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Full text of "System der Logik und Geschichte der logischen Lehren"

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^ 


LIBRARY 


OF  THE 


UNIVERSITY  OF  CALIFORNIA. 

%eceived        J  U  N  2 3  1 892      .189 
iAccessions  No.  -K^o/Ze)   .  Class  No. 


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SYSTEM 


DER 


LOGIK 


XJKD 


eSSCHIGHTE  DER  LOGISCHEN  LEHREN. 


TON 


DB.  FBIEDBICH  ÜEBEBWEG, 

WBIL.     FBOVBSaOB    DBB    PHILOflOPHIS    AH     DBB     ÜBIYBBSITIT     KU    KÖBIQWBBBO. 


Fünfte,  verbesserte,  yemehrte  und  mit  einem  Namen-  nnd 

Sneh-Reg^ister  yerseliene  Anflage, 

bearbeitet  imd  hemugegeben 
▼on 

Jürgen  Bona  Meyer, 

ordentl.  Profeeeor  der  Philosophie  an  der  Univereltit  Bonn. 
KiJ^   0?  THP.        M.    \ 


BONN, 

BEI  ADOLPH  MARCUS. 
1882. 


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aaviis  £aiXQaTOvg,  rijg  «f^  alfi&iCag  noXv  fjialXoVj 
iav  fjiiv  Tf  vfiiv  doxoi  älriB-kc  XiyeiVf  ^wofxolo/rj' 
aoTSy  ti  Sk  fifi,  nttVTl  X6y(p  aviiJ^CvaiB» 

Socratea  apud  PUUonem. 


Tovrtjv  ik  ra  fikv  noJJiai  xtä  nalouol  Xiyovaiv, 

TovTüiv  €vXoyov  SiafxttQriavuv  rolg  oXois,  aXX^  ^v  yi 
Ti  ^  xal  ta  nXiiata  xaroQ&ouy, 

ArisMdes, 


Intelligfitur,  quod  ars  illa^  quae  dividit  genera 
in  species  et  species  in  genera  resolvit,  quae  <fut- 
XiXTixri  dicitur,  non  ab  humanis  machinationibos 
Bit  facta,  sed  in  natura  reram  ab  auctore  omnium 
artium,  quae  vere  artes  sunt,  oondita  et  a  sapien- 
tibus  inventa  et  ad  utilitatem  solerti  reram  inda- 
gine  usitata. 

Johannes  Scoius  (Erigena), 

Nam  normae  illae:  experientia,  principia,  intel- 
lectns  consequentiae,  sunt  revera  vox  divina. 


Dm  Recht  der  Uebereelsoaf  tot  Torbehallen. 


Yorwort  des  Heransgebers. 


Dem  Wunsche  des  Verlegers  dieses  Buches,  auch  die 
Herausgabe  der  5.  Auflage  desselben  zu  ttbemehmen,  bin  ich 
gern  gefolgt,  da  es  mir  für  das  Studium  der  Logik  nützlich 
erscheint,  das  Werk  des  leider  zu  früh  rerstorbenen  Ver- 
fassers auf  dem  Büchermärkte  käuflich  zu  erhalten.  Die 
letzte  Zeit  hat  manches  Buch  der  Logik  gebracht,  das  neue 
Bahnen  der  Betrachtung  einschlägt  und  gerade  in  diesem 
Fortschritt  volle  Beachtung  rerdient,  aber  keines  dieser  Bücher 
ist  so  reich  an  „historisch-literarischen  Mittheilungen  und 
Untersuchungen,  bei  denen  der  Aristotelische  Oesichtspunkt 
der  schuldigen  dankbaren  Rttckbeziehnng  auf  alle  wesentlichen 
Entwickelungsmomente  der  wissenschaftlichen  Wahrheit  der 
leitende  war''.  Nach  diesem  Gesichtspunkt,  den  Ueberweg 
in  der  Vorrede  als  den  seinigen  bezeichnet,  rerdient  sein 
Buch  auch  heute  noch  vor  allen  älteren  und  neueren  Werken 
ttber  Logik  die  vollste  Achtung  und  allseitige  Beachtung,  wenn 
die  philosophische  Arbeit  nicht  auch  auf  diesem  Gebiete  zu 
der  Vereinzelung  führen  soll,  bei  der  ein  Jeder  nur  seine 
Ansicht  darlegt,  sich  nur  auf  sich  selbst  bezieht  oder  allenfalls 
einmal  einen  Gegner  beiläufig  anfahrt,  um  ihn  kurz  abzuweisen, 
auch  wohl  mal  einen  Gleichgesinnten  nennt,  um  die  Genug- 
thnung  ttber  die  Zustimmung  desselben  auszusprechen. 

Dem  ausgesprochenen  Gesichtspunkte  Ueberweg's  ge- 
treu ist  auch  bei  dieser  neuen  Auflage  das  Hauptgewicht  dar- 
auf gelegt,  die  historisch-literarische  Seite  des  Buches  dem 
Stande  neuerer  Arbeiten  entsprechend  zu  erweitem.  Es  ist 
mit  thunlichst  weiter  Umsicht  in  den  betreffenden  Paragraphen 
Alles  beachtet  worden,  was  seit  Ueberweg 's  Tode  auf  dem 


rV  Vorwort  des  Herausgebers. 

(resammtgebiete  und  den  YeTscbiedenen  Einzelgebieten  der 
Logik  gearbeitet  ist.  Jeder  Knndige  wird  diese  Zusätze  schon 
aus  dieser  Zeitbestimmung  leicht  erkennen.  Dieselben  durch- 
ziehen an  den  Hauptpunkten  das  ganze  Buch,  treten  aber 
ganz  besonders  natürlich  wieder  bei  der  Geschichte  der  Logik 
in  den  §§  34  und  35  hervor.  Alle  Zusätze  zusammen  haben 
das  Buch  um  51  Seiten  im  kleinen  Druck  erweitert. 

Bei  diesen  Zusätzen,  sofern  sie  über  die  Ansichten  neuerer 
Logiker  berichten,  erschien  es  um  der  Objectivität  willen 
gerathen,  diese  Logiker  so  weit  irgend  möglich  mit  ihren 
eigenen  Worten  reden  zu  lassen,  sich  aber  der  Beurtheilung 
ihrer  Ansichten  völlig  zu  enthalten,  da  der  Herausgeber  ans 
dem  Geiste  Ueberweg's  heraus  zu  urtheilen  doch  fttgUeh 
nicht  unternehmen  konnte,  durch  Einmischung  eigener  Urtheile 
aber  die  Einheit  des  Buches  nicht  beeinträchtigen  wollte. 
Das  Urtheil  des  Herausgebers  wird  also  nur  in  der  Werth- 
schätzung  zu  Tage  treten,  die  zu  Unterschieden  in  der  Be- 
rücksichtigung der  Ansichten  neuerer  Logiker  geführt  hat. 
Hoffentlich  ist  die  nöthige  Auswähl  hier  im  Sinne  Ueber- 
weg's  richtig  getroffen. 

Die  vorgenommenen  Verbesserungen  betreffen  wesentlich 
die  Genauigkeit  der  Gitate.  Insbesondere  sind  durchweg  die 
aus  dem  Aristoteles  angeführten  Stellen  jetzt  nach  der  grossen 
Berliner  Akademischen  Ausgabe  des  Aristoteles  genau  be- 
zeichnet, wo  es  wichtig  schien  auch  ausgeführt  und  er^uizt, 
einzelne,  wo  sich  L*rthümer  fanden,  auch  berichtigt.  Die  gross 
gedruckte  Substanz  der  Paragraphen  ist  fast  ganz  unverändert 
geblieben. 

Zur  Erleichterung  des  Gebrauches  ist  das  Buch  noch 
um  ein  Namen-  und  Sach-Begister  vermehrt  worden. 

Der  Herausgeber  hofft  durch  alle  diese  Znthaten  das 
Buch  wieder  zu  einem  brauchbaren  Lehrbuch  der  Logik  nach 
dem  neuesten  Stande  dieser  Wissenschaft  gemacht  zu  haben. 

Bonn,  den  25.  November  1881. 

Jürgen  Bona  Meyer. 


Vorrede  des  Verfassers. 


Schleiermacher,  dessen  philosophische  Be- 
deutung nur  zu  oft  neben  der  theologischen  übersehen 
zu  werden  scheint,  hat  in  seinen  Vorlesungen  über 
die  ^Dialektik'  (herausg,  von  Jonas,  Berlin  1839) 
die  Formen  des  Denkens  aus  dem  Wissen  als  dem 
Zwecke  des  Denkens  zu  begreifen  und  die  Einsicht 
in  ihren  Parallelismus  mit  den  Formen  der  realen 
Existenz  zu  begründen  versucht.  Diese  Auffassung 
der  Denkformen  hält  die  Mitte  zwischen  der  subjec- 
tivistisch-formalen  tmd  der  metaphysischen  liOgik 
und  steht  im  Einklang  mit  der  logischen  Grundan- 
sicht des  Aristoteles.  Die  subjectivistisch- formale 
Logik,  vornehmlich  von  der  Kantischen  und  Her- 
bart'sehen  Schule  vertreten,  setzt  die  Formen  des 
Denkens  zu  den  Formen  des  Seins  ausser  Beziehung ; 
die  metaphysische  Logik  dagegen,  wie  Hegel  sie  ge- 
schaffen hat,  identificirt  beiderlei  Formen  und  glaubt 
in  der  Selbstbewegung  des  reinen  Gedankens  zugleich 
die  Selbsterzeugung  des  Seins  erkannt  zu  haben. 
Aristoteles,  gleich  fern  von  beiden  Extremen,  sieht 
in  dem  Denken  das  Abbild  des  Seins,  ein  Abbild, 
welches  von  seinem  realen  Correlate  verschieden  ist, 
ohne  doch  zu  ihm  ausser  Beziehung  zu  stehen,  und 
demselben  entspricht,  ohne  mit  ihm  identisch  zu  sein. 

In  engerem  Anschluss  an  Schleiermacher  haben 
namentlich  Ritter  und  Vorländer  (später  auch 
Leop.  George)  die  Logik  bearbeitet;  mehr  oder 
minder  liegen  in   der   gleichen  Richtung  auch  die 


VI  Vorrede  des  Verfassers. 

erkenntnisstheoretischen  Untersuchungen  der  meisten 
unter  den  neueren  Logikern,  die  nicht  einer  bestimm- 
ten Schule  zugethan  sind.  So  berührt  sich  nament- 
lich Trendelenburg,  indem  er  die  echte  Aristo- 
telische Logik  erneut,  eben  darum  auch  vielfach 
mit  Schleiermacher's  Platonisirender  Erkenntniss- 
lehre, wiewohl  ohne  Abhängigkeit  von  dem  letz- 
teren *)  und  auf  einer  in  der  Polemik  gegen  Hegel 
und  Herbart  selbständig  errungenen  Basis  metaphy- 
sischer Kategorien;  eine  entferntere  Verwandtschaft 
zeigt  u.  A.  die  der  Kantischen  sich  wiederum  an- 
nähernde Ansicht  Lotze's,  wonach  in  den  Formen 
und  Gesetzen  des  Denkens  nur  die  nothwendigen 
metaphysischen  Voraussetzungen  des  menschlichen 
Geistes  über  die  Natur  und  den  Zusammenhang 
der  Dinge  sich  wiederspiegeln ;  von  Schleiermacher's 
Grundsätzen  ist  in  wesentlichen  Beziehungen,  na- 
mentlich was  das  Verhältniss  des  Denkens  zur 
Wahrnehmung  imd  der  Wahrnehmung  zum  Sein 
betrifft,  auch  Beneke  ausgegangen,  um  dieselben 
darnach  mit  seiner  theilweise  im  Anschluss  an  Her- 
bart ausgebildeten  psychologischen  Theorie  zu  einem 
neuen  Ganzen  zu  verschmelzen. 

In  der  durch  die  Leistungen  dieser  Männer  be- 
zeichneten Richtung,  jedoch  unter  Wahrung  des  Rech- 
tes voller  Selbständigkeit  in  der  Art  der  Durch- 
führung, bewegt  sich  die  vorliegende  Bearbeitung 
der  Logik.  Dieselbe  setzt  sich  sowohl  die  wissen- 
schaftliche Aufgabe  einer  Mitarbeit  an  der  Fort- 

*)  Wenigstens  ohne  ein  unmittelbares  Abh&ngrigkeitsverhältniss ; 
Schleiermaoher'B  1889  veröfifentlichte  Vorlesungen  über  die  Dialektik 
sind  von  ihm  nur  sporadisch  berüoksichtigt  worden.  Doch  soheint  sich 
namentlich  in  der  Lehre  vom  Begriff  und  vom  Urtheil  ein  Einfluss 
der  Ritter'schen  Logik  zu  bekunden. 


Vorrede  des  Verfassers.  VII 

bildung  derLogik,  als  auch  die  didaktische  einer 
Einführung  in  das  Studium  derselben. 

In  der  ersten  Beziehung  hofft  der  Verfasser, 
dass  es  ihm  gelungen  sein  möge,  in  der  vorliegenden 
Schrift  zur  Lösung  sowohl  der  Principienfragen  über 
die  Aufgabe,  Begrenzung  und  Anordnung  der  Logik 
und  über  die  erkenntnisstheoretischen  Standpunkte, 
als  auch  mancher  einzelnen  Probleme  einen  nicht 
werthlosen  Beitrag  zu  liefern.  Polemik  ist  zwar  über- 
all, wo  die  Sache  es  zu  erfordern  schien,  in  aller 
Schärfe  ohne  Rückhalt,  aber  doch  namentlich  wohl 
nur  gegen  solche  geübt  worden,  von  welchen  ich 
mit  Wahrheit  sagen  j^ann:  Verecunde  ab  illis  dis- 
sentio'.  Dass  das  einzige  Interesse,  welches  mich  in 
jedem  Falle  zur  Zustimmung  oder  zum  Widerspruch 
bestimmte,  das  der  Wahrheit  war,  wird  nicht  erst 
der  Versicherung  bedürfen,  sondern  für  den  unbe- 
fangenen Beurtheiler  aus  dem  Werke  selbst  hervor- 
gehen. Auch  ich  werde  meinerseits  jede  auf  die 
Sache  gründUch  eingehende  Bekämpfung  nicht  min- 
der,  als  Zustimmung  willkommen  heissen,  und  nur 
das  Eine  möchte  ich  nicht,  dass  das  auf  der  Aristo- 
telischen Grundlage  selbständig  durchgeführte  Werk 
mit  der  Subsumtion  unter  diese  oder  jene  allgemeine 
Bubrik,  wie  z.  B.  Empirismus  oder  Rationalismus 
oder  Eklekticismus  abgethan  werdc;  worin  die  Un- 
wahrheit liegen  würde,  dasselbe  für  die  blosse  Ex- 
position irgend  eines  einseitigen  und  veralteten  Par- 
teistandpunktes zu  erklären,  oder,  da  es  zu  den 
sämmtlichen  philosophischen  Richtungen  in  wesent- 
lichen Beziehungen  steht,  mit  Verkennung  des  lei- 
tenden Grundgedankens  der  Principlosigkeit  zu  be- 
schuldigen« 


VIII  Vorrede  des  Verfassers. 

Als  einen  durchgeführten  Versuch  einer  objec- 
tivistischen  Erkenntnisslehre  im  Gegensatz  zu  K  a  n  t's 
subjectivislischer  Vemunftkritik  möchte  ich  das  vor- 
liegende Werk  insbesondere  auch  der  Beachtung 
der  Naturforscher  empfohlen  haben;  specielleren 
Darstellungen  der  Methodik  kann  es  zur  philoso- 
phischen Basis  dienen.  Der  Kern  meines  Gegen- 
satzes gegen  Kant  liegt  in  dem  durchgeführten 
Nachweis,  wie  die  wissenschaftliche  Einsicht,  welche 
die  blosse  Erfahrung  in  ihrer  Unmittelbarkeit  noch 
nicht  gewährt,  nicht  mittelst  aprioristischer  Formen 
von  rein  subjectivem  Ursprung,  die  nur  auf  die  im 
Bewusstsein  des  Subjects  vorhandenen  Erscheinimgs- 
objecte  Anwendung  finden,  gewonnen  wird  (auch 
nicht,  wie  Hegel  und  Andere  wollen,  a  priori  und 
doch  mit  objectiver  Gültigkeit),  sondern  durch  die 
Combination  der  Erfahrungsthatsachen  nach  logi- 
schen, durch  die  objective  Ordnung  der  Dinge  selbst 
mitbedingten  Normen,  deren  Befolgung  unserer  Er- 
kenntniss  eine  objective  Gültigkeit  sichert.  Ich  suche 
zu  zeigen,  wie  insbesondere  die  räumlich-zeitliche 
und  causale  Ordnung,  auf  deren  Erkenntniss  die 
Apodikticität  beruht,  nicht  erst  von  dem  anschauen- 
den und  denkenden  Subjecte  in  einen  chaotisch  ge- 
gebenen Stoff  hineingetragen,  sondern  in  Ueber- 
einstimmung  mit  der  (natürlichen  und  geistigen) 
Realität,  in  der  sie  ursprünglich  ist,  successive  durch 
Erfahrung  und  Denken  von  dem  subjectiven  Be- 
wusstsein nachgebildet  wird. 

In  didaktischer  Hinsicht  war  mein  Streben 
auf  eine  klare,  exacte,  übersichtliche  und  relativ 
vollständige  Darstellung  der  allgemeinen  Logik  als 
Erkenntnisslehre  und  der  Hauptmomente  ihrer  ge- 


Vorrede_de8  Yerfassere.  IX 

schiclitliclien  Entwickelung  gerichtet;  das  allgemein 
Anerkannte  sollte  in  präciser  und  streng  systema- 
tischer Form  wiedergegeben,  das  Zweifelhafte  und 
Streitige  aber  zwar  nicht  mit  monographischer  Aus- 
führlichkeit^ jedoch  mit  zureichender  Erwägung  der 
die  Entscheidung  bedingenden  Momente  genau  er- 
örtert werden.  Eine  systematische  Darstellung  der 
wissenschaftlichen  Logik  muss,  auch  sofern  sie  Neu- 
hinzutretenden als  Lehrbuch  zu  dienen  bestimmt  ist, 
doch  stets  echte  Jünger  der  Wissenschaft  voraus- 
setzen, welche  die  Schwierigkeiten  nicht  zu  umgehen, 
sondern  zu  überwinden  trachten.  Einzelne  Partien 
mögen  immerhin  beim  ersten  Studium  übergangen 
werden;  dieselben  sollen  dem Bedürfniss  derer  ent- 
gegenkommen, die,  mit  den  Elementen  bereits  ver- 
traut, nun  auch  in  die  tieferen  Forschungen  ein- 
geführt werden  möchten.  Die  Beispiele  sollen  die 
Bedeutung  der  logischen  Gesetze  in  den  sämmtlichen 
Wissenschaften  zur  Anwendung  bringen.  Durch  die 
historisch  -  litterarischen  Mittheilungen  und^  Unter- 
suchungen endlich,  bei  denen  der  Aristotelische  Ge- 
sichtspunkt der  schuldigen  dankbaren  Rückbeziehung 
auf  alle  wesentlichen  Entwickelungsmomente  der  wis- 
senschaftlichen Wahrheit  der  leitende  war,  weist  die 
vorliegende  Schrift  über  sich  selbst  hinaus,  um  zu 
möglichst  vielseitigen  logischen  Studien  anzuleiten. 
In  einer  Zeit,  wo  in  anscheinend  praktischem 
Interesse  eine  Mannigfaltigkeit  verschiedenartiger 
Aufgaben  den  Studirenden  in  eine  zerstreuende  Viel- 
thätigkeit  hineinzuziehen  und  ihm  die  Müsse  zu  phi- 
losophischer Vertiefung  zu  rauben  droht,  ist  die 
Beobachtung  um  so  erfreulicher,  dass  der  Sinn  für 
logische  Studien  noch  unerloschen  ist. 


X  Vorrede  des  Verfassers. 

Von  der  Leidenschaftlichkeit,  mit  der  solche 
philosophische  Parteifragen  behandelt  zu  werden  pfle- 
gen, welche  die  Grundlagen  unserer  gegenwärtigen 
politischen  und  kirchlichen  Gemeinschaften  betreffen^ 
sind  [die  logischen  Controversen  unter  allen  am 
wenigsten  tangirt;  die  Unbefangenheit  der  Unter- 
suchung wird  hier  nicht  leicht  getrübt  durch  den  Hin- 
blick auf  gewünschte  oder  unerfreuliche  Resultate; 
in  den  logischen  Problemen  erschliesst  sich  das 
freieste  Gebiet  für  die  erste  philosophische  Gym- 
nastik, und  dieselben  haben  doch  zugleich  ein  hohes 
Interesse  für  den  denkenden  Geist  durch  die  Bedeu- 
tung ihres  Objects  und  durch  ihre  grundlegende  Be- 
ziehung zu  aller  andern  philosophischen  Erkenntniss. 

Mit  lebhaftem  Interesse  bin  ich  den  Bestrebun- 
gen der  Männer  gefolgt,-  welche  für  Neubelebung 
des  *  propädeutisch -philosophischen  Unterrichts  auf 
Gymnasien  in  jüngster  Zeit  eifrig  und  erfolgreich 
gewirkt  haben.  Dieser  Unterricht,  dessen  Haupt- 
object  und  vielleicht  zur  Zeit  einziges  Object  die 
Elemente  der  Logik  bilden  müssen  (denn  kein  an- 
derer Zweig  der  Phüosophie  und  am  wenigsten  die 
Psychologie  besitzt  gegenwärtig  gleich  der  Logik 
einen^  Kreis  von  gesicherten  und  allgemein  aner- 
kannten Theoremen,  wie  solche  für  den  Schulunter- 
richt unbedingt  erforderlich  sind),  liegt  nicht  nur 
im  Interesse  des  Studiums  der  Philosophie,  insbe- 
sondere auf  der  Universität,  sondern  auch  im  In- 
teresse des  Gymnasiums  selbst.  Der  Universitäts- 
vortrag und  die  eigene  Leetüre  muss,  um  rechte 
Frucht  zu  bringen,  die  Kenntniss  der  Elemente  und 
eine  Vertrautheit  mit  denselben,  wie  sie  nur  durch 
schulmässige  Einübung  gewonnen  werden  kann,  vor- 


Vorrede  des  Verfassers.  XI 

aussetzen.  Für  die  Gymnasialstudien  aber  ist  die 
philosophische  Propädeutik  von  Werth  theils  als 
angemessener  Abschluss  der  intellectuellen  Bildung, 
theils  noch  insbesondere  als  ein  unabweisbares  Hülfs- 
mittel  des  deutschen  Unterrichts  (wiewohl  es  zu  dem 
letzteren  Zweck  der  mit  mehrfachen  Unzuträglich- 
keiten verknüpften  Einschiebung  der  Propädeutik 
in  die  deutschen  Stunden  nicht  bedarf). 

Ich  habe  mich  bemüht  in  den  neuen  Auflagen 
dieses  Buches  (die  zweite  ist  1865  die  dritte  1868  er- 
schienen) nicht  nur  durch  eine,  noch  schärfere  Fas- 
sung mancher  Theoreme  und  durch  eine  eingehende 
Berücksichtigung  neu  hervorgetretener  Aporien  den 
wissenschaftlichen  Werth  des  Werkes  zu  erhöhen,  son- 
dern auch  in  der  Art  der  Erläuterungen  und  in  der 
Wahl  der  Beispiele  noch  mehr,  als  es  in  der  ersten 
1857  erschienenen  geschehen  war,  dem  Bedürfniss  der 
Lehrer,  welche  den  propädeutischen  Unterricht  er- 
theilen,  entgegenzukommen,  ebenso  wie  auch  dem 
Bedürfniss  der  Studirenden,  welchen  es  um  eine 
solide  Grundlage  philosophischer  Studien  ernstlich 
zu  thun  ist. 

Der  Männer,  deren  Lehren  von  wesentlichem 
Einfluss  auf  das  vorliegende  Werk  gewesen  sind, 
bleibe  ich  dankend  mit  Anerkennung  und  Achtung 
eingedenk. 

F.  Ueberweg. 


Inhaltsverzeichniss. 


Elnleltmig« 

Begriff,  Eintheilnng  und  allgemeine  Geschiebte  der  Logik. 

Seite 

§    1.    Definition  der  Logik 1 

§    2.    Die  Erkenntnissformen.   Ihre  zweifache  Bedingtheit.   Ihre 

Beziehung  auf  den  Inhalt  der  Erkenntniss    ...  2 

§    8.    Der  Zweck   der   Erkenntnissthätigkeit.      Die   Wahrheit. 

Das  Wissen 4 

§    4.    Die  Möglichkeit  der  Logik  als  Wissenschaft     ...  8 

§    6.    Der  absolute  und  relative  Werth  der  Logik     ...  8 

§    6.    Die  Stellung  der  Logik  im  Systeme  der  Philosophie       .  9 

§    7.    Das  Studium  der  Logik  als  Propädeutik  zu  dem  Studium 

der  übrigen  philosophischen  Disciplinen        ...  12 

§    8.    Eintheilung  der  Logik 13 

§    9.    Der  Werth  der  Geschichte  der  Logik        ...  15 

§  10.    Der  historische  Ursprung  der  Logik  .        .16 

§  11.    Die   Ionischen  Naturphilosophen,   die  Pythagoreer  und 

die  Eleaten 18 

§  12.    Die  Sophisten  und  Sokrates 21 

§  13.    Die  einseitigen  Sokratiker 22 

§  14.    Plato 24 

§  15.    Die  Platoniker 26 

§  16.    Aristoteles 26 

§  17.    Die  Peripatetiker .  30 

§  18.    Die  Epikureer,  Stoiker  und  Skeptiker       .        .        .        .  31 

§  19.    Die  Neuplatoniker 32 

§  20.    Die  Kirchenväter.     Das  Studium   der  Dialektik  in   den 

Schulen  bei  den  Christen,  Arabern,  Juden    ...  33 

§  21.    Die  Scholastiker 34 

§  22.    Das  Beformationszeitalter 36 

§  23.    Baco  von  Yerulam 38 

§  24.    Cartesius 39 


Xiy  Inhaltsverzeiohniss. 

Seite 

§  25.    Spinoza 42 

§  26.    Locke 42 

§  27.    Leibniz  und  Wolff 48 

§  28.    Kant 47 

§  29.  Die  Eantiflche  Schale  and  verwandte  Bichtangen.    Fries. 

Herbart 51 

§  30.    Fichte,  Schelling  und  ihre  Schalen 54 

§  81.    Hegel 56 

§  32.    Die  Hegel'flche  Schale 61 

§  33.    Schleiermacher 61 

§  34.    Die  neuesten  deutschen  Logiker 63 

§  85.  Neuere  Logiker  ausserhalb  Deutschlands  ....  79 


I.  Tbett. 


Die  Wahrnehmung  in  ihrer  Beziehung  zu  der  objectiven  Bäumlichkeit 

und  Zeitlichkeit. 


§  36.    Definition  der  Wahrnehmung 95 

A.    Die  äussere  oder  sinnliche  Wahrnehmung. 

§  87.    Argumente  gegen  die  üebereinstimmung  der   sinnlichen 

Wahrnehmung  mit  der  äusseren  Wirklichkeit       .  97 

§  38.    Die  Unrichtigkeit   der   Eantischen   Treimung   von   Stoff 

und  Form  der  Wahmehmuug 98 

§  39.    Ueber  die  Erkennbarkeit  der  Existenz  von  afficirenden 

Objecten  auf  Grund  der  sinnlichen  Wahrnehmung       .      100 

B.    Die  innere  oder  psychologische  Wahrnehmung. 

§  40.    Die  üebereinstimmung   der  inneren  Wahrnehmung  mit 

der  wahrgenommenen  Bealität 101 

G.    Die  Yerbindung  der  inneren  und  äusseren  Wahrnehmung. 

§  41.  Die  Erkenntniss  der  Mehrheit  beseelter  Wesen  .      106 

§  42.  Die  Erkenntniss  der  Stufenreihe  der  Wesen  .        .       108 

§  48.  üeber  die  Bealität  von  Materie  und  Kraft  .112 

§  44.  üeber  die  Bealität  von  Baum  und  Zeit      .        .  .112 


Inlialtsyerzeicfanias.  XV 

Seite 

D.  ThelL 

Die  Einzelvorstelliing  oder  Anschauung  in  ihrer  Beziehung  eu  der 

objectiyen  Einzelexistenz. 

§  45.  Definition  der  Einzelvorstellung  oder  An- 
schauung      124 

§  46.  Die  Unterscheidung  der  Individuen  vermittelst  der  Ein- 
zelvorstellungen      124 

§  47.  Die  Formen  der  Einzelvorstellung  und  die  Formen  der 
Einzelexistenz.  Die  Kategorien  im  Aristoteli- 
schen Sinne.  Der  Parallelismus  zwischen  den  Formen 
der  Einzelexistenz,  den  Yorstellungsformen  und  den 
Wortarten 128 

§  48.    Die  klare  und  deutliche  Vorstellung        ....        186 

§  49.    Das  Merkmal  und  die  Theilvorstellung   .  186 

§  60.    Der  Inhalt  der  Vorstellung.    Die  Partition  .        186 

m.  ThelL 

Der  Begriff  nach  Inhalt  und  Umfang  in  seiner  Beziehung  zu  dem 
objeotiven  Wesen  (essentia)  und  der  Grattung  (genus). 

§61.    Die  Reflexion  und  Abstraction.  Die  allgemeine  Vorstellung        188 

§  52.    Die  Determination     .        , 140 

§  63.  Der  Umfang.  Die  Division.  Die  Verhältnisse  der  Vor- 
stellungen zu  einander  nach  Umfang  und  Inhalt  140 

§  64.    Das  Verhältniss  zwischen  Inhalt  und  Umfang  144 

§  65.    Die  Stufenordnung  (Pyramide)  der  Vorstellungen  .        .        147 

§  66.    Definition  des  Begriffs.    Das  Wesen       ...        147 

§  57.  Die  Erkenntniss  des  Wesentlichen.  Die  Idee  und  die 
Werthverhältnisse.  Das  Element  a  priori  und  a  poste- 
riori in  der  Begriffsbildung 167 

§  68.    Die  Glasse,   Gattung,   Art  etc.    Ihre  Realität  und  ihre 

Erkennbarkeit 161 

§  69.    Der  Individualbegriff 164 

§  60.    Die  Definition.    Ihre  Elemente:  Gattungsbegriff  und 

spedfische  Differenz 166 

§  61.    Die  Arten  der  Definitionen 169 

§  62.    Die  bemerkenswerthesten  Definitionsfehler  .  176 

§  63.    Die  Eintheilung.    Der  Eintheilungsgrund.    Die  £in- 

theilungsglieder.    Die  Dichotomie.    Trichotomie  etc.  180 

§  64.    Die  Unter-  und  Nebeneintheilung 184 

§  66.    Die  bemerkenswerthesten  Eintheilungsfehler    .        .        .        186 

9  66.    Der  Zusammenhang  der  Begriffsbildung  mit  den  übrigen 

Functionen  des  erkennenden  Denkens  ....        187 


XYI  InhalUyerzeiohniBB. 


IT«  Theo. 


Seite 


Das  ürtheil  in  seiner  Beziehung  zu  den  objeotiven  Grund- 

verhältnissen  oder  Relationen. 

§  67.    Definition  des  ürtheils     .  .        .        .        .        189 

§  68.    Das  einfache  und  das  zusammengesetzte  ürtheil.  Die  ein- 
zelnen Urtheilsverhältnisse  und  ihre  Beziehung  auf  die 
entsprechenden  Exis tenzv erhältnisse.  Die  Kategorien 
der  Relation  im  Eantischen  Sinne               .        .        196 
§  69.    Die  Qualität  und  die  Modalität  der  ürtheile  .        .        207 
§  70.    Die  Quantität 216 

§  71.    Combination  der  Eintheilungen  nach  der  Qualität  und 

Quantität.    Die  vier  ürtheilsformen  a,  e,  i  und  o      .        216 

§  72.  Der  contradictorische  und  der  conträre  Gegensatz  zwi- 
schen zwei  Urtheilen  und  die  Subalternation      .        .        219 

§  73.    Die  Form  und  Materie  der  ürtheile.    Das  A  priori  und 

A  posteriori  in  der  ürtheilsbildung     .        .        .  221 

T.  TheU. 

Der  Schluss  in  seiner  Beziehung  zu  der  objectiven  Gesetzmässigkeit. 

§  74.  Definition  des  Schlusses 224 

§  75.  Die  Prinoipien  des  Schliessens  im  Allgemeinen  229 

§  76.  Der  Grundsatz  der  Identität 230 

§  77.  Der  Grrundsatz  des  Widerspruchs 234 

§  78.  Der  Grundsatz  des  ausgeschlossenen  Dritten  oder  Mitt- 
leren zwischen  zwei  contradictorisch  entgegengesetzten 
urtheilen 264 

§  79.  Zusammenfassung  der  Grundsätze  des  Widerspruchs  und 
des  ausgeschlossenen  Dritten  in  dem  Princip  der  oon- 
tradictorischen  Disjunction 266 

§  80.  Die  Verhältnisse  zwischen  urtheilen  mit  conträr  ent^ 
gegengesetzten  Prädicaten.  Die  dialektische  Opposition. 
Der  Satz  des  zwischen  conträren  Gegensätzen  in  der 
Mitte  liegenden  Dritten.  Der  Satz  der  Vermittlung 
oder  der  Goincidenz  der  Gegensätze     ....        267 

§  81.    Der  Satz  des  (zureichenden)  Grundes       ....        270 

§  82.    Die  Formen  der  unmittelbaren  Schlüsse  überhaupt        275 

§  83.  Die  analytische  ürtheilsbildung  als  Ableitung  eines  ür- 
theils aus  einem  Begriff,  und  die  synthetis<£e  ürtheils- 
bildung   277 

§  84.  Die  Conversion  überhaupt.    Dire  innere  Berechtigung   .  282 

§  85.  Die  CSonversion  des  allgemein  bejahenden  ürtheils         .  284 

§  86.  Die  Conversion  des  particular  bejahenden  ürtheils        .  289 

§  87.  Die  Conversion  des  allgemein  verneinenden  ürtheils      .  291 

§  88.    Die  Unmöglichkeit  der  Conversion  des  particular  ver- 
neinenden ürtheils 296 

§  89.    Die  Contraposition  überhaupt.  Dire  innere  Berechtigung        297 

§  90.    Die  Contraposition  des  allgemein  bejahenden  ürtheils   .        298 


§ 

91. 

§ 

92. 

§ 

98. 

§ 

94. 

§ 

96. 

§ 

96. 

§ 

97. 

§ 

98. 

Inhaltsverzeichniss.  XVII 

Seite 

Die  Oontraposition  des  allgemein  verneinenden  ürtheils        800 

Die  Ck)ntrapo8ition  des  particular  verneinenden  ürtheils        301 

Die  Unmöglichkeit  der  Contraposition   des   particular 
bejahenden  ürtheils 801 

Die  Umwandlung  der  Relation 806 

Die  Subalternation 806 

Die  (qualitative)  Aeqnipollenz 307 

Die  Opposition 808 

Die  modale  Gonsequenz 810 

§    99.    Die  mi^fctelbaren  Schlüsse.    Der  Syllogismus  und 

die  Induction 812 

§  100.  Der  einfache  und  der  zusammengesetzte  Syllogismus. 
Die  Bestandtheile  des  Syllogismus.  Die  Relation  des- 
selben      814 

§  101.    Der  Syllogismus  als  Erkenntnissform.  Seine  Beziehung 

auf  die  reale  Gesetzmässigkeit 816 

§  102.    Der    einfache   kategorische   Syllogismus.     Die   drei 

Termini  desselben 826 

§  103.  Die  drei  Hanptclassen  (Figuren  im  umfassenderen  Sinne) 
oder  vier  Abtheilungen  (Figuren  im  beschränkteren 
Sinne)  der  einfachen  kategorischen  Syllogismen  .        827 

§  104.    Die  verschiedenen  Combinationsformen  der  Prämissen. 

Die  Modi 846 

§  106.  Die  Sphärenvergleichung  als  Kriterium  der  Schluss- 
fähigkeit          847 

§  106.    £x  mere   negativis   nihil   sequitur.    Ausscheidung  der 

Ck)mbinationsformen  e  e.  o  e,  e  o,  o  o  .         .        .        .        348 

§  107.    Ex  mere  particularibus  nihil  sequitur.  Ausscheidung  der 

Ck)mbinationsformen  ii,  oi,  io 861 

§  106.  Die  Gombination  eines  partioularen  Obersatzes  mit  einem 
negativen  Untersatze  ist  nicht  schlussfähig.  Aus- 
scheidung der  Gombinationsform  ie     .        .        .        .        363 

§  109.    Die  erste  Fig^   im  engeren  Sinne,   Ausscheidung  der 

Combinationsformen  i  a,  o  a ;  a  e,  a  o    .        .        .        .        366 

§  110.    Der  erste  Modus  der  ersten  Figur:  Barbara  .        .  868 

§  111.    Die  übrigenModi  der  ersten  Figur:  Celarent,  Darii,  Ferio        869 

§  112.  Die  zweite  Figur,  Ausscheidung  der  Combinations- 
formen i  a,  o  a ;  a  a,  a  i 872 

§  113.    Die  gültigen  Modi  der  zweiten  Figur:  Cesare,  Camestres 

Festino,  Baroco 378 

§  114.  Die  dritte  Figur.  Ausscheidung  der  Combinationsfor- 
men a  e  und  a  o    . ' 379 

§  116.    Die  gültigen  Modi  der  dritten  Figur:  Darapti,  Felapton, 

Disamis,  Datisi,  Booardo,  Ferison         ....        380 

§116.    Die  vierte  Figur.  Ausscheidung  der  Combinationsformen 

oa,  ao;  ai 884 

§  117.  Die  gültigen  Modi  der  vierten  Figur  oder  der  zweiten 
Abtheilung  der  ersten  Fig^r  im  umfassenderen  Sinne : 
Bamalip,  C^alemes,  Dimatis,  Fesapo,  Fresison      .        .        886 


Xyni  Inhalteverzeichniss. 

Seite 
§  118.  Vergleichende  üebenicht  über  die  verschiedenen  Figuren 
und  Modi.  Die  Form  des  Schlusssatzes.  Die  Modi 
Barbari,  Celarent;  Cesaro,  Camestros;  Calemos.  Das 
Werihverhältniss  der  verschiedenen  Formen.  Die  Namen 
der  sämmtlichen  Modi 890 

§  119.    Die  Modalitat  des  Syllogismus 898 

§  120.  Die  Substitution  eines  Begriffs  für  einen  andern  in 
einem  objectiven  oder  attributiven  Verhältniss.  Zu- 
rückführung  der  Syllogismen  aus  zwei  einfachen  kate- 
gorischen üriheilen  auf  das  Substitutionsprincip  896 

§  121.    Die  Syllogismen  aus  subordinirt  zusammengesetzten  und 

insbesondere  aus  hypothetischen  Prämissen  .  399 

§  122.  Vermischte  Schlüsse  aus  einer  hypothetischen  und  einer 
kategorischen  Prämisse  oder  die  vorzugsweise  soge- 
nannten hypothetischen  Syllogismen     ....        404 

§  128.  Vermischte  Schlüsse  mit  coordinirt  zusammengesetzten 
Prämissen  und  insbesondere  mit  einer  disjunctiven 
Prämisse.  Das  Dilemma,  Trilemma,  Polylemma,  oder 
der  sogenannte  Syllogismus  comutus    ....        406 

§  124.    Zusammengesetzte  Schlüsse.  Die  Schlusskette.  Der 

Prosyllogismus  und  Episyllogismus       ....        418 

§  125.  Einfache  und  zusammengesetzte  Schlüsse  mit  verkürz- 
tem Ausdruck.  Das  Enthymem.  Das  Epicherem.  Der 
Eettensohluss  oder  Sorites 415 

§  126.    Die  Paralogismen  und  Sophismen 418 

§  127.    Die  Induction  überhaupt 422 

§  128.    Die  voUslÄndige  Induction 426 

§  129.    Die  unvollständige  Induction 427 

§  180.  Die  bemerkenswerthesten  Inductionsfehler     .                .  488 

§  131.    Der  Schluss  der  Analogie 484 

§  132.  Die  Bestimmung  des  Wahrscheinlichkeitsgrades  442 

§  188.    Die  materiale  Wahrheit  der  Prämissen  und  des 

Schlusssatzes 444 

§  184.  Die  Hypothese 446 

§  135.  Der  Beweis 458 

§  186.  Die  Widerlegung.    Die  Untersuchung.    Das  Problem  .  462 

§  187.  Die  bemerkenswerthesten  Beweisfehler  ....  464 


Tl.  ThelL 

Das  System  in  seiner  Beziehung  zu  der  Ordnung  der  objectiven  Totalität. 

§  188.  Definition  des  Systems.  Das  Denkgesetz  der  Totalität  478 

§  139.  Das  Princip.    Die  Analysis  und  Synthesis      .  474 

§  140.  Die  analytische  (oder  regressive)  Methode      .        .  478 

§  141.  Die  synthetische  (oder  constructive)  Methode        .        .  483 


Einleitung. 

Betriff,  EiBtheilmig  und  allgemeine  GeBehiehte  der  Logik. 


§  1.  Die  Logik  ist  die  Wissenschaft  von  den 
normativen  Gesetzen  der  menschlichen  Erkennt- 
nifis.  Das  Erkennen  ist  die  Thätigkeit  des  Geistes,  vermöge 
deren  er  mit  Bewasstsein  die  Wirklichkeit  in  sich  reproducirt. 
Es  ist  theils  unmittelbares  Erkennen  oder  äussere  und  innere 
Wahrnehmung,  theils  mittelbares  oder  denkendes  Erkennen. 
Die  auf  mittelbares  Erkennen  abzielende  Geistesthätigkeit  ist 
das  Denken.  Die  normativen  Gesetze  (Gebote,  Vorschriften) 
sind  diejenigen  allgemeinen  Bestimmungen,  denen  die  Erkennt- 
nissthätigkeit  sich  um  der  Erreichung  des  Erkenntnisszweckes 
willen  unterwerfen  muss. 

Die  Logik  als  Erkenntnisslehre  hält  die  Mitte  zwischen 
der  gewöhnlich  sogenannten  formalen,  oder  bestimmter:  subjecti- 
▼istisch-formalen  Logik,  welche  das  Denken  mit  Abstraction  von 
seiner  Beziehung  auf  das  zu  erkennende  (objective)  Sein  betrachtet,  und 
der  mit  der  Metaphysik  identificirten  Logik,  welche  mit  den 
Gesetzen  des  Erkennens  zugleich  den  allgemeinsten  (metaphysischen  oder 
ontologischen)  Inhalt  aller  Erkenntniss  darstellen  will.  Das  Nähere 
hierüber  und  namentlich  die  Rechtfertigung  dieser  Mittelstellung  s.  un- 
ten bei  §§  3  und  6  und  in  dem  Ueberblick  über  die  allgemeine  Ge- 
schichte der  Logik  besonders  §§  28—35.  —  Die  Erkenntniss  in  dem 
weiteren  Sinne,  in  welchem  wir  hier  das  Wort  gebrauchen,  umfasst  so- 
wohl die  Kenntniss,  welche  auf  der  Wahrnehmung  (und  dem  die 
fremde  Wahrnehmung  überliefernden  Zeugniss)  beruht,  als  die  Er- 
kenntniss im  engeren  Sinne,  die  durch  das  Denken  gewonnen 
wird.  — -  Das  menschliche  Erkennen  als  Nachbildung  des  Wesens  der 
Dinge  im  menschlichen  Bewusstsein  ist  zugleich  ein  Nachdenken  der 
Gedanken,  welche  das  schöpferische  göttliche  Denken  in  die  Dinge  hin- 
eingebildet  hat.  Im  Handeln  soll  der  vorausgehende  Gedanke  die 
Wirklichkeit  bestimmen,  im  Erkennen  aber  die  an  sich  vemunft- 
gemasse  Wirklichkeit  den  menschlichen  Gedanken.     Das   hier  in  der 

1 


2  §  2.    Die  Erkenntnissformen. 

Einleitung  Gesagte  soll  nur  als  Anticipation  der  später  (von §37 an) 
durch  eine  davon  unabhängige  Untersuchung  zu  gewinnenden 
Resultate  gelten;  es  soll  hier  nur  zur  vorläufigen  Orientirung  dienen. 
Die  hier  aufgestellten  Definitionen  sind  zunächst  nur  Nominalerklä- 
rungen (s.  u.  §  61),  deren  Gültigkeit  (gerade  so,  wie  in  Euklid's  Geo- 
metrie die  der  an  die  Spitze  gestellten  Definitionen)  so  lange  dahin 
gestellt  bleibt,  bis  die  nachfolgende  Untersuchung  dieselbe  darthut. 

Den  Gedanken,  dass  durch  das  Sein  das  Erkennen  bedingt  sei, 
äussert  Plato  Rep.  Y,  p.  477  ed.  Steph.  Zumeist  in  Beziehung  auf 
das  Urtheil  entwickelt  denselben  Aristoteles.  Arist.  Gat.  12.  14. 
b.  18:  ^aii  J^  o  fikv  alridTfg  Xoyog  ov^afias  airios  tov  elvai  ro  TiQayfia, 
t6  /niyrot  n^äyfia  tpaCverai  natg  atriov  tov  eJvai  äkti&fj  tov  Xoyov  Ttp 
yicQ  elvat  t6  nQÜyfta  rj  juii  alrj&rig  6  loyog  i}  ipivSiig  XfyeToi,  Arist. 
Metaph.  VIII.  10.  1051.  b.  8:  ak€&€v€i  fjikv  6  t6  dir^QiniJLivov  oi6fi€Vog 
JtatQiTadfu  xal  to  avyxeffievov  (Tvyxstff&aty  f\f/€vaTtu  dk  6  ^vavrCiog  ^x^v 
rj  Ttc  TtqayfxaTa  '  .  .  ,  ov  yäg  dia  t6  rif4ag  oUadtu  alijO^clig  a€  Xivxov 
eJyai  s1  ah  levxogy  alka  diä  ro  ak  elviu  Xfvxov  ^fiiig  ol  tpayreg  tovto 
al7i&€vofji6v.  Arist.  Metaph.  IX.  6.  1057.  a.  11:  tqotiov  riva  ri  irnaT^fitf 
fLteTQslTcu  T(ß  IniaTrfT^.  Schleiermacher,  Dialektik,  herausg.  von 
Jonas,  S.  487:  >Zu  dem  Satz:  das  Denken  soll  dem  Sein  gleich  sein, 
gehört  ein  zweiter:  das  Sein  soll  dem  Denken  gleich  sein.  Dieser 
Satz  ist  das  Princip  und  Maass  für  alle  Willensthätigkeiten,  wie 
jener  für  alle  Denkthätigkeitenc.  Vgl.  Schelling,  System  des  trana- 
scendentalen  Idealismus,  1800,  S.  18  ff.;  Hegel,  Encycl.  §  225.  — 
Lotze's  Bemerkung,  der  Geist  sei  besser  als  die  Dinge  und  brauche 
im  Erkennen  nicht  ihr  Spiegel  zu  sein,  hebt  unser  logisches  Princip 
nicht  auf,  weil  1.  die  zu  erkennende  Objectivität  nicht  bloss  ausNatur- 
object^n,  sondern  (in  der  Geschichte  etc.)  auch  aus  geistigem  Inhalte 
besteht,  2.  die  Spiegelung  im  Bewusstsein,  obschon  Reproduction,  doch 
auch  das  eigene,  relativ  selbständige  Werk  des  Geistes  ist,  8.  nicht  die 
ganze  Thätigkeit  des  Geistes  in  die  Erkenntniss  aufgeht,  sondern  da- 
neben die  schöpferische,  das  Gegebene  in  der  Vorstellung  veredelnd 
fortbildende  Wirksamkeit  der  Phantasie  und  das  sittliche  Handeln  seine 
Aufgabe  ist.  —  Vgl.  die  Note  zu  §  87. 

§  2.  Das  Erkennen  ist,  da  der  menschliche  Geist  mit 
Bewasstsein  die  Wirklichkeit  reproduciren  soll  (§1),  zwei- 
fach bedingt:  a.  snbjectiv  durch  das  Wesen  und  die  Na- 
turgesetze der  menschlichen  Seele,  insbesondere  der  mensch- 
lichen Erkenntnisskräfte,  b.  objectiv  durch  die  Natur  dessen, 
was  erkannt  werden  soll..  Die  Beschaffenheiten  und  Verhältnisse 
des  zu  Erkennenden,  sofern  dieselben  verschiedene  Weisen 
der  Nachbildung  im  Erkennen  bedingen,  nennen  wir  die  Exi- 
stenzformen. Die  Begriffe  von  den  Existenzformen  sind  die 
metaphysischen   Kategorien  (z.  B.  Subsistenz   und  In- 


§  2.   Die  Erkenntnissformen.  3 

harenz).  Die  den  Existenzformen  entsprechenden  Weisen,  wie 
das  Seiende  im  Erkennen  anfgefasst  nnd  nachgebildet  wird, 
sind  die  Erkenntnissformen;  das  Abbild  selbst  als  das 
Resultat  der  Erkenntnissthätigkeit  ist  der  Inhalt  der  Er- 
kenntniss.  Die  Begriffe  von  den  Erkenntnissformen  sind 
die  logischen  Kategorien  (z.  B.  das  kategorische  Urtheil). 
Da  die  Gesetze  des  Erkennens  als  solche  nur  die  Weisen  der 
Nachbildung  oder  die  Formen  der  Erkenntniss,  nicht  den  In- 
halt derselben  bestimmen,  so  kann  die  Logik  auch  näher 
als  die  Lehre  von  den  Gesetzen  der  Erkenntniss- 
formen erklärt  werden.  Die  Logik  ist  somit  eine  formale 
Wissenschaft;  aber  die  in  ihr  behandelten  Formen  sind,  indem 
sie  den  Existenzformen  entsprechen,  durch  die  Objectivität 
bedingt.  Auch  stehen  dieselben  nicht  nur  im  Allgemeinen  zu 
dem  Erkenntnissinhalte  überhaupt,  sondern  auch  in  ihrer  jedes- 
maligen besonderen  Gestaltung  zu  der  Besonderheit  des  In- 
haltes in  wesentlicher  Beziehung. 

Sofern  die  Logik  sich  auf  die  Gesetze  des  Seelenlebens  gründet, 
bat  sie  eine  anthropologische  Seite,  und  sofern  auf  die  allgemeinen  Ge- 
setze des  Seienden  überhaupt»  eine  metaphysische  Seite.  Diese  beiden 
Elemente  aber  bilden  nicht  selbständige  Theile  der#  Logik,  sondern 
dienen  nur  der  Begründung  der  normativen  Gesetze,  und  sind  dem- 
zufolge auch  nur  in  der  Form  von  Hülfssätzen  aus  der  Psychologie  und 
Metaphysik  bei  der  Behandlung  der  einzelnen  Partien  an  den  betreffenden 
SteUen  aufzunehmen  oder  nur  insoweit  zu  erörtern,  als  dies  für  den 
logischen  Zweck  erforderlich  ist.  Die  Logik  soll  nicht  eigens  von 
dem  Sein,  dem  Wesen,  der  Causalität,  der  bewegenden  Ursache  und  der 
Zweckursache  etc.,  noch  auch  von  den  psychischen  Gesetzen  handeln, 
so  wenig  wie  die  Diätetik  von  den  chemischen  und  physiologischen 
Processen,  wohl  aber  vorbereitend  oder  nachfolgend  sich  auf  solche 
Dntersnchungen  beziehen.  Keineswegs  aber  sind  (wie  Drobisch  meint, 
Log.  8.  u.  4.  Aufl.  Vorr.  S.  XYII)  hiermit  zugleich  auch  Untersuchungen 
wie  die  über  die  Erkennbarkeit  der  Dinge,  über  die  reale  Gültigkeit 
der  Begriffe,  Baum,  Zeit,  Causalität  etc.  von  ihr  auszuschliessen ;  denn 
diese  Untersuchungen  betreffen  nicht  die  Existenzformen  als  solche, 
sondern  unsere  Erkenntniss. 

Zur  Yeranschanlichung  des  Verhältnisses  der  logischen  Formen 
zu  den  metaphysischen  diene  vorläufig  die  Beziehung  von  Subject  und 
Prädicat  im  kategorischen  Urtheil  auf  die  Existenzformen:  Substantia- 
liUt  und  bihärenz,  femer  die  Beziehung  der  über-  und  untergeordneten 
Begriffe  auf  die  Existenzweise  der  Dinge  in  Gattungen  und  Arten  etc. 
Vgl.  $  8. 


4    §  8.   Der  Zweck  der  Erkenntnissthätigkeit.  Wahrheit  und  Wissen. 

Sehr  mit  Unrecht  deuten  Viele  (z.B.  Steinthal,  Gramm.,  Log. 
und  Psycho!.,  Berlin  1655,  S.  146)  den  Ausdruck:  »formale  Logik« 
so,  als  ob  derselbe  nothwendigerweise  die  Abstraction  von  jeder  Be- 
ziehung zur  Wirklichkeit  involvire.  Die  Logik  bleibt  formal,  weil  sie 
die  Lehre  von  der  richtigen  Form  oder  Weise  des  Denkens  ist,  auch 
dann,  wenn  man  eben  diese  Form  durch  den  Zweck  der  Uebereinstim- 
mung  des  Denkinhaltes  mit  der  Wirklichkeit  bedingt  sein  lässt.  Jene 
nur  auf  die  subjective  Uebereinstimmung  des  Denkenden  mit  sich  selbst 
gerichtete  Logik  ist  subjectivistisch-formal. 

Bei  Kant  und  seiner  Schule  knüpft  sich  an  die  Unterscheidung 
der  analytischen  und  synthetischen  Urtheilsbildung  (s.  u.  §  88)  die 
Unterscheidung  der  formalen  Logik  in  dem  Sinne,  dass  dieselbe 
nur  die  Normen  der  analytischen  Erkenntniss  aufstellen  soll,  und 
der  Kritik  der  reinen  Vernunft,  welche  nach  der  Möglichkeit  einer 
allgemeingültigen  synthetischen  Erkenntniss  fragt.  Die  Aristote- 
lische Logik  will  eine  analytische  Theorie  des  Denkens  sein, 
die  analytisch-formale  Logik  im  Kantischen  Sinne  aber  eine  Theorie 
des  analytischen  Denkens.  Mit  der  Kantischen  ist  die  Beneke- 
sche  Unterscheidung  des  analytischen  oder  » logischen«  Denkens  und 
der  synthetischen  Grundlagen  des  Denkens  verwandt,  wie  auchUlrici's 
Eintheilung  des  Denkens  in  das  producirende  (synthetische)  und  das 
unterscheidende  (analytische)  Denken.  Doch  möchte  nicht  zu  billigen 
sein,  dass  eine  Unterscheidung,  die  allerdings  in  Betreff  der  Urtheils- 
bildung Werth  und  Wahrheit  hat,  zum  Princip  einer  Zerlegung  der 
gesammten  Logik  in  zwei  gesonderte  ^heile  erhoben  wird.  Dieses  Ver- 
fahren würde  dem  des  Geometers  gleichen,  der  etwa  seine  Wissenschaft 
aus  dem  Gesichtspuncte,  welche  Sätze  ohne  das  elfte  Euklidische  Axiom 
bewiesen  werden  können,  und  welche  dasselbe  mit  Nothwendigkeit  vor- 
aussetzen, in  zwei  gesonderte  Theile  zerfallen  wollte.  Derartige  Be- 
trachtungen haben  allerdings  als  Monographien  über  einzelne  Axiome 
ihren  vollen  wissenschaftlichen  Werth,  dürfen  aber  nicht  die  gesammte 
Gliederung  des  Systems  bestimmen,  die  auf  umfassenderen  Gesichts- 
puncten  beruhen  muss. 

§  3.  Das  Ziel  der  theoretischen  Thätigkeit  des  Geistes 
ist  die  Wahrheit.  Die  zur  Wahrheit  gelangte  Erkenntniss 
ist  das  Wissen.  Man  pflegt  die  materiale  (oder  reale)  Wahr- 
heit und  die  (formale)  Bichtigkeit  zu  unterscheiden.  Die  mate- 
riale Wahrheit  im  absoluten  Sinne  oder  die  Wahrheit  schlecht- 
hin ist  die  Uebereinstimmung  des  Erkenntnissinhaltes  mit  der 
Wirklichkeit.  Die  materiale  Wahrheit  im  relativen  Sinne 
oder  die  phänomenale  Wahrheit  ist  die  Uebereinstimmung  des 
mittelbar  gewonnenen  Gedankeninhaltes  mit  den  unmittelbaren 
äusseren  oder  inneren  Wahrnehmungen,  welche  bei  ungestörter 
Gesundheit  der  Seele   und  der  leiblichen  Organe  entstehen 


§  8.   Der  Zweck  der  Erkenntnissthätigkeit.  Wahrheit  und  Wissen.    6 

oder  doch  unter  den  entsprechenden  äusseren  Bedingungen 
entstehen  würden.  Unter  der  formalen  Wahrheit  pflegen 
Vertreter  der  subjectivistisch-formalen  Logik  die  Widerspruchs- 
losigkeit  oder  die  Einstimmigkeit  der  Gedanken  unter  einander 
zu  verstehen.  Die  materiale  Wahrheit  schliesst  die  formale 
im  Sinne  der  Widerspruchslosigkeit  in  sich;  diese  dagegen 
kann  ohne  die  materiale  Wahrheit  sein.  Im  volleren  Sinne 
ist  die  formale  Richtigkeit  die  Uebereinstimmnng  der  Erkennt- 
nissthätigkeit mit  ihren  (logischen)  Gesetzen.  Wenn  allen 
logischen  Anforderungen  an  die  Form  der  Wahrnehmung  so- 
wohl als  des  Denkens  zugleich  genügt  wird,  so  kann  auch 
die  (mindestens  relative)  materiale  Wahrheit  nicht  fehlen  und 
die  formale  Richtigkeit  in  dem  vollen  Sinne  verbürgt  daher 
allerdings  auch  diese ;  die  Richtigkeit  des  Denkens  allein  aber 
bürgt  nur  daftir,  dass  der  Zusammenhang  zwischen  den  Voraus- 
setzungen und  den  Folgen  so,  wie  er  wirklich  ist,  also  mit 
Wahrheit,  erkannt  werde  und  dass  daher,  falls  die  Voraus- 
setzungen materiale  Wahrheit  haben,  dieselbe  auch  dem  daraus 
Abgeleiteten  zukomme.  In  Hinsicht  auf  den  Zweck  des  Er- 
kennens  ist  demnach  die  Logik  die  wissenschaftliche 
Lösung  der  Frage  nach  den  Kriterien  der  Wahr- 
heit oder  die  Lehre  von  den  normativen  Gesetzen, 
auf  deren  Befolgung  die  Realisirung  der  Idee  der 
Wahrheit  in  der  theoretischen  Vernunftthätigkeit 
des  Menschen  beruht. 

Der  Wahrheit  in  dem  logrischen  Sinne:  üebereinstimmang  des 
Gedankens  mit  seinem  Objecto,  steht  die  ethische  Bedeutung:  üeber- 
einstimmung  des  Objectes  mit  seiner  Idee  oder  seiner  inneren  Bestim- 
mung, ergänzend  gegenüber.  Hinter  dem  vollen  logischen  Sinne  bleibt 
zurück  die  Erklärung  der  sogenannten  »formalen  Wahrheit«  als  >Zu- 
sammenstimmung  der  Erkenntniss  mit  sich  selbst  bei  gänzlicher  Ab- 
atraction  von  allen  Objecten  insgesammt  und  von  allem  Unterschiede 
derselben«  (Kant,  Logik,  hrsg.  v.  Jäsche,  S.  66);  über  denselben  geht 
hinaus  die  Erklärung  der  sogenannten  transscendentalen  Wahrheit  als 
der  Ordnung  der  realen  Objecte:  »veritas,  quae  transscendentalis  appel- 
latur  et  rebus  ipsis  inesse  intelligitur ,  est  ordo  eorum,  quae  enti  con- 
veniuntc  (Christian  Wolff,  Ontolog.  §  496). 

Uebereinstimmen  heisst :  gleich  sein  in  gewissen  Beziehungen. 
Sofern  die  Logik  untersucht»  ob  und  in  wie  weit  üebereinstimmung  des 
Erkenntnissinhaltes  mit  der  objectiven  Realität  erreichbar  sei,  ist  sie 
Erkenntnisskritik;  soweit  sie  lehrt,  durch  welches  Verfahren  das 


6    §  3.    Der  Zweck  der  Erkenntnissthätigkeit.  Wahrheit  und  Wissen. 

erreichbare  Maass  der  UebereinstimmuDg  wirklich  erreicht  werde,  ist 
sie  Logik  im  engeren  Sinne.  Beide  Fragen  sind  in  jedem  Ab- 
schnitt der  Logik  in  Verbindung  mit  einander  zu  beantworten;  doch 
wird  in  der  Lehre  von  der  Wahrnehmung  die  erste,  in  der  Lehre  vom 
Denken  die  andere  prävaliren;  soweit  normative  Gesetze  für  die  Wahr- 
nehmung aufzustellen  sind,  kann  dies  nur  im  Anschluss  an  die  Lehre 
von  den  Denkgesetzen  geschehen  (s.  unten  einerseits  §§  86  ff.,  anderer- 
seits §§  27  ff.  und  140). 

Gegen  die  Möglichkeit,  die  materiale  Wahrheit  zu  erreichen 
und  derselben  gewiss  zu  werden,  erhebt  der  Skepticismus  und  der 
Kriticismus  gewichtige  Bedenken.  Um  der  Wahrheit  im  absoluten 
Sinne  uns  zu  vergewissern,  müssten  wir  unsere  Vorstellung  mit  dem 
Objecto  vergleichen  können;  wir  haben  aber  (behauptet  der  Kriticismus) 
das  Object  nicbt  anders,  als  in  unserer  Vorstellung,  niemals  rein  an 
sich  selbst;  wir  werden  also  in  der  That  nur  unsere  Vorstellung  mit 
unserer  Vorstellung  vergleichen,  nicht  mit  der  Sache  an  sich.  Die  ma- 
teriale Wahrheit  im  relativen  Sinne  unterliegt  der  Schwierigkeit,  welche 
die  alten  Skeptiker  durch  die  Frage  bezeichneten:  r/c  xQiVft  t6v  vyiti-- 
v6v ;  oder :  T(g  6  XQCvtov  tov  vyiaivorra  xal  ol(og  tov  ne^l  'ixuara  xqi- 
vovvra  6g&ä)s\  (Arist.  Metaph.  IIL  6.  1011  a.  5).  Die  formale  Wahr- 
heit oder  Richtigkeit  endlich  im  Sinne  der  Widerspruchslosigkeit  fuhrt 
uns  nicht  über  das  hinaus,  was  wir  mindestens  implicite  schon  besitzen ; 
wie  aber  gewinnen  wir  die  erste  Erkenntniss,  und  wie  einen  Fortschritt 
im  Erkennen?  Zu  diesen  allgemeinen  Schwierigkeiten  treten  besondere 
hinsichtlich  der  einzelnen  Erkenntnissformen  hinzu,  welche  später  er- 
wähnt werden  müssen.  Die  Losung  ist  die  Aufgabe  des  gesammten 
Systems  der  Logik  und  kann  eben  darum  an  dieser  Stelle  noch  nicht 
gegeben  werden  (vgl.  insbesondere  §  81  und  die  daselbst  citirte  Ab- 
handlung über  den  Idealismus  etc.,  femer  §§  37,  40,  41 — 44). 

Gegen  die  Identificirung  der  Logik  mit  der  Lehre  von  den  nor- 
mativen Gesetzen  der  Erkenntniss  hat  man  eingewandt,  dass  doch  die 
logischen  Grundgesetze  feststehen  würden,  auch  wenn  es  keine  Dinge 
und  keine  Erkenntniss  gäbe,  und  dass  eine  Denkart,  z.  B.  ein  Sohluss, 
logisch  (formell)  richtig  sein  könne,  auch  wenn  er  materiell  (schon  in 
seinen  Prämissen)  falsch  sei  (Ulrici;  vgl.  Drobisch,  Log.  2.  A.  §7,3.  u. 
4.  A.  §  6  und  Vorr.  S.  XV,  wonach  von  der  Erkenntnisslehre  nur  so 
viel  in  die  Einleitung  zur  Logik  aufgenommen  werden  soll,  als  nÖthig 
sei,  um  für  die  eigentliche  Aufgabe  derselben  die  Data  zu  gewinnen). 
Dieser  Einwand  aber  läuft  in  seinem  ersten  Theile  auf  eine  petitio  prin- 
cipii  hinaus.  Allerdings  giebt  es  gewisse  logische  Gesetze,  bei  welchen 
von  der  Beziehung  des  Denkens  auf  die  Dinge  abstrahirt  werden  kann. 
Dies  gilt  namentlich  von  dem  Gesetze  der  Identität  und  des  Wider- 
spruchs, welches  die  Uebereinstimmung  der  Gedanken  untereinander 
fordert  (die  eine  Bedingung  der  Uebereinstimmung  mit  dem  Sein  ist), 
sowie  von  allen  nur  hieraus  abgeleiteten  Gesetzen.  Wer  nun  die  Logik 
auf  diese  Partien  beschränkt,  der  wird  freilich  behaupten  müssen,  dass 
die  logischen  Gesetze  auch  ohne  Beziehung  zur  objeotiven  Realität  gelten 


§  8.    Der  Zweck  der  Erkenntnissthätigkeit.  Wahrheit  und  Wissen.     7 

würden;  wer  aber  der  Logik  eine  umfassendere  Aufgabe  zuweist,  der 
wird  jene  Behauptung  in  ihrer  Allgemeinheit  nicht  als  richtig  an- 
erkennen. Wer  dafür  hält,  dass  die  Logik  hinter  ihrer  Aufgabe  zurück- 
bleibe, wenn  sie  nicht  auch  Normen  für  die  richtige  Bildung  des  Be- 
griffs in  seinem  Unterschiede  von  der  blossen  allgemeinen  Vorstellung, 
fSir  die  natürUohe  Eintheilung,  für  die  wissenschaftliche  Form  der 
Dednctionen,  Liductionen  und  Analogien  aufstelle;  wer  als  Princip  der 
Logik  nicht  die  blosse  Einstimmigkeit  des  denkenden  Subjectes  mit  sich 
selbst,  sondern  die  Wahrheit  als  Uebereinstimmung  mit  dem  Sein  an- 
erkennt und  daher  nicht  eine  dem  subjectiven  Geiste  schlechthin  im- 
manente Denknothwendigkeit,  sondern  vielmehr  eine  Correspondenz  der 
logischen  Kategorien  mit  metaphysischen  Kategorien  in  Betracht  zieht: 
der  wird  nicht  zugestehen,  dass  die  hierauf  bezüglichen  logischen  Gesetze 
ganz  ebenso  auch  dann  noch  gelten  würden,  wenn  es  keine  Dinge  und  kein 
Erkennen  gäbe.  Was  den  zweiten  Theil  des  obigen  Einwandes  an- 
belangt, so  ist  es  wahr,  dass  das  Denken  einzelnen  logischen  Gesetzen 
—  und  zwar  auch  einzelnen  von  den  Gesetzen  der'  Logik  als  Erkennt- 
niaslehre  —  angemessen  sein  kann,  ohne  materiale  Wahrheit  zu  haben; 
aber  die  Uebereinstimmung  der  ganzen  Erkenntnissthätigkeit  mit 
allen  diesen  Gesetzen  sichert  auch  die  materiale  Wahrheit.  Wer  bei 
einem  Schlüsse  auch  schon  in  der  Bildung  der  Prämissen  und  in  den 
vorbereitenden  Operationen  allen  Gesetzen  der  Wahrnehmung  und  des 
erkennenden  Denkens  genügt  hat,  der  gelangt  auch  durch  den  Sohluss 
(sei  es  unmittelbar  oder,  wie  beim  indirecten  Beweise,  mittelbar)  zur 
materialen  Wahrheit.  Der  Boman  geht  nicht  auf  (historische)  Erkennt- 
niss  aus  und  muss  doch  logischen  Gesetzen  folgen;  aber  er  muss  dieses 
Letzere  nur  in  der  Verknüpfung  der  Voraussetzungen  mit  den  Folgen. 
Bildete  der  Dichter  die  Voraussetzungen  selbst  aus  dem  Wahmehmungs- 
inhfllte  ebenso  nach  logischen  Normen,  wie  der  Historiker  oder  der 
Richter,  so  würde  er  auch  durchgängig  zu  materialer  Wahrheit 
gelangen;  befolgt  er  die  logischen  Gesetze  in  der  Verknüpfung  von 
Voraussetzungen  und  Folgen,  so  gewinnt  er  hierdurch  für  diese  Ver- 
knüpfung mehr  als  blosse  Uebereinstimmung  in  sich,  nämlich  auch 
Uebereinstimmung  mit  den  Gesetzen  der  objectiven  Bealität.  Die 
formale  Richtigkeit  der  blossen  Schlussbildung  oder  überhaupt  irgend 
eines  bestimmten  Theil  es  der  gesammten  Erkenntnissthätigkeit  sichert 
die  materiale  Wahrheit  gerade  insoweit,  als  sie  selbst  reicht,  d.  h.  sie 
gewährt  die  Bürgschaft,  dass  wir,  sofern  wir  (z.  B.  bei  dem  Schluss 
auf  die  Wiederkehr  eines  Kometen  oder  auf  den  Eintritt  einer  Sonnen- 
finstemiss)  von  materiell  wahren  Voraussetzungen  ausgehen,  auch  in 
der  materialen  Wahrheit  beharren  und  zu  materiell  wahren  Resultaten 
gelangen.  Und  gerade  dieses  ist  es,  was  nach  der  Ansicht,  dass  die 
logischen  Normen  auf  dem  Princip  der  materialen  Wahrheit  beruhen, 
erwartet  werden  muss,  wogegen  eben  dasselbe  mit  der  entgegengesetzten 
Ansicht  nicht  zusammenstimmt,  welche  die  logischen  Normen  mit 
Abstraotion  von  der  materialen  Wahrheit  verstehn  will;  denn  nach 
der  Gonsequenz  dieser  Ansicht  könnte  durch  Befolgung  der  logischen 


8  §  4.   Die  Möglichkeit  der  Logik  ah  Wissenschaft. 

Nonnen  weder  partiell  (z.  B.  von  den  Prämissen  bis  zu  dem  Sohlusssatze 
hin)  noch  absolut  die  materiale  Wahrheit  gesichert  werden;  um 
das  Beharren  in  der  Wahrheit  zu  erklären,  muss  auf  diesem  Standpunote 
angenommen  werden,  dass  alle  log^ischen  Operationen  uns  nicht  über 
den  schon  im  Voraus  vorhandenen  Inhalt  der  Erkenntniss  hinausfuhren, 
sondern  diesen  nur  zu  vollerer  Klarheit  und  Deutlichkeit  erheben,  was 
aber  der  Thatsache  der  Erweiterung  unserer  Erkenntniss  durch  logi- 
sche Combination,  insbesondere  durch  (sowohl  deductives,  wie  inducti- 
ves)  Schliessen  widerstreitet.  Die  Normen,  denen  das  Denken  im  prak- 
tischen Leben  und  in  der  wissenschaftlichen  Forschung  folgt,  können 
nur  dann  begriffen  und  begründet  werden,  wenn  über  die  Betrachtung 
der  Beziehung  des  Denkens  auf  sich  selbst  hinaus  und  zu  der  Betrach- 
tung seiner  Beziehung  auf  die  Objectivität  fortgegangen  wird. 

§  4.  Die  Möglichkeit  der  bewussten  AaffasBang  nnd 
systematischen  Darstellung  der  logischen  Gesetze  beruht  auf 
der  vorangegangenen  unbewussten  Wirksamkeit  derselben  und 
somit  die  Logik  als  Wissenschaft  auf  vorangegangener 
Uebung  der  Erkenntnissthätigkeit.  Andererseits 
macht  die  Wissenschaft  der  Logik  eine  bewusste  Anwendung 
der  logischen  Gesetze  und  somit  eine  bewusste  logische  Denk- 
thätigkeit  möglich. 

Auf  diesen  Verhältnissen  beruht  die  seit  den  Scholastikern  üb- 
liche Unterscheidung  der  Logica  naturalis  (connata  et  acquisita), 
der  Logica  scholastica  docens  und  der  Logica  scholastica 
utens.  Doch  kommt  strenggenommen  der  Name  Logik  nur  der  Lo- 
gica scholastica  docejQ&^n,  und  wird  daher  auch  von  den  neueren  Lo- 
gikern mit  Recht  meist  nur  in  diesem  Sinne  gebraucht.  * 

Der  Gebrauch  der  logischen  Formen  und  die  Ausübung  der 
logischen  Gesetze  darf  und  muss  der  Theorie  derselben  vorangehen,  da 
ja  die  Theorie  selbst  nur  durch  solchen  Gebrauch  möglich  wird;  aber 
durch  die  Theorie  wird  dann  der  Gebrauch  ein  geordneter  und 
strengerer.  Geschichtlich  haben  sich  an  das  Denken  zuerst  einzelne 
Sätze  über  das  Denken  geknüpft,  und  nicht  ohne  Anwendung  dieser 
Sätze  ist  dann  eine  logisch  geordnete  Darstellung  der  Wissenschaften 
und  auch  der  Logik  selbst  in  stufenweisem  Fortschritt  erfolgt. 

§  5.  Die  Logik  hat  theils  einen  absoluten  Werth 
als  wissenschaftlicher  Selbstzweck,  theils  einen  relativen 
vermöge  der  fördernden  Beziehung,  in  welcher  sie  als  Theorie 
der  Kunst  des  Denkens  und  des  Erkennens  zu  der  Uebung 
der  Erkenntnissthätigkeit  steht.  Die  Theorie  des  Denkens 
übt  einen  Einfluss  auf  das  Denken:  Eunstlehre  ist  die  Logik 
a.  wesentlich  schon  durch  die  Aufstellung  der  normativen 
Gesetze  selbst,   indem  das  wissenschaftliche  Bewusstsein  von 


§  6.   Der  Werth  der  Logik.  9 

denBelben  die  Trene  in  ihrer  praktischen  Beobachtung  fördert; 
sie  kann  es  ausserdem  noch  b.  durch  Rathschläge  über  das 
zweckmässigste  Verfahren  werden,  wie  unter  den  subjectiyen 
Schranken  und  Hindernissen  die  Forderungen  der  logischen 
Gresetze  zu  erfüllen  seien.  In  technischer  Beziehung  ist  die 
Logik,  falls  sie  nur  als  Lehre  von  ^er  Uebereinstimmnng  des 
Denkens  mit  sich  selbst  behandelt  wird,  ein  blosser  Kanon 
und  ein  Kathartikon  des  Denkens,  falls  sie  aber  auch 
die  Kriterien  der  materialen  Wahrheit  aufstellt,  zugleich  ein 
Kanon  und  ein  Organen  der  Erkenntniss,  wiewohl 
nur  mittelbar  in  der  Anwendung  ihrer  Gesetze  auf  einen  ge- 
gebenen Erkenntnissstoff. 

Es  ist  gleich  falsch,  die  Logik  nur  als  Organon  oder  Kanon,  also 
nur  als  Mittel,  und  sie  nur  als  Selbstzweck  gelten  zu  lassen.  Mit  Recht 
bemerkt  Hegel,  so  entschieden  er  sich  (Wiss.  der  Logik,  Ausg.  von 
1833 — 34,  L  S.  18 — 17)  gegen  die  erste  Einseitigkeit  erklärt,  doch  auch 
der  zweiten  gegenüber  (Encycl.  §  19),  dass  das  an  sich  WerthvoUste, 
das  Vortrefflichste,  Freieste  und  Selbständigste,  auch  das  Nützlichste 
sei  und  auch  das  Logische  so  gefasst  werden  könne. 

§  6.  Die  Logik  ist  ein  integrirender  Theil  des 
Systems  der  Philosophie.  Die  Philosophie  lässt  sich 
definiren  als  die  Wissenschaft  des  Universums,  nicht  nach 
seinen  Einzelheiten,  sondern  nach  den  alles  Einzelne  bedingen- 
den Frincipien  oder  als  die  Wissenschaft  der  Principien  des 
durch  die  Special -Wissenschaften  Erkennbaren.  Die  Princi- 
pien sind  die  im  absoluten  oder  relativen  Sinne  ersten  Ele- 
mente, Ton  denen  Reihen  anderer  Elemente  abhängig  sind. 
Im  Systeme  der  Philosophie  bildet  die  Metaphysik  mit  Ein- 
schluss  der  allgemeinen  rationalen  Theologie  {nQutzri  q)LXo' 
aoqiia,  Aristot.)  als  die  Wissenschaft  von  den  Principien  im 
Allgemeinen^  sofern  sie  allem  Seienden  gemeinsam  sind,  den 
ersten  Haupttheil;  den  zweiten  und  dritten  bilden  die  Philo- 
sophie der  Natur  und  die  Philosophie  des  Geistes  als  die 
Wissenschaften  von  den  besonderen  Principien  der  beiden 
Hauptsphären  des  Seienden,  die  sich  durch  den  Gegensatz  der 
Unpersönlichkeit  oder  (relativen)  Selbstlosigkeit  und  der  Per- 
sönlichkeit oder  der  Fähigkeit  zur  denkenden  Erkenntniss  der 
Wirklichkeit  und  zur  sittlichen  Selbstbestimmung  und  Vervoll- 
kommnung unterscheiden.  Li  der  Geistesphilosophie  schliessen 


10         §  6.    Die  Stellung  der  Logik  im  Systeme  der  Philosophie. 

sich  an  die  Psychologie  oder  die  Wissenschaft  von  dem 
Wesen  und  den  Naturgesetzen  der  menschlichen  Seele  zunächst 
drei  normative  Wissenschaften  an :  die  Logik^  Ethik  und  Aesthe- 
tik  oder  die  Wissenschaften  von  den  Gesetzen,  auf  deren  Be- 
folgung die' Bealisirung  der  Ideen  des  Wahren,  Guten  und 
Sdhl5nen  beruht.  Das  Wahre  ist  die  der  Wirklichkeit  entspre- 
chende Erkenntniss ;  das  Gute  ist  die  ihrer  inneren  Bestimmung 
oder  ihrer  Idee  entsprechende  Wirklichkeit  als  Object  des  Wol- 
lens  und  Handelns ;  das  Schöne  ist  die  ihrer  inneren  Bestim- 
mung oder  ihrer  Idee  entsprechende  Erscheinung  als  Object 
des  Geftthls  und  der  Darstellung.  An  diese  Wissenschaften 
schliesst  sich  femer  als  zugleich  contemplativ  und  normativ 
die  Pädagogik  oder  die  Lehre  von  der  durch  die  genetischen 
Gesetze  des  Seelenlebens  (oder  die  psychologischen  Gesetze) 
bedingten  Leitung  der  Bildungsfähigen  zu  den  ideellen  Zielen, 
d.  h.  zur  Erkenntniss  der  Wahrheit,  zum  Wollen  des  Guten 
und  zum  Sinn  für  das  Schöne,  und  die  Philosophie  der  Ge- 
schichte oder  die  Wissenschaft  von  der  thatsächlichen  Ent- 
wickelung  des  Menschengeschlechts,  wiefern  dieselbe  in  Ueber- 
einstimmung  oder  in  Widerstreit  mit  den  idealen  Entwicke- 
lungsnormen  erfolgt  ist  (mit  Einschluss  der  philosophischen 
Betrachtung  der  Entwickelung  der  Cultur,  der  Beligion,  der 
Kunst  und  Wissenschaft). 

Die  volle  Reohtfertignng  dieser  Begriffsbestimmung  und  Einthei- 
long  der  Philosophie  würde  über  die  Grenzen  dieser  Einleitung  hin- 
ausführen; daher  beschränken  wir  uns  hier  auf  folgende  Bemerkungen. 
Wollten  wir  unter  Princip  nur  das  schlechthin  Voraussetzungslose 
verstehen,  so  würde  folgerecht  nur  von  Einem  Princip  die  Rede  sein 
können;  nach  der  oben  aufgestellten  Begriffsbestimmung  aber  darf  eine 
Mehrheit  von  Prindpien  aufgenommen  werden,  deren  jedes  in  seiner 
eigenen  Reihe  das  Herrschende  ist,  beim  Zutritt  anderer  Reihen  aber, 
die  von  anderen  Principien  abhängen,  mit  diesen  zugleich  sich  einem 
höheren  Princip  unterordnen  kann,  von  dem  es  nunmehr  seine  Herr- 
schaft gleichsam  zu  Lehen  trägt.  In  diesem  Sinne  sind  die  gemein- 
samen Principien  alles  Seienden  und  die  besonderen  Principien  der  ein- 
zelnen Sphären  zu  unterscheiden.  Offenbar  wird  bei  systematischer 
Gliederung  diejenige  Wissenschaft,  welche  von  den  ersteren  handelt, 
den  ersten  Haupttheil  der  Philosophie  bilden  müssen.  Sie  führt,  seit- 
dem sie  durch  Aristoteles  eine  selbständige  Gestalt  gewonnen  hat,  den 
Namen:  erste  Philosophie  (Arist.  Phys.  I,  9.  192  a.  86;  II.  2.  194.  b.  14; 
Metaph.  V.  1.  1026.  a.  16,  24;  X.  4.  1061.  b.  19  (ipiXoawpüt  simplidter 


§  6.   Die  Stellang  der  Logik  im  Systeme  der  Philosophie.  11 

i.  q.  Tiotoxri  iptXoaoif'Ca  Met.  X.  3.  1061.  b.  5.  4.  1061.  b.  25)  und  nach 
ihrer  Stellang  hinter  der  Physik  im  Systeme  der  Aristotelischen  Werke 
den  Namen  Metaphysik.  (Diese  Anordnung  stammt  zwar  nicht  von 
Aristoteles  selbst,  sondern  aus  späterer  Zeit,  wahrscheinlich  von  An- 
dronikus  dem  Rhodier  her,  entspricht  aber  dem  didaktischen  Grundsatze 
des  Aristoteles,  dass,  was  den  Sinnen  näher  liege,  für  uns,  sofern  wir 
die  wissenschaftliche  Bildung  erst  noch  suchen,  ein  Früheres,  das 
Principielle  aber  ein  Späteres  sei).  Der  Metaphysik  aber  stehen  die- 
jenigen Theile  der  Philosophie  gegenüber,  welche  von  den  besonderen 
Principien  der  einzelnen  Sphären  des  Seins  handeln.  Die  Ein- 
theilung  dieser  Sphären  in  die  beiden  Hauptgruppen  der  Natur  und 
des  Geistes,  des  unpersönlichen  und  des  persönlichen  Seins,  darf  hier 
als  anerkannt  vorausgesetzt  werden.  Aus  dieser  Voraussetzung  aber 
folgt  unmittelbar,  dass  die  Naturphilosophie  und  die  Philosophie  des 
Geistes  als  zweiter  und  dritter  Haupttheil  des  Systems  der  Philosophie 
sich  der  Metaphysik  anschliessen  müssen.  Die  Eintheilung  der  Philo- 
sophie des  Geistes  gründet  sich  auf  das  schon  von  Aristoteles  er- 
kannte Gesetz,  dass  in  der  Stufenreihe  der  irdischen  Wesen  jedes 
höhere  die  Charaktere  des  niederen  modificirt  wiederum  in  sich  trägt, 
und  andere,  höhere  Charaktere  hiermit  vereinigt.  So  hat  auch  der 
Geist  in  sich  die  Naturgrundlage  und  Naturgesetzmässigkeit,  und  die 
Reihe  der  Zweigwissenschaften  der  Geistesphilosophie  eröffnet  sich 
daher  mit  der  Wissenschaft  von  der  Naturseite  und  den  Naturgesetzen 
des  geistigen  Lebens,  d.  i.  mit  der  Psychologie.  Die  persönliche  Selbst- 
bestimmung aber,  wodurch  der  Geist  sich  über  die  Natur  erhebt,  wird 
durch  das  Bewusstsein  von  normativen  Gesetzen  oder  Gesetzen  des 
Sollens  bedingt.  Indem  diese  Gesetze  aus  der  allgemeinen  Anforderung 
herfliessen,  die  Ideen  im  Leben  zu  verwirklichen,  jede  der  drei  Haupt- 
richtongen  des  geistigen  Lebens  aber,  Erkenntniss,  Wille  und  Gefühl 
durch  ihre  eigenthümliche  Idee  beherrscht  wird,  so  ergeben  sich  drei 
einander  coordinirte  Wissenschaften  von  den  Normal-  oder  Ideal-Gesetzen, 
nämlich  die  Wissenschaften  von  den  Gesetzen  der  Wahrheit,  der  Güte 
und  der  Schönheit.  Da  endlich  der  Gegensatz  der  Naturgesetze  und  der 
normativen  Gesetze  auf  eine  einigende  Yermittelung  hinweist,  indem 
unter  der  Herrschaft  des  göttlichen  Geistes  Sollen  und  Sein  eins  ist,  so 
muBs  zu  der  Psychologie  und  den  normativen  Wissenschaften  die  Päda- 
gogik und  die  Philosophie  der  Geschichte  treten  und  die  Reihe  der 
Zweigwissenschaften  der  Philosophie  des  Geistes  beschliessen. 

Die  Ideen  der  Wahrheit  und  Schönheit  stehen  mit  der  Idee  der 
sittlichen  Güte  in  wesentlich  gleichem  Verhältniss.  Sie  alle  können  und 
sollen  zwar  auch  zum  göttlichen  Geiste  in  Beziehung  gesetzt  werden» 
wie  überhaupt  alle  früheren  Kategorien  in  der  letzten  und  höchsten 
Sphäre  als  Momente  wiederzukehren  bestimmt  sind;  an  sich  aber 
müssen  Wahrheit  und  Schönheit  ebensowohl  wie  sittliche  Güte  aus  dem 
Wesen  des  endlichen  Geistes  ihr  nächstes  wissenschaftliches  Yerständ- 
niss  finden.  Wir  können  demnach  nicht  (mit  Hegel)  den  Gegensatz 
gegen  den  ursprünglich  noch  mit  der  Natur  verflochtenen  und  das  erste 


12  §  6.  Die  Stellung  der  Logik  im  Systeme  der  Philosophie. 

Stadium  seiner  Selbstbefreiung  durchlaufenden  »subjectiven  Geiste  aus- 
sohliesslich  in  den  ethischen  Verhältnissen,  in  Recht,  Moralitftt  und 
Sittlichkeit  finden,  sondern  weisen  der  zweiten  Sphäre  ebensowohl,  wie 
die  Ethik,  auch  die  Aesthetik  und  die  Logik  zu. 

In  der  Lehre  von  den  normativen  Gesetzen  der  Erkenntniss 
ist  die  Lehre  von  den  normativen  Gesetzen  des  Denkens  als  ein  Tbeil 
mitenthalten,  der  aber  auf  den  Rang  einer  selbständigen  philosophi- 
schen Doctrin  keinen  Anspruch  hat. 

Der  Versuch,  die  Erkenntnisslehre  mit  der  Metaphysik  zu  einer 
und  der  nämlichen  Wissenschaft,  der  metaphysischen  oder  onto- 
logischen  Logik,  zu  verschmelzen,  ist  darum  unhaltbar,  weil  es 
den  Grundsätzen  einer  vemunftgemässen  Systematisirung  widerstreitet, 
diejenige  philosophische  Wissenschaft,  welche  auf  die  allgemeinsten 
Principien  geht,  mit  einer  einzelnen  von  den  Zweigwissenschaften  der 
Philosophie  des  Geistes  unter  den  nämlichen  Begriff  zu  stellen.  Diese 
Inconvenienz  würde  wegfallen,  wenn  es  gestattet  wäre  (mit  Hegel) 
die  Erkenntnissformen  für  allgemeine  Formen  alles  Seienden,  der  Na- 
turdinge ebensowohl  wie  der  geistigen  Wesen,  zu  erklären.  Aber  dieses 
Verfahren  ist  ein  gewaltsames.  Hegels  metaphysische  Logik  handelt 
nicht  nur  vom  Begriff,  Urtheil  und  Schluss,  sondern  auch  von  der  ana- 
lytischen und  synthetischen  Methode,  von  der  Definition,  der  Einthei- 
lung,  dem  Theorem,  der  Coustruction,  dem  Beweis  etc. ;  es  müssen  also 
alle  diese  Formen  für  metaphysische,  mithin  für  Formen  der  Natur  und 
des  Geistes,  erklärt  werden,  was  offenbar  unrichtig  ist.  Aber  konnte 
auch  jene  Voraussetzung  zagegeben  werden,  so  würde  doch  immer  noch 
der  wesentliche  Unterschied  obwalten,  dass  jene  Formen  in  der  Aussen- 
welt  nur  zu  einer  unbewussten  und  gebundenen,  in  dem  erkennenden 
Geiste  aber  zu  einer  bewussten  und  freien  Existenz  gelangen,  und 
schon  dieser  Unterschied  wäre  bedeutend  genug,  um  eine  eigene  Be- 
trachtung dieser  Formen  als  Formen  des  Geistes  zu  erheischen,  wie 
denn  auch  in  der  That  bei  Hegel  die  Lehre  vom  Begriff  an  drei  ver- 
schiedenen Stellen  des  Systems :  in  der  Logik,  in  der  phänomenologischen 
Lehre  von  der  Vernunft  und  in  der  psychologischen  Lehre  von  der  In- 
telligenz, immer  wieder  vorkommt.  Wir  würden  also  trotz  jenes  (übri- 
gens unzulässigen)  Zugeständnisses  dennoch  einer  besonderen  Theorie 
der  menschlichen  Erkenntniss  neben  der  Metaphysik  bedürfen.  Von 
diesen  beiden  Disciplinen  aber  würde  die  Erkenntnisslehre  auf  den 
Namen  Logik  aus  sprachlichen  und  aus  historischen  Gründen  das 
vollere  Anrecht  haben. 

§  7.  Die  Logik  nimmt  hiernach  in  dem  rein  wissenschaft- 
lich gegliederten  Systeme  der  Philosophie  keineswegs  die  erste 
Stelle  ein;  nichtsdestoweniger  aber  ist  es  gestattet  und  zweck- 
mässig, das  Studium  derselben  propädeutisch  dem  Studium 
aller  tlbrigen  philosophischen  Disciplinen  vorausgehen  zu  las- 
sen.   Gestattet;  denn  es  gentigt^  aus  den  vorangehenden  Dis- 


§  1.   Die  Stelle  des  Stadiums  der  Logik.  18 

eiplinen/  namentlich  der  Metaphysik  und  der  Psychologie  (vgl. 
§  2)  wenige  allgemeine  Bestimmungen  aufzunehmen,  die  auch 
ausserhalb  ihres  eigenthttmlichen  Zusammenhangs  verständlich 
und  einer  gewissen  Rechtfertigung  fähig  sind.  Zweckmässig ; 
denn  a.  das  Studium  der  Logik  bietet  geringere  Schwierig- 
keiten, als  das  Studium  derjenigen  philosophischen  Disciplinen, 
die  ihr  im  systematischen  Zusammenhange  vorangehen;  b.  die 
Logik  bringt  die  Methoden  zum  Bewusstsein,  welche  in  ihr  selbst 
und  in  den  übrigen  Zweigen  der  Philosophie  zur  Anwendung 
kommen  müssen,  und  sie  übt  das  Denken;  die  Voranstellung 
der  Logik  ist  somit  flir  das  gesammte  philosophische  Studium 
in  formeller  Beziehung  förderlich;  c.  die  wissenschaftliche 
Darstellnng  des  Systems  der  Philosophie,  insbesondere  der 
Metaphysik,  bedarf  einer  das  Verhältniss  von  Erscheinung  und 
Sein  betreffenden  Einleitung,  um  das  Bewusstsein  auf  den 
Standpnnct  der  philosophischen  Betrachtung  zu  führen ;  die  Auf- 
gabe dieser  Einleitung  aber  findet  in  der  Logik,  sofern  die- 
selbe Erkenntnisskritik  ist,  ihre  erschöpfendste  und  wissen- 
schaftlichste Lösung. 

Ueber  die  philosophische  Propädeutik  überhaupt  (und  wohl  zu- 
meist in  Beziehung  auf  die  Logik  als  Propädeutik)  sagt  Hegel  in 
seinem  Schreiben  an  v.  Raumer  (Werke  XVII,  S.  856),  sie  habe  ins- 
besondere die  formelle  Bildung  und  Uebung  des  Denkens  zu  leisten; 
sie  vermöge  dies  nur  durch  gänzliche  Entfernung  vom  Phantastischen, 
durch  Bestimmtheit  der  Begriffe  und  einen  consequenten  methodischen 
Gang;  sie  vermöge  es  aber  in  einem  höheren  Maasse,  als  die  Mathe- 
matik, weil  sie  nicht,  wie  diese,  einen  sinnlichen  Inhalt  habe.  [Yergl. 
W.  Hamilton's  Discussions  p.  282  ff.] 

§  8.  Die  Formen  und  Gesetze  der  Erkenntniss  können 
thefls  in  ihrem  allgemeinen  Charakter,  theils  in  ihren  beson- 
deren Modificationen,  welche  sie  je  nach  der  Verschiedenheit 
des  Erkenntnissinhaltes  annehmen  (s.  §  2),  betrachtet  werden. 
Das  Erste  ist  die  Aufgabe  der  reinen  oder  allgemeinen, 
das  Zweite  die  der  angewandten  oder  besonderen  Lo- 
gik. Die  reine  Logik  lehrt  theils  die  normativen  Gesetze  des 
immittelbaren  Erkennens  oder  der  Wahrnehmung,  theils  die 
des  mittelbaren  Erkennens  oder  des  Denkens.  Wie  nämlich 
die  Erkenntniss  überhaupt  das  Wirkliche  nach  seinen  Ezi- 
Btenzformen  abspiegelt,  so  insbesondere 


14  §  8.   Eintheilung  der  Logik. 

die  Wahrnehmung  die  äussere  Ordnung  der  Dinge 
oder  ihre  Räumlichkeit  und  Zeitlichkeit,  wobei  sie  auf  ideale 
Weise  die  reale  Bewegung  nachbildet,  und 

das  Denken  die  innere  Ordnung, 
welche  der  äusseren  zum  Grunde  liegt.  Die  Formen  des  Den- 
kens gliedern  sich  gemäss  den  Existenzformen,   in  welchen 
die  innere  Ordnung  besteht,   und   entsprechen   denselben  in 
folgender  Weise: 

die  Anschauung  oder  Einzelvorstellung  der  objectiven 
Einzelexistenz, 

der  Begriff  nach  Inhalt  und  Umfang  dem  Wesen  und 
der  Gattung  oder  Art, 

das  Urtheil    den   objectiven  Grundverhältnissen   oder 
Belationen, 

der  Schluss  der  objectiven  Gesetzmässigkeit, 

das  System  der  objectiven  Totalität. 
Die  Eintheilung  der  angewandten  oder  besonderen  Lo- 
gik wird  durch  die  Wissenschaften  bestimmt,  auf  welche  die 
logischen  Lehren  Anwendung  finden.  Namentlich  betrachtet 
dieselbe  die  Methoden  der  Mathematik  oder  der  Wissenschaft 
von  den  Verhältnissen  der  Quantität  und  Form,  der  erklären- 
den und  der  beschreibenden  Wissenschaften  der  Natur,  der 
erklärenden  und  der  beschreibenden  Wissenschaften  des  Gei- 
stes, und  der  Philosophie  oder  der  Wissenschaft  der  Principien. 

Die  Bechtfertigung  dieser  Eintheilung  im  JSinzelnen  fällt,  sofern 
sie  anf  logischen  Principien  beruht,  dem  Contexte  der  systematischen 
Darstellung  zu ;  sofern  sie  aber  von  metaphysischen  Principien  abhängt, 
findet  die  erste  Anmerkung  zu  §  2  (s.  oben  S.  3)  Anwendung.  —  Zur 
Tergleichung  dieser  Eintheilung  mit  der  früher  (seit  Kant)  gewöhn- 
lichsten (A.  Allgemeine  Logik:  I.  Reine  allgemeine  Logik :  a.  Elemen- 
tarlehre, b.  Methodenlehro;  II.  Angewandte  allgemeine  Logik.  B.  Be- 
sondere Logik)  bemerken  wir:  Sofern  man  unter  der  »angewandten 
Logik c  die  Lehre  von  der  Wahrnehmung  und  dem  Yerhaltniss  des 
Denkens  zur  Wahrnehmung  versteht,  fällt  sie  in  das  Gebiet  unserer 
»reinen  Logik«,  sofern  aber  (mit  Kant,  Kritik  der  r.  V.,  2.  Aufl.  8. 77 — 79, 
und  Logik,  herausg.  von  Jäsche  1800,  S.  14)  die  praktischen  Winke  für 
das  angemessenste  Verhalten  unter  den  mancherlei  subjectiven  Hinder- 
nissen des  Denkens,  können  wir  ihr  nicht  das  Recht  zugestehen,  einen 
Abschnitt  der  logischen  Wissenschaft  zu  bilden,  weil  sie  vielmehr  einen 
pädagogischen  Charakter  tragen  [vergl.  Hamilton,  lect.  on  logic.  I,  60], 
und  so  bleibt   nur   übrig,     den   Begriff  der  angewandten   Logik  in 


§  9.   Werth  der  Gesohichie  der  rx>gik.  15 

demselben  Sinne  zn  verstehen,  wie  man  auch  den  der  angewandten 
Mathematik  etc.  versteht,  nämlich  yon  der  Anwendung  der  allgemeinen 
Regeln  auf  die  einzelnen  Gebiete,  für  welche  sie  gelten,  und  der  Be- 
trachtung der  Modificationen,  unter  welchen  sie  auf  ein  jedes  derselben 
Anwendung  finden.  In  diesem  Sinne  aber  fällt  der  Begriff  der  angewandten 
Logik  mit  dem  der  besondem  Logik  zusammen,  und  demgemäss  ist 
auch  auf  der  andern  Seite  die  reine  Logik  mit  der  allgemeinen  Logik 
zu  identificiren.  —  Die  Eintheilung  der  reinen  Logik  in  Elementar- 
lehre und  Methodenlehre  [vergl.  Hamilton  das.  I,  64]  vermischt  das 
wissenschaftliche  Interesse  mit  dem  didaktischen.  Im  wissenschaftlichen 
Sinne  sind  nicht  bloss  Begriff,  Urtheil  und  Schluss  Elemente  der 
Methode,  sondern  ist  auch  schon  der  Begriff  ein  Element  des  Urtheils 
und  dieses  ein  Element  des  Schlusses,  der  Begriff  der  Elementarlehre 
also  zu  relativ,  als  dass  er  den  Gegensatz  gegen  das  Methodologische 
bezeichnen  könnte. 

§  9.  Die  Geschichte  der  Logik  hat  in  zweifacher 
Beziehung  Werth  und  Bedeutung:  a.  an  sich  selbst,  indem 
sie  das  fortschreitende  Streben  des  menschlichen  Geistes  zur 
Anschauung  bringt,  sich  das  Verständniss  seiner  Denk-  und 
Erkenntnissgesetze  zu  erarbeiten,  b.  als  Mittel  zum  Verständ- 
nlss  der  heutigen  Gestalt  der  Logik,  indem  sie  die  Genesis 
sowohl  der  wissenschaftlich  gesicherten  Partien,  als  auch  der 
in  der  Gegenwart  herrschenden  Gegensätze  nachweist. 

Unter  den  Werken,  die  über  die  allgemeine  Geschichte  der  Logik 
handeln,  ist  das  ausführlichste  und  gründlichste  die  »Geschichte  der 
Logik  im  Abendlande c  von  C.  Prantl,  I.Band  (die Entwickelung  der 
Logik  im  Alterthum  enthaltend)  Leipzig  1855,  2.  Band  (auf  die  erste 
Hälfte  des  Mittelalters  bezüglich)  ebend.  1861,  3.  Band  (auf  die  spätere 
mittelalterliche  Zeit  bezüglich)  ebend.  1867,  4.  Band  (auf  die  Zeit  von 
der  Mitte  des  14.  bis  ins  erste  Drittel  des  16.  Jahrh.  bezüglich)  ebend.  1870. 
•Bine  kürzere  Darstellung  der  Geschichte  der  Logik  haben  geboten :  Barth. 
Keckermann,  Praecognitorum  logicorum  tractatus  UL  Hanov.  1598. 
1604.  —  P.  Gassendi,  De  origine  et  varietate  logicae.  Opp.  omn. 
Lugd.  Bat.  1658.  T.  I.  —  Jac.  Frd.  Reimmann,  Kritischer  Geschichts- 
kalender V.  d.  Logica,  darin  das  Steigen  und  Fallen  dieser  so  vortrefiFl. 
Disdplin  v.  Anfang  d.  Welt  bis  auf  d.  J.  nach  Christi  Geb.  1600  ent- 
worf.  Frankf.  a.  M.  1699.  —  Joh.  Alb.  Fabricius,  Specimen  elencticum 
historiae  logicae.  Hamburgi  1699.  —  Ger.  Joh.  Vossius,  De  logices 
et rhetoricae  natura  et  constitutione  libri  IL  Nap.  1658.  —  G.  Wegner, 
Disqnisitiuncula  historico-philosophica  de  origine  logices.  Oels  1667.  — 
Sam.  Christ.  Hollmann,  In  universam  philosophiam  introductio. 
Viteonbergae  1754  (de  ortu,  progressu  et  incrementis  logicae).  —  Joh. 
G.  Waloh ,  Historia  logicae,  in  s.  Parerga  acad.  Lips.  1721.  '—  J.  J. 
Syrbius,  Institutiones  philos.  ration.  edecticae;  u.  praefat.  bist,  logicae 


16  §  10.    Der  historisohe  Ursprung  der  Logik. 

suBoinete  delineatnr.  ed.  alt.  Jena  1728.  —  Col.  Rosser,  Insiitationes 
logioae  (append. :  de  artis  logicae  scriptoribus)  Wiroeb.  1776.  —  J.  G. 
H.  Feder,  Logik  u.  Metaph.  4.  Aufl.  Hanau  u.  Leipzig  1776.  6.  Aufl. 
Göit.  1786.  (Instit.  logicae  et  metaphys.  8  ed.  Gott.  1787),  darin  Abriss 
e.  Gtesch.  d.  Logfik.  —  Andr.  Metz,  Institutiones  logicae  (append.: 
histor.  logices)  Bamb.  et  Wiroeb.  1796.  —  Fr.  Calker,  Denklehre  od. 
Logik  u.  Dialektik  nebst  e.  Abriss  der  Greschichte  u.  Literatur  ders. 
Bonn.  1822.  S.  13—198.  —  G.  Fr.  Bachmann,  System  der  Logik. 
(Tb.  8.  Zur  Geschichte  der  Logik.  S.  669—644.)  Leipzig  1828.  — 
G.  Mussmann,  De  logioae  et  dialecticae  notione  historica.  Berlin.  1828. 
—  L.  Rabus,  Logik  u.  Metaphysik.  Th.  I.  Erkenntnisslehre,  Geschichte 
der  Logik,  System  der  Logik,  nebst  einer  dironolog.  Inhalt-Uebers. 
üb.  d.  log.  Literatur  (s.  Geschichte  d.  Logik  bes.  2.  Abth.  S.  123—242. 
§  18—64  u.  Literatur  S.  614).  Erlangen  1868.  —  Fr.  Harms,  Die 
Philosophie  in  ihrer  Geschichte.  Th.  2.  Geschichte  der  Logik  (nach  d. 
Tode  d.  Verf.  hrsg.  v.  Lassen).  Berlin.  1881.  —  Ad.  Franck,  Esquisse 
d'une  histoire  de  la  logique,  prSc^d^e  d'une  analyse  Stendue  de  Porganon 
d'Aristote.  Paris.  1888.  Für  die  historische  Darstellung  der  Logik  bei  ein- 
zelnen Völkern  oder  in  bestimmten  Zeiten  sind  zu.  nennen :  Joach.  Geo. 
Daries,  Meditationes  in  logicas  veterum  (bis  auf  Cartesius);  in  s.  Via 
ad  veritatem.  2.  ed.  Jenae  1764.  —  G.  G.  Fülleborn,  Kurze  Geschichte 
d.  Log.  b.  d.  Griechen;  in  s  Beiträgen  z.  Gesch.  d.  Philos.  St.  4.  S.  160  ff. 
Züllichau  1794.  —  J.  G.  Buhle,  Gomment.  de  philosophor.  Graecor. 
ante  Aristotelem  in  arte  log^ica  inyenienda  et  perficienda  conaminibus,  in 
Gomment.  soc.  reg.  scientt.  Göttingen  T.  XL  3.  p.  234  ff.  1793.  —  W.  L.  H. 
Freiherr  von  Eberstein,  Vers,  einer  Geschichte  d.  Logik  u.  Metaph. 
b.  d.  Deutschen  v.  Leibnitz  bis  auf  gegenwärtige  Zeit.  2  Bde.  Halle 
1794 — 99.  —  Andr.  Metz,  De  philosophorum  critioorum  de  logica 
meritis  atque  nonnullis,  quae  inter  illos  adhuc  controversa  sunt,  ca- 
pitibus  logicis.  Wirceb.  1799.  —  Louis  Liard,  Les  logiciens  anglais 
contemporains.  Paris  1878.  (autoris.  Uebers.  v.  J.  Imelmann.  Berlin 
1880).  —  L.  Rabus,  Die  neuesten  Bestrebungen  auf  d.  Gebiete  der 
Log^  b.  d.  Deutschen  u.  d.  log.  Frage.  Erlangen  1880.  —  Schnitzer, 
Ueber  d.  neuesten  Systeme  d.  Logik  in  Deutschland  u.  England,  mit 
Rucks,  auf  Aristot  Gymn.-Progr.  Ellwangen  1868. 

§  10.  Die  Begründung  der  Logik  als  Wissenschaft 
ist  ein  Werk  des  griechischen  Geistes,  welcher,  gleich 
fem  von  der  Rohheit  des  Nordens  und  von  der  Verweich- 
lichung der  Orientalen,  Kraft  und  Empfänglichkeit  harmonisch 
in  sich  vereinigt. 

Vgl.  zur  allgemeinen  Charakteristik  Plat.  de  republ.  IV,  p.  485  E 
(ed.  Steph.)  und  Arist.  Polit.  VIl,  7.  Es  fehlt  der  empfänglichen  Phan- 
tasie der  Orientalen  das  Maass  und  die  Haltung  des  strengen  Gedankens; 
es  mangelt  die  geistige  Kraft  zu  echter  Wissenschaftlichkeit;  in  ihrem 
Philosophiren  herrscht  nicht  die  Tendenz  zur  strengen  Beweisführung 


§  10.   Der  historisohe  ÜrBpmsg  der  Logik.  17 

nnd  zur  Barstellong  in  systematisoher  Form;  wo  aber  die  Eunet  des 
streng  wissenschaftlichen  Denkens  fehlt,  da  kann  sich  die  Theorie 
noch  weniger  entwickeln.  Doch  lassen  sich  einige  wahre  und  tiefe 
Grundgedanken  nachweisen,  die  sich  wohl  geeignet  hätten,  einem 
Systeme  der  Logik  zum  Fundamente  zu  dienen,  wenn  sie  oonsequent 
durchgeführt  worden  wären.  So  sagt  der  Chinese  Meng-tse,  ein 
Schüler  des  Eon-fu-tse:  >Der  menschliche  Geist  hat  in  sich  die  Mög- 
lichkeit, alle  Dinge  zu  erkennen ;  er  muss  daher  auf  seine  eigene  Natur 
und  sein  Wesen  achten,  sonst  irrt  er.  —  Nur  der  Tugendhafte  kann 
sein  eigenes  Wesen  ergründen;  wer  seine  eigene  Natur  ergründet,  kann 
auch  die  der  anderen  Menschen  erkennen,  er  kann  das  Wesen  der  Dinge 
ergründen.«  —  Die  allgemeine  vernünftige  ürkraft  beweist  sich  im 
Menschen  als  das  Gesetz  der  Tugend  (s.  Wuttke,  das  Heidenthumll, 
Breslau  185S,  S.  102).  —  Bei  den  Indern  finden  wir  namentlich  in  der 
S4nkl^a  und  Njäja-Philosophie  ^ine  Aufzählung  von  Arten  und  von 
Gegenständen  der  Erkenntniss;  die  Sankhja-Lehre  nennt  Wahrnehmung, 
Folgerung  (von  der  Ursache  auf  die  Wirkung  und  umgekehrt  und  nach 
Analogie)  und  Tradition  (nach  menschlichem  Zeuguiss  und  göttlicher 
Offenbarung),  die  Njaja  ausserdem  noch  die  Yergleichung  als  Erkennt- 
nissweisen; die  Njaja,  die  sich  vielleicht  erst  unter  griechischem  Ein- 
floBS  ausgebildet  hat,  kennt  auch  bereits  den  Syllogismus,  Nj^a,  nach 
welchem  das  System  selbst 'benannt  ist,  in  der  Form  von  fünf  Sätzen, 
die  jedoch  nur  durch  Wiederholung  des  Unter-  und  Schlusssatzes  aus 
den  drei  Urtheilen  hervorgehen,  nach  folgendem  Schema.  Thesis:  der 
Hügel  ist  feurig.  Grand:  denn  er  raucht.  Beweis:  was  raucht,  ist 
feurig.  Anwendung:  der  Hügel  raucht.  Schlusssatz:  also  ist  er  feurig. 
[Yeigl.  Golebrooke's  Mise.  Essays  I.  8  S.  292  und  Aphorisms  of  the 
Nyaya  Philosophy  by  Gautama,  Allahabad  1850.]  —  Ob  die  Aegypter 
logische  Theorien  gebildet  haben,  ist  mindestens  sehr  zweifelhaft.  Plato 
rahmt  wohl  das  Alter  ihrer  Erfahrung,  aber  keineswegs  die  Höhe  ihrer 
philosophischen  Bildung.  Die  griechischen  Denker  mussten,  wiewohl 
sie  mit  der  ägyptischen  Weisheit  bekannt  geworden  waren,  doch  die 
Grnmdlehren  der  Logik  ebensowohl,  wie  die  Beweise  zu  den  Elementar- 
satzen  der  Geometrie  erst  selbst  auffinden.  —  Die  Griechen  haben 
ohne  Zweifel  in  materieller  Beziehung  von  den  Aegyptern  und  von  den 
Orientalen  überhaupt  nicht  Weniges  gelernt ;  der  griechische  Geist  mag 
za  seiner  Entwickelung  der  Anregung  von  Aussen  bedurft  haben;  aber 
daa  Wesentlichere,  die  wissenschaftliche  und  künstlerische  Form,  ver- 
dankt er  nicht  der  Fremde,  mit  wie  reger  Empfänglichkeit  er  auch  ihre 
S<äiätze  sich  angeeignet  haben  mag,  sondern  der  ihm  eingebornen  selb- 
ftSndigen  Kraft.  Vgl.  Hegel,  Philos.  der  Geschichte,  1887,  S.  246: 
>su8  dem  natürlich  Empfangenen  haben  die  Griechen  das  Geistige  be- 
reitet«, und  die  hiermit  zusammenstimmende  Aussage  von  Lepsin s 
(die  Chronologie  der  Aegypter,  Bd.  I,  S.  65):  dass  »die  Griechen  in 
dieser  wichtigen  Periode  (des  Thaies,  Pythagoras  etc.)  die  Gelehrsamkeit 
der  Barbaren  aller  Orten  wie  reifes  Korn  in  den  Scheunen  sammelten 
VL  neuer  Aassaat  auf  ihrem  eigenen  triebkr&ftigen  Boden«. 

2 


18    §  11.   I)ie  tonischen  Naturpliilofloplien,  die  Pythagoreer  n.  Eleaten. 

§  11.  Die  Specnlation  der  ältesten  Ionischen  Na- 
turphilosophen  (im  6.  Jahrh.  vor  Chr.)  namentlich  des 
Thaies,  Anaximander,  Anaximenes,  richtete  sich  nur  unmittel- 
bar auf  die  Dinge,  nicht  auf  die  menschliche  Erkenntniss  der 
Dinge.  Jüngere  Naturphilosophen  (im 5. Jahrh.) nament- 
lich Heraklit,  Anaxagoras,  Leukippus  unä  Demokritus,  er- 
klären die  Sinnes  Wahrnehmung  als  solche  für  unzuverlässig; 
erst  die  mit  ihr  yereinigte  und  sie  durchdringende  Vernunft 
entscheide  ttber  die  Wahrheit.  Empedokles  lehrt,  dass  die 
Dinge  und  der  Mensch  aus  den  gleichen  materiellen  und  ideellen 
Elementen  bestehen  und  dass  das  Gleiche  durch  das  Gleiche 
erkannt  werde.  Die  Pythagoreer  halten  dafttr,  dass  die 
Elemente  der  Zahlen,  Grenze  und  Unb^renztheit,  die  Elemente 
aller  Objecte  seien ;  sie  suchen  demgemäss  durch  mathematische 
Forschung  und  durch  Zahlenspeculation  alle  Erkenntniss  zu 
gewinnen.  Xenophanes  aus  Eolophon,  der  Begründer  der  Elea- 
ti  sehen  Philosophie,  unterscheidet  aus  Anlass  seiner  theolo* 
gischen  Speculation  das  sichere  Wissen  von  der  zufällig  rich- 
tigen Meinung.  Sein  Nachfolger  Parmenides,  der  bedeutendste 
unter  den  Eleatischen  Philosophen,  gewinnt  in  der  Polemik 
gegen  die  Heraklitische  Lehre  von  dem  allgemeinen  Flusse 
der  Dinge  und  von  der  Identität  der  Gegensätze  zuerst  das 
theoretische  Bewusstsein  von  dem  Grundsatze  der  Identität  und 
des  Widerspruchs,  wiewohl  noch  in  unvollkommener  Form. 
Zugleich  lehrt  Parmenides  die  Identität  des  Denkens  mit  dem 
Seienden,  welches  gedacht  werde.  Er  setzt  die  durch  das 
Denken  zu  gewinnende  ttberzeugungskräftige  Erkenntniss  des 
Einen,  das  wahrhaft  sei,  zu  der  auf 'Sinnentrug  beruhenden 
Meinung  von  der  Vielheit  und  dem  Wechsel  des  Seienden  in 
strengen  Gegensatz.  Sein  jüngerer  Genosse,  der  Eleate  Zeno, 
übte  zuerst  in  strengerer  Form  die  Kunst  der  philoso*phischen 
Gesprächführung,  insbesondere  die  Kunst  des  indirecten  Be- 
weises, weshalb  ihn  Aristoteles  den  Erfinder  der  Dialektik 
nennt 

Heraklit  bei  Sext.  Empir.  adv.  Math.  VII,  126:  Kuxoi  fiafnvQis 
avd^tonoioiV  otp^Xfiol  xal  ma  ßoQßogov  rffv^^S  IjifotTOf  (nach  der  Coiio 
jectur  von  Jac.  BernayB;  grew.:  ßa^ßa^om  yn/x^g  ix^vrotv).  Derselbe  bei 
Diog.  LaSrt.  IX,  1 :  ÜoXvfia&lri  voov  ov  SiSaanH  '...?»  to  aotpov  •  M* 
Giaa&ai  yytafiijv,   ^t«  ofcrx/(ef  (nach  der  Con jectur  Yon  Bemays;   gew.: 


§  11.   Die  Ionischen  Katurphilosophen,  die  Pytliagoreer  u.  Eleaten.     19 

^c  oi  iyxvfli^yriffei,  Sohleierm.:  ^rc  oiti  nvßegyfjaei)  navtm  Sut  navrmy. 
Doch  ist  dfts  Denken,  wodurch  die  Weisheit  gewonnen  wird,  naoh 
Heraklits  Anschauung  nicht  sowohl  eine  von  der  Sinneswahrnehmung 
trennbare  und  derselben  entgegengesetzte  Geistesthätigkeit,  als  viel- 
mehr nur  das  volle  Offensein  der  Sinne  für  die  allgemeine  allherr- 
sehende  Vernunft,  die  Isolimng  aber  begründet  den  Irrthum,  s.  Sext. 
Emp.  adv.  Math.  YII,  129.  —  Anaxagoras  bei  Sext.  £mp.  adv. 
Math.  YII,  90:  vno  atpauQorrjros  aurw  {rcjv  ttia&ria€(ov)  ov  dwuroC  lofjitv 
3tgiv€tv  raXfi&^g,  Nach  Anaxag.  bei  Simplio.  in  Arist.  phys.  fol.  88  sq. 
erkennt  die  göttliche  Vernunft  alle  Dinge,  die  menschliche  aber  ist  ihr 
gleichartig:  narra  fyyto  voog '  —  voos  dk  nac  ofAoioi  iaii  xal  ö  fi^C^v 
xdi  6  iHaamy,  —  Von  Demokrit  berichtet  Sext.  Emp.  adv.  Math. 
138,  er  theile  die  Erkenntniss  ein  in  die,  welche  durch  die  Sinneswahr- 
nehmung  und  die,  welche  durch  den  Verstand  gewonnen  werde;  jene 
nenne  er  die  dunkle  ((rxor/17),  diese  die  echte  (YVf\aCyi)\  ebendaselbst  140, 
das  Werk  der  iwoia  sei  die  irii^any  die  Erforschung  des  Unbekannten 
auf  Grund  der  sinnlichen  Erscheinungen.  Doch  gewährt  dieses  Denken 
nur  relativ  eine  höhere  Gewissheit;  der  Mensch  hat  überhaupt  kein 
Wissen  im  strengen  Sinne  des  Wortes.  Demokrit  bei  Diog.  Laert.  IX, 
72:  (n^  Sk  ovSkv  tSfitv  iv  ßv&^  yoQ  ri  aXfj&iia  —  Empedokles 
bei  Aristot.  de  anima  I,  2.  404.  b.  18: 

yaiff  (Akv  ycLQ  yutav  ontonafiev,  vStni  d*  vdoig^ 
täd'iQi  d'  ai&^^  iiaVf  ixaq  nvQi  ttvq  utSii\lov<, 
ato^yj  Jl  OTo^ytlv,  vttxog  ^4  ts  veixe'i  Xvygtß. 
Die  Lehren  der  alten  Pythagoreer  sind  uns  nicht  mehr  in  der 
eigenen  Darstellung  jener  Philosophen  zugänglich,  da  selbst  die  dem 
Philolaus  mgeschriebene  Schrift,  aus  der  uns  noch  manche  (durch 
Boeckh  Berl.  1819  herausgegebene  und  erläuterte  Fragment^  erhalten 
sind,  naoh  Schaarschmidts  Untersuchungen  (die  angebliche  Sehriftstellerei 
des  Philolaus  und  die  Bruchstücke  der  ihm  zugeschriebenen  Bücher, 
Bonn  1864)  für  unecht  gehalten  werden  muss.  Wir  können  uns  mit 
Zuversicht  bloss  an  die  Angaben  des  Aristoteles  halten  (Metaph.  I,  6 
u.  0.).  Nur  als  Zeugnisse  für  die  Richtung  des  späteren  Pythagoreis- 
mus  dürfen  Stellen  wie  folgende  gelten:  Pseudo-Philolaus  bei  Stob. 
Eclog.  I,  1,  3  (s.  Boeckh  Philol.  S.  141):  ov  yoQ  r^g  Srjkov  oi/^oi  ov&kv 
tw  TtQayfjLtttwv^  ovre  avttav  tto^'  (TiQOi)  auta  ovTt  cillio  not^  aXio,  et  /iaii 
lic  iiQt&fiog  xal  a  rovifo  taata*  Nvv  dk  ovtos  xar  räv  iffv^av  a(>^oC»v 
«da^(¥€t  Ttttvra  yvmarä  xcä  rtordyoQa  (d.  h.  ngogi^oQu,  einander  ent- 
sprechend und  befreundet)  aXXdXots  dniQyd^ettti,  Bei  Sext.  Emp.  adv. 
Math.  VII,  92  (s.  Boeckh  Philol.  S.  191—92):  imo  rov  o.uo/bf  rb  ofioiov 
xataXafißdyia^nt  niiptfxtv,  —  Xenophanes  bei  Sext.  Emp.  adv.  Math. 
Vn,  49;  110;  VIU,  826: 

xal  x6  fikv  ovv  Gtt(pkg  ovrig  dytig  J^tv  ovii  us  iorta 
(iSug,  afi(pl  &s6iv  re  xal  aaaa  X^yto  ne^l  ndmov  ' 
ii  yaq  xal  rn  fiaXiara  Tv/ot  TiJiXiOfjiivov  c/tioiv, 
ainoi  ofäMS  ovx  oJdi,  äoxos  S^  inl  naai  tirvxrtu,  — 
Parmenides  spricht  den  Sata  der  Identität  im  metaphysischen  Sinne 


20     §  11.   Die  Ionischen  Naturphilosophen,  die  Pytkagoreer  u.  Eleaten. 

mit  den  Worten  aus:  Haitv^  oder:  lern  yttg  ilmi,  und  den  Satz  des 
Widerspruchs  mit  den  Worten:  ovx  lori  fiti  elvm  oder  fitidkv  «T  {(arlv) 
ovx  ^Ivm,  Er  erklärt  für  falsch  die  Meinung  der  irrenden,  zweihäup- 
tigen  (dixQavoi)  Sterbliehen,  der  unkritischen  Schaaren  (wtQira  ipvXa)^ 
welche  Sein  und  Nichtsein  für  identisch  und  zugleich  auch  für  nicht 
identisch  halten  und  ein  Jegliches  in  sein  Gegentheil  umschlagen  lassen: 
olg  To  niXeiv  rt  xtd  ovx  c/yai  rtoirrov  vivo^iartu 
xov  TWftov,  navTiov  t€  naXlvTQonog  i<m  x^Uv&os. 
(Parm.  fragm.  ed.  Mullach  vs.  36;  43—44;  45—51.)  Parmenides  nimmt 
in  den  zuletzt  angeführten  Versen  höchst  wahrscheinlich  Bezug  auf 
Heraklit  (worauf  auch  Steibhart  in  der  Hall.  allg.  Literaturz.  1845 
S.  892  f.  undBemays  im  Rhein.  Museum  VII,  S.  114  f.  aufmerksam  ge- 
macht haben),  denn  Heraklit  ist  es,  der  eben  diese  Lehre  aufstellt: 
TttVTo  r'  In  (leg.  tccitov  ian)  C^v  X€d  ts&vrixog  x.  r.  A.,  navta  ilvtu  xai 
fATi  ilvtu  (Plut.  consol.  c.  10;  Arist.  Metaph.  III.  7.  1012.  a.  24  of.  UL  8. 
1005.  b.  25*),  nalCvTovog  (naUvTQonog)  agjnovia  xoCfiov,  oxwsntQ  Iv^s 
xai  To^ov  (Plutarch.  de  Is.  et  Os.  c.  45;  de  an.  proer.  27,  2);  aber  nicht 
auf  Heraklit  als  vereinzelten  Denker,  sondern  als  Choregen  der  »kritik- 
losen Menge«,  die  den  Sinnen  trauend,  in  eben  jener  widerspruchsvollen 
Ansicht  befangen  sei.  welche  Heraklit  in  philosophischer  Form  vortragt. 
(So  sagt  ja  auch  Aristoteles  de  an.  I,  2.  405.  a.  28:  ^y  xivr^aei  «T  ilvtu 
TU  ovra  xaxetvog  ^€to  xal  ol  nolkol^  vgl.  Plat. Theaet.  p.  179,  und 
in  ganz  analoger  Weise  wirft  Herbart  Hegel  »Empirismusc  vor.)  Indem 
Heraklit  die  synthetische  Einheit  der  Gegensätze  als  Identität,  ihr  Ver- 
einigtsein als  Einssein  bezeichnete,  reizte  er  den  strengen  Denker  Par- 
menides zum  Widerspruch  und  zur  Ergreifung  des  entgegengesetzten 
Extrems:  Parmenides  verneint  von  dem  wahrhaft  Seienden  alle  Vielheit 
und  allen  Wechsel.  (Es  ist  der  nämliche  Gegensatz  philosophischer  Grund- 
ansichten, der  sich  in  dem  Hegel'schen  und  dem  Herbart'schen  Systeme 
wiederholt,  jedoch  mit  dem  Unterschiede,  dass  Heraklits  unmittelbare 
Anschauung  sich  bei  Hegel  zur  dialektischen  Methode  vertieft  hat,  und 
dass  Herbart  nur  die  Vielheit  der  Eigenschaften  Eines  Dinges  und  die 
Veränderung  für  widersprechend  hält,  aber  nicht  die  Vielheit  einfacher 
realer  Wesen  aufhebt,  und  den  von  Parmenides  nicht  gewagten  Versuch 
unternimmt,  den  Schein  der  Veränderung  aus  dem  Sein  des  Unverän- 
derlichen philosophisch  abzuleiten).  Das  Denken,  lehrt  Parmenides  fer- 
ner, gehört  dem  Einen  wahrhaft  Seienden,  welches  gedacht  wird  an  und 
ist  identisch  mit  ihm,  das  Seiende  selbst  ist  das  Denkende,  der  yovf. 
Parmen.  fragm.  vrs.  94—97: 

Ttavrbv  J'  iarl  voetv  n  xiä  ovvtxiv  iau  vor^fia  * 
oh  yttQ  aviv  tou  iovtog,  iv  ^  ntfpariafiivov  iailv, 
fv^Tjaetg  70  vofTv  ov  «T  ffv  yuQ  ij  Harip  ^  Hartti 
ilXo  noQkx  tov  iortog. 


*)  Metaph.  HI,  S,  ist  vielleicht  xa^neg  uvh  oTovreu  ^ffQaxUirov 
zu  lesen  und  dem  Sinne  nach  vnolafjißnvdVj  nicht  Xfyttv,  zu  ergänzen; 
denn  gesagt  hat  Heraklit  wirklich,   dass  das  Nämliche  sei  und  auch 


§  12.  Die  Sophisten  und  Sokratee.  21 

üeber  die  WaJirheit  sollen  nicht  die  tauschenden  Sinne  nrtheilen,  son- 
dern die  Yemnnft.    Parm.  fragm.  vrs.  54 — 67: 

fiii6i  a*  i^oi  nolvniiQov  odov  xarit  rrivSi  ßiaadta^ 
THOfAav  aaxonov  ofAfÄtt  xai  tj^^rjcaauv  axoviiv 
xal  yXtiaaav'  xQivai  Sk  loyt^  nolvSfjQiv  iXiy/ov 

Ueber  Zeno  den  Eleaten  berichtet  Diog.  Laert.  IX,  26:  (pn^l  äk  ^JtQt' 
üTorilfig  iv  r^p  ^otpiarj,  evgeiriv  avrov  yevia&ai  Sialexrix^c»  2ieno's 
dialektische  Kunst  bestand  wesentlich  darin,  dass  er  durch  Argumen- 
tationen gegen  das  Sein  des  Vielen  (Simplic.  in  Phys.  fol.  80  b)  und 
der  Bewegung  (Arist.  Phys.  VI,  9.  289.  b)  den  indirecten  Beweis  für 
die  Wahrheit  der  Parmenideischen  Lehre  von  dem  Einen,  welches  wahr- 
haft sei,  zu  fahren  unternahm,  s.  (Plat.?)  Pannen,  p.  128.  Seine  Dialoge 
scheinen  nach  (Plat.  ?)  Pannen,  p.  127  mehrere  geordnete  Argumentations- 
reihen, Xoyovf,  enthalten  zu  haben. 

Zu  vergl.:  Beruh.  Münz,  Die  Keime  der  Erkenntnisstheorie  in 
der  vorsophist.  Periode  der  grieoh.  Philosophie.  Wien  1880.  —  Hera- 
klit's  Philosophie  hat  imAnschluss  an  Hegel  als  »die  Philosophie  des 
logischen  Gedankengesetzes  von  der  Identität  des  Gegensatzes«  dargest. 
F.  Lasalle,  Die  Philos.  Herakl.  des  Dunkeln  v.  Ephesos.  2  Bde. 
Berlin.  1868.  Darüber:  R.  Mariano,  Lassalle  e  il  sao  Eraclito,  saggio  di 
filosofia  egheliana.  Firenze  1865.  —  üeber  Demokrit's  Sensualismus 
zu  vergL  J.  F.  W.  Burchard  Democriti  philosophiae  de  sensibus 
firagm.  Minden  1830.  —  Ed.  Johnson,  Der  Sensualismus  des  Demokritos 
u.  s.  Vorgänger,  mit  Bezug  auf  verwandte  Erscheinungen  d.  neueren 
Philos.     Gynm.-Progr.  Plauen.  1868. 

§  12.  Durch  die  Sophisten  wurde  mit  der  Khetorik 
auch  eine  Kunst  des  doppelseitigen  Disputirens  ausgebildet, 
die  der  snbjectiven  Willkür  diente.  Die  dialektische  Kunst 
stellt  Sokrates  (470—399  v.  Chr.),  beseelt  von  der  Idee  des 
Wissens,  in  den  Dienst  des  Strebens  nach  objectiv  gültiger 
Erkenntniss,  welche  von  jedem  denkenden  Subjecte  gleich- 
massig  und  mit  Nothwendigkeit  als  wahr  anzuerkennen  sei. 
Auf  Grund  des  Einzelnen  sucht  er  zusammenfassend  und  prü- 
fend das  Allgemeine  zu  erkennen,  über  welches  er  dann 
mittelst  der  Begriffsbestimmung  Rechenschaft  giebt  So  wird 
er  der  Urheber  der  Induction  und  Definition,  aber  zunächst 
nur  in  der  Anwendung  auf  ethische  Probleme  und  ohne  die 
logische  Theorie. 


nicht  sei  (vgl.  cJfiev  xal  ovx  elfiBV  bei  Heraklides,  Alleff.  Hom.  a  24)» 
aber  annehmen,  denken  konnte  er  es  nicht,  weil  dies  überhaupt 
nicht  moglieh  ist. 


22  §  IB.   Die  einseitigen  Sokratiker« 

Protagoras  ap.  Diog.  L.  IX,  51:  nawTtav  xQnf^artov  fiirQov  av- 
O-Qcanogy  rcüv  fjikv  ovtojv  log  fau^  iwv  Sh  ovx  ovrtav  tos  ovx  iauv.  Ibi- 
dem: nomos  ^(pri  Svo  Xoyovg  eJvai  nSQi  navios  ngay^arog  avrixfi/jtivovg 
ttllrikotg.  (Arist.?)  de  Melisse,  Xenophane,  Gorgia  a  6:  (6  rogylag) 
ovx  ilvaC  (pfjaiy  ohdiv '  €i  Sk  eariy,  äyvaxnov  €?vat '  ai  Jk  xal  lori  xai 
yvfoajoVy  aXV  ov  drjXanov  alXoig.  —  Yergl.  M.  Sohanc,  Beiträge  z.  vor- 
sokr.  Philos.  aus  Plato.  Hft  1.  Die  Sophisten.  Göttingen.  1867.  —  H. 
Siebeck,  Das  Problem  des  Wissens  b.  Sokrates  u.  d.  Sopbistik.  Real- 
sch.-Progr.  Halle  1870.  —  £.  Schnippel,  Die  Hauptepochen  in  d.  £nt- 
wickelung  des  Erkenntnissprobl.  I.  Die  Widerlegung  der  sophist.  Er- 
kenntnisstheorie in  Piaton  Theaetet.  Realsoh.-Progr.  G^era  1874.  —  Wolff, 
Num  Plato  quae  Protag.  de  sensnum  et  sentiendi  ratione  tradidit  recte 
exposuerit.  Gymn.-Progr.  Jever  1871.— Fr.  Lange,  üeber  d. Sensualismus 
des  Sophisten  Protag.  u.  die  dagegen  v.  Plato  im  1.  Theile  des  Theaet. 
gemachten  Einwürfe.  Dissert.  Göttingen  1873.  —  Beruh.  Müns,  Die 
Erkenntnisse  u.  Sensationstheorie  des  Protagoras.  Wien  1880. 

Arist.  Metaph.  XH.  4.  1018  b.  27:  Sio  yuQ  itnty  a  ns  &v  änoSoitj 
Xüjxgdrei  dixa/oic,  tovs  t'  inaxrtxovg  Xoyovg  xal  to  o^lCead-tu  xa&oXov 
Tuvta  ya^  iartv  afopfo  ne^l  ctg^k^  iTuarr^fAfig»  Arist.  Metaph.  I,  6.  987. 
b.  1:  Ztax^ovg  6k  negl  ftkv  ric  ti&ixa  nQayfJittTSvofAivoVy  mqI  6k  r^; 
oXrig  (pvaetfi  ov&iVf  iv  fiivroi  rouioig  ro  xadoXov  Cv^ovvroe  xal  7t€Ql 
o^ajLHÜv  iTtiarriaavTos  nQearov  rriv  Siavotav.  YgL  Xenoph.  Memorab«  lY, 
5,  12;  lY,  6,  1.  —  L.  Noack,  Sokrates  u.  d.  Sophisten  in  Psyche. 
B.  2.  1869.  —  0.  Weishaupt,  Sokrates  im  Yerh.  z.  Sophistik.  Gymn.- 
Progr.  Böhm.  Leipa.  1870.  —  H.  Sieb  eck,  Unters,  z.  Philos.  d.  Griechen 
(I.  Sokrates  Yerh.  z.  Sophistik).  Halle  1873.  —  Phil.  Jak.  Ditges, 
Die  epagog.  oder  inductor.  Methode  des  Sokrates  u.  d.  Begriff.  Gymn.- 
Progr.  Oöln  1864.  — 

§  13.  Unter  den  einseitigen  Sokratischen  Schu- 
len behandeln  die  Cynische  des  Antisthenes  und  die  Cy- 
renaische  oder  hedonische  des  Aristippus  hauptsächlich  die 
ethischen  Probleme  und  berühren  die  logischen  fast  nur  in 
negativer  Polemik  gegen  gleichzeitige  Systeme.  Die  Meg ari- 
sche Schule  des  Euklides  und  die  mit  ihr  verwandte  Eli  sc  h- 
Eretrische  Schule  des  Phädo  undMenedemus  verschmelzen 
mit  den  Sokratischen  Principien  die  Eleatischen  Lehren.  In- 
dem die  Megariker,  um  die  Einheit  des  Seienden  zu  verthei- 
digen,  die  Wahrheit  der  sinnlichen  Erscheinungen  bestreiten, 
geht  ihre  Dialektik  allmählich  immer  mehr  in  blosse  Eristik 
auf,  die  sich  besonders  in  der  Erfindung  zahlreicher  Fang-  und 
Trugschlttsse  gefällt. 

Antisthenes  betreitet  die  Platonische  Ideenlehre:  es  könne 
wohl  angegeben  werden,  wem  ähnlich,  aber  nicht,  was  die  Dinge  seien. 


§  18.   Die  eiDseitigen  Sokratiker.  28 

Definitioneii  einfaoher  Begriffe  seien  ein  nutsloser  Wortanfwand  (jao- 
*g6i  Xoyos).  Simplic.  in  Ariat.  Categ.  fol.  54  b.  Es  lasse  sich  von  jedem 
Ding  nur  sein  eigenthümlicher  Begriff  aussagen.  Arist.  Metaph.  lY. 
29.  1024.  b.  82.  !dywta^ivrii  ^cro  kwi^toi  firidhv  «{/uf  liy^a^ai  nliiv 
f 5^  €ix^(^  Xoyip  iv  iff*  ivos  *  i^  tov  0w4ßtuv€  fiti  ilvm  avuläyeiv,  aj((d6v 
Sk  (Afidh  yuvSMa&tu.  —  In  der  Schule  des  Antisthenes  ward  die  Be- 
hauptung aufgestellt,  es  sei  nicht  möglich,  das  Was  zu  definiren,  sondern 
es  sei  nur  möglich  die  Beschaffenheit  eines  Dinges  anzugeben;  vom 
Silber  z.  B.  lasse  sich  nicht  sagen,  was  es  sei,  sondern  nur  so  viel,  es 
sei  etwas  Aehnliches  wie  Zinn.  Arist.  Metaph.  VII.  3.  1048.  b.  24. 
maji  ^  itnoQla  fiv  oi  *j£vno^4vii(H  xaX  ol  ovttog  anaCdiuroi  tfnoQOvv,  tf)[€i 
jiya  TttuQoVy  Oll  ovx  taxi  lo  U  taxiv  oQloaa&w  (rov  yttQ  oqov  Xoyov  elvai 
uaxQov),  aXXa  nolov  fikv  li  lariv  iv^^x^rai  xal  ^i^uSaif  SanCQ  agy^QOVf 
t£  uiv  ioTtyy  ov,  ort  «T  olov  xarrtiegos.  Vgl.  Plat.  Theaet.  p.  201, 
Soph.  p.  251.  —  Die  Gyrenaiker  beschränken  das  Wissen  auf  das 
Bewnastaein  um  die  sinnlichen  Affectionen  als  solche;  wie  aber  das 
Gegenstandliche  sei,  welches  dieselben  hervorrufe,  ob  auch  dieses  an 
sich  selbst  weiss  oder  süss  etc.  sei,  könne  nicht  gewusst  werden. 
Sext.  £mp.  adv.  Math.  VH,  191.  —  Euklides  von  Megara  iden- 
tificirt  das  Eine,  wahrhaft  Seiende  der  Eleaten  mit  dem  Guten  des 
Sokratee.  Diog.  L.  II,  106;  Cia  Acad.  pr.  II,  42.  Er  vertheidigt  diese 
Lehre  ebenso  wie  Zeno  durch  eine  indirecte  Beweisführung,  indem  er 
aus  der  entgegenstehenden  Ansicht,  welche  der  Vielheit  und  dem  Wech- 
sel Bealitat  zuschreibt,  ungereimte  Consequenzen  abzuleiten  sucht.  Diog. 
L.  II,  107.  rare  r£  a7iodi(^%<Stv  ivlarmo  ov  xma  X'^jnfiara,  aXXa  xat* 
int^OQov  xal  ruv  Sui  Tta^ßoXiji  Xoyop  ay^n^  Xfywv  ^oi  ü  ofxottnß  avrhv 
i  K  infOfioittv  aw^OTttü^ü*,  xak  €i  fikv  i^  ofioltov^  ne^  auia  Jiiv  fMtXloy 
^  eis  ofioia  ioTiv  avaar^iffea^m  '  €i  J'  l(  avofxoCbiVy  noQ^kxuv  Jtjv  naga- 
&€aiv.  Zu  diesem  Behuf  haben  namentlich  seine  Nachfolger  Eubulides, 
iHodoms  £[ronu8,  Alexinus  eine  Reihe  von  Fangschlüssen  ersonnen, 
s.  B.  den  »Lügnerc,  den  »VerhüUtenc,  den  »Gehörnten«,  den  »Sorites«, 
den  »Kahlkopfe,  s.  Joh.  Casp.  Guntheri,  Diss.  de  methodo  disputandi 
megarica.  Jenae  1707.  —  Joh.  Geo.  Hageri,  Diss.  de  methodo  di- 
sputandi Eudidis.  Lipsiae  1786.  —  Theils  den  Megarikern  überhaupt, 
theils  insbesondere  dem  ihre  Lehre  mit  der  Cynischen  verschmelzenden 
Stilpo  (Plut.  adv.  Col.  28),  wie  auch  demEretrier  Menedemns(Sim- 
plic  inPhys.  20  a)  wird  die  Lehre  zugeschrieben,  es  dürfe  keinem  Sub- 
ject  ein  Pradicat  beigelegt  werden,  welches  von  ihm  verschieden  sei 
(z.  B.  der  Mensch  ist  weise),  sondern  es  dürfe  nur  ein  Jegliches  von 
sich  selbst  ausgesagt  werden  (z.  B.  der  Mensch  ist  Mensch)  —  eine 
naheliegende  Consequenz  der  Lehre  von  der  Einfachheit  und  Unveränder- 
licfakeit  des  wahrhaft  Seienden.  Stilpo  bestritt  die  Gültigkeit  der 
Artbegriffe  und  behauptete,  alle  Urtheile  seien  identische.  Diog.  L.  II. 
119.  ^Hvos  <r  Syav  äv  iv  röis  iiuprtxoig  avfjfi€i  xctl  xa  Mtf  *  xcti  iltye 
ibw  Xiyovra  &9^^gwiop  ilvm  fAnSiva  *  ovr£  yag  rov^t  tivm  ovr€  rovdt  * 
t/  /m^  fiäXXov  jQP^t  ^  rovSe ;  ovi*  aga  Tovcfc.  xal  nihv '  ro  Xdxavop  ovx 
im  ro*  dtutvifAtPov  Jla/avoy  fiiv  yaq  ijy  ngo  fivgtmv  ituv'  ov»  a^ 


21  §  14.   Pkto. 

(arl  rovTO  luxovov,  —  s.  Job.  Christ.  Schwab,  Bemerkongen  über 
Stilpo,  in  Eberhard's  philos.  Archiv.  Bd.  IL  St.  1.  — -  J.  F.  G.  Graesse, 
Bisa.,  qua  iudiciorum  analytic  et  synthetic.  naturam  iam  longe  ante  Kan- 
tium  antiquitatis  scriptoribus  non  fiiisse  perspectam,  contra  Schwabium 
probatur.  Goth.  1794.  —  Menedemus  soll  die  bedingten,  die  zusammen- 
gesetzten und  verneinenden  Urtheile  verworfen  haben.  Diog.  L.  IL 
184.  186. 

§  14.  Ausgehend  von  der  Sokratischen  Methode  der  In- 
dnction  und  Definition  vervollkommnet  Plato  (427—347  vor 
Chr.)  die  logische  Kunst  in  mehrfacher  Beziehung:  a.  indem 
er  sie  um  die  Methode  der  Eintheilung  und  auch  der  Deduction 
bereichert,  b.  indem  er  ihre  Beschränkung  auf  die  ethischen 
Probleme  aufhebt  und  sie  Aber  die  sämmtlichen  Gebiete  des 
philosophischen  Denkens  ausdehnt,  c.  indem  er  sie  mit  genia- 
lem Scharfsinn  und  gewissenhafter  Treue,  Sorgfalt  und  Gründ- 
lichkeit übt,  Vorzüge,  deren  Werth  durch  Plato's  meisterhafte 
künstlerische  Darstellung  noch  erhöht  wird.  Die  Theorie 
des  Denkens  fordert  Plato  gleichfalls  in  mehrfacher  Beziehung: 
a.  indem  er  auf  die  Kunst  des  philosophischen  Denkens  im 
Allgemeinen  reflectirt  und  dieselbe  unter  einen  allgemeinen 
Begriff  (den  Begriff  der  Dialektik)  fasst,  b.  indem  er  das 
philosophische  Denken  nicht  nur,  wie  die  Früheren,  von  der 
sinnlichen  Wahrnehmung,  sondern  auch  von  dem  mathemati- 
schen Denken  streng  unterscheidet,  c.  indem  er  sich  auch 
einzelne  Denkoperationen,  insbesondere  die  Begriffsbildung, 
Definition,  Division  und  zum  Theil  auch  die  Deduction,  zum 
Bewusstsein  bringt  und  Rechenschaft  darüber  zu  geben  unter- 
nimmt Indem  aber  die  logischen  Theoreme  Plato's  durchweg 
noch  die  Spuren  ihres  Ursprungs  aus  der  Beflexion  über  das 
auf  ideologische  Probleme  gerichtete  Denken  an  sich  tragen, 
so  mangelt  denselben  theils  sachlich  die  strengere  Unter- 
scheidung des  logischen  und  des  metaphysischen  Elementes 
und  die  wissenschaftliche  Vollständigkeit,  theils  in  der  Dar- 
stellung die  systematische  Form. 

Hat  Piato^B  hohe  KanBt  des  Denkens  und  der  Darstellung  mit 
Recht  von  jeher  Bewunderung  erregt,  so  sind  seine  Förderungen  der 
logischen  Theorie  für  die  Geschichte  unserer  Wissenschaft  von  nicht 
geringerer  Bedeutung.  In  dem  Sein  findet  Plato  das  Maass  des  Den- 
kens, Rep.  V,  p.  477  (vgl.  GratyL  p.  886  B:  loyo^^  —  oi  av  tit  ovta  Xiyy 
«f  loter,  ttXii&TiSf  oi  (f'  &v,  t^s  ovx  lirr»,  JffCvi^Sf   Soph.  p.  268  B:   I4y€i 


§  U.   Plato.  86 

if^  6  fihv  ttlff&fis  Xoyog  ra  ovta  ak  Icrriv,  o  Sk  ifftv^ti^  Irepa  räv  aytwf, 
tm  (ui  ovra  aga  wg  ovra  Ifyei),  Der  dialektischen  Kunst  weist  Plato 
theoretisch  dieselbe  Doppelaufgabe  zu,  die  er  auch  im  wirklichen  Den- 
ken  zu  losen  sucht:  1.  »das  überall  hin  Zerstreute  anschauend  zusam- 
mensnfassen  in  Eine  Gestalt,  um  ein  Jedes  genau  zu  bestimmen c 
(Phaedr.  p.  265:  der  Weg  der  Begriffsbildung  durch  Abstraction, 
und  Begriffsbestimmung  oder  Definition)  und  auf  diesem  Wege  in 
gleicher  Art  weiter  zu  den  höheren  Begriffen  bis  zu  dem  absolut  höch- 
sten aufzusteigen  (de  Rep.  lib.  YI,  p.  611 ;  of.  lib.  VU,  p.  53 'J  sqq.),  2.  dann 
wieder  von  dem  höheren  Begriffe  .ans  zu  den  niederen,  die  ihm  unter- 
geordnet sind,  herabzusteigen,  »nach  Artbegriffen  zertheilen  zu  kön- 
nen, gliedermassig  wie  ein  Jedes  gewachsen  ist«  (Phaedr.  1.  1.:  Ein- 
theilung  oder  Division),  und  das,  was  aus  den  zum  Grunde  gelegten 
Voraussetzungen  hervorgehe,  zu  betrachten  (Phaedon  101 :  Deduotion), 
am  auch  diesen  Weg  bis  zu  den  letzten  Consequenzen  zu  verfolgen. 
Den  richtig  gebildeten  Begriffen  aber  entsprechen  reale  Wesen,  welche 
durch  sie  erkannt  werden,  die  Ideen,  und  diese  gliedern  sich  nach 
derselben  Stufenfolge,  wie  die  Begriffe,  von  den  niederen  bis  hinauf 
zu  der  absolut  höchsten  Idee»  der  Idee  des  Guten  (Rep.  p.  509).  Die 
Mathematik  geht  von  Voraussetzungen  aus,  welche  nicht  die  obersten 
sind;  die  Dialektik  gebraucht  diese  nämlichen  Voraussetzungen  als 
Grundlagen  der  Erhebung  zu  den  ideellen  Principien ;  die  Mathematik 
aber  nimmt  den  entgegengesetzten  Weg,  indem  sie  aus  denselben  das 
Besondere  und  Einzelne  ableitet.  Aus  diesem  Grunde  steht  die  ma- 
thematische Erkenntniss  in  der  Mitte  zwischen  dem  reinen  Denken  und 
der  sinnlichen  Wahrnehmung.  Ebenso  sind  auch  die  mathematischen 
Objeete  Mittelwesen  zwischen  den  Ideen  und  den  sinnlichen  Dingen. 
Indem  Plato  bei  der  sinnlichen  Erkenntniss  wiederum  das  Vertrauen 
aaf  die  sinnliche  Wahrnehmung  und  die  blosse  Vermuthung,  und  in 
entsprechender  Weise  unter  den  sinnlichen  Objecten  die  sinnlich  wahr- 
nehmbaren Dinge  und  die  Schattenbilder  unterscheidet,  so  gewinnt  er 
(Rep.  VII,  588  sq.)  die  folgende  Eintheilung  der  Erkenntnissweisen : 


Noriatg 
iniarrifA'n  \  diavoia 


nCartQ  \  etxaaia 


and  die  folgende  analoge  Eintheilung  der  Gesammtheit  des  Seienden: 

NorfTov  yfvoQ  ]  'O^rov  yivog 

tdim  I  fia&Tifiaruea  atififtra  |  iixoveg. 

Es  ist  nicht  nur  für  Plato's  Methode  charakteristisch,  dass  er  die 
Untersuchungen  über  das  Denken  und  über  das  Gedachte  überall  ge- 
meinschaftlich führt,  sondern  auch  für  den  Inhalt  seiner  Lehre,  dass 
er  die  sämmtlichen  Verhältnisse  der  Denkformen  auch  auf  die  Denk- 
objecte  fibertragrt.  Das  Logische  und  das  Metaphysische  steht  bei  ihm 
nodk  in  sehr  naher  £feziehung  und  fast  in  unmittelbarer  Einheit  (ohne 
dass  er  jedoch  zur  Identificirung  fortginge). 

Als  besondere  Schriften  über  Plato's  Logik  u.  Erkenntnisslehre 
sind  zu  nennen :  Dav.  Peipers,  Untersuchungen  über  d.  System  Platons. 
L  Th.:  iKe  Erkenntnisstheorie  PL's  mit  bes.  Bfioksioht  auf  d.  Theaetet 


26  §§  15.  16.   Die  Plstoniker.    Aristoteles. 

unters.  Leipsig  1874.  —  E.  Eiohhoff,  Log^ca  trium  dial.  PL  explio. 
(Menon, Eriton, Phaedon).  6yin]i.-Prg.  Duisburg  1854. —  Hölzer,  Grund- 
züge der  Erkenntnisslehre  in  Pl.'s  Staat.  Gymn.-Prg.  Gottbus  1861.  •— 
Faber,  De  universa  cognitionis  lege  qualem  Plat.  oonst.  cum  Arist.  comp., 
Diss.  Vratisl.  1865.  —  B.  Kleinpaul,  Der  Begr.  d.  £rk.  in  PL's  Theaetet, 
Diss.  Lips.  Gotha  1867.  —  Joh.  Wolff,  Die  plat.  Dialektik,  ihr  Wesen 
u.  ihr  Worth  f.  d.  mensohl.  Erkenntniss  in  d.  Zeitschr.  f.  Philos.  u.  phil. 
Kr.  N.  F.  Bd.  64.  65.  66.  Halle  1874  u.  1875. 

§  15.  Flato's  Nachfolger  in  der  Akademie  bedurften 
zum  Zweck  des  zusammenbängenden  Lehrvortrags  der  stren- 
geren systematischen  Form.  Hierdurch  wurde  Speusippns  ver- 
anlasst, die  Wissenschaften  überhaupt,  und  Xenokrates,  die 
philosophischen  Disciplinen  übersichtlich  einzutheilen.  Xeno- 
krates  soll  zuerst  die  Eintheilung  der  Philosophie  in  Physik, 
Ethik  und  Dialektik  ausdrücklich  aufgestellt  haben.  Die  zweite 
und  dritte  akademische  Schule  oder  die  sogenannte  mittlere 
Akademie,  begründet  durch  Arkesilaus  und  Eameades, 
neigte  sich  zum  Skepticismus  hin,  die  vierte  und  fünfte,  be- 
gründet durch  Philo  und  Antiochus  von  Askalon,  zum  Dog- 
matismus und  Synkretismus. 

Ueber  Speusippus  s.  Diog.  Laert.  IV,  2:  ovtog  n^iotog  iv  toig 
fittd-rffdaatv  i'^saaaio  t6  xotvov  xal  awt^xiCfaai  xa&oaov  ^v  ^vyatov  aXXtf- 
iotg.  Ueber  Xenokrates  s.  Sext.  Empir.  adv.  Math.  YII,  16:  a>v  Su' 
Vttfiii  /ukv  nXtufov  iarlv  ffQXVy^^y  ^^Q^  noXlav  /nkv  tpvaixtay,  n€gl  noX- 
iftiv  dk  tid^ixäVf  ovx  oUytov  dk  hoyix^v  dtalex^t^S '  ^i^rorccr«  ^k  ot  n€Qi 
Tov  SfvoxgaTtf  xtd  ot  ano  tov  JliQatdroVf  hi  ^k  oi  ano  t%  £Toäg  f^^^ 
TOI  rijs^e  rijg  ^lai^iaeiog.  Ueber  Karneades,  der  kein  Kriterium  der 
Wahrheit  zugab,  aber  eine  Lehre  von  der  Wahrscheinlichkeit  aufstellte, 
s.  Sext.  Empir.  adv.  Math.  YII,  159  sqq.;  166  sqq.;  über  Philo  Gic 
Aoad.  pr.  II,  6,  und  über  Antiochus  Gic.  ib.  II,  6*— 18;  43. 

§  16.  Aristoteles  (384—322  v.  Chr.)  fusst  in  der 
Theorie  der  Logik,  wie  überhaupt  in  allen  Zweigen  seines 
Systems,  auf  den  durch  Plato  gelegten  Fundamenten.  Sein 
eigenthttmliches  Verdienst  aber  ist  a.  die  kritische  Umbildung 
der  logischen  Lehren  Plato's,  b.  die  Vervollständigung  der- 
selben, c.  die  systematische  Darstellung.  Die  kritische  Um- 
bildung besteht  im  Allgemeinen  darin,  das  Aristoteles  das 
Verhältniss  des  logischen  und  des  metaphysischen  Elementes 
genauer  zu  bestimmen  sucht.  Die  Vervollständigung  betrifiFt  alle 
Theile  der  Logik;  vornehmlich  aber  hat  Aristoteles  die  syllo- 
gistische  Theorie  geschaffen,  in  der  ihm  kaum  vorgearbeitet 


§  16.   Aristotelefl.  27 

war.  Die  systematische  Gliederang  erstreckt  sich  gleichmässig 
anf  die  Darstellung  des  Ganzen  und  des  Einzelnen,  indem 
Aristoteles  den  sämmtlichen  Haupttheilen  der  Logik  als  Denk- 
lehre eigene  Schriften  gewidmet. nnd  einer  jeden  derselben  eine 
streng  wissenschaftliche  Form  gegeben  hat.  Um  dieser  Ver- 
dienste willen  heisst  Aristoteles  mit  Recht  der  Vater  der 
Logik  als  Wissenschaft.  Aristoteles  fasst  den  wichtigsten  Theil 
seiner  logischen  Untersuchungen,  die  Lehre  vom  Schluss  imd 
Beweis,  unter  dem  Namen  Analytik  zusammen,  weil  hier 
die  logischen  Gebilde  gleichsam  aufgelöst,  d.  h.  zergliedert  und 
auf  ihre  Elemente  zurückgeführt  werden.  Ein  allen  Theilen 
gemeinsamer  Name  findet  sich  bei  ihm  nicht.  Von  den  Her- 
ausgebern und  Gommentatoren  wird  die  Gesammtheit  seiner 
logischen  Werke  Organen  genannt.  Dialektik  nennt 
Aristoteles  die  Kunst  der  Prüfang,  wie  dieselbe  (nach  dem 
Vorbilde  der  Sokratischen  i^haaig)  bei  Disputationen  und  bei 
Nachbildungen  des  Disputirens  (sei  es  mit  oder  ohne  die  dia- 
logische Form)  zu  üben  ist,  oder  das  Verfahren,  aus  auf- 
gestellten Behauptungen  Schlüsse  zu  ziehen,  um  dadurch  die 
Entscheidung  über  ihre  Haltbarkeit  oder  Unhaltbarkeit  zu 
gewinnen,  und  zwar  auf  Grund  wahrscheinlicher  Sätze  (ivdo^a). 
Logisch  nennt  Aristoteles  die  Erörterung  aus  blossen  all- 
gemeinen Begriffen,  Xoyoig,  im  Gegensatze  zu  der  physischen 
Betrachtung,  welche  die  specifischen  und  individuellen  Eigen- 
thttmlichkeiten  berücksichtigt.  Die  in  dem  Organen  dargestellte 
Wissenschaft  wird  von  den  Gommentatoren  des  Aristoteles 
Logik  genannt. 

Die  Aristotelische  Umbildung  der  Platonischen  Lebren  darf  nicht 

so  aufgefasst  werden,  wie  sie  von  Neueren  nicht  selten  missverstanden 

worden  ist,  als  wolle  Aristoteles  das  Denken  nnr  in  seiner  Beziehung 

auf  sich  selbst  und  nicht  in  seiner  Beziehung  auf  die  objective  Realität 

I  betrachten.    Der  Standpunct  der  Aristotelischen  Logik  ist,   wie  schon 

.  Ritter  (in  seiner  Qesohichte  der  Philos.  III,  S.  117  ff.  1831)   und  be- 

*  sonders  Trend elenburg   (in  seinen   »Logischen  Untersuchungenc  I, 

;S.  18—21,  1840;  2.  u.  3.  A.,  S.  30—33,    1862  u.  1870;   of.  Elem.  log. 

^  Ariat  ed.  II,  1842,  ed.  V,  1862,  ed.  YI,  1868,  ad  §  63)  dargethan  haben, 

^  denen  auch  Zell  er  (Philos.  der  Griechen,  II,  S.  373  ff.,  1846;  2.  A.  II,  2, 

^  &  181  ff.,  1860,  3.  A.  1879.  S.  186  ff.),  Bonita  ((Kommentar  zur  Arist 

Met^h.  S.  187,   1849),   Brandis  (G^ch.  der  Gr.-R.  Phil.  II,  2  a,  S. 

^371  ff.;  432  ff*,  1853),  wiewohl  dieser  zwischen  der  Aristotelischen  und 


38  §  16.   Aristoteles. 

^  der  modernen  formalen  Logik  eine  etwas  grossere  Yerwandtscliaft  an- 
-  nimmt,  und  Prantl  (Gesch.  der  Logik  I,  S.  87  ff.;  S.  104  ff.;  S.  185. 
1856)  sich  anschliessen,  keineswegs  identisch  mit  dem  der  modernen  sub- 
jectivistisch-formalen  Logik.  Die  Norm  der  Wahrheit  findet  Aristoteles, 
gleich  wie  Plato,  in  der  Uebereinstimmnng  des  Gedankens  mit  der  Wirk- 
lichkeit, welche  das  Maass  der  Wissenschaft  ist.  Metapb.  III,  7.  1011. 
b.  25.  dijlov  6k  TiQmov  (ilv  o^iaafiivoiq  xl  jo  alij^ks  xal  tf/evdog  ro  fihv 
yitQ  Xfyny  t6  ov  /tiij  fJvm  ^  t6  fiij  ov  elvtu  ^evSoCy  ro  (f^  ro  ov  tlvai  xal  to 
Ufl  ov  firi  tJvai  «Jiij^^c,  cScTT«  xal  o  X^ytov  ilvtu  rj  fiii  aXijf^evaei  ^  tpevatrai.  — 
VIII,  10.  1051.  b.  1.  TO  6k  xvQuaTara  ov  aXri^ks  V  ^ivJog,  rouro  (T  (nl  rtüv 
TrQayfittTtov  iarl  rf  avyxsTa&m  rj  öifjQTJad^u,  mare  alfi^ev€i  fikv  6  xo  Sifjinri'- 
fiivov  oiofAtvog  6t€UQ€Ta&m  xttl  ro  avyx€£fifvov  avyxfia&Mj  iyfevottti  6i  6 
ivttVTimg  i;(Q}V  5  T«  TrQtty/nttTttj  ttot'  iailv  rj  ovx  tan  to  alriO-kg  Uyojuevov  ij 
ifffv^og;  TovTo  yng  ax(nr4ov  xl  Ifyouev.  —  cf.  Categ.  12.  14.  b.  21 :  t^  yap 
elrai  x6  nfmyfia  ^  ftri  aXrj&rjs  6  koyos  rj  y߀v6rig  X4yitm.  Der  richtig  gebil- 
dete Begriff  entspricht  nach  Aristoteles  dem  Wesen  der  Dinge  (ova(a  oder 
TO  xi  ^v  elvai,  worüber  unten,  §  56,  in  der  Lehre  vom  Begriff  das 
Nähere);  das  Urtheil  ist  eine  Aussage  über  ein  Sein  oder  Nichtsein: 
die  Bejahung  und  Verneinung  entspricht  der  Verbindung  und  Trennung 
in  den  Dingen;  die  verschiedenen  Formen  der  Begriffe  in  denUrtheilen 
(oder  die  Arten  der  Bezeichnung  des  Seienden,  axri/uiaxa  x^s  xaxrjyoQtag 
xmv  ovTotv)  bestimmen  sich  nach  Existenzformen;  der  Mittelbegriff 
in  dem  gut  gebildeten  Syllogismus  entspricht  der  Ursache  in  dem 
Zusammenhange  des  realen  Geschehens;  die  Principien  der  wissen- 
schaftlichen Erkenntniss  entsprechen  dem,  wa«  auch  der  Natur  nach 
in  den  Dingen  das  Erste  ist.  —  Aristoteles  giebt  der  Gesammtheit 
seiner  logischen  Untersuchungen  den  Namen  Analytik  {xa  aVttXutixa) 
d.  h.  Zergliederung  des  Denkens  (aber  nicht:  Lehre  von  einem  bloss 
zergliedernden  Denken),  und  verlangt,  dass  man  sich  mit  denselben 
schon  vorher  vertraut  gemacht  habe,  ehe  man  zu  der  Beschäftigung 
mit  der  ersten  Philosophie  (oder  Metaphysik)  übergehe  (Metaph.  III,  8. 
1005.  b.  8.  St^  anaidevaUtv  rdiv  irvaXvxixijv  xovxo  Sqmüiv '  <f«r  yicg  nf^i 
xovttov  rixiiv  nQoaniaxafAivtog^  aXX«  fiij  axovovras  Cvf^tiV.  cf.  VI,  12. 
1087.  b.  8).  Was  die  einzelnen  logischen  Schriften  betrifft,  so  handelt 
das  Buch  de  Categoriis,  n(Ql  xarriyogitiv  (dessen  Echtheit  nicht  ganz 
ausser  Zweifel  steht;  vielleicht  sind  jedoch  nnrCap.  10 — 15  von  fremder 
Hand  hinzugefügt  worden)  von  den  Formen  der  Begriffe  und  den  ent- 
sprechenden Existenzformen,  das  de  Interpretatione ,  7r«^>  ig^tivfütg 
(dessen  Echtheit  Andronikus  von  Rhodus  anzweifelte)  vom  Satz  und 
Urtheil,  die  zwei  Bücher  Analytica  priora,  avaXvxixa  nnoxigaf  vom 
Schluss,  die  zwei  Bücher  Analytica  posteriora,  aviuvxixa  Sffrcpct,  vom 
Beweis,  von  den  Definitionen  und  Eintheilungen  und  von  der  Erkennt- 
niss der  Principien,  die  acht  Bücher  Topioa,  xonixd,  von  den  dialekti- 
schen oder  Wahrscheinlichkeitsschlüssen,  endlich  das  Buch  de  Elenchia 
sophisticis,  ;rcpl  aoipiaxixwv  My^tov^  von  den  Trugschlüssen  der  Sophisten 
und  ihrer  Auflösung.  *-  Die  beste  neuere  Gesammtausgabe  dieser 
Schriften  ist  folgende:  Aristotelis  Organon  ed.  Theod.  Waitz.  2  Bde. 


§  16.   Aristoteles.  29 

Lips.  1844—46.  Ein  vortreffliches  Hülfsmittel  zum  Stadium  der  Haapt- 
lehren  des  Aristotelischen  Organons  bieten  Trendelenburg's  £lementa 
logioes  Aristoteleae,  Berol.  18S6,  6.  Aufl.  1868  (daza:  Erläuterungen  zu 
d.  Elementen  der  anst.  Logik.  Zunächst  f.  d.  Unterricht  in  Gymnasien  1.  A. 
Berlin«  1842.  8.  A.  1876},  zu  einem  weiter  eindringenden  Studium  mag 
ausser  dem  schon  oben  genannten  Geschichtswerke  von  Prantl  be* 
sonders  auch  die  Darstellung  der  Aristotelischen  Philosophie  von 
Brandis  in  seinem  Handbuche  der  Gesch.  der  Griech.-Böm.  Philos.  11, 
2  a,  1853  anleiten;  auch  Biese  (die  Philosophie  des  Aristoteles,  l.Bd.: 
Logik  und  Metaph.,  1885)  mag  verglichen  werden;  ebenso  C.  Prantl, 
über  die  Entwicklung  der  Aristot.  Logik  aus  der  Piaton.  Philos.  in  d. 
Abhdl.  der  Bayer.  Akad.  der  Wiss.  I.  CL  YIL  Bd.,  1.  Abth.;  auch 
Trendelenburg,  Gesch.  der  Kategorienlehre,  Berlin  1846,  und  R. 
Eucken,  die  Methode  der  Aristot.  Forschung  in  ihrem  Zusammenh. 
mit  den  philos.  Grundprincipien  des  Arist,  Berlin  1872.  lieber  die 
Bedeutung  der  Ausdrücke:  Analytik  und  Dialektik  bei  Aristoteles 
handeln  u.  A.  Trendelenburg,  Elem.,  annot.  init.  u.  zu  §  83,  und 
Charles  Thurot,  J^tudes  sur  Aristote,  Paris  1860,  S.  118  ff.,  und  über 
die  Bedeutung  von  loytxog  Waitz  ad  Organen  Arist.  82  b,  36 ;  Schwegler 
ad.  Arist.  Metaph.  VII,  4,  §  5;  XI,  10,  §  11;  Prantl,  Gesch.  der  Log.  I, 
S.  535  f.  Aristoteles  schreibt  das  loyixdii  Cv^^v  (im  Gegensatz  gegen 
die  ipvaixii  axi^nq)  besonders  Plato  und  den  Platonikem  zu  (Metaph« 
XII,  1,  §  5  u.  öfter)  theils  mit  Anerkennung' der  Vorzüge  der  Forschung 
in  Begriffen  (Metaph.  XIII,  5,  §  11),  theils  und  vorwiegend  mit  Tadel, 
weil  die  bloss  logische  Betrachtung,  je  mehr  sie  auf  das  Allgemeine 
gehe,  um  so  ferner  von  dem  Eigenthümlichen  sei.  Arist.  de  general 
animal.  II,  8.  747.  b.  28;  liytü  Sh  loyixriv  {rrfv  änodu^iv)  dia  tovtOj 
oTi  oaip  xad^lov  fzälXoVj  no^t^unigto  i^v  oixeitov  (arlv  kqx^v,  —  Zur 
Zeit  Cicero's  war  der  Name  Xoytxti  für  die  Lehre  von  der  Erkenntniss 
und  Darstellung  (besonders  wohl  unter  dem  Einfluss  der  Stoiker)  schon 
ganz  üblich  geworden.  So  sagt  z.B.  Cic.  de  fin.  1,  7:  in  altera  philo- 
sophiae  parte,  quae  est  quaerendi  ac  disserendi,  quae  layix^  dicitur. 
Bei  Alexander  von  Aphrodisias,  dem  Exegeten  des  Aristoteles,  findet 
sich  häufig  der  Ausdruck:  ri  Xoyixti  n^€ty/ji€tT€^a.  BoÖthins  sagt:  logploen 
Peripatetici  veteres  appellaverunt.  Seneca  und  Quintilian  gebrauchen 
den  Ausdruck  rationalis  philosophia  oder  rationalis  pars  philosophiae. 
Den  Sinn  dieser  Bezeichnung  erläutert  sehr  gut  Thomas  von  Aquino 
in  seinem  Gommentar  zu  Arist.  Anal,  post.  dahin:  Ratio  de  suo  actu 
ratiocinari  potest  —  et  haec  est  ars  logica,  i.  e.  rationalis  soientia,  quae 
non  solum  rationalis  ex  hoc,  quod  est  seoundum  rationem,  quod  est 
Omnibus  artibus  commune,  sed  etiam  in  hoc,  quod  est  circa  ipsam  artem 
rationis  sicut  circa  propriam  materiam.  Vgl.  Kant,  Log.  hrsg.  von 
Jäsche,  8.  7:  >das8,  sie  (die  Logik)  eine  Vemunftwissenschaft  sei  nicht 
der  blossen  Form,  sondern  der  Materie  nach,  da  ihre  Regeln  nicht  aus 
der  Erfahrung  hergenommen  sind,  und  da  sie  zugleich  die  Vernunft  zu 
äirem  Objecto  hat.c 

Als  besondere  Schriften  über  Aristoteles  Logik  der  Erkenntniss- 


30  §  17.   Die  Peripatetiker. 

lebre  sind  noch  zu  nennen:  Ph.  Gumposch,  Ueber  d.  Logik  u.  d.  log. 
Scbriften/  des  Arist.  Leipzig  1889.  —  Barthelemy  St.  Hilaire, 
M^m.  Bur  l'organ.  d'Arist.  cour.  par  l'Jnstit.  2  vol.  Paris  1838  et  Rap- 
port de  M.  Damiron  aar  le  concoors,  in  T.  S.  des  M6m.  de  l'Acad. 
deB  Bc.  mor.  et  polit.  —  C.  L.  W.  Heyder,  Krit.  Darst.  u.  Vergl.  der 
Arist.  und  HegePscfaen  Dialektik.  l.Bd.  1.  Abth.  Die  Methodologie  der 
Arist.  Philos.  u.  der  frühem  Systeme.  Erlangen  1845.  —  A.  L.  Gast- 
mann, De  methodo  philos.  Arist.  Groning.  1846.  —  C.  Weinholtz, 
De  finibns  atqae  pretio  logicae  Aristotelis.  Rostockii  1826.  —  H. 
Hettner,  De  logices  Aristotelicae  speculativo  principio.  Hai.  1848.  — 
A.  T egge,  De  vi  atque  notione  dialecticae  Aristoteleae.  Treptow.  1877. 

—  Sal.  Maimon,  Die  Kategor.  des  Arist.  MitAnm.  erl.  u.  als  Propaed, 
zn  einer  neuen  Theorie  des  Denkens  dargest.  Berlin  1794.  —  Ad. 
Trendelenbnrg,    De  Arist.  categoriis  prolnsio  academ.   Berol.  1838. 

—  H.  Bonits,  Ueber  d.  Eatögorien  des  Arist.,  in  d.  Sitzungsb.  d. 
Wien.  Akad.  der  Wiss.,  hist-philol.  Gl.  Bd.  X.  1863.  —  A.  F.  C. 
E  ersten,  Qno  jare  Kantius  Arist.  categorias  reiecerit.  Prg.  d.  Cöln. 
Realgymnas.  Berlin  1868.  —  Wil.  Schuppe,  Die  arist.  Kategorien. 
Gymn.-Prg.  Gleiwitz  1866  (u. Berlin  1871).  —  Luthe,  Die  arist. Kategorien. 
Realsch.-Prg.  Ruhrort  1874.  —  A.  Wentzke,  Die  Kategorien  des  ür- 
theils  im  Anschl.  an  Aristoteles  erl.  u.  begr.  Gymn.-Prg.  Culm  1868.  — 
EL  Rassow,    Aristotelis  de  notionis  definitione  doctrina.  Berol.  1848. 

—  Gar.  Kühn»  De  notionis  definitione  qualem  Arist.  constituerit. 
Hai.  1844.  —  £.  Essen,  Die  Definition  nach  Arist.  Gymn.-Prg.  Stargard 
1864.  —  Ghr.  Francke,  De  Arist.  iis  argumentandi  modis,  qui  reoe- 
dunt  a  perfecta  syllogismi  forma.  Rostockii  1824.  —  A.  Yera,  Pia- 
tonis, Aristotelis  et  Hegelii  de  medio  termino  doctrina.  Paris  1845. — 
J.  Hermann,  quae  Arist.  de  ultimis  cognoscendi  principiis  docuerit. 
Berol.  1864.  —  Fr.  Zelle,  Der  Untersch.  in  d.  Auffassung  d.  Logik  b. 
Arist.  u.  b.  Kant.  Berl.  1870.  —  F.F.Kampe,  Die  Erkenntnisstheorie 
des  Arist.  Leipzig  1870.  —  Gl.  B'äumker,  Des  Arist.  Lehre  v.  d. 
ausser,  u.  inner.  Sinnesvermögen.  Diss.  v.  Münster.  Lpz.  1877.  —  J. 
Neuhaeuser,  Arist.  Lehre  v.  d.  sinnl.  Erkenntnissvermögan  u.  s.  Gr- 
ganen.  Leipzig  187H.  —  Dembowski,  Quaestiones  Arist.  duae  (I.  de 
xoivov  ttta&ifrrjQiov  natura  et  notione).  Diss.  Bonn.  Königsberg.  1881.  — 
R.  Biese,  Die  Erkcnntnisslehrö  des  Arist.  u.  Kaut's  in  Vergl.  ihrer 
Grundprinz,  hist-krit.  dargest.  Berlin  1877.  —  T.  Gase,  The  elements 
of  Arist.  logic,  following  the  order  of  Trendelenburg  with  introd. 
Lotidon  1880. 

§  17.  Die  älteren  Peripatetiker,  überwiegend  empi- 
rischer Forschung  zugewandt,  bilden  die  Logik  des  Aristo- 
teles nur  in  wenigen  Einzelheiten  weiter  fort.  Die  späteren 
beschränken  sich  darauf,  durch  Commentare  das  Studium  der 
Aristotelischen  Werke  zu  fördern. 

Theophrast  und  Eudemus  begründen  die  Theorie  der  hypo- 
thetischen und  disjunctiven  Schlüsse  und  erweitern  die  Theorie  der  ka- 


§  18.   Die  Kpikareer,  Stoiker  und  Skeptiker.  81 

t^foruchea  Schlüsse,  indem  sie  zu  den  yierzehn  Aristotelisehen  Sohlnss- 
modis  fünf  neue  hinzufügen,  und  zwar  als  Modi  der  ersten  Figfor;  es 
sind  dies  aber  die  nämliohen,  aus  welchen  später  die  sogenannte  vierte 
Sohlussfigur  gebildet  worden  ist.  Siehe  unten  bei  der  Lehre  vom  Schluss 
(sn  §.  108)  das  Nähere.  Unter  den  Späteren  verdienen  besonders  An- 
dronikus  von  Rhodus  (um  70  n.  Chr.),  der  Ordner  der  Aristoteli- 
soihen  Werke,  Alexander  von  Aphrodisias  (um  200  n.  Chr.),  der  Exe- 
get,  «nd  der  Eklektiker  Galenus  (um  200  n.  Chr.)  genannt  zu  wer- 
den. An  ihre  Bemühungen  schliessen  sich  die  der  Neuplatoniker  an. 
Siehe  Brandis  über  die  griechischen  Ausleger  des  Aristotelischen  Orga* 
iMss,  in  den  Abhandlungen  der  Berliner  Akademie  der  Wissensoh.  1888. 

§  18.  Epikur  (341—270  v.  Chr.)  setzt  denWerth  der 
Logik  (die  er  als  „KaDonik'^  bezeichnet)  herab,  indem  er  sie 
aossehliesslich  in  den  Dienst  seiner  hedonisehen  Ethik  stellt, 
ttbergeht  die  schwierigeren  Lehren  nnd  weist  der  sinnlichen 
Wahrnehmung  nnd  den  aus  dieser  hervorgehenden  Vorstel- 
lungen die  endgültige  Entscheidung  über  die  Wahrheit  zu. 
Die  Stoiker,  deren  Richtung  durch  Zeno  aus  Gittium  (um 
3O0  V.  Chr.)  begründet  und  besonders  durch  Chrysippus,  der 
von  282—209  v.  Chr.  lebte,  ausgebildet  wurde,  ergänzen  nicht 
nur  die  Aristotelische  Denklehre  in  eineinen  Partien,  nament- 
lich durch  Bearbeitung  der  Lehre  von  den  hypothetischen  und 
disjunctivBn  Schlüssen,  sondern  Ittgen  auch  die  ersten  Anfänge 
einer  Theorie  der  Wahrnehmung  und  ihres  Werthes  für  die 
Erkenntniss  hinzu.  Durch  ihre  Untersuchungen  über  das  Eri- 
terinm  der  Wahrheit  erhält  ihre  Logik  noch  entschiedener, 
als  die  Aristotelische,  den  Charakter  einer  Erkenntnisslehre. 
Sie  sprechen  schon  der  Sinneswahmehmung,  in  höherem  Maasse 
aber  dem  Denken  die  Fähigkeit  zu,  ein  treues  Abbild  der 
Wirklichkeit  zu  erzeugen.  Unter  dem  Namen  Logik  fasst 
ein  Theil  der  Stoiker  die  dialektischen  (d.  h.  die  Theorie  des 
Denkens  und  Erkennens  betreflfenden)  und  die  grammatisch- 
rhetorischen  Lehren  zusammen.  Die  Skeptiker  bekämpfen 
den  Dogmatismus  überhaupt,  insbesondere  aber  den  der  Stoiker. 
Die  Hauptvertreter  des  Skepticismus  sind  die  Anhänger  des 
Pyrrho  aus  Elis  (um  320  v.  Chr.)  und  die  Philosophen  der 
mittleren  Akademie. 

üeber  Epikur  siehe  Biog.  L.  X,  31:  iv  tolvw  r^  Kavovi  Ifyei 
6  *E7t£xovQogt  XQttrJQta  rrjg  alri&elag  €?Kxt  ras  ttta^ffetg  xal  n^lr^yptig  xeel 
xk  nu^.    Gic.  de  Fin.  I,  7:   tollit  defioitiones,  nihil  de  diTidendo  ac 


32  §  19.   Die  Neuplatoniker. 

partiendo  dooet;  non  quo  modo  effioiatur  condudaiarque  ratio  iradit; 
non  qaa  via  captiosa  solvantur,  ambig^a  distinguantur  ostendit;  iudicia 
rernm  in  sensibas  ponit;  of.  ib.  II,  6.  üeber  das  Schliessen  aus  Zeichen 
{arifitttty  atifjieiova^a)  haben  im  Anschluss  an  Epiknr  einige  spätere 
Epikureer,  namentlich  Zeno  um  100  t.  Chr.)  und  dessen  Schüler  Phi- 
lodemus  eingehender  gehandelt.  —  Ueber  die  Stoische  Eintheiluiig 
der  Logik  siehe  Diog.  L.  VII,  41:  t6  äk  loytxov  fi^Qos  (paalv  $vtoi  iig 
Svo  SuttQiia^iu  imOT^^ttSt  iic  ^ffroQixriv  xal  €ig  dtaXciettxriy,  cf.  Senec 
£p.  89;  über  die  (panttaia  xantlfinTixii  als  Kriterium  und  die  daraus 
erwachsende  7iQolrj\iftg  Diog.  L.  YII,  46;  Cic.  Acad.  post.  I,  11:  visis 
non  Omnibus  adiungebant  fidem,  sed  iis  solum,  quae  propriam  quan- 
dam  haberent  declarationem  earum  rerum,  quae  viderentur  —  unde 
postea  notiones  rerum  in  animis  imprimerentur.  —  Stob.  Eclog.  eth. 
n,  p.  128:  (Ivai  dh  tijv  (Trior^firjr  xcczaXtjilfiv  aatf^alrj  xal  tt/undnTanor 
vno  Xoyov.  —  Die  Logik  der  Stoiker  haben  folg.  bes.  Schriften  behan- 
delt: D.  Tiedemann,  System  d.  stoisch.  Philosophie.  8  Thle.  Lps. 
1776.  —  J.  H.  Ritter,  De  Stoic.  doctr.  praes.  de  eorum  logica.  Bresl. 
1849.  —  AdamBursii,  Logica  Ciceronis  Stoica.  Hannov.  1604.  — 
Nicolai,  De  log.  Chrys.  libris.  Gymn.-Prg.  Quedl.  1859.  —  V.  Brochard, 
De  assensione  Stoici  quid  senserint.  Nancy  1879.  —  Rud.  Hirzel,  De 
logica  Stoioorum.  Lpz.  1879.  —  M.  Heinze,  Zur  Erkenntnisslehre  der 
Stoiker.  Univ.-Prg.  Lpz.  1879/80.  —  Zu  vergl.  R.  Schmidt,  Stoicorum 
grammatica.  Halle  1889.  —  Die  Skeptiker  finden  weder  in  der  Wahr- 
nehmung noch  im  Begriff  einen  sicheren  Entscheidungsgrund  zwischen 
den  entgegengesetzten  Ansichten  und  beschränken  sich  daher  darauf, 
die  Erscheinungfen  als  solche  aufzufassen  unter  Enthaltung  (inoxri)  von 
jeglichem  Urtheil  über  ihre  objective  Wahrheit.  Diog.  L.  IX,  103  sqq. 
Zehn  Zweifelsgründe,  welche  nach  Aristocles  ap.  Euseb.  praepar.  evang. 
XIY,  18  von  Aenesidemus  (im  erst.  Jahrh.  n.  Chr.)  zusammengestellt 
worden  zu  sein  scheinen,  werden  angeführt  von  Sext.  Emp.  hypotyp. 
Pyrrhon.  I,  86  sqq.;  Diog.  L.  IX,  79  sqq.  Sie  stützen  sich  vorzüglich 
auf  die,  durch  die  Relativität  der  Vorstellungen  bedingten,  subjectiven 
Verschiedenheiten  derselben,  s.  R.  Goebel,  Die  Begründung  der  Ske- 
psis des  Acnes,  durch  die  zehn  Tropen.  Gymn.-Prg.  Bielefeld  1880.  Eine 
sehr  reichhaltige  Zusammenstellung  der  sämmtlichen  skeptischen  Argu- 
mente des  Alterthums  gibt  Sextus,  ein  Arzt  der  empirischen  Schule 
(um  200  n.  Chr.),  in  seinen  beiden  uns  erhaltenen  Werken:  iZi^^cv- 
viltov  vnoTvnt6a€(ov  ßißXia  XQ(a  und  IJQog  ^a^fiurixovg  ßißlia  ^v^fxa. 
Ex  recens.  Imm.  Bekkeri.  Berol.  1842.  —  Die  Pyrrhon  Grundzüge 
a.  d.  Griech.  übers,  u  mit  e.Einl.  u.  Erläuter.  vers.  v.  Eng.  Pappen- 
heim in  d.  Philos.  BibUoth.  hrsg.  v.  J.  H.  v.  Kirchmann.  Bd.  74. 
Lpz.  1877. 

§  19.  Die  Neuplatoniker  (deren  Richtung  im  dritten 
Jahrhundert  nach  Chr.  aufkam),  metaphysisch-theosophischen 
Speculationen  zugewandt,  stellen  die  ekstatische  Anschauung 
des  Göttlichen    höher,    als   die  wissenschaftlich    vermittelte 


§§  19. 20.  DieKeuplatoniker,  das  Stadium  der  Dialektik  in  den  Schalen.  88 

Erkenntniss.  Sie  wenden  den  logischen  Untersnchnngen  des 
Plato  and  Aristoteles  ein  eifriges  Studium  zu,  ohne  dieselben 
in  selbständiger  Weise  wesentlich  fortzubilden. 

Plotinas  (204 — 269  n.  Chr.)  yersuoht  die  Aristotelische  Katego- 
rienlebre  amzabilden;  die  späteren  Neuplatoniker  kehren  jedoch  za 
derselben  zarüok.  Porphyr  ins  (232  —  304  n.  Chr.)»  des  Plotinus 
Schaler,  ist  der  Verfasser  der  besonders  im  Mittelalter  vielgelesenen 
Isagoge  in  Aristotelis  Organen,  worin  er  von  den  logischen  Begriffen: 
Gattung,  Art,  Differenz,  Eigenthümliches  and  Aasserwesentliches  han- 
delt. De  qninque  vocibas  sive  categ.  Arist.  introdactio.  Paris  1643. 
Von  den  Stadien  der  späteren  Neaplatoniker  zeugen  ihre  zahlreichen, 
zum  Theil  noch  erhaltenen  Commentare  za  den  Platonischen  and  Ari- 
stotelischen Schriften« 

§  20.  Die  Philosophie  der  Kirchenväter  ist  wesent- 
lich Religionsphilosophie  und  wendet,  mit  den  Schwierigkeiten 
ihrer  nächsten  Aufgabe  ringend,  den  logischen  Problemen 
nar  ein  secundäres  Interesse  zu.  Die  Platonische  Ideenlehre 
behauptet  ihr  Ansehen,  jedoch  in  einem  Sinne,  der  von  dem 
ursprünglichen  wesentlich  abweicht,  indem  namentlich  Augu- 
stinus im  Anschluss  an  Plotin  die  Ideen  dem  göttlichen  Geiste 
immanent  sein  lässt.  Die  Hauptlehren  des  Aristotelischen  Or- 
ganons  werden  den  Lehrbttchern  der  sogenannten  sieben 
freien  Künste  einverleibt,  und  bilden  so  (seit  dem  6.  Jahr- 
handert)  in  den  christlichen  Schulen  einen  Gegenstand  des 
Unterrichts.  Auch  bei  arabischen  und  jtldischen  Gelehrten 
findet  das  Organon,  wie  überhaupt  die  Aristotelischen  Werke, 
ein  fleissiges  Studium. 

Das  Verhältniss  der  Kirchenväter  zar  griechischen  Philosophie  ist 
ein  Tcrschiedenes.  Justin  der  Martyr  (um  160  n.  Chr.)  spricht  als 
seine  Ueberseagang  aus:  ol  /Atra  uioyov  pnoaovtig  Xgiariayoi  itai,  xav 
ti&ioi  ivofi£a^aaVy  olov  iv  'EXiriai  fiiv  ^taxQorris  xai  *HQaxl€itog  xal  ol 
ofAOiot  aiftöig  (lastin.  Apolog.  I,  46,  p.  88  C).  Aach  Clemens  von 
Alexandrien  (am  200  n.  Chr.),  Origenes  (185 — 254  n.  Chr.)  and  An- 
dere sind  Freunde  der  griechischen  Philosophie  und  stellen  sie  in  den 
Dienst  der  christlichen  Theologie.  Andere  dagegen,  wie  Iren  aus  (um 
140^202  n.  Chr.)  und  Tertullian  (160—220  n.  Chr.)  (auch  Arno- 
bius  und  Lactantius  (beide  um  SOO  n.  Chr.)),  durch  gnostischen 
Synkretismus  geschreckt,  fürchten  von  ihr  eine  Gefährdung  der  Rein- 
heit der  christlichen  Lehre;  wieder  Andere,  wie  namentlich  August  in 
(354-— 430  n.  Chr.)»  huldigen  einer  vermittelnden  Bichtung.  Am  eng- 
ttea  ist  die  theils  befreundete,  theils  gegnerische  Berührung  mit  dem 
Keuplatonismus.     Auf  die  Wahrheit  der  Erkenntniss  von  dem  innern 

3 


34  §  21.   Die  Scholastiker. 

Leben  gpründet  Augustin  die  Wahrheit  der  Erkenntniss  überhaupt  (s. 
unten  zu  §  40).  Die  Ideen  sind  ihm  principales  formae  quaedam  vel 
rationes  rerum  stabiles  atque  incommutabiles,  quae  in  divina  intelligentia 
continentur  (de  div.  qu.  46).  Jac.  Merten,  Ueber  d.  Bedeutung  der 
Erkenntnisslehre  d.  h.  August,  u.  d.  h.  Thom.  v.  Aquino  f.  den  gesch. 
Entwicklungsgang  der  Philosophie  als  rein.  Vemunftwissensch.  Trier 
1866.  —  NiaJos.  Lud  w.  Schütz,  August,  de  orig.  et  via  oognitionis 
intellect.  doctrina  ab  ontologismi  nota  yindicata.  Monast.  1867.  —  G. 
Melzer,  August,  atque  Cartes.  placita  de  mentis  human,  sui  cogpütione 
quomodo  inter  se  oongruant  a  seseque  differant;  Diss.  Bonnae  1860. 
Boethius  (470—526)  übersetzte  und  commentirte  mehrere  Schriften 
des  Aristotelischen  Organons  und  erläuterte  die  durch  den  Rhetor  Vi- 
ctorinus  verfertigte  Uebersetzung  der  Isagoge  des  Porphyrius.  Mar- 
cianus  Gapella  (um  480)  und  Gassiodorus  (um  500)  in  ihren 
Lehrbüchern  der  septem  artes  liberales  (Grammatik,  Rhetorik,  Dia- 
lektik —  Arithmetik,  Geometrie,  Astronomie  und  Musik)  handeln 
unter  anderem  auch  von  der  Dialektik  oder  Logik  im  Anschluss  an 
Aristoteles.  Auf  ihn en  fussen  dann  Isidorus  Hispalensis  (um 600), 
Beda  (um  700)  und  Alcuin  (786—804).  Unter  den  arabischen  Ari- 
stotelikem  sind  besonders  Avicenna  (Ibn  Sina,  um  1000  n.  Ghr.)  und 
Averroes  (Ibn  Roschd,  um  1176)  berühmt  (Ibn  Sina's  Log^k  behan- 
delte B.  Haneber g.  Zur  Erkenntnisslehre  v.  Ibn  Sina  u.  Alb.  Magnus, 
in  d.  Abb.  d.  philos.-philol.  Ol.  d.  k.  bayer.  Akad.  d.  Wissensch.  XI.  1. 
München  1866);  unter  den  jüdischen  ist  des  Averroes  Zeitgenosse  Mo- 
ses Maimonides  (Moses  Ben  Maimun,  1185 — 1204),  »dieses  Licht 
unter  den  Juden  des  Mittelalters«,  der  bedeutendste. 

§  21.  Im  Mittelalter  entwickelt  sich  unter  dem  Einflnsse 
theils  der  Kirchenväter,  theils  logischer  Schriften  des  Aristo- 
teles und  später  (etwa  seit  dem  Anfange  des  dreizehnten  Jahr- 
hunderts) auch  der  übrigen  Aristotelischen  Werke  die  scho- 
lastische Philosophie.  Das  Wesen  der  mittelalterlichen 
Scholastik  ist  die  Uebung  des  ordnenden  und  schliessenden 
Verstandes  an  der  formalen  Aussenseite  des  Dogmas  und  der 
Wissenschaften  bei  traditionell  gegebenem  Inhalte.  Für  die 
Logik  ist  sie  in  zweifacher  Beziehung  von  Bedeutung :  a.  durch 
ein  subtiles  Ausspinnen  der  Aristotelischen  Syllogistik,  b.  durch 
den  Kampf  des  Bealismus  und  Nominalismus  in  der  Frage 
nach  der  realen  Existenz  der  Universalien.  Der  Sealismus 
behauptet  in  der  Zeit  der  Culmination  der  Scholastik  eine 
fast  unbeschränkte  Herrschaft.  Der  Nominalismus,  der  durch 
seine  Behauptung,  dass  das  Allgemeine  nicht  etwas  Beales 
sei,  sondern  nur  im  Wort  oder  auch  etwa  noch  in  der  Vor- 
stellung (Conceptualismus)   existire,  de?n  Werth   der  schola- 


§  21.   Die  Scholastiker.  85 

stiBchen  Kunst  lierabzusetzen  droht,  findet  nur  theils  beim 
Beginne  der  Scholastik  eine  vereinzelte  oder  vorübergehende, 
thefls  in  der  späteren  Zeit  eine  allgemeinere  und  siegreiche 
Vertretung. 

Die  allgemeine  Tendenz  der  Scholastik  bezeichnet  der  Wahlspruch 
des  Anselmus  von  Canterbury  (1088—1109):    »Credo,  ut  intelligam«. 
Dock  richtet  sich,  wie  es  in  der  Natur  der  Sache  liegt,   das  Streben 
nach  wissenschaftlicher  Yemunfteinsicht   zunächst  vorwiegend  auf  die 
äussere,  formale  Verarbeitung  des  gegebenen  Inhaltes  der  Glaubenslehre 
und  der  weltlichen  Wissenschaften.  Die  Kenntniss  der  logischen  Werke 
des  Aristoteles  war  bis  zur  Zeit  Abälards  (der  von  1079 — 1142  lebte) 
anf  die  Uebersetzungen  der  Categ.  und  der  Schrift  de  Interpr.  beschränkt, 
^vrozu  die  Isagoge  des  Porphyrius  und  von  Boethius  verfasste  Lehrbücher 
(nebst  den  Augustinischen  Principia  dialect.  und  der  pseudo- Augustini - 
sehen  Schrift  über  die  zehn  Kategorien)  kamen  (nach  dem  Zeugniss  des 
Abälard  bei  Cousin,  oeuvres  inM.  p.  228,  s.  Prantl,  Gesch.  der  Logik  II, 
S.  100;  Abälard  kannte  ausserdem  vielleicht  mittelbar  einzelne  Sätze, 
die  Aristoteles  in  den  übrigen  logpischen  Schriften  aufstellt).  Bald  nach- 
her, um  die  Mitte  und  schon  vor  der  Mitte  des  zwölften  Jahrhunderts, 
verbreitete  sich   allmählich  mehr  und  mehr  die  Kenntniss  der  beiden 
Analytiken  und  der  Topik  nebst  Soph.  £1.  theils  in  der  Boethianisohen, 
theils  in  anderen,  neuen  und  wörtlicheren  Uebersetzungen.  Johann  von 
Salisbury  (gest.  1180  als  Bischof  von  Ghartres)  kannte  das  ganze  Organen. 
Theils  vielleicht  schon  im  Laufe  des  zwölften,  theils  und  besonders  im 
Anfang  des  dreizehnten  Jahrhunderts  gewann  die  Logik  eine  neue  Aus- 
bildung, deren  wesentlicher  Charakter  in  der  Mitaufnahme  grammatisch- 
logischer Begriffe  und  Lehren  liegt;  diese  neue  Form  verbreitete  sich 
zumeist  durch  das  Compendium  des  (als  Papst  Johann  XXI  im  Jahre 
1277  gestorbenen)  Petrus  Hispanus:  »Summulae  logicalesc  (worin  u.  a. 
auch   die  voces  memoriales  für  die  Formen  der  Schlüsse  sich  finden). 
I>ie  logischen  Lehren  des  Aristoteles  wurden  hier  in  sechs  Abschnitten 
(tractatus)  vorgetragen,    wovon  der   erste    den  Inhalt    des  Buches  de 
interpr.  wiedergab,   der   zweite  die    »quinque   voces«    des   Porphyrius 
(genus,  species,  differentia,  proprium  und  accidens)  behandelte,  der  dritte 
die  Kategorien,    der  vierte  die  Syllogistik,  der  fünfte  die  Topik,    der 
sechste  die  Soph.  Elench. ;  dazu  trat  dann  ein  siebenter  Abschnitt,  worin 
»de  terminorum  proprietatibusc :  über  den  Gebrauch   der  Substantiva, 
namentlich  über  deren  »Suppositioc,  d.  h.  die  Vertretung  des  specielleren 
durch  ein  allgemeineres,   des  Eigennamens  durch  einen  Gemeinnamen, 
femer  der  Adjectiva  und  Verba  und  der  »Syncategoremata«,  d.  h.  der 
Gesammtheit  der  übrigen  Redetheile,  gehandelt  wurde.  Dieser  siebente 
Abschnitt  wurde  auch  t parva  logioaliat  genannt,  und  unter  diesem  Titel 
häufig  eigens  gedruckt.  Der  altbekannte  Theil  der  Aristotelischen  Logik 
hiess  vetus  logica,   der  um  1140  bekannt  gewordene  Theil   derselben 
nova  logica ;  die  Vertreter  der  durch  die  Lehre  de  prop.  term.  erweiterten 
Logik  aber  hiessen  moderni,  und  die  betreffenden  Abschnitte  der  ge- 


d6  §  22.   Das  fteformationszeitalter. 

sammten  Log^k  tractatus  modemoram.  Durch  Occam,  den  Emenerer 
des  Nominalismus  (um  1820),  wurden  die  Sätze  und  Termini  dieser 
Abschnitte  (nach  Prantl,  Sitzungsber.  der  Münchener  Akad.  1864,  II,  1, 
S.  65;  vgl.  den  Abschnitt  über  Occam  in  Prantl's  Gesch.  der  Logik) 
»in  die  ganze  Lehre  von  den  Universalien  verweben«.  Dass  diese 
»moderne«  Logik  auf  einem  byzantinischen  Einfluss  beruhe,  ist  wohl 
nicht  (mit  Prantl)  anzunehmen;  ein  griechisches  Compendium^  welches 
dieselbe  in  ganz  gleicher  Weise,  wie  die  Summulae  des  Petrus  Hispanus 
enthält,  wird  von  Einigen  dem  Michael  Psellus  (der  im  11.  Jahrh.  lebte) 
zugeschrieben,  aus  dem  dann  Petrus  Hispanus  und  andere  lateinische 
Logiker  geschöpft  haben  müssten,  gilt  aber  Andern  mit  Recht  als  eine 
Uebersetzung  des  Lehrbuchs  des  Petrus  Hispanus.  Thurot,  De  la  lo- 
gique  de  Pierre  d'Espagne.  Bes.  Abdr.  a.  d.  Rev.  arch6olog.  1664  (gegen 
Prantl)  und  ferner  K.  Prantl,  M.  Psellus  u.  Petrus  Hispanus.  Eine 
Rechtfertigung.  Lpz.  1867.  Die  metaphysischen  und  physischen  Schriften 
des  Aristoteles  wurden  (wie  A.  Jourdain,  recherches  crit.  sur  Tage  et 
Torigine  des  trad.  lat.  d'Aristote.  Par.  1819.  2.  Aufl.  1843,  u.  A.  nach- 
gewiesen haben)  seit  dem  Ende  des  zwölften  und  Anfange  des  drei- 
zehnten Jahrhunderts  dem  Abendlande  bekannt,  hauptsächlich  dadurch, 
dass  arabische  und  hebräische  Uebersetzungen  derselben  in's  Lateinische 
übertragen  wurden ;  doch  wurden  bald  auch  griechische  Texte  aus  Con- 
stantinopel  geholt,  zumal  seit  die  Einnahme  dieser  Stadt  durch  die 
Kreuzfahrer  (1204)  diesen  Weg  erschlossen  hatte.  —  Dem  Realismus 
huldigten  namentlich  Anselm,  Albertus  Magnus,  Thomas  von 
Aquino,  Duns  Scotus;  dem  Nominalismus  Roscellin,  und  auch 
(unter  Annäherung  an  den  Conceptualismus)  Abälard,  und  später, 
seit  dem  14.  Jahrhundert,  Wilhelm  von  Occam,  Buridan,  Peter  von 
Ailly,  Biel  und  Andere.  Auch  Melanchthon  war  Nominalist.  — 
Selbst  die  Häupter  der  Scholastik,  wie  namentlich  Albertus  Magnus 
(1193—1280),  Thomas  von  Aquino  (1225-~1274)  und  Duns  Scotus 
f^est.  1308)  verschmähten  es  nicht,  über  logische  Werke  des  Aristoteles 
Commentare  zu  schreiben.  —  Ueber  die  phantastische  >ars  magna  et 
ultima«  des  Raymundus  LuUius  (1234—1315),  eine  Art  combinatori- 
Bcher  Topik,  urtheilt  Des  Cartes  mit  Recht  (Diso,  de  methode,  H),  sie 
diene  nur  >ad  oopiose  et  sine  iudicio  de  iis,  quae  nescimus,  garriendum«. 

§  22.  Das  wiederauf blühende  Studium  der  altclassi- 
sehen  Litteratur  und  der  grosse  Kampf  um  die  Refor- 
mation der  Kirche  verdrängten  die  scholastischen  Streit- 
fragen aus  dem  Interesse  der  Zeit.  Doch  liegt  in  dem  all- 
gemeinen Bruch  mit  dem  Traditionalismus  auch  der  Keim  zu 
einer  neuen  selbständigen  Fortbildung  der  Logik,  wie  der  Philo- 
sophie überhaupt.  Zunächst  erhält  sich  das  Studium  der 
Aristotelischen  Logik  und  wird  auch  jvon  den  Reformatoren 
gefördert.     Melanchthon 's   auf  Grund   der  Aristotelischen 


§  22.   Da8  Reformationszeitalter.  87 

Werke  yerfasste  Lehrbücher  dienen  in  den  protestantischen 
Schulen  lange  als  Grandlage  des  logischen  Unterrichts.  Als 
Gegner  nicht  nur  der  scholastischen,  sondern  selbst  der  Aristo- 
telischen Logik  tritt  Petras  Ramus  anf. 

Unter  den  classisch  gebildeten  Männern  jener  Zeit  machten  sich 
besonders  Lanrentins  Yalla  (1415 — 65),  Agricola  (1442— 86)  und  Lud. 
Yives  (1492 — 1540)  um  die  Logik  durch  Reinigung  von  scholastischen 
Subtilitaten  verdient.  Die  logisch- rhetorische  Schrift  Agricola*s, 
die  zuerst  1480,  dann  1515  zu  Löwen,  und  1528  zu  Köln  herausgegeben, 
suchte  Aristoteles,  Cicero  und  Quintilian  zu  verbinden.  Melanchthon 
and  Ramus  rfihmten  dieselbe.  Sie  wurde  bald  in  mehrere  Collegien 
der  Universität  Paris  eingeführt  und  gewann  solchen  Einfluss,  dass 
1580  die  dortige  theologische  Facultat  gegen  die  Facultät  der  Künste 
die  Klage  aussprach,  sie  verlasse  den  Aristoteles  für  Agricola.  Me- 
lanchthon (1497 — 1560)  in  seinen  Schriften:  Dialectica  1520  u.  ö., 
£rotemata  dialectices  1547  u.  ö.,  stellt  die  didaktische  Seite  in  den 
Vordergrund,  indem  er  die  Dialektik  als  ars  et  via  docendi  erklärt. 
Sein  Beispiel  und  sein  Ausspruch:  »carere  monumentis  Aristotelis 
non  possumusc  stützen  innerhalb  des  Protestantismus  wiederum 
die  Autorität  des  Aristoteles,  die  Luthers  anfängliche  Angriffe  zu  er- 
schüttern gedroht  hatten.  Vgl.  A.  Richter,  Melanohthon's  Verdienste 
um  d.  philoe.  Unterricht,  Leipzig  1870.  —  Ueber  den  Aristoteles  in 
den  Schulen  der  Protestanten  s.  J.  H.  ab  Eis  wich  in  der  von  ihm 
Yiteb.  1720  neu  herausg.  Schrift  von  Launoy^  De  varia  Ar! st.  fortuna 
in  Acad.  Paris.  —  Petrus  Ramus  (Pierre  de  la  Ramee,  1515 — 72) 
in  seinen  Dialectioae  portiones  1543,  Institutiones  dialect.  1547,  Scholae 
dialect.  1548,  hat  durch  seine  Bekämpfung  des  Aristoteles  mehr  an- 
regend als  positiv  fortbildend  gewirkt.  Ramus  bestimmte  die  Dialektik 
als  die  Kunst  zu  urtheilen  und  zu  schliessen  (de  raisonner)  und  zu 
streiten  (de  disoourir)  und  schrieb  ihr  zwei  Functionen  zu:  die  Erfin- 
dung (invention),  die  darin  besteht  die  Argumente  zu  finden,  und  das 
Urtheil  (jugement),  welches  darin  besteht  sie  anzuwenden  und  zurecht 
ZQ  l^en.  Dieses  zweifache  Vermögen  galt  ihm  als  der  menschlichen 
Seele  eingeboren  und  durch  Beobachtung  zu  erkennen.  Die  Theile 
seiner  Logik  behandelten  als  die  vier  Hauptpunkte:  idSe,  jugement, 
raisonnementy  methode.  Darin  folgten  ihm  Gassendi  und  die  Ver- 
fasser der  Logik  des  Port^Royal.  Viele  Gegner  des  Aristoteles  und  der 
Scholastik  in  Frankreich,  Deutschland  und  der  Schweiz  schlössen  sich 
eine  Zeit  lang  ihm  an.  Die  Bemer  Akademie  zeigte  noch  Spuren  des 
Ramismus  im  18.  Jahrh.  S.  Gh.  Waddington,  Ramus,  sa  vie,  ses 
derits  et  see  opinions.  Paris  1856,  u.  K.  Prantl,  über  P.  Ramus  in  d. 
Sitzgsber.  der  kgl.  bayer.  Ak.  d.  Wissensoh.  philos.-philol.-hist  Gl.  1878. 
—  Von  geringerer  Bedeutung  für  die  Logik  sind  die  tumultuarischen 
Bestrebungen  der  gleichzeitigen  italienischön  Naturphilosophen,  eines 
Telesinsy  Campaneila,  Bruno  und  Vanini,  ebenso  auch  des  naturphilo- 
Bophisclien  Arztes  Paracelsus  und  Anderer,  die  jedoch  bei  aller  Phanta- 


88  §  28.   Baco  von  Yerulam. 

stik  sioh  insoweit  ein  bleibendes  Verdienst  erworben  haben,  als  sie  ihre 
Naturlehre  und  Weltanschauung  auf  Beobachtung  und  Mathematik  be- 
gründeten. Durch  die  Forderung:  »cominciare  dall'  ösperienza  e  per 
mezzo  di  questa  scoprirne  la  ragionec  ist  Leonardo  daYinci 
(1452 — 1619)  ein  Vorläufer  Baco's  geworden.  —  Ueber  Galilei  und 
Kepler  als  Logiker  hat  gehandelt  E.  Prantl  in  d.  Sitzgsber.  d.  kgl. 
bayer.  Akad.  d.  Wissensch.  philos.-philol.  Gl.  1876. 

§  23.  Ein  wesentlich  neues  Element  führt  als  ein  Vor- 
kämpfer der  antischolastischen,  auf  Naturforschong  ausgehen- 
den Richtung  seiner  Zeit  Baco  von  Verulam  (1561—1626) 
durch  seine  Theorie  der  inductiven  Erkenntniss  in  die 
Logik  ein.  Er  verlangt,  dass  dielnduction  von  dem  Einzelnen 
der  Erfahrung  aus  erst  zu  BegriflFen  und  Sätzen  von  mittlerer 
Allgemeinheit  und  danach  stufenweise  zu  Erkenntnissen  von 
höherer  AUgemeinheit  aufsteige.  Den  Syllogismus  lässt  Baco 
nicht  als  ein  Mittel  wissenschaftlicher  Forschung  gelten,  weil 
derselbe  zu  den  Principien  nicht  führe,  in  der  Ableitung  aus 
den  Principien  aber  der  Feinheit  der  Natur  nicht  gewachsen 
sei  und  nur  für  die  populären  Wissenschaften  passe.  Baco 
verkennt  jedoch  den  Werth  der  Deduction  des  Besonderen 
aus  dem  Allgemeinen  und  die  Bedeutung,  welche  der  Syllo- 
gismus für  die  deductive  und  mittelbar  auch  für  die  inductive 
Erkenntniss  hat. 

Baco  hat  seine  Ansichten  in  der  Abhandlung  de  dignitate  et  aug- 
mentis  scientiarum  und  in  dem  Novam  Organum  niedergelegt.  Er  sagt 
de  augm.  sc.  I,  18:  Sci^ntia  nihil  aliud  est,  quam  veritatis  imago;  nam 
veritas  essendi  et  veritas  cognosoendi  idem  sunt»  nee  plus  a  se  invicem 
differunt,  quam  radius  directus  et  radius  reflexus.  —  Novum  Org.  I, 
aphor.  XIII:  Syllogismus  ad  prinoipia  scientiarum  non  adhibetur,  ad 
media  axiomata  frustra  adhibetur,  quum  sit  subtilitati  naturae  longe 
impar.  Assensum  igitur  constringit,  non  res.  Ib.  XIV :  Syllogismus  ex 
propositionibus  constat,  propositiones  e  verbis,  verba  notionum  tdsse- 
rae  sunt.  Itaque  si  notiones  ipsae,  id  quod  basis  rei  est,  confusae  sint 
et  temere  a  rebus  abstraotae,  nihil  in  iis  quae  superstruuntur  est  fir- 
mitudinis.  Itaque  spes  una  est  in  inductione  vöra.  Nach  N.  0. 1,  127 
soll  die  inductive  Logik  nicht,  wie  die  gewöhnliche,  nur  eine  Norm  für 
die  in  sich  verharrende  intelleotuelle  Thätigkeit,  sondern  eine  Norm  der 
Erkenntniss  der  Dinge  sein:  ita  mentem  regimus,  ut  ad  r^rum  natu^am 
se  applicare  possit.  Diese  Logik  rühmt  er  als  den  Schlüssel  der 
übrigen  Wissenschäften,  da  sie  den  denkenden  Geist  in  seinem  Streben 
nach  Erkenntniss  zugleich  leite  und  kräftige,  de  augm.  so.  V,  1:  Ra- 
tionalis sdentiaö  reliqnarom  omnino  claves  sunt;  atque  quemadmodum 
manns  instrumentum  instrumentomm,   anima  forma  formarum,   ita  et 


§  24.   Carteeias.  89 

illae  arte«  artium  ponendae  sunt.  Neque  solum  dirigunt,  söd  et  robo- 
rant,  sicut  sagittandi  usus  uon  tantum  facit,  ut  melius  quis  coliineet, 
sed  ut  arcum  tendat  fortiorem.  Im  N.  0.  I,  127  behauptet  Baco  auch 
die  Anwendbarkeit  seiner  inductiven  Methode  auf  die  intellectuellen 
und  moralischen  Wissenschaften,  ohne  jedoch  auf  diese  Anwendung 
nAher  einzugehen ;  sie  war  ihm  erst  »eine  dunkle  Ahnung  aus  der  Ferne 
her«  (Beneke).  —  Baco  hat  selten  im  Einzelnen  die  richtigen  For- 
schungsmethoden angegeben,  viel  weniger  noch  durch  eigene  Forschung 
iwissenschaftlich  gültige  Hesultate  erhalten,  nicht  einmal  das  Beste  von 
dem  durch  Andere  zu  seiner  Zeit  schon  Erforschten  zu  würdigen  und 
«ich  anzueignen  gewusst  (was  alles  besonders  Lassen  über  Baoo's  y. 
Yerulam  wissensch.  Principieu  1860  und  Lieb  ig  über  Francis  Baco 
V.  Yerulam  und  die  Methode  der  Naturforsch.  1868,  der  früher  viel 
verbreiteten  üeberschätzung  Baco's  entgegen  tretend,  hervorgehoben 
haben),  aber  doch  bleibt  ihm  das  Verdienst,  die  allgemeine  metho- 
dische Forderung  einer  empirisch  basirten,  inductiven  Forschung  krafti- 
ger, als  irgend  einer  seiner  Vorgänger»  vertreten  und  die  neue  Bichtung 
in  ihrem  methodischen  Princip  zum  logischen  Bewusstsein  erhoben  zu 
haben.  Vgl.  §  184  über  Hypothese  und  »Experimentum  crucisc ;  und 
K.  Sigwart  über  Bacon  in  Preuss.  Jahrb.  Bd.  XII  u.  XIII,  1868  u.  64, 
H.  Böhmer  über  Fr.  Bacon  v.  V.  u.  die  Verbindung  der  Philo s.  mit 
d.  Naturw.  1864;  A.  Dorner  de  Baconis  philosophia  1867.  —  Const. 
Schlottmann,  B.'s  Lehre  von  den  Idolen  u.  ihre  Bedeutung  für  die 
Gegenwart  in  Gelzer's  protest.  Monatsbl.  Bd.  21.  1868.  —  A.  E.  Finsh, 
On  the  indnctive  philosophy,  including  a  parallel  between  Lord  B.  and 
A.  Comte  as  philosophers.  Lond.  1872.  —  Eine  sehr  beachtenswerthe 
Ausgabe  bot  neuerdings  Prof.  Th.  Fowler:  Bacon's  novum  Organum, 
edit.  with  introduct.,  notes  etc.  Oxford,  Clarendon  Press  (London.  Mac- 
millan).  1878,  —  eine  brauchbare  Uebers.  mit  Erl.  u.  Lebensbeschr. 
J.  H.  V.  Eirchmann  in  d.  Philos.  Biblioth.  Bd.  82.  Berlin.  1870. 

§  24.  Hatte  Baoo  fast  ausschliesslich  die  sinnliche  Er- 
fahrnng  nnd  äussere  Natur  berücksichtigt,  so  findet  dagegen 
Cartesius  (1596—1650)  nur  in  der  Selbstgewissheit  des 
Denkens  von  seinem  eigenen  Sein  den  gegen  jeden  Zweifel 
gesicherten  Ausgangspunkt  der  philosophischen  Erkenntniss. 
Er  setzt  das  Kriterium  der  objectiven  Wahrheit  in  die  sub- 
jective  Klarheit  und  Bestimmtheit  der  Erkenntniss,  und  findet 
eine  Bilrgschaft  für  die  Gültigkeit  dieses  Kriteriums  in  der 
göttlichen  Wahrhaftigkeit,  die  nicht  zulasse,  dass  die  klare 
nnd  bestimmte  Vorstellung  dennoch  eine  täuschende  sei.  Diesem 
Kriterium  gemäss  hält  Cartesius  daftlr,  dass  der  menschliche 
Geist  theils  sein  eigenes  Denken  im  weitesten  Sinne  oder  die 
Gesammtheit  der  bewussten  inneren  Thätigkeiten,  theils  die 
Gottheit}  theils  endlich  als  Eigenschaften  der  Aussendinge  die 


40  §  24.   Gartesius. 

räumliche  Ausdehnniig  und  deren  Modi  mit  Wahrheit  zn 
erkennen  vermöge,  so  dass  die  Erkenntniss  mit  dem  Sein 
ihrer  Objecte  übereinstimme.  Die  unmittelbare  Erkenntniss 
nennt  Gartesius  Intuition;  alle  mittelbaren  Erkenntniss- 
weisen  fasst  er  unter  den  verallgemeinerten  Begriff  der  De- 
duetion  zusammen.  In  Bezug  auf  die  mittelbare  Erkennt- 
niss unterscheidet  Gartesius  bei  Gelegenheit  einer  zweifachen 
Darstellung  seiner  Grundlehren  die  analytische  und  die 
synthetische  Methode;  jene,  die  von  dem  unmittelbar 
Gegebenen  zu  den  Principien  aufsteige,  diene  der  Erfindung, 
diese,  die  von  den  Principien  ausgehend  die  einzelnen  Lehr- 
sätze deducire,  diene  der  strengen  Beweisführung.  Gartesius 
glaubt  mit  vier  allgemeinen  Vorschriften  ttber  die  Methode 
auszureichen.  Die  erste  Vorschrift  fordert  Evidenz,  die  auf 
vollkommene  Klarheit  gegründet  sei,  die  zweite  fordert  Thei- 
lung  der  Schwierigkeiten,  die  dritte  einen  geordneten,  die 
vierte  einen  lückenlosen  Fortschritt  der  Untersuchung.  Aller 
Irrthum  beruht  auf  dem  Missbrauch  der  Willensfreiheit  zu 
einem  vorschnellen  Urtheil. 

Gartesius  stellt  Princip.  philos.  I,  §  45  von  der  Klarheit  und  Be- 
stimmtheit folgende  DefinitioDen  auf:  Ciaram  vooo  illam  perceptionem, 
qnae  menti  attendenti  praesens  et  aperta  est,  destinctam  autem  illam, 
quae  qunm  clara  sit,  ab  omnibus  aliis  ita  seiuncta  est  et  praecisa,  ut 
nihil  plane  aliud,  quam  quod  darum  est,  in  se  oontineat.  Die  vier 
methodischen  Regeln  (die  aber  nicht  sowohl  logische  Gesetze  sind,  als 
vielmehr  Regeln,  wie  ¥dr  uns  subjectiv  2su  verhalten  haben,  um  den 
logischen  Normen  nachkommen  zu  können  und  Fehler  zu  vermeiden) 
finden  sich  in  dem  Disoours  de  la  methode  pour  bien  conduire  sa  rai- 
son et  chercher  la  verite  dans  les  sdences,  1687  (Discursus  de  me- 
thodo  recte  ntendi  ratione,  1644),  sec.  part.  Des  Cartes  sagt:  »Ainsi, 
au  lieu  de  oe  grand  nombre  de  pr6oeptes  dont  la  logfique  est  composöe, 
je  crus  que  j'aurais  assez  des  quatre  suivants,  pourvu  que  je  prisse 
une  ferme  et  oonstante  resolution  de  ne  manquer  pas  une  seule  fois  ä 
les  observer.  Le  premier  etait  de  ne  recevoir  jamais  auoune  chose 
pour  vraie,  que  je  ne  la  connusse  evidemment  etre  teile:  c'est  ä  dire 
d'6viter  soigneusement  la  preoipitation  et  la  pr6vention  et  de  ne  com- 
prendre  rien  de  plus  dans  mes  jugements  que  oe  qui  se  presenterait 
si  dairement  et  si  destinctement  k  mon  esprit,  que  je  n'eusse  auoune 
occasion  de  le  mettre  en  doute.  Le  second,  de  diviser  chacune  des 
difficultes  que  j'examinerais,  en  autant  de  paroelles  qu'il  se  ponmdt 
et  qu'il  serait  requis  pour  les  miöuz  resoudre.  Le  troisidme,  de  con- 
duire par  ordre  mes  pensees,  en  commengant  par  les  objets  les  plus 


§  24.  GartesiuB.  41 

simples  et  las  plus  aises  k  oonnaitre,  ponr  monier  peu  ä  peu  comme 
par  degris  jusques  ä  la  connaissanoe  des  plus  oomposes,  et  supposant 
meme  de  l'ordre  entre  ceux  qui  ne  se  precddent  point  naturellement 
les  uns  les  autres.  Et  le  demier,  de  faire  partout  des  denombrements 
si  entiers  et  des  revues  si  generales,  que  je  fusse  assure  de  ne  rien 
omettre.«  Von  den  Syllogismen  und  den  meisten  andern  Lehren  der 
Ijogik  nrtheilt  Des  Cartes  (an  derselben  Stelle),  dass  sie  mehr  didak- 
tiflohen,  als  scientifisohen  Werth  haben:  >que  pour  la  logique,  ses  syl- 
logrismes  et  la  plupart  de  ses  autres  instructions  s6rvent  plutot  ä  ex- 
pliquer  ä  autrui  les  ohoses  qu'on  sait,  —  qu*ä  les  apprendre.t  Vgl. 
unten  die  historischen  Angaben  zu  §  101.  Den  Unterschied  der  ana- 
lytischen und  der  synthetischen  Methode  berührt  Gartesius  in  seinen 
Erwiderungen  auf  die  Einwürfe  gegen  seine  Meditationes  de  prima 
philosophia,  respons.  ad  secund.  obiect.  In  der  Schrift:  Begulae  ad 
directionem  ingenii,  zuerst  veröffentlicht  in  den  Opuscula  posthuma, 
Amstelod.  1701,  unterscheidet  Gartesius  die  Intuition  oder  die  unmittelbar 
gewisse  Erkenntniss,  wodurch  wir  uns  der  Principien  bewusst  werden, 
und  die  Deduction  oder  die  Operation,  wodurch  wir  die  eine  Erkennt- 
niss  aus  der  andern  ableiten  und  daher  dasjenige  erkennen,  was  die 
nothwendige  Folge  von  Anderem  ist.  Die  Forderungen,  welche  in  den 
vier  methodischen  Vorschriften  des  Disoours  liegen,  führt  Gartesius  in 
den  Begulae  weiter  aus,  indem  er  sie  zugleich  auf  einzelne  philoso- 
phische und  besonders  mathematische  Probleme  anwendet.  —  Aus  der 
Schule  des  Gartesius  ist  als  das  vorzüglichste  logische  Werk  hervor- 
gegangen: La  logique  ou  l'art  de  penser,  Paris  1662  u.  ö.,  worin  die 
Aristotelischen  Lehren  mit  den  Gartesianischen  Principien  combinirt 
werden.  Die  Logik  wird  definirt  als  die  Kunst  des  rechten  Vemunft- 
gebrauchs  beim  Erkennen  der  Dinge  (l'art  de  bien  oonduire  sa  raison 
dans  la  connaissance  les  choses,  tant  pour  s'instruire  soi-meme  que  pour 
en  instruire  les  autres).  Dieses  Werk  ist  wahrscheinlich  von  Ant. 
Arnauld  unter  Mitwirkung  des  Nicole  und  vielleicht  auch  anderer 
Jansenisten  des  Port-Royal  verfasst  worden,  s.  T.  S.  Baynes,  the 
port  royal  logic  transl.  from  the  French  with  introd.,  notes  and  ap- 
pend.  7.  ed.  London  1872.  —-  Nicole  Malebranche  (1638—1715),  der 
Vertreter  der  Lehre,  dass  wir  alle  Dinge  in  Gott  schauen,  fusst  in 
seinem  Werke:  de  la  recherche  de  la  verit^,  Paris  1673,  auf  den  Grund- 
sätzen des  Gartesius.  —  Auch  Arn.  Geulinx  schrieb  eine  Logica  fun- 
damentis  suis,  a  quibns  hactenus  collapsa  fuerat,  restituta  Lugd.  Bat. 
1662,  Amst.  1698.  üeber  ihn  schrieb  E.  Grimm:  Am.  Geulinx  Er- 
kenntnisstheorie u.  Occasionalismus.  Jena  1876.  —  Als  Anhänger  des 
Gartesius  in  Deutschland  schrieb  der  an  d.  Univers.  Duisburg  lehrende 
Joh.  Glauberg  seine  1668  u.  ö.  ersch.  Logica  vetus  et  nova,  modum 
ioTeniendae  ac  tradendae  veritatis,  in  generi  simul  et  analysi,  faoili  me- 
thodo  exhibens.  —  Unter  den  Gegnern  des  Gartesius  verdient  hier  be- 
sonders Gassendi  (1592 — 1655)  wegen  seiner  klaren  und  wohlgeord- 
neten Darstellung  der  Logik  Erwähnung. 


42  §  25.  26.  Spinoza  und  Locke. 

§  25.  Spinoza  (1632—1677)  führt  die  unwahre  oder 
inadäquate  Erkenntniss  anf  den  Einfinss  der  Einbildungskraft, 
die  wahre  oder  adäquate  aber  auf  das  Denken  zurtlck.  Wahr- 
heit ist  Uebereinstimmung  der  Idee  mit  ihrem  Gegenstande. 
Die  Wahrheit  bekundet  sich  selbst  und  den  Irrthum.  Der 
intuitive  Verstand  erkennt  jedes  Einzelne  aus  seinen  Ursachen 
und  das  Endliche  überhaupt  aus  dem  Unendlichen;  er  richtet 
sich  zuvörderst  auf  die  Idee  der  Einen  Substanz,  deren  Wesen 
(essentia)  das  Sein  (existentia)  in  sich  schliesst,  um  Denken 
und  Ausdehnung  als  ihre  Attribute  und  die  Einzelweisen  als 
ihre  Modi  zu  erkennen.  Die  Ordnung  und  Verbindung  der 
Gedanken  entspricht  der  Ordnung  und  Verbindung  der  Dinge. 
Die  philosophische  Methode  ist  mit  der  mathematischen  identisch. 

Yon  den  Werken  des  Spinoza  gehört  hierher  besonders  der  Trao- 
tatns  de  intellectus  emendatione,  in  den  Opera  posthnma,  Amstelod. 
1677,  womit  mehrere  Stellen  der  Ethik  zu  vergleichen  sind.  Die  Grund- 
forderang des  Spinoza  ist:  >Ut  mens  nostra  omnino  referat  naturae 
exemplar,  debet  omnes  suas  ideas  producere  ab  ea,  quae  refert  origi- 
nem  et  fontem  totius  natnrae,  ut  ipsa  etiam  sit  fons  ceterarum  idea- 
rum.<  Die  Wahrheit  definirt  Spinoza  Eth.  I,  36  als  oonvenientiam 
ideae  cam  suo  ideato.  —  Spinoza  unterscheidet  drei  Arten  oder  Stufen 
der  Erkenntniss:  imaginatio  {(pavraaia),  ratio  (die  iniatrifiri  des  Ari- 
stoteles) und  intellectus  (die  intuitive  Erkenntniss  der  Principien),  gleich 
dem  Aristotelischen  vovg\  doch  hält  Spinoza  die  Aristotelische  Abgren- 
zung gegen  die  im<nrififj  nicht  streng  inne,  indem  er  auch  Deduction 
aus  dem  obersten  Princip  dem  Intellectus  zuschreibt.  Der  Philosoph 
betrachtet  alle  Dinge  als  Momente  der  Einen  Substanz,  sub  specie  aeter- 
nitatis.  Die  »concatenatio  intellectus  c  soll  »concatenationem  naturae 
referrec.  —  Vom  Standpunkte  des  Spinoza  aus  handelt  Euf  feler  in 
seinem  Specimen  artis  ratiocinandi  naturalis  et  artificialis,  ad  pantoso- 
phiae  principia  manuducens,  Hamb.  1684,  über  die  Methode  der  philo- 
sophischen Forschung. 

§  26.  Locke  (1632—1704),  die  Methode  Baco's  anf 
die  Objecte  der  inneren  Erfahrung  anwendend,  erörtert  das 
psychologische  Problem  des  Ursprungs  der  menschlichen  Be- 
griffe in  der  Absicht,  um  dadurch  fUr  die  Entscheidung  der 
logischen  (erkenntnisstheoretischen)  Frage  nach  der  objectiven 
Wahrheit  der  Begriffe  eine  sichere  Grundlage  zu  gewinnen. 
Locke  unterscheidet  die  Sensation  oder  sinnliche  Wahr- 
nehmung und  die  Reflexion  oder  die  Wahrnehmung  der 
inneren  Verrichtungen,  welche  die  Seele  auf  Anlass  der  äusseren 


§  27.   Leibniz  und  Wolff.  48 

Affectionen  ansfibt.  Ans  diesen  beiden  Quellen  entspringen 
alle  Vorstellungen ;  „angeborene  Ideen''  giebt  es  nicht  Nihil 
est  in  intellectUy  quod  non  fuerit  in  sensu.  In  ähnlicher  Weise, 
wie  Cartesius,  gesteht  auch  Locke  der  inneren  Wahrnehmung 
YoUe,  der  äusseren  nur  theilweise  Wahrheit  zu.  Locke  wird 
durch  seine  Besultate  Vorläufer  des  Condillac'schen  Sen- 
sualismus, der  auch  die  Reflexion  wiederum  auf  die  Sensation 
asurttckzufahren  sucht,  durch  seine  Methode  hingegen  Vorläufer 
des  Berkeley*schen  Idealismus,  des  Hume'schen  Skepti- 
ciBmns,  des  Empirismus  der  schottischen  Schule  und  des 
Kantischen  Eriticismus. 

L 00 ke's  Hauptwerk:  An  essay  ooncerning  human  understandiDg, 
erschien  zuerst  London  1690.    Indem  Locke  die  durch  sinnliche  Wahr- 
nehmung gewonnenen  Vorstellungen  nicht  für  treue  Abbilder  der  6e- 
grenstande  halten  konnte  (weil  er  in  Üebereinstimmung   mit  Demokrit, 
Baco  and  Des  Cartes  annimmt,  dass  zwar  die  Gestalt  und  Grösse,  über- 
haupt das  mathematisch  Bestimmbare   oder  die  Ton  ihm  sogenannten 
B  primären  Qualitäten c,  aber  nicht  Farbe,  Ton  etc.,  überhaupt  das  nur 
von  einzelnen  Sinnen  Percipirte  oder  die  »secundären  Qualitätenc  ob- 
jective  Gültigkeit  haben),   so  beschränkte  er  die  Wahrheit  der  Gedan- 
ken  auf  die  objectiy-richtige  Verbindung   und  Trennung  der  Zeichen 
der  Dinge  (Essay,  B.  IV,  Ch.  5,  §  2).  —  „Die  Logik  Locke's  im  Zu- 
sammenh.  mit   s.  Philosophie^   hat   neuerdings   behandelt:    0.  Dost, 
Planen  1877.  An  Locke  schliessen  sich  an:  J.  P.  de  Grousaz,  la  Logique, 
Amst.  1712;  Is. Watt,  Logic,  1736.  —  Condillac,  essay  sur  l'origine 
des  connaissances  humaines,  1746;  traite  des  sensations  1754;  Logique, 
1781.  8.  über  ihn:  L.  Robert,  les  theories  logiques  deCondillac.  Paris 
1869.  —  Hume,   enquiry   concerning   human  understanding  1748.  — 
Auch  der  Idealismus  des  Berkeley  (1685— 176S),  wonach  nur  Geister 
und  deren  Ideen  existiren,   indem   alle  nichtdenkenden  Objeote  Ideen 
der  empfindenden  und  denkenden  Wesen  seien,   wie   auch  die  zur  Be- 
rufung  auf   angebome   Ueberzeugungen   als  Thatsachen  der   inneren 
Wahrnehmung  zurückkehrende  schottische  Schule    (Reid,  Beattie, 
Dugald  Stewart,  Brown)   ist  mit  der  Locke'schen  Richtung  bei   aller 
Polemik  doch  in  sehr  wesentlichen  Beziehungen  verwandt. 

§  27.  Leibniz  (1646—1716)  vertheidigt  gegen  Locke 
die  Lehre  von  den  angebornen  Ideen,  erklärt  jedoch  allen 
Inhalt  des  Bewasstseins  für  das  Prodnct  der  inneren  Selbst- 
entwiekelnng  der  Seelenmonade.  Die  Bürgschaft  fttr  die  ob- 
jective  Wahrheit  der  klaren  nnd  deutlichen  Vorstelinngen 
findet  Leibniz  in  der  durch  Gott  prästabilirten  Harmonie 
xwisQhen  der  Seele  und  den  Aussendingen.    Der  Irrthnm  be- 


44  §  27.   Leibniz  und  Wolff. 

mht  anf  dem  Mangel  an  Klarheit  und  Deutlichkeit.  Die 
dunkle  und  verworrene  Erkenntniss  der  Sinne  soll  durch  die 
Demonstration  zur  Klarheit  und  Deutlichkeit  erhoben  werden. 
Die  logischen  Regeln  erklärt  Leibniz  (im  Gegensatz  zu  Car- 
tesius),  da  von  ihrer  Befolgung  die  Richtigkeit  der  Demon- 
stration abhänge,  für  nicht  zu  verachtende  Kriterien  der 
Wahrheit.  Als  die  allgemeinsten  Principien  aller  Demon- 
stration gelten  ihm  der  Satz  des  Widerspruchs  und  der  Satz 
des  zureichenden  Grundes.  —  Gestützt  auf  die  Leibnizische 
Theorie  stellt  Wolff  (1679—1754)  die  Logik  (wie  überhaupt 
fast  die  sämmtlichen  philosophischen  Disciplinen)  in  syste- 
matischem Zusammenhang  nach  mathematischer  Methode  dar. 
Die  Logik  behandelt  er  als  Erkenntnisslehre  und  setzt  die 
logischen  Formen  theils  zu  den  ontologischen  Formen,  theils 
zu  den  psychologischen  Gesetzen  in  wesentliche  Beziehung. 

Leibniz  hat  seine  auf  die  Erkenntnisslehre  bezüglichen  An- 
Bichten  theils  in  kleineren  Abhandlungen  niedergelegt,  theils  in  den 
gegen  Locke  gerichteten  Nouveaux  essays  sur  l'entendement  humain, 
die  erst  lange  nach  seinem  Tode  durch  Raspe  1765  veröffentlicht  wur- 
den. Leibniz  billigt  im  Allgemeinen  das  Gartesianische.Princip :  »quid- 
quid  clare  et  distincte  de  re  aliqua  percipio,  id  est  verum  seu  de  ea 
enunciabilec.  Aber  er  halt  für  nöthig,  dem  vielfach  eingerissenen  Miss- 
brauch desselben  durch  Angabe  von  Kriterien  der  Klarheit  und  Be- 
stimmtheit entgegenzutreten.  Demnach  definirt  er  die  klare  Vorstellung 
(notio  clara)  als  diejenige,  welche  genüge,  um  das  vorgestellte  Object 
zu  erkennen  und  von  anderen  zu  unterscheiden.  Die  klare  Vorstellung 
aber  ist  entweder  verworren  (confusa)  oder  bestimmt  und  deutlich 
(distincta) ;  Verworrenheit  nämlich  ist  Unklarheit  der  einzelnen  Merkmale 
(notae),  Bestimmtheit  oder  Deutlichkeit  dagegen  ist  Klarheit  der  einzelnen 
Merkmale  einer  zusammengesetzten  Vorstellung;  bei  absolut  einfachen 
Vorstellungen  ist  zwischen  Klarheit  und  Deutlichkeit  kein  Unterschied. 
Die  deutliche  Vorstellung  endlich  ist  in  dem  Falle  adäquat,  wenn  auch 
die  Merkmale  der  Merjanale  bis  hinab  zu  den  letzten,  einfachen  Ele- 
menten klar  vorgestellt  werden.  Siehe  Leibnitii  Meditationes  de  oo- 
gnitione,  veritate  et  ideis,  in  Actis  eruditorum  Lips.  1684,  p.  537  sqq.  — 
Diese  Bestimmungen  sind  an  sich  nicht  frei  von  Tadelhaftem  (denn 
Bestimmtheit  und  Verworrenheit  sind  von  Klarheit  und  Unklarheit 
specifisch  und  nicht  bloss  graduell  verschieden,  gleich  wie  Genauigkeit 
und  Ungenauigkeit  einer  Zeichnung  von  heller  und  matter  Beleuchtung); 
aber  sie  liegen  in  der  Consequenz  des  Systems  der  prästabilirten  Har- 
monie, welches  eine  von  der  Unklarheit  specifisch  verschiedene  Quelle 
des  Irrthums  nicht  zugeben  darf.  —  Die  Möglichkeit,  welche  in  der 
Freiheit  von  innerem  Widerspruch  lieg^  und  durch  vollständige  Aof- 


§  27.   Leibniz  and  Wolff.  45 

loaung  der  Vorstellung  in  ihre  Bestandtheile  erkannt  wird,  gilt  Leibniz 
als  Bärgsohaft  der  objectiven  Gültigkeit  oder  Wahrheit.  Er  sagt  a.  a.  0. 
S.  540:  Patet  etiam,  quae  tandem  sit  idea  vera,  quae  falsa:  vera  sci- 
lioet  quam  notio  est  possibilis,  falsa  quam  contradictionem  involvit. 
Durch  die  Zerlegung  der  Vorstellung  in  widerspruchslose  Merkmale 
lasst  sich  a  priori,  andererseits  aber  durch  Erfahrung  oder  a  posteriori 
die  Gültigkeit  einer  Vorstellung  erkennen.  Die  Wahrheit  der  Sätze 
liegt  in  der  Correspendenz  derselben  mit  den  Objecten,  worauf  sie  gehen. 
Sie  wird  erlangt  durch  genaue  Erfahrung  und  logisch  richtige  Beweis- 
fuhrung.  Medit  p.  540 — 41:  de  caetero  non  oontemnenda  veritatis 
enunciationum  criteria  sunt  regulae  communis  Logicae,  quibus  etiam 
Geometrae  utuntur,  ut  scilicet  nihil  admittatur  pro  oerto,  nisi  ac- 
curata  experientia  vel  firma  demonstratione  probatum;  firma  autem 
demonstratio  est,  quae  praescriptam  a  Logica  formam  servat.  lieber 
den  Satz  des  Widerspruchs  und  den  Satz  des  zureichenden  Grundes 
als  Principien  aller  Demonstration  siehe  die  Monadologie  (Principia 
philosophiae)  §  30—81.  Leibniz  wünschte  der  Logik  als  zweiten  Theil 
eine  Lehre  von  der  Wahrscheinlichkeit  beigefügt  zu  sehen,  lieber  Leib* 
niz  Log^k  vergl.  Dr.  J.  B.  Kvdt,  Leibnizens  Logik,  Prag  1857, 
und  Trendelenburg,  histor.  Beiträge  z.  Philos.  Bd.  3.  Art.  1  u.  2. 
Berlin  1867.  —  Christian  Wolff  stellt  die  Logik  systematisch  dar  in 
seiner  kürzeren  deutschen  Schrift:  Vernünftige  Gedanken  von  den  Kräf- 
ten des  menschlichen  Verstandes,  1710,  und  in  dem  ausführlichen  Werke: 
Pliilosophia  rationalis  sive  Logica,  1728.  Er  definirt  die  Logik  als 
acientiam  dirigendi  facultatem  cognoscitivam  in  cognoscenda  veritate 
(Log.  discursus  praeliminaris  §  61;  prolegom.  §  10).  Die  Regeln,  nach 
denen  die  menschliche  Seele  das  Wesen  der  Dinge  erkennen  soll,  müssen 
aich  einerseits  auf  psychologische,  andererseits  auf  ootologische  Prin- 
cipien stützen  (discurs.  prael.  §  89;  proleg.  §  28);  aus  Gründen  didak- 
tischer Zweckmässigkeit  ist  es  zwar  räthlich,  die  Logik  der  Ontologie 
und  Psychologie  vorangehen  zu  lassen,  und  so  will  Wolff  in  der  That 
verfahren  (discurs.  praelim.  §  91 :  methodum  studendi  praeferre  malui- 
mos  methodo  demonstrandi) ;  aber  der  Beweis  der  logischen  Sätze  darf 
darum  nicht  wegfallen,  sondern  es  müssen  nur  die  betreffenden  Lehren 
der  Ontologie  und  Psychologie  in  die  Logik  zum  Voraus  aufgenommen 
werden,  wo  sie  sich  theils  durch  unmittelbare  Evidenz,  theils  durch 
ihre  üebereinstimmung  mit  der  Erfahrung  vorläufig  rechtfertigen  mögen 
(Log.  §  2;  §  28).  Demgemäss  stellt  Wolff  einige  psychologische  Be- 
toichtungen  (§  SO  ff.)  und  einen  Abschnitt  >de  notitiis  quibnsdam  ge- 
neralibus  entisc  (§  59  ff.)  an  die  Spitze  seines  logischen  Systems.  Er 
theüt  die  Logik  in  die  theoretische  (vom  Begriff,  Urtheil,  Schluss)  und 
praktische  (vom  Gebrauch  der  Logik  bei  der  Beurtheilang  und  bei  der 
Erforschang  der  Wahrheit,  beim  Studium  und  beim  Verfassen  von 
Bachern,  bei  der  Mittheilung  der  Erkenntniss,  bei  der  Abschätzung  der 
individuellen  Erkenntnisskräfte,  und  endlich  in  der  Praxis  des  Lebens 
and  beim  Studium  der  Log^k  selbst).  Als  Nominaldefinition  der  Wahr^ 
heit  stellt  Wolff  die  Bestimmung   auf:   Est   veritas   consensus   iudioii 


46  §  27.   Leibniz  und  Wolff. 

nostri  cum  obiecto  seit  re  repraesentata  (Log.  §  605),  und  als  Beal- 
definition  der  Wahrheit:  Yeritas  est  determlnabilitas  praedicati  per 
notionem  subiecti  (Log.  §  518).  Dem  wahren  affirmativen  Url^eil  ent- 
spricht der  mögliche  Begriff  (§  520);  die  Möglichkeit  aber  liegt  in  der 
Widerspruchslosigkeit  (§  518).  Auf  dieses  (Leibnizische)  Kriterium 
führt  Wolff  ausser  dem  Cartesischen  auch  das  von  Leibnizens  Zeitgenossen 
Tschirn  hausen  (1651 — 1708)  in  dessen  Medicina  mentis  1687  auf- 
gestellte Kriterium  der  Conceptibilität  (»verum  est  quidqnid  ooncipi 
potest,  falsura  vero  quod  non  concipi  potestc)  zurück  (§§622;  528).  — 
unter  Leibnizens  Zeitgenossen  ist  ausser  Tschirnhausen  noch  Christian 
Thomas  ins  (1655 — 1728)  zu  erwähnen,  der  die  Logik  praktischer  zu 
gestalten  sucht  und  eine  Mittelstrasse  zwischen  den  Aristotelikern  und 
den  Cartesianem  halten  zu  wollen  erklärt.  Er  machte  sich  (wie  später 
Wolff)  besonders  auch  dadurch  verdient,  dass  er  durch  sein  Beispiel  die 
wissenschaftlichen  Gedanken  in  deutscher  Sprache  ausdrücken  lehrte.  — 
Unter  den  Gegpaern  Wolffs  sind  Lange,  Crusius,  Daries  und  Euler 
zu  nennen.  An  Wolff  schliessen  sich  mehr  oder  minder  an:  Baumeister, 
Baumgarten,  Meier,  Reimarus  (Yemunftlehre  1756;  5.  Aufl.  1790), 
Ploucquet  (Methodus  calculandi  in  logicis  1758;  methodus  tam  de- 
monstrandi  omnes  syllogismorum  species,  quam  vitia  formae  detegendi 
ope  unius  regulae  1768).  Neben  vielem,  was  nach  Inhalt  und  logischer 
Form  verfehlt  ist,  giebt  doch  auch  manches  Originale  und  Bedeutende 
Lambert,  dessen  Keues  Organen  2  Bde.  (Leipzig  1764)  sich  in  vier 
Abschnitte  gliedert,  die  Lambert  nennt:  Di&noiologie ,  Alethiologie, 
Semiotik  und  Phänomenologie;  nach  seiner  Erklärung  sollen  dieselben 
»zusammengenommen  auf  eine  vollständigere  Art  das  ausmachen,  was 
Aristoteles  und  nach  demselben  Baco  ein  Organen  genannt  hatc.  Diese 
Wissenschaften  sind  »instrumental«  oder  Werkzeuge  des  menschlichen 
Verstandes  bei  der  Erforschung  der  Wahrheit.  Die  Dianoiologie  ist 
nach  Lambert  die  Lehre  von  den  Denkgesetzen,  die  der  Verstand  zu 
befolgen  hat,  wenn  er  von  Wahrheit  zu  Wahrheit  fortschreiten  will, 
die  Alethiologie  die  Lehre  von  der  Wahrheit,  sofern  sie  dem  Irrthum 
entgegengesetzt  ist,  von  der  Kenntlichkeit  der  Wahrheit,  die  Semiotik 
die  Lehre  von  der  Bezeichnung  (besonders  der  sprachlichen  Bezeichnung) 
des  Gedankens,  die  Phänomenologie  die  Lehre  vom  Schein  und  den 
Mitteln  der  Vermeidung  des  Scheins.  —  Auf  den  Leibnizischen  Prin- 
cipien  fussen  mehr  oder  minder  auch  Bilfinger  (der  auch  eine  Ver- 
nunftlehre für  die  »unteren  Erkenntnisskräfte«  wünschte),  Feder 
(Grundsätze  der  Logik  und  Metaphysik  1769  und  öfter;  institutiones 
logicae  et  metaphysicae  1777),  Eberhard  (Allgemeine  Theorie  des 
Denkens  und  des  Empfindens  1776)  und  Ernst  PI atn er  (Philosophische 
Aphorismen  1776  und  öfter;  Lehrbuch  der  Logik  und  Metaphysik 
1795).  —  Aus  der  Schule  Wolff 's  gingen  auch  einige  Versuche  zur 
Popularisirung  der  Logik  hervor,  so:  M.  F.  Ebeling,  Vers,  einer 
Logik  f.  d.  gesund.  Verstand.  Eine  Preisschr.  Berlin  1785.  1797.  -—  P. 
Villaume,  prakt.  Logik  f.  junge  Leute,  die  nicht  studiren  wollen. 
Berlin  u.  Löban  1787.  1794  u.  s.  populäre  Logik  zur  Einl.  in  d.  Schul- 


§  38.   Kant.  47 

wifls.  Hamb.  n.  Mains  1805.  —  E.  H.  L.  Pölitz,  Elementarlog.  f.  pa- 
dag.  Zweoka  Dresden  u.  Leipzig  1802.  —  J.  G.  Dols,  El.  Denklehre. 
Leipzig  1807.  —  F.  £bh.  v.  Rochow,  El.  Logik  f.  Frauenzimmer. 
BramiBcbweig  1789.  —  Phil.  Freiin  v.  Enigge,  Vers,  einer  Logik  f. 
Frauenzimmer.  Hannover  1789. 

§  28.  Kant  (1724—1804)  verwirft  die  von  Cartesius 
und  Leibniz  behauptete  Identität  der  Klarheit,  Deutlichkeit 
and  Widersprachslosigkeit  mit  der  materialen  Wahrheit  der 
Erkenntniss  und  wendet  sich  wiedernm  der  Locke*schen  Ansicht 
zn,  dass  nur  der  Ursprung  der  Erkenntniss  Aber  ihre  Wahr- 
heit entscheiden  könne,  ohne  jedoch  die  Locke'sche  Theorie 
des  empirischen  Ursprungs  aller  menschlichen  Erkenntniss  zu 
adoptiren.  Demgemäss  untersucht  Kant  in  seiner  „Kritik  der 
reinen  Vernunft"  aufs  Neue  den  Ursprung,  Umfang  und  die 
Grenzen  der  menschlichen  Erkenntniss.  Er  unterscheidet  die 
analytischen  oder  ErläuterungsurtheilC;  welche  allein  auf  dem 
Satze  des  Widerspruchs  beruhen,  von  den  synthetischen  oder 
Erweiterungsurtheilen,  und  unter  den  letzteren  wiederum  die 
Urtheile,  denen  eine  beschränkte  und  zufällige  Gttltigkeit  zu- 
kommt, von  denjenigen,  durch  welche  das  Allgemeine  und 
Nothwendige  erkannt  wird.  Alle  strenge  Allgemeinheit  und 
Nothwendigkeit  glaubt  aber  Kant  auf  Apriorität,  d.  h.  auf 
einen  von  aller  Erfahrung  unabhängigen,  rein  subjectiven 
Ursprung  zurflckfUhren  zu  müssen.  Er  gelangt  unter  dem 
Einfluss  dieser  sein  ganzes  Denken  beherrschenden  Voraus- 
setzung (welche  freilich  einen  durch  den  mehrdeutigen  Mittel- 
begriff a  priori  vermittelten  Sprung  von  der  Apodikticität 
auf  blosse  Subjectivität  involvirt)  von  der  Grundfrage  aus: 
„Wie  sind  synthetische  Urtheile  a  priori  möglich?"  —  zu 
dem  Resultat,  dass  zwar  die  Materie  der  Erkenntniss  uns 
vermittelst  der  sinnlichen  Affectionen  von  Aussen  zukomme, 
die  Formen  derselben  aber  von  der  menschlichen  Seele  a 
priori  hinzugethan  werden.  Diese  apriorischen  Erkenntniss- 
formen sind  nach  Kant  a.  die  beiden  Anschauungsformen  des 
äusseren  und  inneren  Sinnes:  Raum  und  Zeit;  b.  die  zwölf 
Kategorien  oder  reinen  Stammbegriffe  des  Verstandes,  und 
zwar  1.  die  drei  Kategorien  der  Quantität:  Einheit,  Vielheit, 
Allheit,  2.  die  drei  Kategorien  der  Qualität:  Realität,  Negation, 
Limitation,   3.  die  SLategorien   der  Relation,   Substantialität, 


48  §  28.   Kant. 

Cansalität,  Gememschaft,  4.  die  Kategorien  der  Modalität: 
Möglichkeit,  Dasein,  Notb wendigkeit ;  c.  die  Vemunftideen 
von  der  Seele,  der  Welt  und  Gott.  Diese  apriorischen  Er- 
kenntnisselemente hält  Kant  gerade  um  ihres  subjectiven  Ur- 
sprungs willen  fttr  unfähig,  uns  das  eigene  Wesen  der  Dinge 
zu  offenbaren.  Die  menschliche  Erkenntniss  erstrecke  sich 
nur  auf  die  Erscheinungswelt,  in  welche  wir  unbewnsst  jene 
Formen  hineintragen  und  welche  sich  daher  nach  diesen  Formen 
richten  müsse,  aber  gar  nicht  auf  die  Dinge,  wie  sie  an  sich 
ausserhalb  unseres  Erkenntnissvermögens  existiren ;  mithin  sei 
auch  über  das  Wesen  der  menschlichen  Seele,  der  intelligiblen 
Welt  und  Gottes  keine  theoretische  Einsicht,  wiewohl  doch' 
auf  Grund  des  moralischen  Bewusstseins  ein  fester  praktischer 
i  Glaube  zu  gewinnen.  — -  Alle  diese  erkenntnisstheoretischen 
Betrachtungen  schliesst  jedoch  Kant  aus  der  allgemeinen  for- 
malen Logik  völlig  aus.  Er  definirt  diese  als  die  Vernunft- 
wissenschaft von  den  notbwendigen  Gesetzen  des  Denkens 
nicht  in  Ansehung  besonderer  Gegenstände,   sondern  aller 

I  Gegenstände  überhaupt  oder  von  der  blossen  Form  des  Denkens 
überhaupt,  oder  als  die  Wissenschaft  des  richtigen  Verstandes- 
und Vernunftgebrauches  nach  Principien  a  priori,  wie  der 
Verstand  denken  solle.  Kant  theilt  die  allgemeine  Logik  in 
die  reine  und  angewandte;  jene  betrachte  den  Verstand  fttr 
sich  allein,  diese,  die  jedoch  eigentlich  zur  Psychologie  ge- 
höre, betrachte  den  Verstand  in  seiner  Vermischung  mit  andern 
Gemttthskräften.  Die  reine  allgemeine  Logik  zerfällt  in  die 
Elementarlehre  und  Methodenlehre.  Die  besondere  Logik 
handelt  von  den  besonderen  Methoden  der  einzelnen  Wissen- 
schaften. Die  transscendentale  Logik  gehört  zur  Kritik  der 
reinen  Vernunft  und  macht  den  Theil  derselben  aus,  welcher 
von  den  ^tegorien  des  Verstandes  und  ihrem  Werthe  fttr  die 
Erkenntniss  handelt  Die  reine  allgemeine  Logik  soll  die 
Denkformen  mit  Abstraction  von  allen  metaphysischen  und 
psychologischen  Verhältnissen  aus  sich  selbst  verstehen  und 
dieselben  nur  dem  Gesetze  der  Identität  und  des  Widerspruchs 
unterwerfen.  Diese  Tendenz  begründet  den  subjectivistisch- 
formalen  Charakter  der  Kantischen  Logik. 

Kant 's  theoretifiohes  Hauptwerk,  die  »Kritik  der  reinen  Yemanft«, 


§  28.   Kant.  49 

erschien  zuerst  1761,  formell*)  umgearbeitet  in  der  zweiten  Auflage 
1787,  seitdem  in  den  späteren  Auflagen  unverändert.  Die  »Logikc  wurde 
nach  Kant's  handschriftlichen  Anmerkungen  und  Erläuterungen  zum 
Meier 'sehen  Lehrbuch  der  Logik  (die  Kant  diesem  zum  Zweck  seiner 
Vorlesnngen  beigefügt  hatte)  von' Ja  sehe  1800  herausgegeben.  In 
mehrfacher  Beziehung  schliesst  sich  Kant  in  der  Logik  (theils  bei- 
stimmend,, theils  polemisch)  zunächst  an  Reimarus  an.  Kant  sucht 
seine  Isolimng  der  formalen  Logik  durch  den  Satz  zu  begründen,  es 
sei  nicht  Vermehrung,  sondern  Verunstaltung  der  Wissenschaften,  wenn 
man  ihre  Grenzen  in  einander  laufen  lasse;  die  Grenze  der  Logik  sei 
aber  dadurch  ganz  genau  bestimmt,  dass  sie  eine  Wissenschaft  sei, 
welche  nichts  als  die  formalen  Regeln  alles  Denkens  ausführlich  darlege 
and  streng  beweise.  t)ie  Logik  gehe  seit  Aristoteles  den  sicheren  Gang 
der  Wissenstihaft;  sie  habe  keinen  Schritt  rückwärts  thun,  d.  h.  keine 
£2rmngQnsehaft  des  Aristoteles  als  eine  eitle  und  trügerische  wieder  auf- 
geben dürfen,  aber  auch  keinen  Schritt  vorwärts  thun,  keine  wesentliche 
Erweiterung  gewinnen  können.  Diesen  Vortheil  wissenschaftlicher  Sicher- 
heit und  Vollendung  verdanke  sie  allein  ihrer  Eingeschränktheit,  wo- 
durch sie  berechtigt  und  verbunden  sei,  von  allen  Objecten  der  Erkennt- 
ni^s  nnd  ihrem  Unterschiede  zu  abstrahiren,  wonach  also  der  Verstand 


*)  Dass  die  Umarbeitung  nur  die  Form  der  Darstellung  und  nicht 
den  Inhalt  betreffe  (indem  das  realistische  Moment,  das  auch  in  der 
ersten  Auflage  nicht  fehlt,  aber  als  selbstverständlich  zurücktritt,  ge- 
«  genübcr  dem  in  einer  Recension  hervorgetretenen  Missverständniss, 
welches  dasselbe  verkannte  und  Kant's  Lehre  zu  sehr  der  Berkeley'- 
sehen  annäherte,  deutlicher  und  nachdrücklicher  bezeichnet  wird)  sagrt  . 
Kant  in  der  Vorrede  zur  zweiten  Auflage  selbst;  Michelet,  Schopen- 
hauer und  Andere  haben  nichtsdestoweniger  eine  Umbildung  des  Kanti- 
schen Standpunktes  seihst  zu  erkennen  geglaubt;  dass  aber  Kant's  Aus- 
sage sich  bei  der  Vergleichung  der  beiden  Ausgaben  durchaus  bewahr- 
heite, suchte  ich  in  der  Abhandlung  de  priore  et  posteriore  forma  Kan- 
tianae  Critices  rationis  purae,  Berol.  1862,  zu  erweisen  und  halte  daran 
fest  auch  nach  Michelet's  Entgegnung  (Gedanke,  III,  1862,  S.  237—248), 
der  die  uns  afficirenden  »Dinge  an  sich«,  die  den  Stoff  zu  empirischen 
Anschanungen  geben  (Kant's  Werke,  hrsg.  v.  Rosenkranz  und  Schubert, 
I,  S.  436),  hegelianisirend  als  »die  Einheit  des  Wesens  in  der  Mannig- 
faltigkeit der  Erscheinungen«  umdeutet.  Dass  Kant  in  der  ersten  Auf- 
lage seiner  Vernunftkritik  sich  dahin  äussere,  es  sei  nicht  unmöglich, 
dass  das  Ich  und  das  Ding  an  sich  eine  und  dieselbe  denkende  Substanz 
sei  nnd  dass  er  demnach  hier  als  Hypothese  aufstelle,  was  später  Fichte 
lehrte,  dass  das  loh  nicht  durch  ein  fremdes  Ding  an  sich,  sondern  rein 
durch  sich  selbst  afficirt  werde,  diese  Angaben  (Michelet's  und  Schweg- 
ler's)  bedürfen  der  tbatsächlichen  Berichtigung ;  Kant  redet  an  der  an- 
gezogenen Stelle  (über  den  psychologischen  Paralogismus)  gar  nicht  von 
einer  blossen  Affection  des  Ich  durch  sich  selbst,  sondern  davon,  dass 
eine  von  unserm  Ich  verschiedene  Substanz,  die,  wenn  sie  uns  afficirt, 
von  uns  als  räumlich  angeschaut  wird,  sich  selbst  als  ein  denkendes 
Wesen  erscheinen  könne.  Vgl.  die  Bemerkungen  in  m.  Grundr.  der 
Gesch.  der  Philos.  III,  §  16,  2.  Aufl.,  Berlin  1868,  S.  157  u.  S.  181-188. 
3.  Aufl.,  Berlin  1872,  S.  199.  —  Darüber  neuerdings:  B.  Er d mann, 
Kant's  Kriticismus  in  der  1.  u.  2.  Aufl.  der  Krit.  d.  r.  V.  Leipzig  1878. 


60  §  28.   Kant. 

es  in  ihr  nur  mit  sich  selbst  und  seiner  Form  zu  thun  habe  (Kritik 
der  reinen  Vernunft.  2.  Aufl.,  Vorrede  S.  VIII— IX;  vgl.  S.  74  ff.  und 
Logik  herausg.  v.  Jäsche^  S.  3  ff.).  —  Allerdings  müssen  wir  mit  Kant 
anerkennen,  dass  der  Gegenstand  der  Logik  nur  die  richtige  Form  des 
Denkens  ist,  und  dass  sie  nioht  die  Aufgabe  haben  kann,  zugleich 
Metaphysik  und  Psychologie  oder  auch  nur  einzelne  Abschnitte  dieser 
Wisssenschaften  zu  lehren;  aber  es  ist  darum  doch  keineswegs  zuzugeben, 
dass  die  Logik  als  Wissenschaft  keiner  Rückbeziehung  auf  psychologische 
und  metaphysische  Principien  bedürfe,  um  ihre  Gesetze  über  die  rich- 
tige Form  des  Denkens  zu  begründen  —  gleich  wie  auch  die  Therapie 
als  die  Wissenschaft  von  der  Wiederherstellung  der  Gesundheit,  gleich- 
sam der  richtigen  Form  des  leiblichen  Lebens,  zwar  nicht  Physiologie 
und  allgemeine  Naturwissenschaft  ganz  oder  theilweise  lehren  soll, 
wohl  aber  der  Rückbeziehung  auf  physiologische  und  allgemein-natur- 
wisseoschaftliche  Principien  bedarf,  um  ihre  Vorschriften  wissenschaft- 
lich zu  begründen.  Diejenige  Form  des  Denkens  ist  die  richtige,  die 
den  menschlichen  Goist  zur  Erkenn tniss  der  Dinge  befähigt»  und  darum 
ist  jene  zweifache  Rücksicht  in  der  Logik  unerlässlich.  Vgl.  oben  §  2. 
Die  Abstraction  von  dem  Verhältnisse  der  Denkformen  zu  den  Existenz- 
formen, zu  den  psychologischen  Gesetzen,  zum  Inhalte  des  Gedachten 
im  Allgemeinen  (wovon  die  Besonderheit  des  jedesmaligen  Inhaltes 
wohl  zu  unterscheiden  ist),  und  ihre  Sonderung  von  den  Formen  der 
Wahrnehmung,  kurz,  die  Beseitigung  der  schwierigeren  Probleme,  hat 
ohne  Zweifel  in  didaktischer  Beziehung  ihre  Vortheile;  eine  solche 
Darstellung  mag  als  propädeutische  Vorstufe  zweckmässig  und  viel- 
leicht mitunter  unentbehrlich  sein;  soll  sie  aber  für  mehr,  soll  sie 
für  ein  Letztes  und  Höchstes  gelten,  so  raubt  sie  der  Logik  einen 
wesentlichen  Thcil  ihres  wissenschaftlichen  Charakters.  Wäre  auch  die 
Kantische  Grundlehre  wahr,  dass  die  Dinge  an  sich  unerkennbar  seien, 
so  würden  doch  die  logischen  Formen,  um  wissenschaftlich  verstanden 
zu  werden,  in  Beziehung  auf  die  metaphysischen  Formen  der  Er- 
scheinungswelt (Substantialität,  Causalität  etc.)  gesetzt  werden  müssen. 
Kant  selbst  erkennt  dies  in  der  »Kritik  der  reinen  Vernunft c  wenigstens 
hinsichtlich  des  Urtheils  an,  wenn  er  (§  19  S.  140  der  2.  Aufl.)  die 
Erklärung  desselben  als  der  Vorstellung  eines  Verhältnisses  zwischen 
zweien  Begriffen  als  ungenügend  tadelt  und  die  Bestimmung  aufgenommen 
wissen  will,  es  sei  ein  objectiv  gültiges  Verhältniss  (S.  142),  es  sei  die 
Art,  gegebene  Erkenntnisse  zur  objectiven  Einheit  der  Apperception 
zu  bringen  (S.  141),  und  wenn  er  demzufolge,  da  die  metaphysischen 
Kategorien  die  verschiedenen  objectiven  Verhältnisse  ausdrücken,  die 
Urtheilsfunctionen  zu  den  Kategorien  in  Beziehung  setzt,  z.  B.  das 
logische  Verhältniss  von  Subject  und  Pr&dicat  im  kategorischen  Urtheil 
zu  dem  metaphysischen  Verhältniss  von  Subsistenz  und  Inhärenz,  das 
logische  Verhältniss  des  bedingenden  und  bedingten  Urtheils  zu  dem 
metaphysischen  Verhältniss  der  Causalität  und  Dependenz  u.  s.  w.  Hätte 
Kant  diesen  Standpunkt  in  der  Logik  festgehalten  und  oonsequent 
durchgeführt,  so  würde  dieselbe  durch  ihn  im  Wesentlichen  die  Gestalt 


'  §  29.   Die  Kantisdie  Schule  u.  verwandte  Richtungen.  Fries.  Herbart.  51 

erhalten  haben,  welche  ihr  später  L  o  t  z  e  gegeben  hat.  Allein  Kant  hat 
for  seine  »Logik«  jene  richtige  Einsicht  nicht  fruchtbar  werden  lassen, 
sondern  abstrahirt  in  ihr  wiederum  von  allen  objectiven  Verhältnissen. 
Diese  Abstraction  wird  aber  noch  viel  weniger  wissenschaftlich  berech- 
tigt sein,  wenn  jene  Kantische  Grundlehre  von  der  Unerkennbarkeit 
der  realen  Objecte  unhaltbar  ist  und  vielmehr  die  metaphjrsischen  Formen 
auch  reale  Bedeutung  haben,  wie  dies  unten  in  unserer  systematischen 
Darstellung  gezeigt  werden  soll.  Die  von  Kant  errichteten  Erkenntniss- 
schranken weder  durch  ein  die  Identität  von  Denken  und  Sein 
poetulirendes  Axiom  gewaltsam  zu  durchbrechen,  noch  auch  irgendwie 
durch  eine  unbewusste  Uebertragung  von  Denkgesetzen  auf  die  Dinge 
an  sich  zu. umgehen,  sondern  gleichsam  stufenweise  methodisch '  abzu- 
tragen und  aufzuheben,  dazu  ist  das  gesammte  vorliegende  Werk  be- 
stimmt Vgl.  insbesondere  §§  38,  40,  41 — 44  und  die  Bemerkungen  zu 
§§  139,  131,  137;  vgl.  auch  die  Abh.  über. Idealismus,  Realismus  und 
Idealrealismus  in  Fichte's  Zeitschr.  für  Philos.,  Bd.  34,  1S59,  S.  63—80.  — 
Kant's  Fehlschluss  lässt  sich  auf  folgende  kurze  Form  bringen:  das 
Apodiktische  ist  apriorisch;  das  Apriorische  ist  bloss  subjectiv  (ohne 
Beziehung  auf  die  »Dinge  an  sich«);  folglich  ist  das  Apodiktische  bloss 
snbjectiv  (ohne  Beziehung  auf  die  »Dinge  an  siehe).  Die  erste  Prämisse 
aber  (der  Untersatz)  ist,  wenn  die  Apriorität  in  dem  Kantischen  Sinne 
als  ünabhängfigkeit  von  aller  Erfahrung  verstanden  wird,  irrig.  Kant 
hält  fälschlich  für  eine  von  aller  Erfahrung  unabhängige  oder  apriori- 
stische  Gewissheit  diejenige  Gewissheit,  die  wir  in  der  That  durch  die 
nach  den  logischen  Normen  erfolgende  Combination  vieler  Erfahrungen 
mit  einander  erlangen,  welche  Normen  durch  die  Beziehung  des  Sub- 
jeets  zu  der  objectiven  Realität  bedingt  und  nicht  Formen  a  priori 
sind;  er  hält  fälschlich  alle  Ordnung  (sowohl  die  räumlich- zeitliche,  als 
die  causale)  für  bloss  subjectiv.  —  Ueber  das  Verhalten  der  Kantischen 
Logik  zur  Aristotelischen  vgl.  die  Bemerkungen  zu  §§  2;  16.  —  Vergl. 
F.  Zelle,  Der  Unterschied  in  d.  Auffassung  der  ^ogik  bei  Aristoteles 
and  bei  Kant.  Berlin  1870.  —  Ernst  Wickenhagen,  Die  Logik  b. 
Kant.  Diss.  Jena  1869.  —  Mor.  Steckelmacher,  Die  form.  Logik 
Kant's  in  ihren  Beziehungen  z.  transscendentalen.  Eine  v.  d.  philos. 
Facult.  d.  Univ.  Breslau  gekr.  Preisschr.  Breslau  1879.  —  J.  Volkelt, 
Kant's  Stellung  z.  unbewusst.  Logischen,  in  d.  Philos.  Monatsheften.  Bd. 
9.  1871.  S.  49  u.  113.  -~  W.  Schuppe,  Das  Verhältn.  zw.  Kant's 
formal,  u.  transsc.  Logik,  in  d.  Philos.  Monatsh.  Bd.  16.  1880.  S.  513— 628. 

§  29.  In  gleichem  Sinne,  wie  von  Kant,  ist  die  Logik 
innerhalb  seiner  Schule  namentlich  von  Jacob,  Kiese - 
Wetter,  Hoffbaner,  Maass,  Tieftrank,  Krug,  Gerlach  u.  A. 
bearbeitet  worden.  Einen  ähnlichen  Standpunkt  bekunden 
im  Allgemeinen  auch  die  logischen  Werke  von  Salomon 
Haimon,  G.  E.  Schulze,  Bouterwek,  Sigwart,  Twcsten, 
Ernst    Reinhold,    Bachmann,    Friedr.  Fischer    und 


52  §  29.  Die  Kantische  Schale  u.  verwandte  Richtungen.  Pries.  Herbart. 

Anderen.  Pries  giebt  der  Logik  eine  psychologische  Grund- 
lage. Er  versteht  unter  der  Logik  die  Wissenschaft  von  den 
Regeln  des  Denkens  und  theilt  dieselbe  in  die  reine  Logik, 
die  von  den  Formen  des  Denkens,  und  die  angewandte,  die 
von  dem  Verhältniss  der  Denkformen  zu  dem  Ganzen  der 
menschlichen  Erkenntniss  handle;  die  reine  wiederum  in  die 
anthropologische  Logik,  welche  das  Denken  als  Thätigkeit  des 
menschlichen  Geistes  betrachte  und  die  philosophische  oder 
demonstrative  Logik,  welche  die  Gesetze  der  Denkbarkeit  auf- 
stelle; die  angewandte  in  die  Lehre  vom  Verhältniss  des 
Denkens  zum  Erkennen  im  Allgemeinen,  die  Lehre  von  den 
Gesetzen  der  gedachten  Erkenntniss  oder  von  der  Aufklärung 
unserer  Erkenntniss,  und  die  Methodenlehre.  An  ihn  schliesst 
sich  Friedr.  van  Galker  an,  der  die  Denklehre  oder  die  Logik 
und  Dialektik  als  die  Wissenschaft  von  der  Form  des  höheren 
Bewusstseins  erklärt  und  in  Erfahrungslehre,  Gesetzlehre  und 
Kunstlehre  des  Denkens  eintheilt  Her  hart  definirt  die  Logik 
als  die  Wissenschaft,  welche  die  Deutlichkeit  in  Begriffen  und 
die  daraus  entspringende  Zusammensetzung  der  letzteren  zu 
Urtheilen  und  Schlüssen  im  Allgemeinen  betrachte.  Er  schliesst 
die  Frage,  welche  Bedeutung  die  Denkformen  für  die  Erkennt- 
niss haben,  ganz  von  der  Logik  aus,  um  sie  der  Metaphysik 
zuzuweisen  und  hält  dafür,  dass  die  logischen  Normen  einer 
wissenschaftlichen  Begründung  durch  metaphysische  und  psy- 
chologische Betrachtungen  weder  bedürftig  noch  fähig  seien. 
An  ihn  schUessen  sich  Dro bisch,  Hartenstein,  Griepenkerl, 
Bobrik,  Strümpell,  Allihn,  Lott,  Waitz  u.  A.  an. 

Die  logischen  Werke,  welche  aus  der  Kantischen  Schule  hervor- 
gegangen sind  oder  doch  die  Richtung  derselben  im  Wesentlichen  theilen, 
lassen  das  Eingehen  auf  die  tieferen  Probleme  vermissen,  und  nicht 
alle  compensiren  diesen  Mangel  durch  volle  Strenge,  Genauigkeit  und 
Klarheit  auf  ihrem  engbegrenzten  Gebiete.  Jacob 's  Grundriss  der  all- 
gemeinen Logik  erschien  zuerst  1788;  Kiesewetter 's  Grundriss  der 
Logik  1791,  2.  Aufl.  2 Bde.  1795—96;  dagegen:  Flatt'sFragm.  Bemer- 
kungen gegen  d.  Kant.  u.  Kiesew.  Grundr.  d.  r.  allgem.  Logik.  Tübing. 
1802.  —  Joh.  Chr.  Aug.  Grohmann,  Neue  Beitrage  z.  krit.Philo6.  n. 
insbes.  z.  Logik.  Leipzig  1796.  —  Hoff  bau  er's  Analytik  der  Urtheile 
und  Schlüsse  1792,  Anfangsgründe  der  Logik  1794;  Maass'  Grundriss 
der  Logik  1798,  4.  Aufl.  1828;  Maimon's  Versuch  einer  neuen  Logik 
oder  Theorie  des  Denkens  1794;   Bonterwek's  Idee  einer  Apodiktik 


§  29.   Die  Eantisohe  Schule  u.  verwandte  Rieht angen.  Fries.  Herbart.  68 

2  Bde.  1799,  Lehrbuch  der  philoeophischen  Wissensohaften  2  Thle. 
1813;  Tieftrunk'B  Grandriss  der  Logik  1801;  Sohulze's  Gnindsätze 
der  allgemeinen  Logik  1802,  4.  Aufl.  1822:  Krug's  Logik  oder  Denk- 
lehre 1806;  eine  »Kritik  der  Logik  aus  dem  Standpunkte  der  Sprache c 
von  Karl  Leonhard  Reinhold  1806;  Gerlach's  Grundriss  der  Logik 
1817;  Sigwart's  Handbuch  zu  Vorlesungen  über  die  Logik  (d.  Logik 
in  ihrer  Bezieh,  z.  allgem.  Sprachlehre)  1818,  8.  Aufl.  1885;  Ernst 
Reinhold's  Versuch  einer  Begründung  und  neuen  Darstellung  der 
logischen  Formen  1819,  Logik  oder  allgemeine  Denkformen  1827,  Theorie 
des  menschlichen  Erkenntnissvermogens  1882;  Twesten's  Logik,  ins- 
besondere die  Analytik  182j^,  Grundriss  d.  anal.  Logpik  1834:  Bach- 
mann's  System  der  Logik  1828  (ein  sehr  instructives  Werk);  Friedr. 
F i s c h e r's  Lehrbuch  der  Logik  1888;  —  Fries'  System  der  Logik 
1811,  8.  Aufl.  1887,  Grundriss  der  Logik  3.  Aufl.  1827;  van  Calker's 
Denklehre  oder  Logik  und  Dialektik  nebst  e.  Abriss  der  Gesch.  u. 
Litterat.  ders.  1822  (der  Abr.  d.  Gresch.  ist  bes.  beachtenswerth  wegen 
der  Litteratur- Angaben).  —  Herbart's  Lehrbuch  zur  Einleitung  in  die 
Philosophie  1818  (5.  Aufl.  1860),  worin  §§  84—71  ein  Abriss  der  Logik 
enthalten  ist;  GriepenkerPs  Lehrbuch  der  Logik  in  kurzen  Umrissen 
1881;  Drobisch'  neue  Darstellung  der  Logik  nach  ihren  einfachsten 
Verhältnissen  nebst  einem  logisch-mathematischen  Anhange  1886  (2. 
TÖllig  umgearbeitete  Auflage  1861,  8.  neu  bearbeitete  Auflage  1868,  4. 
Aufl.  1876;  anerkanntermaassen  die  trefflichste  Darstellung  der  Logik 
▼on  jenem  Standpunkte  aus,  sehr  schätzbar  wegen  ihrer  Klarheit, 
Schärfe  und  relativen  Vollständigkeit);  Bobrik's  System  der  Logik 
1888;  J.  H.  W.  Waitz'  Hauptlehren  der  Logik  1840;  Lott's  Sdftrift: 
Zur  Logik  1846;  StrümpelFs  Entwurf  der  Logfik  1846  (vgl.  dessen 
Abh.  über  den  Vortrag  der  JiOgik  mit  besonderer  Rücksicht  auf  die  Natur- 
wissenschaften, Berlin  1868),  Grundriss  d.  Logik  oder  der  Lehre  v. 
wissensch.  Denken  für  Studirende  u.  Lehrer.  Leipzig  1881.  (Einige  von 
ihm  noch  jetzt  gebilligte  Stücke  des  s.  Ansicht  nach  in  Deutschland 
wenig  beachteten  Entwurfs  der  Log^k  hat  der  Verf.  in  diesen  Grundriss 
wieder  mit  aufgenommen ;  die  Behandlungsweise  ist  dadurch  bestimmt, 
dass  ebenso  sehr  die  speculative,  erkenntnisstheoret.  Auffassung  der 
logfischen  Fragen,  als  auch  der  Formalismus  der  gew.  Logik  vermieden, 
und  insbes.,  wo  möglich,  der  Zusammenhang  mit  d.  Praxis  der  Wissen- 
schaften hervorgehoben  werden  sollte.)  —  (Allihn's)  Antibarbarus  lo- 
gicos  1861  (2.  Aufl.  der  ersten  Abth.  1868);  Rob.  Zimmermann's 
Pfailoe.  Propädeutik  Wien  1862,  2.  Aufl.  ebd.  1860,  8.  Aufl.  1867;  ^ust. 
Ad.  Lindner's  Lehrbuch  der  formalen  Logik  Graz  1861,  2.  Aufl.  Wien 
1867,  8.  erw.  Aufl.  das.  1872,  4.  Aufl.  1877;  Mathias  Amos  DrbaPs 
Lehrbuch  der  propädeutischen  Logfik  Wien  1866 ;  Prakt.  Logik  od.  Denk- 
lehre Wien  1872;  Stoy,  Philos.  Propäd.  Abth.  1  Die  philos.  Probleme 
u.  die  Logik  Leipzig  1869.  —  Ign.  Pokorny ,  Neuer  Grundriss  d.  Logik. 
Wien  1878.  —  Jos.  Mich,  Grundriss  d.Log^k.  Gemeinfassl.  dargest.  8. 
Aufl.  Wien  u.  Troppau  1877  (angehenden  Li]i  »crn;.»;^  lapiMcprinnen  der 
Volksschule  gewidmet). 


•*    /. 


^< 


54  §  30.    Fichte,  Schelling  und  ihre  Schalen. 

§  30.  Fichte  (1762—1814)  führt  in  seiner  Wissen- 
schaftslehre,  um  die  inneren  Widersprüche  der  Kantischen  Er- 
kenntnisslehre zu  überwinden,  nicht  nur  die  Form,  sondern 
auch  die  Materie  der  Erkenntniss  ausschliesslich  auf  das  den- 
kende Subject  oder  das  Ich  zurück,  und  begründet  somit  den 
strengsten  subjectiven  Idealismus.  Er  hält  die  formale  Logik 
für  keine  philosophische  Wissenschaft,  weil  dieselbe  den  Zu- 
sammenhang zerreisse,  in  welchem  Form  und  Inhalt  der  Er- 
kenntniss untereinander  und  mit  den  höchsten  Erkenntniss- 
principien  stehen.  -Das  gleiche  Urtheil  fällt  Schelling 
(1775 — 1854)  über  die  formale  Logik,  indem  er  gleichfalls  Form 
und  Inhalt  und  zudem  auch  die  subjective  und  die  objective 
Vernunft  auf  ein  einziges  Princip,  das  Absolute,  zurückführt, 
dessen  Wesen  er  durch  intellectuelle  Anschauung  zu  erkennen 
glaubt.    Doch  haben  Beide  nicht  selbst  die  Logik  bearbeitet. 

Joh.  Gottl.  Fichte  fordert  in  seiner  Schrift  über  den  B^riff 
der  Wissenschaftslehre  (1794),  dass  alles  Wissen  aus  einem  einzigen 
Prinoip  abgeleitet  werde,  und  sucht  in  seiner  »Grundlage  der  gesammten 
Wissenschaftslehrec  (1794  u.  ö.)  diese  Forderung  durch  Ableitung  aller 
Erkenntniss  nach  Inhalt  und  Form  aus  dem  Ichprincip  zu  erfüllen.  Die 
logischen  Grundsätze  gelten  ihm  als  Erkenntnissgründe  für  die  obersten 
Sätze  der  Wissenschaftslehre  und  diese  hinwiederum  als  die  Realgriinde 
für  jene.  Die  formale  Logik  wollte  Fichte  anfangs  noch  gleich  wie 
Kant  neben  der  transscendentalen  bestehen  lassen,  später  aber  (besonders 
in  der  Vorlesung  über  das  Yerhältniss  der  Logik  zur  Philosophie,  in  den 
nachgelassenen  Werken,  hrsg.  von  I.  H.  Fichte,  Bonn  1884 — 35, 1,  S.  1 1 1  f.) 
sie  ganz  und  gar  aufheben  und  von  Grund  und  Boden  aus  zerstören 
durch  die  transscendentale  Logik.  Er  wirft  ihr  vor,  dass  sie  als  gegeben 
annehme,  was  doch  selbst  erst  Product  des  zu  erklärenden  Denkens 
sei,  und  dass  sie  sich  daher  bei  der  Erklärung  des  Denkens  im  Cirkel 
bewege.  Aus  Fichte *s  Schule  sind  die  Logiken  von  G.  E.  A.  Mehmel 
(analytische  Denklehre,  Erlangen  1803)  und  besonders  von  Joh.  Bapt. 
Seh  ad  (transscendentale  Logik  nach  den  Principien  der  Wissenschafts- 
lehre, Jena  und  Leipzig  1801;  institutiones  philosophiae  universae,  tom.  I. 
logioam  oomplectens  1812)  hervorgegangen.  —  Schelling  lehrt:  der  ur- 
sprüngliche Inhalt  und  die  ursprüngliche  Form  des  Wissens  sind  wechsel- 
weise durch  einsmder  bedingt.  Das  Princip  alles  Wissens  ist  der  Punkt,  wo 
durch  einen  untheilbaren  Act  der  Intelligenz  zugleich  Inhalt  und  Form  des 
Wissens  entspringt.  Entsteht  die  Logik  auf  wissenschaftliche  Art,  so 
gehen  ihre  Grundsätze  durch  Abstraction  aus  den  obersten  Grundsätzen 
des  Wissens  hervor.  Die  Logik  in  ihrer  gewöhnlichen  rein  formalen 
Gestalt  gehört  ganz  zu  den  empirischen  Versuchen  in  der  Philosophie. 
Dialektik  nennt  Schelling  die  Logik  als  Wissenschaft  der  Form  und 


§  so.   Fichte,  Schelling  and  ihre  Schulen.  56 

reine  Kanstlehre  der  Philosophie  (System  des  transscendentalen  Idealismus 
1800,  S.  36 — 38;  Vorlesungen  über  die  Methode  des  akademischen 
Studiums  180ßy  S.  17  ff.;  122—129).  Der  Sohelling'schen  Schule  ge- 
hören an  die  logischen  Werke  von  Klein  (Verstandeslehre  oder  An- 
schauungs-  und  Denklehre  1810  u.  ö.);  Thanner  (Wissenschaftliche 
Logik  1811);  Trox  1er  (1780—1866;  Logik,  die  Wissenschaft  des 
Denkens  und  Kritik  aller  Erkenntniss  1829 — SO);  Joh.  Jak.  Wagner 
(1775—1841;  Organon  der  menschl.  Erkenntniss,  Erlangen  1830)  und 
Andere:  in  manchem  Betracht  schliesst  sich  an  Troxler  W.  J.  A. 
Werber  (Die  Lehre  von  der  menschl.  Erkenntniss,  Karlsruhe  1841) 
und  an  Wagner  (zum  Theil  auch  an  Baader)  Leonhard  Rabus  an: 
Logik  und  Metaphysik,  erster  Theil:  Erkenntnisslehre,  Geschichte  der 
Logik,  System  der  Logik,  nebst  einer  chronologisch  gehaltenen  Ueber- 
sicht  über  die  logische  Litteratur,  Erlangen  1868.  Die  neuesten  Be- 
strebungen auf  d.  Gebiete  der  Logik  b.  d.  Deutschen  u.  d.  logische 
Frage.  Erlangen  1880;  —  Die  Ursachen  der  modernen  Reform  versuche 
auf  dem  Gebiete  der  Logik.  Progr.  d.  kgl.  Studienanstalt.  Speyer 
1880.  —  In  d.  Zeitschr.  f.  Philos.  N.F.  Bd.  77.  1880.  Ergänzungsheft 
Zur  logischen  Frage  (Wundt's  Logik  S.  106).  —  Nahe  verwandt  mit  der 
Schelling'schen  Richtung  ist  die  von  Krause  (1781—1882;  Grundriss 
der  historischen  Logik  1803,  Abriss  des  Systemes  der  Logik,  f.  s.  Zu- 
hörer 1826.  2.  mit  d.  metaphys.  Grundlag.  d.  Log.  verm.  Ausg.  1828. 
—  Die  Lehre  vom  Erkennen  u.  v.  d.  Erkenntniss,  od.  Vorslesgn.  über 
d.  analyt.  Logik  u.  Encyklop.  d.  Phi]os.  f.  d.  ersten  Anfang  im  philos. 
Denken,  hrsg.  v.  H.  K.  v.  Leonhardi.  1836;  an  Krause  schliessen 
sich  Lindemann  (Denkkunde  oder  Logik,  Solothurn  1846)  und 
Tiberghien  (Esaai  sur  la  genöration  des  connaissanoes  humaines, 
Paris  und  Leipz.  1844;  Logique,  la  science  de  la  connaissance,  Paris 
1866)  an.  Auch  Franz  von  Baader's  (1765—1841)  Philosophie  ist 
mit  der  Schelling'schen  verwandt.  Die  Baader'sche  Schule  unterscheidet 
eine  theosophisohe  und  eine  anthroposophische  Logik,  die  sich  zu  ein- 
ander wie  Urbild  und  Abbild  verhalten;  jene  betrachte  die  Totalitat 
der  absoluten  Denk-  und  Erkenntnissformen  des  unendlichen  Geistes, 
diese  die  Totalität  der  Gesetze  und  Formen,  denen  das  nachbildliche 
Erkennen  des  endlichen  Geistes  unterworfen  sei.  Den  Baader'schen 
Principien  gemäss  stellt  Franz  Ho  ff  mann  in  der  Schrift:  »Speculative 
Entwidteliing  der  ewigen  Selbsterzeugung  Grottesc  Amberg  1885,  und 
in  der  »Vorhalle  zur  speculativen  Lehre  Franz  Baader 's«  Asohaffen- 
burg  1836  das  göttliche  Erkennen  als  Moment  des  göttlichen  immanen- 
ten Lebensprocesses  dar.  Vgl.  auch  Hoffmann,  Grundzüge  einer  Ge- 
schichte des  Begriffs  der  Logik  in  Deutschland  von  Kant  bis  Baader 
(besonderer  Abdruck  der  Vorrede  und  Einleitung  zu  Franz  von  Baader's 
sammtl.  Werken  I,  1),  Leipz.  1851;  Grundriss  der  allg.  reinen  Logik, 
2.  Aufl.  Würzburg  1855.  Einer  ähnlichen  Richtung  gehört  an  Emil 
Aug.  V.  Schaden's  (1814—1852)  (höchst  phantastisches)  System  der 
positiven  Logik,  Erlangen  1841.  Auf  Schelling's  Principien  fusst  in 
wesenilieken  Bezidiimgen  die  (unten  näher  zu  charakterisirende)  Dia« 
lektik  von  Schleiermacher. 


56  §  31.   Hegel. 

In  dieser  Richtung  liegt  auch  das  jüngst  ersch.  Werk  des  unter 
dem  Einfluss  der  Philosophie  Günther's  stehenden  J.  H.  Loewe, 
Lehrbuch  der  Logik,  Wien  1881,  dessen  Gedanken  zum  Theil  schon 
ein  verstorbener  Schüler  Loewe' s,  W.  Eanlich  in  s.  Handbuch  der 
Logik,  Prag  1869,  mitgetheilt  und  selbst  verwendet  hatte.  Loewe  selbst 
hatte  seine  Ansichten  kurz  schon  früher  geäussert  in  der  Schrift:  Ueber 
den  Begriff  der  Logik,  Wien  1849  und  in  der  Schrift:  Ueber  den 
Unterricht  in  der  philosoph.  Propädeutik,  Prag  1865. 

§  31.  Hegel  (1770—1831)  begründet  im  Anschlags  an 
die  Fichte'schen  und  Schelling'schen  Principien  die  meta- 
physische Logik.  Hatte  Kant  Form  and  Inhalt  des  Denkens 
für  unabhängig  von  einander  gehalten  und  die  Form  aus- 
schliesslich auf  den  denkenden  Geist,  den  Inhalt  ausschliesslich 
auf  die  afficirenden  Dinge  zurückgeführt,  so  beruht  im  Glegen- 
theil  Hegel's  Logik  auf  der  zweifachen  Identificirung  1.  von 
Form  und  Inhalt,  2.  von  Denken  und  Sein.  Hegel  urtheilt 
nämlich  1.  mit  Fichte  und  Schelling,  dass  eine  Sonderung 
von  Form  und  Inhalt  unzulässig  sei,  vielmehr  mit  der  Form 
zugleich  der  allgemeinste  Inhalt  der  Erkenntniss  begriffen 
werden  müsse;  2.  mit  Schelling,  dass  die  nothwendigen  Ge- 
danken des  menschlichen  Geistes  nach  Inhalt  und  Form  mit 
dem  Wesen  und  den  Entwickelungsformen  der  Dinge  in  ab- 
soluter Uebereinstimmung  stehen.  Hierzu  fügt  Hegel  seiner- 
seits 3.  das  methodische  Postulat,  dass  der  reine  Gedanke  in 
dialektischer  Selbstentwickelung  von  dem  leersten  und  ab- 
stractesten  Begriffe  aus  zu  immer  reicheren  und  concreteren 
Begriffen  bis  zum  absolut  höchsten  vermöge  der  den  Begriffen 
innewohnenden  Negativität  und  Identität  schöpferisch  fort- 
schreite, und  zwar  in  absoluter  Einheit  mit  der  Selbsterzeugung 
des  Seins,  so  dass  die  subjective  Denknothwendigkeit  zugleich 
das  Kriterium  der  objectiven  Wahrheit  sei.  Die  Hegersche 
Logik  führt  diese  Selbstentfaltung  des  Begriffs  vom  reinen 
Sein  bis  zur  absoluten  Idee,  die  Naturphilosophie  von  Raum 
und  Zeit  bis  zum  thierischen  Organismus,  die  Geistesphilo- 
sophie  vom  subjectiven  bis  zum  absoluten  oder  göttlichen  Geist. 
Die  Logik  ist  nach  Hegel  das  System  der  reinen  Vernunft, 
der  Gedanke,  wie  er  ohne  Hülle  an  sich  selbst  ist,  die  Wissen- 
schaft der  reinen  Idee,  das  ist  der  Idee  in  ihrem  AnundfÜr- 
sichsein  oder  der  Idee  im  abstracten  Elemente  des  Denkens. 


§  31.   Hegel.  57 

Sie  zerrällt  in  drei  Theile:  die  Lehre  vom  Sein,  vom  Wesen 
nnd  vom  Begriff.  Der  erste  Theil  handelt  von  den  Kategorien 
der  Qualität,  Quantität  und  des  Maasses ;  der  zweite  vom  Wesen 
als  Grund  der  Existenz,  von  der  Erscheinung  und  von  der 
Wirklichkeit;  der  dritte  vom  subjectiven  Begriff  (d.  i.  von 
dem  Mechanismus,  Chemismus  und  der  Teleologie)  und  von  der 
Idee;  die  Momente  der  Idee  sind  das  Leben,  das  Erkennen 
und  die  absolute  Idee,  die  absolute  Idee  ist  die  absolute  Wahr- 
heit, die  sich  selbst  denkende  Idee,  die  reine  Form  des  Be- 
griffs, die  ihren  Inhalt  als  sich  selbst  anschaut  In  die  Lehre 
vom  subjectiven  Begriff  verflicht  Hegel  die  Hauptbestimmungen 
der  formalen  Logik,  aber  indem  er  sie  einer  wesentlichen 
Umgestaltung  nach  den  Forderungen  der  dialektischen  Methode 
unterwirft  und  ihnen  zugleich  eine  objective  Deutung  giebt. 

Hegel' 8  logische  Werke  sind:  Wissenschaft  der  Logik  1812 — 16, 
2.  Ausg.  1833 — 84  (I.  objective  Logik:  A.  Lehre  vom  Sein,  B.  Lehre 
vom  Wesen;  U.  subjective  Logik),  und:  Enoyclopädie  der  philosophi- 
schen Wissenschaften  im  Grundrisse  1817  und  öfter;  erster  Theil:  die 
Wissenschaft  der  Logik  §§  19 — 244.  So  sehr  Hegel's  Polemik  berech- 
tigt ist,  so  wenig  sind  seine  eigenen  positiven  Bestimmungen  haltbar. 
Mit  Recht  tadelt  Hegel  die  Kantischen  Isolirungen;  aber  er  seltibt  ist 
in  das  entgegengesetzte  Extrem  überspannter  Identificirungen  verfallen. 
»Der  W^  des  Kriticismus  trennte,  was  Gott  vereint  hatte;  der  Weg  der 
Identisirung  wollte  einen,  was  Gott  geschieden«  (Troxler).  Was  ins- 
besondere 1.  die  Identificirung  von  Form  und  allgemeinstem  Inhalt  des 
Denkens  und  demgemäss  auch  von  Logik  und  Metaphysik  betrifft,  so 
sind  zwar  Form  und  Inhalt  von  einander  nicht  unabhängig  und  for- 
dern eine  wissenschaftliche  Erörterung  ihres  gegenseitigen  Verhältnisses, 
bilden  aber  nichtsdestoweniger  zwei  wesentlich  verschiedene  Objecte 
der  Erkenntniss,  deren  Betrachtung  demnach  auch  zwei  verschiedenen 
Zweigen  der  Einen  philosophischen  Gbsammtwissenschaft  zuföllt.  Eine 
gesonderte  Darstellung  der  Logik  ist,  falls  nur  die  metaphysischen  Be- 
ziehungen nicht  verkannt  werden,  nicht  nur  zulässig  (wie  dies  u.  A. 
auch  Schelling  anerkennt,  indem  er  die  Dialektik  als  Wissenschaft  der 
Form  des  philosophischen  Denkens  für  eine  philosophisch  berechtigte 
Wissenschaft  hält  und  auch  schon  eine  Logik,  welche  die  Gesetze  des 
»reflectirten  Erkennens«  aus  speculativen  Gründen  ableitet,  als  »eine 
besondere  Potenz  in  dem  allgemeinen  Systeme  der  Yernunftwissensohaft« 
gelten  lässt),  sondern  auch  eine  nothwendige  Bedingung  der  wissen- 
schaftlichen Vollendung.  Die  Platonische  Ungeschiedenheit  (die  dies 
übrigens  auch  nur  im  relativen  Sinne  ist)  war  naturgemäss  in  jenem 
Anfingsstadium,  da  beide  Wissenschaften  eben  erst  aus  dem  gemein- 
samen Keim  des  philosophischen  Denkens  überhaupt  hervorzutreten  be- 


58  §  31.   Hegel. 

gannen.  Die  völlige  Isolirung  andererseits  war  allerdings  eine  Ver- 
irruug,  der  jedoch  das  richtige  Gefühl  der  Nothwendigheit  einer  stren- 
geren Unterscheidung  ssum  Grande  lag.  Als  Reaction  gegen  diese 
Isolirung  mit  ihren  dürren  und  unfruchtbaren  Abstractionen  mochte 
vorübergehend  selbst  eine  Rückkehr  zur  alten  Ungeschiedenheit  heilsam 
sein;  doch  wird  auf  die  Dauer  schwerlich  verkannt  werden  können, 
dass  das  wahre  Verhaltniss  in  der  relativen  Selbstöndigkeit  liegt.  Dem- 
nach sind  diejenigen  Kategorien,  von  denen  Hegel  in  den  beiden 
Haupttheilen  über  das  Sein  und  über  das  Wesen  handelt,  aus  der  Logik 
auszuscheiden  und  der  Metaphysik  zuzuweisen;  dasjenige  femer,  was 
Hegel  in  dem  Abschnitt  über  die  Objectivität  (Mechanismus,  Chemismus, 
Teleologie)  vorträgst,  gehört  der  Naturphilosophie  an,  und  nur  die 
Probleme,  welche  Hegel  in  dem  Abschnitt  vom  subjectiven  Begriff  und 
theilweise  die.  welche  er  in  dem  Abschnitt  von  der  Idee  behandelt, 
gehören  in  der  That  zu  den  Objecten  der  Logik.  Als  Erkenntnisslehre 
aber  findet  die  Logik  ihre  richtige  Stelle  nicht  in  oder  unmittelbar 
neben  der  Metaphysik  (es  sei  denn,  dass  sie  dieser  propädeutisch  vor- 
angehe, s.  0.  §  7),  sondern  unter  den  Zweigwissenschaften  der  Philo- 
sophie des  Geistes.  S.  oben  §  6.  Was  2.  die  Identificirung  der  Denk- 
formen mit  den  Existenzformen  und  insbesondere  die  dem  Begriff, 
Urtheil  und  Schluss  zuerkannte  objective  Bedeutung  betrifiPt,  so  hat 
Hegel  auch  hier  das  Yerhältniss  der  Gleichheit  zu  finden  geglaubt, 
während  doch  in  der  That  nur  das  Yerhältniss  der  g^enseitigen  Beziehung 
und  des  Parallelismus  stattfindet.  Begriff,  Urtheil  und  Schluss  sind  For- 
men des  denkenden  und  erkennenden  Geistes.  Sie  finden  in  den  Erkennt- 
nissobjecten  ihre  Gorrelate,  der  Begriff  in  dem  Wesen  der  Dinge,  das 
Urtheil  in  den  Verhältnissen  der  Subsistenz  und  Inhärenz  etc.,  der 
Schluss  in  dem  gesetzmässigen  Zusammenhange  des  wirklichen  Ge- 
schehens, und  der  subjectivisch- formalen  Logik  gegenüber,  welche  diese 
Beziehungen  verkannte,  mochte  immerhin  auf  dieselben  in  der  paradoxen 
Form  aufmerksam  gemacht  werden:  den  Dingen  ist  der  Begriff  imma- 
nent, die  Dinge  urtheilen  und  schliessen,  das  Planetensystem,  der  Staat, 
alles  Vernünftige  ist  ein  Schluss.  Aussprüche  dieser  Art  sind  als  poe- 
tische Metaphern  wahr  und  sehr  geeignet  das  tiefere  Nachdenken  zu 
wecken;  aber  für  streng  wissenschaftlich  dürfen  sie  nicht  gelten,  denn 
sie  fassen  Denk-  und  Existenzformen,  die  nur  in  gewissen  Bestimmun- 
gen verwandt  sind,  unter  den  nämlichen  Begriff,  gleich  als  ob  sie  in 
allen  wesentlichen  Bestimmungen  übereinkämen.  (Diese  Bildlichkeit 
erkennt  auch  Zell  er  an  in  seinem  Heidelberger  Antrittsvortrag  über 
die  Bedeutung  und  Aufgabe  der  Erkenntnisstheorie,  Heidelb.  1862,  S.  6, 
wogegen  Michelet  den  Hegel'schen  Standpunkt  vertheidigt  in  seiner 
Zeitschrift:  Der  Gedanke,  Bd.  III,  Heft  4,  1862,  S.  288  ff.)  Wie  aber 
die  Formen  der  Wahrnehmung  sich  zur  äusseren  Realität  verhalten, 
dieses  Problem  hat  Hegel  kaum  berührt.  Wenn  doch  jedenfalls,  wie 
auch  über  die  Art  und  die  Möglichkeit  der  Affection  geurtheilt  werden 
mag,  als  unzweifelhaft  anerkannt  werden  mnss,  dass  die  Wahrnehmung 
durch  irgend   ein  Zusammenwirken  des  wahrnehmenden  Individuums 


§  81.  Hegel.  59 

mit  der  Aussenwelt  zu  Stande  kommt,  so  ist  Kant's  verständiire  Unter- 
scbeidang  einee  subjectiven  und  eines  objeotiven  Elementes  derselben 
keineswegs  abzuweisen.  Die  Annahme  einer  durchgängigen  üeberein- 
Stimmung  des  vom  Subject  hinzugegebenen  Elementes  mit  dem  eigenen 
Sein  der  Aussenwelt  würde  im  besten  Falle  nur  eine  sehr  unsichere 
Hypothese  sein,  den  Ergebnissen  der  neueren  Physik  und  Physiologie 
gegenüber  aber  auch  nicht  einmal  als  eine  blosse  Hypothese  aufrecht 
erbalten  werden  können.  —  Wenn  Hegel  überhaupt  das  ganze  Eanti- 
sche  Unternehmen  einer  Prüfung  des  Erkenntnissvermögens  abweist, 
weil  das  Erkennen  des  Erkennens  dem  Erkennen  der  Kealität  nicht 
vorangehen  könne,  so  ist  zu  erwidern,  dass  das  Erkennen  des  Erkennens^ 
wiewohl  das  zweite  Stadium  der  Erkenntniss  überhaupt,  doch  reckt 
wohl  das  erste  Stadium  der  philosophischen  Erkenntniss  sein  könne. 
Zuerst  richtet  sich  die  menschliche  Erkenntnissthätigkeit  auf  die  Aussen- 
welt und  allmählich  auch  auf  manche  psychologische  Verhaltnisse ;  dann 
erst  in  kritischer  Reflexion  auf  sich  selbst  und  ihre  eigene  Erkenntniss- 
fahigkeit;  endlich  wiederum,  sofern  das  Resultat  dieser  Prüfung  ein 
positives  ist,  auf  die  Realität  überhaupt  in  Natur  und  Geist.  Wir 
müssen  vom  Vertrauen  auf  unsere  Erkenntnisskraft  ausgehn,  nicht  vom 
Misstrauen,  wenn  überhaupt  irgend  ein  Grewinn  erzielt  werden  soll; 
aber  dieses  Vertrauen,  ursprünglich  blind,  darf  nicht  ein  blindes  blei- 
ben. Sofern  sich  bestimmte  Gründe  ergeben,  der  Wahrnehmung  oder 
dem  Denken  im  Einzelnen  oder  im  Allgemeinen  die  materiale  Wahr- 
heit oder  üebereinstimmung  mit  dem  Sein  abzusprechen,  dürfen  die- 
selben nicht  um  jenes  Vertrauens  willen  gewaltsam  beseitigt  werden. 
Die  Prüfung  kann  nur  denkend  vollzogen  werden;  auch  diesem  prüfen- 
den Denken  wird  so  lange  das  Vortrauen  auf  seine  Kraft,  das  richtige 
Verhältniss  zu  ermitteln,  geschenkt  werden  müssen,  als  nicht  bestimmte 
Gründe  vorliegen,  ihm  dasselbe  zu  versagen,  und  bei  der  Prüfung 
dieser  Gründe  gilt  wiederum  das  Gleiche.  Dieses  Verfahren  verliert  sich 
nicht  in's  Endlose,  weil  keine  Nothwendigkeit  vorliegt,  dass  immer 
wieder  neue  Gründe  zum  Misstrauen  gegen  das  prüfende  Denken  her- 
vortreten, sondern  recht  wohl  an  irgend  einem  Punkte  ein  eben  so  be^ 
friedigender  Abschluss  gewonnen  werden  mag,  wie  in  der  mathematischen 
Beweisführung.  Aber  HegePs  Axiom  einer  Identität  von  Denken  und 
Sein  ist  vielmehr  eine  Flucht  vor  der  Kantisohen  Kritik,  als  eine  Ueber- 
windung  derselben.  (Vgl.  die  Abhandlung  des  Verf.  über  Idealismus, 
Realismus  und  Ideal-Realismus  in  Fichte's  Zeitsohr.  f.  Philos.,  Bd.  XXXIV, 
18&9,  S.  6S--80.)  3.  Die  dialektische  Methode  stellt  sich  eine  falsche 
Aufgabe  und  vermag  dieselbe  nur  scheinbar  zu  lösen.  Die  Aufgabe  ist 
unrichtig  gestellt.  Denn  wie  gerade  vom  Hegel'schen  Standpunkte  aus 
mit  Recht  gefordert  worden  ist,  dass  nicht  eine  naturlose,  sondern  eine 
naturfreie  Sittlichkeit  erstrebt  werde,  so  gilt  auch  auf  dem  intellec- 
tuelleQ  Gebiete  der  analoge  Satz:  das  Denken  soll  nicht  ein  empirie- 
kwes,  sondern  ein  ompiriefreies  sein.  Nicht  ein  in  sich  verharrendes 
Denken^  sondern  nur  ein  Denken,  welches  den  ursprünglich  durch  die 
äussere  und  inuerö  Wahrnehmung  gewonnenen  Stoff  nach  den  auf  die 


60  §  31.  Hegel. 

Idee  der  Wahrheit  gegründeten  Normen  verarbeitet,  erzeugt  thatsächlich 
die  menschliche  Erkenntniss  und  hätte  in  der  Logik  den  Gegenstand 
der  Betrachtung  bilden  sollen.  Die  dialektische  Aufgabe  ist  unlösbar. 
Denn  a.  im  Geiste  des  denkenden  Subjectes  kann  der  abstraotere 
Begriff  nicht  aus  sich  allein  die  ooncreteren  Begriffe  erzeugen,  da 
»das  Prodnct  nicht  mehr  enthalten  kann,  als  was  die  Factoren  hinein- 
gehen c  (Beneke),  und  dass  auch  in  der  That  bei  Hegel  die  einzelnen 
dialektischen  üebergänge  logische  Fehler  enthalten,  ist  durch  zahlreiche 
Nachweisungen  von  Seiten  scharfsinniger  Gegner  (insbesondere  von 
I.  H.  Fichte,  Schelling,  Trendelenburg  (log.  Unters,  u.  bes.  auch  die 
logische  Frage  in  Hegel's  System,  zwei  Streitschriften.  Leipzig  1843), 
Kym  (insbes.  Hegel's  Dialekt,  in  ihrer  Anwendung  auf  d.  Gesch.  d. 
Philos.  Zürich  1849,  abjo^edr.  in  s.  motaphys.  Untersuchungen.  München 
1875),  Lotze,  Chalybäus,  George,  Ulrici,  Reifif  (über  d.  HegePsche 
Dialektik.  Tübingen  1866),  v.  Hartmann  (über  d.  dialekt  Methode, 
histor.  krit.  Untersuchungen.  Berlin  1868)  und  der  Herbart'schen  Schule 
dargethan  worden ;  b.  bei  der  Uebertragung  des  dialektischen  Prooesses 
auf  die  Realität  werden  die  »logischen«  Kategorien  vermöge  einer 
Hypostasirung,  die  der  von  Aristoteles  bekämpften  Platonischen  Sub- 
stantiirung  der  Ideen  analog  ist,  gleichsam  als  selbständige  Wesen 
behandelt,  die  einer  eigenthümlichen  Entwickelung  und  eines  Ueber- 
ganges  in  einander  fähig  seien;  wie  der  Fortgang  vom  Sein  zum  Nichts, 
dann  zum  Werden  etc.  bis  zur  absoluten  Idee  in  der  objectiven  Realität 
als  ein  zeitloses  Prius  der  (in  der  Natur-  und  Geistesphilosophie  be- 
trachteten) natürlichen  und  geistigen  Entwickelung  statt  haben  könne, 
ist  nicht  nur  unvorstellbar,  sondern  wohl  auch  undenkbar;  die  Priorität 
der  »logischen«  Kategorien  aber  und  ihre  dialektische  Aufeinanderfolge 
für  eine  blosse  subjective  Abstraction  zu  halten,  würde  HegePs  Prindpien 
widerstreiten.  —  Die  Wahrheit,  die  der  dialektischen  Methode  zum 
Grunde  liegt,  ist  die  teleologische  Betrachtung  der  Natur  und  des  Geistes, 
wonach  beide  sich  vermöge  einer  ihnen  unbewusst  oder  bewusst  inne- 
wohnenden vernunftgemässen  Nothwendigkeit  durch  Kampf  und  Ver- 
mittlung von  Gegensätzen  fortschreitend  von  den  niederen  zu  den 
höheren  Stufen  entwickeln.  Allein  das  menschliche  Denken  vermag 
die  Stufenreihe  der  Entwickelungen  nur,  indem  es  auf  der  äusseren  und 
inneren  Erfahrung  fusst,  zu  erkennen,  und  so  gewinnt  auch  die  dialek- 
tische Methode  ihre  Üebergänge  nur  scheinbar  durch  die  rein  logischen 
Mittel  der  Negativität  und  Identität,  in  der  That  aber  dadurch,  dass 
der  Denker  vermöge  seines  anderweitig  bereits  entwickelten  Bewusst- 
seins  die  jedesmal  höhere  Stufe  schon  kennt  oder  ahnt,  und  im  Ver- 
gleich mit  ihr  die  niedere  ungenügend  findet.  ~  (Die  subject.  Logrik 
übers,  in's  Französ.  mit  Erläut.  H.  Sloman  u.  J.  Wallen,  Paris  1864, 
Die  ganze  Logik  mit  Einl.  u.  Comment.  A.  Vera,  2  Bde.,  Paris  1869.  — 
Hegel's  Logic,  translat.  for  the  Encydopaedia  of  philosoph.  sciences  with 
proleg.  by  W.  Wallace.  London  1874.  —  Ueber  HegePs  Logik  zu  vergl. 
AI.  Schmid,  Entwickelungsgesch.  der  HegePschen  Logik.  Ein  Hilfs- 
buch  zu  einem  gesch.  Studium  ders.  mit  Berüoks.  d.  neuest.  Schriften 


§§  32.  88.   Die  Hegel'sche  Schale.    Schleiermacher.  61 

V.  Haym  u.  Rosenkranz.  Regensbnrg  1858.  —  Gonr.  Hermann,  Hegel 
Q.  d.  log.  Frage  der  Philosophie  in  d.  Gegenwart.  Leipzig  1878.  Ders. 
zoTor:  in  d.  Philos.  Monatsheften.  Bd.  8.  S.  15  u.  S.  511.  1870. 

§  32.  Innerhalb  der  Hegel'ßchen  Schule  haben  Hin- 
richs,  Schaller,  Gabler,  Werder,  Erdmann,  Rosenkranz, 
Weissenbom,  Kuno  Fischer  u.  A.  theils  das  System  der 
Logik  wissenschaftlich  dargestellt,  theils  Princip,  Methode  und 
einzelne  Probleme  der  Logik  in  Erläuterungs-  und  Vertheidi- 
gnngsschriften  behandelt. 

Logische  Werke  aus  der  HegePschen  Schule  sind:  Hinrichs, 
Grundlinien  der  Philosophie  der  Logik,  Halle  1826;  Die  Genesis  des 
WisseoB,  erster  metaphysischer  Theil,  Heidelberg  1885.  Georg  Andreas 
Gabler,  Lehrbuch  der  philos.  Propädeutik,  Erlangen  1827.  Mussmann 
De  logicae  ac  dialecticae  notione  historica,  Berl.  1828;  Grundlinien  der 
Logik  und  Dialektik,  ebd.  1828.  Lautier,  Die  Philosophie  des  absoluten 
Widerspruchs  im  Umrisse  der  Fundamentalpbilosophie,  Logik,  Aestbetik, 
Politik,  Ethik,  Ecclesiastik  und  Dialektik,  Berlin  1887.  Werder,  Logik 
als  Commentar  und  Ergänzung  zu  Hegel's  Wissenschaft  der  Logik,  I.  Abth., 
Berlin  1841.  J.  E.  Erdmann,  Grundriss  der  Logik  und  Metaphysik, 
Halle  1841,  4.  Aufl.  ebd.  1864.  Franz  Biese,  Philos.  Propädeutik, 
Berlin  1845.  Rosenkranz,  Die  Modificationen  der  Logik  abgeleitet 
aus  dem  Begriffe  des  Denkens,  Leipzig  1846;  System  der  Wissenschaft, 
ein  philosophisches  Enchiridion,  Königsberg  1850;  Wissenschaft  der  lo- 
giseben Idee,  1.  Theil:  Metaphysik,  Königsberg  1858;  2.  Thcil:  Logik 
und  Ideenlehre,  ebend.  1859.  Epilegomena  dazu  als  Replik  gegen 
Michelet  u.  Lasalle  1862.  Weissenborn,  Logik  und  Metaphysik  1850. 
Kuno  Fischer,  Logik  und  Metaphysik  oder  Wissenschaftslehre,  Heidel- 
berg 1852;  2.  völlig  umgearbeitete  Aufl.  ebd.  1865.  G.  Thaulow, 
Einleitung  in  die  Philosophie,  Kiel  1862. 

§  33.  Schleiermacher  (1768-1834)  versteht  unter 
der  Dialektik  die  Kunstlehre  des  wissenschaftlichen  Denkens 
oder  die  Darlegung  der  Grundsätze  für  die  kunstmässige  Ge- 
spräehfahrung  im  Gebiete  des  reinen  Denkens.  Das  reine 
Denken  (im  Unterschiede  ?on  dem  geschäftlichen  und  dem 
kttnstlerischen  Denken)  ist  das  Denken  um  des  Wissens  willen ; 
das  Wissen  aber  ist  das  von  allen  Denkenden  identisch  zu 
prodncirende  und  mit  dem  Sein,  welches  gedacht  wird,  ttber- 
einstimmende  Denken.  Der  transscendentale  Theil  der  Dia- 
lektik betrachtet  das  Wesen  des  Wissens  oder  die  Idee  des 
Wissens  an  und  für  sich,  der  formale  oder  technische  Theil 
das  Werden  des  Wissens  oder  die  Idee  des  Wissens  in  der 


62  §  33.  Schleiermacher. 

Bewegung.  Schleiermacher  bestreitet  die  (Hegel*  sehe)  Annahme, 
dasB  das  reine  Denken  von  allem  andern  Denken  getrennt 
einen  eigenen  Anfang  nehmen  und  als  ein  besonderes  fttr  sich 
ursprünglich  entstehen  könne,  und  lehrt,  dass  in  jedem  Denken 
die  Thätigkeit  der  Vernunft  nur  auf  Grund  der  äusseren  und 
inneren  Wahrnehmung  geübt  werden  könne,  oder  dass  kein 
Act  ohne  die  »intellectuelle«  und  keiner  ohne  die  »orga- 
nische Function«  sei,  und  dass  in  den  verschiedenen  Weisen 
des  Denkens  nur  ein  relatives  Uebergewicht  der  einen  oder 
andern  Function  stattfinde.  Die  Uebereinstiromung  mit  dem 
Sein  ist  in  der  inneren  Wahrnehmung  unmittelbar  gegeben 
und  mittelbar  auch  auf  Grund  der  äusseren  Wahrnehmung 
erreichbar.  Die  Denkformen,  namentlich  Begriff  und  Urtheil, 
setzt  Schleiermacher  in  Parallele  mit  analogen  Formen  der 
realen  Existenz,  namentlich  den  Begriff  mit  den  substantiellen 
Formen  und  das  Urtheil  mit  den  Actionen. 

Schleiermacher 's  »Dialektik«  ist  aus  seinem  handschriftlichen 
Nachlass  und  nachgeschriebenen  Vorlesungen  1639  von  Jonas  heraus- 
gegeben worden  als  2.  Abtheilung  des  zweiten  Bandes  des  litterarischen 
Nachlasses  oder  als  2.  Theil  des  vierten  Bandes  der  dritten  Abtheilung 
von  Schleiermacher's  sämmtlichen  Werken.  Die  Idee  und  den  Namen 
der  Dialektik  hat  Schleiermacher  theils  von  Plato,  theils  vonSchelling 
entnommen.  Er  sucht  das  Schelling'sche  Postulat  der  Dialektik  als  einer 
»Wissenschaft  der  Form  und  gleichsam  reinen  Kunstlehre  der  Philo- 
sophie« durch  wirkliche  Darstellung  zur  Ausführung  zu  bringen.  Schleier- 
macher hält  die  Kunstform  des  wissenschaftlichen  Denkens  vom  Inhalte 
derselben  für  hinlänglich  unterscheidbar,  um  das  Object  einer  relativ 
selbständigen  Disciplin  zu  bilden;  er  anerkennt  zwischen  den  Formen, 
in  denen  das  Denken  und  Erkennen  sich  vollzieht,  und  den  Formen  der 
realen  Existenz  wohl  einen  Parallelismus,  aber  nicht  Identität;  er  lässt 
das  Denken  durch  die  Wahrnehmung  und  diese  wiederum  durch  die 
Einwirkung,  Affeotion  oder  Impression,  die  von  den  G^enständcn  oder 
dem  Sein  ausser  uns  ausgeht,  vermittelt  sein.  In  allen  diesen  Beziehungen 
stimmt  seine  Ansicht  nicht  nur  mit  den  Ergebnissen  einer  unbefangenen 
Einzelforschung  überein,  sondern  entspricht  auch  treuer,  als  Hcgel's 
Lehre,  der  Idee  des  Universums  als  eines  Gesammtorganismus,  in  welchem 
die  Einheit  des  Gänsen  der  Vielheit  und  relativen  Selbständigkeit  der 
einzelnen  Seiten  und  Glieder  keinen  Eintrag  thut,  die  Gleichheit  in 
gemeinsamen  Grundcharakteren  die  Verschiedenheit  in  specifischcu  und 
individuellen  Eigenschaften  nicht  aufhebt  oder  bedeutungslos  macht, 
und  nicht  irgend  ein  Glied  der  Wechselwirkung  mit  jedem  anderen  und 
der  Bedingtheit  durch  jedes  andere  enthoben  ist.  Dagegen  möchte  nicht 
zu  billigen  sein,  dass  Sohleiermacher  die  Kunstlehre  des  Denkens  an  die 


§  34.  Die  neuesten  deutschen  Logiker.  63 

Stelle  der  Metaphysik  will  treten  lassen,  da  doch  in  der  That  das  System 
der  Philosophie  für  beide  Wissenschaften  Raum  hat  und  einer  jeden  von 
ihnen  eine  eigenthUmliche  Bedeutung  und  Aufgabe  zuweist  (S.  o.  §  6.) 
Femer  scheint  die  Art,  wie  Schleiermacher  das  Verhältniss  des  Denkens 
zur  Wahrnehmung  und  wie  er  den  Parallelismus  der  Denk-  und  Existenz- 
formen bestimmt,  im  Einzelnen  gewisse  Berichtigungen  zu  erfordern, 
wie  dies  unten  im  Zusammenhange  der  systematischen  Darstellnng  näher 
zu  zeigen  sein  wird.  Endlich  können  wir  uns  die  Eintheilung  der 
Dialektik  nicht  aneignen,  wonach  Schleiermacher  einen  transsoendentalen 
und  einen  technischen  oder  formalen  Theil  unterscheidet  und  in  jenem 
den  Begrriff  und  das  Urtheil  als  die  Formen  des  Wissens  an  und  für 
sich  in  ihrem  Verhältniss  zu  den  entsprechenden  Existenzformen,  in 
diesem  den  Syllogismus,  die  Induction  und  Deduction  und  die  combina- 
torischen  Denkformen  als  die  Formen  der  Genesis  des  Wissens  oder  der 
Idee  des  Wissens  in  der  Bewegung  betrachtet.  Denn  auch  die  Formen, 
die  Schleiermacher  der  zweiten  Classe  zuweist,  entsprechen  gewissen 
Formen  des  Seins,  nur  mit  dem  Unterschiede,  dass  der  Begriff  und 
das  Urtheil  als  die  elementarsten  Denkformen  die  einfachsten  Formen 
und  dagegen  der  Schluss  und  die  übrigen  Weisen  der  Construction  und 
Combination  den  weiteren  und  allgemeineren  Zusammenhang  des  Seins 
abspiegeln.  Weit  entfernt  demnach,  dass  diese  letzteren  Formen  der 
Genesis  des  Wissens  angehören  sollten  und  mithin  bedeutungslos  und 
entbehrlich  wurden,  nachdem  das  Denken  im  Wissen  zu  seiner  Voll- 
endung gelangt  wäre,  kann  im  Gegentheil  gerade  das  vollendete  Wissen 
nur  in  ihnen  ein  Dasein  haben.  Da  also  diese  Formen  des  Denkens 
el)enso  sehr  eine  »transscendentalec  Beziehung  auf  das  Sein  haben  und 
der  Wissenschaft  als  solcher  eben  so  wesentlich  angehören,  wie  Begriff 
und  Urtheil,  so  würden  sie  alle  in  den  »transsoendentalen  Theil«  hinein- 
gezogen werden  müssen,  und  für  den  »technischen  oder  formalen  Theil« 
würden  nur  etwa  gewisse  psychologische  Betrachtungen  und  didaktische 
Rathschläge  übrig  bleiben;  solche  aber  mögen,  sofern  es  ihrer  über- 
haupt bedarf,  füglicher  den  einzelnen  Abschnitten  eingestreut,  als  zu 
einem  eigenen  Theile  zusammengestellt  werden.  —  Diese  einzelnen  Aus- 
stellungen heben  indess  keineswegs  die  Anerkennung  auf,  dass  Schleier- 
macher's  dialektische  Grundsätze  im  Allgemeinen  die  Richtung  bezeichnen, 
in  welcher  die  wahre  Vermittelung  zwischen  den  Gegensätzen  der  sub- 
jectivistisch-formalen  und  der  metaphysischen  Log^  zu  suchen  ist. 

§  34.  An  Schleieimacher  schliessen  sich  in  der  Bear- 
beitung der  Logik  namentlich  Ritter  und  Vorländer,  auch 
George  (der  die  entgegengesetzten  Bestrebungen  Hegers  und 
Schleiermacher's  vermittein  will)  an;  in  einzelnen  wesent- 
liehen  Beziehungen  berühren  sich  mit  seinen  logischen  Grund- 
ansichten auch  Beneke,  Trendelenburg  und  Lotze. 
Endlich  haben  mehr  oder  minder  die  sämmtlichen  nachhegel- 
sehen  Bestrebungen  auf  dem  Gebiete  der  Denk-  und  Erkennt- 


64  §  84.   Die  neuesten  deutschen  Logiker. 

nisslehre,  sofern  sie  nicht  irgend  einer  der  schon  erwähnten 
Schnlen  ausschliesslich  angehören,  eine  gemeinsame  Tendenz 
znr  Vermittlung  zwischen  den  Gegensätzen  der  sabjectivistisch- 
formalen  und  der  metaphysischen  LiOgik. 

Eine  philosophische  Schule  im  strengeren  Sinne  hat  Schleiermacher 
nicht  gestiftet  und  nicht  zu  stiften  beabsichtigt ;  er  wollte  nur  vielseitig 
anregen  und  Eigenthümlichkeit  wecken.  Auch  sind  seine  Vorträge  und 
Schriften  durch  ihren  Reichthum  an  geistvollen  und  scharfsinnigen 
Gredanken  eben  so  geeignet,  überallhin  belebend  und  befruchtend  zu 
wirken,  als  bei  dem  Mangel  an  einer  geschlossenen  Systematik  und 
festen  Terminologie  (die  Schleiermacher  zum  Theil  absichtlich  aus  Scheu 
vor  der  Gefahr  dogmatistischer  Erstarrung  vermied)  ungeeignet,  das 
einigende  Symbol  einer  Schule  zu  bilden,  zumal  da  diejenigen  unter 
Schleiermacher's  philosophischen  Werken,  in  welchen  er  einer  strengeren 
systematischen  Form  zustrebt,  erst  nach  seinem  Tode  veröffentlicht 
worden  sind.  Und  so  können  auch  diejenigen  Logiker,  welche  sich  am 
nächsten  an  Schleiermacher  anschliessen,  doch  nur  in  dem  weiteren  Sinne 
als  seine  Schüler  bezeichnet  werden,  dass  sie  sich  vorwiegend  in  den 
durch  ihn  angeregten  Gedankenkreisen  bewegen.  —  Die  logischen  Schriften 
der  oben  genannten  Philosophen  sind  folgende:  Heinr.  Ritter,  Vor- 
lesungen zur  Einleitung  in  die  Logik  1828;  Abriss  der* philosophischen 
Logik  1824,  2.  A.  1829;  System  der  Logik  und  Metaphysik,  2  Bde., 
1856;  Encyclopädie  der  philos.  Wissenschaften,  8  Bde.,  1862— -64.  —Franz 
Vorländer,  Wissenschaft  der  Erkenntniss,  Marburg  u.  Leipzig  1847. 
—  L.  George,  Die  Logik  als  Wissenschaftslehre,  Berlin  1868.  Krit. 
Bemerkungen  über  George  s.  b.  Ulrici,  Zur  log.  Frage  in  Zeitschr. 
f.  Philos.  N.  F.  Bd.  55.  1869,  dagegen  George,  Sendschr.  an  Ulrici 
betr.  8.  Stellung  z.  log.  Frage  das.  Hd.  57.  1870.  S.  85.  Eine  Antwort  v. 
Ulrici.  S.  108.  —Ed.  Beneke  (1798—1864),  Erkenntnisslehre  in 
ihren  Grundzügen  dargelegt,  Jena  1820;  Lehrbuch  der  Logik  als  Kunst- 
lehre des  Denkens,  Berlin  1882;  System  der  Logik  als  Kunstlehre  des 
Denkens,  Berlin  1842.  Beneke  kommt  mit  Schi  ei  er  mach  er  haupt- 
sächlich in  folgenden  logischen  Ansichten  von  principieller  Bedeutung 
überein:  1.  in  der  allgemeinen  Auffassung  und  Behandlung  der  Logik 
als  »Kunstlehre  des  Denkens c ;  2.  in  der  Lehre,  dass  alles  Denken  und 
insbesondere  auch  das  philosophische  nur  auf  dem  Grunde  der  äussern 
und  innem  Wahrnehmung  erfolge,  dass  diese  den  Denkstoff,  die  in- 
tellectuelle  Thätigkeit  aber  di^  Form  der  »Einheitsetzung  und  Entgegen- 
setzung« (Schleiermacher)  hinzubringe,  oder  dass  »in  vielfachem  Ilin- 
über-  und  Herüberwirken  Wahrnehmung  und  Denken  sich  fortwährend 
gegenseitig  fordern  müssen,  wenn  die  empirische  Erkenntniss  zu  höherer 
Vollkommenheit  gedeihen  solle  (Beneke),  und  dass  dem  Menschen  das 
sogenannte  reine,  von  aller  Wahrnehmung  unabhängige  und  gleichsam  aus 
dem  Nichts  schaffende  Denken  nicht  zukomme;  8.  in  der  Lehre,  dass 
durch  die  innere  Wahrnehmung  eine  Erkenntniss  erreicht  werde,  welcher 
volle  materiale  Wahrheit  zukomme,  und  swar  zunächst  die  Erkenntniss  des 


§  84.   Die  neuesten  deutechen  Logiker.  65 

eigenen  psychischen  Seins,  indem  im  Selbstbewusstsein  Vorstellen  und 
Sein  nicht  aussereinander,  sondern  unmittelbar  ineinander  seien;  dass 
in  der  Erkenntniss  eines  Seins  ausser  uns  die  Anerkennung  einer  Mehr- 
heit psychischer  Wesen  oder  denkender  Subjecte  die  erste  sei,  und  dass 
diese  im  Zusammenwirken  mit  der  äusseren  Wahrnehmung  und  mit  der 
intellectuellen  Thätigkeit  die  Erkenntniss  des  realen  Seins  der  übrigen 
äusseren  Wesen  vermittle.  Dagegen  weicht  Beneke  von  Schleiermacher 
hauptsächlich  in  folgenden  zwei  Beziehungen  ab:  1.  darin,  dass  er  die 
Art  und  Weise  des  Zusammenwirkens  der  äusseren  und  inneren  Wahr- 
nehmung mit  dem  Denken  näher  nachzuweisen  sucht,  2.  darin,  dass  er 
den  Denkformen  nur  eine  subjectiv-psychologisohe  Bedeutung  zugesteht 
und  einen  Parallelismus  derselben  mit  den  Formen  und  Verhältnissen 
des  Seins  nicht  anerkennt,  wenigstens  nicht  bei  dem  »analytischen  Denken«, 
doch  giebt  er  zu,  dass  mittelst  des  »synthetischen  Denkens c  die  »syn- 
thetischen Grundverbältnissec  der  realen  Objecte  in  den  »logischen 
Formen  des  Begriffs,  Urtheils,  Schlüsse  verarbeitet  werden.  Zur  Kritik 
dieser  Ansicht,  die  ohne  Grund  blos  in  dem  »analytischen  Denken c  das 
eigentlich  L€>gische  findet,  vergl.  §§  56,  67  u.  120.  An  Beneke  schliesst 
sich  J.  G.  Dressler  an:  Praktische  Denklebre  nach  Beneke's  Vorgange 
auf  d.  Thatsachen  d.  inneren  Erfahrung  gebaut.  F.  alle  Freunde  des 
Denkens,  bes.  f.  Lehrer,  Bautzen  1852;  die  Grundlehren  der  Psychologie 
und  Logik,  ein  Leitfaden  zum  Unterricht  in  diesen  Wissenschaften  für 
höhere  Lehranstalten,  sowie  zur  Selbstbelehrung,  Leipzig  1867,  2.  Aufl. 
1870;  ebenso  Dittes,  prakt.  Logik,  bes.  f.  Lehrer,  Wien  1872;  Lehr- 
buch der  Psychologie  u.  Logik  (Gesammt-Ausg.  d.  prakt.  Log.  4.  Aufl.), 
Wien  1874.  —  Trendelenburg,  logische  Untersuchungen,  Berlin  1840; 
2.  ergänzte  Aufl.  2  Bde.  Leipzig  1862;  8.  verm.  Aufl.  1870;  die  logische 
Frage  in  HegePs  System,  zwei  Streitschriften  (abgedr.  a.  d.  neuen  jenaisoh. 
allgem.  Litteraturz.  1842.  K.  99  ff.,  1848  N.  45  ff.),  1843.  Histor.  Beiträge 
z.  Philos.  Bd.  1.  Gesch.  d.  Eategorienlehre,  Berlin  1846;  Bd.  8.  Abth.  II. 
über  das  Element  der  Definition  in  Leibnizens  Philosophie.  1867.  — 
Elementa  logices  Aristotelicae.  Berolini  1886.  2.  Aufl.  1842.  6.  Aufl. 
1868.  Dazu  Erläuterungen.  Berlin  1842.  8.  Aufl.  1876  (mit  einer  lesens- 
werthen  Vorr.  über  d.  philos.  Unterricht  auf  d.  Gymnsksien).  Den  eigenen 
Standpunkt  seiner  Logik  bezeichnet  Trendelenburg  in  den  log. 
Unters.  8.  Aufl.  Kap.  I.  Logik  und  Metaphysik  als  grundlegende  Wissen- 
schaft folgendermassen  S.  6:  »In  jeder  Wissenschaft  finden  sich  nach 
zwei  Seiten  Elemente,  welche  auf  gleiche  Weise  dem  Theil  wie  dem 
Ganzen  angehören  oder  im  Besonderen  die  Macht  eines  Allgemeineren 
offenbaren.  Der  besondere  Gegenstand  jeder  Wissenschaft  thut  sich  als 
die  Verzweig^ung  eines  allgemeinen  Seins  und  die  eigenthümliche  Methode 
thut  sieh  als  eine  besondere  Richtung  des  erkennenden  Denkens,  des 
Denkens  überhaupt  knnd.  Jene  Beziehung  führt  von  jeder  Wissenschaft 
aus  zur  Metaphysik  und  diese  Beziehung  zur  Logik,  c  —  und  weiter  S.  11 : 
»Wenn  alle  Wissenschaften  insgesammt  hier  auf  die  Logik,  dort  auf  die 
Metf^hysik  hinweisen,  als  auf  die  Erkenntniss  eines  Allgemeinen,  das 
sie  voraussetzen:  so  wird  diejenige  Erkenntniss,  welche  die  Wissenschaft 

5 


66  §  84.  Die  neaesten  deatsohen  Logiker. 

in  ihrem  Wes^n  begreifen  and  Theorie  der  WiBsensohaft  sein  will,  die 
Metaphysik  und  die  Logik  gemeinsam  umfassen  müssen.  Erst  aus  beiden 
Beziehungen  lässt  sich  die  innere  Möglichkeit  des  Wissens  verstehen 
und  das  Denken  in  seinem  Streben  zum  Wissen  begreifen.  Man  hat 
die  Wissenschaft,  welche  die  Betrachtung  des  Denkenden  und  Seienden 
als  solche  ^rring^,  mit  Plato  Dialektik  genannt;  wir  nennen  sie  lieber, 
um  einen  Nebenbegriff  zu  vermeiden,  Logik  im  weiteren  Sinne  und 
richten  auf  eine  solche  Logik  unsere  »logischen  Untersuchungen c.  — 
An  Trendelenburg  angeschlossen  haben  sich  u.  A.:  Carl  Heyder, 
kritische  Darstellung  u.  Vergleich,  der  Aristot.  u.  Hegel'schen  Dialektik, 
Bd.  I,  Abth.  I,  Erlangen  1846;  und  die  Lehre  von  den  Ideen  in  einer 
Keihe  von  Untersuchungen  über  Gesch.  u.  Theorie  ders.,  Abth.  L  Zur 
Gesch.  d.  Ideenlehre,  Frankfurt  a.  M.  1874;  A.  L.  Eym,  Trendelen- 
burg's  log.  Untersuch,  u.  ihre  Gegner,  Abhdl.  1  Diö  Streitfragen  zwischen 
E.  Fischer  u.  Trendelenburg  in  Zeitschr.  f.  Ph.  u.  ph.  Krit.,  Bd.  54, 
S.  261—817.  Abhdl.  2,  Krit.  d.  WissenschafteL  K.  Fisoher's  in  Philos. 
Monatshefte  lY,  1870.  S.  486—483.  —  Vereint  mit  einer  Abh.  über 
Weisse  u.  I.  H.  Fichte  sind  jtoe  beiden  Abhdlgen.  wieder  abgedr. 
in  Kym^s  Metaph.  Untersuchungen.  München  1876.  In  der  Vorrede 
hat  Eym  seine  Ansicht  kurz  also  zusammengefasst:  »Die  Abhandlungen 
beziehen  sich  auf  die  log.  Untersuchungen  von  A.  Trendelenburg  (8.  A.) 
und  zwar  ausschliesslich  auf  deren  metaph.-log.  Grundlage;  von  der  Ansieht 
ausgehend,  dass  in  d.  Unters,  der  Principien  und  ihres  organ.  Zusammen- 
hanges, die  philos.  Arbeit  sich  zu  concentriren  hatte.  Steht  erst  die 
princip.  Grundlage  fest,  so  lässt  sich  darauf  auch  ein  sicherer  Bau  auf- 
führen. Die  log.  Unters,  erscheinen  uns  namentlich  in  dem  als  sehr 
bedeutsam,  was  sie  in  Bezug  auf  Bewegung,  Raum  u.  Zeit  geleistet  haben 
—  u.  zwar  nicht  bloss  wenn  man  diese  Begriffe  in  ihrem  metaph.  Werthe, 
sondern  namentlich  auch,  wenn  man  ihre  Tragweite  als  fandamentale 
Anschauungen  des  Geistes  im  Erkenntnissprocässe  verfolgt.  Da  schien 
es  uns  stets,  als  habe  Trendelenburg  dem  Geiste  und  seiner  Begriffsbildung 
recht  eigentlich  auf  den  Grund  gesehen  u.  ein  fundament.  Element  der 
Eant.  Erkenntnisstheorie  —  die  Anschauung  —  und  zwar  nach  ihrer 
aprior.  wie  empir.  Tragweite,  gerettet.  Namentlich  dem  sogen,  »reinen 
Denken  c  gegenüber,  wie  es  in  Hegel  zum  vollen  Durohbruche  und  zur 
consequenten  Ausbildung  gelang^,  erscheint  uns  der  Rückgriff  auf  das 
Moment  der  Anschauung  im  Wissen  von  hoher  Bedeutung.  Im  An- 
schauungsmoment erblicken  wir  geradezu  eine  Grundbeding^ung  zur  ge- 
sunden Erkenntnisstheorie.  Diese  Wahrheit  ruht  freilich  ursprünglich 
in  Eant's  transsc  Aesthetik,  wurde  abär  später  durch  diö  dialektische 
Methode  des  reinen  Denkens  beinahe  ganz  in  den  Hinterg^rund  gedrängt. 
In  jener  Vermittlung  zwischen  Eategorie  und  Anschauung  ruht  der 
Angelpunkt  der  Kantischen  wie  jeder  künftigen  Erkenntnisstheorie,  t  — 
In  der  erneuerten  Basirung  der  Logik  auf  Aristotelische  Principien 
stimmt  auch  dieses  Buch  mit  Trend  eleu  bürg  überein.  Vergl.  darin 
auch  Carl  Aug.  Hoffmann,  .Abriss  der  Logik  für  den  Gymnasial- 
unterricht, Clausthal  1869;  2.  Aufl.  1868.  ^  Rud.  Herm.  Lotze,  Logik, 


§  84.  Die  neaest«]!  deutsoheii  Logiker.  67 

Leipzig  1643.  VergL  über  Lotze's  Logik  die  Bemerkung  in  §  28,  S.  51. 
Nach  Lotse  soll  die  Logik  »nicht  eine  Aufzählung  der  Gesetze  des 
Denkens,  sondern  eine  Erklärung  und  wiBsenschaftliche  Darstellung  ihres 
Ursprungs  und  ihrer  Beziehungen  zu  andern  Thätigkeiten  des  Geistes 
sein,  dadurch  aber  hauptsächlich  sich  einen  nähern  Einfluss  auf  die  Aus- 
bildung der  wirklichen  Erkenntniss  gewinnen,  als  es  durch  den  abstracten 
Formalismus  geschehen  kannc.  (S.  6.)  Auf  die  Frage,  ob  er  eine  for- 
male oder  eine  reale  Logik  zu  geben  beabsichtige,  antwortet  er  (8.  IS): 
»weder  die  eine,  noch  die  andere;  in  gewissem  Betracht  aber  sowohl 
die  eine  als  die  andere.  Formal  soll  die  Logik  in  dem  Sinne  durchaus 
sein,  dass  sie  eine  Lehre  von  den  Operationen  des  Denkens  ist,  durch 
welche  das  Subjeot  seine  Gedanken  zum  Erkennen  vorbereitet;  sie  soll 
es  aber  nicht  in  dem  Sinne  sein,  als  wären  diese  Denkformen  ein  factisch 
Vorhandenes,  das  nicht  in  ausdrücklichem  Bezug  zu  der  Aufgabe  der 
Erkenntniss  des  Realen  stände.  Real  soll  die  Logik  femer  nicht  so  sein, 
als  wären  ihre  Formen  zugleich  Momente  in  dem  Wesen  der  Dinge, 
wohl  aber  insofern  als  diese  Formen  von  solchen  Momenten  abhängen, 
indem  in  der  Natur  der  Dinge  Motive  liegen,  welche  das  Wesen  des 
erkennenden  Geistes  nöthigen,  in  seinen  subjectiven  Bewegungen  gerade 
diese  Gestalten  der  Auffassung  und  Verknüpfung  des  Gegenstandlosen 
hervorzubringen.  Wie  nahe  auch  Logik  und  Metaphysik  sich  berühren 
mögen,  eine  Einheit  beider  scheint  uns  ein  verfehlter  Gedanke;  vielmehr 
muss  die  Art  der  Beziehung  zwischen  beiden  ein  Gegenstand  besonderer 
Aufmerksamkeit  für  unsere  Darstellung  sein.c  —  Zur  Vollendung  einer 
philosophischen  Logik  würde  Lotze  weiter  eine  teleologische  Durch- 
forschung des  Systems  der  geistigen  Thätigkeiten  verlangen,  »um  zu 
zeigen,  dass  die  logischen  Formen  allerdings  aus  dem  Wesen  des  sub- 
jectiven Geistes  hervorgehen,  aber  nicht  als  ein  Ergebniss  schlechthin 
vorhandener  Seelenkräfte,  sondern  als  ein  Erzeugniss,  eine  That,  deren 
Nothwendigkeit  darin  liegt,  dass  nur  durch  sie  der  Geist  seine  ethische 
Natur  verwirklichen,  seine  wahre  Bestimmung  erreichen  kann.  So 
wnrden  wir  die  logischen  Formen  auf  einen  Grund  zurückgeführt  haben, 
dem  seine  Nothwendigkeit  um  seines  unbedingten  Werthes  willen  zu- 
käme, und  dies  in  der  That  halte  ich  für  die  Aufgabe  der  philosophi- 
schen Logik.  So  wie  der  Anfang  der  Metaphysik,  so  liegt  auch  der  der 
Logik  in  der  Ethik,  und  zwar  durch  das  Mittelglied  der  Metaphysik 
selbst.«  —  Später  hat  sich  Lotze  über  logische  Fragen  noch  ausge- 
sprochen in  s.  Mikrokosmos,  2.  Aufl.  1869,  Bd.  2,  Buch  5,  Gap.  8,  das 
Sprechen  u.  das  Denken.  Cap.  4,  die  Erkenntniss  u.  d.  Wahrheit,  und 
Bd.  3,  Buch  8,  Cap.  1,  die  Wahrheit  u.  d.  Wissen.  —  Neuerdings  er- 
schien von  demselben:  System  d^  Philosophie  Th.  1.  Logik,  drei  Bücher 
vom  Denken,  vom  Untersuchen  und  vom  Erkennen.  Leipzig  1874.  u. 
2.  A.  1880  (die  ausser  einigen  kl.  Verbesserungen  der  Darstellung  nur 
einen  grösseren  Zusatz  über  den  logischen  Calcul  enthält.  S.  266—269). 
—  Im  Vorwort  spricht  Lotze  sich  selbst  über  s.  Darstellung  also  aus: 
»Das  erste  Buch,  obwohl  völlig  neu  geschrieben,  wiederholt  im  Wesent- 
lidien  den  Gedankengang  meiner  kl.  längst  vergriffenen  Logik  vom  J. 


68  §  84.   Die  neuesien  deatsohen  Logiker. 

1843;  idh  habe  nicht  Ursache  gefunden  diesen  zu  ändern,  und  noch 
jetzt  wie  damals  liegt  nur  in  ihm  das  Interesse,  das  ich  selbst  an  der 
Darstellung  der  Logik  nehme ;  Erweiterungen  und  Verbesserungen  ihres 
Formalismus  zu  versuchen,  jedoch  innerhalb  des  allgem.  Charakters, 
den  derselbe  einmal  hat  und  haben  muss,  halte  ich  jetzt  wie  damals 
für  unfruchtbare  Arbeit;  was  von  ihm  wissenswürdig  ist,  sei  es  auch  nur 
in  einer  Art  von  culturgesch.  Interesse,  glaube  ich  dennoch  vollständig 
mitgetheilt  zu  haben,  und  bin  bemüht  gewesen  es  in  der  einfachsten  Form 
zu  thunc.  Auf  den  Schriften  Lotze's  und  insbesondere  auf  dem  Mikro- 
kosmos beruhen  die  philosophischen  Voraussetzungen  von  Wil.  HoUen- 
berg's  Logik,  Psychologie  u.  Ethik  als  philos.  Propädeutik,  Elberfeld 
1869.  2.  A.  1875  (Die  Erweiterungen  in  d.  Logik  (§  26  ff.)  beziehen 
sich  bes.  auf  die  Ausbildung  der  Methodenlehre,  die  in  der  1.  A.  zu  kurz 
gekommen  war.) 

Femer  mögen  an  dieser  Stelle  einige  logische  Schriften  erwähnt 
sein,  die  zwar  im  Vergleich  mit  einander  einen  sehr  verschiedenen 
Charakter  tragen,  aber  doch  darin  wenigstens  übereinkommen,  dass  sie 
weder  den  reinen  Subjectivismus  der  Kantischen  Logik,  noch  die 
Hegel'sohe  Identificirung  von  Denken  und  Sein  sich  aneignen,  sondern 
eine  irgendwie  vermittelnde  Richtung  suchen:  —  JuL  Braniss  (von 
Schleiermacher  und  von  dem  mit  Schelling  befreundeten  Steffens  an- 
geregt), die  Logik  in  ihrem  Verhältnisse  zur  Philosophie  geschichtlich 
betrachtet  1828;  Qrundriss  der  Logik  1830.  —  Imm.  Herrn.  Fichte 
(1796 — 1879),  Qrundzüge  zum  System  der  Philosophie,  1.  Abth.:  das 
Erkennen  als  Selbsterkennen,  Heidelberg  1888.  —  Bemh.  Bolzano, 
Wissenschaftslehre,  Sulzbaoh  1887.  —  H.  M.  Chalybäus  (1792—1862), 
Wissenschaftslehre,  Kiel  1846;  Fundamentalphilosophie,  Kiel  1861.  — 
Hermann  Ulrici  (geh.  1806),  System  der  Logik,  Leipzig  1852;  Com- 
pendium  der  Logik,  Leipzig  1860,  2.  Aufl.  1872  (s.  d.  Selbstanaeige  in 
d.  Zeitsc&r.  f.  Philos.  Bd.  60.  1872.  S.  806);  Zur  log.  Frage,  Abdr.  a. 
d.  Zeitschr.  f.  Philos.  u.  philos.  Kritik,  Halle  1870.  Ulrici  glaubt 
dargethan  zu  haben,  dass  nicht  nur  HegePs  Identificirung  der  Logik  mit 
der  Metaphysik,  sondern  auch  die  neuerdings  beliebte  (von  Trendelen- 
burg u.  A.  vertretene)  Verschmelzung  derselben  mit  der  Erkenntniss- 
theorie  unhaltbar  sei.  Seine  Behandlung  lässt  die  Logik  in  ihrer  In- 
tegrität als  formale,  Grund  legende  Wissenschaft  bestehen  und  setzt  sie 
doch  zugleich  zur  Erkenntnisstheorie  wie  zur  Psychologie  und  Meta- 
physik in  unmittelbare  Beziehung.  Er  glaubt  dargethan  zu  haben,  dass 
nur  die  formale  Logik  ein  Recht  auf  den  Namen  Logik  und  auf  die 
Würde  der  ersten  Grund  legenden  Disciplin  der  Philosophie  wie  aller 
Wissenschaften  besitze.  Auch  glaubt  er  die  formale  Log^  erst  wissen- 
schaftlich begründet,  die  logischen  Gesetze  deducirt  und  damit  nach- 
gewiesen zu  haben,  worauf  ihre  (Gesetzeskraft  beruht,  warum  sie  schlecht- 
hin allgemein  gültige  Gesetze  unseres  Denkens  sind,  und  was  der  wahre 
Sinn  derselben  ist.  Eben  damit  glaubt  er  endlich  nachgewiesen  zu  haben, 
dass  die  logischen  Gesetze,  Normen  und  Formen  nicht  nur  selbst  einen 
bestimmten  Inhalt  haben,  sondern  auch  zu  dem  reellen  objectiven  Sein, 


§  84.  Die  neuesten  dentsohen  Logiker.  69 

das  mittelst  ihrer  nnd  in  ihnen  von  uns  aufgefasst  wird,  in  unmittel- 
barer Beziehung  stehen,  weil  sie  eben  ihrer  Natur  nach  nicht  bloss  sub- 
jective,  sondern  auch  objective  Gültigkeit  haben.  Und  eben  damit 
glaubt  er  auch  dargethan  zu  haben,  dass  die  Logik,  obwohl  formal, 
doch  keineswegs  ein  isolirtes,  für  den  Auf-  und  Ausbau  der  Wissenschaft 
werthloses  Aussenwerk  sei,  sondern  im  Gegentheil  mit  der  Erkenntniss- 
theorie in  so  engem  Zusammenhange  stehe,  dass  sie  nur  als  der  erste, 
Grund  legende  Theil  derselben  betrachtet  werden  kann.  —  Ulrioi  hat 
neuerdings  seine  Ansicht  gegenüber  neueren  Versuchen  vertheidigt  in 
verschied.  Artikeln  der  von  ihm  herausg.  Zeitschr.  f.  Philos.,  so  in: 
Bd.  66.  1875.  S.  281  Die  Aufgabe  der  Logik  mit  Bezug  auf  Sigwart 
Logik.  Bd.  1  —  u.  Bd.  76.  1880.  S.  281  Zur  logischen  Frage  mit  Bezug 
auf  Sigwart,  Schuppe,  Bergmann.  In  dem  ersten  Artikel  glaubt  Ulrici 
dargethan  zu  haben,  dass  Sigwart's  Fassung  des  Verhältnisses  von 
Log^  und  Erkenntnisstheorie,  nach  welchem  letztere  als  Lehre  von 
den  Methoden,  die  anzuwenden  sind  um  zur  Erkenntniss  zu  gelangen, 
einen  integrirenden  Theil  der  Logik  bildet,  unhaltbar  sei,  beide  viel- 
mehr besonders  behandelt  werden  müssen.  Im  zweiten  Artikel  aber 
erklärte  derselbe,  da  S ig  wart's  Ausführung  der  Methodenlehre  darauf 
hinauslaufe,  dass  die  Erkenntnisstheorie  nur  auf  der  Basis  der  Logik 
sieh  aufbauen  lasse  und  er  in  s.  Logik  u.  Erkenntuisstheorie  denselben 
Satz  zu  beweisen  gesucht  habe,  so  falle  die  Differenz  ihrer  Auffassungen 
in  diesem  Punkte  thatsächlich  hinweg.  Auch  mit  der  Ausführung  der 
Erkenntnisstheorie  Sigwart's  bes.  in  Betreff  ihrer  prindp.  Opposition 
gegen  den  modernen  einseitigen  Empirismus  erklärt  sich  Ülrici  prin- 
cipiell  einverstanden.  Einen  Mangel  der  Logik  S  i  g  w  a  r  t '  s  will  Ulrici 
darin  erkennen,  dass  die  mitwirkenden  apriorischen  Formen  unseres 
Vorstellens  nicht  aus  der  Natur  der  unterscheidenden  Thätigkeit  ab- 
geleitet u.  mittelst  einer  genauen  Analyse  der  unterscheidendeb  Thätig- 
keit die  allgemeine  Anerkennung  jener  Ableitung  nicht  in  ihre  Gon- 
sequenzen  verfolgt  ist.  Dies  gethan  zu  haben  soll  der  Vorzug  seiner 
Logik  sein  u.  aus  diesem  Unterschied  sollen  trotz  der  principiellen 
Uebereinstimmung  in  Bichtung  und  Ziel  ihre  Differenzen  in  Ausführung 
und  Resultat  entspringen.  Aach  bei  Bergmannes  Auffassung  der 
Logik  als  Eunstlehre  des  Denkens  vermisst  Ulrici  eine  klare  Dar- 
legung ihres  Verhältnisses  zur  Erkenntnisstheorie,  wie  er  sie  gegeben 
zu  haben  glaubt,  und  entschiedener  noch  tadelt  er  als  unklar  die  Art, 
wie  Schuppe  eine  erkenntnisstheoretische  Ansicht  zum  Princip  und 
somit  zur  Voraussetzung  der  Logik  machen  wolle.  —  Carl  Prantl, 
die  Bedeutung  der  Logik  für  den  jetzigen  Standpunkt  der  Philosophie, 
München  1849  (sucht  eine  sprachliche  Logik  durchzuführen  als  diejenige, 
welche  mit  Bewahrung  des  Dialekticismus,  als  der  einzig  richtigen  Me- 
thode der  Philosophie,  die  Idealität  und  Bealität  des  menschlichen 
Denkens  in  ihrer  wirklichen  Identität  erfasse  und  entwickle,  worin  die 
Logik  weder  ausschliesslich  formal,  noch  ausschliesslich  das  Reale  sei, 
sondern  als  wirklich  beides  zugleich  in  der  Form  des  Inhaltes  den  In- 
halt ala  Form  entwickle).     In  s.  der  philos.-philol.  Gl.  der  kgl.  bayer. 


70  §  84.  Die  neaesten  deutschen  Logiker. 

Akad.  d.  Wissensch.  Sitz.  v.  6.  März  1876  vorgetragenen  »Reform- 
gedanken zur  Logik«  hebt  Prantl  hervor,  dass  in  neuerer  Zeit  mehr- 
fach bes.  aber  durch  Lotze's  u.  Sigwart*s  Werke  dargethan  sei,  dass 
der  breit  getretene  Pfad  der  gewÖhnl.  formalen  Schul-Logik  nicht  der 
richtige  sei  und  spricht  sich  dann  selbst  über  die  von  ihm  geforderte 
Logik  der  Zukunft  also  $us:  »Ein  weit  greifendes  Ergebniss  unserer 
bisherigen  Untersuchungen  ist  für  das  System  der  Logik  die  entschiedene 
Voranstellung  der  Lehre  vom  ürtheile.  Indem  wir  Denken  und 
Sprechen  nicht  von  einander  trennen  können,  gilt  uns  jeder  Satz  für 
die  Logik  als  einUrtheil,  und  ein  jedes  aus  dem  Satze  hervorgehobene  und 
bewusst  fest  gehaltene  Wort  —  als  Begriff,  und  jede  Verbindung  von 
Sätzen,  welche  in  der  gedankenhaltigen  Rede  verschied.  Beziehungen  an 
ein  begrifflich  erfasstes  Wort  knüpft,  gilt  uns  für  die  Logik  als  ein 
Schluss,  welcher  ein  Mittel  zu  dem  Zwecke  ist,  dass  jener  Begriff  in 
definitorischem  Wissen  sich  vollständig  entfalte  und  darlege;  die 
stete  Wechselbeziehung  endlich,  welche  bei  Letzterem  zwischen  idealer 
Allgemeinheit  und  empir.  Einzelnheit  besteht,  führt  zur  log.  Bewältigung 
dieses  Zwiespaltes  selbst  mittelst  einer  Methodenlehre,  durch  welche 
das  Zustandekommen  der  Wissenschaft  seinen  Abschluss  findet.  Solcher 
Art  wäre  der  Entwurf  eines  Bildes,  welcher  mir  betreffs  einer  Logik  der 
Zukunft  vorschwebt.«  —  An  diese  Reformgedanken  anknüpfend  hat 
Prantl  im  J.  1877  als  Festgabe  zum  Doctor- Jubiläum  SpengePs  eine 
Abhdl.  veröffentlicht,  betitelt:  »Verstehen  und  Beurtheilen«.  Dieselbe 
führt  folgenden  S.  4  kurz  hingestellten  Gedanken  aus:  »Durch  die  formale 
Seite  der  Logik  (Lehre  v.  Ürtheile,  v.  Begriffe,  v.  Schlüsse  und  v.  d.  De- 
finition) gewinnen  wir  nur  eine  Logik  der  Widerspruchslosigkeit,  noch 
nicht  aber  eine  Logik  der  materiellen  Wahrheit ;  zur  letzteren  vollendet 
sich  die  Logik  erst  durch  die  wissensch.  Bewältigung  ihrer  phänomenalen 
Seite  d.  h.  des  Verstehens  und  Beurtheilens.  Und  da  wir,  wie  sich  von 
selbst  versteht,  keine  materielle  Wahrheit  ausserhalb  unseres  Denkens  be- 
sitzen, so  wird  die  Wissenschaftslehre  nur  durch  ihren  phänomenalen 
Abschluss  dasjenige  sein  können,  was  sie  sein  soll,  nämlich:  Entwicklung 
der  Wahrheit  des  menschlichen  Denkens  selbst. « — Martin  Eatzenberger, 
Grundfragen  der  Logik,  Leipzig  1858.  —  J.  Scngler,  Erkenntnisslehre, 
Heidelberg  1868.  — Ernst  Ferdinand  Friedrich,  Beiträge  zur  Förde- 
rung der  Logik,  Noetik  und  Wissenschaftslehre  (d.  h.  »der  Sach- 
vernnnftwissenschaft,  Denkungstheorie  und  Kundigkeitslehre«  oder  zur 
sog.  »Metaphysik,  formalen  Logik  und  inductiven  Logik«),  Bd.  L 
Leipzig  1864.  —  J.  H.  v.  Kirchmann,  die  Philosophie  des  Wissens, 
Bd.  I.  Berl.  1864 ;  die  Lehre  vom  Wissen  als  Einl.  i.  d.  Studium  philos. 
Werke  (Philos.  Biblioth.  Bd.  I),  Berlin  1868  (übers,  in's  Italien,  mit 
Noten  u.  Appendix  v.  Riocoboni  u.  einer  Einleitung  v.  de  Dominicis, 
"Venedig  1871).  Realistisch  als  Philosophie  des  Wissens  hat  derselbe 
die  Logik  auch  behandelt  in  s.  Katechismus  der  Philosophie.  Leipzig 
1877  (Th.  1.  A.  Die  Lehre  v.  Vorstellen.  B.  Die  Lehre  vom  Erkennen. 
S.  18—76).  —  Rud.  Seydel,  Logik  oder  Wissenschaft  vom  Wissen, 
Leipz.  1866  (schliesst  sich  zunächst  an  Chr.  H.  Weisse  u.  an  Schelling 


§  84.  Die  neuesten  deutschen  Logiker.  71 

an).  —  Wilh.  Bosenkrantz,  die  Wissenschaft  des  Wissens  und  Be- 
gründung der  besonderen  Wissenschaften  durch  die  allg.  Wissenschaft, 
Bd.  I,  2.  Aufl.,  Mainz  1869,  Bd.  11  ebd.  1869.  —  L.  Babüs  (s.  o.  S.  66), 
Logik  u.  Metaph.  L :  Erkenntnisslehre,  Gesch.  der  Log.,  Syst.  der  Log., 
Erhingen  1868.  (schliesst  sich  an  J.  J.  Wagner  an).  Vgl.  von  dems. 
Zur  logischen  Frage,  in  den  Philos.  Monatsh.  Bd.  9.  1874.  S.  17.  67.  306. 
409  —  Bd.  10.  S.  433,  u.  D.  neuest.  Bestrebungen  auf  d.  Gebiete  der 
Logik  b.  d.  Deutschen  u.  d.  log.  Frage.  Erlangen  1880.  —  Eine  A^^s- 
einandersetzung  mit  den  Ansichten  dieser  letzten  Schrift  versuchte 
ülrioi  in  d.  Zeitschr.  f.  Philos.  Bd.  78.  1881.  S.  168.  —  Einen  eigen- 
thümlichen  Weg,  die  Lo^ik  zu  fördern,  schlug  E.  Dühring  ein  in 
8.  natürl.  Dialektik,  neue  log.  Grundfragen  der  Wissensch.  u.  Philos., 
Berlin  1865.  Er  will  darthun,  dass  es  keine  einzige  fertige  formale 
logische  Einsicht  giebt,  die  nicht  auf  den  Formen  des  aus  der  reinen 
Mathematik  bekannten  Yorstellens  beruhte.  Die  Verlegenheiten  bei 
mathematischen  Begriffsfassuagen  sollen  eine  allgemeine  Bedeutung  für 
allen  Verstandesgebrauch  haben,  mit  der  Lösung  der  fraglichen  Schwie- 
rigkeiten soll  daher  die  gesammte  Dialektik  von  einer  gewaltigen  Fessel 
befreit  werden.  Besonders  in  der  Kritik  der  Unendlichkeitsbegriffe 
sucht  er  den  Schwerpunkt  der  höheren  Logik  und  will  mit  seinem 
Grundgedanken  die  ganze  Frage  da  aufnehmen,  wo  der  in  Deutchland 
in  der  fraglichen  Beziehung  niemals  berücksichtigte  Garnot  sie  vor 
einem  halben  Jahrhundert  gelassen  hatte.  Neuerdings  hat  Dühring 
diese  seine  Ansichten  ausgeführt  in  s.  Logik  und  Wissenschaf tstheorie. 
Leipzig  1878.  Dühring  sucht  darzuthun,  dass  die  logischen  Ein- 
sichten in  innigem  Anschluss  an  die  besondere  und  positive  Wissenschafts- 
bildung selbst  erwachsen  sind  und  dass  der  ganze  Umfang  der  Vortheile 
ans  dem  Gebrauch  logischer  Theorien  sich  erst  herausstellen  kann,  wenn 
der  bisher  zu  eng  begrenzte  Bahmen  der  Logik  bedeutend  erweitert 
und  eine  allgemeine  Wissenschaftstheorie  als  natürlicher  Abschluss  aller 
vorgangigen  Lehren  hinzugefügt  wird.  Auf  die  Vollendung  der  Logik 
in  einer  solchen  umfassenden  Wissenschaftstheorie,  die  sich  aber  von 
Allem,  was  bisher  Wissenschaftslehre  genannt  ist,  unterscheiden  soll, 
ist  sein  Buch  wesentlich  gerichtet.  Die  Ausmerzung  der  völlig  hohlen 
Verschultheiten  der  gewöhnlichen  Logik  betrachtet  D.  als  ein  Verdienst 
seines  Buches  und  glaubt  durch  seine  Wirklichkeitsphilosophie  die 
Begriffslogik  in  Uebereinstimmung  mit  der  Sachlogik  dargestellt  zu 
hab^i.  —  J.  Hoppe,  die  gesammte  Logik,  ein  Lehr-  und  Handbuch, 
ans  den  Quellen  bearb.,  vom  Standpunkte  der  Naturwissenschaften,  und 
gleichzeitig  als  Kritik  der  bisherigen  Logik,  Paderborn  1868;  die  kleine 
Logik,  ebend.  1869;  das  Entdecken  und  Finden,  ein  Beitrag  z.  Lehre 
von  der  empirisch.  Forschung.  Freiburg  i.  Breisg.  1870;  die  Analogie, 
eine  allgem.  verständl.  DarstelL  a.  d.  Gebiete  der  Logik,  Berlin  1873. 
Hoppe  will  die  Logik  in  einer  neuen  Weise  und  zwar  vom  Stand- 
punkte der  sogenannten  naturwissenschaftlichen  Bearbeitung  aufgebaut 
haben.  Aueh  meint  er  die  Logik  von  allen  schematisohen  Lehren  und 
von  allem  Formwesen  gereinigt  und  die  gänzliche  Unhaltbarkeit  der 


72  §  84.  Die  nenesten  deutschen  Logiker. 

bisherigen  schematischen  und  formalen  Logik  dargethan  zu  haben. 
Statt  einer  solchen  sei  nun  zum  ersten  Male  eine  erfahrungsbegriffliche 
Logik  aufgestellt,  dabei  die  Lehre  vom  Schlüsse  zu  einer  grösseren 
Vollendung  gebracht  und  endlich  die  schwierige  Frage  der  Analogie 
und  Induction  gelöst.  Die  kleine  Logik  ist  ein  Auszug  aus  dem  vor- 
angegangenen grösseren  Buche.  —  Ebenfalls  eigene  Wege  schlägt 
ein  Fr.  A.  Hartsen,  Grundzüge  der  Logik,  nach  einer  neuen 
Methode,  Berlin  1873.  Er  fasst  die  Logik  als  Wissenschafts-  oder  £r- 
könntnisslehre  und  giebt  ihr  die  praktische  Aufgabe,  den  Menschen  zu 
lehren,  seine  Gedanken  so  anzuordnen,  dass  sie  ihm  dienen  mögen, 
um  so  kräftig  als  möglich  die  Welt  modificiren  zu  können,  d.  h.  das 
Verhältniss  der  Theile  der  Welt  umzuändern.  Er  will  daher  sämmt- 
liehe  Regeln  der  Logik  aus  der  Natur  unserer  praktischen  Bedürfnisse 
ableiten.  —  Das  von  Karl  Alex.  v.  Reichlin- Meldegg  ersch.  System 
der  Logik  nebst  Einl.  in  die  Philosophie,  Wien  1870,  fasst  die  Logik 
als  anthropologische,  speciell  psychologische  Wissenschaft.  Eine  das 
Buch  im  Ganzen  Lehrenden  und  Lernenden  zum  Studium  empfehlende  An- 
zeige dess.  schrieb  d.  Verf.  dieses  Buches  in  d.  Zeitschr.  f.  Philos.  u.  philos. 
Krit.  Bd.  57.  1870.  S.  174.  —  Werner  Luthe  hat  Beiträge  z.  Logik 
2  Thle.  Berlin  1872  u.  1877  dargeboten.  Die  Beiträge  zur  Logik  sollen 
die  Hauptpunkte  der  gew.  Logfik  untersuchen.  Der  1.  Theil  befasst  sich 
mit  der  Lehre  von  der  Vorstellung,  dem  Begriff  und  demUrtheil;  der  2.  Theil 
schliesst  sich  mit  Untersuchungen  über  die  Kategorien  an  die  im  1.  Theil 
gegebene  Lehre  vom  Begriff  an  (abgedr.  a.  d.  Ruhrort.  Progr.  v.  1874) 
und  bringt  eine  Kritik  der  Schlussformen  d.  Aristoteles.  Es  soll  ge- 
zeigt werden,  dass  die  Grundlagen  derselben  grossen  Theils  unhaltbar 
sind,  und  dass  die  Syllogistik  einer  wesentl.  Umgestaltung  bedarf. 
Ders.  hatte  schon  früher  einen  Theil  seiner  Ansichten  ausgesprochen 
in  einer  Abh.:  Zur  log.  Frage  mit  bes«  Bez.  auf  Ueberweg  u.  Drobisch 
in  d.  Zeitschr.  f.  Philos.  u.  philos.  Krit.  Bd.  60.  1872.  S.  151.  Eine 
Kritik  seiner  Beiträge  gab  U  Ir  ici  das.  Bd.  61.  1872.  S.  282.  —  Gedanken 
zu  einer  Reform  der  Logik  hat  noch  angeregt:  Fr.  Harms,  Die  Reform 
der  Log^k.  A.  d.  Abhdlgn.  d.  Berl.  Akad.  d.  Wissensch.  1874  (einen 
ausführl.  Bericht  gab  Bratusdhek  in  d.  philos.  Monatsh.  Bd.  11.  1875. 
S.  210.)  und  über  d.  Begriff  d.  Wahrheit  in  d.  Abhdlgn.  d.  kgl.  Akad. 
d.  Wissensch.  zu  Berlin  1876.  Eine  historische  Durchführung  der  in  d. 
ersten  Abhdl.  dargelegten  Ideen  gelebt  die  aus  d.  Nachlass  ▼.  Lassen 
herausg.  Geschichte  d.  Logik  (d.  Philos.  in  ihrer  Gesch.  Th.  2),  Berlin 
1881.  Dieselbe  schliesst  mit  dem  bezeichnenden  Satze:  »Es  giebt  keine 
bessere  Anleitung  zum  system.  Durchdenken  der  Probleme  der  Logik  als 
das  Durchdenken  der  Lösungsversuche,  die  in  der  Geschichte  der  Philo- 
sophie uns  entgegentreten  c.  —  Aus  dem  Nachlasse  Friedr.  Alb.  Lange's 
hat  H.  Cohen  herausg.:  Logische  Studien.  Ein  Beitrag  z.  Nenbegr.  der 
form.  Logik  u.  d.  Erkenntnisstheorie.  Iserlohn  1877.  Das  Fragment 
ist  drei  Wochen  vor  des  Verf.  Tode  vollendet  und  von  demselben  dmck- 
fertig  dem  Herausgeber  übergeben  worden.  Es  behandelt  die  form.  Logik 
und  Erkenntnisslehre  —  die  Modalität  der  Urtheile  —  das  particul.Ürtheil 


^  §  84.  Die  neaesten  dentsohen  Logiker.  78 

and  d.  Lehre  von  d.  Umkehrung  der  ürtheile  —  die  Syllog^itftik  —  die  disj. 
Urtheile  u.  die  Elemente  der  Wahrscheinlichkeitslehre  —  Baum,  Zeit  u. 
Zahl.  Ein  zweiter  Theil  sollte  sich  mehr  den  Fragen  der  Psychologie 
imd  Methode  des  Denkens  zuwenden.  —  Eine  krit.  Bespreohnng  dieser 
Schrift,  welche  L.'s  Kritik  der  überlief.  Logik  werthvoller  findet  als 
das  von  ihm  zur  Nenbegründong  Dargebotene,  gab  A.  Riehl  in  d.  Viertel- 
jahrsschr.  f.  wiss.  Fhilos.  Bd.  2.  1878.  S.  240—260.  ^  Mit  Bezug  auf 
F  i  0  h  t  e's  Wissenschaftslehre  und  H  e  g  e  1  's  Logik  schrieb  einen :  Grundriss 
d.  Logik  u.  Metaph.  darg.  als  Entwicklung  des  endl.  Geistes  Günther 
Thiele.  Halle  1878.  —  Von  empirisch-induct.  Standpunkt  aus  unter 
Anknüpfung  an  Kant  hat  Herm.  Wolff  Logik  u.  Spraohphilos.  Eine 
Kritik  des  Verstandes.  Berlin  1880  herausgegeben.  —  Als  Voraussetzung 
der  Erkenntnisslehre  hat  vom  erkenntnisstheoretischen  Standpunkt  aus 
angefangen  die  Logik  neu  zu  entwickeln  A.  Döring,  Grundzüge  der 
allgem.  Logik  als  einer  allgem.  Methodenlehre  des  theoret.  Denkens. 
Th.  1.  Einl.  u.  Naturlehre  des  theoret.  Denkens.  Dortmund  1880. 
Eine  Selbstanzeige  findet  sich  in  d.  Vierteljahrsschr.  f.  wiss.  Philos. 
Bd.  4.  S.  506.  —  In  aristotelisch-scholastischem  Sinne,  jedoch  mit  Be- 
rücksichtigung neuerer  Forschung,  ist  verfasst:  Georg  Hagemann, 
Logik  und  Noetik,  Münster  1868.  Das  Gleiche  gilt  von  A.  Stöckl, 
Lehrb.  d.  Philos.,   Abth.  I,  Mainz  1868,  8.  Aufl.  1872. 

Eine  sehr  ausführliche  »erkenntnisstheoretische  Logik c  hat  Wilh. 
Schuppe  Bonn  1878  geboten;  ihren  Standpunkt  bezeichnet  schon  der 
Titel.  Es  wird  dargethan,  dass  es  für  die  Logik  grundlegende  Bedeu- 
tung habe,  die  Elemente  jedes  Wahmehmungs-  und  Denkaktes,  ihres  Zu- 
sammen und  ihrer  Gewinnung  recht  zu  erfassen,  und  ihre  Bedeutung 
als  Grandlage  der  ürtheils-  und  somit  auch  Begriffs-  und  Schlussbildung 
anzuerkennen.  Zugleich  soll  nachgewiesen  werden,  dass  alle  anderen 
Standpunkte  wider  Willen  diese  erkenntnisstheoretisehe  Auffassung  als 
die  richtige  bestätigen,  da  noch  keine  Logik  ohne  erkenntnisstheoret. 
Voraussetzungen  dargestellt  sei.  —  Diese  Ansicht  hatte  der  Verf.  kurz 
schon  früher  ausprochen  in  s.  Buch :  Das  menschl.  Denken,  Berlin  1870. 
lieber  das  Verhaltniss  seiner  Logik  zu  derjenigen  Sigwart's  hat  sich 
Schuppe  ausgespr.  in  d.  Jenaer  Literaturztg.  1879.  Nr.  21  und  in  d. 
Philosoph.  Monatsh.  Bd.  16.  1880.  S.  84—99,  zu  Bergmannes  Logik 
in  d.  Vierteljahrsschr.  f.  wissensch.  Philos.  Bd.  8.  1879.  S.  467.  Eine 
Entgegnung  unter  d.  Titel :  »Idealist.  Differenzen c  lieferte  B.  im  folg. 
Bd.  4.  1880.  S.  226.  Eine  kritische  Anzeige  gab  Ulrici  in  d.  Zeit- 
tchr.  f.  Philos.  Bd.  76.  1880.  S.  295  und  Witte  in  d.  Philos.  Monatsh. 
Bd.  15.  1879.  S.  247,  eine  Replik  Schuppe  das.  S.  657,  eine  Duplik 
Witte  das.  659.  Eine  Rechtfertigung  seiner  Ansicht  gegen  Ulrici 
lieferte  Schuppt  in  d.  Zeitschr.   f.  Philos.  Bd.  78.   1881.  S.  90. 

Eine  hervorragende  Leistung  unter  den  neueren  logischen  Arbeiten 
ist  unstreitig  Christoph  Sigwart's  Logik.  2 Bde.  Tübingen  1878  u.  7a 
Sigw  ar  t  will  die  Logik  unter  dem  Gesichtspunkte  der  Methodenlehre  ge- 
stalten und  sie  dadurch  in  lebendige  Beziehung  zu  den  wissenschaftlichen 
Aufgaben  der  Gegenwart  setzen«  Er  fasst  die  Logik  als  Kunstlehre  des 


74  §  84.   Die  neuesten  deutschen  Logiker. 

Denkens,  welche  Anleitung  geben  soll  zu  gewissen  und  allgemein  gültigen 
Sätcen  zu  gelangen.  Durch  seine  Fassung  der  Aufgabe  und  Anordnung 
der  Untersuchung  glaubt  S.  die  verschiedenen  Gesichtspunkte  zu  vereini- 
gen, welche  in  der  Bearbeitung  der  Logik  herausgetreten  sind.  Er 
sagt  darüber  in  der  Einl.  §  4.  4  S.  19:  »Denn  wenn  man  einerseits 
der  Logik  zuwies,  die  Naturformen  und  Naturgesetze  des  Denkens 
aufzustellen,  denen  es  nothwendig  folge,  so  erkennen  wir  die  Noth- 
wendigkeit  an,  solche  Naturgesetze,  unter  denen  alles  Urtheilen  über- 
haupt steht,  aufzustellen,  und  die  Principien  zu  finden,  unter  denen  es 
als  bewusste  Function  von  dieser  bestimmten  Art  nothwendig  stehen 
muBS ;  aber  wir  leugnen,  dass  damit  die  Aufgabe  der  Logik  erfüllt  sei, 
weil  diese  nicht  eine  Physik,  sondern  eine  Ethik  des  Denkens  sein  will; 
wenn  man  sie  andererseits  als  Lehre  von  den  Normen  des  menschlichen 
Denkens  oder  Erkennens  definirt  hat,  so  erkennen  wir  an,  dass  ihr 
dieser  normative  Charakter  wesentlich  ist ;  aber  wir  leugnen,  dass  diese 
Normen  erkannt  werden  können  anders  als  auf  der  Grundlage  des 
Studiums  der  natürlichen  Kräfte  und  Functionsformen,  welche  durch 
jene  Normen  geregelt  werden  sollen,  und  wir  leugnen  ebenso,  dass  ein 
blosser  Codex  von  Normalgesetzen  für  sich  schon  fruchtbar  sei  und 
genüge,  denZweck,  um  dessen  willen  es  überhaupt  eine  Logik  aufzustellen 
lohnt,  zu  erreichen.  Vielmehr  halten  wir  es  für  nothig  dasjenige,  was 
meist  nur  anhangsweise  abgehandelt  wird,  zum  eigentlichen,  letzten  und 
Hauptziel  unserer  Wissenschaft  zu  machen,  nämlich  die  Methodenlehre. 
Indem  diese  zu  ihrem  Hauptgegenstande  das  Werden  der  Wissenschaft 
aus  den  natürlich  gegebenen  Voraussetzungen  des  Wissens  haben  muss, 
hoffen  wir  auch  denjenigen  gerecht  zu  werden,  welche,  um  der  Leerheit 
und  Abstractheit  der  formalen  Schullog^k  zu  entgehen,  ihr  die  Aufgabe 
der  Erkenntnisstheorie  zuweisen,  nur  dass  wir  allerdings  alle  Fragen 
über  die  metaphysische  Bedeutung  der  Denkprocesse  ausschliessen  und  uns 
rein  innerhalb  des  vorgeschriebenen  Rahmens  halten,  innerhalb  dessen  wir 
das  Denken  als  subjective  Function  betrachten,  und  die  Anforderungen 
an  dasselbe  nicht  auf  eine  Erkenntniss  des  Seienden  ausdehnen,  sondern 
auf  das  Gebiet  derNothwendigkeit  und  Allgemeinzulässigkeit  beschränken i 
in  welchen  Charakteren  der  Sprachgebrauch  immer  und  überall  das 
unterscheidende  Wesen  des  Logischen  sieht.«  ~*  Diese  Gesichtspunkte 
hat  Sigwart  so  ausgeführt,  dass  er  in  Bd.  1  im  analytischen  Theil 
das  Wesen  und  die  Voraussetzungen  des  Urtheilens  und  im  zweiten 
normativen  Theil  die  logische  Vollkommenheit  der  Urtheile  und  ihre 
Bedingungen,  bestimmte  Begriffe  und  gültige  Schlüsse  betrachtet.  Der 
ganze  stärkere  Bd.  2  enthält  dann  die  Methodenlehre.  —  Die  Bedeutung 
dieser  Logik  ist  in  den  verschiedenen  kritischen  Besprechungen  der^ 
selben  anerkannt,  es  sei  verwiesen:  auf  Ulrici's  Artikel  Die  Aufgabe 
der  Logik  mit  Bezug  auf  Sigwart  (Bd.  1)  in  d.  Zeitsohr.  f.  Philos.  u. 
philos.  Erit.  Bd.  66. 1875.  S.  118  und  den  zweiten  Artikel  zur  log.  Frage 
das.  Bd.  76.  1880.  S.  281;  —  auf  Windelband's  Besprechung  Zur 
Logik  in  d.  Philos.  Monatsh.  Bd.  10.  1874.  S.  3S.  85  u.  103;  —  auf 
die  Anzeige  v.  M.  Heinze   im  Centralbl.  Zamoke's  .1875.   Nr.  12. 


§  84.  Die  neuesten  dentsohen  Logiker.  76 

S.  860;  —  aaf  den  Art.  von  J.  Y enn  im  Mind,  Bd.  4.  1879.  p.  426.  — 
Einzelne  logische,  mathemat.  und  naturwissensch.  Schnitzer  hat  in  der 
wenig  berechtigten  Form  satirischer  Bissigkeit  der  Logik  Sigwart's 
nachweisen  zu  müssen  geglaubt  W.  Schlote  1  in  »einer  zur  Privat- 
mittheilung bestimmten c  und  personlich  verschickten  Schrift  mit  dem 
seltsamen  Titel:  »Dootor  Nobiling  u.  s.  Lehrmeister«.  Satyrspiel  mit  Tri- 
logie.  Gedr.  z.  Stuttgart  1879.  In  anderer  Form  vorgebracht  würde 
wohl  Einiges  mehr  Beachtung  finden.  —  Sigwart  selbst  hat  in  der 
Yierteljahrsschr.  f.  wissensch.  Philos.  Bd.  4  u.  5.  1880  u.  81  S.  465  u. 
97  zwei  Artikel  veröffentlicht:  »Logische  Fragen.  Ein  Versuch  zurVer- 
ständigung«,  die  sich  wesentlich  mit  Wundt  und  Bergmann  zurecht  zu 
setzen  suchen,  während  ein  Eingehen  auf  Schuppe's  Kritik  abgelehnt 
wird.  Windelband's  Kritik  findet  daselbst  in  einem  nebensächlichen 
Punkt  Beachtung,  nämlich  in  dem  Vorschlag  die  Termini  analytisch  und 
synthetisch  auf  die  Entstehung  des  ürtheils  zu  beziehen  und  nicht  auf 
die  Kantisehe  Unterscheidung. 

Im  Vergleich  mit  den  genannten  Werken  Lotze's,  Sigwart's 
und  Schuppe's  soll  ein  conservativer  Zug  der  Logik  Bergmannes 
eigen  sein.  Derselbe  hat  von  einer  auf  2  Thle.  angelegten  »Allgemeinen 
Logik c  den  ersten  Berlin  1879  herausgegeben.  Unter  dem  Titel  »reine 
Logik  c  bietet  derselbe  die  Lehre  vom  Urtheil,  mit  Einschluss  der  Lehre 
von  der  Folgerung  und  dem  Schlüsse,  soweit  dieselbe  untersucht,  wie  über- 
haupt Urtheile  in  solchem  Zusammenhange  stehen  hönnen,  dass  die  Wahr- 
heit des  letzten  durch  die  Wahrheit  der  vorhergehenden  verkürzt  wird; 
der  zv^eite  Band  soll  unter  dem  Titel  »angewandte  Logik«  die  Lehre  vom 
Begriffe  vortragen.  Die  Logik  wird  als  Kunstlehre  des  Denkens  und 
insofern  denken  urtheilen  ist  als  Kunstlehre  des  Urtheilens  bezeichnet; 
sie  soll  auch  eine  Kunstlehre  des  Erkennens  sein,  sofern  wir  unter 
Erkennen  das  Denken  verstehen,  dessen  Gedachtes  mit  dem  Sachverhalte 
übereinstimmt  d.  h.  wahr  ist.  Eine  Wahrheit,  die  wir  erkannt  haben, 
bleibt,  nachdem  wir  sie  zu  denken  aufgehört  haben,  doch  in  gewissem 
Sinne  in  unserem  Besitze  als  Wissen.  Erkennen  und  Wissen  sind  der 
Zweck,  dem  die  Kunstlehre  des  Denkens  dienen  soll.  Wie  jede  Kunst- 
lehre soll  auch  die  Logik  den  ganzen  Zweck  der  Thätigkeit,  deren 
Theorie  sie  ist,  in's  Auge  fassen,  nicht  bloss  eine  Seite  desselben,  —  als 
allgemeine  Kunstlehre  zwar  nur  den  Zweck  in  seiner  Allgemeinheit,  aber 
in  seiner  Allgemeinheit  allseitig,  und  so  soll  es  auch  die  Logik  nicht  ab- 
lehnen von  derjenigen  Seite  der  Wahrheit  zu  handeln,  durch  welche  die 
formale  Wahrheit  zur  ganzen,  zur  materialen  Wahrheit  ergänzt  wird. 
An  die  Spitze  ihrer  Forderungen  soll  sie  die  zu  stellen  haben,  dass  das 
Gedachte  wahr  schlechthin  sei,  und  ein  Gedachtes,  welches  allen  For- 
derungen der  Logik  entspricht,  soll  daher  nicht  bloss  formale,  sondern 
auch  materiale  Wahrheit  besitzen.  —  Eine  beachtenswerthe  Besprechung 
dieser  Logik  bot  Lassen  in  den  Philos.  Monatsheften  Bd.  16.  1880. 
S.  338.  Kritisch  vertheidigten  ihre  eigenen  Ansichten  gegen  dieselbe 
Ulrici  u.  d.  Zeitsohr.  f.  Philos.  Bd.  76.  1880.  S.800  und  Sigwart  in 
d.  Vi^teUahrssebr.   f.  wiss.  Philos.  Bd.  5.  1881.  S.  97.  ~  Im  Mind, 


76  §  34.  Die  neuesten  dentedhen  Logiker. 

Vol.  y.  1680.  Griiia  notices  p.  189  .hat  Alfr.  Sidgwick  dieselbe  be- 
sprochen. 

Den  neuesten  grösseren  Versuch  zu  einer  Reform  der  Logik  hat 
Wundt  unternommen  in  seiner  auf  2  Bde.  angelegten:  »Logik.  Eine 
Untersuchung  der  Frincipien  der  Erkenntniss  u.  d.  Methoden  wissensoh. 
Forschung,  c,  deren  Bd.  1  Erkenntnisslehre.  Stuttgart  1880  erschienen  ist. 
Dieser  logisoh-erkenntnisBtheoret.  Theil  behandelt  die  Entwicklung  des 
Denkens,  die  logischen  Normen  desselben  und  die  für  das  log.  Denken  und 
seine  Anwendungen  gültigen  Frincipien.  Der  methodologische  zweite  Theil 
soll  eich  mit  den  Formen  des  systemat.  Denkens  und  mit  den  Methoden 
der  wissensoh.  Untersuchung  beschäftigen.  Den  Standpunkt  dieser  Logik 
bezeichnet  die  Einleitung  folgendermassen :  »Die  wissenschaftliche  Logik 
hat  Bechenschaft  zu  geben  von  denjenigen  Gesetzen  des  Denkens,  welche 
bei  der  Erforschung  der  Wahrheit  wirksam  sind.  Durch  diese  Begriffs- 
bestimmung erhält  die  Logik  ihre  Stellung  zwischen  der  Psychologie, 
der  allgem.  Wissenschaft  des  Geistes,  und  der  Gesammtheit  der  übrigen 
theoretischen  Wissenschaften.  Während  die  Psychologie  uns  lehrt,  wie  sich 
der  Verlauf  unserer  Gedanken  wirklich  vollzieht,  will  die  Logfik  fest- 
stellen, wie  sich  derselbe  vollziehen  soll,  damit  er  zu  richtigen  Erkennt- 
nissen führe.  Während  die  einzelnen  Wissenschaften  die  thatsächliche 
Wahrheit,  jede  auf  dem  ihr  zugewiesenen  Gebiete,  zu  ermitteln  bestrebt 
sind,  sucht  die  Logik  für  die  Methoden  des  Denkens,  die  bei  diesen 
Forschungen  zur  Anwendung  kommen,  die  allgemeingültigen  Kegeln 
festzustellen.  Hiernach  ist  sie  eine  normative  Wissenschaft,  ähnlich 
der  Ethik.  Wie  diese  die  Gefühle  und  Willensbestimmungen,  deren  Ver- 
halten die  Psychologie  schildert»  nach  ihrem  sittlichen  Werthe  prüft, 
um  Normen  zu  gewinnen  für  das  praktische  Handeln,  so  scheidet  die 
Logik  aus  den  mannigfachen  Vorstellungsverbindungen  unseres  Bewusst- 
seins  diejenigen  aus,  die  für  die  Entwicklung  unseres  Wissens  einen 
gesetzgebenden  Gharaktei'  besitzen.  Die  Aufgaben  der  Logik  weisen 
dieser  ihrer  Stellung  gemäss  einerseits  auf  die  psychologische  Unter- 
suchung zurück,  und  anderseits  führen  sie  vorwärts  zu  den  allgem.  Er- 
kenntnissprincipien  und  den  Verfahrungsweisen  der  wissensoh.  Forschung. 
Demgemäss  verlangen  wir  von  einer  wissensoh.  Logik  neben  der  Dar- 
stellung der  logischen  Normen  dreierlei :  eine  psycholog.  Entwicklungs- 
geschichte des  Denkens,  eine  Untersuchung  der  Grundlagen  und  Bedin- 
gungen der  Erkenntniss,  und  eine  Berücksichtigung  der  logischen  Me- 
thoden der  wissensoh.  Forschung.  Da  die  psycholog.  Entwicklungs- 
geschichte des  Denkens  der  Untersuchung  der  Grundlagen  der  Erkenntniss 
beigezählt  werden  kann,  so  lassen  sich  diese  drei  Forderungen  in  die 
zwei  vereinen:  die  Logik  bedarf  der  Erkenntnisstheorie  zu  ihrer 
Begründung  und  der  Methodenlehre  zu  ihrer  Vollendung,  c  Diese  erkennt- 
nisstheoretische und  methodol.  Bearbeitung  der  Logik  soll  mitten  inne 
stehen  zwischen  der  formalen  und  der  metaphysischen  oder  dialektischen 
Auffassung  dieser  Wissenschaft.  Die  formale  Logik  sehe  die  Darstellung 
der  Formen  des  Denkens  als  die  einzige  Aufgabe  der  logischen  Wissen- 
schaft an.  Sie  behaupte,  dass  es  eine  bloss  formale  Wahrheit  gebe,  und 


§  S4.  Die  neuesten  deatschen  Logiker.  77 

dasB  diese  es  sei,  mit  der  sich  die  Logik  zu  beschäftigen  habe.  VoU- 
kommen  oonsequent  habe  von  diesem  Standpunkte  aus  Whately  die 
Logik  als  die  Wissenschaft  des  Schliessens  bezeichnet.  Begriffe  und 
Urtheile  kämen  hier  in  der  That  nur  in  Betracht,  insofern  sie  Bestand- 
theile  der  Schlüsse  bildeten.  Die  Untersuchung  ihrer  Entstehungsweise 
und  die  Frage  nach  ihrer  Wahrheit  werde  als  eine  fremde  Aufgabe  zu- 
rückgewiesen. Der  technische  Charakter  dieser  formalen  Logik,  nach 
welchem  die  Urtheils-  und  Schlussformen  bloss  als  äussere  Hülfsmittel 
des  Denkens  dargestellt  würden,  werde  auch  durch  den  von  den  einzelnen 
ihrer  Vertreter  gebrauchten  Namen  einer  Knnstlehre  des  Denkens 
angedeutet.  Im  Gegensatz  hierzu  halte  die  metaphysische  Logik  das 
logische  Denken  für  das  Werkzeug,  welches  dem  Wissen  nicht  bloss  seine 
Form  gebe,  sondern  auch  den  Inhalt  desselben  aus  sich  hervorbringe. 
Diese  dialektische  Auffassung  der  Logik  reiche  von  der  Zeit  der  Eleaten 
und  Plato's  bis  in  die  Neuzeit.  Hinter  allen  diesen  dialektischen  Be- 
strebungen liege  die  Annahme  einer  Identität  des  Denkens  und  Seins 
verborgnen,  wenn  auch  spät  erst  diese  Identität  ausdrücklich  postulirt 
worden  sei  Freilich  habe  aber  der  spröde  Stoff  der  Erfahrungs- 
begriffe einer  durchgängigen  Anwendung  des  dialektischen  Verfahrens 
stets  als  Hindemiss  im  Wege  gestanden.  Zwei  Aushülfen  seien  versucht 
worden.  Entweder  habe  man  die  Identität  zu  einem  blossen  Parallelis- 
mus ermässigt.  Dies  sei  der  Weg,  den  zuerst  Aristoteles  einge- 
schlagen und  der  noch  heute  von  Manchen  verfolgt  werde,  die  der 
metapb.  Logik  in  ihren  anderen  Formen  entgegentreten  oder  sich 
wohl  auch  selbst  als  Vertreter  einer  erkenntnisstheoretischen  Richtung 
betrachten  möchten,  wie  z.  B.  Schleiermacher,  Trendelenburg 
und  der  Verf.  dieses  Buches.  Oder  man  habe  dem  Denken  nur  für  gewisse 
Gebiete  des  Wissens,  und  zwar  für  die  höchsten  und  abstractesten,  die 
Kraft  zuerkannt,  aus  sich  selber  zu  schöpfen,  während  man  es  im  Be- 
reiche der  Erfahrungsbegriffe  abhängig  machte  von  äusseren  Einflüssen. 
Das  sei  im  Ganzen  die  herrschende  Richtung  des  philosoph.  Rationalis- 
mus. In  solchem  Sinne  trete  bei  Desoartes,  Spinoza  u.  Leibniz 
das  adaequate  dem  inadaequaten  Erkennen,  das  intelligere  dem  imagi- 
nari,  das  klare  dem  verworrenen  Vorstellen  gegenüber.  Erst  die 
neueste  panlogistische  Gestaltung  des  Rationalismus  habe  diesen  Zwie- 
spalt beseitigt,  indem  sie  an  die  Platonische  Dialektik  wieder  an- 
knüpfend, den  Satz  von  der  Identität  des  Denkens  und  Seins  unerschrocken 
bis  zu  seinen  äussersten  Consequenzen  durchführe.  Bei  Hegel  werde  auf 
diese  Weise  die  Logik  zur  Darstellung  des  Denkens  in  seiner  das  Wissen 
erzeugenden  Selbstbewegung. 

Formale  und  metaph.  Logik  nun  sollen  beide  in  Widerspruch  treten 
mit  den  Forderungen  der  einzelnen  Wissenschaften.  Die  form.  Logik 
befriedige  nicht  das  berechtigte  Verlangen  der  einzelnen  Disciplinen 
nach  dem  Nachweis,  wie  die  Denkgesetze  entstehen,  nach  dem  Beweis, 
warum  dieselben  gültig  sind,  nach  dem  Zurückführen  der  wissenschaft- 
lichen Verfahmngsweisen  auf  ihre  logischen  Regeln.  Die  metaph.  Logfik 
dagegen  setze  sich  sowohl  über  die  Ergebnisse  der  Einzelwissenschaften, 


78  §  34.  Die  nenestep  deatsohen  Logiker. 

wie  über  die  von  denselben  thatsäohlioh  getibten  Methoden  der  FonMshung 
hinweg,  um .  neben  dem  wissensch.  System,  das  ans  der  Verbindung 
aller  Einzelforschongen  hervorgehe,  ein  besonderes  System  des  philos. 
Wissens  zu  stellen,  das  seine  eigene  Methode  besitze,  die  mit  der  sonst 
geübten  wissensoh.  Logik  nichts  als  den  Namen  gemein  habe.  Zwischen 
diesen  einseitigen  Richtungen  stehe  nun  diejenige  Bearbeitung  der 
Logik,  welche  in  der  Entwicklung  der  Grundlagen  und  Methoden  der 
wissenschaftlichen  Erkenntniss  ihre  Aufgabe  sehe.  —  Dies  der  Standpunkt 
von  Wundt's  Logik.  Eine  eingehende  Besprechung  derselben  boten 
Sigwart  in  d.  Yierte^jahrsschr.  f.  wiss.  Philos.  Bd.  4.  1880.  S.  484; 
—  Th.  Lipps  in  d.  Philos.  Monatsh.  Bd.  16.  1880.  S.  529  und  Bd.  17. 
1881.  S.  28  u.  S.  198;  *-  Rabus  in  d.  Zeitschr.  f.  Philos.  Bd.  77.  1880. 
S.  106;  —  Lache  Her  in  d.  Rev.  philosoph.  X.  1880.  p.  23  und  Alfr. 
Sidgwick  im  Mind  V.  1880.  CriUc.  notices  S.  409. 

Als  kleinere  Lehrbücher  der  Logik  zum  Behufe  des  Unterrichta 
in  der  philosophischen  Propädeutik  ausser  den  schon  früher  bei  Er- 
wähnung der  Schüler  Herbart's  §  29  S.  63,  Beneke's  §  34  S.  65  und 
Trendelenburg's  ebenda  noch  besonders  zu  nennen:  A.  Matthiae, 
Lehrb.  f.  d.  erst  Unterricht  in  d.  Philos.  2.  A.  Leipzig  1827.  3.  A.  1833 
(Logik  §70— 116.  S.71--120).  —  J.  Beck,  PhUos.  Propädeutik.  Bd.  1. 
Empir.  Psychologie  u.  Logik.  1.  Aufl.  1840.  11.  Aufl.  1873  (der  Verf.  fühlt 
sich  bes.  Sigwart,  Twesten,  Baohmann,  Trendelenburg  für  d.  logische 
Belehrung  yerpflichtet).  —  Frz.  Biese,  Philos.  Propädeutik  f.  Gym* 
nasien  u.  höh.  Bildungsanst.  Berlin  1846  (behandelt  die  Entwicklungs- 
stufen des  Geistee  u.  bes.  im  Cap.  2  die  Logik  als  Denken  des  Ver- 
standes S.  59—138).  —  E.  Ad.  Ed.  Galinich,  Philos.  Propädeutik  f. 
Gymnas.,  Realsch.  u.  höh.  Bildungsanst.,  sowie  z.  Selbstnnterr.  (Seelenl., 
Denklehre,  Kunstl.)  Dresden  1847  (will  in  d.  Denklehre  Krug,  Fries, 
Hegel,  Bacbmann,  Drobisch,  Beneke  u.  bes.  Trendelenburg  benutzt  haben 
§  48--§  110.  S.  69—145).  —  Chr.  Friedr.  Gockel,  Encyklop.  Einl.  in  d. 
Philos.  Lehrb.  d.  philos.  Propäd.  f.  Gelehrtensch.  u.  Anleit  z.  Selbst» 
unterr. Karlsruhe  1855  (Logik  §87—96.  S.31— 34).  —  Theod.Rumpel, 
Philos.  Propäd.  od.  die  Uauptlehren  der  Logik  u.  PsychoL  z.  Gebrauch 
in  Gelehrtensch.  Gütersloh  1865.  4.  Aufl.  1876  (Logik  S.  10—101).  — 
J.  A.  Wentzke.  Ck>mpend.  d.  Psychol.  u.  Logik  f.  Gymnas.  u.  Realsch. 
1.  A.  Leipzig  1868  (betrachtet  die  Logik  als  integrirenden  Theil  der 
Psychologie,  benutzt  vielfach  Trendelenburg's  Erläuter.  z.  d.  Elementen 
der  arist.  Logik  und  stellt  wieder  herAristot.  Eintheil.  der  Logik  in  die 
Lehre  vom  Urtheil,  Schluss,  Begriff  u.  Beweis).  —  K.  A.  J.  Hof f mann , 
Abriss  d.  Logik.  1.  A.  Clausthal  1859.  2.  A.  1868  (nimmt  bes.  Bezug 
auf  Trendelenburg's  Erläuter.  z.  d.  Elementen  d.  arist.  Logik  oder  auf 
dieses  Buch  u.  behandelt  d.  Lehre  v.  Urtheil,  Beweis,  Classification  u. 
Definition.  Die  2.  Aufl.  hat  in  Betreff  des  grösseren  Vorraths  von  Bei- 
spielen bes.  auf  Drbal's  Lehrb.  d.  prop.  Logik  1866  hingewiesen.)  — 
F.  Gh.  Poetter,  Logik.  Gütersloh  1875  (als  Th.  2  v.  A.  Yogel's  Philos. 
Repetitorinm,  —  hat  hauptsächl.  Trendelenburg,  dieses  Buch»  K.  Fischer, 
Lotze  u.  Sigwart  benutzt  und  die  in  .das  Gebiet  der  Psychologie  fallenden 


§  86.  Neaere  Logiker  ausserhalb  Dentsehlands.  79 

Erortemngen  Ton  der  Logik  ausgeschlossen).  —  Wilh.  Hollenberg, 
Philos.  Propad.  (Logik,  Psychologie  u.  Ethik)  f.  höhere  Schulen.  Elber- 
feld  1875.  2.  A.  1869  (in  der  2.  Aufl.  hat  bes.  die  Logik  Aenderungen 
erfahren,  nicht  in  der  Bichtung  von  Trendelenburg,  die  Erweiterungen 
beziehen  sich  bes.  auf  die  Ausbildung  der  Methodenlehre,  aus  didaktischem 
Princip  sind  den  Paragraphen  Fragen  angehängt).  *—  Theob.  Ziegler, 
Lehrb.  d.  Logik  f.  den  Unterricht  an  höher.  Lehranst.  u.  z.  Selbstst. 
Schaffhausen  1876.  2.  Aufl.  Bonn  1881  (giebt  im  Allg.  d.  traditionelle 
Logik,  verhalt  sich  aber  zu  ihr,  wo  immer  möglich,  kritisch,  ffigt  zu 
dieser  alten  aristot.  Logik  die  für  die  moderne  Welt  wichtige  Lehre 
▼on  derlnduction  in  der  ihr  gebührenden  Ausführlichkeit  hinzu,  folgt 
in  dieser  Hinsicht  Mill  und  hat  seine  krit.  Bemerkungen  vielfach  der  Logik 
Sigwmrt's  entnommen ;  die  2.  Aufl.  ist  bes.  in  Rücksicht  auf  Veransohau- 
liohung  durch  Beispiele  erweitert,  indem  die  1878  als  Nachtrag  zur  1.  Aufl. 
veröffentlichten  »logischen  fieispielec  in  das  Lehrbuch  hineingenommen 
sind,  auch  Wundt's  Logik  ist  hier  benutzt  und  Taine's  Buch  über  d.  Ver- 
stand, dagegen  ist  die  mathemat.  Behandlung,  wie  sie  unter  englischem 
Einfluss  vielfach  beliebt  wird,  von  dieser  Schullogik  ausgeschlossen)*  — 
Fr.  Kirchner,  Katechismus  der  Logik.  Leipzig  1881  —  will  denjeni- 
gen, welche  diese  Disciplin  zu  lernen  oder  zu  lehren  haben  ein  brauch- 
bares Hülfsbuch,  sodann  aber  auch  den  Gebildeten  überhaupt  ein  zu- 
verlässiger und  zugleich  interessanter  Führer  sein.  Vorangestellt  ist 
eine  Geschichte  der  Logik,  der  erste  Theil  bietet  eine  Erkenntniss- 
theorie.   Die  Darstellung  ist  in  katechetischer  Entwicklung  gegeben. 

§  35.  Auf  die  neueren  Bearbeitungen  der  Logik 
ausserhalb  Deutschlands  hat  die  neuere  deutsche  Spe- 
cnlation  im  Allgemeinen  nur  geringen  Einfluss  geübt.  Eine 
selbständige  Entwicklung  hat  der  Streit  der  materiellen  oder 
inductiven  und  der  formalen  Logik  neuerdings  besonders  in  Eng- 
land genommen.  Die  Theorie  der  Induction  ist  dort  besonders 
in  Anwendung  auf  die  Naturwissenschaften  namentlich  durch  J. 
Herschel,  Whewell,  Mill,  Bain  und  H.  Spencer  in 
selbständiger  Weise  fortgebildet  worden,  wie  in  Frankreich 
durch  Cournot  und  A.  Gomte,  während  die  formale  Logik 
durch  O.  Bentham,  Hamilton,  Hansel,  Thomson,  de 
Morgan,  Boole,  Jevons  besonders  auch  in  Beziehung  zur 
Mathematik  gefördert  ward. 

Die  neuere  Entwicklung  der  Logik  in  England  haben  neuerdings 
treCFlich  dargestellt  Thomas  M.  Lindsay  in  einem  seiner  London 
1871  ersch.  Uebersetzung  dieses  Buches  beigefügten  Appendix  A  on 
recent  logical  specnlation  in  England  —  u.  Louis  Liard  in  s.  Werk: 
Leslogiciens  anglais  contemporains.  Paris  1878,  von  dem  J.  Imelmann 
eine  autorisirte  deutsche  Uebersetzung  geliefert  hat,  Berlin   1680,  u. 


80  §  86.  Neuere  Logiker  aasserhalb  Deutschlands. 

A.  Riehl,  Die  engl.  Logik  d.  Gegenwart,  in  d.  Yierteljahrssohr.  f. 
wissensch.  Philos.  Bd.  1.  1877.  S.  50.  —  n.  im  Mind  die  Artikel  von 
J.  N.  Eeynes,  on  the  position  of  formal  logio  u.  J.  Yenn,  The 
difficulties  of  material  logic,  vol.  lY.  p.  362  n.  86.  —  Die  Terechiedenen 
Richtungen  der  dortigen  logischen  Studien  charakterisirt  Lindsay 
folgendermassen:  »The  revival  of  logioal  study  in  England  dates  from 
the  republication  of  Archbishop  Whately's  Elements  of  logic.  Before 
the  appearanoe  of  this  work,  the  study  of  the  science  had  fallen  into 
uniTersal  negleot.  —  The  Elements  of  Whately  was  by  no  means  a  good 
tezt-book.  The  author  wrote  without  having  a  very  extensive  know- 
ledge  of  bis  subject,  and  did  nothing  to  enlarge  the  science  he  profee- 
sed  to  teach;  but  he  had  the  gread  gifts  of  a  clear  piain  style,  good 
arrangement,  and  a  wonderful  power  of  fresh  and  interesting  illustra- 
tion.c  Dadurch  habe  das  Buch  doch  das  Yerdienst  ein  wirkliches  Stu- 
dium der  Logik  angeregt  zu  haben.  »A  more  scientific  spirit  soon 
showed  itself  among  English  logicians,  and,  when  it  appeared,  took  a 
double  direotion,  due  to  its  twofold  origin.  Two  influences  were  wor- 
king  in  men's  minds,  that  of  Kant  and  that  of  Hume.  The  Kantian 
influence  gave  us  the  formal  Logic  of  Hamilton,  Mansel,  and  Thom- 
son; the  influence  of  Hume,  the  Logic  of  Mill  and  Bain.  —  These  two 
schools,  however,  do  not  exhaust  the  list  of  scientific  Englisch  logicians. 
Among  the  formal  logicians,  the  doctrine  of  a  quantified  predicate 
became  a  leading  doctrine,  and  this  prepared  the  way  for  the  mathe- 
matical  Logic  of  Boole.  Among  the  sensationalist  logicians  the  doc- 
trine of  Induction  was  most  important,  and  their  theories  cannot  be 
explained  without  discussing  the  relative  theories  of  Dr.  Whewell.  — 
We  have  thus  two  classes  of  logricians  *-  Formal  and  Sensationalist; 
the  former  by  their  doctrine  of  a  quantified  predicate  inseparably  re- 
lated to  the  mathematical  Logic  of  Boole,  and  the  latter  by  their  theory 
of  induction  closely  allied  to  the  inductive  Logic  of  Whewell.«  Aehn- 
lich  bemerkt  Li ard  (a.  a.  0.  S.  1:  »Les  logiciens  anglais  contemporains 
se  distribuent  en  deux  6coles  prinoipales:  L*6cole  de  la  logique  roat6ri- 
eile  ou  inductive,  et  Pecole  de  la  logique  formelle.  Pour  les  uns,  la 
logique  est  uniquement  la  theorie  de  Tinduction  et  de  la  preuve  ex- 
perimentale  ;  pour  les  autres,  eile  est,  comme  la  voulu  Kant,  la  science 
des  lois  de  la  pensee  en  tant  que  pensee.  Mais,  malgre  oet  antagonisme 
fondamental,  tous  s'accordent  k  condamner  la  logique  d'Aristote  et 
pretendent  y  substituer  un  Systeme  nouveau  et  plus  vrai.  Seulement, 
tandis  que  les  uns,  ramenant  toute  inference  a  l'inference  inductive,  ne 
voient  dans  le  syllogisme  qu'une  induction  deguisee  et  nient  ainsi  la 
16gitimite  de  la  logique  formelle,  les  autres,  admettant  la  validite  de  la 
d^duction,  se  proposent  de  remplacer  les  mSthodes  firagmentaires  et 
particulidres  de  l'analytiqne  ancienne  par  une  methode  oompUte  et 
g6n6rale  de  deduction.« 

Die  Logiker  der  inductiven  Richtung  gehen  selbetverstÄndlich 
auf  Bacon  und  Hume  zorück.  Bacon's  Novum  Organum  ist  neuer- 
dings mit  Einl.  und  Noten  trefiflich  herausgegeben  worden  von  Thomas 


§  36.  Nettere  Logiker  ansserhalb  Deutschlands.  81 

Fowler,  Prof.  d.  Logik.  Oxford  1878.  Besonders  beachtenswerth  ist 
die  Torangeschiokte  historische  Einleitung  über  das  Yerhältniss  Bacon's 
zur  Wissenschaft  seiner  Zeit  und  über  seinen  Einfluss  auf  die  Folgezeit. 
Der  Herausgeber  ist  selbst  der  Verf.  eines  in  England  viel  gebrauchten 
Werkes:  The  elements  of  inductive  logic,  designed  mainly  for  the  us^ 
of  students  in  the  universities.  Oxford  1876.  —  Diese  Baconische 
Richtung  vertrat  J.  Herschel  in  der  Schrift:  »Preliminary  discourse 
on  the  study  of  natural  philosophy.  N.  ed.  London  1851,  deutsch  von 
A.  Weinlig.  Leipzig  1886;  über  s.  Yerhältn.  z.  Whewell  s.  die  Recens. 
seiner  Werke  in  d.  Quaterly  review  Juni  1841.  —  Derselben  Bichtung  folgt 
unter  dem  Einfluss  der  Eantischen  Erkenntnisslehre:  W.  Whewell, 
History  of  the  inductive  sciences.  8  Bde.  London  1887;  'deutsch  v. 
Littrow  1859 — 42;  the  philosophy  of  the  inductive  sciences  founded 
upon  their  history.  London  1840.  2  ed.  1847.  8  ed.  1857;  daraus 
entnommen  History  of  scientific  ideas.  2  Bde.  London  1856.  8  ed.  1858; 
On  indnction,  with  especial  reference  to  J.  St.  Mill,  system  of  logic 
London  1849;  Novum  Organum  renovatum.  London  1858;  On  the 
philosophy  of  discovery.  London  1860.  —  Die  von  Herschel  und 
Whevell  beschriebenen  inductiven  Methoden  dienen  der  wissenschaft- 
lichen Forschung  vorzugsweise  als  Regeln  zur  Entdeckung.  In  derselben 
inductiven  Richtung  liegend  besteht  nach  Bain's  Bemerkung  J.  St. 
Mill's  besonderes  Verdienst  darin,  »eine  scharfe  Grenzlinie  zwischen 
der  Kunst  der  Entdeckung  und  der  Kunst  der  Beweisführung«  gezogen 
zu  haben.  Die  Logik  gilt  ihm  als  »die  Wissenschaft  von  den  Yer- 
standesrichtungen,  welche  der  Schätzung  von  Beweisgründen  dienen, 
von  dem  allgemeinen  Processe  sowohl,  der  vom  Bekannten  zum  Un- 
bekannten fuhrt,  als  auch  von  den  Hülfsverrichtungen  dieser  funda- 
mentalen Fähigkeit«.  —  Mi  11  schrieb:  a  System  of  logic  rationative 
and  inductive.  London  1843.  8  ed.  mit  Berücksichtigung  der  Einwände 
WhewelPs  1850;  7  ed.  1868.  8  ed.  1872.  In  s.  Autobiographie,  London 
1873  p.  226  (übers,  v.  Kolb,  Stuttgart  1874,  S.  187)  sagt  Mill  selbst 
über  dies  Buch:  »Ich  habe  nie  der  Selbsttäuschung  Raum  gegeben,  dass 
durch  das  Buch  ein  beträchtlicher  Einfluss  auf  die  philosophische 
Meinung  geübt  werden  dürfte.  Die  deutsche  oder  aprioristische  An- 
sehanimg  vom  menschlichen  Wissen  und  dem  Erkenntnissvermögen  wird 
wahrscheinlich  (obschon  ich  hoffe,  in  abnehmendem  Grade)  noch  einige 
Zeit  länger  vorherrschen  unter  denen,  welche  sich  diesseits  und  jenseits 
des  Ganais  mit  dergleichen  Fragen  befassen;  aber  »das  System  der 
Logik«  entspricht  einem  Bedürfniss  als  Textbuch  der  entgegengesetzten 
Doetrin,  welche  alles  Wissen  aus  der  Erfahrung  und  alle  moralischen 
und  intellectuellen  Qualitäten  hauptsächlich  aus  der  Richtung  ableitet, 
die  durch  die  Association  gegeben  wird.  —  In  dem  Versuch,  die  wahre 
Natur  des  Beweises  mathematischer  und  physikalischer  Wahrheiten  auf- 
zuklären, begegnete  das  »System  der  Logik«  den  intuitiven  Philosophen 
auf  einem  Boden,  den  sie  bisher  für  unangreifbar  gehalten,  und  gab  aus 
der  Erfahrung  und  Association  ihre  eigene  Erklärung  von  dem  eigen- 
thunüicfaen   Charakter   der  sogen,  nothwendigen  Wahrheiten,   welcher 

6 


82  §  36.  Neuere  Logiker  ausserhalb  Deutschlands. 

als  Beweis  angezogen  wird,  dass  ihre  Beweiskraft  ans  einer  tieferen 
Quelle  kommen  müsse,  als  aus  der  Erfahrung,  c  —  Eine  üebers.  dieser 
Logik  in's  Deutsche  gab  J.  Schiel,  Braunschweig  1849;  3.  Aufl.  nach 
der  5.  A.  des  Originals  fi  Bde.  ebenda  1868;  4.  A.  nach  der  8.  A.  des 
Orig.  erweit.  das.  1877;  —  von  demselben  ersch.:  die  Methode  der  in- 
duot.  Forschung  als  die  Methode  der  Naturforschung,  in  gedrängter  Dar- 
stellung, haupts.  nach  J.  St.Mill.  Braunschweig  1865;  —  MilPs  gesamm. 
Werke.  Autoris.  Uebers.  unter  Redact  v.  Th.  Gomperz.  Syst.  d.  Logik. 
Bd.  2—4.  Leipzig  1873.  Bes.  wichtig  noch  die:  Examination  of  Sir 
W.  Hamilton's  philosophy.  London  1865.  8  ed.  1868.  —  üeber  resp. 
für  oder  gegen  Mi  11  schrieben:  H.  Taine,  le  positivisme  anglais,  Paris 
1864.  —  J.  M'  Cosh,  an  examination  of  MilPs  philosophy  being  a 
Defence  of  fundamental  truth  (vertheidigt  Hamilton  gegen  Mill).  Lond. 
1866.  2  ed.  1877;  —  W.  Stebbing,  analys.  of  M/s  syst,  of  logiß. 
London.  2  ed.  1867.  —  W.  L.  Cour  tu  ey,  The  metaphysics  of  J.  St 
Mill.  London  1879  (bes.  eh.  YIII  u.IX).  —  Mill's  Schrift  gegen  Hamilton 
besprachen:  G.  Grote  London  1866,  bes.  abgedr.  a.  Westm.  rev.  Jan. 
1868;  —  H.  Spencer  in  d.  Fortnightly  rev.  July  186B.  —  Massow, 
recent  brit.  philos.,  a  review  with  critidsm  London  1865 ;  vom  Standpunkte 
Berkeley 's  aus  Collyns  Simon:  Hamilton  versus  Mill,  a  thorough 
discours.  of  each  chapter  in  M.'s  exam.  8  Hfte.  Edinb.  1866 — 68.  — 
Mind.  lY.  1879.  p.  211.  375.  520.  Y.  1880.  p.  82.  A.  Bain,  J.  St.  Mill, 
ein  Bericht  über  s.  Leben,  der  v.  d.  Logik  bes.  lY.  p.  528  spricht.  — 
Eine  lobende  Anzeige  hatte  Bain  geschr.  in  Westminster  review.  April 
1848;  eine  beachtenswerthe  Kritik  lieferte  gleich  W.  G.  Ward  in  d. 
Herbstnummer  d.  British  Critic.  —  Eine  Kritik  der  Richtung  lieferten 
in  Deutschland:  Ulrici  in  d.  Zeitsohr.  f.  Philos.  N.  F.  Bd.  21.  1852. 
S.  159.  Die  sogen,  induct.  Log^k ;  —  Apelt,  Die  Theorie  der  Induetion 
Leipzig  1854  u.  Schnitzer,  über  d.  neuest.  Systeme  d.  Logik  in 
Deutschi.  u.  Engl.  Progr.  d.  kgl.  Gymnas.  in  Ellwangen  1868,  sowie 
W.  Jordan/  die  Zweideutigkeit  der  Gopula  bei  Mill.  Gymn.-Progrr. 
Stuttgart  1870.  —  Neuerdings  hat  in  England  diese  Richtung  mit  Selbst- 
ständigkeit vertreten:  A.  Bain,  logic,  deduct.  and  inductive.  2  parts. 
London  1870  u.  71.  —  Im  Wesentlichen  schUesst  sich  derselben  auch 
ELSpenceran,  der  in  s.  principles  of  psychology.  2  ed.  London  1870/72. 
V.  n.  P.  6.  Cap.  2—8  die  alte  formale  Log^ik  noch  entschiedener  an- 
gegriffen bat  als  M  i  1 1.  i  Seine  Definition  der  Logik  beruht  —  nach  L  i  ar  d's 
Darstellung  —  auf  seiner  Unterscheidung  der  Gesetze  der  äusseren 
und  der  inneren  Gorrelationen,  einer  Unterscheidung,  welche  ihrerseits 
die  Folge  ist  seiner  grundlegenden  Lehre  von  der  Correspondenz  der 
Innen-  u.  der  Aussenwelt  und  der  bestandigen  Unterordnung  jener  unter 
diese.  —  Die  Logik  ist  wie  die  Mathematik  eine  Wissenschaft  der  ob- 
jectiven  Existenz;  sie  sagt  nothwendige  Yerbindungen  zwischen  den 
Dingen  und  nicht  zwischen  den  Gedanken  aus ;  wenn  sie  zuweilen  auch 
diese  letztere  Function  erfüllt,  so  thut  sie  das  nur  in  zweiter  Reihe  und 
nur  sofern  die  Yerbindungen  der  Gedanken  denen  der  Dinge  ent- 
sprechen und  nach  ihnen  geformt  sind;  sie  kann  aber  nicht,  wie  man 


§  85.  Nettere  Logiker  ausserhalb  Deutschlands.  83 

gewollt  hat,  eine  Wissenschaft  der  Gesetze  des  Denkens  seine.  —  Diö 
Beweise  für  diese  Behauptung  werden  z.  Th.  aus  der  formalen  Logik 
selbst  hergenommen.  —  DeMorgan's  Lehre  vom  quantificirten  Syllo- 
gismus, Boole's  algebraische  Methoden,  Jevons'  logische  Maschine 
sollen  Zeugniss  ablegen  zu  Gunsten  der  Ansicht,  dass  die  Logik  sich 
auf  die  Zusammenhänge  unter  den  Dingen  bezieht,  nicht  auf  die  cor- 
relaten  Zusammenhänge  unter  unsem  Bewusstseinszustanden.  Der 
Syllogistik  wird  mit  dieser  Theorie  jeder  Werth  abgesprochen. 

Die  gewohnliche  formale  Logik  hatte  in  England  einen  Haupt- 
vertreter  an  dem  Erzbischof  Whately,  Clements  of  logic.  London  1826, 
9  ed.  1868.  Erst  versuchten  die  Logiker  dieser  Richtung  eine  Reform 
derselben  durch  die  Lehre  von  der  Quantificirung  des  Prädicates.  Diese 
Lehre,  welche  den  Prädicaten  aller  ürtheile  eine  bestimmte  Quantität 
beilegt,  ist  beinahe  gleichzeitig  von  Hamilton,  Thomson  und  de 
Morgan  gefimden  und  formulirt  worden,  hat  aber,  wie  Liard  nach- 
gewiesen, in  der  üeberzeugung  von  der  Nothwendigkeit,  die  Quantifi- 
eirong  des  Prädicates  auch  auf  die  negativen  ürtheile  auszudehnen, 
schon  einen  Vorläufer  an  Georg  Bentham  gehabt  in  s.  Outline  of  a 
new  System  of  logic.  1827.  —  Als  formale  Wissenschaft  von  den  Ge- 
setzen des  Denkens,  die  von  der  Beziehung  zum  Inhalt  des  Erkennens 
absieht,  von  diesem  nur  die  allgem.  Form  betrachtet,  hat  Sir  William 
Hamilton  die  Logik  aufgefasst;  s.  s.  Lectures  on  metaphysics  and 
bgic  edit.  by  H.  L.  Mansel,  Oxford  and  Joh.  YeitcL  4  vlms.  (HI  u. 
lY  on  logic)  Edinburgh  u.  London  1850— 60;  discussions  on  philosophy 
and  literatnre,  eduoation  etc.  London  1826.  8  edit.  1869;  —  J.  Yeitch, 
Memoir  of  Sir  W.  Hamilton.  London  1869.  —  Hamilton's  Standpunkt 
gleicht  der  Auffassung  Eant's  durch  Fries.  Ueber  ihn  s.  Baynes, 
an  essay  on  the  new  analytic  of  logical  formes.  Edinburg  1850.  —  0. 
W.  Wight,  the  philosophy  of  Sir  W.  H.  N.-York.  1853.  3  ed.  1865; 
—  H.  L.  Mause  1,  the  philosophy  of  the  conditioned:  Sir  W.  H.  and 
J.  St.  MilL  London  1865;  —  J.  H.  Stirling,  Sir  W.  H.  being  the 
philosopher  of  perception:  an  analysis.  London  1865.  2  edit.  11368;  — 
J.  M*  Cosh,  Philosophical  papers  L  examinat.  of  Sir  W.  H.'s  logic, 
n.  reply  to  Mr.  Mill's  8  edit.  etc.  London  1868;  —  femer  die  oben  bei 
Mill  genannten  Schriften.  —  In  Deutschland  s.  ülrici,  Englische 
Philosophen,  Sir  W.  Hamilton;  in  d.  Zeitschr.  f.  Philos.  N.  F.  Bd.  27. 
1855.  S.  69;  u.  das.;  Bd.  36.  1860.  S.  247  und  Bd.  49,  1866.  Der 
Streit  zwischen  der  schottischen  u.  engl.  Schule  der  Philosophie  (dar- 
gett.  als  Streit  sensualist.  u.  Idealist.  Empirismus)  S.  29.  —  Ebenso  H. 
L.  Mansel,  ein  Schüler  Hamilton's,  hat  die  Logik  als  die  Wissen- 
schaft von  den  formalen  Denkgesetzen  dargestellt,  in  s.  prolegomena 
logicsy  an  inquiry  into  the  psychological  character  of  logic,  processes. 
Oxford  1851  u.  1860;  artis  logicae  rudimenta  from  the  text  of  Aldrich 
with  notes  and  marginal  references.  2  ed.  Oxford  1852;  —  the  limits 
of  demonstrat.  sciences,  oonsidered  in  a  letter  to  the  Rev.  W.  Whewell. 
Oxford  1868,  nnd  das  oben  cit.  Werk  über  Hamilton.  Ueber  ihn  s. 
Erdmann  in  Zeitschr.  f.  Philos.  N.  F.  Bd.  80.  1857.  Deutsche  Philo- 


84  §  85.  Neuere  Logiker  ausserhalb  Deutschlands. 

sopheme  u.  brit.  Philosophen.  —  Derselben  Richtung  folgte  W.  Thom- 
son, an  outline  of  the  necessary  laws  of  thought,  a  treatise  on  pure 
and  applied  logic.  3  ed.  London  1852  (s.  darüber  Erdmann  a.  a.  0.; 
es  handelt  sich  wesentlich  auch  um  den  apriorist  Charakter  der  Ana- 
logien der  Erfahrung) ;  —  u.  J.  M'  Cosh,  the  laws  of  discurs.  thought, 
being  a  textbook  of  formal  logic  London  1870.  —  Auch  für  de 
Morgan  ist  die  Logik  eine  rein  formale  Wissenschaft»  aber  er  ist  kein 
unmittelbarer  Schüler  Hamilton's,  er  theilt  mit  ihm  die  üebenseu- 
gung  von  der  Nothwendigkeit  einer  Aenderung  der  aristotelischen 
Syllogistik,  gelangt  aber  zu  anderen,  eigenthümlichen  Erweiterungen.  »Es 
war  seine  Absicht  —  bemerkt  Liard  —  die  Grundlagen  der  Logik 
wie  der  Mathematik  zu  gleicher  Zeit  durch  genaue  Bestimmung  der 
Analogien  der  qualitativen  und  der  quantitativen  Schlüsse  zu  verbreiten.! 
Seine  logischen  Schriften  sind:  first  notions  of  logia  1889,  vervoll- 
ständigt in  einer  Abhdl.  der  Transactions  of  the  Cambridge  philos. 
Society.  Bd.  Vni  Nr.  29.  Octob.  1846;  formal  logic,  on  the  calculus 
of  inference  necessary  and  probable.  1847;  vier  Abhdlgen.  über  d. 
Syllogismus  in  d.  Cambr.  philos.  transact.  Bd.  IX  u.  X.  1850.  58.  60  u. 
63;  Art.  Logic  u.  Syllabus  of  a  proposed  system  of  logic  in  d. 
English  Cyclopaedia.  1860  (letzteres  auch  bes.  abgedr.)«  —  Ein  Art.  über 
ihn  V.  Stanley  Jevons  in  d.  Britannica  Cyclopaedia;  über  s.  Leben 
u.  s.  Schriften:  Rangard  ind.  Monthly  notices  of  the  royal  astronomia 
Society.  Bd.  XXn.  Febr.  1872.  —  Bedeutenderen  Einfluss  als  Mathe- 
matiker und  Logiker  hat  gewonnen  G.  Boole  durch  s.  Schriften:  the 
mathematic.  analysis  of  logic,  being  an  essay  toward  a  calculus  of  de- 
ductive  reasoning.  Cambridge  1847  u.  an  investigation  of  the  laws  of 
thought  on  which  are  founded  the  mathemat.  theories  of  logic  and 
probabilities.  London  1854.  Boole  will  das  Gebiet  der  deduct.  Logik 
erweitern  und  ihre  Tragweite  erhöhen.  Nach  ihm  soll  die  deduct.  Ope- 
ration in  der  Eliminirung  eines  Mittelbegriffs  in  einem  System  von 
drei  Begriffen  bestehen.  —  Eine  krit  Anzeige  des  zweiten  Werkes 
lieferte  ülrici  in  d.  Zeitschr.  f.  Philos.  N.  F.  Bd.  27.  1855.  S.  278; 
—  Liard  in  d.  art.  la  logique  de  Boole  in  d.  Rev.  philos.  de  la  France 
et  de  Petranger.  T.  lY.  1877.  p.  285;  —  G.  Bruce  Halste  ad,  logio- 
method  of  B.  in  d.  Journal  of  speculat.  philos.,  ed.  by  Harris,  H.  Louis, 
Jan.  et  Avril  1878  (schon  früher  das.  Art  T.  IV.  Sept.  1877),  vergl. 
auch  Halstead,  Jevons'  criticism  of  Boole^s  logic  im  Mind,  IH.  1878  p. 
184:  —  femer  J.  Venu,  B.'s  logical  System  im  Mind»  L  1876.  p. 
479.  —  Als  selbständiger  Schüler  Boole' s  hat  diese  Richtung  weiter 
ausgebildet:  Stanley  Jevons'  (jetzt  Prof.  d.  Nationalökonom,  am 
Univorsity  College  in  London)  in  folg.  log.  Schriften:  Pure  logio,  or 
the  logic  of  quality  apart  from  quantity,  with  remarks  on  Boole's 
System  and  on  the  relation  of  logic  and  mathematios.  London  1864; 
The  substitutions  of  similars  as  the  true  principle  of  reasoning,  derived 
from  a  modificatiou  of  Aristotles  dictum.  London  1869;  On  a  general 
System  of  numerically  definite  reasoning.  Denkschriften  d.  litterar. 
u.  philos.  Gesellsch.  zu  Manchester.    8.  F.  Bd.  4.  1870;     Elementary 


§  35.  Neuere  Logiker  ausserhalb  Deutsohlands.  85 

lessons  on  logic  dedaot.  and  induct.,  witli  oopious  questions  and  examples 
and  a  vocabnlary  of  logical  terms.  London  1870;  On  the  mechani- 
cal  Performance  of  logical  inferenoe  in  d.  Philosoph.  Transact.  of  the 
roy.  Society  1870.  Bd.  160;  On  the  inverse,  or  indact.  logical  pro- 
blem,  in  den  Denksohr.  d.  litter.  u.  philos.  Gesellsch.  z.  Manchester. 
3.  F.  Bd.  5.  1872;  the  prindples  of  science:  a  treatise  on  logic  and 
scientif.  method.  4  Bde.  London  1874  (s.  bedeutendstes  Werk);  —  end- 
lieh eine  kl.  Logik.  London  1876  u.  Studios  in  deduct.  logic,  a  manual 
for  stndents.  London  1880.  —  Jevons'  log.  Elementarbücher  sollen  in 
engl.  u.  amerikan.  Schulen  eingeführt  sein.  —  lieber  ihn:  G.  Or.  Robert- 
son im  Mind.  L  1876.  Jevons  formal  logic;  —  Liard,  un  nouveau 
syst  de  logique  formelle:  St.  Jevons  in  d.  Rev.  philosoph.  de  la 
France  etc.  T.  ÜI.  Paris  1877.  p.  277.  —  Eine  neue  Theorie  der  Logik 
hat  noch  versucht  Carveth  Read,  on  the  theory  of  logic,  an  essay. 
London  1878;  vergl.  auch  s.  Art.  on  some  principles  of  logic  u. 
the  number  of  terms  in  a  syllogism  im  Mind,  II.  1877.  p.  8S6 ;  u.  IV. 
1878.  p.  116;  —  über  s.  Logik  s.  J.  Venu,  das.  III.  1878.  p.  589;  — 
Keynes,  »matter  of  facti  logic.  das.  IV.  1878  p.  120;  —  A.  Sidgwick, 
iheoretio.  and  practic.  logic.  das.  p.  122.  —  Der  als  Kritiker  anderer 
Logiker  oft  angeführte  J.  V en  n  selbst  hat  dargeboten :  the  logic  of  chance, 
an  essay  of  the  province  and  foundations  of  the  theory  of  probability 
with  special  reference  to  its  appliccation  to  moral  and  social  subjects. 
London  1866.  2  ed.  1876. 

Das  Studium  der  Philosophie  in  Nordamerika  folgt  wesentlich 
den  von  England,  Frankreich  und  Deutschland  übertragenen  Anregun- 
gen, 8.  Dr.  Noah  Porter  über  die  neuere  Philosophie  in  Grossbritannien 
ond  Amerika,  als  Anhang  zu  Morris'  Uebersetzung  von  üeberweg*s 
Geschichte  der  Philosophie.  N.-York  1874,  und  darnach  in  d.  Philos. 
Monatsheften  Bd.  11.  1875.  S.  868.  424  u.474;  —  femer  E.  Mätzner, 
Die  speculat.  Frage  in  d.  Ver.  Staaten,  das.  Bd.  1.  1868.  S.  132;  — 
kurze  Daten  in  William  T.  Harris,  the  history  of  philosophy  in 
outline  in  d.  von  ihm  herausg.  Journal  of  speculative  philosophy.  v.  X. 
1876.  Nr.  3.  p.  269;  —  und  ausführlicher  s.  Octavius  Brooks  Fro- 
thingham,  Transscendentalism  in  N.-England,  a  history.  N.-York 
1876.  Aus  dem  in  diesen  Berichten  Angeführten  ersieht  man,  dass 
Dr.  Porter  wohl  mit  Recht  bemerkt  hat,  in  Amerika  sei  bisher  die 
Philosophie  hauptsachlich  als  angewandte  Wissenschaft  und  zwar  in 
ihrer  besonderen  Beziehung  zu  Moral,  Politik  und  Theologie  betrieben 
worden.  Erst  neuerdings  haben  auch  die  Studien  der  Logik  und  Er- 
kenntnisslehre  freiere  Aufnahme  und  Förderung  gefunden.  Zu  nennen 
sind:  Noah  Porter,  the  human  intellect.  N.-York  1869  und  the 
elements  of  intellectual  science,  ebd.  1872,  unter  dem  Einfluss  von 
Trendelönburg's  log.  Untersuchungen,  als  dessen  Schüler  auch  der  oben- 
genannte Morris,  Prof.  d.  Philos.  in  Michigan,  gilt.  Als  Anhänger 
Hegel's  schrieb  Rev.  G.  G.  Everett,  the  science  of  thought.  1869, 
Harris  nennt  seinen  Standpunkt  den  einer  psychologischen  Ontologie. 
Mehr  in   der  Richtung  Eantischer  Erkenntnisslehre  hat   geschrieben 


86  §  35.  Neuere  Logiker  aasserhalb  Deutschlands. 

Laurenoe  P.  Hie  kok,  the  logic  of  reason,  universal  and  eternal. 
Boston  1875  (s.  darüber  Journal  of  specul.  philos.  y.  IX.  1675.  p.  222 
u.  p.  430.  Hickok,  Pantheism  versus  the  logic  of  reason;  auch  v.  X. 
1876  p.  97.  Dr.  Hickok's  definition  of  transsoendental  logic  vom  Editor 
u.  das.  p.  158  Hickok,  the  two  kinds  of  dialectic).  —  Im  Anschluss 
an  Hamilton  hat  geschrieben  James  Mao  Cosh  (president  of  Princeton 
College,  N.-Jersey),  the  laws  of  discursive  thought,  being  a  textbook 
of  formal  logic.  N.-York  1879  (s.  darüber  L.  Liard  in  d.  Rev.  philos. 
T.  YII.  1879.  p.  692).  —  Kritische  Darstellungen  der  Logik  und  der 
Systeme  Cousin's  und  Hamilton's  lieferte  auch  Francis  Bowen.  —  Eine 
nicht  geringe  Anzahl  Artikel  über  Logik  finden  sich  auch  in  dem 
Journal  of  speculat.  philosophy,  so  von  Vera  ausser  den  schon  früher 
gen.  Art.  in  v.  II.  1868  the  validity  of  the  laws  of  logic;  ferner  v.  III. 
1869  p.  257.  Outlines  of  Hegel's  logic;  —  v.  VL  1872  p.  97.  Rosen- 
kranz on  HegePs  logic;  —  v.  V.  1871  p.  307.  Thoughts  on  logic  and 
dialectic  (übers,  aus  Schopenhauer);  —  femer  v.  VH.  Nr.  4.  F.  P. 
Stearns,  old  and  new  Systems  of  logic,  comparison  of  the  English 
conservat.  and  Hegelian  methods  as  developed  in  Bowen's  logic  and 
Everett's  science  of  thought;  v. "VTH.  1874.  Nr.  1.  p.86.  Jos. G.Ander- 
son On  logic;  —  V.  IX.  1875.  Nr.  4.  p.  417  ders.  What  is  logic?;  — 
V.  X.  1876.  Nr.  1.  p.  17.    Joh.  Watson,  Empirism  and  common  logic ; 

—  V.  XI.  1877.  Nr.  4.  p.  410.  Emery,  Does  formal  logic  explain 
active  processes? 

Ueber  den  Zustand  der  logischen  Wissenschaft  in  Frankreich  ist 
zu  vergl.:  Barthelemy  St.  Hilaire,  de  la  logique  d'Aristote,  sect. 
ni,  chap.  Xn,  T.  II.  Paris  1838;  von  demselben  der  Art.  Logique  im 
Dictionn.  des  sciences  philosoph.  T.  3®  Paris  1847.  2.  A.  in  1.  Bd.  1875; 

—  Ad.  Franck,  esquisse  d'une  histoire  de  la  logique,  Paris  1838;  u. 
die  Bemerkungen  von  L.  Peisse  in  d.  Vorrede  seiner  Uebers.  der 
Fragments  de  philosophie  par  W.  Hamilton,  Paris  1840.  Derselbe 
constatirt  das.  p.  GXX  einen  Verfall  der  logischen  Studien:  »Getto 
d6cadence  date  de  loin;  eile  n'est  que  le  dernier  retentissement  de  la 
reforme  cartesienne  et  baoonienne,  qui  detruisit  la  soolastique:  or  la 
soolastique  s'identifiait  presque  avec  la  logique.  Je  n'insisterai  pas  sur 
les  preuves  du  fait,  qui  n'est  que  trop  Evident.  H  serait  facile  de 
montrer  les  phases  sucoessives  de  cötte  eztinction  graduelle  de  la 
logique  k  partir  de  Desoartes  jusqu'  k  Condillac,  et  de  Ck)ndillac 
jusqu'  ä  Destutt  de  Tracy.«  Peisse  beruft  sich  dafür  auf  den  von 
Barthelemy  St.  Hilaire  gegebenen  Nachweis.  Vergl.  F.  Ravaisson, 
la  philos.  en  France  au  19  s.  (Recueil  de  rapports  eta)  Paris  1868, 
p.  206.  —  Es  kommen  folgende  logische  Arbeiten  in  Betracht:  Con- 
dillac, la  logique  ou  les  premiers  dSveloppements  de  Tart  de  penser, 
Paris  1789;  —  über  ihn  F.  Rethore,  Condillac  ou  Pempirisme  et  les 
rationalisme.  Paris  1864.  —  Destuti  deTracy,  Elements  d'ideologie 
5  parties  in  4  volms.  1  ^.  1804.  3®  part.  Logique  2  ädit.  Paris  1818. 
(Vertritt  und  entwickelt  die  sensualistische  Logik  Condillac's;  s.  über 
ihn  J.  B.  Meyer  in  Zeitschrift  f.  PhiL  u.  phil.  Erit.  N.  F.  Bd.  80. 


§  36.  Neuere  Logiker  ausserhalb  Deutschlands.  87 

1857).  —  Eine  andere  Auffassung  findet  die  Logik  in  der  psychologischen 
Schule,  so  bei:  Maine  de  Biran,  oeuvres  philos.  publ.  par  Cousin. 
T.  n.  Paris  1841,  p.  847.  Remarques  sur  la  logique  de  M.  de  Traoy; 
o.  oeuvres  in^t.  pubL  par  £.  NaviUe.  T.  IL  Paris  1869,  p.  221,  Section 
4e  systdme  reflexif.  ^  Ph.  Damiron,  oonrs  de  philosophie.  3«  part. 
Logique.  Paris  1836.  —  Gh.  Waddington,  essais  de  logique,  le^ons 
faites  a  la  Sorbonne  de  1848  k  1866,  Paris  1857.  —  Die  SohuUogik 
stellen  dar:  Manuel  de  philosophie  par  Am.  Jacques,  Jules  Simon, 
Em.  Saisset,  oeuyr.  autoris^  par  le  conseil  de  Pinstruct.  publ.  2  edit. 
Paris  1855.  —  Gh.  Jourdain,  notions  de  logique,  redig.  cpnformem. 
aux  programmes  ofGoiels  du  80  aoüt  1854  et  du  8  aoüt  1857.  5  edit. 
Paris  1858.  —  Pellissier,  precis  d'un  cours  element.  dö  logique 
d'apr^  les  progr.  offic.  de  1857,  2  ed.  Paris  1860;  —  Gh.  Benard, 
la  logique  enseignee  par  les  auteurs,  Paris  1858.  —  Auf  dem  Boden 
der  Erkenntnisstheorie  behandelt  die  Logik:  A.  Gournot,  essai  sur 
les  fondements  de  nos  connaissances  et  sur  les  caractöres  de  la  oritique 
philos.  2  tms.  Paris  1851;  u.  traite  de  l'enchainement  des  idöes  fonda- 
mentales  dans  les  scienoes  et  dans  Phistoire  1861;  —  ebenso  im  An- 
sehluss  an  Eant's  Kritidsmus  Gh.  Renouvier,  essais  de  oritique  ge- 
nerale. 2  Bde.  (bes.  Bd.  1  analyse  generale  de  la  connaissanoe,  bomes 
de  la  connaissanoe,  plus  un  appendice  sur  les  principes  generaux  de 
la  logique  et  des  mathdmatiques.  Paris  1854  u.  59  (n.  Ausg.  1875);  — 
über  ihn  s.  Shadworth  H.  Hodgson  im  Mind.  January  1881.  p. 31. 
Renouvier's  philosophy  —  logic  —  April,  p.  178.  —  psydhology.  —  Der  Er^ 
kenntnisslehre  gehört  auch  der  Hauptinhalt  des  Werkes  von  E.  V acke- 
re 1  an:  la  m^taphysique  et  la  sdence,  Paris  1858,  2  6d.,  Paris  1863; 
femer  J.  Tissot,  essai  de  logique  objective  ou  th4orie  de  la  connais- 
sanoe de  la  v6rit6  et  de  la  oertitude,  Dijon  1867.  —  Zu  beachten  ist  A. 
Rondelet,  th^rie  logique  des  propositions  modales,  Paris  1861.  — 
Die  Methodenlehre  behandelt  J.  M.  G.  Duhamel,  des  m6thodes  dans 
les  scienoes  du  raisonnement,  Paris  1865.  —  Beachtenswerth  ist  auch: 
Gh.  de  Remusat,  essais  de  philos.  2  tomes,  Paris  1842  (bes.  T.  2.  essai 
Vni  du  jugement).  —  In  der  theologischen  Schule  ist  die  Logik  be- 
handelt worden  von:  Lamennais,  esquisse  d'une  philosophie,  4  tomes, 
Paris  1840  (T.  2  liv.  III  chap.  III— IX);  —  A.  Gratry,  logique,  2  tomes, 
Paris  1855;  —  Noirot,  le^ns  de  philosophie  profess6es  au  lyc6e  de 
Lyon  (logique  p.  148—220)  Lyon  et  Paris  1852.  —  Einen  auf  Natur- 
forschnng  und  Mathematik  basirten  »Positivismusc  vertritt  A.  Gomte 
in  s.  cours  de  philosophie  positive  6  tomes,  Paris  1880—42,  ünver.  n. 
Aufl.  1864.  68.  76;  die  logischen  Grundanschauungen  seines  inductiven 
Empirismus  sind  besonders  am  Anfang  des  ersten  und  am  Ende  des 
letaiten  Bandes  dargelegt.  Eine  ausfuhrlichere  Behandlung  haben  die- 
selben noch  gefanden  in  s.  Buch:  Synthese  subjective  T.  I.  conten.  lo 
systdme  de  logique  positive  ou  traite  de  philosophie  math6mat  Paris 
1866.  —  Einen  Auszug  aus  Gomte 's  grossem  Werke  gab  im  Auftrage 
der  Testamentsvollstrecker  Gomte's  Jules  Rig:  A.  Gomte,  la  philosophie 
positive,  resnmö.  2  Tms.  Paris  1881.  —  Zu  vergL  über  Gomte  das  Buch 


88  §  35.  Neuere  Logiker  ausserhalb  Deutechlands. 

von  E.  Littre,  A.  Comte  et  la  philosophie  positive.  Paris  1868  (ins- 
bes.  8®  part.  chap.  v.  la  mathematique  est-elle  identiqne  k  la  logriqae?); 

—  und  J.  St.  Mi  11,  A.  Comte  and  positivism.  London  1855  (oder  ges. 
Werke  übers,  v.  Gompertz,  Bd.  9,  Leipzig  1874).  —  Der  neueren  empi- 
ristischen  auf  Condillac  zurückgreifenden  und  an  die  neueren  engli* 
sehen  Logiker  anknüpfenden  Richtung  gehört  als  hervorragender  selbst- 
ständiger Denker  an:  H.  Taine:  de  l'intelligenoe.  2  Tms.  Paris  1870. 
8.  Aufl.  1678  (äutoris.  deutsche  Ausg.  nach  d.  8.  franz.  Aufl.  übers, 
v.  L.  Siegfried,  2  Bde.  Bonn  1880).  lieber  s.  Methode  und  ihre  Aus- 
führung sagt  Taine  selbst  in  der  Vorrede:  >Im  ersten  Theil  habe  ich 
die  Elemente  der  Erkenntniss  entwickelt,  von  Beduotion  zu  Reduotion 
bin  ich  zu  den  einfachsten  gekommen,  von  da  weiter  zu  physiologischen 
Veränderungen,  die  ihre  Entstehung  bedingen.  Im  zweiten  Theile  habe 
ich  anfangs  den  Mechanismus  und  die  Gesammtwirkung  ihres  Zusammen- 
tretens  geschildert,  dann  habe  ich,  unter  Anwendung  des  aufgefundenen 
Gesetzes,  die  Elemente,  die  Formation,  Zuverlässigkeit  und  Tragweite 
der  vorzüglichsten  Arten  der  Erkenntniss  untersucht,  von  der  Erkennt- 
niss individueller,  bis  zu  der  genereller  Gegenstände,  von  den  speciell- 
sten  Wahrnehmungen,  Vermuthungen  und  Erinnerungen,  bis  zu  den 
universellsten  Urtheilen  und  Axiomenc.  —  »In  dieser  langen  Unter- 
suchungsreihe habe  ich  die  von  Andern  entlehnten  Theorien  sorgfölUgst 
bezeichnet.  Es  sind  deren  vorzüglich  drei:  die  erste  jedoch  höchst 
fruchtbare  ist  von  Condillac  entworfen  und  befestig^,  jedoch  ohne 
Entwickelungen  und  hinlängliche  Beweise;  sie  nimmt  an,  dass  alle 
unsere  allgemeinen  Begriffe  auf  Zeichen  sich  zurückführen  lassen ;  die 
zweite,  über  die  wissenschaftliche  Induction,    gehört  St.  Mill  (jedoch 

—  anstatt,  wie  St.  M.,  die  Induotion  auf  eine  bloss  wahrscheinliche 
und  nur  in  unserm  Stemensystem  anwendbare  Hypothese  zu  g^ründen, 
habe  ich  sie  an  ein  Axiom  geknüpft,  was  ihren  Charakter  ändert  und 
zu  einer  andern  Weltanschauung  führt);  die  dritte,  über  den  Begriff 
des  Raumes,  Bain  an;  ich  habe  den  Text  ausführlich  citirt.  So  weit 
ich  benrtheilen  kann,  ist  das  Uebrige  neu,  Methoden  wie  Schlüsse,  c  — 
Kritische  Besprechungen  der  neueren  englischen  und  deutschen  Lo- 
giker haben  bes.  Lachelier,  Liard,  Charpentier  und  Tannery 
in  d.  Revue  philos.  de  la  Fr.  etc.  geliefert  Von  Lachelier  ist  auch 
selbständig  erschienen:  De  natura  syllogismi  apud  Facultatem  Paris, 
haec  disputabat.  Paris  1871  u.  du  fondement  de  l'induction.  Paris  1871. 

—  Hier  anschliessend  sei  verwiesen  auf  zwei  Werke  aus  der  französ. 
Schweiz, ' nämlich :  Ch.  Secretan,  recherches  de  la  m^thode  qui  oon- 
duit  ä  la  v6rit6  sur  nos  plus  gprands  interets  avec  quelques  appli* 
oations  et  quelques  exemples.  Neuchatel,  Bale  et  Leipzig  1867  (S.  will 
das  Gewissen  als  Kriterium  der  Wahrheit  betrachten  —  s.  darüber 
J.  B.  Meyer  in  d.  Zeitschr.  f.  Philos.  N.  F.  Bd.  81.  1857.  S.  280).  -> 
Em.  Naville,  la  logique  de  Fhypoth^e.  Paris  1880.  (ders.  zuvor  in 
d.  Revue  philos.  de  la  Fr.  T.  2.  1876.  p.  49  u.  118  la  place  de  Fhy- 
pothese  dans  la  science). 

In  Belgien  schrieb  unter  dem  Einfluss  der  Kant'sohen  Erkennt- 


§  dö.  Neuere  Logiker  ausserhalb  Deutsohlands.  89 

oisslehre:  A.  Tandel,  oours  de  logique,  Li^ge  1844.  Als  Anhänger 
der  Philosophie  Krause's  behandelte  die  Logik:  H.  Tiberghien, 
Logique,  la  scienoe  de  la  oonnaissanoe.  2  vol.  Paris  1864— -66;  In- 
troduction  a  la  philosoph.  et  preparat.  k  la  mötaphys.  Paris  1880.  — 
An  die  Logiker,  welche,  zwischen  Kant  und  Hegel  eine  Mitte  suchend, 
die  Logik  als  die  Wissenschaft  von  den  Regeln  auffassen,  durch  deren 
Befolgung  das  Wissen,  d.  h.  die  den  Dingen  oonforme  Erkenntniss  er- 
langt werde,  und  in  manchem  Betracht  zunächst  an  das  vorliegende 
Werk  schliesst  sich  Joseph  De Iboeuf  an  (prolegomdnes  philoeophiques 
de  la  gtometrie  et  Solution  des  postulats.  Suivie  de  la  tradnotion 
d'une  dissert.  sur  les  principes  de  la  g^m^trie  par  Fr.  Ueberweg. 
Li^  1860,  und  essai  de  logique'  scientifique,  proleg.  suiv.  d'une  etude 
sur  la  question  du  mouvement  consid.  dans  ses  rapports  avec  le  prin- 
cipe de  oontradiotion.  Liege  1865);  Logique  algorithm.  Brux.  1877. 
Ders.  Algorithmie  de  la  logique  in  d.  Revue  philos.  de  la  Fr.  T.  2. 
1876.  p.  226.  336  u.  645.  —  Ueber  s.  prolegom.  s.  den  Verf.  dieses 
Buches  in  Zeitschr.  f.  Philos.  N.  F.  Bd.  37.  1860.  S.  148;  —  über  s. 
essai  de  logique  s.  Reichlin  Meldegg  in  d.  Zeitschr.  f.  Philos. 
N.  F.  Bd.  61.  1867.  S.  119. 

Li  anderem  Sinne  als  Mill  neigt  sich  in  Holland  zum  Empirismus 
G.  W.  Opzoomer,  de  waarheid  en  hare  kenbronnen,  2.  Aufl.,  Leyden 
1868;  het  Wezen  der  Kennis,  een  Leesboek  der  Logika,  Amsterdam 
1868.  Vgl.  G.  W.  Opzoomer,  die  Methode  der  Wissenschaft,  ein 
Handbuch  der  Logik,  aus  dem  Holland,  von  G.  Schwindt,  Utrecht  1862. 

—  Auch  scheinen  noch  die  log.  Ansichten  Roorda's  zu  gelten.  Dar- 
über schrieb:  L.  A.  te  Winkel,  de  logische  analyse,  besohouwingen 
naar  anleiding  van  Prof.  T.  Roorda's  redeoutleding  of  logische  analyse 
Zuphten  1856. 

Ueber  die  Behandlung  der  Logik  in  der  neueren  Philosophie 
Italiens  ist  Einiges  aus  den  neuerdings  dargebotenen  Gesammtdar- 
stellungen  der  neueren  Philosophie  dieses  Landes  zu  entnehmen,  d.  i. 
aus:  Marc  Debrit,  Histoire  des  doctrines  philosoph.  dans  PltaUe  oon- 
temp.  Paris  1859;  — Maria no,  la  philosophie  contemporaine  en  Italic 
Paris  1868;  —  L.  Ferri,  essai  sur  l'histoire  de  la  philosophie  enitalie 
an  19  8.  P^ris  1869;  —  Ad.  Franck,  la  philosophie  ital.  im  Joum. 
des  Savants  1871  u.  72;  —  Jos.  Weisz,  Italien.  Philosophie  nach 
Ferri  in  d.  Philos.  Monatsheften  Bd.  8.  1872.  S.  22;  —  F.  Fioren- 
tino,  die  philosoph.  Bewegung  Italiens  seit  1860  in  derltalia,  herausg. 
V.  K.  HiUebrand.  Bd.  2.  Leipzig  1875.  8.  1—57;  —  Yincenzo  Botta, 
Die  neuere  italien.  Philosophie,  als  Anhang  zu  Morris'  Uebers.  des 
Grundr.  d.  Gesch.  d.  Philos.  v.  d.  Verf.  dieses   Buches.  N.-York  1874; 

—  im  Katholik:  Studien  über  die  italienische  Philosophie  in  d.  Gegen- 
wart. Jahrg.  1868  u.  69.  —  Diesen  Darstellungen  ist  für  die  Logik 
Folgendes  zu  entnehmen:  Als  Eklektiker  hat  der  Nationalökonom 
Antonio  Genovesi  (1712—1769)  die  Logik  behandelt  in:  De  arte  logica 
Neapel  1745;  logica  della  gioventu.  Neapel  1766.  —  Unter  dem  Ein- 
flnss  des  Sensualismus  sehrieben:   der  Jurist  Gian.  Domenioo  Roma- 


90  §  85.  Neuere  Logiker  ausserhalb  Deutsohlauds. 

gnosi  (1761—1835)  che  oosa  e  la  mente  sana.  1827;  und  dall  in- 
spgnamento  primitivo  delle  matematiche  2  yolms.  1832; —  der  National- 
okonom  Melchior  Gioja  (1767—1828)  8.Logica  statistica  Milano  1803; 
elementr  di  filosofia  alP  uso  delle  scuole.  2  vlms.  Milano  1818;  Ideo- 
logia  2  volms.  Milano  1822;  —  Escrizio  logica  Milano  1823;  philo- 
soph.  Statist.  1826  (2  ed.  mit  e.  Biographie  1829).  —  Gegen  die  Ideo- 
logie gerichtet  schrieb  vom  Standpunkt  katholischer  Offenbarungs- 
Philosophie  als  Professor  des  Barnabiten-Ordens  Ermenegildo  Pini 
(1741 — 1825),  Protologia  analysim  scientiae  sistens  ratione  prima  ex- 
hibitam.  Milano  1803.  —  Auf  eine  Reform  der  Philosophie  durch  För- 
derung der  Erkenntnisslehre  unter  Anknüpfung  an  Reid  und  Kant  sind 
die  Schriften  Pasquale  Galuppi's  (1770—1846)  gerichtet,  er  will  die 
Deduction  der  Vernunft  mit  der  Erfahrung  des  inneren  Sinns  ver^ 
binden,  s.  bes.:  Saggio  filosofioo  sulla  artica  della  conosoenza.  6  vlms. 
Napoli  1819—32;  Lottere  filosofiche  sulla  vioende  della  filosofia  relativa- 
mente  ai  principii  della  oonosoenze  uman,  da  Cartesio  sino  a  Kant 
inclusivamente.  Messina  1827.  2  edit.  Napoli  1838;  übers,  in's  Franz. 
V.  L.  Peisse.  Paris  1844;  Elementi  di  ülosofia.  Messina.  4  volms.  1832; 
Introduzione  allo  studio  della  filosofia,  per  uso  dei  fanciulli.  Na^ 
poli  1832;  Lezioni  di  logica  e  di  metafisica  composte  ad  uso  della 
regia  üniversita.  2  vlms.  Napoli  1832  u.  33.  n.  edit.  5  vlms.  1842 
(s.  weit,  in  Art.  Galuppi  v.  Em.  Beaussire  in  Diction.  des  sa  philos.). 

—  Eine  an  die  Tradition  italienischer  Philosophie  anknüpfende  Richtung 
gemässigten  Idealismus  schlug  ein  Antonio  Rosmini-Serbati  (1797 
bis  1855),  veröffentlichte  1849  das  von  der  Index -Congregation  ver- 
urtheilte  Operette  spirituale,  für  das  aber  nach  einer  neuen  vom 
Papst  Pius  IX.  angeordneten  Untersuchung  am  10.  Aug.  1854  doch  das 
dimittatur  ausgesprochen  wurde.  Seine  philosophische  Richtung,  die 
sich  dem  Einflnss  der  deutschen  Philosophie,  bes.  Kant's  Subjectivismus 
und  dem  französischen  Eklekticismus  entgegenwirft,  und  besonders 
auch  seine  Stellung  zur  Logik,  die  durch  Analyse  des  Urtheüs  zur 
angeborenen  Idee  gelangen  will,  ist  besonders  zu  ersehen  aus:  Nuovo 
saggio  sulP  origine  della  idea.  8  vlms.  Roma  1830  (Torino  1855); 
Renovazione   della    filosofia    ital.    Milano   1836;    logica  Torino   1854. 

—  S.  Werke  sind  vollst,  in  30  Bden.  herausg-  v.  Buchhändler  Pogliardi. 
lieber  ihn  schrieb:  Nia  Tomaseo  Turin  1855  u.  Y.  Li  IIa,  Kant  e 
Rosmini  Torino  1869;  -^  art.  Rosmini  v.  E.  Charles  in  Dict.  des  sc. 
philos.  —  Als  Hauptvertreter  einer  solchen  eigenthümlioh  italienischen* 
Fortentwickelung  der  Philosophie  ist  dann  zu  nennen  Terenzio  Ma- 
miani,  comte  della  Reverö,  geb.  1799;  derselbe  hat  zuerst  eine  syste- 
mat.  Combination  der  Thatsachen  der  Vernunft  und  der  Erfahrung 
gesucht  unter  dem  Einflnss  vonRomagnosi  u.  Galuppi,  so  in  d.  1836 
z.  Flor,  ersch.  Schrift  Del  rinnovamento  della  filosofia  antica  Italiana, 
dann  gegen  den  Skepticismus  die  Philosophie  des  gesunden  Menschen- 
verstandes erneuert  in  den  drei  Schriften :  delP  ontologia  e  del  metodo, 
1841  u.  1843,  dialoghi  di  scienzia  prima.  1846  u.  principii  della  filosofia 
del  diritto,  zuletzt  ist  er  bei  einem  demonstrat.  aprioristisohen  Plato- 


§  35.  Neuere  Logiker  ausserhalb  Deutschlands.  91 

niBmuB,  der  nach  Jos.  Weisz  auch  an  den  älteren  Reinhold  erinnern 
soll,  angelangt  in  der  Schrift  oonfessioni  di  un  metafisioo.  Flor.  1866. 
Mamiani  ist  Herausgeber  der  seit  1871  erscheinenden  Zeitschrift: 
la  filosofia  della  scuole  italiane,  rivista  trimestrale  contenente  gli  atti 
sodetit  promotrioe  degli  studj  filosofici  e  letterarj;  dieselbe  enthält 
mehrere  betreff.  Artikel  Mamiani's,  s.  vol.  lY.  t.  2.  Theorie  der  Ob- 
jeotiTität  der  Idee,  vol.  V.  t.  1.  Bildung  der  Idee,  Dialog  eines  Kantian. 
u.  Platonikers,  vol.  VI.  t.  1.  Charakter  der  italien.  Philosophie  und 
der  letzte  Versuch  der  Piaton.  Doctrin,  t.  2.  Sohluss  betr.  Kant  und 
8.  Kritik  der  Erkenntniss.  —  Als  Mitarbeiter  an  dieser  Zeitschrift  sind 
genannt  Bertini,  Ferri,  Bonatelli  und  Barzellotti.  —  Von 
Bonatelli  s.  das.  vol.  Yll.  t.  1  einen  Artikel  über  den  Begriff  der 
Logik.  —  Von  einem  anderen  Mitarbeiter  F.  Lavarino  ersch.:  la 
logica  e  la  filosofia  del  oonte  Ter.  Mamiani.  Flor.  1870.  — -  Eine  För- 
derung der  Philosophie  in  nationaler  Richtung  erstrebte  auch  der  Abb6 
Yincenzo  Gioberti  1801— -1862,  dessen  introduzione  allo  studio  della 
filosofia  1839  logisch  bes.  in  Betracht  kommt,  nach  s.  Tode  erschien 
noch  la  protologia.  Turin  1857.  Nach  Jos.  Weisz  Bericht  soll  er  sich 
in  seinem  polit.  Exil  zu  Brüssel  bes.  mit  Hegel  beschäftigt  und  dessen 
logische  Ausführungen  damals  bekämpft,  dagegen  in  seiner  späteren 
Philosophie  eine  Mischung  Ptatonisch-HegePscher  Gedanken  dargeboten 
haben.  —  Für  die  Ansichten HegePs  ist  vorzüglich  eingetreten  A.  Vera, 
auch  als  Uebers.  der  Logik'  Hegel's  in's  Französ.  mit  Einl.  2  tms.  Paris 
1869.  Derselbe  hat  zur  Ausbreitung  dieser  Richtung  auch  eine  Reihe 
von  Artikeln  als  Introduction  to  speculative  logric  and  philosophy  ver- 
öffentlicht in  dem  von  Will.  T.  Harris,  St.  Louis,  herausg.  Journal  of 
speculat.  philosophy,  so  v.  YH.  Vin.  1873  u.  74.  u.  das.  YU.  1.  Tren- 
delenborg  as  Opponent  of  H^el.  —  Als  Anhängerin  Yera's  ist  die 
Marquise  Florenzo  im  J.  1864  mit  Studien  über  Hegel's  Psychologie 
und  Logik  aufgetreten.  —  Als  Hauptvertreter  der  Philosophie  Hegel's 
ist  an  der  Universität  Neapel  Bertrando  Spaventa  zu  nennen,  dessen 
{diiiloB.  Yorträge  1861  erschienen  sind.  Yon  seinen  zahlreichen  Schülern 
ist  hier  bes.  Felioe  Tooco,  Prof.  der  Anthropologie  in  Rom,  zu 
nennen,  insofern  dessen  Handbücher  zum  Studium  der  Philosophie  die 
früher  gebrauchten  scholastischen  Lehrbücher  Conti' s  vielfach  ver- 
drängt haben.  —  Eine  mehr  kritische,  auf  Studien  zur  Erkenntnisslehre 
gewandte  Richtung  hat  neuerdings  wieder  eingeschlagen:  Ausonio 
Franohi  bes.  in  s.  Werke  Su  la  teorica  del  giudizio  lottere  di  A.  Fr. 
a  Nicola  Mameli.  2  Tms.  Milano  1871.  —  Auch  die  unter  demEinfluss 
des  fraiusös.-engL  Positivismus  stehenden  Arbeiten  von  Angiulli,  la  filo- 
sofia e  la  riceroa  positiva  1869,  von  De  Dominici's  »Galilei  u.  Kant 
oder  EMahrung  u.  Kritik c,  und  ebenso  L.  Barbera,  logica  inventiva 
liegen  in  dieser  Richtung.  —  Im  üebrigen  sind  noch  folgende  Schriften 
zu  nennen:  Garelli,  della  logica  o  teoria  della  scienza.  2  ed.  Torino 
1869;  —  T.  G.  ülber,  logico  oesia  teoria  del  pensiero  Napoli  1863;  — 
6.  Peyretti,  saggio  di  logica  generale.  Torino  1869;  —  R.  Pozzi, 
le  prime  analis.  del  pensiero  e  deUa  parola  ossia  introduzione  agli 


92  §  86.  Neuere  Logiker  ausserhalb  Deutschlands. 

study  della  logica  a  della  grammatica  generale.  Milano  1869.  —  H. 
Purgotti,  Euclide  e  la  logica  naturale,  riflessioni.  Perugia  1868.  — 
Turbiglio,  l'empire  de  la  logique,  essai  d'un  nouv.  syst,  de  philos. 
Turin  1870.  —  Für  die  philosophische  Schulung  der  kathol.  (Geistlichen 
herrscht  der  Thomismus,  vertreten  durch  den  P.  Liberatore,  In- 
stitutiones  philos.  ad  triennium  accommodatae,  Neapel  1851.  ed.  III.  Rom. 
1864;  logica  et  metaph.  Born  1868;  —  und  Tongiorgi,  Institutio- 
nes  philosophicae. 

üeber  neuere  logische  Studien  in  Spanien  und  Portugal  fehlt 
eine  genügende  Kenntniss.  Für  Spanien  hat  A.  de  Gastro,  Obras 
escogidas  de  filosofos.  Madrid  1877  die  Abfassung  einer  Geschichte  der 
spanischen  Philosophie  angeregt,  aber  nicht  selbst  dargeboten.  Zu  ver- 
weisen ist  auf:  J.  L.  Balmes  (presbytero)  el  criterio.  Barcel.  1845; 
curso  de  filosoiia  elemental  (logica,  metafisica,  etica,  historia  de  la 
filosofia).  Madrid  1887,  Barcelona  1847,  Paris  1651,  in's  Deutsche  übers. 
V.  F.  Lorinser,  Begensburg  1862.  —  Für  Portugal  ist  zu  verweisen 
auf:  Lopes  Pra^a,  historia  da  philosophia  om  Portugal  nas  suas  rela^es 
com  o  movimento  geral  da  philosophia.  Coimbra  1868;  —  und  auf 
J.  J.  Louzada  de  Magalhaes,  Silvestre  Pinheiro  Ferreira,  s.  Leben 
u.  s.  Philosophie,  mit  einer  Einl.  über  die  wichtigsten  portugies.  Phi- 
losophen vor  ihm,  Inaug.-Dissert.  Bonn  1881.  —  Aus  letzterer  Schrift 
ersieht  man,  dass  nach  langer  Herrschaft  der  Scholastik  und  nach  dem 
Brachlegen  philos.  Studien  durch  die  Jesuiten  der  genannte  1769  geb. 
und  1846  gestorbene  Philosoph  und  Staatsmann  Ferreira  die  Philo- 
sophie unter  dem  Einfluss  des  Sensualismus  Condillac's  im  Gegensatz 
zum  deutschen  Idealismus,  den  er  bei  längerem  Aufenthalt  in  Deutsch- 
land kennen  gelernt  hatte,  zu  fördern  strebte.  Von  seinen  Schriften 
kommen  hier  in  Betracht:  Essai  sur  la  psychologie,  compren.  la  theorie 
du  raisonnement  et  du  langage,  l'ontologie,  Pesthetique  et  la  dioSosyne. 
Paris  1826.  2.  A.  1878;  —  NoQoes  elementares  de  philosophia  gerale 
applicada  as  sciencias  moraes  e  politicas.  Ontologia,  psychologia,  ideo- 
logia.  Paris  1889  und  dass.  Pr6cis  d'un  cours  de  philos.  element.  Paris 
1841.  —  Ein  in  Brasilien  gedrucktes,  aber  nur  in  wenigen  Exemplaren 
abgezogenes,  deshalb  seltenes  Werk  aPrelecgdes  philosophicasc  enthält 
nach  dem  Berichte  Pra^a's  auch  eine  Theorie  der  Rede  und  Sprache, 
welche  die  Principien  der  Logik,  der  allgemeinen  Grammatik  und  der 
Rhetorik  auseinandersetzt. 

lieber  das  Studium  der  Logik  in  Polen  hat  neuerdings  eine 
eingehende  Darstellung  geboten:  J.  v.  Struve  (Prof.  d.  Philos.  a.  d. 
Univers.  Warschau)  in  s.  polnisch  geschr.  System  der  Logik  1870  und 
nach  seinem  Buche  ders.  in  d.  Art.  Die  philos.  Litteratur  der  Polen  in 
d.  Philosoph.  Monatsheften.  Bd.  10.  1874.  S.  222  u.  298.  —  Daselbst 
wird  auch  hingewiesen  auf  eine  kurz  gefasste  Darstellung  in  deutscher 
Sprache  bei  Ym.  Clemens  Hankiewicz,  Grundzüge  der  slavischen 
Philosophie.  2.  Aufl.  1878.  —  Nach  dem  Berichte  Struve's  hat  zur 
Wiederbelebung  philos.  Studien  in  Polen  besonders  beigetragen  eine 
polnische   Uebersetzung   von   Gotsched's    ersten   Gründen  der  ges. 


§  86.  Neuere  Logiker  ausserhalb  DeuischlaiidB.  98 

Weltweisheit  1760.  Dieses  Werk  schaffte  der  Leibniz-Wolff'sohen 
Deiikweise  Eingang;  aus  ihr  ging  hervor  eine  polnische  Bearbeitung 
der  Logik  durch  Kasimir  Narbutt  im  J.  1766,  die  in  26  Jahren  fünf 
Auflagen  erlebte.  Nach  der  Aufhebung  des  Jesuitenordens  im  J.  1778 
gerieth  eine  Zeit  lang  mit  der  alten  Scholastik  die  Philosophie  über- 
haupt in  Missachtung;  eine  neue  Erhebung  ward  dann  im  Anschluss 
an  den  Sensualismus  gesucht.  Die  Educations-Behörde  selbst  forderte 
Condillac  auf,  eine  Logik  für  polnische  Schulen  zu  schreiben;  dieser 
Aufforderung  nachkommend  schrieb  Condillac  s.  logique  ou  les  Pre- 
miers developpements  de  Tart  de  penser.  1780,  von  der  1802  eine  poln. 
üebersetzung  erschien,  eine  2.  Aufl.  1819.  Auf  Locke's  Versuch 
über  den  menschlichen  Verstand  war  schon  zuvor  1784  durch  eine 
polnische  Üebersetzung  auserlesener  Stellen  hingewiesen  worden.  Der 
EinfluBs  dieser  Richtung  trat  besonders  hervor  bei  dem  in  Göttingen 
unter  Kastner  und  Feder  gebildeten  Mathematiker  und  Astronomen 
Joh.  Sniadecki  (spr.  Siniadetzki),  der  sich  1819  u.  20  in  einer  Schrift 
über  Philosophie  gegen  Kant's  Idealismus  wendete.  —  Für  Kant  war 
zuvor  sein  Bruder,  der  Physiologe  und  Chemiker  Andreas  Sn.,  mit 
einer  Schrift:  ȟber  den  Mangel  an  Gewissheit  in  den  empir.  Wissen- 
schaftenc  1799  eingetreten.  Ihm  war  1812  mit  einem  dreibändigen  Werk 
über  Philosophie  gefolgt  Felix  Jaronski,  Krak.  Probst  u.  Prof.  der  Philo- 
sophie. Das  Werk  soll  nach  Struve  meist  nur  in  einer  Umarbeitung 
von  WentzePs  Elementa  philos.  methodo  critica  adomata.  1807  bestehen. 
Bedentender  als  Kantianer  bes.  in  der  Pflege  der  Gebiete  der  prakt. 
Vernunft  wird  gen.  der  in  Königsberg  selbst  als  Jurist  gebildete  Joseph 
Szaniawski  (spr.  Schaniawski)  1764—1848.  Durch  diese  Manner  wur- 
den bes.  üebersetzungen  von  den  Schriften  der  Kantianer  Snell  und 
Kiesewetter  in's  Polnische  angeregt.  —  Einen  Versuch,  Schel- 
ling's  Philosophie  nach  Polen  zu  verpflanzen,  machte  Joseph  Golu- 
chowski  (1797 — 1868)  durch  ein  geistreiches  Buch:  »Die  Philosophie 
in  ihrem  Verhältn.  z.  Leben  ganzer  Völker  u.  einzelner  Menschen c 
1822;  die  Logik  konnte  auf  diesem  Wege  freilich  nichts  gewinnen.  — 
Spater  machte  sich  dann  besonders  durch  Jos.  Kremer,  Bronislaw, 
Trentowski,  Karl  Libelt,  Aug.  von  Cieskowski,  die  in  Berlin 
HegePs  Schüler  wurden,  der  Einfluss  dieser  Philosophie  geltend.  Unter 
ihnen  hat  bes.  der  in  Freiburg  i.  Br.  habilitirte  und  1869  gestorbene 
Trentowski  die  Logik  in  eigenthümlicher  Weise  zu  fördern  gesucht 
durch  sein  polnisch  geschr.:  »System  der  nationalen  Logikc  2  Bde. 
1844.  Der  Pole  scheint  ihm  berufen  zu  sein,  den  Empirismus  des 
Romanen  und  den  abstracten  Idealismus  des  (Germanen  ideal-realistisch 
zu  verbinden;  der  Grundgedanke  dieser  Logik  verläuft  nach  Struve's 
Ürtheil  einseitig  in  einer  höchst  schematischen  Ausbildung  der  Kate- 
gorienlehre nach  den  Kategorien  der  Position,  Negation  und  Synthese. 
Nach  dem  von  Struve  Mitgetheilten  scheint  allerdings  das  von  dieser 
Logik  versuchte  Umstossen  der  einfachsten  Regeln  der  formalen  Logik 
wenig  Halt  zu  haben.  —  Das  in  St.  Louis  ersch.  Journal  of  speculat. 
philos.  V.  IV.  1870  enthält  einen  Art. :  Trentowski,  Introduct.  to  logic.  — 


94  §  85.  Neuere  Logiker  ansserhalb  DentschlandB. 

In  der  neuesten  Zeit  ist  in  Rückwirkung  gegen  diese  Bichtnngen  mehrfach 
der  Versuch  gemacht  den  Streit  des  Glaubens  und  Wissens  durch  das 
Zurückgreifen  auf  die  Autorität  der  Kirche  zu  schlichten.  Eine  Frau 
Eleonore  Ziemiecka(Sjemient2ka)  gründete  dazu  1842  eine  Zeitschrift : 
»Der  Wanderer c  und  bot  1867  einen  »Abriss  der  kath.  Philosophie c ; 
sie  fand  Anhänger  an  Felix  Kotztowski  (Christi.  Philos.  2  Bde.  1845) 
und  Maximilian  Jakubowicz  (Christi.  Lebensphilos.  8  Bde.  1852),  die 
zugleich  von  Günther'schen  Anschauungen  ausgingen,  bevor  dessen 
Philosophie  1857  von  Rom  verurtheilt  war.  Als  der  bedeutendste 
in  dieser  Richtung  wird  Prof.  Alex.  Tyszynski  genannt,  ders.  schrieb 
Aufsätze  u.  Erit.  1854  u.  Grundprincipien  der  allg.  Kritik.  2  Bde.  1870. 

—  Struve  velbst,  der  seit  1863  als  Professor  an  der  Universität  War- 
schau Philosophie  in  der  Richtung  des  Ideal-Realismus  lehrt^  hat  1870 
das  schon  genannte  System  der  Logik  veröffentlicht. 

Wie  es  mit  der  Pflege  logischer  Studien  in  Schweden  und 
Norwegen  steht,  ist  aus  den  uns  zugänglichen  Berichten  über  die 
Philosophie  dieser  Länder  nicht  ersichtlich.  Ein  ausführliches  Werk 
über  die  Philosophie  in  Schweden  hat  angefangen:  Axel  Nyblaeus 
(Prof.  in  Lund),  das  filosofiska  forskningan  i  Sverig^  frän  slated  af 
adertonde  ftrhundradet,  framstaelld  i  sitt  sammanhang  med  filosofiens 
allmänna  utveckling  2  Bde.  Lnnd  1878—75;  ein  dritter  Band  soll 
demnächst  erscheinen.  Einen  über  die  in  diesen  ersten  Bänden  dar- 
gestellte Zeit  hinausgehenden  kurzen  Bericht  gab  Harald  Hoff  ding 
(in  Kopenhagen),  Die  Philosophie  in  Schweden.  Beitrag  z.  Kritik  des 
specnlat.  Idealismus,    in  d.  Philos.  Monatsheften  Bd.  15.   1879.  S.  193. 

—  Zur  Ergänzung  desselben  kann  noch  verwiesen  werden  auf  einen 
Art.  V. £.  Mätzner  über  Christopher  Jacob  Boström's  Philosophie, 
das.  Bd.  8.  1869.  S.  208;  —  auf  Art.  v.  E.  G.  über  Schweden  VIU. 
Etliche  Züge  aus  d.  geistigen  Leben  in  d.  Augsb.  AUgem.  Zeitung. 
Beil.  Nr.  97.  98  u.  99;  1881;  —  auf  den  kurzen  Bericht  v.  K.  K. 
Geijer,  Privatdoc.  inUpsala,  für  des  Verf.  Grundr.  d.  Gesch.  d.  Philos. 
Bd.  8.  5.  Aufl.  herausg.  v.  M.  Heinze.  1880.  S.  423.  —  Ueber  die 
Richtung  der  philos.  Studien  in  den  skandin.  Ländern  ist  auch  Manches 
zu  entnehmen  dem  Buche  des  Norweg.  Professors  Monrad,«  Denk- 
richtnngen  der  neueren  Zeit.  Bonn  1879. 


Erster  Theil. 

Die  Walurneliniiiig  in  ihror  BezieliMg  zn  der  olijeetivei  RftuHliekkeit 

Hl«  ZeiÜieiikeit. 


§  36.  Die  Wahrnehmung  (perceptio)  ist  die  unmittel- 
bare Erkenntniss  des  neben-  und  nacheinander  Existirenden. 
Die  äussere  oder  sinnliche  Wahrnehmung  ist  auf  die  Aussen- 
welt,  die  innere  oder  psychologische  Wahrnehmung  auf  das 
psychische  Leben  gerichtet. 

Die  Wahrnehmung  ist  die  erste  nnd  nnmittelbarste  Erkenntniss- 
fonn,  weil  in  ihr  die  Beziehung  des  Subjectee  zn  dem  Objecto  auf  ge- 
gebenen Natnrverhältnissen  beruht,  so  dass  sie  keine  anderen  Erkennt- 
niseformen  voraussetzt,  sondern  allen  anderen  zum  Grunde  liegt  und 
nur  durch  die  Gregenwart  ihres  Objectes  bedingt  wird.  Das  geistige 
Element  ist  in  ihr  noch  am  engsten  mit  der  Naturbestimmtheit  ver- 
flochten, und  diese  Verflechtung  ist  überall  nach  dem  allgemeinen 
Gesetze  der  Entwickelung  des  Geistes  (vgl.  o.  §  6)  die  frühere  Form. 
Doch  ist  die  Unmittelbarkeit  des  Erkennens  im  Wahrnehmen  immer 
nur  eine  relative,  da  in  ihr  mit  der  Sinnesthätigkeit  bereits  viele,  wenn 
gleich  nicht  einzeln  in's  Bewusstsein  tretende,  sondern  nur  das  Ge- 
sammtergebniss  mitbedingende  geistiges  Operationen  verschmolzen  sind. 

Von  der  blossen  Empfindung,  deren  n&here  Betrachtung  nur 
der  Psychologie  anheimfällt,  unterscheidet  sich  die  Wahrnehmung  da- 
durch, dass  das  Bewusstsein  in  jener  nur  an  dem  subjectiven  Zustand 
hafiet,  in  der  Wahrnehmung  aber  auf  etwas  geht,  was  wahrgenommen 
wird,  was  demnach,  mag  es  der  Aussenwelt  oder  dem  Subjecte  selbst 
angehören,  dem  Acte  des  Wahmehmens  als  etwas  irgendwie  Objectives 
g^nnbersteht.  Ton  dem  Denken,  durch  welches,  indem  es  die 
Wahrnehmungen  in  ihre  Elemente  zerleget  und  diese  wiederum  mit  ein- 
ander combinirt,  die  mittelbare  Erkenntniss  gewonnen  wird,  ist  die 
Wahrnehmung  durch  ihre  (wenn  schon  nur  relative)  Unmittelbarkeit 
verschieden.  Doch  ist  es  gestattet,  das  Denken  in  einem  weiteren 
Sinne  zn  nehmen  und  darunter  die  Gesammtheit  der  auf  die  Repräsen- 
tation irgend  welcher  Objectivität  in  unserm  Bewusstsein  abzielenden 


96  §  86.  Wahrnehmung  als  Erkenntniss  des  Existirenden. 

(theoretischen)  Functionen  zu  verstehen;  in  diesem  Falle  ist  auch  das 
Wahrnehmen  selbst  bereits  als  ein  Denken  zu  bezeichnen. 

Die  Wahrnehmung  ist  in  Hinsicht  der  Weise,  wie  sie  geschieht, 
Gegenstand  der  Psychologie,  in  Hinsicht  der  Uebereinstimmung  oder 
Nichtübereinstimmung  ihres  Inhaltes  mit  dem  Sein  aber  Gegenstand  der 
Logik  als  Erkenntnisslehre.  Die  logische  Theorie  der  Wahrnehmung 
ist  ein  integrirender  Theil  der  Logik  der  Erkenntnisslehre,  nicht  eine 
blosse  »psychologische  Einleitung«  zu  der  Darstellung  der  normativen 
(besetze  der  Denkoperationen. 

Es  liegt  kein  Widerspruch  in  der  Annahme,  dass  die  Wahrneh- 
mung und  das  Denken  durch  die  Dinge,  wie  sie  an  sich  sind,  und  unsere 
Erkenntniss  der  Gesetze  der  Wahrnehmung  und  des  Denkens  durch 
unsere  Erkenntniss  der  Dinge,  wie  sie  an  sich  sind,  bedingt  sei.  Die 
Meinung,  es  liege  hierin  ein  Widerspruch,  beruht  auf  der  irrthümlichen 
Voraussetzung,  dass  zum  Behuf  der  Erkenntniss  eines  »Dinges  an  siehe 
dieses  selbst  in  unser  Bewusstsein  eingehen  müsste.  In  uns  kann 
nicht  das  »Ding  an  siehe,  sofern  dasselbe  ein  Äussending  ist,  wohl  aber 
unser  Wissen  uro  dasselbe  sein.  Hätten  wir  nur  Eine  Erkenntnissweise, 
nämlich  bloss  die  (sinnliche)  Wahrnehmung,  dann  würden  wir  allerdings 
über  das  Maass  der  Treue  des  Bildes  kein  Bewusstsein  gewinnen  können ; 
wir  wären  an  eine  einzige  Auffassung  der  Wirklichkeit  gebundeil.  Durch 
eine  denkende  Betrachtung  der  Wahrnehmung  aber  vermögen  wir  von 
dieser  selbst  auf  ihre  Ursachen  und  ebenso  vom  Denken  auf  dessen 
Ursache  zurüokzuschliessen«  Es  ist  kein  Widerspruch,  dass  eine  nach 
Treue  und  Vollständigkeit  mannigfach  abgestufte  Erkenntniss  von  dem, 
was  ausserhalb  meines  Bewusstseins  ist,  in  meinem  Bewusstsein  sei,  und 
dass  auf  den  höheren  Erkenntnissstufen,  indem  die  Reflexion  des  Sub- 
jeotes  sich  auch  auf  seine  eigene  Erkenntnissthätigkeit  und  deren  Be- 
dingungen richtet,  die  Erkenntnissfactoren  selbst  erkannt  und  von  ein- 
ander gesondert  werden.  Nachdem  dies  geschehen  ist,  vergleichen  wir 
die  erste  Auffassung  dir  e et  mit  unserer  höher  stehenden  Erkenntniss, 
eben  hierdurch  aber  indirect  mit  den  Dingen,  wie  sie  an  sich  sind. 
Eine  Wahrnehmung  kann  schon  durch  andere,  genauere  Wahrnehmungen 
berichtigt,  d.  h.  der  Uebereinstimmung  mit  dem,  was  an  sich  ist, 
näher  gebracht  werden;  eine  höhere  Stufe  liegt  in  der  Reflexion  auf 
äussere  subjective  Bedingungen  der  Wahrnehmung  und  in  der  abstrac- 
tiven  Ausscheidung  derselben  aus  dem  Erkenntnissobjecte  (z.  B.  bei  der 
astronomischen  Theorie  in  der  Reflexion  auf  die  Erdbewegung),  wieder- 
um eine  höhere  Stufe  mit  fortschreitender  Annäherung  an  die  volle 
Wahrheit  in  der  physikalisch-physiologischen  und  in  der  psychologisch- 
logischen  Betrachtung. 

Der  Kurzsichtige  vermag  theils  durch  physikalische  Hülfsmittel, 
theils  durch  Reflexion  dem  ihm  durch  sein  Auge  gelieferten  Bilde  ein 
anderes  entg^enznstellen,  von  dem  er  wissen  kann,  dass  es  mit  dem 
Bilde,  welches  der  Normalsichtige  direot  gewinnt,  mehr,  als  jenes,  über- 
einkommt. Er  vermag  dies  zu  wissen,  obsohon  er  nicht  aus  seinem  Be- 
wusstsein heraustreten,  nicht  sein  Bewusstsein  direct  mit  dem  des  An- 


§  S7.  Sinnliche  Wahrnehmang  and  äussere  Wirklichkeit.        97 

dem  vergleichen,  sondern  immer  nur  eine  seiner  Auffassungsweisen  mit 
einer  andern  seiner  Auffassungsweisen  direct  vergleichen  kann.  Ist  es 
nun  hier  kein  »Widerspruche,  dass  er  über  den  Grad  der  Uebereinstim- 
mung  seiner  Auffassungsweisen  mit  der  ausserhalb  seines  Bewusstseins 
liegenden  Auffassung  des  Andern  zu  urtheilen  vermag,  so  kann  eben 
80  wenig  ein  9Widerspruohc  darin  liegen,  dass  wir  über  den  Grad  der 
IJebereinstimmung  unserer  Auffassungsweisen  mit  dem  »Ansichc  ein 
ürtheil  zu  gewinnen  vermögen. 

Eine  Erkenntniss  der  > Dinge  an  siehe  ist  nicht  eine  Erkennt niss 
ohne  Erkenntniss;  sie  involvirt  nicht  den  Widerspruch,  dass  das  Ding 
an  sieh  (ausserhalb  unseres  Bewusstseins)  in  uns  (in  unserem  Bewusst- 
sein)  sei.  Ich  soll  das  Ding  an  sich  denken,  nicht  ohne  dass  ich  es 
denke,  aber  ohne  dass  ich  mich  dabei  denke,  und  dies  ist  kein  Wider- 
spruch. Um  Cäsar 's  Ermordung  zu  denken,  muss  ich  sie  denken; 
um  mir  davon  Rechenschaft  zu  geben,  dass  ich  sie  denke,  muss 
ich  mich,  das  denkende  Subject,  auch  wieder  zum  Subject  meines 
Denkens  machen.  Aber  ich  muss  nicht,  um  Cäsar's  Ermordung  zu  denken, 
mich  mitdenken  (als  ob  ich  selbst  dabei  betheiligt  gewesen  wäre).  In 
dem  ersten  Denken  fungire  ich  nur  als  denkendes  Subject;  zum  Object 
werde  ich  mir  selbst  erst  in  dem  zweiten,  reflectirenden  Denken.  Wäre 
nun  das  erste  Denken  sofort  solcher  Art,  dass  dabei  nichts  Subjectives 
für  objectiv  genommen  würde,  so  wäre  es  sofort  schon  eine  Erkenntniss 
des  Ansich.  Es  ist  dies  nicht,  weil  es  nothwendigerweise  durch  die  eigene 
Natur  des  Subjects  irgendwie  modificirt  ist,  das  naive  Denken  aber 
seiner  Natur  nach  auch  dieses  subjective  für  etwas  objectiv  Gültiges 
nimmt  Obschon  hierdurch  das  naive  Denken  unvermeidlich  mit  solchen 
Bubjectiven  Elementen  behaftet  ist,  welche  fälschlich  für  objectiv  gültig 
genommen  werden,  so  kann  doch  die  Reflexion  auf  denErkenntnissvorgang 
selbst  zur  fortschreitenden  Ausscheidung  der  derartigen  Elemente  führen, 
d.  h.  zur  fortschreitenden  Annäherung  meiner  Erkenntniss  der  Dinge,  wie 
sie  an  sich  (unabhängig  von  unserm  auf  sie  gerichteten  Erkenntnissacte) 
sind. 

A.  Die  Inssers  eder  slulielie  WahmehBang. 

§  37.  Der  Logik  als  Erkenntnisslehre  eignet  die  Frage, 
ob  in  der  sinnlichen  Wahrnehmung  die  Dinge  uns 
ebenso  erscheinen,  wie  sie  in  Wirklichkeit  exi- 
stiren  oder  an  sich  sind.  Oegen  die  Bejahung  dieser 
Frage  spricht  zunächst  das  skeptische  Argument,  dass  die 
Uebereinstimmung  der  Wahrnehmung  mit  dem  Sein,  selbst 
wenn  sie  bestände,  nicht  erkennbar  sein  würde,  da  die  sinn- 
liche Wahrnehmung  niemals  mit  ihrem  Objecto,  sondern  immer 
nur  mit  einer  andern  Wahrnehmung  verglichen  werden  könne. 
Der  Zweifel  wird  verstärkt  durch  die  Reflexion  über  das  Wesen 
der  sinnlichen  Wahrnehmung.    Denn  diese  muss  als  ein  Act 

7 


98    §  38.  Falsche  Trennung  von  Stofif  und  Form  der  Wahrnehmung. 

unserer  Seele  entweder  von  einem  rein  sabjectiven  Ursprung 
sein  oder  doch  ein  snbjectiyes  Element  in  sich  tragen;  in 
beiden  Fällen  aber  würde  die  Annahme,  dass  sie  das  eigene 
reale  Sein  des  Wahrgenommenen  ungetrübt  und  erschöpfend 
wiedergebe,  nur  durch  künstliche  und  schwer  zu  rechtfertigende 
Hypothesen  gestützt  werden  kOnnen.  Die  Beschaffenheit  der 
Erscheinungswelt  wird  durch  die  subjectiye  Natur  unserer 
Sinne  mindestens  mitbedingt,  die  bei  anderen  Wesen  anders 
construirt  sein  können  und  demgemäss  zu  anderen  Arten  der 
sinnlichen  Weltanschauung  fähren  mögen,  Yon  welchen  allen 
die  Wirklichkeit  als  solche,  wie  sie,  abgesehen  von  jeder 
Auffassungsweise  an  sich  selbst  ist,  oder  das  „Ding  an  sich^' 
verschieden  ist. 

Die  ünzuverlässigkeit  der  Binnlichen  Wahrnehmung  wurde  schon 
von  den  Eleaten,  in  gewissem  Maasse  auch  von  Demokrit  und 
anderen  Naturphilosophen,  demnäc&st  von  Plato,  und  mit  neuen  Ar- 
g^imenten  von  den  alten  Skeptikern  behauptet.  Das  Stoische  Kri- 
terium der  (pavraaia  xataXfinjixri  war  eine  oherflächliche  Annahme, 
wodurch  die  Skepsis  nicht  überwunden  werden  konnte.  Von  den  neueren 
Philosophen  begründen  den  Satz,  dass  der  sinnlichen  Wahrnehmung 
wenigstens  die  volle  materiale  Wahrheit  nicht  zugesprochen  werden 
dürfe,  hesonders  Des  Cartes  (Medit.  init.),  Locke  (hinsichtlich  der 
von  ihm  sogenannten,  secundären  Qualitäten,  d.  h.  derjenigen,  die  nur 
durch  einzelne  Sinne  aufgefasst  werden),  Kant  (Kritik  der  r.  Vem., 
Elementarlehre  1.  Theil:  transscendentale  Aesthetik,  und  in  der  von 
Jäsche  herausgegehenen  Logik  S.  69  f.),  Her  hart  (Einl.  in  die  Philo- 
sophie §  19  ff.)  und  Beneke  (Metaphysik  S.  91 — 110).  Die  Bedenken, 
welche  sich  an  die  Nichtvergleichharkeit  der  Vorstellung  mit  dem  Ob- 
jecto selbst  knüpfen,  erörtert  neuerdings  namentlich  auch  Jos.  Delboeuf 
Log.  S.  85  sqq.;  71  sqq.;  98  sqq.;  vgl.  S.  106,  wo  Delboeuf  die  For- 
mel gebraucht :  A  =  f  (a,  x),  d.  h.  das  Reale  A  ist  uns  nicht  als  solches 
bekannt,  sondern  müsste  erst  ermittelt  werden  aus  a,  d.  h.  der  Art, 
wie  es  uns  erscheint,  und  x,  d.  h.  der  Natur  unseres  Geistes. 

§  38.  Das  subjectiye  Element  der  Sinneswahmeh- 
mung  lässt  sich  von  dem  objectiven  nicht  in  der  Weise 
sondern,  dass  die  Bänmlichkeit  nnd  Zeitlichkeit  bloss 
auf  das  Snbject  nnd  doch  zugleich  das  Raum-  nnd  Zeit- 
erfttllende  oder  Stoffliche  (Farbe,  Ton  etc.)  auch  auf  die 
unsere  Sinne  afficirenden  Aussendinge  zurtlckgeftlhrt  wird. 
Denn  unter  dieser  Voraussetzung  könnte  zwar  die  Noth- 
wendigkeit  bestehen,  den  Stoff  der  sinnlichen  Wahrnehmung 


§  88.  Falsche  Trennang  von  Stoff  und  Form  der  Wahrnehmung.     99 

in  irgend  welche  räumlich-zeitliche  Formen  zu  fassen-,  aber 
es  würde  jeder  besondere  Stoff  zu  jeder  besonderen  Form 
beziehungslos  sem  und  mithin,  ohne  eine  reale  Veränderung 
erlitten  zu  haben,  auch  in  anderer  Form  wahrgenommen  werden 
können,  als  worin  er  wirklich  erscheint.  Allein  in  der  That 
fllhlen  wir  uns  bei  der  Wahrnehmung  jedesmal  an  die  Ver- 
bindung bestimmter  Formen  mit  bestimmten  Stoffen  gebunden. 
Dazu  kommt,  dass  die  neuere  Physik  und  Physiologie,  indem 
sie  Ton,  Wärme  und  Farbe  auf  die  Perception  von  Schwin- 
gungen der  Luft  und  des  Aethers,  Geruch  und  Geschmack 
auf  die  Perception  gewisser  mit  chemischen  Vorgängen  ver- 
bundenen Bewegungen  zurückführt,  eben  hierdurch  die  Ab- 
hängigkeit des  Wahmehmungsinhaltes  von  Bewegungen,  also 
von  Veränderungen  der  räumlich -zeitlichen  Formen  darthut, 
wodurch  die  Ansicht  unmöglich  wird,  dass,  indem  jener  Inhalt 
auf  Affectionen  beruhe,  die  wir  von  aussen  her  erleiden,  doch 
zugleich  diese  Formen  aus  dem  wahrnehmenden  Subjecte  allein 
herstammen  und  nicht  durch  die  dasselbe  afficirende  Aussen - 
weit  bedingt  seien. 

Die  hier  bekämpfte  Ansicht  ist  diejenige,  welche  Eant  (Erit. 
der  r.  Yem.  Elementarl.  I.  Theil:  transscendentale  Aesthetik)  aufge- 
stellt hat.  Die  von  Locke  sogenannten  »primären  Qualitätenc,  welche 
dieser  fctr  objectiy  hielt,  erklärt  Eant  für  rein  subjectiv.  Der  berechtigte 
Gedanke,  dass  in  der  Wahrnehmung  ein  subjectives  und  ein  ob- 
jectives  Element  zu  unterscheiden  sei,  nahm  eine  höchst  unglückliche 
und  ganz  von  der  Wahrheit  ablenkende  Wendung,  indem  Eant  jenes  Ele- 
ment die  Form,  dieses  den  Inhalt  oder  Stoff  der  Wahrnehmung 
nannte  und  die  Form  näher  als  die  Bäumlichkeit  und  Zeitlich- 
keit bestimmte.  Nach  Eant  sollen  die  Empfindungsqualitäten,  wie 
blaa,  grün,  süss  eta,  zwar  als  solche  nur  subjectiv  sein,  aber  doch  auf 
bestimmten  äusseren  Affectionen  beruhen,  die  eben  ihre  jedesmalige  Be- 
stimmtheit bedingen,  und  diese  Lehre  (die  später  von  Joh.  Müller 
za  der  Lehre  von  den  specifischen  Sinnesenergien  fortgebildet  worden 
ist)  ist  untadelhaft;  die  räumlich-zeitliche  Form  dagegen  soll  etwas 
rein  Subjectives,  weil  Apriorisches,  sein,  und  doch  ist  es  durchaus  un- 
zulässig, den  räumlichen  nicht  mindestens  das  gleiche  Maass  objec- 
tiver  Bedingtheit  zuzugestehen,  welches  den  Empfindungsquali täten 
zugestanden  wird,  weil  diese,  wie  die  Physik  zeigt,  auf  bestimmten  Be- 
wegungen beruhen.  Uebrigens  liegt  in  Eant's  Lehre  von  den  räum- 
lichen (und  zeitlichen)  Formen  etwas  Schwankendes,  sofern  einerseits 
(worauf  unsere  obige  Angabe  fusst)  dieselben  auch  in  ihrer  jedes- 
maligen Bestimmtheit  aus  dem  Subject  allein  stammen 
müssen,  welches  nur  einen  noch  durchaus  ungeordneten  Stoff  vor- 


100    §  89.  Unzulänglichkeit  der  sinnl.WahrDehmang  zur  ErkenntiÜBs. 

finden  darf,  um  denselben  ausschlieflslich  nadh  seinen  apriorischen  For- 
men ordnen  zu  können,  andererseits  aber  doch  die  einzelnen  be- 
stimmten Formen  und  sogar  die  speciellen  Naturgesetze  empirisch 
gegeben  sein  sollen  und  daher  ihre  jedesmalige  Bestimmtheit 
doch  nicht  aus  dem  Subject  allein  stammen  kann,  sondern 
auf  der  Art  beruhen  muss,  wie  jedesmal  das  Subject  seitens  der  »Dinge 
an  siehe  vermöge  deren  eigenen  Ordnung  afficirt  wird.  —  Die  Un- 
haltbarkeit  jener  Trennung  erkennend  erklärte  Fichte  sowohl  den 
Stoff,  als  die  Form  der  Wahrnehmung  für  bloss  subjectiv,  Schelling 
und  Hegel  für  zugleich  subjectiv  und  objectiv.  Her  hart  unterwirft 
die  Kantisohe  Ansicht  einer  eingehenden  Kritik  (Einl.  in  die  Philosophie 
§  127;  Psychol.  als  Wissenschaft,  in  Herb,  sämmtlichen  Werken  Y,  S. 
504  ff.),  lieber  die  Sinnesreize  als  Schwingungen  der  Materie  s.  beson- 
ders Joh.  Müller,  Physiologie,  4.  Aufl.,  Bd.  I,  S.  667  ff.;  Bd.  ü,  S. 
249  ff.;  vgl.  George,  die  fünf  Sinne,  S.  27—42:  Maximilian  Jacobi, 
Natur-  und  Geistesleben,  S.  1 — 34;  Lotze,  mediciniscfae  Psychologfie, 
1862,  S.  174  ff.,  Mikrokosmus,  Bd.  I,  1866,  S.  374  ff.,  2  Aufl.,  1869, 
Bd.  I,  S.  386  ff.;  Helmholtz,  über  die  Natur  der  menschlichen  Sinnes- 
empfindungen, 1852,  S.  20  ff.  (wo  der  Unterschied  der  Sinnesempfindungen 
von  den  sie  veranlassenden  Schwingungsverhältnissen  hervorgehoben  und 
mit  Recht  den  Sinnen  »Danke  gezollt  wird,  dass  sie  aus  jenen  die  Farben, 
die  Töne  etc.  »hervorzaubemc  und  uns  ihre  Nachrichten  von  der  Aussen- 
welt  durch  die  Empfindungen  als  durch  »Symbolec  überbringen);  Helm- 
holt z,  über  das  Sehen  des  Menschen,  Leipzig  1855,  insbes.  auch  s. 
Handb.  d.  physiol.  Optik,  Leipz.  1867.  Abschn.  3  und  ebenso  s.  popul. 
wissensch.  Vorträge,  Braunschweig  1871,  Heft  2.  AbhdL  1.  Die  neueren 
Fortschritte  in  d.  Theorie  des  Sehens.  Die  Lehre  von  der  specifischen 
Energie  der  Sinnesnerven  hat  neuerdings  Wundt  bestritten,  er  hält 
dieselben  nicht  für  ursprünglich,  sondern  für  erworben  (s.  Grundzüge 
der  physiol.  Psychologie,  1873.  S.  347  ff.  2.  A.  1880.  Bd.  I.  S.  316  ff. 
—  Zur  Kritik  der  Kantischen  Ansicht  vgl.  m.  Grundr.  der  Gesch.  der 
Philos.  m,  §  16,  2.  Aufl.,  S.  167  ff.,  176  u.  ö.  8.  Aufl.  8. 181  ff.,  192  u.  ö. 

§  39.  Auf  Grund  der  sinnlichen  Wahrnehmung  allein 
würde  nicht  nur  das  Maass  ihrer  objectiven  Bedingtheit  nicht 
ermittelt,  sondern  auch  nicht  einmal  die  Existenz  von 
afficirenden  Objecten  erkannt  werden  könnnen.  Denn 
da  die  Wahrnehmungen  Acte  unserer  Seele  sind,  so  führen 
sie  als  solche  uns  nicht  tlber  uns  selbst  hinaus.  Die  lieber- 
Zeugung  von  dem  Dasein  äusserer  Objecte,  die  uns  afficiren, 
gründet  sich  auf  die  Voraussetzung  von  Causalverhältnisseni 
welche  nicht  auf  der  sinnlichen  Wahrnehmung  allein  beruht 

Die  Lehre  Friedrich  Heinrich  Jacobi 's,  dass  ein  Glaube,  der  sich 
nicht  in  wissenschaftliche  Erkenntniss  auflösen  lasse,  uns  das  Dasein  der 
AuBsenwelt  offenbare,    ist  eine  Fiction,    die  durch  die  Aufzeigung  des 


§  40.  ErkeiiBbarkeit  psychischer  Objecte  durch  innereWahmehmung.  101 

wirklichen  Weges  der  ErkeDntniss  der  Aussendinge  aufzuheben  ist.  — 
Die  Entscheidung  über  die  in  diesem  Abschnitt  aufgestellten  Probleme 
kann  aber  erst  unten  (C,  §  41—44)  gegeben  werden. 

&  Die  laaere  •iet  psyeh^log^sehe  WakmekMUi;. 

§  40.  Die  innere  Wahrnehmung  oder  die  nn- 
mittelbare  Erkenntniss  der  psychischen  Acte  und  Ge- 
bilde vermag  ihre  Objecte  so,  wie  sie  an  sich  sind, 
mit  materialer  Wahrheit  anfznfassen.  Denn  die  innere 
Wahmehmnng  erfolgt,  indem  das  einzelne  Gebilde  durch 
den  Associationsprocess  als  ein  integrirender  Theil  der  Ge- 
sammtheit  unserer  psychischen  Gebilde  aufgefasst  wird;  sie 
ist  in  ausgebildetster  Form,  mit  dem  Denken  verschmolzen, 
dann  vorhanden,  wenn  das  betreffende  psychische  Gebilde 
unter  den  Begriff  gestellt  wird,  unter  welchen  es  gehört, 
und  wenn  zugleich  das  Bewusstsein,  welches  der,  der  die 
innere  Wahrnehmung  vollzieht,  von  sich  hat,  die  Form  des 
Ichbewusstseins  gewonnen  hat.  Nun  aber  kann  a.  die 
Association  des  einzelnen  Gebildes  mit  den  ttbrigen  dasselbe 
nach  Inhalt  und  Form  nicht  verändern ;  es  geht  s6,  wie  es  ist, 
in  dieselbe  ein;  wie  daher  gegenwärtig  unsere  Vorstellungen, 
Gedanken,  Geftlhle,  Begehrungen,  überhaupt  die  Elemente 
unseres  psychischen  Lebens  und  deren  Verbindungen  unter- 
einander wirklich  sind,  so  sind  wir  uns  ihrer  bewusst,  und 
wie  wir  uns  ihrer  bewusst  sind,  so  ist  ihr  wirkliches  Sein, 
indem  bei  den  Seelenthätigkeiten  als  solchen  Bewusstsein  und 
Dasein  identisch  ist.  b.  Bei  der  Wiedererinnerung  an  frühere 
Seelenthätigkeiten  werden  die  im  Unbewusstsein  verharrenden 
Gedächtnissbilder  derselben  wiedererregt  und  daher  können 
die  früheren  Acte,  obschon  mit  verminderter  Intensität,  doch 
in  qualitativer  Uebereinstimmung  mit  ihrem  ursprünglichen 
Sein  reproducirt  werden,  c.  Bei  der  Subsumtion  der  einzelnen 
Acte  und  Gebilde  unter  die  entsprechenden  allgemeinen  Be- 
griffe wird  die  Bewusstseinsstärke  ihrer  gemeinsamen  Merk- 
male erhöht,  aber  ohne  Zumischung  irgend  einer  fremdartigen 
Form ;  folglich  steht  auch  das  hierdurch  gewonnene  Bewusst- 
sein von  unseren  psychischen  Acten  und  Gebilden  seiner  Natur 
nach  in  qualitativer  Uebereinstimmung  mit  dem  realen  Sein 
dieser  Elemente.   Doch  wächst  hierbei  allerdings  die  Möglich- 


102  §  40.  Erkennbarkeit  psychischer  Objecto  durch  innere  Wahrnehmung. 

keit  des  Irrthams  um  so  mehr,  je  mehr  über  das  Qebflde 
selbst  hinausgegangen  wird  und  die  Genesis  und  die  Be- 
ziehungen desselben  zur  Bestimmung  seines  Begriffs  mit  in 
Betracht  kommen  (wie  z.  B.  bei  der  Frage,  ob  eine  gewisse 
Vorstellung  eine  Wahrnehmung  oder  eine  Vision  sei),  d.  Das 
Selbstbewusstsein  im  engeren  Sinne  oder  das  Ichbewnsstsein 
entwickelt  sich  in  drei  Momenten.  Das  erste  Moment  ist  die 
Einheit  eines  bewusstseinsfähigen  Individuums,  vermöge  wel- 
cher alles  Einzelne  in  ihm  nicht  als  ein  selbständiges  Einzel- 
wesen, welches  sich  mit  anderen  zu  einem  zufälligen  Aggregate 
zusammenfände,  sondern  als  ein  Glied  eines  einigen  Gtesammt- 
organismus  angesehen  werden  muss.  Das  zweite  Moment  ist 
das  Bewusstsein  des  Einzelnen  von  sich  als  Einem  Individuum 
oder  die  zusammenhängende  Wahrnehmung  der  eigenen 
psychischen  Acte  und  Gebilde  in  ihrer  gegenseitigen  Verbin- 
dung, wonach  sie  sämmtlich  dem  nämlichen  Wesen  angehören. 
Das  dritte  Moment  ist  die  fernere  Wahrnehmung,  dass  auch 
jenes  Bewusstsein,  welches  der  Einzelne  von  sich  hat,  wiederum 
dem  nämlichen  Wesen  angehört,  wie  die  Acte  und  Gebilde, 
auf  welche  es  gerichtet  ist,  mit  anderen  Worten:  die  Wahr- 
nehmung, dass  das  vorgesteUte  und  das  vorstellende  Wesen 
oder  das  Object  und  das  Subject  der  Vorstellung  ein  und 
dasselbe  Wesen  ist.  Das  erste  und  zweite  Moment  bilden  die 
Voraussetzungen  oder  Grundlagen,  das  dritte  constituirt  das 
Wesen  des  Selbstbewusstseins  als  Ichbewusstseins.  Da  mit- 
hin dieses  nur  eine  potenzirte  innere  Wahrnehmung  ist,  so 
bringt  es  wiederum  nichts  hinzu,  was  unserem  wirklichen 
Sein  fremd  wäre.  Demgemäss  steht  bei  allen  Formen  der  auf 
das  eigene  Seelenleben  gerichteten  inneren  Wahrnehmung 
und  des  mit  ihr  verschmelzenden  und  sie  zur  inneren  Er- 
fahrung durchbildenden  Denkens  die  Erscheinung  mit  der 
psychischen  Wirklichkeit  in  wesentlicher  Uebereinstimmung. 

Dass  mein  Schmerz  mir  als  Schmerz  erscheine^  meine  Farben- 
empfindung als  Farbenempfindnng  etc.,  ist  selbstverständlich,  und  dies 
erst  beweisen  zu  wollen,  wäre  allerdings  überflüssig  und  »wunderliche; 
aber  von  dem  Schmerz,  von  der  Ton-  und  Farbenempfindung  etc.  als 
psychischer  Erscheinung  unterscheidet  der  psychologische  Transscen- 
dentalist  (nicht  nur  das  Wesen  und  die  Substanz  der  Seele,  und  die 
inneren  Bedingungen  der  einzelnen  psydiisohen  Vorgänge,   auch  nicht 


§  40.  Erkennbarkeit  psychischer  Objecto  durch  innereWahmehmung.  103 

bloss  die  yeranlassende  äussere  Affection,  auf  was  alles  die  gegenwär- 
tige üntersachnng  sich  nicht  bezieht,  sondern  auch)  ein  An  sich  eben 
desjenigen  einzelnen  Zustandes  in  mir,  der  mir  als  Schmerz,  Farben- 
empfindnng  etc.  erscheint,  nnd  auf  den  Nachweis,  dass  diese  Unter- 
scheidung unberechtigt  sei,  zielt  die  vorstehende  Argumentation  ab. 
Durch  die  sinnliche  Wahrnehmung  percipire  ich  einen  Ton,  eine 
Farbe  etc.  im  empirischen  Sinne  richtig,  wenn  ich  so  percipire,  wie 
bei  normaler  Sinneswahmehmung  percipirt  werden  muss,  und  ich 
erinnere  mich  richtig,  falls  meine  Erinnerungsvorstellung  mit  eben 
dieser  normalen  Perception  übereinstimmt;  doch  fragt  sich  dabei  immer 
noch,  ob  diese  normale  Perception  mit  dem  Vorgang,  wie  er  an  sich 
ausserhalb  meines  Bewusstseins  stattfindet  und  durch  Einwirkung  auf 
meine  Sinne  zu  meiner  Perception  den  Anlass  giebt,  in  Uebereinstim- 
mung  stehe;  eben  diese  Frage  aber  hat  keinen  Sinn  mehr,  wenn  es  sich 
um  die  (psychologische)  Auffassung  einer  meiner  Empfindungen  oder 
überhaupt  eines  meiner  psychischen  Gebilde  handelt;  auf  diese  Auf- 
fassung kann  die  bei  der  äusseren  Wahrnehmung  berechtigte  und  noth- 
wendige  Unterscheidung  der  Wahrheit  im  >  empirischen  c  und  im  »trans- 
soendentalenc  Sinne  nur  durch  eine  falsche  Analogie  übertragen  werden. 
Es  hat  einen  guten  Sinn,  nicht  nur  nach  den  äusseren,  sondern  auch 
nach  den  inneren  Bedingungen  der  Entstehung  eines  psychischen  Grebildes 
zu  fragen;  aber  es  hat  keinen  Sinn,  falls  das  psychische  Gebilde  als 
solches  das  Objeot  meiner  Auffassung  ist,  das  Sein  desselben  in  meinem 
Bewusstsein  (fdr  mich)  und  das  Sein  desselben  ausserhalb  meines  Be- 
wusstseins (an  sich)  zu  unterscheiden;  denn  das  aufzufassende  Object 
ist  hier  ein  solches,  welches  eben  nicht,  wie  das  Object  der  äusseren 
Wahrnehmung,  an  sich  selbst  ausserhalb  meines  Bewusstseins,  sondern 
nur  innerhalb  desselben  existirt.  Bei  der  äusseren  Wahrnehmung  kann 
das  (Gebilde  des  Subjects  nicht  nur  Elemente  enthalten,  die  mit  der 
Objectivitat  übereinstimmen,  sondern  auch  Elemente,  die  von  ihr  ab- 
weichen, und  diese  letzteren  oder  die  rein  subjectiven  Elemente  be- 
gründen eine  Discrepanz  zwischen  dem  Bilde  und  der  objectiven  Rea- 
lität; bei  der  inneren  Wahrnehmung  dagegen,  sofern  diese  auf  unsere 
eigenen  noch  unmittelbar  (ohne  dass  die  Erinnerung  vermittelnd  ein- 
zutreten braucht)  in  unserm  Bewusstsein  gegenwärtigen  Gebilde  geht, 
kann  das  Gebilde  des  Subjects,  da  es  ja  nunmehr  selbst  das  Object  der 
Auffassung  ist,  nicht  solche  Elemente  enthalten,  die  eine  Nichtüberein- 
stimmnng  mit  dem  aufzufassenden  Object  begründeten;  alles  Subjective 
ist  hier,  bei  dieser  Selbstauffassung,  zugleich  auch  objectiv.  Es  sind 
hier  nicht  zwei  Gebilde  zu  unterscheiden,  die  mit  einander  überein- 
stimmen oder  auch  nicht  übereinstimmen  könnten,  sondern  es  giebt 
hier  nur  Ein  mit  sich  selbst  identisches  Gebilde.  Bei  Erinnerungs- 
vorstellnngen  und  bei  der  Subsumtion  der  psychischen  Gebilde  unter 
psychologische  Begriffe  kommt  allerdings  die  Uebereinstimmung  in  Frage; 
hier  besteht  nicht  mehr  das  Yerhältniss  der  Identität ;  wohl  aber  kann 
hier  das  auffassende  Gebilde  dem  aufzufassenden,  indem  beide  dem 
li<^ien   beseelten  Wesen   angehören,    in  einem  Maasse  gleichartig 


104  §  40.  Erkennbarkeit  psychischer  Objecte  durch  innere  Wahrnehmung. 

sein,  wie  dies  sich  bei  der  sinnlichen  Wahrnehmung,  bei  welcher  das 
auffassende  Gebilde  uns,  das  aufzufassende  der  Aussenwelt  angehört, 
nicht  präsumiren  lässt. 

Wer  die  Natur  des  Selbstbewusstseins  yerstehen  will,  muss 
den  Irrthum  derer  vermeiden,  welche  die  Identität  des  vorstellenden 
und  des  vorgestellten  Wesens  oder  die  Identität  der  Person  mit  einer 
vermeintlichen  Identit&t  des  Actes  der  Selbstvorstellung  und  der  Acte 
und  Gebilde,  worauf  die  Selbstvorstellung  gerichtet  ist,  verwechseln, 
wie  auch  den  Irrthum  derer,  welche  die  Identität  der  Person  als  der 
alle  Acte  und  Gebilde  in  sich  fassenden  concreten  Einheit  mit  der 
vermeintlichen  Identität  einer  fingirten,  auf  eine  einfache  Qualität  re- 
ducirenden  Monade  verwechseln,  welche  nach  Abstraction  von  allen 
wirklichen  Acten  und  Gebilden  übrig  bleibt.  Bezeichnen  wir  diejeni- 
gen psychischen  Elemente  (Vorstellungen,  Gefühle,  Begehrungen),  auf 
welche  die  innere  Wahrnehmung  gerichtet  ist,  in  ihrer  Gesammtheit 
mit  A,  die  innere  Wahrnehmung  von  denselben  mit  B,  so  ist  B  mit  A 
nicht  identisch  (wiewohl  in  qualitativer  Uebereinstimmung),  sondern  nur 
vereinigt;  das  Wesen  aber,  welchem  beide  als  integrirende  Theile  an- 
gehören, ist  identisch  oder  ein  und  das  nämliche  Wesen.  Jenes  B  ist 
nun  erst  das  Bewusstsein  des  Einzelnen  'von  sich  als  einer  Person, 
welches  Bewusstsein  sich  in  der  Sprache  durch  die  Nennung  des  eigenen 
Namens  kund  giebt;  das  Selbstbewusstsein  aber  als  Ichbewusstsein,  C, 
ist  das  Bewusstsein  des  Zusammenseins  von  A  und  B  in  einem  und  dem 
nämlichen  Wesen,  unserem  Ich,  welches  die  Gesammtheit  aller  unserer 
Acte  und  Gebilde  in  sich  schliesst. 

Der  in  §  3  und  §  37  erwähnte  Einwand  gegen  die  Möglichkeit 
der  Wahrheit  im  materialen  Sinne  irgendwie  gewiss  zu  wenden,  weil 
nämlich  niemals  eine  Vergleichung  unserer  Vorstellungen  mit  dem 
Sein,  sondern  immer  nur  wieder  mit  unseren  Vorstellungen  möglidi 
sei,  findet  dem  Obigen  gemäss  auf  die  innere  Wahrnehmung  von  un- 
seren psychischen  Acten  und  Gebilden  keine  Anwendung.  Von  dem 
materiellen  Aussendinge  nehmen  wir  nur  ein  Ungewisses  Bild 
in  uns  auf;  in  adäquaterer  Form  bilden  wir  den  Gedanken, 
das  Gefühl  und  den  Willen  des  Andern  in  uns  nach;  wiederum 
treuer  kann  die  Erinnerung  an  meine  eigenen  früher  gehegten  Ge- 
danken und  an  mein  eigenes  Fühlen  und  Wollen  sein;  nothwendig 
treu  ist  die  unmittelbare  Auffassung  des  gegenwärtig  in  mir 
vorhandenen  psychischen  Gebildes  und  erst  bei  der  versuchten 
Subsumtion  desselben  unter  einen  allgemeinen  Begriff  wird  ein 
Irrthum  möglich.  In  diesem  Sinne  ist  die  innere  Wahrnehmung 
zuverlässiger  als  die  äussere  und  bildet  die  Grundlage  alles  philosophi- 
schen Wissens.  Dass  wir  von  unserem  eigenen  psychischen  Inneren 
eine  Wahrnehmung  haben,  in  welche  das  Sein  unmittelbar  eingeht, 
ohne  Zumischung  einer  fremden  Form,  ist  der  erste  feste  Punkt  der 
Erkenntnisstheorie. 

Schon  Meli  SS  US,  der  Eleate,  fraget:  »Wenn  nichts  wäre,  wie  könnte 
geredet  werden  als  von  einem  Seienden ?c  ihm  gilt  also  die  Gewissheit 


§  40.  Erkennbarkeit  psychischer  Objecte  durch  innere  Wahrnehmung.  105 

der  Existenz  des  Redens  und  demgemäss  auch  des  Denkens  als  die  erste, 
und  die  Gewissheit  des  Denkens  von  seiner  eigenen  Existenz  liegt  bereits 
den  Aussprüchen  des  Eleaten  Parmenides  über  das  Denken  zum  Grunde. 
Nachdem  der  individualistische  Subjectivismus  des  Prot agoras  Schein 
und  Sein  identificirt  hatte,  hob  Aristippus  die  subjective  Wahrheit 
der  Sinnesempfindungen  hervor.  Von  dem  Aeusseren,  das  die  Affectionen 
bewirkt,  wissen  wir  nur,  dass  es  ist,  nicht,  wie  es  ist,  die  Empfindung 
selbst  aber  ist  in  unserem  Bewusstsein  (ro  nad-og  rj^uTv  iari  (patvo/xevov^ 
Aristippus  bei  Sext.  Erap.  adv.  math.  VII,  91).  Die  Sokratische  Bevor- 
zogfung  der  Ethik  und  die  christliche  Soteriologie  richteten  den  Blick  auf 
das  innere  Leben.  Augustin  erkannte,  dass  zwar  die  Vorstellungen, 
die  wir  von  äusseren  Dingren  haben,  uns  täuschen  können,  dass  aber 
das  Bewusstsein  des  Geistes  von  seinem  eigenen  Leben,  Erinnern,  Denken 
und  Wollen  frei  von  Täuschung  sei.  Er  stellt  auch  in  diesem  Sinne 
die  Forderung  auf  (de  vera  religione  39,  72) :  »noli  foras  ire,  in  te  redi, 
in  interiore  homine  habitat  veritas  (et  ei  animam  mutabilem  inveneris, 
iransscende  te  ip8um)c.  Vgl.  contra  Academioos  III,  ^26:  noli  plus 
aasentiri,  quam  ut  ita  tibi  apparere  persuadeas,  et  nulla  deceptio  est. 
Soliloqu.  n,  1:  tu  qui  vis  te  nosse,  scis  esse  te?  scio;  unde  scis?  nescio; 
simplicem  te  scis  an  multiplicem?  nescio;  moveri  te  scis?  nescio;  oogitare 
te  sds?  scio.  De  trinitate  X,  14:  si  dubitat,  vivit;  si  dubitat,  unde 
dubitet,  meminit;  si  dubitat,  dubitare  se  intelligit;  si  dubitat,  certus 
esse  vult;  si  dubitat,  oogitat;  si  dubitat,  seit  se  nescire;  si  dubitat 
iudicat  non  se  temere  consentire  oportere.  Cf.  de  civ.  Dei  XI,  26.  Ebenso 
lehrte  im  Mittelalter  der  Nominalist  Occam,  Satze  wie:  ich  weiss, 
dass  ich  lebe,  bin,  denke  etc.  seien  sicherer  als  alle  Sinneswahmehmungen. 
Cartesius  aber  hat  zuerst  auf  dieses  Princip  ein  System  der  Philo- 
sophie gegründet.  Das  Denken  (cogitare)  ist  ihm  das  Gewisseste ;  unter 
dem  Denken  aber,  erklärt  er,  begreife  ich  alles,  was  mit  Bewusstsein 
in  uns  vorgeht,  sofern  wir  uns  dessen  bewusst  sind,  also  auch  das 
Wollen,  Vorstellen  und  Empfinden  (Medit.  U.;  Princip.  philos.  I,  9). 
Kant  dagegen  stellt  auch  die  Wahrheit  der  Selbsterkenntniss  in  Ab- 
rede. Die  zeitliche  Entwiokelung  gehöre  unserem  Wesen,  wie  es  an 
sich  sei,  nicht  in  Wirklichkeit  an,  sondern  sei  nur  eine  Erscheinung, 
die  darauf  beruhe,  dass  der  i innere  Sinn«  die  Anschauungsform  der 
Zeit  hinznbringe ;  unser  wahres  Sein  bleibe  uns  völlig  unbekannt.  Allein 
gäbe  es  auch  einen  inneren  Sinn  von  solcher  Art,  wie  ihn  Kant  sich 
denkt,  so  dass,  indem  unser  an  sich  zeitloses  Sein  denselben  afficirte, 
hieraus  die  Erscheinung  unseres  bewussten  zeitlichen  Lebens  resultirte, 
so  wäre  doch  dies  eben  ein  wirklich  gewordenes  Resultat;  es  wäre  also 
doch  in  Betrefif  dieser  unserer  zeitlichen  Entwiokelung  Bewusstsein  und 
Dasein  identisch,  und  der  Satz  würde  gültig  bleiben:  unser  zeitliches 
Seelenleben  ist  so,  wie  wir  uns  seiner  bewusst  sind,  und  wie  es  ist,  so 
sind  wir  uns  seiner  bewusst.  Zudem  wird  durch  eine  genauere  psycho- 
logische Betrachtung  der  Natur  der  inneren  Wahrnehmung  die  ünhalt- 
barkeit  jener  Kantischen  Voraussetzung  über  den  inneren  Sinn  offenbar. 
Wir  fassen  auch  unsere  Selbstauffassung,  die  doch  auch  nach  Kant  zeit- 


106  §  41.  Die  Erkenntniss  der  Mehrheit  beseelter  Wesen. 

lioh  ist,  wiederum  aaf;  durch  welchen  »Innern  Sinn«  und  durch  welche 
»Form«  desselben  sollte  dies  geschehen?  Die  innere  Wahrnehmung 
kann  nicht  die  Zeit  zu  dem  an  sich  Zeitlosen  hinzubringen,  sondern 
nur  das,  was  schon  an  sich  zeitlich  ist,  als  ein  Zeitliches  erkennen. 
(Eine  ganz  andere  Frage,  die  aber  nicht  der  Erkenntnisslehre,  sondern 
der  Metaphysik  angehört,  ist  es,  ob  die  Zeit  eine  selbständige  Realität 
oder  Substantialiiät  habe,  oder  nur  ein  Ausfluss  der  Wesensbestimmt- 
heit der  Dinge  und  in  diesem  Sinne  eine  blosse  Erscheinung,  und 
wenn  das  Letztere,  in  wie  fern  sie  für  alle  Dinge  in  Wahrheit  die  gleiche 
sei,  und  in  wie  fern  ein  jedes  Ding  sein  eigenes  Zeitmaass  in  sich  selbst 
trage.  Die  Vermischung  des  metaphysischen  Gegensatzes 
zwischen  Wesen  und  Wesensäusserung,  wobei  beide  Seiten 
dem  eigenen  Sein  der  Dinge  angehören,  mit  dem  logischen 
oder  erkenntnisstheoretischen  Gegensatze  zwischen  dem 
eigenen  Sein  der  Dinge  oder  ihrem  Ansichsein  und  der 
Erscheinung,  die  nur  in  dem  Betrachtenden  als  eine  — 
treue  oder  untreue  —  Abspiegelung  der  Dinge  ist,  hat 
bei  diesen  Untersuchungen  unsägliche  Verwirrungen  an- 
gestiftet). Hegel  lässt  die  innere  Wahrnehmung  ebenso  wie  die 
äussere  als  propädeutischen  Ausgangspunkt,  wiewohl  nicht  als  wissen- 
schaftliche Grundlage  der  Philosophie  gelten,  und  gesteht  den  psychischen 
Processen  in  so  fern  Wahrheit  zu,  als  sie  Momente  in  der  dialektischen 
Selbstentwickelung  des  Absoluten  bilden  (Phänomenol.  des  Geistes,  und 
Encyclop.  §  4 1 8  £f.).  Schleiermaoher  findet  in  dem Selbstbewusstsein 
mit  Recht  den  Punkt,  wo  Denken  und  Sein  ursprünglich  identisch  sind: 
»wir  sind  denkend  und  denken  seiend«  (Dialektik  §  101  ff.,  S.  63  u. 
Erläut.  S.  54  ff.,  vgl.  Beil.  D,  18,  19,  S.  462  ff.  u.  Beil.  E  XX— XXIII 
S.  488  ff.).  In  Uebereinstimmung  mit  Schleiermaoher  lehrt  Beneke: 
»Jede  Erkenntniss  unserer  Seelenthätigkeiten  ist  die  Erkenntniss  eines 
Seins-an-sich,  d.  h.  die  Erkenntniss  eines  Seins,  welche  dasselbe  vor- 
stellt, wie  es  an  und  für  sich  oder  unabhängig  von  seinem  Vorgestellt- 
werden ist«  (Neue  Grundlegung  zur  Metaphysik  1822,  8. 10),  und  macht 
diesen  Satz  zum  ersten  Grundpfeiler  seines  Lehrgebäudes  der  (bei  ihm 
die  Erkenntnisslehre  in  sich  mitbefassenden)  Metaphysik  (System  der 
Metaph.  1840,  S.  68—75;  Lehrbuch  der  Psychol.  1845,  §  129,  S.  121). 
Vgl.  W.  F.  Volkmann,  Grundriss  der  Psychologie,  Halle  1856.  §  72 
u.  ff.   2.  Aufl.  1876.  Bd.  2.  §  102  u.  ff. 

C.  Die  yerbiB4ia|;  der  laaerea  und  lisserea  Wiliraeluinig. 

§  41.  Auf  der  Verbindung  der  äusseren  Wahr- 
nehmung mit  der  inneren  beruht  die  Erkenntniss  der 
Aussenwelt.  Unsere  von  uns  selbst  sinnlich  wahrgenom- 
menen leiblichen  Zustände  stehen  mit  den  in  die  innere 
Wahrnehmung  eingehenden  Zuständen  unseres  psychischen 
Lebens  in  einem  gesetzmässigen  Zusammenhange.    In  Folge 


§  41.   Die  Erkenntniss  der  Mehrheit  beseelter  Wesen.         107 

dieses  Zasammenhanges  bildet  sich  in  uns  jene  Association, 
yermöge  deren  wir  bei  der  sinnlichen  Wahmehmnng  yon  leib- 
lichen Zuständen,  die  unseren  eigenen  analog  sind,  auch  ein 
unserem  eigenen  analoges  psychisches  Sein  voraussetzen. 
Diese  Combination,  welche  ursprünglich  ohne  alle  bewnsste 
Beflexion  nach  psychischen  Gesetzen  gleichsam  instinctartig 
vollzogen  wird,  nimmt  logisch  entwickelt  die  Form  eines 
Schlusses  der  Analogie  an,  nämlich:  wie  sich  unsere  eigene 
somatische  Erscheinung  zu  unserer  psychischen  Realität  ver- 
hält, 80  die  andere  somatische  Erscheinung,  zu  der  (hiernach 
vorauszusetzenden)  fremden  psychischen  Realität.  Was  aber 
die  logische  Berechtigung  der  Voraussetzung  einer  Mehr- 
heit personlicher  Wesen  nach  der  Analogie  unseres  eigenen 
Seins  betrifft,  so  steht  dieselbe  im  Allgemeinen  mit  zweifel- 
loser Gewissheit  fest:  wir  ergänzen  durch  diese  Combination 
des  Inhaltes  der  äusseren  Wahrnehmung  mit  dem  der  inneren 
den  ersteren  um  ein  Moment,  welches,  obschon,  seiner  Natur 
nach  nicht  in  die  äusseren  Sinne  fallend,  der  Realität  selbst 
angehört.  Der  Beweis  hierfttr  liegt  theils  in  dem  Bewusst- 
sein,  dass  die  Art  und  Folge  der  betreffenden  äusseren  Er- 
scheinungen in  der  blossen  Gausalität  unseres  eigenen  indi- 
viduellen Seelenlebens  nicht  ihre  volle  Begründung  findet, 
theils  in  der  durchgängigen  positiven  Bestätigung,  welche 
jener  Voraussetzung  von  Seiten  der  Erfahrung  zu  Theil  wird. 

Die  psychologische  Seite  dieses  Vorgangs  näher  zu  erörtern,  ist 
nicht  Sache  der  Logik«  welche  das  Psychologische  nur  in  der  Form  von 
anderweitig  zu  begründenden  Hülfssätzen  annehmen  kann.  Dagegen 
kommt  es  der  Logik  zu,  das  logische  Recht  zu  prüfen,  oder  über  die 
Frage  zu  entscheiden,  ob  die  ursprünglich  mit  psychologischer  Noth- 
wendigkeit  gebildete  Annahme  Wahrheit,  d.  h.  Uebereinstimmung  mit 
dem  Sein  enthalte.  So  fordert  es  der  allgemeine  Begriff  beider  Wissen- 
schaften.    S.  o.  §§  2  und  6  und  86. 

Dass  bei  der  Erkenntniss  des  Seins  ausser  uns  die  Setzung  einer 
Mehrheit  beseelter  Subjecte  die  erste  ist,  hat  zuerst  Schleiermacher 
(DiaL  a.  a.  0.)  richtig  erkannt.  Beneke,  der  ihm  auch  hierin  folgt, 
aber  das  Verhältniss  psychologisch  viel  bestimmter  ausprägt,  findet 
darin  die  zweite  wesentliche  Grundlage  der  Metaphysik  (Grundlegung 
zur  Metaph.  S.  28;  System  der  Metaph.  S.  76—90;  Lehrbuch  der 
Psychol.  2.  Aufl.  §  169,  S.  149  f.).  Vgl.  Herbart,  Werke  V,  S.  187; 
VI,  S.  501  f. 


I 

I  108  §  42.  Die  Erkenntniss  der  Stufenreihe  der  Wesen. 

§  42.  Die  Betrachtung  der  Aussenwelt  erweiternd,  er- 
kennt der  Mensch  das  Innere  anderer  Wesen  über- 
haupt vermöge  der  verwandten  Seiten  seines  eigenen  Inneren. 
Er  bildet  das  Sein  der  höheren  und  der  niederen  Objecte 
in  sich  nach,  indem  er  die  entsprechenden  Momente  des 
Inhaltes  und  der  Formen  seiner  psychischen  Gebilde  theils 
erhöht,  theils  erniedrigt,  und  in  dieser  Gestalt  dem 
durch  die  Smne  Wahrgenommenen  nach  Maassgabe  der  jedes- 
maligen Erscheinungen  ergänzend  unterlegt.  Durch  solche 
Nachbildung  in  seiner  eigenen  Ausbildung  gefördert  und  zu 
tieferer  Selbsterkenntniss  befähigt,  sucht  er  dann  wiederum 
stufenweise  in  höherer  Vollkommenheit  das  Innere  anderer 
Wesen  nachbildend  zu  erkennen.  Die  Wahrheit  dieser  Er- 
kenntnisselemente stuft  sich  nach  zwei  Verhältnissen  ab:  1.  in 
objectiver  Beziehung  nach  dem  Maasse  des  Abstandes  der 
jedesmaligen  Erkenntnissobjecte  von  unserem  eigenen  Sein, 
2.  in  subjectiver  Beziehung  nach  dem  Maasse  der  Unterschei- 
dungen zwischen  näherer  und  entfernterer  Analogie,  und  der 
angemessenen  Anwendung  dieser  Unterscheidung  auf  die  Er- 
scheinungen. 

Die  vorstehenden  Sätze  enthalten  die  logischen  Principien  für  die 
Entscheidung  einer  Beihe  wichtiger  Streitfragen  auf  verschiedenen 
Gebieten  des  realen  Wissens.  In  der  Stufenreibe  der  irdischen  Wesen 
gilt  das  (vielleicht  schon  von  den  Pythagoreern  symbolisch  an- 
gedeutete, bestimmter  von  Plato  und  Aristoteles  in  ihrer  psycho- 
logischen Doctrin  erkannte,  von  Schelling  zum  Princip  der  Natur- 
philosophie erhobene  und  den  ganzen  Verlauf  der  Hegel 'sehen  Dialektik 
bestimmende)  Gesetz,  dass  das  höhere  Wesen  die  Charaktere  des  niede- 
ren als  Momente  in  sich  aufhebt.  Das  Tbier,  indem  es  sich  durch  das 
Vermögen  des  Bewusstseins  über  die  Pflanze  erhebt,  tragt  doch  auch 
wieder  die  vegetativen  Kräfte  in  sich  gleichsam  als  den  Boden,  in 
welchem  das  eigenthümlich  animalische  Leben  wurzelt,  und  in  gleicher 
Weise  vereinigt  der  Mensch  in  sich  mit  der  Vemunftthätigkeit  die 
Kräfte  des  vegetativen  und  des  animalischen  Lebens.  Eben  hierdurch 
wird  er  befähigt,  indem  er  auf  das  Niedere  in  sich  reflectirt  und  den 
Charakter  desselben  in  seiner  Vorstellung  wiederum  erniedrigt  und 
gleichsam  auf  eine  tiefere  Potenz  herabsetzt,  ein  annähernd  wahres 
Verständniss  von  dem  Leben  des  Thieres  und  hinsichtlich  des  Begriffs 
wirkender  Kräfte  überhaupt  sogar  auch  von  dem  Wesen  der  Pflanze 
und  des  Naturganzen  zu  gewinnen.  Mit  Recht  sagt  in  diesem  Sinne 
ein  neuerer  Naturforscher:  »Wie  die  Naturforschung  ursprünglich  aus 
dem  Gefühle  der  inneren  Verwandtschaft  der  Natur  mit   dem  Wesen 


§  42.  Die  ErkenntBisB  der  Stufenreihe  der  Wesen.  109 

des  Menschen  hervorging,  so  ist  es  auch  ihr  Ziel,  diesen  Zasammenhaiig 
in  seiner  ganzen  Tiefe  zu  erfassen  und  zur  Erkenntniss  zu  bringen,  c  — 
»Durch  Anknüpfung  an  die  Entwickelungsgeschichie  des  Menschen  ge- 
winnt die  Naturgeschichte  ihre  höchste  Bedeutung«  (Braun,  Betrach- 
tungen über  die  Verjüngung  in  der  Natur  1850,  S.  XI;  S.  13).  Nach 
der  anderen  Seite  hin  erfasst  der  Mensch  das  Höhere  und  Gröttliche 
durch  Idealisirung  des  eigenen  Innern,  und  zwar,  da  er  hierfür  nicht 
die  völlig  adäquaten  Erkenntnissgrundlagen  hinzubringt,  in  der  Form 
des  Glaubens  und  der  Ahnung.  Will  man  (mit  F.  H.  Germar  in 
seiner  Schrift:  die  alte  Streitfrage,  Glauben  oder  Wissen?  Zürich  1866) 
das  Verhaltniss  des  Glaubens  im  allgemeineren  Sinne  zum  Wissen  als 
das  desTactes  zur  Prüfung  bestimmen*),  so  fällt  unter  diesen  wei- 
teren Begriff  des  Glaubens  auch  der  speciellere  des  unmittelbaren  Zu- 
trauens zu  dem  Höheren  und  der  Anerkennung  seiner  Autorität.  Denn 
dieses  Zutrauen  muss,  weil  das  Niedere  als  solches  das  Höhere  nicht 
vollständig  in  sich  nachzubilden  und  daher  nicht  in  der  Form  der 
wissenschaftlichen  Reflexion  zu  prüfen  vermag,  die  Form  des  Tactee 
an  sich  tragen.  In  dem  Maasse  aber,  wie  unser  eigenes  Sein  durch 
fortschreitende  intellectuelle  und  moralische  Entwickelung  ein  höheres 
wird,  kann  auch  das  Höhere  ausser  un9  mehr  und  mehr  in  adäquater 
Weise  von  uns  erkannt  oder  der  Glaube  in  ein  Wissen  oder  >  Schauen c 
verwandelt  werden.  Es  folgt  hieraus,  dass  innerhalb  gewisser  Grenzen 
je  nach  den  verschiedenen  Entwickelungsstufen  der  nämliche  Erkennt- 
nissinhalt, welcher  für  den  Einen  nur  Gegenstand  des  Glaubens  ist,  für 
den  Anderen  Object  des  Wissens  werden  kann ;  so  oft  aber  ein  gewisses 
Gebiet  dem  Wissen  angeeignet  ist,  öffnet  sich  stets  ein  neues  und  höheres 
Glaubensgebiet.  —  Was  das  subjective  Kriterium  oder  die  Unterscheidung 
zwischen  näherer  und  entfernterer  Analogie  betrifft,  so  unterliegt  das 
ungebildete  Bewusstsein  gleichzeitig  nach  beiden  Seiten  hin  dem  Fehler, 
das  Niedere  zu  nahe  an  das  Eigene  zu  erheben  und  das  Höhere  zu 
nahe  an  dasselbe  herabzuziehen.  Denn  da  unser  eigenes  Sein  für  uns 
das  einzige  unmittelbar  gegebene  ist,  so  tritt  zunächst  nothwendig  eine 
vervielfachte  Setzung  eines  eben  solchen  Seins  ein,  bis  die  Erscheinun- 
gen diese  nächste  Hypothese  widerlegen.  »Der  Mensch  leiht  den  Bezug 
seines  eigenen  Wesens  der  Natur  und  wirft  die  Vorstellung  mensch- 
licher Verhältnisse  in  die  Welt  der  Dinge«  (Trendelenburg).    Die 


*)  Der  Tact  ist  das  Vermögen,  durch  unreflectirte  Combination 
mannigfacher  Elemente  ohne  klares  Bewusstsein  von  den  einzelnen 
Gliedern  ein  bestimmtes  Resultat  zu  gewinnen.  Die  Prüfung  oder  Ana- 
lyse erhebt  die  einzelnen  Glieder  zum  Bewusstsein  und  unterscheidet 
<Qe  wahren  und  falschen  Elemente.  Vgl.  Beneke,  Lehrbuch  der 
Psychol.  §  158;  psychol  Skizzen  U,  S.  275  ff.,  System  der  Logik  I,  S.  268  f., 
Lazarus,  das  Leben  der  Seele,  Bd.  II,  Berlin  1867,  S.  286:  »wenn  auch 
die  kaum  iu's  Bewusstsein  gekommenen  Vorstellungen  so  auf  das  Urtheil 
und  den  Entschluss  des  Menschen  wirken,  wie  die  klaren  und  bewussten 
Vorstellungen,  dann  hat  er  Tact.«  Germar  hebt  besonders  hervor, 
dass  die  Tacturtheile  keineswegs  nothwendig  richtig  sein  müssen,  sondern 
der  Prüfung  durch  die  zergliedernde  Reflexion  bedürfen. 


110  §  42.  Die  ErkenntnisB  der  Stufenreihe  der  Weeen. 

Beföhigung  sowohl  zu  der  yoUen  Idealisirung,  als  zu  der  rechten 
Weise  der  Spaltung  und  Depotenzirung  unseres  eigenen  Seins  wird  nur 
sehr  allmfihlich  und  unter  manchen,  selbst  von  den  Wissenschaften 
noch  heute  keineswegs  yollstöndig  überwundenen  Schwankungen  ge- 
wonnen. Der  Anthropomorphisnius  lässt  das  Naturvolk  so  wenig 
nach  oben  hin  zum  reinen  Ideal,  wie  nach  unten  hin  zu  den  abstracten 
Kategorien  der  wissenschaftlichen  Physik  gelangen.  Derselbe  äussert 
sich  in  unzähligen  Aussprüchen  der  Dichter  und  der  älteren  Philo- 
sophen. Ans  dieser  Anschauungsweise  ist  z.  B.  jener  bekannte  astro- 
nomische Satz  des  Heraklit  geflossen:  >Die  Sonne  wird  ihr  Maass 
nicht  überschreiten,  denn  wollte  sie  es,  so  würden  die  Erinnyen,  die 
Dienerinnen  der  Dike  sie  finden  c  —  der  antike  Ersatz  der  modernen 
Gravitationstheorie.  Timoleon  errichtet  einen  Altar  der  Automatia,  der 
personificirten  Macht  des  seinem  Begriffe  nach  den  geraden  Gegensatz 
zur  selbetbewussten  Persönlichkeit  bildenden  Zufalls.  Den  Gnostikem 
erscheint  die  Erhabenheit  des  Christenthums  über  das  Judenthum  als 
Erhabenheit  des  Ghristengottes  über  den  Judengott;  Clemens  von 
Alexandrien  lässt  die  griechische  Philosophie  vermittelst  der  niederen 
Engel  von  Gott  den  Menschen  gegeben  sein.  Noch  bis  auf  die  Gegen- 
wart wirkt  dieser  Anthropomorphismus  nach,  nicht  nur  in  den  tausend- 
fachen Formen  des  Yolksaberglaubens  bis  zu  dem  Wahn  der  Tisch- 
dämonen herab,  sondern  auch  auf  eine  minder  augenfällige,  aber  um 
sd  nachtheiligere  Weise  als  Hemmniss  der  Entwicklung  der  Wissen- 
schaften in  einer  Reihe  »symbolisirender  Mythen,  welche  unter  alten 
Firmen  als  ernste  Theorien  auftreten«  (AI.  v.  Humboldt,  Kosmos, 
Bd.  II,  8.899;  vgl.  Bd.I,  S.  66  f.),  so  in  der  Hypostasirung  und  Quaai- 
Personifidrung  der  Seelenvermögen,  der  animalischen  und  vegetativen 
Lebenskraft,  der  Ideen  und  Kategorien  etc.  Auf  der  Befangenheit  in 
dieser  Ansohanungsform  beruht  nicht  nur  die  antike  und  noch  Aristo- 
telisoh-soholastische  Personificirung  der  Gestirne  oder  ihrer  bewegenden 
Principien  zu  Göttern  oder  Engeln,  sondern  auch  noch  Keplers  pytha- 
goreisirende  Theorie  von  der  himmlischen  Harmonie,  die  ihm  den  Weg 
zu  Newton' s  grossen  Entdeckungen  verschloss,  indem  sie  ihn  nicht  die 
wirklichen  Kräfte  erkennen  Hess*).  In  seiner  Weise  drückt  der  fran- 
zösische Philosoph  Aug.  Comte  in  seiner  »Philosophie  positive«  dieses 
Yerhältniss  der  vollen  Personification,  der  blossen  Hypostasirung  und 
der  adäquaten  Auffassung  durch  die  Unterscheidung  der  Theologie,  Me- 
taphysik und  positiven  Wissenschaft  aus,  indem  er  sofort  ganze  Doctrinen 
an  jene   logischen  Fehler  kettet,   die   in  der  Erklärung  des*  Blitzes 


*)  Vgl.  G.  C.  Hense,  poet.  Personification  in  griech.  Diditungen 
mit  Berücksichtigung  latein.  Dichter  und  Shakespeare's,  I.,  Halle  1868. 
In  Gust.  Wolff^s  Ausgabe  u.  Erläuterung  der  Schrift  des  Porphyrius  de 
philosophia  ex  oraculis  haurienda  enthält  besonders  der  Abschnitt  de 
statuarum  consecratione  (S.  206  ff.),   der  die  Behandlung  der  Statuen 

gleich   lebenden  Wesen  nachweist,    viele  Anffaben,   die   als   schätzbare 
ielege  zu  den  oben  aufgestellten  Sätzen  aus  der  Erkenntnisslehre  gelten 
können. 


§  42.   Die  Erkenntniss  der  Stafenreihe  der  Wesen.  111 

dorch  den  zürnenden  Zeus  und  des  Feuers  durch  den  Brennstoff  (Phlo- 
giston)  zu  Tage  treten.  Auf  der  anderen  Seite  hat  nicht  selten  die 
Polemik  des  wissenschaftlichen  Sinnes  gegen  jene  Kindlichkeiten  die 
Grenze  verkannt,  jenseit  welcher  sie,  indem  sie  die  factisch  vorhandene 
Analogie  verneint,  in  Unwissenschaftlichkeit  umschlägt  und  einen  falschen 
Dualismus  begünstigt.  In  diesen  Fehler  verfiel  schon  die  Anaxagoreische 
Physik,  und  weit  mehr  noch  die  Cartesianische  Naturphilosophie,  die, 
in  der  Natur  nur  Druck  und  Stoss  suchend,  der  Schwerkraft,  den  vege- 
tativen und  den  animalischen  Kräften  die  Anerkennung  weigerte.  Eben 
diese  Verirrung  des  wissenschaftlichen  Strebens  war  es,  die  Spinoza 
and  viele  Andere  zur  Bekämpfung  aller  Teleologie,  der  wahren  zugleich 
mit  der  falschen  verleitete. 

Die  volle  Entscheidung  über  alle  diese  Fragen  wird  nur  durch 
Hinzunahme  von  Betrachtungen  möglich,  die  den  positiven  Wissen- 
schaften angehören;  soweit  aber  die  Entscheidungsgründe  in  dem  Wesen 
der  menschlichen  Erkenntnisskraft  im  Allgemeinen  liegen,  ist  es  Sache 
der  Logik  als  Erkenntnisslehre,  dieselben  zu  erörtern.  Eine  Logik, 
welche  jene  Probleme  unbeachtet  lässt,  bleibt  in  sehr  wesentlichen 
Beziehungen  hinter  ihrer  Aufgabe  zurück. 

Dass  das  Gleiche  und  Aehnliche  in  den  Dingen  durch  das  Gleiche 
and  Aehnliche  in  uns  erkannt  werde,  ist  die  übereinstimmende  Lehre 
der  älteren  orientalischen  und  fast  aller  griechischen  Philo- 
sophen mit  Ausnahme  des  Anaxagoras.  YgL  Arist.  de  anima  I,  2, 
404.  b.  17.  ytyvdaxia^ai  yiiQ  t^  oftoCi^  %b  o^otov.  In  neuerer  Zeit  kehrt 
dieselbe  Ansicht  wieder  in  der  Leibnizischen  Monadologie,  in  der 
Kantischen  Ansicht  vom  Naturzweck  als  dem  Analogon  des  Sitten- 
gesetzes,  in  der  Herbart'schen  Theorie,  welche  alles  'wirkliche  Ge- 
schehene oder  allen  Wechsel  der  inneren  Zustande  der  einfachen  realen 
Wesen  auf  die  Analogie  der  Vorstellungen  oder  »Selbsterhaltungen« 
und  der  Vorstellungsverhältnisse  der  menschlichen  Seele  zurückführt, 
in  der  Schelling'schen  Naturphilosophie  und  in  der  Hegel'schen 
Lehre  von  der  Identität  des  Denkens  und  Seins.  Schleiermacher 
lehrt  die  Kräfte  der  Naturwesen  als  niedere  Analoga  des  menschlichen 
Willens  und  demgemäss  die  ganze  Natur  als  eine  verminderte  Ethik 
ansehen  (Dial.  S.  160).  Der  Mensch  ist  Mikrokosmus,  indem  er  alle 
Stufen  des  Lebens  in  sich  hat  und  hieran  seine  Vorstellungen  vom 
äusseren  Sein  anbildet  (Dial.  S.  109).  Auf  eine  Ideutificirung  der  Be- 
griffe Kraft  und  Wille  gründet  Schopenhauer  seinen Panthelema- 
tismns,  doch  mit  zu  geringer  Beachtung  des  wesentlichen  Unterschiedes 
zwischen  dem  blinden  Trieb  und  dem  auf  bewusste  Zwecke  gerichteten 
Willen.  Dass  die  Analogie  zwischen  den  Kategorien,  nach  denen  die 
Natur  und  nach  denen  der  menschliche  Geist  sich  entwickelt,  nicht  als 
Identität  zu  deuten  sei,  sondern  eine  wesentliche  Verschiedenheit  und 
Gegensätzlichkeit  in  sich  einschliesse,  hebt  der  Günther 'sehe  Dualis- 
mus hervor,  der  den  Gegensatz  mit  Vorliebe  betont.  Am  vollständig- 
sten und  genauesten  erörtert  Beneke  (System  der  Metaph.  und 
KpligionsphiL,  besonders  S.  102—6;    140—43;   495—611)  die  hier  be- 


112  §  48.  üeber  die  Realität  der  Materie. 

rührten  erkenntnisstheoretischen  Probleme.  Vgl.  Trendelenburg, 
log.  Untersachangen  II,  S.  355 ;  2.  A.  S.  460;  8.  A.  418  ff.,  histor. 
Beiträge  zur  Philosophie  II,  S.  128—24. 

§  43.  Indem  die  Uebertragung  der  Analoga  unserer 
eigenen  psychischen  Gebilde,  dnrch  welche  wir  das  psychische 
Leben  theils  anderer  Menschen,  theils  auch  der  Thiere  mit 
approximativer  Wahrheit  erkennen,  bei  anderen  Erscheinungen 
nicht  zuzutreffen  scheint,  die  doch  um  des  Bewusstseins  willen, 
dass  sie  nicht  bloss  in  unserer  eigenen  psychischen  Gausalität 
begrtlndet  sind,  nicht  für  bloss  subjectiv  gehalten  werden 
können,  so  führen  diese  Erscheinungen  auf  die  Annahme  eines 
an  sich  in  todterRuhe  yerharrenden  und  nur  durch  äusseren 
Anstoss  veränderlichen  Stoffes  oder  der  Materie.  Der  so 
gefasste  Begriff  der  Materie  aber  würde  nicht  dem  wirklichen 
Sein  derselben  entsprechen.  Jede  objectiv  begründete  Er- 
scheinung ist  vielmehr,  wie  dies  die  wissenschaftliche  Er- 
forschung der  Naturgesetze  durchgängig  erweist,  auf  irgend 
welche  wirkende  Kräfte  als  ihren  realen  Grund  zurückzu- 
führen. In  aller  Materie,  und,  falls  es  Atome  giebt,  in  jedem 
Atome  müssen  innere  Zustände  oder  Qualitäten  liegen, 
die,  wenn  sie  bei  unmittelbarer  Berührung  oder  auch  bei 
partieller  oder  totaler  Durchdringung  der  Stoffe  zu  einander 
in  Beziehung  treten,  durch  ihren  Gegensatz  in  Bezug  auf  ein- 
ander zu  Kräften  werden. 

Die  Begriffe  Materie  und  Kraft  bezeichnen  die  zweifache  Auf- 
fassung einer  untrennbaren  Einheit,  einestheils  durch  die  Sinneswahr- 
nehmung, anderentheils  nach  der  Analogie  der  inneren  Wahrnehmung 
von  unserer  eigenen  Willenskraft.  Mit  Hecht  sagt  Helmholtz  (Er- 
haltung der  Kraft,  Berlin  1847,  S.  4  f.):  »Materie  und  Kraft  sind  Ab- 
stractionen  von  dem  Wirklichen;  die  Wissenschaft  bezeichnet  die  Ge- 
genstände der  Aussenwelt  ihrem  blossen  Dasein  nach,  abgesehen  von 
ihren  Wirkungen  auf  andere  Gegenstände  oder  auf  unsere  Sinnesorgane, 
als  Materie«  (Substanz);  »als  wirkenden  aber  theilen  wir  denselben 
Kräfte  zu«.  —  Was  Herbart  von  den  Qualitäten  seiner  fingirten  punc- 
tuellen  Wesen  lehrt,  gilt  in  der  That  von  den  Qualitäten  der  ausge- 
dehnten Stoffe:  sie  wirken  bei  der  Berührung  als  Kräfte. 

§  44.  Das  Zusammenbestehen  und  Zusammenwirken 
verschiedener  Kräfte  setzt  irgend  ein  reales  Neben-  und  Nach- 
einander oder  eine  reale  Räumlichkeit  und  Zeitlich- 
keit voraus.    Dass   diese   aber   nicht  von   anderer  Art  sein 


§  44.  üeber  die  Realität  von  Baum  und  Zeit.  113 

kann,  als  der  Ranm  und  die  Zeit  der  sinnlichen  Wahrneh- 
mung, ergiebt  sich  besonders  daraus,  dass  unter  der  Voraus- 
setzung und  nur  unter  der  Voraussetzung,  dass  ein  solcher 
Saum  von  drei  Dimensionen,  wie  die  Mathematik  ihn  kennt, 
auch  ausserhalb  unseres  Geistes  in  Wirklichkeit  existire,  die 
physikalisch  -  physiologischen  Thatsachen,  die  yermöge  der 
Affection  unserer  Sinnesorgane  statthaben,  ihre  zureichende 
naturgesetzliche  Erklärung  finden.  Demnach  spiegelt 
sich  in  der  räumlich-zeitlichen  Ordnung  der  äusse- 
ren Wahrnehmung  die  eigene  räumlich-zeitliche 
Ordnung  und  in  der  inneren  Wahrnehmung  die 
eigene  zeitliche  Ordnung  der  realen  Objecte  ab. 
Die  sinnlichen  Q.ualitäten  aber,  die  Farben  und 
Töne  etc.,  sind  zwar  als  solche  nur  subjectiy  und 
nicht  Abbilder  von  Bewegungen,  stehen  aber  zu 
bestimmten  Bewegungen  als  deren  Symbole  in  einem 
gesetzmässigen  Zusammenhange  (vgl.  oben  §  38). 

Aus  der  Wahrheit  der  inneren  Wahrnehmung  (§  40)  folgt,  dass 
mindestens  die  Zeitfolge  nicht  bloss  eine  subjeotive  Erscheinung,  son- 
dern eine  Realität  ist*).  Nun  aber  lässt  sich,  auch  wenn  nicht  unmit- 
telbar auf  Grund  der  inneren  Wahrnehmung  den  psychischen  Gebilden 
die  Räumlichkeit  zugestanden  wird,  mittelbar  aus  der  Realität  der  Zeit 
auch  die  Realität  der  räumlichen  Ausdehnung  in  drei  Dimensionen 
folgern,  die  danach  auch  den  Dingen  an  sich  selbst  und  nicht  bloss 
unserer  Auffassung  der  Dinge  wird  zugeschrieben  werden  müssen.  Die 
uns  empirisch  gegebene  Zeitordnung,  der  Wechsel  von  Tag  und  Nacht, 
der  Wechsel  der  Jahreszeiten  etc.,  ist  an  mathematisch-physikalische 
Gesetze  gebunden,  welche,  den  Principien  der  Mechanik  gemäss,  nur 
unter  der  Voraussetzung  eines  Raumes,  der  mit  dem  Räume  der  sinn- 
lichen Wahrnehmung  in  allen  wesentlichen  Beziehungen  übereinkommt, 
bestehen  können.    Wir  werden  zu  bestimmten  Zeiten  von  bestimmten 


*)  D.  h.  dass  nicht  bloss  unsere  Auffassung  der  psychischen  Yor- 
gjunge  in  der  Form  der  Zeit  geschehe,  sondern  auch  die  psychischen 
Vorgänge  selbst  in  uns  zeitlich  verlaufen,  und  demgemäss  ebenso  auch 
in  anderen  beseelten  Wesen,  wonach  weiterhin  die  Realität  des  zeit- 
lichen Verlaufs  überhaupt  auf  Grund  der  oben  erörterten,  nirgendwo 
abreissenden  Analogie  anzunehmen  ist.  Eine  üebertragung  einer  bloss 
in  uns  psychisch-realen  »Anschauungsform«  der  Zeit  auf  die  äussere 
Realität  würde  unberechtigt  sein;  denn  eine  subjective  Anschauungs- 
form  könnte  zu  einer  »uns  ganz  unfassbaren  Ordnung  der  Dinge«  in 
Beziehung  stehen;  ist  aber  die  Zeitfolge  in  uns  eine  psychische  Rea- 
lität, so  geschieht  der  Scbluss  von  uns  auf  andere  Wesen  mit  logischem 
Recht. 

8 


1 14  §  44.  Üeber  die  Realität  von  Raum  und  Zeit. 

Dingen  affioirt,  die  an  sich  ausserhalb  unseres  Bewusstseins  existiren. 
Die  Ordnung  der  durch  diese  Affectionen  bedingten  Erscheinungen  be- 
ruht aber  auf  einem  Causalnexus,  welcher  nicht  ein  bloss  dem  Subject 
immanenter  sein  kann,  sondern  auch  die  das  Subject  affioirenden  Dinge 
an  sich  betrifft.  Die  auf  diesen  Causalnexus  bezüglichen  Gesetze  sind 
mit  Nothwendigkeit  an  einen  Raum  von  drei  Dimensionen  geknüpft. 
So  setzt  insbesondere  das  Newtonsche  Gesetz,  wonach  die  Intensität  der 
Schwerkraft  bei  constanten  Massen  im  umgekehrten  Yerlulltniss  zu  den 
Quadraten  der  Entfernungen  steht,  einen  realen  Raum  von  drei  Dimen- 
sionen mit  Nothwendigkeit  voraus,  da  bei  einem  Räume  von  nur  zwei 
Dimensionen  jene  Intensität  zu  den  Entfernungen  selbst,  bei  drei  Di- 
mensionen zu  den  Quadraten  der  Entfernungen  und  bei  jeder  andern 
Voraussetzung  zu  einer  andern  Function  der  Entfernungen  im  um- 
gekehrten Verhältniss  stehen  muss;  denn  indem  sich  die  Wirkung  bei 
der  Voraussetzung  zweier  Dimensionen  in  jeder  bestimmten  Entfernung 
auf  die  Peripherie  des  Kreises  vertheilt,  dessen  Radius  jene  Ent- 
fernung ist,  bei  drei  Dimensionen  aber  auf  die  entsprechenden  Kugel- 
oberflächen, und  so  bei  jeder  andern  Voraussetzung  anders,  und  da  die 
Peripherien  sich  zu  einander,  wie  die  Radien,  die  Kugelflächen  aber, 
wie  die  Quadrate  der  Radien  verhalten,  so  wird  jeden  einzelnen  Punkt 
jedesmal  ein  hierzu  im  umgekehrten  Verhältniss  stehender  Theil  der 
Gesammtwirkung  treffen.  Bei  allen  physikalischen  Erscheinungen  decken, 
sobald  deren  Reduction  auf  räumliche  Bewegungen  gelungen  ist,  die 
Ursachen  und  Wirkungen  einander  durchaus,  so  dass  eine  klare  wissen- 
schaftliche Einsicht  in  den  realen  Zusammenhang  gewonnen  werden 
kann.  Mithin  ist  der  Grundgedanke  dieses  Abschnittes  gerechtf^i^igt, 
der  die  Räumlichkeit  und  Zeitlichkeit  des  Wahmehmungsbildes  der 
eigenen  Räumlichkeit  und  Zeitlichkeit  der  objectiven  Realität  oorre- 
spondiren  lässt*). 


*)  Bei  der  vorstehenden  Argumentation  wird  nicht  etwa  ein  »in 
drei  Dimensionen  realiter  ausgedehntes  Gehirne  schon  vorausgesetzt; 
als  Ausgangspunkt  dient  nur  das  in  den  vorigen  Paragraphen  bereits 
Dargethane,  dass  es  eine  Mehrheit  realer  Wesen  gebe,  dass  also  auch 
ausserhalb  des  Bewusstseins  des  Einen  Wesens  Vieles  existire,  und  zwar 
solches,  das  in  irgend  welchen  wechselnden  Beziehungen  untereinander 
und  zu  dem  percipirenden  Wesen  stehe.  Der  mathematisch  erkennbare 
Zusammenhang  zwischen  den  Erscheinungen  in  dem  Bewusstsein  des 
percipirenden  Wesens  (z.  B.  zwischen  den  astronomischen  Vorgängen, 
wie  dieselben  am  Himmelsgewölbe  statt  haben)  ist  nicht  ausschliesslich 
durch  dessen  subjective  Perceptionsweise  bedingt,  sondern  auch  durch 
die  (keineswegs  chaotische,  keineswegs  einen  bis  in's  Einzelne  hin  durch 
das  Subject  allein  a  priori  zu  ordnenden  Stoff  liefernde)  Art,  wie  es 
von  den  ausserhalb  seines  Bewusstseins  liegenden  Dingen  afflcirt  wird. 
Wären  nun  diese  letzteren  anderen  Gesetzen  unterworfen,  als  solchen, 
die  aus  der  Natur  des  dem  percipirenden  Wesen  geometrisch  erkenn- 
baren Raumes  sich  verstehen  lassen,  so  würde  dieses  Wesen  zwar  eine 
in  sich  harmonische  reine  Geometrie  gewinnen  können,  aber  keine 
in  sich  harmonisch  angewandte  Geometrie,  keine  auf  die  durch 
Sinnesaffectionen  bedingten  Erscheinungen  passende  geometrisch- physi- 


§  44.  Üeber  die  Bealität  von  Raum  und  Zeit.  115 

Das  YerMltnisB  der  sinnlichen  Qualitäten  (Töne,  Farben  etc., 
welche  Locke  secundäre  Qualitäten  der  Dinge  genannt  hat)  zu  den 
Vibrationen  gleicht  dem  der  Laute  zu  den  Buchstaben:  feste  (und 
zwar  dort  natumothwendige,  hier  willkürliche)  Beziehung  und  Gleich- 
heit der  Combinationen,  ohne  Aehnlichkeit  der  Elemente.  Die  Sinnen- 
Qualitäten  stehen  hiemach  zu  der  objectiven  Realität  in  einer  weniger 
strengen  Beziehung,  als  die  Perception  der  Räumlichkeit  und  Zeit- 
lichkeit. 

Das  skeptische  Bedenken  (s.  o.  §  87),  welches  die  Erkenntniss  der 
Anssenwelt  darum,  weil  eine  Vergleichung  derselben  mit  ihrem  Objecto 
unmöglich  sei,  für  unmöglich  oder  doch  für  ungesichevt  ausgab,  er- 
ledigt sich  nunmehr  dahin,  dass  die  Erwägung  der  Oausalverhältnisse  für 
die  fehlende  unmittelbare  Yergleichung  den  zureichenden  Ersatz  bietet 


kaiische  Erklärung.  Zwar  würde  sich  vermöge  der  Projection  des 
Aeussem  in  das  Innere  irgend  eine  von  dem  percipirenden  Subject  für 
objecÜY  gehaltene  Ordnung  herausstellen,  auf  Grund  deren  sich  gewisse, 
oft  durch  die  Erfahrung  Bestätigung  findende  Erwartungen  bilden  Hessen; 
aber  diese  durch  eine  der  Anschauungsform  des  Subjectes  fremdartige 
Gesetzmässigkeit  mitbedingte  Ordnung  würde  nicht  aus  der  eigenen 
Natur  eben  dieser  Anschauungsform  in  dem  Maasse  verständlich  sein, 
wie  uns  die  Abnahme  der  Schwere  im  umgekehrten  Verhältniss  der 
Quadrate  der  Entfernungen  aus  den  drei  Dimensionen  des  Raumes 
verständlich  ist.  So  würde  z.  B.  bei  einer  Projection  aus  einem 
objectiv-realen  Baume,  der  m  +.  a  Dimensionen  habe,  in  einen  dem 
Subject  als  Anschauungsform  dienenden  Raum  von  m  Dimensionen 
jede  diesem  Subjecte  verständliche  Beziehung  der  Intensität  der  Schwere 
SU  den  Entfernungen  schwinden,  und  das  an  diese  Form  gebundene 
Subject  würde,  indem  es  dieselbe  für  objeotiv  nähme,  die  von  ihm  an- 

Seachauten  Naturerfolge  nicht  nach  Gesetzen,  die  ihm  begreiflich  aus 
er  Natur  des  Raumes,  den  es  selbst  kennt,  ableitbar  wären,  construiren 
können.  Bei  der  Voraussetzung,  dass  in  einem  Räume  von  drei 
Bimensionen,  wie  wir  ihn  kennen,  auch  die  Dinge  an  sich  seien,  finden 
die  physikalischen  Erscheinungen  durchgängig  die  zutreffendste  Erklä- 
rung; ob  aber  irgend  eine  andere  Voraussetzung  sich  gleichfalls  mit 
denThatsachen  in  Einklang  bringen  lasse,  ist  mindestens  sehr  zweifel- 
haft. Wir  haben  demnach  allen  Grund,  anzunehmen,  dass  unsere  Vor- 
cteUung  von  räumlich  in  drei  Dimensionen  ausgedehnten  Substanzen 
nicht  etwa  Dinge,  die  an  sich  in  ganz  anderer  Art  existiren,  symbolisire, 
sondern  wirklich  in  drei  Dimensionen  vorhandene  Dinge  r&präsentire. 
Unsere  Vorstellung  von  räumlichen  Dingen  und  ihren  Bewegungen  ist 
hiemach  das  Resultat  einer  solchen  »Organisation  unserer  Empfin- 
duDffsanlagenc,  welche  die  Harmonie,  nicht  die  Discrepanz  zwischen  dem 
Ansich  und  der  Erscheinung  in  mathematisch-physikalischem  Betracht 
oder  hinsichtlich  der  (von  Locke  so  genannten)  »primären  Qualitäten c 
ergiebt.  Locke's  Unterscheidung  zwischen  den  von  ihm  sogenannten 
»primären  c  und  »secundären  Qaalitätenc  erweist  sich  auf  Grund  dieser 
Betraohtungen  als  sachlich  richtig,  obschon  seine  Terminologie  zu  tadeln 
ist  (s.  hierüber  m.  Grundr.  der  Gtesch.  d.  Philo s.  III,  §  10). 

Aus  der  Unmöglichkeit,  dass  sich  Bewegung  in  Bewusstsein  »um- 
setzet, folgt  die  Nothwendigkeit,  ein  latentes  Bewusstsein  anzunehmen, 
welches  durch  bestimmte  Bewegungen  angeregt,  durch  Gombination  und 
Oonoentration  verstärkt,  aus  der  Latenz  hervortreten  könne. 


i 


116  §  44.  üeber  die  Realität  von  Raum  und  Zeit. 

(gleich  wie  die  mathematische  Berechnung  einer  Entfernung  für  die 
directe  Messung).  —  Der  Beweis  des  Des  Cartes  aus  der  veradtS  de 
Dieu  und  die  Argumentation  Delboeufs  (Log.  S.  78 — 76)  aus  der  Vera- 
cität  des  Gedankens  sind  Expositionen  unseres  Glaubens,  nicht  strenge 
Beweise. 

Bereits  oben  §  86  hatte  sich  der  Kantische  Dualismus,  der  die 
Quelle  des  stofiTlichen  Gehaltes  der  Wahrnehmung  ausschliesslich  in  den 
uns  afficirenden  »Dingen  an  sich«,  die  Quelle  ihrer  räumlich-zeitlichen 
Form  ausschliesslich  in  dem  Subjecte  sucht,  als  unhaltbar  erwiesen.  Aber 
es  blieb  noch  die  Fichte'sche  Annahme  möglich,  dass  Materie  und 
Form  beide  yon  rein  subjectivem  Ursprünge  seien,  femer  die  v  er  mit- 
telnde  Annahme  (die  in  jüngster  Zeit  Vertreter  gefunden  hat),  dass 
zwar  in  den  Dingen  an  sich  ein  Element  vorhanden  sei,  welches,  in- 
dem es  uns  afficire,  die  räumlichen  und  zeitlichen  Formen  in  uns  ent- 
stehen lasse,  dass  aber  dieses  Element  selbst  einen  von  diesen  Formen 
wesentlich  verschiedenen  Charakter  habe.  Nur  vermittelst  der  Reflexion 
auf  die  innere  Wahrnehmung  und  ihr  Zusammenwirken  mit  der  äusseren 
kann  die  Möglichkeit  solcher  Annahmen  wissenschaftlich  auf- 
gehoben und  die  reale  Wahrheit  der  räumlichen  und  zeitlichen  Formen 
dargethan  werden.  Man  wähne  nicht,  sich  der  Nothwendigkeit  dieser 
wissenschaftlichen  Untersuchung  durch  ein  blosses  Axiom  überheben 
zu  können,  worin  man  die  Uebereinstimmung  unserer  Anschauungs- 
formen  mit  den  Existenzformen  als  etwas  unmittelbar  Gewisses  oder  als 
eine  Vemunftordnung  oder  ab  Denknothwendigkeit  oder  als  etwas 
im  Begriffe  der  Erkenntniss  Liegendes  (da  doch  die  Gültigkeit  dieses 
so  gefassten  Begriffes  erst  zu  erweisen  wäre)  bezeichnet.  Solchen 
dogmatischen  Axiomen,  die  leicht  zu  bequemen  Ruhekissen  dienen, 
werden  immer  wieder  die  skeptischen  Bedenken  und  kritischen  Lehren 
mit  ganz  gleichem  Recht  oder  Unrecht  gegenübertreten,  wie  sie  z.  6. 
in  der  neueren  Zeit  Schopenhauer  im  Anschluss  an  Kant  vertritt 
(über  die  vierfache  Wurzel  des  Satzes  vom  zureichenden  Grunde,  2.  Aufl., 
§  21,  S.  51,  8.  Aufl.,  S.  52,  sämmtL  Werke,  Bd.  1,  S.52,  1878):  »Man 
muss  von  allen  Göttern  verlassen  sein,  um  zu  wähnen,  dass  die  anschau- 
liche Welt  da  draussen,  wie  sie  den  Raum  in  seinen  drei  Dimensionen 
füllt,  ....  ganz  objectiv-roal  und  ohne  unser  Zuthun  vorhanden  wäre.c 
In  Bezug  auf  Farbe,  Ton  etc.  ist  dieser  Schopenhauer'sche  Satz  wahr, 
in  Bezug '  auf  die  räumliche  Ausdehnung  in  drei  Dimensionen  aber 
falsch.  Sind  wir  für  unsere  Behauptung  nicht  von  Argumenten  verlassen, 
dann  (freilich  auch  nur  dann)  darf  uns  das  Yerlassensein  von  den  Scho- 
penhauer'schen  »Gtöttemc  wenig  bekümmern.  Auch  Behauptungen  von 
Naturforschem,  welche  an  Kant  anknüpfen,  wie  die  des  verdienten  G. 
Rokitansky  (die  derselbe  z.  B.  in  seiner  Festrede  zur  Eröffnung 
des  pathologisch-anatomischen  und  chemischen  Instituts  zu  Wien  1862, 
S.  18  ausspricht),  dass  die  Naturforsohung  es  immer  und  überall 
nur  mit  Erscheinungen  zu  thun  habe,  finden  durch  das  Vorstehende 
ihre  Berichtigung.  Sofern  es  sich  um  die  Resultate  der  Affectionen 
der  Sinne  handelt,  ist   diese  Behauptung  wahr,    sofern  aber  um  die 


§  44.  Ueber  die  Realität  von  Baum  und  Zeit.  117 

Ursachen  derselben,  ist  sie  falsch;  diese  Ursachen  oder  die  »Dinge 
an  siehe  oder  das  »den  Erscheinungen  zu  Grrunde  liegende  Metaphysische c 
sind  selbst  raumlich-zeitliche  Objecte.  Die  Thesis:  die  Erscheinungs- 
welt richtet  sich  nach  den  Dingen  an  sich,  und  die  Antithesis :  dieEr- 
scheinung^swelt  richtet  sich  nach  den  Sinnesorganen,  sind  beide  gleich 
einseitig  und  halbwahr;  sie  ist  das  gemeinsame  Resultat  beider  Facto- 
ren,  deren  Beitrag  ermittelt  werden  kann  und  muss.  Nur  die  Qualitä- 
ten (Ton,  Farbe,  Wärme  etc.)  sind  als  solche  rein  subjectiy,  jedoch 
Symbole  von  Bewegungen ;  Raum  und  Zeit  aber  sind  subjectiy  und  ob- 
jectiv  zugleich. 

Schlei  er  mao  her  lehrt  mit  Recht  (Dial.  S.  886):  »Raum  und 
Zeit  sind  die  Art  und  Weise  zu  sein  der  Dinge  selbst,  nicht  nur  un- 
serer Vorstellungen«  ;  (S.  886):  »Der  Raum  ist  das  Aussereinander  des 
Seins,  die  Zeit  ist  das  Aussereinander  desThuns.«  Aber  Schleiermaoher 
halt  dafür  (Dial.  §§  108 ;  118;  186),  das  Erfülltsein  der  Sinne  sei  durch 
die  Sinne  für  sich  allein  nur  ein  chaotisches  Mannigfaltigfes  von  Ein- 
drucken ;  die  »organische  Function«  sei  als  solche  nur  auf  die  »chaotische 
Materie«  oder  die  unbestimmte  unendliche  Mannigffaltigkeit  des  Raum- 
undZeit-Erfüllenden  gerichtet.  Schleiermacher  unterscheidet  (Dial.  §116) 
die  Wahrnehmung  von  der  organischen  Function,  indem  er 
jene  als  die  Einheit  der  organischen  und  der  intellectuellen  Function 
mit  dem  Uebergewicht  der  organischen  definirt,  während  im  eigent- 
lichen Denken  die  intellectuelle  Function  vorwiege  und  in  der  An- 
schauung beide  Functionen  im  Gleichgewichte  stehen.  Da  Schleier- 
macher sich  nicht  darüber  erklärt  hat,  welches  das  intellectuelle 
Element  sei,  das  der  Wahrnehmung  innewohne,  so  könnten  wir,  indem 
wir  als  solches  die  räumlich-zeitliche  Ordnung  bezeichneten,  unsere 
Theorie  inUebereinstimmungmitder  Sohleiermacher'schen  setzen  und  als 
Ergänzung  und  nähere  Bestimmung  derselben  betrachten.  Allein  wir 
geben  nicht  zu,  dass  auch  nur  die  Thätigkeit  der  Sinne  oder  die 
»organische  Function«  als  solche  jeder  Ordnung  ermangele.  Allerdings 
erfassen  die  Sinne  alle  diejenigen  Existenzformen,  auf  deren  Sonderung 
die  verschiedenen  Denk  formen  beruhen  (z.  B.  das  Wesentliche  und 
Unwesentliche,  auf  dessen  Sonderung  die  Begriffsbildung  beruht,  die 
Substantialität  und  Inhärenz,  welche  dem  Subject  und  Prädicat  des 
Urtheils  zum  Grunde  liegen  etc.)  nur  erst  in  ungeschiedener  Einheit 
und  gleichsam  »chaotischer«  Vermischung;  aber  sie  fassen  nicht  chao- 
tisch, sondern  in  bestimmter  Sonderung  diejenigen  Formen  auf,  welche 
ihr  eigenthümliches  Object  bilden,  nämlich  die  räumlichen  und 
zeitlichen  Verhältnisse  oder  die  äussere  Ordnung  der  Dinge,  in  welcher 
die  innere  sich  ausprägt.  Die  physiologische  Betrachtung  des  Ge- 
sichts- und  Gefühlssinnes  zeigt,  dass  die  Fähigkeit,  bestimmte  Gestalten 
aufzufassen,  in  ihrer  Organisation  begründet  ist.  Zwar  sieht  das  Auge 
nicht  unmittelbar  die  dritte  Dimension;  aber  die  blosse  Empfindung 
reicht  hin  zur  Unterscheidung  flächenhafter  Gestalten,  worauf  alle 
weitere  Beurtheilung  der  wirklichen  Form  des  Geschehenen  beruht,  und 
ist  somit  keineswegs  chaotisch.     Wollte  man  auch  (mit  Herbart  und 


118  §  ^<   Ueber  die  Realität  von  Raam  und  Zeit. 

Lotze)  annehmen,  dass  alle  räumliche  Sonderang  derTheile  des  orga- 
nischen Gesichtsbildes  und  der  Affectionen  der  Gefühlsnerven  in  der 
Raumlosigkeit  der  einfachen  Seelenmonade  verschwinde,  um  sich  aus 
der  Qualität  der  Empfindungen  überhaupt  oder  (nach  Lotze)  aus 
gewissen  qualitativen  »Localzeichenc  derselben  für  das  Bewusstsein  in 
neuer  Weise  wiederzuerzeugen:  so  würde  doch  auch  selbst  bei  dieser 
HyiK>the8e  (welcher  übrigens  vom  Schleiermacher'schen  Standpunkte 
aus  nicht  zugestimmt  werden  könnte)  anerkannt  werden  müssen,  dass 
die  Erzeugung  der  jedesmaligen  bestimmten  Gestalt  des  zeitlich-räum- 
lichen bewussten  Bildes  durch  die  zeitlich-räumliche  Gestalt  der  jedes- 
maligen organischen  Affectionen  bedingt  sei,  so  wie  diese  wiederum 
ihrerseits  durch  die  Gestalt  der  afficirenden  Aussendinge.  Die  organi- 
sche Function  wäre  also  auch  in  diesem  Falle  keineswegs  chaotisch. 
Dazu  kommen  philosophische  Gründe.  Aus  Schleiermacher's  eigenen 
dialektischen  Principien  lässt  sich  seine  Ansicht  über  die  Natur  der 
Sinnesthätigkeit  direct  widerlegen.  Denn  wenn  Schleiermacher  in  dem 
Sein  überhaupt  »Kraft«  und  »Actione  unterscheidet  und  jene  auf 
das  Fürsichsein,  diese  auf  das  Zusammensein  zurückführt,  so  föUt  doch 
gewiss  sowohl  die  Ordnung  der  unsere  Sinne  afficirenden  realen  Objecto, 
als  auch  die  organische  Function  selbst  unter  den  Begriff  des  Zusam- 
menseins und  Zusammenwirkens  oder  der  »Actione ;  die  Art  dieses  Zu- 
sammenwirkens aber  kann  nur  durch  das  »System  der  Kräfte«  bestimmt 
sein,  und  da  dieses  nach  Schleiermacher  unzweifelhaft  für  ein  vemunft- 
gemässes  zu  erkennen  ist,  so  muss  auch  das  Zusammenwirken  ein  geord- 
netes sein;  folglich  ist  auch  die  organische  Function  als  die  »Actione 
der  Dinge  in  uns«  (Dial.  S.  56)  nicht  eine  chaotische,  sondern  eine 
geordnete  Mannigfaltigkeit  von  Impressionen.  Auctt  indireot  lässt 
sich  das  Gleiche  darthun.  Wenn  die  organische  Function  als  solche 
ein  blosses  Chaos  von  Empfindungen  erzeugte,  so  würde  die  Function 
der  Vemimft  nicht  mit  ihr  in  einem  wesentlichen  Zusammenhang  stehen, 
sondern  nur  als  ein  Anderes,  in  sich  selbst  Beschlossenes,  zu  ihr  hinzu- 
treten können.  In  der  Gonsequenz  dieser  Ansicht  schreibt  Söhleier- 
macher  in  der  That  der  organischen  Function  nur  die  Bedeutung  zu, 
dass  sie  die  intellectuelle  zur  Selbstbethätigung  anrege;  er  lässt  »in  der 
Allen  einwohnenden  Einen  Vernunft  das  System  aller  das  Wissen  oon- 
stituirenden  Begriffe  auf  eine  zeitlose  Weise  gegeben  seine  (Dial.  S.  104); 
dieselben  sollen  allerdings  wirkliche  Begriffe  erst  werden  im  »Zusammen- 
tritt mit  der  organischen  Function  e  (Dial.  S.  105);  allein  die  letztere 
gilt  ihm  dabei  nicht  als  miterzeugender  Factor  der  Begriffsbildung, 
sondern  nur  als  ein  erregendes  Element,  auf  dessen  Teranlassung  sich 
die  in  der  allgemeinen  menschlichen  Vernunft  liegenden  Begriffe  in  den 
Individuen  und  Geschlechtem  der  Menschheit  immer  vollständiger  und 
reiner  zum  Bewusstsein  entwickeln  (Dial.  S.  106  ff.,  §  177).  Schleier- 
macher gesteht  somit  der  organischen  Function,  wie  es  von  der  Vor- 
aussetzung ihres  chaotischen  Charakters  aus  oonsequent  ist,  nur  einen 
Einfluss  auf  die  Bewusstwerdung,  nicht  auf  die  Gestaltung  und  Fort- 
bildung der  Begriffe  zu.    Nun  aber  erklärt  Schleiermaoher  doch  auch 


§  44.  üeber  die  Realitöt  von  Raum  nnd  Zeit.  119 

du  »reine  Denken«  im  HegePschen  Sinne  oder  das  von  dem  Yerflooh- 
tensein  mit  der  organischen  Function  gänzlich  befreite  Sichbethatigen 
der  intellectuellen  Kraft  für  unmöglich,  und  gewiss  mit  Recht,  aber 
schwerlich  mit  Conseqnenz;  denn  diese  Unmöglichkeit  eines  derartigen 
reinen  Denkens  widerstreitet  durchaus  den  Voraussetzungen  Schleier- 
macher's  über  die  organische  Function  und  über  das  System  der  Begriffe. 
Denn  warum  doch  sollte  unter  jenen  Voraussetzungen  ein  solches  reines 
Denken  unmöglich  sein,  da  ja  die  blosse  Erregung  der  Vemunftthätig- 
keit  auch  wohl  einmal  von  einer  anderen  Seite  her,  als  von  der  Sinnes- 
thatigkeit  aus,  geschehen  könnte,  etwa  von  dem  Willen  und  Entschlüsse, 
sidi  denkend  zu  verhalten  und  dem  lebendigen  Interesse  des  Wissen- 
woUens?  SagtS^hleiermacher:  weil  »die  Thätigkeit  der  Vernunft,  wenn 
man  sie  ohne  alle  Thätigkeit  der  Organisation  setzt,  kein  Denken  mehr 
wäre«  (Dial.  §  109,  S.  57),  oder:  weil  »ohne  alle  organische  Function 
kein  Theilungsgr und  für  die  Einheit  des  Seins  zu  finden  ist«  (Dial. 
§  168,  S.  96),  so  beweist  dies  eben,  dass  von  einem  an  sich  in  der 
menschlichen  Vernunft  ewig  gegebenen  Systeme  von  Begriffen,  die 
nur  noch  der  successiven  Erregung  zum  Bewusstsein  bedürften,  nicht 
die  Rede  sein  darf;  denn  jedes  System  von  Begriffen  setzt  bereit»  eine 
Theilnng  des  unbestimmten  abstracten  Seins  voraus.  Es  muss  also, 
wenn  die  Lehre  von  der  Unmöglichkeit  jenes  reinen  Denkens  und  die 
damit  zusammenstimmende  von  der  Unmöglichkeit,  durch  die  blosse  in- 
tellectuelle  Function  die  Einheit  des  Seins  in  eine  Mehrheit  bestimmter 
Begriffe  zu  theilen,  aufrecht  erhalten  werden  soll,  die  Ansicht  von  dem 
chaotischen  Charakter  der  organischen  Function  und  die  mit  dieser 
Ansicht  zusammenhängende  Behauptung  von  demGegebensein  des  Systems 
der  Begriffe  in  der  intellectuellen  Function  aufgegeben,  und  der  mit- 
telst der  organischen  Affectionen  gewonnene  Inhalt  der  Wahrnehmung 
als  ein  miterzeugender  Factor  in  dem  Process  der  Begriffsbildung  an- 
erkannt werden,  fjs  wird  hierdurch  keineswegs  der  Begriff  zu  einem 
blossen  »secundären  Froduct  aus  der  organischen  Function«  herab- 
gesetzt, welcher  Lehre  Schleiermacher  mit  Recht  entgegentritt,  sondern 
nur  der  organischen  Function  ein  wesentlicher  Antheil  an  der  Begriffs- 
bildung zuerkannt.  Dieser  Antheil  ist  näher  dahin  zu  bestimmen,  dass 
durch  sie  die  äussere,  zeitliche  und  räumliche  Ordnung  zum  Be- 
wusstsein gebracht  wird,  welche  dann  das  Denken,  von  den  in  ihr  ent- 
haltenen Anzeichen  geleitet,  auf  die  innere  Ordnung  und  die 
tieferen,  das  Wesen  der  Dinge  constituir enden  Momente  deuten  soll. 
Dies  ist  auch  die  Weise,  wie  die  einzelnen  Wissenschaften  in 
der  Bildung  ihrer  Begriffe  und  Urtheile  wirklich  verfahren.  Indem 
das  System  der  B^^riffe  auf  eine  ewige  Weise  gegeben  ist  nicht  in  der 
allgemeinen  subjectiven  Vernunft,  sondern  in  der  absoluten  Vernunft, 
welche  über  alle  blosse  Subjectivität  übergreift  und  dieselbe  mit  der 
Objectivitat  vermittelt,  so  ist  es  für  das  Subject,  welches  das  Wissen 
gewinnen  will,  ein  gleich  wesentliches  Erfordemiss,  mittelst,  der  orga- 
nischen Function  vorwiegend  in  Beziehung  zur  Objectivitat  zu  treten, 
wie  mittelst  der  intellectuellen  vorwiegend  seine  eigene  Kraft  (jedoch 


120  §  44.   üeber  die  Realität  von  Raum  und  Zeit. 

immer  im  Dienste  des  Erkenntnisszwecks)  zu  bethätigen.  Hierin  liegt 
aber  wiederum  die  YorauBsetzung,  dass  die  organische  Function  nicht 
eine  »chaotische  Mannigfaltigkeit  der  Impression«,  sondern  schon  ur- 
sprünglich etwas  Geordnetes  sei,  und  zwar  die  Abspiegelung  der  eigenen 
räumlichen  und  zeitlichen  Ordnung  der  Dinge,  die  dem  Denken  zu- 
verlässige Anhaltspunkte  gewähren  könne.  Schleiermaoher  selbst  erkennt 
dies  fast  .  ausdrücklich  an,  indem  er  (Dial.  §  106)  die  Correspondenz 
zwischen  dem  Denken  und  dem  (äusseren)  Sein  durch  die  reale  Be- 
ziehung vermittelt  sein  lässt,  in  welcher  die  Totalität  des  Seins  mit 
der  Organisation  stehe,  was  doch  wohl  auch  jene  höhere  Bedeutung  der 
oi^anischen  Function  voraussetzt.  Die  Annahme  eines  chaotischen 
Charakters  der  organischen  Function  kann  nur  als  ein  nech  nicht  völlig 
überwundener  Rest  des  Kantischen  Subjectivismus  angesehen  werden, 
nach  welchem  alle  Ordnung  aus  der  Spontaneität  des  Subjectes  stammen 
soll,  mithin  der  organischen  Afifection  ganz  fremd  sein  muss,  während 
die  entgegengesetzten  Aeusserungen  Schleiermacher's  auf  dem  tieferen 
und  wahreren  Gedanken  einer  auch  der  objectiven  Realität  innewoh- 
nenden Gesetzmässigkeit  beruhen,  wonach  auch  die  organische  Affection 
als  die  unmittelbare  Action  der  Dinge  in  uns  oder  als  »unser  Sein, 
sofern  es  mit  dem  ausser  uns  gesetzten  Sein  identisch  ist«  (Dial.  S.  56) 
den  Charakter  einer  vemunftgemässen  Ordnung  an  sich  tragen  muss. 

Zu  dem  ganzen  vorstehenden  Abschnitt  vgl.  des  Verf.  Abhandlung : 
»Zur  logischen  Theorie  der  Wahrnehmung  und  der  zunächst  an  die 
Wahrnehmung  geknüpften  Erkenntnissweisen«,  in  der  von  I.  H.  Fichte, 
ülrici  und  Wirth  herausgegebenen  Zeitschrift  für  Philosophie  und 
philos.  Kritik,  neue  Folge,  Bd.  XXX,  Heft  2,  Halle  1867,  8.  191—226 
(besonders  S.  222—224  über  die  Realität  des  Raumes).  (Daselbst  ist  S.  192, 
Z.  18  V.  o.  statt  begründenden  begründeten,  8.  216,  Z.  10  v.  o.  statt 
Gestalt  Existenz,  S.  223,  Z.  9  v.  u.  statt  Erscheinungen  Entfernungen 
zu  lesen.)  Femer  seine  Abhandlung:  »Zur  Theorie  der  Richtung  des 
Sehens«,  in  Henle's  und  Pfeuffer's  Zeitschrift  für  rationelle  Medicin, 
dritte  Reihe,  Bd.  Y,  1858,  S.  268—282  (besonders  über  den  Unterschied 
des  objectiv-realen  Raumes  von  dem  Räume  des  Sehfeldes).  Vgl.  auch 
die  Noten  zu  seiner  Uebersetzung  von  Berkeley's  Principles  of  human 
knowledge,  Berlin  1869. 

Die  obige  Argumentation  für  die  Ausdehnung  der  »Dinge  an 
sich«  in  drei  Dimensionen  ist  von  Alb.  Lange  in  seiner  »Geschichte  des 
Materialismus«,  Iserlohn  1866,  S.  497 — 499  bekämpft  worden,  worauf 
der  Verfasser  dieses  Buches  theils  in  seinem  Grundriss  der  Gesch. 
der  Philos.  Bd.  HI,  1.  Aufl.,  Berlin  1866,  S.  279,  2.  Aufl.  ebd.  1869, 
S.  808,  theils  oben  in  den  Noten,  S.  85  und  86—87,  antwortete. 
Vgl.  s.  Aufsatz  über  den  Grundgedanken  des  Kantischen  Kritioismus, 
in  der  Altpreuss.  Monatsschrift  VI,  1869,  S.  215—224. 

Eine  der  vorstehenden  verwandte  Argumentation  für  den  Satz, 
dass  die  Ausdehnung  in  drei  Dimensionen  den  Dingen  an  sich  selbst 
zukomme,  führt  Heinrich  Böhmer  in  der  dritten  Abtheilung  seiner 
Schrift  »die  Sinneswahmehmung  in  ihren  physiologischen  und  psycho- 


§  44.   Ueber  die  Realität  von  Baum  und  Zeit.  121 

logischen  C^etzen«,  Erlangen  1868,  indem  er  S.  677  vorläufig  bemerkt, 
dass,  während  in  Bezug  auf  die  Existenz  des  Raumes  die  »apodiktische 
Gewissheit«  (?  —  sollte  heissen:  naive  Zuversicht)  des  populären  Be- 
wnsstseins  nicht  schwankend  gemacht  werde  durch  missliche  Thatsachen 
der  Erfahrung,  dieselbe  entschieden  verstärkt  werde  durch  die  höchsten 
Resultate  der  Wissenschaft,  da  das  allgemeinste  aller  Naturgesetze,  das 
Gravitationsgesetz,  und  die  umfassendste  aller  naturphilosophisohen 
Theorien,  die  atomistische,  beide  gemeinsam  in  diese  Riehtung  deuten, 
und  S.  727  ff.  auf  Grund  der  Yoraussetzung  der  Realität  der  Natur- 
gesetze überhaupt  aus  bestimmten  Gesetzen,  insbesondere  aus  dem  Fall- 
gesetze, dass  die  Fallräume  sich  wie  die  Quadrate  der  Fallzeiten  ver- 
halten, welches  sich  nicht  »in  die  subjective  Sprache  übersetzen«  lasse, 
den  Schluss  auf  die  objectiv  reale  Existenz  des  Raumes  zieht.  Doch 
fehlt  in  der  Böhmer'sohen  Argpimentation  ein  Zweifaches :  1)  der  durch- 
geführte Nachweis  der  Beziehimg  unseres  Bewusstseins  auf  solches,  was 
unabhängig  von  demselben  existirt  und  demgemass  auch  der  Erweis 
der  objectiven  Realit-ät  der  Naturgesetze  aus  der  Art,  wie  unsere  Sinne 
afficirt  werden,  im  Verein  mit  den  Ergebnissen  der  inneren  Erfahrung 
(vgL  oben  §  41  ff.),  2)  besonders  aber  der  Nachweis  des  engen  Zusammen- 
hangs bestimmter  Naturgesetze  mit  der  eigenthümlichen  Bestimmtheit 
des  in  drei  Dimensionen  ausgedehnten  Raumes,  ohne  welchen  Nachweis 
Bohmer's  Frage  keine  zwingende  Kraft  hat  (S.  780):  »denn  wie  wäre 
es  möglich,  die  Existenz  eines  solchen  (wirklichen  Raumes)  in  der  Rech- 
nung zu  substituiren  und  nachher  die  Resultate  der  Rechnung  an  einer 
anders  gestalteten  Wirklichkeit  zu  prüfen?«  Man  könnte  antworten, 
die  Harmonie  zwischen  Rechnung  und  Erscheinung  sei  allerdings  mög- 
lich, vermöge  einer  gegenseitigen  Gompensation  der  beiden  zusammen- 
gehörigen Fehler,  dass  bei  der  Rechnung  die  in  unserer  Anschauung 
(in  Folge  des  Zusammenwirkens  einer  ihr  ursprünglich  eignenden  Form 
mit  einer  uns  unf assbaren  realen  Ordnung  der  »Dinge  an  sich«)  er- 
scheinende räumliche  Ordnung  selbst  für  objectiv  real  gehalten,  und 
dass  bei  der  Prüfung  die  Umbildung  des  objectiv  Realen,  die  vermöge 
der  Projeotion  desselben  in  unser  Bewusstsein  stattfände,  vernachlässigt 
würde;  wir  können  ja  nicht  direct  an  einer  »anders  gestalteten  Wirk- 
lichkeit« prüfen,  sondern  direct  nur  an  der  Art,  wie  uns  dieselbe  erscheint. 
Eine  mit  Bewusstsein  begabte  Cameraplatte  würde  sich  in  gewissem 
Maasse  Erwartungen  über  die  Succession  der  Ereignisse  nach  vermeint- 
lich erkannten  »Naturgesetzen«  machen  können,  die  mindestens  oft 
Bestätigung  finden  würden,  indem  sie  die  ihr  in's  Bewusstsein  tretende 
Regelmässigkeit  der  ihr  erscheinenden  Ereignisse  für  die  objectiv  reale 
Gesetzmässigkeit  nähme,  nach  der  die  Ereignisse  in  einem,  wie  sie  glauben 
würde,  nur  in  zwei  Dimensionen  existirenden  realen  Räume  stattfandt^n, 
und  die  Umbildung  aller  objectiv  realen  Erfolge  durch  deren  Projeotion 
in  ihr  Bewusstsein  ihr  unbekannt  bliebe.  Alles  Gewicht  ist  bei  dieser 
Untersuchung  auf  den  Umstand  zu  legen,  dass  die  Platte  die  von  ihr 
für  objectiv  real  gehaltenen  Gesetze  nicht  aus  der  Natur  des  ihr  allein 
bekannten,  in  zwei  Dimensionen  ausgedehnten  Raumes  in  dem  Maasse 


122  §  44.  Ueber  die  Realität  von  Ranm  und  Zeit. 

würde  verstehen  können,  in  welchem  wir  das  Gravitationsgesetz  ans 
den  drei  Dimensionen  des  Raumes  verstehen  (s.  o.  S.  114);  die  ihr  er- 
scheinende R^elmässigkeit  der  thatsächlichen  Erfolge  stände  mit  der 
Eigenthümlichkeit  ihres  Anschauungsraumes  nicht  in  solcher  Harmonie, 
wie  bei  uns.  Hierin  liegt  der  Kern  meines  Beweises.  —  Uebrigens  ist 
zwar  H.  Böhmer*s  Erklärungsversuch  des  Aufrechtsehens  und  des 
Draussensehens,  wie  ich  glaube,  nachweisbar  verfehlt,  da  die  Strahlen, 
denen  nach  seiner  Annahme  die  Empfindung  auf  ihrem  Wege  nach 
aussen  hin  nachfolgen  soll,  in  der  Gonstanz  wie  sie  zum  Behuf  dieser 
Erklärung  bestehen  mussten,  thatsächlich  nicht  bestehen,  und  da, 
wenn  sie  so  beständen,  doch  schlechthin  unerklärt  bliebe,  wie  es  der 
Empfindung  möglich  sei,  an  ihnen  hin  aus  uns  herauszutreten;  hier- 
von abgesehen  aber  kommt  seine  Erkenntnisslehre,  die  er  S.  661  ff. 
in  einer  gedrängten  und  doch  klaren  und  geistvollen  Form  entwickelt, 
in  den  Grundgedanken  mit  der  in  dem  vorliegenden  »System  der  Logik« 
vorgetragenen  überein. 

Ueber  die  neuere  Entwicklung  der  Raumtheorien  vergl.:  0. 
Lieb  mann,  Raumcharakteristik  und  Raumdeduotion,  in  d.  Viertel- 
jahrsschr.  f.  wiss.  Philos.  Bd.  1.  1877.  S.  201  und  S  ig  wart,  Logik. 
Bd.  2.  §  67  u.  68.  ~  Lotze,  Syst  d.  Philos.  Bd.  2.  Metaphysik.  Buch 
2.  Gap.  1 — 3.  —  Wundt,  Logik.  Bd.  1.  Abschn.  5.  Cap.  3.  Die  An- 
schauungsformen. S.  428  u.  ff.  —  u.  bes.  B.  Erdmann,  Die  Axiome 
der  Geometrie,  eine  philos.  Untersuch,  der  Riemann-Helmholtz'schen 
Raumtheorie.  Leipzig  1877.  —  Helmholtz,  Die  Thatsachen  der  Wahr- 
nehmung. Berlin  1879.  —  Eine  logische  Deduction  des  Raumes,  welche 
die  Denknothwendigkeit  beweisen  will,  hat  neuerdings  versucht:  0. 
Schmitz-Dumont,  Die  mathemat.  Elemente  der  Erkenntnisstheorie. 
Berlin  1878.  Dass  bei  diesem  wie  bei  ähnlichen  Versuchen  mehr  oder 
minder  verstohlene  Anlehen  bei  der  Anschauung  gemacht  werden,  hat 
A.  Riehl  in  seinem  Buche:  Der  philos.  Kriticismus.  Bd.  2.  1879. 
Th.  1.  S.  167  in  dem  überhaupt  lesenswerthen  Cap.  2  Entstehung  und 
Bedeutung  der  Vorstellungen  von  Zeit  und  Raum  darzulegen  gesucht. 
—  Auch  Wundt  will  beweisen,  dass  es  den  Versuchen  intelligibler 
Raumconstructionen  ebenso  wie  den  logischen  Deductionen  des  Raumes 
widerfährt,  dass  sie  diesen  bereits  voraussetzen.  Bei  jenen  insbesondere 
sollen  die  synthetischen  Frocesse  der  räumlichen  Wahrnehmung  irgend- 
wie ontologisch  hypostasirt,  bei  diesen  irrthümlich  der  psychologischen 
Reconstruction  der  Raumanschauung  eine  logische  Deduction  des  Raumes 
substituirt  werden.  Der  Begriff  des  objectiven  Raumes  könne  blos  auf 
analytischem,  nicht  auf' synthetischem  Wege  gewonnen  werden.  —  Ob 
die  psycholog^chen  Processe,  durch  welche  die  Raumanschauung  ent- 
steht, ihre  letzten  Wurzeln  ausschliesslich  im  Subject  haben,  oder  ob 
sie  durch  die  Beschaffenheit  des  Empfundenen  mit  bedingt  sind,  will 
S  ig  wart  als  eine  Streitfrage  ansehen,  welche  für  die  logische  Betrach- 
tung keine  entscheidende  Bedeutung  hat  Für  die  logische  Analyse  der 
Ranmvorstellung  sei  diese  jedenfalls  eine  gegebene,  und  es  seien  keine 
Processe  aufweurbar,   durch  welche  wir  sie  in  ihrer  Gresammtheit  mit 


§  44.  üeber  die  Realität  von  Raum  und  Zeit.  123 

Bewusstsein  so  erzeugten,  dass  wir  die  einzelnen  Schritte  auf  einfache 
Acte  zurückführen  könnten,  wie  dies  beim  Fühlen  möglich  sei.  Die 
logische  Bearbeitung  müsste  demnach  von  der  Gesammtvorstellung 
des  Raumes  ausgehen,  die  sie  thatsäohlich  vorfinde,  und  könne  nur 
innerhalb  derselben  etwa  Unterscheidungen  vornehmen,  um  zu  möglichst 
einfachen  und  bestimmten  Yorstellungselementen  zu  gelangen,  die  aber 
alle  von  der  Gesammtvorstellung  getragen  seien  und  diese  voraus- 
setzten. Ebenso  beruhe  zuletzt  die  Aufsuchung  und  Fizirung  der 
Elemente,  welche  in  der  Tor  Stellung  der  Zeit  enthalten  sind,  auf  der 
Fähigkeit,  auf  unsere  im  Bewusstsein  des  zeitlichen  Verlaufs  wirkenden 
Functionen  des  erinnernden  Zusammenfassens  zu  reflectiren  und  ihre 
Relationen  zu  einander  als  nothwendige  zum  Bewusstsein  zu  bringen, 
die  bei  jedem  beliebigen  Zeitinhalt  dieselben  sind. 


Zweiter  Theil. 

Die  Einzelvorstellnn^  oder  Ansehaanng  in  ihrer  Beziehung  zu,  der 

ohjeetiyen  Einzelexistenz. 


§  45.  Die  Einzelvorstellang  oder  die  Anschan- 
nng  (repraesentatio  singalaris,  coneeptns  singularis)  ist  das 
psychische  Bild  der  objectiven  (oder  doch  mindestens  als 
objectiv  fingirten)  Einzelexistenz. 

Die  äuBsere  oder  räumliche  und  zeitliche  Ordnung,  welche  sich 
in  der  Wahrnehmung  darstellt,  soll  durch  das  Denken  überhaupt  auf 
die  innere  Ordnung,  deren  Ausfluss  sie  ist,  gedeutet  werden.  Der  erste 
Schritt  zur  Lösung  dieser  Aufgabe  ist  naturgemäss  die  Unterscheidung 
der  Individuen  vermittelst  der  Einzelvorstellungen. 

Das  Wort  Vorstellung  wird  hier  nicht  in  der  Bedeutung :  re- 
producirte  Wahrnehmung,  aber  auch  nicht  in  der  Bedeutung: 
psychisches  Gebilde  überhaupt,  sondern  in  dem  Sinne:  psy- 
chisches Bild  individueller  Existenz  gebraucht,  und  zwar 
sowohl  von  dem  bereits  in  der  Wahrnehmung  liegenden,  als  auch  von 
dem  durch  Erinnerung  reproducirten  Bilde.  Die  Vorstellung  ist  theils 
Eiuzelvorstellung  oder  Anschauung,  die  auf  Ein  Individuum 
(oder  auch  auf  an  Einem  Individuum  Befindliches)  geht,  theils  allge- 
meine Vorstellung,  welche  letztere,  auf  eine  zusammengehörige 
Gruppe  von  Individuen  (oder  doch  von  solchem,  was  an  Individuen 
sich  findet)  bezüglich  die  nächste  psychische  Grundlage  des  Begriffes 
ausmacht.  Was  von  beiden  Arten  der  Vorstellung  gleichmässig  gilt, 
soll  schon  in  diesem  Abschnitte  zur  Erörterung  kommen. 

§  46.  Die  einzelnen  Anschannngen  heben  sich 
aus  dem  ursprünglich  nngeschiedenen  Gesammtbilde  der  Wahr- 
nehmung allmählich  hervor,  indem  der  Mensch  zunächst  sich 
selbst  im  Gegensatze  gegen  die  Aussenwelt  als  ein  Einzel- 
wesen erkennt,  danach  dieselbe  Form  der  Einzelexistenz 
oder  Individualität  auch  auf  ein  jedes  äussere  Sein  über- 
trägt,  dessen  Erscheinung  sich  gegen  andere  Erscheinungen 


§46.  üntersoheidnngr  der  Individuen  durch  die  £inz6lvorBtellungeii.     125 

als  isolirbar  erweist  Was  die  logische  Berechtigung 
der  Anwendung  dieser  Erkenntnissfonn  betrifft,  so  stuft  sich 
dieselbe  im  Allgemeinen  nach  den  nämlichen  Kriterien  ab, 
wie  (nach  §  42)  die  Wahrheit  der  aus  unserem  Innern  stam- 
menden und  die  sinnliche  Wahrnehmung  ergänzenden  Erkennt- 
nisselemente überhaupt.  Denn  a.  in  Bezug  auf  die  eigene 
Person  verbtlrgt  uns  das  Selbstbewusstsein  unmittelbar  die 
Realität  der  individuellen  Existenz  (vgl.  §  40) ;  b.  allen  anderen 
persönlichen  Wesen  muss  eben  so  gewiss,  wie  (nach  §  41) 
eine  unserer  eigenen  analoge  Existenz  überhaupt,  auch  die 
Existenzform  als  Einzelwesen  zuerkannt  werden;  c.  da  (nach 
§  42)  die  Analogie  der  Dinge  ausser  uns  mit  unserem  eigenen 
Wesen  zwar  stufenweise  abnimmt,  aber  an  keinem  Punkte 
^Lnzlich  verschwindet,  so  dürfen  wir  uns  mit  Recht  überzeugt 
halten,  dass  die  Gliederung  in  relativ  selbständige  Individuen 
auch  der  Gesammtheit  des  nicht  persönlichen  Seins  in  Wirk- 
lichkeit zukommt  und  nicht  bloss  von  uns  vermöge  einer  sub- 
jectiven  Nothwendigkeit  hineingelegt  wird;  doch  beweisen 
auch  die  sinnlichen  Erscheinungen  im  Verein  mit  den  ana- 
logen Abstufungen  auf  dem  Gebiete  des  geistigen  Lebens,  dass 
die  Grenze  zwischen  dem  individuellen  Dasein  und  dem  Auf- 
gehen in  ein  grösseres  Ganzes  um  so  unbestimmter  und 
schwankender  wird,  je  tiefer  ein  jedes  Object  in  der  Stufen- 
reihe der  Wesen  steht;  d.  nach  der  anderen  Seite  hin  wird 
bei  der  grössten  geistigen  Höhe  die  vollste  individuelle  Selb- 
sföndigkeit  zugleich  mit  der  ausgedehntesten  und  innigsten 
Gemeinschaft  des  Lebens  und  Wirkens  gefunden.  —  Die  An- 
schauung oder  Einzelvorstellung  ist,  gleich  wie  die  Wahr- 
nehmung (§  41 — 42),  um  so  zutreffender,  je  mehr  jedesmal 
die  angegebenen  Abstufungen  richtig  beobachtet  worden  sind. 

• 

Unter  den  positiven  Wissenschaften  sind  besonders  die  Botanik 
nnd  die  Zoologie  vielfach  im  Einzelnen  auf  die  hier  behandelten  Pro- 
bleme geführt  worden,  deren  volle  Lösung  jedodi  nicht  durch  die  eigen- 
thümlichen  Mittel  dieser  Wissenschaften  allein,  sondern  nur  dnrch  Hin- 
znnahme  der  allgemeinen  logischen  (erkenntnisstheoretischen)  Betrach- 
iongen  gewonnen  werden  kann.  Aristoteles  geht  weder  in  seinen 
physischen,  noch  in  seinen  logischen  und  metaphysischen  Schriften  tiefer 
auf  dieselben  ein.  Er  erklärt  die  Einzelwesen  für  die  ersten  Substanzen 
{nffwtu  ovaUu),    ohne  jedoch   die  Erkennbarkeit,  das  Wesen  und  die 


126    §  46.  Unterscheidung  der  Individuen  durch  die  Einzelyorstellangen. 

Grenzen  der  Individuitat  einer  genaueren  üntersnohung  zn  unterwerfen. 
Erst  in  der  neueren  Zeit  sind  solche  Fragen,  wie:  ob  die  Pflanze  oder 
der  einzelne  Spross  (Auge,  Knospe  etc. ;  »gemmae  totidem  herbaec  Linne; 
vgl.  Roeper,  Linnaea,  S.  434,  J.  V.  Carus,  Generationswechsel,  S.  80, 
und  andere  neuere  botanische  Schriften),  und  ebenso,  ob  der  Korallen- 
stock oder  das  einzelne  Korallenthier  das  wahre  Individuum  sei,  femer, 
inwiefern  das  Leben  des  Embryo  ein  individuelles  und  selbständiges 
und  inwiefern  es  ein  Theil  des  mütterlichen  Lebens  sei  und  dergl.  mehr, 
in  ihrer  vollen  Bedeutung  als  wissenschaftliche  Probleme  erkannt  worden. 
Von  der  Einzelforschung  aus  sind  auch  Naturkundige  zu  der  Ansicht 
gelangt,  dass  das  Individuum  nicht  in  anderem  Sinne  für  real  gelten 
dürfe,  als  auch  die  Species,  das  G^nus  etc.;  dass  nicht  die  Einheit  der 
sinnlichen  Erscheinung,  sondern  die  Einheit  der  Entwickelungsreihe  das 
Individuum  charakterisire ;  dass  das  Pflanzenindividuum  an  innerer  Ein- 
heit weit  hinter  dem  thierischen  zurückstehe  etc.  S.Braun,  die  Ver- 
jüngung in  der  Natur,  1850,  S.  26;  844;  Jürgen  Bona  Meyer,  des 
Aristoteles  Thierkunde,  1855;  Carl  Nageli,  die  Individualit&t  in  der 
Natur,  in:  Akad.  Vorträge,  Zürich  1856;  Rud.  Virchow,  Atome  und 
Individuen,  Vortrag,  gehalten  1859,  gedruckt  in:  4  Reden  über  Leben 
und  Kranksein,  Berlin  1862,  S.  85—76,  der  S.  45  das  Individuum  definirt 
als  »eine  einheitliche  Gemeinschaft,  in  der  alle  Theile  zu  einem  gleich- 
artigen Zwecke  zusammenwirken  oder  nach  einem  bestimmten  Plane 
thatig  sind«.  —  Auch  auf  anderen  Gebieten  ist  das  Bewusstsein  von 
den  Abstufungen  der  Individuität  eine  wesentliche  wissenschaftliche  An- 
forderung und  eine  Bedingung,  ohne  welche  sich  die  Lösung  vieler 
wichtigen  Streitfragen  nicht  gewinnen  lässt.  So  kann  z.  B.  in  der 
Homerischen  Frage  der  schroffe  Gegensatz  der  Unitarier  und  der  Ohori- 
zonten  nicht  ohne  die  wissenschaftliche  (schon  von  Aristoteles  gewonnene) 
Einsicht  überwunden  werden,  dass  das  Epos  seiner  Natur  nach  als  eine 
frühere  und  minder  hohe  Entwickelungsstufe  der  Dichtung  nicht  der 
streng  geschlossenen  Einheit  des  Dramas  fähig  ist,  wiewohl  es  eine 
gewisse  poetische  Einheit  nicht  ausschliesst ;  dass  ebenso  der  einzelne 
epische  Dichter  jener  ältesten  Zeit  innerhalb  der  Gemeinschaft  der 
Sängerfamilie,  der  er  angehört,  nur  in  geringerem  Maasse  selbständige 
Eigenthümlichkeit  besitzt,  als  der  Dramatiker  innerhalb  seines  Kreises, 
und  dass  demgemäss  nicht  sowohl  zu  fragen  ist,  ob  dem  Einen  oder 
den  Vielen  das  Gedicht,  sondern  welcher  Antheil  dem  Einen  und 
den  Vielen  zuzuschreiben  ist,  insbesondere:  was  als  vorhomerische  Grund- 
lage vorauszusetzen  sein  möge,  welches  das  Werk  des  Einen  Meisters 
sei,  der,  vorgebildet  durch  Vertrautheit  mit  den  kleineren  Dichtungen 
der  auf  Geschichte  und  Volkssagen  fnssenden  früheren  Sängrer,  den 
Gedanken  des  grosseren  Epos  fasste  und  realisirte,  was  Zuthat  der 
naohhomerischen  Dichter  sei,  und  worin  das  Verdienst  oder  die  Schuld 
der  Rhapsoden,  der  Sammler  imd  endlich  der  ordnenden,  prüfenden* 
und  erläuternden  Grammatiker  bestehe. 

Die  Spinozis tische  Lehre  von  der  Einen  Substanz  setzt  mit 
unrecht  alle  individuelle  Existenz  auf  das  gleiche  Maass  der  Bedentungs- 


§46.  Untersobeidang  der  Individuen  durch  die  Einzelyontellungen.     127 

losigkeit  herab.  Die  Leibnizische  nnd  Herbart'sche  Monaden- 
lehre übertragt  mit  gleichem  Unrecht  die  volle  geschlossene  Individnalität, 
welche  dem  personlichen  Mensohengeiste  zukommt,  auch  auf  die  letzten 
Elemente  der  organischen  und  unorganischen  Natur,  die  ihr  als  raum- 
lose selbständige  Einzelwesen  gelten.  Der  Kantische  Eriticismus 
glaubt  die  richtige  Mitte  zwischen  diesen  beiden  Extremen  in  der  Lehre 
von  der  theoretischen  Unentscheidbarkeit  der  betreffenden  Probleme  zu 
finden,  indem  er  die  Kategorien:  Einheit,  Vielheit  und  Allheit  zu  den 
subjectiven  Erkenntnisselementen  rechnet,  die,  in  der  Einrichtung  unseres 
Erkenntnissvermogens  begründet,  von  uns  zwar  mit  Nothwendigkeit  auf 
die  Erscheinungswelt  übertragen  werden,  aber  auf  die  realen  Wesen 
oder  die  Dinge  an  sich  keine  Anwendung  finden.  Schellin g,  Hegel 
nnd  Schleiermacher  erkennen  diesen  Formen  wiederum  reale  Gültig- 
keit zu,  suchen  aber  zugleich  auch  die  verschiedenen  Stufengrade  der 
Individualisation  zu  bestimmen,  so  zwar,  dass  Schelling  und  Hegel  der 
von  Spinoza  begründeten  Einheitslehre,  Schleiermacher  dagegen  in 
gewissem  Betracht  dem  Leibnizisöh  -  Herbart'schen  Individualismus 
näher  steht. 

Neuerdings  hat  auch  Sigwart  in  seiner  Logik  Bd.  2  §78  »Die 
verschiedenen  Einheitsformen  in  den  Begriffen  der  Dinge«  dieses 
Problem  zum  Gegenstand  einer  logischen  Betrachtung  gemacht.  Nach 
seiner  Ansicht  scheidet  sich  die  Einheit  von  Begriffs-Elementen,  welche 
in  den  Begriffen  der  Stoffe  gedacht  wird,  von  der  Einheit,  welche  im 
Begriffe  der  individuellen  Form  lieg^.  Und  diese  letztere  Einheit  ist  ent- 
weder eine  bloss  causale,  oder  zugleich  eine  teleologische.  Während 
bei  der  Synthese,  welche  den  Begriff  des  Stoffes  implicire,  Gestalt  und 
Grösse  gleichgültig  sei  und  bei  der  Aufstellung  des  Begriffs  von  diesen 
Bestimmungen  als  zufälligen  und  wechselnden  abstrahirt  werde,  die 
2kkhl  der  Theile  in  ihrer  Lage  zu  einander  durch  keine  Regel  bestimmt 
sei,  finde  hier  eben  dieses  Yerhältniss  der  Theile  zu  einander  seine 
Stelle  als  Bestandtheil  des  Beg^ffs  selbst,  und  vereinige  sich  mit  den 
den  blossen  Stoff  ausdrückenden  Merkmalen  als  constituirendes  Element 
der  Synthese.  Zunächst  sei  es  die  blosse  geometrische  Form  einer 
räumlich  abgeschlossenen  Begrenzung,  welche  den  Objecten  eine  feste 
Einheit  gebe  und  die  beliebige  Theilbarkeit  ausschliesse,  wie  z.  B. 
bei  den  Krystallen.  Eine  andere  Bedeutung  gewinne  der  Begriff  der 
Form  da,  wo  er  zugleich  die  Zusammensetzung  eines  Ganzen  aus  ver- 
schiedenartigen^  in  bestimmter  räumlicher  Lage  verbundenen  Theilen 
implicire.  Das  leitende  Element  in  der  Auffassung  und  Unterscheidung 
solcher  orgranischen  Formen  sei  zunächst  das  räumliche  Bild,  wie  es 
die  blosse  Zeichnung  schon  zu  geben  vermöge,  mit  der  bestimmten  An- 
ordnung different  geformter  Theile ;  aber  die  Frage,  wodurch  denn  nun 
dieses  Yerhältniss  der  Theile  zu  einander  in  dieser  Form  bestimmt  sei, 
weise  auf  die  Voraussetzung  nothwendiger  Beziehungen  der  Theile  zu 
einander  hin,  es  werde  somit  für  die  Synthese  dieser  Begriffe  ein 
Princip  dieser  Beziehungen  gesucht.  Als  ein  solches  Princip  biete  sich 
zunächst  ein  causales  Verluiltniss   der  Theile  zu   einander.    Wo  aber 


128    §  46.  Unterscheidung  derlndividaen  durch  die  Einzelvoratellnngen. 

differente  Bestandtheile  in  einer  Form  zusammentreten,  welche  nicht 
als  durch  die  Natur  des  Stoflfes  nach  allgemeinen  Gesetzen  bestimmt 
erkannt  werden  könnten,  biete  sich  ein  anderes  Princip  der  Einheit 
der  Synthese  im  Begriffe  des  Zweckes.  Die  Anwendbarkeit  des  Ter- 
minus »Individuumc  nun  beginne  erst,  wo  eine  bestimmte  Beziehung 
zwischen  der  Einheit  des  Ganzen  und  der  Vielheit  der  Theile  bestehe, 
wo  die  Theile  eine  bestimmte  Einheit  des  Ganzen,  oder  der  Zweck  des 
Ganzen  eine  bestimmte  Zusammenfassung  von  Theilen  nothwendig 
mache,  und  darum  die  Einheit  nicht  willkürlich  und  zuföllig  sei. 
GoUectivbegriffe  endlich  enthielten  eine  Synthese  individueller  Einheiten, 
die  auch  entweder  bloss  causal  oder  zugleich  teleologisch  seien.  — 
Betrachtungen  über  die  psychologische  Bildung  des  Begriffes  eines  Zeit- 
und  Raumindividuums  und  über  den  vitiösen  Girkel  bei  der  Bildung 
dieses  Begriffes  finden  sich  in  Schuppe's  erkenntnisstheoret  Logik. 
Th.  2.  Abschn.  1.  Cap.  XV.  u.  XVI.  S.  416-496. 

§  47.  Wie  die  Einzelvorstellnng  ttberhaapt  der  Einzel- 
existenz, so  entsprechen  die  verschiedenen  Arten  oder 
Formen  derselben  den  verschiedenen  Arten  oder  Formen 
der  Einzelexistenz.  Die  Einzelexistenz  wird  nämlich 
zuerst  an  selbständigen  Objecten  erkannt.  Wenn  aber  das 
Object  einer  Vorstellung  ein  Ganzes  ausmacht,  an  welchem 
sich  verschiedene  Theile,  Thätigkeiten,  Attribute  und  Ver- 
hältnisse unterscheiden  lassen,  so  dürfen  auch  in  entsprechender 
Weise  die  verschiedenen  Elemente  einer  solchen  Vorstellung 
wiederum  einzeln  als  Vorstellungen  betrachtet  werden.  Hier- 
bei sind  zwei  Fälle  zu  unterscheiden.  Entweder  wird  den 
Objecten  dieser  Vorstellungen  die  Form  der  gegenständlichen 
Selbständigkeit  geliehen,  jedoch  mit  dem  Bewusstsein,  dass 
dieselbe  nur  eine  fingirte,  nicht  eine  reale  ist,  oder  diese 
Objecto  werden  schlechthin  als  unselbständige  angeschaut. 
Auf  diese  Verhältnisse  gründen  sich  die  Formen  der  sub- 
stantivischen concreten,  der  substantivischen 
abstracten,  und  der  verbalen,  attributiven  und  Be- 
lations-Vorstellung.  Die  Formen  der  Einzelvorstellungen 
und  des  sprachlichen  Ausdrucks  derselben  in  ihrer  Beziehung 
zu  den  entsprechenden  Existenzformen  (und  metaphorisch  die 
letzteren  selbst)  sind  die  Kategorien  im  Aristotelischen 
Sinne  des  Wortes.  —  Alle  diese  Kategorien  werden  von  den 
objectiv  gültigen  Vorstellungen  aus  auch  auf  solche  übertragen, 
deren  Objecto  (wie  z.  B.  die  mythologischen  Wesen)  blosse 
Fictionen  sind. 


§  47.  Yontellnngsfonnen  und  Wortarten.  129 

Wie  die  (logischen)  Yorstellungsfonnen  den  (metaphysis oben) 
Formen  der  Einselexistenz  entsprechen,  so  entsprechen  ihnen  wiederam 
die  (grammatischen)  Formen  oder  Arten  der  Worte.  Das  Wort 
ist  der  Ausdmck  der  Vorstellung  in  der  Sprache.  Die  Vorstellung  eines 
selbständig  existirenden Gegenstandes  wird  durch  das  Substantivum 
concretum  ausgedrückt^  woran  sich  dasFronomen  substantivum 
als  Bezeichnung  der  Person  oder  Sache  durch  ihr  Verhältniss  zu  dem 
Redenden  anschliesst.  Die  Vorstellung  dessen,  was  unselbständig  existirt, 
aber  unter  der  entlehnten  Form  selbständiger  Existenz  angeschaut 
wird,  wird  durch  das  Substantivum  ab str actum  bezeichnet,  die 
Vorstellung  des  unselbständig  Existirenden  als  solchen,  je  nachdem  das- 
selbe eine  Thätigkeit  oder  eine  Eigenschaft  (oder  Beschaffenheit)  oder 
ein  Verhältniss  ist,  durch  das  Verbum,  das  Adjectivum  nebst  dem 
adjectivischen  Pronomen  und  Adverb  und  durch  die  Präpo- 
sition nebst  den  Flexi ons formen.  Nur  auf  Grund  der  Begriffs- 
bildung können  die  Numeralia  verstanden  werden,  welche  die  Sub- 
sumtion gleichartiger  Objecto  unter  den  nämlichen  Begriff  voraussetzen, 
und  nur  auf  Grund  der  Urtheils-  und  Schlussbildung  die  Conjunc- 
tionen,  welche  Sätze  und  Satztheile  mit  einander  verknüpfen,  in  deren 
g^enseitigen  Beziehungen  sich  die  entsprechenden  Verhältnisse  von 
Vorstellongsverbindungen  zu  einander  bekunden,  die  ihrerseits  wiederum 
auf  Verhältnissen  zwischen  realen  Verbindungen  beruhen  müssen  (wo- 
gegen die  Präpositionen  mittelst  der  Beziehungen  zwischen  einzelnen 
Worten  und  Wortcomplexen,  welche  die  entsprechenden  Beziehungen 
zwischen  einzelnen  Vorstellungen  zum  Ausdruck  bringen,  die  Verhält- 
nisse einzelner  Dinge,  Thätigkeiten  eta  zu  einander  bezeichnen).  Die 
Interjectionen  sind  nicht  eigentliche  Worte,  sondern  nur  der  un- 
mittelbare Ausdruck  der  nicht  in  Vorstellungen  und  Gedanken  ent- 
wickelten Empfindungen. 

»Der  Bau  aller  Sprachen  weist  darauf  hin,  dass  seine  älteste  Form 
im  Wesentlichen  dieselbe  war,  die  sich  bei  einigen  Sprachen  einfachsten 
Baues  (z.  B.  beim  Chinesischen)  erb  alten  hat.  Das,  wovon  alle  Sprachen 
ihren  Ausgang  genommen  haben,  waren  Bedeutungslaute,  einfache 
Lautbilder  für  Anschauungen,  Vorstellungen,  Begriffe,  die  in  jeder  Be- 
ziehung, d.  h.  als  jede  grammatische  Form  fungiren  konnten,  ohne  dass 
für  diese  Functionen  ein  lautlicher  Ausdruck,  so  zu  sagen  ein  Organ 
vorhanden  war.  Auf  dieser  urältesten  Stufe  sprachlichen  Lebens  giebt 
es  also,  lautlich  unterschieden,  weder  Verba  noch  Nomina,  weder  Gon- 
jugation  noch  Deolination.  Die  älteste  Form  für  die  Worte,  die  jetzt 
im  Deutschen  That,  gethan,  thue,  Thäter,  thätig  lauten,  war 
zur  Entstehungszeit  der  indogermanischen  Ursprache  dha,  denn  dieses 
dha  (setzen,  thun  bedeutend;  altindisch  dha,  altbaktrisch  dha,  grie- 
chisch ^€ ,  litauisch  und  slavisch  de,  gotisch  da,  hochdeutsch  ta)  ergiebt 
sich  als  die  gemeinsame  Wurzel  aller  jener  Worte.  In  etwas  späterer 
Entwickelungsstufe  des  Indogermanischen  setzte  man,  um  bestimmte 
Beziehungen  auszudrücken,  die  Wurzeln,  die  damals  noch  als  Worte 
fnngirten,  auch  zweimal,   fügte  ihnen  ein  anderes  Wort,   eine  andere 

9 


180  §  47.  Vorstellungsformen  und  Wortarten. 

Wurzel  bei;  doch  war  jedes  dieser  Elemente  noch  selbständig.  Um  z.  B. 
die  erste  Person  des  Präsens  zu  bezeichnen,  sagte  man  dha  dfaa  mi, 
aus  welchen  im  späteren  Lebensverlaufe  der  Sprache  durch  Verschmel- 
zung der  Elemente  zu  einem  Ganzen  und  durch  die  hinzutretende  Ver- 
änderungsfähigkeit  der  Wurzeln  dhadhami  (altindisch  d&dhami,  alt- 
baktrisch  dadhami,  griechisch  Ti^tjfii^  althochdeutsch  tom,  tuom,  4^tami, 
neuhochdeutsch  thue)  hervorging.  In  jenem  ältesten  dha  ruhten  die 
verschiedenen  grammatischen  Beziehungen,  die  verbale  und  nominale 
sammt  ihren  Modificationen,  noch  ungeschieden  und  unentwickelt,  wie 
solches  sich  bis  jetzt  bei  den  Sprachen  beobachten  lässt,  die  auf  der 
Stufe  einfachster  Entwiokelung  stehen  geblieben  sind.  Ebenso,  wie  mit 
dem  zufällig  gewählten  Beispiele,  verhält  es  sich  aber  mit  allen  Worten 
des  Indogermanischen  c  (Aug.  Schleicher,  die  Darwin'sche  Theorie  und 
die  Sprachwissenschaft,  Weimar  1868,  S.  21—28). 

Das  logische  Bewusstsein  von  den  verschiedenen  Vorstellungs- 
formen hat  sich  ursprünglich  zugleich  mit  und  an  dem  grammatischen 
Bewusstsein  von  den  verschiedenen  Wortarten  und  dem  metaphysischen 
Bewusstsein  von  den  verschiedenen  Existenzformen  entwickelt.  Vgl. 
Classen,  de  gramm.  Graecae  primordiis,  Bonn  1829;  L.  Lorsch,  die 
Sprachphilosophie  der  Alten,  Bonn  1888—41,  Bd.  II.  (die  Sprachkate- 
gorien), Bonn  1840;  6.  F.  Schömann,  die  Lehre  von  den  Bedetheilen 
nach  den  Alten,  Berlin  1862 ;  H.  Steinthal,  Geschichte  der  Sprachwiss. 
bei  den  Griechen  und  Kömem  mit  besonderer  Rücksicht  auf  die  Logik, 
Berlin  1868.  Plato  kennt  den  g^ramma tischen  Gegensatz  des  ovofia 
und  (}rjfia  (Theaet.  p.  206  D;  vgl.  Gratyl.  p.  899  A).  Der  Verfasser  des 
Dialogs  Soph.  (p.  261  E  sqq.)  führt  denselben  auf  den  Gegensatz  der 
entsprechenden  Existenzformen:  Ding  und  Handlung  zurück,  und  setzt 
diesen  letzteren  wiederum  in  Beziehung  zu  dem  allgemeineren  Gegen- 
satze der  Beharrung  und  Bewegung,  den  er  zugleich  mit  dem  der  Iden- 
tität und  Verschiedenheit  unmittelbar  unter  die  allgemeine  Einheit  des 
Seins  stellt.  Aristoteles  vervollständigt  die  Eintheilung  der  Wort- 
arten durch  Hinzufügung  des  avvJefffiog,  d.  h.  der  Partikel  (die  speciellere 
Bedeutung  Conjunction  erhält  dieses  Wort  erst  später  bei  den  Gramma- 
tikern). Er  lehrt,  dass  das  Wort,  namentlich  das  ovofia  und  das  Qfifi€Cj 
der  Vorstellung,  dem  vorifjia^  entspreche:  Mmi  fjihv  oiv  ja  iv  rj  (pavy 
TÖiv  iv  rjf  ^vx^  ntt&TifittTfov  avfißoXa.  -^  ra  oiv  ovoftara  avra  xal  ra 
^lifuara  iotx€  Tip  avev  avv&iasats  xtd  diatQ^(r€<oe  vo^ftaii  (de  interpr.  1. 
16.  a.  3  u.  18).  Das  ovofia  ist  eine  conventionelle  Bezeichnung  ohne 
Mitbezeichnung  der  Zeit,  das  ^^/u«  unter  Mitbezeichnung  der  Zeit; 
der  avvd^Ofioq  grilt  dem  Aristoteles  als  unselbständige  tpiavvi  aaiifioCy 
z.  B.  fiivy  ^TOf,  Sri  (de  interpr.  c.  2  u.  8;  Poet.  c.  20.  1466  b).  In 
der  Poet.  (c.  20.  1457  a.  6)  wird  auch  das  ag^Qoy  genannt;  doch 
ist  die  Lesart  schwankend  und  die  Echtheit  der  Stelle  zweifelhaft 
(vergl.  V.  Verfasser  Aristotelis  Ars  poet.,  ad  fidem  potissinL  oodic. 
antiquiss.  A,^-  (Paris  1741).  Berol.  1870.  p.  25).  —  Die  einzelnen 
Vorstellungen  und  Worte  nennt  Aristoteles  ra  av^v  avfinloxij(y  ta 
xara  ftri^e^üev  avftnloxrjv  UyofAivu  (Gat.  c.  2.  1  a.  16;  0.  4.  1   b.  25), 


§  47.   Die  Kategorien  im  Aristotelischen  Sinne.  131 

d.  h.  die  imyerbandenen  Elemente,  in  die  der  Satz  oder  das  ürtheil 
(loyoc)  sich  bei  der  Zerlegrang  auflöst.  Aristoteles  theilt  die  Vor- 
stellungen nach  ihren  formalen  Verschiedenheiten  in  zehn  Classen 
ein.  Er  lägst  sich  bei  dieser  Eintheilung  von  der  Gmndansicht  leiten, 
dass  die  Vorstellungen  als  die  Elemente  des  Gedankens  den  Elementen 
der  objectiven  Wirklichkeit  und  demgemäss  auch  ihre  Formverschieden- 
heiten  den  Formverschiedenheiten  des  Vorgestellten  entsprechen  müssen. 
Jede  Vorstellung,  wie  auch  ihr  sprachlicher  Ausdruck  oder  das  Wort 
bezeichnet  entweder  1 .  eine  Substanz  oder  2.  eine  Quantität  oder  8.  eine 
QnaUtät  oder  4.  eine  Relation  oder  5.  ein  Wo  oder  6.  ein  Wann  oder 
7.  eine  Lage  oder  6.  ein  Haben  (sich  Verhalten)  oder  9.  ein  Thun  oder 
10.  ein  Leiden.  TiSv  xmu  ^nidefilav  avfjLTiXoxJiv  Xeyo/tiävwv  axaarov  rproi 
ovaiay  atifiaivH  ^  noaov  ^  noiov  ^  nqog  ii  ^  nov  ^  nmh  ^  xsTa^ai  ^ 
ffXf*y  V  noiiiv  rj  naa^fiy  (de  categ.  c.  4.  1  b.  26).  Die  Aristotelischen 
Beispiele  sind:  1.  avS-QatnoSy  tnnog,  2.  dlniixvy  TQ^ntfj^v,  3.  XtvxoVf  ygafi- 
fimucoPf  4.  dtnXamov,  fj/juav,  fielCov,  6.  iv  uiuxtü^,  iv  ^yoQ^y  6.  iz^^^t 
nl^wstv,  7.  avttxetrai,  xad-ritat,  8.  ava^iffertu,  SnXtaTttt,  9.  t^fivet,  xaCei, 
10.  rifAV€Tttiy  xaCtrai,  In  dieser  Vollständigkeit  werden  die  Kategorien 
auch  Top.  I,  9,  103  b.  20  zusammengestellt,  wo  die  erste  wie  auch 
flosst  nicht  selten,  tl  iart  genannt  wird;  an  sehr  vielen  Stellen  werden 
einzelne  Kategorien  erwähnt.  Anal.  post.  I,  22.  83  a.  22,  Phys.  V,  1. 
225  b.  5,  Metaph.  IV,  7.  1017  a.  24  fallen  xeta&ai  und  ^x^iv  aus.  Anal, 
post.  I,  22.  88  a,  25 — 28  wird  die  ovaia  den  av/ÄßeßtixoT«  entgegen- 
gesetzt. (Eine  dankenswerthe  schematische  Zusammenstellung  giebt 
Prantl,  Gesch.  der  Logik  I,  S.  257.)  Aristoteles  nennt  diese  Formen 
ra  y^vij  oder  t«  ax^fiara  r^;  xaifjyoQkis  oder  rtSv  xcetr^ogi^v^  auch 
kommt  häufig  die  wegen  ihrer  Kürze  bequemere  Bezeichnung  xarriyo^Cai 
vor.  Nun  heisst  xajffyo^iu  bei  Aristoteles  zunächst:  Aussage  oder  Pr&- 
dieat,  und  danach  lässt  sich  der  Ausdruck:  ta  yivri  t^v  xarrfyoQtwv 
oder  ai  TantfyoQieu  übersetzen:  die  Arten  der  Aussagen  oder  der  Prä- 
dieate.  Wollten  wir  hiemach  unter  xarrjyoQia  dasjenige  verstehen,  was 
seiner  Natur  nach  im  Satze  die  Stelle  des  Prädicates  und  nicht  die  des 
Subjectes  einnehme,  so  würde  diese  Bezeichnung  zwar  auf  die  meisten 
der  nenn  letzten  Formen  passen,  aber  nicht  auf  die  erste,  da  dieser 
rielmehr  naturgemäss  die  Stelle  des  Subjectes  zukommt.  Nur  die  Vor- 
stellungen der  Genera  oder  der  von  Aristoteles  sogenannten  »zweiten 
Substanzen  f,  aber  nicht  die  Individualvorstellungen,  die  auf  die  Einzel- 
substanzen,  also  auf  die  Substanzen  im  ersten,  vollsten  Sinne  dieses 
Wortes  gehen,  treten  leicht  und  naturgemäss  in  die  Stelle  des  Prä- 
dicates; die  Einzelsubstanz  dagegen  kann  nur  in  Verbindung  mit  einem 
noch  nicht  seiner  eigenen  Natur  nach  bestimmten  Subjecte  als  Prädicat 
ausgesagt  werden,  wi6  z.  B.  in  dem  Satze  »dieses  Weisse  ist  Sokratesc 
oder:  »dieses  Herankommende  ist  Kalliasc.  Da  nun  aber  doch  Aristo- 
teles unter  der  Bezeichnung  xatr^yogCai  auch  die  Einzelsubstanzen  mit- 
befasst,  so  können  darunter  nicht  die  Pradicate  überhaupt  zu  verstehen 
sein,  sondern  nur  die  Pradicate  gewisser  Sätze.  Welche  Sätze  Aristo- 
teles im  Auge  habe,   zeigt  die  vollständigere  Bezeichnung:    xarr^oQlM 


133  §  47.   Die  Kateg^orien  im  Aristo telisohen  Sinne. 

Tov  ovTog  oder  riSv  ovtatv.  Jedes  ov  (im  weitesten  Sinne  dieses  Wortes) 
ist  entweder  eine  ova^a  oder  ein  noaov  oder  ein  noiov  etc.  Alle  bei- 
stimmten Vorstellungen,  mögen  sie  yon  substantivischer  Form  oder 
von  adjectivischer  oder  verbaler  etc.  sein,  sind  Prädioate  ihrer  Objecto, 
also  der  betreffenden  Dinge,  Eigenschaften,  Tfaätigkeiten  etC|  in  einem 
Satze,  dessen  Subjeet  durch  eben  diese,  aber  nur  unbestimmt,  als  irgend- 
welche ovta  überhaupt,  vorgestellten  Objecto  gebildet  wird.  Als  Sub- 
jeet ist  ToDro  t6  ov  oder  (nach  Top.  I,  5.  102  a.  34)  ro  nQoxii/nevov  oder 
(nach  Top.  I,  9.  103  b.  SO)  ro  fxxelfitvoy  zu  denken.  Der  Plural  xani' 
yoQltu  bezeichnet  die  Arten  nach  einer  bekanntlich  nicht  ungewöhn- 
lichen grammatischen  Analogie:  die  xarriyo^fai  lov  ovros  Met.  VIII,  1. 
1046  b.  28  sind  die  Arten  oder  Formverschiedenheiten  der  Aussagen 
(und  demgemäss  auch  der  Vorstellungen  von  dem  Seienden),  sofern  die- 
selben den  Arten  oder  Formverschiedenheiten  des  Seienden  entsprechen, 
und  metonymisch  die  letzteren  selbst.  Der  Begriff  Art  oder  Formen- 
verschiedenheit kann  nicht  durch  den  Plural,  sondern  auch  durch  ein 
zu  xttTriyoQ(a  oder  xarijyoQttti  hinzutretendes  Wort,  wie  «t/^jU«  oder 
y^vog  ausgedrückt  werden :  Art  der  Aussage  über  das  Seiende,  der  Pra- 
didrung  des  Seienden,  oder  Form  der  Vorstellung  von  dem  Seienden, 
nämlich  entweder  substantivische  Vorstellung,  d.  i.  Bezeichnung  des 
Substantiellen,  oder  adjectivische  Vorstellung,  d.  i.  Bezeichnung  des 
Quäle  etc.  Metaph.  IV,  28.  1024  b.  9.  Die  erste  Kat^orie,  die  Kate- 
gorie der  Substanz,  geht  nach  Aristoteles  theils  auf  die  von  ihm  so- 
genannten ersten  Substanzen  {ngtorai  ovaiai),  d.  h.  die  Individuen,  theils 
auf  die  zweiten  Substanzen  (öfviSQiu  ova(ai\  d.  h.  die  Arten  und  Gat- 
tungen. An  den  ersten  Substanzen  unterscheidet  Aristoteles  die  Materie 
i^Xri  oder  vnoxilfiBvov\  die  Form  {itSoq  oder  fio^tpri  oder  ro  rC  ^v  ehm 
oder  Ji  xatit  Xoyov  ovaia)  und  das  Ganze  (ro  ix  rovriav  afitpotv  oder  ro 
avyokov).  Die  neun  übrigen  Vorstellungsarten  fasst  Aristoteles  unter 
dem  gemeinsamen  Namen  ra  avfißeßrjxora  zuBVkmmen]  mitunter  (Metaph. 
XIV,  2.  1089  b.  23)  werden  von  ihm  drei  Hauptclassen,  nämlich  ovaiw, 
TtttS'ri  und  TTQog  ti  unterschieden*).     Die   Stoiker   bringen   die   zehn 


*)  Wie  sich  diese  Eategorienlehre  im  Greiste  des  Aristoteles  genetisch 
entwickelt  habe,  ist  ungewiss.  Trendelenbnrg  (de  Ar  ist.  categ.  1888; 
Geschichte  der  Kate^orienlehre,  1846,  bes.S.  11— 33)  glaubt,  Aristoteles 
sei  darauf  durch  die  Betrachtung  grammatischer  Beziehungen  geführt 
worden,  namentlich  der  Wortarten,  deren  Kennzeichen  in  den  Endungen 
{nitoaitg)  vorlagen.  Insbesondere  entspreche  die  erste  Kategorie  dem 
Substantiv,  die  zweite,  dritte  und  vierte  dem  Adjectiv  nebst  dem  Nume- 
rale, die  fünfte  und  sechste  dem  Adverb  des  Ortes  und  der  Zeit,  die 
siebente  bis  zehnte  dem  Verbum  in  seinen  verschiedenen  Flexionsformen. 
In  der  That  ist  die  Verwandtschaft  der  Kategorienlehre  mit  der 
grammatischen  Lehre  von  den  Wortarten  durch  Trendelenburg  ebenso 
gründlich  und  scharfsinnig,  wie  evident  dargethan  worden ;  ob  aber  der 
Ursprung  der  Kategorienlehre  in  einer  Betrachtung  d4r  Wortarten 
und  Unterscheidung  derselben  mit  den  jiTwang  liege,  dürfte  wiederum 
zweifelhaft  sein.  Die  Aristotelische  Unterscheidung  der  Redetheile  f s.  o.) 
ist  zu  wenig  durchgeführt,  um  diese  Annahme  zu  begünstigen;  nur 
ovofta  und  (irjfiit  sind  als  Begriffswörter  unterschieden,  die  in  einigem 


§  47.   Die  Kategorien  im  Aristotelischen  Sinne.  183 

Yon  Aristoteles  aufgestellten  Kategorien  auf  vier  zurück,  welche  sie  r« 
yinxtüitttTtt  (die  allgemeinsten  Geschlechter)  nennen  und  als  Formen  der 
objeotiven  Realität  auffassen,  nämlich  1.  das  Substrat  (t6  vnoxsCfievov)^ 


Maasse  wohl  mit  ovaCa  und  avfißißtjxos  übereinkommen,  aber  nicht  die 
2jehnzahl  der  Kategorien  begründen  können ;  zu  den  nxfoa^ig  aber  rechnet 
Aristoteles  (de  int.  o.  3)  gerade  solche  Flexionsformen  des  Verbums, 
auf  welche  er  keine  verbalen  Kategorien  gründet  (wie  die  Tempora  in 
vyiavev  und  vyiaviT).  Wenn  ferner  Aristoteles  ein  Substantiv  {xaiQog) 
als  Beispiel  eines  logischen  noos  n  anführt,  so  setzt  dies  eine  von  der 
Unterscheidung  der  Wortarten  unabhängige  und  auf  wesentlich  ver- 
schiedenen Gründen  beruhende  Einsicht  in  die  Bedeutung  und  die  Unter- 
schiede der  Yor8tellun|;sformen  voraus.  Nicht  sowohl  die  Wortarten, 
als  die  Satztheile  (Subject,  Prädicat)  hat  Aristoteles  unterschieden.  Auf 
diese  letztere  Unterscheidung  bezieht  sich  die  der  ovo^mra  und  ^^juara. 
Bei  der  Unterscheidung  der  verschiedenen  Arten  der  letzteren  von  ein- 
ander konnte  sich  Aristoteles  an  die  in  verschiedenen  Sätzen  empirisch 
gegebenen  Prädicate  halten  (wie  z.B.  Sokrates  ist  von  geringer  KÖrper- 
grosse,  Sokrates  ist  gebildet,  Sokrates  disputirt,  widerlegt,  ist  widerlegt), 
doch  mag  Aristoteles  bei  seiner  Ausbildung  der  Kategorienlehre  auch 
durch  bestimmte  philosophische  Beziehungen  und  namentlich  durch  seine 
Polemik  gegen  die  Platonische  Ideenlehre  auf  die  Kategorienlehre  ge- 
leitet worden  sein.  Aristoteles,  der  überall  das  Allgemeine  im  Besonderen 
zu  erkennen  sucht,  seine  Speculation  auf  Empirie  basirt,  prüft  die 
Wahrheit  der  Ideenlehre  an  der  Beziehung  zu  der  gegebenen  Wirklich- 
keit. Bei  diesem  kritischen  Streben  konnte  seinem  Scharfblick  das  Miss- 
verhältniss  nicht  entgehen,  dass  sich  nicht  alle  Erscheinungen  in  gleicher 
Weise  als  Abbilder  der  Ideen  betrachten  lassen,  sondern  einige  schon 
in  formaler  Beziehung  dieser  Ansicht  widerstreben,  und  indem  er  sich 
hierüber  nähere  Bechenschaft  gab,  musste  er  den  Grund  darin  finden, 
dass  Plato  die  Ideen  nur  unter  einer  einzigen  Existenzform  denke  und  als 
Ideen  denken  könne,  nämlich  unter  der  Form  der  Substantialität,  während 
sich  die  Wirklichkeit  unter  verschiedenen  Existenzformen  darstelle.  Die 
Idee  des  Guten  z.  B.  soll  eine  einige  sein  von  substantieUer  Existenz 
und  doch  zugleich  das  gemeinsame  Urbild  für  alles  in  der  Wirklichkeit 
erscheinende  Gute  abgeben;  dieses  letztere  aber  ist  nur  zum  Tb  eil 
gleichfalls  etwas  Substantielles,  wie  der  Gott  und  der  (von  Aristoteles 
substantiell  gedachte)  vovg,  zum  anderen  Theil  aber  etwas  Prädicatives 
oder  Accidentielles,  eine  Thätigkeit,  eine  Eigenschaft,  ein  Verhältniss, 
wie  die  gute  Handlung,  die  Güte  der  Gesinnung,  die  Brauchbarkeit  des 
Mittels  zum  Zweck  etc.,  und  diese  formale  Verschiedenheit  widerstreitet 
der  formalen  Einheit  des  von  Plato  angenommenen  gemeinsamen  Ur- 
bildes (Arist.  Eth.  Nie.  I,  4;  Eth.  Eud.  I,  8,  Metaph.  I,  9,  990  b.  22; 
Xn,4.  1079  a.  19;  XIII,  2.  1089  b.  20).  Durch  derartige  Betrachtungen 
auf  die  Verschiedenheit  der  Existenzform  aufmerksam  geworden,  musste 
der  ordnende  und  systematisirende  Gteist  des  Aristoteles  bald  dahin 
gelangen,  eine  geschlossene  Reihe  derselben  aufzustellen.  Als  posi- 
tive Anknüpfungspunkte  konnten  ihm  bei  der  Erforschung  der  Kate- 
gorien etwa  die  von  Plato  oder  einem  Platoniker  im  Sophista  geführten 
Untersuchungen  über  das  Seiende  überhaupt,  über  Ding  und  Handlung, 
Beharrung  und  Bewegung,  Identität  und  Verschiedenheit,  Einheit  und 
unbestimmte  Grösse  und  Kleinheit,  femer  Erörterungen  wie  Rep.  IV, 
p.  438  über  relative  Begriffe,  Soph.  p.  248  über  noietv  und  ndaxav 
als  Arten  der  yiveais  etc.,  Plat.  Phaed.  p.  98  B  über  Seele  und  Harmonie 
dienen,  jedoch  wohl  nur  in  geringem  Maasse,  weil  bei  Plato  die  Frage 
nach  den  Formen  der  Einzelexistenz  noch  ganz  hinter  die  Frage  nach 
dem  Verhältniss  des  Einzelnen  zum  Allgemeinen  zurücktritt;  die  Auf- 


134  §  47.  Die  Kategorien  der  Stoiker  und  Anderer. 

2.  die  (wesentliche)  Eigenschaft  (t6  noiov),  8.  die  (anwesentliche)  Be^ 
schaffenheit  (t6  nms  txov\  4.  die  Relation  ijo  ngog  xi  nm  ^x^^)-  Allen 
diesen  Kategorien  ordnen  sie  den  allgemeinsten  aller  Begriffe,  nämlich 
den  des  ov  oder  auch  (wahrscheinlich  später)  den  des  r/  üher.  (Von  den 
durch  Aristoteles  Metaph.  XIII,  2.  1089  b.  23  zusammengestellten  drei 
Klassen  von  Kat^orien :  ra  fikv  yag  ova^at,  xa  6k  ;ro^,  xa  6k  TtQoc  n, 
kommt  die  erste  mit  der  ersten  und  zweiten,  die  zweite  mit  der  dritten, 
und  die  dritte  mit  der  vierten  der  Stoiker  überein.)  Zugleich  bilden 
die  Stoiker  die  Lehre  von  den  Wortarten  weiter  aus,  indem  sie  das 
oQ^ov  als  eine  Wortart,  nämlich  als  den  Artikel  bestimmen  und  später 
auch  das  Adverbium  {navd^xrijg  s.  v.  a.  fTil^^tifia)  beifügen  und  das 
ovofia  in  das  xvqiov  und  die  nQogtfyoftia  eintheilen  (Diog.  L.  YII,  57; 
Charis.  II,  p.  175;  vgl.  Priscian  II,  15  und  16:  partes  igitur  orationis 
secundum  dialecticos  duae :  nomen  et  verbum,  quia  hae  solae  etiam  per 
se  coniunctae  plenam  faciunt  orationem ;  alias  autem  partes  syncategore- 
mata,  hoc  est  consignificantia  appellabant;  secundum  Stoicos  vero  quin- 
que  sunt  eins  partes:  nomen,  appellatio,  verbum,  pronomen  sive  articulus, 
coniunctio).  Das  M^^^fia  dient  der  Erweiterung  der  Aussage,  während 
der  avy6€a/ios  der  Verbindung  der  Hauptredetheile  unter  einander  dient. 
Die  Lehre  von  der  Achtzahl  der  Redetheile  ist  erst  in  der  alexandrini- 
sehen  Zeit  aufgekommen.  Von  den  Philosophen  waren  nach  logischen 
Gesichtspunkten  die  Bestandtheile  des  Gedankens  und  demgemäss  der 
Rede  gesondert  worden;  die  Grammatiker,  welche  das  empirisch  ge- 
gebene Sprachmaterial  zu  ordnen  unternahmen,  knüpften  die  von  den 
Philosophen  im  weiteren  Sinne  gebrauchten  Bezeichnungen  an  bestimmte 
einzelne  Wortarten  und  brachten  neue  Bezeichnungen  für  die  übrigen 
Wortarten  auf.  Der  avvJeafiofy  welcher  die  Conjunction  und  Prä- 
position umf  asst  hatte,  bezeichnete  nunmehr  bloss  die  erstere,  die  Prä- 
position ward  Txgo^aaig  genannt;  von  dem  ovofxa  zweigte  sich  die  avito- 
vvfACa  (das  Pronomen)  ab ;  zwischen  das  Verbum  und  das  Nomen  ward 
das  Particip  (fAixoxri)  gestellt;  Adjeotiv  und  Numerale  wurden  dem 
Nomen  zugerechnet,  die  Interjection  aber  galt  nicht  als  ein  wirklicher 
Theil  der  Rede.  Priscian  fusst  in  seiner  Aufstellung  der  >octo  partes 
orationis  c  auf  Apollonius  Dyscolus;  seine  Theorie  ist  für  die  Folgezeit 
maassgebend  geblieben,  während  zugleich  im  Mittelalter  die  Aristote- 
lische Kategorienlehre  herrschte.  Mit  der  Stoischen  Kat^^rienlehre 
sind  die  formalen  metaphysischen  Begriffe  des  Cartesius  und  des 
Spinoza:  substantia,  attributum,  modus,  des  Locke:  substantia,  modus, 
relatio,  und  des  Wolff:  ens,  essentialia,  attributa,  modi,  relationes 
extrinsecae  verwandt;   die  Leibnizischen  fünf  allgemeinen  Abthei- 


stellung der  Kategorien  ist  vielmehr  als  ein  fast  selbständiges  Werk  des 
Aristoteles  anzuerkennen.    Vgl.  Bonitz   in  den  Sitzungsberichten  der 

ghil.-hist.  Classe  der  Wiener  Akad.  der  Wiss.  Bd.  X,  S.  591—645,  1853, 
randis,  Gesch.  der  Gr.-Röm.  Phil.  II,  2,  a,  S.  375  ff.;  Prantl,  Gesch. 
der  Logik  I,  S.  182  ff.,  1855;  Wilh.  Schuppe,  die  Aristotelischen 
Kategorien,  Berlin  1871  (zuvor  im  Jubiläumsprogramm  des  Gleiwitzer 
Gymnasiums,  Gleiwitz  1866). 


§  47.   Die  Kategorien  der  Stoiker  nnd  Anderer.  185 

langen  der  Wesea  (cinq  titres  g^^ranx  des  etres) :  Substanzen,  Quanti- 
täten, Qualitäten,  Actionen  oder  Passionen,  und  Belationen  kommen  der 
Aristotelischen  Eintheilung  näher.  Die  Kantischen  Kategorien  oder 
»reinen  Stammbegriffe  des  Verstandest  sollen  nicht  den  Yorstellungs- 
formen,  sondern  den  Urtheilsverhältnissen  zur  metaphysischen  Grund- 
lage dienen.  Herbart  betrachtet  die  Formen  der  gemeinen  Erfahrung: 
Ding,  Eigenschaft,  Yerbältniss,  Verneintes,  sowie  die  zugehörigen  Kate- 
gorien der  inneren  Apperoeption:  Empfinden,  Wissen,  Wollen,  Handeln, 
nur  als  Ergebnisse  des  psychologischen  Mechanismus  ohne  metaphysische 
und  ohne  logische  Bedeutung.  Hegel  versteht  unter  den  Kategorien 
die  allgemeinen  begrifflichen  Wesenheiten,  von  denen  alle  Wirklichkeit 
durchflochten  ist.  Sohleiermacher  gerundet  seine  formale  Eintheilung 
der  Begriffe  in  »Subjects-  und  Prädicatsbegriffe«,  welche  er  mit  der 
grammatischen  Eintheilung  der  die  Begriffe  bezeichnenden  Wörter  in 
Hauptwörter  und  Zeitwörter  parallelisirt,  auf  den  Unterschied  der  Exi- 
stenzformen des  für  sich  gesetzten  Seins  und  des  Zusammenseins,  oder 
der  Dinge  und  der  Actionen.  Die  Abstracta  sind  Substantiva,  welche 
die  Action  für  den  Subjectsgebrauch  substantiiren.  Das  Zusammensein 
zerfällt  in  Activität  und  Passivität,  Thun  und  Leiden.  Das  Adjectiv, 
welches  die  Qualität,  d.  h.  das  schon  in  das  substantielle  Sein  aufge- 
nommene Resultat  einer  Thätigkeit  ausdrückt,  muss  man  sich  als  ver- 
mittelst der  Participia  und  Verbalia  aus  dem  Zeitwort  entstanden  denken 
(Dial.  S.  197).  Lotze  (Log.  S.  77,  vgl.  S.  42  u.  60)  theilt  die  mancherlei 
Begriffe,  die  wir  in  unserem  Bewusstsein  vorfinden,  in  die  drei  grossen 
Gruppen  der  Gegenstandsbegriffe,  der  prädicativen  (d.  i.  verbalen  und 
adjectivischen)  und  der  Relationsbeg^riffe;  in  jeder  bedinge  die  Eigen- 
thnmliohkeit  des  Kernpunktes,  der  als  Ansatzpunkt  für  die  Merkmale 
diene,  die  gesammte  Configuration  der  Theile,  vergl.  s.  System  der 
Philos.  Th.  l.  Logik.  Buch  2.  Cap.  1.  S.  63  (Schluss).  —  Schon 
früher  war  das  Verhältniss  von  Vorstellungsformen  und  Wortarten  ein- 
gehender in  Betracht  gezogen  worden  von  E.  Rei  nhold  in  seinem  Lehr- 
buch der  philos.-propSdeut.  Psychologie  und  der  formalen  Logik,  Jena  1836 
(2.  A.  1889),  sowie  von  K.  F.  Becker  in  seinem  Organismus  der  Sprache. 
Frankfurt  a.  M.  1827  (2.  A.  1841);  —  in  Bekämpfung  der  letzteren 
Sdirift  sodann  besonders  von  Steinthal  in  seinem  Buch:  Grammatik, 
Logik  und  Psychologie,  ihre  Principien  und  ihr  Verhältniss  zu  einander 
Berlin  1855  und  in  seinem  Abriss  der  Spraohwissensch.  Th.  1.  Berlin 
1871  (2.  A.  1881);  —  ferner  im  Anschluss  an  Steinthal  von  J.  Glogau 
in  seiner  Schrift:  Steinthal's  psycholog.  Formeln  zusammenhängend 
entwickelt.  Berlin  1876  nnd  in  seinem  Abriss  der  philos.  Grundwissen- 
schaften. Th.  1.  Die  Form  und  die  Bewegungsgesetze  des  Geistes.  Breslau 
1880.  —  Erörtert  ist  das  Problem  auch  von  Sigwart  in  seiner 
Logik  Bd.  1.  Thl.  1.  Abschn.  1.  §  6  u.  ff.;  —  von  C.  Hermann  in  seiner 
Philos.  Grammatik.  Leipzig  1858  und  in  seinem  Buch:  Die  Sprach- 
wissenschaft nach  ihrem  Zusammenh.  mit  Log^k,  menschl.  Geistesbildung 
und  Philos.  Leipzig  1875;  —  ebenso  von  H.  Wolff  in  seinem  Buche: 
Logik  und  Sprachpfailosophie  Berlin  1880.  —  Vgl.  Trendelenburg, 
Geschichte  der  Kategorienlehre,  Berlin  1846. 


136       §§  48.  49.    Klare  und  deutliche  Yorstellungf.    Die  Merkmale. 

§  48.  Eine  Vorstellnng  heisst  klar  (notio  clara,  im 
Gegensatz  zur  notio  obscura),  wenn  sie  hinreichende  Be- 
wusstseinsstärke  besitzt,  um  uns  zur  Unterscheidung  ihres 
Objectes  von  allen  anderen  Objecten  in  den  Stand  zu  setzen. 
Sie  heisst  deutlich  oder  bestimmt  (notio  distincta  im 
Gegensatz  zur  notio  confusa),  wenn  auch  ihre  einzelnen  Ele- 
mente klar  sind,  mithin  wenn  sie  zur  Unterscheidung  der 
Elemente  ihres  Objectes  von  einander  ausreicht. 

Das  CartesianiBche  Kriterium  der  Wahrheit  (s.  o.  §24)  musste 
Anlass  geben,  das  Wesen  der  Klarheit  und  Deutlichkeit  naher  zu  er- 
forschen. Die  obigen  Bestimmungen  sind  dieLeibnizischen  (s.  §27). 
Sie  finden  sich  wieder  in  den  sämmtlichen  Logiken  der  Wolf  fischen 
und  der  Kantischen  Periode,  wo  ihnen  oft  sogar  eine  fundamentale 
Bedeutung  beigelegt  wird.  Sie  wurden  dagegen  von  einem  Theile  der 
neueren  Logiker  mit  unverdienter  Geringschätzung  hintangesetzt,  als 
der  Ueberschätzung  der  Klarheit  und  Deutlichkeit,  die  im  17.  und  18. 
Jahrhundert  geherrscht  hatte,  in  der  ersten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts 
eine  Unterschätzung  derselben  gefolgt  war. 

§  49.  Merkmal  (nota,  Ten^rjQiov)  eines  Objectes  ist 
alles  dasjenige  an  demselben,  wodurch  es  sich  von  anderen 
Objecten  unterscheidet.  Die  Vorstellung  des  Merkmals  ist  in 
der  Vorstellung  des  Objectes  als  Theilvor Stellung,  d.  h. 
als  ein  Theil  der  Gresammtyorstellung  (repraesentatio  parti- 
cularis)  enthalten. 

Die  Merkmale  sind  Merkmale  der  Sache,  des  realen  (oder  doch 
80,  als  wäre  es  real,  vorgestellten)  Objectes.  Von  Merkmalen  der 
Vorstellung  kaim  nur  insofern  mit  Becht  geredet  werden,  als  sie 
selbst  als  etwas  Objectives,  d.  h.  als  Gegenstand  des  auf  sie  gerichteten 
Denkens  betrachtet  wird.  »Ein  Merkmal  in  die  Vorstellung  aufnehmen« 
ist  ein  abgekürzter  Ausdruck  für:  das  Merkmal  der  Sache  vermöge  der 
entsprechenden  Theilvorstellung  sich  zum  Bewusstsein  bringen,  oder: 
in  die  Vorstellung  ein  Element  aufnehmen,  durch  welches  das  betreffende 
Merkmal  der  Sache  vorgestellt  wird. 

§  50.  Die  einzelnen  Merkmale  eines  Objectes  bilden  nicht 
ein  blosses  Aggregat,  sondern  stehen  zu  einander  und  zum 
Ganzen  in  bestimmten  Beziehungen,  von  denen  ihre  Gruppi- 
rung,  ihr  eigenthümlicher  Charakter  und  selbst  ihr  Dasein 
abhängig  ist.  Dieses  reale  Verhältniss  muss  sich  in  dem 
Verhältniss  der  Theilvorstellungen  zu  einander  und  zur  Ge- 
sammtvorstellung  wiederspiegeln.  Die  Gesammtheit  der  Theil- 


§  50.  Der  Inhalt  der  Yorstellting.     Die  Partition.  187 

YorsteUimgen  in  der  durch  die  entsprechenden  realen  Verhält- 
nisse bestimmten  Weise  ihrer  gegenseitigen  Verbindung  ist  der 
Inhalt  (complexus)  einer  Vorstellung.  Die  Zerlegung  des  In- 
haltes einer  Vorstellung  in  die  Theilvorstellungen  oder  die  An- 
gabe der  einzelnen  Merkmale  ihres  Objectes  heisst  Partition. 

Sofern  die  subjectivistisoh-formale  Lo^k  jenes  reale  VerlulltnisB 
unbeachtet  läset,  vermag  sie  die  Verbindung  der  Merkmale  nur  unter 
dem  ungenügenden  Schema  einer  Summe  oder  dem  ötwas  näher  zu- 
treffenden, aber  immer  noch  ungenügenden  Bilde  eines  Productes  auf- 
zufassen. Wird  ein  Summand  ss  0  gesetzt,  so  tangirt  dies  die  übrigen 
Summanden  nicht  und  die  Summe  wird  nur  um  den  früheren  Werth 
jenes  Summandus  selbst  vermindert;  ist  ein  Factor  ss  0,  so  wird  das 
Product  selbst  =  0.  Die  Aufhebung  eines  Merkmals  aber  pflegt  weder 
die  übrigen  Merkmale  unberührt  zu  lassen,  noch  auch  sofort  das  Ganze 
zu  annihiliren.  Beides  kann  in  gewissen  Fällen  geschehen ;  in  der  Regel 
aber  werden  durch  die  (reale  oder  als  real  gedachte)  Aufhebung  eines 
Merkmals  andere  Merkmale  theils  aufgehoben,  theils  modificirt  werden, 
ohne  dass  doch  sofort  das  Ganze  mitaufgehoben  würde. 

Der  Ausdruck  Inhalt  ist  imAnschluss  an  ivvnagxuv  iv  rtp  Xoy<p 
rf  ri  lau  Xfyoyri  oder  (vundg/ay  iv  Ttp  xl  lauVj  Arist.  anal.  post.  I,  4 
73.  a.  36  u.  86  gebildet.  Der  Ausdruck  gegenseitige  Determination 
der  Merkmale,  dessen  sich  namentlich  Lotze  (Log.  S.  68)  zur  Bezeich- 
nung der  gegenseitigen  Abhängigkeit  der  Merkmale  von  einander  bedient, 
würde  zweckmässig  sein,  wenn  nicht  der  Terminus  Determination 
schon  in  einem  andern,  wiewohl  verwandten  Sinne  (s.  unten  §  52)  all- 
gemein üblich  wäre. 


140        §§  62.  68.  Die  Determination.    Der  Umfang.    Die  Division. 

sie  die  Anfmerkaamkeit  auf  einen  blossen  Nebenvorgfang  vorzugsweise 
hinlenkt;  denn  nicht  das  Unbewusstwerden  der  ungleichartigen  Elemente, 
sondern  die  Conoentrirung  des  Bewusstseins  auf  die  gleichartigen 
ist  (wie  Kant  selbst  anerkennt)  das  Wesentliche  in  dem  sogenannten 
Abstractionsprooess. 

Der  Abstractionsprooess  steht  in  Wechselbeziehung  zu  der  Be- 
zeichnung vieler  gleichartigen  Objecto  durch  das  nämliche  Wort: 
durch  ihn  wird  diese  Gleichheit  der  Bezeichnung  möglich,  und  sein 
Resultat  wird  durch  dieselbe  wiederum  gestützt  und  fixirt.  Doch  ver- 
sucht mit  Unrecht  ein  extremer  Nominalismus  den  Abstractionspro- 
cess  gänzlich  auf  die  blosse  Identität  der  sprachlichen  Bezeichnung  zu 
i^uoiren. 

§  52.  Unter  der  Determination  (Ttgogd'eaig)  yersteht 
man  die  Bildung  minder  allgemeiner  Vorstellungen  von  den 
allgemeineren  aus,  wobei  der  Inhalt  der  letzteren  durch  sach- 
gemässe  Hinzufttgung  von  neuen  Vorstellungselementen  ver- 
mehrt und  somit  dasjenige,  was  an  der  allgemeineren  Vor- 
stellung unbestimmt  geblieben  war,  näher  bestimmt  wird 
(determinatur).  Die  Neubildung  gültiger  Vorstellungen  durch 
Determination  setzt  Einsicht  in  das  reale  Abhängigkeitsver- 
hältniss  der  Merkmale  voraus. 

Die  subjectivistisch-formale  Logik  vermag  von  ihrem  Princip  aus 
die  wesentliche  Forderung,  dass  bei  der  Zufügung  neuer  Inhaltselemente 
auf  das  reale  Verhältniss  der  Merkmale  zu  einander  und  zum  Ganzen 
Bücksicht  genommen  werde,  nicht  zu  begründen. 

§  53.  Der  Umfang  (ambitus,  sphaera,  zuweilen  auch 
extensio)  einer  Vorstellung  ist  die  öesammtheit  derjenigen 
Vorstellungen,  deren  gleichartige  Inhaltselemente  (vgl.  §  50) 
den  Inhalt  jener  ausmachen.  Die  Angabe  der  Theile  des  Um- 
fangs  einer  allgemeinen  Vorstellung  heisst  Eintheilung 
oder  Division  (divisio).  Die  allgemeine  Vorstellung  heisst 
im  Verhältniss  zu  denjenigen  Vorstellungen,  die  in  ihren  Um- 
fang fallen,  die  höhere  oder  übergeordnete,  diese  im 
Verhältniss  zu  ihr  die  niederen  oder  untergeordneten 
(Verhältniss  der  Subordination).  Vorstellungen,  welche  der 
nämlichen  höheren  untergeordnet  sind,  heissen  einander 
nebengeordnet  (Verhältniss  der  Coordination).  Gleich- 
geltende  oder  Wechselvorstellungen  (notiones  aequi- 
pollentes  oder  reciprocae)  sind  solche,  deren  Sphären  mit  ein- 
ander identisch  sind,  ohne  dass  der  Inhalt  ganz  der  nämliche 


§  53.  Verhältnisse  d.  Vontell^.  sn  einander  nach  Inhalt  n.  Umfang.  141 

ist;  identische  Yorstelltmgen  aber  Bind  solche,  welche  den 
nämlichen  Umfang  nnd  Inhalt  haben.  Diejenigen  Yorstelinngen 
sind  einander  conträr  entgegengesetzt  (notiones  con- 
trarie  oppositae),  welche  innerhalb  des  Umfeings  der  nämlichen 
höheren  Yorstellnng  am  meisten  von  einander  verschieden 
sind  nnd  gleichsam  am  weitesten  Ton  einander  abstehen, 
sofern  beide  einen  positiven  Inhalt  haben;  enthält  aber  die 
eine  Yorstellnng  nnr  die  Yerneinnng  des  Inhalts  der  anderen, 
so  pflegt  man  beide  einander  contradictorisch  entgegen- 
gesetzt zu  nennen;  der  bloss  verneinende  Begriff  selbst 
fuhrt  den  Namen  notio  negativa  seu  indefinita  (ovojita  dogiarov 
^ij/na  aoQiGTov).  Die  Sphären  verschiedener  Yorstelinngen 
krenzen  sich,  wenn  sie  theilweise  in  einander,  theilweise 
ausser  einander  fallen.  Yorstelinngen  heissen  einstimmig 
(notiones  inter  se  convenientes),  wenn  sie  in  dem  Inhalt  ein 
und  der  nämlichen  Yorstellnng  vereinigt  sein  können  (mithin 
wenn  ihre  Sphären  ganz  oder  theilweise  in  einander  fallen), 
im  entgegengesetzten  Falle  widerstreitend.  Yorstelinngen 
sind  disjunct,  sofern  sie  zwar  in  den  Umfang  der  näm- 
lichen höheren  nnd  insbesondere  nächsthöheren  Yorstellnng 
fallen  (mithin  gemeinsame  Inhaltselemente  haben),  aber  keinen 
Theil  ihres  eigenen  Umfangs  gemeinsam  haben 
(mithin  nicht  im  Inhalt  ein  nnd  der  nämlichen  Yorstellnng 
vereinigt  vorkommen),  disparat  dagegen,  sofern  sie  nicht 
in  den  Umfang  der  nämlichen  höheren  oder  wenigstens  nicht 
nächsthöheren  Yorstellnng  fallen  (mithin  nicht  gemein- 
same Inhaltselemente  haben),  während  sie  bisweilen 
einen  Theil  ihres  eigenen  Umfangs  gemeinsam  haben  (oder 
im  Inhalt  ein  und  der  nämlichen  Yorstellnng  vereinigt  vor- 
kommen). Alle .  diese  Yorstellungsverhältnisse  finden  nicht 
nnr  bei  substantivischen,  sondern  ebensowohl  anch  bei  ver- 
balen, adjectivischen  nnd  Belations-Yorstellungen  statt.  Das 
formale  Yerhältniss  der  Unterordnung  mehrerer  Yorstelinngen 
unter  die  nämliche  höhere  führt  auf  den  Begriff  der  Zahl, 
die  ursprünglich  (als  Anzahl)  die  Determination  der  Yiel- 
heit  der  Individuen  des  Umfangs  durch  die  Emheit  ist. 

Ein  sehr  zweckmässiges  Hnlfsmittel  zur  YeransohauliohTing  der 
Umfangsverhaltnisse   bieten   die  geometrischen  Figuren,   insbesondere 


142    §68.  Yerhältnitsed.Vontellgn.za  einander  nach  Inhalt  a.  Umfang. 

die  Kreise  (Ellipsen  eta)  und  die  Kreistheile  dar.  Das  Snbordina- 
tionsverhältnisB  zwischen  zwei  Vorstellurgen,  der  übergeordneten 
A  (z.  B.  Mensch)  und  der  untergeordneten  B  (z.  B.  Europäer)  wird 
versinnlicht  durch  zwei  Kreise,  von  denen  der  eine  ganz  in  den  ande- 
ren hineinfallt: 


Die  Nebenordnung  zweier  Vorstellungen  A  und  B,  die  beide  der 
nämlichen  dritten  G  untergeordnet  sind  (z.  B.  A  =  Tapferkeit,  B  ss 
Massigkeit,  C  =  Tugend,   wird  durch  folgende  Figur  veranschaulicht: 


Bei  der  Aequipollenz  gehen  die  beiden  Kreise  in  einen  einzigen  zu- 
sammen, der  zugleich  die  Sphäre  von  A  (z.  B.  Perpendikel  in  der 
Ebene  eines  Kreises  auf  einem  Radius  in  dessen  peripherischem  End- 
punkte; Begründer  der  wissenschaftlichen  Logik)  und  von  B  (z.  B. 
gerade  Linie,  die  mit  der  Peripherie  eines  Kreises,  in  derselben  Ebene 
liegend  und  unbegrenzt  gedacht,  nur  einen  Punkt  gemein  hat;  philoso- 
phischer Erzieher  Alexanders  des  Grossen)  bezeichnet: 


Das  Verhältniss  des  conträren  Gegensatzes  zwischen  A  und  B 
(z.  B.  weiss  und  schwarz,  oder  auch,  in  Hinsicht  auf  den  weitesten  Ab- 
stand im  Farbenkreise,  roth  und  grün,  gelb  und  violett,  blau  und 
orange)  mag  auf  folgende  Weise  angedeutet  werden: 


Bei  dem  contradictori sehen  Gegensatze  zwischen  A  und  non-A 
(z.  B.  weiss  und  nicht-weiss)  wird  die  positiv  bestimmte  Vorstellung 
A  durch  den  Raum  des  Kreises,  die  negativ  bestimmte,  aber  hinsieht- 


§  53.  yerhältniflse  d.  Vorstellgn.  zu  einander  naoh  Inhalt  a.  umfang.  143 


lieh  ihres  positiven  Gehaltes  unbestimmt  gelassene  Vorstellung  B  oder 
non-A  durch  den  unbegrenzten  Fläohenraum  ausserhalb  des  Kreises 
symbolisirt: 


B  =  non  -  A 


Das  Verhältniss  der  Kreuzung  zwischen  den  Vorstellungen  A  und 
B  (s.  B.  Neger  und  Sklave,  Apokrypha  und  Pseudepigrapha,  regel- 
mässige Figuren  und  Parallelogramme,  roth  und  hell)  findet  sein  Symbol 
in  zwei  einander  durchschneidenden  Kreisen: 


Das  Schema  der  Einstimmigkeit  (z.  B.  roth  und  farbig;  RÖthe  und 
Farbe  von  der  geringsten  Zahl  der  Aethervibrationen;  Rothe  und 
Hellif^keit)  wird  durch  Combination  der  Schemata  für  die  Subordination, 
Aequipollenz  und  Kreuzung  gewonnen.  Das  Schema  des  Widerstreits 
(z.  B.  roth  und  blau)  ist  die  völlige  Trennung  der  Kreise: 


Die  disjuncten  Vorstellungen  (z.  B.  Athener  und  Spartaner;  Be- 
wegung und  Buhe)  gehören  zu  den  widerstreitenden;  nur  kommt  bei 
ihnen  die  Bestimmung  hinzu,  dass  sie  unter  ein  und  derselben  höheren 
Vorstellung  befasst  seien.    Ihr  Schema  ist  demnach: 


Für  das  Verh&ltniss  disparater  Vorstellungen  (z.  B.  Geist  und  Tisch ; 
roth  und  tugendhaft;  lang  und  tönend)  giebt  es  kein  ausreichendes 
Schema,  weil  die  negative  Bestimmung,  dass  ihre  Sphären  nicht  in  den 
Umfang  irgend  einer  beiden  gemeinsam  übergeordneten  Vorstellung 
fallen  (wiewohl  mit  Ausnähme  mindestens  der  ganz  allgemeinen  und 
unbestimmten  Vorstellung  des  Etwas),  sich  nicht  bildlich  darstellen 
lässt.     Das  positive  Verhältniss  ihrer  Sphären  aber  bleibt  insoweit  nn- 


144  §  54.  Das  Yerhältniss  zwisohen  Inhalt  and  Umfang. 

bestimmt,  dass  es  sowohl  das  der  Kreuzung,  als  auoh  das  des  yölligen 
Getrenntseins  sein  kann. 

In  analoger  Weise  lassen  sich  die  verschiedenen  Verhältnisse  in 
den  Urtheilen  und  Schlüssen  symbolisiren,  s.  unten  §  71 ;  §  85  ff.;  §  105  ff.; 
das  Greschiohtliche  darüber  s.  unten  §  85. 

lieber  die  hierhorgehörigen  Lehren  des  Plato  und  des  Aristo- 
teles vgl.  §§  51  und  56.  Nach  Plato  hat  das  einzelne  Gute  Theil  (^«r- 
^X^i)  an  der  Idee  des  Guten  und  so  jedes  Einzelne  an  der  betreffenden 
Idee;  innerhalb  der  Ideenwelt  wird  (nach  Plat.?  Soph.  p.  260  B)  das 
Niedere  (logisch  Untergeordnete)  von  dem  Höberen  umfasst  (7r«^//f  rm). 
Das  Allgemeinere  ist  dem  Aristoteles  das  nQOTiQov  fpvaei  (s.  unten 
zu  §  139);  er  gebraucht  von  Begriffen,  die  im  Yerhältniss  der  Unter^ 
Ordnung  stehen,  die  Ausdrücke:  jtQmogy  fiiaog  und  ia^^uTo^  oQog  (Anal, 
pr.  I,  1  u.  4)  und  sagt  von  dem  untergeordneten  Begriff  hinsichtlich 
seines  Umfangs,  derselbe  sei  in  dem  höheren  ganz  einbegriffen  oder  von 
demselben  umfasst  {Iv  oXtp  ih'm  rtß  /u^a^,  —  r^  nQunt^^  ebend.).  An 
diesen  Aristotelischen  Ausdruck  hat  sich  die  Darstellung  der  Yorstel- 
lungsverhältnisse  durch  Kreise  geknüpft,  welche  sich  zuerst  in  dem  von 
J.  Gh.  Lange  verfasstenNucleus  Log.  Weisianae  1712  nachweisen  lässt, 
s.  unten  §  85.  üeber  den  conträren  Gegensatz  vgl.  (Plat.?)  Soph. 
p.  257  B,  wo  (vavifov  und  hcQov  unterschieden  wird;  Arist.  Metaph. 
IX,  4.  1055  a.  4,  wo  der  Gegensatz  als  die  fxeyiaTrj  ^tatpoQa  zwischen 
Species  derselben  Gattung  bestimmt  wird.  Auf  gleichgeltende  Yor- 
stellungen  bezieht  sich  der  Aristotelische  Ausdruck  (Eth.  Nie.  Y,  8. 
1130  a):  larl  fikvravro^  ro  dh  elvai  ov  to  avto.  Der  Ausdruck  disjunct 
knüpft  sich  an  den  Aristotelischen  avTtdirjiQrifi^vov  (Top.  YI,  6.  143  a. 
34  und    näher   an  den  späteren  Terminus  Stn^iv^iq  (vgl.  unten  §  123). 

§  54.  Der  höheren  Vorstellung  kommt,  da  sie  nur  die 
übereinstimmenden  Inhaltselemente  mehrerer  niederen  Vor- 
stellungen enthält,  im  Vergleich  mit  einer  jeden  der  niederen 
ein  beschränkterer  Inhalt,  aber  ein  weiterer  Umfang 
zu.  Die  niedere  Vorstellung  dagegen  hat  einen  reicheren 
Inhalt,  aber  engeren  Umfang.  Doch  wird  keineswegs  durch 
jede  Verminderung  oder  Vermehrung  eines  gegebenen  Inhalts 
der  Umfang  vermehrt  oder  vermindert,  noch  auch  durch  jede 
Vermehrung  oder  Verminderung  eines  gegebenen  Umfangs 
der  Inhalt  vermindert  oder  vermehrt.  Ebensowenig  herrscht 
in  den  Fällen,  wo  die  Verminderung  des  Inhalts  eine  Ver- 
mehrung des  Umfangs  und  die  Vermehrung  des  Inhalts  eine 
Verminderung  des  Umfangs  zur  Folge  hat,  das  Gesetz  einer 
genauen  umgekehrten  Proportionalität. 

Drobisoh  (Logik,  2.  Aufl.  S.  196—200,  3.  Aufl.  S.  206,  4.  Aufl. 
S.  210)  versucht  das  Yerhältniss,  welches  zwischen  der  Zunahme   der 


§  54.  Das  YerhältmsB  zwisohen  Inhalt  und  Umfang.  145 

Grome  des  Inhalts  nnd  der  Abnahme  der  Grösse  des  ümfangs  besteht, 
auf  einen  mathematischen  Ausdruck  zu  bringen.  Er  weist  nach,  dass 
nicht  der  Inhalt  dem  Umfang  umgekehrt  proportional  sei,  sondern  dass 
andere  Verhältnisse  bestehen,  und  zwar  (um  hier  nur  das  Wichtigste 
zu  erwähnen),  dass  unter  der  einfachsten  Voraussetzung,  d.  i.  wenn  in 
der  Reihe  der  Unterordnungen  die  Zahl  der  Vorstellungen,  die  einör 
jeden  zunächst  untergeordnet  oder  um  ein  Inhaltselement  reicher  sind, 
immer  wieder  die  gleiche  sei,  und  wenn  zugleich  der  Umfang  ausschliess- 
lich nach  der  Zahl  der  Vorstellungen  der  untersten  Ordnung  gemessen 
werde,  die  Grösse  des  Umfangs  nach  einer  geometrischen  Beihe  zu- 
oder  abnehme,  während  die  Grösse  des  Inhalts  nach  einer  arithmeti- 
schen Beihe-  ab  oder  zunehme.  Drobisoh  bringt  diesen  Satz  noch 
auf  zwei  andere  gleichbedeutende  Ausdrücke,  nämlich:  der  Umfang 
einer  Vorstellung  ist  unter  der  obigen  Voraussetzung  umgekehrt  pro- 
portional derjenigen  Potenz,  deren  Basis  durch  die  Zahl  der  einer  jeden 
Vorstellung  zunächst  untergeordneten  Vorstellungen,  und  deren  Exponent 
durch  die  Zahl  der  Inhaltselement«  jener  Vorstellung  gebildet  wird; 
unter  der  gleichen  Voraussetzung  ist  die  Differenz  zwischen  der  (grösseren) 
Zahl  der  Inhaltselemente  einer  der  untersten  Vorstellungen  und  ider 
(kleineren)  Zahl  der  Inhaltselemente  irgend  welcher  Vorstellung  dem 
Logarithmus  der  Zahl,  welche  die  jedesmalige  Grösse  des  Umfangs  aus- 
druckt, direct  proportional.  Die  Anwendung  dieser  Untersuchung  (die 
als  mathematisch-logische  Speculation  sehr  werthyoll  ist)  scheitert  jedoch 
in  den  meisten  Fällen  an  dem  Umstände,  dass  die  Möglichkeit  des  Zu- 
sammenseins der  Merkmale  zufolge  realer  Abhängigkeitsverhältnisse 
eigenthümlichen  Beschränkungen  zu  unterliegen  pflegt,  die  sich  nicht 
auf  allgemeine  Formeln  bringen  lassen.  So  fallen  z.  B.  in  den  Umfang 
der  allgemeinen  Vorstellung:  Dreieck  (oder  genauer:  ebenes  gerad- 
liniges Dreieck),  wenn  der  Inhalt  derselben  durch  die  beiden  Beihen 
dlsjuncter  Theilvorstellungen :  spitzwinklig,  rechtwinklig  und  stumpf- 
winklig, und:  gleichseitig,  gleichschenklig  und  ungleichseitig,  näher 
bestimmt  wird,  nicht  neun  unterste  Vorstellungen^  sondern  nur  sieben, 
weil  nämlich  die  beiden  Combinationen :  rechtwinkliges  gleichseitiges, 
und:  stumpfwinkliges  gleichseitiges  Dreieck,  zufolge  der  geometrischen 
Abhängigkeitsverhältnisse  zwischen  den  Seiten  und  Winkeln  eines  Drei- 
ecks keine  Gültigkeit  haben*).    Bei  Vorstellungen,  die  sich  auf  Natur- 


*)  Zur  Veranschaulichung  diene  folgendes  Schema: 

(Geradliniges  ebenes)  Dreieck. 


spitzwinklig 
gleichs.  gleichsch. 
ungleichs. 
Werden  die  ungültigen 


stumpfwinklig 

[gleichs]  gleichsch. 

ungleichs. 


rechtwinklig 
[gleichs.]  gleichsch. 
ungleichs. 
Gombinationsformen  [gleichs.  rechtw.  Dr.]  und 
[gleichs.  stumpfw.  Dr.]  mitgezählt,  so  ergiebt  sich  allerdings  folgende 
(den  Drobisch'schen  Sätzen  entsprechende)  Bechnung:  Dreieck,  Inh.  = 
a,  Umf.  =  9  =  8».  Spitzw.  Dr.,  Inh.  =  a  +  1,  Umf.  =  3  =  3». 
Gleichs.  spitzw.  Dr.,  Inh.  =  a  -f  2,  Umf.  =  1  =  8°.  Aber  die 
Ungültigkeit  jener  zwei  Formen  macht  die  Bechnung  imaginär. 

10 


146  §  54.  Das  Verhältniss  zwischen  Inhalt  nnd  Umfang. 

objeoie  and  Verhältnisse  des  geistigen  Lebens  beziehen,  ist  die  An- 
wendbarkeit dieser  Gesetze  sehr  häufig  noch  in  weit  höherem  Maasse 
beschränkt.  Mitunter  findet  sich  allerdings  die  Voraussetzung  realisirt, 
unter  der  (wie  Drobisch  in  der  4.  Aufl.  seinör  Logik,  S.  216,  hervor- 
hebt) die  Theorie  Gültigkeit  hat,  dass  die  Arten  jeder  Ordnung  sämmt- 
lich  durch  die  Artunterschiede  der  folgenden  Ordnung  determinirt 
werden  können,  aber  in  voller  Strenge  doch  in  verhältnissmässig  seltenen 
Fällen.  Die  subjectivistisch-formale  Logik  vermag  als  solche  nicht  auf 
den  Grund  der  beschränkten  Gültigkeit  jener  Voraussetzung  einzugehen, 
der  eben  in  realen  Abhängigkeitsverhältnissen  liegt. 

Die  allgemeine  Vorstellung  lässt  sich  (mit  Trendelenburg, 
log.  Unters.  II,  S.  154;  2.  Aufl.  II,  S.  220  ff.,  S.  Aufl.  S.  244  ff.)  der 
unbestimmten,  aber  in  einigen  Grundzügen  markirten  Zeichnung  ver^ 
gleichen,  bei  welcher  im  Ganzen  die  Umrisse  dastehen,  aber  im  Einzelnen 
ein  freier  Spielraum  für  die  ergänzende  Phantasie  übrig  bleibt,  so  dass 
das  Gemeinbild  innerhalb  der  Grundstriche,  die  seine  Grenzen  bilden, 
gleichsam  elastisch  ist  und  die  mannigfaltigste  Gestaltung  annehmen 
kann.  Will  man  nun  (mit  Lotze,  Logik,  S.  71  ff.;  S.  79  u.  System 
d.  Philos.  Bd.  1.  Gap.  1.  31.  S.  50)  diese  Unbestimmtheit  und  Elasticität 
eine  eben  so  grosse  Anzahl  unbestimmter,  aber  bestimmbarer  Merkmale 
oder  Allgemeinheiten  der  Merkmale  nennen,  als  die  niedere  Vorstellung 
deren  bestimmte  einzelne  in  sich  fasse,  so  lässt  sich  unter  Voraussetzung 
dieser  Terminologie  der  alten  Lehre,  dass  diö  höhere  Vorstellung  bei 
reicherem  Umfang  einen  ärmeren  Inhalt  habe,  mit  einem  gewissen 
Rechte  die  neue  Lehre  gegenüberstellen,  dass  der  Inhalt  der  höheren 
Vorstellung  dem  Inhalte  der  niederen  in  der  Zahl  der  Merkmale  nicht 
nachstehe.  Allein  diese  Terminologie  ist  künstlich  und  ungerechtfertigt. 
Die  Kraft  des  reicheren  Inhalts  muss  sich  allerdings  (wie  Trendelen- 
burg, log.  Unters.  II,  S.  169,  2.  Aufl.  S.  226  ff.,  3.  Aufl.  S.  250 
fordert)  auch  in  Bezug  auf  den  Umfang  bethätigen;  aber  die  Weise, 
wie  sie  sich  bethätigt,  ist  nicht  die  Erweiterung  des  Umfangs,  was 
nur  nach  einer  dem  besonderen  Charakter  des  vorliegenden  Verhält- 
nisses fremden  Analogie  erwartet  werden  könnte,  sondern  ist  diö 
fortschreitende  Fixirung  des  Gedankens  auf  bestimmte  Objecto,  welcher 
Aufgabe  nicht  durch  Erweiterung,  sondern  nur  durch  Eingrenzung  der 
anfänglich  schweifenden  Möglichkeit  genügt  werden  kann.  Die  Gesammt- 
heit  der  Einzelvorstellungen  ist  in  der  allgemeinen  Vorstellung  nur  der 
Möglichkeit  nach  enthalten,  wird  aber  der  Wirklichkeit  nach  erst  durch 
den  Hinzutritt  der  übrigen  Inhaltselemente  erzeugt.  Nun  aber  giebt 
es,  der  Natur  der  Sache  gemäss,  ausser  dieser  oder  jener  einzelnen 
Verbindung  des  gemeinsamen  Merkmals  mit  einer  bestimmten  Gruppe 
ungleichartiger  Merkmale  in  der  Regel  auch  noch  andere  Verbindun- 
gen, in  welche  das  nämliche  Merkmal  eingehen  kann.  Der  geringsten 
Zahl  von  (logischen)  Inhaltselementen  und  (realen)  Merkmalen  oder 
Attributen  entspricht  zwar  der  weiteste,  aber  nur  potentiell  gesetzte 
Umfang,  der  grösseren  Zahl  ein  kleinerer,  in  der  Individualvorstellung 
der  kleinste,  aber  actuell  gesetzte  Umfang;   der  weiteste  Umfang  end- 


§  65.  Die  Stnfenordnting  (Pyramide)  der  Vorstellungen.        147 

lieh  gelangt  zum  actnellen  Sein  nur  dnrch  die  Combination  der  gröss- 
ten  Zahl  von  Inhaltselementen  in  der  Gesammtheit  der  Individual- 
yorstellnngen. 

§  55.  Indem  sich  das  Verhältniss  der  Unter-  und  üeber- 
ordnnng  bei  fortgesetzter  Abstraction  so  lange  unablässig 
wiederholt,  bis  ein  einfacher  Inhalt  gefunden  ist,  so  lässt  sich 
die  Gesammtheit  aller  Vorstellungen  nach  den  Verhältnissen 
des  Umfangs  und  Inhalts  zu  einer  vollständig  gegliederten 
Stufenfolge  geordnet  denken.  Die  Spitze  oder  obere 
Grenze  wird  durch  die  allgemeinste  Vorstellung  Etwas  ge- 
bildet Zunächst  unter  derselben  liegen  die  Kategorien. 
Die  Basis  oder  untere  Grenze  wird  durch  die  unbegrenzte 
Zahl  der  Einzelvorstellungen  gebildet. 

Die  Stufenordnung  der  Vorstellungen  lasst  sich  mit  einer  Pyra- 
mide vergleichen;  doch  hat  dieses  Bild  nur  approximative  Wahrheit, 
ireil  die  Unterordnung  der  Vorstellungen  nicht  mit  strenger  Gleich- 
massigkeit fortschreitet. 

Die  oberste  Vorstellung  ist  nicht  die  Vorstellung  des  Seins, 
sondern  des  Etwas,  weil  das  Sein  unter  eine  einzelne  der  Kategorien 
fallt,  nämlich  unter  die  der  attributiven  (prädicativen)  Existenz,  und 
dem  Seienden  als  dem  Substantiellen  gegenübersteht,  das  Etwas  da- 
gegen über  alle  Kategorien  übergreift.  (Auch  ein  Handeln  oder  Leiden, 
auch  eine  Eigenschaft,  auch  ein  Verhaltniss  wie  z.  B.  bei,  n^ben  etc. 
ist  etwas.)  Allerdings  gestattet  der  Sprachgebrauch,  falls  nicht  die 
höchste  formale  Strenge  erforderlich  ist,  für  die  in  manchen  Verbin- 
dungen pedantisch  erscheinende  Form:  das  Seiende,  die  gefalligere: 
das  Sein,  einzusetzen;  aber  die  sprachliche  Unbestimmtheit  darf  doch 
die  logische  Grenze  nicht  verwischen.  An  die  Kategorien  als  die  obersten 
formalen  Bestimmungen  schliessen  sich  die  obersten  materialen  Gegen- 
satze, wie  Reales  und  Ideales,  Natürliches  und  Geistiges,  die,  nach 
einem  anderen  Eintheilungsgrunde  unterschieden,  sich  in  einer  jeden 
der  Kategorien  wiederholen. 

§  56.  Der  Begriff  (notio,  conceptus)  ist  diejenige  Vor- 
stellung, in  welcher  die  Gesammtheit  der  wesentlichen 
Merkmale  oder  das  Wesen  (essentia)  der  betreffenden  Ob- 
jecto vorgestellt  wird.  Unter  dem  Ausdruck:  Merkmale  des 
Objectes  begreifen  wir  nicht  nur  die  äusseren  Kennzeichen, 
sondern  alleTheile,  Eigenschaften,  Thätigkeiten  und  Verhält- 
nisse desselben,  überhaupt  alles,  was  in  irgend  einer  Weise 
dem  Objecto  angehört.  Wesentlich  (essentialia)  sind  die- 
jenigen Merkmale,  welche  a.  den  gemeinsamen  und  bleibenden 


148  §  56.  Der  Begriff.    Das  Wesen. 

Grand  einer  Mannigfaltigkeit  anderer  enthalten,  and  von 
welchen  b.  das  Bestehen  des  Objectes  and  der  Werth  and  die 
Bedeatang  abhängt,  die  demselben  theils  als  einem  Mittel  für 
Anderes,  theils  and  vornehmlich  an  sich  oder  als  einem  Selbst- 
zweck in  der  Stafenreihe  der  Objecte  zakommt.  In  einem 
weiteren  Sinne  heissen  auch  diejenigen  Merkmale  wesentlich, 
welche  mit  den  im  engeren  Sinne  wesentlichen  Merkmalen  and 
nar  mit  diesen  nothwendig  verknüpft  sind,  and  deren  Vorhan- 
densein daher  das  Vorhandensein  jener  mit  Gewissheit  anzeigt. 
Die  im  engeren  Sinne  wesentlichen  Merkmale  werden  aach 
grandwesentlich  (essentialia  constitativa  oder  essentialia 
schlechthin),  die  anderen,  nar  im  weiteren  Sinne  wesentlichen 
aber  abgeleitet-wesentlich  oder  Ättribate  (essentialia 
consecativa,  attribata)  genannt.  Die  übrigen  Merkmale  eines 
Objectes  heissen  aasserwesentlich  (accidentia  oder  modi).  Die 
Möglichkeit  der  Modi  gehört  za  den  Attribaten;  denn  die 
Fähigkeit,  diese  oder  jene  Modificationen  anzanehmen,  mass 
im  Wesen  des  Objects  begründet  sein.  Unter  den  wesent- 
lichen Bestimmungen  sind  diejenigen,  welche  der  Begriff  mit 
den  ihm  neben-  and  übergeordneten  Begriffen  theilt,  die 
gemeinsamen  (essentialia  commania),  diejenigen  aber,  wo- 
durch er  sich  von  jenen  Begriffen  unterscheidet,  die  eigen- 
thümlichen  (essentialia  propria).  Die  Verhältnisse  oder 
Beziehungen  (relationes)  gehören  in  der  Regel  zu  den 
ausserwesentlichen,  bei  Verhältnissbegriffen  aber  zu  den  wesent- 
lichen Merkmalen.  In  dem  Maasse,  wie  die  grandwesentlichen 
Bestimmungen  noch  nicht  erkannt  sind,  ist  die  Begriffsbildung 
noch  schwankend,  so  dass  bei  anderer  Gruppirung  der  Objecte 
andere  Bestimmungen  als  gemeinsame  und  wesentliche  er- 
scheinen und  das  ganze  Verfahren  sich  nicht  über  eine  Relati- 
vität, die  auf  zufälligen  subjectiven  Ansichten  beruht,  zu  er- 
heben vermag;  in  dem  Maasse  aber,  wie  dieselben  erkannt 
werden,  gewinnen  die  Begriffe  feste  wissenschaftliche  Be- 
stimmtheit und  objective  Allgemeingültigkeit;  nur  insoweit, 
als  eine  gewisse  Relativität  objectiv  in  dem  nicht  absolut 
festen  Typus  der  realen  (natürlichen  und  geistigen)  Gruppen 
begründet  ist,  muss  eine  entsprechende  Relativität  auch  bei 
vollendeter  Erkenntniss  den  Begriffen  anhaften. 


§  56.  Der  Begriff.    Das  Wesen.  149 

Wenn  die  Begriffsbildung  nicht  im  rein  wissenschaftlichen  Inter- 
esse erfolgt,  sondern  durch  irgend  einen  äusseren  Zweck  bedingt  ^ird 
(und  wäre  es  auch  nur  der  Zweck  der  leichteren  Ueber sieht  über 
irgend  ein  Gebiet  von  Objecten),  so  wird  dasjenige  als  das  Wesentlichste 
erscheinen,  was  für  jenen  Zweck  die  höchste  Bedeutung  hat.  So  können 
mehrere  verschiedenartige  Begriffsbildungen  mit  relativer  Berechtigung 
neben  einander  bestehen;  aber  absolut  berechtigt  ist  doch  immer  nur 
eine,  nämlich  diejenige,  welche  die  Begriffe  rein  nach  objectiven 
Normen  auf  Grund  dessen  bestimmt,  was  für  die  Objecte  an  sich  selbst 
das  Wesentlichste  ist. 

Nachdem  das  Bewusstsein  über  den  Werth  des  Begriffs  für  die 
Erkenntniss  sich  zuerst  in  Sokrates  entwickelt  hatte,  suchte  Plato 
die  Frage  zu  lösen^  welches  Beale  das  eigentliche  Object  der  begriff- 
lichen Erkenntniss  sei.  Er  bestimmt  als  solches  die  Idee  (fS^a  oder 
cMo;)  und  unterscheidet  dieselbe  als  die  reale  Wesenheit,  welche  durch 
den  Begriff  erkannt  werde,  streng  von  dem  Begriff  selbst  (dem  Xoyog) 
als  dem  entsprechenden  subjectiven  Gebilde  in  unserer  Seele  (de  Rep. 
V,  p.  477;  VI,  609  sqq.;  VII,  638  sqq.;  Tim.  p.  27  D;  29  C;  37  B,  C; 
51  D,  E;  vgl.  oben  §  14)*).  Man  wird  vergeblich  in  dem  ganzen  Um- 
fange der  Platonischen  Schriften  auch  nur  eine  einzige  Stelle  suchen, 
wo  (l^og  oder  iS4a  den  subjectiven  Begriff  bezeichnete  oder  auch  nur 
mitbezeichnete,  und  wo  nicht  vielmehr  diese  Bedeutung  nur  vom  Inter- 
preten hineingetragen  worden  wäre.  Mit  Recht  suchte  Plato  zu  dem 
subjectiven  Begriff  ein  objectives  Correlat;  er  fehlte  nur  darin,  dass 
er  dieses  Correlat,  statt  es  in  dem  den  Dingen  innewohnenden  Wesen 
zu  erkennen,  zu  einem  neben  den  Dingen  und  gesondert  von  ihnen 
existirenden  Objecte  hypostasirte,  mit  anderen  Worten:  darin,  dass  er 
der  Idee  eine  für  sich  seiende  Existenz  zuschrieb.  Die  Platonische 
Ideenlehre  ist  die  Ahnung  der  logisch  -  metaphysischen  Wahrheit  in 
mythischer  Form,  wesshalb  auch  Aristoteles  (Metaph.  11,  2.  997  b  10) 
mit  Recht  die  Platonischen  Ideen  den  anthropoeidischen  Gottheiten  der 
Mythologie  vergleicht **).  —  Aristoteles  polemisirt  gegen  das  Plato- 


*)  Die  in  der  ersten  Auflage  dieser  Schrift  angeführte  Stelle  Parm. 
p.  182  B,  die  sehr  anschaulich  die  Beziehung  des  Subjectiven  auf  das 
Objective,  der  begrifflichen  Erkenntniss  auf  das  ideale  Sein  darstellt, 
kann  nicht  zum  Beleg  dienen,  wenn  der  Parm.  unecht  ist,  was  ich  in 
meinen  Plat.  Untersuchungen  (Wien  1861,  S.  175 — 184)  und  besonders 
in  einer  Abhandlung  über  den  Dialog  Parmenides  in  den  Jahrb.  f. 
dass.  Philol.  (Leipzig  1864,  S.  97 — 126)  zu  erweisen  gesucht  habe. 
Auch  die  Echtheit  der  Dialoge  Sophistes  und  Politicus  steht,  wie 
Schaarschmidt  (im  Rhein.  Mus.  f.  Philol.  N.  F.  XVUI.  1863,  S.  1—28 
und  ebend.  XIX,  1864,  S.  68 — 96  und  in  seiner  Schrift  über  die  Plat. 
Sehr.,  Bonn  1866)  nachgewiesen  hat,  keineswegs  ausser  Zweifel. 

*^)  Es  ist  eine  mit  Plato's  eigenen  Aeusserungen,  besonders  in 
seinen  späteren 'Schriften,  im  Ganzen  wohl  zusammenstimmende,  histo- 
risch treue  Auffassung  und  nicht,  wie  Einige  meinen  (Ritter,  Gesch. 
der  Philos.  m,  1831,  S.  120),  eine  »offenbare  Missdeutung t,  wenn 
Aristoteles  bei  Plato  hypostasirte  und  von  den  sinnlichen  Dingen  ge- 
trennt existirende  Ideen  findet;  nur  hat  Aristoteles  die  bei  Plato  doch 


150  §  56.     Der  Begriff.    Das  Wesen. 

nische  ;^(aQ(Cnv  der  Ideen,  d.  h.  gegen  die  Annahme,  dass  die  Ideen  in 
realer  Trennung  von  den  Einzelwesen  als  besondere  Substanzen  ezi- 
stiren;  aber  er  verwirft  darum  doch  keineswegs  die  Lehre  von  einem 
realen  Correlat  des  subjectiven  Begriffs,  wie  er  überhaupt  die  Formen 
des  Denkens  zu  den  Formen  des  Seins  nicht  ausser  Beziehung  setzt, 
sondern  zwischen  beiden  einen  durchgängigen  Parallelismus  anerkennt. 
(Vgl.  oben  §  16.)  Dem  Begriff  entspricht  nach  Aristoteles  das  Wesen, 
welches  daher  von  ihm  auch  17  xaja  Xoyov  ovaia  genannt  wird.  Das 
Wesen  ist  den  Einzelobjecten  immanent.  Aristoteles  sagt  Anal.  post. 
I,  11.  77  a  5:  BlSr\  fjiiv  ovv  tlvai  rj  l'v  Tt  nagic  ra  noXXa  ovx  avdyxti 
—  eJvai  fiivTOi  tv  xara  nolkdiy  aXrid^kg  einilv  avayxii,  —  De  anima  lU, 
8.  432  K  h\iv  ToTg  Miai  roig  ala&TiToTs  tu  vorjfta  iartv.  Dieses  Eine  in  dem 
Vielen,  dieses  Intelligible  in  dem  Sinnlichen  wird  von  Aristoteles  näher 
.als  die  Form,  das  Was,  und  mit  einem  ganz  eigenthümlichen  Ter- 
minus als  das,  was  war.  Sein,  bezeichnet:  /jioQtprjy  elSos^  ij  xara, 
Xoyov  ovaCa,  ro  tC  iaii  und  ro  U  ^v  flytei.  Der  Ausdruck  ro  rC  ijv 
Elvai  wird  von  Aristoteles  selbst  als  Bezeichnung  des  stoff losen  Wesens 
erklärt:  Xfyat  dh  ovaCav  av€v  vXris  16  tl  r^v  eivai,  Metaph.  VI,  7.  10S2b 
14;  to  tC  r^v  (2vcu  entspricht  demnach  der  abstracten  Form  des 
Begriffs,  mithin  auch  dem  Substantivum  abstractum  (vgl.  den  von  Plato 
Phaed.  p.  103  B  erörterten  Unterschied);  doch  geht  es  keineswegs  auf 
den  blossen  allgemeinen  Gattungsoharakter,  noch  weniger  auf  eine  blosse 
ausserwesentliche  Qualität,  sondern  auf  die  gesammte  Wesenheit  (auf 
alles  was  in  die  Definition  eingehen  muss)  und  schliesst  daher  theils 
den  Gattungscharakter,  theils  die  spedfische  Differenz  in  sich  ein.  Das 
r/  iari  ist  bei  Aristoteles  von  einem  weiteren  und  minder  bestimmten 
Gebrauch;  es  kann  sowohl  den  Stoff  (z.  B.  Met.  YII,  3.  1043  b  27),  als 
das  stofflose  Wesen  (z.  B.  de  anima  I,  1.  403  a  80),  als  endlich,  und 
zwar  am  gewöhnlichsten,  die  Vereinigung  von  beiden,  das  avvoXov  i$ 
(Idovs  xal  vXfjs  (z.B.  Metaph.  VII,  2. 1043  a  21  ofioCfag  ^k  xal  otovg  liQX'^"^ 
ant^iX^o  OQOvs '  tov  awdf4(p(o  ydg  datv.  olov  ri  lau  vrivifA.Ca\  riQEfACa 
iv  7iXrj&€t  d^Qos*  vXti  fikv  yoLQ  6  dtiq,  ivi^eta  6^  xal  ovaCa  17  7iQifÄ{a, 
j(  hOTi  yaXrjvri]  of^aXotrig  d-aXamig  '  t6  fjikv  ifnoxeifievov  (os  vXrj  rj  ditXccrray 
1}  (f'  Mgyeia  xal  17  fAOQtprj  17  ofjLaXoTtis.  tpavegov  6ri  ix  twv  klQtifiivuiV 
lU  17  aia&fjrij  ohala  loil  xal  ntas '  ri  fikv  yäg  ms  vAi},  17  (T  «u;  f^oQtpii  oti 
iviQyBia'   rj  Sk  r^/rij  17  ix  rourtov)  bezeichnen,    in  welchem   letzteren 


immer  noch  in  der  Schwebe  zwischen  bildlicher  und  eigentlicher  Gül- 
tigkeit bleibende  Darstellung  etwas  mehr,  als  es  der  ursprünglichen 
Gonception  des  Dichterphilosophen  entspricht,  dogmatistisch  gedeutet, 
in  engem  Anschluss,  wie  es  scheint,  an  Plato's  eigene  spätere  Con- 
structionen  und  an  die  Doctrinen  mancher  Platoniker.  Jenes  »Nicht- 
loslassen wollen  der  Poesie  von  der  Philosophie c,  worin  Sohleier- 
macher in  freilich  unhaltbarer  Verallgemeinerung  den  Charakter  des 
hellenischen  Philosophirens  überhaupt  findet,  ist  der  Charakter  nicht 
nur  der  Platonischen  Darstellung,  sondern  auch  des  Platonischen  Den- 
kens. Aristoteles  aber  verdient  Anerkennung,  nicht  Tadel,  weil  er  diese 
Form  abgestreift  und  eben  hierdurch  die  wissenschaftliche  Logik 
und  Metaphysik  begründet  hat. 


§  56.   Der  Begriff.    Das  Wesen.  161 

Falle  es  dann  der  concreten  Form   des  Begriffs    (mithin   auch  dem 
Sabstantivam  conoretmn)  entspricht.     Aber  aosserwesentliohe  Bestim- 
mungen oder  blosse  Accidentien  (avfißeßrixojtt),  z.  B.  blosse  Qualitäten 
(nof  a)  oder  Quantitäten  (noad)  könnei)  nicht  als  Antwort  auf  die  Frage 
ii  ioTt.  dienen,  wenigstens  dann  nicht,  wenn,  wie  gewöhnlich  geschieht, 
nach  dem  tl  ian  eines  Dinges  gefragt  wird.  Aristoteles  erkennt,  dass 
nicht  nur  bei  Dingen  (Substanzen),  sondern  auch  bei  Qualitäten,  Quan- 
titäten, Relationen,  überhaupt  in  einer  jeden  Kategorie  nach  dem  rC 
ioTt  und  dem  ti  riv  dvtu  gefragt  und  das  Wesentliche  vom  Unwesent- 
lichen unterschieden  werden  könne;  aber  bei  den  Dingen,  lehrt  er,  sei 
das  r£  ian  in  ursprünglicher  und  vorzüglicher  Weise  vorhanden,  bei  dem 
unselbständig  Existirenden  (dem  av/ußsßrixog)  dagegen  nur  in  abgeleiteter 
Weise.      Metaph.  VI,    4.    1030  b  5;    ixslvo    dk    (paviQov   on  o  ngcirtog 
xttl  änXmg  ogiOfiog  xai  to  tl  ijv  dvat  tcüv  ovamv  iauv.  ov  [xriv  aXXa  xai 
imv  aXXtav  ofioCtog  i(n£,  nXijv  ov  ngartog.  Durch  diese  Bemerkung  werden 
zwei  von  den  Bedeutungen  des  Wortes  ovaia:  Wesen  und  Substanz, 
zu  einander  in  äine  innere  Beziehung  gesetzt.    Leider  hat  jedoch  die 
Yielheit  der  Bedeutungen  dieses  Wortes,  welches  bald  die  Substanz  in 
dem  Sinne:  das  Substrat  oder  die  materielle  Grundlage  der  Existenz 
{fb  vnoxilfxeyoVy  17  vXn,  subjectum),  bald  das  dem  Begriff  entsprechende 
Wesen  (^  xtaa  loyov  ovala^  £J6og,  f^oQtprfj  t6  ilriv  slvai,  essen tia),  bald 
das  Ganze  oder  das  Seiende  (t6  avvolovy  ro  U  dfjupolVf  ens)  und  zwar 
in  dem  dritten  Falle  wiederum  theils  das  Einzelding  {icod^  u,  Indivi- 
duum), theils  die  Gesammtheit  der  zu  Einer  Gattung  oder  zu  Einer 
Art  gehörenden  Objecto  (ro  yivog^  ro  slSog^  genus,  species  materialiter 
sie  dicta)  bezeichnet,  bis  auf  die  neueste  Zeit  herab  unzählige  Unbestimmt- 
heiten und  YerwiiTungen  verursacht.    Ein  noch  empfindlicherer  Mangel 
lieg^  aber  darin,  dass  bei  Aristoteles  die  Kriterien  der  Wesentlichkeit 
fehlen;   der  in  der  Schrift  über  die  Kategorien  öfters  hervorgehobene 
Unterschied,  dass  das,  was  zum  Wesen  gehöre,  zwar  von  dem  Subjecte 
ausgesagt  werden  könne,  aber  nicht  in  dem  Subjecte  sei,  dagegen  das 
Accidentielle  in  dem  Subjecte  sei  (Sokrates  ist  Mensch,  aber  es  ist  nicht 
der  Mensch  in  ihm ;  Sokrates  ist  gebildet,  und  die  Bildung  ist  in  ihm) 
reicht  nicht  zu,  da  er  den  Gegensatz  der  substantivischen  und  adjecti- 
vischen   Fassung   des  Prädicatsbegrififes   dem   der  Wesentlichkeit  und 
Unweeentlichkeit  substituirt,  der  doch  mit  jenem  sich  kreuzt  (Sokrates 
ist  lebens-  und  vernunftbegabt;  Sokrates  ist  ein  Gebildeter).  Nicht  im 
Allgemeinen  und  nicht  in  den  logischen  Schriften,  jedoch  mitunter  in 
einzelnen  Fällen  macht  Aristoteles  zur  Entscheidung  über  die  Wesent- 
lichkeit oder  Unwesentlichkeit  das  Kriterium  geltend,  dasjenige,  dessen 
Hinwegnahme  oder  Aenderung  einen  Einfluss  auf  das  Ganze  übe,   sei 
ein  wesentlicher  Bestandtheil  desselben  (&gjB  fjLttaii^efiivov  nvog  (liqovg 
^  onpiXiQovfiivov  ditt(piQiadtii  Xttl  xiveta&iu  t6  olov,    Poet.  c.  8.   1451  a 
88),    wobei   freilich  das   Maass  des   Einflusses   auf  die   Gesammtheit 
der   übrigen  Bestandtheile    unbestimmt    bleibt.     Dass   das   durch  die 
Definition  anzugebende  Wesen   der   Sache   zu  dem  innern  Zweck   in 
Beziehung  stehe,  erkennt  Aristoteles  Top.  VI,  12.  149b  37  an:  ^xamov 


152  §  56.   Der  Begriff.    Das  Wesen. 

yao  t6  ßilTiaiov  iv  rjf  ova{(f  juakiartt.      Was    in   der   Definition    liegt, 
kommt  in  seiner  Gesammtheit  nur   dem  Definirten  zu   oder  ist  diesem 
eigenthümlich ,    wogegen   einzelne   Bestandtheile   der   Definition   auch 
anderen    Objecten   zukommen    können  (Anal.  post.  U,   18.   96  a).    Es 
kann  aber  ausser  dem  durch  die  Definition  angegebenen  Wesen  noch 
anderes  dem  Definirten  eigenthümlich  sein ;  dieses  letztere  ist  das  tStoy 
im    engeren  Sinne    (Top.  I,  4.   101  b  22;    ib.  5.    102  a   18).      Solche 
Prädicate,  welche  aus  dem  Wesen  mit  Nothwendigkeit   folgen,   nennt 
Aristoteles  av/tß6ßrix6t€i  zeug  ovaiatq  (Arist.  de  anima  I,  1.  402  b  2,  18), 
oder  (gewöhnlicher)  avußeßijxuta    xa&^    airto    (Metaph.  IV,  30.    1025  a 
30:  oaa  vndgx^*'  ixaarqi  xaS-^  avro  /äti  iv  t^  ova^tf  ovra,  olov  T(ß  rgiytay^i 
t6  ovo  oQ&ctg  ex^tv).    Dieses  Letztere   nennen  Spätere   das   oonsecutiv 
Wesentliche  oder  die  Attribute.    Zu  dem  xa^oXov  gehört  auch  dieses: 
denn  xa&oXov   ist   (nach  Anal.  post.  I,  4)  alles,   was   dem    durch   den 
Subjectsbegriff  Bezeichneten  nach  dem  ganzen  umfange  dieses  Begriffs 
oder  an  sich  oder  sofern  es  ein  solches  ist  {xaiä  navtog  und  xaB^  avxo 
xai  Tf  avTo)  zukommt,  im  Unterschied  von  anderem  irgendwie  Gemein- 
samem {xoivov)]   das   xa&olov   ist   xotvoVy   aber   nicht  jedes   xoivov  ist 
xaO^oXov,  —  Nach  der  Lehre  der  Stoiker   existiren  die  Begriffe   nur 
als  subjective  Gebilde  in  der  Seele.    Zwar  wohnt  auch  in  den  äusseren 
Dingen  der  loyoq,    die   allgemeine  Yernunftgemässheit,   gegliedert   in 
eine  Mehrheit  besonderer  Xoyoi,  doch  sind  diese  von  den  Stoikern  wohl 
nicht  ausdrücklich   in  Beziehung  auf   die  subjectiven  Begriffe  gestellt 
und  als  dasjenige  bezeichnet  worden,   was  durch  die  Begriffe  erkannt 
werde.    —    Im    Mittelalter    huldigten    die    Realisten    theils    der 
Platonischen,  theils  der  Aristotelischen  Ansicht:  »universalia  ante  remc 
—  »universalia  in  rec;   die  Nominalisten  aber  gestanden  den  Uni- 
versalien  keine  andere  Existenz  zu,    als  nur  im  Worte  (strengere  No- 
minalisten)  oder   auch   im  denkenden  Geiste  (Conceptualisten) :    >uni- 
versalia  post  remc    Die  mehrfachen  Mängel  des  Platonischen  und  des 
Aristotelischen  Realismus  (s.  o.)  mussten   den   Nominalismus    als    das 
entgegengesetzte  Extrem  hervorrufen  und  gaben  demselben  eine  relative 
Berechtigung.  —  Unter   den   neueren  Philosophen   hingen  Cartesius 
und  Leibniz  ebensowohl,   wie  Baco   und  Locke  dem  Nominalismus 
oder   vielmehr    dem    Conceptualismus    an;    von   der   Streitfrage,    die 
zwischen   ihnen  schwebte,   ob   die  Begriffe  wenigstens    als  unbewusste 
Gebilde  angeboren   seien   und   alle  Entwickelung  derselben   im  Laufe 
des  Lebens  sich  darauf  beschränke,   dass  sie  allmählich  immer  deut* 
lieber  ins  Bewusstsein  treten,   oder  ob  sie  nach  ihrem  Inhalte  ebenso- 
wohl,  wie   nach  ihrer  Form   Producte   der    durch   die   äusseren  Ein- 
wirkungen   mitbedingten   psychischen  Entwickelung   seien ,   von  dieser 
psychologischen  Frage  blieb  jenes  logisch-metaphysische  Problem,  welches 
die  Scholastiker  beschäftigt  hatte,  unberührt.  —  Auch  Kant  und  Her- 
bart gestehen  in  nominalistischer  Weise  dem  Allgemeinen  nur  subjective 
Bedeutung  zu.    Her  hart  gebraucht  den  Namen  Begriff  für  alle  all- 
gemeinen und  Einzelvorstellungen,    sofern  dieselben   nicht  nach  ihrer 
psychologischen  Seite,  sondern  in  Bezug  auf  das,  was  ihnen  vorgestellt 


§  56.  Der  Begriff.    Das  Wesen.  153 

wird,  betrachtet  werden.  (Doch  sagt  Herbart  in  seiner  Bede  bei  Er- 
ofinong  der  Vorlesungen  über  Pädagogik,  1803,  Werke  Bd.  XI,  Leipzig 
1851,  S.  63,  an  einer  Stelle,  wo  er  nicht  eigens  Logik  lehren  will» 
soDdem  nur  gelegentlich  eine  logische  Bemerkung  macht:  »Erst  nach 
dem  ersten  Versuch,  Wesentliches  und  Zu  fälliges  zu  scheiden,  kann 
die  Definition  ein  bedeutender  Ausdruck  des  Resultates  dieser  ganzen 
Ueberlegung  werden«,  wo  offenbar,  da  der  Begriff  nach  dem  Wesent- 
hchen,  nicht  das  Wesentliche  nach  dem  Begriff  bestimmt  werden  soll, 
eine  in  der  objectiven  Realität  liegende  Verschiedenheit  des  Wesent- 
lichen und  Zufälligen  und  eine  Bedingtheit  der  echten,  den  wissen- 
schaftlichen und  didaktischen  Normen  entsprechenden  Bildung  und 
Erklärung  der  Begriffe  durch  diese  objective  Verschiedenheit  yoraus- 
gesetzt  wird.)  Die  subjectivistisch- formale  Logik,  die  den 
Begriff  mit  der  allgemeinen  Vorstelluug  zu  identificiren  pflegt,  bezeich- 
net, sofern  sie  überhaupt  die  Kategorie  der  Wesentlichkeit  erörtert, 
diejenigen  Merkmale  als  wesentlich,  ohne  welche  ein  Object  nicht  mehr 
sein  wurde,  was  es  ist,  ohne  welche  es  nicht  mehr  dasselbe  Object  bleiben 
oder  nicht  mehr  unter  denselben  Begriff  fallen  würde,  oder  mit  anderen 
Worten:  diejenigen  Merkmale,  welche  dem  Objecto  nach  dem  ganzen 
Umfange  seines  Begriffs  zukommen  oder  dessen  Inhalt  bilden.  (S.  z.  B. 
Drobisch,  Log  §  31.)  Aber  diese  Erklärung  ist  unbefriedigend,  da 
sie  auf  den  Girkel  hinausläuft,  dass  der  Begriff  durch  das  Wesen  und 
doch  auch  wieder  das  Wesen  durch  den  Begriff  erklärt  wird.  Soll 
(nach  Drobisch,  Log.  §  2)  die  Logik  die  Normalgesetze  des  Denkens 
feststellen,  so  muss  sie  auch  die  allgemeine  Antwort  auf  die  Frage 
geben:  nach  welchen  Merkmalen  sind  die  Objecto  zu  gruppiren  und  die 
Begriffe  von  ihnen  zu  bilden,  die  Pflanzen  z.  B.  etwa  nach  den  Farben 
ihrer  Blüthen?  oder  nach  der  Zahl  ihrer  Staubfäden?  oder  wie  sonst? 
—  Nach  den  wesentlichen  Merkmalen,  wird  uns  geantwortet.  —  Und 
welche  Merkmale  sind  wesentlich?  —  Diejenigen,  welche  dem  Objecto 
nach  dem  ganzen  Umfange  seines  Begriffs  zukommen,  die  in  seinem 
Begriffe  liegen  und  an  welche  der  Name  sich  knüpft.  —  Aber  wir  suchen 
ja  erst  den  richtigen  Begriff  und  Namen;  nach  welchen  Merkmalen 
sollen  wir  ihn  bestimmen?  —  Nach  den  wesentlichen.  —  Und  welche 
sind  die  wesentlichen?  —  Die,  welche  im  Begriffe  liegen  —  et  sie  in 
infinitum.  Der  Erfolg  ist,  dass  die  B^griffsbildung  ganz  der  Willkür 
anheimgegeben  bleibt:  wer  die  Pflanzen  nach  den  Farben  ihrer  Blüthen 
ordnet  und  danach  seine  botanischen  Begriffe  bildet,  für  den  ist  die  Farbe 
wesentlich,  wer  nach  der  Grösse,  für  den  die  Grösse  u.  s.  f.,  oder  dass 
höchstens  in  den  vorgefundenen  Namen,  die  doch  nur  dem  noch  nicht 
durch  die  Wissenschaft  berichtigten  vulgären  Sprachgebrauche  ange- 
hören, ein  Anhaltspunkt  gefunden  wird;  aber  es  wird  uns  kein  Weg 
gezeigt,  auch  nur  über  die  elementarste  und  ganz  unwissenschaftliche 
Weise  der  Begriffsbildung  hinauszukommen*).    Wenn  wir  schon  wissen, 


*)  Drobisch  gesteht  dies  in  der  dritten  Auflage  seiner  Logik 
in  einer  dem  §  119  S.  137  (4.  A.  S.  139)  beigefn^oQ  Bemerkung  in- 


154  §  66.  Der  Begriff.    Das  Wesen. 

welche  Objecte  ihrer  Natur  nach  zusammengehören  und  den  Umfang 
eines  und  des  nämlichen  Begriffes  ausmachen,  so  können  wir  uns  hier- 
nach freilich  auch  in  der  Aufsuchung  der  wesentlichen  Eigenschaften 
Orientiren;  aber  wie  können  wir  jene  Zusammengehörigkeit  wissenschaft- 
lich erkennen  und  die  Grenzen  des  Umfangs  richtig  bestimmen,  so  lange 
wir  noch  nicht  die  wesentlichen  Merkmale  von  den  unwesentlichen  zu 
unterscheiden  vermögen?  Gehören  die  Wale  zum  Umfange  des  Begriffs 
der  Fische?  Gehört  die  Atomistik  zum  Umfange  des  Begriffs  derSophi- 
stik?  Gehört  die  in  den  pseudo-dementinischen  Homilien  vertretene 
Richtung  zu  denen,  die  in  den  Umfang  des  Begriffs  der  Ghiosis  fallen? 
Gehört  Johannes  Scotus  (Erigena)  zu  den  Scholastikern?  Tiedemann 
sagt  (Geist  der  spec.  Philos.  lY,  S.  838):  »Scholastische  Philosophie 
ist  diejenige  Behandlung  der  Gegenstände  a  priori,  wo  nach  Aufstellung 
der  meisten  für  und  wider  aufzutreibenden  Gründe  in  syllogistischer 
Form  die  Entscheidung  aus  Aristoteles,  den  Kirchenvätern  und  dem 
herrschenden  Glaubensgebäude  genommen  wirdc,  und  folgert  aus  dieser 
Begriffsbestimmung,  dass  die  eigentliche  Scholastik  erst  nach  dem  Be- 
kanntwerden der  Metaphysik  des  Aristoteles,  das  gegen  des  zwölften 
Jahrhunderts  Ausgang  erfolgt  sei  (nachdem  vorher  nur  die  »Vemunft- 
lehrec  bekannt  war),  im  Anfang  des  dreizehnten  Jahrhunderts  begonnen 
habe.  Ob  seine  Begriffsbestimmung  zu  billigen  sei,  muss  sich  aus  einer 
von  vorheriger  Feststellung  des  Umfangs  unabhängigen  Erwägung  der 
Wesentlichkeit  der  Merkmale  ergeben.  Jede  Frage  dieser  Art  kann  auf 
wissenschaftliche  Weise  nur  entschieden  werden,  wenn  zuvor  und  also 
unabhängig  von  der  Begrenzung  des  Umfangs  über  die  Wesentlichkeit 
oder  den  Grad  der  Wesentlichkeit  der  Merkmale  entschieden  worden 
ist.  Worin  liegen  nun  die  Kriterien?  Die  subjectivistisch-formale 
Logik,  sofern  sie  die  Denkformen  nicht  aus  der  Beziehung  zu  den  Exi- 
stenzformen verstehen  und  als  Erkenntnissformen  betrachten  will,  erweist 
sich  als  unzulänglich,  diejenige  Begriffsbildung  zu  normiren,  welche  die 
positiven  Wissenschaften  erstreben.  —  Nicht  viel  zureichender  ist  die 
nicht  seltene  Erklärung  der  wesentlichen  Merkmale  als  der  bleiben- 
den, beharrlichen  Eigenschaften  (z.B.  in  Bitter's  Logik,  2.  Aufl. 


sofern  unumwunden  zu,  als  er  erklärt,  seine  Unterscheidung  sei  da  voll- 
kommen gerechtfertigt  und  durch  keine  andere  ersetzbar,  wo  es  sich 
nur  um  die  analytische  Definition  eines  durch  seine  allgemein  gebräuch- 
liche Benennung  gegebenen  Begriffes  handle,  wo  wir  nur  den  dem  ge- 
gebenen Namen  entsprechenden  Begriff  suchen.  Aber  meine  Behauptung 
richtet  sich  eben  darauf,  dass  die  subjectivistisch-formale  Logik  ohne 
Ueberschreitung  ihres  Princips  nur  die  Normen  für  die  Lösung  jener 
bloss  elementaren  und  propädeutischen  Aufgabe  aufstellen  könne,  also 
nur  einen  geringen  Theil  der  Normen  des  Denkens  und  nicht,  wie  es 
in  Drobisch'  Logik,  §  2  (2.  Aufl.  S.  2;  8.  u.  4.  A.  S.  3)  verheissen 
wird,  schlechthin  »die  Normalgesetze  des  Denkens«.  Die  Betrachtung 
der  »synthetischen  Formen  des  Denkens«  kann  nur  dann  wissenschaft- 
lich befriedigen,  wenn  sie  auf  die  Beziehung  derselben  zu  den  Existenz- 
formen (z.  B.  des  Erkenntnissgrundes  zu  dem  realen  Causalverhältniss, 
des  Begriffs  zu  dem  realen  Wesen)  basirt  wird. 


§  66.  Der  Begriff.    Das  Wesen.  166 

S.  67).  Denn  in  Hinsicht  anf  das  Zeitmaass  der  Beharrung  würde  jene 
Bestimmung  gar  nicht  zutreffen,  da  oft  die  höchste  und  wesentlichste 
Form  gerade  die  vorzüglichste,  der  rasch  vorübergehende  Gulminations- 
punkt  des  Lebens  ist;  soll  aber  damit  nur  die  ünzertrennlichkeit  von 
dem  Objecto  bezeichnet  werden,  so  lange  dasselbe  bleibt,  was  es  ist, 
oder  so  lange  dasselbe  noch  unter  den  nämlichen  Begriff  fällt  und  mit 
dem  nämlichen  Namen  benannt  werden  darf,  so  wiederholt  sich  der 
obige  Cirkel.  —  Das  Princip  der  Gruppirung  der  Objecto  nach  den 
wichtigsten  Eigenschaften  als  denen,  welche  die  grösste  Aehnlich- 
keit  oder  natürliche  Verwandtschaft  begründen  (auf  welches 
z.  B.  Hill,  Induct.  Logik,  übers,  v.  Schiel,  1.  Aufl.  S.  626  ff.,  System 
d.  Log.  Bd.  1,  Buch  1,  Gap.  8  u.  Bd.  2,  Buch  4»  Gap.  4  die  Begriffs- 
bildnng  basirt  wissen  will),  lässt  die  Frage  offen,  in  welchen  Be- 
ziehungen die  betreffenden  Objecto  verwandt  sein  müssen.  Eine 
Aehnlichkeit  in  vielen  und  selbst  in  den  meisten  Beziehungen  würde 
die  Zusammenfassung  und  Subsumirung  unter  den  nämlichen  Begriff 
noch  keineswegs  rechtfertigen,  wofern  etwa  die  vielen  gerade  die 
minder  bedeutenden  wären.  Also  in  den  bedeutenden,  wichtigen, 
wesentlichen  Bestimmungen.  Dann  aber  kommen  wir  eben  auf  die 
Frage  zurück,  welche  als  die  wesentlichen  zu  erachten  seien.  Aehn- 
lich  ist  über  H.  Taine's  Definition  des  wesentlichen  Gharakters  zu  ur- 
theilen  (Philos.  der  Kunst,  in's  Deutsche  übersetzt,  Paris  u.  Leipzig 
1866,  S.  48):  ader  wesentliche  Gharakter  ist  eine  Eigenschaft,  aus  der 
alle  übrigen  oder  wenigstens  viele  andere  Eigenschaften  nach  fest- 
stehender Zusammengehörigkeit  hervorgehen  c ;  die  genetische  Abfolge 
ohne  Berücksichtigung  von  Werthverhältnissen  ist  zur  Bestimmung  des 
Wesentlichen  schwerlich  zureichend;  zudem  pflegt  nicht  ein  Moment 
eines  Objects  aus  anderen,  sondern  die  Gesammtheit  der  Merkmale  aus 
früheren,  keimartigen  Zuständen  hervorzugehen;  die  Zusammengehörig- 
keit und  Ableitbarkeit  aber  pflegt  gerade  da,  wo  sie  in  der  strengsten 
Form  vorhanden  ist,  eine  wechselseitige  zu  sein,  so  dass  in  derselben 
wiederum  kein  Kriterium  liegt,  welche  unter  den  zusammengehörigen 
Merkmalen  die  wesentlichen  seien.  —  Die  Schelling'sche  Naturphi- 
losophie, indem  sie  die  (im  Aristotelischen  Sinne  modificirte)  Platonische 
Ideenlehre  mit  der  Substanzlehre  des  Spinoza  zu  verschmelzen  sucht, 
findet  das  reale  Gegenbild  der  Begriffe  in  den  Ideen  als  den  schöpfe- 
rischen Typen  oder  Gattungscharakteren,  den  Vermittlern  zwischen  der 
Einheit  der  Substanz  und  der  unendlichen  Vielheit  der  Einzelwesen.  — 
Hegel  sucht  nicht  ein  reales  Gegenbild  des  Begriffs,  sondern  hält  den 
B<^riff  ebensosehr  für  die  Grundform  der  objeotiven  Realität,  wie  des 
subjectiven  Gedankens.  Er  definirt  den  Begriff  als  die  höhere  Einheit 
und  die  Wahrheit  des  Seins  und  des  Wesens,  als  die  für  sich  seiende 
substantielle  Macht,  daher  als  das  Freie  und  die  Wahrheit  der  Sub- 
stanz (Logik  II,  S.  6  ff.  in  der  Ausg.  von  1884;  Encydop.  §  168  ff.). 
Aber  der  Begriff  als  eine  Form  des  menschlichen  Denkens  und  Er- 
kennens  ist  hierdurch  nicht  zureichend  charakterisirt.  —  NachUlrici 
(Log.  S.  462)  ist  der  logische  Begriff  die  Allgemeinheit  als  Kategorie 


166  §  66.    Dör  Begriff.    Das  Wesen. 

des  unterscheidenden  Denkens.  Aber  durch  die  blosse  Kategorie  der 
Allgemeinheit  wird  der  Begriff  noch  nicht  genügend  von  der  allgemeinen 
Vorstellung  unterschieden.  —  In  einer  Monographie  über  den  Begriff 
erklärt  Hippolyt  Tausohinski  (Wien  1866)  denselben  als  das  geistige 
Zeichen  für  das  Yerhältniss  einer  Vorstellungseinheit  zu  der  Gesammt- 
heit  aller  übrigen  Vorstellungen  (nämlich  theils  der  verwandten,  die 
das  genus  prozimum  ausmachen  und  von  denen  sie  sich  durch  die 
differentia  specifica  unterscheidet,  theils  der  heterogenen  Vorstellungen). 
In  der  That  handelt  es  sich  bei  dem  Begriff  vielmehr  um  die  Vor- 
stellung in  ihrem  Verhaltniss  zu  anderen  oder  mit  Bücksicht  auf  ihr 
Verhältniss  zu  anderen,  als  um  dieses  Verhaltniss  selbst  oder  um  ein 
»geistiges  Zeichen c  desselben;  die  Natur  dieses  »Zeichens«  ist  dabei 
ganz  unbestimmt  geblieben;  die  Eenntniss  des  Verhältnisses  ist  mehr 
für  die  Erklärung  und  Entwiokelung  des  Begriffs,  als  für  den  Besitz  des 
Begriffs  selbst  nothwendig ;  endlich  gilt  alles,  was  Tausohinski  aufstellt, 
sofern  es  überhaupt  zutreffend  ist,  bereits  von  der  unvollständig  repro- 
ducirten  Vorstellung  und  berührt  nicht  das  Eigenthümliche  des  Begriffs, 
welches  in  der  Beziehung  auf  die  Wesentlichkeit  der  Merkmale  liegt. 
—  Beneke  rechnet  (Syst.  der  Log.  I,  256  ff.,  II,  199  ff.)  den  Begriff, 
den  er  mit  der  allgemeinen  Vorstellung  identificirt,  den  Formen  des 
»analytischen  Denkens c  zu,  und  hält  mit  unrecht  die  Correspondenz 
zwischen  dem  Begriff  und  Wesen  für  eine  solche,  die  bloss  in  zufalligen 
Umständen  begründet  sei.  Doch  g^ebt  er  zu,  dass  der  Begriff  dadurch, 
dass  er  die  Natur  und  das  Wesen  der  Dinge,  ihre  charakteristischen 
Eigenthümlichkeiten,  ihre  innere  Organisation  oder  (nach  Dressler's 
Ausdruck,  prakt.  Denklehre  S.  77)  die  Bedeutung,  die  den  betreffenden 
Objeoten  in  der  Stufenreihe  der  Dinge  zukomme,  darstelle,  seine  vollste 
wissenschaftliche  Bedeutung  gewinne.  — ^  Schleiermacher  unter- 
scheidet die  sinnliche  und  intellectuelle  Seite  des  Begriffs.  Die  erstere 
ist  das  Schema  (Dial.  §  110  ff.;  §  260  ff.)  oder  das  Gemeinbild,  d.  h. 
das  sinnliche  Bild  des  Einzelobjectes,  verschiebbar  vorgestellt  und  da- 
durch zum  allgemeinen  Bilde  geworden,  aus  welchem  mehrere,  einander 
nebengeordnete  besondere  Bilder  gleich  gut  entstehen  können.  *  Hinsicht- 
lich der  intellectuellen  Seite  erkennt  Sohleiermacher  (Dial.  §  186  ff.)  in 
dem  System  der  Begriffe  dasjenige  Gebilde  der  denkenden  Vernunft  oder 
der  »intellectuellen  Function«,  welchem  im  realen  Sein  das  System  der 
»substantiellen  Formen«  oder  der  Kräfte  und  Erscheinungen  entspreche, 
im  Gegensatz  zu  dem  System  der  ürtheile  als  dem  Correlate  des  Systems 
der  »Actionen«.  Diese  Schleiermacher'sche  Bestimmung  hält,  sofern  sie 
den  Begriff  als  Erkenntnissform  zu  einer  entsprechenden  Existenzform 
in  Beziehung  setzt,  im  Allgemeinen  die  richtige  Mitte  zwischen  den  ein- 
ander entgegengesetzten  Einseitigkeiten  der  subjeotivistisch -formalen 
und  der  metaphysischen  Logik;  ein  Mangel  derselben  möchte  jedoch  darin 
liegen,  dass  sie  nicht  scharf  genug  zwischen  der  Substanz  in  der  Be- 
deutung: Seiendes,  Ding,  ens,  und  Substanz  in  der  Bedentung: 
Wesen,  Wesenheit,  essen tia,  unterscheidet,  was,  wie  es  scheint, 
eine  Nachwirkung  der  Aristotelischen  Unbestimmtheit  im  Gebrauche  des 


§  57.   Die  Erkenntniss  des  WeBentliohen.  167 

Wortes  ova(a  ist.  Nicht  jede  Yorstellung  eines  Dinges  ist  Begriff,  und 
nicht  jeder  Begriff  geht  auf  ein  Ding;  die  Vorstellung  ist  Begriff,  falls 
in  ihr  das  Wesentliche  vorgestellt  wird,  sei  es  von  einem  Dinge,  oder 
von  einer  Handlung,  Eigenschaft,  Beziehung  (was  zum  Theil  auch  Schleier- 
macher  selbst  anerkennt  Dial.  S.  197;  340;  545).  Den  Gegensatz  des 
höheren  und  niederen  Begriffs  parallelisirt  Sohleiermacher  (Dial.  §  180  ff.) 
mit  dem  Gegensatze  von  Kraft  und  Erscheinung  oder  allgemeinem  Ding 
(Gattung,  Art)  und  Einzelding,  so  dass  z.  B.  die  Sehkraft  des  Auges 
zu  dem  einzelnen  Auge  als  einer  Erscheinung  dieser  Kraft  in  analogem 
Verhältnisse  zu  denken  ist,  wieder  allgemeineBegriff  des  Auges  zu  dem 
individuellen  Begriff  des  einzelnen  Auges.  Diese  Lehre  wurzelt  in  der 
Aristotelischen  von  der  thätigen  Kraft  {l^vrilix^ta)  als  dem  Wesen:  i} 
o^tg  ovaia  oipO-alfiov  rj  xarä  top  Xoyov  (Arist.  de  anima  II,  1).  Mit 
der  Schleiermacher'schen  Definition  des  Begriffs  kommt  die  Ritt  er 'sehe 
überein  (Log.  2.  A.  S.  50):  »die  Form  des  Denkens,  welche  den  blei- 
benden Grund  der  Erscheinung  darstellte;  (S.  56):  »das  Sein,  welches 
im  Begriffe  dargestellt  wird,  ist  ein  Bleibendes,  welches  aber  in  ver- 
änderlichen Thätigkeiten  sich  bald  so,  bald  anders  zeigen  kann;  ein 
solches  Sein  nennen  wir  ein  lebendiges  Ding  oder  eine  Substanz  c ;  (Syst. 
der  Logik  und  Metaph.  11,  S.  13):  »wenn  der  Verstand  das  einzelne 
Ding  als  den  bleibenden  Grund  vieler  Erscheinungen  (oder  nach  S.  5 
als  Substanz)  zu  denken  strebt,  so  wird  sein  Gedanke  eine  Form  an- 
nehmen müssen,  in  welcher  die  Bedeutung  vieler  Erscheinungen  zu- 
sammengefasst  oder  begriffen  wird;  einen  jeden  solchen  Gedanken  nennen 
wir  einen  Begriff,  und  wenn  er  diese  Bedeutung  in  den  Gedanken 
eines  individuellen  Dinges  zusammcnfasst,  einen  individuellen  Begriff; 
(S.  297) :  »der  allgemeine  Begriff  stellt  die  Gesammtheit  der  besonderen 
Wesen  in  ihren  Thätigkeiten  dar«.  Trendelenburg  versteht  (Log. 
Unters.  U,  Sect.  XIV  u.  XV)  unter  dem  Begriff  die  Form  des  Denkens, 
die  der  realen  Substanz  als  geistiges  Abbild  entspreche.  In  ähnlicher 
Weise  nennt  Lotze  (Log.  S.  77  ff.)  Begriff  jeden  Inhalt,  der  nicht 
bloss  wie  die  Vorstellung  als  das  zusammengehörige  Ganze  seiner  Theile 
gedacht,  sondern  dessen  Mannigfaltigkeit  auf  eine  logische  Substanz  be- 
zogen werde,  die  ihm  die  Weise  der  Verbindung  seiner  Merkmale  zu- 
bringe. In  der  That  aber  kommt  die  Beziehung  auf  eine  Substanz  auch 
schon  der  substantivischen  Vorstellung  zu  und  ist  nicht  der  unter- 
scheidende Charakter  des  auf  das  Essentielle  gehenden  Begriffs.  Dass 
das  Essentielle  die  Logik  nichts  angehe  (wie  Lotze  meint,  Log.  S.  82), 
kann  wenigstens  vom  Standpunkte  der  Logik  als  Erkenntnisslehre  aus 
nicht  zugegeben  werden;  vergl.  Syst.  d.  Philos.  Bd.  1,  Cap.  1,  S.  25  u.  ff. 

§  57.  Wir  erkennen  und  unterscheiden  das  Wesent- 
liche a.  bei  uns  selbst  theils  unmittelbar  durch  das  Gefühl, 
theils  mittelbar  durch  die  Ideen.  Das  Gefühl  ist  das  un- 
mittelbare Bewusstsein  von  dem  Yerhältniss  unserer  Thätig- 
keiten und  Zustände  zu  dem  Bestehen  und  der  Entwickelnng 


168  §  57.  Die  Erkenntnias  des  Wesentlichen. 

unseres  Gesammtlebens  oder  auch  der  einzelnen  Seiten  und 
Organe  desselben,  oder  des  Lebens  anderer  beseelter  Wesen, 
zu  denen  wir  in  Beziehung  stehen.  Die  Förderungen  werden 
mit  Lust,  die  Hemmungen  und  Zerstörungen  mit  Unlust  und 
Schmerz  empfunden.  Insbesondere  bekundet  sich  in  den 
Achtungs-  und  Scham- Gefühlen  die  Abstufung  des  Werthes 
der  verschiedenen  Förderangen,  je  nachdem  dieselben  sinn- 
licher oder  geistiger  Art,  von  vorwiegender  Passivität  oder 
Activität,  vereinzelt  oder  zusammenhängend,  auf  den  Einzelnen 
beschränkt  oder  auf  eine  weitere  Gemeinschaft  ausgedehnt  sind, 
oder  jenes  Werthverhältniss,  auf  welchem  die  ethische  Norm 
des  menschlichen  WoUens  und  Handelns  beruht.  Aus  den 
einzelnen  ethischen  Gefühlen  erwachsen  (abstractiv)  die  ethi- 
schen Ideen.  Die  Erkenntniss  des  eigenen  Wesens  beruht 
theils  auf  dem  Bewusstsein  der  sittlichen  Ideen,  theils  auf 
der  Messung  unseres  wirklichen  Seins  an  denselben,  b.  Ver- 
möge der  Erkenntniss  des  Wesentlichen  in  uns  erkennen  wir 
das  Wesen  der  Personen  ausser  uns  mehr  oder  minder  adäquat 
je  nach  dem  Maasse  ihrer  Verwandtschaft  mit  unserem  eigenen 
Sein.  Doch  ist  das  Verhäliniss  zwischen  der  Erkenntniss  unser 
selbst  und  Anderer  ein  wechselseitiges;  denn  es  ist  auch 
wiederum  die  Klarheit  und  Tiefe  der  Erkenntniss  unseres 
eigenen  Wesens  durch  den  Verkehr  mit  Anderen  und  durch 
den  lebendigen  Zusammenhang  mit  der  geschichtlichen  Ge- 
sammtentwickelung  des  Menschengeschlechtes*  bedingt  (gleich 
wie  man  in  theologischem  Betracht  sagen  kann,  das  Verstand- 
niss  der  inneren  Offenbarung  Gottes  an  uns  sei  ebensosehr 
durch  das  Verständniss  der  geschichtlichen  Offenbarung,  wie 
dieses  durch  jenes  bedingt),  c.  Das  Wesen  oder  der  innere 
Naturzweck  des  Thieres  und  der  Pflanze  ist  das  Analogen 
der  sittlichen  Aufgabe  des  Menschen  und  nach  dem  Maasse 
dieser  Analogie  erkennbar.  Diese  Analogie  wird  zwar  be- 
schränkt, aber  nicht  aufgehoben  durch  den  dreifachen  Gegen- 
satz: dass  die  Kräfte  der  unpersönlichen  Wesen  von  einer 
sehr  verschiedenen  und  niederen  Art  sind;  dass  sie  nicht 
durch  ein  Handeln  mit  Bewusstsein  und  Freiheit  ihre  Be* 
Stimmung  zu  erreichen  streben,  sondern  mit  unbewusster 
Nothwendigkeit  den  ihnen  innewohnenden  Trieb  bethätigen, 


§  57.  Die  ErkenniniBB  des  Wesentlichen.  159 

und  dftss  die  Bedeutung  ihres  Seins  als  Selbstzweck  durch  die 
Bedeutung  ihres  Seins  für  Anderes  überwogen  wird.  d.  Bei 
den  unorganischen  Naturobjecten  tritt  das  Sein  als  Selbstzweck 
und  die  Selbstbestimmung  hinter  das  Sein  als  Mittel  für  An- 
deres und  mechanische  Bestimmtwerden  durch  Anderes,  und 
daher  auch  die  Erkennbarkeit  des  inneren  Wesens  hinter  die 
Erkennbarkeit  der  äusseren  Verhältnisse  mehr  und  mehr  zurück. 
e.  Bei  dem,  was  nicht  in  der  Form  des  selbständigen  Seins 
oder  der  Substantialität  existirt,  und  bei  dem,  was  nur  als 
Product  der  Kunst  eine  von  Aussen  hineingelegte  Selbständig- 
keit hat,  wird  das  Wesentliche  theils  nach  der  Analogie  mit 
dem  Leben  selbständig  existirender  Individuen,  theils  und 
hauptsächlich  nach  der  Bedeutung  erkannt,  die  ihm  als  Mittel 
fttr  Anderes  zukommt.  —  Es  ist  demgemäss  die  materiale 
Wahrheit  in  Betreff  der  begrifflichen  Erkenntniss  des  Wesent- 
lichen aus  den  nämlichen  Gründen  erreichbar,  unterliegt  aber 
auch  den  nämlichen  Einschränkungen  und  Abstufungen,  wie 
in  Betreff  der  Wahrnehmung  (§  41—42)  und  der  Einzelvor- 
stellung (§  46). 

Die  wesentliche  Beziehung  der  Erkenntnissthätigkeit  zn  der  To- 
talitilt  des  geistig-sittlichen  Lebens  findet  hierin  ihre  Begründung. 

Die  Frage,  ob  die  menschlichen  Begriffe  >a  priori«  (sofern  dieser 
Ausdruck  dem  von  Kant  vertretenen  Grebrauofae  gemäss  auf  das  aus 
dem  Subjeot  als  solchem  Herstammende  bezogen  wird)  in  der  Seele 
g^leichsam  als  angeborene  Besitzthümer  vorhanden  seien  oder  >a  poste- 
riori« mittelst  der  Erfahrung  in  allmählicher  Entwickelung  erworben 
werden,  lasst  sich  hiemach  in  folgender  Weise  entscheiden.  Allerdings 
enthält  jeder  Begriff  ein  > apriorisches«  Element,  nicht  nur  in  dem 
Sinne,  in  welchem  dies  auch  schon  von  der  Vorstellung  gilt,  sondern 
insbesondere  auch  insofern,  als  die  Erkenntniss  des  Wesentlichen  in  den 
Dingen  nur  mittelst  der  (wenn  gleich  oft  nicht  zu  vollem  Bewusstsein 
entwickelten)  Erkenntniss  des  Wesentlichen  in  uns  gewonnen  werden 
kann.  Mit  Recht  stellt  Schleie rmacher  (DiaL  §  178)  die  Entwicke- 
lung des  ganzen  Systems  der  Begriffe  in  die  Beziehung  zu  unserem 
Selbstbewusstsein,  dass  der  Mensch  als  Mikrokosmus  alle  Stufen  des 
Lebens  in  sich  hat  und  hieran  seine  Yorstellungen  vom  äusseren  Sein 
ftnbildet;  in  diesem  Sinne  mag  auch  mit  Recht  gesagt  werden,  dass 
das  System  aller  Begriffe  ursprünglich  in  der  subjectiven  Vernunft  oder 
»intellectuellen  Function«  enthalten  sei,  wenn  nur  das  Missverständniss 
fem  gehalten  wird,  als  ob  darum  das  Begriffssystem  der  objectiven 
Realität  als  etwas  Fremdartiges  und  in  sich  selbst  Beschlossenes  gegen- 
überstehe, da  es  doch  vielmehr,  wenn  es  anders  richtig  gebildet  ist,  das 


160  §  67.  Die  Erkenntniss  des  Wesentlichen. 

eigene  Wesen  und  die  eigene  Ordnang  der  Objecto  repräsentirt. 
Ebensosehr  aber,  wie  durch  das  subjective  oder  >  apriorische  c  Element, 
ist  die  Bildung  eines  jeden  auf  die  Aussenwelt  bezüglichen  Begriffs 
durch  den  'äusseren  oder  » aposteriorischen c  Factor  bedingt;  denn  die 
Ergänzungen  des  Inhalts  der  Wahrnehmung  durch  Analoga  unseres 
eigenen  Wesens  müssen  den  Erscheinungen  angemessen,  ja  dürfen  nur 
Deutungen  der  äusseren  Erscheinungen  der  Dinge  auf  ihr  inneres 
Wesen  sein,  wenn  die  begriffliche  Erkenntniss  Wahrheit  haben  soll. 
Aber  auch  das  »apriorischec  Element  ist  nur  in  Bezug  auf  die  Aussen- 
welt apriorisch,  und  von  der  inneren  Erfahrung  keineswegs  unabhängig. 
Vgl.  Schleiermacber,  Ethik,  hrsg.  von  A.  Twesten,  §  46,  S.  55  ff. 

Der  Annahme  angeborner  Begriffe,  die  als  Begriffe,  obschon 
unbewusst,  von  Anfang  an  in  uns  vorhanden  seien,  bedarf  es  nicht; 
dieselbe  widerstreitet  in  jeder  Fassung  dem  menschlichen  Entwickelung^- 
gange.  Das  berechtigte  Interesse  aber,  welches  zu  dieser  unpsycholo- 
gischen Annahme  verleitete,  nämlich  die  anscheinend  dadurch  ge- 
sicherte objective  Gültigkeit  der  Begriffe,  wird  durch  dieselbe  in  der 
That  nicht  befriedigt,  da  sich  gerade  an  die  Voraussetzung  des  »aprio- 
rischen« Charakters  derselben  der  reine  Subjectivismus  knüpfen  kann 
und  in  Eant's  Eriticismus  geknüpft  hat;  dass  der  Mensch  auf  die  Er- 
kenntniss der  objectiven  Bealitat  »eingerichtet«  sei,  ist  (wie  auch  J. 
Hoppe,  die  gesammte  Logik,  I,  Paderborn  1868,  §  54,  S.  45  mit  Recht 
bemerkt)  die  jener  Doctrin  zum  Grunde  liegende  Wahrheit.  Vgl.  unten 
§  140.  —  üeber  die  Geschichte  der  Ausdrücke  a  priori  und  a  poste- 
riori hat  neuerdings  R.  Eucken,  Gesch.  u.  Kritik  der  Grundbegriffe 
der  Gegenwart.  Leipzig.  1878.  S.  69  u.  ff.  Folgendes  aufgestellt:  —  »Die 
Ausdrücke  a  priori  und  a  posteriori  weisen  letzthin  auf  die  Sitte  des 
Aristoteles  zurück,  das  Allgemeine  das  (begrifflich)  frühere,  das  Be- 
sondere das  spätere  zu  nennen,  ein  fester  Sprachgebrauch  gestaltete 
sich  daraus  aber  erst  in  der  zweiten  Hälfte  des  Mittelalters.  Bei  Al- 
bert d.  Gr.  finden  wir  den  Gegensatz  der  Erkenntniss  aus  den  Grün- 
den und  den  aus  den  Folgen  durch  die  Ausdrücke  per  priora  und  per 
posteriora  bezeichnet;  a  pr.  und  a  post.  kommt  nach Pr an tl 's  Angabe 
(Gesch.  d.  Logik  IV,  78)  zuerst  bei  Albert  v.  Sachsen,  einem  Gelehrten 
des  14.  Jahrh.  vor.  Die  Ausdrücke  hielten  sich  in  der  mittelalterl.  Be- 
deutung unverändert  bis  ins  17.  Jahrh.  —  Mit  Leibniz  aber  begann 
eine  Umwandlung  der  Begriffe,  wobei  freilich,  wie  bei  ihm  durchgehende, 
die  alte  Form  das  Neue  fast  versteckte.  Auch  bei  ihm  ist  die  Erkenntniss 
a  priori  eine  Erkenntniss  aus  den  Gründen,  da  aber  die  letzten  Gründe  für 
ihn  in  der  Vernunft  selber  liegen,  so  fängt  der  Ausdruck  an,  solche  Ein- 
sichten zu  bezeichnen,  die  in  der  erkennenden  Thätigkeit  des  Geistes  ihren 
Ursprung  haben  und  bei  denen  daher  Erkenntniss  und  Sachgrund  sich 
vollständig  entsprechen.  A  posteriori  heisst  dem  gegenüber  die  Erkennt- 
niss, welche  der  Erfahrung  entstammt.«  —  Der  Verf.  zeigt,  wie  sich 
diese  neue  Bedeutung  erst  allmählich  durch  die  alte  durchgekämpft  hat, 
und  demnach  die  Eantische  Fassung,  wonach  das  a  priori  das  dem 
Geiste  ursprünglich  Angehörige  bezeichnet,  mehrfach  vorbereitet  hat, 


§  68.  Glasse,  Art  eto.  und  ihre  Erkennbarkeit.  161 

und  wie  dann  diese  Eantisohe  Fassung  wieder  zum  Ausgangspunkt 
neuer  Bewegungen  gedient  hat,  so  dass  die  Geschichte  dieses  Begriffes 
die  Geschichte  des  Kampfes  um  die  Erkenntniss  abspiegelt. 

§  58.  Diejenigen  Individuen,  welche  in  den  wesentlichen 
Eigenschaften  übereinstimmen,  bilden  zusammen  eine  C lasse 
oder  Gattung  im  allgemeineren  Sinne.  Die  Gattung  in 
diesem  Sinne  ist  demnach  ebenso  das  reale  Gegenbild  zu  dem 
Umfange,  wie  das  Wesen  zu  dem  Inhalte  des  Begriffs.  Diese 
Beziehung  findet  ebensowohl  bei  abstracten,  wie  bei  concreten 
Begriffen  statt.  Sofern  aber  die  Wesentlichkeit  verschiedene 
Grade  hat,  und  demgemäss  verschieden  begrenzte  Gruppen 
von  Merkmalen  zum  Bestimmungsgrunde  der  Begriffsbildung 
dienen  können,  so  lassen  sich  auch  in  entsprechender  Weise 
mehrere  einander  umkreisende  Classen  oder  Gattungen  unter- 
scheiden, welche  in  absteigender  Folge  durch  die  Ausdrücke: 
Reich  (regnum),  Kreis  (orbis),  Classe  (classis),  Ordnung 
(ordo),  Familie  (familia),  Gattung  (genus),  Art  (species) 
bezeichnet  werden.  Zwischen  Reich  und  Kreis  wird  zuweilen 
noch  die  Gruppe  (cohors),  zwischen  Familie  und  Gattung 
die  Zunft  oder  das  Geschlecht  (tribus),  zwischen  Gattung 
und  Art  oder  auch  an  anderen  Stellen  die  Abtheilung 
(seetio),  zwischen  Art  und  Individuum  die  Abart  (subspecies) 
und  Spielart  (varietas)  eingeschoben.  Der  Begriff  der  Race, 
der  nur  in  bestimmten  Fällen,  namentlich  bei  der  allgemein- 
sten Eintheilung  der  Menschen  in  naturhistorischer  Beziehung, 
zur  Anwendung  kommt,  möchte  sich  auf  den  der  Abart  (sub- 
species) zurückfuhren  lassen.  Der  Gegensatz  von  Gattung 
und  Art  wird  häufig  auch  zur  Bezeichnung  des  Verhältnisses 
irgend  welcher  höheren  Classe  zu  der  niederen  gebraucht, 
sofern  ihr  diese  ohne  angegebene  Zwischenglieder  unmittelbar 
untergeordnet  wird.  —  Objecto  heissen  generisch  verschie- 
den, wenn  sie  verschiedenen  Gattungen,  speci fisch  ver- 
schieden, wenn  sie  verschiedenen  Arten  der  nämlichen  Gat- 
tung angehören,  graduell  verschieden,  wenn  sie  sich  nur 
nach  Quantität  oder  Intensität  unterscheiden,  numerisch 
verschieden  endlich,  sofern  sie  selbst  bei  aller  etwaigen 
Wesensgleichheit  doch  nicht  bloss  ein  einziges  Object  oder 
identisch,  sondern  mehrere  Objecte  sind. 

11 


162  §  58.  Classe,  Art  eto.  nnd  ihre  Erkennbarkeit. 

Als  natarhistorisches  Kennzeichen  der  Art  (species)  gilt  yielen 
besonders  unter  den  altem  Naturforsohem  die  dauernd  fruchtbare 
Zeugung;  die  neuere  Forschung  relativirt  dieses  Kriterium.  Bei  ver^ 
schiedenen  Arten  einer  und  derselben  zoologischen  Gkittung  ist  in  der 
Regel  höchstens  nur  eine  Zeugung  unfruchtbarer  Bastarde  möglich. 
Doch  ist  dieses  Merkmal,  sofern  es  gilt,  nur  als  ein  oonseeutiv  wesent- 
liches, nicht  als  ein  constitutiv  wesentliches  anzusehen;  denn  die  Mög- 
lichkeit oder  Unmöglichkeit  einer  dauernd  fruchtbaren  Zeugung  muss 
durch  den  Gesammtcharakter  der  Organisation  bedingt  sein.  Das  wahr- 
haft charakteristische  Merkmal  der  Art  (Species)  ist  demnach  nicht  die 
Zeugung,  sondern  der  Typus;  nur  darf  unter  dem  Typus  weder  die 
blosse  äussere  Form  und  Gestalt,  noch  auch  die  Eigenthümlichkeit 
irgend  eines  angenommenen  Musterexemplares  verstanden  werden,  son- 
dern der  Gesammtcharakter  der  Organisation,  die  Platonische  Idee  nach 
ihrem  zwar  vielleicht  nicht  historischen,  aber  wissenschaftlich  wahren 
Sinne,  die  Aristotelische  Form,  das  Kantische  »Urbild  der  Erzeugungen« 
(Kritik  der  Urtheilskraft)  oder  (nach  Spring,  über  Gattung,  Art  und 
Abart,  1888)  »das  Bild,  welchem  nachgezeugt  wirdc.  Die  Möglichkeit 
der  Fortpflanzung  soll  nur  als  ein  Mittel  dienen,  die  Üebereinstimmung 
im  Typus  zu  erkennen.  Gebilde  gehören  zu  einer  Art,  wenn  sie,  sofern 
jedesmal  die  gleichen  Entwickelungsstufen  derselben  miteinander  ver- 
glichen werden,  üebereinstimmung  in  allen  wesentlichen  Merkmalen 
zeigen.  Die  Vergleichung  ist  dabei  freilich  nur  die  Function  des 
erkennenden  Subjectes;  dieWesentlichkeit  der  verglichenen  Merk- 
male aber  ist  das  objective  Moment,  welches  dem  Artbegriff  eine 
reale  Bedeutung  verleiht.  Individuen,  welche  mit  Recht  von  uns  zu 
Einer  Art  (und  Classe  überhaupt)  gerechnet  werden,  stimmen  nicht  nur 
in  denjenigen  Merkmalen  mit  einander  überein,  auf  welche  die  Zusam- 
menstellung selbst  basirt  worden  ist,  sondern  auch  in  vielen  anfänglich 
grossentheils  noch  verborgenen  Beziehungen,  und  eben  hierdurch  be- 
kundet sich,  dass  der  Artbegriff  (und  überhaupt  jeder  auf  das  Wesent- 
liche gegründete  Classenbegriff)  in  der  objectiven  Wirklichkeit  selbst 
begründet  ist  George  Henry  Lew  es  sagt  (Arist.,  ein  Abschnitt  aus 
einer  Gesch.  der  Wissenschaften,  nebst  Analysen  der  naturwiss.  Schrif- 
ten des  Arist.,  deutsch  von  Jul.  Vict.  Carus,  Leipzig  1866,  S.  282): 
>Was  ist  das  Ziel  einer  (zoologischen)  Classification?  Die  Thiere  in 
einer  solchen  Weise  zu  gruppiren,  dass  jede  Classe  und  Gattung  den 
Grad  der  von  deren  Organisation  erreichten  Complezität  angiebt,  so 
dass  die  äussere  Form  die  innere  Structur  andeutete.  Doch  ist  die 
Complexität  der  Organisation  nur  Bedingung  und  Kriterium  der  Stufe 
in  der  Reihe  der  Wesen  überhaupt.    Vgl.  unten  §  63. 

Wie  es  eine  Inoonsequenz  ist,  die  reale  Existenz  des  Individuums 
(vgl.  oben  §  46)  anzuerkennen  und  dennoch  die  BeaUtät  der  Species 
zu  leugnen:  ebenso  würde  es  eine  Inoonsequenz  sein,  die  Realität  der 
Artunterschiede  in  der  Natur  anzuerkennen  und  dennoch  zugleich  den 
umfassenden  Gliederungen  des  Naturorganismus  die  Wirklichkeit  ab- 
zusprechen.    Denn  die  Realität  der  Art  weist  auf  die  ReaHtöt  der 


§  68.   Classe,  Art  etc.  und  ihre  Erkennbarkeit.  168 

Wesen tlichkeit  Eorück,  so  dass  gewisse  Elemente  nicht  nur  als 
▼orzüglich  brauchbar  zn  snbjectiyen  Anhaltspunkten  bei  unseren  Be- 
griffsbestimmungen, sondern  als  vorzüglich  wichtig  und  entscheidend 
fnr  das  Bestehen  und  die  Bedeutung  der  realen  Objecte  selbst  aner- 
kannt werden  müssen;  ist  aber  dies  einmal  zugestanden,  so  lässt  sich 
auch  die  Anerkennung  yon  Abstufungen  in  der  Wesentlichkeit  und 
damit  zugleich  die  Anerkennung  der  RealilÄt  der  umfassenderen  Glie- 
derungen nicht  mehr  abweisen.  Mit  Recht  sagt  Braun  (Verjüngung 
in  der  Natur,  S.  848):  »wie  das  Individuum  als  Glied  der  Species,  so 
erscheint  die  Species  als  Glied  der  Gattung,  die  Gattung  als  Glied  der 
Familie,  der  Ordnung,  der  Glasse,  des  Reichs ;  —  die  Anerkennung  des 
Naturorganismus  und  seiner  Gliederungen  als  objectiver,  von  der  Na- 
tur selbst  ausgesprochener  Thatsachen  ist  für  die  höhere  einheitliche 
Gestaltung  der  Naturgeschichte  ein  wesentliches  Bedürfniss.c  (VgL  auch 
Rosenkranz,  Logik  11,  S.  48  ff.)  —  So  sind  auch  bereits  von  Aristo- 
teles, wie  die  Individuen  als  ovaitu  im  vollsten  Sinne,  so  die  Arten 
und  Gattungen  als  Stingat  ovaiat  (Gateg.  5)  und  somit  als  real  aner- 
kannt worden;  er  findet  in  den  natürlichen  Classen  eine  Stufenreihe 
aufsteigender  Vollkommenheit.  Mit  Recht  sieht  Linn6  in  den  Classen 
and  Ordnungen  des  künstlichen  Systems  nur  einen  Nothbehelf,  bis  die 
natSrlichen  erkannt  seien,  betrachtet  aber  die  wahren  Arten  und  Gat- 
tungen entschieden  als  objective  Werke  der  Natur  (Philos.  botan.  §  161 
sqq.).  Die  Erkenntniss  der  natürlichen  Gattungen,  Familien  und  Ord- 
nungen ist  allerdings  unsicherer  als  die  der  Species.  üebrigens  schliesst 
die  Annahme  einer  objectiven  Gültigkeit  der  natürlichen  Eintheilung 
nidit  die  Anerkennung  einer  gewissen  Relativität  des  Artbegriffes  aus, 
so  wenig,  wie  die  objective  Existenz  der  Individuen  die  partielle  Un- 
bestimmtheit der  Grenzen  des  Individuums  ausschliesst.  Auch  bei  einer 
Naturansicht,  die  (wie  die  Darwin'sche,  deren  Grundgedanken  u.  A. 
auch  bereits  Kant  in  seiner  Kritik  der  ürtheilskraft  hypothetisch  aus- 
gesprochen hat)  sich  auf  die  Voraussetzung  einer  allmählichen  Ent- 
stehung und  partiellen  Veränderlichkeit  der  Arten  gründet,  kann  die 
Objectivität  des  Artbegriffs  für  die  Welt,  wie  sie  jetzt  besteht,  ange- 
nommen werden,  sofern  eine  realisirte  Tendenz  der  Natur  zur  Bildung 
bestimmter  Formen  anerkannt  und  Objectivität  nicht  mit  absoluter 
Stabilität  verwechselt  wird.  Gerade  auf  Grund  der  Darwin'schen 
Theorie  kann  der  Species,  sofern  der  Begriff  derselben  jedesmal  auf  die 
zu  irgend  einer  gegebenen  Zeit  gleichzeitig  bestehenden  Gebilde  bezo- 
gen wird,  im  vollen  Sinne  eine  objective  Gültigkeit  vindicirt  werden ; 
die  Systematik,  als  vollendet  gedacht,  würde  den  Stammbaum  der  Or- 
ganisipen  darstellen  und  so  mit  dem  teleologischen  Gesichtspunkt  der 
Stufenfolge  den  genetischen  des  gemeinsamen  Ursprungs  verbinden. 
Vgl.  in  logischem  Betracht  Trendelenburg,  log.  Unt.  II,  S.  157  ff., 
2.  Aufl.  S.  286  ff.,  8.  Aufl.  S.  289  ff.  und  über  das  naturwissenschaft- 
liehe Problem  Carl  Nägeli,  Entstehung  und  Begriff  der  naturhist.  Art, 
2.  Aufl.,  München  1866,  wo  S.  84  das  Bild  des  Pflanzen-  und  Thier- 
reidis,  wie  es  sich  bei  der  Annahme  der  Veränderlichkeit  der  Arten 


164  §  59.   Der  Individualbegriff. 

■ 

gestalte,  folgendermaassen  bezeichnet  wird:  »Der  Sohwerpunkt  dernatur- 
geschichtlicben  Betrachtung  liegt  nicht  mehr  in  der  Species,  sondern 
darin,  dass  jede  systematische  Kategorie  als  eine  natürliche  Einheit 
gefasst  wird,  welche  den  Durchgangspunkt  einer  grossen  entwickelungs- 
geschichtlichen  Bewegung  darstellt.  Die  Gattung  und  die  höheren  Be- 
griffe sind  (ebenso,  wie  die  Species)  keine  Abstractionen,  sondern  oon- 
crete  Dinge,  Complexe  von  zusammengehörigen  Formen,  die  einen  ge- 
meinsamen Ursprung  haben,  c  Doch  vgl.  andererseits  Herrn.  Ho  ff  mann, 
Untersuch,  zur  Best,  des  Werthes  von  Species  und  Varietät,  Giessen 
1869.  —  Vergl.  auch  Karl  Moebius,  die  Bildung  u.  Bedeutung  der 
Artbegrifife  in  d.  Naturgesch.  in  Bd.  1  der  Schriften  des  »naturw. 
Vereins  f.  Schleswig-Holstein«,  Kiel  1878,  u.  bes.  Alb.  Wigand,  der 
Darwinismus  u.  d.  Naturforsch.  Newtons  u.  Cuviers.  Beiträge  z.  Metho- 
dik der  Naturforsch,  u.  z.  Speciesfrage.  Bd.  1.  Braunschweig  1874  u. 
J.  B.  Meyer,  Fhilos.  Zeitfragen.  2.  Aufl.  Bonn  1874.  Kap.  8:  Die  Ent- 
stehung der  Arten,  bes.  S.  100  u.  101.  —  Ebenso  wie  auf  dem  natur- 
historischen Gebiete,  ist  auf  dem  ethischen  das  Wesentliche  aufzusuchen 
und  der  Gruppirung  der  betreffenden  Verhältnisse,  mithin  auch  der  Be- 
griffsbildung  zum  Grunde  zu  legen,  welche  auch  hier  nicht  der  subjoc- 
tiven  Willkür  anheimgegeben,  sondern  an  objective  Normen  gebunden 
ist.  Auch  hier  beruht  der  Unterschied  weiterer  und  engerer  Sphären 
auf  den  Abstufungen  der  Wesentlichkeit. 

§  59.  In  denjenigen  Fällen,  wo  Individuen,  die  der  näm- 
lichen Species  angehören,  sich  von  einander  durch  wesent- 
liche EigenthOmlichkeiten  unterscheiden,  lassen  sich  von  den- 
selben Individualbegriffe  bilden.  Der  Individualbegriff 
ist  diejenige  Einzelvorstellung,  deren  Inhalt  die  Gesammtheit 
der  wesentlichen  allgemeinen  und  der  wesentlichen  eigenthttm- 
lichen  Eigenschaften  oder  Merkmale  eines  Individuums  in  sich 
fasst.  Auch  dem  Individualbegriff  kommt  jedoch  insofern 
imtner  noch  eine  gewisse  Allgemeinheit  zu,  als  derselbe  die 
verschiedenen  Entwickelungsstufen  des  Individuums  unter  sich 
begreift.  Die  Vorstellung  von  einem  in  der  Zeit  lebenden  In- 
dividuum ist  nur  dann  rein  individuell,  wenn  dasselbe  in  einem 
einzelnen  Momente  seines  Daseins  vorgestellt  wird. 

Die  scholastische,  durch  den  Gegensatz  des  AristoteUsmos  zum 
Piatonismus  (vgl.  Arist.  Metaph.  l,  6)  bedingte  Frage  nach  dem  »prin- 
cipium  individuationisc  ruht  auf  der  Voraussetzung,  dass  das  Allge- 
meine nicht  nur  ein  begriffliches,  sondern  auch  ein  reales  Prius  des 
Individuellen  sei;  sie  verliert  ihre  Bedeutung,  sobald  erkannt  wird,  dass 
das  Herabsteigen  vom  Allgemeinen  zum  Besonderen  nur  von  dem  den- 
kenden Subjecte  vollzogen  werden  kann  und  dass  in  der  objeetiven 
Realität  das  Wesen  nicht  in  irgend  einem  Sinne  vor  dem  Individuellen 


§60.  Die  Definition.  Ihre  Elemente :  Gattungsbegrifif  u.  specif.  Differenz.  165 

existiren  kann,  so  dass  dieses  erst  aus  jenem  sich  hervorbilden  müsste. 
Dies  haben  die  NominaHsten  (die  freilich  andererseits  zu  weit  gingen) 
richtig  erkannt,  indem  sie  das  Seiende  als  solches  für  individuell  er- 
klärten, und  im  Anschluss  an  sie  auch  Leibniz  und  Wolff,  welche  das 
allseitig  Bestimmte  als  solches  (res  omnimodo  determinata  oder  ita 
determinata,  ut  ab  aliis  omnibus  distingui  possit)  für  das  Individuelle 
erklären,  das  Allgemeine  also  als  solches  nur  in  der  Abstraction  exi- 
BÜren  lassen.  Nicht  irgend  eine  Bestimmung  (wie  Materie,  Raum, 
Zeit),  sondern  die  Gesammtheit  aller  constituirt  die  Individuität.  Dies 
schliesst  nicht  aus,  dass  der  Unterschied  des  Wesentlichen  und  Un- 
wesentlichen und  der  Grade  der  Wesentlicbkeit  der  objectiven  Realität 
selbst  angehöre.  Sofern  solches,  was  diesem  oder  jenem  Individuum 
eigenthümlich  ist,  wesentliche  Bedeutung  hat,  giebt  es  Individual- 
begriffe.  Aus  §  46  folgt,  dass  Individualbegriffe  vorzugsweise  von 
den  höchsten  unter  den  persönlichen  Wesen  zu  bilden  sind. 

§  60.  Die  Definition  oder  Begriffsbestimmung 
(definitiOy  ögiofiog)  ist  die  vollständige  und  geordnete  Angabe 
des  Inhaltes  (§  50)  eines  Begriffs.  In  der  Definition  müssen 
alle  wesentlichen  Inhaltselemente  des  Begriffs  oder  alle  wesent- 
lichen Merkmale  der  Objecte  des  Begriffs  (§  49)  angegeben 
werden;  sie  ist  der  Ausdruck  des  Wesens  (der  »essentia«)  der 
Objecte  des  Begriffs.  Die  wesentlichen  Inhaltselemente  sind 
theils  solche,  die  der  zu  definirende  Begriff  mit  den  ihm  neben- 
geordneten Begriffen  theilt  und  die  demgemäss  auch  den 
Inhalt  des  übergeordneten  Begriffs  ausmachen,  theils  solche, 
wodurch  er  sich  von  den  nebengeordneten  und  von  dem  über- 
geordneten unterscheidet.  Indem  nun  (nach  §  58)  der  Gegen- 
satz von  Gattung  (genus)  und  Art  (species)  auch  zur  allge- 
meinen Bezeichnung  des  Gegensatzes  irgend  einer  höheren 
Glasse  zu  einer  niederen  dient,  sofern  diese  jener  unmittelbar 
untergeordnet  wird,  so  können  hiernach  die  wesentlichen  In- 
haltselemente des  zu  definirenden  Begriffs  in  generische 
und  speci fische  eingetheilt  werden.  Hierauf  beruht  die 
Forderung,  dass  die  Definition  den  übergeordneten 
oder  Gattungsbegriff  und  die  specifische  Differenz 
oder  den  Artunterschied  enthalte.  Die  Angabe  des 
Gattungsbegriffs  hat  zugleich  die  Bestimmung,  die  Form  oder 
Kategorie  des  zu  definirenden  Begriffs  (ob  derselbe  ein 
sabstantivischer  oder  adjectivischer  etc.  sei)  mitzubezeichnen. 
Einfache  Begriffe,  bei  denen  die  Gesammtheit  der  Merkmale 


1 66  §  60.  Die  Definition.  Ihre  Elemente :  Gattungsbegriff  u.  speoif.  Differenz. 

(vgl.  oben  §  56)  sich  auf  nur  Ein  Merkmai  reducirt,   lassen 
keine  eigentliche  Definition  zu  (ygl.  unten  §  62). 

Plato  findet  in  der  Definition  {6(*£C^^^')  und  in  der  Einthei- 
lung  {SiaiQcaiSt  xccr^  atdri  diax4fjivitv)  die  beiden  hauptsachlioben  Momente 
der  Dialektik  (Phaedr.  p.  266  sqq.),  ohne  jedoch  die  Theorie  dersel- 
ben eingehender  zu  entwickeln.  Er  stellt  noch  nicht  ausdrücklich  den 
Satz  auf,  dass  die  Definition  den  Gattungsbegriff  und  die  specifisdie 
Differenz  enthalten  müsse;  doch  verfahnt  er  thatsächlich  diesem  Grund- 
satz gemäss,  z.  B.  im  Gorgias  p.  462  ff.  in  der  Definition  der  Rethorik, 
in  der  Republ.  in  der  Definition  der  Oardinaltugenden  (Weisheit,  Tapfer- 
keit, Besonnenheit,  Gerechtigkeit),  indem  er  zu  der  Angabe  des  allge- 
meinen Wesens  die  specifischen  Eigenthümlichkeiten  hinzufügt.  Im 
Dialog  Euthyphron  wird  das  oaiov  als  ein  fiigog  des  SUaiov  bestimmt 
und  dann  gefragt:  nöiov  fd^Qog;  worauf  Euthyphron  die  Antwort  er- 
theilt:  to  negl  rrjv  riov  ^eoiv  S-egamfcev,  Auch  verfahrt  thatsächlich  so 
bereits  Sokrates  z.  B.  in  der  Definition  des  <p^6vog  (Xenoph.  Mem.  m, 
9,  8)  als  die  Ivnij  inl  raig  rtov  (pCXtov  sunga^iatg.  In  dem  Platonischen 
Dialog  Theaetet  wird  p.  206 — 209  von  dem  xwvov  die  SiatpoQa  oder 
dtixtpoQOTng  unterschieden  oder  das  arj/aeTov  ip  rwv  andwatv  ^unpäQSi  ro 
(Qtoiij&^v,  wie  wenn  z.  B.  von  dem  TJXiog  gesagt  werde,  derselbe  sei  t6 
IttfingoTccTov  rav  xcrr'  ovqccvov  tovrwv  negl  yijv,  Plato  bekämpft  die 
Annahme,  dass  in  dem  Bewusstsein  um  die  JtaipoQci  das  zureichende 
Unterscheidungsmerkmal  des  Wissens  von  der  blossen  (obschon  richtigen) 
Meinung  liege.  Im  Philebus  wird  (p.  12  u.  13}  die  generische  Identität 
und  die  SinKpogoxrig  der  fjiiQri  (species)  unterschieden,  die  sieh  bis  zum 
vollsten  Gegensatze  steigern  könne.  Die  Bemerkung,  dass  einfache  Be- 
griffe keine  Definition  zulassen,  wird  schon  im  Platonischen  Theaetet 
angeführt  und  einer  Kritik  unterworfen.  Theaet.  p.  202:  äSCvarov 
sJvai  oTiovv  xwif  nQtimnf  ^fi&rivat  Xoytp,  ov  yag  dvtu  avr^,  aXV  fj  ovo- 
fiaCia^tu  fiovov,  ovofia  yag  fiovov  ^^/e^y  *  ra  äh  ix  jovtwv  rj^ii  tvyxeifievu 
agneg  ainä  ninlexiaiy  ovtto  xal  ra  ovo/uartt  ainwv  ^vfdnXaxivra  loyov 
y^yovivai.  In  dem  (Platonischen?)  Dialog  Politicus  (p.  285)  sind  die 
dtatpoQai  vielmehr  die  Arten  selbst,  die  in  der  Gattung  enthalten  sind 
und  worin  dieselbe  einzutheilen  ist,  als  die  specifischen  Inhaltsele- 
mente, welche  in  der  Definition  des  Artbegriffs  zu  den  generischen 
hinzutreten  müssen.  Die  Definition  wird  auf  die  Eintheilung  basirt  in 
dem  Dialog  Soph.  (p.  219  sqq.).  (Vergl.  Drobisch,  Logik  4.  Aufl. 
§  125.  8.  S.  146.)  In  den  Platonischen  Leges  wird  (p.  895)  unterschie- 
den: i}  ovaCa,  rfjg  ovalag  6  Xoyog^  rb  ovofjia.  Unter  dem  Xoyog  versteht 
hier  Plato  mit  dem  Begriff  zugleich  die  Begriffsbestimmung,  wie  z.  B. 
der  Xoyog  dessen,  was  den  Namen  des  Geraden  {agtiov)  trage,  sei: 
UQi&fxog  StaiQovftevog  eig  taa  Svo  fiigti, — Aristoteles  lehrt  Analyt. 
post.  n,  S.  90  b.  30:  oQia/xog  fxlv  yicQ  rov  tC  (an  xal  ovalag,  Topic.  VII, 
5.  150  a.  81:  oQiafAog  fan  Xoyog  6  t6  tI  ijv  slvm  ari/Ltalvtov,  Metaph. 
VI,  4.  1029  b.  19:  iv  tp  aga  fxri  Morai  Xoyfp  avro,  Xiyovn  nvro^  ovtog 
6  Xoyog  rov  rC  ijy  dvtu  ixaaripf  d.  h.  in  welcher  Aussage  also  das  Ob- 


§  60.  DieDefinition.  IhreElemente :  Gattimgsbegriff  u.  speoif. DifiFerenz.  167 

jeot  (aemena  Namen  nach)  nicht   enthalten  ist,   während  doch  dieselbe 
Aussage   es  (der  Sache  nach)   bezeichnet,   dieses   ist  die   Aussage   dee"^ 
Wesens   (oder  die  Definition)  für  ein  Jegliches.    Top.  I,  8.  103  b.  15: 
o  ogtofios   ix  yivovQ  xai  diatpogav  iartv,  definitio  ex  genere  et  diffe- 
rentÜB  oonstat.     Der  Ausdruck  specifi'sche  Differenz  (differentia 
spedfiica)   ist  die  (zuerst  bei  Boethius  nachweisbare)  Uebersetzung  des 
Aristotelischen  Ausdrucks    dutipoga   elSoTcoiog   (Top.  VI,  6.    148  b.  8: 
näaa  yoQ  Monoton  diaipo^  finä  xov  yivovg  tldos  notil).     Spätere  Lo- 
giker fordern  (im   Anschluss   an  Arist.  Top.  Yl,  5.  143  a.  16,  wo  ge- 
fordert wird:  fiTi  vntgßuivuv  rä  yivfi):  »definitio  fiat  per  genus  proxi- 
mnm  et  differentiam  speoificamc.  Dieser  Forderung  muss  auch  in  der 
Begel  genügt  werden,  damit  nicht  mit  mehreren  Worten  das  Nämliche 
gesagt  werde,  was   mit  wenigem  gesagt  werden  kann.    Aber  sie  ist 
keineswegs  von  strenger  Allgemeingültigkeit.    So  würde  z.  B.  die  De- 
finition,  welche  den  Kreis  unter   den  nächsthöheren  Grattungsbegriff 
Kegelschnitt  subeumirt,  in  der  Mehrzahl  der  f^Ue  minder  bequem 
und  angemessen  sein,  aU  die,  welche  ihn  unter  den  allgemeineren  Be- 
griff ebene  Figur  subsumirt,  und  in  der  Elementargeometrie  ist  die 
erstere  sogar  unzulässig.    Im  Allgemeinen  lassen  sich  die  Fälle  dieser 
Art  auf  folgende  Formel  bringen.     Der  zu  definirende  Begriff  A  falle 
unter  den  nächsthöheren  Grattungsbegriff  B  und  mit  diesem  zugleich 
unter  den  wiederum  höheren  Begriff  G;   es  unterscheide  sich  A  von  B 
durch    die    specifische   Differenz    a,  B  von    G  durch   die  specifische 
Differenz  b.  Nun  kann  es  geschehen,  dass  die  beiden  Differenzen  (a  und 
b)  sich  einzeln   nur   mit  Schwierigkeit  bestimmen,  aber  leicht  zu  der 
einen  Gesammtdifferenz  a,  in  der  sie  beide  implicite  enthalten   sind, 
zusammenfassen  lassen.  Wenn  dieser  Fall  eintritt,  so  ist  die  Definition 
mittelst  eines  entfernteren   Gattungsbegriffes   leichter  und   einfacher, 
als  die  Difinition,  welche  den  nächsthöheren  Ckittungsbegriff  enthält, 
und  daher  vorzuziehen,  sofern  nicht  in  einzelnen  Fällen  der  Zweck  der 
Darstellung   dennoch  die  sdiwierigere  Definition  erheischt.   —    Sehr 
grosses  Gewicht  legt   auf  die   Definition  der  neuere  Dogmatismus 
seit  Gartesius,   und  auch  Kant,    obschon   er  die  Erkenntniss   des 
Wesens  der  Dinge  nicht  für  erreichbar  hält,  giebt  viel  auf  die  Strenge 
der  definitoriBchen  Form,    üeber  das  Element  der  Definition  in  Leib- 
nizens  Philosophie  handelt  Trendelenburg  in  den  Monatsber.  der  Berl. 
Akad.  d.  Wiss.  Juli  1860,  wiederabg.  in   Tr.'s  bist  Beitr.  zur  Philos. 
Bd.  UI,   Berlin   1867,  S.  48-^62;   vgl.   Log.  Unters.  2.  Aufl.,  Bd.  II., 
&  232,  3,  Aufl.  S.  247  ff.    Leibniz  lehrt,  dass  das  Geschlecht  und  der 
artbildende  Unterschied  sich  nicht  selten  vertauschen  lassen,  indem  der 
üntersehied  Geschlecht  und  das  Geschlecht  Unterschied  werden  könne; 
diese  Ansidit  muss  jedoch,  wenn  sich  in  dem  gegenseitigen  Yerhältniss 
der  Inhaltselemente  nach  der  Gonsequenz  der  Aristotelischen  Ansicht 
ein  reales  Yerlmltniss  abbilden  soll,  auf  den  Fall  eingeschränkt  werden, 
wo  mehrere  Bestimmungen  gleich  wesentlich  sind,  wie  z.  B»  das  adu- 
lari  ebensowohl  als  mentiri  laudando,  wie  auch  als  laudare  mentiendo, 
nt  plaoeas  laudato,  definirt  werden  kann.    Die  He  gel' sehe  Philosophie 


168  §60.  Die  Definition.  Ihre  Elemente:  Gattungsbegriff  u.  specif. Differenz. 

hebt  die  Begriffsbestimmung  auf  in  der  dialektischen  Genesis  des 
Begriffs. 

Nach  der  Ansicht  Lotze's  (Syst.  d.  Philos.  Bd.  l.Log^k  Buohl. 
Kap.  1.  G.  Die  Bildung  des  Begriffs  S.  45  —  »scheint  in  der  Logik 
der  Name  des  Begriffs  nicht  jene  Yomehme  Bedeutung  haben  zu  dürfen, 
die  ihm  die  Schule  Hegel 's  gegeben  hat,  und  in  welcher  er  darauf 
Anspruch  macht,  die  Erkenntniss  der  wesentlichen  Natur  seines  Gegen- 
standes auszudrücken.  Der  Unterschied  zwischen  logischen  Formen 
und  metaphys.  Gedanken  ist  auch'  hier  zu  beachten.  Es  mag  einen 
bevorzugten  Begriff  geben,  welcher  die  Sache  selbst  in  ihrem  Sein  und 
ihrer  Entwickelung  verfolgt,  oder  zum  Standpunkt  der  Auffassung  den 
in  ihr  selbst  liegenden  Mittelpunkt  wählt,  von  welchem  aus  sie  ihr 
eigenes  Verhalten  bestimmt  und  ihre  eigene  Wirksamkeit  gliedert; 
aber  es  ist  nicht  Aufgabe  der  Logik,  ihrer  Begriffsform  stets  nur  diese 
auserlesene  Füllung  zu  geben.  Der  logische  Begriff  gilt  uns  als  eine 
Denkform,  welche  ihren  Inhalt,  von  irgend  weldiem  Standpunkte  aus, 
so  auffasst,  dass  aus  dieser  Auffassung  Folgerungen  zu  ziehen  sind, 
welche  an  bestimmten  Punkten  richtig  wieder  mit  dem  zusammen- 
treffen, was  aus  diesem  Inhalte  selbst,  aus  der  Sache  selbst  fliesst; 
nach  der  Wahl  jener  Standpunkte,  für  deren  jeden  sich  die  Sache  an- 
ders projicirt,  kann  es  daher  verschiedene  gleich  richtige  und  gleich 
fruchtbare  logische  Begriffe  desselben  Gegenstandes  geben.  Mag  darum 
Begriff  immerhin  jede  Auffassung  heissen,  die,  wenn  auch  nur  mit 
Hülfe  eines  selbst  nicht  weiter  zergliederten  Allgemeinbildes,  dies  leistet, 
den  gegebenen  Gegenstand  einer  Regel  seines  Verhaltens  zu  unter- 
werfen, deren  Anwendung  mit  diesem  wirklichen  Verhalten  in  üeber- 
einstimmung  bleibte. 

Sigwart  in  s.  Logfik  Bd.  1.  Th.  1.  Abschn.  1  Die  Vorstellungen 
als  Elemente  des  Urtheils  und  ihr  Verhältniss  zu  den  Wörtern,  und  Th. 
2.  Absch.  1  Der  Begriff  —  hat  sich  bemüht,  die  psychologische  Be- 
trachtung der  verschiedenen  Gattungen  von  Vorstellungen,  die  überall 
die  Voraussetzung  des  wirklichen  Denkens  und  Redens  bilden,  von  der 
Aufstellung  der  idealen  Normen  der  vollkommenen  Constanz  und  Be- 
stimmtheit der  Vorstellung,  sowie  der  Eindeutigkeit  und  Allgemein- 
gültigkeit ihrer  Wortbezeichnung,  welche  den  logisch  vollkommenen 
Begriff  constituiren,  auch  äusserlich  zu  trennen,  hat  übrigens  wieder- 
holt dabei  hervorgehoben,  dass  die  kunstmässige  Begriffsbildung  nur 
den  Process  vollende,  der  überall  schon  begonnen  hat.  Er  will  nur 
den  Terminus  »Begriffe  für  den  logisch  vollkommenen  Begriff  reser- 
viren  und  die  früheren  Entwickelungsstadien  mit  dem  allgemeineren 
Wort  >  Vorstellung  c  bezeichnen,  also  psychologische  und  logische  Be- 
trachtungsweise trennen.  In  diesem  Sinne  hat  er  Bestimmtheit  und 
Allgemeingültigkeit  als  Merkmale  des  vollendeten  Begriffs,  den  er 
»logischen  Begriffe  nennt,  hingestellt,  aber  diese  Merkmale  eben  der 
natürlichen  Vorstellung,  weil  sie  schwankend  und  individueU  different 
ist,  abgesprochen.  —  Dass  Wundt  in  s.  Logik  Bd.  1.  8.69  dies  miss- 
verstanden hat,   wenn  er   in  der  Vertheidigping  seiner  Neigung  den 


§  61.  Die  Arten  der  Definitionen.  169 

TerminoB  9 Begriffe  sohon  auf  die  ersten  YorBtellungen,  die  in  den  Be- 
zeichnungen der  Sprache  ihre  Verkörperung  gefunden  haben  (das. 
S.  86  ff.),  Sigwart  zu  denjenigen  Logikern  rechnet,  welche  als  Ele- 
ment des  primitiven  ürtheils  die  Yorstellang  ansehen  und  den  Begriff 
erst  auftreten  lassen,  sobald  es  sich  um  die  Verbindung  gewisser  Er- 
kenntniasresultate  handelt,  hat  Sigwart  besonders  entschieden  in  s. 
Art.  1  Logrische  Fragen  in  der  Vierteljahrssch.  f.  wissensch.  Philos. 
Bd.  4.  1880.  S.  456  hervorgehoben.  —  Von  der  Ueberzeugung  geleitet, 
dass  es  diö  vornehmste  Aufgabe '  der  modernen  Logik  sei,  diejenige 
Weltauffassung,  die  heute  bei  Gelehrten  und  gebildeten  Laien  die  herr- 
sehende sei,  vor  ihr  Forum  zu  ziehen,  und  femer,  dass  der  Grundbe- 
griff der  ganzen  Logik,  der  Begriff  der  Definition,  der  gerechteste 
Richter  sein  würde,  hat  neuerdings  E.  Bethwisch  den  Versuch  ge- 
macht, diesen  Begriff  einer  eingehenden  Analyse  zu  unterwerfen  in 
seiner  Schrift:  Der  Begriff  der  Definition  und  seine  Bedeutung  für  die 
monistische  Entwiokelungslehre.    Berlin  1880. 

§  61.  Die  Definitionen  werden  nach  verschiedenen 
Gesichtspunkten  eingetheilt.  Man  nnterscheidet  1.  die 
Existential-  und  die  erzeugende  Definition  (definitio 
snbstantialis  und  genetica  sive  causalis):  jene  entnimmt  den 
Inhalt  des  zu  definirenden  Begriffs  von  dem  Dasein,  diese  von 
der  Entstehung  seines  Objectes;  2.  die  Namen-  und  die 
Sacherklärung  (definitio  nominalis  und  realis):  die  erstere 
bestimmt  nur,  was  unter  einem  Ausdruck  verstanden  werden 
soll,  die  Sacherklärung  aber  geht  auf  die  innere  M?)glichkeit 
des  durch  den  Begriff  bezeichneten  Objectes  und  somit  auch 
auf  die  reale  Gültigkeit  des  Begriffs,  indem  sie  entweder  selbst 
durch  Angabe  der  Entstehungsweise  des  Objectes  den  Beweis 
der  realen  Gültigkeit  des  Begriffs  in  sich  enthält  oder  sich 
auf  einen  vorangegangenen  Nachweis  dieser  Gültigkeit  gründet; 
3.  die  Essential-Definition  und  die  distinguirende 
Erklärung  oder  die  Wesenserklärung  und  die  Er- 
klärung durch  abgeleitete  Bestimmungen  (definitio  essen- 
tialis;  definitio  attributiva  vel  accidentalis  sive  declaratio 
distingnens):  jene  giebt  die  constitutiv- wesentlichen  Merkmale 
an,  diese  die  secundären,  mithin  die  Attribute  oder  auch  die 
verschiedenen  möglichen  Modi,  jedoch  in  solcher  Zahl  und 
Verbindung,  wie  sie  ausschliesslich  denjenigen  Objecten,  welche 
unter  den  zu  bestimmenden  Begriff  fallen,  diesen  aber  auch 
allen  zukommen  und  daher  ausreichen,  um  dieselben  von  allen 
anderen  Objecten  zu  unterscheiden;  4.  die  analytisch  ge- 


170  §  61.  Die  Arten  der  Definitionen. 

bildete  und  die  synthetisch  gebildete  Definition 
(definitio  analytica  und  syntheticä):  jene  wird  in  Gemässheit 
des  bestehenden  Sprachgebranchs  oder  der  bis  dahin  in  der 
Wissenschaft  üblichen  Yorstellungsweise,  diese  ohne  den  An- 
sprach einer  Uebereinstimmung  mit  dem  bisherigen  Gebrauche 
nen  nnd  frei  gebildet  —  Mit  der  Definition  sind  als  minder 
strenge  Formen  der  Angabe  des  zum  Inhalt  eines  Begriffs 
Gehörenden  verwandt  die  Beschreibung  (descriptio),  die 
Erörterung  (expositio)  und  Entwickelung  (explicatio). 
Man  pflegt  auch  wohl  diese  Formen  mit  der  Definition  unter 
dem  weiteren  Namen  der  Erklärung  (declaratio)  zusammen- 
zufassen. Die  Erläuterung  (illustratio,  exemplificatio), 
welche  den  Begriff  durch  Beispiele,  die  dem  Umfange  des- 
selben entnommen  sind,  veranschaulicht,  ist  vielmehr  der 
Division,  als  der  Definition  verwandt. 

Die  Möglichkeit  versohiedener  Definitionen  des  näm- 
lichen Begriffs,  da  doch  das  Wesen  des  nämlichen  Objeotee  nur 
eins  sein  kann,  beruht,  sofern  sie  besteht,  auf  der  gegenseitigen  Ab> 
hängigkeit  der  constitutiv  und  consecutiv  wesentlichen  Merkmale,  so 
dass,  wenn  irgend  eins  oder  irgend  eine  Gruppe  derselben  angegeben 
wird,  die  Gesammtheit  der  übrigen  davon  untrennbar  ist.  Mögen  wir 
z.  B.  den  Kreis  durch  die  ihn  erzeugende  Drehung  der  geraden  Linie 
oder  durch  den  überall  gleichen  Abstand  der  Peripherie  vom  Mittel- 
punkte oder  durch  den  mit  der  Grundfläche  parallelen  Schnitt  des 
geraden  Kegels  oder  durch  die  betreffenden  Formeln  der  analytischen 
Geometrie  definiren,  so  ist  doch  jedes  dieser  Merkmale  mit  den  übrigen 
nach  mathematischen  Gesetzen  nothwendig  verbunden,  daher  audi  der 
deflnirte  Begriff  (des  Ereises)  jedesmal  der  nämliche.  Dass  jedoch  nur 
Eine  Definition  als  definitio  essentialis  die  Aufgabe  der  Definition  im 
vollsten  Sinne  erfülle,  ist  nichtsdestoweniger  unleugbar.  Schon  Scotus 
Erigena  sagt  mit  Becht  (de  divisione  nat.  I,  48):  quamvis  multae 
definitionum  species  quibusdam  esse  videantur,  sola  ac  vere  ipsa  dicenda 
est  definitio,  quae  a  Graecis  ovaitodtig,  a  nostris  vero  essentialis  vöoari 
consuevit  —  Sola  ovatcjSrjg  id  solum  recipit  ad  definiendum»  quod  per- 
fectionem  naturae,  quam  definit,  complet  ac  perficit. 

Aus  den  obigen  Bestimmungen  lassen  sich  mehrere  Sätze  über 
das  Verhältniss  ableiten,  welches  zwischen  den  Gliedern  jener 
verschiedenen  Eintheilungen  besteht.  Die  Ezistential-Definition 
ist,  wenigstens  wenn  sie  für  sich  allein  steht,  in  der  Regel  Nominal- 
definition; die  genetische  ist  stets,  sofern  nicht  die  angebliche  Genesis 
unmöglich  ist,  Realdefinition.  Die  Nominaldefinition  ist  mit  der  Aooi- 
dentaldefinition  oder  der  distinguirenden  Erklärung  und  die  Realdefini- 
tion mit  der  Essentialdefinition  verwandt;  doch  ist  keineswegs  jede  No- 


§  61.   Die  Arten  der  Definitionen.  171 

minaldefinition  eine  blosse  AocidentaMefinition,  sondern  es  kann  auch 
eine  Nominaldefinition  Essentialdefinition  and  somit  eine  Essentialdefi- 
nition  Nominaldefinition  sein.  Wenn  z.  B.  Wolf  f  die  Wahrheit  als  lieber- 
einstimmung  des  Gedankens  mit  dem  Seienden,  welches  gedacht  wird, 
definirt,  so  erklärt  er  selbst  diese  Definition  mit  Recht  für  eine  nominale, 
weil  sie  die  Möglichkeit  einer  solchen  Uebereinstimmung  nicht  aufzeige 
und  mithin  die  reale  Gültigkeit  des  definirten  Begriffs  nicht  verbürge ; 
aber  dennoch  ist  dieselbe  die  Essentialdefinition  der  Wahrheit,  weil  sie 
das  Wesen  oder  den  grundwesentlichen  Charakter  derselben  angiebt. 
(Wäre  das  Wesen,  wie  Einige  es  bestimmen,  der  Grund  der  Sache,  so 
würde  freilich  jede  Essentialdefinition  zugleich  genetisch,  folglich  auch 
Realdefinition  sein;  aber  das  Wesen  ist  nur  Grund  der  übrigen  Merk- 
male der  Sache,  nicht  Grund  der  Sache  überhaupt,  sofern  nicht  Grund 
seiner  selbst.)  Auch  ist  nicht  jede  Realdefinition  zugleich  Essential* 
definition,  sondern  ejine  Realdefinition  kann  auch  Accidentaldefinition 
und  somit  eine  Accidentaldefinition  Realdefinition  sein.  (Die  Möglich- 
keit der  Sache  kann  auf  eine  mehr  äusserliche  Weise  verbürgt  sein, 
etwa  durch  den  Nachweis  irgend  einer  Genesis,  die  doch  nicht  aus  dem 
Mittelpunkte  des  Wesens  heraus  erfolgt;  in  diesem  Falle  erhalten  wir 
eine  Realdefinition,  die  doch  nicht  Essentialdefinition  ist.)  Die  Ein- 
theilung  der  Definitionen  in  analytisch  und  synthetisch  gebildete  hat 
zu  den  übrigen  Eintheilnngen  kein  bestimmtes  Verhältniss. 

Die  Termini  Nominal-  und  Realdefinition  sind  insofern 
nicht  völlig  bezeichnend,  als  jede  Definition  an  sich  weder  den  Namen 
noch  die  Sache,  sondern  den  Begriff  bestimmt,  nebenbei  aber  sowohl 
den  Namen,  ab  auch  die  Sache,  sofern  dieselbe  möglich  ist.  So  lange 
indess  die  reale  Gültigkeit  des  definirten  Begriffs  nicht  verbürgt  ist, 
bleibt  es  immer  möglich,  dass  nur  scheinbar  ein  gültiger  Begriff,  in 
der  That  aber  ein  blosser  Name  und  fingirter  Begriff,  dem  nichts  Reales 
entspricht,  definirt  worden  sei,  und  dagegen  dient  andererseits  die  De- 
finition eines  objectiv  gültigen  Begriffs  zugleich  auch  zur  Erkenntniss 
der  durch  den  Begriff  bezeichneten  Sache.  In  diesem  Sinne  gedeutet 
lassen  jene  Eunstausdrücke  sich  rechtfertigen. 

Von  der  Real-  und  Nominaldefinition  unterscheiden  einige  Logiker 
nodi  als  eine  dritte  Art  die  Verbaldefinition  oder  Worterklärung, 
worunter  sie  die  blosse  Angabe  der  Wortbedeutung  verstehen.  Diese 
Nebenordnung  ist  aber  unstatthaft,  weil  bei  der  Angabe  der  Wortbe- 
deutung nicht  die  Art  der  Erklärung,  sondern  das  Object  der  Er- 
klärung ein  eigenthümliches  ist:  die  sogenannte  Worterklärung  ist,  falls 
überhaupt  Definition,  dann  entweder  Nominal-  oder  Realdefinition  des 
Begriffs  von  emexß  Worte. 

Synthetisch  gebildete  Definitionen  sind  nur  da  zulässig,  wo 
die  Wissenschaft  in  der  That  neuer  Begriffe  bedarf.  Die  Vermischung 
solcher  Bestimmungen,  die  in  eine  synthetische  Definition  eines  Begriffs 
nach  eigenem  Ermessen  aufgenommen  worden  sind,  mit  den  Inhalts- 
elementen  desjenigen  Begriffs,  der  nach  dem  allgemeinen  Spraohge- 
brauohe  den  gleichen  Namen  führt,  ist  von  jeher  eine  der  ergiebigsten 


172  §  61.  Die  Arten  der  Definitionen. 

Quellen  von  Irrthümem  nnd  Verwirrungen  gewesen.  Beispiele  liefern 
sehrviele  Definitionen  Spinoza 's,  wie  von  der  Substanz,  von  der  Liebe 
etc.,  und  nicht  wenige  E'ant's,  wie  von  der  Erkenntniss  a  priori,  von 
der  Idee,  von  der  Freiheit,  femer  die  ethisirenden  Definitionen  des 
Glaubens  im  Verhältniss  zu  der  thatsächiichen  und  dem  Sprachgebrauch 
gemässen  Beziehung  desselben  auf  das  Fürwahrhalten  bestimmter  Sätze 
oder  auch  umgekehrt  die  in  dem  letzteren  Sinn  aufgestellten  Definitionen 
im  Verhältniss  zu  einem  davon  abweichenden  Gebrauch  im  Sinne  der 
Treue  gegen  Gott  und  Menschen  etc.  Vgl.  unten  §  126.  (Die  Termini 
synthetische  und  analytische  Definition,  namentlich  durch 
Kant  vertreten,  sind  besonders  zur  Bezeichnung  der  bestimmten  Art 
von  quatemio  terminorum,  die  auf  der  angegebenen  Gonfusion  beruht, 
bequem;  doch  ist  andererseits  nicht  zu  verkennen,  dass  der  durch  sie 
bezeichnete  Unterschied  nicht  sowohl  den  Charakter  der  Definition  selbst, 
als  vielmehr  nur  die  Art  der  Genesis  derselben  in  dem  Subject  betrifft, 
also  vielmehr  ein  psychologischer,  als  ein  logischer  Unterschied  ist.) 

Aristoteles  lehrt:  6  oQiCofievog  d^Uwaiv  ^  t(  iarivrj  ri  arjfitti' 
v€i  Tovvofia  (Anal,  poster.  11,  7.  92  b.  26).  Die  letztere  Art  der  Defi- 
nition nennt  er  Xoyog  ovofxartoSrig  (ib.  II,  10.  98  b.  81),  die  erstere 
wird  von  Aristotelikern  oQog  nQayfjiattodfiq  (raalis)  oder  ogog  ovatto^ti^ 
(essentialis)  genannt.  Wir  können  die  V^ortbedeutung  auch  bei  Be- 
griffen feststellen,  die  keine  reale  Gültigkeit  haben,  wie  z.  B.  bei  rnic- 
yäXafpog,  das  Wesen  aber  oder  das  r/  ian  nur  von  dem  erkennen, 
was  ist  und  wovon  wir  wissen,  dass  es  ist,  und  daher  z.  B.  nicht  von 
TQuy^Xatposi  t£  cF'  iarl  TQay^latpog,  advvatov  Üd4vai  (ib.  11,  7.  92  b.  7). 
Die  Erkenntniss  schreitet  vom  Sein  zum  Wesen  und  Grunde  fort: 
^/ovreg  oti  lare,  Cv^ovitev  Jra  U  iartv.  Die  volle  Erkenntniss  des  ri 
iOTi  schliesst  zugleich  die  Erkenntniss  des  6ta  rl  ianv  in  sich  ein  und 
ist  von  derselben  nur  in  formaler  Beziehung  verschieden;  mit  anderen 
Worten:  die  Erkenntniss  des  Wesens  der  Sache  muss  sich  auf  die  Er- 
kenntniss ihres  Ursprungs  gründen,  die  Wesenserklärung  daher  ent- 
weder die  Ursache  des  Objectes  in  sich  aufnehmen  gleich  der  gene- 
tischen Beweisführung,  oder  das  Wissen  um  die  Ursache  voraussetzen 
gleich  dem  Schlusssatze  der  Beweisführung.  Nur  bei  den  Definitionen 
der  ursachlosen,  durch  sich  selbst  gewissen  Principien  fällt  diese  For- 
derung weg  (ib.  II,  10.  94  a.  9).  Der  Aristotelische  Begriff  der  Wesens- 
erklärung oder  des  ogta/ubg  t6  t(  fan  arifiafviov  vereinigt  demnach  in 
sich  die  beiden  Bestimmungen:  Angabe  der  wesentlichen  Merkmale 
und  erwiesene  Realität  des  Objectes. —  Leibniz  unterscheidet  >defi- 
nitiones  nominales,  quae  notas  tantum  rei  ab  aliis  discernendae  oon- 
tinent,  et  reales,  ex  quibus  constatrem  esse  possibilem«  (Actaerudit. 
1684,  p.  540).  Demgemäss  nimmt  Leibniz  in  den  Begriff  der  definitio 
realis  einerseits  eine  Bestimmung  weniger  auf,  als  Aristoteles  in  den 
entsprechenden  Begriff  des  oQiafjiog  to  iC  ian  arj/na^vtav,  indem  er  nicht 
ausdrücklich  die  wesentlichen  Merkmale  fordert  (denn  das,  woraus  die 
Möglichkeit  erkannt  wird,  also  die  Genesis  des  Objectes,  ist  ja  nicht 
nothwendig  mit  dessen  Wesen  identisch),  andererseits  eine  Bestimmung 


§  61.  Die  Arten  der  Definitionen.  178 

mehr,  indem  er  nicht,  wie  Aristoteles,  beides  zulässt,  dass  die  Real- 
definition entweder  selbst  den  Nachweis  der  Realität  und  der  Genesis 
des  Objectes  enthalte  oder  anf  den  vorangegangenen  Nachweis  sich 
grründe,  sondern  nur  das  Eine  gestattet,  dass  sie  selbst  den  Nachweis 
der  inneren  Möglichkeit  gebe.  Durch  diese  Leibnizischen  Bestimmungen 
veranlasst,  unterscheidet  Wolff  schärfer  die  beiden  Elemente,  die  in 
dem  Aristotelischen  Begriffe  des  ogiofiog  tov  ri  lau  vereinigt  lagen, 
und  zerlegt  so  den  Aristotelischen  einfachen  Gegensatz  in  den  doppelten 
einerseits  der  definitio  nominalis  und  realis,  andererseits  der  definiüo 
accidentalis  und  essentialis*  Er  sagt:  »definitio,  per  quam  patet  rem 
definitam  esse  possibilem,  realis  vocatur«  (Log.  §  191);  »definitionem 
essentialem  appello,  in  qua  enumerantur  essentialia,  per  quae  defi- 
nitum  determinatur ;  accidentalem  dioo,  in  qua  enumerantur  vel 
attributa,  vel  quae  per  modum  attributorum  insunt,  modorum  ac  rela- 
tionum  possibilitates ,  quibus  definitum  determinatur c  (Log.  §  192)« 
(Doch  unterscheiden  auch  die  älteren  Logiker  schon  nach  Boethius  die 
definitio  secundum  substantiam,  quae  proprio  definitio  dicitur  und  die 
definitio  secundum  acoidens,  quae  descriptio  nominatur.  Vgl.  Abelard, 
diaL,  bei  Cousin,  oeuvr.  in6d.  d'Ab.  S.  493;  Joh.  Sootus  a.  a.  0.). 
Kant  dagegen  vereinigt  wiederum  beide  Bestimmungen,  indem  er  in 
seine  Erklärung  der  Nominal-  und  Realdefinition  zugleich  auch  die 
Charaktere  der  Accidental-  und  Essentialdefinition  mit  aufnimmt  (Log. 
herausg.  von  Jäsche,  §  106).  Die  nachkantischen  Logiker  sind  theils 
Wolff  oder  Kant  gefolgt  (wie  namentlich  Her  hart,  Lehrb.  zur  Einl. 
in  die  Philos.  §  42  im  Anschluss  an  Wolfif  und  an  Aristoteles  das 
charakteristische  Merkmal  der  Realdefinition  in  der  Gültigkeit  des  Be- 
griffs findet),  theils  haben  sie  (wie  namentlich  Schleiermacher, 
Dial.  §  266  und  D robisch.  Log.,  2.  Aufl.  §  109  ff.)  den  Unterschied 
der  Namen-  und  Sacherklärung  auf  denjenigen  Unterschied  umgedeutet, 
welchen  Wolff  durch  die  Termini:  Accidental-  und  Essentialdefinition 
bezeichnet.  (In  der  3.  u.  4.  Auflage  seiner  Logik  gebraucht  Dro- 
bisch  in  §§  115  und  116,  welche  den  §§  109  und  110  der  zweiten  Auf- 
lage entsprechen,  die  Ausdrücke:  »distinguirende  Erklärung c  und: 
»Definitionc  in  dem  Sinne  der  Accidental-  und  Essentialdefinition,  und 
fuhrt  in  §  120  als  die  herkömmliche  Weise,  von  der  er  jedoch  selbst 
nicht  Gebrauch  machen  wolle,  an,  dass  man  unter  der  Realdefinition 
diejenige  Erklärung  verstehe,  aus  welcher  die  Möglichkeit,  oder  rich- 
tiger, die  Gültigkeit  eines  Begriffes  erhelle.)  Jene  Umdeutung  möchte 
jedoch  nicht  rathsam  sein,  theils  weil  die  Wortbedeutung  von  Namen - 
und  Sa  ch- Erklärung  vielmehr  auf  den  Unterschied  der  subjectiv  willkür- 
lichen und  der  objectiv  oder  real  gültigen  Begriffsbestimmung  hinweist, 
als  auf  den  der  ausserwesentlichen  und  der  wesentlichen  Merkmale, 
theüs  und  besonders,  weil  der  in  der  Logik  vorwaltende  Gebrauch  sich 
auch  bereits  ausserhalb  derselben,  insbesondere  bei  den  Mathematikern 
eingebürgert  hat  (Drobisch  selbst  folgt  dem  Gebrauche,  den  er  noch 
in  der  zweiten  Auflage  seiner  Logik  verwirft,  in  seiner  »Empirischen 
Psychologie«  z.  B.  S.  292,  wo  er  von  den  gangbaren  Erklärungen  der 


174  §  61.  Die  Arien  der  Definitionen. 

Seelenvermögen  sagt:  »sie  sind  überdies  nur  Namenerklärungen, 
welche  die  Realität  ihrer  Objecte  durchaus  nicht  verbürgen c);  eine 
Discrepanz  der  Terminologie  in  der  Logik  und  in  den  anderen  Wissen- 
schaften wäre  aber  doch  immer  ein  üebelstand,  der  um  so  weniger 
zugelassen  werden  darf,  da  er  nicht  erst  durch  Neuerungen  gehoben 
zu  werden  braucht,  sondern  durch  einfachen  Anschluss  an  die  nach 
Aristoteles  und  Leibniz  von  Wolff  gegebenen  Bestimmungen  leicht 
vermieden  werden  kann.  Es  sind  also  hiernach  z.  B.  diejenigen  mathe- 
matischen Definitionen,  welche  bei  Euklid  dem  Nachweis  der  Entstehung* 
der  betreffenden  Figuren  vorangehen,  mögen  sie  die  constitutiv  wesent- 
lichen Merkmale  oder  seoundäre  enthalten,  Nominaldefinitionen  zu 
nennen,  solche  Definitionen  aber,  welche  nur  secundäre  Bestimmungen 
enthalten,  wie  z.  B.  die  der  geraden  Linie  als  des  kürzesten  Weges 
zwischen  zwei  Punkten  (da  das  Wesen  des  Geraden  vielmehr  die  in 
sich  oonstante  Richtung  ist),  mag  auch  die  objective  Gültigkeit  der- 
selben unzweifelhaft  sein,  Attributiv-  oder  Accidentaldefinitionen  oder 
distinguirende  Erklärungen.  Wenn  das  Strafgesetzbuch  Yerbrechen, 
Vergehen  und  üebertretungen  nach  der  Höhe  der  Strafe  unterscheidet, 
also  z.  B.  definirt:  »Eine  mit  Haft  oder  mit  Greldstrafe  bis  zu  fünfzig 
Thalern  bedrohte  Handlung  ist  eine  Üebertretungc,  so  ist  dies  eine 
Attribntiv-Erklärang  (distinguirende  Erklärung);  wird  der  »Versuche 
definirt  als  »Bethätigung  des  Entschlusses,  ein  Verbrechen  oder  Ver^ 
gehen  zu  verüben,  durch  Handlungen,  wölche  einen  Anfang  der  Aus- 
führung dieses  Verbrechens  oder  Vergehens  enthalten,!  so  ist  dies  eine 
Essentialerklärung;  beide  Erklärungen  aber  stehen  einander  in  Bezug 
auf  den  unterschied  zwischen  Nominal-  und  Realdefinition  völlig  gleich. 
Die  übliche  Unterscheidung  von  Nominal-  und  Realdefinitionen 
glaubte  St.  Mi  11  unbedingt  verwerfen  zu  müssen.  Er  that  dies  zuerst 
in  einer  Recension  von  Whately's  Logik  in  der  Westminster  Review 
für  Januar  1828.  —  »Die  Unterscheidung  zwischen  Nominal-  und  Real- 
definitionen, zwischen  Definitionen  von  Wörtern  und  sogen.  Definitionen 
von  Dingen,  —  schrieb  er  das.,  —  wenn  sie  auch  mit  den  Vorstellun- 
gen der  meisten  Aristotel.  Logiker  übereinstimmen,  können,  wie  uns 
scheint,  doch  nicht  aufredit  erhalten  werden.  Wir  glauben,  dass  eine 
Definition  niemals  den  Zweck  hat,  »die  Natur  des  Dinges  zu  enthüllen c. 
Unsere  Meinung  wird  dadurch  bestätigt,  dass  es  keinem  von  den 
Schriftstellern,  welche  glaubten,  es  gebe  Definitionen  von  Dingen,  je- 
mals gelang,  ein  Kriterien  zu  entdecken,  durch  welches  die  Definition 
eines  Dinges  von  einem  andern,  auf  das  Ding  sich  beziehenden  Urtheil 
unterschieden  werden  kann.  Die  Definition,  sagen  dieselben,  enthält 
die  Natur  des  Dinges,  aber  keine  Definition  kann  seine  ganze  Natur 
enthüllen;  und  ein  jedes  Urtheil,  in  welchem  irgend  eine  Eigenschaft 
des  Dinges  ausgesagt  wird,  enthüllt  einen  Theil  seiner  Natur.  Der 
wahre  Sachverhalt  ist  nach  unserer  Meinung  der  folgende.  Alle  De- 
finitionen sind  Definitionen  von  Namen  und  nur  von  Namen ;  aber  bei 
manchen  Definitionen  ist  es  einleuchtend,  dass  sie  nur  die  Bedeutung 
des  Wortes  erklären  sollen,  während  andere  ausser  der  Worterklärung 


§  61.  Die  Arten  der  Definitionen.  175 

nooh  einBchliessen  sollen,  dass  ein  dem  Wort  entsprechendes  Ding 
ezistirtc.  Diese  Ansicht  hat  Mi  11  in  seinem  System  der  Logik,  4. 
deatsohe  Anfl.,  Th.  1,  Buch  1,  Cap.  8  Von  den  Definitionen  —  ein- 
gehend zn  begründen  gesucht.  Er  sag^t  hier  S.  164:  9  Der  einfachste 
und  richtigste  Begpriff  von  einer  Definition  ist:  ein  Urtheil,  das  die 
Bedeutung  des  Wortes  erklart,  sei  es  die  Bedeutung  bei  der  gewöhn- 
lidien  Anwendung  desselben,  sei  es  die,  welche  der  Schreibende  oder 
Sprechende  ihm  für  seine  besonderen  Zwecke  beilegt,  c 

Vergleichbar  behauptet  Sigwart  in  s.  Logik,  Bd.  1,  Th.  2,  §  44 
S.  S29:  9  Eine  Definition  ist  ein  Urtheil,  in  welchem  die  Bedeutung 
eines  einen  Begriff  bezeichnenden  Wortes  angegeben  wird,  sei  es  durch 
einen  Ausdruck,  der  diesen  Begriff  in  seinem  Merkmale  zerleget  zeigt, 
wodurch  also  der  Inhalt  des  Begriffs  vollstilndig  dargelegt  wird,  sei  es 
durch  Angabe  der  nächsthöheren  Gattung  und  des  artbildenden  Unter- 
schieds, wodurch  seine  Stellung  im  geordneten  Systeme  der  Begriffe 
angegeben  wird.  Jede  logische  Definition  ist  eine  Nominaldefinition; 
die  Forderung  einer  Bealdefinition  beruht  auf  der  Yermischung  der 
metaphysischen  und  der  logischen  Aufgaben«  —  u.  S.324:  »Definition 
in  diesem  Sinne  kann  also  niemals  etwas  anderes  als  eine  Nominal- 
definition sein,  welche  die  Bedeutung  eines  Wortes  angiebt,  und  die 
immer  in  dem  Sinne  eine  Bealdefinition  sein  muss,  dass  sie  den  Inhalt 
des  dabei  Gedachten  analysirt  und  vom  Inhalt  anderer  Begriffe  scheidet  c 
Die  sogen.  Bealdefinition  habe  für  uns  in  der  Logik  keinen  Sinn  mehr. 

Lotze  hat  der  Unterscheidung  beider  Definitionsarten  doch  einen 
bedingten  Nutzen  zusprechen  zu  können  geglaubt  (Syst.  d.  Philos.  Th.  1. 
Die  Logik.  Buch  2,  Gap.  1.  Die  Formen  der  Definition).  Er  sagt 
das.  S.  201  u.  ff.:  »Namen  lassen  sidi  aussprechen  oder  übersetzen, 
definiren  aber  können  wir  immer  nur  ihren  Inhalt:  unsere  Vorstellung 
nämlich  von  dem,  was  sie  bezeichnen  sollen;  die  Sache  anderseits  ist 
ebenso  wenig  selbst  in  unserm  Denken  vorhanden,  sondern  nur  das 
Vorstellungsbild,  das  wir  von  ihr  entworfen  haben.  Beide  Arten  der 
Definition  scheinen  daher  dasselbe  bezeichnen  zu  müssen,  und  in  der 
That  trifft  dies  für  Alles  zu,  was  ausserhalb  unserer  Gedanken  keine 
Wirklichkeit  hat  und  dessen  ganzer  Inhalt  deshalb  durch  das  erschöpft 
wird,  was  wir  von  ihm  vorstellen.  Von  einer  geometrischen  Figur 
giebt  es  keine  reale  Definition,  die  von  der  nominalen  noch  unter- 
schieden wäre ;  jede  richtige,  die  wir  geben,  drückt  zugleich  die  ganze 
Natur  dessen,  was  hier  die  Sache  ist,  und  zugleich  die  ganze  Bedeutung 
des  Namens  aus.  In  anderen  Fällen  bedeutet  jedoch  der  Unterschied 
beider  Definitionsweisen  etwas,  was  der  Mühe  werth  ist.  Nennen  wir  die 
Seele  das  Subject  des  Bewusstseins ,  des  Vorstellens,  Fühlens  und 
WoUens,  so  kann  dies  schicklich  eine  nominale  Definition  heissen:  wir 
machen  damit  die  Bedingung  namhaft,  welche  irgend  ein  Beales  erfüllen 
muss,  um  Anspruch  auf  den  Namen  einer  Seele  zu  haben.  Was  aber 
oder  was  nun  Dasjenige  ist,  was  durch  seine  eigenthümliche  Natur 
diese  Bedingung  zu  erfüllen  im  Stande  wäre,  bleibt  völlig  dahingestellt; 
erst  eine  Ansicht,  welche  bewiese,  dass  entweder  nur  ein  übersinnliches 


176  §  62.  Die  bemerkenswerthesten  Definitionsfehler. 

und  untheilbares  Wesen  oder  nur  ein  verbundenes  System  materieller 
Elemente  den  Träger  des  Bewusstseins  und  seiner  mannigfachen  Er- 
scheinungen bilden  könne,  würde  die  reale  Definition  der  Seele  festg»- 
stellt  haben.  —  Allgemein  also :  wenn  entweder  die  Erfahrung  uns  eine 
Merkmalgn^ppe  p  q  r  häufig  vorkommend  und  beständig  beisammen 
bleibend  vorfuhrt,  oder  wenn  irgend  ein  Zusammenhang  unserer  Unter- 
suchungen uns  veranlasst,  sie  zusammen  zu  setzen  und  in  ihr  einen 
Gegenstand  weiterer  Fragen  zu  sehen,  so  bilden  wir  zuerst  für  sie  einen 
Begriff  M,  dessen  nominale  Definition  immer  möglich  sein  wird,  weil  sie 
nur  jene  Prädicate,  die  uns  zur  Schaffung  seines  Namens  bewogen,  oder 
die  Leistung  zu  bezeichen  hat,  die  wir  von  dem  so  benannten  Gr^penstande 
erwarten.  Aber  die  reale  Definition  wird  nicht  immer  möglich  sein;  denn 
nichts  verbürgt,  dass  wir  nicht  in  M  Merkmale  vereinigt  haben,  deren  Ver- 
knüpfung wir  zwar  aus  irgend  einem  Grunde  glaubten  voraussetzen  oder 
wünschen  zu  dürfen,  ohne  dasä  sich  doch  etwas  auffinden  Hesse,  worin  sie 
wirklich  verbunden  vorkämen  oder  verbindbar  wären.  Da  es  ein  häufiger 
Irrthum  ist,  durch  blosse  Bezeichnung  einer  Aufgabe,  die  wir  gelöst 
sehen  möchten,  für  die  Lösung  selbst  anzusehen,  so  ist  die  Unter- 
scheidung beider  Definitionsarten  eine  nützliche  Warnung,  c 

§  62.  Unter  den  Fehlern  der  Definitionen  sind 
die  bemerkenswerthegten  folgende:  die  zu  grosse  Weite  oder 
Enge  (definitio  latior,  angnstior  suo  definito),  wo  das  Definiens 
von  grösserem  oder  kleinerem  Umfange  ist  als  das  Definitum 
and  daher  gegen  die  Forderung  Verstössen  wird,  dass  die 
Definition  adäquat  (definitio  adaequata)  oder  das  Definitum 
und  das  Definiens  Wechselbegriffe  seien;  die  Abundanz 
(definitio  abundans),  wo  mit  den  grundwesentlichen  Bestim- 
mungen zugleich  auch  abgeleitete,  die  nur  in  die  Entwickelung 
desBegriffis  gehören  würden,  angegeben  werden ;  die  Tauto- 
logie (idem  per  idem),  wo  der  zu  definirende  Begriff  ent- 
weder ausdrücklich  oder  verhüllter  Weise  in  der  Definition 
wiederkehrt;  der  Cirkel  oder  die  Diallele  (circulus  sive 
orbis  in  definiendo),  wo  Ä  durch  B  und  B  wieder  durch  A, 
oder  auch  A  durch  B,  B  durch  C,  C  durch  D  etc.  und  D  oder 
überhaupt  irgend  ein  folgendes  Glied  wieder  durch  A  definirt 
wird,  und  zwar  gewöhnlich  in  Folge  eines  vazeQov  ngozegov^ 
d.  h.  des  Versuches,  einen  Begriff,  dessen  wissenschaftliche 
Voraussetzungen  noch  nicht  erkannt  sind,  zu  definiren,  was 
dann  nur  mittelst  solcher  Begriffe,  die  ihn  selbst  schon  voraus- 
setzen, geschehen  kann;  die  Definition  durch  bildliche 
Ausdrücke,  durch  blosse  Negationen,  durch  die  neben- 


§  62.  Die  bemerkenswertbeBten  Definitionsfebler.  177 

geordneten  and  untergeordneten  Begriffe.  Doch  ist  bei 
negativen  Begriffen  die  negative  Definition  und  bei  ein- 
fachen Begriffen  die  blosse  Sonderung  aus  ihrem  Yerflochten- 
sein  mit  anderen  Begriffen  und  Verdeutlichung  vermittelst  der 
Angabe  ihres  Umfangs  wissenschaftlich  berechtigt. 

Ein  Beispiel  der  zu  grossen  Weite  giebt  folgende  Definition  des 
unendlich  Kleinen  (die  sich  in  einem  neueren  Lehrbnche  der  Differen- 
tiabrechnang  findet):  »eine  Grösse,  welche  wir  als  Bruch  mit  gleich- 
bleibendem Zähler,  aber  bestandig  wachsendem  Nenner  denken,  nennen 
wir  unendlich  klein,  c  Das  definiens  hat  hier  einen  weiteren  umfang, 
als  das  definiendum,  denn  der  Nenner  wachst  auch  dann  beständig, 
wenn  er  in  folgender  Weise  fortschreitet :  10,  15,  17'/«,  18'/«  •  •  •,  und 
doch  ist  der  Bruch  in  diesem  Falle  nicht  unendlich  klein.  £s  mnsste 
die  Bestimmung  hinzugefügt  werden,  die  Reihe  der  Brüche  solle  zu- 
gleich von  der  Art  sein,  dass,  welche  feste  Grösse  auch  gegeben  sein 
möge,  immer  ein  Glied  der  Reihe  gefunden  werden  könne,  das  seinem 
absoluten  Werthe  nach  kleiner  sei  oder  der  Null  näher  stehe;  mit 
anderen  Worten,  die  Reihe  solle  Null  zum  Grenzwerth  haben.  —  Zu 
eng  ist  Cato's  Definition:  »orator  est  vir  bonus  dicendi  peritusc:  denn 
es  sind  Individuen  denkbar,  die  dem  Umfange  des  definiendum  und 
doch  nicht  dem  Umfange  des  definiens  angehören.  Zu  eng  ist  auch 
K.  F.  Becker's  Definition:  »der  Gedanke  ist  derjenige  Act  der  Intelli- 
genz, durch  welchen  ein  Thätigkeitsbegpriff  und  der  Begriff  des  Seins 
als  Eins  (oongruent)  angeschaut  wordene ;  denn  sie  geht  nur  auf  eine 
Art  der  Gedanken.  Die  zu  enge  Definition  ist  auch  als  Satz  oder  als 
(allgemeine)  Behauptung  falsch,  die  zu  weite  als  Satz  wahr,  aber  die 
ümkebrung  (wobei  das  Subject  zum  Prädicate  und  das  Prädicat  zum 
Subjecte  gemacht  wird,  s.  unten  in  der  Lehre  von  der  Conversion  §  85 
das  Nähere)  falsch,  wogegen  bei  der  adäquaten  Definition,  weil  das 
Definitnm  und  das  Definiens  Wechselbegriffe  sein  müssen,  auch  die 
Umkehrung  wahr  ist.  Die  Umkehrung  kann  daher  als  ein  Prüfungs- 
mittel der  Definitionen  dienen.  —  Eine  Abundanz  würde  in  der 
Erklärung  liegen:  Parallellinien  sind  solche  Linien,  die  gleiche  Rich- 
tung und  überall  gleichen  Abstand  von  einander  haben.  Aber  es  ist 
nur  eine  scheinbare  Abundanz,  dass  in  die  Definition  der  Aehnlichkeit 
geradliniger  ebener  Dreiecke  sowohl  die  Gleichheit  der  Winkel,  als 
auch  die  Proportionalität  der  Seiten  aufgenommen  wird;  denn  wenn 
gleich  beim  Dreieck  die  eine  dieser  beiden  Bestimmungen  aus  der  an- 
deren gefolgert  werden  kann,  so  bezeichnen  doch  erst  beide  in  ihrer 
Yereinigung  das  volle  Wesen  der  Aehnlichkeit,  wie  denn  auch  nur  auf 
die  Yereinigung  beider  Merkmale  die  allgemeine  Definition  der  Aehn- 
lichkeit geradliniger  ebener  Figuren  gegründet  werden  kann.  —  Tau- 
tologien sind  es,  wenn  das  Gedächtniss  als  das  Vermögen,  des  früher 
bewusst  Gewesenen  wieder  zu  gedenken,  oder  die  Lebenskraft  als  der 
innere  Grund  des  Lebens  erklärt  wird.     Aber  darin  liegft  keine  Tau- 

12 


178  §  62.  Die  bemerkeiiBwerthesten  Definitionsfehler. 

tologie,  wenn  bei  der  Definition  eines  Artbegriffs,  der  keinen  eigen- 
thümlichen  Namen  trägt,  sondern  durch  Zufügung  eines  Adjectivs  zum 
Grattungsnamen  bezeichnet  wird,  der  Gattungsname  in  dem  definiens 
wiederholt  wird;  auch  ist  dieses  Verfahren  keineswegs  (wie  wohl  mit- 
unter behauptet  worden  ist)  bloss  bei  Nominaldefinitionen  zulässig; 
denn  da  die  Species  definirt  werden  soll,  so  muss  in  jedem  Falle  das 
Genus  zu  den  bereits  früher  definirten  und  daher  als  bekannt  yoraus- 
zusetzenden  B^^riffen  gehören.  So  ist  z.  B.  die  Definition  auch  als 
Real-  und  Essentialdefinition  tadellos:  die  gerade  Linie  ist  die  Linie 
von  einer  in  sich  constanten  Richtung;  denn  die  Definition  der  Linie 
(als  des  durch  die  Bewegung  eines  Punktes  erzeugten  Gebildes)  muss 
schon  vorausgesetzt  werden,  wenn  der  Begriff  der  Species  gerade 
Linie  definirt  werden  soll.  —  Ein  Hysteronproteron  liegt  in  der 
Erklärung  der  Grösse  als  des  der  Vermehrung  und  Verminderung 
Fähigen,  was  zur  Girkelerklärung  führt,  sofern  doch  Vermehrung 
nichts  anderes  ist,  als  Zunahme  der  Grösse  und  Verminderung  Ab- 
nahme der  Grösse.  Auf  einen  Girkel  läuft  auch  die  Definition  hin- 
aus, die  J.  G.  E.  Maass  in  seinem  »Versuch  über  die  Geffihlec  vom 
Angenehmen  giebt.  Er  sagt:  »ein  Gefühl  ist  angenehm,  sofern  es  um 
seiner  selbst  willen  begehrt  wird«  (Bd.  I,  S.  89);  »wir  begehren  nur 
das,  was  wir  uns  auf  irgend  eine  Art  als  gut  vorstellen«  (S.  243) ;  »der 
Sinnlichkeit  aber  erscheint  als  gut,  was  Vergnügen  gewährt  oder  ver- 
spricht, uns  also  angenehm  afficirt;  —  die  Begierden  beruhen  auf  an- 
genehmen Gefühlen«  (S.  244).  Hier  wird  also  das  angenehme  Gefühl 
durch  die  Begierde  und  doch  auch  wieder  die  Begierde  durch  das  an- 
genehme (j^ühl  erklärt.  (Sollte  dieser  Girkel  vermieden  werden,  so 
musste  schon  bei  der  Definition  des  Gefühls  auf  den  Begriff  der 
Lebensförderung,  der  dessen  wissenschaftliche  Voraussetzung  bildet, 
zurückgegangen  werden.  Das  Gefühl  des  Angenehmen  ist  das  unmittel- 
bare Bewusstsein  der  Lebensförderung.)  —  Wenn  Plato  die  Idee  des 
Guten  die  Sonne  im  Reiche  der  Ideen  nennt,  so  gilt  ihm  diese  bild- 
liche Bezeichnung  nicht  als  Definition,  da  er  vielmehr  das  Gute  als 
einfachen  und  obersten  Begriff  für  undefinirb^r  hält;  bei  den  Pytha- 
goreem  aber  können  wir  wohl  nicht  das  gleiche  logische  Bewusstsein 
voraussetzen,  wenn  sie  die  Dinge  als  Zahlen,  z.  B.  die  Gerechtigkeit 
als  Quadratzahl,  aQi&fios  tadmg  taos,  definiren,  noch  auch  bei  Jakob 
Böhme,  wenn  dieser  sagt:  »die  Wiedergeburt  ist  die  Entbindung  des 
himmlischen  Wesens  im  Gentrum  der  animalischen  Seele«;  »die  Natur 
(Himmel  und  Erde  und  Alles,  was  darinnen  ist)  ist  der  Leib  Gottes«  etc. 
Auch  Erklärungen  wie  folgende:  das  Recht  ist  die  Verkörperung  der 
sittlichen  Idee;  der  Staat  ist  der  Mensch  im  Grossen;  die  Earche  ist 
der  Leib  Christi ;  das  Gewissen  ist  der  innere  Gerichtshof,  der  in  jedem 
Menschen  seinen  Sitz  aufgeschlagen  hat,  und  ähnliche,  die  im  Bilde 
den  wahren  Gedanken  enthalten,  bedürfen  doch  der  Deutung  des 
Gleichnisses  auf  den  eigentlichen  Sinn,  um  in  wissenschaftliche  Defi- 
nitionen überzugehen.  Versteckter,  aber  darum  für  die  Wissenschaft 
nur  um  so  nachtheiliger  ist  die  Bildlichkeit  in  der  Zenonisohen  Defini- 


§  62.  Die  bemerkenswertbesten  Definitionsfehler.  179 

tion  des  na^s  als  der  aloyog  Mal  nag«  tpvctv  ^vx^^  xivfiaig  (Diog.  L. 
yn,  110;  cf.  Gic.  TiiBo.  lY,  6:  aversa  a  reota  ratione  contra  naturam 
animi  commotio),  wo  die  Bedeutung  der  »Bewegungt  zwischen  Gefühl 
und  Begehrung  schwankt.  An  dem  Fehler  der  versteckten  Bildlichkeit 
leidet  Wundt's  Erklärung  (die  auch  Ruete  sich  aneignet),  die  Empfin- 
dung sei  der  Schluss,  den  die  Seele  aus  einer  Beihe  in  dem  physischen 
Nervenprocess  gelegener  Merkmale  ziehe,  wo  unter  dem  Bilde  des 
Sohliessens  die  Schwierigkeit  sich  verbirgt,  ob  und  wie  eine  Em- 
pfindung das  Resultat  von  Bewegungen  sein  könne  und  von  welcher 
Art  der  hier  thatsächlich  bestehende  Zusammenhang  sei.  —  Die  Eukli- 
dische Definition:  »Parallellinien  sind  gerade  Linien  in  derselben  Ebene, 
die,  ins  unendliche  nach  beiden  Seiten  hin  verlängert,  mit  einander 
niemals  zusammenstossenc,  steht  der  Definition  der  Parallellinien  als 
Linien  von  gleicher  Richtung  in  zweifacher  Beziehung  nach,  weil  sie 
die  Parallel linien  durch  eine  bloss  negative  und  zugleich  nur  ab- 
geleitete, nicht  grundwesentliche  Bestimmung  charakterisirt, 
wesshalb  sie  auch  bei  der  Deduction  von  Lehrsätzen  in  Verwickelungen 
hineinführt,  die  nicht  in  der  Natur  der  Sache  begründet  sind  und  bei 
der  auf  den  Begriff  der  Richtung  gebauten  Definition  nicht  eintreten. 
(Vergl.  unten  zu  §  110.)  —  Als  Beispiel  einer  fehlerhaften  Definition 
mittelst  eines  nebengeordneten  Begriffs  betrachtet  Aristoteles  die 
folgende:  negttrov  ((ort)  ro  fiovadt  fiüiov  affttov.  Allerdings  ist  es  in 
formaler  Beziehung  richtiger,  beide  Glieder  des  Gegensatzes  unabhängig 
von  einander  mittelst  des  Gattungsbegriffs  und  ihrer  specifischen  Diffe- 
renzen zu  definiren,  also  z.  B.  das  Gerade  als  die  Zahl,  welche  durch  2 
ohne  Rest  dividirbar  ist,  das  Ungerade  als  die  Zahl,  welche,  durch  2 
dividirt,  den  Best  1  lässt;  doch  würde  es  auf  formalen  Rigorismus 
hinauslaufen,  wenn  man  die  Abkürzung  und  üebersichtlichkeit,  die  durch 
die  Rückbeziehung  auf  die  vorangegangene  Definition  eines  nebengeord- 
neten Begriffs  in  vielen  Fällen  gewonnen  werden  kann,  ganz  verschmähen 
und  z.  B.,  nachdem  die  Definition  der  geraden  Zahl  vorausgeschickt 
worden  ist,  die  Definition  nicht  zulassen  wollte:  die  ungerade  Zahl  ist 
diejenige,  welche  sich  von  der  geraden  um  eine  Einheit  unterscheidet. 
—  Die  Yeranschaulichung  eines  Begriffs  durch  Aufzählung  der 
Glieder  seines  ümfangs  (z.  B.  der  Kegelschnitt  ist  dasjenige  mathema- 
tische Gebilde,  welches  in  die  vier  besonderen  Formen:  Kreis,  Ellipse, 
Parabel,  Hyperbel  zerfällt)  ist  als  Erläuterung  des  Begriffes  werthvoU, 
sofern  sie  der  Definition  vorangeht  oder  nachfolgt;  soll  sie  aber  die 
Stelle  der  letzteren  vertreten,  so  wird  sie  zur  fehlerhaften  definitio  per 
divisionem  oder  per  disiuncta.  —  Da  einfache  Begriffe,  wie  schon 
oben  (§  60)  bemerkt  worden  ist,  keine  eigentliche  Definition  zulassen, 
sondern  nnr  durch  Abstraction  und  Isolirung  zum  Bewusstsein  gebracht 
und  von  anderen  Begriffen  bestimmt  unterschieden  werden  können,  so 
wird  hierfür  durch  die  Form  der  Accidentaldefinition  die  höchstmögliche 
wissenschaftliche  Strenge  erreicht.  So  ist  z.  B.  der  Begriff  des  Punktes 
durch  die  fortschreitende  Reihe  von  Abgrenzungen  zu  bestimmen,  die 
in  den  folgenden  Accidentaldefinitionen  ihren  wissenschaftlichen  Ausdruck 


ISO  §  68.  Die  Eintheilang. 

findet:  der  Raum  ist  das  Residuam  ans  der  siimlichen  Geeainzataii- 
achauong,  welches  nach  Abstraction  von  der  Materie  (dem  bei  der 
Bewegung  Unveränderten)  übrig  bleibt;  der  mathematische  Körper  ist 
ein  endlicher  Theil  des  unendlichen  Raumes  oder  ein  begrenzter  Raum; 
die  Fläche  ist  die  Grenze  des  Körpers;  die  Linie  ist  die  Grenze  der 
Fläche;  der  Funkt  ist  die  Grenze  der  Linie.  Nachdem  aber  einmal  auf 
diesem  Wege  das  einfachste  Element  gewonnen  worden  ist,  so  können 
nun  von  demselben  aus  die  anderen  Gebilde  genetisch  reoonstruirt  und 
durch  Wesenserklärungen  definirt  werden. 

§  63.  Die  Eintheilang  (divisio,  diaigeaig)  istdievoU- 
ständige  nnd  geordnete  Angabe  der  Theile  des  Umfangs  eines 
Begriffs  oder  die  Zerlegung  der  Gattung  in  ihre  Arten.  Da 
sich  die  Artbegriffe  von  dem  Gattungsbegriffe  dadurch  unter- 
scheiden, dass  in  ihnen  die  unbestimmteren  Zttge  des  Gat- 
tungsbegriffs in  Folge  des  Hinzutritts  der  specifischen  Diffe- 
renzen die  verschiedenen  Formen  oder  Modificationen,  deren 
sie  fähig  sind,  wirklich  angenommen  haben,  so  muss  sich 
auch  bei  der  Eintheilnng  des  Gattungsbegriffs  die  Bildung 
und  Anordnung  der  Artbegriffe  auf  jene  Modificationen  der 
Gattungscharaktere  gründen.  Demgemäss  werden  sich  bei 
einem  jeden  Gattungsbegriffe,  welcher  mehrere  modificirbare 
Charaktere  in  sich  vereinigt,  je  nachdem  die  Arten  nach  den 
Differenzirungen  des  einen  oder  anderen  derselben  unter- 
schieden werden,  verschiedene  Eintheilungen  ergeben.  Das- 
jenige Gattungsmerkmal,  auf  dessen  Modificationen  die  Bildung 
und  Anordnung  der  Artbegriffe  gegründet  wird,  heisst  Ein- 
theilungsgrund  oder  Eintheilungsprincip  (funda- 
mentum  sive  principium  divisionis),  die  Artbegriffe  selbst 
Eintheilungsglieder  (membra  divisionis,  minder  genau 
membra  dividentia).  Die  Eintheilung  ist  Dichotomie,  Tri- 
chotomie,  Tetrachotomie,  Polytomie  je  nach  der 
Anzahl  der  Theilungsglieder.  Pormale  Anfordeiungen  an  die 
Eintheilung  sind,  dass  die  Sphären  der  Eintheilungsglieder 
zusammengenommen  mit  der  Sphäre  des  einzutheilenden  Be- 
griffs genau  zusammenfallen,  mithin  denselben  ohne  Lücke 
(hiatus)  ausfüllen,  aber  auch  in  keiner  Art  über  denselben 
hinausgehen,  und  dass  sie  einander  nicht  kreuzen,  sondern 
völlig  ausschliessen :  zweckmässig  ist,  dass  bei  der  Anordnung 
der  Theilungsglieder  jedesmal  die,  welche  einander  am  nächsten 


§  68.  Die  Eintheilnng.  181 

verwandt  sind,  zunächst  zusammengestellt  werden.  Die  durch 
die  Modificationen  eines  einzelnen  Merkmals  bestimmte  Ein- 
theilnng heisst  ktlnstliche  Eintheilnng;  sie  hat  in  dem 
Maasse  wissenschaftlichen  Werth,  in  welchem  die  Voraus- 
setzung zutrifft,  dass  vermöge  irgend  eines  causalen  Zusammen- 
hangs die  Modificationen  dieses  Merkmals  mit  entsprechenden 
Modificationen  der  sämmtlichen  wesentlichen  Merkmale  ver- 
knüpft seien.  Die  vollkommenste  Eintheilnng  grttndet  sich 
auf  die  wesentlichen  Modificationen  der  constitutiv  wesent- 
lichen Merkmale.  Sie  ist  durch  die  Essentialdefinition  des 
einzutheilenden  Begriffs  bedingt.  Der  Name  natürliche 
Eintheilnng  kommt  ihr  in  demselben  Sinne  zu,  in  welchem 
auch  das  System,  das  aus  einer  fortlaufenden  Reihe  solcher 
Eintheilungen  hervorgeht,  nattlrliches  System  genannt  zu  werden 
pflegt  Die  Eintheilungen  dieser  Art  lassen  sich  keineswegs 
sänmitlich  nach  einem  äusserlich  gleichförmigen  Schematismus 
bilden;  die  Erwartung,  durch  dieselben,  sofern  sie  der  idealen 
Anforderung  entsprechen,  in  allen  Fällen  die  gleiche  Zahl 
von  Theilungsgliedern  zu  erhalten,  ist  unberechtigt.  Eine 
strenge  Dichotomie  kann  stets  mit  Hülfe  eines  negativen 
Artbegriffes  gewonnen  werden,  leidet  aber  dann  auch  an  dem 
Mangel,  dass  sie  die  unter  der  Negation  zusammengefassten 
Arten  unbestimmt  lässt;  sind  deren  mehrere,  so  wird  sich, 
sobald  dieselben  nach  deren  positiven  Merkmalen  angegeben 
werden  sollen,  jene  Zweitheilung  als  illusorisch  erweisen ;  sie 
kann  daher  nur  etwa  zu  einer  vorläufigen  Orientirung  bei 
der  Bildung  und  Prüfung  der  Eintheilungen  dienen,  ist  aber 
an  sich  ohne  wissenschaftlichen  Werth.  Die  Trichotomie 
findet  in  der  Regel  da  Anwendung,  wo  sich  eine  selbständige, 
auf  inneren  Ursachen  beruhende  Entwickelung  erkennen  lässt, 
weil  diese  sich  in  der  Form  des  zweigliederigen  Gegensatzes 
und  der  Vermittelung  als  des  dritten  Gliedes  zu  vollziehen 
pflegt  Doch  bleibt  die  blosse  Dreitheilung  nicht  selten  hinter 
dem  Reichthum  der  Wirklichkeit  zurück,  deren  Entwickelung 
zumal  auf  den  höheren  Stufen  keineswegs  stets  in  einfachen 
Reihen  fortschreitet,  sondern  oft  erst  auf  eine  grössere  Zahl 
einander  kreuzender  Gegensätze  die  höhere  vermittelnde  Ein- 
heit folgen  lässt 


182    §  68.  Eintheilungsgrund.    Eintheilungsglieder.    Dichotomie  eic. 

Unter  der  natürlichen  Eintheilangsmethode  versteht  Gnvier 
(R^gne  animal,  introduction)  >un  arrangement,  dans  lequel  les  ^tres  dn 
meme  genre  seraient  plus  voisins  entre  eux  que  de  ceux  de  tous  les 
autres  genres,  les  genres  dn  meme  ordre  plus  que  de  cenz  de  tous  les 
autres  ordres,  et  ainsi  de  snite«.  Cuvier  erklärt  diese  Methode  für  das 
Ideal,  dem  die  Naturgeschichte  zustreben  müsse;  denn  es  liöge  darin 
»Pexpression  exacte  et  oompldte  de  la  nature  entidrec  Vgl.  oben  §  58. 

Die  Lehre  von  den  Eintheilungen,  deren  wissenschaftlichen  Werth 
bereits  Plato  erkannte,  bildet  bei  Aristoteles  einen  integrirenden 
Theil  der  Analytik.  Plato  bevorzugt  die  Dichotomie.  Jeder  Gegensatz 
ist  zweigliederig  (Protag,  p.  S32).  Die  Theile  müssen  Arten  {Mri\ 
d.  h.  nach  den  wesentlichen  Unterschieden  gebildet  sein,  Phaedr.  266: 
xor'  OQ^Qa,  tf  n^(pvxiv.  —  €is  ^V  xal  iirl  nolXa  nBipvxora  oqSv,  vgl.  Polit. 
262  sqq.  In  seiner  späteren  Zeit  liebt  es  Plato,  den  beiden  Gliedern  des 
Gegensatzes  als  drittes  t6  i^  «fnpolif  fitxiov  zuzuzählen;  doch  erkennt 
er  in  diesem  dritten  Gliede  nicht  (in  HegePsoher  Weise)  das  höchste, 
sondern  das  mittlere  Element  (Tim.  85  A ;  Phileb.  28 ;  vgl  m.  Abh.  im 
Rhein.  Mus.  N.  F.,  IX.  1858,  bes.  S.  64  ff.).  In  dem  Dialog  Soph.  wird 
(p.  258)  die  Dichotomie  auf  den  allgemeinen  Gesichtspunkt  des  raljov 
und  Hts^ov  zurückgeführt  (vgl.  Polit.  p.  287).  Aus  der  Combination 
zweier  Eintheilungsgründe  entsteht  eine  Viertheilung  (Soph.  p.  266). 
Aristoteles  berührt  die  Lehre  vom  Eintheilungsgründe  Top.  VI,  6 
und  de  part.  animal.  I,  8,  wo  er  insbesondere  vor  dem  Hinüberspringen 
aus  einem  Eintheilungsgründe  in  den  andern  warnt.  Er  erörtert  Anal, 
post.  II,  13,  de  part.  an.  I,  2  u.  8  die  Yortheile  und  Nachtheile  der 
mittelst  der  Negation  gebildeten  Dichotomie.  (VergL  J.  B.  Meyer,  Aristot. 
Thierkunde  1655,  S.  76 — 112.)  Die  moderne  Vorliebe  für  eine  bestimmte 
Zahl  von  positiven  Eintheilungsgliedem  ist  ihm  noch  fremd.  Dieselbe 
ist  zumeist  aus  der  Kantischen  Kategorienlehre  hervorgegangen.  — Kant 
glaubt,  da  seine  Kategorientafel  alle  Elementarbegriffe  des  Verstandes 
vollständig  und  in  systematischer  Ordnung  enthalte,  nach  derselben  a 
priori  aUe  Momente  einer  jeden  speculativen  Wissenschaft  imd  deren 
Ordnung  bestimmen  zu  können  (Krit.  der  r.  Vem.  §  11).  Demgemäss 
hat  denn  auch  schon  ihm  selbst  und  noch  mehr  seinen  Anhängern  der 
Schematismus  der  Kategorientafel  bei  der  Behandlung  und  Eintheilung 
des  verschiedenartigsten  wissenschaftlichen  Stoffes  als  leitendes  Princip 
gedient  —  wurde  doch  selbst  Goethe  durch  Schiller  einmal  zu  dem  un- 
dankbaren Versuche  veranlasst,  seine  Farbenlehre  nach  den  Kantischen 
Kategorien  zu  gliedern.  Sehr  folgenreich  ist  eine  von  den  »artigen 
Betrachtungen  c  geworden,  die  Kant  (a.a.O.)  über  seine  Kategorientafel 
anstellt.  Er  meint  nämlich,  alle  Eintheilung  a  priori  durch  Begriffe 
müsse  sonst  zwar  Dichotomie  sein  (A  ist  theils  B,  theils  non-B),  hier 
aber  finde  sich  eine  Dreiheit  von  Kategorien  in  jeder  Classe,  und  zwar 
söi  jedesmal  die  dritte  aus  der  Verbindung  der  zweiten  mit  der  ersten 
ihrer  Classe  entsprungen.  Diese  Kantische  Bemerkung  hat  auf  jenen 
Schematismus  der  Thesis,  Antithesis  und  Synthesis  hingeleitet,  der  schon 
in  Fiohte's  Constructionen  und   noch   durchgreifender  in  Hegel 's 


§  63.  EintheilungBgmnd.     Eintheilungsglieder.    Dichotomie  etc.     183 

Dialektik  den  methodischen  Gang  auf  allen  Punkten  bestimmt.  So  gewiss 
68  nun  ist,  dass  solche  Trichotomien  nicht  auf  blosser  Willkür,  sondern 
auf  einem  richtigen  Blick  in  das  Wesen  der  Entwickelung  beruhen,  so 
wenig  können  sie  doch  als  die  alleingültige  und  überall  zutreffende  Form 
der  Eintheilung  anerkannt  werden,  und  zwar  nicht  nur  aus  dem  Grunde, 
den  Hegel  annimmt,  dass  zuweilen  die  Naturerscheinungen  hinter  dem 
Begriffe  zurückbleiben,  noch  auch  bloss  darum,  weil  das  dialektische 
Denken  mitunter  noch  nicht  durchaus  der  Sache  Herr  geworden  sei, 
sondern  auch  darum,  weil  die  einfache  Gleichförmigkeit  der  Trichotomie 
an  sich  selbst  nicht  genügt,  um  die  reiche  Fülle  der  Erscheinungen 
des  natürlichen  und  geistigen  Lebens  zu  erschöpfen.  In  vielen  Fällen 
entspricht  dieser  Fülle  mehr  der  verschlungene  Doppelzug  der  Schleier- 
mache r 'sehen  Tetrachotomie,  die  aus  zwei  einander  kreuzenden  Dicho- 
tomien hervorgeht,  zumal  da  Schleiermacher  auch  die  Einheit,  die  über 
dem  Doppelgegensatze  steht,  nachzuweisen  bestrebt  ist.  (Sc  theilt  er 
z.  B.  die  Wissenschaften  ein  in  die  speculative  und  empirische  Erkennt- 
nisa  der  Vernunft  und  die  speculative  und  empirische  Erkenntniss  der 
Natur  oder  in  die  Ethik,  Geschichtskunde,  Physik  und  Naturkunde  nach 
den  Gegensätzen  von  Vernunft  und  Natur,  Kraft  und  Erscheinung  und 
findet  in  der  Dialektik,  die  auf  ihre  gemeinsamen  Principien  geht,  den 
beseelenden  Einheitspunkt.)  Aber  auch  diese  Vier-  oder  Fünftheilung 
kann  nicht  gleichmässig  auf  alle  Stoffe  Anwendung  finden,  ebensowenig 
auch  die  aus  einer  Combination  der  Principien  der  HegeFsche^  und  der 
S<^eiermacher'schen  Eintheilungsmethode  hervorgegangene  Nöuntheilung 
von  George  und  andere  von  Anderen  vorgeschlagene  Schemata,  und 
so  kann  als  allgemeine  Regel  immer  nur  die  Eine  bestehen,  dass  jede 
Eintheilung  der  Natur  ihrer  Objecte  gemäss  sein  müsse.  Vgl.  Trendelen- 
bnrg,  log.  Unt,  ü,  2.  A.,  S.  283  ff.,  3.  Aufl.  S.  256  ff.  und  schon 
Scotus  Erigena  bei  Prantl  H,  S.  32,  und  Plato  Phaedr.  p.  265.  —  Die 
Lehre  von  den  Eintheilungen  verdankt  Herbart  die  Bemerkung,  dass, 
indem  die  Eintheilung  eines  Begriffs  von  der  Eintheilung  des  Merkmals 
abhangt,  welches  den  Eintheilungsgrund  bildet,  zuletzt  alle  Eintheilun- 
gen nothwendig  auf  gewisse  Grundeintheilungen  zurückgehen,  bei  denen 
sich  nicht  mehr  ein  Merkmal  des  einzutheilenden  Begriffs  als  Ein- 
theilungsgrund angeben  lässt,  sondern  dieser  Begriff  selbst  zugleich  der 
Eintheilungsgrund  ist  und  die  Beihe  der  Arten  oder  Individuen  daher 
unmittelbar  gegeben  sein  muss,  so  z.  B.  die  Reihe  der  Farben,  Töne, 
2<ahlen  etc.  S.  Herbart,  Lehrbuch  zur  Einleitung  in  die  Phil.  §  43; 
vgl.  Drobisch,  Logik,  2.  Aufl.,  §  116,  3.  u.  4.  Aufl.,  §  123. 

Lotze's  Logik  (System  d.  Philos.  Bd.  1)  hat  die  bei  der  Ein- 
theilung maassgebenden  Gesichtspunkte  im  Buch  1  Cap.  8  bei  der  Lehre 
vom  Schluss  und  den  systematischen  Formen  etc.  S.  147  zu  besprechen  für 
gut  befunden  und  das.  S.  175.  §  144  das  Ergebniss  seiner  Betrachtun- 
gen also  zusammengezogen:  »jedes  Einzelne  und  jede  Art  einer  Gattung 
ist  das,  was  sie  ist,  durch  das  Zusammenwirken  der  vollständigen 
Summe  ihrer  Bedingpmgen ;  diese  Bedingungen  aber  bestehen  darin, 
daM  eine  Anzahl  von  Elementen  oder  Merkmalen,  welche  auch  getrennt 


184  §  64.  Die  Unter-  and  Nebeneintheilong. 

von  einander  dein  könnten,  thatsachlich  in  einer  bestimmten  Verbindung 
gegeben  sind,  neben  der  auch  andere  Verbindungen  derselben  denkbar 
sind,  und  Grössenwerthe  besitzen,  ausser  denen  sie  auch  andere  haben 
könnten.  Aus  dieser  gegebenen  Vereinigung  der  Bedingungen  folgt 
nach  allgemeinen  Gesetzen,  die  über  die  Beziehungen  jener  Elemente 
gelten,  dieses  ganz  bestimmte  Ergebniss;  aus  einer  Veränderung  dieser 
Bedingungen  jenes  andere  bestimmte.  Jedes  dieser  Ergebnisse  lasat 
sich,  nachdem  es  da  ist,  mit  anderen  vergleichen,  und  sich  ihnen  ala 
Art  den  Arten  beiordnen  oder  als  Art  der  Gattung  unterordnen;  aber 
man  muss  diesen  Begri£fen,  die  wir  bisher  als  den  Schlüssel  zum  Ver- 
ständniss  des  Gefüges  ihrer  Unterthanen  betrachten,  nicht  eine  andere 
geheimnissvoUe  Macht  der  Gesetzgebung  zutrauen  ausser  der,  kurze 
Ausdrücke  für  eine  bestimmte  Vereinigung  trennbarer  Bestandtheile 
zu  sein,  deren  an  sich  nach  allgemeinen  Gesetzen  überall  gleichartige 
Wechselwirkung  durch  diese  Vereinigung  zu  diesen,  durch  eine  andere 
zu  anderen  Folgen  führte.  —  Sigwart's  Logik  hat  den  Gegenstand 
in  Bd.  2  Die  Methodenlehre,  Abschn.  6  Die  Systematik,  §  108  Deductive 
u.  classifioat.  Form  der  Systematik  S.  588  ff.  eingehend  besprochen. 
Es  heisst  das.  S.  588  von  der  Systematik:  »Sie  hat  ^ei  Formen,  je 
nachdem  das  Verhältniss  der  Sätze  oder  das  der  Begriffe  zu  dorn  die 
Anordnung  bestimmenden  gemacht  wird.  Jene  ist  die  system.  Deduction, 
diese  die  system.  Classification.  Bei  jener  ist  die  Classification  unter- 
geordnetes Hülfsmittel,  bei  dieser  die  Deduction.  Die  Classification  hat 
zur  Form  die  logische  Division  der  Begriffe,  welche  von  einem  höchsten 
Begriffe  durch  entgegengesetzte  Merkmale  determinirend  bis  zu  den 
untersten  Species  als  den  vollkommen  determinirten  Begriffen  fort- 
schreitet, die  auf  Grund  der  Wahrnehmung  als  die  das  Wirkliche  er- 
schöpfend ausdrückenden  Begriffe  gelten.  Die  Zweckmässigkeit  einer 
Classification  ist  durch  zwei  Gesichtspunkte  bestimmt;  einmal  durch 
die  Rücksicht  darauf,  dass  sie  die  natürliche  Verwandtschaft  der  Dinge 
zum  Ausdruck  bringen,  dann  durch  die  Forderung,  dass  sie  leichte  und 
sichere  Subsumtion  des  Einzelnen  gestatten  soll.  Wo  die  Aufstellung 
der  untersten  Arten  selbst  Schwierigkeiten  bietet,  wie  in  der  organi- 
schen Welt,  da  ist  entweder  ein  sicheres  Kriterium  für  die  artbildenden 
unterschiede  zu  suchen,  oder,  wo  ein  solches  nicht  zu  finden  wäre, 
sind  bestimmte  Formen  als  Typen  auszusondern,  um  welche  sich  die 
zunächst  benachbarten  in  Gruppen  ordnen  c  —  Für  die  Aussonderung 
solcher  Typen  ist  auf  die  Bedeutung  des  teleologischen  Gesichtspunktes 
hingewiesen. 

§  64.  Werden  die  einzelnen  Theilungsglieder  wiederum 
in  ihre  Unterarten  eingetheilt,  so  entsteht  die  Unterein- 
theilnng  (snbdivisio).  Wird  dagegen  ein  und  derselbe  Be- 
griff nach  einem  zweiten  Princip  eingetheilt,  so  entsteht  die 
Nebeneintheilang  (codivisio).  Der  nämliche  Eintheilnngs- 
-grandy   worauf  eine  Nebeneintheilung  des  GattungsbegrifGa 


§  64.  Die  unter-  und  Nebeneintheilang.  186 

benihty  kann  in  der  Regel  anch  als  Eintheilnngsgrnnd  ftir 
die  Untereintheilung  oder  für  die  Zerlegung  der  Arten  in  ihre 
Unterarten  dienen,  jedoch  mit  den  jedesmal  in  den  gegen- 
seitigen Abhängigkeitsverhältnissen  der  Merkmale  begründeten 
Beschränkungen  (vgl.  §§  50  und  54).  Die  fortgesetzte  Ein- 
theilung  soll  durch  Arten  und  Unterarten  ohne  Sprung  stetig 
fortschreiten  (divisio  fiat  in  membra  proxima).  Dass  mit  einer 
Art  die  Unterabtheilnngen,  in  welche  eine  ihr  nebengeordnete 
Art  sich  zerlegen  lässt,  unmittelbar  zusammengestellt  werden, 
so  wie,  dass  statt  sämmtlicher  Arten  unmittelbar  die  Unter- 
arten eintreten,  widerstreitet  dem  Gesetze  der  vollen  formalen 
Strenge ;  doch  ist  eine  derartige  Licenz,  zumal  in  Fällen,  wo 
die  Grenze  zwischen  den  verschiedenen  Ordnungen  der  Arten 
und  Unterarten  eine  unbestimmtere  ist,  und  insbesondere  bei 
einer  weitverzweigten  Eintheilung  eines  vielumfassenden  Stoffes 
nicht  unbedingt  abzuweisen,  wenn  nicht  die  Uebersichtlichkeit 
oft  ganz  verloren  gehen  und  die  Eintheilung  in  dieser  Be- 
ziehung ihren  Zweck  verfehlen  soll. 

So  wäre  es  z.  B.  ein  ungerechtfertigter  Rigorismas,  wenn  £in- 
theilnngen  wie  die  der  Naturobjecte  in  Mineralien,  Pflanzen, 
Thiere  (statt  I.  Unorganische  Objecte  oder  Mineralien;  II.  Organische 
Objecte:  a.  Pflanzen,  b.  Thiere)  für  schlechthin  unzulässig  erklärt  wer- 
den sollten,  zumal  da  hier  auch,  wenn  die  Bewusstseinsfähigkeit  zum 
Fundamente  der  Haupteintheilung  gewählt  wurde,  Mineralien  und  Pflan- 
zen zusammen  als  Unterarten  der  Hauptart:  unbeseelte  Naturobjecte, 
betrachtet  werden  könnten,  wo  dann  die  Thiere  allein  die  zweite  Haupt- 
art ausmachen  würden.  Bei  der  einfachen  Nebeneinanderstellung  lässt 
sich  die  Stufenfolge  des  inneren  Wertbes  als  Eintheilungsgrund  ansehen. 
Wenn  Epikur  die  Begierden  in  ethischer  Beziehung  in  drei  Glassen 
eintheilt:  naturales  et  neoessariae;  naturales  non  necessariae;  nee  na- 
turales nee  neoessariae,  so  bildet  die  Stufenfolge  in  dem  Maasse  ihrer 
Bereohtigrnng  den  Eintheilungsgrund,  der  diese  Art  der  Nebeneinander- 
stellung wohl  rechtfertigen  mag;  jedenfalls  ist  der  Tadel  wenigstens 
durch  sein  Uebermaass  ungerecht,  den  Cicero  (de  flu.  U,  c  9)  über 
diese  Eintheilung  ausspricht,  da  er  sag^:  »hoc  est  non  dividere,  sed 
frangere  rem;  —  oontemnit  disserendi  elegantiam,  oonfuse  loquitur«. 
Cicero  wirft  dem  Epikur  vor,  dass  er  in  dieser  Eintheilung  die  Art  als 
Gattung  aufzähle  (ivitiosum  est  enim  in  dividendo  partem  in  genere 
numerarec),  und  will  seinerseits  nur  die  Eintheilung  zulassen :  I.  natu- 
rales; a.  necessariae,  b.  non  neoessariae;  IL  inanes.  In  dieser  letzteren 
Eintheilung  sind  freilich  die  naturales  necessariae,  so  wie  die  naturales 
non  neoessariae  blosse  partes,  und  dagegen  die  inanes  ein  genus;  aber 


186  §  65.  Die  bemerkenswert  besten  Eintbeilnngsfebler. 

es  ist  nicbt  ebenso  nach  dem  Epikurisoben  Gesicbtspunkte,  welcber  in 
der  That  auf  drei  einander  nebenzuordnende  Classen  führt.  —  Die  Ein- 
theilung  soll  nur  bis  zu  solchen  Gruppen  herabgeführt  werden,  die  noch 
wesentlich  von  einander  verschieden  sind;  sie  soll  nicht  um  sehr  ge- 
ringer Unterschiede  willen  Unterabtheilungen  bilden.  Vor  demUeber- 
maasse,  wozu  namentlich  in  den  Rhetorenschulen  der  Alten  die  Dispo- 
nirübungen  oft  verleitet  zu  haben  scheinen,  warnt  Seneoa  mit  den 
Worten:  >quidquid  in  maius  crevit,  facilius  agnoscitur,  si  discessit  in 
partes:  quas  vero  innumerabiles  esse  et  minimas  non  oportet;  idem 
enim  vitii  habet  nimia,  quod  nulla  divisio;  simile  confuso  est,  quidqnid 
usque  in  pulverem  seotum  est«  (Epist.  89).  Das  Gleiche  sagt  Quin- 
tilian  von  der  partitio:  »quum  fecere  mille  particulas,  in  eandem  in- 
cidunt  obscuritatem^  contra  quam  partitio  inventa  estc. 

§  65.  Unter  den  formalen  Fehlern  der  Einthei- 
Inngen  sind  die  bedeutendsten:  die  za  grosse  Weite  oder 
Enge  (welche  letztere  am  häufigsten  dareh  das  Uebersehen 
von  Uebergangsformen  entsteht)  and  die  Zasammenstellnng 
von  Artbegriffen,  die  einander  nicht  rein  ausschliessen, 
sondern  mit  ihren  Sphären  ganz  oder  theilweise  in  einander 
fallen,  ferner  die  Vermischung  verschiedener  Ein- 
theilungsprincipien. 

Die  Eintheilnngsfehler  sind  den  Definitionsfehlem  (§  62)  nahe  ver- 
wandt. Bei  der  zu  grossen  Weite  gehen  die  Sphären  der  Eintheilungs- 
glieder  zusammengenommen  über  die  Sphäre  des  einzutheilenden  Be- 
griffs hinaus  (membra  dividentia  excedunt  divisum;  divisio  latior  est 
suo  diviso).  Die  Stoische  Eintheilung  der  Leidenschaften  {na&ii)  in  die 
vier  Hauptformen:  laetitia,  libido,  aegritudo,  metus,  ist  wenigstens  in 
dem  Falle  zu  weit,  wenn  unter  dem  nds-oe  nwih  einer  in  jener  Schale 
anerkannten  Definition  die  oQfirj  nXiovaCovoa  (appetitus  vehementior 
Gio.  Tusc  lY,  6)  verstanden  wird;  denn  die Eintheilungsglieder  gehen 
über  die  Sphäre  des  (positiven  und  negativen)  Begehrens  hinaus  und 
umfassen  auch  Gefühle.  —  Eintheilungen  wie  die  der  Menschen  in  gute 
und  böse,  der  Systeme  in  wahre  und  falsche,  der  Tbaten  in  freiwillige 
und  unfreiwillige,  oder  der  Temperamente  in  die  bekannten  vier  Grund- 
formen sind  zu  eng,  weil  sie  die  unendlich  vielen  Uebergangsformen 
unbeachtet  lassen.  Die  Eintheilung  der  Körper  in  einfache  und  zu- 
sammengesetzte übersieht  die  dritte  Möglichkeit  der  atomistischen  Ein- 
heit, welche  weder  punktuelle  Einfachheit,  noch  auch  Zusammengesetzt- 
heit aus  ursprünglich  getrennten  Theilen  ist.  Derselbe  Fehler  wird 
oft  bei  Disjunctionen  begangen,  welche  Eintheilungen  von  Mög- 
lichkeiten sind.  —  Beispiele  s.  unten  §  187.  —  Zu  dem  Fehler,  dass  die 
Sphären  der  Eintheilungsglieder  einander  nicht  rein  ausschliessen, 
kann  eine  neuere  Eintheilimg  der  Neigungen  in  Selbstliebe,  Neigung 
zu  Anderen  und  gegenseitige  Neigung   als  Beispiel  dienen;   denn  die 


§  G6.   Begriflfsbildung  und  erkennendes  Denken  überhaupt.     187 

g^l^enseitigen  Neigungen  sind  diejenigen  Neigungen  zu  Anderen,  welohe 
erwidert  werden,  also  nicht  eine  dritte  Art  von  Neigungen,  sondern 
eine  Unterabtheilung  der  zweiten  Art.  —  Eine  Vermischung  ver- 
schiedener Eintheilungsprincipien  liegt  in  der  Eintheilung 
der  Tempora  des  Yerbums  in  Haupttempora  und  historische  Tempora, 
welohe  besonders  in  der  griechischen  Grammatik  üblich  ist.  Das  Motiv 
zu  dieser  unlogischen  Eintheilung  lag  ohne  Zweifel  in  der  wohlbegrün- 
deten Scheu  vor  der  Bezeichnung  der  historischen  Tempora  als  blosser 
Nebentempora,  da  dies  sachlich  falsch  wäre,  und  in  der  gleichfalls 
wohlbegpründeten  Scheu  vor  der  bloss  negativen  Bezeichnung  der  einen 
Classe  als  nicht  historischer  Tempora;  unberechtigt  aber  war  die  aus 
einer  falschen  Vorliebe  für  schematische  Symmetrie  entsprungene  Ten- 
denz, auf  eine  jede  Seite  die  gleiche  Zahl  von  Gliedern  zu  stellen,  da 
doch  vielmehr  hätte  anerkannt  werden  sollen,  dass  die  eine  Regelgruppe 
für  eine  Classe  der  Tempora,  nämlich  für  die  historischen,  die  andere 
Regelgruppe  aber  im  Wesentlichen  gleichmässig  für  zwei  Classen,  näm- 
lich für  die  präsentiscfaen  und  futurischen  Tempora  gelte,  die  aber 
darum  doch  keineswegs  im  Gegensatze  gegen  die  historischen  unter 
einen  einzigen  positiven  Begriff  zu  subsumiren,  sondern  nur  in  Verbin- 
dung mit  einander  zu  nennen  waren. 

§  66.  Die  Bildang  von  gültigen  Begriffen  und  von 
adäquaten  Definitionen  nnd  Eintheilnngen  kann  nur  im  Zn- 
Bammenhange  mit  den  sämmtlichen  übrigen  Erkennt- 
nissprocessen  zur wissenscbaftlicben  Vollendung  gelangen. 

Allerdings  bedarf  es  zur  Bildung  allgemeiner  Vorstellun- 
gen nur  der  Combination  gleichartiger  besonderer  Vorstellungen  und 
nicht  des  Urtheils,  des  Schlusses  etc.  Denn  die  Verbindung  der  In- 
haltselemente  der  Vorstellung  braucht  nicht  erst  durch  beilegende  Ur- 
theile  erzeugt  zu  werden,  da  sie  schon  ursprünglich  in  den  Wahrneh- 
mungen und  Anschauungen  enthalten  ist,  ebensowenig  die  Absonderung 
dessen,  was  nicht  zu  dem  Inhalte  der  Vorstellung  gehört,  durch  ab- 
sprechende Urtheile,  da  dieselbe  durch  den  Process  der  Reflexion  nnd 
Abstraction  erfolgt,  der  keineswegs  die  Form  des  Urtheils  voraussetzt. 
Wer  daher  unter  dem  Begriff  nur  die  allgemeine  Vorstellung  oder 
auch  die  Vorstellung  überhaupt  in  objectiver  Beziehung  versteht,  würde 
mit  Unrecht  die  Begriffsbildung  von  einer  vorausgegangenen  Urtheils- 
hildung  abhängig  machen.  Wohl  aber  ist  die  Bildung  des  Begriffs 
in  dem  volleren  Sinne  (als  Erkenntniss  des  Wesens)  durch  die  Bil- 
dung von  Urtheilen  bedingt.  Denn  um  entscheiden  zu  können,  welche 
Merkmale  wesentlich  seien,  oder  welche  den  gemeinsamen  und  blei- 
benden Ghrund  der  meisten  und  wichtigsten  anderen  Merkmale  und  des 
Werthes  des  Objectes  überhaupt  ausmachen,  muss  ermittelt  werden,  auf 
welche  Subjectsvorstellungen  sich  die  alllgemeinsten,  ausnahmslosesten 
und  wissenschaftlich  bedeutendsten  Urtheile  gründen  lassen.  So  ist 
z.  B.  die  Vervollkommnung  der  grammatischen  Begriffe  durch  die  stets 


188     §  66.  BegrifiEsbildung  und  erkennendes  Denken  überhaupt. 

zn  erneuernde  Untersuchung  bedingt,  ob  sich  an  die  bisherigen  ein  be* 
friedigendes  System  möglichst  allgemeiner  und  ausnahmsloser  Regeln 
knüpfen  lasse.  Aber  die  Bedingtheit  ist  eine  wechselseitige;  denn  es 
setzt  auch  das  wissenschaftliche  ürtheil  den  wissenschaftlichen  Begriff 
voraus,  wie  es  denn  z.  B.  nicht  möglich  ist,  zu  einem  irgendwie  be- 
friedigenden Systeme  von  grammatischen  Regeln  zu  gelangen,  wenn 
nicht  schon  ein  glücklicher  Tact  in  der  Bildung  grammatischer  Begriffe 
vorgearbeitet  hat;  die  Geschichte  der  Grammatik  zeigt  eine  stufenweise 
gegenseitige  Vervollkommnung  von  Begriff  und  Regel.  In  diesem  Sinne 
sagt  Schleiermacher  (Dial.  S.  82;  88;  402)  mit  Recht:  das  ürtheil 
setzt  seinem  Wesen  nach  den  Begriff,  der  Begriff  das  ürtheil  voraus ; 
der  Begriff,  der  nach  Maassgabe  seiner  Form  den  Gegenstand  erschöpft, 
muss  ein  ganzes  System  von  ürtheilen  vor  sich  her  haben.  In  dem 
gleichen  Wechselverhältniss  steht  die  Bildung  des  Begriffs  zur  syllo- 
gistischen  und  inducti ven  Schlussbildung,  zur  Erkenntniss  der 
Principien  und  zur  Bildung  vollständiger  Systeme.  Begriffe  wie 
Entelechie,  Monade,  Entwickelung^stufe,  Culturstufe;  Differential  und 
Integral;  Gravitation;  chemische  Verwandtschaft  etc.  setzen  ganze 
wissenschaftliche  Systeme  voraus,  wie  sie  ihrerseits  auch  wiederum  die 
Entwickelung  der  Systeme  bedingen.  Man  kann  sagen  (mit  J.  Hoppe^ 
die  gesammte  Logik,  Paderborn  1868,  S.  20),  dass  der  Begriff  Ausgangs- 
und Zielpunkt  alles  Denkens  sein  müsse,  wofern  ebensosehr  mit  dem 
ergänzenden  Satze  Ernst  gemacht  wird,  dass  der  Begriff  als  Mittel  für 
die  übrigen  Denkoperationen  zu  dienen  habe  und  derselbe  nicht  in  ein- 
seitiger Ueberspannung  für  das  »einzige  Product  der  Seele«  mit  un- 
gerechtfertigter Hintansetzung  (vgl.  unten  die  Note  zu  §  84)  anderer 
Functionen  und  der  logischen  Analysirung  dieser  letzteren  erklärt  wird. 
Je  nach  der  Stufe,  bis  zu  welcher  ein  jedes  Gebilde  bereits  entwickelt 
ist,  fördert  es  die  Entwickelung  der  übrigen  Gebilde,  und  wird  dann 
auch  selbst  wiederum  von  diesen  gefördert.  In  der  Wissenschaft  wenig- 
stens ist  die  gegenseitige  Förderung  aller  Glieder  durch  alle  kein  leerer 
Wahn.  —  Unbeschadet  dieser  Wechselbeziehung  aber  muss  in  der 
systematischen  Darstellung  der  Log^k  die  Lehre  von  dem  Begriff  als 
der  einfacheren  Form  vor  der  Lehre  von  dem  ürtheil,  Schluss  und 
System  vorausgehen  und  auch  bereits  zu  einem  relativen  Absohluss 
geführt  werden.  (Abweichend  von  dieser  Ansicht  stellten  neuerdings 
George,  Sigwart,  Hartsen  die  Lehre  vom  ürtheile  der  Begriffslehre 
voran.) 


Vierter  Theil. 

Du  ürtkeil  in  seiner  Beziehnng  sn  den  objeetiven  OrnndverlifiltniABen 

oder  Relationen. 


§  67.  Das  Urtheil  (iadicium,  anofpavaiq,  als  Bestand- 
theil  des  Schlusses  auch  propositio,  nQozaaig  genannt)  ist  das 
Bewnsstsein  über  die  objeetive  Gtlltigkeit  einer  snbjectiyen 
Verbindung  von  Vorstellungen,  welche  verschiedene,  aber  zu 
einander  gehörige  Formen  haben,  d.  h.  das  Bewusstsein,  ob 
zwischen  den  entsprechenden  objectiven  Elementen  die  analoge 
Verbindung  bestehe.  Wie  die  Einzelvorstellung  der  Einzel- 
existenz, so  entspricht  das  Urtheil  in  seinen  verschiedenen 
Formen  als  subjectives  Abbild  den  verschiedenen  objectiven 
Verhältnissen  oder  Relationen.  Der  sprachliche  Ausdruck  des 
Urtheils  ist  die  Aussage  oder  der  Aussagesatz  (ennn- 
ciatio,  dnöqxxpoig). 

Von  den  einzelnen  Voratellungen  und  deren  Elementen  schreitet 
die  Betrachtung  im  Urtheil  zu  der  Verbindung  mehrerer  fort.  Der 
Fortgang  ist  hier  (wie  auch  wiederum  bei  der  Verbindung  vonUrthei- 
len  und  Schlüssen)  ein  synthetischer,  wogegen  der  Fortgang  von 
der  Wahrnehmung  zu  der  Bildung  von  Einzelvorstellungen  und  Be- 
griffen ein  analytischer  war.  Das  Urtheil  ist  das  erste  durch  Synthesis 
wiedergewonnene  Ganze.  Die  logische  Betrachtung  aber  darf  nicht  (wie 
einige  Logiker  wollen)  mit  der  Reflexion  auf  dieses  (abgeleitete) 
Ganze,  sondern  nur  mit  der  Reflexion  auf  das  unmittelbar  gegebene 
(primitive)  Gkinze,  d.  h.  auf  die  Wahrnehmung,  begannen. 

Einzelne  Begriffe  sind  niemals  Urtheile,  auch  Relationsbe- 
griffe nicht;  auch  nicht  blosse  Begriffscombinationen j  erst  die  hinzu- 
tretende Ueberzeugung  von  dem  Stattfinden  oder  Nichtstattfinden  des 
Gedachten  bildet  das  UrtheiL  Das  Urtheil  unterscheidet  sich  von  der 
bloss  subjectiven  Vorstellungsoombination  durch  die  bewusste  Beziehung 
auf  die  Wirklichkeit  oder  zum  mindesten  auf  die  objeetive  Erschei- 
nung. Die  Bestimmung,  der  Wirklichkeit  zu  entsprechen,  giebt  dem 
Urtheil  den  Charakter  eines  logischen  Gebildes.     Wo  das  Bewusst- 


190  §  67.   Definition  des  Urtheüs. 

sein  über  die  objective  Gültigkeit  fehlt,  da  fehlt  eben  das  ürtheil;  wo 
es  ein  irriges  fst,  da  ist  das  Urtheil  ein  falsches. 

Die  Bildung  der  Yorstellungscombination  und  des  Bewusstseins 
über  ihre  Gültigkeit  kann  gleichzeitig  erfolgen ;  es  kann  aber  auch  die 
Vorstellungsverbindung  (z.  B.  die  Verbindung  der  Vorstellung  dieses 
Angeklagten  mit  der  Vorstellung  der  ihm  zur  Last  gelegten  That  und 
der  ihm  schuldgegebenen  gesetzwidrigen  Absicht)  eine  Zeit  lang  von 
dem  Bewusstsein  der  Ungewiisheit  über  ihre  objective  Gültigkeit  be- 
gleitet sein,  bis  sich  zureichende  Eutscheidungsgründe .  ergeben,  die  zu 
dem  Bewusstsein  von  ihrer  Uebereinstimmung  oder  Nichtübereinstim* 
mung  mit  der  objectiven  Realität,  d.  h.  zu  dem  (affirmativen  oder  ne- 
gativen) ürtheil  führen. 

Auch  bei  den  mathematischen  Urtheilen  fehlt  die  Beziehung^ 
auf  die  Objectivität  keineswegs.  Unsere  Raumvorstellung  entspricht 
der  objectiven  Räumlichkeit,  und  das  geometrische  Urtheil  ist  das 
Bewusstsein  der  Uebereinstimmung  einer  (subjectiven)  Annahme  mit 
einem  (objectiven)  Verhältniss  räumlicher  Gebilde;  der  wahre  Satz  moss 
bei  wirklicher  Gonstruction,  wenn  diese  durch  uns  oder  durch  die  Na- 
tur selbst  vollzogen  wird,  sich  jedesmal  in  um  so  vollerem  Maasse,  je 
genauer  oonstruirt  wird,  als  objectiv  gültig  bewähren.  Auch  der 
Zahl  begriff  hat,  obwohl  die  Zahl  nicht  als  solche  ausserhalb  un- 
seres Bewusstseins  existirt,  innerhalb  der  objectiven  Realität  seine  Basis, 
nämlich  in  der  Quantität  der  Objecte  und  in  dem  Bestehen  von  Grat- 
tungen und  Arten,  welche  die  Subsumtion  vieler  Objecte  unter  Einen 
Begriff  bedingen;  der  wahre  arithmetische  Satz  muss  mit  den  ob- 
jectiven Qnantitätsverhältnissen  so  zusammenstimmen,  dass,  wo  die  Vor^ 
aussetzung  (Hypothesis)  realisirt  ist,  auch  das  Behauptete  (die  Thesis) 
sich  realisirt  findet.  Nehme  ich  von  hundert  Thalem  dreissig  weg  und 
lege  zwanzig  hinzu,  so  müssen  ebensowohl  in  der  Gasse  sich  neunzig 
Thaler  vorfinden,  wie  in  abstracto  die  Gleichung  gilt:  100  —  80  -|-  20 
^  90,  und  die  Gültigkeit  dieser  letzteren  ist  eben  ihre  Anwendbarkeit 
auf  alle  möglichen  zählbaren  Objecte.  Zwar  können  die  Zahlen  von 
dieser  Beziehung  durch  Abstraction  abgelöst  und  selbst  zuDenkobjeo- 
ten  erhoben  werden,  erlangen  aber  als  solche  immer  nur  eine  relative 
Selbständigkeit. 

Bei  dem  einzelnen  Urtheil  von  einer  formalen  Richtigkeit  zu  reden, 
die  von  der  materialen  Wahrheit  getrennt  sein  könne,  und  z.  B.  den 
materiell  falschen  Satz:  »alle  Bäume  haben  Blättert  formell  richtig  zu 
nennen,  indem  >die  Logik  gegen  dieses  Urtheil  keine  Einwendung  zn 
machen  habet,  ist  ein  wohl  nicht  billigenswerthes  Verfahren  DrbaPs 
(in  seinem  Lehrbuch  der  propädeutischen  Logik,  Wien  1866,  §  8,  S.  8)^ 
gegen  welches  J.  Hoppe  (die  gesammte  Logik,  Paderborn,  1868,  §29, 
S.  22  f.,  der  das  Denken  als  eine  »Uebersetzungsarbeit  bezeichnet)  mit 
Recht,  obschon  nicht  durchgängig  in  richtigem  Sinne  polemisirt.  Falsch 
ist  Drbal's  Annahme,  das  Denken  sei  ein  formales  zu  nennen,  sofern 
man  es  bloss  von  Seiten  seiner  Form  betrachte.  Mit  demselben  Rechte 
könnte  man  sagen,  die  griechische  Sprache  sei  eine  formale  zu  nennen. 


§  67.   Defimtion  des  Urtheils.  191 

sofern  man  sie  von  Seiten  ihrer  grammatischen  Form  betrachte.    For- 
mal ist  nicht  das  Denken,  welches  von  Seiten  seiner  Form  betrachtet 
wird,  sondern  nnr  die  logische  Betrachtung  selbst,  die  sich  auf  die  Form 
des   Denkens   richtet,    gleich    wie   nicht  die   grammatisch  betrachtete 
Sprache,  sondern  nnr  die  grammatische  Betrachtung  selbst  formal  ist. 
Das  Denken  in  der  Logik  (das  logische,  oder  wie  man  bestimmter  sagen 
könnte,  logikalische  Denken)  ist  ein  formales,  d.  h.  die  Form  des  Denkens 
überhaupt  betrachtendes  Denken.  Dieses  »formale«  Denken  ist  ein  »be- 
griffliches c,  sofern  es  von  den  Denkoperationen  die  zutreffenden  Begriffe 
gewinnt,  und  kann  und    soll   nicht,   wie  J.  Hoppe  zu  wollen  scheint, 
zu  Gunsten   einer    »begrifflichen  Denklehre c  aufhören;  es  richtet  sich 
aber  nicht  bloss  auf  den  Begriff,  sondern  gleichmässig  auf  die  sämmt- 
liehen   Denkformen.     Das   durch  die  Logik  betrachtete  und  normirte 
Denken  ist  ein  logisches,  sofern  es  den  logischen  Gesetzen  gemäss  ist; 
es   ist   nicht  eine  besondere  Art  des  richtigen  Denkens  neben  anderen 
Arten  (etwa,    wie   Rabus   in  seiner  Log.  u.  Metaph.,  Erlangen  1868, 
§  5,  S.  65  u.  ö.  meint,   das    »begrenzende  Denken«,   insbesondere  das 
ürtheilen,  welches  als  höhere  Stufe  über  dem   Wahrnehmen  und  Vor- 
stellen und  als  niedere  unter  dem  »genetischen  Denken«  stehe).  Logisch 
richtig  (oder  formell  richtig)  ist  jede  Operation  des  Denkens,  sofern  sie 
den  logischen  Normen  entspricht.  Sofern  nun  die  logische  Anforderung 
andasUrtheil  dahin  geht,  dass  dasselbe  wahr  sei,  fällt  bei  dem   ein- 
zelnen Urtheil  formale  Richtigkeit  und  materiale  Wahrheit  in  Eins 
zusammen;  man  kann  freilich  jene  auch  auf  die  blosse  Richtigkeit  der 
Structnr  (der  Subjects-  und  Prädicatsyerbindung)  einschränken.  Sofern 
die  Ableitung  eines  Urtheils  aus  (möglicherweise  falschen)  Datis  den 
für  sie  geltenden  logischen  Normen  entspricht,   ist  sie  formell   richtig, 
und   das    abgeleitete   Urtheil  selbst  ist  dann  mit  formaler  Richtigkeit 
abgeleitet  worden,   ohne   dass  es  materiell  wahr  oder,  als  einzelnes 
Urtheil  an  und  f  ör  sich  selbst  betrachtet,  logisch  richtig  zu  sein  braucht. 
Die  logische  Richtigkeit   der  Gesammtheit   aller  auf  Erkenntniss  ab- 
zielenden Operationen  von   der  äussern  und  innern  Wahrnehmung  an 
ist  dagegen  wiederum  zwar  nicht  mit  der  materialen  Wahrheit  (welche 
das  durch  sie  erzielte  Resultat  ist)  identisch,  aber  mit  der  materialen 
Wahrheit  (sei  es  in  dem  vollsten  oder  in  einem  irgendwie  eingeschränkten 
Sinne  dieses  Wortes)  noth  wendig  verbunden.    Ueber  die  Wahrheit 
eines   einzelnen   gegebenen   Urtheils  kann  die  Logik  darum  nicht  ent- 
scheiden,  weil   sie   überhaupt  nur  Normen  aufstellt  und  nieh);  selbst 
die  Anwendung  vollzieht;  ihre  Aufgabe  ist  die  Gesetzgebung  allein. 
Die  Logik  als  solche  hat  gegen  das  Urtheil :  »alle  Bäume  haben  Blätter« 
allerdings  »keine  Einwendung  zu  machen« ;  aber  es  ist  ein  Missverständ- 
niss,  wenn  dies  so  gedeutet  wird,  als  ob  sie  dasselbe  als  ein  »der  Form 
nach  vollkommen   richtiges   Urtheil«    anzuerkennen   habe;   sie   macht 
gegen  dasselbe  keine  Einwendung  nur  darum,  weil  sie  sich  mit  diesem 
bestimmten   Urtheil   als  solchem  eben  so  wenig  wie  mit  irgend  einem 
andern  zu  befassen  hat;  die  Anwendung  der  logischen  Forderung,  dass 
es  ein  Subject  und  Prädicat  habe,  ist  mittelst  bloss  logischer,   der  lo- 


192  §  67.  Definition  des  ürtheiU. 

gisohen  Forderung  aber,  dass  es  wahr  sei,  mitiekt  naturwissenschaft- 
licher Kenntnisse  zu  vollziehen,  durch  welche  sich  die  Falschheit  des- 
selben ergiebt.  Auf  die  >  blosse  Widerspruchslosigkeit  der  Begriffe« 
würde  die  »formale  Richtigkeit«  nur  dann  eingeschränkt  sein,  wenn 
wirklich  die  logischen  Normen  nur  auf  diese  Widerspruchslosigkeit  ab- 
zielten (vgl.  oben  §  3);  aber  selbst  in  diesem  Falle  würde  die  Logik 
als  die  gesetzgebende  Wissenschaft  die  Entscheidung  über  die  (in  diesem 
Sinne  freilich  die  materiale  Wahrheit  keineswegs  involvirende)  Richtig- 
keit irgend  eines  einzelnen  gegebenen  Urthells  nicht  selbst  zu  vollziehen 
und  die  einzelnen  Widersprüche  nicht  selbst  aufzudecken,  sondern  für 
diese  richterliche  Function  nur  die  Normen  aufzustellen  haben. 

Wie  die  Yorstellungsformen  ursprünglich  zugleich  mit  und  an 
den  Wortarten  erkannt  worden  sind,  so  das  Urtheil  mit  und  an  dem 
Satze.  Flato  erklärt  den  Xoyos  als  die  Bekundung  des  Gedankens  {Jtayoia) 
durch  die  Stimme  (^ctii^)  mittelst  ^^f^ara  und  ovofjtaray  indem  der  Ge- 
danke in  den  aus  dem  Munde  ausströmenden  Lauten  gleichsam  sich 
abpräge  (Theaet.  p.  206  D ;  kürzer,  aber  minder  genau  ebd.  p.  202  B : 
6vof4ttr<ov  yitQ  ^v/inloxiiv  itvta  Xoyov  ovalitv).  In  dem  (wahrscheinlicher 
von  einem  unmittelbaren  Platoniker,  als  von  Plato  verfassten)  Dialog 
Sophistes  wird  (p.  262,  268  D)  der  Satz  {X6yog\  welcher  der  sprachliche 
Ausdruck  des  Gedankens  (ihuvoia)  sei  (wie  in  nicht  sehr  glücklicher 
Zusammenfassung  der  Bestimmungen  Plato's  im  Theaet.  hier  gesagt 
wird:  to  unb  r^c  ^ittvoCng  ^svfux  dict  xov  arofiarog  tov  fiera  if&6yyov)t 
in  seiner  einfachsten  Grundform  (z.  B.  av^^nonog  fiav^vsif  Geatirjros 
xa&rirM)  für  diejenige  Verbindung  von  Substantivum  und  Verbum  er- 
klart, die  der  Verbindung  von  Ding  und  Handlung  entspreche  {^vunloxti 
oder  ^uvd-ioig  Hx  «  {irifidrfov  yiyvofiitni  xttl  ovofAoitov,  —  ^uviiS-ivm  ngay- 
fia  nQo^H  <f('  ovofjittxoi  xal  ^rjfiarog)  (s.  darüber  U  p  h  u  e  s ,  Die 
Definition  des  Satzes  nach  den  platonischen  Dialogen  Eratylus, 
Theaetet,  Sophistes.  Landsberg  1882). —  Aristoteles  (de  Interpret c 
4.  17  a)  definirt  das  ürtheil  als  njiofpaais  oder  als  loyog  anoifttvtixog, 
in  welchem  Wahrheit  oder  Nichtwahrheit  sei,  h  tp  lo  altid'dsiv  ^  if/Mt- 
a^ui  vnuQx^')  oder  mit  Rücksicht  auf  den  sprachlichen  Ausdruck  als 
eine  Aussage  über  ein  Sein  oder  Nichtsein  (o.  5.  17  a  22:  Icrnv  tf  anlfj 
an6<pavffig  (ptoi^  arifiavrixij  7ie<)l  tov  vTiaQ^stv  rj  fjtii  vnaQxfiv).  Als  Ele- 
mente des  einfachen  Urtheils  bezeichnet  Aristoteles  (c.  5;  a  10)  inüeber- 
einstimmung  mit  Plato  das  ovo/aa  xal  ^rjfia.  —  Im  Anschluss  an  die 
Platonischen  und  Aristotelischen  Bestimmungen  definirt  Wolff  (Log. 
§  89):  »actus  iste  mentis,  quo  aliquid  a  re  quadam  diversum  eidem 
tribuimns  vel  ab  ea  removemus,  iudicium  appellaturc.  Das  Urtheil 
wird  mittelst  der  Verbindung  oder  Trennung  von  Vorstellungen  ge- 
bildet (§  40).  Der  Satz  oder  die  Aussage  (enunciatio  sive  propositio) 
ist  die  Verbindung  der  den  Vorstellungen  als  den  Elementen  des  ur- 
theils entsprechenden  Worte,  wodurch  die  Verbindung  und  Trennung 
der  Vorstellungen  und  somit  auch,  was  der  Sache  zukomme  oder  nicht 
zukomme,  bezeichnet  wird  (§41  f.).  Wolff  fordert  demnach  noch  ebenso, 
wie  Plato  und  Aristoteles,  drei  einander  parallele  Reihen:  der  Verbin- 


§  67.  Definition  des  ürtheils.  198 

düng  in  den  Dingen  soll  die  Yorstellungscombination  und  der  letzteren 
wiederum  die  Aussage  entsprechen.  Mehrere  Logiker  nach  Wolff  ge- 
brauchen, um  in  der  Definition  des  ürtheils  die  Disjunction:  Verbin- 
dung oder  Trennung,  zu  vermeiden,  den  Ausdruck:  das  ürtheil  ist  die 
Vorstellung  eines  Verhältnisses  zwischen  zwei  Begriffen.  —  Kant  de- 
finirt  das  Urtheil  (Log.  §  17)  als  die  Vorstellung  der  Einheit  des  Be- 
wusstseins  yerschiedener  Vorstellungen,  oder  als  die  Vorstellung  des 
Verhältnisses  derselben,  sofern  sie  Einen  Begriff  ausmachen,  oder  be- 
stimmter (Kritik  der  r.  Vem.  §  19)  als  die  Art,  gegebene  Erkenntnisse 
zur  objectiven  Einheit  der  Apperception  zu  bringen.  Unter  der  ob- 
jectiven  Einheit  versteht  Kant  die  Zusammengehörigkeit  nach  jenen 
Kat^orien,  welche  das  Ich  durch  die  ursprüngliche  Bethätigung  seiner 
Spontaneität  aus  sich  erzeuge,  und  welche  das  Ich  zu  dem  Inhalt  der 
Wahrnehmungen  als  Formen  a  priori  hinzubringe.  Offenbar  bezeichnet 
die  Objectivität  in  diesem  Sinne  nicht  mehr  die  Beziehung  auf  eine  an 
sich  reale  Aussenwelt,  sondern  nur  eine  Art  der  Thätigkeit  des  Ich,  so 
dass  diese  Lehre  vom  «Urtheil  ungeachtet  des  beibehaltenen  Ausdrucks 
der  Objectivität  doch  durchaus  nur  den  subjectivistischen  Charakter  der 
Kantischen  Philosophie  offenbart.  Auch  bei  den  unter  dem  Kantischen 
Einflüsse  stehenden  Logikern  wird  immer  mehr  die  Ansicht  vorherr- 
schend, welche  in  dem  Urtheil  nur  den  Process  der  Subsumtion  des 
Besondem  unter  das  Allgemeine  erkennt  In  diesem  Sinne  lehrt  Fries 
(System  der  Logik  §  28):  das  Urtheil  ist  die  Erkenntniss  eines  Gegen- 
standes durch  Begriffe,  indem  der  Begriff  einem  Gegenstande  als  Merk- 
mal beigelegt  und  dadurch  die  Vorstellung  des  Gegenstandes  verdeut- 
licht wird.  Her  hart  (Lehrbuch  zur  Einl.  in  die  Phil.  §  62)  findet 
in  dem  Urtheil  die  Entscheidung  über  die  Verknüpfbarkeit  gegebener 
Begriffe.  Twesten  (Log.  §  51)  definirt  das  Urtheil  als  eine  Behauptung 
über  das  Verhältniss  zweier  Begriffe  in  Ansehung  ihres  Inhalts  oder 
Umfangs  und  macht  vorzugsweise  den  Gesichtspunkt  desUmfangs  geltend, 
wonach  die  Urtheile  als  Subsumtionen  von  Begriffen  unter  Geschlechts- 
oder Artbegriffe  anzusehen  seien.  Aber  bei  dieser  Ansicht  wird  von 
Seiten  der  Logiker,  welche  die  Begriffsbildung  subjectivistisch  auffassen, 
auch  die  Beziehung  des  Ürtheils  auf  die  entsprechenden  Existenzformen 
verkannt.  Hegel  (Logik  H.  S.  65  ff.;  EncycL  §166  ff.)  versteht  unter 
dem  Urtheil  die  am  Begriffe  selbst  gesetzte  Bestimmtheit  desselben, 
oder  den  sich  besondemden  Begriff,  oder  die  ursprüngliche  Selbsttheilung 
des  Begriffs  in  seine  Momente,  die  unterscheidende  Beziehung  des  Ein- 
zelnen auf  das  Allgemeine  und  die  Subsumtion  jenes  unter  dieses,  aber 
nicht  als  blosse  Operation  des  subjectiven  Denkens,  sondern  als  allge- 
meine Form  aller  Dinge.  Hier  wird  wiederum,  wie  beim  Begriff,  die 
Beziehung  auf  die  Bealität  zur  Identität  umgedeutet.  Hegel  unterscheidet 
die  Urtheile  von  den  Sätzen,  welche  nicht  das  Subject  auf  ein  allge- 
meines Prädicat  beziehen,  sondern  nur  einen  Zustand,  eine  einzelne 
Handlung  etc.  von  demselben  aussagen.  In  der  That  aber  mnss  jeder 
(Aussage-)  Satz  ein  logisches  Urtheil  zum  Ausdruck  bringen. —  Beneke 
(System  der  Logik  I,  S.  166  ff.;  260  ff.)  unterscheidet  das  logische  Ur- 

18 


194  §  G7.   Definition  des  ürtheils. 

theil  als  den  analytischen  Act  der  Subsumtion  des  Besondem  unter  das 
Allgemeine,  und  die  synthetischen  Grundlagen  des  ürtheils  oder  die 
Yorstellungscombinationen,  durch  welche  die  Fortführung  der  Erkennt- 
niss  geschehe  und  welchen  jene  Analysen  als  nur  begleitende  Acte  zur 
Seite  liegen;  im  gewöhnlichen  Leben  sei  es  in  der  Regel  nur  um  die 
Synthesen  zu  thun,  die  dem  eigentlichen  Urtheil  bei  demjenigfen,  welcher 
dasselbe  ursprünglich  bilde,  vorangehen,  bei  der  Mittheilung  des  ürtheils 
an  Andere  aber  für  diese  durch  das  ürtheil  vermittelt  werden;  das 
logische  Element  dagegen  sei  die  analytische  Subsumtion  des  minder 
allgemeinen  Subjectsbegriffs  (oder  auch  der  Subjectsvorstellung)  unter 
den  allgemeineren  Pradicatsbegriff.  Hieraus  aber  würde  sich  ergeben, 
dass  die  Wahrheit  oder  Falschheit  des  eigentlichen  ürtheils  von  der 
"Richtigkeit  der  Subsumtion  abhinge,  während  doch  in  der  That  das 
ürtheil  wahr  oder  falsch  ist  je  nach  der  Art  der  Beziehung  zur  Wirk- 
lichkeit. Nach  der  Gonsequenz  der  Beneke'schen  Ansicht  hätten  die 
Geschworenen  wahr  genrtheilt,  wenn  sie  nichts  anderes  in  begrififlicher 
Subsumtion  ausgesagt  haben,  als  was  in  ihrer  Vorstellungscombinatioii 
wirklich  lag,  auch  wenn  diese  Irrthum  in  Bezug  auf  die  Thatsachen 
involvirte.  Eine  Verurtheilung  des  Unschuldigen  konnte  demnach  nicht 
bloss  ein  wahrhaftes  (auf  Wahrheitsliebe  beruhendes),  sondern  auch  ein 
wahres  »eigentliches  Urtheil c  sein.  Aber  offenbar  wäre  dies  eine  un- 
zulässige Sprachverwirrung  zu  Grünsten  der  Aufreohterhaltung  der  will- 
kürlichen Voraussetzung,  dass  bloss  das  »analytische  Denken c  das  »eigent- 
lich logische«  sei.  In  ähnlicher  Weise,  wie  Beneke,  und  zum  Theil  mit 
ausdrücklicher  Beziehung  auf  Beneke  unterscheidet  Friedr.  Fischer 
(Logik,  S.  69  ff.;  vgl.  S.  71)  das  eigentliche  ürtheil  als  die  Subsumtion 
eines  Gegenstandes  unter  einen  Begriff,  und  das  ürtheil  im  weiteren 
Sinne  als  die  Entwickelung  und  Aussage  des  inneren  Verhältnisses 
zweier  Vorstellungen,  welches  das  eigentliche  ürtheil  als  die  eine  Art 
und  als  die  andere  Art  den  blossen  Satz  oder  die  Auseinanderlegnng 
eines  Gegenstandes  in  seine  Theile  und  E^igenschaften  und  eines  Gau- 
salnexus  in  seine  Glieder,  wie  auch  die  Gausalfolgerung  oder  die  Auf- 
suchung der  Ursachen  zu  den  Wirkungen  und  dieser  zu  jenen  unter 
sich  begreife.  In  ähnlicher  Weise  lehrt  auch  Ülrioi,  dass  das  ürtheil 
im  logischen  Sinne  die  Subsumtion  des  Besondern  unter  sein  Allgemeines 
sei  (Log.  S.  482  ff.)  und  unterscheidet  davon  den  grammatischen  Satz 
als  blossen  Ausspruch  einer  Wahrnehmung  oder  Bemerkung  (S.  467). 
(Vergl.  8.  Gompend.  d.  Logik  2.  Aufl.  1872,  §  72,  S.  266  ff.)  Es  ist 
aber  vielmehr  einem  jeden  ürtheil  die  Beziehung  auf  die  Objectivitiit 
wesentlich.  Wie  sich  damit  die  Ansicht  der  Subsumtion  vereinigen 
lasse,  darüber  B.  unten  §  68,  1,  b.  —  Schleiermaoher  (Dial.  §§  188ff.; 
166;  167;  198;  803  ff.)  erklärt  das  ürtheU  als  dasjenige  Gebilde  der 
intellectuellen  Function  oder  der  denkenden  Vernunft,  welchem  die  Ge- 
meinschaftlichkeit des  Seins  oder  das  System  der  gegfenseitigen  Ein- 
wirkungen der  Dinge,  ihres  Zusammenseins,  ihrer  Actionen  und  Pas- 
sionen entspreche.  Subjeot  und  Pradicat  verhalten  sich  wie  Nomen 
und  Verbum;  jenes  entspricht  einem  beharrlichen  Sein  oder  einem  für 


§  67.  Definition  des  Urtheila.  195 

sich  gesetzten  Sein ;  dieses  drückt  einen  Zustand,  eine  That,  ein  Leiden, 
also  ein  in  einem  anderen  gesetztes  Sein  ans.  Nur  bei  dem  nneigent- 
Hchen  Urtheil  ist  der  Begriff  des  Prädicates  im  Subjecte  gesetzt;  das 
eigentliche  Urtheil  geht  auf  eine  Thatsache  und  sag^  etwas  aus,  das 
im  Begriff  des  Subjectes  nur  seiner  Möglichkeit  nach  enthalten  ist.  Das 
primitive  Urtheil  setzt  die  blosse  Action,  das  unvollständige  bloss  deren 
Beziehung  auf  das  agirende  Subject,  das  vollständige  auch  die  Be- 
ziehung auf  das  von  der  Action  betroffene  Object  (Dial.  S.  804  ff.). 
Schleiermacher's  Definition  hebt  mit  Hecht  die  Beziehung  des  subjec- 
tiven  Elementes  im  Urtheil  auf  das  objectiv-reale  hervor.  Sie  fehlt  nur 
darin,  dass  sie,  zu  ausschliesslich  das  prädicative  und  das  daran  ge- 
knüpfte objective  Verhältniss  ins  Auge  fassend,  nicht  auf  die  sämmt- 
lichen  Urtheilsverhaltnisse  gleichmässig  Rücksicht  nimmt.  Das  Gleiche 
gilt  von  den  Ansichten  Kitter*s,  Trendelenburg's  und  Lotze's. 
Ritter  (Log.  2.  A.  S.  61)  definirtdas  Urtheil  als  die  Denkform,  welche 
den  veränderlichen  Grund  der  Erscheinung  bezeichne;  (S.  56:)  »das 
Sein,  welches  in  dem  Urtheil  dargestellt^wird,  ist  ein  Veränderliches, 
welches  aber  in  einem  Bleibenden  als  einem  lebendigen  Dinge  gegründet 
ist,  ein  solches  Sein  nennen  wir  eine  Lebensthätigkeit« ;  (S.  70:)  »in 
dem  Urtheil  wird  die  Möglichkeit  veränderlicher  Thätigkeiten  darge- 
stellte; (Syst  der  Log.  u.  Metaph.  II,  S.  85  ff.:)  »die  Verbindung  von 
Subject  und  Prädicat,  welche  dem  thätigen  Dinge  eine  veränderliche 
Thätigkeit  beilegt,  ist  ein  Urtheil c;  (S.  205  ff.:)  »das  reflexive  Urtheil 
geht  auf  die  innere  und  freie,  das  transitive  auf  die  übergehende 
Thätigkeitt  Trende lenburg  (Log.  Untersuch.  II,  S.  141,  2.  Aufl.  S.  208, 
8.  Aufl.  S.  231)  erkennt  in  dem  Urtheil  die  logische  Form,  die  der  Thätigkeit 
als  der  analogen  Form  des  Seins  entspreche;  in  dem  unvollständigen 
Urtheil  werde  die  Thätigkeit  allein  als  eine  ursprüngliche  aufgefasst; 
in  dem  vollständigen  Urtheil  aber  stelle  das  Subject  die  Substanz  und 
das  Prädicat  die  Thätigkeit  oder  die  Eigenschaft  dar,  die  den  Grundbegriff 
der  Thätigkeit  in  sich  trage.  Auch  Lotze  (Log.  S.  86)  giebt  in  der- 
selben Weise  vom  Urtheil  eine  zu  enge  Erklärung,  wenn  er  es  als  eine 
Verknüpfung  von  Vorstellungen  bezeichnet,  deren  Material  in  die  lo- 
gischen Formen  gegossen  werde,  die  den  metaphysischen  Voraussetzungen 
über  Substanz,  Accidens  und  Inhärenz  entsprechen.  In  seinem  System 
d.  Philos.  Bd.  1.  Logik  Cap.  2.  S.  57  sagt  Lotze:  »Jedes  Urtheil,  welches 
im  natürlichen  Gebrauch  des  Denkens  gebildet  wird,  will  ein  Ver- 
lüUtniia  zwischen  den  Inhalten  zweier  Vorstellungen,  aber  nicht  ein 
Verhältniss  dieser  beiden  Vorstellungen  aussprechen. c  —  Mit  der  oben 
gegebenen  Definition  des  Urtheils  einverstanden  erklärt  sich  Sigwart, 
Logik,  1878,  Bd.  1,  §  14,  S.  77:  »Alle  die  Definitionen  des  Urtheils, 
welche  dasselbe  auf  die  bloss  subjective  Verknüpfung  von  Vorstellungen 
oder  Begriffen  beschranken,  übersehen,  dass  der  Sinn  einer  Behauptuug 
niemals  ist,  bloss  dieses  subjective  Factum  zu  constatiren,  dass  ich  im 
Augenblick  dieses  Factum  vollziehe ;  vielmehr  macht  das  Urtheil  durch 
seine  Form  Anspruch  darauf,  dass  diese  Verknüpfung  die  Sache  be- 
treffe,  and  dass  sie  eben  darum  von  jedem  andern  anerkannt  werde.« 


196  §  68.  Einfaches  und  zosammengesetztea  ürtheil. 

Wundt  in  seiner  hogik  Bd.  1.  Absch.  8.  Gap.  1.  Entsi.  des  XJr- 
theils  S.  186  fif.  hat  neuerdings  darznthun  gesucht,  dass  weder  die  De- 
finition des  ürtheils  als  der  Form  der  Verbindung  oder  Trennung  der 
Begriffe,  noch  die  Definition  desselben  als  der  Vorstellung  einer  Ein- 
heit oder  eines  Verhältnisses  zwischen  zwei  Begriffen  zureichend  sei, 
um  das  ürtheil  von  anderen  Begriffsverbindungen  zu  unterscheiden. 
Treffender  scheint  ihm  das  ürtheil  definirt  zu  werden  als  eine  iSer- 
legung  einer  zusammengesetzten  Vorstellung  in  ihre  Bestandth^e.  Das 
ürtheil  bringe  nicht  Begriffe  zusammen,  die  getrennt  entstanden  waren, 
sondern  es  scheide  aus  einer  einheitlichen  Vorstellung  Begriffe  aus.  In 
diesem  Sinne  könne  man  alles  ürtheilen  eine  analytische  Function 
nennen.  —  Dieser  Ansicht  Wundt's  gegenüber  hat  Sigwart  in  s. 
Art.  1.  Logische  Fragen  in  der  Viertel jahrsschr.  f.  wissensoh.  Philos. 
Bd.  4.  1880.  S.  459  die  von  ihm  vertretene  Ansicht  vertheidigt,  dass 
der  ürtheilsact,  der  dem  gesprochenen  Satze  als  Inneres  entspricht, 
eine  Verknüpfung  von  Vorstellungen  sei.  Der  Auffassung  Wundt's 
i  liege  ein  richtiger  Gedanke  zu  Grande,   aber  sie  werde  getrübt  durch 

die  Verwechslung  des  Ausgangspunktes  des  ürtheils  mit  dem  Ürtheil 
selbst,  durch  Verwechslung  der  einheitlichen  Anschauung  mit  dem 
durch  allgemeine  Vorstellungen  hindurch  gehenden  ürtheil.  —  Berg- 
mann in  s.  Allg.  Logik  Th.  1.  Absch.  1.  §  6  will  den  allgem.  Begriff 
des  ürtheils  dahin  festgestellt  sehen,  dass  im  ürtheile  zu  einer  oder 
mehreren  Vorstellungen  eine  Entscheidung  über  ihre  Geltung  hinzu- 
komme. —  Werner  Luthe  in  s.  Beiträge  z.  Logik  Th.  1. 1672  S.  20 
empfiehlt  als  Definition  des  ürtheils  die  folgende:  »ürtheil  ist  das 
Product  derjenigen  Denkthätigkeit,  die  eine  Vorstellung  als  zum  Sein 
einer  andern  gehörend  auffasstc  und  sucht  diese  seine  Definition  durch 
eine  eingehende  Kritik  der  früheren  Definitionen  des  Aristoteles,  Kant, 
Hegel,  Beneke,  ülrici,  Schleiermacher,  Trendelenburg,  Herbart  und  des 
Verfassers  dieses  Buches  zu  rechtfertigen. 

Die  Definition  des  Ürtheils  muss  weit  genug  sein,  um  die  sammt- 
liehen  ürtheilsformen  zu  umfassen,  ohne  doch  vag  zu  werden,  d.  h.  ohne 
die  Grenze  des  Ürtheils  gegen  andere  Formen  zu  verwischen. 

§  68.  Die  Urt heile  sind  theils  einfach,  theils  zu- 
sammengesetzt In  den  einfachen  Ürtheilen  sind 
folgende  Verhältnisse  zu  unterscheiden: 

1.  Das  prädicative  oder  das  Verhältniss  von  Subject 
und  Prädicat,  d.  h.  die  subjective  Repräsentation  des  objectiv- 
realen  Verhältnisses  der  Subsistenz  undlnhärenz.  Dieses 
begreift  folgende  Verhältnisse  unter  sich: 

a)  das  Verhältniss  des  Dinges  zur  Thätigkeit  oder  zum 
Leiden; 

b)  das  Verhältniss  des  Dinges  zur  Eigenschaft  als  der 
haftend   gewordenen    Thätigkeit   (wohin   auch   das  Ver- 


§  68.  Einfaches  und  ztiflaminengesetztes  ürtheil.  197 

hältniss  des  Dinges  za  der  Gesammtheit  derjenigen 
Merkmale,  welche  den  Inhalt  des  übergeordneten 
Begriffs  ansmachen,  gerechnet  werden  mnss); 

c)  das  VerhUtniss  der  (als  Snbject  gedachten)  Thätig- 
keit  oder  Eigenschaft  za  der  ihr  anhaftenden  näheren  Be- 
stimmnng. 

Bei  den  sogenannten  snbjectlosen  Urtheilen  (die  dnrch 
Sätze  mit  »impersonalen«  Verben  ausgedrückt  werden)  vertritt 
die  unbestimmt  gedachte  Totalität  des  uns  umgebenden  Seins 
oder  ein  unbestimmter  Theil  derselben  die  Stelle  des  Subjectes, 
und  bei  den  Existential-Urtheilen  das  als  inhärirend  vor- 
gestellte Sein  oder  die  Existenz  die  Stelle  des  Prädicates. 

(Die  sprachliche  Bezeichnung  des  prädicativen  Ver- 
hältnisses ist  die  grammatische  Congruenz  zwischen  dem 
Subjecte  und  Prädicate  in  der  Nominal-  und  Verbalflexion. 
In  dem  Falle  unter  a)  ist  das  grammatische  Subject  ein  Sub- 
stantivum  concretum,  das  Prädicat  ein  Verbum;  unter  b)  ist 
das  Subject  wiederum  ein  Subst  concr.,  das  Prädicat  aber 
entweder  ein  Adjectiv  mit  dem  Hülfs verbum  sein  oder  ein 
Substantiv  mit  dem  gleichen  Hülfsverbum;  unter  c)  ist  das 
Subject  ein  Substantivum  abstractum,  das  Prädicat  aber  wie- 
derum entweder  ein  Verbum  oder  ein  Adjectiv  oder  ein  Sub* 
stantiv  mit  dem  Hülfsverbum.  Die  Copula  liegt  in  jedem 
Falle  nur  in  der  Flexionsform;  denn  auch  das  Hülfsver- 
bum sein  gehört  mit  zum  Prädicate  und  ist  nicht,  wie 
gewöhnlich,  aber  mit  Unrecht  geschieht,  selbst  als  grammati- 
sche Copula  anzusehen,  da  vielmehr  nur  die  grammatische 
Congruenz  seiner  Flexion  mit  der  Flexion  des  Subjectes, 
wodurch  aus  dem  Infinitiv  sein  die  Formen  ist,  sind  etc. 
werden,  die  Copula  oder  der  Ausdruck  des  Inhärenzverhält- 
nisses  zwischen  dem  Prädicate  und  Subjecte  ist) 

2.  Das  Objectsverhältniss  oder  das  Verhältniss  des 
Prädicates  zu  seinem  Objecte,  d.  h.  die  subjective  Bepräsentation 
des  objectiv-realen  Verhältnisses  der  Thätigkeit  zu  dem 
Gegenstande,  aufweichen  sie  gerichtet  ist.  In  dem  Wesen 
der  Thätigkeit  als  der  eigenen  Veränderung  des  Subjectes 
liegt  mittelbar  auch  die  Veränderung  der  Beziehung  zu  an- 
derem.   (Auch  hier  findet  das  reale  Verhältniss  im  logischen, 


198  §  68.  Einfaches  und  zasainmengesetzteB  ürtheil. 

das  logische  im  grammatischen  seinen  Aasdruck.)  Das  Ob- 
ject  ist  entweder  ergänzend  oder  bestimmend ;  das  ergänzende 
Object  entspricht  dem  unmittelbaren  Gegenstande  der  Thätig- 
keit,  das  bestinunende  oder  adverbiale  Object  einem  Glegen- 
Stande^  der  zu  der  Thätigkeit  in  irgend  einer  mittelbaren  Be- 
ziehung steht.  Diese  Beziehungen  sind  namentlich  die  räum- 
liche, zeitliche,  modale,  causale,  conditionale  und  concessive, 
instrumentale,  consecntive  und  finale. 

(Den  sprachlichen  Ausdruck  der  verschiedenen  Grund- 
formen des  Objectverhältnisses  bilden  die  obliquen  Casus, 
von  denen  der  Accusativ,  wie  es  scheint,  ursprünglich  die 
Ferne  und  eben  damit  zugleich  auch  das  Wohin  oder  das  Ziel 
der  Thätigkeit,  der  Genitiv  das  Woher  und  Woraus  oder  den 
Ausgangspunkt  der  Thätigkeit  und  der  Dativ  das  Wo,  Woran 
und  Womit  oder  den  Ort,  die  Bestimmung  und  das  Mittel 
der  Thätigkeit  bezeichnet,  wobei  die  causale  Beziehung  mit 
der  localen  ursprünglich  ebenso  verflochten  ist,  wie  sich  auch 
bei  der  Bildung  von  Einzelvorstellungen,  Begriffen  etc.,  über- 
haupt bei  allen  logischen  Operationen,  mit  dem  räumlich-zeit- 
lichen Bilde  Elemente,  die  aus  der  inneren  Wahrnehmung 
herstammen,  verflechten;  zur  Bezeichnung  der  mannigfachen 
Modificationen  jener  Grundformen  aber  dienen  theils  eigene 
Casus,  theils  die  an  die  Casus  sich  anschliessenden  Präpo- 
sitionen.) 

3.  Das  attributive  Verhältniss.  Dieses  ist  eine 
Wiederholung  des  prädicativen  und  mittelbar  auch 
oft  eine  Wiederholung  des  Objects-Verhältnisses 
als  eines  blossen  Gliedes  eines  Urtheils,  dessen  Prädicat  ein 
anderes  ist. 

(Den  sprachlichen  Ausdruck  dieses  Verhältnisses 
bildet  die  grammatische  Gongruenz  in  der  Nominal-  und 
Participialflexion,  womit  sich  beim  Hinzutritt  objectiver  Ver- 
hältnisse der  Gebrauch  der  Casus  und  Präpositionen 
verbindet;  mitunter,  wie  namentlich  bei  dem  Genitivus  pos- 
sessivus,  dienen  dazu  auch  die  Casus  und  Präpositionen  allein, 
indem  nämlich  die  hinzuzudenkende  participiale  Bestimmung: 
herstammend,  seiend,  nicht  ausgedrückt  zu  werden  pflegt) 

Das  mehrfache  oder  zusammengesetzte  Urtheil 


§  68.  Einfaohee  und  zusammengesetztes  Urtheil.  199 

besteht  aas  ein&chen  Urtheilen  (wie  auch  der  zusammen- 
gesetzte Satz  ans  einfachen  Sätzen),  die  einander  coordinirt 
oder  snbordinirt  sind.  Die  Goordination  bezieht  sich 
theils  auf  vollständige  Urtheile  (und  Sätze),  theils  auf  einzelne 
Urtheilsglieder  (and  Satzglieder);  sie  kann  copalativ,  divisiv 
and  disjanctiy,  comparativ,  adversativ  and  restrictiv,  concessiv, 
cansal  and  conclasiv  sein.  Die  Subordination  beruht  darauf, 
dass  ein  Urtheil  (und  Satz)  entweder  als  Ganzes  oder  mit 
einem  seiner  Glieder  sich  in  ein  anderes  Urtheil  (einen 
anderen  Satz)  einfttgt.  Das  subordinirte  Urtheil  ist  a)  je 
nachdem  es  entweder  als  Ganzes  oder  nur  mit  einem  seiner 
Elemente  in  das  übergeordnete  eingeht,  entweder  Infinitiv- 
oder Relativ-Urtheil  (und  demgemäss  sein  sprachlicher  Aus- 
druck, der  subordinirte  Satz,  entweder  Infinitiv-  oder  Relativ- 
satz; mit  jenem  fällt  logisch  der  »Gonjunctionalsatz«,  mit 
diesem  der  >Pronominalsatz«  zusammen);  b)  nach  der  Stelle, 
die  es  oder  der  sich  einfügende  Theil  desselben  in  dem  Ge- 
sammturtheil (dem  Gesammtsatze)  einnimmt,  entweder  Sub- 
jectiv-  oder  Prädicativ-  oder  Attributiv-  oder  ergänzendes 
oder  bestimmendes  Objectiv- Urtheil  (-Satz).  Die  bestimmen- 
den Objectiv-  oder  Adverbial-Urtheile  (und  -Sätze)  zerfallen 
wiederum  in  locale,  temporale,  comparative,  causale,  conditio- 
nale  (oder  hypothetische),  concessive,  consecutive  und  finale. 
Mehrere  Urtheile  (Sätze),  welche  dem  nämlichen  Haupturtheil 
(Hauptsatze)  untergeordnet  sind,  können  einander  neben- 
geordnet oder  untergeordnet  sein,  und  so  z.  B.  copulativ- 
hypothetische,  disjunctiv- hypothetische  Urtheile  (Sätze)  etc. 
gebildet  werden. 

(Die  Sprache  bezeichnet  die  Verhältnisse  zwischen  den 
eoordinirten  und  subordinirten  Sätzen  theils  durch  die  Gon- 
junctionen  und  Relativpronomina,  theils  durch  eigen- 
thflmliche  syntaktische  Formen.) 

Aus  der  grossen  Zahl  dieser  Verhältnisse  hat  die  bisherige  Logik 
nur  einzelne  herausgehoben,  während  die  Grammatik,  mehr  gewohnt, 
sich  an  der  Betrachtung  des  Einzelnen  zu  orientiren,  dieselben  schon 
längst  in  g^rosserer  Vollständigkeit  erkannt  und  namentlich  durch  die 
(was  immer  in  historischem  Betracht  mit  Recht  eingewandt  werden 
möge,  jedenfalls  für  das  logische  Verständniss  der  Sprache  und  ins- 
besondere des  Satzbaues  sehr  verdienstvollen)  Forschungen  Karl  Fer- 


200  §  68.  EinfaoheB  und  zuBammengesetztes  ürtheil. 

dinand  Beoker's  tiefer  verstehen  gelernt  hat.  Falaofae Deatnng  und 
einseitige  Ueberspannnng  des  logischen  Charakters  der  Sprache  laatt 
sich  widerlegen;  die  Annahme  einer  logischen  Basis  der  grammatischen 
Verhältnisse  aber  selbst  zu  bestreiten,  ist  eine  Verkehrtheit,  die  sich 
nicht  logisch  rechtfertigen,  sehr  wohl  aber  psychologisch  erklären  l&sst, 
indem  die  lebhafte  Bekämpfung  des  einen  Extrems  gar  leicht  zum  ent- 
gegengesetzten hindrängt. 

Aristoteles  handelt  noch  fast  ausschliesslich  von  den  (später 
sogenannten)  kategorischen  Urtheilen  (er  selbst  versteht  unter  dem  ka- 
tegorischen Urtheil  das  bejahende);  aber  schon  die  ersten  Peripate- 
tiker,  wie  auch  die  Stoiker  ziehen  die  hypothetischen  und  die  dis- 
junctiven  Urtheile  mit  in  den  Kreis  ihrer  logischen  Üntersnohungreii 
hinein.  Kant  (Kritik  der  r.  Vem.  §  9—11;  Prolegom.  z.  e.  j.  k.  Me- 
taph.  §  21 ;  Log.  §  28)  gründet  die  Eintheilung  der  urtheile  in  kate- 
gorische, hypothetische  und  disjunctive  auf  die  Kategorien  der  Re- 
lation: Subsistenz  und  Inhärenz,  Causalität  und  Dependenz,  und 
Gemeinschaft  oder  Wechselwirkung.  Aber  diese  Eintheilung  ist  keines- 
wegs vollständig,  und  die  Zurnckführung  der  Disjunction  auf  die  reale 
Wechselwirkung  ein  Fehlgriff,  üebrigens  lassen  sich  die  Kantischen 
Kategorien  der  Relation  den  Aristotelischen  Kategorien  naturgemäss 
anreihen,  indem  diese  auf  die  formalen  Arten  der  Einzelexistenz 
gehen,  jene  aber  auf  die  formalen  Arten  der  Verhältnisse,  die 
zwischen  den  verschiedenen  Formen  der  Einzelexistenz  und  der  Gruppen 
gleichartiger  Einzelexistenzen  bestehen,  und  in  entsprechender  Weise 
auch  in  der  Anwendung  auf  das  Logische  die  Aristotelischen  Kategorien 
die  Vors tellungs formen  bezeichnen,  die  Kantischen  Kategorien  der 
Relation  aber  die  Ürtheilsformen  begründen.  Die  Mängel  der  Kan- 
tischen Eintheilung  sind  von  den  späteren  Log^ikem  zwar  theilweiaey 
aber  keineswegs  genügend  erkannt  und  vermieden  worden.  Die  logi- 
sche Bedeutung  der  grammatischen  Satzverhältnisse  wurde  selten  richtig 
gewürdigt*).    Was  die  Verhältnisse   im  einfachen  Urtheil  betri£fl,   so 

*)  Man  kann  sagen  (mit  Trendelenburg,  Log.  Unt.,  2.  Aufl.,  Bd.  U, 
S.  258),  die  Logik  verstehe  unter  demPradicat  die  objectiven  Bestim- 
mungen, falls  solche  vorhanden  sind,  mit;  also  z.  B.  in  dem  Satze: 
A  trifft  B,  sei  nicht  das  blosse  Treffen,  sondern  das  Treffen  des  B  das 
logische  Prädicat.  Aber  dann  muss  man  bei  dem  so  bestimmten  Prä- 
dicat  noch  das  eigentlich  prädicative  Verhältniss  imd  das  objeotive 
unterscheiden,  also  das  letztere  doch  wiederum  einer  besonderen  Be- 
trachtung würdigen.  Gerade  darum,  weil  es  von  einem  eigenthümlichen 
realen  Grundverhältniss  abhängt,  berührt  es  auch  die  Logik  als 
Erkenntnisslehre  und  nicht  die  Grammatik  allein;  denn  bloss  gram- 
matisch ist  nur,  was  bloss  die  Form  des  sprachlichen  Ausdrucks 
betrifft.  —  Wenn  aber  femer  gegen  die  Unterscheidung  des  prädi- 
cativen  und  des  hypothetischen  Verhältnisses  nach  den  Katego- 
rien der  Inhärenz  und  der  Dependenz  das  Involvirtsein  dieser  in  jener 
hervorffehoben  wird,  so  ist  das  kein  Gegengrund,  s.  unten  §§  86  n.  94. 
—  (Vgl.  d.  abweichende  Bemerkung  Trendelenburg's  log.  Unters.  8.  Aufl^ 
Bd.  11,  XVI,  S.  277  f.  —  lEs  mag  hier  noch  eine  Bemerkung  am  Orte 
sein,  um  das  Grammatische  und  Logische  in  seinen  Grenzen  zu  halten. 
Was  die  Logik  Prädicat  nennt,   unterscheidet  sich   von  dem  engem 


§  68.  Einfaches  und  zusammengesetztoB  Urtheil.  201 

giebt  Schleiermacher  beachtenswerthe  Winke  über  deren  inneren 
Zasammenhang.  Das  dem  Urtheil  entsprechende  Sein  ist  nach  ihm  das 
Znsammensein  der  Dinge,  vermöge  dessen  ein  jedes  im  anderen  ist  und 
sowohl  in  ihm  hervorbringt,  als  von  ihm  leidet  (Dial.  §  189).  Das  erste 
urtbeilende Moment  oder  das  primitive  Urtheil  setzt  bloss  die  Action 
ohne  Beziehung  auf  ein  agirendes  Subject  und  auf  ein  leidendes  Objeot, 
deren  Stelle  durch  die  chaotisch  gesetzte  Totalitat  des  Seins  vertreten 
wird.  Das  primitive  Urtheil  wird  in  der  Sprache  durch  das  unpersön- 
liche Verbum  ausgedrückt  (Dial.  §  804).  Die  Fortbildung  des  Urtheils 
ist  ein  Uebergang  vom  unbestimmteren  zum  bestimmteren.  Wird  zu- 
nächst bloss  die  Beziehung  auf  das  agirende  Subject  gesetzt,  so  geht 
das  primitive  Urtheil  in  das  unvollständige  über;  wird  aber  femer 
das  Factum  auf  seine  beiden  zusammenwirkenden  Factoren  zurück- 
geführt, so  entsteht  das  vollständige  Urtheil,  welches  demgemäss 
ausser  dem  prädicativen  Verhältniss  auch  das  Objectsverhältniss  in  sich 
aufnehmen  muss  (Dial.  §  806).  Aus  dem  Inbegriff  aller  vollständigen 
Urtheile  entwickelt  sich  ein  absolutes  Urtheil,  dessen  Subject  die 
Welt  oder  die  geordnete  Totalität  alles  Seins  ist  (Dial.  §  806—7).  Das 
Adjectiv  als  Epitheton  (oder  Attribut)  ist  das  Resultat  eines  früheren 
Urtheils,  welches  schon  als  Element  in  den  Subjectsbegriff  eingegangen 
ist  (Dial.  §  250,  S.  197  ff.). 

Die  (von  Trendelenburg,  Log.  Unt.  II,  S.  168  ff.,  2.  Aufl.  U,  S.  287  ff. 
8.  A.  S.  261  ff.  vertretene)  Eintheilung  der  Urtheile  in  Urtheile  des  In- 
halts und  Umfang  s  würde  eine  Auffassung  voraussetzen,  welche  das 
Urtheil,  gleich  als  wäre  es  eine  unselbständige  Form  (da  doch  Trendelen- 
burg selbst  ihm  ein  eigenthümliches  »Gregenbild  im  Wirklichen c  zu- 
erkennt, nämlich  die  Thätigkeit  der  Substanz),  nur  nach  seiner  Beziehung 
zu  den  Begriffsformen  schätzt.  Aber  diese  Auffassung  erschöpft  nicht 
das  Wesen  des  Urtheils,  und  die  Eintheilung  bleibt  hinter  der  Mannig- 
faltigkeit der  Urtheilsverhältnisse  zurück.  Das  Urtheil  in  seiner  ge- 
schmeidigen Form  kann  auch  in  den  Dienst  der  Begriffsbildung  treten ; 
aber  hierin  geht  nicht  seine  ganze  Bedeutung  auf.  Die  sogenannten 
»Urtheile  des  Inhaltsc  bezeichnen  als  kategorische  Urtheile  ein 
Inhärenzverhältniss,  und  die  Benennung  mag  passend  sein,  wenn 


Begriff,  welchen  ihm  die  Grammatik  beizulegei^  pflegt.  Die  Logik 
venteht  unter  Prädicat,  was  von  dem  Subject  ausgesagt  wird,  un- 
angesehen  ob  das  Ausgesagte  ein  einfacher  oder  ein  durch  ein  Object 
bestimmter  Begriff  ist,  und  begreift  das  grammatische  Object  mit  zum 
Prädicate.  Die  Grammatik  hat  die  Bestimmungen,  die  als  grammati- 
sches Object  zum  Thätigkeitsbegriff,  sei  es  ergänzend  als  Casus  oder 
nur  ausführend,  adverbial,  hinzutretend,  näher  zu  erwägen.  Z.  B.  in 
dem  Satz  aus  Geliert's  Fabel:  »nun  läuft  das  Blatt  durch  alleGassenc 
betrachtet  die  Logik  alles,  was  vom  Blatte  ausgesagt  wird,  als  Prädicat ; 
die  Grammatik  zunächst  nur  »läuft«  und  fasst  alles  andere  als  objeo- 
tive  Bestimmungen.  Diese  hängen  von  der  realen  Natur  der  Thätigkeit 
ab  und  müssen  durch  die  realen  Kategorien  verständlich  geworden  sein, 
das  Urtheil  als  Urtheil  berühren  sie  nicht  Neuerdings  sind  sie  in  die 
Logik  aufgenommen  worden.  Soll  dies  geschehen,  so  bedürfen  sie  einer 
eigenen  von  der  Grammatik  unabhängigen  Behandlung,  c) 


202  §  68.  Einfaches  und  zusammengesetztes  ürtheil. 

es  sich  gerade  um  dielnhärenz  wesentlicher  Merkmale  handelt,  doch 
lässt  sich  nicht  jedes  Inhärenzverhältniss  (namentlich  nicht  die  Inhä- 
renz  blosser  Modi  und  Relationen)  naturgemäss  als  ein  Inhalts- 
verhältnisB  betrachten;  als  hypothetische  Urtbeile  gehen  sie  auf  ein 
Causalitätsyerhältniss,  sei  es,  dass  sie  das  Yerbundensein  einer 
Ursache  mit  ihrer  Wirkung,  oder  umgekehrt  das  Yerbundensein  einer 
Wirkung  mit  ihrer  Ursache,  oder  das  Verbundensein  mehrerer  Wir- 
kungen der  nämlichen  Ursache  unter  einander,  oder  endlich  das  in  realen 
Causalverhältnissen  begründete  Yerbundensein  mehrerer  subjectiven 
Erkenntnisse  bezeichnen;  jedenfalls  also  entsprechen  sie  eigentbümlichen 
Existenzverhältnissen  und  ihre  Bedeutung  geht  nicht  in  den  blossen 
Ausdruck  des  Inhaltsverhältnisses  auf.  Die  sogenannten  »Urtheile 
des  Umfängst  aber  lassen  sich  auf  »Urtheile  des  Inhalts«  reduciren 
und  als  Bezeichnungen  des  Yerhältnisses  des  Substituirenden  zum  In- 
härirenden  erkennen,  wofern  nur  das  wahre  Prädicat  nicht  in  dem 
Prädioatssubstantiv,  sondern  (wie  es  geschehen  muss)  in  der  Verbindung 
dieses  Substantivs  mit  dem  Sein,  und  die  Copula  nicht  in  dem  Hülfs- 
verbum,  sondern  in  dem  logischen  Yerbundensein  von  Subject  und  Prä- 
dicat, und  ihr  sprachlicher  Ausdruck  in  der  grammatischen  Flezions- 
form  gesucht  wird.  (Das  sogenannte  Urtheil  des  Umfangs:  jeder  Mensch 
ist  seiner  Rasse  nach  entweder  Kaukasier  oder  Mongole  oder  Aethiope 
oder  Amerikaner  oder  Malaye,  ist  gleichbedeutend  mit:  jeder  Mensch 
hat  entweder  die  Gesammtheit  der  Eigenschaften,  welche  den  Kaukasier 
charakterisiren  oder  etc.  Das  Kaukasiersein  etc.  ist  das  wahre  Prädi- 
cat; der  Ausdruck  der  Copula  liegt  nur  in  der  Flexion,  wodurch  aus 
der  Form  sein  die  Form  ist  geworden  ist.)  Diese  Reduction  überhebt 
uns  auch  der  Nothwendigkeit,  mit  F.  Fischer  (Logik,  S.  59  ff.)  unter 
dem  Einen  Begriffe  oder  wenigstens  dem  Einen  Namen  des  Urtheils 
Denkoperationen  zusammenzufassen,  die  doch  ganz  verschiedenartig  wären, 
oder  mit  Fries,  Hegel,  Twesten,  Beneke,  Ulrici  u.  A.  (s.  o.) 
die  Subsumtion  allein  als  logisches  Urtheil  gelten  zu  lassen,  wobei 
dieses  Eine  Urtheilsverhältniss  aus  seinem  natürlichen  Zusammenhange 
mit  der  Gesammtheit  der  übrigen  herausgerissen  wird. 

Lot  ze  hat  in  s.  System  d.  Philos.  Bd.  1.  Logik.  Gap.  2.  S.57  u.  ff. 
die  gewöhnliche  Eintheilung  der  Urtheile  einer  scharfen  Kritik  unter- 
worfen und 'dann  seinerseits  als  Reihe  der  Urtheilsformen  unterschieden: 
A.  Das  impersonale  Urtheil.  Das  kategorische  Urtheil.  Der  Satz  der 
Identität.  B.  Das  particulare  Urtheil.  Das  hypothetische  Urtheil.  Der 
Satz  des  zureichenden  Grundes.  C.  Das  generelle  Urtheil.  Das  dis- 
junotive  Urtheil.  Das  Dictum  de  omni  et  nuUo  und  das  Prinoip.  ex- 
clusi  medii.  —  S  ig  wart  in  s.  Logik.  Bd.  1.  Th.  1.  Abschn.  2.  §9  u.  ff. 
S.  57  u.  ff.  will  unter  den  einfachen  Urtheilen  in  dem  von  ihm  be- 
zeichneten Sinne  zwei  Classen  genau  unterscheiden:  diejenigen,  in  denen 
als  Subject  ein  als  einzeln  existirend  Vorgestelltes  auftritt  (dies  ist 
weiss)  —  erzählende  Urtheile  —  und  diejenigen,  deren  Subjects- 
Vorstellung  in  der  allgemeinen  Bedeutung  eines  Wortes  besteht,  ohne 
dass  damit  von   einem   bestimmten  Einzelnen   etwas   ausgesagt  vrarde 


§  68.  Die  Kategorien  der  Relation  im  Kantisohen  Sinne.      203 

(Blnt  ist  roth)  —  erklärende  Urtheile.  Unter  den  erzählenden  Urtheilen 
werden  insbesondere  unterschieden:  Benennungsurtheile,  fiigenschafts- 
nnd  Thätigkeitsurtheile  und  Belationsurtheile.  Von  diesen  einfachen 
Urtheilen  werden  dann  im  Abschn.  5.  §  26  u.  ff.  S.  166  u.  ff.  die  pln- 
ralen  Urtheile  unterschieden  als  solche,  welche  in  Einem  Satze  von 
einer  Mehrzahl  von  Subjecten  ein  Prädicat  aassagen,  und  diese  selbst  in 
positive  und  verneinende  zerleg^.  Als  Ergebniss  seiner  weiteren  kritischen 
Betrachtung  der  hergebrachten  und  durch  Kant  hauptsächlich  sanotio- 
nirten,  aber  nach  seiner  Ansicht  mangelhaften  Eintheilung  der  Urtheile 
wird  sodann  §  38  S.  257  folgendes  hingestellt:  »Die  Urtheilsfunction 
ist  überall  insofern  dieselbe,  als  sie  kategorische  Aussage  eines  Prä- 
dicates  von  einem  Subject  ist.  Die  Unterschiede,  die  an  ihr  heraus- 
treten, hängen  theils  davon  ab,  ob  die  Synthese  des  Prädioates  mit  dem 
Subjecte  einfach  ist,  wie  bei  dem  Benennungstheil,  oder  mehrfach,  wie 
bei  den  Urtheilen,  welche  auf  den  Kategorien  der  Eigenschaft,  Thätig- 
keit,  Relation  ruhen,  theils  davon,  ob  das  Subject  eines  Urtheils  eine 
einheitliche  Vorstellung,  oder  ob  es  selbst  wieder  eine  urtheilsmässige 
Synthese  oder  eine  Verknüpfung  von  solchen  ist,  von  der  die  Prädicate 
falsch,  möglich,  nothwendig  u.  s.  w.  ausgesagt  werden.  Die  gewöhn- 
lich aufgestellten  Unterschiede  der  Urtheile  sind  Unterschiede  ihrer 
Prädicate  und  Subjecte,  und  nicht  Unterschiede  der  Urtheilsfunction; 
während  dieselbe  Classe,  die  der  kategorischen  Urtheile,  die  wirklichen 
Verschiedenheiten  der  Urtheilsfunction  in  sich  vereinigt.  Um  so  mehr 
tritt  die  Bedeutung  der  Prädicate  hervor,  welche  allen  Urtheilen  vor- 
ausgesetzt sind,  und  welche  als  immer  dieselben  in  den  wechselnden 
Subjecten  des  Urtheilens  wieder  zu  erkennen  das  gemeinsame  Wesen  alles 
Urtheilens  ist.  —  Es  giebt  also  in  der  That  zuletzt  nur  einerlei  Urtheilen, 
die  kategorische  Aussage  eines  Prädicates  von  einem  Subject;  und  die 
Voraussetzung  alles  Urtheilens  ist  also  nach  einer  Seite  das  Vorhanden- 
sein einer  Reihe  von  Prädicatsvorstellungen,  welche  in  den  Subjects- 
vorstellungen  wieder  erkannt  werden  können,  nach  der  andern  die 
Vorstellung  der  verschiedenen  Formen  der  Synthese  zwischen  Prädioaten 
und  Subjecten,  welche  den  Sinn  der  einfachen  Aussage  ausmachen,  c  — 
Wundt  in  s.  Log^k  Bd.  1.  Abschn.  3.  Gap.  2.  Die  Formen  des  Ur- 
theils S.  164  u.  ff.  unterscheidet:  I.  die  Subjectsformen  (das  unbestimmte 
Urtheil,  das  Einzelurtheil,  das  Mehrbeitsurtheil);  2.  die  Prädicats- 
formen  (das  erzählende,  das  beschreibende,  das  erklärende  Urtheil); 
3.  die  Relationsformen  (die  Identitätsurtheile,  die  Urtheile  der  Ueber- 
ordnnng  und  Unterordnung,  die  Urtheile  der  Coordination,  das  Ab- 
hängigkeits-  oder  Bedingungsurtheil,  die  vernein,  und  problematischen 
Urtheile).  —  Bergmann  AUgem.  Logik  Thl.  1.  §16,  der  den  Begriff 
des  Urtheils  dahin  feststellen  will,  dass  im  Urtheile  zu  einer  oder 
mehreren  Vorstellungen  eine  Entscheidung  über  ihre  Haltung  hinzu- 
komme, will  für  die  Unterscheidung  der  Urtheilsformen  auf  die 
Unterscheidung  der  Vorstellungsformen  zurückgreifen.  Sofern  sich 
aber  nnn  die  Form  der  Vorstellung  aus  der  Natur  des  Objectes  ver- 
stehen lasse,  soll  auch  der  Gegensatz  von  Gültigkeit  und  Ungültigkeit, 


204      §  68.   Die  Kategorien  der  Relation  im  Kantischen  Sinne. 

welcher  an  dieser  Form  haftet,  und  die  verschiedenen  Weisen,  aaf 
welche  er  auf  eine  Vorstellung  bezogen  werden  kann,  nur  aus  dieser 
Beziehung  der  Form  der  Vorstellung  zur  Natur  des  Objectes  zu  ver- 
stehen sein.  Da  nun  dazu  die  nöthige  Metaphysik  noch  fehle,  soweit 
schon  in  der  Untersuchung  der  Vorstellung  auf  die  nöthige  Deduction 
des  Systems  ihrer  Formen  habe  verzichtet  werden  müssen,  so  sollen 
wir  uns  gegenüber  dem  System  der  ürtheilsformen  in  derselben  Lage 
befinden  und  uns  deshalb  damit  beg^nügen,  diejenigen  Eintheilungen 
der  Urtheile,  welche  ihr  allgemeiner  Begriff  zu  begründen  vermöge, 
in  der  Reihenfolge  zu  combiniren,  die  der  Sache  am  ang^emessensten 
zu  sein  scheine. 

Die  Streitfrage  der  Localisten  und  Causalisten  in  Betreff 
der  ursprünglichen  Bedeutung  der  Casus  möchte  principiell  in  dem 
Sinne  zu  entscheiden  sein,  dass  die  Einheit  der  causalen  Beziehung  mit 
der  raumlichen  (und  mit  der  dieser  analogen  zeitlichen)  als  das  Ur- 
sprüngliche, die  strengere  Sonderung  der  Bedeutungen  aber  als  das 
Spätere  gelten  müsse.  Dieses  Princip  der  ursprünglichen  Einheit  der 
causalen  Bedeutung  mit  der  localen  wird  nicht  widerlegt,  sondern  be- 
stätigt durch  den  historischen  Nachweis,  dass  wahrscheinlich  der  No- 
minativ in  den  indogermanischen  Sprachen  ursprünglich  durch  ein  dem 
Stamme  angehängtes  s  =3  sa  =  dieser  (oder  hier),  der  Accusativ  durch 
ein  angehängtes  m  =  amu  =  jener  (oder  dort)  gebildet  worden  sei 
(was  bei  Neutris  wegfiel),  so  dass  z.  B.  deus  donum  dat  =  »Gott  hier 
Gabe  da  geben  erc  ist  (vgl.  den  Vortrag  von  G.  Curtius  über  die  loca- 
listische  Casustheorie  auf  der  Philologen- Versammlung  zu  Meissen,  1868). 

Unter  den  subordinirt  zusammengesetzten  Sätzen  ist  oben  auch 
der  Prädicatssatz  genannt  worden.  Wir  rechnen  dahin  Sätze  wie: 
nonnulli  philosophi  sunt  qui  dicant,  und  ähnliche.  Dass  hier  der 
Relativsatz:  qui  dicant,  seiner  logischen  Natur  nach  Prädicativsatz 
ist,  geht  aus  der  Umformung  in :  multi  sunt  dicentes,  hervor,  und  wird 
besonders  in  solchen  Fällen  anschaulich,  wo  ein  derartiger  Satz  als 
coordinirtes  Glied  neben  ein  einfaches  Prftdicat  tritt,  z.  B.  (Virgil.  Aen. 
IX,  206  sqq.) :  est  hie  —  animus  lucis  contemptor  et  istum  qui  vita  bene 
credat  emi  —  honorem.  Hier  ist  eben  so  gewiss,  wie  contemptor 
Prädicat,  der  entsprechende  Satz:  qui  credat,  Prädicatssatz. 
Nur  die  Copula  als  der  Ausdruck  der  Verbindung  zwischen  Subjeot 
und  Prädicat,  aber  nicht  das  Prädicat  ist  der  Umwandlung  in  einem 
untergeordneten  Satz  unfähig. 

Niemals  kann  einem  Urtheil  (und  Satze)  das  Subject  völlig  feh- 
len ;  wohl  aber  kann  die  bestimmte  Subjectsvorstellung  fehlen  und  statt 
derselben  das  blosse  Etwas  (es)  eintreten.  Vgl.  vei  und  Zevg  vet.  Die 
unbestimmte  Vorstellung  des  Subjectes  kann  die  frühere  Form  sein. 

Die  Ansicht,  dass  hypothetische  und  kategorische  Urtheile 
einander  wie  bedingte  und  unbedingte  gegenüberstehen,  wird  von  ein- 
zelnen Logikern  (Herbart,  Einl. in  die  Philos.  §  58;  Drobisch,  Log. 
2.  A.  S.  54,  S.A.  S.  59  f.;  Beneke,  Log.  I,  S.  165)  bekämpft.  Urtheile, 
wie:   Gott  ist  gerecht,   die  Seele  ist  unsterblich,   sollen  nicht  die  Be- 


§  68.   Die  Kategorien  der  Relation  im  Kantischen  Sinne.      205 

hanptong  involviren,  dass  es  einen  Gott,  eine  Seele  gebe.    Dies  ist  aber 
allerdings  der  Fall ;  wer  die  Voranssetzong  nicht  annehmen  will,  muss 
jenen  Sätzen  die  Clanseln  beifügen,  wodurch    sie   zn  hypothetischen 
werden:  falls  es  einen  (ein-  oder  mehrpersönlichen)  Gott,  eine  (substan- 
tielle) Seele  giebt.     Ein  Satz,  wie:   wahre  Freunde  sind   zu  schätzen, 
beruht  auf  der  Voraussetzung,   dass  es  solche  gebe ;  dieselbe  liegt  in 
dem  Indicativ;  für  den  Ausdruck  des  Zweifels  an  dieser  Voraussetzung 
und  der  Verneinung  derselben  haben  die  Sprachen  (am  vollständigsten 
und  genauesten  die  griechische)  andere  Formen  geschaffen.    Nur  wenn 
der  Zusammenhang  des  Ganzen  (wie  in  einem  Boman)  oder  der  be- 
kannte Sinn  eines  Wortes  (wie  Zeus,   Sphinx,    Chimäre  etc.)  auf  eine 
bloss  fingirte  Wirklichkeit  oder  auch  auf  eine  blosse  Namenerklärung 
hinweist,  ist  eine  derartige  Glausel  entbehrlich.    Vgl.  unten  §  86  und 
§  94.    Uebrigens  ist  die  grammatische  Frage,  welchen  Sinn  ein  im  In- 
dicativ   ausgesprochener  Satz  von  kategorischer  Form  habe,   von. der 
logischen  Frage  nach  dem  Sinne  des  kategorischen  Urtheils  wohl  zu 
unterscheiden.    Mit  (formell  oder  auch  nur  sachlich)  negativen  Urthei- 
len  solcher  Art,  dass  dadurch   der  Subjectsbegriff  selbst   aufgehoben 
wird  (z.  B.:  eine  schlechthin  grössteZahl  ist  unmöglich),  dürfen  weder 
die  affirmirten  ürtheile,   noch  auch  solche  negative  Urtheile,   die  nur 
ein  bestimmtes  Prädicat  dem  Subjecte   absprechen  (wie:    dieser  Ange- 
klagte ist  nicht  schuldig)  auf  Eine  Linie  gestellt  werden.  Für  Urtheile, 
die  das   Subject  selbst  aufheben,  wäre  der  genauere  Ausdruck   die 
Negation  der  objectiven  Gültigkeit  der  betreffenden  Vorstellungen  und 
Worte  (z.  B.  das  Wort  Zauberei  ist  ein  leerer  Schall),  oder  eine  sprach- 
liche Wendung,  wie:  es  giebt  nicht  eine  schlechthin  grössteZahl.  Weil 
in  dem  kategorisch  ausgedrückten  Satze  der  Begel  nach  (mit  der  an- 
gegebenen Einschränkung)  die  Voraussetzung  der  Bealität  des  Subjeots 
bereits  li^^  so  würde  die  Setzung  des  blossen  Seins  als  Prädicates  in 
der  Begel  eine  Tautologie  involviren;  diese  Setzung  kann  nur  in  aus- 
drücklichem  Gegensatz    zu   einer  Anzweiflung    oder  Verneinung   der 
Existenz  des  Subjectes  eintreten  (wie  wenn  gesagt  wird:  Gott  ist,  die 
Seele  existirt),  ist  aber  dann  eine  künstliche,  dem  allgemeinen  Sprach- 
gebrauche sich  fast  entfremdende  Form ;  das  natürliche  Sprachbewusst- 
sein  zieht,  falls  die  Existenz  behauptet  werden  soll,  andere  Formen  vor 
wie  z.  B.  es  (s.  v.  a.  etwas)  ist  ein  GK>tt,   es  g^ebt  einen  Gott,  wo  die 
unbestimmt  vorgestellte  Totalität  des  Seienden  oder  ein  unbestimmter 
Theil  derselben  als  Subject  eintritt  (gleich  wie  auch  in  den  Sätzen:  es 
regnet,  es  schneit  etc.),   oder  man  sagt  von  dem  bestimmten  Subjecte 
das  Etwassein  (sunt  aliquid  Manes),  oder  das  Dasein,  das  Eintreten  in 
unsere  Nähe,  in  den  Baum  unseres  Beobachtungsfeldes  aus,  also  mehr, 
als  das  blosse  Sein  überhaupt,   weil  dieses  eben  durch  die  Aufstellung 
des  Subjectes  selbst  implicite  bereits  gesetzt  ist. 

Neuerdings  hat  Sigwart,  Logik  Bd.  1.  §  86.  9  u.  10.  S.  248  u.  ff. 
den  vielverhandelten  Streit  über  das  Verhältniss  des  hypothetischen  und 
kategorischen  Urtheils  folgendermassen  für  erledigt  erklärt:  »Alle  un- 
bedingt  allgemein  kategorischen  Urtheile  sind  völlig  gleichbedeutend 


206       §  68.  Die  Kategorien  der  Relation  im  Eantischen  Sinne. 

mit  hypothetischen,  weil  sie  gar  nichts  anderes  aussagen,  als  die  noth- 
wendige  Zusammengehörigkeit  des  Pradicats  mit  dem  Subject,  wonach 
aus  der  Pradicirung  eines  Einzelnen  mit  dem  Subject  die  mit  dem 
Prädicat  nothwendig  folgt;  und  sofern  dem  »Allee  die  Zweideutigkeit 
anhaftet,  bald  ein  empirisches,  bald  ein  unbedingt  allgemeines  Urtheil 
einzuführen,  ist  die  hypothetische  Form  der  strengere  und  adäquatere 
Ausdruck.  Alle  Urtheile  dagegen,  in  welchen  bestimmten  einzelnen 
Subjecten  bestimmte  Pradicate  zugewiesen  worden,  widerstehen  selbst- 
verständlich der  Verwandlung  in  die  hypothetische  Form;  andererseits 
greift  die  Bedeutung  und  Anwendbarkeit  des  hypothetischen  ürtheils 
über  Dasjenige  hinaus,  was  in  kategorischer  Form  ohne  Zwang  ausge- 
sprochen werden  kann.  — 10.  Anders,  wenn  von  einem  unbestimmt  be- 
zeichneten Subject  veränderliche  Eigenschaften,  Thatigkeiten,  Relatio- 
nen im  Vordersätze  ausgesagt  werden.  Wenn  Wasser  unter  0  Grad 
erkältet  wird,  wird  es  fest  u.  s.  f.  Da  es  sich  hier  ebenso  um  wieder- 
holte Fälle  an  demselben  Subject,  wie  um  Falle  an  verschiedenen 
Subjecten  handeln  kann,  so  ist  der  Ausdruck  in  einem  allgemein  ka- 
tegorischen Ürtheil  inadäquat;  soll  die  Nothwendigkeit  durch  die  un- 
bedingte Allgemeinheit  ausgedrückt  werden,  so  bieten  sich  die  allge- 
meinen Relativsätze  Jedesmal  wenn,  so  oft  als;  und  es  geht  daraus 
hervor,  dass  jetzt  auch  dem  hypothetischen  ürtheil  eine  Zeitbeziehung 
anhaftet,  da  Veränderliches  nur  in  einer  bestimmten  Zeit  eintreten 
kann,  und  die  Gültigkeit  des  Vordersatzes  zu  einer  bestimmten  Zeit 
auch  der  Gültigkeit  des  Nachsatzes  eine  bestimmte  Zeit  anweist  —  die- 
selbe oder  eine  unmittelbar  folgende  oder  vorangehende.  Diese  Urtheile 
sind  es,  die  der  Natur  der  Sache  nach  auf  Causalitätsverhältnissen  ruhen, 
denn  nur  durch  Causalzusammenhang  kann  der  Eintritt  der  Verän- 
derung eines  Dinges  den  Eintritt  einer  zweiten  Veränderung  desselben 
oder  eines  andern  Dinges  nach  sich  ziehen.«  —  Zu  dieser  Auffassung 
Sigwart's  scheinen  die  kritischen  Gegenbemerkungen  Bergmann 's, 
Allgem.  Logik  Th.  1.  S.  208  nicht  zu  passen,  wie  dies  auch  S  ig  wart 
in  s.  Art.  2.  Logische  Fragen  in  d.  Vierteljahrsschr.  f.  wissensch.  Philos. 
Bd.  6.  1881.  S.  109  gezeigt  hat. 

Eigenthtimliche  Ansichten  über  das  hypothetische  ürtheil  hat. 
Wundt  in  s.  Logik  Bd.  1.  Abschn.  8.  Cap.  2.  8.  IV.  S.  179  u.  ff.  ent^ 
wickelt.  Die  grammatische  Aussenseite  der  Abhangigkeitsurtheile,  dass 
sie  sich  in  zwei  oder  mehreren  mit  einainder  verbundenen  UrtheÜen  glie- 
dern, sieht  Wundt  zwar  als  höchst  charakteristisch  für  dieselben  an, 
aber  doch  nur  als  eine  Folge  ihres  logischen  Wesens.  Er  verwirft  es 
daher,  mit  Rücksicht  auf  diesen  Umstand  etwa  alle  Urtheile  in  einfache 
und  zusammengesetzte  einzutheilen.  Das  Abhängigkeitsurtheil  in  sei- 
ner gewöhnlichen  Form  zerfalle  wie  jedes  Urtheil  in  zwei  Hauptglieder, 
aber  diese  Glieder  seien  nicht  einfache  oder  zusammengesetzte  Begriffe, 
sondern  Unterurtheile,  deren  jedes  ein  Begriffsverhältniss  ausdrücke, 
und  deren  eines  in  der  ganzen  Abhängigkeitsbeziehung  als  das  bestim- 
mende, das  andere  als  das  bestimmte  auftrete.  Der  Beziehungsausdmck, 
welcher  die  Art  der  Abhängigkeit  bestimme,  sei  bei  dem  in  zwei  Unter- 


§  69.  Die  Qualität  und  die  Modalität  der  Urtheile.  207 

artheilen  zerfallenden  Abhängigkeitaurtheil  stets  eine  Conjunction.  In 
Bezug  anf  die  Art  der  Abhängigkeit,  welche  Conjunotionen  ausdrücken 
könnten,  zerfielen  dieselben  in  die  nämlichen  drei  Classen,  wie  die  zum 
Ausdruck  äusserer  Beziehungsformen  gebrauchten  Präpositionen:  sie 
seien  localer,  temporaler  und  traditionaler  Natur.  Nach  diesen  drei 
Formen  der  Beziehung  (des  Raumes,  der  Zeit,  der  Bedingung)  sollen 
drei  Hauptformen  des  Abhängigkeitsurtheils  zu  unterscheiden  sein: 
1.  Das  Urtheil  der  Raumbeziehung:  >Wo  die  Alpenflora  beginnt,  da 
gedeihen  keine  Waldbäume  mehre.  —  2.  Das  Urtheil  der  Zeitbeziehung: 
»Sobald  der  Frühling  anfängt,  kommen  die  Schwalben  c.  —  8.  Das  Ur- 
theil der  Bedingung,  a)  Das  Begründungsurtheil :  »Wenn  Dreiecke 
gleiche  Hohe  und  gleiche  Grundlinie  haben,  so  haben  sie  gleichen 
Flächeninhalt«;  »weil  der  Weltraum  von  einem  materiellen  Medium 
erfüllt  ist,  so  kann  sich  das  Licht  fortpflanzen  zwischen  den  Gestirnen«. 
Das  erste  Beispiel  enthält  die  allgemeinere  Beziehung  des  logischen 
Grundes,  das  zweite  die  speciellere  der  Gausalität;  das  Causalitäts- 
urtheil  kann  aber,  insofern  wir  die  Sache  dem  Grunde  unterordnen, 
als  eine  speoielle  Form  des  Begründungsurtheils  angesehen  werden.  ~ 
b)  Das  Beschaffenheitsurtheil :  »wie  der  Herr,  so  der  Diener«.  —  c)  Das 
Zweckurtheil :  »wozu  wir  bestimmt  sind,  ist  unbekannt«.  —  d)  Das 
Urtheil  des  Hülfsmittels:  »er  weiss  nicht,  womit  er  sich  Anerkennung 
erwerben  soll«. 


§  69.  Die  Art  der  Beziehung  der  VorstellaDgsverbiBdaDg 
auf  die  Wirklichkeit  begründet  die  Eintheilnng  der 
Urtheile  naeh  der  Qualität  nnd  nach  der  Modalität. 
In  dem  Urtheil  muss,  seiner  Definition  gemäss,  zum  Bewusst- 
sein  kommen,  ob  die  Vorstellnngsverbindung  der  Wirklichkeit 
entspreche.  Auf  dem  Ausfall  der  Entscheidung  beruht  die 
Qualität,  auf  dem  Orade  und  der  Art  der  Oewissheit  derselben 
diß  Modalität  des  Urtheils.  Der  Qualität  nach  ist  das 
Urtheil  bejahend  o.der  verneinend.  Der  Begriff  der  B  ej  ahu  n  g 
ist  da&  Bewusstsein  der  Uebereinstimmung  der  Vorstellungs- 
oombination  mit  der  Wirklichkeit,  der  Begriff  der  Vernei- 
nung  das  Bewusstsein  der  Abweichung  der  Vorstellungs- 
combination  von  der  Wirklichkeit.  Der  Modalität  nach  ist 
das  Urtheil  problematisch  oder  assertorisch  oder  apodiktisch. 
Der  problematische  Charakter  liegt  in  der  Ungewissheit 
der  Entscheidung  tlber  die  Uebereinstimmung  der  Vorstellungs- 
combination  mit  der  Wirklichkeit,  der  assertorische 
Charakter  in  der  unmittelbaren  (auf  eigene  oder  fremde  Wahr- 
nehmung gegründeten)  Gewissheit,  der  apodiktische  Cha- 


208  §  69.  Die  Qualit'at  und  Modalitftt  der  ürtheile. 

rakter  in  der  vermittelten  (auf  Beweis^  aTtodei^igj  gegründeten) 
Gewissheit. 

(Den  sprachlichen  Ansdrack  der  Yemeinnng  bilden 
die  Verneinungspartikeln,  den  der  Modalität  die  Modi  des 
Verbs  und  die  entsprechenden  Partikeln,  z.  B.  vielleicht,  ge- 
wiss etc.,  welche  sämmtlich  zur  Copula,  nicht  zum  PiiUlicate, 
gehören.) 

Aristoteles  theilt  (de  inierpr.  c.  6 — 6)  das  einfache  Urtheil 
{anofpavats)  in  Bejahung  (xaratpaais)  und  Verneinung  (anotpaats) 
ein;  in  der  Bejahung  werde  ein  Zusammensein,  in  der  Verneinung  ein 
Auseinandersein  ausgesagt  {xaTatpaalg  iaxtv  an6(pavoCs  nvoi  xard  nvog^ 
anotpaaig  (ti  icnv  anoiftxvais  uvos  uno  rivos).  Sowohl  in  die  Bejahung, 
als  auch  in  die  Verneinung  kann  ein  negativer  Subjectsbegriff  {ovofta 
aoQunoy)  oder  auch  ein  negativer  Prädicatsbegriff  (^^f^a  aoQiaTov)  ein- 
gehen (de  interpr.  o.  10).  Die  Negation,  wodurch  nicht  ein  einzelner 
Begriff  im  Urtheil,  sondern  dieses  selbst  negativ  wird,  gehört  demnach 
der  Copula  zu.  So  stellten  auch  die  Scholastiker  den  Kanon  auf:  in 
propositione  negativa  negatio  afficere  debet  copulam.  Auch  Wolff 
unterscheidet  mit  Recht  nur  zwei  Classen:  das  affirmative  und  negative 
Urtheil,  und  lehrt,  dass  wenn  nicht  die  Copula,  sondern. das  Subject 
oder  das  Prädicat  mit  einer  Negation  behaftet  sei,  das  Urtheil  negativ 
zu  sein  scheine,  aber  nicht  sei.  Er  nennt  solche  Ürtheile  propositiones 
infinites  (ungenau  statt:  mit  notiones  infin.  behaftet)  und  so  redet  auch 
Reimarus  (Vemunftl.  §  151)  von  »propositiones  infiinitae  ex  parte 
subiecti  vel  praedicatic.  Kant  (Krit.  der  r.  Vem.  §  9 — 11;  Prolegom- 
§21;  Log.  §  22)  theilt  die  Ürtheile  nach  der  Qualität  in  affirmative, 
negative  und  limitative  oder  unendliche,  gemäss  den  drei  Kategorien 
der  Qualität:  Realität,  Negation  und  Limitation ;  unter  dem  limitativen 
oder  unendlichen  Urtheil  versteht  er  ein  solches,  in  welchem  die  Nega- 
tion nicht  mit  der  Copula,  sondern  mit  dem  Prädicate  verbunden  ist. 
(Die  Ürtheile  mit  negativem  Subjecte  lässt  Kant  unbeachtet.)  Ürtheile 
jener  Art  gehören  aber  vielmehr  theils  zu  den  affirmativen,  theils  zu 
den  negativen,  jenachdem  die  Verbindung  des  Subjects  mit  dem  nega- 
tiven Prftdicate  bejaht  oder  verneint  wird.  Zu  der  Dreitheilung  hat 
sich  Kant  durch  die  Vorliebe  für  die  schematische  Regelmassigkeit 
seiner  Kategorientafel  verleiten  lassen.  —  Die  £intheilung  der  Ürtheile 
aus  dem  Gesichtspunkte  der  Modalität  in  assertorische,  apodiktische 
und  problematische  hat  sich  aus  der  Aristotelischen  Eintheilung  her- 
vorgebildet (Anal.  pr.  I,  2.  26  a.  1):  naaa  nQoraaCs  iariv  tj  tov  vna^ 
XHv  7f  TOV  i^  avayxris  widg/eiv  rj  rov  Mix^a^ai.  vjid^x^ip.  Doch  geht 
diese  Aristotelische  Stelle  vielmehr  auf  die  analogen  objectiven  Ver- 
hältnisse, als  auf  den  subjectiven  Gewissheitsgrad.  Der  Zusatz  Swmov, 
M^xofiBvov^  i^  ävdyxrig,  jedoch  auch  eine  adverbiale  Bestimmung  wie 
ta^itog  in  dem  Satze  ^  ailrpfti  rax^tog  anoxtt&tataraif  heisst  bei  Ammo- 
nius  TQonos  (zu  n€Ql  igfi,  Cap.  12)   und  bei  Boethius  modus.    Kant 


§  69.  Die  Qualität  und  Modalii&t  der  ürtheile.  209 

(Kritik  der  r.  Yem.  §  9—11 ;  Prolegom.  g  21,  Log.  §  80)  grimdet  die 
Eintheilung  nach  der  Modalität  auf  die  modalen  Kategorien: 
Möglichkeit  und  Unmöglichkeit,  Dasein  und  Nichtsein,  Nothwendigkeit 
und  Zufälligkeit,  wobei  jedoch  die  Zusammenstellung  der  Unmöglich- 
keit, die  eine  neg^ative  J^othwendigkeit  ist,  mit  der  Möglichkeit,  und 
ebenso  der  Zufälligkeit,  die  das  nicht  als  nothwendig  erkannte  Dasein 
bezeichnet,  mit  der  Nothwendigkeit  eine  Ungenauigkeit  enthält:  die 
Erkenntniss  der  Unmöglichkeit  ist  nicht  ein  problematisches,  sondern 
ein  (negatiT-)  apodiktisches  Urtheil  (was  Kant  in  der  Anwendung  selbst 
anerkennt,  indem  er  z.  B.  Krit.  der  r.  Y.  S.  191  die  Formel:  es  ist 
unmöglich  etc.  als  Ausdruck  einer  apodiktischen  Gewissheit  be- 
trachtet), und  die  Erkenntniss  des  Zufälligen  ist  nicht  ein  apodik- 
tisches, sondern  ein  assertorisches  Urtheil.  Ausserdem  aber  hat  Kant 
das  subjectiye  und  objective  Element  in  den  Kategorien  der  Qualität 
und  Modalität  nicht  bestimmt  genug  unterschieden. 

Das  Yerhältniss  des  subjectiven  und  objectiven  Ele- 
mentes im  Urtheilsacte  ist  bei  der  Qualität  und  Modalität  ein  anderes, 
ab  bei  der  Relation.  Die  Kategorien  der  Kelation  sind  Begriffe  von 
Existenzformen  und  zwar  von  Yerhältnissen  zwischen  objectiven  Einzel- 
eadstenzen,  die  in  den  entsprechenden  Urtheilsverhältnissen  ihr  Abbild 
finden;  die  Qualität  und  Modalität  dagegen  gehen  auf  die  verschiedenen 
Yerhältnisse,  die  zwischen  der  Yorstellungscombination  und  der  Wirk- 
lichkeit statthaben  können,  aber  nicht  zu  Existenzverhältnissen  umge- 
deutet werden  dürfen.  Das  Nichtsein  existirt  nicht  als  eine  Form  dessen, 
was  ist.  Was  in  einem  negativen  Urtheil,  welches  wahr  ist,  gedacht 
wird,  gehört  der  objectiven  Bealität  nicht  an.  Es  findet  nur  insofern, 
als  das  subjective  Bild  dem  objectiven  Bestände  nicht  entspricht,  auf 
die  Sache  der  Begriff  des  Nichtsoseins  oder  Nichtdiesseins,  und  auf  das, 
was  als  seiend  vorgestellt  wird,  ohne  wirklich  zu  sein,  der  Begriff  des 
Nichtseins  Anwendung.  In  diesem  Sinne  sagt  Aristoteles  mit  Becht: 
av  yoQ  ioTi  t6  ipsv^os  xal  t6  äXrid'h  fv  rotg  ngay/naatv  aW  iv  r j[  ^lavoitf, 
—  i}  avfinloxri  iari  xal  17  6ia{Q€ais  iv  dtavoCq^  älV  ovx  (y  Toig  TtQciyfiaatv 
(Metaph.  Y,  4.  1027  a.  25  u.  30).  Ygl.  Trendelenburg,  Log.  Unters.  I, 
S.  31,  2.  u.  3.  A.  I,  S.  44:  >die  logische  Negation  wurzelt  dergestalt 
in  dem  Denken  allein,  dass  si6  sich  rein  und  ohne  Träger  nirgends  in 
der  Natur  finden  kannc;  U,  S.  91,  2.  A.  II,  S.  148,  3.  A.  S.  169:  »die 
reine  Yemeinung  findet  sich  nirgends  ausser  im  Denken,  c  Dagegen  ist 
es  nicht  ganz  zu  billigen,  wenn  Aristoteles  (Metaph.  YUI,  10.  1061  a. 
34)  doch  auch  wiederum  für  die  Negation  eine  Existenzform  als  Correlat 
sucht  und  meint,  es  entspreche  ihr  die  Trennung  in  den  Dingen.  Die 
Trennung  als  reales  Geschehen  (und  auch  das  Getrenntsein  als  realer 
Zustand)  ist  vielmehr  in  einem  positiven  Urtheil  auszusprechen,  und 
wo  ein  negatives  Urtheil  Gültigkeit  hat,  braucht  darum  keine  Tren- 
nung in  den  Dingen  stattzufinden.  (Die  Winkelsumme  eines  ebenen 
geradlinigen  Dreiecks  ist  nicht  grösser  und  ist  nicht  kleiner,  als  zwei 
rechte  Winkel,  die  Diagonale  des  Quadrats  ist  nicht  der  Seite  oommen- 
surabel;  aber  jene  trennt   sich  darum  doch  nicht  in  Wirklichkeit  von 

14 


210  §  69.    Die  Qualität  und  Modalität  der  ürtbeile. 

einer  Summe,  die  grösser  oder  kleiner  als  zwei  rechte  Winkel  wäre, 
diese  nicht  von  der  Commensurabilität.)  In  der  Wirklichkeit  giebt  es 
wohl  positive  Opposition  oder  Streit  zwischen  conträren  Gegensätzen, 
aber  nur  insofern  Negationen  und  Analoga  von  Negationen,  als  es  darin 
Vorstellungen  und  Analoga  von  Vorstellungen  giebt,  jenes  nämlich, 
sofern  psychische  Wesen,  die  selbst  vorstellen  und  denken,  den  Gegen- 
stand unserer  Vorstellungen  und  Urtheile  bilden,  Analoga  aber  von 
Vorstellungen  und  Negationen,  sofern  die  Tendenzen,  Bewegungen  und 
Triebe,  die  auch  den  unbeseelten  Wesen  innewohnen,  gleichsam  ein 
Bild  dessen,  was  werden  spll,.  in  sich  tragen,  und  dieses  Bild  in  Folge 
von  Gegenwirkungen  nicht  zur  Verwirklichung  gelangt  (z.  B.  bei  der 
gehemmten  Bewegung,  bei  der  geknickten  Blume).  In  solchen  Fällen 
kommt  das  Bild  mit  der  äusseren  Wirklichkeit  in  einen  objectiven 
Vergleich  und  wird  nicht  nur  von  uns  in  einen  Vergleich  mit  dersel- 
ben gestellt.  Das  verneinende  ürtheil  setzt  voraus,  wenn  die  Bildung 
desselben  nicht  ein  Spiel  der  Willkür  sein  soll,  dass  die  Frage,  auf 
welche  es  als  Antwort  betrachtet  werden  kann,  nicht  absurd  sei,  dass 
sich  also  irgend  ein  Motiv  zur  Bejahung  denken  lasse,  und  in  der  Kegel, 
dass  wenigstens  der  Gattungsbegriff,  unter  den  der  fragliche  Piudicats- 
begriff  fällt,  dem  Subjecte  als  Prädicat  zukomme ;  es  wird  da  am  natur- 
gemässesten  sein,  wo  unsere  Vorstellnngscombination  durch  eine  objec- 
tive  Tendenz  begründet  war»  die  in  Folge  realer  Hemmungen  nicht 
zur  Erfüllung  gelangt;  aber  es  ist  nicht  auf  diesen  Einen  Fall  be- 
schränkt. —  Das  Analoge  gilt  auch  von  der  Modalität.  Die  Moda- 
lität, auf  welcher  der  unterschied  des  problematischen,  assertorischen 
und  apodiktischen  Urtheils  beruht,  existirt  nur  in  der  Beziehung  un- 
serer Vorstellungscombinationen  zu  dem  Sein.  Entweder  beruht  unsere 
Entscheidung  für  die  Bejahung  oder  Verneinung  auf  der  Wahrnehmung 
und  dem  die  eigene  Wahrnehmung  ersetzenden  zuverlässigen  Zeugniss, 
oder  auf  einer  Ableitung  aus  anderen  Urtheilen ;  in  dem  ersteren  Falle 
urtheilen  wir  assertorisch;  in  dem  letzteren  aber  kennen  wir  ent- 
weder die  Gesammtheit  der  Momente,  auf  welche  die  Entscheidung  sich 
gründen  muss,  was  uns  zu  einem  apodiktischen  Urtheil  in  den  Stand 
setzt,  oder  nur  einen  Theil  derselben,  wo  wir  dann  nur  ein  proble- 
matisches ürtheil  gewinnen  können.  Es  lässt  sich  allerdings  die 
»Möglichkeit«  als  etwas  Objectives  von  der  subjectiven  Üngewissheit 
sehr  bestimmt  unterscheiden  und  sie  wird  davon  auch  schon  durch  den 
Sprachgebrauch  unterschieden  (worauf  auch  Trendelenburg,  Log. 
Unters.  II,  S.  187,  8.  A.  S.  199  aufmerksam  macht).  So  bezeichnet  z.  B. 
die  griechische  Sprache  durch  ^vvaa&ai  (fähig  sein)  das  Können,  Ver- 
mögen, die  Möglichkeit  im  objectiven  Sinne,  durch  tatoi  (vielleicht) 
oder  den  Optativ  mit  av  die  (subjective)  üngewissheit  oder  den  proble- 
matischen Charakter  des  urtheils,  während  M^x^a^'ku  die  (objective) 
Möglichkeit  von  Seiten  der  äusseren  Bedingungen  und  von  ihrer  nega- 
tiven Seite  bezeichnet:  es  geht  an,  s.  v.  a.:  es  verträgt  sich  mit  den 
umständen,  es  führt  auf  nichts  unmögliches  und  ist  daher  auch  selbst 


§  69.   Die  Qualität  nnd  Modalität  der  ürtheile.  211 

nicht  nnmöglich,  oder  nichts  hindert,  dass  es  sei*).  Die  Möglichkeit 
im  objeciiven  Sinne  beruht  darauf,  dass  unter  den  Momenten,  von 
denen  die  Verwirklichung  abhängt,  nicht  bloss  (subjectiy)  durch  unser 
Wissen  um  die  einen  und  Nichtwissen  um  die  anderen,  sondern  auch 
(objectiv)  durch  die  Natur  der  Sache  eine  wesentliche  Scheidung  be- 
gründet ist.  Die  Gesammtheit  dieser  Umstände  mmlich  oder  die  Ge- 
sammtursache  zerlegt  sich  in  der  Regel  in  den  (inneren)  Grund  und 
die  (äusseren)  Bedingungen,  wie  z.  B.  die  Gtesammtursache  des  Wachs- 
thums  einer  Pflanze  in  die  organischen  Kräfte,  die  dem  Samen  inne- 
wohnen, als  den  (inneren)  Grund,  und  die  chemischen  und  physikalischen 
Kräfte  des  Bodens,  der  Luft  und  des  Liehtes,  als  die  (äusseren)  Bedin- 
gungen. Wo  nun  der  Grund  allein  vorhanden  ist  oder  die  Bedingungen 
allein,  da  besteht  die  Möglichkeit,  wo  beides  zusammen,  die  Nothwen- 
digkeit  im  objeotiven  Sinne.  In  der  £ichel  liegt  in  diesem  Sinne  die 
Möglichkeit  (oder  das  Vermögen)  der  Entstehung  eines  Eichbaums. 
Auch  die  historische  Entwickelung  beruht  auf  dem  Fortgange  von 
einer  objeotiven  Möglichkeit  oder  Potenz  zur  Wirklichkeit.  Es  ist  die 
Möglichkeit  im  objeotiven  Sinne,  von  der  z.  B.  Buhle  redet,  indem  er 
(Gesch.  der  neuem  Philosophie  seit  der  Epoche  der  Wiederherstellung 
der  Wiss.,  Bd.  n,  Gott.  1800,  S.  128)  die  Meinung  für  irrig  erklärt, 
dass  durch  die  Ueberkunft  gelehrter  Griechen  nach  Italien  und  durch 
ihre  litterärische  Thätigkeit,  besonders  durch  ihre  Lehrvorträge,  die 
Kenntniss  der  reinen  Platonischen  und  Aristotelischen  Philosophie  wie- 
der hergestellt  sei,  und  sagt:  »nur  die  Möglichkeit  derselben  stellten 
sie  wieder  her  dadurch,  dass  sie  die  Werke  des  Plato  und  Aristoteles 
mit  sich  brachten  oder  in  der  Originalsprache  verstehen  lehrten,  so 
dass  über  kurz  oder  lang  ein  uneingenommener  Kopf,  der  jene  studirte, 
den  Unterschied  bemerken  konnte,  was  für  eine  Philosophie  in  jenen 
eigentlich  gelehrt  werde  und  was  für  eine  man  daraus  gemacht  habec. 
Ebenso  ist  nicht  das  > Vielleicht  c  (die  subjective  Ungewissheit),  sondern 
die  Herstellung  der  Bedingungen,  also  eine  objective  Möglichkeit  ge- 
meint, wenn  gesagt  wird,  die  Erfindung  der  Röhren-Dampfkessel  habe 
die  volle  Anwendung  der  Dampfmaschinen  für  Eisenbahnen  möglich 


*)  Waitz  sagt  (ad  Arist.  Org.  I,  p.  876),  t6  ^wccjov  sei  das  phy- 
sisch Mögliche,  t6  Mexo^ievov  das  logisch  Mögliche,  Problematische. 
Diese  Bestimmung  ist  hinsichtlich  des  övvarov  richtig,  hinsichtlich  des 
MtX^f*^'^^^  &^^^  ungenau.  Dass  sie  mit  dem  wirklichen  Gebrauche, 
zunächst  des  Aristoteles,  nicht  ganz  harmonire,  gesteht  Waitz  selbst 
zu,  wenn  er  meint,  dass  Aristoteles  »saepius  alterum  cum  altero  oon- 
fnndit«.  Unsere  obige  Bestimmung  möchte  zutreffender  sein.  Vgl.  Arist. 
Anal.  pri.  I,  13.  82  a.  —  Das  dvvaad^at  bezeichnet  das  Vorhandensein  des 
inneren  Grundes,  das  Mix^ad^ai^  das  Vorhandensein  der  äusseren  Be- 
dingungen und  das  Nichtvorhandensein  von  Hindernissen.  So  wird  ins- 
besondere bei  der  charakteristischen  Zusammenstellung  beider  Ausdrücke 
Metapk.  XIH,  2.  1088  b.  19:  ro  6k  dvvarbv  Mfyerai  xctl  iviQysTv  nal 
fjjl,  nicht  eine  subjective  Ungewissheit,  sondern  das  Vorhandensein  oder 
Fehlen  der  Bedingungen  der  Thätigkeit,  zu  welcher  die  Anlage  {ßvvafiig) 
vorhanden  ist,  durch  ivd^x^a&ai  bezeichnet. 


212  §  69.    Die  Qualität  und  Modalität  der  ürtheile. 

gemacht^  oder  wenn  wir  zu  einem  Knaben  sagen:  ich  weiss,  dass  es 
dir  möglich  ist,  diese  Aufgabe  zu  lösen,  du  kannst  sie  lösen,  du  hast 
dazu  die  Fähigkeit.  In  der  Annahme,  dass  die  »Möglichkeitc  etwas 
objeotiv  Reales  sei,  liegt  nicht  ein  Widerspruch,  als  ob  das  Nämliche 
für  bloss  möglich  und  doch  auch  für  wirklich  erklärt  würde;  sondern 
das  Ereigniss  ist  bloss  möglich,  die  Möglichkeit  desselben  aber  ist 
wirklich,  und  zwar  nicht  in  unserm  Denken,  sondern  in  dem  Objeot 
unseres  Denkens  als  ein  realer  Complex  von  causalen  Momenten,  der 
von  den  übrigen,  deren  Hinzutreten  das  Ereigniss  nothwendig  macht, 
objectiy  gesondert  ist.  Diese  Möglichkeit  wird  aber  als  solche  nicht 
in  einem  problematischen,  sondern  am  gewöhnlichsten  in  einem  asser- 
torischen Urtheil  vermittelst  der  Verba:  können,  fähig  sein  etc.  aus- 
gesprochen, so  wie  die  Nothwendigkeit  in  einem  assertorischen  Urtheil 
vermittelst  der  Verba:  müssen,  nothwendig  sein  etc.  (welche  dann  zum 
Prädicat,  daher  zum  Inhalt  des  ürtheils,  und  nicht,  wie  das  >  vielleicht  c 
etc.  zur  Copula  und  demgemäss  zur  Urtheilsform  gehören) ;  erst  durch 
eine  hinzutretende  Verflechtung  mit  der  subjectiven  Ungewissheit  und 
Gewissheit  entsteht  das  problematische  Urtheil:  vielleicht  kann  es  — 
vielleicht  muss  es  sein,  und  das  apodiktische  Urtheil:  es  ist  erwiesen, 
dass  es  sein  kann  —  sein  muss.  Wie  das  verneinende  Urtheil  da  am 
naturgemässesten  ist,  wo  es  sich  auf  eine  objective  Negation  in  dem 
oben  angegebenen  Sinne  gründet,  aber  doch  keineswegs  an  dieses  Ver- 
hältniss  allein  gebunden  ist :  so  ist  auch  das  problematische  Urtheil  da 
am  naturgemässesten,  wo  sich  die  subjective  Ungewissheit  über  irgend 
ein  Ereigniss,  eine  Eigenschaft  etc.  auf  eine  erkannte  objective  Möglich- 
keit gründet,  d.  h.  wo  die  subjective  Scheidung  des  uns  bekannten  und 
des  uns  unbekannten  (oder  auch  des  von  uns  in's  Auge  gefassten  und 
des,  zunächst  wenigstens,  noch  nicht  mit  in  Betracht  gezogenen)  Theiles 
der  Gesammtursache  mit  der  objectiven  Scheidung  des  Grundes  und  der 
Bedingungen  gerade  zusammentrifft  (überall,  wo  wir  assertorisch  wissen, 
dass  das  Ereigniss  eintreten  kann  oder  objective  Möglichkeit  hat,  dürfen 
wir  über  das  Ereigniss  selbst  das  problematische  Urtheil  aussprechen, 
dass  es  vielleicht  eintreten  werde);  aber  die  Anwendung  des  proble- 
matischen Urtheils  überhaupt  ist  keineswegs  auf  dieses  Eine  Verhältniss 
beschränkt,  sondern  tritt  überall  da  ein,  wo  wir  irgend  einen  Grund 
der  Wahrscheinlichkeit  haben  und  kein  absolutes  Hindemiss,  d.  h.  keine 
Ursache  der  Unmöglichkeit  kennen.  Ebenso  ist  das  apodiktische  Urtheil 
da  am  vollkommensten  und  gewährt  dem  nach  Erkenntniss  strebenden 
Geiste  die  höchste  Befriedigung,  wo  es  auf  der  Einsicht  in  die  reale 
Genesis  aus  dem  inneren  Grunde  und  den  äusseren  Bedingungen  beruht 
(überall,  wo  wir  das  Vorhandensein  dieser  objectiven  Nothwendigkeit 
eines  Ereignisses  kennen,  dürfen  wir  auch  die  subjective  Gewissheit,  dass 
dasselbe  eintreten  werde,  in  einem  apodiktischen  Urtheil  aussprechen); 
aber  die  Anwendung  des  apodiktischen  Urtheils  überhaupt  geht  doch 
auch  wiederum  über  dieses  Eine  Verhältniss  hinaus  und  umfasst  alle 
vermittelte  subjective  Gewissheit,  auch  wenn  dieselbe  auf  anderem  Wege 
(z.  B.  durch  einen  indirecten  Beweis)  gewonnen  worden  ist. 


§  69.    Die  Qaalität  und  Modalität  der  ürtheile.  213 

An  dieser  Ansicht  des  Yerf.  dieses  Buches  hat  neuerdings  Lange 
in  8.  logischen  Stadien.  1877.  Cap.  IL  Die  Modalität  der  ürtheile,  eine 
Berichtigung  yomehmen  zu  müssen  gemeint.  Schon  Lorenzo  Yalla 
und  Ludw.  Yives  —  bemerkt  derselbe  —  hätten  die  aristotel.  scholas- 
tische Lehre  von  der  Modalität  der  Ürtheile  gänzlich  verworfen,  indem 
sie  behaupteten,  dass  die  Ausdrücke  der  Möglichkeit  oder  Nothwendig- 
kdt  eines  Seins  oder  Geschehens  kein  anderes  logisches  Yerhältniss  be- 
gründen, als  beliebige  andere  Ausdrücke,  von  denen  man  das  Sein  ab- 
hängig mache,  oder  durch  die  man  es  näher  bestimmen  könne.  Beide 
Männer  hätten  darin  gefehlt,  dass  sie  den  Zusammenhang  dieser  Lehre 
mit  der  aristotelischen  Metaphysik  nicht  beachteten;  denn  nur  diese 
habe  den  Schlüssel  dazu,  warum  gerade  Möglichkeit,  Stattfinden  und 
nothwendig  Stattfinden  bei  Aristoteles  eine  solche  Rolle  spielen. 
Dem  Aristoteles  habe  die  Möglichkeit  nur  Sinn  als  die  unvollkommene 
Yorstufe  des  Wirklichen.  Sie  sei  für  sich  betrachtet  nichts;  nur  in 
ihrer  Beziehung  zum  vollendeten  Dinge  habe  sie  überhaupt  eine  Be- 
deutung. Es  gebe  da  keine  Summe  von  Naturkräften,  von  welchen 
ein  Theil  vorhanden  sei,  ein  anderer  Theil  fehle.  Was  der  Möglichkeit 
fehle,  sei  nichts  als  reine  Unbestimmtheit  und  Unfertigkeit.  Der  in 
den  Dingen  sich  verwirklichende  Begriff  habe  die  Materie  noch  nicht 
durchdrungen;  daher  die  blosse  Möglichkeit.  Ganz  anders  unsere  mo- 
derne Anschauung  1  Es  sei  uns  auch  ganz  geläufig,  eine  neue  Erschei- 
nung auf  eine  Summe  von  Bedingungen  zurückzuführen,  deren  voll- 
ständiges Zusammentreffen  das  Ergebniss  mit  Nothwendigkeit  herbei- 
führe, während  das  theilweise  Yorhandensein  nur  eine  gewisse  Wahr- 
scheinlichkeit des  Ereignisses  mit  sich  bringe.  Diese  ganze  Betrach- 
tungsweise stütze  sich  aber,  bewusst  oder  unbewusst,  schon  auf  die 
moderne  naturwissenschaftliche  Weltanschauung,  welche  jedes  Ereig- 
niss  aus  dem  Zusammenwirken  unabänderlicher  und  unabhängig  für 
sich  bestehender  Naturkräfte  hervorgehen  lasse,  uns  d.  h.  Denjenigen, 
welche  an  der  unbedingten  Herrschaft  der  Causalität  und  der  Noth- 
wendigkeit alles  Geschehens  festhielten,  liege  daher  ob,  die  Begriffe 
Möglichkeit  und  Nothwendigkeit  so  zu  analysiren,  dass  sie  vollständig 
auf  Functionen  assertorischer  ürtheile  zurückgeführt  würden. 
Das  assertorische  ürtheil  aber  könne  nicht  aufgefasst  werden  als  Aus- 
druck einer  beliebigen,  grundlosen  Behauptung,  da  die  Logik  mit 
solchen  Behauptungen  nichts  zu  schaffen  habe.  Es  sei  der  natürliche 
Ausdruck  des  Wirklichen,  der  Thatsache,  und  es  habe  daher  seine  vor- 
züglichste und  eigentliche  Bedeutung  als  Ausdruck  der  unmittelbaren 
Wahrnehmung;  demnächst  als  Ausdruck  der  als  sicher  angenommenen 
UeberHeferung  oder  der  inductiven  Zusammenfassung  mehrerer  £r- 
iahrungen  in  einem  allgemeinen  Satze.  —  Auf  alle  Fälle  sei  der  asser- 
torische Ausdruck  der  Ausdruck  der  grössten  Gewissheit,  welche  wir 
haben;  denn  auf  der  unbedingten  Gültigkeit  der  einzelnen  sinnlichen 
Wahrnehmung  —  sofern  nur  die  Wahrnehmung  nicht  mit  ihrer  Deu- 
tung verwechselt  werde  —  beruhe  ja  schliesslich  der  ganze  Bau  der 
Erkenntniss.     Wenn   aber   dies  feststehe,   so   könne  man   auch  nicht 


214  §  69.    Die  Qualität  and  Modalitat  der  ürtheile. 

länger   die   scholastische  Lehre  von  der  höheren   Gewissheit  des  apo- 
diktischen Urtheils  aufrecht  erhalten. 

In  einer  beachtenswerthen  (obsohon  in  dem  Neuen  oft  irrenden 
und  manches  Eichtige  irrigerweise  für  neu  haltenden)  Monographie  von 
Gust.  Knauer  (Conträr  und  Gontradictorisch»  nebst  convergirenden 
Lehrstücken,  festgestellt  und  Kant's  Eategorientafel  berichtigt,  Halle 
1868)  wird  die  Affirmation  und  Negation  auf  die  Modalität  bezogen, 
mit  der  sie  in  der  That  unter  den  nämlichen  Gesichtspunkt  fällt,  indem 
es  sich  dabei  nicht,  wie  bei  der  Belation,  um  verschiedene  sich  im 
Urtheil  wiederspiegelnde  objective  Verhältnisse,  sondern  um  verschie- 
dene Verhältnisse  des  Subjectivön  zum  Objectiven  handelt.  Hiemach 
nennt  Knauer  die  Verneinung  im  negativen  Urtheil  »modale  Negationc 
und  unterscheidet  von  ihr  die  »qualitative  Negative c,  welche  auf  dem 
Gegensatze  —  nicht  der  Realität  und  Negation,  sondern  des  Positiven 
und  des  demselben  conträr  entgegengesetzten  Negativen  beruhe  (wie 
lasterhaft  zu  tugendhaft,  schwarz  zu  weiss  den  conträren  Gegensatz 
oder  die  »qualitative  Negative c  ausmacht).  Diese  Unterscheidung  kommt 
mit  der  Trendelenburg'schen  zwischen  »logischer  Negation«  und  »realer 
Opposition«  überein.  In  entsprechender  Weise  will  Knauer  unter  dem 
»limitirten  Urtheil«  ein  solches  verstehen,  in  welchem  das  Prädioat 
mit  einer  einschränkenden  Bestimmung  behaftet  sei,  die  entweder  durch 
einen  anschaulichen  Beisatz  (wie  in:  hellroth,  dunkelroth,  halbrichtig) 
oder  auch  durch  ein  blosses  nicht,  welches  aber  als  »qualitativer« 
Zusatz  zum  Prädioat  von  dem  der  Gopula  beigefügten  »modalisohen 
nicht«  wohl  zu  unterscheiden  sei,  ausgedrückt  werden  könne.  Knaner 
hat  hiebei  aber  übersehen,  dass  es  sich  bei  der  logischen  Eintheilung 
der  Ürtheile  um  Unterschiede  huidelt,  welche  die  Form  des  Urtheils 
als  solche  betreffen  und  nicht  die  Form  irgend  welcher  von  den  in 
das  Urtheil  eingehenden  Begriffen  (vgL  oben  §  53).  Ob  das  Prädioat 
eines  Urtheils  Mensch  oder  Unmensch,  Thier  oder  Unthier,  ob  es  roth 
oder  hellroth  etc.  lautet,  das  macht  nur  für  die  Form  der  betreffenden 
Begriffe  und  für  den  Inhalt  des  Urtheils,  aber  nicht  für  die  Form  des 
Urtheils  einen  Unterschied.  Demgemäss  widerstreitet  die  von  Knauer 
versuchte  Rectification  der  Kantischen  Kategorientafel,  die  Ersetzung 
von  Realität  und  Negation  durch  das  Positive  und  Negative,  dem  obersten 
Gesichtspunkte  derselben,  wonach  die  Kategorien  die  verschiedenen  Ur- 
theilsfunctionen  bedingen  sollen.  Allerdings  können  Realität  und  Ne- 
gation nicht  gleich  der  Substantialität  und  den  übrigen  Kategorien  der 
Relation  als  Formen  der  Wirklichkeit  gelten,  sondern  bezeichnen  nur 
ein  Verhältniss  zwischen  unserm  Denken  und  der  Wirklichkeit  aber 
dies  rechtfertigt  nur  den  Tadel  der  Kantischen  Kategorienlehre, 
nicht  den  Knauer'sohen  Verbesserungsvorsdüag.  Richtig  ist  dagegen 
der  Satz  Knauer's  (in  weldiem  er  »den  Meister  von  Stagira  als  seinen 
Bundesgenossen«  anerkennt,  der  aber  auch  nicht  einmal  in  dem  Sinne 
eine  »neue  Lehre«  ist,  dass  er  nach  Aristoteles  verloren  gegangen  und 
erst  von  Knauer  wieder  an's  Licht  gezogen  wäre),  dass  nur  zwischen 
Affirmation  und  Negation  des  Nämlichen  und  nicht  zwischen  Urtbeilen 


§  70.  Die  Quantität.  215 

mit  oonträr  einander  entgegengesetzten  Prädicaten  nothwendig  Wider- 
spruch bestehe,  s.  unten  §§  77 — 80. 

§  70.  Nach  der  Quantität,  d.  h.  nach  der  Ausdehnung, 
in  welcher  dem  Umfange  des  Sabjectsbegriffs  das  Prädicat 
zuerkannt  oder  abgesprochen  wird,  pflegt  man  die  Urtheile 
in  allgemeine,  besondere  und  Einzelurtheile  (univer- 
sale, particulare  und  singulare  Urtheile)  einzutheilen. 
Doch  lassen  sich  die  Urtheile  der  letzten  Glasse  unter  die 
beiden  anderen  Glassen  subsumiren,  und  zwar  unter  die 
erste,  wenn  das  Subject  ein  bestimmtes  und  individuell  be- 
zeichnetes, unter  die  zweite,  wenn  das  Subject  ein  unbestimm- 
tes und  nur  durch  einen  allgemeinen  Begriff  bezeichnetes  ist, 
weil  nämlich  im  ersten  Falle  das  Prädicat  der  ganzen  Sphäre 
des  Subjectsbegriffs  (die  sich  hier  auf  ein  Individuum  redu- 
cirt),  im  anderen  Falle  aber  nur  einem  unbestimmten  Theile 
der  Sphäre  des  Subjectsbegriffs  zu-  oder  abgesprochen  wird. 

Aristoteles  unterscheidet  das  allgemeine,  particulare  und  un- 
bestimmte Urtheil:  TrQoraaig  —  ij  tm&oIov  i)  iv  fjiiQHfj  a^io^atog  {Anal. 
pri.  I,  1.  24  a.  17).  Das  der  Quantität  nach  unbestimmte  Urtheil, 
welches  von  Aristoteles  dem  allgemeinen  und  particularen  beigeordnet 
wird,  ist  jedoch  nicht  eigentlich  eine  dritte  Art,  sondern  ein  unvoll- 
endetes oder  auch  nur  sprachlich  unvollkommen  ausgedrücktes  Urtheil.  — 
Kant  erkennt  drei  Classen  an:  singulare,  particulare  oder  plurative, 
und  universale  Urtheile,  und  führt  dieselben  auf  die  drei  Kategorien 
der  Quantität:  Einheit,  Vielheit  und  Allheit  zurück.  (Doch  betreffen 
diese  »Kategorien«  nur  die  Existenz  der  Dinge  in  Glassen,  welche 
auf  wesentlicher  Gleichartigkeit  der  zu  ihnen  gehörenden  Individuen 
beruhen,  also  ein  Verhältniss,  das  bereits  bei  der  Begriffsbildung  in 
Betracht  kommt  und  nicht  erst  als  Grundlage  der  Urtheilsbildung.  her- 
vortritt. Quantitätsunterschiede  bestehen  nur  bei  der  Zusammfassung 
mehrerer  Urtheile  zu  einem,  welche  durch  die  Subsumtion  ihrer  Sub- 
jecte  unter  den  nämlichen  Begriff  möglich  wird.)  Kant  lehrt,  die  sin- 
golaren  Urtheile  seien  der  logischen  Form  nach  im  Gebrauche  den 
allgemeinen  gleich  zu  schätzen  (Kritik  der  r.  Vem.  §  9—11;  Prolego- 
mena,  §  20;  Logik,  §  21).  Herbart  sagt  genauer,  nur  bei  einem  be- 
stimmten Subjecte  seien  die  Einzelurtheile  den  allgemeinen  gleich  zu 
achten;  wenn  aber  vermittelst  des  unbestimmten  Artikels  die  Bedeu- 
tung eines  allgemeinen  Ausdrucks  auf  irgend  ein  nicht  näher  bezeich- 
netes Individuum  beschränkt  werde,  so  seien  derartige  Urtheile  viel- 
mehr zu  den  particularen  zu  rechnen  (Lehrbuch  zur  Einl.  in  die  Phil. 
§  62).  Diese  Weise  der  Reduction  bewährt  sich  auch  als  die  richtige 
theils  an  sich  selbst,  weil  es  für  die  Urtheilsform  als  solche  nicht 
auf  die  Einzahl  und  Mehrzahl  und  überhaupt  nicht  auf  die  absolute 
Zahl  der  Individuen  ankommt,  sondern  auf  das  Verhältniss  dieser  Zahl 


216    §  71.  Gombination  der  Eintheilungen  nach  Qualität  und  Quantität. 

zu  der  Zahl  der  unter  den  Subjectsbegriff  fallenden  Individuen  über- 
haupt, theils  in  der  Anwendung  auf  die  Formen  des  Sohlusses  (vgl.  u. 
§  107).  —  Das  Subject  des  particularen  ürtheils  ist  irgend  ein  Theil 
der  Sphäre  des  Subjectsbegrififs,  also  mindestens  irgend  ein  ein- 
zelnes der  unter  diesen  Begri£f  fallenden  Individuen;  die  Grenze  nach 
oben  hin  kann  sich  bis  zur  Congruenz  mit  der  Gesammtheit 
erweitem,  so  dass  das  particulare  Urtheil  die  Möglichkeit 
des  universalen  nicht  ausschliesst,  sondern  mitnmfasst. 

Die  Regel,  dass  das  in  Hinsicht  der  Quantität  unbezeichnete 
ürtheil,  wenn  es  bejahe,  allgemein  sei,  wenn  es  verneine,  partioular, 
ist  mehr  grammatisch,  als  logisch,  und  g^ilt  nicht  unbedingt. 

Sigwart  Logik  Bd.  1.  Th.  1.  Abschn.  5.  §  26.  S.  167  vereinigt 
als  plurale  ürtheile  alle  solche,  welche  in  einem  Satze  von  einer 
Mehrzahl  von  Subjecten  ein  Prädicat  aussagen  und  unterscheidet  dann 
unter  diesen  copulative  Ürtheile  (»wenn  einfache  ürtheile  dasselbe 
Prädicat  an  einer  Reihe  von  Subjecten  wiederholen,  und  der  ürtheilende 
dem  Bewusstsein  dieser  Uebereinstimmung  dadurch  Ausdruck  giebt, 
dass  er  sprachlich  die  Prädicirung  in  einem  Act  in  Beziehung  auf  eine 
Mehrheit  vollzieht,  entstehen  zunächst  die  ürtheile  von  der  Form  A 
und  B  und  G  sind  Sc)  von  dem  pluralen  ürtheil  im  engeren  Sinne, 
das  dann  entsteht,  wenn  A  und  B  und  G  unter  dieselbe  Benennung 
N  fallen,  welche  sie  als  mehrere  N  zu  zählen  erlaubt  oder  auffordert, 
und  nach  §  28.  S.  177  soll  >das  sogen,  particulare  Urtheil,  als  dessen 
allgem.  Formel  Einige  A  sind  B  angegeben  wird,  als  empirisches  ür- 
theil über  einzelne  Dinge  nur  dann  von  dem  rein  pluralen  verschieden 
sein,  wenn  es  dazu  bestimmt  ist,  entweder  dem  allgemeinen  g^enüber 
eine  Ausnahme  zu  oonstatiren  oder  ein  allgemeines  ürtheil  vorau- 
bereiten.«  unter  den  pluralen  ürtheilen  werden  weiter  positive  und 
verneinende  unterschieden  und  wird  dabei  die  gegen  plurale  ürtheile 
gerichtete  Verneinung  zur  Sprache  gebracht.  —  Auch  Wundt's  Logik 
Abschn.  3.  Gap.  2.  1.  c.  S.  157  unterscheidet  als  zwei  Fälle  des  Mehrheits- 
ürtheils  das  ürtheil  mit  mehreren  Subjecten  und  das  ürtheil  mit 
einem  Mehrheitssubjeot.  »Die  Mehrheitsurtheile  unterscheiden  sich 
von  den  Einzelurtheilen  dadurch,  dass  sie  zum  Subject  entweder  eine 
Mehrheit  einzelner  Begriffe  oder  den  Begriff  einer  Mehrheit  einzelner 
(Gegenstände  des  Denkens  haben,  c 

§  71.  Durch  Gombination  derEintheilnngen  der 
Ürtheile  nach  der  Qualität  und  Quantität  werden  vier 
Arten  von  Ürtheilen  gefunden: 

1.  allgemein  bejahende  von  der  Form:   alle  S  sind  P; 

2.  allgemein  verneinende  von  der  Form:  kein  S  ist  P; 

3.  particular  bejahende  von  der  Form:  ein  oder  einige 
:S  sind  P; 

4.  particular  verneinende  von  der  Form :  ein  oder  einige 
S  sind  nicht  P; 


§  71.  Gombination  der  Eintheilungen  nach  Qualität  and  Quantität.    217 


Die  Logiker  pfl^en  dieselben  der  Reibe  nach  durch  die 
Buchstaben  a,  e,  i,  o  zu  bezeichnen  (wobei  a  und  i  aus  af- 
firmOy  e  und  o  aus  nego  entnommen  sind).  Von  den  einzel- 
nen Terminis  ist,  wie  sich  aus  der  Sphärenvergleichung  er- 
giebt,  das  Subject  in  jedem  universalen  Urtheil  allgemein, 
in  jedem  particularen  particnlar  gesetzt,  das  Prädicat  aber 
in  jedem  bejahenden  Urtheil  particular  oder  doch  nur  zufälli- 
gerweise allgemein,  da  nach  der  Form  des  Urtheils  sowohl 
bei  a  als  bei  i  seine  Sphäre  auch  theilweise  ausserhalb  der 
des  Subjectes  liegen  kann,  in  jedem  Temeinenden  dagegen 
universal,  weil  sowohl  bei  e  die  Gesammtheit  der  S,  als  auch 
bei  0  der  betreffende  Theil  der  S  immer  von  allen  P,  also 
von  der  ganzen  Sphäre  des  Prädicates  getrennt  gedacht  wer- 
den muss. 

Die  ürtheile  von  der  Form  a  (S  a  P:  alle  S  sind  P)  lassen  sich 
schematisch  dnrch  Gombination  folgender  zwei  Figuren  darstellen: 


a,  1. 


a,  2. 


Für  ürtheile  von   der   Form  e  (S  e  P:   kein  S  ist  P)   ist   das 
Schema  folgendes: 


e. 


Die  Ürtheile  von  der  Form  1  (S  i  P:  mindestens  ein  Theil  von 
S  ist  P)  fordern  die  Gombination  folgender  vier  Figuren  (wovon  1 
und  2  der  Form  i  eigenthümlich  sind,  8  und  4  aber  das  Schema  der 
Form  a  wiederholen): 


'■  00 " 


i,  8. 


i,  4. 


218    §  71.  Gombination  der  Eintheilnsgen  nach  Qaalit&t  and  Quantität. 


Für  Urtheile  yon  der  Form  o  (S  o  F:  mindestens  ein  Theil  von 
S  ist  nicht  P)  liegt  das  Schema  in  der  Gombination  folgender  drei 
Figuren  (wovon  1  u.  2  in  dieser  Bedeutung  der  Form  0  eigenthüm- 
lich  sind,  3  aber  das  Schema  der  Form  e  wiederholt): 


•>  1.  f     ^     f   j    ^  )       *'  ^" 


0,  s. 


Wird  das  Bestimmte  durch  ausgezogene,  das  Unbestimmte  durch 
punktirte  Linien  bezeichnet,  so  lässt  sich  das  Symbol  für  Urtheile  von 
der  Form  a  auf  die  Eine  Figur  bringen: 


Das  Symbol  für  Urtheile  von  der  Form  i  ist  unter  derselben 
Voraussetzung: 


N 

\ 

p  \ 


und  für  Urtheile  von  der  Form  0: 


Der  Gebrauch  dieser  Schemata  ist  keineswegs  an  diejenige  Auf- 
fassung des  Urtheils  gebunden,  welche  in  demselben  nur  die  Subsum- 
tion eines  niederen  Subjectsbegrifils  oder  einer  Snbjeotsvorstellung  unter 
einen  höheren  Prädicatsbegriff  findet,  und  welche  daher  eine  Substan- 
tivirung  des  Pradicatsbegriffs  auch  in  den  Fällen  fordert,  wo  eine 
solche  sachlich  unangemessen  ist.  Wenn  der  Prädioatsbegrifif  der  eigent- 
liche Gattungsbegriff  des  Subjectes  ist,  so  ist  es  naturgemäss,  ihn 


§  72.  Gontradictoriach  und  oonträr  entgegengesetzte  Urtheile.      219 

gleich  diesem  snbstantivisoh  zu  denken,  aber  nicht,  wenn  er  eine  Eigen- 
schaft oder  Thätigkeit  bezeichnet,  und  dieser  letztere  Fall  braucht 
keineswegs  um  der  Sphärenvergleichung  willen  auf  den  ersteren  redu- 
cirt  zu  werden.  Es  ist  nicht  nothwendig  (wenn  gleich  in  vielen  Fällen 
am  bequemsten),  den  Kreis  P  so  zu  deuten,  dass  er  die  Gegenstände 
umfasse,  die  unter  den  substantivirten  Prädicatsbegriff  fallen.  Unter 
der  Sphäre  P  kann  recht  wohl  auch  die  Sphäre  einer  adjectivischen 
oder  verbalen  Vorstellung  verstanden  werden,  d.  h.  die  Gesammtheit 
der  Fälle,  in  welchen  die  entsprechende  Eigenschaft  oder  Thätigkeit 
vorkommt,  während  doch  zugleich  das  S  die  Sphäre  einer  substanti- 
vischen Vorstellung  bezeichnet,  d.  h.  die  Gesammtheit  der  Gegenstände, 
denen  eine  derartige  Eigenschaft  oder  Thätigkeit  zukommt;  nur  wird 
unter  dieser  Voraussetzung  das  Zusammenfallen  der  Kreise  oder  Kreis- 
theile  nicht  als  Symbol  für  die  Identität  von  Objecten,  sondern  als 
Symbol  für  das  Zusammensein  des  Subsistirenden  und  des  Inhäri- 
renden  aufgefasst  werden  müssen.    Vgl.  unten  §  105. 

In  A,  1  sind  alle  S  nur  ein  Theil  der  P,  in  a,  2  aber  sind  alle 
S  auch  alle  P;  in  i,  1  sind  einige  S  einige  P  etc.  In  der  Beachtung 
dieser  Verhältbisse  liegt  eine  »Quantificirung  des  Prädicates«, 
welche  auf  Grund  von  Aeusserungen  des  Arist.  de  interpret.  7  und 
nach  partiellem  Vorgange  theils  der  Logique  ou  l'art  de  penser, 
Par.  1664,  theils  Beneke's  (s.  unten  zu  §  120)  von.  Hamilton  (lec- 
tures  on  logic  vol.  II,  249  ff.)  durchgeführt  worden  ist.  Vgl.  über 
dieselbe  Trendelenburg,  Log.  ünt.,  2.  A.,  ü,  S.  304—807,  3.  A., 
n,  S.  877—341. 

Ueber  den  Gebrauch  dieser  Schemata  als  Hülfsmittel  der  Beweis- 
führung für  die  logischen  Lehrsätze,  welche  die  Schlüsse  betreffen,  s. 
unten  zu  §  85  und  §  105  ff.;  vgl.  oben  §  53. 

§  72.  Zwei  Urtheile,  von  denen  das  eine  genau  das 
Nämliche  bejaht,  was  das  andere  verneint,  widersprechen 
einander  oder  sind  einander  contradictorirch  entgegen- 
gesetzt (iudicia  repngnantia  sive  contradictorie  opposita). 
Der  Widerspruch  (contradictio)  ist  die  Bejahung  und  Ver- 
neinung des  Nämlichen.  Gonträr  oder  diametral  ein- 
ander entgegengesetzt  (contrario  opposita)  sind  diejeni- 
gen Urtheile,  welche  in  Bezug  auf  Bejahung  und  Verneinung 
von  einander  am  meisten  verschieden  sind  und  gleichsam  am 
weitesten  abstehen.  Subconträr  pflegen  Urtheile  genannt 
za  werden,  von  denen  das  eine  particular  bejaht,  das  andere, 
im  Uebrigen  mit  jenem  übereinstimmende,  particular  verneint. 
Subaltern  (iudicia  subaltema)  heissen  solche  Urtheile,  von 
denen  das  eine  ein  Prädicat  auf  die  ganze  Sphäre  des  Sub- 
jectsbegriffs  bejahend  oder  verneinend  bezieht,  das  andere  aber 


220      §  72.  Gontradictorisch  und  conträr  entgegengesetzte  ürtheile. 

das  nämliche  Prädicat  auf  einen  nnbestimmten  Theil  derselben 
Sphäre  in  dem  gleichen  Sinne  bezieht;  jenes  wird  subalter- 
nirendes  Urtheil  (indicium  snbalternans),  dieses  subalternirtes 
(indicium  sabalternatam)  genannt. 

AristoteleB  definirt  (de  interpr.  c.  6.  17  a.  33):  ?ryroj  avTt(f>aats 
Toiko  *  xttxafpaaig  xal  anoipaaig  al  avrtxU^Bvm.  Er  unterscheidet  das. 
7.  17  b.  16  u.  20  den  contradictorischen  Gegensatz  (ttvrnpaxtx^g  avrt' 
xfia^ai'  rj  ttVTtx€ifji^Vfj  anotfavmg)  und  den  conträren  (ivavriios  tcvTi- 
xsTa&ai'  tj  IvainCa  anotfuevais).  In  dem  Verfaältniss  des  oontradictori- 
schen  Gegensatzes  stehen  zu  einander  bei  gleichem  Inhalt  die  Ürtheile 
von  den  Formen  a  und  o  (S  a  P  und  S  o  P),  so  wie  die  Ürtheile  yon 
den  Formen  e  und  i  (S  e  P  und  S  i  P).  In  dem  Verhältniss  des  dia- 
metralen oder  conträren  Gegensatzes  stehen  die  ürtheile  von  den  Formen 
a  und  e  (S  a  P  und  S  e  P).  Das  nur  scheinbar  analoge  Verhältniss 
zwischen  den  ürtheilsformen  i  und  o  (S  i  P  und  S  o  P)  nennt  Aristo- 
teles (Analyt.  pr.  II,  15.  68  b.  27)  xara  r^v  X^^iv  avTixeTa&at  fiovov. 
Spätere  Logiker  nennen  solche  Ürtheile  nQoraaeig  vnivavrCag^  iudicia 
suboontraria.  Aristoteles  (de  interpr.  10.  19  b.  32—86)  stellt  die  vier 
Ürtheilsformen:  nag  iarXv  uv&Qtonog  tfixaiog  (a),  ov  rräg  iailv  av&Qmnog 
dCxmog  (o),  nag  (arlv  av&Qtanog  ov  dCxaiog  (6),  ov  nag  iarlv  cn^&Qfanog 
ov  dCxmog  (i)  nach  folgendem  Schema  zusammen: 


so  dass  die  Ürtheile  a  und  e,  welche  nach  ihrem  inneren  Verhältniss 
am  weitesten  von  einander  abstehen  (und  ebenso  wiederum  die  Ürtheile 
i  und  o)  nach  der  Diagonale,  ^idfifiQog,  einander  gegenüberliegen.  In 
dieses  Schema  lassen  sich  die  sämmtlichen  oben  erwähnten  Urtheils- 
verhältnisse  in  folgender  Weise  eintragen: 

a  opposit.  contradiot.  o 


9 


"^^sy. 


Si^ 


f(. 


»*• 


.^J^^' 


O^' 


x<* 


.<v* 


öfat 


'^Ä 


'^: 


<9 


«8 


1  opposit.  oontradict.  e 

Die  neueren  Logiker  pflegen  diese  Verhältnisse  in  folgendem  Schema 
darzustellen  (welches  sich  schon  bei  Boethius  und  mit  einiger  Ver- 
schiedenheit in  der  Terminologie,  aber  gleicher  Stellung  der  Ürtheils- 
formen auch  schon  bei  Appuleins  findet): 


§  78.  Die  Form  und  Materie  der  ürtheile.  221 

a  opposit.  contraria  e 


°^A^,v  ^..t^*' 


P  so 

i  oppos.  subcontrar.  0 

was  aus  dem  Grunde  weniger  angemessen  ist,  weil  dann  nicht  mehr 
die  conträr  entgegengesetzten  ürtheilsformen  einander  diametral  gegen- 
überliegen, in  anderm  Betracht  jedoch  besser  passt. 

§  73.  Der  Inhalt  der  Ürtheile  stammt  thefls  direct, 
theils  durch  Vennitfliiiig  von  Schlüssen  aas  der  änssem  nnd 
Innern  Wahrnehmung.  Dieser  Inhalt  wird  im  Urtheilsact 
in  die  Formen  gefügt,  welche  durch  die  Eategorie  der  Be- 
lation  bezeichnet  werden.  Diese  Formen  erkennen  wir  a.  zu- 
nächst und  unmittelber  bei  uns  selbst  in  ihrer  Verflechtung 
mit  dem  betreffenden  Inhalt  vermittelst  der  inneren  Wahr- 
nehmungy  z.  B.  das  Verhältniss  des  Inhärirenden  zum  Sub- 
sistirenden  in  dem  Verhältniss  der  einzelnen  Vorstellung,  des 
einzelnen  Gefühls  oder  Willensactes  zu  der  Gesammtheit 
unseres  Seins  oder  zu  unserem  Ich,  das  Verhältniss  der  Gau- 
salität  zur  Dependenz  in  dem  Verhältniss  unseres  Willens  zu 
seiner  Aeusserung  etc.;  b.  bei  den  persönlichen  und  unper- 
sönlichen Wesen  ausser  uns,  gleichfalls  zunächst  in  Ver- 
flechtung mit  dem  Inhalt,  auf  Grund  ihrer  Analogie  mit 
unserem  eigenen  inneren  Sein.  Die  begriflTliche  Auffassung 
dieser  Formen  in  ihrer  Sonderung  vom  Inhalt  erfolgt  erst 
später  vermöge  der  hinzutretenden  Abstraction.  Die  objec- 
tive  GtQtigkeit  dieser  Formen  ist  wiederum  durch  die  näm- 
lichen Momente  verbürgt,  unterliegt  aber  auch  den  nämlichen 
Einschränkungen  und  Abstufungen,  wie  die  Wahrheit  der 
inneren  Wahrnehmung  und  ihrer  Analoga  überhaupt  (§  41  ff.) 
und  wie  die  Wahrheit  der  Vorstellung  von  Individuen  (§  46) 
und  der  begrifflichen  Erkenntniss  des  Wesentlichen  (§  57). 

Kant  fasst  diese  Formen  als  Yerstandesformen  a  priori  (Stamm- 
b^priffe  des  Verstandes)  auf.  Unter  der  Erkenntniss  a  priori  wurde 
bis  auf  die  Zeit  Kant's  imAnschluss  an  den  Aristotelischen  Begriff: 
nQOTiQov  ipiau  (s.  u.  §  139)  in  der  Regel  die  Erkenntniss  aus  denUr- 


.   Fünfter  Theil. 

Der  SekUiB  im  seiner  Bezieknsg  cm  der  olijeetiTeii  Oesetznfigsigkeit. 


§  74.  Der  Schi  US  8  (ratio,  ratiocinatio,  ratiocinimn,  dis- 
carsns,  avlXoyni/aog)  im  weitesten  Sinne  ist  die-Ableitnng 
eines  Urtheils  aus  irgend  welchen  gegebenen  Elementen^  Die 
Ableitung  ans  einem  einzelnen  Begriff,  wie  anch  aus  einem 
einzelnen  Urtheil  ist  der  unmittelbare  Schluss  oder  die 
(unmittelbare)  Folgerung  (consequentia  immediata),  die 
Ableitung  aus  mindestens  zwei  Urtheilen  der  mittelbare 
Schluss  oder  der  Schluss  im  engeren  Sinne  (conse- 
quentia mediata). 

Wie  die  Vorstellung  aaf  die  Einzelexistenz  und  auf  das,  was  an 
ihr  zu  unterscheiden  ist,  und  der  Begpriff  auf  das  Wesentliche  geht,  so 
gehen  das  Urtheil  und  der  Schluss  auf  die  Verhältnisse  der  Einselezi- 
stenzen  zu  einander,  und  zwar  das  Urtheil  auf  die  ersten  und  nächsten 
Verhältnisse,  das  einfache  Urtheil  auf  ein  einzelnes  Grundverhältniss, 
das  zusammengesetzte  Urtheil  auf  ein  Zusammentreten  mehrerer,  der 
Schluss  aber  auf  eine  solche  Wiederholung  gleichartiger  oder  auch  ver- 
schiedenartiger Verhältnisse,  woraus  sich  eine  neue  Beziehung  ergfiebt. 
Die  Möglichkeit  der  Schlussbildung  und  ihrer  objeotiven  Gültigkeit  be- 
ruht, wie  unten  näher  zu  erweisen  ist,  auf  der  Voraussetzung  eines 
realen  gesetzmässigen  Zusammenhangs.  Doch  gilt  dies  nur  von  dem 
mittelbaren  Schluss,  da  der  unmittelbare  eine  blosse  Umbildung  der 
subjecüven  Form  des  Gedankens  und  des  Ausdrucks  ist. 

»Ableiten«  heisst:  auf  Grund  eines  Andern  annehmen,  so  dass 
die  Annahme  der  Gültigkeit  des  Einen  (des  Abgeleiteten)  von  der  An- 
nahme der  Gültigkeit  des  Andern  (woraus  abgeleitet  wird)  abhängfig 
ist,  d*  h.  darum  und  insofern  stattfindet,  weil  und  inwiefern  die  letz- 
tere statthat. 

Die  »Unmittelbarkeit«  bei  dem  sogenannten  »unmittelbaren 
Schlieasen«  ist  eine  relative  (indem  es  dabei  nicht,  wie  bei  dem  »mittel- 
baren Schliessen«  der  Hinzunahme  eines  zweiten  gegebenen  Elementes 


§  74.  t)er  Schlnsd.  ^5 

zu  dem  ersten  bedarf,  sondern  sofort  aus  diesem  selbst  das  abgeleitete 
Urtheil  sich  ergiebt);  es  besteht  nicht  eine  Unmittelbarkeit  in  dem 
Tolleren  Sinne,  dass  es,  um  das  abgeleitete  Urtheil  zu  gewinnen,  nicht 
einer  Denkthätigkeit  bedürfte.  Da  aber  doch  der  jetzt  traditionelle 
Terminus  im  relativen  Sinne  gültig  ist,  so  möchte  eine  Verwerfung 
desselben  nicht  rathsam  sein.  Ist  eine  Aenderung  der  Terminologie 
nicht  unbedingt  erforderlich,  so  ist  sie  vom  Uebel,  da  sie  das  gegen- 
seitige Yerständniss  erschwert  und  zu  Irrungen  Anlass  giebt. 

Bei  Plato  findet  sich  avXXoyiCioStii  und  avkXoytOfjios  noch  nicht 
im  Sinne  der  spateren  logischen  Terminologie,  sondern  nur  in  der 
weiteren  und  unbestimmteren  Bedeutung:  aus  mehreren  Daten  gleich- 
sam zusanmienrechnend  das  Resultat  ziehen,  und  zwar  vorvriegend:  aus 
dem  Beeondem  das  Allgemeine  ermitteln  (Theaet.  186  D;  of.  Phileb. 
41  C).  Aristoteles  definirt  (Anal.  pri.  I,  1.  24  b.  18):  avlkoyiafAog 
Si  ioTi  Xoyog,  iv  <p  ti&iwtov  rivmv  h-eQov  n  tüv  xiifiivtov  i^  avdyxfic 
avfißtUvH  T^  javra  slptu.  Diese  Definition  wird  von  Aristoteles  nicht 
auf  den  unmittelbaren  Schluss  mitbezogen,  umfasst  aber  die  beiden 
Arten,  in  welche  der  mittelbare  Schluss  zerfallt,  nämlich  den  Schluss 
aus  dem  Allgemeinen  auf  das  Besondere  und  den  Schluss  vom  Besen- 
dem  auf  das  Allgemeine.  In  diesem  Sinne  ¥drd  von  Aristoteles  unter- 
schieden: o  6ia  jov  fjiioov  avlloyia/ios  und  o  Siä  t^s  inayutyrjs  oder 
6  H  ^naymyrfi  avlXoytafiog  (Anal.  pri.  II,  23.  68  b).  Der  Syllogismus 
im  engeren  Sinne  aber  ist  der  Schluss  vom  Allgemeinen  auf  das  Be- 
sondere: in  diesem  Sinne  sagt  Aristoteles  (das.  68  b.  13):  tqotiov  uvä 
uvrlxtirai  17  inayayyri  t^  avXXoyiOfjKp.  —  UTsayra  mat^vofLiv  ^  dta  avXXo' 
yiOßAtw  fj  U  inayatyijg.  Im  Anschluss  an  Aristoteles  und  gleich  vde 
dieser  nur  auf  den  mittelbaren  Schluss  Bezug  nehmend,  definirt  Wolf  f 
(Log*  §  &0;  §  332):  est  ratiocinatio  operatio  mentis,  qua  ex  duabus 
propositionibus  terminum  communem  habentibus  formatur  tertia,  com- 
binando  terminos  in  utraque  diverses ;  Syllogismus  est  oratio,  qua  ra- 
tiooinium  (seu  discursus)  distincte  proponitur.  Kant  (Kritik  der  r. 
Yem.  S.  360;  Log.  §  41  ff.)  definirt  den  Schluss  als  die  Ableitung  eines 
Urtheils  aus  dem  anderen.  Dieselbe  geschieht  entweder  ohne  ein  ver- 
mittelndes Urtheil  (iudicium  intermedium)  oder  mit  Hülfe  eines  solchen ; 
hierauf  gründet  sich  der  Unterschied  des  unmittelbaren  und  des  mittel- 
baren Schlusses;  jenen  nennt  Kant  auch  Verstandesschluss,  diesen  Yer- 
nnnftschluss.  Hegel  (Log.  U,  S.  118  ff.;  Encycl.  §  181)  sieht  in  dem 
Schluss  die  Wiederherstellung  des  Begriffs  im  Urtheil,  die  Einheit  und 
Wahrheit  des  Begriffs  und  des  Urtheils,  die  einfache  Identität,  in 
welehe  die  Formunterschiede  des  Urtheils  zurückgegangen  sind,  das 
Ziel,  zu  welchem  das  Urtheil  in  seinen  verschiedenen  Arten  sich  stufen- 
weise fortbestimmt,  das  Allgemeine,  das  durch  die  Besonderheit  mit 
der  Einzelnheit  zusammengeschlossen  ist.  Der  Schluss  gilt  ihm  als  der 
wesentliche  Grund  alles  Wafaren,  als  das  Vernünftige  und  alles  Ver- 
nünftige ab  der  Kreislauf  der  Vermittelung  der  Begriffsmomente  des 
Wiridichen.  Hegel  identificirt  demnach  .  auch  hier  wiederum  das  lo- 
gische und  das  metaphysische  Verhältniss  oder  die  Form  der  Erkennt- 

15 


226  §  74.  Der  Schloss. 

niss  und  Existenz.  Sohleiermaoher  (DiaL  S.  268)  bestimmt  den 
SohluBB  als  die  Herleitong  eines  Urtheils  aus  einem  anderen  vermittelst 
eines  Mittelsatzes.  £r  erkennt  den  Schluss  nicht  als  eine  selbständige 
dritte  Form  neben  Begriff  und  Urtheil  an  und  gestellt  ihm  nicht  ein 
eigenthümliches  reales  Correlat  zu;  er  glaubt  demgemäss  auch,  der- 
selbe habe  keinen  wissenschaftlichen  Werth  für  die  Erzeugung  neuer 
Erkenntnisse  sondern  nur  didaktischen  für  die  üeberlieferung  der  schon 
bestehenden  Erkenntniss.  Wir  halten  diese  Ansicht  für  irrig  und  wer- 
den unten  (§  101)  das  reale  Ck)rrelat  des  Schlusses  und  seine  Bedeu- 
tung als  Erkenntnissform  nachzuweisen  suchen. 

Trendelenburg  in  seinen  logischen  Untersuchungen  8. Aufl.  Bd. 2. 
XIII.  S.  331  bemerkt:  »Die  Schlüsse  werden  in  mittelbare  und  unmit- 
telbare unterschieden.  Die  letzteren  bedürfen  keines  neuen  Begriffe«, 
um  aus  einem  Urtheil  ein  neues  zu  erzeugen,  sondern  begründen  ans 
der  blossen  Form  eines  Urtheils  ein  anderes.  Es  wird  auf  diesem  Wege 
kein  eigentlich  neuer  Inhalt  des  Urtheils  gewonnen,  sondern  nur  für 
einen  vorliegenden  Zweck  eine  bestimmtere  Beziehung.  Dabei  handelt 
es  sich  nur  darum,  was  mit  dem  gefällten  Urtheil  zugleich  mit  aua- 
gesprochen  i6t.c  Und  S.  841:  »Von  den  unmittelbaren  Schlüssen  unter- 
scheiden sich  die  mittelbaren,  die  durch  das  Zwischenglied  eines  eigenen 
Begriffes  geschehen.  Sie  bilden  den  Syllogismus  im  engeren  Sinne.«  — 
Dieser  mittelbare  Schluss  —  so  wird  weiter  S.  386  bemerkt  —  sei  mehr 
als  eine  subjective  Function,  und  bleibe  nicht  ohne  reales  G^^bild. 
»Was  im  Realen  der  Grund  ist,  das  ist  im  Logischen  der  Mittelbegriff 
des  Schlusses.«  Und  S.  890:  »Wenn  aber  der  Mittelbegriff  dem  her- 
vorbringenden Grund  entspricht,  so  vollendet  sich  der  Syllogismus.  In 
dieser  Bedeutung  ist  er  ein  Schluss  des  Wesens  zur  Erscheinung,  wie 
die  Induction  ein  Schluss  der  Erscheinungen  zum  Wesen.  Wie  sich 
das  Wesen  in  die  Erscheinungen  ergiesst  und  darin  bestätigt,  so  ist 
die  Induction  auch  von  dieser  Seite  ein  Gegenstück  des  Syllogismus,  c 
—  Trendelenburg  sucht  femer  darzuthun,  dass  der  Schluss  der  In- 
duotion  als  Schluss  der  Erfahrung  in  Beziehung  stehe  zum  Schlüsse 
der  zweiten  Figur,  in  dem  die  vollständigen  Einzelnen  als  solche  die 
vermittelnde  Mitte  bilden,  während  der  Schluss  der  Analogie  die  dritte 
Figur  des  unmittelbaren  Schlusses  zu  seinem  abstraoten  Schema  habe, 
sofern  die  Mitte  der  Analogie  ein  Einzelnes  sei,  aber  im  Sinne  seiner 
wesentlichen  Allgemeinheit,  während  ein  anderes  Einzelnes  Extrem  sei» 
welches  mit  jenem  dieselbe  allgemeine  Natur  habe  (das.  S.  868).  In 
diesem  Verhältniss  soll  dann  der  Ausgleich  des  bemerkbaren  Mangel» 
des  Syllogismus  gesucht  werden,  dass  der  allgemeine  Obersatz  bereits 
den  Schlusssatz  umfasst,  den  er  erst  erzeugen  will,  und  den  er,  um 
wahr  zu  sein,  selbst  voraussetzt  (das.  S.  894  u.  862).  Trendelenburg 
will  also  aristotelisch  den  Schluss  der  Deduction  (den  sogen,  eigentl. 
Schluss)  und  den  Schluss  der  Induction  und  Analogie  unter  einem  all- 
gemeineren Gesichtspunkt  zusammenfassen. 

Auf  das  Gleiche  scheinen  im  Wesentlichen  die  Betrachtungen 
Lotze's  in  s.  Syst.  der  Philos.  Bd.  1.  Logik.  Gap.  8.  A.  Der  Schlusa 


§  74.   Der  Schlase.  227 

durch  Subsumtion,  durch  Induction,  durch  Analogie  S.  122  u.  ff. —  hin- 
ausKulaufen,  nur  werden  einseitiger  die  Aristotelischen  Syllogismen, 
sammtlich  auf  die  unbestimmte  Einordnung  eines  Begriffes  in  den  Um- 
fang eines  andern  gebaut,  unter  dem  Namen  des  Schlusses  durch  Sub- 
sumtion Eusammengefasst.  Von  den  so  begrenzten  Aristotelischen 
Syllogismen  bemerkt  Lotze,  dass  sie  die  gegebene  Aufgabe  nicht  lösen 
konnten.  Die  logischen  Wahrheiten,  deren  sich  das  Denken  in  seiner 
Behandlung  des  Vorstellungsinhalts  nach  und  nach  bewusst  geworden 
sei,  habe  das  disjnnctive  ürtheil  yorläufig  dahin  zusammengefasst, 
jedem  S,  weldies  eine  Art  von  M  sei,  komme  von  jedem  der  allgemei- 
nen Pradicate  des  M  eine  besondere  Modification  mit  Ausschluss  aller 
übrigen  als  sein  Prädicat  zu.  Die  zu  losende  Aufgabe  sei  nun  die 
Auffindung  der  Denkhandlungen,  durch  welche  dies  geforderte  eigen- 
thnmliohe  Merkmal  für  ein  gegebenes  S  bestimmbar  würde.  Lotze's 
Ansicht  scheint  nun  dahin  zu  gehen,  dass  weder  der  Sohluss  der  Sub- 
sumtion, noch  der  Schluss  der  Induction,  noch  der  Schluss  durch 
Analogie  diese  Aufgabe  vollständig  lose.  Die  allgemeine  Aufgabe  jedes 
Schlussverfahrens  bestehe  naturgemäss  darin,  aus  gegebenen  Datis  oder 
Prilmissen  so  viel  neue  Wahrheit  zu  entwickeln  als  möglich;  wie  dies 
geschehe,  sei  an  sich  völlig  gleichgültig;  das  Verfahren  werde  sich 
nach  der  Gestalt  der  Prämissen  richten,  die  wir  nehmen  müssten,  wie 
sie  uns  die  Erfahrung  innere  und  äussere  darbiete.  Was  so  das  natür- 
liche Denken  allenthalben  wirklich  ausübt,  das  will  Lotze  durch  neue 
logrische  Formen  auch  für  die  Theorie  dieses  Thuns  festzustellen  suchen, 
indem  er  die  Gesetze  mathematischer  Folgerungen,  und  ebenso  die 
Gesetze  der  systematischen  Formen  der  Classification,  der  erklärenden 
Theorie  und  des  dialektischen  Ideals  des  Denkens  aufsucht. 

S  ig  wart,  nachdem  er  in  s.  Logik  Bd.  1.  Th.  2.  Abschn.  2.  Die 
Wahrheit  der  unmittelbaren  Urtheile  —  dargethan  hat,  dass  die  Ur- 
theile,  welche  wir  vom  natürlichen  Denken  ausgehend  für  unmittelbare 
halten  mussten,  doch,  sofern  ein  Grund  ihrer  Gewissheit  verlangt  wer- 
den muss,  sich  bereits  müssen  als  nothwendige  Folgen  eines  allgemei- 
nen Gesetzes  darstellen  lassen,  die  analytischen  als  Folgen  des  Grund- 
satzes der  Uebereinstimmung,  die  Wahmehmungsnrtheile  als  Folgen 
der  Gesetze,  nach  welchen  wir  aus  subjeotiven  Assertionen  die  üeber- 
seugung  realer  Dinge  gewinnen,  bespricht  dann  im  Abschn.  8  die  Be- 
gründung der  vermittelten  Urtheile  durch  die  Regeln  des  Schlusses. 
In  beiden  Abschnitten  hat  nach  §  39.  5.  S.  269  die  Untersuchung  die 
Regeln  aufzustellen,  nach  denen  ein  Urtheil  mit  Nothwendigkeit  aus 
seinen  Voraussetzungen  hervorgeht,  da  die  Bedingung  der  logischen 
Nothwendigkeit  und  Allgemeingültigkeit  der  Urtheile  ist,  dass  sie  be- 
gründet sind.  —  Das  logische  Schliessen  will  Sigwart  ausdrücklich 
ontersohieden  sehen  von  dem  Folgern  oder  Schliessen  im  psycholo- 
gischen Sinne,  welches  überall  da  stattfinde,  wo  wir  zu  dem  Glauben 
an  die  Wahrheit  eines  Urtheils  nicht  unmittelbar  durch  die  in  ihm 
▼erknüpften  Subjeots-  und  Prädicatsvorstellungen,  sondern  durch  den 
Glauben  an  die  Wahrheit  eines  oder  mehrerer  anderer  Urtheile  be- 


228  §  74.  Der  Schlnsi. 

stimmt  würden.  Der  Motive,  welche  psychologisch  diesen  Glauben  her- 
beiführen, seien  mancherlei,  und  es  geschehe  hanfig,  dass  die  Vermitt- 
lung, welche  die  Gewissheit  eines  ürtheils  aus  der  Gewissheit  eines 
andern  ableite,  nicht  einmal  deutlich  zum  Bewusstsein  komme.  Die 
logische  Theorie  habe  nun  aber  zu  fragen,  unter  welchen  Bedin- 
gungen  Schliessen  gültig  sei;  d.  h.  da  jeder  Schluss  die  Behauptung 
enthält,  dass  ein  Urtheil  (die  Ck)nclusion,  der  Schlusssatz)  wahr  sei, 
weil  ein  oder  mehrere  andere  UrtheUe  (die  Prämissen)  wahr  seien, 
habe  sie  die  logische  Nothwendigkeit  dieser  Behauptung  zu  untersuchen, 
dass  die  Gonolusion  durch  die  Prämissen  begründet  sei.  Wenn  nun 
ein  gültiges  Urtheil  A  gegeben  sei,  so  sei  so  viel  klar,  dass  es  ein 
davon  verschiedenes  Urtheil  X  nur  dann  sicher  begründen  könne,  wenn 
der  allgemeingültige  Satz  bestehe:  Wenn  A  gilt,  so  gilt  X;  denn  dieses 
hypothetische  Urtheil  drücke  ja  eben  gar  nichts  anderes  ans,  als  dass 
X  nothwendige  Folge  von  A  sei,  und  wer  A  annehme,  auch  B  anneh- 
men müsse.  Ohne  eine  solche  Regel  aber  gebe  es  keine  Folgerung. 
Jede  Grewissheit  eines  Schlusses  von  A  auf  X  sei  also  von  der  Gewisa- 
heit  dieser  hypothetischen  Regel  abhängig.  Darum  sei  das  allgemeinste 
Schema  alles  und  jedes  Folgems  der  sogenannte  gemischte  hypothe- 
tische  Schluss.  —  Nach  Sigwart's  Ansicht  wird  also  der  Schluss  we- 
sentlich betrachtet  als  fortgesetzte  Urtheilsbildung,  sofern  durch  die- 
selbe Gtewissheit  erlangt  wird,  und  werden  demgemäss  auch  im  Bd.  2. 
Th.  8  die  Methoden  der  Urtheilsbildung  im  Zusammenhange  betrachtet, 
im  Abschn.  8  als  diverse  Methoden  der  Urtheilsbildung  Deduotion  und 
Beweis  mit  ihren  Voraussetzungen,  dann  Abschn.  4  die  methodischen 
Principien  der  Bildung  der  Wahmehmungsurtheile  und  Abschn.  5  das 
Inductionsverfahren  als  Methode  der  Gewinnung  allgemeiner  Sätze  aus 
einzelnen  Wahrnehmungen. 

Schon  diese  ungewöhnliche  Art  der  Behandlung  und  Anordnung 
mag  zum  Theil  bei  Wundt  und  Bergmann  die  Missverständnisae 
hervorgerufen  haben  in  der  Beurtheilung  der  Schlusslehre  Sigwart'a, 
die  dann  Sigwart  in  beiden  Artikeln:  Logische  Fragen  in  d.  Viertel- 
jahrsschr.  f.  wissensch.  Philos.  Bd.  4  u.  5  zu  berichtigen  gesucht  hat.  — 
In  der  Hauptsache  bleibt  aber  als  Differenz  in  der  Auffassung  des 
Schlusses  zwischen  Sigwart  und  Wundt  das  bestehen,  dass  Wundt 
die  Beschränkung  des  Terminus  »Schluss«  auf  die  Folgerungen,  bei 
denön  aus  gegebenen  Urtheilen  ein  neues  mit  Nothwendigkeit  her- 
vorgeht, aufheben  und  den  Begriff  des  Schliessens  so  erweitern  will, 
dass  mit  dem  Namen  des  Schliessens  oder  Folgerns  jede  Gedankenver- 
bindung zu  belegen  ist,  durch  welche  aus  gegebenen  Urtheilen  neue 
Urtheile  hervorgehen,  dass  somit  auch  die  Folgerungen,  die  zu  einem 
bloss  wahrscheinlichen  Ergebnisse  fähren,  darunter  fallen.  Im  Uebrigen 
stellt  aber  auch  nach  Wundt  der  Vorgang  der  Sohlussfolgerung  sich 
dar  als  eine  Erweiterung  des  Urtheilsprooesses,  insofern  jeder 
Schluss  aus  einer  Verbindung  selbständiger,  aber  unter  einander  durch 
gemeinsame  Begriffe  zusammenhängender  Urtheile  besteht  (siehe 
Wundt  Logik.  Bd.  1.  Abschn.  4.  Gap.  1.  S.  770). 


§  75.   Die  Principien  des  Schlieseens  im  Allgemeinen.         229 

§  75.  Principien  des  Sehliessens  sind  die  Grund- 
sätze der  Identität  und  Einstimmigkeit,  der  contradictorischen 
Disjunction  (oder  des  Widerspruchs  und  des  ausgeschlossenen 
Dritten)  und  des  zureichenden  Grundes.  Auf  dem  ersten  be- 
ruht die  Ableitung  eines  Urtheils  aus  einem  Begriff,  auf  dem 
ersten  und  zweiten  die  Ableitung  eines  Urtheils  aus  einem 
ürtheil,  auf  dem  ersten,  zweiten  und  dritten  die  Ableitung 
eines  Urtheils  aus  mehreren  Urtheilen. 

Die  Logik  betrachtet  diese  Priuoipien  als  Normen  unseres  (er- 
kennenden) Denkens.  Inwiefern  aber  dieselben  so  einfach  und  in  ihrer 
Anwendung  einleuchtend  seien,  dass  sie  bei  klarem  Denken  gar  nicht 
verletzt  werden  können  und  in  diesem  Sinne  etwa  auch  die  Eigen- 
schaft von  Naturgesetzen  für  unser  Denken  gewinnen,  oder  inwie- 
fern nicht;  dies  ist  nicht  mehr  eine  logische,  sondern  eine  psycho- 
logische Frage. 

Aristoteles  stellt  jene  Sätze  nicht  an  die  Spitze  der  Logik, 
sondern  trägt  dieselben,  soweit  er  sie  überhaupt  in  wissenschaftlicher 
Form  aufstellt,  theils  nur  gelegentlich  als  Normen  der  Schlussbildung, 
theils  und  besonders  in  der  Metaphys.  (III,  8.  1005  b.  19)  vor,  wo  ihm 
der  Satz  des  Widerspruchs  als  naadiv  ßsßtuoraxri  &qx^  gilt.  Leibniz 
(Monadol.  §  81)  halt  dieselben  für  die  Principien  unserer  Schlüsse 
(raisonnements).  Wolff  verfährt  wie  Aristoteles.  Daries  und  Rei- 
marus  sind  die  Ersten,  welche  in  einzelnen  von  jenen  Sätzen  das 
Princip  der  Logik  finden.  Reimarus  setzt  (Yemunftlehre,  §  15)  das 
Wesen  der  Vernunft  in  die  Kraft,  nach  den  beiden  Regeln  der  Ein- 
stimmung und  des  Widerspruchs  über  die  vorgestellten  Dinge  zu  re- 
flectiren,  hält  aber  dafür,  dass  durch  den  richtigen  Gebrauch  der  Ver- 
nunft die  Erkenntniss  der  Wahrheit  zu  gewinnen  sei.  Er  definirt  die 
»Yemunftlehre«  als  eine  Wissenschaft  von  dem  rechten  Gebrauche  der 
Vernunft  in  der  Erkenntniss  der  Wahrheit  (a.  a.  0.  §  3),  die  »Wahr- 
heit im  Denken«  aber  als  die  üebereinstimmung  unserer  Gedanken  mit 
den  Dingen,  woran  wir  gedenken  (a.  a.  0.  §  17),  und  sucht  den  Satz 
zu  beweisen:  »wenn  wir  nach  den  Regeln  der  Einstimmung  und  des 
Widerspruchs  denken,  so  müssen  auch  unsere  Gedanken  mit  den  Dingen 
selbst  übereinstimmen  oder  wahr  gedacht  sein« ;  »eben  diese  Regeln 
sind  zureichend,  alle  Wahrheit  und  Richtigkeit  aller  unserer  Gedanken 
auszumachen«  (a.  a.  0.  §  17  ff.).  Kant  dagegen  reducirt  die  formale 
Logik  auf  die  Lehre  von  den  Gesetzen,  die  aus  dem  Princip  der  Iden- 
tität und  des  Widerspruchs  herfliessen,  in  dem  Sinne,  dass  durch  die 
Befolgung  derselben  die  Üebereinstimmung  des  Denkens  mit  sich  selbst 
oder  die  Widerspruchslosigkeit  erzielt  werden  soll,  unter  Verzicht  auf 
die  von  ihm  für  unmöglich  gehaltene  üebereinstimmung  des  Erkönnt- 
nissinhalts  mit  dem  wirklichen  Sein  oder  den  »Dingen  an  sich«.  Mit 
Recht  bemerkt  Fries  (System  der  Logik,  §  41),  dass  jene  Grundsätze 
nicht  an  die  Spitze  der  ganzen  Logik  gesetzt  werden  dürfen,   da  sie 


280  §  76.  Der  Grundsatz  der  Identit&t 

erst  dann  in  ihrer  wahren  Bedentnng  verstanden  werden  können,  wenn 
man  die  Form  der  Begriffe  und  das  VerhältniBs  von  Subject  und  Prii- 
dicat  im  Urtheil  schon  kennen  gelernt  habe.  In  der  That  sind  diesel- 
ben, da  sie  das  Yerhältniss  mehrerer  Urtheile  zu  einander  betreffen, 
erst  bei  der  Schlusslehre  von  bestimmendem  Einflnss.  An  die  Spitse 
der  geeammten  Logik  stellt  Delboenf  (Log.  S.  91  sqq.,  lOi  sqq.,  US 
sqq.,  180  sqq.)  drei  Sitze,  die  bei  ihm  die  obigen  zum  Theil  vertreten. 
Diese  Sätze  sind:  1.  On  peut  oondure  de  la  representation  des  phe- 
nomönes  aux  phenomdnes  eux-mSmes;  2.  on  peut  poser  oomme  iden- 
tiques  les  r^sultats  de  l'abstraotion  des  diff^renoes;  8.  l'enchainement 
logique  des  idees  oorrespond  k  l'enchamement  reel  des  ohoses.  Er 
leitet  dieselben  aus  dem  »postulat  primitif  de  la  raison«  ab:  >que  la 
oertitude  est  possiblec,  und  zwar  durch  folgende  Argumentation:  Soll 
es  Gewissheit  geben,  so  muss  es  Wahrheit  geben;  soU  es  Wahrheit 
geben,  so  müssen  unsere  Vorstellungen  wahr  sein  können;  sollen  diese 
wahr  sein  können,  so  muss:  1.  der  Geist  im  Stande  sein,  sich  die  Er- 
scheinungen so,  wie  sie  sind,  vorzustellen,  2.  müssen  die  Ursachen, 
welche  die  EIrscheinungen  bewirken,  mit  sich  selbst  identisch  bleiben 
in  den  verschiedenen  Verbindungen,  in  welche  sie  eingehen,  3.  muBs 
die  logische  Kraft  der  Deduction  auch  der  Wirklichkeit  entsprechen, 
die  geistige  Analyse  ein  treues  (obschon  umgekehrtes)  Abbild  der 
reellen  Synthese  sein.  Vermöge  des  ersten  Princips  gehen  wir,  sagt 
Delboeuf,  von  der  Vorstellung  zur  Wirklichkeit,  vermöge  des  zweiten 
von  der  vorgestellten  Identität  zur  wirklichen  Identität,  vermöge  des 
dritten  von  der  vorgestellten  Verknüpfung  (connexion)  zn  der  wirk- 
lichen Verknüpfung.  Die  Bürgschaft  für  die  Uebereinstimmung  eine« 
Gedankens  mit  der  Wirklichkeit  findet  Delboeuf  in  der  durchgängigen 
logischen  Harmonie  bei  den  Operationen :  Observation,  conjecture,  veri- 
fication  (S.  85).  In  diesem  Sinne  verstanden,  coincidirt  das  erste  jener 
drei  Principien  mit  dem  Princip  des  vorliegenden  Systems  der  Logik 
und  einer  jeden  Logik,  die  eine  Erkenntnisslehre  sein  will,  dass  näm- 
lich die  Uebereinstimmung  der  Gedanken  mit  der  objectiven  Wirklich- 
keit dem  Menschen  durch  Befolgung  der  Gesammtheit  der  logischen 
Normen  erreichbar  und  gesichert  sei  (s.  oben  §  8).  Das  zweite  Princip 
geht  insbesondere  auf  den  Process  der  Abstraction  (s.  oben  §  61). 
Von  dem  dritten  Princip  erkennt  Delboeuf  an,  dass  es  den  Schlüssen 
(raisonnements)  zum  Grunde  liege  (vgl.  unten  §  81).  —  Delboeuf  stellt 
diesen  drei  Sätzen,  die  er  als  >principes  reelsc  bezeichnet,  und 
deren  beiden  ersten  er  das  Princip  der  Identität,  deren  letztem  er  das 
des  zureichenden  Grundes  correspondiren  lässt,  noch  als  »principes 
forme  1  sc  den  Satz  des  Widerspruchs  und  den  des  ausgeschlossenen 
Dritten  zur  Seite  (Log.  S.  165  ff.). 

§  76.  Der  Grundsatz  der  Identität  (principinm 
identitatis)  pflegt  dahin  ausgesprochen  zu  werden:  A  ist  A, 
d.  h.  ein  Jedes  ist,  was  es  ist,  oder:  omne  subiectum  est 
praedicatmn  sui;  und  der  damit  verwandte  Grundsatz  der 


r: 


§  76.  Der  Grandsatz  der  Identität.  231 

Einstimmigkeit  (principium  convenientiae)  dahin:  A,  wel- 
ches B  ist,  ist  B,  d.  h.  ein  jedes  Merkmal,  welches  im  Sab- 
jectsbegriffe  liegt,  kann  demselben  als  Prädicat  beigelegt  wer- 
den. Der  Gnmd  der  Wahrheit  dieses  Satzes  liegt  darin,  dass 
das  im  Inhalte  des  Begriffs  vorgestellte  Merkmal  dem  dnrch 
eben  diesen  Begriff  vorgestellten  Gegenstände  inhärirt,  das 
Inhärenzverhältniss  aber  dnrch  das  prädicative  repräsentirt 
wird.  Der  Satz:  non-A  ist  non-A,  ist  nur  eine  Anwendung 
des  Gnudsatzes  der  Identität  auf  einen  negativen  Begriff, 
nicht  ein  neuer  Grundsatz,  und  ebenso  ist  der  Satz :  A,  welches 
non-B  ist,  ist  non-B,  nur  eine  Anwendung  des  Grundsatzes 
der  Einstimmigkeit.  Die  letztere  Formel  begründet  den  Ueber- 
gang  zu  der  Anwendung  desselben  Gedankens  auf  negative 
Urthefle  in  dem  Satze  der  Negation  (principium  nega- 
tionis):  A,  welches  nicht  B  ist,  ist  nicht  B.  —  In  einem  er- 
weiterten Sinne  kann  der  Satz  der  Identität  auf  die  Ueberein- 
stinunung  aller  Erkenntnisse  unter  einander  als  die  (nothwen- 
dige,  obschon  nicht  zureichende)  Bedingung  ihrer  Ueberein- 
stimmung  mit  der  Wirklichkeit  bezogen  werden. 

Der  Satc  der  Identität  hat  nicht,  wie  Einige  meinen,  irgend  einen 
Scholastiker  (wie  etwa  den  von  Polz  nnd  nach  diesem  auch  von  Bach- 
mann u.  A.  angefahrten  Scotisten  Antonius  Andrea,  der  die  Formel 
aulsteUte:  ens  est  ens),  noch  weniger  aber  erst  einen  modernen  Logfiker, 
sondern  den  Eleaten  Parmenides  zum  Urheber.  Dieser  spricht  den- 
selben in  der  einfachsten  Form  dahin  aus :  Hart  (Parm.  fragm.  ed.  Mullach 
Y8.  85;  68),  femer:  xqti  to  Xiysiv  n  voitv  r'*  iov  Ififievai'  oportet 
hoc  dicere  et  oogitare:  id  quod  sit,  esse  (vs.  48),  nnd  iari  yuQ  eJyat 
(▼8. 43).  Vgl.  oben  §  11.  Den  Gegensatz  zwischen  der  Heraklitischen 
Ansicht,  dass  ein  Jegliches  zugleich  sei  und  auch  nicht  sei  und  alles 
fliesse,  und  der  Parmenideischen  Ansicht,  dass  nur  das  Sein  sei, 
das  Nichtsein  aber  nicht  sei  und  alles  beharre,  sucht  Plato  durch  seine 
Unterscheidung  der  unwandelbaren  Welt  des  Seins  oder  der  Ideen, 
deren  jede  ein  stets  mit  sich  selbst  gleiches  Wesen,  tale,  quäle  est, 
a€\  xarä  raurä  ov  (Tim.  p.  27  u.  ö.)  sei,  und  der  wandelbaren  Welt 
des  Werdens  oder  der  sinnlichen  Dinge  zu  lösen:  das  Wissen  oder  die 
wahre  Erkenntniss  geht  auf  das  Sein  und  besteht  darin,  dass  das 
Seiende  als  seiend  erkannt  wird.  Rep.  V,  p.  477  B:  ovxovv  imar^fiti 
fAkv  (nl  T^  om  7t^(pvxe  yvmvat  mg  larr  to  ov;  p.  478  A:  iniffi'^fAfi  fikv 
yi  Tiou  inl  Tip  o>T»  (n^tpvxe)  ro  ov  yviSvai  tag  ^/et.  VgL  CratyL386B: 
Xoyog  —  Off  av  r«  ovra  Xfyij  mg  fariv  altj&rfgf  og  d*  av  mg  ovx  ItfTi, 
^fwfijc.  Die  Annahme,  dass  die  blosse  Uebereinstimmung  der  Vor- 
stellungen unter  einander  ein  Kriterium  ihrer  Wahrheit  sei,  wird  von 


232  §  76.   Der  Grundsatz  der  Identität. 

Plato   (CratyL  p.  436   C,  D)   ausdrücklich    verworfen.     Arietoteies 
definirt  Metaph.   III,  7.  1011  b.  26:   t6  fikv  yaq  XfyeiVj  jo  ov  /i^  eiHw 
rj  ro  /uri    ov    üvtUy    \fJ€vdos'    t6    ^k,    to    oy  elvai  xal  to  fii\  ov  fiij  dvai, 
«Ai;^/;.  Metaph.  VlII,  10.  1051  b.  3:  aXri&evBi  fikv  6  to  ^irjigfifjtivov  ö/d- 
f^evos  ^ittiQ€Ta^€u  xal  ro  avyxeijusvov  ovyx€to&ur  )^%f߀vat€u  6k  6  fvavriäpg 
tx^y  n  Tce  ngayfioTit,      Wenn  Aristoteles  (AnaL  pri.  I,  32.  47  a.  8;  cf. 
Eth.  Nioom.  I,  8.  1098  b.  11)   von   der    Wahrheit   auch   durchgängige 
Uebereinstimmung   mit   sich    selbst   verlangt:    diZ  yoQ   näv  ro  alr\&k£ 
auTo  iavT^  6/4oloyoviLt€yov  €7v(u  navrri'  so  geht  dies  doch   nicht  auf  die 
blosse  tautologische  Einheit,  welche  der  Grundsatz  der  Identität  nach 
seinem  engeren  Sinne  fordert,  sondern  auch  auf  die  Uebereinstimmung 
der  Folgen  mit  den  (Gründen;  das  als  nothw endig  Deducirte  findet  sich 
bei    der  Analyse   des    Gegebenen  auch   thatsächlich  bestätigt.    In  den 
Erörterungen  des  Arist.  de  interpret.  c.  11  über  die  Setzung  von  In- 
haltsbestandtheilen  des  Begriffs  als  Prädicaten  liegt  der  Satz  der  Iden- 
tität in  dem  im  Texte  des  Paragraphen  bezeichneten  Sinne.    Leibniz 
(Nouv.  ess.  IV,  2,  §  1)   stellt   als   erste   affirmative    Vernunftwahrheit 
oder  als  erste  identische  Wahrheit  den  Satz  auf:   chaque  chose  est  oe 
qu'elle  est,  oder:    A  est  A.    In  ähnlicher  Art  betrachtet  Wolff  (Log. 
§  270)    als   allgemeinstes  identisches  ürtheil  den  Grundsatz:  idem  ens 
est   illud    ipsum   ens,   quod  est,   seu  omne  A  est  A.     Der  Wolffianer 
Baumgarten  (Metaph.  1739,  §  11)  gebraucht  die  Formel:  omne  pos- 
sibile  A  est  A,  seu   quidquid   est,    illud   est,   seu   omne  subiectum  est 
praedicatum   sui,    und  nennt   diesen    Grundsatz  »principium  positionis 
seu  identitatisc.    Der  Wolffianer   Polz    (Fase    comm.  metaph.   1757, 
p.  21;  26;  28;  39)  findet  das  absolut  erste  Prindp  in  dem  Satze:  idem 
sibimet   ipsi   est  idem.     Der  Satz   galt  in  der  Wolffischen  Schule  im 
Allgemeinen    nicht    als    logisches,    sondern    vielmehr  als    metaphy- 
sisches Princip.    Der  Eklektiker  Daries  (Vemunftkunst,  1731,  §  1) 
stellte    zuerst   den  Satz  des  Widerspruchs,  und  Reimarus  (Vemunft- 
lehre,  1756,  §  14)  die  »Regel  der  Einstimmung  (principium  identitatis)c 
unter  der  Formel:  ein  jedes  Ding  ist  das,  was  es  ist,  oder  ist  mit  sich 
selbst  einerlei   oder   sich   selbst   ähnlich   und  gleich,  zugleich  mit  der 
»Regel  des  Widerspruchs«  als  oberstes  Princip   an  die  Spitze  der  Lo- 
gik.   Noch  weiter  ging  in  dieser  Richtung  die  subjectivistisch-formale 
Logik,  wie    sie   sich   in  Folge  der  Kantischen  Verzweiflung  an  der 
Erkennbarkeit  des  wirklichen  Seins  gestaltete.  Dieselbe  betrachtet  statt 
der  Uebereinstinmiung  mit  dem  Sein  (welche  noch  Wolff  und  Reimarus 
gefordert  und   durch   logisches   Denken  erreichen  zu  können  geglaubt 
hatten)  die  blosse  Uebereinstimmung  des  Denkens  mit  sich  selbst  oder 
der  Gedanken   unter   einander  als   das  Wesen  der  logischen  Wahrheit 
und  erhebt  demgemäss  den  Grundsatz  der  Identität  und  der  Einstim- 
migkeit in  jener  tautologischen  Form :  A  =s  A,  oder:  alles  ist  mit  sich 
selbst  identisch,  zum  allbeherrschenden  Princip  des  Systems  der  Logik. 
Aber   als   tautologischer   Satz  ist   die  Formel:    A  ss  A  nichtssagend, 
und  keineswegs,  die  nothwendige  positive  Ergänzung  zu  dem  Satze  des 
Widerspruchs.    Denn   dass   der   einmal   als  wahr  anerkannte  Gedanke 


§  76.    Der  Grondsats  der  Identität  283 

nicht  durch  einen  widersprechenden  wieder  aufgehoben  werde,  ist  eine 
berechtigte  logische  Anforderung;  dass  er  aber  sich  selbst  gleich  und 
also  immer  wieder  wahr  sei,  ist  eine  überflüssige  Bemerkung.  Seh  el- 
lin g  (Phil.  Sehr.  I,  S.  407)  erkennt  die  Unzulänglichkeit  dieses  Grund- 
satses  für  eine  wissenschaftliche  Logik,  und  macht  mit  Recht  darauf 
anfmerksam,  dass  selbst  identisch  lautende  Sätze  ihrem  Sinne  nach 
über  das  blosse  analytische  Princip:  A  =s  A  hinausgehen.  Dem  Grund- 
satse  der  Identität  in  seiner  gewöhnlichen  Form  setzt  Hegel  (Log.  I, 
2,  S.  32  £f.;  Encycl.  §  115)  die  richtige  Bemerkung  entgegen,  dass  kein 
Bewusstsein  nach  diesem  Gesetze  denke,  noch  vorstelle,  noch  spreche, 
Tielmehr  das  Sprechen  nach  demselben  (eine  Pflanze  ist  —  eine  Pflanze; 
der  Planet  ist  —  ein  Planet  etc.)  für  albern  gelten  würde.  Schleier- 
maoher (Dial.  §  112)  meint,  dass  der  Satz,  um  nicht  leer  zu  sein, 
entweder  auf  Identität  des  Subjectes  als  Bedingung  des  Wissens  oder 
auf  Identität  des  Gedachten  und  des  Seins  als  Form  des  Wissens  ge- 
deutet werden  müsse.  Die  Deutung  einiger  neueren  Logiker  auf 
die  feste  und  sich  selbst  gleiche  Natur  der  menschlichen  und  insbe- 
sondere der  begrifflichen  Erkenntniss  (Weisse,  über  die  philos.  Be- 
deutung des  Grundsatzes  der  Identität,  in  Fichte's  Zeitschrift  für  Phi- 
k)eophie  u.  spea  Theol.  1889,  lY,  1,  S.  1  ff.;  L  H.  Fichte  de  princi- 
piorum  oontradictionis,  identitatis,  exclusi  tertii  in  logicis  dignitate  et 
ordine  dissertatio,  1840,  S.  10  ff.;  S.  26),  wobei  auch  der  Satz  des 
Widerspruchs  nur  als  die  negative  Form  desselben  Princips  aufgefasst 
wird,  möchte  sich  allzusehr  von  deigenigen  Bedeutung  und  Anwendung 
entfernen,  welche  diesen  Sätzen  in  der  Logik  und  insbesondere  in  der 
Schluss-  und  Beweislehre  seit  Aristoteles  mit  Recht  zuerkannt  wird; 
auch  hat  die  Lehre  vom  Begriff  bereits  ein  anderes  metaphysisches 
Princip,  nämlich  in  der  Lehre  vom  Wesen,  dessen  Bedeutung  durch 
die  blosse  beharrliche  Identität  mit  sich  selbst  keineswegs  erschöpft 
wird.  S.  oben  §  56.  Wenn  freilich  davon  ausgegangen  wird,  dass  der 
Satz  das  Princip  der  gesammten  Logik  enthalten  müsse,  so  ist  eine 
Umdentung  in  entsprechendem  Sinne  nothwendig;  es  muss  dann  die 
Forderung  hineingelegt  werden,  dass  die  Erkenntniss  überhaupt  wahr 
sein,  d.  h.  mit  dem  Sein  übereinstimmen  solle.  Aber  warum  sollte 
diese  Forderung  nicht  lieber  vermittelst  des  adäquaten  Ausdrucks: 
Idee  der  Wahrheit  bestimmt  bezeichnet,  als  unter  der  vieldeutigen 
Formel:  A  =a  A  verhüllt  werden?  Delboeuf  will  den  Satz  der  Iden- 
tität entweder  auf  die  Forderung  gedeutet  wissen,  dass  jedes  Urtheil 
wahr,  d,  h.  mit  der  Wirklichkeit  in  Uebereinstimmung  sei  (welche 
Deutung  in  der  ersten  Auflage  der  vorliegenden  Schrift  gegeben  wurde), 
oder  auf  das  erste  oder  zweite  seiner  drei  logischen  Principien  (s.  oben 
zu  §  75). 

Sigwart  in  seiner  Logik  Bd.  1.  Th.  1.  Abschn.  2.  §  14  Die  ob- 
jective  Gültigkeit  des  ürtheils  und  das  Princip  der  Identität  S.  77  u.  ff. 
—  mochte  es  zutreffender  finden,  von  dem  Principe  der  Uebereinstim- 
mong  zu  reden,  nach  welchem  ein  Urtheil  darum  objectiv  gültig  ist, 
weil   es  nothwendig  ist  Uebereinstimmendes  in  Eins  zu  setzen.     Was 


234  §  77.   Der  Grandsaiz  des  Widenpruchs. 

dieses  Prinoip  aussage,  sei  die  Nothwendigkeit,  dass,  was  durch  die 
Benennung  verbunden  und  damit  in  Eins  gesetzt  werde,  in  seinem 
y erstell ungsgehaite  übereinstimme,  dass  das  ürtheil,  das  die  Einheit 
von  Subject  und  Prädicat  behaupte,  nur  mit  dem  Bewusstsein  dieser 
Uebereinstimmung  möglich  sei,  und  dass  kein  Denkender  sich  darüber 
täuschen  könne,  ob  zwei  Vorstellungen,  die  er  als  Subject  und  Prädi- 
cat gegenwärtig  habe,  und  sofern  er  sie  gegenwärtig  habe,  überein- 
stimmen oder  nicht.  Das  Princip  der  Uebereinstimmung  spreche  also 
die  unmittelbare  und  unfehlbare  Sicherheit  in  der  Vergleichung  als 
eine  nothwendige  Voraussetzung  alles  Urtheilens  und  zugleich  als  eine 
fundamentale  psychologische  Thatsache  aus.  Es  scheint  ihm  nidit 
rathsam,  diesen  Grundsatz  mit  dem  Namen  des  Principes  der  Identität 
zu  belegen,  dem  man  zu  vielerlei  Bedeutungen  gegeben  und  zu  vielerlei 
Leistungen  zugemuthet  habe;  auch  an  sich  wäre  das  unpassend,  denn 
um  absolute  Identität  zwischen  Subjects-  und  Prädicatsvorstellung  han- 
dele es  sich  im  strengsten  Sinne  nicht,  sondern  nur  darum,  dass  das 
unter  dem  Prädicatswort  Vorgestellte  im  Subjecte  wiedergefunden 
werde.  —  Zu  vergl.  Sigwart's  Berichtigung  von  Wundt's  Missver- 
ständniss  seiner  Auffassung  des  Identitötsgesetzes  in  seinem  Art.  1.  Lo- 
gische Fragen  in  der  Vierteljahrschr.  f.  wissensch.  Fhilos.  Bd.  4. 1880. 
S.  462.  Zur  Erläuterung  ist  hier  bemerkt:  »Ich  hatte  zwei  Bedeu- 
tungen des  sogen.  Princips  der  Identität  unterschieden;  nach  der  einen 
fordere  es  die  Constanz  der  Begriffe,  die  in  ein  ürtheil  eingfehen,  weil 
zwischen  fortwährend  Schwankendem  und  Zerfiiessendem  sich  keine 
Synthese  vollziehen  lasse,  betreffe  also  eine  nothwendige  Voraus- 
setzung des  Urtheils;  nach  der  anderen  betreffe  es  das  ürtheil 
selbst.  In  dieser  Hinsicht  bestritt  ich,  dass  das  Verhaltniss  von  Sub- 
ject und  Prädicat  allgemein  als  das  der  Identität  bezeichnet  werden 
könne;  aber  der  Forderung  der  Constanz  der  Begriffe  entspreche 
hier  die  Eindeutigkeit  des  Urtheilsactes;  in  jedem  ürtheil  werde 
etwas  Bestimmtes  behauptet,  wie  bei  jedem  Begriff  und  seiner  Wort- 
bezeichnung etwas  Bestimmtes  gedacht  werden  müsse ;  diese  Eindeutig- 
keit des  Urtheilsactes  sei  die  positive  Kehrseite  zum  Satze  des  Wider- 
spruchs, der  verbiete  dasselbe  zu  bejahen  und  zu  verneinen,  c 

§  77.  Der  Grundsatz  des  (zu  vermeidenden)  Wider- 
spruchs (principium  contradictionis)  lautet:  contradictoriscli 
einander  entgegengesetzte  Urtheile  (wie:  A  ist  B,  und:  A  ist 
nicht  B)  können  nicht  beide  wahr,  sondern  das  eine  oder 
andere  muss  falsch  sein;  aus  der  Wahrheit  des  einen  folgt 
die  Falschheit  des  anderen.  Oder:  die  Doppelantwort:  j  a 
und  nein,  auf  eine  und  dieselbe  in  dem  nämlichen  Sinne  ver- 
standene Frage  ist  unzulässig.  Der  Beweis  dieses  Satzes  ist 
vermittelst  der  Definitionen  der  Wahrheit  (§  3),  des  Urtheils 
(§  67)  und  der  Bejahung    und  Verneinung  (§  69)  zu  ftthren. 


§  77.  Der  Ghrandsats  des  Widenpniohs.  285 

Diesen  Definitionen  gemäss  ist  die  Wahrheit  der  Bejahung 
gleichbedeutend  mit  der  Uebereinstimmung  der  Vorstellungs- 
combination  mit  der  Wirklichkeit,  folglich  mit  der  Falschheit 
der  Yerneinangy  and  die  Wahrheit  der  Verneinung  gleich- 
bedeutend mit  der  Abweichung  der  VorsteUnngscombination 
von  der  Wirklichkeit,  folglich  mit  der  Falschheit  der  Bejahung, 
so  dass,  wenn  die  Bejahung  wahr,  die  Verneinung  falsch,  und 
wenn  die  Verneinung  wahr,  die  Bejahung  falsch  ist,  was  zu 
beweisen  war. 

Auf  einen  einzelnen  Begriff  (notio  contradictionem  in- 
Yolvens  sive  implicans),  sowie  auf  die  Verbindung  eines  Be- 
griffs mit  einem  einzelnen  Attribute  (contradictio  in  adiecto), 
ferner  auf  den  Widerstreit  (repugnantia),  d.  h.  den  mittel- 
baren Widerspruch,  der  erst  durch  Ableitung  der  Folgesätze 
hervortritt,  findet  der  Grundsatz  des  Widerspruchs  insofern 
Anwendung,  als  diese  Formen  sich  stets  in  zwei  Urtheile,  die 
einander  contradictorisch  entgegengesetzt  sind,  auflösen  lassen. 

So  einfach  und  einleuchtend  der  Satz  des  Widerspruehs  an  sich 
selbst  ist,  so  haben  sich  doch  an  denselben  im  Laufe  der  Jahrhunderte, 
während  welcher  er  als  ein  metaphysisch-logisches  Princip  gegolten 
hat^  manche  Fragen  und  Bedenken  geknüpft,  die  eine  genauere  Erör- 
terung erheischen.  Diese  gehen  namentlich  auf  seinen  Ausdruck  und 
seine  Bedeutung,  auf  seine  Beweisbarkeit  und  Gnltigkeit  und  das  Ge- 
biet seiner  Anwendung. 

Was  zunächst  den  Ausdruck  betrifft,  so  ist  die  sehr  häufig  ge- 
brauchte Formel:  contradictorisch  entgegengesetzte  Urtheile  können 
nicht  zugleich  wahr  sein,  als  ungenau  zu  verwerfen.  Dieselbe  lasst 
ungewiss,  ob  das  Zeitverhältniss,  welches  in  dem  »Zugleich c  nach  der 
gewöhnlichen  Auffassung  liegen  soll,  auf  die  Urtheile  selbst  als  Denk - 
acte  oder  auf  ihren  Inhalt  zu  beziehen  sei.  Wenn  das  Erste  (was 
der  Worteinn  der  Formel  fordern  würde),  so  sagt  das  Gesetz  zu  wenig. 
Es  reicht  zur  Vermeidung  des  Widerspruchs  nicht  aus,  dass  das  eine 
Glied  desselben  jetzt  und  das  andere  erst  später  gedacht  wird.  Oder 
kann  es  etwa  im  18.  Jahrhundert  wahr  gewesen  sein,  dass  die  Home- 
richen  Werke  von  Einem  Dichter  herstammen,  im  19.  aber  wahr  sein, 
dass  sie  verschiedene  Urheber  haben?  —  Soll  aber  der  Sinn  der  For- 
mel der  andere  sein :  contradictorisch  entgegengesetzte  Urtheile  können, 
wofem  ihr  Inhalt  auf  dieselbe  Zeit  geht,  nicht  beide  wahr  sein,  so 
würden  zunächst  die  Worte  der  Formel  strenggenommen  dies  nicht 
besagen,  und  daher  der  Ausdruck,  der  in  solchen  Formeln,  wenn  die- 
selben irgend  einen  Werth  haben  sollen,  gerade  der  allerstrengste  sein 
mun,   an    einer  grammatischen  Ungenauigkeit  kranken.     Femer  aber 


236  §  77.  Der  Grundsatz  des  Widerspruchs. 

wäre  das  Gesetz  mit  einer  überflüssigen  Bestimmung  beladen.  Ein  Ur- 
theil,  welches  mit  einem  anderen  im  Uebrigen  zwar  übereinkommt, 
aber  eine  abweichende  Zeitbestimmung  enthält  (sei  es  auch,  dass  diese 
Abweichung  in  den  Worten  nicht  ausdrücklich  hervortritt,  sondern  nur 
versteckter  Weise  in  der  Beziehung  auf  die  jedesmalige  Gegenwart  des 
Urtheilenden  liegt),  ist  nicht  mehr  das  gleiche  ürtheil;  daher  bildet 
auch  die  Verneinung  desselben  nicht  den  contradictorischen  Gegensatz 
dos  anderen  Urtheils ;  folglich  findet  das  Gesetz  des  Widerspruchs,  wel- 
ches ja  nur  auf  contradictorisch  entgegengesetzte  Urtheile  geht,  auf 
Urtheile  jener  Art  schon  an  sich  keine  Anwendung,  und  es  ist  nicht 
die  Aufnahme  der  Zeitbestimmung  in  die  Formel  desselben  erforderlidi, 
um  diese  Unanwendbarkeit  festzustellen.  Die  Zeitbestimmung  hat  kein 
grösseres  Recht  zur  Aufnahme,  als  das  Ortsverhältniss  und  alle  anderen 
adverbialen  Beziehungen,  die  sämmtlich  aus  dem  nämlichen  Grunde, 
weil  urtheile,  in  denen  sie  verschieden  sind,  zu  einander  nicht  im  con- 
tradictorischen Gegensatze  stehen  können,  keiner  besonderen  Erwäh- 
nung bedürfen.  Soll  aber  unter  dem  »Zugleich«  nicht  das  2jeitver- 
hältniss  (simul),  sondern  das  Zusammenwahrsein  oder  Gemeinschaft- 
lichwahrsein (una)  verstanden  werden,  so  ist  es  besser,  durch  den  Aus- 
druck: sie  können  nicht  beide  wahr  sein,  den  Doppelsinn,  der  manche 
und  nicht  unbedeutende  Logiker  irre  geleitet  hat,  zu  vermeiden. 

Weil  die  völlige  Gleichheit  des  Sinnes  sowohl  der  einzel- 
nen Termini  in  beiden  Urtheilen,  als  auch  ihrer  Bejahung  oder 
Verneinung  die  Bedingung  ist,  ohne  welche  kein  oontradictorisoher 
Gegensatz  zwischen  ihnen  stattfinden  kann,  so  ist  bei  gegebenen  Ur- 
theilen, die  dem  Wortlaute  nach  einander  contradictorisch  entgegen- 
gesetzt zu  sein  scheinen,  stets  das  Verhältniss  der  Gedanken  in  diesen 
Beziehungen  genau  zu  prüfen.  Wenn  die  UrtheOe  nur  den  Worten, 
aber  nicht  dem  Sinne  nach  einander  widersprechen,  oder  wenn  sie  wegen 
der  Unbestimmtheit  ihres  Sinnes  logische  Urtheile  nur  zu  sein  scheinen, 
in  der  That  aber  blosse  Gedankenrudimente  sind,  so  kann  recht  wohl 
und  muBS  nicht  selten  auf  die  nämliche  Frage  zugleich  ja  und  nein 
geantwortet  werden.  Ob  z.  B.  die  Logik  ein  Theil  der  Psychologie 
sei,  kann  bejaht  und  verneint  werden,  ohne  dass  zwischen  beiden  an- 
scheinend contradictorisch  einander  entgegengesetzten  Antworten  ein 
wirklicher  Widerspruch  zu  bestehen  braucht,  wenn  nämlich  das  Wort 
Psychologie  bei  der  Bejahung  jener  Frage  in  dem  weitesten  Sinne 
(gleichbedeutend  mit  Geisteswissenschaft)  gebraucht,  bei  der  Verneinung 
aber  in  einem  engeren  Sinne  (wie  z.  B.  von  uns  oben  in  §  6)  verstan- 
den wird.  Erst  nachdem  durch  Feststellung  des  schwankenden  Sinnes 
einer  Frage  und  Berichtigung  etwaiger  irriger  Voraussetzungen  dersel- 
ben die  Möglichkeit  einer  einfachen  Antwort  begründet  ist,  tritt  die 
logische  Forderung  in  Kraft,  dass  zwischen  ja  und  nein  zu  wählen  sei. 
Nicht  wenige  leere  Streitfragen  und  auch  nicht  wenige  der  hartimckig- 
sten  Irrthümer  und  täuschendsten  Sophismen  haben  sich  von  jeher  an 
die  Vernachlässigung  dieser  Vorsicht  geknüpft.  —  Was  die  Art  betrifft, 
wie  die  Bejahung  oder  Verneinung  zu  verstehen  ist,  so  beruht  die  Mog- 


§  77.  Der  Grundsatz  des  Widerspraohs.  287 

lidikeit  eines  yerschiedenen  Sinnes  derselben  darauf,  dass  die  in  dem 
Urtheil  erhaltene  Yorstellungscombination  entweder  mit  dem  Sein  im 
absoluten  Sinne  oder  mit  der  blossen  objectiven  Erscheinung,  wie  sie 
durch  die  normale  Function  der  Sinne  bedingt  ist,  und  mit  dieser  letz- 
teren wiederum  in  verschiedener  Weise  in  Vergleich  gestellt  werden 
kann.  Die  Frage  z.  B.,  ob  die  Sonne  sich  im  Baume  fortbewege,  muss 
bejaht,  verneint  und  wiederum  bejaht  werden,  je  nachdem  sie  auf  die 
nächste  sinnliche  Erscheinung,  oder  auf  das  Zusammensein  der  Sonne 
mit  den  um  sie  rotirenden  Körpern  (abgesehen  von  ihrer  eigenen  Be 
wegung  um  das  Centrum  der  Gravitation),  oder  auf  das  Zusammensein 
der  Sonne  mit  der  Fizsternwelt  bezogen  wird;  wer  endlich  (mit  Kant) 
der  Meinung  wäre,  dass  alle  Räumlichkeit  nur  der  Erscheinung  ange- 
höre, wie  diese  durch  die  Eigenthümlichkeit  der  menschlichen  Sinnes- 
anschauung bedingt  sei,  und  jene  Frage  auf  die  Sonne  als  »Ding  an 
siehe  oder  auf  das  »transscendentale  Objectc  bezöge,  welches,  indem  es 
uns  affidre,  die  Erscheinung  der  Sonne  im  Baume  veranlasse,  würde 
dieselbe  auf  diesem  kritischen  Standpunkte  wiederum  verneinen  miissen. 
Die  Möglichkeit  und  Nothwendigkeit,  den  Satz  des  Widerspruchs 
zu  beweisen,  pflegt  in  Abrede  gestellt  zu  werden  und  zwar  aus  dem 
Grunde,  weil  derselbe  ein  oberstes  Princip  und  daher  nicht  aus 
anderen  ableitbar  sei;  höchstens  könne  er  auf  indirecte  Weise  daraus 
erwiesen  werden,  dass  kein  Denkender  in  den  einzelnen  Fällen  sich  der 
Anerkennung  seiner  Gültigkeit  zu  entziehen  vermöge.  Allein  die  Be- 
hauptung, dass  der  Satz  ein  schlechthin  Erstes  und  Unableitbares  sei, 
ist  ihrerseits  zweifelhaft  und  in  der  That  mehrseitig  von  Skeptikern, 
Empiristen  und  Dogmatikem  bestritten  worden;  auch  für  uns  ist  das 
oberste  logische  Princip  nicht  der  Satz  des  Widerspruchs,  sondern  viel- 
mehr die  Idee  der  Wahrheit,  d.  h.  der  Uebereinstimmung  des  Wahr- 
nehmungs-  und  Denkinhalts  mit  dem  Sein  (s.  oben  §  8  u.  §  6).  Dass 
ein  Beweis  wünschenswerth  sei,  kann  heute  wohl  nicht  mehr  in  Abrede 
gestellt  werden,  da  nicht  nur  über  die  richtige  Formel,  sondern  auch 
aber  die  Gültigkeit  des  ;Satzes,  über  seine  Voraussetzungen  und  die 
etwaigen  Grenzen  seiner  Anwendung  so  manche  Discussionen  schweben, 
die  ohne  einen  Beweis,  aus  welchem  zugleich  die  wahre  Bedeutung  des 
Satzes  erhellen  muss,  wohl  niemals  eine  allgemein  anerkannte  Erledi- 
gung finden  werden.  Die  Thatsache,  dass  in  diesen  Verhandlimgen 
selbst  die  Wahrheit  des  Satzes  ernsthaft  in  Frage  gekommen  ist,  wider- 
legt zugleich  am  schlagendsten  jene  vage  Behauptung  von  einem  > An- 
geboren sein«  desselben,  wodurch  alle  philosophische  Untersuchung 
zn  Gunsten  einer  blinden  Unterwerfung  unter  die  unbegriffene  Autori- 
tät des  Satzes  von  vom  herein  abgeschnitten  wird.  Die  Möglichkeit 
eines  Beweises  beruht  aber  auf  genauen  Definitionen  der  Wahrheit,  des 
ürtheils  und  der  Bejahung  und  Verneinung;  sind  solche  vorausgeschickt 
worden,  so  lässt  er  sich  (als  ein  analytisch  gebildeter  Satz)  durch  blosse 
Begriffszergliederung  ohne  Schwierigkeit  ableiten.  Demgemäss  führt  der 
Satz  (ebenso  wie  die  verwandten)  den  Namen  eines  Grundsatzes  nur 
insofern  mit  Beoht,   als  er  für  eine  Reihe  anderer  Sätze,  namentlich 


288  §  77.  Der  GrandsatE  des  Widerspracbs. 

in  der  Scfaloss-  und  Beweislehre,  eine  fundamentale  Bedentung  hat, 
aber  nicht  in  dem  Sinne,  als  ob  er  selbst  anableitbar  wäre. 

Gegen  die  Beweisbarkeit  überhaupt  und  insbesondere  gegen  die 
oben  (im  Texte  des  §)  gegebene  Ableitung  dfiB  Satzes  vom  Widersprach 
lassen  sich  allerdings  noch  mehrere  Einwände  erheben.  Die  Ablei- 
tung, konnte  man  sagen,  setze  schon  die  Gültigkeit  des  Satzes 
voraus;  denn  das  Denken,  welches  ihn  aus  den  Definitionen  deducire, 
sei  nur  unter  der  Voraussetzung  möglich,  dass  nicht  Widersprechendes 
wahr  sein  könne.  Aber  dieser  Einwand  würde  zu  viel  und  daher  gar 
nichts  beweisen;  denn  ganz  das  Gleiche  gilt  auch  von  allen  anderen 
logischen  Gesetzen:  das  Denken,  welches  sie  deducirt,  ruht  doch  auch 
selbst  auf  ihnen.  Wenn  dnrcii  diesen  Umstand  die  Beweise  zu  fehler- 
haften Cirkelbeweisen  würden,  so  müsste  auf  aUe  wissenschaftUohe 
Darstellung  der  Logik  verzichtet  werden.  Allein  so  ist  es  nicht.  Ein 
Anderes  ist  die  an  sich  bestehende  Gültigkeit  dieser  Gesetze  und 
ihre  (ursprünglich  uns  unbewusste)  Wirksamkeit  in  unserem  wirk- 
lichen Denken,  auch  in  demjenigen,  welches  sie  selbst  deda- 
cirt,  und  ein  Anderes  das  (mehr  oder  minder  klare)  Wissen  um  diese 
Gesetze  (vgl.  oben  §  4).  Die  Deduction  des  Satzes  vom  Widersprudh» 
so  wie  eines  jeden  andern  logischen  Gesetzes,  würde  in  den  Fehler  des 
Cirkelbeweises  fallen,  wenn  der  Satz,  der  bewiesen  werden  soll,  selbst 
als  gewusster  und  so  als  eins  der  Beweismittel,  als  Prämisse,  offen- 
barer oder  versteckter  Weise  vorausgesetzt  würde,  was  in  der  obigen 
Ableitung  nicht  geschieht;  aber  dieser  Fehler  wird  keineswegs  schon 
dadurch  begangen,  dass  das  dedudrende  Denken  ein  richtiges,  d.  h. 
ein  dem  abzuleitenden  Gesetze,  so  wie  allen  anderen  logischen  Gesetaen 
gemäss  es  ist*). 

Hinsichtlich  unseres  Beweises  und  zugleich  der  Gültigkeit 
des  Satzes  Hesse  sich  femer  einwenden,  dass  die  obige  Ableitung  die 
Wirklichkeit  als  das  feste  Maass  des  Denkens  voraussetze; 
dies  aber  könne  nur  unter  der  metaphysischen  Voraussetzung  eines  an* 
wandelbaren  Beharrens  alles  wirklichen  Seins  mit  Eecht  geschehen ; 
denn  unter  der  entgegengesetzten  metaphysischen  Voraussetzung  und 
also  gewiss  auch  in  Bezug  auf  die  objective  Erscheinungswelt  sei  jenes 
Maass  selbst  der  Veränderung  in  der  Zeit  unterworfen,  also  ein  schwan» 


♦)  Nur  diese  Gemassheit  scheint  mir  bei  der  Eintheilung  der 
möglichen  Verhältnisse  des  Gedankens  zur  Wirklichkeit  in  Ueberein- 
stimmung  und  Abweichung  (s.  o.  §  69)  stattzufinden,  auf  welcher  Ein- 
theilung der  obi^e  Beweis  (S.  234)  beruht.  Diese  Division  ist  eine 
Zweitheilung,  weil  wir  bei  der  Bildung  der  Begriffe  Negation  und 
Falschheit  alles,  was  nicht  üebereinstimmung  ist,  unter  Einem  an- 
deren Begriff  zusammenfassen.  Aber  möchte  man  auch  (mit  Delboeuf, 
Log.  S.  61  ff.)  in  den  Prämissen  des  obigen  Beweises  dasPrincip  des 
Widerspruchs  finden,  und  somit  denselben  nicht  als  einen  wirklichen 
Beweis  gelten  lassen,  so  würde  der  obigen  Betrachtung  doch  die  Be- 
deutung einer  Beziehung  jenes  Princips  auf  die  fundamentalen  Defini- 
tionen verbleiben  (in  welchem  Sinne  auch  Delboeuf  dieselbe  billigt). 


§  77.   Der  Qrnndsats  des  Widenpniohs.  289 

kendes,  wodoroh  nothwendig  auch  die  Wahrheit  des  Satzes  aufgehoben 
oder  mindestens  zu  einer  sehr  besohränkten  herabgesetzt  werde;  nun 
sei  aber  doch  jene  metaphysische  Voraussetzung  nicht  die  unsrige,  da 
wir  ja  (s.  o.  §  40)  die  voi)  der  menschlichen  AufiEassung  unabhängige 
Realität  der  zeitlichen  Veränderung  anerkannt  haben.  Auch 
zeige  die  Geschichte,  dass  ausgezeichnete  Denker  der  ältesten  Zeit,  wie 
der  Gegenwart,  dass  namentlich  Parmenides  und  Herbart,  und  in 
gewisser  Beziehung  selbst  Plato  und  Aristoteles  die  Gültigkeit  dieses 
logischen  Princips  und  jener  metaphysischen  Lehre  für  solidarisch  ver- 
knüpft gehalten  haben,  sowie  andererseits  Heraklit  und  Hegel,  welche 
dem  Werden  und  der  Veränderung  Realität  zugestehen,  auch  den  Satz 
des  Widerspruchs  in  den  Strudel  des  allgemeinen  Flusses  mit  hinein- 
ziehen. Allein  nichtsdestoweniger  halten  wir  unsere  beiden  Thesen 
gleichmässig  fest:  Bewegung  und  Veränderung  überhaupt  hat  Realität, 
und  schliesst  doch  keineswegs  die  allgemeine  Gültigkeit  des  Satzes  aus, 
dass  contradiotorisch  einander  entgegengesetzte  ürtheile  nicht  beide 
wahr  sein  können.  Der  Schein,  als  ob  die  eine  dieser  Thesen  die  andere 
aufhebe^  knüpft  sich  an  jene  einseitige  Ansicht  vom  Urtheil,  welche 
nur  Subject  und  Prädicat  als  wesentliche  Bestandtheile  desselben  gelten 
läset,  da  doch  vielmehr  alle  die  verschiedenen  Satzglieder,  welche  die 
Grammatik  unterscheidet,  ebensowohl  auch  logische  Bedeutung  haben 
und  ebenso  vielen  verschiedenen  Urtheilsgliedem  entsprechen.  S.  o.  §  68. 
So  gehört  auch  die  Zeitbestimmung  zwar  nicht  der  Formel  des  Gesetzes, 
wohl  aber  den  Urtheilen,  worauf  das  Gesetz  Anwendung  findet,  falls  sich 
diese  auf  ein  Geschehen  beziehen,  wesentlich  an.  Ist  nun  das  objective 
Sein,  worauf  das  Urtheil  geht,  ein  wechselndes,  so  wird  zu  fordern  sein, 
dass  der  gleiche  Wechsel  auch  in  die  Vorstellungscombination  eingehe, 
und  dass  in  der  mitaufzunehmenden  Zeitbestimmung  zum  Bewusstsein 
komme,  auf  welchen  Zeitabschnitt  die  Vorstellung  überhaupt  und  auf 
welche  Zeitpunkte  innerhalb  dieses  Abschnitts  die  einzelnen  Vorstellungs- 
elemente bezogen  werden  müssen.  So  kann  trotz  der  continuirlichen 
Veränderung  die  Vorstellung  des  Geschehens  an  dem  wirklichen  (Ge- 
schehen ihr  festes,  d.  h.  sicheres  Maass  finden.  Ein  historisches  Factum, 
z.  B.  die  Ermordung  Gäsars,  obgleich  es  sowohl  als  Ganzes  nur  einem 
bestimmten  Zeitabschnitt  angehört,  wie  auch  während  seines  Verlaufes 
in  keinem  Momente  den  Charakter  des  continuirlichen  G^chehens  ver- 
leugnen kann,  ist  nichtsdestoweniger  für  das  darauf  bezügliche  Urtheil 
der  das  oontradiotorische  Gegentheil  ausschliessende  Maassstab  der  Wahr- 
heit: das  Urtheil  ist  wahr,  wenn  sich  in  ihm  die  reale  Bewegung  beim 
Ereignisse  durch  die  entsprechende  ideale  Bewegung  in  der  Vorstellungs- 
combination in  den  richtigen  Proportionen  (obschon  vielleicht  in  ver- 
jüngtem Maasssiabe)  getreu  abspiegelt,  so  dass  sich  in  unserem  Bewusst- 
aein  misere  Vorstellung  des  Ereignisses  unserer  Vorstellung  des  allge- 
meinen  Zusammenhangs  der  historischen  Ereignisse  überhaupt  ebenso 
einordnet,  wie  das  Ereigniss  diesem  Zusammenhange  in  Wirklichkeit 
angehört,  und  die  Vorstellung  eines  jeden  seiner  Elemente  der  Vorstel- 
lung seines  gesammten  Verlauft«  ebenso,  wie  ein  jedes  dem  wirklichen 


240  §  77.   Der  Grundsatz  des  Widersprachs. 

Verlaufe  sich  eingereiht  hat.  Historische  Urtheile,  wie:  Plato  ward 
geboren  im  Jahr  429  v.  Chr.  und :  Plato  ward  nicht  im  Jahr  429  v.  Chr. 
geboren  (sondern  428  oder  427)  sind,  wiewohl  auf  ein  in  die  Zeit 
fallendes  Geschehen  bezüglich,  eben  so  streng  einander  contradictorisch 
entgegengesetzt  und  können  eben  so  wenig  beide  wahr  sein,  wie  die 
mathematischen,  auf  ein  unwandelbares  Sein  bezüglichen  urtheile:  die 
Summe  der  Winkel  eines  jeden  geradlinigen  ebenen  Dreiecks  ist,  und : 
ist  nicht  gleich  zwei  rechten  Winkeln.  —  Aber  Hegel  und  Her  hart 
behaupten  auch,  dass  die  Bewegung  und  die  Veränderung  über- 
haupt in  sich  selbst  widersprechend,  ja  Hegel  lehrt,  dass  die- 
selbe der  daseiende  Widerspruch  sei,  indem  jeder  Augenblick  des 
Uebergangs  aus  dem  einen  Zustande  in  den  anderen  (z.  B.  der  Anfang 
des  Tages)  in  sich  die  einander  contradictorisch  entgegengesetzten  Prä- 
dicate  vereinige ;  in  Bezug  auf  denselben  Moment  seien  daher,  behauptet 
Hegel,  die  einander  widersprechenden  Urtheile  beide  wahr;  das  aber, 
meint  Her  hart,  sei  nach  dem  unumstösslichen  Satze  des  Widerspruche 
unmöglich,  also  habe  der  Uebergang  und  das  Anderswerden  keine  Rea- 
lität (Hegel,  Wiss.  der  Logik  I,  2,  S.  69  der  Aufl.  von  1884;  vgl.  I, 
1,  S.  78  ff.;  Encycl.  §  88,  S.  106  der  8.  Ausg.  1830;  Herbart,  Einl. 
in  die  Phil.  §  117;  Metaph.  H,  S.  801  ff.).  Beides  jedoch  ist  falsch. 
Der  Schein  des  Widerspruchs  geht  nur  aus  der  Unbestimmtheit  des 
Sinnes  hervor  und  löst  sich  auf,  sobald  alle  einzelnen  Ausdrücke  auf 
genau  bestimmte  Begriffe  zurückgeführt  werden.  Durch  genaue  Begriffis- 
bestimmungen  werden  zunächst  feste  Grenzpunkte  gewonnen.  So  läset 
sich  z.  B.  als  Beginn  des  Tages  etwa  der  Augenblick  bestimmen,  in 
welchem  der  mathematische  Mittelpunkt  der  scheinbaren  Sonnenscheibe 
den  Horizont  überschreitet.  Nun  muss  unter  der  Uebergangszeit,  welche 
die  contradictorisch  entgegengesetzten  Prädicate  in  sich  vereinigen  soll, 
entweder  ein  endlicher  oder  ein  unendlich  kleiner  Zeitabschnitt  oder 
eine  der  Null  gleiche  Zeitgrösse  verstanden  werden.  Geschieht  das  Erste, 
so  liegen  die  Theile  des  endlichen  Zeitabschnitts  entweder  alle  auf  der 
negativen  oder  auf  der  positiven  oder  auf  verschiedenen  Seiten  der 
Grenze.  Im  ersten  Falle  (wie  wenn  die  Zeit  der  Dämmerung  als  Ueber» 
gang  von  der  Nacht  zum  Tage  oder  als  Anfang  des  Tages  bezeichnet 
würde)  ist  das  v,ßmeinende  und  nur  das  verneinende  Urtheil  wahr:  die 
Zeit  des  Uebergangs  oder  der  Anfang  in  diesem  Sinne  ist  nicht  die 
Zeit  des  Daseins  (die  Dämmerung  ist  nicht  Tag).  Im  zweiten  Falle, 
wenn  alle  Theile  auf  der  positiven  Seite  liegen  (wie  wenn  die  erste  Zeit 
nach  jenem  Durchgang  der  Anfang  des  Tages  genannt  wird),  ist  das 
bejahende  und  nur  das  bejahende  Urtheil  wahr:  der  Anfang  in  diesem 
Sinne  gehört  der  Zeit  des  Daseins  (z.  B.  dem  Tage)  bereits  an.  Im 
dritten  Falle,  wenn  die  Theile  des  Zeitabschnitts,  der  den  Uebergang 
bildet,  auf  verschiedene  Seiten  fallen  (wie  wenn  etwa  die  Zeit  zwischen 
dem  Durchgang  des  oberen  und  dem  des  unteren  Randes  der  Sonnen- 
scheibe als  Uebergangszeit  oder  ab  Anfang  des  Tages  betrachtet  wird), 
gilt  von  den  verschiedenen  Theilen  des  Subjectes  Verschiedenes,  und 
es  bestehen  nunmehr  die  beiden  Urtheile  nebeneinander:  der  eine  Theil 


§  77.  Der  Grandsatz  des  Widerspruohs.  ^41 

des  Anfangs  in  diesem  Sinne  gehört  der  Zeit  des  Daseins  (z.  B.  dem 
Tage)  an,  der  andere  nicht,  iivorin  eben  so  wenig  ein  Widerspruch  liegt, 
wie  in  dem  räumlichen  Nebeneinandersein  disjuncter  Merkmale  an 
Einem  Subjecte;  in  Bezug  auf  das  unzerlegte  Subject  aber  würde  das 
verneinende  Urtheil  und  nur  dieses  wahr  sein  (die  Zeit  des  üebergangs 
in  diesem  dritten  Sinne,  als  ein  Ganzes  betrachtet,  ist  nicht  ein  Theil 
des  Tages),  was  nicht  ausschliesst,  dass  von  einem  Theile  des  Subjectes 
das  bejahende  Urtheil  und  nur  dieses  gelte.  Oder  will  man  eine  un- 
endlich kleine  Zeitlinie  als  Uebergang  und  Anfang  bezeichnen,  so  muss 
doch  auch  diese  entweder  auf  die  eine  Seite  des  Grenzpunktes  oder 
auf  die  andere  fallen  oder  sich  auf  beide  vertheilen;  in  allen  diesen 
drei  Fällen  aber  ergiebt  sich  aus  den  gleichen  Gründen  eben  so  wenig 
etwas  Widersprechendes,  wie  unter  der  Voraussetzung,  dass  unter  der 
Zeit  des  Üebergangs  oder  des  Anfangs  eine  endliche  Zeitlinie  verstan- 
den werde.  Unter  der  dritten  Voraussetzung  endlich,  dass  der  Grenz- 
punkt selbst  gemeint  sei,  der  als  solcher  ohne  alle  Ausdehnung  in  der 
Zeit  ist,  ergiebt  sich  gleichfalls  kein  Widerspruch,  dessen  Glieder  doch 
beide  wahr  wären.  Denn  dieser  Grenzpunkt  ist,  da  seine  Ausdehnung 
in  der  Zeit  nur  gleich  Null  gesetzt  werden  darf,  in  der  That  ein  Nichts 
von  Zeit,  und  es  dürfen  ihm  daher  auch  gar  nicht  irgend  welche  po- 
sitive Prädicate  mit  logischem  Rechte  zugesprochen  werden;  in  Wirk- 
lichkeit schliesst  sich  unmittelbar  ohne  irgend  eine  (sei  es  endliche 
oder  unendlich  kleine)  Zvnschenzeit  an  das  Nochnichtdasein  das  Dasein 
an  (z.  B.  an  das  Nochnichthindurchgegangensein  des  Mittelpunktes  der 
Sonnenscheibe  durch  den  Horizont  das  Elindurchgegangensein).  Der 
Grenzpunkt,  sofern  er  als  etwas  Seiendes  vorgestellt  wird  oder  als  eine 
reale  Zwischenzeit,  welche  doch  zugleich  nur  ein  Nichts  von  Zeit  sei, 
ist  eine  blosse  Fiction,  die  allerdings  für  mathematische  Zwecke  nicht 
wohl  entbehrt  werden  kann,  in  logischer  Beziehung  aber  durch  den 
Widerspruch,  den  sie  in  sich  trägt,  sich  selbst  zerstört  *).  Wird  nun 
dieses  als  seiend  fingirte  Nichtseiende  zum  Subjecte  einer  positiven 
Aussage  gemacht  (also  etwa:  der  Zeitpunkt  des  Anfangs  gehört  der 
2jeit  des  Daseins,  z.  B.  der  Anfangspunkt  des  Tages  dem  Tage  an),  so 
ist  diese  Aussage  falsch  und  nur  die  ihr  contradictorisch  entgegen- 
gesetzte wahr,  aber  nicht  in  dem  Sinne,  als  ob  dieser  fingirte  Zeit- 
punkt der  Zeit  des  Nochnichtseins  angehörte,  sondern  in  dem  Sinne, 
dass  er  überhaupt  keiner  Zeit  angehört,  weil  er  eben  gar  kein  Zeit- 
theil,  weder  ein  endlicher,  noch  ein  unendlich  kleiner,  sondern  ein 
Nichts   von   Zeit  ist,    gleich  wie  nach   der  richtigen  Bemerkung  des 


*)  Diese  Fiction  beruht  auf  der  Abstraction,  welche  von  den  bei- 
den realiter  untrennbaren  Prädicaten:  ausgedehntsein,  und:  einen  Ort 
einnehmen,  das  zweite  festhält  und  modificirt,  während  sie  das  erste 
völlig  beseitigt.  Die  Leibnizische  Monadeulehre,  wie  auch  die  Herbart- 
sche  Annahme  einfacher  realer  Wesen,  involvirt  den  Fehler,  die  nur  in 
der  Abstraction  bestehende  Trennbarkeit  beider  Prädicate  für  real  zu 
nehmen  und  die  Punktuälität  zu  hypostasiren. 

16 


242  §  77.   Der  Grundsatz  des  Widerspruchs. 

Aristoteles  das  Urtheil:  iQayiXaipog  ian  Uvxosy  falsch  uiid  die  Ver- 
neinung desselben  wahr  ist,  aber  nicht  in  dem  Sinne,  als  ob  der  Bock- 
hirsch eine  andere  Farbe  hätte,  sondern  weil  es  überhaupt  kein  solches 
Wesen  giebt  und  die  Vorstellung  desselben  eine  blosse  Fiction  ist.  Wir 
können  uns  demgemäss  auch  nicht  mit  Trendelenburg  einverstanden 
erklären,  welcher  zugiebt,  dass  in  der  Bewegung  ein  Widerspruch  her- 
vortrete (Log.  Unters.  I,  S.  152,  2.  A.  I,  S.  187,  3.  A.  I,  S.  189:  idie 
Bewegung,  die  vermöge  ihres  BegrifiEs  an  demselben  Punkte  zugleich 
ist  und  nicht  ist,   ist  das  lebendige  Widerspiel  der  todten  Identität c ; 

1,  S.  228,  2.  A.  I,  S.  271,  8.  A.  I,  S.  276:  »der  Punkt  ist  der  erste 
Träger^  desjenigen  Widerspruchs,  der  in  der  Bewegung,  sobald  die 
darin  enthaltenen  Elemente  zerlegt  wurden,  hervorträte),  und  dennoch 
der  Bewegung  Realität  zuerkennt,  weil  nämlich  der  Grundsatz  des 
Widerspruchs,  wiewohl  innerhalb  seiner  Schranken  von  unumstösslicher 
Gültigkeit,  auf  die  Bewegung,  die  erst  die  Gegenstände  seiner  Anwen- 
dung bedinge  und  erzeuge,    nicht  angewandt  werden  könne  Ql,  S.  96, 

2.  A.  S.  154,  S.  A.  S.  175).  Der  Grundsatz  des  Widerspruchs  kann 
allerdings  auch  auf  die  Bewegung  (oder  vielmehr  auf  den  Satz:  es  giebt 
Bewegung)  angewandt  werden,  wenn  wir  nämlich  nicht  bei  dem  Satze 
stehen  bleiben,  der  noch  diesseit  der  Schwierigkeiten  liegt:  die  Bewe- 
gung ist  Bewegung,  sondern  ihren  Begrifif  zergliedern  und  so  auf  die 
Elemente,  die  in  ihr  verschmolzen  sind,  zurückgehen,  was  ja  auch  von 
Trendelenburg  selbst  in  der  oben  angeführten  Aeusserung  geschieht, 
dass  die  Bewegung  (warum  nicht  vielmehr:  das  sich  Bewegende?)  an 
demselben  Punkte  zugleich  sei  und  nicht  sei.  Aber  nach  unseren  vor- 
stehenden Erörterungen  ist  dieses  zugleich  Sein  und  Nichtsein  an  dem- 
selben Punkte  ein  blosser  Schein,  und  die  Bewegung  ist  eben 
darum  nicht  unmöglich,  weil  sie  nicht  widersprechend  ist. 

Doch  möchte  es  scheinen,  als  ob  der  Satz  des  Widerspruchs  wenig- 
stens in  einem  ganz  speciellen  Falle  eine  Ausnahme  zuliesse,  welche 
durch  die  obige  Begründung  desselben  nicht  ausgeschlossen,  sondern 
gerechtfertigt  würde.  Die  Wirklichkeit  nämlich,  auf  welche  das  Urtheil 
sich  bezieht  und  an  welcher  es  das  Maass  seiner  Wahrheit  findet,  sei 
dieselbe  eine  äussere  oder  innere  (psychische),  steht  doch  in  beiden 
Fällen  dem  Urtheil  selbst  in  der  Regel  als  .ein  Anderes  selbständig 
gegenüber:  die  Wahrheit  des  Urtheils  ist  von  ihr,  aber  sie  ist  nicht 
ihrerseits  von  der  Wahrheit  des  Urtheils  abhängig.  Nun  aber  giebt  es 
einen  Fall,  wo  die  Abhängigkeit  eine  gegenseitige  ist,  indem  nämlich 
durch  das  Urtheil  (und  zwar  nicht  erst  mittelbar  durch  ein  an  das 
Urtheil  geknüpftes  Hsndeln,  sondern  unmittelbar  durch  das  Gedacht- 
werden des  Urtheils.  selbst)  die  Wirklichkeit,  aufweiche  es  sich  bezieht, 
eine  andere  wird,  und  daher  das  Urtheil  durch  seine  eigene  Wahrheit 
unwahr  werden  zu  können  scheint.  Offenbar  wird  dieser  Fall  dann  und 
nur  dann  eintreten,  wenn  die  Wahrheit  des  Urtheils  selbst  der 
Gegenstand  des  Urtheils  ist  oder  doch  zu  dem  Gegenstände  des 
Urtheils  mitgehört.  Schon  die  Alten  haben  diesen  Fall,  ohne  sich 
übrigens  (soviel  wir  wissen)  über  die  logische  Natur  desselben  diese 


§  77.  Der  Grandsatz  des  Widersprachs.  248 

Rechenschaft  zu  geben,  empirisch  aufgefunden;  das  Dictum:  »der 
Lügner«  stellt  denselben  dar.  Epimenides  der  Kretenser  sagt:  alle 
Kretenser  reden  stets  in  allem  die  Unwahrheit  {Xgifreg  a€l  if/ivcnai). 
Hierin  liegt  nun  freilich  keine  logische  Schwierigkeit,  wenn  das  Immer- 
lugen nur  auf  die  überwiegende  Mehrzahl  der  Fälle  oder  vielmehr  auf 
die  herrschende  Neigung  zum  Lügen  bezogen  wird,  was  in  der  That  der 
Sinn  des  Satzes  im  Munde  dessen  ist,  der  den  Charakter  der  Kretenser 
schildern  will;  auch  unterlieget  es  nicht  dem  mindesten  Zweifel,  dass 
die  Behauptung,  wenn  das  Immerlügen  streng  wortlich  verstanden  werden 
sollte,  thatsachlich  falsch  und  nur  falsch  sein  würde.  Allein  es  werde 
angenommen,  dass,  abgesehen  von  diesem  Ausspruche  des  Eretensers 
Epimenides  selbst,  der  Satz:  alle  Kretenser  lügen  stets  in  allem,  was 
sie  sagen,  in  aUen  übrigen  Fällen  ohne  Ausnahme  wahr  sei.  Diese 
Annahme  schliesst,  wiewohl  sie  thatsachlich  unstatthaft  ist.  doch  keinen 
inneren  Widerspruch  in  sich  ein,  worauf  es  bei  dieser  Untersuchung 
allein  ankommt,  und  ist  in  diesem  Sinne  nicht  unmöglich.  Nun  aber 
fragt  es  sich,  ob  unter  dieser  Voraussetzung  der  Satz  des  Widerspruchs 
in  Bezug  auf  den  Ausspruch  des  Epimenides  Gültigkeit  habe  oder  nicht, 
also  ob  dieser  Ausspruch  zugleich  mit  seinem  contradictorischen  Gegen* 
theil  wahr  sein  könne  oder  nicht.  Hierin  liegt  in  der  That  ein  logisches 
Problem,  welches  wissenschaftlich  gelöst  sein  will  und  nicht,  wie  von 
vielen  unter  den  neueren  Logikern  geschieht  (die  Alten  haben  sich 
wenigstens  emstlichst  um  die  Lösung  bemüht),  durch  die  eine  oder 
andere  Ausflucht  umgangen  werden  darf,  am  allerwenigsten  aber  durch 
die  triviale  Berufung  auf  das  vorgebliche  Angeborensein  der  Ueber- 
zeugrung  von  der  ausnahmslosen  Wahrheit  jenes  Grundsatzes  sich  ab- 
fertigen lässt.  Ist  unter  der  obigen  Voraussetzung  die  Behauptung  des 
Epimenides  allgemein  zutreffend,  also  wahr,  so  würde  damit  zugleich, 
hätte  ein  Fremder  sie  aufgestellt,  ihr  oontradictorisches  G^entheil  (die 
Kretenser  lügen  nicht  stets  in  allem,  was  sie  sagen,  sondern  reden 
mindestens  zuweilen  die  Wahrheit)  falsch  sein  und  bleiben;  da  aber 
Epimenides,  der  diese  wahre  Aussage  über  die  Kretenser  gethan  hat, 
selbst  ein  Kretenser  ist,  so  giebt  es  ja  nun  doch  diese  Eine  wahre  Aus- 
sage im  Munde  eines  Kretensers;  also  ist  der  Satz,  dass  die  Kretenser 
stets  in  allem  lügen,  durch  seine  eigene  Wahrheit  falsch  geworden,  und 
sein  contradictorisches  Gegentheil  ist  also  eben  so  wahr,  wie  er  selbst. 
Dasselbe  lässt  sich  auf  folgende  Weise  schliessen.  Ist  jene  allgemeine 
Behauptung  über  die  Kretenser  wahr,  so  muss  sie  auch  von  Epimenides 
dem  Kretenser  und  seiner  Aussage  gelten ;  er  selbst  muss  also  auch  mit 
diesem  Ausspruch  eine  Unwahrheit  gesagrt  haben,  und  die  Behauptung 
hat  sich  wiederum  durch  ihre  eigene  Wahrheit  als  falsch  erwiesen,  so 
dass  auch  ihr  contradictorisches  Gegentheil  wahr  sein  muss*  Auch  sind 
dann  die  beiden  Sätze:  dieser  Ausspruch  ist  wahr,  und:  derselbe  ist 
nicht  wahr,  beide  wahr,  dem  Princip  des  Widerspruchs  zuwider.  (Unsere 
erste  Betrachtung  legt  die  Wahrheit  der  Aussage  des  Epimenides  als 
deren  logisches  Attribut  zum  Grunde,  welches  aber  nunmehr  mitdienen 
muss,   den  objeotiven  Thatbestand  zu  constituiren,    und  schliesst  aus 


244  §  77.  Der  Grundsatz  des  Widerspruchs. 

diesem  Thatbestande  auf  die  Unwahrheit  derselben  hinsichtlich  ihres 
Inhalts ;  die  zweite  geht  von  der  Bedeutung  der  Wahrheit  der  Behaup- 
tung in  Anbetracht  ihres  Inhalts  aus,  und  schliesst  daraus  auf  einen 
Thatbestand  zurück,  zu  welchem  mitgehört,  dass  derselben  Aussage  das 
Attribut  zukomme,  unwahr  zu  sein.)  Wollten  wir  aber  zuerst  annehmen, 
dass  der  Ausspruch  falsch  sei,  so  würden  wir  uns  mit  gleicher  Noth- 
wendigkeit  zu  der  Folgerung  fortgetrieben  sehen,  dass  er  auch  wahr 
sein  müsse.  Denn  alle  anderen  Aussagen  der  Kretenser  sind,  der  obigen 
Voraussetzung  zufolge,  Unwahrheiten;  ist  nun  auch  diese  Aussage  des 
Kretensers  Epimenides  unwahr,  so  sind  eben  schlechthin  alle  unwahr; 
dann  aber  ist  ja  um  dieses  Thatbestandes  willen  die  Behauptung  wahr, 
dass  alle  Kretenser  stets  in  allem  die  Unwahrheit  sagen;  der  Satz  ist 
durch  seine  Unwahrheit  wahr  geworden.  Das  Gleiche  kann  auch  auf 
folgende  Weise  gezeigt  werden.  Ist  die  Behauptung  unwahr,  dass  alle 
Kretenser  stets  lügen,  so  heisst  dies,  dass  es  wenigstens  Ein  Beispiel 
geben  muss,  wo  ein  Kretenser  wahr  redet;  der  obigen  Voraussetzung 
zufolge  sind  aber  alle  ihre  übrigen  Aussagen  Unwahrheiten,  also  kann 
die  Aussage  des  Epimenides  nicht  auch  unwahr  sein,  sondern  muss 
selbst  jene  Eine  Ausnahme  bilden,  also  wahr  sein,  und  so  hat  sich  uns 
wiederum  aus  der  Unwahrheit  der  Behauptung  ihre  Wahrheit  ergeben. 
Die  Sätze:  dieser  Ausspruch  ist  unwahr,  und:  derselbe  ist  wahr,  sind 
also  auch  wiederum  beide  währ.  (Hier  legt  in  ganz  analoger  Weise, 
wie  vorhin,  unsere  erste  Betrachtung  die  Unwahrheit  der  Aussage  des 
Epimenides  als  deren  logisches  Attribut  zum  Grunde,  welches  aber  nun- 
mehr den  Thatbestand  mitconstituirt,  und  folgert  aus  diesem  Thatbestande 
die  Wahrheit  derselben  hinsichtlich  ihres  Inhalts;  die  zweite  dagegen 
geht  von  der  Bedeutung  der  Unwahrheit  der  Behauptung  in  Rücksicht 
ihres  Inhalts  aus  und  schliesst  daraus  auf  einen  Thatbestand  zurück, 
zu  welchem  mitgehört,  dass  derselben  Aussage  das  Pradicat  zukomme, 
wahr  zu  sein.)  —  Aber  dennoch,  trotz  jener  scheinbaren  Rechtfertigung, 
würde  es  eine  Uebereilung  sein,  wenn  jemand  zugeben  wollte,  dass  hier 
eine  wirkliche  Ausnahme  von  dem  Gesetze  des  Widerspruchs  statthabe. 
Denn  unter  dem  grammatisch  einfachen  Ausdruck  sind  zwei  logisch 
verschiedene  Urtheile  zusammengefasst,  von  denen  das  zweite  gar  nicht 
gedacht  werden  kann,  also  gar  nicht  als  wirkliches  Urtheil  existirt, 
wofern  nicht  das  erste  zuvor  gedacht  worden  ist.  Das  erste  Urtheil 
nämlich  geht  auf  alle  übrigen  Aussagen  der  Kretenser;  es  ist  unter  der 
Voraussetzung,  von  der  wir  hier  überhaupt  ausgegangen  sind,  dass  jene 
sämmtlich  unwahr  seien,  wahr  und  nur  wahr,  sein  contradictorisches 
Gegentheil  aber  falsch  und  nur  falsch.  Erst  mit  Bezug  auf  dieses  Urtheil 
kann  das  zweite  gebildet  werden,  worin  die  gleichlautende  Behauptung 
in  solcher  Allgemeinheit  gedacht  wird,  dass  sie  sich  auch  auf  das  erste 
Urtheil  und  dessen  Wahrheit  mitbezieht.  Da  nun  aber  in  diesem  ersten 
Urtheil  bereits  eine  wahre  Aussage  vorliegt,  so  ist  der  Satz  in  dieser 
Erweiterung  nicht  mehr  allgemein  wahr,  sondern  falsch  und  nur  falsch, 
die  Verneinung  desselben  aber  oder  sein  contradictorisches  Gegentheil 
wahr  und  nur  wahr.    Wir  dürfen  also,  wenn  hier  jene  volle  Strenge 


§  77.  Der  Grundsatz  des  Widerspmcbs.  245 

des  Gedankens  und  der  Gedankenbezeichnung  herrschen  soll,  ohne  welche 
alle  derartigen  Untersuchungen  werthlos  sind,  den  Ausdruck  nicht  fest> 
halten,  dass  das  nämliche  Urtheil  durch  seine  eigene  Wahrheit  den 
Thatbestand,  worauf  es  gehe,  verändere  und  in  Folge  davon  falsch  werde, 
sondern  müssen  denselben  dahin  berichtigen:  durch  die  Wahrheit  des 
ersten  ürtheils  wird  das  zweite  falsch,  dessen  ideelle  Voraussetzung  jenes 
erste  bildet.  Und  so  behauptet  der  Satz  des  Widerspruchs  auch  gegen- 
über diesem  sehr  verführerischen  Scheine  einer  Ausnahme  seine  in  der 
That  ausnahmslose  Gültigkeit. 

Die  Aufgabe,  den  Widerspruch  schlechthin  zu  vermeiden,  fordert 
eine  so  harmonische  Durchbildung  des  Denkens  und  zugleich  eine  solche 
Reinheit  und  Freiheit  der  Gesinnung,  dass  ihre  Lösung  ein  immer 
nur  annäherungsweise  zu  erreichendes  Ideal  bleibt.  Nicht  nur  die 
Lücken  unserer  Forschung,  sondern  auch  jede  Art  von  sittlicher  Be- 
schränktheit, Haften  an  nationalen,  religiösen,  politischen  und  socialen 
Yorurtheilen  führt  in  Widersprüche.  In  den  antithetischen  Problemen 
(s.  §  136)  bekundet  sich  die  Schwierigkeit  der  Ueberwindung  des  Wi- 
derspruchs. 

Zur  Geschichte  des  Satzes  (worüber  auch  die  schon  oben  zu 
§  76  angeführten  Abhandlungen  von  Weisse  und  I.  H.  Fichte  ver- 
glichen werden  mögen)  bemerken  wir  noch  Folgendes.  Schon  Par me- 
nides,  der  Eleate,  stellt  dem  positiven  Grundsatze:  tlanv,  oder:  iov 
Ifufievai,  oder:  ^art  ytcQ  iJvaif  den  negativen  zur  Seite:  ovx  Htttt  fiti 
tlvtti  (Parm.  fragm.  ed.  Mullach.  vs.  35),  oder:  ouib  yaQ  ovx  iov  ftni 
(vs.  106),  oder:  ov  yitQ  qctrov  ov^k  vorjrov  iariv  on<og  ovx  l<m  (vs.  64 — 65), 
oder:  ov  yitQ  jn-^nore  rovro  y*  ?3  (y*«*^?)  *?»'««  ^^  lovra  (vs.  52).  In  die- 
sen Aussprüchen  und  insbesondere  in  dem  letzten  (dessen  angeführte 
Form  jedoch  nicht  durchaus  urkundlich  feststeht,  sondern  zum  Theil 
nur  auf  Conjecturen  zu  (Plät.?)  Soph.  p.  287  beruht)  liegt  der  Keim 
des  Satzes  vom  Widerspruch ;  denn  es  wird  darin  die  Behauptung,  dass 
das  sei,  was  nicht  ist,  für  unstatthaft  erklärt,  also  der  Sache  nach  das 
Zusammenbestehen  oder  Zusammenwahrsein  des  Ürtheils:  dieses  ist, 
mit  dem  Urtheil:  dieses  ist  nicht,  verneint.  (Der  Satz  hat  also  nicht 
erst,  wie  Weisse  a.  a.  0.  meint,  in  der  Opposition  des  Aristoteles 
gegen  die  Sophisten,  noch  auch,  wie  I.  H.  Fichte  a.  a.  0.  S.  17  ver- 
mnthet,  in  der  Platonischen  Ideenlehre  seinen  Entstehungsgrund.)  Doch 
haben  jene  Aeusserungen  bei  Parmenides  vielmehr  eine  metaphysische, 
als  eine  logische  Tendenz.  —  Bei  Xenophon  Memorab.  IV,  2,  21  sagt 
Sokrates:  oc  av  ßovXofiiVoq  iaXri9^r\  Xfydv  /arj^^noTC  ta  aura  nfgl  rtSv 
nuTtiv  Xfyg,  teXV  6S6v  re  (fQuC^v  ttjv  aurtjv  tot^  fihtf  ttqos  ?a>,  totI  Sh 
TtQog  kaniQav  (pQct^i^,  .  .  .  drilog  ort  ovx  o7d(v  —  Plato  unterscheidet, 
indem  er  die  metaphysische  Aufgabe  behandelt,  das  Verhältniss  von 
Sein  und  Werden  festzustellen,  die  intelligibeln  und  sinnlichen  Dinge. 
Ein  jedes  der  sinnlichen  Dinge,  lehrt  er,  vereinig^  in  sich  das 
Ent^i^egengesetzte :  was  gross  ist,  ist  doch  zugleich  auch  klein,  was  schön 
ist,  auch  hässlich  etc.;  man  kann  nicht  den  Gedanken  festhalten,  dass 
es  sei,  was  es  ist,  noch  auch,  dass  es  das  Gegentheil  sei  oder  nicht  sei, 


246  §  77.   Der  Griindsatz  des  Widerspruchs. 

denn  alles  Sinnliche  ist  in  unablässigem  Wechsel  begriffen.  Eben  darum 
kommt  ihm  nicht  das  Sein  zn,  sondern  es  schwebt  in  der  Mitte  zwischen 
dem  Sein  und  Nichtsein:  aua  ov  re  xdi  fjtri  ov  —  ixeZvo  ro  afnpojif^iov 
fisrä^ov  Tov  tlvcU  ji  xal  juti  üvai.  Von  einer  jeden  der  Ideen 
dagegen  gilt  der  Satz  des  Parmenides  über  das  Sein:  sie  ist  aäi  xtaa 
ravra  tagavifoi  ixovaa  (Plat.  de  Bep.  Y,  p.  478  sqq.).  Im  Phädon 
nennt  Plato  neben  den  Ideen  und  den  sinnlichen  Dingen  noch  ein 
Drittes,  nämlich  die  den  sinnlichen  Dingen  inhärirenden  Eigenschaften, 
und  spricht  nicht  nur  den  Ideen  das  beständige  Sichgleichbleiben  zu, 
sondern  behauptet  auch  von  den  Eigenschaften  der  sinnlichen 
Dinge,  dass  dieselben,  so  lange  sie  überhaupt  als  das,  was  sie  sind, 
bestehen,  niemals  zugleich  das  Entgegengesetzte  werden  oder  sein 
können.  Phädon  p.  102  D:  ov  (aovov  avio  t6  fjiiye&oq  ovdinot*  i&iXaiv 
ufitc  fjiiya  xal  a/iix^ov  elvaiy  alXä  xal  ro  iv  fifitv  fifyeOxtg  oudinore 
n^S^äx^a&ai  jo  a/ntxQov  ov6^  i&äXeiv  vniQ^x^a&atj  alXa  dvdiv  jo  m- 
Qov^  ?  (pevyeiy  xal  vmx/togetv  —  rj  —  anoXaXivai,  Ib.  102  E:  ovx 
iO-iXii  —  ovSkv  Ttav  ivavriojv  in  ov  oticq  ij»»  «,««  Tovvai^lov  yiyvea&a£ 
7€  xal  elvai.  Ib.  103  B:  avro  ro  ivavrlov  iaur^  ivavriov  ovx  av  ttotc 
yivottOy  ovT€  t6  iv  ^/nTv^  oure  to  iv  ry  ipvau.  Ib.  103  C:  ^vvtü/uoXo- 
y^xafÄCV  aga  —  f^TjS^nore  ivavxlov  iavxijt  jo  ivavrCov  iasa^ai.  Von  den 
sinnlichen  Dingen  aber  sagt  Plato,  dass  stets  das  Entgegengesetzte 
aus  dem  Entgegengesetzten  werde,  ja  dass  auch  gleichzeitig  die  ent- 
gegengesetzten Eigenschaften  an  ihnen  seien.  Phaedon  p.  70  D :  ovrwrl 
yfyvitat  navxay  ovx  aXXo&ev  rj  ix  rtov  ivavrltov  xa  ivavria.  Ib.  103  B : 
ix  jov  ivavtlov  nQdyf4ajos  to  ivavxCov  ngayfia  yiyvea&ai.  Ib.  102  B : 
ag*  ov  —  Xfyetg  tot'  elvat  iv  rtß  2if4.fiüf  afiipoTSQa,  xal  fiiyidag  xttk 
afÄiXQOTtjTa;  fyaoye.  Vgl.  an  dem  vorhin  angef.  Orte  aus  der  Bep.  die 
Worte  p.  479  B :  ävdyxij  —  xal  xaXa  7to}S  avrä  ata^Q^  fpavijvai  xal  oaa 
aXXa  igfotqs '  —  ael  ixaarov  afitporiQUiV  e^eiau  (Ferner  vgl.  Plat  Bep. 
603  A:  ovxovv  i(pafiev  t^  avT(p  afia  neol  ravra  ivavria  ^o^dCeiv  äJvva-' 
TOV  ilvai;  —  xal  oQ&as  y^  i(fafiev,  wo  hieraus  bewiesen  werden  soll, 
dass  das  XoyiOTixov,  dessen  ioyov  das  Messen  etc.  sei,  verschieden  sei 
von  den  niederen  Theilen  der  Seele:  t6  noQa  tu  fiirga  aga  So^aCov 
rijf  ^fv/iig  r^  xnra  rä  fiirfta  ovx  av  etfj  TairtoVy  nicht  die  Yereinig^un^ 
der  Glieder  des  Widerspruchs  im  Object,  sondern  das  Bestehen  des 
Widerspruchs  in  dem  denkenden  Subject  wird  hier  in  Erwägung  gezo- 
gen.) Es  bedurfte  dieser  ausführlichen  Citate  namentlich  auch  darum, 
damit  klar  werde,  inwiefern  es  eine  ungenaue  Angabe  sei,  wenn  (wie 
häufig  geschieht)  ohne  nähere  Bestimmung  und  Einschränkung  gesagt 
wird,  dass  Plato  bereits  den  Grundsatz  des  Widerspruchs  (insbesondere 
Phaedon  103  G  in  den  Worten:  fnn^inoTB  ivavtlov  kaut^  to  ivayilov 
iasad-ai)  aufgestellt  habe.  Der  Satz  des  Widerspruchs  geht  ausschliess- 
lich auf  den  oontradiotorischen  Gegensatz;  die  angeführte  Stelle  im 
Phädon  dagegen  bezieht  sich,  zunächst  wenigstens,  auf  contrar  entge- 
gengesetzte Prädicate.  Der  Unterschied  zwischen  dem  conträren  und 
contradictorischen  Gegensatze  ist  aber  auch  überhaupt  von  Plato  noch 
nicht  mit  Bestimmtheit  aufgestellt  worden,  was  doch  eine  nothwendige 


w  

§  77.   Der  Grundsatz  des  Widerspruchs.  247 

BedingruBg  der  reinen  Auffassung  jenes  Grundsatzes  ist.  So  glaubt 
denn  Plato,  da  er  in  den  sinnlichen  Dingen  conträre  Gegensätze  ver- 
einigt findet,  auch  contradictorisch  Entgegengesetztes  ihnen  zuschreiben 
zu  mtUsen;  insbesondere  erscheint  ihm  der  Wechsel  der  Frädicate 
als  Widerspruch  in  den  Dingen:  dasselbe  Ding  hat  jetzt,  und  hat 
doch  jetzt  nicht  mehr  dasselbe  Prädicat.  (Die  Reflexion,  dass,  weil  der 
zweite  Zeitpunkt  ein  anderer  ist,  darum  auch  das  zweite  Urtheil  in 
affirmativer  Form  ein  neues  sein  würde  und  in  negativer  Form  daher 
nicht  mehr  den  contradictorisch en  Gegensatz  des  ersten  bilden  kann, 
würde  diesen  Schein  aufgelöst  haben,  liegt  aber  jenseit  des  Piatonismus.) 
Demgemäss  schliesst  Plato  die  sinnlichen  Dinge  als  das,  was  zugleich 
sei  und  nicht  sei,  von  dem  Gebiete  der  Herrschaft  jenes  Grundsatzes 
(in  beiderlei  Sinne)  aus,  unterwirft  derselben  aber  das  eiktxgivcig  oy, 
welches  gleichförmig  und  unveränderlich  sei,  wie  die  Ideen  und  die 
mathematischen  Objecto.  Am  wenigsten  mit  metaphysischen  Beziehun- 
gen verflochten  und  der  logischen  Form  bei  Aristoteles  nahestehend, 
erscheint  der  Satz  Euthydem.  p.  293  B,  wo  die  Möglichkeit  verneint 
wird,  dass  etwas  Seiendes  eben  das,  was  et  sei,  auch  nicht  sei  (ri  rdiv 
oyrmv  rovro,  o  Tvyj^avsi  ov,  aino  tovro  fxrj  eJvai).  —  Aristoteles, 
Piatos  Lehren  fortbildend,  spricht  den  Satz  dea  Widerspruchs  als  me- 
taphysischen Grundsatz  in  der  folgenden  vorsichtig  umgrenzten 
Formel  aus:  es  ist  unmöglich,  dass  dem  Nämlichen  das  Nämliche  in 
der  nämlichen  Beziehung  zugleich  zukomme  und  nicht  zukomme.  Me- 
taph.  III,  3.  1005  b.  19:  t6  avro  afia  vnaQx^vk  t€  xal  firi  vnag^etv 
tt^vvatov  7^  avT^  xai  xaiä  j6  avro.  (Die  Fassung  dieses  Satzes  erinnert 
an  den  von  Plato  Rep.  lY,  p.  436,  wiewohl  in  einem  anderen  Sinne, 
aufgestellten  Satz:  ^^Xov,  on  tuvtov  tavavtia  noieiv  ^  ndax^'V  xttwa 
ittvtov  ye  xal  ttqos  Tavvov  ovx  l&slriff€t  Sfia,)  In  der  Parallelstelle  Me^ 
taph.  m,  6.  1010  b.  18  stellt  Aristoteles  den  Ausdruck  der  Gleichzei- 
tigkeit: Iv  Tip  avTtp  XQ^'^V}  i^och  neben  das  aua  ovro>  xtü  ovx  ovrms. 
Mit  urgirter  Bedeutung  des  tttino  drückt  Aristoteles  den  gleichen  Grund- 
satz in  der  kürzeren  Formel  aus :  es  kann  nicht  das  Nämliche  sein  und 
auch  nicht  sein.  Anal.  pri.  II,  2.  53  b.  15:  t6  airro  afjia  eJvcu  t€  xal 
ovx  €lvai  —  a^vvajov,  Metaph.  11,  2.  996  b.  30 :  äSvvarov  a/tta  dvm  xal 
fifl  flvtu,  Gf.  Metaph.  III,  4.  1006  a.  1.  Hiermit  verknüpft  Aristoteles 
den  entsprechenden  logischen  Grundsatz:  widersprechende  Aussagen 
können  nicht  zusammen  wahr  sein,  oder:  es  kann  niemand  anneh- 
men, dass  das  Nämliche  sei  und  nicht  sei.  Metaph.  III,  6.  1011  b.  18: 
ßeßaioroTfj  do^a  naamv  to  firi  dvai  aXrj^sZs  afia  rag  avTixHfiivag  (paaug. 
Ib.  b.  16:  advvojov  triv  avtlipaatv  alrjS-evsa&ai.  a/uia  xarä  lov  avroü, 
8. 1012  a.  2 :  ayitipaaeig  —  ovx  °^^  ^^  ^f^^  äkti&eig  elvai.  Gf.  de  interpr.  6, 
17  a.  38:  xal  ^arej  avrlipaaig  tovro'  xatdipaaig  xal  änoipaaig  al  am- 
xHfiivat,  AnaL  post.  I,  11.  77  a.  10:  ^^  ivftix^ad-ai  u/Aa  tpavat  xal 
anoipayai.  Metaph.  III,  8.  1005  b.  23:  äSvvarov  ovrivovv  tahtbv  imo- 
XafAßavHv  ilvai  xal  fAij  ilvat.  Es  lässt  sich  eine  Nachvdrkung  der  Pla- 
tonischen Auffassung  darin  erkennen,  dass  auch  Aristoteles  meint,  wenn 
alles  sich  bewegte,  so  würde  nichts  wahr  sein  (Metaph.  in,  8.  1012  b. 


24d  §  77.   Der  Grandsatz  dos  Widersprachs. 

26:  d  ök  nnvra  xivfTutiy  ovSkv  eariu  aXri&^s,  navia  kqh  ijttvdr^,  vgl. 
III,  5.  1010  a.  15  und  VIII,  10.  1051  b.  18),  und  dass  er,  um  die  Gül- 
tigkeit des  Satzes  vom  Widerspruch  vollständig  zu  siohem,  der  An- 
nahme eines  durchaus  unveränderlichen  Seins  zu  bedürfen  glaubt  (III, 
5. 1009  a.  36:  «n  cT  a$ttoaofitv  avrove  vnoXafißavuv  xal  alXijv  nva  ovaiuv 
dv€U  Ttov  otncDVf  Tf  ovj€  xCvrimg  vnnQ/jt  our«  (p&oQa  ovn  yivtaig  ro  nu- 
Qantsv  u.  1010  a.  32);  doch  hält  er  auch  in  Bezug  auf  das  Veränder- 
liche den  Satz  nicht  mit  Flato  für  schlechthin  ungültig,  sondern  lehrt 
vermittelst  seiner  Unterscheidung  zwischen  Svvafiig  und  ivrilix^ia  oder 
iv^Oyiia  genauer,  dass  das  nämliche  Object  zwar  die  Anlage  der  Mög- 
lichkeit zu  Entgegengesetztem  zugleich  besitzen,  aber  nicht  die  Gegen- 
sätze in  ihrer  Wirklichkeit  oder  ihrem  Entwickeltsein  zusammen  in 
sich  tragen  könne.  Metaph.  III,  5.  1009  a.  34:  Ji'i'a/ia  iv^ix^reu  aua 
ravTo  ih'tu  ric  ^vavt(a,  ivT€X€/€i<f  (T  ov.  cf.  VIII,  9.  1051  a.  5.  Dieser 
letzte  Satz  geht  jedoch  mehr  auf  die  conträren,  als  auf  die  contradio- 
torischen  Gegensätze.  Uebrigens  hält  Aristoteles  den  Satz  des  Wider- 
spruchs noch  nicht  (wie  die  moderne  formale  Logfik)  für  das  zurei- 
chende Fundament  des  gesammten  logischen  Systems;  er  ist  davon  so 
weit  entfernt,  dass  er  denselben  in  seinen  logischen  Schriften  sogar 
nur  gelegentlich  erwähnt  und  nur  für  ein  Princip  der  Beweise  gelten 
lässt,  aber  auch  dies  nicht  ohne  diö  Restriction,  dass  doch  der  Satz 
des  ausgeschlossenen  Dritten  eine  nähere  Beziehung  zu  den  indirecten 
Beweisen  habe,  als  der  Satz  des  Widerspruchs  zu  den  direoten  (Anal, 
post.  I,  11).  Aristoteles  versucht  Metaph.  III,  3.  1005  b.  16  die  lo- 
gische Form  des  Satzes  aus  der  metaphysischen  durch  eine  Argumen- 
tation abzuleiten,  die  jedoch  nicht  ganz  stringent  ist,  und  auch  umge- 
kehrt Metaph.  III,  6.  1011  b.  15  aus  der  vorausgesetzten  Wahrheit  doe 
logischen  Grundsatzes  die  Wahrheit  des  metaphysischen  darzuthun,  und 
setzt  somit  beide  zu  einander  in  die  engste  Wechselbeziehung;  für  die 
Wahrheit  derselben  aber  von  einem  höheren  Princip  aus  einen  directen 
Beweis  zu  führen,  erklärt  er  aus  dem  Grunde  für  unmöglich,  weil  der 
Satz  (in  seiner  metaphysischen  Form)  selbst  das  oberste  und  gewisseste 
aller  Principien  sei.  Metaph.  III,  8.  1005  b.  83:  (fvaet  yap  aQxh  ^"* 
ttSv  ttllojy  a^Ko/LittTtov  ttvrrj  (ij  cTol«)  navitov.  Ib.  4.  1006  a.  6:  ßeßtao- 
TUTTi  avjfj  jtov  uQxoiv  TTaawy,  Nur  indirect  lasse  sich  die  Gültigkeit 
dieses  Grundsatzes  darthun,  nämlich  durch  den  Nachweis,  dass  sich 
Niemand  im  wirklichen  Denken  und  Handeln  der  Anerkennung  dersel- 
ben zu  entziehen  vermöge,  und  dass  mit  diesem  Satze  zugleich  alle 
Bestimmtheit  des  Denkens  und  des  Seins  aufgehoben  werden  würde 
(Metaph.  III,  4).  Nach  unseren  obigen  Erörterungen  besteht  indese 
die  Unmöglichkeit  eines  directen  Beweises  nur  so  lange,  als  noch  strenge 
Definitionen  fehlen.  Was  insbesondere  den  Beweis  des  Satzes  in  seiner 
metaphysischen  Form  betrifft,  so  lässt  derselbe  sich  auf  folgende 
Weise  führen.  Wenn  der  Gedanke  oder  überhaupt  das,  was  ein  Ab- 
bild der  Wirklichkeit  zu  sein  bestimmt  ist,  von  seinem  realen  Vorbilde 
abweicht,  so  finden,  den  früher  aufgestellten  Definitionen  gemäss,  die 
Begriffe   der  Unwahrheit    und    des    Nichtseins  Anwendung,   und 


§  77.   Der  Grandsatz  des  Widerspraclis.  249 

zwar  auf  das  Bild  der  Begriff  der  Unwahrheit,  auf  dasjenige  aber,  dem 
es  zu  entsprechen  bestimmt  war,  der  Begriff  des  Nichtsoseins,  und  ins- 
besondere auf  dasjenige,  was  als  reales  Correlat  der  abweichenden 
EHemente  fölschlich  gedacht  wurde,  der  Begriff  des  Nichtseins.  Wahr- 
heit und  Falschheit,  so  wie  Bejahung  und  Verneinung,  ist  immer  nur 
im  Bilde,  sofern  dasselbe  auf  die  Sache  bezogen  wird,  also  im  Reiche 
der  Wirklichkeit  nur,  sofern  in  derselben  (bewusste  oder  unbewusste) 
Bilder  existiren.  Der  Begriff  des  Seins  besteht  unabhängig  von  dem 
des  Bildes  (wogegen  der  Begriff  der  Realität  schon  das  Anerkaunt- 
werden  des  Seins  durch  ein  gegenüberstehendes  Denken  mitbezeichnet, 
also  auf  das  Denken  selbst  nur  insofern  angewandt  werden  kann,  als 
dieses  für  ein  anderes,  auf  dasselbe  reflectirendes  Denken  zum  Denk- 
objecte  wird).  Das  Nichtsein  ist  weder  im  Bilde  (obschon  in  diesem 
Verneinung  sein  kann),  noch  auch  im  Gegenstande  (obschon  dessen 
Existenz  in  einem  Urtheil,  welches  dann  aber  falsch  ist,  verneint  werden 
kann),  sondern  ist  überhaupt  nicht ;  der  Begrif  des  Nichtseins  aber 
ist  ursprünglich  in  dem  verneinenden  Urtheil,  in  welchem  die  Dis- 
crepanz  zwischen  Bild  und  Wirklichkeit  gedacht  wird,  und  kann  mit 
Wahrheit  immer  nur  auf  das,  was,  ohne  zu  sein,  fälschlich  als  seiend 
vorgestellt  wird,  also  niemals  auf  das,  was  ist,  bezogen  werden.  Mit 
anderen  Worten :  es  ist  unwahr,  dass  das  Nämliche,  was  ist,  auch  nicht 
sei,  oder  (um  mit  Aristoteles  zu  reden):  es  ist  unmöglich,  dass  das 
Nämliche  sei  und  auch  nicht  sei.  (Vgl.  Trendelenburg,  Log.  Unters. 
II,  S.  91  ff.,  2.  A.  S.  148  ff.,  3.  A.  8.  169  ff.)  —  Die  Aristotelische 
Lehre  blieb  trotz  einzelner  Anfechtungen  im  Allgemeinen  die  herrschende 
im  späteren  Alterthum,  im  Mittelalter  und  in  der  neueren  Zeit.  Im 
Alterthum  wird  der  Satz  des  Widerspruchs  ausser  von  den  Skepti- 
kern, welche  dafür  halten,  dass  auch  in  contradictorischen  Gegensätzen 
das  eine  Glied  um  nichts  mehr  (ovSh'  fiaklov)  wahr  oder  wenigstens 
beweisbar  sei,  als  das  andere,  namentlich  auch  vonEpikur  bekämpft. 
Dieser  will  denselben  nicht  schlechthin,  wohl  aber  insoweit  aufheben, 
als  in  den  Dingen  selbst  Unbestimmtheit  sei :  die  Fledermaus  (vvxt€qCs) 
z.B.  sei  ein  Vogel  und  auch  nicht  ein  Vogel;  der  Stengel  des  Pfriemen- 
krautes {vagS-ri^)  sei  Holz  und  auch  nicht  Holz  etc.  (loann.  Sic.  schol. 
ad.  Hermog.  VI,  p.  201  ed.  Walz,  abgedr.  bei  Frantl,  Gesch.  der  Log. 
I,  S.  360;  vgl.  Cic.  de  nat.  deorum  I,  25).  (Uebrigens  hatte  auch  schon 
Plato  hinsichtlich  der  Sinnenwelt  das  Gleiche  behauptet,  de  Rep.  V, 
p.  479.)  Aber  dieser  Einwurf  ist  falsch.  Denn  in  Wahrheit*  ist  bei 
solchen  Mittelformen,  die  nach  naturwissenschaftlichen  Begriffen  zu 
einer  bestimmten  Glasse  nicht  mehr  gehören,  die  Negation  und  nur 
diese  wahr;  legt  man  aber  einen  erweiterten  Begriff  zum  Grunde,  der 
sie  mit  einschliesst,  so  ist  dann  zwar  die  Bejahung  wahr;  allein  das 
ürthcil  ist  wegen  der  Veränderung  des  Prädicatbegriffs  nun  auch 
materiell  ein  anderes  geworden  (trotz  der  Identität  der  Worte);  also 
steht  diese  Bejahung  nicht  im  contradictorischen  Gegensatze  zu  jener 
Verneinung.  —  Während  sich  im  Mittelalter  noch  die  Thomisten 
unbedingt  an  Aristoteles  anschlössen,  begann  in  der  Schule  der  Sco- 


250  §  77.   Der  Grundsatz  des  Widerspruchs. 

tisten  der  Zweifel  zwar  nicht  den  Satz  selbst,  welchen  Aristoteles, 
die  höchste  Autorität  in  philosophischen  Dingen,  für  das  gewisseste 
Princip  erklärt  hatte,  aber  doch  gleichsam  dessen  Aussenwerke  au- 
zunageu.  £s  wurde  die  Frage  aufgeworfen,  ob  dem  Satze  wirklich 
die  Ursprünglichkeit  eines  obersten  Princips  zukomme.  Der  Scotist 
Antonius  Andrea  scheint  der  Erste  gewesen  zu  sein,  der  diese  Ur- 
sprünglichkeit und  die  Unmöglichkeit  eines  directen  Beweises  in  Abrede 
stellte  und  den  Satz  des  Widerspruchs  aus  dem  Satze :  ens  est  ens,  der 
als  der  positive  der  frühere  sei,  abzuleiten  versuchte.  Gegen  ihn  nahm 
später  der  Thomist  Suarez  die  Aristotelische  Lehre  in  Schutz,  und 
erklärte  die  Formel:  ens  est  ens,  um  ihrer  Leerheit  und  Unfruchtbar- 
keit willen  für  unberechtigt,  als  oberstes  Princip  und  als  Grund  des 
Satzes  vom  Widerspruch  zu  gelten  (s.  Polz,  comm.  metaph.  p.  13;  21; 
Gl  sqq.)  —  Kühnere  Angriffe  erfuhr  der  Satz  von  Denkern  der  neueren 
Zeit.  Locke  (Ess.  IV,  7)  verwarf  ihn  als  eine  schale  Abstraction,  als 
ein  künstliches  Gebilde  der  Schule  ohne  Frucht  für  daci  wirkliche  Denken. 
Aber  das  Ansehen  des  Satzes  wurde  nur  um  so  mehr  befestigt,  als 
Leibniz  seine  Vertheidigung  übernahm  und  die  Locke'schen  Einwürfe 
bekämpfte.  Leibniz  hält  ihn  für  ein  angeborenes,  nicht  aus  der  Er- 
fahrung stammendes  Princip,  welches  als  Norm  für  die  wissenschaftliche 
Erkenntniss  unentbehrlich  sei  (Nouv.  ess.  IV,  2,  §  1).  Er  sagt  (Monadol. 
§  31),  dass  wir  in  Kraft  dieses  Princips  für  falsch  halten,  was  einen 
Widerspruch  involvire,  und  für  wahr,  was  dem  Falschen  contradictorisch 
entgegengesetzt  sei.  Der  letztere  Zusatz  setzt  jedoch  voraus  (was  aber 
Leibniz  hierbei  nicht  anmerkt),  dass  die  Falschheit  auf  andere  Art 
erkannt  worden  sei,  als  durch  einen  inneren  Widerspruch.  Denn  jeder 
Widerspruch  mnss  sich  in  der  Form  von  zwei  Urtheilen  darstellen  lassen, 
die  einander  contradictorisch  entgegengesetzt  sind,  und  von  denen  daher 
das  eine  oder  andere  nothwendig  falsch  ist,  ohne  dass  wir  jedoch  ver- 
möge des  blossen  Grundsatzes  vom  Widerspruch  wissen  können,  welches 
von  beiden  das  falsche  sei.  Wir  wissen  nach  diesem  Grundsätze  nur, 
dass  das  gemeinsame  Für  wahrhalten  beider  Urtheile  falsch  ist;  aber 
diesem  Falschen  ist  nichts  anderes  contradictorisch  entgegengesetzt, 
als  nur  der  Satz :  die  beiden  Glieder,  die  der  Widerspruch  in  sich  ent- 
hält, sind  nicht  beide  wahr  —  ein  Satz,  der  freilich  sehr  richtig  ist, 
aber  uns  nicht  aus  den  beiden  Gliedern  das  wahre  herausfinden  lehrt, 
was  doch  die  Aufgabe  war.  Nur  wenn  wir  anderweitig  die  Falschheit 
eines  bestimmten  unter  den  beiden  Gliedern  kennen,  erst  dann  wird  der 
Satz,  dass  das  contradictorische  Gegentheil  des  Falschen  wahr  sei,  für  die 
Förderung  unserer  Erkenntniss  Werth  haben  und  aufhören  illusorisch 
zu  sein.  Wolff  betrachtet  mit  Aristoteles  als  selbstverständlich  den 
metaphysischen  Satz :  fieri  non  potest,  ut  idem  praedicatum  eidem  sub- 
iecto  sub  eadem  determinatione  una  conveniat  et  non  conveniat,  immo 
repugnet  (Log.  §  529),  oder:  si  est  A,  fieri  non  potest,  ut  simul  A 
non  sit  A  (Log.  §  271),  und  leitet  daraus  vermittelst  der  Definitionen 
des  conträren  und  contradictorischen  Gegensatzes,  sowie  der  Wahrheit 
und  Falschheit  den  logischen  Satz  ab :  duae  propositiones  contrariae  non 


§  77.   Der  Grundsatz  des  Widersprncbs.  261 

poflsunt  esse  simal  verae  (Log.  §  529);  propositionuin  oontradictoriarum 
—  altera  necessario  falsa  (Log.  §  532).  Auch  darin  schliesst  sich  Wolfif 
genau  an  Aristoteles  an,  dass  er  den  Satz  des  Widerspruchs  (wiewohl 
er  ihn  seiner  Ontologie  zum  Grunde  legt)  nicht  als  alleiniges  Princip 
der  gesammten  Logik  auffasst,  sondern  denselben  in  der  Logik  nur 
gelegentlich  erwähnt«  Daries  (Yemunftkunst,  §  1 ;  philos.  Nebenstunden, 
IV.  Samml.  S.  176 — 185)  betrachtet  den  Satz  des  Widerspruchs  (-h  A — A 
3=0,  oder:  es  kann  nicht  geschehen,  dass  etwas  zugleich  sei  und  nicht 
sei)  als  den  ersten  Grund  unserer  Erkenntnisse  durch  Zeichen,  aber  nicht 
unserer  Erkenntniss  durch  Betrachtung  der  Dinge.  Baumgarten  sagt 
in  seiner  Metaphysik  (§  7):  nihil  est  A  et  non-A:  —  haec  propositio 
dicitur  principium  oontradictionis  et  absolute  primum.  Reimarus 
OTemunfilehre,  §  14),  formulirt  die  Regel  des  Widerspruchs  (principium 
oontradictionis)  so:  ein  Ding  kann  nicht  zugleich  sein  und  nicht  sein. 
Kant  (Kritik  der  r.  Yern.  S.  190  ff.;  vgl.  S.  83  ff.)  hält  den  Grund- 
satz des  Widerspruchs  für  das  Princip  der  analytischen  ürtheile, 
deren  Wahrheit  sich  jederzeit  nach  demselben  hinreichend  müsse  er- 
kennen lassen,  und  zugleich  für  ein  allgemeines,  ob  zwar  bloss  negatives 
Kriterium  aller  Wahrheit,  indem  der  Widerspruch  alle  Erkenntnisse 
gänzlich  vernichte  und  aufhebe.  Li  Bezug  auf  die  synthetische  Er- 
kenntniss müssen  wir  nach  Kant  stets  bedacht  sein,  diesem  unverletz- 
lichen Grrundsatze  niemals  zuwider  zu  handeln,  können  aber  von  ihm  in 
Ansehung  der  Wahrheit  derselben  niemals  einigen  Aufschluss  gewär- 
tigen; er  ist  die  conditio  sine  qua  non,  aber  nicht  der  Bestimmungsgrund 
der  Wahrheit  unserer  synthetischen  Erkenntniss;  denn  obgleich  eine 
Erkenntniss  sich  selbst  nicht  widerspräche,  so  kann  sie  doch  noch  im- 
mer dem  Gegenstande  widersprechen.  Den  Ausdruck  des  Satzes  be- 
stimmt Kant  dahin:  »keinem  Dinge  kommt  ein  Prädicat  zu,  welches 
ihm  widerspricht«.  Er  verwirft  die  Aristotelisch- Wolf  fische  Formel:  es 
ist  anmöglich,  dass  etwas  zugleich  sei  und  nicht  sei,  'theils  weil  hier 
die  apodiktische  Gewissheit  (durch  das  Wort  unmöglich)  überflüssiger 
Weise  angehängt  worden  sei,  die  sich  doch  von  selbst  aus  dem  Satze 
müsse  verstehen  lassen,  theils  und  besonders,  weil  der  Satz  durch  die 
Bedingung  der  Zeit  afflcirt  sei,  da  er  doch,  als  ein  bloss  logischer 
Grandsatz,  seine  Aussprüche  gar  nicht  auf  die  Zeitverhältnisse  ein* 
schränken  müsse  (vielmehr :  weil  der  Begriff  des  contradictorischen  Ge- 
gensatzes die  Identität  des  Zeitverhältnisses  in  den  beiden  Gliedern, 
sofern  überhaupt  eine  Zeitbeziehung  in  dem  betreffenden  Falle  statt- 
findet, schon  in  sich  schliesst).  Mit  dem  Satze  des  Widerspruchs  fasst 
Kant  den  Satz  der  Identität  unter. der  gemeinsamen  Benennung:  Satz 
des  Widerspruchs  und  der  Identität  zusammen  (Logik,  hrsg. 
von  Jäsche,  S.  75).  Die  Vertreter  der  formalen  Logik  nach  Kant 
theilen  im  Allgemeinen  seine  Ansichten  über  jenen  Grundsatz,  urtheilen 
aber  verschieden  über  dessen  Yerhältniss  zu  dem  Satze  der  Identität: 
die  Einen  suchen  diesen  aus  jenem  oder  jenen  aus  diesem  durch  Trans- 
formationen abzuleiteUi  die  Anderen  halten  jeden  von  beiden  für  einen 
eigenthümlichen  und  selbständigen  Grundsatz.      Es   kommt  in  dieser 


252  §  77.   Der  Grundsatz  des  Widerspruchs. 

Frage  nur  darauf  an,   wie  ein  j6der  dieser  beiden  Sätze  gefasst  wird; 
je  nach  dem  verschiedenen  Ausdruck  und  Verständniss  werden  dieselben 
entweder  nur  als  die  positive  und  negative  Form  eines  und  des  näm- 
lichen Gesetzes,  oder  als  zwei  verschiedene  Gesetze  zu  betrachten  sein. 
Fichte  (Grundlage   der  Wissenschaftslehre ,   S.  17  ff.)   sieht   in   den 
Sätzen  der  Identität  und  des  Widerspruchs  den  Erkenntnissgrund  der 
Urthätigkeit  des  Ich;  nämlich  der  Setzung  seiner  selbst  und  des  Nicht- 
ich, wie  er  andererseits  in  dieser  Thathandlung  des  Ich  den  Realgrund 
jener  Sätze  findet.    Hegel  (Logik  I,  2,  S.  36  ff.;  S.  57  ff.;   Encyclop. 
§115;   vgl.  §  119   und  §  79—82)  giebt  dem  Satze  des  Widerspruchs 
den  Ausdruck:    A  kann  nicht  zugleich  A  und  nicht  A  sein,   und  be- 
trachtet ihn  als  die  negative  Form  des  Satzes  der  Identität,   wonach 
A  =  A  oder  alles  mit  sich  identisch  ist.    Er  hält  dafür,    dass  dieser 
Satz,  statt  ein  wahres  Denkgesetz  zu  sein,  nichts  sei,  als  das  Gesetz  des 
reflectirenden  oder  »abstractenc  Verstandes.  Die  Form  des  Satzes  wider- 
spreche ihm  schon  selbst,  da  ein  Satz  auch  einen  Unterschied  zwischen 
Sttbject   und   Prädicat  verspreche,   dieser  aber    das   nicht   leiste,   was 
seine  Form  fordere;   namentlich   aber  werde  er  durch  die  folgenden 
sogenannten  Denkgesetze  (den  Satz  der  Verschiedenheit,   den  Satz  der 
Entgegensetzung  oder  des  ausgeschlossenen  Dritten,  und  den  Satz  des 
Grundes)   aufgehoben.     Die  Wahrheit   dieser  Gesetze   sei   die  Einheit 
der  Identität  und  des  Unterschiedes,  die  in  der  Kategorie  des  Grundes 
ihren  Ausdruck  finde.     Nur  das  Denken  als  Verstand  bleibe  bei  der 
festen  Bestimmtheit  und  der  Unterschiedenheit  derselben  gegen  andere 
stehen;   die  nächsthöhere  Stufe  sei    das  eigene  Sich-Aufheben  solcher 
endlichen  Bestimmungen  und  ihr  Uebergehen  in  ihre  entgegengesetzten, 
worin   ihre   Dialektik    oder   das   negativ-vernünftige   Moment 
liege;  die  oberste  Stufe  endlich  sei  die  Einheit  der  Bestimmungen  in 
ihrer   Entgegensetzung,   das   speculative   oder   positiv-vernünf- 
tige Moment,   worin  sowohl  der  Dualismus  des  Verstandes,   als  auch 
der  einseitige  Monismus  der  negativen  Vernünftigkeit  zu  ihrem  Buchte 
als  aufgehobene  Elemente  der  vollen  speculativen  Wahrheit  kommen. 
Diese  Hegel'schen    Lehren   sind   in  Bezug   auf  conträre  Gegensätze 
nicht  ohne  Wahrheit  (s.  u.  §  80);  ihre  Uebertragung  aber  auf  dasVer- 
hältniss  des  contradictorischen  Gegensatzes  beruht  auf  einer  Ver- 
wechselung  der   logischen  Negation   mit   der  realen   Opposition,   was 
namentlich  Trendelenburg   in   seinen  »Logischen  Untersuchungen« 
mit  solcher  Evidenz  dargethan  hat,  dass  wir  auf  sein  Werk  an  dieser 
Stelle  verweisen  dürfen.    Auch   Chalybäus   sagt  (die  hist.  Entwicke- 
lung  der  speculativen  Philosophie  von  Kant  bis  Hegel,  2.  Aufl.,  S.  321): 
»Es  muss  zugegeben  werden,    dass  es  im  Hegel'schen  System  genauer 
anstatt  Widerspruch  überall  heissen  sollte:  Gegensatz«.   Vgl.  o.  §  31  u, 
83  über   die   dialektische  Methode;   §  42  über  die  Anerkennung  der 
Stufenordnung   der  Dinge   als   die  wahre  Vermittelung    zwischen   den 
beiden  Extremen,  die  in  der  dualistischen  oder  »abstract- verständigen« 
Scheidung  und  der  monistischen  oder  »negativ- vernünftigen«  Identifi- 
cirung  liegen ;  ferner  die  Ausführung  zum  nächstfolgenden  Paragraphen 


§  77.   Der  GrundBatz  des  Widerspruchs.  253 

über  das  Gesetz  des  ausgeschlossenen  Dritten.  Was  aber  insbesondere 
Hegel's  Tadel  anbetrifft,  dass  der  Satz  des  Widerspruchs  die  Verschie- 
denheit des  Prädicates  vom  Subjecte  nicht  berücksichtige,  so  knüpft 
sich  dieser  nur  an  die  von  ihm  gewählte  Form  des  Satzes,  welche, 
weit  entfernt,  demselben  wesentlich  zuzukommen,  vielmehr  ein  sehr 
unangemessener  und  von  der  wahren  Bedeutung  ablenkender  Ausdruck 
ist;  der  wahre  Ausdruck  schliesst  die  Bücksicht  auf  Subject  und  Prä- 
dicat  und  überhaupt  auf  die  sämmtlichen  Urtheilsverhältnisse  in  sich 
ein.  Her  hart  (Lehrbuch  zur  Einl.  in  die  Philos.  §  39)  bringt  den 
Satz  des  Widerspruchs  auf  die  Formel:  »Entgegengesetztes  ist  nicht 
einerlei  c.  Er  hält  nicht  nur  an  der  Gültigkeit  des  Satzes  fest,  sondern 
überspannt  sogar  die  Bedeutung  desselben  dahin,  dass  dadurch  ausser 
der  Vereinbarkeit  contradictorischer  Gegensätze  oder  der  Bejahung  und 
Verneinung  des  Nämlichen  auch  die  Vereinbarkeit  oontrarer  Gegensätze, 
ja  auch  schon  die  Vereinbarkeit  einer  blossen  Mehrheit  von  Prädicaten 
in  demselben  Subjecte  (falls  dieses  nicht  ein  Aggregat  ohne  wahre  Ein- 
heit sei)  und  daher  namentlich  die  Denkbarkeit  des  Dinges  mit  meh- 
reren und  wechselnden  Eigenschaften  ausgeschlossen  werden  soll.  Beide 
Extreme,  das  HegeFsche  und  das  Herbart'sche,  sind  nur  die  nach  den 
en^egengesetzten  Seiten  hingewandten  Aeusserungen  des  nämlichen 
Grundirrthums,  nämlich  der  Verwechselung  des  contradictorischen  und 
des  oonträren  Gegensatzes:  Hegel  übertragt,  was  von  diesem  gilt,  auch 
auf  jenen,  Herbart,  was  von  jenem,  auch  auf  diesen. 

S  ig  wart  in  s.  Logik  Bd.  1.  Th.  1.  Abschn.  4.  Die  Verneinung« 
§  23  Der  Satz  des  Widerspruchs  S.  144  ff.  hat  neuerdings  versucht,  der 
Auffassung  des  Aristoteles  und  im  Anschluss  daran  auch  dem  Satze 
selbst  eine  andere  Bedeutung  beizulegen,  als  die  oben  angenommene. 
Aristoteles  soll  in  der  angef.  Stelle  Metaph.  UI,  3.  10O5  b.  19 u.  4. 
1006  b.  33  nichts  als  eine  Declaration  über  die  Bedeutung  der  Ver- 
neinung gegeben  haben,  die  Wesen  und  Sinn  derselben  in  einem  Satze 
darlege,  der  übrigens  selbst  nicht  ohne  die  Verneinung  ausgesprochen 
werden  könne,  und  darum  nur  den  Werth  habe,  Demjenigen,  der  die 
Negation  g^ebrauche,  sein  eigenes  Thun  zum  Bewusstsein  zu  bringen.  — 
»Ist  dies  der  Sinn,  in  welchem  Aristoteles  sein  Princip  des  Wider- 
spruchs gemeint  hat  —  bemerkt  S  ig  wart  S.  146  u.  ff.  —  so  erhellt 
auch,  was  die  positive  Kehrseite  desselben  sein  muss ;  nämlich  der  Satz, 
dass  Jeder,  der  mit  Bewusstsein  Etwas  behauptet,  eben  das  behauptet, 
was  er  behauptet,  dass  seine  Rede  einen  festen  Sinn  haben  muss, 
weil  er  sonst  in  der  That  nichts  sagte,  wenn  sich  ihm,  während  er 
denkt  und  spricht,  ein  anderer  Sinn  unterschöbe;  es  muss  gelten:  was 
ich  geschrieben,  das  habe  ich  geschrieben,  was  ich  sage,  das  sage  ich. 
Es  ist  aber  klar,  dass  damit  nur  eine  Ergänzung  zu  dem  gemeint  sein 
kann,  was  wir  oben  Constanz  der  Vorstellungen  genannt  haben; 
es  ist  die  Eindeutigkeit  des  Urtheilsaktes.  Wollte  man  dem 
aristotelischen  Grundsatz  ein  Princip  der  Identität  gegenüber  stellen, 
so  mnsste  diese  Eindeutigkeit  des  Urtheilsaktes  seinen  Inhalt  bilden. 
Allein  erst  aus  der  Abweisung   des  zugleich  Bejahens  und  Verneinens 


264  §  78.  Der  Grandsatz  des  aasgeschloBsenen  Dritten. 

kommt  diese  Eindeatigkeit  zum  Bewnsstsein,  und  sagt  nichts,  was  niobt 
der  Satz  des  Widerspruchs  auch  sagte.  Es  ist  also  vollkommen  natar- 
gemäss,  dass  Aristoteles  den  Satz  des  Widersprachs  allein  als  Prin- 
cip  heraushebt,  und  seine  positive  Kehrseite  nur  gelegentlich  zum 
Ausdruck  bringt  (Metaph.  lY,  4  £F.),  wie  auch  lange  Zeit  unter  dem 
Principium  identitatis  der  aristotelische  Satz  des  Widerspruchs  ver- 
standen wurde.«  —  Dieser  Auffassung  Sigwart's  hat  Wundt  in  s. 
Logik  Bd.  1.  Abschn.  6.  Cap.  1.  Ib.  S.  606  u.  ff.  widersprochen.  Es 
scheint  ihm,  »dass  mit  diesem  Begriff  der  Eindeutigkeit  der  Sinn  des 
Identitätsgesetzes  nicht  zutreffend  bezeichnet  ist,  da  der  Satz  A  =  A 
nicht  auf  das  Yerhältniss  des  Urtheils  zu  andern  Urtheilen,  sondern  zu- 
nächst nur  auf  die  Stetigkeit  der  Begriffe  im  einzelnen  Urtheil  sich 
bezieht.«  —  Gerade  darum,  weil  der  Satz  des  Widerspruchs  nicht  selbst 
schon  das  Gresetz  der  positiven  Urtheile  sei,  sondern  nur  auf  dasselbe 
zurückschliessen  lasse,  weil  er  es  voraussetze,  erscheine  es  angemessen, 
abweichend  von  dem  Gebrauche  der  älteren  Logik  das  Identitätsgesetz 
positiv  zu  formuliren.  In  derXhat  übertreffe  dasselbe  in  dieser  seiner 
positiven  Form  den  Satz  des  Widerspruchs  ebenso  sehr  an  Bedeutung, 
wie  das  positive  das  negative  Urtheil.  — 

§  78.  Der  Grundsatz  des  aasgeschlossenen 
Dritten  oder  mittleren  (principium  exclusi  tertii  sive 
medii  inter  duo  contradictoria)  laatet:  contradictorisch  einan- 
der entgegengesetzte  Urtheile  (wie:  AistB,  nnd:  A  ist  nicht 
ß)  können  nicht  beide  falsch  sein  und  lassen  nicht  die  Wahr- 
heit eines  dritten  oder  mittleren  Urtheils  zu,  sondern  das  eine 
oder  andere  derselben  muss  wahr  sein,  und  aus  der  Falsch- 
heit des  emen  folgt  daher  die  Wahrheit  des  anderen.  Oder : 
die  Doppelantwort :  weder  ja  noch  nein,  auf  eine  und  die- 
selbe in  dem  nämlichen  Sinne  verstandene  Frage  ist  unzuläs- 
sig. Die  Gültigkeit  dieses  Gesetzes  folgt  wiederum  aus  den 
Definitionen  der  Wahrheit  (§  3),  des  Urtheils  (§  67)  und  der 
Bejahung  und  Verneinung  (§  69),  welchen  gemäss  die  Falsch- 
heit der  Bejahung  gleichbedeutend  ist  mit  der  Abweichung 
der  Vorstellungscombination  von  der  Wirklichkeit,  folglich 
mit  der  Wahrheit  der  Verneinung,  und  die  Falschheit  der 
Verneinung  gleichbedeutend  mit  der  Uebereinstimmung  der 
Vorstellungscombination  mit  der  Wirklichkeit,  folglich  mit 
der  Wahrheit  der  Bejahung. 

Die  obigen  Bemerkungen  zum  Gesetze  des  Widerspruchs  über  die 
im  Begriffe  des  oontradictorischen  Gegensatzes  liegende  Gleichheit  der 
Zeit  und  der  anderen  Beziehungen,  über  die  Bestimmtheit  des  Sinnes 
der   Urtheile,   über   die   Beweisbarkeit  des  Satzes  und  deren  Voraas- 


§  78.  Der  Chrandsatz  des  ausgeschlossenen  Dritten.  256 

Setzungen  und  über  den  Fall  der  scheinbaren  Ausnahme  finden  auch 
wiederum  auf  das  Gesetz  des  ausgeschlossenen  Dritten  Anwendung 
und  sind  hier  um  so  mehr  zu  beachten,  da  dieses  Gesetz  dem  Missver- 
ständnisse noch  in  höherem  Maasse  ausgesetzt  ist.  —  An  falsche  An- 
sichten  über  die  Tendenz  und  den  Sinn  des  Gesetzes  knüpfen  sich  die 
verschiedenen  Einwürfe,  die  man  theils  gegen  seinen  Werth,  theils 
auch  gegen  seine  Wahrheit  erhoben  hat.  In  der  ersten  Beziehung 
hat  man  es  (und  zwar  fast  gleichmässig  auf  den  ganz  entgegengesetzten 
Standpunkten  der  reitien  Speculation  und  Empirie)  der  Leerheit  und 
Oberflächlichkeit  beschuldigt  und  ihm  aus  diesem  Grunde  auch  wohl 
die  Eixistenzbereohtigung  in  der  Logik  absprechen  wollen:  es  unter- 
scheide nicht  zwischen  den  Fällen,  wo  die  Verneinung  angemessen  und 
wo  sie  unangemessen  sei,  und  nicht  zwischen  der  partiellen  und  totalen 
Verneinung,  was  doch  die  erste  Bedingung  eines  tieferen  Eingehens 
sein  würde;  mithin  sei  dasselbe  eine  bedeutungslose  und  unfruchtbare 
Formel  (Hegel,  Encycl.  §  119;  Beneke,  Logik  I,  S.  104  ff.).  Aber 
diese  Vorwürfe  beruhen  nur  darauf,  dass  von  dem  Satze  gefordert 
wird,  was  nicht  in  seiner  Aufgabe  liegt.  Der  richtig  verstandene  Sat2 
sagt  nicht,  dass  man  bei  jedem  gegebenen  Subjecte  nach  möglichen 
Prädicaten  gleichsam  >ins  Blaue  hinauslangen  c  dürfe  oder  gar  solle, 
um  dann  ein  jedes  entweder  durch  den  positiven  Prädicatsbegriff  oder 
durch  dessen  oontradictorisches  Gegentheil  bestimmbar  zu  finden,  dass 
man  also  z.  B.,  um  Pradicate  des  Geistes  zu  erhalten,  etwa  die  Eigen- 
schaftsbegriffe grün  und  nicht-grün,  hölzern  und  nicht-hölzern  etc. 
heranbringen  und  sich  nun  der  Gewissheit  erfreuen  solle,  dass  jedesmal, 
wenn  nicht  das  eine,  dann  sicherlich  das  andere  Prädicat  zutreffen 
mibse.  Das  wäre  albern.  Der  Satz  setzt  vielmehr  eine  vernünftige 
Fragestellung  schon  voraus.  Welche  Fragestellung  aber  vernünftig 
sei,  soll  nicht  erst  durch  ihn  gezeigt  werden^  sondern  folgt  aus  dem 
Wesen  der  Bejahung  und  Verneinung  (vgl.  oben  §  69):  es  muss  näm- 
lich irgend  ein  Motiv  der  Bejahung  geben  können,  also  in  der  Regel 
zum  mindesten  der  Gattungsbegriff,  unter  welchen  das  fragliche  Prä- 
dicat föllt,  dem  Subjecte  zukommen.  Ist  die  Fragestellung  nicht  ver- 
nunftgemäss,  so  führt  der  Satz  des  ausgeschlossenen  Dritten  zwar  zu 
einem  unangemessenen,  aber  dennoch  nicht  zu  einem  unwahren  Urtheil 
(denn  dass  der  Geist  nicht  blau,  dass  er  kein  Tisch  sei  etc.  —  ist  nicht 
unwahr,  und  der  Modethorheit  der  Tischorakel  gegenüber  ist  ja  das 
letztere  Urtheil  eine  Zeitlang  sogar  nicht  einmal  unangemessen  oder 
überflüssig  gewesen);  der  Satz  gilt  ohne  Ausnahme  bei  jeder  Frage- 
stellung, wofern  nur  der  Sinn  der  Frage  unzweideutig  bestimmt  ist, 
wesshalb  derselbe  auch  nicht  (wie  I.  H.  Fichte  a.  a.  0.  S.  30,  und 
ülrici,  Logiky  S.  125  fordern)  durch  Aufnahme  der  obigen  Bedingung 
in  seiner  Formel  beschrankt  werden  darf;  die  Schuld  der  unange- 
messenen Anwendung  aber  trifft  nicht  den  Salz  selbst.  Doch  musste 
freilich  der  Name,  den  einige  Logiker  dem  Satze  des  ausgeschlossenen 
Dritten  haben  geben  wollen:  »Satz  der  Bestimmbarkeit  jedes  Gegen- 
standes durch  jedes  Prädioät«  und  die  Formel,  dass  jedem  Dinge  von 


266  §  78.  Der  Grundsatz  des  ausgeschlossenen  Dritten. 

allen  möglichen  einander  contradictorisch  entgegengesetzten  Pradicaten 
das  Eine  zukommen  müsse,  jenes  absurde  »Hinauslangen  in's  Blauet 
zu  provociren  scheinen,  und  einer  solchen  Auffassung  gegenüber  ist 
jener  Tadel  nicht  ohne  eine  gewisse  Berechtigung.  Dass  der  richtig 
verstandene  Satz  nicht  unfruchtbar  ist,  zeigt  insbesondere  seine  Anwen- 
dung bei  indirecten  Beweisen ;  übrigens  würde  auch  abgesehen  von  allen 
Anwendungen  die  wissenschaftliche  Pflicht  systematischer  Vollständig- 
keit fordern,  ihn  dem  Satze  des  Widerspruchs  als  dessen  wesentliche 
Ergänzung  zur  Seite  zu  stellen. 

Aber  nicht  bloss  gegen   den  Werth  und  die  Fruchtbarkeit,  son- 
dern auch  gegen  die  Wahrheit  des  Satzes  vom  ausgeschlossenen  Dritten 
sind  Einwürfe  gerichtet  worden:  einige  Logikerhaben  denselben  durch 
gewisse  Ausnahmen  beschränken,  andere  völlig  aufheben  wollen.    Jene 
meinen,  der  Satz  gelte  in  dem  Falle  nicht,  wenn  das  Subject  ein  allge- 
meiner Begriff  sei;    so   sei  z.  B.  das   Dreieck   überhaupt   weder  recht- 
winklig,   noch   auch  nicht  rechtwinklig.     (So  lehrt  namentlich  Krug, 
Denklehre,  §  19.)  Jedoch  es  ist  nur  die  Unbestimmtheit  des  Sinnes,  die 
hier   den   Schein    der   Ungültigkeit   erzeugt.     Ist  der  Sinn  des  Satzes 
dieser :  jedes  Dreieck  ist  rechtwinklig,  so  ist  die  Verneinung  desselben 
und  nur  die  Verneinung  wahr.    Ist  aber  der  Sinn:  es  giebt  überhaupt 
rechtwinklige  Dreiecke  als  mathematische  Objecto,  so  ist  die  Bejahung 
und   nur   diese   wahr.    —    Andere   (wie  namentlich   Hegel  und  seine 
Schule,   und   Friedr.  Fischer,    Logik,  S.  40  ff.)   versagen   dem  Satze 
überhaupt  die  Anerkenung  seiner  Berechtigung.    Das  Mittlere  sei  viel- 
mehr in  sehr  vielen   Fällen    gerade  das  wahre  Prädicat;  ja  alle  £nt- 
wickelung  beruhe   auf   der  Vermittelung   der    Gegensätze.     Zwischen 
schuldig    und   nichtschuldig   liege  halbschuldig  in  der  Mitte,  zwischen 
der  vollen  Zurechnung   und   der  vollen  Nichtzurechnung   die  partielle 
Zurechnung,    eine   gesetzliche  Ausschliessung   dieser  Mitte  sei  ein  ver- 
derblicher Irrthum,  der  die  Richter  nicht  selten  in  die  peinliche  Alter- 
native einer  ungerechten  Freisprechung  oder  ungerechten  Verurtheilung 
setze   und  so  wider  besseres  Wissen  und  Wollen  zu  Aussprüchen  von 
nur  halber  Wahrheit   zwinge.     Die   absolute  Anerkennung    oder  Ver- 
werfung,  die    einfache   Eintheilung    der  Charaktere   in  gute  und  böse 
mit  Ausschluss  der   Mittelstufen,   der  Systeme   in   wahre  und  falsche 
ohne   Würdigung   des    allmählichen   E'ortschritts   der  Erkenntniss,  der 
Erzählungen  in  glaubhafte  und  irrthümliche  oder  erlogene  ohne  Ver- 
ständniss  des  Wesens  des  Mythus  und  der  poetischen  Wahrheit  —  dies 
alles  bezeichne    in  der   Regel   eine  gewisse  Rohheit  des  Denkens;  der 
Gebildete  aber  wisse  die  feineren  Verzweigungen  von  Wahrheit  und  Irr- 
thum zu  erkennen  und  die  überall  verbreiteten  Elemente  der  Wahrheit 
aus  der  Hülle  von  Irrthümern,   wie   das  Gold  aus  den  Schlacken,  her- 
auszufinden.   Hegel    sagt   (Philosophie  der  Geschichte,    Ausgabe   von 
1887,  S.202):  »eine  Philosophie  der  Geschichte  hat  in  den  verkümmertsten 
Gestalten  ein  Moment  des  Geistigen  aufzusuchenc.    Schon  Aristoteles 
(Metaph.  I,  10;  cf.  II,  1)  und  noch  entschiedener  Leibniz  (im  dritten 
Briefe  an  Remond  de  Montmort,    S.  704   der  Erdmannschen  Ausgabe) 


§  78.  Der  Grundsatz  des  ansgeschloflsenen  Dritten.  35t 

weisen  auf  die  in  den  verschiedenfiten  und  einander  aufs  sohärfiBte 
widerstreitenden  Systemen  verborgen  liegenden  Wabrheitselemente  hin, 
die  der  aufmerksame  Blick  des  tieferen  Forschers  in  ihnen  allen  zu 
erkennen  yermöge;  ja  Leibniz  (de  oonform.  fid.  et  rat.  §80)  bemerkt 
(gegen  Bayle),  dass  die  Vernunft,  wo  sie  zwei  einander  entgegengesetzte 
Ajisichten  beide  als  falsch  erkenne,  da  gerade  die  erhabenste  Einsidit 
rerheisse;  jedoch  hat  sich  weder  Aristoteles,  noch  Leibniz  über  das 
Verhältniss  jener  Belativität  zu  der  absoluten  Gültigkeit  der  logischen 
Gesetze  des  Widerspruchs  und  des  ausgeschlossenen  Dritten,  die  von 
beiden  Philosophen  anerkannt  wird,  näher  erklärt.  In  Gegensatz  wird 
beides  von  Neueren  gestellt.  »Ist  die  Erkenntniss  der  Wahrheit  nicht 
in  einer  Entwickelung  begriffene  (sagt  in  Hegel's  Sinne  Erdmann, 
Gesch.  der  neueren  Philos.  I,  2,  S.  171),  »so  ist  alles  entweder  ganze 
Wahrheit  oder  ganze  Unwahrheit;  die  werdende,  sich  entwidcelnde 
Wahrheit  ist  beides  oder  keins  von  beiden  c;  ja  von  demselben  wird 
(in  der  von  Fichte  etc.  herausg.  Zeitschrift  für  Philos.  Bd.  XXVHI, 
S.  8—9,  1856)  das  Festhalten  an  den  Gesetzen  der  Identität  und  des 
ausgeschlossenen  Dritten,  welche  die  Grundsätze  des  »Erzheiden  Ari- 
stoteles c  seien,  in  scherzhaftem  Ernst  für  unchristlich  erklärt,  weil  die 
Versöhnung  der  Gegensätze  der  Grundgedanke  des  Ghristenthums  (die 
Schuld  als  getilgte  eine  »felix  culpa  c),  das  Verharren  im  Gegensatze 
aber  heidnisch  sei.  Allein  jene  Bemerkungen,  so  richtig  sie  auch  an 
sich  sind  und  so  beachtenswerth,  sofern  wir  sie  als  Warnungen  vor 
einer  falschen  Auffassung  und  Anwendung  des  Satzes  vom  ausg^ 
schlossenen  Dritten  betrachten  dürfen,  beweisen  doch  nichts  gegen  die 
Gültigkeit  des  richtig  verstandenen  Satzes,  sondern  können  nur  durch 
Verwechselung  des  contradictorischen  und  des  conträren  G^egensatses 
für  Instanzen  g^gen  denselben  gehalten  werden.  Wer  (wie  Friedr. 
Fischer,  Logik,  S.  40  ff.)  erst  erklärt,  dass  er  unter  non-A  etwas 
anderes  verstehe,  als  die  übrig^en  Logiker,  nämlich  nicht,  wie  jene, 
den  contradictorischen,  sondern  den  conträren  Gegensatz,  und  hernach 
denselben  vorwirft,  dass  das  von  ihnen  aufgestellte  Gesetz  unrichtig 
seiy  weil  es  nämlich,  wenn  es  nach  seiner  eigenen  Terminologie  ge- 
deutet wird,  nicht  mehr  zutrifft:  der  verehrt  nicht  anders,  als  etwa 
jener,  welcher  erst  die  Erklärung  gäbe,  dass  er,  von  dem  Euklidischen 
Gebrauche  abweichend,  unter  Dreieck  das  sphärische  Dreieck  ver- 
st^en  oder  mitverstehen  wolle,  und  hernach  den  EukKd  tadelte,  weil 
dieser  fölschlich  lehre,  die  Summe  der  Dreieckswinkel  sei  immer  gleich 
zwei  rechten.  Doch  hat  der  Tadel  ein  gewisses  Recht  gegenüb^  der 
ungenauen  Formel:  jedem  Gegenstande  kommt  entweder  ein  Begriff 
oder  dessen  Gegentheil  zu.  Hält  man  sich  aber  streng  an  den  Be- 
griff des  contradictorischen  Gegensatzes,  so  bezeichnen  dessen 
Glieder  nur  das  Vorhandensein  und  den  Mangel  einer  genauen  üeber* 
eisstinnnnng  der  Vorstellungscombination  mit  der  Wirklichkeit.  Dass 
nun  stets  eins  dieser  beiden  Glieder  wahr  sein  müsse,  und  also  der 
Satz  des  ausgeschlossenen  Dritten,  der  richtig  verstanden  nur  dies  aus- 
sagt, allgemeingültig  sei,  kann  keinem  begründeten  Zweifel  unterliegen, 

17 


268  §  78.  Der  GnmdsaU  des  aiug^eaohlosseiien  Dritten. 

und  Hegt  sohon  in  den  Definitionen  der  Wahrheit  und  Falschheit,  der 
Bejahung  und  Verneinung;  denn  diesen  gemäss  heisst:  die  Verneinung 
für  falsch  erklären,  so  viel  als:  die  Abweichung  von  der  Wirklichkeit 
leugnen,  also  so  viel  als:  bejahen  oder  die  Bejahung  für  wahr  halten; 
ebenso  heisst:  die  Bejahung  für  falsch  erklären,  so  viel  als:  dieUeber- 
einstimmung   mit   der   Wirklichkeit   leugnen,  was  wiederum  gleidibe- 
deutend  ist  mit:  verneinen  oder   die  Wahrheit  der  Verneinung  aner- 
kennen.    Nur  darf  die  Verneinung  nicht  mit  der  Bejahung   des  con- 
trär  entgegengesetzten  Prädicates  verwechselt  werden:  nicht  sterblich 
(was   sich   auch  vom  Steine  sagen  lässt)  ist  nicht  gleichbedeutend  mit 
unsterblich    oder   ewig,   nicht   gut  (»niemand  ist  gut  als  Gottc)  nicht 
mit  schlecht  oder  hose  (das  neugeborene  Kind  ist  nicht  moralisch  gut, 
sondern  bedarf  der  Erziehung  und  der  Selbstbildnng,  um  gut  zu  wer- 
den; aber  dies  heisst  nicht:  das  Neugeborene  ist  moralisch  böse),  und 
io  in  allen    ähnlichen   Fällen.     Die  Wahrheit  der  Verneinung,  welche 
die  Uebereinstimmnng  der  affirmativen  Behauptung  mit  der  Wirklich- 
keit  ansschliesst,  schliesst  darum  nicht  irgend   welchen   Grad,   auch 
nicht  den  höchsten,  der  Annäherung  an  die  Uebereinstimmnng  ans. 
Die  Frage,  ob  dieser  Angeklagte  dieses  bestimmten  Verbrechens  schul- 
dig sei,  mnss  verneint  werden,  wenn  nur  eine  halbe  Schuld  stattfindet, 
weil   in    diesem   Falle   die  Voraussetzung   der  Schuld,   an   der  Wirk- 
lichkeit gemessen,   nicht   zutrifft;   aber   die  Verneinung  dieser  Frage 
macht  die  fernere  Frage  nicht  überflüssig,  sondern  nothwendig,  ob  und 
in  welchem  Grade  eine  Annäherung  an  die  volle  Schuld  statthabe.  Der 
Irrthum,   der   die  Möglichkeit   der  halben  Schuld  und  halben  Zurech- 
nung verkennt,  liegt  nicht  in  der  contradictorischen  Disjunction:  schal- 
dig  oder  nicht,  sondern  erst  in  der  Verwechselung  der  Negation  dieser 
bestimmten   Schuld    mit   der   Affirmation  einer  völligen  Unschuld,  da 
doch  die  Verneinung   der  Schuld   in  dem  Sinne,   wie  die  Anklage  sie 
behauptete,    die  Möglichkeit  eines    gewissen  Grades   von  Schuld  offen 
lässt.    So   ist   auch   die  Verneinung   der   vollen   Znrechnungsfähigkeit 
stets  wahr,  wenn  die  Bejahung  derselben  falsch  ist ;  aber  dieselbe  darf 
keineswegs  der  Behauptung  der  vollen  Zurechnungsfähigkeit  gleiohgpe- 
setzt  werden.     Die  Uebergangsformen    zwischen   verschiedenen   Arten 
der  mimlichen  (Gattung  sind  ein  Mittleres  zwischen  positiv  bestimmten 
Existenzen,  die  sich  nicht  wie  Sein  und  Nichtsein,  sondern  wie  Sosein 
und  Anderssein   zu  einander   verhalten;    derartige  Uebergänge   aber 
werden   durch  das  Cresetz  des  zwischen  der  Bejahung  und  Verneinung 
des  Nämlichen  ausgeschlossenen  Dritten  nicht  mit  ausgeschlossen:  das 
Graue  ist  nicht  ein  Mittleres  zwischen  dem  Weissen  und  Nichtweissen, 
sondern  zwischen  dem  Weissen  und  Schwarzen,  gehört  aber  ebensowohl, 
wie  das  Schwarze,  zum  Nichtweissen ;  der  gemischte  Charakter  ist  nicdit 
ein  mittlerer   zwischen   dem  guten  und  nicht^guten,  sondern  zwischen 
dem  guten  und  bösen,  gehört  aber  selbst  zu  den  nicht-guten  Charakteren. 
So  ist  auch  die  stufenweise  Entwickelung  der  Erkenntniss  und  allmäh- 
liche Annäherung  an  die  volle  Wahrheit  durch  jenen  Grundsatz  nicht 
ausgeschlossen.     Parteiansichten,  die  einander  als  conträre  Gegensfttae 


§  78.  Der  GnmdBatz  des  aosgeschlosB^en  Dritten.  2&9 

entg^ensteheiiy  sind  in  der  Regel  beide  falsch,  aber  auol)  beide  niöbt 
ohne  ein  Wahrheitselement,  indem  sie  nach  den  beiden  entgegengesetasten 
Seiten  hin  von  der  reinen  Wahrheit  abweichen.  In  Fallen  dieser  Art 
fordert  die  Anwendung  des  Gesetzes  vom  ausgeschlossenen  Dritten  viele 
Behutsamkeit,  da  die  Verwechselung  des  oontradictorisoh  entgegenge- 
setzten  Urtheils  und  des  Urtheils  mit  oontrar  entgegengesetztem  Prä* 
dicate  hier  sehr  nahe  liegt  und  die  Verneinung,  die  nach  ihrem  logi- 
schen Sinne  nur  den  Mangel  einer  genauen  Uebereinstimmung  in  allem,' 
mithin  das  Vorhandensein  einer  Abweichung  mindestens  in  einigem 
bezeichnen  soll,  gar  leicht«  zumal  bei  einer  Verflechtung  mit  prakti- 
schen Motiven,  zur  vollen  Abweichung  in  allem  theils  den  Urtheilep* 
den  selbst  hinführt,  theils  von  Anderen  darauf  gedeutet  wird,  so  dass 
dann  die  Bekämpfung  der  einen  Partei  mit  demAnsohluss  an  die  ent- 
gegengesetzte unzertrennlich  verknüpft  zu  sein  scheint.  Unter  solchen 
Verhältnissen  mag,  falls  es  sich  um  praktische  Interessen  handelt,  auch 
der,  welcher  geistig  von  beiderlei  Parteiirrthümern  frei  ist,  um  nicht 
in  vernichtender  Isolirung  unterzugehen,  und  um  nicht  den  Kern  zu- 
gleich mit  der  Schale,  den  Gedanken  selbst  mit  dem  inadäquaten  Aus- 
druck preiszugeben,  dem  Solonischen  Gesetze  gemäss  sich  zum  Anschlusa 
an  den  erträglicheren  Parteürrthum  hindrängen  lassen,  oder  dooh  bei 
der  Nichtbekämpfnng  desselben  sich  beruhigen;  in  theoretischer  Be* 
Ziehung  aber  ist  es  logische  Pflicht,  sich  selbst  und  denen,  die  ohne 
Kebenrücksichten  die  Wahrheit  suchen,  die  Unwahrheit  beider  Extreme 
klar  zumachen,  und  statt  des  einfachen  Ja  oder  Nein  die  Begriffs*  und 
Urtheilsbildung  zu  suchen,  die  eine  jangemessenere  Fragestellnng 
ermöglicht.  Treffend  sagt  Dr.  Richard  (in  der  Schrift:  Reiner  Stock- 
hausen, mit  Gutachten  von  M.  Jacobi,  F.  W.  Böcker,  C.  Hertz,  Fr. 
Richarz,  Elberfeld  1855,  S.  131  ff.):  »Die  Unmöglichkeit,  gewisse  kate- 
goriache  Fragen,  wie  die  nach  Gesundheit  oder  Krankheit,  Zurechnungs- 
fähigkeit  oder  Zurechnungsunfähigkeit,  eben  so  kategorisch  mit  einem 
kurzen  Ja  oder  Nein  zu  erledigen,  ist  der  ärztlichen  Wissenschaft,  zu- 
mal von  Juristen,  die  für  ihre  Entscheidungen  stete  bündiger  Aue- 
sprüche  der  Sachverständigen  bedürfen,  nicht  selten  zum  Vorwurfe  ge- 
macht und  für  ein  Zeichen  der  Inferiorität  ihres  Standpunktes  ausge- 
geben worden.  Mit  grossem  Unrecht;  denn  gerade  auf  dem  Wege  des 
Fortschreitens  entdeckt  der  Naturforscher  mit  Erweiterung  seines  Qe^ 
Sichtekreises  häufig  für  bis  dahin  als  verhältnissmässig  einfach  ange- 
sehene Phänomene  und  Begriffe  neue  und  weitere  Bedingungen  und 
Beziehungen,  welche  die  bisherige  schlichte  Bejahung  oder  Verneinung 
aoa  dem  praktischen  Lebensbedürfhiss  erhobener  Fragen  nicht  mehr 
statthaft  erscheinen  lassen.!  (Es  ist  mit  Zurechnungsfähigkeit  und 
Unfähigkeit,  wie  mit  Mündigkeit  und  Unmündigkeit:  die  naturwissen- 
schaftliche, wie  die  pädagogische  Beurtheilung  findet  eine  continuir- 
liohe  Stufenfolge,  und  erst  das  praktische  Bedürfniss  zieht  feste  Grenzen, 
die  mar  nach  juristischen  Normen  zu  bestimmen  sind.)  In  der  Ho- 
merischen Frage  bezeichnet  dw  unvermittelte  Gegensatz  der  extremen 
Ansichten  das  Anfangsstadium  der  Untersuchung;  die  gereiftere  wissen« 


A' 


ii6Ö  §  78.  Der  Grandsatz  des  audgeBcblosseiien  Dritten. 

schaftliche  Behandlnng  der  Frage  sucht  nach  Möglichkeit  zu  erforschen, 
nicht  ob,  sondern  wie  weit  das  Werk  auf  den  Einen  oder  die  Vielen 
zurückzuführen  sei.  Mit  Recht  sagt  in  diesem  Sinne  ein  neuerer  Phi- 
lologe: »man  sollte  endlich  aufhören,  die  Homerische  Frage  auf  ja 
und  nein  zu  stellenc  (G.  Gurt  ins  in  der  Zeitschr.  für  die  östr.  Gymn. 
1854,  S.  115,  der  jedoch  den  Sitz  der  Poesie  zu  ausschliesslich  in  den 
einzelnen  Liedern  und  nicht  auch  in  der  Harmonie  des  Ganzen  sucht, 
und  daher,  so  sorgsam  er  im  Uebrigen  alle  Momente  abwägt,  doch 
wohl  mit  unrecht  die  einheitliche  Gestaltung  des  Ganzen,  soweit  eine 
solche  thatsächlich  vorliegt,  ohne  die  Voraussetzung  eines  ursprüng- 
lichen umfassenden  Planes  im  Geiste  des  Einen  Dichters  der  Achilleis 
schon  aus  der  Einheit  des  Stoffes,  der  Gemeinsamkeit  des  poetischen 
Geistes  und  der  Nacharbeit  Späterer  verstehen  zu  können  glaubt).  Die 
Frage:  war  Thaies  Theist?  kann  weder  bejaht,  noch  in  dem  Sinne 
verneint  werden,  als  ob  er  Atheist  gewesen  sei,  da  sein  Standpunkt 
noch  vor  und  unter  dem  Gegensatze  des  ausgeprägten  reinen  Theis- 
mus und  Atheismus  als  deren  gemeinsame  Indifferenz  liegt.  Das  Gleiche 
gilt  von  der  Frage,  ob  er  als  Naturphilosoph  der  dynamischen  oder 
der  mechanischen  Ansicht  gehuldigt  habe.  Die  Frage,  ob  Sokrates  als 
Philosoph  ein  Vertreter  der  antiken  Sitte  und  des  antiken  naiven  Glau- 
bens seines  Volkes  gewesen  sei,  muss  ebensowohl  verneint  werden,  wie 
die  andere,  ob  er  mit  den  Sophisten  die  gleiche  Richtung  getheilt 
habe,  weil  sein  Standpunkt  bereits  über  diesen  beiden  Gegensätzen 
als  deren  höhere  Vermittelung  liegt;  durch  eine  Missdeutung  aber, 
welche  leicht  eintritt  und  so  Klange  die  Eigen  thümlichkeit  des  höheren 
Standpunktes  verkannt  wird,  sogar  unvermeidlich  ist,  ist  schon  von 
seinen  ältesten  Anklägern  die  berechtigte  Verneinung  der  ersten  Frage 
als  Grund  der  Bejahung  der  zweiten,  und  von  nicht  wenigen  seiner 
antiken  und  modernen  Vertheidiger  die  berechtigte  Verneinung  der 
swöiten  als  Grund  der  Bejahung  der  ersten  angesehen  worden.  In  den 
naiven  Aussagen  der  Kinder  und  der  Personen  von  kindlichem  Gemüthe, 
die  nicht  die  Richtung  auf  strenge  Prüfung  des  objectiven  Thatbe- 
standes  haben,  ist  nicht  selten  insofern  Wahrheit,  als  darin  ihr  wirk- 
liches subjectives  Gefühl  zum  Ausdruck  kommt,  während  die  Vor- 
stellungen, worin  sich  dasselbe  verkörpert,  nicht  in  genauer  üeberein- 
stimmung  mit  der  äusseren  Wirklichkeit  stehen;  wird  nun  die  Frage 
nach  der  Wahrheit  derartiger  Aeusserungen  auf  ja  und  nein  gestellt, 
80  scheint  zvrst  der  Satz  des  ausgeschlossenen  Dritten  dieses  Verfahren 
Bu  rechtfertigen,  und  rechtfertigt  es  in  der  That,  sofern  die  Vernei- 
nung in  rein  logischem  Sinne  dahin  verstanden  wird,  dass  nicht  eine 
vollkommene  Uebereinstimmung  in  allem  statthabe,  aber  nicht,  sofern 
die  Verneinung  auf  volle  Abweichung  gedeutet  wird.  Nicht  selten  ist 
in  dieser  Beziehung  die  Formulirung  der  Frage  schwieriger,  als  die 
Beantwortung,  wesshalb  auch  in  Criminalfällen  die  Antwort:  schuldig 
oder  nicht  schuldig,  den  Geschworenen  überlassen  werden  darf,  die 
Fragestellung  aber  den  wissenschaftlich  gebildeten  Richtern  zufallt. 
Ein  philosophisches.  System  kann  theilweise  wahr  sein,  indem  es  wahre 


§  78.  Der  Gmndsatz  des  ausgesdiloasenen  Dritten.  361 

Urtheile  neben  anwahren  enthält,  aber  auöh,  indem  jeder  einzelne 
Satz  Bioh  der  Wahrkeit  nnr  mehr  oder  minder  annähert;  und  geht  bei 
strenger  Consequenz  durch  das  ganze  System  ein  gleicher  Charakter 
hindurch,  so  kann  dieselbe  Art  und  Stufe  der  Annäherung,  welche  in 
den  Prinoipien  des  Systems  liegt,  in  allen  einzelnen  Sätzen  desselben 
sich  wiederfinden.  Die  verschiedenen  Systeme,  die  im  Laufe  der  Ge- 
Bchichte  hervorgetreten  sind,  dürfen  in  diesem  Sinne  als  die  verschie- 
denen Entwickelungsstufen  der  menschlichen  Erkenntniss  und  als  Grade 
der  Annäherung  an  das  Wissen  angesehen  werden.  Wer  heute  noch 
angesichts  dieser  geschichtlichen  Entwickelung  der  wissenschaftlichen 
Begriffe  fähig  ist,  Fragen  wie  folgende  in  jenem  falschen  Sinne  nur 
einfach  auf  ja  und  nein  zu  stellen:  ob  der  menschliche  Wille  frei  sei 
oder  nicht,  ob  die  Freiheit  ein  wahres  Gut  sei  öder  nicht,  ob  die  neu- 
testamentlichen  Schriften  die  christliche  Gesammto£fenbarung  enthalten 
oder  nicht,  ob  in  Plato  die  Idee  der  Philosophie  sich  verkörpert  habe 
oder  nicht,  und  so  unzählige  von  ähnlicher  Art:  der  beweist  nnr,  dass 
er  niemals  über  die  betreffenden  Probleme  gründliche  Studien  ge- 
macht hat;  denn  sonst  würde  er  zuvor  fragen:  was  ist  die  Freiheit? 
was  ist  Offenbarung?  was  ist  Wahrheit  etc.?  In  welchem  Sinne  und 
Maasse  gilt  die  Bejahung  und  in  welchem  Sinne  und  Maasee  die  Ver- 
neinung? Hier  dürfen  nicht  Vorstellungen,  die  vor  der  wissenschaft- 
lichen Untersuchung  entstanden  sind,  als  selbstverständlich  vorausge- 
setzt und  nur  noch  ihre  objective  Gültigkeit  in  Frage  gestellt  werden 
(in  dieser  Form,  die  sie  vor  der  Untersuchung  haben,  sind  sie  gewiss 
nicht  schlechthin  gültig,  aber  auch  ebensowenig  schlechthin  ungültig); 
sondern  darin  eben  besteht  die  Hauptaufgabe,  den  wahrhaft  gültigen 
Begriff  aufzufinden  —  eine  Aufgabe,  die  freilich  nicht  der  Bequem- 
lichkeit zusagt,  welche  das  Denken  scheut,  dessen  Anstrengrang  gerade 
hier  die  allerhöchste  sein  muss,  noch  auch  jenem  unruhigen  Thätig- 
keitsdrange,  der  nur  gleich  mit  einem  fertigen  Ja  oder  Nein  an  die 
äussere  Praxis,  sei  es  des  Stabilisirens  oder  des  Revolutionirens  heran- 
gehen will,  aber  auch  niemals  von  den  Fesseln  jener  schlechten  Gegen- 
sätze sich  losznwinden  vermag;  denn  die  echte  Geistesfreiheit  ist  der 
vorbehaltene  Lohn  der  uninteressirten  Hingabe  an  den  reinen  Gedanken. 
So  entschieden  aber  jeder  falschen  Beruhigung  bei  einer  oberflächlichen 
Bejahung  oder  Verneinung  entgegengetreten  werden  muss,  eben  so 
entschieden  ist  auch  die  Ueberzeugung  festzuhalten,  dass  es  eine  reine 
Wahrheit  gebe,  in  deren  Erreichung  die  Stufenordnung  der  An- 
näherungen ihr  Ziel  und  ihren  Abschluss  finde  und  sich  zum  adäquaten 
Wissen  vollende,  so  dass  nunmehr  die  recht  gestellte  Frage,  welche  die 
sachgemässen  Determinationen  bereits  in  sich  selbst  aufgenommen  hat, 
allerdings  entweder  mit  Ja  oder  mit  Nein  zu  beantworten  ist.  Auf 
ihrem  b^prenzten  Gebiete  hat  die  Mathematik  fast  durchweg  (und 
grossentheils  auch  die  Naturwissenschaft)  dieses  Ziel  erreicht,  so  dass 
ihre  Entwickelung  fast  nur  Fortbau  und  fast  nirgends  Umbau  sein 
darf.  Es  wäre  Thorheit,  diesen  hohen  Vorzug  für  einen  Mangel  der 
Mathematik  als  einer   untergeordneten  Wissenschaft,  in  der  noch  die 


262  §  76.  Der  Grundsatz  des  ausgesofalossenen  Dritten. 

Gesetze  des  refleotirenden  Verstandes  gelten,  zn  eridären;  nur  das  ist 
wahr,  dass  der  Mathematik  bei  der  einfacheren  Natur  ihrer  Probleme 
die  Erreichung  der  reinen  Wahrheit  leichter  war,  als  der  Philosophie 
und  der  Mehrzahl  der  übrigen  Wissenschaften,  die  jedoch  alle,  jede 
auf  ihrem  Gebiete,  das  gleiche  Ziel  in  allmählichem  Fortschritt  zu 
erreichen  bestimmt  sind. 

Wie  sich  das  logische  Bewusstsein  von  dem  Satze  des  Wider* 
sprudis  bei  Parmenides  in  der  Polemik  gegen  Heraklit's  gemeinsame 
Bejahung  der  contradictorischen  Gegensätze  entwickelt  hat,  so  lässt 
sich  der  Ursprung  der  Lehre  vom  ausgeschlossenen  Dritten  in  der 
Aristotelischen  Opposition  gegen  die  Platonische  Annahme  eines 
zwischen  Sein  und  Nichtsein  zwischentretenden  Dritten  oder  Mittleren 
nachweisen.  Plato  stellt  auf  die  eine  Seite  die  Ideen,  als  das,  was 
ist,  auf  die  entg^engesetzte- Seite  die  Materie  als  das,  was  nicht  ist 
(nichtsdestoweniger  aber  das  Substrat  der  sinnlichen  Dinge  ausmacht), 
und  zwischen  Beide  als  das  Dritte  die  sinnlichen  Dinge,  die  nach  ihm 
als  ein  unbestimmt  Vieles  und  in  unablässigem  Werden  und  Wechsel 
Begriffenes  weder  wahrhaft  sind,  noch  auch  nicht  sind,  und  als  derai 
wahrer  Ort  also  die  Mitte  zwischen  Sein  und  Nichtsein  betrachtet  werden 
muss.  Rep.  479  G:  xal  yäg  tavra  Ina^tpmiqiCHVy  «al  ovw^  üvtu  cär€ 
fiff  Blrtu  avdiv  avrnv  dtfvarov  nayUa^  wf^oai  ot/r'  afi^te^  ovr'  ovd4- 
T€ifov,  ix^iC  ovy  —  onot  ^rj<S€ig  xalUea  d-iaiv  r^;  fifiaiv  ovffias  re  xai  tov 
/u^  thwr,  —  Aristoteles  dagegen  lässt  kein  Mittleres  zwischen  den 
Gliedern  des  Widerspruchs,  zwischen  Sein  und  Nichtsein  zu.  Metaph. 
m,  7.  1011  b.  28:  alXa  fiiiv  ovSk  fina^  avxiipdts^tog  iv^i^^w  ehnu 
ovd'iy.  Ib.  8.  1012  b.  10  u.  12:  avayxri  rijs  avTupaas^g  d^€QOV  tlvm 
fioQtov  itl^d'ig  —  aSvvtaov  ä^fporega  ijtivSri  elvai,  Gf.  Analyt.  post.  I, 
2.  72  a.  12:  itvTÜpaoie  Sk  avrt^iaig,  '^g  ovx  lern  ^crolv  xa^'  avr^v.  Die 
Annahme  eines  Mittleren,  meint  Aristoteles,  führe  auf  die  absurde 
Gonsequenz,  dass  das  Seiende  gleichsam  anderthalbfach  sei,  nämlidi 
aus  dem  Sein  und  halben  Sein  bestehend,  ja  dass  auch  zvrischen  dem 
Mittleren  und  dem  Sein,  so  wie  zwischen  demselben  und  dem  Nicht- 
sein, wiederum  ein  Mittleres  angenommen  werden  müsse,  und  so  fort 
ins  Unendliche.  Metaph.  III,  7.  1012  a.  12:  In  iig  ansiQov  ßa&iftrai 
xiA  ov  fiorov  rjfAtoUa  rä  ovra  Icrrai  äXXa  nXtif».  —  Wie  Aristoteles,  so 
lehrt  auch  noch  Wolff  (Ontolog.  §  52):  inter  contradictoria  non  dari 
medium;  (Log.  §  682):  propositionum  contradictoriarum  altera  neoes- 
sario  yera.  (Seltsam  ist,  da  doch  diese  Wolffischen  Worte  nur  die 
Uebersetzung  jener  Aristotelischen  sind,  wie  Bachmann,  Log.  S.  62, 
meinen  kann,  der  Satz  des  ausgeschlossenen  Dritten  finde  sich  als  Prindp 
der  Wissenschaft  erst  in  der  neueren  Zeit,  und  zwar  bei  Wolff.)  — 
Baumgarten  gebraucht  die  Formel  (Metaph.  §  10):  omne  possibile 
ant  est  A  aut  non  A,  seu  omni  subiecto  ex  omnibus  praedioatis  contra- 
diotoriis  alterutrum  convenit  —  eine  Formel,  welche  schon  die  oben 
berührte  Missdeutung  nahe  legt,  als  sollte  zu  einer  aligemeinen  Ver- 
gleidhung  eines  jeden  möglichen  Subjectsbegriffs  mit  einem  jeden  mög- 
lichen Prädicatsbegriffe  aufgefordert  werden.  Kant  (Logik,  S.  76)  erklart 


§  78.  Der  (^nrndsatz  des  ftusgesohlosBenen  Dritten.  26S 

den  8ats  (den  er  ungenau  Satz  des  auBschliessenden  Dritten  nennt) 
für  den  Grund  der  logischen  Noth wendigkeit  in  apodiktischen  Ur- 
theileuy  ohne  die  Formel  näher  zu  bestimmen.  Im  Ansohluss  an  Kant 
sagt  Kiese wetter:  »jedem  logischen  Gegenstande  muss  von  zwei  ein- 
ander widersprechenden  Merkmalen  nothwendig  eins  zukommen c. 
Die  Nothwendigkeit  liegt  hierbei  jedoch  nur  in  der  nicht  abzuweisenden 
Wahl;  aber  welches  von  den  beiden  Gliedern  des  contradictorischen 
Gegensatzes  zu  wählen  sei,  lehrt  der  Grundsatz  überhaupt  nicht  und 
am  allerwenigsten  mit  apodiktischer  Gewissheit,  wesshalb  jene  Auffiia- 
snng  des  Satzes  als  eines  Princips  apodiktischer  Urtheile  auf  einem 
Missrersföndniss  beruht.  Krug  (Denklehre,  §  19),  der  (nach  dem  Vor- 
gänge Yon  Polz,  comm.  metaph.  S.  107  sqq.)  die  Anwendbarkeit  des 
Satzes  in  seiner  gewöhnlichen  Form  auf  Gattungsbegfriffe  bestreitet  (s. 
o.  S.  256),  wählt  die  Formeln:  »unter  entgegengesetzten  Bestimmungen 
eines  Dinges  darfst  du  nur  eine  setzen,  und  wenn  diese  gesetzt  ist, 
musst  du  die  andere  aufhebenc,  was  jedoch  vielmehr  eine  Formel  fiir 
den  Satz  des  Widerspruchs  ist,  und:  »es  muss  jedem  als  durchgängig 
bestimmt  gedachten  Gegenstande  jedes  mögliche  Merkmal  entweder 
zukommen  oder  nichtc,  in  welcher  Formel  beide  Grundzätze  zusammen- 
gefasst  sind ;  Krug  nennt  diesen  Satz  das  Princip  der  allseitigen  Bestimm- 
barkeit Fries  (Log.  §  41)  gebraucht  die  Formeln:  »jedem  Gegen- 
stande kommt  entweder  ein  Begriff  oder  dessen  Gegentheil  zut,  oder: 
»jedem  Dinge  kommt  jeder  Begriff  entweder  bejahend  oder  verneinend 
zuc,  und  wählt  den  Namen :  Satz  der  Bestimmbarkeit  jedes  Gegenstandes 
durch  jedes  Prildicat.  Hierdurch  ab^r  wird  die  schon  durch  Baum- 
gartens Formel  (s.  o.)  nahe  gelegte  Missdeutung  des  Satzes  noch  mehr 
provocirt.  Gegen  eine  derartige  falsche  Auffassung  ist  Hegöl's  Tadel 
(Logik  I,  2,  S.  66  ff.;  Encycl.  §  119)  berechtigt,  aber  nicht  gegen  den 
Satz  selbst.  Hegel  sagt:  »der  Unterschied  an  sich  g^ebt  den  Satz:  alles 
ist  ein  wesentlich  unterschiedenes,  oder  wie  er  auch  auegedrückt  n^orden 
ist,  von  zwei  entgegengesetzten  Pradicaten  kommt  dem  Etwas  nur  das 
Eine  zu,  und  es  giebt  kein  Drittes  c.  (Dies  ist  jedoch  in  der  Beziehung 
nicht  genau,  dass  die  Bestimmung,  nur  das  eine  Prädioat,  und  nicht 
beide  zumal,  komme  dem  nämlichen  Subjecte  zu,  vielmehr  dem  Satze 
des  Widerspruchs  angehört;  der  Satz  des  ausgeschlossenen  Dritten  da- 
gegen sagt,  jedenfalls  das  eine  Prädicat,  und  nicht  keins  von  beiden, 
komme  dem  nämlichen  Subjecte  zu,  was  auch  Hegel  selbst  Logik,  I,  2, 
S.  67  anerkennt).  Hegel  neifnt  den  Satz  in  jener  Form  Satz  des 
Gegensatzes  oder  der  Entgegensetzung  oder  auch  Satz  des 
ausgeschlossenen  Dritten.  Er  meint,  dieser  Satz  widerspreche 
dem  Satze  der  Identität,  und  bekämpft  ihn  insbesondere  durch  die 
Bemerkung,  es  gebe  allerdings  ein  Drittes  oder  Mittleres  zwischen  +  A 
und  —  A,  nämlich  A  selbst  seinem  absoluten  Werthe  nach;  auch  die 
Null  sei  ein  Drittes  zwischen  plus  und  minus.  Allein  hier  werden  von 
Hegel  jene  logischen  Verhältnisse  mit  mathematischen  identifioirt,  von 
denen  sie  trotz  einiger  Aehnlichkeit  do<^  wesentlich  verschieden  sind. 
Zwischen  der  positiven  und  negativen  Grosse  im  mathemaUschen  Sinne 


26i  §  78.  Der  GrondBatz  des  auagesohlossenen  Dritten. 

besteht  nidit  ein  oontradiotoriBcher,  sondern  ein  contrarer  Gegensate 
(was  auch  bereits  Kant  mit  Recht  bemerkt  in  seinem  »Versuch,  den 
Begriff  der  negativen  Grössen,  in  die  Weltweisheit  einzuführenc,  1763, 
verm.  Schriften,  hrsg.  v.  Tieftrunk,  I,  8.  266  £F.).  Die  negative  Grosse 
—  A  ist  keineswegs  mit  der  logischen  Verneinung  des  +  A  identisch. 
Eine  Grösse  braucht  nicht  entweder  =  +  A  oder  s:  —  A  su  sein,  wohl 
aber  entweder  s=  +  A  oder  nicht  =  +  A,  und  ebenso  entweder  ^  —  A 
oder  nicht  s:  —  A,  und  ihrem  absoluten  Werthe  nach,  abgesehen  von 
dem  Vorseichen,  entweder  ss  A  oder  nicht  =  A.  Mit  Recht  hält 
Her  hart  und  seine  Schule  an  der  Gültigkeit  des  Grundsatzes  vom  aus- 
geschlossenen Dritten  fest.  S.  Her  hart,  L.  z.  Einl.  in  die  Phil.  §  S9; 
oommentatio  de  principio  logioo  exdusi  medii  inter  contradictoria  non 
negligendo,  Gotting.  1688;  cf.  Hartenstein,  Diss.  de  methodo  philo- 
sophioa  logicae  legibus  adstringenda,  finibus  non  terminanda,  Lips.  1885 ; 
Drobisch,  Logik,  2.  A.  §  hl,  3.  A.  §  60. 

Lotse  in  s.  Syst.  d.  Philos.  Bd.  1.  Logik.  Buch  1.  Gap.  2.  G. 
S.  98  hat  darzuthun  gesucht,  dass  der  genaue  Ausdruck  des  Satzes  vom 
ausgeschlossenen  Dritten  sein  würde:  »von  jedem  genau  bestimmten 
Subject  S  gilt  entweder  die  Bejahung  oder  die  Verneinung  eines  ebenso 
bestimmten  Prädicats  Q,  und  es  gibt  keine  dritte  Möglichkeit;  überall, 
wo  eine  solche  stattzufinden  scheint,  ist  S  oder  Q  oder  beide  entweder 
von  Anfang  an  mehrdeutig  und  unbestimmt  gefasst  oder  ihre  Bedeu- 
tung im  Lauf  der  Ueberlegung  unbewusst  oder  unwillkürlich  verändert 
wordene. 

Sigwart  in  s.  Logik  Bd.  1.  Th.  1.  Abschn.  4.  Die  Verneinung 
stellt  9  ^  den  Satz  der  doppelten  Verneinung  dem  Satz  des  ausge- 
sohloBsenen  Dritten  §  26  S.  157  ff.  voran.  Das  Wesen  der  Verneinung 
soll  nur  dann  vollständig  erschöpft  sein,  wenn  zu  dem  Satze  des  Wider- 
spruchs der  Satz  hinzutritt,  dass  die  Verneinung  der  Verneinung  be- 
jahe. »Aus  dem  Satze  des  Widerspruchs  und  dem  Satze  der  doppelten 
Verneinung  —  lautet  dann  §  25  —  folgt  von  selbst,  dass  von  zwei 
conioradictorisch  entgegengesetzten  Urtheilen  das  eine  nothwendig  wahr 
ist,  dass  es  also  neben  Bejahung  und  Verneinung  keine  dritte  Aussage 
gibt,  neben  der  jene  beiden  falsch  wären.  Dies  ist  der  Satz  vom 
ausgeschlossenen  Dritten,  der  demnach,  wie  die  beiden  voran- 
gehenden, nur  das  Wes^i  und  die  Bedeutung  der  Verneinung  weiter 
zu  entwickeln  bestimmt  ist.  —  Die  gewöhnliche  Fassung  des  Prinoi- 
pium  exdusi  tertii  durch  die  Formel  Quid  A  est  aut  B  aut  non  B, 
wonach  jedem  Subjecte  von  zwei  contradictorisch  entgegen  gesetzten 
Prädicaten  eines  zukommt,  ist  ebenso  von  dem  ursprünglichen  und 
echten  Satze  des  ausgeschlossenen  Dritten  verschieden,  wie  das  gewöhn- 
liche Principium  oontradiotionis  von  dem  Satze  des  Widerspruchs.«  — 
Auch  Bergmann  AUgem.  Logik,  Th.  1.  Abschn.  2.  §23  hat  eine  neue, 
von  Sigwart  abweichende  FormuUrung  des  Satzes  versucht- 

Im  C^ensatz  dazu  will  Wundt,  Logik,  Bd.  1.  Abschn.  6.  Gap.  1. 
1.0.  S.  568,  an  dem  Aristoteles  wesentlich  festhaltend,  dem  Satz  des 
ausgeschlossenen   Dritten    eine    selbständige   Bedeutung    zuerkennen. 


§  79.  Das  Princip  der  oontradictorisohen  Disjunotion.         265 

»Später  —  bemerkt  Wandt  —  hat  man  ihn  zuweilen  für  entbehrlich 
angesehen,  indem  man  meinte,  er  ergebe  sich  von  selbst,  wenn  man 
das  Identitätsgesetz  mit  dem  Satz  des  Widerspruchs  verbinde.  Wäre 
dies  richtig,  so  müsste  in  der  Aristotelischen  Formel  lA  «=  B  und  A 
=1  non-B  widersprechen  siehe,  da  dieselbe  das  positive  und  negative 
Urtheil,  die  einander  entgegengesetzt  sind,  enthält,  auch  unmittelbar 
der  Satz  des  ausgeschlossenen  Dritten  enthalten  sein:  >A  ist  entweder 
B  oder  non-Bc.  Dies  ist  aber  nicht  der  Fall;  die  Erklärung,  dass  B 
und  non-B  sich  widersprechen,  schliesst  nicht  aus,  dass  es  neben  beiden 
noch  ein  Drittes  gebe.  Ebenso  wenig  folgt  dies  aus  der  Aufhebung 
der  doppelten  Yemeinung  (S  ig  wart).  Denn  diese  zeigt  nur  an,  dass 
man  durch  die  Häufung  der  Verneinungen  keine  neue  logische 
Function  neben  Bejahung  und  Verneinung  erzeugen  kann;  es  bleibt 
aber  dahingestellt,  ob  nicht  neben  der  Verneinung  noch  eine ^  andere 
Form  der  Aufhebung  eines  positiven  Begriffs  existirt.  Dass  dies  nicht 
der  Fall  ist,  sagt  eben  der  Satz  des  ausgeschlossenen  Dritten.  Dagegen 
setzt  dieser  die  Gesetze  der  Identität  und  des  Widerspruchs  voraus, 
und  wenn  es  daher  durchaus  darauf  ankäme,  die  drei  logischen  Axiome 
auf  eines  zurückzufahren,  so  wäre  dazu,  wie  Schopenhauer  (Die  Welt 
als  Wille  u.  Vorst.  Bd.  II.  Cap.  9)  richtig  erkannt  hat,  kein  anderes 
als  der  Satz  des  ausgeschlossenen  Dritten  geeignet.  Gleichwohl  würde 
sich  diese  Beduotion  kaum  empfehlen.  Denn  auch  hier  findet  in  dem 
neaen  Gesetz  zunächst  die  neue  logische  Function,  welche  durch  das- 
selbe bestimmt  wird,  ihren  Ausdruck,  und  es  entsteht  daher  durch  eine 
derartige  Ableitung  das  Missverhältniss,  dass  man  mit  einem  secundären 
Gesete  des  Denkens  zuerst  bekannt  wird.  Die  Eigenschaft  der  drei 
logischen  Axiome,  dass  jedes  die  ihm  vorangegangenen  fordert  und 
daneben  doch  noch  eine  besondere  Thatsache  des  Denkens  zur  Geltung 
bringt,  darf  nicht  mit  dem  Grade  der  Allgemeinheit  der  Denkgesetze 
verwechselt  werden.  Nicht  dasjenige  Axiom  ist  das  allgemeinste,  wel- 
ches die  meisten,  sondern  dasjenige,  welches  die  wenigsten  Voraus- 
setsnngen  in  sich  schliesst.  Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  ist  aber  die 
Befaandliing  der  Axiome  in  der  oben  eingehaltenen  Beihenfolge  (Satz 
der  Identität,  des  Widerspruchs,  vom  ausgeschlossenen  Dritten)  geboten.« 

§  79.  Der  Grundsatz  des  Vfiderspruchs  und  der  Grund- 
satz des  ausgeschlossenen  Dritten  lassen  sich  in  der  Formel 
zusammenfassen:  A  ist  entweder  B  oder  ist  nicht  B; 
jedem  Subjecte  kommt  jedes  fragliche  Prädicat  entweder  zu 
oder  nicht;  oder:  von  contradictorisch  einander  entgegenge- 
setzten Urtheilen  ist  jedesmal  das  eine  wahr,  das  andere  falsch; 
oder:  auf  jede  völlig  bestimmte  und  allemal  in  dem  gleichen 
Sinne  verstandene  Frage,  die  auf  die  Zugehörigkeit  eines  be- 
stimmten Prädicates  zu  einem  bestimmten  Subjecte  geht,  muss 
entweder  ja  oder  nein  geantwortet  werden.     Diese  Formeln 


266         §  79.  Das  Prinoip  der  oontradictorisoben  Disjonotion« 

enthalten  den  Satz  des  Widerspruchs,  indem  sie  zwei  einan- 
der ausschliessende  Glieder  statniren,  also  aassagen,  dass 
Bejahung  und  Verneinung  des  Nämlichen  nicht  zusammen 
wahr  sei;  A  ist  entweder  B  oder  ist  nicht  B.  Sie  ent- 
halten aber  auch  den  Satz  des  ausgeschlossenen  Dritten,  in- 
dem sie  nur  zwei  einander  ausschliessende  Glieder  statuiren, 
also  aussagen,  dass  jedes  Dritte  neben  Bejahung  und  Vernei- 
nung des  Nämlichen  unzulässig,  also  nicht  beides  falsch, 
sondern  irgend  eins  der  beiden  Glieder  wahr  sei :  A  ist  ent- 
weder B  oder  ist  nicht  B;  es  giebt  kein  Drittes.  Die  Zu- 
sammenfassung der  Grundsätze  des  Widerspruchs  und  des  aus- 
geschlossenen Dritten  in  den  vorstehenden  Formeln  mag  das 
Princip  der  contradictorischen  Disjunction  (prin- 
cipium  disiunctionis  contradictoriae)  genannt  werden. 

Die  yemunftgemässe  Fragestellung  ist  audi  bei  der  Anwendung 
dieses  Prinoips  wiederum  die  natürliche  Voraussetzung. 

Das  Hinüberziehen  der  Verneinung  zum  Prädicate:  »A  ist  ent- 
weder B  oder  non-Bc,  ist  nicht  falsch,  wofern  unter  non-B  nur  der 
oontradictorische  Gegensatz  verstanden  wird,  ist  aber  eine  unnütze 
Künstelei,  die  leiöht  die  falsche  Deutung  auf  den  oonträren  Gegensatz 
veranlasst. 

Die  einfachste  metaphysische  Formel  des  Princips  der  oontradio- 
torisdien  Disjunction  findet  sich  schon  beiParmenides  (fragm.  vs.  72. 
ed.  Mullaoh;  ap.  Simplic.  ad  Arist.  Phys.  fol.  81  B):  sartr  ^  ovx  fatof^ 
jedoch  hier  nur  im  Sinne  des  Satzes  vom  Widerspruch,  so  dass  die 
gemeinsame  Wahrheit  der  Behauptung  des  Seins  und  des  Ni<ditseins 
dadurch  abgewiesen  wird:  Sein  und  Nichtsein  können  nicht  zusammen- 
bestehen, das  Eine  schliesst  das  Andere  aus.  Aristoteles  hingegen 
gebraucht  die  zusammenfassende  Formel  vorwiegend  im  Sinne  des  Sataes 
vom  ausgeschlossenen  Dritten.  Metaph.  III,  7.  1011  b.  23:  allet  fiifif 
oväk  fnira^v  aVTi(fda((oi  ^ydi^^m  elvou  ov^^v,  alX*  avayxri  tj  if/«vtu  ii 
änoipavtti  ^v  xaS^  ivbg  ououv.  Ib.  8.  1012  b.  11:  nav  ^  (ftavai  tj  ano' 
fpayai  avayftalov.  Gateg.  c.  10.  18  b.  27:  inl  rijs  xaraipaatiag  xuk  rifi 
anoipaaiiag  aA  —  ro  Mt€qov  tarat  jptvdog  xai  ro  ^rtQov  alti^is»  Cf. 
Anal.  post.  I,  11.  77  a.  22:  ro  d^  anav  ipavcu  ^  anotpavai  ^  €is  ro 
aSuvttTov  anodii^tg  Xafißnvfi,  Aristoteles  sucht  den  Satz  auf  Grund  der 
Voraussetzung,  dass  nicht  das  I^mliohe  sein  und  auch  nicht  sein  kSnne, 
aus  den  Definitionen  der  Wahrheit  und  Unwahrheit  herzuleiten.  Jedes 
Urtheil  muss  (da  es  eine  subjective  Behauptung  über  das  objective  Sein 
ist)  unter  eine  der  vier  Gombinationsformen  fallen:  das  Seiende  ver- 
neinen, das  Nichtseiende  bejahen;  das  Seiende  bejahen,  das  Nichtseiende 
verneinen.  Hiervon  sind  die  beiden  ersten  falsch,  die  beiden  leisten 
wahr  (weil  in  jenen  der  Gedanke  von  der  Wirklichkeit  abweidit»   in 


§  80.  ürtheile  mit  oontrar  entgegengesetzten  Pradioaten.       267 

diesen  ihr  entsprioht).  Es  ist  also  anter  Yoraussetznng  des  Seins  die 
eine  Aussage  wahr,  die  andere  falsch,  und  unter  Voraussetzung  des 
Nichtseins  ebenso.  (Also  ist  jedenfalls  entweder  die  Bejahung  oder  die 
Verneinung  wahr,  und  daher,  da  doch  Wahrheit  unser  Ziel  ist,  17  fpavat. 
^  anoipayat  avayxäiov,  aber  nicht  beides  falsch  und  ein  Drittes,  Mitt- 
leres wahr;  für  ein  Mittleres  ist  kein  Raum  mehr  geblieben;  es  müsste, 
wenn  es  wahr  oder  auch  nur  überhaupt  denkbar  sein  und  eine  Bezie- 
hung auf  Wahrheit  und  Unwahrheit,  wie  sie  jedem  Urtheil  wesentlich 
ist,  haben  sollte,  selbst  eins  jener  Combinationsglieder  sein,  was  es 
doch  seinem  Begriffe  nach  nicht  ist;  denn)  es  wird  (in  dem  Mittleren) 
weder  das  Seiende  verneint  oder  bejaht,  noch  das  Nichtseiende.  In 
dieser  Weise  scheint  die  unvollständig  ausgedrückte  Argumentation  des 
Aristoteles  gegen  das  Mittlere,  Metaph.  lU,  7.  1011  b.  25  u.  1012  a.  2 
aufgefasst  und  ergänzt  werden  zu  müssen.  —  Leibniz  (Nouv.  ess.  IV, 
2,  §  1)  stellt  der  affirmativen  Form  der  primitiven  identischen  Ver- 
nunftwahrheit :  »jedes  Ding  ist,  was  es  istc,  die  negative  Form  zur 
Seite:  »une  proposition  est  ou  vraie  ou  faussec.  Er  nennt  diesen  Satz 
das  Prindp  des  Widerspruchs  und  zerlegt  ihn  in  die  beiden  Sätze,  die 
er  in  sich  schliesse:  »qu'une  proposition  ne  saurait  Stre  vraie  et  fausse 
h  la  fois«,  und:  vqu'il  n'y  a  point  de  milieu  entre  le  vräi  et  le  faux, 
ou  bien:  il  ne  se  peut  pas  qu'une  proposition  ne  soit  ni  vraie  ni  faussec. 
Ebenso  nennt  Leibniz  (Th^od.  I,  §  44)  »principe  de  la  oontradictionc 
dasjenige,  »qui  porte  que  de  deux  propositions  oontradictoires  l'une 
est  vraie,  l'autre  faussec.  Mithin  versteht  Leibniz  hier  unter  dem 
Princip  des  Widerspruchs  denjenigen  Satz,  welcher  den  sonst  allgemein 
sogenannten  Satz  des  Widerspruchs  und  den  Satz  des  ausgeschlossenen 
Dritten  gemeinsam  in  sich  begreift.  An  anderen  Stellen  jedoch  (z.  B. 
im  zweiten  Schreiben  an  Glarke)  folgt  Leibniz  der  gewöhnlichen  Ter- 
minologie. Wolff  (Ontol.  §  62;  Log.  §  682)  stellt  die  Formeln  auf: 
»qnodlibet  vel  est,  vel  non  estc;  »propositionum  oontradictoriarum 
altera  neoessario  vera,  altera  necessario  falsa c,  nnd  sagt:  »patet  per 
86,  eidem  subieoto  A  idem  praedicatum  B  vel  convenire,  vel  non  con- 
venire«.  Sowohl  von  den  früheren,  als  von  den  späteren  Logikern 
haben  manche  mit  Unrecht  die  Formel:  A  ist  entweder  B  oder  nicht 
B,  welche  das  Prinoip  des  Widerspruchs  und  des  ausgeschlossenen 
Dritten  in  sich  vereinigt,  für  den  reinen  Ausdruck  des  Satzes  vom  aus- 
geschlossenen Dritten  gehalten.  —  Vgl.  zu  dem  Ganzen  auch  Katzen- 
berg er,  Grundfragen  der  Logik,  Leipzig  1868. 

§  80.  Die  vorstehenden  Grundsätze  finden  nicht  auf 
flolche  Urtheile  Anwendung,  deren  Prädicate  zu  einander 
im  Verhältniss  des  cont raren  Gegensatzes  (wie  positive  und 
negative  Grössen)  stehen.  Es  können  vielmehr  bei  diesem  Ver- 
hältniss  unter  gewissen  Voraussetzungen  a.  beide  Urtheile 
falsch,  aber  auch  b.  beide  UrtheUe  wahr  sein.  Beide  können 
üsdach  sein  1.  wenn  dem  Subjecte  derjenige  Begriff,  der  den 


268        §  80.   Urtheile  mit  oontiür  entgegengesetzten  Pradicaten. 

beiden  einander  conträr  entgegengesetzten  Pradicaten  als  der 
gemeinsame  Gattungsbegriff  übergeordnet  ist,  nicht  als  Prädi- 
cat  zukommt  (welches  Verhältniss  von  Kairt  dialektische 
Opposition  genannt  wird);  2.  wenn  jener  Gattungsbegriff 
dem  Subjecte  zwar  zukommt,  aber  ausser  den  beiden  einander 
conträr  entgegengesetzten  Pradicaten  noch  andere  Artbegriffe 
unter  sich  fasst,  in  welchem  letzteren  Falle  der  Satz  des 
zwischen  conträren  Gegensätzen  in  der  Mitte  lie- 
genden Dritten  (principium  tertii  intervenientis  inter  dua 
contraria)  znr  Anwendung  kommt.  Beide  Urtheile  können 
aber  auch  wahr  sein,  und  zwar  dann,  wenn  das  Subject  einen 
Gegenstand  bezeichnet,  der  weder  schlechthin  ein&ch,  noch 
auch  ein  blosses  Aggregat,  sondern  eine  synthetische  Einheit 
mannigfacher  Bestimmungen  ist;  sofern  nämlich  unter  diesen 
einzelne  zu  einander  im  Verhältniss  des  conträren  Gegensatzes 
stehen,  so  findet  auf  dieselben  der  Satz  der  Vermittelung 
(principium  coincidentiae  oppositorum)  Anwendung,  nach  wel- 
chem alle  Entwickelnng  auf  dem  Kampf  und  der  Vermittelung 
der  Gegensätze  beruht. 

Urtheile,  deren  Prädicate  zu  einander  in  oontrarem  Gegen- 
satz (s.  oben  §  63)  stehen,  z.  B.  Gajus  ist  frx)h,  Cajus  ist  traurig  — 
sind  von  Urtheilen,  die  als  Urtheile  zu  einander  in  oontrarem 
Gegensatz  (s.  oben  §  72)  stehen,  z.  B.  alle  Menschen  sind  gelehrt,  kein 
Mensch  ist  gelehrt  — ^  wohl  zu  unterscheiden.  Jene  können  nicht  nur 
beide  falsch,  sondern  in  gewissem  Sinne  auch  beide  wahr  sein«  wie 
z.  B.  in  dem  Gefühle  der  Wehmuth  Freude  und  Trauer  beide  enthalten 
sind;  diese  dagegen  können  zwar  beide  falsch,  aber  nicht  beide  wahr 
sein  (s.  unten  §  97).  Von  diesen  beiden  Verhältnissen  ist  das  des  con* 
tradictorischen  Gegensatzes  (z.  B.  Cajus  ist  froh,  Cajus  ist  nidit  froh; 
alle  Menschen  sind  gelehrt,  es  sind  nicht  alle  Menschen  gelehrt)  ver- 
schieden, dessen  Glieder  (nach  §  79)  weder  beide  wahr,  noch  beide  falsoh 
sein  können. 

Plato  lehrt,  ein  und  dasselbe  Ding  könne  verschiedene  und  audi 
einander  entgegengesetzte  Qualitäten  in  sich  vereinigen,  wiewohl  die 
Qualität  selbst  niemals  mit  der  entgegengesetzten  identisch  sei  (Phae- 
don  p.  103  B;  vgl.  Soph.  p.  257  B,  wo  das  ^vttvrtov  von  dem  h^gow 
unterschieden  wird).  —  In  ähnlicher  Weise  erklärt  Aristoteles,  dass 
zwar  der  Gegenstand  wechsele,  indem  er  nacheinander  die  entgegen- 
gesetzten Eigenschaften  annehme,  dass  aber  die  Eigenschaft  ihrem  Be- 
griffe nach  sich  selbst  stets  gleich  bleibe  (Metaph.  III,  5.  1010  b.  21). 
Indem  Aristoteles  mit  Bestimmtheit  ausspricht,  dass  nur  der  contra- 
diotorisohe  Gegensatz  jede  Mitte  ausschliesse,  giebt  er  deren  Möglioh- 


§  80.    Uriheile  mit  eontrar  entgegengesetzten  Prädicaten.        269 

keit  bei  conträren  Gegensätzen  za  (Metaph.  III,  7.  1011  b.  28;  of. 
Categ.  10.  18  b.  2:  inl  yag  fjiovtov  romtov  avayxaiov  itil  to  fihv  äXti&i^, 
To  ^k  y^tv^og  elvtu),^  —  Die  späteren  Logiker  haben  selten  die  Verhält- 
nisse der  Urtheile  mit  conträr  entgegengesetzten  Prädicaten  einer  ge- 
nauen Beachtnng  ge'würdigt.  Augustin  sagt  in  seiner  kurzen  Lehr- 
sduift  an  den  Laurentius  de  fide,  spe  et  caritate  oap.  5 :  omnis  natura 
etiamsi  vitiosa  est,  in  quantum  natura  est,  bona  est,  in  quantum  vitiosa 
est,  mala  est.  Quapropter  in  his  oontrariis,  quae  mala  et  bona  vo- 
cantur,  illa  dialectioorum  regula  deficit  qua  dicunt  nuUi  rei  duo  simul 
inesse  contraria.  Nnllus  enim  aer  simul  est  et  tenebrosus  et  Incidus, 
nnllus  cibus  aut  potus  simul  dulcis  et  amarus,  nullum  corpus  simul 
ubi  albnm  ibi  et  nigrum  ....  sed  mala  omnino  sine  bonis  et  nisi  in 
bonis  esse  non  possunt,  quamvis  bona  sine  malis  poesint.  Doch  unter- 
scheidet Augustin  hier  nicht  streng  den  conträren  Gegensatz  von  dem 
contradictorischen.  Nioolaus  Cusanus  und  nach  ihm  Giordano  Bruno 
sind  die  Ersten,  die  ausdrücklich  das  principium  coincidentiae  oppo- 
sitomm  aufgestellt  haben.  —  Kant  unterscheidet  den  Gegensatz  con- 
t rarer  Prädicate  genau  von  dem  Widerspruch.  Urtheile  der  ersten  Art 
können  beide  falsch  sein,  wie  man  z.  B.  die  Prädicate  der  Begrenztheit 
und  ünbegrenztheit  beide  mit  gleichem  Unrecht  dem  Unräumlichen, 
oder  die  des  Anfangs  in  der  Zeit  und  der  anfangslosen  unendlichen 
Dauer  dem  Zeitlosen  beilegen  würde;  die  Opposition  ist  hier  nur  eine 
»dialektische c  oder  scheinbare  (Krit.  der  r.  Yern.  2.  Aufl.  S.  581  ff.). 
Hegel  und  Her  hart  stellen,  wiewohl  in  entgegengesetzter  Weise, 
beide  Arten  des  Gegensatzes  wiederum  auf  Eine  Linie,  wie  bereits 
oben  näher  nachgewiesen  worden  ist.  Die  Einsicht,  dass  das  Ausein- 
andertreten des  Indifferenten  in  (conträre)  Gegensätze  und  deren  Yer- 
mittelung  zu  einer  höheren  Einheit  die  Form  aller  Entwickelung  im 
Leben  der  Natur  und  des  Geistes  sei,  darf  als  ein  bleibendes  Besultat 
der  Schelling'schen  und  HegePschen  Speculation  angesehen  werden.  In 
diesem  Sinne  sagt  z.  6.  I.  H.  Fichte  (de  princip.  contrad.  1840;  vgl. 
Ontol.  1836,  S.  169,  wo  jedoch  der  »Unterschiede  und  »Gegensätze 
fälschlich  mit  dem  » Conträren  c  und  » Contradictorischen  c  gleichgesetzt 
wird;  S.  165- ff.),  während  er  (S.  25)  jene  Verwechselung  rügt,  mit 
vollem  Recht  (S.  28):  »est  enim  ubertas  rei  quaedam,  si  opposita  ad 
se  referre  et  in  se  copulare  possit«,  und  Trendelenburg,  der  der 
dialektischen  Methode  Hegel's  die  Verwechselung  der  logischen  Nega- 
tion mit  der  realen  Opposition  nachweist  (Log.  Unters.  I,  S.  81  ff.,  2. 
n.  3.  .A.  I,  S.  48  ff.),  erkennt  doch  an  (Elem.  log.  Arist.  ad  §  9,  p.  66 
ed.  III,  vgl.  Log.  Unters.,  2.  A,,  H,  S.  234,  3.  A.  H,  S.  257):  »solet 
quidem  natura,  quo  maiora  gignit,  eo  potentius,  quae  contraria  sunt, 
oomplectic.  Vgl.  auch  die  oben  (§  69,  S.  214)  erwähnte  Schrift: 
Gustav  Knauer,  conträr  und  oontradictorisch,  Halle  1866. 

Wären  die  conträren  Gegensätze  durchaus  unvereinbar,  so  gäbe 
es  keine  Mannigfaltigkeit  noch  Entwickelung,  sondern  alles  würde  so 
sein,  wie  Parmenides  glaubt,  dass  das  Eine  allein  wahrhaft  Seiende 
sei,  imd  in  gemilderter  Weise  Herbart,  dass  ein  jedes  der  Vielen  sei. 


270  §  81.  Der  Säte  des  (zureichenden)  Grundes. 

nämlich  einfach  und  unveränderlich,  unwandelbar  beharrend  in  seiner 
einfachen  Qualität.  Wären  aber  die  conträren  Gegensätze  nicht  relativ 
selbständig  gegen  einander  (oder  wären  gar  die  coptradictorischen  Ge- 
gensätze vereinbar),  so  gäbe  es  keine  Einheit  noch  Beharrung,  sondern 
alles  würde  sich  so  verhalten,  wie  Heraklit  und  in  einer  mehr  logisch 
bestimmten  Weise  Hegel  glaubt,  dass  es  sich  verhalte,  lulmlich  alles 
wäre  fliessend,  ein  jedes  sich  selbst  gleich  und  auch  nicht  gleich,  und 
nichts  durch  feste  Begriffe  bestimmbar.  In  der  That  aber  besteht  beides 
zumal,  Einheit  und  Vielheit,  Beharrung  und  Wechsel,  und  zwar  nicht 
schlechthin  ausser  einander,  wie  Plato  von  der  Idee  und  den  sinnlichen 
Dingen,  und  kaum  anders  Kant  von  seinem  »Ding  an  siehe  und  den 
Erscheinungen  glaubt,  so  dass  jenes  nur  beharrte,  diese  nur  wechselten, 
sondern  wie  im  Alterthum  theilweise  schon  Aristoteles  und  die 
Stoiker  und  in  unserer  Zeit  in  noch  reinerer  und  tieferer  Weise 
Schleiermacher  lehrt,  in,  mit  und  durch  einander,  so  dass  der  Man- 
nigfaltigkeit der  Erscheinungen  die  einheitliche  wesenhafte  Form  und 
Kraft  innewohnt,  und  den  Wechsel  der  Actionen  das  unwandelbare 
Gesetz  behOTrscht. 

§  S\.  Der  Satz  des  (bestimmenden  oder  zareichenden) 
Grandes  anterwirft  die  Ableitung  verschiedener  Erkennt- 
nisse von  einander  der  folgenden  Norm:  Ein  Urtbeil  lässt 
sich  aas  anderen  (sachlich  von  ihm  verschiedenen)  ürtheilen 
dann  and  nar  dann  ableiten  and  findet  in  ihnen  seinen  za- 
reichenden Grand,  wenn  der  (logische)  Gedankenzasanmien- 
hang  einem  (realen)  Gaasalzasammenhange  entspricht.  Die 
Vollendang  der  Erkenntniss  liegt  darin,  dass  der  Erkenntniss- 
grand mit  dem  Realgrande  zasammenfalle.  Die  Erkenntniss 
des  gesetzmässigen  Realzasammenhangs  wird  wiedernm  auf 
dem  nämlichen  Wege  gewonnen,  wie  (nach  §§  41 — 42;  46; 
57;  73)  die  Erkenntniss  des  Inneren  der  Dinge  ttberhanptnnd 
insbesondere  der  Einzelexistenz,  des  Wesens  and  der  Grand- 
verhältnisse. Es  wird  nämlich  die  äassere  Regelmässigkeit 
der  sinnlichen  Erscheinungen  nach  der  Analogie  des  bei  uns 
selbst  wahrgenommenen  Zusammenhangs,  namentlich  zwischen 
dem  Wollen  und  seiner  Bethätigung  (dessen  wir  zumeist  durch 
die  Anstrengung  bei  einem  Widerstände  inne  werden),  mit 
logischem  Recht  auf  eine  innere  Gesetzmässigkeit  gedeutet 

In  der  einfacheren  Regelmässigkeit  der  äusseren  und  insbesondere 
der  unorganischen  Natur  offenbart  sich  die  reale  Gesetzmässigkeit  aller- 
dings noch  mehr  auf  eine  anschauliche  und  Anerkennung  erzwingende 
Weise,  als  in  den  mannigfach  complioirten  psychischen  Processen;  nichta- 
destoweniger  aber  sind  diese  die  einzigen,   in  welchen  dör  eigentliche 


§  81.  Der  Satz  des  (zureiehenden)  G^ndes.  271 

Giarakter  jener  Gesetzmässigkeit  als  der  BethätigUDg  von  inneren  Kräften 
munittelbar  der  Beobachtung  zugänglich  ist.  So  lange  dem  Menschen 
noch  keine  Ahnung  einer  inneren  Gesetzmässigkeit  aufgegangen  ist, 
wird  von  ihm  auch  das  äussere  Geschehen  auf  die  gesetzlose  Willkür 
dämonischer  Naturwesen  gedeutet. 

Auch  in  den  (objectiv-realen)  Verhältnissen,  auf  welche  die  Ma- 
thematik geht»  findet  die  genetische  Betrachtung  eine  durchgängige 
caosale  Gesetzmässigkeit.  Der  objective  Zusammenhang  zwischen  den 
Grossen  und  zwischen  den  Formen  besteht  an  und  für  sich,  auch  ohne 
dass  das  Subject  ihn  erkennt;  auf  ihm  beruhen  insbesondere  die  phy- 
sikalischen Vorgänge,  die  unabhängig  von  dem  erkennenden  Subjecte 
stattfinden  und  die  Möglichkeit  der  Existenz  erkennender  Subjecte  be- 
dingen. In  der  objectiven  Natur  der  Quantität  und  des 
Raumes  ist  jene  Regelmässigkeit  begründet,  die  Kant 
fälschlich  auf  subjectiven  Ursprung  deutet. 

Die  logische  Form  des  obigen  Satzes  besagt  nur,  dass  die  Ver- 
knüpfung von  Urtheilen,  wodurch  aus  gegebenen  neue  abgeleitet  wer- 
den, auf  einem  objectiven  Causalverhältniss  beruhen  müsse;  ob  aber 
nnd  in  welchem  Sinne  alles  Objective  in  causalen  Beziehungen  stehe, 
darüber  ist  anderweitig  (in  der  Metaphysik  und  Psychologie)  zu  ent- 
scheiden. 

Schon  Plato  und  Aristoteles  finden  in  der  durchgängigen 
üebereinstimmung  (ofAoXoyla,  ^wddeiv,  ^vfni^mviiv)  der  Erkenntnisse 
untereinander  und  mit  ihren  Gründen  eine  wesentliche  Bedingung  ihrer 
Wahrheit  Plato  lehrt  (Tim.  p.  28  A):  nav  xo  yiyvofievov  vn^  aMov 
tiyof  Ü  avayxtfg  yfyveaihu'  navtX  yoQ  ä^vvatov  x^^^  attCov  yivBOiV  ax^lv* 
Cf.  Phaedon  p.  100  A;  101  D;  de  Rep.  VI,  p.  511.  Aristoteles  setzt 
das  Wesen  des  Wissens  in  die  adäquate  Erkenntniss  der  Ursachen  und 
will,  dass  insbesondere  auch  der  Schluss  diese  Erkenntniss  gewähre, 
indem  der  Mittelb^^ff  dem  Realgrunde  entspreche,  Aristot.  Anal, 
poet.  n,  2.  90  a.  6  ro  ^^i^  yiiQ '  ahiov  xo  /4^aov,  iv  anaai  dh  tovto 
Cn^Mlrtu.  Cfr.  Anal.  pr.  I,  82;  Eth.  Nicom.  I,  8;  Aristoteles  unter- 
scheidet in  metaphysischem  Betracht  vier  Gründe:  Stoff,  Form,  Ur- 
sache und  Zweck,  Metaph.  I,  3  u.  öfter,  in  Mitbeziehung  auf  unsere 
Erkenntniss  aber  den  Grund  des  Seins,  des  Werdens  und  des  Er- 
kennens,  Metaph.  IV^  1.  1018  a.  17:  naaüv  iikv  oiv  xoivov  tcjv 
a^jjrofif  t6  TtQmov  elvat  o^'iv  rj  iauv  ^  y{yverat  ^  yiyvtjaxncu'  tomtov  dk 
at  ^Iv  ivwfdQxovaeU  tiaiv,  <ä  cf^  ixros»  Der  Satz:  »nihil  fit  sinecausac, 
gilt  bei  den  Alten  und  bei  den  Scholastikern  als  ein  Axiom  der  Phy- 
sik. Cicero  beruft  sich  auf  denselben  z.  B.  de  fin.  I,  6,  19  gegen 
Epikur:  »nihil  turpius  physico,  quam  fieri  sine  causa  quidquam  dicere«. 
Saarez  (Metaph.  I,  S.  285)  sagt:  »omnia  alia,  praeter  ipsum  (Deum), 
causam  babentc.  Jakob  Thomasius  (dilucid.  Stahlianae,  p.  127) 
unterscheidet:  »omne  ens,  qnod  fieri  dicitur,  habet  causam  efficien* 
temc;  —  »Ghristianis  omnino  statuendum  est,  canoni  praesenti  locum 
esse  quoque  universaliter  in  causa  finalit.  —  Aber  erst  Leibniz 
stellt  ausdrücklich   den  Satz  des  bestimmenden  oder  (wie  er  sich 


272  §  81.   Der  Satz  des  (^ureiohenden)  Grandes. 

später  auBzudrücken  pflegt)  des  zureichenden  Grundes  (principinm 
rationis  determinantis  sive  suffioientis)  dem  Satze  des  Widerspruchs 
als  Princip  unserer  Schlüsse  zur  Seite.  Er  sagtThSod.  I,  §  44:  >il  faut 
considSrer  qu'il  y  a  deux  grands  principes  de  nos  raisonnemens:  l'un 
est  le  principe  de  la  contradiction ;  —  l'autre  principe  est  celui  de  la 
raison  determinante,  c'est  que  jamais  rien  n'arrive,  sans  qu'il  y  ait  une 
cause  ou  du  moins  une  raison  determinante €,  Monadologie  (Princip. 
philos.)  §  30  sqq. ;  unsere  Vernunftschlüsse  stützen  sich  auf  zwei  grosse 
Principien:  das  Princip  des  Widerspruchs  —  und  das  Princip  des  zu- 
reichenden Grundes,  kraft  dessen  wir  erkennen,  dass  kein  Factum  als 
wirklich  erfunden  werden  und  kein  Satz  wahr  sein  könne  ohne  einen 
zureichenden  Grund,  warum  es  vielmehr  so,  als  anders  sei.  Im  zweiten 
Briefe  an  Clarke  giebt  Leibniz  diesem  Princip  auch  den  Namen :  »prin- 
cipinm convenientiaec  Am  Ende  des  fünften  Schreibens  an  Clarke 
unterscheidet  Leibniz  (mit  Aristoteles  Metaph.  lY,  1)  dreifach:  >ce 
principe  est  celui  d'une  raison  süffisante,  pour  qu'une  chose  existe, 
qu'un  evßnement  arrive,  qu'une  verit6  ait  lieuc.  Die  erste  und  zweite 
Beziehung  ist  jedoch  von  metaphysischer  und  nur  die  dritte  Ton  lo- 
gischer Art.  Wolff  (Ontol.  §  70  sqq.;  vgl.  Metaph.  §  80  ff.)  und 
Baumgarten  (Metaph.  §  20)  suchen  den  Satz  des  Grundes  aus  dem 
Satze  des  Widerspruchs  abzuleiten,  indem  sie  nur  den  letzteren  als 
schlechthin  apriorisches  (jedoch  mit  den  Erfahrungen  zu  combinirendes) 
Princip  anerkennen ;  denn  wenn  der  Grund  einer  Sache  in  nichts  liege, 
so  würde  eben  das  Nichts  der  Grund  derselben  sein,  was  den  Wider- 
spruch enthalte,  dass  das  Nichts  als  wirkendes  Princip  zugleich  Etwas 
sein  müsste.  Der  Fehler  in  dieser  Ableitung  (die  Hypostasirung  des 
Nichts)  in  der  Formel :  nichts  ist  der  Grund,  welche  doch  nur  das  gram- 
matische Aequivalent  ist  für:  es  giebt  keinen  Grund)  wurde  jedoch 
schon  von  gleichzeitigen  Gegnern  nachgewiesen.  Wolff  erklärt  (Annot. 
ad  Met.  S.  9  ff.)  im  Anschluss  an  Leibniz  (Princ.  phil.  §  30  sqq.; 
Epist.  II.  ad  Cläre.)  den  Satz  des  Widerspruchs  für  den  Grund  der 
nothwendigen,  den  Satz  des  zureichenden  Grundes  aber  für  die  Quelle 
der  zufalligen  Wahrheiten.  Kant  (Krit.  der  r.  Vernunft,  S.  232  ff.) 
spricht  das  »Gesetz  der  Causa  litätc  dahin  aus:  »alle  Veränderungen 
geschehen  nach  dem  Gesetze  der  Verknüpfung  von  Ursache  und  Wir- 
kung«. Er  betrachtet  dasselbe  als  einen  syifthetischen  Grundsatz  a 
priori  und  als  Grund  möglicher  Erfahrung  oder  der  objectiven  Erkennte 
niss  der  Erscheinungen,  in  Ansehung  des  Verhältnisses  derselben  in 
der  Reihenfolge  der  Zeit;  aber  er  gesteht  demselben  keine  Anwend» 
barkeit  auf  die  »Dinge  an  siehe  zu.  In  der  Logik  erklärt  Kant  den 
»Satz  des  zureichenden  Grundes«  für  das  Princip  der  assertori- 
schen Urtheile  (Log.  hrsg.  v.  Jäsche,  S.  73).  Er  giebt  ihm  (in  der  Ab- 
handlung über  eine  Entdeckung  etc.  2.  A.  S.  15,  Ausg.  der  Werke  von 
Rosenkranz  I,  S.  409  ff.)  die  Form:  »jeder  Satz  muss  einen  Grund 
haben«,  will  aber  dieses  logische  Princip  dem  Satze  des  Widerspruchs 
nicht  beigesellen,  sondern  unterordnen;  dagegen  sei  das  transsoenden- 
tale  oder  materielle  Princip:  »ein  jedes  Ding  muss  einen  Grund  habenc, 


§  81.  Der  Satz  des  (zureichenden)  Grandes.  27S 

ans  dem  Satze  des  Widerspruchs  keineswegs  ableitbar.  An  die  Eantische 
Theorie  anknüpfend  unterscheidet  Arthur  Schopenhauer  (über  die 
vierfache  Wurzel  des  Satzes  vom  zureichenden  Grunde,  1813)  das  prin- 
(dpium  rationis  sufficientis  essendi,  fiendi,  agendi,  oognoscendi  als  die 
vier  Grundformen  der  Synthesis  a  priori.  Hegel  führt  (nach  dem 
Vorgänge  Fichte's  und  der  Neuplatoniker)  das  Gesetz  des  Grundes: 
»alles  hat  seinen  zureichenden  Grunde  auf  das  Gesetz  der  Yermittelung 
der  G^ensätze  zurück:  der  Grund  ist  ihm  die  Einheit  der  Identität 
und  des  Unterschiedes  (Logik  I,  2,  S.  72  ff.;  Encyd. §  121).  Herbart 
(Allg.  Metaph.  II,  S.  68  ff.)  sucht  den  realen  Gausalzusammenhang  durch 
seine  Theorie  der  Selbsterhaltungen  der  einfachen  Wesen  gegen 
Störungen  beim  Zusammensein  mit  anderen  zu  erklären,  und  die 
Frage,  wie  im  Denken  Grund  und  Folgen  zusammenhangen,  durch  die 
Yon  ihm  sogenannte  »Methode  der  Beziehungenc  zu  lösen,  d.  h.  durch 
hypothetische  Ergänzungen  des  Gegebenen,  welche  sich  dadurch  als 
nothwendig  erweisen  sollen,  dass  nur,  wenn  sie  angenommen  werden, 
das  Gesetz  des  Widerspruchs  unverletzt  bleibe.  Nach  Schleiermacher 
(Dial.  S.  150  u.  öfter)  beruht,  wie  die  Freiheit  auf  dem  Fürsichsein 
als  Kraft,  so  die  (causale)  Nothwendigkeit  auf  der  Verflechtung  in  das 
System  des  Zusammenseins  oder  der  Actionen.  In  den  Bestimmungen 
Hegel's,  Herbart's  und  Schleiermacher's  liegt  die  richtige  Einsicht,  dass 
die  Gesammtursache  stets  in  den  inneren  Grund  und  die 
äusseren  Bedingungen  zu  zerlegen  sei  (vgL  oben  zu  §  69, 
S.  211).  Die  nähere  Darlegung  und  Prüfung  dieser  Lehren  würde  je- 
doch aus  dem  logischen  Gebiete  in  das  metaphysische  hinüberführen. 
An  die  im  Texte  des  Paragraphen  vertretene  Auffassung  schliesst  sich 
Delboeuf  an,  der  als  das  Princip,  welches  alle  unsere  Schlüsse  (rai- 
sonnements)  legitimire,  den  Satz  aufstellt:  Penchainement  logique  des 
idees  oorrespond  ä  Tenchainement  r6el  des  choses  (s.  o.  zu  §  76).  —  Vgl. 
die  Monographie  von  Joseph  Jäkel,  der  Satz  des  zureichenden  Grundes, 
Breslau  1868. 

Das  Leibnizische  principium  identitatis  indiscerni- 
bilium  (Princ.  de  la  nature  et  de  la  grace,  §  9;  Epist.  IV.  ad  Cläre: 
»non  dantur  duo  individua  plane  indiscernibiliac)  kann  nur  in  der 
Metaphysik,  nicht  in  der  Logik  erörtert  werden. 

Auf  einem  Missverständniss  der  in  diesem  §  dargelegten  An- 
sicht scheint  die  Entgegnung  zu  beruhen,  zu  welcher  K.  Chr.  Planck 
Anlass  zu  haben  glaubte  in  s.  Progr.  »Grundriss  der  Logik  als  krit. 
Einl.  zur  Wissenschaftslehre  (Egl.Württemb.  ev.  theol.  Semin.  Blaubeuren 
1873)  S.  18  und  später  wiederholt  in  s.  Schrift:  »Logisches  Causalge- 
sets  und  natürliche  Zweckthätigkeit,  zur  Krit.  aller  Eantischen  und 
nadikant.  Begriffsverkehrung.  Nördlingen  1877.  S.  41.  Diese  Schrift 
verallgemeinert  den  irrthümlichen  Tadel  zu  der  allgemeineren  Behaup- 
tung, dass  die  ganze  bisherige  Logik  denselben  Grundfehler  theile, 
dass  sie  das  logische  Causalgesetz  schon  auf  eine  empirisch  reale 
Gnmdlage  und  eine  demgemässe  Inhaltsverschiedenheit  von  Grund  und 
Folge   (Ursache   und  Wirkung)  bezieht,    in   welcher   Form  dies   auch 

18 


274  §  81.   Der  Satz  des  (zureichenden)  Grandes. 

geschehen  möge.  Aach  an  den  neaen  Darstellangen  der  Logik  von 
S  ig  wart  and  Lotze  wird  in  dieser  Hinsicht  die  ein  Logisches  nnd 
Empirisches  anmittelhar  zasammen  nehmende  Aaffassang  des  logischen 
Caasalgesetzes  getadelt.  Durch  seine  Schrift  will  Planck  zeigen,  dass 
aach  auf  dem  logisch-kritischen  Gebiete  die  letzte  und  tiefgreifendste 
Entscheidung  jetzt  erst  da  ist,  nämlich:  jene  vollständige  und  oonse- 
quente  Scheidung  des  Logischen  vom  Realen,  die  Kant  nur  angestrebt, 
und  statt  welcher  er  durch  das  gerade  Gegentheil,  die  durchgängige 
Yerkehrung  und  Yeräusserlichung  der  reinen  und  universellen  Denk- 
formen in  einen  beschränkt  empirischen  »Verstände  gesetzt  habe.  Das 
Dargebotene  bezeichnet  Yerf.  nur  als  einen  Theil  einer  ausgearbeiteten 
kritischen  Neugestaltung  der  gesammten  Logik. 

Auch  S  ig  wart  hebt  in  s.  Logik  Bd.  1.  Th.  1.  Abschn.  6.  §82. 
Das  Gesetz  des  Grundes  S.  203.  ff.  hervor,  dass  das  sog.  Gesetz  des 
Grundes  in  seiner  ursprünglichen  Fassung  bei  Leibniz  kein  logisches 
Gesetz,  sondern  ein  metaphysisches  Axiom  sei,  das  nur  auf  einen  Theil 
unserer  Urtheile  Bezug  hat.  Im  Uebrigen  bemerkt  er  in  Betreff  des 
Gesetzes:  »Sofern  jedes  ürtheil  die  Gewissheit  seiner  Gültigkeit  vor- 
aussetzt, kann  der  Satz  aufgestellt  werden,  es  werde  kein  ürtheil  ans* 
gesprochen  ohne  einen  psychologischen  Grund  seiner  Gewissheit;  und 
sofern  es  nur  berechtigt  ist,  wenn  es  logisch  nothwendig  ist,  behauptet 
jedes  ürtheil  einen  logischen  Grund  zu  haben,  der  es  für  jeden  Den- 
kenden nothwendig  macht.  Es  erhebt  aber  damit  nur  einen  Anspruch, 
dessen  Recht  zu  untersuchen  eben  Aufgabe  der  Logik  ist.  —  Das  Wesen 
der  Nothwendigkeit  im  Denken  spricht  der  Satz  aus,  dass  mit  dem 
Grunde  die  Folge  nothwendig  gesetzt,  mit  der  Folge  der  Grund  aufge- 
hoben sei.  Dieser  Satz  vom  Grund  und  der  Folge  entspricht  dem 
Satze  der  Verneinung  als  ein  fundamentales  Funotionsgesetz  unseres 
Denkens,  c 

Auf  die  wechselnden  Schicksale  des  Satzes  vom  Grunde  hat  auch 
Wundt,  Logik  Bd.  1.  Abschn.  6.  Gap.  1.  1.  d.  S.  610.  ff.  treffend  also 
hingewiesen:  »Langsam  loste  er  sich  ab  von  dem  Gausalgesetz,  um, 
während  dieses  auf  den  Zusammenhang  der  Erfahrungen  gehe,  als  ein 
Princip  betrachtet  zu  werden,  welches  die  Verbindung  unserer  Er- 
kenntnisse beherrsche.  Nachdem  diese  Unterscheidung  vollzogen  war, 
galt  er  aber  zunächst  nicht  als  ein  logisches,  sondern  als  ein  metaphy- 
sisches Axiom,  und  als  man  endlich  begann  ihn  für  die  Logik  in  An- 
sprach zu  nehmen,  wiederholten  sich  fortwährend  Bestrebungen,  ihn 
aus  den  allgemeineren  Sätzen  der  Identität  und  des  Widerspruchs  ab- 
zuleiten. (Eine  Note  S.  514  bemerkt,  dass  solche  Auffassung  vertreten  sei 
z.  B.  von  W.  Hamilton,  Logic.  8.  edit.  p.  86  note;  —  Riehl,  Der  philos. 
Eriticism.  Bd.  2.  S.  236;  —  0.  Schmitz-Dumont,  Die  mathem« 
Elemente  der  Erkenntnisstheorie  S.  58.) 

Nach  Lotze 's  eigenthümlicher  Bemerkung  (Syst.  d.  Phüos.  Bd. 
1.  Logik,  Buch  1.  Gap.  2.  63.  S.  87  —  soll  das  imendlich  oft  erwähnte 
Gesetz  des  zureichenden  Grundes  das  wunderliche  Schicksal  gehabt 
haben,  auch  von  Denen,  die  am  häufigsten  sich  auf  es  beriefen,  eigenV 


§  82.  Die  Formen  der  unmittelbaren  SchltisBe  überhaupt.        276 

lieb  niemals  formulirt  zu  werden.  Denn  die  gewöhnliche  Anweisung,  zu 
jedem  Gültigkeit  verlangenden  Ausspruche  müsse  man  einen  Grund 
seiner  Geltung  suchen,  vergesse,  dass  man  das  nicht  suchen  könne,  von 
dem  man  nicht  wisse,  worin  es  bestehe;  zuerst  müsse  offenbar  klar 
gemacht  werden,  in  welchem  Yerhältniss  Grund  und  Folge  zu  einander 
stehen,  und  in  welchem  Inhalt  man  folglich  den  Grund  für  einen  andern 
zu  entdecken  hoffen  dürfe.  'Ich  werde  im  kürzesten  deutlich  sein  — 
fahrt  Lotze  fort  —  wenn  ich  im  Vergleich  mit  dem  Ausdruck  des 
Identitätssatzes  A  ==  A  sogleich  die  Formel  A  -|-  B  =  C  als  Bezeich- 
nung des  Satzes  vom  Grunde  aufstelle  und  folgende  Erklärung  hinzu- 
fuge. Für  sich  allein  würde  A  nur  =  A,  B  =  B  sein;  aber  nichts 
hindert,  dass  eine  bestimmte  Verbindung  A  +  B,  deren  in  verschie- 
denen Fällen  sehr  verschiedenartiger  Sinn  hier  symbolisch  das  Addi- 
tionszeichen vertritt,  dem  einfachen  Inhalt  der  neuen  Vorstellung  C 
äquivalent  oder  identisch  sei.  Nennen  wir  dann  A  +  B  den  Grund  und 
C  die  Folge,  so  sind  Grund  und  Folge  völlig  identisch,  und  der  eine 
ist  die  andere;  man  hat  in  diesem  Falle  unter  A  +  B  ein  beliebiges 
Subject  sammt  der  Bedingung,  von  der  es  beeinflusst  wird,  unter  G 
aber  nicht  ein  neues  Folgeprädicat  dieses  Subjectes,  sondern  das  Sub- 
ject selbst  in  seiner  durch  dies  Prädicat  veränderten  Gestalt  zu  ver- 
stehen. —  Wenn  wir  mit  der  Vorstellung  A  des  Pulvers  die  Vor^ 
Stellung  B  der  hohen  Temperatur  des  glühenden  Funkens  verbinden, 
mithin  in  A  das  Merkmal  der  gewöhnlichen  Temperatur  durch  das  der 
erhöhten  B  ersetzen,  so  ist  dieses  A  -f  B  die  Vorstellung  C  des  ex- 
plodirenden  Pulvers,  nicht  der  Explosion  überhaupt.«  —  Der  gewöhn- 
lidie  Sprachgebrauch  verfahre  anders,  meine  aber  unter  anderen 'Be- 
nennungen dasselbe. 

§  82.  Die  Formen  der  unmittelbaren  Schlüsse 
sind:  theils  die  Ableitung  eines  Urtheils  aus  einem  Begriff 
d.  h.  die  analytische  Urtheilsbildung,  theils  die  Ableitung 
eines  Urtheils  aus  einem  Urtheil,  welche  wiederum  sieben 
Arten  hat,  nämlich:  1.  Conversion,  2.  Contraposition,  3.  Um- 
wandlung der  Belation,  4.  Subaltemation,  5.  Aequipollenz, 
6.  Opposition,  7.  modale  Consequenz.  Die  Conversion 
geht  auf  die  Stelle  der  Elemente  des  Urtheils  in  demselben 
hinsichtlich  der  Eelation  desselben  und  mittelbar  auch  oft  auf 
die  Quantität;  die  Contraposition  geht  gleichfalls  auf  die 
Stelle  der  Elemente  des  Urtheils  in  demselben  hinsichtlich 
der  Belation  desselben,  zugleich  aber  auch  auf  die  Qualität 
and  mittelbar  auch  oft  auf  die  Quantität ;  die  Umwandlung 
der  Belation  geht  auf  die  Belation  selbst.  Die  Subalter- 
nation  betrifft  die  Quantität.  Die  Aequipollenz  bezieht 
sich  auf  die  Qualität;  die  Opposition  auf  die  Qualität  und 


276        §  82.  Die  Folgen  der  anmittelbaren  Schlüsse  überhaupt. 

mittelbar  anch  oft  auf  die  Quantität.  Die  modale  Con- 
sequenz  geht  anf  die  Modalität  der  ürtheile.  Alle  diese 
Ableitungen  beruhen  auf  den  Grundsätzen  der  Identität  und 
der  contradietorischen  Disjunction. 

Aristoteles  erörtert  die  Gonversion  {avTtcfTQiq>HV,  avTKngfxpfjf 
die  er  in  den  Dienst  der  Syllogistik  stellt,  Anal.  pri.  I,  2;  13;  17,  das 
Yerhältniss   der  Opposition   (avTixiTa^tu)   de  interpr.  o.  7  ff.  und  die 
modale  Consequenz  de  interpr.  o.  18.    Die  Subaltemation  kennt  Ari- 
stoteles nur  als  ein  Element  der  syllogistischen  Schlussbildung,   nioht 
als  eine  selbständige  Form.    Aristoteles  sagt  de  interpret.  a  10.  20  a. 
39,   der  Satz:   jeder  Nicht- Mensch  ist  ein  Nicht-Gerechter,    sei  gleich- 
bedeutend mit  dem  Satze:  kein  Nichtmensch  ist  grerecht.     Hierin  liegt 
die  qualitative  AequipoUenz.    Der  Name  der  AequipoUenz  aber   (auf 
gleichgeltende  ürtheile  im  weiteren  Sinne  bezogen)  lässt  sich  zuerst  bei 
Galen  US   nachweisen,    welcher  eine  Schrift  negl  rtüv  iao6wafjLova&v 
Tigotaaetüv  verfasst  hat.    Galenus  unterscheidet  auch  bereits  zwischen 
avTiargifpetv,  worunter  er  die  Gontraposition  versteht,  und  avaaTQ^(p€iv, 
welches  bei  ihm  die  Gonversion  bezeichnet;  er  gebraucht  beide  Termini 
sowohl  in  der  Anwendung  auf  kategorische,  als  auch  auf  hypothetische 
Ürtheile.    Bei  Appuleius  findet  sich  zuerst  der  lateinische  Terminus 
aequipoUens  mit  der  Definition:'  »aequipollentes  autem  dicuntur  (pro- 
positiones),    quae  alia  enunciatione  tantundem  possunt  et  simul  verae 
fiunt  aut  simul  falsae,   altera  ob  alteram  scilicetc    Boethius  nennt 
die  gleichgeltenden  Ürtheile  iudicia  convenientia   oder   oonsentientia; 
er  gebraucht  den  Terminus  conversio  per  contrapositionem  für  die  Gon- 
traposition, und  nennt  die  Gonversion  im  engeren  Sinne  conversio  sim- 
ples;  diese  letztere  geschehe  entweder  principaliter,    d.  h.   ohne  Aen- 
derung   der  Quantität,    oder   per  accidens,   d.  h.  mit  Aenderung  der 
Quantität.    Im  Uebrigen  findet  sich  bei  Boethius  schon  ganz  die  Ter- 
minologie der  scholastischen  und  der  modernen   formalen  Log^k.    (S. 
Prantl,  Gesch.  der  Logik  I,  S.  668  ff.;  588;  692  ff.)    Wolff  nennt  die 
unmittelbaren  Schlüsse  nicht  ratiocinia  oder  ratiocinationes  (weil  er  un- 
ter der  ratiocinatio  nur  die  Ableitung  eines  dritten  ürtheils  aus   zwei 
gegebenen  versteht),  sondern  oonsequentias  immediatas  (Log.  §459);  er 
erklärt  dieselben  für  verkürzte  hypothetische  Syllogfismen  (§  460)  und 
trägt   demgemäss  auch  die  Lehre  von  denselben  erst  nach  der  Syllo- 
gistik vor.    Kant  (Log.  §  41  ff.)  und  mit  ihm  die  meisten  späteren 
Logiker  befolgen  wiederum  die   entgegengesetzte  Ordnung.    Die  Ein- 
theilung  der  unmittelbaren  Schlüsse  gründet  Kant  auf  seine  Eategorien- 
tafel:    auf  der  Quantität  beruht  nach  seiner  Ansicht  die  Subalter- 
nation,   auf  der  Qualität  die  Opposition  (während  die  AequipoUenz 
nur  eine  Veränderung  des  Ausdrucks  in  Worten,   nicht  der  Form  des 
Ürtheils  sei),   auf  der  Belation  die  Gonversion,   auf  der  Modalität 
die  Gontraposition.    Die  späteren  Logiker  haben  meist  das  Princip  der 
Kantischen  Eintheilung  festgehalten,   aber  die  mehrfachen  Ungenauig- 


§  88.  Das  synthetische  und  analytische  ürtheilen.  277 

keiten,  die  in  der  Eantischen  Anwendung  desselben  liegen,  mit  grösse- 
rem oder  geringerem  Erfolge  zu  beseitigen  gesucht.  —  Die  analyti- 
sche Urtheilsbildung  pflegt  nicht  den  unmittelbaren  Schlüssen 
ragerechnet  zu  werden  (und  wurde  es  auch  noch  in  der  1.  Aufl.  dieser 
Logik  nicht),  gehört  aber  hierher. 

§  83.  Die  analytische  Urtheilsbildnng  bernht 
auf  dem  Satze  (§  76),  dass  jedes  Merkmal  als  Prädieat  ge- 
setzt werden  kann.  Die  Unterscheidung  des  synthetischen 
und  des  analytischen  Urtheilens  betrifft  die  Genesis 
der  Urtheüe.  Jedes  Urtheil  ist  insofern  synthetisch,  als  es, 
der  Definition  zufolge,  das  Bewusstsein  ttber  die  reale  Gültig- 
keit einer  Verbindung  (Synthesis)  von  Vorstellungen  ist. 
Aber  die  Synthesis  der  Glieder  des  Urtheils  kann  auf  ver- 
schiedene Weise  entstanden  sein,  entweder  unmittelbar  durch 
Gombination  der  betreffenden  Vorstellungen,  oder  mittelbar 
durch  Analysis  einer  früher  gebildeten  Gesammtvorstellung, 
in  welcher  die  Glieder  des  Urtheils  in  unentwickelter  Form 
bereits  enthalten  waren.  In  jenem  Falle  ist  die  Urtheils- 
bildung synthetisch,  in  diesem  analytisch.  Das  nur  aus  dem 
Snbjectsbegriff  abgeleitete  analytische  Urtheil  gilt  immer  nur 
unter  der  Voraussetzung  dieses  Subjectsbegriffes ;  die  Gültig- 
keit des  Subjectsbegriffes  selbst  kann  niemals  aus  demselben 
erschlossen  werden. 

In  jedem  Urtheil  ist  das  Subject  die  anderweitig  zwar  be- 
stimmte, hinsichtlich  des  Prädicates  aber  noch  unbestimmte  Vorstel- 
lung. In  den  Sätzen:  dieser  Angeklagte  ist  schuldig;  dieser  Angeklagte 
ist  nicht  schuldig  —  ist  das  Subject  die  Vorstellung  des  Angeklagten 
sofern  derselbe  diese  bestimmte  Person  ist,  die  unter  der  Anklage 
steht,  während  für  die  Verknüpfung  der  Vorstellung  der  Schuld  mit 
der  Subjectsvorstellung  in  dieser  gleichsam  nur  eine  offene  Stelle  vor- 
handen ist,  d.  h.  eine  Unbestimmtheit,  die  im  affirmativen  oder  nega- 
tiven Sinne  bestimmt  werden  kann  und  durch  die  Zuerkennung  oder 
Aberkennung  des  Prädicatsbegriffs  bestimmt  wird.  Ganz  ebenso  ist 
in  dem  Urtheil:  die  Erde  ist  ein  Planet  —  das  Subject  die  £rde,  so- 
fern sie  anderweitig  bestimmt  ist,  etwa  als  yrj  ivgvartQvos,  navKav 
ISoq  aöfpaXhg  täil,  aber  hinsichtlich  dessen,  was  das  Prädieat  besagt, 
noch  unbestimmt  ist.  Die  Urtheile:  Eisen  ist  Metall;  jeder  Körper 
ist  ausgedehnt;  das  Quadrat  ist  ein  Parallelogramm  —  haben  Sinn 
und  Bedeutung  nur  insofern,  als  der,  welcher  sie  bildet,  im  Subjects- 
begriff  für  die  im  Prädieat  gegebene  Bestimmung  nur  erst  eine  offene 
Stelle,  aber  noch  nicht  diese  Bestimmung  selbst  kennt,  also  das  Eisen 
etwa  nur  auf  Grund  der  unmittelbaren  sinnlichen  Anschauung  vorstellt, 


278  §  83.  Das  synthetische  und  analytische  Urtheilen. 

unter  dem  Körper  aber  das  wahrnehmbare  Ding  versteht,  von  dem  es 
zunächst  noch  dahinsteht,  ob  dasselbe  immer  auch  ausgedehnt  sei  oder 
nicht,  das  Quadrat  als  gleichseitiges  rechtwinkliges  Viereck  vorstellt, 
ohne  dabei  des  Paralieüsmus  der  einander  gegenüberliegenden  Seiten 
sich  bereits  bewusst  zu  sein;  in  einer  Nominal-Definition  wird  das 
Subject  für  sich  nur  als  das  den  betreffenden  Namen  tragende  Ding 
gedacht;  das  Prädicat  bringt  dann  die  nähere  Bestimmung  dessen  hinzu, 
was  in  der  Subjectsvorstellung  noch  unbestimmt  geblieben  war.  Somit 
sind  alle  diese  ürtheile  ihrem  eigenen  Charakter  nach  synthetisch, 
und  nur  der  Weg,  auf  welchem  der  ürtheilende  zu  der  Synthesis  der 
ürtheilsglieder  gelangt,  kann  ein  verschiedener  sein.  Der  Recurs  auf 
die  Definition  des  Sübjectsbegriffs  bei  der  analytischen  Urtheilsbil- 
dung  hat  die  Bedeutung,  Momente  in's  Bewusstsein  zu  rufen,  die,  so 
lange  noch  bloss  das  Subject  als  solches  vorgestellt  wurde,  nicht  mit- 
gedacht worden  waren;  die  Analysis  des  hierdurch  vervollständigten 
Sübjectsbegriffs  ergiebt  dann  das  Prädicat  des  Urtheils.  Bei  der  syn- 
thetischen ürtheilsbildung  kann  entweder  unmittelbar  auf  Grund  der 
Wahrnehmung  die  Synthesis  erfolgen,  oder  mittelbar  durch  ein  Sohliesaen, 
welches  wiederum  entweder  auf  anderweitig  bekannte  Umstände  sich 
stützt  (wie  bei  dem  Indicienbeweis  für  die  Schuld  eines  Angeklagten) 
oder  auf  die  im  Subjectsbegriff  selbst  ausdrücklich  gedachten  Merkmale, 
indem  aus  diesen  auf  Grund  eines  oausalen  Abhängigkeitsverhältnisses 
die  nothwendige  Zugehörigkeit  der  im  Prädicat  gedachten  Merkmale 
erkannt  wird  (z.  B.  aus  der  Gleichseitigkeit  eines  Dreiecks  die  Gleioh- 
winkligkeit  desselben);  die  letztbezeichnete  Weise  findet  oft  da  statt, 
wo  Eant  von  »Synthesis  a  priori«  redet. 

Auf  Grund  des  Aristotelischen  Satzes  des  Widerspruchs  erklärt 
u.  A.  schon  Thomas  von  Aquino  (Summa  theol.  I,  2,  1)  identische 
Sätze  für  absolut  gewiss.  Vgl.  Arist.  de  interpr.  c.  11.  Später  bahnten 
Locke's  Bemerkungen  (Ess.  lY,  8;  cf.  3;  7)  über  die  »propositiones 
frivolae«,  deren  Prädicat  nur  den  Subjectsbegriff  oder  einzelne  Elemente 
desselben  wiederhole,  und  Hume's  Unterscheidung  (Enqu.  IV.;  vgL 
Locke's  Annahmen  IV,  4,  6)  zwischen  den  Beziehungen  der  Begriffe, 
wohin  die  mathematischen  Sätze  zu  rechnen  seien,  und  den  Thatsachen 
der  Erfahrung  die  Eantische  Unterscheidung  an.  Leibniz  (Nouv. 
ess.  IV,  2;  Monadologie,  §  35)  hält  dafür,  dass  alle  primitiven  Vernunft- 
Wahrheiten  identische  Sätze  seien.  Wolff's  Begriff  des  Axioms  als 
der  propositio  theoretica  indemonstrabilis  (Log.  §  267)  fasst  jedoch 
ausser  den  identischen  Sätzen  auch  diejenigen  unter  sich,  welche  bloss 
aus  identischen  Sätzen  durch  Analyse  und  Combination  abgeleitet  wer- 
den (Log.  §  268;  270;  273;  cf.  264).  Uebrigens  verbirgt  sich  bei  Wolff 
an  den  Stellen  seiner  Logik,  wo  er  das  hier  in  Frage  kommende  Ver- 
hältniss  berührt  (§  261  ff.),  hinter  der  Unbestimmtheit  des  Ausdrucks 
diejenige  Schwierigkeit,  welche  später  Eant  durch  die  Unterscheidung 
der  analytischen  und  synthetischen  Ürtheile  hervorhebt.  Wolff  sagt 
(§.262):  ipropositio  illa  indemonstrabilis  dicitur,  cuius  subiecto  conve- 
nire  vel  non  convenire  praedicatum  terminis  intellectis  patet«.  Was  es 


§  83.   Das  synthetiBche  und  analytische  Urtheilen.  279 

heisse:  »terminis  intelleotis  patet«,  will  Wolff  theils  durch  Beispiele 
anschaolich  machen,  theils  erklart  er  sich  dahin,  es  sei  darunter  das 
Gewahrwerden  zu  verstehen,  dass  solche  prädicative  Bestimmungen, 
die  zu  dem  Begriffe  des  Subjectes,  wie  derselbe  in  der  Definition  dar* 
gelegt  werde,  nicht  gehören,  dennoch  unzertrennlich  mit  demselben 
verbunden  seien :  >ea,  quae  praedicato  respondent,  ab  iis,  quae  ad  sub- 
iecti  notionem  referimus  sive  quae  ad  definitionem  eins  pertinent,  se- 
parari  non  posse  animadvertimusc.  Aber  welches  die  Art  und  der 
Grund  dieser  unzertrennlichen  Yerbindung  sei,  sagt  Wolff  nicht,  und 
80  kommt  ihm  auch  die  Schwierigkeit  nicht  zum  Bewusstsein,  dass 
wenn  das  Prädicat  (wie  dies  in  den  Beispielen:  das  Ganze  ist  grösser 
als  ein  Theil,  die  Badien  des  nämlichen  Kreises  sind  einander  gleich 
ei&,  der  Fall  ist,  und  nach  dem  Leibnizisch- Wolffischen  Grundsätze, 
dass  aUe  primitiven  Yernunftwahrheiten  identische  Sätze  seien,  allge- 
mein vorausgesetzt  werden  zu  müssen  scheint)  durch  das  blosse  Zu- 
rückgehen auf  die  Definition  des  Subjeotes  und  auf  die  Definitionen 
der  einzelnen  Begriffe,  die  in  der  Definition  des  Subjeotes  vorkommen, 
gefanden  wird,  dann  das  Urtheil  ein  Zergliederungsurtheil  ist,  welches 
zwar  apodiktische  Gewissheit  hat,  aber  unsere  Erkenntniss  nicht  er- 
weitert; wenn  aber  jenes  Zurückgehen  nicht  genügt,  sondern  das  Prä- 
dicat eine  wesentlich  neue  Bestimmung  enthält,  welche  in  dem  durch 
die  Definition  angegebenen  Inhalt  des  Subjectsbegriffs,  wie  weit  auch 
die  Zergliederung  geführt  werden  mag,  nicht  anzutreffen  ist,  dann  zwar 
unsere  Erkenntniss  sich  erweitert,  aber  für  diese  Erweiterung  der  Grund 
der  Gewissheit  vermisst  wird.  Dies  ist  der  Punkt,  wo  Kant,  wiewohl 
von  einer  anderen  Seite  her  (nämlich  durch  die  Untersuchungen  von 
Locke  und  Hume)  angeregt,  das  erste  Motiv  zam  Hinausgehen  über  den 
Leibnizisch -Wolffischen  Standpunkt  findet.  Kant  (Krit.  der  r.  Yem. 
Einl.  lY;  Proleg.  z.  e.  j.  k.  Metaph.  §  2;  Log.  §  86)  unterscheidet  mit 
Becht  die  analytische  und  synthetische  ürtheilsbildung,  überträgt  jedoch 
mit  Unrecht  diesen  Unterschied  auf  die  Urtheile  selbst.  Analytische 
Urtheile  (z.  B.  a  ^  a,  oder:  alle  Körper  sind  ausgedehnt,  auf  Grund 
der  Definitionen:  Gleichheit  ist  Identität  der  Grösse,  der  Körper  ist 
eine  ausgedehnte  Substanz)  nennt  er  solche,  in  welchen  die  Yerknüpfung 
des  Prädicates  mit  dem  Subjecte  auf  Identität  beruht;  dieselben  sagen 
im  Prädicate  nichts  als  das,  was  im  Begpriffe  des  Subjeotes  auch  schon, 
wiewohl  nicht  mit  gleicher  Klarheit  oder  Bewusstseinsstärke,  gedacht 
wird;  sie  sind  blosse  Erläuterungsurtheile.  Synthetische  Urtheile 
dagegen  (z.  B.  die  gerade  Linie  ist  zwischen  zwei  Punkten  die  kürzeste, 
oder:  jeder  Körper  ist  schwer,  welche  Beispiele  hier  unter  der  Yoraus- 
setzung  gelten,  dass  die  Kürze  nicht  schon  in  die  Definition  der  g. 
Linie,  die  Schwere  nicht  in  die'  des  Körpers  aufgenommen  sei,  denn 
wäre  so  bereits  der  Subjectsbegriff  bestimmt  und  beschränkt,  so  wären 
jene  Urtheile  analytische)  nennt  Kant  solche,  in  denen  die  Yerknüpfung 
des  Prädicates  mit  dem  Subjecte  ohne  Identität  gedacht  wird ;  in  den- 
selben kann  an  dem  Subjecte  zwar  die  Nothwendigkeit  haften,  das 
Prädicat  hinzuzudenken,  aber  dieses  Prädicat  wird  nicht  wirklich,'  auch 


280  §  83.  Das  synthetische  and  analytische  ürtheilen. 

nicht  einmal  verdeckter  Weise,  in  dem  Snbjecte  gedacht;  die  synthe- 
tischen ürtheile  sind  Erweitemngsurtheile.  —  Hegel  will  durch  seine 
dialektische  Methode  den  unterschied  des  analytischen  und  des  synthe- 
tischen ürtheils  vermöge  des  Begriffs  der  Entwickelung  des  Sabjectes 
zum  Prädicate  aufheben.  Er  sagt  (Encycl.  §  289):  »der  (dialektische) 
Fortgang  ist  das  gesetzte  ürtheil  der  Idee;  —  dieser  Fortgang  ist 
ebensowohl  analytisch,  indem  durch  die  immanente  Dialektik  nur 
das  gesetzt  wird,  was  im  unmittelbaren  Begriffe  enthalten  ist,  als 
synthetisch,  weil  in  diesem  Begriffe  dieser  unterschied  noch  nicht 
war  gesetzte.  —  Aber  diese  Methode  selbst  ist  unhaltbar.  Ein  ärmerer 
Inhalt  kann  auf  keine  Weise  sich  selbst  durch  sich  allein  zu  einem 
reicheren  potenziren.  Es  ist  allerdings  gerade  in  Bezug  auf  die  echt 
wissenschaftliche  ürtheilsbildung  eine  wohlbegründete  Ansicht,  das 
Subject  gleichsam  als  den  lebendigen  Keim  zu  betrachten,  aus  dem  die 
verschiedenen  Prädicate  hervorwachsen.  So  lassen  sich  z.  B.  die  Begriffe 
des  Kreises,  der  Gravitation  etc.  als  der  Keim,  die  Anlage,  die  Dynamis 
ansehen,  woraus  sich  die  reiche  Mannigfaltigkeit  der  geometrischen 
Sätze  oder  ürtheile  in  der  Kreislehre,  der  astronomischen  Erkenntnisse 
etc.  entfaltet.  Aber  der  Keim,  die  Dynamis,  das,  was  Hegel  das  An- 
sichsein  nennt,  ist  doch  nur  der  innere  Grund  der  Entwickelung,  zu 
dem  noch  die  äusseren  Bedingungen  hinzutreten  müssen,  wenn  anders 
die  Entwickelung  mehr  als  blosse  Zergliederung  sein  und  nicht  nur  zur 
Erhöhung  der  Bewusstseinsstärke  des  schon  vorhandenen  Inhalts,  sondern 
auch  zu  grösserer  Inhaltsfülle  führen  soll.  So  müssen  in  den  obigen 
Beispielen  zu  dem  Kreise  gerade  Linien  als  Sehnen,  Tangenten,  Secanten 
etc.  in  Beziehung  treten,  zu  dem  allgemeinen  Princip  der  Gravitation 
die  Massen  und  Entfernungen  der  Himmelskörper  etc.,  überhaupt  Ele- 
mente, die  wenigstens  im  Yerhältniss  zu  diesen  Subjecten  ein  ander- 
weitig Gegebenes  sind  und  sich  nicht  aus  denselben  finden  oder  (um 
mit  Kant  zu  reden)  > herausklauben c  lassen.  Ohne  dieses  äussere  Element 
wäre  das  methodische  Verfahren  wohl  analytisch  ("blosse  Setzung  dessen, 
was  schon  im  Subjecte  liegt),  aber  nicht  synthetisch  (keine  Bereicherung 
der  Erkenntniss,  kein  Fortschritt  zu  neuen  Prädicaten) ;  mit  demselben 
ist  es  wohl  synthetisch,  aber  nicht  mehr  analytisch.  So  wesentlich  also 
auch  der  Gesichtspunkt  der  Entwickelung  bei  der  ürtheilsbildung  und 
überhaupt  auf  allen  Gebieten  des  philosophischen  Denkens  ist,  so  wenig 
hat  doch  die  dialektische  Methode  die  Nothwendigkeit  jener  Kantischen 
Unterscheidung  aufzuheben  vermocht.  —  Schleiermacher  (Dial.§  156; 
808 — 9;  Beilage  E,  LXXVÜI,  5)  erklärt  den  unterschied  zwischen  den 
analytischen  und  den  synthetischen  ürtheilen  für  einen  fliessenden  oder 
relativen:  dasselbe  ürtheil  könne  ein  analytisches  und  ein  synthetisches 
sein,  je  nachdem  das,  was  im  Prädicate  ausgesagt  werde,  schon  in  den 
Begriff  des  Subjectes  aufjgenommen  worden  sei  oder  noch  nicht.  Der 
Unterschied  stehe  aber  fest  in  Bezug  auf  jedes  einzelne  für  sich  ge- 
setzte Subject  Das  unvollständige  ürtheil  (welches  nur  das  Subject 
und  Prädicat  enthält)  sei  mehr  analytisch,  das  vollständige  (welches 
auch  das  Objeot  enthält)   sei  mehr  synthetisch,  das  absolute  ürtheil 


§  83.   Das  synthetische  und  analytische  ürtheilen.  281 

(dessen  Subject  die  Welt  ist)  sei  wiederum  analytisch.  Doch  ist  der 
Unterschied  des  analytischen  und  synthetischen  Urtheilscharakters  in 
der  That  nicht  an  den  der  YoUstandigkeit  oder  Unvollständigkeit  des 
Urtheils  gebunden.  Delboeuf  sagt  (Prolog,  philos.  de  la  geom.  S.  46ff. 
und  Log.  S.  103),  der  Fortschritt  der  Wissenschaft  bestehe  gerade 
darin,  synthetische  ürtheile  in  analytische  umzuwandeln,  d.  h.  empi- 
risch beigefügte  Pradicate  in  solche,  deren  Nothwendigkeit  erhelle. 
Dieser  an  sich  vollkommen  richtige  Gedanke  vermag  jedoch  nicht  die 
£anti8che  Unterscheidung  zu  relativiren;  denn  die  Bedeutung,  in  wel- 
cher hier  Delboeuf  die  Ausdrücke  nimmt,  ist  wesentlich  von  der  Kanti- 
schen Terminologie  verschieden,  wonach  auch  eine  apodiktische  Ver- 
knüpfung, die  auf  einem  erkannten  Causalverhältniss  beruht,  eine  syn- 
thetische ist. 

Trendelenburg  ging  bei  seiner  Betrachtung  in  den  logfischen 
Untersuchungen  3.  Aufl.  Bd.  2.  XYI.  S.  264  ff.  ähnlich  wie  Schleier- 
m ach  er  von  einer  Betonung  der  Relativität  dieser  Unterschiede  aus, 
indem  er  darzuthun  sucht,  dass  jedes  vollständige  Urtheil  von  der 
einen  Seite  als  analytisch,  von  der  andern  als  synthetisch  erscheine.  — 
Vergleichbar  hat  auch  Steinthal,  Abriss  der  Sprach wissensch.  Th.  1. 
I.  S.  17  ff.  darzuthun  gesucht,  dass  Analyse  und  Synthese  immer  in 
einander  seien.  —  Auf  einem  andern  Boden  als  dem  Kant 's  steht  die 
Ton  Sigwart  (Logik.  Bd.  1.  Th.  1.  Abschn.  3.  §  18.  S.  101)  gegebene 
Unterscheidung  analytischer  und  synthetischer  Ürtheile,  sofern  es  für 
sie  rein  auf  die  jeweilige  Genesis  des  Urtheils  in  dem  urtheilenden 
Subjeote  ankomme,  ob  ein  Urtheil  analytisch  oder  synthetisch  sei. 
Die  Frage  betreffe  nur  die  Genesis  des  Urtheilsactes  selbst.  Diese  Ge- 
nesis könne  eine  unmittelbare  oder  mittelbare  sein.  Unmittelbar  sei 
sie,  wenn  das  Urtheil  nichts  als  die  in  ihm  verknüpften  Vorstellungen 
des  Subjects  und  Prädicats  selbst  voraussetze,  um  mit  dem  Bewusstsein 
objectiver  Gültigkeit  vollzogen  zu  werden;  mittelbar,  wenn  erst  durch 
das  Einzutreten  anderer  Voraussetzungen  dieser  Vollzug  möglich  werde, 
sei  es  dass  die  Aufeinanderbeziehung  von  Subject  und  Pradicat  über- 
haupt mit  dem  Gedanken  ihrer  urtheilsmässigen  Einheit  erst  einer 
Vermittelung  bedürfe,  oder  dass  wenigstens  das  Bewusstsein  ihrer  ob- 
jectiven  Gültigkeit  anderswoher  genommen  werden  müsse.  —  Alle 
unmittelbaren  Ürtheile  seien  also  nothwendig  analytisch,  wenn  ein 
analytisches  Urtheil  ein  solches  sei,  in  welchem  das  Pradicat  schon  im 
Subjecte  mit  vorgestellt  sei;  und  synthetisch  könnten  nur  die  gefol- 
gerten sein,  und  solche,  in  denen  es  sonst  eines  ausserhalb  liegenden 
Grandes  bedürfe,  um  die  In-Einssetzung  herbeizuführen.  Ob  ein  Ur- 
theil in  diesem  Sinne  analytisch  oder  synthetisch  sei,  könne  niemals 
ans  seinem  Wortlaute  abgenommen  werden,  sondern  hänge  immer  von 
individuellen  Voraussetzungen  ab.  An  einem  Beispiel  erläuternd  wird 
in  einer  Note  S.  103  gegen  den  Verfasser  dieses  Buches  bemerkt:  >So 
lange  in  dem  Beispiel:  «der  Angeklagte  ist  schuldig"  als  Subject  nur 
die  Person  vorgestellt  wird,  die  xmier  Anklage  steht,  so  enthält  diese 
Vorstellung  allerdings  das  Pradicat  schuldig  nicht.   —  Träte  aber  ein 


262  §  84.  Die  Conversion  und  ihre  innere  Berechtigung. 

Zeuge  auf,  der  den  Angeklagten  als  Thäter  gesehen  hätte,  so  würde 
dessen  ürtheil:  der  Angeklagte  ist  schuldig,  ein  analytisches  sein.«  — 
Von  dem  Boden  dieser  Betrachtung  aus  werden  dann  Kant 's  Unter- 
scheidungen einer  eingehenden  Kritik  unterworfen.  —  Wundt's  Miss- 
verständniss  dieser  seiner  Auffassung  hat  Sigwart  in  s.  Art.  1.  Lo- 
gische Fragen  in  d.  Vierteljahrsschr.  wissensch.  Philos.  Bd.  4.  1880.  S. 
462  berichtigt.  —  Einen  Versuch  bedingter  Rechtfertigfung  oder  Rich- 
tigstellung der  Unterscheidung  Eant's  hat  Lotze  in  s.  Syst.  d.  Philos. 
Bd.  1.  Logik.  Cap.  2.  58.  S.  80  u.  ff.  gemacht.  —  Wundt,  der  in  s. 
Logik,  Bd.  1.  Abschn.  3.  Cap.  1.  4.  S.  149  u.  ff.  die  Ansichten  Eant's, 
Schlei  er  mach  er 's  und  Sigwart's  kritisch  bespricht  und  g^en 
Sigwart 's  Unterscheidung  besonders  geltend  macht,  dass  sie  den  zu- 
sammengesetzten wissenschaftlichen  Yerfahrungsweisen  der  Analyse  und 
Synthese  entnommen,  eben  darum  nicht  geeignet  sei  für  das  einzelne 
Urtheil,  fasst  dann  als  Resultat  seiner  Erörterung  zusammen,  dass 
allgemein  die  Ausdrücke  analytisch  und  synthetisch  in  doppeltem  Sinne 
verstanden  werden.  »Wendet  man  sie  auf  die  Entstehung  des  Urtheils 
an,  so  ist  der  Gredanke,  den  das  Urtheil  enthält,  stets  synthetisch  ent- 
standen, das  Urtheil  selbst  aber  besteht  in  der  analytischen  Zerlegung 
dieses  Gedankens.  Wendet  man  sie  auf  das  Yerhältniss  von  Subject 
und  Prädicat  im  fertigen  Urtheil  an,  so  sind  analytisch  nur  diejenigen 
Urtheile,  in  denen  ein  Element  oder  einige  Elemente,  die  im  Subjeot 
nothwendig  schon  mitgedacht  werden  müssen,  zu  irgend  einem  Zweck 
im  Prädicat  besonders  hervorgehoben  worden;  alle  übrigen  Urtheile 
sind  synthetisch.  Dass  wir  uns  im  letzteren  Sinne  der  analytischen 
Urtheile  selten  bedienen,  und  dass  ihr  logischer  Werth  ein  geringer 
ist,  bedarf  übrigens  kaum  der  Bemerkung.« 

§  84.  Die  Conversion  (Umkehrung)  ist  diejenige 
Formveränderung,  vermöge  deren  die  Glieder  des  ürtheils 
ihre  SteUung  hinsichtlich  der  Relation  desselben  wechseln^ 
also  namentlich  im  kategorischen  Urtheil  das  Subject  zum 
Prädicate  und  das  Prädicat  zum  Subjecte,  im  hypothetischen 
Urtheil  aber  der  bedingende  Satz  zum  bedingten  und  der 
bedingte  zum  bedingenden  wird.  Die  Conversion  des  kate- 
gorischen Ürtheils  hat  nur  in  dem  Falle  innere  Berech- 
tigung, wo  der  PrädicatsbegriflF  sich  zur  Substantivirung 
eignet,  d.  h.  wo  die  Gesammtheit  der  Gegenstände,  welchen 
das  durch  den  PrädicatsbegrifP  Bezeichnete  zukommt,  wesent- 
lich gleichartig  ist  oder  eine  Classe  oder  Gattung  (im  Sinne 
des  §  58)  bildet.  Denn  nur  in  diesem  Falle  dürfen  diese 
Objecte  unter  einen  substantivistischen  Begriff  zusammengefasst 
werden,  der  sich  (nach  §  68)  zum  Subjectsbegriflf  eignet, 
während  zugleich  der  frühere  Subjectsbegriff  durch  seine  Ver- 


§  84.   Die  Gonversion  nnd  ihre  innere  Berechtigung.  288 

schmelzang  mit  dem  Httlfsbegriffe  des  Seins  auf  ein  Inhärenz- 
verhältniss  bezogen  wird  und  so  die  prädicative  Form  (s.  §  68) 
annimmt.  Die  innere  Berechtigung  der  Conversion  des  hypo- 
thetischen UrtheQs  unterliegt  zwar  im  Allgemeinen  keiner 
Beschränkung,  weil  dasselbe  nur  einen  Causalzusammenhang 
Oberhaupt  bezeichnet,  sei  es  in  der  Bichtung  von  der  Ursache 
zur  Wirkung  oder  von  der  Wirkung  zur  Ursache  oder  von 
der  Wirkung  zur  Wirkung;  sofern  aber  doch,  namentlich  wenn 
Zeitverhältnisse  mit  in  Betracht  kommen,  die  erste  Voraus- 
setzung das  naturgemässeste  ist,  so  wird  häufig  bei  der  Um- 
kehrung die  zur  Bedingung  gewordene  Folge  in  der  Form 
eines  ZweckurtheUs  (wenn  —  sein  soll,  so  muss  etc.)  aus- 
zudrücken sein. 

Die  Frage  nach  der  inneren  Berechtigung  der  Convelnsion  ist  von 
Aristoteles  noch  nicht  erörtert  worden.  Zwar  legt  das  Aristoteli- 
sche Prinoip,  dass  die  Elemente  des  Gedankens  überhaupt  den  Elemen- 
ten der  Wirklichkeit  entsprechen,  und  dass  insbesondere  das  Subject 
nnd  Prädicat  des  Urtheils,  welche  ihren  Ausdruck  im  ovofxa  und  ^n^^a 
finden,  auf  das  Seiende  und  auf  die  Thätigkeit  oder  Eigenschaft  gehen, 
eine  derartige  Betrachtung  nahe;  aber  Aristoteles  hat  die  Anwendung 
auf  die  Gonversion  nicht  gemacht.  Die  Substantivirung  des  Prädicats- 
begriffs  bildet  (Anal,  prior.  I,  2)  die  stillschweigende  Voraussetzung, 
wird  aber  nicht  näher  erörtert.  Die  nacharistotelische  und  zumal  die 
moderne  formale  Log^k  liess  noch  viel  mehr  jene  metaphysische  Be- 
ziehung unbeachtet.  Mit  Becht  hat  Schleiermacher  auf  dieselbe 
wenigstens  andeutungsweise  aufmerksam  gemacht  (Dial.  §  326),  und 
ebenso  bemerkt  Trendelenburg  (Log.  Unt.  II,  S.  231,  2.  A.  II,  S.  308, 
8.  A.  II,  S.  386)  mit  Becht,  dass  bei  der  Gonversion  »das  Accidens  zur 
Substanz  erhoben  wird«  (oder  vielmehr:  statt  des  Accidens  die  Substanz 
gedacht  wird,  welcher  es  inhärirt);  nur  folgt  daraus  nicht,  dass  die 
Gonversion,  den  Fall  des  allgemein  verneinenden  ürtheils  ausgenommen, 
ein  blosses  »Kunststück  der  formalen  Logik c  sei  und  zu  keinem  sicheren 
Resultate  führe.  Auch  die  Logik  als  Erkenntnisslehre  hat  das  Becht 
und  die  Pflicht,  zu  untersuchen,  was  und  wieviel,  wenn  bloss  ein  ein- 
zelnes ürtheil  gegeben  ist^  aus  demselben  vermittelst  der  Umkehrung, 
die  innere  Berechtigung  derselben  in  dem  gegebenen  Falle  vorausgesetzt, 
sich  folgern  lasse*);  ausserdem  aber  muss  sie  aufzeigen,  woran  die 
innere  Berechtigung  sich  knüpfe. 


*)  Wenn  der  Untersuchung,  wie  viel  aus  Einem  gegebenen  Ele- 
mente, ohne  dass  irgend  etwas  anderes  hinzugenommen  werde,  sich 
folgern  lasse,  die  Absicht  untergelegt  wird:  »ein  willkürliches  Denken 
nach   künstlichen   Regeln   und  Formeln   lehren   und   ermöglichen   zu 


284        §  86.  Die  Convenion  des  allgemein  bejahenden  ürtheils. 

Die  Conversion  des  disjunctiven  ürtheils,  möge  dasselbe  eia 
kategorisch-  oder  hypothetisch-disjunctives  sein,  bedarf  ebensowenig, 
wie  die  des  copulativen  oder  der  übrigen  coordinirt  zusammengesetzten 
Urtheile  besonderer  Regeln,  da  sich  die  Normen  für  dieselbe  unmittel- 
bar aus  den  Normen  für  die  Conversion  der  einfachen  Urtheile  ergeben. 
Das  hypothetische  Urtheil  steht  hier  auch  als  Typus  für  die  ver- 
wandten Arten  der  subordinirt  zusammengesetzten  Urtheile. 

§  85.  Durch  Conversion  folgt  1.  ans  dem  allgemein 
bejahenden  kategorischen  ürtheil  (von  der  Form  a): 
jedes  S  ist  P, 

das  particular  bejahende  ürtheil  (von  der  Form  i) :  min- 
destens ein  oder  einige  P  sind  S  (mindestens  ein  Theil  der 
Sphäre  von  P  ist  S), 


wollene,  »das  Denken  auf  ein  mechanisches  Schema  bringen  zu  wollen, 
um  willkürlich  nach  diesem  zu  verfahren,  so  dass  man  nur  nach  dem 
Schema  und  nicht  nach  dem  Begriffe  zu  denken  brauche c  (J.  Hoppe, 
die  gesammte  Logik,  Paderborn  1868),  so  heisst  dies  (auch  abgeseheu 
von  zahlreichen  Missverständnissen  im  Einzelnen)  den  Standpunkt  der 
logischen  Betrachtung  völlig  verkennen.  Mit  gleichem  Recht  könnte  man 
die  mathematisch-mechanische  Betrachtung  als  einseitig  und  willkürlich 
schelten,  wenn  sie  untersucht,  was  aus  gewissen  einfachen  Voraussetzun- 
gen folge  und  dabei  von  anderen  Datis  absieht,  von  denen  jene  in  der 
Wirklichkeit  nicht  abgesondert  vorzukommen  pflegen,  wenn  sie  z.  B, 
die  Bahn  und  die  Stelle  des  Falls  eines  irgendwie  geworfenen  Körpers 
nur  auf  Grund  der  Gravitation  und  der  Beharrung  berechnet,  ohne  den 
Miteinfluss  des  Luftwiderstandes  zu  erwägen,  so  dass  anscheinend  die 
concrete  Anschauung  das  Besultat  genauer  zu  bestimmen  und  über  die 
Bechnung  zu  triumphiren  vermag;  wollte  aber  die  mathematische 
Mechanik  jenes  abstractive  Verfahren  nicht  üben,  so  würde  sie  die  Be- 
wegungsgesetze  überhaupt  nicht  zu  erkennen  vermögen  und  die  Wissen- 
schaft würde  aufgehoben  (oder  »ausgerottete)  sein.  Es  ist  sehr  wahr, 
dass  uns  gewöhnlich  mehr,  als  Ein  Urtheil  allein  gegeben  ist,  dass 
wir  über  das  Verhältniss  der  Subjects-  und  Prädicatssphären  in  dem- 
selben anderweitig  noch  mehr  zu  wissen  pflegen,  als  das  Urtheil, 
rein  als  solches  betrachtet,  besagt.  Ist  das  Urtheil  gegeben:  alle 
Menschen  sind  sterblich,  oder  das  Urtheil :  alle  Menschen  sind  sinnlich- 
vernünftige  Erdbewohner,  so  wissen  wir  ausserdem,  dass  es  auch  andere 
Sterbliche,  aber  keine  anderen  sinnlich-vernünftigen  Erdbewohner  giebt. 
Wer  sich  nun  an  das  gerade  vorliegende  Beispiel  hält  und  dieses  an- 
derweitige Wissen  mit  hinzunimmt,  kann  freilich  ohne  die  Mühe  der 
Abstraction  ein  volleres  Resultat  gewinnen,  als  nach  den  Regeln  der 
Logik  aus  dem  Einen  gegebenen  Urtheil  allein  folgt,  und 
kann  sogar  leicht  auf  Grund  seines  vermeintlich  »begrifflichenc  Ver- 
fahrens über  den  Logiker  triumphiren,  der  sich  und  Andere  mit  seinen 
dürftigen  Schemata  plage;  aber  er  hebt  durch  dieses  Verfahren  nidit 
eine  falsche  Logik  zu  Gunsten  einer  besseren,  sondern  die  Möglichkeit 
einer  methodis(3i  fortschreitenden  logischen  Erkenntniss  der  Denkge- 
setze selbst  auf.  Erst  nach  beendeter  Untersuchung,  was  aus  Einem 
Datum  folge,  darf  die  wissenschaftliche  Theorie  des  Denkens  andere 
Data  mit  in  Betracht  ziehen. 


§  85.   Die  Conversion  des  allgemein  bejahenden  ürtheils.        286 

und  ebenso  ans  dem  allgemein  affirmirenden  hy- 
pothetischen Urtheil:  jedesmal,  wenn  A  ist,  ist  B, 

das  particular  affirmirende :  mindestens  einmal  oder  einige- 
mal, wenn  B  ist,  ist  A  (mindestens  in  einem  Theile  der  Fälle, 
wo  B  ist,  ist  A). 

Der  Beweis  liegt  in  der  Vergleichung  der  Sphären. 

Das  gegebene  kategorische  Urtheil:  alle  S  sind  P, 
setzt  (nach  §71)  eins  der  beiden  Sphärenverhältnisse  vorans, 
welche  durch  das  Schema: 


^  ^'    f     r  8   )  P  I  a,  2. 


angedeutet  werden;  d.  h.  die  Thätigkeit  oder  Eigenschaft, 
welche  der  Prädicatsbegriff  P  bezeichnet,  findet  sich  an  allen 
denjenigen  Gegenständen,  welche  der  SubjectsbegriffS  bezeich- 
net, während  ungewiss  bleibt,  ob  sie  sich  ausserdem  auch  noch 
an  anderen  finde  (a,  1)  oder  nicht  (a,  2).  Unter  der  ersten 
Voraussetzung  kann  nur  von  einem  Theile  der  Gegenstände, 
denen  die  durch  den  früheren  Prädicatsbegriflf  P  bezeichnete 
Eigenschaft  oder  Thätigkeit  zukommt,  ausgesagt  werden,  dass 
sie  S  sind,  unter  der  zweiten  von  allen.  Welche  von  beiden 
Voraussetzungen  in  einem  gegebenen  einzelnen  Falle  zutreffe, 
kann  zwar  aus  dem  allein  gegebenen  Urtheil :  alle  S  sind  P, 
sofern  nicht  andere  Data  hinzutreten,  nicht  entschieden  wer- 
den: man  bedarf  dessen  aber  auch  nicht,  um  mit  Gewissheit 
den  Schluss  zu  ziehen,  der  unter  beiden  Voraussetzungen  VTahr- 
heit  hat:  mindestens  einige  P  sind  S;  was  zu  beweisen  war. 
Ebenso  setzt  das  gegebene  hypothetische  Urtheil: 
jedesmal,  wenn  A  ist,  ist  B,  eins  der  beiden  Sphärenverhält- 
nisse voraus,  deren  Schema  ist: 


1-  (  A  )  B  I  2. 


D.  1l  das  durch  B  bezeichnete  Verhältniss  findet  sich  überall  da, 
wo  A  vorkommt,  während  ungewiss  bleibt,  ob  ausserdem  noch  in 


286        §  85.  Die  Gonversion  des  allgemem  bejahenden  ürtheila. 

anderen  Fällen  (1)  oder  nicht  (2).  Unter  beiden  Voranssetznngen 
aber  gilt  mit  gleicher  Wahrheit  der  Schlnss:  mindestens  in 
einem  Theile  der  Fälle,  wo  B  ist,  ist  A,  was  zn  beweisen  war. 

Es  giebt,  dem  Obigen  zufolge,  Fälle,  wo  die  Umkehmng 
in  das  allgemeine  Urtheil:  alle  P  sind  S,  oder:  jedesmal, 
wenn  B  ist,  ist  A,  Grflltigkeit  hat ;  dass  aber  ein  solcher  Fall 
vorliege,  bedarf  jedesmal  emes  besonderen  Beweises,  der  nur 
dann  geführt  werden  kaün,  wenn  ausser  dem  in  solcher  Weise 
umzukehrenden  Urtheil  noch  andere  Data  vorliegen. 

Die  Umkehrung  ohne  Aenderung  der  Quantität  wird  von 
den  neueren  Logikern  reine  Umkehrung  (conversio  Sim- 
plex), und  die  mit  Quantitätsänderung  verbundene  unreine 
(conversio  per  accidens)  genannt.  Diejenigen  allgemein 
bejahenden  Urtheile,  welche  die  reine  oder  einfache  Umkeh- 
rung zulassen,  heissen  reciprocabel. 

Hat  das  gegebene  Urtheil  nur  problematische  Gültigkeit, 
oder  hat  es  apodiktische  Gewissheit,  so  kommt  die  gleiche 
Modalität  auch  dem  durch  die  Umkehrung  gewonnenen 
Urtheil  zu.  Denn  der  Grad  und  die  Art  der  Wahrscheinlich- 
keit oder  Gewissheit,  welchen  für  uns  das  gegebene  Urtheil 
hat,  muss  auch  auf  das  gefolgerte  UrtheU  übergehen,  dessen 
GfUtigkeit  ganz  von  der  des  ersteren  abhängig  ist. 

Beispiele:  Ist  der  Satz  wahr:  jede  wahre  Tagend  harmonirt 
(ausser  mit  den  objectiven  Normen,  auch)  mit  dem  eigenen  sittlichen 
Bewusstsein,  so  muss  auch  wahr  sein:  einiges,  was  mit  dem  eigenen 
sittlichen  Bewusstsein  harmonirt,  ist  wahre  Tugend ;  aber  es  folgt  nicht, 
dass  alles,  was  damit  harmonirt,  Tugend  seL  Ist  der  Satz  wahr:  damit 
eine  Handlang  sündhaft  im  vollen  Sinne  sei,  muss  sie  (auch)  dem 
eigenen  sittlichen  Bewusstsein  widerstreiten  (oder:  wenn  sie  sündhaft 
ist,  so  widerstreitet  sie  etc.),  so  ist  auch  der  Satz  wahr:  (mindestens)  in 
einigen  Fällen,  wenn  eine  Handlung  dem  eigenen  sittlichen  Bewusstsein 
widerstreitet,  ist  sie  sündhaft:  aber  es  folgt  nicht  das  Gleiche  für  alle 
Fälle.  Aus  dem  Satze:  jedesmal,  wenn  im  Griechischen  das  Prädicat 
den  Artikel  hat,  decken  einander  die  Sphären  des  Subjects-  und  Prä- 
dicatsbegriffs,  folgt  der  Satz:  mindestens  in  einigen  der  Fälle,  in 
welchen  die  Sphären  des  Subjects-  und  Prädicatsbcgriffs  einander  decken, 
hat  im  Griechischen  das  Prädicat  den  Artikel  (nämlich  dann  hat  es 
denselben,,  wenn  diese  Coincidenz  nicht  nur  stattfindet,  sondern  auch 
ausdrücklich  bezeichnet  werden  soll,  dass  aber  der  umgekehrte  Satz  mit 
dieser  Einschränkung  gelte,  muss  anderweitig  erkannt  werden);  aus 
dem  gegebenen   Satze  folgt  nur  die   Gültigkeit  der   Umkehrung   in 


§  85.  Die  Conversion  des  allgeinein  bejahenden  ürtlieils.        287 

»mindestens  einigen c  Fällen;  ob  sie  nur  in  einigen,  oder  in  allen  gelte, 
und,  falls  sie  nur  in  einigen  gilt,  in  welchen  sie  gelte,  lässt  sich  ans 
dem  Einen  gegebenen  Satze  allein  nicht  ermitteln. 

Die  reine  ümkehrbarkeit  ist  eine  Bedingung  der  Bichtigkeit  der 
Definitionen  (worauf  schon  oben  zu  §  62,  S.  177  vorläuüg  aufmerksam 
gemacht  worden  ist).    Denn  die  Definition  ist  nur  dann  adäquat,  wenn 
das  Definiendum  (S)  und  das  Definiens  (P)  Wechselbegriffe  sind,    also 
j  den  nämlichen  Umfang  haben;  in  diesem  Falle  aber  kann  ebensowohl 

[  P  von  8,  wie  S  von  P,  allgemein  prädicirt  werden.    Doch  ist  die  De- 

I  finition.  nicht  der  einzige  Fall,  in  welchem  allgemein  bejahende  Urtheile 

I  eine  reine  Umkehrung  zulassen.     Fast  alle  geometrischen  Sätze  sind 

auch  in  umgekehrter  Form  allgemein  wahr;  aber  dies  muss,  da  es  aus. 
den  logischen  Gesetzen  über  die  Umkehrung  allein  noch  nicht  folgt, 
bei  jedem  einzelnen  Satze  durch  einen  besonderen  geometrischen  Be- 
weis dargethan  werden.  Der  Satz  aber:  alle  congruenten  Dreiecke  sind 
auch  Dreiecke  von  gleichem  Inhalt,  lässt  nur  die  unreine  Umkehrung 
zu :  einige  Dreiecke  von  gleichem  Inhalt  sind  auch  congruent.  Ebenso 
lässt  sich  der  Satz:  alle  Parallelogramme  von  gleicher  Grundlinie  und 
Höhe  sind  Parallelogramme  von  gleichem  Inhalt,  nur  dahin  convertiren: 
einige  Parallelogramme  von  gleichem  Inhalt  haben  gleiche  Grundlinie 
und  Höhe.  In  Bezug  auf  die  algebraischen  Sätze  muss  beachtet  wer- 
den, dass  der  mathematische  Gleichheitsbegriff  mit  der  logischen  Gopula 
nicht  identisch  ist.  Die  reine  Umkehrung  von:  alles  a  =  b,  lautet 
nicht:  alles  b  =  a,  sondern:  alles,  was  gleich  b  ist,  ist  a.  Zu  dieser 
reinen  Umkehrung  giebt  aber  die  Logik  kein  Recht,  und  auch  die 
mathematische  Betrachtung  führt  nur  entweder  zu  dem  Satze:  alles 
b  =  a  oder  zu  dem  Satze:  alles,  was  gleich  b  ist,  ist  gleich  a. 
Gleiche  Quanta  sind  zwar  in  Hinsicht  auf  die  Quantität  identisch ;  aber 
wir  dürfen  sie  nicht  schlechthin  identificiren,  sofern  auch  die  ver- 
schiedenen Beziehungen,  die  in  den  verschiedenen  Ausdrücken  liegen, 
von  Bedeutung  sind. 

Die  vorstehenden  Regeln  über  die  Umkehrung  würden  falsch  sein, 
wenn  Herbart's  Meinung  (Lehrbuch  zur  Einl.  in  die  Philos.  §  58), 
welche  auch  D robisch  (Log.  2.  A.  S.  64,  3.  u.  4.  A.  S.  59  ff.)  und 
Beneke  (Log.  I,  S.  165)  theilen,  richtig  wäre,  dass  nämlich  die  Wahr- 
heit des  bejahenden  kategorischen  Urtheils  nicht  durch  die  wirkliche 
Existenz  des  im  Subjectsbegriffe  gedachten  Objectes  bedinget  sei,  sondern 
jedes  derartige  Urtheil  nur  hypothetisch,  unter  Voraussetzung  derAuf- 
steUnng  des  Subjectes,  gelte'.  Herbart  selbst  fühlt  die  hieraus  erwachsende 
Schwierigkeit,  die  er  besser  darzulegen,  als  zu  beseitigen  weiss  (Lehrb. 
§  59y  AnnL).  Um  an  das  Herbart'sche  Beispiel  anzuknüpfen :  der  Zorn 
der  Homerischen  Götter  —  wenn  es  einen  solchen  giebt  —  ist  furchtbar. 
Da  aber  derselbe  als  blosse  Dichtung  nicht  reale  Existenz  hat,  wohl 
.  aber  manches  Furchtbare  in  Wirklichkeit  existirt,   so  folgt  nicht  die 

I  Wahrheit  der  Umkehrung:  einiges  Furchtbare  —  wenn  es  solches  g^iebt  — 

I  ist  der  Zorn  der  Homerischen  Götter.    In  der  That  aber  schliesst  die 

I  Wahrheit  des  bejahenden  kategorischen  Urtheils  allerdings  die  Richtig- 


288        §  85.  Die  Gonversion  des  allgemein  bejahenden  Urtheils. 

keit  der  Voraussetzung,  dass  der  durch  das  Subjeot  bezeichnete  Gegen- 
stand existire,  in  sich  ein.  Beziehen  wir  also  jene  Aussage  über  den 
Zorn  der  Götter  auf  die  äussere  Wirklichkeit,  so  ist  sie  gerade  darum, 
weil  jener  Zorn  nicht  existirt,  eben  so  falsch,  wie  die  ümkehrung;  so- 
fern wir  aber  der  Homerischen  Götterwelt  eine  ideale  Wirklichkeit  zu- 
erkennen, so  ist  in  diesem  Sinne  der  Satz  und  die  Umkehrung  gleich 
wahr,  so  dass  die  Regeln  über  die  Umkehrung  sich  auch  in  dieser  An- 
wendung als  zutreffend  bewähren.  Vgl.  §  68  und  §  94.  Uebrigens 
gelten  auch  die  hier  und  in  den  nächstfolgenden  Paragraphen  auf- 
gestellten Regeln  über  die  Umkehrung  des  hypothetischen  Urtheils 
und  deren  Beweise  nur  unter  der  Voraussetzung,  dass  der  bedingende 
Satz  wirklich  vorkommende  Fälle  bezeichne;  der  durch  »jedesmal  wennc 
mit  dem  Indicativ  ausgedrückte  hypothetische  Satz  involvirt  in  der 
That  diese  Voraussetzung  ebenso,  wie  das  kategorische  Urtheil  die 
Voraussetzung  der  Existenz  des  Subjectes  involvirt,  sofern  nicht  der 
Zusammenhang  auf  eine  bloss  fingirte  Wirklichkeit  hinweist  oder  die 
Glausel  »falls  dies  überhaupt  geschieht«,  hinzuzudenken  ist. 

Was  die  Modalität  betrifft,  so  kann  freilich  das  Urtheil:  alle 
S  sind  P,  ungewiss  sein,  und  dennoch  das  Urtheil  gewiss:  einige  P  sind 
S.  Dies  wird  dann  der  Fall  sein,  wenn  gewiss  ist,  dass  einige  S  P 
sind,  und  die  Uugewissheit  des  allgemeinen  Urtheils  sich  nur  auf  die 
übrigen  S  bezieht.  Aber  dann  folgt  die  Gewissheit  der  Umkehrung 
auch  nicht  aus  der  Ungewissheit  des  allgemein  bejahenden,  sondern  aus 
der  Gewissheit  des  particular  bejahenden  Urtheils  (s.  §  86),  also  aus 
einem  anderweitig  hinzugekommenen  Datum.  Wissen  wir  nur  das  Eine, 
dass  es  ungewiss  ist,  ob  alle  S  P  sind,  so  haben  vrir  auch  darüber 
keine  Gewissheit,  ob  einige  oder  vielleicht  gar  keine  S  P  sind;  also 
bleibt  auch  ungewiss,  ob  einige  P  S  seien. 

Der  Gebrauch  der  Kreise  als  Hülfsmittel  der  Beweisführung 
in  der  Schlusslehre,  insbesondere  der  eigentlichen  Syllogistik,  wurde 
von  neueren  Logikern  (z.  B.  von  Maass,  J.  D.  Gergonne,  Bachmann 
und  Bolzano)  auf  Euler  (Lettres  ä  une  princesse  d'AUemagne  sur 
quelques  sujets  de  physique  et  de  philosophie,  1768 — 72,  11,  S.  106) 
zurückgeführt;  mit  Recht  aber  hat  Drobisch  (Log.  2.  A.  S.  94.  8.  A 
S.  96.  4.  A.  S.  98)  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  nach  der  Angabe 
Lambert's  (Architektonik  I,  S.  128)  Joh.  Chr.  Lange  in  seinem  Nuoleus 
Logicae  Weisianae,  1712  sich  schon  der  Kreise  bediene,  und  Christ. 
Weise,  Gymnasialrector  zu  Zittau  (gest.  1708)  der  wahrscheinliche  Er- 
finder sei.  Die  Beweisführung  mittelst  direoter  Sphärenvergleichung 
konnte  erst  zu  der  Zeit  aufkommen,  als  schon  (besonders  durch  den  Car- 
tesianismus)  in  der  Syllogistik  die  Autorität  jener  Aristotelischen  Be- 
ductionsmethode  (wovon  unten  §  105;  §  113  ff.)  gebrochen  war,  welche 
abgesehen  von  einigen  selbständigen  Beweisversuchen  der  ersten  Peri- 
patetiker  und  des  Neuplatonikers  Maximus  (s.  P  rantl ,  Greech.  der  Log.  I, 
S.  862;  639),  während  des  späteren  Alterthums  und  des  Mittelalters 
unbedingt  herrschte.  Die  der  Cartesianischen  Schule  angehörige  Lo- 
gique  on  Part  de  penser  (zuerst  1662  erschienen)  lehrt  zwar  noch  gewisse 


§  86.  Die  Conversion  des  particular  bejahenden  Urtheils.       289 

Rednctionen,  stellt  aber  daneben  auch  (III,  10)  ein  allgemeines  Princip 
auf,  wonach  unmittelbar  über  die  Richtigkeit  eines  jeden  Syllogismus 
geurtheilt  werden  könne,  nämlich  das  Princip,  dass  der  Schlusssatz  in 
einer  der  Prämissen  enthalten  sein  (contenu)  und  die  andere 
Prämisse  dies  zeigen  müsse.  Vgl.  unten  §  120.  Dieser  Gedanke  musste 
den  Versuch  einer  schematischen  Yersinnlichung  durch  Kreise  sehr  nahe 
legen.  Unter  den  deutschen  Logikern  verwarf  namentlich  auch  Tho- 
mas ius  die  Reductionen.  Ausserdem  mag  die  Neigung  jener  Zeit  an 
mathematischer  Behandlung  der  Logik,  welcher  in  anderer  Weise  auch 
Leibniz  huldigte,  und  das  didaktische  Bedürfniss  der  Veranschau- 
lichung,  welches  dem  Schulrector  besonders  fühlbar  sein  musste,  auf  den 
Gebrauch  jener  Schemata  hingeleitet  haben.  P r an tl  (Gesch.  der  Log.  I, 
S.  362)  verspottet  diese  Yersinnlichung,  als  diene  sie  nur  zur  »Dressur 
stupider  Köpfe c,  allein  doch  wohl  mit  Unrecht,  denn  dieselbe  steht  zu 
der  Beachtung  der  specifisch  logischen  und  metaphysischen  Beziehungen 
und  überhaupt  zu  dem  wissenschaftlichen  Charakter  der  Logik  ebenso- 
wenig in  einem  nothwendigen  Antagonismus,  wie  die  Yeranschaulichung 
geometrischer  Beweise  an  beigezeichneten  Figuren  der  mathematischen 
Strenge  Eintrag  zu  thun  braucht.  Uebrigens  waren  Figuren  von  anderer 
Art,  welche  nur  die  drei  verschiedenen  Stellungen  oder  Grundverhält- 
nisse  des  Mittelbegriffs  zu  den  beiden  anderen  Begriffen  in  den  drei 
Aristotelischen  Figuren  des  Syllogismus  veranschaulichen  sollten,  schon 
von  alters  her  in  der  Logik  üblich,  s.  Barthelemy  Saint-Hilaire  im  An- 
hang zu  seinem  Werke  De  la  logique  d'Arist.  1838.  Lambert 's  symboli- 
sche Bezeichnung  der  Umfangsverhältnisse  zwischen  Subject  und  Prä- 
dicat  durch  die  Ausdehnungsverhältnisse  theils  ausgezogener,  theils 
punktirter  Linien  (N.  Organ.  Dian.  §  174  ff.)  würde  sich  zwar  gegen 
den  Tadel  von  Maass  (Logik,  Yorrede  S.  XI)  und  Bachmann  (Log.  S. 
142  ff.),  welche  die  blosse  Nebenrücksicht  der  oberen  oder  unteren 
Lage  der  Linien  mit  Unrecht  für  einen  Hauptgesichtspunkt  halten, 
rechtfertigen  lassen;  doch  ist  sie  allerdings  ein  minder  leichtes  und 
sicheres  Yeranschaulichungsmittel.  Auch  die  von  Maass  angewandte 
Bezeichnung  durch  Dreiecke  ist  minder  angemessen.  Gergonne 
(Essai  de  dialectique  rationelle  in  den  Annales  des  mathematiques, 
tom.  YII,  1816—17,  S.  189—228)  symbolisirt  die  Yerhältnisse  der  Kreise 
wiederum  durch  einfachere  Zeichen,  insbesondere  die  Identität  zweier 
Sphären  durch  I,  das  völlige  Getrenntsein  durch  H,  die  Kreuzung 
durch  X,  das  Enthaltensein  der  Sphäre  des  Subjectes  in  der  des  Prä- 
dicates  durch  C,  endlich  das  Enthaltensein  der  Sphäre  des  Prädicates 
in  der  des  Subjectes  durch  0.  Durch  den  Gebrauch  dieser  Zeichen 
gewinnt  die  Darstellung  an  Kürze  und  Eleganz,  verliert  aber  an  un- 
mittelbarer Anschaulichkeit. 

§  86.   Durch  Conversion  folgt  2.  aus  dem  particular 

bejahenden    kategorischen   Urtheil    (von   der   Form  i): 

einige  S  sind  P, 

19 


290       §  86.  Die  Convorsion  des  particular  bejahenden  ürtheils. 

das  particular  bejahende  Urtheil  (wiederam  von  der  Form 
i):  mindestens  einige  P  sind  S, 

und  ebenso  ans  dem  particular  bedingenden  Ur- 
theil: zuweilen,  wenn  A  ist,  ist  B, 

das  particular  bedingende:  mindestens  zuweilen,  wenn 
B  ist,  ist  A. 

Der  Beweis  ergiebt  sich  wiederum  aus  der  Verglei- 
chung  der  Sphären.  Das  gegebene  kategorische  Urtheil: 
einige  S  sind  P,  setzt,  falls  das  Prädicat  P  nur  einigen  S 
zukommt,  eins  der  beiden  Sphärenverhältnisse  voraus,  welche 
durch  da«  Schema  bezeichnet  werden: 


i,  1.  (        S        \  P         l       i,  2. 


sofern  es  aber  die  Möglichkeit  nicht  ausschliesst,  dass  das- 
selbe Prädicat  P  auch  den  übrigen  S  zukomme,  können  aus- 
serdem noch  die  folgenden  beiden  Sphärenverhältnisse  statt- 
finden : 


i,  3.         {  S  )  P  i,  4. 


Diese  Schemata  sind  wieder  in  dem  nämlichen  Sinne,  wie 
§  85,  S.  285,  zu  deuten.  Nun  sind  bei  i,  1  und  i,  3  einige, 
aber  auch  nur  einige  P  S,  bei  1,  2  und  1,  4  alle  P  S,  jeden- 
falls also  mindestens  einige  P  S,  was  zu  beweisen  war.  — 
Bei  den  entsprechenden  hypothetischen  Urtheilen  sind 
die  Sphärenverhältnisse  die  nämlichen,  also  ist  auch  das  Re- 
sultat das  gleiche. 

Die  Umkehrung  der  particular  bejahenden  und  der  par- 
ticular bedingenden  Urtheile  ist  demnach  eine  conversio 
Simplex,  sofern  sowohl  das  gegebene,  als  das  aus  der  Um- 
kehrung entsprungene  Urtheil  beide  die  Form  der  particularen 
Bejahung  (i)  haben. 

Die  Modalität  des  gegebenen  und  des  gefolgerten 
Urtheils  ist  auch  hier  wiederum  die  gleiche. 


§  67.  Die  Conversion  des  allgemein  verneinenden  ürtheils.       291 

Beispiele  sind  zu  i,  1:  einige  Parallelogramme  sind  regelmäs- 
sige Figuren;  zu  i,  2:  einige  Parallelogramme  sind  Quadrate;  zu  i,  3: 
einige  Parallelogpramme  werden  durch  eine  Diagonale  in  zwei  cougruente 
Dreiecke  getheilt;  zu  i,  4:  einige  Parallelogramme  werden  durch  beide 
Diagonalen  in  je  zwei  congruente  Dreiecke  getheilt.  —  üebrigens  lässt 
namentlich  das  Sphärenverhältniss  i,  1  noch  manche  Modificationen  zu. 
Sind  nämlich  beide  Sphären  von  ungleicher  Grösse,  so  kann  es  gesche- 
hen, dass  sehr  viele  S  P  und  dennoch  verhältnissmässig  nur  sehr  we- 
nige P  S  sind,  oder  auch  wenige  S  P  und  doch  die  meisten  P  S;  wie- 
wohl nämlich  die  Anzahl  der  S,  welche  P  sind,  und  der  P,  welche  S 
sind,  an  sich  nothwendig  die  gleiche  ist,  so  ist  doch  das  Yerhältniss 
zu  der  Gesammtzahl  der  Individuen  einer  jeden  von  beiden  Sphären 
ein  verschiedenes.  So  sind  z.  B.  einige  und  verhältnissmässig  nicht 
wenige  Planeten  unseres  Systems  solche  Himmelskörper,  welche  von 
uns  mit  unbewaffnetem  Auge  gesehen  werden  können;  aber  nur  sehr 
wenige  der  dem  blossen  Auge  sichtbaren  Himmelskörper  sind  Planeten 
unseres  Systems.  Diese  ümkehrung  ist  daher  nicht  in  dem  engeren 
Sinne  conversio  simplex,  dass  die  Quantität  in  jeder  Beziehung  die 
gleiche  bliebe,  sondern  nur  in  dem  allgemeineren  Sinne,  dass  das  Ur- 
theil  ein  particulares  bleibt  und  nicht  in  eine  andere  der  vier  durch 
%,  e,  i,  0  bezeichneten  Urtheilsclassen  übertritt. 

§  87.  Durch  Conversion  folgt  3.  aus  dem  allgemein 
verneinenden  kategorischen  Urtheil  (von  der  Form 
e),  kein  S  ist  P, 

das  allgemein  verneinende  Urtheil  (wiederum  von  der 
Form  e) :  kein  P  ist  S, 

und  ebenso  aus  dem  allgemein  negirenden  hypotheti- 
schen Urtheil:  niemals,  wenn  A  ist,  ist  B, 

das  gleichfalls  allgemein  negirende  hypothetische  Urtheil: 
niemals,  wenn  B  ist,  ist  A. 

Die  Gültigkeit  dieser  Normen  lässt  sich  durch  die  Ver- 
gleichung  der  Sphären  direct  erweisen.  Das  Schema  des 
allgemein  verneinenden  kategorischen  Ürtheils  ist  das 
völlige  Getrenntsein  der  Sphären: 


D.  h.  die  Thätigkeit  oder  Eigenschaft,  welche  der  Prädicats- 
begriff  P  bezeichnet,  findet  sich  an  keinem  der  Gegenstände, 


292      §  87.  Die  Conversion  des  allgemein  verneinenden  Urtbeils. 

welche  der  Subjectsbegriff  S  bezeichnet,  sondern,  sofern  sie 
ttberhanpt  Realität  hat,  nur  an  anderen.  Daher  moss  anch 
von  allen  den  Gegenständen,  an  denen  sie  sich  findet,  nnd 
die  sich  demnach  durch  den  sabstantiyirten  Begriff  P  be- 
zeichnen lassen,  das  Urtheil  gelten,  dass  sie  nicht  S  sind; 
was  zu  beweisen  war. 

Auch  indirect  lässt  sich  das  Gleiche  darthun.  Denn 
wenn  irgend  ein  P  S  wäre,  so  würde  (nach  §  86)  auch  irgend 
ein  S  P  sein,  was  doch  nach  dem  Satze  des  Widerspruchs 
(§  77)  falsch  ist,  da  es  dem  gegebenen  Urtheil:  kein  S  istP, 
contradictorisch  entgegengesetzt  ist  (§  72).  Mithin  ist  auch 
die  Annahme  falsch,  dass  irgend  ein  P  S  sei,  und  es  ist  in 
Wahrheit  kein  P  S;  was  zu  beweisen  war. 

Das  entsprechende  hypothetische  Urtheil  setzt  das 
analoge  Sphärenverhältniss  voraus: 


D.  h.  der  durch  B  bezeichnete  Fall  findet  sich  da,  wo  A 
vorkommt,  überall  nicht,  sondern,  sofern  er  überhaupt  ein- 
tritt, nur  unter  anderen  Bedingungen.  So  wenig  daher  mit 
dem  Falle  A  der  Fall  B  zusammenbesteht,  ebensowenig  mit 
dem  Falle  B  der  Fall  A.  Also  niemals,  wenn  B  ist,  ist  A; 
was  zu  beweisen  war. 

Auch  der  indirecte  Beweis  lässt  sich  hier  ebenso,  wie 
bei  dem  allgemein  verneinenden  kategorischen  Urtheil  führen. 
Denn  wäre  irgend  einmal,  wenn  B  ist,  auch  A,  so  würde 
(nach  §  86)  auch  das  Umgekehrte  wahr  sein,  dass  irgend 
einmal,  wenn  A  ist,  auch  B  wäre,  was  doch  der  gegebenen 
Voraussetzung  widerspricht,  dass  niemals,  wenn  A  ist,  B  sei, 
also  falsch  ist.  Mithin  ist  auch  jene  Annahme  falsch,  dass 
irgend  einmal,  wenn  B  ist,  auch  A  sei,  und  der  Satz  wahr: 
niemals,  wenn  B  ist,  ist  A;  was  zu  beweisen  war. 

Die  Umkehrung  der  allgemein  verneinenden  Urtheile  ist 
demnach  mit  keiner  Veränderung  der  Quantität  verknüpft  und 
also  durchaus  reine  Umkehrung  (conversio  Simplex). 


§  87.  Die  Conversion  des  allgemein  verneinenden  Urtheils. 

Auch  für  die  allgemein  verneinenden  Urtheile  gilt 
nahmslos  die  Begel,  dass  die  Modalität  bei  derUmkel  i 
unverändert  bleibt.    Denn  ist  es  apodiktisch  gewiss,  dass 
S  P  ist,  so  geht  der  gleiche  Grad  und  die  gleiche  Ar 
Gewissheit  auch  anf  das  Urtheil  über,  dass  kein  P  S  is 
aber  jenes  nur  wahrscheinlich,  oder  ist  es  nur  vielleicl  I 
und  bleibt  also   die  Annahme   möglich,   dass  vielleicht  i 
wenigstens  irgend  ein  S  P.sei,   so  besteht  (nach  §  86 
nämliche  Möglichkeit  auch  für  die  Annahme,   dass  viell ; 
wenigstens  irgend  ein  S  P  sei,    und  dann  folgt  nicht  1 1 
kein  P  ist  S,  sondern  nur:  wahrscheinlich  oder  vielleicl 
kein  P  S. 

Beispiele  zur  Umkehrung  des  allgemein  verneinenden  1 
gorischen  urtheils  sind  folgende.  Ist  als  wahr  gegeben  das  üi ! 
kein  Schuldloser  ist  unglücklich,  so  folgt  mit  gleicher  Wahrheit: 
unglücklicher  ist  schuldlos.  Ist  der  Satz  bewiesen:  kein  gleichse! 
Dreieck  ist  ungleichwinklig,  so  folgt,  ohne  dass  es  hierfür  we 
mathematischer  Beweismittel  bedarf,  durch  logische  Conversion: 
nngleichwinkliges  Dreieck  ist  gleichseitig  (sondern  jedes  ungleich! 
lige  Dreieck  hat  Seiten  von  verschiedener  Grösse);  und  ist  bewi 
kein  ungleichseitiges  Dreieck  ist  gleichwinklig,  so  folgt  durch  die  1 1 
logpische  Conversion,  dass  kein  gleichwinkliges  Dreieck  ungleich  > 
(sondern  jedes  gleichwinklige  Dreieck  gleichseitig)  ist.  Kein  Qu! 
hat  eine  Diagonale,  die  mit  einer  der  Seiten  commensurabel  wäre: 
ist  auch  keine  Figur  mit  einer  Diagonale,  die  mit  einer  der  ^ 
commensurabel  ist,  ein  Quadrat..  Ein  Beispiel  der  Umkehrung  dei 
sprechenden  hypothetischen  Urtheile  entnehmen  wir  der  Paral 
theorie.  Der  Satz  sei  bewiesen  (was  bekanntlich  ohne  Hülfe  de 
Euklidischen  Axioms  möglich  ist):  niemals,  wenn  zwei  gerade  L 
(in  Einer  Ebene)  von  einer  dritten  so  geschnitten  werden,  das: 
oorrespondirenden  Winkel  einander  gleich  sind,  oder  dass  die  im: 
Winkel  auf  derselben  Seite  der  schneidenden  Linie  zusammen  g 
zwei  rechten  sind,  treffen  jene  Linien  in  irgend  einem  Punkte  mit 
ander  zusammen.  Durch  blosse  Conversion  folgt,  ohne  dass  zu  di 
Zwecke  auf  die  mathematische  Construction  zurückgegangen  zu  wc 
braucht:  niemals,  wenn  zwei  gerade  Linien  (in  Einer  Ebene)  in  ir 
einem  Punkte  mit  einander  zusammentreffen,  werden  dieselben 
einer  dritten  so  geschnitten,  dass  die  oorrespondirenden  Winkel 
ander  gleich  sind,  oder  dass  die  inneren  Winkel  auf  derselben 
der  schneidenden  Linie  zusammen  gleich  zwei  rechten  sind.  (Mil 
deren  Worten:  niemals  sind  zwei  Winkel  in  einem  Dreieck  zusan 
gleich  zwei  rechten;  dass  dieselben  aber  mit  dem  dritten  Winke 
sammen  gerade  zwei  rechte  ausmachen,  kann  auf  diesem  Wege  eb( 
wenig  bewiesen  werden,   wie  der  Satz,   dass  immer,   wenn  die  dt 


29d      §  87.    Die  Gonversion  des  allgemein  verneinenden  Urtheils. 

scfanittenen  Linien  nicht  zusammentreffen,  die  correspondir enden  Win- 
kel einander  gleich  sind). 

Aristoteles  hält  dafür,  dass  das  allgemein  verneinende  MÖg- 
lichkeitsurtheil  nicht  durchweg  die  reine  Umkehrung  zulasse  (Anal, 
pri.  I,  S.  25  h.  14  a.  16:  oaa  &k  r^  luc  iitl  nokv  xai  r^  n^tpvxivtu 
Xfyfrai  ivd^x^axkti  —  ^  fih'  xa&oXov  arfQtjTixti  TiQoraatg  ovx  ayuargitpit^ 
71  (f*  ^v  fi^Q€i  ttVTifiTQiffii '  cf.  c.  13;  c.  17.  37  a.  31:  ort  ovx  nvTiarQifpn 
70  iv  T(ß  h'd^x^af^M  aieQTjTtxor).  Ist  das  ürtheil  gegeben:  to  A  Mi- 
X€Tat  firjiivl  T(p  J5,  so  soll  nicht  noth wendig  folgen:  t6  B  Mix^a&at 
fitj^fvl  Ttp  A.  Aristoteles  versteht  nämlich  den  ersten  Satz  in  dem 
Sinne :  alle  B,  jedes  für  sich,  sind  in  der  Möglichkeit^  A  zum  Prädicate 
nicht  zu  habeii  oder  auch  zu  haben,  und  in  gleicher  Weise  den  zweiten 
Satz  in  dem  Sinne:  alle  A,  jedes  für  sich,  sind  in  der  Möglichkeit, »B 
zum  Prädicate  nicht  zu  haben  oder  auch  zu  haben  (vgl.  unten  zu  §  98). 
Nun  kann  es,  wie  Aristoteles  mit  Recht  bemerkt,  Fälle  geben,  wo  zwar 
alle  B  in  jener  zweifachen  Möglichkeit  sind,  einige  A  aber  in  der 
Nothwendigkeit,  B  nicht  zum  Prädicate  zu  haben.  Das  Schema  hier- 
für würde  sein: 


(& 


In  Fällen  dieser  Art  ist  das  erste  ürtheil  (to  A  Mix^tai  fniötyi  ry 
B)  wahr,  und  dennoch  das  zweite  (to  B  M4x^^  fifi^evl  T<ß  A)  falsch. 
Folglich  ist  das  zweite  nicht  eine  nothwendige  Consequenz  des  ersten. 
In  diesem  Sinne  ist  also  jene  Lehre  des  Aristoteles  wohlbegründet. 
Aber  dieselbe  steht  auch  unserem  obigen  Satze  (den  übrigens  schon 
Theophrast  und  Eudemus  anerkannt  haben,  s.  Prantl,  Gesch.  der 
Log.  I,  S.  364),  dass  das  allgemein  verneinende  ürtheil  von  jeder  Moda- 
lität, mithin  auch  das  problematische,  sich  mit  unveränderter  Quanti- 
tät, Qualität  und  Modalität  umkehren  lasse,  nicht  entgegen.  Zwar  der 
umstand  würde  den  Widerstreit  nicht  beseitigen,  dass  das  Aristoteli- 
sche fv^ix^a&tti  nicht  gleich  dem  vielleicht  des  problematischen 
Urtheils  die  subjective  Ungewissheit,  sondern  die  objective  Möglichkeit 
des  Seins  oder  Nichtseins,  und  zwar  (im  Unterschiede  von  Svvaa^w) 
vorzugsweise  im  Sinne  des  Nichtgehindertseins  bezeichnet.  Denn  die 
Argumentation  des  Aristoteles  bleibt  auch  dann  richtig,  wenn  statt  der 
objectiven  Möglichkeit  die  subjective  Ungewissheit  substituirt  wird.  Ist 
es  von  allen  B  ungewiss,  ob  sie  A  nicht  seien  oder  seien,  so  folgt 
nicht,  dass  es  auch  von  allen  A  ungewiss  sein  müsse,  ob  sie  B  nicht 
seien  oder  seien,  sondern  von  einigen  A  kann  die  Gewissheit  bestehen, 
dass  sie  nicht  B  sind.  Aber  dies  thut  unserem  obigen  Nachweis  kei- 
nen Eintrag,  dass  aus  dem  Satze:  vielleicht  ist  kein  B  A,  der  Satz 
folge:  vielleicht  ist  kein  A  B.  Denn  dieser  letztere  Satz  ist  nicht  gleich- 
bedeutend mit  jenem,  der  nicht  gefolgert  werden  darf:    von  allen  A, 


§  88.    üntn(%liohkeit  der  Convonion  des  particukr  vern.  Urtheils,    296 

und  zyrmr  von  einem  jeden  für  sielt,  ist  es  ungewiss,  ob  eie  B  nicht 
seien  oder  seien,  sondern  mit  folgendem:  es  ist  nngewiss,  ob  alle 
A  nicht  B  seien,  oder  ob  et  mindesten»  irgend  ein  A  gebe,  wel- 
ches B  sei;  dieser  Satz  aber  kann  aahr  wohl  mit  der  Qewissheit  zn- 
sammenbestehen,  daaii  einige  A  nicht  B  sind.  In  gleicher  Weise  folgt 
aoeh  ana  dem  Satze:  es  ist  (objcctiv)  möglich,  dass  kein  B  A  sei,  mit 
Nothwendigkeit  der  Satz;  es  ist  (objectiv)  möglich,  dass  kein  AB  sei 
(aber  anch  möglich,  dass  mindestens  irgend  ein  A  B  sei).  Die  Um- 
kehmng  in  der  AristoteÜBohcn  Weise  aber,  wonach  allen  einzelnen 
A  die  »Möglichkeit*  zagesprochen  wird,  B  nicht  zu  sein,  würde 
(wie  Aristoteles  selbst  Anal.  pri.  I,  c.  3  andeutet)  einerseits  dann  gel- 
ten, wenn  unter  dem  (v6()(ta9at  verstanden  würde,  was  öfiwvifiios  dar- 
unter verstanden  werden  kann;  ntindeitens  in  der  Möglichkeit  sein, 
ohne  AnstichluBB  der  Nathwendigkeit,  andererseits  aber  auch  in 
solchen  Fällen,  wo  überhaupt  alle  Nothwendigkeit,  also  auch  die 
in  der  Richtung  von  A  nach  B,  ansgeachloBaen  ist,  mithin 
keine  A  vorhanden  sind,  die  in  der  Nothwendigkeit  wären,  B 
nicht  zu  sein.  So  löst  sich  der  scheinbare  Widerspruch  der  oben  im 
Teste  des  Paragraphen  begründeten  Lehre  mit  der  Aristotelischen.  — 
Tgl.  PrantI,  Gesch.  der  Log.  l,  S.  267  und  864. 

§  8S.  Dorch  Convereion  kann  ans  dem  particnlar 
verneinenden  Urtheil  überhanpt  nichts  gefolgert  werden. 
Das  particnlar  verneinende  kategorische  Urtheil  sagt  ans, 
dasB  einige  S  das  Prädicat  P  nicht  haben,  ohne  über  die  übri- 
gen irgend  etwas  zn  bestimmen.  Das  Schema  desselben  liegt 
demgeniäsa  in  der  Combination  der  drei  Figuren: 


296     §  88.   Unmöglichkeit  der  Gonvereion  des  particnlar  vem.  ürtheils. 


Demnach  kann  es,  wenn  einige  S  nicht  P  sind,  erstens  Fälle 
geben,  wo  auch  einige  P  nicht  S  sind,  andere  P  aber  S  sind, 
zweitens  solche  Fälle,  wo  alle  P  S  sind,  und  drittens  solche 
Fälle,  wo  kein  P  S  ist;  es  lässt  sich  also  über  das  Verhältniss 
von  P  zu  S  in  einem  Urtheil,  dessen  Subject  P  sein  soll,  im 
Allgemeinen  gar  nichts  aussagen. 

Ebenso  ist  das  Schema  des  particular  verneinenden 
hypothetischen  Ürtheils:  zuweilen,  wenn  A  ist,  ist  B  nichts 
folgendes : 


Es  kann  also  der  Fall  vorkommen,  dass,  wenn  B  ist,  A  zu- 
weilen ist  und  zuweilen  nicht  ist,  aber  auch  der  Fall,  dass, 
wenn  B  ist,  A  immer  ist,  und  endlich  drittens  der  Fall,  dass, 
wenn  B  ist,  A  niemals  ist,  so  dass  das  Verhältniss  von  B  za 
A  im  Allgemeinen  völlig  unbestimmt  bleibt. 

Beispiele  zu  den  verschiedenen  möglichen  Fällen  sind  folgende. 
Zum  particular  verneinenden  kategorischen  Urtheil  von  der  Form 
1.:  einige  Parallelogramme  sind  nicht  regelmässige  Figuren;  von  der 
Form  2.:  einige  Parallelogramme  sind  nicht  Quadrate,  oder  auch:  einige 
geradlinige  ebene  Figuren,  die  durch  eine  Diagonale  in  zwei  congruente 
Dreiecke  getheilt  werden,  sind  nicht  Parallelogramme;  von  der  Form  3.: 
(mindestens)  einige  Parallelogramme  sind  nicht  Trapezoide,  oder  auch: 
(mindestens)  einige  geradlinige  ebene  Figuren,  die  durch  eine  Diago- 
nale in  zwei  nicht  congruente  Dreiecke  getheilt  werden,  sind  nicht 
Parallelogpramme.  Zum  particular  verneinenden  hypothetischen  Ur- 
theil von  der  Form  1.:  zuweilen,  wenn  Angeklagte  sich  schuldig  be- 
kannten, war  dennoch  die  Anklage  nicht  begründet;  von  der  Form  2.: 
zuweilen,  wenn  ungegründete  Beschuldigungen  erhoben  wurden,  fand 
nicht  Verleumdung  (sondern  Irrthum)  statt;  von  der  Form  S.:  (min- 
destens) zuweilen,  wenn  der  Vertreter  eines  höheren  ideellen  Principa 
von  den  Vertretern  der  schon  zu  einer  geschichtlichen  Macht  geworde- 
nen geringeren  Vemünftigkeit  zum  Tode  verurtheilt  wurde,  war  Recht 
und  Unrecht  nicht  gleichmässig  an  beide  Parteien  vertheilt. 


§  89.  Die  Contraposition  und  ihre  innere  Bereohtigung.        297 

§  89.  Die  Contraposition  (von  Einigen  Umwea- 
doBg  genaDüt)  ist  diejenige  Formvei^ndernng,  vermSge  deren 
die  Glieder  des  Urtheils  ihre  Stelle  hineichtlich  der  Relation 
desselben  wechseln,  zngleieli  aber  eins  der  Glieder  die  Negation 
in  sich  anfoimmt,  and  ancb  die  Qualität  des  Urtbeila  sich 
yerändert.  Die  Contraposition  besteht  bei  dem  kategori- 
schen Urtheil  darin,  dass  das  .contradictorieche  Gegentheil 
des  Pradicatsbegriffs  zum  Sabjeote  wird,  wobei  zngleioh  die 
Qualität  des  Urtheils  in  die  entgegengesetzte  Übergeht;  bei 
dem  hypothetischen  Urtheil  aber  darin,  dass  das  oontra- 
dictoriscbe  Gegentheil  des  bedingten  Satzes  znm  bedingenden 
Satze  wird  nnd  au  die  Stelle  einer  affinnatiren  Verbindung 
zwischen  den  beiden  Urtbeilsgliedem  eine  negative,  an  die 
Stelle  einer  jiegatiren  aber  eine  affirmative  tritt.  Ueber  die 
innere  Berechtigung  der  Contraposition  ist  nach  den 
ntünlichenGrandsätzen,  wie  Über  die  der  Conversion  (s.  §84, 
S.  282  ff.),  zu  entscheiden. 

Der  Terminus:  iconTersio  per  contrapOBitionemi,  den 
BoethiuB  gebraucht  (e.  oben  zu  g  82),  wo  dann  icontropositio'  die 
ümwaudlnng  eines  Gliedes  in  dessen  contradictorischcs  Gegentheil  be- 
zeichnet, ist  zwar  an  sich  nntadelhafl,  wofern  der  Begriff  der  Conver- 
sion weit  genug  gefasit  und  definirt  wird;  doch  bedarf  es  dann  noch 
eines  Terminas,  um  die  erst«  Art  der  Convereion  im  weiteren  Sinne 
oder  die  ConTeraion  im  engeren  Sinne  als  solche  zu  bezeichnen.  Boe- 
thins  (s.  oben  zu  §  82)  nennt  dieselbe  icouversio  simplex«,  was  der 
neueren  L<^ik  nicht  mehr  freisteht,  da  dieselbe  mit  diesem  Ansdruck 
die  Conversion  ohne  Qnantitätsänderung  zu  bezeichnen  pflegt.  Daher 
ist  ea  für  uns  angemeesener,  den  Begriff  iconversioc  nnr  im  engeren 
Sinne  zu  gebranoben. 

Schleiermacher  (Dial.  S.  286)  fuhrt  folgendes  Beispiel  einer 
lümweudungi  an;  »alle  Vögel  fliegen;  nicht  alles,  was  fliegt,  ist 
Vogel'  (statt;  was  nicht  fliegt,  ist  nicht  Vogel).  Dies  beruht  jedoch 
nnr  auf  einem  Versehen,  nicht  auf  einer  eigeuthümlichen,  aber  doch 
auch  zulässigen  Terminologie.  Denn  die  Contraposition,  wie  abweichend 
auch  etwa  im  üebrigen  ihr  Bogriff  bestimmt  werden  möge,  muss  doch 
jedenfalls  nnter  den  höheren  Begriff  der  unmittelbaren  Folgerung  fal- 
len;   wenn  aber  das  Urtheil  g^eben  ist:   alle  S  sind  P,   so  kann  aus 


298        §  90.   Die  Contraposition  des  allgemein  bejahenden  Urtheils. 

§  90.  Darch  Gontraposition  folgt  1.  aus  dem  allge- 
mein bejahenden  kategorischen  Urtheil  (yon  der 
Form  a) :  jedes  S  ist  P, 

das  allgemein  verneinende  Urtheil  (von  der  Form  e): 
kein  Nicht-P  ist  S  (alles,  was  nicht  P  ist,  ist  auch  nicht  S); 

und  ebenso  aus  dem  allgemein  affirmirenden  hypothe- 
tischen Urtheil:  jedesmal,  wenn  A  ist,  ist  B, 

das  allgemein  negirende:  niemals,  wenn  B  nicht  ist,  ist 
A  (immer,  wenn  B  nicht  ist,  ist  auch  A  nicht). 

Der  Beweis  kann  direkt  durch  Vergleichung  der  Sphä- 
ren geführt  werden.  Die  Sphäre  von  Pim  kategorischen, 
sowie  die  Sphäre  von  B  im  hypothetischen  Urtheil  om- 
schliesst  entweder  die  Sphäre  von  S  und  von  A,  oder  fällt 
ganz  mit  derselben  zusammen,  welche  Verhältnisse  wieder  in 
dem  nämlichen  Sinne,  wie  §  85,  S.  285,  zu  deuten  sind;  in 
beiden  Fällen  aber  muss  alles,  was  ausserhalb  der  Sphäre 
von  P  und  von  B  liegt,  auch  ausserhalb  der  Sphäre  von  S 
und  von  A  liegen,  d.  h.  alles,  was  nicht  P  ist,  ist  auch  nicht 
S,  und  immer,  wenn  B  nicht  ist,  ist  auch  A  nicht,  was  zu 
beweisen  war. 

Die  Modalität  bleibt  auch  bei  der  Contraposition  so- 
wohl in  dieser,  als  in  den  übrigen  Formen  (§§  91  und  92)  aus 
den  gleichen  Gründen,  wie  bei  der  Conversion,  unverändert. 
Auch  finden  hinsichtlich  der  Quantität  die  Ausdrücke: 
»contrapositio  Simplex«,  und:  »contrapositio  per  accidens«  in 
gleicher  Weise,  wie  bei  der  Conversion,  Anwendung. 

Beispiele.  Jede  regelmässige  Figur  lässt  sich  einem  Kreise 
einschreiben  (so  dass  alle  ihre  Seiten  Sehnen  werden);  jede  Figur  daher, 
die  sich  nicht  einem  Kreise  einschreiben  lässt,  ist  nicht  regelmässig. 
Jedes  rechtwinklige  Dreieck  lässt  sich  einem  Halbkreis  einschreiben  (so 
dass  die  eine  Seite  desselben  Diameter,  die  beiden  anderen  aber  Sehnen 
werden) ;  jedes  Dreieck  daher,  welches  sich  nicht  in  dieser  Weise  einem 
Halbkreis  einschreiben  lässt,  ist  nicht  rechtwinklig.  Wo  die  rechte  Ge- 
sinnung ist,  da  werden  auch  die  rechten  Werke  gethan;  wo  daher  die 
rechten  Werke  nicht  gethan  werden,  da  ist  auch  nicht  die  rechte  Ge- 
sinnung. Wo  vollkommene  Tugend  ist,  da  ist  auch  volle  innere  Befrie- 
digung ;  wo  daher  nicht  volle  innere  Befriedigung  ist,  da  ist  nicht  voll- 
kommene Tugend.  Jede  Sünde  widerstreitet  dem  sittlichen  Bewusstsein; 
was  dem  sittlichen  Bewusstsein  nicht*  widerstreitet,  ist  nicht  Sünde. 
Jedesmal,  wenn  im  Griechischen  das  Prädicat  den  Artikel  hat,  müssen 


§  90.   Die  Contraposition  des  allgemein  bejahenden  Urtheils.        2    I 

die  Sphären  des  Subjects-  und  Prädicatebegriffs  einander  decken;  n  • 
mals,  wenn  die  Sphären  des  Subjects-  und  Prädicatsbegriffs  einand  f 
nicht  decken,  hat  im  Griechischen  das  Prädicat  den  Artikel. 

Besonders  beachtenswerth  ist  die  Allgemeinheit,  mit  welch   ' 
die  Contraposition    des    allgemein    affirmativen    urtheils   gilt,    i   i 
Gegensatze  zu  der  bloss  particularen  Gültigkeit  des  durch  die  Conve  • 
sion  gewonnenen  Urtheils.    Es  lassen  sich   immer    vier   allgemeii  ) 
ürtheile  (von  den  Formen  a  und  e)  zusammenstellen,  wovon  je  zw    i 
mit  einander  gültig  oder  ungültig  sind,    wogegen   das    erste  Pa;  ' 
ohne  das  zweite  und  dieses  ohne  jenes  gültig  sein  kann.    Ist  das  Urthc  I 
wahr:  jedes  S  ist  P,  so  folgt:  was  nicht  P  ist,  ist  nicht  S;  aber  es  fol( 
nicht:  jedes  P  ist  S,  noch  auch,  was  hiermit  gleichbedeutend  ist:    wi 
nicht  S  ist,  ist  nicht  P.  Und  ist  dsus  Urtheil  gültig:  wenn  A  ist,  so  i 
B,  so  folgt:  wenn  B  nicht  ist,  so  ist  auch  A  nicht;  aber  es  folgt  nich 
wenn  B  ist,  so  ist  A,  noch  auch,  was  hiermit  übereinkommt:  wenn 
nicht  ist,   so  ist  B  nicht.    Ist  z.  B.  als  gültig  anerkannt  dsis  Urthei 
worin  das  Wesen  eines  Gegenstandes  liegt,   da  ist  in  seinem  Steige 
und  Fallen  das  Maass  der  Vollkommenheit  desselben,    so    folgt  durc 
Contrapoeition  mit  gleicherAllgemeingültigkeit  das  Urtheil:  was  in  seine] 
Steigen  und  Fallen  nicht  das  Maass  der  Vollkommenheit  eines  Gegei 
Standes  ist,  darin  liegt  auch  nicht  das  Wesen  desselben.    Aber  es  fol^ 
nicht:  alles,  was  (sondern  nur:  mindestens  einiges,  wa^  in  seinem  Steige 
und  Fallen  das  Maass  der  Vollkommenheit  eines  Gegenstandes  ist,  dari 
liegt  auch  das  Wesen   desselben;    ebensowenig   folgt  der  mit   diesei 
letzteren  gleichbedeutende  Satz:   worin  nicht  das  Wesen  eines  Gegei 
Standes  liegt,  da  ist  in  seinem  Steigen  und  Fallen  nicht  das  Maass  de 
Vollkommenheit  desselben.    (Auch  gewisse  äussere  Merkmale  können  j 
wohl  in  genauer  Proportion  mit  dem  Wesen  steigen  und  fallen.)    Is 
der  Satz  wahr:  alles  Gute  ist  schön,  so  folgt:  was  nicht  schön  ist,  is 
auch  nicht  gut     Aber  es  folgt  nicht:  alles  Schöne  ist  gut,  noch  auch 
was   nicht  gut   ist,   ist  nicht  schön.    Gleichbedeutend  sind  die  Sätze 
wo  nicht  ein  vielumfassendes  Gredächtniss  ist,    da  ist  auch  nicht   eii 
vielumfassender  Verstand,  und :  wo  ein  umfassender  Verstand  ist,  da  is ; 
auch  ein  umfassendes  Gedächtniss.    Aber  wesentlich  hiervon  verschieden , 
dagegen  unter  sich  gleichbedeutend,  sind  die  Sätze:   wo  nicht  ein  um- 
fassender Verstand  ist,  da  ist  auch  nicht  ein  umfassendes  Gedächtniss, 
nnd:  wo  ein  umfassendes  Gedächtniss  ist,  da  ist  auch  ein  umfassende]' 
Verstand.    Jene  beiden  ersten  Sätze  sind  wahr,   diese  beiden   letzten 
falsch.     So  sind  auch  gleichbedeutend  die  Sätze :  wer  einen  Staat  nicht; 
als  unabhängig  anerkennt,   der  erkennt  demselben  auch  nicht  das  Ge- 
sandtschaftsrecht zu,   und:    wer  einem  Staate  das  Gesandtschaftsrecht 
zuerkennt,  der  erkennt  denselben  auch  als  unabhängig  an.    Der  Wahr- 
heit dieser  Sätze  unbeschadet  können  die  beiden  folgenden  falsch  sein, 
die  wieder  mit  einander  gleichbedeutend  sind:  wer  einen  Staat  als  un- 
abhängig anerkennt,  der  erkennt  demselben  auch  das  Gesandtschaftsrecht 
zn,  und:  wer  einem  Staate  das  Gesandtschaftsrecht  nicht  zuerkennt,  der 
erkennt  denselben  auch  nicht  als  unabhängig  an.  (England  erkannte  im 


800      §  91.  Die  Contraposition  des  allgemein  vern.  kategor.  ürtheils. 

Jahre  1798  die  französische  Republik  zwar  als  unabhängig  an,  gestand 
derselben  aber  dennoch  das  Gesandtschaftsrecht  nicht  zu.)  In  gleicher 
Weise  lässt  der  Satz:  Jedesmal,  wenn  die  Lust  ihren  höchsten  Gipfel 
erreicht  hat,  ist  aller  Schmerz  ausgetilgt,  die  reine  Contraposition  zu, 
die  Conversion  aber  nur  mit  Quantitätsänderung.  Di^egen  lässt  ein 
Satz,  der  eine  Definition  ist  oder  doch  mit  der  Definition  darin  über- 
einkommt, dass  die  Sphären  des  Subjects-  und  des  Prädicatsbegriffs 
einander  decken,  sowohl  die  reine  Conversion,  wie  die  reine  Contra- 
position zu,  z.  B. :  Jede  Verleumdung  ist  lügnerische  Behauptung  falscher 
und  zugleich  ehrenrührige]>That8achen;  jede  solche  Behauptung  ist  Ver- 
leumdung, und:  was  nicht  eine  solche  Behauptung  von  solchen  That- 
sachen  ist  (also  z.  B.  ein  falsches  und  ehrverletzendes  Räsonnement  über 
wahre  Thatsachen)  fällt  nicht  unter  den  Begriff  der  Verleumdung. 

§  91.  Dnrch  Gontraposition  folgt  2.  aus  dem  allgemein 
yerneinenden  kategorischen  Urtheil  (von  der  Form 
e):  kein  S  ist  P, 

das  particular  bejahende  Urtheil  (von  der  Form  i): 
mindestens  einige  Nicht-P  sind  S  (mindestens  einiges,  was 
nieht  P  ist,  ist  S); 

und  ebenso  ans  dem  allgemein  verneinenden  hypothe- 
tischen Urtheil:  niemals,  wenn  A  ist,  ist  B, 

das  particular  affirmirende:  (mindestens)  in  einigen  Fäl- 
len, wenn  B  nicht  ist,  ist  A. 

Denn  da  die  allgemeine  Negation  sowohl  bei  dem  kate- 
gorischen, als  bei  dem  hypothetischen  Urtheil  eine 
völlige  Getrenntheit  der  Sphären  voraussetzt,  so  muss  S  und 
A  sich  ausserhalb  der  Sphäre  von  P  und  von  B  finden,  d.  h. 
S  zu  demjenigen  gehören,  was  nicht  P  ist,  und  A  in  solchen 
Fällen  statthaben,  wo  nicht  B  ist.  Also  einiges  Nicht-P  ist 
S,  und  in  einigen  Fällen,  wo  B  nicht  ist,  ist  A.  Die  Mög- 
lichkeit, dass  alles  Nicht-P  S  sei,  oder  dass  immer,  wenn 
B  nicht  ist,  A  sei,  ist  nicht  ausgeschlossen ;  doch  findet  dieser 
Fall  nur  dann  statt,  wenn  S  und  P  oder  A  und  B  zusammen- 
genommen den  gesammten  Umfang  alles  Seienden  erftillen. 

Beispiele.  Nichts  Gutes  ist  unschön;  einiges  Nicht-Unschone 
ist  gut.  Nichts  Unschönes  ist  gut;  einiges  Nicht-Gute  ist  unschön. 
Kein  beseeltes  Wesen  ist  leblos;  einiges  Nicht-Leblose  ist  beseelt.  Kein 
beseeltes  Wesen  ist  unbeseelt;  (mindestens)  einiges  Nicht-Unbeseelte  ist 
beseelt.  Das  Göttliche  ist  nicht  endlich ;  (mindestens)  einiges,  was  nicht 
endlich  ist,  ist  göttlich.  Das  Endliche  ist  nicht  göttlich;  (mindestens) 
einiges,  was  nicht  göttlich  ist,  ist  endlich. 


§  92.   Die  Gontraposition  des  particular  vern.  kategor.  Urtheils.     801 

§  92.  Durch  Gontraposition  folgt  3.  aus  dem  particu- 
lar verneinenden  kategorischen  Urtheil  (von  der 
Form  o):  (mindestens)  einige  S  sind  nicht  P, 

das  particular  bejahende  Urtheil  (von  der  Form  i) :  min- 
destens) einige  Nicht-P  sind  S  (mindestens  einiges,  was  nicht 
P  ist,  ist  S); 

und  ebenso  aus  dem  particular  verneinenden  hypothe- 
tischen Urtheil:  (mindestens)  zuweilen,  wenn  A  ist,  ist  B 
nicht, 

das  particular  affirmirende :  (mindestens)  in  einigen  Fäl- 
len,  wenn  B  nicht  ist,  ist  A. 

Denn  die  particulare  Verneinung  setzt  voraus,  dass  (min- 
destens) ein  Theil  der  Sphäre  von  S  oder  von  A  ausserhalb 
der  Sphäre  von  P  oder  von  B  liege,  ohne  über  den  übrigen 
Theil  irgend  etwas  zu  bestimmen.  Also  muss  einiges  von  dem, 
was  ausserhalb  der  Sphäre  von  P  oder  von  B  liegt,  S  oder 
A  sein,  d.  h.  einige  Nicht-P  sind  S;  zuweilen,  wenn  B  nicht 
ist,  ist  A.  Der  Fall,  dass  alle  Nicht-P  S  sind,  sowie,  dass 
immer,  wenn  B  nicht  ist,  A  ist,  kann  nicht  nur  dann  vor- 
kommen, wenn  (was  nach  dem  gegebenen  Urtheil  möglich 
bleibt)  kein  S  P,  und  niemals,  wenn  A  ist,  B  ist  (s.  §  91), 
sondern  auch  dann,  wenn  nur  einige  S  nicht  P  sind,  und 
nur  einigemal,  wenn  A  ist,  B  nicht  ist.  Dies  Letztere  wird 
insbesotidere  dann  geschehen,  wenn  S  oder  A  auf  die  Gesammt- 
heit  alles  Seienden  gehen,  aber  P  oder  B  nur  auf  einen  Theil 
desselben.  Welcher  der  verschiedenen  möglichen  Fälle  aber 
auch  statthaben  mag,  jedenfalls  ist  der  Satz  wahr:  mindestens 
einige  Nicht-P  sind  S,  und:  mindestens  in  einigen  Fällen, 
wenn  B  nicht  ist,  ist  A. 

Beispiele.  Einige  Parallelogramme  sind  nicht  regelmässige  Fi- 
guren; einiges,  was  nichteine  regelmässige  Figur  ist,  ist  ein  Parallelo- 
gramm. Einige  Parallelogramme  sind  nicht  Quadrate ;  einige  Nicht-Qua- 
drate sind  Parallelogramme.  (Mindestens)  einige  Parallelogramme  sind 
nicht  Trapezoide;  einiges,  was  nicht  ein  Trapezoid  ist,  ist  ein  Paralle- 
logramm. Einiges  Lebende  ist  nicht  beseelt;  einiges  Nicht-Beseelte  ist 
lebend.  Einige  reale  Wesen  sind  nicht  beseelt;  (mindestens)  einiges 
was  nicht  beseelt  ist,  ist  ein  reales  Wesen. 

§  93.  Durch  Contraposition  lässt  sich  aus  dem  parti- 
cular bejahenden   Urtheil   überhaupt   keine   Folgerung 


I 

1 


S02    §  93.    Unmöglicbkeit  der  Contraposition  des  partic.  bej.  Urtheils. 

ziehen.  Das  particnlar  bejahende  kategorische  ürtheil  hat 
im  Allgemeinen  zwei  Formen  (i,  1  und  i,  2),  die  der  Voraus- 
setzung entsprechen:  nur  einige  S  sind  P,  und  zwei  For- 
men (i,  3  und  1,  4),  die  der  anderen  ebenso  möglichen  Vor- 
aussetzung entsprechen:  jedenfalls  einige,  in  der  That  aber 
auch  die  übrigen  S  sind  P.  Wären  die  beiden  ersten  Formen 
die  einzigen,  so  wtlrde  sich  (nach  §  92)  folgern  lassen :  einige 
Nicht-P  sind  S;  diese  Folgerung  hat  aber  keine  allgemeine 
Gültigkeit,  weil  sie  auf  die  beiden  letzten  Formeii  (nach  §  90) 
nicht  passt.  Die  Folgerung  aber :  (mindestens)  einige  Nicht-P 
sind  nicht  S,  worin  die  eigentliche  Contraposition  liegen  würde, 
würde  zwar  unter  Voraussetzung  der  beiden  letzten  Formen, 
wo  sogar  (nach  §  90)  alle  Nicht-P  auch  nicht  S  sind,  wahr 
sein ;  dieselbe  würde  auch  in  jeder  der  beiden  ersten  Formen 
häufig  und  sogar  in  der  grossen  Mehrzahl  der  Beispiele  zu- 
treffen; aber  es  kann  auch  in  jeder  der  beiden  ersten  Formen 
Fälle  geben,  wo  sie  falsch  ist.  Denn  was  die  Form  i,  2  be- 
trifft, die  durch  die  Figur  repräsentirt  wird: 


so  wird  es  zwar  in  der  Regel  ausser  den  Nicht-P,  die  S  sind, 
auch  solche  Nicht-P  geben,  die  nicht  S  sind;  aber  es  kann 
auch  der  Fall  eintreten,  dass  S  die  Gesammtheit  alles  Seien- 
den nmfasst,  und  dann  werden  alle  Nicht-P  S  sein;  es  wird 
nicht  mehr  einige  Nicht-P  geben,  die  nicht  S  sind,  so  dass 
jene  Folgerung  sich  als  ungültig  erweist.  Auch  bei  der  Form 
i,  1,  deren  schematische  Darstellung  in  der  Figur  liegt: 


eiw 


wird  es  gewöhnlich  ausser  den  Nicht-P,  die  S  sind,  auch 
einige  Nicht-P  geben,  die  nicht  S  sind;  doch  kann  auch  hier 
der  entgegengesetzte  Fall  eintreten.     Die  Form  i,  1  (deren 


§  98.  Unmöglichkeit  der  Oontraposition  des  partio.  bej.  Urtheils.    808 

Charakter  im  Unterschiede  von  i^  3  und  i,  4  dieser  ist,  dass 
einige  S  P  sind,  andere  aber  nicht,  und  im  Unterschiede  von 
i,  2  dieser,  dass  einige  P  nicht  S  sind)  wird  nämlich  auch 
dann  noch  bestehen,  wenn  der  durch  folgende  Figur  reprä- 
sentirte  Fall  eintritt: 


wo  sich  P  von  dem  Mittelpunkte  bis  zur  Peripherie  des  zweiten 
Kreises,  S  von  der  Peripherie  des  ersten  bis  zur  Peripherie 
des  dritten  erstreckt  (Ebenso  auch  dann,  wenn  in  dieser 
Figur  S  und  P  ihre  Stellen  tauschen.)  Ist  nun  hier  die 
Sphäre  von  S  eine  begrenzte,  so  wird  es  immer  noch  jenseit 
derselben  manche  Nicbt^P  geben,  die  auch  nicht  S  sind; 
ist  aber  diese  Sphäre  nach  aussen  hin  unbegrenzt,  d.  h.  um- 
fasst  S  alles  Seiende  mit  Ausnahme  desjenigen  Theiles  von  P, 
der  durch  den  kleinsten  jener  Kreise  bezeichnet  wird,  so  giebt 
es  nicht  mehr  einige  Nicht-P,  die  nicht  S  wären,  sondern  alle 
Nicht-P  sind  dann  S.  Dieses  Verhältniss  wird  namentlich 
dann  nicht  selten  stattfinden,  wenn  S  ein  negativ  bezeichneter 
Begriff  ist  (S  =  Nicht-I,  wo  I  die  innerste  Sphäre  bezeichnet); 
doch  kann  es  auch  bei  positiv  bezeichnetem  S  eintreten.  Und 
so  würde  wieder  die  Folgerung  falsch  sein:  einige  Nicht-P 
sind  nicht  S.  (Das  Gleiche  gilt,  wenn  in  der  obigen  Figur  S 
und  P  ihre  Stellen  tauschen,  sofern  dann  die  Sphäre  von  P 
nach  aussen  hin  unbegrenzt  sein  kann.) 

Es  kann  also,  wenn  das  Urtheil  wahr  ist :  einige  S  sind 
P,  Fälle  geben,  wo  (mindestens)  einige  Nicht-P  S  sind,  aber 
auch  Fälle,  wo  kein  Nicht-P  S  ist;  Fälle,  wo  (mindestens) 
einige  Nicht-P  nicht  S  sind,  aber  auch  Fälle,  wo  alle  Nicht-P 
S  sind.  Folglich  lässt  sich,  wenn  nur  jenes  Eine  Urtheil  ge- 
geben ist,  im  Allgemeinen  gar  nichts  über  das  Verhältniss 
der  Nicht-P  zu  S  in  einem  Urtheil,  dessen  Subject  Nicht-P 
wäre,  festsetzen. 

Ebensowenig  lässt  das  entsprechende  hypothetische 


804    §  93.  Unmöglichkeit  der  Contraposition  des  partio.  bej.  UrtheiU. 

Urtbeil,  da  bei  diesem  alle  Sphärenverhältnisse  die  gleichen 
sind,  im  Allgemeinen  irgend  welche  Umkehrung  za. 

Es  wird  genügen,  .Beispiele  zu  den  beiden  Fallen  zu  geben, 
wo  alle  Nicht-P  S  sind,  nnd  wo  daher  das  Urtheil,  welches  der  allge- 
meinen Form  der  Contraposition  entsprechen  würde:  einige  Nicht-P 
sind  nicht  S,  sich  als  falsch  erweist.  1.  Einiges  Reale  ist  materiell 
(seelenlos);  daraus  aber  folgt  nicht:  einiges  Nicht-Materielle  (Psychi- 
sche) ist  nicht  real,  da  vielmehr  alles  Nicht-Materielle  (Psychische)  real 
ist.  2.  Einige  lebenden  Wesen  sind  seelenlos;  daraus  aber  folgt  nicht: 
einiges  Nicht-Seelenlose  (Beseelte)  ist  nicht  lebendes  Wesen,  da  ja  viel- 
mehr alles  Beseelte  auch  lebendig  ist.  Das  erste  dieser  beiden  Beispiele 
entspricht  der  Form  1,  2,  wo  aber  die  Sphäre  von  S  sich  ins  Unend- 
liche erweitert.  Das  zweite  entspricht  jenem  Falle  von  i,  1,  der  oben 
mittelst  der  drei  concentrischen  Kreise  veranschaulicht  worden  ist;  die 
innerste  Sphäre  (I)  wird  in  diesem  Beispiel  durch  die  unorganischen 
oder  elementaren  Wesen  gebildet;  der  erste  umschliessende  Ring(Ai) 
umfasst  die  Pflanzen,  und  der  äussere  Ring  (A,)  die  beseelten  Wesen ; 
P  =  1  +  Aj  =  unbeseelte  Wesen;  S  =  Nicht-I  ^  Aj  +  A,  =  le- 
bende Wesen. 

Der  Beweis  für  die  Unstatthaftigkeit  der  Contraposition  des 
particular  bejahenden  Urtheils  wird  gewöhnlich  auf  eine  andere  Weise 
geführt.  Man  reducirt  das  Urtheil:  einige  S  sind  P,  auf  das  par- 
ticular verneinende,  womit  es  gleichgeltend  ist:  einige  S  sind  nicht 
Nicht-P;  da  sich  nun  dieses  (nach  den  Gesetzen  der  Conversion)  nicht 
convertiren  lasse,  so  lasse  sich  auch  jenes  nicht  oontraponiren  (s.  z.  B. 
Drobisch,  Log.  2.  A.  §77.  S.  86).  Diese  Beweisführung  ist  aber  nur 
dann  nicht  oberflächlich,  wenn  dargethan  wird,  dass  der  Beweis  der 
Nichtumkehrbarkeit  des  besonders  verneinenden  Urtheils,  der  für  den 
Fall  geführt  zu  werden  pflegt,  wo  P  ein  positiver  Begriff  ist,  auch  für 
ein  negatives  Pr&dicat,  Non-P,  gelte.  Wird  dies  nicht  eigens  dargethan, 
so  darf  jener  Beweis  auf  den  Fall  eines  negativen  PrädicatsbegrifiTs 
ebensowenig  ohne  Weiteres  übertragen  werden,  wie  in  der  Mathematik 
z.  B.  ein  Beweis,  der  nur  in  Bezug  auf  positive  ganze  Exponenten  ge- 
führt worden  ist,  auch  in  Bezug  auf  negative  und  gebrochene  Expo- 
nenten eine  unmittelbare  Gültigkeit  hat.  Jene  Uebertragung  darf  um 
so  weniger  ohne  genauere  Prüfung  stattfinden,  da  die  ganze  Kraft  des 
Beweises,  dass  aus  S  o  P  nicht  P  o  S  gefolgert  werden  darf,  auf  der 
Möglichkeit  beruht,  dass  bei  S  o  P  die  Sphäre  der  S  die  der  P  ganz 
umschliesse,  also  alle  P  S  seien;  so  natürlich  aber  dieses  Yerhältniss 
bei  einem  positiven  Prädicate  ist,  so  wenig  leuchtet  unmittelbar  die 
Möglichkeit  desselben  ein,  wenn  das  Prädicat  ein  negativer  Begriff, 
mithin  von  unbegrenzter  Ausdehnung  ist;  hier  fordert  vielmehr  der 
Zweifel  Berücksichtigung,  ob  diese  unbegrenzte  Sphäre  immer  noch 
durch  die  Sphäre  von  S,  die,  sofern  S  ein  positiver  Begriff  ist,  eine 
begrenzte  zu  sein  scheint,  ganz  umschlossen  werden  könne;  kann  sie 
dies  etwa  nicht,  so  verliert  jener  Beweis  für  diesen  Fall  seine  Gültige 


§  94.    Die  Umwandlung  der  Helation.  d05 

keit  und  damit  zugleich  auch  der  durch  die  Rcduotion  geführte  Beweis 
für  die  Unstatthaftigkeit  dier  Contraposition  von  S  iP.  Twesten 
sagt  (Log.  S.  79):  »besonders  bejahende  Urtheile  lassen  sich  gar  nicht 
Gontraponiren;  wenn  einige  a  b  sind,  so  bleibt  es  unentschieden,  ob  a 
zum  Theil  oder  gar  nicht  auch  ausser  der  Sphäre  von  h,  also  in  die 
Sphäre  von  Nicht-b  fällte  Dies  aber  ist  kein  Beweis,  sondern  höchstens 
nur  die  Einleitung  zu  einem  solchen.  Denn  aus  dem  Angegebenen 
folgt  zwar  unmittelbar,  dass  es  ungewiss  ist,  ob  einige  a  Nicht-b,  und 
also  auch,  ob  einige  Nicht-b  a  seien;  aber  es  folgt  nicht  eben  so  un- 
mittelbar, dass  es  auch  ungewiss  sei,  ob  einige  Nicht-b  nicht  a  seien, 
und  doch  war  gerade  dieses  zu  zeigen,  dass  die  Folgerung:  (mindestens) 
einige  Nicht-b  sind  nicht  a,  unstatthaft  sei.  .  Es  hätte  gesagt  werden 
müssen:  wenn  einige  a  b  sind,  so  bleibt  es  unentschieden,  ob  Nicht-b 
ganz  oder  zum  Theil  oder  gar  nicht  ausser  der  Sphäre  von  a  (oder  in 
der  Sphäre  von  Nicht-a)  liegt. 

§  94.  Wurde  bei  der  Conversion  und  Contraposition 
nur  die  Stellung  der  einzelnen  Glieder  des  Urtheils  bei  un- 
Yerändert  bleibender  Eelation  desselben  eine  andere,  so  kann 
doch  auch  die  Relation  selbst  umgewandelt  werden. 
Dies  geschieht  namentlich,  wenn  (was  immer  mOglich  ist)  aus 
dem  einfach  kategorischen  Urtheil  ein  hypothetisches  oder 
au3  dem  disjunctiv  kategorischen  mehrere  hypothetische  Ur- 
theile oder  wenn  umgekehrt  aus  diesen  jenes  gebildet  wird. 
Die  Möglichkeit  dieser  Umformung  beruht  darauf,  dass  das 
Inhärenzyerhältniss  immer  eine  gewisse  Dependenz  des  Prädi- 
cates  vom  Subjecte  in  sich  schliesst,  welche  letztere  in  der 
Betrachtung  für  sich  herausgehoben  und  in  einem  hypotheti- 
schen Urtheil  ausgesprochen  werden  kann,  ferner  darauf,  dass 
das  disjunctive  Urtheil  der  zusammenfassende  Ausdruck  meh- 
rerer hypothetischen  Urtheile  ist  und  daher  ebensowohl  in  die 
letzteren  au%elöst  werden  kann,  wie  sich  andererseits  die  zu- 
sammengehörigen hypothetischen  Ui-theile  dieser  Art  auf  ein 
disjunctives  Urtheil  reduciren  lassen. 

So  kann  aus  dem  urtheil:  A  ist  B,  das  Urtheil  abgeleitet  wer- 
den: wenn  A  ist,  so  istB;  aber  nicht  immer,  wenn  dieses  hypothetische 
Urtheil  gilt,  gilt  jenes  kategorische,  selbst  nicht  unter  der  Yorans- 
Setzung  der  Existenz  des  A,  sondern  nur,  falls  zugleich  B  zu  A  in 
einem  Inhärenzverhältniss  steht.  Aus  dem  Urtheil:  jedes  A,  welches 
B  ist,  ist  G,  folgt  das  Urtheil:  wenn  A  B  ist,  so  ist  es  auch  C,  und 
dieses  kann  wieder,  die  Existenz  solcher  A,  welche  B  sind,  vorausge- 
setzt, auf  jenes  zurückgeführt  werden.  Das  Urtheil:  A  ist  entweder 
B  oder  C,  lässt  sich  in  die  zosammöngehörigen  hypothetischen  Urtheile 

20 


d06  §  95.    Die  Sut>aiterxiation. 

zerlegen :  wenn  A  B  ist,  so  ist  es  nicht  0,  und  wenn  A  C  ist,  so  ist  es 
nicht  B;  wenn  A  nicht  B  ist,  so  ist  es  C,  und  wenn  A  nicht  C  ist,  so 
ist  es  B;  und  diese  lassen  sich  wiederum  auf  jenes  reduciren. 

Die  Möglichkeit  einer  Umwandlung  der  Relation  beweist  nicht 
(wie  mehrere  neuere  Logiker,  namentlich  Her  hart,  Einl.  §  58  Anm. 
und  §  60  Anm.,  womit  jedoch  Dro bisch,  Log.  2.  A.  S.  54  zu  verglei- 
chen ist;  ferner  Beneke,-  Log.  I,  S.  163  ff.  und  Dressler,  Denklehre, 
S.  199  ff.  glauben),  dass  die  Verschiedenheit  der  Relation  nur  eine 
sprachliche,  aber  keine  logische  und  metaphysische  Bedeutung  habe. 
Wäre  diese  Ansicht  richtig,  so  müsste  sich  im  Denken  die  Umformung 
ohne  Aenderung  der  materialen  Bestandtheile  des  Urtheils  in  jeder 
Richtung  gleichmässig  vollziehen  lassen,  und  es  müsste  also  insbesondere 
ebensowohl  jedes  hypothetische  Urtheil  in  ein  kategorisches,  wie  jedes 
kategorische  in  ein  hypothetisches  verwandelt  werden  können.  Dies 
aber  ist  nicht  der  Fall.  Die  Umwandlung  des  hypothetischen  Urtheils 
in  ein  kategorisches  ist  nur  insoweit  statthaft,  als  mit  dem  Dependenz- 
verhältniss  ein  Inhärenzverhältniss  verbunden  und  zugleich  die  Existenz 
des  Subjectes  gesichert  ist,  also  zwar  in  den  oben  angeführten  Fällen, 
aber  nicht,  falls  das  hypothetische  Urtheil  lautet:  wenn  A  B  ist,  so  ist 
CD.  Denn  das  Bsein  des  A  steht  zu  dem  Dsein  des  G  nicht  in  dem 
gleichen  Yerhältniss,  wie  das  A  zu  B  oder  das  C  zu  D;  jenes  ist  nicht 
dieses,  kann  nicht  als  eine  Art  von  diesem  gelten,  während  doch  das 
A  ein  B  ist  und  als  eine  Art  vonB  betrachtet  werden  kann.  Hier  ist 
nicht  nur  eine  sprachliche,  sondern  auch  eine  logisch-metaphysische 
Differenz,  die  in  der  Sprache,  dem  schmiegsamen  Kleide  oder  vielmehr 
dem  organischen  Leibe  des  Gedankens,  sich  zwar  auch  kund  giebt» 
aber  doch  dem  Gedanken  als  ursprüngliches  Eigenthum  angehört. 
Zwischen  den  Gliedern  des  hypothetischen  Urtheils  besteht  eben  ein 
anderes  Grundverhältniss,  als  zwischen  denen  des  kategorischen;  beide 
sind  zwar  in  wesentlichen  Beziehungen  verwandt  und  oft  mit  einander 
verbunden  (vgl.  Trendelenburg,  log.  Unt.  1.  A.  I,  S.  291,  2.  A.  I, 
S.  343,  3.  A.  I,  S.  351:  »Das  angehaltene  Product  der  Causalitöt  ist 
die  Substanzt;  vgl.  1.  A.  I,  S.  304  ff.;  H,  S.  178  ff.;  2.  A.I,  S.  355  ff.; 
II,  S.  246  ff.,  3.  A.  I,  S.  363  ff.;  II,  S.  270  ff.),  dürfen  aber  keineswegs 
für  identisch  gehalten  werden.     Vgl.  oben  §  68  und  §  86. 

§  95.  Die  Snbalternation  (subalternatio)  ist  der 
Uebergang  von  der  ganzen  Sphäre  des  Subjectsbegriffs  auf 
einen  Theil  derselben,  wie  auch  umgekehrt  von  einem  Theile 
auf  das  Ganze.    Durch  Subaltemation  folgt: 

1.  ans  der  Wahrheit  des  allgemeinen  kategori* 
sehen  Urtheils  (S  a  P  oder  S  e  P)  die  Wahrheit  des  ent- 
sprechenden particularen  (S  i  P  oder  S  o  P),  aber  nicht  um- 
gekehrt aus  dieser  jene; 

2.  aus  der  Unwahrheit  des  particularen  die  Un- 


§  96.   Die  (qualitative)  AequipoUen^.  fM 

Wahrheit  des  allgemeinen  Urtheils,  aber  wieder  nicht  um- 
gekehrt aas  dieser  jene. 

Der  Beweis  fbr  die  Bichtigkeit  der  ersten  Folgerung 
liegt  darin,  dass  das  subaltemirte  Urtheil  nur  einen  Theil  der 
in  dem  subaltemirenden  liegenden  Behauptung  wiederholt, 
also  solches  als  wahr  setzt,  was  bereits  als  wahr  anerkannt 
ist  Die  zweite  Folgerung  aber  gründet  sich  darauf,  dass,  wenn 
das  allgemeine  Urtheil  wahr  wäre,  dann  auch  das  particulare 
(nach  1.)  wahr  sein  würde,  gegen  die  Voraussetzung.  Die 
umgekehrten  Folgerungen  dagegen  sind  nicht  allgemeingültig, 
weil  die  Wahrheit  des  particularen  Urtheils  mit  der  Un* 
Wahrheit  des  allgemeinen  dadurch  zusammenbestehen  kann, 
dass  einige  S  P  sind  und  andere  nicht. 

Von  den  hypothetischen  Urtheilen  (immer,  wenn  A 
ist,  ist  B  —  mindestens  in  einigen  Fällen,  wenn  A  ist,  ist 
auch  B)  gelten  die  gleichen  Gesetze. 

Die  Folgerung  vom  Allgemeinen  auf  das  Besondere  wird 
consequentia  oder  conclusio  ad  subalternatam  propositio- 
nem,  und  die  vom  Besonderen  auf  das  Allgemeine  conclusio 
ad  subalternantem  propositionem  genannt 

Die  älteren  Logiker  pflegen  das  Gesetz  der  Folgerung  ad  sub- 
alternatam propositionem  in  dem  »dictum  de  omni  et  nullx)c  fol- 
gendermaassen  auszudrücken:  »quidquid  de  omnibus  yalet,  yalet  etiam 
de  quibusdum  et  singulis;  quidquid  de  nullo  valet,  nee  de  quibusdam 
vel  singulis  valetc. 

§  96.  Unter  der  (qualitativen)  Aequipollenz  (aequi- 
poUentia)  pflegt  die  neuere  Logik  die  Uebereinstimmung  des 
Sinnes  zweier  Urtheile  bei  verschiedener  Qualität  zu  verstehen. 
Diese  Uebereinstimmung  wird  dadurch  möglich,  dass  zugleich 
die  Prädicatsbegriffe  zu  einander  im  Verhältniss  des  contra^ 
dietorisehen  Gegensatzes  stehen.  Die  Folgerung  per  aequi- 
poUentiam  gebt  von  dem  Urtheil :  alle  S  sind  P,  auf  das  Ur- 
theil: kein  S  ist  einNicht-P  und  von  diesem  auf  jenes;  von 
dem  Urtheil:  kein  S  ist  P,  auf  das  Urtheil:  jedes  S  ist  ein 
Nieht-P,  und  wiederum  von  diesem  auf  jenes;  von  dem  Urtheil: 
einige  S  sind  P,  auf  das  Urtheil :  einige  S  sind  nicht  Nicht-P, 
und  von  diesem  auf  jenes,  endlich  von  dem  Urtheil :  einige  S 
sind  nicht  P,  auf  das  Urtheil:  einige  S  sindNicht-P,  und  von 


fiÖd  §  97.   t)ie  Öppositioü. 

diesem  auf  jenes.  Der  Beweis  fllr  die  Richtigkeit  dieser 
Folgerungen  liegt  in  dem  Verhältniss  der  Sphären,  wonach 
jedes  S,  welches  nicht  in  die  Sphäre  von  P  fällt,  ausserhalb 
derselben,  also  in  der  Sphäre  yon  Nicht-P,  liegen  moss,  und 
jedes,  welches  in  diese  fällt,  nicht  in  der  Sphäre  von  P  liegen 
kann. 

Jede  Sünde  streitet  wider  das  Gewissen;  es  giebt  keine  Sünde, 
die  nicht  wider  das  Gewissen  stritte.  Nichts  Sündhaftes  harmonirt  mit 
dem  sittlichen  Bewusstsein;  jegliches,  was  sündhaft  ist,  steht  in  Dis- 
harmonie mit  dem  sittlichen  Bewusstsein. 

Die  älteren  Logiker  (s.  o.  zu  §  82,  S.  276)  verstehen  unter  den 
taoSvvnfAovaut  TfQonxaeis  oder  iudicia  aequipollentia  sive  convenientia 
jede  Art  gleichgeltender  Urtheile,  d.  h.  solcher,  welche  bei  materialer 
Identität  um  ihrer  Form  willen  nothwendig  zusammen  wahr  oder  falsch 
sind.  (In  gleichem  Sinne  findet  sich  schon  bei  Aristoteles  de  interpr. 
c.  13.  22  a.  16  der  Ausdruck  avnajQiipHv.)  —  Kant  (Log.  §47.  Anm.) 
und  mit  ihm  einige  neuere  Logiker  wollen  die  Schlüsse  der  Aequipol- 
lenz  gar  nicht  als  eigentliche  Schlüsse  gelten  lassen,  weil  hier  keine 
Folge  stattfinde,  sondern  die  Urtheile  selbst  auch  der  Form  nach  un- 
verändert bleiben;  dieselben  seien  nur  als  Substitutionen  der  Worte 
anzusehen,  die  einen  und  denselben  Begriff  bezeichnen.  Da  aber  bei  der 
Aequipollenz  die  Qualität  des  Urtheils  in  die  entgegengesetzte  über- 
geht, so  betrifft  die  Veränderung,  die  hiisr  stattfindet,  so  leicht  sie  ist, 
doch  offenbar  die  Form  des  Urtheils  selbst  und  nicht  bloss  den  sprach- 
lichen Ausdruck. 

§  97.  Die  Opposition  (oppositio)  ist  der  Gegensatz, 
der  zwischen  zwei  Urtheilen  von  verschiedener  Qualität  und 
verschiedenem  Sinne  bei  gleichem  Inhalt  besteht.  Vermöge 
der  Opposition  folgt  (vgl.  §§  71  und  72): 

1.  aus  der  Wahrheit  eines  Urtheils  die  Unwahrheit 
seines  contradictorischenGegentheils,  da  nach  dem  Satze 
des  Widerspruchs  (§  77)  contradictorisch  entgegengesetzte 
Urtheile  nicht  beide  wahr  sein  können; 

2.  ans  der  Unwahrheit  eines  Urtheils  die  Wahrheit 
seines  co ntradictori sehen  Gegentheils,  da  nach  dem  Satze 
des  ausgeschlossenen  Dritten  (§  78)  contradictorisch  entgegen- 
gesetzte Urtheile  nicht  beide  falsch  sein  können; 

3.  aus  der  Wahrheit  eines  Urtheils  die  Unwahrheit 
des  conträr  entgegengesetzten  (aber  nicht  umgekehrt  aus 
der  Unwahrheit  des  einen  die  Wahrheit  des  anderen),  nach 
dem  Satze,  dass  conträr  entgegengesetzte  Urtheile  nicht  beide 


§  97.  Dia  Opposition.  SO 

wahr  (wohl  aber  beide  falscli)  Bein  kSDnea,  weil  sonst  ancl 
die  coutradtctonsch  entgegengesetzten  Behauptungen,  die  (nacl 
§  95)  in  ihnen  mitenthalten  sind  und  durch  Subalternatioi 
gefolgert  werden  kBnnen,  beide  wahr  sein  mUssten,  was  dod 
der  Satz  des  Widersprnchs  (§77)  nicht  znlässt  (ihre  gemein 
same  Unwahrheit  aber  schliesst  weder  die  Wahrheit  noch  dii 
Unwahrheit  Bolcher  Behauptungen  in  sich  ein,  die  einande: 
contradictorisch  entgegengesetzt  sind); 

4.  ans  der  Unwahrheit  eines  Urtheila  die  Wahrheil 
des  snbcontrUren  (aber  nicht  umgekehrt  aus  der  Wahrheil 
des  einen  die  Unwahrheit  des  anderen),  nach  dem  Satze,  d&et 
snboonträre  Urtheile  nicht  beide  falsch  (wohl  aber  beide  wahi 
sein  können,  weil  sonst  (nach  2)  ihre  oontradietorischen  Ge- 
gentheile  beide  wahr  sein  mtlssten,  die  doch  zu  einander  im 
Verhältniss  des  conträren  Gegensatzes  stehen,  also  (nach  3^ 
Dicht  beide  wahr  sein  könneo. 

Nach  1.  folgt  dnroh  einen  SchluBS  »d  contradictoriam  pro- 
poaitionem: 

ans  der  Wahrheit  Ton  S  a  F  die  Unwahrheit  von  S  o  F, 
aus  der  Wahrheit  von  S  e  F  die  Unwahrheit  von  S  i  P, 
ans  der  Wahrheit  von  S  i  P  die  Unwahrheit  von  S  e  F, 
am  der  Wahrheit  von  S  o  P  die  Unwahrheit  von  S  a  F. 
Nach  2.  folgt  durch  einen  Sohluss  ad  ooutradiotoriam  pro- 
poBitionem: 

aoe  der  Unwahrheit  von  S  a  F  die  Wahrheit  von  S  o  P, 
ans  der  Unwahrheit  von  S  e  P  die  Wahrheit  von  3  i  P, 
»na  der  Unwahrheit  von  8  i  P  die  Wahrheit  von  S  e  P, 
ans  der  UDwahrheit  von  3  o  F  die  Wahrheit  von  8  a  F. 
Nach  S.  folgt  durch  einen  SobluBS  ad  oontrariam  proposi- 
tionem: 

ant  der  Wahrheit  von  S  a  P  die  Unwahrheit  von  S  e  P, 
&TU  der  Wahrheit  von  S  e  F  die  Unwahrheit  von  S  a  F. 
Nach  4.  folgt  durch   einen   Sohlius    ad  suboontrariam  pro- 


310  §  98.  Die  modale  Gonsequenz. 

unter  auch  in  der  Anwendung  nicht  unwichtig  ist,  derartigen  Verhalt- 
nissen  eigens  die  Aufmerksamkeit  zuzuwenden.  Die  Wahrheit  der  Be^ 
jahung  ist  gleichbedeutend  mit  der  Unwahrheit  der  Verneinung,  und 
die  Wahrheit  der  Verneinung  ist  gleichbedeutend  mit  der  Unwahrheit 
der  Bejahung;  die  Bejahung  richtet  sich  gegen  Nichtwissen  oder  Nicht- 
beachtung oder  Verneinung,  und  die  Verneinung  ist  (nach  §  69,  S.  209) 
nur  da  angemessen,  wo  sich  mindestens  irgend  ein  Motiv  zur  Bejahung 
denken  lässt,  zumeist  aber  da,  wo  von  Anderen  wirklich  bejaht  worden 
ist.  Demgemäss  ist  bei  der  Interpretation  einer  Bejahung  auf  den  Sinn 
der  Verneinung,  bei  der  einer  Verneinung  auf  den  Inhalt  und  die 
Form  der  zugehörigen  Bejahung  zu  achten.  Hiernach  möchte  sich,  wenn 
Hör.  Epod.  V,  87  Heinrich  Düntzer's  Conjectur  (Philol.  XXVII,  S.  184) 
venena  magna  angenommen  wird,  eine  von  der  Däntzer'schen  ab- 
weichende Erklärung  ergeben.  Düntzer  übersetzt:  »Starke  Zaubermittel 
können  Frevel  verüben;  nicht  können  sie  einen  menschlichen  Zustand 
ändern  c.  Aber  der  erste  Theil  dieses  Satzes  (vorausgesetzt,  dass  Horas 
diesen  Gedanken  durch  diese  Worte  hätte  ausdrücken  können),  wäre  der 
Giftmischerin  gegenüber  matt.  Die  bei  naiurgemässer  Gonstruction  auf 
das  Ganze  des  Satzes  bezügliche  Verneinung  kehrt  sich  gegen  die  von 
den  Zauberinnen  vertretene  Bejahung.  Diese  hegen  die  Ueberzeugung, 
dass  ein  Umschwung  in  menschlichen  Verhältnissen  (convertere  huma- 
nam  vioem,  die  Verwandlung  von  Hass  oder  Gleichgültigkeit  in  Liebe  etc.), 
welcher  durch  leichtere  Zaubermittel  sich  nicht  erreichen  lasse,  durch 
stärkere  (venena  magna)  könne  herbeigeführt  werden,  und  für  stark 
halten  sie  (wie  auch  Düntzer  mit  Recht  bemerkt)  gerade  solche,  zu 
deren  Bereitung  Verbreche^  erforderlich  sind.  Sie  gestehen  aber  sich 
selbst  und  Anderen  nicht  ganz  unverhüllt  das  volle  blosse  nefas  ein; 
ein  Rest  von  Scheu  vor  dem  Bekenntniss  des  Frevels  bleibt  auch  da 
noch  zurück,  wo  die  Scheu  vor  dem  Frevel  selbst  geschwunden  ist,  und 
so  sagen  die  Verbrecherinnen  sich  selbst  und  Andern  nur,  dass  bei  den 
»starken«  Mitteln  die  scrupulöse  Unterscheidung  zwischen  fas  und  nefaa 
wegfalle,  dass  bei  diesen  Mitteln  fas  und  nefas  gleich  gelte.  Sie  nehmen 
an:  venena  magna  (ac?)  fas  nefasque  (d.  h.  venena  magna  per  fas  ne- 
fasque  acLhibita)  valent  convertere  humanam  vicem,  und  eben  diese  Be- 
hauptung neg^rt  der  bedrohte  Knabe.  Die  Wahrheit  der  von  ihm  aus- 
gesprochenen Negation  ist  gleichbedeutend  mit  der  Unwahrheit  dessen, 
was  die  Zauberinnen  affirmiren. 

§  98.  Die  modal eConsequenz  (eonsequentia  moda- 
lis)  ist  die  Umwandlung  der  Modalität.  Vermöge  der  modalen 
Consequenz  folgt  (vgl.  §  69): 

1.  aus  der  Gültigkeit  des  apodiktischen  Urtheils 
die  Ottltigkeit  des  assertorischen  und  des  problematischen,  und 
aus  der  Gtlltigkeit  des  assertorischen  die  des  proble- 
matischen Urtheils;  aber  nicht  umgekehrt  aus  der  Gültigkeit 
des  problematischen  die  des  assertorischen  und  apodiktischen, 


§  98.   Die  modale  Consequenz.  311 

und  nicht  aas  der  Gültigkeit  des  assertorischen  die  des  apo- 
diktischen Urtbeils; 

2.  aus  der  UnStatthaftigkeit  des  problematischen 
Urtheils  die  des  assertorischen  und  apodiktischen  und 
aus  der  Unstatthaftigkeit  des  assertorischen  die  des 
apodiktischen  Urtheils;  aber  wieder  nicht  umgekehrt  aus  der 
Unstatthaftigkeit  des  apodiktischen  Urtheils  die  des  asser- 
torischen und  problematischen,  und  nicht  aus  der  Unstatthaf- 
tigkeit des  assertorischen  die  des  problematischen  Urtheils. 

Die  erste  Folgerung  gründet  sich  gleichwie  bei  der 
Subalternation  (§  95)  darauf,  dass  die  gefolgerten  Urtheile 
nur  ein  Moment  herausheben,  welches  in  dem  gegebenen 
bereits  enthalten  ist.  Die  apodiktische  Gewissheit  berechtigt 
uns  zugleich,  indem  wir  von  dem  Grunde  der  Gewissheit  abs- 
trahiren,  das  Urtheil  in  assertorischer  Form  nur  einfach  als 
wahr  auszusprechen,  um  so  mehr  also  dazu,  ihm  mindestens 
Wahrscheinlichkeit  zuzuerkennen;  ebenso  schliesst  die  un- 
mittelbare Gewissheit,  welche  das  assertorische  Urtheil  aus- 
spricht, die  Wahrscheinlichkeit  als  Moment  in  sich.  Dagegen 
ist  nicht  umgekehrt  in  dem  geringeren  Grade  der  Gewissheit 
der  höhere  enthalten. 

Die  zweite  Folgerung  beruht  darauf,  dass,  wo  selbst 
der  geringere  Grad  der  Gewissheit  fehlt,  da  der  höhere  noch 
viel  weniger  vorhanden  ist.  Dagegen  kann  nicht  umgekehrt 
gefolgert  werden,  dass,  wo  der  höhere  Grad  nicht  vorhanden 
ist,  auch  der  geringere  fehlen  müsse. 

Da  68  sich  bei  der  Modalität  um  den  Grad  der  (subjeotiTen)  6e- 
wissheit  handelt,  so  moss  hier  überall  der  Ausdruck:  Gültigkeit  oder 
Statthaftigkeit  und  Ungültigkeit  oder  Unstatthaftigkeit 
gebraucht  werden,  wofür  nicht  unbedingt  der  Begriff  der  (objectiven) 
Wahrheit  und  Unwahrheit  substituirt  werden  darf.  Ist  z.  B.  das 
assertorische  Urtheil:  A  istB,  unstatthaft,  so  kann  der  Grund  hier- 
von darin  liegen,  dass  nur  die  (subjective)  Ueberzeugung  fehlt,  während 
das  Urtheil  an  sich  vollkommen  wahr  sein  mag;  in  diesem  Falle  bleibt 
also  das  problematische  Urtheil:  A  ist  vielleicht  B,  durchaus  statthaft 
oder  gültig.  Ist  aber  das  assertorische  Urtheil:  A  istB,  unwahr,  so 
ist  nach  dem  Satze  des  ausgeschlossenen  Dritten  (§  78)  das  contradicto- 
risch  entgegengesetzte  Urtheil  wahr:  A  ist  nicht  B,  und  steht  dies  ein- 
mal fest,  so  hat  das  problematische  Urtheil:  A  ist  vielleicht  B,  keine 
Berechtigung  mehr. 


812  §  99.  Die  mittelbaren  Schlüsse. 

Uebrigens  gilt  hier  die  nämliche  Bestimmung,  wie  bei  dem  par* 
ticularen  Urtheil,  dass  nämlich  die  Behauptung  des  Geringeren  (dort 
der  einigen,  hier  des  vielleicht  etc.)  nicht  in  dem  ausschliesseuden 
Sinne  (nur  einige,  nur  vielleicht)  zu  verstehen  ist,  sondern  in  dem  dio 
Möglichkeit  des  grosseren  offen  haltenden  Sinne  (mindestens  einige, 
mindestens  vielleicht). 

In  Bezug  auf  die  objeotive  Möglichkeit,  Wirklichkeit  und Noth- 
wendigkeit  gelten  ganz  analoge  Gesetze,  deren  Erörterung  aber  viel» 
mehr  der  Metaphysik,  als  der  Logik  anheimfällt.  Aristoteles  han- 
delt von  denselben  in  seinen  logischen  Schriften,  insbesondere  de  interpr. 
c.  18.  Er  findet  eine  Schwierigkeit  in  der  Frage,  ob  aus  der  Noth- 
wendigkeit  die  Möglichkeit  folge.  Auf  der  einen  Seite  scheine  es  so; 
denn  wenn  es  falsch  wäre,  dass  das  Nothwendige  möglich  sei,  so  müsste 
es  wahr  sein,  dass  das  Nothwendige  unmöglich  sei,  was  absurd  wäre. 
Andererseits  aber  scheine  doch  auch  der  Satz  gelten  zu  müssen:  was 
in  der  Möglichkeit  ist,  zu  sein,  ist  auch  in  der  Möglichkeit,  nicht  zu 
sein,  und  so  würde  das  Nothwendige,  wenn  es  ein  Mögliches  wäre,  auch 
in  der  Möglichkeit  sein,  nicht  zu  sein,  was  falsch  ist.  Aristoteles  löst 
diese  Schwierigkeit  durch  die  Distinction,  dass  der  Begriff  des  Mög- 
lichen theils  in  einem  Sinne  gebraucht  werde,  worin  er  die  Nothwen- 
digkeit  nicht  ausschliesse  (mindestens  möglich),  in  welchem  Sinne 
er  namentlich  auf  die  Energien  Anwendung  finde,  welche  die  Potens 
in  sich  sohliessen,  theils  aber  auch  in  einem  Sinne,  worin  er  die  Noth- 
wendigkeit  ausschliesse  (nur  möglich),  in  welchem  Sinne  er  namentlich 
auf  die  Potenzen  Anwendung  finde,  sofern  sie  nicht  Energien  seien;  in 
jenem  Sinne  sei  das  Nothwendige  ein  Mögliches,  in  diesem  nicht.  (In 
Bezug  auf  die  Möglichkeit  im  engeren  Sinne,  welche  die  Nothwendig- 
keit  aussohliesst,  sagt  Aristoteles  Analyt.  pri.  I,  17. 87  a.  16,  dass  das  fiii 
ivSix^a&eUj  indem  es  die  nach  beiden  Seiten  hin  gleiche  Möglichkeit  ver- 
neine, nicht  bloss  da  Anwendung  finde,  wo  die  Sache  unmöglich,  son- 
dern auch  da,  wo  dieselbe  nothwendig  sei.)  Die  späteren  LiOgiker  stellen, 
indem  sie  das  Möglichkeitsurtheil  nach  der  Analogie  des  particularen 
auffassen  und  demnach  die  Deutung:  mindestens  möglich,  voraus- 
setzen, die  Regel  auf:  »ab  oportere  ad  esse,  ab  esse  ad  posse  valet 
oonsequentia ;  a  posse  ad  esse,  ab  esse  ad  oportere  non  valet  conse- 
quentiac. 

§  99.  Die  mittelbaren  Schlüsse  zerfallen  in  zwei 
Hauptclassen,  nämlich  den  Syllogismus  im  engeren  Sinne 
(ratiocinatio ,  discursus,  avlloyioiaog)  und  die  Induction 
(inductio,  inaywyrj).  Der  Syllogismus  im  engeren  Sinne  ist  in 
seinen  hauptsächlichsten  Formen  der  Schluss  vom  Allgemeinen 
auf  das  Besondere  oder  Einzelne  und  in  allen  seinen  Formen 
der  vom  Allgemeinen  ausgehende  Schluss,  die  Induction  der 
Schluss  vom  Einzelnen  oder  Besonderen  auf  das  AUgemeine. 


§  99.  Die  mittelbaren  Scblosfle.  813 

Von  beiden  läSBt  Bich  als  eine  dritte,  jedoch  anf  eine  Ver- 
bindung beider  redneirbare  Form  der  Analogieschluss 
unterscheiden,  der  von  dem  Einzelnen  oder  Besonderen  ans 
auf  ein  nebengeordnetes  Einzelnes  oder  Besonderes  geht. 

Wenn  aUgemein  bewiesen  worden  ist,  dass  an  jeden  Kegelschnitt 
von  einem  und  demselben  Punkte  aus  nur  zwei  Tangenten  gelegt  wer- 
den können,  und  nun  geschlossen  wird:  die  Hyperbel  ist  ein  Kegel- 
schnitt, also  gilt  dieser  Satz  auch  von  ihr,  so  ist  dies  ein  Syllogis- 
mus. Wenn  aber  umgekehrt  zuerst  vom  Kreise  bewiesen  worden  ist, 
dass  von  einem  und  demselbem  Punkte  aus  nur  zwei  Taugenten  an 
denselben  gelegt  werden  können,  dann  ebenso  das  Gleiche  von  der  Ellipse, 
von  der  Parabel,  von  der  Hyperbel,  und  nun  durch  Zusammenfassung 
geschlossen  wird:  also  gilt  jener  Satz  von  allen  Kegelschnitten  über- 
haupt, so  ist  dies  eine  Induction.  Inductiv  verfuhren  Kepler  und 
seine  Nachfolger  in  der  Begründung  der  nach  ihm  benannten  Gesetze^ 
indem  sie  die  Wahrheit  der  am  Mars,  dann  auch  an  anderen  Planeten 
nachgewiesenen  Besultate  verallgemeinerten.  Syllogistisch  aber  ist 
das  umgekehrte  durch  Newton  ermöglichte  Verfahren,  wonach  zuerst 
auf  Grund  des  Gravitationsprincips  nachgewiesen  wird,  dass  sich  jeder 
Weltkörper  um  seinen  Gentralkörpor  (oder  vielmehr  um  das  Centrum 
gravitationis)  in  einer  Bahn  bewegen  muss,  die  einen  Kegelschnitt  dar- 
stellt, und  zwar  so,  dass  der  radius  vector  in  gleichen  Zeiten  gleiche 
Sectoren  der  Bahnebene  abschneidet,  und  dass,  wenn  mehrere  Körper 
sich  in  geschlossenen  Bahnen  um  denselben  Centralkörper  bewegen, 
die  Quadratzahlen  der  Ümlaufszeiten  sich  verhalten  müssen,  wie  die 
Cubikzahlen  der  mittleren  Entfernungen,  und  wonach  dann  diese  Sätze 
auf  die  einzelnen  Planeten,  Trabanten  und  Kometen  angewandt  werden. 
Inductiv  lässt  sich  der  feurig-flüssige  Zustand  desErdinnem  aus  dem 
Zusammenhang  der  vulkanischen  Erscheinungen  unter  einander,  de- 
ductiy  aber  odör  syllogistisch  aus  dem  (schon  aus  astronomischen 
Gründen  wahrscheinlichen)  Bildungsprocess  der  Erde  erweisen. 

Man  kann  den  Syllogismus  hinsichtlich  seiner  wichtigsten,  für 
die  positive  Erkenntniss  fruchtreichsten  Formen  als  »Unterordnung s- 
schlussc  (im  Anschluss  an  J.  Hoppe,  die  gesammte  Logik  I.,  Pader- 
born 1868,  der  die  »BegrifFszerlegungsschlüsse«,  die  er  von  den  »Ver- 
tauschungssohlüssenc  unterscheidet,  so  nennt),  die  Induction  (mit  Hoppe) 
als  ȟeberordnungsschlussc  und  demgemass  auch  (nicht  mit 
Hoppe,  der  die  Analogie  nicht  als  eine  besondere  Form  anerkennt), 
den  Analogieschluss  als  Nebenordnungsschluss  bezeichnen*). 


*)  Von  Hoppe's  Tadel  des  »schematischen  und  mechanischen  Ver- 
fahrens c  der  Syllogistik  gilt  das  Gleiche,  was  oben  (zu  §  84)  über  seine 
Verwerfung  des  Schematismus  in  der  logischen  Betrachtung  der  un- 
mittelbaren Schlüsse  bemerkt  worden  ist.  Wird  ausser  den  gegebenen 
ürtheilen  selbst  noch  das  Wissen  vorausgesetzt,  von  welcher  Art  jedes- 
mal die  Verknüpfung  des  Pradicates  mit  dem  Subjecte  sei  und  welches 
der  verschiedenen  möglichen  Umfangsverhältnisse   demgemass  in  dem 


314  §  100.  Eintheilung  und  Elemente  der  Syllogismen. 

An  die  Syllogistik  hat  Bioh  von  jeher  manche  kindische  Spielerei 
bei  ihren  Vertretern  und  manche  Verkehrtheit  bei  ihren  Tadlern  ge- 
knüpft. Wer  aber  unbefangen  beides  vergleicht,  wird  den  ungleich 
grösseren  Unverstand  auf  der  Seite  der  Tadler  finden.  Denn  die  Ver- 
treter pflegen  doch  wenigstens  einen  gewissen  Grad  von  Sachkenntniss 
zu  besitzen,  während  von  den  Tadlern  viele  im  Gleiohmaasse  von  Igno- 
ranz und  Arroganz  verwerfen,  was  sie  nicht  verstehen. 

§  100.  Der  Syllogismus  ist  einfach  (simpIex),  wenn  aas 
zwei  Urtheilen,  welche  zwei  verschiedene  und  einen  gemein- 
samen Hauptbestandtheil  haben,  ein  drittes  abgeleitet  wird; 
er  ist  zusammengesetzt  (compositus),  wenn  mehr  als  drei 
Hauptbestandtheile  von  Urtheilen  oder  mehr  als  zwei  Urtheile 
zur  Begründung  des  Schlusssatzes  dienen.  Der  gemeinsame 
Beatandtheil  vermittelt  den  Schluss  und  wird  demgemäss 
Mittel-  (vermittelnder)  Begriff  oder  Mittelglied  (medium, 
terminus  medius,  nota  intermedia,  to  fieoov,  ogog  ftioog)  genannt. 
Derselbe  kommt,  seiner  Bestimmung  zufolge,  in  einer  jeden 
der  Prämissen,  aber  nicht  im  Schlusssatze  vor.  Die  gegebenen 
Urtheile  aber,  woraus  das  neue  abgeleitet  wird,  heissen  Prä- 
misse n  (propositiones  praemissae,  iudicia  praemissa,  posita, 
TVQozaaeigt  za  TiQOTetvofneva,  xa  Te&evva,  va  xelfieva,  auch 
sumptiones,  acceptiones,  lij/ntnara^  und  das  abgeleitete  Urtheil 
Schlusssatz  (conclusio,  iudicium  conclusum,  rd  üvfiniQaa^ay 
auch  illatio,  inicpoga).  Von  den  Prämissen  wird  diejenige, 
welche  das  Subject  oder  das  subordinirte  Satzglied  (z.  B.  die 
Hypothesis)  des  Schlusssatzes  enthält,  Untersatz  (propositio 
minor,  assumptio,  rrQ6aXrjipig\  die  andere  aber,  welche  das 
Prädicat  oder  das  übergeordnete  Satzglied  (den  Hauptsatz  oder 
Nachsatz)  des  Schlusssatzes  enthält,  Obersatz  (propositio 
maior,  Ifjfifia)  genannt.  Die  Bestandtbeile  des  Syllogismus 
überhaupt  oder  die  darin  enthaltenen  Urtheilsglieder  werden 
unter  dem  Namen:  Elemente  des  Schlusses  (syllogismi 
elementa,  tä  tov  avXXoyiofiov  aToix^la)  zusammengefasst  Der 
Syllogismus  hat  die  Relation  seiner  Prämissen,  d.  h.  er  ist 
copulativ,  disjunctiv,  hypothetisch  etc.  oder  gemischt  je  nach 


einzelnen  Falle  thatsächlich  statthabe»  dann  lässt  sich  freilich  mehr 
folgern,  als  nach  dem  »schematischen  Verfahrene  zulässig  ist;  aber 
dann  ist  eben  auch  die  Zahl  der  vorausgesetzten  Data  überschritten 
worden. 


§  101.  Der  SyllogiBmos  als  Erkenntnissform.  816 

der  Form  der  Prämissen,  welche  auch  die  Form  des  Schloss- 
Satzes  bediogt.  Sind  die  Prämissen  von  verschiedener  Form, 
so  pflegt  man  die  Relation  des  Syllogismas  vorzugsweise  nach 
der  des  Obersatzes  zu  bezeichnen. 

Aus  zwei  ürtheilen,  die  gar  nichts  mit  einander  gemein  haben, 
kann,  da  keine  neue  Beziehung  begründet  wird,  auch  kein  Schlusssatz 
abgeleitet  werden.  Soll  also  aus  zwei  Urtheilen  ein  drittes  folgen,  so 
müssen  dieselben  entweder  einen  gemeinsamen  Hauptbestandtheil  haben 
oder  durch  blosse  Umformung  erhalten  können ;  der  letztere  Fall  findet 
statt,  wenn  ein  Hauptbestandtheil  des  einen  Urtheils  der  oontradictori- 
sche  Gegensatz  zu  einem  Hauptbestandtheile  des  andern  ist.  Man  konnte 
nun  zwar  auch  diesen  Fall  noch  den  einfachen  Syllogismen  zurechnen, 
indem  man  den  Begriff  derselben  dahin  bestimmte,  dass  jeder  Schluss, 
der  sich  auf  zwei  you  einander  unabhängige  gegebene  Urtheile  gründe, 
ohne  dass  ein  drittes,  welches  nicht  ans  einem  der  gegebenen  durch 
blosse  Umformung  folge,  hinzugenommen  zu  werden  brauche,  einfach 
genannt  würde,  und  nur  derjenige  zusammengesetzt,  der  mehr  als 
zwei  gegebene  Urtheile  voraussetze.  Allein  im  Verfolge  der  Darstellung 
würde  diese  Bestimmung  zu  mancherlei  Missständen  führen.  Mehrere 
von  den  Hegeln,  welche  die  Syllogistik  aufzustellen  pflegt  (z.  B.  der 
Satz:  ex  mere  negativis  nihil  sequitur,  vgl,  unten  §  106;  femer  die  Be- 
stimmungen über  die  Zahl  und  Form  der  gültigen  Modi  etc.)  würden 
dann  nicht  zutreffen,  und  wollte  man  sie  durch  andere  ersetzen,  so 
würden  diese  minder  einfach  und  übersichtlich  sein.  Auch  an  innerer 
Berechtigung  würde  diese  Terminologie  der  im  Texte  dieses  Paragra- 
phen aufgestellten  nachstehen.  Denn  in  dem  Falle,  wo  zwei  Bestand- 
theile  der  beiden  Prämissen  zu  einander  im  Yerhältniss  des  contradio- 
toriflchen  Gegensatzes  stehen,  kann  der  Schlusssatz  nicht  gewonnen  wer- 
den, ohne  dass  zugleich  ein  Hülfsurtheil,  welches  durch  Aequipollenz 
aus  einem  der  gegebenen  Urtheile  folgt,  mit  hinzugedacht  wird,  und 
80  ist  der  Schluss  in  der  That  zusammengesetzt,  nämlich  aus  einer 
unmittelbaren  Folgerung  und  einem  einfachen  Syllogismus. 

Die  Ausdrücke:  oqo^  und  ngoraaiq  erklärt  Aristoteles  Anal, 
pri.  I,  1.  24  a.  16  ngoiaatq  fikv  ovv  larl  Xoyos  xataiparixos  rj  dna- 
iparixos  tivot  xata  tivog  —  und  24  b.  16  oqov  il  TtaXto  eis  ov  Stalverat 
4  nQoraatg;  den  Mittelbegriff  (t6  fjiiaov)  definirt  derselbe  ib.  1,  4. 26  b. 
38  xalei  ök  fiiaov  f*kv  o  xal  auro  Iv  all(p  xal  aXXo  iv  lovx^  iailVf  o 
xtä  rjf  ^^a€i  yivtrai  fiiaov;  der  Name:  avfinigaafia  findet  sich  ib.  I,  9 
u.  öfter.    Die  Termini:  Xri^fitcva  und  initpoQa  gehören  den  Stoikern  an. 

§  101.  Die  Möglichkeit  des  Sjllogismas  als  einer 
Form  der  Erkenntniss  beruht  auf  der  Voraussetzung, 
dass  eine  reale  Gesetzmässigkeit  bestehe  und  erkennbar 
sei,  gemäss  dem  Satze  des  zureichenden  Grundes 
(§  81).     Da  die  vollendete  Erkenntniss  auf  der  Coincidenz 


S16  §  101.  Der  Syllogismus  als  Erkenntnissform 

des  Erkenntnissgrandes  mit  dem  Bealgmnde  beruht,  so  ist 
auch  derjenige  Syllogismus  der  vollkommenste, 
worin  der  vermittelnde  Bestandtheil  (der  Mittel- 
begriff,  das  Mittelglied),  welcher  der  Erkennt- 
nissgrund der  Wahrheit  des  Schlusssatzes  ist,  zu- 
nächst den  Realgrund  der  Wahrheit  desselben 
bezeichnet. 

Die  in  diesem  Paragraphen  vorgetragene  Lehre  ist  die  wichtigste 
der  gesammten  Syllogistik.  Von  der  Anerkennung  der  Beziehung  des 
Syllogismus  auf  eine  reale  Gesetzmässigkeit  hängt  die  Ent-scheidung  der 
Streitfrage  ab,  ob  der  Syllogismus  ein  Mittel  der  Erkenntniss  sei 
und  in  diesem  Sinne  dem  Begriff  und  Urtheil  als  gleichberechtigte  Form 
zur  Seite  gestellt  werden  dürfe,  oder  ob  das  syllogistische  Verfahren  für 
eine  blosse  Combination  von  Begriffen  gehalten  werden  .müsse,  welche 
nur  etwa  zur  Verdeutlichung  der  Erkenntniss,  die  wir  in  verhüllter 
Weise  bereits  besitzen,  und  ausserdem  zum  Zwecke  der  Mittheilung 
unseres  Wissens  an  Andere  einigen  Werth  beanspruchen  möge.  Wenn 
nämlich  die  Ueberzeugung  von  der  allgemeingültigen  Wahrheit  der 
Prämissen  sich  nicht  auf  die  Voraussetzung  einer  realen  Gesetzmässig- 
keit gründet,  sondern  erst  durch  Vergleichung  aller  einzelnen  Fälle 
gewonnen  werden  soll:  so  leuchtet  ein,  dass  unter  den  verglichenen 
Fällen  auch  diejenigen,  von  welchen  im  Schlusssatze  die  Rede  ist,  mit^ 
vorkommen  müssen,  dass  also  die  Wahrheit  des  Schlusssatzes  zuerst  fest- 
stehen muss,  damit  die  Wahrheit  der  Prämissen  erkannt  werden  könne, 
dass  wir  aber  in  einen  fehlerhaften  Cirkel  verfallen  würden,  wenn  wir 
doch  auch  wiederum  aus  den  Prämissen  den  Schlusssatz  ableiten  wollten. 
Diese  letztere  Ableitung  könnte  höchstens  den  Werth  einer  »Entzifferung 
unserer  eigenen  Notent  (Mi  11)  haben,  also  nur  der  Wiedererinnerung, 
der  Verdeutlichung,  der  Mittheilung  an  Andere  dienen.  In  der  That 
verhält  es  sich  so  in  vielen  Fällen.  Wird  z.  B.  der  Schlnss  aufgestellt: 
jeder  um  unsere  Sonne  in  einer  elliptischen  Bahn  laufende  Körper  ist 
ein  an  sich  dunkler  Körper;  Vesta  ist  ein  um  unsere  Sonne  in  einer 
elliptischen  Bahn  laufender  Körper;  folglich  ist  auch  Vesta  ein  an  sieh 
dunkler  Körper:  so  kann  ich  offenbar  die  erste  der  Prämissen  nur  dann 
als  allgemeingültig  erkennen,  wenn  ich  zuvor  schon  weiss,  das  Vesta 
zu  den  um  unsere  Sonne  in  elliptischer  Bahn  laufenden  Körpern  gehöre 
und  dass  auch  sie  kein  eigenes  Licht  besitze.  Ich  kann  so  wenig  die 
Wahrheit  des  Schlusssatzes  aus  der  Wahrheit  der  Prämissen  erkennen, 
dass  im  Gegentheil  die  Ueberzeugung  von  der  Wahrheit  der  ersten 
Prämisse  an  der  im  Voraus  feststehenden  Ueberzeugung  von  der  Wahr- 
heit des  Sohlusssatzes  eins  ihrer  Fundamente  finden  muss,  und  dass, 
wenn  etwa  der  Schlusssatz  sich  als  ungewiss  oder  als  falsch  erweisen 
muss,  sie  ihrerseits  das  gleiche  Schicksal  theilen  würde.  Der  Satz,  dass 
alle  Planeten  immer  nur  innerhalb  des  Thierkreises  uns  erscheinen  (der 
von  den  altbekannten  Planeten  gilt)  verliert  seine  anscheinend  allge- 


nnd  seine  Benebnng  auf  die  reftle  GeMtzmauigkeit.  817 

neine  GQltigkeit  sofort,  sobald  (unter  den  Aateroideo)  irgend  welche 
gefunden  werden,  die  den  Thierkreia  überschreiten,  und  es  kuin  keinea- 
wegi  am  dem  allgemeinen  Satze,  als  cb  dieser  im  Voraus  nnd  unab- 
hingig  TOn  der  Vollzahl  der  Einielbeobachtnngen  feststände,  geschlossen 
werden,  dass  sich  kein  Planet  finden  körme,  der  jene  Grenze  übersohreite; 
der  Planet  Pallas  überwbreitet  thats&chliidi  dieselbe.  Aber  nicht  olle 
F^le  sind  von  der  n&nUiohen  Art.  Sofern  in  Bezog  aaf  das  EU  er- 
Srtemde  Verhättnisa  eine  bestimmte  Gesetzmässigkeit  voraosgesetzt  wer- 
den darf,  ISsit  sich  allerdings  das  Allgemeine  vor  der  Durchforschung 
'der  Gesanuntheit  alles  Einzelnen  als  wahr  erkennen,  und  daher  ancli 
ans  der  Wahrheit  desselben  die  Wahrheit  des  Einzelneu  durch  syllc- 
gistiiche  Deduction  ermitteln.  Dasa  z.  B.  die  Kepler'schen  QesetKe  eine 
allgemeingültige  Wahrheit  haben,  kann  seit  Newton  gewusst  werden, 
ohne  dass  sie  vorher  an  allen  einzelnen  Planeten  und  Trabanten  ge- 
prüft zu  sein  brauchen,  und  to  oft  daher  ein  neuer  BimmelBkörper 
dieser  Art  entdeckt  wird,  können  auf  ihn  jene  (resetze  syltogistiBch  mit 
voller  Zuversicht  angewandt  werden.    Steht  ja  doch  diu  Gewißheit  der 


Bis  §  101.  Der  Syllogismus  als  Erkenntnissform 

Prädicat  desselben  beide  den  bestimmten  Artikel  haben  und  also  das 
Urtheil  reciprocabel  ist;  aber  nur  die  eine  entspricht  dem  Zusammen- 
hang der  Stelle,  welcher  folgender  ist.  Um  uns  des  Seins  zu  vergewissern, 
sagt  Aristoteles,  so  wie  auch,  um  das  Wesen  zu  erkennen,  müssen  wir 
den  Mittelbegriff  haben;  denn  haben  wir  diesen,  so  kennen  wir  die 
Ursache  und  haben  damit  gefunden,  was  überall  gesucht  wird  und 
was  auch  wir  suchen  mussten,  da  selbstTcrständlich  die  Gewissheit  von 
der  (realen)  Ursache  auch  die  Qewissheit  von  dem  Sein  sichert.  Der 
Sinn  jenes  Satzes  ist  also :  die  Bedeutung  des  Mittelbegriffs  liegt  darin, 
dass  er  der  Ursache  entspreche.  (Nicht  im  Widerstreit  hiermit  sagt 
Aristoteles  Anal.  post.  II,  12. 96  a.  11:  to  ya^  fiiaov  afriov.  Das  Werdende 
und  Gewordene  etc.  hat  dieselbe  Mitte;  die  Mitte  aber  ist  Ursache; 
also  hat  es  auch  dieselbe  Ursache.)  Der  umgekehrte  Gedanke  aber :  das 
Wesen  des  ttHiov  liegt  darin,  dass  es  der  Mittelbegriff  eines  Schlusses 
sei,  würde  nicht  in  den  Zusammenhang  passen.  Denn  aus  den  Sätzen: 
dBB  tttriov  sichert  das  Sein,  und:  das  Wesen  des  atuov  liegt  darin,  dass 
es  der  Mittelbegriff  eines  Schlusses  sei,  würde  ja  nicht  folgen,  dass 
immer,  wenn  wir  den  Mittelbegriff  haben,  das  Sein  gesichert  sei,  was 
doch  Aristoteles  darthun  will;  vielmehr  wftre  dies  ein  fehlerhafter  all- 
gemein bejahender  Schluss  in  der  dritten  Figur.  Waitz  sagt  in  seiner 
Erläuterung  (ad  Anal.  post.  II,  2;  vol.  11,  p.  380)  mit  Recht:  >qunni 
omnis  quaestio  iam  in  eo  versetur,  ut  rei  subiectae  naturam  sive  causam, 
per  quam  res  ipsa  existat  vel  ob  quam  aliud  quid  de  ea  praedicetur, 
exploremus,  quam  quidem  causam  terminus  medius  expri- 
mere  debetc.  Auch  die  Beispiele,  die  Aristoteles  hier  und  an  anderen 
Stellen  anführt,  zeigen,  dass  er  nicht  das  Reale  zum  Formalen  verflüch- 
tigen, sondern  die  Form  aus  ihrem  Yerhältniss  zum  Inhalt  begreifen 
will.  Die  reale  avritpQa^tg  der  Erde  zwischen  Sonne  und  Mond  ist  das 
afttov  der  Mondfinstemiss;  nun  aber  liegt  doch  offenbar  das  Wesen  jener 
realen  Stellung  der  Himmelskörper  zu  einander  nicht  darin,  dass  die- 
selbe der  Mittelbegriff  eines  Syllogismus  sei,  sondern  im  Gegentheil  das 
Wesen  des  Mittelbegriffs  darin,  dass  derselbe  jene  reale  Ursache  be- 
zeichne. (Ein  undurchsichtiger  Körper,  welcher  zwischen  einen  selbst- 
leuchtenden und  einen  nur  von  diesem  beleuchteten,  an  sich  dunkeln 
Körper  tritt,  verfinstert  den  letzteren.  Die  Erde  ist  ein  undurchsich- 
tiger Körper,  der  zu  gewissen  Zeiten  zwischen  die  selbstleuchtende 
Sonne  und  den  nur  von  ihr  beleuchteten,  an  sich  dunkeln  Mond  tritt. 
Also  verfinstert  die  Erde  zu  gewissen  Zeiten  den  Mond.)  In  demsel- 
ben Sinne  lehrt  Aristoteles  c.  11,  dass  die  vier  metaphysischen  aixttui 
Wesen,  Bedingung,  bewegende  Ursache  und  Zweck,  alle  durch  den 
Mittelbegriff  aufgezeigt  und  erkannt  werden,  nicht  als  ob  sie  alle  auf 
eine  blosse  formale  Beziehung  reducirt  und  ihr  realer  metaphysischer 
Charakter  aufgehoben  werden  sollte,  sondern  im  Gegentheil,  um  dem 
Mittelbegriffe  die  reale  Beziehung  auf  die  sämmtlichen  metaphysischen 
cdxCat,  zu  vindiciren.  Am  Schluss  von  c.  12  bemerkt  Aristoteles,  im 
wirklichen  Geschehen  finde  sich  zum  Theil  eine  strenge  causale  Noth- 
wendigkeit  und  Allgemeinheit,  zum  Theil  aber  nur  ein  tue  inl  to  nolvf 


nnd  «eina  Beiiehnng  auf  die  reale  GeBetzmSiaig-keit.  Sil 

und  fügt  bei:  lüy  Jif  loiovtmv  äyäyxt)  xa\  rö  fiinov  tot  tnl  tÖ  ttoJU 
thtu.  OfFanbar  also  wird  die  Natar  dea  Mittelbegriffs  durch  die  Natm 
dar  Sache  bestimint,  das  »Formale'  durcH  dag  »Realei,  aber  nicht  um' 
gekehrL  80  gehl  ja  anch  überhaupt  die  Aristotelische  Fordemng  da- 
hin, daaa  daa  (menschliobe)  Deuken  sich  nach  dem  Sein  richte;  erst 
ein  moderner  Philosoph,  wie  Kant,  konnte,  in  Folge  mannigfacher  dog- 
matiitoher  Fehlversuche  an  der  Erkennbarkeit  der  >Dingo  an  eicht 
TerEweifelnd,  um  wenigstens  irgendwie  die  Möglichkeit  einer  syetema- 
tiachen  PhiloBophie  zu  retten,  das  umgekehrte  Princip  ergreifen,  dasR 
das  Reale  (der  Eracheinnngswelt)  sich  nach  den  Formen  nnserea  mensch- 
lichen DenkvermoganB  richten  müsse,  and  demgemäss  dieses  iReale  anf 
ein  Formalen  eurückEnfiihrent  versuchen.  AristoteleB  verhehlt  sich 
nicht,  _daee  es  anch  Syllogismen  gehe,   in  deren  Mittelbegriff  nicht  die 


320  §  101.  Der  Syllogismus  als  Erkenntnissform 

Satz  liefert,  Princip  des  Syllogismus,  und  der  Syllogismus  führt,  sofern 
sein  Mittelbegriff  in  der  Ursache  das  Wesen  erkennen  lässt,  zur  Defi- 
nition (Anal.  post.  I,  8;  II,  8  sqq.;  de  anima  II,  2.  413  a.  13).  Die 
späteren  Logiker,  und  so  auch  namentlich  schon  die  Stoiker,  haben 
jene  Beziehung  des  Mittelbegriffs  auf  die  reale  Ursache  und  des  syllo- 
gistischen  Denkens  überhaupt  auf  die  reale  Gesetzmässigkeit  meist 
vernachlässigt,  indem  sie  sich  zu  ausschliesslich  an  die  leichteren  tech- 
nischen Partien  der  Aristotelischen  Syllogistik  hielten.  Daher  kann  es 
uns  nicht  Wunder  nehmen,  dass  schon  im  Alterthum  die  Skeptiker 
das  syllogistische  Verfahren  überhaupt  mit  der  Bemerkung  bekämpften, 
die  in  neuerer  Zeit  vielfach  wiederholt  worden  ist,  dass  die  Wahrheit 
der  Prämissen,  weit  entfernt  die  Wahrheit  des  Schlusssatzes  begründen 
zu  können,  vielmehr  diese  letztere  zu  ihrer  Voraussetzung  habe.  So 
sagt  SextusEmpir.  (Pyrrhon.  hypotyp.  II,  194  ff.),  der  Obersatz  könne 
nur  durch  Induction  gesichert  werden,  und  diese  setze  eine  volbtändi^ 
Prüfung  aller  einzelnen  Fälle  voraus,  da  schon  eine  einzige  Instanz  (z.  B. 
dass  das  Krokodil  nicht  die  untere,  sondern  die  obere  Kinnlade  bewege) 
die  Wahrheit  des  allgemeinen  Satzes  (z.  B.  dass  alle  Thiere  die  untere 
Kinnlade  bew^en)  aufheben  würde;  sei  aber  die  Prüfung  vollständig 
an  jedem  Einzelnen  vollzogen  worden,  so  sei  es  ein  Cirkel,  wenn  nun 
doch  auch  wieder  das  nämliche  Einzelne  aus  dem  Allgemeinen  syllo- 
gistisch  abgeleitet  werde.  —  Dass  die  Logiker  des  späteren  Alter- 
thum s  und  des  Mittelalters  den  technischen  Theil  der  Aristoteli- 
schen Syllogistik  mit  grosser  Subtilität  weiter  ausgesponnen  haben,  ist 
ihnen  in  der  neueren  und  neuesten  Zeit  oft  zum  Vorwurfe  gemacht 
worden.  Sofern  hiermit  nur  dies  gesagt  sein  soll,  dass  sie,  ganz  dem 
Technischen  hingegeben,  die  tieferen  Momente  unbeachtet  gelassen  haben, 
ist  der  Tadel  gewiss  wohlberechtigt;  aber  abstossend  wird  derselbe  im 
Munde  derer,  welche  selbst  jene  tieferen  Momente  wo  möglich  noch 
mehr  ausser  Augen  setzen  und  ihren  eigenen  Ruhm  und  Vorzug  vor 
der  Scholastik  nur  darin  suchen,  die  technischen  Partien  in  vornehmem 
Tone  geringschätzig  und  nachlässig  zu  behandeln.  Ist  etwa  die  Ober- 
flächlichkeit und  Fahrlässigkeit,  die  in  der  neueren  Zeit  nur  allzuhäufig 
geworden  ist  (manche  Lehrbücher  der  Logik  besonders  aus  der  Kanti- 
schen Periode  wimmeln  von  logischen  Schnitzern)  in  der  That  der 
scholastischen  Strenge  und  Schärfe  vorzuziehen?  Oder  verdient  nicht 
vielmehr  die  Genauigkeit  in  diesen  Dingen,  wie  überall,  volles  Lob?  — 
Ja  selbst  die  didaktischen  Kunststückchen  der  Scholastiker,  wiewohl  sie 
für  uns  etwas  Kleinliches  haben,  möchten,  da  sie  doch  ihrem  nächsten 
Zwecke  entsprechen,  mindestens  Entschuldigung  verdienen.  Mit  Recht 
sagt  der  Mathematiker  Gergonne  (Essai  de  dial.  rat.,  Annales  de 
math.  VII,  p.  227):  >le  grand  nombre  de  conditions  auxquelles  on  avait 
cherchS  ä  satisfaire  dans  la  composition  de  ces  vers  artificiels  (dont 
chaque  mot  rappelait  une  des  formes  syllogistiques  concluantes),  aurait 
peut-etre  du  en  faire  excuser  un  peu  la  durete,  qui  a  et^  dans  ces 
demiers  temps  le  sujet  d'une  multitude  de  plaisanteriee  asaez  mauvai- 
Besc.  —  Was  die  neueren  Philosophen  betrifft,   so  hat  Baco  von 


and  aeine  Beziehang  atif  die  reale  Geeeüsmäasigkeit.  d2l 

Verulam  den  SyllogiBmus,  mit  wie  grosser  Vorliebe  er  ihm  auch  die 
Indaction  gegenüberstellt,  doch  nicht  schlechthin  für  unfähig  erklart, 
die  Erkenntniss  zu  fördern;  er  meint  nur,  derselbe  bleibe  hinter  der 
Feinheit  der  Natur  zurück  und  habe  eine  berechtigte  Stelle  bloss  in 
den  leichteren  Disciplinen  (s.  o.  §  28).  Viel  weiter  geht  Des  Carte s, 
der  im  stolzen  Bewusstsein  der  eigenen,  jugendlich  irischen  Geisteskraft 
die  Syllogistik  zugleich  mit  der  ganzen  Aristotelisch-soholastisohen  Logik, 
gleichsam  das  gesammte  logische  Erbgut  der  Jahrtausende,  als  wäre 
es  nur  ein  hemmender  Ballast  auf  seiner  geistigen  Entdeckungsreise, 
mit  einem  Male  über  Bord  wirft,  um  an  dessen  Stelle  jene  vier  ein- 
fachen Regeln  über  das  subjective  Verhalten  bei  der  Erforschung  der 
Wahrheit  zu  setzen  (s.  o.  §  24).  Und  doch  hat  derselbe  Des  Gartes, 
ohne  es  sich  zu  gestehen,  in  seinen  mathematisch-physikalisohen  Unter- 
suchungen von  eben  jenem  missachteten  Syllogismus  den  ausgedehntesten 
und  für  die  Förderung  der  Wissenschaft  fruchtreichsten  Gebrauch  ge- 
macht. Dass  der  Locke 'sehe  Empirismus  den  Werth  des  Syllogismus 
hinter  den  der  äusseren  und  inneren  Erfahrung,  der  Induction  und  des 
gemeinen  Menschenverstandes  zurückstellt,  ist  selbstverständlich  (Locke, 
Ess.  IV,  17).  Leibniz  dag^en  erkennt  in  den  logischen  Begeln, 
deren  Werth  er  namentlich  in  der  Anwendung  auf  die  Mathematik 
schätzen  gelernt  hat,  die  Kriterien  der  Wahrheit  (s.  o.  §  27).  Ins- 
besondere sagt  Leibniz  von  der  Syllogistik  (Nouv.  Ess.  IV,  17,  §  4): 
»l'invention  du  syllogisme  est  une  des  plus  helles  et  des  plus  consid^- 
rables  de  l'esprit  humain:  c'est  une  espeoe  de  mathematique  universelle 
dont  l'importance  n'est  pas  assez  connne,  et  l'on  peut  dire  qu'un  art 
d'in£aillibilit6  y  est  oontenu,  pourvu  qu'on  sache  et  qu'on  ^puisse  bien 
s'en  servir;  —  rien  ne  serait  plus  important  que  Part  d'argumenter  en 
forme,  selon  la  vraie  logiquet.  Dieses  wohlberechtigte  Urtheil  veran- 
lasste jedoch,  indem  es  einseitig  festgehalten  wurde,  in  der  Leibnizi- 
schen  Schule  den  geschmacklosen  Wolf  fischen  Formalismus,  durch 
welchen  abgeschreckt  Kant  wiederum  den  Syllogpismus  in  engere 
Schranken  einhegen  zu  müssen  glaubte.  Er  schnitt  zunächst  die  zweite, 
dritte  und  vierte  Figur  als  unnütze  Anhängsel  weg  (s.  darüber  unten  zu 
§  103),  und.liess  dann  auch  den  so  vermeintlich  von  falschen  Spitzfin- 
digkeiten gereinigten  Syllogismus  nicht  mehr  als  ein  Mittel  gelten,  die 
Erkenntniss  zu  erweitem,  sondern  nur  als  ein  Mittel,  das,  was  wir  schon 
erkannt  haben,  durch  Analyse  klarer  zu  machen.  An  dieser  letzteren 
Ansicht  haben  auch  Fries,  Herbart  und  Beneke  festgehalten.  Hegel 
restituirte  den  Schluss  nicht  nur  in  seine  alten  Rechte,  sondern  erklärte 
denselben  sogar  für  die  nothwöndige  Form  aUes  Vernünftigen  (Log.  H, 
S.  119;  Enoyd.  §  181),  gab  aber  demselben,  indem  er  ihn  mit  dem 
Kreislaufe  der  dialektischen  Vermittelung  der  Momente  des  Wirklichen 
identificirte,  eine  so  wesentlich  veränderte  Bedeutung,  dass  diese  Resti- 
tution dem  Aristotelischen  Syllogismus  kaum  zu  Gute  kommen  konnte. 
Doch  hat  Hegel  mit  Recht  hervorgehoben,  dass  zu  unterscheiden  sei 
zwischen  dem  »Schloss  der  Allheit c  als  einem  »Schluss  der  Reflexion c, 
dessen  Obersatz  die  besondere  Bestimmtheit,  den  terminus  medius,  nur 

21 


822  §  101.  Der  Syllogismus  als  firkenntnissform 

als  empirische  Allheit  oder  Gesammtheit  aller  einselnen  ooncreten  Sab- 
jecte  zum  Subjecte  habe  und  daher  den  Schlusssatz,  der  jenen  zur 
Voraussetzung  haben  sollte,  vielmehr  selbst  voraussetze,  und  dem  »kate* 
gorischen  Schlüsse  als  einem  »Sohluss  der  Nothwendigkeitc,  dessen 
9Termini  nach  dem  substantiellen  Inhalt  in  identischer,  als  an  und  für 
sich  seiender  Beziehung  auf  einander  stehen«,  und  der  daher  nicht,  wie 
der  Reflexionsschluss  der  Allheit,  für  seine  Prämissen  seinen  Schlusssatz 
voraussetze  (Log.  II,  S.  151;  162;  Encyol.  §  190;  191).  Dass  übrigens 
die  Hegel'sche  Syllogistik  von  mannigfachen  Ungenauigkeiten  und  Ver- 
kehrtheiten nicht  frei  ist,  hat  besonders  Trendelenburg  in  seinen 
»Logischen  Untersuchungen«  (II,  S.  251—283,  2.  A.  11,  S.  326—359, 
8.  A.  S.  860 — 393)  scharfsinnig  nachgewiesen,  worauf  hier  zu  verweisen 
genügen  mag.  —  Scbleiermacher  behauptet  (Dial.  §  827,  S.  285; 
vgl.  S,  287  ff.):  »das  syllogistische  Verfahren  ist  für  die  reale  Urtheils- 
bildung  von  keinem  Werth,  weil  die  substituirten  Begriffe  nur  höhere 
oder  niedere  sein  können;  —  im  Schlusssatze  ist  nichts  ausgedrückt, 
als  das  Verhältniss  zweier  Satze  zu  einander,  die  ein  Glied  mit  einander 
gemein  haben,  also  gar  nicht  ausser  einander  sind,  sondern  in  einander ; 
ein  Fortschritt  im  Denken,  eine  neue  Erkenntniss  kann  also  durch  den 
Schluss  nicht  entstehen,  sondern  er  ist  bloss  Besinnung  darüber,  wie 
man  zu  einem  ürtheil,  das  Schlusssatz  ist,  gekommen  ist  oder  gekommen 
sein  könnte;  —  eine  neue  Einsicht  ist  damit  niemals  gewonnene  Aller- 
dings aber  liegt  eine  neue  Einsicht  in  der  Verbindung  der  beiden  Be- 
griffe zu  Einem  Urtheil,  die  vorher  nur  von  einander  gesondert  und 
mit  einem  dritten  verknüpft  in  zwei  verschiedenen  ürtheilen  gedacht 
wurden.  Es  entging  Schleiermacher  nicht,  dass  eine  gewichtige  Instanz 
gegen  seine  Ansicht  besonders  aus  dem  mathematischen  Verfahren  ent- 
nommen werden  könne,  durch  welches  doch  offenbar  Erkenntniss  ent- 
stehe. Aber  was  er  zur  Entgegnung  bemerkt,  ist  ungenügend.  Er  sagrt 
(a.  a.  0.),  die  mathematische  Erkenntniss  werde  nicht  durch  die  syllo- 
gistische Form  gewonnen,  sondern  es  komme  alles  an  auf  die  Erfindung 
der  Hülfslinien;  wer  diese  habe,  habe  den  Beweis  schon  und  analysire 
nachher  nur  die  Construction  durch  den  Syllogismus.  »Die  rechten 
Mathematiker  geben  auch  nichts  auf  den  Syllogismus,  sondern  sie  führen 
alles  auf  die  Anschauung  zurück«.  Diese  Aeusserungen  über  das  Wesen 
der  mathematischen  Erkenntniss  sind  aber  gewiss  unhaltbar.  Nicht  in 
den  Hülfslinien  liegt  die  Beweiskraft,  sondern  in  den  durch  sie  ermög* 
lichten  Anwendungen  der  früher  bewiesenen  Sätze  und  in  letzter  Instanz 
der  Axiome  und  Definitionen  auf  den  zu  beweisenden  Satz,  und  diese 
Anwendung  ist  ihrem  Wesen  nach  ein  syllogistisches  Ver- 
fahren; die  Hülfslinien  aber  sind  die  Wegweiser,  nicht  die  Wege  der 
Erkenntniss,  die  Gerüste,  nicht  die  Bausteine.  Der  Beweis  beruht  (wie 
Leibniz  mit  Recht  bemerkt)  auf  der  Kraft  der  logischen  Form  (s. 
oben  §  27).  Dass  die  Erweiterung  der  mathematischen  Erkenntniss  und 
ihre  Gewissheit  sich  auf  den  SyUogismus  gründe,  ist  kein  leerer  S<dieiii. 
Den  Schleiermacher'sohen  Bemerkungen  liegt  allerdings  dieses  Richtige 
zum  Ghrunde,  dass,  um  die  passenden  Syllogismen  aufzufinden,  die  Kennt- 


und  seine  Beziehung  auf  die  reale  C^etEmässigkeit.  82S 

nifls  der  Byllogistischen  Regeln  nicht  ausreicht,  sondern  ein  eigenthüm- 
licher  mathematischer  Sinn,  ein  divinatorisches  Talent  erforderlich  ist, 
und  dass  dieses  Talent,  indem  es  wie  mit  einem  Blick  ganze  Reihen 
▼ersohlungener  Beziehungen  durchschaut,  gerade  am  wenigsten  die  breite 
Form  vollständig  entwickelter  Syllogismen  zu  lieben  pflegt.  Es  giebt 
in  der  Mathematik^  gleich  wie  im  äusseren  Leben,  einen  Blick  oder 
Taot,  eine  ayx^voia,  welche  Aristoteles  (Anal.  post.  I,  84.  89  b.  10) 
mit  Recht  definirt  als  evoro/Za  ng  iv  aaxinr^  X9^^  ^^^  fjiiaov^  und 
auf  dieser  Gabe  beruht  die  Kunst  dpr  Erfindung.  Das  Wesen  dieser 
ayj^tvoia  liegt  in  dem  psychologischen  Verbältniss,  dass  in  rascher  Oom- 
bination  die  Mittelglieder  der  Gedankenreihe,  welche  zu  dem  beabsich- 
tigten Resultate  hinführt^  mit  voller  objectiver  Wahrheit,  aber  nur 
geringer  subjectiver  Bewusstseinsstärke  gedacht  werden,  wogegen  das 
Endglied  der  Reihe  oder  das  Resultat  wiederum  volle  Bewusstseins- 
stärke oder  Klarheit  hat  Die  Erhebung  der  einzelnen  Mittelglieder 
zur  ganzen  Klarheit  des  Bewnsstseins  hat  zwar  geringeren  Werth  für 
die  Erfindung,  um  so  grösseren  aber  für  die  sichere  wissenschaftliche 
Einsicht  und  für  den  Unterricht  (s.  Beneke's  vortrefQiche  Analyse  des 
T.actes  in  seinem  Lehrbuch  der  Psychologie,  §  168;  psychoL  Skizzen 
U,  S.  276  fif.;  System  der  Logik  I,  S.  267  ff.,  und  Germar*s  Schrift: 
die  alte  Streitfrage:  Glauben  oder  Wissen?;  vgl.  oben  S.  109).  Wenn 
nun  hiemach  die  Eigenthümlichkeit  des  Blickes  überhaupt  nicht  eine 
log^ohe,  sondern  nur  eine  psychologische  ist,  so  leuchtet  ein,  dass  auch 
aus  der  mathematischen  äyxCvoia  nicht  ein  Gegengrund  gegen  das 
Beruhen  der  mathematischen  Gewissheit  auf  der  syllogistischen  Ver- 
knüpfung entnommen  werden  darf:  der  mathematische  Blick  überschaut 
wie  im  Fluge  die  nämlichen  Syllogismen,  ohne  sich  ihrer  im  Einzelnen 
als  Syllogismen  bewusst  zu  werden,  welche  die  mathematische  Analyse 
gleichsam  schrittweise  durchwandert  und  zum  deutlichen  Bewusstsein 
bringt;  das  logische  Wesen  der  mathematischen  Erkenntniss  aber  und 
das  Fundament  ihrer  Gewissheit  bleibt  in  beiden  Fällen  das  gleiche.  — 
Trendelenburg,  der  die  Aristotelische  Lehre  vom  Parallelismus  des 
hervorbringenden  Grundes  im  Realen  und  des  Mittelbegrififs  im  logi- 
schen Schlüsse  entschieden  und  erfolgreich  vertritt  (Log.  Unters.  II, 
S.  280— ?83,  2.  A.  S.  864-^368,  8.  A.  II,  S.  888—893),  äussert  sich 
doch  auch  wiederum,  indem  er  sich  der  Sohleiermacher'schen  Ansicht 
annähert,  in  folgender  Weise.  Der  Syllogismus  schliesst  aus  der  That- 
sache  des  Allgemeinen  das  Einzelne;  das  synthetische  Verfahren  da- 
gegen constmirt  aus  dem  allgemeinen  Grunde  die  Erscheinungen  als 
Folge.  Die  Thatsache,  von  der  der  Syllogismus  ausgeht,  mag  das  Re- 
sultat einer  inneren  Begründung  sein;  aber  für  die  Subsumtion  kommt 
lediglich  die  allgemeine  Thatsache  in  Betracht.  Der  nothwendige 
CFrund  kleidet  sich  in  den  Ausdruck  einer  allgemeinen  Thatsache  und 
wird  in  dieser  Gestalt  der  Mittelbegriff  des  Syllogismus.  Die  Macht 
des  Syllogismus  ist  nur  formal,  nicht  real,  wie  die  Synthesis.  Die 
Geometrie  giebt  jedem  Fortschritt  den  Schein  einer  syllogistischen 
Subsumtion,   aber  die  synthetischen  Elemente,    welche   in   der 


324  §  101.  Der  Syllogismus  als  Erkenatnifisform 

Construction  und  Gombination  liegen,  wirken  durch  alle  Syllo* 
gismen  hindurch  und  greifen  schöpferisch  ein.  Das  syllogistische 
Verfahren  geht  dem  synthetischen  als  seine  äussere  Darstellung 
schützend  zur  Seite.  Der  Gedanke  ist  im  synthetischen  Verfahren  sich 
selbst  seiner  Strenge  bewusst  und  darin  für  sich  zunächst  sicher. 
Will  er  aber  das  Ergriffene  sich  oder  Anderen  darstellen,  so  dienen 
die  bindenden  unterordnenden  Syllogismen,  den  unsichtbaren  Gang  des 
Gedankens  sichtbar  darzustellen.  Der  individuelle  Blick  der  Syn- 
thesis  verhält  sich  zur  syllogistischen  Abwickelung,  wie  das 
Augenmaass  zur  Messkette  (Log.  Unters.  II,  S.  210  ff.;  2.  A.  S.  281  ff., 
3.  A.  S.  814  ff.,  wo  mir  das  Missverständniss  schuldgegeben  wird,  von 
dem  ich  doch  frei  zu  sein  glaube,  als  ob  das  »Allgemeine  der  That- 
Sachet  bedeuten  wolle,  dass  es,  wie  sonst  die  Thatsachen,  immer  aus 
der  Erfahrung  gezogen  sei;  ich  habe  doch  nur  gesagt  und  nur 
daraus  argumentirt,  dass  nach  Trendelenburg  lediglich  die  Thatsache 
und  nicht  der  Grand  in  Betracht  gezogen  werden  solle;  s.  anderer- 
seits n,  S.  280  ff.,  2.  A.  II,  S.  864  ff.,  8.  A.  II,  S.  388  ff.).  Wir  müssen 
gegen  diese  Ansicht  die  gleichen  Gegengründe  geltend  machen,  wie 
oben  gegen  die  Schleiermacher'sche.  Es  ist  wahr,  dass  in  der  Mathe- 
matik nur  sehr  wenige  Sätze,  wohl  nur  einige  Gorollarien,  durch  eine 
einfache  syllogistische  Subsumtion  unter  andere  erwiesen  werden  kön- 
nen, und  dass  meist  in  den  Hülfsoonstructionen  noch  eigenthümliche 
»synthetische  Elemente  €  hinzutreten;  auch,  dass  die  Auffindung  und 
Gombination  der  zum  Ziele  führenden  Syllogismen  einen  mathemati- 
schen »Blicke  voraussetzt,  der  von  der  Fähigkeit,  g^ebene  Syllogris- 
men  zu  verstehen  und  zu  würdigen,  wesentlich  verschieden  ist.  Allein 
wir  können  nicht  zugeben,  dass  die  » synthetische c  Gombination  eine 
andere  sei,  als  eben  die  Gombination  der  ürtheile  zu  Syllogismen  und 
der  Syllogismen  zu  Schlussreihen;  auch  nicht,  dass  die  Beweiskraft 
und  Sidberheit  für  den  Gedanken  auch  in  irgend  welchen  anderen  »syn- 
thetischen Elementen  c  liegen  könne,  als  in  dem  Gomplex  der  durch 
die  Gonstruction  ermöglichten  Syllogismen;  denn  nur  durch  Deduo- 
tion  aus  dem  schon  erkannten  Allgemeinen  kann  die  neue  Erkenntniss 
gewonnen  werden,  und  diese  Deduction  ist  ihrer  Natur  nach,  da  sie  auf 
keine  Weise  ohne  Subsumtion  unter  das  Allgemeine  geschehen  kann, 
nothwendig  syllog^tisch,  wie  sehr  auch  der  syllogistische  Gharakter 
unter  enthymematischen  Formen  sich  verbergen  mag;  die  synthetische 
Verknüpfung  kann  nicht  »individuelle  oder  »unmittelbar«  sein  in 
dem  Sinne,  als  unterwerfe  sie  nicht  das  Einzelne  oder  Besondere  des 
vorliegenden  Falles  dem  allgemeinen  Gesetze  der  Axiome  und  der  früher 
bewiesenen  Lehrsätze,  und  gewähre  dennoch,  wie  vermöge  einer  ver- 
borgenen Kraft,  dem  Gedanken  an  sich  Strenge  und  Gewissheit;  son- 
dern in  Wahrheit  liegt  der  Unterschied  der  Erkenntnissweisen  nur  in 
dem  Maasse  der  Bewusstseinsstärke  der  vermittelnden  Glieder,  in  dem 
Verweilen  des  Bewusstseins  bei  den  einzelnen  oder  Hinwegeilen  über 
dieselben,  in  der  vollständig  durchgeführten  oder  enthymematischen 
Form  der  Syllogismen.    Vor  allem  aber  ist  nicht  zuzugeben,   dass  der 


und  seine  Beziehung  auf  die  reale  Oesetzmässigkeit.  826 

Syllogismus  und  der  Gomplex  der  Syllogismen  nioht  neue  Erkennt- 
niss  erzeuge,  sondern  nur  der  schon  vorhandenen  und  an  sich  ohne 
Syllogismen  anderweitig  gesicherten  und  streng  gedachten  zur  Süsseren 
Darstellung  für  die  eigene  subjective  Gewissheit  und  fremde  Aner- 
kennung diene,  und  dass  fiir  den  Syllogismus  als  solchen  lediglich  die 
allgerareine  Thatsache  in  Betracht  komme.  Denn  ruht  der 
Syllogismus  nur  auf  der  Allgemeinheit  der  Thatsache^  so  ist'  auf  keine 
Weise  der  £inwand  der  Skeptiker  abzuweisen,  dass  der  Obersatz  nioht 
vor  dem  Schlusssatze  feststehen  und  diesen  nicht  begründen  könne,  und 
die  Aristotelische  Lehre  vom  Mittelbegriff  ist  wenigstens  für  die  Syl- 
logistik  als  solche  verloren.  Ist  dagegen  für  das  syllogistischc 
Verfahren  als  solches  die  Reflexion  wesentlich,  dass  das 
»Allgemeine  der  Thatsache«  auf  dem  »Allgemeinen  des  Grundes«  ruhen 
müsse  —  und  sie  ist  dies  in  der  That  — ,  so  ist  jene  Aristotelische 
Lehre  gerettet;  aber  dann  ist  es  auch  falsch,  dass  für  den  Syllogismus 
nur  die  allgemeine  Thatsache  in  Betracht  komme,  und  dass  es  eines 
anderen  »synthetischen«  Verfahrens,  als  desjenigen,  welches  sich  in  den 
Syllogismen  und  durch  die  Syllogismen  vollzieht,  zur  schöpferischen 
Begründung  derErkenntniss  bedürfe,  der  Syllogismus  aber  nur  »formalen« 
und  didaktischen  Werth  habe;  dann  muss  vielmehr  anerkannt  werden, 
däss  das  syllogistische  Verfahren  seinem  innersten  Wesen  nach  selbst 
das  »synthetische«  ist,  und  dass  alle  anderen,  in  die  Verkettung  der 
Syllogismen  noch  mit  eingreifenden  »synthetischen  Elemente«  doch  nur 
die  Bestimmung  haben,  der  Auffindung  und  Anwendung  der  zweok- 
g^mäseen  Syllogfismen  zu  dienen.  Die  »reale«  erkenntnissschaffende  Macht 
des  Syllogismus  lasst  sich  nicht  nur  auf  dem  mathematischen,  sondern 
auch  auf  allen  übrigen  Gebieten  des  Wissens  nachweisen.  Jedes  Be- 
greifen eines  individuellen  Factums  der  Geschichte  aus  dem  allgemeinen 
Gesetze  geschieht  nothwendig  in  syllogistischer  Gedankenform,  obschon 
selten  in  syllogistischer  Ausdrucksweise.  Wenn  z.  B.  Schiller  in  seiner 
Geschichte  des  dreissigjährigen  Eri^es  die  Dauer  und  Heftigkeit  dieses 
Religionskampfes  erklären  will,  so  zeigt  er  die  allgemeine  Gesetzmässig- 
keit auf,  wonach  Religionskriege  überhaupt  mit  der  grossten  Hartnäckig- 
keit und  Erbitterung  geführt  zu  werden  pflegen,  da  hier  jeder  Einzelne 
mit  personlicher  Selbstbestimmung,  und  nicht,  wie  bei  den  National- 
kriegen, in  Folge  der  blossen  Naturbestimmtheit  der  (Geburt,  der  einen 
oder  anderen  Partei  zugethan  sei,  und  subsumirt  in  syllogistisoher 
G^edankdnform  jedes  einzelne  Factum  unter  dieses  allgemeine  Gesets. 
Die  Ansicht,  dass  »die  Macht  des  Syllogismus  nur  formal  sei,  nicht  real, 
wie  die  Syntbesis«,  kann  nur  insofern  gelten,  als  sie  auf  die  unvoll- 
kommenen oder  nicht  wahrhaft  wissenschaftlichen  Syllogismen  (sowohl 
der  ersten,  als  der  übrigen  Figuren)  beschränkt  wird;  auf  die  voll- 
kommenen oder  die  eigentlich  wissenschaftlichen  Syllogpwmen  aber,  in 
welchen  der  Erkenntnissgrund  mit  demRealgmnde  coincidirt,  darf  sie 
eben  so  gewiss  nicht  bezogen  werden,  als  die  Aristoteh'sohe  Lehre  vom 
Mittelbegriff  Wahrheit  hat.  Die  an  sich  wohlbereohtigte  Unterscheidung 
zwischen  dem  »Allgemeinen  des  Grundes«  und  dem  »Allgemeinen  der 


326    §  102.  Der  einfache  kaieg.  Syllogism.  u.  die  drei  Termini  desselben. 

Thatsaohe«  kann  nicht  einen  unterschied  zwischen  »Synthesisi  und 
»Syllogismosc,  sondern  nur  zwischen  zwei  Gestaltungen  des  Syllo- 
gisma*s,  und  in  Bezug  auf  die  vollkommenen  Syllogismen  zwischen 
der  »realen  und  »formalen«  Seite  derselben  begründen.  Es  liegen  drei 
wesentlich  verschiedene  Gegensätze  vor:  1.  Grund  und  That- 
sache,  2.  Tact  und  Analyse,  3.  Hülfsconstructionen  und  Schlüsse.  £s  ist 
nicht  nothwendig,  dass  der  Grund  nur  in  der  Form  des  Tactes  oder 
Blickes  erfasst  werde  und  sich  an  Hülfsconstructionen  knüpfe,  ebenso- 
wenig, dass  die  entgegengesetzten  Glieder:  Thatsache,  Analyse  und 
Schlüsse,  stets  zusammenfallen,  und  es  erscheint  demgemäss  nicht  ge- 
rechtfertigt, die  drei  je  ersten  Glieder  unter  dem  gemeinsamen  Namen 
der  »synthetischen  Elemente«  zusammenzufassen,  noch  auch,  Grund  und 
Tact  oder  Blick  dem  syllogistischen  Verfahren,  als  ob  sie  diesem  fremd 
wären,  entgegenzusetzen ;  vielmehr  ist  das  synthetische  Verfahren  noth- 
wendig von  syllogistischem  und  der  vollkommene  oder  wahrhaft  wissen- 
schaftliche Syllogismus  von  »synthetischem«  Charakter. 

§  102.  Der  einfache  kategorische  Syllogismus 
besteht  aus  drei  kategorischen  Urtheilen,  wovon  zwei  die 
Prämissen  bilden  and  das  dritte  den  Schlnsssatz.  Dieselben 
enthalten  drei  Hanptbegriffe,  von  denen  derjenige, 
welcher Snbject  im Schlnsssatze  ist,  Unterbegriff  (terminus 
minor,  OQog  kaxctrog^  to  Slctvzov  sc.  ai^ov\  deijenige,  welcher 
Prädicat  im  Schlnsssatze  ist,  Oberbegriff  (terminus  maior, 
OQog  TiQwtog,  TO  fjiBV^ov\  beide  zusammen  auch  wohl  äussere 
Begriffe  (termini  extremi,  ra  axQa),  und  der  den  Schluss 
vermittelnde  gemeinsame  Bestandtheil  Mittelbegriff  (ter- 
minus medius,  ogog  fiaoogy  %d  fiaaov)  genannt  wird.  Diejenige 
Prämisse,  welche  den  Oberbegriff  (terminus  maior)  enthält, 
ist  der  Obersatz  und  diejenige,  welche  den  Unterbegriff 
(terminus  minor)  enthält,  der  Untersatz  (vergl.  §  100). 

Die  vorstehende  Terminologie  ist  durch  Aristoteles  begründet 
i  worden.  Dieser  definirt  AnaL  pri.  I,  1.  24  b.  16:  oqov  dk  xaltü  ttg  o¥ 

SiaXvijcu  ^  ngoiaaiij  olov  t6  ts  xttrriyoQovfiSVov  xal  ro  xa«^'  ov  Mtrtiyo- 
QäJtu,  Ib.  I,  4.  25  b.  85:  xalta  dk  fiiaov  fikv  o  xaX  ainb  iv  aXJi^  xtd 
alXo  iytovTi^  iarlVf  o  kuI  Tp  &iott  ylv^jai  fiiaov  axQa  dk  to  «dro  t€  iv 
aXlip  ov  xal  iv  (p  allo  la%(v  —  liyto  6k  (a^I^ov  ^kv  axQov  iv  tp  to  fAi" 
aov  iatlv^  ^XuTToy  dk  to  vno  ro  fiiaov  ov.  Ebendaselbst  und  öfter  ge- 
braucht Aristoteles  auch  die  Namen:  o  iaxnros  o^oc  (terminus  minor) 
und  o  TfQÖiTos  (terminus  maior).  Aristoteles  hat  diese  Terminologie 
zunächst  im  Hinblick  auf  diejenige  Form  des  Syllogismus  gebildet,  in 
welcher  das  Sphärenverhältniss  der  drei  Begriffe  mit  der  Wortbedeu- 
tung der  Namen:  fi€t(ov  oder  tiq^tov  (der  weitere  oder  höhere), fi^aoy 
(der  mittlere)   and  Haztov  oder  iox^nov  (der  engere  oder  niedere  Be- 


§  108.  Die  Figuren  der  einfachen  kategorischen  Syllogismen.      327 

griff)  übereinkommt;  er  überträgt  sie  dann  aber  auch  (ib.  I,  6  u.  6) 
auf  die  übrigen  Formen,  wo  das  Sphärenverhaltniss  ein  anderes  wird, 
indem  er  ihren  Siun  in  entsprechender  Weise  modiücirt.  Sollen  aber 
Definitionen  gegeben  werden,  die  gleichmässig  auf  alle  Fälle  zutreffen 
(was  allerdings  eine  unabweisbare  wissenschaftliche  Anforderung  ist), 
so  darf  darin  das  Sphärenverhaltniss  nicht  in  Betracht  gezogen  werden. 
Der  Mittelbegriff  ist  bloss  in  einigen  Fällen  in  der  ersten  Figur  der 
Syllogismen  dem  Umfang  nach  der  mittlere,  kann  aber  im  Allge- 
meinen nur  als  der  (den  Schluss)  vermittelnde  defiuirt  werden.  Die 
beiden  anderen  Termini  lassen  sich  auf  eine  allgemeingültige  Weise 
gar  nicht  von  einander  unterscheiden,  wenn  nicht  ihr  Verhaltniss  als 
Sub  je  et  und  P  räd  icat  im  Schluss  s  atze  mitberücksichtigt  wird;  denn 
ihr  Sphärenverhaltniss  ist  (wiewohl  speciell  in  der  Grundform  der 
ersten  Schlussügur  ein  festes)  im  Allgemeinen  ein  völlig  unbestimmtes. 
Es  könnte  nun  zwar  scheinen,  als  wäre  die  Rücksicht  auf  den  Schluss- 
satz ein  fehlerhaftes  vaie^ov  tiqotsqov,  und  als  müsste  daher  jeder  Ver- 
such einer  allgemeinen  Unterscheidung  des  terininus  maior  und  minor 
nothwendig  scheitern  (wie  namentlich  Trendelenburg,  Log.  Unters.  II, 
S.  233  ff.,  2.  A.  II,  S.  309  ff.,  3.  A.  S.  342  f.  darin  jenen  Fehler 
findet  und  auch  Drobisch,  Log.,  3.  A.  S.  92  behauptet,  es  werde  da- 
durch der  Untersuchimg,  ob  A  oder  B  Subject  des  Sohlusssatzes  werde, 
willkürlich  vorgegriffen).  Dann  aber  würde  die  Syllogistik  viel  von 
ihrer  wissenschaftlichen  Bestimmtheit  verlieren;  eine  durchgefährte 
Unterscheidung  der  Modi  wäre  unmöglich.  Jedoch  in  der  That  liegt 
in  jener  Rücksicht  auf  den  Schlusssatz  gar  nichts  Fehlerhaftes.  Es  ist 
nur  die  allgemeine  Form  des  Schlusssatzes  (S  P,  d.  h.  entweder  A  B 
oder  B  A,  wenn  A  und  B  die  äusseren  Termini  sind),  die  im  Voraus 
mit  in  Betracht  gezogen  wird,  ganz  abgesehen  theils  von  der  bestimm- 
teren Gestaltung  (S  a  P  oder  8  e  P  etc.),  die  der  Schlusssatz  annehmen 
mag,  theils  auch  sogar  von  der  Frage,  ob  sich  überhaupt  irgend  ein 
Schlusssatz  von  jener  Form  ergeben  werde,  was  alles  erst  durch  die 
fernere  Untersuchung  gefunden  werden  solL  Die  allgemeine  Form 
(einestheils  A  B,  anderentheils  B  A)  kann  aber  jedenfalls  ohne  Tadel 
im  Voraus  festgestellt  und  darauf  die  Benennung  der  verschiedenen 
Begriffe  in  den  Prämissen  gegründet  werden. 

§  103.  Die  einfacheii  kategorischen  Syllogismen  lassen 
sich  in  drei  Hauptclassen  eintheilen,  welche  Sehluss- 
fi garen  (figurae,  oxrifictva)  genannt  werden,  and  deren  erste 
wiedernm  in  zwei  Ab the Hangen  zerfällt,  die  gleichfalls 
als  verschiedene  Schlassfi garen  bezeichnet  za  werden 
pflegen.  Die  Eintheilang  in  die  drei  Haaptclassen 
beruht  aaf  dem  Sabjects-  oder  Prädicats-Yerhältniss  des  Hittel- 
begriffs in  den  Prämissen  za  den  beiden  anderen  Begriffen  ttber- 
haapt,  ohne  Btlcksicht  aaf  den  Unterschied  des  terminas  maior 


328     §  103.  Die  Figaren  der  einfachen  kategorischen  SyllogiBmen. 

nnd  minor,  mithin  ohne  Rücksicht  anf  die  Form  des  Schiass- 
satzes, auf  welche  die  allgemeine  Unterscheidung  dieser  beiden 
Termini  von  einander  sich  gründet.  Entweder  nämlich  ist  der 
Mittelbegriff  in  der  einen  Prämisse  Subject,  in  der  anderen 
Prädicat,  oder  in  beiden  Prämissen  Prädicat,  oder  in  beiden 
Sabject;  der  erste  Fall  begründet  die  erste  Hanptclasse 
oder  die  erste  Figar  im  umfassenderen  Sinne,  der 
zweite  Fall  die  zweite  und  der  dritte  die  dritte  Hanpt- 
classe oder  Figur  der  einfachen  kategorischen  Syllogis- 
men. Die  Untereintheilung  aber  beruht  auf  der  Mit- 
berücksichtigung des  Unterschiedes  zwischen  dem  terminns 
maior  (demjenigen  Begriffe,  welcher  im  Schlusssatze  Prädicat 
wird)  und  dem  terminus  minor  (demjenigen  Begriffe,  welcher 
im  Schlusssatze  Subject  wird).  Dieser  Unterschied  begründet 
in  der  ersten  Hanptclasse  zwei  Abtheilungen:  in  der 
ersten  ist  der  Mittelbegriff  das  Subject  zum  terminus  maior 
und  das  Prädicat  zum  minor;  in  der  zweiten  aber  ist  der- 
selbe das  Prädicat  zum  maior  und  das  Subject  zum  minor. 
Die  erste  Abtheilung  der  ersten  Hanptclasse  ist  die  erste 
Figur  im  engeren  Sinne;  die  zweite  Abtheilung  der  ersten 
Hanptclasse  aber  ist  die  sogenannte  vierte  oder  Galeni- 
sche Figur.  In  der  zweiten  und  dritten  Hanptclasse  be- 
gründet der  Unterschied  des  terminus  maior  und  minor  keine 
analogen  Abtheilungen,  weil  in  beiden  das  Yerhältniss  des 
terminus  maior  zum  Mittelbegriff  das  nämliche,  wie  das  des 
minor  ist,  indem  beide  Termini  in  der  zweiten  Figur  die  Stelle 
des  Subjects  in  beiden  Prämissen,  in  der  dritten  Figur  aber 
die  des  Prädicates  einnehmen,  und  eine  Vertauschung  beider 
daher  das  Yerhältniss  im  Allgemeinen  nicht  ändert  Die  zweite 
und  dritte  Hanptclasse  fällt  demnach  jede  mit  Einer  Abthei- 
Inng  zusammen,  und  es  braucht  in  Bezug  auf  dieselben  nicht 
zwischen  einer  weiteren  und  engeren  Bedeutung  des  Namens 
Figur  unterschieden  zu  werden. 

Dem  Obigen  zufolge  können  mit  gleichem  Rechte  drei  oder 
vier  Schlussfiguren  unterschieden  werden,  je  nachdem  der  Name 
Figur  im  umfassenderen  oder  beschränkteren  Sinne  gebraucht  wird; 
jenes,  weil  es  drei  Hauptclassen  giebt;  dieses,  weil  die  erste  Haupt- 
dasse  zwei  Abtheilungen   hat,  jede   der  beiden   anderen  aber  mit  je 


§  108.  Die  Figuren  der  einfachen  kategorischen  Syllogismen.      829 

einer  Abtheilnng  ooincidirt,  so  dass  im  Ganzen  vier  Abtheilungen 
bestehen.  Fehlerhaft  ist  nur  die  unkritische  Vermischung  beider  Ein- 
theilungen.  Der  ersten  Eintheilungs weise  (in  drei  Figuren  mit 
zwei  Abtheilungen  der  ersten)  kommt  allerdings  eine  grössere  formale 
Strenge  zu,  so  wie  etwa  auch  die  Eintheilung  der  Körper  nach  den 
Aggregatzuständen  in  I.  flüssige,  a.  luftformig  flüssige,  b.  tropfbar  flüs- 
sige, n.  feste  Körper,  für  vorzüglicher  in  formaler  Beziehung  gelten 
mag,  als  die  in  1.  luftförmige,  2.  tropfbar  flüssige,  8.  feste  Körper; 
doch  ist  darauf  nicht  mit  pedantischem  Bigorismus  allzuviel  Gewicht 
zu  legen.  Vgl.  oben  zu  g  64.  Auf  der  anderen  Seite  aber  hat  auch 
die  zweite  Eintheilungsweise  (in  vier  Figuren)  ihre  Vorzüge  in 
didaktischer  und  in  wissenschaftlicher  Beziehung:  sie  ist  einfacher,  und 
sie  trennt  mehr  die  künstlichen  und  complicirten  Schlussweisen,  welche 
in  der  vierten  Figur  (oder  der  zweiten  Abtheilung  der  ersten  Figur 
im  weiteren  Sinne)  vorkommen,  von  den  einfachen  und  natürlichen  der 
ersten  Fig^  im  engeren  Sinne.  Schematische  Darstellungen  mögen 
beide  Eintheilungsweisen  veranschaulichen.  Nennen  wir  den  Mittel- 
begriff  (terminus  Medius)  M,  die  beiden  anderen  Begriffe  aber,  ohne 
vorläufig  deren  Unterschied  als  terminus  maior  und  minor  zu  berück- 
sichtigen, A  und  B,  so  ist  nach  der  ersten  Eintheilungsweise  das 
Schema  der  drei  Hauptclassen  folgendes: 


I. 

n. 

m. 

M    A 

A    M 

M    A 

B     M 

B    M 

M    B 

Die  Form  des  Schlusssatzes  (B  A  oder  A  B)  bleibt  hierbei  ausser  Be^ 
traoht.  Unterscheiden  wir  aber  den  terminus  maior  und  minor,  und 
nennen  diesen,  weil  er  Subjeot  im  Schlusssatze  (Subiectum  oonolusionis) 
wird,  S,  den  maior  aber,  da  er  im  Sjchlusssatze  Prädicat  (Praedicatum 
oonclusionis)  wird,  P,  so  zerfällt  die  erste  Hauptclasse  oder  die 
erste  Figur  in  dem  weiteren  Sinne,  worin  dieses  Wort  bei  der 
ersten  Eintheilungsweise  genommen  wird,  in  ihre  beiden  Ab- 
theilungen, während  die  zweite  und  dritte  ungetheilt  bleiben, 
nach  folgendem  Schema: 


1,1. 

1,2. 

n. 

III. 

M    P 

P    M 

P    M 

M    P 

S    M 

M    S 

S    M 

M    S 

SP  SP  SP  SP 

Nach  der  zweiten  Eintheilungsweise  findet  wieder  dieselbe  Be- 
zeichnung S,  P  und  M  Anwendung;  da  aber  nun  der  Ausdruck  Fi- 
gur im  engeren  Sinne  verstanden  wird,  so  ergeben  sich  vier  Fi- 
guren, wovon  die  erste  mit  der  ersten  Abtheilung  der  ersten  Figur 
im  weiteren  Sinne,  die  zweite  mit  der  zweiten  Figur,  die  dritte  mit 
der  dritten,  die  vierte  endlich  mit  der  zweiten  Abtheilung  der  ersten 
Figur  im  weiteren  Sinne  fibereinkommt,  nach  folgendem  Schema: 


880     §  103.  Die  Figuren  der  einfachen  kategorischen  Syllogismen. 


I'.    . 

H'. 

IH'. 

IV'. 

M    P 

P    M 

M    P 

P    M 

S    M 

S    M 

M    S 

M    S 

SP  SP  SP  SP 

Dass  der  Schiasssatz  in  allen  Fällen  die  Form  S  P  haben  muss,  ist 
selbstverständlich,  da  ja  eben  dies  die  Bedeutung  von  S  ist,  dass  es 
den  Terminus  bezeichne,  der  Subject  im  Schlusssatze  wird,  und  die 
Bedeutung  von  P,  dass  es  das  Prädicat  des  Schlusssatzes  bezeichne.  Es 
würde  dies  nicht  einmal  bemerkt  zu  werden  brauchen,  wenn  nicht  sogar 
in  logischen  Werken  die  Frage  aufgeworfen  worden  wäre,  die  von  völ- 
ligem Missverständniss  zeugt,  warum  man  denn  so  einseitig  immer  nur 
S  P  schliessen  wolle  und  nicht  auch  den  Schluss  P  S  zulasse.  (So  sagt 
namentlich  Bachmann,  der  übrigens  die  Syllogistik  gut  dargestellt 
hat,  Log.  S.  226:  »eine  andere  Grille  der  Aristo teliker  war  es,  für  alle 
Figuren  die  Conclusion  S  P  zu  ziehen;  das  ist  aber  gar  nicht  noth- 
wendigc.)  Gewiss  ist,  wenn  die  Termini  ausser  M  zunächst  ohne  wei- 
teren Unterschied  A  und  B  genannt  werden,  im  Allgemeinen  ebenso- 
wohl der  Schluss  auf  B  A,  wie  auf  A  B  zuzulassen;  aber  hat  der 
Schlusssatz  jene  Form,  so  ist  eben  darum  auch  B  das  S  (Subiectam 
conclusionis)  und  A  das  P  (Praedicatum  conclusionis),  und  hat  er  die 
andere  Form,  so  ist  A  das  S  und  B  das  P.  Da  das  Verhältniss  des 
terminus  maior  und  minor  im  Schlusssatze  ein  bestimmtes,  in  den  Prä- 
missen aber  ein  unbestimmtes  ist,  so  muss  ihre  Stellung  im  Schluss- 
satze uns  als  Grundlage  ihrer  Unterscheidung  überhaupt  dienen,  und 
eben  darum  darf  die  Bezeichnung  im  Schlusssatze  nicht  schwanken.  — 
Uebrigens  ist  die  Reihenfolge  der  Prämissen  in  allen  Fällen  ohne 
Einfluss  auf  die  Bestimmung  der  Figur.  Es  ist  üblich,  den  Obersaiz 
(der  den  terminus  maior  enthält),  voranzustellen,  und  es  ist  auch  in 
der  That  sehr  zwedEmässig,  bei  der  logischen  Erörterang  der  syllo- 
gistischen  Verhältnisse  irgend  eine  bestimmte  Reihenfolge  der  Priunissen 
festzuhalten,  um  die  Uebersicht  zu  erleichtern  und  nicht  Verwirrung 
EU  veranlassen.  Aber  dieser  Gebrauch  darf  nicht  so  gedeutet  werden, 
als  werde  damit  das  Sdiluss verfahren  überhaupt  an  diese  eine 
Reihenfolge  gebunden,  sondern  die  andere  ist  ganz  ebenso- 
wohl zulässig,  bei  welcher  die  beiden  letzten  der  obigen  Schemata 
folgende  Gestalt  annehmen: 

I,  1  oder  I'.    I,  2  oder  IV'.    II  oder  11'.      HI  oder  UV. 
SM  MS  SM  MS 

MP  PM  PM  MP 

S    P  S~P  S~P  S    P 

Diese  letztere  Reihenfolge  der  Prämissen  ist  wenigstens  in  der  ersten 
Figur  (die  Voranstellung  des  Subjects  vor  dem  Prädioate  in  den  ein- 
zelnen Sätzen  vorausgesetzt)  sogar  leichter  und  bequemer,  als  die  ent- 
gegengesetzte, und  wird  im  wirklichen  Schliessen  mindestens  eben  so 
häufig  vorkommen.  Hierin  aber  liegt,  da  die  Reihenfolge  an  sich 
gleichgültig  ist,  keine  Nöthiguug,  in  der  logischen  Erörterung  von  der 


882     §  108.  Die  Figuren  der  einfachen  kategorischen  Syllogrismen. 

» 

Prämissen  folge,  die  Syllogismen  der  beiden  anderen  Figuren  dagegen 
unvollkommen  {avlloyiofioi  ariXtU).  Doch  leitet  ihn  bei  dieser 
Benennung  wohl  auch  der  Gedanke,  dass  nur  in  der  ersten  Figur  ein 
allgemein  bejahender  Schlusssatz  sich  ergeben  und  der  Erkenntnissgrund 
mit  dem  Realgrunde  coincidiren  könne.  Das  Yerhältniss  dieser  Aristo- 
telischen Eintheilung  zu  der  im  späteren  Mittelalter  vorherrschenden 
in  vier  Figfuren  bedarf  auch  nach  den  sehr  anerkennungswerthen  neueren 
Forschungen  immer  noch  der  genaueren  Untersuchung.  Die  gewöhnliche 
Annahme  ist,  dass  die  drei  Aristotelischen  Figuren  mit  den  drei  ersten 
der  späteren  Eintheilung  (den  obigen  I'  IP  IIF)  übereinkommen,  und 
dass  die  vierte  (IV)  durch  Cl.  Galenus  (s.  u.  S.  340  f.)  hinzuge- 
fügt worden  sei.  Dagegen  hat  namentlich  Trendelenburg  (Log. 
Unters.  1840,  II,  S.  282  ff.,  2.  A.  S.  808  ff.,  8.  A.  S.  341  ff.,  vgl.  Ele- 
menta  log.  Arist.  §  28,  und  Erläuterungen  zu  den  Elem.  der  Arist. 
Logik  zu  demselben  §)  nachzuweisen  gesucht,  dass  die  Aristotelische 
Eintheilung  eben  so  vollständig  sei,  wie  die  spätere,  aber  auf  einem 
verschiedenen  —  und  zwar  besseren  —  Princip  beruhe.  »Aristoteles 
entwarf  drei  Figuren,  je  nachdem  der  terminus  medius  in  der  Reihe 
der  untergeordneten  Begriffe  die  mittlere  Stellung  einnimmt 
(erste  Figur),  oder  die  oberste  (zweite  Figur),  oder  den  niedrigsten 
Begriff  bildet  (dritte  Figur).  Nach  der  Ansicht  der  Unterord- 
nung der  drei  zu  einem  Syllogismus  nöthigen  Begriffe  ergeben 
sich  drei  Figuren.  Wenn  man  später  vier  Figuren  zählte,  so 
folgte  man  einem  anderen  Eintheilungsgrunde,  und  zwar  der  Möglich- 
keit der  verschiedenen  Stellungen,  die  der  Mittelbegriff  in  den  beiden 
Prämissen  haben  kann.  Aristoteles  sah  auf  das  innere  Yerhältniss 
der  im  Schlüsse  vorkommenden  drei  Termini;  später  betrachtete  man 
äusserlioh,  ob  der  Mittelbegriff  die  Stelle  des  Subjectes  oder  Prädi- 
cates  in  den  beiden  Prämissen  behaupte.  Aristoteles  lässt  die  Folge 
der  Prämissen  frei;  in  der  neueren  Ansicht  wird  diese  ge- 
bunden, indem  man  den  Begaff,  der  im  Schlusssatze  Subjeot  wird, 
immer  in  den  Untersatz  verweist.  Diese  Anordnung  ist  indessen  eine 
willkürliche  Einrichtung  und  eine  Verkehrung  der  natürlichen  Verhält- 
nisse, da  die  aus  den  Prämissen  folgende  Gonclusion  in  keinerlei  Be- 
stimmung auf  ihre  Gründe  (die  Prämissen)  zurückwirken  kann.  Qui 
terminorum  naturam  speotant,  eos  tria  figuramm  genera,  qui 
externam  enunoiationum  formam,  eos  quatuor  oonstituere 
necesse  est.  Quare  Galenus  non  addidit,  ut  vulgo  putant,  qnartam 
tribus  prioribus,  sed  tres  Aristotelis  in  quatuor  novas  oonvertit; 
nituntor  enim  plane  alio  dividendi  fundamentoc.  Um  in  dieser 
Streitfrage  zur  Entscheidung  zu  gelangen,  müssen'  wir  zunächst  in  Be- 
zug auf  Aristoteles  zwischen  dem  Prinoip  seiner  Eintheilung  und 
der  Durchführung  des  Princips  unterscheiden. 

Was  das  Prinoip  betrifft,  so  steht  wenigstens  das  Eine  un- 
zweifelhaft fest,  dass  zwischen  den  drei  zu  dem  Syllogismus  erforder- 
lichen Begriffen  das  Yerhältniss  einer  successiven  Unterordnung  nur 
in  der  ersten  Figur,  und  auch  in  dieser  nicht  einmal  überall  besteht, 


§  109.  Die  Figuren  der  einiaohen  kategorisohen  SyllDgiamen.      883 

nSmlioh  insoweit  nicht,  als  negative  und  puticnlare  tJrth^le  vor- 
kommen, in  der  zweiten  Figur  aber,  wie  »nchTrendelenbarg  (Log. 
Unten.  II,  S.  333,  2.  A.  S.  314,  3.  A.  S.  347)  selbst  bemerkt,  nnd  so 
auch  ifTOSsentheilB  ia  der  dritten  >melir  eine  Annalune  der  Analogie., 
als  streng  wahr  ist,  da  die  Vemeinung  den  Verband  der  Unterordnung 
zerreiista.  Hierana  folgt  mit  gleichor  Gewiaaheit,  daaa  Ariatotolea,  wenn 
er  die  üiintheilnng  der  Syllogismen  in  die  Figuren  überhaupt  anf  das 
innere  TerbÖltuisa  der  Unterordnung  der  Termini,  also  anf  ein 
Terli&ltniM  lu  gründen  versuchte,  welches  nur  in  der  ersten  dieser 
Figuren  (und  auch  hierin  nicht  einmal  dorch^ngig)  wirklich  besteht, 
einen  entaohiedenen  Fehler  b^^ngen.bat,  und  dass  es  im  Interesse  der 
Aristotelischen  Syllc^tik  li^eu  muss,  falls  sie  von  dieser  Unrichtig- 
keit frei  ist,  auch  frei  davon  erkannt  zu  werden.  DuTerUltniss  der 
Termini,  welches  wirklich  besteht,  ist  vielmehr  nur  du  Urtheils- 
verhältniss,  dass  der  MittelbegrifT  entweder  in  der  einen  PrSmisse 
Subiect    nnd    ziurleiah    in    der    anderen  Prädiaat.    oder   in  beiden 


884      §  108.  Die  Figuren  der  einfachen  kategorischen  Syllogismen. 

Ifyma  TovTo.  Das  Gleiche  gilt  von  der  Definition  der  dritten  Fig^ 
(oder  vielmehr  wiederum  der  dritten  Combinationsweise  der  Prämissen), 
welche  lautet  (c.  6.  28  a.  10) :  inv  Sk  rtß  ait^  ro  jukv  navtl  ro  Sh  /iri^evl 
vnaQxll,  V  &u(p(o  nttvrl  rj  fitiösvl,  ro  /nkv  a^fia  ro  rotovrov  xuXeS  tqCtov. 
Aristoteles  fügt  bei:  fAiaov  «F*  ^v  avr^  Ifyca  xa&^  ov  «fitpto  t«  «tn^opov- 
fi€vt(,  axQa  Sk  rh  xartjyoQovfjievttf  so  dass  hier  überall  die  ürtheils- 
verhaltnisse  in  JBeträoht  gezogen  werden.  Was  aber  zweitens  die 
Reduction  der  einzelnen  Schlussweisen  der  zweiten  und  dritten  Figur 
auf  die  der  ersten  betrifft,  so  dient  dieselbe  dem  Zwecke,  die  Gültig- 
keit der  gezogenen  Schlüsse  zu  erweisen;  aus  dieser  Art  der  Beweis- 
führung aber  folgt  nicht,  dass  nach  der  Ansicht  des  Aristoteles  die 
zweite  und  dritte  Figur  auf  demselben  Prinoip  der  sucoessiven  Unter- 
ordnung der  Termini  beruhen  müsse,  welches  in  der  ersten  eine  par^ 
tielle  Wahrheit  hat.  Am  meisten  scheint  der  dritte  Punkt  für  jene 
Ansicht  zu  sprechen,  dass  Aristoteles  das  Verhältniss  der  Termini  in 
allen  drei  Figuren  als  ein  Verhältniss  der  successiven  Unterordnung  an- 
sehe. Anal.  pri.  I,  4.  26  b.  86  wird  von  dem  Mittelbegriff  der 
ersten  Figur  gesagt:  o  xttl  t^  &io€i  yCvirm  fiiaov,  o.  6.  26  b.  89  von 
dem  zweiten:  Ti&trai  <fi  to  fxiaov  l^oi  fAkv  tüv  axgtov^  nQWTov  Sk  rj 
&'4a€iy  und  c.  6.  28  a.  14  von  dem  der  dritten:  rl^nai  dk  ro  ia4gov 
l|ft>  fAkv  xihf  axgtav,  Iff/ixrov  dk  rj  d-ioBi,  Auch  sagt  Aristoteles  c. 
5.  26  b.  87,  in  der  zweiten  Figur  sei  das  fiiiCov^  axQov  (terminus  maior) 
ro  ngog  r^  /t£^<r^  xiifAivov,  das  flatrov  aber  (terminus  minor)  to  no^- 
^mT^Qti  Tov  fiiaovy  und  c.  6,  in  der  dritten  Figur  finde  das  umgekehrte 
Verhältniss  statt.  Alle  diese  Aeusserungen  würden  nun  zwar  zu  der 
Ansicht,  dass  eine  snccessive  Unterordnung  der  Termini  in  allen 
drei  Figuren  stattfinde,  ganz  wohl  passen,  und  wenn  es  durch  andere 
Gründe  schon  bewiesen  wäre,  dass  Aristoteles  diese  Ansicht  hege,  ans 
derselben  zu  erklären  sein;  aber  eine  andere  Frage  ist  es,  ob  sie  nur 
aus  dieser  Ansicht  erklärt  werden  können,  und  ob  sie  daher  zu  dem 
Küokschluss  auf  dieselbe  berechtigen.  Denn  diese  Ansicht  ist,  wie  nach- 
gewiesen, ein  Irrthum,  und  ein  solcher  darf  bei  Aristoteles  in  der  Syllo- 
gistik  doch  erst  dann  vorausgesetzt  werden,  wenn  seine  Worte  keine 
andere  naturgemässe  Erklärung  zulassen,  und  nur  in  dem  Maasse,  als 
die  Worte  uns  nöthigen.  Kun  aber  lassen  jene  Ausdrücke  allerdings 
eine  günstigere  Deutung  zu  (welche  auch  Waitz  in  seiner  Anmerkung 
zu  c.  5.  26  b.  87  vertritt).  Es  lässt  sich  nämlich  der  Ausdruck 
*^crtc  von  der  Stellung  oder  Ordnung  der  Termini  in  den  Prä- 
missen, die  auf  ihrem  Subjects-  oder  Prädicatsverhältniss 
beruht,  und  von  der  hierdurch  bedingten  Stellung  in  dem  kürzeren 
Aristotelischen  Schema  verstehen*  Die  Grundform  der  ersten  Figur 
ist  folgende: 

ro  A  xtait  novros  tov  B, 
ro  B  »err«  nayrog  tov  r, 

TO  A  xtna  navrog  tov  V. 
Hier  ist  die  O-iaig,  positio,  ooUooatio,  des  Mittelbegriffs  B  die  mittlere 


§  lOS.  Die  Figoren  der  einfachen  kategoriBolien  SyllogiBmen.      S36 

■wiscben  A  tmd  r,  und  Aristotelea  pfl^  demg^emäsB  anch  die  Termini 
der  ersten  Fignr  knrz  in  folgender  Ordnung  znsamnienzattelleD : 

ABF. 
oder,  wie  wir  (mitTrendelenbnrg,  Er^nt.  8.  B2)  ichreiben  können, 
inilem  wir  den  Hittelbegriff  dnrch  den  groHsen  Baohstaben  aaBieiuhnen: 

«  B  y. 
In  dieser  Figur  trifft  nun  zwar  mit  dem  YerhältnisB  der  Termini  in 
den  PrSinisgen  and  der  darauf  beruhenden  untreren  Stellung  anch  dos 
OmfangBTBrhSltniee  derselben  zaeammen;  aber  diei  hindert  nicht, 
dau  doch  die  nacbete  Bedeutung  der  Stellnng  {&tnis)  darin  liege,  da» 
Orthei iBTerhällniBs  eu  bezeichnen,  und  daas  diese  Bedeutung  in  den 
übrigen  Fignren  die  einzige  tei.  Die  Grundform  der  zweiten  Fignr 
ist  nach  der  Aristotelischen  Bezeichnung  folgende: 


836      §  108.  Die  Figuren  der  eiDfaohen  kategorisohen  Syllogismen. 

Analogie  hat  leiten  lassen,  die  nicht  ganz  zutrifft,  wofür  jedoch  in  dem 
Umstände  wenigstens  eine  Entschuldigung  liegt,  dass  er  in  der  ersten 
Figur  (mit  vollem  Rechte)  die  wissenschaftlich  bedeutendste  erkannte, 
die  übrigen  aber  (hierin  freilich  zu  weit  gehend)  nur  als  unselbstän- 
dige Nebenformen  ansah.  Dass  er  aber  das  v  in  Parallele  mit  dem 
maior  der  ersten  Figur,  das  {  dagegen  mit  dem  minor  stellte,  und  die 
Prämisse,  die  das  v  enthält,  der  anderen  vorausgehen  liess,  dafür  brauchen 
wir  den  Grund  doch  nicht  nothwendig  in  einer  irrthümlichen  Ansicht 
über  das  innere  Yerhältniss  dieser  Termini  zu  suchen;  sondern  Ari- 
stoteles kann  sich  hierbei  (mehr  unbewusst)  durch  dieselbe  Rücksicht 
auf  die  Form  des  Schlusssatzes  haben  bestimmen  lassen,  welche 
die  späteren  Logiker  ausdrücklich  für  den  Grund  der  Unterscheidung 
des  terminus  maior  und  minor,  sowie  des  Ober-  und  Untersatzes  er- 
klären, wenn  gleich  Aristoteles  bei  der  Eintheilung  der  Schluss- 
figuren diese  Rücksicht  nicht  nimmt.  (Hierfür  spricht  auch  die  Stelle 
Anal.  pri.  I,  23,  wo  Aristoteles  von  dem  Schlusssatze  ausgeht  und 
nach  dessen  Form  die  der  Prämissen  bestimmt.)  So  erklären  sich  alle 
jene  Aeusserungen  des  Aristoteles  auf  eine  ungezwungene  Weise,  ohne 
dass  wir  zu  der  Voraussetzung  eines  Irrthums  unsere  Zuflucht  zu 
nehmen  brauchen.  Ebenso  ist  über  die  dritte  Figur  zu  urtheilen. 
Das  Schema  ihrer  Grundform  ist  nach  der  Aristotelischen  Bezeichnung 
folgendes: 

t6  n  xara  navrog  tov  ^, 
TO  P  X€aa  ftttVfbg  tov  2^, 

To  n  xaxa  Ttvog  tov  P, 

Das  kürzere  Schema  ist: 

n  p  s, 

oder  (wiederum  nach  der  obigen  Bezeichnungsweise): 

Hier  ist  der  den  Schluss  vermittelnde  Begriff,  nämlich  das  2^,  l^ax^ror 
T^  &^an,  weil  beidemal  Subject,  und  demgemäss  auch  in  dem  kürzeren 
Schema  zuletzt  gestellt.  Allerdings  ist  in  dieser  Figur,  falls  beide  Prä- 
missen affirmativ  und  allgemein  sind,  der  Mittelbegriff  den  beiden  an- 
deren Begriffen  logfisch  untergeordnet;  aber  dieses  Yerhältniss  findet  in 
den  übrigen,  von  Aristoteles  nicht  minder  sorgsam  berücksichtigten 
Schlussweisen  dieser  Figur  nicht  mehr  statt,  so  dass  wir  auch  hier  die 
Stellung,  ^^aigj  des  £  aus  seinem  Urt heil s-  (und  zwar  Subjects-)  Yer- 
hältniss in  den  Prämissen  erklären  müssen.  Yollends  aber  zwischen  n 
und  Q  findet  auch  nicht  einmal  in  dem  Falle,  wo  beide  Prämissen 
affirmativ  und  allgemein  sind,  geschweige  denn  in  allen  Schlüssen  der 
dritten  Figrur,  nothwendig  ein  bestimmtes  Unterordnungsverhältniss 
statt,  und  wenn  Aristoteles  in  dieser  Figur  denjenigen  Terminus  den 
minor  nennt,  welcher  dem  Mittelbegriff  näher,  denjenigen  aber  den 
maior,  welcher  dem  Mittelbegriff  femer  stehe,  so  ist  diese  Stellung  und 
die  daran  geknüpfte  Terminologie  wieder  ebenso,  wie  bei  der  zweiten 
Figur,  zu  erklären.  —  Trendelenburg's  drei  Argumente   können  also 


§  103.  Die  Figuren  der  einfachen  kategorischen  Syllogismen.      8  87 

nicht  beweisen,  dass  Aristoteles  die  Eintheilung  der  Syllogismen  in 
drei  Figuren  auf  ein  vermeintlich  dreifach  gestaltetes  Snbordinations- 
verhaltniss  zwischen  den  drei  Terminis  zn  gründen  versucht  habe.  Aus- 
drücklich aber  spricht  Aristoteles  selbst  das  Princip  seiner  Eintheilung 
Anal.  pri.  I,  82.  47  a.  40  dahin  aus:  iav  filv  ovv  xarijyogy  xal  x«ri;- 
yoQrJTai  to  fiiaov,  rj  avto  fihv  xatrfyo^,  aXXo  cf'  ix€ivov  anaQvrjftai^  ro 
nQWTOv  iOTiU  ax^^a'  iav  Sk  xal  xarifyoQy  xal  änaQvifrai  ano  rivoif  ro 
fiiaok'  iav  6\alla  ixclvov  xanj/ognTai,  rj  ro  /nh  ana^viJTat  t6  S^  xa- 
Tijyo(>^ai,  T&  föjifaToy  —  Tj  rov  fiiaov  ■&iaiiryv(it)Qiovfi€v  to  a/^^«. 
Hiemach  eal^heidet  die  Stellung,  &iaig^  des  Mittelbegriffs  in  den 
Prämissen  über  die  Figur;  diese  Stellung  aber  beruht  ihrerseits  auf 
dem  Subjepts-  oder  Prä  dicats  verhaltniss  des  Mittelbegriffs  in  den 
Prämissen.  Hierbei  bleibt  der  Unterschied  des  terminus 
maior  und  .minor  ausser  Betracht.  Das  hier  unzweideutig  von 
Aristoteles  dargelegte  Eintheilungsprincip  ist  nicht  ein  secundärer 
(Gesichtspunkt,  sondern  ist  völlig  identisch  mit  demjenigen  Princip, 
welches,  der  obigen  Erörterung  zufolge,  den  Definitionen  der  drei  Fi- 
guren (oder  vielmehr  der  drei  die  Figuren  bedingenden  Oombinations- 
formen)  in  c.  4;  5;  6  zum  Grunde  liegt,  und  worauf  auch  Aristoteles 
selbst  c.  82  zurückweist  in  den  Worten:  outto  yaQ  €?/€v  iv  ixaanp 
axfifim  ro  fiäaov.  (Vergl.  Anal.  pri.  I,  28.  41  a.  14:  ^  yäg  t6  A  tov 
r  xal  TO  r  TOV  B  xtetiiyo^auvrac  rj  ro  F  xar*  afitpolv  ^  afitpto  xarä 
TOV  r,  laina  (T  iarl  tu  iigrjfiiva  axT^fiara.)  Sofern  wir  uns  nun  hierbei 
bloss  an  das  Allgemeine  und  Principielle  halten,  dass  der  Mittel- 
begriff entweder  erstens  in  der  einen  Prämisse  Prädicat  sei  {xurri- 
yo^  und  zugleich  in  der  anderen  Subject  (xaxriyo^at.  ungewöhnlich 
für  Tovro  p  xa&^  ov  xajtfyoQdrai,  praedicato  exometur,  das  Prädiciren 
erleide,  s.  Trendelenburg,  Elem.  log.  Ar.,  zu  §  28,  und  Waitz  zu  der 
Stelle^  oder  zweitens  in  beiden  Prädicat,  oder  drittens  in  beiden 
Subject:  so  begründet  allerdings  diese  Aristotelische  Unterscheidung 
der  verschiedenen  Urtheilsverhältnisse  des  Mittelbegriffs  in 
den  Prämissen  eine  vollständige  Eintheilung  aller  einfachen 
kategorischen  Syllogismen  in  drei  Figuren,  und  in  dieser  Hinsicht 
dürfen  wir  als  Resultat  unserer  bisherigen  Untersuchung  aussprechen, 
dass  das  Aristotelische  Eintheilungsprincip  der  Syllogis- 
men mit  dem  Princip  unserer  obigen  Eintheilung  in  drei 
Hauptclassen  übereinkomme. 

Eine  andere  Frage  aber  ist,  ob  auch  die  Durchführung  dieses 
Princips  bei  Aristoteles  eine  vollständige  sei,  oder  ob  vielmehr  die 
zweite  Abtheilung  der  ersten  Figur  bei  ihm  fehle.  Hier  ist 
es  nun  Thatsache,  dass  Aristoteles  seine  erste  Figur  nicht  in  zwei 
Abtheilungen  zerlegt,  und  dass  er  die  einzelnen  Schlussweisen  (oder 
Modi),  welche  der  zweiten  Abtheilung  derselben  oder  der  später  soge- 
nannten vierten  Figur  angehören,  wenigstens  nicht  in  gleicher  Art, 
wie  die  übrigen  Schlussweisen,  förmlich  erörtert  und  nicht  mit  diesen 
in  eine  Reibe  gestellt  hat,  sondern  dass  dieselben  erst  von  Anderen 
zu  den  Aristoteüsohen  Modis  hinzugefügt  worden    sind   (s.   unten). 

22 


838     §  103.  Die  Figuren  der  einfachen  kategorischen  Syllogismen. 

Auch  leuchtet  ein,  dass  die  nähere  Bestimmung  der  ersten  Fig^ur  Anal, 
pri.  I,  c.  4,  wonach  der  Unterbegriff  in  den  Umfang  des  Mittelbegriffs 
fallen  und  der  Mittelbegriff  in  den  Umfang  des  Oberbegriffs  ganz  fallen 
oder  ganz  von  demselben  ausgeschlossen  sein  muss,  nur  bei  der  ersten 
Abtheilung  der  ersten  Figur  oder  bei  der  ersten  Figur  im  beschrank- 
teren Sinne  (!')  zutrifft;  ebenso  ist  unverkennbar,  dass  auch  die  Be- 
stimmung in  c.  82  zwar  insofern  auf  die  erste  Figur  im  umfassenderen 
Sinne  (I)  geht,  als  darin  der  Unterschied  des  terminus  maior  und  minor 
nicht  ausdrücklich  in  Betracht  gezogen  wird,  dass  dieselbe  daher  ihrem 
Grundgedanken  nach  alle  Modi  beider  Abtheilungen  umfassen  wurde, 
und  dass  sie  auch  in  ihren  einzelnen  Bestimmungen  nicht  bloss  auf  die 
erste  Abtheilung,  sondern  auch  auf  einige  Modi  der  zweiten  (nämlich 
auf  die  sogenannten:  Bamalip,  Calemes  und  Dimatis,  worüber  unten) 
Anwendung  leidet,  dass  dieselbe  aber  doch  in  Folge  der  beschränken- 
den Nebenbestimmung,  wonach  die  Prämisse,  die  den  Mittelbegriff  als 
Prädicat  enthält,  nur  bejahend  sein  darf,  auf  die  übrigen  Sdilussweisen 
der  zweiten  Abtheilung  (nämlich  auf  Fesapo  und  Fresison)  nicht  passt. 
Doch  hat  Aristoteles  allerdings  an  zwei  Stellen  Andeutungen 
gegeben,  die  nur  verfolgt  zu  werden  brauchten,  um  die  zur  zweiten 
Abtheilung  der  ersten  Figur  gehörenden  Modi  auÜEufinden.  £<r  sagt 
nämlich  Anal.  pri.  I,  c.  7,  dass  auch  wepn  ein  eigentlicher  SyllogismuB 
sich  nicht  bilden  lasse,  dennoch  bei  einer  gewissen  Gestalt  der  Prä- 
missen ein  Schlusssatz  gefunden  werde,  in  welchem  der  terminus  minor 
(ro  iXcnrov)  Prädicat,  der  maior  aber  (ro  fieiCov)  Subject  sei;  dieser 
Fall  trete  ein,  wenn  das  eine  Urtheil  allgemein  oder  auch  particular 
bejahe,  das  andere  aber  allgemein  verneine.  Falls  nämlich  (nach  der 
Combinationsweise  der  ersten  Figur)  das  A  jedem  oder  einigem  B,  das 
B  aber  keinem  F  zukomme,  so  ergebe  sich,  wenn  die  Prämissen  umge- 
kehrt werden,  die  Nothwendigkeit,  dass  das  F  einigem  A  nicht. zukomme. 
(Die  Umkehrung  führt  nämlich  auf  den  Syllogismus  Ferio  der  ersten 
Figur:  einiges  A  ist  B,  kein  B  aber  ist  r,  also  ist  einiges  A  nicht  F.  — 
Bei  der  Anwendung  der  Ausdrücke:  fAüiov  und  iXartov  hat  sich  Ari- 
stoteles in  diesem  Falle  nur  durch  die  Analogie  mit  der  Bezeichnung, 
welche  er  in  den  von  ihm  als  vollgültig  anerkannten  Syllogismen  zu 
gebrauchen  pflegt,  bestimmen  lassen.)  Die  hier  angedeuteten  Modi  sind 
(wie  schon  die  alten  Exegeten  bemerkt  haben)  identisch  mit  demjenigen, 
welche  später  als  die  beiden  letzten  unter  den  fünf  Modis  der 
zweiten  Abtheilung  der  ersten  Figur  (I,  2)  oder  der  vierten  Figur  (lY^ 
betrachtet  wurden  (nämlich  mit  Fesapo  und  Fresison).  Aristoteles 
bemerkt  (ebendaselbst),  dass  es  ebenso  auch  in  den  übrigen  Figuren 
sei;  denn  immer  lasse  sich  durch  die  Umkehrung  (avTiOJQOipfi,  nämlich 
der  Prämissen)  ein  Schlusssatz  gewinnen.  Allein  die  Modi,  nach  welchen 
so  in  den  übrigen  Formen  geschlossen  werden  kann,  sind  keine  neuen, 
sondern  fallen  mit  bestimmten  unter  den  schon  von  Aristoteles  selbst 
erörterten  Schlussweisen  zusammen.  (Dieselben  sind  nämlich  Cesare, 
Gamestres  und  Festino  der  zweiten  Figur,  welche  durch  Conversion 
beider  Prämissen  in  Ferison  der  dritten  übergehen,  und  Felapton  und 


§  108.  Die  Figuren  der  einfachen  kategorischen  Syllogismen.      839 

Ferison  der  dritten,  welche  in  Festino  der  zweiten  übergeben.)  Femer 
sagt  Aristoteles  Anal.  pri.  II,  c.  1,  dass  alle  diejenigen  Syllogismen,  deren 
Schlusssatz  allgemein  bejahe  oder  allgemein  verneine  oder  particular 
bejahe,  noch  ein  zweites  Resultat  gegeben,  wenn  der  Schlusssatz  um- 
gekehrt werde,  wogegen  ein  particular  verneinender  Schlusssatz,  der 
allgemeinen  Kegel  über  die  Conversion  gemäss,  keine  ümkehrung  zu- 
lasse. Aristoteles  unterscheidet  nicht  die  Fälle,  in  welchen  der  durch 
ümkehrung  des  Schlusssatzes  gewonnene  Schluss  mit  einer  der  schon 
erörterten  Schluss  weisen  oder  Modi  zusammenfallt  (wie  namentlich  Ce- 
sare  durch  diese  ümkehrung  in  Camestres  übergeht  und  Camestres  in 
Cesare,  Disamis  in  Datisi  und  umgekehrt,  ein  Schluss  in  Darapti  aber 
nur  in  einen  anderen  Schluss  von  dem  nämlichen  Modus)  von  denjenigen 
Fällen,  wo  sich  dadurch  ein  neues,  durch  keine  andere  Schlussweise 
erreichbares  Resultat  ergiebt*).  Werden  aber  diese  letzteren  Fälle  aus- 
gesondert, so  sind  dieselben  (wie  auch  schon  die  alten  Exegeten  bemerkt 
haben)  eben  diejenigen,  welche  später  als  die  drei  ersten  unter  den 
fünf  Modis  der  zweiten  Abtheilung  der  ersten  Figur  (I,  2)  oder  der 
vierten  Figur  (IV)  galten  (nämlich  Bamalip,  Galemes  und  Dimatis, 
welche  aus  den  drei  entsprechenden  Modis  der  ersten  Figur,  nämlich 
Barbara,  €!elarent  und  Darii,  durch  Ümkehrung  des  Schlusssatzes  her- 
gestellt werden  können,  wiewohl  sie  nicht  nothwendig  auf  diesem  Wege 
entstanden  zu  sein  brauchen,  s.  unten). 

Die  nächsten  Schüler  des  Aristoteles,  Theophrast  und  Eude- 
mus,  haben  die  fünf  Schlussweisen,  die  aus  jenen  Aristotelischen 
Andeutungen  als  neuer  Gewinn  hervorgehen,  den  von  Aristoteles  selbst 
als  vollgültig  anerkannten  und  genau  erörterten  Schlussweisen  hinzu- 
gefügt und  als  fünften  bis  neunten  Modus  der  ersteü  Figur 
aufgezählt,  und  zwar  in  derselben  Ordnung,  die  auch  später  üblich 
geblieben  ist  (nämlich  5.  Bamalip,  6.  Calemes,  7.  Dimatis,  8.  Fesapo, 
9.  Fresison).  Dies  bezeugen  namentlich  Alexander  von  Aphrodisias,  der 
Exeget,  und  Boethius.    Alex,  ad  Anal.  pri.  f.  27  B:  aifrog  filv  (d  jiQi- 


•)  Diesen  sehr  wesentlichen  unterschied-  hat  W  a  i  t  z  nicht  ge- 
würdigt, wenn  er  sagt  (Org.  I,  p.  386):  »Appulei  librum  nullius  fere 
pretii  esse  facile  inde  coniicitur,  quod  ubi  de  prima  figura  disputat, 
Theophrastum  imitatur  in  convertendis  propositionibus,  in  tertia  vero 
eum  reprehendit,  quod  opinatus  sit  duos  modos  nasci  ex  conversione 
oonclusionisc.  Ebenso  Prantl  (Gesch.  der  Log.  I,  S.  370),  wenn  er  das 
Verfahren  des  Appuleius  »einfältige  nennt.  Im  Gegentheil,  es  liegt  dem 
Verfahren  des  Appuleius  die  richtige  Einsicht  zum  Grunde,  dass  der 
Syllogismus  mit  umgekehrtem  Schlusssatze  in  der  ersten  Figur  einer 
anderen  Abtheilung  und  daher  gewiss  auch  einem  anderen  Modus  ange- 
hört, in  der  dritten  aber  bei  Darapti  nur  ein  anderes  Beispiel  eines 
Schlusses  in  demselben  Modus  ist.  Den  Modus  bestimmen  die  ihm  we- 
sentlichen Merkmale,  die  in  seine  Definition  eingehen ;  zu  diesen  gehört 
nicht  das  Verhältniss,  in  welchem  der  Schlusssatz  des  betreffenden  Syl- 
logismus zu  dem  eines  anderen  steht;  mithin  steht  nichts  im  Wege, 
dass  die  ümkehrung  des  Schlusssatzes  eines  Syllogismus  ia  einem  Falle 
(wenn  sich  nämlich  eine  Veränderung  der  wesentlichen  Modusmerkmale 
daran  knüpft)  zu  einem  neuen  Modus  führe,  im  anderen  Falle  aber  nicht. 


840     §  lOS.  Die  Figuren  der  einfachen  kategorischen  Syllogifimen. 

OTorilris)  TovTovg  xovq  lyxitfj,ivovg  avkhoyiafxovg  d^  ^^€ii€  ngoiiyoufiiveiig 
iv  r^  7¥QWJ((t  aj^rifiaTi  yivofiävovs,  Gi6(p^tfTos  ^k  nQogtC^riaiv  aXXovg  nivxe 
Totg  TiaaaQOi  rovroig  ovx^ri  ttXsfous  ovcF'  avanodidctovg  (d.  h.  nicht,  wie 
die  vier  ersten  Modi,  ohne  Beweis  anmittelbar  einleuchtend)  ovrag,  tav 
fiVf\fiovevH  xal  ^AQiOJoxiXr^g  —  rcuv  [ikv  tqicHv  t<ov  xar'  avnoJQfHprfy 
rcüV  avfjLniQaüfjaxtov  ytvofiivfov  roxi  re  tiqwtov  avano^slxrov  xal  tov 
^svräQov  xal  tov  tq(tov  iv  T<p  ^€VT^Q(p  xara  jag  ay^^s  (Anal.  pr.  11,  c  1) 
—  Tftiv  dk  xmaXunouivtav  ovo  iv  rovroig  (Anal.  pri.  I,  c.  7)  olg  Xfyei 
ort  —  iv  raig  aavXXoyCorotg  (av^vyCaig)  talg  i^ovacug  ro  anwpatixov 
xad-oXov  xal  ovaaig  avofjoioa/rjuoai  (d.  h.  wo  die  Prämissen  von  ungleicher 
Qualität  sind)  auvayual  ri  anb  tov  iXdxjovog  oqov  nQog  xbv  fi-itl^ova ' 
avxai  äi  iiaiv  iv  ngtoxt^  a^rj/naxi  ^vo  avfinXoxal  ^  t£  ix  xad-oXov  xara" 
ffaxixijg  xijg  fjiil^ovog  (sc  TiQOxaaetog)  xal  xa&oXov  anotpixxixrig  r^?  iXano' 
vogj  xal  ri  i$  inl  fiigovg  xaxa(paxtxfjg  rij;  jusiCovog  xal  xa&oXov  anofpccxixijg 
xijg  iXdxxovog'  —  <ov  xoV  fikv  oy^ooVy  xov  ^k  ivvaxov  Ge6<pgaaxog  Xfyu, 
Cf.  ib.  42  B— 48  A.  —  Boeth.  de  syll.  categ.  (oper.  ed.  BasiL  1456,  p.  594): 
habet  enim  prima  figura  sub  se  Aristotele  auctore  modos  quatuor,  sed 
Theophrastus  vel  Eudemus  super  hos  quatuor  quinque  alios  modos 
addunt,  Aristotele  dante  principium  in  secundo  priorum  Analyticorum 
Yolumine;  ib.  p.  595:  hoc  autem,  quod  nuper  diximus  (lulmlich  die 
Umkehrung  des  Schlusssatzes  in  Darii,  Gelarent  und  Barbara)  in  secundo 
priorum  Analyticorum  libro  ab  Aristotele  monstratur,  quod  scilicet 
Theophrastus  et  Eudemus  principium  capientes  ad  alios  in  prima  figura 
syllogismos  adiiciendos  animum  adiecere,  qui  sunt  eiusmodi,  qui  xara 
avaxXaaiv  vocantur,  i.  e.  per  refractionem  quandam  oonversionemque 
propositionis  (wonach  Boethius  die  Modi  V— IX  aufzählt).  Cf.  Philo p. 
ad  Anal«  pri.  f.  XXI  B:  ol  xaXov/isvot.  avxavaxXtofiBvoi.  YgL  Prantl, 
Gesch.  der  Log.  I,  S.  865  ff.;  S.  700. 

Eben  diese  fünf  Modi  sind  es,  welche  später  von  der  ersten  Figur 
getrennt  und  zu  der  sogenannten  vierten  oder  Galenischen  Figur 
zusammengefasat  wurden.  Dass  Galenus  der  Urheber  dieser  Darstel- 
lungsweise sei,  lässt  sich  aus  seinen  eigenen  Schriften,  soweit  dieselben 
uns  erhalten  sind,  nicht  erweisen ;  auch  sind  im  ganzen  späteren  Alter- 
thum  bis  auf  Boethius  herab  alle  namhaften  Logiker  durchaus  nur  der 
Theophrastischen  Weise  gefolgt,  jene  fünf  Modi  der  ersten  Figur  zusa« 
rechnen ;  ja  es  findet  sich  in  der  ganzen  antiken  Literatur  bis  auf  zwei 
einzelne  vor  Kurzem  aufgefundene  Notizen  (wovon  sogleich)  nicht  einmal 
eine  Erwähnung,  dass  es  noch  eine  andere  Darstellungsweise  gebe.  Alle 
Nachrichten  über  die  vielgenannte  Erfindung  des  Galenus,  jene  zwei 
Notizen  ausgenommen,  gehen  auf  ein  Zeugniss  des  arabischen  Philo- 
sophen Averro  es  zurück,  welches  in  der  alten  lateinischen  Uebersetzung 
lautet  (Averr.  Prior.  Kesol.  I,  8,  ed.  Venet.  1558  f.  68  B):  Sin  autem 
dicamus:  A  est  in  C,  quoniam  G  est  in  B  et  B  in  A,  res  erit,  quam 
nemo  naturaliter  faciet;  —  et  ex  hoc  planum,  quod  figura  quarta,  de 
qua  meminit  Galenus,  non  est  Syllogismus,  super  quem  cadat  natura- 
liter cogitatio.  —  Adducitur  deinceps  terminus  medius,  qui  praedicetur 
de  praedicato  quaesiti  et  subiiciatur  subjecto  quaesiti,  secundum  quod 


§  103.  Die  Fignren  der  einfachen  kategorischen  Syllogismen.     841 

existimavit  Galenns  hanc  figuram  quartam  esse,  secundum 
qnod  refertur  ad  quaesitum.  Von  jenen  zwei  neuhinzugekommenen 
Stellen  hat  die  eine  der  Nengrieche  Minoides  Minas  in  einem  unedirten 
anonymen  Commentar  zu  der  Aristotelischen  Analytik  aufgefunden  und 
in  seiner  Ausgabe  der  Pseudogalenischen  Ehaytoyri  diaXtxrixri  (Paris. 
1844)  abdrucken  lassen.  Die  Worte  lauten  (IlQod^ctüQ.  pag.  vg'):  Bfo- 
ifQaarog  Sk  xa\  EvSrjfiog  xaC  Tivag  h^Qag  av^vylag  naQa  rag  ixra&staag 
T^  u4QiajojiX€i  TtQogre&iixaai  rtp  nQfortp  a/'^/nau '  —  ag  xal  tijaqjov 
anoreletv  o^fza  rtoy  vearri^fov  ^i^&rjaav  rtveg  tog  ngog  naii^a  r^v 
So^av  rov  raXrivov  avaifi^omg.  Da  Minas  über  jenen  Commentar 
nichts  Näheres  angegeben  hat,  so  bleibt  die  Zeit,  aus  welcher  die  mit- 
getheilte  Notiz  stammt,  sehr  ungewiss.  Ygl.  Prantl,  Gesch.  d.  Log.  I, 
S.  532  f.  Die  andere  Stelle  theilt  Prantl  mit  im  zweiten  Bande  seiner 
Geschichte  der  Logik  im  Abendlande,  S.  295,  und  zwar  aus  einer  Schrift 
des  Johannes  Italus  (eines  jüngeren  Zeitgenossen  des  Psellus),  nämlich 
den  dinipoQa  ^tftrifictja  fol.  880  v.:  ra  6k  aj^rffiara  röiv  avXloytafAOJv  ravta  * 
6  FaXtivog  dk  xal  TiraQTOv  Inl  tomotg  ^tpaaxev  eJyai,  ivavrCiag  ngog  rov 
ZrayeiQCzTjv  (f>€Q6f4evog.  Sicher  ist,  dass  der  Urheber  dieser  Figur 
sie  nicht  als  eine  > neuerfundene c  zu  den  früher  bekannten  »hinzu- 
gefügt«, sondern  nur  das  zu  seiner  Zeit  schon  Bekannte  in  einer  neuen 
Weise  dargestellt,  nämlich  die  neun  Modi  der  ersten  Figur  im  weiteren, 
Aristotelisch-Theophrastischen  Sinne  an  zwei  Figuren,  die  erste  im  en- 
geren Sinne  und  die  nunmehr  sogen,  vierte,  vertheilt  hat.  Uebrigens 
mochte  für  Galen  in  seinem  Streben,  die  Logik  möglichst  nach  mathe- 
matischer Weise  zu  behandeln  (de  propr.  libr.  10.  XIX,  p.  40  K:  axo- 
Xou&rjaai  rtp  j^aQaxtijoi  Tfov  yon/n/uixtiv  anodiCUtov),  die  Veranlassung 
zur  gesonderten  Darstellung  der  vierten  Figur  liegen.  —  Doch  ist  die 
Ansicht  imhaltbar  (die  z.  B.  Trendelenburg  an  den  oben  angef.  Stellen 
äussert),  dass  die  Yierzahl  der  Figuren  auf  der  äusseren  Form  und 
Stellung  der  Sätze  beruhe  und  eine  Fixirung  der  Reihenfolge 
der  Prämissen  voraussetze;  denn  dieses  Princip  würde  vielmehr  auf 
die  Achtzahl  geführt  haben,  worauf  doch  erst  Krug  (s.  o.  S.  881)  ver- 
fallen ist;  die  Vierzahl  involvirt  vielmehr  eine  Freigebung  der  äusseren 
Stellung  oder  Beihenfolge,  und  das  Princip  derselben  unterscheidet  sich 
von  dem  Aristotelisch-Theophrastischen  nur  durch  die  unmittelbare 
Mitberücksichtigung  des  allgemeinen  Unterschiedes  zwischen  dem  ter- 
minus  maior  und  minor,  und  des  hierauf  beruhenden,  von  der  äusseren 
Folge  aber  unabhängigen  und  seinerseits  diese  nicht  bindenden  Unter- 
schiedes zwischen  dem  Ober-  und  Untersatze.  Selbst  die  scholastische 
»metathesis  praemissarumc  geht  ihrem  eigentlichen  Beg^riffe  nach  zu- 
nächst nur  auf  die  Umwandelung  des  inneren  Verhältnisses, 
wobei  die  Prämisse,  welche  Obersatz  (in  dem  durch  die  Definition  fest- 
gestellten Sinne)  war,  Untersatz  wird,  und  der  frühere  Untersatz  in  den 
Obersatz  übergeht,  indem  sich  hieran  die  äussere  Umstellung  der 
Sätze  nur  als  didaktisches  Hülfsmittel  anschliesst. 

Die   Scholastik   des    Mittelalters,    welche   sich   das   syllo- 
gistische  Verfahren  zwar  vielleicht  nicht  mit  dem  vollsten  und  reinsten 


342       §  103.   Die  Figuren  der  einfachen  kategorischen  Syllogismen. 

Yerständniss,  aber  nur  um  so  mehr  mit  dem  unbedingtesten  Glauben 
aneignete,  liess  sich  keine  Figur  und  keinen  Modus  rauben.  Doch  blieb 
neben  der  sog.  Galenischen  Eintheilung  immer  auch  noch  die  Theophra- 
stische üblich.  Manche  unter  den  Humanisten  und  neueren  Phi- 
losophen warfen  dagegen  in  der  ersten  Hitze  des  Streites  gegen  eine 
Bildungsform,  die  sich  überlebt  hatte,  den  ganzen  (wirklichen  oder  ver- 
meintlichen) Plunder  scholastischer  Spitzfindigkeiten,  wozu  eben  von 
Vielen  auch  die  Syllogistik  gerechnet  wurde,  unterschiedlos  über  Bord. 
Andere  wieder,  besonders  in  der  späteren  Zeit,  wollten  vermitteln; 
aber  weil  es  auch  ihnen  an  dem  tieferen  Yerständniss  meist  gebrach, 
so  wurde  statt  der  rechten  Vermittelung  vielmehr  nur  äusserlich  ein 
schlechter  Mittelweg  gefunden:  man  wollte  den  Syllogismus  nicht  preis- 
geben, weil  man  seine  Unentbehrlichkeit  erkannt  hatte,  und  meinte 
doch,  um  nicht  dem  Spotte  der  »Aufgeklärtenc  zu  verfallen,  und  zu- 
gleich, um  sich  die  Sache  bequemer  zu  machen,  ihm  gleichsam  die 
Flügel  beschneiden  und  nur  gemässigten  Respect  bezeugen  zu  dürfen. 
So  riss  allmählich  jene  Schaalheit,  Dürre  und  Oberflächlichkeit  der  Be- 
handlung ein,  welche  die  Syllogistik  vollends  in  Verachtung  brachte. 
Sogar  Wolff,  dem  doch  trotz  dem  eifrigsten  Scholastiker  die  Strenge 
der  syllogistischen  Form  die  tiefste  Herzensangelegenheit  war,  und  der 
den  Huhm  eines  »demonstrator  optimusc,  welchen  er  unter  den  Logikern 
der  nächstvergangenen  Zeit  dem  Verfasser  der  »Logica  Hamburgensis« 
Joachim  Jungius  zugesteht,  wohl  in  noch  höherem  Maasse  selbst  ver- 
dient hat,  glaubte  der  Richtung  der  Zeit  wenigstens  insoweit  Rechnung 
tragen  zu  müssen,  dass  er  in  seiner  kleineren,  deutsch  geschriebenen 
Logik  nur  die  erste  Figur,  und  auch  in  seinem  ausführlichen  lateinischen 
Werke  nur  die  drei  ersten  Figuren  abhandelte,  die  Theophrastischen 
Modi  aber  überhaupt  unerwähnt  liess.  Wolff  lehrt  (Log.  §  378  sqq.) 
die  Syllogismen  der  ersten  Figur  seien  die  natürlichsten,  weil  sie  directe 
Anwendungen  des  dictum  de  omni  et  nullo  enthalten;  sie  reichen  aus, 
um  alle  möglichen  Schlusssätze  zu  begründen;  die  erste  Figur  sei  daher 
figura  perfecta,  die  beiden  anderen  aber  seien  figurae  imper- 
fectae,  da  sie  nur  mittelbare  Anwendungen  jenes  Satzes  enthalten,  und 
nicht  alle  Arten  von  Schlusssätzen,  insbesondere  nicht  die  allgemein 
bejahenden,  für  die  Wissenschaften  die  wichtigsten,  begründen  können ; 
auch  führen  nicht  alle  Modi  derselben  zur  Erkenntniss  des  Grundes, 
warum  das  Prädicat  dem  Subjecte  zukomme  (>non  oontinere  rationem, 
unde  intelligitur,  cur  praedicatum  conveniat  subiecto«  §  393).  Zu  diesen 
im  Wesentlichen  Aristotelischen  Lehren  fügt  Wolff  die  weiter  gehenden 
(Log.  §  385;  397):  syllogismi  secundae  —  syllogismi  tertiae  figurae 
sunt  syllogismi  cryptici  primae;  —  apparet  adeo,  non  opus  esse, 
ut  peculiares  pro  iis  figurae  constituantur. 

Im  Gegensatz  zu  der  Wolff'schen  Bevorzugung  der  ersten  Figur, 
die  allein  unmittelbar  aus  dem  Dictum  de  omni  et  nullo  folge,  stellt 
Lambert  in  seinem  Neuen  Organen  (Leipz.  1764)  die  vier  Figuren 
in  gleichen  Rang.  Er  gründet  die  zweite  Figur  auf  ein  Dictum  de 
diverse:  »Dinge,  die  verschieden  sind,  kommen  einander  nicht  zu«,  die 


844     §  108.  Die  Fignren  der  einfachen  kategorischen  Syllogismen. 

es  viele  Kunst  kostete,  ihre  Uebereinstimmung  mit  den  B^^ln  des 
Schliessens  zu  beurtheilen,  so  würde  man  wohl  eben  nicht  mehr  Figuren, 
aber  doch  mehr  räthselhafte  Schlüsse,  die  Eopfbrechens  genug  machen 
könnten,  noch  dazu  ersinnen  können.  Es  ist  aber  der  Zweck  der  Log^k, 
nicht  zu  verwickeln,  sondern  aufzulösen,  nicht  verdeckt,  sondern  augen- 
scheinlich etwas  vorzutragen.  Daher  sollen  diese  vier  Schlussarten  ein- 
fach, unvermengt,  und  ohne  verdeckte  Nebenschlüsse  sein;  sonst  ist 
ihnen  die  Freiheit  nicht  zugestanden,  in  einem  logischen  Vortrage  als 
Formeln  der  deutlichsten  Vorstellung  eines  Vemunftschlusses  zu  er- 
scheinenc.  —  Diese  Aeusserung  beruht  auf  einer  g&nzlichen  Verkennung 
des  wahren  Sachverhaltes.  Sie  ist  von  gleicher  Art,  wie  wenn  jemand 
die  Astronomen  tadeln  wollte,  dass  sie  so  complicirte  Fälle  aussinnen 
und  so  schwierige  Rechnungen  aufstellen,  die  so  viel  Eopfbrechens 
machen,  und  dass  sie  nicht  bei  den  einfachsten  und  leichtesten  Annahmen 
stehen  bleiben;  —  während  doch  in  Wirklichkeit  die  Himmelskörper 
nicht  die  Gefälligkeit  haben,  in  Kreisen  zu  laufen,  noch  auch  die  Per- 
turbationen  zu  vermeiden,  um  dem  Astronomen  das  Kopfbrechen  zu 
ersparen,  sondern  es  vielmehr  Sache  des  Astronomen  ist,  seine  Rechnung 
auf  alle  vorkommenden  Fälle  einzurichten.  Ebenso  ist  es  die  Aufgabe 
der  logischen  Schlusslehre,  die  verschiedenen  Fälle,  die  im  wirklichen 
Denken  vorkommen  können,  erschöpfend  zu  berücksichtigen.  Wenn 
dem  Denken,  auf  das  die  logischen  Regeln  gehen,  zwei  ürtheile  von 
bestimmter  Form,  die  Einen  Begriff  mit  einander  gemein  haben,  als 
gegebene  vorliegen,  so  sind  dieselben  thatsächlich  nicht  immer  so  g^e- 
staltet,  wie  es  für  den  Zweck  der  Schlussbildung  am  bequemsten  wäre, 
sondern  können  die  allerverschiedensten  Verhältnisse  zu  einander  haben. 
Die  verschiedenen  Fälle  sind  nicht  von  den  Logrikem  ersonnen,  etwa  als 
unglücklich  gewählte  und  allzu  verwickelte  Beispiele  zur  Erläuterung 
des  Begriffs  eines  Vemunftschlusses,  sondern  stellen  die  verschiedenen 
Möglichkeiten  dar,  die,  obschon  nicht  alle  gleich  häufig,  im  wirklichen 
Denken  sich  realisiren.  So  findet  z.  B.  die  historische  Kritik  die  fol- 
genden Aristotelischen  Zeugnisse  vor,  deren  Form  eine  gegebene  ist 
und  nicht,  wie  in  gemachten  Beispielen,  nach  Belieben  gewählt  werden 
kann:  »diejenigen  Naturphilosophen,  welche  ein  Mittelwesen  zwischen 
Wasser  und  Luft  als  Princip  setzen,  lassen  durch  Verdichtung  und  Ver- 
dünnung die  Einzelwesen  entstehen  c;  »Anaximander  lässt  aus  seinem 
Princip  die  Einzelwesen  nicht  durch  Verdichtung  und  Verdünnung, 
sondern  durch  Ausscheidung  entstehen«.  Diese  Sätze  fügen  sich  nicht 
dem  Schema  der  ersten  Figur,  und  führen  doch  ganz  naturgemäss  zu 
einem  bestimmten  und  werthvollen  Schlusssatze.  Es  ist  Sache  des  posi- 
tiven Denkens,  jedesmal  im  einzelnen  Falle  zu  bestimmen,  ob  sich  ein 
gültiger  Schluss  ergebe  oder  nicht,  und  Sache  der  Logik,  die  ver- 
schiedenen möglichen  Verhältnisse  in  einer  erschöpfenden  Eintheilung 
lückenlos  darzulegen  und  die  allgemeinen  Normen  für  dieselben  aufzu- 
stellen. Mit  Recht  bemerkt  in  dieser  Beziehung  D robisch  (Log.  2.  A. 
Vorr.  S.  XIII),  dass  es  schlechtenUngs  zu  den  strengwissenschaftliehen 
Erfordernissen  gehöre,  die  möglichen  Formen  des  Schliessens  vollstän- 


§  104.  Die  Modi  der  Syllogismen.  846 

dig  sn  entwickeln,  weil  tigh  erst  an  die  erschöpfende  üebersicht 
die  Kritik  des  Werthes  der  einzelnen  SoUnssmodi  knüpfen  lasse. 

Wenn  mehrere  neuere  Logiker,  wie  namentlich  Hegel  und  Her- 
bart und  trotz  der  oben  angeführten  Aeussemng  auch  D robisch,  die 
Schlussweisen  der  vierten  Figur  (oder  die  Theophrastischen  Modi),  oder 
auch,  wie  namentlich  Trendelenburg,  ausserdem  noch  die  dritte 
Figur  oder  doch  gewisse  Modi  derselben  verwerfen,  so  können  wir  in 
diesem  Urtheil  die  Wahrheit  anerkennen,  dass  der  wissenschaftliche 
Werth  der  bekämpften  Schlussweisen  im  Vergleich  mit  dem  der  übrigen 
ein  geringerer  sei  (wiewohl  doch  die  von  Trendelenburg  getadelte  Zwei- 
deutigkeit und  Gefahr  des  Irrthums,  die  bei  den  meisten  derselben 
stattfinden  soll,  dann  aber  ganz  ebenso  auch  schon  bei  Darii  und  Ferio 
der  ersten  Figur  stattfinden  würde,  bei  richtiger  Feststellung  des  Be- 
griffs des  particularen  ürtheils  wegfällt),  dürfen  aber  darum  doch 
keineswegs  zur  Ausmerzung  derselben  schreiten.  —  Auch  ist  es  nicht 
zu  billigen,  dass  Hegel  die  zweite  und  dritte  Figur  gegenseitig  ihre 
Stellen  tauschen  laset,  da  kein  innerer  Grund  hierzu  nöthigt  und  die 
Abweichung  vom  Usus  in  derartigen  Dingen  nur  Verwirrung  stiftet. 

§  104.  Da  jede  der  beiden  Prämissen  des  kategorischen 
Syllogismas  in  Hinsicht  anf  Quantität  und  Qualität  von  vier 
yerschiedenen  Formen  sein  kann,  nämlich  entweder  Yon  der 
Form: 

a,  d.  h.  alle  A  sind  B, 
oder  von  der  Form: 

e,  d.  h.  kein  A  ist  B, 
oder  von  der  Form : 

i,  d.  h.  mindestens  ein  Theil  der  A  ist  B 

(mindestens  ein  oder  einige  A  sind  B), 
oder  von  der  Form: 

Oy  d.  h.  mindestens  ein  Theil  der  A  ist  nicht  B 

(mindestens  ein  oder  einige  A  sind  nicht  B): 

so  ergeben  sich  in  jeder  der  beiden  Ahtheilungen  der  ersten 
Hauptclasse  und  ebenso  wiederum  in  jeder  der  beiden  übrigen 
Hauptclassen  16,  im  Ganzen  also  64  Combinationsformen 
der  Prämissen.  Die  sechszehn  Combinationen  lassen  sich, 
wenn  jedesmal  durch  den  ersten  Buchstaben  die  Form  (Quan- 
tität und  Qualität)  des  Obersatzes  (der  den  terminus  maior 
enthält,  d.  h.  denjenigen  Begriff,  welcher  in  dem  Schlusssatze, 
deflsen  Statthaftigkeit  wir  prüfen,  das  Prädicat  ausmacht,  und 
durch  den  zweiten  Buchstaben  die  Form  des  Untersatzes 


346  §  104.  Die  Modi  der  Syllogismen. 

(der  den  tenDinns  minor  sive  snbiecljim  conclüsionis  enthält) 
symbolisirt  wird,  in  folgendem  Schema  darstellen: 
aa  ea  ia  oa 

ae  ee  ie  oe 

ai  ei  ii  o  i 

ao  eo  io  oo. 

Diese  Gombinationsformen  führen  jedoch  nur  theilweise  za  gül- 
tigen Schlüssen.  —  Die  einzelnen  Schlnssweisen  oder  die  Ar- 
ten der  Schlussfigaren,  welche  auf  den  verschiedenen  Gombi- 
nationsformen der  Prämissen  in  Hinsicht  der  Quantität  nnd 
Qualität  beruhen,  heissenModi  (modi,  xqonoi  xdv  axt]iadTiov). 

Die  wiederholte  Hinweisnng  auf  die  Bedeatnng  der  Symbole:  a, 
e,  i,  o  und  der  Ausdrücke:  Obersatz  und  Untersatz  möge  ihre 
Rechtfertigung  in  der  Tfaatsache  finden,  dass  gerade  in  diesen  Dingen 
so  häufig  verwirrende  Missverständnisse  hervorgetreten  sind. 

Das  der  Mathematik  entlöhnte  Gombinations verfahren  (wel- 
ches wahrscheinlich  zuerst  von  dem  Peripatetiker  Aristo  von  Alexan- 
drien  geübt  worden  ist,  s.  Prantl,  Gesch.  der  Log.  I,  S.  667  und  690  f.) 
ist  hart  getadelt  worden.  Man  hat  es  als  mechanisch  und  vemunftlos 
bezeichnet.  Prantl  (a.  a.  0.)  nennt  dasselbe  ein  »Mosaik-Spiele,  wo- 
durch »der  Aristotelische  Mittelbegriff  gründlich  desavouirtc  werde, 
vergleicht  es  dem  von  ihm  sogenannten  »Zusammensetz-Spiel  der  kin- 
disch-blödsinnigen Stoiker c  etc.  Allein  mit  Unrecht.  Es  ist  wahr,  dass 
das  Hauptinteresse  nicht  in  den  einzelnen  Figuren  und  Modis,  sondern 
in  den  allgemeinen  Prinoipien  der  Syllogistik  liegt.  Aber  das  Princip 
soll  sich  auch  zum  System  entfalten.  Wird  es  mit  Recht  schon  für 
eine  werthvoUe  Leistung  erachtet,  wenn  die  Naturwissenschaft  durch 
empirische  Sammlung  zu  einer  vollständigen  Eenntniss  der  auffindbaren 
Species  irgend  einer  Gattung  gelangt  ist,  um  wie  viel  höher  muss  der 
Gewinn  gehalten  werden,  wenn  es  gelingt,  die  möglichen  Formen  nach 
einem  allgemeinen  Princip  zu  deduciren  und  die  Vollständigkeit  der 
Aufzählung  mit  mathematischer  Strenge  zu  erweisen?  Und  dies  ver- 
mag auf  ihrem  Gebiete  die  Syllogistik.  Das  unabweisbare  Mittel  aber 
ist  das  mathematische  Ck)mbination8verfahren.  Dieses  ist  hier  durch  die 
Natur  der  Sache  gefordert  und  somit  durchaus  vemunftgemäss.  Der 
Tadel  aber  des  >  Mechanismus  c  und  der  Aeusserlichkeit  darf  uns  nicht 
einschüchtern.  Wer  den  »Mechanismus«  auch  da  abweist,  wo  derselbe 
zu  Recht  besteht,  geräth  in  Gefahr,  sich  derartige  Blossen  zu  geben, 
wie  Hegel  in  dem  physikalischen  und  insbesondere  in  dem  astronomischen 
Theile  seiner  Naturphilosophie.  Ist  ja  doch  die  »Mechanikc  auf  allen 
Gebieten  die  nothwendige  und  unaufhebbare  Voraussetzung  des  organi- 
schen und  des  geistigen  Lebens.  Auch  auf  die  Syllogistik  lässt  sich 
mit  vollem  Rechte  jener  Ausspruch  von  Lotze  anwenden,  worin  der 
Grundgedanke  seines  »Mikrokosmust  liegt  (Mikrok.  I,  S.  487)  »nirgends 


§  105.  Die  Sphärenvergleiohung  als  Kriterium  der  Schlnssfahigkeit.    847 

ist  der  Mechanismus  das  Wesen  der  Sache;  aber  nirgends 
giebt  sich  das  Wesen  eine  andere  Form  des  endlichen 
Daseins  als  durch  ihn«. 

§  105.  Die  Prttfang,  ob  eine  gegebene  Combination 
zu  gültigen  Schlüssen  führe  und  der  Beweis  der  Gültigkeit 
oder  Ungültigkeit  muss  sich  aaf  die  Vergleichnng  der 
Sphären  stützen,  innerhalb  welcher,  den  Pi^missen  zafolge, 
die  betreffenden  Begriffe  Anwendung  finden.  Diese  Sphären 
lassen  sich  zum  Behuf  jener  Yergleichung  füglich  durch  geo- 
metrische Figuren  (insbesondere  durch  Kreise)  versinnlichen, 
deren  gegenseitige  Verhältnisse  mit  den  Verhältnissen  der 
Begriffssphären  zu  einander  in  allen  für  die  Beweisführung 
wesentlichen  Beziehungen  übereinkommen. 

Dass  diese  Art  der  Spbärenvergleichung  keineswegs  eine  durch- 
gängige Substantivirung  der  prädicativen  Begriffe  voraussetse,  ist  schon 
oben  (zu  §  71,  S.  218)  bemerkt  worden.  Sie  lässt  sowohl  die  Möglich- 
keit offen,  das  ganze  Verfahren  (mit  Aristoteles,  Anal.  pri.  I,  c.  4 
sqq.)  unter  den  Gesichtspunkt  einer  Subsumtion  niederer  Begriffe  unter 
gleichartige  höhere,  als  (mit  Kant,  der  in  der  angef.  Abhandlung  §  2 
und  Logik  §  63  den  Satz:  >nota  notae  est  nota  rei  ipsius;  repugnans 
notae  repugnat  rei  ipsi«,  den  übrigens,  und  zwar  in  genauerer  Fassung, 
schon  Arist.  Categ.  8  hat,  für  das  Princip  aller  kategorischen  Vemunf t- 
schlnsse  erklärt)  unter  den  Qesichtspunkt  eines  Fortschritts  im  Denken 
von  Merkmal  zu  Merkmal  oder  Prädicat  zu  Prädicat  zu  stellen,  als  auch 
endlich  (mit  Trendelenburg,  Log.  Unters.  II,  S.  241,  2.  A.  II,  S.  316, 
8.  A.  S.  350)  beide  Gesichtspunkte  mit  einander  zu  vereinigen  und  im 
Schluss  eine  Beziehung  des  Inhalts  auf  den  Umfang  oder  des  Umfange 
auf  den  Inhalt  zu  erkennen.  Es  wird  in  den  verschiedenen  einzelnen 
Beispielen,  auch  wo  die  syllogistische  Form  die  gleiche  ist,  bald  die 
eine,  bald  die  andere,  bald  die  dritte  Ansicht  die  angemessenere  sein, 
je  nachdem  das  Prädicat  a.  in  beiden  Prämissen  die  Gattung  des  Sub- 
jectes  oder  b.  in  beiden  eine  Thätigkeit  oder  Eigenschaft,  oder 
c.  im  Obersatze  eine  Thätigkeit  oder  Eigenschaft  und  im  Unter- 
satze die  Gattung  bezeichnet.  Folgende  drei  Syllogismen  sind  sämmt- 
lich  kategorische  von  der  ersten  Figur  (und  dem  Modus  Barbara),  und 
doch  fallen  sie  naturgemäss  der  Reihe  nach  unter  die  Ansicht  der  Sub- 
sumtion, der  Inhärenz  und  der  (subsnmirenden)  Unterwerfung  des  Beson- 
deren unter  das  (inhärirende)  Prädicat  oder  Gesetz  des  Allgemeinen: 
1.  Jeder  Planet  ist  ein  Himmelskörper;  die  Erde  ist  ein  Planet;  folglich 
ist  sie  ein  Himmelskörper.  2.  Alle  rechtwinkligen  Dreiecke  haben  ein 
solches  Seitenverhältniss,  dass  das  Quadrat  der  Hypotenuse  der  Summe 
der  Kathetenquadrate  gleich  ist;  alle  Dreiecke,  die  sich  einem  Halb- 
kreis einschreiben  lassen,  so  dass  eine  Seite  Diameter  wird,  sind  recht- 
winklig; also  haben  sie  auch  das  Pythagoreische  Seitenverhältniss.  (Die 


848  §  106.  Ex  mere  negativis  nihil  Sequilar. 

Dreiecke,  um  welche  ein  Halbkreis  gelegt  werden  kann,  werden  nicht 
als  eine  Art  unter  die  Gattung  der  rechtwinkligen  Dreiecke  subsu- 
mirt,  sondern  sind  mit  denselben  identisch;  der  Schluss  geht  von  Eigen- 
schaft auf  Eigenschaft).  8.  Alle  ähnlichen  Dreiecke  haben  gleiche 
Seitenverhältnisse:  diejenigen  Dreiecke,  in  welche  das  rechtwinklige 
durch  das  Loth  von  der  Spitze  des  rechten  Winkels  auf  die  Hypotenuse 
getheilt  wird,  sind  unter  einander  (wie  auch  mit  dem  Ganzen,  welches 
getheilt  worden  ist)  ähnliche  Dreiecke;  folglich  haben  sie  gleiche  Seiten- 
verhältnisse. 

Aristoteles  legt  bei  den  Syllogismen  der  ersten  Figur  das 
Sphärenverhältniss  zum  Grunde,  reducirt  die  der  übrigen  Figuren  auf 
die  der  ersten,  und  beweist  die  Ungültigkeit  der  nicht  schlussföhigen 
Combinationsformen  indirect  durch  Aufzeigung  von  Beispielen,  worin 
sich  unter  der  Annahme  der  Gültigkeit  ein  Schlusssatz  ergeben  würde, 
dessen  materiale  Unwahrheit  anderweitig  bekannt  ist.  Diese  Art  der 
Beweisführung  hat  zwar  insofern  Ueberzeugungskraft,  als  die  Hypothese 
der  Gültigkeit  durch  die  Unwahrheit  einer  ihrer  Consequenzen  gestürzt 
wird,  leidet  aber  doch  an  dem  zweifachen  Mangel,  1.  dass  zum  Behuf 
des  Beweises  ein  Datum  mehr  hinzugenommen  wird,  als  erforderlich 
wäre,  2.  dass  der  Erkenntnissgrund  der  Ungültigkeit  dem  Realgrunde 
derselben  nicht  entspricht.  Die  späteren  Logiker  pflegen  die  Regeln 
über  die  Ausscheidung  auf  gewisse  Fundamentalsätze  zu  gründen  (na- 
mentlich, dass  der  Mittelbegriff  nicht  in  beiden  Prämissen  particular 
sein,  und  nicht  zu  den  anderen  Terminis  bloss  in  negativen  Verhält^ 
nissen  stehen,  und  dass  kein  Terminus  im  Schlusssatze  in  einem  allge- 
meineren Umfang  genommen  werden  dürfe,  als  in  der  entsprechenden 
Prämisse),  welche  ihrerseits  durch  Sphären vergleichung  erwiesen,  und 
woraus  jene  dann  vermittelst  der  Bestimmungen  in  §  71  abgeleitet 
werden.  Allein  die  unmittelbare  Sphärenvergleichung  bei  den  einzelnen 
Regeln  ist  anschaulicher. 

Das  Geschichtliche  über  die  Sphärenvergleichung  mit  Hülfe  geo- 
metrischer Schemata  ist  schon  zu  §  86,  S.  288  f.  berührt  worden. 

§  106.  Durch  Anwendung  dieses  PrttfangsmitteLs  ei^ebt 
sich  zunächst,  dass  sich  in  allen  Figuren  des  kategorischen 
Syllogismus  aus  bloss  verneinenden  Prämissen  kein 
gültiger  Schluss  ziehen  lässt.  »Ex  mere  negativis 
nihil  sequitur«.  Denn  a.  sind  beide  Prämissen  allgemein 
verneinend,  so  ist  der  Mittelbegriff  (M),  der  (nach  §  100 
und  102)  in  jeder  der  beiden  Prämissen  einmal,  sei  es  als  Sub- 
ject  oder  als  Prädicat,  vorkommen  muss,  von  den  beiden  an- 
dern Begriffen  (A  und  B)  völlig  getrennt  zu  denken;  das 
Verhältniss  dieser  zu  einander  aber  bleibt  hiemach  völlig 
unbestimmt.  Die  Prämissen  lassen  die  drei  möglichen  Fälle 
bestehen:  1.  dass  die  Sphäre  des  einen  der  beiden  äusseren 


§  106.  £x  mere  negativis  nihil  sequitur. 


849 


Termini  von  der  des  anderen  ganz  getrennt  sei,  aber  anch 
2.  dass  eine  theilweise  in,  theilweise  ausser  der  anderen  liege, 
und  endlich  3.  dass  die  eine  ganz  in  die  andere  hineinfalle, 
nach  folgendem  Schema: 


1. 


'O 


SD 


8,  a. 


8,  b. 


8,  c. 


Folglich  ergiebt  sich  kein  bestimmtes  Yerhältniss  zwischen  A 
nnd  B,  welches  sich  in  einem  gültigen  Schlusssatze  aus- 
sprechen Hesse,  b.  Ist  die  eine  Prämisse  allgemein,  die 
andere  aber  particular  verneinend,  so  ist  Myon  einem 
der  beiden  anderen  Termini  ganz,  von  dem  anderen  aber 
(mindestens)  theilweise  getrennt  zu  denken.  Die  theilweise 
Gültigkeit  der  Negation  lässt  aber,  dem  logischen  Begriffe 
des  particularen  Urtheils  (§  70  und  71)  zufolge,  immer  auch 
die  Möglichkeit  der  allgemeinen  Gültigkeit  offen  und  schliesst 


860  §  106.  Ex  mere  negativis  nihil  seqnitur. 

nicht  notbwendig  die  Gültigkeit  der  particalaren  Bejahung  in 
sieh  ein;  daher  bleibt  die  ganze  Unbestimmtheit  bestehen, 
welche  bei  zwei  allgemein  verneinenden  Prämissen  bestand 
und  wird  nur  noch  durch  die  hinzutretende  Möglichkeit 
anderer  Verhältnisse  vermehrt;  folglich  ergiebt  sich  noch  um 
so  weniger  ein  bestimmtes  Resultat,  c.  Sind  beide  Prämissen 
particular  verneinend,  so  wird  aus  dem  gleichen  Grunde 
wiederum  die  Unbestimmtheit  vergrössert;  folglich  kann  sich 
wiederum  kein  bestimmter  Schlusssatz  ergeben. 

Hätte  das  particular  verneinende  ürtheil  den  Sinn:  nar  einige 
sind  nicht,  andere  aber  wohl,  so  würde  sich  allerdings,  falls  die  andere 
Prämisse  allgemein  verneint,  ein  bestimmter  Schlus^ssatz  ergeben;  der- 
selbe wäre  aber  dann  nicht  die  Folge  der  zweimaligen  Verneinung, 
sondern  der  implicite  mitgedachten  particularen  Bejahung. 

Den  Satz:  fv  anavTi  (avXloytofjKp)  Jfi  xarriyoQtxov  riva  rcüly  ootov 
elvcu^  stellt  bereits  Aristoteles  (Anal.  pri.  I,  24.  41b.  6)  auf.  Nun  g^ebt 
es  allerdings  einen  Fall,  wo  aus  zwei  verneinenden  Prämissen 
ein  gültiger  Sohluss  gezogen  werden  kann.  Es  seien  nämlich  ge- 
geben die  Prämissen:  was  nicht  M  ist,  ist  nicht  P,  und:  S  ist  nicht 
M,  so  folgt  der  Schlusssatz:  S  ist  nicht  P.  Aber  dieser  Schluss  fällt 
auch  nicht  mehr  unter  unsere  obige  Definition  des  einfachen  Syllo- 
gismus (§  100)  als  dee  Syllogismus  aus  bloss  drei  Terminis;  denn  hier 
liegen  vier  Termini  vor :  S,  P,  M  und  Nicht-M  (das,  was  nicht  M  ist). 
Soll  derselbe  auf  einen  einfachen  Syllogismus  reducirt  werden,  so  muss 
der  Untersatz  (vermöge  eines  unmittelbaren  Schlusses  per  aequipollen- 
tiam,  s.  §  96),  die  Form  erhalten:  S  ist  ein  Nicht-M;  dann  aber  ist 
derselbe  seiner  Qualität  nach  ein  affirmatives  Ürtheil  (s. §69),  und 
die  Regel,  dass  aus  bloss  negativen  Prämissen  in  einem  einfachen  Syllo- 
gismus nichts  folge,  bleibt  unverletzt.  Auch  ist  diese  Reduction  nicht 
etwa  ein  künstliches  Mittel,  ersonnen,  um  eine  wirkliche  Ausnahme 
von  einer  fälschlich  als  allgemeingültig  angenommenen  Regel  gewaltsam 
zu  beseitigen;  sondern  auf  naturgemässe  Weise  gelangen  wir  zum 
Schlusssatze  nur  so,  dass  wir  den  Untersatz  in  der  Form  denken:  S 
fallt  unter  den  Begriff  derjenigen  Wesen,  welche  nicht  M  sind.  — 
Uebrigens  haben  schon  die  alten  Logiker  jenen  Fall  bemerkt  und 
die  Schwierigkeit  durch  eben  jene  Reduction  zu  lösen  gesucht.  Boe- 
thius  berichtet  (ad  Arist.  de  interpr.  p.  403;  vgl.  Prantl,  Gesch.  der 
Log.  I,  S.  656):  »Sed  faerunt,  qui  hoc  quum  ex  multis  aliis,  tum  ex 
aliquo  Platonis  syllogismo  colligerent;  —  in  quodam  enim  dialogoPlato 
huiusmodi  interrogat  syllogismum:  sensus,  inquit,  non  contingit  ratio- 
nem  substantiae;  quod  non  contingit  rationem  substantiae,  ipsius  veri- 
tatis  notionem  non  contingit ;  sensus  igitur  veritatis  notionem  non  con- 
tingit. Yidetur  enim  ex  omnibus  negativis  fecisse  syllogismum,  quod 
fieri  non  potest,  atque  ideo  aiunt,    infinitum  verbum,   quod  est:  non- 


§.  107.  Ex  mere  paiüoalaribas  nihil  sequitar.  851 

oontingity  pro  partioipio  infiniio  poeuisse,  id  est:  non-oontingens 
est;  —  etidqaidem  Alexander  Aphrodisieas  arbitratur  ceterique 
compluresc.  Es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  die  Lehre  von  der 
qualitativen  Aequipollenz  zwischen  zwei  ürtheilen  überhaupt  der 
Erörterung  jenes  syllogistischen  Falles  ihren  Ursprung  verdankt.  Im 
Mittelalter  hat  namentlich  Dans  Scotus  auf  Grund  jenes  Falles  die 
AUgemeingültigkbit  der  Regel:  ex  mere  negativis  nihil  seqoitur,  be- 
kämpft. Wolff  (Log.  §  377)  stellt  den  Satz  auf:  si  terminus  medius 
fuerit  negativus,  propositio  minor  infinita  est  (negandi  particula  non 
refertur  ad  copulam,  sed  ad  praedicatum,  §  208),  und  bemerkt  (zu  §  377): 
eqnidem  non  ignoro,  esse  qui  sibi  persuadeant,  steriles  esse  nugas, 
quae  de  propositionibus  infinitis  aliisque  aequipoUentibus  in  doctrina 
syllogistica  diountur,  eum  in  finem  exoogitataSi  ut  per  praecipitantiam 
statutae  regulae  salventur ;  weist  aber  diese  Ansicht  mit  Hecht  zurück, 
da  seine  Lehre  aus  dem  Begriffe  der  Termini  mit  Nothwendigkeit 
folge.  Die  neueren  Logiker  sind  über  die  Frage  meist  oberfläohlicher 
hinweggegangen. 

Nach  der  im  vorstehenden  Paragraphen  begründeten  Regel  können 
folgende  Combinationsformen  der  Prämissen  nicht  zu  gültigen  Schlüssen 
führen: 

e  e  o  e 

e  o  o  o 

Die  Zahl  von  je  16  möglichen  Combinationsformen  (s.  §  104)  reducirt  sich 
demgemass,  sofern  es  sich  nur  um  diejenigen  handelt,  aus  welchen  ein 
Schluss  gezogen  werden  kann,  bereits  auf  die  folgende  Zwölfzahl: 

aa  ea  ia  oa 

ae  i  e 

ai  ei  ii  oi 

a  o  i  o 

woraus  aber  nach  anderen  Kriterien  wiederum  gewisse  Formen  zu  eli- 
miniren  sind. 

§  107.  Ferner  ergibt  sich  in  allen  Figuren  des  ein- 
fachen kategorischen  Syllogismus  kein  gültiger  Schluss, 
wenn  beide  Prämissen  particular  sind.  »Ex  mere 
particularibus  nihil  sequitur«.  Denn  a.  sind  beide  parti- 
cular bejahend,  so  ist  nur  ein  unbestimmter  Theil  der 
Sphäre  des  Mittelbegriffs  mit  einem  unbestimmten  Theile  der 
Sphäre  eines  jeden  der  beiden  tibrigen  Termini  verknüpft.  Ist 
nämlich  der  Mittelbegriff  in  irgend  einer  der  Prämissen  oder 
auch  in  beiden  Subject,  so  gilt  die  Aussage  zufolge  der  par- 
ticularen  Form  des  betreffenden  ürtheils  nur  von  einem  un- 
bestimmten Theile  der  Sphäre  des  Mittelbegriffs ;  ist  aber  der- 
selbe Prädicat,  so  besteht  die  gleiche  Unbestimmtheit  aus  dem 


352  §  107,  £x  mere  particularibus  nihil  seqaitnr. 

allgemeineren  Grunde,  weil  in  jedem  bejahenden  Urtheil  nn- 
ausgedruckt  bleibt,  ob  die  Sphäre  des  Prädicatsbegriffs  ganz 
oder  nur  theilweise  mit  der  Sphäre  des  Subjectes  zusammen- 
falle (s.  0.  §  71,  S.  217).  Demnach  bleibt  unbestimmt,  ob  in 
beiden  Prämissen  der  nämliche  Theil  des  Mittelbegriffs  oder 
ein  verschiedener  mit  den  beiden  anderen  Terminis  yerknttpft 
sei,  also  auch  ungewiss,  in  welchem  Yerhältniss  diese  zu  ein- 
ander stehen,  so  dass  sich  kein  Schlusssatz  ergiebt.  b.  Ist 
die  eine  Prämisse  particular  bejahend^  die  andere 
particular  verneinend,  so  bleibt  ebenso  unbestimmt,  mit 
welchem  Theile  der  Sphäre  des  Mittelbegriffs  der  eine  äussere 
Terminus  particular  verbunden,  und  von  welchem  Theile  die- 
ser Sphäre  (falls  der  Mittelbegriff  in  der  anderen  Prämisse 
Subject  ist)  der  andere  äussere  Terminus  getrennt  sei,  oder 
ob  der  Mittelbegriff  (falls  derselbe  in  der  anderen  Prämisse 
das  Prädicat  bildet),  während  er  von  einem  Theile  der  Sphäre 
des  anderen  äusseren  Terminus  ganz  getrennt  ist,  auch  von 
dem  übrigen  Theile  dieser  Sphäre  ganz  oder  theilweise  oder 
gar  nicht  getrennt  sei.  Es  ist  also  ungewiss,  ob  die  beiden 
äusseren  Termini  zu  einem  und  dem  nämlichen  Theile  des 
Mittelbegriffs  irgend  eine  bestimmte  Beziehung  haben  oder 
nicht,  um  so  mehr  also  ungewiss,  in  welchem  Yerhältniss  die- 
selben zu  einander  stehen,  wesshalb  sich  wieder  kein  bestimm- 
ter Schlusssatz  gewinnen  lässt.  c.  Sind  beide  Prämissen 
particular  verneinend,  so  ergiebt  sich  theils  wegen  der 
Unbestimmtheit,  die  in  der  Particularität  beider  Prämissen 
liegt,  theils  aber  auch  schon  wegen  der  Negativität  beider 
Prämissen  (nach  §  106)  kein  gültiger  Schluss. 

Da  der  Beweisgrund  der  Ungültigkeit  in  der  Unbestimmtheit 
der  Theile  der  Sphären  liegt,  so  folgt,  dass  der  Satz  der  Paragraphen 
auf  diejenigen  singularen  Urtheile  Anwendung  finden  müsse,  deren 
Subjeot  ein  nur  durch  seinen  allgemeinen  Begriff  bezeichnetes,  übrigens 
aber  unbestimmt  gelassenes  Individuum  ist,  d.  h.  auf  eben  diejenigen 
singularen  Urtheile,  die  (nach  §  70,  S.  215  f.)  unter  den  weiteren  Be- 
griff *der  particularen  fallen,  aber  nicht  auf  diejenigen,  deren  Subjeot 
ein  individuell  (z.  B.  durch  den  Eigennamen)  bezeichnetes  Individuum 
ist,  d.  h.  nicht  auf  diejenigen,  die  nicht  den  particularen,  sondern  den 
universalen  zuzurechnen  sind. 

Den  Satz,  dass  kein  Syllogismus  ohne  eine  allgemeine  Prämisse 
sein  könne,  hat  (Aristoteles  Anal.  pri.  I,  24.  41  b.  22)  in  den  Worten 


§  108.  Kein  Schlags  ans  partioul.  Obenatz  u.  negat.  Üntereatz.      35$ 

angesprochen:  Iv  anavrt  {avXloyiafi^)  d^l  xo  xa^Xov  vncigx^''^-  ^^^ 
Beweis,  den  Aristoteles  nur  im  Einzelnen  an  Beispielen  führt,  haben 
erst  spätere  Logiker  in  allgemeinerer  Weise  auf  die  Sphärenverhältnisse 
gegründet. 

Die  Combinationsformen,  welche  nach  der  hier  begründeten  Regel 
wegfallen,  sind  ausser  o  o,  welches  schon  durch  die  Regel  des  vorigen 
Paragraphen  eliminirt  worden  ist,  noch  folgende  drei: 

•    •  • 

11  Ol 

io 
SO  dass  hiemach  noch  folgende  neun  Formen  übrig  bleiben: 

aa  ea  ia  oa 


a  e 
ai 
a  o 


1  e 


e  1 


die  aber  auch  noch  nicht  alle  zu  gültigen  Schlüssen  führen  können. 


§  108.  In  allen  Figuren  ftlhrt  endlich  die  Gombina- 
tion  eines  particularen  Obersatzes  mit  einem  ver- 
neinenden Untersatze  zu  keinem  gültigen  Schluss. 
Denn  a.  ist  der  Obers  atz  particular  bejahend,  der 
Untersatz  aber  allgemein  verneinend,  so  ist  der  Mittel- 
begriff, M,  dem  Obersatze  zufolge,  mag  er  in  demselben  das 
Subject  oder  das  Prädicat  bilden,  mit  einem  unbestimmten 
Theile  der  Sphäre  des  einen  äusseren  Terminus  A  particular 
verknüpft  (s.  oben  §  71;  vgl.  §  107),  von  dem  anderen  äusseren 
Terminus  B  aber,  dem  Untersatze  zufolge,  völlig  getrennt, 
nach  folgendem  Schema: 


/' 


1.  i 


H 


V 


..•••••••  t., 


.-••^   •-•^.. 


I 


2. 


M 


8. 


M 


Hier  ergiebt  sich  zwar  ein  Schlosssatz,  dessen  Subject  A  und 
dessen  Prädicat  B  ist:  (mindestens)  einige  A,  nämlich  die- 
jenigen, welche  mit  M  coincidiren,  sind  nicht  B,  da  dieses  von 
allem  M  ganz  getrennt  ist,  also  auch  von  denjenigen  A  ge- 

23 


S54       §  108.  Kein  Schluss  aus  partiool.  Obenatz  n.  negat.  Untersatz. 

trennt  sein  muss,  welche  mit  M  zusammenfallen ;  aber  es  ergiebt 
sich  kein  Schlusssatz,  dessen  Subject  B  und  dessen  Prftdicat 
A  wäre,  da  es  nach  den  Prämissen  unbestimmt  bleibt,  ob  B 
auch  von  den  übrigen  A,  und  also  von  der  ganzen  Sphäre 
des  Begriffs  A  ganz  getrennt  sei,  oder  damit  theilweise  zu- 
sammenfalle, oder  endlich  ganz  hineinfalle,  mit  anderen  Worten, 
ob  kein  B  A  sei,  oder  ob  einige  B  A  seien,  andere  nicht,  oder 
ob  endlich  alle  B  A  seien.  Das  particular  verneinende  Urtheil, 
welches  wirklich  erschlossen  ist :  einige  A  sind  nicht  B,  lässt, 
der  allgemeinen  Regel  gemäss  (§  88),  keine  Conversion  zu. 
Um  nun  aber  diese  beiden  Verhältnisse,  nämlich  die  Gültig- 
keit des  Schlusses  von  A  auf  B  und  die  Unmöglichkeit  eines 
Schlusses  von  B  auf  A,  auf  einen  kurzen  allgemeinen  Ausdruck 
zu  bringen,  muss  jene  logische  Terminologie  zur  Anwendung 
kommen,  welche  die  beiden  äusseren  Termini  (A  und  B)  zur 
Unterscheidung  von  einander  nach  der  vorausgenommenen 
allgemeinen  Form  des  Schlusssatzes,  dessen  Möglichkeit  ge- 
prüft werden  soll,  bezeichnet,  indem  sie  denjenigen  Begriff, 
welcher  in  dem  Schlusssatze  Subject  werden  soll,  Unterbegriff 
(S),  und  den,  welcher  Prädicat  werden  soll,  Oberbegriff  (P) 
nennt,  und  hiemach  auch  den  Ober-  und  Untersatz  bestimmt. 
Nach  dieser  Terminologie  ist,  wenn  für  den  Schlusssatz  die 
allgemeine  Form  A  B  angenommen  und  die  Gültigkeit  eines 
solchen  Schlusses,  sowie  die  bestimmtere  Gestalt,  die  der  gültige 
Schlusssatz  annehmen  muss  (ob  a,  e,  i  oder  o),  geprüft  wird, 
A  der  Unterbegriff  (S),  B  der  Oberbegriff  (P),  und  diejenige 
Prämisse,  welche  das  A  enthält,  der  Untersatz,  die  andere 
der  Obersatz.  Nun  war  aber,  der  Voraussetzung  zufolge,  die 
Prämisse  mit  A  particular  bejahend,  die  mit  B  allgemein  ver- 
neinend ;  der  gültige  Schluss  (einige  A  sind  nicht  B)  ist  also 
hier  aus  einem  particular  bejahenden  Untersatz  und  einem 
allgemein  verneinenden  Obers  atz  gewonnen  worden.  Wird 
aber  für  den  Schlusssatz  die  entgegengesetzte  Form  B  A  zum 
Grunde  gelegt  und  die  Untersuchung  geführt,  ob  ein  derartiger 
Schlusssatz  in  irgend  einer  bestimmteren  Gestalt  (a,  e,  i  oder  o) 
sich  aus  den  Prämissen  ergebe,  so  ist  nunmehr  A  als  Ober- 
begriff (P),  und  die  Prämisse,  welche  A  enthält,  als  Obersatz 
zu  bezeichnen,  B  aber  als  Unterbegriff  (S),  und  die  Prämisse, 


§  108.  Kein  Schluss  aas  partioul.  Obersatz  u.  negat.  Untersatz.       355 

welche  B  enthält,  als  Untersatz.  Nun  aber  hat  die  Prüfung 
gezeigt,  dass  sich  aus  den  obigen  Prämissen  kein  gültiger 
Schlusssatz  von  der  Form  B  A  ergiebt;  also  kann  dieses  Re- 
sultat auch  dahin  ausgesprochen  werden:  die  Gombination 
eines  particular  bejahenden  0  bersatzes  (der Prämisse  mit  A) 
und  eines  allgemein  verneinenden  Untersatzes  (der  Prä- 
misse mit  B)  führt  nicht  zu  einem  gültigen  Schluss,  was  zu 
beweisen  war.  b.  Ist  der  Obersatz  particular  ver- 
neinend, so  ergiebt  sich  kein  gültiger  Schluss  wegen  der 
Negativität  beider  Prämissen  (§  106).  c.  Ist  der  Untersatz 
particular  verneinend,  so  lässt  sich  wegen  der  Particu- 
larität  beider  Prämissen  (§  107)  kein  gültiger  Schlusssatz 
gewinnen. 

Durch  unmittelbare  Einführung  der  Zeichen  S  und  P  hätte  sich 
dieser  Beweis  auf  eine  kürzere  Form  bringen  lassen;  doch  schien  es 
wichtig,  da  sich  an  diese  Bezeichnung  mancherlei  Missverständnisse 
geknüpft  haben,  gegenüber  dem  dann  wahrscheinlich  zu  erwartenden 
(wiewohl  ungegründeten)  Vorwurfe  eines  Hysteron-Proteron  das  wirk;- 
liche  Sachverhältniss  eingehender  darzulegen.  Wollte  man  die  Eunst- 
ausdrücke:  Ober-  und  Unter- Begriff  und  -Satz  vermeiden,  so 
könnte  die  Behauptung  des  Paragraphen  auch  in  folgender  Art  aus- 
gesproclien  werden:  aus  der  Gombination  einer  particularen  und  einer 
verneinenden  Prämisse  lässt  sich  kein  Schluss  von  einer  solchen  Form 
bilden,  dass  der  in  der  particularen  Prämisse  mit  dem  Mittelbegriffe 
verbundene  Begriff  Prädicat  des  Schlusssatzes,  und  der  in  der  ver- 
neinenden Prämisse  mit  demselben  verbundene  Begriff  Subject  des 
Schlusssatzes  wird.  Allein  es  ist  kein  haltbarer  Grund  vorhanden,  jene 
Terminologie  vermeiden  zu  wollen.  Denn  den  Sinn  der  wissenschaft- 
lichen Ausdrücke  bestimmt  nicht  die  Etymologie,  sondern  die  Definition ; 
dieser  zufolge  aber  besagt  der  Satz  des  Paragraphen  nur  in  präciserer 
Form  das  Nämliche,  wie  der  vorhin  aufgestellte  Satz,  der  statt  der 
betreffenden  logischen  Eunstausdrücke  ihre  Definitionen  snbstituirt. 

Nach  dem  vorstehenden  Paragraphen  würden  wiederum  in  jeder 
Figur  vier  Gombinationsformen  wegfallen,  nämlich  i  e,  i  o,  o  e  und  o  o, 
wenn  nicht  die  drei  letzten  schon  durch  die  früheren  Kegeln  aus- 
geschieden wären.  Es  kommt  also  zu  den  früheren  Eliminationen  nur 
eine  neue,  nämlich  die  von 

ie 
hinzu,  so  dass  noch  folgende  Formen  übrig  bleiben: 

aa  ea  i  a  o  a 

ae 

ai  ei 

*ao 


866 


§  109.  Die  erste  Figur  im  engeren  Sinne. 


unter  diesen  acht  Combinationsformen  der  Prämissen  ist  nun 
keine  mehr,  die  sohleohthin  unfähig  wäre,  in  irgend  einer  Figur  zu 
einem  gültigen  Schlüsse  zu  führen,  und  daher  im  Allgemeinen  eliminirt 
werden  müsste.  Wohl  aber  sind  noch  in  den  einzelnen  Figuren  nach 
speciellen  Kegeln  jedesmal  einige  von  den  acht  Formen  des  vorstehen- 
den Schemas  auszuscheiden. 

Die  Regfein  über  das  Yerhältniss  der  Form  eines  gültigen  Sohlass- 
satzes zu  der  Form  der  Prämissen  (z.B.  dieBegel:  »oonclusio  sequitur 
partem  debilioremc)  müssen,  wenn  sie  mit  voller  logischer  Strenge  be- 
wiesen werden  sollen,  auf  eine  vergleichende  üebersicht  über  die  ein- 
zelnen gültigen  Schlussmodi  gegründet  werden,  und  sind  daher  erst 
unten  (§  118)  zu  erwähnen. 

§  109.  Die  erste  Figur  im  engeren  Sinne  oder 
die  erste  Abtheilung  der  ersten  Hauptclasse  oder 
der  ersten  Figur  im  weiteren  Sinne  führt  nicht  zu 
einem  gültigen  Schluss,  wenn  der  Obersatz  (M  P)  parti- 
cular  ist,  und  auch  nicht,  wenn  der  Untersatz  (S  M) 
verneinend  ist.  Denn  ist  a.  der  Obersatz  particular 
bejahend  oder  particular  verneinend,  so   wird  darin 

•  

einem  T heile  der  Sphäre  des  Mittelbegriffs  M  das  Prädicat 
P  zu*  oder  abgesprochen ;  der  Untersatz  aber,  der  dann  nach 
den  allgemeinen  Regeln  (§§  106—108)  nur  allgemein  beja- 
hend sein  dürfte,  sagt  aus,  dass  die  Sphäre  von  S  ganz  in 
die  Sphäre  von  M  hineinfalle,  ohne  zu  bestimmen,  in  wel- 
chen Theil  der  Sphäre  von  M ;  folglich  bleibt  ungewiss, 
ob  S  in  denjenigen  Theil  von  M  falle,  dem  der  Obersatz  das 
Prädicat  P  zu-  oder  abgesprochen  hat,  oder  in  einen  anderen 
Theil,  über  den  nichts  bestimmt  ist,  oder  theils  in  den  einen, 
theils  in  den  anderen  Theil  von  M. 


1. 


2. 


8. 


Also  bleibt  völlig  unbestimmt,  welches  Yerhältniss  zwischen 


§  109.  Die  erste  Figrur  im  engeren  Sinne. 


S  und  P  bestehe.  Ist  aber  b.  der  Untersatz  verneinei 
00  wird  durch  denselben,  jenachdem  er  allgemein  oder  pai 
cular  ist,  S  ganz  oder  (mindestens)  theilweise  von  M  getreni 
durch  den  Obersatz  aber,  der  dann  (nach  §  106)  bejahe 
und  zugleich  (nach  §  lOß)  allgemein  sein  müsste,   wird 
unter  P  subsumirt,   während   unbestimmt  bleibt,,  ob  und  ^ 
weit  sich  die  Sphäre  von  P  noch  über  die  von  M  hinaus< 
strecke;  folglich  bleibt  auch  unbestimmt,  in  welchem  Verhä 
niss  S  zu  P  stehe,  so  dass  sich  kein  Schlusssatz  von  der  Foi 
S  P  ergiebt.    Das  Schema  ist  fUr  den  yerhältnissmässig  a 
wenigsten  unbestimmten  und  bei  particularen  Prämissen  imm 
auch  mit  hinzuzudenkenden  Fall,  wo  beide  Prämissen  allg 
mein  sind,  folgendes: 


1. 


2. 


s. 


Mithin  kann  es  geschehen,  dass  kein  S  P  ist,  aber  auch,  das 
einige  S  P  sind,  andere  nicht,  und  endlich  auch,  dass  alle  S  ] 
sind,  wesshalb  sich  nichts  Bestimmtes  über  das  Verhältnis 
von  S  zu  P  aussagen  lässt. 

Zwar  ergiebt  sieh  aus  dem  letzten  Schema,  wenn  wir  S  und  ] 
nur  als  indifferente  Zeichen  für  die  beiden  äusseren  Termini  ansehei 
und  etwa  A  und  B  dafür  einsetzen,  in  der  umgekehrten  Richtung  aller 
dings  ein  gültiger  Schluss:  (mindestens)  einige  P  (nämlich  diejenigen 
welche  in  die  Sphäre  von  M  fallen)  sind  nicht  S,  oder:  einige  B  sin< 
nicht  A;  allein  dieser  gehört  nicht  mehr  der  ersten  Figur  im  engerei 
Sinne  oder  der  ersten  Abtheilung  der  ersten  Hauptclasse,  sondern  dei 
zweiten  Abtheilung  derselben  oder  der  sogenannten  vierten  Figur  an 
Denn  in  Bezug  auf  diese  Form  des  Schlusssatzes  ist  das  frühere  P  odei 
das  B  jetzt  zum  ünterbegriffe  (S),  und  das  frühere  S  oder  das  A  zun 
Oberbegrriffe  (P)  geworden;  mithin  ist  auch  der  frühere  Untersatz  zun 
Obersatze  und  der  Obersatz  zum  Untersatze  geworden,  mag  auch  di< 
äussere  Stellung  oder  Reihenfolge  unverändert  geblieben  sein;  also  is1 


der  Mittelbegriff  jetzt  FrSdicat  Eum  m&ior  oder  im  Oberaatze,  und 
Subjeot  zum  minor  oder  im  Unlenatze;  folglich  bestellt  die  viert« 
Figur  (und  zwar  in  dem  Modus  Fesapo,  soweit  der  Modus  Fresiaon 
verwandt  iet). 

Die  Combinationsformen,  welche  bierDach  für  die  ente  Figur 
ausfolleD,  sind  ia,  oa',  ae,  ao.  Ea  bleiben  demnach  nur  folgeude  vier 
noch  übrig: 


Ton  diesen  ist  nunmehr  nachzuweisen,  daas  sie  mit  Kothwendigkeit  zu 
gültigen  Schlüraen  führen. 

g  110.  Der  erste  Modus  der  ersten  Sehlnasfigar 
hat  die  Fonu  a  a  a,  d.  h.  seine  Prämissen  sind  ein  allgemein 
bejahender  Obersatz  nnd  ein  allgemein  bejahender  Untersatz, 
and  sein  Schlnsssatz  ist  gleichfalls  ein  allgemein  bejahendes 
Urtheil,  so  dass  das  allgemeine  Schema  der  ersten  Fignr: 
M  P 


S  P 

hier  die  bestimmtere  Gestalt  annimmt: 
M    a    P 
S     a     M 

S  a  P. 
Dieser  Modns  triigt  den  scholastiBchen  Namen  Barbara,  der 
80  gebildet  worden  ist,  dass  der  Anfangebnchstabe  desselben 
als  der  erste  Gonsooant  des  Alphabetes  auf  den  ersten 
Modns  hindentet,  die  Vocale  der  drei  Sylben  aber  (a,  a,  a) 
der  Beihe  nach  die  logische  Form  des  Obersatzes,  des  Unter- 
satzes nnd  des  Schlnsssatzes  bezeichnen,  wogegen  die  übrigen 
Bncbstaben  nnr  euphonische  Geltung  haben.  Die  Vergleicbung 
der  Sphären  beweist  die  Gültigkeit  dieses  Modus.  Denn  jedes 
allgemein  bejahende  Urtheil  setzt  (nach  §  71)  eins  der  beiden 
SphärenTcrhältnisse  vorans,  deren  Schema  ist: 


'■ 


d.  h.  dM  FiMioat  B  findet  sksh  obeisU,  wo  du  Sobjeot  A 


§  110.  Der  erste  Modus  der  ersten  Figur. 


369 


vorkommt,  während  unbestimmt  bleibt,  ob  ausserdem  noch 
andere  Wesen  das  gleiche  Prädicat  an  sich  tragen  oder  nicht. 
Demnach   ist  das  Schema  der  beiden   combinirten  Urtheile: 

M    a    P 

S    a    M 
folgendes : 


1. 


2. 


8. 


4.    I     S  M    P    1 


Zwar  bleibt  im  Allgemeinen  unbestimmt,  welches  dieser  vier 
Verhältnisse  in  einem  gegebenen  einzelnen  Beispiele  zutreffe; 
da  aber  in  einem  jeden  der  vier^tlberhaupt  möglichen  Fälle 
zwischen  S  und  P  ein  solches  Verhältniss  besteht,  wonach 
jedem  S  das  Prädicat  P  zukommt,  so  folgt  aus  den  Prämissen 
mit  strenger  Nothwendigkeit  der  Schlusssatz: 

S    a    P, 
was  zu  beweisen  war. 

Dieser  Modus  findet  unter  allen  die  häufigste  und  wich- 
tigste Anwendung  in  den  Wissenschaften  und  im  äusseren 
Leben,  wiewohl  meist  in  abgekürzter  (enthjmematischer)  Form 
und  ohne  das  logische  Bewusstsein. 

Die  Sphärenvergleichung  mittelst  der  Kreise  setzt  hier  wieder 
ebensowenig,  wie  bei  den  einzelnen  Urtheilen  (s.  oben  §  71,  S.  216  fif.), 
eine  durchgängige  Substantivirung  der  verglichenen  Begfriffe  vor- 
aus, sondern  lässt  die  verschiedenen  Auffassungen,  deren  Hauptvertreter 
Aristoteles,  Kant  und  Trendelenburg  sind  (s.  oben  zu  §  105, 
S.  847  f.),  neben  einander  bestehen. 

Als  Beispiele  zu  den  vier  möglichen  Ümfangsverhält- 
nissen  mögen  zunächst  folgende  vier  Syllogismen  dienen,  welche  um 
der  leichteren  und  anschaulicheren  Yergleichung  willen  so  gewählt 
worden  sind,  dass  der  Mittelbegriff  (M)  in  ihnen  allen  der  nämliche 
sei  (nämlich:  Dreiecke,  in  welchen  die  Winkel  des  einen  den  Winkeln 
des  anderen  einzeln  genommen  gleich  sind).    Die  Prämissen  sollen  die 


860  §  110.   Der  erste  Modus  der  ersten  Figur. 

Stellung  einnehmen,  welche  hier  die  naturgemäasere  ist,  dass  der  Un- 
tersatz jedesmal  seinem  Obersatze  vorausgehe. 

1.  Diejenigen  Dreiecke,  in  welche  das  rechtwinklige  durch  das 
Loth  von  der  Spitze  des  rechten  Winkels  auf  die  Hypotenuse  zerlegt 
wird,  sind  Dreiecke  mit  beziehlich  gleichen  Winkeln.  Alle  Dreiecke  mit 
beziehlich  gleichen  Winkeln  sind  einander  ähnliche  Figuren.  Folglich 
sind  auch  jene  Theile  des  rechtwinkligen  Dreiecks  einander  ähnliche 
Figuren. 

2.  Alle  Dreiecke  mit  beziehlich  gleichen  Seitenverhältnissen  sind 
Dreiecke  mit  beziehlich  gleichen  Winkeln.  Alle  Dreiecke  mit  bezieh- 
lich gleichen  Winkeln  sind  einander  ähnliche  Figuren.  Folglich  sind 
alle  Dreiecke,  deren  Seitenverhältnisse  gleich  sind,  einander  ähnliche 
Figuren. 

8.  Diejenigen  Dreiecke,  in  welche  das  rechtwinklige  durch  das 
Loth  von  der  Spitze  des  rechten  Winkels  auf  die  Hypotenuse  zerlegt 
wird,  sind  Dreiecke  mit  beziehlich  gleichen  Winkeln.  Alle  Dreiecke 
mit  beziehlich  gleichen  Winkeln  sind  einander  ähnliche  Dreiecke.  Folg- 
lich sind  diejenigen  Dreiecke,  welche  durch  jene  Zerlegung  des  recht- 
winkligen entstehen,  einander  ähnliche  Dreiecke. 

4.  Alle  Dreiecke  mit  beziehlich  gleichen  Seitenverhältnissen  sind 
Dreiecke  mit  beziehlich  gleichen  Winkeln.  Alle  Dreiecke  mit  beziehlich 
gleichen  Winkeln  sind  einander  ähnliche  Dreiecke.  Folglich  sind  alle 
Dreiecke  mit  beziehlich  gleichen  Seitenverhältnissen  einander  ähnliche 
Dreiecke. 

Der  zweite  und  vierte  Fall  tritt  insbesondere  auch  dann  ein,  wenn 
der  Mittelbegriff  ein  Individualbegriff  ist  und  diesem  im  Obersatze 
entweder  ein  allgemeines  oder  wiederum  ein  individuelles  Prädicat  bei- 
gelegrt  wird.  Der  deutsche  Nacherfinder  der  Differentialrechnung  ist 
Leibniz.  Leibniz  ist  Urheber  eines  monadologischen  Systems.  Also 
etc.  —  Der  Begründer  der  Syllogistik  ist  Aristoteles.  Aristoteles  war 
der  einflussreichste  Lehrer  und  Erzieher  Alexanders  des  Grossen.  Also  etc. 

Damit  aber  um  so  mehr  die  Bedeutung  einleuchte,  welche  gerade 
der  erste  Modus  der  ersten  Figur  für  die  wissenschaftliche  Erkenntniss 
hat,  mögen  hier  noch  einige  Beispiele  zu  demselben  aus  verschiedenen 
Wissenschaften  nachfolgen. 

Die  directen  mathematischen  Beweise  für  die  affirmativen 
Lehrsätze  werden  fast  ausschliesslich  durch  Syllogismen  von  diesem 
Modus  geführt.  Da  die  logische  Zergliederung  bei  solchen  Beweisen 
oder  Beweisversuchen,  in  welche  leicht  eine  Subreption  eingeht,  von 
besonderem  Interesse  ist,  so  wählen  wir  hier  als  Beispiel  eine  das 
bekannte  eilfte  Euklidische  Axiom  betreffende  Argumentation. 
Dieses  Axiom  besagt,  dass  zwei  unbegrenzt  zu  denkende  gerade  Linien 
(AB  und  CD)  in  der  nämlichen  Ebene,  die  von  einer  dritten  (EF)  so 
geschnitten  werden,  dass  die  zwei  inneren  Winkel  auf  der  einen  Seite 
der  schneidenden  Linie  (BGH  und  DHG)  zusammen  kleiner  als  zwei 
rechte  Winkel  sind,  einander  auf  eben  dieser  Seite  schneiden  müssen. 


§  110.   Der  erste  Modus  der  ersten  Figur*  861 


Dass  dieser  Satz  nicht  so  unmittelbar  einleuchtend  sei,  wie  die  übrigen 
Axiome,  ist  früh  erkannt  worden.  Es  wird  in  ihm  nicht  über  eine  in 
sich  geschlossene  Figur  etwas  ausgesagt,  was  sich  in  der  Anschauung 
selbst  jedesmal  sofort  herausstellte;  es  wird  auch  nicht,  wie  in  dem 
Satze,  dass  zwei  gerade  Linien,  die  einander  schneiden,  von  dem  ge- 
meinsamen Punkte  aus  beständig  divergiren,  von  der  Anschauung  nur 
gefordert,  bloss  von  Strecke  zu  Strecke  hin,  jedesmal  insoweit,  als  sie 
direct  für  das  Behauptete  zeugen  soll,  die  betreffenden  Gebilde  zu  ver- 
folgen, mit  dem  Vertrauen,  dass  von  da  ab  fernerhin  immer  wieder 
das  Gleiche  gelten  werde;  sondern  es  wird  gefordert,  dass  ein  Durch- 
schneiden, welches  bei  einer  sehr  geringen  Abweichung  der  Summe  der 
inneren  Winkel  von  zwei  Rechten  vielleicht  auf  sehr  weite  Strecken 
hin  nicht  stattfindet,  als  irgend  einmal  an  einer  in  unbestimmt  weiter 
Entfernung  liegenden  Stelle  stattfindend,  bis  zu  welcher  hin  doch  die 
unmittelbare  Anschauung  ihrer  Richtigkeit  nicht  sicher  bleibt,  auf  Grund 
eben  dieser  Anschauung  für  alle  Fälle  zugegeben  werden  soll.  Hier 
bedarf  es  unverkennbar  eines  Beweises.  Man  kann  das  eilfte  Euklidische 
Axiom  in  einen  axiomatischen  Theil  und  einen  angeknüpften  Lehrsatz 
zerlegen.  Man  könnte  als  Axiom  annehmen,  dass,  wenn  mit  zwei  Linien 
(IK  und  CD)  irgend  eine  dritte  Linie  (EF),  die  beide  schneidet,  gleiche 
correspondirende  Winkel  macht,  dann  mit  denselben  auch  jede  andere 
Linie  (GL),  die  beide  schneidet,  gleiche  correspondirende  Winkel  mache, 
woraus  sofort  die  Sätze  folgen,  dass  der  Aussenwinkel  des  geradlinigen 
ebenen  Dreiecks  gleich  der  Summe  der  beiden  inneren  Winkel  ist,  die 
nicht  sein  Nebenwinkel  sind,  und  dass  die  Summe  der  drei  Dreiecks- 
winkel gleich  zwei  rechten  Winkeln  ist,  wie  auch  umgekehrt,  falls  einer 
dieser  Sätze  als  Axiom  angenommen  würde,  eben  der  Satz,  woraus  sie 
sich  ableiten  lassen,  aus  ihnen  folgen  würde;  auf  Grund  dieser  Sätze 
liesse  sich  dann  für  das,  was  in  dem  eilften  Euklidischen  Axiom  behauptet 
wird,  ein  stringenter  Beweis  führen.  Allein  auch  der  eben  angegebene 
Satz,  der  sich  mehr,  als  das  eilfte  Axiom  des  Euklid,  dem  axiomatischen 
Charakter  annähert,  ist  immer  noch  zu  oomplicirt,  um  diesen  Charakter 
in  vollem  Maasse  zu  tragen.  Was  derselbe  besagt,  ist  durch  die  Natur 
der  geraden  Linie  und  des  Winkels  bedingt;  in  dieser  Natur  selbst 
muss  das  wahrhaft  Elementare  liegen,   auf  welches  zurückzugehen  die 


362  §  110.    Der  erste  Modus  der  ersten  Figar. 

eigentliche  Aufgabe  bei  der  Bildung  der  Axiome  ist.  ^  Nun  aber  lässt 
sich  dieser  Rückgang  am  füglichsten  durch  die  Einführung  eines  (der 
Euklidischen  Darstellung  gegenüber  neuen)  Begriffs  vollziehen,  näm- 
lich des  Begriffs  der  Richtung,  indem  die  gerade  Linie  als  die  durch 
Bewegping  eines  Punktes  in  constanter  Richtung  entstehende  Linie 
definirt  wird,  der  Winkel  als  der  Richtungsunterschied  zweier  einander 
schneidenden  geraden  Linien,  Parallellinien  aber  als  Linien  von  gleicher 
Richtung  definirt  werden*).  Auf  Grund  dieser  Definitionen  ist  zu  be- 
weisen, dass  die  Linie  AB,  falls  die  Winkelsumme  B6H-fDHG^2R, 
bei  unbegrenzter  Ausdehnung  die  Linie  CD  durchschneiden  muss,  und 
zwar  auf  der  Seite  von  £F,  auf  welcher  B  liegt. 

Es  werde  durch  den  Punkt  6  eine  gerade  Linie  IK  in  gleicher 
Richtung  mit  CD  gelegt.   Dann  lassen  sich  folgende  Syllogismen  bilden : 

1.  Gleiche  Richtungen  haben  gleiche  Richtungsunterschiede ;  die 
Richtungen  von  GE  und  HD,  sowie  von  GH  und  HF  sind  aber  gleiche 
Richtungen ;  folglich  haben  sie  auch  gleiche  Riohtungsunterschiede,  d.  h. 
Winkel  KGH  =  DHF. 


*)  Es  ist  hierbei  zuzugestehen,  dass  der  Begriff  der  Richtung, 
der  durch  den  der  Bewegungstendenz  bedingt  (keineswegs  aber  mit 
dem  Begriff  der  geraden  Linie  identisch)  ist,  selbst  nicht  wieder 
einer  derartigen  Definition  fähig  sei,  dass  sich  auf  ihn  in  Euklidi- 
scher Art  geführte  Beweise  bauen  li essen;  die  Argumentation  trägt 
hier  vielmehr  den  Charakter  einer  philosophischen  Begriffserörterung, 
und  in  mathematischem  Betracht  bleibt  ein  axiomatisches  Element  zurück. 
Dieses  soll  keineswegs  durch  den  neu  eingeführten  Begriff  verdeckt, 
wohl  aber  in  der  möglichst  elementaren  Form  eingeführt  werden.  — 
Mit  dem  obigen  wesentlich  gleichartig  ist  der  Gedankengang ;  der  Win- 
kel ist  eine  Drehungsgrösse ;  daher  ist  der  Fortgang  in  gerader  Linie 
ohne  EinfluBS  auf  Winkelsummen;  daher  ist  die  Summe  der  Aussen- 
winkel  am  Dreieck  =  4  R,  und  die  Summe  der  Dreieckswinkel  =  2  R. 
Ein  auf  diesen  Gedankengang  gebauter  Beweis  würde  vor  dem  obigen 
(der  sich  dagegen  in  wenigeren  Syllogismen  ausdrücken  Hess)  den  Vor« 
zug  haben,  dass  der  Begriff  der  Gleichheit  der  Richtung  ohne  Defini- 
tion als  ein  unmittelbar  verständlicher  nur  bei  der  Constanz  der  Be- 
wegungsrichtung eines  geradlinig  fortschreitenden  Punktes  zur  Anwendung 
febracht  zu  werden  braucht  und  nicht  auch  bei  zwei  von  verschiedenen 
unkten  ausgehenden  Linien.  Wird  er  bei  diesen  zur  Anwendung  ge- 
bracht, so  liegt  darin  das  Merkmal  der  Gleichheit  des  Winkels,  den 
diese  Linien  mit  einer  schneidenden  Linie  machen,  und  zugleich  das 
oben  bezeichnete  Axiom,  dass  dann  auch  die  Winkel,  welche  diese 
Linien  mit  jeder  andern  schneidenden  machen,  einander  gleich  seien. 
Dieses  (dem  Satz,  dass  die  Dreieckswinkel  =  2  R,  äquipollente)  Axiom 
ist  naturgemäss  das  Prius  des  11.  Euklidischen  »Axioms«.  —  Uebrigens 
lässt  sich  für  dieses,  falls  die  Yergleichung  unendlicher  Räume  un- 
beschränkt zugegeben  wird,  folgender  Beweis  führen.  Der  Flächenraum 
des  Winkels  EGB  ist  ein  endlicher  Theil  der  gesammten  Ebene;  er 
verhält  sich  zu  derselben,  wie  der  Winkel  selbst  zu  der  Summe  aller 
um  den  Scheitelpunkt  liegenden  Winkel,  d.  h.  zu  4  rechten  Winkeln. 
Der  Parallelstreif  lECD  aber  ist  ein  unendlich  kleiner  Theil  der  ge- 
sammten Ebene;  denn  es  lassen  sich  unzählige  einander  congruente 
Streifen  durch  EF  durchlegen;  also  ist  EGB  >  lECD;  also  muss  GB 
die  CD  schneiden. 


§110.    Der  erste  Modus  der  ersten  Figur.  868 

2.  Nebenwinkel  sind  zusammen  gleich  zwei  rechten  Winkeln;  die 
Winkel  DHF  und  DHG  sind  Nebenwinkel ;  folglich  DHF  +  DHG  =»  2  R. 

3.  Gleiche  Grossen  können  für  einander  sabstituirt  werden;  die 
Winkel  KGH  und  DHF  sind  gleiche  Grössen  (nach  1.);  also  können  sie 
für  einander  substituirt  werden. 

Substituiren  wir  demgem&ss  in  der  Schlussgleicbung  von  No.  2 
KGH  für  DHF,  so  folgt:  KGH  +  DHG  =  2  R. 

4.  Nach  der  Voraussetzung  ist  BGH  +  DHG  <  2  R.  Wird  nun 
wiederum  der  Satz  über  die  Substitutionen  als  Obersatz,  das  vorhin 
gewonnene  Resultat  aber,  dass  nämlich  KGH  +  DHG  s  2  R,  als  Unter- 
satz genommen,  und  der  Schlusssatz  auf  jene  Voraussetzung  angewandt, 
so  folgt:  BGH  +  DHG  <  KGH  +  DHG. 

5.  Die  Subtraction  eines  Gleichen  von  Kleinerem  lässt  Kleineres. 
Die  Subtraction  des  Winkels  DHG  von  der  Summe  BGH  +  DHG  ist 
aber  eine  Subtraction  eines  Gleichen  von  Kleinerem  im  Vergleich  mit 
der  Subtraction  desselben  Winkels  von  der  Summe  KGH  +  DHG ;  also 
lässt  sie  Kleineres  zum  Rest,  d.  h.  BGH  ^  KGH. 

6.  Zwei  ungleiche  Winkel  in  Einer  Ebene,  welche  die  Spitze 
und  einen  Schenkel  gemeinsam  haben  und  nach  derselben  Seite  des 
gemeinsamen  Schenkels  fallen,  müssen  (weil  der  grössere  Richtungs- 
unterschied der  weiteren  Drehung  des  Schenkels  um  die  Spitze,  der 
kleinere  aber  der  geringeren  Drehung  entspricht)  so  liegen,  dass  der 
andere  Schenkel  des  kleineren  Winkels  von  der  Spitze  aus  innerhalb 
der  beiden  Schenkel  des  grösseren  fortgeht.  Die  Winkel  BGH  und  KGH 
sind  zwei  Winkel  dieser  Art.  Also  müssen  sie  so  liegen,  dass  GB  zwischen 
GH  und  GK  fällt.  (Die  Zeichnung  zeigt  es  unmittelbar;  dies  konnte 
uns  aber  selbstverständlich  nicht  der  Nothwendigkeit  eines  Beweises 
überheben.) 

7.  Scheitelwinkel  sind  einander  gleich;  die  Winkel  DHF  und 
CHG  sind  Scheitelwinkel,  also  einander  gleich. 

Wird  für  DHF  (nach  8.)  KGH  substituirt,  so  ergiebt  sich  die 
Gleichung  KGH  =  CHG.  Da  aber  die  begründenden  Sätze  nichts  ent- 
halten, was  nicht  bei  jeder  Lage  und  Entfernung  der  gleichgerichteten 
Linien  (IK  und  CD)  und  der  schneidenden  (EF)  ganz  ebenso  gelten 
würde,  so  lässt  sich  dieses  Resultat  auch  allgemein  dahin  aussprechen: 
Wechselwinkel  bei  gleichgerichteten  Linien  sind  einander  gleich. 

8.  Wechselwinkel  bei  gleichgerichteten  Linien  sind  einander  gleich ; 
die  Winkel  KGL  (KGL,,  KGL,  etc.)  und  HLG  (HLjG,  HL,G  etc.)  sind 
Wechselwinkel  bei  gleichgerichteten  Linien,  also  einander  gleich. 

Die  Punkte  L,,  L„  Lj  etc.  seien  so  bestimmt  worden,  dass  HL| 
=  HG,  LjLa  s  LjG,  LgL,  =s  L^G  und  so  fort  ins  Unendliche.  Dann 
lässt  sich  weiter  schliessen: 

9.  Gleichschenklige  Dreiecke  haben  an  der  Basis  gleiche  Winkel. 
(Der  Beweis  dieses  Lehrsatzes  ist  bekanntlich  von  dem  11.  Euklidischen 
Axiom  unabhängig.)  Das  Dreieck  HL^G  ist  gleichschenklig.  Also  hat 
es  an  der  Basis  (GL,)  gleiche  Winkel,  d.  h.  W.  HL,G  «=  HGL,.  Ebenso 
folgt,  dass  Winkel  HL^G  =  L^GL,,  HL,G  »  L,GL,  eta 


864  §  110.  Der  erste  Modus  der  ersten  Figur. 

10.  Zwei  Grössen,  die  einer  dritten  gleioh  sind,  sind  unter  ein- 
ander gleich.  Die  Winkel  E6L„  EGL„  E6L,  eto.  und  HOL,,  LiGL,, 
L^GLj  etc.  sind  je  zwei  Grössen,  die  je  einer  dritten  (nämlich  HL^G, 
HL^G,  HLgG  etc.  nach  8.  und  9.)  gleich  sind;  also  sind  sie  beziehlioh 
unter  einander  gleich,  d.  h.  EGL^  =  HGLi,  EGL|  =s  LjGL^,  EGL,  =ss 
L^GLg  etc.  Mit  anderen  Worten:  der  Winkel  EGH  und  der  jedesmalige 
Winkel  EGL  (EGL|,  EGLg,  EGL,  etc.)  wird  immer  durch  die  nächst- 
folgende Gonstruction  halbirt. 

11.  Die  Summe  der  Beihe  \/,  +  V*  +  Ve  "*"  *As  +  • .  .  •  nähert 
sich  (nach  einem  hier  vorauszusetzenden  arithmetischen  Lehrsatze)  der 
Einheit  in  der  Art  an,  dass,  welche  noch  so  kleine  feste  Grösse  auch 
gegeben  sein  mag,  die  Differenz  der  Summe  von  der  Einheit  bei  un- 
begrenzter Fortsetzung  der  Beihe  irgend  einmal  unter  dieselbe  herab- 
sinken muss.  Die  Winkel  HGLj,  HGLj  etc.  sind  die  successiven  Summen 
von  Winkeln  (HGL^,  Li  GL,  etc.),  die  von  dem  Winkel  HGE  der  Beihe 
nach  V2*  '^4*  ^^8»  V16  ^^'  (nach  10.)  sind.  Also  nähern  sich  dieselben 
der  Einheit  oder  dem  Ganzen  dieses  Winkels  (HGE)  in  der  Art  an, 
dass,  welche  noch  so  kleine  feste  Winkelgrösse  (EGB)  auch  gegeben 
sein  mag,  die  Differenz  der  Winkel  HGLn  von  HGE  irgend  einmal  unter 
diese  Grösse  (EGB)  herabsinken  muss.  Bezeichnen  wir  den  Punkt  auf 
der  Linie  HD,  wobei  dieses  Herabsinken  zuerst  eingetreten  ist,  mit  Lk, 
so  folgt:  HGLk  >  HGB. 

12.  Wird  nun  der  Obersatz  von  6.  auf  diesen  Fall  angewandt, 
so  folgt  wiederum  in  derselben  Weise,  dass  die  Linie  GB  zwischen  GH 
und  GLk  fallen  muss. 

t 

13.  Eine  unbegrenzte  gerade  Linie  kann  aus  einer  allseitig  be- 
grenzten Figur  in  derselben  Ebene  auf  beiden  Seiten  nur  mittelst  Durch- 
schneidung der  Grenzen  heraustreten.  Die  Linie  AB  ist  eine  unbegrenzte 
gerade  Linie,  die  (nach  12.)  theilweise  inmitten  des  allseitig  begrenzten 
Dreiecks  HLkG  liegt.  Also  kann  sie  aus  demselben  auf  beiden  Seiten 
nur  mittelst  Durchschneidung  der  Grenzen  heraustreten. 

Der  eine  Durchschnitt  ist  bei  G,  der  andere  noch  zu  bestimmen. 

14.  Zwei  gerade  Linien,  die  nicht  ganz  zusammenfallen,  können 
nur  Einen  Punkt^gemeinsam  haben.  GB  und  GH  sind  zwei  solche  gerade 
Linien.  Also  können  sie  nur  Einen  Punkt  (nur  den  Punkt  G  und 
ausserdem  keinen  zweiten)  gemeinsam  haben.  Das  Gleiche  gilt  von  GB 
und  GLk. 

15.  Die  unbegrenzte  gerade  Linie  GB  (oder  AB)  muss,  um  in 
der  Bichtung  über  B  hinaus  den  geschlossenen  Baum  des  DreiecJcs  HLkG 
zu  überschreiten,  auf  dieser  Seite  eine  der  drei  Seiten  desselben  (nach 
18.)  durchschneiden.  Sie  kann  aber  (nach  14.)  auf  dieser  Seite  nicht 
GH,  noch  auch  GLk  durchschneiden;  also  muss  sie  die  Linie  HLk  (oder 
CD)  durchschneiden;  was  zu  beweisen  war*). 


*)  Wollte  man  den  Obersatz  von  18.  vermeiden,  so  Hesse  sich 
auch  so  weitergehen,  dass  die  (unbegrenzt  zu  denkende)  gerade  Linie 
Lk— 1,  wenn  sie  um  den  festen  Punkt  G  bis  zur  Goincidenz  mit  Lk  in 


§  110.   Der  erste  Modus  der  ersten  Fignr.  365 

Hier  ist  nur  der  Syllogismus  unter  16.  von  einer  Form,  die  sich 
nicht  auf  den  Modus  Barbara  bringen  lässt    (nämlich  von  disjunctiver 


der  durch  die  drei  Punkte  G,  Lk— i  und  Lk  bestimmten  Ebene  gedreht 
wird|  alle  Punkte  der  Linie  Lk— i  L,  aber  auch  alle  Punkte  des  Drei- 
ecks GLk— 1  Lk  durchstreichen,  folglich  auch  irgend  einmal  einen  zwei- 
ten Punkt  ausser  6  mit  der  Linie  GB  (oder  AB)  gemein  haben,  dann 
aber  auch  ganz  mit  dieser  coincidiren  müsse,  so  dass  auch  ihr  Durch- 
Bchnittspunkt  mit  Lk— i  Lk  der  Linie  AB  mitangehort,  also  diese  die 
CD  schneidet,  was  zu  beweisen  war. 

Li  mathematischer  Beziehung  mag  hierzu  des  Verfassers  Abhand- 
lung: tdie  Principien  der  Geometrie,  wissenschaftlich  dargestellte 
in  dem  (von  Jahn  begründeten)  Archiv  für  Philol.  und  Pädag.,  Bd.  XYII, 
Heft  1,  1851,  S.  20—54  verglichen  werden,  wo  die  hier  angewandten 
Begriffe  in  ihrem  allgemeineren  wissenschaftlichen  Zusammenhange  zur 
Erörterung  kommen.  Diese  Abhandluug  ist  mit  veränderter  Einleitung 
in  französischer  Uebersetzung  wiederabgedruckt  in:  Joseph  De Iboeu^ 
Prolegomdnes  philosophiques  de  la  geometrie,  Liege  1860,  p.  269—305. 
üebrigens  ist  Delboeufs  Basirung  der  Geometrie  auf  den  Einen  funda- 
mentalen Charakter  des  Baumes,  den  Delboeuf  Homogene! tat  nennt, 
dass  nämlich  die  Form  von  der  Grösse  unabhängig,  also  jede  Form  mit 
jeder  Grösse  vereinbar  sei  (was  sich  auf  die  Relativität  aller  Ausdeh- 
nung zurückführen  lässt),  meines  Erachtens  die  wahrhaft  wissenschaft- 
liche Auffassung  (die  nicht  auf  die  Eantische  Subjectivität  des  Raums, 
sondern  auf  die  subjective  Anerkennung  jenes  objectiv-realen  Verhält- 
nisses führt).  Vergl.  meine  Recension  in  Fichte's  Zeitschrift  für  Phi- 
los.,  Bd.  XXXVn,  Heft  1,  1860.  —  üeber  die  Grundbegriffe  der  Geo- 
metrie vgl.  u.  a.  auch  eine  Abhandlung  von  John  Prince-Smith, 
Berlin  1860.  Vgl.  ferner  H.  Helmholtz,  über  die  Thatsachen,  die  der 
Geom.  zu  Grunde  liegen,  in:  Nachrichten  der  K.  Gesellsch.  der  Wiss. 
zu  Göttingen,  1868,  Juni  3,  S.  193—321,  wo  in  gewissem  Anschluss  an 
Riemann  (über  die  Hypothesen,  welche  der  Geom.  zu  Grunde  liegen, 
in:  Abh.  der  K.  Gesellsch.  der  Wiss.  zu  Göttingen,  1867)  ein  solches 
System  einfacher  Thatsachen  aufgestellt  wird,  welches  zur  Bestimmung 
der  Maassverhältnisse  des  Raumes  hinreiche.  Helmholtz  definirt  mit 
Riemann  den  Raum  von  n  Dimensionen  als  eine  nfach  ausgedehnte 
Mannigfaltigkeit,  d.  h.  eine  solche,  in  welcher  sich  das  Einzelne  durch 
n  veränderliche  Grössen  (Coordinaten)  bestimmen  lasse.  Die  Messbar- 
keit  des  Raumes  ist  gegründet  auf  die  Existenz  fester  Körper.  Ver- 
möge der  freien  Beweglichkeit  der  (in  sich)  festen  Körper  können  ge- 
wisse Punktsysteme  zur  Deckung  (Congruenz)  gebracht  werden;  diese 
ist  unabhängig  von  dem  Orte  und  der  Richtung  der  sich  deckenden 
Raumgebilde  und  von  dem  Wege,  auf  welchem  sie  zu  einander  geführt 
worden  sind.  Wenn  ein  fester  Körper  sich  um  n  —  1  seiner  Punkte 
dreht  und  diese  so  gewählt  sind,  dass  seine  Stellung  nur  noch  von  einer 
unabhängig  Veränderlichen  abhängt,  so  führt  die  Drehung  ohne  Um- 
kehr schliesslich  in  die  Anfangslage  zurück.  Der  Raum  hat  3  Dimen- 
sionen. Der  Raum  ist  unendlich  ausgedehnt.  —  In  der  oben  erwähnten 
Abhandlung  wird  (in  gewissem  Anschluss  an  Erb)  die  Geometrie  auf 
die  folgenden  (noch  einfacheren)  experimentell  constatirbaren  That- 
sachen gegründet,  deren  absolut  genaue  Gültigkeit  wir,  das  Zeugniss 
der  Sinne  idealisirend,  als  Hypothese  oder  Axiom  annehmen:  Ein  ma- 
terieller fester  Körper  kann:  1.  wenn  er  unbefestigt  ist,  an  jede  freie 
Stelle  des  Raumes  gebracht  werden;  2.  an  einem  Punkte  festgehalten, 
nicht  mehr  überallhin  gelangen;  3.  noch  an  einem  zweiten  Punkte  fest- 
gehalten, nicht  mehr  alle  die  Bewegungen  vollziehen,  die  bei  der  Fixi- 


366  §  110.   Der  erste  Modus  der  ersten  Figar. 

Art),   und  der  unter  14.  fügt  sich  insofern  nicht,   als  in  dem   >n  u  rc 
(»nur  den  Punkt  6  und  ausserdem  keinen  anderen«)   implicite  eine 


rung  eines  einzigen  Punktes  möglich  blieben,  aber  doch  immer  noch 
bewegt  werden  (nur  eine  gewisse  Reihe  von  Punkten,  die  alle  unter 
sich  und  mit  den  beiden  fixirten  Punkten  ununterbrochen  zusammen- 
hängen, bleibt  unbewegt);  4.  wird  aber  von  den  hierher  bewegbar  ge- 
bliebenen Punkten  noch  einer  befestigt,  so  wird  dadurch  alle  Bewegung 
dieses  Körpers  aufgehoben. 

In  der  Schrift  des  Krauseaners  Tiberghien:  Logique,  la  science 
de  la  connaissance,  Paris  1865,  wird  die  in  der  angeführten  Abhand- 
lung entwickelte  antikantianische  Ansicht,  dass  die  Gewissheit  der  ma- 
thematischen Sätze  mit  einem  empirischen  Ursprung  der  Eaumvorstel- 
lung  verträglich  sei,  bekämpft.  Ich  habe  dort  gesagt.  Kaut's  Beweis- 
führung für  die  Apriorität  der  Raumanschauung  sei  lediglich  eine  in- 
directe,  die  sich  auf  die  Bisjunction  gründe:  durch  die  Erfahrung  ge- 
geben oder  unabhängig  von  aller  Erfahrung  (empirisch  oder  a  priori) ; 
diese  Beweisführung  aber  sei  illusorisch  wegen  der  Unvollständigkeit 
der  Disjunction,  denn  es  gebe  eine  dritte  Möglichkeit,  nämlich  die  ra- 
tionelle Verarbeitung  von  empirischen  Daten  nach  logischen  Normen 
ohne  apriorische  (von  aller  Erfahrung  unabhängige)  Bestandtheile  der 
Erkenntniss.  Gewinnen  wir  die  mathematischen  Erkenntnisse  nicht 
direct  durch  Beobachtung,  so  folgt  daraus  nicht,  dass  sie  schlechthin 
von  aller  Beobachtung  unabhängig  seien.  Die  mathematischen  Fuu- 
damentalsätze  sind  zum  Theil  analytische  Urtheile  (s.  o.  §83),  zum 
andern  Theil  aber,  soweit  sie  synthetische  Urtheile  sind,  in  ähnlicher 
Art,  wie  die  physikalischen  Principien,  z.  B.  das  Gravitationsgesetz, 
mittelbar  auf  die  Beobachtung  gegründet,  nämlich  die  geometrischen 
auf  die  Beobachtung  räumlicher  Verhältnisse,  die  arithmetischen  aber 
auf  die  zum  Zahlbegriff  hinführende  Beobachtung  gleichartiger  Objecte. 
Aus  den  Fundamentalsätzen  werden  dann  die  Lehrsätze  mittelst 
einer  syllogistischen  Deduction  abgeleitet,  welche  nicht  rein  subjectiven 
Normen  folgt,  sondern  auf  die  Voraussetzung  einer  objectiven  Ord- 
nung, die  unser  Denken  nur  reproducirt,  gebaut  ist,  und  diese 
Voraussetzung  selbst  ruht  auf  der  combinirten  äusseren  und  inneren 
Erfahrung  (vgl.  oben  §§  28,  41  fif.,  73,  81,  besonders  S.  270.  ferner 
unten  mehrere  von  den  Bemerkungen  zu  §  137,  auch  138  ff.).  Tiberghien 
entgegnet  (S.  244  ff.)  mit  der  Frage,  warum  Kant  denn  jene  dritte 
Möglichkeit  unbemerkt  gelassen  habe,  welche  Frage  er  mit  den  Wor- 
ten beantwortet:  »C'est  que  la  critique  de  la  raison  pure  avait  de- 
montre  qu'il  n'y  a  point  de  connaissance  sans  elements  a  priori  et 
qu'ainsi  Pelaboration  qu'on  propose,  est  une  manifeste  absurdite.c  Diese 
Antwort  aber  involvirt  einen  Irrthum  in  Bezug  auf  den  thatsächlichen 
Beweisgang  Kaut's.  Man  braucht  nur  das  Kantische  Werk  nachzulesen, 
um  sich  zu  überzeugen,  dass  Kant  von  jener  Disjunction  in  seiner  Ar- 
gumentation ausgeht,  dass  er  sie  als  Prämisse  benutzt,  und  nicht, 
wie  Tiberghien  angiebt,  als  Resultat  oder  als  Schlusssatz  eines 
von  ihr  selbst  unabhängigen  Beweises  hinstellt.  Als  eine  »offenbare 
Absurdität«  müsste  jene  dritte  Möglichkeit  freilich  dann  bezeichnet 
werden,  wenn  man  die  subjectivistische  Voraussetzung,  dass  alle  Ord- 
nung nur  in  uns  ihren  Ursprung  habe,  als  eine  unumstössliche  Wahr- 
heit betrachten  dürfte;  aber  da  diese  selbst  erst  aus  jener  Disjunction 
abgeleitet  ist,  deren  Vollständigkeit  in  Frage  steht,  so  bewegt  man  sich 
in  einem  unleugbaren  circulus  vitiosus.  Wenn  aber  vollends  Herr 
Tiberghien  diese  Voraussetzung  auch  seinerseits  für  anfechtbar  hält, 
so  fehlt  zu  jener  Bezeichnung  auch  selbst  der  Schein  einer  Berechti- 


m 


§  110.   Der  erste  Modus  der  ersten  Figur.  867 

Negation  liegt.  Alle  Syllogismen  der  13  ersten  Nummern  aber  fallen 
unter  jenen  ersten  Modus  der  ersten  Figur. 

Diese  syllogistische  Verkettung  ist  der  Lebensnerv  der  mathema- 
tischen Beweisführung.  Der  Mathematiker  verkürzt  die  Form  des 
Ausdrucks;  aber  die  syllogistische  Gedankenform  könnte  nur  zu* 
gleich  mit  der  Beweiskraft  selbst  aufgehoben  werden. 

Auch  die  Physik  kann  nur  in  syllogistischer  Gedankenform  aus 
den  allgemeinen  Gesetzen  die  besonderen  Erscheinungen  erklären.  Jede 
Anwendung  einer  mathematischen  Formel  auf  einen  gegebenen  Fall  ge- 
schieht mittelst  einer  syllogistischen  Subsumtion  des  Besonderen  unter 
ein  allgemeines  Yerhältniss  der  Grösse  oder  Lage.  Aber  das  Gebiet  des 
Syllogismus  in  der  Physik  und  zumeist  des  Modus  Barbara  reicht  noch 
weiter,  als  das  der  mathematischen  Formel.  Das  Gesetz,  dass  der  wär- 
mere Körper  durch  die  Atmosphäre  hindurch  gegen  eine  kältere  Um- 
gebung, wenn  er  von  derselben  nicht  durch  schützende  Media  getrennt 
ist,  einen  Theü  seiner  Wärme  ausstrahlen  und  so  erkalten  müsse,  kann 
schon,  ohne  auf  eine  mathematische  Form  gebracht  zu  sein,  unsere 
meteorologische  Erkenntniss  vermöge  der  syllogistischen  Subsumtion 
fördern:  nun  aber  ist  die  Erdoberfläche  Nachts  hei  heiterem  Himmel 
wärmer  als  der  sie  umgebende  Weltraum  und  nicht  durch  eine  gegen 
Erkaltung  schützende  Wolkendecke  von  demselben  getrennt;  also  muss 
sie  gegen  denselben  einen  Theil  ihrer  Wärme  ausstrahlen  und  erkalten 
(bis  die  Sonnenwärme  Ersatz  gewährt).  Die  Erklärung  der  Thaubildung 
beruht  auf  dem  Syllogismus:  jeder  erkaltende  Gegenstand,  dessen  Tempe- 
ratur unter  die  des  sog.  Thaupunktes  herabsinkt,  zieht  aus  der  minder 
kalten  Atmosphäre  einen  Theil  der  in  dieser  enthaltenen  Wasserdünste 
an  sich  und  bringt  dieselben  zum  Niederschlag;  die  Oberfläche  der  Erde 
und  insbesondere  auch  der  Pflanzen  ist  in  heiteren  Nächten  (in  Folge 
der  Wärmeausstrahlung  nach  dem  Welträume  hin)  kälter,  als  die  At- 
mosphäre; also  zieht  dieselbe,  wenn  die  Erkaltung  die  bezeichnete  Grenze 
tiberschreitet,  einen  Theil  der  in  der  Atmosphäre  enthaltenen  Wasser- 
dünste an  sich  und  bringt  dieselben  zum  Niederschlag. 


gung.  Eant's  Zurückweisung  des  kräftigsten  Einwurfs  unter  allen,  die 
ffegen  seine  Lehre  erhoben  worden  sind,  durch  ein  blosses  Scherzwort 
(»ex  pumice  aquamlc  Kr.  d.  pr,  V.,  Vorr.),  dessen  Anwendung  bereits 
die  Kantischen  Voraussetzungen  involvirt,  ist  aus  Kant's  subjectiver 
Gebundenheit  an  seinen  eigenen  Standpunkt  erklärbar  und  entschuld- 
bar, aber  nicht  nachzuahmen.  Was  endlich  die  von  Tiberghien  so 
stark  betonte  Unendlichkeit  des  Raumes  betrifft,  so  kann  diese  nur  in 
dem  negativen  Sinne,  dass  nicht  an  irgend  einer  Stelle  die  Möglich- 
keit des  Fortgangs  abgeschnitten  ist,  von  uns  erkannt  werden,  und  nur 
dieser  Begriff  derselben  ist  der  mathematische.  —  Vgl.  über  diese  Frage 
die  unten,  §  129,  angeführten  Aeusserungen  von  B.  Kiemann  und  H. 
Helmholtz,  worin  die  empirische  Basis  der  Geometrie  entschieden  an- 
erkannt wird;  ferner  Beneke's  verdienstlichen  Nachweis  (Syst.  der  Log. 
II,  S.  51  ff.)  von  der  Bedeutung  der  Induction  und  insbesondere  der 
Vergleichung  unendlich  vieler  oontinuirlich  mit  einander  verbundener 
Fälle  auf  dem  Gebiete  der  Geometrie. 


368  §  110.    Der  erste  Modus  der  ersten  Fignr. 

Die  Anwendung  der  grammatischen  Gesetze  auf  die  einzelnen 
Fälle  ist  ein  syllogistischer  Gedankenprocess;  Die  Verba,  welche  eine 
intellectuelle  Thätigkeit  (die  Anerkennung  eines  Seins)  bezeichnen  (verba 
sentiendi  et  declarandi)  fordern  im  Lateinischen  die  Construction  des 
Accusativ  mit  dem  Infinitiv;  persuadere  in  der  Bedeutung  überzeugen 
(dass  etwas  sei)  bezeichnet  eine  intellectuelle  Thätigkeit,  fordert  also 
diese  Construction.  Die  Yerba,  welche  auf  ein  Streben  (nach  etwas,  was 
sein  soll)  gehen,  werden  mit  ut  construirt;  persuadere  in  der  Bedeu- 
tung überreden  (etwas  zu  thun)  gehört  dieser  Classe  an,  wird  also 
in  diesem  Sinne  mit  ut  construirt. 

Das  Gleiche  gilt  von  der  Anwendung  der  Rechtsgesetze.  Das 
Vergehen,  dass  eine  fremde  bewegliche  Sache  dem  Besitze  oder  Gewahr- 
sam eines  Anderen  entzogen  wird,  ist  Diebstahl.  Die  That  dieses  An- 
geklagten ist  ein  Vergehen  dieser  Art;  also  ist  sie  Diebstahl.  Diebstahl 
fordert  härtere  Bestrafung,  als  Unterschlagung  einer  gefundenen  Sache 
(die  nicht  im  Besitze  oder  Gewahrsam  eines  Anderen  war,  indem  etwa 
der  frühere  Besitzer  sie  verloren  oder  aufgegeben  hatte).  Die  Handlung 
dieses  Angeklagten  aber  ist  Diebstahl;  also  fordert  sie  die  härtere  Be- 
strafung. Bei  der  Anwendung  eines  Gesetzes  auf  einen  einzelnen  Fall 
ist  der  Obersatz  durch  die  Gesetzgebung  festgestellt,  der  Untersatz  wird, 
indem  er  auf  Thatsachliches  geht,  durch  Augenschein,  Geständniss,  Zeug- 
niss  oder  Indicienbeweis  gefunden;  liegt  aber  zwischen  dem  Gesetz  und 
seiner  Anwendung  eine  gesetzlich  maassgebende  Interpretation  in  der 
Mitte,  so  ist  bei  dieser  das  Gesetz  der  Obersatz,  eine  Annahme  des 
Gerichtshofs,  wodurch  die  Bedeutung  eines  im  Gesetz  angewandten  Aus- 
drucks declarirt  wird  (z.  B.  ob  die  irrthüm liehe  subjective  Ansicht,  dass 
etwas  geschehen  sei,  was  nicht  geschehen  ist,  eine  > Meinung c  im  Sinne 
des  Gesetzes  sei  oder  nicht),  der  Untersatz,  und  eine  auf  einen  vor- 
liegenden Einzelfall  direct  anwendbare  (oder  andernfalls  diese  Anwend- 
barkeit direct  ausschliessende)  Norm  der  Schlusssatz.  (A.  Positiv:  Jede 
im  Abgeordnetenhause  geäusserte  Meinung  ist  straflos,  ein  Irrthum  jener 
Art  ist  eine  Meinung,  also  straflos.  —  B.  Negativ:  Jede  Aeusserung  im 
Abgeordnetenhause,  die  nicht  eine  Meinung  ausdrückt,  war  den  allge- 
meinen Strafgesetzen  zu  subsumiren  und  begründet  keine  Exemtion; 
jede  dort  geäusserte  irrthümliche  subjective  Annahme,  dass  etwas  ge- 
schehen sei,  was  nicht  geschehen  war,  war  laut  maassgebender  Ent- 
scheidung eine  Aeusserung,  die  nicht  eine  Meinung  ausdrückte,  also 
war  sie  den  allgemeinen  Strafgesetzen  zu  subsumiren  und  begründete 
keine  Exemtion.) 

Auf  dem  ethischen  Gebiete  wird  ebenso  das  Besondere  aus  dem 
Allgemeinen  syllogistisoh  erkannt,  wie  sehr  auch  der  Ausdruck  die 
syllogistische  Breite  verschmähen  möge,  deren  es  hier  insofern,  als  die 
ethischen  Verhältnisse  auch  schon  dem  allgemeinen  menschlichen  Be- 
wusstsein  unmittelbar  nahe  liegen,  in  der  That  nicht  bedarf.  Und  doch 
ist  der  Gang  unseres  ethischen  Denkens  ein  syllogistischer,  wenn  wir 
z.  B.  über  eine  bestimmte  Person,  die  wir  als  pflichtgetreu  erkannt 
haben,  das  Urtheil  fällen,  dass  sie  achtungswerth  sei;  denn  wir  subsu* 


§  111.  Die  übrigen  Modi  der  ersten  l^igür.  d6Ö 

miren  den  einzelnen  Fall  unter  das  allgemeine  Gesetz,  dass  die  Pflicht- 
trene  den  ethischen  Anspruch  auf  Achtung  begründe. 

Das  Gleiche  gilt  von  dem  Verständniss  der  historischen  Er- 
scheinungen. Ausser  der  (zu  §  101,  S.  825  schon  erwähnten)  Schiller- 
schen  Erklärung  der  Heftigkeit  und  Dauer  des  dreissigjährigen  Krieges 
(da  im  Religionskriege,  zumal  in  der  neueren  Zeit,  der  Einzelne  mit 
persönlicher  Ueberzeugung  seine  Partei  zu  nehmen  vermöge)  möge  fol- 
gendes Beispiel  die  Kraft  dieser  Gedankenform  bezeugen.  Diejenigen 
Individuen,  welche  die  von  den  edelsten  CulturvÖlkem  des  Alterthums 
einzeln  errungenen  Bildungselemente  von  ihren  nationalen  Schranken 
befreit  und  ihre  Verbreitung  über  alle  bildungsfähigen  Völker  des  Erd- 
kreises begründet  haben,  sind  unter  den  Persönlichkeiten  des  Alter- 
thums von  der  hervorragendsten  weltgeschichtlichen  Bedeutung.  Die- 
jenigen Individuen  aber,  welche  in  dem  reichen,  durch  die  Arbeit  der 
Jahrhunderte  errungenen  Schatze  der  griechischen  Kunst  und  Wissen- 
schaft —  ebenso  die,  welche  in  der  römischen  Rechts-  und  Staatsbildung 
—  ebenso  endlich  die,  welche  in  den  vorzugsweise  von  dem  jüdischen 
Volke  gehegten  religiösen  Ideen  —  die  allgemein  menschlich  gültigen 
Elemente  erkannt,  dieses  ewig  Wahre  der  zeitlichen  und  vergänglichen 
Hülle  nationaler  Beschränktheit  enthoben,  zu  einer  neuen  und  reineren 
Gestalt  fortgebildet,  und  die  allgemeine  Verbreitung  dieser  Bildungs- 
elemente angebahnt  haben,  diese  sind,  jede  auf  ihrem  Gebiete,  die  Träger 
jener  welthistorischen  Aufgabe.  Also  sind  sie  unter  den  Persönlich- 
keiten des  Alterthums  von  der  hervorragendsten  Bedeutung.  Wird 
dieser  Schlusssatz  auf  die  einzelnen  Personen  bezogen,  in  deren  welt- 
geschichtlichem Wirken  jene  Charaktere  sich  nachweisen  lassen,  so 
fällt  diese  Beziehung  nach  ihrer  logischen  Form  wiederum  unter  die 
nämliche  Schlussweise;  und  sollte  der  Obersatz  begründet  werden,  so 
könnte  auch  dies  nur  in  der  gleichen  syllogistischen  Gedankenform  ge- 
schehen, nämlich  durch  Aufzeigung  eines  allgemeinen  Entwickelungs- 
gesetzes,  dem  auch  die  Menschheit  als  ethischer  Gesammtorganismus 
unterworfen  sein  muss. 

§  111.  Die  drei  übrigen  Modi  der  ersten  Fignr 
im  engeren  Sinne  haben  die  Formen  e  a  e,  a  i  i,  e  i  o, 
and  führen  die  Namen  Celarent,  Darii,  Ferio,  in  welchen 
die  Anfangsconsonanten  durch  ihre  alphabetische  Folge  und 
die  Yocale  der  Reihe  nach  durch  Hindeutung  auf  die  logische 
Form  des  Ober-,  Unter-  und  Schlu'sssatzes  charakteristisch  sind. 

In  dem  Modus  Gelarent  wird  aus  einem  allgemein 
verneinenden  Obersatze  (kein  M  ist  P)  und  einem  allgemein 
bejahenden .  Untersatze  (jedes  S  ist  M)  ein  allgemein  ver- 
neinender Schlusssatz  (kein  S  ist  P)  abgeleitet  nach  folgendem 
Schema: 

24 


370 


§  111.    Die  übrigen  Modi  der  ersten  Figur. 


M    e    P 
S     a    M 

S     e    P. 

Der  Beweis  der  Gültigkeit  liegt  in  dem  Sphärenverhältniss. 
Ist  M  ganz  von  P  getrennt,  S  aber  ganz  in  M  enthalten,  so 
muss  auch  S  ganz  von  P  getrennt  sein. 


1. 


t.    [    S         M  j 


Der  Modus  Darii  hat  die  Form: 

M    a    P 
S     i     M 


S     i     P. 

Es  findet  hier  zwischen  P,  M  und  denjenigen  (einigen)  S, 
welche  M  sind,  dasselbe  Sphärenverhältniss  statt,  wie  in  dem 
Modus  Barbara  (s.  §  HO)  zwischen  P,  M  und  allen  S.  Also 
muss  hier  wenigstens  von  diesen  (einigen)  S  gelten,  was  dort 
von  allen  S  galt,  dass  sie  P  sind.  Von  den  übrigen  S  bleibt 
es  ungewiss,  ob  sie  P  seien  oder  nicht;  sind  sie  M,  so  müssen 
sie  auch  P  sein;  sind  sie  nicht  M,  so  können  sie  dennoch  P 
sein,  können  aber  in  diesem  Falle  auch  nicht  P  sein,  wie  sich 
dies  leicht  durch  Sphärenvergleichung  ergiebt.  Der  Schlusssatz 
hat  also  die  Bedeutung:  mindestens  einige  S  sind  P. 
Der  Modus  Ferio  endlich  hat  die  Form: 

M    e    P 

S     i    M 


S    0    P. 
Hier  findet  zwischen  P,  M  und  denjenigen  S,  welche  M  sind, 
das  nämliche  Sphärenverhältniss  statt,  wie  zwischen  P,  M  und 
allen  S  in  dem  Modus  Celarent  (s.  oben).  Folglich  sind,  wie 


§  111.   Die  übrigen  Modi  der  ersten  Figur.  371 

dort  alle  S  nicht  P,  so  hier  wenigstens  einige  S  nicht  P. 
Von  den  übrigen  S  bleibt  es  unentschieden,  ob  sie  P  seien 
oder  nicht;  sind  sie  M,  so  folgt,  dass  sie  nicht  P  sind;  sind 
sie  aber  nicht  M,  so  können  sie  zu  P  jedes  denkbare  Ver- 
hältniss  haben.  Also  hat  der  Schlnsssatz  den  Sinn :  mindestens 
einige  S  sind  nicht  P. 

Ein  Beispiel  zu  Celarent  liegt  implicite  schon  in  No.  14  des 
grösseren  mathematischen  Beispiels  zum  vorigen  Paragraphen^  indem 
das  »nur«  des  Obersatzes  die  Negation  eines  zweiten  gemeinsamen 
Punktes  in  sich  schliesst.  Andere  Beispiele  aus  anderen  Gebieten  des 
Denkens  sind  folgende.  Keine  Erkenntnissform,  die  einer  eigenthüm- 
lichen  Existenzform  entspricht,  ist  von  bloss  didaktischem  Werthe. 
Der  Syllogismus  ist  eine  Erkenntnissform,  die  einer  eigenthümlichen 
Existenzform  (nämlich  der  realen  Gesetzmässigkeit)  entspricht.  Also 
ist  der  Syllogismus  nicht  von  bloss  didaktischem  Werthe.  —  Was  vom 
Willen  unabhängig  ist,  kann  nicht  durch  Strafgesetze  erzwungen  wer- 
den. Die  theoretischen  üeberzeugungen  sind  vom  Willen  unabhängig. 
Folglich  kann  keine  theoretische  üeberzeugung  durch  Strafgesetze  er- 
zwungen werden.  —  Keine  gerechte  Entscheidung  über  die  Glück- 
seligkeit ist  vom  moralischen  Verhalten  unabhängig.  Die  göttliche  Ent- 
scheidung ist  gerecht.  Also  ist  sie  nicht  vom  moralischen  Verhalten 
unabhängig. 

Zu  Darii.  Was  aus  einem  reinen  moralischen  Bewusstsein  her- 
vorgegangen ist,  ist  moralisch  zu  billigen.  Einige  Abweichungen  von 
den  gemeinen  Sittenregeln  sind  aus  einem  reinen  moralischen  Bewusst- 
sein hervorgegangen.  Also  sind  einige  Abweichungen  von  den  gemeinen 
Sittenregeln  moralisch  zu  billigen^  —  In  diesem  Falle  nur  einige, 
nämlich  nur  diejenigen,  welche  unter  den  Mittelbegriff  fallen.  In  an- 
deren Beispielen  gilt  das  Prädicat  des  Schlusssatzes  von  einem  Theile 
der  Sphäre  des  Subjectsbegriffs  gemäss  den  Prämissen,  ausserdem  aber 
thatsächlich  auch  von  dem  übrigen  Theile,  über  welche  aus  den  Prä- 
missen nichts  geschlossen  werden  kann.  Alle  Quadrate  sind  geradlinige 
ebene  Figuren.  Einige  (und  zwar  nur  einige)  Parallelogramme  sind 
Quadrate.  Einige  (in  der  That  aber  auch  die  übrigen)  Parallelo- 
gramme sind  geradlinige  ebene  Figuren.  —  DerWerth  dieses  Schluss- 
modus, sowie  aller  anderen  in  den  verschiedenen  Figuren,  die  mit  ihm 
in  gleichem  Falle  sind,  wird  durch  diese  Unbestimmtheit  zwar  be- 
schränkt, aber  nicht  aufgehoben.  Denn  es  ist  hier  nicht  alles  un- 
bestimmt, sondern  nur  dasjenige,  worüber  aus  den  Prämissen  nichts 
folgt.  Es  ist  immer  schon  ein  Gewinn,  zu  wissen,  dass  einigen  S  das 
P  zukomme  (oder  in  anderen  Modis  mit  particular  verneinendem  Schluss- 
satze, dass  einigen  S  das  P  nicht  zukomme),  und  gewiss  ist  dieser  Ge- 
winn nicht  darum  zu  verschmähen,  weil  uns,  sofern  nur  die  Prämissen 
gegeben  sind,  das  Weitere  unbekannt  bleibt,  wie  es  sich  mit  den  übrigen 
S  verhalte.      Es   mag    >zu    wenige  folgen   für   unsere  Wissbegierde; 


872  §  112.   Die  zweite  Figfor. 

aber  es  folgt  nicht  »zu  wenige  in  dem  Sinne,  dass  der  Sohluss  zu 
einer  fehlerhaften  Beschränkung  des  Prädicates  P  auf  einige  S  ver- 
leitete. Ein  Fehler  kann  durch  diesen  Schlussmodus  und  alle  ähnlichen 
bei  richtiger  Anwendung  niemals  entstehen,  wofern  nur  der  Sinn  des 
particularen  Urtheils  genau  bestimmt  wird. 

Zu  Ferio.  Keine  menschliche  Schwachheit  kann  der  Gottheit 
anhaften.  Einiges  von  dem,  was  die  Mythologie  der  Gottheit  andichtet, 
ist  menschliche  Schwachheit.  Folglich  kann  (mindestens)  einiges  von 
dem,  was  die  Mythologie  der  Gottheit  andichtet,  ihr  nicht  anhaften.  — 
Uebrigens  gilt  auch  bei  diesem  Modus  wieder,  was  zu  Darii  über  den 
Sinn  des  particularen  Schlussurtheils  bemerkt  worden  ist 

§  112.  In  der  zweiten  Fignr,  deren  aUgemeines 
Schema  (s.  o.  §  103)  folgendes  ist: 

P         M 
S         M 


S  P 
muss  1.  der  Obersatz  allgemein  und  2.  eine  der  bei- 
den Prämissen  verneinend  sein.  Denn  1.  sind  P  und  M 
particular  verbunden  (P  i  M,  was  mit  M  i  P  übereinkommt), 
während  das  Verhältniss  des  tlbrigen  Theiles  ihrer  Sphären 
unbestimmt  bleibt,  und  fällt  S  ganz  in  M  (S  a  M),  so  bleibt 
ungewiss,  ob  S  in  denjenigen  Theil  von  M  falle,  der  mit  einem 
Theile  von  P  coincidirt,  oder  in  den  Theil,  zu  welchem  P  kein 
bestimmtes  Verhältniss  hat,  oder  theils  in  jenen,  theils  in  die- 
sen; also  folgt  auch  nichts  Bestimmtes  über  das  Verhältniss 
von  S  zu  P.  Ist  aber  P  particular  von  M  getrennt  (P  o  M), 
und  fällt  wieder  S  ganz  in  M  (S  a  M),  so  würde  sich  zwar 
folgern  lassen,  dass  einige  P,  nämlich  diejenigen,  welche  nicht 
M  sind,  auch  nicht  S  seien;  allein  bei  diesem  Schlüsse  wäre 
die  particular e  Prämisse  der  Untersatz;  dagegen  folgt 
nichts  über  das  Verhältniss  von  S  zu  P,  da  die  Sphäre  von 
P  die  Sphäre  von  M  und  vollends  die  Sphäre  von  S,  welche 
ganz  innerhalb  M  liegt,  sowohl  umschliessen,  als  kreuzen,  als 
auch  endlich  ganz  unberührt  lassen  kann,  so  dass  bald  alle 
S  P  sind,  bald  einige,  aber  andere  nicht,  bald  endlich  kein 
S  P  ist.  Alle  übrigen  Combinationsformen  mit  particularem 
Obersatze  sind  aber  schon  durch  die  allgemeinen  Regeln 
(§§  106—108)  ausgeschlossen.  —  2.  Sind  beide  Prämissen 
bejahend,  so  ergiebt  sich  kein  gültiger  Schluss,  weil  daraus, 


§  118.    Die  gültigen  Modi  der  zweiten  Figur.  878 

dass  P  und  S  beide  ganz  oder  theilweise  in  die  Sphäre  von  M 
hineinfallen,  nichts  über  ihr  gegenseitiges  Verhältniss  folgt. 

Von  den  acht  Gombinationsformen,    deren  Gültigkeit  durch  die 
allgemeinen  Regeln  (§§  106 — 108)  nicht  aufgehoben  wurde,  nämlich : 

aa  ea  ia  oa 

ae 

ai  ei 

ao 
fallen  in  der  zweiten  Figur  nach  der  Regel  über  die  Allgemeinheit 
des  Obersatzes  i  a  und  o  a  aus,  und  nach  der  Regel,   dass  nicht  beide 
Prämissen  bejahend  sein  dürfen,  (ausser  i  a)  noch  a  a  und  a  i,   so  dass 
folgende  vier  übrig  bleiben: 

ea  ae  ei  ao 

deren  Gültigkeit  nunmehr  zu  erweisen  ist. 


§  113.  Die  gültigen  Modi  der  zweiten  Figur 
haben  die  Formen  e  a  e,  a  e  e,  e  i  o,  a  o  o,  und  führen  die 
Namen  Cesare,  Gamestres,  Festino  und  Baroeo,  in 
welchen  die  Vocale  der  drei  Silben  der  Reihe  nach  die  Form 
des  Ober-,  Unter-  und  Schlusssatzes  bezeichnen,  die  Anfangs- 
consonanten  aber  auf  diejenigen  Modi  der  ersten  Figur  zurück- 
weisen, auf  welche  die  Scholastiker  im  Anschluss  an  Aristo- 
teles dieselben  zum  Behuf  des  Beweises  ihrer  Gültigkeit  zu 
reduciren  pflegten,  und  von  den  übrigen  Gonsonanten  einige 
die  Weise  dieser  Reduction  (wovon  unten)  andeuten.  Die 
Sphärenvergleichung  erweist  unmittelbar  die  Gültigkeit  dieser 
Modi. 

Das  allgemeine  Schema  der  zweiten  Figur: 

P         M 
S         M 


S         P 
erhält  in  dem  Modus  Gesare  die  bestimmtere  Gestalt: 

P    e    M 
S    a    M 


S    e    P. 
Der  Obersatz  behauptet  ein  völliges  Getrenntsein  der  Sphären 
von  P  und  M,  der  Untersatz   ein  völliges  Enthaltensein   der 
Sphäre  von  S  in  der  von  M.    Das  Symbol  hierfür  ist: 


874 


§  118.   Die  gültigen  Modi  der  zweiten  Figur. 


1. 


2. 


In  beiden  Fällen  hat  das  völlige  Getrenntsein  des  M  von  F 
ein  völliges  Getrenntsein  des  S,  welches  in  M  ist,  von  P  zur 
nothwendigen  Folge. 

In   dem  Modus   Gamestres    erhält  das   Schema   der 
zweiten  Figur  die  Gestalt: 

P    a    M 

S    e    M 


S    e    P. 
Hier  haben  im  Vergleich  mit  Cesare  P  und  S  ihre  Rollen  ge- 
tauscht:  P  liegt  ganz  in  M,   S  ganz  ausserhalb  M,  woraus 
aber  für  S  und  P  wiederum  das  Verhältniss  des  völligen  Ge- 
trenntseins von  einander  folgt. 

Aus  den  nämlichen  Prämissen  kann  jedesmal  in  Ce- 
sare und  in  Gamestres  geschlossen  werden;  die  Umkeh- 
rung des  (allgemein  verneinenden,  daher  rein  umkehrbaren) 
Schlusssatzes  begrtlndet  hier  den  Uebergang  in  einen  anderen 
Modus  (was  nicht  allgemein  nothwendig  und  namentlich  in 
Darapti  der  dritten  Figur  nicht  der  Fall  ist),  weil  die  dadurch 
bedingte  Vertauschung  des  Ober-  und  Untersatzes  hier  eine 
veränderte  Form  des  nunmehrigen  Obersatzes  im  Vergleich 
mit  dem  früheren  Obersatze,  und  ebenso  des  Untersatzes  zur 
Folge  hat. 

Der  Modus  Festino  hat  die  Form: 

P    e    M 
S     i    M 


S    0    P. 
Der  Beweis   seiner  Gültigkeit  liegt   darin ,  dass   diejenigen 


§  118.   Die  gültigen  Modi  der  zweiten  Figur.  875 

(einigen)  S,  welche  M  sind,  hier  in  dem  nämlichen  Verhält- 
nisB  zn  dem  ganz  von  M  getrennten  P  stehen  müssen,  wie  bei 
Cesare  alle  S;  d.  h.  (mindestens)  diese  S,  also  (mindestens) 
einige  S  sind  nicht  P.  (Wenn  alle  S  M  sind,  so  sind  auch 
alle  S  nicht  P;  wenn  aber  nur  einige  S  M  sind,  andere 
nicht,  so  können  beide  Fälle  eintreten,  sowohl  dass  nur  einige 
S  nicht  P  sind,  andere  aber  P  sind,  als  auch,  dass  alle  S 
nicht  P  sind.) 

Der  Modus  Baroco  hat  die  Form: 

P    a    M 

S    0    M 


S  0  P. 
Hier  stehen  einige  S,  nämlich  diejenigen,  welche  nicht  M  sind, 
zu  P,  welches  ganz  in  M  hineinfällt,  ebenso  im  Verhältniss 
der  Trennung,  wie  bei  Camestres  alle  S.  Also  sind  (minde- 
stens) einige  S  nicht  P.  (Wenn  kein  S  M  ist,  so  ist  auch 
kein  S  P;  wenn  aber  nur  einige  S  nicht  M  sind,  so  werden 
bald  nur  einige  S,  bald  alle  S  nicht  P  sein.) 

Beispiele  zu  Cesare  sind  folgende.  In  dem  Platonischen 
Dialog  Gharmides  wird  geschlossen:  die  Verschämtheit  ist  nicht  etwas 
durchaus  Gutes;  die  Bescheidenheit  ist  etwas  durchaus  Gutes,  also  ist 
die  Bescheidenheit  nicht  Verschämtheit.  Aristoteles  sohliesst  Ethic.  Nie. 
II,  4 :  die  na&ri  machen  den  Menschen  nicht  edel  oder  schlechti  lobens- 
werth  oder  tadelnswerth ;  die  «q^tuC  thun  dies  aber ;  also  sind  die  ag^xal 
nicht  na^.  Ferner:  die  Affecte  beruhen  nicht  auf  Vorsatz;  die  Tu- 
genden aber  beruhen  auf  Vorsatz;  also  sind  sie  nicht  Affecte.  —  In 
gleicher  Weise  schliesst  Erdmann  (Gesch.  der  neueren  Pbilos.  III,  2, 
S.  694):  Der  Verfasser  des  Aufsatzes  über  das  Verhältniss  der  Natur- 
philosophie zur  Philosophie  überhaupt  (in  dem  von  Schelling  und  Hegel 
herausgegebenen  kritischen  Journal  der  Philos.,  1802—03)  hatte  nicht 
das  Bewusstsein,  dass  die  speculative  Logik  eine  abgesonderte  Stelle  in 
der  Reihe  der  philosophischen  Wissenschaften  einnimmt;  Hegel  aber 
hatte  damals  bereits  dieses  Bewusstsein;  folglich  ist  Hegel  nicht  der 
Verfasser  jenes  Aufsatzes. 

Zu  Camestres.  Aristoteles  zeigt  Ethic.  Nicom.  II,  4,  dass  die 
Tugenden  nicht  6wa/jL€iQ  (ursprüngliche  Vermögen  oder  Anlagen,  Fä-. 
higkeiten)  seien,  durch  folgenden  Schluss :  die  dwafing  sind  Naturgaben ; 
die  Tugenden  aber  sind  nicht  Naturgaben  (sondern  erworbene  Eigen- 
schaften oder  Fertigkeiten),  also  auch  nicht  6wu(jLHi.  Arist.  schliesst 
Analyt.  poster.  I,  14:  Jede  Wesenserkenntniss  ist  affirmativ;  kein 
Schlusssatz  in  der  zweiten  Figur  ist  affirmativ,  also  ist  kein  Sohluss- 
satz   in  dieser  Figur   eine  Wesenserkenntniss.     Ferner:  jede  Wesens- 


erkenntnisi  ist  allgemein;  kein  Sohluswatz  in  der  dritten  Fignr  iat  all- 
gemein; also  fuhrt  such  die  dritte  Figar  nioht  znr  WeeenserkenntniM. 
—  Auf  Gmnd  der  Aristotelüoben  Berichte  über  die  Ionischen  Natar- 
philosophen  bildet  die  neuere  hiatorisahe  Kritik  folgenden  SyllogiBmus: 
Nach  dem  Zeugnisa  des  AristoteleB  (de  coelo  III,  5]  haben  alle  die- 
jenigen Philosophen,  welche  das  Eine  materielle  Prinoip  alt  ein  Mittel- 
weeeu  mischen  Wuser  und  Lnft  bestimmen,  ans  demselben  durch  Ver- 
dichtung und  Verdünnung  die  Dinge  entstehen  lassen.  Nach  dem 
ZeugnisB  desselben  Aristoteles  aber  [Phys.  1,  4]  hat  Anaximander  die 
besonderen  Stoffe  aas  dem  ÜrsUiff  nicht  durah  Verdichtung  und  Ver- 
dünnung (sondern  durch  Ausscheidung)  hervorgehen  lassen.  Folglich 
gehört  Anaximander  (die  genaue  Richtigkeit  beider  Aristotelischen 
Zeugnisse  vorausgesetzt)  nicht  zu  denjenigen  Philosophen,  welche  das 
Eine  materielle  Princip  als  ein  Mittleres  zwischen  Wasser  and  Luft 
bestimmen.  —  Der  Beweis,  den  die  historiscfa-litterarische  Kritik  für 
die  ünechtheit  der  Haopherson'schen  Oiaianlieder  geffihrt  hat,  lisst  sich, 
sofern  er  sich  auf  innere  Gründe  stützt,  in  folgenden  Sfllogismus  sn- 
sammendrängen:  jede  wirkliche  Naturdichtung  ist  nair;  die  von  Hao> 
phereon  veräffentlichten  rorgeblichen  Gedichte  des  Ossian  sind  nicht 
naiv  (sondern  sentimental) ;  folglich  sind  dieselben  nicht  eine  wirkliebe 
Natnrdichtung.  —  Der  Neuplatoniker  Origines  bat  naoh  dem  Zeugniss 
des  PorphjrriuB  (vit.  Plot.  c.  S;  of.  ibid.  o.  20)  swei  Sohriften  und  nur 
diese  verfasst:  nfpi  Sutfiävaiv  und;  ort  fiövos  nonfr^^  ö  ßaaiUiit.  Der 
Kirchenlehrer  Origenes  hat  viele  andere  Schriften  verfasst,  von  denen 
auch  Porphyrins  wusste,  so  dass  von  ihm  die  Aussage  nicht  gelten  kann, 
er  habe  jene  und  nur  jene  Schriften  verfasst.  Also  ist  der  Kirchenlehrer 
Origines  nicht  der  Nevplatoniker.  —  Dag^^  würde  nichts  ans  den 
beiden  afSrmativen  Pr&missen  folgen;  Der  Nenplatoniker  Origenes  war 
(nach  Forpfayrios,  s.  o.)  ein  Sohöler  des  Ammonias  Saocas;  der  Kirchen- 
lehrer gleichen  Namens  war  (nach  Porphyrius  bei  Euseb.  Kirohengesoh. 
VI,  19,  3)  ein  Schüler  des  Ammonins  Saccas.  —  Der  Astronom  Leverrier 
schloss:  die  Gesammtsahl  der  eq  unserem  Sonnensystem  gehörenden 
Weltkörper  mugs  die  Bahn  des  Uranus  vollstSndig  bestimmen;  die  be- 
kannten Weitkörper  unseres  Sonnensystems  aber  bestimmen  nicht  die 
Bahn  des  Uranus  vollständig;  folglich  bilden  dieselben  nicht  die  Oe- 
sammtheit  aller  vorhandenen  —  eine  negative  Einsicht,  welche  die 
positive  Ermittelung  derEzisteni,  des  Ortes  nnd  der  Masse  des  Neptun 
vorbereitete. 

Zu  Festino.  Die  BethStignng  einer  blinden  [nach  der  Weise 
des  Epiknr  als  nioht  nrsprfinglich  durch  Zwecke  bestimmt  gedachten) 
Cansalität  physikalischer  und  chemisoher  Natnrkrftfte  führt  nicht  m 
kunstvoll  gegliederten  und  sich  selbst  reprodn airenden  Organismen. 
Einige  Natnrprocesse  aber  führen  eu  solchen  Organismen.  Also  sind 
(mindestens)  einige  Naturprooeeee  nicht  eine  Bethätignng  einer  tweok- 
losen  Cansalität  physikalischer  und  chemischer  Natnrkräfte. 

Zu  Baroco.  Alles  Wahre  mau  mit  sich  selbst  und  den  siche- 
ren Thataachen   dnrohweg  Euaammenitimmen.     Einige  LehrsiUe    d« 


§  113.    Die  gültigen  Modi  der  zweiten  Figur.  877 

Eantiflchen  Systems  stimmen  mit  sich  selbst  und  den  sicheren  Thatsachen 
nicht  durchweg  zusammen.  Also  sind  (mindestens)  einige  Lehrsätze  des 
Eantischen  Systems  nicht  wahr.  ^  Alle  regelmässigen  ebenen  Figuren 
(im  engeren  Sinne  dieses  Begriffs)  lassen  sich  einem  Kreise  einschreiben; 
einige  Parallelogramme  aber  lassen  sich  nicht  einem  Kreise  einschreiben ; 
also  sind  einige  Parallelogramme  nicht  regelmässige  ebene  Figuren.  — 
Alle  moralisch  Gesinnten  thun  das  Rechte  in  der  rechten  Gresinuung; 
einige,  die  leg^l  handeln,  thun  nicht  das  Hechte  in  der  rechten  Gesin- 
nung; also  sind  einige,  die  legal  handeln,  nicht  moralisch  gesinnt. 

Die  Weise,  wie  die  Scholastiker  nach  dem  Vorgänge  des 
Aristoteles  die  Modi  der  zweiten,  dritten  und  vierten  Figur  auf  die 
betreffenden  Modi  der  ersten  reduciren,  wird  in  den  Namen  der- 
selben durch  die  Gonsonanten  s,  p,  m  und  c  angedeutet,  und  zwar  be- 
zeichnet: 

8  die  conversio  Simplex, 

p  die  conversio  per  accidens  sive  in  partioul.  propositionem, 

B  die  metathesis  praemissarum, 

e  die  eonversio  syllogismi  (nach  Arist.  Top.  YIII,  14  168  a.  82. 
ttVTKnQifpsiv)  oder  die  duotio  per  eontradictoriam  proposi- 
tionem sive  per  impossibile. 

Demgemäss  wurde  in  Cesare  (wo  das  s  als  Schlussconsonant  der 
ersten  Silbe  gelten  muss)  der  erste  oder  Obersatz  durch  conversio 
Simplex  aus  P  e  M  umgewandelt  in  M  e  P  und  nun  in  der  ersten 
Figur  nach  Celarent  geschlossen: 

M    e    P 
S     a    M 


S     e    P. 


Diese  Reduction  ist  allerdings  vollkommen  beweiskräftig  und  an  sich 
ebensowenig  zu  tadeln,  wie  die  Beweisführung  für  einen  mathematischen 
Lehrsatz,  die  denselben  mittelst  eines  Hülfssatzes  auf  einen  früheren 
Lehrsatz  reducirt,  wodurch  seine  Berechtigung,  als  ein  neuer  und  eigen- 
thümlicher  Lehrsatz  zu  gelten,  gar  nicht  aufgehoben  wird.  Da  sich 
aber  der  Beweis  auch  ohne  Reduction  durch  Sphärenvergleichung  fuhren 
lässt  und  so  eine  grössere  Anschaulichkeit  gewinnt,  so  ist  diese  directe 
Weise  vorzuziehen.  Dazu  kommt,  dass  in  der  Sphärenvergleichung  ein 
allgemeines  Princip  liegt,  welches  möglich  macht,  in  einem  jeden  ge- 
gebenen Falle  unmittelbar,  ohne  dass  es  erst  einer  speciellen  Erinnerang 
an  die  Figur  und  den  Modus  bedarf,  zu  prüfen,  ob  sich  ein  gültiger 
Schlusssatz  ergebe,  und  welche  Form  derselbe  tragen  müsse. 

Das  Gleiche  gilt  von  den  übrigen  Reductionen. 

In  Camestres  muss  nach  einander  eine  Umwandlung  des  inneren 
Verhältnisses  der  Prämissen,  wodurch  der  Obersatz  zum  Untersatze 
wird  und  umgekehrt  (was  symbolisch  durch  die  Umstellung  angedeutet 
wird),  dann  eine  reine  Gonversion  der  negativen  Prämisse  und  endlich 
des  Schlusssatzes  eintreten.    Also  wird  aus: 


woram  nach  Celarent  in  der  enteu  Figur  folgt: 

P    e    S, 
worana  eadlioh  dorch  Couvenio  aiinplex: 

S  e  P. 
Statt  dieser  Eedaction  haben  neuere  (wie  namentlich  schon  Wolff, 
Log.  §  361;  cf.  §  399]  eine  andere,  nämlich  durch  Contraposition  des 
Oberaatzes  angewandt,  die  allerdings  den  Vorzug  hat,  dass  sie  die  in 
manchen  Beispielen  unnatürliche  Conversion  des  Untersatzes  venneidet, 
aber  doch  auch  ihrerseits  der  direoten  Sphärenvergleichang  an  Werth 
nachsteht. 

In  Festino  wird,  wie  in  Cesare,  nur  der  Obersatz  convertirt 
und  dann  in  Ferio  gesahloaBen, 

In  Bar  CO»  kommt  die  ductio  per  impossibile  oder  die  ap^^- 
gische  Beweisführung  Eur  Anwendung.  Um  nSmlioh  tu  beweisen,  daas 
aus  den  Främissen : 


der  Schlusssatz: 

S  0  P 
mit  Nothwendigkeit  folge,  wird  nachgewieseu,  dass  das  coutradictorische 
Qegentbeil  des  Schlusssatzes,  nSmlioh  S  a  P  nicht  mit  den  Prämissen 
zusammenbestehen  könne.  Senn  wird  S  a  P  mit  dem  Obersatze  P  a  M 
znsamroengedacht,  so  folgt  nach  Barbara  in  der  ersten  Figur:  S  a  M, 
was  doch  das  contradictorisobe  Gegentheil  des  gegebenen  Untematzes 
S  o  M  ist  und  daher  eben  so  gewiss  falsch  sein  muss,  als  S  o  M  wahr 
ist.  Mithin  muss  auch  die  Annahme  falsch  sein,  welche  auf  dieses 
falsche  Resultat  geführt  hat,  d.  h.  es  muss  S  a  P  falsch  sein,  folglich 
das  GOntradictorische  Gegentheil,  d.  h.  S  o  F  wahr;  was  zu  beweisen 
war.  Diese  Reduction  ist  übrigens  nicht  so  unnatürlich,  als  sie  vielleicht 
zunächst  scheinen  mag.  Wenn  (nach  Trendelenburg}  der  Gedanke 
in  leichter  üebersicht  ans  den  gegebenen  Urtheilen:  alle  Quadrate  sind 
Farallelogranune;  einige  regelmässige  geradlinige  Figuren  sind  nicht 
Farallelogramme  —  den  Schluss  zieht;  einige  regelmässige  geradlinige 
Figuren  sind  keine  Quadrate,  so  möchte  doch  die  Analyse  in  diesem 
Qedankenprooesse  die  stillsohweigend  eingetretene  Eeflesion  auffinden, 
welche,  nur  leicht  modifioirt,  durch  die  Aristo telisoh-soholastisohe  Re- 
duction an  das  Licht  des  Bewusstseins  hervorgezogen  wird:  —  denn 
wären  sie  Quadrate,  so  würden  sie  Parallelogramme  sein,  was  sie  ja 
doch  nicht  sind.     Diese  Reduction  schlieast   sich  dem  natfirtiohea  Ge- 


9  114.  Die  dritte  Figur. 

daukenganff  ebenso  wohl  an,  wie  snilereneits   anoh  die  Wolf     i 
dnrcb  Contrapoaition  des  Obenatzea,  alBo  in  janem  Beiapieh  wa 
Farallelogramm  iat,  irt  uioht  Quadrat.  —  Auch  liesae  sich  Bart     < 
Camestres    (und    Featino    auf   CeBare)   zuriickführsD,    wenn    die;     i 
(einigen)  S,  von  welchen  der  Untersatz  gilt,  naier  einen  besonde: 
griff  gestellt  und  etwa   dorch  8'  bezeichnet  werden;   dann   um 
SahluBBBatz  allgemein  von  S',  folglich  partioular  von  S  gelten.  A 
telei  nennt  ein  solcheB  Verfahren  lx9eiris  (Anal.  pri.  I,  o.  6). 
unten  zn  §  115,  S.  B84.    Dooh  ist  die  BeweiafÜhrang  daroh  nn    i 
bare  Sph&resvergleiohiing  jeder  Art  der  Rednotioo  vorenzieliaD. 

§  114.     Iq    der    dritten    Figur,    deren    allgen  ■■ 
Schema  (s.  o.  §  103)  folgendes  ist: 
M         P 
M         S 


880  §  115.   Die  gültigen  Modi  der  dritten  Figur. 

aa  ea  ia  ai   oa   ei. 
Von  diesen  ist  nun  zu  zeigen,   dass  sie  wirklich  zu  gfültigen  Schlüssen 
fahren. 

§  115.  Die  gültigen  Modi  der  dritten  Figur  haben 
die  Formen  a  a  i,  e  a  o,  i  a  i,  a  i  i,  o  a  o,  e  i  o,  und 
fuhren  die  Namen  Darapti,  Felapton,  Disamis,  Datisi, 
Bocardo,  Ferison,  in  welchen  wiederum  die  Vocale  der 
Beihe  nach  die  Form  des  Ober-,  Unter-  und  Schlusssatzes  be- 
zeichnen, die  Consonanten  aber  die  Aristotelisch-scholastische 
Beduction  betreffen.  Auch  hier  lässt  sich  der  Beweis  der 
Gültigkeit  durch  unmittelbare  Sphärenvergleichung  fahren. 

Das  allgemeine  Schema  der  dritten  Figur: 

M         P 
M         S 


S  P 

nimmt  in  dem  Modus  Darapti  die  bestimmtere  Gestalt  an: 

M    a  P 

M    a  S 


S     i     P. 


Da  nach  den  Prämissen  die  Sphäre  von  M  ein  gemeinsamer 
Theil  der  Sphären  von  P  und  S  ist,  so  müssen  diese  auch 
unter  einander  in  eben  diesem  Theile  coincidiren,  während  das 
Verhältniss  ihrer  etwaigen  anderen  Theile  unbestimmt  bleibt 
Also  gilt  der  Schlusssatz:  mindestens  irgend  einem  Theile 
der  Sphäre  von  S  kommt  das  Prädicat  P  zu. 

In  jedem  Beispiele,  wo  beide  äussere  Termini  die  Sub- 
stantivirung  zulassen,  kann  aus  den  nämlichen  Prämissen 
inamer  ein  doppelter  Schluss  gezogen  werden,  nämlich,  wenn 
diese  Termini  A  und  B  sind,  sowohl  A  i  B,  als  auch  B  i  A. 
Da  aber  in  beiden  Fällen  der  jedesmalige  Obersatz  von  all- 
gemein bejahender  Form  ist,  und  ebenso  auch  der  jedesmalige 
Untersatz,  so  liegen  hier,  wie  schon  oben  (§  113)  bemerkt 
worden  ist,  nur  zwei  verschiedene  Beispiele  des  nämlichen 
Schlussmodus  vor,  nicht,  wie  bei  Gesare  und  Camestres,  zwei 
verschiedene  Modi. 

Der  Modus  Felapton  hat  die  Form: 


§115.    Die  gültigen  Modi  der  dritten  Figur. 

M    e    P 
M    a    S 


S    0    P 
Der  Beweis  seiner  Gültigkeit  liegt  darin,   dass  diejenij  ; 
mit  welchen  M  coincidirt,  zugleich  mit  M  selbst  von  P  ge  : 
sein  mttssen.    Also  (mindestens)  einige  S  sind  nicht  P. 
Die  Form  des  Modus  Disamis  ist  folgende: 

M    i    P 

M    a    S 

S     i     P. 
Sind  die  Sphären  von  M  und  P  partiell  vereinigt   und 
M  ganz  in  S,  so  muss  auch  S  partieU,  nämlich  mindeste : 
demjenigen  Theile,  mit  welchem  der  in  P  fallende  Thei 
M  coincidirt,  mit  P  vereinigt  sein.  (Doch  können  nicht,    ' 
nur  einige  M  P  sind,  andere  aber  nicht,  alle  S  P  sein, 
dem  in  diesem  FaUe  sind  auch  nur.  einige  SP,   s.    i 
Bocardo.) 

Von  ganz  ähnlicher  Art  ist  der  Modus  Datisi,  in  wel : 
aus  den  nämlichen  Prämissen,  wie  in  Disamis,  geschl  i 
werden  kann,  indem  nämlich  der  Satz,  welcher  zu  dem  Sei  I 
Satze  von  Disamis  im  Verhältniss  des  umgekehrten  Ur '. 
steht,  als  Schlusssatz  genommen  wird,  wonach  die  partic  i 
Prämisse,  die  dort  Obersatz  war,  hier  Untersatz  wird, 
die  universale  Prämisse  Obersatz.    Die  Form  dieses  Modu  i 

M    a    P 

M    i    S 


S  i  P. 
Diejenigen  S,  mit  welchen  ein  Theil  von  M  coincidirt,  mü  < 
da  dieser  Theil,  wie  überhaupt  die  ganze  Sphäre  von  I! 
die  Sphäre  von  P  fällt,  mit  demselben  in  eben  diese  Sp! 
fallen;  also  mttssen  mindestens  einige  S  dasPrädicat  P  hti 
(Auch  wenn  nur  einige  M  S  sind,  können  dennoch  alle 
sein.) 

Der  Modus  Bocardo  hat  die  Form: 

M    0    P 

M    a    S 

S    0    P. 


Sind  einige  H  nicht  P,  alle  M  aber  S,  so  ßUlt  (nach  dem 
Untersatze)  mit  .jedem  Tbeile  von  M,  folglich  anch  mit  dem- 
jenigen, der  (nach  dem  Obersatze)  von  P  getrennt  ist,  irgend 
ein  Tbeil  der  Sphäre  von  S  znsammeuj  also  ist  auch  ein  Theil 
der  Sphäre  von  S  von  der  Sphäre  von  P  getrennt,  d.  h.  ein 
oder  einige  S  sind  nicht  F.  (Es  kOnnen  recht  wohl  anch 
solche  S,  die  nicht  mit  K  coincidiren,  von  P  getrennt  sein;  es 
können  andererseits,  wenn  selbst  kein  M  P  ist,  dennoch  einige 
S  P  sein;  aber  es  kann  nicht,  wenn  nnr  einige  M  nicht  P 
sind,  andere  H  aber  P  sind,  kein  SP  sein,  sondern  in  diesem 
Falle  werden  auch  nnr  einige  S  nicht  P  sein,  andere  aber 
allerdinge  F  sein,  nach  Disamis.) 

Ferison  endlich  bat  folgende  Form: 

M    e    P 

»     i    S 


S  0  P. 
Mindestens  diejenigen  S,  mit  welchen  ein  Theil  von  M  coin- 
cidirt,  müssen,  da  dieser  Theil,  so  wie  das  ganze  M,  von  P 
getrennt  ist,  mit  denselben  zugleich  von  P  getrennt  sein,  wo- 
gegen ungewiss  bleibt,  ob  die  Sphäre  von  S  anch  solche  Tbeile 
habe,  die  ansserbalb  Sf  liegen,  und  wenn  sie  solche  hat,  wie 
diese  sich  zu  F  verhalten.  Also  vielleicht  alle,  mindestens 
aber  einige  S  Sind  nicht  P.  (Sowohl,  wenn  nur  einige  M  S 
sind,  als  auch,  wenn  alle  MS  sind,  kann  der  Fall  eintreten, 
dasB  einige  S  P  sind  und  andere  nicht  F  sind,  aber  auch 
der  Fall,  dass  alle  S  nicht  P  sind;  sicher  aber  ist  immer, 
dasB  mindestens  einige  S  nicht  F  sind.) 

Beispiele  zu  Darapti.  Alle  Wale  sind  Säugethiere ;  alle  Wale 
sind  Wasserthiere ;  also  sind  einige  Wauerthiere  Säagethiere.  Oder: 
Alle  Cetaceen  aind  Wasaerthiere ;  alle  Celaceea  sind  Säugetfaiere;  also 
Bind  einige  Sängelhiere  Wasaerthiere.  —  Das  Verbum  iobeo  wird  mit 
dem  Accnsativ  nnd  Infinitiv  oonstmirt;  das  Verbum  iubco  ist  ein  Ter- 
bnm,  welches  anf  ein  Sollen  (und  nicht  auf  ein  Sein)  gebt;  also  min- 
deatena  irgend  ein  Theil  der  Verba,  die  auf  ein  Solleu  (and  nicht  auf 
ein  Sein)  gehen,  wird  mit  dem  Äccueativ  und  Infinitiv  oonstruirt.  [Daa 
singulare  Urtheil  iet  in  dienern  Beispiel,  weil  das  Subject  ein  individuell 
bestimmtes  iat,  als  ein  univerealeB  anzusehen,  i.  a.  §  70). 

Zn  Felspton.  lubeo  ist  nicht  ein  verbnm  sentiendi  vel  deola- 
randi;    inbeo  wird  mit  dem  Aoousativ    nnd  Infinitiv  oonstruirt;  also 


§  115.   Die  gültigen  Modi  der  dritten  Figur. 

mindestens  ein  oder  einige  lateinische  Yerba,    die  mit  dem  Ac 
und  Infinitiv  oonstruirt  werden,  sind  nicht  verba  sentiendi  vel  decl 

Zu  Disamis.  Einige  Pronomina  der  französischen  Spracl 
der  Gasusflexion  fähig ;  alle  französischen  Pronomina  sind  Wort 
französischen  Sprache ;  also  sind  einige  Wörter  der  französischen  S 
der  Gasusflexion  fähig. 

Zu  Datisi.  Alle  Schlüsse  in  Darapti  gehören  einem  und 
selben  Modus  an;  einige  Schlüsse  in  Darapti  sind  Schlüsse  at 
nämlichen  Prämissen  mit  Schlusssätzen,  die  sich  zu  einander  ai 
gekehrte  Urtheile  verhalten ;  also  gehören  einige  Schlüsse  aus  den 
liehen  Prämissen  mit  Schlusssätzen,  die  zu  einander  im  Verhältni 
ümkehrung  stehen,  einem  und  demselben  Modus  an.  —  Alle  Sei 
von  denen  der  eine  in  Gesare,  der  andere  in  Gamestres  gezogen 
(wie  auch  solche  in  Disamis  und  Datisi),  gehören  zwei  verschie 
Modis  an;  einige  Schlüsse  dieser  Art  sind  Schlüsse  aus  den  näm! 
Prämissen  mit  umgekehrtem  Schlusssatze;  also  einige  Schlüsse  au  I 
nämlichen  Prämissen  mit  Schlusssätzen,  die  zu  einander  im  Vörha  i 
der  Umkehrung  stehen,  gehören  zwei  verschiedenen  Modis  an. 

Zu  Bocardo.   Einige  der  Zauberei  Angeklagte  haben  sich       I 
nicht  von  der  Schuld,  die  ihnen  zur  Last  gelegt  wurde,  frei  gegl     I 
alle  der  Zauberei  Angeklagte  waren   eines  bloss  fingirten  Yerbre 
angeklagt;  einige  also,  die  eines  bloss  fingirten  Verbrechens  ange    i 
waren,  haben  sich  selbst  nicht  von  der  ihnen  zur  Last  gelegten  S( 
frei  geglaubt. 

Zu  F  e  r  i  s  o  n.  Kein  Schlussmodns  darf  in  einer  wissenschaftl:  i 
Syllogistik  übergangen  werden;  einige  Schlussmodi  sind  Modi,  die  I 
Hauptmodis  der  ersten  und  zweiten  Figur  an  wissenschaftlichem  W<  I 
nachstehen;  also  (mindestens)  einige  Modi,  die  den  Hauptmodis  ; 
ersten  und  zweiten  Figur  an  wissenschaftlichem  Werthe  nächste 
dürfen  in  einer  wissenschaftlichen  Syllogistik  nicht  übergangen  wei   < 

Die   Aristotelisch-scholastische  Reductionsweise  ist     i 
hier  wieder  in  den  Namen  angedeutet.    In  Darapti  ist  das  D  ui  I 
charakteristisch:    durch  Umkehrung  des  allgemein  bejahenden  Ui 
Satzes  M  a  S  in  den  particular  bejahenden  S  i  M  wird  der  Modus  I 
der  ersten  Figur  hergestellt,  nach  welchem  sich  der  gesuchte  Seh 
satz  S  i  P  ergiebt.    In  gleicher  Art  wird  Felapton  durch  convc 
particularis  des  Untersatzes  auf  Ferio  reducirt.    In  Disamis  darf 
Untersatz  nicht  convertirt  werden,  damit  nicht  beide  Prämissen  pi 
cular  werden ;  daher  wird  der  (particular  bejahende)  Obersatz  der  • 
versio  simplex  unterworfen;  nun  ergiebt  sich  ein  Schluss  nach  Di 
aber  nicht  von  der  Form  S  P,   sondern  von  PS;    es  ist  dies  also 
solcher  Schluss,  worin  der  Satz,  der  ursprünglich  ah  Obersatz  gege 
war,   vielmehr  als  Untersatz  gedient  hat,    und  der  gegebene  Unten 
als  Obersatz,  so  dass  eine  metathesis  praemissarum  erfolgt  ist  (eine  l  i 
Wandlung  des  inneren  Verhältnisses  der  Prämissen,   mag   die   äuss 
Stellung  als  Symbol  dieses  Verhältnisses  mit  geändert  worden  sein  oi 
nicht);   durch    conversio   simplex   des   Schlusssatzes  wird  endlich    i 


SohlnnmU,  der  dietem  Modos  eignet,  gewonnen.  Leichter  iit  die  Be- 
duction  in  Satiai,  wo  e«  nur  der  convenio  simplex  dei  Untenattes 
bedarf,  um  nocb  Dftrii  den  SahluiBsatz  anmittelbar  in  der  geeigneten 
Form  zu  erhalten,  —  üebrigena  können  alle  diese  Modi,  wie  Aristo- 
tele«  (Anal.  pri.  I.  c.  6]  mit  Recht  bemerkt,  auch  indirect  oder  apago- 
giach  als  gältig  erwiesen  werden:  ferner  aber  lassen  aich  Disamis  und 
Datisi  anf  Darapti  durch  tx9tai{  Eurüokführen,  d.  h.  durch  Heraus- 
setten  eines  Theiles,  indem  in  Disamis  diejenigen  (einigen)  M,  welche 
P  sind,  in  Datiai  aber  die,  welche  S  sind,  ans  der  Geaammtheit  aller  M 
herausgehoben  and  anter  einen  besonderen  Begriff  gestellt,  demgem^we 
auch  durch  einen  eigenen  Buchstaben,  etwa  N,  beceichiiet  werden;  da 
nun  von  diesen  N  auch  dasjenige  gelten  muss,  was  von  allen  M  gilt, 
Bo  kann  N  statt  M  jedesmal  anoh  in  der  anderen  Prämisse  eingesetst 
werden,  so  das«  in  beiden  Modis  die  Prftmiiseu  die  Gestalt  erhalten: 
N  a  P;  N  a  S;  woraus  nach  Darapti  folgti  S  i  F.  —  Die  Gültigkeit 
dea  Modus  Booardo  wird  (wie  in  der  iweiten  Figur  die  Gültigkeit 
von  Barooo)  von  Aristoteles  und  den  Scholastikern  apagogisoh  erwiesen. 
W&re  der  Satz  falsch,  dass  einige  S  nicht  P  sind,  und  wäre  also  sein 
oontradiotorisches  Gegentheil  wahr,  dass  alle  S  P  seien,  so  würde,  wenn 
vrir  diesen  Satz  mit  dem  g^pebeaen  Untersatze,  wonach  alle  M  S  sind, 
znsammendenken,  nach  Barbara  in  der  ersten  Figur  folgen,  dass  alla 
M  P  seien,  was  dooh  dem  gegebenen  Obersatz,  wonach  einige  H  nicht  P 
sind,  widerspricht;  also  kann  auch  der  Satz,  der  ans  auf  diesen  Wider- 
sprach geführt  hat,  nicht  wahr  sein,  nämlich  der  Satz,  dass  alle  8  P 
seien;  also  sind  einige  S  nicht  P,  was  zu  beweisen  war.  Aristoteles 
bemerkt  (a.  a.  0.),  dass  sich  dieser  Modus  auch  ohne  das  api^Qgisohe 
Verfahren  beweisen  lasse,  nämlich  wiederum  durch  dos  tx-'HaSiu  oder 
Xafipävfif  desjenigen  Theilea  des  Mittelb^^riffe,  wovon  der  Oberaatz  gilt. 
Beseiohnen  wir  diesen  Theil  durch  N,  so  wird  aus  den  Prämissen  (in 
derselben  Art  wie  oben);  N  e  P;  N  a  S;  woran«  nach  Felapton  folgt: 
S  0  P;  w.  z.  b.  w.  —  Der  Modus  Feriaon  endlich  wird,  wie  die 
oharakteristisohen  Buchstaben  F  und  s  anzeigen,  durch  oonversio  simples 
des  Dotersatzee  auf  Ferio  zurückgeführt,  nach  welchem  aus  M  e  P  und 
S  i  H  3  o  P  folgt;  w.  E.  b.  w.  Durch  ixSiais  kann  auch  dieierModos 
auf  Felapton  zurückgeführt  werden. 

§  116.  In  der  Tierteo  Fignr  (oder  der  zweiten 
Abtbeilnng  der  ersten  Fignr  im  weiteren  Sinne), 
deren  allgemeineB  Schema  (s.  o.  §  103)  folgendes  ist: 

P         M 

H         S 


S         P 
darf  keine  Prflmisse  particnlar  verneinen;  ansserdem  ist  noch 
die  CombinatioD  eines  allgemein  bejahenden  Obersatzes  mit 


§  116.    t)ie  vierte  Figut.  SS6 

einem  particular  bejahenden  Untersatze  ausgeschlossen.  Denn 
ist  eine  Prämisse  particular  verneinend,  so  könnte  schon  nach 
den  allgemeinen  Kegeln  (§§  106—108)  die  andere  nur  all- 
gemein bejahend  sein,  so  dass  sich  hierfür  die  zwei  Com- 
binationen  oa  und  ao  ergeben: 

1.    P    0    M  2.    P    a    M 

M    a    S  M    0    S. 

Ist  aber  (nach  1.)  P  particular  von  M  getrennt,  und  fällt  zu- 
gleich M  ganz  in  S,  so  ist  schon  ungewiss,  welches  Verhält- 
niss  M,  als  Subject  gedacht,  zu  P,  wenn  dieses  als  Prädicat 
gedacht  wird,  habe,  da  das  particular  verneinende  Urtheil 
(nach  §  88)  keine  Gonversion  zulässt;  da  nun  zudem  nach 
dem  Untersatze  ungewiss  bleibt,  ob  und  wie  weit  die  Sphäre 
von  S  ttber  die  von  M  hinausgehe,  so  ist  die  Beziehung 
zwischen  8  und  P  noch  unbestimmter,  so  dass  nicht  einmal 
über  das  Yerhältniss  von  P  zu  S,  noch  weniger  aber  über  das 
Verhältniss  von  S  zu  P  irgend  etwas  entschieden  werden. kann. 
(Wäre  freilich  der  Sinn  der  Prämisse  P  o  M,  dass  nur  einige 
P  nicht  M  seien,  andere  aber  wohl,  so  würde  aus  dem  implicite 
mitgedachten  Urtheil  P  i  M  in  Verbindung  mit  M  a  S  sich 
ein  bestimmter  Schlusssatz,  nämlich  S  1  P,  nach  dem  Modus 
Dimatis  ergeben;  aber  dies  ist  nicht  der  logische  Sinn  des 
particularen  Urtheils.)  Wenn  (nach  2.)  M  particular  von  S 
getrennt  ist,  aber  die  Sphäre  von  P  ganz  umschliesst,  so 
bleibt  wiederum  sowohl  das  Verhältniss  von  P  zu  S,  als  auch 
das  von  S  zu  P  völlig  unbestimmt.  Denn  P  kann  ebensowohl 
in  den  von  S  getrennten  Theil  von  M  fallen,  als  auch  ganz 
oder  theilweise  in  den  etwa  mit  S  coincidirenden  Theil  von 
M,  und  dies  wiederum  entweder  so,  dass  S  ganz,  oder  so,  dass 
S  theilweise  in  P  fällt.  (Dieses  Verhältniss  würde  auch  dann 
l  unbestimmt  bleiben,  wenn  der  Sinn  von  M  o  S  wäre:   nur 

einige  M  sind  nicht  S ;  s.  u.)   Was  ferner  die  Combination  a  i : 

P    a    M 
M    i     S 
betrifft,  bei  welcher  P  ganz  in  M  und  M  theilweise  in  S  fällt, 
so  bleibt  dabei  unbestimmt,  welcher  Theil  von  M  in  S  falle, 
ob  ein  solcher,  der  pit  P  oder  einem  Theile  von  P  coincidirt, 
oder  vielleicht  nur  ein  solcher,  der  ausserhalb  P  liegen  mag. 


S 


Folglich  bleibt  anch  das  Verhältniss  zwiscben  S  und  P  völlig 
aubegtimmt.  (Dieses  VerbältniBS  wQnle  ancb  dann  unbeetimmt 
bleiben,  wenn  der  Sinn  von  M  i  S  wäre:  nnr  einige  M  sind 
S,  andere  aber  nicht;  s.  o.) 

Da  hiernach  die  Combi nationeformen ; 

ausfallen,  so  bleiben  von  den  acht  Verbindungen,  deren  Gültigkeit  nach 
den  allgemeinen  Regeln  (§9  ^^^ — 103)  möglich  blieb,  für  die  vierte 
Fignr  folgend»  fünf  übrig,  die  in  der  That  zu  gültigen  Schlüssen  fuhren: 


§  117.  Die  galtigen  Modi  der  vierten  Pignt 
(oder  der  zweiten  Abtheilnng  der  ersten  Fignr  im 
weiteren  Sinne)  haben  die  Formen  aai,  aee,  iai,  eao, 
eio,  und  fuhren  die  Namen  Bamalip,  Calemes,  Dimatis, 
Fesapo,  Fresiaon,  in  welchen  wiedernm  die  Vocale  der 
Reihe  nach  die  Form  des  Ober-,  Unter-  nnd  Schlnsssatzea  be- 
zeichnen nnd  die  Consonanten  auf  die  ÄriBtoteliBcb-scholasti- 
Bche  Rednction  gehen.  Der  Grand  der  Gültigkeit  liegt  anch 
hier  wiedenim  in  dem  Spärenverhältnisa,  und  der  Beweis  kann 
durch  nomittelbare  Vergleichnng  der  Sphären  geführt  werden. 

Das  allgemeine  Schema  der  vierten  Figur: 
P         M 
MS' 


S         P 

nimmt  in  dem  Modus  Bamalip  die  bestimmtere  Gestalt  an: 

F    a    M 

M    a    S 


S  i  P. 
Nach  den  Prämissen  haben  hier  die  drei  Termioi  zu  einander 
das  nämliche  Verhältniss,  wie  in  dem  Modaa  Barbara  der  ersten 
Figur,  nur  dass  F  nnd  S  ihre  Rollen  tauschen:  die  Sphäre 
von  P  fällt  ganz  in  die  entweder  mit  ihr  identische  oder  wei- 
tere Sphäre  von  M,  und  diese  wiederum  ganz  in  die  entweder 
mit  ihr  identische  oder  weitere  Sphäre  von  S.  Eben  so  un- 
mittelbar aber,  wie  auf  dieses  Spbärenrerhältniss  das  Urtbeil 
P  a  S  gegrtlndet  werden  könnte,  folgt  aus.  ebendemselben  das 
Urtbeil  S  i  F.  Im  Falle  der  Identität  aller  drei  Sphären  sind 


§  117.    Die  gültigen  Modi  der  vierten  Figur.  887 

0 
^^  % 

alle  S  P,  sonst  nur  einige;  welcher  Fall  in  einem  gegebenen 
Beispiele  statthabe,  lässt  sich  aus  den  gegebenen  Prämissen, 
wenn  nichts  Weiteres  gegeben  ist,  zwar  nicht  entscheiden; 
aber  es  bedarf  dessen  auch  nicht,  um  mit  Sicherheit  jenes 
Sehlussurtheil  S  i  P  in  dem  Sinne:  mindestens  einige  S  sind 
P,  zu  gewinnen;  was  zu  beweisen  war. 
Der  Modus  Calemes  hat  die  Form: 

P    a    M 
MeS 
S    e    P." 
Das  Yerhältniss  der  Termini  ist  hier  das  nämliche,  wie  bei 
Celarent  in  der  ersten  Figur,  nur  dass  wieder  P  und  S  ihre 
Rollen  getauscht  haben.  Aber  es  bedarf  auch  hier  wiederum 
eben  so  wenig»  wie  bei  Bamalip,  einer  Umkehrung  des  nach 
der  ersten  Figur   sich  ergebenden  Schlusssatzes  P  e  S,  um 
zu  S  e  P  zu  gelangen ;  sondern  es  kann  unmittelbar  auf  das 
Sphärenverhältniss,  wonach  M  und  S  ganz  von  einander  ge- 
trennt sind,  P  aber  ganz  in  M  liegt,  auch  das  Urtheil  gegründet 
werden:  S  ist  ganz  yon  P  getrennt,  oder:  kein  S  ist  P. 
Der  Modus  Dimatis  hat  folgende!^  Schema: 

P    i    M 
M  a    S 
S    i    P. 
Das  Sphärenverhältniss  ist  das  gleiche,  wie  bei  Darii,  wenn 
die  äusseren  Termini  mit  einander  vertauscht  werden :  M  coin- 
cidirt  in  seinem  ganzen  Umfang  mit  S  oder  einem  Theile  von 
S  und  mindestens  in  einem  Theile  seines  Umfangs  mit  einem 
Theile  des  Umfangs  von  P,  woraus  folgt,  dass  S  und  P  min- 
destens particular,  nämlich  in  demjenigen  Theile,  den  sie  beide 
mit  M  gemeinsam  haben,  mit  einander   coincidiren  müssen. 
Folglich  sind  mindestens  einige  S  P,  was  zu  beweisen  war. 
(Sowohl  wenn  nur  einige  P,  als  auch,  wenn  alle  PM  sind, 
kann  der  Fall  eintreten,  dass  nur  einige  S  P  sind,  aber  auch 
der  andere,  dass  alle  S  P  sind.) 

Die  Form  des  Modus  Fesapo  ist: 

P  e  M 
M  a  S 
S    0    P. 


388  §  117.   Die  gültigen  Modi  der  vierten  f^igur. 

Nach  den  Prämissen  sind  !P  und  M  ganz  von  einander  ge- 
trennt, während  zugleich  M  ganz  in  S  fällt;  es  müssen  also 
mindestens  diejenigen  S,  welche  mit  M  coincidiren,  gleichfalls 
von  P  getrennt  sein:  mindestens  einige  S  sind  nicht  P.  In 
der  ersten  Figur  im  engeren  Sinne  besteht  kein  entsprechender 
Modus,  weil  aus  den  gegebenen  Prämissen  nichts  Bestimmtes 
über  das  Verhältniss  von  P  zu  S  sich  ergiebt;  die  Sphäre 
von  S  kann  sich  über  die  von  M  in  der  Art  hinaus  erstrecken, 
dass  zugleich  alle  P,  oder  dass  einige  P  darunter  fallen,  aber 
auch  so  begrenzt  sein,  dass  sie  von  P  und  P  von  ihr  völlig 
getrennt  bleibt. 

Der  Modus  Fresison  endlich  hat  folgende  Form: 

P    e    M 

M    i     S 


S  0  P. 
Dieser  Modus  unterscheidet  sich  von  Fesapo  nur  durch  die 
Particularität  des  Untersatzes.  Diejenigen  S,  welche  mit  einem 
Theile  von  M  coincidiren,  müssen,  da  dieser  Theil  zugleich 
mit  dem  ganzen  M  von  P  getrennt  ist,  gleichfalls  von  P  ge- 
trennt sein;  also  mindestens  einige  S  sind  nicht  P.  (So- 
wohl wenn  nur  einige  M,  als  auch,  wenn  alle  M  S  sind, 
kann  der  Fall  eintreten,  dass  nur  einige  S  nicht  P  sind, 
aber  auch  der  andere,  dass  alle  S  nicht  P  sind  oder  kein 
S  P  ist)  Uebrigens  kann  auch  hier,  wie  bei  Fesapo,  die 
Sphäre  von  P  zu  der  von  S  jedes  denkbare  Verhältniss  haben, 
wesshalb  kein  analoger  Modus  in  der  ersten  Figur  im  engeren 
Sinne  besteht. 

Als  Beispiele  zu  Bamalip,  Calemes  und  Dimatis  können 
Schlüsse  aus  denselben  Prämissen,  woraus  sich  auch  Schlüsse  nach  den 
Modis  Barbara,  Celarent  und  Darii  bilden  lassen,  insoweit  dienen,  als 
jeder  der  beiden  äusseren  Termini  naturgemäss  sowohl  die  Stelle  des 
Subjectes,  als  auch  die  des  Prädicates  einnehmen  kann.  Aus  den  Prä- 
missen: schlechte  Wärmeleiter  halten  die  Wärme  länger ;  wollene  Kleider 
sind  schlechte  Wärmeleiter  —  wird  nach  Barbara  in  der  ersten  Figur 
geschlossen:  also  halten  wollene  Kleider  die  Wärme  länger;  ist  aber 
unser  erster  Gedanke  auf  den  Zweck  gerichtet,  die  Wärme  zu  bewahren, 
und  suchen  wir  dann  nach  Mitteln,  diesen  Zweck  zu  erreichen,  so  wird 
aus  den  nämlichen  Prämissen  naturgemäss  in  der  Gedankenform  des 
Modus  Bamalip  zu  dem  Schlusssatze  fortgegangen:  einige  Dinge,  welche 
die  Wärme  länger  halten  (einige  von  den  Mitteln,  die  Wärme  länger 


§  117.   Die  graltigen  Modi  der  vierten  Figur.  I 

zu  halten)^  sind   wollene  Kleider.    Aus  den  Prämissen:  alle  Quac 
sind  Parallelogramme;  kein  Parallelogramm  hat   convergirende  G( 
seilen  —   wird   freilich  nur  nach  Celarent,  nicht  nach  Calemes  nj     i 
gemäss  geschlossen,   weil   das  Prädicat,   convergirende  Gegenseite     ! 
haben,  sich  nicht  wohl  zur  Bildung  eines  substantivischen  Prädica     i 
griffs  eignet;  wenn  aber  die  zweite  Prämisse  lautet:  kein  Parallelogrt    i 
ist  ein  Trapez,  so  sind  beide  Schlüsse  gleich  naturgemäss :  kein  Qua 
ist  ein  Trapez,  und:  kein  Trapez  ist  ein  Quadrat.  Aus  den  Prämii 
einige  Parallelogramme  sind  Quadrate;  alle  Quadrate  sind  regelmät    i 
Figuren  —  folgt  ebensowohl  nach  Dimatis:  einige  regelmässige  Fig    i 
sind  Parallelogramme,  wie    nach    Darii:  einige   Parallelogramme      [ 
regelmässige   Figuren.    —   Dem  Modus  Ferio  in  der  ersten  Figur     i 
spricht  kein  Modus   in  der  vierten,    wie  andererseits  die  Modi  Fei    | 
und  Fresison   keine    Correlate   in  der  ersten  Figur  finden,  was  in 
particular  verneinenden    Form    der   Schlusssätze   begründet  ist.       1 
Schluss  in   Fesapo    ist    folgender.     Keiner  von  denjenigen  SchlÜE   i 
^  welche  unter  die  von  Aristoteles  Anal.  pri.  I,  32  aufgestellte  Defini   : 

der  Schlüsse    der   ersten    Figur    fallen,   ist  ein  Schluss  von  der  F( 
Fesapo   (noch    auch   von   der   Form  Fresison);  jeder  Schluss  von     i 
Form  Fesapo  (wie  auch  jeder  Schluss  von   der  Form  Fresison)  ist    j 
Schluss  der  vierten  Figur;  folglich    fallen  (mindestens)  einige  Schlii  ! 
der  vierten  Figur  nicht  unter  die  von  Aristoteles  a.  a.  0.  aufgeste 
Definition  der  Schlüsse  der  ersten  Figur.    (Ob  nur  einige  nicht,   c 
vielleicht  alle  nicht,  kann  nicht  nach  den  gegebenen  Prämissen  all 
sondern    erst    durch   Hinzunahme   anderer    Data   entschieden  werd 
nichtsdestoweniger  aber  behauptet  auch  das  aus  jenen  gezogene  Re. 
tat  an  und  für  sich  einen  bestimmten  wissenschaftlichen  Werth  als 
wesentliches  Moment   in   der  Erörterung  des  Verhältnisses  der  Aru 
telischen  Syllogistik  zu  der  späteren  Lehre  von  den  vier  syllogistiscl 
Figuren.)    Wird   in   dem   vorstehenden  Beispiel  statt  der  Modi  sei 
das  Merkmal  angegeben,   wegen  dessen  sie  nicht  unter  jene  Defini t 
fallen,    so   entsteht    ein  Schluss  nach  dem  Modus  Fresison.     Keii  i 
von   denjenigen  Schlüssen,   welche   unter   die  Aristotelische  Definiti : 
der  ersten  Figur  fallen,  hat  eine  verneinende  Prämisse,  worin  der  M  i 
telbegriff  Prädicat  ist;  einige  Schlüsse  mit  einer  verneinenden  Prämis  i 
worin  der  Mittelbegrifif  Prädicat   ist,   sind  Schlüsse  der  vierten  Figi 
also  fallen  (mindestens)   einige  Schlüsse  der  vierten  Figur  nicht  uni 
die  Aristotelische  Definition  der  ersten. 

Von  den  älteren  Logikern  wird  der  Beweis  für  die  Gültii 
keit  dieser  Modi,  ebenso  wie  bei  den  Modis  der  zweiten  und  dritii 
Figur,  durch  Beduction  auf  die  Modi  der  ersten  Figur  im  enger; 
Sinne  geführt.  In  dem  Modus  Bamalip  wird  mit  Umwandlung  di 
inneren  Verhältnisses  und  symbolisch  auch  mit  Umstellung  der  Prämisso 
(m)  zunächst  der  Schlusssatz  P  a  S  nach  Barbara  in  der  ersten  Figi; 
gezogen  und  dieser  dann  durch  conversio  per  accidens  sive  in  partici 
larem  propositionem  (p)  zu  S  i  P  umgekehrt.  In  Calemes  wird  en 
mit  metathesis  praemissarum  (m)  der  Schlusssatz  P  e  S  nach  Celarei 


390       §  118.   Uebersicht  über  die  Verschiedenen  Figuren  und  Modi. 

gebildet,  der  dann  durch  conversio  simplex  (s)  in  S  e  P  umgeformt 
wird.  In  gleicher  Art  wird  Dimatis  auf  Darii  zurückgeführt  und  der 
SchluBBsatz  dann  simpliciter  convertirt.  Fesapo  wird  durch  conversio 
Simplex  des  (allgemein  verneinenden)  Obersatzes  und  conversio  in 
partic.  propos.  des  (allgemein  bejahenden)  Untersatzes,  Fresison  end- 
lich durch  conversio  simplex  des  Ober-  und  Untersatzes  auf  Ferio 
reducirt. 

Diejenigen  scholastischen  Logiker,  welche,  der  Weise  des  Theo- 
phrast  folgend,  die  fünf  vorstehenden  Modi  der  ersten  Figur  als 
modos  indirectos  zurechnen,  pflegen  das  Subject  des  Schlusssatzes  in 
diesen  Modis  als  Terminus  maior,  das  Prädicat  des  Schlusssatzes  aber 
als  minor  zu  betrachten  und  in  entsprechender  Weise  auch  die  Prä- 
missen zu  benennen  und  zu  ordnen.  Diese  Logiker  geben  jenen  fünf 
Modis  folgende  Namen :  B  a  r  a  1  i  p  (oder  Baralipton) ,  Geläutes,  Dabi- 
tis,  Fapesmo,  Frisesom  (oder  Frisesomorum).  Doch  lieg^  in  dieser 
Art  der  Bezeichnung  eine  unleugbare  Inconsequenz,  da  das  allgemeine 
Princip,  den  Ober-  und  Unterbegriff  und  demgemäss  den  Ober-  und 
Untersatz  nach  der  Form  des  Schlusssatzes  zu  unterscheiden,  welches 
in  der  Benennung  aller  übrigen  Modi  befolgt  worden  ist,  hier  ohne 
Grund  verlassen  wird.  Besonders  auffallend  ist  der  Fehler  bei  den 
beiden  letzten  Modis,  die  gar  nicht  durch  Umkehrung  eines  in  der 
ersten  Figur  gezogenen  Schlusssatzes  entstanden  sein  oder  gedacht 
werden  können,  und  wo  auch  ebensowenig  das  Sphärenverhältniss  der 
Termini  an  sich,  abgesehen  von  ihrer  Stellung  als  Subject  oder  Prä- 
dicat in  den  Prämissen,  die  Annahme  zu  rechtfertigen  vermag,  dass 
hier  das  S  der  (höhere)  Oberbegriff,  das  P  aber  der  (niedere)  Unter- 
beg^iff  seL 

§  118.  Aus  einer  vergleichenden  Uebersicht  über 
die  gültigen  Modi  ergiebt  sich,  dass  der  Schlusssatz  in 
allen  Figuren, 

a.  wenn  beide  Prämissen  affirmativ  sind,  auch 
nur  affirmativ  sein  kann  (vgl.  Barbara,  Darii;  Darapti, 
Disamis,  Datisi;  Bamalip,  Dimatis); 

b.  wenn  eine  Prämisse  negativ  ist,  gleichfalls  ne- 
gativ sein  muss  (vgl.  Celarent,  Ferio;  Cesare,  Camestres, 
Festino,  Baroco;  Felapton,  Bocardo,  Ferison;  Galemes,  Fe- 
sapo, Fresison); 

c.  wenn  beide  Prämissen  allgemein  sind,  bald 
(nämlich  in  der  ersten  und  zweiten  Figur  und  zum  Theil  in  der 
vierten)  gleichfalls  allgemein  ist  (vgl.  Barbara,  Celarent; 
Cesare,  Camestres;  Calemes),  bald  (nämlich  in  der  dritten 
Figur  und  zum  Theil  in  der  vierten)  particular  (vgl.  Da- 
rapti,  Felapton;  Bamalip,  Fesapo); 


§  118.   Die  Form  des  Schlnsssatzes.  391 

d.  wenn  eine  Prämisse  particular  ist,  gleichfalls 
particnlar  sein  muss  (vgl.  Darii,  Ferio;  Festino,  Baroco; 
Disamis,  Datisi,  Bocardo,  Ferison ;  Dimatis,  Fresison). 

Die  erste  Fignr  lässt  Schlusssätze  von  allen  Formen 
(a,  e,  i  nnd  o)  zu,  die  zweite  nur  negative  (e  und*  o),  die 
dritte  nur  partieulare  (i  und  o),  die  vierte  endlich  parti- 
cular bejahende,  allgemein  verneinende  und  particular  ver- 
neinende Schlusssätze  (i,  e  und  o). 

Ein  allgemein  bej ahender  Schlusssatz (a)  kann  dem- 
nach nur  in  der  ersten  Figur  (und  zwar  nur  in  dem  einen 
Modus  Barbara);  ein  allgemein  verneinender  (e)  in 
der  ersten,  zweiten  und  vierten  (nämlich  in  den  vier  Modis 
Gelarent;  Cesare,  Camestres;  Calemes);  ein  particular  be- 
jahender (i)  in  der  ersten,  dritten  und  vierten  (nämlich  in 
den  sechs  Modis  Darii;  Darapti,  Disamis,  Datisi;  Bamalip, 
Dimatis);  ein  particular  verneinender  endlich  (o)  in 
allen  Figuren  (nämlich  in  den  acht  Modis  Ferio;  Festino, 
Baroco ;  Felapton,  Bocardo,  Ferison ;  Fesapo,  Frenison)  gezogen 
werden. 

Durch  Subalternation  lässt  sich  aus  jedem  allge- 
meinen Schlusssatze  auch  der  entsprechende  partieulare  ent- 
nehmen. Sofern  aber  die  particularen  Schlusssätze  sich  auch 
unmittelbar  auf  Grund  der  Prämissen  durch  Sphärenverglei- 
chung  ergeben,  können  diese  Schlnssweisen  als  eigene  Modi 
bezeichnet  werden.  Sie  führen  die  Namen:  Barbari,  Ce- 
laront;  Gesaro,  Camestros;  Galemos.  Werden  diese 
fünf  Modi  zu  den  früheren  hinzugefügt,  so  hat  dann  jede 
der  vier  Figuren  die  gleiche  Zahl  von  sechs  gül- 
tigen Modis.  Doch  sind  diese  neuen  Modi  bedeutungslos, 
weil  in  ihnen  ans  den  Prämissen  nur  ein  Theil  dessen  ent- 
nommen wird,  was  sich  in  der  That  aus  denselben  ergiebt.  — 
Uebrigens  bleiben  die  vorstehenden  Regeln  über  die  Form  des 
Schlusssatzes  im  Allgemeinen  auch  dann  noch  gültig,  wenn 
dabei  diese  Modi  mit  in  Betracht  gezogen  werden. 

Dem  wissenschaftlichen  Werthe  nach  stehen  die 
allgemein  bejahenden  Schlusssätze  am  höchsten,  weil 
sie  unsere  Erkenntniss  in  positiver  Weise  i'brdem  und  eine 
sichere  Anwendung  auf  das  Einzelne  zulassen;   ihnen  folgen 


392  §  IIB.   Werthverhaltniss  der  verschiedenen  Formen. 

die  allgemein  yerneinenden,  die  uns  zwar  nur  eine 
negative,  aber  doch  bestimmte  Einsicht  gewähren;  demnächst 
erst  folgen  die  particular  bejahenden,  welche  uns  zwar 
eine  positive  Förderung  verheissen,  bei  der  Anwendung  auf 
das  Einzelne  aber  uns  rathlos  lassen;  den  geringsten  Werth 
endlich  haben  die  particular  verneinenden  Schlusssätze. 
Doch  sind  die  particularen  Sätze  keineswegs  schlechthin  ohne 
wissenschaftliche  Bedeutung.  Ihre  Bestimmung  ist  vorzugs- 
weise die  Abwehr  falscher  Verallgemeinerungen :  das  fälschlich 
ftlr  wahr  gehaltene  allgemein  verneinende  oder  bejahende 
Urtheil  wird  durch  den  particular  bejahenden  oder  verneinenden 
Schlusssatz,  der  zu  ihm  im  Verhältniss  des  contradictorischen 
Gegensatzes  steht,  alä  unwahr  erwiesen. 

■ 

Aristoteles  lehrt  (Anal.  pri.  I,  24),  Allgemeines  folge  nur  aus 
Allgemeinem;  zuweilen  aber  folge  aus  Allgemeinem  auch  etwas  nicht 
Allgemeines;  ferner,  entweder  beide  oder  zum  mindesten  eine  Prämisse 
müsse  in  Hinsicht  der  Qualität  mit  dem  Schlusssatze  übereinstimmen. 
Die  späteren  Logiker  stellen  den  Satz  auf:  »conclusio  sequi tur  partem 
debilioremc.  Diese  Formel  empfiehlt  sich  zwar  durch  anscheinende 
Einfachheit  und  Klarheit,  ist  aber  nicht  scharf  und  bestimmt  genug, 
sondern  unvollständig  und  irreführend.  Denn  wenn  doch  a,  e,  i  und  o 
der  Reihe  nach  »schwächere«,  d.  h.  an  wissenschaftlichem  Werthe  ge- 
ringere Formen  sind,  so  müsste  nach  jener  Regel* ein  Schlusssatz  ans 
Prämissen  von  den  Formen  a  und  e  nothwendig  der  zweiten  als  der 
pars  debilior  folgen,  also  die  Form  e  haben;  in  Felapton  aber,  wie 
auch  in  Fesapo,  hat  derselbe  die  Form  o,  die  noch  schwächer  ist,  so 
dass  die  Regel  vielmehr  lauten  müsste:  conclusio  non  sequitur  partem 
fortiorem,  sed  aut  sequitur  partem  debiliorem  aut  debiliore  debilior 
est.  Wird  aber  der  Sinn  der  Formel  näher  dahin  bestimmt,  dass  der 
Schlusssatz  in  Hinsicht  der  Quantität  bei  einer  particularen  Prämisse 
particular,  in  Hinsicht  der  Qualität  aber  bei  einer  negativen  Prämisse 
negativ  sein  müsse,  so  ist  diese  Bestimmung  zwar  nicht  falsch,  aber 
unvollständig ;  denn  es  wird  nicht  gesagt,  welche  Form  der  Schlusssatz 
annehme,  wenn  beide  Prämissen  entweder  schlechthin  von  'gleicher 
Form  sind  (a  a)  oder  nur  in  Hinsicht  der  Quantität  (a  e)  oder  nur  in 
Hinsicht  der  Qualität  (a  i)  übereinkommen;  insbesondere  wird  darin 
nicht  auf  das  verschiedene  Verhalten  der  Quantität  und  der  Qualität 
aufmerksam  gemacht,  wonach  aus  a  a  zwar  ausser  a  auch  i,  aber  nicht 
e  oder  o,  aus  ae  ausser  e  auch  o,  aber  aus  a  i  nicht  ausser  i  auch  o 
folgen  kann. 

Als  eine  nicht  werthlose  Gedächtnisshülfe  mögen  hier  noch  die 
versus  memoriales  eine  Stelle  finden,  welche  ^ie  Namen  der  sämmtlichen 
Modi  der  vier  Figuren  enthalten: 


§  119.   Die  Modalität  des  Syllogismiu.  393 

Barbara,  Celarent  primae,  Darii  Ferioque. 
Cesare,  Camestres,  Festino,  Baroco  secundae. 
Tertia  grande  sonans  recitat  Darapti,  Felapton, 
Disamis,  Datisi,  Bocardo,  Ferison.  Quart ae 
Sunt  Bamalip,  Calemes,  Dimatis,  Fesapo,  Fresison. 
Die  scholastischen  Namen  der  Modi  sind  durch  Petrus  Hispa- 
nus.  (der  als  Papst  Johann  XXI.  im  Jahr  1277  starb)  in  allgemeine  Auf- 
nahme gekommen.  Dieser  bedient  sich  ihrer  in  seinem  Compendium: 
»Summulae  logicales«  (welches  Prantl  für  eine  lateinische  Uebersetznng 
einer  von  Michael  Psellus,  der  von  1020—1106  lebte,  verfassten  2:vvo- 
^jtig  iig  jtiv  jffitaioxdovg  Xoytxrjv  fniajri^fiv  halt;  es  ist  aber  vielmehr 
umgekehrt,  wie  besonders  Thurot  nachgewiesen  hat,  die  Zvvo^ptg  eine 
Uebersetzung  des  Compendiums  des  Petrus  Hispanus,  s.  oben  S.  36). 
Bei  Petrus  Hispanus  (und  auch  schon  bei  seinem  Vorgänger  Wilhelm 
Shyreswood  und  Anderen)  lauten  die  Worte:  Barbara,  Celarent,  Darii, 
Ferio;  Baralipton,  Celantes,  Dabitis,  Fapesmo,  Frisesomorum;  Cesare, 
Camestres,  Festino,  Baroco;  Darapti,  Felapton,  Disamis,  Datisi,  Bo- 
cardo, Ferison  (s.  Prantl,  Gesch.  d.  Log.  II,  S.  276;  III,  S.  16  f.).  Die 
Inoonsequenz  in  der  Benennung  der  fünf  Theophrastischen  Modi  gab 
späteren  lateinischen  Logikern  zu  der  Umänderung  der  Namen  in  Ba- 
malip, Calemes  etc.  Anlass,  vgl.  oben  die  Schlussbemerkung  zu  §  117, 
S.  390.  Die  griechische  Bearbeitung  der  Summulae  {2!vvo\ffig  etc.)  hat 
(nach  der  von  Prantl  verglichenen  Augsburger  Handschrift)  folgende 
Memorialworte  (welche  Nachbildungen  der  lateinischen  sind,  aber  ohne 
Mitbezeichnung  der  Reductionen;  die  nämlichen  griechischen  Worte, 
jedoch  mit  Ausnahme  der  Namen  der  theophrastischen  Modi,  finden 
sich  auch  der  um  1260  verfassten  ^Enno/nii  des  Nicephorus  Blemmides 
beigefügt,  wahrscheinlich  von  späterer  Hand).  Für  die  vier  Hauptmodi 
der  ersten  Figur:  yQafj/uttTa,  fyp«!/;*,  yoatftdi,  rixvixoe  (die  zusammen- 
gelesen den  Sinn  ergeben:  Buchstaben  schrieb  mit  einem  Grififel  der 
Kundige),  für  die  fünf  übrigen  (Theophrastischen)  Modi  dieser  Figur; 
yQaf4fiaaiv,  ha^ey  Xagtai^  nagdtvog  Uqov  (durch  eine  Inschrift  weihte 
den  Grazien  eine  Jungfrau  ein  Heiligthum),  für  die  vier  Modi  der  zwei- 
ten Figur:  fyQaipe-  xaiexe  fi^TQwv  axolov,  für  die  sechs  Modi  der  dritten 
Figur:  anaai  a&evaQog,  iaaxig  aanCii  ofjiaXog^  tf^oKnog.  Die  durch  Sub- 
alternation  hinzutretenden  Modi  hat  Job.  Hospinianus  in  einer  Schrift 
über  die  Modi  des  kategorischen  Syllogismus,  Basel  1660,  aufgestellt 
und  nach  ihm  Leibniz  de  arte  combinatoria,  in  Erdmann's  Ausg.  der 
philos.  Werke  L.'s  S.  13  u.  16,  und  in  den  Nouv.  Essais  sur  Pentend. 
humain,  in  Erdmann's  Ausg.  S.  396. 

§  119.  Sind  beide  Prämissen  apodiktische  oder  beide 
problematische  Urtheile,  so  hat  auch  der  Schlusssatz  die 
gleiche  Modalität,  weil  das  Maass  seiner  Gewissheit  durch- 
aus Yon  dem  Maasse  der  Gewissheit  der  Prämissen  abhängig 
ist;  im  Uebrigen  aber  gelten  die  nämlichen  Regeln,  wie  bei 


aBsertorlaehen  PrämisBen,  weil  die  Sphärenverhältaiese  die 
nämlichen  sind.  Ist  die  Modalität  der  Prämissen  eine  ver- 
achiedeae,  so  folgt  der  Schlusssatz  stets  derjenigen,  welche 
die  geringere  Gewissheit  hat.  Denn  a.  ist  die  Beziehung 
zwischen  dem  Mittelbegriff  und  dem  einen  Terminus  von  apo- 
diktischer oder  assertorischer  Oewissheit,  die  Bezie- 
hung zwischen  demselben  und  dem  anderen  Terminus  aber 
nur  Ton  problematischer  Art,  so  besteht  neben  der  letz- 
teren um  ihres  problematischen  Charakters  willen  auch  die 
entgegengesetzte  Möglichkeit;  diese  aber  in  Verbindung  mit 
der  unveränderten  (apodiktischen  oder  assertorisehen)  Prämisse 
fährt  bei  keiner  CombinatioDsfbrm  schlechthin  zu  dem  näm- 
lichen Sehlnsssatze,  sondern  schliesst  in  allenFällen  wenigstens 
die  Oewissheit  ans,  dass  das  dem  Schlussaatze  contradictorisch 
entgegengesetzte  Urthcil  falsch  sei;  folglich  hat  der  Schluss- 
satz nur  problematische  Gültigkeit,  b,  Ist  die  eine  Prä- 
misse von  apodiktischer,  die  andere  aber  nur  von  asser- 
torischer Gültigkeit,  so  ist  das  contradictorische  Gegentheil 
der  letzteren  auch  nur  mit  assertorischer,  nicht  mit  apodikti- 
scher Gewissheit  ausgeschlossen;  da  nun  dasselbe,  mit  der 
apodiktisch  gültigen  Prämisse  verbunden,  es  wenigstens  unge- 
wiss  machen  wUrde,  ob  nicht  das  dem  Schlnsssatze  contradicto- 
risch entgegengesetzte  Urtheil  wahr  sei,  so  ist  diese  Ungewies- 
beit  auch  nur  in  assertorischer,  nicht  in  apodiktischer  Weise 
ausgeschlossen,  wesshalb  auch  der  Schlusssatz  selbst  nur  mit 
assertorischer,  nicht  mit  apodiktischer  Gewissheit  gilt 

Wie  die  Bubjecttve  üngewisaheit  dus  Bewogstsein  in  eidi 
BOhlieset.  dass  vielleicht  die  entgegengesetzte  Annahme  wahr  sei,  so  ist 
auch  die  reale  Möglichkeit  aU  Boluhe  mit  der  HüglJchkeit  dea 
Gegentheils  verknüpft,  und  wie  die  asBerterisohB  Gewissheit  das 
Gegentheil  nur  mit  assertorischer,  die  apodiktische  aber  dasselbe 
mit  apodiktischer  Gewissheit  ausschliesst,  bo  schliesst  die  Wirklich- 
keit, Bofom  dieselbe  sich  nicht  nach  einer  allgemeinen  Gesetzmässigkeit 
als  nothwendig  erweist,  das  Gegentheil  nur  factisch,  die  reale  Noth- 
wendigkeit  aber  dasselbe  wiederum  püt  Noth wendigkeit  ans.  Da 
nun  die  realen  Verhältnisse,  sich  in  unserer  Erkenntnisa  wiederspiegeln 
müssen,  so  begründet  die  Erkenntniss  der  realen  Möglichkeit  oder  der 
wirklieh  vorhandenen  Anlage  ein  problematiachea  Urtheil  über  das  wirk- 
liche Eintreten  dessen,  worauf  die  Anlage  geht,  und  die  Erkenatnin 
der    realen  Nolbwendigkeit  ein   entsprechendes    apodiktisches  Urtheil. 


§  119.   Die  Modalität  des  Syllogismus. 

Weil  aber  nicht  auch  umgekehrt  das  Reale  sich  nach  unserer  Erkei 
niss  richtet,  so  ist  nicht  überall  da,  wo  subjective  Ungewissheit  best< 
auch  reale  Möglichkeit  vorhanden,  und  auch  nicht  überall  da,  wo 
zureichender  Erkenntnissgrund   einen   strengen  Beweis   möglich  ma 
und   also   apodiktische  Gewissheit  gewährt,  in  demselben  zugleich  < 
Realgrund  erkannt.    Demgemäss  coincidiren  namentlich  die  Fälle, 
aus  problematischen  Prämissen  ein  problematischer  Schlusssatz  gewoni 
wird,  keineswegs  mit  denjenigen,  wo  aus  Möglichkeitsurtheilen  wieder 
ein  Möglichkeitsurtheil   sich   erschliessen    lässt.     So  folgt  z.  B.  in  < 
zweiten  Figur  zwar  aus  den  Prämissen:  P  ist  vielleicht  M;  S  ist  vi 
leicht  nicht  M  —  der  Schlusssatz:  S  ist  vielleicht  nicht  P ;  aber  es  fo 
keineswegs  aus  den  Prämissen:  Phat  die  Möglichkeit,  M  zu  sein;  S  1 
die  Möglichkeit,  M  nicht  zu  sein  —  der  Schlusssatz:    S  hat  die  Mc 
lichkeit,  P  nicht  zu  sein.  Denn  da  die  reale  Möglichkeit  eines  bestimmt 
Seins  und  des  entsprechenden  Nichtseins  jedesmal  an  sich  die  uämlic 
ist,  so  hat  in  der  That  P  und  S  das  nämliche  Prädicat;  es  liegen  al 
zwei  affirmative  Prämissen  in  der  zweiten  Figur  vor,  woraus  nach  d 
allgemeinen  Regeln  der  zweiten  Figur  sich  nichts  Bestimmtes  über  d 
Verhältniss  zwischen  S  und  P  folgern  lässt.    Die  ürtheile  aber,  wor 
irgend  einem  Subjecte  irgend  eine  reale  Möglichkeit  (oder  Anlage)  z 
erkannt  wird,  sind  nicht  nothwendig  problematisch  (was  sie  erst  dun 
ein  hinzugedachtes  vielleicht  werden),   sondern  an  sich  selbst  asse 
torisch  (obschon  das  aus  ihnen  herfliessende  Urtheil  über  die  Wirklicl 
keit  dessen,  was   in   ihnen  als  möglich  gedacht  wird  oder  worauf  d 
Anlage  geht,  problematisch  ist) ;  mithin  fallen  die  aus  ihnen  gebildete 
Schlüsse  unter  die  allgemeinen  Gesetze  der  kategorischen  Schlüsse  ai: 
assertorischen  Prämissen  und  bilden  nicht  eine  eigenthümliche  Schlusi 
form,  wesshalb  sie  auch  hier  nicht  einer  besonderen  Darstellung  bedürfei 
Aristoteles   erörtert   Anal.  pri.  I,  c.  8 — 22  die  mannigfache 
Schlussverhältnisse,    welche  aus  den  verschiedenen  Combinationsweise 
von  Urtheilen  der  realen  Möglichkeit,  des  realen  Stattfindens  und  de 
realen  Nothwendigkeit  hervorgehen.  Er  hält  dafür,  dass  unter  gewisse] 
Bedingungen  aus   der  Combination  eines  Urtheils  der  Nothwendigkei 
mit  einem  Urtheil  des  Stattfindens  ein  Urtheil  der  Nothwendigkeit,  un( 
aus  der  Combination  eines  Urtheils  der  Nothwendigkeit  mit  einem  Ur 
theil  der  Möglichkeit  ein  Urtheil  des  Stattfindens  sich  ergebe;  Theo 
phrast  und  Eudemus   dagegen  lehren,   dass  auch  in  diesen  Bezie 
hungen   der  Schlusssatz  immer  der  geringeren  Prämisse  folge.    Alex 
Aphrod.  ad  Anal.  pri.  f.  49  a:  ot  6i  ya  hatgoi  avrov  ol  negl  Evöri^oi 
T£  xai   BioipQaOTov  ov/  ourotg  XfyovaiVi  ^^la  tpaaiv  iv  nciatug  raig  Ü 
ävayxaüts   Ti  xal  vTiaQ^ovaijs  avCvyfaiSj  luv  (oai  xtlfiivni.  avXXoytarixais. 
vnoQxov  yfyyeaOtu  ro   avfAniQaofia.  Philop.  ad  Anal.   pri.  f.  51  A:  oi 
fjL^VTOi  n^Qt   GeotpQaOTOv  xal  inl  Tavrrjg  tijg  av^vyias  (sc.  t6  A  T(p  B  i^ 
avayxijg   ovSevl    vnaQxsi,   tu    dk    B   ivS^x^rai  naVtl  t^  F)  Mexouevov 
Xfyovatv  eJvai  t6  av/4n^Qaafjia  (sc.  to  A  ivSix^jtu  rtp  F  ov^tvl)  iV«  xal 
Ivtav&a  TJf  x^(qovi  jcüv  TTQoraaetov  fTtfjTtu  t6  avfin^Qttaua.     Gewiss  sind 
hier  Theophrast  und  Eudemus  im  Recht;  denn  auch  bei  den  Syllogis-i 


396  §  120.   Das  Substitationsprinoip. 

men,  die  sich  auf  die  realen  Verhältnisse  der  Möglichkeit,  Wirklich- 
keit und  Noth wendigkeit  beziehen,  muss  jede  Beschränkung,  die  in 
einer  der  beiden  Prämissen  liegt,  auf  den  Schlusssatz  übergehen.  Vgl. 
oben  §  87,  S.  291  ff.  und  §  98,  S.  810  ff.  und  Prantl,  Gesch.  d.  Log. 
I,  S.  278  ff.  und  S.  370  ff. 

§  120.  Zar  Gültigkeit  des  Schiasses  ist  nicht  erforder- 
lich, dass  in  beiden  Prämissen  zwischen  den  Terminis  das 
Verhältniss  von  Sabject  and  Prädicat  bestehe,  sondern  der 
Schiasssatz  kann  aach  dadarch  gebildet  werden,  dass  für  irgend 
einen  Begriff  der  einen  Prämisse  (oder  des  Grandartheils), 
der  in  einem  objectiven  oder  attributiven  Verhältniss 
steht,  ein  anderer  Begriff  nach  Maassgabe  der  zweiten  Prä- 
misse (oder  des  Htilfsartheils)  sabstitairt  wird.  Statt  der 
allgemein  genommenen  Sphäre  eines  höheren  Begriffs  kann 
die  Sphäre  (oder  aach  ein  Theil  der  Sphäre)  eines  niederen 
Begriffs,  die  mit  einem  Theile  von  jener  coincidirt,  and  statt 
(der  ganzen  Sphäre  oder)  des  unbestimmten  Theiles  der  Sphäre 
eines  niederen  Begriffs  kann  der  unbestimmte  Theil  der  um- 
schliessenden  Sphäre  eines  höheren  Begriffs  sabstitairt  werden. 
Die  Form  des  Schlusssatzes  muss  der  Form  derjenigen  Prä- 
misse, in  welche  der  neue  Begriff  substituirt  wird  (oder  des 
Grnndurtheils)  genau  entsprechen. 

Als  Beispiel  möge  folgender  Schluss  dienen,  worin  der  Begriff, 
für  welchen  ein  anderer  substituirt  wird,  allgemein  genommen  ist 
und  die  Stelle  des  Objectes  im  Grundurtheil  einnimmt:  die  Elrde 
zieht  die  sämmtlichen  in  ihrer  Umgebung  befindlichen  Körper  an;  der 
Mond  ist  ein  in  der  Umgebung  der  Erde  befindlicher  Körper;  also  zieht 
die  Erde  den  Mond  an;  oder  auch  (Fiat.  Sympos.  c.  21):  Eros  erman- 
gelt des  Schönen;  das  Gute  ist  schön;  Eros  ermangelt  des  Guten;  und 
folgender  Schluss,  wo  derselbe  in  einem  attributiven  Verhältnisse 
steht:  Schmähung  von  Anordnungen  der  Obrigkeit  unterliegt  gesetz- 
licher Strafe;  politische  Maassnahmen  der  Staatsregierung  sind  (laut 
Entscheidung  des  preuss.  Obertribunals)  Anordnungen  der  Obrigkeit; 
also  unterliegt  Schmähung  politischer  Maassnahmen  der  Staatsregierung 
gesetzlicher  Strafe;  —  femer  folgender  Schluss,  wo  für  einen  partiell 
genommenen  Begriff  in  einem  attributiven  Verhältniss  ein  höherer 
substituirt  wird :  die  eigene  Bewegung  (mindestens)  einiger  Doppelsterne 
ist  unzweifelhaft:  alle  Doppelsterne  sind  Fixsterne;  also  ist  die  eigene 
Bewegung  einiger  Fixsterne  unzweifelhaft. 

Uebrigens  können  unter  den  nämlichen  Gesichtspunkt  auch  die 
Schlüsse  aus  zwei  einfachen  (nur  das  prädicative  Verhältniss  ent- 
haltenden)  kategorischen  Urtheilen  gestellt  werden,   indem  sich 


§  120.   Das  SabstitutiozLsprinoip.  897 

in  der  Regel  direct  (wo  nicht,  dann  mittelst  einiger  Umformung)  das 
ejne  derselben  als  Grundartheil  (worin  substituirt  wird)  und  das 
andere  als  Hülfsurtheil  (vermittelst  dessen  substituirt  wird)  be- 
trachten lässt.  Nach  §  71,  S.  216  f.  ist  das  Subject  in  jedem  all- 
gemeinen Urtheil  allgemein,  daher  kann  dafür  ein  anderer  Subjects- 
begrifT  substituirt  werden,  dessen  Sphäre  mit  (mindestens)  einem  Theile 
von  der  Sphäre  des  ersten  Subjectes  ooincidirt;  das  Subject  in  jedem 
particularen  Urtheil  aber  particular,  daher  kann  dafür  der  unbe- 
stimmte Theil  eines  anderen  Subjectsbegriffs  substituirt  werden,  dessen 
Sphäre  die  des  ersten  Subjectes  umschliesst;  das  Prädioat  in  jedem 
bejahenden  Urtheil  particular,  daher  kann  dafür  ein  höherer  Prä- 
dicatsbegriff  substituirt  werden;  das  Prädicat  endlich  in  jedem  ver- 
neinenden Urtheil  allgemein,  daher  kann  dafür  ein  niederer  Prädi- 
catsbegrifif  substituirt  werden.  Doch  ist  diese  Betrachtungsweise  bei 
den  Schlüssen  dieser  Art  minder  angemessen,  weil  die  Unterscheidung 
der  beiden  Prämissen  als  Grundurtheil  und  Hülfsurtheil  hier  nicht 
durchgängig  in  der  Natur  der  Sache  begpründet  ist,  und  darum  auch, 
da  in  manchen  Fällen  jede  von  beiden  Prämissen  als  Grundurtheil  und 
jede  als  Hülfsurtheil  angesehen  werden  kann,  ein  Theil  der  Modi  in 
einer  vollständigen  Darstellung  nach  diesem  Princip  zweifach  construirt 
werden  muss,  wogegen  die  unmittelbare  Sphärenvergleichung  auf  ein- 
fache und  naturgemässe  Weise  zum  Ziele  führt. 

Die  Aristotelisch -scholastische  Logik  hat  fast  nur  die 
Schlüsse  aus  einfachen  kategorischen  Syllogismen  erörtert,  die  Schlüsse 
aber,  wo  ein  Terminus  in  einem  attributiven  oder  objectiven  Verhältniss 
durch  einen  anderen  ersetzt  wird,  unberücksichtigt  gelassen.  Das  erste 
Werk,  w^elches  hierauf  genauer  eingeht;  ist  die  aus  der  Schule  des  Gar- 
tesius  hervorgegangene  Logique  ou  l'art  de  penser,  die  zuerst 
1662  erschien  und  wahrscheinlich  in  ihren  meisten  Theilen  Ant.  Ar- 
nauld  zum  Verfasser  hat.  Sie  nennt  die  Syllogismen  dieser  Art  syllo- 
gismes  complexes  und  will  theils  (jedoch  nur  an  Beispielen)  nach- 
weisen, wie  dieselben  auf  die  syllogismes  incomplexes  zurückgeführt 
werden  können,  theils  aber  auch  ein  Princip  aufstellen,  wonach  über 
die  Schlusskraft  aller  Syllogismen  mit  einem  Male  ohne  alle  Reduction 
geurtheilt  werden  könne.  Dieses  Princip  ist:  »que  l'une  des  deux  pro- 
positions  doit  contenir  la  condusion,  et  Pautre  faire  voir  qu'elle 
la  contientc ;  entweder  nämlich  im  Umfang  oder  im  Inhalt  des  terminus 
medius  müsse  der  dafür  substituirte  Terminus  des  Schlusssatzes  enthalten 
sein.  Das  Urtheil,  welches  den  Schlusssatz  enthalte,  könne  proposition 
contenante,  das  andere,  welches  dieses  Enthaltensein  nachweise,  ap- 
plicative  genannt  werden.  In  den  einfachen  affirmativen  Syllogismen 
lasse  sich  in  der  Regel  jede  der  beiden  Prämissen  als  die  contenante 
ansehen,  weil  jede  in  ihrer  Art  den  Schlusssatz  enthalte,  und  so  auch 
jede  als  die  applioative ;  in  den  negativen  Syllogismen  sei  die  negative 
Prämisse  die  contenante;  in  den  Syllogismes  complexes  endlich  sei  es 
diejenige,  deren  Form  die  Form  des  Sohlusssatzes  bestimme  (Log. 
part  III,  ohap.  IX— XI).    Die  Anwendung  dieses  Prinoips  auf  die  ein- 


zelnen  Fälle  würde  zu  einer  Reihe  besonderer  Kegeln  geführt  hftben; 
doch  wordea  diese  in  jenem  logischen  Werke  nicht  entwickelt,  sondern 
nur  einzelne  Beispiele  analysirt.  —  Beneke  hat  zuerst  auf  jenes  Prinoip 
eine  vollständige  Theorie  der  Syllogismen  gegründet.  Er  legt  dieselbe 
dar  in  seinem  Lehrbuch  der  Logik,  1832,  S.  HO  ff.,  in  der  Mono- 
graphie:  Syllogiamorum  analyticorum  origines  et  ordinem  naturalem 
demonstravit  Frid.  Eduard.  Beneke,  fierol.  1889,  und  in  dem  System 
der  Logik,  1842,1,  S.  201-245;  vgl.  Dressier,  prakt  Denklehre,  1882, 
S.  290 — 320.  Als  tiefstes  GnindverhältDJss  der  analytischen  Schlüsse  be- 
zeichnet Beneke  die  Substitution.  In  einem  gegebenen  Urtheil  (dem 
Orundurtheil)  setzen  wir  an  die  Stelle  des  einen  seiner  Bestandtheile 
einen  anderen,  und  Ewar  auf  Yeranlassung  eines  zweiten  Urtheils  (des 
Hülfsurtheils),  welches  ein  Terlultuiss  angiebl  zwischen  dem  früheren 
und  dem  neuen  Bestandtheile.  Das  Substituirte  kann  entweder  ein 
Theil  dessen  sein,  welchem  es  substitnirt  wird,  oder  dasselbe,  nur 
in  einer  anderen  Fassung  für  das  Denken.  Es  ist  ein  Theil,  wenn 
der  Umfang  eines  Terminna  zerlegt  wird;  dieser  Fall  kann  überall 
da  und  nur  da  eintreten,  wo  ein  allgemeiner  Begriff  nach  seinem 
ganzen  Umfang  gilt  (lambitum  dividi  posse,  ubi  totus  adelt; 
non  posse,  ubi  nonnisi  pars  eins  inveniatnri),  also  namentlich  bei  dem 
Subjeote  jedes  allgemeinen  und  bei  dem  Pradicate  jedes  verneinenden 
Urtheils.  Es  ist  dasselbe  in  einer  anderen  Fassung,  wenn  der  In* 
halt  eines  Terminus  zerlegt  wird;  dieser  Fall  kann  überall  da  und 
nur  da  eintreten,  wo  ein  Begriff  nnr  nach  einem  Tbeile  seines 
Umfanges  gilt  (•oomplexus  partem  poni  non  posse,  nisi  qnantitste 
data  partionlarii),  da  der  Theil  der  engeren  Sphäre  auch  ein  Theil 
der  weiteren  sein  mnss,  in  welcher  jene  liegt,  also  namentlich  bei  dem 
Snbjeote  jedes  particularen  und  bei  dem  Pradicate  jedes  bejahenden 
Urtheils.  iQuod  vero  ad  singulas  forma«  attinet,  in  aperto  est: 
in  forma  A  ambitum  subiecti  et  oomplexum  praedicati, 
in  forma  E  ambitum  subiecti  et  ambitum  praedicati, 
in  forma  I  complexnm  subiecti  et  complexum  praedicati, 
in  forma  0  deniqne  compleium  subiecti  et  ambitum  praedicati 
partitionem  admittere.t  —  Gewiss  ist  Beneke's  Darstellung  der  Sjllo- 
gistik  nach  diesen  Snbstrtntionsprincipien  eine  sohätEbare  Leistung; 
doch  ist  bei  den  einfachen  kategorischen  Syllogismen  das  Princip  der 
unmittelbaren  Sphärenvergleichnng  der  drei  Termini,  wonach  ohne  die 
Fiction  eines  Grundurtheils  nnd  Hülfsartbeils  (>alteram  finge  fun- 
damentalem sive  priorem,  alteram  accedentem  sive  posteriorema]  das 
SphärenverhältnisB  zwischen  den  beiden  äusseren  Tenoinis  auf  Grund 
ihres  YerhältnisBes  zu  dem  Mittelbegriffe  direct  ermittelt  wird,  als  das 
einfachere  und  naturgemässere  TOriuEiehen.  Auch  sind  die  Ausdrucke: 
iTheilnng  des  Umfängst  und:  >Theilung  des  Inhaltst  un- 
genau und  irreleitend.  Bei  der  sogenannten  tTheilnng  des  Umfangt« 
wird  allerdings  ein  Begriff  Snbatitnirt,  dessen  Sphäre  mit  einem  Theile 
der  Sphäre  des  früheren  Begriffs  ooincidirt,  und  bei  der  iTbeilnog 
des  Inhalt«'  ein  Begriff  von  dessen  Sphfo«  ein  Theil  mit  der  Sphire 


§  121.   Syllogismen  aus  hypothetischen  Prämissen.  399 

des  früheren  Begriffs  coincidirt,  und  der  daher,  wenn  er  überhaupt  zu 
dem  Inhalt  desselben  im  eigentlichen  Sinne  gehört,  nur  einen  Theil 
davon  ausmachen  kann;  aber  jene  Coincidenz  muss  nicht  gerade  immer 
eine  (partielle)  Identität,  sondern  kann  auch  ein  Yerbundensein 
bezeichnen.  Vgl.  oben  zu  §§  71;  85;  105.  —  Besser  also  scheint  es, 
die  betreffenden  Regeln  so  zu  geben,  wie  wir  sie  oben  aufgestellt  haben, 
dass  der  in  vielen  und  gerade  den  wichtigsten  Fällen  nicht  zutreffende 
Ausdruck:  »Theilung  des  Umfangsc  und  »Theilung  des  Inhalts«  ver- 
mieden wird.  Am  allerwenigsten  aber  können  wir  der  von  Beneke  aus 
jenem  ungenauen  Ausdruck  der  sTheiiung«  abgeleiteten  Folgerung  bei- 
treten: »syllogismos,  qui  per  tot  saecula  numeris  omnibus  absoluti  ha- 
biti  sint,  nihil  ad  scientiam  humanam  valere  neque  amplificandam  neque 
provehendamc.  >Was  wir  gewinnen,  ist  nur  Sonderung  und  Klarheit«. 
Diese  Behauptung  ist  bei  Syllogismen  aus  analytisch  (im  Kantischen 
Sinne)  gebildeten  Urtheilen  wahr,  bei  Syllogismen  aus  synthetisch 
gebildeten  Urtheilen  aber  falsch;  vielmehr  sind  die  Syllogismen  der 
letzteren  Art,  sofern  sie  auf  der  Grundlage  einer  realen  Gesetzmässigkeit 
beruhen,  eins  der  wesentlichsten  Mittel  der  Erweiterung  und  Förderung 
der  menschlichen  Erkenntniss.  Vgl.  oben  §  101.  —  Wie  bei  Beneke, 
so  beruht  noch  bestimmter  bei  Hamilton  die  Analyse  der  Schlüsse  auf 
der  »Quantificirung  des  Pradicates«;  siehe  oben  §  71,  S.  219.  —  Eine 
ausführliche  Darstellung  der  Lehre  von  der  Quantificirung  des  Pradi- 
cates hat  der  englische  Uebersetzer  dieses  Buches,  Th.  M.  Lindsay,  im 
'Appendix  B.  p.  579 — 583  gegeben.  Auch  Trendelenburg  in  seinen 
logischen  Untersuchungen  8.  Aufl.  Bd.  2.  XYIII.  S.  337  ff.  hat  dieselbe 
anschaulich  erläutert  und  widerlegt.  Vertreten  ist  dieselbe  von  Hamilton 
bes.  in  s.  »New  analytic  of  logical  forms  1846«  als  Anhang  zu  Beid's 
Werken,  sodann  in  s.  lectnres  on  logic  1860  vol.  H  appendix  p.  249  ff. ; 
in  den  discussions  1852  p.  614  ff.  Zu  vergl.  ist  nach  Trendelenburg's 
Hinweis:  Will.  Thomson *s  an  outline  of  the  necessary  laws  of  thought 
1853  p.  177  ff.;  Will.  Spalding  an  introduction  to  logical  science 
1857  p.  83  ff.,  und  als  Glegenschrift  vom .  mathemat.  Standpunkte  aus 
De  Morgan  on  the  symbols  of  logic,  the  theory  of  the  syllogism  1850 
in  d.  Transactions  of  the  Cambridge  philos.  society  vol.  IX.  1856,  ferner 
the  Athenaeum  Nov.  1860  p.  705  u.  John  Venu,  Symbolic  logic. 
London  1881.  Einiges  zur  Kritik  in  Gh.  Waddington,  essais  de 
logique  Paris.  1857.  p.  117  ff.  —  Neueres  s.  bei  Lotze^  Syst.  d.  Philos. 
Bd.  I.  Logik.  Buch  1.  Cap.  3.  Bd.  HI.  S  137  ff.  —  Sigwart,  Logik.  Bd. 
1.  Th.  2.  Abschn.  8.  §  55  der  Werth  des  Syllogismus.  2.  S.  402. 

§  121.  Bei  den  subordinirt  zusammengesetzten 
und  insbesondere  bei  den  hypothetischen  Urtheilen  wie- 
derholen sich  die  sämmtlichen  Schiassweisen,  welche  bei  den 
kategorischen  vorkommen.  Die  Beweise  der  Gültigkeit  lassen 
sich  in  gleicher  Weise  darch  Sphärenvergleichung  führen, 
wofern  das  Zusammensein  oder  Getrenntsein  der  Sphären^ 


400  §  121.   Syllogismen  aus  hypothetischen  Prämissen. 

statt  auf  das  Inhärenzverhältniss,  auf  die  entsprechenden 
Verhältnisse  der  zusammengesetzten  Urtheile  und  insbesondere 
bei  hypothetischen  Urtheilen  auf  das  Dependenzverhältniss 
gedeutet  wird. 

Wegen  der  durchgängigen  Analogie  dieser  Verhältnisse  mit  denen 
des  kategorischen  Schlusses  mag  es  genügen,  nur  einzelne  Beispiele 
zu  den  verschiedenen  Figuren  anzugeben.  Ein  hypothetischer  Schlnss 
in  der  ersten  Figur  und  dem  Modus  Barbara  ist  folgender  (worin 
der  Untersatz  dem  Obersatze  vorangeht):  wenn  die  Erde  sich  bewegt, 
so  muss  das  Licht  der  Fixsterne,  sofern  dieselben  nicht  in  der  (momen- 
tanen) Richtung  der  Erdbewegung  liegen,  vermittelst  einer  anderen 
Richtung  des  Fernrohrs  und  des  Auges  wahrgenommen  werden,  als 
derjenigen,  in  welcher  ihr  wahrer  Ort  liegt;  wenn  dies,  so  muss  der 
scheinbare  Ort  der  Fixsterne,  sofern  dieselben  nicht  in  der  (momenta- 
nen) Richtung  der  Erdbewegung  liegen,  von  ihrem  wahren  Orte  ver- 
schieden sein ;  also  wenn  die  Erde  sich  bewegt,  so  muss  der  scheinbare 
Ort  jener  Sterne  von  dem  wahren  abweichen.  —  Der  zweiten  Figur 
und  zwar  dem  Modus  Cesare  gehört  der  folgende  Sdiluss  an  (worin 
wiederum  der  Untersatz  vorangestellt  worden  ist):  wenn  es  feste  Cha- 
raktere giebt,  so  können  Personen  gefunden  werden,  die  grossen  und 
edeln  Zielen  mit  zuverlässiger  Treue  und  Beharrlichkeit  nachstreben; 
wenn  der  Kantische  Begriff  der  transscendentalen  Freiheit  Wahrheit 
hat,  so  können  nicht  Personen  gefunden  werden,  die  solchen  Zielen  in 
solcher  Weise  nachstreben ;  also  wenn  es  feste  Charaktere  giebt,  so  hat 
der  Kantische  Begriff  der  transscendentalen  Freiheit  keine  Wahrheit. 
—  Der  dritten  Figur  und  zwar  dem  Modus  Disamis  gehört  der 
Schluss  an:  in  gewissen  Fällen,  wenn  ein  Magnet  einem  unelektrischen 
Leiter  genähert  oder  von  demselben  entfernt  wird,  entsteht  in  dem 
letzteren  ein  elektrischer  Strom;  in  allen  Fällen,  wenn  dieser  Versuch 
gemacht  wird,  werden  unmittelbar  nur  magnetische  Kräfte  in  Wirksam- 
keit gesetzt;  zuweilen  also,  wenn  unmittelbar  nur  magnetische  Kräfte 
in  Wirksamkeit  gesetzt  werden,  entsteht  ein  elektrischer  Strom.  —  In 
der  vierten  Figur  und  dem  Modus  Bamalip  wird  geschlossen, 
wenn  die  Prämissen  des  vorhin  angeführten  Beispiels  zu  dem  Modus 
Barbara  nicht,  wie  dort,  benutzt  werden,  um  aus  dem  Realgrunde  die 
Erscheinung  zu  erklären,  sondern  in  dem  entgegengesetzten  Siime,  um 
aus  der  thatsächlichen  Erscheinung  die  Erkenntniss  des  Realgrundes 
zu  gewinnen,  oder  wenigstens,  um  diese  Erkenntniss  anzubahnen:  min- 
destens in  gewissen  Fällen  oder  unter  gewissen  Voraussetzungen,  wenn 
der  scheinbare  Ort  der  Sterne,  die  nicht  in  der  (momentanen)  Richtung 
der  Erdbewegung  liegen,  von  ihrem  wahren  Orte  abweicht,  bewegt  sich 
die  Erde.  Die  particulare  Gestalt  des  Schlusssatzes,  die  nach  den  all- 
gemeinen Gesetzen  dieses  Schlussmodus  nothwendig  ist,  hat  hier  nicht 
den  Sinn,  dass  nur  zuweilen  (zu  gewissen  Zeiten)  die  Ursache  der 
Aberration  des  Lichtes  in  der  Bewegung  der  Erde  liege,  sondern  zeigt 


§  121.    Syllogismen  aus  hypothetischen  Prämissen.  401 

die  Ungewissheit  an,  welche  dem  Schluss  von  der  Wirkung  auf  die 
Ursache  anhaftet.  Erst  wenn  der  fernere  Beweis  geführt  worden  ist, 
dass  der  angenommene  Realgrund  nicht  nur  zur  Erklärung  der  betref- 
fenden Erscheinung  genüge,  sondern  auch  der  einzig  mögliche  Grund 
oder  doch  die  conditio,  sine  qua  non,  sei,  geht  die  problematische  An- 
nahme in  die  gewisse  und  allgemeine  Erkenntniss  über.  Es  muss  also 
in  dem  gegebenen  Beispiele  der  Beweis  hinzutreten,  dass,  wenn  die 
Erde  sich  nicht  bewegte,  jene  Aberration  in  der  Weise,  wie  sie  eine  That- 
sache  der  astronomischen  Beobachtung  ist,  nicht  würde  stattfinden  können. 
Aristoteles  erkennt  den  Schlüssen,  die  er  hypothetische 
nennt  {ol  iS  vno&iaeais  avXloytOfioi  im  G^ensatze  zu  den  dstxttxol 
avUoytafAol)  keine  wissenschaftliche  Berechtigung  zu,  weil  es  der  Wis- 
senschaft nicht  gezieme,  aus  unsicheren  Voraussetzungen  {vno&^aeig), 
sondern  nur  aus  sicheren  Principien  zu  schliessen  (Analyt.  pri.  I,  44). 
Aristoteles  versteht  aber  unter  der  vno^saig  einen  zugestandenen  Satz, 
der  jedoch  weder  erwiesen,  noch  unmittelbar  gewiss  ist,  und  von  dem 
also  dahin  gestellt  bleibt,  ob  er  eine  etwa  noch  zu  erweisende  Wahr- 
heit oder  eine  gleichsam  vertragsweise  als  wahr  angenommene  Unwahr- 
heit sei  (<fia  aw&iixfjg  lafAoXoyrifjiivov),  So  berechtigt  nun  bei  Sätzen 
der  letzteren  Art  das  Aristotelische  Urtheil  sein  mag,  so  wenig  trifft 
dasselbe  die  hypothetischen  Schlüsse  in  dem  späteren  Sinne;  denn  was 
bei  diesen  in  den  Prämissen  und  im  Schlusssatze  behauptet  wird,  ist 
nicht  die  Wirklichkeit  des  Bedingenden  oder  des  Bedingten,  die  frei- 
lich nur  bittweise  angenommen  werden  könnte,  sondern  der  Zusam- 
menhang zwischen  dem  Bedingenden  und  dem  Bedingten  oder  das 
Dependenzverhältniss;  dieses  aber  wird  nicht  als  etwas 
willkürlich  Zugestandenes,  sondern  als  eine  wissenschaft- 
liche Wahrheit  angenommen.  Dass  Aristoteles  die  hypothe- 
tischen Schlüsse  im  späteren  Sinne  unter  seinem  Begriffe  der  Schlüsse 
/|  vno&ia^utg  wenigstens  nicht  formell  befasst  hat  und  dass  somit  seine 
Syllogistik  einer  Ergänzung  bedurfte,  bleibt  trotz  des  Widerspruchs 
von  Waitz  (ad  Ar.  Org.  I,  p.  483)  und  Prantl  (Gesch.  der  Log.  I, 
S.  272  und  295)  eine  unumstössliche  Thatsache.  Aristoteles  rechnet  zu 
den  in  seinem  Sinne  hypothetischen  Syllogismen  auch  den  indirecten 
Beweis  (Anal.  pri.  I,  23.  40  b.  25:  tov  cf'  l^  vnod-^aetog  ^^gog  ro  ^lä 
Tov  aJvyazov),  weil  bei  diesem  ein  Satz,  der  unwahr  ist,  nämlich  das 
oontradictorische  Gegentheil  des  zu  erweisenden  Satzes,  im  Sinne  des 
(wirklichen  oder  fingirten)  Gegners,  der  ihn  behaupten  möchte,  gleich- 
sam vertragsweise  vorläufig  als  wahr  angenommen  wird,  folglich  als 
vnod'eaig  dient,  und  so  die  Grundlage  eines  Syllogismus  bildet,  durch 
welchen  etwas  offenbar  Unwahres,  weil  dem  bereits  als  wahr  Aner- 
kannten Widersprechendes,  erschlossen  wird,  in  diesem  Falle  jedoch  zu 
dem  Zwecke,  um  durch  die  nachgewiesene  Unwahrheit  der  Consequenz 
jene  falsche  vno^iOtg  selbst  zu  stürzen.  —  Die  Bemerkung  des  Aristo- 
teles Anal.  pri.  I,  44.  50  a.  39:  noXXol  Jk  xal  eriQtM  nsQolvovrai  i$ 
wioi^iaemgf  ovg  iniaxiif/aaihai  <fft  xal  diaarjfiijvtu  xa&aQÖis,  scheint  den 
Anlass  gegeben  zu  haben,  dass  zunächst  Theophrast  und  Eudemus 

26 


402  §  121.   Syllogismen  aus  hypothetischen  Prämissen. 

sich  genaner  mit  der  Theorie  der  hypothetischen  Schlüsse  beschäftigten. 
Boethius  sagt  (de  syll.  hyp.  p.  606),  dass  in  der  Lehre  von  den  hypo- 
thetischen Syllogismen  »Theophrastus  rerum  tantnm  summas  exseqaitar, 
Endemus  latiorem  docendi  graditur  viamc.  Theophrast  unterscheidet 
insbesondere  bei  den  durchgängig  hypothetischen  Syllogismen, 
in  welchen  die  Prämissen  mit  einander  und  mit  dem  Schlusssatze  von 
gleicher  Form  sind  [ol  cff'  olov  oder  (fi'  oXtov  vno^ixixol,  dta  xqt^v 
vno(hiTixoly  von  Theophrast  auch  avlloyia/uiol  xar'  avaXoyiav  genannt), 
wiederum  die  nämlichen  drei  Schlussfiguren,  wie  bei  den  kategorischen 
Syllogismen.  Doch  scheint  er  bei  der  Vörgleichung  des  hjrpothetischen 
Satzes  (ßi  t6  A,  to  B)  mit  dem  kategorischen  (xo  A  xatu  tov  B)  die 
Bedingung  (et  t6  A)  mit  dem  Prädicate  (to  A)  in  Parallele  gestellt  zu 
haben,  und  ebenso  das  Bedingte  (ro  B)  mit  dem  Subjecte  {xara  jov  B). 
Wenigstens  möchte  es  sich  wohl  nur  so  erklären  lassen,  dass  er  (nach 
dem  Berichte  des  Alex,  ad  Anal.  pri.  f.  184;  vgl.  Prantl,  Gesch.  der 
Logik  I,  S.  381)  als  die  zweite  Figur  der  hypothetischen  Syllogismen 
diejenige  ansah,  worin  die  Prämissen,  mit  dem  nämlichen  Bedingenden 
beginnend,  mit  einem  verschiedenen  Bedingten  enden,  also  insbesondere: 
sl  TO  Ay  TO  B'  €t-  firi  TO  Ay  to  F'  €f  apff  /uri  to  jB,  to  P,  und  als 
dritte  Figur  diejenige,  worin  die  Prämissen,  mit  einem  verschiedenen 
Bedingenden  beginnend,  mit  dem  nämlichen  Bedingten  enden,  also  ins- 
besondere: el  TO  A,  TO  F'  ii  TO  By  ov  to  F'  ei  «Qa  to  A,  ov  to  JB. 
Eben  diese  Art  der  Parallelisirung  musste  den  Theophrast  in  der 
ersten  Figur  der  hypothetischen  Schlüsse  die  vollste  Analogie  mit  der 
ersten  Figur  der  kategorischen  bei  folgender  Stellung  der  Prämissen 
finden  lassen:  tt  ro  A,  to  B*  €i  to  B,  to  F'  ei  aga  to  A,  to  F,  Auch 
mag  die  nämliche  Annahme  den  Theophrast  bei  der  Wahl  der  Buch- 
staben geleitet  haben,  von  denen  bekanntlich  jedesmal  der  dem  Alpha- 
bete nach  frühere  auch  schon  bei  Aristoteles  auf  denjenigen  Terminus 
zu  gehen  pflegt,  welcher  der  allgemeinere  ist  oder  mit  dem  allgemei- 
neren in  einem  analogen  Yerhältniss  steht.  Allein  diese  Weise  der  Pa- 
rallelisirung ist  falsch,  und  es  muss  vielmehr  die  Bedingung  mit  dem 
Subjecte  des  kategorischen  Satzes,  das  Bedingte  aber  mit  dem  Prädicate 
als  analog  betrachtet  werden;  denn  die  Sphäre  der  Fälle,  wo  das  Be- 
dingende stattfindet,  ist  nicht  gleich  der  Sphäre  des  Pnldicates  die  wei- 
tere, sondern  gleich  der  Sphäre  des  Subjectes  entweder  die  engere  oder 
die  gleiche  mit  der  des  Bedingten.  Das  wahre  Yerhältniss  hat  schon 
Alexander  von  Aphrodisias  (a.  a.  0.)  nachgewiesen,  der  demgemäss 
auch  mit  Recht  in  derjenigen  Figur  der  hypothetischen  Schlüsse,  die 
Theophrast  zur  zweiten  macht,  die  dritte  erkennt,  und  in  der  dritten 
des  Theophrast  die  zweite.  —  Die  Stoiker  haben  mit  Vorliebe  die 
hypothetischen  Syllogismen  erörtert.  —  Boethius  stellt  (in  seiner 
Schrift  de  syllogismo  hypothetico)  die  möglichen  Formen  der  conditio- 
nalen  Schlüsse  in  übergrosser  Ausführlichkeit  dar.  —  Kant  führt  den 
hypothetischen  Schluss,  wie  auch  das  hypothetische  ürtheil,  auf  die 
Kategorie  der  Dependenz  zurück.  In  der  That  beruht  auf  dem  me- 
taphysischen Unterschiede  zwischen  den  Kategorien  der  Inhärenz  und 


§  121.    SyllogiBmen  aus  hypothetischen  Prämissen.  408 

der  Dependenz  der  logische  unterschied  zwischen  der  kategorischen 
nnd  der  hypothetischen  Sohlussweise,  der  nicht  mit  einigen  neueren 
Logikern  nur  oder  fast  nur  für  eine  Verschiedenheit  im  sprachlichen 
Ausdruck  gehalten  werden  darf.     Vgl.  oben  zu  §  68,  §  85  und  §  94. 

Als  allgemeinstes  Schema  alles  Folgens  hat  Sigwart  den  soge- 
nannten gemischten  hypothetischen  Schluss  angesehen  (s.  oben  §  74. 
S.  228).  £r  sagt  in  s.  Logik  Bd.  1.  Th.  2.  Abscbn.  3.  §  49.  S.  871: 
»Die  allgemeinste  Formel  der  Ableitung  eines  Urtheils  aus  anderen  ist 
der  hypothetische  Schluss,  der  entweder  (als  sogenannter  gemischter 
hypothetischer  Schluss)  die  einfache  Anwendung  des  Satzes  ist,  dass 
mit  dem  Grunde  die  Folge  bejaht,  mit  der  Folge  der  Grund  aufge- 
hoben ist,  oder  (als  sogenannter  reiner  hypothetischer  Schluss)  auf  dem 
Satze  ruht,  dass  die  Folge  der  Folge  Folge  des  Grundes  ist.«  —  Und 
§51.  S.  879:  »Die  hypothetische  Kegel  selbst,  nach  der  geschlossen 
wird,  ist  entweder  als  eine  synthetische  anzusehen,  wie  alle  diejenigen, 
die  von  einem  Wollen  abhängen,  oder  diejenigen,  die  durch  einen  In- 
ductionsschluss  aus  der  Erfahrung  gewonnen  sind;  oder  sie  ist  durch 
die  logischen  Gesetze  und  Voraussetzungen  das  begründenden  Urtheils 
gegeben;  im  letzteren  Falle  entweder  durch  die  Form  desselben,  oder 
durch  den  Inhalt  seiner  Elemente.«  —  Diese  seine  Ansicht,  dass  sich 
der  hypothetische  Schluss  als  die  allgemeinste  Formel  des  Schliessens 
darstelle,  und  dass  sich  auf  diese  Formel  auch  die  kategorischen  Schlüsse 
darum  reduciren  lassen,  weil,  wo  ein  wirkliches  Schliessen  in  ihnen 
stattfinde,  eine  der  Prämissen  einen  nothwendigen  Zusammenhang  aus- 
sage, also  dem  Sinne  nach  ein  hypothetisches  Urtheil  sei,  hat  Sigwart 
in  s.  Art.  1.  Logische  Fragen  in  d.  Vierteljahrsschr.  f.  wissensch. 
Philos.  Bd.  4.  1880.  S.  416  gegen  Wundt's  Einwände  vertheidigt. 
Wundt  in  s.  Logik  Bd.  1.  Abschn.  4.  Gap.  1.  2b  (das  Verhältniss  der 
hypothetischen  und  disjunctiven  zu  den  kategorischen  Schlüssen)  S.  276  ff. 
hatte  zwar  anerkannt,  dass  sich  dem  kategorischen  Schlüsse  auch  hypo- 
thetische Form  geben  lasse,  dass  diese  letztere  auch  gerade  beim 
Schlüsse  bedeutungsvoll  erscheine,  weil  der  ganze  (kategorische)  Schluss 
sich  immer  in  der  Gestalt  eines  zusammengesetzten  hypothetischen  Ur- 
theils darstellen  lasse.  Er  behauptet  aber,  es  sei  mindestens  einseitig, 
wenn  hiebei  der  hypothetischen  Form  vor  den  andern  Formen  der 
Begründungsurtheile  (d.  h.  nach  Wundt  S.  182  theils  der  gewöhnlich 
sogenannten  hypothetischen,  welche  das  Verhältniss  von  Grund  nnd 
Folge  ausdrücken,  theils  der  causalen,  die  eine  Causalitätsbeziehung 
enthalten)  ein  Vorzug  eingeräumt  werde.  In  Wahrheit  lasse  sich  jeder 
Schluss  in  der  Form  eines  Urtheils  der  Abhängigkeit  darstellen.  Gleich- 
wohl würde  die  gleichförmige  Umwandlung  in  den  Bedingungsschluss 
nur  dann  einen  Zweck  haben,  wenn  damit  irgend  ein  Vortheil  für  die 
logische  Analyse  verbunden  wäre.  Hievon  sei  aber  gerade  das  Gegen- 
theil  der  Fall.  Logisch  sei  es  von  Bedeutung,  dass  die  verschiedenen 
Functionen,  die  den  Schluss  vermöge  der  verschiedenen  Beschaffenheit 
seiner  Prämissen  besitzen  können,  an  seiner  Form  deutlich  erkennbar 
seien.    Nun  habe  aber  der  Schluss  aus  Abhängigkeitsurtheilen   andere 


404  §  122.   Die  hypothetisch-kategorischen  Syllogismen. 

Functionen  als  derjenige,  der  aus  kategorischen  Vordersätzen  gebildet 
sei.  Eine  Yerdeckung  dieser  Unterschiede  durch  die  tibereinstimmende 
Form  müsse  also  vermieden  werden. 

§  122.  Vermischte  Schlüsse  sind  solche,  deren  Prä- 
missen  Urtheile  von  verschiedener  Relation  (§  68)  sind.  Zu  ihnen 
gehören  die  hypothetisch -kategorischen  Schlüsse. 
Aus  der  Verbindung  einer  hypothetischen  Prämisse 
mit  einer  kategorischen,  welche  letztere  entweder  die 
Thatsächlichkeit  der  Bedingung  behauptet  oder  die  Thatsäch- 
lichkeit  des  Bedingten  verneint,  folgt  im  ersten  Falle  die  kate- 
gorische Setzung  des  Bedingten  (modus  ponens),  im  anderen 
Falle  die  kategorische  Verneinung  der  Bedingung  (modus  tol- 
lens).  Der  modus  ponens  entspricht  der  ersten  Figur  der 
kategorischen  Schlüsse,  der  modus  toUens  der  zweiten. 
Durch  Aufnahme  der  Negation  in  das  zweite  Glied  der  hypo- 
thetischen Prämisse,  sowie  des  Quantitätsunterschiedes  (in  allen 
Fällen  —  in  einigen  Fällen)  in  den  Untersatz  ergeben  sich 
verschiedene  Modificationen,  welche  den  Modis  der  beiden 
ersten  Figuren  entsprechen;  tritt  aber  die  Negation  in  das 
erste  Glied  der  hypothetischen  Prämisse,  so  entspricht  dieser 
Fall  den  kategorischen  Schlüssen  der  nämlichen  Rguren  mit 
negativem  Subjectsbegriffe  im  Obersatze.  Eine  Form  dieser 
Schlüsse,  die  mit  der  dritten  und  vierten  Figur  der  kate- 
gorischen übereinkäme  (in  deren  Untersatze  der  Mittelbegriff 
Subject  ist),  gicbt  es  nicht,  weil  dem  Subjecte  der  kategorischen 
Urtheile  die  Bedingung  in  den  hypothetischen  entspricht,  diese 
aber  in  dem  Untersatze  fehlt,  in  welchem  an  die  Stelle  einer 
bedingten  Behauptung  die  kategorische  getreten  ist,  also  in 
demselben  der  den  Schluss  vermittelnde  Bestandtheil  fehlen 
würde. 

Das  Schema  des  modus  ponens  in  der  Grundform,  welche 
dem  Modus  Barbara  entspricht  und  genauer  (mit  Drobisch,  Log.  3.  A. 
§  94,  8.  A.  §  98)  modus  ponendo  ponens  genannt  werden  könnte,  ist: 
wenn  A  ist,  so  ist  B;  nun  ist  A;  also  ist  B.  Die  Formel  desselben 
lautet  bei  den  älteren  Logikern:  posita  conditione  ponatur  conditiona- 
tum.  Dem  Modus  Celarent  entspricht  der  modus  ponendo  toUens; 
wenn  A  ist,  so  ist  nicht  B;  nun  ist  A;  also  ist  nicht  B.  Diese  Modi 
gehen  in  Darii  und  Ferio  über,  wenn  der  Untersatz  lautet:  nun  ist 
bisweilen  oder  in  gewissen  Fällen  A,  und  demgemäss  der  Schlusssatz: 
also  ist  in  gewissen  Fällen  B,   oder:    ist  in  gewissen  Fällen  nicht  B. 


§  122.   Die  hypothetisch-kategorischen  Syllogismen.  405 

Lautet  der  Obersatz:  wenn  A  nicht  ist,  so  ist  B,  oder:  so  ist  nicht  B, 
und  der  Untersatz:  nun  ist  A  nicht,  so  folgt  vermöge  eines  modus 
toUendo  ponens  oder  tollende  tollens  das  Sein  oder  Nichtsein  von  B.  — 
Das  Schema  des  modus  tollens  in  der  Grundform,  welche  dem  Mo- 
dus Camestres  entspricht  und  genauer  modus  tollende  tollens  genannt 
werden  mag,  ist:  wenn  A  ist,  so  ist  B;  nun  ist  B  nicht;  also  ist  A  nicht. 
Die  Formel  desselben  lautet:  sublato  conditionato  toUatur  conditio. 
Dem  Modus  Cesare  entspricht  der  modus  ponendo  tollens :  wenn  A  ist, 
so  ist  nicht  B;  nun  ist  B;  also  ist  A  nicht.  Die  Modi  Baroco  und 
Festino  lassen  sich  hier  wieder  auf  analoge  Weise^  wie  oben  Darii  und 
Ferio  bilden;  auch  kann  durch  Aufnahme  der  Negation  in  das  erste 
Glied  des  hypothetischen  Obersatzes  ein  modus  tollendo  ponens:  wenn 
A  nicht  ist,  so  ist  B;  nun  ist  B  nicht;  also  ist  A,  und  ein  modus  po- 
nendo ponens:  wenn  A  nicht  ist,  so  ist  B  nicht;  nun  ist  B;  also  istA» 
gebildet  werden.  -^  Unberechtigt  wäre  der  Schluss  von  dem  Bedingten 
auf  die  Bedingung:  wenn  A  ist,  so  ist  B;  nun  ist  B;  also  ist  A  (wie 
auch  der  kategorische  Schluss  in  der  zweiten  Figur  aus  zwei  affirma- 
tiven Prämissen  falsch  ist) ;  denn  die  Sphäre  der  Fälle,  wo  B  ist,  kann 
weiter  sein,  als  die  Sphäre  der  Fälle,  wo  A  ist,  so  dass  B  auch  dann 
vorkommen  kann,  wenn  A  nicht  ist.  Aus  demselben  Grunde  ist  der 
Schluss  falsch:  wenn  A  ist,  so  ist  B;  nun  ist  A  nicht;  also  ist  B  nicht 
(wie  auch  ein  kategorischer  Schluss  in  der  ersten  Figur  mit  negativem 
Untersatze  ungültig  ist). 

Auch  hier  mögen  wieder  wegen  jener  durchgängigen  Analogie 
einige  wenige  Beispiele  genügen.  Böckh  schliesst  (in  seinen  Unter- 
suchungen über  das  kosmische  System  des  Plato,  1852)  gegen  Gruppe 
in  der  Gedankenform  des  modus  ponendo  ponens  (und  des  modus  po- 
nendo tollens)  nach  der  Weise  der  ersten  Figur  mit  Recht:  wenn 
Plato  im  Timäus  die  tägliche  Bewegung  des  Himmels  von  Osten  nach 
Westen  lehrt,  so  muss  er  die  tägliche  Axendrehung  der  Erde  von 
Westen  nach  Osten  aufheben  (so  kann  er  nicht  diese  Axendrehung  der 
Erde  lehren);  nun  aber  lehrt  er  jene;  also  muss  er  diese  aufheben 
(kann  er  nicht  diese  lehren).  Mit  gleichem  Rechte  schliesst  Böckh 
in  derselben  Schrift  gegen  Stallbaum  in  der  Gedankenform  des  modus 
tollendo  tollens  nach  der  Weise  der  zweiten  Figur:  wenn  Plato  die 
Drehung  der  Erde  um  die  Weltaxe  lehrte,  so  müsste  er  (da  die  letz- 
tere nur  die  Verlängerung  der  Erdaxe  ist)  auch  die  Drehung  der  Erde 
um  ihre  eigene  Axe  annehmen;  nun  aber  stellt  er  diese  Drehung  in 
Abrede;  also  verneint  er  zugleich  auch  jene. 

Die  Schlüsse  jener  Art  sind,  wiewohl  nur  die  eine  Prämisse  der- 
selben hypothetisch,  die  andere  aber  kategorisch  ist,  doch  von  alters 
her  vorzugsweise  als  hypothetische  Schlüsse  bezeichnet  und  erörtert 
worden.  Schon  die  älteren  Peripatetiker  (insbesondere  wohl 
Theophrast  und  Eudemus)  haben  die  Theorie  derselben  begründet.  Sie 
nennen  den  hypothetischen  Obersatz  ro  avvfifji^ivoVf  das  bedingende  Glied 
in  demselben  ro  iiyovfjievov,  das  bedingte  ro  inofjievov,  den  kategorischen 
Untersatz  fmaku^i^^   weil  derselbe  in   kategorischer  Fassung  wieder- 


406  §  128.   Disjunctive  Syllogismen. 

holt  oder  gleichsam  in  diese  Form  umsetzt,  waar  schon  im  hypothetischen 
Obersatze  als  Glied  enthalten  war,  den  Schlusssatz  endlich  auch  hier 
avfin^Qitafia.  —  Die  Stoiker  ändern  die  Terminologie,  ohne,  wie  es 
scheint,  die  Lehre  selbst  wesentlich  zu  fordern.  Sie  nennen  den  hy- 
pothetischen Obersatz  lo  tqotiixov  oder  überhaupt  als  Obersatz  Xrifj/ua, 
seine  Glieder  to  riyovfievov  und  ro  Xijyov,  den  kategorischen  Untersatz 
TTQoeXfjxptiy  den  Schlusssatz  endlich  auch  hier,  wie  überhaupt,  inttfOQci. 
S.  Philop.  ad  Anal.  pr.  f.  LX  A.  —  Boethius  (de  syllog.  hypoth. 
p.  614  sqq.)  giebt  eine  ausführliche  Aufzählung  der  hier  möglichen 
Formen.  —  Kant  (Log.  §  75)  hält  dafür,  dass  der  hypothetische  Schluss 
dieser  Art  eigentlich  kein  »Yernunftschlussc,  d.  h.  kein  mittelbarer, 
sondern  ein  unmittelbarer  Schluss  sei,  weil  er  nur  zwei  Termini  und 
keinen  Mittelbegriff  habe.  —  Doch  fällt  derselbe  in  der  That  nicht  unter 
den  Begriff  des  unmittelbaren,  sondern  des  mittelbaren  Schlusses,  weil 
der  Schlusssatz  nicht  aus  der  einen  Prämisse  allein,  sondern  aus  der 
Combination  beider  folgt;  auch  fehlt  nicht  dasjenige  Glied,  welches  . 
dem  Mittelbegriffe  des  kategorischen  Schlusses  entspricht,  sondern  das- 
jenige, welches  dem  ünterbegriffe  entsprechen  würde,  wesshalb  ja  auch 
zwar  die  erste  und  zweite,  aber  nicht  die  dritte  und  die  vierte  Figur 
hier  statthaben  kann.  —  Den  Parallelismus  der  Formen  dieser  Schlüsse 
mit  denen  der  kategorischen  haben  besonders  Beimarns  (Vernunftl. 
§  198),  Herbart  (Lehrb.  zur  Einl.  in  die  Phil.  §  64  ff.)  und  Drobisch 
(Log.  §  94;  98)  nachgewiesen.  Doch  glaubt  Her  hart  (a.  a.  0.)  mit 
Unrecht  auch  eine  ganz  analoge  Form  des  kategorischen  Schlusses  mit 
zwei  Terminis  aufstellen  zu  können:  A  ist  B;  nun  ist  A;  also  ist  B. 
Denn  das  kategorische  Urtheil  im  Unterschied  vom  hypothetischen 
schliesst  allerdings  die  Voraussetzung  der  Existenz  des  Subjectes  schon 
in  sich  ein,  und  zwar  wird,  wenn  der  Redende  dasselbe  im  eigenen 
Namen  ausspricht,  auch  diese  Existenz  gemäss  der  eigenen  Ansicht 
vorausgesetzt,  wenn  aber  im  Sinne  eines  Anderen  oder  im  Anschluss 
an  einen  Gedankenkreis,  der  auf  eine  fingirte  Wirklichkeit  geht,  wiederum 
in  diesem  nämlichen  Sinne.  Vgl.  oben  zu  §  85,  S.  287.  Wird  aber  im 
Untersatze  die  Existenzweise  des  Subjectes  näher  bestimmt  (z.  B.  nun 
aber  hat  A  nicht  eine  mythologische,  sondern  eine  reale  Existenz),  um 
im  Schlusssatze  die  nämliche  Existenz  auch  dem  Prädicate  zu  vindi- 
ciren,  oder  geht  das  Präsens  im  Untersatze  und  demgemäss  auch  im 
Schlusssatze  etwa  auf  die  Gegenwart  des  Urtheilenden,  so  sind  nicht 
mehr  bloss  zwei  Termini  gegeben,  da  in  der  Bestimmung  der  Existenz- 
weise oder  der  Zeit  der  dritte  Terminus  liegft. 

§  123.  Alle  Formen  der  coordinirt  zusamiaenge- 
setzten  Urtheile  können  als  Prämissen  in  Schlüsse  eingehen, 
wobei  wiederum  die  nämlichen  Figuren,  wie  bei  den  einfachen 
kategorischen  Schlüssen,  zu  unterscheiden  sind.  Ihre  Gültig- 
keit lässt  sich  durch  Zurttckführung  auf  die  entsprechenden 
einfachen  Schlüsse  darthun.    Das  Gleiche  gilt  von  denjenigen 


§  123.   DiBJunctive  Syllogismen.  407 

Urtheilen,  worin  mehrere  dem  Hauptsätze  sabordinirte  Be- 
Btandtheile  einander  coordinirt  sind,  so  wie  überhaupt  von 
denjenigen,  worin  die  Verhältnisse  der  Urtheils-Coordi- 
nation  und  Subordination  irgendwie  mit  einander  ver- 
bunden sind.  Besonders  sind  als  vermischte  Schlüsse 
die  kategorisch -disjunctiven  und  die  hypothetisch- 
disjunctiven  SchlUssis  hervorzuheben,  und  unter  denselben 
wiederum  die  disjunctiven  Schlüsse  im  engeren  Sinne 
oder  der  Schluss  auf  die  Gültigkeit  eines  bestimmten  Gliedes 
durch  Ausschluss  aller  übrigen  (modus  toUendo  ponens)  und 
der  Schluss  auf  die  Ungültigkeit  der  übrigen  durch  den  Nach- 
weis der  Gültigkeit  eines  bestimmten  Gliedes  (modus  ponendo 
tollens);  ferner  als  hypothetische  Schlüsse  der  ersten  und 
besonders  der  zweiten  Figur  aus  einer  conjunctiven  (copula- 
tiven  oder  remotiven)  und  einer  disjunctiven  Prämisse  das 
Dilemma,  Trilemma,  Polylemma  (oder  der  sogenannte 
Syllogismus  cornutus,  complexio),  worin  gezeigt  wird,  dass, 
welches  von  den  Gliedern  der  Disjunction  auch  gelten  möge, 
doch  immer  der  gleiche  Schlusssatz  sich  ergebe  (oder  dass 
der  Gegner,  welche  der  verschiedenen  Möglichkeiten  er  auch 
wählen  möge,  sich  doch  jedenfalls  dem  nämlichen  Schlusssatze 
gleichsam  gefangen  geben  müsse).  Diejenigen  Dilemmata 
etc.,  welche  sich  gegen  den,  der  sie  au&tellt,  zurückwenden 
oder  zum  Beweise  des  Gegentheils  anwenden  lassen  {diXrj/n^a 
awioTQOipov^  reciprocum)  müssen  nothwendig  entweder  schon 
hinsichtlich  der  Prämissen  oder  auch  hinsichtlich  der  Form 
des  Schliessens  irgend  einen  Fehler  enthalten,  der  im  letzteren 
Falle  gewöhnlich  in  der  Identificirung  von  zwei  verschiedenen, 
wiewohl  in  dieselben  Worte  zu  fassenden  Schlusssätzen  besteht. 

Disjunotive  Sohlüsse  im  weiteren  Sinne  können  in  allen  Fi- 
guren gebildet  werden.  Ein  disjunctiver  SchloBs  der  ersten  Figur 
kann  die  Form  haben:  M  ist  entweder  Pj  oder  P,  etc.;  S  ist  M;  also 
ist  S  entweder  P^  oder  P,  etc.  Ein  disjunctiver  Schluss  der  zweiten 
Figur  ist  folgender:  P  ist  entweder  M,  oder  M^  etc.;  S  ist  nicht  ent- 
weder M]  oder  M,  etc.  (S  ist  weder  M]  noch  M9  etc.);  S  ist  nicht  P. 
Ein  disjunctiver  Schluss  der  dritten  Figur  ist:  M  ist  entweder  Pj 
oder  P]  etc.;  M  ist  S;  also  ist  einiges  S  entweder  Pi  oder  P,  etc.  In 
der  vierten  Figur  wird  disjunctiv  geschlossen,  wenn  aus  den  oben 
angegebenen  Prämissen  der  ersten  Figur  der  Schlusssatz  abgeleitet 
wird:    also  ist  (mindestens)  einiges,  was  entweder  Pi  oder  P,  etc.  ist, 


408  §  123.   Disjnnctive  Syllogismen. 

auch  S  (oder,  um  bei  der  regelmäsBigen  Bezeichnung  zu  bleiben:  P  ist 
M;  M  ist  entweder  Sj  oder  83  etc.;  also  ist  einiges,  was  entweder  S^ 
oder  Sg  etc.  ist,  auch  P).  Vorzugsweise  aber  werden  diejenigen  Schlüsse 
disjunctiv  genannt,  welche  eine  dei« beiden  folgenden  Formen  haben : 
A  ist  entweder  B  oder  C;  nun  ist  A  B;  also  ist  A  nicht  C;  —  oder: 
nun  ist  A  nicht  B;  also  ist  A  C;  —  oder  welche  eine  der  analogen 
Formen  haben,  die  bei  mehr  als  zwei  Gliedern  der  Disjunction  sich 
bilden  lassen.  Die  disjunctiven  Schlüsse  dieser  Art  kommen  im  We- 
sentlichen mit  den  im  vorigen  Paragraphen  erörterten  hypothetischen 
Schlüssen  überein,  da  der  disjunctive  Obersatz  nur  die  Zusammenfas- 
sung der  folgenden  hypothetischen  ürtheile  ist:  wenn  A  B  ist,  so  ist 
es  nicht  C,  und  so  auch,  wenn  C,  nicht  B ;  wenn  A  nicht  B  ist,  so  ist 
es  C,  und  so  auch,  wenn  nicht  C,  dann  B.  —  Der  modus  ponendo 
tollens  folgt  dem  Schema  der  ersten  Figur;  der  modus  toUendo 
ponens  kann  sowohl  auf  die  erste,  als  auch  auf  die  zweite  Figur 
zurückgeführt  werden;  die  dritte  und  vierte  Figur  aber  kann  hier 
aus  demselben  Grunde,  wie  bei  jenen  hypothetischen  Schlüssen,  nicht 
zur  Anwendung  kommen. 

Das  Dilemma  im  engeren  und  eigentlichen  Sinne  ist  ein  Schluss 
der  zweiten  Figur  mit  einer  hypothetisch-disjunctiven  Prämisse  (die 
bald  Obersatz,  bald  Untersatz  ist)  und  einer  remotiven;  im  weiteren 
Sinne  wird  demselben  auch  der  Schluss  mit  einer  kategorisch- disjunc- 
tiven Prämisse  und  der  Schluss  der  ersten  Figur  mit  einer  disjunc- 
tiven und  einer  copulativen  oder  remotiven  Prämisse  zugerechnet.  Das 
Gleiche  gilt  von  dem  Trilemma,  Tetralemma  und  Polylemma.  Die  For- 
men des  Dilemma  sind  in  der  zweiten  Figur  bei  kategorischen 
Prämissen:  A  ist  entweder  B  oder  C;  D  ist  weder  B  noch  C;  D  ist 
nicht  A.  Ferner:  A  ist  weder  B  noch  C;  D  ist  entweder  B  oder  C; 
D  ist  nicht  A.  Bei  hypothetischen  Prämissen:  wenn  A  ist,  so  ist 
entweder  B  oder  C;  wenn  D  ist,  so  ist  weder  B  noch  G;  oder  auch: 
nun  ist  aber  weder  B  noch  C;  also  wenn  D  ist,  so  ist  nicht  A;  oder: 
also  ist  A  nicht.  Femer:  wenn  A  ist,  so  ist  weder  B  noch  C;  wenn 
D  ist,  so  ist  entweder  B  oder  G;  oder  auch:  nun  ist  aber  entweder  B 
oder  G;  also  wenn  D  ist,  so  ist  A  nicht;  oder:  also  ist  A  nicht.  Als 
Dilemma  kann  auch  der  Schluss  in  der  ersten  Figur  angesehen  wer- 
den, dessen  Obersatz  conjunctiv  ist,  nämlich  entweder  copulativ:  so- 
wohl A,  als  B  ist  G,  und  in  hypothetischer  Form :  sowohl  wenn  A,  als 
wenn  B  ist,  ist  G,  oder  remotiv :  weder  A,  noch  B  ist  G,  und  hypothe- 
tisch: weder  wenn  A,  noch  wenn  B  ist,  ist  G;  und  dessen  Untersatz 
disjunctiv  ist:  D  ist  entweder  A  oder  B,  und  in  hypothetischer  Form: 
wenn  D  ist,  so  ist  entweder  A  oder  B;  oder  auch:  nun  ist  aber  ent- 
weder A  oder  B;  woraus  der  Schlusssatz  nach  den  Modis  Barbara 
und  Gelarent  zu  ziehen  ist.  Doch  sind  diese  Schlüsse  der  ersten  Figur 
sowohl  in  den  kategorischen,  als  auch  in  den  hypothetischen  Formen 
jedenfalls  als  Inductionsschlüsse  zu  bezeichnen;  sie  müssen  also, 
wenn  sie  auch  Dilemmata  genannt  werden  sollen,  zugleich  unter  diese 
beiden  logischen  Begrriffe  subsumirt  werden,  deren  Sphären  demzufolge 


§  123.   Disjunctive  Syllogismen.  409 

partiell  ooinoidiren.  Dieses  Yerhältniss  müsste  nun  allerdings  vermie- 
den werden,  wenn  hier  die  Ausbildung  der  Terminologie  rein  nach 
wissenschaftlichen  Gesichtspunkten  erfolgen  konnte ;  der  Name  Düemma 
ist  aber  in  der  Ueberlieferung  untrennbar  auch  an  gewisse  Beispiele 
geknüpft,  welche  sich  auf  naturgemässe  Weise  nur  in  den  hypothe- 
tischen Formen  der  ersten  Figur  darstellen  lassen,  wesshalb  jene  Incon- 
venienz  getragen  werden  mag.  Die  neueren  Logiker  schwanken  zwi- 
schen beschränkteren  und  weiteren  Bestimmungen  des  Terminus,  indem 
z.  B.  Herbart  (Lehrb.  §  69)  denselben  auf  die  zweite  Figur  beschränkt, 
aber  sowohl  kategorische,  als  hypothetische  Schlüsse  damit  bezeichnet, 
T Westen  (Log.  §  160)  nur  Schlüsse  in  hypothetischer  Form  Dilemmata 
nennt,  aber  auch  einen  hypothetischen  Schluss  der  ersten  Figur  mit 
negativem  Ober-  und  Schlusssatze  (der  der  Analogie  des  Modus  Gesare 
folgt,  von  Twesten  aber  im  Anschluss  an  Lambert  Diprese  genannt 
wird)  zu  denselben  rechnet,  Drobisch  (Log.  2.  A.  §  97,  8.  u.4.  A.  §  101) 
nur  hypothetische  Schlüsse,  darunter  aber  sowohl  positive  als  negative 
der  ersten  Figur  als  Dilemmata  bezeichnet,  und  Andere  wiederum  an- 
ders verfahren.  —  Das  Dilemma,  Trilemma  etc.  ist  im  wissenschaftlichen 
Gebrauche  eine  vollberechtigte  Form  der  Erkenntniss ;  seiner  logischen 
Bedeutung  thut  es  keinen  Eintrag,  dass  es  von  alters  her  vorwiegend 
zu  rhetorischen  Zwecken  oder  auch  zu  blossen  Spielen  des  Witzes  ver- 
wandt worden  ist.  Ein  Beispiel  des  wissenschaftlichen  Ge- 
brauches liegt  in  dem  mathematischen  Schlüsse,  der  bei  Parallelo- 
grammen von  gleicher  Höhe,  aber  ungleichen  und  zwar  inoommensura- 
beln  Grundlinien  gilt:  wenn  sich  der  Inhalt  des  ersten  zum  Inhalt  des 
zweiten  nicht  verhielte,  wie  die  Grundlinie  des  ersten  zur  Grundlinie 
des  zweiten,  so  müsste  er  sich  dazu  entweder  verhalten,  wie  die  Grund- 
linie des  ersten  zu  einer  Linie,  die  grösser  wäre,  als  die  Grundlinie 
des  zweiten  oder  wie  dieselbe  zu  einer  Linie,  die  kleiner  wäre,  als  die 
Grundlinie  des  zweiten;  nun  aber  besteht  nachweislich  weder  die  eine, 
noch  die  andere  Proportion;  folglich  muss  das  Inhaltsverhältniss  dem 
Yerhältniss  der  Grundlinien  gleich  sein.  Ebenso  ist  ein  wissenschaft- 
lich berechtigtes  Trilemma  das  Fundament  des  Leibnizischen  Optimis- 
mus: wäre  die  wirklich  existirende  Welt  nicht  die  beste  unter  allen 
möglichen  Welten,  so  hätte  Gott  die  beste  entweder  nicht  gekannt  oder 
nicht  hervorbringen  und  erhalten  können,  oder  nicht  hervorbringen 
und  erhalten  wollen;  nun  aber  ist  (in  Folge  der  göttlichen  Weis- 
heit, Allmacht  und  Güte)  weder  das  Erste,  noch  das  Zweite,  noch  das 
Dritte  wahr;  also  ist  die  wirkliche  Welt  die  beste  unter  allen  möglichen 
Welten. 

ursprünglich  sind  die  disjunctiven  Schlüsse  unter  den  Begriff 
der  hypothetischen  als  eine  Species  subsumirt  worden.  Alexander 
von  Aphrodisias  sagt  (ad  Arist.  Anal.  pri.  f.  183  B):  f^  vrrod-^aeatg  yicQ 
xal  ol  (T/ctr^frixol,  di  xal  avrol  h  rote  xttTct  fAnalri\J/iy  i$  VTrod-äaetos, 
Philo ponus  unterscheidet  (ad  Anal.  pri.  f.  LX  B),  wo  er  über  die  Theorie 
der  älteren  Peripatetiker  und  Stoiker  berichtet,  bei  denjenigen  hypo- 
thetischen Syllogrismen,  deren  Schlusssatz  ein  kategorische«  Urtheil  ist 


410  §  123.  Disjunctiye  Syllogismen. 

(und  die  also  den  Gegensatz  zu  den  Ji'  olov  oder  ^ta  rguiv  vnod-ixixot 
bilden),  wiederum  die  axokov&la  und  die  StaCev^ig,  Boethius  (de  syll. 
hypoth.  p.  607)  führt  auf  £udemus  folgende  Eintheilung  der  hypo- 
thetischen Syllogismen  zurück:  >aut  tale  acquiritur  aliquid  per  quandam 
inter  se  oonsentientium  conditionem,  quod  fieri  nuUo  modo  possit,  ut 
ad  suum  terminum  ratio  perducatur  (die  apagogische  Schlussweise), 
aut  in  conditione  posita  oonsequentia  vi  coniunctionis  (das  awtiju/nivov 
oder  die  axoXov&^a)  vel  disiunctionis  (die  ^laCeu^ts)  ostenditurc.  Ob  aber 
auch  schon  die  älteren  Peripatetiker  und  ob  insbesondere  Theophrast 
und  Eudemus  in  ähnlicher  Weise,  wie  später  die  Stoiker,  fünf  Grund- 
formen der  zu  einem  kategorischen  Schlusssatze  führenden  •  hypothe- 
tischen c  Syllogismen  aufgestellt  haben  (wie  Prantl  annimmt,  Gesch.  der 
Log.  I,  S.  379  f.;  885  ff.;  vgl.  S.  473  ff.),  ist  sehr  zweifelhaft.  —  Der 
Stoiker  Chrysippus  stellte  (nach  Sezt.  Emp.  adv.  math.  YIII,  228; 
cf.  hyp.  Pyrrh.  II,  157  sqq.)  an  die  Spitze  seiner  Syllogistik  fünf  avlXo' 
yiofiol  avanodetxToi,  Von  diesen  kommen  die  zwei  ersten  mit  dem 
modus  ponens  und  toUens  der  aus  einer  hypothetischen  und  einer  kate- 
gorischen Prämisse  gebildeten  Schlüsse  überein :  wenn  das  Erste  ist,  so 
ist  das  Zweite;  nun  aber  ist  das  Erste;  also  ist  das  Zweite;  —  und: 
nun  aber  ist  nicht  das  Zweite;  also  ist  auch  nicht  das  Erste.  —  Der 
dritte  dieser  Syllogismen  hat  einen  conjunctiven  Obersatz  von  negativer 
Form:  es  ist  nicht  zugleich  das  Erste  und  das  Zweite;  woraus  nur 
vermittelst  einer  affirmativen  (aber  nicht  auch  vermittelst  einer  nega- 
tiven) nQoslrjiffis  ein  Schluss  gebildet  werden  kann,  nämlidi:  nun  aber 
ist  das  Erste;  also  ist  nicht  das  Zweite.  Der  vierte  und  der  fünfte 
Schluss  beruhen  auf  einem  disjunotiven  Obersatze:  entweder  ist  das 
Erste  oder  das  Zweite;  woraus  in  doppelter  Weise,  nämlich  sowohl 
mittelst  einer  affirmativen,  als  auch  mittelst  einer  negativen  nQoskriifug 
ein  Schlusssatz  abgeleitet  werden  kann,  nämlich:  nun  aber  ist  das  Erste; 
also  ist  nicht  das  Zweite;  —  oder:  nun  aber  ist  nicht  das  Zweite;  also 
ist  das  Erste.  —  Das  Dilemma  ¥rird  zuerst  von  den  Bhetoren  er- 
örtert. Cicero  sagt  (de  invent.  I,  29,  45):  complexio  est,  in  qua 
utrum  concesseris,  reprehenditur.  Quintilian  lehrt  (inst.  Y,  10,  69): 
fit  etiam  ex  duobus,  quorum  necesse  est  alterutrum,  eligendi  adver- 
sario  potestas,  efficiturque,  ut,  utrum  elegerit,  noceat.  Den  Terminus 
StXrififjiatov  ax^ifia  hat  u.  A.  der  Bhetor  Hermogenes  (de  inv.  lY,  6; 
vgl.  Anon.  prolegom.  ad  Hermog.  lY,  p.  14:  dtXriufiatov  6k  ^x^fia  iari 
Xoyog  ix  6vo  ngordaetov  ivavtioiv  t6  auro  Tiigag  avvaytov).  Die  über- 
lieferten Beispiele  von  rhetorisch-sophistischen  Dilemmen  sind  insbeson-^ 
dere  die  Anekdote  von  Korax  und  Tisias  in  Betreff  des  Unterrichts  in 
der  Kunst  der  Ueberredung  (Anon.  prolegom.  ad  Hermog.  lY,  p.  14: 
(o  KoQit^y  xC  inrjyytUü)  Maaxetv;  —  ro  mC&Biv  ov  av  ^ilrfg'  —  €i  fikv 
t6  nsid^HV  fi€  i^fda^ag,  fSov  li^C^m  as  firiShv  XafißavHV  ei  6k  ro  ntl&eiv 
fiB  ovx  iöiSit^agj  xal  ourtog  ov6iv  (foi  naqix^t  Ineidii  ovx  i6i6a^g  fie 
t6  Ttti&fiv)',  die  ähnliche  Anekdote  von  Protagoras  und  Euathlus  in 
Betreff  des  von  diesem  an  jenen  nach  dem  ersten  gewonnenen  Prooesse 
zu  zahlenden  Honorars  (Schol.  ad  Hermog.  p.  180  ed.  Walz;   Gell.  Y, 


§  128.   Disjunctive  Syllogismen.  411 

10);  der  Fangschlass  des  Krokodils  mit  der  Entgegnung  des  Vaters 
oder  der  Mutter  des  geraubten  Kindes,  o  xQoxo^fiUrTjg  oder  6  anoQog 
genannt  (Diog.  Laert.  VII,  44,  82 ;  Lucian.  B{(ov  nQaa,  22 ;  in  anderer 
Wendung,  indem  statt  des  Krokodils  Räuber  der  Tochter  eines  Wahr- 
sagers genannt  werden,  Schol.  ad  Hermog.  p.  154;  170);  das  Dilemma 
des  Bias:  ü  xaXriv^  isUig  xoivriv'  tt  tfk  aiaxQav,  %li6tg  noiviiv  (Gell.  Y,  11; 
cf.  IX,  16,  5)|  Aehnlich  ist  auch  der  schon  oben  (zu  §  77,  S.  243)  er- 
wähnte iltfvdojuevog.  —  Die  Lösung  derjenigen  unter  diesen  Dilemmen, 
welche  avrtaTQ^ffofia  sind,  beruht  auf  der  Zerlegung  des  scheinbar  ein- 
fachen Schlusssatzes  in  die  beiden  Elemente,  die  er  enthält.  In  dem 
Prooesse  des  Protagoras  und  Euathlus  musste  (wie  auch  Bachmann, 
System  der  Log.  S.  248,  und  Beneke,  System  der  Log.  II,  S.  140  rich- 
tig bemerken)  in  zwei  verschiedenen  Verhandlungen  ein  verschiedener 
Spruch  grefällt  werden.  Zunächst  war  die  Bedingung  des  Vertrages 
noch  nicht  eingetreten:  Euathlus  hatte  bis  dahin  noch  keinen  Process 
gewonnen,  war  also  noch  nicht  zur  Bezahlung  verpflichtet.  Er  musste 
also  diesen  Process  gewinnen.  Aber  eben  hierdurch  veränderte  sich 
die  Sachlage,  und  es  musste  dem  Protagoras  das  Recht  gewährt  wer- 
den, auf  Grund  des  veränderten  Verhältnisses  eine  zweite  Klage 
anhängig  zu  machen,  die  nunmehr  zu  seinem  Vortheil  entschieden  wer- 
den musste.  Dass  aber  Fälle  eintreten  können,  wo  die  logische  Unter- 
scheidung sich  sachlich  nicht  vollziehen  lässt  (wie  z.  B.  in  der  Kroko- 
dilanekdote die  Tödtung  des  geraubten  Kindes  jede  zweite  Verhandlung 
überflüssig  machen  würde),  ist  unbedenklich  zuzugeben;  denn  ist  die 
Absurdität  einmal  in  die  Prämissen  hineingelegt,  so  muss  sie  wohl  in 
dem  Schlttsssatze  zu  Tage  treten.  —  Boethius  rechnet  ebenso,  wie  die 
früheren  Logiker,  die  disjunctiven  Urtheile  und  Schlüsse  zu  den  hypo- 
thetischen: fiunt  vero  propositiones  hypotheticae  etiam  per  dis- 
iunctionem  ita:  aut  hoc  est,  aut  illud  est;  —  omnis  igitur  hypo- 
thetica  propositio  vel  per  connexionem  (per  connexionem  vero 
illum  quoquemodum,  qui  per  negationem  fit,  esse  pronuntio),  vel  per 
disiunctionem  (de  syll.  hypoth.  p.  608).  Diese  beiden  Formen  oder 
die  sämmtlichen  hypothetischen  oder  conditionalen  Urtheile  und  Schlüsse 
im  weiteren  Sinne  stellt  Boethius  als  die  zusammengesetzten  den  ka- 
tegorischen oder  prädicativen  als  den  einfachen  gegenüber:  praedicativa 
Simplex  est  propositio:  conditionalis  vero  esse  non  poterit,  nisi  ex 
praedicativis  propositionibus  coniungatur;  —  acdesimplicibus 
quidem,  i.  e.  de  praedicativis  syllogismis  duobus  libellis  explicuimus; 
—  non  simplices  vero  syllogismi  sunt,  qui  hypothetici  dicuntur,  quos 
Latino  nomine  conditionales  vocamus;  —  necesse  est,  categorioos  syllo- 
gismos  hypotheticis  vim  conclusionis  ministrare  (ib.  p.  607).  —  Die 
späteren  Logiker  pflegen  zwar  die  disjunctiven  Urtheile  und  Schlüsse 
den  hypothetischen,  indem  sie  diese  im  engeren  Sinne  verstehen,  zu 
coordiniren,  beide  aber  (mit  Boethius)  unter  den  Begriff  der  nicht 
einfachen  oder  zusammengesetzten  zu  subsumiren  und  so  den  katego- 
rischen als  den  einfachen  und  primitiven  gegenüberzustellen.  Diese 
Weise   herrscht   in  der   Gartesianischen   und  auch   in  der  Leib* 


412  §  128.    Disjunctive  Syllogismen. 

ni zischen  Schule.  So  theilt  insbesondere  die  öfter  erwähnte  Logiqae 
ou  Part  de  penser  (pari.  III,  chap.  II)  die  Syllogismen  in  ein- 
fache (simples)  und  zusammengesetzte  (conjonctifs)  ein,  jene,  wie  oben 
(zu  §  120,  S.  397)  angegeben  worden  ist,  in  incomplexes  und  com- 
plexes,  diese  aber  (chap.  XII)  in  conditionnels,  disjonctifs  und  copu- 
latifs.  Die  einzelnen  Formen  kommen  im  Wesentlichen  mit  den  fünf 
avXXoyiofiol  avanoJmerot  des  Chrysippus  (s.  o.  S.  410)  überein.  —  Wolff 
sagt  (Log.  §  408):  Syllogismus  compositus  est,  cuins  vel  una,  vel  utra- 
que  praemissa  non  est  propositio  categorica ;  er  rechnet  hierher  (§  404) 
den  hypothetischen  (syllogismus  hypotheticus,  conditionalis,  connexus) 
und  (§  416)  den  disjunctiven  Syllogismus  (syllogismus  disiunctivus). 
Leibniz  selbst  subsumirt  nach  der  Weise  der  Peripatetiker  die  disjunc- 
tiven Schlüsse  unter  die  hypothetischen  (Nouveaux  Essais  sur  l'entend. 
humain,  IV,  17,  S.  895  in  Erdmann's  Ausg.  der  philos.  Werke  L.'s) 
Kant  (Log.  §  60;  vgl.  Krit.  d.  r.  Vern.  Elementarl.  §  9  und  §  19) 
hat  zuerst  den  kategorischen,  hypothetischen  und  disjunctiven  Syllo- 
gismus als  drei  coordinirte  Arten  aufgezählt,  die  er,  wie  schon 
die  entsprechenden  Urtheile,  auf  drei  vermeintlich  ursprüngliche  und 
unableitbare  Yerstandesbegriffe,  nämlich  auf  die  drei  Kategorien  der 
Relation:  Substantialität,  Causalität  und  Gemeinschaft  oder  Wechsel- 
wirkung, zurückführt ;  er  verwirft  die  Ansicht,  dass  nur  die  kategori- 
schen Vernunftschlüsse  ordentliche,  die  übrigen  hingegen  ausserordent- 
liche seien;  denn  alle  drei  Arten  seien  Producte  gleich  richtiger,  aber 
von  einander  gleich  wesentlich  verschiedener  Functionen  der  Vernunft. 
Diese  Eintheilung  leidet  an  denselben  Mängeln,  wie  die  entsprechende 
Eintheilung  der  Urtheile  (s.  o.  zu  §  68,  S.  200);  doch  verneint  Kant 
mit  Recht  das  Zusammengesetztsein  jener  Schlüsse. 

Neuerdings  hat  Sigwart  wieder  in  s.  Logik  Bd.  1.  Th.  2  Abschn.  8. 
§  58  8.416  ff.  behauptet,  der  disjunctive  Schluss  beruhe  auf  keinem 
eigenthümlicben  Principe  und  es  sei  nicht  gerechtfertigt,  ihn  als  be- 
sondere Schlussweise  aufzustellen.  Er  begründet  diese  Ansicht  daselbst 
also:  „das  disjunctive  Urtheil  sagt  ja  nur  einmal,  dass  seine  Glieder 
sich  ausschliessen,  also  die  Bejahung  des  einen  die  Verneinung  der 
übrigen  nothwendig  macht;  d.  h.  der  modus  ponendo  toUens  ist  ein 
Schluss  aus  dem  hypothetischen  Urtheile,  das  in  der  Disjunction  liegt: 
Wenn  A  B  ist,  ist  es  nicht  C  (weder  G  noch  D);  zum  zweiten,  dass 
die  Verneinung  aller  Glieder  bis  auf  eines  dieses  zu  bejahen  nothwen- 
dig macht,  d.  h.  der  Modus  tollende  ponens  ist  ein  Schluss  aus  dem 
hypothetischen  Urth9ile:  Wenn  A  nicht  B  ist,  so  ist  es  C;  das  Princip, 
nach  dem  geschlossen  wird,  ist  also  durchaus  das  des  hjrpothetischen 
Schlusses.  Die  Wichtigkeit  des  disjunctiven  Urtheils  beruht  eben  darin, 
dass  es  diese  doppelte Nothwendigkeit  ausspricht;  der  Unterschied  des  dis- 
junctiven Schlusses  vom  hypothetischen  aber  ist  nur  ein  grammatischer,  c 

Die  Bemerkung  Lotze's,  Syst.  d.  Philos.  Bd.  1  Logik,  S.  121, 
dass  gewissermassen  das  disjunctive  Urtheil  die  Aufgabe  stelle,  welche 
der  Schluss  losen  soll,  hat  neuerdings  Wundt  in  s.  Logik  a.  a.  0. 
S.  277  wohl  nicht  mit  Recht  so  aufgefasst,  als  solle  damit  das  disjunc- 


§  124.  Die  Schlusskette.  413 

tiye  ürtheil  als  die  Grandform  betrachtet  sein,  auf  welche  alle  Schlüsse 
zurückzuführen  seien.  Wundt  widerlegt  dann  diese  angenommene 
Ansicht  ebenso  wie  die  Ansicht  Sigwart's  in  Betreff  des  hypothetischen 
Schlusses.  Wie  man  jedes  ürtheil,  wenn  man  wolle,  in  ein  hypothe- 
tisches Gewand  kleiden  könne,  so  lasse  sich  ihm  nöthigenfalls  auch  eine 
disjunctive  Form  geben.  Für  solche  Fälle  nun,  wo  eine  derartige 
Gliederung  von  Werth  sei,  stehe  es  immer  frei,  sich  des  disjunctiven 
ürtheils  zu  bedienen.  Aber  ebenso  gewiss  würde  es  in  zahllosen  andern 
Fällen  den  thatsächlichen  Zwecken  des  Denkens  zuwiderlaufen,  wenn 
man  alle  Schlüsse  nach  dem  Schema  der  disjunctiven  Gliederung  der 
Begriffe  uniformiren  wollte.  Die  schlimmste  Methode  der  Fehler  des 
Aristotelischen  Subsumtionsschlusses  zu  verbessern  wäre  die,  wenn 
man  irgend  eine  andere,  ebenfalls  für  specielle  Zwecke  angemessene 
Schlussform  in  ähnlicher  Weise  zur  allgemeingültigen  machen  wollte. 
Jedenfalls  will  also  Wundt  auch  dem  disjunctiven  Schluss  seine  be- 
dingte Berechtigung  lassen. 

§  124.  Zusammengesetzte  Schlüsse  sind  Verbin- 
düngen  von  einfachen  Schlüssen  mittelst  gemeinsamer  Glie- 
der, wodurch  ein  Endurtheil  (mittelbar)  aus  mehr  als  zwei 
gegebenen  Urtheilen  abgeleitet  wird.  Die  einzelnen  Glieder 
des  zusammengesetzten  Schlusses  sind  entweder  vollständig 
oder  unvollständig  ausgedrückt.  Im  ersten  Fall  entsteht  die 
Schlusskette  (syllogismus  concatenatus,  catena  syllogismo- 
rum,  polysyllogismus).  Diese  ist  eine  Reihe  von  Schlüssen, 
welphe  so  mit  einander  verbunden  sind,  dass  der  Schlusssatz 
des  einen  eine  Prämisse  des  anderen  ausmacht.  Derjenige 
Schluss,  in  welchem  der  gemeinsame  Satz  Schlusssatz  ist,  heisst 
Prosyllogismus  (Verschluss),  und  derjenige,  worin  er  Prä- 
misse ist,  Episyllogismus  (Nachschluss).  Der  Fortgang 
vom  Prosyllogismus  zum  Episyllogismus  (a  principiis  ad  prin- 
cipiata)  heisst  episyllogistisch  oder  progressiv  oder 
synthetisch,  und  der  Fortgang  vom  Episyllogismus  zum 
Prosyllogismus  (a  principiatis  adprincipia)  prosyllogistisch 
oder  regressiv  oder  auch  analytisch. 

So  schliesst  z.  B.  Boethius  (de  consol.  philos.  IV,  pr.  YII)  epi- 
syllogistisch oder  progressiv,  indem  er  zuerst  den  Syllogismus 
bildet:  was  fordert  (prodest),  ist  gut;  was  übt  oder  bessert,  fördert; 
also  was  übt  oder  bessert,  ist  gut,  —  und  darnach  den  gewonnenen 
Schlusssatz  als  Prämisse  (und  zwar  Obersatz)  eines  neuen 
Syllogismus  benutzend,  fortfährt:  das  Missgesohick,  welches  den 
Guten  trifft,  dient  ihm  entweder  (wenn  er  ein  Weiser  ist)  zur  Uebung, 
oder  (wenn   er   ein  Fortschreitender  ist)  zur  Besserung;   woraus  folgt, 


414  §  124.   Die  Sohlussketie. 

dass  das  Missgeschiok,  welches  den  Guten  trifft,  gut  ist.  —  In  dem 
grösseren  mathematischen  Beispiel  zu  §  110  (S.  362  ff.)  dient  der 
Schlusssatz  von  1.  als  Untersatz  in  8.,  der  Schlusssatz  von  8.  als 
Untersatz  in  4.  und  so  öfter;  also  ist  in  Bezug  hierauf  der  Beweis- 
gang progressiv.  Episyllogistisch  oder  progressiv  ist  die 
Schlusskette:  Wenn  es  ein  die  Bewegung  der  Planeten  hemmendes 
Medium  giebt,  so  kann  die  Bahn  der  £rde  keine  constante  noch  auch 
periodische  sein,  sondern  muss  eine  immer  kleinere  geworden  sein  (und 
werden):  wenn  dies  ist,  so  kann  das  Bestehen  von  Organismen  auf  der 
Erde  kein  ewiges  (bleiben,  noch)  gewesen  sein ;  also,  wenn  es  jenes  Me- 
dium giebt,  so  müssen  Organismen  irgend  einmal  auf  der  Erde  zuerst 
entstanden  sein  (und  irgend  einmal  sämmtlich  untergehen).  Wenn  Or- 
ganismen auf  der  Erde  irgend  einmal  zuerst  entstanden  sind,  so  müs- 
sen sie  aus  unorganischen  Stoffen  hervorgegangen  sein ;  wenn  sie  dies 
sind,  so  hat  es  eine  Urzeugung  (generatio  aequivoca)  gegeben;  also 
wenn  es  ein  hemmendes  Medium  giebt,  so  hat  es  eine  Urzeugung  ge- 
geben. —  Prosyllogistisch  oder  regressiv  schliesst  Cato  bei 
Cicero  (de  fin.  III,  8,  27),  wo  der  Syllogismus:  quod  est  bonum,  omne 
laudabile  est;  quod  autem  laudabile  est,  omne  honestum  est;  bonum 
igitur  quod  est,  honestum  est,  durch  einen  nachträglichen  Beweis 
einer  Prämisse  (und  zwar  des  Untersatzes:  quod  est  bonum, 
omne  laudabile  est)  unterstützt  wird.  —  Auch  dann  wird  prosyllo- 
gistisch  oder  regressiv  geschlossen,  wenn  der  Obersatz  nach- 
träglich erwiesen  wird;  diesen  Gang  pflegt  im  Grossen  und  Ganzen 
die  historische  Entwickelung  der  Wissenschaften  selbst  zu  nehmen, 
indem  zuerst  gewisse  allgemeine  Sätze  (wie  z.  B.  die  Kepler'schen  Re- 
geln) gefunden  werden,  unter  welche  sich  die  einzelnen  Thatsachen  in 
syllogistischer  Weise  subsumiren  lassen,  später  aber  die  obersten  Prin- 
cipien  (wie  z.  B.  das  Newton'sohe  Gravitationsgesetz),  von  welchen  jene 
allgemeinen  Sätze  nothwendige  Folgen  sind,  und  der  gleiche  Gang  ist 
in  vielen  Fällen  aus  didaktischen  Gründen  in  der  Darstellung  der  Wis- 
senschaften einzuhalten.  In  der  Psychologie  möchte  eine  ähnliche  Be- 
deutung, wie  in  der  Astronomie  den  Eepler'schen  Regeln,  den  Beneke- 
schen  Grundprocessen  (der  Bildung  der  Empfindungen  in  Folge  der  äus- 
sern Affection,  der  Bildung  der  Spuren  oder  unbewussten  Gedächtniss- 
bilder, der  innem  Affection,  zu  welcher  auch  die  Miterregung  des  Gleich- 
artigen zum  Bewusstsein  gehört,  und  der  Neubildung  psychischer  Kräfte) 
zukommen,  aus  welchen  die  einzelnen  Erscheinungen  des  psychischen 
Lebens  sich  genetisch  erklären  lassen;  der  Pro  Syllogismus  aber, 
der  dieselben  wiederum  aus  höheren  Principien  ableitet,  dürfte  noch 
erst  zu  Sueben  sein ;  denn  die  Herbart'schen  Voraussetzungen,  die,  wenn 
sie  richtig  wären,  wohl  mit  den  Newton'schen  Principien  in  Parallele 
gestellt  werden  könnten,  sind  theils  unzulänglich  begründet,  theils  aber 
auch,  wiewohl  zur  Vermeidung  von  Widersprüchen  aufgestellt,  ihrerseits 
mit  inneren  Widersprüchen  behaftet  (die  Monaden  oder  die  realen  We- 
sen unräumlich  und  doch  die  substantiellen  Elemente  des  Räumlichen; 
die  Selbsterhaltung  nur  Erlialtung   des  Vorhandenen   und   doch  auch 


§  125.   Enthymem.    Epicherem.    KettenBchluss.  416 

Begründong  eines  Neuen,  welches  sogar  naoh  Aufhebung  der  Störung 
als  eine  Vorstellung  beharrt  und  zu  anderen  >  Selbsterhaltungen  €  in 
mannigfache  Beziehungen  tritt  etc.)  und  daher  unhaltbar. 

Die  Darlegung  der  verschiedenen  Formen,  welche  eine  Combina- 
tion  von  Syllogismen  zulässt  oder  ausschliesst,  je  nachdem  Schlüsse 
von  der  ersten  oder  den  übrigen  Figuren  darin  eingehen, 
scheint  unnöthig,  da  schon  die  allgemeinen  syllogistischen  Kegeln  in 
jedem  gegebenen  Falle  bei  der  Aufstellung  und  Prüfung  von  Schluss- 
ketten eine  sichere  Leitung  gewähren. 

§  125.  Ein  im  Ausdruck  durch  Weglassung  einer  der 
beiden  Prämissen  verkürzter  einfacher  Schlnss  heisst  ein 
Enthymem  (h'Mfir^iAa,  Syllogismus  decurtatus).  Die  unaus- 
gedrUckt  gebliebene  Prämisse  muss  im  Gedanken  ergänzt  wer- 
den, wesshalb  das  Enthymem  dem  vollständig  ausgedrückten 
Syllogismus  logisch  gleich  steht,  —  Wird  eine  der  Prämissen 
oder  werden  beide  Prämissen  eines  einfachen  Schlusses  durch 
Hinzufügung  von  Gründen  erweitert,  so  entsteht  das  Epiche- 
rem (€7tixeiQ7]iiia,  aggressio),  welches  demgemäss  ein  abge- 
kürzter zusammengesetzter  Schluss  ist,  dessen  Abkürzung  je- 
doch nur  den  auf  die  Form  eines  begründenden  Nebensatzes 
reducirten  Syllogismus  betrifft.  —  Eine  episyllogistischeSchluss- 
l^ette,  welche  durch  Weglassung  aller  Schlusssätze  ausser  dem 
letzten  (und  damit  zugleich  also  auch  der  mit  jenen  Schluss- 
sätzen identischen  Ober-  oder  Untersätze  der  jedesmal  nächst- 
folgenden Syllogismen)  im  Ausdruck  vereinfacht  ist,  heisst 
Kettenschluss  oder  Sorites  {awQeiTrjg^  sorites,  acervus, 
Syllogismus  acervatus).  Nach  der  Ordnung,  in  welcher  die 
Prämissen  einander  folgen,  pflegt  man  den  Aristotelischen 
und  den  Goklenischen  Sorites  zu  unterscheiden.  Jener 
hat  die  Form:  A  ist  B;  B  ist  G;  G  ist  D;    folglich  ist  A  D; 

—  er  schreitet  also  von  den  niederen  Begriffen  zu 
den  höheren  fort^  und  die  Untersätze  aller  Syllogismen 
ausser  dem  ersten  (z.  B.  A  ist  G)  sind  nicht  ausgesprochen, 
sondern  in  der  ergänzenden  Analyse  hinzuzudenken.  Der 
Goklenische  Sorites  dagegen  hat  die  entgegengesetzte  Folge 
der  Prämissen:  G  ist  D;  B  ist  0;  A  ist  B;  folglich  ist  A  D; 

—  er  schreitet,  was  die  Folge  der  Prämissen  betrifft  (und, 
wenn  in  Aristotelischer  Weise  das  Prädicat  seinem  Subjecte 
vorangestellt  wird,   auch  in  Betreff  der  Folge  der  Begriffe) 


vom  AllgemeiDeren  znm  minder  Allgemeinen  fort, 
ußd  die  Obersätze  aller  Syllogismen  ausser  dem  ersten 
(z.  B.  B  ist  D)  sind  hinznzndenken. 

Um  der  Deutlichkeit  villen  mag  hier  da«  Schema  folgen : 
Ariatotelisoher  Sorites.  GokleniEcher  Sorites. 


Anal;  BIS.  '      Analysis. 

A  'iet    B  (UnteraatE)  1)    C    ist    D  (Obertatz) 

B    »t    C  (Obersalz)  B    ist    C  {Untersatz) 


ist    C  (Scblusssatz).  B     ist    D  (SchlusgaatE). 

ist    C  (Untertatz)  2)    B    ist    D  (Obenatz) 

ist    D  (Obersatz)  A    ist    B  (Untersatz) 


A    ist    D  (SohlusBsatz).  A    ist    D  (Schiunsatz). 

In  dem  AriBtotelisohen  Soritea  ist  hiemach  nicht  aosgedriickt 
(sondern  mittclBt  der  ergäoEenden  Analyse  hinzuzunehmen)  derjenige 
SchlnEBsatz,  welcher  in  dem  folgenden  [oder  bei  einer  grösseren  Zahl 
von  Gliedern  in  dem  jedesmal  folgenden)  SyllogisrnnB  Untersatz  wird; 
in  dem  Goklenischen  dagegen  der,  welcher  im  (jedesmal)  folgenden 
Syllc^smus  Obersatz  wird.  Beide  Furmen  Rber,  der  Aristotelische  nud 
der  Gokleniscfae  Sorites,  kommen  miteinander  darin  äberein,  dass  der 
SohlasBsatz  des  früheren  Sylk^amuB  Prämiaae  (sei  es  Ober-  oder  Unter- 
satz) in  dem  (jedesmal)  folgenden  SyllogiamuB  wird.  Hierin  li^t  (nach 
§  124)  das  Charakteriatiache  des  episyllogigtiachen  Verfahrens, 
dass  vom  Vorachluss  zum  Nachscbluse  fortgesehritten  wird.  Folglich 
ist  sowohl  beim  Goklenischen,  wie  beim  AristoteliBchen  Sorites  der 
Fortgang  ein  episy llogistiecher.  Man  würde  irren,  wenn  man 
den  ereteren  für  prosyllogiatisoh  (oder  regressiv)  halten  wollte. 

Das  Enthymem  darf  nicht  für  einen  unmittelbaren  und  das 
Epicherem  nicht  für  einen  einfachen  Scblnss  gehalten  werden.  Die 
Verkürzung  deB  Ausdrucks  verändert  nicht  die  Form  des  Gedankens. 

Bsiapiele  zn  Kettenachlüssen  lassen  sich  in  grosser  Zahl 
aas  allen  wissensohaftlioh  von  feststehenden  Voraussetcungeu  ans  in 
Endergebnissen  fortechreitenden  Schriften  nauhweisen;  nur  ist  sehr 
hanfig  die  Form  der  Verkettung  der  Gedanken  mehr  angedeutet,  als 
ansdrüoklich  dem  logischen  Schematismus  gemäss  bezeichnet.  So  schliesst 
z,  B.  Aristoteles  Poet.  c.  6,  dasa  die  Darstellung  der  Handlung,  die 
Verknüpfung  der  Begebenheiten  zur  Einheit  einer  vollständigen  Hand- 
lung oder  der  ftv9oc  dar  wichtigste  unter  den  Beatondtheilen  der  Tra- 
gödie sei,  aus  folgenden  Prilmisaeni  das  Handeln  ist  dasjenige,  worin 
die  Glückseligkeit  liegt;  das,  worin  die  Glückseligkeit  liegt,  ist  dos 
Ziel;  das  Ziel  ist  das  Höchste;  also  ist  das  Handeln  das  Höchste.  Näm- 


§  126.  Enthymem.   Epicberem.    EettenschlusB.  417 

« 

lieh  im  wirklichen  Leben;  es  ist  aber  der  unauBgesprochene  Gedanke 
hinznzunehmen:  was  unter  den  in  der  Tragödie  nachgebildeten  Objec- 
ten  (Handlung,  Charakteren,  Gedanken)  in  Wirklichkeit  das  Höchste 
ist,  dessen  Nachbildung  ist  in  der  Tragödie  das  Höchste;  dann  folgt, 
dass,  da  das  Handeln  in  der  Wirklichkeit  das  Höchste  ist,  seine  Nach- 
bildung odep  der  uV'9og  (die  Fabel)  das  Höchste  in  der  Tragödie  sei. 
In  gleichem  Sinne  schliesst  Aristoteles  negativ,  dass  nicht  die  Darstellung 
der  Charaktere  das  Höchste  sei:  der  Charakter  ist  eine  Qualität  (ein 
Ttoiop)]  die  Qualität  ist  nicht  dasjenige,  worin  die  Glückseligkeit  liegt; 
das,  worin  nicht  die  Glückseligkeit  liegt,  ist  nicht  das  Ziel ;  was  nicht  das 
Ziel  ist,  das  ist  nicht  das  Höchste,  woran  wieder  der  unausgesprochene 
Gedanke  sich  anreiht:  was  nicht  in  Wirklichkeit  das  Höchste  unter 
dem  in  der  Tragödie  Nachzubildenden  ist,  dessen  Nachbildung  ist  in 
dem  Kunstwerk  nicht  das  Höchste. 

Aristoteles  versteht  unter  dem  l v^v jurj  ft  a  nicht,  wie  die 
neueren  Logiker,  den  abgekürzten,  sondern  einen  Wahrscheinlichkeits- 
Schluss.  Er  sagt  Anal.  pri.  II,  27.  70  a.  10:  ^v&vfirifict  fikv  oiv  ictri 
avlloyia/nog  (^  (ixortov  rj  arifjLiC<ov.  Er  rechnet  dasselbe  (Anal.  post. 
I,  1.  71  a.  10)  zu  den  rhetorischen  Syllogismen.  Das  Enthymema  im 
Aristotelischen  Sinne  ist  im  Vergleich  mit  dem  wissenschaftlichen  oder 
apodeiktischen  Syllogismus  eine  bloss  vorläufige  und  bloss  subjectiv 
überzeugende  Ueberlegung  oder  E w ä g u n g  (worauf  der  Name 
deutet,  den  Neuere  seltsamerweise  auf  das  Zurückbehalten  einer  Prä- 
misse im  Sinne  oder  Herzen,  h  ^t/i&>,  bezogen  haben);  es  ist  eine 
unvollkommene  Schlussform,  wesshalb  es  von  einigen  Logikern  (nach 
Quintil.  Inst.  or.  Y,  10)  auch  imperfectus  Syllogismus  genannt  worden 
ist.  Die  >Un Vollkommenheit«  wurde  dann  von  Späteren  als  ünvoU- 
ständigkeit  des  Ausdruck  gefasst.  In  diesem  Sinne  sagt  schon  Boe- 
thius  (Op.  ed.  Basil.  p.  684):  Enthymema  est  imperfectus  Syllogismus, 
i.  e.  oratio,  in  qua  non  omnibujs  antea  propositionibus  constitutis  in- 
fertur  festinata  conclusio,  ut  si  quis  dicat:  homo  animal  est;  substantia 
igitur  est.  —  Das  i  n  i  x  f^QV  f^''  is^  bei  Aristoteles  ein  Prüfungs- 
schluss,  avXloyiauog  StaXfxrixos  (Top.  VIU,  11.  162  a.  16);  bei  Streit- 
fragen ist  es  förderlich,  dass  man  durch  ein  zweifaches  inixffQtjfia  so- 
wohl «US  *dem  Satz,  als  auch  aus  der  Verneinung  desselben  schliesse, 
aber  nicht,  um  in  sophistischer  Weise  bei  dem  Widerspruch  stehen  zu 
bleiben,  sondern  nur  zur  dialektischen  Uebung,  und  um  hernach  durch 
Auflösung  des  Scheines  die  gewisse  Entscheidung  zu  finden  (ib.  c.  14, 
163  a.  36  ff.).  Bei  den  späteren  Logikern  und  Rhetoren,  besonders 
den  lateinischen,  hat  über  die  Bedeutung  des  Terminus  in  mehrfacher 
Beziehung  Unsicherheit  geherrscht.  Die Uebersetzung  aggressio  führt 
Quintilian  (Inst.  orat.  V,  10)  auf  Valgius  zurück,  und  auf  Caecilius 
die  Erklärung  des  Epicherems  als  einer  apodixis  imperfecta.  Diese 
Erklärung  trifft  den  Sinn  des  Aristoteles,  aber  erschöpft  ihn  nicht. 
Die  neueren  Logiker  haben  hier  wieder,  wie  bei  dem  Enthymem, 
die  Unvollkommenheit  in  der  UnvoUständigkeit  des  Ausdrucks  gesucht, 
im  Unterschiede  von  Enthymem  aber   das  Epicherem  auf  eine  gewisse 

27 


418  §  126.   Die  Paralogismen  und  Sophismen. 

Yerkürzung  des  zusammeDgesetzten  (oder  Erweitemng  des  einfachen) 
Schlusses  bezogen.  —  Der  Terminns  Sorites  kommt  in  dem  oben  an- 
gegebenen Sinne  noch  nicht  bei  Aristoteles  vor  (der  die  Sache  Anal, 
pri.  I,  c.  25  berührt),  sondern  ist  erst  später  üblich  geworden.  Cicero 
gebraucht  denselben  z.  B.  de  fin.  IV«  18^  50,  wo  er  so  den  Schluss  der 
Stoiker  bezeichnet:  quod  bonum  sit,  id  esse  optabile;  quod  optabile,  id. 
esse  ezpetendum;  quod  expeteudum,  laudabile;  —  igitur  omne  bonum 
laudabile.  Der  Goklenische  Sorites,  dessen  Unterschied  von  dem 
sogenannten  Aristotelischen  freilich  ein  ganz  unwesentlicher  ist,  und 
der  gerade  der  Aristotelischen  Form  des  einfachen  Syllogismus  genaa 
entspricht,  führt  seinen  Namen  von  dem  Marburger  Professor  Rudolf 
Go  den  ins  (1547 — 1628),  der  in  seiner  Isagoge  in  Organum  Aristoteles 
(c.  IV.)  1598,  worin  er  sieb  theilweise  an  Bamus  anschliesst,  diese  Form 
zuerst  behandelt  hat.  —  Zu  vergl.  G.  Ebhardt,  Der  rhetor.  Schluss. 
Weilburg  1880. 

§  126.  Ein  in  formaler  Beziehung  unrichtiger 
Schluss  (fallacia)  heisst  Fehlschluss  (paralogismus),  so- 
fern der  Fehler  auf  Irrthum  beruht;  falls  aber  die  Absicht, 
zu  täuschen,  obwaltet,  wird  derselbe  Trugschluss  (sophisma) 
genannt.  Die  formalen  Schluss  fehler  beruhen  theils 
auf  falscher  Sphärenvergleichung,  theils  auf  Mehr- 
deutigkeit eines  und  desselben  Begriffs,  insbesondere  des 
Mittelbegriffs.  Unter  den  Fehlern  der  ersten  Art  sind  die 
bemerkenswerthesten :  der  Schluss  mit  negativem  Untersatze 
in  der  ersten  Figur,  mit  affirmativen  Prämissen  in  der  zwei- 
ten, mit  allgemeinem  Schlusssatze  in  der  dritten  Figur,  und 
die  fallacia  de  consequente  ad  antecedens  bei  kategorischer 
und  hypothetischer  Form.  Die  Fehler  der  zweiten  Art 
werden  in  fallaciae  secundum  dictionem  und  extra 
dictionem  eingetheilt;  zu  jenen  rechnet  man  diejenigen, 
welche  beruhen  auf  Homonymie  (d.  h.  auf  Namensgleich- 
heit verschiedener  Dinge  ohne  Begriffsgleichheit,  wo  also  in 
dem  Worte  eine  Mehrdeutigkeit  oder  Ambiguität  liegt;  der 
Fehler  besteht  in  der  Verwechselung  verschiedener  Bedeu- 
tungen des  nämlichen  Wortes) ,  auf  Prosodie  (der  Fehler 
besteht  in  der  Verwechselung  ähnlich  klingender,  mit  den- 
selben Buchstaben  geschriebener,  jedoch  in  Spiritus  oder 
Accent  verschiedener  Worte),  Amphibolie  (der  Fehler  liegt 
in  der  Missdeutung  doppelsinniger  syntaktischer  Formen)  und 
auf  figura  dictionis  (oxfjfice  Tijg  le^ecogy  der  Fehler  ist 
die  Missdentung   der  grammatischen  Form  einzelner  Worte, 


§  126.    Die  Paralogismen  nnd  Sophismen.  i 

insbesondere  die  Verwechselung  verschiedener  Flexionsf 
nnd  anch  verschiedener  Bedetheile  nnd  somit  verschie 
Vorstellnngsformen  oder  Kategorien  im  Aristotelischen  S 
zu  den  fallaciis  extra  dictionem  aber  insbesondere  die  i 
cia  ex  accidente   (Verwechselung  des  Wesentlichen     i 
Unwesentlichen),   die  fallacia  a  dicto  secundum 
ad  dictum  simpliciter,   und  umgekehrt  a  dicto 
pliciter   ad    dictum    secundum  quid   (Verwechs     i 
des  absoluten  und  relativen  Sinnes),   die  fallacia  se    i 
dum  plures  interrogationes  ut  unam   (die  Nichtb 
tung  der  Nothwendigkeit,   eine  Frage  zu  theilen,   die 
ihren  verschiedenen  Beziehungen  mehrere  Antworten  erhei;    I 
Alle  Fallacien  der  zweiten  Art  enthalten  eine  mehr  oder    i 
der  versteckte  Vierzahl  von  Hauptbegriffen   (quat    i 
terminorum)   oder  einen  Sprung  im  Schliessen  (salti 
concludendo). 

Die   Lehre  von  den  Fallacien  hat  mehr  didaktisches  und 
risches,  als  eigentlich  wissenschaftliches  Interesse.  Die  Logik  als  W    : 
Schaft  des  Denkens  and  Erkennens  legt  die  normativen  Gesetze  dar 
denselben  widerstreitet,   ist  fehlerhaft;    die   möglichen  Ahweichi 
aher  erschöpfend  angeben  zu  wollen,   wäre  ein  vergebliches  Bern 
denn  der  Irrthum  ist  ein  aneigov. 

£s  mag  genügen,   Beispiele  zu  den  Arten  von  Fehlschl   i 
anzufahren,    welche  auch  bei  geübten  Denkern  nicht  ganz  selten    i 
Wenn  Des  Cartes  die  Materie  im  Gregensatz  zu  dem  Geiste  für  sohl  i 
hin  kraftlos   und  bloss   leidend  hielt,   so  lag  ein  Gedankengang  ! 
Grunde,  der,  auf  die  Form  eines  einfachen  Syllogismus  gebracht,    i 
als  ein  Fehlschluss  in  der  ersten  Figur  mit  negativem  Untersatze  : 
stellen  lässt:    der  Geist  ist  activ,   die  Materie  ist  nicht  der  Geist, 
ohne  Activität.    Manche  Yertheidigungen  der  Sdaverei  der  Neger  h  : 
auf  den  Fehlschluss   hinaus:    der  Gaucasier  hat  Menschenrechte, 
Neger  ist  kein  Gaucasier,  hat  also  keine  Menschenrechte.  Als  ein  ] 
schluss  in  der  zweiten  Figur  bei  bloss  affirmativen  Prämissen  ist 
Deduction  anzusehen,  dass  der  platonische  Staat  mit  dem  althellenis  i 
principiell  identisch  sei,  weil  beide  in  der  Forderung  der  unbedis ; 
Unterwürfigkeit  des  Einzelnen  unter  die  Gemeinschaft  übereinkon  i 
(wobei  die  wesentliche  Verschiedenheit  der  unmittelbaren  Einheit 
dem  natürlichen  Gemeingeiste  und  der  Unterordnung  unter  ein  sc! 
massig   gepflegtes   transscendentes  Wissen   übersehen   wird).     In 
dritten  Figur  würde   fälschlich   ein    allgemeiner  Schlusssatz   gezd 
werden  bei  der  Argumentation:  alle  Menschen  sind  Erdbewohner; 
Menschen  sind  vemunftfähige  Wesen;  alle  vemunftfäbigen  Wesen  i 
Erdbewohner.    Wenn   aus   dem  Zutreffen   gewisser  Folgesätze   sc 


1 

\ 


420  §  126.   Die  Paralogismen  und  Sophismen. 

auf  die  Gültigkeit  der  Yoranssetzang  geschlossen  wird,  so  ist  dies  ein 
Fehlschluss  de  consequente  ad  antecedens.  Ein  Beispiel  za  dem  Fehl- 
schluss  de  consequente  ad  antecedens  ist  u.  a.  folgendes..  Helmholtz 
stellt  (physiolog.  Optik,  Leipzig  1867,  S.  4S8)  den  Satz  auf:  Was  bei 
der  Sinnes  Wahrnehmung  durch  Momente,  welche  nachweisbar  die  Er- 
fahrung gegeben  hat,  im  Anschauungsbilde  überwunden  und  in  sein 
Gegentheil  verkehrt  werden  kann,  kann  nicht  als  Empfindung  anerkannt 
werden  (sondern  ist  als  Product  der  Erfahrung  und  Einübung  zu  be- 
trachten). Dieser  Satz  ist  gleichbedeutend  mit  dem  Satze,  aus  wel- 
chem er  (nach  §  87)  durch  conversio  simplex  hervorgeht:  was  bei  der 
Sinneswahmehmung  Empfindung  ist,  kann  nicht  durch  Erfahrungsmo- 
mente überwunden  (beseitigt,  in  sein  Gegentheil  verkehrt)  werden.  Nun 
erklärt  ein  anderer  Schriftsteller  (H.  Böhmer,  die  Sinneswahmehmung, 
Erlangen  1868,  S.  617)  hiermit  für  gleichbedeutend  den  Satz:  Alles  in 
unseren  Sinneswahrnehmungen,  was  nicht  durch  Erfahrungsmomente 
im  Anschauungsbilde  überwunden  und  in  sein  Gegentheil  verkehrt  wer- 
den kann,  ist  Empfindung.  Dieser  Satz  ist  aber  in  der  That  keines- 
wegs mit  dem  Helmholtz'schen  gleichbedeutend,  sondern  kann  mit  dem- 
selben nur  vermöge  des  bezeichneten  Faralogismus  gleichgesetzt  werden ; 
es  hätte  nur  gefolgert  werden  dürfen:  mindestens  einiges,  was  durch 
Erfahrungsmomente  unüberwindbar  ist,  ist  Empfindung  (vgl.  §  91  oder 
auch  §  85,  sofern  die  Negation  in  dem  an  zweiter  Stelle  erwähnten 
Helmholtz'schen  Satze  zum  Prädicat  gezogen  wird).  Wird  mit  Helm- 
holtz angenommen,  dass  mit  der  Empfindung  jene  ünüberwindbarkeit 
durch  Erfahrungsmomente  als  nothwendige  Folge  verknüpft  (die  Em- 
pfindung also  das  antecedens,  die  Nichtüberwindbarkeit  das  consequens) 
sei,  so  darf  doch  nicht  die  Behauptung  hiermit  gleichgesetzt  werden^ 
dass  überall,  wo  diese  ünüberwindbarkeit  gegeben  sei,  eine  Empfindung 
bestehe;  denn  die  gleiche  ünüberwindbarkeit  könnte  denkbarerweise 
auch  anderem  zukommen,  was  nicht  Empfindung  ist,  wie  etwa  dem 
im  Eantischen  Sinne  Apriorischen,  oder  auch  dem,  was  durch  die  frü- 
hesten Erfahrungen  sich  so  fixirt  hätte,  dass  es  durch  keine  späteren 
Erfahrungen  modificirbar  wäre.  Vgl.  §  122.  Am  häufigsten  und  ver- 
führerischsten ist  die  versteckte  quatemio  terminorum.  Eine  solche 
liegt  in  dem  Schlüsse  des  Plato  im  Phaedo :  die  Seele  ist  a&dvaros  (was 
nach  dem  Zusammenhang  nur  erwiesen  ist  in  dem  Sinne  ihrem  Wesen 
nach,  so  lange  sie  existirt,  niemals  todt);  jedes  adtivarov  (d.  h.  jedes 
unsterbliche)  ist  avojXe^^-QoVf  also  ist  die  Seele  avtoU&Qog,  Ebenso  in 
dem  Schlüsse  des  Epikur:  was  wirkt,  ist  ein  aXti^^s,  jede  Wahrnehmung 
wirkt  (psychisch),  ist  also  etwas  ahi^ig^  wo  dasselbe  Wort  das  einemal 
wirklich,  das  anderemal  wahr  bedeutet.  Eine  quatemio  terminorum 
liegt  oft  implicite  in  einem  Gebrauch  von  Ausdrücken,  wie  boni  op- 
timi  etc.,  der  zwischen  dem  Sinne:  die  Trefflichsten  und:  die  Op- 
tima ten  schwankt,  wenn  es  sich  um  die  Frage  handelt,  wer  zur  Herr- 
schaft berufen  sei.  Auf  einer  quatemio  terminorum  beruht  TertuUians 
Fehlschluss:  es  widerspricht  den  Bedingungen  menschlicher  Existenz, 
andauernd  mit  den  Füssen  nach  oben  und  dem  Kopf  nach  unten  zu 


§  126.    Die  Paralogismen  und  Sophismen.  421 

leben;  die  Antipoden  müssten  dies;  also  giebt  es  keine  Antipoden  (wo 
die  erste  Prämisse  nur  für  ein  vom  Standpunkte  der  betreffenden  Indivi- 
duen aus  verstandenes  Oben  und  Unten,  die  zweite- nur  für  ein  von  dem 
Standpunkte  des  Redenden  aus  verstandenes  Oben  und  Unten  gilt). 
Eine  quatemio  terminorum  liegt  in  Calov's  Schluss,  Aenderungen  auch 
nur  der  Vocale  im  hebräischen  Bibeltext  seien  unzulässig  und  frevelhaft, 
weil  der  irrsame  Mensch  Gottes  Wort  nicht  antasten  dürfe  (wo  unter 
»Gottes  Worte  einmal  realistisch  der  überlieferte  Bibel text,  dann  idea- 
listisch die  gottliche  Wahrheit  vorstanden  wird).  Wenn  die  Stoiker  als 
Beispiel  einer  Unmöglichkeit  anzuführen  pflegten:  ^  yij  tmarai^  mit 
dem  Fliegen  im  eigentlichen  Sinne  aber  zugleich  auch  die  Bewegung 
überhaupt  von  der  £rde  ausschlössen,  so  lässt  sich  in  der  verführe- 
rischen Bildlichkeit  des  Ausdrucks  tTtraad^ai  ein  implicite  vorhandener 
Fehlschluss  erkennen,  welcher  explicite  lauten  würde:  Was  sich  im 
freien  Räume  (ununterstützt)  fortbewegt,  fliegt;  das  Flügellose  (und 
insbesondere  die  Erde)  fliegt  nicht;  also  bewegt  sich  das  Flügellose 
(die  Erde)  nicht  im  freien  Räume  fort.  Die  logische  Analysis  lässt  so- 
fort den  auf  dem  Doppelsinn  des  Ausdrucks  »Fliegen«  beruhenden 
Fehler  in  dieser  Gedankenverbindung  erkennen,  welcher  sich  bei  dem 
enthymematischen  Gebrauche  des  bildlichen  Ausdrucks  verbirgt.  Vgl. 
oben  zu  §  61,  S.  171  f.  die  Bemerkung  über  synthetische  Definitionen 
und  unten  §187  über  die  Beweisfehler. 

Aristoteles  hat  in  seiner  Schrift  n^gi  röiv  aocpianxtov  (Xfyx^v 
sich  überall  durch  die  speoielle  Rücksicht  auf  die  damals  vielbesproche- 
nen Sophismen  leiten  lassen.  Er  definirt  (Top.  VIII,  11.  162  a.  17)  das 
aotpia/za  als  avXXoyia^og  fgtOTtxog  und  theilt  die  Sophismen  in  zwei 
Hauptclassen  ein:  nteoä  rriv  Xi^iv  und  t^(a  t^c  Xi^eais,  Zu  der  ersten 
Hauptclasse  rechnet  er  (de  soph.  elench.  c  4.  165  b.  26)  sechs  Arten: 
ofKowfjLla  (aequivocatio),  a/uKptßoX^a  (ambiguitas) ,  avv&sais  (fallacia  a 
sensu  diviso  ad  sensum  compositum),  SiaCg^aig  (fallacia  a  sensu  com- 
posito  ad  sensum  divisum),  ngoaip^^a  (accentus),  oxr^fxa  rijs  X^€(og 
(figura  dictionis),  wovon  jedoch  die  dritte  und  die  vierte  (die  Verwech- 
selung des  distributiven  und  des  collectiven  Sinnes  oder  dessen,  was 
von  allen  Einzelnen  oder  in  jeder  einzelnen  Beziehung  besonders,  und 
dessen,  was  nur  von  der  Gesammtheit  als  solcher  gilt),  sofern  sie  über- 
haupt den  falladis  secundum  dictionem  zugehöreuj  sich  unter  den  Be- 
griff der  Amphibolie  in  dem  oben  angegebenen  Sinne  subsumiren  lassen. 
(Unter  den  ax^fiara  rrjg  X^etog  versteht  Aristoteles  hier  die  gramma- 
tischen Formen  der  Nomina  und  Verba,  und  Poet.  c.  19  speciell  die  in 
der  verschiedenartigen  Beziehung  des  Prädicates  auf  das  Subject  be- 
gründeten Satzformeu;  zu  deren  Ausdruck  zum  Theil  die  verbalen  Modi 
dienen :  Befehl,  Bitte,  Drohung,  Aussage,  Frage  und  Antwort.)  Zu  der 
zweiten  Hauptclasse,  den  Sophismen  H(o  rrjg  X^$ea}g,  rechnet  Aristoteles 
(c.  5)  folgende  sieben  Arten:  naga  t6  avfißißrjxog  (fallacia  ratiocina- 
tionis  ex  accidente),  ro  dnXtjg  fj  juij  uTiXag  (a  dicto  simpliciter  ad  dic- 
tum secundum  quid),  -fj  jov  iXfyx^v  ayvoia  (ignoratio  elenchi),  naga  ro 
inojLKyoy  (fallacia  ratiocinationis  ex  consequente  ad  antecedens),   ro  iv 


422  §  127.  Die  Induction  überhaupt. 

ttQxi  litfiißayiiv,  aheta&€u  (petitio  principü),  ro  firf  ahtoif  tog  atnov 
Tt&ivtti  (fallada  de  non  causa  ut  causa),  ro  ra  nlBlto  igwirj^ara  J^v 
notelv  (fallacia  plurium  interrogationum).  Doch  sind  diese  Fehler  zum 
Theil  mehr  Beweisfehler  (s.  u.  §  137)  oder  auch  Fehler  in  den  ein- 
zelnen Urtheilen,  als  eigentliche  Schlussfehler.  Zu  den  von  Aristoteles 
bezeichneten  Fehlern  bringt  er  selbst  Beispiele  in  seiner  Schrift  nsgl 
aoipiOTixfov  iXiyx^^  ^®^)  auch  mag  Plato's  (oder  eines  Platonikers) 
Dialog  Euthydemus  verglichen  werden.  Alte  und  moderne  Beispiele, 
doch  meist  gelnachte,  giebt  Fries  (System  der  Logik,  §  109).  Eine 
ausführliche  und  genaue  Erörterung  von  Schlussfehlem  findet  sich  bei 
Mill,  Log.,  übers,  von  Schiel,  2.  (u.  3.)  Aufl.,  II,  S.  398—432.  —  Im 
Hinblick  auf  den  nebulosen  und  verschwommenen  Charakter  so  mancher 
neueren  Speculationen  und  auf  die  zahllosen  Schlussfehler,  mittelst 
deren  oft  für  die  unlösbare  Aufgabe  einer  Ableitung  des  Vollen  aus 
dem  Leeren  der  Anschein  einer  Lösung  erzielt  worden  ist,  sagt  Tren- 
delenburg (Erl.  zu  den  Elem.  der  Arist.  Log.  1842,  S.  69)  mit  Recht: 
»Es  würde  an  der  Zeit  sein,  Aristoteles'  Schrift  von  den  sophistischen 
Ueberführungen  ins  Moderne  zu  übersetzen. c  Diese  Aufgabe  ist  durch 
den  Antibarbarus  logicus  von  Cajus,  1851;  2.  Aufl.,  1.  Heft,  1863 
(s.  o.  zu  §  29,  S.  53)  doch  nur  in  einseitiger  Weise  gelöst  worden,  wie- 
wohl der  Yerfasser  nicht  ohne  Geschick  gewisse  policeiliohe  Functionen 
auf  dem  Gebiete  des  philosophischen  Denkens  zu  üben  weiss. 

§  127.  Die  Induction  (inductio,  inayuyi^)  ist  der 
Schlnss  vom  Einzelnen  oder  Besonderen  auf  das  Allgemeine. 
Die  Form  derselben  ist  folgende: 

Sowohl  Ml,  als  Ms^  als  Ms  ...  .  ist  P. 

Sowohl  Ml,  als  Ms,  als  Ms  ...  .  ist  S. 

Jedes  S  ist  P. 
Dieser  Schluss  geht  von  dem  Einzelnen  oder  Besonderen  (M), 
welches  sich  durch  successive  Erweiterung  dem  Allgemeinen 
(S)  nähert,  auf  das  Allgemeine  (S).  Der  Inductionsschluss  ist 
seiner  äusseren  Form  nach  mit  einem  conjunctiven  Syllo- 
gismus der  dritten  Figur  verwandt,  unterscheidet  sich 
aber  von  demselben  wesentlich  durch  die  erstrebte  Allge- 
meinheit des  Schlusssatzes. 

Der  Ausdruck  Induction  wird  im  eigentlichsten  und  strengsten 
Sinnö  dann  gebraucht,  wenn  von  dem  Einzelnen,  das  sich  durch  Be- 
obachtung feststellen  lässt,  auf  das  Allgemeine  geschlossen  wird;  doch 
ist  die  logische  Form  auch  dann  die  gleiche,  wenn  von  kleineren  Gruppen 
auf  das  dieselben  umfassende  Allgemeine  geschlossen  wird,  wesshalb 
auch  dieser  Schluss  als  ein  inductiver  anerkannt  werden  muss. 

Nicht  nur  das  Subjeot,  sondern  auch  das  Prädicat  des  unter- 


§  127.  Die  Induction  überhaupt. 

Satzes   kann  bei   dem  Inductionsschlusse  ein  mehrfaches   sein.     ' 
bloss  das  Prädicat  ein  mehrfaches,   so  würde  sich  die  Form  er|  : 

M    ist    P. 
M  ist  sowohl    (T,,    als    a^,    als    a^    .    .    . 

Alles,  was  sowohl  er,,  als  a^,  als  a^  .  .  .  ist,  ist  P. 
Z.  B.:  die  Erde  hat  jetzt  Bewohner;  die  Erde  ist  ein  Planet  von  : 
lerer  Grösse,  mittlerer  Entfernung  von  der  Sonne,  umgeben  von  i 
Atmosphäre   mit   regelmässig  wiederkehrenden  meteorologische! 
ceesen;  jeder  Planet  gleicher  Art  hat  wohl  auch  jetzt  Bewohner. 

Dieser  Schluss  würde  von  dem  Einzelnen  oder  Besondere 
auf  ein  Allgemeines  (a)  gehen,  welches  sich  durch  successive  Best  : 
kung  ihm  (dem  M)  annähert.  Aber  den  eigentlich  inductiven  Gha:  i 
tragt  diese  Form  doch  nicht,  sofern  das  »Alles,  was  sowohl  er,,  , 
.  .  .  ist«,  nicht  einen  wahrhaft  einheitlichen  allgemeinen  Begri  : 
giebt,  und  das  Gleiche  würde  bei  der  combinirten  Form  gelten: 

Sowohl  Mj,  als  M,  .  .  .  ist  P. 

Sowohl  M|,  als  M,  .  .  .  ist  zugleich  <rj  und  or^  .  .  . 

Alles,  was  zugleich  Ci  und  (Tg  .  .  .  ist,  ist  P. 

Alle  diese  Formen  können   auch  bei   hypothetischen  Seh  i 
vorkommen. 

Als  Beispiel  zu  der  Induction  mag  hier  der  Schluss  di ! 
der  Planet  Mars  bewegt  sich  (wift  Kepler  nachgewiesen  hat)  in  i 
elliptischen  Bahn  um  die  Sonne.  Der  Planet  Jupiter  desgleichen 
Also  ist  anzunehmen,  dass  sich  die  Planeten  überhaupt  in  ellipt: ! 
Bahn  um  die  Sonne  bewegen.  Andere  Beispiele  werden  die  näc  I 
Paragraphen  enthalten. 

Aristoteles  führt  auf  Sokrates  den  ersten  methodischer 
brauch  der  Induction  zurück  (s.  o.  §  12).  Bemerkenswerth  ist  dci 
brauch  des  Ausdrucks  inavdynv  bei  Xenophon  Memorab.  lY,  i 
und  14,  wo  von  Sokrates  gesagt  wird,  falls  ihm  jemand  ohne  Ai 
rung  von  Gründen  widersprochen  habe,  so  sei  er  jedesmal  auf  die 
aussetzungen  zurückgegangen,  wie  z.  B.  wenn  in  Frage  kam,  we 
Bürger  der  bessere  sei»  so  habe  Sokrates  zuerst  untersucht,  wai 
Werk  des  guten  Bürgers  in  der  Staatsverwaltung,  im  Kriege,  bei 
sandtschaften  etc.  sei,  inl  ttjv  vnod^saiv  inavijysv  av  ndvia  jov  l 
•  ,  .  ovTO)  rav  Xoytov  intivayofiävojv  xal  roTg  dvtiXiyovaiv  avroig  q>a  i 
lylyvixo  xaXr^Mg,  Es  ist  dies  ein  Zurückgehen  auf  das  Allgen 
aber  nicht,  um  es  selbst,  sondern  um  aus  ihm  Anderes  zu  erschlid 
In  ähnlicher  Art  lässt  Plato  im  Dialog  Pbaedo  p.  101  E  den  Soli 
das  Zurückgehen  von  einem  streitigen  Satze  auf  allgemeinere  und  e 
rere  Voraussetzungen  fordern.  Die  Sokratische  »Induction«  im  Ai: 
telischen  Sinne  liegt  nicht  in  diesem  Yerfahreui  sondern  in  dei 
sammenfassung  einzelner  gleichartiger  Thatsachen  zu  einem  allgc 
nen  Satze,  der  durch  jene  gewiss  wird,  z.  B.:  der  sachverstäi 
Steuermann  ist  der  tüchtigste,  der  sachverständige  Arzt  ist  der  I 
tigste  etc. ;  also  wird  überhaupt  auf  allen  Gebieten  der  Sachverstäi 


424  §  127.  Die  Induotion  überhaupt. 

der  Tüchtigste  sein.  Plato  stellt,  wie  Sokrates,  das  Zusammenfassen 
des  Einzelnen  zum  Allgemeinen  in  den  Dienst  der  Begriffsbestimmung. 
Phaedr.  265  D:  €ie  fjilav  re  i64av  avvoQ^vru  ayuv  Ttc  nokXa^  dnanctQ- 
fxivay  tvtt  IsxaaTov  OQiCofjtevos  dfjXov  notj  n€(}l  ov  av  atl  didaaxfiv  fS^^ltf. 
Dies  sei  die  eine  Verfahrungsweise  (t7^og)  des  philosophischen  Denkens, 
welche  die  naturgemässe  Voraussetzung  der  entgegengesetzten,  nämlich 
des  Herabsteigens  vom  Allgemeinen  zum  Besonderen  bilde.  Der  Weg 
der  Abstraction,  die  zum  allgemeinen  Begriffe,  und  der  Induction,  die 
zum  allgemeinen  Satze  führt,  erscheint  hier  noch  in  ungesonderter  Ein- 
heit. Aristoteles  nennt  die  Abstraction  cttfaigeaig  (Anal.  post.  I,  18 
u.  öfter),  die  Induction  aber  fnnyotyri,  und  definirt  die  letztere  (Top. 
I,  12.  105  a.  13):  (Ttaytoyrj  17  anb  raiy  xa^'  ^xaffrov  inl  ra  xa&oXov 
hfodog,  Gf.  Anal.  post.  I,  18.  81  b.  1:  19  (f'  inayioyri  ix  rcav  xara  fiiqog. 
Die  Induction  im  strengeren  Sinne  ist  bei  Aristoteles  der  Abstraction 
coordinirt,  indem  sie  zu  dem  allgemeinen  ürtheil  oder  Satz,  die  Ab- 
straction dagegen  zu  dem  allgemeinen  Begriff  führt;  doch  gebraucht 
Aristoteles  nicht  ganz  selten  (so  namentlich  auch  in  der  oben,  §  12, 
S.  22  angeführten  Aussage  Metaph.  XII.  4.  1018  b.  27,  dass  Sokrates 
das  inductive  und  das  definitorische  Verfahren  begründet  habe)  kna-- 
yiayr\  in  einem  weiteren  Sinne,  in  welchem  er  die  Abstraction  mit 
darunter  subsumirt.  Der  Name  inaytayji  geht  auf  das  successive  Auf- 
zahlen der  einzelnen  Glieder  (rationes  inferre).  Aristoteles  lehrt  (Anal, 
post.  I,  18.  81  b.  2):  advvarov  ^k  ra  xa&okov  S-€o)Qrjaat  fjiri  <ft'  iTtayayrjg, 
iml  xai  ra  i^  atpaiQiaitog  Xeyofjievn  (d.  h.  insbesondere  das  Mathema- 
tische) farai  Si*  (naytoyrjg  yvtoQitia  noifiv.  Doch  hält  er  die  Induction 
nur  für  eine  mehr  populäre,  als  streng  wissenschaftliche  Erkenntniss- 
weise (Anal.  pri.  II,  28.  68  b.  35):  fpvan  fiiv  ovv  jiQoxiQog  xa\  yvfoQt' 
/nmUßog  6  Sia  lov  fjiiaov  avXXoyiafiog,  rifxlv  <f*  fvaQyiarfQog  6  ^lic  rijg 
inayfoyrjg.  Wohl  um  dieser  Ansicht  willen  hat  Aristoteles  die  Theorie 
der  Induction  weit  weniger  eingehend  dargestellt,  als  die  des  Syllo- 
gismus. Als  wissenschaftliche  Induction  gilt  ihm  nur  die  vollstän- 
dige (vgl.  unten  §  128).  Analyt.  pri.  II,  23.  68  b.  27:  del  dk  voftv  ro 
r  16  i^  andvTtov  rav  xad-^  exuarov  av^'XiCfx^vov  17  yao  inaytoyri  <fi« 
7tdvT(ov.  Ueber  das  Verfahren  bei  unvollständiger  Induction  lehrt  Ari- 
stoteles in  seinen  logischen  Schriften  nur,  dass  die  Verallgemeinerung 
vieler  gleichartigen  Erfahrungen  dann  zulässig  sei,  wenn  kein  Gegen- 
fall vorliege.  Top.  VIII,  8.  156  b.  1 :  tiqos  Jh  t6  xa&oXov  nHQatiov  tvataatv 
<f^Q€iV'  To  yitQ  av€v  ivardaemg,  rj  ovarjg  rj  doxovarjg,  xiaXvdV  tov  Xoyov 
Svax^^Cy^i'V  iarCv  d  ovv  inl  noXXoHv  (pcuvofiivwv  firi  ö(d(oai  rb  xadoXov 
fjLfl  l^x^v  ^yajaaiVf  (pavfQbv  ort  ivaxoXalvft.  Der  Gedanke,  dass  der 
Causalzusammenhang  zur  Verallgemeinerung  berechtige,  tritt  bei  Ari- 
stoteles zwar  bei  der  Bildung  bestimmter  Inductionen  hervor  (de  part. 
anim.  IV,  2.  667  a.  37:  Langlebigkeit  der  Thiere,  welche  wenig  Galle 
haben),  gewinnt  aber  nicht  in  der  logischen  Theorie  des  Aristoteles 
eine  fundamentale  Bedeutung.  Im  Anschluss  an  Aristoteles  definirt 
Boethius  (de  differentiis  topicis,  oper.  ed.  Basil.  1546,  p.  864:  »in- 
duotio  est  oratio,   per  quam  fit  a  partionlaribus  ad  universalia  pro- 


§  127.  Die  Indaction  überhaupt.  425 

g^essio«  (wogegen  der  Syllogismus  ab  nniversalibns  in  particularia  her- 
absteige). —  Die  volle  Bedeutung  des  induetiven  Verfahrens  in  den 
Wissenschaften  zu  erkennen,  blieb  der  neueren  Zeit  vorbehalten.  Das 
Mittelalter  wollte  aus  gegebenen  Frincipien  das  Einzelne  deduciren,  und 
dazu  diente  ihm  die  syllogistische  Form;  die  neuere  Zeit  aber  suchte 
auch  die  Frincipien  selbst  auf  wissenschaftliche  Weise  aufzufinden,  und 
bedurfte  zu  diesem  Zwecke  der  Induction:  die  neueren  Naturforscher 
üben  die  inductive  Methode  neben  der  mathematischen  Deduotion,  und 
Baco  von  Yerulam  entwirft  die  Ghrundzüge  zur  Theorie  derselben. 
Er  verlangt  ein  methodischeres  Verfahren,  als  die  blosse  Aufzählung 
einzelner  Fälle,  denen  doch  stets  andere  widerstreiten  können.  Baco 
sagt  (Nov.  Org.  I,  105):  Inductio  quae  procedit  per  enumerationem  sim- 
plicem,  res  puerilis  est  et  precario  concludit  et  periculo  ezponitur  ab 
instantia  contradictoria  et  plerumque  secundum  pauciora  quam  par  est 
et  ex  iis  tantiunmodo  quae  praesto  sunt  pronunciat.  At  inductio  quae 
ad  inventionem  et  demonstrationem  scientiarum  et  artium  efit  utilis, 
naturam  separare  debet  per  reiectiones  et  ezdusiones  debitas  ac  deinde 
post  negativas  tot  quot  sufficiunt  super  affirmativas  condudere  quod 
adhuc  factum  non  est  nee  tentatum  certe  nisi  tantummodo  a  Piatone, 
qui  ad  excutiendas  definitiones  et  ideas  hac  certe  forma  induotionis  ali- 
quatenus  utitur.  Baco  sucht  dann  (freilich  in  einer  sehr  unzulänglichen 
Weise)  das  richtige  Verfahren  näher  zu  bestimmen.  —  Die  dogmatisti- 
sche  Entwickelungsreihe  der  neueren  Philosophie  von  Gartesius  bis 
auf  Leibniz  und  Wolff  verschmäht  nicht  die  Induction,  führt  aber 
auch  nicht  die  Theorie  derselben  bedeutend  über  die  Aristotelischen 
Lehren  hinaus;  ihr  Interesse  ist  vorwiegend  der  Deduction  zugewandt. 
Doch  weist  Wolff  (Log.  §  706—8)  mit  Recht  darauf  hin,  wie  der 
Causa] Zusammenhang  zur  Bildung  allgemeiner  Urtheile  von  einzelnen 
Erfahrungen  aus  berechtige,  wiewohl  er  diesem  Verfahren  den  Namen 
der  unvollständigen  Induction  (vgl.  §  129),  woran  damals  noch  bei  der 
äusserlichen  Auffassung  der  induetiven  Methode  der  Vorwurf  der  ün- 
wissenschaftlichkeit  haftete,  nicht  giebt,  sondern  es  derselben  als  das 
bessere  entgegensetzt.  —  Die  von  Locke  angebahnte  empiristische 
Bichtung  bevorzugt  die  Induction,  vermag  aber,  weil  sie  von  den  me- 
taphysischen Beziehungen  allzusehr  absieht,  die  Theorie  dieser  Methode 
nicht  wesentlich  zu  bereichern  und  zu  vertiefen.  —  Die  neuesten  Ver- 
suche, das,  was  Baco  in  seinem  Novum  Organum  beabsichtigte,  mit 
den  wissenschaftlichen  Mitteln  unserer  Zeit  und  in  einer  dem  heutigen 
Standpunkte  der  positiven  Wissenschaften  entsprechenden  Weise  aus- 
zuführen, sind  meist  von  philosophisch  angeregten  Vertretern  natur- 
wissenschaftlicher Disciplinen  ausgegangen.  Ausser  den  oben  (zu  §  35) 
angeführten  Werken  von  Whewell,  J.  Herschel,  J.  St.  Mill  und 
A.  Comte  ist  hier  besonders  noch  die  auf  den  philosophischen  Qrund- 
sätzen  von  Kant  und  Fries  beruhende  Schrift  von  Apelt  zu  erwähnen: 
die  Theorie  der  Induction,  1854.  Vieles  Schätzbare  giebt  auch,  zunächst 
in  Beziehung  auf  sein  specielles  Gebiet,  Oesterlen,  Medicinische 
Logik,  1852.    Vgl.  auch  Lieb  ig,  Induction  und  Deduotion  (Rede,  ge- 


426  §  128.   Die  vollständige  Induction. 

halten  in  der  öffentl.  Sitzung  der  Münchener  Akad.  d.  Wiss.  am  28.  März 
1865,  abgedr.  in  s.  Beden  u.  Abhandlungen  1874),  der  jedoch  die  logi- 
sche Form  der  Induction  zu  wenig  von  der  glücklichen  Antecipation 
wissenschaftlicher  Resultate  durch  die  Einbildungskraft  des  geübten 
mit  seinem  Gegenstande  vertrauten  Forschers  sondert.  Auch:  Th. 
Jacob,  Inductive  Erkenntniss.  Eine  Skizze.  Berlin  1880.  —  üeber 
die  inductive  Forschungsmethode  (im  weiteren  Sinne  dieses 
Ausdrucks)  vgl.  unten  §  140. 

§  128.  Die  vollständige  Induction  (indnctio  com- 
pleta)  ist  diejenige,  bei  welcher  die  Sphäre  des  Subjectes  im 
Untersatze  in  ihrer  Gesammtheit  mit  der  Sphäre  desPrädica- 
tes  zusammenfällt.  Dies  geschieht  in  der  Weise,  dass  durch 
vollständige  Aufzählung  alles  Einzelnen  oder  Besonderen  die 
ganze  Sphäre  des  Allgemeinen  (durch  vollständige  Aufzählung 
aller  Mi,  M2,  Ms  ....  die  ganze  Sphäre  von  S)  erschöpft 
wird.  Demgemäss  kann,  der  Untersatz  hier  auch  durch 
Umkehrung  auf  die  disjunctive  Form  gebracht  werden: 

Jedes  S  ist  entweder  Mi  oder  M2  .  .  .  .  oder  Mn, 
wodurch  der  Schluss  in  einen  conjunctiv-disjunctiven  Syllogis- 
mus der  ersten  Figur  übergeht,  dessen  Beweis  nach  den  all- 
gemeinen Regeln  des  Syllogismus  in  dem  Verhältniss  der 
Sphären  liegt.  Jedes  S  fällt  in  eine  Sphäre  und  die  gesammte 
Sphäre  aller  S  coincidirt  mit  einer  Sphäre,  welche  ihrerseits 
in  die  Sphäre  von  P  fällt;  folglich  ist  jedes  S  P. 

Eine  vollständige  Induction  ist  bei  einer  unendlichen 
Anzahl  einzelner  Glieder  in  zwei  Fällen  möglich :  1.  wenn  die 
Glieder  sich  räumlich  zu  einem  Gontinuum  zusammenschliessen, 
so  dass  eine  Uebersicht  über  alle  in  einer  endlichen  (meist 
kurzen)  Zeit  möglich  wird  (was  bei  jedem  geometrischen  Be- 
weis in  der  Erweiterung  eines  jeden  zunächst  auf  die  einzelne 
Figur  bezüglichen  Schlusses  zur  Allgemeingültigkeit  ftlr  alle 
unter  die  gleiche  Definition  fallenden  Figuren  geschieht);  2.  bei 
discreten  Objecten  dann,  wenn  sich  syllogistisch  beweisen  lässt, 
dass,  was  für  ein  bestimmtes  ntes  Glied  gilt,  jedesmal  auch 
für  das  (n  +  1  )te  Glied  gelten  müsse.  Doch  ist  diese  letztere 
Methode  (die  besonders  in  der  Arithmetik  Anwendung  findet) 
nicht  mehr  eine  rein  inductive. 

Da  bei  der  vollständigen  Induction  die  Sphäre  dessen,  was 
nach  dem  gegebenen  Obersatze  das  Prädicat  P  hat,  mit  der  Sphäre 
dessen,  dem  dasselbe  durch  den  Schlusssatz  zuerkannt  wird,  coincidirt, 


i 


§  129.  Die  unvollständige  Induction. 

8o  fallt  dieselbe  nur  in  sofern  noch  unter  die  allgemeine  Begriffsb 
mung  der  Induction,  als  sie  als  Grenzfall  angesehen  wird  (in 
licher  Weise,  wie  unter  dem  particularen  Urtheil  auch  das  unit, 
als  Grenzfall  mitbegriffen  ist).  So  lange  in  der  Aufzählung  der  I 
duen  oder  Arten  M,,  M,  .  .  .  .  die  Reihe  noch  nicht  ganz  gesoh 
ist,  ist  noch  die  Sphäre  des  S  weiter  als  die  Sphäre  von  Mj,  1 
und  somit  der  Schluss  auf  ein  Allgemeineres  gerichtet;  die  angeg 
successive  Erweiterung  der  Subjects-  (auch  die  Verengung  der 
dicats-)  Sphäre  führt  bis  zur  Gleichheit  der  Sphären,  aber  ni 
darüber  hinaus. 

Beispiele  zu  der  vollständigen  Induction  sind  folgende: 
Mercur  hat  Azendrehung;   ebenso  die  Venus,  die  Erde,  der  Marf 
Jupiter  und  der  Saturn;    eben  diese  sind  die  alten  Planeten;    n 
haben  die  sämmtlichen  alten  Planeten  Axendrehung.  —  Der  Perip] 
Winkel  im  Kreise  hat  die  halbe  Grösse  des  Gentriwinkels,  weichet 
ihm  auf  gleichem  Bogen  steht,  sowohl  in  der  Lage,  worin  einer  a 
beiden  Schenkel  mit   einem  der  Schenkel  des   Gentriwinkels   ad 
betreffenden  Strecke  zusammenfällt,  als  auch  in  der  Lage,  worin 
beiden  Schenkel   die  des  Gentriwinkels  umfassen,   als  endlich   in 
Lage,   worin  einer  seiner  Schenkel  einen  Schenkel  des  Gentriwi: 
schneidet;  nun  aber  sind  diese  drei  Lagen  die  einzig  möglichen; 
lieh  gilt  der  Satz  über  das  Verhältniss  jener  Winkel  allgemein. 

§   129.     Die    unrollständige   Induction   (indi 
incompleta)  würde   nach  den  syllogistischen  Regeln  nui 
einem  particularen  Schlnsssatze  berechtigen :  mindestens  ein 
S  ist  P;  mindestens  einiges,  was  sowohl  Oi,  als  (72 . . . .  isl 
P.  Die  Gültigkeit  der  Verallgemeinerung  des  Schlusssatzes 
Ergänzung  der  nach  den  gegebenen  Sphärenverhältnissen  ü 
bleibenden  Lücke  beruht  theils  auf  der  allgemeinen  Voi 
Setzung   eines  gesetzmässigen  Gausalzusammenhangs   in 
Erkenntnissobjecten,  theils  auf  der  besonderen  Voraussetz 
dass  im  vorliegenden  Falle  irgend  ein  gesetzmässiger  Cai 
Zusammenhang   zwischen  dem  Subjecte   und  Prädicate 
Schlusssatzes  bestehe.     Der  Gewissheitsgrad  des   induct 
Schlusses  hängt  jedesmal  von  der  Zulässigkeit,   der  Art 
dem  Gewissheitsgrade  der  letzteren  Voraussetzung  ab. 

Eine  Thatsache,  die  einen  Einwand  gegen  die  allgem 
Gültigkeit  des  Schlusssatzes  begründet,  heisst  eine  Inst 
(instantia,  evaraoig). 

In  die  nnvollslÄndige  Induction  geht  das  erste  Beispiel  des 
gen  Paragraphen  (zur  vollständigen  Induction)  über,  wenn  enti 
die  Beobachtung  der  Axendrehung  als  nur  bei  einzelnen  der  gena: 


428  §  129.   Die  ua vollständige  Induotion. 

Planeten  (Mercur,  Venus,  Erde,  Mars,  Jupiter,  Saturn),  nioht  bei  ihnen 
allen  ausnahmslos  vollzogen  vorausgesetzt  wird,  oder  wenn  andererseits, 
während  die  angegebenen  Resultate  der  Beobachtung  sämmtlioh  als 
Ausgangspunkte  dienen,  der  Schluss  auf  die  sämmtlichen  Planeten  (nicht 
bloss  auf  die  schon  den  Alten  bekannten)  bezogen  wird.  Die  Berech- 
tigung zur  Verallgemeinerung  knüpft  sich  daran,  dass  die  Erde  nicht 
als  Erde^  d.  h.  als  dieser  bestimmte  Planet,  und  der  Mars  nicht  als 
Mars,  vermöge  seiner  individuellen  Natur,  sondern  dass  ein  jeder  dieser 
Planeten  als  Planet,  vermöge  seiner  planetarischen  Natur,  Axendrehung 
habe,  d.  h.  dass  zwischen  dem  Planetsein  und  der  Axendrehung  irgend 
eine  causale  Verbindung  bestehe  (die  im  Ursprung  der  Planeten  begrün- 
det sein  mag).  Die  Vielheit  beobachteter  Fälle  führt  uns  auf  die  An- 
nahme, dass  dieses  Verhältniss  bestehe.  Wäre  es  möglich,  auf  Grund 
einer  einzelnen  Beobachtung  sofort  zu  wissen,  in  welcher  causalen 
Beziehung  dieselbe  begründet  sei,  z.  B.  ob  der  Erde  die  Axendrehung, 
ob  ihr  das  Bewohntwerden  etc.  als  einem  Planeten  oder  als  diesem 
Planeten,  vermöge  ihrer  allgemeinen  oder  vermöge  ihrer  individuellen 
Natur  zukomme,  ob  der  Stein  als  ein  zur  Erde  gehöriger  dichter  Kör- 
per oder  als  Materie  niederfalle,  ob  Eisen,  Blei,  Gold  etc.  schon  als 
Metalle  schwerer  als  Wasser  seien  (wo  dann  das  Gleiche  auch  von  den 
Metallen  Kalium  und  Natrium  gelten  müsste,  die  doch  leichter  sind), 
ob  nach  dem  Gebrauch  eines  Medicamentes  die  Heilung  vermöge  der 
generischen  oder  specifischen  Natur  des  gebrauchten  Medicamentes  und 
der  Krankheit  oder  vermöge  individueller  und  zufälliger  Umstände  er- 
folgt sei,  ob  das  von  uns  als  Masculinum  vorgefundene  Wort  planeta 
als  ein  lateinisches  Wort  auf  a  ein  Masculinum  sei,  ob  die  von  uns 
weissblühend  gesehene  Rose  als  Rose  weiss  blühe  etc.;  dann  bedürfte 
es  der  inductiven  Zusammenstellung  vieler  Fälle  überhaupt  nicht;  es 
bedarf  derselben  gerade  zum  Behuf  dieser  Entscheidung,  die  wir  nach 
einer  einzelnen  oder  auch  nach  wenigen  Beobachtungen  ^war  sofort  zu 
fällen  leicht  geneigt  sind,  aber  nur  vermöge  einer  schlimmen  Selbst- 
täuschung sofort  mit  logischem  Rechte  fällen  zu  dürfen  wähnen  können. 
Das  gesicherte  Wissen,  ob  die  der  Induction  zum  Grunde  liegenden 
Urtheile  ein  Prädicat  enthalten,  das  dem  Subjecte  vermöge  seiner  all- 
gemeinen Natur  oder  vermöge  seiner  individuellen  Natur  oder  vermöge 
zufälliger  Umstände  zukomme,  ist  nicht  der  Ausgangspunkt  der  Induc- 
tion (denn  wo  dasselbe  schon  vorhanden  ist,  bedarf  man  des  inductiven 
Verfahrens  überhaupt  nicht  mehr),  wohl  aber  das  wesentliche  Ziel  der- 
selben. 

Inductionen  bilden  sich  ursprünglich  ohne  Absicht  und  ohne  be- 
wusste  Regel  vermöge  des  Associations-  und  Abstractionsprocesses  (der 
Hu  menschen  »Gewöhnung«)  und  gehen  dann  meist  in  ungültiger  Ver- 
allgemeinerung über  die  Wahrheit  hinaus.  Von  den  vielen  so  entstan- 
denen allgemeinen  Annahmen  erweisen  sich  bei  fortschreitender  Erfah- 
rung nur  wenige  als  haltbar,  während  die  übrigen  durch  den  Wider- 
streit mit  Thatsachen  als  unberechtigt  erkannt  werden;  die  haltbaren 
sind  diejenigen,  bei  welchen  der  oben  bezeichnete  Causalnexus  besteht. 


§  129.  Die  nnvollstöndige  Induction.  429 

Bestände  ein  solcher  überhaupt  nicht  und  wäre  die  objective  Wirklich- 
keit an  sich  etwas  Chaotisches,  so  würde  die  blosse  Sammlung  von  Er- 
fahrungen niemals  Allgemeingültigkeit  haben  können  und  diese  uns 
durchaus  unerreichbar  sein;  da  wir  aber  doch  thatsächlich  mitunter 
diese  erreichen,  so  muss  jene  Voraussetzung  des  chaotischen  Charakters 
der  objectiven  Wirklichkeit  falsch  sein.  Indem  nun  darauf,  welche 
Inductionen  allgemein  gültig  seien,  die  Reflexion  sich  richtet,  werden 
hernach  Inductionen  in  der  bewussten  Richtung  auf  die  Auffindung 
des  objectiven  Causalnexus  gebildet,  wobei  die  Zahl  der  zutreffenden 
Fälle  nicht  die  Allgemeingültigkeit  begründet,  aber  als  ein  Krite- 
rium der  Wahrscheinlichkeit  dient,  dass  das  Allgemeingültige 
aufgefunden  worden  sei.  Auf  Grund  der  Naturordnung  werden  all- 
gemeinere Inductionen  möglich,  welche  den  specielleren  zur  Stütze  und 
zum  Maasse  dienen. 

Durch  die  inductive  Verallgemeinerung  der  einzelnen  Resultate 
der  Beobachtung  sind  namentlich  die  Wissenschaften  von  der  organi- 
schen Natur  grross  geworden;  die  Wissenschaften  von  der  unorganischen 
Natur  beruhen  mehr  auf  der  Verbindung  der  Induction  mit  der  durch 
Hülfe  der  Mathematik  vollzogenen  Deduction.  Die  gleichen  metho- 
dischen Principien  finden  auch  auf  die  Gebiete  des  geistigen  Lebens 
Anwendung.  Wir  beschränken  uns  hier  auf  die  allgemeinen  Grundzüge 
der  Theorie  der  Induction,  und  verweisen  hinsichtlich  der  besonderen 
Anwendungen  derselben  in  den  einzelnen  Wissenschaften  auf  die  ange- 
führten Werke  von  Whewell,  Mill,  Apelt,  Oesterlen  u.  Anderen. 

Die  Bedeutung  der  Induction  als  eines  Mittels  zur  Erwei- 
terung unserer  Erkenntniss  beruht  auf  der  gleichen  Beziehung  zu 
der  realen  Gesetzmässigkeit  (nach  dem  Satze  des  Grundes,  s.  o. 
§  81,  S.  270),  worauf  auch  die  Möglichkeit  des  Syllogismus  als  einer 
Erkenntnissform  (s.  o.  §  101,  S.  315  ff.)  sich  gründet.  Es  ist  ein  blosses 
Vorurtheil,  wenn  die  eine  dieser  Formen  der  andern  an  wissenschaft- 
lichem Werthe  nachgesetzt  wird,  als  ob  entweder  ausschliesslich  das 
syl logistische  Verfahren  beweiskräftig  sei  (da  doch  die  schlechthin 
obersten  und  daher  nicht  mehr  syllogistisch  ableitbaren  Sätze,  wofern 
sie  nicht  identische  oder  überhaupt  analytisch  gebildet«  Urtheile  sind, 
nur  vermittelst  der  Induction  sich  wissenschaftlich  feststellen  lassen), 
oder  als  ob  andererseits  die  Induction  allein  unsere  Erkenntniss  zu 
fördern  vermöge,  der  Syllogismus  aber  nur  zur  Zergliederung,  Auf- 
klärung und  Mittheilung  der  schon  vorhandenen  Erkenntniss  diene. 
Beide  Schlussweisen,  wiewohl  in  formaler  Beziehung  einander  entgegen- 
gesetzt, beruhen,  was  ihren  Erkenntnisswerth  betrifft,  wesentlich  auf 
demselben  Fundamente. 

Der  inductive  Schluss  hat  strenge  Allgemeinheit  theils,  wenn  das 
S  den  zureichenden  Grund  des  P  enthält,  theils  auch,  wenn  sich  P  zu 
S  als  die  allein  mögliche  Ursache  oder  auch  als  conditio  sine  qua  non 
verhält,  endlich  auch,  wenn  S  und  P  beide  nothwendige  Folgen  einer 
gemeinsamen,  für  P  zureichenden  und  für  S  einzig  möglichen  Ursache 
sind.    Dagegen  führt  die  Induction  nur  zu  oomparativer  Allgemeinheit 


430  §  129.  Die  anvollständige  Induction. 

oder  zn  Regeln,  welche  durch  Ausnahmen  beschrankt  werden  können, 
wenn  S  nur  eine  einzelne  mitwirkende  Ursache  oder  Bedingung  von  P 
ist,  oder  wenn  andererseits  P  nicht  die  einzig  mögliche  Ursache  vonS 
ist,  oder  wenn  S  und  P  zwar  Folgen  einer  gemeinsamen  Ursache  sein, 
jedoch  auch  einzeln  unter  verschiedenen  Bedingungen  vorkommen  können. 
£ndlich  ist  der  inductive  Schluss  überhaupt  unstatthaft,  wenn  kein 
Causalzusammenhang  irgend  welcher  Art  zwischen  S  und  P  voraus- 
gesetzt werden  darf. 

Wie  die  richtige  Begrififsbildung  (s.  o.  §  66,  S,  187  f.)  durch  die 
richtige  Urtheils-  und  Schlussbildung  bedingt  ist,  so  auch  andererseits 
diese  durch  jene;  insbesondere  aber  steht  die  Bildung  gültiger  In- 
ductionen  zu  der  Bildung  der  Begriffe  nach  den  wahrhaft  wesent- 
lichen Merkmalen  in  der  ersten  Beziehung.  Auf  der  guten  Begriffs- 
bildung beruht  die  Möglichkeit  berechtigter  inductiver  Verallgemeine- 
rungen. Denn  mit  den  wesentlichen  Merkmalen  des  Objectes,  auf  die 
(nach  §  56)  der  Begriff  sich  gründen  muss,  steht  eine  grosse  Zahl  von 
anderen  Eigenschaften  und  Beziehungen  in  dem  causalen  Zusammen- 
hange, auf  welchem  eben  die  Gültigkeit  der  Inductionen  beruht.  Hieraus 
fliesst  das  logische  Recht,  Eigenschaften,  die  an  einzelnen  Individuen 
einer  Species  beobachtet  worden  sind,  sofern  sie  nicht  nachweisbar 
durch  bloss  individuelle  Verhältnisse  bedingt  sind,  induotiv  auf  die 
ganze  Species  zu  beziehen.  Doch  bleiben  immer  Gegenfälle  möglich, 
so  lange  nicht  die  Art  des  Gausalzusammenhangs  klar  erkannt  ist.  — 
Auch  der  Grundsatz  inductiver  Verallgemeinerung,  den  Newton  (Prin- 
cip.  phil.  nat.  I.  III)  zunächst  in  Bezug  auf  die  physikalischen  Eigen- 
schaften der  Körper  aufstellt:  »qualitates  corporum,  quae  intendi  et 
remitti  nequeunt,  quaeque  corporibus  omnibus  competunt,  in  quibus 
experimenta  instituere  licet,  pro  qualitatibus  corporum  universorum 
habendae  suntc,  lässt  sich  auf  die  Voraussetzung  eines  inneren  Zusam- 
menhangs solcher  Eigenschaften  mit  dem  Wesen  der  Körper  überhaupt 
zurückführen.  Mit  Recht  sagt  Newton  (gegen  das  Ende  des  S.  Buches 
der  Optik):  »quamquam  ex  observationibus  et  experimentis  oolligere 
inductione  non  sit  utique  generalia  demonstrare,  at  haec  tamen  ratio- 
cinandi  methodus  optima  est  quam  ferat  natura  rerum,  tantoque  firmier 
existimari  debet  illatio,  quanto  inductio  magis  sit  generalis;  quodsi  ex 
phaenomenis  nihil,  quod  contra  opponi  possit,  exoriatur,  oondusio  in- 
ferri  poterit  universalis,  c 

Wie  das  syllogistische  Verfahren  ein  synthetisches  ist,  so  kann 
das  inductive,  sofern  es  vom  Einzelnen  zum  Allgemeinen  als  dem  ge- 
meinsamen Princip  zurückgeht  und  so  das  Gegebene  in  seine  theils  ge- 
meinsamen, theils  eigenthümlichen  Elemente  zerlegt,  als  ein  analyti- 
sches bezeichnet  werden.  Den  von  Trendelenburg  (Log.  Unters. 
II,  S.  210  f.;  2.  A.  S.  282;  8.  Aufl.  S.  816)  aiifgesteUten  Gegensatz 
zwischen  der  Induction  und  dem  analytischen  Verfahren,  wonach  jene 
nur  die  Thatsache  des  Allgemeinen  aus  dem  Einzelnen  summire, 
dieses  aber  aus  der  gegebenen  Erscheinung  den  allgemeinen  Grund 
suche,  können  wir  aus  denselben  Gründen  nicht  zugeben,  die  wir  oben 


§  129.   Die  unvollBtandige  Indnotion.  481 

(zn  §  101,  S.  823—826)  gegen  die  analoge  üntersoheidnng  zwischen 
dem  Syllogismus  und  derSynthesis  aufgestellt  haben.  Das  von  Trende- 
lenburg sog.  »analytische  Verfahrene  kann  nicht  ohne  die  inductive 
Form  sein,  und  die  wissenschaftliche  Induction  nicht  ohne  das  »analy- 
tische«, auf  den  Gausalzusammenhang  bezügliche  Element;  daher  kann 
jener  Unterschied  in  Wahrheit  nur  die  »formale«  und  »reale«  Seite 
der  Induction  betreffen. 

Der  Unterschied  der  Induction  von  der  Abstraction  liegt 
darin,  dass  jene  auf  den  allgemeinen  Satz,  die  Abstraction  aber  auf 
den  allgemeinen  Begriff  geht.  Dieser  specifische  Unterschied  darf 
nicht  (mit  Apelt,  Theorie  der  Induction,  Leipz.  1854,  S.  54  ff.)  auf  den 
doch  nur  graduellen  umgedeutet  werden,  dass  die  Induction  nur  zu 
allgemeinen  Lehrsätzen,  die  Abstraction  aber  zu  den  nothwendigen 
Grundwahrheiten  führe.  Es  giebt  nicht  (wie  Apelt  S.  56  behauptet) 
zwei  Arten  allgemeiner  Vorstellungen:  Begriffe  und  Gesetze;  denn  das 
Gesetz  ist  überhaupt  nicht  eine  Vorstellung,  sondern  ist  die  constante 
Weise  des  realen  Geschehens,  und  unser  Bewusstsein  von  demselben 
ist  ein  Urtheil  oder  eine  Combination  von  Vorstellungen,  worin  jene 
Gonstanz  als  real  gedacht  wird.  Der  gesetzmässige  Realzusammenhang 
aber  kann  immer  nur  entweder  deductiv,  d.  h.  syllogistisch,  oder  in- 
ductiT  erkannt  werden,  niemals,  auch  in  der  Mathematik  nicht,  »a  priori« 
im  Sinne  von  Kant,  Krause,  Fries  und  Apelt.  Die  Mathematik  ist  ge- 
wiss keine  empirische  und  inductive  Wissenschaft  in  dem  Sinne,  dass 
ihre  einzelnen  Lehrsätze  auf  dem  Wege  der  empirischen  Beobachtung 
und  Messung  festgestellt  werden  müssten;  dieselben  werden  syllogistisch 
erwiesen,  und  die  freie  Combination  geht  über  die  empirisch  gegebenen 
Formen  weit  hinaus.  Wohl  aber  gründet  sich  die  Gewissheit  derje- 
nigen mathematischen  Grundsätze,  welche  synthetische  Urtheile  sind, 
also  insbesondere  der  geometrischen  Axiome,  auf  empirische  Be- 
obachtung und  Induction;  sofern  aber  diese  an  sich  noch  nicht  die  ab- 
solut genaue  und  allgemeine  Gültigkeit  derselben  verbürgt,  wird  das 
Fehlende  (wie  schon  der  schottische  Philosoph  Dugald  Steward  richtig 
gelehrt  hat)  vermöge  einer  Idealisirung  des  Gegebenen  *)  hypothetisch 
ergänzt,  und  diese  hypothetischen  Elemente  erlangen  wissenschaftliche 
Gewissheit  in  derselben  Art,  wie  überhaupt  alle  Hypothesen,  nämlich 
durch  Uebereinstimmung  ihrer  Gonsequenzen,  also  hier  der  unzählig 
vielen  einzelnen  Lehrsätze,  welche  daraus  syllogistisch  erschlossen  sind, 
mit  einander  und  dem  empirisch  Gegebenen,  die  bei  jedem  Versuche 
sich  um  so  mehr  ergiebt,  je  genauer  wir  die  Figuren  construiren ;  indem 
nun  diese  Uebereinstimmung  oft  genug  erprobt  worden  ist,  um  die 
Annahme  eines  Fehlers  in  den  Beweisprincipien  auszuschliessen,  so  ist 
auch  bei  jeder  neuen  Deduotion  die  Gewissheit  des  Resultates  vor  der 


*)  Diese  setzt  fertige  Idealbilder  im  menschlichen  Geiste,  die 
aller  Erfahrung  verauslagen,  ebensowenig  voraus,  wie  die  künstlerische 
Idealisirung  gegebener  Naturformen;   sie  folgt  dem  Zuge  der  Objecto. 


482  §  129.  Die  unvollständige  Induction. 

speciell  darauf  gerichteten  Erfahrung  (oder  relativ  a  priori)  gesichert. 
Die  Kantische  Lehre  von  der  absoluten  Apriorität  der  Anschauung  des 
Baumes  würde  nicht  einmal,  selbst  wenn  sie  richtig  wäre,  die  nothwen- 
dige  Gültigkeit  der  bestimmten  einzelnen  Axiome  sichern;  sie  ist  aber 
in  der  That  nur  ein  verunglückter  Erklärungsversuch  der  mathema- 
tischen Gewissheit,  welche  wirklich  besteht,  und  ihren  Sitz  freilich  nicht 
in  der  unmittelbaren  Erfahrung,  wohl  aber  in  der  daran  geknüpften 
systematischen  Verkettung  hat.  Die  Lehre  Kant's  und  seiner 
Nachfolger  ist  eine  Art  abgeschwächter  Mythologie  (s.  oben  zu  §  42, 
S.  109  f.):  sie  hypostasirt  die  formirende  (nach  psychischen  Naturge- 
setzen und  nach  logischen  Normen,  die  durch  Existenzformen  bedingt 
sind,  gestaltende)  Thätigkeit  des  Geistes  zu  einem  mit  dem  Namen 
Form  bezeichneten  Gebilde,  nämlich  zu  der  vermeintlich  a  priori  vor- 
handenen RaumanschauuDg,  und  verlegt  die  Apodikticität,  die  dem 
Ganzen  des  mathematischen  Denkens  in  seiner  Beziehung  auf  das  Ge- 
gebene innewohnt,  in  den  vermeintlichen  vornehmeren  Ursprung  der 
mathematischen  Grundanschauungen,  ganz  in  gleicher  Weise,  wie  auf 
anderen  Gebieten  des  Denkens  die  Lehre  von  den  angeborenen  Ideen  *). 
Hegel  (Encycl.  §  190  f.)  erkennt  in  der  Induction  und  Analogie 
die  Grundlage  des  syllogistischen  Schlusses,  indem  der  Obersatz  auf 
jenen  Formen  beruhe.  In  der  Induction  mit  Becht,  und  in  der  Ana- 
logie insofern  mit  Becht,  als  in  derselben  ein  Inductionsschluss  mit 
enthalten  ist  (s.  unten  §  181),  und  als  dieselbe  auch  schon,  ohne  dass 
der  in  ihr  liegende  Inductionsschluss  mit  vollem  Bewusstsein  gedacht 
wird,  in 's   Bewusstsein  zu  treten   und   den    vollbewussten  Inductions- 


♦)  Vergl.  Plat.  de  Rep.  VII,  638;  Aristot.  Anal.  post.  I,  18; 
J.  Herschel,  a  prelim.  diso.  S.  95  ff.;  J.  St.  Mill,  indnct.  Logik, 
übers,  v.  Schiel,  1.  A.,  S.  XVUI  ff.;  Beneke.  Log.  I,  S.  73;  II,  S.  8; 
61;  86;  151  ff.;  Drobisch,  Vorr.  zur  2.  Aufl.  S.  VI  ff.  Ferner  mag 
hier  auf  die  ausdrückliche  Erklärung  einiger  der  namhaftesten  neueren 
Mathematiker  hingewiesen  sein,  die  den  empirischen  Ursprung  der  geo- 
metrischen Fundamentalsätze  und  den  hypothetischen  Charakter  dessen, 
was  darin  über  die  Besultate  der  Beobachtung  hinausgeht,  anerkennen. 
B.  Biemann  sagt  in  seiner  Abhandlung  ȟber  die  Hypothesen,  welche 
der  Geometrie  zu  Grunde  liegen«  (aus  dem  18.  Bande  der  Abh.  der 
K.  Gesellsch.  der  Wiss.  zu  Göttingen),  Gott,  in  der  Dietrich'schen  Buchh. 
1867  (verfasst  im  Jahr  1854):  »Eine  mehrfach  ausgedehnte  Grösse  ist 
verschiedener  Maassverhältnisse  fähig,  und  der  Baum  bildet  also  nur 
einen  besonderen  Fall  einer  mehrfach  ausgedehnten  Grösse.  Hiervon 
aber  ist  eine  nothwendige  Folge,  dass  die  Sätze  der  Geometrie  sich 
nicht  aus  allgemeinen  Grössenbegriffen  ableiten  lassen,  sondern  dass  die- 
jenigen Eigenschaften,  durch  welche  sich  der  Baum  von  anderen  denk- 
baren dreimch  ausgedehnten  Grössen  unterscheidet,  nur  aus  der  Erfah- 
rung entnommen  werden  können«.  —  In  wesentlicher  Uebereinstimmung 
mit  Biemann  sucht  Helmholtz  in  seiner  Abhandlung  ȟber  die  That- 
sachen,  die  der  Geometrie  zu  Grunde  liegen«,  in  den  Nachrichten  der 
E.  Gesellsch.  d.  Wiss.  zu  Göttingen,  1868  (S.  193—221)  ein  System  ein- 
facher Thatsachen  aufzustellen,  welches  zur  Bestimmung  der  Maass- 
verhältnisse des  Baumes  hinreiche.  —  Vgl.  oben  S.  865. 


I 

§  ISO.   Die  bemerkenswerthesten  Indactionsfehler.      i 

8ohla88  selbst  vorzabereiten  pflegt.  Die  Frage,  welche  Treni 
bürg  (Log.  Unters.  II,  S.  267,2.  Aufl.  II,  S.  342,  8.  Aufl.  II.  I 
dieser  Ansicht  entgegenhält:  9 sind  etwa  die  nothwendigen  ürthc 
Geometrie,  die  die  Basis  von  Schiassreihen  bilden,  aus  Inductid 
Analogie  das  geworden,  was  sie  sind?«  —  ist  in  dem  oben  niU 
stimmten  Sinne  entschieden  mit  ja  zu  beantworten.  Sie  sind' 
Induction  als  Fundamente  des  mathematischen  Schliessens  ge% 
worden^  allerdings  unter  dem  Miteingreifen  der  Abstraction,  Coi 
tion  und  Idealisirung  (s.  oben);  ihre  wissenschaftliche  Gewisshei 
stützt  sich  nicht  auf  die  Induction  allein,  sondern  noch  mehr  tt 
ausnahmslose  Zutreffen  der  aus  ihnen  syllogistisch  abgeleiteten 
in  denen,  wenn  die  Grundsätze  auch  nur  den  kleinsten  Fehler  enth 
dieser  irgend  einmal  so  angewachsen  sein  würde,  dass  er  in  die 
achtung  fiele. 

Schleiermacher  sagt  (Dial.  §  279):  >im  Hinsehen  auf  d 
sprünglichen  Acte  des  Inductionsprocesaes  liegt  die  Möglichke 
ursprünglichen  Acte  des  Deductionsprocesses« ;  (Dial.  §  288):  »« 
ersten  und  zweiten  ursprünglichen  Moment,  so  muss  der  Deduc 
process  überall  auf  den  Inductionsprocess  zurückgehen«.  Er  stell 
Recht  diesen  Kanon  in  ausnahmsloser  Allgemeinheit  auf. 

Leop.  George  erklärt  in  seiner  (»den  Manen  Schleiermai 
gewidmeten«)  »Logik  als  Wissenschaftslehre«,  Berlin  1869,  S.  80 
Beziehung  des  Inductionsverfahrens  auf  den  objectiven  Causalnexi 
einen  Cirkel,  da  die  Erkenntniss  des  Realzusammenhangs  selbsl 
immer  auf  unvollständige  Inductionen  gründe.  Dieser  Vorwurf  bi 
aber  auf  einer  Verwechselung  des  Bestehens  des  Causalnexus  unc 
serer  Erkenntniss  desselben.  Das  Bestehen  desselben  geht  unserei 
ductionen  voraus;  unsere  Erkenntniss  desselben  im  einzelnen  Fall 
Sammlung  von  Thatsachen  voraus,  und  unsere  Erkenntniss  dese* 
in  allgemeiner  Form  folgt  vielen  specielleren  Inductionen  nach; 
Erkenntniss  ist  die  Bedingung  (nicht  dieser  Inductionen,  in  we]i 
Falle  allein  der  »Cirkel«  bestehen  würde,  sondern  nur)  der  logii 
Rechenschaft  über  die  Inductionen.  Wir  verallgemeinern  zunächst 
nach  psychischen  Associationsgesetzen;  unsere  Verallgemeinerungen  h 
logische  Berechtigung  in  sofern,,  als  sie  jedesmal  mit  dem  obje<! 
Causalnexus  zusammentreffen  (vgl.  oben  S.  428  f.). 

Die  Frage,  inwiefern  das  inductive  Erkennen  geistige  Sei 
I  thätigkeit  und  Formen,  die  zur  Auffassung  des  Aeusseren  avi 

serem  Inneren  hinzugebracht  werden,    voraussetze,  hat  Beneke  ( 
der  Log.  II,  S.  28  ff.)  einer  genauen  Untersuchung  unterworfen. 

§  130.  Unter  den  Fehlern  gegen  die  Gesetze  de' 
duction  ist  der  bedeutendste  die  falsche  Verallgemei 
rung  (fallacia  fictae  universalitatis).  Dieser  Fehler  beru: 
der  Begel  entweder  auf  der  Verwechselung  einer  unvoUi 
digen  Induction  mit  einer  vollständigen,   oder  auf  der  i 

28 


y 


484  $181.    Der  Schlass  der  Analogie. 

rechtigten  Voraussetzung  eines  strengen  Causalzusammenhangs 
in  der  Richtung  vom  Subjecte  zum  Prädicate  des  Schlusssatzes 
(non  causa  ut  causa,  sive  post  hoc,  ergo  propter  hoc). 

Wenn  z.  B.  die  Regeln  über  die  Rechnung  mit  Potenzen  für 
alle  diejenigen  Verhältnisse  erwiesen  sind,  welche  bei  positiven  ganzen 
Exponenten  vorkommen  können,  und  dieselben  nun  ohne  weiteren  Be- 
weis ganz  allgemein,  also  auch  bei  Potenzen  mit  negativen  und  gebro- 
chenen und  selbst  irrationalen  Exponenten  als  gültig  angenommen  wer- 
den: so  ist  dies  in  methodischer  Beziehung  ein  Fall  ungerechtfertigter 
Verallgemeinerung  (obschon  dieselbe  sachlich  nicht  falsch  ist)  oder 
falscher  Beruhigung  bei  einer  unvollständigen  Induction,  wo  doch 
die  vollständige  erforderlich  und  erreichbar  war.  Die  zahlreichsten 
und  zum  Theil  grauenhaftesten  Beispiele  falscher  Inductionen,  die  auf 
ünkenntniss  des  wahren  Causalzusammenhangs  und  phantastischer 
Unterschiebung  eines  fingirten  beruhen,  liefert  der  Aberglaube  in  der 
unerschöpflichen  Mannigfaltigkeit  seiner  Formen,  der,  aus  tausend 
Schlupfwinkeln  verdrängt,  immer  wieder  in  neuen  sich  ansiedelt.  Aber 
auch  die  Geschichte  der  ernsten  Forschung  lässt  in  den  vielfachen 
Irrungen  dieser  Art,  von  denen  sie  zu  berichten  hat  (worüber  das  treff- 
liche Werk  von  W  he  well;  the  history  of  the  inductive  sciences,  deutsch 
von  Littrow,  1889 — 42,  verglichen  werden  mag),  nur  zu  deutlich  er- 
kennen, dass  der  Mensch  das  Höchste,  wozu  er  berufen  ist,  die  wissen- 
schaftliche Wahrheit,  gleich  wie  die  sittliche  Gesinnung,  nicht  auf  un- 
freie Weise  ohne  eigene  That  nur  hinzunehmen,  sondern  in  langem 
und  schwerem  Entwickelungskampfe  und  insbesondere  auch  durch  üeber- 
windung  der  natürlichen  Neigung  zu  falchen  Anthropomorphismen  zu 
erringen  hat. 

In  vielen  Fällen  ist  es  der  noch  nicht  durch  die  Wissenschaft 
berichtigte  Sprachgebrauch,  welcher  zu  falschen  Inductionen  ver- 
leitet. Der  VorsteUungskreis,  worauf  das  Wort  geht,  coincidirt  nicht 
nothwendig  mit  derjenigen  Begriffssphäre,  deren  Objecten  das  betref- 
fende Prädicat  zukommt ;  dem  oberflächlichen  Blicke  aber  verbirgt  sich 
leicht  die  Verschiedenheit  der  Umgrenzungen,  und  so  pflegen  wir  das 
gleiche  Prädicat  auf  alles,  was  wir  mit  demselben  Namen  bezeichnen, 
zu  übertragen,  bis  wir  gelernt  haben,  die  psychologische  Vorstellungs- 
association,  die  sich  an  das  Wort  anlehnt,  den  logischen  Normen  zu 
unterwerfen.  Vgl.  Beneke,  Syst.  der  Log.  II,  S.  59  ff.  —  In  Mill's 
inductiver  Logik  enthält  das  Kapitel  von  den  Irrthümem  der  Generali- 
sation  (in  der  Uebersetzung  von  Schiel  S.  261  ff. ;  2.  u.  8.  A.  II,  S.  875  ff.) 
eine  Reihe  von  Beispielen  falscher  Inductionsschlüsse. 

§  131.  Der  Schlass  der  Analogie  (exemplnm,  ana- 
logia,  naQaöuy^a^  dvaloyia)  ist  der  Schlass  vom  Besonderen 
oder  Einzelnen  anf  ein  demselben  nebengeordnetes  Besonderes 
oder  Einzelnes.    Das  Schema  desselben  ist  folgendes: 


§  131.  Der  Schlnss  der  Analogie.  435 

M    ist    P. 

S  ist  gleichartig  mit  M. 


S    ist    P. 
Oder  bestimmter,  indem  das,  worin  die  Gleichartigkeit  besteht, 
mitangegeben  wird,  folgendes: 

M    ist    P. 

M    ist    A. 

S     ist    A. 


S  ist  P. 
Es  kann  hierbei  theils  der  Begriff  H,  theils  der  Begriff 
A,  theils  ein  jeder  dieser  beiden  Begriffe  ein  mehrfacher  sein, 
wodurch  drei  Formen  entstehen,  deren  erste  der  Grundform 
des  inductiven  Schlusses  entspricht,  die  zweite  und  dritte  den 
oben  (§  127)  mit  angefahrten  Nebenformen.  Jeder  Schluss 
der  Analogie  lässt  sich  in  einen  Inductionsschluss  von  der 
entsprechenden  Form  und  einen  Syllogismus  zerlegen. 

Insbesondere  ist  die  erste  Form  des  Analogieschlusses 
folgende: 

Sowohl  M],  als  Ms,  als  Ma  .  •  .  ist  P. 
Sowohl  Ml,  als  M2,  als  Ms  .  .  .  ist  A. 

S    ist    A. 


S    ist    P. 
Dieselbe  lässt  sich  reduciren  auf  den  Schluss  der  Induction 
von  der  ersten  Form: 

Sowohl  Ml,  als  Ms,  als  Ms  .  .  .  ist  P. 

Sowohl  Ml,  als  Ms,  als  Ms  ...  ist  A. 

A    ist    P, 
und  den  zugehörigen  Syllogismus  der  ersten  Figur: 

A    ist    P. 
S     ist    A. 


S    ist    P. 
Die  zweite  Form  des  Analogieschlusses  ist  folgende: 

M    ist    P. 
M  ist  sowohl  Ai,  als  As,  als  As  ...  . 
S  ist  sowohl  Ai,  als  As,  als  As  ...  . 

S    ist    P. 


486  §  131.   Der  Sohluss  der  Analogie. 

Diese  Form  lässt  sich  rednciren  auf  den  Scblass : 

M    ist    P. 
M  ist  sowohl  Ai,  als  Aa,  als  As  ...  . 

Alles,  was  sowohl  Ai,  als  At,  als  As  ...  .  ist,  ist  P, 
und  den  zugehörigen  Syllogismus  der  ersten  Figur: 

Alles,  was  sowohl  Ai,  als  As,  als  As  ...  .  ist,  ist  P. 
S  ist  sowohl  Ai,  als  As,  als  As  ...  . 

S    ist    P. 
Die  dritte  Form  des  Analogieschlusses  vereinigt  in  sich 
die  EigenthtLmlichkeiten  der  beiden  ersten. 

Sowohl  Ml,  als  Ms  ...  .  ist  P. 
Sowohl  Ml,  als  Ms  ...  .  ist  zugleich  Ai  und  As  ...  . 

S    ist    P. 
Die  Zerlegung  führt  auf  die  beiden  folgenden  Schlüsse : 

Sowohl  Ml,  als  Ms  ...  .  ist  P. 
Sowohl  Ml,  als  Ms  ...  .  ist  zugleich  Ai  und  As  ...  . 

Alles,  was  zugleich  Ai  und  As  ...  .  ist,  ist  P 
und: 

Alles,  was  zugleich  Ai  und  As  ....  ist,  ist  P, 
S  ist  zugleich  Ai  und  As  ...  . 

S    ist    P. 
Auch  bei  hypothetischen  Sätzen  kOnnen  diese  drei 
Formen  des  Schlusses  der  Analogie  yorkommen. 

Ein  Beispiel  eines  Analogieschlusses  der  ersten  Form  ist  fol- 
gendes: Mercur,  Venus,  Erde,  Mars,  Jupiter  und  Saturn  (die  sämmt- 
*  lieben  schon  im  Alterthum  bekannten  Planeten)  haben  Axendrehung  von 
Westen  nach  Osten;  alle  diese  sind  Planeten  unseres  Systems;  auch 
Uranus  gehört  zu  den  Planeten  dieses  nämlichen  Systems;  also  wird 
auch  Uranus  Axendrehung  von  Westen  nach  Osten  haben.  —  Ein  Ana- 
logieschluss  der  zweiten  Form  ist  folgender:  die  Erde  ist  Trägerin 
eines  organischen  Lebens;  die  Erde  ist  ein  unsere  Sonne  umkreisender 
Planet  mit  Axendrehung,  mit  Atmosphäre,  mit  Wechsel  der  Jahres- 
zeiten etc.;  auch  der  Mars  ist  ein  unsere  Sonne  umkreisender  Planet 
mit  Axendrehung,  mit  Atmosphäre,  mit  Wechsel  der  Jahreszeiten  etc. ; 
also  wird  auch  der  Mars  ein  Träger  organischen  Lebens  sein.  —  Von 
derselben  Form  ist  der  Schluss,  den  Franklin  im  November  1749  bil- 
dete (vgl.  Beneke,  Log.  II,  S.  119)  und  der  unter  der  Yorausaetzung, 
dass  noch  nicht  die  Subsumtion  des  Begrififs  des  Blitzes  unter  den  Be- 
griff der  elektrischen  Erscheinungen  vollzogen,  sondern  bloss  noch  die 


§181.  Der  Sohluss  der  Analogie.  437 

Aehnlichkett  erkannt  sei,  den  Analogieschl&ssen  zugerechnet  werden 
mnss:  das  elektrische  Fluidum,  wie  sich  dasselbe  bei  den  von  uns  an- 
gestellten Experimenten  bekundet,  wird  durch  hervorragende  Metall- 
spitzen angezogen;  dieses  elektrische  Fluidnm  und  der  Blitz  kommen 
in  den  Eigenschaften  uberein,  dass  sie  Licht  geben  von  gleicher  Farbe, 
eine  schnelle  Bewegung  haben,  durch  Metalle  geleitet  werden  etc.  etc. ; 
also  ist  zu  vermuthen,  dass  auch  der  Blitz  durch  hervorragende  Me- 
tallspitzen angezogen  werde.  —  Das  oben  angeführte  Beispiel  eines 
Analogieschlusses  der  ersten  Form  geht  in  die  dritte  Form  über 
wenn  als  gemeinsamer  Charakter  des  Uranus  und  der  alten  Planeten 
nicht  nur  das  Allgemeine  bezeichnet  wird,  dass  sie  alle  Planeten  des 
nämlichen  Systems  sind,  sondern  ausserdem  auch  noch  die  besondere 
Eigenschaft,  wodurch  sich  alle  diese  Planeten  (wie  auch  der  Neptun) 
von  den  Asteroiden  unterscheiden,  dass  sie  nämlich  gfrössere  und  jedes- 
mal in  einem  bestimmten  Abstände  von  der  Sonne  die  einzigen  Pla- 
neten sind. 

Man  kann  nicht  zwei  Arten  des  Analogieschlusses,  nämlich  den 
nach  vollständiger  und  den  nach  unvollständiger  Analogie  unter- 
scheiden, jenachdem  die  implicite  darin  mitenthaltene  Induction  von 
der  einen  oder  anderen  Art  sei;  denn  damit  die  Induction  Vollstän- 
digkeit habe,  müsste  eben  der  Fall,  der  durch  die  Analogie  erst  er^ 
schlössen  werden  soll,  schon  mit  als  Prämisse  gegeben  sein.  Der  Ana- 
logieschluss  kann  sich  also  nur  an  die  unvollständige  Induction  an- 
schliessen.  Alle  Formen  des  Analog^ieschlusses  unterscheiden  sich  von 
der  Induction  durch  den  angeknüpften  Syllogismus,  der  von  dem  ver- 
muthungsweise  erschlossenen  Allgemeinen  wiederum  zum  Besonderen 
oder  Einzelnen  herabführt. 

Die  Gewissheit  oder  Wahrscheinlichkeit  des  Analogieschlusses 
gründet  sich  auf  die  nämlichen  Momente,  wie  die  des  Schlusses  nach 
unvollständiger  Induction.  Sie  knüpft  sich  an  die  Berechtigung  der 
Voraussetzung  eines  gesetzmässigen  Realzusammenhangs  zwischen  A 
und  P.  Denn  ganz  in  demselben  Maasse  und  aus  denselben  Gründen, 
wie  die  inductive  Verallgemeinerung  Wahrheit  hat,  muss  auch  die  Be- 
ziehung auf  den  einzelnen  analogen  Fall  wahr  sein,  da  in  der  syllogi- 
stisohen  Subsumtion  desselben  unter  das  einmal  als  gültig  angenommene 
allgemeine  Gesetz  keine  neue  üngewissheit  hinzutritt,  und  andererseits 
ist  auch  die  Beziehung  auf  den  einzelnen  analogen  Fall  nur  insofern 
berechtigt,  als  eine  allgemeine  Gesetzmässigkeit  vorausgesetzt  werden 
darf,  nach  welcher  auch  inductiv  das  gleiche  Prädicat  allen  denjenigen 
Objecten  beigelegt  werden  kann,  die  genau  denselben  Bedingungen 
entsprechen. 

Die  Fehler,  die  bei  dem  Schlüsse  der  Analogie  vorkommen 
können,  sind  darum,  weil  dieser  die  Vereinigung  eines  inductiven  und 
eines  syllogistischen  Schlusses  ist,  auch  wiederum  die  gleichen,  wie  bei 
jenen  Schluss weisen.  Sie  beruhen  meist  auf  der  falschen  Voraussetzung, 
dass  dem  M  um  seiner  allgemeinen  Natur  A  willen  das  Prädicat  P 
zukomme,  wesshalb  dasselbe  auch  jedem  anderen  A,  insbesondere  dem 


438  §  131.   Der  Schluss  der  Analogie. 

S,  zukommen  werde,  wahrend  doch  in  dem  betreffenden  Falle  das  P 
an  die  specifische  Differenz  des  M»  welches  S  nicht  mit  ihm  theilt,  ge» 
knüpft  ist.  So  lange  nicht  zwischen  A  and  P  ein  gesetzmässiger  Zu- 
sammenhang mit  Recht  vorausgesetzt  werden  darf,  gilt  der  Satz:  Bil- 
der und  Gleichnisse  beweisen  nicht.  Beispiele  von  falschen 
Analogieschlüssen  liegen  in  der  antiken  Annahme  der  Beseeltheit  der 
Himmelskörper  als  bewegter  Wesen  nach  der  Aehnlichkeit  mit  Menschen 
und  Thieren  (s.  o.  zu  §  42),  in  der  Parallelisirung  der  Beharrung  psy- 
chischer Eindrücke  mit  dem  Beharren  eines  Körpers  in  der  Ruhe  oder 
Bewegung  nach  dem  Gesetze  der  Trägheit  (vgl.  Lotze,  Mikrokosmus  I, 
S.  214,  2.  A.  S.  220);  andere  Beispiele  giebt  Mill  (induct.  Log.,  über- 
setzt von  Schiel,  1.  A.  S.  634  ff.,  2.  u.  3.  A.  II,  S.  386  ff.). 

Mit  der  Proportion  ist  die  Analogie  verwandt,  aber  nicht 
identisch.  Bezeichnen  wir  dasjenige  P,  welches  dem  M  zukommt,  näher 
als  P',  und  dasjenige,  welches  wir  dem  S  zusprechen,  als  P'',  so  lässt 
sich  der  Schluss  der  Analogie  auf  folgende  Formeln  bringen: 

M  ;  8  =  P'  :   F' 
oder: 

M  :  P  =  S  :  P" 

in  welcher  letzteren  Formel  das  A  als  Exponent  gelten  mag.  Doch 
hat  diese  Darstellung  in  den  meisten  Fällen  nur  die  Bedeutung  eines 
Gleichnisses  ohne  exacte  Gültigkeit.  Diejenigen  Fälle  aber,  wo  sie  mit 
strenger  Wahrheit  gilt  (wie  bei  der  sogen.  Regeldetri),  führen  nicht 
nur  zu  dem  Schlüsse,  dass  S  P  sei,  sondern  auch  zur  näheren  Bestim- 
mung des  P  als  P"  (z.  B.  nicht  nur  zu  dem  Schlüsse,  dass  auch  das 
zweite  Waarenquantum  einen  Preis  habe,  sondern  auch  zur  Berech- 
nung dieses  Preises),  weil  hier  das  Prädicat  P  den  beiden  Subjecten 
M  und  S  nicht  nur  in  Bezug  auf  ihren  Gattungscharakter  A  zukommt, 
sondern  sich  auch  genau  nach  dem  Verhältniss  ihrer  specifischen  £i- 
genthümlichkeiten  (m  und  s)  modificirt.  Der  Schluss  dieser  Art  mag 
(mit  Drobisch,  Log.  2.  A.  §  143,  3.  A.  §  149)  der  Schluss  nach 
strenger  Analogie  (analogia  exaota)  genannt  werden. 

Auf  die  Form  der  Proportion  gebracht,  würde  das  erste  der 
obigen  Beispiele  zur  zweiten  Form  lauten:  wie  sich  die  Erde  zum 
Mars  verhält,  so  verhält  sich  das  organische  Leben  auf  der  Erde  zu 
dem  (vorauszusetzenden)  organischen  Leben  auf  dem  Mars;  oder:  wie 
sich  die  Erde  zu  ihren  Organismen  verhält  (Exponent:  die  planetari- 
sche Natur),  so  der  Mars  zu  seinen  Organismen  (Exponent:  die  plane- 
tarische Natur). 

Aristoteles  (Anal.pri.  II,  24.  68b)  unterscheidet  den  Schluss  der 
Analogie  {nagaStiyfxa)  einerseits  von  der  Induction,  andererseits  von 
dem  Syllogismus  durch  die  Bestimmung,  dass  hier  weder  von  dem 
Theile  auf  das  Ganze,  noch  auch  von  dem  Ganzen  auf  den  Theil,  son- 
dem  von  dem  Theile  auf  den  Theil  geschlossen  werde,  und  zerlegt  den 
Analogieschluss  in  einen  Schluss  auf  das  Allgemeinere  (der  ein  Schluss 
der  unvollständigen  Induotion  ist,  wiewohl  Aristoteles  diesen 
Terminus  nicht  gebraucht,  da   ihm  als  eigentliche  Induction  nur  die 


§  181.  Der  Bchluss  der  Analogie.  489 

vollständige  grilt,  s.  oben  za  §  127,  S.  424),  und  einen  angeknüpften 
Syllogismus.  Anal.  pri.  II,  24.  69  a.  14:  (paveQov  oiv  on  t6  naQadetyfjid 
iOTiv  ovrc  dag  fÄ^QOg  ngoe  olov,  otrn  tos  olov  itQog  /Jt^ftog,  all*  atg  fi^Qos 
{^)  TtQog  ^4qos  {r)t  oTttV  afjLipti}  ^Iv  j  vnb  rauro  (B),  yvtOQifiov  6k  9tx* 
j^QOV  {^i,  soil.  on  ro  A  airrtp  vnotQx^i).  xnl  diatpäQH  Trjg  inttytoyrjg^  on 
i)  ^ikv  ii  anaVTWV  imv  aro/unop  ro  axQov  (Jfixvvfv  vnaQ^^iv  Ttp  fxiat^  xal 
TtQog  t6  axQov  ov  cfvvfjme  tov  avJiloyiafiov,  t6  6k  xal  awanra  xaX  ovx  iS 
andvTiov  6%Cxwaiv.  Cf.  Rhet.  I,  2.  Er  giebt  folgendes  Beispiel:  Icrro 
10  A  xaxov,  t6  dk  B  ngog  ofioQovg  dvatoeiadtti.  noltfioVy  iip'  ip  dk  Tro 
*A^fjvatovs  TiQog  Brißaiovg,  t6  dk  (tp^  (p  J  Grjßaiovg  n^s  4>Q}X€ief  vro  er 
zonaohst  aus  dem  empirisch  gegebenen  Falle,  dass  der  Krieg  der  The- 
baner  gegen  die  Phoceer  yerderblich  war  (A  ist  A),  auf  eine  unvoll- 
standig  inductive  Weise  den  allgemeinen  Satz  als  eine  glaubhafte  An- 
nahme ableitet,  dass,  da  jener  Krieg  ein  Krieg  gegen  Grenznachbam 
war  {A  ist  B),  überhaupt  wohl  ein  jeder  Krieg  gegen  Grenznachbam 
yerderblich  sei  {B  ist  A),  und  daraus  syllogistisch  weiter  schliesst,  dass 
also  auch  wohl  ein  Krieg  der  Athener  gegen  die  Thebaner  (r),  da 
derselbe  ein  Krieg  gegen  Grenznachbam  sei  (ristB),  verderblich  sein 
werde  (r  ist  A).    Es  sind  also  gegeben  die  drei  Prämissen: 

1.  A  ist  A, 

2.  A  ist  B, 
8.    r  ist  B. 

Aristoteles  folgert  zuerst  aus  1.  und  2.  vermuthungsweise: 

4.    B  ist  A, 
und  nachdem  dies  gezeigt  ist  {orav  t^  f^^(ftp,  sc.  t^  B,  ro  ax^ov,  so.  t6 
Aj  VTtOQxov  dn;(9j  äiit  tov  6f4.o{oVf    sc.  roi;  A,  Tip  To^r^,  sc.  r^  7^,  fol- 
gert er  endlich  syllogistisch  aus  4.  und  3.  das  Resultat: 

6.  r  ist  -^df. 
Von  diesen  beiden  Folgerungen,  die  in  dem  Einen  Analogieschlüsse 
liegen,  ist  die  erste  diejenige,  an  welche  die  Entscheidung  sich  knüpft, 
da  mit  ihrer  Gültigkeit  die  Gültigkeit  des  Ganzen  steht  und  fällt, 
während  der  Syllogismus  sich  auf  eine  leichte  und  zweifellose  Weise 
ansohliesst.  Aristoteles  pflegt  daher  vorzugsweise  auf  jenes  erste  Ele- 
ment der  Analogie  zu  achten,  und  erklärt  dieselbe  in  diesem  Sinne  für 
eine  Art  von  Induction,  die  aber  unvollkommen  und  mehr  rhetorisch, 
als  wissenschaftlich  sei,  weil  nämlich  das  Allgemeinere  hier  nicht  aus 
der  erschöpfenden  Aufzählung  alles  Einzelnen,  sondern  aus  einem  ein- 
zelnen Falle  oder  doch  nur  einigen  einzelnen  erwiesen  werde.  Die 
Analogie  verhalte  sich  daher  zur  Induction  ähnlich,  wie  das  Enthymema 
zum  Syllogismus.  Analyt.  post.  I,  1.  71  a.  9:  (o?  cf'  atutog  xal  ot  ^rjro' 
(uxol  ffvfiniiO^vaiy  ^  yäg  dtä  naQaiuyfxdTiav^  o  iariv  inayo)Yii,  tj  cft' 
iy&vfjirifidTüiVf  on€Q  ioTl  avlloyta/jog.  Den  Terminus  dvaXoyla  gebraucht 
Aristoteles  nicht  in  der  logischen  Bedeutung  der  Analogie,  sondern 
in  der  mathematischen  der  Proportion.  Theophrast  gebraucht  den 
Namen  avaXoyia  in  einer  logischen  Bedeutung,  aber  von  ganz  anderer 
Art,  indem  er  die  durchgängig  hypothetischen  Schlüsse  avXXoytajuovg 
xm*  dyaXoyüty  nennt   (s.  oben  zu  §  121,  S.  402).     Dagegen  wird  der 


440  §  131.  Der  Schluss  der  Analogie. 

Terminas:  ot  xaia  ro  avaXoyov  avlkoyiauoC  aaf  die  Schlüsse  der  Ana- 
logie bezogen  und  anf  dieselben  das  Schema  der  mathematische  Pro- 
portion angewandt  in  der  von  Minas  herausgegebenen  rakfpfov  Elga- 
y<&yri  ^itdexrixri  p.  5d  sqq.  (vgl.  Prantl,  Gesch.  der  Log.  I,  S.  608).  — 
Boethius  (Op.  ed.  Basil.  1546,  p.  864  sq.)  lehrt  in  genauer  Ueberein* 
Stimmung  mit  Aristoteles:  »Est  enim  exemplum,  quod  per  particu- 
lare  propositum  particulare  quoddam  oontendit  ostendere  hoc  modo: 
oportet  a  Tullio  consule  necari  Catilinam,  quum  a  Scipione  Gracchus 
sit  interemptus.  —  Ex  parte  pars  approbatur.  —  Exemplum  inductionis 
simile.  —  Quae  omnia  ex  syllogismo  vires  äccipiuntc.  —  Den  vollen 
wissenschaftlichen  Werth  der  Analogie,  gleich  wie  den  der  Induction, 
hat  erst  die  neuere  Entwickelung  der  Naturwissenschaften  sur 
Anschauung  gebracht.  Vgl.  Gruppe,  Wendepunkt  der  Philos.  im 
neunzehnten  Jahrhundert,  1831,  S.  84  ff.,  und  Trendelenburg,  Log. 
ünt.  II,  S.  802—809,  2.  A.  11,  S.  378—385,  3.  A.  S.  418—419.  — 
Kant  erklärt  (Erit.  d.  r.  Vem.  8.  222)  die  Analogrie  für  die  Gleichheit 
zweier  qualitativer  Verhältnisse  (wogegen  die  mathematische  Analogie 
oder  Proportion  auf  die  Gleichheit  zweier  Grössenverhältnisse  gehe).  Er 
gesteht  (Log.  §  84)  der  Analogie,  gleich  wie  der  Induction,  zwar  eine 
gewisse  Nützlichkeit  und  ünentbehrlichkeit  zum  Behuf  der  Erweiterung 
der  Erfahrungserkenntniss  zu,  setzt  aber  diese  beiden  Formen  als 
»Schlüsse  der  reflectirenden  ürtheilskraftc  tief  unter  den  Syllogismus 
herab,  welchem  allein  der  Name  »Yemunftschlussc  zukomme;  denn 
(§  84,  Anmerk.  2):  »ein  jeder  Yemunftschluss  muss  Nothwendigkeit  ge- 
ben; Induction  und  Analogie  sind  daher  keine  Vernunftschlüsse,  son- 
dern nur  logische  Präsumtionen  oder  auch  empirische  Schlüsse«;  — 
(§  81):  »das  Allgemeine,  zu  welchem  sie  (die  reflectirende  Urtheilskraft) 
vom  Besonderen  fortschreitet,  ist  nur  empirische  Allgemeinheit,  ein 
blosses  Analogen  der  logischen  c  Die  Beziehung  auf  die  reale  Gesetz- 
mässigkeit wird  von  Kant  nicht  nur  nicht  in  der  Logik  (um  des  sub- 
jectiv-formalen  Charakters  derselben  willen),  sondern  überhaupt  nicht 
nachgewiesen  (denn  auch  der  Abschnitt  in  der  Kritik  der  r.  Vem.  S.  218 
— 265  über  die  Analogien  der  Erfahrung  hat  doch  nicht  diese  Tendenz). 
—  Allein  jener  so  hoch  über  Induction  und  Analogie  erhobene  »Ver- 
nunftschluss«  oder  Syllogismus  vermag  ja  nach  der  rein  formalen  Auf- 
fassung, die  er  bei  Kant  findet,  noch  weniger,  als  jene  Schlüsse  der 
ürtheilskraft,  unsere  Erkenntniss  zu  erweitern,  sondern  fuhrt  im  Schluss- 
satze  doch  nur  zu  einer  partiellen  Wiederholung  dessen,  was  wir  schon 
wissen  und  im  Obersatze  ausgesagt  haben;  er  kann  also  gar  nicht  ein 
Princip  wissenschaftlicher  Gewissheit  sein,  wie  denn  auch  Kant  selbst 
ihn  nur  den  > analytischen«  Formen  des  Denkens  zurechnet,  durch 
welche  alle  ja  nur  die  vorhandenen  Erkenntnisse  zergliedert,  aber  keine 
neuen  gewonnen  werden.  So  vermochte  denn  Kant  in  allen  Weisen  des 
logischen  Schlussverfahrens  überhaupt  eine  Quelle  apodiktischer  Gewiss- 
heit nicht  zu  erkennen  (hierin  mit  den  Skeptikern  einverstanden,  da 
die  logischen  Theorien  der  von  ihm  sog.  dogmatischen  Philosophen  in 
der  Gestalt,  wie  er  dieselben  auffasste,  ihn  nicht  befriedigten).    Ande- 


§  131.  Der  Schluss  der  Anälogfie.  441 

rerseÜB  aber  konnte  Kant  nicht  umhin  (im  Gegensätze  gegen  die  Skep- 
tiker), die  Apodiktidtät,  die  er  in  den  positiven  Wissenschaften  vorfand, 
gleichsam  als  eine  gegebene  Thatsache,  und  die  Frage,  wie  sie  möglich 
sei,  als  ein  Problem  der  Erkenntnisstheorie  anzuerkennen.  Von  diesen 
beiden  Voraussetzungen  aus  musste  freilich  wohl  Kant*s  eigene  Erkennt- 
nisslehre oder  die  »Kritik  der  reinen  Vemunftc,  die  so  manche  von 
den  traditionellen  Illusionen  zerstörte,  doch  selbst  jenen  in  gewissem 
Sinne  mystischen  Charakter  gewinnen  (s.  o.  S.  432),  den  sie  in  der  That 
an  sich  trägt:  Kant  sucht  den  Grund  der  wissenschaftlichen  Gewissheit, 
den  er  nicht  in  den  logischen  Normen  selbst  zu  finden  weiss,  jenseit 
derselben  in  den  vermeintlich  a  priori  vorhandenen  Anschauungsfor- 
men, Kategorien  und  Ideen.  Dem  Ich,  der  reinen  Apperception  als 
einem  urspriingliohen  Actus  der  Spontaneität  eines  jeden  Einzelnen, 
wird  von  Kant  auch  solches  beigelegt,  was  doch  in  Wahrheit  erst  als 
historisches  Resultat  des  Entwickelungsganges  der  Menschheit  im  Laufe 
der  Jahrtausende  aus  dem  geistigen  Zusammenwirken  der  Individuen 
und  der  Nationen  hervorgegangen  ist,  und  nur  auf  bestimmten,  histo- 
risch bedingten  Culturstufen  hervortreten  konnte.  (Vgl.  J*  G.  Fichte, 
Werke,  VII,  S.  608:  »wir  sind  so  vieles  ohne  unser  Bewusstsein,  das 
unserem  bewussten  Treiben  als  Prämisse  zu  Grunde  liegt;  dies  sind 
wir  durch  die  Zeit  geworden  und  legen  es  dann  auch,  wie  ein  sich 
von  selbst  Verstehendes,  so  lange,  bis  wir  es  absondern  und  als  ein 
historisches  Zeitproduct  an  uns  begreifen,  aller  Zeit  zu  Grunde«.)  — 
Was  die  formale  Seite  des  Analogieschlusses  betrifft,  so  lehrt  Kant 
(Log.  §  84),  die  Urtheilskraft  schliesse  darin  von  vielen  Bestimmungen 
und  Eigenschaften,  worin  Dinge  von  einerlei  Art  zusammenstimmen, 
auf  die  übrigen,  sofern  sie  zu  Einem  Princip  gehören,  oder  von  parti- 
cularer  Aehnlichkeit  auf  totale,  während  bei  der  Induction  von  vielen 
auf  alle  Dinge  Einer  Art  geschlossen  werde  nach  dem  Princip:  was 
vielen  Dingen  Einer  Gattung  zukommt,  das  kommt  auch  den  übrigen 
zu.  Kant  setzt  demnach  den  unterschied  der  Analogie  von  der  Induc- 
tion in  diejenige  Bestimmung,  in  welcher  wir  oben  dieEigentbümlich- 
keit  der  zweiten  Form  der  Analogie  gefunden  haben.  Hierin  sind  ihm 
mehrere  neuere  Logiker  gefolgt,  z.  B.  Bachmann  (Log.  S.  838  ff.), 
Hamilton  (Lect.  onLog.  II,  S.  166),  Mansel  (Artis  log.  rudim.  append. 
S.  226—228),  während  Fries  (System  der  Log.  S.  446)  gegen  Kant  mit 
Recht  bemerkt,  dass  der  Rückschritt  vom  Allgemeinen  auf  das  übrige 
Besondere  das  einzige  Eigenthümliche  der  Analogie  sei  (S.  463  ff.)  im 
Anschluss  an  Aristoteles  den  Schluss  der  Analogie  auf  die  Combination 
eines  Inductionsschlusses  mit  einem  Syllogismus  reducirt.  Die  Haupt- 
eintheilung  der  Schlüsse  muss  jedenfalls  auf  die  wesentlichst«  aller  Ver- 
schiedenheiten gegründet  werden,  ob  nämlich  vom  Allgemeinen  auf  das 
Besondere,  oder  vom  Besonderen  auf  das  Allgemeine,  oder  (in  einer 
Verflechtung  jener  beiden  Formen)  vom  Besonderen  auf  ein  nebenge- 
ordnetes Besonderes  geschlossen  wird;  an  die  hierauf  beruhenden  Schluss- 
gattungen aber  knüpfen  sich  seit  Aristoteles  untrennbar  die  Namen: 
Syllogismus,   Induction   und   Analogie.     Alle   anderen  Unter- 


Bchiedti,  nnd  bo  inebesondere  auch  der,  ob  von  Einem  oder  von  mehrerea 
E^Lemplaren  einer  Qattnng  wae,  und  ob  anf  Grund  einer  Ueberein- 
etimmung  in  Einem  oder  in  mehreren  Merkmalen  geachloseen  werde, 
sind  vergleiehungaweiae  von  untergeordneter  Bedeutung,  und  dürfen 
erat  bei  der  ferneren  Eintbeilung  jener  SohluBBgattnngen  in  ihre  Arten 
oder  Formen  maasagebend  sein.  —  Hegel  (Log.  II,  8.  155  ff.,  1834; 
EdojcI.  §  190]  balt  dafür,  dasB  der  Analogiescblusa  die  zweite  Aristo- 
telisohc  Figur  (oder  die  dritte  nach  Hegel'a  Zählung)  in  derselben  Weise 
zu  seinem  abstract«n  S<^ema  habe,  wie'  die  Induction  die  dritte  Ariato- 
telische  (oder  die  zweite  nach  Hegel).  Der  Mittelbegriff  des  Analogie- 
schluaess  sei  ein  Einzelnes,  aber  im  Sinne  seiner  wesentlichen  Allge- 
meinheit, seiner  Gattung  oder  wesentlichen  Bestimmtheit.  >Die  Erde 
hat  Bewohner;  der  Mond  ist  eine  Erde  (einWeltkörper);  also  hat  der 
Mond  Bewohnen.  —  'Während  also  Aristoteles  (s.  o.  S.  439)  von  den 
drei  Prämieaen;  j4  ist  jf,  ^  ist  B,  /"  ist  B,  Euerat  die  beiden  ersten 
combinirt,  nm  daraus  durch  einen  Schluss  vom  Einzelnen  auf  das  All- 
gemeine lunächst  den  Satz:  B  ist  A,  abiuleiten,  der  dann,  mit  der 
dritten  verbunden,  als  Obersatz  eine«  SylloginnuB  dient;  so  will  offen- 
bar Hegel  zueret  die  zweite,  und  dritte  Pramime  oombiniren:  ii  ist  B, 
r  ist  B  (oder  im  Beiapieh  die  Erde  ist  ein  Weltkörper,  der  Mond 
ist  ein  Weltkörper),  um  daraus  zunächst  den  Satz  abzuleiten;  r  ist  -4 
(der  Mond  ist  eine  Erde),  der  dann,  mit  der  ersten  Prämisse  (^^  ist 
A,  die  Erde  hat  Bewohner),  verbunden,  als  Untersatz  eines  Syllogis- 
mus dienen  soll.  Die  Combination  der  Priimiesen:  ^  ist  B,  F  ist  B, 
folgt  nun  allerdings  insofern  dem  Sohema  der  zweiten  Aristotelischen 
Sjrzygie,  aU  darin  der  Mittolbegriff  B  beidemal  Pi^icat  ist  (wiewohl 
dieselbe  sich  nicht  dem  Gesetze  der  ayllogiatisohen  Modi  jener  Figur 
fugt,  dats  die  eine  Prämisse  verneinend  sei).  Allein  das  gante  Ver- 
fahren hat  doch  nicht  die  gleiche  Wahrheit,  wie  jene  Aristotelische 
Keduction.  Denn  jene  Subsumtion  des  r  unter  //  ist  incorreot  nnd  ge- 
winnt nur  durch  einen  (von  Hegel  selbst  Log.  II,  S.  157  nachgewiesenen) 
Doppelsinn  des  Begriffs  ^  (die  Erde  ~~  eine  Erde)  eine  scheinbare 
Gültigkeit;  die  Aristotelische  Reduotion  dagegen  legt  das  Wesen  des 
AnalogicEohlnsses  nach  seiner  gewissen  nnd  nach  seiner  zweifelhaften 
Seite  mit  logischer  Strenge  klar  vor  Augen.  —  Abweichend  von  der 
Auffassung  dieses  Buches  hat  neuerdings  Hoppe  in  s.  Logik  (1868) 
S.  668—717  und  eingehender  noch  in  der  1678  ersch.  bes.  Schrift: 
»Die  Analogie,  eine  allgemein  vprständl.  Darstellung  aus  dem  Gebiete 
der  Logik)  darzutbun  gesucht,  dass  die  Analogie  eine  wirre  Denk- 
operation und  deshalb  aus  der  Logik  ganz  zu  streichen  aei. 

§  132.  Sofern  bei  dem  Schlnsse  der  aiiTollstäiidigen  Id- 
dnctioD  nnd  der  Analogie  die  Voraassetznng  eines  gesetzmäa- 
sigen  ZuBammenhangs  zwischen  S  und  P  nnsieber  ist,  hat 
auch  der  Schlasesatz  nnr  problematische  Gültigkeit,  nnd, 
falls  die  Gründe  fUr  denselben   die  etwaigen  GegengiUnde 


f 


§  182.   Die  Bestimmung  des  Wahrscheinlicbkeitsgmndes. 

überwiegen,  Wahrscheinlichkeit  (probabilitas).  Doch  ' 
wenn  es  sich  nm  eine  nähere  Bestimmung  der  verschied 
Mittelstufen  zwischen  der  vollen  Oewissheit  des  Schlasssj 
und  der  Gewissheit  seines  contradictorischen  Gegentheils 
delt,  der  Terminus  Wahrscheinlichkeit  auch   in   e 
weiteren  Sinne  als  gemeinsamer  Name  für  diese  sämmtli 
Stufen  gebraucht.   Der  Grad  der  Wahrscheinlichkeit  in  di( 
Sinne  lässt  in  gewissen  Fällen  eine  arithmetische  Bei 
mnng  zu,  welche  ihrerseits  nicht  nur  Wahrscheinlichkeit, 
dem  Gewissheit   haben  kann.    Sofern  nämlich  verschie 
Analogien,  von  denen  die  einen  fttr  den  Schlusssatz,  die 
deren  aber  fUi  dessen  contradictorisches  Gegentheil  sprec 
im  Allgemeinen  eine  gleiche  Anwendbarkeit  haben,  lässt 
der  Grad  der  Wahrscheinlichkeit  mathematisch  als  ein  B 
darstellen,   dessen  Nenner  durch  die  Anzahl  der  überhs 
verglichenen  Fälle,  und  dessen  Zähler  durch  die  Anzahl 
günstigen  gebildet  wird.    Der  Wahrscheinlichkeitsgrad  e 
bestimmten  Erfolges  ist  dann  also  das  Verhältniss  der  ü 
der  Fälle,  die  unter  gleichen  Umständen  zu  einem  derart 
Erfolge  geführt  haben,   zu  der  Zahl  der  verglichenen  F  I 
überhaupt.    Diese  letztere  Zahl  muss  bei  empirischer  Stati 
(z.  B.  in  Betreff  der  TOdtlichkeit  gewisser  Verletzungen)  < 
beträchtliche  Grösse  haben,  um  zu  einer  Abschätzung   i 
Wahrscheinlichkeitsgrades  zu  berechtigen ;  sie  ist  dagegen  ( 
feste,  wenn  sich  die  überhaupt  möglichen  Arten  des  Erfo  i 
(wie  z.B.  bei  dem  Würfelspiel)  aus  der  Natur  der  Sache  ; 
leiten  lassen,  und  führt  dann  zu  den   sichersten  Schlüsf 
Sofern  aber  die  verschiedenen  Analogien  eine  verschied  i 
Anwendbarkeit  haben,  ist  eine  mathematische  Bestimmung  i 
Wahrscheinlichkeitsgrades  in  der  Regel  unmöglich,   und 
kann  nur  eine  minder  genaue  Abschätzung  des  Wahrschc! 
lichkeitsgrades  eintreten,  die  auch  ihrerseits  nicht  auf  Gewi 
heit,  sondern  nur  auf  Wahrscheinlichkeit  Anspruch  hat.  Di 
Art  der  Abschätzung  des  Wahrscheinlichkeilsgrades  wird 
Gegensatz  zu  der  mathematischen  gewöhnlich  die  philoi 
phische,  richtiger  aber,  sofern  sie  sich  auf  eine  Abwägii 
der  inneren  Kraft  der  verschiedenen  Gründe  und  Gegengrüi 
stützt,  die  dynamische  genannt. 


444    §  183.   Die  materiale  Wahrheit  der  PrämisBen  und  des  Sohlusssaizes. 

Ungenau  sind  die  Termini:  mathematische  und  philoso- 
phische (dynamische)  Wahrscheinlichkeit;  denn  nicht  diese  selbst, 
sondern  die  Art  der  Abschätzung  ihres  Grades,  ist  mathematisch  (arith- 
metisch) oder  dynamisch. 

Der  Grad  1  ==  n/^  bezeichnet  nach  der  obigen  Bestimmung  die 
volle  Gewissheit,  indem  die  Zahl  der  günstigen  Fälle  mit  der  Gesammt- 
zahl  aller  Fälle  die  gleiche  ist;  der  Grad  0  =  o/n  die  Gewissheit  des 
contradictorischen  Gegentheils,  da  es  unter  allen  Fällen  überhaupt  gar 
keine  günstigen  giebt ;  der  Grad  Vj  das  Gleichgewicht  der  Gründe  und 
Gegengründe;  die  echten  Brüche  zwischen  Vs  und  1  die  Wahrschein- 
lichkeit im  engeren  Sinne  als  das  Uebergewicht  der  günstigen  Fälle 
über  die  ungünstigen,  und  endlich  die  echten  Brüche  zwischen  Vs  und 
0  die  UnWahrscheinlichkeit  in  ihren  verschiedenen  Abstufungen.  Die 
nähere  Darlegung  der  Gesetze  der  Wahrscheinlichkeitsrechnung 
(calculus  probabilium)  ist  jedoch  nicht  Sache  der  Logik,  sondern  der 
Mathematik.  —  Zu  vergl.  Poisson,  recherches  sur  la  probabilit^  des 
jugemens  1837  u.  Fries,  Vers,  einer  Kritik  der  Principien  der  Wahr- 
scheinlichkeitsrechnung, 1842.  F.  A.  Lange,  Logische  Studien  1877 
Kap.  V.  Das  disjunct.  Urtheil  und  die  Elemente  der  Wahrscheinlich- 
keitslehre S.  99.  —  Lotze  Syst.  d.  Philos.  Bd.  1.  Logik.  Buch  2.  Vom 
Untersuchen  (angewandte  Logik)  Kap.  9.  Bestimmung  singularer  That- 
sachen  und  Wahrscheinliohkeitsberechnung.  S.  409.  —  Sigwart,  Lo- 
gik Bd.  2.  Methodenlehre  Th.  3.  Abschn.  8.  VI.  §  86.  Die  Wahrschein- 
lichkeitsrechnung. S.  266.  —  Wundt,  Logik.  Bd.  1.  Abschn.  6.  Kap.  1. 
Begriff  des  Wissens.  8.  Gewissheit  und  Wahrscheinlichkeit.  S.  378  und 
zuvor  Abschn.  4.  Kap.  2.  IV.  c.  Das  Verhältniss  der  Beziehungsschlüsse 
zu  den  Wahrscheinlichkeits-  und  Analogieschlüssen  S.  336. 

§  133.  Bei  jedem  formal  richtigen  und  zugleich  streng 
allgemeingültigen Schlnss  folgt  aus  der  materialen  Wahr- 
heit der  Prämissen  die  materiale  Wahrheit  des 
Schlusssatzes,  aber  nicht  umgekehrt  aus  dieser  jene,  und 
aus  der  materialen  Unwahrheit  des  Schlusssatzes 
die  materiale  Unwahrheit  mindestens  Einer  Prä- 
misse, aber  wiederum  nicht  umgekehrt  aus  dieser  jene.  Von 
den  Prämissen  können  einzelne  oder  auch  alle  falsch  sein, 
und  dennoch  der  Schlusssatz  wahr;  aber  es  kann  nicht  ge- 
schehen, dass  die  Prämissen  alle  wahr  seien,  und  dennoch 
bei  richtiger  Ableitung  der  Schlusssatz  falsch  sei.  Aus  Wahrem 
kann  nur  Wahres  folgen:  aber  aus  Falschem  sowohl  Falsches 
als  Wahres.  Der  Beweis  für  die  materiale  Wahrheit  des 
aus  wahren  Prämissen  richtig  abgeleiteten  Schlusssatzes 
liegt  eben  in  der  logischen  Richtigkeit  der  Ableitung  selbst; 
denn   da    die   logischen   Normen    der  Schlussbildung,   wie 


§  133.  Die  materiale  Wahrheit  der  Prämissen  und  des  Schlusssatzes.    445 

die  logischen  Normen  überhaupt,  auf  die  Idee  der  Wahrheit 
gegründet  sind  (s.  o.  §  3;  ygl.  §  75  ff.;  §  101),  so  würde 
eine  Ableitung,  die  zu  Unwahrem  führte,  sich  eben  hierdurch 
als  den  logischen  Normen  widerstreitend,  folglich  als  unrichtig 
erweisen,  gegen  die  Voraussetzung.  Wird  aber  aus  Falschem 
den  logischen  Normen  gemäss  weiter  geschlossen,  so  liegt 
im  Allgemeinen  weder  irgend  eine  Nothwendigkeit  vor,  dass 
daraus  wiederum  Falsches,  noch  auch,  dass  daraus  Wahres 
folge;,  sondern  hierüber  entscheiden  die  jedesmaligen  Ver- 
hältnisse in  den  besonderen  Fällen. 

So  ist  insbesondere  bei  dem  Syllogismns  die  materiale  Wahr- 
heit des  Schlusssatzes  bei  formal  richtiger  Ableitung  aus  material  wahren 
Prämissen  nothwendig;  dieselbe  kann  aber  zufälligerweise 
auch  mit  der  Unwahrheit  sowohl  einer  einzelnen,  als  auch  beider  Prä- 
missen zusammenbestehen.  Die  Analogie  zwischen  Schliessen  und  Rechnen 
darf  nicht  zu  der  Meinung  verleiten,  als  könne  nur  dann,  wenn 
mehrere  materiale  Fehler  in  den  Voraussetzungen  einander  oompen- 
siren,  der  Scblusssatz  materiale  Wahrheit  haben.  Die  Uiu'ichtigkeit 
einer  Prämisse,  z.  B.  eines  Obersatzes  in  dem  syllogistischen  Modus 
Barbara,  kann  in  einer  falschen  Verallgemeinerung  liegen,  während 
das  entsprechende  particulare  ürtheil  wahr  sein  würde,  und  der  material 
wahre  Untersatz  gerade  solches  herausheben,  dem  das  Pradicat  des 
Obersatzes  wirklich  zukommt,  z.  B.  alle  Parallelogramme  lassen  sich 
einem  Kreise  einschreiben;  alle  Rectangel  sind  Parallelogramme;  also 
lassen  sich  alle  Rectangel  einem  Kreise  einschreiben.  Ebenso  kann  der 
Untersatz  falsch  sein,  indem  er  das  S  unter  M,  statt  unter  M'  sub- 
sumirt,  und  dennoch  der  Schlusssatz  wahr,  indem  das  P  sowohl  dem 
M,  als  dem  M'  zukommt,  z.  B.  in  Klüber's  Enthymema  (Völkerrecht,  zu 
§  148):  »die  Heiligkeit  der  Verträge  hat  keine  religiöse  Beziehung; 
also  ist  sie  unabhängig  von  dem  kirchlichen  Lehrbegri£f  und  von  der 
Religionsverschiedenheit  der  Volkere.  (Nicht  nur  was  überhaupt  keine, 
sondern  auch,  was  zwar  eine  allgemeine,  aber  nicht  nothwendig  eine 
speoielle  religiöse  Beziehung  hat,  ist  von  der  Religionsverschiedenheit 
der  Völker  unabhängig.)  —  Diese  Möglichkeit  aber,  von  Falschem  aus 
zuföUigerweise  durch  formal  richtige  Ableitung  auf  Wahres  zu  stossen, 
darf  keineswegs  (mit  Vorländer,  Erkenntnisslehre,  S.  160)  als  ein 
Beweis  einer  Mangelhaftigkeit  des  Syllogismus  angesehen  werden ;  denn 
der  logische  Werth  desselben  ist  dadurch  vollkommen  gesichert,  dass 
er  aus  Wahrem  mit  Nothwendigkeit  zu  Wahrem  und  nur  zu  solchem 
hinführt. 

Schon  Aristoteles  lehrt  mit  Recht  (Anal.  pri.  II,  2.  53b.  7): 
H  aXri^oiv  fihv  ovx  tart  iptv^og  avXkoylaaa&ai'  Ix  xjjevdaiv  tf'  ^ariv 
aliji^ig,  nliiv  ov  Sioti^  aU?  oti,  und  erörtert  das  letztere  Verhältniss 
ausführlich  (c.  2 — 4)  in  Bezug  auf  die  einzelnen  syllogistischen  Figuren. 


446  §  184.  Die  Hypothese. 

§  134.  Die  Hypothese  (hypothesis)  ist  die  yorlänfige 
Annahme  einer  Ungewissen  Prämisse,  die  auf  eine  dafür  ge- 
haltene Ursache  geht,  zum  Zweck  ihrer  Prüfung  an  ihren 
Consequenzen.  Jede  einzelne  mit  formaler  Richtigkeit  ab- 
geleitete Folge,  welche  ohne  materiale  Wahrheit  ist,  beweist 
die  Unwahrheit  der  Hypothese.  Jede  Folge  dagegen,  welche 
materiale  Wahrheit  hat,  beweist  zwar  (nach  §  133)  nicht  die 
Wahrheit  der  Hypothese,  gewährt  derselben  aber  eine 
wachsende  Wahrscheinlichkeit,  welche  bei  ausnahmsloser  Be- 
stätigung sich  der  vollen  Gewissheit  bis  zu  verschwindender 
Differenz  (wie  die  Hyperbel  der  Asymptote)  annähert.  Die 
Hypothese  wird  unwahrscheinlicher  in  dem  Maasse,  wie  sie 
durch  künstliche  Hülf8hypothesen(  hy  potheses  subsidia- 
riae)  gestützt  werden  muss;  sie  gewinnt  an  Wahrscheinlich- 
keit durch  Einfachheit  und  durch  Harmonie  oder  (par- 
tielle Identität)  mit  anderen  wahrscheinlichen  oder  gewissen 
Voraussetzungen  (simplex  veri  sigillum;  causae  praeter  neces- 
sitatem  non  sunt  multiplicandae).  Der  Inhalt  der  Hypothese 
erlangt  absolute  Gewissheit,  wofern  es  gelingt,  entweder  in 
dem  vorausgesetzten  Grunde  durch  Ausschluss  aller  sonst 
noch  denkbaren  den  einzig  möglichen  zu  erkennen,  oder  den- 
selben als  die  Consequenz  einer  bereits  feststehenden  Wahr- 
heit zu  erweisen. 

Die  genügend  bestätigte  Hypothese,  sofern  sie  als  ge- 
meinsamer Obersatz  einer  Reihe  von  Schlüssen  zum  Grunde 
liegt,  begründet  die  Theorie ^  d.  h.  die  Erklärung  der  Er- 
scheinungen aus  ihren  allgemeinen  Gesetzen. 

Die  Bildung  von  Hypothesen  ist  ein  ehen  so  berechtigtes,  als 
unentbehrliches  Mittel  der  wissenschaftlichen  Forschung.  »Der  Ver- 
ständige ist  nicht  der,  welcher  die  Hypothesen  vermeidet,  sondern  der, 
welcher  die  wahrscheinlichsten  stellt  und  den  Grad  ihrer  Wahrschein- 
lichkeit am  besten  abzuschätzen  weiss.  Was  man  in  Rechtsfällen  6e- 
wissheit  nennt,  ist  im  Grunde  nichts,  als  eine  Wahrscheinlichkeit  der 
Hypothese,  bei  der  für  das  Bewusstsein  der  Richter  die  Möglichkeit 
des  Irrthums  schwindet c  (A.  Lange  in  der  Zeitschrift  für  Staatsarz- 
neikunde, N.  F.,  XI,  1,  Erlangen  1858,  S.  138  f.).  In  allen  Wissen- 
schaften sind  Hypothesen  erforderlich,  wenn  die  Erkenntniss  der  Ur- 
sachen gewonnen  werden  soll.  Denn  da  die  Ursachen  als  solche  nicht 
der  Beobachtung  zugänglich  sind,  so  können  sie  ursprünglich  nur  in 
der  Form  von  Hypothesen    hinzugedacht   werden,   bis    allmählich   im 


§  184.  Die  Hypothese. 

I 
I 

Fortschritt  der  Wissenschaften  die  vorläufige  problematische  Ai:( 

in  die  apodiktisch  gewisse  Erkenntniss  tibergeht.  Aber  mit  der  ( 

sten  Kühnheit  in   der  Erfindung    der  Hypothese   muss  sich  die 

neuste  Strenge  in  ihrer  Prüfung  vereinigen.     Wissenschaftliche 

thesen   sind  nicht  (wie   Apelt,   Theorie  der  Induct.  S.  178  sie) 

drückt)  »aus  der  Luft  gegriffene  Behauptungen c,  sondern  alsRe^ 

der  Reflexion  über  gesammelte  Erfahrungen  und  zugleich  als  Präl 

versuchsweiser  Deductionen  die  nothwendigen  Vorstufen  der  adä^ 

Erkenntniss. 

Sowohl  auf  dem   Gebiete   der   Erkenntniss   der  Natur,   al 

Geistes  steht   gerade   die   unvollkommene,  ihrer  Schranken  sich 

bewusste  Forschung  in  dem   Wahne,  sofort  zwischen  dem  absolu 

wissen   und    dem    Absurden   entscheiden   zu  können;  sie  schlägt 

leicht  in  Skepticismus  oder  Mysticismus  um,  wenn  dieser  Wahn  sd 

det.     Die  gereif tere  Forschung  erkennt  an,    dass  bei  allen  ProbU 

sofern  über  die  blosse  Beobachtung  nicht  mit  mathematischer  Ge 

heit    hinausgegangen  werden  kann,   die  wissenschaftliche  Berechti 

bestimmter  Hypothesen   der  erste   Gegenstand   der  Untersuchung 

muss.    In  diesem  Sinne  war  es  z.  B.   auf  dem  astronomischen  G 

ein  wesentlicher   methodischer   Fortschritt,  wenn   in  der  Piatonis 

Schule  und  namentlich  durch  Heraklides  den  Pontiker  die  üntersuci 

zunächst  nicht  darauf  gestellt   wurde,   welche  Lagen  und  Bewegui 

der  Himmelskörper  aus  empirischen  und  speculativen  Gründen  mit  ^ 

wendigkeit  anzunehmen  seien,  sondern  vorläufig  nur  darauf,  welch 

sich  möglichen    Hypothesen   irgendwie   geordneter  Bewegungen 

den  Thatsachen  der  Beobachtung  sich  vereinigen  lassen,   so   dass 

Erscheinungen  »gerettet  werden«  ((rai^crcrat  tu  <faiv6fisva);  Herak 

rechnete  zu  diesen  Hypothesen  auch  die  der  Erdbewegung.  Leidei 

diesen  Fortschritt  zum  jahrhundertelangen  Nachtheil   der  Astrom 

Aristoteles  verkannt  und  beseitigt,  nicht  ohne  einen  irreleitenden 

einfluss   seines  Yorurtheils   von   der   unmittelbaren  Erkennbarkeit 

Principien  durch  den  vovg,  indem  er  sofort  wieder  über  die  Sache  se '. 

zum  Theil  mit  vorschneller  und  irriger  Anwendung  speculativ-tel.  i 

gischer  Argumente,   zu   entscheiden   unternimmt  (obschon  er  aucl: 

Prüfung  der  Hypothesen  an  den  Thatsachen  in  seiner  logischen  Th(  i 

anerkennt  und  in  seinem  wissenschaftlichen  Denken  in  gewissem  Mi 

übt).      Für  die  Philosophie,  die  als  Wissenschaft  der  Principien  i 

allen  Wissenschaften  am  meisten  des  Hinausgehens  über  die  blosse  I 

achtnng  und  der  combinirenden  Vergleichung  verschiedenartiger  ' 

sensgebiete  bedarf,  ist  die  rechte  Hypothesenbildung  eine  Lebensfi  i 

wer  ihr  dieselbe  verwehrt,  hebt  sie  auf  zu  Gunsten  der  blossen  £i 

rie,  oder  fesselt   sie  an  den  alten  Wahn  der  unmittelbaren  aprio 

sehen  Yemunfterkenntniss,  oder  an  das  Paralogismenspiel  der  sog. 

lektischen  Methode  c.     Auch   wenn  es  sich  um  Probleme  handelt 

die  Darwin'sche  Theorie  von  der  Entstehung  der  Arten,  die  F.  A.  ^  i 

sehe  von  dem  Ursprung  der  Homerischen  Gedichte,  die  Schleierma  i 

sehe,  E.  F.  Hermann'sche,  Munk'sche  Ansicht  etc.  über  die  Ordnun,  \ 


448  §  134.  Die  Hypothese. 

Platonischen  Schriften,  die  verschiedenen  Theorien  über  die  Genesis  der 
Evangelienschriften  und  dergl.  mehr,  so  liegt  für  eine  echt  wissenschaft- 
liche and  zugleich  ethisch-humane  Führung  der  Untersuchung  die  we- 
sentlichste Bedingung  eben  darin,  dass  man  zunächst  die  einander  ent- 
gegenstehenden Grundansichten  unter  den  Gesichtspunkt  verschiedener 
durchzuprüfender  Hypothesen  stelle  und  nicht  die  eigene  (was  zumal 
dann,  wenn  dieselbe  die  traditionelle  ist,  leicht  geschieht)  von  vom 
herein  als  die  richtige,  nothwendige,  gesunde  und  vernünftige,  die  des 
Gegners  aber  als  eine  verwerfliche,  willkürliche,  ungeziemende  oder  thö- 
richte  behandle.  Auf  dem  Gebiete  der  wissenschaftlichen  Forschung 
hat  jeder  Glaube,  der  das  Maass  der  wissenschaftlich  zu  begpründenden 
Wahrscheinlichkeit  überschreitet,  Unfreiheit,  Ungerechtigkeit  undHass 
um  so  mehr  zur  noth wendigen  Folge,  je  entschiedener  er  (vielleicht 
gar,  was  in  gewissem  Betracht  auch  von  Kant  geschehen  ist,  aus  ver- 
meintlich ethischen  Gründen)  gefordert  wird.  Bei  jedem  umfassenden 
Probleme  jener  Art  kommt  nothwendig  eine  grosse  Zahl  einzelner  Um- 
stände zur  Erörterung.  Nun  ist  der  Forscher,  welchen  Standpunkt 
immer  er  einnehmen  möge,  nicht  leicht  in  der  ungewöhnlich  günstigen 
Lage,  auf  einen  jeden  einzelnen  dieser  Umstände,  wenn  derselbe  für 
sich  allein  betrachtet  wird,  einen  Beweis  der  Gewissheit  oder  auch  nur 
der  überwiegenden  Wahrscheinlichkeit  seiner  Ansicht  und  der  Unhalt- 
barkeit  aller  entgegenstehenden  gründen  zu  können.  Auf  wenige  Um- 
stände, vielleicht  nur  auf  einen  einzigen  (wohin  das  von  Baco  vonYe- 
rulam  sogenannte  »Experimentum  crucisc  gehört)  wird  sich  die 
Ueberzeugung  von  der  Gewissheit,  und  ebenso  auch  auf  wenige  die 
Ueberzeugung  von  der  überwiegenden  Wahrscheinlichkeit  der  eigenen 
Ansicht  wissenschaftlich  begründen  lassen.  Bei  allen  übrigen  handelt 
es  sich  dann  zunächst  nur  um  die  Möglichkeit  oder  Haltbarkeit 
der  eigenen  Ansicht,  um  die  Entkräftnng  von  Einwürfen,  die  auf  den 
Nachweis  ihrer  Unhaltbarkeit  zielen;  hierbei  ist  es  gestattet  und  ge- 
boten, sich  bereits  auf  den  Boden  der  eigenen  Ansicht  zu  stellen^  um 
mittelst  Hinzunahme  zulässiger  Yermuthungen  eine  befriedigende 
Gesammtansicht  auszubilden,  die  alles  Thatsächliche  ohne  Gewaltsamkeit 
in  sich  aufnehme.  Zwei  Yerirrungen  liegen  dann  nahe.  Die  eine  ist, 
dass  der,  welcher  so  argumentirt,  in  der  auf  diesem  Wege  hergestellten 
Harmonie  sofort  einen  Beweis  der  eigenen  Ansicht  erblicke,  da  doch, 
so  lange  keins  der  Argumente  für  dieselbe  schlechthin  zwingend  ist, 
immer  noch  anderweitig  die  Möglichkeit  des  Widerlegtwerdens  offen 
bleibt.  Die  andere,  eben  so  häufige  Verirrung  ist  die,  dass  wenn  der 
Gegner  auf  seinem  Standpunkte,  der  inneren  Gonsequenz  folgend,  seine 
Annahmen  durchbildet  und  sich  dabei  von  der  Verwechselung  zwischen 
Argumenten  für  die  Möglichkeit  und  für  die  Nothwendigkeit  seiner 
Ansicht  in  der  That  frei  hält,  nichtsdestoweniger  ohne  ein  reines  und 
vollständiges  Eingehen  auf  seinen  Standpunkt  so  gegen  ihn  argumentirt 
wird,  als  ob  es  sich  bei  jedem  einzelnen  Umstände  um  die  Nothwen- 
digkeit seiner  Ansicht  handle,  dass  also  das  Ungewisse  der  Annahmen, 
deren  er  zur  Durchführung  seiner  Grundanschauung  bedarf,  ihm  vor- 


§  184.  Die  Hypothese.  449 

geworfen  wird,  als  w&ren  seine  Aufstellungen  ein  leeres  Spiel  mit  Yer- 
muthnngen  und  Ausflüchten,  ein  unzulässiges  Verlassen  des  Bodens  der 
Thatsächlichkeit,  ein  Bauen  von  Hypothesen  auf  Hypothesen,  ein  Schlies- 
sen  im  Girkel  oder  wenigstens  ein  willkürliches  Annehmen  von  unbe- 
wiesenem, das  nicht  ohne  Beweis  vorgebracht  werden  dürfe;  in  der 
That  aber  hätte  dem,  der  so  redet,  der  Beweis  der  Unmöglichkeit  der 
gegnerischen  Annahmen,  also  nicht  ihres  blossen  Nichtbestätigtseins 
durch  Thatsachen,  sondern  ihrer  Unvereinbarkeit  mit  Thatsachen,  oder 
auch  mit  Sätzen,  die  sich  aus  des  Gegners  eigenen  Voraussetzungen  in 
dem  Sinne,  wie  er  selbst  diese  versteht,  unabweisbar  ergeben,  obgelegen, 
weil  ja,  wenn  die  Möglichkeit  widerlegt  werden  soll,  nicht  die  Un- 
gewissheit  darzuthun  und  der  Beweis  der  Gewissheit  von  dem  Andern 
EU  fordern,  sondern  die  Unmöglichkeit  zu  erweisen  ist.  In  Fällen 
dieser  Art  sich  und  den  Gegner  mit  gleichem  Maasse  zu  messen,  ge- 
hört zu  den  schwierigsten  wissenschaftlichen  und  ethischen  Aufgaben; 
denn  uns  bindet  innerlich  das  eigene  Vorurtheil.  Und  doch  ist  solches 
Eingehen  auf  den  Standpunkt  des  Andern,  wenn  es  gelingt,  von  reicher 
Frucht  für  die  wissenschaftliche  Erkenntniss.  Leicht  führt  Polemik 
zur  Erbitterung;  leicht  ist's  auch,  um  der  Hässlichkeit  des  Streites 
willen  die  Polemik  zu  schelten  und  abzuweisen;  aber  schwer  ist's  sie 
im  rechten  Sinne  als  die  nothwendige  Form  der  gemeinsamen  For- 
schungsarbeit anzuerkennen  und  zu  üben.  Nicht  ohne  den  recht  ge- 
führten Kampf  der  wissenschaftlich  berechtigten  Hypothesen  mit  ein- 
ander gelangt  der  Mensch  zur  wissenschaftlichen  Erkenntniss  der  VlTahr- 
heit;  die  wissenschaftliche  Weise  dieses  Kampfs  ist  die  wahrhaft  dia- 
lektische Methode. 

In  der  Optik  standen  einander  lange  die  Emissions-  und  die  Un- 
dulationshypothese  gegenüber,  und  zwar  nicht  als  luftige  Phantasie- 
spiele, nur  geeignet,  eine  ungefähre  Vorstellung  zu  geben,  wie  die 
Sache  sich  etwa  verhalten  könnte,  ohne  alle  Bürgschaft,  dass  sie  sich 
wirklich  so  verhalte,  sondern  als  die  beiden  nach  dem  Standpunkte  der 
Wissenschaft  nothwendig  zu  bildenden  und  durchzuprüfenden  Annah- 
men, deren  eine  die  Wahrheit  enthalten  musste,  und  von  denen  jede 
eine  Zeitlang  noch  mit  allen  beobachteten  Thatsachen  vereinbar  blieb 
(wiewohl  die  eine  diese,  die  andere  jene  Gruppe  derselben  leichter  zu 
erklären  schien),  bis  endlich  solche  Thatsachen  gefunden  wurden  (in 
den  Phänomenen  der  Interferenz,  der  Beugung  und  der  Polarisation), 
die  allein  aus  der  einen  und  nicht  aus  der  anderen  sich  befriedigend 
erklären  Hessen.  — -  Ueber  den  Ursprung  der  Meteorsteine  bestanden 
vier  Hypothesen:  die  eine  leitete  dieselben  von  Erdvulcanen,  die  andere 
von  atmosphärischen  Dämpfen,  die  dritte  von  Mondvulcanen  ab;  die 
vierte  aber  erkannte  ihnen  einen  kosmischen  Ursprung  zu.  Bei  genauer 
Vergleiohung  der  beobachteten  Thatsachen  mit  dem,  was  eine  jede  dieser 
Hypothesen,  in  ihre  Consequenzen  entwickelt,  erwarten  liess,  ergab 
sich,  dass  keine  der  drei  ersten,  wohl  aber  die  vierte,  mit  allen  Erfah- 
rungen vereinbar  sei,  wodurch  jene  als  falsche  Vermuthungen  erkannt, 
diese  aber  in  den  Rang  einer  wissenschaftlichen  Theorie  erhoben  wurde. 

29 


460  §  134.  Die  Hypothese. 

Der  Rüokscfalass  von  der  Wirknng  auf  die  nach  bekannten  Naturgesetzen 
allein  mögliche  Ursache  ist  nicht  mehr  eine  blosse  Hypothese.  —  Ebenso 
Hess  der  Umstand,  dass  Strahlen,  die  durch  Kometen  durchgehen,  keine 
Brechung  zeigen,  sich  entweder  aus  der  Hypothese,  dass  die  Kometen 
eine  äusserst  feine  Gasmasse  bilden,  oder  aus  der  Hypothese,  dass  sie 
aus  discreten  festen  Körpern  bestehen,  erklären;  die  letztere,  schon 
ziemlich  früh  aufgestellte  Hypothese  fand  längere  Zeit  hindurch  kaum 
Beachtung,  bis  sie  durch  den  Nachweis  der  Identität  von  Kometen  und 
Meteorsteinmassen,  welche  in  der  Erdnähe  die  Erscheinung  der  Stern- 
schnuppen bewirken,  gestützt  wurde  (obschon  die  Frage  noch  nicht 
allseitig  erledigt  zu  sein  scheint).  —  Newton  zeigte  nicht  bloss,  dass 
unter  Voraussetzung  der  Gravitation  die  Bewegungen  der  Himmelskör- 
per nach  den  drei  Kepler'schen  Gesetzen  sich  mit  mathematischer  Ge- 
nauigkeit erklären  lassen,  sondern  auch,  dass  sie  nur  uhter  Voraus- 
setzung einer  solchen  Kraft,  die  gerade  nach  den  Gravitationsgesetzen 
wirke,  eine  genau  zutreffende  Erklärung  finden,  mithin,  dass  diese  Ur- 
sache, die  zur  Erklärung  zureiche,  und  sich  anderweitig,  nämlich  in 
der  irdischen  Schwere,  auch  als  eine  wirklich  vorhandene  Naturkraft 
bewähre  (causa  vera  et  suffioiens)  zugleich  die  einzig  mögliche  sei.  Hier- 
durch ging  die  Gravitationslehre,  die  an  sich  nur  Hypothese  sein  konnte, 
in  eine  wissenschaftlich  gesicherte  Theorie  über,  und  in  diesem  Sinne 
durfte  dann  Newton  mit  Recht  die  Bezeichnung  seiner  Lehre  als  Hy- 
pothes  e,  wodurch  dieselbe  mit  den  mancherlei  früheren  phantastischen 
Annahmen  auf  eine  Linie  gestellt  werden  sollte,  abweisen  (in  seinem 
bekannten  Ausspruch:  »hypotheses  non  fingoc).  Der  Kückschluss  von 
den  wahrnehmbaren  Erfolgen  auf  die  unsichtbare  Ursache  war  hier  ein 
sicherer,  weil  nachweisbar  nur  diese  Eine  genügen  konnte.  Selten 
wird  auf  anderen  Gebieten  die  gleiche  Gewissheit  erreicht ;  überall  aber 
kann  nur  derselbe  Weg  dahin  fuhren.  »Bei  der  Aufstellung  einer 
echten  grossen  Hypothese  wird  selbst  in  den  positiven  Naturwissen- 
schaften allemal  hinausgegriffen  über  das  Gebiet  der  reinen  Beobach- 
tungen in  das  Gebiet  der  philosophischen  Speculation.  Wenn  selbst 
die  Grundsätze  der  Mechanik  bekannt  sind  und  die  Integralrechnung 
entdeckt  ist,  so  folgt  aus  der  beobachteten  Bewegung  der  Planeten  im- 
mer nur  der  Werth  der  ablenkenden  Kraft,  unter  deren  Einfluss  die 
Bewegung  vor  sich  geht,  für  jeden  Ort,  den  der  Planet  sucoessive  ein- 
nimmt. Der  Gedanke,  diesen  gefundenen  Werth  auszudrücken  als  pro- 
portional dem  inversen  Quadrate  der  Entfernung  von  der  Sonne,  also 
unabhängig  von  der  Bahn  und  dabei  so,  dass  die  factische  Bahn  nach- 
her aus  dieser  Annahme  nothwendig  folgt,  dieser  Gedanke  ist  nur  aus 
dem  Geiste  geboren«  (R.  Lipschitz,  in  einem  an  den  Verfasser  gerich- 
teten Briefe).  —  Herbart  sucht  in  der  Philosophie  über  das  Gegebene 
hinauszugehen  durch  Voraussetzungen,  welche  allein  die  Widersprüche, 
die  im  Gegebenen  liegen,  zu  lösen  vermögen.  In  dieser  hypothetischen 
Ergänzung  des  Gegebenen,  die  sich  so  als  nothwendig  erweisen  soll, 
liegt  das  Wesen  seiner  »Methode  der  Beziehungenc.  Der  gege- 
bene, anscheinend  einfache  Grund  A  vermag  doch  nicht  das  B  zu  be- 


§  184.  Die  Hypothese. 

i 

gründen,  sondern  es  bleibt  ein  Widerspruch  zurüok,  wofern  das 
durch  die  Mitbedingung  A'  ergänzt  wird.  Aber  die  metaphysist 
Wendung  dieser  Methode  hat  viel  Unsicheres.  —  Jede  philo lo 
Gonjectur  kann  insofern,  als  sie  in  dem  Texte,  den  sie  als  I 
sprüngliohen  voraussetzt,   die   uns   nicht  mehr  unmittelbar  erU 
Quelle  der  in  unseren   Codices   sich  vorfindenden  Lesarten  findi 
als   eine   Hypothese   angesehen   werden.    —    Jede   historiscl 
nähme,  auch  die  der  Wahrheit  der  erzählten  Ereignisse,  ist  ei 
pothese»  die  sich  dadurch  rechtfertigen  muss,  dass  nur  durch  si 
die   thatsächlich    vorliegende    Grestalt   der  Berichte,   theils  der  \ 
Gang  der  historischen  Ereignisse  eine  vollgenügende  Erklärung' 
femer  dadurch,  dass  ihr  Inhalt  mit  dem  zusammentrifft,  was  all 
der  Charaktere   und   der   früheren  Ereignisse  erwartet   werden 
Dass   der  »Koreschc,  der  den  Juden  die  Rückkehr  aus  dem  Es 
den  Tempelbau  gestattete,  der  Eonig  Cyrus  (Eosra)  sei,  muss,  o' 
es  von  Josephus   berichtet  wird   und  traditionell  angenommen  s 
den  pfleget,  sofort  als  blosse  Hypothese  gelten,  sobald  sich  bea< 
werthe  Gegengründe  herausstellen;   denn  der  Bericht  des  Josepl 
auch  aus  der  psychologisch  naheliegenden  unhistorischen  Identifi 
einer  weniger  bekannten  Person   mit  einer  bekannteren  und  an 
Interesse  des  Josephus,  den  bekannten  grossen  König  als  einen  t 
freund  erscheinen  zu  lassen,  erklärbar.  Dieldentificirungdes  >Eo; 
mit  Kuresoh,  einem  babylonischen  Satrapen  des  Artaxerxes  Lon 
nus,  und  seines  Nachfolgers  Darius  mit  Darius  Nothus  als  dem 
des  Xerxes    und  der   Esther   (und   demgemäss  des  Nebukadneza 
Kambyses)   ist  zunächst   eine  gleichberechtigte  Hypothese,    die, 
nur  sie   alle  Thatsachen  erklärlich  macht,    in  den  Rang  einer  hi 
sehen  Wahrheit  aufrückt.  —  Als  Hypothesen  sind  bei  jedem  Crii 
process  die  beiden  Annahmen  einerseits  der  Schuld  des  Angekli 
andererseits   seiner    Unschuld   anzusehen;    es  ist   Sache    dessei 
die  Anklage  vertritt,  die  eine,  Sache  des  Vertheidigers  aber,  die  a 
von  diesen  Hypothesen  in  ihre  Consequenzen  zu  entwickeln  und 
zuweisen,   wiefern  die   eigene  Voraussetzung  mit  den  Thatsache 
durch   Beobachtung   und    Zeugenaussagen   feststehen,   sich    verei 
lasse,  die  gegnerische  aber  nicht.     Ein   einziger  Fall  absolute 
Vereinbarkeit  der  gegnerischen   Voraussetzung   mit  irgend  einer 
sichern  Thatsache  reicht  aus,    dieselbe    wenigstens  in  ihrer  bish( 
Form  zu  stürzen;  blosse  Unsicherheiten  aber  und  Schwierigkeitc 
weisen  nichts.    Ein  einziger  Umstand,  der  nur  die  eine  Erklärui 
lässt,  ist  entscheidender,  als  hundert  andere,  die  zwar  mit  der  ei 
Voraussetzung   recht   wohl  zusammenstimmen,    aber  auch  bei  dei 
gegenstehenden,  wofern  man  nur  auf  den  Standpunkt  des  Gegners 
haft   eingehen   will,    sich  naturgemäss  erklären  lassen.  —  Die  w 
lichste  Forderung  ist,  dass  man  nicht  die  Consequenzen  der  Hyp« 
im  Hinblick  auf  die  gegebenen  Thatsachen  abschwäche,  vertusche 
umgestalte,  und  ebensowenig  den  Sinn  für  die  reine  und  treue  A 
sung  des  Thatsächlichen  durch  die  Rücksicht  auf  die  Consequenz« 


452  §  184.  Die  Hypothese. 

Hypothese  sich  trüben  lasse,  jedoch  auch  nicht,  um  ColUsionen  auszu- 
beugen,  bei  der  nackten,  kahlen  Thatsache  mit  Abweisung  jeder  erklä- 
renden Theorie  und  jeder  die  Theorie  anbahnenden  Hypothese  stehen 
bleibe,  sondern  erst  jedes  für  sich,  die  Consequenzen  der  Hypothese  und 
die  Thatsachen,  rein  darstelle  und  hernach  beides  sorgsam  vergleiche. 
In  dieser  Art  verfuhr  Kepler  bei  der  Prüfung  der  zwanzig  verschiede- 
nen Formen,  die  er  für  die  Planetenbahn  zun&chst  hypothetisch  annahm ; 
er  zog  durch  die  mühvollste  mathematische  Rechnung  ihre  Consequenzen, 
um  diese  dann  mit  den  Tychonischen  Beobachtungen  zu  vergleichen; 
ein  unterschied  von  wenigen  Minuten  bestimmte  ihn,  eine  neue  Hy- 
pothese in  gleicher  Art  durchzu versuchen,  bis  er  die  wahre  Bahn 
fand:  »sola  igitur  haec  octo  minuta  viam  praeiverunt  ad  totam  astro- 
nomiam  reformandamc  Aber  die  mathematische  Genauigkeit  derEnt- 
wickelnng  einer  Voraussetzung  in  ihre  Folgen  ist  nicht  auf  allen  Ge- 
bieten erreichbar,  und  auch  die  Kepler'sche  Beharrlichkeit  und  der  reine 
Gultus  der  Wahrheit  ist  eben  nicht  ein  Gemeingut  der  Menschen.  Das 
Motiv  zur  Bildung  verworrener  Begrifife  und  zum  Gebrauch  mehrdeu- 
tiger Ausdrücke  liegt  am  gewöhnlichsten  in  der  wenigstens  halbbe- 
wussten  Divergenz  zwischen  den  Thatsachen  und  den  Forderungen  des 
Systems.  Hier  mehr,  als  sonst  irgend,  steht  das  Wissen  unter  dem 
Einfluss  des  Willens;  die  Wahrheit  der  Erkenntniss  ist  durch  die  Rein- 
heit der  Gesinnung  bedingt.  Der  Wille  hat  keine  Macht  gegen  die 
theoretische  Evidenz;  aber  diese  selbst  wird  nicht  ohne  ausdauernde 
Treue  des  Willens  gewonnen. 

Wenn  die  Naturwissenschaft  im  Ganzen  und  Grossen  das  erfreu- 
liche und  erhebende  Schauspiel  eines  echt  wissenschaftlichen  Kampfes 
der  verschiedenen  Standpunkte  zeigt,  so  finden  sich  doch  auch  bei  her- 
vorragenden Geistern  manche  Fälle  einer  den  logischen  Normen  nicht 
gemässen  Bekämpfung  fremder  Hypothesen^  Goethe,  wiewohl  voll  des 
feinsten  Naturgefühls  und  der  zartesten  Sympathie  mit  dem  organischen 
Naturleben,  war  doch  minder  glücklich  in  der  genetischen  Erklärung 
physikalischer  Naturerscheinungen.  Beim  Blick  durch  das  Prisma  auf 
die  weisse  Fläche  hatte  er  vergeblich  die  Regenbogenfarben  zu  sehen 
erwartet;  da  er  nun  die  Bedingtheit  dieser  Erscheinung  durch  eine 
dunkle  Grenze  erkannte,  so  glaubte  er  hierin  einen  Beweis  gegen  New- 
ton's  Lehre  und  für  seine  eigene  Erklärung  der  Farben  als  der  Kinder 
des  Lichtes  und  der  Finstemiss  zu  finden,  und  beruhigte  sich  nicht 
bei  der  Erwiderung,  dass  auch  die  Newton'sche  Theorie  die  dunkle 
Grenze  fordere.  Allein  die  logische  Analysis  des  Falles  würde  den 
Schein  aufgelöst  haben,  der  hier  Goethe  täuschte.  Nach  den  logischen 
Normen  konnte  die  Newton'sche  Lehre  durch  jene  Thatsache  der  Er- 
fahrung nur  dann  für  widerleget  gelten,  wenn  sich  ein  Schluss  folgender 
Art  bilden  liess :  wäre  Newton' s  Hypothese  richtig,  so  müsste  das  Far- 
benbild auch  beim  Blick  durch  das  Prisma  auf  das  unbegrenzte  Weisse 
erscheinen;  nun  aber  geschieht  dies  nicht;  also  ist  Newton's  Hypothese 
unhaltbar.  Aber  der  Obersatz  dieses  Schlusses  ist  von  Goethe  niemals 
erwiesen  worden,  und  konnte  nicht  erwiesen  werden,  da  er  falsch  ist; 


§  184.  Die  H3rpothe86. 

denn  anch  ans  dem  Newton'schen  Erklärungsprincip  fo1(^  mij 
mathematischer  Strenge  die  Nothwendigkeit  der  dunkeln  6rei( 
besteht  hier  unter  beiden  Voraussetzungen,  wiewohl  aus  vereol 
Ursachen,  die  gleiche  Nothwendigkeit ;  darum  eignet  sich  die  an( 
Thatsache  nicht  zum  Entscheidungsgrunde,  der  in  anderen  M< 
gesucht  werden  mnss. 

Die  logische  Analysis  tragt  bei  dem  Kampfe  der  wissenscha 
Hypothesen  in  manchen  Fällen  nicht  unwesentlich  zur  richtigei 
digung  der  einzelnen  Momente  bei.    Ein  belehrendes  Beispiel  19i 
aus  den  heute  noch  schwebtoden  Verhandlungen   über   die  Q\ 
der    Darwin'schen    Entwickelungs ansieht    entnehmen, 
welcher  die  höheren  Organismen  ans  wenigen  niederen  durch  sn« 
Umbildung  und  Veredelung,  die  sich  an  den  Kampf  um's  Dasein  ! 
hervorgegangen  sein  sollen.     Diese  Annahme  (von  Charles  Dar 
seiner  1859  erschienenen  Schrift   ȟber  die  Entstehung  der  Arl 
Thier-  und  Pflanzenreich  durch  natürliche  Züchtung c  begründe 
pfiehlt  sich   theils  direct  durch    die  Analogie   mit   der   embrj 
Entwickelung  des  Individuums  und  mit  der  geistigen  Entwickelt} 
Culturvölker,  theils   indirect  durch  folgende  Erwägung.     £n 
muss  Ewigkeit  der  bestehenden  Arten  der  Organismen  auf  diese 
oder  mindestens  Ewigkeit  einös   bloss   periodischen  Wechsels  a 
oder  ein  plötzlicher  Hervorgang  complicirter  Gebilde  aus  dem 
oder  aus  unorganischen  Massen,  oder  endlich  eine  allmählich  fort 
tende  Entwickelung  des  Organischen  aus  dem  unorganischen  ui 
höheren  Organismen  aus  den  niederen  angenommen  werden.  Die 
keit  der  bestehenden  Arten  (die  neuerdings  Gzolbe  in  seiner  i 
über  die  Grenzen   und   den  Ursprung   der   menschlichen  Erken: 
Jena   und    Leipzig    1865,    unter    systematischer   Durchbildung 
mechanisch-teleologisohen,   die  Ursprünglichkeit  der  Atome,   der 
nischen  Formen  und  der  Empfindungen  und  Gefühle  vorausset2 
Weltansicht  vertheidigt)   und  auch  der  ewige  Kreislauf  auf  der 
(zu  dessen  Annahme  Volger  sich  hinneigt)  ist  mit  den  geologi 
paläontologischen   und  astronomischen  Thatsachen  schon  darum 
dabei   ein  ewiges  Bestehen  dieser  Erde  vorausgesetzt  werden  n 
schwerlich  vereinbar  und  mit  dem  Bestehen  eines  die  Planetenbew 
auch  nur  um  Weniges  hemmenden  Mittels  schlechthin  unvertri 
Der  plötzliche  Hervorgang  complicirter  Organismen  würde  das  al 
Wunder  involviren,  dessen  Annahme  als  eine  den  Erfahrungskreis 
scendirende  der  Naturforschung  als  solcher  fremd  ist.    Es  bleib 
hin  auf  naturwissenschaftlichem  Boden  nur  die  letzte  Annahme  (i 
die  erweiterte  Darwin'sche  ist)   übrig.     Jedoch   eben  dieser  Am 
steht  entgegen  theils,   dass  zwar  geringere,   aber  nicht  so  stark« 
bildungen,  wie  sie  solche  voraussetzt,  heute  empirisch  nachweisbai 
theils,  dass  die  Folge  der  Organismen  in  den  Erdschichten  zwar 
sentheils,    aber  nicht  ausnahmslos  die  erwartete  ist.     Aber  nac 
logischen  Normen  ist  es  ein  unberechtigtes  Verfahren,  diese  Umi 
auch  dann,   wenn  es    sich  zunächst  nur  um  die  Möglichkeit 


Annahme  handelt,  sofort  als  Qegengründe  eq  bezeiohDen  und  eiDe  Be- 
seitigung derselben  für  die  nothwendige  Bedingung  ihrer  Aufrecht- 
erhaitung  zu  erklären;  denn  es  iat  vorher  zu  ontersnoheD,  ob  nicht 
viellaioht  die  richtig  durchgebildete  Hypothese  gerade  den  heutigen 
Zustand  fester  gewordener  Organismen,  die  sioh  aas  beweglicheren 
hervorgebildet  haben  und  deren  Satwickelmtgsfähigkeit  nur  noch  inner- 
halb  engerer  Qrenzen  nnd  mehr  nach  dem  Innern  gewendet  bestehe, 
und  ebenso,  ob  sie  oiobt  ein  frühes,  jedoob  anfangs  nur  sporadische! 
Anftreten  höherer  Organismen  lange  vor  der  endlichen  Änstilgnng 
mancher  niederen  Formen  oonaeqneutermaaaaen  annehmen  lass«.  In 
dem  letzteren  Sinne  scheint  Virchow  durch  seine  Aeuisernng  aofder 
St«ttinar  NaturforaoherTersammlung  (1863)  die  Znlässigkeit  der 
Darwin'schen  Ansicht  gegen  Yclger's  Angriff  zu  vertheidigen  (Bericht 
über  die  38.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerite  im 
September  1663,  Stettin  1864,  S.  74  f.).  Die  Darwin'Bche  Lehre  war 
von  Häckel  als  wahr  vertheidigt  worden;  hjpotbetieoh  sei  an  ihr  nnr 
die  Ansicht  von  der  Art  der  Entstehung  und  von  der  Zahl  der  Stamm- 
organismen, im  Uebrigen  aber  sei  sie  eine  auf  Thataachen  gegründete 
Theorie,  sofern  sie  Thatsachen  erkläre,  die  auf  keine  andere  Weise 
begreifbar  seien.  Volger  dagegen  hält  dafür,  dass  zwar  ein  bestän- 
diger Formwechsel  bestehe,  indem  Arten  nntergehen  and  nene  Arten 
aus  einer  gemeinschaftlichen  Urart  sich  hervorbilden,  dass  aber  nicht 
eine  allgemeine  aufsteigende  Entwickelung  der  Thierwelt  anzunehmen 
sei,  da  höhere  Formen  mitunter  schon  vor  den  niederen  auftreten. 
tUnnmstösslich  thatsächlich  ist  es,  dass  lange  bevor  jene  fischartigen 
Eüdechsen  existirten,  welche  man  bisher  als  die  prophetischen  Formen 
ansah,  ans  welchen  sich  später  erst  die  reinen  Fische  und  Eidechsen 
entwickelt  hätten,  bereits  reine  Eideohsenformen  bestanden,  welche 
der  höchsten  Grnppe  der  Eidechsen  angehören;  es  ist  eine  Thatsache, 
dass  der  Proteroeauras  ein  Daktylopode  ist,  and  dass  er  weit  voran- 
gegangen ist  den  ersten  nexipoden  Nothosauren,  lohthyosauren  und 
Plesiosauren.  Es  sind  Thatsachen,  man  stosse  sie  um!  Ebenso  ist  ea 
Thatsache,  dass  vor  jenen  gemischten  Formen,  den  Ichthyosanren,  welche 
überhaupt  von  den  Wirbelthieren  die  prophetischen,  synthetischen 
Urformen  sein  sollten,  aus  welchen  inbesondere  die  ^ugethiere  durch 
eine  mit  Änalysis  verbundene  Entwickelung  erst  entstanden  wären,  be- 
reits wirkliche  Säugethiere  vorhanden  gewesen  sind;  der  Mikrolestee 
Flieninger's  im  Keuper  Würtembergs  iet  eine  eben  so  unumstössliche 
Thatsache,  wie  der  ihm  verwandte  Plagiaulax  und  die  übrigen  Säuge- 
thiere des  Portlandoolithes.  So  lange  diese  Thatsachen  nicht  umge- 
stossen  werden,  wird  eine  Theorie,  welche  sich  auf  die  ünkunde  dieser 
Thatsachen  gründete,  sich  nicht  wieder  befestigen  lassen.«  Auf  eine 
Vereinbarkeit  jener  Thatsachen  mit  der  richtig  verstandenen  Ent- 
wiokelungstheorie  aber  zielen  Virchow's  Worte:  >Man  mag  durch 
neue  Beobachtungen  finden,  dass  der  Uensoh  schon  in  einer  Zeit  vor- 
handen war,  wo  er  nach  der  bisherigen  Vorstellung  nicht  vorhanden 
wsr.    Es  mag  sich  herausstellen,  dass  er  aohon  mit  dem  antedilnvisni- 


§  134.  Die  Hypothese.  455 

sehen  Bären  gekämpft  hat,  während  wir  bis  dahin  geglaubt  hatten, 
dass  dieser  Bär  längst  verschwunden  war,  als  der  Mensch  erschien. 
Es  mag  sich  herausstellen,  dass  eine  Eidechse  früher  vorhanden  war, 
als  bis  zu  diesem  Augenblick  gefunden  war.  Aber  wir  müssen  uns 
daran  erinnern,  dass  das  Buch  der  Erde  nur  auf  wenigen  Seiten  auf- 
geschlagen vor  uns  liegt;  —  die  Embryologie  muss  als  Anhalt  dienen, 
weil  da  allein  das  sichere  Wissen  von  der  lebendigen  Entwicklung  ge- 
funden werden  kann;  —  die  Erfahrungen  auf  diesem  Gebiete  aber 
stimmen  überein  mit  den  allgemeinen  Erfahrungen  des  geistigen  Lebens ; 
—  in  der  Geschichte  der  Menschheit  treten  uns  einzelne  grosse  Er- 
scheinungen in  einer  sonst  düsteren  Zeit  entgegen,  sie  bleiben  lange 
unverstanden,  erst  nach  ihnen  sehen  wir  in  immer  grösserer  Verbreitung 
die  freie  Entwicklung  der  einzelnen  Menschen  fortschreiten,  c  —  YergL 
über  das  Verhältniss  von  Hypothese  und  Theorie  in  Darwin's  Lehre 
die  kritische  Besprechung  in  J.  B,.  Meyer's  philos.  Zeitfragen.  2.  Aufl. 
1874.  S.  108  ff.  u.  A.  Wigand,  d.  Darwinismus  u.  d.  Naturforsch. 
Newton's  u.  Cuvier's,  Beiträge  z.  Methodik  der  Naturforsch,  u.  z.  Spe- 
desfrage.  8  Bde.  1874,  76  u.  77. 

Die  Fundamente  zur  Theorie  der  Hypothese  sind  durch  Plato 
und  Aristoteles  gelegt  worden.  Plato  bezeichnet  mit  vnod'^aig 
im  Allgemeinen  eine  Annahme,  woraus  Anderes  abgeleitet  wird,  aber 
in  doppeltem  Sinne.  Im  Phädon  (p.  100  A;  101 D;  107  B)  nennt  er  so 
die  Voraussetzung  des  Allgemeineren,  welches  die  Ursache  für  Anderes 
ist,  wie  namentlich  die  Theilnahme  an  der  Idee  die  Ursache  der  Eigen- 
schaften. In  Bezug  auf  eine  jede  derartige  Voraussetzung  soll  ein 
Zweifaches  scharf  geschieden  werden:  wir  sollen  zuerst  das  aus  ihr 
Hervorgehende  betrachten,  ob  es  mit  sich  zusammenstimme  oder  sich 
widerstreite  ( —  'itag  av  la  an^  ixelvrig  oQ^urjd'^vra  oxi^paio^  et  aot  aXXif- 
iois  $vf£(p(oviZ  rj  dia(p<ovtt),  darnach  aber,  um  die  Voraussetzung  selbst 
zu  rechtfertigen,  eine  andere,  und  zwar  noch  höhere  oder  allgemeinere 
zum  Grunde  legen  (riTis  lav  avcj&ev  ßeXHaTTj  tpaivoiro)  bis  wir  in 
diesem  aufsteigenden  Gange  zu  etwas  an  sich  selbst  (Gewissem  {Ixavov) 
gekommen  sind.  Demnach  findet  Plato  in  der  blossen  Uebereinstimmung 
der  Gonsequenzen  der  Voraussetzung  unter  einander  mit  Recht  nicht 
ein  zureichendes  Kriterium  der  Wahrheit  der  Voraussetzung  selbst 
(vgl.  Cratyl.  p.  433  C);  das  Verhältniss  jener  Gonsequenzen  zu  den 
Thatsachen  der  Erfahrung  erwähnt  er  nicht;  er  fordert  Beweisführung 
ans  dem  Allgemeinen,  und  will  Zulässigkeit  der  Hypothese  nicht  in 
moderner  Weise  durch  Bückschluss  auch  über  die  Wahrheit  der  Vor- 
aussetzung selbst,  die  erst  durch  die  Deduction  derselben  aus  einem* 
höheren  Princip  ermittelt  werden  soll.  Das  höhere  Princip  ist  ein 
höherer  Begriff  und  den  Unterschied  zwischen  dem  höheren  Begriff  und 
dem  allgemeineren  Gesetz  berührt  Plato  nicht.  In  der  Schrift  deBep. 
(VI,  510  sqq.;  VU,  538  sqq.)  gebraucht  er  vno&eatg  einerseits  zwar  in 
derselben  Weise  für  das,  was  als  das  Allgemeinere  die  wissenschaftliche 
Grundlage  des  minder  Allgemeinen  ist,  wie  insbesondere  die  arithme- 
tischen und  geometrischen  Grundbegriffe  als  Voraussetzungen  der  daraus 


456  §  184.  Die  Hypothese. 

abzuleitenden  Lehrsätze  dienen  (y^v^v  Cv^etv  avayxaCetai  i^  vnoS^iastov 
ovx  in^  ^QXV^  noQBvofjLivTij  «XV  inl  relfw^v '  —  vnod-ifjLSVoi  t6  n  mgir- 
Tov  xal  t6  agriov  xal  ra  ax^fiixra  xal  yiavmv  TQirra  €f  J17  x.  r.  it.),  anderer- 
seits aber  im  entgegengesetzten  Sinne  für  das,  was  als  Grundlage  der 
Erhebung  zum  Allgemeineren  dient,  wie  insbesondere  wiederum  eben 
jene  geometrischen  Grundbegriffe,  sofern  dieselben  als  Unterlagen  und 
gleichsam  Schwungbretter  für  die  Erhebung  zu  den  Ideen  dienen; 
er  bezeichnet  diesen  Gebrauch  des  Wortes  als  den  wahreren,  und  nennt 
in  gleichem  Sinne  das  an  sich  selbst  Gewisse,  jenes  txavov  des  Phädon, 
To  avvno&ejoVf  d.  h.  dasjenige,  was  nicht  mehr  in  solcher  Weise  als 
Unterlage  der  Erhebung  zu  Allgemeinerem  dienen  kann,  da  es  selbst 
das  schlechthin  Allgemeinste  ist  (t6  «T  av  hcQov  to  in^  ^Qxh'^  «vvno- 
d'ejov  i^  vnod-ia^tüi  iovaa  *  —  tas  vno&^asis  noiovfjLiVog  ovx  ^^/cc(,  aHa 
riß  oVTi  vnod'iaBig  olov  Inißaans  t£  xal  oQfiag '  —  ^  jMeAexrix^  fi^&oSog 
fJt^ovr^  TKVTrjl  noQiverai  ras  vnfy^iaug  avttigovaa  fn^  aviiiv  t^v  agx^)'  In 
diesem  letzteren  Sinne  dient  zwar  das  minder  Allgemeine  zum  Erkennt- 
nissgrunde des  Allgemeineren,  aber  nicht  als  Prüfungsmittel  der  Wahr- 
heit einer  Hypothese,  aus  der  es  abzuleiten  wäre,  sondern  vielmehr 
seinerseits  als  Fundament,  vnod^saig  der  Abstraction.  (Vgl.  auch  Meno 
p.  86  E;  Grat.  p.  486  C  sqq.)  In  dem  Dialog  Parmenides  wird  (p.  127  sq.; 
184  sqq.)  gefordert,  dass  zum  Behuf  der  Prüfung  einer  Behauptung 
antinomisch  nicht  nur  diese  selbst,  sondern  auch  die  entgegenge- 
setzte in  ihre  Consequenzen  entwickelt  werde  (xqi]  ^k  firi  fxovov  et 
^OT*y  exaOTOv  vnoti&ifi^vov  axonetv  ra  avfißalvovta  ix  lijg  vno&iasfogj 
aXltt  xal  d  ftri  iari  to  avro  tovto  vnorlS'saSai^  el  ßovl€i  fiällov  yvfi- 
vaa&tjvai),  und  der  (unplatonische)  Satz  aufgestellt,  dieses  >  dialektische  c 
Verfahren  sei  zur  Uebung  oder  subjectiven  Vorbildung  bestimmt, 
welche  die  wissenschaftliche  Erkenntniss  bedinge.  —  Aristoteles  unter- 
scheidet das  (direct)  beweisende  und  das  hypothetische  Schliessen  (Anal, 
pri.  I,  28.  40  b.  25):  rj  Sctxjixöis  tj  ($  VTrod-iastogy  Der  apodeiktische 
Syllogismus  muss  aus  Nothwendigem  und  daher  zu  oberst  aus  Defini- 
tionen und  aus  Axiomen,  d.  h.  aus  wahren  und  einem  jeden  unmittelbar 
gewissen  Principien  schliessen,  die  ein  natürliches  Prius  des  zu  Er- 
weisenden und  (wie  Aristoteles  mit  Plato  annimmt)  an  sich  selbst 
gewisser  als  dieses  sein  müssen  (Top.  I,  1;  Anal.  post.  I,  2.  72  a.  27 
u.  86):  avdyxTj  fitj  fxovov  ngoytvtjaxetv  ra  nQtjra  ^  nayra  tj  l^vta,  aXXa 
xal  fjiaXXov'  —  fAoXXov  yag  avayxi]  7n(TT€v€iv  raTg  aQ)^dig  ?  naacug  ij 
Tifsl  jov  av^negda/iarog);  die  Hypothesis  aber  ist  ein  solcher  Satz, 
worin  eines  der  beiden  Glieder  des  contradictorischen  Gegensatzes  als 
'wahr  angenommen  wird,  ohne  dass  doch  die  Wahrheit  desselben,  wie 
beim  Axiom,  unmittelbar  einleuchtend  wäre  (Anal.  post.  I,  2.  72  a.  19): 
&ia€tüg  S*  17  fikv  onoTiQovovv  röiv  fioqCtov  rrii  avTKpaaetog  Xaußavovaa, 
olov  Xfyct)  TO  elvai  ti  rj  ro  firj  dval  ti,  vnoS-eirig.  Aristoteles  nennt 
dasjenige  hypothetische  Verfahren,  welches  in  der  Philosophie  zuerst 
der  Eleate  Zeno  geübt  hat,  also  die  Prüfung  von  Sätzen  an  ihren  Con- 
sequenzen, dialektisch  (Top.  I,  1.  100a.  29:  ^taX€xTtx6g  ^k  (rvXXoyta- 
liog  6  i^  Mo^tov  avXXoyiCofjievog,  cf.  Top.  VHI,  11;  14),  wie  er  demi 


§  184.  Die  Hypothese.  ! 

1 
auch  in  diesem  Sinne  Zeno  den  Urheber  der  Dialektik  nennt  (s.  \ 
§  11,  S. 21).   Aristoteles  gesteht  der  Dialektik  nicht  nnr  einend 
sehen  Werth  als  Denkübung  und  Kunst  der  philosophischen  Qei 
fnhrung,  sondern  auch  einen  wissenschaftlichen  zu,  sofern  sie  ein  ^ 
Erkenntniss  und  insbesondere  zur  kritischen  Ermittelung  der  Pri 
sei  (Top.  I,  2.  101  a.   27:    t^art    dk    ngog  rgltt'    nQog  yvfivaaiitf 
rag  (vriv^ag,    ttqoc  Tag'xccra  (ptXoao(p(ay  inttnrifKtg'   —   fifraarti 
ovaa  TiQog  tag  anaaw  rmv  fjte&oJoiv  ng^ag  odov  ^x^*)'    Doch  ; 
Frage,    ob  und  inwiefern  der  vovg  mit  unmittelbarer  Gewissh< 
Principien  (als  afieaa,  avanoieixTo)  erkenne,   oder  dazu  der  In^ 
und  der  Dialektik,  also  der  Bildung  und  Prüfung  yon  Hypotho 
Sinne  der  Neueren,  bedürfe,  bei  Aristoteles  überhaupt  noch  ni^ 
einer  reinen  Lösung  gelangt;    sie  konnte  es  nicht,  da  ihre  unuo 
liehe  Vorbedingung  einerseits  in  der  (Eantisohen)  ünterscheidni 
analytisch  und  der  synthetisch  gebildeten  Urtheile  liegt,  ander 
aber   in   der    erst  durch    den    thatsächlichen   Entwickelungsgan 
positiven  Wissenschaften  begründeten  Einsicht  in  die  volle  Bede 
der  Deduction   aus   dem    noch   nicht  Gewissen   zum  Behuf  eine 
bahnung  der  gewissen  Erkenntniss  der  Principien.   (Vgl.  Zeller,  1 
der  Gr.,  II,  2,  2.  A.  S.  119.)  — Im  Mittelalter  konnte  die  Hyp 
aus  demselben  Grunde,  wie  die  Induction  (s.  oben  zu  §  127,    S. 
nicht   in   echt   wissenschaftlicher  Weise   aufgefasst  werden.     El 
logische  Theorie   den   vollen  wissenschaftlichen  Werth  der  Hyp* 
anerkennen   konnte,   musste   die   positive    Naturwissenschaft   mi 
grossen    That    eines    ernsten,    in     vielen    Fällen    jahrhundertel 
Kampfes  wissenschaftlicher  Hypothesen  vorangegangen  sein,    ud 
endlich  gewonnene  sichere  Entscheidung   die  Macht   der   treuen 
beharrlichen  'Forschung  bewährt  haben.   —   Schon  Wolff  (Log. 
prael.  §  127)  fordert  im  Gegensatz  gegen  Verwerfungsurtheile  ma 
Früheren:  >hyx>othesibus  philosophicis  in  philo sophia  locus  conced< 
quatenus  ad  veritatem  liquidam  inveniendam  viam  sternuntc, 
aber .  auch  vor  dem   Missbrauch,   hypothesin  venditandi    pro  ve 
demonstrata.  —  Mi  11  bemerkt  (Log.  übers,  von  Schiel,  1.  A.,  S.  2^ 
»ohne  solche  Voraussetzungen  würde  die  Wissenschaft  ihren  jei 
Stand  nicht  erreicht  haben;    sie   sind   nothwendige  Schritte   bei 
Suchen  nach  etwas  Gewisserem,   und  beinahe  alles,   was  jetzt  T] 
ist,   war   einst    Hypothesec.   —   Sehr   richtig   sagt   Trendelen 
(Log.  Unters.  II,  S.  811,  2.  A.  H,  S.  886  f.  8.  A.  ü,  8.  411  f.): 
die  Wahrheit  wie  einen  fertigen  und  sicheren  Besitz   des  Geiste 
sieht,  der  geräth  wohl,  wenn  er  diesen  durchgehenden  Kampf  ge\ 
in  skeptische  Bedenken.    Aber  der  Geist  kennt  keine  träge  Erbs 
er  «nennt  nur  sein,  was  er  erworben  hat  und  behauptet.   Diese  i 
ist   sein  Stolz  und  das  Gemeingut  des  Geschlechts.  —  Die  Fom 
Hypothese  ist  die  Weise  jedes  werdenden  Begriffs.  —  So  wachs 
Mensch  heran,  seine  Vorstellungen  an  dem  Erfolge  und  den  Er 
nungen  regelnd.    Was  ihm  gewiss  ist,   steht   ihm  durch  diese  l 
einstimmung  fest.    Die  Wissenschaft  verfährt  nicht  anders,  we£ 


458  §  185.  Der  Beweis. 

statt  der  blossen  der  Erscheinung  zugekehrten  Vorstellung  den  Begriff 
des  Grundes  sucht.  Es  wachsen  dabei  nur  die  Zwischenglieder,  und 
es  verkettet  und  verschlingt  sich  nur  die  synthetische  That  des  Geistes  c. 
Ein  beachtenswerthes  Werk  über  die  Hypothese  schrieb:  Ernest 
Naville,  la  logique  de  l'hypoth^se.  Paris  1880.  Zu  beachten  auch: 
Sigwart,  Logik.  Bd.  2.  Methodenlehre.  Th.  3.  Abschn.  3.  IV.  §83.  Die 
Auffindung  von  Hypothesen  S.  258,  u.  Wundt,  Logik.  Bd,  1.  Abschn.  5. 
Gap.  1.  Der  Begriff  des  Wissens.  4.  Thatsachen  u.  Hypothesen.  S.  40L 


§  135.  Der  Beweis  (demonstratio,  argamentatio,  pro- 
batio,  OTtodei^ig)  ist  die  Ableitung  der  materialen  Wahrheit 
eines  Urtheils  aus  der  materialen  Wahrheit  anderer  Urtheile. 
Der  direete  Beweis  (demonstratio  directa  sive  ostensiva, 
^  dsixuxij  oinodei^ig  oder  17  AnoÖBi^ig  im  engeren  Sinne,  oi 
dsiKTixoi  avlloyigfioi)  leitet  (geradezu)  die  Wahrheit  des 
Schlusssatzes  aus  Prämissen  ab,  deren  Wahrheit  im  Voraus 
feststeht.  Er  ist  genetisch  (demonstratio  genetica),  wenn 
der  Beweisgrund  mit  dem  Realgrunde  zusammenfällt.  Der 
indirecte  oder  apagogische  Beweis  (demonstratio  indi- 
recta,  ^  elg  to  ddvvazov  ayovaa  oder  anayovaa  artodei^igy  fj 
eig  To  advvcnov  anayioytj^  d  3iä  xov  ddvvarov  avkXoyiafiog) 
zeigt  zunächst  die  materiale  Unwahrheit  einer  Prämisse,  welche 
als  die  allein  ungewisse  mit  einer  oder  mehreren  gewissen 
combinirt  war,  aus  der  materialen  Unwahrheit  einer  der  Con- 
sequenzen,  eben  dadurch  aber  die  materiale  Wahrheit  des 
contradictorischen  Gegentheils  jener  Prämisse.  Vermöge  eines 
disjunctiven  Obersatzes,  welcher  die  sämmtlichen  in  der  be- 
treffenden Sphäre  vorhandenen  Möglichkeiten  erschöpft,  kann 
der  indirecte  Beweis  durch  successive  Ausschliessung  aller 
anderen  die  eine,  die  allein  noch  übrig  bleibt,  zur  vollen  Ge- 
wissheit erheben.  Der  indirecte  Beweis  ist  ganz  eben  so  be- 
weiskräftig, d.  h.  er  erzwingt  mit  gleicher  Strenge  die 
Anerkennung  der  Wahrheit,  wie  der  direete,  steht  demselben 
aber  dennoch,  sofern  ein  affirmativer  Satz  zu  erweisen  ist,  aus 
dem  Grunde  nach,  weil  dann  in  ihm  nicht,  wie  in  jenejn, 
der  Erkenntnissgrund  mit  dem  Realgrunde  coincidiren  kann. 
Dagegen  ist  der  indirecte  Beweis  eine  vollberechtigte  Erkennt- 
nissform der  apodiktischen  Wahrheit  negativer  Sätze.  Auch 
ist  die  positive  Erkenntniss  der  Wahrheit  der  Principien  nicht 


§  1S6.  Der  Beweis.  459 

ohne   ihn   zu   gewinnen«  —  Der  za   beweisende  Satz  heisst 
Lehrsatz  (theorema). 

Ein  Schluss  kann  formale  Riohtigkeit  haben  bei  materialer 
Unwahrheit  der  in  ihm  enthaltenen  Urtheile,  und  hört  darum  doch 
nioht  auf,  ein  Schluss  zu  sein  und  als  Schluss  Gültigkeit  zu  haben ;  ein 
vorgeblicher  Beweis  aber,  dessen  Grundlagen  der  materialen  Wahrheit 
entbehrten,  wäre  gar  nicht  mehr  ein  gültiger  Beweis.  Die  sogenannte 
argumentatio  ad  hominem  {xar^  av&Qfonov)  im  Gegensatze  zu  der 
argumentatio  ad  rei  veritatem  {xat^  akr^uav)  ist  keine  logi- 
sche Form. 

In  der  Mathematik  giebt  die  Euklidische  Methode  das  Bei- 
spiel der  höchsten  Strenge  der  Beweisführung.  In  dieser  Bezie- 
hung ist  das  Werk  des  alexandrinischen  Geometers  unübertroffen.  Aber 
dennoch  kann  eine  unbefangene  Würdigung  nicht  unbedingt  das  Urtheil 
Kästner's  gutheissen  (Anfangsgr.  der  Geom.  4.  Ausg.  S.  428;  vgl.  Tren- 
delenburg, Log.  Unters.  11,  S.  289,  2.  A.  II,  S.  865,  3.  A.  II,  S.  899) : 
»von  dem  eigenen  Werthe  der  Geometrie,  Deutlichkeit  und  Gewissheit, 
besitzt  jedes  geometrische  Lehrbuch  desto  weniger,  je  weiter  es  sich 
von  Euklid's Elementen  entfernte;  sondern  muss  vielmehr  dem  Urtheil 
der  Cartesianer  beitreten  (Log.  ou  l'art  de  penser,  lY,  9),  es  sei  ein 
Fehler  der  Euklidischen  Geometrie:  »avoir  plus  de  sein  de  la  certitude 
que  de  l'evidence,  et  de  convaincre  l'esprit  que  de  Peclairerc ;  zu  wenig 
zu  geben:  »des  raisons  prises  de  la  nature  de  la  chose  meme  pourquoi 
cela  est  vrai«,  und:  »n'avoir  auoun  soin  du  vrai  ordre  de  la  naturec. 
Euklid  hat  jenem  Einen  Vorzug  der  strengen  Gewissheit  (allerdings  dem 
wesentlichsten)  andere  zum  Opfer  gebracht,  die  doch  mit  demselben  ver- 
einbar sind.  Auch  Tschirnhausen  verlangte  bereits  neben  der 
möglichsten  Verallgemeinerung  die  Herleitung  eines  jeden  Satzes  aus 
derjenigen  Doctrin,  von  welcher  sie  auf  natürliche  Weise  abhängig  sei 
(s.  Chasles,  Geschichte  der  Geometrie,  aus  dem  Franz.  übers,  von  L. 
A.  Sohncke,  Halle  1889,  S.  112),  und  in  wesentlich  gleichem  Sinne 
fordert  Schopenhauer,  dass  die  Geometrie  ihre  Sätze  auf  den  Seiusgrund 
basire  und  nicht  »Mausfallenbe weise  c  aufstelle.  Die  Beweise  sollen 
nicht  nur  streng,  sondern  auch  nach  Möglichkeit  genetisch  sein, 
oder  der  Erkenntnissgrund  der  Wahrheit  des  Satzes  mit  dem  Real- 
grunde zusammentreffen,  und  dieser  Forderung  kann  und  soll  die  neuere 
Wissenschaft  mit  ihren  Mitteln  in  höherem  Grade  nachkommen,  als 
einst  Euklid  es  vermochte.  Insbesondere  aber  ist  es  die  analytische 
Geometrie  und  die  Infinitesimalrechnung,  wodurch  ein  mehr  geneti- 
sches Beweisverfahren  möglich  wird.  Denn  die  analytische  Geo- 
metrie sondert  die  wesentlichen  und  allgemeinen  Grössenverhältnisse, 
die  sich  in  der  Formel  darstellen  lassen,  von  ihren  zufälligen  Erschei- 
nungsformen in  den  einzelnen  Figuren,  und  führt  so  über  die  mancher- 
lei verschiedenartigen  Betrachtungen,  »zufälligen  Ansichten c  und  im 
Einzelnen  glücklich  aufgefundenen  Hülfsmittel,  worauf  meist  die  con- 
stmotiven  Beweise  beruhen,   hinaus  zur  sicheren   und  gleiohmässigen 


Erkenntaia«  det  BeaondereD  ans  «einen  EemeiDsamen  Oründen.  Dia 
BiffereDtial-  and  Integfralrachnang  aber  führt  bia  ED  den 
letzten  Elementen  zarüok,  um  auB  denselben  die  Geneeie  der  mathe- 
matischen Gebilde  und  so  ihr  Wesen  und  ihre  Beziehungen  zu  begreifen 
und  hieraoa  die  Lehrsätze  über  dieselben  zn  erweisen;  daher  ist  hier 
die  höchste  Einfachheit  der  Beweise  gepaart  mit  der  Tollsten  Befrie- 
digong  für  den  denkenden  Geist. 

Jeder  indireote  Beweis  wird  mittelst  einer  Hypothese  [s.  o. 
9  134)  gefuhrt,  die  aber  nicht  in  der  Erwartang  aufgestellt  wird,  ob 
sie  sieb  vielleicht  durch  die  Wahrheit  ihrer  logischen  Folgen  bestätigt 
finden  möge,  sondern  von  vom  berein  nur  in  der  Absicht,  am  sie 
durch  den  Nachweis  der  Unwahrheit  einer  ihrer  Consequencen  zu 
stürzen  und  so  durch  Antschluss  der  unhaltbaren  Toraussetzungen  die 
richtige  za  ermitteln.  Dieses  Verfahren  dient  namentlich  zur  wissen- 
Bcbaftlichen  Begründung  der  Principien,  weil  diese,  sofern  sie  selbst 
ein  Oberstes  und  Allgemeiostes  sind,  nicht  eine  Ableitung  ans  Höherem 
zulassen,  und  die  blosse  Induction  für  sich  allein  nicht  mreioht.  So 
lässt  sich  z.  B.  die  wahre  Natur  der  unendlich  kleinen  Grösse  oder 
de«  Differentials  als  einer  Grösse  von  wechselndem  Werth  vermittelst 
des  folgenden  indirecten  Beweises  feststellen.  Das  Differential  ist  ent- 
weder eine  Grösse  von  festem  oder  von  wechselndem  Wertfa.  Wäre  ee 
das  Erste,  so  müsste  es  entweder  der  Null  gleich,  oder  seinem  absoluten 
Werthe  nach  grösser  als  Null  sein.  Der  Null  gleich  kann  es  nioht  sein, 
weil  es  zu  anderen  Differentialen  bestimmte  Terbul  tu  isse  hat,  wogegen 
das  Verhältniss  von  Null  zu  Null  völlig  unbestimmt  ist.  (So  darf  t.  B. 
2  .  dz  niemals  =  di  gesetzt  werden,  wogegen  2.0=0  ist.  Ebenso 
behält  auch  der  unendlich  kleine  Kreis  noch  sein  bestimmtes  Terhältniss 
zn  seiner  Hälfte,  die  Peripherie  ihr  Terhilltniss  zum  Radios  und  ihren 
Unterschied  von  diesem  und  vom  Mittelpunkte  etc.,  wogegen  bei  dem 
blossen  Punkte,  dessen  Ausdehnung  ^  0  ist,  alle  diese  Verhältnisse 
verschwinden.)  Eine  von  der  Null  verschiedene  feste  Grösse  kann  aber 
das  Differential  auch  nicht  sein,  weil  es  dann  nicht  neben  dem  End- 
lichen schlechthin  verschwinden,  und  also  in  vielen  Fällen  da«  gewonnene 
Resultat  nioht  mit  absolnter  Genauigkeit  gelten,  sondern  nur  approxi- 
mativ richtig  sein  wurde,  während  doch  die  absolute  Genauigkeit  des- 
selben anderweitig  (z.  B.  vermöge  eines  ohne  Hälfe  der  Differential- 
rechnnng  anf  rein  elementarem  W^e  geführten  Beweises)  apodiktisoh 


§  186.  Der  Beweis.  461 

Dasein  Qottes  indirect  za  fahren,  indem  etwa  die  Eantisohe  Disjunction: 
die  Welt  ist  entweder  durch  Zufall,  oder  durch  blinde  Notbwendigkeit, 
oder  durch  eine  freie  Ursache  geworden,  zum  Grunde  gelegt,  und  ge- 
zeigt wird,  dass  weder  die  erste,  noch  die  zweite  Voraussetzung,  son- 
dern nur  die  dritte  dem  gegebenen  Charakter  des  Weltalls  entspreche. 
Der  harmonische  Bau  der  Organismen  ist  nur  verständlich  aus  dem 
Gedanken,  »vor  welchem  uranfänglich  alle  Probleme  der  Physik  gelöst 
sind«,  und  der  endliche  Geist  nur  aus  dem  ewigen  Gottesgeiste.  Doch 
kann  die  Logik,  sofern  sie  Erkenntnisslehre  sein  will,  dieses  Problem 
nur  als  Beispiel  zur  Methode  berühren,  nicht  als  integrirenden  Thei] 
ihrer  eigenen  Aufgabe,  üeber  das  Problem  selbst  und  die  Methode 
seiner  Lösung  vgl.  Trendelenburg,  Log.  Unters.  11,  S.  831;  S.  887  ff.; 
2.  A.  U,  S.  406  f.;  S.  426  ff.;  8.  A.  II,  S.  461  ff. 

Aristoteles  erklärt  den  Beweis  (utio^h^is)  für  eine  Art  des 
syllogistischen  Verfahrens,  und  findet  die  speoifische  Differenz  desselben 
in  der  materialen  Wahrheit  und  Nothwendigkeit  der  Prämissen. 
Top.  I,  1.  100  a.  27:  anoSaiSts  fnkv  ovv  ImCv,  orav  i^  alti^div  xal  7i(mr(av 
6  avlXoyiOfjios  y,  rj  (x  roiovriov,  «  6ia  uvoiV  ngmtüV  xal  aXrid-wv  r^c 
ntgl  avrä  yvtiatcjs  triv  u^x^v  €tXrj(p€V'  SiaXixtixog  Jk  ovlXoyiafios  6  (^ 
ivSoiüjv  avXXoyiCofÄevog.  Anal.  post.  I,  2.  71  b.  20:  {tvayxrj  rrjv  ano' 
diixitxijv  imOTfififiv  ü  aXff&^v  t'  ilvai  xal  ngwrtov  xal  a/diaatv  xal  yvcDQi' 
(itarififov  xal  ngcfri^mv  xal  ah((ov  xov  avfineQaafutros.  Aristoteles  unter- 
scheidet den  directen  und  den  apagogischen  Beweis.  Anal.  pri. 
I,  28.  40  b.  23:  avayxij  cf^  näattv  anoSn^tv  xal  navra  ovXXo^aafAov  ^ 
vnaQxov  ft  tj  fiii  vTictQ^ov  ^iixvvvai  xal  tovto  ^  xa&oXov  ^  xctrit  juigoe, 
hl  ^  (fffjrTixo»?  fj  f^  vnod-iascjc '  tov  (T  i^  vno&iaaojs  f^igos  to  Sta 
jou  aSvvatov.  —  ibid.  41a.  28 :  navtig  yag  ol  Sta  xov  aSvvarov  nigat- 
voyrts  TO  fiiv  if/ev^og  avXXoyi^ovrai^  ro  J'  ^|  ^QX^S  (^^  ursprünglich  zu 
Erweisende)  1}  vnoO-iffews  Snxvvovaiv^  orav  a^vvtaov  xt  avfißaCvH  xrig 
ävxitpaa€(og  xe&eiarig.  Er  giebt  dem  directen  Beweise  vor  dem  apago- 
gischen den  Vorzug,  sofern  der  directe  aus  dem  Erkennbareren  und 
Früheren  oder  aus  dem  mehr  Principiellen  (ix  yvotgt/uwrigatv  xal  ngo- 
xigtov)  schliesse  (Anal.  post.  I,  28).  Die  obersten  Beweisprincipien  sind 
ihrerseits  unbeweisbar  und  werden  als  unmittelbar  gewisse  Sätze  (afiiaa) 
durch  den  vovg  erkannt;  sie  müssen  an  sich  selbst  erkennbarer  und 
einleuchtender  sein,  als  dasjenige,  was  daraus  abgeleitet  werden  soll 
(Anal.  post.  I,  2  sq.).  Vgl.  hierüber  die  historische  Ausführung  zu  §  184. 
—  Wolff  (Log.  §  498)  fordert  von  dem  Beweis  (demonstratio),  um  die 
Definition  desselben  mit  der  Terminologie  der  positiven  Wissen- 
schaften in  Einklang  zu  setzen,  nur  die  Wahrheit  der  sämmtlichen 
Prämissen,  und  lässt  daher  (nach  dem  Vorgange  Melanchthon's 
Erotem.  Dial.  I,  IV,  p.  239)  ausser  den  Definitionen,  Axiomen  und 
hieraus  bewiesenen  Lehrsätzen  auch  solche  Prämissen  zu,  die  sich  auf 
zweifellose  Erfahrungen  gründen.  —  Kant  (Krit.  d.  r.  V.  S. 817  ff.) 
erörtert  die  Gefahren  des  indirecten  Beweises,  und  will  denselben,  hierin 
jedoch  zu  weit  gehend,  von  der  reinen  Philosophie  ausschliessen.  — 
Die  Bedeutung  des  indirecten  Beweises  für  die  Erkemtfauss  idey  Erincipien 


462        §  186.  Die  Widerlegung.  Die  UnterBUohung.  Das  Problem. 

hat  besonderB  Trendelenbarg  (Log.  Unters.  II,   S.  820  ff.;   887  ff.; 
2.  A.  S.  896  ff.,  425  ff.;  3.  A.  S.  461  ff.)  hervorgehoben. 

Lotze  in  seinem  System  der  Philos.  Bd.  1.  Logik,  behandelt  in 
Buch  2.  Gap.  4  die  Formen  des  Beweises  und  Cap.  5  die  Auffindung 
der  Beweisgründe;  —  Sigwart  in  seiner  Logik  Bd.  2.  Methodenlehre. 
Abschn.  8.  U,  §  61  den  Beweis. 

§  136.  Die  Widerlegung  (refutatio,  sXsyxogy  äva- 
aüevrj)  ist  der  Beweis  der  Unrichtigkeit  einer  Behauptung 
oder  eines  Beweises.  Die  Widerlegung  einer  Behauptung 
ist  identisch  mit  dem  Gegenbeweise,  d.  h.  mit  dem  (di- 
recten  oder  indirecten)  Beweise  des  contradictorischen  Gegen- 
theils.  Die  Widerlegung  eines  Beweises  geschieht  entweder 
durch  Entkräftung  der  Beweisgründe,  d.  h.  durch  den 
Nachweis,  dass  denselben  die  Beweiskraft  mangele,  d.  h.  dass 
das,  was  bewiesen  werden  soll,  nicht  nothwendig  aus  ihm 
folge,  oder  durch  den  Nachweis  ihrer  materialen  Unwahr- 
heit. Auf  der  Abwägung  der  Gründe  für  und  gegen  eine 
Behauptung  beruht  die  Untersuchung  und  die  Disputation. 
Zur  gründlichen  Bestreitung  einer  gegnerischen  Behauptung 
muss  die  Widerlegung  des  Beweises  mit  dem  Gegenbeweise 
vereinigt  werden.  Die  Widerlegung  ist  dann  am  vollkom- 
mensten, wenn  sie  auch  den  Grund  des  Irrthums  nachweist 
und  so  den  trügerischen  Schein  zerstört.  Die  durch  eine 
wissenschaftliche  Untersuchung  zu  ermittelnde  Erkenntniss 
ist  das  Problem. 

Die  treue  Auffassung  der  gegnerischen  Ansicht,  das  volle 
Sichhineinversetzen  und  gleichsam  Hineinleben  in  den  Gedankenkreis 
des  Anderen,  ist  eine  unerlässliche,  aber  nur* zu  selten  erfüllte  Bedin- 
gung der  echten,  wissenschaftlichen  Polemik.  Die  Kraft  zur  Erfüllung 
dieser  Aufforderung  stammt  nur  aus  der  uninteressirten  Liebe  zur 
Wahrheit.  Nichts  ist  bei  schwierigen  Problemen  gewöhnlicher,  als 
eine  halbe  und  schiefe  Auffassung  des  fremden  (Gedankens,  Vermengung 
mit  einem  Theile  der  eigenen  Ansicht,  und  Kampf  gegen  dieses  Wahn- 
gebilde; die  bestrittene  Ansicht  wird  dann  unter  irgend  eine  abstracto 
Kategorie  subsumirt,  an  welcher  nach  dem  gemeinen  ürtheil  oder  Yor- 
urtheil  irgend  ein  Tadel  haftet,  oder  es  wird  wohl  gar  eine  verketzernde 
Einleitung  der  verstümmelten  Darlegung  vorausgeschickt,  um  durch 
Trübung  der  reinen  Empfänglichkeit  dem  Eindruck  vorzubeugen,  den 
der  Gedanke  selbst  noch  in  dieser  Form  üben  möchte ;  der  Kampf  wird 
auf  ein  fremdartiges  Gebiet  hinübergespielt,  und  in  verdächtigender 
Gonsequenzmacherei  die  Polemik,  die  der  gemeinsamen  Erforschung  der 
Wahrheit  dienen    sollte,    zum  Angriff  auf   die   Persönlichkeit   herab- 


§  186.  Die  Widerlegung.  Die  üntersnehung.  Das  Problem.        468 

gewürdigt.  Die  Erfahrung  aller  Zeiten  zeigt,  dass  nicht  erst  ein  be- 
sonders stnmpfes  und  beschränktes  Denken  und  ein  besonders  schwacher 
und  entarteter  Wille  in  diese  Verkehrtheiten  fällt,  sondern  vielmehr 
nur  eine  seltene  Kraft  und  Bildung  des  Denkens  und  der  Gesinnung 
sich  ganz  davon  frei  zu  halten  vermag.  Es  ist  dem  Menschen  nur  zu 
natürlich,  sich  selbst,  noch  vielmehr  aber  die  Gemeinschaft,  welcher 
er  angehört,  von  vom  herein  im  vollen  Rechte  zu  glauben,  mithin  den 
Gegner  als  einen  Feind  der  Wahrheit  anzusehen,  in  dessen  verwerfliche 
Ansichten  sich  tiefer  hineinzudenken  als  eine  unnöthige  Mühe,  wo 
nicht  gar  als  ein  Verrath  an  der  Wahrheit  und  an  der  Treue  gegen 
die  eigene  Gemeinschaft  gilt,  oder  im  günstigeren  Falle  als  einen 
Kranken  und  Irrenden  oder  doch  auf  einem*  bereits  ȟberwundenenc 
Standpunkte  Zurückgebliebenen,  gegen  den,  sofern  er  nur  nicht  hals- 
starrig auf  seinem  Sinne  bestehen  wolle,  eine  gewisse  Humanität  in  der 
Form  einer  grossmüthigen  Schonung  und  Nachsicht  zu  üben  sei.  Die 
Ueberwindung  dieser  Selbstbeschränktheit,  das  reine  Eingehen  in  den 
Gedankenkreis  des  Anderen  und  in  die  Motive  seiner  Lehre  —  sehr 
verschieden  von  der  mattherzigen  Toleranz  des  Indifferentismus  —  setzt 
eine  Höhe  der  intellectuellen  und  sittlichen  Bildung  voraus,  welche 
weder  dem  Einzelnen,  noch  dem  Menschengeschlechte  von  Natur  eigen 
isty  sondern  erst  in  langem  und  ernstem  Entwickelungskampfe  errungen 
wird.  Und  doch  führt  nur  dieser  Weg  den  Menschen  zur  Wahrheit. 
Sein  Urtheil  (sagt  treffend  Karl  Lachmann  in  der  Vorrede  zur  zweiten 
Ausg.  des  Iwein,  vgl.  Hertz,  Biogr.  S.  179)  befreit  nur,  wer  sich  willig 
ergeben  hat. 

Sofern  das  Problem  auf  einem  Widerstreit  von  Gründen  und 
Gegengründen  beruht,  trägt  es  einen  antithetischen  Charakter. 
Das  Bedürfniss  der  Lösung  des  Widerspruchs  ist  der  mächtigste  Sporn 
wissenschaftlicher  Forschung.  Ein  Beispiel  einer  noch  ungelösten  Anti- 
thesis  liegt  in  dem  Verhältniss  der  Kosmogonie  zu  dem  Mangel  aller 
Erfahrung  von  einer  Urzeugung. 

Die  vollständige  Prüfung  einer  Theorie  muss  eine  zweifache  sein. 
Man  hat  einerseits  die  Argumente  zu  prüfen,  ob  sie  beweiskräftig  seien, 
andererseits  die  Lehre  selbst,  den  Inbegpriff  der  auf  jene  Argumente 
gebauten  Sätze,  ob  darin  kein  innerer  Widerspruch  und  kein  Verstoss 
gegen  Thatsachen  liege.  Es  ist  wahr,  dass  das  wirklich  streng  Erwiesene 
widerspruchsfrei  sein  wird,  ebenso  andererseits,  dass  das,  was  einen 
Widerspruch  involvirt,  nicht  wirklich  streng  erwiesen  sein  kann.  Also 
würde  ein  affirmatives  Resultat  der  ersten  Prüfung  die  zweite,  ein 
negatives  Resultat  der  zweiten  die  erste  überflüssig  machen.  Unserer 
Irrthumsfahigkeit  eingedenk,  werden  wir  beiderlei  Prüfung  so  voll- 
ziehen müssen,  dass  wir  uns  bei  der  einen  durch  das  Ergebniss  der 
andern  nicht  beeinflussen  lassen. 

Aristoteles  definirt  Anal.  pri.  11,  20.  66b.  11:  o  yitQ  tl^yxog 
avTitpaastog  avlkoyiafjio^.  De  soph.  el.  c.  1.  166  a.  2:  HXeyxos  dk  avlXo^ 
yiOfÄOS  fi€t^  avTiipdaefog  rov  av/^niQuafiOTog.  Die  Forderung,  die  Weise 
aufzuzeigen,   wie  der  Andere  in  den  Irrthum  verfallen  sei,   wird  von 


464  §  137.  Die  bemerkenswerthesten  Beweisfehler. 

Aristoteles  Top.  VIII,  10.  160  a.  37:  akla  xal  ätoxi  ijftvSos  anoSiixiioVy 
und  £th.  Nie.  Yü,  15 :  ov  fiovov  dii  raXti&^g  Ifyuv,  alka  xal  jo  alriov 
Tov  rj/evdovg  x.  r.  Jl.  aufgestellt  und  nach  ihm  unter  Anderen  von  Wolf  f 
(Log.  §  1083),  der  dieses  Verfahren  als  »praestantissimum  refutandi 
modum«  bezeichnet,  wiewohl  er  (ib.  §  1035)  den  Beweis  der  Wahrheit 
selbst  jeder  Art  der  blossen  Widerlegung  mit  Becht  vorzieht.  Ganz 
besonders  hat  Kant  (Log.  £inl.  VII B)  die  Forderung  urgirt,  dass  man, 
um  Irrthümer  zu  vermeiden,  die  Quelle  derselben,  den  Schein,  zu  ent- 
decken und  zu  erklären  suche,  und  diese  Forderung  (Krit.  der  r.  Vem., 
transsc.  Dial.)  in  Bezug  auf  die  von  ihm  sogenannten  »dialektischen 
Vemunftschlüssec  zu  erfüllen  gesucht;  er  stellt  sich  hier  die  Aufgabe, 
durch  die  eingehendste  Untersuchung  hinter  die  wahre  Ursache  des 
Scheins  bei  diesen  »Sophisticationen  nicht  der  Menschen,  sondern  der 
reinen  Vernunft  selbst  t  zu  kommen,  damit  der  Schein,  obwohl  er 
(gleich  der  optischen  Täuschung)  unaustilgbar  bestehe,  doch  nicht  länger 
den  Einsichtigen  irre  führen  möge.  Diese  Kantische  Gewissenhaftigkeit 
und  Gründlichkeit  der  Untersuchung  wird  stets  in  formaler  Beziehung 
ein  der  Bewunderung  und  Nacheiferung  würdiges  Vorbild  auch  für 
denjenigen  bleiben,  der  dem  materialen  Gehalte  der  Kantischen  Lehre 
seine  Beistimmung  versagen  muss. 

§  137.  Die  möglichen  Beweis  fehler  liegen  entweder 
in  der  Art  der  Ableitung  des  Schiasssatzes  aus  den  Prämissen, 
oder  in  den  Prämissen  an  sich,  oder  im  Schlusssatze.  Die 
Fehler  der  ersten  Art  sind  die  schon  oben  (§  126,  S.  418  ff.) 
erörterten  Paralogismen  und  Sophismen,  und  bei  inductiven 
Beweisen  die  Inductionsfehler  (§  130,  S.  433  f.).  —  Die 
Fehler  der  zweiten  Art  betreffen  entweder  die  materiale 
Wahrheit  der  Prämissen  selbst,  oder  die  Berechtigung, 
in  dem  vorliegenden  Falle  ihre  Wahrheit  vorauszusetzen.  Der 
Beweisversuch  aus  falschen  Prämissen  wird,  sofern  die 
Unrichtigkeit  in  der  Verknüpfung  des  Mittelbegriffs  mit  den 
anderen  Begriffen  liegt,  fallacia  falsi  medii  genannt.  Bei 
dem  indirecten  Beweise  ist  unter  den  Unrichtigkeiten  in 
den  Prämissen  die  häufigste  und  nachtheiligste  die  unvoll- 
ständige, aber  fälschlich  für  vollständig  gehaltene  Dis- 
jnnction  im  Obersatze.  Eine  unrichtige  Prämisse,  auf 
welche  eine  Reihe  verschiedener  Folgerungen  gegründet  wird, 
heisst  Grundirrthum  (error  principalis,  fundamentalis, 
TtQfoTov  tfjevdog).  Ein  Satz,  der  vielleicht  materiale  Wahrheit 
haben  mag,  darf  doch  in  dem  Falle  nicht  so  als  wahr  vor- 
ausgesetzt werden   und  also  nicht  als  Prämisse  dienen, 


§  137.  Die  bemerkenswerthesten  ßeweisfehler.  466 

wenn  er  entweder  mit  dem  za  erweisenden  Satze  der  Sache 
nach  identisch  ist,  oder  doch  seine  Wahrheit  mit  der  Wahr- 
heit des  zu  erweisenden  Satzes  zugleich  in  Frage  steht.  Dieses 
ist  der  logische  Sinn  der  Forderung  der  Voraussetzungs- 
los igkeit;  die  Verletzung  derselben  ist  der  Fehler  der  Vor- 
aussetzung dessen,  was  in  Frage  steht  (ro  i^  ccQxfjg 
sive  To  iv  aQX'S  [seil,  ngoxaif^evov]  aheiad-aiy  petere  id  quod 
demonstrandum  in  principio  propositum  est,  petitio  principii, 
argumentari  ex  non  concessis  tamquam  concessis).  Mit  diesem 
Fehler  hängt  zusammen  der  Girkelbeweis  (circulus  sive 
orbis  in  demonstrando),  wo  A  durch  B  und  B  doch  wiederum 
durch  A,  oder  A  durch  B,  B  durch  G,  G  durch  D  .  .  .  und 
D  oder  überhaupt  irgend  einer  der  folgenden  Beweisgründe 
durch  A  bewiesen  wird.  —  Die  Fehler  der  dritten  Art 
liegen  in  der  Abweichung  des  aus  den  Prämissen  Er- 
schlossenen von  dem,  was  zu  beweisen  war,  und  der  Unter- 
schiebung des  letzteren  statt  des  ersteren  (heterozetesis, 
eTBQotrjTrflig),  Die  Abweichung  ist  entweder  eine  qualita- 
tive (fASTcißaaig  €ig  aXlo  yivog)  oder  eine  quantitative, 
wie  bei  dem  Zuwenigbew.eisen  und  Zuvielbeweisen; 
sie  wird  bei  einer  beabsichtigten  Widerlegung  zur  (unbe- 
wussten)  Unknnde  oder  (bewussten)  Veränderung  des 
Streitpunktes  (ignoratio  elenchi,  mutatio  elenchi,  17  tov 
eUyxov  ayvoiay  /4ETaßoX7J),  wozu  namentlich  auch  die  Ver- 
wechselung der  Widerlegung  eines  Beweisver- 
suches mit  der  Widerlegung  der  Sache  gehört.  Wird 
zu  wenig  bewiesen,  so  wird  der  Zweck  des  Beweises  nicht 
erreicht;  doch  ist  darum  das  wirklich  Erwiesene  nicht  schlecht- 
hin zu  verwerfen,  sondern  kann  seinen  eigenthttmlichen  Werth 
behaupten  und  vielleicht  als  Vorstufe  der  volleren  Erkennt- 
niss  dienen.  Das  Zuvielbeweisen  ist,  falls  das  gesammte 
Resultat  richtig  ist,  unschädlich,  da  sich  in  der  Regel  leicht 
dasjenige,  was  zu  beweisen  war,  durch  Subalternation  oder 
durch  Partition  aus  jenem  umfassenderen  Resultate  entnehmen 
lässt;  enthält  es  aber  materiell  falsche  Elemente,  so  wird  es 
zum  Anzeichen  irgend  eines  anderweitigen,  materialen 
oder  formalen  Fehlers  im  Beweise.  In  diesem  Sinne  gilt 
der  Satz:   »qui  nimium  probat,  nihil  probat«.  —  Erschlei- 

30 


466  §  137.  Die  bemerkensweHhesten  Beweisfehler. 

chang  (subreptio)  ist  eiD  gemeinsamer  Name  für  verstecktere 
Beweisfehler  jeder  Art,  sofern  der  Hinblick  auf  das  ge- 
wünschte Resultat  zu  denselben  rerleitet  bat,  insbesondere 
aber  fttr  die  yerschiedenen  Formen  der  Heterozetesis. 

Aus  falschen  Prämissen  kann  sowohl  Falsches,  als  auch  Wah- 
res erschlossen  werden  (s.  oben  §  188,  S.  444  f.),  wie  z.  B.  aus  den 
Weltsystemen  des  Ptolemäus  und  des  Tycho  de  Brahe  das  Wesen  und 
die  Zeit  des  Eintretens  der  Mondfinstemisse,  die  Dauer  des  Monats 
und  des  Jahres  etc.  bis  zu  einem  gewissen  Grade  richtig  deducirt 
werden  kann ;  in  Fällen  dieser  Art  kann  die  Unwahrheit  der  Argumente 
mit  der  Wahrheit  des  Satzes,  der  dadurch  erwiesen  werden  soll,  zu- 
sammenbestehen. —  Der  indirecte  Beweis  setzt,  wenn  dadurch  eine 
positive  Behauptung  vermittelst  der  Ausschliessung  aller  übrigen  denk- 
baren Fälle  dargethan  werden  soll,  eine  strenge  Disjunction  der 
verschiedenen  Möglichkeiten  voraus.  Diese  Bedingrang  in  aller  Strenge 
zu  erfüllen,  ist  oft  der  schwierigste  Theil  der  Aufgabe.  Indirecte  Be- 
weise sind  gefahrlos  in  der  Mathematik,  wo  eine  vollständige  Darlegung 
der  möglichen  Fälle  sich  in  der  Regel  leicht  und  mit  apodiktischer 
Gewissheit  geben  lässt;  aber  sie  sind  misslich  auf  anderen  Gebieten, 
und  zumal  in  solchen  Wissenschaften,  wie  Philosophie  und  Theologie, 
wo  oft  bei  einer  leichten  Modification  einer  Ansicht  die  gegen  dieselbe 
gerichtete  und  vielleicht  gegen  ihre  bisherige  Form  siegreiche  Argu- 
mentation nicht  mShr  zutrifft  und  daher  der  Schluss  auf  die  Wahrheit 
der  ihr  conträr  entgegengesetzten  Ansicht  keine  logische  Gültigkeit  hat. 
Auf  einer  unvollständigen  Disjunction  beruhte  die  Ueber- 
zeugung  der  ältesten  Gegner  des  Sokrates  von  seiner  Schuld.  Sokrates, 
glaubten  sie,  muss  seiner  Gesinnung  nach  entweder  Altbürger  sein  oder 
Sophist;  nun  aber  ist  er  nicht  das  Erste,  also  das  Zweite.  Die  Täu- 
schung war  eine  relativ  nothwendige,  weil  hier,  wie  in  allen  ähnlichen 
Fällen,  der  höhere  Standpunkt,  der  über  die  einander  entgegengesetzten 
Einseitigkeiten  vermittelnd  hinausgeht,  von  denjenigen  nicht  ver- 
standen werden  kann,  die  in  eben  jenen  Gegensätzen  noch  befangen 
sind,  indem  das  Verstehen  desselben  bereits  die  Erhebung  über  jene 
in  sich  schliesst.  Der  Scheinbeweis  für  die  Nothwendigkeit  des  /o- 
QiCfxog  des  Ideellen  (vgl.  oben  zu  §  56)  wird  stets  mittelst  der  unvoll- 
ständigen Disjunction  geführt:  für  sich  bestehendes  Ideelles  (universale 
ante  rem)  —  sinnlich  Einzelnes,  wobei  die  dritte  Möglichkeit,  dass  das 
Ideelle  inmitten  der  Wirklichkeit  seine  Existenz  habe  (universalia  in  re) 
unbeachtet  bleibt.  Der  Scheinbeweis  für  die  Nothwendigkeit  unfreier 
Gemeinschaftsformen  wird  stets  mittelst  der  unvollständigen  Disjunction: 
göttliche  Ordnung  —  menschliche  Willkür  geführt,  unter  Ausschluss 
des  vernünftigen  Willens.  Aus  einer  unvollstÄndigen  Disjunction  pflegen 
Gutachten  hervorzugehen,  wie  das  seiner  Zeit  vielbesprochene  des  Irren- 
arztes Maximilian  Jacobi,  dass  ein  zur  Prüfung  des  Geisteszustandes 
in  seine  Anstalt  gebrachter  Angeklagtier,  Reiner  Stockhausen,  nicht  irr- 
sinnig,  sondern  zureohnungsHUiig  sei,    weil  sein  Zustand  unter  keine 


§  187.  Die  beroerkenswertheBteii  Beweisfehler. 

der  sechs  von  ihm  selbst  aufgestellten  Formen  dss  Irrsinns  (Toi 
Melancholie,  Wahnsinn,  Narrheit,  Verrücktheit,  Blöd-  und  Stum| 
falle  (wobei  die  gemischten  Formen  nur  oberflächlich  beachtet  w 
waren);  in's  Zuchthaus  gebracht,  erwies  sich  der Yerurtheilte  bal 
Evidenz  als  geisteskrank  (s.  d.  Schrift  über  Reiner  Stockhausen,  ] 
feld  1855,  einerseits  S.  119  ff.,  andererseits  S.  183  ff.,  wo  Dr.  Bi 
die  Gefahren  der  Methode  der  Exclusion  treffend  bezeichnet  und  £ 
hausen's  Zustand  als  »schwachsinnige  Geistes  Verwirrtheit  mit  mela 
lischer  Depression  des  Gemüthesc  bestimmt;    »jeder  unanfechtbar 
stehenden  Beobachtung    muss   das   überkommene  System    sich  fii 
sagt  Richarz  S.  135  mit  vollstem  Recht).  —  So  sehr  Kant  vor  ap 
gischen   Beweisen    in    der   Philosophie   warnt  (Erit.   d. 
S.  817  ff.),  so  sind  doch  von  ihm  selbst  die  Beweise  für  die  funds 
dalsten  Sätze  seines  Systems  apagogisch  geführt  worden,  und  leid< 
dem  Fehler  der  unvollständigen  Disjunotion  in  den  betreiTc 
Obersätzen.    Die  Logik,  lehrt  Kant  (s.  oben  S.  5  f.  und  S.  47  ff.), 
nicht  auf  die  Objecto  der  Erkenntniss;   also  hat  es  der  Verstai 
ihr  nur   mit  sich  selbst   und  seiner  Form  zu  thun.     Aber  die  c 
Möglichkeit  ist  hierbei  übersehen  worden,  dass  zwar  nicht  die  01^ 
selbst  den  Gegenstand  der  Logik  ausmachen  (die  Aufgabe  der  I 
also  nicht  identisch  ist  mit  der  der  Metaphysik,   Mathematik,   Nt 
Wissenschaft,  Geschichte  etc.)f  dennoch  aber  nicht  das  Denken  bloi 
seiner  Beziehung  auf  sich,  die  blosse  üebereinstimmung  desselben 
sich  selbst  oder  die  Widerspruchslosigkeit,    sondern  vielmehr  die 
Ziehung  des  Denkens    auf  das  Sein,    die  üebereinstimmung 
Gedankens  mit  seinem  Objecto  in  der  Logik  zu  erörtern  sei.  —  Ni 
die  Erfahrung,   lehrt  Kant   in  der  Kritik  der  reinen  Vernunft,   s 
Formen,  die  von  aller  Erfahrung  unabhängig  oder  a  priori  vorhai 
sind,  begründen  die  Apodikticität  der  Erkenntniss.    Auch  hier  ist 
dritte  Möglichkeit  übersehen  worden,  dass  nämlich  der  Grund  der 
diktischen  Gewissheit  in  der  Ordnung  der  Dinge  an  sich  selbst  ] 
und  in  der  regelmässigen  Weise  wie  unsere  Sinne  durch  sie  afficirt  wer 
und  dass  wir  diese  Ordnung  erkennen  vermöge  eines  empirisch  basi 
Denkens,   dessen   der  Erfahrung   folgende,   alles  Einzelne   nach 
in  diesem  selbst  liegenden,   gegebenen  Beziehungen   s; 
matisch    verkettende  Thätigkeit,  die   der   Gesammtheit   der   1< 
sehen    Normen    (normativen    Gesetze)    unterworfen    ist,    nichl 
einer  Reihe  von   »Formen  a  priori«    (nicht   empirisch  bedi 
ten  Gebilden   von   rein   subjectivem  Ursprung,    die  zu  dem 
gebenen  Stoffe  als  zweites  »Bestandstückc  hinzutreten  sollen)  h 
stasirt  werden  darf.    Wie  wir  im  Technischen  das  durch  blosse  H 
arbeit  nicht  Erreichbare  nicht  ohne  die  Hände  durch  Zauber,  son 
mittelst  der   Hände   durch   Maschinen,     die   selbst    ursprünglich 
Handarbeit   hervorgegangen    sind,    erreichen,   so    erreichen    wir 
jenige  Maass  von  Gewissheit,  welches  die  blosse,  vereinzelte  Erfah: 
nicht  geben  kann,  nicht  unabhängig  von  aller  Erfahrung  durch  ai 
ristischen  Zauber,  sondern  durch  ein  die  Erfahrungen   nach  logis 


Normen  combinirendes  Denken.  —  Nicht  irgead  ein  materialer,  d.  h. 
snf  entrebte  Zwecke  garicbteter  Bestimmnngignuid  de«  Willem,  lelirt 
Kant  ia  der  Kritik  der  praktigoben  Temnaft,  bIbo  nur  die  Form 
einer  ohne  ianereii  Widerspruch  möglichen  strengen  Allgemeinheit  des 
Gesetzes  eignet  sieb  znm  Moralprinoip.  Anoh  hier  ist  wieder  die 
Diijimctiou  unvollBtändlg;  denn  die  dritte  Uöglicbkeit  ist  nnberäck- 
sichtigt  geblieben,  dsss  weder  in  einer  formlosen  Materie,  noob  in 
einer  inhaltslosen  Form,  sondern  in  den  Verhältnissen,  die  zwi- 
schen den  verschiedenartigen  Zwecken  besteben,  oder  in  der  Stnfen- 
folge  ihres  Werthes  das  Princip  der  Ethik  eu  suchen  sei  (vgl. 
oben  §  57,  S.  157,  und  des  Verf.  Abhandlung:  adaa  Aristotelische, 
Kantiscbe  und  Herbart'sche  Moralprincipi  in  der  von  Fichte  etc.,  her- 
aoeg.  Zeitschrift  iur  FhiloB.  Bd.  XXIV,  S.  71  ff.  1864).  —  Ein  Beispiel 
eines  niiiSrov  tfifiio;,  woraus  eine  Reihe  anderer  Irrthümer  mit  re- 
lativer Nothwendigkeit  hergeflossen  ist,  liegt  in  der  naiven,  anf  den 
Sinnensohein  gebauten  und  durch  die  natürliche  Eitelkeit  desHenscben 
gestützten  Vorsussetzung,  dass  die  Erde  als  der  Centralkörper  im 
Mittelpunkte  des  Weltalls  ruhe,  und  um  sie  der  Himmel  sich  kreiefSnnig 
drehe.  —  Den  Fehler  einer  petitio  prinoipii  begingen  die  Carteaia- 
ner  in  ihrer  Polemik  gegen  die  Newton'sche  Gravitation« lehre,  indem 
sie  den  Sats,  ein  ruhender  Körper  könne  weder  sich  selbst,  noch  auch 
einen  anderen  bewegen,  als  eine  Denknothwendigkeit  ansahen,  g^^rfin- 
det  anf  das  Axiom,  dass  das  Nichte  nicht  eine  Ursache  von  irgend 
etwas  sein  könne,  and  auf  den  Begriff  der  Materie,  der  ja  durch  die 
Bestimmung;  (ausgedehnte  Substantt  völlig  erschöpft  sei  —  als  ob 
nicht  gerade  in  der  Gültigkeit  dieses  Begriffs  einer  nur  ausgedehnten, 
aber  abeoint  kraftlosen  Materie  der  eigentliche  Streitpunkt  läge.  Ein 
anderes  Beispiel  einer  petitio  principii  liefert  Kant's  Beweisversuch  für 
seine  Ansicht,  dass  die  erste  Figur  der  kategorischen  Schlüsse  die  ein- 
zig gesetzmässige  sei  (in  der  Abhandlung:  von  der  falschen  Spitzfindig- 
keit etc.,  und  Logik,  §  G6  ff.).  £ant  gründet  diese  Ansicht  zunächst 
auf  die  Behauptung,  dass  die  Kegel  der  ersten  Fignr,  wonach  der  Ober- 
satz allgemein,  der  Untersatz  bejahend  sein  muss,  die  allgemeine  Regel 
aller  kategorischen  Veruunftschliisse  sein  müsse,  diese  Behauptung  aber 
ihrerseits  zuletzt  auf  die  Definition  des  Vemunftschlusses  als  der  >Er- 
kenntnies  der  Nothwendigkeit  eines  Satzes  durch  die  Subsumtion  seiner 
Bedingung  unter  eine  gegebene  allgemeine  Regelt  -^  eine  Definition, 
welche  freilich  nur  auf  die  erste,  nicht  auf  die  übrigen  Figuren  passt, 
aber  auch  eine  ganz  willkürliche  Beschränkung  enthalt,  die  eben  das- 
jenige schon  voraussetzt,  wss  doch  Kant  erst  beweisen  will,  dass  es 
nämlich  in  den  übrigen  Figuren  keine  reinen  und  gesetzmässigen 
S;ll<^smen  gebe,  und  die  Unterscheidung  der  vier  Figuren  eine  >fHlsche 
Spitzfindigkeit'  sei.  Eine  petitio  principii  liegt  in  dem  Einwurf 
gegen  das  teleologische  Argument  (Banr,  Kiroheugesch.  des  neunzehn- 
ten Jahrb.,  Tab.  1663,  S.  Sb7):  >da  die  absolute  Zweckmäsaigkeit  der 
Natur  nur  die  Nothwendigkeit  der  Sache  selbst  ist,  so  kann  ans  der 
Zwecknülasigkeit  der  Welt  nicht  auf  eine  auaserweltliche  Ursache  ge- 


§  187.  Die  bemerkenswerthesien  Beweisfehler.  469 

schlössen  wordene;  denn  eben  dieses  >Nnr<  steht  in  Frage.  Anton 
Bee  sagt  in  seiner  (vieles  Treffende  enthaltenden)  Schrift:  »Wande- 
rungen anf  dem  Gebiete  der  Ethik«,  Hamburg  1857,  II,  S.  147  f.: 
»Wenn  in  einem  Lande  ein  Gegenstand  nicht  so  billig  fabricirt  werden 
kann,  als  er  sich  von  aussen  beziehen  lässt  einschliesslich  der  Kosten 
der  Einfuhr,  so  ist  es  entschieden  besser,  dass  wir  den  letzten  Weg 
einschlagen  und  dafür  lieber  mehr  von  dem  produoiren,  wofür  unser 
Land  bevorzuget  ist  und  was  wir  dagegen  ausführen  können«.  Aber 
ob  es  solches  gebe  und  in  solchem  Maasse  gebe,  dass  nicht  das  Gleich- 
gewicht zwischen  Erwerb  und  Verzehr  entweder  durch  massenhafte 
Auswanderung  oder  durch  den  Hungertyphus  hergestellt  werden  müsse, 
das  eben  steht  in  Frage ;  R6e  setzt  hier  implicite  als  zugestanden  vor- 
aus, was  nur  der  inconsequente  Gegner  zugestehen  wird  und  was  zu 
beweisen  gerade  die  Hauptaufgabe  gewesen  wäre;  er  begeht  also  den 
Fehler  der  petitio  principii.  —  Ein  Cirkelbeweis  ist  es,  wenn  auf 
die  Voraussetzung  der  (objectiven)  Realität  dessen,  was  wir  mit  (sub- 
jeotiver)  Klarheit  und  Deutlichkeit  erkennen,  oder  auch  dessen,  was 
für  uns  eine  (subjective)  Denknothwendigkeit  ist,  oder  auf  die  Annahme 
einer  Identität  von  Denken  und  Sein  der  Beweis  für  das  Dasein 
Gottes»  oder  für  die  Gültigkeit  der  Idee  des  Absoluten  gebaut  wird,  und 
doch  hernach  wiederum  eben  jene  Voraussetzung  durch  die  lieber- 
Zeugung  von  der  Wahrhaftigkeit  Gottes,  oder  durch  den  Begriff  des  über 
den  Gegensatz  von  Subjectivität  imd  Objectivität  übergreifenden  Ab- 
soluten gestützt  werden  soll.  —  Eine  fieraßaaig  eis  äXXo  y^vos  fin- 
det Zeller  (Philos.  der  Griechen,  1.  A.,  Bd.  II,  S.  29)  mit  Recht  bei 
Ast,  wenn  dieser  nach  der  Analogie  Xenophontischer  Stellen  das  8o- 
kratische  daifioviov  auch  bei  Plato  substantivisch  fassen  will,  da  doch 
der  Analogieschluss  hier  nur  zur  gleichartigen  Deutung  verschiedener 
Stellen  bei  dem  nämlichen  Verfasser  berechtigen  konnte.  Zu  demselben 
Fehler  führt  die  zu  weite  Ausdehnung  des  hermeneutischen  Princips 
der  »analogia  fidei«.  —  Eine  ignoratio  oder  mutatio  elenchi 
liegt  darin,  wenn  der  Bestreitung  der  Hypothese  von  den  angeborenen 
Ideen  der  Beweis  entgegengestellt  wird,  dass  die  Ideen  Gültigkeit 
haben  und  dass  auf  ihrer  theoretischen  und  praktischen  Anerkennung 
der  Werth  unseres  Denkens  und  Handelns  beruhe,  oder  wenn  der  Be- 
hauptung, dass  es  synthetische  Erkenntnisse  a  priori  und  transsoen- 
dentale  Freiheit  im  Kantischen  Sinne  nicht  gebe,  der  Beweis  oder 
vielleicht  auch  nur  die  Bemerkung  entgegengehalten  wird,  dass  doch 
die  Wissenschaft  nicht  ohne  apodiktische  Gewissheit  und  die  Moralität 
nicht  ohne  Bestimmbarkeit  des  Willens  durch  ideale  Motive  bestehen 
könne,  oder  wenn  gesagt  wird,  dass  die  Bestreitung  der  Erkenntniss 
a  priori  (im  Kantischen  Sinne)  auf  die  Absurdität  hinauslaufe,  durch 
Vernunft  (a  priori)  beweisen  zu  wollen,  dass  es  keine  Vernunft  (keine 
Erkenntniss  a  priori)  gebe.  Denn  nicht  die  Gültigkeit  der  Ideen,  nicht 
das  Bestehen  einer  apodiktischen  Gewissheit  und  einer  Vemunftfähig- 
keit  und  moralischen  Willensfreiheit  ist  der  Gegenstsnd  des  Streites, 
sondern  vielmehr  ihr  Ursprung  und  ihr  Wesen;   es  ist    eine  Vermi- 


470  §  137.  Die  bemerkenswerthesten  Beweisfehler. 

schung  der  gegnerischen  Ansicht  mit  einem  Theile  der  eigenen,  wenn 
das  eigene  Yorurtheil  von  dem  Bedingtsein  der  Gültigkeit  der  Ideen 
durch  ihren  exceptionellen  Ursprung  oder  der  Apodikticität  durch 
Apriorität,  und  der  Moralität  durch  gesetzlose  Aufhebung  des  Causal- 
nexus  den  sämmt liehen  Bestreiten!  ( —  denn  einige  derselben 
waren  in  der  That  auch  ihrerseits  darin  befangen  — )  untergeschoben, 
und  nun  so  argumentirt  wird,  als  ob  die  Bestreitung  der  falschen 
Erklärungsversuche  nothwendig  auf  die  Verneinung  der  Sache  selbst 
abziele.  (Sehr  richtig  sagt  Alb.  Lange  in  der  Zeitschr.  für  Staats- 
arzneikunde, N.  F.  XI,  1,  1858,  S.  168:  »diejenigen  handeln  gleich 
thÖricht,  welche  bei  jeder  Zerstörung  einer  Form  kleingläubig  über 
den  Untergang  alles  höheren  Geisteslebens  schreien,  wie  diejenigen, 
welche  durch  ihre  zerstörende  That  wirklich  einen  Sieg  über  das  wahre 
Wesen  menschlicher  Sittlichkeit  errungen  zu  haben  wähnen c.)  —  Der 
Isokrateer  Theopomp  suchte  die  Platonische  Erörterung  moralischer 
Begriffe  als  unnütz  zu  erweisen  durch  das  Argument,  dass  diese  Be- 
griffe auch  ohne  Definitionen  allgemein  verständlich  seien.  Mit  Recht 
aber  bekämpft  der  Stoiker  Epiktet  (Enchir.  II,  17)  diesen  Einwurf  als 
eine  ignoratio  oder  mutatio  elenchi,  indem  er  auf  den  Unterschied  der 
fwoim  (pvatxttl  xal  nQolri\jßiig,  die  wir  allerdings  auch  ohne  Philosophie 
besitzen,  und  der  bestimmten  voUbewussten  Wesenserkenntniss,  worauf 
die  Philosophie  abziele,  aufmerksam  macht  (nach  dem  Vorgang^  der 
Platonischen  Unterscheidung  zwischen  Wissen  und  richtiger  Meinung). 
Zur  mutatio  elenchi  gehört  ferner  die  Verwechselung  der  Widerlegung 
unhaltbarer  Argumente  mit  der  Widerlegung  der  Ansicht  selbst,  die 
durch  jene  Argumente  gestützt  werden  sollte,  wie  z.  B.  nicht  selten 
der  Nachweis  der  Ungültigkeit  von  vermeintlichen  Beweisen  für  das 
Stattfinden  einer  generatio  aequivoca  sive  spontanea  (Entstehung  orga- 
nischer Gebilde  aus  nicht  gleichartigen  organischen  oder  auch  aus  un- 
organischen Stoffen)  mit  dem  Nachweis  des  Nichtstattfindens  einer  ge- 
neratio aequivoca  sive  spontanea  verwechselt  wird.  —  Zu  wenig 
beweist  das  physikotheologische  Argument,  indem  es  die  ethischen 
Attribute  der  Gottheit  unberührt  lässt ;  sofern  es  aber  zu  der  Gewissheit 
von  einer  göttlichen  Einsicht  und  Macht  wirklich  hinführt,  ist  es  nicht 
(mit  Kant)  zu  Gunsten  des  moralischen  Argumentes  zu  verwerfen, 
sondern  vielmehr  durch  das  moralische  Argument  zu  ergänzen.  — 
Von  anderer  Art  ist  das  Zuwenigbeweisen  in  dem  Zenonischen  Beweis- 
versuche, dass  Achilles  die  Schildkröte  nicht  einholen  könne,  da  diese 
jedesmal  wieder,  wenn  Achilles  an  dem  Orte,  wo  sie  zuvor  war,  an- 
gelangt sei,  irgend  welchen  Vorsprung  habe.  Zur  Lösung  des  trügeri- 
schen Scheines  genügt  hier  allerdings  nicht  die  blosse  Berufung  auf 
den  Parallelismus  der  unendlichen  Theilbarkeit  von  Raum  und  Zeit; 
denn  Zeno  könnte  entgegnen,  gerade  um  dieser  Gleichmässigkeit  willen 
werde  der  schnellere  Gegenstand  den  langsameren  ebensowohl  zu 
keiner  Zeit,  wie  an  keinem  Orte  einholen.  In  der  That  aber  lässt  sich 
durch  die  Zenonische  Argumentation  nur  beweisen,  dass,  wenn  die 
beiden  Geschwindigkeiten  sich  wie  n  :  1  verhalten,  innerhalb  der  folgen- 


%  187.   Die  bemerkonBnertheBten  Beneisfeliler.  ] 

den  Reihe  von  ZeiUheilen  und  von  TLeilen  dea  Weget  kein  Ein) 
stattfinden  wird: 

l  +~  +  -K~  +    -1-  +  -V  +  ■  ■  ■  ■  in  infin., 


wo  der  nnprfingliche  Abstand  sla  Lilngeneinheit  oder  als  Maast 
Weges,  und  die  Zeit,  in  welcher  der  schnellere  Gegenstand  diese  . 
geneinheit  durohlänft,  als  Zeiteinheit  anzusehen  ist.  Mit  Weglal 
der  Clansel:  innerhalb  dieser  Reihe,  wird  dann  der  allgen 
Satz  untergeschoben ,  dais  überhaupt  nie  und  nirgend  ein  Einl 
etattfiuden  werde.  Ein  Recht  zu  dieser  Weglassung  würde  aber 
dann  bestehen,  wenn  zuvor  bewiesen  worden  wäre,  dass  die  Sw 
jener  Reihe  unendlich  sei,  d.  h.  dass,  welche  feste  Grösse  auch 
gegeben  werden  möge,  die  Reihe  bei  unbegrenzter  Fortgetsung  ir( 
einmal  eine  Summe  haben  müsse,  welche  jene  Grösse  übersehe 
Diesen  Beweis  aber  hat  Zeno  nicht  geführt,  und  derselbe  kann  i 
überhaupt  nicht  geführt  werden,  da  das  darin  zu  Erweisende  fa 
ist,  und  sich  vielmehr  das  Gegentheil  mit  mathematischer  Strenge 
weisen  lässt,   dass  nSmlicb  die  Summe  jener  Reihe  auch  bei  endl 

Fortsetzung    derselben    eine    bestimmte  endliche  Grösse,   idmlich  ^ 

nicht  überschreitet,  sondern  sich  derselben  nur  über  jede  feste  D 
renz  hinaus  annähert.  Es  folgt  also  nur,  dass  vor  dem  Ablaufe 
durch  jene  Gröue  bestimmten  endliehen  Zeitreihe  und  vor  dem  Du: 
laofen  des  entapreobenden  Weges  das  schnellere  Objeot  das  langsan 
nicht  erreiche,  was  durchaus  wahr  ist,  aber  zu  wenig  beweist 
Vei^leich  mit  dem,  ,was  Zeno  erweisen  will  nnd  zu  erweisen  glai 
Der  Schein  aber,  als  ob  jene  Zeitgrösse  und  Raumgrössc,  welche, 
lange  wir  innerhalb  jener  Reihe  verharren,  unerreichbar  ist,  sohlet 
hin  unerreichbar  sei,  oder  mit  anderen  Worten,  als  ob  immer  im 
halb  jener  Reihe  verharrt  werden  müsse,  knüpQi  sich  an  die 
b^^renzte  Zahl  der  Glieder,  nnd  an  die  Nothwendigkeit,  wenn  : 
einzeln  vorgestellt  werden  eollten,  jedem  bei  möglichst  rase 
Fortschritte  doch  eine  endliche  and  nahezu  gleiche  kurze  Zeit  zu  widi 
nnd  ebenso,  wenn  die  unendlich  vielen  Raum  abschnitte  in  aotnei 
Theilung  einzeln  dargestellt  werden  sollten,  jeden  durch 
endliches  und  bei  möglichtter  Kleinheit  zuletzt  nahezu  gleiches  S'. 


472  §  137.  Die  bemerkenswerthesten  Beweisfehler. 

von  dem  Obersatze  aus,  der  als  solcher  allgemeine  Wahrheit  haben 
müsste:  die  vervielfachte,  nach  Maassgabe  der  Erscheinungen  sich  ab- 
stufende Setzung  unseres  eigenen  Wesens  ist  keine  gültige  Erkenntniss- 
form, sondern  immer  nur  eine  poetische  Fiction.  Aber  dieser  Ober- 
satz  ist  unhaltbar,  da  aus  ihm  vieles  andere,  was  ofiFenbar  falsch  ist, 
fo%en  würde  (s.  oben  §  42,  S.  108  ff.) ;  mithin  ist  jenes  Argument  nicht 
beweiskräftig,  sondern  die  Entscheidung  in  anderen  Gründen  zu  suchen. 

—  Bonitz  zur  Arist.  Litt,  in  der  Ztschr.  f.  öst.  Gymn.  1866,  S.  277 
widerlegt  eine  Spengel'sche  Argumentation  durch  den  Nachweis,  dass 
dieselbe  zu  viel  beweisen  würde,  dass  also  der  allgemeine  Satz,  worauf 
sie  sich  stillschweigend  stützt,  falsch  sei,  indem  er  sagt:  »wer  fordert, 
dass  der  Ausdruck  l^toTegixoi  loyoi  (bei  Aristoteles)  in  jedem  Zusam- 
menhange dieselbe  Bedeutung  habe,  der  würde  consequent  auch  ric 
tpvatxa,  avaxofiaX  etc.  in  jedem  Zusammenhange  gleich  auslegen  müssen, 
eine  Forderung,  deren  ünerfüllbarkeit  sogleich  einleuchtete.  —  Sub- 
reptionen  aller  Art  sind  insbesondere  dann  unvermeidlich,  wenn  aus 
Einem  oder  wenigen  einfachen  Principien  allein  ganze  Systeme  her- 
geleitet werden  sollen,  ohne  dass  das  Besondere,  welches  unter  jenes 
Allgemeine  zu  subsumiren  ist,  anderweitig  (entweder  hypothetisch,  oder 
empirisch)  hinzugenommen  wird.  Die  Aufgabe  der  »dialektischen  Me- 
thode« ist  wenigstens  dann,  wenn  sie  in  diesem  Sinne  verstanden  wird, 
unlösbar  (vgl.  oben  zu  §  31,  S.  60). 

Zu  vergl.  bes.  die  ausführliche  Erörterung  bei:  Lotze   Syst.   d. 
PhiloB.  Bd.  1.  Logik.  Buch  2.  Cap.  6.  Beweisfehler  u.  Dilemmen  S.  323. 

—  Sigwart  in  s.  Logik  Bd.  2.  Thl.  3.  Abschn.  3.  §  81  Der  Beweis 
S.  250  erwähnt  nur  kurz  in  einer  Note  »die  Beweisfehler,  die  theils 
formaler  Natur,  Schlussfehler  sind,  und  dann  entweder  auf  mangelhafter 
Bestimmtheit  der  Begriffe  und  Wörter  oder  auf  .der  Unkenntniss  der 
syllogistischen  Regeln  ruhen;  oder  die  Erfordernisse  des  Beweises  ver- 
letzen, indem  sie  unter  ihre  Prämissen  Sätze  mischen,  denen  unbedingte 
Gültigkeit  nicht  zukommt,  also  einen  Beweisgrund  nur  bittweise  an- 
nehmen {ahiia^tti  to  iv  uQxiy  petitio  principii)  oder  indem  aus  der 
Deduction  etwas  anderes  hervorgeht,  als  was  bewiesen  werden  sollte 
{heQoCrfrriais).  Der  letztere  Fehler  findet  natürlich  nicht  statt,  wenn  statt 
desgesuchten  Satzes  ein  allgemeinerer  gefunden  wird,  in  welchem  dieser 
mit  enthalten  ist.  Die  Regel  aber  qui  nimium  probat  nihil  probat 
verurtheilt  nicht  den  Beweis,  der  mehr  liefert  als  verlangt  wurde, 
sondern  der  etwas  notorisch  Falsches  neben  dem  zu  beweisenden  Satze 
liefert,  -  und  dadurch  einen  Sohlussfehler  oder  eine  falsche  Prämisse 
verräth.c 


Sechster  Theil. 


Dti  fiyaten  in  Miner  Benebnng  in  d«r  OrdnuDg  der  objecti 
ToUlitfit. 


g  138.  Dae  System  ietdie  geordnete  Verbindnn 
sammengehOriger  Erkenntnisse  zu  einem  relativ  in  sie 
schloBsenen  Ganzen.  Die  Wissenschaft  ist  ein  Ganze 
Erkenntnissen  in  der  Form  des  Systems.  Das  System  ii 
stimmt,  in  seiner  Gliederung  die  Gliederung  der  Totalität  i 
(natürlichen  oder  geistigen)  Objecte  zu  repräsentiren,  g( 
dem  Deokgesetze  der  Totalität:  die  wissenschaftlich« 
kenntniss  vollendet  sich  in  der  Verbindung  der  Geds 
unter  einander  zu  einem  nach  Inhalt  und  Form  die  obji 
Realität  repräsentirenden  Ganzen. 

Wissemchaftliohe  Sätze  und  8y«tem  verbalten  bü 
einander  wie  Inhalt  und  Form.  Die  rechte  Form  aber  itt  de 
halt  weBentlich.  Es  ist  nicht  etwa  nar  die  Summe  der  einzelne 
keimtnisBe  von  wiseenecbaftlioher  Bedentang,  die  ayetematisohi 
knöpfong  derselben  aber  von  btOB«  didaktischem  Werthej  sc 
aach  die  Wieseaschaft  aU  aolcbe  hat  nar  in  der  systematischen 
ihr  wahrhaftes  Bestehen.  Wenn  (wie  der  Nominalismus  wil 
Individuen  reale  Existenz  hätten  und  also  die  gesammte  Wirkli 
ein  blosses  Conglomerat  von  Einzelnem  wäre,  oder  wenn  (mit 
Eantiaohen  Kriticismus)  alle  nnd  jede  Ordnung,  sogsr  die 
der  Einzelezigtenz  aelbat,  als  nnsere  anbjective  Znthat  anzusehen 
BO  hätte  freilich  das  System    nnr  aubjective  Bedeutnng.     In  der 


handelt,  denen  die  Denkformen  entsprechen  (z.  B.  1}ei  der  dnroh  den 
Beweis  zn  erkennenden  mathematiBoben  Ordnung,  wo  die  hingeseicli- 
nete  Figur  nur  zur  Veranichaolichnng  dient,  bei  dar  Erkeuntniu  eines 
CaosalEneammenhangs,  wo  die  Wahrnehmung  der  SnooeMion  ihreneits 
nnr  ein  Surrogat  ist).  Ebenso  ist  freilich  auch  a&dereraeit«  das  Denken 
nicht  (wie  eio  einseitiger  Tntellectnaliamus  will)  ohne  die  empiri- 
Bche  Basis  zu  irgend  welcher  wisaeoachaftlichen  &kenntniM  sn- 
reiahend.  Wie  zu  den  einzelnen  Eiistenzformen  die  übrigen  Erkennt- 
niisformen,  so  steht  das  System  zu  ihrer  Oesamnilheit  oder  m  der 
Gliederung  der  Dinge  überhaupt  in  nothwendiger  Beziehung.  Wer  in 
irgend  einer  Wissensohaft  die  reale  Gliederung  ihrer  Objecte  nicht 
kennt,  dem  fehlt  nicht  nur  ein  didaktische«  Hnlfsmittel,  sondern  ein 
wesentliches  Element  dea  Wissena  selbst;  wer  aber  da«  System  nicht 
hat,  der  kennt  nicht  diese  Oliederung,  denn  die  Weise  oder  Form  dea 
Wissens  um  dieselbe  ist  eben  das  System. 

J.  U.  Wirth  (über  den  Realidealismns,  in  der  Zeitschrift  för 
Fhilos.,  N.  F.,  Bd.  XLI,  Heft  U,  Halle  1662,  S.  196)  stellt  neben  den 
Satz  der  Identität  und  den  des  Gründet  den  Satz  der  Totalitit  oder 
des  Ganzen;  >Etrebe  alle  deine  Erkenntnisse  zur  Einheit  der  Totalit&t 
zn  verknüpfen  (.  In  derThat  liust  sich  fSglioh  die  logische  Forderung 
der  systematischen  TerknUpfung  unserer  Erkenntnisse  auf  die  Form 
eines  Deukgesetzes  bringen,  dessen  objective  Beziehung  jedoch  bestimmter 
herrorznheben  war. 

In  die  Systematik  oder  Methodologie  pflegt  die  Theorie  der  Ein- 
theilungen  und  die  der  Beweise  anfgenommen  zn  werden,  was  an  sich 
nicht  unzuläsaig  ist;  doch  schien  ea  passender,  jene  sofort  bei  der 
Lehre  vom  Begriff,  diese  bei  der  Lehre  vom  Schlnss  mit  abzuhandeln. 
Diese  zweifache  Möglichkeit  knüpft  sich  an  die  Relativität  dee  Begrifb 
Totalität  und  die  entsprechende  des  Begriffs  System.  Das  logische 
Princip  wird  davon  nicht  alterirt. 

§  139.  Die  Eiobeit  des  Systems  beruht  daranf,  dass 
allem  Einzelnen  in  demselben  gemeinsame  Principien  znm 
Gmnde  liegen.  Das  Princip  ist  das  absolnt  oder  relativ 
UrsprOngliche,  wovon  eine  Reibe  anderer  Elemente  abbängig 
ist.  Unter  Erkenstaissprincip  (principinm  cognoscendi) 
versteht  man  den  gemeinsamen  Ausgangspunkt  einer  Reihe  von 
Erkenntnissen,  namentlich  die  formalen  und  materialen  Grund- 
anscbauangeu,  Grundbegriffe  und  Ideen,  Axiome  und  Fostnlate; 
unter  Realprineip  (principinm  essend!  aat  fiendi)  den  ge- 
meinsamen Gmnd  einer  Reibe  realer  Wesen  oder  Processe. 
Die  ErkenntnisHprincipien  sind  zweifaeber  Art,  je  nachdem  das 
Einzelne  und  Besondere  oder  das  Allgemeine  zam  Aus- 
gangspunkt derErkemitniBS  dient    Die  ersteren  entsprechen 


§  139.  Um  Prineip.    Die  Analyiis  nnd  Synthesu. 

den  Kealprincipien  nicht,  bilden  aber  die  natnrgeniäSBe  Q 
läge  der  propädeutischen  Erkenntniss;  die  letzteren  sin 
stimmt,  den  ßealprincipien  zn  eatsprechen,  nnd  bilden  d( 
mäsB  die  Grandlage  der  streng  wiBsenschaftlichen  Erkenn 
Der  propädentiBche  oder  henristisebe  Weg  führt  regre 
oder  analytisch  zar ErkenntnisB  der  Kealprincipien  hi 
der  rein  scientifische  oder  constructive  aber  ftlhrt  progre 
oder  synthetisch  von  den  Principieo  zn  dem  Besom 
nnd  Einzelnen  herab.  Doch  ist  hei  der  Darstellung  der 
senachaften  keineswegs  in  allen  Fällen  eine  durchgängige 
derang  des  analytischen  nnd  des  synthetischen  Eiern 
zweckmässig,  da  vielmehr  beide  in  der  Behandlong  der 
zelnen  Probleme  wiedemm  mit  einander  za  combiniren 

Die  logiiche  Lehre,  dass  alle«  wiaBenBohaftliclie  Erkeanei 
Principien  beruhe,  hat  schon  Plato  aufgestellt  und  den  Dop 
weg  EU  den  Principien  hin  and  von  den  Principien  aus  näher  et 
terisirt;  die  Fhilosophie  zeichne  sich  dadareh  vor  den  mathemati 
WiMenscbaften  ans,  das«  sie  allein  bis  zn  den  \vahrhaften  Prini 
(ä(i^a/)  sich  erhebe,  und  von  diesen  aus  niederum  in  reinen  Beg 
zu  dem  minder  Allgemeinen  herabsteige,  während  jene  nur  von 
auMetzangen  (ino&fatii),  die  nicht  die  obersten  Satze  seien,  die 
zelnen  Lehrsätze  ableiten  (de  Rep.  VI,  610  sq.;  VII,  633;  of.  FL 
p.  266;  Tgh  oben  zn  §  14  nnd  zn  §  134).  Beistimmend  sagt  Ar 
teles  (Ethio.  Nicom.  I,  2.  1095  s,  32):  cv  yag  xaX  mÜTtav  ^nägii 
xal  t(iiti,  nöitgov  äitö  täv  Aq^v  ^  titi  täs  ägj/äg  tauf  ^  öäoe,  < 
tf  Tf(  maSlip  Äno  nÖf  tt9lo9(Tiöv  tni  tö  nfpas  ij  avänaXtv,  Aucl 
Btotetee  weist  unserem  Denken  im  Allgemeinen  dieselbe  Doppelaa: 


»XL  Melaph.  TI,  4.  1029  b.  4:  q  yäg  ftä^iiais  oEnu  ylvtim  nStn  diit 
läv  1JTT0V  yinoQlfian/  <pvoii  tit  lö  yvüfi/ia  /iSlXoy  vä  tovto  tfyov 
iartr,  dtfi'e  if  tai(  npaftoi  rö  noiijaai  tx  t£v  ixam^  aya^äv  in  tltas 
hya^B  ixäaiip  aya&ä,  oSrair  tx  rüv  ain^  yviaQiftaniQiav  rä  ig  ipvau  yviäfHfia 
KOTfi  yveipifia.  Der  TerfafRer  des  Eweiten  Buchet  der  Hetaph7«ik 
(Het.  <r.  1.  99Sb.  S)  erläutert  diesen  Arietoteliiohen  Gedanken  daroh 
das  Platonische  Bild  (de  Rep.  Tu  init.),  dass  d&s  Aage  unterer  Ver- 
nunft, arBprÜDg-lich  nur  an  das  Dämmerlicht  der  Sinnenwelt  gewohnt, 
bevor  es  durch  Uebung  gekräftigt  sei,  durch  die  Tageshelle  im  Reiche 
des  reinen  Gedankens  geblendet  verde.  Doch  besteht  ein  wesentlicher 
Unteraobied  cwischen  der  Platonischen  und  der  Aristotelischen  Lehre 
in  der  uähereD  Bestimmung  der  beiden  Wege,  da  Plato  Torzugsweise 
die  Erhebung  zum  allgemeinen  Begriff  vermittelst  der  AbatractiOD, 
nnd  das  Herabsteigen  zu  den  specielleren  Begriffen  vermittelst  der 
Eintheilung  fordert,  Aristoteles  aber  hierin  nur  das  Geringere  erblickt, 
nnd  das  Grossere  in  der  zweifachen  Weise  der  Schlussbildung,  der  in- 
duotiven,  welche  zur  Erkenntnias  des  Allgemeinen  hinaaStibre,  und 
vornehmlich  der  e;llogistischeD,  weldie  vermöge  de«  Hittelbegriffs  das 
Besondere  aus  dem  Allgemeinen  mit  apodiktischer  Oewissheit  herleit«; 
die  (Flatonische)  Methode  der  Eintheilung  sei  nnr  ein  unbedeutender 
Theil  dee  syllogistischeu  Terfabrens.  Anal.pri.I,  81.  46  a.  31;  Sii  S'  ^ 
diä  T(üv  yiviär  Siat^taig  /'ixpöf  ii  fto^ov  tau  i^f  ft^fi^vtit  /itSäSov, 
^iiov  IdtTv  tail  yky  ^  äiaiQUtii  oloy  iaStviic  ooXXoyiafiös'  a  fiir  yi^ 
Sit  Siiiai,  atttiTai,  aulloylitjtu  S'  ätl  t(  tüv  ävat9ev.  Ana],  post.  U,  6. 
91  b.  14 :  oidaftov  yctQ  ävayxt]  ylvtrtu  jo  nQÖyfia  Ixeivo  tivai  raiySi  oftiav. 
Dieser  Tadel  würde  jedoch  das  Platonische  Eintheilungs verfahren  nnr 
insofern  treffen,  als  dasselbe  etwa  den  Sjllogtsmns  vertreten  sollte;  an 
sich  selbst  aber  kann  die  Eintheilung  nicht  als  fiixQov  fiö^v  dem 
syllogistischen  Verfahren  subordinirt,  sondern  mnas  diesem  als  eine 
gleichberechtigte  Denk-  und  Erkenntnissform  von  selbständigem  Werthe 
an  die  Seite  gestellt  werden.  —  Aristoteles  nennt  die  Zurückfnhnmg 
gegebener,  concreter  Gebilde  anf  ihre  principiellen  Elemente  ein  Zer- 
legen oder  Auflosen,  ävakviiv  (Eth.  Nie.  Ol,  5;  Aual.  pri.  I,  83),  wie  er 
denn  auch  sein  logisches  Werk  selbst  als  eine  nissenschaftliohe  Zer- 
gliedemug  des  Denkens  nnd  insbesondere  der  verschiedenen  Schloss- 
weisen  unter  dem  Namen  Analytik  zu  citiren  pflegt  (vgl.  oben 
S.  37).  Alexander  von  Aphrodisias  sagt  in  Uebereinstim- 
mnng  mit  dem  Gebrauche  des  Aristoteles  (ad  Anal.  pri.  f.  4  &):  äva- 
Xinixä  ai,  Sri  ij  Ttayihc  aw^frov  tis  tu  ti  uf  ^  avv9(ai(  aotov  ava- 
yBiyii  ävälvai!  xuXtiiiu-  —  q  f/iv  yag  <svv9tais  änh  rmy  äßjfüv  öiät 
tariv  lul  TÜ  tx  TtÜr  äpj-tin',  q  St  iväkvais  tnävofös  taiiv  tnl  tk; 
äp;fa£  änö  tov  tfioos.  Philoponus  (ad  Anal.  post.  f.  36  b)  berichtet 
über  den  geometrischen  Gebrauch  der  Termini  Änaljsis  and  Syn- 
thesia,  Analysis  werde  das  Aufladen  der  Gründe  zu  einem  gegebenen 
Lehrsatze  genannt,  Sjrnthesis  das  entgegengesetzte  Verfahren.  (Auch 
Galenne  redet  von  einer  geometrischen  Analytik,  jedoch  wohl  ent- 
weder im  Sinne  einer  Logik  nach  geometrisi^er  Methode,    oder  dea 


§  139.  Das  Princip.    Die  Analysis  and  Synthesis. 

I 

logischen  Verfahrens^  wie  es  in  der  Geometrie  zur  Anwendung  k^ 
er  erwähnt  nämlioh  de  propr.  libr.  16  eine  von  ihm  verfasste  Ali 
long:  OTi  ^  yeaj/Li€TQiXfi  ayalvrixti  afislvtov  rrjg  ra»v  Zroii'xcüv  vtto/ 
^v.)  —  Melanchthon  sagt:  »Geometris  usitata  nomina  sunt  e 
tissima:  compositio  Synthesis,  qnae  a  priori  procedit;  e  conti 
solntio  sen  Analysis,   quae  a  posteriori  ad  principia  regred 

—  Ganz  besonders  aber  sind  die  Termini  Analysis   and  Syntl 
in  der  Logik  zur  Bezeichnung   des  Rückgangs  zu  den  Frincipien 
der  Ableitung  aus  den  Principien  seit  Gartesius  (s.  oben  §24)  i 
geworden.  —  Newton  sagt  (am  Schluss  seiner  Optik)  in  der  n 
matischen   und  physikalischen  Forschung  müsse  stets  die  analy 
Methode   der   synthetischen   vorangehen.  —    »Methodus    anal) 
est:  experimenta  conferre,  phaenomena  observare,  indeque  conclui 
generales  induotione  inferre,  nee  ex  adverso  illas  objectiones  admi 
nisi  quae  vel  ab  experimentis  vel  ab  aliis  certis  veritatibus  desumi 
Hac  analysi  licebit  ex  rebus  oompositis  ratiocinatione  colligere  sim] 
ex  motibus  vires  moventes  et  in  Universum  ex  effectis  causas,  ex  o 
que   particularibus   generales,    donec    ad    generalissimas    tanden 
deventum.    Synthetica  methodus  est:    causas  investigatas  et 
probatas  assumere  pro  principiis  eorumque  ope  explicare  phaeno; 
ex  iisdem  orta  istasque  explicationes  oomprobare.c  —  Im  Anschlu 
die  Cartesianischen   Bestimmungen    sagt  Wolff  (Log.  §  855):    > 
quo  utimur  in  tradendis  dogmatis,  dicitur  methodus;  appellatur  a 
methodus  analytica,  qua  veritates  ita  proponuntur,  prout  vel  in  vi 
fuerunt,  vel  minimum  inveniri  potuerunt;   methodus  e  contrario 
thetica  appellatur,  qua  veritates  ita  proponuntur,  prout  una  ex  a 
facilius  intelligi  et  demonstrari  potest;   methodus  mixta  est,   quf 
utriusque  combinatione  resultatc.     (Als  Definition  ist  diese  Bestimi 
der  Methoden  nicht  gut,   weil  sie  nur  abgeleitete  Merkmale  und 
die  fundamental  wesentlichen  enthält.)  —  Kant  unterscheidet  analyt 
und  synthetische  Urtheile  (s.  o.  zu  §  8S,  S.  279  f.);  doch  eignet 
Kant  daneben  auch  (Log.  §  117)   die  Unterscheidung  der  analytii 
oder   regressiven   Methode   (methodus   regrediens   a   principiati 
principia)  und  der  synthetischen  oder  progressiven  (methodus  progre 
a  principiis  ad  principiata)  an.  —  Hegel  (Encyd.  §  226  ff.)  will 
Methoden  nur  in  den  positiven  Wissenschaften  gelten  lassen,  wei 
Erkennen  sich  darin  nur  als  »Verstand«  verhalte,   nur  > endliche! 

\  kennen c  sei;  die  Methode  der  philosophischen  Speculation  aber  se 

I  Dialektik,  die  Form  der  »absoluten  Idee«,  der  »reinen  Vernunft c. 

diese  Dialektik  ist  nur  der  vergebliche  Versuch  einer  Synthesis, 
nicht  auf  den  Resultaten  der  Analysis  fussen  will.  —  Mit  Recht  fo 
Schleiermacher  (Dial. §  283),  dass  der  » Deductionspr ocess <  übera! 
den  »Inductionsprocessc  (also  die  Synthesis  auf  die  Analysis)  zurück 

—  Mit  Abweisung  sowohl  eines  exdusiven  Empirismus,  als  auch 
Hegel'schen  Theorie  des  »reinen  Denkens f  erkennt  Trendelenl 
(Log.  Unters.  II,  S.  223,  2.  A.  H,  S.  294.  8.  A.  S.  327)  in  der  Synt 
den  Adel   der  Wissenschaften,    die  Bedingung    des   wissenschaftl 


478  §  140.  Die  analytische  (oder  regressive)  Methode. 

Charakters  der  Synthesis  aber  in  der  Unterwerfung  unter  die  strenge 
Zucht  der  analytischen  Methode.  —  Ebenso  weist  Beneke  (Logik  II, 
S.  159 — 188)  nach,  wie  die  Synthesis  in  allen  Wissenschaften,  anch  die 
Mathematik  nicht  ausgenonunen,  durch  die  vorangegangene  Analysis 
bedingt  sei,  und  warnt  vor  Verfrühung  der  Synthesis  a  priori,  die  dann 
nichts  Besseres,  als  ungründliche  Erkenntniss,  Willkür  und  Einbildung  sei. 
Ueber  den  heutigen  mathematischen  Gebrauch  der  Ausdrücke 
Analysis  und  Synthesis  mag  hier  folgende  Bemerkung  zureichen. 
Die  construirende  Geometrie  nimmt  im  Allgemeinen  den  synthetischen 
Beweisgang  und  lässt  analytische  Betrachtungen  nur  zum  Zweck  der 
Auffindung  der  Beweise  oder  der  Auflösung  von  Aufgaben  zu.  Da- 
gegen verfährt  die  auf  Grund  von  Coordinatensystemen  rechnende  Greo- 
metrie  vorwiegend  analytisch,  sofern  sie  regressiv  die  Bedingungen 
sucht,  unter  denen  gewissen  Gleichungen  genügt  wird ;  sie  bedient  sich 
der  algebraischen  Analysis,  welche  auf  eben  diesem  regressiven  Verfahren 
beruht,  und  wird  darum  analytische  Geometrie  genannt. 

§  140.  Die  empirischen  Data,  von  denen  alle  wissen- 
schaftliche Forschung  in  ihrem  regressiven  oder  analyti- 
schen Theile  (oder  die  inductive  Forschung  in  dem 
weiteren  Sinne  dieses  Ausdrucks)  ausgehen  muss,  liefert 
unmittelbar  die  äussere  und  innere  Wahrnehmung  (per- 
ceptio),  die,  durch  bewusste  Zwecke  geleitet,  zur  Beobach- 
tung (observatio)  wird,  und,  sofern  der  Gegenstand  der  For- 
schung es  zulässt,  in  dem  Experiment  (experimentum), 
d.  h.  in  dem  zum  Behuf  der  Beobachtung  absichtlich  von 
uns  herbeigeführten  Geschehen,  sich  gleichsam  von  der  Natur 
die  Antwort  auf  vorgelegte  Fragen  geben  lässt;  mittelbar 
das  glaubhafte  Zeugniss  (testimonium).  Ueber  die  Glaub- 
würdigkeit (fides,  auch,  wiewohl  mehr  die  Thatsache  der 
Geltung,  als  das  Anrecht  auf  dieselbe  bezeichnend,  auctori- 
tas)  des  Zeugnisses  ist  nach  den  allgemeinen  logischen  Re- 
geln über  den  Schluss  vom  Bedingten  auf  die  Bedingung, 
also  insbesondere  über  die  Bildung  und  Prüfung  der  Hypo- 
thesen (s.  0.  §  134)  zu  entscheiden,  wovon  hier  nur  ein  be- 
sonderer Fall  vorliegt;  denn  die  zu  erschliessende  Sache  ist 
das  realq  Prius  des  Zeugnisses.  Der  Inhalt  des  Zeugnisses 
kann  darin  seinen  Grund  haben,  dass  das  Ereigniss  genau 
in  der  gleichen  Weise  geschehen  und  beobachtet  worden  ist, 
aber  auch  durch  falsche  Auffassung,  untreue  Erinnerung,  Vor- 
walten der  gestaltenden  Phantasie  vor  der  kritischen  Strenge, 


§  140.   Die  analytiBche  (oder  regreteivo)  Methode. 

Vermiechnng  von  anbjectivem  Urtheil   nnd  objectiTem  1 
bestand,  imd  endlich  dnrch  mancherlei  Bobjective  Tende 
mitbedingt  sein.     Doch  ist  anzanehmen,    daaa  das  Zeug 
eines   nnmittelbaren   oder  Urzeagen  (testis  primiti 
proximns,  ocnlatue),  der  dies  notorisch  oder  nach  dem  sich 
ErgebnisB  der  faiBtorischen  Kritik   ist,  glaabbaft  sei,   y 
dasselbe  nach  seiner  Stellung  zu  den  Ereignissen,  sowie  i 
seiner  iDtellectuellen    und   moralischen  Bildung    den   T 
bestand  genau  and  treu  aufzufassen  und  darzustellen  renn 
und  beabsichtigt  hat.     Die  Uebereinstimmang  mehrerer    . 
zeugen  unter  einander  giebt  ihrer  Aassage  eine,  sehr  1  i 
Wahrscheinlichkeit,  falls  erwiesen  ist,  dass  dieselben  wi  I 
TOQ  einander  abhän^g,  noch  durch  den  gleichen  Schein  i 
täuscht,  noch   dnrch  gemeinsame   FarteirUcksichtea  in    i 
AufTassung  und  Darstellung  bestimmt  und  psychisch  gebou  . 
gewesen   sind;    denn  eine  rein  zufällige  Uebereinstimm 
in  'Zufälligem  hat  nach  den  Gesetzen  der  Wahrscheinl  : 
keitsrechnung  (vgl.  oben  §  132)  bei  allen  irgend  complici:  : 
Verhältnissen  einen  sehr  hohen  Grad  von  Unwahrscheini  . 
keit.    Die  Glaubwürdigkeit  der  mittelbaren  Zeugen  (te  i 
secnndarii,  ex  aliis  testibus  pendentes)  ist  theils  durch  i : 


480  §  140.  Die  analytische  (oder  regressive)  Methode. 

Auf  Grund  der  zuverlässigen  Thatsachen  sucht  die  re- 
gressive oder  analytische  Forschung  die  Realprincipien 
zu  erkennen.  Die  Erkenntniss  derselben  ist  weder  in  der 
Wahrnehmung  als  solcher  gegeben,  noch  auch  in  der  Art  dem 
Subjecte  angeboren,  dass  sie  nur  noch  der  fortschreitenden 
Entwickelung  zum  Bewusstsein  bedürfte,  noch  auch  durch 
eine  unmittelbare  »Yernunftanschauung«  gesichert,  sondern 
wird  aus  dem  gegebenen  Inhalt  der  Wahrnehmung  durch  ein 
objectiv  bedingtes  Denken  gewonnen.  Dieses  gestaltet 
jenen  Stoff  nicht  (wie  der  Künstler  den  Marmorblock)  nach 
Formen,  die  demselben  an  sich  fremd  wären,  sondern  (wie  die 
Natur  den  lebendigen  Keim)  nach  den  in  ihm  selbst  gegebenen 
Beziehungen.  In  Hinsicht  des  stofflichen  Elementes  gilt  der 
Satz :  >nihil  est  in  intellectu,  quod  non  fuerit  in  sensu« ;  aber 
die  Umgestaltung  des  Wahmehmungsstoffes  im  Denken  ist  nicht 
ein  gleichgültiges  Nebenwerk,  sondern  die  wesentlichere  Seite 
des  Erkenntnissprocesses.  Zu  den  allgemeinsten  Begriffen 
von  principieller  Bedeutung  führt  die  Abstraction;  eben 
diese  im  Verein  mit  der  idealisirenden  Thätigkeit,  die,  nicht 
nach  angebomen  Bildern,  sondern  in  der  Wissenschaft  nach 
wissenschaftlichen  (wie  in  der  Kunst  nach  ästhetischen)  Nor- 
men über  das  Gegebene  hinausgehend.  Höheres  gestaltet,  zur 
Idee  (idea  im  subjectiven  Sinne)  oder  dem  normativen 
(Huster-)  Begriffe.  Die  Urtheile  aber,  welche  wissen- 
schaftliche Grundsätze  von  principieller  Geltung  (axiomata) 
enthalten,  sind  theils  analytisch,  theils  synthetisch  ge- 
bildet; die  ersteren  (z.  B.  die  arithmetischen  Axiome) 
entstehen  durch  Zergliederung  (analysis)  der  vorhandenen 
Anschauungen  oder  Begriffe,  und  haben  eine  unmittelbare, 
von  der  Erfahrung  unabhängige  Evidenz;  die  letzteren  aber 
(z.  B.  die  geometrischen  Axiome,  wie  auch  die  Postu- 
lat e,  die  nur  eine  andere  Form  für  die  Axiome  sind,  welche 
die  Möglichkeit  des  Geforderten  behaupten)  stützen  sich  theils 
auf  Induction  und  Analogie,  theils  auf  Idealisirung, 
hypothetische  Annahme  und  Prüfung  der  Wahrheit  an 
den  Gonsequenzen,  die  zu  einer  successiven  Ausschliessung 
des  Falschen  (vermittelst  indirecter  Beweise)  und  Bestätigung 
des  Richtigen  führt.    Bei  complicirten  Problemen  ist  die  Hy- 


§  140.  Die  analytische  (oder  regreuive)  Methode.  ' 

potheeenbildnng  nicht  sofort  anf  das  Ganze  zu  richten, 
dem  es  sind  zunächst  indnctiv  nnd  vermittelBt  specid 
Hypothesen  nnd  deren  Verification  möglichst  viele  feste 
haltspnnkte  zu  gewinnen,  am  darnach  erst  über  die  Princi 
&age  selbst  zu  entscheiden.  Da  jedes  Princip,  sofem  es 
pothetische  Elemente  in  sich  enthält,  sich  an  seinen  Ft 
bewähren  mnss,  so  wird  die  Entscheidnng  zwiso 
entgegengesetzten  Principien  dadurch  möglieb, 
sich  ein  jedes  in  seine  tbeoretiscbeu  nnd  praktischen  (k 
qnenzen  ausgestaltet.  Der  Satz ;  'contra  negantem  priw 
non  est  dispntandnm«  ist  falsch  nnd  inhuman.  Bei  nomi 
Entwickeinng  wird  in  der  Erkenntniee,  wie  im  Leben, 
niedere  Princip  durch  das  hshere  flberwunden,  nnd  fii 
gleichberechtigte  entgegengesetzte  Principien  in  einem  gem< 
samen  höheren  Priocip  ihre  wahre  Vennittelang. 

.  Es  beduf  nicht  (wie  im  Anachlius  an  Leibnis  Christian  W 
ond  andere  Logiker  gewollt  haben)  einer  eigenen  >are  inveniei 
oder  einer  (Topilci  neben  der  Logik  ab  der  >ars  iadicaudic; 
dem  die  analytiscbe  Methode,  deren  Mittel  eben  die  früher  im  . 


482  §  140.  Die  analytische  (oder  regressive)  Methode. 

eigenen  Gefühle.  Heinr.  von  Sy  bei,  über  die  Gesetze  des  historischen 
Wissens,  Bonn  1864,  8.  12  f.:  »Wir  sehen  in  den  Erzählungen  nicht 
die  Dinge  selbst,  sondern  nur  die  Eindrücke,  diö  sie  in  der  Seele 
unserer  Berichterstatter  gemacht  haben,  und  wir  wissen,  dass  die  Er- 
zählung dieser  Eindrücke  niemals  den  Dingen  völlig  genau  entspricht. 
Aus  der  Erzählung  nun  auf  die  erste  Form  des  Eindrucks  und  ans 
diesem  auf  die  Gestalt  der  Thatsache  zurückzuschliessen,  die  Zuthaten 
und  Aenderungen  der  subjectiven  Einwirkung  zu  beseitigen  und  da- 
durch den  objectiven  Thatbestand  wieder  herzustellen^  das  ist  das  Geschäft 
der  historischen  Kritik«.  Vgl.  Wilh.  Maurenbrecher,  über  Methode 
und  Aufgabe  der  histor.  Forschung,  ein  Vortrag,  Bonn  1868;  Joh.  Gust. 
Droysen,  Grundriss  der  Historik,  Leipzig  1868. 

Die  Aufgabe  der  regressiven  (a  potiori  inductiven)  For- 
schung besteht  darin,  von  gesicherten  Einzelheiten  auszugehen,  jedes 
daraus  zu  Folgernde  da  zu  erörtern,  wo  für  den  möglichst  strengen 
Erweis  desselben  die  zureichenden  Prämissen  gewonnen  sind  und  es 
selbst  als  Prämisse  zu  ferneren  Argumentationen  dienen  kann,  so  dass 
für  die  Anordnung  alle  anderen  Gesichtspunkte  nur  insofern  mit- 
bestimmend seien,  als  der  oberste  Zweck,  der  in  der  Erlangung  mög- 
lichster Gewissheit  lieg^,  ihnen  einen  freien  Spielraum  lässt;  nachdem 
auf  diesem  Wege  eine  Reihe  von  Einzelnheiten  für  sich  festgestellt 
worden  ist,  ist  daraus  erst  die  Entscheidung  über  die  Principien  zu 
entnehmen;  soweit  aber  die  volle  Gewissheit  sich  nicht  erreichen  lässt, 
sind  die  Grade  der  Wahrscheinlichkeit  mit  möglichster  Genauigkeit  zu 
ermitteln  und  zu  bezeichnen  (vgl.  die  methodologischen  Bemerkungen 
in  m.  Plat.  Untersuchungen,  Wien  1861,  S.  99,  112  und  268). 

Diese  Forderungen  gelten  gleichmässig  für  die  Wissenschaften 
der  Natur  und  des  geistigen  Lebens.  Als  methodische  Elemente,  die 
der  Geschichte  mit  der  Naturforsohung  gemeinsam  seien,  bezeichnet 
K.  O.Müller  mit  Recht:  »scharfe Beobachtung  des  Erfahrungsmässigen, 
Sammlung  so  vieler  einzelnen  Punkte,  als  aufzufinden  möglich  ist,  Er- 
forschung des  gesetzmässigen  Zusammenhangs  derselben  nach  Wahr- 
scheinlichkeitsgesetzen und  Zurückbeziehung  auf  die  gegebenen  Grund- 
lagen der  allgemeinen  Natur  c. 

Die  Forschung  des  Einzelnen  gewinnt  in  dem  Maasse  an  Be- 
deutung, als  sie  sich  der  wissenschaftlichen  Gesammtarbeit 
als  Moment  einzuordnen  vermag.  Weder  eine  rohe  Selbständigkeit, 
die,  auf  den  natürlichen  gesunden  Sinn  (common  sense)  vertrauend, 
oder  in  dem  eiteln  Wahne  persönlicher  Genialität  befangen,  um  einer 
vermeintlichen  »ünbefangenheitc  willen  —  welche  oft  nur  ein  unwissen- 
schaftliches Verharren  bei  den  oberflächlichsten  Ansichten  und  unreifsten 
Einfällen  ist  —  das  Studium  fremder  Leistungen  verschmäht  oder 
sich  ohne  eindringendes  Nachdenken  und  kritische  Genauigkeit  mit 
halben  und  schiefen  Auffassungen  derselben  begnügt,  noch  auch  eine 
unfreie,  selbstlose  Hingabe,  die,  ganz  in  Gelehrsamkeit  aufgehend, 
über  der  emsigen  Sorge  um  sichere  Aneignung  und  treue  Reproduction 
der  von  den  schöpferischen  (feistem  errungenen  Schätze  die  Kraft  zu 


§  140.   Die  syatbetwobe  (oder  oonatniotiive)  Methode.       i 

eigener  Frodnction  nnbethfttigt  lüst,  sondern  nur  die  Erhebuä 
selbBtändiger  Einsicht  anf  dem  Gmnde  der  genauesten  Vertrat 
mit  der  gesammten  bisherigen  Entwickelung  der  Wissenschaft  begrl 
den  Fortschritt  zd  höheren  Erkenn tnisastufen.  Auch  in  der  Wi 
Bchaft  soll  der  HeoBch,  ans  dem  Nstnrznstande  der  üngebuDdo 
austretend,  durch  die  unfreie  Hingebung  hinduroh  zur  wahren  Fn 
gelangen. 

Der  speenlative  Trieb  ist  aof  die  allgemeinsten  Prina 
gerichtet,  und  pflegt  dieselben  in  poetischen  oder  taalbpoetigchen  ' 
men  zu  antecipiren,  ehe  die  strenge  Wissenschaft  sie  zu  erkennen 
mag.  Die  exaote  Forschung  begnügt  sich  mit  der  induot 
ConstAtirung  der  mehr  empirisahen  Qesetze,  so  lange  die  ohai 
Prinoipien  sich  noch  nicht  auf  Grund  der  ThatBaohen  mit  stra 
Gewisaheit  ermitteln  lasBen,  ist  aber  oft  allzubereit,  der  Sicherheit 
Tiefe  zu  opfern.  Die  höchste  Aufgabe  ist  die  Erreichung  der 
der  Speculation  angeBtrebten  Ziele  auf  den  Wegen  der  ezaoten  'i 
schung.  Bansen  (Hippel.  I,  S.  376)  bezeichnet  dieselbe  eunftohs' 
Bezog  auf  die  Philosophie  der  Oeiohichte  als  >'Vereinigung  das  Oei 
des  Baco'sohen  Systems  mit  den  Kategorien  der  deutschen  speculati 
Philosophie  des  Geistes«.  Vgl.  die  Abhandlung  des  Verfasaera  i 
Idealismos,  Bealiemui  und  Idealrealismas  in  Fiohte'a  Zeitechrifl 
Philo*.  Bd.  XXXIV,  1869,  S.  63—80. 

Das    Geschichtliche    über    die    Lehren    des    Empirism 


Namen-  und  Sach-Register. 


Die  Zahlen  bezeichnen  die  Seiten  der  6.  Aaflage  dieses  Bndhes. 


A. 

Abälardy  seine  Eenntniss  der 
arist.  Logik  35.  Conceptnalist 
36.  Arten  der  Definition  173. 

Aegypter  17. 

Aenesidemus,  Skepsis  32. 

Agricola,  R.  37. 

Akademiker,  Plato's  Naohf.  26. 

Albertus  Magnus,  Realist  36. 
a  priori  u.  a  posteriori  160. 

Albert  y.  Sachsen,  a  priori  u. 
a  post.  zuerst  angewandt  160. 

Alcuin  34. 

Alexander  von  Aphrodisias, 
Xoyixri  TtgayfittT.  29.  Exeget  des 
Arist.  31.  Schlussfiguren  339. 
Syllog.  aus  hypothet.  Prämissen 
402.  Disjunctive  Schlüsse  als 
Species  d.  hypoth.  409.  Princip 
imd  W€^e  zu  dem  Princip.  476. 

Allihn,  F.  H.  T.,  Herbart.  52. 422. 

Amerika  85. 

Anaxagoras  18.  19.  anerkennt 
nicht  den  Satz,  dass  Gleiches 
nur  von  Gleichem  erkannt    111. 

Anderson,  Jos.  G.,  on  logic  86. 

Andreae,  Antonius,  Scotist; 
nicht  Urheber  des  Satzes  der 
Identität  231.  Satz  des  Wider- 
spruchs 250. 

Andronikus,  derRhodier,  nennt 
Arist.  erste  Philos.  Metaph.  11. 
Ordner   der  arist.  Schriften  31. 

Angiulli,  A.,  filosofia  e  la  ricerca 
positiva  91. 

Anselm  von  Ganterbury  35. 
Realist  36. 


Antiochus  von  Askalon  26. 

Antisthenes  22.  23. 

Apelt,  E.F.,  Induction  82.  Theo- 
rie der  Induction  425.  Unter- 
schied von  Induction  und  Ab- 
straction  431.  Wissenschaftliche 
Hypothesen  447. 

Appuleius,  Schema  für  contra- 
dictorische  u.  conträr  entgegen- 
gesetzte Urtheile  220.  Formen 
der  unmittelb.  Schlüsse  276. 

Aristipp  22.  Subj.  Wahrheit  der 
Sinnesempfindung  105. 

Aristo  von  Alexandrien,  Peripa- 
tetiker,Combinationsverfahren  v. 
Mathematik  entlehnt,  zuerst  an- 
gewandt 346. 

Aristoteles,  Erkennen  durch  das 
Sein  bedingt  2.  Charakter  der 
aristot,  Logik  4.  Erste  Philos., 
Metaph.  10.  Begründ.  d.  Logik 
als  Wissenschaft  16.  Seine  Logik 
26.  Eenntniss  seiner  log.  Werke 
bis  zur  Zeit  Abälards  35.  Stu- 
fenreihe der  Wesen  108.  Das 
Gleiche  erkannt  von  Gleichem 
111.  Begriff  des  Individ.  125.  — 
Wortarten  u.  Vorstellungsformen 
(Kategorien)  130.  131.  Inhalt 
der  Vorstellung  137.  Allgem. 
Vorstellung  138.  Reflexion  und 
Abstraction  139.  Inhalt  u.  Um- 
fang, Gegensatz,  Disjunct.  144. 
Kritik  der  piaton.  Ideenlehre  a. 
eigene  Ansicht  über  Begriff  n. 
Wesen  149  ff.  a  priori  und  a 
posteriori  160.  Art  n.  Gattung 
163.    Definit.   a.  ihre  Elemente 


Namen-  und  Sach-Reg^ster. 


487 


166.  167.  Arten  der  Definition 
172.  Fehlerhafte  Definit.  mittelst 
nebengeordneter  Begriffe  179. 
Lehre  von  der  Eintneil.  Theil 
der  Analytik  182.  Definition  des 
Urtheils  192.  Eat^or.  Urtheil 
200.  QuaHt&t  d.  Urtheils  bejah., 
vem.  208.  Modalität  d.  Urtheils 
208.  209.  Quantität  d.  Urtheils 
215.  Quantifiade8Prädicats2l9. 
Contradict.  u.  conträr  entgegen- 
gesetztes Urtheil  220.  n^otegov 
(pvau  221.  Definit.  d.  avlXoyta" 
fjiog  225.  Principien  d.  Schliess. 
229.  Satz  d.  Identität  282.  Satz 
des  Widerspr.  289.  242.  247  ff. 
Satz  des  ausgeschl.  Dritten  256. 
257.  Kein  Mittleres  zwischen  d. 
Gliedern  d.  Widerspr.  262.  Prin- 
cip  der  contradict.  Disjunct.  266. 
Urtheile  mit  conträr  entgegen- 
ges.  Prädic.  268.  270.  Satz  des 
zureich.  Grundes  271.  Formen 
der  unmittelb.  Schlüsse  276.  Con- 
version  288.  Das  allgem.  ver- 
neinende Urtheil  294.  avtiargi- 
(psiv  808.  Modale  Consequenz 
312.  Elemente  des  Syllogismus 
815.  Bezieh,  des  Syllogism.  auf 
die  reale  Gesetzm.  817.  ayx^voia, 
Tact  823.  Terminol.  des  einf. 
kateg.  Schlusses  326.  Die  Schluss- 
figuren 831.  Sphärenverhältn. 
b.  Schluss  847.  848.  Ex  mere 
negat.  nihil  seq.  350.  Ex  mere 
partic.  etc.  852.  Erster  Modus 
der  ersten  Figur  859.  Beispiele 
zu  Cesare,  Camestres  875.  Ix- 
&eats  879.  Modi  d.  dritten  Figur 
883  ff.  Form  des  Schlusssatzes 
392.  Modalität  des  Syllogismus 
895.  Syllogismen  aus  hypothet. 
Prämissen  401.  Sorites  416. 
Beisp.  eines  Eettenachlusses  416. 
iv&v/LtTj/Lta,  lnix^(Q^f^ct  417.  Hat 
Terminus  Sorites  noch  nicht  418. 
Sophismen  421.  atfaiQeaig  (Ab- 
stract.),  inaytoyri  (Induct.)  424. 
Zur  Apriorität  der  Raumansch. 
432.  Tiagadetyfjia,  Schluss  der 
Analog.  488.  Die  mater.  Wahrh. 
d.  Prämiss.  u.  d.  Schlussf.  445. 
Hypothese  456.  unoduhg  (Be- 
weis) 461.  Widerlegung  463. 
Das  Princip,  Doppelweg  zu  den 
Principien  475. 

Arkesilaus  Akademiker  26. 

Arnauld,  Ant.,  logique  ou  Part 


de  penser  41.  Substitntionsprino. 

ders.  897.     Fehler  der  Euklid. 

Geometrie  459. 
Arnobius    88. 
Ast,  Beispiele  einer  fiirdflamg  its 

alXo  y^vog  nach  Zeller  469. 
Augustin    38.    Bewusstsein    des 

Geistes   v.   eigenen    Leben   frei 

y.  Täuschung  105.   Urtheile  mit 

conträr  entgegenges.  Prädia  269. 
Averroes  34. 
Avicenna  34. 


Baader,  Franz  von,  und  seine 
Schule  55. 

Bach  mann,  G.  Fr.,  C^ohichte  d. 
Logik  16.51.53.  Irrige  Angabe 
über  d.  Urheber  des  Satzes  der 
Ident.  281.  Irrth.  behaupt.  Satz 
des  ausgeschl.  Dritten  zuerst  bei 
Wolff  262.  Kreise  als  Hülfs- 
mittel  der  Beweisf.  in  d.  Schluss- 
lehre 288.  Tadelt  Lamberts 
Symbol.  Bezeiohn.  des  Umfangs- 
verh.  zw.  Subject  u.  Pradic.  289. 
Zur  Sylloglstik  der  Aristoteliker 
830.  Unterscheid,  der  Analogie 
von  der  Induction  441. 

Baco  YonYerulam  38.  Nominal, 
od.  Conceptual.  152.  Schätzung 
d.  Syllog.  320.  Induction  425. 
Ezperimentum  orucis  448. 

Bänmker,  A.,  Arist.  Sinnesl.  30. 

Bain,  Alex.  79.  Ueber  Mill  82. 
eigener  Standpunkt  82. 

Balmes,  J.  L.,  Schriften  92. 

B arber a^  L.,  log.  invent.  91. 

Barthelemy  St.  Hilaire,  Arist. 
Logik  30.     Log.  in  Frankr.  86. 

Barzellotti,  G.,  Mitarb.  an  Ma- 
miani's    philos.    Zeitschrift    91. 

Baumeister,  Fr.  Chr.,  Anhänger 
Wolff  s  46. 

Baumgarten,  AI.  G.»  Wolfianer 
46.  Satz  der  Ident.  282.  Satz 
des  Widerspr.  251.  Satz  d.  aus- 
geschl. Dritten  262.  263.  Satz 
des  Grundes  aus  dem  Satze  des 
Widerspruchs  abgeleitet  272. 

Baur,  Chr.  F.,  Beispiel  einer 
petitio  princip.  in  den  Einw.  geg. 
d.  teleolog.  Argument  468. 

Baynes,  T.  S.,  port.  roy.  log.  41. 
Ueber  Hamilton  83. 

.Beattie,  J.,  43. 


BeauBBire,  Em..  Art.  Galuppi90. 

Beok,  J.,  Philos.  Propäd.  78. 

Becker,  E.  F.,  Eategor.  135.  Bei- 
Bpial  einer  zu  engen  Definition 
177.  Seine  Verdienste  für  daa 
logische  Verständn.  der  Sprache 
199. 

Beda  H. 

Belgien  88. 

Benard,  Gh.,  log.  enBeignäe  par 
les  auteurs  87. 

Beneke,  Ed.,  üntersch.  de«  anal. 
oder  It^.  Denkens  n.  der  synthet. 
Grundsatze  des  Denkens  4.  Ueb. 
Baco  S9.  Wort  gegen  Hegel's 
dialekt.  Aufgabe  60.  Bezieh,  z. 
Scbleierm.,  Standpunkt  63.  64. 
Unzalängl.  der  einnl.  Wabmehm. 
98.  Jede  Erkenntn.  uns.  Seelen- 
thStigkeit  Erkennte,  einet  Seins 
106.  Erkenntniss  des  Seins  ausser 
uns  Setzung  einer  Hehrh.  heseelt. 
Subjeote  107.  Tact  109.  Stufen- 
reihe der  Wesen  111.  Reflex,  u. 
■  Abstraot.  139.  Begriff,  Form  d. 
anal.  Denkens  156.  Definition 
des  ürtheiU  193.  Log.  Urtheil, 
Suhsumt.  202.  Verh.  hypoth.  u. 
kateg.  Urtheile  204.  Quantifia  d. 
PiMicatB  219.  Satz  des  aue- 
geschl.  Dritten  2G5.  Conveni.  d. 
allgem.  bejah.  Urtheils  287.  Um- 
wandl.  der  Relation  306.  Ein- 
schränk, des  Syllog.  321.  Ana- 
UiB  des  Tacts  323.  Empirische 
Basis  der  Geometrie  367.  Grün- 
det zuerst  auf  Substitationsprino. 
eine  vollst.  Theorie  d.  SjUogism. 
898.  Zur  Apriorität  der  Raum- 
ansoh.  432.  Inwiefern  die  In- 
dnction  geistige  Sclbstthätigkeit 
Q.  apriorische  Fonnen  voraussetzt 
433.  Der  unbericht.  Sprachgehr. 
führt  zn  Induotionsfehlem  434. 
Analjrs.  u.  Synthes.  47a 

Bentham,  G.,  formale  Logik79. 
Quantifio.  des  Prädic.  auf  negat. 
urtheile  ausgedehnt  83. 

Bergmann,  X,  Standpunkt  seiner 
Logik  75.  D^nition  d.  Urtheils 
196.  Eintheilung  der  Urtheile 
203.  MissverBtändn.  Sigwart's 
SchluBslehre  228.  Satz  des  aus- 
gesohl.  Dritten  264. 

Berkeley,  Q.,  43.  120. 

Bertini,  Mitarbeit,  an  Mamiani's 
philos.  Zeitschr.  91. 

Biel,  Gabr.,  Nominalist  86. 


Biese,  Frz.,    He^rel's  Schule  61. 

Fbilos.  Propäd.  78. 
Bilfinger,  G.B.,  Leibnizianer  46. 
Blemmides,  Nioephorns,  lai- 

tofii],  Namen  der  Modi  393. 

Bobrik,  Ed.,  Herbartian.  62.  53. 

Beeckh,  A.,  Philo laos  19.  Bei- 
spiele eines  hjpoth.-kategorisohen 
Schlusses  405. 

Böhmer,  Heinr.,  über  Baco  39. 
Realität  von  Raum  u.  Zeit  120. 
ParalogismuB  420. 

BoethiuB,  Logik  29.  34.  Arten 
der  Definition  173.  Schema  für 
contradiotor.  und  contrar  ent- 
gegenges.  Urtheile  220.  Formen 
der  onmittelharen  Schlüsse  276. 
Schlussfiguren  339.  340.  Ex 
mere  n^at,  nihil  seq.,  Reduct. 
eines  bes.  Falls  360.  Tbeophr. 
Lehre  von  den  hypothetischen 
Schlüssen,  ausf.  Darst.  d.  mögl. 
Formen  der  condition.  Schlüsse 
402.  Aufzähl,  der  mögl.  Formen 
hypothet.- kategor.  Syllog.  406. 
Endemus'  Einth.  d.  hypoth.  Syllog. 
410.  Rechnet  disj,  Urtheile  und 
Schlüsse  zu  den  hypoth.  411. 
Episyllog.  oder  progress.  Schiusa 
413.  Enthymem,  imperf.  syllog. 
417.  Indnction  424.  Schluss  der 
Analogie  440. 

Bolzano.Bernh.,  68,  Kreise  ab 
Hülfsmittel  der  Beweisf.  in  der 
SchluBslehre  268. 

Bonatelli,  Fr.,  Mitarb.  an  Ma- 
miani's philos.  Zeitschr.  91. 

Bonitz,  Herrn-,  Standpunkt  der 
arist.  Logik  27.  Ariat.  Eategor. 
80.  134.  Beispiel  z.  Satz :  qui 
nimium  probat,  nihil  probat  471. 

Boole,  G.,  Formale  Logik  79.88. 
Standpunkt  84. 

Botta,  Vinoenzo,  Italien. PhUo- 
sophie  89. 

Bouterwek,  Fr.,  Apodiktik  61. 62, 

Bowen,Frano.,  Kritik  der  Logik 
Consiu's  u.  Homilton's  66. 

Brandis,  Chr.  Aug.,  Standpunkt 
der  arist.  Logik  27.  29.  Aristot. 
Kategorien  184. 

Braniss,  Jnl.,  6a 

Braun,  Alei.,  Verjüng,  d.  Natur 
109.  Begriff  des  Individ.  126. 
Artbegriffe  163. 

Broohard,  V.,  Stoik.  Log.  32. 

Bronislow,  Hegelianer  inPolen  98. 

Brown,  Th.,  43. 


Naroen-  und  Sach' Regie t«r. 


Bruno,  O.,  37. 

Buhle,  J.  G.,  GeBch.  der  Log.  16. 

fieiap.  eiuer  Möglichkeit  in  obj. 

Sinne  211. 
Bunten,  Chr.  £.  Joa.  v.,  Höchste 

Aufgabe  in  Bez.  Rtif  PhiloBophie 

der  Qetchichte  483. 
Barchard,  J.  F.  W.,   Demokrit's 

PbiloB.  der  Sinne  21. 
Buridan,  J.,  Nominaliat  36. 
B u rei u B,  A dam,  Cioero'i stoiaohe 

Logik  32. 

C 

CaeoiliuB  erklärt  das  Epioherem 
alB  apodixis  itnperf.  nach  Quin- 
tilian  417. 

Cains  (Allihn),  Antibarbu'us  lo- 
gicna  422. 

Calioicb,  E.Ad.Gd.,  Philoaopb. 
Proimd.  78. 

Calker,  Fr.  van,  Gesch.  der  Log. 
16.  Frie«'  Anhänger  52.  53.  Er- 
klär, dee  Begriffs  1&3. 

Campanella,  Thom.,  37. 

CapelU  B.  MartiannB. 

Carnot ,  Dähring'a  Beziehnngen 
zu  Camot  71. 

CarteaiuB,'!  Urtheil  über  LuUioa 
36.  Sein  Standpunkt  39  S.  Un- 
zulänglichkeit der  sinnlichen 
Wabmehmung  98.  Cogitare  das 
GewisaeBte  105.  Beweis  aua  der 
v&taaitö  de  Dien  116.  Eateger. 
134.  Eriter.  d.  Wahrheit  136. 
Seit  C.  Dogmatism.  Gewicht  auf 
Definition  gelegt  167.  Gering- 
schätzung der  SjUogiatik  321. 
DaB  Snbatitntionsprincip  in  der 
Lo^k  B.  Sohnle  397.  Diaj.  Syl- 
logiBmen  411,  Indnction  426. 
Petitio  princip.  d.  Carteaian.  in 
Polemik  gegen  Newton's  Qrs- 
vitatiooBlehre  468.  Analyse  und 
SvDthese  477. 


Chineaen  17. 

Cbrysipp,  Stoiker31.  stell 
avUoyiafioi  äfanö^eixioi  i 
Spitze  seiner  Syllogistik  4 

Cicero,  loyix^  29.  tadelt  £{ 
Eintb.  der  B^ierden  165. 
sehe  Definition  von  nii&o 
Satz  des  zureichenden  Gl 
271.  Compleiio  410.  Prol 
oder  regreas.  Syllog.  Cato' 
Terminua  Soritea  416. 

Cieakowaki,  Aug.  v.,  Poll 
gelianer  93. 

Clasaen,  Joh.,  Qranun.  I 
prim.  130. 

Claaberg,  Job.,  Anl&ngei 
Cartesius  41. 

Clemens  v.  Alesandrien  38 

Colebrooke  17. 

Comte,  Aug.,  Indnct.  Lm 
Standp.,  Auszug  aus  s.  W 
von  Big  87.  Stadien  der 
sonific.,  der  Eypoataair.  uo 
adäquaten  AuffaaBung  in  T 
Metaph.  und  Wissenschaft 
Induetion  425. 

Conceptnalisten  im  Mittel 
nnivers.  pcst  rem  162. 

Condillac,  Etienne  Bonn 
Naobfolger  Locke's  43.  86. 
fluBB  in  Polen  93. 

Conti,  ScboUst.  Lehrb.  der  I 
sopbie  91. 

Conrnot,  A...  Induot.  Logil 
Erkenntnisstheorie  87. 

Conrtney,  W.  L.,  metapbyt 
MiU  82. 

Cousin,  Vict  ed.  Alrätorc 
Erit.  Dorst.  seines  System: 
Bowen  66.  Ed.  Maine 
Biran  87. 

J.  P.  de,    Nachf 


Locke' 


ist.  Aug.,  Gl 


490 


Namen-  und  Saoh-Begister. 


D  a  r  w  i  n,  G  h  a  r  1  e  8,  Entwickelungs- 
lehre  als  Hypothese  463. 

Debrit,  Marc,  Italien.  Philos.  89. 

Delboeuf,  Jos.,  Anschl.  an  Ueber- 
weg  89.  Niditvergleichbarkeit 
der  Vorstellung  mit  dem  Objecto 
98.  Argument,  aus  d.  veracitS 
des  Gedankens  116.  Principien 
des  Schliessens  230.  Satz  der 
Identität  238.  Satz  des  zureich. 
Grundes  273.  Basirung  der  Geo- 
metrie 365. 

Dembowski,  J.,  Quaest.  Arist.  30. 

Demokrit  18.  19.  D.'s  Sensualis- 
mus von  Burchard  und  Johnson 
21.  ünzuverlässigkeit  d.  sinnlich. 
Wahrnehmung  98. 

D  es  tut  t  de  Traoy ,  elem.  d'ideo- 
logie  86. 

Dittes,  Friedr.,  Anhanger  Be- 
neke's  65. 

Dittges,  Ph.  Jak.,  Sokrates 
Methode  22. 

Döring,  A.,  Grundzüge  der  allg. 
Logik  73. 

Dolz,  J.  G.,  Kl.  Denklehre  47. 

Domin ici,  de,  Galilei  und  Kant 
91. 

Dorner,  A.,   Bacon's  Philos.  39. 

Dost,  0.,  Locke's  Logik  43. 

Drbal,  Math.  Am.,Herbartian.63. 
Trennung  formaler  Richtigk.  von 
der  mater.  Wahrh.  bei  den  einz. 
Urtheilen  190. 

Dressler  J.  G.»  Anhänger  Be- 
neke's  65.  Umwandlung  der 
Relation  306.  Substitutionsprin- 
cip  398. 

Drobisch,  Mor.  Wilh.,  Verh.  d. 
Logik  zur  Erkenntnisslehre  3.  6. 
Herbartian.,  Schriften  52.  53. 
Verh.  zwischen  Inhalt  u.  Umfang 
144.  Bei  Plato  Definition  auf 
Einth.  basirt  166.  Arten  d.  De- 
finition 173.  Einth.  183.  Verh. 
hypoth.  und  kateg.  Urtheile  204. 
Satz  des  ausgeschlossenen  Dritten 
264.  Convers.  des  allgem.  bej. 
Urtheils  287.  Beweis  für  d.  Un- 
statthaftigk.  der  Contraposition 
d.  particular  bej.  ürth.  304.  Um- 
wandl.  d.  Relat.  306.  Erklärt 
Arist.  Anal.  post.  II,  2  falsch 
317.  Sinn  des  Satzes  to  afriov 
To  fiiaov  319.  Mögl.  Formen  d. 
Schliessens  vollst,  zu  entwickeln 
344,  doch  vierte  Figur  verwor- 
fen 345.  Parallel.  hypotL  kateg. 


Syllog.  mit  d.  kateg.  406.  Di- 
lemma 409.  Zur  Aprioritat  der 
Raumansch.  432.  Analog,  exacta 
438. 

Droysen,  Joh.  Gust.,  Grundriss 
der  Historik  482. 

Dühring,  Eng.,  Standp.  71. 

Duhamel,  J.  M.  G.,  Des  möthodes 
dans  les  sc.  du  rais.  87. 

DunsScotus,  Realist  36.  Stellung 
zum  Satz  des  Widerspruchs  249. 
Bestreitet  die  Allgemeingültigk. 
des  Satzes  ex  mere  negat.  eta 
351. 


Ebeling,  M.  F.,  Log.  für  d.  ges. 

Verstand  46. 
Eberhard,  Joh.   Aug.,   allgem. 

Theorie  des  Denkens  46. 
Eberstein,  W.  L.  H.  v.,  Gesch. 

der  Logik  16. 
Ebhardt,  C.,  Der  rhetor.  Schluss 

418. 
Eichhoff,  K.,  Platon's  Logik  26. 
Eleaten  18.   Unzuverlässigkeit  d. 

sinnl.  Wahrnehmung  98. 
Eiswich,  J.  H.  V.,  Arist.  in  Schu- 
len der  Protestanten  37. 
Emery,  on  form.  log.  86. 
Empedokles  18.  19. 
England  79-85. 
E  p  i  k  t  e  t ,    Stoiker.     Beweisfehler 

des  Isokrateer  Theopomp  470. 
Epikur,   Eanonik.  31.    Eintheil. 

der    Begierden  185.     Bekämpft 

den  Satz  des  Widerspruchs  249. 

Versteckte  quatem.  termin.  420. 
Erdmann,  Benno,    Eant's  Kri- 

ticism.  49.  Zur  Raumtheorie  122. 
Erdmann,  J.  E.,  HegePs  Schule 

61.   UeberMansel  83.    Thomson 

84.     Bspl.  zu  Gesare  375. 
Eretrier  22.  23. 
Erigena,  Joh.,  Scotus,  Definitio 

essentialis  eigentliche  Definition. 

170.     Arten  der  Definition  173. 

Eintheilung  183. 
Essen,  E.,  Arist.  Defin.  30. 
Euathlus,  Dilemma  410.  411. 
Eucken,  Rud.,  arist  Methode  29. 

Geschichte  u.  Kritik  derGrund- 

begr.,   a  priori  u.  a   posteriori 

160.  223. 
Eudemus,   der  Peripatetiker  30. 

Convers.  des  allgemein  vernein. 

Urtheils  294.    Figuren  des  einf. 


Namen-  und  Sach-Register. 


kateff.  Syllogism.  839.  Modalitat 
des  Syllo^Bmus  895.  Theorie  d. 
hypothet.  Schlüsse  401.  Hypoth. 
kateg.  Syllog.  405.  Eintheil.  d. 
hypoih.  Syllog.  410. 

Euklides,  d.  Mathematiker.  De- 
finition der  Parallellinien  179. 
Seine  Methode  Beisp.  der  höchst. 
Strenge  der  Beweisführung  459. 

Euklid  es  v.  Megara  28. 

Euler,  Gegner  Wolffs  46.  Ge- 
brauch der  Kreise  als  Hülfsmitt. 
der  Beweisf.  in  der  Schlusslehre 
unricht.   auf  E.  zurückgef.  288. 

Everett,  Ch.  G.,  so.  of  thought, 
Anhänger  Hegel's  86. 


F. 

Faber,  Platon's  Erkenntniss- 
lehre 26. 

Fabricius  J.  A.,  Geschichte  der 
Logik  15. 

Feder  J.  G.  H.,  Gesch.  der  Logik 

'  16.  Grundsätze  der  Logik  46. 
Einfl.  auf  Joh.  Sniadecki  98. 

Ferreira,Silvestre  Pinheiro, 
Portug.  Staatsmann  undPhilos., 
Sensualist  92. 

Ferri,  L.,  Italien.  Philos.  89. 

FeuerbachyLudw.,  Beweisfehler 
in  s.  Argument,  gegen  d.  Bealität 
der  Gottesidee  471. 

Fichte  Joh.  Gottl.,  und  seine 
Schule  54.  Stoff  und  Form  der 
Wahrnehmung  bloss  subj.  100. 
116.    Satz  des  Widerspr.  252. 

Fichte,  J.  H.,  Gegner  der  Logik 
Hegel's  60.  Standp.  68.  Re- 
flex. undAbstract.  139.  Thesis, 
Antithesis  und  Synthesis  182. 
Princip.  contrad.,  ident.,  excl. 
tert.  233.  245.  255.  Untersch. 
u.  Gegens.  fälschl.  mit  Conträr 
u.  C!ontradict.  gleichgesetzt  269. 

Finsh,  A.  E.,  Bacon's  ind.  phil.  39. 

Fiorentino,  F.,  Italien.  Philos.  89. 

Fischer,  Friedr.,  51.  53.  Ur- 
tbeilsl.  194.  202.  Satz  des  aus- 
geschl.  Dritten  unberecht.  256. 
257. 

Fischer,  Kuno,  Schule  Hegel's  61. 

Flatt,  gegen  Kant 's  Log.  52. 

Florenzo,  Marquise,  Anhängerin 
Hegel's  91. 

Fowler,  Th.,  Bacon's  nov.  org. 
39.  81. 


Franchi,  Auson.,  krit.  Rh 

91. 
Franok,  Ad.,  bist,  de  la  k 

86.     Italien.  Philos.  89. 
Francke,  Chr.,  Arist.  Syllc 
Frankreich  86—88.  , 

Friedrich,  Ernst  Ferd.  \ 
Fries,  Jak.  Fr.,    Logik  p« 
Grundlage  52.  53.    Definiti 
Urtheils  198.  Subsumt.  log 
TJrtheile    202.      Principia 
Schliessens  229.     Satz  dei 
ffCschl.  Dritten  263.   Einscl 
d.  Syllogism.  321.    Beispiel 
Sophismen   422.     Reduciri 
Arist.  den  Sohluss  der  Am 
auf   die   Gombination   eine 
ductionsschl.  mit  einem  Syl 
mus  441.     Wahrscheinlidi 
lehre  444. 
Frothingham,  Octav.  Bro 
transscendentalism  inN.-En| 
Fülleborn,  G.  G.,  Geschieht 
Logik  16. 

:^* 

Gabler,  G.  Andr.,  He 
Schule  61. 

Galen,  Exeget  d.  Arist.  31. 
men  der  unmittelbaren  Seh 
276.      Vierte   Schlussfigur 
341.    Geometr.  Analytüc  47 

Galilei  als  Logiker  88.  Ga 
Kant  von  Dominici  91. 

Galuppi,  Pasquale,  Ansch 
Reid  und  Kant  90. 

Garelli  91. 

Gassendi,  GescL  der  Logili 
Folgt  P.  Ramus  37.  Gej 
des  Cartesius  41. 

Gastmann,  A.  L.,  Arist.  Met! 
80. 

Geijer,  E.  E.,  Bericht  über  PI 
in  Schweden  u.  Norwegen  ! 

Genovesi,  Antonio,  als  Ekli 
ker  89. 

George,  Leop.,  Gegner  der 
gik  Hegel's  60.  Anschlusi 
Schleierm.  63.  64.  Fünf  S 
100.  Neuntheil.  183.  Lehi 
ürtheil  vor  Begriffsl.  188. 
klärt  die  Bezieh,  des  Inducti 
yerf.  auf  den  obj.  Gausalnex 
einen  Girkel  433. 

Gergonne,  J.  D.,  Ereise  als  H 
mittel  der   Beweisführ,   in 
Schlusslehre  288.     Symbol. 


TerhältniBBe  der  Kreise  wiederum 

durch    einf.  Zeioben  289.     £nt- 

ichuldigt  die  didakt.  Kunststücke 

der  Scbolattiker  320. 
Gormar,    F.  H.,    Glauben    oder 

Wissen  109.    Der  Taot  923. 
Geulinx,  Arn.  41. 
Gioberti,  Vi  ncenzo,  italienischer 

IdealismnB  91. 
Oioja,   Melch.,  Senaualist  90. 
Ologau,  J.,  Kategorien  185. 
Gockel,  Cbr-Friedr.,  Encyklop. 

Eialeitnug  78. 
GocleniuB,     Rudolf,       Söritea 

416.  418. 
Goebel,  R.,Aeneaidem. Skepsis  32. 
Goethe,  J.  G.  v.,  verwend.  Kaut's 

Kategor.  in  der  Farbenlehre  182. 

Gegen     Newton's     Lehre     vom 

Lichte  453. 
Goluchowski,  Job.,  Schellingia- 

ner  93. 
Gottsched,     Joh.    Chr.,     erst« 

Gründe  der  ge».  Weltweish.  in'g 

Polnische  übers.  92. 
Graesse,  J.  F.  G.,  Schrift  gegen 

Schwab  über  Stilpo  34. 
Gratry,  A.,  log.  87. 
Griepenkerl,  F.  E.,  Herbartian. 

62.  53. 
Grimm,  E.,  Genlinx  Erkenntniss- 
theorie 41. 
Qrohmann,     Joh.    Chr.    Aug., 

Kantianer  63. 
Grote,  G.,  Mill  gwen  Hamilton  62. 
Gruppe,  0.  F.,   Werth  der  Ana- 
logie 440. 
Gumposoh,  Ph.,  Log.  d.  Arist.  30. 
Günther,  Joh.  Casp.,  Sdirift  üb. 

Megariker  SS. 


Häokel,  E.,  Darwin'»  Lehre  454. 

Hagemann,  Georg,  73. 

Hager,  Joh.  G.,  Schrift  über 
Euclid  28. 

Halstead,  G.  Bruce,  überBoolä 
84. 

Hamilton,  W.,  Logik  n.  Mathem. 
als  philoB.  Propäd.  13.  Einth. 
der  Logik  14.  16.  Formale 
Logik  79.  Qusntific.  d^Prädic; 
Standp.  83.  319.  399.  Satz  des 
zureichenden  Grundes  274.  Un- 
terscheid, der  Analogie  von  der 
Indaot.  441. 


Haneberg,  B.,  Erkenntnisslehre 
Ihn  Sina's  34. 

Hankiewicz,  Tm.Clem., Grand- 
züge der  slav.  Philosophie  92. 

Harme,  Fr.,  Gesch.  der  Log.  16. 
Gedanken  zur  Reform  d.  Log.  73. 

Harris,  Will.  T.,  hiat.  ot  phil,  85. 

Hartenstein,  Gust.,  Herbartian. 
52.  Satz  d.aaBgeBchl.  Dritten  264. 

Hartmann,  Ed.  v.,  über  dialekt. 
Methode  60. 

Hartsen,  Fr.  A.,  Standpunkt  72. 
Lehre  vom  Ürtheil  oder  Begriffs- 
lehre 188. 

Hegel,  G.  W.  Fr.,  Denken  und 
Sein  2.  Werth  der  Logik  9. 
Subjectiv.  Geist.  11.  Metaph. 
oder  ontologiache  Logik  12. 
Ansicht  über  philos.  Propädeut. 
überb.  und  in  Bezieh,  auf  Logik 
18.  Griechen  danken  das  Wesent- 
liche sich  selbst  17.  SeineLi^.u.s. 
Schule  56  B.  Einfluss  in  Italien 
91,  in  Polen  9S,  Stoff  nnd  Form 
der  Wahrn.  subject.  und  object. 
100.  Wahrnehm,  propäd.  Aus- 
gangspunkt der  Philosophie  106. 
Identität  von  Denken  und  Sein 
111.  Stufengrade  der  Indivi- 
dualisirung  127.  Kategorien  135. 
B^jiff,  Grundform  der  object. 
Real,  wie  des  subjsct.  Gedank. 
156.  Dialekt.  Geneeis  des  Be- 
griffs 168.  Trichotom.  Thesis, 
Antitheeit  and  Syn thesis  182. 
183.  Definition  dee  Urtheils  198. 
Log.  Urtheil  Sabenmt.  203.  De- 
finition dee  Sohluases  336.  Satz 
der  Identität  338.  Satzd-Widei^ 
Spruche  339.  340.  Dabei  Ver- 
wechselung der  log.  Negation 
mit  realer  Oppoeition  353.  Satz 
dee  auBgeschl.  Dritten  355.  Dn- 
berecht^  256.  267. 268.  ürtheile 
mit  conträr  entgegenges.  Prädio. 
269.  370.  Satz  des  zureichenden 
Grandes  273.  Schlase  nothw. 
Form  alles  Vem.  321,  Verwirft 
Schlossw.  der  vierten  Figor  346. 
Nicht  zu  billigen,  dase  H-  2.  und 
3.  Figur  gegenseitig  ihre  Stellen 
tauschen  lässt  846.  Induct.  und 
Analogie,  Grundlage  des  syllog. 
Sehlnsses  432.  AnalogieschluM 
442.     Anales,  n.  Synthese  477. 

Heinze,  M.,  Erkenntniss lehre  der 
Stoiker  33.  Anz,  von  Sigwart's 
Logik  74. 


Nunen-  nnd  Sach-Regiater. 


Helmlioltz,  H.,  Natur  d.  Sinnes- 
empf.,  das  8ehen  100.  Materie 
u.  Kraft  112.  Znr  Ranintheorie 
122.  Thataachen.d.derGeoroetrie 

za  Grunde  liegen  36ö.  Beispiel 
za  dem  FehlschlusB  de  codbb- 
quente  ad  anteced.  420.  Znr 
Apriorität  der  RaumaDgch.  432. 

Hanse,  C.  C,  poet.  Personifio. 
110. 

Heraklit  18.  8.  Philosophie  von 
Laaalle  21.  Satz  des  Widenpr. 
239.  Urtheile  mit  conträr  ent- 
gee  enges.  Prädiu.  2T0. 

H«rbart,  Joh.  Fr,  Standpunkt 
und  Schriften  Ö2. 68.  tlnzu^L 
der  sinnlich.  Wahrnehmung  98. 
Kritik  Kant's  100.  Erkenntniss 
der  Mehrheit  beseelter  Wesen 
107.  Alles  wirklich  Geschehene 
SelbstorhaltUQg  111.  Qualität 
seiner  punktuellen  Wesen  112. 
Raum)osigkeit  der  SeelenmoD. 
117.  Individ.  127.  Kategor.  136. 
Reflex,  und  Abstrakt.  139.  No- 
minalist., Qebraucb  des  Wortes 
Begriff  153.  Arten  der  Definit. 
178.  Eintheilungsgrund  183. 
Definit  des  ürthefls  198.   Verh. 


Hayder,  C.  L.  W.,  Ärist.  D 
80.    Bez.  zu  Trendelenbn 

Hickok,  P.,  log    of  reaaon 

Hinrichs,  H. F.W., Heg. Soh 

Hirsel,  Rnd.,  Stoik.  Log. 

Hodgson,  Shadworth  H. 
Renonvier  87. 

Höffding,  Harald,  Die  1 
in  Schweden  94. 

Hölzer,  Platon's  Erkenntnii 

Hoffbaner,  J.,  Kant's  Schi 

Hoffmanu,    Carl  Aug., 
der  Logik  66.  78. 

Hoffmann,  Franz,  Schule 
der'a  öö. 

Hoffmann,  Herrn.,  Specit 
Varietät  164. 

Holland  89. 

Hollenherg,  Wilh.,  Anh 
Lotze's  68.   79. 

Hollmann,  S.  Chr.,  Qesc 
der  Logik  15. 

Hoppe,  J.,  Standpunkt  71. 
kenntn.  des  Wesentlichen 
Begriff,  Ausg.  und  Ziel 
aUes  Denkens  188.  Kriti 
Drbal's  Ans.  über  Urth. 
Syllog.  (Unterordnungiohl' 
dnot.  (Deberordnunmscbl.'i 


Imelmftati,    Uebers.  von   Liard 

engl.  Log.  16. 
Inder  17. 
Johann,    Papel  J.  XXI.,    PetruB 

Hisp.     Summnl.  log.  36. 
Johann  v.  Saliabnry,    Eenotn. 

d.  Ariat.  SQ. 
JohnBoit,   Ed.,    Demokriffl  Sen- 

sualism.  21. 
joniaolie  Naturphiloiophen  18. 
Jordan,  W.,  über  Mill  B2. 
Joardatn,A.,  über  Ariat.  Sohriften 

36. 
Jonrdain,  Ch-,  notione  de  log.  87. 
Irenaens  SS. 
Isidoras,  HiBpaleniis  34. 
Italien  89—91- 
Justin,  der  Martyr  33. 


Kästner,    A.   G.,    ürtbeil    über 

Eoklid.  469. 
Kampe,  F.  F.,  Arist.  Erkenntmiss- 

theorie  30, 
Kant,  Imm., form.  Logik 4.  Form. 
Wahrheit  5.  Einth.  der  Logik 
14.  47.  EinfluBS  auf  Whewell 
81,  anf  Hamilton  83,  auf  Hickok 
86,  auf  Renouvier  87,  in  Belgien 
89,  in  Italien  »0,  in  Polen  93. 
Ünznlängplichkeit  der  sinnl.  Wahr- 
nehmung 98.  Trennong  v.  Form 
und  Stoff  der  Wahmehmnng  99. 
Stellt  die  Wahrheit  der  Selbst- 
erkenntniss  in  Abrede  106.  Na- 
turzveck  Analog,  de«  Sittengee. 
111.  Kanl'B  DnalUm.  116.  Unter- 
scheid, der  Individ.  127.  Kate- 
gor.  135.  Klare  und  deutliche 
Vorat.  18«.  Reflex,  u.  Abetraot 
139.  Nominalist  1G2.  a  priori 
und  s  poat.  169.  160.  Artbegriff 
162.  Grundgedanke  Darwin's  bei 
ihm  163.  Hält  auf  Strenge  der 
definitor.  Form  167.  IrrÜiümer 
synth.  gebild.  DeGnit,,  synth.  u. 
analyt.Defin.172.  Ärt.d.Definit. 
172.  Lehre  von  der  Einth.  182. 
Definit.  deBÜrtheils  193.  Gründet 
Einth.  des  ürtbeilE  auf  Kategor. 
der  Relation  200.  Qualität  der 
Urtheile  ai^rm.,  neg.,  limit.  206, 
Modalität  des  Tlrtheils  209. 
Qnantit.  des  Urth.  216.  Stamm- 
begr.  dea  Verstandet  a  priori  221. 
a  priori,  a  pOBteriori  223.  De- 
finit.  des  Sohlusaes  226.    Prin- 


dp  des  SchlieaaeuB  229.  Satz  der 
Identität  232.  Sats  des  Wider- 
spruchs 251.  Satz  d.  anageschL 
Dritten  262.  Zw.  posit  u.negat. 
Grösse  im  matbem. Sinne  coutr&r. 
G^enB,  264.  Vrth,  mit  conträr 
entgegengea.  Prädic.  269.  270. 
Satz  des  zureiahenden  Grundes 
272.  Formen  der  unmittelbaren 
Schlüsse  276.  Analyt.  u.  BynÜi. 
Urtheile  279.  SchlnsBe  d.  Aequi- 
pollenz  k.  Schi.  308.  Das  Reale 
richtet  eich  nach  den  Formen  dea 
Denkvennög.319.  Einschränk.  d. 
SyllogismuB  821.  Spitzfindigkeit 
der  vier  ayllog,  Figuren  343. 
SplÄrenverhaitniaBe  beim  Sohlns« 
347.  Erster  Hodua  der  ersten 
Figur  369.  Bewetaführung  f.  die 
A Priorität  der  Raumansch.  ledig- 
lich indireot  366.  Führt  hypothet. 
SchluBS  auf  Kateg.  d.  Dependeni 
zurück  403.  Hypoth.- kategor. 
Syllog.  eigentl.keiuYemunftscbl. 
406.  Disjunot.  Syllog.  412.  Lehre 
von  der  absoluten  Apriorität  d. 
RaumanBch.  eine  Art  abgeschw. 
Mythol.  432.  Schluss  der  Ana- 
logie 440.  Gefahren  des  indir. 
Beweises  461.  Cnteranchung  des 
Scheins  464.  Warnt  vor  apagog. 
Beweisen  in  der  Fhilos.,  benutzt 
aie  aber  doch  467.  Beiap.  einer 
petitioprincip.  468.  Aüaljt.  u. 
BynthetiEche  Urtheile  477. 

Earneadea,  Akademiker  26. 

Katzenberger,  Mart  70.  Prin- 
cip  der  contradict.  Disiunct,  267. 

Kaulich,  W.,  Bezieh,  zu  J.  H. 
Loewe  66, 

Kecker  mann,  B.,  Geschichte  deri 
Logik  IG. 

Kepler  als  Logiker  38. 

KerBten,  A.F.  C,  Arist.Eatag.30. 


Kiesewetter,  Kant'a  Schule  61. 

52,     Ueberaetzt    in's    Polnische 

93.    Satz  des  ausgescbL  Dritten 

263. 
Kirchenväter,  Logi]t  83. 
Kirohmann,   J.  E.  t.,  Baoon's 

Org.  39.    Real.  Standp.  70. 
Kirchner,  Fr.,  Kateohismus  der 

Logik  79. 
Klein,  G.  M,,Sdiule  Schelling'e  66. 
KUinpaul,  R.,  Platon's  Erkennt- 

niaalehre  26. 


Namen-  und  Sach-Register. 


Enauer,  Guflt.,  Contrar  n. Gontr a- 
dict.,  bezieht  Affirmat.  u.  Negat. 
auf  die  Modalität  214. 

Enigge,  Phil.,  Freiin  v.,  Logik 
für  Frauenzimmer  47. 

Eotztowski,  Felix,  kathol.  Phi- 
los.  in  Polen  94. 

Krause,  Christ.  Frie|dr.,  und 
seine  Schüler  56.  89. 

Kremer,  Jos.,  Hegelianer  in  Po- 
len 98. 

Krug,  Wilh.  Franz,  53.  Aus- 
nahmen des  Satzes  v.  ausgeschl. 
Dritten  256.  263.  Sohlusstiguren 
381.  Achtzahl  der  Schlussfiguren 
841. 

Kühn,  d,  Arist.  Definit.  der  Be- 
griflFe  30. 

Kuffeier,  specim.  art.  ratiocin. 
auf  Standpunkt  Spinoza's  42. 

Kvöt,  J.  B.,  Leibniz'  Logik  45. 

Kym,  A.  L.,  ein  Gegner  Hegel's 
60.    Bez.  z.  Trendelenburg  66. 

Lachelier,  über  Wundt  78.  Art. 
in  Bot.  philos.  88.  De  natura 
syllog.,  fondem.  de  l'induct.  88. 

Lactantius  33. 

Lambert,  Joh.  Heinr.,  Neues 
Organen  46.  Reflexion  und  Ab- 
straction  139.  Kreise  alsHülfs- 
mittel  der  Beweisführung  in  der 
Sctilusslehre ,  wer  eingef.  288. 
Symbol.  Bezeichn.  der  Umfangs- 
verh.  zwischen  Subject  und  Prä- 
dicat  289.  Schulbeisp.  der  vier 
Schlussfiguren  331.  Stellt  die 
vier  Figuren  in  gleich.  Rang  342. 

Lamennais,  de,  esq.  d'une  philos. 
87. 

Lange,  F.  A.,  Protagor.  Sensual. 
22.  Log.  Studien  72.  Bekämpft 
üeberweg's  Argument,  für  die 
Ausdehnung  der  Dinge  an  sich 
in  drei  Dimens.  120.  Modalität 
derUrtheilebericht.  218.  Wahr- 
scheinlichkeitslehre 444.  Wahr- 
scheinl.  der  Hypoth.  in  Rechts- 
fällen  446.    Beweisfehler  470. 

Lange,  J.  Gh.,  Darst.  der  Vor- 
stellungsverh.  durch  Kreise  144. 
Kreise  als  Hülfsmittel  der  Be- 
weisführung in  der  Schlusslehre 
288. 

Lange,  Joh.  Joach.,  Qegner 
WolflPs  46. 


Lasalle.  Ferd.,  Heraklit,  u 
riano's  Schrift  darüber  21. 

Lassen,  Adolf,  Baco's  w: 
schaftl.  Princip.  39.  Bes] 
von  Bergmann  76. 

Lautier,  G.  A.,  Hegel's Schi] 

Lavarino,  F.,  über  Mamia: 

Lazarus,  Mor.,  der  Tact  1 

Leibniz,  G.  W.  v.,  43.  Ei 
in  Polen  93.  Gleiches  nui 
Gleichem  erk.  111.  Indiv 
der  Monadenlehre  127.  Kai 
134.  Notio  dara,  obscura 
Nominalist  oder  Concept 
152.  Umwandlung  der  A 
a  priori  u.  a  posteriori  16< 
diYidualbegri£f  165.  Gescl 
u.  artbildender  üntersch.  c 
vertauschen  167.  Arten  de 
finition  172.  Connaitre  a  ] 
u.  par  les  causes  222.  Pi 
des  Schliessens  229.  Sat 
Identität  232.  Fehler  der 
nadenlehre  241.  Yertheidi 
Satz  des  Widerspr.  250. 
von  ausgeschl.  Dritten  257. 
cip  der  contradict.  Disjuu 
267.  Satz  des  zureichend.  ( 
des  271.  Princip.  identit 
discemib.  273.  Alle  primi 
Yemunftwahrh.  ident.  Sätze 
Schätzt  d.  Syllog.  321.  B. 
beruht  auf  der  Kraft  d.  lo^ 
Form  822.  Modi  durch  Subi 
nation  398.  Quantific.  des 
dicats  399.  Disjunct.  Syllog. 
Ars  inveniendi  451. 

Leonardo  da  Vinci,  Vorli 
Baoo's  38. 

Leonhardi,  H.  K.  v.,  Auhs 
Krause's  55.  • 

Lepsius  17. 

Lorsch,  L.,  Sprachphilosoph 
Alten  180. 

Leukipp  18.  19. 

Lewes,  G.  H.,  ArtbegrifT  16 

Liard,  Louis,  Engl.  Log. 
logic.  angl.  contemp.  79.  U 
scheidet  zwei  Schulen  80.  Sa 
84. 86. 86.  Art.  in  Rev.  philo 

Libelt,  Karl,  polnischer  He( 
ner  98. 

Liberatore,  P.,  Instit.  philo 

Liebig,  Just,  v.,  über  Baco 
Induction  u.  Deduction  426 

Liebmann,  0.,  zur  Raumth 
122. 

Lilla,  y.,  Kant  u.  Rosmini  I 


Lindemann,    J.    P.,    Anhänger 

Krause'a  6Ö. 
Lindner,  A.d.,  Herbartianer  63. 
Lindsay,  Tbomaa  M.,  on  recent 

}og.  speeul.  in  England  79.  80. 

Dwet.  der  Lehre  von  der  Qnanti- 

Hc.  des  PrädicaU  899. 
LiDne,P6anzemndmd.  126.    Clas- 

sen  und  Arten  163. 
LippB,  Th.,  über  Wundt  78. 
Littr6,  £.,  Comte  et  la  philoBopb. 

poBit.  88. 
Locke,  J.,  43.     Einflass  in  Polen 

93.     Cnzulänglichkeit  der  bIudI. 

Wahmebmung  98.      Kategorien 

134.  Nominalist  oder  Conceptua- 
list  162.  Satz  deB  ■Widerspruchs 
schale  Abatract.  2&0.  Propoaitio- 
nea  frivolae  ST8.  Zorücksetzung 
dea  Syllogiamva  321.  Induction 
426. 

Loewe,  J.  H.,  Anl^gerGünther'a 
56. 

Lott,  Fr.,  Herbartianer  52.  63. 

Lotze,  Rud.  Herrn.,  Geiat  im 
Erkennen  nicht  Spiegel  der  Dinge 
2.  Logik  VernunftwiaBenecbaft 
29.  Bez.  zu  Kant  51.  Gegner 
der  Logik  Hegel'a  60.  Standp. 
68.  67.  Sinneal.  100.  Raam- 
anach.,  qualit.  Localzeichen  118. 
Zur  Raumtheorie  122.     Eategor. 

135.  Determinat.  der  Merkmale 
137.  Verh.  von  Inhalt  nnd  Um- 
fang 146.  Das  Eaaentielle  gehe 
die  Logik  nichta  an  167.     Be- 

g'ifTabildung  168.  Arten  der 
efinition  176.  Eintbeilunga- 
Gesichtsp.  183.  Definition  des 
ürtheila  J95.  Eintheil.  der  Ur- 
theile202.  Definition  d.  SchlusBes 
226.  Satz  vom  auageschl.  Dritten 
264.  Satz  des  zureich.  Grundes 
274.  Kant'a  Unteracb.  anal,  n, 
tynth.  Urtheile  bedingt  gerechtf. 
282.  Mcchanismua  nicht  Wesen 
der  Sache  346.  Disj.  ürth.  stellt 
die  Aufgabe,  die  den  Schluss  lösen 
soll,  vtjn  Wandt  miss verstanden 
412.  Beispiele  falscher  Analogie- 
schlÜBBe  4Se.  Wahrscheinlich- 
keitaberechnung  444.  Formen  d. 
Beweises  u.  Anffind.  der  Beweis- 
niinde  462.     Beweiafebler  und 


KTund 
Dilen 


1  472. 


Maaaa,  J.  G.  E.,  Kant'a  Schule 
6t.  52.  Beispiel  einer  Cirkel- 
erklärung  178.  Kreiae  als  Ilülfa- 
mittel  der  BeweiafUhrong  in  der 
Schluaalebre  288.  Tadelt  Lam- 
bert'a  aymbol.  Bezeichn.  der  Um- 
fangsverb.  zwischen  Subject  und 
Prädioat  2'" 


!  Coah,    Jai 


.  of 


MiU   82.  "  Ueber    Hat 

Standpunkt  84.  86. 
Mätzner,  E.,  apeoul.  Frage  in  d. 

Ver.  Staaten  85.  Ueber  ÜoatrÖm 

94. 
MagalhSes,  J.  J.  Louzada  de, 

Piuheiro  Ferreira  92. 
Maimon,  Sal.,  Ariat  Kategor.  30. 

Kant'a  Schule  51.  52. 


Hain 


a  34. 


n,  Fr.  P.  G.,  87. 

Nicole  41. 
renzio,      Italien. 


MalebrancbE 
Mamiani,     1 

idealiamus  90. 
Manael,   H.  L.,    form.  Log.  79. 

philoa.   of  Hamilton   and   Mill, 

eigener  Standpunkt  83.     Unter- 

acSied  der  Analogie  von  der  In- 

duction  441. 
Mariano,    Laaalle'a  Eeraklit  21. 

Italien.  Philoa.  89. 
MartianuB,  Capeila,  S4. 
Maaaow,  rec.  brit.  philoa.  82. 
Mattbiae,  A.,  Lehrb.  78. 
Maarenbreober.Wilh.,  Methode 

und  Aufgabe    der    hiatorischen 

Forachnng  482. 
Megariker  22.  23. 
Hehmel,  G.E.  A.,  Schule FichU'a 

54. 
Meier,  G.  F.,   Anhänger  Woirs 

46.    Sein  Lehrbuch    der  Logik 

Ton  Kant  benutzt  49. 
Melanchthon,    Ph.,   Nominaliat 

86.  87.    Beweia  461.    Analyae  u. 

Syntheae  in  der  Geometrie  477. 
Meliaaus,  der  Eleate,  Gewissheit 

der  Existenz  des  Redens  u.  dem- 

gemäaa  dea  Denkens  101. 
Melzer,  6.,   Augaalin'a  Erkennt- 

niaslehre  34. 
Menedemua,  derEretrier  33.24. 
Meng-tse  17. 


Namen-  und  Sach-Register. 


Herten,  Jac,  Erkenntnisslehre 
August,  u.  Thomas  v.  Aq.  84. 

Metz,  Andr.,  Gesch.  d.  Log.  16. 

Meyer,  Jürgen  Bona,  über  De- 
stutt  de  Traoy  86.  Ueber  Ch. 
Secretan  88.  Arist.  Thierk.  126. 
Artb^riff  164.  Arist.  Eintheil.- 
Princip.  182.  Hypothese  und 
Theorie  in  Darwin's  Lehre  456. 

Mich,  Jos.,  Herbartianer  63. 

Michelet,  K.  L.,  Ansicht  über 
Unterschied  der  1.  u.  2.  Aufl. 
der  Kritik  der  r.  Vernunft  49. 
Yertheidigt  Hegel's  log.  Stand- 
punkt gegen  Zeller  58. 

Mill,  J.  St.,  Induct.  Loffik79.81. 
Gegen  Hamilton  82.  Comte  and 
positiv.  88.  BejnrifiTsbildung  155. 
Arten  der  Dennit.  174.  Ausf. 
Erorter.  von  Schlussfehlem  422. 
Induction  425.  Zur  Apriorität 
der  Baumansch.  482.  Beispiele 
falscher  Inductionsschlüsse  484. 
Beispiele  falscher  Analogieschi. 
438. 

Minas,  Minoides^  Neugrieche, 
Pseudogal.  ügayayyTi  dutXixj,  841. 
Schlüsse  der  Analogie  440. 

Moebius,    Karl,  Artbegriff  164. 

Monrad,  M.  J.,  Denkriohtungen 
der  neueren  Zeit  94. 

Mo  r  g  a  n,  d  e,  form.  Log.  79.  Quanti- 
fic.  des  Prädic.  83.  899.  Stand- 
punkt 84. 

Morris,  Uebersetz.  v.  Üeberweg 
Cresch.  der  Philos. ;  Schüler  Tren- 
delenburg's  85.  89. 

Müller,  Joh.,  Lehre  von  den  spe- 
cif.  Sinnesenergien  in  Bezieh  zu 
Kant  99.  Sinnesreize  als  Schwin- 
gungen der  Materie  100. 

Müller,  K.  0.,  method.  Elemente, 
die  der  Gesch.  mit  der  Naturf. 
gemeins.  482. 

Münz,  B.,  Erkenntnisstheorie  vor 
Sophist.  21.     Des  Protagor.  22. 

Mussmann,  G.,  Gesch.  der  Log. 
16.    Schule  Hegel's  61. 

N. 

Nägeli,  Carl,  Individual.  in  der 
Natur  126.    Artbegriff  163. 

Narbutt,  Kasimir,  93. 

Naville,  Em.,  log.  de  l'hypoth. 
88.  458. 

Neuhaeuser,  J.,  Arist.  Sinnes- 
lehre 30. 


Neuplatoniker  32. 
Newton,  Is.,  Grunds,  indud 

allgemeinerung  480.    Hyp< 

der  Gravität.  450.     Analji 

Synthesil  477. 
Nicolai,  de  log.  Chrysippi 

82. 
Nicole,  P.,  logique  41. 
Noack,  L.,  Sokrates  und  di 

phisten  22. 
Noirot,  le^ons  de  philos.  8' 
Nominalisten     im     Mittel 

strengere  u.  Conceptualistei 

versalia  post  rem)  152.   Ii 

dualbegrjff  165. 
Norwegen  94. 
Nyblaeus,  Axel,  Philosopl 

Schweden  94. 

O. 

Occam,  Wilh.  v.,  Nominali 
Gewissheit  des  Denkens  1( 

Oesterlen,  Fr.,  Medicin.  1 
425. 

Opzoomer,  C.  W.,  Empirik 

Origenes  der  Chnst  33. 

F. 

Pappenheim,  Eug.,  Pyr 
Grundzüge  32. 

Paracelsus  87. 

Parmenides  18.  19.  Gewii 
des  Denkens  von  der  eii 
Existenz  105.  Urheber  d.  fc 
der  Identität  231.  Satz 
Widerspruchs  239.  245.  Pi 
der  oontradict.  Disjxmction 
Gonträre  GegenMltze  269. 

Peipers,  Dav.,  Platon's  Erk 
nisstheorie  25. 

Peisse,  L.,  über  Verfall  log 
dien  in  Frankreich  86. 

Pellissier,  cours  el6m.  de  lo 

Peripatetiker  30.  Urtheile 
200.  Die  älteren  Perip.  be 
den  schon  die  Theorie  d.  hy] 
kateg.  Syllogismen  405. 

Peter  v.  Ailly,  Nominalist 

Petrus  Hispanus,  summul 
85.    Namen  der  Modi  898. 

Peyretti,  G.,  saggio  di  log 
nerale  91. 

Phaedo,  die  Elisch-Eretr.  S 
22. 

Philo,  Akademiker  26. 

Philoponus,  geometr.  Gebi 

32 


der  Termioi,  Analjsis  und  Syn- 
Uteaü  476. 

FiDi,  Grmenegildo,  Efttbol 
gfegen  Ideol.  90. 

PUnck,  K.  Chr.,  SatzM.  zuretoh. 
Grundea  273. 

Platner,  Ernst,  Leibüizianer  46. 

Pleto,  Erkennen  durch  dsa  Sein 
bedingt  2.  Begriladung  d.  Logik 
als  Wiseenscbafi  16.  Seine  Logik 
24.  26.  UnzuverläBBtgkeit  der 
■innlicben  Wahrnehmung  98. 
Stufenreihe  der  Wesen  108. 
övofia  xai  ^^fia  130.  Inhalt  und 
CTinfang  contr.  Gegensätza  144. 
Die  reale  Wesenheit,  die  Idee 
149.  Definition  n.  ihre  Elemente 
166.  Bildliche  Bezeichnung  der 
Idee  des  Guten  k.  Definit.  17a 
Lehre  von  denEintheilnngou  182. 
Bevormst  die  Dichotomie  182. 
Definit.  des  Urtheils  192.  avl- 
loyia/iög  noch  nicht  im  Sinne 
späterer  log.  Terminol.  225.  Das 
Wiuen  erkennt  das  Seiende  als 
seiend  231.  Satz  des  Widerspr. 
339.  246.  246.  Sinai,  zw.  Sein 
u.  NichtBein  262.  Satt  des  aus- 
geachL  Dritten  263.  Urtheile 
mit  contHir  entgegengeBetzten 
Pradioaten  26&  270.  Satz  des 
zureichenden  Grandes  271.  Bei- 
spiele zu  Cesare  376.  Quatermo 
tarmin.  Beiep.  420.  Sophismen 
im  Enthydem  422.  Zurüokgeh. 
auf  die  Allgemeinheit  b.  Sokrates 
428,  ZusammenfuBung  d.  Ein- 
sein, z.   Allgem.   im  Dienst  der 


456.  üas  Princip,  Doppelweg 
zn  dem  Princip  475. 

PlotiD  38. 

Ploncquet,  Q.,  math.  oalooL  in 
Iw.  46. 

Pölitz,  E.  H.  L.,  Elementarlog.  47. 

Poetter,  F.  Gh.,  Log.  78. 

Pols  s  OD,  WahrBcheinlichkeitsl.444. 

Pokorny,  Ign.,  Herbartianer  59. 

Polen  92.  98. 

Polz,  Wolffianer,  irr^e  Angabe 
über  Urheber  des  Satzes  der 
Identität  2S1.  Satz  der  Identi- 
tät 2S2. 

Port-Rojal,  Bez.  zu  Ramus  37, 
Logique  41.  Port  roy.  log.  von 
Baynes  41. 

Porter,  Noah,  neuere  Philosoph. 


in  Grossbrit.  u.  Amerika,  Ein- 
fluM  Trendelenborg'a  86. 

Porphyrius  33. 

Portugal  92. 

Pozzi,  B.,  anal,  del  pens.  e  della 
parola  91. 

Prag»,  Lopes,  biet,  da  philos. 
om  Portugal  92. 

Prantl,  C.  v.,  Geach.  d. Logik  15. 
Standpunkt  der  arist.  Lo?.  26. 
Ueber  Occam  86.  M.  PaelluB  u. 
Petr.  Hiep.  36.  393.  RamusS?. 
Galilei  u.  Kepler  38.  Standpunkt 
69.  70.  Ariitot  Eategor.  134. 
a  priori  n.  a  posteriori  160.  Ver- 
spottet den  Gebrauch  der  Kreise 
als  Hülfimittel  der  BeweisfUhr. 
in  der  Schlnasl.  289.  Conversion 
des  allgem.  vem.  ürtheils  294. 
SchluBsfiguren  341.  Tadelt  den 
Appulejns  839.  Galen.Figur  841. 
Combinations verfahren  getadelt 
346. 

Prinoe-Smitb,JobD,Qmndb€^. 
der  Geometrie  365. 

Protagoras  22.  Individnal.  Sub- 
jectiv.  105.  Dilemma,  Anekdote 
410.  Dar  aber  Baohmann  und 
Beneke  411. 

Pnrgotti,  H.  Euclide  e  la  log. 
nat.  »2. 

Pyrrhon  aoa  Elia  31.  32. 

Pythagoreer  18.  19.  Stufen- 
reihe der  Wesen  108.  Fehler 
bildl.  Definition  17& 


Qnintilian,  ration.  philos.  29. 
Warnt  vor  Ueberm.  der  Ein- 
theilu^  166.  Disjunct.  Syllog. 
410.  Enthymem  imperf.  syllog. 
417.    Epicherem  417. 


Rabns,  L.,  Gesoh.  der  Logik  16. 
Anlwinger  Wagner's  u.  Baader's 
Schriften  65.  7L  Ueber  Wuudt 
178.  Log.  Denken  als  bes.  Art 
des  richtigen  Denkens  191. 

Ramus,  Petrus  37. 

Rangard,  über  De  Moi^n  84. 

RasBow,  H..  Ariet  Definition  dee 
Begriffes  80. 

Ravaisson,  F.,  philo«.  enFranoe 
au  19  s.  86. 


Namen-  und  Sach-Register. 


Read,  Carveth,  theorj  of  log. 
65. 

EealiBten  im  Mittelalter,  nni- 
Tsraalia  ante  rem,  in  re  1&2. 

Ree,  AntOD,  Beisp.  einer  petitio 
princip.  469. 

Reiohlin-Meldegg,  Karl  Alex, 
von,  Standpunkt  72.  lieber 
Delboeuf  89. 

Reid,  Thom.,  43. 

Reiff,  J.  F.,  aber  Hegel'a  Dia- 
lektik 60. 

BeimarDB,  E.  8.,  Vemunftlehra 
46.  AnBchltuB  Kant'a  49.  Be- 
jah, n.  vem.  Urtheil  20S.  Prin- 
cip des  Schliewena  229.  Satz 
dnr  Identität  232.  Satz  des 
'WiderspmohB  261.  Parallel,  der 
Formen  hypoth.-kateg.  S;l]og. 
mit  den  kategorlBchen  407. 

Reimmann,  J.  F.,  Oeschicbte  der 
Logik  16. 

Beinhold,  Ernst,  61.  53.  Ka- 
tegorien 136. 

Remnsat,  Ch.  de,  estais  da  phi- 
los.  87. 

Renoovier,  Ch.,  enais  de  crit. 
gener.  Ansohlnes  an  Kant  87. 

Rethor6,  F.,  fiber  Condillao  66. 

RethwiBch,  £.,  Begriff  der  De- 
finition 169. 

Richter,  A.,  Schrift  über  Me- 
lanohthoD  37. 

Riehl,  A.,  über  F.  A.  Lange  73, 
Die  engl,  Logik  80.  Znr  Kanm- 
theorie  122,  Satz  des  zureieb. 
Grandes  274. 

Riemann,  B.,  Hypothesen,  die  der 
Geometrie  zu  Grunde  liegen  365. 
367.  Zur  AprioriSt  der  Raum- 
ansohauung  482. 

Rig,  Jales,  Auszug  ausA.Comte 
87. 

Ritter,  Heinr.,  Standpunkt  der 
Arist,  Log.  27,  Logik  der  Stoi- 
ker 82.  AnecblnsB  au  Scbleiemi. 
63.  64.  ÄriBt.  Krit.  der  piaton. 
Ideen  lehre  falsch  beurth.  149. 
Erklär,  der  wesentl.  Merkmale 
154.  Definition  des  Begriffa  157. 
Definition  des  Urtheils  195. 

Robert,  L.,  Condill.  theor.  log. 
43. 

Robertson,  0.  Gr,,  Jevons  form, 
log.  86. 

Bochow,  F.  Ebb.,  v.,  Logik  für 
Franensiimmer  47. 

Rösser,  Col.,  instit.  log.  16. 


Rokitansky,    C,    Erschein 

weit  116. 
Romagnosi,  Gian.  Dom., 

Bualismns  89. 
Roudelet,  A.,  propos,  mod 
Roorda,  F.,  89. 
Roscelliu,  Realist  36. 
Rosenkranz,  E.,   Hegel'a  S 

61.     On  Hegel'B  log.  86. 

b«^ffe  163.    Schulbeiap.  ' 

S<£lu8sfigDren  331. 
Rosenkranz,  Wilb.,  71. 
Rosmiui-  Serbati,     Ant< 

italten,  Idealisten  90. 
Rnmpel,  Th.,  Phibs.  Propft 

8. 

Saisaet,  K.,  man.  de  philo 

Schaarsohmidt,  E.,  Phil 
19.  Untersuch,  über  Plato't 
löge  149. 

Schad,  Job.  Bapt.,  Schule 
te's  64. 

Schaden,  Aug.  t.,  Riohtnn 

Schanz,  M.,  Sophisten  32. 

Schelling,  Fr.  W.J.  v.,  D( 
n.  Sein  2.  tJnd  seine  Schul 
Gegner  der  Logik  Hegel' 
EinfluM  in  Polen  93.  Staä 
Form  der  Wahrnehm,  aubj 
obj.  100.  Stufenreihe  derT 
108.  Stufengrade  d.  Indivii 
aation  127.  Reale  Gegenbi) 
der  Begriffe  in  den  Ideen 
Satz  der  Identität  23S. 

Schiel,  J-,  Dehere.  MiU's  82 

Schiller,  Fr.  V.,  veranl.  Goe 
Anwendung  der  Eategor.  h 
182.  Freie  Auffassung  d.  ' 
Sachen  Werk  der  Bildung 

Schleicher,  Ang.,  Darwin 
SprachwiBsenachaft  130. 

Schleiermacher,  Fr.  E 
Denken  und  Sein  2.  Bez.  f 
Dialektik  zu  Schelling  56. 
Dialektik  61  ff.  Im  Selbs 
Denken  und  Sein  ideutiBch 
ErkcnntnisB  des  Seina  ausse: 
Setzung  einer  Mehrheit  beBi 
Subjeote  107.  Stufenreihi 
Weaen  111.  Realität  v.  1 
und  Zeit  117.  US.  Stufen) 
der  Individualieation  127. 
tegorien  135.  Sinnl.  u.  int< 
Stute  des  Begriffs  16G,  Erke 
des  Wesentlichen  159.  j 
der  Definition  173.    Tetrac 


500 


Namen-  und  Saoh-Register. 


mie  188.  Yerhältn.  von  Urtheil 
und  BegrijBf  188.  Definition  des 
ürtheils  194.  Zusammenliang  der 
Yerhältn.  im  einfachen  ürtheil 
201.  Bei  allen  wissensch.  Urth. 
Zusammenwirk,  eines  aposter.  u. 
aprior.  Elements  223.  Definit. 
des  Schlusses  226.  ürtheil  mit 
conträr  entgegenges.  Prädicaten 
270.  Satz  des  zureich.  Grundes 
273.  üntersoh.  anal.  n.  synth. 
ürth.  fliessend  280.  Ck>nyersion 
283.  Beispiel  einer  ümwendung 
297.  Syllogismus  geringgeschätzt 
822.  Induction  u.  Deduction  438. 
Analyse  und  Synthese  477. 

Schlottmann,  Gonst.,  Bacon's 
Idole  89. 

Schmid,  AI.,  üb.  Hegel's  Log.  60. 

Schmidt,  R.,  Grammat.  d. Stoiker 
82. 

Schmitz-Dumont,  O.^Zur Raum- 
theorie 122.  Satz  des  zureich. 
Grundes  274. 

Schnippel,  E.,  Sophisten  22. 

Schnitzer,  Systeme  der  Logik  in 
Deutschland  u.  England  16.  82. 

Schoemann,  G.  F.,  Redetheile 
nach  den  Alten  180. 

Scholastiker,  üntersch.  der  log. 
natur.,  scholast.  doc.  und  schol. 
utens.  8.  Logik  derselb  84  ff. 
Tiedemann's  Begriffsbest.  der 
Scholastik  164.  Strenge  und 
Schärfe  ihrer  Syllog.  820.  Fi- 
guren 841. 

Schopenhauer,  Arth.,  Ansicht 
über  üntersch.  der  1.  u.  2.  Aufl. 
der  Kritik  der   reinen  Vernunft 

49.  Stufenreihe  der  Wesen  111. 
Negirt  Real.  v.  Raum  u.  Zeit  116. 
Satz  des  zureichenden  Grundes 
278.  Geometrie  soll  ihre  Beweise 
auf  den  Seinsgrund  basiren  459. 

Schottische  Schule  48. 
Schulze,  G.  E.,.61.  68. 
Schuppe,  Wilh.,  Arist.  Kategor. 

50.  134.  Kant 's  form.  u.  trans- 
scend.  Logik  61.  Standpunkt  73. 
Begriff  des  Individuums  127. 

Schwab,   Joh.   Christ.,    Schrift 

über  Stilpo  24. 
Seh  wegler,    Alb.,     Xoyixoi    29. 

Irrthum   über   Kant's  Krit.  der 

reinen  Vernunft,  1.  u.  2.  A.  49. 
Secretan,  Gh.,   recherches  de  la 

möthode  88. 
Seneoa,  L.  Ann.,   ration.  philos. 


29.  Warnt  vor  üebermaass  in 
Disponirübungen  186. 

Sengler,  J.,  70. 

Sextus  Empiricus  32.  Bekämpft 
das  syllog.  Verfahren  820. 

Seydel,  Rud.,  70. 

Shyreswood,  Wilh.,  Name  der 
Modi,  Vorgänger  von  Petrus 
Hispanus  398. 

Sidgwick,  Alfr.,  Kritik  Berg- 
mann's  76.  üeber  Wundt  78. 
üeber  Read  85. 

Siebeck,  H.,  22. 

Sigwart,  H.  G.  W.,  Logik  inBe- 
ziehung zur  Sprachlehre  51.  68. 

Sigwart,  Ghr.,  über  Baoon  89. 
Standpunkt  seiner  Logik  Me- 
thodenlehre 78  ff.  Vertheidigung 
gegen  Bergm.  75.  üeber  Wundt 
78.  Zur  Ranmtheorie  122.  Be- 
griff d.  Individ.  .127.  Kategor. 
186.'  Begriffsbildung  168.  Arten 
der  Definition  175.  Systemat. 
184.  Lehre  vom  ürtheil  vor  Be- 
griffslehre 188.  Definit.  des  Ür- 
theils 196.  Vertheidgt  seine  An- 
sicht gegen  Wundt  196.  Einth. 
der  ürtheile  202.  Verl^ltn.  der 
hypothetischen  u.  kategor.  ür- 
theile 206.  Plurale,  copulative 
ürtheile  216.  Definition  des 
Schlusses  227.  Satz  der  Identität 
238.  Berichtigt  Wundt's  Miss- 
verständn.  284.  Satz  des  Wider- 
spruchs 268.  Satz  des  ausgeschl. 
Dritten  264.  Satz  des  zureich. 
Grundes  274.  Analyt.  u.  synth. 
ürtheile  281.  Widerlegt  Wundt's 
Missverst.  282.  Quantifioir.  des 
Prädic.  899.  Sieht  den  sogen, 
gemischten  hypoth.  Schluss  als 
allgemeinstes  Schema  alles  Fol- 
gens  an  403.  Disj.  Schluss  beruht 
auf  k.  eigentlichen  Princip  412. 
Wahrscheinlichkeitslehre  444. 
Hypothese  468.  Beweis  462. 
Beweisfehler  472. 

Simon,  Gollyns,  Hamilton  vers. 
MiU  82. 

Simon,  Jules,  man.  de  phil.  87. 

Skeptiker,  die  Alten  32.  ünzu- 
verläss.  d.  sinnl.  Wahmehm.  98. 
Kategorien  132.  Ihre  Eintheil. 
der  Leidenschaften  zu  weit  186. 
Satz  des  Widerspruchs  249.  Be- 
kämpfen das  syllog.  Verfahr.  320. 

Sloman,  H.,  Hegel'sLog.  übers.  60. 

Sniadecki,  Andr.^  für  Kant  98. 


Namen-  and  Sach-Register. 


Sniadecki,  Job.,  gegen  Eant*8 
Idealismus  93. 

Sokrates  21.  22.  Werth  des  Be- 
griffs 149.  Satz  des  Widerspr. 
245.  Zuerst  method.  Gebrauch 
der  Induction  428. 

Sopbisten  21. 

Spalding,  Will.,  Quantific.  des 
Prädicats  399. 

Spanien  92. 

Spaventa,  Bertrando,  Anbän- 
ger Hegers  91. 

Spencer,  H.,  Induct.  Logik  79. 
ÜeberMill,  s.  eigen.  Standp.  82. 

Speusipp,  Plato's  Nacbf olger  in 
der  Akademie  26. 

Spinoza,  B.,  42.  Individ.  126. 
Kategor.  134.  Irrtbümer  syntb. 
gebild.  Definitionen  172. 

Spring,  A.  Fr.,  Artbegriff  162. 

Stearns,  F.  P.,  old  and  new 
Systems  of  log.  86. 

Stebbing,  W.,  analyt.  of  Mill.  82. 

Steckelmacher,  Mor.,  form.  Log. 
Kant's  61. 

Steinthal,  H.,  missdentet  d.  Ausdr. 
form.  Log^k  4.  Geschichte  der 
Spraobwissensch.  ISO.  Eategor. 
135.  Analyse  u.  Synthese  immer 
in  einander  281. 

Stewart,  Dugald  43. 

Stilpo  23. 

Stirling,  J.  H.,  über  Hamilt.  88. 

Stöckl,  A.,  78. 

Stoiker  82.  Kriterium  der  (pav- 
jaala  MCTalfjjmxri  98.  Begriffe 
subject.  Gebilde  der  Seele  152. 
ürtheilslebre  200.  ürtheile  mit 
conträr  entgegenges.  Prädic.  270. 
Yemaohlässigen  die  Bezieh,  des 
Mittelbegriffs  auf  die  reale  Ur- 
sache 320.  Erörtern  mit  Vor- 
liebe die  hypothet.  Syllogismen 
402.  Aendem  die  Terminologie 
der  hypoth.-kateg.  Syllog.  406. 
Paralogismen  rj  yrj  tnxcuou  421. 

Stoy,  K.  V.,  Herbartianer  53. 

Strümpell,  Ludw.,  Herbartianer 
52.  58. 

Struve,  J.  V.,  Logik  in  Polen  92. 
Sein  eigener  Standpunkt  94. 

Suarez,  Fr.,  Satz  des  zureichend. 
Grundes  271. 

Sybel,  Heinr.  v.,  Gesetze  des 
histor.  Wissens  482. 

Syrbius,  J.  J.,  Gesch.  d.  Log.  15. 

Szaniawski,  Jos.,  Kantianer  93. 


T. 


Taine,  H.,  posit.  angl.  82 
schluss   an  Condillac  u. 
enffl.  Log.  88.  Definit.  d. 
liehen  Charakters  155. 

Tandel,  A.,  cours  de  log.     ! 

Tannery,  Art.  inRev.  ph 

Tauschinski,    Hippoly 
griffslehre  156. 

Te^ge,  A.,  Arist.  Log.  30 

Telesius,  B.,  37. 

TertuUian  33.  Fehlschlu  , 
auf  einer  quatemio  tern  i 
ruht  420. 

T hanner.   Schule  Schellin 

Thaulow,  G.,  HegePs  Seh 

Theophrast  30.    Gonvers:   i 
allgemein  vernein,  ürthei 
Fi^ren  der  einfachen  ki   i 
Syllogismen  839.  340.  Mo 
des  Syllogismus  395.  Theo   i 
hypothetischen  Schlüsse  40  . 
Hypothet.  -  kategor.  Syllo] 
405.     Disjunctive  Schlüsc 
Gebrauch  des  Namens  ib 
489 

Thieie,  Günther  78. 

Thomas  v.  Aquino,    ars    i 
i.  e.  ration.  scient.  29.     ]  i 
86.    Thomisten  Stellung  s 
des   Widerspruchs   249. 
Sätze  absolut  gewiss  278. 

Thomasius,  Christ.,  pral 
Logik  46. 

Thomasius,  Jac,  Satz  d 
reichenden  Grundes  271. 

Thomson,  Will.,  form.  Lc 
Quantific.  des  Prädicats  8; 
Standpunkt  84. 

Thurot,  Ch.,  Arist  29.  I 
Hispanus  36.  393. 

Tiberghien,  H.,  Anhänger 
se's  55.  89.  Bekämpft  di 
sieht,  dass  die  Gewisshei 
mathem.  Sätze  mit  empii 
Sprung  der  Baumvorstellunj 
träglich  366. 

Tiedemann,  D.,  stoische  I 
82.  Begriffsbest.  der  Scho 
154. 

Tieftrunk,  J.  H.,  Kant's  S 
51.  52. 

Tissot,  J.,  essai  de  log.  ob, 

Tocco,  Feiice,  Anthropol., 
1er  Spaventa's  91. 

Tomaseo,  Nie.,  überRosmi 

Tongiorgi,  Institut,  philos 


Trendelenburg,  Ad.,  Standpkt. 
der  arist.  Log.  27.  Elem.  log. 
Arist.,  Gesch.  der  Eategorl.  29. 
80.  Zu  Leibniz'  Log.  45.  Geg- 
ner He^ePs  60.  Standpunkt  68. 
65.  Einfluss  in  N.-Amerika  85. 
109.  Stufenreihe  der  Wesen  112. 
Eategorienlehre  182.  135.  All- 
gemeine Vorstellungen  146.  De- 
finition des  BegrifS  157.  Art- 
l>egriffl63.  EintheilungsregellSS. 
Definition  des  Urtheils  195.  Prä- 
dicat  in  der  Logik  200.  ürtheil 
des  Inhalts  und  des  ümfangs 
201.  Log.  Negation  wurzelt  im 
Denken  209.  Sprachgebr.  unter- 
scheidet Möglichkeit  als  Object 
V.  subj.  Ungewissheit  210.  Quan- 
tific.  des  Prädicats  219.  Definit. 
des  Schlusses  225.  Satz  des 
Widerspruchs  und  der  Bewegung 
242.  Aristoteles  darüber  249. 
Hegel  verwechselt  log.  Negation 
und  reale  Opposition  252.  269. 
üntersch.  analyt.  u.  synthet.  Ur- 
theile  relat.  281.  Conversion  283. 
Umwandlung  der  Relation  306. 
Erit.  der  Syllogistik  Hegel's  322. 
Werth  der  Syllog.  323  ff.  Recht- 
fert.  Arist.  Einth.  de;r  Schlussfig. 
332  ff.  Verwirft  vierte  u.  gewisse 
Idodi  der  dritten  Figur  345. 
Sphärenverhältnisse  beim  Schluss 
347.  Erster  Modus  der  ersten 
Figur  359.  Beisp.  zu  Baroco 
378.  Lehre  von  der  Quantific 
des  Prädicats  erläutert  u.  wider- 
legt 399.  Moderne  Sophismen 
422.  Gegensatz  zwischen  In- 
duction  und  analytischem  Ver- 
fahren 480.  Frage,  ob  die  noth- 
wendig.  Urtheile  der  Geometrie 
aus  Induct.  das  geworden  sind, 
was  sie  sind  433.  Werth  der 
Analogie  440.  Die  Hypothese 
457.  Urth.  über  Euklid  459. 
Problem  des  Beweises  für  das 
Dasein  Gottes  461.  Bedeutung 
des  indirecten  Beweises  462. 
Analyse  und  Synthese  477.  Ca- 
pit  de  invent.  in  alt.  Log.  481. 
Systeme  der  Anordnung  u.  Syst. 
der  Entwickelung  484. 

Trentowski,     poln.    Hegelianer 
in  Freiburg,  93. 

Troxler,     Ign.    P.    D.,    Schule 
Schelling's  55. 


Tsohirnhausen,  W.  v.,  Medicina 
ment.  46.    Beweis  459. 

Turbiglio,  Pemp.  de  la  log.  92. 

'twesten,  A.,  51.58.  ed.  Schleier- 
macher Ethik,  160.  Definit.  des 
Urtheils  193.  Log.  Urth.  Sub- 
sumt.  202.  Unmöglichkeit  der 
Gontraposition  des  partic.  bejah. 
Urtheils  305.    Dilemma  409. 

U. 

Ueberweg,  Fr.,  de  priore  et 
posteriore  forma  Eant.  Erit.  49. 
Abhandl.  über  Idealismus,  Realis- 
mus etc.  59.  488.  Uebereinst. 
mit  Trendelenburg  66.  Ueber 
Delboeuf  89.  Schriften  z.  Lehre 
von  der  Realität  von  Raum  und 
Zeit  120.  Untersuchungen  über 
Plato's  Dialoge  149.  Principien 
der  Geometrie  365.  Methodolog. 
Bemerkungen  in  seinen  piaton. 
Untersuchungen  482.  Abhandl. 
über  den  Begriff  der  Philos.  485. 

Ulber,  F.  G.,  91. 

Ulrici,  Herm.,  das  product.  (syn- 
thet.) und  das  üntersch.  (analyt.) 
Denken  4.  Formale  Richtigkeit 
des  Schlusses  6.  Gegner  d.  Log. 
Hegel's  60.  Eritik  George's  64. 
Standpunkt  68  ff.  Ueber  Rabus 
71.  Ueber  Reichlin-Meldegg  72. 
Ueber  W.  Luthe  72.  Ueber 
Schuppe  78.  Ueber  Sigwart74. 
Gegen  Bergmann  75.  Eritik 
MilPs  82.  Ueber  Hamilton  88. 
Ueber  Boole  84.  Begriff  der 
Allgemeinheit  als  Eategorie  des 
üntersch.  Denkens  155.  Urtheil 
Subsumt.  des  Besonderen  unter 
seine  Allgemeinheit  194.  Log. 
Urtheil,  Subsumtion  202.  Satz 
des  ausgeschlossenen  Dritten  255. 

U  p  h  u  e  s,  Definition  des  Satzes  nach 
Plato  192. 

T. 

Vacherot,  E.,  metaph.  et  science 

87. 
V  a  1  g  i  u  s ,     i7Ti;[€{Qrifia    übersetzt 

aggressio  nach  Quintil.  417. 
Valla,  Laurent.,  87.    Hat  arist. 

scholast.  Lehre  von  der  Modalit. 

der  Urtheile  verworfen  218. 
Vanini,  Luc,  37. 
Veitch,  J.;  mem.  of  Hamilton  83. 


Namen-  und  Sach-Register. 


Venn,  J.,  über  Sigwart  76.  Dif- 
ficolties  of  material  logio  80. 
Boole's  log.  syst.  84.  lieber  Bead 
85.  Symbol,  log.,  Quantific.  des 
Pradicats  899. 

Vera,  A.,  Plato,  Arist.,  Hegel, 
Mittelbegr.  80.  Hegel's  Logik 
übers.  60.  Art.  im  Journ.  of 
speo.  philos.  86.  91. 

Villaume,   P.,   prakt.  Logik  46. 

Virchow,  Rud.,  Atome  und  In- 
dividuen 126.  Zulässigkeit  der 
Ansicht  Darwin's  gegen  Yolger 
454. 

Yives,  Lud.,  87.  Hat  arist.-8choL 
Lehre  von  der  Modalität  des 
Urtheils  verworfen  213. 

Yolger,  Hypothese  vom  ewigen 
Kreislauf  auf  der  Erde  458.  454. 

Yolkelt,-  J.,  Kant  zur  unbew. 
Logik  51. 

Volkmann,  W.  F.,  106. 

Vorländer,  Franz,  Anschluss 
an  Schleiermacher  68.  64  Mög- 
lichkeit von  Falschem  aus  durch 
formal  richtige  Ableitung,  auf 
Wahres  zu  stossen  als  Beweis 
der  Mangelhaft,  des  Syllog.  445. 

Yossius,  G.  J.,  Gesch.  d.  Log.  15. 

W. 

Wad  ding  ton,  S.  Gh.,  Ramus  87. 
Essais  de  log.  87.  Kritik  der 
Lehre  von  der  Quantific.  des 
Pradicats  899.      . 

Waffner,  Joh.  Jac,  Schule 
Schelling's  55. 

Waitz,  Th.,  Arist.  Organen  28. 
Herbartianer  58.  to  Swutov,  t6 
ivSsxofA^vov  bei  Aristot.  211. 
Schlussfig.  889. 

Walch,  J.  G.,  Gesch.  d.  Log.  15. 

W  a  1 1  ä  c  e ,  W.,  Hegel's  Log.  über- 
setzt 60. 

Wallon,  J.,  Hegel's  Log.  übers. 
60. 

Ward,  W.  G.,  Kritik  Mill's  82. 

Watson,  Joh.,  Empir.  and  com- 
mon log.  86. 

Watt,  Is.,  Nachfolger  Locke's  48. 

Wegner,  G.,  Gesch.  d.  Logik  15. 

Weinholtz,  G.,  Arist.  Log.  80. 

Weisse,  Christ.,  Philos.  Sedeut. 
d.  Grundsatzes  der  Identität  288. 
245.  Führt  Kreise  als  Hülfs- 
mittel  der  Beweisführung  in  der 
Schlusslehre  ein  288. 


Weissenborn,  G.,  Hegel's 

61. 
Weisshaupt,  0.,  Sokratesi 

hältniss  zur  Sophfstik  22. 
Weisz,  Jos.,  Italien.  Phil 
Wentzke,  J.  A.,  Arist.  Kt 

80.  Compend.  der   Psycl 
Logik  78. 

Werber,    W.    J.  A.,    Anl 

Troxler's  55. 
Werder,  K..  Hegel's  Schul 
W  h  a  t  e  1  y ,    Erzbischof ,    eh 

logic  88. 
Whewell,   W.,    Induct.  Lc 

81.  Induotion  425.    Indui 
fehler  484. 

Wickenhagen,    Ernst, 

bei  Kant  51. 

Wigand,    Alb.,    Artbegrif 

Hypothese  bei  Darwin  45i 

Wight ,  W.,  philos.  of  Hamili 

Windelband,  M.,  über  Si 

74. 

Winkel,  L.  A.  te,  über  Rooi 

Wirth,  J.  W.,  das  System 

Witte,  Joh.,  Krit.  Schupp 

Wolff,  Christian,  transsce 

Wahrheit  5.  44  ff.  Seine  G 

46.     Kategor.  184.     Klar 

deutl.  Vorstellung   136. 

abstracta   univerwlis  188. 

dividualbegriff  165.     Defi 

der  Wahrheit  171.     Artei 

Definition   178.     Definitio: 

Urtheils  192.    Bejah,  u.  ve 

Urtheil  208.  a  priori,  a  posi 

222.     Definit.  des  Schlüsse 

Principien   des  Schliessens 

Satz    der   Identität    232. 

d.  Widerspruchs  250.  262. 

aus    demselben    den   Sats 

Grundes  ab  272.     Forme 

unmittelbaren  Schlüsse  27i 

griff  des  Axioms  278.     F 

lismus    B.   Syllogistik  321 

guren  der  einfadien  kateg 

logismen ,    bevorzugt   die 

842.     ex  mere  negat.  etc 

Induction  425.     Hypothes( 

Beweis  461.    Analysis  und 

thesis  477.    Ars  inveniend 

Wolff,  Herm.,  Logik  u.  Sj 

philos.  78.    Kategor.  135. 

Wolff,  Joh.,  plat.  Dial.  26 

Wolff,  Protagor.  22. 

Wundt,  Wilh.,  Standpunkt 

Logik  76  ff.    Lehre  von  d. 

Sinnesenerg.  bestritten  100 


■  fi; 


604 


Namen-  ntid  Sacb-Register. 


Raumtheorie  122.  HatSigwart's 
Begriffslehre  miBs  verst.  169.  Bild- 
lichkeit seiner  Definit.  der  Em- 
pfind. 179.  Definition  des  Ur- 
theils  196.  Einth.  der  ürtheile 
20S.  Ansicht  über  das  hypoth. 
ürtbeil  206.  Mehrheitsortheile 
216.  Definitioh  des  Schlusses, 
unterschied  von  Sigwart  228. 
Gegen  Si^art's  Auffassung  vom 
Satz  des  Widerspruchs  254.  Satz 
des  ausgescbl.  Dritten  265.  Satz 
des  zureichenden  Grundes  274. 
Analyt.  u.  synth.  Ürtheil^  Kritik 
Kant's,  Schleierm.'s,  Sigwart's 
282.  Syllogismen  aus  hypöthet. 
Prämissen  408.  Disj.  Syllogism. 
413.  Wahrscheinliohkeitsl.  444. 
Hypothese  458. 
Wuttke,  Ad.,  17. 

Xenokrates,  der  Akademiker,  26. 


Xenophanes«  der  Eleat,    18.  19. 
Xenophon,'  inenw/Hv  428. 


Zelle,  Fr.,  Logik  bei  Arist.  und 
Kant  30.  51. 

Zeller,  Ed.,  Standpunkt  der  arist. 
Logüc  27.  BildUchkeit  der  Ug. 
Bestimmungen  bei  H^^el  58. 
fincißttffig  dg  aXlo  yivog  bei 
Arist.  469. 

Zeno,  der  Eleat  18.  21.  Beweis- 
fehler  im  Achilles  v.  der  Schild- 
kröte 470.  471. 

Zeno,  der  Stoiker  31.  Bildlichk. 
in  der  Definit.  des  na&og  178. 

Ziegler,  Theob.,  Lehrbuch  der 
Logik  79. 

Ziemiecka,  Eleonore,  kaüiol. 
Philos.  in  Polen  94. 

Zimmermann,  Rob.,  Herbartia- 
ner  53. 


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Druckfehler  und  ZosAtse. 


S.    73 


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S.    89  lies  Chr.  Sigwart  statt  K.  S. 
S.    88    „    Em.  Naville      „    Em.  N. 

S.    41  noch  zu  erwähnen:  Ed.  Grimm,  Descartes' Lehre  von  den 

angebom.  Ideen.    Jena  1873. 
B.  Erdmann,  log.  Studien.  Art.  l.  in 
d.yierteljahrs8chr.  f.  wissensch.  Philos. 
1882.  Hft.  1. 
von  Stöckl  erschien  jetzt  die  5.  Aufl. 
y.  Brochard,  la  logique  de  St  MilL 
2  art.  in  Rev.  philos.  1881.  Nr.  11  u.  12. 
W.  Maurenbrecher,  über  die  Ob- 
jectivität  des  Historikers,  im  Histor. 
Taschenbuch.  F.  6.  Bd.  1.  1882. 


S. 
S. 


73 

82 


S.  482 


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Ünivenit&to-Bnohdmokerel  Ton  Oarl  Oeorgl  In  Bonn« 


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1 

SEP  0  8  1993 

41 

SEP  0 1 1994 

— 

OCT  0  5  1995 

— 

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F 

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