeweis für die Schuld eines Angeklagten)
oder auf die im Subjectsbegriff selbst ausdrücklich gedachten Merkmale,
indem aus diesen auf Grund eines oausalen Abhängigkeitsverhältnisses
die nothwendige Zugehörigkeit der im Prädicat gedachten Merkmale
erkannt wird (z. B. aus der Gleichseitigkeit eines Dreiecks die Gleioh-
winkligkeit desselben); die letztbezeichnete Weise findet oft da statt,
wo Eant von »Synthesis a priori« redet.
Auf Grund des Aristotelischen Satzes des Widerspruchs erklärt
u. A. schon Thomas von Aquino (Summa theol. I, 2, 1) identische
Sätze für absolut gewiss. Vgl. Arist. de interpr. c. 11. Später bahnten
Locke's Bemerkungen (Ess. lY, 8; cf. 3; 7) über die »propositiones
frivolae«, deren Prädicat nur den Subjectsbegriff oder einzelne Elemente
desselben wiederhole, und Hume's Unterscheidung (Enqu. IV.; vgL
Locke's Annahmen IV, 4, 6) zwischen den Beziehungen der Begriffe,
wohin die mathematischen Sätze zu rechnen seien, und den Thatsachen
der Erfahrung die Eantische Unterscheidung an. Leibniz (Nouv.
ess. IV, 2; Monadologie, § 35) hält dafür, dass alle primitiven Vernunft-
Wahrheiten identische Sätze seien. Wolff's Begriff des Axioms als
der propositio theoretica indemonstrabilis (Log. § 267) fasst jedoch
ausser den identischen Sätzen auch diejenigen unter sich, welche bloss
aus identischen Sätzen durch Analyse und Combination abgeleitet wer-
den (Log. § 268; 270; 273; cf. 264). Uebrigens verbirgt sich bei Wolff
an den Stellen seiner Logik, wo er das hier in Frage kommende Ver-
hältniss berührt (§ 261 ff.), hinter der Unbestimmtheit des Ausdrucks
diejenige Schwierigkeit, welche später Eant durch die Unterscheidung
der analytischen und synthetischen Ürtheile hervorhebt. Wolff sagt
(§.262): ipropositio illa indemonstrabilis dicitur, cuius subiecto conve-
nire vel non convenire praedicatum terminis intellectis patet«. Was es
§ 83. Das synthetiBche und analytische Urtheilen. 279
heisse: »terminis intelleotis patet«, will Wolff theils durch Beispiele
anschaolich machen, theils erklart er sich dahin, es sei darunter das
Gewahrwerden zu verstehen, dass solche prädicative Bestimmungen,
die zu dem Begriffe des Subjectes, wie derselbe in der Definition dar*
gelegt werde, nicht gehören, dennoch unzertrennlich mit demselben
verbunden seien : >ea, quae praedicato respondent, ab iis, quae ad sub-
iecti notionem referimus sive quae ad definitionem eins pertinent, se-
parari non posse animadvertimusc. Aber welches die Art und der
Grund dieser unzertrennlichen Yerbindung sei, sagt Wolff nicht, und
80 kommt ihm auch die Schwierigkeit nicht zum Bewusstsein, dass
wenn das Prädicat (wie dies in den Beispielen: das Ganze ist grösser
als ein Theil, die Badien des nämlichen Kreises sind einander gleich
ei&, der Fall ist, und nach dem Leibnizisch- Wolffischen Grundsätze,
dass aUe primitiven Yernunftwahrheiten identische Sätze seien, allge-
mein vorausgesetzt werden zu müssen scheint) durch das blosse Zu-
rückgehen auf die Definition des Subjeotes und auf die Definitionen
der einzelnen Begriffe, die in der Definition des Subjeotes vorkommen,
gefanden wird, dann das Urtheil ein Zergliederungsurtheil ist, welches
zwar apodiktische Gewissheit hat, aber unsere Erkenntniss nicht er-
weitert; wenn aber jenes Zurückgehen nicht genügt, sondern das Prä-
dicat eine wesentlich neue Bestimmung enthält, welche in dem durch
die Definition angegebenen Inhalt des Subjectsbegriffs, wie weit auch
die Zergliederung geführt werden mag, nicht anzutreffen ist, dann zwar
unsere Erkenntniss sich erweitert, aber für diese Erweiterung der Grund
der Gewissheit vermisst wird. Dies ist der Punkt, wo Kant, wiewohl
von einer anderen Seite her (nämlich durch die Untersuchungen von
Locke und Hume) angeregt, das erste Motiv zam Hinausgehen über den
Leibnizisch -Wolffischen Standpunkt findet. Kant (Krit. der r. Yem.
Einl. lY; Proleg. z. e. j. k. Metaph. § 2; Log. § 86) unterscheidet mit
Becht die analytische und synthetische ürtheilsbildung, überträgt jedoch
mit Unrecht diesen Unterschied auf die Urtheile selbst. Analytische
Urtheile (z. B. a ^ a, oder: alle Körper sind ausgedehnt, auf Grund
der Definitionen: Gleichheit ist Identität der Grösse, der Körper ist
eine ausgedehnte Substanz) nennt er solche, in welchen die Yerknüpfung
des Prädicates mit dem Subjecte auf Identität beruht; dieselben sagen
im Prädicate nichts als das, was im Begpriffe des Subjeotes auch schon,
wiewohl nicht mit gleicher Klarheit oder Bewusstseinsstärke, gedacht
wird; sie sind blosse Erläuterungsurtheile. Synthetische Urtheile
dagegen (z. B. die gerade Linie ist zwischen zwei Punkten die kürzeste,
oder: jeder Körper ist schwer, welche Beispiele hier unter der Yoraus-
setzung gelten, dass die Kürze nicht schon in die Definition der g.
Linie, die Schwere nicht in die' des Körpers aufgenommen sei, denn
wäre so bereits der Subjectsbegriff bestimmt und beschränkt, so wären
jene Urtheile analytische) nennt Kant solche, in denen die Yerknüpfung
des Prädicates mit dem Subjecte ohne Identität gedacht wird ; in den-
selben kann an dem Subjecte zwar die Nothwendigkeit haften, das
Prädicat hinzuzudenken, aber dieses Prädicat wird nicht wirklich,' auch
280 § 83. Das synthetische and analytische ürtheilen.
nicht einmal verdeckter Weise, in dem Snbjecte gedacht; die synthe-
tischen ürtheile sind Erweitemngsurtheile. — Hegel will durch seine
dialektische Methode den unterschied des analytischen und des synthe-
tischen ürtheils vermöge des Begriffs der Entwickelung des Sabjectes
zum Prädicate aufheben. Er sagt (Encycl. § 289): »der (dialektische)
Fortgang ist das gesetzte ürtheil der Idee; — dieser Fortgang ist
ebensowohl analytisch, indem durch die immanente Dialektik nur
das gesetzt wird, was im unmittelbaren Begriffe enthalten ist, als
synthetisch, weil in diesem Begriffe dieser unterschied noch nicht
war gesetzte. — Aber diese Methode selbst ist unhaltbar. Ein ärmerer
Inhalt kann auf keine Weise sich selbst durch sich allein zu einem
reicheren potenziren. Es ist allerdings gerade in Bezug auf die echt
wissenschaftliche ürtheilsbildung eine wohlbegründete Ansicht, das
Subject gleichsam als den lebendigen Keim zu betrachten, aus dem die
verschiedenen Prädicate hervorwachsen. So lassen sich z. B. die Begriffe
des Kreises, der Gravitation etc. als der Keim, die Anlage, die Dynamis
ansehen, woraus sich die reiche Mannigfaltigkeit der geometrischen
Sätze oder ürtheile in der Kreislehre, der astronomischen Erkenntnisse
etc. entfaltet. Aber der Keim, die Dynamis, das, was Hegel das An-
sichsein nennt, ist doch nur der innere Grund der Entwickelung, zu
dem noch die äusseren Bedingungen hinzutreten müssen, wenn anders
die Entwickelung mehr als blosse Zergliederung sein und nicht nur zur
Erhöhung der Bewusstseinsstärke des schon vorhandenen Inhalts, sondern
auch zu grösserer Inhaltsfülle führen soll. So müssen in den obigen
Beispielen zu dem Kreise gerade Linien als Sehnen, Tangenten, Secanten
etc. in Beziehung treten, zu dem allgemeinen Princip der Gravitation
die Massen und Entfernungen der Himmelskörper etc., überhaupt Ele-
mente, die wenigstens im Yerhältniss zu diesen Subjecten ein ander-
weitig Gegebenes sind und sich nicht aus denselben finden oder (um
mit Kant zu reden) > herausklauben c lassen. Ohne dieses äussere Element
wäre das methodische Verfahren wohl analytisch ("blosse Setzung dessen,
was schon im Subjecte liegt), aber nicht synthetisch (keine Bereicherung
der Erkenntniss, kein Fortschritt zu neuen Prädicaten) ; mit demselben
ist es wohl synthetisch, aber nicht mehr analytisch. So wesentlich also
auch der Gesichtspunkt der Entwickelung bei der ürtheilsbildung und
überhaupt auf allen Gebieten des philosophischen Denkens ist, so wenig
hat doch die dialektische Methode die Nothwendigkeit jener Kantischen
Unterscheidung aufzuheben vermocht. — Schleiermacher (Dial.§ 156;
808 — 9; Beilage E, LXXVÜI, 5) erklärt den unterschied zwischen den
analytischen und den synthetischen ürtheilen für einen fliessenden oder
relativen: dasselbe ürtheil könne ein analytisches und ein synthetisches
sein, je nachdem das, was im Prädicate ausgesagt werde, schon in den
Begriff des Subjectes aufjgenommen worden sei oder noch nicht. Der
Unterschied stehe aber fest in Bezug auf jedes einzelne für sich ge-
setzte Subject Das unvollständige ürtheil (welches nur das Subject
und Prädicat enthält) sei mehr analytisch, das vollständige (welches
auch das Objeot enthält) sei mehr synthetisch, das absolute ürtheil
§ 83. Das synthetische und analytische ürtheilen. 281
(dessen Subject die Welt ist) sei wiederum analytisch. Doch ist der
Unterschied des analytischen und synthetischen Urtheilscharakters in
der That nicht an den der YoUstandigkeit oder Unvollständigkeit des
Urtheils gebunden. Delboeuf sagt (Prolog, philos. de la geom. S. 46ff.
und Log. S. 103), der Fortschritt der Wissenschaft bestehe gerade
darin, synthetische ürtheile in analytische umzuwandeln, d. h. empi-
risch beigefügte Pradicate in solche, deren Nothwendigkeit erhelle.
Dieser an sich vollkommen richtige Gedanke vermag jedoch nicht die
£anti8che Unterscheidung zu relativiren; denn die Bedeutung, in wel-
cher hier Delboeuf die Ausdrücke nimmt, ist wesentlich von der Kanti-
schen Terminologie verschieden, wonach auch eine apodiktische Ver-
knüpfung, die auf einem erkannten Causalverhältniss beruht, eine syn-
thetische ist.
Trendelenburg ging bei seiner Betrachtung in den logfischen
Untersuchungen 3. Aufl. Bd. 2. XYI. S. 264 ff. ähnlich wie Schleier-
m ach er von einer Betonung der Relativität dieser Unterschiede aus,
indem er darzuthun sucht, dass jedes vollständige Urtheil von der
einen Seite als analytisch, von der andern als synthetisch erscheine. —
Vergleichbar hat auch Steinthal, Abriss der Sprach wissensch. Th. 1.
I. S. 17 ff. darzuthun gesucht, dass Analyse und Synthese immer in
einander seien. — Auf einem andern Boden als dem Kant 's steht die
Ton Sigwart (Logik. Bd. 1. Th. 1. Abschn. 3. § 18. S. 101) gegebene
Unterscheidung analytischer und synthetischer Ürtheile, sofern es für
sie rein auf die jeweilige Genesis des Urtheils in dem urtheilenden
Subjeote ankomme, ob ein Urtheil analytisch oder synthetisch sei.
Die Frage betreffe nur die Genesis des Urtheilsactes selbst. Diese Ge-
nesis könne eine unmittelbare oder mittelbare sein. Unmittelbar sei
sie, wenn das Urtheil nichts als die in ihm verknüpften Vorstellungen
des Subjects und Prädicats selbst voraussetze, um mit dem Bewusstsein
objectiver Gültigkeit vollzogen zu werden; mittelbar, wenn erst durch
das Einzutreten anderer Voraussetzungen dieser Vollzug möglich werde,
sei es dass die Aufeinanderbeziehung von Subject und Pradicat über-
haupt mit dem Gedanken ihrer urtheilsmässigen Einheit erst einer
Vermittelung bedürfe, oder dass wenigstens das Bewusstsein ihrer ob-
jectiven Gültigkeit anderswoher genommen werden müsse. — Alle
unmittelbaren Ürtheile seien also nothwendig analytisch, wenn ein
analytisches Urtheil ein solches sei, in welchem das Pradicat schon im
Subjecte mit vorgestellt sei; und synthetisch könnten nur die gefol-
gerten sein, und solche, in denen es sonst eines ausserhalb liegenden
Grandes bedürfe, um die In-Einssetzung herbeizuführen. Ob ein Ur-
theil in diesem Sinne analytisch oder synthetisch sei, könne niemals
ans seinem Wortlaute abgenommen werden, sondern hänge immer von
individuellen Voraussetzungen ab. An einem Beispiel erläuternd wird
in einer Note S. 103 gegen den Verfasser dieses Buches bemerkt: >So
lange in dem Beispiel: «der Angeklagte ist schuldig" als Subject nur
die Person vorgestellt wird, die xmier Anklage steht, so enthält diese
Vorstellung allerdings das Pradicat schuldig nicht. — Träte aber ein
262 § 84. Die Conversion und ihre innere Berechtigung.
Zeuge auf, der den Angeklagten als Thäter gesehen hätte, so würde
dessen ürtheil: der Angeklagte ist schuldig, ein analytisches sein.« —
Von dem Boden dieser Betrachtung aus werden dann Kant 's Unter-
scheidungen einer eingehenden Kritik unterworfen. — Wundt's Miss-
verständniss dieser seiner Auffassung hat Sigwart in s. Art. 1. Lo-
gische Fragen in d. Vierteljahrsschr. wissensch. Philos. Bd. 4. 1880. S.
462 berichtigt. — Einen Versuch bedingter Rechtfertigfung oder Rich-
tigstellung der Unterscheidung Eant's hat Lotze in s. Syst. d. Philos.
Bd. 1. Logik. Cap. 2. 58. S. 80 u. ff. gemacht. — Wundt, der in s.
Logik, Bd. 1. Abschn. 3. Cap. 1. 4. S. 149 u. ff. die Ansichten Eant's,
Schlei er mach er 's und Sigwart's kritisch bespricht und g^en
Sigwart 's Unterscheidung besonders geltend macht, dass sie den zu-
sammengesetzten wissenschaftlichen Yerfahrungsweisen der Analyse und
Synthese entnommen, eben darum nicht geeignet sei für das einzelne
Urtheil, fasst dann als Resultat seiner Erörterung zusammen, dass
allgemein die Ausdrücke analytisch und synthetisch in doppeltem Sinne
verstanden werden. »Wendet man sie auf die Entstehung des Urtheils
an, so ist der Gredanke, den das Urtheil enthält, stets synthetisch ent-
standen, das Urtheil selbst aber besteht in der analytischen Zerlegung
dieses Gedankens. Wendet man sie auf das Yerhältniss von Subject
und Prädicat im fertigen Urtheil an, so sind analytisch nur diejenigen
Urtheile, in denen ein Element oder einige Elemente, die im Subjeot
nothwendig schon mitgedacht werden müssen, zu irgend einem Zweck
im Prädicat besonders hervorgehoben worden; alle übrigen Urtheile
sind synthetisch. Dass wir uns im letzteren Sinne der analytischen
Urtheile selten bedienen, und dass ihr logischer Werth ein geringer
ist, bedarf übrigens kaum der Bemerkung.«
§ 84. Die Conversion (Umkehrung) ist diejenige
Formveränderung, vermöge deren die Glieder des ürtheils
ihre SteUung hinsichtlich der Relation desselben wechseln^
also namentlich im kategorischen Urtheil das Subject zum
Prädicate und das Prädicat zum Subjecte, im hypothetischen
Urtheil aber der bedingende Satz zum bedingten und der
bedingte zum bedingenden wird. Die Conversion des kate-
gorischen Ürtheils hat nur in dem Falle innere Berech-
tigung, wo der PrädicatsbegriflF sich zur Substantivirung
eignet, d. h. wo die Gesammtheit der Gegenstände, welchen
das durch den PrädicatsbegrifP Bezeichnete zukommt, wesent-
lich gleichartig ist oder eine Classe oder Gattung (im Sinne
des § 58) bildet. Denn nur in diesem Falle dürfen diese
Objecte unter einen substantivistischen Begriff zusammengefasst
werden, der sich (nach § 68) zum Subjectsbegriflf eignet,
während zugleich der frühere Subjectsbegriff durch seine Ver-
§ 84. Die Gonversion nnd ihre innere Berechtigung. 288
schmelzang mit dem Httlfsbegriffe des Seins auf ein Inhärenz-
verhältniss bezogen wird und so die prädicative Form (s. § 68)
annimmt. Die innere Berechtigung der Conversion des hypo-
thetischen UrtheQs unterliegt zwar im Allgemeinen keiner
Beschränkung, weil dasselbe nur einen Causalzusammenhang
Oberhaupt bezeichnet, sei es in der Bichtung von der Ursache
zur Wirkung oder von der Wirkung zur Ursache oder von
der Wirkung zur Wirkung; sofern aber doch, namentlich wenn
Zeitverhältnisse mit in Betracht kommen, die erste Voraus-
setzung das naturgemässeste ist, so wird häufig bei der Um-
kehrung die zur Bedingung gewordene Folge in der Form
eines ZweckurtheUs (wenn — sein soll, so muss etc.) aus-
zudrücken sein.
Die Frage nach der inneren Berechtigung der Convelnsion ist von
Aristoteles noch nicht erörtert worden. Zwar legt das Aristoteli-
sche Prinoip, dass die Elemente des Gedankens überhaupt den Elemen-
ten der Wirklichkeit entsprechen, und dass insbesondere das Subject
nnd Prädicat des Urtheils, welche ihren Ausdruck im ovofxa und ^n^^a
finden, auf das Seiende und auf die Thätigkeit oder Eigenschaft gehen,
eine derartige Betrachtung nahe; aber Aristoteles hat die Anwendung
auf die Gonversion nicht gemacht. Die Substantivirung des Prädicats-
begriffs bildet (Anal, prior. I, 2) die stillschweigende Voraussetzung,
wird aber nicht näher erörtert. Die nacharistotelische und zumal die
moderne formale Log^k liess noch viel mehr jene metaphysische Be-
ziehung unbeachtet. Mit Becht hat Schleiermacher auf dieselbe
wenigstens andeutungsweise aufmerksam gemacht (Dial. § 326), und
ebenso bemerkt Trendelenburg (Log. Unt. II, S. 231, 2. A. II, S. 308,
8. A. II, S. 386) mit Becht, dass bei der Gonversion »das Accidens zur
Substanz erhoben wird« (oder vielmehr: statt des Accidens die Substanz
gedacht wird, welcher es inhärirt); nur folgt daraus nicht, dass die
Gonversion, den Fall des allgemein verneinenden ürtheils ausgenommen,
ein blosses »Kunststück der formalen Logik c sei und zu keinem sicheren
Resultate führe. Auch die Logik als Erkenntnisslehre hat das Becht
und die Pflicht, zu untersuchen, was und wieviel, wenn bloss ein ein-
zelnes ürtheil gegeben ist^ aus demselben vermittelst der Umkehrung,
die innere Berechtigung derselben in dem gegebenen Falle vorausgesetzt,
sich folgern lasse*); ausserdem aber muss sie aufzeigen, woran die
innere Berechtigung sich knüpfe.
*) Wenn der Untersuchung, wie viel aus Einem gegebenen Ele-
mente, ohne dass irgend etwas anderes hinzugenommen werde, sich
folgern lasse, die Absicht untergelegt wird: »ein willkürliches Denken
nach künstlichen Regeln und Formeln lehren und ermöglichen zu
284 § 86. Die Convenion des allgemein bejahenden ürtheils.
Die Conversion des disjunctiven ürtheils, möge dasselbe eia
kategorisch- oder hypothetisch-disjunctives sein, bedarf ebensowenig,
wie die des copulativen oder der übrigen coordinirt zusammengesetzten
Urtheile besonderer Regeln, da sich die Normen für dieselbe unmittel-
bar aus den Normen für die Conversion der einfachen Urtheile ergeben.
Das hypothetische Urtheil steht hier auch als Typus für die ver-
wandten Arten der subordinirt zusammengesetzten Urtheile.
§ 85. Durch Conversion folgt 1. ans dem allgemein
bejahenden kategorischen ürtheil (von der Form a):
jedes S ist P,
das particular bejahende ürtheil (von der Form i) : min-
destens ein oder einige P sind S (mindestens ein Theil der
Sphäre von P ist S),
wollene, »das Denken auf ein mechanisches Schema bringen zu wollen,
um willkürlich nach diesem zu verfahren, so dass man nur nach dem
Schema und nicht nach dem Begriffe zu denken brauche c (J. Hoppe,
die gesammte Logik, Paderborn 1868), so heisst dies (auch abgeseheu
von zahlreichen Missverständnissen im Einzelnen) den Standpunkt der
logischen Betrachtung völlig verkennen. Mit gleichem Recht könnte man
die mathematisch-mechanische Betrachtung als einseitig und willkürlich
schelten, wenn sie untersucht, was aus gewissen einfachen Voraussetzun-
gen folge und dabei von anderen Datis absieht, von denen jene in der
Wirklichkeit nicht abgesondert vorzukommen pflegen, wenn sie z. B,
die Bahn und die Stelle des Falls eines irgendwie geworfenen Körpers
nur auf Grund der Gravitation und der Beharrung berechnet, ohne den
Miteinfluss des Luftwiderstandes zu erwägen, so dass anscheinend die
concrete Anschauung das Besultat genauer zu bestimmen und über die
Bechnung zu triumphiren vermag; wollte aber die mathematische
Mechanik jenes abstractive Verfahren nicht üben, so würde sie die Be-
wegungsgesetze überhaupt nicht zu erkennen vermögen und die Wissen-
schaft würde aufgehoben (oder »ausgerottete) sein. Es ist sehr wahr,
dass uns gewöhnlich mehr, als Ein Urtheil allein gegeben ist, dass
wir über das Verhältniss der Subjects- und Prädicatssphären in dem-
selben anderweitig noch mehr zu wissen pflegen, als das Urtheil,
rein als solches betrachtet, besagt. Ist das Urtheil gegeben: alle
Menschen sind sterblich, oder das Urtheil : alle Menschen sind sinnlich-
vernünftige Erdbewohner, so wissen wir ausserdem, dass es auch andere
Sterbliche, aber keine anderen sinnlich-vernünftigen Erdbewohner giebt.
Wer sich nun an das gerade vorliegende Beispiel hält und dieses an-
derweitige Wissen mit hinzunimmt, kann freilich ohne die Mühe der
Abstraction ein volleres Resultat gewinnen, als nach den Regeln der
Logik aus dem Einen gegebenen Urtheil allein folgt, und
kann sogar leicht auf Grund seines vermeintlich »begrifflichenc Ver-
fahrens über den Logiker triumphiren, der sich und Andere mit seinen
dürftigen Schemata plage; aber er hebt durch dieses Verfahren nidit
eine falsche Logik zu Gunsten einer besseren, sondern die Möglichkeit
einer methodis(3i fortschreitenden logischen Erkenntniss der Denkge-
setze selbst auf. Erst nach beendeter Untersuchung, was aus Einem
Datum folge, darf die wissenschaftliche Theorie des Denkens andere
Data mit in Betracht ziehen.
§ 85. Die Conversion des allgemein bejahenden ürtheils. 286
und ebenso ans dem allgemein affirmirenden hy-
pothetischen Urtheil: jedesmal, wenn A ist, ist B,
das particular affirmirende : mindestens einmal oder einige-
mal, wenn B ist, ist A (mindestens in einem Theile der Fälle,
wo B ist, ist A).
Der Beweis liegt in der Vergleichung der Sphären.
Das gegebene kategorische Urtheil: alle S sind P,
setzt (nach §71) eins der beiden Sphärenverhältnisse vorans,
welche durch das Schema:
^ ^' f r 8 ) P I a, 2.
angedeutet werden; d. h. die Thätigkeit oder Eigenschaft,
welche der Prädicatsbegriff P bezeichnet, findet sich an allen
denjenigen Gegenständen, welche der SubjectsbegriffS bezeich-
net, während ungewiss bleibt, ob sie sich ausserdem auch noch
an anderen finde (a, 1) oder nicht (a, 2). Unter der ersten
Voraussetzung kann nur von einem Theile der Gegenstände,
denen die durch den früheren Prädicatsbegriflf P bezeichnete
Eigenschaft oder Thätigkeit zukommt, ausgesagt werden, dass
sie S sind, unter der zweiten von allen. Welche von beiden
Voraussetzungen in einem gegebenen einzelnen Falle zutreffe,
kann zwar aus dem allein gegebenen Urtheil : alle S sind P,
sofern nicht andere Data hinzutreten, nicht entschieden wer-
den: man bedarf dessen aber auch nicht, um mit Gewissheit
den Schluss zu ziehen, der unter beiden Voraussetzungen VTahr-
heit hat: mindestens einige P sind S; was zu beweisen war.
Ebenso setzt das gegebene hypothetische Urtheil:
jedesmal, wenn A ist, ist B, eins der beiden Sphärenverhält-
nisse voraus, deren Schema ist:
1- ( A ) B I 2.
D. 1l das durch B bezeichnete Verhältniss findet sich überall da,
wo A vorkommt, während ungewiss bleibt, ob ausserdem noch in
286 § 85. Die Gonversion des allgemem bejahenden ürtheila.
anderen Fällen (1) oder nicht (2). Unter beiden Voranssetznngen
aber gilt mit gleicher Wahrheit der Schlnss: mindestens in
einem Theile der Fälle, wo B ist, ist A, was zn beweisen war.
Es giebt, dem Obigen zufolge, Fälle, wo die Umkehmng
in das allgemeine Urtheil: alle P sind S, oder: jedesmal,
wenn B ist, ist A, Grflltigkeit hat ; dass aber ein solcher Fall
vorliege, bedarf jedesmal emes besonderen Beweises, der nur
dann geführt werden kaün, wenn ausser dem in solcher Weise
umzukehrenden Urtheil noch andere Data vorliegen.
Die Umkehrung ohne Aenderung der Quantität wird von
den neueren Logikern reine Umkehrung (conversio Sim-
plex), und die mit Quantitätsänderung verbundene unreine
(conversio per accidens) genannt. Diejenigen allgemein
bejahenden Urtheile, welche die reine oder einfache Umkeh-
rung zulassen, heissen reciprocabel.
Hat das gegebene Urtheil nur problematische Gültigkeit,
oder hat es apodiktische Gewissheit, so kommt die gleiche
Modalität auch dem durch die Umkehrung gewonnenen
Urtheil zu. Denn der Grad und die Art der Wahrscheinlich-
keit oder Gewissheit, welchen für uns das gegebene Urtheil
hat, muss auch auf das gefolgerte UrtheU übergehen, dessen
GfUtigkeit ganz von der des ersteren abhängig ist.
Beispiele: Ist der Satz wahr: jede wahre Tagend harmonirt
(ausser mit den objectiven Normen, auch) mit dem eigenen sittlichen
Bewusstsein, so muss auch wahr sein: einiges, was mit dem eigenen
sittlichen Bewusstsein harmonirt, ist wahre Tugend ; aber es folgt nicht,
dass alles, was damit harmonirt, Tugend seL Ist der Satz wahr: damit
eine Handlang sündhaft im vollen Sinne sei, muss sie (auch) dem
eigenen sittlichen Bewusstsein widerstreiten (oder: wenn sie sündhaft
ist, so widerstreitet sie etc.), so ist auch der Satz wahr: (mindestens) in
einigen Fällen, wenn eine Handlung dem eigenen sittlichen Bewusstsein
widerstreitet, ist sie sündhaft: aber es folgt nicht das Gleiche für alle
Fälle. Aus dem Satze: jedesmal, wenn im Griechischen das Prädicat
den Artikel hat, decken einander die Sphären des Subjects- und Prä-
dicatsbegriffs, folgt der Satz: mindestens in einigen der Fälle, in
welchen die Sphären des Subjects- und Prädicatsbcgriffs einander decken,
hat im Griechischen das Prädicat den Artikel (nämlich dann hat es
denselben,, wenn diese Coincidenz nicht nur stattfindet, sondern auch
ausdrücklich bezeichnet werden soll, dass aber der umgekehrte Satz mit
dieser Einschränkung gelte, muss anderweitig erkannt werden); aus
dem gegebenen Satze folgt nur die Gültigkeit der Umkehrung in
§ 85. Die Conversion des allgeinein bejahenden ürtlieils. 287
»mindestens einigen c Fällen; ob sie nur in einigen, oder in allen gelte,
und, falls sie nur in einigen gilt, in welchen sie gelte, lässt sich ans
dem Einen gegebenen Satze allein nicht ermitteln.
Die reine ümkehrbarkeit ist eine Bedingung der Bichtigkeit der
Definitionen (worauf schon oben zu § 62, S. 177 vorläuüg aufmerksam
gemacht worden ist). Denn die Definition ist nur dann adäquat, wenn
das Definiendum (S) und das Definiens (P) Wechselbegriffe sind, also
j den nämlichen Umfang haben; in diesem Falle aber kann ebensowohl
[ P von 8, wie S von P, allgemein prädicirt werden. Doch ist die De-
I finition. nicht der einzige Fall, in welchem allgemein bejahende Urtheile
I eine reine Umkehrung zulassen. Fast alle geometrischen Sätze sind
auch in umgekehrter Form allgemein wahr; aber dies muss, da es aus.
den logischen Gesetzen über die Umkehrung allein noch nicht folgt,
bei jedem einzelnen Satze durch einen besonderen geometrischen Be-
weis dargethan werden. Der Satz aber: alle congruenten Dreiecke sind
auch Dreiecke von gleichem Inhalt, lässt nur die unreine Umkehrung
zu : einige Dreiecke von gleichem Inhalt sind auch congruent. Ebenso
lässt sich der Satz: alle Parallelogramme von gleicher Grundlinie und
Höhe sind Parallelogramme von gleichem Inhalt, nur dahin convertiren:
einige Parallelogramme von gleichem Inhalt haben gleiche Grundlinie
und Höhe. In Bezug auf die algebraischen Sätze muss beachtet wer-
den, dass der mathematische Gleichheitsbegriff mit der logischen Gopula
nicht identisch ist. Die reine Umkehrung von: alles a = b, lautet
nicht: alles b = a, sondern: alles, was gleich b ist, ist a. Zu dieser
reinen Umkehrung giebt aber die Logik kein Recht, und auch die
mathematische Betrachtung führt nur entweder zu dem Satze: alles
b = a oder zu dem Satze: alles, was gleich b ist, ist gleich a.
Gleiche Quanta sind zwar in Hinsicht auf die Quantität identisch ; aber
wir dürfen sie nicht schlechthin identificiren, sofern auch die ver-
schiedenen Beziehungen, die in den verschiedenen Ausdrücken liegen,
von Bedeutung sind.
Die vorstehenden Regeln über die Umkehrung würden falsch sein,
wenn Herbart's Meinung (Lehrbuch zur Einl. in die Philos. § 58),
welche auch D robisch (Log. 2. A. S. 64, 3. u. 4. A. S. 59 ff.) und
Beneke (Log. I, S. 165) theilen, richtig wäre, dass nämlich die Wahr-
heit des bejahenden kategorischen Urtheils nicht durch die wirkliche
Existenz des im Subjectsbegriffe gedachten Objectes bedinget sei, sondern
jedes derartige Urtheil nur hypothetisch, unter Voraussetzung derAuf-
steUnng des Subjectes, gelte'. Herbart selbst fühlt die hieraus erwachsende
Schwierigkeit, die er besser darzulegen, als zu beseitigen weiss (Lehrb.
§ 59y AnnL). Um an das Herbart'sche Beispiel anzuknüpfen : der Zorn
der Homerischen Götter — wenn es einen solchen giebt — ist furchtbar.
Da aber derselbe als blosse Dichtung nicht reale Existenz hat, wohl
. aber manches Furchtbare in Wirklichkeit existirt, so folgt nicht die
I Wahrheit der Umkehrung: einiges Furchtbare — wenn es solches g^iebt —
I ist der Zorn der Homerischen Götter. In der That aber schliesst die
I Wahrheit des bejahenden kategorischen Urtheils allerdings die Richtig-
288 § 85. Die Gonversion des allgemein bejahenden Urtheils.
keit der Voraussetzung, dass der durch das Subjeot bezeichnete Gegen-
stand existire, in sich ein. Beziehen wir also jene Aussage über den
Zorn der Götter auf die äussere Wirklichkeit, so ist sie gerade darum,
weil jener Zorn nicht existirt, eben so falsch, wie die ümkehrung; so-
fern wir aber der Homerischen Götterwelt eine ideale Wirklichkeit zu-
erkennen, so ist in diesem Sinne der Satz und die Umkehrung gleich
wahr, so dass die Regeln über die Umkehrung sich auch in dieser An-
wendung als zutreffend bewähren. Vgl. § 68 und § 94. Uebrigens
gelten auch die hier und in den nächstfolgenden Paragraphen auf-
gestellten Regeln über die Umkehrung des hypothetischen Urtheils
und deren Beweise nur unter der Voraussetzung, dass der bedingende
Satz wirklich vorkommende Fälle bezeichne; der durch »jedesmal wennc
mit dem Indicativ ausgedrückte hypothetische Satz involvirt in der
That diese Voraussetzung ebenso, wie das kategorische Urtheil die
Voraussetzung der Existenz des Subjectes involvirt, sofern nicht der
Zusammenhang auf eine bloss fingirte Wirklichkeit hinweist oder die
Glausel »falls dies überhaupt geschieht«, hinzuzudenken ist.
Was die Modalität betrifft, so kann freilich das Urtheil: alle
S sind P, ungewiss sein, und dennoch das Urtheil gewiss: einige P sind
S. Dies wird dann der Fall sein, wenn gewiss ist, dass einige S P
sind, und die Uugewissheit des allgemeinen Urtheils sich nur auf die
übrigen S bezieht. Aber dann folgt die Gewissheit der Umkehrung
auch nicht aus der Ungewissheit des allgemein bejahenden, sondern aus
der Gewissheit des particular bejahenden Urtheils (s. § 86), also aus
einem anderweitig hinzugekommenen Datum. Wissen wir nur das Eine,
dass es ungewiss ist, ob alle S P sind, so haben vrir auch darüber
keine Gewissheit, ob einige oder vielleicht gar keine S P sind; also
bleibt auch ungewiss, ob einige P S seien.
Der Gebrauch der Kreise als Hülfsmittel der Beweisführung
in der Schlusslehre, insbesondere der eigentlichen Syllogistik, wurde
von neueren Logikern (z. B. von Maass, J. D. Gergonne, Bachmann
und Bolzano) auf Euler (Lettres ä une princesse d'AUemagne sur
quelques sujets de physique et de philosophie, 1768 — 72, 11, S. 106)
zurückgeführt; mit Recht aber hat Drobisch (Log. 2. A. S. 94. 8. A
S. 96. 4. A. S. 98) darauf aufmerksam gemacht, dass nach der Angabe
Lambert's (Architektonik I, S. 128) Joh. Chr. Lange in seinem Nuoleus
Logicae Weisianae, 1712 sich schon der Kreise bediene, und Christ.
Weise, Gymnasialrector zu Zittau (gest. 1708) der wahrscheinliche Er-
finder sei. Die Beweisführung mittelst direoter Sphärenvergleichung
konnte erst zu der Zeit aufkommen, als schon (besonders durch den Car-
tesianismus) in der Syllogistik die Autorität jener Aristotelischen Be-
ductionsmethode (wovon unten § 105; § 113 ff.) gebrochen war, welche
abgesehen von einigen selbständigen Beweisversuchen der ersten Peri-
patetiker und des Neuplatonikers Maximus (s. P rantl , Greech. der Log. I,
S. 862; 639), während des späteren Alterthums und des Mittelalters
unbedingt herrschte. Die der Cartesianischen Schule angehörige Lo-
gique on Part de penser (zuerst 1662 erschienen) lehrt zwar noch gewisse
§ 86. Die Conversion des particular bejahenden Urtheils. 289
Rednctionen, stellt aber daneben auch (III, 10) ein allgemeines Princip
auf, wonach unmittelbar über die Richtigkeit eines jeden Syllogismus
geurtheilt werden könne, nämlich das Princip, dass der Schlusssatz in
einer der Prämissen enthalten sein (contenu) und die andere
Prämisse dies zeigen müsse. Vgl. unten § 120. Dieser Gedanke musste
den Versuch einer schematischen Yersinnlichung durch Kreise sehr nahe
legen. Unter den deutschen Logikern verwarf namentlich auch Tho-
mas ius die Reductionen. Ausserdem mag die Neigung jener Zeit an
mathematischer Behandlung der Logik, welcher in anderer Weise auch
Leibniz huldigte, und das didaktische Bedürfniss der Veranschau-
lichung, welches dem Schulrector besonders fühlbar sein musste, auf den
Gebrauch jener Schemata hingeleitet haben. P r an tl (Gesch. der Log. I,
S. 362) verspottet diese Yersinnlichung, als diene sie nur zur »Dressur
stupider Köpfe c, allein doch wohl mit Unrecht, denn dieselbe steht zu
der Beachtung der specifisch logischen und metaphysischen Beziehungen
und überhaupt zu dem wissenschaftlichen Charakter der Logik ebenso-
wenig in einem nothwendigen Antagonismus, wie die Yeranschaulichung
geometrischer Beweise an beigezeichneten Figuren der mathematischen
Strenge Eintrag zu thun braucht. Uebrigens waren Figuren von anderer
Art, welche nur die drei verschiedenen Stellungen oder Grundverhält-
nisse des Mittelbegriffs zu den beiden anderen Begriffen in den drei
Aristotelischen Figuren des Syllogismus veranschaulichen sollten, schon
von alters her in der Logik üblich, s. Barthelemy Saint-Hilaire im An-
hang zu seinem Werke De la logique d'Arist. 1838. Lambert 's symboli-
sche Bezeichnung der Umfangsverhältnisse zwischen Subject und Prä-
dicat durch die Ausdehnungsverhältnisse theils ausgezogener, theils
punktirter Linien (N. Organ. Dian. § 174 ff.) würde sich zwar gegen
den Tadel von Maass (Logik, Yorrede S. XI) und Bachmann (Log. S.
142 ff.), welche die blosse Nebenrücksicht der oberen oder unteren
Lage der Linien mit Unrecht für einen Hauptgesichtspunkt halten,
rechtfertigen lassen; doch ist sie allerdings ein minder leichtes und
sicheres Yeranschaulichungsmittel. Auch die von Maass angewandte
Bezeichnung durch Dreiecke ist minder angemessen. Gergonne
(Essai de dialectique rationelle in den Annales des mathematiques,
tom. YII, 1816—17, S. 189—228) symbolisirt die Yerhältnisse der Kreise
wiederum durch einfachere Zeichen, insbesondere die Identität zweier
Sphären durch I, das völlige Getrenntsein durch H, die Kreuzung
durch X, das Enthaltensein der Sphäre des Subjectes in der des Prä-
dicates durch C, endlich das Enthaltensein der Sphäre des Prädicates
in der des Subjectes durch 0. Durch den Gebrauch dieser Zeichen
gewinnt die Darstellung an Kürze und Eleganz, verliert aber an un-
mittelbarer Anschaulichkeit.
§ 86. Durch Conversion folgt 2. aus dem particular
bejahenden kategorischen Urtheil (von der Form i):
einige S sind P,
19
290 § 86. Die Convorsion des particular bejahenden ürtheils.
das particular bejahende Urtheil (wiederam von der Form
i): mindestens einige P sind S,
und ebenso ans dem particular bedingenden Ur-
theil: zuweilen, wenn A ist, ist B,
das particular bedingende: mindestens zuweilen, wenn
B ist, ist A.
Der Beweis ergiebt sich wiederum aus der Verglei-
chung der Sphären. Das gegebene kategorische Urtheil:
einige S sind P, setzt, falls das Prädicat P nur einigen S
zukommt, eins der beiden Sphärenverhältnisse voraus, welche
durch da« Schema bezeichnet werden:
i, 1. ( S \ P l i, 2.
sofern es aber die Möglichkeit nicht ausschliesst, dass das-
selbe Prädicat P auch den übrigen S zukomme, können aus-
serdem noch die folgenden beiden Sphärenverhältnisse statt-
finden :
i, 3. { S ) P i, 4.
Diese Schemata sind wieder in dem nämlichen Sinne, wie
§ 85, S. 285, zu deuten. Nun sind bei i, 1 und i, 3 einige,
aber auch nur einige P S, bei 1, 2 und 1, 4 alle P S, jeden-
falls also mindestens einige P S, was zu beweisen war. —
Bei den entsprechenden hypothetischen Urtheilen sind
die Sphärenverhältnisse die nämlichen, also ist auch das Re-
sultat das gleiche.
Die Umkehrung der particular bejahenden und der par-
ticular bedingenden Urtheile ist demnach eine conversio
Simplex, sofern sowohl das gegebene, als das aus der Um-
kehrung entsprungene Urtheil beide die Form der particularen
Bejahung (i) haben.
Die Modalität des gegebenen und des gefolgerten
Urtheils ist auch hier wiederum die gleiche.
§ 67. Die Conversion des allgemein verneinenden ürtheils. 291
Beispiele sind zu i, 1: einige Parallelogramme sind regelmäs-
sige Figuren; zu i, 2: einige Parallelogramme sind Quadrate; zu i, 3:
einige Parallelogpramme werden durch eine Diagonale in zwei cougruente
Dreiecke getheilt; zu i, 4: einige Parallelogramme werden durch beide
Diagonalen in je zwei congruente Dreiecke getheilt. — üebrigens lässt
namentlich das Sphärenverhältniss i, 1 noch manche Modificationen zu.
Sind nämlich beide Sphären von ungleicher Grösse, so kann es gesche-
hen, dass sehr viele S P und dennoch verhältnissmässig nur sehr we-
nige P S sind, oder auch wenige S P und doch die meisten P S; wie-
wohl nämlich die Anzahl der S, welche P sind, und der P, welche S
sind, an sich nothwendig die gleiche ist, so ist doch das Yerhältniss
zu der Gesammtzahl der Individuen einer jeden von beiden Sphären
ein verschiedenes. So sind z. B. einige und verhältnissmässig nicht
wenige Planeten unseres Systems solche Himmelskörper, welche von
uns mit unbewaffnetem Auge gesehen werden können; aber nur sehr
wenige der dem blossen Auge sichtbaren Himmelskörper sind Planeten
unseres Systems. Diese ümkehrung ist daher nicht in dem engeren
Sinne conversio simplex, dass die Quantität in jeder Beziehung die
gleiche bliebe, sondern nur in dem allgemeineren Sinne, dass das Ur-
theil ein particulares bleibt und nicht in eine andere der vier durch
%, e, i, 0 bezeichneten Urtheilsclassen übertritt.
§ 87. Durch Conversion folgt 3. aus dem allgemein
verneinenden kategorischen Urtheil (von der Form
e), kein S ist P,
das allgemein verneinende Urtheil (wiederum von der
Form e) : kein P ist S,
und ebenso aus dem allgemein negirenden hypotheti-
schen Urtheil: niemals, wenn A ist, ist B,
das gleichfalls allgemein negirende hypothetische Urtheil:
niemals, wenn B ist, ist A.
Die Gültigkeit dieser Normen lässt sich durch die Ver-
gleichung der Sphären direct erweisen. Das Schema des
allgemein verneinenden kategorischen Ürtheils ist das
völlige Getrenntsein der Sphären:
D. h. die Thätigkeit oder Eigenschaft, welche der Prädicats-
begriff P bezeichnet, findet sich an keinem der Gegenstände,
292 § 87. Die Conversion des allgemein verneinenden Urtbeils.
welche der Subjectsbegriff S bezeichnet, sondern, sofern sie
ttberhanpt Realität hat, nur an anderen. Daher moss anch
von allen den Gegenständen, an denen sie sich findet, nnd
die sich demnach durch den sabstantiyirten Begriff P be-
zeichnen lassen, das Urtheil gelten, dass sie nicht S sind;
was zu beweisen war.
Auch indirect lässt sich das Gleiche darthun. Denn
wenn irgend ein P S wäre, so würde (nach § 86) auch irgend
ein S P sein, was doch nach dem Satze des Widerspruchs
(§ 77) falsch ist, da es dem gegebenen Urtheil: kein S istP,
contradictorisch entgegengesetzt ist (§ 72). Mithin ist auch
die Annahme falsch, dass irgend ein P S sei, und es ist in
Wahrheit kein P S; was zu beweisen war.
Das entsprechende hypothetische Urtheil setzt das
analoge Sphärenverhältniss voraus:
D. h. der durch B bezeichnete Fall findet sich da, wo A
vorkommt, überall nicht, sondern, sofern er überhaupt ein-
tritt, nur unter anderen Bedingungen. So wenig daher mit
dem Falle A der Fall B zusammenbesteht, ebensowenig mit
dem Falle B der Fall A. Also niemals, wenn B ist, ist A;
was zu beweisen war.
Auch der indirecte Beweis lässt sich hier ebenso, wie
bei dem allgemein verneinenden kategorischen Urtheil führen.
Denn wäre irgend einmal, wenn B ist, auch A, so würde
(nach § 86) auch das Umgekehrte wahr sein, dass irgend
einmal, wenn A ist, auch B wäre, was doch der gegebenen
Voraussetzung widerspricht, dass niemals, wenn A ist, B sei,
also falsch ist. Mithin ist auch jene Annahme falsch, dass
irgend einmal, wenn B ist, auch A sei, und der Satz wahr:
niemals, wenn B ist, ist A; was zu beweisen war.
Die Umkehrung der allgemein verneinenden Urtheile ist
demnach mit keiner Veränderung der Quantität verknüpft und
also durchaus reine Umkehrung (conversio Simplex).
§ 87. Die Conversion des allgemein verneinenden Urtheils.
Auch für die allgemein verneinenden Urtheile gilt
nahmslos die Begel, dass die Modalität bei derUmkel i
unverändert bleibt. Denn ist es apodiktisch gewiss, dass
S P ist, so geht der gleiche Grad und die gleiche Ar
Gewissheit auch anf das Urtheil über, dass kein P S is
aber jenes nur wahrscheinlich, oder ist es nur vielleicl I
und bleibt also die Annahme möglich, dass vielleicht i
wenigstens irgend ein S P.sei, so besteht (nach § 86
nämliche Möglichkeit auch für die Annahme, dass viell ;
wenigstens irgend ein S P sei, und dann folgt nicht 1 1
kein P ist S, sondern nur: wahrscheinlich oder vielleicl
kein P S.
Beispiele zur Umkehrung des allgemein verneinenden 1
gorischen urtheils sind folgende. Ist als wahr gegeben das üi !
kein Schuldloser ist unglücklich, so folgt mit gleicher Wahrheit:
unglücklicher ist schuldlos. Ist der Satz bewiesen: kein gleichse!
Dreieck ist ungleichwinklig, so folgt, ohne dass es hierfür we
mathematischer Beweismittel bedarf, durch logische Conversion:
nngleichwinkliges Dreieck ist gleichseitig (sondern jedes ungleich!
lige Dreieck hat Seiten von verschiedener Grösse); und ist bewi
kein ungleichseitiges Dreieck ist gleichwinklig, so folgt durch die 1 1
logpische Conversion, dass kein gleichwinkliges Dreieck ungleich >
(sondern jedes gleichwinklige Dreieck gleichseitig) ist. Kein Qu!
hat eine Diagonale, die mit einer der Seiten commensurabel wäre:
ist auch keine Figur mit einer Diagonale, die mit einer der ^
commensurabel ist, ein Quadrat.. Ein Beispiel der Umkehrung dei
sprechenden hypothetischen Urtheile entnehmen wir der Paral
theorie. Der Satz sei bewiesen (was bekanntlich ohne Hülfe de
Euklidischen Axioms möglich ist): niemals, wenn zwei gerade L
(in Einer Ebene) von einer dritten so geschnitten werden, das:
oorrespondirenden Winkel einander gleich sind, oder dass die im:
Winkel auf derselben Seite der schneidenden Linie zusammen g
zwei rechten sind, treffen jene Linien in irgend einem Punkte mit
ander zusammen. Durch blosse Conversion folgt, ohne dass zu di
Zwecke auf die mathematische Construction zurückgegangen zu wc
braucht: niemals, wenn zwei gerade Linien (in Einer Ebene) in ir
einem Punkte mit einander zusammentreffen, werden dieselben
einer dritten so geschnitten, dass die oorrespondirenden Winkel
ander gleich sind, oder dass die inneren Winkel auf derselben
der schneidenden Linie zusammen gleich zwei rechten sind. (Mil
deren Worten: niemals sind zwei Winkel in einem Dreieck zusan
gleich zwei rechten; dass dieselben aber mit dem dritten Winke
sammen gerade zwei rechte ausmachen, kann auf diesem Wege eb(
wenig bewiesen werden, wie der Satz, dass immer, wenn die dt
29d § 87. Die Gonversion des allgemein verneinenden Urtheils.
scfanittenen Linien nicht zusammentreffen, die correspondir enden Win-
kel einander gleich sind).
Aristoteles hält dafür, dass das allgemein verneinende MÖg-
lichkeitsurtheil nicht durchweg die reine Umkehrung zulasse (Anal,
pri. I, S. 25 h. 14 a. 16: oaa &k r^ luc iitl nokv xai r^ n^tpvxivtu
Xfyfrai ivd^x^axkti — ^ fih' xa&oXov arfQtjTixti TiQoraatg ovx ayuargitpit^
71 (f* ^v fi^Q€i ttVTifiTQiffii ' cf. c. 13; c. 17. 37 a. 31: ort ovx nvTiarQifpn
70 iv T(ß h'd^x^af^M aieQTjTtxor). Ist das ürtheil gegeben: to A Mi-
X€Tat firjiivl T(p J5, so soll nicht noth wendig folgen: t6 B Mix^a&at
fitj^fvl Ttp A. Aristoteles versteht nämlich den ersten Satz in dem
Sinne : alle B, jedes für sich, sind in der Möglichkeit^ A zum Prädicate
nicht zu habeii oder auch zu haben, und in gleicher Weise den zweiten
Satz in dem Sinne: alle A, jedes für sich, sind in der Möglichkeit, »B
zum Prädicate nicht zu haben oder auch zu haben (vgl. unten zu § 98).
Nun kann es, wie Aristoteles mit Recht bemerkt, Fälle geben, wo zwar
alle B in jener zweifachen Möglichkeit sind, einige A aber in der
Nothwendigkeit, B nicht zum Prädicate zu haben. Das Schema hier-
für würde sein:
(&
In Fällen dieser Art ist das erste ürtheil (to A Mix^tai fniötyi ry
B) wahr, und dennoch das zweite (to B M4x^^ fifi^evl T<ß A) falsch.
Folglich ist das zweite nicht eine nothwendige Consequenz des ersten.
In diesem Sinne ist also jene Lehre des Aristoteles wohlbegründet.
Aber dieselbe steht auch unserem obigen Satze (den übrigens schon
Theophrast und Eudemus anerkannt haben, s. Prantl, Gesch. der
Log. I, S. 364), dass das allgemein verneinende ürtheil von jeder Moda-
lität, mithin auch das problematische, sich mit unveränderter Quanti-
tät, Qualität und Modalität umkehren lasse, nicht entgegen. Zwar der
umstand würde den Widerstreit nicht beseitigen, dass das Aristoteli-
sche fv^ix^a&tti nicht gleich dem vielleicht des problematischen
Urtheils die subjective Ungewissheit, sondern die objective Möglichkeit
des Seins oder Nichtseins, und zwar (im Unterschiede von Svvaa^w)
vorzugsweise im Sinne des Nichtgehindertseins bezeichnet. Denn die
Argumentation des Aristoteles bleibt auch dann richtig, wenn statt der
objectiven Möglichkeit die subjective Ungewissheit substituirt wird. Ist
es von allen B ungewiss, ob sie A nicht seien oder seien, so folgt
nicht, dass es auch von allen A ungewiss sein müsse, ob sie B nicht
seien oder seien, sondern von einigen A kann die Gewissheit bestehen,
dass sie nicht B sind. Aber dies thut unserem obigen Nachweis kei-
nen Eintrag, dass aus dem Satze: vielleicht ist kein B A, der Satz
folge: vielleicht ist kein A B. Denn dieser letztere Satz ist nicht gleich-
bedeutend mit jenem, der nicht gefolgert werden darf: von allen A,
§ 88. üntn(%liohkeit der Convonion des particukr vern. Urtheils, 296
und zyrmr von einem jeden für sielt, ist es ungewiss, ob eie B nicht
seien oder seien, sondern mit folgendem: es ist nngewiss, ob alle
A nicht B seien, oder ob et mindesten» irgend ein A gebe, wel-
ches B sei; dieser Satz aber kann aahr wohl mit der Qewissheit zn-
sammenbestehen, daaii einige A nicht B sind. In gleicher Weise folgt
aoeh ana dem Satze: es ist (objcctiv) möglich, dass kein B A sei, mit
Nothwendigkeit der Satz; es ist (objectiv) möglich, dass kein AB sei
(aber anch möglich, dass mindestens irgend ein A B sei). Die Um-
kehmng in der AristoteÜBohcn Weise aber, wonach allen einzelnen
A die »Möglichkeit* zagesprochen wird, B nicht zu sein, würde
(wie Aristoteles selbst Anal. pri. I, c. 3 andeutet) einerseits dann gel-
ten, wenn unter dem (v6()(ta9at verstanden würde, was öfiwvifiios dar-
unter verstanden werden kann; ntindeitens in der Möglichkeit sein,
ohne AnstichluBB der Nathwendigkeit, andererseits aber auch in
solchen Fällen, wo überhaupt alle Nothwendigkeit, also auch die
in der Richtung von A nach B, ansgeachloBaen ist, mithin
keine A vorhanden sind, die in der Nothwendigkeit wären, B
nicht zu sein. So löst sich der scheinbare Widerspruch der oben im
Teste des Paragraphen begründeten Lehre mit der Aristotelischen. —
Tgl. PrantI, Gesch. der Log. l, S. 267 und 864.
§ 8S. Dorch Convereion kann ans dem particnlar
verneinenden Urtheil überhanpt nichts gefolgert werden.
Das particnlar verneinende kategorische Urtheil sagt ans,
dasB einige S das Prädicat P nicht haben, ohne über die übri-
gen irgend etwas zn bestimmen. Das Schema desselben liegt
demgeniäsa in der Combination der drei Figuren:
296 § 88. Unmöglichkeit der Gonvereion des particnlar vem. ürtheils.
Demnach kann es, wenn einige S nicht P sind, erstens Fälle
geben, wo auch einige P nicht S sind, andere P aber S sind,
zweitens solche Fälle, wo alle P S sind, und drittens solche
Fälle, wo kein P S ist; es lässt sich also über das Verhältniss
von P zu S in einem Urtheil, dessen Subject P sein soll, im
Allgemeinen gar nichts aussagen.
Ebenso ist das Schema des particular verneinenden
hypothetischen Ürtheils: zuweilen, wenn A ist, ist B nichts
folgendes :
Es kann also der Fall vorkommen, dass, wenn B ist, A zu-
weilen ist und zuweilen nicht ist, aber auch der Fall, dass,
wenn B ist, A immer ist, und endlich drittens der Fall, dass,
wenn B ist, A niemals ist, so dass das Verhältniss von B za
A im Allgemeinen völlig unbestimmt bleibt.
Beispiele zu den verschiedenen möglichen Fällen sind folgende.
Zum particular verneinenden kategorischen Urtheil von der Form
1.: einige Parallelogramme sind nicht regelmässige Figuren; von der
Form 2.: einige Parallelogramme sind nicht Quadrate, oder auch: einige
geradlinige ebene Figuren, die durch eine Diagonale in zwei congruente
Dreiecke getheilt werden, sind nicht Parallelogramme; von der Form 3.:
(mindestens) einige Parallelogramme sind nicht Trapezoide, oder auch:
(mindestens) einige geradlinige ebene Figuren, die durch eine Diago-
nale in zwei nicht congruente Dreiecke getheilt werden, sind nicht
Parallelogpramme. Zum particular verneinenden hypothetischen Ur-
theil von der Form 1.: zuweilen, wenn Angeklagte sich schuldig be-
kannten, war dennoch die Anklage nicht begründet; von der Form 2.:
zuweilen, wenn ungegründete Beschuldigungen erhoben wurden, fand
nicht Verleumdung (sondern Irrthum) statt; von der Form S.: (min-
destens) zuweilen, wenn der Vertreter eines höheren ideellen Principa
von den Vertretern der schon zu einer geschichtlichen Macht geworde-
nen geringeren Vemünftigkeit zum Tode verurtheilt wurde, war Recht
und Unrecht nicht gleichmässig an beide Parteien vertheilt.
§ 89. Die Contraposition und ihre innere Bereohtigung. 297
§ 89. Die Contraposition (von Einigen Umwea-
doBg genaDüt) ist diejenige Formvei^ndernng, vermSge deren
die Glieder des Urtheils ihre Stelle hineichtlich der Relation
desselben wechseln, zngleieli aber eins der Glieder die Negation
in sich anfoimmt, and ancb die Qualität des Urtbeila sich
yerändert. Die Contraposition besteht bei dem kategori-
schen Urtheil darin, dass das .contradictorieche Gegentheil
des Pradicatsbegriffs zum Sabjeote wird, wobei zngleioh die
Qualität des Urtheils in die entgegengesetzte Übergeht; bei
dem hypothetischen Urtheil aber darin, dass das oontra-
dictoriscbe Gegentheil des bedingten Satzes znm bedingenden
Satze wird nnd au die Stelle einer affinnatiren Verbindung
zwischen den beiden Urtbeilsgliedem eine negative, an die
Stelle einer jiegatiren aber eine affirmative tritt. Ueber die
innere Berechtigung der Contraposition ist nach den
ntünlichenGrandsätzen, wie Über die der Conversion (s. §84,
S. 282 ff.), zu entscheiden.
Der Terminus: iconTersio per contrapOBitionemi, den
BoethiuB gebraucht (e. oben zu g 82), wo dann icontropositio' die
ümwaudlnng eines Gliedes in dessen contradictorischcs Gegentheil be-
zeichnet, ist zwar an sich nntadelhafl, wofern der Begriff der Conver-
sion weit genug gefasit und definirt wird; doch bedarf es dann noch
eines Terminas, um die erst« Art der Convereion im weiteren Sinne
oder die ConTeraion im engeren Sinne als solche zu bezeichnen. Boe-
thins (s. oben zu § 82) nennt dieselbe icouversio simplex«, was der
neueren L<^ik nicht mehr freisteht, da dieselbe mit diesem Ansdruck
die Conversion ohne Qnantitätsänderung zu bezeichnen pflegt. Daher
ist ea für uns angemeesener, den Begriff iconversioc nnr im engeren
Sinne zu gebranoben.
Schleiermacher (Dial. S. 286) fuhrt folgendes Beispiel einer
lümweudungi an; »alle Vögel fliegen; nicht alles, was fliegt, ist
Vogel' (statt; was nicht fliegt, ist nicht Vogel). Dies beruht jedoch
nnr auf einem Versehen, nicht auf einer eigeuthümlichen, aber doch
auch zulässigen Terminologie. Denn die Contraposition, wie abweichend
auch etwa im üebrigen ihr Bogriff bestimmt werden möge, muss doch
jedenfalls nnter den höheren Begriff der unmittelbaren Folgerung fal-
len; wenn aber das Urtheil g^eben ist: alle S sind P, so kann aus
298 § 90. Die Contraposition des allgemein bejahenden Urtheils.
§ 90. Darch Gontraposition folgt 1. aus dem allge-
mein bejahenden kategorischen Urtheil (yon der
Form a) : jedes S ist P,
das allgemein verneinende Urtheil (von der Form e):
kein Nicht-P ist S (alles, was nicht P ist, ist auch nicht S);
und ebenso aus dem allgemein affirmirenden hypothe-
tischen Urtheil: jedesmal, wenn A ist, ist B,
das allgemein negirende: niemals, wenn B nicht ist, ist
A (immer, wenn B nicht ist, ist auch A nicht).
Der Beweis kann direkt durch Vergleichung der Sphä-
ren geführt werden. Die Sphäre von Pim kategorischen,
sowie die Sphäre von B im hypothetischen Urtheil om-
schliesst entweder die Sphäre von S und von A, oder fällt
ganz mit derselben zusammen, welche Verhältnisse wieder in
dem nämlichen Sinne, wie § 85, S. 285, zu deuten sind; in
beiden Fällen aber muss alles, was ausserhalb der Sphäre
von P und von B liegt, auch ausserhalb der Sphäre von S
und von A liegen, d. h. alles, was nicht P ist, ist auch nicht
S, und immer, wenn B nicht ist, ist auch A nicht, was zu
beweisen war.
Die Modalität bleibt auch bei der Contraposition so-
wohl in dieser, als in den übrigen Formen (§§ 91 und 92) aus
den gleichen Gründen, wie bei der Conversion, unverändert.
Auch finden hinsichtlich der Quantität die Ausdrücke:
»contrapositio Simplex«, und: »contrapositio per accidens« in
gleicher Weise, wie bei der Conversion, Anwendung.
Beispiele. Jede regelmässige Figur lässt sich einem Kreise
einschreiben (so dass alle ihre Seiten Sehnen werden); jede Figur daher,
die sich nicht einem Kreise einschreiben lässt, ist nicht regelmässig.
Jedes rechtwinklige Dreieck lässt sich einem Halbkreis einschreiben (so
dass die eine Seite desselben Diameter, die beiden anderen aber Sehnen
werden) ; jedes Dreieck daher, welches sich nicht in dieser Weise einem
Halbkreis einschreiben lässt, ist nicht rechtwinklig. Wo die rechte Ge-
sinnung ist, da werden auch die rechten Werke gethan; wo daher die
rechten Werke nicht gethan werden, da ist auch nicht die rechte Ge-
sinnung. Wo vollkommene Tugend ist, da ist auch volle innere Befrie-
digung ; wo daher nicht volle innere Befriedigung ist, da ist nicht voll-
kommene Tugend. Jede Sünde widerstreitet dem sittlichen Bewusstsein;
was dem sittlichen Bewusstsein nicht* widerstreitet, ist nicht Sünde.
Jedesmal, wenn im Griechischen das Prädicat den Artikel hat, müssen
§ 90. Die Contraposition des allgemein bejahenden Urtheils. 2 I
die Sphären des Subjects- und Prädicatebegriffs einander decken; n •
mals, wenn die Sphären des Subjects- und Prädicatsbegriffs einand f
nicht decken, hat im Griechischen das Prädicat den Artikel.
Besonders beachtenswerth ist die Allgemeinheit, mit welch '
die Contraposition des allgemein affirmativen urtheils gilt, i i
Gegensatze zu der bloss particularen Gültigkeit des durch die Conve •
sion gewonnenen Urtheils. Es lassen sich immer vier allgemeii )
ürtheile (von den Formen a und e) zusammenstellen, wovon je zw i
mit einander gültig oder ungültig sind, wogegen das erste Pa; '
ohne das zweite und dieses ohne jenes gültig sein kann. Ist das Urthc I
wahr: jedes S ist P, so folgt: was nicht P ist, ist nicht S; aber es fol(
nicht: jedes P ist S, noch auch, was hiermit gleichbedeutend ist: wi
nicht S ist, ist nicht P. Und ist dsus Urtheil gültig: wenn A ist, so i
B, so folgt: wenn B nicht ist, so ist auch A nicht; aber es folgt nich
wenn B ist, so ist A, noch auch, was hiermit übereinkommt: wenn
nicht ist, so ist B nicht. Ist z. B. als gültig anerkannt dsis Urthei
worin das Wesen eines Gegenstandes liegt, da ist in seinem Steige
und Fallen das Maass der Vollkommenheit desselben, so folgt durc
Contrapoeition mit gleicherAllgemeingültigkeit das Urtheil: was in seine]
Steigen und Fallen nicht das Maass der Vollkommenheit eines Gegei
Standes ist, darin liegt auch nicht das Wesen desselben. Aber es fol^
nicht: alles, was (sondern nur: mindestens einiges, wa^ in seinem Steige
und Fallen das Maass der Vollkommenheit eines Gegenstandes ist, dari
liegt auch das Wesen desselben; ebensowenig folgt der mit diesei
letzteren gleichbedeutende Satz: worin nicht das Wesen eines Gegei
Standes liegt, da ist in seinem Steigen und Fallen nicht das Maass de
Vollkommenheit desselben. (Auch gewisse äussere Merkmale können j
wohl in genauer Proportion mit dem Wesen steigen und fallen.) Is
der Satz wahr: alles Gute ist schön, so folgt: was nicht schön ist, is
auch nicht gut Aber es folgt nicht: alles Schöne ist gut, noch auch
was nicht gut ist, ist nicht schön. Gleichbedeutend sind die Sätze
wo nicht ein vielumfassendes Gredächtniss ist, da ist auch nicht eii
vielumfassender Verstand, und : wo ein umfassender Verstand ist, da is ;
auch ein umfassendes Gedächtniss. Aber wesentlich hiervon verschieden ,
dagegen unter sich gleichbedeutend, sind die Sätze: wo nicht ein um-
fassender Verstand ist, da ist auch nicht ein umfassendes Gedächtniss,
nnd: wo ein umfassendes Gedächtniss ist, da ist auch ein umfassende]'
Verstand. Jene beiden ersten Sätze sind wahr, diese beiden letzten
falsch. So sind auch gleichbedeutend die Sätze : wer einen Staat nicht;
als unabhängig anerkennt, der erkennt demselben auch nicht das Ge-
sandtschaftsrecht zu, und: wer einem Staate das Gesandtschaftsrecht
zuerkennt, der erkennt denselben auch als unabhängig an. Der Wahr-
heit dieser Sätze unbeschadet können die beiden folgenden falsch sein,
die wieder mit einander gleichbedeutend sind: wer einen Staat als un-
abhängig anerkennt, der erkennt demselben auch das Gesandtschaftsrecht
zn, und: wer einem Staate das Gesandtschaftsrecht nicht zuerkennt, der
erkennt denselben auch nicht als unabhängig an. (England erkannte im
800 § 91. Die Contraposition des allgemein vern. kategor. ürtheils.
Jahre 1798 die französische Republik zwar als unabhängig an, gestand
derselben aber dennoch das Gesandtschaftsrecht nicht zu.) In gleicher
Weise lässt der Satz: Jedesmal, wenn die Lust ihren höchsten Gipfel
erreicht hat, ist aller Schmerz ausgetilgt, die reine Contraposition zu,
die Conversion aber nur mit Quantitätsänderung. Di^egen lässt ein
Satz, der eine Definition ist oder doch mit der Definition darin über-
einkommt, dass die Sphären des Subjects- und des Prädicatsbegriffs
einander decken, sowohl die reine Conversion, wie die reine Contra-
position zu, z. B. : Jede Verleumdung ist lügnerische Behauptung falscher
und zugleich ehrenrührige]>That8achen; jede solche Behauptung ist Ver-
leumdung, und: was nicht eine solche Behauptung von solchen That-
sachen ist (also z. B. ein falsches und ehrverletzendes Räsonnement über
wahre Thatsachen) fällt nicht unter den Begriff der Verleumdung.
§ 91. Dnrch Gontraposition folgt 2. aus dem allgemein
yerneinenden kategorischen Urtheil (von der Form
e): kein S ist P,
das particular bejahende Urtheil (von der Form i):
mindestens einige Nicht-P sind S (mindestens einiges, was
nieht P ist, ist S);
und ebenso ans dem allgemein verneinenden hypothe-
tischen Urtheil: niemals, wenn A ist, ist B,
das particular affirmirende: (mindestens) in einigen Fäl-
len, wenn B nicht ist, ist A.
Denn da die allgemeine Negation sowohl bei dem kate-
gorischen, als bei dem hypothetischen Urtheil eine
völlige Getrenntheit der Sphären voraussetzt, so muss S und
A sich ausserhalb der Sphäre von P und von B finden, d. h.
S zu demjenigen gehören, was nicht P ist, und A in solchen
Fällen statthaben, wo nicht B ist. Also einiges Nicht-P ist
S, und in einigen Fällen, wo B nicht ist, ist A. Die Mög-
lichkeit, dass alles Nicht-P S sei, oder dass immer, wenn
B nicht ist, A sei, ist nicht ausgeschlossen ; doch findet dieser
Fall nur dann statt, wenn S und P oder A und B zusammen-
genommen den gesammten Umfang alles Seienden erftillen.
Beispiele. Nichts Gutes ist unschön; einiges Nicht-Unschone
ist gut. Nichts Unschönes ist gut; einiges Nicht-Gute ist unschön.
Kein beseeltes Wesen ist leblos; einiges Nicht-Leblose ist beseelt. Kein
beseeltes Wesen ist unbeseelt; (mindestens) einiges Nicht-Unbeseelte ist
beseelt. Das Göttliche ist nicht endlich ; (mindestens) einiges, was nicht
endlich ist, ist göttlich. Das Endliche ist nicht göttlich; (mindestens)
einiges, was nicht göttlich ist, ist endlich.
§ 92. Die Gontraposition des particular vern. kategor. Urtheils. 801
§ 92. Durch Gontraposition folgt 3. aus dem particu-
lar verneinenden kategorischen Urtheil (von der
Form o): (mindestens) einige S sind nicht P,
das particular bejahende Urtheil (von der Form i) : min-
destens) einige Nicht-P sind S (mindestens einiges, was nicht
P ist, ist S);
und ebenso aus dem particular verneinenden hypothe-
tischen Urtheil: (mindestens) zuweilen, wenn A ist, ist B
nicht,
das particular affirmirende : (mindestens) in einigen Fäl-
len, wenn B nicht ist, ist A.
Denn die particulare Verneinung setzt voraus, dass (min-
destens) ein Theil der Sphäre von S oder von A ausserhalb
der Sphäre von P oder von B liege, ohne über den übrigen
Theil irgend etwas zu bestimmen. Also muss einiges von dem,
was ausserhalb der Sphäre von P oder von B liegt, S oder
A sein, d. h. einige Nicht-P sind S; zuweilen, wenn B nicht
ist, ist A. Der Fall, dass alle Nicht-P S sind, sowie, dass
immer, wenn B nicht ist, A ist, kann nicht nur dann vor-
kommen, wenn (was nach dem gegebenen Urtheil möglich
bleibt) kein S P, und niemals, wenn A ist, B ist (s. § 91),
sondern auch dann, wenn nur einige S nicht P sind, und
nur einigemal, wenn A ist, B nicht ist. Dies Letztere wird
insbesotidere dann geschehen, wenn S oder A auf die Gesammt-
heit alles Seienden gehen, aber P oder B nur auf einen Theil
desselben. Welcher der verschiedenen möglichen Fälle aber
auch statthaben mag, jedenfalls ist der Satz wahr: mindestens
einige Nicht-P sind S, und: mindestens in einigen Fällen,
wenn B nicht ist, ist A.
Beispiele. Einige Parallelogramme sind nicht regelmässige Fi-
guren; einiges, was nichteine regelmässige Figur ist, ist ein Parallelo-
gramm. Einige Parallelogramme sind nicht Quadrate ; einige Nicht-Qua-
drate sind Parallelogramme. (Mindestens) einige Parallelogramme sind
nicht Trapezoide; einiges, was nicht ein Trapezoid ist, ist ein Paralle-
logramm. Einiges Lebende ist nicht beseelt; einiges Nicht-Beseelte ist
lebend. Einige reale Wesen sind nicht beseelt; (mindestens) einiges
was nicht beseelt ist, ist ein reales Wesen.
§ 93. Durch Contraposition lässt sich aus dem parti-
cular bejahenden Urtheil überhaupt keine Folgerung
I
1
S02 § 93. Unmöglicbkeit der Contraposition des partic. bej. Urtheils.
ziehen. Das particnlar bejahende kategorische ürtheil hat
im Allgemeinen zwei Formen (i, 1 und i, 2), die der Voraus-
setzung entsprechen: nur einige S sind P, und zwei For-
men (i, 3 und 1, 4), die der anderen ebenso möglichen Vor-
aussetzung entsprechen: jedenfalls einige, in der That aber
auch die übrigen S sind P. Wären die beiden ersten Formen
die einzigen, so wtlrde sich (nach § 92) folgern lassen : einige
Nicht-P sind S; diese Folgerung hat aber keine allgemeine
Gültigkeit, weil sie auf die beiden letzten Formeii (nach § 90)
nicht passt. Die Folgerung aber : (mindestens) einige Nicht-P
sind nicht S, worin die eigentliche Contraposition liegen würde,
würde zwar unter Voraussetzung der beiden letzten Formen,
wo sogar (nach § 90) alle Nicht-P auch nicht S sind, wahr
sein ; dieselbe würde auch in jeder der beiden ersten Formen
häufig und sogar in der grossen Mehrzahl der Beispiele zu-
treffen; aber es kann auch in jeder der beiden ersten Formen
Fälle geben, wo sie falsch ist. Denn was die Form i, 2 be-
trifft, die durch die Figur repräsentirt wird:
so wird es zwar in der Regel ausser den Nicht-P, die S sind,
auch solche Nicht-P geben, die nicht S sind; aber es kann
auch der Fall eintreten, dass S die Gesammtheit alles Seien-
den nmfasst, und dann werden alle Nicht-P S sein; es wird
nicht mehr einige Nicht-P geben, die nicht S sind, so dass
jene Folgerung sich als ungültig erweist. Auch bei der Form
i, 1, deren schematische Darstellung in der Figur liegt:
eiw
wird es gewöhnlich ausser den Nicht-P, die S sind, auch
einige Nicht-P geben, die nicht S sind; doch kann auch hier
der entgegengesetzte Fall eintreten. Die Form i, 1 (deren
§ 98. Unmöglichkeit der Oontraposition des partio. bej. Urtheils. 808
Charakter im Unterschiede von i^ 3 und i, 4 dieser ist, dass
einige S P sind, andere aber nicht, und im Unterschiede von
i, 2 dieser, dass einige P nicht S sind) wird nämlich auch
dann noch bestehen, wenn der durch folgende Figur reprä-
sentirte Fall eintritt:
wo sich P von dem Mittelpunkte bis zur Peripherie des zweiten
Kreises, S von der Peripherie des ersten bis zur Peripherie
des dritten erstreckt (Ebenso auch dann, wenn in dieser
Figur S und P ihre Stellen tauschen.) Ist nun hier die
Sphäre von S eine begrenzte, so wird es immer noch jenseit
derselben manche Nicbt^P geben, die auch nicht S sind;
ist aber diese Sphäre nach aussen hin unbegrenzt, d. h. um-
fasst S alles Seiende mit Ausnahme desjenigen Theiles von P,
der durch den kleinsten jener Kreise bezeichnet wird, so giebt
es nicht mehr einige Nicht-P, die nicht S wären, sondern alle
Nicht-P sind dann S. Dieses Verhältniss wird namentlich
dann nicht selten stattfinden, wenn S ein negativ bezeichneter
Begriff ist (S = Nicht-I, wo I die innerste Sphäre bezeichnet);
doch kann es auch bei positiv bezeichnetem S eintreten. Und
so würde wieder die Folgerung falsch sein: einige Nicht-P
sind nicht S. (Das Gleiche gilt, wenn in der obigen Figur S
und P ihre Stellen tauschen, sofern dann die Sphäre von P
nach aussen hin unbegrenzt sein kann.)
Es kann also, wenn das Urtheil wahr ist : einige S sind
P, Fälle geben, wo (mindestens) einige Nicht-P S sind, aber
auch Fälle, wo kein Nicht-P S ist; Fälle, wo (mindestens)
einige Nicht-P nicht S sind, aber auch Fälle, wo alle Nicht-P
S sind. Folglich lässt sich, wenn nur jenes Eine Urtheil ge-
geben ist, im Allgemeinen gar nichts über das Verhältniss
der Nicht-P zu S in einem Urtheil, dessen Subject Nicht-P
wäre, festsetzen.
Ebensowenig lässt das entsprechende hypothetische
804 § 93. Unmöglichkeit der Contraposition des partio. bej. UrtheiU.
Urtbeil, da bei diesem alle Sphärenverhältnisse die gleichen
sind, im Allgemeinen irgend welche Umkehrung za.
Es wird genügen, .Beispiele zu den beiden Fallen zu geben,
wo alle Nicht-P S sind, nnd wo daher das Urtheil, welches der allge-
meinen Form der Contraposition entsprechen würde: einige Nicht-P
sind nicht S, sich als falsch erweist. 1. Einiges Reale ist materiell
(seelenlos); daraus aber folgt nicht: einiges Nicht-Materielle (Psychi-
sche) ist nicht real, da vielmehr alles Nicht-Materielle (Psychische) real
ist. 2. Einige lebenden Wesen sind seelenlos; daraus aber folgt nicht:
einiges Nicht-Seelenlose (Beseelte) ist nicht lebendes Wesen, da ja viel-
mehr alles Beseelte auch lebendig ist. Das erste dieser beiden Beispiele
entspricht der Form 1, 2, wo aber die Sphäre von S sich ins Unend-
liche erweitert. Das zweite entspricht jenem Falle von i, 1, der oben
mittelst der drei concentrischen Kreise veranschaulicht worden ist; die
innerste Sphäre (I) wird in diesem Beispiel durch die unorganischen
oder elementaren Wesen gebildet; der erste umschliessende Ring(Ai)
umfasst die Pflanzen, und der äussere Ring (A,) die beseelten Wesen ;
P = 1 + Aj = unbeseelte Wesen; S = Nicht-I ^ Aj + A, = le-
bende Wesen.
Der Beweis für die Unstatthaftigkeit der Contraposition des
particular bejahenden Urtheils wird gewöhnlich auf eine andere Weise
geführt. Man reducirt das Urtheil: einige S sind P, auf das par-
ticular verneinende, womit es gleichgeltend ist: einige S sind nicht
Nicht-P; da sich nun dieses (nach den Gesetzen der Conversion) nicht
convertiren lasse, so lasse sich auch jenes nicht oontraponiren (s. z. B.
Drobisch, Log. 2. A. §77. S. 86). Diese Beweisführung ist aber nur
dann nicht oberflächlich, wenn dargethan wird, dass der Beweis der
Nichtumkehrbarkeit des besonders verneinenden Urtheils, der für den
Fall geführt zu werden pflegt, wo P ein positiver Begriff ist, auch für
ein negatives Pr&dicat, Non-P, gelte. Wird dies nicht eigens dargethan,
so darf jener Beweis auf den Fall eines negativen PrädicatsbegrifiTs
ebensowenig ohne Weiteres übertragen werden, wie in der Mathematik
z. B. ein Beweis, der nur in Bezug auf positive ganze Exponenten ge-
führt worden ist, auch in Bezug auf negative und gebrochene Expo-
nenten eine unmittelbare Gültigkeit hat. Jene Uebertragung darf um
so weniger ohne genauere Prüfung stattfinden, da die ganze Kraft des
Beweises, dass aus S o P nicht P o S gefolgert werden darf, auf der
Möglichkeit beruht, dass bei S o P die Sphäre der S die der P ganz
umschliesse, also alle P S seien; so natürlich aber dieses Yerhältniss
bei einem positiven Prädicate ist, so wenig leuchtet unmittelbar die
Möglichkeit desselben ein, wenn das Prädicat ein negativer Begriff,
mithin von unbegrenzter Ausdehnung ist; hier fordert vielmehr der
Zweifel Berücksichtigung, ob diese unbegrenzte Sphäre immer noch
durch die Sphäre von S, die, sofern S ein positiver Begriff ist, eine
begrenzte zu sein scheint, ganz umschlossen werden könne; kann sie
dies etwa nicht, so verliert jener Beweis für diesen Fall seine Gültige
§ 94. Die Umwandlung der Helation. d05
keit und damit zugleich auch der durch die Rcduotion geführte Beweis
für die Unstatthaftigkeit dier Contraposition von S iP. Twesten
sagt (Log. S. 79): »besonders bejahende Urtheile lassen sich gar nicht
Gontraponiren; wenn einige a b sind, so bleibt es unentschieden, ob a
zum Theil oder gar nicht auch ausser der Sphäre von h, also in die
Sphäre von Nicht-b fällte Dies aber ist kein Beweis, sondern höchstens
nur die Einleitung zu einem solchen. Denn aus dem Angegebenen
folgt zwar unmittelbar, dass es ungewiss ist, ob einige a Nicht-b, und
also auch, ob einige Nicht-b a seien; aber es folgt nicht eben so un-
mittelbar, dass es auch ungewiss sei, ob einige Nicht-b nicht a seien,
und doch war gerade dieses zu zeigen, dass die Folgerung: (mindestens)
einige Nicht-b sind nicht a, unstatthaft sei. . Es hätte gesagt werden
müssen: wenn einige a b sind, so bleibt es unentschieden, ob Nicht-b
ganz oder zum Theil oder gar nicht ausser der Sphäre von a (oder in
der Sphäre von Nicht-a) liegt.
§ 94. Wurde bei der Conversion und Contraposition
nur die Stellung der einzelnen Glieder des Urtheils bei un-
Yerändert bleibender Eelation desselben eine andere, so kann
doch auch die Relation selbst umgewandelt werden.
Dies geschieht namentlich, wenn (was immer mOglich ist) aus
dem einfach kategorischen Urtheil ein hypothetisches oder
au3 dem disjunctiv kategorischen mehrere hypothetische Ur-
theile oder wenn umgekehrt aus diesen jenes gebildet wird.
Die Möglichkeit dieser Umformung beruht darauf, dass das
Inhärenzyerhältniss immer eine gewisse Dependenz des Prädi-
cates vom Subjecte in sich schliesst, welche letztere in der
Betrachtung für sich herausgehoben und in einem hypotheti-
schen Urtheil ausgesprochen werden kann, ferner darauf, dass
das disjunctive Urtheil der zusammenfassende Ausdruck meh-
rerer hypothetischen Urtheile ist und daher ebensowohl in die
letzteren au%elöst werden kann, wie sich andererseits die zu-
sammengehörigen hypothetischen Ui-theile dieser Art auf ein
disjunctives Urtheil reduciren lassen.
So kann aus dem urtheil: A ist B, das Urtheil abgeleitet wer-
den: wenn A ist, so istB; aber nicht immer, wenn dieses hypothetische
Urtheil gilt, gilt jenes kategorische, selbst nicht unter der Yorans-
Setzung der Existenz des A, sondern nur, falls zugleich B zu A in
einem Inhärenzverhältniss steht. Aus dem Urtheil: jedes A, welches
B ist, ist G, folgt das Urtheil: wenn A B ist, so ist es auch C, und
dieses kann wieder, die Existenz solcher A, welche B sind, vorausge-
setzt, auf jenes zurückgeführt werden. Das Urtheil: A ist entweder
B oder C, lässt sich in die zosammöngehörigen hypothetischen Urtheile
20
d06 § 95. Die Sut>aiterxiation.
zerlegen : wenn A B ist, so ist es nicht 0, und wenn A C ist, so ist es
nicht B; wenn A nicht B ist, so ist es C, und wenn A nicht C ist, so
ist es B; und diese lassen sich wiederum auf jenes reduciren.
Die Möglichkeit einer Umwandlung der Relation beweist nicht
(wie mehrere neuere Logiker, namentlich Her hart, Einl. § 58 Anm.
und § 60 Anm., womit jedoch Dro bisch, Log. 2. A. S. 54 zu verglei-
chen ist; ferner Beneke,- Log. I, S. 163 ff. und Dressler, Denklehre,
S. 199 ff. glauben), dass die Verschiedenheit der Relation nur eine
sprachliche, aber keine logische und metaphysische Bedeutung habe.
Wäre diese Ansicht richtig, so müsste sich im Denken die Umformung
ohne Aenderung der materialen Bestandtheile des Urtheils in jeder
Richtung gleichmässig vollziehen lassen, und es müsste also insbesondere
ebensowohl jedes hypothetische Urtheil in ein kategorisches, wie jedes
kategorische in ein hypothetisches verwandelt werden können. Dies
aber ist nicht der Fall. Die Umwandlung des hypothetischen Urtheils
in ein kategorisches ist nur insoweit statthaft, als mit dem Dependenz-
verhältniss ein Inhärenzverhältniss verbunden und zugleich die Existenz
des Subjectes gesichert ist, also zwar in den oben angeführten Fällen,
aber nicht, falls das hypothetische Urtheil lautet: wenn A B ist, so ist
CD. Denn das Bsein des A steht zu dem Dsein des G nicht in dem
gleichen Yerhältniss, wie das A zu B oder das C zu D; jenes ist nicht
dieses, kann nicht als eine Art von diesem gelten, während doch das
A ein B ist und als eine Art vonB betrachtet werden kann. Hier ist
nicht nur eine sprachliche, sondern auch eine logisch-metaphysische
Differenz, die in der Sprache, dem schmiegsamen Kleide oder vielmehr
dem organischen Leibe des Gedankens, sich zwar auch kund giebt»
aber doch dem Gedanken als ursprüngliches Eigenthum angehört.
Zwischen den Gliedern des hypothetischen Urtheils besteht eben ein
anderes Grundverhältniss, als zwischen denen des kategorischen; beide
sind zwar in wesentlichen Beziehungen verwandt und oft mit einander
verbunden (vgl. Trendelenburg, log. Unt. 1. A. I, S. 291, 2. A. I,
S. 343, 3. A. I, S. 351: »Das angehaltene Product der Causalitöt ist
die Substanzt; vgl. 1. A. I, S. 304 ff.; H, S. 178 ff.; 2. A.I, S. 355 ff.;
II, S. 246 ff., 3. A. I, S. 363 ff.; II, S. 270 ff.), dürfen aber keineswegs
für identisch gehalten werden. Vgl. oben § 68 und § 86.
§ 95. Die Snbalternation (subalternatio) ist der
Uebergang von der ganzen Sphäre des Subjectsbegriffs auf
einen Theil derselben, wie auch umgekehrt von einem Theile
auf das Ganze. Durch Subaltemation folgt:
1. ans der Wahrheit des allgemeinen kategori*
sehen Urtheils (S a P oder S e P) die Wahrheit des ent-
sprechenden particularen (S i P oder S o P), aber nicht um-
gekehrt aus dieser jene;
2. aus der Unwahrheit des particularen die Un-
§ 96. Die (qualitative) AequipoUen^. fM
Wahrheit des allgemeinen Urtheils, aber wieder nicht um-
gekehrt aas dieser jene.
Der Beweis fbr die Bichtigkeit der ersten Folgerung
liegt darin, dass das subaltemirte Urtheil nur einen Theil der
in dem subaltemirenden liegenden Behauptung wiederholt,
also solches als wahr setzt, was bereits als wahr anerkannt
ist Die zweite Folgerung aber gründet sich darauf, dass, wenn
das allgemeine Urtheil wahr wäre, dann auch das particulare
(nach 1.) wahr sein würde, gegen die Voraussetzung. Die
umgekehrten Folgerungen dagegen sind nicht allgemeingültig,
weil die Wahrheit des particularen Urtheils mit der Un*
Wahrheit des allgemeinen dadurch zusammenbestehen kann,
dass einige S P sind und andere nicht.
Von den hypothetischen Urtheilen (immer, wenn A
ist, ist B — mindestens in einigen Fällen, wenn A ist, ist
auch B) gelten die gleichen Gesetze.
Die Folgerung vom Allgemeinen auf das Besondere wird
consequentia oder conclusio ad subalternatam propositio-
nem, und die vom Besonderen auf das Allgemeine conclusio
ad subalternantem propositionem genannt
Die älteren Logiker pflegen das Gesetz der Folgerung ad sub-
alternatam propositionem in dem »dictum de omni et nullx)c fol-
gendermaassen auszudrücken: »quidquid de omnibus yalet, yalet etiam
de quibusdum et singulis; quidquid de nullo valet, nee de quibusdam
vel singulis valetc.
§ 96. Unter der (qualitativen) Aequipollenz (aequi-
poUentia) pflegt die neuere Logik die Uebereinstimmung des
Sinnes zweier Urtheile bei verschiedener Qualität zu verstehen.
Diese Uebereinstimmung wird dadurch möglich, dass zugleich
die Prädicatsbegriffe zu einander im Verhältniss des contra^
dietorisehen Gegensatzes stehen. Die Folgerung per aequi-
poUentiam gebt von dem Urtheil : alle S sind P, auf das Ur-
theil: kein S ist einNicht-P und von diesem auf jenes; von
dem Urtheil: kein S ist P, auf das Urtheil: jedes S ist ein
Nieht-P, und wiederum von diesem auf jenes; von dem Urtheil:
einige S sind P, auf das Urtheil : einige S sind nicht Nicht-P,
und von diesem auf jenes, endlich von dem Urtheil : einige S
sind nicht P, auf das Urtheil: einige S sindNicht-P, und von
fiÖd § 97. t)ie Öppositioü.
diesem auf jenes. Der Beweis fllr die Richtigkeit dieser
Folgerungen liegt in dem Verhältniss der Sphären, wonach
jedes S, welches nicht in die Sphäre von P fällt, ausserhalb
derselben, also in der Sphäre yon Nicht-P, liegen moss, und
jedes, welches in diese fällt, nicht in der Sphäre von P liegen
kann.
Jede Sünde streitet wider das Gewissen; es giebt keine Sünde,
die nicht wider das Gewissen stritte. Nichts Sündhaftes harmonirt mit
dem sittlichen Bewusstsein; jegliches, was sündhaft ist, steht in Dis-
harmonie mit dem sittlichen Bewusstsein.
Die älteren Logiker (s. o. zu § 82, S. 276) verstehen unter den
taoSvvnfAovaut TfQonxaeis oder iudicia aequipollentia sive convenientia
jede Art gleichgeltender Urtheile, d. h. solcher, welche bei materialer
Identität um ihrer Form willen nothwendig zusammen wahr oder falsch
sind. (In gleichem Sinne findet sich schon bei Aristoteles de interpr.
c. 13. 22 a. 16 der Ausdruck avnajQiipHv.) — Kant (Log. §47. Anm.)
und mit ihm einige neuere Logiker wollen die Schlüsse der Aequipol-
lenz gar nicht als eigentliche Schlüsse gelten lassen, weil hier keine
Folge stattfinde, sondern die Urtheile selbst auch der Form nach un-
verändert bleiben; dieselben seien nur als Substitutionen der Worte
anzusehen, die einen und denselben Begriff bezeichnen. Da aber bei der
Aequipollenz die Qualität des Urtheils in die entgegengesetzte über-
geht, so betrifft die Veränderung, die hiisr stattfindet, so leicht sie ist,
doch offenbar die Form des Urtheils selbst und nicht bloss den sprach-
lichen Ausdruck.
§ 97. Die Opposition (oppositio) ist der Gegensatz,
der zwischen zwei Urtheilen von verschiedener Qualität und
verschiedenem Sinne bei gleichem Inhalt besteht. Vermöge
der Opposition folgt (vgl. §§ 71 und 72):
1. aus der Wahrheit eines Urtheils die Unwahrheit
seines contradictorischenGegentheils, da nach dem Satze
des Widerspruchs (§ 77) contradictorisch entgegengesetzte
Urtheile nicht beide wahr sein können;
2. ans der Unwahrheit eines Urtheils die Wahrheit
seines co ntradictori sehen Gegentheils, da nach dem Satze
des ausgeschlossenen Dritten (§ 78) contradictorisch entgegen-
gesetzte Urtheile nicht beide falsch sein können;
3. aus der Wahrheit eines Urtheils die Unwahrheit
des conträr entgegengesetzten (aber nicht umgekehrt aus
der Unwahrheit des einen die Wahrheit des anderen), nach
dem Satze, dass conträr entgegengesetzte Urtheile nicht beide
§ 97. Dia Opposition. SO
wahr (wohl aber beide falscli) Bein kSDnea, weil sonst ancl
die coutradtctonsch entgegengesetzten Behauptungen, die (nacl
§ 95) in ihnen mitenthalten sind und durch Subalternatioi
gefolgert werden kBnnen, beide wahr sein mUssten, was dod
der Satz des Widersprnchs (§77) nicht znlässt (ihre gemein
same Unwahrheit aber schliesst weder die Wahrheit noch dii
Unwahrheit Bolcher Behauptungen in sich ein, die einande:
contradictorisch entgegengesetzt sind);
4. ans der Unwahrheit eines Urtheila die Wahrheil
des snbcontrUren (aber nicht umgekehrt aus der Wahrheil
des einen die Unwahrheit des anderen), nach dem Satze, d&et
snboonträre Urtheile nicht beide falsch (wohl aber beide wahi
sein können, weil sonst (nach 2) ihre oontradietorischen Ge-
gentheile beide wahr sein mtlssten, die doch zu einander im
Verhältniss des conträren Gegensatzes stehen, also (nach 3^
Dicht beide wahr sein könneo.
Nach 1. folgt dnroh einen SchluBS »d contradictoriam pro-
poaitionem:
ans der Wahrheit Ton S a F die Unwahrheit von S o F,
aus der Wahrheit von S e F die Unwahrheit von S i P,
ans der Wahrheit von S i P die Unwahrheit von S e F,
am der Wahrheit von S o P die Unwahrheit von S a F.
Nach 2. folgt durch einen Sohluss ad ooutradiotoriam pro-
poBitionem:
aoe der Unwahrheit von S a F die Wahrheit von S o P,
ans der Unwahrheit von S e P die Wahrheit von 3 i P,
»na der Unwahrheit von 8 i P die Wahrheit von S e P,
ans der UDwahrheit von 3 o F die Wahrheit von 8 a F.
Nach S. folgt durch einen SobluBS ad oontrariam proposi-
tionem:
ant der Wahrheit von S a P die Unwahrheit von S e P,
&TU der Wahrheit von S e F die Unwahrheit von S a F.
Nach 4. folgt durch einen Sohlius ad suboontrariam pro-
310 § 98. Die modale Gonsequenz.
unter auch in der Anwendung nicht unwichtig ist, derartigen Verhalt-
nissen eigens die Aufmerksamkeit zuzuwenden. Die Wahrheit der Be^
jahung ist gleichbedeutend mit der Unwahrheit der Verneinung, und
die Wahrheit der Verneinung ist gleichbedeutend mit der Unwahrheit
der Bejahung; die Bejahung richtet sich gegen Nichtwissen oder Nicht-
beachtung oder Verneinung, und die Verneinung ist (nach § 69, S. 209)
nur da angemessen, wo sich mindestens irgend ein Motiv zur Bejahung
denken lässt, zumeist aber da, wo von Anderen wirklich bejaht worden
ist. Demgemäss ist bei der Interpretation einer Bejahung auf den Sinn
der Verneinung, bei der einer Verneinung auf den Inhalt und die
Form der zugehörigen Bejahung zu achten. Hiernach möchte sich, wenn
Hör. Epod. V, 87 Heinrich Düntzer's Conjectur (Philol. XXVII, S. 184)
venena magna angenommen wird, eine von der Däntzer'schen ab-
weichende Erklärung ergeben. Düntzer übersetzt: »Starke Zaubermittel
können Frevel verüben; nicht können sie einen menschlichen Zustand
ändern c. Aber der erste Theil dieses Satzes (vorausgesetzt, dass Horas
diesen Gedanken durch diese Worte hätte ausdrücken können), wäre der
Giftmischerin gegenüber matt. Die bei naiurgemässer Gonstruction auf
das Ganze des Satzes bezügliche Verneinung kehrt sich gegen die von
den Zauberinnen vertretene Bejahung. Diese hegen die Ueberzeugung,
dass ein Umschwung in menschlichen Verhältnissen (convertere huma-
nam vioem, die Verwandlung von Hass oder Gleichgültigkeit in Liebe etc.),
welcher durch leichtere Zaubermittel sich nicht erreichen lasse, durch
stärkere (venena magna) könne herbeigeführt werden, und für stark
halten sie (wie auch Düntzer mit Recht bemerkt) gerade solche, zu
deren Bereitung Verbreche^ erforderlich sind. Sie gestehen aber sich
selbst und Anderen nicht ganz unverhüllt das volle blosse nefas ein;
ein Rest von Scheu vor dem Bekenntniss des Frevels bleibt auch da
noch zurück, wo die Scheu vor dem Frevel selbst geschwunden ist, und
so sagen die Verbrecherinnen sich selbst und Andern nur, dass bei den
»starken« Mitteln die scrupulöse Unterscheidung zwischen fas und nefaa
wegfalle, dass bei diesen Mitteln fas und nefas gleich gelte. Sie nehmen
an: venena magna (ac?) fas nefasque (d. h. venena magna per fas ne-
fasque acLhibita) valent convertere humanam vicem, und eben diese Be-
hauptung neg^rt der bedrohte Knabe. Die Wahrheit der von ihm aus-
gesprochenen Negation ist gleichbedeutend mit der Unwahrheit dessen,
was die Zauberinnen affirmiren.
§ 98. Die modal eConsequenz (eonsequentia moda-
lis) ist die Umwandlung der Modalität. Vermöge der modalen
Consequenz folgt (vgl. § 69):
1. aus der Gültigkeit des apodiktischen Urtheils
die Ottltigkeit des assertorischen und des problematischen, und
aus der Gtlltigkeit des assertorischen die des proble-
matischen Urtheils; aber nicht umgekehrt aus der Gültigkeit
des problematischen die des assertorischen und apodiktischen,
§ 98. Die modale Consequenz. 311
und nicht aas der Gültigkeit des assertorischen die des apo-
diktischen Urtbeils;
2. aus der UnStatthaftigkeit des problematischen
Urtheils die des assertorischen und apodiktischen und
aus der Unstatthaftigkeit des assertorischen die des
apodiktischen Urtheils; aber wieder nicht umgekehrt aus der
Unstatthaftigkeit des apodiktischen Urtheils die des asser-
torischen und problematischen, und nicht aus der Unstatthaf-
tigkeit des assertorischen die des problematischen Urtheils.
Die erste Folgerung gründet sich gleichwie bei der
Subalternation (§ 95) darauf, dass die gefolgerten Urtheile
nur ein Moment herausheben, welches in dem gegebenen
bereits enthalten ist. Die apodiktische Gewissheit berechtigt
uns zugleich, indem wir von dem Grunde der Gewissheit abs-
trahiren, das Urtheil in assertorischer Form nur einfach als
wahr auszusprechen, um so mehr also dazu, ihm mindestens
Wahrscheinlichkeit zuzuerkennen; ebenso schliesst die un-
mittelbare Gewissheit, welche das assertorische Urtheil aus-
spricht, die Wahrscheinlichkeit als Moment in sich. Dagegen
ist nicht umgekehrt in dem geringeren Grade der Gewissheit
der höhere enthalten.
Die zweite Folgerung beruht darauf, dass, wo selbst
der geringere Grad der Gewissheit fehlt, da der höhere noch
viel weniger vorhanden ist. Dagegen kann nicht umgekehrt
gefolgert werden, dass, wo der höhere Grad nicht vorhanden
ist, auch der geringere fehlen müsse.
Da 68 sich bei der Modalität um den Grad der (subjeotiTen) 6e-
wissheit handelt, so moss hier überall der Ausdruck: Gültigkeit oder
Statthaftigkeit und Ungültigkeit oder Unstatthaftigkeit
gebraucht werden, wofür nicht unbedingt der Begriff der (objectiven)
Wahrheit und Unwahrheit substituirt werden darf. Ist z. B. das
assertorische Urtheil: A istB, unstatthaft, so kann der Grund hier-
von darin liegen, dass nur die (subjective) Ueberzeugung fehlt, während
das Urtheil an sich vollkommen wahr sein mag; in diesem Falle bleibt
also das problematische Urtheil: A ist vielleicht B, durchaus statthaft
oder gültig. Ist aber das assertorische Urtheil: A istB, unwahr, so
ist nach dem Satze des ausgeschlossenen Dritten (§ 78) das contradicto-
risch entgegengesetzte Urtheil wahr: A ist nicht B, und steht dies ein-
mal fest, so hat das problematische Urtheil: A ist vielleicht B, keine
Berechtigung mehr.
812 § 99. Die mittelbaren Schlüsse.
Uebrigens gilt hier die nämliche Bestimmung, wie bei dem par*
ticularen Urtheil, dass nämlich die Behauptung des Geringeren (dort
der einigen, hier des vielleicht etc.) nicht in dem ausschliesseuden
Sinne (nur einige, nur vielleicht) zu verstehen ist, sondern in dem dio
Möglichkeit des grosseren offen haltenden Sinne (mindestens einige,
mindestens vielleicht).
In Bezug auf die objeotive Möglichkeit, Wirklichkeit und Noth-
wendigkeit gelten ganz analoge Gesetze, deren Erörterung aber viel»
mehr der Metaphysik, als der Logik anheimfällt. Aristoteles han-
delt von denselben in seinen logischen Schriften, insbesondere de interpr.
c. 18. Er findet eine Schwierigkeit in der Frage, ob aus der Noth-
wendigkeit die Möglichkeit folge. Auf der einen Seite scheine es so;
denn wenn es falsch wäre, dass das Nothwendige möglich sei, so müsste
es wahr sein, dass das Nothwendige unmöglich sei, was absurd wäre.
Andererseits aber scheine doch auch der Satz gelten zu müssen: was
in der Möglichkeit ist, zu sein, ist auch in der Möglichkeit, nicht zu
sein, und so würde das Nothwendige, wenn es ein Mögliches wäre, auch
in der Möglichkeit sein, nicht zu sein, was falsch ist. Aristoteles löst
diese Schwierigkeit durch die Distinction, dass der Begriff des Mög-
lichen theils in einem Sinne gebraucht werde, worin er die Nothwen-
digkeit nicht ausschliesse (mindestens möglich), in welchem Sinne
er namentlich auf die Energien Anwendung finde, welche die Potens
in sich sohliessen, theils aber auch in einem Sinne, worin er die Noth-
wendigkeit ausschliesse (nur möglich), in welchem Sinne er namentlich
auf die Potenzen Anwendung finde, sofern sie nicht Energien seien; in
jenem Sinne sei das Nothwendige ein Mögliches, in diesem nicht. (In
Bezug auf die Möglichkeit im engeren Sinne, welche die Nothwendig-
keit aussohliesst, sagt Aristoteles Analyt. pri. I, 17. 87 a. 16, dass das fiii
ivSix^a&eUj indem es die nach beiden Seiten hin gleiche Möglichkeit ver-
neine, nicht bloss da Anwendung finde, wo die Sache unmöglich, son-
dern auch da, wo dieselbe nothwendig sei.) Die späteren LiOgiker stellen,
indem sie das Möglichkeitsurtheil nach der Analogie des particularen
auffassen und demnach die Deutung: mindestens möglich, voraus-
setzen, die Regel auf: »ab oportere ad esse, ab esse ad posse valet
oonsequentia ; a posse ad esse, ab esse ad oportere non valet conse-
quentiac.
§ 99. Die mittelbaren Schlüsse zerfallen in zwei
Hauptclassen, nämlich den Syllogismus im engeren Sinne
(ratiocinatio , discursus, avlloyioiaog) und die Induction
(inductio, inaywyrj). Der Syllogismus im engeren Sinne ist in
seinen hauptsächlichsten Formen der Schluss vom Allgemeinen
auf das Besondere oder Einzelne und in allen seinen Formen
der vom Allgemeinen ausgehende Schluss, die Induction der
Schluss vom Einzelnen oder Besonderen auf das AUgemeine.
§ 99. Die mittelbaren Scblosfle. 813
Von beiden läSBt Bich als eine dritte, jedoch anf eine Ver-
bindung beider redneirbare Form der Analogieschluss
unterscheiden, der von dem Einzelnen oder Besonderen ans
auf ein nebengeordnetes Einzelnes oder Besonderes geht.
Wenn aUgemein bewiesen worden ist, dass an jeden Kegelschnitt
von einem und demselben Punkte aus nur zwei Tangenten gelegt wer-
den können, und nun geschlossen wird: die Hyperbel ist ein Kegel-
schnitt, also gilt dieser Satz auch von ihr, so ist dies ein Syllogis-
mus. Wenn aber umgekehrt zuerst vom Kreise bewiesen worden ist,
dass von einem und demselbem Punkte aus nur zwei Taugenten an
denselben gelegt werden können, dann ebenso das Gleiche von der Ellipse,
von der Parabel, von der Hyperbel, und nun durch Zusammenfassung
geschlossen wird: also gilt jener Satz von allen Kegelschnitten über-
haupt, so ist dies eine Induction. Inductiv verfuhren Kepler und
seine Nachfolger in der Begründung der nach ihm benannten Gesetze^
indem sie die Wahrheit der am Mars, dann auch an anderen Planeten
nachgewiesenen Besultate verallgemeinerten. Syllogistisch aber ist
das umgekehrte durch Newton ermöglichte Verfahren, wonach zuerst
auf Grund des Gravitationsprincips nachgewiesen wird, dass sich jeder
Weltkörper um seinen Gentralkörpor (oder vielmehr um das Centrum
gravitationis) in einer Bahn bewegen muss, die einen Kegelschnitt dar-
stellt, und zwar so, dass der radius vector in gleichen Zeiten gleiche
Sectoren der Bahnebene abschneidet, und dass, wenn mehrere Körper
sich in geschlossenen Bahnen um denselben Centralkörper bewegen,
die Quadratzahlen der Ümlaufszeiten sich verhalten müssen, wie die
Cubikzahlen der mittleren Entfernungen, und wonach dann diese Sätze
auf die einzelnen Planeten, Trabanten und Kometen angewandt werden.
Inductiv lässt sich der feurig-flüssige Zustand desErdinnem aus dem
Zusammenhang der vulkanischen Erscheinungen unter einander, de-
ductiy aber odör syllogistisch aus dem (schon aus astronomischen
Gründen wahrscheinlichen) Bildungsprocess der Erde erweisen.
Man kann den Syllogismus hinsichtlich seiner wichtigsten, für
die positive Erkenntniss fruchtreichsten Formen als »Unterordnung s-
schlussc (im Anschluss an J. Hoppe, die gesammte Logik I., Pader-
born 1868, der die »BegrifFszerlegungsschlüsse«, die er von den »Ver-
tauschungssohlüssenc unterscheidet, so nennt), die Induction (mit Hoppe)
als ȟeberordnungsschlussc und demgemass auch (nicht mit
Hoppe, der die Analogie nicht als eine besondere Form anerkennt),
den Analogieschluss als Nebenordnungsschluss bezeichnen*).
*) Von Hoppe's Tadel des »schematischen und mechanischen Ver-
fahrens c der Syllogistik gilt das Gleiche, was oben (zu § 84) über seine
Verwerfung des Schematismus in der logischen Betrachtung der un-
mittelbaren Schlüsse bemerkt worden ist. Wird ausser den gegebenen
ürtheilen selbst noch das Wissen vorausgesetzt, von welcher Art jedes-
mal die Verknüpfung des Pradicates mit dem Subjecte sei und welches
der verschiedenen möglichen Umfangsverhältnisse demgemass in dem
314 § 100. Eintheilung und Elemente der Syllogismen.
An die Syllogistik hat Bioh von jeher manche kindische Spielerei
bei ihren Vertretern und manche Verkehrtheit bei ihren Tadlern ge-
knüpft. Wer aber unbefangen beides vergleicht, wird den ungleich
grösseren Unverstand auf der Seite der Tadler finden. Denn die Ver-
treter pflegen doch wenigstens einen gewissen Grad von Sachkenntniss
zu besitzen, während von den Tadlern viele im Gleiohmaasse von Igno-
ranz und Arroganz verwerfen, was sie nicht verstehen.
§ 100. Der Syllogismus ist einfach (simpIex), wenn aas
zwei Urtheilen, welche zwei verschiedene und einen gemein-
samen Hauptbestandtheil haben, ein drittes abgeleitet wird;
er ist zusammengesetzt (compositus), wenn mehr als drei
Hauptbestandtheile von Urtheilen oder mehr als zwei Urtheile
zur Begründung des Schlusssatzes dienen. Der gemeinsame
Beatandtheil vermittelt den Schluss und wird demgemäss
Mittel- (vermittelnder) Begriff oder Mittelglied (medium,
terminus medius, nota intermedia, to fieoov, ogog ftioog) genannt.
Derselbe kommt, seiner Bestimmung zufolge, in einer jeden
der Prämissen, aber nicht im Schlusssatze vor. Die gegebenen
Urtheile aber, woraus das neue abgeleitet wird, heissen Prä-
misse n (propositiones praemissae, iudicia praemissa, posita,
TVQozaaeigt za TiQOTetvofneva, xa Te&evva, va xelfieva, auch
sumptiones, acceptiones, lij/ntnara^ und das abgeleitete Urtheil
Schlusssatz (conclusio, iudicium conclusum, rd üvfiniQaa^ay
auch illatio, inicpoga). Von den Prämissen wird diejenige,
welche das Subject oder das subordinirte Satzglied (z. B. die
Hypothesis) des Schlusssatzes enthält, Untersatz (propositio
minor, assumptio, rrQ6aXrjipig\ die andere aber, welche das
Prädicat oder das übergeordnete Satzglied (den Hauptsatz oder
Nachsatz) des Schlusssatzes enthält, Obersatz (propositio
maior, Ifjfifia) genannt. Die Bestandtbeile des Syllogismus
überhaupt oder die darin enthaltenen Urtheilsglieder werden
unter dem Namen: Elemente des Schlusses (syllogismi
elementa, tä tov avXXoyiofiov aToix^la) zusammengefasst Der
Syllogismus hat die Relation seiner Prämissen, d. h. er ist
copulativ, disjunctiv, hypothetisch etc. oder gemischt je nach
einzelnen Falle thatsächlich statthabe» dann lässt sich freilich mehr
folgern, als nach dem »schematischen Verfahrene zulässig ist; aber
dann ist eben auch die Zahl der vorausgesetzten Data überschritten
worden.
§ 101. Der SyllogiBmos als Erkenntnissform. 816
der Form der Prämissen, welche auch die Form des Schloss-
Satzes bediogt. Sind die Prämissen von verschiedener Form,
so pflegt man die Relation des Syllogismas vorzugsweise nach
der des Obersatzes zu bezeichnen.
Aus zwei ürtheilen, die gar nichts mit einander gemein haben,
kann, da keine neue Beziehung begründet wird, auch kein Schlusssatz
abgeleitet werden. Soll also aus zwei Urtheilen ein drittes folgen, so
müssen dieselben entweder einen gemeinsamen Hauptbestandtheil haben
oder durch blosse Umformung erhalten können ; der letztere Fall findet
statt, wenn ein Hauptbestandtheil des einen Urtheils der oontradictori-
sche Gegensatz zu einem Hauptbestandtheile des andern ist. Man konnte
nun zwar auch diesen Fall noch den einfachen Syllogismen zurechnen,
indem man den Begriff derselben dahin bestimmte, dass jeder Schluss,
der sich auf zwei you einander unabhängige gegebene Urtheile gründe,
ohne dass ein drittes, welches nicht ans einem der gegebenen durch
blosse Umformung folge, hinzugenommen zu werden brauche, einfach
genannt würde, und nur derjenige zusammengesetzt, der mehr als
zwei gegebene Urtheile voraussetze. Allein im Verfolge der Darstellung
würde diese Bestimmung zu mancherlei Missständen führen. Mehrere
von den Hegeln, welche die Syllogistik aufzustellen pflegt (z. B. der
Satz: ex mere negativis nihil sequitur, vgl, unten § 106; femer die Be-
stimmungen über die Zahl und Form der gültigen Modi etc.) würden
dann nicht zutreffen, und wollte man sie durch andere ersetzen, so
würden diese minder einfach und übersichtlich sein. Auch an innerer
Berechtigung würde diese Terminologie der im Texte dieses Paragra-
phen aufgestellten nachstehen. Denn in dem Falle, wo zwei Bestand-
theile der beiden Prämissen zu einander im Yerhältniss des contradio-
toriflchen Gegensatzes stehen, kann der Schlusssatz nicht gewonnen wer-
den, ohne dass zugleich ein Hülfsurtheil, welches durch Aequipollenz
aus einem der gegebenen Urtheile folgt, mit hinzugedacht wird, und
80 ist der Schluss in der That zusammengesetzt, nämlich aus einer
unmittelbaren Folgerung und einem einfachen Syllogismus.
Die Ausdrücke: oqo^ und ngoraaiq erklärt Aristoteles Anal,
pri. I, 1. 24 a. 16 ngoiaatq fikv ovv larl Xoyos xataiparixos rj dna-
iparixos tivot xata tivog — und 24 b. 16 oqov il TtaXto eis ov Stalverat
4 nQoraatg; den Mittelbegriff (t6 fjiiaov) definirt derselbe ib. 1, 4. 26 b.
38 xalei ök fiiaov f*kv o xal auro Iv all(p xal aXXo iv lovx^ iailVf o
xtä rjf ^^a€i yivtrai fiiaov; der Name: avfinigaafia findet sich ib. I, 9
u. öfter. Die Termini: Xri^fitcva und initpoQa gehören den Stoikern an.
§ 101. Die Möglichkeit des Sjllogismas als einer
Form der Erkenntniss beruht auf der Voraussetzung,
dass eine reale Gesetzmässigkeit bestehe und erkennbar
sei, gemäss dem Satze des zureichenden Grundes
(§ 81). Da die vollendete Erkenntniss auf der Coincidenz
S16 § 101. Der Syllogismus als Erkenntnissform
des Erkenntnissgrandes mit dem Bealgmnde beruht, so ist
auch derjenige Syllogismus der vollkommenste,
worin der vermittelnde Bestandtheil (der Mittel-
begriff, das Mittelglied), welcher der Erkennt-
nissgrund der Wahrheit des Schlusssatzes ist, zu-
nächst den Realgrund der Wahrheit desselben
bezeichnet.
Die in diesem Paragraphen vorgetragene Lehre ist die wichtigste
der gesammten Syllogistik. Von der Anerkennung der Beziehung des
Syllogismus auf eine reale Gesetzmässigkeit hängt die Ent-scheidung der
Streitfrage ab, ob der Syllogismus ein Mittel der Erkenntniss sei
und in diesem Sinne dem Begriff und Urtheil als gleichberechtigte Form
zur Seite gestellt werden dürfe, oder ob das syllogistische Verfahren für
eine blosse Combination von Begriffen gehalten werden .müsse, welche
nur etwa zur Verdeutlichung der Erkenntniss, die wir in verhüllter
Weise bereits besitzen, und ausserdem zum Zwecke der Mittheilung
unseres Wissens an Andere einigen Werth beanspruchen möge. Wenn
nämlich die Ueberzeugung von der allgemeingültigen Wahrheit der
Prämissen sich nicht auf die Voraussetzung einer realen Gesetzmässig-
keit gründet, sondern erst durch Vergleichung aller einzelnen Fälle
gewonnen werden soll: so leuchtet ein, dass unter den verglichenen
Fällen auch diejenigen, von welchen im Schlusssatze die Rede ist, mit^
vorkommen müssen, dass also die Wahrheit des Schlusssatzes zuerst fest-
stehen muss, damit die Wahrheit der Prämissen erkannt werden könne,
dass wir aber in einen fehlerhaften Cirkel verfallen würden, wenn wir
doch auch wiederum aus den Prämissen den Schlusssatz ableiten wollten.
Diese letztere Ableitung könnte höchstens den Werth einer »Entzifferung
unserer eigenen Notent (Mi 11) haben, also nur der Wiedererinnerung,
der Verdeutlichung, der Mittheilung an Andere dienen. In der That
verhält es sich so in vielen Fällen. Wird z. B. der Schlnss aufgestellt:
jeder um unsere Sonne in einer elliptischen Bahn laufende Körper ist
ein an sich dunkler Körper; Vesta ist ein um unsere Sonne in einer
elliptischen Bahn laufender Körper; folglich ist auch Vesta ein an sieh
dunkler Körper: so kann ich offenbar die erste der Prämissen nur dann
als allgemeingültig erkennen, wenn ich zuvor schon weiss, das Vesta
zu den um unsere Sonne in elliptischer Bahn laufenden Körpern gehöre
und dass auch sie kein eigenes Licht besitze. Ich kann so wenig die
Wahrheit des Schlusssatzes aus der Wahrheit der Prämissen erkennen,
dass im Gegentheil die Ueberzeugung von der Wahrheit der ersten
Prämisse an der im Voraus feststehenden Ueberzeugung von der Wahr-
heit des Sohlusssatzes eins ihrer Fundamente finden muss, und dass,
wenn etwa der Schlusssatz sich als ungewiss oder als falsch erweisen
muss, sie ihrerseits das gleiche Schicksal theilen würde. Der Satz, dass
alle Planeten immer nur innerhalb des Thierkreises uns erscheinen (der
von den altbekannten Planeten gilt) verliert seine anscheinend allge-
nnd seine Benebnng auf die reftle GeMtzmauigkeit. 817
neine GQltigkeit sofort, sobald (unter den Aateroideo) irgend welche
gefunden werden, die den Thierkreia überschreiten, und es kuin keinea-
wegi am dem allgemeinen Satze, als cb dieser im Voraus nnd unab-
hingig TOn der Vollzahl der Einielbeobachtnngen feststände, geschlossen
werden, dass sich kein Planet finden körme, der jene Grenze übersohreite;
der Planet Pallas überwbreitet thats&chliidi dieselbe. Aber nicht olle
F^le sind von der n&nUiohen Art. Sofern in Bezog aaf das EU er-
Srtemde Verhättnisa eine bestimmte Gesetzmässigkeit voraosgesetzt wer-
den darf, ISsit sich allerdings das Allgemeine vor der Durchforschung
'der Gesanuntheit alles Einzelnen als wahr erkennen, und daher ancli
ans der Wahrheit desselben die Wahrheit des Einzelneu durch syllc-
gistiiche Deduction ermitteln. Dasa z. B. die Kepler'schen QesetKe eine
allgemeingültige Wahrheit haben, kann seit Newton gewusst werden,
ohne dass sie vorher an allen einzelnen Planeten und Trabanten ge-
prüft zu sein brauchen, und to oft daher ein neuer BimmelBkörper
dieser Art entdeckt wird, können auf ihn jene (resetze syltogistiBch mit
voller Zuversicht angewandt werden. Steht ja doch diu Gewißheit der
Bis § 101. Der Syllogismus als Erkenntnissform
Prädicat desselben beide den bestimmten Artikel haben und also das
Urtheil reciprocabel ist; aber nur die eine entspricht dem Zusammen-
hang der Stelle, welcher folgender ist. Um uns des Seins zu vergewissern,
sagt Aristoteles, so wie auch, um das Wesen zu erkennen, müssen wir
den Mittelbegriff haben; denn haben wir diesen, so kennen wir die
Ursache und haben damit gefunden, was überall gesucht wird und
was auch wir suchen mussten, da selbstTcrständlich die Gewissheit von
der (realen) Ursache auch die Qewissheit von dem Sein sichert. Der
Sinn jenes Satzes ist also : die Bedeutung des Mittelbegriffs liegt darin,
dass er der Ursache entspreche. (Nicht im Widerstreit hiermit sagt
Aristoteles Anal. post. II, 12. 96 a. 11: to ya^ fiiaov afriov. Das Werdende
und Gewordene etc. hat dieselbe Mitte; die Mitte aber ist Ursache;
also hat es auch dieselbe Ursache.) Der umgekehrte Gedanke aber : das
Wesen des ttHiov liegt darin, dass es der Mittelbegriff eines Schlusses
sei, würde nicht in den Zusammenhang passen. Denn aus den Sätzen:
dBB tttriov sichert das Sein, und: das Wesen des atuov liegt darin, dass
es der Mittelbegriff eines Schlusses sei, würde ja nicht folgen, dass
immer, wenn wir den Mittelbegriff haben, das Sein gesichert sei, was
doch Aristoteles darthun will; vielmehr wftre dies ein fehlerhafter all-
gemein bejahender Schluss in der dritten Figur. Waitz sagt in seiner
Erläuterung (ad Anal. post. II, 2; vol. 11, p. 380) mit Recht: >qunni
omnis quaestio iam in eo versetur, ut rei subiectae naturam sive causam,
per quam res ipsa existat vel ob quam aliud quid de ea praedicetur,
exploremus, quam quidem causam terminus medius expri-
mere debetc. Auch die Beispiele, die Aristoteles hier und an anderen
Stellen anführt, zeigen, dass er nicht das Reale zum Formalen verflüch-
tigen, sondern die Form aus ihrem Yerhältniss zum Inhalt begreifen
will. Die reale avritpQa^tg der Erde zwischen Sonne und Mond ist das
afttov der Mondfinstemiss; nun aber liegt doch offenbar das Wesen jener
realen Stellung der Himmelskörper zu einander nicht darin, dass die-
selbe der Mittelbegriff eines Syllogismus sei, sondern im Gegentheil das
Wesen des Mittelbegriffs darin, dass derselbe jene reale Ursache be-
zeichne. (Ein undurchsichtiger Körper, welcher zwischen einen selbst-
leuchtenden und einen nur von diesem beleuchteten, an sich dunkeln
Körper tritt, verfinstert den letzteren. Die Erde ist ein undurchsich-
tiger Körper, der zu gewissen Zeiten zwischen die selbstleuchtende
Sonne und den nur von ihr beleuchteten, an sich dunkeln Mond tritt.
Also verfinstert die Erde zu gewissen Zeiten den Mond.) In demsel-
ben Sinne lehrt Aristoteles c. 11, dass die vier metaphysischen aixttui
Wesen, Bedingung, bewegende Ursache und Zweck, alle durch den
Mittelbegriff aufgezeigt und erkannt werden, nicht als ob sie alle auf
eine blosse formale Beziehung reducirt und ihr realer metaphysischer
Charakter aufgehoben werden sollte, sondern im Gegentheil, um dem
Mittelbegriffe die reale Beziehung auf die sämmtlichen metaphysischen
cdxCat, zu vindiciren. Am Schluss von c. 12 bemerkt Aristoteles, im
wirklichen Geschehen finde sich zum Theil eine strenge causale Noth-
wendigkeit und Allgemeinheit, zum Theil aber nur ein tue inl to nolvf
nnd «eina Beiiehnng auf die reale GeBetzmSiaig-keit. Sil
und fügt bei: lüy Jif loiovtmv äyäyxt) xa\ rö fiinov tot tnl tÖ ttoJU
thtu. OfFanbar also wird die Natar dea Mittelbegriffs durch die Natm
dar Sache bestimint, das »Formale' durcH dag »Realei, aber nicht um'
gekehrL 80 gehl ja anch überhaupt die Aristotelische Fordemng da-
hin, daaa daa (menschliobe) Deuken sich nach dem Sein richte; erst
ein moderner Philosoph, wie Kant, konnte, in Folge mannigfacher dog-
matiitoher Fehlversuche an der Erkennbarkeit der >Dingo an eicht
TerEweifelnd, um wenigstens irgendwie die Möglichkeit einer syetema-
tiachen PhiloBophie zu retten, das umgekehrte Princip ergreifen, dasR
das Reale (der Eracheinnngswelt) sich nach den Formen nnserea mensch-
lichen DenkvermoganB richten müsse, and demgemäss dieses iReale anf
ein Formalen eurückEnfiihrent versuchen. AristoteleB verhehlt sich
nicht, _daee es anch Syllogismen gehe, in deren Mittelbegriff nicht die
320 § 101. Der Syllogismus als Erkenntnissform
Satz liefert, Princip des Syllogismus, und der Syllogismus führt, sofern
sein Mittelbegriff in der Ursache das Wesen erkennen lässt, zur Defi-
nition (Anal. post. I, 8; II, 8 sqq.; de anima II, 2. 413 a. 13). Die
späteren Logiker, und so auch namentlich schon die Stoiker, haben
jene Beziehung des Mittelbegriffs auf die reale Ursache und des syllo-
gistischen Denkens überhaupt auf die reale Gesetzmässigkeit meist
vernachlässigt, indem sie sich zu ausschliesslich an die leichteren tech-
nischen Partien der Aristotelischen Syllogistik hielten. Daher kann es
uns nicht Wunder nehmen, dass schon im Alterthum die Skeptiker
das syllogistische Verfahren überhaupt mit der Bemerkung bekämpften,
die in neuerer Zeit vielfach wiederholt worden ist, dass die Wahrheit
der Prämissen, weit entfernt die Wahrheit des Schlusssatzes begründen
zu können, vielmehr diese letztere zu ihrer Voraussetzung habe. So
sagt SextusEmpir. (Pyrrhon. hypotyp. II, 194 ff.), der Obersatz könne
nur durch Induction gesichert werden, und diese setze eine volbtändi^
Prüfung aller einzelnen Fälle voraus, da schon eine einzige Instanz (z. B.
dass das Krokodil nicht die untere, sondern die obere Kinnlade bewege)
die Wahrheit des allgemeinen Satzes (z. B. dass alle Thiere die untere
Kinnlade bew^en) aufheben würde; sei aber die Prüfung vollständig
an jedem Einzelnen vollzogen worden, so sei es ein Cirkel, wenn nun
doch auch wieder das nämliche Einzelne aus dem Allgemeinen syllo-
gistisch abgeleitet werde. — Dass die Logiker des späteren Alter-
thum s und des Mittelalters den technischen Theil der Aristoteli-
schen Syllogistik mit grosser Subtilität weiter ausgesponnen haben, ist
ihnen in der neueren und neuesten Zeit oft zum Vorwurfe gemacht
worden. Sofern hiermit nur dies gesagt sein soll, dass sie, ganz dem
Technischen hingegeben, die tieferen Momente unbeachtet gelassen haben,
ist der Tadel gewiss wohlberechtigt; aber abstossend wird derselbe im
Munde derer, welche selbst jene tieferen Momente wo möglich noch
mehr ausser Augen setzen und ihren eigenen Ruhm und Vorzug vor
der Scholastik nur darin suchen, die technischen Partien in vornehmem
Tone geringschätzig und nachlässig zu behandeln. Ist etwa die Ober-
flächlichkeit und Fahrlässigkeit, die in der neueren Zeit nur allzuhäufig
geworden ist (manche Lehrbücher der Logik besonders aus der Kanti-
schen Periode wimmeln von logischen Schnitzern) in der That der
scholastischen Strenge und Schärfe vorzuziehen? Oder verdient nicht
vielmehr die Genauigkeit in diesen Dingen, wie überall, volles Lob? —
Ja selbst die didaktischen Kunststückchen der Scholastiker, wiewohl sie
für uns etwas Kleinliches haben, möchten, da sie doch ihrem nächsten
Zwecke entsprechen, mindestens Entschuldigung verdienen. Mit Recht
sagt der Mathematiker Gergonne (Essai de dial. rat., Annales de
math. VII, p. 227): >le grand nombre de conditions auxquelles on avait
cherchS ä satisfaire dans la composition de ces vers artificiels (dont
chaque mot rappelait une des formes syllogistiques concluantes), aurait
peut-etre du en faire excuser un peu la durete, qui a et^ dans ces
demiers temps le sujet d'une multitude de plaisanteriee asaez mauvai-
Besc. — Was die neueren Philosophen betrifft, so hat Baco von
and aeine Beziehang atif die reale Geeeüsmäasigkeit. d2l
Verulam den SyllogiBmus, mit wie grosser Vorliebe er ihm auch die
Indaction gegenüberstellt, doch nicht schlechthin für unfähig erklart,
die Erkenntniss zu fördern; er meint nur, derselbe bleibe hinter der
Feinheit der Natur zurück und habe eine berechtigte Stelle bloss in
den leichteren Disciplinen (s. o. § 28). Viel weiter geht Des Carte s,
der im stolzen Bewusstsein der eigenen, jugendlich irischen Geisteskraft
die Syllogistik zugleich mit der ganzen Aristotelisch-soholastisohen Logik,
gleichsam das gesammte logische Erbgut der Jahrtausende, als wäre
es nur ein hemmender Ballast auf seiner geistigen Entdeckungsreise,
mit einem Male über Bord wirft, um an dessen Stelle jene vier ein-
fachen Regeln über das subjective Verhalten bei der Erforschung der
Wahrheit zu setzen (s. o. § 24). Und doch hat derselbe Des Gartes,
ohne es sich zu gestehen, in seinen mathematisch-physikalisohen Unter-
suchungen von eben jenem missachteten Syllogismus den ausgedehntesten
und für die Förderung der Wissenschaft fruchtreichsten Gebrauch ge-
macht. Dass der Locke 'sehe Empirismus den Werth des Syllogismus
hinter den der äusseren und inneren Erfahrung, der Induction und des
gemeinen Menschenverstandes zurückstellt, ist selbstverständlich (Locke,
Ess. IV, 17). Leibniz dag^en erkennt in den logischen Begeln,
deren Werth er namentlich in der Anwendung auf die Mathematik
schätzen gelernt hat, die Kriterien der Wahrheit (s. o. § 27). Ins-
besondere sagt Leibniz von der Syllogistik (Nouv. Ess. IV, 17, § 4):
»l'invention du syllogisme est une des plus helles et des plus consid^-
rables de l'esprit humain: c'est une espeoe de mathematique universelle
dont l'importance n'est pas assez connne, et l'on peut dire qu'un art
d'in£aillibilit6 y est oontenu, pourvu qu'on sache et qu'on ^puisse bien
s'en servir; — rien ne serait plus important que Part d'argumenter en
forme, selon la vraie logiquet. Dieses wohlberechtigte Urtheil veran-
lasste jedoch, indem es einseitig festgehalten wurde, in der Leibnizi-
schen Schule den geschmacklosen Wolf fischen Formalismus, durch
welchen abgeschreckt Kant wiederum den Syllogpismus in engere
Schranken einhegen zu müssen glaubte. Er schnitt zunächst die zweite,
dritte und vierte Figur als unnütze Anhängsel weg (s. darüber unten zu
§ 103), und.liess dann auch den so vermeintlich von falschen Spitzfin-
digkeiten gereinigten Syllogismus nicht mehr als ein Mittel gelten, die
Erkenntniss zu erweitem, sondern nur als ein Mittel, das, was wir schon
erkannt haben, durch Analyse klarer zu machen. An dieser letzteren
Ansicht haben auch Fries, Herbart und Beneke festgehalten. Hegel
restituirte den Schluss nicht nur in seine alten Rechte, sondern erklärte
denselben sogar für die nothwöndige Form aUes Vernünftigen (Log. H,
S. 119; Enoyd. § 181), gab aber demselben, indem er ihn mit dem
Kreislaufe der dialektischen Vermittelung der Momente des Wirklichen
identificirte, eine so wesentlich veränderte Bedeutung, dass diese Resti-
tution dem Aristotelischen Syllogismus kaum zu Gute kommen konnte.
Doch hat Hegel mit Recht hervorgehoben, dass zu unterscheiden sei
zwischen dem »Schloss der Allheit c als einem »Schluss der Reflexion c,
dessen Obersatz die besondere Bestimmtheit, den terminus medius, nur
21
822 § 101. Der Syllogismus als firkenntnissform
als empirische Allheit oder Gesammtheit aller einselnen ooncreten Sab-
jecte zum Subjecte habe und daher den Schlusssatz, der jenen zur
Voraussetzung haben sollte, vielmehr selbst voraussetze, und dem »kate*
gorischen Schlüsse als einem »Sohluss der Nothwendigkeitc, dessen
9Termini nach dem substantiellen Inhalt in identischer, als an und für
sich seiender Beziehung auf einander stehen«, und der daher nicht, wie
der Reflexionsschluss der Allheit, für seine Prämissen seinen Schlusssatz
voraussetze (Log. II, S. 151; 162; Encyol. § 190; 191). Dass übrigens
die Hegel'sche Syllogistik von mannigfachen Ungenauigkeiten und Ver-
kehrtheiten nicht frei ist, hat besonders Trendelenburg in seinen
»Logischen Untersuchungen« (II, S. 251—283, 2. A. 11, S. 326—359,
8. A. S. 860 — 393) scharfsinnig nachgewiesen, worauf hier zu verweisen
genügen mag. — Scbleiermacher behauptet (Dial. § 827, S. 285;
vgl. S, 287 ff.): »das syllogistische Verfahren ist für die reale Urtheils-
bildung von keinem Werth, weil die substituirten Begriffe nur höhere
oder niedere sein können; — im Schlusssatze ist nichts ausgedrückt,
als das Verhältniss zweier Satze zu einander, die ein Glied mit einander
gemein haben, also gar nicht ausser einander sind, sondern in einander ;
ein Fortschritt im Denken, eine neue Erkenntniss kann also durch den
Schluss nicht entstehen, sondern er ist bloss Besinnung darüber, wie
man zu einem ürtheil, das Schlusssatz ist, gekommen ist oder gekommen
sein könnte; — eine neue Einsicht ist damit niemals gewonnene Aller-
dings aber liegt eine neue Einsicht in der Verbindung der beiden Be-
griffe zu Einem Urtheil, die vorher nur von einander gesondert und
mit einem dritten verknüpft in zwei verschiedenen ürtheilen gedacht
wurden. Es entging Schleiermacher nicht, dass eine gewichtige Instanz
gegen seine Ansicht besonders aus dem mathematischen Verfahren ent-
nommen werden könne, durch welches doch offenbar Erkenntniss ent-
stehe. Aber was er zur Entgegnung bemerkt, ist ungenügend. Er sagrt
(a. a. 0.), die mathematische Erkenntniss werde nicht durch die syllo-
gistische Form gewonnen, sondern es komme alles an auf die Erfindung
der Hülfslinien; wer diese habe, habe den Beweis schon und analysire
nachher nur die Construction durch den Syllogismus. »Die rechten
Mathematiker geben auch nichts auf den Syllogismus, sondern sie führen
alles auf die Anschauung zurück«. Diese Aeusserungen über das Wesen
der mathematischen Erkenntniss sind aber gewiss unhaltbar. Nicht in
den Hülfslinien liegt die Beweiskraft, sondern in den durch sie ermög*
lichten Anwendungen der früher bewiesenen Sätze und in letzter Instanz
der Axiome und Definitionen auf den zu beweisenden Satz, und diese
Anwendung ist ihrem Wesen nach ein syllogistisches Ver-
fahren; die Hülfslinien aber sind die Wegweiser, nicht die Wege der
Erkenntniss, die Gerüste, nicht die Bausteine. Der Beweis beruht (wie
Leibniz mit Recht bemerkt) auf der Kraft der logischen Form (s.
oben § 27). Dass die Erweiterung der mathematischen Erkenntniss und
ihre Gewissheit sich auf den SyUogismus gründe, ist kein leerer S<dieiii.
Den Schleiermacher'sohen Bemerkungen liegt allerdings dieses Richtige
zum Ghrunde, dass, um die passenden Syllogismen aufzufinden, die Kennt-
und seine Beziehung auf die reale C^etEmässigkeit. 82S
nifls der Byllogistischen Regeln nicht ausreicht, sondern ein eigenthüm-
licher mathematischer Sinn, ein divinatorisches Talent erforderlich ist,
und dass dieses Talent, indem es wie mit einem Blick ganze Reihen
▼ersohlungener Beziehungen durchschaut, gerade am wenigsten die breite
Form vollständig entwickelter Syllogismen zu lieben pflegt. Es giebt
in der Mathematik^ gleich wie im äusseren Leben, einen Blick oder
Taot, eine ayx^voia, welche Aristoteles (Anal. post. I, 84. 89 b. 10)
mit Recht definirt als evoro/Za ng iv aaxinr^ X9^^ ^^^ fjiiaov^ und
auf dieser Gabe beruht die Kunst dpr Erfindung. Das Wesen dieser
ayj^tvoia liegt in dem psychologischen Verbältniss, dass in rascher Oom-
bination die Mittelglieder der Gedankenreihe, welche zu dem beabsich-
tigten Resultate hinführt^ mit voller objectiver Wahrheit, aber nur
geringer subjectiver Bewusstseinsstärke gedacht werden, wogegen das
Endglied der Reihe oder das Resultat wiederum volle Bewusstseins-
stärke oder Klarheit hat Die Erhebung der einzelnen Mittelglieder
zur ganzen Klarheit des Bewnsstseins hat zwar geringeren Werth für
die Erfindung, um so grösseren aber für die sichere wissenschaftliche
Einsicht und für den Unterricht (s. Beneke's vortrefQiche Analyse des
T.actes in seinem Lehrbuch der Psychologie, § 168; psychoL Skizzen
U, S. 276 fif.; System der Logik I, S. 267 ff., und Germar*s Schrift:
die alte Streitfrage: Glauben oder Wissen?; vgl. oben S. 109). Wenn
nun hiemach die Eigenthümlichkeit des Blickes überhaupt nicht eine
log^ohe, sondern nur eine psychologische ist, so leuchtet ein, dass auch
aus der mathematischen äyxCvoia nicht ein Gegengrund gegen das
Beruhen der mathematischen Gewissheit auf der syllogistischen Ver-
knüpfung entnommen werden darf: der mathematische Blick überschaut
wie im Fluge die nämlichen Syllogismen, ohne sich ihrer im Einzelnen
als Syllogismen bewusst zu werden, welche die mathematische Analyse
gleichsam schrittweise durchwandert und zum deutlichen Bewusstsein
bringt; das logische Wesen der mathematischen Erkenntniss aber und
das Fundament ihrer Gewissheit bleibt in beiden Fällen das gleiche. —
Trendelenburg, der die Aristotelische Lehre vom Parallelismus des
hervorbringenden Grundes im Realen und des Mittelbegrififs im logi-
schen Schlüsse entschieden und erfolgreich vertritt (Log. Unters. II,
S. 280— ?83, 2. A. S. 864-^368, 8. A. II, S. 888—893), äussert sich
doch auch wiederum, indem er sich der Sohleiermacher'schen Ansicht
annähert, in folgender Weise. Der Syllogismus schliesst aus der That-
sache des Allgemeinen das Einzelne; das synthetische Verfahren da-
gegen constmirt aus dem allgemeinen Grunde die Erscheinungen als
Folge. Die Thatsache, von der der Syllogismus ausgeht, mag das Re-
sultat einer inneren Begründung sein; aber für die Subsumtion kommt
lediglich die allgemeine Thatsache in Betracht. Der nothwendige
CFrund kleidet sich in den Ausdruck einer allgemeinen Thatsache und
wird in dieser Gestalt der Mittelbegriff des Syllogismus. Die Macht
des Syllogismus ist nur formal, nicht real, wie die Synthesis. Die
Geometrie giebt jedem Fortschritt den Schein einer syllogistischen
Subsumtion, aber die synthetischen Elemente, welche in der
324 § 101. Der Syllogismus als Erkenatnifisform
Construction und Gombination liegen, wirken durch alle Syllo*
gismen hindurch und greifen schöpferisch ein. Das syllogistische
Verfahren geht dem synthetischen als seine äussere Darstellung
schützend zur Seite. Der Gedanke ist im synthetischen Verfahren sich
selbst seiner Strenge bewusst und darin für sich zunächst sicher.
Will er aber das Ergriffene sich oder Anderen darstellen, so dienen
die bindenden unterordnenden Syllogismen, den unsichtbaren Gang des
Gedankens sichtbar darzustellen. Der individuelle Blick der Syn-
thesis verhält sich zur syllogistischen Abwickelung, wie das
Augenmaass zur Messkette (Log. Unters. II, S. 210 ff.; 2. A. S. 281 ff.,
3. A. S. 814 ff., wo mir das Missverständniss schuldgegeben wird, von
dem ich doch frei zu sein glaube, als ob das »Allgemeine der That-
Sachet bedeuten wolle, dass es, wie sonst die Thatsachen, immer aus
der Erfahrung gezogen sei; ich habe doch nur gesagt und nur
daraus argumentirt, dass nach Trendelenburg lediglich die Thatsache
und nicht der Grand in Betracht gezogen werden solle; s. anderer-
seits n, S. 280 ff., 2. A. II, S. 864 ff., 8. A. II, S. 388 ff.). Wir müssen
gegen diese Ansicht die gleichen Gegengründe geltend machen, wie
oben gegen die Schleiermacher'sche. Es ist wahr, dass in der Mathe-
matik nur sehr wenige Sätze, wohl nur einige Gorollarien, durch eine
einfache syllogistische Subsumtion unter andere erwiesen werden kön-
nen, und dass meist in den Hülfsoonstructionen noch eigenthümliche
»synthetische Elemente € hinzutreten; auch, dass die Auffindung und
Gombination der zum Ziele führenden Syllogismen einen mathemati-
schen »Blicke voraussetzt, der von der Fähigkeit, g^ebene Syllogris-
men zu verstehen und zu würdigen, wesentlich verschieden ist. Allein
wir können nicht zugeben, dass die » synthetische c Gombination eine
andere sei, als eben die Gombination der ürtheile zu Syllogismen und
der Syllogismen zu Schlussreihen; auch nicht, dass die Beweiskraft
und Sidberheit für den Gedanken auch in irgend welchen anderen »syn-
thetischen Elementen c liegen könne, als in dem Gomplex der durch
die Gonstruction ermöglichten Syllogismen; denn nur durch Deduo-
tion aus dem schon erkannten Allgemeinen kann die neue Erkenntniss
gewonnen werden, und diese Deduction ist ihrer Natur nach, da sie auf
keine Weise ohne Subsumtion unter das Allgemeine geschehen kann,
nothwendig syllog^tisch, wie sehr auch der syllogistische Gharakter
unter enthymematischen Formen sich verbergen mag; die synthetische
Verknüpfung kann nicht »individuelle oder »unmittelbar« sein in
dem Sinne, als unterwerfe sie nicht das Einzelne oder Besondere des
vorliegenden Falles dem allgemeinen Gesetze der Axiome und der früher
bewiesenen Lehrsätze, und gewähre dennoch, wie vermöge einer ver-
borgenen Kraft, dem Gedanken an sich Strenge und Gewissheit; son-
dern in Wahrheit liegt der Unterschied der Erkenntnissweisen nur in
dem Maasse der Bewusstseinsstärke der vermittelnden Glieder, in dem
Verweilen des Bewusstseins bei den einzelnen oder Hinwegeilen über
dieselben, in der vollständig durchgeführten oder enthymematischen
Form der Syllogismen. Vor allem aber ist nicht zuzugeben, dass der
und seine Beziehung auf die reale Oesetzmässigkeit. 826
Syllogismus und der Gomplex der Syllogismen nioht neue Erkennt-
niss erzeuge, sondern nur der schon vorhandenen und an sich ohne
Syllogismen anderweitig gesicherten und streng gedachten zur Süsseren
Darstellung für die eigene subjective Gewissheit und fremde Aner-
kennung diene, und dass fiir den Syllogismus als solchen lediglich die
allgerareine Thatsache in Betracht komme. Denn ruht der
Syllogismus nur auf der Allgemeinheit der Thatsache^ so ist' auf keine
Weise der £inwand der Skeptiker abzuweisen, dass der Obersatz nioht
vor dem Schlusssatze feststehen und diesen nicht begründen könne, und
die Aristotelische Lehre vom Mittelbegriff ist wenigstens für die Syl-
logistik als solche verloren. Ist dagegen für das syllogistischc
Verfahren als solches die Reflexion wesentlich, dass das
»Allgemeine der Thatsache« auf dem »Allgemeinen des Grundes« ruhen
müsse — und sie ist dies in der That — , so ist jene Aristotelische
Lehre gerettet; aber dann ist es auch falsch, dass für den Syllogismus
nur die allgemeine Thatsache in Betracht komme, und dass es eines
anderen »synthetischen« Verfahrens, als desjenigen, welches sich in den
Syllogismen und durch die Syllogismen vollzieht, zur schöpferischen
Begründung derErkenntniss bedürfe, der Syllogismus aber nur »formalen«
und didaktischen Werth habe; dann muss vielmehr anerkannt werden,
däss das syllogistische Verfahren seinem innersten Wesen nach selbst
das »synthetische« ist, und dass alle anderen, in die Verkettung der
Syllogismen noch mit eingreifenden »synthetischen Elemente« doch nur
die Bestimmung haben, der Auffindung und Anwendung der zweok-
g^mäseen Syllogfismen zu dienen. Die »reale« erkenntnissschaffende Macht
des Syllogismus lasst sich nicht nur auf dem mathematischen, sondern
auch auf allen übrigen Gebieten des Wissens nachweisen. Jedes Be-
greifen eines individuellen Factums der Geschichte aus dem allgemeinen
Gesetze geschieht nothwendig in syllogistischer Gedankenform, obschon
selten in syllogistischer Ausdrucksweise. Wenn z. B. Schiller in seiner
Geschichte des dreissigjährigen Eri^es die Dauer und Heftigkeit dieses
Religionskampfes erklären will, so zeigt er die allgemeine Gesetzmässig-
keit auf, wonach Religionskriege überhaupt mit der grossten Hartnäckig-
keit und Erbitterung geführt zu werden pflegen, da hier jeder Einzelne
mit personlicher Selbstbestimmung, und nicht, wie bei den National-
kriegen, in Folge der blossen Naturbestimmtheit der (Geburt, der einen
oder anderen Partei zugethan sei, und subsumirt in syllogistisoher
G^edankdnform jedes einzelne Factum unter dieses allgemeine Gesets.
Die Ansicht, dass »die Macht des Syllogismus nur formal sei, nicht real,
wie die Syntbesis«, kann nur insofern gelten, als sie auf die unvoll-
kommenen oder nicht wahrhaft wissenschaftlichen Syllogismen (sowohl
der ersten, als der übrigen Figuren) beschränkt wird; auf die voll-
kommenen oder die eigentlich wissenschaftlichen Syllogpwmen aber, in
welchen der Erkenntnissgrund mit demRealgmnde coincidirt, darf sie
eben so gewiss nicht bezogen werden, als die Aristoteh'sohe Lehre vom
Mittelbegriff Wahrheit hat. Die an sich wohlbereohtigte Unterscheidung
zwischen dem »Allgemeinen des Grundes« und dem »Allgemeinen der
326 § 102. Der einfache kaieg. Syllogism. u. die drei Termini desselben.
Thatsaohe« kann nicht einen unterschied zwischen »Synthesisi und
»Syllogismosc, sondern nur zwischen zwei Gestaltungen des Syllo-
gisma*s, und in Bezug auf die vollkommenen Syllogismen zwischen
der »realen und »formalen« Seite derselben begründen. Es liegen drei
wesentlich verschiedene Gegensätze vor: 1. Grund und That-
sache, 2. Tact und Analyse, 3. Hülfsconstructionen und Schlüsse. £s ist
nicht nothwendig, dass der Grund nur in der Form des Tactes oder
Blickes erfasst werde und sich an Hülfsconstructionen knüpfe, ebenso-
wenig, dass die entgegengesetzten Glieder: Thatsache, Analyse und
Schlüsse, stets zusammenfallen, und es erscheint demgemäss nicht ge-
rechtfertigt, die drei je ersten Glieder unter dem gemeinsamen Namen
der »synthetischen Elemente« zusammenzufassen, noch auch, Grund und
Tact oder Blick dem syllogistischen Verfahren, als ob sie diesem fremd
wären, entgegenzusetzen ; vielmehr ist das synthetische Verfahren noth-
wendig von syllogistischem und der vollkommene oder wahrhaft wissen-
schaftliche Syllogismus von »synthetischem« Charakter.
§ 102. Der einfache kategorische Syllogismus
besteht aus drei kategorischen Urtheilen, wovon zwei die
Prämissen bilden and das dritte den Schlnsssatz. Dieselben
enthalten drei Hanptbegriffe, von denen derjenige,
welcher Snbject im Schlnsssatze ist, Unterbegriff (terminus
minor, OQog kaxctrog^ to Slctvzov sc. ai^ov\ deijenige, welcher
Prädicat im Schlnsssatze ist, Oberbegriff (terminus maior,
OQog TiQwtog, TO fjiBV^ov\ beide zusammen auch wohl äussere
Begriffe (termini extremi, ra axQa), und der den Schluss
vermittelnde gemeinsame Bestandtheil Mittelbegriff (ter-
minus medius, ogog fiaoogy %d fiaaov) genannt wird. Diejenige
Prämisse, welche den Oberbegriff (terminus maior) enthält,
ist der Obersatz und diejenige, welche den Unterbegriff
(terminus minor) enthält, der Untersatz (vergl. § 100).
Die vorstehende Terminologie ist durch Aristoteles begründet
i worden. Dieser definirt AnaL pri. I, 1. 24 b. 16: oqov dk xaltü ttg o¥
SiaXvijcu ^ ngoiaaiij olov t6 ts xttrriyoQovfiSVov xal ro xa«^' ov Mtrtiyo-
QäJtu, Ib. I, 4. 25 b. 85: xalta dk fiiaov fikv o xaX ainb iv aXJi^ xtd
alXo iytovTi^ iarlVf o kuI Tp &iott ylv^jai fiiaov axQa dk to «dro t€ iv
aXlip ov xal iv (p allo la%(v — liyto 6k (a^I^ov ^kv axQov iv tp to fAi"
aov iatlv^ ^XuTToy dk to vno ro fiiaov ov. Ebendaselbst und öfter ge-
braucht Aristoteles auch die Namen: o iaxnros o^oc (terminus minor)
und o TfQÖiTos (terminus maior). Aristoteles hat diese Terminologie
zunächst im Hinblick auf diejenige Form des Syllogismus gebildet, in
welcher das Sphärenverhältniss der drei Begriffe mit der Wortbedeu-
tung der Namen: fi€t(ov oder tiq^tov (der weitere oder höhere), fi^aoy
(der mittlere) and Haztov oder iox^nov (der engere oder niedere Be-
§ 108. Die Figuren der einfachen kategorischen Syllogismen. 327
griff) übereinkommt; er überträgt sie dann aber auch (ib. I, 6 u. 6)
auf die übrigen Formen, wo das Sphärenverhaltniss ein anderes wird,
indem er ihren Siun in entsprechender Weise modiücirt. Sollen aber
Definitionen gegeben werden, die gleichmässig auf alle Fälle zutreffen
(was allerdings eine unabweisbare wissenschaftliche Anforderung ist),
so darf darin das Sphärenverhaltniss nicht in Betracht gezogen werden.
Der Mittelbegriff ist bloss in einigen Fällen in der ersten Figur der
Syllogismen dem Umfang nach der mittlere, kann aber im Allge-
meinen nur als der (den Schluss) vermittelnde defiuirt werden. Die
beiden anderen Termini lassen sich auf eine allgemeingültige Weise
gar nicht von einander unterscheiden, wenn nicht ihr Verhaltniss als
Sub je et und P räd icat im Schluss s atze mitberücksichtigt wird; denn
ihr Sphärenverhaltniss ist (wiewohl speciell in der Grundform der
ersten Schlussügur ein festes) im Allgemeinen ein völlig unbestimmtes.
Es könnte nun zwar scheinen, als wäre die Rücksicht auf den Schluss-
satz ein fehlerhaftes vaie^ov tiqotsqov, und als müsste daher jeder Ver-
such einer allgemeinen Unterscheidung des terininus maior und minor
nothwendig scheitern (wie namentlich Trendelenburg, Log. Unters. II,
S. 233 ff., 2. A. II, S. 309 ff., 3. A. S. 342 f. darin jenen Fehler
findet und auch Drobisch, Log., 3. A. S. 92 behauptet, es werde da-
durch der Untersuchimg, ob A oder B Subject des Sohlusssatzes werde,
willkürlich vorgegriffen). Dann aber würde die Syllogistik viel von
ihrer wissenschaftlichen Bestimmtheit verlieren; eine durchgefährte
Unterscheidung der Modi wäre unmöglich. Jedoch in der That liegt
in jener Rücksicht auf den Schlusssatz gar nichts Fehlerhaftes. Es ist
nur die allgemeine Form des Schlusssatzes (S P, d. h. entweder A B
oder B A, wenn A und B die äusseren Termini sind), die im Voraus
mit in Betracht gezogen wird, ganz abgesehen theils von der bestimm-
teren Gestaltung (S a P oder 8 e P etc.), die der Schlusssatz annehmen
mag, theils auch sogar von der Frage, ob sich überhaupt irgend ein
Schlusssatz von jener Form ergeben werde, was alles erst durch die
fernere Untersuchung gefunden werden solL Die allgemeine Form
(einestheils A B, anderentheils B A) kann aber jedenfalls ohne Tadel
im Voraus festgestellt und darauf die Benennung der verschiedenen
Begriffe in den Prämissen gegründet werden.
§ 103. Die einfacheii kategorischen Syllogismen lassen
sich in drei Hauptclassen eintheilen, welche Sehluss-
fi garen (figurae, oxrifictva) genannt werden, and deren erste
wiedernm in zwei Ab the Hangen zerfällt, die gleichfalls
als verschiedene Schlassfi garen bezeichnet za werden
pflegen. Die Eintheilang in die drei Haaptclassen
beruht aaf dem Sabjects- oder Prädicats-Yerhältniss des Hittel-
begriffs in den Prämissen za den beiden anderen Begriffen ttber-
haapt, ohne Btlcksicht aaf den Unterschied des terminas maior
328 § 103. Die Figaren der einfachen kategorischen SyllogiBmen.
nnd minor, mithin ohne Rücksicht anf die Form des Schiass-
satzes, auf welche die allgemeine Unterscheidung dieser beiden
Termini von einander sich gründet. Entweder nämlich ist der
Mittelbegriff in der einen Prämisse Subject, in der anderen
Prädicat, oder in beiden Prämissen Prädicat, oder in beiden
Sabject; der erste Fall begründet die erste Hanptclasse
oder die erste Figar im umfassenderen Sinne, der
zweite Fall die zweite und der dritte die dritte Hanpt-
classe oder Figur der einfachen kategorischen Syllogis-
men. Die Untereintheilung aber beruht auf der Mit-
berücksichtigung des Unterschiedes zwischen dem terminns
maior (demjenigen Begriffe, welcher im Schlusssatze Prädicat
wird) und dem terminus minor (demjenigen Begriffe, welcher
im Schlusssatze Subject wird). Dieser Unterschied begründet
in der ersten Hanptclasse zwei Abtheilungen: in der
ersten ist der Mittelbegriff das Subject zum terminus maior
und das Prädicat zum minor; in der zweiten aber ist der-
selbe das Prädicat zum maior und das Subject zum minor.
Die erste Abtheilung der ersten Hanptclasse ist die erste
Figur im engeren Sinne; die zweite Abtheilung der ersten
Hanptclasse aber ist die sogenannte vierte oder Galeni-
sche Figur. In der zweiten und dritten Hanptclasse be-
gründet der Unterschied des terminus maior und minor keine
analogen Abtheilungen, weil in beiden das Yerhältniss des
terminus maior zum Mittelbegriff das nämliche, wie das des
minor ist, indem beide Termini in der zweiten Figur die Stelle
des Subjects in beiden Prämissen, in der dritten Figur aber
die des Prädicates einnehmen, und eine Vertauschung beider
daher das Yerhältniss im Allgemeinen nicht ändert Die zweite
und dritte Hanptclasse fällt demnach jede mit Einer Abthei-
Inng zusammen, und es braucht in Bezug auf dieselben nicht
zwischen einer weiteren und engeren Bedeutung des Namens
Figur unterschieden zu werden.
Dem Obigen zufolge können mit gleichem Rechte drei oder
vier Schlussfiguren unterschieden werden, je nachdem der Name
Figur im umfassenderen oder beschränkteren Sinne gebraucht wird;
jenes, weil es drei Hauptclassen giebt; dieses, weil die erste Haupt-
dasse zwei Abtheilungen hat, jede der beiden anderen aber mit je
§ 108. Die Figuren der einfachen kategorischen Syllogismen. 829
einer Abtheilnng ooincidirt, so dass im Ganzen vier Abtheilungen
bestehen. Fehlerhaft ist nur die unkritische Vermischung beider Ein-
theilungen. Der ersten Eintheilungs weise (in drei Figuren mit
zwei Abtheilungen der ersten) kommt allerdings eine grössere formale
Strenge zu, so wie etwa auch die Eintheilung der Körper nach den
Aggregatzuständen in I. flüssige, a. luftformig flüssige, b. tropfbar flüs-
sige, n. feste Körper, für vorzüglicher in formaler Beziehung gelten
mag, als die in 1. luftförmige, 2. tropfbar flüssige, 8. feste Körper;
doch ist darauf nicht mit pedantischem Bigorismus allzuviel Gewicht
zu legen. Vgl. oben zu g 64. Auf der anderen Seite aber hat auch
die zweite Eintheilungsweise (in vier Figuren) ihre Vorzüge in
didaktischer und in wissenschaftlicher Beziehung: sie ist einfacher, und
sie trennt mehr die künstlichen und complicirten Schlussweisen, welche
in der vierten Figur (oder der zweiten Abtheilung der ersten Figur
im weiteren Sinne) vorkommen, von den einfachen und natürlichen der
ersten Fig^ im engeren Sinne. Schematische Darstellungen mögen
beide Eintheilungsweisen veranschaulichen. Nennen wir den Mittel-
begriff (terminus Medius) M, die beiden anderen Begriffe aber, ohne
vorläufig deren Unterschied als terminus maior und minor zu berück-
sichtigen, A und B, so ist nach der ersten Eintheilungsweise das
Schema der drei Hauptclassen folgendes:
I.
n.
m.
M A
A M
M A
B M
B M
M B
Die Form des Schlusssatzes (B A oder A B) bleibt hierbei ausser Be^
traoht. Unterscheiden wir aber den terminus maior und minor, und
nennen diesen, weil er Subjeot im Schlusssatze (Subiectum oonolusionis)
wird, S, den maior aber, da er im Sjchlusssatze Prädicat (Praedicatum
oonclusionis) wird, P, so zerfällt die erste Hauptclasse oder die
erste Figur in dem weiteren Sinne, worin dieses Wort bei der
ersten Eintheilungsweise genommen wird, in ihre beiden Ab-
theilungen, während die zweite und dritte ungetheilt bleiben,
nach folgendem Schema:
1,1.
1,2.
n.
III.
M P
P M
P M
M P
S M
M S
S M
M S
SP SP SP SP
Nach der zweiten Eintheilungsweise findet wieder dieselbe Be-
zeichnung S, P und M Anwendung; da aber nun der Ausdruck Fi-
gur im engeren Sinne verstanden wird, so ergeben sich vier Fi-
guren, wovon die erste mit der ersten Abtheilung der ersten Figur
im weiteren Sinne, die zweite mit der zweiten Figur, die dritte mit
der dritten, die vierte endlich mit der zweiten Abtheilung der ersten
Figur im weiteren Sinne fibereinkommt, nach folgendem Schema:
880 § 103. Die Figuren der einfachen kategorischen Syllogismen.
I'. .
H'.
IH'.
IV'.
M P
P M
M P
P M
S M
S M
M S
M S
SP SP SP SP
Dass der Schiasssatz in allen Fällen die Form S P haben muss, ist
selbstverständlich, da ja eben dies die Bedeutung von S ist, dass es
den Terminus bezeichne, der Subject im Schlusssatze wird, und die
Bedeutung von P, dass es das Prädicat des Schlusssatzes bezeichne. Es
würde dies nicht einmal bemerkt zu werden brauchen, wenn nicht sogar
in logischen Werken die Frage aufgeworfen worden wäre, die von völ-
ligem Missverständniss zeugt, warum man denn so einseitig immer nur
S P schliessen wolle und nicht auch den Schluss P S zulasse. (So sagt
namentlich Bachmann, der übrigens die Syllogistik gut dargestellt
hat, Log. S. 226: »eine andere Grille der Aristo teliker war es, für alle
Figuren die Conclusion S P zu ziehen; das ist aber gar nicht noth-
wendigc.) Gewiss ist, wenn die Termini ausser M zunächst ohne wei-
teren Unterschied A und B genannt werden, im Allgemeinen ebenso-
wohl der Schluss auf B A, wie auf A B zuzulassen; aber hat der
Schlusssatz jene Form, so ist eben darum auch B das S (Subiectam
conclusionis) und A das P (Praedicatum conclusionis), und hat er die
andere Form, so ist A das S und B das P. Da das Verhältniss des
terminus maior und minor im Schlusssatze ein bestimmtes, in den Prä-
missen aber ein unbestimmtes ist, so muss ihre Stellung im Schluss-
satze uns als Grundlage ihrer Unterscheidung überhaupt dienen, und
eben darum darf die Bezeichnung im Schlusssatze nicht schwanken. —
Uebrigens ist die Reihenfolge der Prämissen in allen Fällen ohne
Einfluss auf die Bestimmung der Figur. Es ist üblich, den Obersaiz
(der den terminus maior enthält), voranzustellen, und es ist auch in
der That sehr zwedEmässig, bei der logischen Erörterang der syllo-
gistischen Verhältnisse irgend eine bestimmte Reihenfolge der Priunissen
festzuhalten, um die Uebersicht zu erleichtern und nicht Verwirrung
EU veranlassen. Aber dieser Gebrauch darf nicht so gedeutet werden,
als werde damit das Sdiluss verfahren überhaupt an diese eine
Reihenfolge gebunden, sondern die andere ist ganz ebenso-
wohl zulässig, bei welcher die beiden letzten der obigen Schemata
folgende Gestalt annehmen:
I, 1 oder I'. I, 2 oder IV'. II oder 11'. HI oder UV.
SM MS SM MS
MP PM PM MP
S P S~P S~P S P
Diese letztere Reihenfolge der Prämissen ist wenigstens in der ersten
Figur (die Voranstellung des Subjects vor dem Prädioate in den ein-
zelnen Sätzen vorausgesetzt) sogar leichter und bequemer, als die ent-
gegengesetzte, und wird im wirklichen Schliessen mindestens eben so
häufig vorkommen. Hierin aber liegt, da die Reihenfolge an sich
gleichgültig ist, keine Nöthiguug, in der logischen Erörterung von der
882 § 108. Die Figuren der einfachen kategorischen Syllogrismen.
»
Prämissen folge, die Syllogismen der beiden anderen Figuren dagegen
unvollkommen {avlloyiofioi ariXtU). Doch leitet ihn bei dieser
Benennung wohl auch der Gedanke, dass nur in der ersten Figur ein
allgemein bejahender Schlusssatz sich ergeben und der Erkenntnissgrund
mit dem Realgrunde coincidiren könne. Das Yerhältniss dieser Aristo-
telischen Eintheilung zu der im späteren Mittelalter vorherrschenden
in vier Figfuren bedarf auch nach den sehr anerkennungswerthen neueren
Forschungen immer noch der genaueren Untersuchung. Die gewöhnliche
Annahme ist, dass die drei Aristotelischen Figuren mit den drei ersten
der späteren Eintheilung (den obigen I' IP IIF) übereinkommen, und
dass die vierte (IV) durch Cl. Galenus (s. u. S. 340 f.) hinzuge-
fügt worden sei. Dagegen hat namentlich Trendelenburg (Log.
Unters. 1840, II, S. 282 ff., 2. A. S. 808 ff., 8. A. S. 341 ff., vgl. Ele-
menta log. Arist. § 28, und Erläuterungen zu den Elem. der Arist.
Logik zu demselben §) nachzuweisen gesucht, dass die Aristotelische
Eintheilung eben so vollständig sei, wie die spätere, aber auf einem
verschiedenen — und zwar besseren — Princip beruhe. »Aristoteles
entwarf drei Figuren, je nachdem der terminus medius in der Reihe
der untergeordneten Begriffe die mittlere Stellung einnimmt
(erste Figur), oder die oberste (zweite Figur), oder den niedrigsten
Begriff bildet (dritte Figur). Nach der Ansicht der Unterord-
nung der drei zu einem Syllogismus nöthigen Begriffe ergeben
sich drei Figuren. Wenn man später vier Figuren zählte, so
folgte man einem anderen Eintheilungsgrunde, und zwar der Möglich-
keit der verschiedenen Stellungen, die der Mittelbegriff in den beiden
Prämissen haben kann. Aristoteles sah auf das innere Yerhältniss
der im Schlüsse vorkommenden drei Termini; später betrachtete man
äusserlioh, ob der Mittelbegriff die Stelle des Subjectes oder Prädi-
cates in den beiden Prämissen behaupte. Aristoteles lässt die Folge
der Prämissen frei; in der neueren Ansicht wird diese ge-
bunden, indem man den Begaff, der im Schlusssatze Subjeot wird,
immer in den Untersatz verweist. Diese Anordnung ist indessen eine
willkürliche Einrichtung und eine Verkehrung der natürlichen Verhält-
nisse, da die aus den Prämissen folgende Gonclusion in keinerlei Be-
stimmung auf ihre Gründe (die Prämissen) zurückwirken kann. Qui
terminorum naturam speotant, eos tria figuramm genera, qui
externam enunoiationum formam, eos quatuor oonstituere
necesse est. Quare Galenus non addidit, ut vulgo putant, qnartam
tribus prioribus, sed tres Aristotelis in quatuor novas oonvertit;
nituntor enim plane alio dividendi fundamentoc. Um in dieser
Streitfrage zur Entscheidung zu gelangen, müssen' wir zunächst in Be-
zug auf Aristoteles zwischen dem Prinoip seiner Eintheilung und
der Durchführung des Princips unterscheiden.
Was das Prinoip betrifft, so steht wenigstens das Eine un-
zweifelhaft fest, dass zwischen den drei zu dem Syllogismus erforder-
lichen Begriffen das Yerhältniss einer successiven Unterordnung nur
in der ersten Figur, und auch in dieser nicht einmal überall besteht,
§ 109. Die Figuren der einiaohen kategorisohen SyllDgiamen. 883
nSmlioh insoweit nicht, als negative und puticnlare tJrth^le vor-
kommen, in der zweiten Figur aber, wie »nchTrendelenbarg (Log.
Unten. II, S. 333, 2. A. S. 314, 3. A. S. 347) selbst bemerkt, nnd so
auch ifTOSsentheilB ia der dritten >melir eine Annalune der Analogie.,
als streng wahr ist, da die Vemeinung den Verband der Unterordnung
zerreiista. Hierana folgt mit gleichor Gewiaaheit, daaa Ariatotolea, wenn
er die üiintheilnng der Syllogismen in die Figuren überhaupt anf das
innere TerbÖltuisa der Unterordnung der Termini, also anf ein
Terli<niM lu gründen versuchte, welches nur in der ersten dieser
Figuren (und auch hierin nicht einmal dorch^ngig) wirklich besteht,
einen entaohiedenen Fehler b^^ngen.bat, und dass es im Interesse der
Aristotelischen Syllc^tik li^eu muss, falls sie von dieser Unrichtig-
keit frei ist, auch frei davon erkannt zu werden. DuTerUltniss der
Termini, welches wirklich besteht, ist vielmehr nur du Urtheils-
verhältniss, dass der MittelbegrifT entweder in der einen PrSmisse
Subiect nnd ziurleiah in der anderen Prädiaat. oder in beiden
884 § 108. Die Figuren der einfachen kategorischen Syllogismen.
Ifyma TovTo. Das Gleiche gilt von der Definition der dritten Fig^
(oder vielmehr wiederum der dritten Combinationsweise der Prämissen),
welche lautet (c. 6. 28 a. 10) : inv Sk rtß ait^ ro jukv navtl ro Sh /iri^evl
vnaQxll, V &u(p(o nttvrl rj fitiösvl, ro /nkv a^fia ro rotovrov xuXeS tqCtov.
Aristoteles fügt bei: fAiaov «F* ^v avr^ Ifyca xa&^ ov «fitpto t« «tn^opov-
fi€vt(, axQa Sk rh xartjyoQovfjievttf so dass hier überall die ürtheils-
verhaltnisse in JBeträoht gezogen werden. Was aber zweitens die
Reduction der einzelnen Schlussweisen der zweiten und dritten Figur
auf die der ersten betrifft, so dient dieselbe dem Zwecke, die Gültig-
keit der gezogenen Schlüsse zu erweisen; aus dieser Art der Beweis-
führung aber folgt nicht, dass nach der Ansicht des Aristoteles die
zweite und dritte Figur auf demselben Prinoip der sucoessiven Unter-
ordnung der Termini beruhen müsse, welches in der ersten eine par^
tielle Wahrheit hat. Am meisten scheint der dritte Punkt für jene
Ansicht zu sprechen, dass Aristoteles das Verhältniss der Termini in
allen drei Figuren als ein Verhältniss der successiven Unterordnung an-
sehe. Anal. pri. I, 4. 26 b. 86 wird von dem Mittelbegriff der
ersten Figur gesagt: o xttl t^ &io€i yCvirm fiiaov, o. 6. 26 b. 89 von
dem zweiten: Ti&trai <fi to fxiaov l^oi fAkv tüv axgtov^ nQWTov Sk rj
&'4a€iy und c. 6. 28 a. 14 von dem der dritten: rl^nai dk ro ia4gov
l|ft> fAkv xihf axgtav, Iff/ixrov dk rj d-ioBi, Auch sagt Aristoteles c.
5. 26 b. 87, in der zweiten Figur sei das fiiiCov^ axQov (terminus maior)
ro ngog r^ /t£^<r^ xiifAivov, das flatrov aber (terminus minor) to no^-
^mT^Qti Tov fiiaovy und c. 6, in der dritten Figur finde das umgekehrte
Verhältniss statt. Alle diese Aeusserungen würden nun zwar zu der
Ansicht, dass eine snccessive Unterordnung der Termini in allen
drei Figuren stattfinde, ganz wohl passen, und wenn es durch andere
Gründe schon bewiesen wäre, dass Aristoteles diese Ansicht hege, ans
derselben zu erklären sein; aber eine andere Frage ist es, ob sie nur
aus dieser Ansicht erklärt werden können, und ob sie daher zu dem
Küokschluss auf dieselbe berechtigen. Denn diese Ansicht ist, wie nach-
gewiesen, ein Irrthum, und ein solcher darf bei Aristoteles in der Syllo-
gistik doch erst dann vorausgesetzt werden, wenn seine Worte keine
andere naturgemässe Erklärung zulassen, und nur in dem Maasse, als
die Worte uns nöthigen. Kun aber lassen jene Ausdrücke allerdings
eine günstigere Deutung zu (welche auch Waitz in seiner Anmerkung
zu c. 5. 26 b. 87 vertritt). Es lässt sich nämlich der Ausdruck
*^crtc von der Stellung oder Ordnung der Termini in den Prä-
missen, die auf ihrem Subjects- oder Prädicatsverhältniss
beruht, und von der hierdurch bedingten Stellung in dem kürzeren
Aristotelischen Schema verstehen* Die Grundform der ersten Figur
ist folgende:
ro A xtait novros tov B,
ro B »err« nayrog tov r,
TO A xtna navrog tov V.
Hier ist die O-iaig, positio, ooUooatio, des Mittelbegriffs B die mittlere
§ lOS. Die Figoren der einfachen kategoriBolien SyllogiBmen. S36
■wiscben A tmd r, und Aristotelea pfl^ demg^emäsB anch die Termini
der ersten Fignr knrz in folgender Ordnung znsamnienzattelleD :
ABF.
oder, wie wir (mitTrendelenbnrg, Er^nt. 8. B2) ichreiben können,
inilem wir den Hittelbegriff dnrch den groHsen Baohstaben aaBieiuhnen:
« B y.
In dieser Figur trifft nun zwar mit dem YerhältnisB der Termini in
den PrSinisgen and der darauf beruhenden untreren Stellung anch dos
OmfangBTBrhSltniee derselben zaeammen; aber diei hindert nicht,
dau doch die nacbete Bedeutung der Stellnng {&tnis) darin liege, da»
Orthei iBTerhällniBs eu bezeichnen, und daas diese Bedeutung in den
übrigen Fignren die einzige tei. Die Grundform der zweiten Fignr
ist nach der Aristotelischen Bezeichnung folgende:
836 § 108. Die Figuren der eiDfaohen kategorisohen Syllogismen.
Analogie hat leiten lassen, die nicht ganz zutrifft, wofür jedoch in dem
Umstände wenigstens eine Entschuldigung liegt, dass er in der ersten
Figur (mit vollem Rechte) die wissenschaftlich bedeutendste erkannte,
die übrigen aber (hierin freilich zu weit gehend) nur als unselbstän-
dige Nebenformen ansah. Dass er aber das v in Parallele mit dem
maior der ersten Figur, das { dagegen mit dem minor stellte, und die
Prämisse, die das v enthält, der anderen vorausgehen liess, dafür brauchen
wir den Grund doch nicht nothwendig in einer irrthümlichen Ansicht
über das innere Yerhältniss dieser Termini zu suchen; sondern Ari-
stoteles kann sich hierbei (mehr unbewusst) durch dieselbe Rücksicht
auf die Form des Schlusssatzes haben bestimmen lassen, welche
die späteren Logiker ausdrücklich für den Grund der Unterscheidung
des terminus maior und minor, sowie des Ober- und Untersatzes er-
klären, wenn gleich Aristoteles bei der Eintheilung der Schluss-
figuren diese Rücksicht nicht nimmt. (Hierfür spricht auch die Stelle
Anal. pri. I, 23, wo Aristoteles von dem Schlusssatze ausgeht und
nach dessen Form die der Prämissen bestimmt.) So erklären sich alle
jene Aeusserungen des Aristoteles auf eine ungezwungene Weise, ohne
dass wir zu der Voraussetzung eines Irrthums unsere Zuflucht zu
nehmen brauchen. Ebenso ist über die dritte Figur zu urtheilen.
Das Schema ihrer Grundform ist nach der Aristotelischen Bezeichnung
folgendes:
t6 n xara navrog tov ^,
TO P X€aa ftttVfbg tov 2^,
To n xaxa Ttvog tov P,
Das kürzere Schema ist:
n p s,
oder (wiederum nach der obigen Bezeichnungsweise):
Hier ist der den Schluss vermittelnde Begriff, nämlich das 2^, l^ax^ror
T^ &^an, weil beidemal Subject, und demgemäss auch in dem kürzeren
Schema zuletzt gestellt. Allerdings ist in dieser Figur, falls beide Prä-
missen affirmativ und allgemein sind, der Mittelbegriff den beiden an-
deren Begriffen logfisch untergeordnet; aber dieses Yerhältniss findet in
den übrigen, von Aristoteles nicht minder sorgsam berücksichtigten
Schlussweisen dieser Figur nicht mehr statt, so dass wir auch hier die
Stellung, ^^aigj des £ aus seinem Urt heil s- (und zwar Subjects-) Yer-
hältniss in den Prämissen erklären müssen. Yollends aber zwischen n
und Q findet auch nicht einmal in dem Falle, wo beide Prämissen
affirmativ und allgemein sind, geschweige denn in allen Schlüssen der
dritten Figrur, nothwendig ein bestimmtes Unterordnungsverhältniss
statt, und wenn Aristoteles in dieser Figur denjenigen Terminus den
minor nennt, welcher dem Mittelbegriff näher, denjenigen aber den
maior, welcher dem Mittelbegriff femer stehe, so ist diese Stellung und
die daran geknüpfte Terminologie wieder ebenso, wie bei der zweiten
Figur, zu erklären. — Trendelenburg's drei Argumente können also
§ 103. Die Figuren der einfachen kategorischen Syllogismen. 8 87
nicht beweisen, dass Aristoteles die Eintheilung der Syllogismen in
drei Figuren auf ein vermeintlich dreifach gestaltetes Snbordinations-
verhaltniss zwischen den drei Terminis zn gründen versucht habe. Aus-
drücklich aber spricht Aristoteles selbst das Princip seiner Eintheilung
Anal. pri. I, 82. 47 a. 40 dahin aus: iav filv ovv xarijyogy xal x«ri;-
yoQrJTai to fiiaov, rj avto fihv xatrfyo^, aXXo cf' ix€ivov anaQvrjftai^ ro
nQWTOv iOTiU ax^^a' iav Sk xal xarifyoQy xal änaQvifrai ano rivoif ro
fiiaok' iav 6\alla ixclvov xanj/ognTai, rj ro /nh ana^viJTat t6 S^ xa-
Tijyo(>^ai, T& föjifaToy — Tj rov fiiaov ■&iaiiryv(it)Qiovfi€v to a/^^«.
Hiemach eal^heidet die Stellung, &iaig^ des Mittelbegriffs in den
Prämissen über die Figur; diese Stellung aber beruht ihrerseits auf
dem Subjepts- oder Prä dicats verhaltniss des Mittelbegriffs in den
Prämissen. Hierbei bleibt der Unterschied des terminus
maior und .minor ausser Betracht. Das hier unzweideutig von
Aristoteles dargelegte Eintheilungsprincip ist nicht ein secundärer
(Gesichtspunkt, sondern ist völlig identisch mit demjenigen Princip,
welches, der obigen Erörterung zufolge, den Definitionen der drei Fi-
guren (oder vielmehr der drei die Figuren bedingenden Oombinations-
formen) in c. 4; 5; 6 zum Grunde liegt, und worauf auch Aristoteles
selbst c. 82 zurückweist in den Worten: outto yaQ €?/€v iv ixaanp
axfifim ro fiäaov. (Vergl. Anal. pri. I, 28. 41 a. 14: ^ yäg t6 A tov
r xal TO r TOV B xtetiiyo^auvrac rj ro F xar* afitpolv ^ afitpto xarä
TOV r, laina (T iarl tu iigrjfiiva axT^fiara.) Sofern wir uns nun hierbei
bloss an das Allgemeine und Principielle halten, dass der Mittel-
begriff entweder erstens in der einen Prämisse Prädicat sei {xurri-
yo^ und zugleich in der anderen Subject (xaxriyo^at. ungewöhnlich
für Tovro p xa&^ ov xajtfyoQdrai, praedicato exometur, das Prädiciren
erleide, s. Trendelenburg, Elem. log. Ar., zu § 28, und Waitz zu der
Stelle^ oder zweitens in beiden Prädicat, oder drittens in beiden
Subject: so begründet allerdings diese Aristotelische Unterscheidung
der verschiedenen Urtheilsverhältnisse des Mittelbegriffs in
den Prämissen eine vollständige Eintheilung aller einfachen
kategorischen Syllogismen in drei Figuren, und in dieser Hinsicht
dürfen wir als Resultat unserer bisherigen Untersuchung aussprechen,
dass das Aristotelische Eintheilungsprincip der Syllogis-
men mit dem Princip unserer obigen Eintheilung in drei
Hauptclassen übereinkomme.
Eine andere Frage aber ist, ob auch die Durchführung dieses
Princips bei Aristoteles eine vollständige sei, oder ob vielmehr die
zweite Abtheilung der ersten Figur bei ihm fehle. Hier ist
es nun Thatsache, dass Aristoteles seine erste Figur nicht in zwei
Abtheilungen zerlegt, und dass er die einzelnen Schlussweisen (oder
Modi), welche der zweiten Abtheilung derselben oder der später soge-
nannten vierten Figur angehören, wenigstens nicht in gleicher Art,
wie die übrigen Schlussweisen, förmlich erörtert und nicht mit diesen
in eine Reibe gestellt hat, sondern dass dieselben erst von Anderen
zu den Aristoteüsohen Modis hinzugefügt worden sind (s. unten).
22
838 § 103. Die Figuren der einfachen kategorischen Syllogismen.
Auch leuchtet ein, dass die nähere Bestimmung der ersten Fig^ur Anal,
pri. I, c. 4, wonach der Unterbegriff in den Umfang des Mittelbegriffs
fallen und der Mittelbegriff in den Umfang des Oberbegriffs ganz fallen
oder ganz von demselben ausgeschlossen sein muss, nur bei der ersten
Abtheilung der ersten Figur oder bei der ersten Figur im beschrank-
teren Sinne (!') zutrifft; ebenso ist unverkennbar, dass auch die Be-
stimmung in c. 82 zwar insofern auf die erste Figur im umfassenderen
Sinne (I) geht, als darin der Unterschied des terminus maior und minor
nicht ausdrücklich in Betracht gezogen wird, dass dieselbe daher ihrem
Grundgedanken nach alle Modi beider Abtheilungen umfassen wurde,
und dass sie auch in ihren einzelnen Bestimmungen nicht bloss auf die
erste Abtheilung, sondern auch auf einige Modi der zweiten (nämlich
auf die sogenannten: Bamalip, Calemes und Dimatis, worüber unten)
Anwendung leidet, dass dieselbe aber doch in Folge der beschränken-
den Nebenbestimmung, wonach die Prämisse, die den Mittelbegriff als
Prädicat enthält, nur bejahend sein darf, auf die übrigen Sdilussweisen
der zweiten Abtheilung (nämlich auf Fesapo und Fresison) nicht passt.
Doch hat Aristoteles allerdings an zwei Stellen Andeutungen
gegeben, die nur verfolgt zu werden brauchten, um die zur zweiten
Abtheilung der ersten Figur gehörenden Modi auÜEufinden. £<r sagt
nämlich Anal. pri. I, c. 7, dass auch wepn ein eigentlicher SyllogismuB
sich nicht bilden lasse, dennoch bei einer gewissen Gestalt der Prä-
missen ein Schlusssatz gefunden werde, in welchem der terminus minor
(ro iXcnrov) Prädicat, der maior aber (ro fieiCov) Subject sei; dieser
Fall trete ein, wenn das eine Urtheil allgemein oder auch particular
bejahe, das andere aber allgemein verneine. Falls nämlich (nach der
Combinationsweise der ersten Figur) das A jedem oder einigem B, das
B aber keinem F zukomme, so ergebe sich, wenn die Prämissen umge-
kehrt werden, die Nothwendigkeit, dass das F einigem A nicht. zukomme.
(Die Umkehrung führt nämlich auf den Syllogismus Ferio der ersten
Figur: einiges A ist B, kein B aber ist r, also ist einiges A nicht F. —
Bei der Anwendung der Ausdrücke: fAüiov und iXartov hat sich Ari-
stoteles in diesem Falle nur durch die Analogie mit der Bezeichnung,
welche er in den von ihm als vollgültig anerkannten Syllogismen zu
gebrauchen pflegt, bestimmen lassen.) Die hier angedeuteten Modi sind
(wie schon die alten Exegeten bemerkt haben) identisch mit demjenigen,
welche später als die beiden letzten unter den fünf Modis der
zweiten Abtheilung der ersten Figur (I, 2) oder der vierten Figur (lY^
betrachtet wurden (nämlich mit Fesapo und Fresison). Aristoteles
bemerkt (ebendaselbst), dass es ebenso auch in den übrigen Figuren
sei; denn immer lasse sich durch die Umkehrung (avTiOJQOipfi, nämlich
der Prämissen) ein Schlusssatz gewinnen. Allein die Modi, nach welchen
so in den übrigen Formen geschlossen werden kann, sind keine neuen,
sondern fallen mit bestimmten unter den schon von Aristoteles selbst
erörterten Schlussweisen zusammen. (Dieselben sind nämlich Cesare,
Gamestres und Festino der zweiten Figur, welche durch Conversion
beider Prämissen in Ferison der dritten übergehen, und Felapton und
§ 108. Die Figuren der einfachen kategorischen Syllogismen. 839
Ferison der dritten, welche in Festino der zweiten übergeben.) Femer
sagt Aristoteles Anal. pri. II, c. 1, dass alle diejenigen Syllogismen, deren
Schlusssatz allgemein bejahe oder allgemein verneine oder particular
bejahe, noch ein zweites Resultat gegeben, wenn der Schlusssatz um-
gekehrt werde, wogegen ein particular verneinender Schlusssatz, der
allgemeinen Kegel über die Conversion gemäss, keine ümkehrung zu-
lasse. Aristoteles unterscheidet nicht die Fälle, in welchen der durch
ümkehrung des Schlusssatzes gewonnene Schluss mit einer der schon
erörterten Schluss weisen oder Modi zusammenfallt (wie namentlich Ce-
sare durch diese ümkehrung in Camestres übergeht und Camestres in
Cesare, Disamis in Datisi und umgekehrt, ein Schluss in Darapti aber
nur in einen anderen Schluss von dem nämlichen Modus) von denjenigen
Fällen, wo sich dadurch ein neues, durch keine andere Schlussweise
erreichbares Resultat ergiebt*). Werden aber diese letzteren Fälle aus-
gesondert, so sind dieselben (wie auch schon die alten Exegeten bemerkt
haben) eben diejenigen, welche später als die drei ersten unter den
fünf Modis der zweiten Abtheilung der ersten Figur (I, 2) oder der
vierten Figur (IV) galten (nämlich Bamalip, Galemes und Dimatis,
welche aus den drei entsprechenden Modis der ersten Figur, nämlich
Barbara, €!elarent und Darii, durch Ümkehrung des Schlusssatzes her-
gestellt werden können, wiewohl sie nicht nothwendig auf diesem Wege
entstanden zu sein brauchen, s. unten).
Die nächsten Schüler des Aristoteles, Theophrast und Eude-
mus, haben die fünf Schlussweisen, die aus jenen Aristotelischen
Andeutungen als neuer Gewinn hervorgehen, den von Aristoteles selbst
als vollgültig anerkannten und genau erörterten Schlussweisen hinzu-
gefügt und als fünften bis neunten Modus der ersteü Figur
aufgezählt, und zwar in derselben Ordnung, die auch später üblich
geblieben ist (nämlich 5. Bamalip, 6. Calemes, 7. Dimatis, 8. Fesapo,
9. Fresison). Dies bezeugen namentlich Alexander von Aphrodisias, der
Exeget, und Boethius. Alex, ad Anal. pri. f. 27 B: aifrog filv (d jiQi-
•) Diesen sehr wesentlichen unterschied- hat W a i t z nicht ge-
würdigt, wenn er sagt (Org. I, p. 386): »Appulei librum nullius fere
pretii esse facile inde coniicitur, quod ubi de prima figura disputat,
Theophrastum imitatur in convertendis propositionibus, in tertia vero
eum reprehendit, quod opinatus sit duos modos nasci ex conversione
oonclusionisc. Ebenso Prantl (Gesch. der Log. I, S. 370), wenn er das
Verfahren des Appuleius »einfältige nennt. Im Gegentheil, es liegt dem
Verfahren des Appuleius die richtige Einsicht zum Grunde, dass der
Syllogismus mit umgekehrtem Schlusssatze in der ersten Figur einer
anderen Abtheilung und daher gewiss auch einem anderen Modus ange-
hört, in der dritten aber bei Darapti nur ein anderes Beispiel eines
Schlusses in demselben Modus ist. Den Modus bestimmen die ihm we-
sentlichen Merkmale, die in seine Definition eingehen ; zu diesen gehört
nicht das Verhältniss, in welchem der Schlusssatz des betreffenden Syl-
logismus zu dem eines anderen steht; mithin steht nichts im Wege,
dass die ümkehrung des Schlusssatzes eines Syllogismus ia einem Falle
(wenn sich nämlich eine Veränderung der wesentlichen Modusmerkmale
daran knüpft) zu einem neuen Modus führe, im anderen Falle aber nicht.
840 § lOS. Die Figuren der einfachen kategorischen Syllogifimen.
OTorilris) TovTovg xovq lyxitfj,ivovg avkhoyiafxovg d^ ^^€ii€ ngoiiyoufiiveiig
iv r^ 7¥QWJ((t aj^rifiaTi yivofiävovs, Gi6(p^tfTos ^k nQogtC^riaiv aXXovg nivxe
Totg TiaaaQOi rovroig ovx^ri ttXsfous ovcF' avanodidctovg (d. h. nicht, wie
die vier ersten Modi, ohne Beweis anmittelbar einleuchtend) ovrag, tav
fiVf\fiovevH xal ^AQiOJoxiXr^g — rcuv [ikv tqicHv t<ov xar' avnoJQfHprfy
rcüV avfjLniQaüfjaxtov ytvofiivfov roxi re tiqwtov avano^slxrov xal tov
^svräQov xal tov tq(tov iv T<p ^€VT^Q(p xara jag ay^^s (Anal. pr. 11, c 1)
— Tftiv dk xmaXunouivtav ovo iv rovroig (Anal. pri. I, c. 7) olg Xfyei
ort — iv raig aavXXoyCorotg (av^vyCaig) talg i^ovacug ro anwpatixov
xad-oXov xal ovaaig avofjoioa/rjuoai (d. h. wo die Prämissen von ungleicher
Qualität sind) auvayual ri anb tov iXdxjovog oqov nQog xbv fi-itl^ova '
avxai äi iiaiv iv ngtoxt^ a^rj/naxi ^vo avfinXoxal ^ t£ ix xad-oXov xara"
ffaxixijg xijg fjiil^ovog (sc TiQOxaaetog) xal xa&oXov anotpixxixrig r^? iXano'
vogj xal ri i$ inl fiigovg xaxa(paxtxfjg rij; jusiCovog xal xa&oXov anofpccxixijg
xijg iXdxxovog' — <ov xoV fikv oy^ooVy xov ^k ivvaxov Ge6<pgaaxog Xfyu,
Cf. ib. 42 B— 48 A. — Boeth. de syll. categ. (oper. ed. BasiL 1456, p. 594):
habet enim prima figura sub se Aristotele auctore modos quatuor, sed
Theophrastus vel Eudemus super hos quatuor quinque alios modos
addunt, Aristotele dante principium in secundo priorum Analyticorum
Yolumine; ib. p. 595: hoc autem, quod nuper diximus (lulmlich die
Umkehrung des Schlusssatzes in Darii, Gelarent und Barbara) in secundo
priorum Analyticorum libro ab Aristotele monstratur, quod scilicet
Theophrastus et Eudemus principium capientes ad alios in prima figura
syllogismos adiiciendos animum adiecere, qui sunt eiusmodi, qui xara
avaxXaaiv vocantur, i. e. per refractionem quandam oonversionemque
propositionis (wonach Boethius die Modi V— IX aufzählt). Cf. Philo p.
ad Anal« pri. f. XXI B: ol xaXov/isvot. avxavaxXtofiBvoi. YgL Prantl,
Gesch. der Log. I, S. 865 ff.; S. 700.
Eben diese fünf Modi sind es, welche später von der ersten Figur
getrennt und zu der sogenannten vierten oder Galenischen Figur
zusammengefasat wurden. Dass Galenus der Urheber dieser Darstel-
lungsweise sei, lässt sich aus seinen eigenen Schriften, soweit dieselben
uns erhalten sind, nicht erweisen ; auch sind im ganzen späteren Alter-
thum bis auf Boethius herab alle namhaften Logiker durchaus nur der
Theophrastischen Weise gefolgt, jene fünf Modi der ersten Figur zusa«
rechnen ; ja es findet sich in der ganzen antiken Literatur bis auf zwei
einzelne vor Kurzem aufgefundene Notizen (wovon sogleich) nicht einmal
eine Erwähnung, dass es noch eine andere Darstellungsweise gebe. Alle
Nachrichten über die vielgenannte Erfindung des Galenus, jene zwei
Notizen ausgenommen, gehen auf ein Zeugniss des arabischen Philo-
sophen Averro es zurück, welches in der alten lateinischen Uebersetzung
lautet (Averr. Prior. Kesol. I, 8, ed. Venet. 1558 f. 68 B): Sin autem
dicamus: A est in C, quoniam G est in B et B in A, res erit, quam
nemo naturaliter faciet; — et ex hoc planum, quod figura quarta, de
qua meminit Galenus, non est Syllogismus, super quem cadat natura-
liter cogitatio. — Adducitur deinceps terminus medius, qui praedicetur
de praedicato quaesiti et subiiciatur subjecto quaesiti, secundum quod
§ 103. Die Fignren der einfachen kategorischen Syllogismen. 841
existimavit Galenns hanc figuram quartam esse, secundum
qnod refertur ad quaesitum. Von jenen zwei neuhinzugekommenen
Stellen hat die eine der Nengrieche Minoides Minas in einem unedirten
anonymen Commentar zu der Aristotelischen Analytik aufgefunden und
in seiner Ausgabe der Pseudogalenischen Ehaytoyri diaXtxrixri (Paris.
1844) abdrucken lassen. Die Worte lauten (IlQod^ctüQ. pag. vg'): Bfo-
ifQaarog Sk xa\ EvSrjfiog xaC Tivag h^Qag av^vylag naQa rag ixra&staag
T^ u4QiajojiX€i TtQogre&iixaai rtp nQfortp a/'^/nau ' — ag xal tijaqjov
anoreletv o^fza rtoy vearri^fov ^i^&rjaav rtveg tog ngog naii^a r^v
So^av rov raXrivov avaifi^omg. Da Minas über jenen Commentar
nichts Näheres angegeben hat, so bleibt die Zeit, aus welcher die mit-
getheilte Notiz stammt, sehr ungewiss. Ygl. Prantl, Gesch. d. Log. I,
S. 532 f. Die andere Stelle theilt Prantl mit im zweiten Bande seiner
Geschichte der Logik im Abendlande, S. 295, und zwar aus einer Schrift
des Johannes Italus (eines jüngeren Zeitgenossen des Psellus), nämlich
den dinipoQa ^tftrifictja fol. 880 v.: ra 6k aj^rffiara röiv avXloytafAOJv ravta *
6 FaXtivog dk xal TiraQTOv Inl tomotg ^tpaaxev eJyai, ivavrCiag ngog rov
ZrayeiQCzTjv (f>€Q6f4evog. Sicher ist, dass der Urheber dieser Figur
sie nicht als eine > neuerfundene c zu den früher bekannten »hinzu-
gefügt«, sondern nur das zu seiner Zeit schon Bekannte in einer neuen
Weise dargestellt, nämlich die neun Modi der ersten Figur im weiteren,
Aristotelisch-Theophrastischen Sinne an zwei Figuren, die erste im en-
geren Sinne und die nunmehr sogen, vierte, vertheilt hat. Uebrigens
mochte für Galen in seinem Streben, die Logik möglichst nach mathe-
matischer Weise zu behandeln (de propr. libr. 10. XIX, p. 40 K: axo-
Xou&rjaai rtp j^aQaxtijoi Tfov yon/n/uixtiv anodiCUtov), die Veranlassung
zur gesonderten Darstellung der vierten Figur liegen. — Doch ist die
Ansicht imhaltbar (die z. B. Trendelenburg an den oben angef. Stellen
äussert), dass die Yierzahl der Figuren auf der äusseren Form und
Stellung der Sätze beruhe und eine Fixirung der Reihenfolge
der Prämissen voraussetze; denn dieses Princip würde vielmehr auf
die Achtzahl geführt haben, worauf doch erst Krug (s. o. S. 881) ver-
fallen ist; die Vierzahl involvirt vielmehr eine Freigebung der äusseren
Stellung oder Beihenfolge, und das Princip derselben unterscheidet sich
von dem Aristotelisch-Theophrastischen nur durch die unmittelbare
Mitberücksichtigung des allgemeinen Unterschiedes zwischen dem ter-
minus maior und minor, und des hierauf beruhenden, von der äusseren
Folge aber unabhängigen und seinerseits diese nicht bindenden Unter-
schiedes zwischen dem Ober- und Untersatze. Selbst die scholastische
»metathesis praemissarumc geht ihrem eigentlichen Beg^riffe nach zu-
nächst nur auf die Umwandelung des inneren Verhältnisses,
wobei die Prämisse, welche Obersatz (in dem durch die Definition fest-
gestellten Sinne) war, Untersatz wird, und der frühere Untersatz in den
Obersatz übergeht, indem sich hieran die äussere Umstellung der
Sätze nur als didaktisches Hülfsmittel anschliesst.
Die Scholastik des Mittelalters, welche sich das syllo-
gistische Verfahren zwar vielleicht nicht mit dem vollsten und reinsten
342 § 103. Die Figuren der einfachen kategorischen Syllogismen.
Yerständniss, aber nur um so mehr mit dem unbedingtesten Glauben
aneignete, liess sich keine Figur und keinen Modus rauben. Doch blieb
neben der sog. Galenischen Eintheilung immer auch noch die Theophra-
stische üblich. Manche unter den Humanisten und neueren Phi-
losophen warfen dagegen in der ersten Hitze des Streites gegen eine
Bildungsform, die sich überlebt hatte, den ganzen (wirklichen oder ver-
meintlichen) Plunder scholastischer Spitzfindigkeiten, wozu eben von
Vielen auch die Syllogistik gerechnet wurde, unterschiedlos über Bord.
Andere wieder, besonders in der späteren Zeit, wollten vermitteln;
aber weil es auch ihnen an dem tieferen Yerständniss meist gebrach,
so wurde statt der rechten Vermittelung vielmehr nur äusserlich ein
schlechter Mittelweg gefunden: man wollte den Syllogismus nicht preis-
geben, weil man seine Unentbehrlichkeit erkannt hatte, und meinte
doch, um nicht dem Spotte der »Aufgeklärtenc zu verfallen, und zu-
gleich, um sich die Sache bequemer zu machen, ihm gleichsam die
Flügel beschneiden und nur gemässigten Respect bezeugen zu dürfen.
So riss allmählich jene Schaalheit, Dürre und Oberflächlichkeit der Be-
handlung ein, welche die Syllogistik vollends in Verachtung brachte.
Sogar Wolff, dem doch trotz dem eifrigsten Scholastiker die Strenge
der syllogistischen Form die tiefste Herzensangelegenheit war, und der
den Huhm eines »demonstrator optimusc, welchen er unter den Logikern
der nächstvergangenen Zeit dem Verfasser der »Logica Hamburgensis«
Joachim Jungius zugesteht, wohl in noch höherem Maasse selbst ver-
dient hat, glaubte der Richtung der Zeit wenigstens insoweit Rechnung
tragen zu müssen, dass er in seiner kleineren, deutsch geschriebenen
Logik nur die erste Figur, und auch in seinem ausführlichen lateinischen
Werke nur die drei ersten Figuren abhandelte, die Theophrastischen
Modi aber überhaupt unerwähnt liess. Wolff lehrt (Log. § 378 sqq.)
die Syllogismen der ersten Figur seien die natürlichsten, weil sie directe
Anwendungen des dictum de omni et nullo enthalten; sie reichen aus,
um alle möglichen Schlusssätze zu begründen; die erste Figur sei daher
figura perfecta, die beiden anderen aber seien figurae imper-
fectae, da sie nur mittelbare Anwendungen jenes Satzes enthalten, und
nicht alle Arten von Schlusssätzen, insbesondere nicht die allgemein
bejahenden, für die Wissenschaften die wichtigsten, begründen können ;
auch führen nicht alle Modi derselben zur Erkenntniss des Grundes,
warum das Prädicat dem Subjecte zukomme (>non oontinere rationem,
unde intelligitur, cur praedicatum conveniat subiecto« § 393). Zu diesen
im Wesentlichen Aristotelischen Lehren fügt Wolff die weiter gehenden
(Log. § 385; 397): syllogismi secundae — syllogismi tertiae figurae
sunt syllogismi cryptici primae; — apparet adeo, non opus esse,
ut peculiares pro iis figurae constituantur.
Im Gegensatz zu der Wolff'schen Bevorzugung der ersten Figur,
die allein unmittelbar aus dem Dictum de omni et nullo folge, stellt
Lambert in seinem Neuen Organen (Leipz. 1764) die vier Figuren
in gleichen Rang. Er gründet die zweite Figur auf ein Dictum de
diverse: »Dinge, die verschieden sind, kommen einander nicht zu«, die
844 § 108. Die Fignren der einfachen kategorischen Syllogismen.
es viele Kunst kostete, ihre Uebereinstimmung mit den B^^ln des
Schliessens zu beurtheilen, so würde man wohl eben nicht mehr Figuren,
aber doch mehr räthselhafte Schlüsse, die Eopfbrechens genug machen
könnten, noch dazu ersinnen können. Es ist aber der Zweck der Log^k,
nicht zu verwickeln, sondern aufzulösen, nicht verdeckt, sondern augen-
scheinlich etwas vorzutragen. Daher sollen diese vier Schlussarten ein-
fach, unvermengt, und ohne verdeckte Nebenschlüsse sein; sonst ist
ihnen die Freiheit nicht zugestanden, in einem logischen Vortrage als
Formeln der deutlichsten Vorstellung eines Vemunftschlusses zu er-
scheinenc. — Diese Aeusserung beruht auf einer g&nzlichen Verkennung
des wahren Sachverhaltes. Sie ist von gleicher Art, wie wenn jemand
die Astronomen tadeln wollte, dass sie so complicirte Fälle aussinnen
und so schwierige Rechnungen aufstellen, die so viel Eopfbrechens
machen, und dass sie nicht bei den einfachsten und leichtesten Annahmen
stehen bleiben; — während doch in Wirklichkeit die Himmelskörper
nicht die Gefälligkeit haben, in Kreisen zu laufen, noch auch die Per-
turbationen zu vermeiden, um dem Astronomen das Kopfbrechen zu
ersparen, sondern es vielmehr Sache des Astronomen ist, seine Rechnung
auf alle vorkommenden Fälle einzurichten. Ebenso ist es die Aufgabe
der logischen Schlusslehre, die verschiedenen Fälle, die im wirklichen
Denken vorkommen können, erschöpfend zu berücksichtigen. Wenn
dem Denken, auf das die logischen Regeln gehen, zwei ürtheile von
bestimmter Form, die Einen Begriff mit einander gemein haben, als
gegebene vorliegen, so sind dieselben thatsächlich nicht immer so g^e-
staltet, wie es für den Zweck der Schlussbildung am bequemsten wäre,
sondern können die allerverschiedensten Verhältnisse zu einander haben.
Die verschiedenen Fälle sind nicht von den Logrikem ersonnen, etwa als
unglücklich gewählte und allzu verwickelte Beispiele zur Erläuterung
des Begriffs eines Vemunftschlusses, sondern stellen die verschiedenen
Möglichkeiten dar, die, obschon nicht alle gleich häufig, im wirklichen
Denken sich realisiren. So findet z. B. die historische Kritik die fol-
genden Aristotelischen Zeugnisse vor, deren Form eine gegebene ist
und nicht, wie in gemachten Beispielen, nach Belieben gewählt werden
kann: »diejenigen Naturphilosophen, welche ein Mittelwesen zwischen
Wasser und Luft als Princip setzen, lassen durch Verdichtung und Ver-
dünnung die Einzelwesen entstehen c; »Anaximander lässt aus seinem
Princip die Einzelwesen nicht durch Verdichtung und Verdünnung,
sondern durch Ausscheidung entstehen«. Diese Sätze fügen sich nicht
dem Schema der ersten Figur, und führen doch ganz naturgemäss zu
einem bestimmten und werthvollen Schlusssatze. Es ist Sache des posi-
tiven Denkens, jedesmal im einzelnen Falle zu bestimmen, ob sich ein
gültiger Schluss ergebe oder nicht, und Sache der Logik, die ver-
schiedenen möglichen Verhältnisse in einer erschöpfenden Eintheilung
lückenlos darzulegen und die allgemeinen Normen für dieselben aufzu-
stellen. Mit Recht bemerkt in dieser Beziehung D robisch (Log. 2. A.
Vorr. S. XIII), dass es schlechtenUngs zu den strengwissenschaftliehen
Erfordernissen gehöre, die möglichen Formen des Schliessens vollstän-
§ 104. Die Modi der Syllogismen. 846
dig sn entwickeln, weil tigh erst an die erschöpfende üebersicht
die Kritik des Werthes der einzelnen SoUnssmodi knüpfen lasse.
Wenn mehrere neuere Logiker, wie namentlich Hegel und Her-
bart und trotz der oben angeführten Aeussemng auch D robisch, die
Schlussweisen der vierten Figur (oder die Theophrastischen Modi), oder
auch, wie namentlich Trendelenburg, ausserdem noch die dritte
Figur oder doch gewisse Modi derselben verwerfen, so können wir in
diesem Urtheil die Wahrheit anerkennen, dass der wissenschaftliche
Werth der bekämpften Schlussweisen im Vergleich mit dem der übrigen
ein geringerer sei (wiewohl doch die von Trendelenburg getadelte Zwei-
deutigkeit und Gefahr des Irrthums, die bei den meisten derselben
stattfinden soll, dann aber ganz ebenso auch schon bei Darii und Ferio
der ersten Figur stattfinden würde, bei richtiger Feststellung des Be-
griffs des particularen ürtheils wegfällt), dürfen aber darum doch
keineswegs zur Ausmerzung derselben schreiten. — Auch ist es nicht
zu billigen, dass Hegel die zweite und dritte Figur gegenseitig ihre
Stellen tauschen laset, da kein innerer Grund hierzu nöthigt und die
Abweichung vom Usus in derartigen Dingen nur Verwirrung stiftet.
§ 104. Da jede der beiden Prämissen des kategorischen
Syllogismas in Hinsicht anf Quantität und Qualität von vier
yerschiedenen Formen sein kann, nämlich entweder Yon der
Form:
a, d. h. alle A sind B,
oder von der Form:
e, d. h. kein A ist B,
oder von der Form :
i, d. h. mindestens ein Theil der A ist B
(mindestens ein oder einige A sind B),
oder von der Form:
Oy d. h. mindestens ein Theil der A ist nicht B
(mindestens ein oder einige A sind nicht B):
so ergeben sich in jeder der beiden Ahtheilungen der ersten
Hauptclasse und ebenso wiederum in jeder der beiden übrigen
Hauptclassen 16, im Ganzen also 64 Combinationsformen
der Prämissen. Die sechszehn Combinationen lassen sich,
wenn jedesmal durch den ersten Buchstaben die Form (Quan-
tität und Qualität) des Obersatzes (der den terminus maior
enthält, d. h. denjenigen Begriff, welcher in dem Schlusssatze,
deflsen Statthaftigkeit wir prüfen, das Prädicat ausmacht, und
durch den zweiten Buchstaben die Form des Untersatzes
346 § 104. Die Modi der Syllogismen.
(der den tenDinns minor sive snbiecljim conclüsionis enthält)
symbolisirt wird, in folgendem Schema darstellen:
aa ea ia oa
ae ee ie oe
ai ei ii o i
ao eo io oo.
Diese Gombinationsformen führen jedoch nur theilweise za gül-
tigen Schlüssen. — Die einzelnen Schlnssweisen oder die Ar-
ten der Schlussfigaren, welche auf den verschiedenen Gombi-
nationsformen der Prämissen in Hinsicht der Quantität nnd
Qualität beruhen, heissenModi (modi, xqonoi xdv axt]iadTiov).
Die wiederholte Hinweisnng auf die Bedeatnng der Symbole: a,
e, i, o und der Ausdrücke: Obersatz und Untersatz möge ihre
Rechtfertigung in der Tfaatsache finden, dass gerade in diesen Dingen
so häufig verwirrende Missverständnisse hervorgetreten sind.
Das der Mathematik entlöhnte Gombinations verfahren (wel-
ches wahrscheinlich zuerst von dem Peripatetiker Aristo von Alexan-
drien geübt worden ist, s. Prantl, Gesch. der Log. I, S. 667 und 690 f.)
ist hart getadelt worden. Man hat es als mechanisch und vemunftlos
bezeichnet. Prantl (a. a. 0.) nennt dasselbe ein »Mosaik-Spiele, wo-
durch »der Aristotelische Mittelbegriff gründlich desavouirtc werde,
vergleicht es dem von ihm sogenannten »Zusammensetz-Spiel der kin-
disch-blödsinnigen Stoiker c etc. Allein mit Unrecht. Es ist wahr, dass
das Hauptinteresse nicht in den einzelnen Figuren und Modis, sondern
in den allgemeinen Prinoipien der Syllogistik liegt. Aber das Princip
soll sich auch zum System entfalten. Wird es mit Recht schon für
eine werthvoUe Leistung erachtet, wenn die Naturwissenschaft durch
empirische Sammlung zu einer vollständigen Eenntniss der auffindbaren
Species irgend einer Gattung gelangt ist, um wie viel höher muss der
Gewinn gehalten werden, wenn es gelingt, die möglichen Formen nach
einem allgemeinen Princip zu deduciren und die Vollständigkeit der
Aufzählung mit mathematischer Strenge zu erweisen? Und dies ver-
mag auf ihrem Gebiete die Syllogistik. Das unabweisbare Mittel aber
ist das mathematische Ck)mbination8verfahren. Dieses ist hier durch die
Natur der Sache gefordert und somit durchaus vemunftgemäss. Der
Tadel aber des > Mechanismus c und der Aeusserlichkeit darf uns nicht
einschüchtern. Wer den »Mechanismus« auch da abweist, wo derselbe
zu Recht besteht, geräth in Gefahr, sich derartige Blossen zu geben,
wie Hegel in dem physikalischen und insbesondere in dem astronomischen
Theile seiner Naturphilosophie. Ist ja doch die »Mechanikc auf allen
Gebieten die nothwendige und unaufhebbare Voraussetzung des organi-
schen und des geistigen Lebens. Auch auf die Syllogistik lässt sich
mit vollem Rechte jener Ausspruch von Lotze anwenden, worin der
Grundgedanke seines »Mikrokosmust liegt (Mikrok. I, S. 487) »nirgends
§ 105. Die Sphärenvergleiohung als Kriterium der Schlnssfahigkeit. 847
ist der Mechanismus das Wesen der Sache; aber nirgends
giebt sich das Wesen eine andere Form des endlichen
Daseins als durch ihn«.
§ 105. Die Prttfang, ob eine gegebene Combination
zu gültigen Schlüssen führe und der Beweis der Gültigkeit
oder Ungültigkeit muss sich aaf die Vergleichnng der
Sphären stützen, innerhalb welcher, den Pi^missen zafolge,
die betreffenden Begriffe Anwendung finden. Diese Sphären
lassen sich zum Behuf jener Yergleichung füglich durch geo-
metrische Figuren (insbesondere durch Kreise) versinnlichen,
deren gegenseitige Verhältnisse mit den Verhältnissen der
Begriffssphären zu einander in allen für die Beweisführung
wesentlichen Beziehungen übereinkommen.
Dass diese Art der Spbärenvergleichung keineswegs eine durch-
gängige Substantivirung der prädicativen Begriffe voraussetse, ist schon
oben (zu § 71, S. 218) bemerkt worden. Sie lässt sowohl die Möglich-
keit offen, das ganze Verfahren (mit Aristoteles, Anal. pri. I, c. 4
sqq.) unter den Gesichtspunkt einer Subsumtion niederer Begriffe unter
gleichartige höhere, als (mit Kant, der in der angef. Abhandlung § 2
und Logik § 63 den Satz: >nota notae est nota rei ipsius; repugnans
notae repugnat rei ipsi«, den übrigens, und zwar in genauerer Fassung,
schon Arist. Categ. 8 hat, für das Princip aller kategorischen Vemunf t-
schlnsse erklärt) unter den Qesichtspunkt eines Fortschritts im Denken
von Merkmal zu Merkmal oder Prädicat zu Prädicat zu stellen, als auch
endlich (mit Trendelenburg, Log. Unters. II, S. 241, 2. A. II, S. 316,
8. A. S. 350) beide Gesichtspunkte mit einander zu vereinigen und im
Schluss eine Beziehung des Inhalts auf den Umfang oder des Umfange
auf den Inhalt zu erkennen. Es wird in den verschiedenen einzelnen
Beispielen, auch wo die syllogistische Form die gleiche ist, bald die
eine, bald die andere, bald die dritte Ansicht die angemessenere sein,
je nachdem das Prädicat a. in beiden Prämissen die Gattung des Sub-
jectes oder b. in beiden eine Thätigkeit oder Eigenschaft, oder
c. im Obersatze eine Thätigkeit oder Eigenschaft und im Unter-
satze die Gattung bezeichnet. Folgende drei Syllogismen sind sämmt-
lich kategorische von der ersten Figur (und dem Modus Barbara), und
doch fallen sie naturgemäss der Reihe nach unter die Ansicht der Sub-
sumtion, der Inhärenz und der (subsnmirenden) Unterwerfung des Beson-
deren unter das (inhärirende) Prädicat oder Gesetz des Allgemeinen:
1. Jeder Planet ist ein Himmelskörper; die Erde ist ein Planet; folglich
ist sie ein Himmelskörper. 2. Alle rechtwinkligen Dreiecke haben ein
solches Seitenverhältniss, dass das Quadrat der Hypotenuse der Summe
der Kathetenquadrate gleich ist; alle Dreiecke, die sich einem Halb-
kreis einschreiben lassen, so dass eine Seite Diameter wird, sind recht-
winklig; also haben sie auch das Pythagoreische Seitenverhältniss. (Die
848 § 106. Ex mere negativis nihil Sequilar.
Dreiecke, um welche ein Halbkreis gelegt werden kann, werden nicht
als eine Art unter die Gattung der rechtwinkligen Dreiecke subsu-
mirt, sondern sind mit denselben identisch; der Schluss geht von Eigen-
schaft auf Eigenschaft). 8. Alle ähnlichen Dreiecke haben gleiche
Seitenverhältnisse: diejenigen Dreiecke, in welche das rechtwinklige
durch das Loth von der Spitze des rechten Winkels auf die Hypotenuse
getheilt wird, sind unter einander (wie auch mit dem Ganzen, welches
getheilt worden ist) ähnliche Dreiecke; folglich haben sie gleiche Seiten-
verhältnisse.
Aristoteles legt bei den Syllogismen der ersten Figur das
Sphärenverhältniss zum Grunde, reducirt die der übrigen Figuren auf
die der ersten, und beweist die Ungültigkeit der nicht schlussföhigen
Combinationsformen indirect durch Aufzeigung von Beispielen, worin
sich unter der Annahme der Gültigkeit ein Schlusssatz ergeben würde,
dessen materiale Unwahrheit anderweitig bekannt ist. Diese Art der
Beweisführung hat zwar insofern Ueberzeugungskraft, als die Hypothese
der Gültigkeit durch die Unwahrheit einer ihrer Consequenzen gestürzt
wird, leidet aber doch an dem zweifachen Mangel, 1. dass zum Behuf
des Beweises ein Datum mehr hinzugenommen wird, als erforderlich
wäre, 2. dass der Erkenntnissgrund der Ungültigkeit dem Realgrunde
derselben nicht entspricht. Die späteren Logiker pflegen die Regeln
über die Ausscheidung auf gewisse Fundamentalsätze zu gründen (na-
mentlich, dass der Mittelbegriff nicht in beiden Prämissen particular
sein, und nicht zu den anderen Terminis bloss in negativen Verhält^
nissen stehen, und dass kein Terminus im Schlusssatze in einem allge-
meineren Umfang genommen werden dürfe, als in der entsprechenden
Prämisse), welche ihrerseits durch Sphären vergleichung erwiesen, und
woraus jene dann vermittelst der Bestimmungen in § 71 abgeleitet
werden. Allein die unmittelbare Sphärenvergleichung bei den einzelnen
Regeln ist anschaulicher.
Das Geschichtliche über die Sphärenvergleichung mit Hülfe geo-
metrischer Schemata ist schon zu § 86, S. 288 f. berührt worden.
§ 106. Durch Anwendung dieses PrttfangsmitteLs ei^ebt
sich zunächst, dass sich in allen Figuren des kategorischen
Syllogismus aus bloss verneinenden Prämissen kein
gültiger Schluss ziehen lässt. »Ex mere negativis
nihil sequitur«. Denn a. sind beide Prämissen allgemein
verneinend, so ist der Mittelbegriff (M), der (nach § 100
und 102) in jeder der beiden Prämissen einmal, sei es als Sub-
ject oder als Prädicat, vorkommen muss, von den beiden an-
dern Begriffen (A und B) völlig getrennt zu denken; das
Verhältniss dieser zu einander aber bleibt hiemach völlig
unbestimmt. Die Prämissen lassen die drei möglichen Fälle
bestehen: 1. dass die Sphäre des einen der beiden äusseren
§ 106. £x mere negativis nihil sequitur.
849
Termini von der des anderen ganz getrennt sei, aber anch
2. dass eine theilweise in, theilweise ausser der anderen liege,
und endlich 3. dass die eine ganz in die andere hineinfalle,
nach folgendem Schema:
1.
'O
SD
8, a.
8, b.
8, c.
Folglich ergiebt sich kein bestimmtes Yerhältniss zwischen A
nnd B, welches sich in einem gültigen Schlusssatze aus-
sprechen Hesse, b. Ist die eine Prämisse allgemein, die
andere aber particular verneinend, so ist Myon einem
der beiden anderen Termini ganz, von dem anderen aber
(mindestens) theilweise getrennt zu denken. Die theilweise
Gültigkeit der Negation lässt aber, dem logischen Begriffe
des particularen Urtheils (§ 70 und 71) zufolge, immer auch
die Möglichkeit der allgemeinen Gültigkeit offen und schliesst
860 § 106. Ex mere negativis nihil seqnitur.
nicht notbwendig die Gültigkeit der particalaren Bejahung in
sieh ein; daher bleibt die ganze Unbestimmtheit bestehen,
welche bei zwei allgemein verneinenden Prämissen bestand
und wird nur noch durch die hinzutretende Möglichkeit
anderer Verhältnisse vermehrt; folglich ergiebt sich noch um
so weniger ein bestimmtes Resultat, c. Sind beide Prämissen
particular verneinend, so wird aus dem gleichen Grunde
wiederum die Unbestimmtheit vergrössert; folglich kann sich
wiederum kein bestimmter Schlusssatz ergeben.
Hätte das particular verneinende ürtheil den Sinn: nar einige
sind nicht, andere aber wohl, so würde sich allerdings, falls die andere
Prämisse allgemein verneint, ein bestimmter Schlus^ssatz ergeben; der-
selbe wäre aber dann nicht die Folge der zweimaligen Verneinung,
sondern der implicite mitgedachten particularen Bejahung.
Den Satz: fv anavTi (avXloytofjKp) Jfi xarriyoQtxov riva rcüly ootov
elvcu^ stellt bereits Aristoteles (Anal. pri. I, 24. 41b. 6) auf. Nun g^ebt
es allerdings einen Fall, wo aus zwei verneinenden Prämissen
ein gültiger Sohluss gezogen werden kann. Es seien nämlich ge-
geben die Prämissen: was nicht M ist, ist nicht P, und: S ist nicht
M, so folgt der Schlusssatz: S ist nicht P. Aber dieser Schluss fällt
auch nicht mehr unter unsere obige Definition des einfachen Syllo-
gismus (§ 100) als dee Syllogismus aus bloss drei Terminis; denn hier
liegen vier Termini vor : S, P, M und Nicht-M (das, was nicht M ist).
Soll derselbe auf einen einfachen Syllogismus reducirt werden, so muss
der Untersatz (vermöge eines unmittelbaren Schlusses per aequipollen-
tiam, s. § 96), die Form erhalten: S ist ein Nicht-M; dann aber ist
derselbe seiner Qualität nach ein affirmatives Ürtheil (s. §69), und
die Regel, dass aus bloss negativen Prämissen in einem einfachen Syllo-
gismus nichts folge, bleibt unverletzt. Auch ist diese Reduction nicht
etwa ein künstliches Mittel, ersonnen, um eine wirkliche Ausnahme
von einer fälschlich als allgemeingültig angenommenen Regel gewaltsam
zu beseitigen; sondern auf naturgemässe Weise gelangen wir zum
Schlusssatze nur so, dass wir den Untersatz in der Form denken: S
fallt unter den Begriff derjenigen Wesen, welche nicht M sind. —
Uebrigens haben schon die alten Logiker jenen Fall bemerkt und
die Schwierigkeit durch eben jene Reduction zu lösen gesucht. Boe-
thius berichtet (ad Arist. de interpr. p. 403; vgl. Prantl, Gesch. der
Log. I, S. 656): »Sed faerunt, qui hoc quum ex multis aliis, tum ex
aliquo Platonis syllogismo colligerent; — in quodam enim dialogoPlato
huiusmodi interrogat syllogismum: sensus, inquit, non contingit ratio-
nem substantiae; quod non contingit rationem substantiae, ipsius veri-
tatis notionem non contingit ; sensus igitur veritatis notionem non con-
tingit. Yidetur enim ex omnibus negativis fecisse syllogismum, quod
fieri non potest, atque ideo aiunt, infinitum verbum, quod est: non-
§. 107. Ex mere paiüoalaribas nihil sequitar. 851
oontingity pro partioipio infiniio poeuisse, id est: non-oontingens
est; — etidqaidem Alexander Aphrodisieas arbitratur ceterique
compluresc. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Lehre von der
qualitativen Aequipollenz zwischen zwei ürtheilen überhaupt der
Erörterung jenes syllogistischen Falles ihren Ursprung verdankt. Im
Mittelalter hat namentlich Dans Scotus auf Grund jenes Falles die
AUgemeingültigkbit der Regel: ex mere negativis nihil seqoitur, be-
kämpft. Wolff (Log. § 377) stellt den Satz auf: si terminus medius
fuerit negativus, propositio minor infinita est (negandi particula non
refertur ad copulam, sed ad praedicatum, § 208), und bemerkt (zu § 377):
eqnidem non ignoro, esse qui sibi persuadeant, steriles esse nugas,
quae de propositionibus infinitis aliisque aequipoUentibus in doctrina
syllogistica diountur, eum in finem exoogitataSi ut per praecipitantiam
statutae regulae salventur ; weist aber diese Ansicht mit Hecht zurück,
da seine Lehre aus dem Begriffe der Termini mit Nothwendigkeit
folge. Die neueren Logiker sind über die Frage meist oberfläohlicher
hinweggegangen.
Nach der im vorstehenden Paragraphen begründeten Regel können
folgende Combinationsformen der Prämissen nicht zu gültigen Schlüssen
führen:
e e o e
e o o o
Die Zahl von je 16 möglichen Combinationsformen (s. § 104) reducirt sich
demgemass, sofern es sich nur um diejenigen handelt, aus welchen ein
Schluss gezogen werden kann, bereits auf die folgende Zwölfzahl:
aa ea ia oa
ae i e
ai ei ii oi
a o i o
woraus aber nach anderen Kriterien wiederum gewisse Formen zu eli-
miniren sind.
§ 107. Ferner ergibt sich in allen Figuren des ein-
fachen kategorischen Syllogismus kein gültiger Schluss,
wenn beide Prämissen particular sind. »Ex mere
particularibus nihil sequitur«. Denn a. sind beide parti-
cular bejahend, so ist nur ein unbestimmter Theil der
Sphäre des Mittelbegriffs mit einem unbestimmten Theile der
Sphäre eines jeden der beiden tibrigen Termini verknüpft. Ist
nämlich der Mittelbegriff in irgend einer der Prämissen oder
auch in beiden Subject, so gilt die Aussage zufolge der par-
ticularen Form des betreffenden ürtheils nur von einem un-
bestimmten Theile der Sphäre des Mittelbegriffs ; ist aber der-
selbe Prädicat, so besteht die gleiche Unbestimmtheit aus dem
352 § 107, £x mere particularibus nihil seqaitnr.
allgemeineren Grunde, weil in jedem bejahenden Urtheil nn-
ausgedruckt bleibt, ob die Sphäre des Prädicatsbegriffs ganz
oder nur theilweise mit der Sphäre des Subjectes zusammen-
falle (s. 0. § 71, S. 217). Demnach bleibt unbestimmt, ob in
beiden Prämissen der nämliche Theil des Mittelbegriffs oder
ein verschiedener mit den beiden anderen Terminis yerknttpft
sei, also auch ungewiss, in welchem Yerhältniss diese zu ein-
ander stehen, so dass sich kein Schlusssatz ergiebt. b. Ist
die eine Prämisse particular bejahend^ die andere
particular verneinend, so bleibt ebenso unbestimmt, mit
welchem Theile der Sphäre des Mittelbegriffs der eine äussere
Terminus particular verbunden, und von welchem Theile die-
ser Sphäre (falls der Mittelbegriff in der anderen Prämisse
Subject ist) der andere äussere Terminus getrennt sei, oder
ob der Mittelbegriff (falls derselbe in der anderen Prämisse
das Prädicat bildet), während er von einem Theile der Sphäre
des anderen äusseren Terminus ganz getrennt ist, auch von
dem übrigen Theile dieser Sphäre ganz oder theilweise oder
gar nicht getrennt sei. Es ist also ungewiss, ob die beiden
äusseren Termini zu einem und dem nämlichen Theile des
Mittelbegriffs irgend eine bestimmte Beziehung haben oder
nicht, um so mehr also ungewiss, in welchem Yerhältniss die-
selben zu einander stehen, wesshalb sich wieder kein bestimm-
ter Schlusssatz gewinnen lässt. c. Sind beide Prämissen
particular verneinend, so ergiebt sich theils wegen der
Unbestimmtheit, die in der Particularität beider Prämissen
liegt, theils aber auch schon wegen der Negativität beider
Prämissen (nach § 106) kein gültiger Schluss.
Da der Beweisgrund der Ungültigkeit in der Unbestimmtheit
der Theile der Sphären liegt, so folgt, dass der Satz der Paragraphen
auf diejenigen singularen Urtheile Anwendung finden müsse, deren
Subjeot ein nur durch seinen allgemeinen Begriff bezeichnetes, übrigens
aber unbestimmt gelassenes Individuum ist, d. h. auf eben diejenigen
singularen Urtheile, die (nach § 70, S. 215 f.) unter den weiteren Be-
griff *der particularen fallen, aber nicht auf diejenigen, deren Subjeot
ein individuell (z. B. durch den Eigennamen) bezeichnetes Individuum
ist, d. h. nicht auf diejenigen, die nicht den particularen, sondern den
universalen zuzurechnen sind.
Den Satz, dass kein Syllogismus ohne eine allgemeine Prämisse
sein könne, hat (Aristoteles Anal. pri. I, 24. 41 b. 22) in den Worten
§ 108. Kein Schlags ans partioul. Obenatz u. negat. Üntereatz. 35$
angesprochen: Iv anavrt {avXloyiafi^) d^l xo xa^Xov vncigx^''^- ^^^
Beweis, den Aristoteles nur im Einzelnen an Beispielen führt, haben
erst spätere Logiker in allgemeinerer Weise auf die Sphärenverhältnisse
gegründet.
Die Combinationsformen, welche nach der hier begründeten Regel
wegfallen, sind ausser o o, welches schon durch die Regel des vorigen
Paragraphen eliminirt worden ist, noch folgende drei:
• • •
11 Ol
io
SO dass hiemach noch folgende neun Formen übrig bleiben:
aa ea ia oa
a e
ai
a o
1 e
e 1
die aber auch noch nicht alle zu gültigen Schlüssen führen können.
§ 108. In allen Figuren ftlhrt endlich die Gombina-
tion eines particularen Obersatzes mit einem ver-
neinenden Untersatze zu keinem gültigen Schluss.
Denn a. ist der Obers atz particular bejahend, der
Untersatz aber allgemein verneinend, so ist der Mittel-
begriff, M, dem Obersatze zufolge, mag er in demselben das
Subject oder das Prädicat bilden, mit einem unbestimmten
Theile der Sphäre des einen äusseren Terminus A particular
verknüpft (s. oben § 71; vgl. § 107), von dem anderen äusseren
Terminus B aber, dem Untersatze zufolge, völlig getrennt,
nach folgendem Schema:
/'
1. i
H
V
..••••••• t.,
.-••^ •-•^..
I
2.
M
8.
M
Hier ergiebt sich zwar ein Schlosssatz, dessen Subject A und
dessen Prädicat B ist: (mindestens) einige A, nämlich die-
jenigen, welche mit M coincidiren, sind nicht B, da dieses von
allem M ganz getrennt ist, also auch von denjenigen A ge-
23
S54 § 108. Kein Schluss aus partiool. Obenatz n. negat. Untersatz.
trennt sein muss, welche mit M zusammenfallen ; aber es ergiebt
sich kein Schlusssatz, dessen Subject B und dessen Prftdicat
A wäre, da es nach den Prämissen unbestimmt bleibt, ob B
auch von den übrigen A, und also von der ganzen Sphäre
des Begriffs A ganz getrennt sei, oder damit theilweise zu-
sammenfalle, oder endlich ganz hineinfalle, mit anderen Worten,
ob kein B A sei, oder ob einige B A seien, andere nicht, oder
ob endlich alle B A seien. Das particular verneinende Urtheil,
welches wirklich erschlossen ist : einige A sind nicht B, lässt,
der allgemeinen Regel gemäss (§ 88), keine Conversion zu.
Um nun aber diese beiden Verhältnisse, nämlich die Gültig-
keit des Schlusses von A auf B und die Unmöglichkeit eines
Schlusses von B auf A, auf einen kurzen allgemeinen Ausdruck
zu bringen, muss jene logische Terminologie zur Anwendung
kommen, welche die beiden äusseren Termini (A und B) zur
Unterscheidung von einander nach der vorausgenommenen
allgemeinen Form des Schlusssatzes, dessen Möglichkeit ge-
prüft werden soll, bezeichnet, indem sie denjenigen Begriff,
welcher in dem Schlusssatze Subject werden soll, Unterbegriff
(S), und den, welcher Prädicat werden soll, Oberbegriff (P)
nennt, und hiemach auch den Ober- und Untersatz bestimmt.
Nach dieser Terminologie ist, wenn für den Schlusssatz die
allgemeine Form A B angenommen und die Gültigkeit eines
solchen Schlusses, sowie die bestimmtere Gestalt, die der gültige
Schlusssatz annehmen muss (ob a, e, i oder o), geprüft wird,
A der Unterbegriff (S), B der Oberbegriff (P), und diejenige
Prämisse, welche das A enthält, der Untersatz, die andere
der Obersatz. Nun war aber, der Voraussetzung zufolge, die
Prämisse mit A particular bejahend, die mit B allgemein ver-
neinend ; der gültige Schluss (einige A sind nicht B) ist also
hier aus einem particular bejahenden Untersatz und einem
allgemein verneinenden Obers atz gewonnen worden. Wird
aber für den Schlusssatz die entgegengesetzte Form B A zum
Grunde gelegt und die Untersuchung geführt, ob ein derartiger
Schlusssatz in irgend einer bestimmteren Gestalt (a, e, i oder o)
sich aus den Prämissen ergebe, so ist nunmehr A als Ober-
begriff (P), und die Prämisse, welche A enthält, als Obersatz
zu bezeichnen, B aber als Unterbegriff (S), und die Prämisse,
§ 108. Kein Schluss aas partioul. Obersatz u. negat. Untersatz. 355
welche B enthält, als Untersatz. Nun aber hat die Prüfung
gezeigt, dass sich aus den obigen Prämissen kein gültiger
Schlusssatz von der Form B A ergiebt; also kann dieses Re-
sultat auch dahin ausgesprochen werden: die Gombination
eines particular bejahenden 0 bersatzes (der Prämisse mit A)
und eines allgemein verneinenden Untersatzes (der Prä-
misse mit B) führt nicht zu einem gültigen Schluss, was zu
beweisen war. b. Ist der Obersatz particular ver-
neinend, so ergiebt sich kein gültiger Schluss wegen der
Negativität beider Prämissen (§ 106). c. Ist der Untersatz
particular verneinend, so lässt sich wegen der Particu-
larität beider Prämissen (§ 107) kein gültiger Schlusssatz
gewinnen.
Durch unmittelbare Einführung der Zeichen S und P hätte sich
dieser Beweis auf eine kürzere Form bringen lassen; doch schien es
wichtig, da sich an diese Bezeichnung mancherlei Missverständnisse
geknüpft haben, gegenüber dem dann wahrscheinlich zu erwartenden
(wiewohl ungegründeten) Vorwurfe eines Hysteron-Proteron das wirk;-
liche Sachverhältniss eingehender darzulegen. Wollte man die Eunst-
ausdrücke: Ober- und Unter- Begriff und -Satz vermeiden, so
könnte die Behauptung des Paragraphen auch in folgender Art aus-
gesproclien werden: aus der Gombination einer particularen und einer
verneinenden Prämisse lässt sich kein Schluss von einer solchen Form
bilden, dass der in der particularen Prämisse mit dem Mittelbegriffe
verbundene Begriff Prädicat des Schlusssatzes, und der in der ver-
neinenden Prämisse mit demselben verbundene Begriff Subject des
Schlusssatzes wird. Allein es ist kein haltbarer Grund vorhanden, jene
Terminologie vermeiden zu wollen. Denn den Sinn der wissenschaft-
lichen Ausdrücke bestimmt nicht die Etymologie, sondern die Definition ;
dieser zufolge aber besagt der Satz des Paragraphen nur in präciserer
Form das Nämliche, wie der vorhin aufgestellte Satz, der statt der
betreffenden logischen Eunstausdrücke ihre Definitionen snbstituirt.
Nach dem vorstehenden Paragraphen würden wiederum in jeder
Figur vier Gombinationsformen wegfallen, nämlich i e, i o, o e und o o,
wenn nicht die drei letzten schon durch die früheren Kegeln aus-
geschieden wären. Es kommt also zu den früheren Eliminationen nur
eine neue, nämlich die von
ie
hinzu, so dass noch folgende Formen übrig bleiben:
aa ea i a o a
ae
ai ei
*ao
866
§ 109. Die erste Figur im engeren Sinne.
unter diesen acht Combinationsformen der Prämissen ist nun
keine mehr, die sohleohthin unfähig wäre, in irgend einer Figur zu
einem gültigen Schlüsse zu führen, und daher im Allgemeinen eliminirt
werden müsste. Wohl aber sind noch in den einzelnen Figuren nach
speciellen Kegeln jedesmal einige von den acht Formen des vorstehen-
den Schemas auszuscheiden.
Die Regfein über das Yerhältniss der Form eines gültigen Sohlass-
satzes zu der Form der Prämissen (z.B. dieBegel: »oonclusio sequitur
partem debilioremc) müssen, wenn sie mit voller logischer Strenge be-
wiesen werden sollen, auf eine vergleichende üebersicht über die ein-
zelnen gültigen Schlussmodi gegründet werden, und sind daher erst
unten (§ 118) zu erwähnen.
§ 109. Die erste Figur im engeren Sinne oder
die erste Abtheilung der ersten Hauptclasse oder
der ersten Figur im weiteren Sinne führt nicht zu
einem gültigen Schluss, wenn der Obersatz (M P) parti-
cular ist, und auch nicht, wenn der Untersatz (S M)
verneinend ist. Denn ist a. der Obersatz particular
bejahend oder particular verneinend, so wird darin
•
einem T heile der Sphäre des Mittelbegriffs M das Prädicat
P zu* oder abgesprochen ; der Untersatz aber, der dann nach
den allgemeinen Regeln (§§ 106—108) nur allgemein beja-
hend sein dürfte, sagt aus, dass die Sphäre von S ganz in
die Sphäre von M hineinfalle, ohne zu bestimmen, in wel-
chen Theil der Sphäre von M ; folglich bleibt ungewiss,
ob S in denjenigen Theil von M falle, dem der Obersatz das
Prädicat P zu- oder abgesprochen hat, oder in einen anderen
Theil, über den nichts bestimmt ist, oder theils in den einen,
theils in den anderen Theil von M.
1.
2.
8.
Also bleibt völlig unbestimmt, welches Yerhältniss zwischen
§ 109. Die erste Figrur im engeren Sinne.
S und P bestehe. Ist aber b. der Untersatz verneinei
00 wird durch denselben, jenachdem er allgemein oder pai
cular ist, S ganz oder (mindestens) theilweise von M getreni
durch den Obersatz aber, der dann (nach § 106) bejahe
und zugleich (nach § lOß) allgemein sein müsste, wird
unter P subsumirt, während unbestimmt bleibt,, ob und ^
weit sich die Sphäre von P noch über die von M hinaus<
strecke; folglich bleibt auch unbestimmt, in welchem Verhä
niss S zu P stehe, so dass sich kein Schlusssatz von der Foi
S P ergiebt. Das Schema ist fUr den yerhältnissmässig a
wenigsten unbestimmten und bei particularen Prämissen imm
auch mit hinzuzudenkenden Fall, wo beide Prämissen allg
mein sind, folgendes:
1.
2.
s.
Mithin kann es geschehen, dass kein S P ist, aber auch, das
einige S P sind, andere nicht, und endlich auch, dass alle S ]
sind, wesshalb sich nichts Bestimmtes über das Verhältnis
von S zu P aussagen lässt.
Zwar ergiebt sieh aus dem letzten Schema, wenn wir S und ]
nur als indifferente Zeichen für die beiden äusseren Termini ansehei
und etwa A und B dafür einsetzen, in der umgekehrten Richtung aller
dings ein gültiger Schluss: (mindestens) einige P (nämlich diejenigen
welche in die Sphäre von M fallen) sind nicht S, oder: einige B sin<
nicht A; allein dieser gehört nicht mehr der ersten Figur im engerei
Sinne oder der ersten Abtheilung der ersten Hauptclasse, sondern dei
zweiten Abtheilung derselben oder der sogenannten vierten Figur an
Denn in Bezug auf diese Form des Schlusssatzes ist das frühere P odei
das B jetzt zum ünterbegriffe (S), und das frühere S oder das A zun
Oberbegrriffe (P) geworden; mithin ist auch der frühere Untersatz zun
Obersatze und der Obersatz zum Untersatze geworden, mag auch di<
äussere Stellung oder Reihenfolge unverändert geblieben sein; also is1
der Mittelbegriff jetzt FrSdicat Eum m&ior oder im Oberaatze, und
Subjeot zum minor oder im Unlenatze; folglich bestellt die viert«
Figur (und zwar in dem Modus Fesapo, soweit der Modus Fresiaon
verwandt iet).
Die Combinationsformen, welche bierDach für die ente Figur
ausfolleD, sind ia, oa', ae, ao. Ea bleiben demnach nur folgeude vier
noch übrig:
Ton diesen ist nunmehr nachzuweisen, daas sie mit Kothwendigkeit zu
gültigen Schlüraen führen.
g 110. Der erste Modus der ersten Sehlnasfigar
hat die Fonu a a a, d. h. seine Prämissen sind ein allgemein
bejahender Obersatz nnd ein allgemein bejahender Untersatz,
and sein Schlnsssatz ist gleichfalls ein allgemein bejahendes
Urtheil, so dass das allgemeine Schema der ersten Fignr:
M P
S P
hier die bestimmtere Gestalt annimmt:
M a P
S a M
S a P.
Dieser Modns triigt den scholastiBchen Namen Barbara, der
80 gebildet worden ist, dass der Anfangebnchstabe desselben
als der erste Gonsooant des Alphabetes auf den ersten
Modns hindentet, die Vocale der drei Sylben aber (a, a, a)
der Beihe nach die logische Form des Obersatzes, des Unter-
satzes nnd des Schlnsssatzes bezeichnen, wogegen die übrigen
Bncbstaben nnr euphonische Geltung haben. Die Vergleicbung
der Sphären beweist die Gültigkeit dieses Modus. Denn jedes
allgemein bejahende Urtheil setzt (nach § 71) eins der beiden
SphärenTcrhältnisse vorans, deren Schema ist:
'■
d. h. dM FiMioat B findet sksh obeisU, wo du Sobjeot A
§ 110. Der erste Modus der ersten Figur.
369
vorkommt, während unbestimmt bleibt, ob ausserdem noch
andere Wesen das gleiche Prädicat an sich tragen oder nicht.
Demnach ist das Schema der beiden combinirten Urtheile:
M a P
S a M
folgendes :
1.
2.
8.
4. I S M P 1
Zwar bleibt im Allgemeinen unbestimmt, welches dieser vier
Verhältnisse in einem gegebenen einzelnen Beispiele zutreffe;
da aber in einem jeden der vier^tlberhaupt möglichen Fälle
zwischen S und P ein solches Verhältniss besteht, wonach
jedem S das Prädicat P zukommt, so folgt aus den Prämissen
mit strenger Nothwendigkeit der Schlusssatz:
S a P,
was zu beweisen war.
Dieser Modus findet unter allen die häufigste und wich-
tigste Anwendung in den Wissenschaften und im äusseren
Leben, wiewohl meist in abgekürzter (enthjmematischer) Form
und ohne das logische Bewusstsein.
Die Sphärenvergleichung mittelst der Kreise setzt hier wieder
ebensowenig, wie bei den einzelnen Urtheilen (s. oben § 71, S. 216 fif.),
eine durchgängige Substantivirung der verglichenen Begfriffe vor-
aus, sondern lässt die verschiedenen Auffassungen, deren Hauptvertreter
Aristoteles, Kant und Trendelenburg sind (s. oben zu § 105,
S. 847 f.), neben einander bestehen.
Als Beispiele zu den vier möglichen Ümfangsverhält-
nissen mögen zunächst folgende vier Syllogismen dienen, welche um
der leichteren und anschaulicheren Yergleichung willen so gewählt
worden sind, dass der Mittelbegriff (M) in ihnen allen der nämliche
sei (nämlich: Dreiecke, in welchen die Winkel des einen den Winkeln
des anderen einzeln genommen gleich sind). Die Prämissen sollen die
860 § 110. Der erste Modus der ersten Figur.
Stellung einnehmen, welche hier die naturgemäasere ist, dass der Un-
tersatz jedesmal seinem Obersatze vorausgehe.
1. Diejenigen Dreiecke, in welche das rechtwinklige durch das
Loth von der Spitze des rechten Winkels auf die Hypotenuse zerlegt
wird, sind Dreiecke mit beziehlich gleichen Winkeln. Alle Dreiecke mit
beziehlich gleichen Winkeln sind einander ähnliche Figuren. Folglich
sind auch jene Theile des rechtwinkligen Dreiecks einander ähnliche
Figuren.
2. Alle Dreiecke mit beziehlich gleichen Seitenverhältnissen sind
Dreiecke mit beziehlich gleichen Winkeln. Alle Dreiecke mit bezieh-
lich gleichen Winkeln sind einander ähnliche Figuren. Folglich sind
alle Dreiecke, deren Seitenverhältnisse gleich sind, einander ähnliche
Figuren.
8. Diejenigen Dreiecke, in welche das rechtwinklige durch das
Loth von der Spitze des rechten Winkels auf die Hypotenuse zerlegt
wird, sind Dreiecke mit beziehlich gleichen Winkeln. Alle Dreiecke
mit beziehlich gleichen Winkeln sind einander ähnliche Dreiecke. Folg-
lich sind diejenigen Dreiecke, welche durch jene Zerlegung des recht-
winkligen entstehen, einander ähnliche Dreiecke.
4. Alle Dreiecke mit beziehlich gleichen Seitenverhältnissen sind
Dreiecke mit beziehlich gleichen Winkeln. Alle Dreiecke mit beziehlich
gleichen Winkeln sind einander ähnliche Dreiecke. Folglich sind alle
Dreiecke mit beziehlich gleichen Seitenverhältnissen einander ähnliche
Dreiecke.
Der zweite und vierte Fall tritt insbesondere auch dann ein, wenn
der Mittelbegriff ein Individualbegriff ist und diesem im Obersatze
entweder ein allgemeines oder wiederum ein individuelles Prädicat bei-
gelegrt wird. Der deutsche Nacherfinder der Differentialrechnung ist
Leibniz. Leibniz ist Urheber eines monadologischen Systems. Also
etc. — Der Begründer der Syllogistik ist Aristoteles. Aristoteles war
der einflussreichste Lehrer und Erzieher Alexanders des Grossen. Also etc.
Damit aber um so mehr die Bedeutung einleuchte, welche gerade
der erste Modus der ersten Figur für die wissenschaftliche Erkenntniss
hat, mögen hier noch einige Beispiele zu demselben aus verschiedenen
Wissenschaften nachfolgen.
Die directen mathematischen Beweise für die affirmativen
Lehrsätze werden fast ausschliesslich durch Syllogismen von diesem
Modus geführt. Da die logische Zergliederung bei solchen Beweisen
oder Beweisversuchen, in welche leicht eine Subreption eingeht, von
besonderem Interesse ist, so wählen wir hier als Beispiel eine das
bekannte eilfte Euklidische Axiom betreffende Argumentation.
Dieses Axiom besagt, dass zwei unbegrenzt zu denkende gerade Linien
(AB und CD) in der nämlichen Ebene, die von einer dritten (EF) so
geschnitten werden, dass die zwei inneren Winkel auf der einen Seite
der schneidenden Linie (BGH und DHG) zusammen kleiner als zwei
rechte Winkel sind, einander auf eben dieser Seite schneiden müssen.
§ 110. Der erste Modus der ersten Figur* 861
Dass dieser Satz nicht so unmittelbar einleuchtend sei, wie die übrigen
Axiome, ist früh erkannt worden. Es wird in ihm nicht über eine in
sich geschlossene Figur etwas ausgesagt, was sich in der Anschauung
selbst jedesmal sofort herausstellte; es wird auch nicht, wie in dem
Satze, dass zwei gerade Linien, die einander schneiden, von dem ge-
meinsamen Punkte aus beständig divergiren, von der Anschauung nur
gefordert, bloss von Strecke zu Strecke hin, jedesmal insoweit, als sie
direct für das Behauptete zeugen soll, die betreffenden Gebilde zu ver-
folgen, mit dem Vertrauen, dass von da ab fernerhin immer wieder
das Gleiche gelten werde; sondern es wird gefordert, dass ein Durch-
schneiden, welches bei einer sehr geringen Abweichung der Summe der
inneren Winkel von zwei Rechten vielleicht auf sehr weite Strecken
hin nicht stattfindet, als irgend einmal an einer in unbestimmt weiter
Entfernung liegenden Stelle stattfindend, bis zu welcher hin doch die
unmittelbare Anschauung ihrer Richtigkeit nicht sicher bleibt, auf Grund
eben dieser Anschauung für alle Fälle zugegeben werden soll. Hier
bedarf es unverkennbar eines Beweises. Man kann das eilfte Euklidische
Axiom in einen axiomatischen Theil und einen angeknüpften Lehrsatz
zerlegen. Man könnte als Axiom annehmen, dass, wenn mit zwei Linien
(IK und CD) irgend eine dritte Linie (EF), die beide schneidet, gleiche
correspondirende Winkel macht, dann mit denselben auch jede andere
Linie (GL), die beide schneidet, gleiche correspondirende Winkel mache,
woraus sofort die Sätze folgen, dass der Aussenwinkel des geradlinigen
ebenen Dreiecks gleich der Summe der beiden inneren Winkel ist, die
nicht sein Nebenwinkel sind, und dass die Summe der drei Dreiecks-
winkel gleich zwei rechten Winkeln ist, wie auch umgekehrt, falls einer
dieser Sätze als Axiom angenommen würde, eben der Satz, woraus sie
sich ableiten lassen, aus ihnen folgen würde; auf Grund dieser Sätze
liesse sich dann für das, was in dem eilften Euklidischen Axiom behauptet
wird, ein stringenter Beweis führen. Allein auch der eben angegebene
Satz, der sich mehr, als das eilfte Axiom des Euklid, dem axiomatischen
Charakter annähert, ist immer noch zu oomplicirt, um diesen Charakter
in vollem Maasse zu tragen. Was derselbe besagt, ist durch die Natur
der geraden Linie und des Winkels bedingt; in dieser Natur selbst
muss das wahrhaft Elementare liegen, auf welches zurückzugehen die
362 § 110. Der erste Modus der ersten Figar.
eigentliche Aufgabe bei der Bildung der Axiome ist. ^ Nun aber lässt
sich dieser Rückgang am füglichsten durch die Einführung eines (der
Euklidischen Darstellung gegenüber neuen) Begriffs vollziehen, näm-
lich des Begriffs der Richtung, indem die gerade Linie als die durch
Bewegping eines Punktes in constanter Richtung entstehende Linie
definirt wird, der Winkel als der Richtungsunterschied zweier einander
schneidenden geraden Linien, Parallellinien aber als Linien von gleicher
Richtung definirt werden*). Auf Grund dieser Definitionen ist zu be-
weisen, dass die Linie AB, falls die Winkelsumme B6H-fDHG^2R,
bei unbegrenzter Ausdehnung die Linie CD durchschneiden muss, und
zwar auf der Seite von £F, auf welcher B liegt.
Es werde durch den Punkt 6 eine gerade Linie IK in gleicher
Richtung mit CD gelegt. Dann lassen sich folgende Syllogismen bilden :
1. Gleiche Richtungen haben gleiche Richtungsunterschiede ; die
Richtungen von GE und HD, sowie von GH und HF sind aber gleiche
Richtungen ; folglich haben sie auch gleiche Riohtungsunterschiede, d. h.
Winkel KGH = DHF.
*) Es ist hierbei zuzugestehen, dass der Begriff der Richtung,
der durch den der Bewegungstendenz bedingt (keineswegs aber mit
dem Begriff der geraden Linie identisch) ist, selbst nicht wieder
einer derartigen Definition fähig sei, dass sich auf ihn in Euklidi-
scher Art geführte Beweise bauen li essen; die Argumentation trägt
hier vielmehr den Charakter einer philosophischen Begriffserörterung,
und in mathematischem Betracht bleibt ein axiomatisches Element zurück.
Dieses soll keineswegs durch den neu eingeführten Begriff verdeckt,
wohl aber in der möglichst elementaren Form eingeführt werden. —
Mit dem obigen wesentlich gleichartig ist der Gedankengang ; der Win-
kel ist eine Drehungsgrösse ; daher ist der Fortgang in gerader Linie
ohne EinfluBS auf Winkelsummen; daher ist die Summe der Aussen-
winkel am Dreieck = 4 R, und die Summe der Dreieckswinkel = 2 R.
Ein auf diesen Gedankengang gebauter Beweis würde vor dem obigen
(der sich dagegen in wenigeren Syllogismen ausdrücken Hess) den Vor«
zug haben, dass der Begriff der Gleichheit der Richtung ohne Defini-
tion als ein unmittelbar verständlicher nur bei der Constanz der Be-
wegungsrichtung eines geradlinig fortschreitenden Punktes zur Anwendung
febracht zu werden braucht und nicht auch bei zwei von verschiedenen
unkten ausgehenden Linien. Wird er bei diesen zur Anwendung ge-
bracht, so liegt darin das Merkmal der Gleichheit des Winkels, den
diese Linien mit einer schneidenden Linie machen, und zugleich das
oben bezeichnete Axiom, dass dann auch die Winkel, welche diese
Linien mit jeder andern schneidenden machen, einander gleich seien.
Dieses (dem Satz, dass die Dreieckswinkel = 2 R, äquipollente) Axiom
ist naturgemäss das Prius des 11. Euklidischen »Axioms«. — Uebrigens
lässt sich für dieses, falls die Yergleichung unendlicher Räume un-
beschränkt zugegeben wird, folgender Beweis führen. Der Flächenraum
des Winkels EGB ist ein endlicher Theil der gesammten Ebene; er
verhält sich zu derselben, wie der Winkel selbst zu der Summe aller
um den Scheitelpunkt liegenden Winkel, d. h. zu 4 rechten Winkeln.
Der Parallelstreif lECD aber ist ein unendlich kleiner Theil der ge-
sammten Ebene; denn es lassen sich unzählige einander congruente
Streifen durch EF durchlegen; also ist EGB > lECD; also muss GB
die CD schneiden.
§110. Der erste Modus der ersten Figur. 868
2. Nebenwinkel sind zusammen gleich zwei rechten Winkeln; die
Winkel DHF und DHG sind Nebenwinkel ; folglich DHF + DHG =» 2 R.
3. Gleiche Grossen können für einander sabstituirt werden; die
Winkel KGH und DHF sind gleiche Grössen (nach 1.); also können sie
für einander substituirt werden.
Substituiren wir demgem&ss in der Schlussgleicbung von No. 2
KGH für DHF, so folgt: KGH + DHG = 2 R.
4. Nach der Voraussetzung ist BGH + DHG < 2 R. Wird nun
wiederum der Satz über die Substitutionen als Obersatz, das vorhin
gewonnene Resultat aber, dass nämlich KGH + DHG s 2 R, als Unter-
satz genommen, und der Schlusssatz auf jene Voraussetzung angewandt,
so folgt: BGH + DHG < KGH + DHG.
5. Die Subtraction eines Gleichen von Kleinerem lässt Kleineres.
Die Subtraction des Winkels DHG von der Summe BGH + DHG ist
aber eine Subtraction eines Gleichen von Kleinerem im Vergleich mit
der Subtraction desselben Winkels von der Summe KGH + DHG ; also
lässt sie Kleineres zum Rest, d. h. BGH ^ KGH.
6. Zwei ungleiche Winkel in Einer Ebene, welche die Spitze
und einen Schenkel gemeinsam haben und nach derselben Seite des
gemeinsamen Schenkels fallen, müssen (weil der grössere Richtungs-
unterschied der weiteren Drehung des Schenkels um die Spitze, der
kleinere aber der geringeren Drehung entspricht) so liegen, dass der
andere Schenkel des kleineren Winkels von der Spitze aus innerhalb
der beiden Schenkel des grösseren fortgeht. Die Winkel BGH und KGH
sind zwei Winkel dieser Art. Also müssen sie so liegen, dass GB zwischen
GH und GK fällt. (Die Zeichnung zeigt es unmittelbar; dies konnte
uns aber selbstverständlich nicht der Nothwendigkeit eines Beweises
überheben.)
7. Scheitelwinkel sind einander gleich; die Winkel DHF und
CHG sind Scheitelwinkel, also einander gleich.
Wird für DHF (nach 8.) KGH substituirt, so ergiebt sich die
Gleichung KGH = CHG. Da aber die begründenden Sätze nichts ent-
halten, was nicht bei jeder Lage und Entfernung der gleichgerichteten
Linien (IK und CD) und der schneidenden (EF) ganz ebenso gelten
würde, so lässt sich dieses Resultat auch allgemein dahin aussprechen:
Wechselwinkel bei gleichgerichteten Linien sind einander gleich.
8. Wechselwinkel bei gleichgerichteten Linien sind einander gleich ;
die Winkel KGL (KGL,, KGL, etc.) und HLG (HLjG, HL,G etc.) sind
Wechselwinkel bei gleichgerichteten Linien, also einander gleich.
Die Punkte L,, L„ Lj etc. seien so bestimmt worden, dass HL|
= HG, LjLa s LjG, LgL, =s L^G und so fort ins Unendliche. Dann
lässt sich weiter schliessen:
9. Gleichschenklige Dreiecke haben an der Basis gleiche Winkel.
(Der Beweis dieses Lehrsatzes ist bekanntlich von dem 11. Euklidischen
Axiom unabhängig.) Das Dreieck HL^G ist gleichschenklig. Also hat
es an der Basis (GL,) gleiche Winkel, d. h. W. HL,G «= HGL,. Ebenso
folgt, dass Winkel HL^G = L^GL,, HL,G » L,GL, eta
864 § 110. Der erste Modus der ersten Figur.
10. Zwei Grössen, die einer dritten gleioh sind, sind unter ein-
ander gleich. Die Winkel E6L„ EGL„ E6L, eto. und HOL,, LiGL,,
L^GLj etc. sind je zwei Grössen, die je einer dritten (nämlich HL^G,
HL^G, HLgG etc. nach 8. und 9.) gleich sind; also sind sie beziehlioh
unter einander gleich, d. h. EGL^ = HGLi, EGL| =s LjGL^, EGL, =ss
L^GLg etc. Mit anderen Worten: der Winkel EGH und der jedesmalige
Winkel EGL (EGL|, EGLg, EGL, etc.) wird immer durch die nächst-
folgende Gonstruction halbirt.
11. Die Summe der Beihe \/, + V* + Ve "*" *As + • . . • nähert
sich (nach einem hier vorauszusetzenden arithmetischen Lehrsatze) der
Einheit in der Art an, dass, welche noch so kleine feste Grösse auch
gegeben sein mag, die Differenz der Summe von der Einheit bei un-
begrenzter Fortsetzung der Beihe irgend einmal unter dieselbe herab-
sinken muss. Die Winkel HGLj, HGLj etc. sind die successiven Summen
von Winkeln (HGL^, Li GL, etc.), die von dem Winkel HGE der Beihe
nach V2* '^4* ^^8» V16 ^^' (nach 10.) sind. Also nähern sich dieselben
der Einheit oder dem Ganzen dieses Winkels (HGE) in der Art an,
dass, welche noch so kleine feste Winkelgrösse (EGB) auch gegeben
sein mag, die Differenz der Winkel HGLn von HGE irgend einmal unter
diese Grösse (EGB) herabsinken muss. Bezeichnen wir den Punkt auf
der Linie HD, wobei dieses Herabsinken zuerst eingetreten ist, mit Lk,
so folgt: HGLk > HGB.
12. Wird nun der Obersatz von 6. auf diesen Fall angewandt,
so folgt wiederum in derselben Weise, dass die Linie GB zwischen GH
und GLk fallen muss.
t
13. Eine unbegrenzte gerade Linie kann aus einer allseitig be-
grenzten Figur in derselben Ebene auf beiden Seiten nur mittelst Durch-
schneidung der Grenzen heraustreten. Die Linie AB ist eine unbegrenzte
gerade Linie, die (nach 12.) theilweise inmitten des allseitig begrenzten
Dreiecks HLkG liegt. Also kann sie aus demselben auf beiden Seiten
nur mittelst Durchschneidung der Grenzen heraustreten.
Der eine Durchschnitt ist bei G, der andere noch zu bestimmen.
14. Zwei gerade Linien, die nicht ganz zusammenfallen, können
nur Einen Punkt^gemeinsam haben. GB und GH sind zwei solche gerade
Linien. Also können sie nur Einen Punkt (nur den Punkt G und
ausserdem keinen zweiten) gemeinsam haben. Das Gleiche gilt von GB
und GLk.
15. Die unbegrenzte gerade Linie GB (oder AB) muss, um in
der Bichtung über B hinaus den geschlossenen Baum des DreiecJcs HLkG
zu überschreiten, auf dieser Seite eine der drei Seiten desselben (nach
18.) durchschneiden. Sie kann aber (nach 14.) auf dieser Seite nicht
GH, noch auch GLk durchschneiden; also muss sie die Linie HLk (oder
CD) durchschneiden; was zu beweisen war*).
*) Wollte man den Obersatz von 18. vermeiden, so Hesse sich
auch so weitergehen, dass die (unbegrenzt zu denkende) gerade Linie
Lk— 1, wenn sie um den festen Punkt G bis zur Goincidenz mit Lk in
§ 110. Der erste Modus der ersten Fignr. 365
Hier ist nur der Syllogismus unter 16. von einer Form, die sich
nicht auf den Modus Barbara bringen lässt (nämlich von disjunctiver
der durch die drei Punkte G, Lk— i und Lk bestimmten Ebene gedreht
wird| alle Punkte der Linie Lk— i L, aber auch alle Punkte des Drei-
ecks GLk— 1 Lk durchstreichen, folglich auch irgend einmal einen zwei-
ten Punkt ausser 6 mit der Linie GB (oder AB) gemein haben, dann
aber auch ganz mit dieser coincidiren müsse, so dass auch ihr Durch-
Bchnittspunkt mit Lk— i Lk der Linie AB mitangehort, also diese die
CD schneidet, was zu beweisen war.
Li mathematischer Beziehung mag hierzu des Verfassers Abhand-
lung: tdie Principien der Geometrie, wissenschaftlich dargestellte
in dem (von Jahn begründeten) Archiv für Philol. und Pädag., Bd. XYII,
Heft 1, 1851, S. 20—54 verglichen werden, wo die hier angewandten
Begriffe in ihrem allgemeineren wissenschaftlichen Zusammenhange zur
Erörterung kommen. Diese Abhandluug ist mit veränderter Einleitung
in französischer Uebersetzung wiederabgedruckt in: Joseph De Iboeu^
Prolegomdnes philosophiques de la geometrie, Liege 1860, p. 269—305.
üebrigens ist Delboeufs Basirung der Geometrie auf den Einen funda-
mentalen Charakter des Baumes, den Delboeuf Homogene! tat nennt,
dass nämlich die Form von der Grösse unabhängig, also jede Form mit
jeder Grösse vereinbar sei (was sich auf die Relativität aller Ausdeh-
nung zurückführen lässt), meines Erachtens die wahrhaft wissenschaft-
liche Auffassung (die nicht auf die Eantische Subjectivität des Raums,
sondern auf die subjective Anerkennung jenes objectiv-realen Verhält-
nisses führt). Vergl. meine Recension in Fichte's Zeitschrift für Phi-
los., Bd. XXXVn, Heft 1, 1860. — üeber die Grundbegriffe der Geo-
metrie vgl. u. a. auch eine Abhandlung von John Prince-Smith,
Berlin 1860. Vgl. ferner H. Helmholtz, über die Thatsachen, die der
Geom. zu Grunde liegen, in: Nachrichten der K. Gesellsch. der Wiss.
zu Göttingen, 1868, Juni 3, S. 193—321, wo in gewissem Anschluss an
Riemann (über die Hypothesen, welche der Geom. zu Grunde liegen,
in: Abh. der K. Gesellsch. der Wiss. zu Göttingen, 1867) ein solches
System einfacher Thatsachen aufgestellt wird, welches zur Bestimmung
der Maassverhältnisse des Raumes hinreiche. Helmholtz definirt mit
Riemann den Raum von n Dimensionen als eine nfach ausgedehnte
Mannigfaltigkeit, d. h. eine solche, in welcher sich das Einzelne durch
n veränderliche Grössen (Coordinaten) bestimmen lasse. Die Messbar-
keit des Raumes ist gegründet auf die Existenz fester Körper. Ver-
möge der freien Beweglichkeit der (in sich) festen Körper können ge-
wisse Punktsysteme zur Deckung (Congruenz) gebracht werden; diese
ist unabhängig von dem Orte und der Richtung der sich deckenden
Raumgebilde und von dem Wege, auf welchem sie zu einander geführt
worden sind. Wenn ein fester Körper sich um n — 1 seiner Punkte
dreht und diese so gewählt sind, dass seine Stellung nur noch von einer
unabhängig Veränderlichen abhängt, so führt die Drehung ohne Um-
kehr schliesslich in die Anfangslage zurück. Der Raum hat 3 Dimen-
sionen. Der Raum ist unendlich ausgedehnt. — In der oben erwähnten
Abhandlung wird (in gewissem Anschluss an Erb) die Geometrie auf
die folgenden (noch einfacheren) experimentell constatirbaren That-
sachen gegründet, deren absolut genaue Gültigkeit wir, das Zeugniss
der Sinne idealisirend, als Hypothese oder Axiom annehmen: Ein ma-
terieller fester Körper kann: 1. wenn er unbefestigt ist, an jede freie
Stelle des Raumes gebracht werden; 2. an einem Punkte festgehalten,
nicht mehr überallhin gelangen; 3. noch an einem zweiten Punkte fest-
gehalten, nicht mehr alle die Bewegungen vollziehen, die bei der Fixi-
366 § 110. Der erste Modus der ersten Figar.
Art), und der unter 14. fügt sich insofern nicht, als in dem >n u rc
(»nur den Punkt 6 und ausserdem keinen anderen«) implicite eine
rung eines einzigen Punktes möglich blieben, aber doch immer noch
bewegt werden (nur eine gewisse Reihe von Punkten, die alle unter
sich und mit den beiden fixirten Punkten ununterbrochen zusammen-
hängen, bleibt unbewegt); 4. wird aber von den hierher bewegbar ge-
bliebenen Punkten noch einer befestigt, so wird dadurch alle Bewegung
dieses Körpers aufgehoben.
In der Schrift des Krauseaners Tiberghien: Logique, la science
de la connaissance, Paris 1865, wird die in der angeführten Abhand-
lung entwickelte antikantianische Ansicht, dass die Gewissheit der ma-
thematischen Sätze mit einem empirischen Ursprung der Eaumvorstel-
lung verträglich sei, bekämpft. Ich habe dort gesagt. Kaut's Beweis-
führung für die Apriorität der Raumanschauung sei lediglich eine in-
directe, die sich auf die Bisjunction gründe: durch die Erfahrung ge-
geben oder unabhängig von aller Erfahrung (empirisch oder a priori) ;
diese Beweisführung aber sei illusorisch wegen der Unvollständigkeit
der Disjunction, denn es gebe eine dritte Möglichkeit, nämlich die ra-
tionelle Verarbeitung von empirischen Daten nach logischen Normen
ohne apriorische (von aller Erfahrung unabhängige) Bestandtheile der
Erkenntniss. Gewinnen wir die mathematischen Erkenntnisse nicht
direct durch Beobachtung, so folgt daraus nicht, dass sie schlechthin
von aller Beobachtung unabhängig seien. Die mathematischen Fuu-
damentalsätze sind zum Theil analytische Urtheile (s. o. §83), zum
andern Theil aber, soweit sie synthetische Urtheile sind, in ähnlicher
Art, wie die physikalischen Principien, z. B. das Gravitationsgesetz,
mittelbar auf die Beobachtung gegründet, nämlich die geometrischen
auf die Beobachtung räumlicher Verhältnisse, die arithmetischen aber
auf die zum Zahlbegriff hinführende Beobachtung gleichartiger Objecte.
Aus den Fundamentalsätzen werden dann die Lehrsätze mittelst
einer syllogistischen Deduction abgeleitet, welche nicht rein subjectiven
Normen folgt, sondern auf die Voraussetzung einer objectiven Ord-
nung, die unser Denken nur reproducirt, gebaut ist, und diese
Voraussetzung selbst ruht auf der combinirten äusseren und inneren
Erfahrung (vgl. oben §§ 28, 41 fif., 73, 81, besonders S. 270. ferner
unten mehrere von den Bemerkungen zu § 137, auch 138 ff.). Tiberghien
entgegnet (S. 244 ff.) mit der Frage, warum Kant denn jene dritte
Möglichkeit unbemerkt gelassen habe, welche Frage er mit den Wor-
ten beantwortet: »C'est que la critique de la raison pure avait de-
montre qu'il n'y a point de connaissance sans elements a priori et
qu'ainsi Pelaboration qu'on propose, est une manifeste absurdite.c Diese
Antwort aber involvirt einen Irrthum in Bezug auf den thatsächlichen
Beweisgang Kaut's. Man braucht nur das Kantische Werk nachzulesen,
um sich zu überzeugen, dass Kant von jener Disjunction in seiner Ar-
gumentation ausgeht, dass er sie als Prämisse benutzt, und nicht,
wie Tiberghien angiebt, als Resultat oder als Schlusssatz eines
von ihr selbst unabhängigen Beweises hinstellt. Als eine »offenbare
Absurdität« müsste jene dritte Möglichkeit freilich dann bezeichnet
werden, wenn man die subjectivistische Voraussetzung, dass alle Ord-
nung nur in uns ihren Ursprung habe, als eine unumstössliche Wahr-
heit betrachten dürfte; aber da diese selbst erst aus jener Disjunction
abgeleitet ist, deren Vollständigkeit in Frage steht, so bewegt man sich
in einem unleugbaren circulus vitiosus. Wenn aber vollends Herr
Tiberghien diese Voraussetzung auch seinerseits für anfechtbar hält,
so fehlt zu jener Bezeichnung auch selbst der Schein einer Berechti-
m
§ 110. Der erste Modus der ersten Figur. 867
Negation liegt. Alle Syllogismen der 13 ersten Nummern aber fallen
unter jenen ersten Modus der ersten Figur.
Diese syllogistische Verkettung ist der Lebensnerv der mathema-
tischen Beweisführung. Der Mathematiker verkürzt die Form des
Ausdrucks; aber die syllogistische Gedankenform könnte nur zu*
gleich mit der Beweiskraft selbst aufgehoben werden.
Auch die Physik kann nur in syllogistischer Gedankenform aus
den allgemeinen Gesetzen die besonderen Erscheinungen erklären. Jede
Anwendung einer mathematischen Formel auf einen gegebenen Fall ge-
schieht mittelst einer syllogistischen Subsumtion des Besonderen unter
ein allgemeines Yerhältniss der Grösse oder Lage. Aber das Gebiet des
Syllogismus in der Physik und zumeist des Modus Barbara reicht noch
weiter, als das der mathematischen Formel. Das Gesetz, dass der wär-
mere Körper durch die Atmosphäre hindurch gegen eine kältere Um-
gebung, wenn er von derselben nicht durch schützende Media getrennt
ist, einen Theü seiner Wärme ausstrahlen und so erkalten müsse, kann
schon, ohne auf eine mathematische Form gebracht zu sein, unsere
meteorologische Erkenntniss vermöge der syllogistischen Subsumtion
fördern: nun aber ist die Erdoberfläche Nachts hei heiterem Himmel
wärmer als der sie umgebende Weltraum und nicht durch eine gegen
Erkaltung schützende Wolkendecke von demselben getrennt; also muss
sie gegen denselben einen Theil ihrer Wärme ausstrahlen und erkalten
(bis die Sonnenwärme Ersatz gewährt). Die Erklärung der Thaubildung
beruht auf dem Syllogismus: jeder erkaltende Gegenstand, dessen Tempe-
ratur unter die des sog. Thaupunktes herabsinkt, zieht aus der minder
kalten Atmosphäre einen Theil der in dieser enthaltenen Wasserdünste
an sich und bringt dieselben zum Niederschlag; die Oberfläche der Erde
und insbesondere auch der Pflanzen ist in heiteren Nächten (in Folge
der Wärmeausstrahlung nach dem Welträume hin) kälter, als die At-
mosphäre; also zieht dieselbe, wenn die Erkaltung die bezeichnete Grenze
tiberschreitet, einen Theil der in der Atmosphäre enthaltenen Wasser-
dünste an sich und bringt dieselben zum Niederschlag.
gung. Eant's Zurückweisung des kräftigsten Einwurfs unter allen, die
ffegen seine Lehre erhoben worden sind, durch ein blosses Scherzwort
(»ex pumice aquamlc Kr. d. pr, V., Vorr.), dessen Anwendung bereits
die Kantischen Voraussetzungen involvirt, ist aus Kant's subjectiver
Gebundenheit an seinen eigenen Standpunkt erklärbar und entschuld-
bar, aber nicht nachzuahmen. Was endlich die von Tiberghien so
stark betonte Unendlichkeit des Raumes betrifft, so kann diese nur in
dem negativen Sinne, dass nicht an irgend einer Stelle die Möglich-
keit des Fortgangs abgeschnitten ist, von uns erkannt werden, und nur
dieser Begriff derselben ist der mathematische. — Vgl. über diese Frage
die unten, § 129, angeführten Aeusserungen von B. Kiemann und H.
Helmholtz, worin die empirische Basis der Geometrie entschieden an-
erkannt wird; ferner Beneke's verdienstlichen Nachweis (Syst. der Log.
II, S. 51 ff.) von der Bedeutung der Induction und insbesondere der
Vergleichung unendlich vieler oontinuirlich mit einander verbundener
Fälle auf dem Gebiete der Geometrie.
368 § 110. Der erste Modus der ersten Fignr.
Die Anwendung der grammatischen Gesetze auf die einzelnen
Fälle ist ein syllogistischer Gedankenprocess; Die Verba, welche eine
intellectuelle Thätigkeit (die Anerkennung eines Seins) bezeichnen (verba
sentiendi et declarandi) fordern im Lateinischen die Construction des
Accusativ mit dem Infinitiv; persuadere in der Bedeutung überzeugen
(dass etwas sei) bezeichnet eine intellectuelle Thätigkeit, fordert also
diese Construction. Die Yerba, welche auf ein Streben (nach etwas, was
sein soll) gehen, werden mit ut construirt; persuadere in der Bedeu-
tung überreden (etwas zu thun) gehört dieser Classe an, wird also
in diesem Sinne mit ut construirt.
Das Gleiche gilt von der Anwendung der Rechtsgesetze. Das
Vergehen, dass eine fremde bewegliche Sache dem Besitze oder Gewahr-
sam eines Anderen entzogen wird, ist Diebstahl. Die That dieses An-
geklagten ist ein Vergehen dieser Art; also ist sie Diebstahl. Diebstahl
fordert härtere Bestrafung, als Unterschlagung einer gefundenen Sache
(die nicht im Besitze oder Gewahrsam eines Anderen war, indem etwa
der frühere Besitzer sie verloren oder aufgegeben hatte). Die Handlung
dieses Angeklagten aber ist Diebstahl; also fordert sie die härtere Be-
strafung. Bei der Anwendung eines Gesetzes auf einen einzelnen Fall
ist der Obersatz durch die Gesetzgebung festgestellt, der Untersatz wird,
indem er auf Thatsachliches geht, durch Augenschein, Geständniss, Zeug-
niss oder Indicienbeweis gefunden; liegt aber zwischen dem Gesetz und
seiner Anwendung eine gesetzlich maassgebende Interpretation in der
Mitte, so ist bei dieser das Gesetz der Obersatz, eine Annahme des
Gerichtshofs, wodurch die Bedeutung eines im Gesetz angewandten Aus-
drucks declarirt wird (z. B. ob die irrthüm liehe subjective Ansicht, dass
etwas geschehen sei, was nicht geschehen ist, eine > Meinung c im Sinne
des Gesetzes sei oder nicht), der Untersatz, und eine auf einen vor-
liegenden Einzelfall direct anwendbare (oder andernfalls diese Anwend-
barkeit direct ausschliessende) Norm der Schlusssatz. (A. Positiv: Jede
im Abgeordnetenhause geäusserte Meinung ist straflos, ein Irrthum jener
Art ist eine Meinung, also straflos. — B. Negativ: Jede Aeusserung im
Abgeordnetenhause, die nicht eine Meinung ausdrückt, war den allge-
meinen Strafgesetzen zu subsumiren und begründet keine Exemtion;
jede dort geäusserte irrthümliche subjective Annahme, dass etwas ge-
schehen sei, was nicht geschehen war, war laut maassgebender Ent-
scheidung eine Aeusserung, die nicht eine Meinung ausdrückte, also
war sie den allgemeinen Strafgesetzen zu subsumiren und begründete
keine Exemtion.)
Auf dem ethischen Gebiete wird ebenso das Besondere aus dem
Allgemeinen syllogistisoh erkannt, wie sehr auch der Ausdruck die
syllogistische Breite verschmähen möge, deren es hier insofern, als die
ethischen Verhältnisse auch schon dem allgemeinen menschlichen Be-
wusstsein unmittelbar nahe liegen, in der That nicht bedarf. Und doch
ist der Gang unseres ethischen Denkens ein syllogistischer, wenn wir
z. B. über eine bestimmte Person, die wir als pflichtgetreu erkannt
haben, das Urtheil fällen, dass sie achtungswerth sei; denn wir subsu*
§ 111. Die übrigen Modi der ersten l^igür. d6Ö
miren den einzelnen Fall unter das allgemeine Gesetz, dass die Pflicht-
trene den ethischen Anspruch auf Achtung begründe.
Das Gleiche gilt von dem Verständniss der historischen Er-
scheinungen. Ausser der (zu § 101, S. 825 schon erwähnten) Schiller-
schen Erklärung der Heftigkeit und Dauer des dreissigjährigen Krieges
(da im Religionskriege, zumal in der neueren Zeit, der Einzelne mit
persönlicher Ueberzeugung seine Partei zu nehmen vermöge) möge fol-
gendes Beispiel die Kraft dieser Gedankenform bezeugen. Diejenigen
Individuen, welche die von den edelsten CulturvÖlkem des Alterthums
einzeln errungenen Bildungselemente von ihren nationalen Schranken
befreit und ihre Verbreitung über alle bildungsfähigen Völker des Erd-
kreises begründet haben, sind unter den Persönlichkeiten des Alter-
thums von der hervorragendsten weltgeschichtlichen Bedeutung. Die-
jenigen Individuen aber, welche in dem reichen, durch die Arbeit der
Jahrhunderte errungenen Schatze der griechischen Kunst und Wissen-
schaft — ebenso die, welche in der römischen Rechts- und Staatsbildung
— ebenso endlich die, welche in den vorzugsweise von dem jüdischen
Volke gehegten religiösen Ideen — die allgemein menschlich gültigen
Elemente erkannt, dieses ewig Wahre der zeitlichen und vergänglichen
Hülle nationaler Beschränktheit enthoben, zu einer neuen und reineren
Gestalt fortgebildet, und die allgemeine Verbreitung dieser Bildungs-
elemente angebahnt haben, diese sind, jede auf ihrem Gebiete, die Träger
jener welthistorischen Aufgabe. Also sind sie unter den Persönlich-
keiten des Alterthums von der hervorragendsten Bedeutung. Wird
dieser Schlusssatz auf die einzelnen Personen bezogen, in deren welt-
geschichtlichem Wirken jene Charaktere sich nachweisen lassen, so
fällt diese Beziehung nach ihrer logischen Form wiederum unter die
nämliche Schlussweise; und sollte der Obersatz begründet werden, so
könnte auch dies nur in der gleichen syllogistischen Gedankenform ge-
schehen, nämlich durch Aufzeigung eines allgemeinen Entwickelungs-
gesetzes, dem auch die Menschheit als ethischer Gesammtorganismus
unterworfen sein muss.
§ 111. Die drei übrigen Modi der ersten Fignr
im engeren Sinne haben die Formen e a e, a i i, e i o,
and führen die Namen Celarent, Darii, Ferio, in welchen
die Anfangsconsonanten durch ihre alphabetische Folge und
die Yocale der Reihe nach durch Hindeutung auf die logische
Form des Ober-, Unter- und Schlu'sssatzes charakteristisch sind.
In dem Modus Gelarent wird aus einem allgemein
verneinenden Obersatze (kein M ist P) und einem allgemein
bejahenden . Untersatze (jedes S ist M) ein allgemein ver-
neinender Schlusssatz (kein S ist P) abgeleitet nach folgendem
Schema:
24
370
§ 111. Die übrigen Modi der ersten Figur.
M e P
S a M
S e P.
Der Beweis der Gültigkeit liegt in dem Sphärenverhältniss.
Ist M ganz von P getrennt, S aber ganz in M enthalten, so
muss auch S ganz von P getrennt sein.
1.
t. [ S M j
Der Modus Darii hat die Form:
M a P
S i M
S i P.
Es findet hier zwischen P, M und denjenigen (einigen) S,
welche M sind, dasselbe Sphärenverhältniss statt, wie in dem
Modus Barbara (s. § HO) zwischen P, M und allen S. Also
muss hier wenigstens von diesen (einigen) S gelten, was dort
von allen S galt, dass sie P sind. Von den übrigen S bleibt
es ungewiss, ob sie P seien oder nicht; sind sie M, so müssen
sie auch P sein; sind sie nicht M, so können sie dennoch P
sein, können aber in diesem Falle auch nicht P sein, wie sich
dies leicht durch Sphärenvergleichung ergiebt. Der Schlusssatz
hat also die Bedeutung: mindestens einige S sind P.
Der Modus Ferio endlich hat die Form:
M e P
S i M
S 0 P.
Hier findet zwischen P, M und denjenigen S, welche M sind,
das nämliche Sphärenverhältniss statt, wie zwischen P, M und
allen S in dem Modus Celarent (s. oben). Folglich sind, wie
§ 111. Die übrigen Modi der ersten Figur. 371
dort alle S nicht P, so hier wenigstens einige S nicht P.
Von den übrigen S bleibt es unentschieden, ob sie P seien
oder nicht; sind sie M, so folgt, dass sie nicht P sind; sind
sie aber nicht M, so können sie zu P jedes denkbare Ver-
hältniss haben. Also hat der Schlnsssatz den Sinn : mindestens
einige S sind nicht P.
Ein Beispiel zu Celarent liegt implicite schon in No. 14 des
grösseren mathematischen Beispiels zum vorigen Paragraphen^ indem
das »nur« des Obersatzes die Negation eines zweiten gemeinsamen
Punktes in sich schliesst. Andere Beispiele aus anderen Gebieten des
Denkens sind folgende. Keine Erkenntnissform, die einer eigenthüm-
lichen Existenzform entspricht, ist von bloss didaktischem Werthe.
Der Syllogismus ist eine Erkenntnissform, die einer eigenthümlichen
Existenzform (nämlich der realen Gesetzmässigkeit) entspricht. Also
ist der Syllogismus nicht von bloss didaktischem Werthe. — Was vom
Willen unabhängig ist, kann nicht durch Strafgesetze erzwungen wer-
den. Die theoretischen üeberzeugungen sind vom Willen unabhängig.
Folglich kann keine theoretische üeberzeugung durch Strafgesetze er-
zwungen werden. — Keine gerechte Entscheidung über die Glück-
seligkeit ist vom moralischen Verhalten unabhängig. Die göttliche Ent-
scheidung ist gerecht. Also ist sie nicht vom moralischen Verhalten
unabhängig.
Zu Darii. Was aus einem reinen moralischen Bewusstsein her-
vorgegangen ist, ist moralisch zu billigen. Einige Abweichungen von
den gemeinen Sittenregeln sind aus einem reinen moralischen Bewusst-
sein hervorgegangen. Also sind einige Abweichungen von den gemeinen
Sittenregeln moralisch zu billigen^ — In diesem Falle nur einige,
nämlich nur diejenigen, welche unter den Mittelbegriff fallen. In an-
deren Beispielen gilt das Prädicat des Schlusssatzes von einem Theile
der Sphäre des Subjectsbegriffs gemäss den Prämissen, ausserdem aber
thatsächlich auch von dem übrigen Theile, über welche aus den Prä-
missen nichts geschlossen werden kann. Alle Quadrate sind geradlinige
ebene Figuren. Einige (und zwar nur einige) Parallelogramme sind
Quadrate. Einige (in der That aber auch die übrigen) Parallelo-
gramme sind geradlinige ebene Figuren. — DerWerth dieses Schluss-
modus, sowie aller anderen in den verschiedenen Figuren, die mit ihm
in gleichem Falle sind, wird durch diese Unbestimmtheit zwar be-
schränkt, aber nicht aufgehoben. Denn es ist hier nicht alles un-
bestimmt, sondern nur dasjenige, worüber aus den Prämissen nichts
folgt. Es ist immer schon ein Gewinn, zu wissen, dass einigen S das
P zukomme (oder in anderen Modis mit particular verneinendem Schluss-
satze, dass einigen S das P nicht zukomme), und gewiss ist dieser Ge-
winn nicht darum zu verschmähen, weil uns, sofern nur die Prämissen
gegeben sind, das Weitere unbekannt bleibt, wie es sich mit den übrigen
S verhalte. Es mag >zu wenige folgen für unsere Wissbegierde;
872 § 112. Die zweite Figfor.
aber es folgt nicht »zu wenige in dem Sinne, dass der Sohluss zu
einer fehlerhaften Beschränkung des Prädicates P auf einige S ver-
leitete. Ein Fehler kann durch diesen Schlussmodus und alle ähnlichen
bei richtiger Anwendung niemals entstehen, wofern nur der Sinn des
particularen Urtheils genau bestimmt wird.
Zu Ferio. Keine menschliche Schwachheit kann der Gottheit
anhaften. Einiges von dem, was die Mythologie der Gottheit andichtet,
ist menschliche Schwachheit. Folglich kann (mindestens) einiges von
dem, was die Mythologie der Gottheit andichtet, ihr nicht anhaften. —
Uebrigens gilt auch bei diesem Modus wieder, was zu Darii über den
Sinn des particularen Schlussurtheils bemerkt worden ist
§ 112. In der zweiten Fignr, deren aUgemeines
Schema (s. o. § 103) folgendes ist:
P M
S M
S P
muss 1. der Obersatz allgemein und 2. eine der bei-
den Prämissen verneinend sein. Denn 1. sind P und M
particular verbunden (P i M, was mit M i P übereinkommt),
während das Verhältniss des tlbrigen Theiles ihrer Sphären
unbestimmt bleibt, und fällt S ganz in M (S a M), so bleibt
ungewiss, ob S in denjenigen Theil von M falle, der mit einem
Theile von P coincidirt, oder in den Theil, zu welchem P kein
bestimmtes Verhältniss hat, oder theils in jenen, theils in die-
sen; also folgt auch nichts Bestimmtes über das Verhältniss
von S zu P. Ist aber P particular von M getrennt (P o M),
und fällt wieder S ganz in M (S a M), so würde sich zwar
folgern lassen, dass einige P, nämlich diejenigen, welche nicht
M sind, auch nicht S seien; allein bei diesem Schlüsse wäre
die particular e Prämisse der Untersatz; dagegen folgt
nichts über das Verhältniss von S zu P, da die Sphäre von
P die Sphäre von M und vollends die Sphäre von S, welche
ganz innerhalb M liegt, sowohl umschliessen, als kreuzen, als
auch endlich ganz unberührt lassen kann, so dass bald alle
S P sind, bald einige, aber andere nicht, bald endlich kein
S P ist. Alle übrigen Combinationsformen mit particularem
Obersatze sind aber schon durch die allgemeinen Regeln
(§§ 106—108) ausgeschlossen. — 2. Sind beide Prämissen
bejahend, so ergiebt sich kein gültiger Schluss, weil daraus,
§ 118. Die gültigen Modi der zweiten Figur. 878
dass P und S beide ganz oder theilweise in die Sphäre von M
hineinfallen, nichts über ihr gegenseitiges Verhältniss folgt.
Von den acht Gombinationsformen, deren Gültigkeit durch die
allgemeinen Regeln (§§ 106 — 108) nicht aufgehoben wurde, nämlich :
aa ea ia oa
ae
ai ei
ao
fallen in der zweiten Figur nach der Regel über die Allgemeinheit
des Obersatzes i a und o a aus, und nach der Regel, dass nicht beide
Prämissen bejahend sein dürfen, (ausser i a) noch a a und a i, so dass
folgende vier übrig bleiben:
ea ae ei ao
deren Gültigkeit nunmehr zu erweisen ist.
§ 113. Die gültigen Modi der zweiten Figur
haben die Formen e a e, a e e, e i o, a o o, und führen die
Namen Cesare, Gamestres, Festino und Baroeo, in
welchen die Vocale der drei Silben der Reihe nach die Form
des Ober-, Unter- und Schlusssatzes bezeichnen, die Anfangs-
consonanten aber auf diejenigen Modi der ersten Figur zurück-
weisen, auf welche die Scholastiker im Anschluss an Aristo-
teles dieselben zum Behuf des Beweises ihrer Gültigkeit zu
reduciren pflegten, und von den übrigen Gonsonanten einige
die Weise dieser Reduction (wovon unten) andeuten. Die
Sphärenvergleichung erweist unmittelbar die Gültigkeit dieser
Modi.
Das allgemeine Schema der zweiten Figur:
P M
S M
S P
erhält in dem Modus Gesare die bestimmtere Gestalt:
P e M
S a M
S e P.
Der Obersatz behauptet ein völliges Getrenntsein der Sphären
von P und M, der Untersatz ein völliges Enthaltensein der
Sphäre von S in der von M. Das Symbol hierfür ist:
874
§ 118. Die gültigen Modi der zweiten Figur.
1.
2.
In beiden Fällen hat das völlige Getrenntsein des M von F
ein völliges Getrenntsein des S, welches in M ist, von P zur
nothwendigen Folge.
In dem Modus Gamestres erhält das Schema der
zweiten Figur die Gestalt:
P a M
S e M
S e P.
Hier haben im Vergleich mit Cesare P und S ihre Rollen ge-
tauscht: P liegt ganz in M, S ganz ausserhalb M, woraus
aber für S und P wiederum das Verhältniss des völligen Ge-
trenntseins von einander folgt.
Aus den nämlichen Prämissen kann jedesmal in Ce-
sare und in Gamestres geschlossen werden; die Umkeh-
rung des (allgemein verneinenden, daher rein umkehrbaren)
Schlusssatzes begrtlndet hier den Uebergang in einen anderen
Modus (was nicht allgemein nothwendig und namentlich in
Darapti der dritten Figur nicht der Fall ist), weil die dadurch
bedingte Vertauschung des Ober- und Untersatzes hier eine
veränderte Form des nunmehrigen Obersatzes im Vergleich
mit dem früheren Obersatze, und ebenso des Untersatzes zur
Folge hat.
Der Modus Festino hat die Form:
P e M
S i M
S 0 P.
Der Beweis seiner Gültigkeit liegt darin , dass diejenigen
§ 118. Die gültigen Modi der zweiten Figur. 875
(einigen) S, welche M sind, hier in dem nämlichen Verhält-
nisB zn dem ganz von M getrennten P stehen müssen, wie bei
Cesare alle S; d. h. (mindestens) diese S, also (mindestens)
einige S sind nicht P. (Wenn alle S M sind, so sind auch
alle S nicht P; wenn aber nur einige S M sind, andere
nicht, so können beide Fälle eintreten, sowohl dass nur einige
S nicht P sind, andere aber P sind, als auch, dass alle S
nicht P sind.)
Der Modus Baroco hat die Form:
P a M
S 0 M
S 0 P.
Hier stehen einige S, nämlich diejenigen, welche nicht M sind,
zu P, welches ganz in M hineinfällt, ebenso im Verhältniss
der Trennung, wie bei Camestres alle S. Also sind (minde-
stens) einige S nicht P. (Wenn kein S M ist, so ist auch
kein S P; wenn aber nur einige S nicht M sind, so werden
bald nur einige S, bald alle S nicht P sein.)
Beispiele zu Cesare sind folgende. In dem Platonischen
Dialog Gharmides wird geschlossen: die Verschämtheit ist nicht etwas
durchaus Gutes; die Bescheidenheit ist etwas durchaus Gutes, also ist
die Bescheidenheit nicht Verschämtheit. Aristoteles sohliesst Ethic. Nie.
II, 4 : die na&ri machen den Menschen nicht edel oder schlechti lobens-
werth oder tadelnswerth ; die «q^tuC thun dies aber ; also sind die ag^xal
nicht na^. Ferner: die Affecte beruhen nicht auf Vorsatz; die Tu-
genden aber beruhen auf Vorsatz; also sind sie nicht Affecte. — In
gleicher Weise schliesst Erdmann (Gesch. der neueren Pbilos. III, 2,
S. 694): Der Verfasser des Aufsatzes über das Verhältniss der Natur-
philosophie zur Philosophie überhaupt (in dem von Schelling und Hegel
herausgegebenen kritischen Journal der Philos., 1802—03) hatte nicht
das Bewusstsein, dass die speculative Logik eine abgesonderte Stelle in
der Reihe der philosophischen Wissenschaften einnimmt; Hegel aber
hatte damals bereits dieses Bewusstsein; folglich ist Hegel nicht der
Verfasser jenes Aufsatzes.
Zu Camestres. Aristoteles zeigt Ethic. Nicom. II, 4, dass die
Tugenden nicht 6wa/jL€iQ (ursprüngliche Vermögen oder Anlagen, Fä-.
higkeiten) seien, durch folgenden Schluss : die dwafing sind Naturgaben ;
die Tugenden aber sind nicht Naturgaben (sondern erworbene Eigen-
schaften oder Fertigkeiten), also auch nicht 6wu(jLHi. Arist. schliesst
Analyt. poster. I, 14: Jede Wesenserkenntniss ist affirmativ; kein
Schlusssatz in der zweiten Figur ist affirmativ, also ist kein Sohluss-
satz in dieser Figur eine Wesenserkenntniss. Ferner: jede Wesens-
erkenntnisi ist allgemein; kein Sohluswatz in der dritten Fignr iat all-
gemein; also fuhrt such die dritte Figar nioht znr WeeenserkenntniM.
— Auf Gmnd der Aristotelüoben Berichte über die Ionischen Natar-
philosophen bildet die neuere hiatorisahe Kritik folgenden SyllogiBmus:
Nach dem Zeugnisa des AristoteleB (de coelo III, 5] haben alle die-
jenigen Philosophen, welche das Eine materielle Prinoip alt ein Mittel-
weeeu mischen Wuser und Lnft bestimmen, ans demselben durch Ver-
dichtung und Verdünnung die Dinge entstehen lassen. Nach dem
ZeugnisB desselben Aristoteles aber [Phys. 1, 4] hat Anaximander die
besonderen Stoffe aas dem ÜrsUiff nicht durah Verdichtung und Ver-
dünnung (sondern durch Ausscheidung) hervorgehen lassen. Folglich
gehört Anaximander (die genaue Richtigkeit beider Aristotelischen
Zeugnisse vorausgesetzt) nicht zu denjenigen Philosophen, welche das
Eine materielle Princip als ein Mittleres zwischen Wasser and Luft
bestimmen. — Der Beweis, den die historiscfa-litterarische Kritik für
die ünechtheit der Haopherson'schen Oiaianlieder geffihrt hat, lisst sich,
sofern er sich auf innere Gründe stützt, in folgenden Sfllogismus sn-
sammendrängen: jede wirkliche Naturdichtung ist nair; die von Hao>
phereon veräffentlichten rorgeblichen Gedichte des Ossian sind nicht
naiv (sondern sentimental) ; folglich sind dieselben nicht eine wirkliebe
Natnrdichtung. — Der Neuplatoniker Origines bat naoh dem Zeugniss
des PorphjrriuB (vit. Plot. c. S; of. ibid. o. 20) swei Sohriften und nur
diese verfasst: nfpi Sutfiävaiv und; ort fiövos nonfr^^ ö ßaaiUiit. Der
Kirchenlehrer Origenes hat viele andere Schriften verfasst, von denen
auch Porphyrins wusste, so dass von ihm die Aussage nicht gelten kann,
er habe jene und nur jene Schriften verfasst. Also ist der Kirchenlehrer
Origines nicht der Nevplatoniker. — Dag^^ würde nichts ans den
beiden afSrmativen Pr&missen folgen; Der Nenplatoniker Origenes war
(nach Forpfayrios, s. o.) ein Sohöler des Ammonias Saocas; der Kirchen-
lehrer gleichen Namens war (nach Porphyrius bei Euseb. Kirohengesoh.
VI, 19, 3) ein Schüler des Ammonins Saccas. — Der Astronom Leverrier
schloss: die Gesammtsahl der eq unserem Sonnensystem gehörenden
Weltkörper mugs die Bahn des Uranus vollstSndig bestimmen; die be-
kannten Weitkörper unseres Sonnensystems aber bestimmen nicht die
Bahn des Uranus vollständig; folglich bilden dieselben nicht die Oe-
sammtheit aller vorhandenen — eine negative Einsicht, welche die
positive Ermittelung derEzisteni, des Ortes nnd der Masse des Neptun
vorbereitete.
Zu Festino. Die BethStignng einer blinden [nach der Weise
des Epiknr als nioht nrsprfinglich durch Zwecke bestimmt gedachten)
Cansalität physikalischer und chemisoher Natnrkrftfte führt nicht m
kunstvoll gegliederten und sich selbst reprodn airenden Organismen.
Einige Natnrprocesse aber führen eu solchen Organismen. Also sind
(mindestens) einige Naturprooeeee nicht eine Bethätignng einer tweok-
losen Cansalität physikalischer und chemischer Natnrkräfte.
Zu Baroco. Alles Wahre mau mit sich selbst und den siche-
ren Thataachen dnrohweg Euaammenitimmen. Einige LehrsiUe d«
§ 113. Die gültigen Modi der zweiten Figur. 877
Eantiflchen Systems stimmen mit sich selbst und den sicheren Thatsachen
nicht durchweg zusammen. Also sind (mindestens) einige Lehrsätze des
Eantischen Systems nicht wahr. ^ Alle regelmässigen ebenen Figuren
(im engeren Sinne dieses Begriffs) lassen sich einem Kreise einschreiben;
einige Parallelogramme aber lassen sich nicht einem Kreise einschreiben ;
also sind einige Parallelogramme nicht regelmässige ebene Figuren. —
Alle moralisch Gesinnten thun das Rechte in der rechten Gresinuung;
einige, die leg^l handeln, thun nicht das Hechte in der rechten Gesin-
nung; also sind einige, die legal handeln, nicht moralisch gesinnt.
Die Weise, wie die Scholastiker nach dem Vorgänge des
Aristoteles die Modi der zweiten, dritten und vierten Figur auf die
betreffenden Modi der ersten reduciren, wird in den Namen der-
selben durch die Gonsonanten s, p, m und c angedeutet, und zwar be-
zeichnet:
8 die conversio Simplex,
p die conversio per accidens sive in partioul. propositionem,
B die metathesis praemissarum,
e die eonversio syllogismi (nach Arist. Top. YIII, 14 168 a. 82.
ttVTKnQifpsiv) oder die duotio per eontradictoriam proposi-
tionem sive per impossibile.
Demgemäss wurde in Cesare (wo das s als Schlussconsonant der
ersten Silbe gelten muss) der erste oder Obersatz durch conversio
Simplex aus P e M umgewandelt in M e P und nun in der ersten
Figur nach Celarent geschlossen:
M e P
S a M
S e P.
Diese Reduction ist allerdings vollkommen beweiskräftig und an sich
ebensowenig zu tadeln, wie die Beweisführung für einen mathematischen
Lehrsatz, die denselben mittelst eines Hülfssatzes auf einen früheren
Lehrsatz reducirt, wodurch seine Berechtigung, als ein neuer und eigen-
thümlicher Lehrsatz zu gelten, gar nicht aufgehoben wird. Da sich
aber der Beweis auch ohne Reduction durch Sphärenvergleichung fuhren
lässt und so eine grössere Anschaulichkeit gewinnt, so ist diese directe
Weise vorzuziehen. Dazu kommt, dass in der Sphärenvergleichung ein
allgemeines Princip liegt, welches möglich macht, in einem jeden ge-
gebenen Falle unmittelbar, ohne dass es erst einer speciellen Erinnerang
an die Figur und den Modus bedarf, zu prüfen, ob sich ein gültiger
Schlusssatz ergebe, und welche Form derselbe tragen müsse.
Das Gleiche gilt von den übrigen Reductionen.
In Camestres muss nach einander eine Umwandlung des inneren
Verhältnisses der Prämissen, wodurch der Obersatz zum Untersatze
wird und umgekehrt (was symbolisch durch die Umstellung angedeutet
wird), dann eine reine Gonversion der negativen Prämisse und endlich
des Schlusssatzes eintreten. Also wird aus:
woram nach Celarent in der enteu Figur folgt:
P e S,
worana eadlioh dorch Couvenio aiinplex:
S e P.
Statt dieser Eedaction haben neuere (wie namentlich schon Wolff,
Log. § 361; cf. § 399] eine andere, nämlich durch Contraposition des
Oberaatzes angewandt, die allerdings den Vorzug hat, dass sie die in
manchen Beispielen unnatürliche Conversion des Untersatzes venneidet,
aber doch auch ihrerseits der direoten Sphärenvergleichang an Werth
nachsteht.
In Festino wird, wie in Cesare, nur der Obersatz convertirt
und dann in Ferio gesahloaBen,
In Bar CO» kommt die ductio per impossibile oder die ap^^-
gische Beweisführung Eur Anwendung. Um nSmlioh tu beweisen, daas
aus den Främissen :
der Schlusssatz:
S 0 P
mit Nothwendigkeit folge, wird nachgewieseu, dass das coutradictorische
Qegentbeil des Schlusssatzes, nSmlioh S a P nicht mit den Prämissen
zusammenbestehen könne. Senn wird S a P mit dem Obersatze P a M
znsamroengedacht, so folgt nach Barbara in der ersten Figur: S a M,
was doch das contradictorisobe Gegentheil des gegebenen Untematzes
S o M ist und daher eben so gewiss falsch sein muss, als S o M wahr
ist. Mithin muss auch die Annahme falsch sein, welche auf dieses
falsche Resultat geführt hat, d. h. es muss S a P falsch sein, folglich
das GOntradictorische Gegentheil, d. h. S o F wahr; was zu beweisen
war. Diese Reduction ist übrigens nicht so unnatürlich, als sie vielleicht
zunächst scheinen mag. Wenn (nach Trendelenburg} der Gedanke
in leichter üebersicht ans den gegebenen Urtheilen: alle Quadrate sind
Farallelogranune; einige regelmässige geradlinige Figuren sind nicht
Farallelogramme — den Schluss zieht; einige regelmässige geradlinige
Figuren sind keine Quadrate, so möchte doch die Analyse in diesem
Qedankenprooesse die stillsohweigend eingetretene Eeflesion auffinden,
welche, nur leicht modifioirt, durch die Aristo telisoh-soholastisohe Re-
duction an das Licht des Bewusstseins hervorgezogen wird: — denn
wären sie Quadrate, so würden sie Parallelogramme sein, was sie ja
doch nicht sind. Diese Reduction schlieast sich dem natfirtiohea Ge-
9 114. Die dritte Figur.
daukenganff ebenso wohl an, wie snilereneits anoh die Wolf i
dnrcb Contrapoaition des Obenatzea, alBo in janem Beiapieh wa
Farallelogramm iat, irt uioht Quadrat. — Auch liesae sich Bart <
Camestres (und Featino auf CeBare) zuriickführsD, wenn die; i
(einigen) S, von welchen der Untersatz gilt, naier einen besonde:
griff gestellt und etwa dorch 8' bezeichnet werden; dann um
SahluBBBatz allgemein von S', folglich partioular von S gelten. A
telei nennt ein solcheB Verfahren lx9eiris (Anal. pri. I, o. 6).
unten zn § 115, S. B84. Dooh ist die BeweiafÜhrang daroh nn i
bare Sph&resvergleiohiing jeder Art der Rednotioo vorenzieliaD.
§ 114. Iq der dritten Figur, deren allgen ■■
Schema (s. o. § 103) folgendes ist:
M P
M S
880 § 115. Die gültigen Modi der dritten Figur.
aa ea ia ai oa ei.
Von diesen ist nun zu zeigen, dass sie wirklich zu gfültigen Schlüssen
fahren.
§ 115. Die gültigen Modi der dritten Figur haben
die Formen a a i, e a o, i a i, a i i, o a o, e i o, und
fuhren die Namen Darapti, Felapton, Disamis, Datisi,
Bocardo, Ferison, in welchen wiederum die Vocale der
Beihe nach die Form des Ober-, Unter- und Schlusssatzes be-
zeichnen, die Consonanten aber die Aristotelisch-scholastische
Beduction betreffen. Auch hier lässt sich der Beweis der
Gültigkeit durch unmittelbare Sphärenvergleichung fahren.
Das allgemeine Schema der dritten Figur:
M P
M S
S P
nimmt in dem Modus Darapti die bestimmtere Gestalt an:
M a P
M a S
S i P.
Da nach den Prämissen die Sphäre von M ein gemeinsamer
Theil der Sphären von P und S ist, so müssen diese auch
unter einander in eben diesem Theile coincidiren, während das
Verhältniss ihrer etwaigen anderen Theile unbestimmt bleibt
Also gilt der Schlusssatz: mindestens irgend einem Theile
der Sphäre von S kommt das Prädicat P zu.
In jedem Beispiele, wo beide äussere Termini die Sub-
stantivirung zulassen, kann aus den nämlichen Prämissen
inamer ein doppelter Schluss gezogen werden, nämlich, wenn
diese Termini A und B sind, sowohl A i B, als auch B i A.
Da aber in beiden Fällen der jedesmalige Obersatz von all-
gemein bejahender Form ist, und ebenso auch der jedesmalige
Untersatz, so liegen hier, wie schon oben (§ 113) bemerkt
worden ist, nur zwei verschiedene Beispiele des nämlichen
Schlussmodus vor, nicht, wie bei Gesare und Camestres, zwei
verschiedene Modi.
Der Modus Felapton hat die Form:
§115. Die gültigen Modi der dritten Figur.
M e P
M a S
S 0 P
Der Beweis seiner Gültigkeit liegt darin, dass diejenij ;
mit welchen M coincidirt, zugleich mit M selbst von P ge :
sein mttssen. Also (mindestens) einige S sind nicht P.
Die Form des Modus Disamis ist folgende:
M i P
M a S
S i P.
Sind die Sphären von M und P partiell vereinigt und
M ganz in S, so muss auch S partieU, nämlich mindeste :
demjenigen Theile, mit welchem der in P fallende Thei
M coincidirt, mit P vereinigt sein. (Doch können nicht, '
nur einige M P sind, andere aber nicht, alle S P sein,
dem in diesem FaUe sind auch nur. einige SP, s. i
Bocardo.)
Von ganz ähnlicher Art ist der Modus Datisi, in wel :
aus den nämlichen Prämissen, wie in Disamis, geschl i
werden kann, indem nämlich der Satz, welcher zu dem Sei I
Satze von Disamis im Verhältniss des umgekehrten Ur '.
steht, als Schlusssatz genommen wird, wonach die partic i
Prämisse, die dort Obersatz war, hier Untersatz wird,
die universale Prämisse Obersatz. Die Form dieses Modu i
M a P
M i S
S i P.
Diejenigen S, mit welchen ein Theil von M coincidirt, mü <
da dieser Theil, wie überhaupt die ganze Sphäre von I!
die Sphäre von P fällt, mit demselben in eben diese Sp!
fallen; also mttssen mindestens einige S dasPrädicat P hti
(Auch wenn nur einige M S sind, können dennoch alle
sein.)
Der Modus Bocardo hat die Form:
M 0 P
M a S
S 0 P.
Sind einige H nicht P, alle M aber S, so ßUlt (nach dem
Untersatze) mit .jedem Tbeile von M, folglich anch mit dem-
jenigen, der (nach dem Obersatze) von P getrennt ist, irgend
ein Tbeil der Sphäre von S znsammeuj also ist auch ein Theil
der Sphäre von S von der Sphäre von P getrennt, d. h. ein
oder einige S sind nicht F. (Es kOnnen recht wohl anch
solche S, die nicht mit K coincidiren, von P getrennt sein; es
können andererseits, wenn selbst kein M P ist, dennoch einige
S P sein; aber es kann nicht, wenn nnr einige M nicht P
sind, andere H aber P sind, kein SP sein, sondern in diesem
Falle werden auch nnr einige S nicht P sein, andere aber
allerdinge F sein, nach Disamis.)
Ferison endlich bat folgende Form:
M e P
» i S
S 0 P.
Mindestens diejenigen S, mit welchen ein Theil von M coin-
cidirt, müssen, da dieser Theil, so wie das ganze M, von P
getrennt ist, mit denselben zugleich von P getrennt sein, wo-
gegen ungewiss bleibt, ob die Sphäre von S anch solche Tbeile
habe, die ansserbalb Sf liegen, und wenn sie solche hat, wie
diese sich zu F verhalten. Also vielleicht alle, mindestens
aber einige S Sind nicht P. (Sowohl, wenn nur einige M S
sind, als auch, wenn alle MS sind, kann der Fall eintreten,
dasB einige S P sind und andere nicht F sind, aber auch
der Fall, dass alle S nicht P sind; sicher aber ist immer,
dasB mindestens einige S nicht F sind.)
Beispiele zu Darapti. Alle Wale sind Säugethiere ; alle Wale
sind Wasserthiere ; also sind einige Wauerthiere Säagethiere. Oder:
Alle Cetaceen aind Wasaerthiere ; alle Celaceea sind Säugetfaiere; also
Bind einige Sängelhiere Wasaerthiere. — Das Verbum iobeo wird mit
dem Accnsativ nnd Infinitiv oonstmirt; das Verbum iubco ist ein Ter-
bnm, welches anf ein Sollen (und nicht auf ein Sein) gebt; also min-
deatena irgend ein Theil der Verba, die auf ein Solleu (and nicht auf
ein Sein) gehen, wird mit dem Äccueativ und Infinitiv oonstruirt. [Daa
singulare Urtheil iet in dienern Beispiel, weil das Subject ein individuell
bestimmtes iat, als ein univerealeB anzusehen, i. a. § 70).
Zn Felspton. lubeo ist nicht ein verbnm sentiendi vel deola-
randi; inbeo wird mit dem Aoousativ nnd Infinitiv oonstruirt; also
§ 115. Die gültigen Modi der dritten Figur.
mindestens ein oder einige lateinische Yerba, die mit dem Ac
und Infinitiv oonstruirt werden, sind nicht verba sentiendi vel decl
Zu Disamis. Einige Pronomina der französischen Spracl
der Gasusflexion fähig ; alle französischen Pronomina sind Wort
französischen Sprache ; also sind einige Wörter der französischen S
der Gasusflexion fähig.
Zu Datisi. Alle Schlüsse in Darapti gehören einem und
selben Modus an; einige Schlüsse in Darapti sind Schlüsse at
nämlichen Prämissen mit Schlusssätzen, die sich zu einander ai
gekehrte Urtheile verhalten ; also gehören einige Schlüsse aus den
liehen Prämissen mit Schlusssätzen, die zu einander im Verhältni
ümkehrung stehen, einem und demselben Modus an. — Alle Sei
von denen der eine in Gesare, der andere in Gamestres gezogen
(wie auch solche in Disamis und Datisi), gehören zwei verschie
Modis an; einige Schlüsse dieser Art sind Schlüsse aus den näm!
Prämissen mit umgekehrtem Schlusssatze; also einige Schlüsse au I
nämlichen Prämissen mit Schlusssätzen, die zu einander im Vörha i
der Umkehrung stehen, gehören zwei verschiedenen Modis an.
Zu Bocardo. Einige der Zauberei Angeklagte haben sich I
nicht von der Schuld, die ihnen zur Last gelegt wurde, frei gegl I
alle der Zauberei Angeklagte waren eines bloss fingirten Yerbre
angeklagt; einige also, die eines bloss fingirten Verbrechens ange i
waren, haben sich selbst nicht von der ihnen zur Last gelegten S(
frei geglaubt.
Zu F e r i s o n. Kein Schlussmodns darf in einer wissenschaftl: i
Syllogistik übergangen werden; einige Schlussmodi sind Modi, die I
Hauptmodis der ersten und zweiten Figur an wissenschaftlichem W< I
nachstehen; also (mindestens) einige Modi, die den Hauptmodis ;
ersten und zweiten Figur an wissenschaftlichem Werthe nächste
dürfen in einer wissenschaftlichen Syllogistik nicht übergangen wei <
Die Aristotelisch-scholastische Reductionsweise ist i
hier wieder in den Namen angedeutet. In Darapti ist das D ui I
charakteristisch: durch Umkehrung des allgemein bejahenden Ui
Satzes M a S in den particular bejahenden S i M wird der Modus I
der ersten Figur hergestellt, nach welchem sich der gesuchte Seh
satz S i P ergiebt. In gleicher Art wird Felapton durch convc
particularis des Untersatzes auf Ferio reducirt. In Disamis darf
Untersatz nicht convertirt werden, damit nicht beide Prämissen pi
cular werden ; daher wird der (particular bejahende) Obersatz der •
versio simplex unterworfen; nun ergiebt sich ein Schluss nach Di
aber nicht von der Form S P, sondern von PS; es ist dies also
solcher Schluss, worin der Satz, der ursprünglich ah Obersatz gege
war, vielmehr als Untersatz gedient hat, und der gegebene Unten
als Obersatz, so dass eine metathesis praemissarum erfolgt ist (eine l i
Wandlung des inneren Verhältnisses der Prämissen, mag die äuss
Stellung als Symbol dieses Verhältnisses mit geändert worden sein oi
nicht); durch conversio simplex des Schlusssatzes wird endlich i
SohlnnmU, der dietem Modos eignet, gewonnen. Leichter iit die Be-
duction in Satiai, wo e« nur der convenio simplex dei Untenattes
bedarf, um nocb Dftrii den SahluiBsatz anmittelbar in der geeigneten
Form zu erhalten, — üebrigena können alle diese Modi, wie Aristo-
tele« (Anal. pri. I. c. 6] mit Recht bemerkt, auch indirect oder apago-
giach als gältig erwiesen werden: ferner aber lassen aich Disamis und
Datisi anf Darapti durch tx9tai{ Eurüokführen, d. h. durch Heraus-
setten eines Theiles, indem in Disamis diejenigen (einigen) M, welche
P sind, in Datiai aber die, welche S sind, ans der Geaammtheit aller M
herausgehoben and anter einen besonderen Begriff gestellt, demgem^we
auch durch einen eigenen Buchstaben, etwa N, beceichiiet werden; da
nun von diesen N auch dasjenige gelten muss, was von allen M gilt,
Bo kann N statt M jedesmal anoh in der anderen Prämisse eingesetst
werden, so das« in beiden Modis die Prftmiiseu die Gestalt erhalten:
N a P; N a S; woraus nach Darapti folgti S i F. — Die Gültigkeit
dea Modus Booardo wird (wie in der iweiten Figur die Gültigkeit
von Barooo) von Aristoteles und den Scholastikern apagogisoh erwiesen.
W&re der Satz falsch, dass einige S nicht P sind, und wäre also sein
oontradiotorisches Gegentheil wahr, dass alle S P seien, so würde, wenn
vrir diesen Satz mit dem g^pebeaen Untersatze, wonach alle M S sind,
znsammendenken, nach Barbara in der ersten Figur folgen, dass alla
M P seien, was dooh dem gegebenen Obersatz, wonach einige H nicht P
sind, widerspricht; also kann auch der Satz, der ans auf diesen Wider-
sprach geführt hat, nicht wahr sein, nämlich der Satz, dass alle 8 P
seien; also sind einige S nicht P, was zu beweisen war. Aristoteles
bemerkt (a. a. 0.), dass sich dieser Modus auch ohne das api^Qgisohe
Verfahren beweisen lasse, nämlich wiederum durch dos tx-'HaSiu oder
Xafipävfif desjenigen Theilea des Mittelb^^riffe, wovon der Oberaatz gilt.
Beseiohnen wir diesen Theil durch N, so wird aus den Prämissen (in
derselben Art wie oben); N e P; N a S; woran« nach Felapton folgt:
S 0 P; w. z. b. w. — Der Modus Feriaon endlich wird, wie die
oharakteristisohen Buchstaben F und s anzeigen, durch oonversio simples
des Dotersatzee auf Ferio zurückgeführt, nach welchem aus M e P und
S i H 3 o P folgt; w. E. b. w. Durch ixSiais kann auch dieierModos
auf Felapton zurückgeführt werden.
§ 116. In der Tierteo Fignr (oder der zweiten
Abtbeilnng der ersten Fignr im weiteren Sinne),
deren allgemeineB Schema (s. o. § 103) folgendes ist:
P M
H S
S P
darf keine Prflmisse particnlar verneinen; ansserdem ist noch
die CombinatioD eines allgemein bejahenden Obersatzes mit
§ 116. t)ie vierte Figut. SS6
einem particular bejahenden Untersatze ausgeschlossen. Denn
ist eine Prämisse particular verneinend, so könnte schon nach
den allgemeinen Kegeln (§§ 106—108) die andere nur all-
gemein bejahend sein, so dass sich hierfür die zwei Com-
binationen oa und ao ergeben:
1. P 0 M 2. P a M
M a S M 0 S.
Ist aber (nach 1.) P particular von M getrennt, und fällt zu-
gleich M ganz in S, so ist schon ungewiss, welches Verhält-
niss M, als Subject gedacht, zu P, wenn dieses als Prädicat
gedacht wird, habe, da das particular verneinende Urtheil
(nach § 88) keine Gonversion zulässt; da nun zudem nach
dem Untersatze ungewiss bleibt, ob und wie weit die Sphäre
von S ttber die von M hinausgehe, so ist die Beziehung
zwischen 8 und P noch unbestimmter, so dass nicht einmal
über das Yerhältniss von P zu S, noch weniger aber über das
Verhältniss von S zu P irgend etwas entschieden werden. kann.
(Wäre freilich der Sinn der Prämisse P o M, dass nur einige
P nicht M seien, andere aber wohl, so würde aus dem implicite
mitgedachten Urtheil P i M in Verbindung mit M a S sich
ein bestimmter Schlusssatz, nämlich S 1 P, nach dem Modus
Dimatis ergeben; aber dies ist nicht der logische Sinn des
particularen Urtheils.) Wenn (nach 2.) M particular von S
getrennt ist, aber die Sphäre von P ganz umschliesst, so
bleibt wiederum sowohl das Verhältniss von P zu S, als auch
das von S zu P völlig unbestimmt. Denn P kann ebensowohl
in den von S getrennten Theil von M fallen, als auch ganz
oder theilweise in den etwa mit S coincidirenden Theil von
M, und dies wiederum entweder so, dass S ganz, oder so, dass
S theilweise in P fällt. (Dieses Verhältniss würde auch dann
l unbestimmt bleiben, wenn der Sinn von M o S wäre: nur
einige M sind nicht S ; s. u.) Was ferner die Combination a i :
P a M
M i S
betrifft, bei welcher P ganz in M und M theilweise in S fällt,
so bleibt dabei unbestimmt, welcher Theil von M in S falle,
ob ein solcher, der pit P oder einem Theile von P coincidirt,
oder vielleicht nur ein solcher, der ausserhalb P liegen mag.
S
Folglich bleibt anch das Verhältniss zwiscben S und P völlig
aubegtimmt. (Dieses VerbältniBS wQnle ancb dann unbeetimmt
bleiben, wenn der Sinn von M i S wäre: nnr einige M sind
S, andere aber nicht; s. o.)
Da hiernach die Combi nationeformen ;
ausfallen, so bleiben von den acht Verbindungen, deren Gültigkeit nach
den allgemeinen Regeln (§9 ^^^ — 103) möglich blieb, für die vierte
Fignr folgend» fünf übrig, die in der That zu gültigen Schlüssen fuhren:
§ 117. Die galtigen Modi der vierten Pignt
(oder der zweiten Abtheilnng der ersten Fignr im
weiteren Sinne) haben die Formen aai, aee, iai, eao,
eio, und fuhren die Namen Bamalip, Calemes, Dimatis,
Fesapo, Fresiaon, in welchen wiedernm die Vocale der
Reihe nach die Form des Ober-, Unter- nnd Schlnsssatzea be-
zeichnen nnd die Consonanten auf die ÄriBtoteliBcb-scholasti-
Bche Rednction gehen. Der Grand der Gültigkeit liegt anch
hier wiedenim in dem Spärenverhältnisa, und der Beweis kann
durch nomittelbare Vergleichnng der Sphären geführt werden.
Das allgemeine Schema der vierten Figur:
P M
MS'
S P
nimmt in dem Modus Bamalip die bestimmtere Gestalt an:
F a M
M a S
S i P.
Nach den Prämissen haben hier die drei Termioi zu einander
das nämliche Verhältniss, wie in dem Modaa Barbara der ersten
Figur, nur dass F nnd S ihre Rollen tauschen: die Sphäre
von P fällt ganz in die entweder mit ihr identische oder wei-
tere Sphäre von M, und diese wiederum ganz in die entweder
mit ihr identische oder weitere Sphäre von S. Eben so un-
mittelbar aber, wie auf dieses Spbärenrerhältniss das Urtbeil
P a S gegrtlndet werden könnte, folgt aus. ebendemselben das
Urtbeil S i F. Im Falle der Identität aller drei Sphären sind
§ 117. Die gültigen Modi der vierten Figur. 887
0
^^ %
alle S P, sonst nur einige; welcher Fall in einem gegebenen
Beispiele statthabe, lässt sich aus den gegebenen Prämissen,
wenn nichts Weiteres gegeben ist, zwar nicht entscheiden;
aber es bedarf dessen auch nicht, um mit Sicherheit jenes
Sehlussurtheil S i P in dem Sinne: mindestens einige S sind
P, zu gewinnen; was zu beweisen war.
Der Modus Calemes hat die Form:
P a M
MeS
S e P."
Das Yerhältniss der Termini ist hier das nämliche, wie bei
Celarent in der ersten Figur, nur dass wieder P und S ihre
Rollen getauscht haben. Aber es bedarf auch hier wiederum
eben so wenig» wie bei Bamalip, einer Umkehrung des nach
der ersten Figur sich ergebenden Schlusssatzes P e S, um
zu S e P zu gelangen ; sondern es kann unmittelbar auf das
Sphärenverhältniss, wonach M und S ganz von einander ge-
trennt sind, P aber ganz in M liegt, auch das Urtheil gegründet
werden: S ist ganz yon P getrennt, oder: kein S ist P.
Der Modus Dimatis hat folgende!^ Schema:
P i M
M a S
S i P.
Das Sphärenverhältniss ist das gleiche, wie bei Darii, wenn
die äusseren Termini mit einander vertauscht werden : M coin-
cidirt in seinem ganzen Umfang mit S oder einem Theile von
S und mindestens in einem Theile seines Umfangs mit einem
Theile des Umfangs von P, woraus folgt, dass S und P min-
destens particular, nämlich in demjenigen Theile, den sie beide
mit M gemeinsam haben, mit einander coincidiren müssen.
Folglich sind mindestens einige S P, was zu beweisen war.
(Sowohl wenn nur einige P, als auch, wenn alle PM sind,
kann der Fall eintreten, dass nur einige S P sind, aber auch
der andere, dass alle S P sind.)
Die Form des Modus Fesapo ist:
P e M
M a S
S 0 P.
388 § 117. Die gültigen Modi der vierten f^igur.
Nach den Prämissen sind !P und M ganz von einander ge-
trennt, während zugleich M ganz in S fällt; es müssen also
mindestens diejenigen S, welche mit M coincidiren, gleichfalls
von P getrennt sein: mindestens einige S sind nicht P. In
der ersten Figur im engeren Sinne besteht kein entsprechender
Modus, weil aus den gegebenen Prämissen nichts Bestimmtes
über das Verhältniss von P zu S sich ergiebt; die Sphäre
von S kann sich über die von M in der Art hinaus erstrecken,
dass zugleich alle P, oder dass einige P darunter fallen, aber
auch so begrenzt sein, dass sie von P und P von ihr völlig
getrennt bleibt.
Der Modus Fresison endlich hat folgende Form:
P e M
M i S
S 0 P.
Dieser Modus unterscheidet sich von Fesapo nur durch die
Particularität des Untersatzes. Diejenigen S, welche mit einem
Theile von M coincidiren, müssen, da dieser Theil zugleich
mit dem ganzen M von P getrennt ist, gleichfalls von P ge-
trennt sein; also mindestens einige S sind nicht P. (So-
wohl wenn nur einige M, als auch, wenn alle M S sind,
kann der Fall eintreten, dass nur einige S nicht P sind,
aber auch der andere, dass alle S nicht P sind oder kein
S P ist) Uebrigens kann auch hier, wie bei Fesapo, die
Sphäre von P zu der von S jedes denkbare Verhältniss haben,
wesshalb kein analoger Modus in der ersten Figur im engeren
Sinne besteht.
Als Beispiele zu Bamalip, Calemes und Dimatis können
Schlüsse aus denselben Prämissen, woraus sich auch Schlüsse nach den
Modis Barbara, Celarent und Darii bilden lassen, insoweit dienen, als
jeder der beiden äusseren Termini naturgemäss sowohl die Stelle des
Subjectes, als auch die des Prädicates einnehmen kann. Aus den Prä-
missen: schlechte Wärmeleiter halten die Wärme länger ; wollene Kleider
sind schlechte Wärmeleiter — wird nach Barbara in der ersten Figur
geschlossen: also halten wollene Kleider die Wärme länger; ist aber
unser erster Gedanke auf den Zweck gerichtet, die Wärme zu bewahren,
und suchen wir dann nach Mitteln, diesen Zweck zu erreichen, so wird
aus den nämlichen Prämissen naturgemäss in der Gedankenform des
Modus Bamalip zu dem Schlusssatze fortgegangen: einige Dinge, welche
die Wärme länger halten (einige von den Mitteln, die Wärme länger
§ 117. Die graltigen Modi der vierten Figur. I
zu halten)^ sind wollene Kleider. Aus den Prämissen: alle Quac
sind Parallelogramme; kein Parallelogramm hat convergirende G(
seilen — wird freilich nur nach Celarent, nicht nach Calemes nj i
gemäss geschlossen, weil das Prädicat, convergirende Gegenseite !
haben, sich nicht wohl zur Bildung eines substantivischen Prädica i
griffs eignet; wenn aber die zweite Prämisse lautet: kein Parallelogrt i
ist ein Trapez, so sind beide Schlüsse gleich naturgemäss : kein Qua
ist ein Trapez, und: kein Trapez ist ein Quadrat. Aus den Prämii
einige Parallelogramme sind Quadrate; alle Quadrate sind regelmät i
Figuren — folgt ebensowohl nach Dimatis: einige regelmässige Fig i
sind Parallelogramme, wie nach Darii: einige Parallelogramme [
regelmässige Figuren. — Dem Modus Ferio in der ersten Figur i
spricht kein Modus in der vierten, wie andererseits die Modi Fei |
und Fresison keine Correlate in der ersten Figur finden, was in
particular verneinenden Form der Schlusssätze begründet ist. 1
Schluss in Fesapo ist folgender. Keiner von denjenigen SchlÜE i
^ welche unter die von Aristoteles Anal. pri. I, 32 aufgestellte Defini :
der Schlüsse der ersten Figur fallen, ist ein Schluss von der F(
Fesapo (noch auch von der Form Fresison); jeder Schluss von i
Form Fesapo (wie auch jeder Schluss von der Form Fresison) ist j
Schluss der vierten Figur; folglich fallen (mindestens) einige Schlii !
der vierten Figur nicht unter die von Aristoteles a. a. 0. aufgeste
Definition der Schlüsse der ersten Figur. (Ob nur einige nicht, c
vielleicht alle nicht, kann nicht nach den gegebenen Prämissen all
sondern erst durch Hinzunahme anderer Data entschieden werd
nichtsdestoweniger aber behauptet auch das aus jenen gezogene Re.
tat an und für sich einen bestimmten wissenschaftlichen Werth als
wesentliches Moment in der Erörterung des Verhältnisses der Aru
telischen Syllogistik zu der späteren Lehre von den vier syllogistiscl
Figuren.) Wird in dem vorstehenden Beispiel statt der Modi sei
das Merkmal angegeben, wegen dessen sie nicht unter jene Defini t
fallen, so entsteht ein Schluss nach dem Modus Fresison. Keii i
von denjenigen Schlüssen, welche unter die Aristotelische Definiti :
der ersten Figur fallen, hat eine verneinende Prämisse, worin der M i
telbegriff Prädicat ist; einige Schlüsse mit einer verneinenden Prämis i
worin der Mittelbegrifif Prädicat ist, sind Schlüsse der vierten Figi
also fallen (mindestens) einige Schlüsse der vierten Figur nicht uni
die Aristotelische Definition der ersten.
Von den älteren Logikern wird der Beweis für die Gültii
keit dieser Modi, ebenso wie bei den Modis der zweiten und dritii
Figur, durch Beduction auf die Modi der ersten Figur im enger;
Sinne geführt. In dem Modus Bamalip wird mit Umwandlung di
inneren Verhältnisses und symbolisch auch mit Umstellung der Prämisso
(m) zunächst der Schlusssatz P a S nach Barbara in der ersten Figi;
gezogen und dieser dann durch conversio per accidens sive in partici
larem propositionem (p) zu S i P umgekehrt. In Calemes wird en
mit metathesis praemissarum (m) der Schlusssatz P e S nach Celarei
390 § 118. Uebersicht über die Verschiedenen Figuren und Modi.
gebildet, der dann durch conversio simplex (s) in S e P umgeformt
wird. In gleicher Art wird Dimatis auf Darii zurückgeführt und der
SchluBBsatz dann simpliciter convertirt. Fesapo wird durch conversio
Simplex des (allgemein verneinenden) Obersatzes und conversio in
partic. propos. des (allgemein bejahenden) Untersatzes, Fresison end-
lich durch conversio simplex des Ober- und Untersatzes auf Ferio
reducirt.
Diejenigen scholastischen Logiker, welche, der Weise des Theo-
phrast folgend, die fünf vorstehenden Modi der ersten Figur als
modos indirectos zurechnen, pflegen das Subject des Schlusssatzes in
diesen Modis als Terminus maior, das Prädicat des Schlusssatzes aber
als minor zu betrachten und in entsprechender Weise auch die Prä-
missen zu benennen und zu ordnen. Diese Logiker geben jenen fünf
Modis folgende Namen : B a r a 1 i p (oder Baralipton) , Geläutes, Dabi-
tis, Fapesmo, Frisesom (oder Frisesomorum). Doch lieg^ in dieser
Art der Bezeichnung eine unleugbare Inconsequenz, da das allgemeine
Princip, den Ober- und Unterbegriff und demgemäss den Ober- und
Untersatz nach der Form des Schlusssatzes zu unterscheiden, welches
in der Benennung aller übrigen Modi befolgt worden ist, hier ohne
Grund verlassen wird. Besonders auffallend ist der Fehler bei den
beiden letzten Modis, die gar nicht durch Umkehrung eines in der
ersten Figur gezogenen Schlusssatzes entstanden sein oder gedacht
werden können, und wo auch ebensowenig das Sphärenverhältniss der
Termini an sich, abgesehen von ihrer Stellung als Subject oder Prä-
dicat in den Prämissen, die Annahme zu rechtfertigen vermag, dass
hier das S der (höhere) Oberbegriff, das P aber der (niedere) Unter-
beg^iff seL
§ 118. Aus einer vergleichenden Uebersicht über
die gültigen Modi ergiebt sich, dass der Schlusssatz in
allen Figuren,
a. wenn beide Prämissen affirmativ sind, auch
nur affirmativ sein kann (vgl. Barbara, Darii; Darapti,
Disamis, Datisi; Bamalip, Dimatis);
b. wenn eine Prämisse negativ ist, gleichfalls ne-
gativ sein muss (vgl. Celarent, Ferio; Cesare, Camestres,
Festino, Baroco; Felapton, Bocardo, Ferison; Galemes, Fe-
sapo, Fresison);
c. wenn beide Prämissen allgemein sind, bald
(nämlich in der ersten und zweiten Figur und zum Theil in der
vierten) gleichfalls allgemein ist (vgl. Barbara, Celarent;
Cesare, Camestres; Calemes), bald (nämlich in der dritten
Figur und zum Theil in der vierten) particular (vgl. Da-
rapti, Felapton; Bamalip, Fesapo);
§ 118. Die Form des Schlnsssatzes. 391
d. wenn eine Prämisse particular ist, gleichfalls
particnlar sein muss (vgl. Darii, Ferio; Festino, Baroco;
Disamis, Datisi, Bocardo, Ferison ; Dimatis, Fresison).
Die erste Fignr lässt Schlusssätze von allen Formen
(a, e, i nnd o) zu, die zweite nur negative (e und* o), die
dritte nur partieulare (i und o), die vierte endlich parti-
cular bejahende, allgemein verneinende und particular ver-
neinende Schlusssätze (i, e und o).
Ein allgemein bej ahender Schlusssatz (a) kann dem-
nach nur in der ersten Figur (und zwar nur in dem einen
Modus Barbara); ein allgemein verneinender (e) in
der ersten, zweiten und vierten (nämlich in den vier Modis
Gelarent; Cesare, Camestres; Calemes); ein particular be-
jahender (i) in der ersten, dritten und vierten (nämlich in
den sechs Modis Darii; Darapti, Disamis, Datisi; Bamalip,
Dimatis); ein particular verneinender endlich (o) in
allen Figuren (nämlich in den acht Modis Ferio; Festino,
Baroco ; Felapton, Bocardo, Ferison ; Fesapo, Frenison) gezogen
werden.
Durch Subalternation lässt sich aus jedem allge-
meinen Schlusssatze auch der entsprechende partieulare ent-
nehmen. Sofern aber die particularen Schlusssätze sich auch
unmittelbar auf Grund der Prämissen durch Sphärenverglei-
chung ergeben, können diese Schlnssweisen als eigene Modi
bezeichnet werden. Sie führen die Namen: Barbari, Ce-
laront; Gesaro, Camestros; Galemos. Werden diese
fünf Modi zu den früheren hinzugefügt, so hat dann jede
der vier Figuren die gleiche Zahl von sechs gül-
tigen Modis. Doch sind diese neuen Modi bedeutungslos,
weil in ihnen ans den Prämissen nur ein Theil dessen ent-
nommen wird, was sich in der That aus denselben ergiebt. —
Uebrigens bleiben die vorstehenden Regeln über die Form des
Schlusssatzes im Allgemeinen auch dann noch gültig, wenn
dabei diese Modi mit in Betracht gezogen werden.
Dem wissenschaftlichen Werthe nach stehen die
allgemein bejahenden Schlusssätze am höchsten, weil
sie unsere Erkenntniss in positiver Weise i'brdem und eine
sichere Anwendung auf das Einzelne zulassen; ihnen folgen
392 § IIB. Werthverhaltniss der verschiedenen Formen.
die allgemein yerneinenden, die uns zwar nur eine
negative, aber doch bestimmte Einsicht gewähren; demnächst
erst folgen die particular bejahenden, welche uns zwar
eine positive Förderung verheissen, bei der Anwendung auf
das Einzelne aber uns rathlos lassen; den geringsten Werth
endlich haben die particular verneinenden Schlusssätze.
Doch sind die particularen Sätze keineswegs schlechthin ohne
wissenschaftliche Bedeutung. Ihre Bestimmung ist vorzugs-
weise die Abwehr falscher Verallgemeinerungen : das fälschlich
ftlr wahr gehaltene allgemein verneinende oder bejahende
Urtheil wird durch den particular bejahenden oder verneinenden
Schlusssatz, der zu ihm im Verhältniss des contradictorischen
Gegensatzes steht, alä unwahr erwiesen.
■
Aristoteles lehrt (Anal. pri. I, 24), Allgemeines folge nur aus
Allgemeinem; zuweilen aber folge aus Allgemeinem auch etwas nicht
Allgemeines; ferner, entweder beide oder zum mindesten eine Prämisse
müsse in Hinsicht der Qualität mit dem Schlusssatze übereinstimmen.
Die späteren Logiker stellen den Satz auf: »conclusio sequi tur partem
debilioremc. Diese Formel empfiehlt sich zwar durch anscheinende
Einfachheit und Klarheit, ist aber nicht scharf und bestimmt genug,
sondern unvollständig und irreführend. Denn wenn doch a, e, i und o
der Reihe nach »schwächere«, d. h. an wissenschaftlichem Werthe ge-
ringere Formen sind, so müsste nach jener Regel* ein Schlusssatz ans
Prämissen von den Formen a und e nothwendig der zweiten als der
pars debilior folgen, also die Form e haben; in Felapton aber, wie
auch in Fesapo, hat derselbe die Form o, die noch schwächer ist, so
dass die Regel vielmehr lauten müsste: conclusio non sequitur partem
fortiorem, sed aut sequitur partem debiliorem aut debiliore debilior
est. Wird aber der Sinn der Formel näher dahin bestimmt, dass der
Schlusssatz in Hinsicht der Quantität bei einer particularen Prämisse
particular, in Hinsicht der Qualität aber bei einer negativen Prämisse
negativ sein müsse, so ist diese Bestimmung zwar nicht falsch, aber
unvollständig ; denn es wird nicht gesagt, welche Form der Schlusssatz
annehme, wenn beide Prämissen entweder schlechthin von 'gleicher
Form sind (a a) oder nur in Hinsicht der Quantität (a e) oder nur in
Hinsicht der Qualität (a i) übereinkommen; insbesondere wird darin
nicht auf das verschiedene Verhalten der Quantität und der Qualität
aufmerksam gemacht, wonach aus a a zwar ausser a auch i, aber nicht
e oder o, aus ae ausser e auch o, aber aus a i nicht ausser i auch o
folgen kann.
Als eine nicht werthlose Gedächtnisshülfe mögen hier noch die
versus memoriales eine Stelle finden, welche ^ie Namen der sämmtlichen
Modi der vier Figuren enthalten:
§ 119. Die Modalität des Syllogismiu. 393
Barbara, Celarent primae, Darii Ferioque.
Cesare, Camestres, Festino, Baroco secundae.
Tertia grande sonans recitat Darapti, Felapton,
Disamis, Datisi, Bocardo, Ferison. Quart ae
Sunt Bamalip, Calemes, Dimatis, Fesapo, Fresison.
Die scholastischen Namen der Modi sind durch Petrus Hispa-
nus. (der als Papst Johann XXI. im Jahr 1277 starb) in allgemeine Auf-
nahme gekommen. Dieser bedient sich ihrer in seinem Compendium:
»Summulae logicales« (welches Prantl für eine lateinische Uebersetznng
einer von Michael Psellus, der von 1020—1106 lebte, verfassten 2:vvo-
^jtig iig jtiv jffitaioxdovg Xoytxrjv fniajri^fiv halt; es ist aber vielmehr
umgekehrt, wie besonders Thurot nachgewiesen hat, die Zvvo^ptg eine
Uebersetzung des Compendiums des Petrus Hispanus, s. oben S. 36).
Bei Petrus Hispanus (und auch schon bei seinem Vorgänger Wilhelm
Shyreswood und Anderen) lauten die Worte: Barbara, Celarent, Darii,
Ferio; Baralipton, Celantes, Dabitis, Fapesmo, Frisesomorum; Cesare,
Camestres, Festino, Baroco; Darapti, Felapton, Disamis, Datisi, Bo-
cardo, Ferison (s. Prantl, Gesch. d. Log. II, S. 276; III, S. 16 f.). Die
Inoonsequenz in der Benennung der fünf Theophrastischen Modi gab
späteren lateinischen Logikern zu der Umänderung der Namen in Ba-
malip, Calemes etc. Anlass, vgl. oben die Schlussbemerkung zu § 117,
S. 390. Die griechische Bearbeitung der Summulae {2!vvo\ffig etc.) hat
(nach der von Prantl verglichenen Augsburger Handschrift) folgende
Memorialworte (welche Nachbildungen der lateinischen sind, aber ohne
Mitbezeichnung der Reductionen; die nämlichen griechischen Worte,
jedoch mit Ausnahme der Namen der theophrastischen Modi, finden
sich auch der um 1260 verfassten ^Enno/nii des Nicephorus Blemmides
beigefügt, wahrscheinlich von späterer Hand). Für die vier Hauptmodi
der ersten Figur: yQafj/uttTa, fyp«!/;*, yoatftdi, rixvixoe (die zusammen-
gelesen den Sinn ergeben: Buchstaben schrieb mit einem Grififel der
Kundige), für die fünf übrigen (Theophrastischen) Modi dieser Figur;
yQaf4fiaaiv, ha^ey Xagtai^ nagdtvog Uqov (durch eine Inschrift weihte
den Grazien eine Jungfrau ein Heiligthum), für die vier Modi der zwei-
ten Figur: fyQaipe- xaiexe fi^TQwv axolov, für die sechs Modi der dritten
Figur: anaai a&evaQog, iaaxig aanCii ofjiaXog^ tf^oKnog. Die durch Sub-
alternation hinzutretenden Modi hat Job. Hospinianus in einer Schrift
über die Modi des kategorischen Syllogismus, Basel 1660, aufgestellt
und nach ihm Leibniz de arte combinatoria, in Erdmann's Ausg. der
philos. Werke L.'s S. 13 u. 16, und in den Nouv. Essais sur Pentend.
humain, in Erdmann's Ausg. S. 396.
§ 119. Sind beide Prämissen apodiktische oder beide
problematische Urtheile, so hat auch der Schlusssatz die
gleiche Modalität, weil das Maass seiner Gewissheit durch-
aus Yon dem Maasse der Gewissheit der Prämissen abhängig
ist; im Uebrigen aber gelten die nämlichen Regeln, wie bei
aBsertorlaehen PrämisBen, weil die Sphärenverhältaiese die
nämlichen sind. Ist die Modalität der Prämissen eine ver-
achiedeae, so folgt der Schlusssatz stets derjenigen, welche
die geringere Gewissheit hat. Denn a. ist die Beziehung
zwischen dem Mittelbegriff und dem einen Terminus von apo-
diktischer oder assertorischer Oewissheit, die Bezie-
hung zwischen demselben und dem anderen Terminus aber
nur Ton problematischer Art, so besteht neben der letz-
teren um ihres problematischen Charakters willen auch die
entgegengesetzte Möglichkeit; diese aber in Verbindung mit
der unveränderten (apodiktischen oder assertorisehen) Prämisse
fährt bei keiner CombinatioDsfbrm schlechthin zu dem näm-
lichen Sehlnsssatze, sondern schliesst in allenFällen wenigstens
die Oewissheit ans, dass das dem Schlussaatze contradictorisch
entgegengesetzte Urthcil falsch sei; folglich hat der Schluss-
satz nur problematische Gültigkeit, b, Ist die eine Prä-
misse von apodiktischer, die andere aber nur von asser-
torischer Gültigkeit, so ist das contradictorische Gegentheil
der letzteren auch nur mit assertorischer, nicht mit apodikti-
scher Gewissheit ausgeschlossen; da nun dasselbe, mit der
apodiktisch gültigen Prämisse verbunden, es wenigstens unge-
wiss machen wUrde, ob nicht das dem Schlnsssatze contradicto-
risch entgegengesetzte Urtheil wahr sei, so ist diese Ungewies-
beit auch nur in assertorischer, nicht in apodiktischer Weise
ausgeschlossen, wesshalb auch der Schlusssatz selbst nur mit
assertorischer, nicht mit apodiktischer Gewissheit gilt
Wie die Bubjecttve üngewisaheit dus Bewogstsein in eidi
BOhlieset. dass vielleicht die entgegengesetzte Annahme wahr sei, so ist
auch die reale Möglichkeit aU Boluhe mit der HüglJchkeit dea
Gegentheils verknüpft, und wie die asBerterisohB Gewissheit das
Gegentheil nur mit assertorischer, die apodiktische aber dasselbe
mit apodiktischer Gewissheit ausschliesst, bo schliesst die Wirklich-
keit, Bofom dieselbe sich nicht nach einer allgemeinen Gesetzmässigkeit
als nothwendig erweist, das Gegentheil nur factisch, die reale Noth-
wendigkeit aber dasselbe wiederum püt Noth wendigkeit ans. Da
nun die realen Verhältnisse, sich in unserer Erkenntnisa wiederspiegeln
müssen, so begründet die Erkenntniss der realen Möglichkeit oder der
wirklieh vorhandenen Anlage ein problematiachea Urtheil über das wirk-
liche Eintreten dessen, worauf die Anlage geht, und die Erkenatnin
der realen Nolbwendigkeit ein entsprechendes apodiktisches Urtheil.
§ 119. Die Modalität des Syllogismus.
Weil aber nicht auch umgekehrt das Reale sich nach unserer Erkei
niss richtet, so ist nicht überall da, wo subjective Ungewissheit best<
auch reale Möglichkeit vorhanden, und auch nicht überall da, wo
zureichender Erkenntnissgrund einen strengen Beweis möglich ma
und also apodiktische Gewissheit gewährt, in demselben zugleich <
Realgrund erkannt. Demgemäss coincidiren namentlich die Fälle,
aus problematischen Prämissen ein problematischer Schlusssatz gewoni
wird, keineswegs mit denjenigen, wo aus Möglichkeitsurtheilen wieder
ein Möglichkeitsurtheil sich erschliessen lässt. So folgt z. B. in <
zweiten Figur zwar aus den Prämissen: P ist vielleicht M; S ist vi
leicht nicht M — der Schlusssatz: S ist vielleicht nicht P ; aber es fo
keineswegs aus den Prämissen: Phat die Möglichkeit, M zu sein; S 1
die Möglichkeit, M nicht zu sein — der Schlusssatz: S hat die Mc
lichkeit, P nicht zu sein. Denn da die reale Möglichkeit eines bestimmt
Seins und des entsprechenden Nichtseins jedesmal an sich die uämlic
ist, so hat in der That P und S das nämliche Prädicat; es liegen al
zwei affirmative Prämissen in der zweiten Figur vor, woraus nach d
allgemeinen Regeln der zweiten Figur sich nichts Bestimmtes über d
Verhältniss zwischen S und P folgern lässt. Die ürtheile aber, wor
irgend einem Subjecte irgend eine reale Möglichkeit (oder Anlage) z
erkannt wird, sind nicht nothwendig problematisch (was sie erst dun
ein hinzugedachtes vielleicht werden), sondern an sich selbst asse
torisch (obschon das aus ihnen herfliessende Urtheil über die Wirklicl
keit dessen, was in ihnen als möglich gedacht wird oder worauf d
Anlage geht, problematisch ist) ; mithin fallen die aus ihnen gebildete
Schlüsse unter die allgemeinen Gesetze der kategorischen Schlüsse ai:
assertorischen Prämissen und bilden nicht eine eigenthümliche Schlusi
form, wesshalb sie auch hier nicht einer besonderen Darstellung bedürfei
Aristoteles erörtert Anal. pri. I, c. 8 — 22 die mannigfache
Schlussverhältnisse, welche aus den verschiedenen Combinationsweise
von Urtheilen der realen Möglichkeit, des realen Stattfindens und de
realen Nothwendigkeit hervorgehen. Er hält dafür, dass unter gewisse]
Bedingungen aus der Combination eines Urtheils der Nothwendigkei
mit einem Urtheil des Stattfindens ein Urtheil der Nothwendigkeit, un(
aus der Combination eines Urtheils der Nothwendigkeit mit einem Ur
theil der Möglichkeit ein Urtheil des Stattfindens sich ergebe; Theo
phrast und Eudemus dagegen lehren, dass auch in diesen Bezie
hungen der Schlusssatz immer der geringeren Prämisse folge. Alex
Aphrod. ad Anal. pri. f. 49 a: ot 6i ya hatgoi avrov ol negl Evöri^oi
T£ xai BioipQaOTov ov/ ourotg XfyovaiVi ^^la tpaaiv iv nciatug raig Ü
ävayxaüts Ti xal vTiaQ^ovaijs avCvyfaiSj luv (oai xtlfiivni. avXXoytarixais.
vnoQxov yfyyeaOtu ro avfAniQaofia. Philop. ad Anal. pri. f. 51 A: oi
fjL^VTOi n^Qt GeotpQaOTOv xal inl Tavrrjg tijg av^vyias (sc. t6 A T(p B i^
avayxijg ovSevl vnaQxsi, tu dk B ivS^x^rai naVtl t^ F) Mexouevov
Xfyovatv eJvai t6 av/4n^Qaafjia (sc. to A ivSix^jtu rtp F ov^tvl) iV« xal
Ivtav&a TJf x^(qovi jcüv TTQoraaetov fTtfjTtu t6 avfin^Qttaua. Gewiss sind
hier Theophrast und Eudemus im Recht; denn auch bei den Syllogis-i
396 § 120. Das Substitationsprinoip.
men, die sich auf die realen Verhältnisse der Möglichkeit, Wirklich-
keit und Noth wendigkeit beziehen, muss jede Beschränkung, die in
einer der beiden Prämissen liegt, auf den Schlusssatz übergehen. Vgl.
oben § 87, S. 291 ff. und § 98, S. 810 ff. und Prantl, Gesch. d. Log.
I, S. 278 ff. und S. 370 ff.
§ 120. Zar Gültigkeit des Schiasses ist nicht erforder-
lich, dass in beiden Prämissen zwischen den Terminis das
Verhältniss von Sabject and Prädicat bestehe, sondern der
Schiasssatz kann aach dadarch gebildet werden, dass für irgend
einen Begriff der einen Prämisse (oder des Grandartheils),
der in einem objectiven oder attributiven Verhältniss
steht, ein anderer Begriff nach Maassgabe der zweiten Prä-
misse (oder des Htilfsartheils) sabstitairt wird. Statt der
allgemein genommenen Sphäre eines höheren Begriffs kann
die Sphäre (oder aach ein Theil der Sphäre) eines niederen
Begriffs, die mit einem Theile von jener coincidirt, and statt
(der ganzen Sphäre oder) des unbestimmten Theiles der Sphäre
eines niederen Begriffs kann der unbestimmte Theil der um-
schliessenden Sphäre eines höheren Begriffs sabstitairt werden.
Die Form des Schlusssatzes muss der Form derjenigen Prä-
misse, in welche der neue Begriff substituirt wird (oder des
Grnndurtheils) genau entsprechen.
Als Beispiel möge folgender Schluss dienen, worin der Begriff,
für welchen ein anderer substituirt wird, allgemein genommen ist
und die Stelle des Objectes im Grundurtheil einnimmt: die Elrde
zieht die sämmtlichen in ihrer Umgebung befindlichen Körper an; der
Mond ist ein in der Umgebung der Erde befindlicher Körper; also zieht
die Erde den Mond an; oder auch (Fiat. Sympos. c. 21): Eros erman-
gelt des Schönen; das Gute ist schön; Eros ermangelt des Guten; und
folgender Schluss, wo derselbe in einem attributiven Verhältnisse
steht: Schmähung von Anordnungen der Obrigkeit unterliegt gesetz-
licher Strafe; politische Maassnahmen der Staatsregierung sind (laut
Entscheidung des preuss. Obertribunals) Anordnungen der Obrigkeit;
also unterliegt Schmähung politischer Maassnahmen der Staatsregierung
gesetzlicher Strafe; — femer folgender Schluss, wo für einen partiell
genommenen Begriff in einem attributiven Verhältniss ein höherer
substituirt wird : die eigene Bewegung (mindestens) einiger Doppelsterne
ist unzweifelhaft: alle Doppelsterne sind Fixsterne; also ist die eigene
Bewegung einiger Fixsterne unzweifelhaft.
Uebrigens können unter den nämlichen Gesichtspunkt auch die
Schlüsse aus zwei einfachen (nur das prädicative Verhältniss ent-
haltenden) kategorischen Urtheilen gestellt werden, indem sich
§ 120. Das SabstitutiozLsprinoip. 897
in der Regel direct (wo nicht, dann mittelst einiger Umformung) das
ejne derselben als Grundartheil (worin substituirt wird) und das
andere als Hülfsurtheil (vermittelst dessen substituirt wird) be-
trachten lässt. Nach § 71, S. 216 f. ist das Subject in jedem all-
gemeinen Urtheil allgemein, daher kann dafür ein anderer Subjects-
begrifT substituirt werden, dessen Sphäre mit (mindestens) einem Theile
von der Sphäre des ersten Subjectes ooincidirt; das Subject in jedem
particularen Urtheil aber particular, daher kann dafür der unbe-
stimmte Theil eines anderen Subjectsbegriffs substituirt werden, dessen
Sphäre die des ersten Subjectes umschliesst; das Prädioat in jedem
bejahenden Urtheil particular, daher kann dafür ein höherer Prä-
dicatsbegriff substituirt werden; das Prädicat endlich in jedem ver-
neinenden Urtheil allgemein, daher kann dafür ein niederer Prädi-
catsbegrifif substituirt werden. Doch ist diese Betrachtungsweise bei
den Schlüssen dieser Art minder angemessen, weil die Unterscheidung
der beiden Prämissen als Grundurtheil und Hülfsurtheil hier nicht
durchgängig in der Natur der Sache begpründet ist, und darum auch,
da in manchen Fällen jede von beiden Prämissen als Grundurtheil und
jede als Hülfsurtheil angesehen werden kann, ein Theil der Modi in
einer vollständigen Darstellung nach diesem Princip zweifach construirt
werden muss, wogegen die unmittelbare Sphärenvergleichung auf ein-
fache und naturgemässe Weise zum Ziele führt.
Die Aristotelisch -scholastische Logik hat fast nur die
Schlüsse aus einfachen kategorischen Syllogismen erörtert, die Schlüsse
aber, wo ein Terminus in einem attributiven oder objectiven Verhältniss
durch einen anderen ersetzt wird, unberücksichtigt gelassen. Das erste
Werk, w^elches hierauf genauer eingeht; ist die aus der Schule des Gar-
tesius hervorgegangene Logique ou l'art de penser, die zuerst
1662 erschien und wahrscheinlich in ihren meisten Theilen Ant. Ar-
nauld zum Verfasser hat. Sie nennt die Syllogismen dieser Art syllo-
gismes complexes und will theils (jedoch nur an Beispielen) nach-
weisen, wie dieselben auf die syllogismes incomplexes zurückgeführt
werden können, theils aber auch ein Princip aufstellen, wonach über
die Schlusskraft aller Syllogismen mit einem Male ohne alle Reduction
geurtheilt werden könne. Dieses Princip ist: »que l'une des deux pro-
positions doit contenir la condusion, et Pautre faire voir qu'elle
la contientc ; entweder nämlich im Umfang oder im Inhalt des terminus
medius müsse der dafür substituirte Terminus des Schlusssatzes enthalten
sein. Das Urtheil, welches den Schlusssatz enthalte, könne proposition
contenante, das andere, welches dieses Enthaltensein nachweise, ap-
plicative genannt werden. In den einfachen affirmativen Syllogismen
lasse sich in der Regel jede der beiden Prämissen als die contenante
ansehen, weil jede in ihrer Art den Schlusssatz enthalte, und so auch
jede als die applioative ; in den negativen Syllogismen sei die negative
Prämisse die contenante; in den Syllogismes complexes endlich sei es
diejenige, deren Form die Form des Sohlusssatzes bestimme (Log.
part III, ohap. IX— XI). Die Anwendung dieses Prinoips auf die ein-
zelnen Fälle würde zu einer Reihe besonderer Kegeln geführt hftben;
doch wordea diese in jenem logischen Werke nicht entwickelt, sondern
nur einzelne Beispiele analysirt. — Beneke hat zuerst auf jenes Prinoip
eine vollständige Theorie der Syllogismen gegründet. Er legt dieselbe
dar in seinem Lehrbuch der Logik, 1832, S. HO ff., in der Mono-
graphie: Syllogiamorum analyticorum origines et ordinem naturalem
demonstravit Frid. Eduard. Beneke, fierol. 1889, und in dem System
der Logik, 1842,1, S. 201-245; vgl. Dressier, prakt Denklehre, 1882,
S. 290 — 320. Als tiefstes GnindverhältDJss der analytischen Schlüsse be-
zeichnet Beneke die Substitution. In einem gegebenen Urtheil (dem
Orundurtheil) setzen wir an die Stelle des einen seiner Bestandtheile
einen anderen, und Ewar auf Yeranlassung eines zweiten Urtheils (des
Hülfsurtheils), welches ein Terlultuiss angiebl zwischen dem früheren
und dem neuen Bestandtheile. Das Substituirte kann entweder ein
Theil dessen sein, welchem es substitnirt wird, oder dasselbe, nur
in einer anderen Fassung für das Denken. Es ist ein Theil, wenn
der Umfang eines Terminna zerlegt wird; dieser Fall kann überall
da und nur da eintreten, wo ein allgemeiner Begriff nach seinem
ganzen Umfang gilt (lambitum dividi posse, ubi totus adelt;
non posse, ubi nonnisi pars eins inveniatnri), also namentlich bei dem
Subjeote jedes allgemeinen und bei dem Pradicate jedes verneinenden
Urtheils. Es ist dasselbe in einer anderen Fassung, wenn der In*
halt eines Terminus zerlegt wird; dieser Fall kann überall da und
nur da eintreten, wo ein Begriff nnr nach einem Tbeile seines
Umfanges gilt (•oomplexus partem poni non posse, nisi qnantitste
data partionlarii), da der Theil der engeren Sphäre auch ein Theil
der weiteren sein mnss, in welcher jene liegt, also namentlich bei dem
Snbjeote jedes particularen und bei dem Pradicate jedes bejahenden
Urtheils. iQuod vero ad singulas forma« attinet, in aperto est:
in forma A ambitum subiecti et oomplexum praedicati,
in forma E ambitum subiecti et ambitum praedicati,
in forma I complexnm subiecti et complexum praedicati,
in forma 0 deniqne compleium subiecti et ambitum praedicati
partitionem admittere.t — Gewiss ist Beneke's Darstellung der Sjllo-
gistik nach diesen Snbstrtntionsprincipien eine sohätEbare Leistung;
doch ist bei den einfachen kategorischen Syllogismen das Princip der
unmittelbaren Sphärenvergleichnng der drei Termini, wonach ohne die
Fiction eines Grundurtheils nnd Hülfsartbeils (>alteram finge fun-
damentalem sive priorem, alteram accedentem sive posteriorema] das
SphärenverhältnisB zwischen den beiden äusseren Tenoinis auf Grund
ihres YerhältnisBes zu dem Mittelbegriffe direct ermittelt wird, als das
einfachere und naturgemässere TOriuEiehen. Auch sind die Ausdrucke:
iTheilnng des Umfängst und: >Theilung des Inhaltst un-
genau und irreleitend. Bei der sogenannten tTheilnng des Umfangt«
wird allerdings ein Begriff Snbatitnirt, dessen Sphäre mit einem Theile
der Sphäre des früheren Begriffs ooincidirt, und bei der iTbeilnog
des Inhalt«' ein Begriff von dessen Sphfo« ein Theil mit der Sphire
§ 121. Syllogismen aus hypothetischen Prämissen. 399
des früheren Begriffs coincidirt, und der daher, wenn er überhaupt zu
dem Inhalt desselben im eigentlichen Sinne gehört, nur einen Theil
davon ausmachen kann; aber jene Coincidenz muss nicht gerade immer
eine (partielle) Identität, sondern kann auch ein Yerbundensein
bezeichnen. Vgl. oben zu §§ 71; 85; 105. — Besser also scheint es,
die betreffenden Regeln so zu geben, wie wir sie oben aufgestellt haben,
dass der in vielen und gerade den wichtigsten Fällen nicht zutreffende
Ausdruck: »Theilung des Umfangsc und »Theilung des Inhalts« ver-
mieden wird. Am allerwenigsten aber können wir der von Beneke aus
jenem ungenauen Ausdruck der sTheiiung« abgeleiteten Folgerung bei-
treten: »syllogismos, qui per tot saecula numeris omnibus absoluti ha-
biti sint, nihil ad scientiam humanam valere neque amplificandam neque
provehendamc. >Was wir gewinnen, ist nur Sonderung und Klarheit«.
Diese Behauptung ist bei Syllogismen aus analytisch (im Kantischen
Sinne) gebildeten Urtheilen wahr, bei Syllogismen aus synthetisch
gebildeten Urtheilen aber falsch; vielmehr sind die Syllogismen der
letzteren Art, sofern sie auf der Grundlage einer realen Gesetzmässigkeit
beruhen, eins der wesentlichsten Mittel der Erweiterung und Förderung
der menschlichen Erkenntniss. Vgl. oben § 101. — Wie bei Beneke,
so beruht noch bestimmter bei Hamilton die Analyse der Schlüsse auf
der »Quantificirung des Pradicates«; siehe oben § 71, S. 219. — Eine
ausführliche Darstellung der Lehre von der Quantificirung des Pradi-
cates hat der englische Uebersetzer dieses Buches, Th. M. Lindsay, im
'Appendix B. p. 579 — 583 gegeben. Auch Trendelenburg in seinen
logischen Untersuchungen 8. Aufl. Bd. 2. XYIII. S. 337 ff. hat dieselbe
anschaulich erläutert und widerlegt. Vertreten ist dieselbe von Hamilton
bes. in s. »New analytic of logical forms 1846« als Anhang zu Beid's
Werken, sodann in s. lectnres on logic 1860 vol. H appendix p. 249 ff. ;
in den discussions 1852 p. 614 ff. Zu vergl. ist nach Trendelenburg's
Hinweis: Will. Thomson *s an outline of the necessary laws of thought
1853 p. 177 ff.; Will. Spalding an introduction to logical science
1857 p. 83 ff., und als Glegenschrift vom . mathemat. Standpunkte aus
De Morgan on the symbols of logic, the theory of the syllogism 1850
in d. Transactions of the Cambridge philos. society vol. IX. 1856, ferner
the Athenaeum Nov. 1860 p. 705 u. John Venu, Symbolic logic.
London 1881. Einiges zur Kritik in Gh. Waddington, essais de
logique Paris. 1857. p. 117 ff. — Neueres s. bei Lotze^ Syst. d. Philos.
Bd. I. Logik. Buch 1. Cap. 3. Bd. HI. S 137 ff. — Sigwart, Logik. Bd.
1. Th. 2. Abschn. 8. § 55 der Werth des Syllogismus. 2. S. 402.
§ 121. Bei den subordinirt zusammengesetzten
und insbesondere bei den hypothetischen Urtheilen wie-
derholen sich die sämmtlichen Schiassweisen, welche bei den
kategorischen vorkommen. Die Beweise der Gültigkeit lassen
sich in gleicher Weise darch Sphärenvergleichung führen,
wofern das Zusammensein oder Getrenntsein der Sphären^
400 § 121. Syllogismen aus hypothetischen Prämissen.
statt auf das Inhärenzverhältniss, auf die entsprechenden
Verhältnisse der zusammengesetzten Urtheile und insbesondere
bei hypothetischen Urtheilen auf das Dependenzverhältniss
gedeutet wird.
Wegen der durchgängigen Analogie dieser Verhältnisse mit denen
des kategorischen Schlusses mag es genügen, nur einzelne Beispiele
zu den verschiedenen Figuren anzugeben. Ein hypothetischer Schlnss
in der ersten Figur und dem Modus Barbara ist folgender (worin
der Untersatz dem Obersatze vorangeht): wenn die Erde sich bewegt,
so muss das Licht der Fixsterne, sofern dieselben nicht in der (momen-
tanen) Richtung der Erdbewegung liegen, vermittelst einer anderen
Richtung des Fernrohrs und des Auges wahrgenommen werden, als
derjenigen, in welcher ihr wahrer Ort liegt; wenn dies, so muss der
scheinbare Ort der Fixsterne, sofern dieselben nicht in der (momenta-
nen) Richtung der Erdbewegung liegen, von ihrem wahren Orte ver-
schieden sein ; also wenn die Erde sich bewegt, so muss der scheinbare
Ort jener Sterne von dem wahren abweichen. — Der zweiten Figur
und zwar dem Modus Cesare gehört der folgende Sdiluss an (worin
wiederum der Untersatz vorangestellt worden ist): wenn es feste Cha-
raktere giebt, so können Personen gefunden werden, die grossen und
edeln Zielen mit zuverlässiger Treue und Beharrlichkeit nachstreben;
wenn der Kantische Begriff der transscendentalen Freiheit Wahrheit
hat, so können nicht Personen gefunden werden, die solchen Zielen in
solcher Weise nachstreben ; also wenn es feste Charaktere giebt, so hat
der Kantische Begriff der transscendentalen Freiheit keine Wahrheit.
— Der dritten Figur und zwar dem Modus Disamis gehört der
Schluss an: in gewissen Fällen, wenn ein Magnet einem unelektrischen
Leiter genähert oder von demselben entfernt wird, entsteht in dem
letzteren ein elektrischer Strom; in allen Fällen, wenn dieser Versuch
gemacht wird, werden unmittelbar nur magnetische Kräfte in Wirksam-
keit gesetzt; zuweilen also, wenn unmittelbar nur magnetische Kräfte
in Wirksamkeit gesetzt werden, entsteht ein elektrischer Strom. — In
der vierten Figur und dem Modus Bamalip wird geschlossen,
wenn die Prämissen des vorhin angeführten Beispiels zu dem Modus
Barbara nicht, wie dort, benutzt werden, um aus dem Realgrunde die
Erscheinung zu erklären, sondern in dem entgegengesetzten Siime, um
aus der thatsächlichen Erscheinung die Erkenntniss des Realgrundes
zu gewinnen, oder wenigstens, um diese Erkenntniss anzubahnen: min-
destens in gewissen Fällen oder unter gewissen Voraussetzungen, wenn
der scheinbare Ort der Sterne, die nicht in der (momentanen) Richtung
der Erdbewegung liegen, von ihrem wahren Orte abweicht, bewegt sich
die Erde. Die particulare Gestalt des Schlusssatzes, die nach den all-
gemeinen Gesetzen dieses Schlussmodus nothwendig ist, hat hier nicht
den Sinn, dass nur zuweilen (zu gewissen Zeiten) die Ursache der
Aberration des Lichtes in der Bewegung der Erde liege, sondern zeigt
§ 121. Syllogismen aus hypothetischen Prämissen. 401
die Ungewissheit an, welche dem Schluss von der Wirkung auf die
Ursache anhaftet. Erst wenn der fernere Beweis geführt worden ist,
dass der angenommene Realgrund nicht nur zur Erklärung der betref-
fenden Erscheinung genüge, sondern auch der einzig mögliche Grund
oder doch die conditio, sine qua non, sei, geht die problematische An-
nahme in die gewisse und allgemeine Erkenntniss über. Es muss also
in dem gegebenen Beispiele der Beweis hinzutreten, dass, wenn die
Erde sich nicht bewegte, jene Aberration in der Weise, wie sie eine That-
sache der astronomischen Beobachtung ist, nicht würde stattfinden können.
Aristoteles erkennt den Schlüssen, die er hypothetische
nennt {ol iS vno&iaeais avXloytOfioi im G^ensatze zu den dstxttxol
avUoytafAol) keine wissenschaftliche Berechtigung zu, weil es der Wis-
senschaft nicht gezieme, aus unsicheren Voraussetzungen {vno&^aeig),
sondern nur aus sicheren Principien zu schliessen (Analyt. pri. I, 44).
Aristoteles versteht aber unter der vno^saig einen zugestandenen Satz,
der jedoch weder erwiesen, noch unmittelbar gewiss ist, und von dem
also dahin gestellt bleibt, ob er eine etwa noch zu erweisende Wahr-
heit oder eine gleichsam vertragsweise als wahr angenommene Unwahr-
heit sei (<fia aw&iixfjg lafAoXoyrifjiivov), So berechtigt nun bei Sätzen
der letzteren Art das Aristotelische Urtheil sein mag, so wenig trifft
dasselbe die hypothetischen Schlüsse in dem späteren Sinne; denn was
bei diesen in den Prämissen und im Schlusssatze behauptet wird, ist
nicht die Wirklichkeit des Bedingenden oder des Bedingten, die frei-
lich nur bittweise angenommen werden könnte, sondern der Zusam-
menhang zwischen dem Bedingenden und dem Bedingten oder das
Dependenzverhältniss; dieses aber wird nicht als etwas
willkürlich Zugestandenes, sondern als eine wissenschaft-
liche Wahrheit angenommen. Dass Aristoteles die hypothe-
tischen Schlüsse im späteren Sinne unter seinem Begriffe der Schlüsse
/| vno&ia^utg wenigstens nicht formell befasst hat und dass somit seine
Syllogistik einer Ergänzung bedurfte, bleibt trotz des Widerspruchs
von Waitz (ad Ar. Org. I, p. 483) und Prantl (Gesch. der Log. I,
S. 272 und 295) eine unumstössliche Thatsache. Aristoteles rechnet zu
den in seinem Sinne hypothetischen Syllogismen auch den indirecten
Beweis (Anal. pri. I, 23. 40 b. 25: tov cf' l^ vnod-^aetog ^^gog ro ^lä
Tov aJvyazov), weil bei diesem ein Satz, der unwahr ist, nämlich das
oontradictorische Gegentheil des zu erweisenden Satzes, im Sinne des
(wirklichen oder fingirten) Gegners, der ihn behaupten möchte, gleich-
sam vertragsweise vorläufig als wahr angenommen wird, folglich als
vnod'eaig dient, und so die Grundlage eines Syllogismus bildet, durch
welchen etwas offenbar Unwahres, weil dem bereits als wahr Aner-
kannten Widersprechendes, erschlossen wird, in diesem Falle jedoch zu
dem Zwecke, um durch die nachgewiesene Unwahrheit der Consequenz
jene falsche vno^iOtg selbst zu stürzen. — Die Bemerkung des Aristo-
teles Anal. pri. I, 44. 50 a. 39: noXXol Jk xal eriQtM nsQolvovrai i$
wioi^iaemgf ovg iniaxiif/aaihai <fft xal diaarjfiijvtu xa&aQÖis, scheint den
Anlass gegeben zu haben, dass zunächst Theophrast und Eudemus
26
402 § 121. Syllogismen aus hypothetischen Prämissen.
sich genaner mit der Theorie der hypothetischen Schlüsse beschäftigten.
Boethius sagt (de syll. hyp. p. 606), dass in der Lehre von den hypo-
thetischen Syllogismen »Theophrastus rerum tantnm summas exseqaitar,
Endemus latiorem docendi graditur viamc. Theophrast unterscheidet
insbesondere bei den durchgängig hypothetischen Syllogismen,
in welchen die Prämissen mit einander und mit dem Schlusssatze von
gleicher Form sind [ol cff' olov oder (fi' oXtov vno^ixixol, dta xqt^v
vno(hiTixoly von Theophrast auch avlloyia/uiol xar' avaXoyiav genannt),
wiederum die nämlichen drei Schlussfiguren, wie bei den kategorischen
Syllogismen. Doch scheint er bei der Vörgleichung des hjrpothetischen
Satzes (ßi t6 A, to B) mit dem kategorischen (xo A xatu tov B) die
Bedingung (et t6 A) mit dem Prädicate (to A) in Parallele gestellt zu
haben, und ebenso das Bedingte (ro B) mit dem Subjecte {xara jov B).
Wenigstens möchte es sich wohl nur so erklären lassen, dass er (nach
dem Berichte des Alex, ad Anal. pri. f. 184; vgl. Prantl, Gesch. der
Logik I, S. 381) als die zweite Figur der hypothetischen Syllogismen
diejenige ansah, worin die Prämissen, mit dem nämlichen Bedingenden
beginnend, mit einem verschiedenen Bedingten enden, also insbesondere:
sl TO Ay TO B' €t- firi TO Ay to F' €f apff /uri to jB, to P, und als
dritte Figur diejenige, worin die Prämissen, mit einem verschiedenen
Bedingenden beginnend, mit dem nämlichen Bedingten enden, also ins-
besondere: el TO A, TO F' ii TO By ov to F' ei «Qa to A, ov to JB.
Eben diese Art der Parallelisirung musste den Theophrast in der
ersten Figur der hypothetischen Schlüsse die vollste Analogie mit der
ersten Figur der kategorischen bei folgender Stellung der Prämissen
finden lassen: tt ro A, to B* €i to B, to F' ei aga to A, to F, Auch
mag die nämliche Annahme den Theophrast bei der Wahl der Buch-
staben geleitet haben, von denen bekanntlich jedesmal der dem Alpha-
bete nach frühere auch schon bei Aristoteles auf denjenigen Terminus
zu gehen pflegt, welcher der allgemeinere ist oder mit dem allgemei-
neren in einem analogen Yerhältniss steht. Allein diese Weise der Pa-
rallelisirung ist falsch, und es muss vielmehr die Bedingung mit dem
Subjecte des kategorischen Satzes, das Bedingte aber mit dem Prädicate
als analog betrachtet werden; denn die Sphäre der Fälle, wo das Be-
dingende stattfindet, ist nicht gleich der Sphäre des Pnldicates die wei-
tere, sondern gleich der Sphäre des Subjectes entweder die engere oder
die gleiche mit der des Bedingten. Das wahre Yerhältniss hat schon
Alexander von Aphrodisias (a. a. 0.) nachgewiesen, der demgemäss
auch mit Recht in derjenigen Figur der hypothetischen Schlüsse, die
Theophrast zur zweiten macht, die dritte erkennt, und in der dritten
des Theophrast die zweite. — Die Stoiker haben mit Vorliebe die
hypothetischen Syllogismen erörtert. — Boethius stellt (in seiner
Schrift de syllogismo hypothetico) die möglichen Formen der conditio-
nalen Schlüsse in übergrosser Ausführlichkeit dar. — Kant führt den
hypothetischen Schluss, wie auch das hypothetische ürtheil, auf die
Kategorie der Dependenz zurück. In der That beruht auf dem me-
taphysischen Unterschiede zwischen den Kategorien der Inhärenz und
§ 121. SyllogiBmen aus hypothetischen Prämissen. 408
der Dependenz der logische unterschied zwischen der kategorischen
nnd der hypothetischen Sohlussweise, der nicht mit einigen neueren
Logikern nur oder fast nur für eine Verschiedenheit im sprachlichen
Ausdruck gehalten werden darf. Vgl. oben zu § 68, § 85 und § 94.
Als allgemeinstes Schema alles Folgens hat Sigwart den soge-
nannten gemischten hypothetischen Schluss angesehen (s. oben § 74.
S. 228). £r sagt in s. Logik Bd. 1. Th. 2. Abscbn. 3. § 49. S. 871:
»Die allgemeinste Formel der Ableitung eines Urtheils aus anderen ist
der hypothetische Schluss, der entweder (als sogenannter gemischter
hypothetischer Schluss) die einfache Anwendung des Satzes ist, dass
mit dem Grunde die Folge bejaht, mit der Folge der Grund aufge-
hoben ist, oder (als sogenannter reiner hypothetischer Schluss) auf dem
Satze ruht, dass die Folge der Folge Folge des Grundes ist.« — Und
§51. S. 879: »Die hypothetische Kegel selbst, nach der geschlossen
wird, ist entweder als eine synthetische anzusehen, wie alle diejenigen,
die von einem Wollen abhängen, oder diejenigen, die durch einen In-
ductionsschluss aus der Erfahrung gewonnen sind; oder sie ist durch
die logischen Gesetze und Voraussetzungen das begründenden Urtheils
gegeben; im letzteren Falle entweder durch die Form desselben, oder
durch den Inhalt seiner Elemente.« — Diese seine Ansicht, dass sich
der hypothetische Schluss als die allgemeinste Formel des Schliessens
darstelle, und dass sich auf diese Formel auch die kategorischen Schlüsse
darum reduciren lassen, weil, wo ein wirkliches Schliessen in ihnen
stattfinde, eine der Prämissen einen nothwendigen Zusammenhang aus-
sage, also dem Sinne nach ein hypothetisches Urtheil sei, hat Sigwart
in s. Art. 1. Logische Fragen in d. Vierteljahrsschr. f. wissensch.
Philos. Bd. 4. 1880. S. 416 gegen Wundt's Einwände vertheidigt.
Wundt in s. Logik Bd. 1. Abschn. 4. Gap. 1. 2b (das Verhältniss der
hypothetischen und disjunctiven zu den kategorischen Schlüssen) S. 276 ff.
hatte zwar anerkannt, dass sich dem kategorischen Schlüsse auch hypo-
thetische Form geben lasse, dass diese letztere auch gerade beim
Schlüsse bedeutungsvoll erscheine, weil der ganze (kategorische) Schluss
sich immer in der Gestalt eines zusammengesetzten hypothetischen Ur-
theils darstellen lasse. Er behauptet aber, es sei mindestens einseitig,
wenn hiebei der hypothetischen Form vor den andern Formen der
Begründungsurtheile (d. h. nach Wundt S. 182 theils der gewöhnlich
sogenannten hypothetischen, welche das Verhältniss von Grund nnd
Folge ausdrücken, theils der causalen, die eine Causalitätsbeziehung
enthalten) ein Vorzug eingeräumt werde. In Wahrheit lasse sich jeder
Schluss in der Form eines Urtheils der Abhängigkeit darstellen. Gleich-
wohl würde die gleichförmige Umwandlung in den Bedingungsschluss
nur dann einen Zweck haben, wenn damit irgend ein Vortheil für die
logische Analyse verbunden wäre. Hievon sei aber gerade das Gegen-
theil der Fall. Logisch sei es von Bedeutung, dass die verschiedenen
Functionen, die den Schluss vermöge der verschiedenen Beschaffenheit
seiner Prämissen besitzen können, an seiner Form deutlich erkennbar
seien. Nun habe aber der Schluss aus Abhängigkeitsurtheilen andere
404 § 122. Die hypothetisch-kategorischen Syllogismen.
Functionen als derjenige, der aus kategorischen Vordersätzen gebildet
sei. Eine Yerdeckung dieser Unterschiede durch die tibereinstimmende
Form müsse also vermieden werden.
§ 122. Vermischte Schlüsse sind solche, deren Prä-
missen Urtheile von verschiedener Relation (§ 68) sind. Zu ihnen
gehören die hypothetisch -kategorischen Schlüsse.
Aus der Verbindung einer hypothetischen Prämisse
mit einer kategorischen, welche letztere entweder die
Thatsächlichkeit der Bedingung behauptet oder die Thatsäch-
lichkeit des Bedingten verneint, folgt im ersten Falle die kate-
gorische Setzung des Bedingten (modus ponens), im anderen
Falle die kategorische Verneinung der Bedingung (modus tol-
lens). Der modus ponens entspricht der ersten Figur der
kategorischen Schlüsse, der modus toUens der zweiten.
Durch Aufnahme der Negation in das zweite Glied der hypo-
thetischen Prämisse, sowie des Quantitätsunterschiedes (in allen
Fällen — in einigen Fällen) in den Untersatz ergeben sich
verschiedene Modificationen, welche den Modis der beiden
ersten Figuren entsprechen; tritt aber die Negation in das
erste Glied der hypothetischen Prämisse, so entspricht dieser
Fall den kategorischen Schlüssen der nämlichen Rguren mit
negativem Subjectsbegriffe im Obersatze. Eine Form dieser
Schlüsse, die mit der dritten und vierten Figur der kate-
gorischen übereinkäme (in deren Untersatze der Mittelbegriff
Subject ist), gicbt es nicht, weil dem Subjecte der kategorischen
Urtheile die Bedingung in den hypothetischen entspricht, diese
aber in dem Untersatze fehlt, in welchem an die Stelle einer
bedingten Behauptung die kategorische getreten ist, also in
demselben der den Schluss vermittelnde Bestandtheil fehlen
würde.
Das Schema des modus ponens in der Grundform, welche
dem Modus Barbara entspricht und genauer (mit Drobisch, Log. 3. A.
§ 94, 8. A. § 98) modus ponendo ponens genannt werden könnte, ist:
wenn A ist, so ist B; nun ist A; also ist B. Die Formel desselben
lautet bei den älteren Logikern: posita conditione ponatur conditiona-
tum. Dem Modus Celarent entspricht der modus ponendo toUens;
wenn A ist, so ist nicht B; nun ist A; also ist nicht B. Diese Modi
gehen in Darii und Ferio über, wenn der Untersatz lautet: nun ist
bisweilen oder in gewissen Fällen A, und demgemäss der Schlusssatz:
also ist in gewissen Fällen B, oder: ist in gewissen Fällen nicht B.
§ 122. Die hypothetisch-kategorischen Syllogismen. 405
Lautet der Obersatz: wenn A nicht ist, so ist B, oder: so ist nicht B,
und der Untersatz: nun ist A nicht, so folgt vermöge eines modus
toUendo ponens oder tollende tollens das Sein oder Nichtsein von B. —
Das Schema des modus tollens in der Grundform, welche dem Mo-
dus Camestres entspricht und genauer modus tollende tollens genannt
werden mag, ist: wenn A ist, so ist B; nun ist B nicht; also ist A nicht.
Die Formel desselben lautet: sublato conditionato toUatur conditio.
Dem Modus Cesare entspricht der modus ponendo tollens : wenn A ist,
so ist nicht B; nun ist B; also ist A nicht. Die Modi Baroco und
Festino lassen sich hier wieder auf analoge Weise^ wie oben Darii und
Ferio bilden; auch kann durch Aufnahme der Negation in das erste
Glied des hypothetischen Obersatzes ein modus tollendo ponens: wenn
A nicht ist, so ist B; nun ist B nicht; also ist A, und ein modus po-
nendo ponens: wenn A nicht ist, so ist B nicht; nun ist B; also istA»
gebildet werden. -^ Unberechtigt wäre der Schluss von dem Bedingten
auf die Bedingung: wenn A ist, so ist B; nun ist B; also ist A (wie
auch der kategorische Schluss in der zweiten Figur aus zwei affirma-
tiven Prämissen falsch ist) ; denn die Sphäre der Fälle, wo B ist, kann
weiter sein, als die Sphäre der Fälle, wo A ist, so dass B auch dann
vorkommen kann, wenn A nicht ist. Aus demselben Grunde ist der
Schluss falsch: wenn A ist, so ist B; nun ist A nicht; also ist B nicht
(wie auch ein kategorischer Schluss in der ersten Figur mit negativem
Untersatze ungültig ist).
Auch hier mögen wieder wegen jener durchgängigen Analogie
einige wenige Beispiele genügen. Böckh schliesst (in seinen Unter-
suchungen über das kosmische System des Plato, 1852) gegen Gruppe
in der Gedankenform des modus ponendo ponens (und des modus po-
nendo tollens) nach der Weise der ersten Figur mit Recht: wenn
Plato im Timäus die tägliche Bewegung des Himmels von Osten nach
Westen lehrt, so muss er die tägliche Axendrehung der Erde von
Westen nach Osten aufheben (so kann er nicht diese Axendrehung der
Erde lehren); nun aber lehrt er jene; also muss er diese aufheben
(kann er nicht diese lehren). Mit gleichem Rechte schliesst Böckh
in derselben Schrift gegen Stallbaum in der Gedankenform des modus
tollendo tollens nach der Weise der zweiten Figur: wenn Plato die
Drehung der Erde um die Weltaxe lehrte, so müsste er (da die letz-
tere nur die Verlängerung der Erdaxe ist) auch die Drehung der Erde
um ihre eigene Axe annehmen; nun aber stellt er diese Drehung in
Abrede; also verneint er zugleich auch jene.
Die Schlüsse jener Art sind, wiewohl nur die eine Prämisse der-
selben hypothetisch, die andere aber kategorisch ist, doch von alters
her vorzugsweise als hypothetische Schlüsse bezeichnet und erörtert
worden. Schon die älteren Peripatetiker (insbesondere wohl
Theophrast und Eudemus) haben die Theorie derselben begründet. Sie
nennen den hypothetischen Obersatz ro avvfifji^ivoVf das bedingende Glied
in demselben ro iiyovfjievov, das bedingte ro inofjievov, den kategorischen
Untersatz fmaku^i^^ weil derselbe in kategorischer Fassung wieder-
406 § 128. Disjunctive Syllogismen.
holt oder gleichsam in diese Form umsetzt, waar schon im hypothetischen
Obersatze als Glied enthalten war, den Schlusssatz endlich auch hier
avfin^Qitafia. — Die Stoiker ändern die Terminologie, ohne, wie es
scheint, die Lehre selbst wesentlich zu fordern. Sie nennen den hy-
pothetischen Obersatz lo tqotiixov oder überhaupt als Obersatz Xrifj/ua,
seine Glieder to riyovfievov und ro Xijyov, den kategorischen Untersatz
TTQoeXfjxptiy den Schlusssatz endlich auch hier, wie überhaupt, inttfOQci.
S. Philop. ad Anal. pr. f. LX A. — Boethius (de syllog. hypoth.
p. 614 sqq.) giebt eine ausführliche Aufzählung der hier möglichen
Formen. — Kant (Log. § 75) hält dafür, dass der hypothetische Schluss
dieser Art eigentlich kein »Yernunftschlussc, d. h. kein mittelbarer,
sondern ein unmittelbarer Schluss sei, weil er nur zwei Termini und
keinen Mittelbegriff habe. — Doch fällt derselbe in der That nicht unter
den Begriff des unmittelbaren, sondern des mittelbaren Schlusses, weil
der Schlusssatz nicht aus der einen Prämisse allein, sondern aus der
Combination beider folgt; auch fehlt nicht dasjenige Glied, welches .
dem Mittelbegriffe des kategorischen Schlusses entspricht, sondern das-
jenige, welches dem ünterbegriffe entsprechen würde, wesshalb ja auch
zwar die erste und zweite, aber nicht die dritte und die vierte Figur
hier statthaben kann. — Den Parallelismus der Formen dieser Schlüsse
mit denen der kategorischen haben besonders Beimarns (Vernunftl.
§ 198), Herbart (Lehrb. zur Einl. in die Phil. § 64 ff.) und Drobisch
(Log. § 94; 98) nachgewiesen. Doch glaubt Her hart (a. a. 0.) mit
Unrecht auch eine ganz analoge Form des kategorischen Schlusses mit
zwei Terminis aufstellen zu können: A ist B; nun ist A; also ist B.
Denn das kategorische Urtheil im Unterschied vom hypothetischen
schliesst allerdings die Voraussetzung der Existenz des Subjectes schon
in sich ein, und zwar wird, wenn der Redende dasselbe im eigenen
Namen ausspricht, auch diese Existenz gemäss der eigenen Ansicht
vorausgesetzt, wenn aber im Sinne eines Anderen oder im Anschluss
an einen Gedankenkreis, der auf eine fingirte Wirklichkeit geht, wiederum
in diesem nämlichen Sinne. Vgl. oben zu § 85, S. 287. Wird aber im
Untersatze die Existenzweise des Subjectes näher bestimmt (z. B. nun
aber hat A nicht eine mythologische, sondern eine reale Existenz), um
im Schlusssatze die nämliche Existenz auch dem Prädicate zu vindi-
ciren, oder geht das Präsens im Untersatze und demgemäss auch im
Schlusssatze etwa auf die Gegenwart des Urtheilenden, so sind nicht
mehr bloss zwei Termini gegeben, da in der Bestimmung der Existenz-
weise oder der Zeit der dritte Terminus liegft.
§ 123. Alle Formen der coordinirt zusamiaenge-
setzten Urtheile können als Prämissen in Schlüsse eingehen,
wobei wiederum die nämlichen Figuren, wie bei den einfachen
kategorischen Schlüssen, zu unterscheiden sind. Ihre Gültig-
keit lässt sich durch Zurttckführung auf die entsprechenden
einfachen Schlüsse darthun. Das Gleiche gilt von denjenigen
§ 123. DiBJunctive Syllogismen. 407
Urtheilen, worin mehrere dem Hauptsätze sabordinirte Be-
Btandtheile einander coordinirt sind, so wie überhaupt von
denjenigen, worin die Verhältnisse der Urtheils-Coordi-
nation und Subordination irgendwie mit einander ver-
bunden sind. Besonders sind als vermischte Schlüsse
die kategorisch -disjunctiven und die hypothetisch-
disjunctiven SchlUssis hervorzuheben, und unter denselben
wiederum die disjunctiven Schlüsse im engeren Sinne
oder der Schluss auf die Gültigkeit eines bestimmten Gliedes
durch Ausschluss aller übrigen (modus toUendo ponens) und
der Schluss auf die Ungültigkeit der übrigen durch den Nach-
weis der Gültigkeit eines bestimmten Gliedes (modus ponendo
tollens); ferner als hypothetische Schlüsse der ersten und
besonders der zweiten Figur aus einer conjunctiven (copula-
tiven oder remotiven) und einer disjunctiven Prämisse das
Dilemma, Trilemma, Polylemma (oder der sogenannte
Syllogismus cornutus, complexio), worin gezeigt wird, dass,
welches von den Gliedern der Disjunction auch gelten möge,
doch immer der gleiche Schlusssatz sich ergebe (oder dass
der Gegner, welche der verschiedenen Möglichkeiten er auch
wählen möge, sich doch jedenfalls dem nämlichen Schlusssatze
gleichsam gefangen geben müsse). Diejenigen Dilemmata
etc., welche sich gegen den, der sie au&tellt, zurückwenden
oder zum Beweise des Gegentheils anwenden lassen {diXrj/n^a
awioTQOipov^ reciprocum) müssen nothwendig entweder schon
hinsichtlich der Prämissen oder auch hinsichtlich der Form
des Schliessens irgend einen Fehler enthalten, der im letzteren
Falle gewöhnlich in der Identificirung von zwei verschiedenen,
wiewohl in dieselben Worte zu fassenden Schlusssätzen besteht.
Disjunotive Sohlüsse im weiteren Sinne können in allen Fi-
guren gebildet werden. Ein disjunctiver SchloBs der ersten Figur
kann die Form haben: M ist entweder Pj oder P, etc.; S ist M; also
ist S entweder P^ oder P, etc. Ein disjunctiver Schluss der zweiten
Figur ist folgender: P ist entweder M, oder M^ etc.; S ist nicht ent-
weder M] oder M, etc. (S ist weder M] noch M9 etc.); S ist nicht P.
Ein disjunctiver Schluss der dritten Figur ist: M ist entweder Pj
oder P] etc.; M ist S; also ist einiges S entweder Pi oder P, etc. In
der vierten Figur wird disjunctiv geschlossen, wenn aus den oben
angegebenen Prämissen der ersten Figur der Schlusssatz abgeleitet
wird: also ist (mindestens) einiges, was entweder Pi oder P, etc. ist,
408 § 123. Disjnnctive Syllogismen.
auch S (oder, um bei der regelmäsBigen Bezeichnung zu bleiben: P ist
M; M ist entweder Sj oder 83 etc.; also ist einiges, was entweder S^
oder Sg etc. ist, auch P). Vorzugsweise aber werden diejenigen Schlüsse
disjunctiv genannt, welche eine dei« beiden folgenden Formen haben :
A ist entweder B oder C; nun ist A B; also ist A nicht C; — oder:
nun ist A nicht B; also ist A C; — oder welche eine der analogen
Formen haben, die bei mehr als zwei Gliedern der Disjunction sich
bilden lassen. Die disjunctiven Schlüsse dieser Art kommen im We-
sentlichen mit den im vorigen Paragraphen erörterten hypothetischen
Schlüssen überein, da der disjunctive Obersatz nur die Zusammenfas-
sung der folgenden hypothetischen ürtheile ist: wenn A B ist, so ist
es nicht C, und so auch, wenn C, nicht B ; wenn A nicht B ist, so ist
es C, und so auch, wenn nicht C, dann B. — Der modus ponendo
tollens folgt dem Schema der ersten Figur; der modus toUendo
ponens kann sowohl auf die erste, als auch auf die zweite Figur
zurückgeführt werden; die dritte und vierte Figur aber kann hier
aus demselben Grunde, wie bei jenen hypothetischen Schlüssen, nicht
zur Anwendung kommen.
Das Dilemma im engeren und eigentlichen Sinne ist ein Schluss
der zweiten Figur mit einer hypothetisch-disjunctiven Prämisse (die
bald Obersatz, bald Untersatz ist) und einer remotiven; im weiteren
Sinne wird demselben auch der Schluss mit einer kategorisch- disjunc-
tiven Prämisse und der Schluss der ersten Figur mit einer disjunc-
tiven und einer copulativen oder remotiven Prämisse zugerechnet. Das
Gleiche gilt von dem Trilemma, Tetralemma und Polylemma. Die For-
men des Dilemma sind in der zweiten Figur bei kategorischen
Prämissen: A ist entweder B oder C; D ist weder B noch C; D ist
nicht A. Ferner: A ist weder B noch C; D ist entweder B oder C;
D ist nicht A. Bei hypothetischen Prämissen: wenn A ist, so ist
entweder B oder C; wenn D ist, so ist weder B noch G; oder auch:
nun ist aber weder B noch C; also wenn D ist, so ist nicht A; oder:
also ist A nicht. Femer: wenn A ist, so ist weder B noch C; wenn
D ist, so ist entweder B oder G; oder auch: nun ist aber entweder B
oder G; also wenn D ist, so ist A nicht; oder: also ist A nicht. Als
Dilemma kann auch der Schluss in der ersten Figur angesehen wer-
den, dessen Obersatz conjunctiv ist, nämlich entweder copulativ: so-
wohl A, als B ist G, und in hypothetischer Form : sowohl wenn A, als
wenn B ist, ist G, oder remotiv : weder A, noch B ist G, und hypothe-
tisch: weder wenn A, noch wenn B ist, ist G; und dessen Untersatz
disjunctiv ist: D ist entweder A oder B, und in hypothetischer Form:
wenn D ist, so ist entweder A oder B; oder auch: nun ist aber ent-
weder A oder B; woraus der Schlusssatz nach den Modis Barbara
und Gelarent zu ziehen ist. Doch sind diese Schlüsse der ersten Figur
sowohl in den kategorischen, als auch in den hypothetischen Formen
jedenfalls als Inductionsschlüsse zu bezeichnen; sie müssen also,
wenn sie auch Dilemmata genannt werden sollen, zugleich unter diese
beiden logischen Begrriffe subsumirt werden, deren Sphären demzufolge
§ 123. Disjunctive Syllogismen. 409
partiell ooinoidiren. Dieses Yerhältniss müsste nun allerdings vermie-
den werden, wenn hier die Ausbildung der Terminologie rein nach
wissenschaftlichen Gesichtspunkten erfolgen konnte ; der Name Düemma
ist aber in der Ueberlieferung untrennbar auch an gewisse Beispiele
geknüpft, welche sich auf naturgemässe Weise nur in den hypothe-
tischen Formen der ersten Figur darstellen lassen, wesshalb jene Incon-
venienz getragen werden mag. Die neueren Logiker schwanken zwi-
schen beschränkteren und weiteren Bestimmungen des Terminus, indem
z. B. Herbart (Lehrb. § 69) denselben auf die zweite Figur beschränkt,
aber sowohl kategorische, als hypothetische Schlüsse damit bezeichnet,
T Westen (Log. § 160) nur Schlüsse in hypothetischer Form Dilemmata
nennt, aber auch einen hypothetischen Schluss der ersten Figur mit
negativem Ober- und Schlusssatze (der der Analogie des Modus Gesare
folgt, von Twesten aber im Anschluss an Lambert Diprese genannt
wird) zu denselben rechnet, Drobisch (Log. 2. A. § 97, 8. u.4. A. § 101)
nur hypothetische Schlüsse, darunter aber sowohl positive als negative
der ersten Figur als Dilemmata bezeichnet, und Andere wiederum an-
ders verfahren. — Das Dilemma, Trilemma etc. ist im wissenschaftlichen
Gebrauche eine vollberechtigte Form der Erkenntniss ; seiner logischen
Bedeutung thut es keinen Eintrag, dass es von alters her vorwiegend
zu rhetorischen Zwecken oder auch zu blossen Spielen des Witzes ver-
wandt worden ist. Ein Beispiel des wissenschaftlichen Ge-
brauches liegt in dem mathematischen Schlüsse, der bei Parallelo-
grammen von gleicher Höhe, aber ungleichen und zwar inoommensura-
beln Grundlinien gilt: wenn sich der Inhalt des ersten zum Inhalt des
zweiten nicht verhielte, wie die Grundlinie des ersten zur Grundlinie
des zweiten, so müsste er sich dazu entweder verhalten, wie die Grund-
linie des ersten zu einer Linie, die grösser wäre, als die Grundlinie
des zweiten oder wie dieselbe zu einer Linie, die kleiner wäre, als die
Grundlinie des zweiten; nun aber besteht nachweislich weder die eine,
noch die andere Proportion; folglich muss das Inhaltsverhältniss dem
Yerhältniss der Grundlinien gleich sein. Ebenso ist ein wissenschaft-
lich berechtigtes Trilemma das Fundament des Leibnizischen Optimis-
mus: wäre die wirklich existirende Welt nicht die beste unter allen
möglichen Welten, so hätte Gott die beste entweder nicht gekannt oder
nicht hervorbringen und erhalten können, oder nicht hervorbringen
und erhalten wollen; nun aber ist (in Folge der göttlichen Weis-
heit, Allmacht und Güte) weder das Erste, noch das Zweite, noch das
Dritte wahr; also ist die wirkliche Welt die beste unter allen möglichen
Welten.
ursprünglich sind die disjunctiven Schlüsse unter den Begriff
der hypothetischen als eine Species subsumirt worden. Alexander
von Aphrodisias sagt (ad Arist. Anal. pri. f. 183 B): f^ vrrod-^aeatg yicQ
xal ol (T/ctr^frixol, di xal avrol h rote xttTct fAnalri\J/iy i$ VTrod-äaetos,
Philo ponus unterscheidet (ad Anal. pri. f. LX B), wo er über die Theorie
der älteren Peripatetiker und Stoiker berichtet, bei denjenigen hypo-
thetischen Syllogrismen, deren Schlusssatz ein kategorische« Urtheil ist
410 § 123. Disjunctiye Syllogismen.
(und die also den Gegensatz zu den Ji' olov oder ^ta rguiv vnod-ixixot
bilden), wiederum die axokov&la und die StaCev^ig, Boethius (de syll.
hypoth. p. 607) führt auf £udemus folgende Eintheilung der hypo-
thetischen Syllogismen zurück: >aut tale acquiritur aliquid per quandam
inter se oonsentientium conditionem, quod fieri nuUo modo possit, ut
ad suum terminum ratio perducatur (die apagogische Schlussweise),
aut in conditione posita oonsequentia vi coniunctionis (das awtiju/nivov
oder die axoXov&^a) vel disiunctionis (die ^laCeu^ts) ostenditurc. Ob aber
auch schon die älteren Peripatetiker und ob insbesondere Theophrast
und Eudemus in ähnlicher Weise, wie später die Stoiker, fünf Grund-
formen der zu einem kategorischen Schlusssatze führenden • hypothe-
tischen c Syllogismen aufgestellt haben (wie Prantl annimmt, Gesch. der
Log. I, S. 379 f.; 885 ff.; vgl. S. 473 ff.), ist sehr zweifelhaft. — Der
Stoiker Chrysippus stellte (nach Sezt. Emp. adv. math. YIII, 228;
cf. hyp. Pyrrh. II, 157 sqq.) an die Spitze seiner Syllogistik fünf avlXo'
yiofiol avanodetxToi, Von diesen kommen die zwei ersten mit dem
modus ponens und toUens der aus einer hypothetischen und einer kate-
gorischen Prämisse gebildeten Schlüsse überein : wenn das Erste ist, so
ist das Zweite; nun aber ist das Erste; also ist das Zweite; — und:
nun aber ist nicht das Zweite; also ist auch nicht das Erste. — Der
dritte dieser Syllogismen hat einen conjunctiven Obersatz von negativer
Form: es ist nicht zugleich das Erste und das Zweite; woraus nur
vermittelst einer affirmativen (aber nicht auch vermittelst einer nega-
tiven) nQoslrjiffis ein Schluss gebildet werden kann, nämlidi: nun aber
ist das Erste; also ist nicht das Zweite. Der vierte und der fünfte
Schluss beruhen auf einem disjunotiven Obersatze: entweder ist das
Erste oder das Zweite; woraus in doppelter Weise, nämlich sowohl
mittelst einer affirmativen, als auch mittelst einer negativen nQoskriifug
ein Schlusssatz abgeleitet werden kann, nämlich: nun aber ist das Erste;
also ist nicht das Zweite; — oder: nun aber ist nicht das Zweite; also
ist das Erste. — Das Dilemma ¥rird zuerst von den Bhetoren er-
örtert. Cicero sagt (de invent. I, 29, 45): complexio est, in qua
utrum concesseris, reprehenditur. Quintilian lehrt (inst. Y, 10, 69):
fit etiam ex duobus, quorum necesse est alterutrum, eligendi adver-
sario potestas, efficiturque, ut, utrum elegerit, noceat. Den Terminus
StXrififjiatov ax^ifia hat u. A. der Bhetor Hermogenes (de inv. lY, 6;
vgl. Anon. prolegom. ad Hermog. lY, p. 14: dtXriufiatov 6k ^x^fia iari
Xoyog ix 6vo ngordaetov ivavtioiv t6 auro Tiigag avvaytov). Die über-
lieferten Beispiele von rhetorisch-sophistischen Dilemmen sind insbeson-^
dere die Anekdote von Korax und Tisias in Betreff des Unterrichts in
der Kunst der Ueberredung (Anon. prolegom. ad Hermog. lY, p. 14:
(o KoQit^y xC inrjyytUü) Maaxetv; — ro mC&Biv ov av ^ilrfg' — €i fikv
t6 nsid^HV fi€ i^fda^ag, fSov li^C^m as firiShv XafißavHV ei 6k ro ntl&eiv
fiB ovx iöiSit^agj xal ourtog ov6iv (foi naqix^t Ineidii ovx i6i6a^g fie
t6 Ttti&fiv)', die ähnliche Anekdote von Protagoras und Euathlus in
Betreff des von diesem an jenen nach dem ersten gewonnenen Prooesse
zu zahlenden Honorars (Schol. ad Hermog. p. 180 ed. Walz; Gell. Y,
§ 128. Disjunctive Syllogismen. 411
10); der Fangschlass des Krokodils mit der Entgegnung des Vaters
oder der Mutter des geraubten Kindes, o xQoxo^fiUrTjg oder 6 anoQog
genannt (Diog. Laert. VII, 44, 82 ; Lucian. B{(ov nQaa, 22 ; in anderer
Wendung, indem statt des Krokodils Räuber der Tochter eines Wahr-
sagers genannt werden, Schol. ad Hermog. p. 154; 170); das Dilemma
des Bias: ü xaXriv^ isUig xoivriv' tt tfk aiaxQav, %li6tg noiviiv (Gell. Y, 11;
cf. IX, 16, 5)| Aehnlich ist auch der schon oben (zu § 77, S. 243) er-
wähnte iltfvdojuevog. — Die Lösung derjenigen unter diesen Dilemmen,
welche avrtaTQ^ffofia sind, beruht auf der Zerlegung des scheinbar ein-
fachen Schlusssatzes in die beiden Elemente, die er enthält. In dem
Prooesse des Protagoras und Euathlus musste (wie auch Bachmann,
System der Log. S. 248, und Beneke, System der Log. II, S. 140 rich-
tig bemerken) in zwei verschiedenen Verhandlungen ein verschiedener
Spruch grefällt werden. Zunächst war die Bedingung des Vertrages
noch nicht eingetreten: Euathlus hatte bis dahin noch keinen Process
gewonnen, war also noch nicht zur Bezahlung verpflichtet. Er musste
also diesen Process gewinnen. Aber eben hierdurch veränderte sich
die Sachlage, und es musste dem Protagoras das Recht gewährt wer-
den, auf Grund des veränderten Verhältnisses eine zweite Klage
anhängig zu machen, die nunmehr zu seinem Vortheil entschieden wer-
den musste. Dass aber Fälle eintreten können, wo die logische Unter-
scheidung sich sachlich nicht vollziehen lässt (wie z. B. in der Kroko-
dilanekdote die Tödtung des geraubten Kindes jede zweite Verhandlung
überflüssig machen würde), ist unbedenklich zuzugeben; denn ist die
Absurdität einmal in die Prämissen hineingelegt, so muss sie wohl in
dem Schlttsssatze zu Tage treten. — Boethius rechnet ebenso, wie die
früheren Logiker, die disjunctiven Urtheile und Schlüsse zu den hypo-
thetischen: fiunt vero propositiones hypotheticae etiam per dis-
iunctionem ita: aut hoc est, aut illud est; — omnis igitur hypo-
thetica propositio vel per connexionem (per connexionem vero
illum quoquemodum, qui per negationem fit, esse pronuntio), vel per
disiunctionem (de syll. hypoth. p. 608). Diese beiden Formen oder
die sämmtlichen hypothetischen oder conditionalen Urtheile und Schlüsse
im weiteren Sinne stellt Boethius als die zusammengesetzten den ka-
tegorischen oder prädicativen als den einfachen gegenüber: praedicativa
Simplex est propositio: conditionalis vero esse non poterit, nisi ex
praedicativis propositionibus coniungatur; — acdesimplicibus
quidem, i. e. de praedicativis syllogismis duobus libellis explicuimus;
— non simplices vero syllogismi sunt, qui hypothetici dicuntur, quos
Latino nomine conditionales vocamus; — necesse est, categorioos syllo-
gismos hypotheticis vim conclusionis ministrare (ib. p. 607). — Die
späteren Logiker pflegen zwar die disjunctiven Urtheile und Schlüsse
den hypothetischen, indem sie diese im engeren Sinne verstehen, zu
coordiniren, beide aber (mit Boethius) unter den Begriff der nicht
einfachen oder zusammengesetzten zu subsumiren und so den katego-
rischen als den einfachen und primitiven gegenüberzustellen. Diese
Weise herrscht in der Gartesianischen und auch in der Leib*
412 § 128. Disjunctive Syllogismen.
ni zischen Schule. So theilt insbesondere die öfter erwähnte Logiqae
ou Part de penser (pari. III, chap. II) die Syllogismen in ein-
fache (simples) und zusammengesetzte (conjonctifs) ein, jene, wie oben
(zu § 120, S. 397) angegeben worden ist, in incomplexes und com-
plexes, diese aber (chap. XII) in conditionnels, disjonctifs und copu-
latifs. Die einzelnen Formen kommen im Wesentlichen mit den fünf
avXXoyiofiol avanoJmerot des Chrysippus (s. o. S. 410) überein. — Wolff
sagt (Log. § 408): Syllogismus compositus est, cuins vel una, vel utra-
que praemissa non est propositio categorica ; er rechnet hierher (§ 404)
den hypothetischen (syllogismus hypotheticus, conditionalis, connexus)
und (§ 416) den disjunctiven Syllogismus (syllogismus disiunctivus).
Leibniz selbst subsumirt nach der Weise der Peripatetiker die disjunc-
tiven Schlüsse unter die hypothetischen (Nouveaux Essais sur l'entend.
humain, IV, 17, S. 895 in Erdmann's Ausg. der philos. Werke L.'s)
Kant (Log. § 60; vgl. Krit. d. r. Vern. Elementarl. § 9 und § 19)
hat zuerst den kategorischen, hypothetischen und disjunctiven Syllo-
gismus als drei coordinirte Arten aufgezählt, die er, wie schon
die entsprechenden Urtheile, auf drei vermeintlich ursprüngliche und
unableitbare Yerstandesbegriffe, nämlich auf die drei Kategorien der
Relation: Substantialität, Causalität und Gemeinschaft oder Wechsel-
wirkung, zurückführt ; er verwirft die Ansicht, dass nur die kategori-
schen Vernunftschlüsse ordentliche, die übrigen hingegen ausserordent-
liche seien; denn alle drei Arten seien Producte gleich richtiger, aber
von einander gleich wesentlich verschiedener Functionen der Vernunft.
Diese Eintheilung leidet an denselben Mängeln, wie die entsprechende
Eintheilung der Urtheile (s. o. zu § 68, S. 200); doch verneint Kant
mit Recht das Zusammengesetztsein jener Schlüsse.
Neuerdings hat Sigwart wieder in s. Logik Bd. 1. Th. 2 Abschn. 8.
§ 58 8.416 ff. behauptet, der disjunctive Schluss beruhe auf keinem
eigenthümlicben Principe und es sei nicht gerechtfertigt, ihn als be-
sondere Schlussweise aufzustellen. Er begründet diese Ansicht daselbst
also: „das disjunctive Urtheil sagt ja nur einmal, dass seine Glieder
sich ausschliessen, also die Bejahung des einen die Verneinung der
übrigen nothwendig macht; d. h. der modus ponendo toUens ist ein
Schluss aus dem hypothetischen Urtheile, das in der Disjunction liegt:
Wenn A B ist, ist es nicht C (weder G noch D); zum zweiten, dass
die Verneinung aller Glieder bis auf eines dieses zu bejahen nothwen-
dig macht, d. h. der Modus tollende ponens ist ein Schluss aus dem
hypothetischen Urth9ile: Wenn A nicht B ist, so ist es C; das Princip,
nach dem geschlossen wird, ist also durchaus das des hjrpothetischen
Schlusses. Die Wichtigkeit des disjunctiven Urtheils beruht eben darin,
dass es diese doppelte Nothwendigkeit ausspricht; der Unterschied des dis-
junctiven Schlusses vom hypothetischen aber ist nur ein grammatischer, c
Die Bemerkung Lotze's, Syst. d. Philos. Bd. 1 Logik, S. 121,
dass gewissermassen das disjunctive Urtheil die Aufgabe stelle, welche
der Schluss losen soll, hat neuerdings Wundt in s. Logik a. a. 0.
S. 277 wohl nicht mit Recht so aufgefasst, als solle damit das disjunc-
§ 124. Die Schlusskette. 413
tiye ürtheil als die Grandform betrachtet sein, auf welche alle Schlüsse
zurückzuführen seien. Wundt widerlegt dann diese angenommene
Ansicht ebenso wie die Ansicht Sigwart's in Betreff des hypothetischen
Schlusses. Wie man jedes ürtheil, wenn man wolle, in ein hypothe-
tisches Gewand kleiden könne, so lasse sich ihm nöthigenfalls auch eine
disjunctive Form geben. Für solche Fälle nun, wo eine derartige
Gliederung von Werth sei, stehe es immer frei, sich des disjunctiven
ürtheils zu bedienen. Aber ebenso gewiss würde es in zahllosen andern
Fällen den thatsächlichen Zwecken des Denkens zuwiderlaufen, wenn
man alle Schlüsse nach dem Schema der disjunctiven Gliederung der
Begriffe uniformiren wollte. Die schlimmste Methode der Fehler des
Aristotelischen Subsumtionsschlusses zu verbessern wäre die, wenn
man irgend eine andere, ebenfalls für specielle Zwecke angemessene
Schlussform in ähnlicher Weise zur allgemeingültigen machen wollte.
Jedenfalls will also Wundt auch dem disjunctiven Schluss seine be-
dingte Berechtigung lassen.
§ 124. Zusammengesetzte Schlüsse sind Verbin-
düngen von einfachen Schlüssen mittelst gemeinsamer Glie-
der, wodurch ein Endurtheil (mittelbar) aus mehr als zwei
gegebenen Urtheilen abgeleitet wird. Die einzelnen Glieder
des zusammengesetzten Schlusses sind entweder vollständig
oder unvollständig ausgedrückt. Im ersten Fall entsteht die
Schlusskette (syllogismus concatenatus, catena syllogismo-
rum, polysyllogismus). Diese ist eine Reihe von Schlüssen,
welphe so mit einander verbunden sind, dass der Schlusssatz
des einen eine Prämisse des anderen ausmacht. Derjenige
Schluss, in welchem der gemeinsame Satz Schlusssatz ist, heisst
Prosyllogismus (Verschluss), und derjenige, worin er Prä-
misse ist, Episyllogismus (Nachschluss). Der Fortgang
vom Prosyllogismus zum Episyllogismus (a principiis ad prin-
cipiata) heisst episyllogistisch oder progressiv oder
synthetisch, und der Fortgang vom Episyllogismus zum
Prosyllogismus (a principiatis adprincipia) prosyllogistisch
oder regressiv oder auch analytisch.
So schliesst z. B. Boethius (de consol. philos. IV, pr. YII) epi-
syllogistisch oder progressiv, indem er zuerst den Syllogismus
bildet: was fordert (prodest), ist gut; was übt oder bessert, fördert;
also was übt oder bessert, ist gut, — und darnach den gewonnenen
Schlusssatz als Prämisse (und zwar Obersatz) eines neuen
Syllogismus benutzend, fortfährt: das Missgesohick, welches den
Guten trifft, dient ihm entweder (wenn er ein Weiser ist) zur Uebung,
oder (wenn er ein Fortschreitender ist) zur Besserung; woraus folgt,
414 § 124. Die Sohlussketie.
dass das Missgeschiok, welches den Guten trifft, gut ist. — In dem
grösseren mathematischen Beispiel zu § 110 (S. 362 ff.) dient der
Schlusssatz von 1. als Untersatz in 8., der Schlusssatz von 8. als
Untersatz in 4. und so öfter; also ist in Bezug hierauf der Beweis-
gang progressiv. Episyllogistisch oder progressiv ist die
Schlusskette: Wenn es ein die Bewegung der Planeten hemmendes
Medium giebt, so kann die Bahn der £rde keine constante noch auch
periodische sein, sondern muss eine immer kleinere geworden sein (und
werden): wenn dies ist, so kann das Bestehen von Organismen auf der
Erde kein ewiges (bleiben, noch) gewesen sein ; also, wenn es jenes Me-
dium giebt, so müssen Organismen irgend einmal auf der Erde zuerst
entstanden sein (und irgend einmal sämmtlich untergehen). Wenn Or-
ganismen auf der Erde irgend einmal zuerst entstanden sind, so müs-
sen sie aus unorganischen Stoffen hervorgegangen sein ; wenn sie dies
sind, so hat es eine Urzeugung (generatio aequivoca) gegeben; also
wenn es ein hemmendes Medium giebt, so hat es eine Urzeugung ge-
geben. — Prosyllogistisch oder regressiv schliesst Cato bei
Cicero (de fin. III, 8, 27), wo der Syllogismus: quod est bonum, omne
laudabile est; quod autem laudabile est, omne honestum est; bonum
igitur quod est, honestum est, durch einen nachträglichen Beweis
einer Prämisse (und zwar des Untersatzes: quod est bonum,
omne laudabile est) unterstützt wird. — Auch dann wird prosyllo-
gistisch oder regressiv geschlossen, wenn der Obersatz nach-
träglich erwiesen wird; diesen Gang pflegt im Grossen und Ganzen
die historische Entwickelung der Wissenschaften selbst zu nehmen,
indem zuerst gewisse allgemeine Sätze (wie z. B. die Kepler'schen Re-
geln) gefunden werden, unter welche sich die einzelnen Thatsachen in
syllogistischer Weise subsumiren lassen, später aber die obersten Prin-
cipien (wie z. B. das Newton'sohe Gravitationsgesetz), von welchen jene
allgemeinen Sätze nothwendige Folgen sind, und der gleiche Gang ist
in vielen Fällen aus didaktischen Gründen in der Darstellung der Wis-
senschaften einzuhalten. In der Psychologie möchte eine ähnliche Be-
deutung, wie in der Astronomie den Eepler'schen Regeln, den Beneke-
schen Grundprocessen (der Bildung der Empfindungen in Folge der äus-
sern Affection, der Bildung der Spuren oder unbewussten Gedächtniss-
bilder, der innem Affection, zu welcher auch die Miterregung des Gleich-
artigen zum Bewusstsein gehört, und der Neubildung psychischer Kräfte)
zukommen, aus welchen die einzelnen Erscheinungen des psychischen
Lebens sich genetisch erklären lassen; der Pro Syllogismus aber,
der dieselben wiederum aus höheren Principien ableitet, dürfte noch
erst zu Sueben sein ; denn die Herbart'schen Voraussetzungen, die, wenn
sie richtig wären, wohl mit den Newton'schen Principien in Parallele
gestellt werden könnten, sind theils unzulänglich begründet, theils aber
auch, wiewohl zur Vermeidung von Widersprüchen aufgestellt, ihrerseits
mit inneren Widersprüchen behaftet (die Monaden oder die realen We-
sen unräumlich und doch die substantiellen Elemente des Räumlichen;
die Selbsterhaltung nur Erlialtung des Vorhandenen und doch auch
§ 125. Enthymem. Epicherem. KettenBchluss. 416
Begründong eines Neuen, welches sogar naoh Aufhebung der Störung
als eine Vorstellung beharrt und zu anderen > Selbsterhaltungen € in
mannigfache Beziehungen tritt etc.) und daher unhaltbar.
Die Darlegung der verschiedenen Formen, welche eine Combina-
tion von Syllogismen zulässt oder ausschliesst, je nachdem Schlüsse
von der ersten oder den übrigen Figuren darin eingehen,
scheint unnöthig, da schon die allgemeinen syllogistischen Kegeln in
jedem gegebenen Falle bei der Aufstellung und Prüfung von Schluss-
ketten eine sichere Leitung gewähren.
§ 125. Ein im Ausdruck durch Weglassung einer der
beiden Prämissen verkürzter einfacher Schlnss heisst ein
Enthymem (h'Mfir^iAa, Syllogismus decurtatus). Die unaus-
gedrUckt gebliebene Prämisse muss im Gedanken ergänzt wer-
den, wesshalb das Enthymem dem vollständig ausgedrückten
Syllogismus logisch gleich steht, — Wird eine der Prämissen
oder werden beide Prämissen eines einfachen Schlusses durch
Hinzufügung von Gründen erweitert, so entsteht das Epiche-
rem (€7tixeiQ7]iiia, aggressio), welches demgemäss ein abge-
kürzter zusammengesetzter Schluss ist, dessen Abkürzung je-
doch nur den auf die Form eines begründenden Nebensatzes
reducirten Syllogismus betrifft. — Eine episyllogistischeSchluss-
l^ette, welche durch Weglassung aller Schlusssätze ausser dem
letzten (und damit zugleich also auch der mit jenen Schluss-
sätzen identischen Ober- oder Untersätze der jedesmal nächst-
folgenden Syllogismen) im Ausdruck vereinfacht ist, heisst
Kettenschluss oder Sorites {awQeiTrjg^ sorites, acervus,
Syllogismus acervatus). Nach der Ordnung, in welcher die
Prämissen einander folgen, pflegt man den Aristotelischen
und den Goklenischen Sorites zu unterscheiden. Jener
hat die Form: A ist B; B ist G; G ist D; folglich ist A D;
— er schreitet also von den niederen Begriffen zu
den höheren fort^ und die Untersätze aller Syllogismen
ausser dem ersten (z. B. A ist G) sind nicht ausgesprochen,
sondern in der ergänzenden Analyse hinzuzudenken. Der
Goklenische Sorites dagegen hat die entgegengesetzte Folge
der Prämissen: G ist D; B ist 0; A ist B; folglich ist A D;
— er schreitet, was die Folge der Prämissen betrifft (und,
wenn in Aristotelischer Weise das Prädicat seinem Subjecte
vorangestellt wird, auch in Betreff der Folge der Begriffe)
vom AllgemeiDeren znm minder Allgemeinen fort,
ußd die Obersätze aller Syllogismen ausser dem ersten
(z. B. B ist D) sind hinznzndenken.
Um der Deutlichkeit villen mag hier da« Schema folgen :
Ariatotelisoher Sorites. GokleniEcher Sorites.
Anal; BIS. ' Analysis.
A 'iet B (UnteraatE) 1) C ist D (Obertatz)
B »t C (Obersalz) B ist C {Untersatz)
ist C (Scblusssatz). B ist D (SchlusgaatE).
ist C (Untertatz) 2) B ist D (Obenatz)
ist D (Obersatz) A ist B (Untersatz)
A ist D (SohlusBsatz). A ist D (Schiunsatz).
In dem AriBtotelisohen Soritea ist hiemach nicht aosgedriickt
(sondern mittclBt der ergäoEenden Analyse hinzuzunehmen) derjenige
SchlnEBsatz, welcher in dem folgenden [oder bei einer grösseren Zahl
von Gliedern in dem jedesmal folgenden) SyllogisrnnB Untersatz wird;
in dem Goklenischen dagegen der, welcher im (jedesmal) folgenden
Syllc^smus Obersatz wird. Beide Furmen Rber, der Aristotelische nud
der Gokleniscfae Sorites, kommen miteinander darin äberein, dass der
SohlasBsatz des früheren Sylk^amuB Prämiaae (sei es Ober- oder Unter-
satz) in dem (jedesmal) folgenden SyllogiamuB wird. Hierin li^t (nach
§ 124) das Charakteriatiache des episyllogigtiachen Verfahrens,
dass vom Vorachluss zum Nachscbluse fortgesehritten wird. Folglich
ist sowohl beim Goklenischen, wie beim AristoteliBchen Sorites der
Fortgang ein episy llogistiecher. Man würde irren, wenn man
den ereteren für prosyllogiatisoh (oder regressiv) halten wollte.
Das Enthymem darf nicht für einen unmittelbaren und das
Epicherem nicht für einen einfachen Scblnss gehalten werden. Die
Verkürzung deB Ausdrucks verändert nicht die Form des Gedankens.
Bsiapiele zn Kettenachlüssen lassen sich in grosser Zahl
aas allen wissensohaftlioh von feststehenden Voraussetcungeu ans in
Endergebnissen fortechreitenden Schriften nauhweisen; nur ist sehr
hanfig die Form der Verkettung der Gedanken mehr angedeutet, als
ansdrüoklich dem logischen Schematismus gemäss bezeichnet. So schliesst
z, B. Aristoteles Poet. c. 6, dasa die Darstellung der Handlung, die
Verknüpfung der Begebenheiten zur Einheit einer vollständigen Hand-
lung oder der ftv9oc dar wichtigste unter den Beatondtheilen der Tra-
gödie sei, aus folgenden Prilmisaeni das Handeln ist dasjenige, worin
die Glückseligkeit liegt; das, worin die Glückseligkeit liegt, ist dos
Ziel; das Ziel ist das Höchste; also ist das Handeln das Höchste. Näm-
§ 126. Enthymem. Epicberem. EettenschlusB. 417
«
lieh im wirklichen Leben; es ist aber der unauBgesprochene Gedanke
hinznzunehmen: was unter den in der Tragödie nachgebildeten Objec-
ten (Handlung, Charakteren, Gedanken) in Wirklichkeit das Höchste
ist, dessen Nachbildung ist in der Tragödie das Höchste; dann folgt,
dass, da das Handeln in der Wirklichkeit das Höchste ist, seine Nach-
bildung odep der uV'9og (die Fabel) das Höchste in der Tragödie sei.
In gleichem Sinne schliesst Aristoteles negativ, dass nicht die Darstellung
der Charaktere das Höchste sei: der Charakter ist eine Qualität (ein
Ttoiop)] die Qualität ist nicht dasjenige, worin die Glückseligkeit liegt;
das, worin nicht die Glückseligkeit liegt, ist nicht das Ziel ; was nicht das
Ziel ist, das ist nicht das Höchste, woran wieder der unausgesprochene
Gedanke sich anreiht: was nicht in Wirklichkeit das Höchste unter
dem in der Tragödie Nachzubildenden ist, dessen Nachbildung ist in
dem Kunstwerk nicht das Höchste.
Aristoteles versteht unter dem l v^v jurj ft a nicht, wie die
neueren Logiker, den abgekürzten, sondern einen Wahrscheinlichkeits-
Schluss. Er sagt Anal. pri. II, 27. 70 a. 10: ^v&vfirifict fikv oiv ictri
avlloyia/nog (^ (ixortov rj arifjLiC<ov. Er rechnet dasselbe (Anal. post.
I, 1. 71 a. 10) zu den rhetorischen Syllogismen. Das Enthymema im
Aristotelischen Sinne ist im Vergleich mit dem wissenschaftlichen oder
apodeiktischen Syllogismus eine bloss vorläufige und bloss subjectiv
überzeugende Ueberlegung oder E w ä g u n g (worauf der Name
deutet, den Neuere seltsamerweise auf das Zurückbehalten einer Prä-
misse im Sinne oder Herzen, h ^t/i&>, bezogen haben); es ist eine
unvollkommene Schlussform, wesshalb es von einigen Logikern (nach
Quintil. Inst. or. Y, 10) auch imperfectus Syllogismus genannt worden
ist. Die >Un Vollkommenheit« wurde dann von Späteren als ünvoU-
ständigkeit des Ausdruck gefasst. In diesem Sinne sagt schon Boe-
thius (Op. ed. Basil. p. 684): Enthymema est imperfectus Syllogismus,
i. e. oratio, in qua non omnibujs antea propositionibus constitutis in-
fertur festinata conclusio, ut si quis dicat: homo animal est; substantia
igitur est. — Das i n i x f^QV f^'' is^ bei Aristoteles ein Prüfungs-
schluss, avXloyiauog StaXfxrixos (Top. VIU, 11. 162 a. 16); bei Streit-
fragen ist es förderlich, dass man durch ein zweifaches inixffQtjfia so-
wohl «US *dem Satz, als auch aus der Verneinung desselben schliesse,
aber nicht, um in sophistischer Weise bei dem Widerspruch stehen zu
bleiben, sondern nur zur dialektischen Uebung, und um hernach durch
Auflösung des Scheines die gewisse Entscheidung zu finden (ib. c. 14,
163 a. 36 ff.). Bei den späteren Logikern und Rhetoren, besonders
den lateinischen, hat über die Bedeutung des Terminus in mehrfacher
Beziehung Unsicherheit geherrscht. Die Uebersetzung aggressio führt
Quintilian (Inst. orat. V, 10) auf Valgius zurück, und auf Caecilius
die Erklärung des Epicherems als einer apodixis imperfecta. Diese
Erklärung trifft den Sinn des Aristoteles, aber erschöpft ihn nicht.
Die neueren Logiker haben hier wieder, wie bei dem Enthymem,
die Unvollkommenheit in der UnvoUständigkeit des Ausdrucks gesucht,
im Unterschiede von Enthymem aber das Epicherem auf eine gewisse
27
418 § 126. Die Paralogismen und Sophismen.
Yerkürzung des zusammeDgesetzten (oder Erweitemng des einfachen)
Schlusses bezogen. — Der Terminns Sorites kommt in dem oben an-
gegebenen Sinne noch nicht bei Aristoteles vor (der die Sache Anal,
pri. I, c. 25 berührt), sondern ist erst später üblich geworden. Cicero
gebraucht denselben z. B. de fin. IV« 18^ 50, wo er so den Schluss der
Stoiker bezeichnet: quod bonum sit, id esse optabile; quod optabile, id.
esse ezpetendum; quod expeteudum, laudabile; — igitur omne bonum
laudabile. Der Goklenische Sorites, dessen Unterschied von dem
sogenannten Aristotelischen freilich ein ganz unwesentlicher ist, und
der gerade der Aristotelischen Form des einfachen Syllogismus genaa
entspricht, führt seinen Namen von dem Marburger Professor Rudolf
Go den ins (1547 — 1628), der in seiner Isagoge in Organum Aristoteles
(c. IV.) 1598, worin er sieb theilweise an Bamus anschliesst, diese Form
zuerst behandelt hat. — Zu vergl. G. Ebhardt, Der rhetor. Schluss.
Weilburg 1880.
§ 126. Ein in formaler Beziehung unrichtiger
Schluss (fallacia) heisst Fehlschluss (paralogismus), so-
fern der Fehler auf Irrthum beruht; falls aber die Absicht,
zu täuschen, obwaltet, wird derselbe Trugschluss (sophisma)
genannt. Die formalen Schluss fehler beruhen theils
auf falscher Sphärenvergleichung, theils auf Mehr-
deutigkeit eines und desselben Begriffs, insbesondere des
Mittelbegriffs. Unter den Fehlern der ersten Art sind die
bemerkenswerthesten : der Schluss mit negativem Untersatze
in der ersten Figur, mit affirmativen Prämissen in der zwei-
ten, mit allgemeinem Schlusssatze in der dritten Figur, und
die fallacia de consequente ad antecedens bei kategorischer
und hypothetischer Form. Die Fehler der zweiten Art
werden in fallaciae secundum dictionem und extra
dictionem eingetheilt; zu jenen rechnet man diejenigen,
welche beruhen auf Homonymie (d. h. auf Namensgleich-
heit verschiedener Dinge ohne Begriffsgleichheit, wo also in
dem Worte eine Mehrdeutigkeit oder Ambiguität liegt; der
Fehler besteht in der Verwechselung verschiedener Bedeu-
tungen des nämlichen Wortes) , auf Prosodie (der Fehler
besteht in der Verwechselung ähnlich klingender, mit den-
selben Buchstaben geschriebener, jedoch in Spiritus oder
Accent verschiedener Worte), Amphibolie (der Fehler liegt
in der Missdeutung doppelsinniger syntaktischer Formen) und
auf figura dictionis (oxfjfice Tijg le^ecogy der Fehler ist
die Missdentung der grammatischen Form einzelner Worte,
§ 126. Die Paralogismen nnd Sophismen. i
insbesondere die Verwechselung verschiedener Flexionsf
nnd anch verschiedener Bedetheile nnd somit verschie
Vorstellnngsformen oder Kategorien im Aristotelischen S
zu den fallaciis extra dictionem aber insbesondere die i
cia ex accidente (Verwechselung des Wesentlichen i
Unwesentlichen), die fallacia a dicto secundum
ad dictum simpliciter, und umgekehrt a dicto
pliciter ad dictum secundum quid (Verwechs i
des absoluten und relativen Sinnes), die fallacia se i
dum plures interrogationes ut unam (die Nichtb
tung der Nothwendigkeit, eine Frage zu theilen, die
ihren verschiedenen Beziehungen mehrere Antworten erhei; I
Alle Fallacien der zweiten Art enthalten eine mehr oder i
der versteckte Vierzahl von Hauptbegriffen (quat i
terminorum) oder einen Sprung im Schliessen (salti
concludendo).
Die Lehre von den Fallacien hat mehr didaktisches und
risches, als eigentlich wissenschaftliches Interesse. Die Logik als W :
Schaft des Denkens and Erkennens legt die normativen Gesetze dar
denselben widerstreitet, ist fehlerhaft; die möglichen Ahweichi
aher erschöpfend angeben zu wollen, wäre ein vergebliches Bern
denn der Irrthum ist ein aneigov.
£s mag genügen, Beispiele zu den Arten von Fehlschl i
anzufahren, welche auch bei geübten Denkern nicht ganz selten i
Wenn Des Cartes die Materie im Gregensatz zu dem Geiste für sohl i
hin kraftlos und bloss leidend hielt, so lag ein Gedankengang !
Grunde, der, auf die Form eines einfachen Syllogismus gebracht, i
als ein Fehlschluss in der ersten Figur mit negativem Untersatze :
stellen lässt: der Geist ist activ, die Materie ist nicht der Geist,
ohne Activität. Manche Yertheidigungen der Sdaverei der Neger h :
auf den Fehlschluss hinaus: der Gaucasier hat Menschenrechte,
Neger ist kein Gaucasier, hat also keine Menschenrechte. Als ein ]
schluss in der zweiten Figur bei bloss affirmativen Prämissen ist
Deduction anzusehen, dass der platonische Staat mit dem althellenis i
principiell identisch sei, weil beide in der Forderung der unbedis ;
Unterwürfigkeit des Einzelnen unter die Gemeinschaft übereinkon i
(wobei die wesentliche Verschiedenheit der unmittelbaren Einheit
dem natürlichen Gemeingeiste und der Unterordnung unter ein sc!
massig gepflegtes transscendentes Wissen übersehen wird). In
dritten Figur würde fälschlich ein allgemeiner Schlusssatz gezd
werden bei der Argumentation: alle Menschen sind Erdbewohner;
Menschen sind vemunftfähige Wesen; alle vemunftfäbigen Wesen i
Erdbewohner. Wenn aus dem Zutreffen gewisser Folgesätze sc
1
\
420 § 126. Die Paralogismen und Sophismen.
auf die Gültigkeit der Yoranssetzang geschlossen wird, so ist dies ein
Fehlschluss de consequente ad antecedens. Ein Beispiel za dem Fehl-
schluss de consequente ad antecedens ist u. a. folgendes.. Helmholtz
stellt (physiolog. Optik, Leipzig 1867, S. 4S8) den Satz auf: Was bei
der Sinnes Wahrnehmung durch Momente, welche nachweisbar die Er-
fahrung gegeben hat, im Anschauungsbilde überwunden und in sein
Gegentheil verkehrt werden kann, kann nicht als Empfindung anerkannt
werden (sondern ist als Product der Erfahrung und Einübung zu be-
trachten). Dieser Satz ist gleichbedeutend mit dem Satze, aus wel-
chem er (nach § 87) durch conversio simplex hervorgeht: was bei der
Sinneswahmehmung Empfindung ist, kann nicht durch Erfahrungsmo-
mente überwunden (beseitigt, in sein Gegentheil verkehrt) werden. Nun
erklärt ein anderer Schriftsteller (H. Böhmer, die Sinneswahmehmung,
Erlangen 1868, S. 617) hiermit für gleichbedeutend den Satz: Alles in
unseren Sinneswahrnehmungen, was nicht durch Erfahrungsmomente
im Anschauungsbilde überwunden und in sein Gegentheil verkehrt wer-
den kann, ist Empfindung. Dieser Satz ist aber in der That keines-
wegs mit dem Helmholtz'schen gleichbedeutend, sondern kann mit dem-
selben nur vermöge des bezeichneten Faralogismus gleichgesetzt werden ;
es hätte nur gefolgert werden dürfen: mindestens einiges, was durch
Erfahrungsmomente unüberwindbar ist, ist Empfindung (vgl. § 91 oder
auch § 85, sofern die Negation in dem an zweiter Stelle erwähnten
Helmholtz'schen Satze zum Prädicat gezogen wird). Wird mit Helm-
holtz angenommen, dass mit der Empfindung jene ünüberwindbarkeit
durch Erfahrungsmomente als nothwendige Folge verknüpft (die Em-
pfindung also das antecedens, die Nichtüberwindbarkeit das consequens)
sei, so darf doch nicht die Behauptung hiermit gleichgesetzt werden^
dass überall, wo diese ünüberwindbarkeit gegeben sei, eine Empfindung
bestehe; denn die gleiche ünüberwindbarkeit könnte denkbarerweise
auch anderem zukommen, was nicht Empfindung ist, wie etwa dem
im Eantischen Sinne Apriorischen, oder auch dem, was durch die frü-
hesten Erfahrungen sich so fixirt hätte, dass es durch keine späteren
Erfahrungen modificirbar wäre. Vgl. § 122. Am häufigsten und ver-
führerischsten ist die versteckte quatemio terminorum. Eine solche
liegt in dem Schlüsse des Plato im Phaedo : die Seele ist a&dvaros (was
nach dem Zusammenhang nur erwiesen ist in dem Sinne ihrem Wesen
nach, so lange sie existirt, niemals todt); jedes adtivarov (d. h. jedes
unsterbliche) ist avojXe^^-QoVf also ist die Seele avtoU&Qog, Ebenso in
dem Schlüsse des Epikur: was wirkt, ist ein aXti^^s, jede Wahrnehmung
wirkt (psychisch), ist also etwas ahi^ig^ wo dasselbe Wort das einemal
wirklich, das anderemal wahr bedeutet. Eine quatemio terminorum
liegt oft implicite in einem Gebrauch von Ausdrücken, wie boni op-
timi etc., der zwischen dem Sinne: die Trefflichsten und: die Op-
tima ten schwankt, wenn es sich um die Frage handelt, wer zur Herr-
schaft berufen sei. Auf einer quatemio terminorum beruht TertuUians
Fehlschluss: es widerspricht den Bedingungen menschlicher Existenz,
andauernd mit den Füssen nach oben und dem Kopf nach unten zu
§ 126. Die Paralogismen und Sophismen. 421
leben; die Antipoden müssten dies; also giebt es keine Antipoden (wo
die erste Prämisse nur für ein vom Standpunkte der betreffenden Indivi-
duen aus verstandenes Oben und Unten, die zweite- nur für ein von dem
Standpunkte des Redenden aus verstandenes Oben und Unten gilt).
Eine quatemio terminorum liegt in Calov's Schluss, Aenderungen auch
nur der Vocale im hebräischen Bibeltext seien unzulässig und frevelhaft,
weil der irrsame Mensch Gottes Wort nicht antasten dürfe (wo unter
»Gottes Worte einmal realistisch der überlieferte Bibel text, dann idea-
listisch die gottliche Wahrheit vorstanden wird). Wenn die Stoiker als
Beispiel einer Unmöglichkeit anzuführen pflegten: ^ yij tmarai^ mit
dem Fliegen im eigentlichen Sinne aber zugleich auch die Bewegung
überhaupt von der £rde ausschlössen, so lässt sich in der verführe-
rischen Bildlichkeit des Ausdrucks tTtraad^ai ein implicite vorhandener
Fehlschluss erkennen, welcher explicite lauten würde: Was sich im
freien Räume (ununterstützt) fortbewegt, fliegt; das Flügellose (und
insbesondere die Erde) fliegt nicht; also bewegt sich das Flügellose
(die Erde) nicht im freien Räume fort. Die logische Analysis lässt so-
fort den auf dem Doppelsinn des Ausdrucks »Fliegen« beruhenden
Fehler in dieser Gedankenverbindung erkennen, welcher sich bei dem
enthymematischen Gebrauche des bildlichen Ausdrucks verbirgt. Vgl.
oben zu § 61, S. 171 f. die Bemerkung über synthetische Definitionen
und unten §187 über die Beweisfehler.
Aristoteles hat in seiner Schrift n^gi röiv aocpianxtov (Xfyx^v
sich überall durch die speoielle Rücksicht auf die damals vielbesproche-
nen Sophismen leiten lassen. Er definirt (Top. VIII, 11. 162 a. 17) das
aotpia/za als avXXoyia^og fgtOTtxog und theilt die Sophismen in zwei
Hauptclassen ein: nteoä rriv Xi^iv und t^(a t^c Xi^eais, Zu der ersten
Hauptclasse rechnet er (de soph. elench. c 4. 165 b. 26) sechs Arten:
ofKowfjLla (aequivocatio), a/uKptßoX^a (ambiguitas) , avv&sais (fallacia a
sensu diviso ad sensum compositum), SiaCg^aig (fallacia a sensu com-
posito ad sensum divisum), ngoaip^^a (accentus), oxr^fxa rijs X^€(og
(figura dictionis), wovon jedoch die dritte und die vierte (die Verwech-
selung des distributiven und des collectiven Sinnes oder dessen, was
von allen Einzelnen oder in jeder einzelnen Beziehung besonders, und
dessen, was nur von der Gesammtheit als solcher gilt), sofern sie über-
haupt den falladis secundum dictionem zugehöreuj sich unter den Be-
griff der Amphibolie in dem oben angegebenen Sinne subsumiren lassen.
(Unter den ax^fiara rrjg X^etog versteht Aristoteles hier die gramma-
tischen Formen der Nomina und Verba, und Poet. c. 19 speciell die in
der verschiedenartigen Beziehung des Prädicates auf das Subject be-
gründeten Satzformeu; zu deren Ausdruck zum Theil die verbalen Modi
dienen : Befehl, Bitte, Drohung, Aussage, Frage und Antwort.) Zu der
zweiten Hauptclasse, den Sophismen H(o rrjg X^$ea}g, rechnet Aristoteles
(c. 5) folgende sieben Arten: naga t6 avfißißrjxog (fallacia ratiocina-
tionis ex accidente), ro dnXtjg fj juij uTiXag (a dicto simpliciter ad dic-
tum secundum quid), -fj jov iXfyx^v ayvoia (ignoratio elenchi), naga ro
inojLKyoy (fallacia ratiocinationis ex consequente ad antecedens), ro iv
422 § 127. Die Induction überhaupt.
ttQxi litfiißayiiv, aheta&€u (petitio principü), ro firf ahtoif tog atnov
Tt&ivtti (fallada de non causa ut causa), ro ra nlBlto igwirj^ara J^v
notelv (fallacia plurium interrogationum). Doch sind diese Fehler zum
Theil mehr Beweisfehler (s. u. § 137) oder auch Fehler in den ein-
zelnen Urtheilen, als eigentliche Schlussfehler. Zu den von Aristoteles
bezeichneten Fehlern bringt er selbst Beispiele in seiner Schrift nsgl
aoipiOTixfov iXiyx^^ ^®^) auch mag Plato's (oder eines Platonikers)
Dialog Euthydemus verglichen werden. Alte und moderne Beispiele,
doch meist gelnachte, giebt Fries (System der Logik, § 109). Eine
ausführliche und genaue Erörterung von Schlussfehlem findet sich bei
Mill, Log., übers, von Schiel, 2. (u. 3.) Aufl., II, S. 398—432. — Im
Hinblick auf den nebulosen und verschwommenen Charakter so mancher
neueren Speculationen und auf die zahllosen Schlussfehler, mittelst
deren oft für die unlösbare Aufgabe einer Ableitung des Vollen aus
dem Leeren der Anschein einer Lösung erzielt worden ist, sagt Tren-
delenburg (Erl. zu den Elem. der Arist. Log. 1842, S. 69) mit Recht:
»Es würde an der Zeit sein, Aristoteles' Schrift von den sophistischen
Ueberführungen ins Moderne zu übersetzen. c Diese Aufgabe ist durch
den Antibarbarus logicus von Cajus, 1851; 2. Aufl., 1. Heft, 1863
(s. o. zu § 29, S. 53) doch nur in einseitiger Weise gelöst worden, wie-
wohl der Yerfasser nicht ohne Geschick gewisse policeiliohe Functionen
auf dem Gebiete des philosophischen Denkens zu üben weiss.
§ 127. Die Induction (inductio, inayuyi^) ist der
Schlnss vom Einzelnen oder Besonderen auf das Allgemeine.
Die Form derselben ist folgende:
Sowohl Ml, als Ms^ als Ms ... . ist P.
Sowohl Ml, als Ms, als Ms ... . ist S.
Jedes S ist P.
Dieser Schluss geht von dem Einzelnen oder Besonderen (M),
welches sich durch successive Erweiterung dem Allgemeinen
(S) nähert, auf das Allgemeine (S). Der Inductionsschluss ist
seiner äusseren Form nach mit einem conjunctiven Syllo-
gismus der dritten Figur verwandt, unterscheidet sich
aber von demselben wesentlich durch die erstrebte Allge-
meinheit des Schlusssatzes.
Der Ausdruck Induction wird im eigentlichsten und strengsten
Sinnö dann gebraucht, wenn von dem Einzelnen, das sich durch Be-
obachtung feststellen lässt, auf das Allgemeine geschlossen wird; doch
ist die logische Form auch dann die gleiche, wenn von kleineren Gruppen
auf das dieselben umfassende Allgemeine geschlossen wird, wesshalb
auch dieser Schluss als ein inductiver anerkannt werden muss.
Nicht nur das Subjeot, sondern auch das Prädicat des unter-
§ 127. Die Induction überhaupt.
Satzes kann bei dem Inductionsschlusse ein mehrfaches sein. '
bloss das Prädicat ein mehrfaches, so würde sich die Form er| :
M ist P.
M ist sowohl (T,, als a^, als a^ . . .
Alles, was sowohl er,, als a^, als a^ . . . ist, ist P.
Z. B.: die Erde hat jetzt Bewohner; die Erde ist ein Planet von :
lerer Grösse, mittlerer Entfernung von der Sonne, umgeben von i
Atmosphäre mit regelmässig wiederkehrenden meteorologische!
ceesen; jeder Planet gleicher Art hat wohl auch jetzt Bewohner.
Dieser Schluss würde von dem Einzelnen oder Besondere
auf ein Allgemeines (a) gehen, welches sich durch successive Best :
kung ihm (dem M) annähert. Aber den eigentlich inductiven Gha: i
tragt diese Form doch nicht, sofern das »Alles, was sowohl er,, ,
. . . ist«, nicht einen wahrhaft einheitlichen allgemeinen Begri :
giebt, und das Gleiche würde bei der combinirten Form gelten:
Sowohl Mj, als M, . . . ist P.
Sowohl M|, als M, . . . ist zugleich <rj und or^ . . .
Alles, was zugleich Ci und (Tg . . . ist, ist P.
Alle diese Formen können auch bei hypothetischen Seh i
vorkommen.
Als Beispiel zu der Induction mag hier der Schluss di !
der Planet Mars bewegt sich (wift Kepler nachgewiesen hat) in i
elliptischen Bahn um die Sonne. Der Planet Jupiter desgleichen
Also ist anzunehmen, dass sich die Planeten überhaupt in ellipt: !
Bahn um die Sonne bewegen. Andere Beispiele werden die näc I
Paragraphen enthalten.
Aristoteles führt auf Sokrates den ersten methodischer
brauch der Induction zurück (s. o. § 12). Bemerkenswerth ist dci
brauch des Ausdrucks inavdynv bei Xenophon Memorab. lY, i
und 14, wo von Sokrates gesagt wird, falls ihm jemand ohne Ai
rung von Gründen widersprochen habe, so sei er jedesmal auf die
aussetzungen zurückgegangen, wie z. B. wenn in Frage kam, we
Bürger der bessere sei» so habe Sokrates zuerst untersucht, wai
Werk des guten Bürgers in der Staatsverwaltung, im Kriege, bei
sandtschaften etc. sei, inl ttjv vnod^saiv inavijysv av ndvia jov l
• , . ovTO) rav Xoytov intivayofiävojv xal roTg dvtiXiyovaiv avroig q>a i
lylyvixo xaXr^Mg, Es ist dies ein Zurückgehen auf das Allgen
aber nicht, um es selbst, sondern um aus ihm Anderes zu erschlid
In ähnlicher Art lässt Plato im Dialog Pbaedo p. 101 E den Soli
das Zurückgehen von einem streitigen Satze auf allgemeinere und e
rere Voraussetzungen fordern. Die Sokratische »Induction« im Ai:
telischen Sinne liegt nicht in diesem Yerfahreui sondern in dei
sammenfassung einzelner gleichartiger Thatsachen zu einem allgc
nen Satze, der durch jene gewiss wird, z. B.: der sachverstäi
Steuermann ist der tüchtigste, der sachverständige Arzt ist der I
tigste etc. ; also wird überhaupt auf allen Gebieten der Sachverstäi
424 § 127. Die Induotion überhaupt.
der Tüchtigste sein. Plato stellt, wie Sokrates, das Zusammenfassen
des Einzelnen zum Allgemeinen in den Dienst der Begriffsbestimmung.
Phaedr. 265 D: €ie fjilav re i64av avvoQ^vru ayuv Ttc nokXa^ dnanctQ-
fxivay tvtt IsxaaTov OQiCofjtevos dfjXov notj n€(}l ov av atl didaaxfiv fS^^ltf.
Dies sei die eine Verfahrungsweise (t7^og) des philosophischen Denkens,
welche die naturgemässe Voraussetzung der entgegengesetzten, nämlich
des Herabsteigens vom Allgemeinen zum Besonderen bilde. Der Weg
der Abstraction, die zum allgemeinen Begriffe, und der Induction, die
zum allgemeinen Satze führt, erscheint hier noch in ungesonderter Ein-
heit. Aristoteles nennt die Abstraction cttfaigeaig (Anal. post. I, 18
u. öfter), die Induction aber fnnyotyri, und definirt die letztere (Top.
I, 12. 105 a. 13): (Ttaytoyrj 17 anb raiy xa^' ^xaffrov inl ra xa&oXov
hfodog, Gf. Anal. post. I, 18. 81 b. 1: 19 (f' inayioyri ix rcav xara fiiqog.
Die Induction im strengeren Sinne ist bei Aristoteles der Abstraction
coordinirt, indem sie zu dem allgemeinen ürtheil oder Satz, die Ab-
straction dagegen zu dem allgemeinen Begriff führt; doch gebraucht
Aristoteles nicht ganz selten (so namentlich auch in der oben, § 12,
S. 22 angeführten Aussage Metaph. XII. 4. 1018 b. 27, dass Sokrates
das inductive und das definitorische Verfahren begründet habe) kna--
yiayr\ in einem weiteren Sinne, in welchem er die Abstraction mit
darunter subsumirt. Der Name inaytayji geht auf das successive Auf-
zahlen der einzelnen Glieder (rationes inferre). Aristoteles lehrt (Anal,
post. I, 18. 81 b. 2): advvarov ^k ra xa&okov S-€o)Qrjaat fjiri <ft' iTtayayrjg,
iml xai ra i^ atpaiQiaitog Xeyofjievn (d. h. insbesondere das Mathema-
tische) farai Si* (naytoyrjg yvtoQitia noifiv. Doch hält er die Induction
nur für eine mehr populäre, als streng wissenschaftliche Erkenntniss-
weise (Anal. pri. II, 28. 68 b. 35): fpvan fiiv ovv jiQoxiQog xa\ yvfoQt'
/nmUßog 6 Sia lov fjiiaov avXXoyiafiog, rifxlv <f* fvaQyiarfQog 6 ^lic rijg
inayfoyrjg. Wohl um dieser Ansicht willen hat Aristoteles die Theorie
der Induction weit weniger eingehend dargestellt, als die des Syllo-
gismus. Als wissenschaftliche Induction gilt ihm nur die vollstän-
dige (vgl. unten § 128). Analyt. pri. II, 23. 68 b. 27: del dk voftv ro
r 16 i^ andvTtov rav xad-^ exuarov av^'XiCfx^vov 17 yao inaytoyri <fi«
7tdvT(ov. Ueber das Verfahren bei unvollständiger Induction lehrt Ari-
stoteles in seinen logischen Schriften nur, dass die Verallgemeinerung
vieler gleichartigen Erfahrungen dann zulässig sei, wenn kein Gegen-
fall vorliege. Top. VIII, 8. 156 b. 1 : tiqos Jh t6 xa&oXov nHQatiov tvataatv
<f^Q€iV' To yitQ av€v ivardaemg, rj ovarjg rj doxovarjg, xiaXvdV tov Xoyov
Svax^^Cy^i'V iarCv d ovv inl noXXoHv (pcuvofiivwv firi ö(d(oai rb xadoXov
fjLfl l^x^v ^yajaaiVf (pavfQbv ort ivaxoXalvft. Der Gedanke, dass der
Causalzusammenhang zur Verallgemeinerung berechtige, tritt bei Ari-
stoteles zwar bei der Bildung bestimmter Inductionen hervor (de part.
anim. IV, 2. 667 a. 37: Langlebigkeit der Thiere, welche wenig Galle
haben), gewinnt aber nicht in der logischen Theorie des Aristoteles
eine fundamentale Bedeutung. Im Anschluss an Aristoteles definirt
Boethius (de differentiis topicis, oper. ed. Basil. 1546, p. 864: »in-
duotio est oratio, per quam fit a partionlaribus ad universalia pro-
§ 127. Die Indaction überhaupt. 425
g^essio« (wogegen der Syllogismus ab nniversalibns in particularia her-
absteige). — Die volle Bedeutung des induetiven Verfahrens in den
Wissenschaften zu erkennen, blieb der neueren Zeit vorbehalten. Das
Mittelalter wollte aus gegebenen Frincipien das Einzelne deduciren, und
dazu diente ihm die syllogistische Form; die neuere Zeit aber suchte
auch die Frincipien selbst auf wissenschaftliche Weise aufzufinden, und
bedurfte zu diesem Zwecke der Induction: die neueren Naturforscher
üben die inductive Methode neben der mathematischen Deduotion, und
Baco von Yerulam entwirft die Ghrundzüge zur Theorie derselben.
Er verlangt ein methodischeres Verfahren, als die blosse Aufzählung
einzelner Fälle, denen doch stets andere widerstreiten können. Baco
sagt (Nov. Org. I, 105): Inductio quae procedit per enumerationem sim-
plicem, res puerilis est et precario concludit et periculo ezponitur ab
instantia contradictoria et plerumque secundum pauciora quam par est
et ex iis tantiunmodo quae praesto sunt pronunciat. At inductio quae
ad inventionem et demonstrationem scientiarum et artium efit utilis,
naturam separare debet per reiectiones et ezdusiones debitas ac deinde
post negativas tot quot sufficiunt super affirmativas condudere quod
adhuc factum non est nee tentatum certe nisi tantummodo a Piatone,
qui ad excutiendas definitiones et ideas hac certe forma induotionis ali-
quatenus utitur. Baco sucht dann (freilich in einer sehr unzulänglichen
Weise) das richtige Verfahren näher zu bestimmen. — Die dogmatisti-
sche Entwickelungsreihe der neueren Philosophie von Gartesius bis
auf Leibniz und Wolff verschmäht nicht die Induction, führt aber
auch nicht die Theorie derselben bedeutend über die Aristotelischen
Lehren hinaus; ihr Interesse ist vorwiegend der Deduction zugewandt.
Doch weist Wolff (Log. § 706—8) mit Recht darauf hin, wie der
Causa] Zusammenhang zur Bildung allgemeiner Urtheile von einzelnen
Erfahrungen aus berechtige, wiewohl er diesem Verfahren den Namen
der unvollständigen Induction (vgl. § 129), woran damals noch bei der
äusserlichen Auffassung der induetiven Methode der Vorwurf der ün-
wissenschaftlichkeit haftete, nicht giebt, sondern es derselben als das
bessere entgegensetzt. — Die von Locke angebahnte empiristische
Bichtung bevorzugt die Induction, vermag aber, weil sie von den me-
taphysischen Beziehungen allzusehr absieht, die Theorie dieser Methode
nicht wesentlich zu bereichern und zu vertiefen. — Die neuesten Ver-
suche, das, was Baco in seinem Novum Organum beabsichtigte, mit
den wissenschaftlichen Mitteln unserer Zeit und in einer dem heutigen
Standpunkte der positiven Wissenschaften entsprechenden Weise aus-
zuführen, sind meist von philosophisch angeregten Vertretern natur-
wissenschaftlicher Disciplinen ausgegangen. Ausser den oben (zu § 35)
angeführten Werken von Whewell, J. Herschel, J. St. Mill und
A. Comte ist hier besonders noch die auf den philosophischen Qrund-
sätzen von Kant und Fries beruhende Schrift von Apelt zu erwähnen:
die Theorie der Induction, 1854. Vieles Schätzbare giebt auch, zunächst
in Beziehung auf sein specielles Gebiet, Oesterlen, Medicinische
Logik, 1852. Vgl. auch Lieb ig, Induction und Deduotion (Rede, ge-
426 § 128. Die vollständige Induction.
halten in der öffentl. Sitzung der Münchener Akad. d. Wiss. am 28. März
1865, abgedr. in s. Beden u. Abhandlungen 1874), der jedoch die logi-
sche Form der Induction zu wenig von der glücklichen Antecipation
wissenschaftlicher Resultate durch die Einbildungskraft des geübten
mit seinem Gegenstande vertrauten Forschers sondert. Auch: Th.
Jacob, Inductive Erkenntniss. Eine Skizze. Berlin 1880. — üeber
die inductive Forschungsmethode (im weiteren Sinne dieses
Ausdrucks) vgl. unten § 140.
§ 128. Die vollständige Induction (indnctio com-
pleta) ist diejenige, bei welcher die Sphäre des Subjectes im
Untersatze in ihrer Gesammtheit mit der Sphäre desPrädica-
tes zusammenfällt. Dies geschieht in der Weise, dass durch
vollständige Aufzählung alles Einzelnen oder Besonderen die
ganze Sphäre des Allgemeinen (durch vollständige Aufzählung
aller Mi, M2, Ms .... die ganze Sphäre von S) erschöpft
wird. Demgemäss kann, der Untersatz hier auch durch
Umkehrung auf die disjunctive Form gebracht werden:
Jedes S ist entweder Mi oder M2 . . . . oder Mn,
wodurch der Schluss in einen conjunctiv-disjunctiven Syllogis-
mus der ersten Figur übergeht, dessen Beweis nach den all-
gemeinen Regeln des Syllogismus in dem Verhältniss der
Sphären liegt. Jedes S fällt in eine Sphäre und die gesammte
Sphäre aller S coincidirt mit einer Sphäre, welche ihrerseits
in die Sphäre von P fällt; folglich ist jedes S P.
Eine vollständige Induction ist bei einer unendlichen
Anzahl einzelner Glieder in zwei Fällen möglich : 1. wenn die
Glieder sich räumlich zu einem Gontinuum zusammenschliessen,
so dass eine Uebersicht über alle in einer endlichen (meist
kurzen) Zeit möglich wird (was bei jedem geometrischen Be-
weis in der Erweiterung eines jeden zunächst auf die einzelne
Figur bezüglichen Schlusses zur Allgemeingültigkeit ftlr alle
unter die gleiche Definition fallenden Figuren geschieht); 2. bei
discreten Objecten dann, wenn sich syllogistisch beweisen lässt,
dass, was für ein bestimmtes ntes Glied gilt, jedesmal auch
für das (n + 1 )te Glied gelten müsse. Doch ist diese letztere
Methode (die besonders in der Arithmetik Anwendung findet)
nicht mehr eine rein inductive.
Da bei der vollständigen Induction die Sphäre dessen, was
nach dem gegebenen Obersatze das Prädicat P hat, mit der Sphäre
dessen, dem dasselbe durch den Schlusssatz zuerkannt wird, coincidirt,
i
§ 129. Die unvollständige Induction.
8o fallt dieselbe nur in sofern noch unter die allgemeine Begriffsb
mung der Induction, als sie als Grenzfall angesehen wird (in
licher Weise, wie unter dem particularen Urtheil auch das unit,
als Grenzfall mitbegriffen ist). So lange in der Aufzählung der I
duen oder Arten M,, M, . . . . die Reihe noch nicht ganz gesoh
ist, ist noch die Sphäre des S weiter als die Sphäre von Mj, 1
und somit der Schluss auf ein Allgemeineres gerichtet; die angeg
successive Erweiterung der Subjects- (auch die Verengung der
dicats-) Sphäre führt bis zur Gleichheit der Sphären, aber ni
darüber hinaus.
Beispiele zu der vollständigen Induction sind folgende:
Mercur hat Azendrehung; ebenso die Venus, die Erde, der Marf
Jupiter und der Saturn; eben diese sind die alten Planeten; n
haben die sämmtlichen alten Planeten Axendrehung. — Der Perip]
Winkel im Kreise hat die halbe Grösse des Gentriwinkels, weichet
ihm auf gleichem Bogen steht, sowohl in der Lage, worin einer a
beiden Schenkel mit einem der Schenkel des Gentriwinkels ad
betreffenden Strecke zusammenfällt, als auch in der Lage, worin
beiden Schenkel die des Gentriwinkels umfassen, als endlich in
Lage, worin einer seiner Schenkel einen Schenkel des Gentriwi:
schneidet; nun aber sind diese drei Lagen die einzig möglichen;
lieh gilt der Satz über das Verhältniss jener Winkel allgemein.
§ 129. Die unrollständige Induction (indi
incompleta) würde nach den syllogistischen Regeln nui
einem particularen Schlnsssatze berechtigen : mindestens ein
S ist P; mindestens einiges, was sowohl Oi, als (72 . . . . isl
P. Die Gültigkeit der Verallgemeinerung des Schlusssatzes
Ergänzung der nach den gegebenen Sphärenverhältnissen ü
bleibenden Lücke beruht theils auf der allgemeinen Voi
Setzung eines gesetzmässigen Gausalzusammenhangs in
Erkenntnissobjecten, theils auf der besonderen Voraussetz
dass im vorliegenden Falle irgend ein gesetzmässiger Cai
Zusammenhang zwischen dem Subjecte und Prädicate
Schlusssatzes bestehe. Der Gewissheitsgrad des induct
Schlusses hängt jedesmal von der Zulässigkeit, der Art
dem Gewissheitsgrade der letzteren Voraussetzung ab.
Eine Thatsache, die einen Einwand gegen die allgem
Gültigkeit des Schlusssatzes begründet, heisst eine Inst
(instantia, evaraoig).
In die nnvollslÄndige Induction geht das erste Beispiel des
gen Paragraphen (zur vollständigen Induction) über, wenn enti
die Beobachtung der Axendrehung als nur bei einzelnen der gena:
428 § 129. Die ua vollständige Induotion.
Planeten (Mercur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn), nioht bei ihnen
allen ausnahmslos vollzogen vorausgesetzt wird, oder wenn andererseits,
während die angegebenen Resultate der Beobachtung sämmtlioh als
Ausgangspunkte dienen, der Schluss auf die sämmtlichen Planeten (nicht
bloss auf die schon den Alten bekannten) bezogen wird. Die Berech-
tigung zur Verallgemeinerung knüpft sich daran, dass die Erde nicht
als Erde^ d. h. als dieser bestimmte Planet, und der Mars nicht als
Mars, vermöge seiner individuellen Natur, sondern dass ein jeder dieser
Planeten als Planet, vermöge seiner planetarischen Natur, Axendrehung
habe, d. h. dass zwischen dem Planetsein und der Axendrehung irgend
eine causale Verbindung bestehe (die im Ursprung der Planeten begrün-
det sein mag). Die Vielheit beobachteter Fälle führt uns auf die An-
nahme, dass dieses Verhältniss bestehe. Wäre es möglich, auf Grund
einer einzelnen Beobachtung sofort zu wissen, in welcher causalen
Beziehung dieselbe begründet sei, z. B. ob der Erde die Axendrehung,
ob ihr das Bewohntwerden etc. als einem Planeten oder als diesem
Planeten, vermöge ihrer allgemeinen oder vermöge ihrer individuellen
Natur zukomme, ob der Stein als ein zur Erde gehöriger dichter Kör-
per oder als Materie niederfalle, ob Eisen, Blei, Gold etc. schon als
Metalle schwerer als Wasser seien (wo dann das Gleiche auch von den
Metallen Kalium und Natrium gelten müsste, die doch leichter sind),
ob nach dem Gebrauch eines Medicamentes die Heilung vermöge der
generischen oder specifischen Natur des gebrauchten Medicamentes und
der Krankheit oder vermöge individueller und zufälliger Umstände er-
folgt sei, ob das von uns als Masculinum vorgefundene Wort planeta
als ein lateinisches Wort auf a ein Masculinum sei, ob die von uns
weissblühend gesehene Rose als Rose weiss blühe etc.; dann bedürfte
es der inductiven Zusammenstellung vieler Fälle überhaupt nicht; es
bedarf derselben gerade zum Behuf dieser Entscheidung, die wir nach
einer einzelnen oder auch nach wenigen Beobachtungen ^war sofort zu
fällen leicht geneigt sind, aber nur vermöge einer schlimmen Selbst-
täuschung sofort mit logischem Rechte fällen zu dürfen wähnen können.
Das gesicherte Wissen, ob die der Induction zum Grunde liegenden
Urtheile ein Prädicat enthalten, das dem Subjecte vermöge seiner all-
gemeinen Natur oder vermöge seiner individuellen Natur oder vermöge
zufälliger Umstände zukomme, ist nicht der Ausgangspunkt der Induc-
tion (denn wo dasselbe schon vorhanden ist, bedarf man des inductiven
Verfahrens überhaupt nicht mehr), wohl aber das wesentliche Ziel der-
selben.
Inductionen bilden sich ursprünglich ohne Absicht und ohne be-
wusste Regel vermöge des Associations- und Abstractionsprocesses (der
Hu menschen »Gewöhnung«) und gehen dann meist in ungültiger Ver-
allgemeinerung über die Wahrheit hinaus. Von den vielen so entstan-
denen allgemeinen Annahmen erweisen sich bei fortschreitender Erfah-
rung nur wenige als haltbar, während die übrigen durch den Wider-
streit mit Thatsachen als unberechtigt erkannt werden; die haltbaren
sind diejenigen, bei welchen der oben bezeichnete Causalnexus besteht.
§ 129. Die nnvollstöndige Induction. 429
Bestände ein solcher überhaupt nicht und wäre die objective Wirklich-
keit an sich etwas Chaotisches, so würde die blosse Sammlung von Er-
fahrungen niemals Allgemeingültigkeit haben können und diese uns
durchaus unerreichbar sein; da wir aber doch thatsächlich mitunter
diese erreichen, so muss jene Voraussetzung des chaotischen Charakters
der objectiven Wirklichkeit falsch sein. Indem nun darauf, welche
Inductionen allgemein gültig seien, die Reflexion sich richtet, werden
hernach Inductionen in der bewussten Richtung auf die Auffindung
des objectiven Causalnexus gebildet, wobei die Zahl der zutreffenden
Fälle nicht die Allgemeingültigkeit begründet, aber als ein Krite-
rium der Wahrscheinlichkeit dient, dass das Allgemeingültige
aufgefunden worden sei. Auf Grund der Naturordnung werden all-
gemeinere Inductionen möglich, welche den specielleren zur Stütze und
zum Maasse dienen.
Durch die inductive Verallgemeinerung der einzelnen Resultate
der Beobachtung sind namentlich die Wissenschaften von der organi-
schen Natur grross geworden; die Wissenschaften von der unorganischen
Natur beruhen mehr auf der Verbindung der Induction mit der durch
Hülfe der Mathematik vollzogenen Deduction. Die gleichen metho-
dischen Principien finden auch auf die Gebiete des geistigen Lebens
Anwendung. Wir beschränken uns hier auf die allgemeinen Grundzüge
der Theorie der Induction, und verweisen hinsichtlich der besonderen
Anwendungen derselben in den einzelnen Wissenschaften auf die ange-
führten Werke von Whewell, Mill, Apelt, Oesterlen u. Anderen.
Die Bedeutung der Induction als eines Mittels zur Erwei-
terung unserer Erkenntniss beruht auf der gleichen Beziehung zu
der realen Gesetzmässigkeit (nach dem Satze des Grundes, s. o.
§ 81, S. 270), worauf auch die Möglichkeit des Syllogismus als einer
Erkenntnissform (s. o. § 101, S. 315 ff.) sich gründet. Es ist ein blosses
Vorurtheil, wenn die eine dieser Formen der andern an wissenschaft-
lichem Werthe nachgesetzt wird, als ob entweder ausschliesslich das
syl logistische Verfahren beweiskräftig sei (da doch die schlechthin
obersten und daher nicht mehr syllogistisch ableitbaren Sätze, wofern
sie nicht identische oder überhaupt analytisch gebildet« Urtheile sind,
nur vermittelst der Induction sich wissenschaftlich feststellen lassen),
oder als ob andererseits die Induction allein unsere Erkenntniss zu
fördern vermöge, der Syllogismus aber nur zur Zergliederung, Auf-
klärung und Mittheilung der schon vorhandenen Erkenntniss diene.
Beide Schlussweisen, wiewohl in formaler Beziehung einander entgegen-
gesetzt, beruhen, was ihren Erkenntnisswerth betrifft, wesentlich auf
demselben Fundamente.
Der inductive Schluss hat strenge Allgemeinheit theils, wenn das
S den zureichenden Grund des P enthält, theils auch, wenn sich P zu
S als die allein mögliche Ursache oder auch als conditio sine qua non
verhält, endlich auch, wenn S und P beide nothwendige Folgen einer
gemeinsamen, für P zureichenden und für S einzig möglichen Ursache
sind. Dagegen führt die Induction nur zu oomparativer Allgemeinheit
430 § 129. Die anvollständige Induction.
oder zn Regeln, welche durch Ausnahmen beschrankt werden können,
wenn S nur eine einzelne mitwirkende Ursache oder Bedingung von P
ist, oder wenn andererseits P nicht die einzig mögliche Ursache vonS
ist, oder wenn S und P zwar Folgen einer gemeinsamen Ursache sein,
jedoch auch einzeln unter verschiedenen Bedingungen vorkommen können.
£ndlich ist der inductive Schluss überhaupt unstatthaft, wenn kein
Causalzusammenhang irgend welcher Art zwischen S und P voraus-
gesetzt werden darf.
Wie die richtige Begrififsbildung (s. o. § 66, S, 187 f.) durch die
richtige Urtheils- und Schlussbildung bedingt ist, so auch andererseits
diese durch jene; insbesondere aber steht die Bildung gültiger In-
ductionen zu der Bildung der Begriffe nach den wahrhaft wesent-
lichen Merkmalen in der ersten Beziehung. Auf der guten Begriffs-
bildung beruht die Möglichkeit berechtigter inductiver Verallgemeine-
rungen. Denn mit den wesentlichen Merkmalen des Objectes, auf die
(nach § 56) der Begriff sich gründen muss, steht eine grosse Zahl von
anderen Eigenschaften und Beziehungen in dem causalen Zusammen-
hange, auf welchem eben die Gültigkeit der Inductionen beruht. Hieraus
fliesst das logische Recht, Eigenschaften, die an einzelnen Individuen
einer Species beobachtet worden sind, sofern sie nicht nachweisbar
durch bloss individuelle Verhältnisse bedingt sind, induotiv auf die
ganze Species zu beziehen. Doch bleiben immer Gegenfälle möglich,
so lange nicht die Art des Gausalzusammenhangs klar erkannt ist. —
Auch der Grundsatz inductiver Verallgemeinerung, den Newton (Prin-
cip. phil. nat. I. III) zunächst in Bezug auf die physikalischen Eigen-
schaften der Körper aufstellt: »qualitates corporum, quae intendi et
remitti nequeunt, quaeque corporibus omnibus competunt, in quibus
experimenta instituere licet, pro qualitatibus corporum universorum
habendae suntc, lässt sich auf die Voraussetzung eines inneren Zusam-
menhangs solcher Eigenschaften mit dem Wesen der Körper überhaupt
zurückführen. Mit Recht sagt Newton (gegen das Ende des S. Buches
der Optik): »quamquam ex observationibus et experimentis oolligere
inductione non sit utique generalia demonstrare, at haec tamen ratio-
cinandi methodus optima est quam ferat natura rerum, tantoque firmier
existimari debet illatio, quanto inductio magis sit generalis; quodsi ex
phaenomenis nihil, quod contra opponi possit, exoriatur, oondusio in-
ferri poterit universalis, c
Wie das syllogistische Verfahren ein synthetisches ist, so kann
das inductive, sofern es vom Einzelnen zum Allgemeinen als dem ge-
meinsamen Princip zurückgeht und so das Gegebene in seine theils ge-
meinsamen, theils eigenthümlichen Elemente zerlegt, als ein analyti-
sches bezeichnet werden. Den von Trendelenburg (Log. Unters.
II, S. 210 f.; 2. A. S. 282; 8. Aufl. S. 816) aiifgesteUten Gegensatz
zwischen der Induction und dem analytischen Verfahren, wonach jene
nur die Thatsache des Allgemeinen aus dem Einzelnen summire,
dieses aber aus der gegebenen Erscheinung den allgemeinen Grund
suche, können wir aus denselben Gründen nicht zugeben, die wir oben
§ 129. Die unvollBtandige Indnotion. 481
(zn § 101, S. 823—826) gegen die analoge üntersoheidnng zwischen
dem Syllogismus und derSynthesis aufgestellt haben. Das von Trende-
lenburg sog. »analytische Verfahrene kann nicht ohne die inductive
Form sein, und die wissenschaftliche Induction nicht ohne das »analy-
tische«, auf den Gausalzusammenhang bezügliche Element; daher kann
jener Unterschied in Wahrheit nur die »formale« und »reale« Seite
der Induction betreffen.
Der Unterschied der Induction von der Abstraction liegt
darin, dass jene auf den allgemeinen Satz, die Abstraction aber auf
den allgemeinen Begriff geht. Dieser specifische Unterschied darf
nicht (mit Apelt, Theorie der Induction, Leipz. 1854, S. 54 ff.) auf den
doch nur graduellen umgedeutet werden, dass die Induction nur zu
allgemeinen Lehrsätzen, die Abstraction aber zu den nothwendigen
Grundwahrheiten führe. Es giebt nicht (wie Apelt S. 56 behauptet)
zwei Arten allgemeiner Vorstellungen: Begriffe und Gesetze; denn das
Gesetz ist überhaupt nicht eine Vorstellung, sondern ist die constante
Weise des realen Geschehens, und unser Bewusstsein von demselben
ist ein Urtheil oder eine Combination von Vorstellungen, worin jene
Gonstanz als real gedacht wird. Der gesetzmässige Realzusammenhang
aber kann immer nur entweder deductiv, d. h. syllogistisch, oder in-
ductiT erkannt werden, niemals, auch in der Mathematik nicht, »a priori«
im Sinne von Kant, Krause, Fries und Apelt. Die Mathematik ist ge-
wiss keine empirische und inductive Wissenschaft in dem Sinne, dass
ihre einzelnen Lehrsätze auf dem Wege der empirischen Beobachtung
und Messung festgestellt werden müssten; dieselben werden syllogistisch
erwiesen, und die freie Combination geht über die empirisch gegebenen
Formen weit hinaus. Wohl aber gründet sich die Gewissheit derje-
nigen mathematischen Grundsätze, welche synthetische Urtheile sind,
also insbesondere der geometrischen Axiome, auf empirische Be-
obachtung und Induction; sofern aber diese an sich noch nicht die ab-
solut genaue und allgemeine Gültigkeit derselben verbürgt, wird das
Fehlende (wie schon der schottische Philosoph Dugald Steward richtig
gelehrt hat) vermöge einer Idealisirung des Gegebenen *) hypothetisch
ergänzt, und diese hypothetischen Elemente erlangen wissenschaftliche
Gewissheit in derselben Art, wie überhaupt alle Hypothesen, nämlich
durch Uebereinstimmung ihrer Gonsequenzen, also hier der unzählig
vielen einzelnen Lehrsätze, welche daraus syllogistisch erschlossen sind,
mit einander und dem empirisch Gegebenen, die bei jedem Versuche
sich um so mehr ergiebt, je genauer wir die Figuren construiren ; indem
nun diese Uebereinstimmung oft genug erprobt worden ist, um die
Annahme eines Fehlers in den Beweisprincipien auszuschliessen, so ist
auch bei jeder neuen Deduotion die Gewissheit des Resultates vor der
*) Diese setzt fertige Idealbilder im menschlichen Geiste, die
aller Erfahrung verauslagen, ebensowenig voraus, wie die künstlerische
Idealisirung gegebener Naturformen; sie folgt dem Zuge der Objecto.
482 § 129. Die unvollständige Induction.
speciell darauf gerichteten Erfahrung (oder relativ a priori) gesichert.
Die Kantische Lehre von der absoluten Apriorität der Anschauung des
Baumes würde nicht einmal, selbst wenn sie richtig wäre, die nothwen-
dige Gültigkeit der bestimmten einzelnen Axiome sichern; sie ist aber
in der That nur ein verunglückter Erklärungsversuch der mathema-
tischen Gewissheit, welche wirklich besteht, und ihren Sitz freilich nicht
in der unmittelbaren Erfahrung, wohl aber in der daran geknüpften
systematischen Verkettung hat. Die Lehre Kant's und seiner
Nachfolger ist eine Art abgeschwächter Mythologie (s. oben zu § 42,
S. 109 f.): sie hypostasirt die formirende (nach psychischen Naturge-
setzen und nach logischen Normen, die durch Existenzformen bedingt
sind, gestaltende) Thätigkeit des Geistes zu einem mit dem Namen
Form bezeichneten Gebilde, nämlich zu der vermeintlich a priori vor-
handenen RaumanschauuDg, und verlegt die Apodikticität, die dem
Ganzen des mathematischen Denkens in seiner Beziehung auf das Ge-
gebene innewohnt, in den vermeintlichen vornehmeren Ursprung der
mathematischen Grundanschauungen, ganz in gleicher Weise, wie auf
anderen Gebieten des Denkens die Lehre von den angeborenen Ideen *).
Hegel (Encycl. § 190 f.) erkennt in der Induction und Analogie
die Grundlage des syllogistischen Schlusses, indem der Obersatz auf
jenen Formen beruhe. In der Induction mit Becht, und in der Ana-
logie insofern mit Becht, als in derselben ein Inductionsschluss mit
enthalten ist (s. unten § 181), und als dieselbe auch schon, ohne dass
der in ihr liegende Inductionsschluss mit vollem Bewusstsein gedacht
wird, in 's Bewusstsein zu treten und den vollbewussten Inductions-
♦) Vergl. Plat. de Rep. VII, 638; Aristot. Anal. post. I, 18;
J. Herschel, a prelim. diso. S. 95 ff.; J. St. Mill, indnct. Logik,
übers, v. Schiel, 1. A., S. XVUI ff.; Beneke. Log. I, S. 73; II, S. 8;
61; 86; 151 ff.; Drobisch, Vorr. zur 2. Aufl. S. VI ff. Ferner mag
hier auf die ausdrückliche Erklärung einiger der namhaftesten neueren
Mathematiker hingewiesen sein, die den empirischen Ursprung der geo-
metrischen Fundamentalsätze und den hypothetischen Charakter dessen,
was darin über die Besultate der Beobachtung hinausgeht, anerkennen.
B. Biemann sagt in seiner Abhandlung ȟber die Hypothesen, welche
der Geometrie zu Grunde liegen« (aus dem 18. Bande der Abh. der
K. Gesellsch. der Wiss. zu Göttingen), Gott, in der Dietrich'schen Buchh.
1867 (verfasst im Jahr 1854): »Eine mehrfach ausgedehnte Grösse ist
verschiedener Maassverhältnisse fähig, und der Baum bildet also nur
einen besonderen Fall einer mehrfach ausgedehnten Grösse. Hiervon
aber ist eine nothwendige Folge, dass die Sätze der Geometrie sich
nicht aus allgemeinen Grössenbegriffen ableiten lassen, sondern dass die-
jenigen Eigenschaften, durch welche sich der Baum von anderen denk-
baren dreimch ausgedehnten Grössen unterscheidet, nur aus der Erfah-
rung entnommen werden können«. — In wesentlicher Uebereinstimmung
mit Biemann sucht Helmholtz in seiner Abhandlung ȟber die That-
sachen, die der Geometrie zu Grunde liegen«, in den Nachrichten der
E. Gesellsch. d. Wiss. zu Göttingen, 1868 (S. 193—221) ein System ein-
facher Thatsachen aufzustellen, welches zur Bestimmung der Maass-
verhältnisse des Baumes hinreiche. — Vgl. oben S. 865.
I
§ ISO. Die bemerkenswerthesten Indactionsfehler. i
8ohla88 selbst vorzabereiten pflegt. Die Frage, welche Treni
bürg (Log. Unters. II, S. 267,2. Aufl. II, S. 342, 8. Aufl. II. I
dieser Ansicht entgegenhält: 9 sind etwa die nothwendigen ürthc
Geometrie, die die Basis von Schiassreihen bilden, aus Inductid
Analogie das geworden, was sie sind?« — ist in dem oben niU
stimmten Sinne entschieden mit ja zu beantworten. Sie sind'
Induction als Fundamente des mathematischen Schliessens ge%
worden^ allerdings unter dem Miteingreifen der Abstraction, Coi
tion und Idealisirung (s. oben); ihre wissenschaftliche Gewisshei
stützt sich nicht auf die Induction allein, sondern noch mehr tt
ausnahmslose Zutreffen der aus ihnen syllogistisch abgeleiteten
in denen, wenn die Grundsätze auch nur den kleinsten Fehler enth
dieser irgend einmal so angewachsen sein würde, dass er in die
achtung fiele.
Schleiermacher sagt (Dial. § 279): >im Hinsehen auf d
sprünglichen Acte des Inductionsprocesaes liegt die Möglichke
ursprünglichen Acte des Deductionsprocesses« ; (Dial. § 288): »«
ersten und zweiten ursprünglichen Moment, so muss der Deduc
process überall auf den Inductionsprocess zurückgehen«. Er stell
Recht diesen Kanon in ausnahmsloser Allgemeinheit auf.
Leop. George erklärt in seiner (»den Manen Schleiermai
gewidmeten«) »Logik als Wissenschaftslehre«, Berlin 1869, S. 80
Beziehung des Inductionsverfahrens auf den objectiven Causalnexi
einen Cirkel, da die Erkenntniss des Realzusammenhangs selbsl
immer auf unvollständige Inductionen gründe. Dieser Vorwurf bi
aber auf einer Verwechselung des Bestehens des Causalnexus unc
serer Erkenntniss desselben. Das Bestehen desselben geht unserei
ductionen voraus; unsere Erkenntniss desselben im einzelnen Fall
Sammlung von Thatsachen voraus, und unsere Erkenntniss dese*
in allgemeiner Form folgt vielen specielleren Inductionen nach;
Erkenntniss ist die Bedingung (nicht dieser Inductionen, in we]i
Falle allein der »Cirkel« bestehen würde, sondern nur) der logii
Rechenschaft über die Inductionen. Wir verallgemeinern zunächst
nach psychischen Associationsgesetzen; unsere Verallgemeinerungen h
logische Berechtigung in sofern,, als sie jedesmal mit dem obje<!
Causalnexus zusammentreffen (vgl. oben S. 428 f.).
Die Frage, inwiefern das inductive Erkennen geistige Sei
I thätigkeit und Formen, die zur Auffassung des Aeusseren avi
serem Inneren hinzugebracht werden, voraussetze, hat Beneke (
der Log. II, S. 28 ff.) einer genauen Untersuchung unterworfen.
§ 130. Unter den Fehlern gegen die Gesetze de'
duction ist der bedeutendste die falsche Verallgemei
rung (fallacia fictae universalitatis). Dieser Fehler beru:
der Begel entweder auf der Verwechselung einer unvoUi
digen Induction mit einer vollständigen, oder auf der i
28
y
484 $181. Der Schlass der Analogie.
rechtigten Voraussetzung eines strengen Causalzusammenhangs
in der Richtung vom Subjecte zum Prädicate des Schlusssatzes
(non causa ut causa, sive post hoc, ergo propter hoc).
Wenn z. B. die Regeln über die Rechnung mit Potenzen für
alle diejenigen Verhältnisse erwiesen sind, welche bei positiven ganzen
Exponenten vorkommen können, und dieselben nun ohne weiteren Be-
weis ganz allgemein, also auch bei Potenzen mit negativen und gebro-
chenen und selbst irrationalen Exponenten als gültig angenommen wer-
den: so ist dies in methodischer Beziehung ein Fall ungerechtfertigter
Verallgemeinerung (obschon dieselbe sachlich nicht falsch ist) oder
falscher Beruhigung bei einer unvollständigen Induction, wo doch
die vollständige erforderlich und erreichbar war. Die zahlreichsten
und zum Theil grauenhaftesten Beispiele falscher Inductionen, die auf
ünkenntniss des wahren Causalzusammenhangs und phantastischer
Unterschiebung eines fingirten beruhen, liefert der Aberglaube in der
unerschöpflichen Mannigfaltigkeit seiner Formen, der, aus tausend
Schlupfwinkeln verdrängt, immer wieder in neuen sich ansiedelt. Aber
auch die Geschichte der ernsten Forschung lässt in den vielfachen
Irrungen dieser Art, von denen sie zu berichten hat (worüber das treff-
liche Werk von W he well; the history of the inductive sciences, deutsch
von Littrow, 1889 — 42, verglichen werden mag), nur zu deutlich er-
kennen, dass der Mensch das Höchste, wozu er berufen ist, die wissen-
schaftliche Wahrheit, gleich wie die sittliche Gesinnung, nicht auf un-
freie Weise ohne eigene That nur hinzunehmen, sondern in langem
und schwerem Entwickelungskampfe und insbesondere auch durch üeber-
windung der natürlichen Neigung zu falchen Anthropomorphismen zu
erringen hat.
In vielen Fällen ist es der noch nicht durch die Wissenschaft
berichtigte Sprachgebrauch, welcher zu falschen Inductionen ver-
leitet. Der VorsteUungskreis, worauf das Wort geht, coincidirt nicht
nothwendig mit derjenigen Begriffssphäre, deren Objecten das betref-
fende Prädicat zukommt ; dem oberflächlichen Blicke aber verbirgt sich
leicht die Verschiedenheit der Umgrenzungen, und so pflegen wir das
gleiche Prädicat auf alles, was wir mit demselben Namen bezeichnen,
zu übertragen, bis wir gelernt haben, die psychologische Vorstellungs-
association, die sich an das Wort anlehnt, den logischen Normen zu
unterwerfen. Vgl. Beneke, Syst. der Log. II, S. 59 ff. — In Mill's
inductiver Logik enthält das Kapitel von den Irrthümem der Generali-
sation (in der Uebersetzung von Schiel S. 261 ff. ; 2. u. 8. A. II, S. 875 ff.)
eine Reihe von Beispielen falscher Inductionsschlüsse.
§ 131. Der Schlass der Analogie (exemplnm, ana-
logia, naQaöuy^a^ dvaloyia) ist der Schlass vom Besonderen
oder Einzelnen anf ein demselben nebengeordnetes Besonderes
oder Einzelnes. Das Schema desselben ist folgendes:
§ 131. Der Schlnss der Analogie. 435
M ist P.
S ist gleichartig mit M.
S ist P.
Oder bestimmter, indem das, worin die Gleichartigkeit besteht,
mitangegeben wird, folgendes:
M ist P.
M ist A.
S ist A.
S ist P.
Es kann hierbei theils der Begriff H, theils der Begriff
A, theils ein jeder dieser beiden Begriffe ein mehrfacher sein,
wodurch drei Formen entstehen, deren erste der Grundform
des inductiven Schlusses entspricht, die zweite und dritte den
oben (§ 127) mit angefahrten Nebenformen. Jeder Schluss
der Analogie lässt sich in einen Inductionsschluss von der
entsprechenden Form und einen Syllogismus zerlegen.
Insbesondere ist die erste Form des Analogieschlusses
folgende:
Sowohl M], als Ms, als Ma . • . ist P.
Sowohl Ml, als M2, als Ms . . . ist A.
S ist A.
S ist P.
Dieselbe lässt sich reduciren auf den Schluss der Induction
von der ersten Form:
Sowohl Ml, als Ms, als Ms . . . ist P.
Sowohl Ml, als Ms, als Ms ... ist A.
A ist P,
und den zugehörigen Syllogismus der ersten Figur:
A ist P.
S ist A.
S ist P.
Die zweite Form des Analogieschlusses ist folgende:
M ist P.
M ist sowohl Ai, als As, als As ... .
S ist sowohl Ai, als As, als As ... .
S ist P.
486 § 131. Der Sohluss der Analogie.
Diese Form lässt sich rednciren auf den Scblass :
M ist P.
M ist sowohl Ai, als Aa, als As ... .
Alles, was sowohl Ai, als At, als As ... . ist, ist P,
und den zugehörigen Syllogismus der ersten Figur:
Alles, was sowohl Ai, als As, als As ... . ist, ist P.
S ist sowohl Ai, als As, als As ... .
S ist P.
Die dritte Form des Analogieschlusses vereinigt in sich
die EigenthtLmlichkeiten der beiden ersten.
Sowohl Ml, als Ms ... . ist P.
Sowohl Ml, als Ms ... . ist zugleich Ai und As ... .
S ist P.
Die Zerlegung führt auf die beiden folgenden Schlüsse :
Sowohl Ml, als Ms ... . ist P.
Sowohl Ml, als Ms ... . ist zugleich Ai und As ... .
Alles, was zugleich Ai und As ... . ist, ist P
und:
Alles, was zugleich Ai und As .... ist, ist P,
S ist zugleich Ai und As ... .
S ist P.
Auch bei hypothetischen Sätzen kOnnen diese drei
Formen des Schlusses der Analogie yorkommen.
Ein Beispiel eines Analogieschlusses der ersten Form ist fol-
gendes: Mercur, Venus, Erde, Mars, Jupiter und Saturn (die sämmt-
* lieben schon im Alterthum bekannten Planeten) haben Axendrehung von
Westen nach Osten; alle diese sind Planeten unseres Systems; auch
Uranus gehört zu den Planeten dieses nämlichen Systems; also wird
auch Uranus Axendrehung von Westen nach Osten haben. — Ein Ana-
logieschluss der zweiten Form ist folgender: die Erde ist Trägerin
eines organischen Lebens; die Erde ist ein unsere Sonne umkreisender
Planet mit Axendrehung, mit Atmosphäre, mit Wechsel der Jahres-
zeiten etc.; auch der Mars ist ein unsere Sonne umkreisender Planet
mit Axendrehung, mit Atmosphäre, mit Wechsel der Jahreszeiten etc. ;
also wird auch der Mars ein Träger organischen Lebens sein. — Von
derselben Form ist der Schluss, den Franklin im November 1749 bil-
dete (vgl. Beneke, Log. II, S. 119) und der unter der Yorausaetzung,
dass noch nicht die Subsumtion des Begrififs des Blitzes unter den Be-
griff der elektrischen Erscheinungen vollzogen, sondern bloss noch die
§181. Der Sohluss der Analogie. 437
Aehnlichkett erkannt sei, den Analogieschl&ssen zugerechnet werden
mnss: das elektrische Fluidum, wie sich dasselbe bei den von uns an-
gestellten Experimenten bekundet, wird durch hervorragende Metall-
spitzen angezogen; dieses elektrische Fluidnm und der Blitz kommen
in den Eigenschaften uberein, dass sie Licht geben von gleicher Farbe,
eine schnelle Bewegung haben, durch Metalle geleitet werden etc. etc. ;
also ist zu vermuthen, dass auch der Blitz durch hervorragende Me-
tallspitzen angezogen werde. — Das oben angeführte Beispiel eines
Analogieschlusses der ersten Form geht in die dritte Form über
wenn als gemeinsamer Charakter des Uranus und der alten Planeten
nicht nur das Allgemeine bezeichnet wird, dass sie alle Planeten des
nämlichen Systems sind, sondern ausserdem auch noch die besondere
Eigenschaft, wodurch sich alle diese Planeten (wie auch der Neptun)
von den Asteroiden unterscheiden, dass sie nämlich gfrössere und jedes-
mal in einem bestimmten Abstände von der Sonne die einzigen Pla-
neten sind.
Man kann nicht zwei Arten des Analogieschlusses, nämlich den
nach vollständiger und den nach unvollständiger Analogie unter-
scheiden, jenachdem die implicite darin mitenthaltene Induction von
der einen oder anderen Art sei; denn damit die Induction Vollstän-
digkeit habe, müsste eben der Fall, der durch die Analogie erst er^
schlössen werden soll, schon mit als Prämisse gegeben sein. Der Ana-
logieschluss kann sich also nur an die unvollständige Induction an-
schliessen. Alle Formen des Analog^ieschlusses unterscheiden sich von
der Induction durch den angeknüpften Syllogismus, der von dem ver-
muthungsweise erschlossenen Allgemeinen wiederum zum Besonderen
oder Einzelnen herabführt.
Die Gewissheit oder Wahrscheinlichkeit des Analogieschlusses
gründet sich auf die nämlichen Momente, wie die des Schlusses nach
unvollständiger Induction. Sie knüpft sich an die Berechtigung der
Voraussetzung eines gesetzmässigen Realzusammenhangs zwischen A
und P. Denn ganz in demselben Maasse und aus denselben Gründen,
wie die inductive Verallgemeinerung Wahrheit hat, muss auch die Be-
ziehung auf den einzelnen analogen Fall wahr sein, da in der syllogi-
stisohen Subsumtion desselben unter das einmal als gültig angenommene
allgemeine Gesetz keine neue üngewissheit hinzutritt, und andererseits
ist auch die Beziehung auf den einzelnen analogen Fall nur insofern
berechtigt, als eine allgemeine Gesetzmässigkeit vorausgesetzt werden
darf, nach welcher auch inductiv das gleiche Prädicat allen denjenigen
Objecten beigelegt werden kann, die genau denselben Bedingungen
entsprechen.
Die Fehler, die bei dem Schlüsse der Analogie vorkommen
können, sind darum, weil dieser die Vereinigung eines inductiven und
eines syllogistischen Schlusses ist, auch wiederum die gleichen, wie bei
jenen Schluss weisen. Sie beruhen meist auf der falschen Voraussetzung,
dass dem M um seiner allgemeinen Natur A willen das Prädicat P
zukomme, wesshalb dasselbe auch jedem anderen A, insbesondere dem
438 § 131. Der Schluss der Analogie.
S, zukommen werde, wahrend doch in dem betreffenden Falle das P
an die specifische Differenz des M» welches S nicht mit ihm theilt, ge»
knüpft ist. So lange nicht zwischen A and P ein gesetzmässiger Zu-
sammenhang mit Recht vorausgesetzt werden darf, gilt der Satz: Bil-
der und Gleichnisse beweisen nicht. Beispiele von falschen
Analogieschlüssen liegen in der antiken Annahme der Beseeltheit der
Himmelskörper als bewegter Wesen nach der Aehnlichkeit mit Menschen
und Thieren (s. o. zu § 42), in der Parallelisirung der Beharrung psy-
chischer Eindrücke mit dem Beharren eines Körpers in der Ruhe oder
Bewegung nach dem Gesetze der Trägheit (vgl. Lotze, Mikrokosmus I,
S. 214, 2. A. S. 220); andere Beispiele giebt Mill (induct. Log., über-
setzt von Schiel, 1. A. S. 634 ff., 2. u. 3. A. II, S. 386 ff.).
Mit der Proportion ist die Analogie verwandt, aber nicht
identisch. Bezeichnen wir dasjenige P, welches dem M zukommt, näher
als P', und dasjenige, welches wir dem S zusprechen, als P'', so lässt
sich der Schluss der Analogie auf folgende Formeln bringen:
M ; 8 = P' : F'
oder:
M : P = S : P"
in welcher letzteren Formel das A als Exponent gelten mag. Doch
hat diese Darstellung in den meisten Fällen nur die Bedeutung eines
Gleichnisses ohne exacte Gültigkeit. Diejenigen Fälle aber, wo sie mit
strenger Wahrheit gilt (wie bei der sogen. Regeldetri), führen nicht
nur zu dem Schlüsse, dass S P sei, sondern auch zur näheren Bestim-
mung des P als P" (z. B. nicht nur zu dem Schlüsse, dass auch das
zweite Waarenquantum einen Preis habe, sondern auch zur Berech-
nung dieses Preises), weil hier das Prädicat P den beiden Subjecten
M und S nicht nur in Bezug auf ihren Gattungscharakter A zukommt,
sondern sich auch genau nach dem Verhältniss ihrer specifischen £i-
genthümlichkeiten (m und s) modificirt. Der Schluss dieser Art mag
(mit Drobisch, Log. 2. A. § 143, 3. A. § 149) der Schluss nach
strenger Analogie (analogia exaota) genannt werden.
Auf die Form der Proportion gebracht, würde das erste der
obigen Beispiele zur zweiten Form lauten: wie sich die Erde zum
Mars verhält, so verhält sich das organische Leben auf der Erde zu
dem (vorauszusetzenden) organischen Leben auf dem Mars; oder: wie
sich die Erde zu ihren Organismen verhält (Exponent: die planetari-
sche Natur), so der Mars zu seinen Organismen (Exponent: die plane-
tarische Natur).
Aristoteles (Anal.pri. II, 24. 68b) unterscheidet den Schluss der
Analogie {nagaStiyfxa) einerseits von der Induction, andererseits von
dem Syllogismus durch die Bestimmung, dass hier weder von dem
Theile auf das Ganze, noch auch von dem Ganzen auf den Theil, son-
dem von dem Theile auf den Theil geschlossen werde, und zerlegt den
Analogieschluss in einen Schluss auf das Allgemeinere (der ein Schluss
der unvollständigen Induotion ist, wiewohl Aristoteles diesen
Terminus nicht gebraucht, da ihm als eigentliche Induction nur die
§ 181. Der Bchluss der Analogie. 489
vollständige grilt, s. oben za § 127, S. 424), und einen angeknüpften
Syllogismus. Anal. pri. II, 24. 69 a. 14: (paveQov oiv on t6 naQadetyfjid
iOTiv ovrc dag fÄ^QOg ngoe olov, otrn tos olov itQog /Jt^ftog, all* atg fi^Qos
{^) TtQog ^4qos {r)t oTttV afjLipti} ^Iv j vnb rauro (B), yvtOQifiov 6k 9tx*
j^QOV {^i, soil. on ro A airrtp vnotQx^i). xnl diatpäQH Trjg inttytoyrjg^ on
i) ^ikv ii anaVTWV imv aro/unop ro axQov (Jfixvvfv vnaQ^^iv Ttp fxiat^ xal
TtQog t6 axQov ov cfvvfjme tov avJiloyiafiov, t6 6k xal awanra xaX ovx iS
andvTiov 6%Cxwaiv. Cf. Rhet. I, 2. Er giebt folgendes Beispiel: Icrro
10 A xaxov, t6 dk B ngog ofioQovg dvatoeiadtti. noltfioVy iip' ip dk Tro
*A^fjvatovs TiQog Brißaiovg, t6 dk (tp^ (p J Grjßaiovg n^s 4>Q}X€ief vro er
zonaohst aus dem empirisch gegebenen Falle, dass der Krieg der The-
baner gegen die Phoceer yerderblich war (A ist A), auf eine unvoll-
standig inductive Weise den allgemeinen Satz als eine glaubhafte An-
nahme ableitet, dass, da jener Krieg ein Krieg gegen Grenznachbam
war {A ist B), überhaupt wohl ein jeder Krieg gegen Grenznachbam
yerderblich sei {B ist A), und daraus syllogistisch weiter schliesst, dass
also auch wohl ein Krieg der Athener gegen die Thebaner (r), da
derselbe ein Krieg gegen Grenznachbam sei (ristB), verderblich sein
werde (r ist A). Es sind also gegeben die drei Prämissen:
1. A ist A,
2. A ist B,
8. r ist B.
Aristoteles folgert zuerst aus 1. und 2. vermuthungsweise:
4. B ist A,
und nachdem dies gezeigt ist {orav t^ f^^(ftp, sc. t^ B, ro ax^ov, so. t6
Aj VTtOQxov dn;(9j äiit tov 6f4.o{oVf sc. roi; A, Tip To^r^, sc. r^ 7^, fol-
gert er endlich syllogistisch aus 4. und 3. das Resultat:
6. r ist -^df.
Von diesen beiden Folgerungen, die in dem Einen Analogieschlüsse
liegen, ist die erste diejenige, an welche die Entscheidung sich knüpft,
da mit ihrer Gültigkeit die Gültigkeit des Ganzen steht und fällt,
während der Syllogismus sich auf eine leichte und zweifellose Weise
ansohliesst. Aristoteles pflegt daher vorzugsweise auf jenes erste Ele-
ment der Analogie zu achten, und erklärt dieselbe in diesem Sinne für
eine Art von Induction, die aber unvollkommen und mehr rhetorisch,
als wissenschaftlich sei, weil nämlich das Allgemeinere hier nicht aus
der erschöpfenden Aufzählung alles Einzelnen, sondern aus einem ein-
zelnen Falle oder doch nur einigen einzelnen erwiesen werde. Die
Analogie verhalte sich daher zur Induction ähnlich, wie das Enthymema
zum Syllogismus. Analyt. post. I, 1. 71 a. 9: (o? cf' atutog xal ot ^rjro'
(uxol ffvfiniiO^vaiy ^ yäg dtä naQaiuyfxdTiav^ o iariv inayo)Yii, tj cft'
iy&vfjirifidTüiVf on€Q ioTl avlloyta/jog. Den Terminus dvaXoyla gebraucht
Aristoteles nicht in der logischen Bedeutung der Analogie, sondern
in der mathematischen der Proportion. Theophrast gebraucht den
Namen avaXoyia in einer logischen Bedeutung, aber von ganz anderer
Art, indem er die durchgängig hypothetischen Schlüsse avXXoytajuovg
xm* dyaXoyüty nennt (s. oben zu § 121, S. 402). Dagegen wird der
440 § 131. Der Schluss der Analogie.
Terminas: ot xaia ro avaXoyov avlkoyiauoC aaf die Schlüsse der Ana-
logie bezogen und anf dieselben das Schema der mathematische Pro-
portion angewandt in der von Minas herausgegebenen rakfpfov Elga-
y<&yri ^itdexrixri p. 5d sqq. (vgl. Prantl, Gesch. der Log. I, S. 608). —
Boethius (Op. ed. Basil. 1546, p. 864 sq.) lehrt in genauer Ueberein*
Stimmung mit Aristoteles: »Est enim exemplum, quod per particu-
lare propositum particulare quoddam oontendit ostendere hoc modo:
oportet a Tullio consule necari Catilinam, quum a Scipione Gracchus
sit interemptus. — Ex parte pars approbatur. — Exemplum inductionis
simile. — Quae omnia ex syllogismo vires äccipiuntc. — Den vollen
wissenschaftlichen Werth der Analogie, gleich wie den der Induction,
hat erst die neuere Entwickelung der Naturwissenschaften sur
Anschauung gebracht. Vgl. Gruppe, Wendepunkt der Philos. im
neunzehnten Jahrhundert, 1831, S. 84 ff., und Trendelenburg, Log.
ünt. II, S. 802—809, 2. A. 11, S. 378—385, 3. A. S. 418—419. —
Kant erklärt (Erit. d. r. Vem. 8. 222) die Analogrie für die Gleichheit
zweier qualitativer Verhältnisse (wogegen die mathematische Analogie
oder Proportion auf die Gleichheit zweier Grössenverhältnisse gehe). Er
gesteht (Log. § 84) der Analogie, gleich wie der Induction, zwar eine
gewisse Nützlichkeit und ünentbehrlichkeit zum Behuf der Erweiterung
der Erfahrungserkenntniss zu, setzt aber diese beiden Formen als
»Schlüsse der reflectirenden ürtheilskraftc tief unter den Syllogismus
herab, welchem allein der Name »Yemunftschlussc zukomme; denn
(§ 84, Anmerk. 2): »ein jeder Yemunftschluss muss Nothwendigkeit ge-
ben; Induction und Analogie sind daher keine Vernunftschlüsse, son-
dern nur logische Präsumtionen oder auch empirische Schlüsse«; —
(§ 81): »das Allgemeine, zu welchem sie (die reflectirende Urtheilskraft)
vom Besonderen fortschreitet, ist nur empirische Allgemeinheit, ein
blosses Analogen der logischen c Die Beziehung auf die reale Gesetz-
mässigkeit wird von Kant nicht nur nicht in der Logik (um des sub-
jectiv-formalen Charakters derselben willen), sondern überhaupt nicht
nachgewiesen (denn auch der Abschnitt in der Kritik der r. Vem. S. 218
— 265 über die Analogien der Erfahrung hat doch nicht diese Tendenz).
— Allein jener so hoch über Induction und Analogie erhobene »Ver-
nunftschluss« oder Syllogismus vermag ja nach der rein formalen Auf-
fassung, die er bei Kant findet, noch weniger, als jene Schlüsse der
ürtheilskraft, unsere Erkenntniss zu erweitern, sondern fuhrt im Schluss-
satze doch nur zu einer partiellen Wiederholung dessen, was wir schon
wissen und im Obersatze ausgesagt haben; er kann also gar nicht ein
Princip wissenschaftlicher Gewissheit sein, wie denn auch Kant selbst
ihn nur den > analytischen« Formen des Denkens zurechnet, durch
welche alle ja nur die vorhandenen Erkenntnisse zergliedert, aber keine
neuen gewonnen werden. So vermochte denn Kant in allen Weisen des
logischen Schlussverfahrens überhaupt eine Quelle apodiktischer Gewiss-
heit nicht zu erkennen (hierin mit den Skeptikern einverstanden, da
die logischen Theorien der von ihm sog. dogmatischen Philosophen in
der Gestalt, wie er dieselben auffasste, ihn nicht befriedigten). Ande-
§ 131. Der Schluss der Anälogfie. 441
rerseÜB aber konnte Kant nicht umhin (im Gegensätze gegen die Skep-
tiker), die Apodiktidtät, die er in den positiven Wissenschaften vorfand,
gleichsam als eine gegebene Thatsache, und die Frage, wie sie möglich
sei, als ein Problem der Erkenntnisstheorie anzuerkennen. Von diesen
beiden Voraussetzungen aus musste freilich wohl Kant*s eigene Erkennt-
nisslehre oder die »Kritik der reinen Vemunftc, die so manche von
den traditionellen Illusionen zerstörte, doch selbst jenen in gewissem
Sinne mystischen Charakter gewinnen (s. o. S. 432), den sie in der That
an sich trägt: Kant sucht den Grund der wissenschaftlichen Gewissheit,
den er nicht in den logischen Normen selbst zu finden weiss, jenseit
derselben in den vermeintlich a priori vorhandenen Anschauungsfor-
men, Kategorien und Ideen. Dem Ich, der reinen Apperception als
einem urspriingliohen Actus der Spontaneität eines jeden Einzelnen,
wird von Kant auch solches beigelegt, was doch in Wahrheit erst als
historisches Resultat des Entwickelungsganges der Menschheit im Laufe
der Jahrtausende aus dem geistigen Zusammenwirken der Individuen
und der Nationen hervorgegangen ist, und nur auf bestimmten, histo-
risch bedingten Culturstufen hervortreten konnte. (Vgl. J* G. Fichte,
Werke, VII, S. 608: »wir sind so vieles ohne unser Bewusstsein, das
unserem bewussten Treiben als Prämisse zu Grunde liegt; dies sind
wir durch die Zeit geworden und legen es dann auch, wie ein sich
von selbst Verstehendes, so lange, bis wir es absondern und als ein
historisches Zeitproduct an uns begreifen, aller Zeit zu Grunde«.) —
Was die formale Seite des Analogieschlusses betrifft, so lehrt Kant
(Log. § 84), die Urtheilskraft schliesse darin von vielen Bestimmungen
und Eigenschaften, worin Dinge von einerlei Art zusammenstimmen,
auf die übrigen, sofern sie zu Einem Princip gehören, oder von parti-
cularer Aehnlichkeit auf totale, während bei der Induction von vielen
auf alle Dinge Einer Art geschlossen werde nach dem Princip: was
vielen Dingen Einer Gattung zukommt, das kommt auch den übrigen
zu. Kant setzt demnach den unterschied der Analogie von der Induc-
tion in diejenige Bestimmung, in welcher wir oben dieEigentbümlich-
keit der zweiten Form der Analogie gefunden haben. Hierin sind ihm
mehrere neuere Logiker gefolgt, z. B. Bachmann (Log. S. 838 ff.),
Hamilton (Lect. onLog. II, S. 166), Mansel (Artis log. rudim. append.
S. 226—228), während Fries (System der Log. S. 446) gegen Kant mit
Recht bemerkt, dass der Rückschritt vom Allgemeinen auf das übrige
Besondere das einzige Eigenthümliche der Analogie sei (S. 463 ff.) im
Anschluss an Aristoteles den Schluss der Analogie auf die Combination
eines Inductionsschlusses mit einem Syllogismus reducirt. Die Haupt-
eintheilung der Schlüsse muss jedenfalls auf die wesentlichst« aller Ver-
schiedenheiten gegründet werden, ob nämlich vom Allgemeinen auf das
Besondere, oder vom Besonderen auf das Allgemeine, oder (in einer
Verflechtung jener beiden Formen) vom Besonderen auf ein nebenge-
ordnetes Besonderes geschlossen wird; an die hierauf beruhenden Schluss-
gattungen aber knüpfen sich seit Aristoteles untrennbar die Namen:
Syllogismus, Induction und Analogie. Alle anderen Unter-
Bchiedti, nnd bo inebesondere auch der, ob von Einem oder von mehrerea
E^Lemplaren einer Qattnng wae, und ob anf Grund einer Ueberein-
etimmung in Einem oder in mehreren Merkmalen geachloseen werde,
sind vergleiehungaweiae von untergeordneter Bedeutung, und dürfen
erat bei der ferneren Eintbeilung jener SohluBBgattnngen in ihre Arten
oder Formen maasagebend sein. — Hegel (Log. II, 8. 155 ff., 1834;
EdojcI. § 190] balt dafür, dasB der Analogiescblusa die zweite Aristo-
telisohc Figur (oder die dritte nach Hegel'a Zählung) in derselben Weise
zu seinem abstract«n S<^ema habe, wie' die Induction die dritte Ariato-
telische (oder die zweite nach Hegel). Der Mittelbegriff des Analogie-
schluaess sei ein Einzelnes, aber im Sinne seiner wesentlichen Allge-
meinheit, seiner Gattung oder wesentlichen Bestimmtheit. >Die Erde
hat Bewohner; der Mond ist eine Erde (einWeltkörper); also hat der
Mond Bewohnen. — 'Während also Aristoteles (s. o. S. 439) von den
drei Prämieaen; j4 ist jf, ^ ist B, /" ist B, Euerat die beiden ersten
combinirt, nm daraus durch einen Schluss vom Einzelnen auf das All-
gemeine lunächst den Satz: B ist A, abiuleiten, der dann, mit der
dritten verbunden, als Obersatz eine« SylloginnuB dient; so will offen-
bar Hegel zueret die zweite, und dritte Pramime oombiniren: ii ist B,
r ist B (oder im Beiapieh die Erde ist ein Weltkörper, der Mond
ist ein Weltkörper), um daraus zunächst den Satz abzuleiten; r ist -4
(der Mond ist eine Erde), der dann, mit der ersten Prämisse (^^ ist
A, die Erde hat Bewohner), verbunden, als Untersatz eines Syllogis-
mus dienen soll. Die Combination der Priimiesen: ^ ist B, F ist B,
folgt nun allerdings insofern dem Sohema der zweiten Aristotelischen
Sjrzygie, aU darin der Mittolbegriff B beidemal Pi^icat ist (wiewohl
dieselbe sich nicht dem Gesetze der ayllogiatisohen Modi jener Figur
fugt, dats die eine Prämisse verneinend sei). Allein das gante Ver-
fahren hat doch nicht die gleiche Wahrheit, wie jene Aristotelische
Keduction. Denn jene Subsumtion des r unter // ist incorreot nnd ge-
winnt nur durch einen (von Hegel selbst Log. II, S. 157 nachgewiesenen)
Doppelsinn des Begriffs ^ (die Erde ~~ eine Erde) eine scheinbare
Gültigkeit; die Aristotelische Reduotion dagegen legt das Wesen des
AnalogicEohlnsses nach seiner gewissen nnd nach seiner zweifelhaften
Seite mit logischer Strenge klar vor Augen. — Abweichend von der
Auffassung dieses Buches hat neuerdings Hoppe in s. Logik (1868)
S. 668—717 und eingehender noch in der 1678 ersch. bes. Schrift:
»Die Analogie, eine allgemein vprständl. Darstellung aus dem Gebiete
der Logik) darzutbun gesucht, dass die Analogie eine wirre Denk-
operation und deshalb aus der Logik ganz zu streichen aei.
§ 132. Sofern bei dem Schlnsse der aiiTollstäiidigen Id-
dnctioD nnd der Analogie die Voraassetznng eines gesetzmäa-
sigen ZuBammenhangs zwischen S und P nnsieber ist, hat
auch der Schlasesatz nnr problematische Gültigkeit, nnd,
falls die Gründe fUr denselben die etwaigen GegengiUnde
f
§ 182. Die Bestimmung des Wahrscheinlicbkeitsgmndes.
überwiegen, Wahrscheinlichkeit (probabilitas). Doch '
wenn es sich nm eine nähere Bestimmung der verschied
Mittelstufen zwischen der vollen Oewissheit des Schlasssj
und der Gewissheit seines contradictorischen Gegentheils
delt, der Terminus Wahrscheinlichkeit auch in e
weiteren Sinne als gemeinsamer Name für diese sämmtli
Stufen gebraucht. Der Grad der Wahrscheinlichkeit in di(
Sinne lässt in gewissen Fällen eine arithmetische Bei
mnng zu, welche ihrerseits nicht nur Wahrscheinlichkeit,
dem Gewissheit haben kann. Sofern nämlich verschie
Analogien, von denen die einen fttr den Schlusssatz, die
deren aber fUi dessen contradictorisches Gegentheil sprec
im Allgemeinen eine gleiche Anwendbarkeit haben, lässt
der Grad der Wahrscheinlichkeit mathematisch als ein B
darstellen, dessen Nenner durch die Anzahl der überhs
verglichenen Fälle, und dessen Zähler durch die Anzahl
günstigen gebildet wird. Der Wahrscheinlichkeitsgrad e
bestimmten Erfolges ist dann also das Verhältniss der ü
der Fälle, die unter gleichen Umständen zu einem derart
Erfolge geführt haben, zu der Zahl der verglichenen F I
überhaupt. Diese letztere Zahl muss bei empirischer Stati
(z. B. in Betreff der TOdtlichkeit gewisser Verletzungen) <
beträchtliche Grösse haben, um zu einer Abschätzung i
Wahrscheinlichkeitsgrades zu berechtigen ; sie ist dagegen (
feste, wenn sich die überhaupt möglichen Arten des Erfo i
(wie z.B. bei dem Würfelspiel) aus der Natur der Sache ;
leiten lassen, und führt dann zu den sichersten Schlüsf
Sofern aber die verschiedenen Analogien eine verschied i
Anwendbarkeit haben, ist eine mathematische Bestimmung i
Wahrscheinlichkeitsgrades in der Regel unmöglich, und
kann nur eine minder genaue Abschätzung des Wahrschc!
lichkeitsgrades eintreten, die auch ihrerseits nicht auf Gewi
heit, sondern nur auf Wahrscheinlichkeit Anspruch hat. Di
Art der Abschätzung des Wahrscheinlichkeilsgrades wird
Gegensatz zu der mathematischen gewöhnlich die philoi
phische, richtiger aber, sofern sie sich auf eine Abwägii
der inneren Kraft der verschiedenen Gründe und Gegengrüi
stützt, die dynamische genannt.
444 § 183. Die materiale Wahrheit der PrämisBen und des Sohlusssaizes.
Ungenau sind die Termini: mathematische und philoso-
phische (dynamische) Wahrscheinlichkeit; denn nicht diese selbst,
sondern die Art der Abschätzung ihres Grades, ist mathematisch (arith-
metisch) oder dynamisch.
Der Grad 1 == n/^ bezeichnet nach der obigen Bestimmung die
volle Gewissheit, indem die Zahl der günstigen Fälle mit der Gesammt-
zahl aller Fälle die gleiche ist; der Grad 0 = o/n die Gewissheit des
contradictorischen Gegentheils, da es unter allen Fällen überhaupt gar
keine günstigen giebt ; der Grad Vj das Gleichgewicht der Gründe und
Gegengründe; die echten Brüche zwischen Vs und 1 die Wahrschein-
lichkeit im engeren Sinne als das Uebergewicht der günstigen Fälle
über die ungünstigen, und endlich die echten Brüche zwischen Vs und
0 die UnWahrscheinlichkeit in ihren verschiedenen Abstufungen. Die
nähere Darlegung der Gesetze der Wahrscheinlichkeitsrechnung
(calculus probabilium) ist jedoch nicht Sache der Logik, sondern der
Mathematik. — Zu vergl. Poisson, recherches sur la probabilit^ des
jugemens 1837 u. Fries, Vers, einer Kritik der Principien der Wahr-
scheinlichkeitsrechnung, 1842. F. A. Lange, Logische Studien 1877
Kap. V. Das disjunct. Urtheil und die Elemente der Wahrscheinlich-
keitslehre S. 99. — Lotze Syst. d. Philos. Bd. 1. Logik. Buch 2. Vom
Untersuchen (angewandte Logik) Kap. 9. Bestimmung singularer That-
sachen und Wahrscheinliohkeitsberechnung. S. 409. — Sigwart, Lo-
gik Bd. 2. Methodenlehre Th. 3. Abschn. 8. VI. § 86. Die Wahrschein-
lichkeitsrechnung. S. 266. — Wundt, Logik. Bd. 1. Abschn. 6. Kap. 1.
Begriff des Wissens. 8. Gewissheit und Wahrscheinlichkeit. S. 378 und
zuvor Abschn. 4. Kap. 2. IV. c. Das Verhältniss der Beziehungsschlüsse
zu den Wahrscheinlichkeits- und Analogieschlüssen S. 336.
§ 133. Bei jedem formal richtigen und zugleich streng
allgemeingültigen Schlnss folgt aus der materialen Wahr-
heit der Prämissen die materiale Wahrheit des
Schlusssatzes, aber nicht umgekehrt aus dieser jene, und
aus der materialen Unwahrheit des Schlusssatzes
die materiale Unwahrheit mindestens Einer Prä-
misse, aber wiederum nicht umgekehrt aus dieser jene. Von
den Prämissen können einzelne oder auch alle falsch sein,
und dennoch der Schlusssatz wahr; aber es kann nicht ge-
schehen, dass die Prämissen alle wahr seien, und dennoch
bei richtiger Ableitung der Schlusssatz falsch sei. Aus Wahrem
kann nur Wahres folgen: aber aus Falschem sowohl Falsches
als Wahres. Der Beweis für die materiale Wahrheit des
aus wahren Prämissen richtig abgeleiteten Schlusssatzes
liegt eben in der logischen Richtigkeit der Ableitung selbst;
denn da die logischen Normen der Schlussbildung, wie
§ 133. Die materiale Wahrheit der Prämissen und des Schlusssatzes. 445
die logischen Normen überhaupt, auf die Idee der Wahrheit
gegründet sind (s. o. § 3; ygl. § 75 ff.; § 101), so würde
eine Ableitung, die zu Unwahrem führte, sich eben hierdurch
als den logischen Normen widerstreitend, folglich als unrichtig
erweisen, gegen die Voraussetzung. Wird aber aus Falschem
den logischen Normen gemäss weiter geschlossen, so liegt
im Allgemeinen weder irgend eine Nothwendigkeit vor, dass
daraus wiederum Falsches, noch auch, dass daraus Wahres
folge;, sondern hierüber entscheiden die jedesmaligen Ver-
hältnisse in den besonderen Fällen.
So ist insbesondere bei dem Syllogismns die materiale Wahr-
heit des Schlusssatzes bei formal richtiger Ableitung aus material wahren
Prämissen nothwendig; dieselbe kann aber zufälligerweise
auch mit der Unwahrheit sowohl einer einzelnen, als auch beider Prä-
missen zusammenbestehen. Die Analogie zwischen Schliessen und Rechnen
darf nicht zu der Meinung verleiten, als könne nur dann, wenn
mehrere materiale Fehler in den Voraussetzungen einander oompen-
siren, der Scblusssatz materiale Wahrheit haben. Die Uiu'ichtigkeit
einer Prämisse, z. B. eines Obersatzes in dem syllogistischen Modus
Barbara, kann in einer falschen Verallgemeinerung liegen, während
das entsprechende particulare ürtheil wahr sein würde, und der material
wahre Untersatz gerade solches herausheben, dem das Pradicat des
Obersatzes wirklich zukommt, z. B. alle Parallelogramme lassen sich
einem Kreise einschreiben; alle Rectangel sind Parallelogramme; also
lassen sich alle Rectangel einem Kreise einschreiben. Ebenso kann der
Untersatz falsch sein, indem er das S unter M, statt unter M' sub-
sumirt, und dennoch der Schlusssatz wahr, indem das P sowohl dem
M, als dem M' zukommt, z. B. in Klüber's Enthymema (Völkerrecht, zu
§ 148): »die Heiligkeit der Verträge hat keine religiöse Beziehung;
also ist sie unabhängig von dem kirchlichen Lehrbegri£f und von der
Religionsverschiedenheit der Volkere. (Nicht nur was überhaupt keine,
sondern auch, was zwar eine allgemeine, aber nicht nothwendig eine
speoielle religiöse Beziehung hat, ist von der Religionsverschiedenheit
der Völker unabhängig.) — Diese Möglichkeit aber, von Falschem aus
zuföUigerweise durch formal richtige Ableitung auf Wahres zu stossen,
darf keineswegs (mit Vorländer, Erkenntnisslehre, S. 160) als ein
Beweis einer Mangelhaftigkeit des Syllogismus angesehen werden ; denn
der logische Werth desselben ist dadurch vollkommen gesichert, dass
er aus Wahrem mit Nothwendigkeit zu Wahrem und nur zu solchem
hinführt.
Schon Aristoteles lehrt mit Recht (Anal. pri. II, 2. 53b. 7):
H aXri^oiv fihv ovx tart iptv^og avXkoylaaa&ai' Ix xjjevdaiv tf' ^ariv
aliji^ig, nliiv ov Sioti^ aU? oti, und erörtert das letztere Verhältniss
ausführlich (c. 2 — 4) in Bezug auf die einzelnen syllogistischen Figuren.
446 § 184. Die Hypothese.
§ 134. Die Hypothese (hypothesis) ist die yorlänfige
Annahme einer Ungewissen Prämisse, die auf eine dafür ge-
haltene Ursache geht, zum Zweck ihrer Prüfung an ihren
Consequenzen. Jede einzelne mit formaler Richtigkeit ab-
geleitete Folge, welche ohne materiale Wahrheit ist, beweist
die Unwahrheit der Hypothese. Jede Folge dagegen, welche
materiale Wahrheit hat, beweist zwar (nach § 133) nicht die
Wahrheit der Hypothese, gewährt derselben aber eine
wachsende Wahrscheinlichkeit, welche bei ausnahmsloser Be-
stätigung sich der vollen Gewissheit bis zu verschwindender
Differenz (wie die Hyperbel der Asymptote) annähert. Die
Hypothese wird unwahrscheinlicher in dem Maasse, wie sie
durch künstliche Hülf8hypothesen( hy potheses subsidia-
riae) gestützt werden muss; sie gewinnt an Wahrscheinlich-
keit durch Einfachheit und durch Harmonie oder (par-
tielle Identität) mit anderen wahrscheinlichen oder gewissen
Voraussetzungen (simplex veri sigillum; causae praeter neces-
sitatem non sunt multiplicandae). Der Inhalt der Hypothese
erlangt absolute Gewissheit, wofern es gelingt, entweder in
dem vorausgesetzten Grunde durch Ausschluss aller sonst
noch denkbaren den einzig möglichen zu erkennen, oder den-
selben als die Consequenz einer bereits feststehenden Wahr-
heit zu erweisen.
Die genügend bestätigte Hypothese, sofern sie als ge-
meinsamer Obersatz einer Reihe von Schlüssen zum Grunde
liegt, begründet die Theorie ^ d. h. die Erklärung der Er-
scheinungen aus ihren allgemeinen Gesetzen.
Die Bildung von Hypothesen ist ein ehen so berechtigtes, als
unentbehrliches Mittel der wissenschaftlichen Forschung. »Der Ver-
ständige ist nicht der, welcher die Hypothesen vermeidet, sondern der,
welcher die wahrscheinlichsten stellt und den Grad ihrer Wahrschein-
lichkeit am besten abzuschätzen weiss. Was man in Rechtsfällen 6e-
wissheit nennt, ist im Grunde nichts, als eine Wahrscheinlichkeit der
Hypothese, bei der für das Bewusstsein der Richter die Möglichkeit
des Irrthums schwindet c (A. Lange in der Zeitschrift für Staatsarz-
neikunde, N. F., XI, 1, Erlangen 1858, S. 138 f.). In allen Wissen-
schaften sind Hypothesen erforderlich, wenn die Erkenntniss der Ur-
sachen gewonnen werden soll. Denn da die Ursachen als solche nicht
der Beobachtung zugänglich sind, so können sie ursprünglich nur in
der Form von Hypothesen hinzugedacht werden, bis allmählich im
§ 184. Die Hypothese.
I
I
Fortschritt der Wissenschaften die vorläufige problematische Ai:(
in die apodiktisch gewisse Erkenntniss tibergeht. Aber mit der (
sten Kühnheit in der Erfindung der Hypothese muss sich die
neuste Strenge in ihrer Prüfung vereinigen. Wissenschaftliche
thesen sind nicht (wie Apelt, Theorie der Induct. S. 178 sie)
drückt) »aus der Luft gegriffene Behauptungen c, sondern alsRe^
der Reflexion über gesammelte Erfahrungen und zugleich als Präl
versuchsweiser Deductionen die nothwendigen Vorstufen der adä^
Erkenntniss.
Sowohl auf dem Gebiete der Erkenntniss der Natur, al
Geistes steht gerade die unvollkommene, ihrer Schranken sich
bewusste Forschung in dem Wahne, sofort zwischen dem absolu
wissen und dem Absurden entscheiden zu können; sie schlägt
leicht in Skepticismus oder Mysticismus um, wenn dieser Wahn sd
det. Die gereif tere Forschung erkennt an, dass bei allen ProbU
sofern über die blosse Beobachtung nicht mit mathematischer Ge
heit hinausgegangen werden kann, die wissenschaftliche Berechti
bestimmter Hypothesen der erste Gegenstand der Untersuchung
muss. In diesem Sinne war es z. B. auf dem astronomischen G
ein wesentlicher methodischer Fortschritt, wenn in der Piatonis
Schule und namentlich durch Heraklides den Pontiker die üntersuci
zunächst nicht darauf gestellt wurde, welche Lagen und Bewegui
der Himmelskörper aus empirischen und speculativen Gründen mit ^
wendigkeit anzunehmen seien, sondern vorläufig nur darauf, welch
sich möglichen Hypothesen irgendwie geordneter Bewegungen
den Thatsachen der Beobachtung sich vereinigen lassen, so dass
Erscheinungen »gerettet werden« ((rai^crcrat tu <faiv6fisva); Herak
rechnete zu diesen Hypothesen auch die der Erdbewegung. Leidei
diesen Fortschritt zum jahrhundertelangen Nachtheil der Astrom
Aristoteles verkannt und beseitigt, nicht ohne einen irreleitenden
einfluss seines Yorurtheils von der unmittelbaren Erkennbarkeit
Principien durch den vovg, indem er sofort wieder über die Sache se '.
zum Theil mit vorschneller und irriger Anwendung speculativ-tel. i
gischer Argumente, zu entscheiden unternimmt (obschon er aucl:
Prüfung der Hypothesen an den Thatsachen in seiner logischen Th( i
anerkennt und in seinem wissenschaftlichen Denken in gewissem Mi
übt). Für die Philosophie, die als Wissenschaft der Principien i
allen Wissenschaften am meisten des Hinausgehens über die blosse I
achtnng und der combinirenden Vergleichung verschiedenartiger '
sensgebiete bedarf, ist die rechte Hypothesenbildung eine Lebensfi i
wer ihr dieselbe verwehrt, hebt sie auf zu Gunsten der blossen £i
rie, oder fesselt sie an den alten Wahn der unmittelbaren aprio
sehen Yemunfterkenntniss, oder an das Paralogismenspiel der sog.
lektischen Methode c. Auch wenn es sich um Probleme handelt
die Darwin'sche Theorie von der Entstehung der Arten, die F. A. ^ i
sehe von dem Ursprung der Homerischen Gedichte, die Schleierma i
sehe, E. F. Hermann'sche, Munk'sche Ansicht etc. über die Ordnun, \
448 § 134. Die Hypothese.
Platonischen Schriften, die verschiedenen Theorien über die Genesis der
Evangelienschriften und dergl. mehr, so liegt für eine echt wissenschaft-
liche and zugleich ethisch-humane Führung der Untersuchung die we-
sentlichste Bedingung eben darin, dass man zunächst die einander ent-
gegenstehenden Grundansichten unter den Gesichtspunkt verschiedener
durchzuprüfender Hypothesen stelle und nicht die eigene (was zumal
dann, wenn dieselbe die traditionelle ist, leicht geschieht) von vom
herein als die richtige, nothwendige, gesunde und vernünftige, die des
Gegners aber als eine verwerfliche, willkürliche, ungeziemende oder thö-
richte behandle. Auf dem Gebiete der wissenschaftlichen Forschung
hat jeder Glaube, der das Maass der wissenschaftlich zu begpründenden
Wahrscheinlichkeit überschreitet, Unfreiheit, Ungerechtigkeit undHass
um so mehr zur noth wendigen Folge, je entschiedener er (vielleicht
gar, was in gewissem Betracht auch von Kant geschehen ist, aus ver-
meintlich ethischen Gründen) gefordert wird. Bei jedem umfassenden
Probleme jener Art kommt nothwendig eine grosse Zahl einzelner Um-
stände zur Erörterung. Nun ist der Forscher, welchen Standpunkt
immer er einnehmen möge, nicht leicht in der ungewöhnlich günstigen
Lage, auf einen jeden einzelnen dieser Umstände, wenn derselbe für
sich allein betrachtet wird, einen Beweis der Gewissheit oder auch nur
der überwiegenden Wahrscheinlichkeit seiner Ansicht und der Unhalt-
barkeit aller entgegenstehenden gründen zu können. Auf wenige Um-
stände, vielleicht nur auf einen einzigen (wohin das von Baco vonYe-
rulam sogenannte »Experimentum crucisc gehört) wird sich die
Ueberzeugung von der Gewissheit, und ebenso auch auf wenige die
Ueberzeugung von der überwiegenden Wahrscheinlichkeit der eigenen
Ansicht wissenschaftlich begründen lassen. Bei allen übrigen handelt
es sich dann zunächst nur um die Möglichkeit oder Haltbarkeit
der eigenen Ansicht, um die Entkräftnng von Einwürfen, die auf den
Nachweis ihrer Unhaltbarkeit zielen; hierbei ist es gestattet und ge-
boten, sich bereits auf den Boden der eigenen Ansicht zu stellen^ um
mittelst Hinzunahme zulässiger Yermuthungen eine befriedigende
Gesammtansicht auszubilden, die alles Thatsächliche ohne Gewaltsamkeit
in sich aufnehme. Zwei Yerirrungen liegen dann nahe. Die eine ist,
dass der, welcher so argumentirt, in der auf diesem Wege hergestellten
Harmonie sofort einen Beweis der eigenen Ansicht erblicke, da doch,
so lange keins der Argumente für dieselbe schlechthin zwingend ist,
immer noch anderweitig die Möglichkeit des Widerlegtwerdens offen
bleibt. Die andere, eben so häufige Verirrung ist die, dass wenn der
Gegner auf seinem Standpunkte, der inneren Gonsequenz folgend, seine
Annahmen durchbildet und sich dabei von der Verwechselung zwischen
Argumenten für die Möglichkeit und für die Nothwendigkeit seiner
Ansicht in der That frei hält, nichtsdestoweniger ohne ein reines und
vollständiges Eingehen auf seinen Standpunkt so gegen ihn argumentirt
wird, als ob es sich bei jedem einzelnen Umstände um die Nothwen-
digkeit seiner Ansicht handle, dass also das Ungewisse der Annahmen,
deren er zur Durchführung seiner Grundanschauung bedarf, ihm vor-
§ 184. Die Hypothese. 449
geworfen wird, als w&ren seine Aufstellungen ein leeres Spiel mit Yer-
muthnngen und Ausflüchten, ein unzulässiges Verlassen des Bodens der
Thatsächlichkeit, ein Bauen von Hypothesen auf Hypothesen, ein Schlies-
sen im Girkel oder wenigstens ein willkürliches Annehmen von unbe-
wiesenem, das nicht ohne Beweis vorgebracht werden dürfe; in der
That aber hätte dem, der so redet, der Beweis der Unmöglichkeit der
gegnerischen Annahmen, also nicht ihres blossen Nichtbestätigtseins
durch Thatsachen, sondern ihrer Unvereinbarkeit mit Thatsachen, oder
auch mit Sätzen, die sich aus des Gegners eigenen Voraussetzungen in
dem Sinne, wie er selbst diese versteht, unabweisbar ergeben, obgelegen,
weil ja, wenn die Möglichkeit widerlegt werden soll, nicht die Un-
gewissheit darzuthun und der Beweis der Gewissheit von dem Andern
EU fordern, sondern die Unmöglichkeit zu erweisen ist. In Fällen
dieser Art sich und den Gegner mit gleichem Maasse zu messen, ge-
hört zu den schwierigsten wissenschaftlichen und ethischen Aufgaben;
denn uns bindet innerlich das eigene Vorurtheil. Und doch ist solches
Eingehen auf den Standpunkt des Andern, wenn es gelingt, von reicher
Frucht für die wissenschaftliche Erkenntniss. Leicht führt Polemik
zur Erbitterung; leicht ist's auch, um der Hässlichkeit des Streites
willen die Polemik zu schelten und abzuweisen; aber schwer ist's sie
im rechten Sinne als die nothwendige Form der gemeinsamen For-
schungsarbeit anzuerkennen und zu üben. Nicht ohne den recht ge-
führten Kampf der wissenschaftlich berechtigten Hypothesen mit ein-
ander gelangt der Mensch zur wissenschaftlichen Erkenntniss der VlTahr-
heit; die wissenschaftliche Weise dieses Kampfs ist die wahrhaft dia-
lektische Methode.
In der Optik standen einander lange die Emissions- und die Un-
dulationshypothese gegenüber, und zwar nicht als luftige Phantasie-
spiele, nur geeignet, eine ungefähre Vorstellung zu geben, wie die
Sache sich etwa verhalten könnte, ohne alle Bürgschaft, dass sie sich
wirklich so verhalte, sondern als die beiden nach dem Standpunkte der
Wissenschaft nothwendig zu bildenden und durchzuprüfenden Annah-
men, deren eine die Wahrheit enthalten musste, und von denen jede
eine Zeitlang noch mit allen beobachteten Thatsachen vereinbar blieb
(wiewohl die eine diese, die andere jene Gruppe derselben leichter zu
erklären schien), bis endlich solche Thatsachen gefunden wurden (in
den Phänomenen der Interferenz, der Beugung und der Polarisation),
die allein aus der einen und nicht aus der anderen sich befriedigend
erklären Hessen. — - Ueber den Ursprung der Meteorsteine bestanden
vier Hypothesen: die eine leitete dieselben von Erdvulcanen, die andere
von atmosphärischen Dämpfen, die dritte von Mondvulcanen ab; die
vierte aber erkannte ihnen einen kosmischen Ursprung zu. Bei genauer
Vergleiohung der beobachteten Thatsachen mit dem, was eine jede dieser
Hypothesen, in ihre Consequenzen entwickelt, erwarten liess, ergab
sich, dass keine der drei ersten, wohl aber die vierte, mit allen Erfah-
rungen vereinbar sei, wodurch jene als falsche Vermuthungen erkannt,
diese aber in den Rang einer wissenschaftlichen Theorie erhoben wurde.
29
460 § 134. Die Hypothese.
Der Rüokscfalass von der Wirknng auf die nach bekannten Naturgesetzen
allein mögliche Ursache ist nicht mehr eine blosse Hypothese. — Ebenso
Hess der Umstand, dass Strahlen, die durch Kometen durchgehen, keine
Brechung zeigen, sich entweder aus der Hypothese, dass die Kometen
eine äusserst feine Gasmasse bilden, oder aus der Hypothese, dass sie
aus discreten festen Körpern bestehen, erklären; die letztere, schon
ziemlich früh aufgestellte Hypothese fand längere Zeit hindurch kaum
Beachtung, bis sie durch den Nachweis der Identität von Kometen und
Meteorsteinmassen, welche in der Erdnähe die Erscheinung der Stern-
schnuppen bewirken, gestützt wurde (obschon die Frage noch nicht
allseitig erledigt zu sein scheint). — Newton zeigte nicht bloss, dass
unter Voraussetzung der Gravitation die Bewegungen der Himmelskör-
per nach den drei Kepler'schen Gesetzen sich mit mathematischer Ge-
nauigkeit erklären lassen, sondern auch, dass sie nur uhter Voraus-
setzung einer solchen Kraft, die gerade nach den Gravitationsgesetzen
wirke, eine genau zutreffende Erklärung finden, mithin, dass diese Ur-
sache, die zur Erklärung zureiche, und sich anderweitig, nämlich in
der irdischen Schwere, auch als eine wirklich vorhandene Naturkraft
bewähre (causa vera et suffioiens) zugleich die einzig mögliche sei. Hier-
durch ging die Gravitationslehre, die an sich nur Hypothese sein konnte,
in eine wissenschaftlich gesicherte Theorie über, und in diesem Sinne
durfte dann Newton mit Recht die Bezeichnung seiner Lehre als Hy-
pothes e, wodurch dieselbe mit den mancherlei früheren phantastischen
Annahmen auf eine Linie gestellt werden sollte, abweisen (in seinem
bekannten Ausspruch: »hypotheses non fingoc). Der Kückschluss von
den wahrnehmbaren Erfolgen auf die unsichtbare Ursache war hier ein
sicherer, weil nachweisbar nur diese Eine genügen konnte. Selten
wird auf anderen Gebieten die gleiche Gewissheit erreicht ; überall aber
kann nur derselbe Weg dahin fuhren. »Bei der Aufstellung einer
echten grossen Hypothese wird selbst in den positiven Naturwissen-
schaften allemal hinausgegriffen über das Gebiet der reinen Beobach-
tungen in das Gebiet der philosophischen Speculation. Wenn selbst
die Grundsätze der Mechanik bekannt sind und die Integralrechnung
entdeckt ist, so folgt aus der beobachteten Bewegung der Planeten im-
mer nur der Werth der ablenkenden Kraft, unter deren Einfluss die
Bewegung vor sich geht, für jeden Ort, den der Planet sucoessive ein-
nimmt. Der Gedanke, diesen gefundenen Werth auszudrücken als pro-
portional dem inversen Quadrate der Entfernung von der Sonne, also
unabhängig von der Bahn und dabei so, dass die factische Bahn nach-
her aus dieser Annahme nothwendig folgt, dieser Gedanke ist nur aus
dem Geiste geboren« (R. Lipschitz, in einem an den Verfasser gerich-
teten Briefe). — Herbart sucht in der Philosophie über das Gegebene
hinauszugehen durch Voraussetzungen, welche allein die Widersprüche,
die im Gegebenen liegen, zu lösen vermögen. In dieser hypothetischen
Ergänzung des Gegebenen, die sich so als nothwendig erweisen soll,
liegt das Wesen seiner »Methode der Beziehungenc. Der gege-
bene, anscheinend einfache Grund A vermag doch nicht das B zu be-
§ 184. Die Hypothese.
i
gründen, sondern es bleibt ein Widerspruch zurüok, wofern das
durch die Mitbedingung A' ergänzt wird. Aber die metaphysist
Wendung dieser Methode hat viel Unsicheres. — Jede philo lo
Gonjectur kann insofern, als sie in dem Texte, den sie als I
sprüngliohen voraussetzt, die uns nicht mehr unmittelbar erU
Quelle der in unseren Codices sich vorfindenden Lesarten findi
als eine Hypothese angesehen werden. — Jede historiscl
nähme, auch die der Wahrheit der erzählten Ereignisse, ist ei
pothese» die sich dadurch rechtfertigen muss, dass nur durch si
die thatsächlich vorliegende Grestalt der Berichte, theils der \
Gang der historischen Ereignisse eine vollgenügende Erklärung'
femer dadurch, dass ihr Inhalt mit dem zusammentrifft, was all
der Charaktere und der früheren Ereignisse erwartet werden
Dass der »Koreschc, der den Juden die Rückkehr aus dem Es
den Tempelbau gestattete, der Eonig Cyrus (Eosra) sei, muss, o'
es von Josephus berichtet wird und traditionell angenommen s
den pfleget, sofort als blosse Hypothese gelten, sobald sich bea<
werthe Gegengründe herausstellen; denn der Bericht des Josepl
auch aus der psychologisch naheliegenden unhistorischen Identifi
einer weniger bekannten Person mit einer bekannteren und an
Interesse des Josephus, den bekannten grossen König als einen t
freund erscheinen zu lassen, erklärbar. Dieldentificirungdes >Eo;
mit Kuresoh, einem babylonischen Satrapen des Artaxerxes Lon
nus, und seines Nachfolgers Darius mit Darius Nothus als dem
des Xerxes und der Esther (und demgemäss des Nebukadneza
Kambyses) ist zunächst eine gleichberechtigte Hypothese, die,
nur sie alle Thatsachen erklärlich macht, in den Rang einer hi
sehen Wahrheit aufrückt. — Als Hypothesen sind bei jedem Crii
process die beiden Annahmen einerseits der Schuld des Angekli
andererseits seiner Unschuld anzusehen; es ist Sache dessei
die Anklage vertritt, die eine, Sache des Vertheidigers aber, die a
von diesen Hypothesen in ihre Consequenzen zu entwickeln und
zuweisen, wiefern die eigene Voraussetzung mit den Thatsache
durch Beobachtung und Zeugenaussagen feststehen, sich verei
lasse, die gegnerische aber nicht. Ein einziger Fall absolute
Vereinbarkeit der gegnerischen Voraussetzung mit irgend einer
sichern Thatsache reicht aus, dieselbe wenigstens in ihrer bish(
Form zu stürzen; blosse Unsicherheiten aber und Schwierigkeitc
weisen nichts. Ein einziger Umstand, der nur die eine Erklärui
lässt, ist entscheidender, als hundert andere, die zwar mit der ei
Voraussetzung recht wohl zusammenstimmen, aber auch bei dei
gegenstehenden, wofern man nur auf den Standpunkt des Gegners
haft eingehen will, sich naturgemäss erklären lassen. — Die w
lichste Forderung ist, dass man nicht die Consequenzen der Hyp«
im Hinblick auf die gegebenen Thatsachen abschwäche, vertusche
umgestalte, und ebensowenig den Sinn für die reine und treue A
sung des Thatsächlichen durch die Rücksicht auf die Consequenz«
452 § 184. Die Hypothese.
Hypothese sich trüben lasse, jedoch auch nicht, um ColUsionen auszu-
beugen, bei der nackten, kahlen Thatsache mit Abweisung jeder erklä-
renden Theorie und jeder die Theorie anbahnenden Hypothese stehen
bleibe, sondern erst jedes für sich, die Consequenzen der Hypothese und
die Thatsachen, rein darstelle und hernach beides sorgsam vergleiche.
In dieser Art verfuhr Kepler bei der Prüfung der zwanzig verschiede-
nen Formen, die er für die Planetenbahn zun&chst hypothetisch annahm ;
er zog durch die mühvollste mathematische Rechnung ihre Consequenzen,
um diese dann mit den Tychonischen Beobachtungen zu vergleichen;
ein unterschied von wenigen Minuten bestimmte ihn, eine neue Hy-
pothese in gleicher Art durchzu versuchen, bis er die wahre Bahn
fand: »sola igitur haec octo minuta viam praeiverunt ad totam astro-
nomiam reformandamc Aber die mathematische Genauigkeit derEnt-
wickelnng einer Voraussetzung in ihre Folgen ist nicht auf allen Ge-
bieten erreichbar, und auch die Kepler'sche Beharrlichkeit und der reine
Gultus der Wahrheit ist eben nicht ein Gemeingut der Menschen. Das
Motiv zur Bildung verworrener Begrifife und zum Gebrauch mehrdeu-
tiger Ausdrücke liegt am gewöhnlichsten in der wenigstens halbbe-
wussten Divergenz zwischen den Thatsachen und den Forderungen des
Systems. Hier mehr, als sonst irgend, steht das Wissen unter dem
Einfluss des Willens; die Wahrheit der Erkenntniss ist durch die Rein-
heit der Gesinnung bedingt. Der Wille hat keine Macht gegen die
theoretische Evidenz; aber diese selbst wird nicht ohne ausdauernde
Treue des Willens gewonnen.
Wenn die Naturwissenschaft im Ganzen und Grossen das erfreu-
liche und erhebende Schauspiel eines echt wissenschaftlichen Kampfes
der verschiedenen Standpunkte zeigt, so finden sich doch auch bei her-
vorragenden Geistern manche Fälle einer den logischen Normen nicht
gemässen Bekämpfung fremder Hypothesen^ Goethe, wiewohl voll des
feinsten Naturgefühls und der zartesten Sympathie mit dem organischen
Naturleben, war doch minder glücklich in der genetischen Erklärung
physikalischer Naturerscheinungen. Beim Blick durch das Prisma auf
die weisse Fläche hatte er vergeblich die Regenbogenfarben zu sehen
erwartet; da er nun die Bedingtheit dieser Erscheinung durch eine
dunkle Grenze erkannte, so glaubte er hierin einen Beweis gegen New-
ton's Lehre und für seine eigene Erklärung der Farben als der Kinder
des Lichtes und der Finstemiss zu finden, und beruhigte sich nicht
bei der Erwiderung, dass auch die Newton'sche Theorie die dunkle
Grenze fordere. Allein die logische Analysis des Falles würde den
Schein aufgelöst haben, der hier Goethe täuschte. Nach den logischen
Normen konnte die Newton'sche Lehre durch jene Thatsache der Er-
fahrung nur dann für widerleget gelten, wenn sich ein Schluss folgender
Art bilden liess : wäre Newton' s Hypothese richtig, so müsste das Far-
benbild auch beim Blick durch das Prisma auf das unbegrenzte Weisse
erscheinen; nun aber geschieht dies nicht; also ist Newton's Hypothese
unhaltbar. Aber der Obersatz dieses Schlusses ist von Goethe niemals
erwiesen worden, und konnte nicht erwiesen werden, da er falsch ist;
§ 184. Die H3rpothe86.
denn anch ans dem Newton'schen Erklärungsprincip fo1(^ mij
mathematischer Strenge die Nothwendigkeit der dunkeln 6rei(
besteht hier unter beiden Voraussetzungen, wiewohl aus vereol
Ursachen, die gleiche Nothwendigkeit ; darum eignet sich die an(
Thatsache nicht zum Entscheidungsgrunde, der in anderen M<
gesucht werden mnss.
Die logische Analysis tragt bei dem Kampfe der wissenscha
Hypothesen in manchen Fällen nicht unwesentlich zur richtigei
digung der einzelnen Momente bei. Ein belehrendes Beispiel 19i
aus den heute noch schwebtoden Verhandlungen über die Q\
der Darwin'schen Entwickelungs ansieht entnehmen,
welcher die höheren Organismen ans wenigen niederen durch sn«
Umbildung und Veredelung, die sich an den Kampf um's Dasein !
hervorgegangen sein sollen. Diese Annahme (von Charles Dar
seiner 1859 erschienenen Schrift ȟber die Entstehung der Arl
Thier- und Pflanzenreich durch natürliche Züchtung c begründe
pfiehlt sich theils direct durch die Analogie mit der embrj
Entwickelung des Individuums und mit der geistigen Entwickelt}
Culturvölker, theils indirect durch folgende Erwägung. £n
muss Ewigkeit der bestehenden Arten der Organismen auf diese
oder mindestens Ewigkeit einös bloss periodischen Wechsels a
oder ein plötzlicher Hervorgang complicirter Gebilde aus dem
oder aus unorganischen Massen, oder endlich eine allmählich fort
tende Entwickelung des Organischen aus dem unorganischen ui
höheren Organismen aus den niederen angenommen werden. Die
keit der bestehenden Arten (die neuerdings Gzolbe in seiner i
über die Grenzen und den Ursprung der menschlichen Erken:
Jena und Leipzig 1865, unter systematischer Durchbildung
mechanisch-teleologisohen, die Ursprünglichkeit der Atome, der
nischen Formen und der Empfindungen und Gefühle vorausset2
Weltansicht vertheidigt) und auch der ewige Kreislauf auf der
(zu dessen Annahme Volger sich hinneigt) ist mit den geologi
paläontologischen und astronomischen Thatsachen schon darum
dabei ein ewiges Bestehen dieser Erde vorausgesetzt werden n
schwerlich vereinbar und mit dem Bestehen eines die Planetenbew
auch nur um Weniges hemmenden Mittels schlechthin unvertri
Der plötzliche Hervorgang complicirter Organismen würde das al
Wunder involviren, dessen Annahme als eine den Erfahrungskreis
scendirende der Naturforschung als solcher fremd ist. Es bleib
hin auf naturwissenschaftlichem Boden nur die letzte Annahme (i
die erweiterte Darwin'sche ist) übrig. Jedoch eben dieser Am
steht entgegen theils, dass zwar geringere, aber nicht so stark«
bildungen, wie sie solche voraussetzt, heute empirisch nachweisbai
theils, dass die Folge der Organismen in den Erdschichten zwar
sentheils, aber nicht ausnahmslos die erwartete ist. Aber nac
logischen Normen ist es ein unberechtigtes Verfahren, diese Umi
auch dann, wenn es sich zunächst nur um die Möglichkeit
Annahme handelt, sofort als Qegengründe eq bezeiohDen und eiDe Be-
seitigung derselben für die nothwendige Bedingung ihrer Aufrecht-
erhaitung zu erklären; denn es iat vorher zu ontersnoheD, ob nicht
viellaioht die richtig durchgebildete Hypothese gerade den heutigen
Zustand fester gewordener Organismen, die sioh aas beweglicheren
hervorgebildet haben und deren Satwickelmtgsfähigkeit nur noch inner-
halb engerer Qrenzen nnd mehr nach dem Innern gewendet bestehe,
und ebenso, ob sie oiobt ein frühes, jedoob anfangs nur sporadische!
Anftreten höherer Organismen lange vor der endlichen Änstilgnng
mancher niederen Formen oonaeqneutermaaaaen annehmen lass«. In
dem letzteren Sinne scheint Virchow durch seine Aeuisernng aofder
St«ttinar NaturforaoherTersammlung (1863) die Znlässigkeit der
Darwin'schen Ansicht gegen Yclger's Angriff zu vertheidigen (Bericht
über die 38. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerite im
September 1663, Stettin 1864, S. 74 f.). Die Darwin'Bche Lehre war
von Häckel als wahr vertheidigt worden; hjpotbetieoh sei an ihr nnr
die Ansicht von der Art der Entstehung und von der Zahl der Stamm-
organismen, im Uebrigen aber sei sie eine auf Thataachen gegründete
Theorie, sofern sie Thatsachen erkläre, die auf keine andere Weise
begreifbar seien. Volger dagegen hält dafür, dass zwar ein bestän-
diger Formwechsel bestehe, indem Arten nntergehen and nene Arten
aus einer gemeinschaftlichen Urart sich hervorbilden, dass aber nicht
eine allgemeine aufsteigende Entwickelung der Thierwelt anzunehmen
sei, da höhere Formen mitunter schon vor den niederen auftreten.
tUnnmstösslich thatsächlich ist es, dass lange bevor jene fischartigen
Eüdechsen existirten, welche man bisher als die prophetischen Formen
ansah, ans welchen sich später erst die reinen Fische und Eidechsen
entwickelt hätten, bereits reine Eideohsenformen bestanden, welche
der höchsten Grnppe der Eidechsen angehören; es ist eine Thatsache,
dass der Proteroeauras ein Daktylopode ist, and dass er weit voran-
gegangen ist den ersten nexipoden Nothosauren, lohthyosauren und
Plesiosauren. Es sind Thatsachen, man stosse sie um! Ebenso ist ea
Thatsache, dass vor jenen gemischten Formen, den Ichthyosanren, welche
überhaupt von den Wirbelthieren die prophetischen, synthetischen
Urformen sein sollten, aus welchen inbesondere die ^ugethiere durch
eine mit Änalysis verbundene Entwickelung erst entstanden wären, be-
reits wirkliche Säugethiere vorhanden gewesen sind; der Mikrolestee
Flieninger's im Keuper Würtembergs iet eine eben so unumstössliche
Thatsache, wie der ihm verwandte Plagiaulax und die übrigen Säuge-
thiere des Portlandoolithes. So lange diese Thatsachen nicht umge-
stossen werden, wird eine Theorie, welche sich auf die ünkunde dieser
Thatsachen gründete, sich nicht wieder befestigen lassen.« Auf eine
Vereinbarkeit jener Thatsachen mit der richtig verstandenen Ent-
wiokelungstheorie aber zielen Virchow's Worte: >Man mag durch
neue Beobachtungen finden, dass der Uensoh schon in einer Zeit vor-
handen war, wo er nach der bisherigen Vorstellung nicht vorhanden
wsr. Es mag sich herausstellen, dass er aohon mit dem antedilnvisni-
§ 134. Die Hypothese. 455
sehen Bären gekämpft hat, während wir bis dahin geglaubt hatten,
dass dieser Bär längst verschwunden war, als der Mensch erschien.
Es mag sich herausstellen, dass eine Eidechse früher vorhanden war,
als bis zu diesem Augenblick gefunden war. Aber wir müssen uns
daran erinnern, dass das Buch der Erde nur auf wenigen Seiten auf-
geschlagen vor uns liegt; — die Embryologie muss als Anhalt dienen,
weil da allein das sichere Wissen von der lebendigen Entwicklung ge-
funden werden kann; — die Erfahrungen auf diesem Gebiete aber
stimmen überein mit den allgemeinen Erfahrungen des geistigen Lebens ;
— in der Geschichte der Menschheit treten uns einzelne grosse Er-
scheinungen in einer sonst düsteren Zeit entgegen, sie bleiben lange
unverstanden, erst nach ihnen sehen wir in immer grösserer Verbreitung
die freie Entwicklung der einzelnen Menschen fortschreiten, c — YergL
über das Verhältniss von Hypothese und Theorie in Darwin's Lehre
die kritische Besprechung in J. B,. Meyer's philos. Zeitfragen. 2. Aufl.
1874. S. 108 ff. u. A. Wigand, d. Darwinismus u. d. Naturforsch.
Newton's u. Cuvier's, Beiträge z. Methodik der Naturforsch, u. z. Spe-
desfrage. 8 Bde. 1874, 76 u. 77.
Die Fundamente zur Theorie der Hypothese sind durch Plato
und Aristoteles gelegt worden. Plato bezeichnet mit vnod'^aig
im Allgemeinen eine Annahme, woraus Anderes abgeleitet wird, aber
in doppeltem Sinne. Im Phädon (p. 100 A; 101 D; 107 B) nennt er so
die Voraussetzung des Allgemeineren, welches die Ursache für Anderes
ist, wie namentlich die Theilnahme an der Idee die Ursache der Eigen-
schaften. In Bezug auf eine jede derartige Voraussetzung soll ein
Zweifaches scharf geschieden werden: wir sollen zuerst das aus ihr
Hervorgehende betrachten, ob es mit sich zusammenstimme oder sich
widerstreite ( — 'itag av la an^ ixelvrig oQ^urjd'^vra oxi^paio^ et aot aXXif-
iois $vf£(p(oviZ rj dia(p<ovtt), darnach aber, um die Voraussetzung selbst
zu rechtfertigen, eine andere, und zwar noch höhere oder allgemeinere
zum Grunde legen (riTis lav avcj&ev ßeXHaTTj tpaivoiro) bis wir in
diesem aufsteigenden Gange zu etwas an sich selbst (Gewissem {Ixavov)
gekommen sind. Demnach findet Plato in der blossen Uebereinstimmung
der Gonsequenzen der Voraussetzung unter einander mit Recht nicht
ein zureichendes Kriterium der Wahrheit der Voraussetzung selbst
(vgl. Cratyl. p. 433 C); das Verhältniss jener Gonsequenzen zu den
Thatsachen der Erfahrung erwähnt er nicht; er fordert Beweisführung
ans dem Allgemeinen, und will Zulässigkeit der Hypothese nicht in
moderner Weise durch Bückschluss auch über die Wahrheit der Vor-
aussetzung selbst, die erst durch die Deduction derselben aus einem*
höheren Princip ermittelt werden soll. Das höhere Princip ist ein
höherer Begriff und den Unterschied zwischen dem höheren Begriff und
dem allgemeineren Gesetz berührt Plato nicht. In der Schrift deBep.
(VI, 510 sqq.; VU, 538 sqq.) gebraucht er vno&eatg einerseits zwar in
derselben Weise für das, was als das Allgemeinere die wissenschaftliche
Grundlage des minder Allgemeinen ist, wie insbesondere die arithme-
tischen und geometrischen Grundbegriffe als Voraussetzungen der daraus
456 § 184. Die Hypothese.
abzuleitenden Lehrsätze dienen (y^v^v Cv^etv avayxaCetai i^ vnoS^iastov
ovx in^ ^QXV^ noQBvofjLivTij «XV inl relfw^v ' — vnod-ifjLSVoi t6 n mgir-
Tov xal t6 agriov xal ra ax^fiixra xal yiavmv TQirra €f J17 x. r. it.), anderer-
seits aber im entgegengesetzten Sinne für das, was als Grundlage der
Erhebung zum Allgemeineren dient, wie insbesondere wiederum eben
jene geometrischen Grundbegriffe, sofern dieselben als Unterlagen und
gleichsam Schwungbretter für die Erhebung zu den Ideen dienen;
er bezeichnet diesen Gebrauch des Wortes als den wahreren, und nennt
in gleichem Sinne das an sich selbst Gewisse, jenes txavov des Phädon,
To avvno&ejoVf d. h. dasjenige, was nicht mehr in solcher Weise als
Unterlage der Erhebung zu Allgemeinerem dienen kann, da es selbst
das schlechthin Allgemeinste ist (t6 «T av hcQov to in^ ^Qxh'^ «vvno-
d'ejov i^ vnod-ia^tüi iovaa * — tas vno&^asis noiovfjLiVog ovx ^^/cc(, aHa
riß oVTi vnod'iaBig olov Inißaans t£ xal oQfiag ' — ^ jMeAexrix^ fi^&oSog
fJt^ovr^ TKVTrjl noQiverai ras vnfy^iaug avttigovaa fn^ aviiiv t^v agx^)' In
diesem letzteren Sinne dient zwar das minder Allgemeine zum Erkennt-
nissgrunde des Allgemeineren, aber nicht als Prüfungsmittel der Wahr-
heit einer Hypothese, aus der es abzuleiten wäre, sondern vielmehr
seinerseits als Fundament, vnod^saig der Abstraction. (Vgl. auch Meno
p. 86 E; Grat. p. 486 C sqq.) In dem Dialog Parmenides wird (p. 127 sq.;
184 sqq.) gefordert, dass zum Behuf der Prüfung einer Behauptung
antinomisch nicht nur diese selbst, sondern auch die entgegenge-
setzte in ihre Consequenzen entwickelt werde (xqi] ^k firi fxovov et
^OT*y exaOTOv vnoti&ifi^vov axonetv ra avfißalvovta ix lijg vno&iasfogj
aXltt xal d ftri iari to avro tovto vnorlS'saSai^ el ßovl€i fiällov yvfi-
vaa&tjvai), und der (unplatonische) Satz aufgestellt, dieses > dialektische c
Verfahren sei zur Uebung oder subjectiven Vorbildung bestimmt,
welche die wissenschaftliche Erkenntniss bedinge. — Aristoteles unter-
scheidet das (direct) beweisende und das hypothetische Schliessen (Anal,
pri. I, 28. 40 b. 25): rj Sctxjixöis tj ($ VTrod-iastogy Der apodeiktische
Syllogismus muss aus Nothwendigem und daher zu oberst aus Defini-
tionen und aus Axiomen, d. h. aus wahren und einem jeden unmittelbar
gewissen Principien schliessen, die ein natürliches Prius des zu Er-
weisenden und (wie Aristoteles mit Plato annimmt) an sich selbst
gewisser als dieses sein müssen (Top. I, 1; Anal. post. I, 2. 72 a. 27
u. 86): avdyxTj fitj fxovov ngoytvtjaxetv ra nQtjra ^ nayra tj l^vta, aXXa
xal fjiaXXov' — fAoXXov yag avayxi] 7n(TT€v€iv raTg aQ)^dig ? naacug ij
Tifsl jov av^negda/iarog); die Hypothesis aber ist ein solcher Satz,
worin eines der beiden Glieder des contradictorischen Gegensatzes als
'wahr angenommen wird, ohne dass doch die Wahrheit desselben, wie
beim Axiom, unmittelbar einleuchtend wäre (Anal. post. I, 2. 72 a. 19):
&ia€tüg S* 17 fikv onoTiQovovv röiv fioqCtov rrii avTKpaaetog Xaußavovaa,
olov Xfyct) TO elvai ti rj ro firj dval ti, vnoS-eirig. Aristoteles nennt
dasjenige hypothetische Verfahren, welches in der Philosophie zuerst
der Eleate Zeno geübt hat, also die Prüfung von Sätzen an ihren Con-
sequenzen, dialektisch (Top. I, 1. 100a. 29: ^taX€xTtx6g ^k (rvXXoyta-
liog 6 i^ Mo^tov avXXoyiCofjievog, cf. Top. VHI, 11; 14), wie er demi
§ 184. Die Hypothese. !
1
auch in diesem Sinne Zeno den Urheber der Dialektik nennt (s. \
§ 11, S. 21). Aristoteles gesteht der Dialektik nicht nnr einend
sehen Werth als Denkübung und Kunst der philosophischen Qei
fnhrung, sondern auch einen wissenschaftlichen zu, sofern sie ein ^
Erkenntniss und insbesondere zur kritischen Ermittelung der Pri
sei (Top. I, 2. 101 a. 27: t^art dk ngog rgltt' nQog yvfivaaiitf
rag (vriv^ag, ttqoc Tag'xccra (ptXoao(p(ay inttnrifKtg' — fifraarti
ovaa TiQog tag anaaw rmv fjte&oJoiv ng^ag odov ^x^*)' Doch ;
Frage, ob und inwiefern der vovg mit unmittelbarer Gewissh<
Principien (als afieaa, avanoieixTo) erkenne, oder dazu der In^
und der Dialektik, also der Bildung und Prüfung yon Hypotho
Sinne der Neueren, bedürfe, bei Aristoteles überhaupt noch ni^
einer reinen Lösung gelangt; sie konnte es nicht, da ihre unuo
liehe Vorbedingung einerseits in der (Eantisohen) ünterscheidni
analytisch und der synthetisch gebildeten Urtheile liegt, ander
aber in der erst durch den thatsächlichen Entwickelungsgan
positiven Wissenschaften begründeten Einsicht in die volle Bede
der Deduction aus dem noch nicht Gewissen zum Behuf eine
bahnung der gewissen Erkenntniss der Principien. (Vgl. Zeller, 1
der Gr., II, 2, 2. A. S. 119.) — Im Mittelalter konnte die Hyp
aus demselben Grunde, wie die Induction (s. oben zu § 127, S.
nicht in echt wissenschaftlicher Weise aufgefasst werden. El
logische Theorie den vollen wissenschaftlichen Werth der Hyp*
anerkennen konnte, musste die positive Naturwissenschaft mi
grossen That eines ernsten, in vielen Fällen jahrhundertel
Kampfes wissenschaftlicher Hypothesen vorangegangen sein, ud
endlich gewonnene sichere Entscheidung die Macht der treuen
beharrlichen 'Forschung bewährt haben. — Schon Wolff (Log.
prael. § 127) fordert im Gegensatz gegen Verwerfungsurtheile ma
Früheren: >hyx>othesibus philosophicis in philo sophia locus conced<
quatenus ad veritatem liquidam inveniendam viam sternuntc,
aber . auch vor dem Missbrauch, hypothesin venditandi pro ve
demonstrata. — Mi 11 bemerkt (Log. übers, von Schiel, 1. A., S. 2^
»ohne solche Voraussetzungen würde die Wissenschaft ihren jei
Stand nicht erreicht haben; sie sind nothwendige Schritte bei
Suchen nach etwas Gewisserem, und beinahe alles, was jetzt T]
ist, war einst Hypothesec. — Sehr richtig sagt Trendelen
(Log. Unters. II, S. 811, 2. A. H, S. 886 f. 8. A. ü, 8. 411 f.):
die Wahrheit wie einen fertigen und sicheren Besitz des Geiste
sieht, der geräth wohl, wenn er diesen durchgehenden Kampf ge\
in skeptische Bedenken. Aber der Geist kennt keine träge Erbs
er «nennt nur sein, was er erworben hat und behauptet. Diese i
ist sein Stolz und das Gemeingut des Geschlechts. — Die Fom
Hypothese ist die Weise jedes werdenden Begriffs. — So wachs
Mensch heran, seine Vorstellungen an dem Erfolge und den Er
nungen regelnd. Was ihm gewiss ist, steht ihm durch diese l
einstimmung fest. Die Wissenschaft verfährt nicht anders, we£
458 § 185. Der Beweis.
statt der blossen der Erscheinung zugekehrten Vorstellung den Begriff
des Grundes sucht. Es wachsen dabei nur die Zwischenglieder, und
es verkettet und verschlingt sich nur die synthetische That des Geistes c.
Ein beachtenswerthes Werk über die Hypothese schrieb: Ernest
Naville, la logique de l'hypoth^se. Paris 1880. Zu beachten auch:
Sigwart, Logik. Bd. 2. Methodenlehre. Th. 3. Abschn. 3. IV. §83. Die
Auffindung von Hypothesen S. 258, u. Wundt, Logik. Bd, 1. Abschn. 5.
Gap. 1. Der Begriff des Wissens. 4. Thatsachen u. Hypothesen. S. 40L
§ 135. Der Beweis (demonstratio, argamentatio, pro-
batio, OTtodei^ig) ist die Ableitung der materialen Wahrheit
eines Urtheils aus der materialen Wahrheit anderer Urtheile.
Der direete Beweis (demonstratio directa sive ostensiva,
^ dsixuxij oinodei^ig oder 17 AnoÖBi^ig im engeren Sinne, oi
dsiKTixoi avlloyigfioi) leitet (geradezu) die Wahrheit des
Schlusssatzes aus Prämissen ab, deren Wahrheit im Voraus
feststeht. Er ist genetisch (demonstratio genetica), wenn
der Beweisgrund mit dem Realgrunde zusammenfällt. Der
indirecte oder apagogische Beweis (demonstratio indi-
recta, ^ elg to ddvvazov ayovaa oder anayovaa artodei^igy fj
eig To advvcnov anayioytj^ d 3iä xov ddvvarov avkXoyiafiog)
zeigt zunächst die materiale Unwahrheit einer Prämisse, welche
als die allein ungewisse mit einer oder mehreren gewissen
combinirt war, aus der materialen Unwahrheit einer der Con-
sequenzen, eben dadurch aber die materiale Wahrheit des
contradictorischen Gegentheils jener Prämisse. Vermöge eines
disjunctiven Obersatzes, welcher die sämmtlichen in der be-
treffenden Sphäre vorhandenen Möglichkeiten erschöpft, kann
der indirecte Beweis durch successive Ausschliessung aller
anderen die eine, die allein noch übrig bleibt, zur vollen Ge-
wissheit erheben. Der indirecte Beweis ist ganz eben so be-
weiskräftig, d. h. er erzwingt mit gleicher Strenge die
Anerkennung der Wahrheit, wie der direete, steht demselben
aber dennoch, sofern ein affirmativer Satz zu erweisen ist, aus
dem Grunde nach, weil dann in ihm nicht, wie in jenejn,
der Erkenntnissgrund mit dem Realgrunde coincidiren kann.
Dagegen ist der indirecte Beweis eine vollberechtigte Erkennt-
nissform der apodiktischen Wahrheit negativer Sätze. Auch
ist die positive Erkenntniss der Wahrheit der Principien nicht
§ 1S6. Der Beweis. 459
ohne ihn zu gewinnen« — Der za beweisende Satz heisst
Lehrsatz (theorema).
Ein Schluss kann formale Riohtigkeit haben bei materialer
Unwahrheit der in ihm enthaltenen Urtheile, und hört darum doch
nioht auf, ein Schluss zu sein und als Schluss Gültigkeit zu haben ; ein
vorgeblicher Beweis aber, dessen Grundlagen der materialen Wahrheit
entbehrten, wäre gar nicht mehr ein gültiger Beweis. Die sogenannte
argumentatio ad hominem {xar^ av&Qfonov) im Gegensatze zu der
argumentatio ad rei veritatem {xat^ akr^uav) ist keine logi-
sche Form.
In der Mathematik giebt die Euklidische Methode das Bei-
spiel der höchsten Strenge der Beweisführung. In dieser Bezie-
hung ist das Werk des alexandrinischen Geometers unübertroffen. Aber
dennoch kann eine unbefangene Würdigung nicht unbedingt das Urtheil
Kästner's gutheissen (Anfangsgr. der Geom. 4. Ausg. S. 428; vgl. Tren-
delenburg, Log. Unters. 11, S. 289, 2. A. II, S. 865, 3. A. II, S. 899) :
»von dem eigenen Werthe der Geometrie, Deutlichkeit und Gewissheit,
besitzt jedes geometrische Lehrbuch desto weniger, je weiter es sich
von Euklid's Elementen entfernte; sondern muss vielmehr dem Urtheil
der Cartesianer beitreten (Log. ou l'art de penser, lY, 9), es sei ein
Fehler der Euklidischen Geometrie: »avoir plus de sein de la certitude
que de l'evidence, et de convaincre l'esprit que de Peclairerc ; zu wenig
zu geben: »des raisons prises de la nature de la chose meme pourquoi
cela est vrai«, und: »n'avoir auoun soin du vrai ordre de la naturec.
Euklid hat jenem Einen Vorzug der strengen Gewissheit (allerdings dem
wesentlichsten) andere zum Opfer gebracht, die doch mit demselben ver-
einbar sind. Auch Tschirnhausen verlangte bereits neben der
möglichsten Verallgemeinerung die Herleitung eines jeden Satzes aus
derjenigen Doctrin, von welcher sie auf natürliche Weise abhängig sei
(s. Chasles, Geschichte der Geometrie, aus dem Franz. übers, von L.
A. Sohncke, Halle 1889, S. 112), und in wesentlich gleichem Sinne
fordert Schopenhauer, dass die Geometrie ihre Sätze auf den Seiusgrund
basire und nicht »Mausfallenbe weise c aufstelle. Die Beweise sollen
nicht nur streng, sondern auch nach Möglichkeit genetisch sein,
oder der Erkenntnissgrund der Wahrheit des Satzes mit dem Real-
grunde zusammentreffen, und dieser Forderung kann und soll die neuere
Wissenschaft mit ihren Mitteln in höherem Grade nachkommen, als
einst Euklid es vermochte. Insbesondere aber ist es die analytische
Geometrie und die Infinitesimalrechnung, wodurch ein mehr geneti-
sches Beweisverfahren möglich wird. Denn die analytische Geo-
metrie sondert die wesentlichen und allgemeinen Grössenverhältnisse,
die sich in der Formel darstellen lassen, von ihren zufälligen Erschei-
nungsformen in den einzelnen Figuren, und führt so über die mancher-
lei verschiedenartigen Betrachtungen, »zufälligen Ansichten c und im
Einzelnen glücklich aufgefundenen Hülfsmittel, worauf meist die con-
stmotiven Beweise beruhen, hinaus zur sicheren und gleiohmässigen
Erkenntaia« det BeaondereD ans «einen EemeiDsamen Oründen. Dia
BiffereDtial- and Integfralrachnang aber führt bia ED den
letzten Elementen zarüok, um auB denselben die Geneeie der mathe-
matischen Gebilde und so ihr Wesen und ihre Beziehungen zu begreifen
und hieraoa die Lehrsätze über dieselben zn erweisen; daher ist hier
die höchste Einfachheit der Beweise gepaart mit der Tollsten Befrie-
digong für den denkenden Geist.
Jeder indireote Beweis wird mittelst einer Hypothese [s. o.
9 134) gefuhrt, die aber nicht in der Erwartang aufgestellt wird, ob
sie sieb vielleicht durch die Wahrheit ihrer logischen Folgen bestätigt
finden möge, sondern von vom berein nur in der Absicht, am sie
durch den Nachweis der Unwahrheit einer ihrer Consequencen zu
stürzen und so durch Antschluss der unhaltbaren Toraussetzungen die
richtige za ermitteln. Dieses Verfahren dient namentlich zur wissen-
Bcbaftlichen Begründung der Principien, weil diese, sofern sie selbst
ein Oberstes und Allgemeiostes sind, nicht eine Ableitung ans Höherem
zulassen, und die blosse Induction für sich allein nicht mreioht. So
lässt sich z. B. die wahre Natur der unendlich kleinen Grösse oder
de« Differentials als einer Grösse von wechselndem Werth vermittelst
des folgenden indirecten Beweises feststellen. Das Differential ist ent-
weder eine Grösse von festem oder von wechselndem Wertfa. Wäre ee
das Erste, so müsste es entweder der Null gleich, oder seinem absoluten
Werthe nach grösser als Null sein. Der Null gleich kann es nioht sein,
weil es zu anderen Differentialen bestimmte Terbul tu isse hat, wogegen
das Verhältniss von Null zu Null völlig unbestimmt ist. (So darf t. B.
2 . dz niemals = di gesetzt werden, wogegen 2.0=0 ist. Ebenso
behält auch der unendlich kleine Kreis noch sein bestimmtes Terhältniss
zn seiner Hälfte, die Peripherie ihr Terhilltniss zum Radios und ihren
Unterschied von diesem und vom Mittelpunkte etc., wogegen bei dem
blossen Punkte, dessen Ausdehnung ^ 0 ist, alle diese Verhältnisse
verschwinden.) Eine von der Null verschiedene feste Grösse kann aber
das Differential auch nicht sein, weil es dann nicht neben dem End-
lichen schlechthin verschwinden, und also in vielen Fällen da« gewonnene
Resultat nioht mit absolnter Genauigkeit gelten, sondern nur approxi-
mativ richtig sein wurde, während doch die absolute Genauigkeit des-
selben anderweitig (z. B. vermöge eines ohne Hälfe der Differential-
rechnnng anf rein elementarem W^e geführten Beweises) apodiktisoh
§ 186. Der Beweis. 461
Dasein Qottes indirect za fahren, indem etwa die Eantisohe Disjunction:
die Welt ist entweder durch Zufall, oder durch blinde Notbwendigkeit,
oder durch eine freie Ursache geworden, zum Grunde gelegt, und ge-
zeigt wird, dass weder die erste, noch die zweite Voraussetzung, son-
dern nur die dritte dem gegebenen Charakter des Weltalls entspreche.
Der harmonische Bau der Organismen ist nur verständlich aus dem
Gedanken, »vor welchem uranfänglich alle Probleme der Physik gelöst
sind«, und der endliche Geist nur aus dem ewigen Gottesgeiste. Doch
kann die Logik, sofern sie Erkenntnisslehre sein will, dieses Problem
nur als Beispiel zur Methode berühren, nicht als integrirenden Thei]
ihrer eigenen Aufgabe, üeber das Problem selbst und die Methode
seiner Lösung vgl. Trendelenburg, Log. Unters. 11, S. 831; S. 887 ff.;
2. A. U, S. 406 f.; S. 426 ff.; 8. A. II, S. 461 ff.
Aristoteles erklärt den Beweis (utio^h^is) für eine Art des
syllogistischen Verfahrens, und findet die speoifische Differenz desselben
in der materialen Wahrheit und Nothwendigkeit der Prämissen.
Top. I, 1. 100 a. 27: anoSaiSts fnkv ovv ImCv, orav i^ alti^div xal 7i(mr(av
6 avlXoyiOfjios y, rj (x roiovriov, « 6ia uvoiV ngmtüV xal aXrid-wv r^c
ntgl avrä yvtiatcjs triv u^x^v €tXrj(p€V' SiaXixtixog Jk ovlXoyiafios 6 (^
ivSoiüjv avXXoyiCofÄevog. Anal. post. I, 2. 71 b. 20: {tvayxrj rrjv ano'
diixitxijv imOTfififiv ü aXff&^v t' ilvai xal ngwrtov xal a/diaatv xal yvcDQi'
(itarififov xal ngcfri^mv xal ah((ov xov avfineQaafutros. Aristoteles unter-
scheidet den directen und den apagogischen Beweis. Anal. pri.
I, 28. 40 b. 23: avayxij cf^ näattv anoSn^tv xal navra ovXXo^aafAov ^
vnaQxov ft tj fiii vTictQ^ov ^iixvvvai xal tovto ^ xa&oXov ^ xctrit juigoe,
hl ^ (fffjrTixo»? fj f^ vnod-iascjc ' tov (T i^ vno&iaaojs f^igos to Sta
jou aSvvatov. — ibid. 41a. 28 : navtig yag ol Sta xov aSvvarov nigat-
voyrts TO fiiv if/ev^og avXXoyi^ovrai^ ro J' ^| ^QX^S (^^ ursprünglich zu
Erweisende) 1} vnoO-iffews Snxvvovaiv^ orav a^vvtaov xt avfißaCvH xrig
ävxitpaa€(og xe&eiarig. Er giebt dem directen Beweise vor dem apago-
gischen den Vorzug, sofern der directe aus dem Erkennbareren und
Früheren oder aus dem mehr Principiellen (ix yvotgt/uwrigatv xal ngo-
xigtov) schliesse (Anal. post. I, 28). Die obersten Beweisprincipien sind
ihrerseits unbeweisbar und werden als unmittelbar gewisse Sätze (afiiaa)
durch den vovg erkannt; sie müssen an sich selbst erkennbarer und
einleuchtender sein, als dasjenige, was daraus abgeleitet werden soll
(Anal. post. I, 2 sq.). Vgl. hierüber die historische Ausführung zu § 184.
— Wolff (Log. § 498) fordert von dem Beweis (demonstratio), um die
Definition desselben mit der Terminologie der positiven Wissen-
schaften in Einklang zu setzen, nur die Wahrheit der sämmtlichen
Prämissen, und lässt daher (nach dem Vorgange Melanchthon's
Erotem. Dial. I, IV, p. 239) ausser den Definitionen, Axiomen und
hieraus bewiesenen Lehrsätzen auch solche Prämissen zu, die sich auf
zweifellose Erfahrungen gründen. — Kant (Krit. d. r. V. S. 817 ff.)
erörtert die Gefahren des indirecten Beweises, und will denselben, hierin
jedoch zu weit gehend, von der reinen Philosophie ausschliessen. —
Die Bedeutung des indirecten Beweises für die Erkemtfauss idey Erincipien
462 § 186. Die Widerlegung. Die UnterBUohung. Das Problem.
hat besonderB Trendelenbarg (Log. Unters. II, S. 820 ff.; 887 ff.;
2. A. S. 896 ff., 425 ff.; 3. A. S. 461 ff.) hervorgehoben.
Lotze in seinem System der Philos. Bd. 1. Logik, behandelt in
Buch 2. Gap. 4 die Formen des Beweises und Cap. 5 die Auffindung
der Beweisgründe; — Sigwart in seiner Logik Bd. 2. Methodenlehre.
Abschn. 8. U, § 61 den Beweis.
§ 136. Die Widerlegung (refutatio, sXsyxogy äva-
aüevrj) ist der Beweis der Unrichtigkeit einer Behauptung
oder eines Beweises. Die Widerlegung einer Behauptung
ist identisch mit dem Gegenbeweise, d. h. mit dem (di-
recten oder indirecten) Beweise des contradictorischen Gegen-
theils. Die Widerlegung eines Beweises geschieht entweder
durch Entkräftung der Beweisgründe, d. h. durch den
Nachweis, dass denselben die Beweiskraft mangele, d. h. dass
das, was bewiesen werden soll, nicht nothwendig aus ihm
folge, oder durch den Nachweis ihrer materialen Unwahr-
heit. Auf der Abwägung der Gründe für und gegen eine
Behauptung beruht die Untersuchung und die Disputation.
Zur gründlichen Bestreitung einer gegnerischen Behauptung
muss die Widerlegung des Beweises mit dem Gegenbeweise
vereinigt werden. Die Widerlegung ist dann am vollkom-
mensten, wenn sie auch den Grund des Irrthums nachweist
und so den trügerischen Schein zerstört. Die durch eine
wissenschaftliche Untersuchung zu ermittelnde Erkenntniss
ist das Problem.
Die treue Auffassung der gegnerischen Ansicht, das volle
Sichhineinversetzen und gleichsam Hineinleben in den Gedankenkreis
des Anderen, ist eine unerlässliche, aber nur* zu selten erfüllte Bedin-
gung der echten, wissenschaftlichen Polemik. Die Kraft zur Erfüllung
dieser Aufforderung stammt nur aus der uninteressirten Liebe zur
Wahrheit. Nichts ist bei schwierigen Problemen gewöhnlicher, als
eine halbe und schiefe Auffassung des fremden (Gedankens, Vermengung
mit einem Theile der eigenen Ansicht, und Kampf gegen dieses Wahn-
gebilde; die bestrittene Ansicht wird dann unter irgend eine abstracto
Kategorie subsumirt, an welcher nach dem gemeinen ürtheil oder Yor-
urtheil irgend ein Tadel haftet, oder es wird wohl gar eine verketzernde
Einleitung der verstümmelten Darlegung vorausgeschickt, um durch
Trübung der reinen Empfänglichkeit dem Eindruck vorzubeugen, den
der Gedanke selbst noch in dieser Form üben möchte ; der Kampf wird
auf ein fremdartiges Gebiet hinübergespielt, und in verdächtigender
Gonsequenzmacherei die Polemik, die der gemeinsamen Erforschung der
Wahrheit dienen sollte, zum Angriff auf die Persönlichkeit herab-
§ 186. Die Widerlegung. Die üntersnehung. Das Problem. 468
gewürdigt. Die Erfahrung aller Zeiten zeigt, dass nicht erst ein be-
sonders stnmpfes und beschränktes Denken und ein besonders schwacher
und entarteter Wille in diese Verkehrtheiten fällt, sondern vielmehr
nur eine seltene Kraft und Bildung des Denkens und der Gesinnung
sich ganz davon frei zu halten vermag. Es ist dem Menschen nur zu
natürlich, sich selbst, noch vielmehr aber die Gemeinschaft, welcher
er angehört, von vom herein im vollen Rechte zu glauben, mithin den
Gegner als einen Feind der Wahrheit anzusehen, in dessen verwerfliche
Ansichten sich tiefer hineinzudenken als eine unnöthige Mühe, wo
nicht gar als ein Verrath an der Wahrheit und an der Treue gegen
die eigene Gemeinschaft gilt, oder im günstigeren Falle als einen
Kranken und Irrenden oder doch auf einem* bereits ȟberwundenenc
Standpunkte Zurückgebliebenen, gegen den, sofern er nur nicht hals-
starrig auf seinem Sinne bestehen wolle, eine gewisse Humanität in der
Form einer grossmüthigen Schonung und Nachsicht zu üben sei. Die
Ueberwindung dieser Selbstbeschränktheit, das reine Eingehen in den
Gedankenkreis des Anderen und in die Motive seiner Lehre — sehr
verschieden von der mattherzigen Toleranz des Indifferentismus — setzt
eine Höhe der intellectuellen und sittlichen Bildung voraus, welche
weder dem Einzelnen, noch dem Menschengeschlechte von Natur eigen
isty sondern erst in langem und ernstem Entwickelungskampfe errungen
wird. Und doch führt nur dieser Weg den Menschen zur Wahrheit.
Sein Urtheil (sagt treffend Karl Lachmann in der Vorrede zur zweiten
Ausg. des Iwein, vgl. Hertz, Biogr. S. 179) befreit nur, wer sich willig
ergeben hat.
Sofern das Problem auf einem Widerstreit von Gründen und
Gegengründen beruht, trägt es einen antithetischen Charakter.
Das Bedürfniss der Lösung des Widerspruchs ist der mächtigste Sporn
wissenschaftlicher Forschung. Ein Beispiel einer noch ungelösten Anti-
thesis liegt in dem Verhältniss der Kosmogonie zu dem Mangel aller
Erfahrung von einer Urzeugung.
Die vollständige Prüfung einer Theorie muss eine zweifache sein.
Man hat einerseits die Argumente zu prüfen, ob sie beweiskräftig seien,
andererseits die Lehre selbst, den Inbegpriff der auf jene Argumente
gebauten Sätze, ob darin kein innerer Widerspruch und kein Verstoss
gegen Thatsachen liege. Es ist wahr, dass das wirklich streng Erwiesene
widerspruchsfrei sein wird, ebenso andererseits, dass das, was einen
Widerspruch involvirt, nicht wirklich streng erwiesen sein kann. Also
würde ein affirmatives Resultat der ersten Prüfung die zweite, ein
negatives Resultat der zweiten die erste überflüssig machen. Unserer
Irrthumsfahigkeit eingedenk, werden wir beiderlei Prüfung so voll-
ziehen müssen, dass wir uns bei der einen durch das Ergebniss der
andern nicht beeinflussen lassen.
Aristoteles definirt Anal. pri. 11, 20. 66b. 11: o yitQ tl^yxog
avTitpaastog avlkoyiafjio^. De soph. el. c. 1. 166 a. 2: HXeyxos dk avlXo^
yiOfÄOS fi€t^ avTiipdaefog rov av/^niQuafiOTog. Die Forderung, die Weise
aufzuzeigen, wie der Andere in den Irrthum verfallen sei, wird von
464 § 137. Die bemerkenswerthesten Beweisfehler.
Aristoteles Top. VIII, 10. 160 a. 37: akla xal ätoxi ijftvSos anoSiixiioVy
und £th. Nie. Yü, 15 : ov fiovov dii raXti&^g Ifyuv, alka xal jo alriov
Tov rj/evdovg x. r. Jl. aufgestellt und nach ihm unter Anderen von Wolf f
(Log. § 1083), der dieses Verfahren als »praestantissimum refutandi
modum« bezeichnet, wiewohl er (ib. § 1035) den Beweis der Wahrheit
selbst jeder Art der blossen Widerlegung mit Becht vorzieht. Ganz
besonders hat Kant (Log. £inl. VII B) die Forderung urgirt, dass man,
um Irrthümer zu vermeiden, die Quelle derselben, den Schein, zu ent-
decken und zu erklären suche, und diese Forderung (Krit. der r. Vem.,
transsc. Dial.) in Bezug auf die von ihm sogenannten »dialektischen
Vemunftschlüssec zu erfüllen gesucht; er stellt sich hier die Aufgabe,
durch die eingehendste Untersuchung hinter die wahre Ursache des
Scheins bei diesen »Sophisticationen nicht der Menschen, sondern der
reinen Vernunft selbst t zu kommen, damit der Schein, obwohl er
(gleich der optischen Täuschung) unaustilgbar bestehe, doch nicht länger
den Einsichtigen irre führen möge. Diese Kantische Gewissenhaftigkeit
und Gründlichkeit der Untersuchung wird stets in formaler Beziehung
ein der Bewunderung und Nacheiferung würdiges Vorbild auch für
denjenigen bleiben, der dem materialen Gehalte der Kantischen Lehre
seine Beistimmung versagen muss.
§ 137. Die möglichen Beweis fehler liegen entweder
in der Art der Ableitung des Schiasssatzes aus den Prämissen,
oder in den Prämissen an sich, oder im Schlusssatze. Die
Fehler der ersten Art sind die schon oben (§ 126, S. 418 ff.)
erörterten Paralogismen und Sophismen, und bei inductiven
Beweisen die Inductionsfehler (§ 130, S. 433 f.). — Die
Fehler der zweiten Art betreffen entweder die materiale
Wahrheit der Prämissen selbst, oder die Berechtigung,
in dem vorliegenden Falle ihre Wahrheit vorauszusetzen. Der
Beweisversuch aus falschen Prämissen wird, sofern die
Unrichtigkeit in der Verknüpfung des Mittelbegriffs mit den
anderen Begriffen liegt, fallacia falsi medii genannt. Bei
dem indirecten Beweise ist unter den Unrichtigkeiten in
den Prämissen die häufigste und nachtheiligste die unvoll-
ständige, aber fälschlich für vollständig gehaltene Dis-
jnnction im Obersatze. Eine unrichtige Prämisse, auf
welche eine Reihe verschiedener Folgerungen gegründet wird,
heisst Grundirrthum (error principalis, fundamentalis,
TtQfoTov tfjevdog). Ein Satz, der vielleicht materiale Wahrheit
haben mag, darf doch in dem Falle nicht so als wahr vor-
ausgesetzt werden und also nicht als Prämisse dienen,
§ 137. Die bemerkenswerthesten ßeweisfehler. 466
wenn er entweder mit dem za erweisenden Satze der Sache
nach identisch ist, oder doch seine Wahrheit mit der Wahr-
heit des zu erweisenden Satzes zugleich in Frage steht. Dieses
ist der logische Sinn der Forderung der Voraussetzungs-
los igkeit; die Verletzung derselben ist der Fehler der Vor-
aussetzung dessen, was in Frage steht (ro i^ ccQxfjg
sive To iv aQX'S [seil, ngoxaif^evov] aheiad-aiy petere id quod
demonstrandum in principio propositum est, petitio principii,
argumentari ex non concessis tamquam concessis). Mit diesem
Fehler hängt zusammen der Girkelbeweis (circulus sive
orbis in demonstrando), wo A durch B und B doch wiederum
durch A, oder A durch B, B durch G, G durch D . . . und
D oder überhaupt irgend einer der folgenden Beweisgründe
durch A bewiesen wird. — Die Fehler der dritten Art
liegen in der Abweichung des aus den Prämissen Er-
schlossenen von dem, was zu beweisen war, und der Unter-
schiebung des letzteren statt des ersteren (heterozetesis,
eTBQotrjTrflig), Die Abweichung ist entweder eine qualita-
tive (fASTcißaaig €ig aXlo yivog) oder eine quantitative,
wie bei dem Zuwenigbew.eisen und Zuvielbeweisen;
sie wird bei einer beabsichtigten Widerlegung zur (unbe-
wussten) Unknnde oder (bewussten) Veränderung des
Streitpunktes (ignoratio elenchi, mutatio elenchi, 17 tov
eUyxov ayvoiay /4ETaßoX7J), wozu namentlich auch die Ver-
wechselung der Widerlegung eines Beweisver-
suches mit der Widerlegung der Sache gehört. Wird
zu wenig bewiesen, so wird der Zweck des Beweises nicht
erreicht; doch ist darum das wirklich Erwiesene nicht schlecht-
hin zu verwerfen, sondern kann seinen eigenthttmlichen Werth
behaupten und vielleicht als Vorstufe der volleren Erkennt-
niss dienen. Das Zuvielbeweisen ist, falls das gesammte
Resultat richtig ist, unschädlich, da sich in der Regel leicht
dasjenige, was zu beweisen war, durch Subalternation oder
durch Partition aus jenem umfassenderen Resultate entnehmen
lässt; enthält es aber materiell falsche Elemente, so wird es
zum Anzeichen irgend eines anderweitigen, materialen
oder formalen Fehlers im Beweise. In diesem Sinne gilt
der Satz: »qui nimium probat, nihil probat«. — Erschlei-
30
466 § 137. Die bemerkensweHhesten Beweisfehler.
chang (subreptio) ist eiD gemeinsamer Name für verstecktere
Beweisfehler jeder Art, sofern der Hinblick auf das ge-
wünschte Resultat zu denselben rerleitet bat, insbesondere
aber fttr die yerschiedenen Formen der Heterozetesis.
Aus falschen Prämissen kann sowohl Falsches, als auch Wah-
res erschlossen werden (s. oben § 188, S. 444 f.), wie z. B. aus den
Weltsystemen des Ptolemäus und des Tycho de Brahe das Wesen und
die Zeit des Eintretens der Mondfinstemisse, die Dauer des Monats
und des Jahres etc. bis zu einem gewissen Grade richtig deducirt
werden kann ; in Fällen dieser Art kann die Unwahrheit der Argumente
mit der Wahrheit des Satzes, der dadurch erwiesen werden soll, zu-
sammenbestehen. — Der indirecte Beweis setzt, wenn dadurch eine
positive Behauptung vermittelst der Ausschliessung aller übrigen denk-
baren Fälle dargethan werden soll, eine strenge Disjunction der
verschiedenen Möglichkeiten voraus. Diese Bedingrang in aller Strenge
zu erfüllen, ist oft der schwierigste Theil der Aufgabe. Indirecte Be-
weise sind gefahrlos in der Mathematik, wo eine vollständige Darlegung
der möglichen Fälle sich in der Regel leicht und mit apodiktischer
Gewissheit geben lässt; aber sie sind misslich auf anderen Gebieten,
und zumal in solchen Wissenschaften, wie Philosophie und Theologie,
wo oft bei einer leichten Modification einer Ansicht die gegen dieselbe
gerichtete und vielleicht gegen ihre bisherige Form siegreiche Argu-
mentation nicht mShr zutrifft und daher der Schluss auf die Wahrheit
der ihr conträr entgegengesetzten Ansicht keine logische Gültigkeit hat.
Auf einer unvollständigen Disjunction beruhte die Ueber-
zeugung der ältesten Gegner des Sokrates von seiner Schuld. Sokrates,
glaubten sie, muss seiner Gesinnung nach entweder Altbürger sein oder
Sophist; nun aber ist er nicht das Erste, also das Zweite. Die Täu-
schung war eine relativ nothwendige, weil hier, wie in allen ähnlichen
Fällen, der höhere Standpunkt, der über die einander entgegengesetzten
Einseitigkeiten vermittelnd hinausgeht, von denjenigen nicht ver-
standen werden kann, die in eben jenen Gegensätzen noch befangen
sind, indem das Verstehen desselben bereits die Erhebung über jene
in sich schliesst. Der Scheinbeweis für die Nothwendigkeit des /o-
QiCfxog des Ideellen (vgl. oben zu § 56) wird stets mittelst der unvoll-
ständigen Disjunction geführt: für sich bestehendes Ideelles (universale
ante rem) — sinnlich Einzelnes, wobei die dritte Möglichkeit, dass das
Ideelle inmitten der Wirklichkeit seine Existenz habe (universalia in re)
unbeachtet bleibt. Der Scheinbeweis für die Nothwendigkeit unfreier
Gemeinschaftsformen wird stets mittelst der unvollständigen Disjunction:
göttliche Ordnung — menschliche Willkür geführt, unter Ausschluss
des vernünftigen Willens. Aus einer unvollstÄndigen Disjunction pflegen
Gutachten hervorzugehen, wie das seiner Zeit vielbesprochene des Irren-
arztes Maximilian Jacobi, dass ein zur Prüfung des Geisteszustandes
in seine Anstalt gebrachter Angeklagtier, Reiner Stockhausen, nicht irr-
sinnig, sondern zureohnungsHUiig sei, weil sein Zustand unter keine
§ 187. Die beroerkenswertheBteii Beweisfehler.
der sechs von ihm selbst aufgestellten Formen dss Irrsinns (Toi
Melancholie, Wahnsinn, Narrheit, Verrücktheit, Blöd- und Stum|
falle (wobei die gemischten Formen nur oberflächlich beachtet w
waren); in's Zuchthaus gebracht, erwies sich der Yerurtheilte bal
Evidenz als geisteskrank (s. d. Schrift über Reiner Stockhausen, ]
feld 1855, einerseits S. 119 ff., andererseits S. 183 ff., wo Dr. Bi
die Gefahren der Methode der Exclusion treffend bezeichnet und £
hausen's Zustand als »schwachsinnige Geistes Verwirrtheit mit mela
lischer Depression des Gemüthesc bestimmt; »jeder unanfechtbar
stehenden Beobachtung muss das überkommene System sich fii
sagt Richarz S. 135 mit vollstem Recht). — So sehr Kant vor ap
gischen Beweisen in der Philosophie warnt (Erit. d.
S. 817 ff.), so sind doch von ihm selbst die Beweise für die funds
dalsten Sätze seines Systems apagogisch geführt worden, und leid<
dem Fehler der unvollständigen Disjunotion in den betreiTc
Obersätzen. Die Logik, lehrt Kant (s. oben S. 5 f. und S. 47 ff.),
nicht auf die Objecto der Erkenntniss; also hat es der Verstai
ihr nur mit sich selbst und seiner Form zu thun. Aber die c
Möglichkeit ist hierbei übersehen worden, dass zwar nicht die 01^
selbst den Gegenstand der Logik ausmachen (die Aufgabe der I
also nicht identisch ist mit der der Metaphysik, Mathematik, Nt
Wissenschaft, Geschichte etc.)f dennoch aber nicht das Denken bloi
seiner Beziehung auf sich, die blosse üebereinstimmung desselben
sich selbst oder die Widerspruchslosigkeit, sondern vielmehr die
Ziehung des Denkens auf das Sein, die üebereinstimmung
Gedankens mit seinem Objecto in der Logik zu erörtern sei. — Ni
die Erfahrung, lehrt Kant in der Kritik der reinen Vernunft, s
Formen, die von aller Erfahrung unabhängig oder a priori vorhai
sind, begründen die Apodikticität der Erkenntniss. Auch hier ist
dritte Möglichkeit übersehen worden, dass nämlich der Grund der
diktischen Gewissheit in der Ordnung der Dinge an sich selbst ]
und in der regelmässigen Weise wie unsere Sinne durch sie afficirt wer
und dass wir diese Ordnung erkennen vermöge eines empirisch basi
Denkens, dessen der Erfahrung folgende, alles Einzelne nach
in diesem selbst liegenden, gegebenen Beziehungen s;
matisch verkettende Thätigkeit, die der Gesammtheit der 1<
sehen Normen (normativen Gesetze) unterworfen ist, nichl
einer Reihe von »Formen a priori« (nicht empirisch bedi
ten Gebilden von rein subjectivem Ursprung, die zu dem
gebenen Stoffe als zweites »Bestandstückc hinzutreten sollen) h
stasirt werden darf. Wie wir im Technischen das durch blosse H
arbeit nicht Erreichbare nicht ohne die Hände durch Zauber, son
mittelst der Hände durch Maschinen, die selbst ursprünglich
Handarbeit hervorgegangen sind, erreichen, so erreichen wir
jenige Maass von Gewissheit, welches die blosse, vereinzelte Erfah:
nicht geben kann, nicht unabhängig von aller Erfahrung durch ai
ristischen Zauber, sondern durch ein die Erfahrungen nach logis
Normen combinirendes Denken. — Nicht irgead ein materialer, d. h.
snf entrebte Zwecke garicbteter Bestimmnngignuid de« Willem, lelirt
Kant ia der Kritik der praktigoben Temnaft, bIbo nur die Form
einer ohne ianereii Widerspruch möglichen strengen Allgemeinheit des
Gesetzes eignet sieb znm Moralprinoip. Anoh hier ist wieder die
Diijimctiou unvollBtändlg; denn die dritte Uöglicbkeit ist nnberäck-
sichtigt geblieben, dsss weder in einer formlosen Materie, noob in
einer inhaltslosen Form, sondern in den Verhältnissen, die zwi-
schen den verschiedenartigen Zwecken besteben, oder in der Stnfen-
folge ihres Werthes das Princip der Ethik eu suchen sei (vgl.
oben § 57, S. 157, und des Verf. Abhandlung: adaa Aristotelische,
Kantiscbe und Herbart'sche Moralprincipi in der von Fichte etc., her-
aoeg. Zeitschrift iur FhiloB. Bd. XXIV, S. 71 ff. 1864). — Ein Beispiel
eines niiiSrov tfifiio;, woraus eine Reihe anderer Irrthümer mit re-
lativer Nothwendigkeit hergeflossen ist, liegt in der naiven, anf den
Sinnensohein gebauten und durch die natürliche Eitelkeit desHenscben
gestützten Vorsussetzung, dass die Erde als der Centralkörper im
Mittelpunkte des Weltalls ruhe, und um sie der Himmel sich kreiefSnnig
drehe. — Den Fehler einer petitio prinoipii begingen die Carteaia-
ner in ihrer Polemik gegen die Newton'sche Gravitation« lehre, indem
sie den Sats, ein ruhender Körper könne weder sich selbst, noch auch
einen anderen bewegen, als eine Denknothwendigkeit ansahen, g^^rfin-
det anf das Axiom, dass das Nichte nicht eine Ursache von irgend
etwas sein könne, and auf den Begriff der Materie, der ja durch die
Bestimmung; (ausgedehnte Substantt völlig erschöpft sei — als ob
nicht gerade in der Gültigkeit dieses Begriffs einer nur ausgedehnten,
aber abeoint kraftlosen Materie der eigentliche Streitpunkt läge. Ein
anderes Beispiel einer petitio principii liefert Kant's Beweisversuch für
seine Ansicht, dass die erste Figur der kategorischen Schlüsse die ein-
zig gesetzmässige sei (in der Abhandlung: von der falschen Spitzfindig-
keit etc., und Logik, § G6 ff.). £ant gründet diese Ansicht zunächst
auf die Behauptung, dass die Kegel der ersten Fignr, wonach der Ober-
satz allgemein, der Untersatz bejahend sein muss, die allgemeine Regel
aller kategorischen Veruunftschliisse sein müsse, diese Behauptung aber
ihrerseits zuletzt auf die Definition des Vemunftschlusses als der >Er-
kenntnies der Nothwendigkeit eines Satzes durch die Subsumtion seiner
Bedingung unter eine gegebene allgemeine Regelt -^ eine Definition,
welche freilich nur auf die erste, nicht auf die übrigen Figuren passt,
aber auch eine ganz willkürliche Beschränkung enthalt, die eben das-
jenige schon voraussetzt, wss doch Kant erst beweisen will, dass es
nämlich in den übrigen Figuren keine reinen und gesetzmässigen
S;ll<^smen gebe, und die Unterscheidung der vier Figuren eine >fHlsche
Spitzfindigkeit' sei. Eine petitio principii liegt in dem Einwurf
gegen das teleologische Argument (Banr, Kiroheugesch. des neunzehn-
ten Jahrb., Tab. 1663, S. Sb7): >da die absolute Zweckmäsaigkeit der
Natur nur die Nothwendigkeit der Sache selbst ist, so kann ans der
Zwecknülasigkeit der Welt nicht auf eine auaserweltliche Ursache ge-
§ 187. Die bemerkenswerthesien Beweisfehler. 469
schlössen wordene; denn eben dieses >Nnr< steht in Frage. Anton
Bee sagt in seiner (vieles Treffende enthaltenden) Schrift: »Wande-
rungen anf dem Gebiete der Ethik«, Hamburg 1857, II, S. 147 f.:
»Wenn in einem Lande ein Gegenstand nicht so billig fabricirt werden
kann, als er sich von aussen beziehen lässt einschliesslich der Kosten
der Einfuhr, so ist es entschieden besser, dass wir den letzten Weg
einschlagen und dafür lieber mehr von dem produoiren, wofür unser
Land bevorzuget ist und was wir dagegen ausführen können«. Aber
ob es solches gebe und in solchem Maasse gebe, dass nicht das Gleich-
gewicht zwischen Erwerb und Verzehr entweder durch massenhafte
Auswanderung oder durch den Hungertyphus hergestellt werden müsse,
das eben steht in Frage ; R6e setzt hier implicite als zugestanden vor-
aus, was nur der inconsequente Gegner zugestehen wird und was zu
beweisen gerade die Hauptaufgabe gewesen wäre; er begeht also den
Fehler der petitio principii. — Ein Cirkelbeweis ist es, wenn auf
die Voraussetzung der (objectiven) Realität dessen, was wir mit (sub-
jeotiver) Klarheit und Deutlichkeit erkennen, oder auch dessen, was
für uns eine (subjective) Denknothwendigkeit ist, oder auf die Annahme
einer Identität von Denken und Sein der Beweis für das Dasein
Gottes» oder für die Gültigkeit der Idee des Absoluten gebaut wird, und
doch hernach wiederum eben jene Voraussetzung durch die lieber-
Zeugung von der Wahrhaftigkeit Gottes, oder durch den Begriff des über
den Gegensatz von Subjectivität imd Objectivität übergreifenden Ab-
soluten gestützt werden soll. — Eine fieraßaaig eis äXXo y^vos fin-
det Zeller (Philos. der Griechen, 1. A., Bd. II, S. 29) mit Recht bei
Ast, wenn dieser nach der Analogie Xenophontischer Stellen das 8o-
kratische daifioviov auch bei Plato substantivisch fassen will, da doch
der Analogieschluss hier nur zur gleichartigen Deutung verschiedener
Stellen bei dem nämlichen Verfasser berechtigen konnte. Zu demselben
Fehler führt die zu weite Ausdehnung des hermeneutischen Princips
der »analogia fidei«. — Eine ignoratio oder mutatio elenchi
liegt darin, wenn der Bestreitung der Hypothese von den angeborenen
Ideen der Beweis entgegengestellt wird, dass die Ideen Gültigkeit
haben und dass auf ihrer theoretischen und praktischen Anerkennung
der Werth unseres Denkens und Handelns beruhe, oder wenn der Be-
hauptung, dass es synthetische Erkenntnisse a priori und transsoen-
dentale Freiheit im Kantischen Sinne nicht gebe, der Beweis oder
vielleicht auch nur die Bemerkung entgegengehalten wird, dass doch
die Wissenschaft nicht ohne apodiktische Gewissheit und die Moralität
nicht ohne Bestimmbarkeit des Willens durch ideale Motive bestehen
könne, oder wenn gesagt wird, dass die Bestreitung der Erkenntniss
a priori (im Kantischen Sinne) auf die Absurdität hinauslaufe, durch
Vernunft (a priori) beweisen zu wollen, dass es keine Vernunft (keine
Erkenntniss a priori) gebe. Denn nicht die Gültigkeit der Ideen, nicht
das Bestehen einer apodiktischen Gewissheit und einer Vemunftfähig-
keit und moralischen Willensfreiheit ist der Gegenstsnd des Streites,
sondern vielmehr ihr Ursprung und ihr Wesen; es ist eine Vermi-
470 § 137. Die bemerkenswerthesten Beweisfehler.
schung der gegnerischen Ansicht mit einem Theile der eigenen, wenn
das eigene Yorurtheil von dem Bedingtsein der Gültigkeit der Ideen
durch ihren exceptionellen Ursprung oder der Apodikticität durch
Apriorität, und der Moralität durch gesetzlose Aufhebung des Causal-
nexus den sämmt liehen Bestreiten! ( — denn einige derselben
waren in der That auch ihrerseits darin befangen — ) untergeschoben,
und nun so argumentirt wird, als ob die Bestreitung der falschen
Erklärungsversuche nothwendig auf die Verneinung der Sache selbst
abziele. (Sehr richtig sagt Alb. Lange in der Zeitschr. für Staats-
arzneikunde, N. F. XI, 1, 1858, S. 168: »diejenigen handeln gleich
thÖricht, welche bei jeder Zerstörung einer Form kleingläubig über
den Untergang alles höheren Geisteslebens schreien, wie diejenigen,
welche durch ihre zerstörende That wirklich einen Sieg über das wahre
Wesen menschlicher Sittlichkeit errungen zu haben wähnen c.) — Der
Isokrateer Theopomp suchte die Platonische Erörterung moralischer
Begriffe als unnütz zu erweisen durch das Argument, dass diese Be-
griffe auch ohne Definitionen allgemein verständlich seien. Mit Recht
aber bekämpft der Stoiker Epiktet (Enchir. II, 17) diesen Einwurf als
eine ignoratio oder mutatio elenchi, indem er auf den Unterschied der
fwoim (pvatxttl xal nQolri\jßiig, die wir allerdings auch ohne Philosophie
besitzen, und der bestimmten voUbewussten Wesenserkenntniss, worauf
die Philosophie abziele, aufmerksam macht (nach dem Vorgang^ der
Platonischen Unterscheidung zwischen Wissen und richtiger Meinung).
Zur mutatio elenchi gehört ferner die Verwechselung der Widerlegung
unhaltbarer Argumente mit der Widerlegung der Ansicht selbst, die
durch jene Argumente gestützt werden sollte, wie z. B. nicht selten
der Nachweis der Ungültigkeit von vermeintlichen Beweisen für das
Stattfinden einer generatio aequivoca sive spontanea (Entstehung orga-
nischer Gebilde aus nicht gleichartigen organischen oder auch aus un-
organischen Stoffen) mit dem Nachweis des Nichtstattfindens einer ge-
neratio aequivoca sive spontanea verwechselt wird. — Zu wenig
beweist das physikotheologische Argument, indem es die ethischen
Attribute der Gottheit unberührt lässt ; sofern es aber zu der Gewissheit
von einer göttlichen Einsicht und Macht wirklich hinführt, ist es nicht
(mit Kant) zu Gunsten des moralischen Argumentes zu verwerfen,
sondern vielmehr durch das moralische Argument zu ergänzen. —
Von anderer Art ist das Zuwenigbeweisen in dem Zenonischen Beweis-
versuche, dass Achilles die Schildkröte nicht einholen könne, da diese
jedesmal wieder, wenn Achilles an dem Orte, wo sie zuvor war, an-
gelangt sei, irgend welchen Vorsprung habe. Zur Lösung des trügeri-
schen Scheines genügt hier allerdings nicht die blosse Berufung auf
den Parallelismus der unendlichen Theilbarkeit von Raum und Zeit;
denn Zeno könnte entgegnen, gerade um dieser Gleichmässigkeit willen
werde der schnellere Gegenstand den langsameren ebensowohl zu
keiner Zeit, wie an keinem Orte einholen. In der That aber lässt sich
durch die Zenonische Argumentation nur beweisen, dass, wenn die
beiden Geschwindigkeiten sich wie n : 1 verhalten, innerhalb der folgen-
% 187. Die bemerkonBnertheBten Beneisfeliler. ]
den Reihe von ZeiUheilen und von TLeilen dea Weget kein Ein)
stattfinden wird:
l +~ + -K~ + -1- + -V + ■ ■ ■ ■ in infin.,
wo der nnprfingliche Abstand sla Lilngeneinheit oder als Maast
Weges, und die Zeit, in welcher der schnellere Gegenstand diese .
geneinheit durohlänft, als Zeiteinheit anzusehen ist. Mit Weglal
der Clansel: innerhalb dieser Reihe, wird dann der allgen
Satz untergeschoben , dais überhaupt nie und nirgend ein Einl
etattfiuden werde. Ein Recht zu dieser Weglassung würde aber
dann bestehen, wenn zuvor bewiesen worden wäre, dass die Sw
jener Reihe unendlich sei, d. h. dass, welche feste Grösse auch
gegeben werden möge, die Reihe bei unbegrenzter Fortgetsung ir(
einmal eine Summe haben müsse, welche jene Grösse übersehe
Diesen Beweis aber hat Zeno nicht geführt, und derselbe kann i
überhaupt nicht geführt werden, da das darin zu Erweisende fa
ist, und sich vielmehr das Gegentheil mit mathematischer Strenge
weisen lässt, dass nSmlicb die Summe jener Reihe auch bei endl
Fortsetzung derselben eine bestimmte endliche Grösse, idmlich ^
nicht überschreitet, sondern sich derselben nur über jede feste D
renz hinaus annähert. Es folgt also nur, dass vor dem Ablaufe
durch jene Gröue bestimmten endliehen Zeitreihe und vor dem Du:
laofen des entapreobenden Weges das schnellere Objeot das langsan
nicht erreiche, was durchaus wahr ist, aber zu wenig beweist
Vei^leich mit dem, ,was Zeno erweisen will nnd zu erweisen glai
Der Schein aber, als ob jene Zeitgrösse und Raumgrössc, welche,
lange wir innerhalb jener Reihe verharren, unerreichbar ist, sohlet
hin unerreichbar sei, oder mit anderen Worten, als ob immer im
halb jener Reihe verharrt werden müsse, knüpQi sich an die
b^^renzte Zahl der Glieder, nnd an die Nothwendigkeit, wenn :
einzeln vorgestellt werden eollten, jedem bei möglichst rase
Fortschritte doch eine endliche and nahezu gleiche kurze Zeit zu widi
nnd ebenso, wenn die unendlich vielen Raum abschnitte in aotnei
Theilung einzeln dargestellt werden sollten, jeden durch
endliches und bei möglichtter Kleinheit zuletzt nahezu gleiches S'.
472 § 137. Die bemerkenswerthesten Beweisfehler.
von dem Obersatze aus, der als solcher allgemeine Wahrheit haben
müsste: die vervielfachte, nach Maassgabe der Erscheinungen sich ab-
stufende Setzung unseres eigenen Wesens ist keine gültige Erkenntniss-
form, sondern immer nur eine poetische Fiction. Aber dieser Ober-
satz ist unhaltbar, da aus ihm vieles andere, was ofiFenbar falsch ist,
fo%en würde (s. oben § 42, S. 108 ff.) ; mithin ist jenes Argument nicht
beweiskräftig, sondern die Entscheidung in anderen Gründen zu suchen.
— Bonitz zur Arist. Litt, in der Ztschr. f. öst. Gymn. 1866, S. 277
widerlegt eine Spengel'sche Argumentation durch den Nachweis, dass
dieselbe zu viel beweisen würde, dass also der allgemeine Satz, worauf
sie sich stillschweigend stützt, falsch sei, indem er sagt: »wer fordert,
dass der Ausdruck l^toTegixoi loyoi (bei Aristoteles) in jedem Zusam-
menhange dieselbe Bedeutung habe, der würde consequent auch ric
tpvatxa, avaxofiaX etc. in jedem Zusammenhange gleich auslegen müssen,
eine Forderung, deren ünerfüllbarkeit sogleich einleuchtete. — Sub-
reptionen aller Art sind insbesondere dann unvermeidlich, wenn aus
Einem oder wenigen einfachen Principien allein ganze Systeme her-
geleitet werden sollen, ohne dass das Besondere, welches unter jenes
Allgemeine zu subsumiren ist, anderweitig (entweder hypothetisch, oder
empirisch) hinzugenommen wird. Die Aufgabe der »dialektischen Me-
thode« ist wenigstens dann, wenn sie in diesem Sinne verstanden wird,
unlösbar (vgl. oben zu § 31, S. 60).
Zu vergl. bes. die ausführliche Erörterung bei: Lotze Syst. d.
PhiloB. Bd. 1. Logik. Buch 2. Cap. 6. Beweisfehler u. Dilemmen S. 323.
— Sigwart in s. Logik Bd. 2. Thl. 3. Abschn. 3. § 81 Der Beweis
S. 250 erwähnt nur kurz in einer Note »die Beweisfehler, die theils
formaler Natur, Schlussfehler sind, und dann entweder auf mangelhafter
Bestimmtheit der Begriffe und Wörter oder auf .der Unkenntniss der
syllogistischen Regeln ruhen; oder die Erfordernisse des Beweises ver-
letzen, indem sie unter ihre Prämissen Sätze mischen, denen unbedingte
Gültigkeit nicht zukommt, also einen Beweisgrund nur bittweise an-
nehmen {ahiia^tti to iv uQxiy petitio principii) oder indem aus der
Deduction etwas anderes hervorgeht, als was bewiesen werden sollte
{heQoCrfrriais). Der letztere Fehler findet natürlich nicht statt, wenn statt
desgesuchten Satzes ein allgemeinerer gefunden wird, in welchem dieser
mit enthalten ist. Die Regel aber qui nimium probat nihil probat
verurtheilt nicht den Beweis, der mehr liefert als verlangt wurde,
sondern der etwas notorisch Falsches neben dem zu beweisenden Satze
liefert, - und dadurch einen Sohlussfehler oder eine falsche Prämisse
verräth.c
Sechster Theil.
Dti fiyaten in Miner Benebnng in d«r OrdnuDg der objecti
ToUlitfit.
g 138. Dae System ietdie geordnete Verbindnn
sammengehOriger Erkenntnisse zu einem relativ in sie
schloBsenen Ganzen. Die Wissenschaft ist ein Ganze
Erkenntnissen in der Form des Systems. Das System ii
stimmt, in seiner Gliederung die Gliederung der Totalität i
(natürlichen oder geistigen) Objecte zu repräsentiren, g(
dem Deokgesetze der Totalität: die wissenschaftlich«
kenntniss vollendet sich in der Verbindung der Geds
unter einander zu einem nach Inhalt und Form die obji
Realität repräsentirenden Ganzen.
Wissemchaftliohe Sätze und 8y«tem verbalten bü
einander wie Inhalt und Form. Die rechte Form aber itt de
halt weBentlich. Es ist nicht etwa nar die Summe der einzelne
keimtnisBe von wiseenecbaftlioher Bedentang, die ayetematisohi
knöpfong derselben aber von btOB« didaktischem Werthej sc
aach die Wieseaschaft aU aolcbe hat nar in der systematischen
ihr wahrhaftes Bestehen. Wenn (wie der Nominalismus wil
Individuen reale Existenz hätten und also die gesammte Wirkli
ein blosses Conglomerat von Einzelnem wäre, oder wenn (mit
Eantiaohen Kriticismus) alle nnd jede Ordnung, sogsr die
der Einzelezigtenz aelbat, als nnsere anbjective Znthat anzusehen
BO hätte freilich das System nnr aubjective Bedeutnng. In der
handelt, denen die Denkformen entsprechen (z. B. 1}ei der dnroh den
Beweis zn erkennenden mathematiBoben Ordnung, wo die hingeseicli-
nete Figur nur zur Veranichaolichnng dient, bei dar Erkeuntniu eines
CaosalEneammenhangs, wo die Wahrnehmung der SnooeMion ihreneits
nnr ein Surrogat ist). Ebenso ist freilich auch a&dereraeit« das Denken
nicht (wie eio einseitiger Tntellectnaliamus will) ohne die empiri-
Bche Basis zu irgend welcher wisaeoachaftlichen &kenntniM sn-
reiahend. Wie zu den einzelnen Eiistenzformen die übrigen Erkennt-
niisformen, so steht das System zu ihrer Oesamnilheit oder m der
Gliederung der Dinge überhaupt in nothwendiger Beziehung. Wer in
irgend einer Wissensohaft die reale Gliederung ihrer Objecte nicht
kennt, dem fehlt nicht nur ein didaktische« Hnlfsmittel, sondern ein
wesentliches Element dea Wissena selbst; wer aber da« System nicht
hat, der kennt nicht diese Oliederung, denn die Weise oder Form dea
Wissens um dieselbe ist eben das System.
J. U. Wirth (über den Realidealismns, in der Zeitschrift för
Fhilos., N. F., Bd. XLI, Heft U, Halle 1662, S. 196) stellt neben den
Satz der Identität und den des Gründet den Satz der Totalitit oder
des Ganzen; >Etrebe alle deine Erkenntnisse zur Einheit der Totalit&t
zn verknüpfen (. In derThat liust sich fSglioh die logische Forderung
der systematischen TerknUpfung unserer Erkenntnisse auf die Form
eines Deukgesetzes bringen, dessen objective Beziehung jedoch bestimmter
herrorznheben war.
In die Systematik oder Methodologie pflegt die Theorie der Ein-
theilungen und die der Beweise anfgenommen zn werden, was an sich
nicht unzuläsaig ist; doch schien ea passender, jene sofort bei der
Lehre vom Begriff, diese bei der Lehre vom Schlnss mit abzuhandeln.
Diese zweifache Möglichkeit knüpft sich an die Relativität dee Begrifb
Totalität und die entsprechende des Begriffs System. Das logische
Princip wird davon nicht alterirt.
§ 139. Die Eiobeit des Systems beruht daranf, dass
allem Einzelnen in demselben gemeinsame Principien znm
Gmnde liegen. Das Princip ist das absolnt oder relativ
UrsprOngliche, wovon eine Reibe anderer Elemente abbängig
ist. Unter Erkenstaissprincip (principinm cognoscendi)
versteht man den gemeinsamen Ausgangspunkt einer Reihe von
Erkenntnissen, namentlich die formalen und materialen Grund-
anscbauangeu, Grundbegriffe und Ideen, Axiome und Fostnlate;
unter Realprineip (principinm essend! aat fiendi) den ge-
meinsamen Gmnd einer Reibe realer Wesen oder Processe.
Die ErkenntnisHprincipien sind zweifaeber Art, je nachdem das
Einzelne und Besondere oder das Allgemeine zam Aus-
gangspunkt derErkemitniBS dient Die ersteren entsprechen
§ 139. Um Prineip. Die Analyiis nnd Synthesu.
den Kealprincipien nicht, bilden aber die natnrgeniäSBe Q
läge der propädeutischen Erkenntniss; die letzteren sin
stimmt, den ßealprincipien zn eatsprechen, nnd bilden d(
mäsB die Grandlage der streng wiBsenschaftlichen Erkenn
Der propädentiBche oder henristisebe Weg führt regre
oder analytisch zar ErkenntnisB der Kealprincipien hi
der rein scientifische oder constructive aber ftlhrt progre
oder synthetisch von den Principieo zn dem Besom
nnd Einzelnen herab. Doch ist hei der Darstellung der
senachaften keineswegs in allen Fällen eine durchgängige
derang des analytischen nnd des synthetischen Eiern
zweckmässig, da vielmehr beide in der Behandlong der
zelnen Probleme wiedemm mit einander za combiniren
Die logiiche Lehre, dass alle« wiaBenBohaftliclie Erkeanei
Principien beruhe, hat schon Plato aufgestellt und den Dop
weg EU den Principien hin and von den Principien aus näher et
terisirt; die Fhilosophie zeichne sich dadareh vor den mathemati
WiMenscbaften ans, das« sie allein bis zn den \vahrhaften Prini
(ä(i^a/) sich erhebe, und von diesen aus niederum in reinen Beg
zu dem minder Allgemeinen herabsteige, während jene nur von
auMetzangen (ino&fatii), die nicht die obersten Satze seien, die
zelnen Lehrsätze ableiten (de Rep. VI, 610 sq.; VII, 633; of. FL
p. 266; Tgh oben zn § 14 nnd zn § 134). Beistimmend sagt Ar
teles (Ethio. Nicom. I, 2. 1095 s, 32): cv yag xaX mÜTtav ^nägii
xal t(iiti, nöitgov äitö täv Aq^v ^ titi täs ägj/äg tauf ^ öäoe, <
tf Tf( maSlip Äno nÖf tt9lo9(Tiöv tni tö nfpas ij avänaXtv, Aucl
Btotetee weist unserem Denken im Allgemeinen dieselbe Doppelaa:
»XL Melaph. TI, 4. 1029 b. 4: q yäg ftä^iiais oEnu ylvtim nStn diit
läv 1JTT0V yinoQlfian/ <pvoii tit lö yvüfi/ia /iSlXoy vä tovto tfyov
iartr, dtfi'e if tai( npaftoi rö noiijaai tx t£v ixam^ aya^äv in tltas
hya^B ixäaiip aya&ä, oSrair tx rüv ain^ yviaQiftaniQiav rä ig ipvau yviäfHfia
KOTfi yveipifia. Der TerfafRer des Eweiten Buchet der Hetaph7«ik
(Het. <r. 1. 99Sb. S) erläutert diesen Arietoteliiohen Gedanken daroh
das Platonische Bild (de Rep. Tu init.), dass d&s Aage unterer Ver-
nunft, arBprÜDg-lich nur an das Dämmerlicht der Sinnenwelt gewohnt,
bevor es durch Uebung gekräftigt sei, durch die Tageshelle im Reiche
des reinen Gedankens geblendet verde. Doch besteht ein wesentlicher
Unteraobied cwischen der Platonischen und der Aristotelischen Lehre
in der uähereD Bestimmung der beiden Wege, da Plato Torzugsweise
die Erhebung zum allgemeinen Begriff vermittelst der AbatractiOD,
nnd das Herabsteigen zu den specielleren Begriffen vermittelst der
Eintheilung fordert, Aristoteles aber hierin nur das Geringere erblickt,
nnd das Grossere in der zweifachen Weise der Schlussbildung, der in-
duotiven, welche zur Erkenntnias des Allgemeinen hinaaStibre, und
vornehmlich der e;llogistischeD, weldie vermöge de« Hittelbegriffs das
Besondere aus dem Allgemeinen mit apodiktischer Oewissheit herleit«;
die (Flatonische) Methode der Eintheilung sei nnr ein unbedeutender
Theil dee syllogistischeu Terfabrens. Anal.pri.I, 81. 46 a. 31; Sii S' ^
diä T(üv yiviär Siat^taig /'ixpöf ii fto^ov tau i^f ft^fi^vtit /itSäSov,
^iiov IdtTv tail yky ^ äiaiQUtii oloy iaStviic ooXXoyiafiös' a fiir yi^
Sit Siiiai, atttiTai, aulloylitjtu S' ätl t( tüv ävat9ev. Ana], post. U, 6.
91 b. 14 : oidaftov yctQ ävayxt] ylvtrtu jo nQÖyfia Ixeivo tivai raiySi oftiav.
Dieser Tadel würde jedoch das Platonische Eintheilungs verfahren nnr
insofern treffen, als dasselbe etwa den Sjllogtsmns vertreten sollte; an
sich selbst aber kann die Eintheilung nicht als fiixQov fiö^v dem
syllogistischen Verfahren subordinirt, sondern mnas diesem als eine
gleichberechtigte Denk- und Erkenntnissform von selbständigem Werthe
an die Seite gestellt werden. — Aristoteles nennt die Zurückfnhnmg
gegebener, concreter Gebilde anf ihre principiellen Elemente ein Zer-
legen oder Auflosen, ävakviiv (Eth. Nie. Ol, 5; Aual. pri. I, 83), wie er
denn auch sein logisches Werk selbst als eine nissenschaftliohe Zer-
gliedemug des Denkens nnd insbesondere der verschiedenen Schloss-
weisen unter dem Namen Analytik zu citiren pflegt (vgl. oben
S. 37). Alexander von Aphrodisias sagt in Uebereinstim-
mnng mit dem Gebrauche des Aristoteles (ad Anal. pri. f. 4 &): äva-
Xinixä ai, Sri ij Ttayihc aw^frov tis tu ti uf ^ avv9(ai( aotov ava-
yBiyii ävälvai! xuXtiiiu- — q f/iv yag <svv9tais änh rmy äßjfüv öiät
tariv lul TÜ tx TtÜr äpj-tin', q St iväkvais tnävofös taiiv tnl tk;
äp;fa£ änö tov tfioos. Philoponus (ad Anal. post. f. 36 b) berichtet
über den geometrischen Gebrauch der Termini Änaljsis and Syn-
thesia, Analysis werde das Aufladen der Gründe zu einem gegebenen
Lehrsatze genannt, Sjrnthesis das entgegengesetzte Verfahren. (Auch
Galenne redet von einer geometrischen Analytik, jedoch wohl ent-
weder im Sinne einer Logik nach geometrisi^er Methode, oder dea
§ 139. Das Princip. Die Analysis and Synthesis.
I
logischen Verfahrens^ wie es in der Geometrie zur Anwendung k^
er erwähnt nämlioh de propr. libr. 16 eine von ihm verfasste Ali
long: OTi ^ yeaj/Li€TQiXfi ayalvrixti afislvtov rrjg ra»v Zroii'xcüv vtto/
^v.) — Melanchthon sagt: »Geometris usitata nomina sunt e
tissima: compositio Synthesis, qnae a priori procedit; e conti
solntio sen Analysis, quae a posteriori ad principia regred
— Ganz besonders aber sind die Termini Analysis and Syntl
in der Logik zur Bezeichnung des Rückgangs zu den Frincipien
der Ableitung aus den Principien seit Gartesius (s. oben §24) i
geworden. — Newton sagt (am Schluss seiner Optik) in der n
matischen und physikalischen Forschung müsse stets die analy
Methode der synthetischen vorangehen. — »Methodus anal)
est: experimenta conferre, phaenomena observare, indeque conclui
generales induotione inferre, nee ex adverso illas objectiones admi
nisi quae vel ab experimentis vel ab aliis certis veritatibus desumi
Hac analysi licebit ex rebus oompositis ratiocinatione colligere sim]
ex motibus vires moventes et in Universum ex effectis causas, ex o
que particularibus generales, donec ad generalissimas tanden
deventum. Synthetica methodus est: causas investigatas et
probatas assumere pro principiis eorumque ope explicare phaeno;
ex iisdem orta istasque explicationes oomprobare.c — Im Anschlu
die Cartesianischen Bestimmungen sagt Wolff (Log. § 855): >
quo utimur in tradendis dogmatis, dicitur methodus; appellatur a
methodus analytica, qua veritates ita proponuntur, prout vel in vi
fuerunt, vel minimum inveniri potuerunt; methodus e contrario
thetica appellatur, qua veritates ita proponuntur, prout una ex a
facilius intelligi et demonstrari potest; methodus mixta est, quf
utriusque combinatione resultatc. (Als Definition ist diese Bestimi
der Methoden nicht gut, weil sie nur abgeleitete Merkmale und
die fundamental wesentlichen enthält.) — Kant unterscheidet analyt
und synthetische Urtheile (s. o. zu § 8S, S. 279 f.); doch eignet
Kant daneben auch (Log. § 117) die Unterscheidung der analytii
oder regressiven Methode (methodus regrediens a principiati
principia) und der synthetischen oder progressiven (methodus progre
a principiis ad principiata) an. — Hegel (Encyd. § 226 ff.) will
Methoden nur in den positiven Wissenschaften gelten lassen, wei
Erkennen sich darin nur als »Verstand« verhalte, nur > endliche!
\ kennen c sei; die Methode der philosophischen Speculation aber se
I Dialektik, die Form der »absoluten Idee«, der »reinen Vernunft c.
diese Dialektik ist nur der vergebliche Versuch einer Synthesis,
nicht auf den Resultaten der Analysis fussen will. — Mit Recht fo
Schleiermacher (Dial. § 283), dass der » Deductionspr ocess < übera!
den »Inductionsprocessc (also die Synthesis auf die Analysis) zurück
— Mit Abweisung sowohl eines exdusiven Empirismus, als auch
Hegel'schen Theorie des »reinen Denkens f erkennt Trendelenl
(Log. Unters. II, S. 223, 2. A. H, S. 294. 8. A. S. 327) in der Synt
den Adel der Wissenschaften, die Bedingung des wissenschaftl
478 § 140. Die analytische (oder regressive) Methode.
Charakters der Synthesis aber in der Unterwerfung unter die strenge
Zucht der analytischen Methode. — Ebenso weist Beneke (Logik II,
S. 159 — 188) nach, wie die Synthesis in allen Wissenschaften, anch die
Mathematik nicht ausgenonunen, durch die vorangegangene Analysis
bedingt sei, und warnt vor Verfrühung der Synthesis a priori, die dann
nichts Besseres, als ungründliche Erkenntniss, Willkür und Einbildung sei.
Ueber den heutigen mathematischen Gebrauch der Ausdrücke
Analysis und Synthesis mag hier folgende Bemerkung zureichen.
Die construirende Geometrie nimmt im Allgemeinen den synthetischen
Beweisgang und lässt analytische Betrachtungen nur zum Zweck der
Auffindung der Beweise oder der Auflösung von Aufgaben zu. Da-
gegen verfährt die auf Grund von Coordinatensystemen rechnende Greo-
metrie vorwiegend analytisch, sofern sie regressiv die Bedingungen
sucht, unter denen gewissen Gleichungen genügt wird ; sie bedient sich
der algebraischen Analysis, welche auf eben diesem regressiven Verfahren
beruht, und wird darum analytische Geometrie genannt.
§ 140. Die empirischen Data, von denen alle wissen-
schaftliche Forschung in ihrem regressiven oder analyti-
schen Theile (oder die inductive Forschung in dem
weiteren Sinne dieses Ausdrucks) ausgehen muss, liefert
unmittelbar die äussere und innere Wahrnehmung (per-
ceptio), die, durch bewusste Zwecke geleitet, zur Beobach-
tung (observatio) wird, und, sofern der Gegenstand der For-
schung es zulässt, in dem Experiment (experimentum),
d. h. in dem zum Behuf der Beobachtung absichtlich von
uns herbeigeführten Geschehen, sich gleichsam von der Natur
die Antwort auf vorgelegte Fragen geben lässt; mittelbar
das glaubhafte Zeugniss (testimonium). Ueber die Glaub-
würdigkeit (fides, auch, wiewohl mehr die Thatsache der
Geltung, als das Anrecht auf dieselbe bezeichnend, auctori-
tas) des Zeugnisses ist nach den allgemeinen logischen Re-
geln über den Schluss vom Bedingten auf die Bedingung,
also insbesondere über die Bildung und Prüfung der Hypo-
thesen (s. 0. § 134) zu entscheiden, wovon hier nur ein be-
sonderer Fall vorliegt; denn die zu erschliessende Sache ist
das realq Prius des Zeugnisses. Der Inhalt des Zeugnisses
kann darin seinen Grund haben, dass das Ereigniss genau
in der gleichen Weise geschehen und beobachtet worden ist,
aber auch durch falsche Auffassung, untreue Erinnerung, Vor-
walten der gestaltenden Phantasie vor der kritischen Strenge,
§ 140. Die analytiBche (oder regreteivo) Methode.
Vermiechnng von anbjectivem Urtheil nnd objectiTem 1
bestand, imd endlich dnrch mancherlei Bobjective Tende
mitbedingt sein. Doch ist anzanehmen, daaa das Zeug
eines nnmittelbaren oder Urzeagen (testis primiti
proximns, ocnlatue), der dies notorisch oder nach dem sich
ErgebnisB der faiBtorischen Kritik ist, glaabbaft sei, y
dasselbe nach seiner Stellung zu den Ereignissen, sowie i
seiner iDtellectuellen und moralischen Bildung den T
bestand genau and treu aufzufassen und darzustellen renn
und beabsichtigt hat. Die Uebereinstimmang mehrerer .
zeugen unter einander giebt ihrer Aassage eine, sehr 1 i
Wahrscheinlichkeit, falls erwiesen ist, dass dieselben wi I
TOQ einander abhän^g, noch durch den gleichen Schein i
täuscht, noch dnrch gemeinsame FarteirUcksichtea in i
AufTassung und Darstellung bestimmt und psychisch gebou .
gewesen sind; denn eine rein zufällige Uebereinstimm
in 'Zufälligem hat nach den Gesetzen der Wahrscheinl :
keitsrechnung (vgl. oben § 132) bei allen irgend complici: :
Verhältnissen einen sehr hohen Grad von Unwahrscheini .
keit. Die Glaubwürdigkeit der mittelbaren Zeugen (te i
secnndarii, ex aliis testibus pendentes) ist theils durch i :
480 § 140. Die analytische (oder regressive) Methode.
Auf Grund der zuverlässigen Thatsachen sucht die re-
gressive oder analytische Forschung die Realprincipien
zu erkennen. Die Erkenntniss derselben ist weder in der
Wahrnehmung als solcher gegeben, noch auch in der Art dem
Subjecte angeboren, dass sie nur noch der fortschreitenden
Entwickelung zum Bewusstsein bedürfte, noch auch durch
eine unmittelbare »Yernunftanschauung« gesichert, sondern
wird aus dem gegebenen Inhalt der Wahrnehmung durch ein
objectiv bedingtes Denken gewonnen. Dieses gestaltet
jenen Stoff nicht (wie der Künstler den Marmorblock) nach
Formen, die demselben an sich fremd wären, sondern (wie die
Natur den lebendigen Keim) nach den in ihm selbst gegebenen
Beziehungen. In Hinsicht des stofflichen Elementes gilt der
Satz : >nihil est in intellectu, quod non fuerit in sensu« ; aber
die Umgestaltung des Wahmehmungsstoffes im Denken ist nicht
ein gleichgültiges Nebenwerk, sondern die wesentlichere Seite
des Erkenntnissprocesses. Zu den allgemeinsten Begriffen
von principieller Bedeutung führt die Abstraction; eben
diese im Verein mit der idealisirenden Thätigkeit, die, nicht
nach angebomen Bildern, sondern in der Wissenschaft nach
wissenschaftlichen (wie in der Kunst nach ästhetischen) Nor-
men über das Gegebene hinausgehend. Höheres gestaltet, zur
Idee (idea im subjectiven Sinne) oder dem normativen
(Huster-) Begriffe. Die Urtheile aber, welche wissen-
schaftliche Grundsätze von principieller Geltung (axiomata)
enthalten, sind theils analytisch, theils synthetisch ge-
bildet; die ersteren (z. B. die arithmetischen Axiome)
entstehen durch Zergliederung (analysis) der vorhandenen
Anschauungen oder Begriffe, und haben eine unmittelbare,
von der Erfahrung unabhängige Evidenz; die letzteren aber
(z. B. die geometrischen Axiome, wie auch die Postu-
lat e, die nur eine andere Form für die Axiome sind, welche
die Möglichkeit des Geforderten behaupten) stützen sich theils
auf Induction und Analogie, theils auf Idealisirung,
hypothetische Annahme und Prüfung der Wahrheit an
den Gonsequenzen, die zu einer successiven Ausschliessung
des Falschen (vermittelst indirecter Beweise) und Bestätigung
des Richtigen führt. Bei complicirten Problemen ist die Hy-
§ 140. Die analytische (oder regreuive) Methode. '
potheeenbildnng nicht sofort anf das Ganze zu richten,
dem es sind zunächst indnctiv nnd vermittelBt specid
Hypothesen nnd deren Verification möglichst viele feste
haltspnnkte zu gewinnen, am darnach erst über die Princi
&age selbst zu entscheiden. Da jedes Princip, sofem es
pothetische Elemente in sich enthält, sich an seinen Ft
bewähren mnss, so wird die Entscheidnng zwiso
entgegengesetzten Principien dadurch möglieb,
sich ein jedes in seine tbeoretiscbeu nnd praktischen (k
qnenzen ausgestaltet. Der Satz ; 'contra negantem priw
non est dispntandnm« ist falsch nnd inhuman. Bei nomi
Entwickeinng wird in der Erkenntniee, wie im Leben,
niedere Princip durch das hshere flberwunden, nnd fii
gleichberechtigte entgegengesetzte Principien in einem gem<
samen höheren Priocip ihre wahre Vennittelang.
. Es beduf nicht (wie im Anachlius an Leibnis Christian W
ond andere Logiker gewollt haben) einer eigenen >are inveniei
oder einer (Topilci neben der Logik ab der >ars iadicaudic;
dem die analytiscbe Methode, deren Mittel eben die früher im .
482 § 140. Die analytische (oder regressive) Methode.
eigenen Gefühle. Heinr. von Sy bei, über die Gesetze des historischen
Wissens, Bonn 1864, 8. 12 f.: »Wir sehen in den Erzählungen nicht
die Dinge selbst, sondern nur die Eindrücke, diö sie in der Seele
unserer Berichterstatter gemacht haben, und wir wissen, dass die Er-
zählung dieser Eindrücke niemals den Dingen völlig genau entspricht.
Aus der Erzählung nun auf die erste Form des Eindrucks und ans
diesem auf die Gestalt der Thatsache zurückzuschliessen, die Zuthaten
und Aenderungen der subjectiven Einwirkung zu beseitigen und da-
durch den objectiven Thatbestand wieder herzustellen^ das ist das Geschäft
der historischen Kritik«. Vgl. Wilh. Maurenbrecher, über Methode
und Aufgabe der histor. Forschung, ein Vortrag, Bonn 1868; Joh. Gust.
Droysen, Grundriss der Historik, Leipzig 1868.
Die Aufgabe der regressiven (a potiori inductiven) For-
schung besteht darin, von gesicherten Einzelheiten auszugehen, jedes
daraus zu Folgernde da zu erörtern, wo für den möglichst strengen
Erweis desselben die zureichenden Prämissen gewonnen sind und es
selbst als Prämisse zu ferneren Argumentationen dienen kann, so dass
für die Anordnung alle anderen Gesichtspunkte nur insofern mit-
bestimmend seien, als der oberste Zweck, der in der Erlangung mög-
lichster Gewissheit lieg^, ihnen einen freien Spielraum lässt; nachdem
auf diesem Wege eine Reihe von Einzelnheiten für sich festgestellt
worden ist, ist daraus erst die Entscheidung über die Principien zu
entnehmen; soweit aber die volle Gewissheit sich nicht erreichen lässt,
sind die Grade der Wahrscheinlichkeit mit möglichster Genauigkeit zu
ermitteln und zu bezeichnen (vgl. die methodologischen Bemerkungen
in m. Plat. Untersuchungen, Wien 1861, S. 99, 112 und 268).
Diese Forderungen gelten gleichmässig für die Wissenschaften
der Natur und des geistigen Lebens. Als methodische Elemente, die
der Geschichte mit der Naturforsohung gemeinsam seien, bezeichnet
K. O.Müller mit Recht: »scharfe Beobachtung des Erfahrungsmässigen,
Sammlung so vieler einzelnen Punkte, als aufzufinden möglich ist, Er-
forschung des gesetzmässigen Zusammenhangs derselben nach Wahr-
scheinlichkeitsgesetzen und Zurückbeziehung auf die gegebenen Grund-
lagen der allgemeinen Natur c.
Die Forschung des Einzelnen gewinnt in dem Maasse an Be-
deutung, als sie sich der wissenschaftlichen Gesammtarbeit
als Moment einzuordnen vermag. Weder eine rohe Selbständigkeit,
die, auf den natürlichen gesunden Sinn (common sense) vertrauend,
oder in dem eiteln Wahne persönlicher Genialität befangen, um einer
vermeintlichen »ünbefangenheitc willen — welche oft nur ein unwissen-
schaftliches Verharren bei den oberflächlichsten Ansichten und unreifsten
Einfällen ist — das Studium fremder Leistungen verschmäht oder
sich ohne eindringendes Nachdenken und kritische Genauigkeit mit
halben und schiefen Auffassungen derselben begnügt, noch auch eine
unfreie, selbstlose Hingabe, die, ganz in Gelehrsamkeit aufgehend,
über der emsigen Sorge um sichere Aneignung und treue Reproduction
der von den schöpferischen (feistem errungenen Schätze die Kraft zu
§ 140. Die syatbetwobe (oder oonatniotiive) Methode. i
eigener Frodnction nnbethfttigt lüst, sondern nur die Erhebuä
selbBtändiger Einsicht anf dem Gmnde der genauesten Vertrat
mit der gesammten bisherigen Entwickelung der Wissenschaft begrl
den Fortschritt zd höheren Erkenn tnisastufen. Auch in der Wi
Bchaft soll der HeoBch, ans dem Nstnrznstande der üngebuDdo
austretend, durch die unfreie Hingebung hinduroh zur wahren Fn
gelangen.
Der speenlative Trieb ist aof die allgemeinsten Prina
gerichtet, und pflegt dieselben in poetischen oder taalbpoetigchen '
men zu antecipiren, ehe die strenge Wissenschaft sie zu erkennen
mag. Die exaote Forschung begnügt sich mit der induot
ConstAtirung der mehr empirisahen Qesetze, so lange die ohai
Prinoipien sich noch nicht auf Grund der ThatBaohen mit stra
Gewisaheit ermitteln lasBen, ist aber oft allzubereit, der Sicherheit
Tiefe zu opfern. Die höchste Aufgabe ist die Erreichung der
der Speculation angeBtrebten Ziele auf den Wegen der ezaoten 'i
schung. Bansen (Hippel. I, S. 376) bezeichnet dieselbe eunftohs'
Bezog auf die Philosophie der Oeiohichte als >'Vereinigung das Oei
des Baco'sohen Systems mit den Kategorien der deutschen speculati
Philosophie des Geistes«. Vgl. die Abhandlung des Verfasaera i
Idealismos, Bealiemui und Idealrealismas in Fiohte'a Zeitechrifl
Philo*. Bd. XXXIV, 1869, S. 63—80.
Das Geschichtliche über die Lehren des Empirism
Namen- und Sach-Register.
Die Zahlen bezeichnen die Seiten der 6. Aaflage dieses Bndhes.
A.
Abälardy seine Eenntniss der
arist. Logik 35. Conceptnalist
36. Arten der Definition 173.
Aegypter 17.
Aenesidemus, Skepsis 32.
Agricola, R. 37.
Akademiker, Plato's Naohf. 26.
Albertus Magnus, Realist 36.
a priori u. a posteriori 160.
Albert y. Sachsen, a priori u.
a post. zuerst angewandt 160.
Alcuin 34.
Alexander von Aphrodisias,
Xoyixri TtgayfittT. 29. Exeget des
Arist. 31. Schlussfiguren 339.
Syllog. aus hypothet. Prämissen
402. Disjunctive Schlüsse als
Species d. hypoth. 409. Princip
imd W€^e zu dem Princip. 476.
Allihn, F. H. T., Herbart. 52. 422.
Amerika 85.
Anaxagoras 18. 19. anerkennt
nicht den Satz, dass Gleiches
nur von Gleichem erkannt 111.
Anderson, Jos. G., on logic 86.
Andreae, Antonius, Scotist;
nicht Urheber des Satzes der
Identität 231. Satz des Wider-
spruchs 250.
Andronikus, derRhodier, nennt
Arist. erste Philos. Metaph. 11.
Ordner der arist. Schriften 31.
Angiulli, A., filosofia e la ricerca
positiva 91.
Anselm von Ganterbury 35.
Realist 36.
Antiochus von Askalon 26.
Antisthenes 22. 23.
Apelt, E.F., Induction 82. Theo-
rie der Induction 425. Unter-
schied von Induction und Ab-
straction 431. Wissenschaftliche
Hypothesen 447.
Appuleius, Schema für contra-
dictorische u. conträr entgegen-
gesetzte Urtheile 220. Formen
der unmittelb. Schlüsse 276.
Aristipp 22. Subj. Wahrheit der
Sinnesempfindung 105.
Aristo von Alexandrien, Peripa-
tetiker,Combinationsverfahren v.
Mathematik entlehnt, zuerst an-
gewandt 346.
Aristoteles, Erkennen durch das
Sein bedingt 2. Charakter der
aristot, Logik 4. Erste Philos.,
Metaph. 10. Begründ. d. Logik
als Wissenschaft 16. Seine Logik
26. Eenntniss seiner log. Werke
bis zur Zeit Abälards 35. Stu-
fenreihe der Wesen 108. Das
Gleiche erkannt von Gleichem
111. Begriff des Individ. 125. —
Wortarten u. Vorstellungsformen
(Kategorien) 130. 131. Inhalt
der Vorstellung 137. Allgem.
Vorstellung 138. Reflexion und
Abstraction 139. Inhalt u. Um-
fang, Gegensatz, Disjunct. 144.
Kritik der piaton. Ideenlehre a.
eigene Ansicht über Begriff n.
Wesen 149 ff. a priori und a
posteriori 160. Art n. Gattung
163. Definit. a. ihre Elemente
Namen- und Sach-Reg^ster.
487
166. 167. Arten der Definition
172. Fehlerhafte Definit. mittelst
nebengeordneter Begriffe 179.
Lehre von der Eintneil. Theil
der Analytik 182. Definition des
Urtheils 192. Eat^or. Urtheil
200. QuaHt&t d. Urtheils bejah.,
vem. 208. Modalität d. Urtheils
208. 209. Quantität d. Urtheils
215. Quantifiade8Prädicats2l9.
Contradict. u. conträr entgegen-
gesetztes Urtheil 220. n^otegov
(pvau 221. Definit. d. avlXoyta"
fjiog 225. Principien d. Schliess.
229. Satz d. Identität 282. Satz
des Widerspr. 289. 242. 247 ff.
Satz des ausgeschl. Dritten 256.
257. Kein Mittleres zwischen d.
Gliedern d. Widerspr. 262. Prin-
cip der contradict. Disjunct. 266.
Urtheile mit conträr entgegen-
ges. Prädic. 268. 270. Satz des
zureich. Grundes 271. Formen
der unmittelb. Schlüsse 276. Con-
version 288. Das allgem. ver-
neinende Urtheil 294. avtiargi-
(psiv 808. Modale Consequenz
312. Elemente des Syllogismus
815. Bezieh, des Syllogism. auf
die reale Gesetzm. 817. ayx^voia,
Tact 823. Terminol. des einf.
kateg. Schlusses 326. Die Schluss-
figuren 831. Sphärenverhältn.
b. Schluss 847. 848. Ex mere
negat. nihil seq. 350. Ex mere
partic. etc. 852. Erster Modus
der ersten Figur 859. Beispiele
zu Cesare, Camestres 875. Ix-
&eats 879. Modi d. dritten Figur
883 ff. Form des Schlusssatzes
392. Modalität des Syllogismus
895. Syllogismen aus hypothet.
Prämissen 401. Sorites 416.
Beisp. eines Eettenachlusses 416.
iv&v/LtTj/Lta, lnix^(Q^f^ct 417. Hat
Terminus Sorites noch nicht 418.
Sophismen 421. atfaiQeaig (Ab-
stract.), inaytoyri (Induct.) 424.
Zur Apriorität der Raumansch.
432. Tiagadetyfjia, Schluss der
Analog. 488. Die mater. Wahrh.
d. Prämiss. u. d. Schlussf. 445.
Hypothese 456. unoduhg (Be-
weis) 461. Widerlegung 463.
Das Princip, Doppelweg zu den
Principien 475.
Arkesilaus Akademiker 26.
Arnauld, Ant., logique ou Part
de penser 41. Substitntionsprino.
ders. 897. Fehler der Euklid.
Geometrie 459.
Arnobius 88.
Ast, Beispiele einer fiirdflamg its
alXo y^vog nach Zeller 469.
Augustin 38. Bewusstsein des
Geistes v. eigenen Leben frei
y. Täuschung 105. Urtheile mit
conträr entgegenges. Prädia 269.
Averroes 34.
Avicenna 34.
Baader, Franz von, und seine
Schule 55.
Bach mann, G. Fr., C^ohichte d.
Logik 16.51.53. Irrige Angabe
über d. Urheber des Satzes der
Ident. 281. Irrth. behaupt. Satz
des ausgeschl. Dritten zuerst bei
Wolff 262. Kreise als Hülfs-
mittel der Beweisf. in d. Schluss-
lehre 288. Tadelt Lamberts
Symbol. Bezeiohn. des Umfangs-
verh. zw. Subject u. Pradic. 289.
Zur Sylloglstik der Aristoteliker
830. Unterscheid, der Analogie
von der Induction 441.
Baco YonYerulam 38. Nominal,
od. Conceptual. 152. Schätzung
d. Syllog. 320. Induction 425.
Ezperimentum orucis 448.
Bänmker, A., Arist. Sinnesl. 30.
Bain, Alex. 79. Ueber Mill 82.
eigener Standpunkt 82.
Balmes, J. L., Schriften 92.
B arber a^ L., log. invent. 91.
Barthelemy St. Hilaire, Arist.
Logik 30. Log. in Frankr. 86.
Barzellotti, G., Mitarb. an Ma-
miani's philos. Zeitschrift 91.
Baumeister, Fr. Chr., Anhänger
Wolff s 46.
Baumgarten, AI. G.» Wolfianer
46. Satz der Ident. 282. Satz
des Widerspr. 251. Satz d. aus-
geschl. Dritten 262. 263. Satz
des Grundes aus dem Satze des
Widerspruchs abgeleitet 272.
Baur, Chr. F., Beispiel einer
petitio princip. in den Einw. geg.
d. teleolog. Argument 468.
Baynes, T. S., port. roy. log. 41.
Ueber Hamilton 83.
.Beattie, J., 43.
BeauBBire, Em.. Art. Galuppi90.
Beok, J., Philos. Propäd. 78.
Becker, E. F., Eategor. 135. Bei-
Bpial einer zu engen Definition
177. Seine Verdienste für daa
logische Verständn. der Sprache
199.
Beda H.
Belgien 88.
Benard, Gh., log. enBeignäe par
les auteurs 87.
Beneke, Ed., üntersch. de« anal.
oder It^. Denkens n. der synthet.
Grundsatze des Denkens 4. Ueb.
Baco S9. Wort gegen Hegel's
dialekt. Aufgabe 60. Bezieh, z.
Scbleierm., Standpunkt 63. 64.
Unzalängl. der einnl. Wabmehm.
98. Jede Erkenntn. uns. Seelen-
thStigkeit Erkennte, einet Seins
106. Erkenntniss des Seins ausser
uns Setzung einer Hehrh. heseelt.
Subjeote 107. Tact 109. Stufen-
reihe der Wesen 111. Reflex, u.
■ Abstraot. 139. Begriff, Form d.
anal. Denkens 156. Definition
des ürtheiU 193. Log. Urtheil,
Suhsumt. 202. Verh. hypoth. u.
kateg. Urtheile 204. Quantifia d.
PiMicatB 219. Satz des aue-
geschl. Dritten 2G5. Conveni. d.
allgem. bejah. Urtheils 287. Um-
wandl. der Relation 306. Ein-
schränk, des Syllog. 321. Ana-
UiB des Tacts 323. Empirische
Basis der Geometrie 367. Grün-
det zuerst auf Substitationsprino.
eine vollst. Theorie d. SjUogism.
898. Zur Apriorität der Raum-
ansoh. 432. Inwiefern die In-
dnction geistige Sclbstthätigkeit
Q. apriorische Fonnen voraussetzt
433. Der unbericht. Sprachgehr.
führt zn Induotionsfehlem 434.
Analjrs. u. Synthes. 47a
Bentham, G., formale Logik79.
Quantifio. des Prädic. auf negat.
urtheile ausgedehnt 83.
Bergmann, X, Standpunkt seiner
Logik 75. D^nition d. Urtheils
196. Eintheilung der Urtheile
203. MissverBtändn. Sigwart's
SchluBslehre 228. Satz des aus-
gesohl. Dritten 264.
Berkeley, Q., 43. 120.
Bertini, Mitarbeit, an Mamiani's
philos. Zeitschr. 91.
Biel, Gabr., Nominalist 86.
Biese, Frz., He^rel's Schule 61.
Fbilos. Propäd. 78.
Bilfinger, G.B., Leibnizianer 46.
Blemmides, Nioephorns, lai-
tofii], Namen der Modi 393.
Bobrik, Ed., Herbartian. 62. 53.
Beeckh, A., Philo laos 19. Bei-
spiele eines hjpoth.-kategorisohen
Schlusses 405.
Böhmer, Heinr., über Baco 39.
Realität von Raum u. Zeit 120.
ParalogismuB 420.
BoethiuB, Logik 29. 34. Arten
der Definition 173. Schema für
contradiotor. und contrar ent-
gegenges. Urtheile 220. Formen
der onmittelharen Schlüsse 276.
Schlussfiguren 339. 340. Ex
mere n^at, nihil seq., Reduct.
eines bes. Falls 360. Tbeophr.
Lehre von den hypothetischen
Schlüssen, ausf. Darst. d. mögl.
Formen der condition. Schlüsse
402. Aufzähl, der mögl. Formen
hypothet.- kategor. Syllog. 406.
Endemus' Einth. d. hypoth. Syllog.
410. Rechnet disj, Urtheile und
Schlüsse zu den hypoth. 411.
Episyllog. oder progress. Schiusa
413. Enthymem, imperf. syllog.
417. Indnction 424. Schluss der
Analogie 440.
Bolzano.Bernh., 68, Kreise ab
Hülfsmittel der Beweisf. in der
SchluBslehre 268.
Bonatelli, Fr., Mitarb. an Ma-
miani's philos. Zeitschr. 91.
Bonitz, Herrn-, Standpunkt der
arist. Logik 27. Ariat. Eategor.
80. 134. Beispiel z. Satz : qui
nimium probat, nihil probat 471.
Boole, G., Formale Logik 79.88.
Standpunkt 84.
Botta, Vinoenzo, Italien. PhUo-
sophie 89.
Bouterwek, Fr., Apodiktik 61. 62,
Bowen,Frano., Kritik der Logik
Consiu's u. Homilton's 66.
Brandis, Chr. Aug., Standpunkt
der arist. Logik 27. 29. Aristot.
Kategorien 184.
Braniss, Jnl., 6a
Braun, Alei., Verjüng, d. Natur
109. Begriff des Individ. 126.
Artbegriffe 163.
Broohard, V., Stoik. Log. 32.
Bronislow, Hegelianer inPolen 98.
Brown, Th., 43.
Naroen- und Sach' Regie t«r.
Bruno, O., 37.
Buhle, J. G., GeBch. der Log. 16.
fieiap. eiuer Möglichkeit in obj.
Sinne 211.
Bunten, Chr. £. Joa. v., Höchste
Aufgabe in Bez. Rtif PhiloBophie
der Qetchichte 483.
Barchard, J. F. W., Demokrit's
PbiloB. der Sinne 21.
Buridan, J., Nominaliat 36.
B u rei u B, A dam, Cioero'i stoiaohe
Logik 32.
C
CaeoiliuB erklärt das Epioherem
alB apodixis itnperf. nach Quin-
tilian 417.
Cains (Allihn), Antibarbu'us lo-
gicna 422.
Calioicb, E.Ad.Gd., Philoaopb.
Proimd. 78.
Calker, Fr. van, Gesch. der Log.
16. Frie«' Anhänger 52. 53. Er-
klär, dee Begriffs 1&3.
Campanella, Thom., 37.
CapelU B. MartiannB.
Carnot , Dähring'a Beziehnngen
zu Camot 71.
CarteaiuB,'! Urtheil über LuUioa
36. Sein Standpunkt 39 S. Un-
zulänglichkeit der sinnlichen
Wabmehmung 98. Cogitare das
GewisaeBte 105. Beweis aua der
v&taaitö de Dien 116. Eateger.
134. Eriter. d. Wahrheit 136.
Seit C. Dogmatism. Gewicht auf
Definition gelegt 167. Gering-
schätzung der SjUogiatik 321.
DaB Snbatitntionsprincip in der
Lo^k B. Sohnle 397. Diaj. Syl-
logiBmen 411, Indnction 426.
Petitio princip. d. Carteaian. in
Polemik gegen Newton's Qrs-
vitatiooBlehre 468. Analyse und
SvDthese 477.
Chineaen 17.
Cbrysipp, Stoiker31. stell
avUoyiafioi äfanö^eixioi i
Spitze seiner Syllogistik 4
Cicero, loyix^ 29. tadelt £{
Eintb. der B^ierden 165.
sehe Definition von nii&o
Satz des zureichenden Gl
271. Compleiio 410. Prol
oder regreas. Syllog. Cato'
Terminua Soritea 416.
Cieakowaki, Aug. v., Poll
gelianer 93.
Clasaen, Joh., Qranun. I
prim. 130.
Claaberg, Job., Anl&ngei
Cartesius 41.
Clemens v. Alesandrien 38
Colebrooke 17.
Comte, Aug., Indnct. Lm
Standp., Auszug aus s. W
von Big 87. Stadien der
sonific., der Eypoataair. uo
adäquaten AuffaaBung in T
Metaph. und Wissenschaft
Induetion 425.
Conceptnalisten im Mittel
nnivers. pcst rem 162.
Condillac, Etienne Bonn
Naobfolger Locke's 43. 86.
fluBB in Polen 93.
Conti, ScboUst. Lehrb. der I
sopbie 91.
Conrnot, A... Induot. Logil
Erkenntnisstheorie 87.
Conrtney, W. L., metapbyt
MiU 82.
Cousin, Vict ed. Alrätorc
Erit. Dorst. seines System:
Bowen 66. Ed. Maine
Biran 87.
J. P. de, Nachf
Locke'
ist. Aug., Gl
490
Namen- und Saoh-Begister.
D a r w i n, G h a r 1 e 8, Entwickelungs-
lehre als Hypothese 463.
Debrit, Marc, Italien. Philos. 89.
Delboeuf, Jos., Anschl. an Ueber-
weg 89. Niditvergleichbarkeit
der Vorstellung mit dem Objecto
98. Argument, aus d. veracitS
des Gedankens 116. Principien
des Schliessens 230. Satz der
Identität 238. Satz des zureich.
Grundes 273. Basirung der Geo-
metrie 365.
Dembowski, J., Quaest. Arist. 30.
Demokrit 18. 19. D.'s Sensualis-
mus von Burchard und Johnson
21. ünzuverlässigkeit d. sinnlich.
Wahrnehmung 98.
D es tut t de Traoy , elem. d'ideo-
logie 86.
Dittes, Friedr., Anhanger Be-
neke's 65.
Dittges, Ph. Jak., Sokrates
Methode 22.
Döring, A., Grundzüge der allg.
Logik 73.
Dolz, J. G., Kl. Denklehre 47.
Domin ici, de, Galilei und Kant
91.
Dorner, A., Bacon's Philos. 39.
Dost, 0., Locke's Logik 43.
Drbal, Math. Am.,Herbartian.63.
Trennung formaler Richtigk. von
der mater. Wahrh. bei den einz.
Urtheilen 190.
Dressler J. G.» Anhänger Be-
neke's 65. Umwandlung der
Relation 306. Substitutionsprin-
cip 398.
Drobisch, Mor. Wilh., Verh. d.
Logik zur Erkenntnisslehre 3. 6.
Herbartian., Schriften 52. 53.
Verh. zwischen Inhalt u. Umfang
144. Bei Plato Definition auf
Einth. basirt 166. Arten d. De-
finition 173. Einth. 183. Verh.
hypoth. und kateg. Urtheile 204.
Satz des ausgeschlossenen Dritten
264. Convers. des allgem. bej.
Urtheils 287. Beweis für d. Un-
statthaftigk. der Contraposition
d. particular bej. ürth. 304. Um-
wandl. d. Relat. 306. Erklärt
Arist. Anal. post. II, 2 falsch
317. Sinn des Satzes to afriov
To fiiaov 319. Mögl. Formen d.
Schliessens vollst, zu entwickeln
344, doch vierte Figur verwor-
fen 345. Parallel. hypotL kateg.
Syllog. mit d. kateg. 406. Di-
lemma 409. Zur Aprioritat der
Raumansch. 432. Analog, exacta
438.
Droysen, Joh. Gust., Grundriss
der Historik 482.
Dühring, Eng., Standp. 71.
Duhamel, J. M. G., Des möthodes
dans les sc. du rais. 87.
DunsScotus, Realist 36. Stellung
zum Satz des Widerspruchs 249.
Bestreitet die Allgemeingültigk.
des Satzes ex mere negat. eta
351.
Ebeling, M. F., Log. für d. ges.
Verstand 46.
Eberhard, Joh. Aug., allgem.
Theorie des Denkens 46.
Eberstein, W. L. H. v., Gesch.
der Logik 16.
Ebhardt, C., Der rhetor. Schluss
418.
Eichhoff, K., Platon's Logik 26.
Eleaten 18. Unzuverlässigkeit d.
sinnl. Wahrnehmung 98.
Eiswich, J. H. V., Arist. in Schu-
len der Protestanten 37.
Emery, on form. log. 86.
Empedokles 18. 19.
England 79-85.
E p i k t e t , Stoiker. Beweisfehler
des Isokrateer Theopomp 470.
Epikur, Eanonik. 31. Eintheil.
der Begierden 185. Bekämpft
den Satz des Widerspruchs 249.
Versteckte quatem. termin. 420.
Erdmann, Benno, Eant's Kri-
ticism. 49. Zur Raumtheorie 122.
Erdmann, J. E., HegePs Schule
61. UeberMansel 83. Thomson
84. Bspl. zu Gesare 375.
Eretrier 22. 23.
Erigena, Joh., Scotus, Definitio
essentialis eigentliche Definition.
170. Arten der Definition 173.
Eintheilung 183.
Essen, E., Arist. Defin. 30.
Euathlus, Dilemma 410. 411.
Eucken, Rud., arist Methode 29.
Geschichte u. Kritik derGrund-
begr., a priori u. a posteriori
160. 223.
Eudemus, der Peripatetiker 30.
Convers. des allgemein vernein.
Urtheils 294. Figuren des einf.
Namen- und Sach-Register.
kateff. Syllogism. 839. Modalitat
des Syllo^Bmus 895. Theorie d.
hypothet. Schlüsse 401. Hypoth.
kateg. Syllog. 405. Eintheil. d.
hypoih. Syllog. 410.
Euklides, d. Mathematiker. De-
finition der Parallellinien 179.
Seine Methode Beisp. der höchst.
Strenge der Beweisführung 459.
Euklid es v. Megara 28.
Euler, Gegner Wolffs 46. Ge-
brauch der Kreise als Hülfsmitt.
der Beweisf. in der Schlusslehre
unricht. auf E. zurückgef. 288.
Everett, Ch. G., so. of thought,
Anhänger Hegel's 86.
F.
Faber, Platon's Erkenntniss-
lehre 26.
Fabricius J. A., Geschichte der
Logik 15.
Feder J. G. H., Gesch. der Logik
' 16. Grundsätze der Logik 46.
Einfl. auf Joh. Sniadecki 98.
Ferreira,Silvestre Pinheiro,
Portug. Staatsmann undPhilos.,
Sensualist 92.
Ferri, L., Italien. Philos. 89.
FeuerbachyLudw., Beweisfehler
in s. Argument, gegen d. Bealität
der Gottesidee 471.
Fichte Joh. Gottl., und seine
Schule 54. Stoff und Form der
Wahrnehmung bloss subj. 100.
116. Satz des Widerspr. 252.
Fichte, J. H., Gegner der Logik
Hegel's 60. Standp. 68. Re-
flex. undAbstract. 139. Thesis,
Antithesis und Synthesis 182.
Princip. contrad., ident., excl.
tert. 233. 245. 255. Untersch.
u. Gegens. fälschl. mit Conträr
u. C!ontradict. gleichgesetzt 269.
Finsh, A. E., Bacon's ind. phil. 39.
Fiorentino, F., Italien. Philos. 89.
Fischer, Friedr., 51. 53. Ur-
tbeilsl. 194. 202. Satz des aus-
geschl. Dritten unberecht. 256.
257.
Fischer, Kuno, Schule Hegel's 61.
Flatt, gegen Kant 's Log. 52.
Florenzo, Marquise, Anhängerin
Hegel's 91.
Fowler, Th., Bacon's nov. org.
39. 81.
Franchi, Auson., krit. Rh
91.
Franok, Ad., bist, de la k
86. Italien. Philos. 89.
Francke, Chr., Arist. Syllc
Frankreich 86—88. ,
Friedrich, Ernst Ferd. \
Fries, Jak. Fr., Logik p«
Grundlage 52. 53. Definiti
Urtheils 198. Subsumt. log
TJrtheile 202. Principia
Schliessens 229. Satz dei
ffCschl. Dritten 263. Einscl
d. Syllogism. 321. Beispiel
Sophismen 422. Reduciri
Arist. den Sohluss der Am
auf die Gombination eine
ductionsschl. mit einem Syl
mus 441. Wahrscheinlidi
lehre 444.
Frothingham, Octav. Bro
transscendentalism inN.-En|
Fülleborn, G. G., Geschieht
Logik 16.
:^*
Gabler, G. Andr., He
Schule 61.
Galen, Exeget d. Arist. 31.
men der unmittelbaren Seh
276. Vierte Schlussfigur
341. Geometr. Analytüc 47
Galilei als Logiker 88. Ga
Kant von Dominici 91.
Galuppi, Pasquale, Ansch
Reid und Kant 90.
Garelli 91.
Gassendi, GescL der Logili
Folgt P. Ramus 37. Gej
des Cartesius 41.
Gastmann, A. L., Arist. Met!
80.
Geijer, E. E., Bericht über PI
in Schweden u. Norwegen !
Genovesi, Antonio, als Ekli
ker 89.
George, Leop., Gegner der
gik Hegel's 60. Anschlusi
Schleierm. 63. 64. Fünf S
100. Neuntheil. 183. Lehi
ürtheil vor Begriffsl. 188.
klärt die Bezieh, des Inducti
yerf. auf den obj. Gausalnex
einen Girkel 433.
Gergonne, J. D., Ereise als H
mittel der Beweisführ, in
Schlusslehre 288. Symbol.
TerhältniBBe der Kreise wiederum
durch einf. Zeioben 289. £nt-
ichuldigt die didakt. Kunststücke
der Scbolattiker 320.
Gormar, F. H., Glauben oder
Wissen 109. Der Taot 923.
Geulinx, Arn. 41.
Gioberti, Vi ncenzo, italienischer
IdealismnB 91.
Oioja, Melch., Senaualist 90.
Ologau, J., Kategorien 185.
Gockel, Cbr-Friedr., Encyklop.
Eialeitnug 78.
GocleniuB, Rudolf, Söritea
416. 418.
Goebel, R.,Aeneaidem. Skepsis 32.
Goethe, J. G. v., verwend. Kaut's
Kategor. in der Farbenlehre 182.
Gegen Newton's Lehre vom
Lichte 453.
Goluchowski, Job., Schellingia-
ner 93.
Gottsched, Joh. Chr., erst«
Gründe der ge». Weltweish. in'g
Polnische übers. 92.
Graesse, J. F. G., Schrift gegen
Schwab über Stilpo 34.
Gratry, A., log. 87.
Griepenkerl, F. E., Herbartian.
62. 53.
Grimm, E., Genlinx Erkenntniss-
theorie 41.
Qrohmann, Joh. Chr. Aug.,
Kantianer 63.
Grote, G., Mill gwen Hamilton 62.
Gruppe, 0. F., Werth der Ana-
logie 440.
Gumposoh, Ph., Log. d. Arist. 30.
Günther, Joh. Casp., Sdirift üb.
Megariker SS.
Häokel, E., Darwin'» Lehre 454.
Hagemann, Georg, 73.
Hager, Joh. G., Schrift über
Euclid 28.
Halstead, G. Bruce, überBoolä
84.
Hamilton, W., Logik n. Mathem.
als philoB. Propäd. 13. Einth.
der Logik 14. 16. Formale
Logik 79. Qusntific. d^Prädic;
Standp. 83. 319. 399. Satz des
zureichenden Grundes 274. Un-
terscheid, der Analogie von der
Indaot. 441.
Haneberg, B., Erkenntnisslehre
Ihn Sina's 34.
Hankiewicz, Tm.Clem., Grand-
züge der slav. Philosophie 92.
Harme, Fr., Gesch. der Log. 16.
Gedanken zur Reform d. Log. 73.
Harris, Will. T., hiat. ot phil, 85.
Hartenstein, Gust., Herbartian.
52. Satz d.aaBgeBchl. Dritten 264.
Hartmann, Ed. v., über dialekt.
Methode 60.
Hartsen, Fr. A., Standpunkt 72.
Lehre vom Ürtheil oder Begriffs-
lehre 188.
Hegel, G. W. Fr., Denken und
Sein 2. Werth der Logik 9.
Subjectiv. Geist. 11. Metaph.
oder ontologiache Logik 12.
Ansicht über philos. Propädeut.
überb. und in Bezieh, auf Logik
18. Griechen danken das Wesent-
liche sich selbst 17. SeineLi^.u.s.
Schule 56 B. Einfluss in Italien
91, in Polen 9S, Stoff nnd Form
der Wahrn. subject. und object.
100. Wahrnehm, propäd. Aus-
gangspunkt der Philosophie 106.
Identität von Denken und Sein
111. Stufengrade der Indivi-
dualisirung 127. Kategorien 135.
B^jiff, Grundform der object.
Real, wie des subjsct. Gedank.
156. Dialekt. Geneeis des Be-
griffs 168. Trichotom. Thesis,
Antitheeit and Syn thesis 182.
183. Definition dee Urtheils 198.
Log. Urtheil Sabenmt. 203. De-
finition dee Sohluases 336. Satz
der Identität 338. Satzd-Widei^
Spruche 339. 340. Dabei Ver-
wechselung der log. Negation
mit realer Oppoeition 353. Satz
dee auBgeschl. Dritten 355. Dn-
berecht^ 256. 267. 268. ürtheile
mit conträr entgegenges. Prädio.
269. 370. Satz des zureichenden
Grandes 273. Schlase nothw.
Form alles Vem. 321, Verwirft
Schlossw. der vierten Figor 346.
Nicht zu billigen, dase H- 2. und
3. Figur gegenseitig ihre Stellen
tauschen lässt 846. Induct. und
Analogie, Grundlage des syllog.
Sehlnsses 432. AnalogieschluM
442. Anales, n. Synthese 477.
Heinze, M., Erkenntniss lehre der
Stoiker 33. Anz, von Sigwart's
Logik 74.
Nunen- nnd Sach-Regiater.
Helmlioltz, H., Natur d. Sinnes-
empf., das 8ehen 100. Materie
u. Kraft 112. Znr Ranintheorie
122. Thataachen.d.derGeoroetrie
za Grunde liegen 36ö. Beispiel
za dem FehlschlusB de codbb-
quente ad anteced. 420. Znr
Apriorität der RaumaDgch. 432.
Hanse, C. C, poet. Personifio.
110.
Heraklit 18. 8. Philosophie von
Laaalle 21. Satz des Widenpr.
239. Urtheile mit conträr ent-
gee enges. Prädiu. 2T0.
H«rbart, Joh. Fr, Standpunkt
und Schriften Ö2. 68. tlnzu^L
der sinnlich. Wahrnehmung 98.
Kritik Kant's 100. Erkenntniss
der Mehrheit beseelter Wesen
107. Alles wirklich Geschehene
SelbstorhaltUQg 111. Qualität
seiner punktuellen Wesen 112.
Raum)osigkeit der SeelenmoD.
117. Individ. 127. Kategor. 136.
Reflex, und Abstrakt. 139. No-
minalist., Qebraucb des Wortes
Begriff 153. Arten der Definit.
178. Eintheilungsgrund 183.
Definit des ürthefls 198. Verh.
Hayder, C. L. W., Ärist. D
80. Bez. zu Trendelenbn
Hickok, P., log of reaaon
Hinrichs, H. F.W., Heg. Soh
Hirsel, Rnd., Stoik. Log.
Hodgson, Shadworth H.
Renonvier 87.
Höffding, Harald, Die 1
in Schweden 94.
Hölzer, Platon's Erkenntnii
Hoffbaner, J., Kant's Schi
Hoffmanu, Carl Aug.,
der Logik 66. 78.
Hoffmann, Franz, Schule
der'a öö.
Hoffmann, Herrn., Specit
Varietät 164.
Holland 89.
Hollenherg, Wilh., Anh
Lotze's 68. 79.
Hollmann, S. Chr., Qesc
der Logik 15.
Hoppe, J., Standpunkt 71.
kenntn. des Wesentlichen
Begriff, Ausg. und Ziel
aUes Denkens 188. Kriti
Drbal's Ans. über Urth.
Syllog. (Unterordnungiohl'
dnot. (Deberordnunmscbl.'i
Imelmftati, Uebers. von Liard
engl. Log. 16.
Inder 17.
Johann, Papel J. XXI., PetruB
Hisp. Summnl. log. 36.
Johann v. Saliabnry, Eenotn.
d. Ariat. SQ.
JohnBoit, Ed., Demokriffl Sen-
sualism. 21.
joniaolie Naturphiloiophen 18.
Jordan, W., über Mill B2.
Joardatn,A., über Ariat. Sohriften
36.
Jonrdain, Ch-, notione de log. 87.
Irenaens SS.
Isidoras, HiBpaleniis 34.
Italien 89—91-
Justin, der Martyr 33.
Kästner, A. G., ürtbeil über
Eoklid. 469.
Kampe, F. F., Arist. Erkenntmiss-
theorie 30,
Kant, Imm., form. Logik 4. Form.
Wahrheit 5. Einth. der Logik
14. 47. EinfluBS auf Whewell
81, anf Hamilton 83, auf Hickok
86, auf Renouvier 87, in Belgien
89, in Italien »0, in Polen 93.
Ünznlängplichkeit der sinnl. Wahr-
nehmung 98. Trennong v. Form
und Stoff der Wahmehmnng 99.
Stellt die Wahrheit der Selbst-
erkenntniss in Abrede 106. Na-
turzveck Analog, de« Sittengee.
111. Kanl'B DnalUm. 116. Unter-
scheid, der Individ. 127. Kate-
gor. 135. Klare und deutliche
Vorat. 18«. Reflex, u. Abetraot
139. Nominalist 1G2. a priori
und s poat. 169. 160. Artbegriff
162. Grundgedanke Darwin's bei
ihm 163. Hält auf Strenge der
definitor. Form 167. IrrÜiümer
synth. gebild. DeGnit,, synth. u.
analyt.Defin.172. Ärt.d.Definit.
172. Lehre von der Einth. 182.
Definit. deBÜrtheils 193. Gründet
Einth. des ürtbeilE auf Kategor.
der Relation 200. Qualität der
Urtheile ai^rm., neg., limit. 206,
Modalität des Tlrtheils 209.
Qnantit. des Urth. 216. Stamm-
begr. dea Verstandet a priori 221.
a priori, a pOBteriori 223. De-
finit. des Sohlusaes 226. Prin-
dp des SchlieaaeuB 229. Satz der
Identität 232. Sats des Wider-
spruchs 251. Satz d. anageschL
Dritten 262. Zw. posit u.negat.
Grösse im matbem. Sinne coutr&r.
G^enB, 264. Vrth, mit conträr
entgegengea. Prädic. 269. 270.
Satz des zureiahenden Grundes
272. Formen der unmittelbaren
Schlüsse 276. Analyt. u. BynÜi.
Urtheile 279. SchlnsBe d. Aequi-
pollenz k. Schi. 308. Das Reale
richtet eich nach den Formen dea
Denkvennög.319. Einschränk. d.
SyllogismuB 821. Spitzfindigkeit
der vier ayllog, Figuren 343.
SplÄrenverhaitniaBe beim Sohlns«
347. Erster Hodua der ersten
Figur 369. Bewetaführung f. die
A Priorität der Raumansch. ledig-
lich indireot 366. Führt hypothet.
SchluBS auf Kateg. d. Dependeni
zurück 403. Hypoth.- kategor.
Syllog. eigentl.keiuYemunftscbl.
406. Disjunot. Syllog. 412. Lehre
von der absoluten Apriorität d.
RaumanBch. eine Art abgeschw.
Mythol. 432. Schluss der Ana-
logie 440. Gefahren des indir.
Beweises 461. Cnteranchung des
Scheins 464. Warnt vor apagog.
Beweisen in der Fhilos., benutzt
aie aber doch 467. Beiap. einer
petitioprincip. 468. Aüaljt. u.
BynthetiEche Urtheile 477.
Earneadea, Akademiker 26.
Katzenberger, Mart 70. Prin-
cip der contradict. Disiunct, 267.
Kaulich, W., Bezieh, zu J. H.
Loewe 66,
Kecker mann, B., Geschichte deri
Logik IG.
Kepler als Logiker 38.
KerBten, A.F. C, Arist.Eatag.30.
Kiesewetter, Kant'a Schule 61.
52, Ueberaetzt in's Polnische
93. Satz des ausgescbL Dritten
263.
Kirchenväter, Logi]t 83.
Kirohmann, J. E. t., Baoon's
Org. 39. Real. Standp. 70.
Kirchner, Fr., Kateohismus der
Logik 79.
Klein, G. M,,Sdiule Schelling'e 66.
KUinpaul, R., Platon's Erkennt-
niaalehre 26.
Namen- und Sach-Register.
Enauer, Guflt., Contrar n. Gontr a-
dict., bezieht Affirmat. u. Negat.
auf die Modalität 214.
Enigge, Phil., Freiin v., Logik
für Frauenzimmer 47.
Eotztowski, Felix, kathol. Phi-
los. in Polen 94.
Krause, Christ. Frie|dr., und
seine Schüler 56. 89.
Kremer, Jos., Hegelianer in Po-
len 98.
Krug, Wilh. Franz, 53. Aus-
nahmen des Satzes v. ausgeschl.
Dritten 256. 263. Sohlusstiguren
381. Achtzahl der Schlussfiguren
841.
Kühn, d, Arist. Definit. der Be-
griflFe 30.
Kuffeier, specim. art. ratiocin.
auf Standpunkt Spinoza's 42.
Kvöt, J. B., Leibniz' Logik 45.
Kym, A. L., ein Gegner Hegel's
60. Bez. z. Trendelenburg 66.
Lachelier, über Wundt 78. Art.
in Bot. philos. 88. De natura
syllog., fondem. de l'induct. 88.
Lactantius 33.
Lambert, Joh. Heinr., Neues
Organen 46. Reflexion und Ab-
straction 139. Kreise alsHülfs-
mittel der Beweisführung in der
Sctilusslehre , wer eingef. 288.
Symbol. Bezeichn. der Umfangs-
verh. zwischen Subject und Prä-
dicat 289. Schulbeisp. der vier
Schlussfiguren 331. Stellt die
vier Figuren in gleich. Rang 342.
Lamennais, de, esq. d'une philos.
87.
Lange, F. A., Protagor. Sensual.
22. Log. Studien 72. Bekämpft
üeberweg's Argument, für die
Ausdehnung der Dinge an sich
in drei Dimens. 120. Modalität
derUrtheilebericht. 218. Wahr-
scheinlichkeitslehre 444. Wahr-
scheinl. der Hypoth. in Rechts-
fällen 446. Beweisfehler 470.
Lange, J. Gh., Darst. der Vor-
stellungsverh. durch Kreise 144.
Kreise als Hülfsmittel der Be-
weisführung in der Schlusslehre
288.
Lange, Joh. Joach., Qegner
WolflPs 46.
Lasalle. Ferd., Heraklit, u
riano's Schrift darüber 21.
Lassen, Adolf, Baco's w:
schaftl. Princip. 39. Bes]
von Bergmann 76.
Lautier, G. A., Hegel's Schi]
Lavarino, F., über Mamia:
Lazarus, Mor., der Tact 1
Leibniz, G. W. v., 43. Ei
in Polen 93. Gleiches nui
Gleichem erk. 111. Indiv
der Monadenlehre 127. Kai
134. Notio dara, obscura
Nominalist oder Concept
152. Umwandlung der A
a priori u. a posteriori 16<
diYidualbegri£f 165. Gescl
u. artbildender üntersch. c
vertauschen 167. Arten de
finition 172. Connaitre a ]
u. par les causes 222. Pi
des Schliessens 229. Sat
Identität 232. Fehler der
nadenlehre 241. Yertheidi
Satz des Widerspr. 250.
von ausgeschl. Dritten 257.
cip der contradict. Disjuu
267. Satz des zureichend. (
des 271. Princip. identit
discemib. 273. Alle primi
Yemunftwahrh. ident. Sätze
Schätzt d. Syllog. 321. B.
beruht auf der Kraft d. lo^
Form 822. Modi durch Subi
nation 398. Quantific. des
dicats 399. Disjunct. Syllog.
Ars inveniendi 451.
Leonardo da Vinci, Vorli
Baoo's 38.
Leonhardi, H. K. v., Auhs
Krause's 55. •
Lepsius 17.
Lorsch, L., Sprachphilosoph
Alten 180.
Leukipp 18. 19.
Lewes, G. H., ArtbegrifT 16
Liard, Louis, Engl. Log.
logic. angl. contemp. 79. U
scheidet zwei Schulen 80. Sa
84. 86. 86. Art. in Rev. philo
Libelt, Karl, polnischer He(
ner 98.
Liberatore, P., Instit. philo
Liebig, Just, v., über Baco
Induction u. Deduction 426
Liebmann, 0., zur Raumth
122.
Lilla, y., Kant u. Rosmini I
Lindemann, J. P., Anhänger
Krause'a 6Ö.
Lindner, A.d., Herbartianer 63.
Lindsay, Tbomaa M., on recent
}og. speeul. in England 79. 80.
Dwet. der Lehre von der Qnanti-
Hc. des PrädicaU 899.
LiDne,P6anzemndmd. 126. Clas-
sen und Arten 163.
LippB, Th., über Wundt 78.
Littr6, £., Comte et la philoBopb.
poBit. 88.
Locke, J., 43. Einflass in Polen
93. Cnzulänglichkeit der bIudI.
Wahmebmung 98. Kategorien
134. Nominalist oder Conceptua-
list 162. Satz deB ■Widerspruchs
schale Abatract. 2&0. Propoaitio-
nea frivolae ST8. Zorücksetzung
dea Syllogiamva 321. Induction
426.
Loewe, J. H., Anl^gerGünther'a
56.
Lott, Fr., Herbartianer 52. 63.
Lotze, Rud. Herrn., Geiat im
Erkennen nicht Spiegel der Dinge
2. Logik VernunftwiaBenecbaft
29. Bez. zu Kant 51. Gegner
der Logik Hegel'a 60. Standp.
68. 67. Sinneal. 100. Raam-
anach., qualit. Localzeichen 118.
Zur Raumtheorie 122. Eategor.
135. Determinat. der Merkmale
137. Verh. von Inhalt nnd Um-
fang 146. Das Eaaentielle gehe
die Logik nichta an 167. Be-
g'ifTabildung 168. Arten der
efinition 176. Eintbeilunga-
Gesichtsp. 183. Definition des
ürtheila J95. Eintheil. der Ur-
theile202. Definition d. SchlusBes
226. Satz vom auageschl. Dritten
264. Satz des zureich. Grundes
274. Kant'a Unteracb. anal, n,
tynth. Urtheile bedingt gerechtf.
282. Mcchanismua nicht Wesen
der Sache 346. Disj. ürth. stellt
die Aufgabe, die den Schluss lösen
soll, vtjn Wandt miss verstanden
412. Beispiele falscher Analogie-
schlÜBBe 4Se. Wahrscheinlich-
keitaberechnung 444. Formen d.
Beweises u. Anffind. der Beweis-
niinde 462. Beweiafebler und
KTund
Dilen
1 472.
Maaaa, J. G. E., Kant'a Schule
6t. 52. Beispiel einer Cirkel-
erklärung 178. Kreiae als Ilülfa-
mittel der BeweiafUhrong in der
Schluaalebre 288. Tadelt Lam-
bert'a aymbol. Bezeichn. der Um-
fangsverb. zwischen Subject und
Prädioat 2'"
! Coah, Jai
. of
MiU 82. " Ueber Hat
Standpunkt 84. 86.
Mätzner, E., apeoul. Frage in d.
Ver. Staaten 85. Ueber ÜoatrÖm
94.
MagalhSes, J. J. Louzada de,
Piuheiro Ferreira 92.
Maimon, Sal., Ariat Kategor. 30.
Kant'a Schule 51. 52.
Hain
a 34.
n, Fr. P. G., 87.
Nicole 41.
renzio, Italien.
MalebrancbE
Mamiani, 1
idealiamus 90.
Manael, H. L., form. Log. 79.
philoa. of Hamilton and Mill,
eigener Standpunkt 83. Unter-
acSied der Analogie von der In-
duction 441.
Mariano, Laaalle'a Eeraklit 21.
Italien. Philoa. 89.
MartianuB, Capeila, S4.
Maaaow, rec. brit. philoa. 82.
Mattbiae, A., Lehrb. 78.
Maarenbreober.Wilh., Methode
und Aufgabe der hiatorischen
Forachnng 482.
Megariker 22. 23.
Hehmel, G.E. A., Schule FichU'a
54.
Meier, G. F., Anhänger Woirs
46. Sein Lehrbuch der Logik
Ton Kant benutzt 49.
Melanchthon, Ph., Nominaliat
86. 87. Beweia 461. Analyae u.
Syntheae in der Geometrie 477.
Meliaaus, der Eleate, Gewissheit
der Existenz des Redens u. dem-
gemäaa dea Denkens 101.
Melzer, 6., Augaalin'a Erkennt-
niaslehre 34.
Menedemua, derEretrier 33.24.
Meng-tse 17.
Namen- und Sach-Register.
Herten, Jac, Erkenntnisslehre
August, u. Thomas v. Aq. 84.
Metz, Andr., Gesch. d. Log. 16.
Meyer, Jürgen Bona, über De-
stutt de Traoy 86. Ueber Ch.
Secretan 88. Arist. Thierk. 126.
Artb^riff 164. Arist. Eintheil.-
Princip. 182. Hypothese und
Theorie in Darwin's Lehre 456.
Mich, Jos., Herbartianer 63.
Michelet, K. L., Ansicht über
Unterschied der 1. u. 2. Aufl.
der Kritik der r. Vernunft 49.
Yertheidigt Hegel's log. Stand-
punkt gegen Zeller 58.
Mill, J. St., Induct. Loffik79.81.
Gegen Hamilton 82. Comte and
positiv. 88. BejnrifiTsbildung 155.
Arten der Dennit. 174. Ausf.
Erorter. von Schlussfehlem 422.
Induction 425. Zur Apriorität
der Baumansch. 482. Beispiele
falscher Inductionsschlüsse 484.
Beispiele falscher Analogieschi.
438.
Minas, Minoides^ Neugrieche,
Pseudogal. ügayayyTi dutXixj, 841.
Schlüsse der Analogie 440.
Moebius, Karl, Artbegriff 164.
Monrad, M. J., Denkriohtungen
der neueren Zeit 94.
Mo r g a n, d e, form. Log. 79. Quanti-
fic. des Prädic. 83. 899. Stand-
punkt 84.
Morris, Uebersetz. v. Üeberweg
Cresch. der Philos. ; Schüler Tren-
delenburg's 85. 89.
Müller, Joh., Lehre von den spe-
cif. Sinnesenergien in Bezieh zu
Kant 99. Sinnesreize als Schwin-
gungen der Materie 100.
Müller, K. 0., method. Elemente,
die der Gesch. mit der Naturf.
gemeins. 482.
Münz, B., Erkenntnisstheorie vor
Sophist. 21. Des Protagor. 22.
Mussmann, G., Gesch. der Log.
16. Schule Hegel's 61.
N.
Nägeli, Carl, Individual. in der
Natur 126. Artbegriff 163.
Narbutt, Kasimir, 93.
Naville, Em., log. de l'hypoth.
88. 458.
Neuhaeuser, J., Arist. Sinnes-
lehre 30.
Neuplatoniker 32.
Newton, Is., Grunds, indud
allgemeinerung 480. Hyp<
der Gravität. 450. Analji
Synthesil 477.
Nicolai, de log. Chrysippi
82.
Nicole, P., logique 41.
Noack, L., Sokrates und di
phisten 22.
Noirot, le^ons de philos. 8'
Nominalisten im Mittel
strengere u. Conceptualistei
versalia post rem) 152. Ii
dualbegrjff 165.
Norwegen 94.
Nyblaeus, Axel, Philosopl
Schweden 94.
O.
Occam, Wilh. v., Nominali
Gewissheit des Denkens 1(
Oesterlen, Fr., Medicin. 1
425.
Opzoomer, C. W., Empirik
Origenes der Chnst 33.
F.
Pappenheim, Eug., Pyr
Grundzüge 32.
Paracelsus 87.
Parmenides 18. 19. Gewii
des Denkens von der eii
Existenz 105. Urheber d. fc
der Identität 231. Satz
Widerspruchs 239. 245. Pi
der oontradict. Disjxmction
Gonträre GegenMltze 269.
Peipers, Dav., Platon's Erk
nisstheorie 25.
Peisse, L., über Verfall log
dien in Frankreich 86.
Pellissier, cours el6m. de lo
Peripatetiker 30. Urtheile
200. Die älteren Perip. be
den schon die Theorie d. hy]
kateg. Syllogismen 405.
Peter v. Ailly, Nominalist
Petrus Hispanus, summul
85. Namen der Modi 898.
Peyretti, G., saggio di log
nerale 91.
Phaedo, die Elisch-Eretr. S
22.
Philo, Akademiker 26.
Philoponus, geometr. Gebi
32
der Termioi, Analjsis und Syn-
Uteaü 476.
FiDi, Grmenegildo, Efttbol
gfegen Ideol. 90.
PUnck, K. Chr., SatzM. zuretoh.
Grundea 273.
Platner, Ernst, Leibüizianer 46.
Pleto, Erkennen durch dsa Sein
bedingt 2. Begriladung d. Logik
als Wiseenscbafi 16. Seine Logik
24. 26. UnzuverläBBtgkeit der
■innlicben Wahrnehmung 98.
Stufenreihe der Wesen 108.
övofia xai ^^fia 130. Inhalt und
CTinfang contr. Gegensätza 144.
Die reale Wesenheit, die Idee
149. Definition n. ihre Elemente
166. Bildliche Bezeichnung der
Idee des Guten k. Definit. 17a
Lehre von denEintheilnngou 182.
Bevormst die Dichotomie 182.
Definit. des Urtheils 192. avl-
loyia/iög noch nicht im Sinne
späterer log. Terminol. 225. Das
Wiuen erkennt das Seiende als
seiend 231. Satz des Widerspr.
339. 246. 246. Sinai, zw. Sein
u. NichtBein 262. Satt des aus-
geachL Dritten 263. Urtheile
mit contHir entgegengeBetzten
Pradioaten 26& 270. Satz des
zureichenden Grandes 271. Bei-
spiele zu Cesare 376. Quatermo
tarmin. Beiep. 420. Sophismen
im Enthydem 422. Zurüokgeh.
auf die Allgemeinheit b. Sokrates
428, ZusammenfuBung d. Ein-
sein, z. Allgem. im Dienst der
456. üas Princip, Doppelweg
zn dem Princip 475.
PlotiD 38.
Ploncquet, Q., math. oalooL in
Iw. 46.
Pölitz, E. H. L., Elementarlog. 47.
Poetter, F. Gh., Log. 78.
Pols s OD, WahrBcheinlichkeitsl.444.
Pokorny, Ign., Herbartianer 59.
Polen 92. 98.
Polz, Wolffianer, irr^e Angabe
über Urheber des Satzes der
Identität 2S1. Satz der Identi-
tät 2S2.
Port-Rojal, Bez. zu Ramus 37,
Logique 41. Port roy. log. von
Baynes 41.
Porter, Noah, neuere Philosoph.
in Grossbrit. u. Amerika, Ein-
fluM Trendelenborg'a 86.
Porphyrius 33.
Portugal 92.
Pozzi, B., anal, del pens. e della
parola 91.
Prag», Lopes, biet, da philos.
om Portugal 92.
Prantl, C. v., Geach. d. Logik 15.
Standpunkt der arist. Lo?. 26.
Ueber Occam 86. M. PaelluB u.
Petr. Hiep. 36. 393. RamusS?.
Galilei u. Kepler 38. Standpunkt
69. 70. Ariitot Eategor. 134.
a priori n. a posteriori 160. Ver-
spottet den Gebrauch der Kreise
als Hülfimittel der BeweisfUhr.
in der Schlnasl. 289. Conversion
des allgem. vem. ürtheils 294.
SchluBsfiguren 341. Tadelt den
Appulejns 839. Galen.Figur 841.
Combinations verfahren getadelt
346.
Prinoe-Smitb,JobD,Qmndb€^.
der Geometrie 365.
Protagoras 22. Individnal. Sub-
jectiv. 105. Dilemma, Anekdote
410. Dar aber Baohmann und
Beneke 411.
Pnrgotti, H. Euclide e la log.
nat. »2.
Pyrrhon aoa Elia 31. 32.
Pythagoreer 18. 19. Stufen-
reihe der Wesen 108. Fehler
bildl. Definition 17&
Qnintilian, ration. philos. 29.
Warnt vor Ueberm. der Ein-
theilu^ 166. Disjunct. Syllog.
410. Enthymem imperf. syllog.
417. Epicherem 417.
Rabns, L., Gesoh. der Logik 16.
Anlwinger Wagner's u. Baader's
Schriften 65. 7L Ueber Wuudt
178. Log. Denken als bes. Art
des richtigen Denkens 191.
Ramus, Petrus 37.
Rangard, über De Moi^n 84.
RasBow, H.. Ariet Definition dee
Begriffes 80.
Ravaisson, F., philo«. enFranoe
au 19 s. 86.
Namen- und Sach-Register.
Read, Carveth, theorj of log.
65.
EealiBten im Mittelalter, nni-
Tsraalia ante rem, in re 1&2.
Ree, AntOD, Beisp. einer petitio
princip. 469.
Reiohlin-Meldegg, Karl Alex,
von, Standpunkt 72. lieber
Delboeuf 89.
Reid, Thom., 43.
Reiff, J. F., aber Hegel'a Dia-
lektik 60.
BeimarDB, E. 8., Vemunftlehra
46. AnBchltuB Kant'a 49. Be-
jah, n. vem. Urtheil 20S. Prin-
cip des Schliewena 229. Satz
dnr Identität 232. Satz des
'WiderspmohB 261. Parallel, der
Formen hypoth.-kateg. S;l]og.
mit den kategorlBchen 407.
Reimmann, J. F., Oeschicbte der
Logik 16.
Beinhold, Ernst, 61. 53. Ka-
tegorien 136.
Remnsat, Ch. de, estais da phi-
los. 87.
Renoovier, Ch., enais de crit.
gener. Ansohlnes an Kant 87.
Rethor6, F., fiber Condillao 66.
RethwiBch, £., Begriff der De-
finition 169.
Richter, A., Schrift über Me-
lanohthoD 37.
Riehl, A., über F. A. Lange 73,
Die engl, Logik 80. Znr Kanm-
theorie 122, Satz des zureieb.
Grandes 274.
Riemann, B., Hypothesen, die der
Geometrie zu Grunde liegen 365.
367. Zur AprioriSt der Raum-
ansohauung 482.
Rig, Jales, Auszug ausA.Comte
87.
Ritter, Heinr., Standpunkt der
Arist, Log. 27, Logik der Stoi-
ker 82. AnecblnsB au Scbleiemi.
63. 64. ÄriBt. Krit. der piaton.
Ideen lehre falsch beurth. 149.
Erklär, der wesentl. Merkmale
154. Definition des Begriffa 157.
Definition des Urtheils 195.
Robert, L., Condill. theor. log.
43.
Robertson, 0. Gr,, Jevons form,
log. 86.
Bochow, F. Ebb., v., Logik für
Franensiimmer 47.
Rösser, Col., instit. log. 16.
Rokitansky, C, Erschein
weit 116.
Romagnosi, Gian. Dom.,
Bualismns 89.
Roudelet, A., propos, mod
Roorda, F., 89.
Roscelliu, Realist 36.
Rosenkranz, E., Hegel'a S
61. On Hegel'B log. 86.
b«^ffe 163. Schulbeiap. '
S<£lu8sfigDren 331.
Rosenkranz, Wilb., 71.
Rosmiui- Serbati, Ant<
italten, Idealisten 90.
Rnmpel, Th., Phibs. Propft
8.
Saisaet, K., man. de philo
Schaarsohmidt, E., Phil
19. Untersuch, über Plato't
löge 149.
Schad, Job. Bapt., Schule
te's 64.
Schaden, Aug. t., Riohtnn
Schanz, M., Sophisten 32.
Schelling, Fr. W.J. v., D(
n. Sein 2. tJnd seine Schul
Gegner der Logik Hegel'
EinfluM in Polen 93. Staä
Form der Wahrnehm, aubj
obj. 100. Stufenreihe derT
108. Stufengrade d. Indivii
aation 127. Reale Gegenbi)
der Begriffe in den Ideen
Satz der Identität 23S.
Schiel, J-, Dehere. MiU's 82
Schiller, Fr. V., veranl. Goe
Anwendung der Eategor. h
182. Freie Auffassung d. '
Sachen Werk der Bildung
Schleicher, Ang., Darwin
SprachwiBsenachaft 130.
Schleiermacher, Fr. E
Denken und Sein 2. Bez. f
Dialektik zu Schelling 56.
Dialektik 61 ff. Im Selbs
Denken und Sein ideutiBch
ErkcnntnisB des Seina ausse:
Setzung einer Mehrheit beBi
Subjeote 107. Stufenreihi
Weaen 111. Realität v. 1
und Zeit 117. US. Stufen)
der Individualieation 127.
tegorien 135. Sinnl. u. int<
Stute des Begriffs 16G, Erke
des Wesentlichen 159. j
der Definition 173. Tetrac
500
Namen- und Saoh-Register.
mie 188. Yerhältn. von Urtheil
und BegrijBf 188. Definition des
ürtheils 194. Zusammenliang der
Yerhältn. im einfachen ürtheil
201. Bei allen wissensch. Urth.
Zusammenwirk, eines aposter. u.
aprior. Elements 223. Definit.
des Schlusses 226. ürtheil mit
conträr entgegenges. Prädicaten
270. Satz des zureich. Grundes
273. üntersoh. anal. n. synth.
ürth. fliessend 280. Ck>nyersion
283. Beispiel einer ümwendung
297. Syllogismus geringgeschätzt
822. Induction u. Deduction 438.
Analyse und Synthese 477.
Schlottmann, Gonst., Bacon's
Idole 89.
Schmid, AI., üb. Hegel's Log. 60.
Schmidt, R., Grammat. d. Stoiker
82.
Schmitz-Dumont, O.^Zur Raum-
theorie 122. Satz des zureich.
Grundes 274.
Schnippel, E., Sophisten 22.
Schnitzer, Systeme der Logik in
Deutschland u. England 16. 82.
Schoemann, G. F., Redetheile
nach den Alten 180.
Scholastiker, üntersch. der log.
natur., scholast. doc. und schol.
utens. 8. Logik derselb 84 ff.
Tiedemann's Begriffsbest. der
Scholastik 164. Strenge und
Schärfe ihrer Syllog. 820. Fi-
guren 841.
Schopenhauer, Arth., Ansicht
über üntersch. der 1. u. 2. Aufl.
der Kritik der reinen Vernunft
49. Stufenreihe der Wesen 111.
Negirt Real. v. Raum u. Zeit 116.
Satz des zureichenden Grundes
278. Geometrie soll ihre Beweise
auf den Seinsgrund basiren 459.
Schottische Schule 48.
Schulze, G. E.,.61. 68.
Schuppe, Wilh., Arist. Kategor.
50. 134. Kant 's form. u. trans-
scend. Logik 61. Standpunkt 73.
Begriff des Individuums 127.
Schwab, Joh. Christ., Schrift
über Stilpo 24.
Seh wegler, Alb., Xoyixoi 29.
Irrthum über Kant's Krit. der
reinen Vernunft, 1. u. 2. A. 49.
Secretan, Gh., recherches de la
möthode 88.
Seneoa, L. Ann., ration. philos.
29. Warnt vor üebermaass in
Disponirübungen 186.
Sengler, J., 70.
Sextus Empiricus 32. Bekämpft
das syllog. Verfahren 820.
Seydel, Rud., 70.
Shyreswood, Wilh., Name der
Modi, Vorgänger von Petrus
Hispanus 398.
Sidgwick, Alfr., Kritik Berg-
mann's 76. üeber Wundt 78.
üeber Read 85.
Siebeck, H., 22.
Sigwart, H. G. W., Logik inBe-
ziehung zur Sprachlehre 51. 68.
Sigwart, Ghr., über Baoon 89.
Standpunkt seiner Logik Me-
thodenlehre 78 ff. Vertheidigung
gegen Bergm. 75. üeber Wundt
78. Zur Ranmtheorie 122. Be-
griff d. Individ. .127. Kategor.
186.' Begriffsbildung 168. Arten
der Definition 175. Systemat.
184. Lehre vom ürtheil vor Be-
griffslehre 188. Definit. des Ür-
theils 196. Vertheidgt seine An-
sicht gegen Wundt 196. Einth.
der ürtheile 202. Verl^ltn. der
hypothetischen u. kategor. ür-
theile 206. Plurale, copulative
ürtheile 216. Definition des
Schlusses 227. Satz der Identität
238. Berichtigt Wundt's Miss-
verständn. 284. Satz des Wider-
spruchs 268. Satz des ausgeschl.
Dritten 264. Satz des zureich.
Grundes 274. Analyt. u. synth.
ürtheile 281. Widerlegt Wundt's
Missverst. 282. Quantifioir. des
Prädic. 899. Sieht den sogen,
gemischten hypoth. Schluss als
allgemeinstes Schema alles Fol-
gens an 403. Disj. Schluss beruht
auf k. eigentlichen Princip 412.
Wahrscheinlichkeitslehre 444.
Hypothese 468. Beweis 462.
Beweisfehler 472.
Simon, Gollyns, Hamilton vers.
MiU 82.
Simon, Jules, man. de phil. 87.
Skeptiker, die Alten 32. ünzu-
verläss. d. sinnl. Wahmehm. 98.
Kategorien 132. Ihre Eintheil.
der Leidenschaften zu weit 186.
Satz des Widerspruchs 249. Be-
kämpfen das syllog. Verfahr. 320.
Sloman, H., Hegel'sLog. übers. 60.
Sniadecki, Andr.^ für Kant 98.
Namen- and Sach-Register.
Sniadecki, Job., gegen Eant*8
Idealismus 93.
Sokrates 21. 22. Werth des Be-
griffs 149. Satz des Widerspr.
245. Zuerst method. Gebrauch
der Induction 428.
Sopbisten 21.
Spalding, Will., Quantific. des
Prädicats 399.
Spanien 92.
Spaventa, Bertrando, Anbän-
ger Hegers 91.
Spencer, H., Induct. Logik 79.
ÜeberMill, s. eigen. Standp. 82.
Speusipp, Plato's Nacbf olger in
der Akademie 26.
Spinoza, B., 42. Individ. 126.
Kategor. 134. Irrtbümer syntb.
gebild. Definitionen 172.
Spring, A. Fr., Artbegriff 162.
Stearns, F. P., old and new
Systems of log. 86.
Stebbing, W., analyt. of Mill. 82.
Steckelmacher, Mor., form. Log.
Kant's 61.
Steinthal, H., missdentet d. Ausdr.
form. Log^k 4. Geschichte der
Spraobwissensch. ISO. Eategor.
135. Analyse u. Synthese immer
in einander 281.
Stewart, Dugald 43.
Stilpo 23.
Stirling, J. H., über Hamilt. 88.
Stöckl, A., 78.
Stoiker 82. Kriterium der (pav-
jaala MCTalfjjmxri 98. Begriffe
subject. Gebilde der Seele 152.
ürtheilslebre 200. ürtheile mit
conträr entgegenges. Prädic. 270.
Yemaohlässigen die Bezieh, des
Mittelbegriffs auf die reale Ur-
sache 320. Erörtern mit Vor-
liebe die hypothet. Syllogismen
402. Aendem die Terminologie
der hypoth.-kateg. Syllog. 406.
Paralogismen rj yrj tnxcuou 421.
Stoy, K. V., Herbartianer 53.
Strümpell, Ludw., Herbartianer
52. 58.
Struve, J. V., Logik in Polen 92.
Sein eigener Standpunkt 94.
Suarez, Fr., Satz des zureichend.
Grundes 271.
Sybel, Heinr. v., Gesetze des
histor. Wissens 482.
Syrbius, J. J., Gesch. d. Log. 15.
Szaniawski, Jos., Kantianer 93.
T.
Taine, H., posit. angl. 82
schluss an Condillac u.
enffl. Log. 88. Definit. d.
liehen Charakters 155.
Tandel, A., cours de log. !
Tannery, Art. inRev. ph
Tauschinski, Hippoly
griffslehre 156.
Te^ge, A., Arist. Log. 30
Telesius, B., 37.
TertuUian 33. Fehlschlu ,
auf einer quatemio tern i
ruht 420.
T hanner. Schule Schellin
Thaulow, G., HegePs Seh
Theophrast 30. Gonvers: i
allgemein vernein, ürthei
Fi^ren der einfachen ki i
Syllogismen 839. 340. Mo
des Syllogismus 395. Theo i
hypothetischen Schlüsse 40 .
Hypothet. - kategor. Syllo]
405. Disjunctive Schlüsc
Gebrauch des Namens ib
489
Thieie, Günther 78.
Thomas v. Aquino, ars i
i. e. ration. scient. 29. ] i
86. Thomisten Stellung s
des Widerspruchs 249.
Sätze absolut gewiss 278.
Thomasius, Christ., pral
Logik 46.
Thomasius, Jac, Satz d
reichenden Grundes 271.
Thomson, Will., form. Lc
Quantific. des Prädicats 8;
Standpunkt 84.
Thurot, Ch., Arist 29. I
Hispanus 36. 393.
Tiberghien, H., Anhänger
se's 55. 89. Bekämpft di
sieht, dass die Gewisshei
mathem. Sätze mit empii
Sprung der Baumvorstellunj
träglich 366.
Tiedemann, D., stoische I
82. Begriffsbest. der Scho
154.
Tieftrunk, J. H., Kant's S
51. 52.
Tissot, J., essai de log. ob,
Tocco, Feiice, Anthropol.,
1er Spaventa's 91.
Tomaseo, Nie., überRosmi
Tongiorgi, Institut, philos
Trendelenburg, Ad., Standpkt.
der arist. Log. 27. Elem. log.
Arist., Gesch. der Eategorl. 29.
80. Zu Leibniz' Log. 45. Geg-
ner He^ePs 60. Standpunkt 68.
65. Einfluss in N.-Amerika 85.
109. Stufenreihe der Wesen 112.
Eategorienlehre 182. 135. All-
gemeine Vorstellungen 146. De-
finition des BegrifS 157. Art-
l>egriffl63. EintheilungsregellSS.
Definition des Urtheils 195. Prä-
dicat in der Logik 200. ürtheil
des Inhalts und des ümfangs
201. Log. Negation wurzelt im
Denken 209. Sprachgebr. unter-
scheidet Möglichkeit als Object
V. subj. Ungewissheit 210. Quan-
tific. des Prädicats 219. Definit.
des Schlusses 225. Satz des
Widerspruchs und der Bewegung
242. Aristoteles darüber 249.
Hegel verwechselt log. Negation
und reale Opposition 252. 269.
üntersch. analyt. u. synthet. Ur-
theile relat. 281. Conversion 283.
Umwandlung der Relation 306.
Erit. der Syllogistik Hegel's 322.
Werth der Syllog. 323 ff. Recht-
fert. Arist. Einth. de;r Schlussfig.
332 ff. Verwirft vierte u. gewisse
Idodi der dritten Figur 345.
Sphärenverhältnisse beim Schluss
347. Erster Modus der ersten
Figur 359. Beisp. zu Baroco
378. Lehre von der Quantific
des Prädicats erläutert u. wider-
legt 399. Moderne Sophismen
422. Gegensatz zwischen In-
duction und analytischem Ver-
fahren 480. Frage, ob die noth-
wendig. Urtheile der Geometrie
aus Induct. das geworden sind,
was sie sind 433. Werth der
Analogie 440. Die Hypothese
457. Urth. über Euklid 459.
Problem des Beweises für das
Dasein Gottes 461. Bedeutung
des indirecten Beweises 462.
Analyse und Synthese 477. Ca-
pit de invent. in alt. Log. 481.
Systeme der Anordnung u. Syst.
der Entwickelung 484.
Trentowski, poln. Hegelianer
in Freiburg, 93.
Troxler, Ign. P. D., Schule
Schelling's 55.
Tsohirnhausen, W. v., Medicina
ment. 46. Beweis 459.
Turbiglio, Pemp. de la log. 92.
'twesten, A., 51.58. ed. Schleier-
macher Ethik, 160. Definit. des
Urtheils 193. Log. Urth. Sub-
sumt. 202. Unmöglichkeit der
Gontraposition des partic. bejah.
Urtheils 305. Dilemma 409.
U.
Ueberweg, Fr., de priore et
posteriore forma Eant. Erit. 49.
Abhandl. über Idealismus, Realis-
mus etc. 59. 488. Uebereinst.
mit Trendelenburg 66. Ueber
Delboeuf 89. Schriften z. Lehre
von der Realität von Raum und
Zeit 120. Untersuchungen über
Plato's Dialoge 149. Principien
der Geometrie 365. Methodolog.
Bemerkungen in seinen piaton.
Untersuchungen 482. Abhandl.
über den Begriff der Philos. 485.
Ulber, F. G., 91.
Ulrici, Herm., das product. (syn-
thet.) und das üntersch. (analyt.)
Denken 4. Formale Richtigkeit
des Schlusses 6. Gegner d. Log.
Hegel's 60. Eritik George's 64.
Standpunkt 68 ff. Ueber Rabus
71. Ueber Reichlin-Meldegg 72.
Ueber W. Luthe 72. Ueber
Schuppe 78. Ueber Sigwart74.
Gegen Bergmann 75. Eritik
MilPs 82. Ueber Hamilton 88.
Ueber Boole 84. Begriff der
Allgemeinheit als Eategorie des
üntersch. Denkens 155. Urtheil
Subsumt. des Besonderen unter
seine Allgemeinheit 194. Log.
Urtheil, Subsumtion 202. Satz
des ausgeschlossenen Dritten 255.
U p h u e s, Definition des Satzes nach
Plato 192.
T.
Vacherot, E., metaph. et science
87.
V a 1 g i u s , i7Ti;[€{Qrifia übersetzt
aggressio nach Quintil. 417.
Valla, Laurent., 87. Hat arist.
scholast. Lehre von der Modalit.
der Urtheile verworfen 218.
Vanini, Luc, 37.
Veitch, J.; mem. of Hamilton 83.
Namen- und Sach-Register.
Venn, J., über Sigwart 76. Dif-
ficolties of material logio 80.
Boole's log. syst. 84. lieber Bead
85. Symbol, log., Quantific. des
Pradicats 899.
Vera, A., Plato, Arist., Hegel,
Mittelbegr. 80. Hegel's Logik
übers. 60. Art. im Journ. of
speo. philos. 86. 91.
Villaume, P., prakt. Logik 46.
Virchow, Rud., Atome und In-
dividuen 126. Zulässigkeit der
Ansicht Darwin's gegen Yolger
454.
Yives, Lud., 87. Hat arist.-8choL
Lehre von der Modalität des
Urtheils verworfen 213.
Yolger, Hypothese vom ewigen
Kreislauf auf der Erde 458. 454.
Yolkelt,- J., Kant zur unbew.
Logik 51.
Volkmann, W. F., 106.
Vorländer, Franz, Anschluss
an Schleiermacher 68. 64 Mög-
lichkeit von Falschem aus durch
formal richtige Ableitung, auf
Wahres zu stossen als Beweis
der Mangelhaft, des Syllog. 445.
Yossius, G. J., Gesch. d. Log. 15.
W.
Wad ding ton, S. Gh., Ramus 87.
Essais de log. 87. Kritik der
Lehre von der Quantific. des
Pradicats 899. .
Waffner, Joh. Jac, Schule
Schelling's 55.
Waitz, Th., Arist. Organen 28.
Herbartianer 58. to Swutov, t6
ivSsxofA^vov bei Aristot. 211.
Schlussfig. 889.
Walch, J. G., Gesch. d. Log. 15.
W a 1 1 ä c e , W., Hegel's Log. über-
setzt 60.
Wallon, J., Hegel's Log. übers.
60.
Ward, W. G., Kritik Mill's 82.
Watson, Joh., Empir. and com-
mon log. 86.
Watt, Is., Nachfolger Locke's 48.
Wegner, G., Gesch. d. Logik 15.
Weinholtz, G., Arist. Log. 80.
Weisse, Christ., Philos. Sedeut.
d. Grundsatzes der Identität 288.
245. Führt Kreise als Hülfs-
mittel der Beweisführung in der
Schlusslehre ein 288.
Weissenborn, G., Hegel's
61.
Weisshaupt, 0., Sokratesi
hältniss zur Sophfstik 22.
Weisz, Jos., Italien. Phil
Wentzke, J. A., Arist. Kt
80. Compend. der Psycl
Logik 78.
Werber, W. J. A., Anl
Troxler's 55.
Werder, K.. Hegel's Schul
W h a t e 1 y , Erzbischof , eh
logic 88.
Whewell, W., Induct. Lc
81. Induotion 425. Indui
fehler 484.
Wickenhagen, Ernst,
bei Kant 51.
Wigand, Alb., Artbegrif
Hypothese bei Darwin 45i
Wight , W., philos. of Hamili
Windelband, M., über Si
74.
Winkel, L. A. te, über Rooi
Wirth, J. W., das System
Witte, Joh., Krit. Schupp
Wolff, Christian, transsce
Wahrheit 5. 44 ff. Seine G
46. Kategor. 184. Klar
deutl. Vorstellung 136.
abstracta univerwlis 188.
dividualbegriff 165. Defi
der Wahrheit 171. Artei
Definition 178. Definitio:
Urtheils 192. Bejah, u. ve
Urtheil 208. a priori, a posi
222. Definit. des Schlüsse
Principien des Schliessens
Satz der Identität 232.
d. Widerspruchs 250. 262.
aus demselben den Sats
Grundes ab 272. Forme
unmittelbaren Schlüsse 27i
griff des Axioms 278. F
lismus B. Syllogistik 321
guren der einfadien kateg
logismen , bevorzugt die
842. ex mere negat. etc
Induction 425. Hypothes(
Beweis 461. Analysis und
thesis 477. Ars inveniend
Wolff, Herm., Logik u. Sj
philos. 78. Kategor. 135.
Wolff, Joh., plat. Dial. 26
Wolff, Protagor. 22.
Wundt, Wilh., Standpunkt
Logik 76 ff. Lehre von d.
Sinnesenerg. bestritten 100
■ fi;
604
Namen- ntid Sacb-Register.
Raumtheorie 122. HatSigwart's
Begriffslehre miBs verst. 169. Bild-
lichkeit seiner Definit. der Em-
pfind. 179. Definition des Ur-
theils 196. Einth. der ürtheile
20S. Ansicht über das hypoth.
ürtbeil 206. Mehrheitsortheile
216. Definitioh des Schlusses,
unterschied von Sigwart 228.
Gegen Si^art's Auffassung vom
Satz des Widerspruchs 254. Satz
des ausgescbl. Dritten 265. Satz
des zureichenden Grundes 274.
Analyt. u. synth. Ürtheil^ Kritik
Kant's, Schleierm.'s, Sigwart's
282. Syllogismen aus hypöthet.
Prämissen 408. Disj. Syllogism.
413. Wahrscheinliohkeitsl. 444.
Hypothese 458.
Wuttke, Ad., 17.
Xenokrates, der Akademiker, 26.
Xenophanes« der Eleat, 18. 19.
Xenophon,' inenw/Hv 428.
Zelle, Fr., Logik bei Arist. und
Kant 30. 51.
Zeller, Ed., Standpunkt der arist.
Logüc 27. BildUchkeit der Ug.
Bestimmungen bei H^^el 58.
fincißttffig dg aXlo yivog bei
Arist. 469.
Zeno, der Eleat 18. 21. Beweis-
fehler im Achilles v. der Schild-
kröte 470. 471.
Zeno, der Stoiker 31. Bildlichk.
in der Definit. des na&og 178.
Ziegler, Theob., Lehrbuch der
Logik 79.
Ziemiecka, Eleonore, kaüiol.
Philos. in Polen 94.
Zimmermann, Rob., Herbartia-
ner 53.
t»
. ^ THK
r^.:.:V-}^RSiTY,^
n\
Druckfehler und ZosAtse.
S. 73
}>
»
>»
S. 89 lies Chr. Sigwart statt K. S.
S. 88 „ Em. Naville „ Em. N.
S. 41 noch zu erwähnen: Ed. Grimm, Descartes' Lehre von den
angebom. Ideen. Jena 1873.
B. Erdmann, log. Studien. Art. l. in
d.yierteljahrs8chr. f. wissensch. Philos.
1882. Hft. 1.
von Stöckl erschien jetzt die 5. Aufl.
y. Brochard, la logique de St MilL
2 art. in Rev. philos. 1881. Nr. 11 u. 12.
W. Maurenbrecher, über die Ob-
jectivität des Historikers, im Histor.
Taschenbuch. F. 6. Bd. 1. 1882.
S.
S.
73
82
S. 482
»>
»»
»»
n
n
»>
n
>»
»I
Ünivenit&to-Bnohdmokerel Ton Oarl Oeorgl In Bonn«
R
T
RETURN TO UL^ circulation desk of any
University of California Library
or to the
NORTHERN REGIONAL LIBRARY FACILITY
Bidg. 400, RIchmond Fleld Station
University of California
RIchmond, CA 94804-4698
ALL BOOKS MAY BE RECALLED AFTER 7 DAYS
2-month loans may be renewed by calling
(510)642-6753
l-year loans may be recharged by bringing t)ooks
to NRLF
Renewals and recharges may be made 4 days
prior to due date
DUE AS STAMPED BELOW
1
SEP 0 8 1993
41
SEP 0 1 1994
—
OCT 0 5 1995
—
—
F
I