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Full text of "Textkritisches zur Naturalis historia des Plinius"

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Mayhoff,  Karl 

Textkritisches  zur 
Naturalis  historia  aes 
Plinius 


PA 


i  0  6  2  2  ^ 


TEXTKRITISCHES  ZUR  NATURALIS  HISTORIA 
DES  PLINIUS 

VON  KARL  MAYHOFF 

Friedrich  Münzer  und  D.  Detlefsen  haben  das  Verdienst,  mit  einer 
auf  gründlicher  Kenntnis  und  weitem  Überblick  beruhenden  gerechten 
Würdigung  der  Arbeitsweise  des  Plinius  der  fast  zur  Mode  geworde- 
nen Geringschätzung  des  rastlos  bildungseifrigen  Mannes  entgegen- 
getreten zu  sein.1)  Daß  ein  Werk  von  dem  Umfang  und  der  Vielseitig- 
keit der  Naturalis  historia,  von  dem  in  hohen  Staatsämtern  tätigen 
Verfasser  in  wenigen  Jahren  ausgearbeitet  und  nach  seinem  jähen 
Tode  in  nicht  völlig  ausgeglichener  Gestalt  veröffentlicht,  unverkenn- 
bare Spuren  von  Flüchtigkeit  aufweist,  ist  an  sich  nicht  so  sehr  zu 
verwundern;  manche  sind  denn  auch  schon  bald  erkannt  worden, 
seitdem  es  als  unentbehrliche  Fundgrube  antiquarischen  Wissens  eifrig 
studiert  wurde,  und  Münzer  hat,  weit  entfernt,  die  Versehen  zu  be- 
beschönigen, außer  denen,  die  im  Verlaufe  seiner  Untersuchungen 
zur  Sprache  kommen,  in  einem  eigenen  Kapitel  seiner  Beiträge  S.  119  ff. 
eine  Reihe  von  Fällen  dieser  Art  zusammengestellt,  die  dem  Verdacht 
allzu  nachsichtiger  Beurteilung  den  Boden  entzieht.2) 


1)  Münzer  in  den  Beiträgen  zur  Quellenkritik  der  Naturgeschichte  des 
Plinius  (Berlin  1897),  Detlefsen  in  den  Untersuchungen  über  die  Zusammen- 
setzung der  Naturgeschichte  des  Plinius  (Berlin  1899)  und  den  verschiedenen 
späteren  quellengeschichtlichen  Arbeiten  zu  den  geographischen  Büchern. 

2)  Einer  dieser  Fälle  ist  allerdings  auszuscheiden,  nämlich  der,  daß  nach 
Münzer  S.  122  Plinius  gedankenlos  den  Widerspruch  übersehen  haben  soll 
zwischen  5,69  und  seinem  Bericht  9,  11:  beluae,  cui  dicebatur  exposita 
fuisse  Andromeda,  ossa  Romae  apportata  ex  oppido  Iudaeae  Iope  ostendit 
inter  reliqua  miracula  in  aedilitate  sua  (58  v.  Chr.)  M.  Scaurus,  „da  es  aus- 
geschlossen zu  sein  scheine,  daß  nach  der  Ädilität  des  Scaurus  das  Skelett 
wieder  nach  Iope  zurückgebracht  worden  sei".  Die  Stelle  5,  69  sagt  nichts 
von  den  ossa  beluae,   sondern  lautet:   Iope  .  .  .  insidet  collem  praeiacente 

Xenia  Nicolaitana.  2 


lg  Karl  Mayhoff 

Man  hat  jedoch  dabei  zu  berücksichtigen  —  und  Münzer  hat  dies 
so  wenig  wie  Detlefsen  unterlassen  -,  daß  die  Textüberlieferung  der 
Naturalis  historia  in  mehr  als  der  Hälfte  ihrer  Bücher  nur  auf  jüngeren 
Handschriften  beruht,  die  in  vielfacher  Verderbnis  auf  uns  gekommen 
und  nicht  überall  unbedingt  zuverlässig  kollationiert  sind.  Darum  for- 
dert die  Möglichkeit,  daß  ein  Versehen  einem  Abschreiber  und  nicht 
dem  Autor  zur  Last  fällt,  in  jedem  einzelnen  Falle  zu  aufmerksamer 
Prüfung  heraus. 

Diese  Möglichkeit  waltet  besonders  bei  Zahlenangaben  ob,  die 
bei  der  umständlichen  römischen  Art,  größere  Zahlen  in  Ziffern  aus- 
zudrücken, leicht  Versehen  ausgesetzt  waren,  zumal  da  die  Ziffern  zu- 
gleich die  Form  von  Buchstaben  hatten.  Ein  schlagendes  Beispiel 
bietet  die  Vergleichung  von  7,  84  mit  2,  181.  Die  letztere  Stelle  be- 
richtet, daß  die  von  Philonides,  einem  Läufer  Alexanders,  in  neun 
Stunden  zurückgelegte  Strecke  von  Sicyon  nach  Elis  1200  Stadien  be- 
trage, während  7,  84,  wo  dieselbe  Notiz  in  anderem  Zusammenhange 
wiederkehrt,  in  den  für  uns  maßgebenden  Hss  die  Ziffer  MCCCV  zu 
lesen  ist.  Die  ältesten  Ausgaben  schrieben  nach  einer  noch  jüngeren 
Hs  MCCCII  (mit  einer  sehr  häufigen  Verwechslung1)  von  II  und  V); 
statt  dessen  schlug  Barbarus  1493  auf  Grund  von  2,  181  und  Solinus 
1,  98,  der  die  Stelle  7,  84  fast  wörtlich  ausgeschrieben  hat,  MCC  vor, 
und  diese  Emendation,  die  den  Widerspruch  aufhob,  blieb  im  Text 
bis  auf  Sillig  und  seine  Nachfolger,  die  aus  Achtung  vor  der  Über- 
lieferung sich  bei  dem  unwahrscheinlichen  MCCCV  beruhigten  trotz 
den  bei  Plin.  2,  181  wie  bei  Solin.  1,  98  voll  ausgeschriebenen  mille 
ducenta.  Das  Rätsel  löst  sich  bei  strengem  Anschluß  an  den  hsl.  Tat- 
bestand. In  den  Ausgaben  freilich  lauten  die  Worte:  Cucurrisse  MCXL 
stadia  ab  Athenis  Lacedaemonem  biduo  Philippidem  magnum  erat, 
donec  Anystis  Cursor  Lacedaemonhis  et  Philonides  Alexandri  Magni  a 
Sicyone  Elim  uno  die  MCCCV  stadia  cucurrerunt.  Aber  dieses  zweite 

saxo,  in  quo  vinculorum  Andromedae  vestigia  ostendit  (sc.  Iope,  denn 
ostendit,  nicht  ostendunt,  wie  die  Ausgg.  bisher  lasen,  ist  nach  den  Hss 
herzustellen).  Auch  5,  128  ante  lopen  Paria  (insula  est),  tota  oppidum,  in 
qua  obiectam  beluae  Andromedam  ferunt  ist  von  den  ossa  keine  Rede. 

1)  Sie  findet  sich  besonders  im  Leid.  A  und  im  Paris.  E,  und  man  hat 
sich  dadurch  selbst  bei  Ausdrücken  wie  //  (statt  V)  dierum  itinere  täuschen 
lassen,  wo  Plinius  bidui  itinere  gesagt  haben  würde,  wie  er  statt  ///  und  //// 
dies  auch  regelmäßig  triduum  und  quadriduum  sagt:  vgl.  m.  Ausg.  Bd.  I 
append.  p.  555  (zu  6,  173  und  199). 


Textkritisches  zur  Naturalis  Historia  des  Plinius  19 

stadia,  das  hier  ebensowenig  nötig  ist  wie  hinter  Philonides  ein 
zweites  Cursor,  steht  weder  in  den  beiden  von  mir  verglichenen  Leid.F 
und  Vindob.  a  noch  im  Rice.  R,  dessen  Kollation  von  Jan  herrührt, 
und  die  enge  Verwandtschaft  zwischen  ihnen  und  Vatic.  D  und  Paris.  E, 
von  denen  Detlefsens  Vergleichung  nur  unvollständig  vorliegt,  stellt 
es  außer  Zweifel,  daß  auch  in  diesen  stadia  fehlen  muß.  Wenn  mit- 
hin in  der  Urhs  ohne  Wortabteilung  MCCCVCVRRERVNT  geschrie- 
ben war,  so  leuchtet  ein,  daß  nur  Dittographie  der  Anfangssilbe  von 
cueurrerunt  zu  dem  falschen  MCCCV  geführt  hat.  Jenes  stadia  ist 
nichts  als  ein  späterer  Zusatz;  in  meiner  Ausgabe  von  1909  habe  ich 
ihn  zwar  entfernt,  aber  die  Entstehung  der  falschen  Ziffer  hatte  ich 
leider  noch  nicht  bemerkt. 

So  sicher  wie  hier  ist  die  Entscheidung  allerdings  nur  selten. 
Wenn  7,  93  die  Zahl  der  von  Pompeius  versenkten  oder  eroberten 
Piratenschiffe  auf  DCCCXLVI,  gleich  darauf  aber  §  97  auf  DCCXLVI 
angegeben  wird,  so  steht  die  Wage  anscheinend  ganz  gleich:  in  dem 
einen  Falle  kann  ebensogut  ein  C  zu  viel  wie  in  dem  anderen  ein  C 
zu  wenig  geschrieben  worden  sein.  Denn  daß  §  97  die  Inschrift  am 
Tempel  der  Minerva,  den  Pompeius  „ex  manubiis"  geweiht  hat,  in 
ihrem  ganzen  Wortlaut  mitgeteilt  wird,  würde  nur  dann  ins  Gewicht 
fallen,  wenn  wir  das  Original  des  Plinius  und  nicht  Abschriften  einer 
Abschrift  davon  vor  uns  hätten.  Die  Herausgeber  haben  sich  von 
Anfang  an  ohne  erkennbaren  Grund  für  846  entschieden.  Indes  der 
Umstand,  daß  Plutarch  Pomp.  45  dafür  800,  Appian  Mithr.  116  aber 
nur  700  setzt,  kann  für  746  den  Ausschlag  geben.  Beide  haben  sich 
offenbar,  jener  nach  oben,  dieser  nach  unten,  eine  Abrundung  erlaubt; 
da  dürfte  das  Richtige  in  der  Mitte  liegen,  und  §  93  ein  C  zu  strei- 
chen sein. 

Um  eine  von  Plinius  selbst  vorgenommene  Abrundung  handelt  es 
sich  2,  245  und  5,  132  bei  dem  in  Ziffern  gegebenen  Maße  der  Ent- 
fernung zwischen  Alexandria  und  Rhodus.  An  der  ersteren  Stelle  er- 
scheint diese  als  Teilstrecke  einer  Route  von  der  südlichsten  bewohn- 
ten Küste  des  äthiopischen  Meeres  nach  Norden  bis  zur  Mündung  des 
Tanais,  die  zur  Berechnung  der  Breite  der  Erde  dient.  Es  ist  die  Mes- 
sung, in  der  Artemidorus  und  Isidorus  von  Charax  übereinstimmen, 
und  sie  ergibt  4670  Stadien,  d.h.  in  genauer  Umrechnung  583  750 
röm.  Schritt.  Um  eine  runde  Zahl  zu  bekommen,  hat  Plinius  dafür 
584  000,  also  2  Stadien   oder  250  Schritt  zu  viel,  angesetzt.    Diese 

2* 


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Ziffer  haben  außer  dem  Leid.  A,  der  III  statt  IUI  hat,  alle  Hss,  und 
ihre  Richtigkeit  wird  dadurch  verbürgt,  daß  sonst  die  Summe  der  Teil- 
•  strecken  nach  der  auch  von  Detlefsen  (Maße  der  Erdteile  nach  Plin. 
S.  34)  angenommenen  Feststellung  C.  Müllers  zu  Agathemerus  4,  19 
(Geogr.  Gr.  min.  II  481)  nicht  herauskommen  würde.  Die  andere  Stelle 
5,  132  enthält  neben  zwei  anderen  Messungen  wiederum  die  Isidori- 
sche  (ut  Isidorus  tradit),  aber  hier  ist  DLXXXIII  die  gemeinsame 
Überlieferung,  nur  daß  im  Leid.  A  von  erster  Hand  ein  X  zu  wenig 
und  im  Paris  E  VIII  statt  III  geschrieben  ist.  An  eine  solche  Abrun- 
dung  nach  unten,  die  6  Stadien  oder  750  Schritt  zu  wenig  rechnet 
und  bei  der  Wahl  zwischen  zwei  Fehlern  den  größeren  vorzieht,  ist 
schwer  zu  glauben.  Gerade  hier  war  Plinius  durch  keine  Rücksicht 
dazu  genötigt,  und  die  daneben  angeführte  Eratosthenische  Zahl  hat 
er  genau  ebenso  wie  2,  245  die  Isidorische  nach  oben  abgerundet, 
indem  er  3750  Stadien  (vgl.  Strabo  II  p.  126)  mit  einem  Zuviel  von 
2  Stadien  oder  250  Schritt  gleich  469  000  Schritt  setzte.  Auch  bei 
dieser  Ziffer  hat  Leid.  A  wieder  ein  I  am  Ende  zu  wenig  und  sie  so 
um  1000  vermindert.  Überhaupt  aber  wird  Plinius  die  Umrechnung 
der  zahlreichen  griechischen  Maßangaben,  die  er  benutzte,  gewiß  nicht 
jedesmal  aufs  neue  angestellt,  sondern  in  seinen  geographischen  Kol- 
lektaneen  ein  für  allemal  gebrauchsfertig  bereitgehalten  haben,  und 
wir  tun  schwerlich  unrecht,  5,  132  mit  2,  245  durch  Hinzufügung 
eines  I  auszugleichen,  mag  es  als  vor  dem  folgenden  ut  ausgefallen 
oder  III  aus  der  Schreibung  IV,  die  sich  auch  in  den  Hss  mitunter 
findet,  entstanden  zu  denken  sein.1) 

In  diesem  Zusammenhange  möchte  ich  eine  Emendation,  die  Det- 
lefsen (Anordnung  d.  geogr.  Bücher  d.  Plin.  u.  ihre  Quellen  S.  65  A.3) 
„nicht  recht  verständlich"  gefunden  hat,  etwas  ausführlicher  begrün- 
den, als  es  in  dem  Anhang  meiner  Ausgabe  Bd.  I  S.  543  (zu  2,  246) 
bei  der  gebotenen  Kürze  möglich  war.  Auf  die  Maße  der  oben  er- 
wähnten Route  folgt  der  Satz:   ab  ostio  Tanais  nihil  modicum  dili- 


1)  Ich  berichtige  hier  ein  bei  der  Druckrevision  meiner  Ausg.  mir  ent- 
gangenes Versehen.  Die  letzte  Ziffer  im  Text  von  5,  150  (Bd.  1  S.  427,  9) 
muß  nach  Agathemerus  4,  19  und  in  Übereinstimmung  mit  2,  245  nicht 
CCCXXII  •  D,  sondern  CCCXII  •  D  heißen,  wie  schon  aus  meiner  Anordnung 
der  Varianten  in  den  krit.  Noten  hervorgeht.  So  schrieb  man  auch  vor  Har- 
douin,  und  inzwischen  hat  A.  Klotz  quaest.  Plin.  geogr.  p.  173  das  Richtige 
wieder  bemerkt. 


Textkritisches  zur  Naturalis  Historia  des  Plinius  21 

gentissimi  auctores  fecere.  Sillig  hat  zuerst  an  nihil  modicum  Anstoß 
genommen  und  nihil  modi  quam  empfohlen,  so  daß  quam  mit  dem 
Superlativ  zu  verbinden  wäre;  Detlefsen  hat  daraus  nihil  dum  modi 
gemacht.  Beide  Änderungen  sind,  von  paläographischen  Bedenken 
abgesehen,  wegen  des  unrichtigen  Gedankens  nicht  befriedigend.  Arte- 
midorus  zwar  hat  sich  einer  Schätzung  der  nördlichen  Zone  ganz  ent- 
halten, da  er  ulteriora  inconperta  existimavit,  aber  Isidorus  hat  sie  in 
Zahlen  zu  geben  versucht,  indem  er  für  das  Gebiet  nördlich  vom 
Tanais  bis  zur  Insel  Thyle  1  250  000  Schritt  ansetzte,  diese  zu  der  für 
jene  Gesamtstrecke  ermittelten  Summe  von  4  212  000  Schritt  hinzu- 
fügte (Isidorus  adiecit  \xil\  •  I)  und  so  zu  dem  Maße  der  Erdbreite 
kam,  das  Plinius  als  das  Isidorische  §  245  gleich  an  die  Spitze  ge- 
stellt hat.  Wenn  er  sich  hier  mit  dieser  einen  Schätzung  begnügt  (vgl. 
§  247  de  longitudine  et  latitudine  haec  sunt  quae  digna  memoratu 
putem),  so  schließt  das  nicht  aus,  daß  andere  „diligentissimi  auctores" 
noch  andere  versucht  haben,  die  er  ebenfalls  hätte  erwähnen  können, 
wie  er  gleich  darauf  in  betreff  des  universus  circuitus  terrae  Erato- 
sthenes  und  Hipparchus  mit  Ausdrücken  hoher  Bewunderung  nennt. 
Daß  „noch  keinerlei  Messungen"  {nihil  modi)  der  Erdbreite  angestellt 
worden  seien,  ist  also  ein  Gedanke,  den  man  Plinius  nicht  unterschie- 
ben darf.  Was  er  über  Berechnungen,  die  er  selbst  nicht  mit  wissen- 
schaftlicher Sachkenntnis  nachzuprüfen  vermochte,  zu  urteilen  sich  er- 
laubt, ist  dies,  daß  sie  ihm  als  coniectura  divinationis  erscheinen,  doch 
im  Hinblick  auf  das  weite  Gebiet,  das  „für  die  unzählbaren  Stämme 
der  Sarmaten  Raum  habe",  und  das  vermutlich  noch  viel  größere  der 
unbewohnbaren  Zone  mit  den  erst  kürzlich  bekannt  gewordenen  in- 
mensae  insulae  jenseits  von  Germanien  findet  er  jene  Ansätze  durch- 
aus mäßig,  keineswegs  übertrieben,  vielmehr  hinter  der  Wirklichkeit 
noch  zurückbleibend.  Im  Einklang  damit  habe  ich  nihil  inmodicum... 
fecere  geschrieben  mit  einer  Änderung,  die  nur  voraussetzt,  daß  das 
in  einem  Abschreiber  als  störende  Verdoppelung  des  m  erschienen 
sei,  und  der  Sinn  ist:  „sie  haben  nichts  aufgestellt,  was  über  ein  denk- 
bares Maß  hinausginge".  Für  fecere  hätte  auch  posuere  stehen  kön- 
nen, wie  3,  58  Theophrastus  mensuram  posuit  stadia  LXXX,  aber 
nicht  minder  häufig  ist  facere  mit  beigefügter  Zahl:  6,  3  mensuram 
Ponti . . .  quidam  fecere,  6,  209  longitudinem  fecit  . . .  Agrippa,  und 
ähnlich  5,40.102.  4,45.50.77.  3,129.  6,  108.  Was  modicus  und 
sein  Gegenteil  betrifft,  so  bezeichnen  sie  das  natürliche  oder  gewöhn- 


22  Karl  Mayhoff 

liehe,  erträgliche  Maß  und  was  darüber  hinausgeht:  6,  65  (Gangen) 
lenem  fluere,  ubi  minimum,  VIII  p.  laütudine,  ubi  modicum,  sta- 
diorum  C,  6,  135  modico  spatio,  34,  40  modico  intervallo,  33,  107 
modici  ponderis  u.  a.;  inmodicus  dagegen  in  Verbindung  mit  discor- 
dia  4,98,  indignatio  9,22,  loquacitates  28,118,  sudores  20,260, 
sanguis  narium  28,  61  u.  a. 

Ähnlich  wie  mit  den  Ziffern  verhält  es  sich  mit  vielen  Namen, 
die  an  verschiedenen  Stellen  in  verschiedener  Schreibung  auftreten. 
Bei  einigen  von  ihnen  mag  der  Grund  darin  liegen,  daß  diese  aus  den 
verschiedenen  gerade  benutzten  Quellenschriften  herübergenommen 
ist,  bei  anderen  jedoch  kann  die  Schuld  den  Abschreibern  zufallen, 
die  unter  dem  Einfluß  der  orthographischen  Verwilderung  ihrer  Zeit 
standen,  z.  B.  wenn  ihnen  bei  bekannteren  Namen  statt  der  in  der 
Vorlage  stehenden  Form  unwillkürlich  die  ihnen  geläufige  in  die  Feder 
kam.  Deutlich  erkennbar  ist  dies  bei  den  Vulgärformen  Ptolomaeus 
und  Ptolomais,  deren  literarisches  Bürgerrecht  nach  dem  Vorgange 
Fleckeisens  von  Brambach  (Lat.  Orthogr.  S.  105,  Hilfsbüchlein  S.  55) 
als  allgemein  behauptet  und  im  Text  des  Plinius  von  Detlefsen  an- 
erkannt worden  ist,  obgleich  hier  der  hsl.  Tatbestand  nicht  dafür 
spricht.  Der  Monesche  Palimpsest  M  (5.  oder  6.  Jahrh.)  kennt  nur  die 
echte  Form  mit  e  12,  76.  13,  70  zweimal  und  13,  93;  ebenso  der  Bam- 
berg. B  35  67.  83.  89.  138.  37,  24.  108  zweimal,  mit  Ausnahme  von 
33,  136  und  36,  190,  wo  die  mittelalterliche  Gewohnheit  des  o  sich 
geltend  gemacht  hat;  in  den  jüngeren  Hss  aber,  die  ihr  in  der  Regel, 
meist  mit  weiteren  Entstellungen,  folgen,  haben  sich  doch  so  viele 
Spuren  des  Echten  erhalten,  daß  des  Plinius  eigene  Schreibweise 
außer  Zweifel  steht,  man  müßte  denn  dem  auch  um  grammatische 
Dinge  so  eifrig  bemühten  Schriftsteller  im  Ernst  zutrauen,  die  lite- 
rarische und  die  plebejische  Form  nebeneinander  in  dem  zufälligen 
Verhältnis  gebraucht  zu  haben,  wie  es  in  unseren  Hss  sich  darstellt. 
Unter  den  43  in  Betracht  kommenden  Stellen  der  Naturalis  historia 
weist  Leid.  F  16  Formen  mit  e  (oder  häufig  ae)  auf:  Ind.  auet.  12  und 

13.  2,  183.  5,  11.  16.  31.  32.  6,  188.  7,  123.  9,  6.  10,  51.  12,  56.  76. 

14,  76.  37,  24.  108;  nur  2,  183  ist  bezeichnenderweise  über  das  ae 
von  späterer  Hand  ein  o  gesetzt.  Außerdem  ist  im  Vatic.  D  5,  11.  31, 
im  Rice.  R  5, 3 1 .  35,  89  e,  im  Par.  E  5,11.  1 2,  56.  76  e  oder  q  bezeugt, 
doch  werden  die  Kollationen  nicht  vollständig  sein.  Die  beiden  im 
Leid.  A  erhaltenen  Stellen   freilich   haben  o,   wie  es  in  dem  Exzerpt 


Textkritisches  zur  Naturalis  Historia  des  Plinius  23 

Roberts  von  Cricklade,  das  aus  einer  verwandten  Vorlage  stammt,  und 
im  Vindob.  a  regelmäßig  zu  sein  scheint.  Dabei  steht  für  pt  oft  pth, 
sogar  bloßes  r/z,  und  meus  für  die  Endung  maeus. 

Wie  in  diesen  so  tritt  auch  in  anderen  Namen,  wo  h  fälschlich 
bald  weggelassen,  bald  zugesetzt  und  bloßes  e  beliebig  für  ae  oder  oe 
geschrieben  wird,  die  ganze  Unsicherheit  oder  Nachlässigkeit  der  Ab- 
schreiber zutage,  die  wir  heute,  wenn  sich  geeignete  kritische  Hand- 
haben bieten,  unbedenklich  zu  beseitigen  haben.  So  hat  3,  89  flumen 
Elorum  dasselbe  gute  Recht  auf  sein  H  wie  32,  16  das  gleichnamige 
castellum  Helorum  (vgl.  Verg.  Aen.  111  698.  Ov.  fast.  IV  477.  Sil.  Ital. 
XIV  269.  Vibius  Sequ.  p.  148,29  Riese),  und  5,  117  muß  das  sta- 
gnum  Säle  nach  Pausan.  VII 24, 13  Xiuvn.  övoualouevn.  CaXön.  seinen  rich- 
tigen Namen  Saloe  empfangen,  der  schon  im  Rice.  R  von  einer  späte- 
ren Hand  verzeichnet  ist;  so  ist  die  Pluralform  Aegyptiae  Thebae 
(36,94.  37, 141;  in  Thebis  36,58,  circa  Thebas  13,63.  36,61.  37,104) 
auch  5,  60  statt  Thebe  herzustellen  mit  der  Interpunktion  Diospolis 
Magna,  eadem  Thebae,  portarum  nobilis  fama,  ohne  daß  wir  aus  Solin. 
32,  40  nobiles  aufnehmen,  und  umgekehrt  sind  die  Leucogaei  colles 
und  fontes  18,  114.  31,  12.  35,  174  dem  griechischen  XeuKÖxeioc  ent- 
sprechend ohne  a  zu  schreiben.  Bei  Dareus  oder  Darius,  Alexandrea 
oder  Alexandria  werden  wir  zwar  über  das  Schwanken  der  Hss  nicht 
hinauskommen,  aber  Medea  läßt  sich  an  der  einen  Stelle  2,  235  nicht 
halten  gegenüber  den  sieben  3,  151  in  Fxa.  7,  126.  25,  10.  35,  26. 
136.  137.  145,  wo  Media  so  sicher  beglaubigt  ist  wie  für  den  Fluß  im 
Tal  Tempe  die  Form  Penius  2,  230.  4,  31.  25,  76.  Die  Bewohner  von 
Elis  heißen  4,  14  Elii;  daher  ist  10,  75  eui  nicht  mit  Gelenius  in  Elei, 
sondern  in  Elii  zu  verbessern.  Doch  genug  solcher  Beispiele!  Zwei 
andere  mögen  noch  zeigen,  daß  auch  die  „beste"  Hs  nicht  unbedingt 
das  Echte  bewahrt  haben  muß. 

Der  Name  eines  kleinen  Flusses,  nach  dem  eine  der  Pomündungen 
benannt  wurde  und  der  auf  der  Tab.  Peut.  Saternus,  heute  Santerno 
heißt,  pflegt  nach  der  einen  Pliniusstelle  -  auch  Nissen  (Ital.  Landes- 
kunde II  251)  nennt  keine  andere  -  zitiert  zu  werden:  3,  120  äuget 
ibi  Padum  Vatrenus  amnis  ex  Forocorneliensi  agro.  Er  wird  aber 
auch  unmittelbar  vorher  §  119  erwähnt:  proximum  inde  ostium  (Padi) 
magnitudinem  portus  habet  qui  Vatreni  dicitur,  doch  hier  mit  den 
Varianten  uatreni  AF2,  uatereni  DF^,  uaterreni  R,  uaterni  ao.  Es 
kommt  hinzu,   daß  Martial,  der  nach  III  4,  4  -  ein  Hinweis,   den  ich 


24  Karl  Mayhoff 

W.  Gilberts  Güte  verdanke  —  die  Epigramme  seines  dritten  Buches 
in  Forum  Cornelii  gedichtet  hat,  III  67,  2  dem  Flusse  den  variantenlos 
überlieferten  Namen  Vaternus  gibt.  Bei  diesem  Sachverhalt  ist  der  Ver- 
dacht kaum  abzuweisen,  daß  die  Form  Vatrenus  von  einem  Schreib- 
fehler in  §  120  stammt,  der  von  da  erst  durch  nachträgliche  Korrektur 
des  falschen  uatereni  in  §  119  hineingeraten  ist.  Die  Vorlage,  der 
Robert  von  Cricklade  sein  Exzerpt  (o)  entlehnt  hat,  steht,  wie  schon 
gesagt,  durch  Herkunft  und  Alter  in  naher  Beziehung  zu  der  des  Leid.  A; 
in  dieser  wird  ein  aufmerksamer  Leser  den  Widerspruch  des  §  119 
vorgefundenen  uaterni  mit  dem  uatrenus  des  §  120  zugunsten  des 
letzteren  ausgeglichen  haben,  und  auf  dieselbe  Quelle  geht  F"  zurück. 
Ein  gleicher  Fehler  findet  sich  7,  98:  Bastrenis  für  Basternis  (vgl. 

4,  100.81). 

Nach  Pytheas  erwähnt  Plinius  37,  35  in  der  Nordsee  ein  aestu- 
arium  oceani  Metuonidis  nomine,  in  welchem  Detlefsen  (Entdeckung 
d.  german.  Nordens  im  Altert.  1904  S.  9-12  und  Nachtrag  dazu  1909 

5.  15)  das  schleswigsche  Wattenmeer  erkannt  und  dessen  Namen  er 
mit  lehrreichem  etymologischen  Nachweis  als  griechische  Umformung 
des  uralten  einheimischen  Wortes  meden,  d.  h.  „Wiesen-,  Marsch-  und 
Moorland"  gedeutet  hat.  Der  Name  ist  von  ihm  zuerst  aus  den  Hss 
B  und  a,  die  ihn  allein  richtig  überliefern,  in  sein  Recht  eingesetzt 
worden;  er  bezieht  sich  als  Apposition  nicht  auf  oceani,  sondern  auf 
aestuarium,  und  es  muß  demnach,  der  Naturbeschaffenheit  der  Küste 
wie  der  Bedeutung  des  Plurals  meden  entsprechend,  der  Plural  Me- 
tuonides  stehen,  den  die  geringere  Hs  a  bietet.  Das  grammatische 
Verhältnis  ist  so  klar,  daß  es  der  Verweisung  auf  Joh.  Müllers  Stil  d. 
alt.  Plin.  S.  76  und  einer  Vermehrung  der  dort  gesammelten  Beispiele 
nicht  bedarf.  Anderer  Art  sind  natürlich  Ausdrücke  wie  4,  79  Hister 
.  .  .  per  innumeras  lapsus  gentes  Danuvi  nomine,  d.  h.  „unter  dem 
Namen",  12,  42,  wo  ein  genus  nardi  damnatur  in  totum  ozaeniti- 
dos  nomine,  virus  redolens,  oder  5,  22  colonia  Cirta  Sittianorum 
cognomine,  wo  der  Genetiv  selbst  als  Zusatz  zum  Namen  Cirta  zu 
verstehen  ist. 


Wie  in  dem  letzten  Falle  so  sind  es  auch  in  den  folgenden  gram- 
matische Erwägungen,  von  denen  die  Entscheidung  abhängt.  Sie  be- 
treffen die  sog.  Attraktion  oder  Kasusangleichung  des  Relativs 


Textkritisches  zur  Naturalis  Historia  des  Plinius  25 

an  das  im  Hauptsatze  unterdrückte  Demonstrativ.  Diese  Erscheinung 
hat  Richard  Förster  im  27.  Supplementband  der  Jahrbb.  f.  klass.  Philol. 
(1900)  S.  170-194  mit  gewohnter  Gründlichkeit  und  scharfer  Beob- 
achtung durch  die  römische  Literatur  verfolgt  und  einleuchtend  nach- 
gewiesen, wie  sie,  nicht  dem  Griechischen  nachgeahmt,  sondern  „auf 
dem  Boden  der  lateinischen  Sprache  selbständig  erwachsen",  sich  aus 
der  Umgangssprache  entwickelt  und  zuerst  bei  Plinius  in  gewissen 
stehenden  Ausdrücken  eine  häufige,  aber  eng  umgrenzte  Anwendung 
gefunden  hat.  Den  Anfang  machen  solche  Fälle,  die  vermöge  einer 
Ellipse  nur  den  Schein  einer  Kasusangleichung  erwecken,  da  das  Re- 
lativ ohnehin  in  dem  gleichen  Kasus  stehen  müßte  wie  das  zu  denkende 
Demonstrativ  und  zu  dem  Verbum  der  Gedanke  des  Hauptsatzes  im 
Infinitiv  zu  ergänzen  ist,  wie  18,  125  severe  eos  (passiolos)  qua  velis 
terra  licet  =  ea  terra  qua  serere  eos  velis  oder  3,  2  locorum  nuda 
nomina  et  quanta  dabitur  brevitate  ponentur  =  tanta  brevitate  quanta 
poni  ea  dabitur,  und  diese  Redeweise  wird  in  den  bei  Plinius  überaus 
zahlreichen  Verweisungen  nach  rückwärts  oder  vorwärts  zunächst  bei 
der  Passivkonstruktion  derVerba  des  Sagens  zu  der  festen  Formel 
quo  dictum  est  (dicetur)  modo  oder  mit  mannigfachem  Wechsel  der 
Substantiva  ratione,  ordine,  numero  u.  a.  Von  dieser  Art  führt  Förster 
S.  175 ff.  13  Beispiele  an;  hinzukommen  noch  34,  2  vena  quo  dictum 
est  modo  foditur  und  18,  28  ut  solum  sua  virtute  valeat  qua  dictum 
est  positione.  Wird  dann  nach  Analogie  von  19,  48  radix  .  .  .  concidi- 
tur  ad  quem  dictum  est  usum  aktivisch  gesagt  2,  61  (stellae)  ve- 
spere exoriuntur  usque  ad  quos  diximus  terminos,  so  ist  damit,  dem 
Redenden  wohl  unbewußt,  der  letzte  Schritt  getan  zu  dem  Gebrauch, 
der  in  manchen  Fällen  schon  eine  wirkliche  Kasusangleichung  aufweist. 
Elliptisch  lassen  sich  z.  B.  noch  erklären  22,  101  laser  e  silphio  pro- 
fluens  quo  (id  profluere)  diximus  modo  oder  18,  314  napos  serere 
quibus  (seri  eos)  diximus  diebus,  weil  die  Stellen  19,  45  und  18,  131, 
auf  die  verwiesen  wird,  jene  Angaben  wirklich  enthalten;  dagegen 
kann  12,  102  longe  optimam  (esse  myrobalanum)  Petraeam  ex  quo 
diximus  oppido  nur  als  „ex  oppido  quod  diximus"  gedeutet  werden, 
denn  weder  6,  144  ff.  noch  5,87.89  ist  bei  Erwähnung  der  Stadt 
Petra  von  jenem  Baum  die  Rede  gewesen.  Im  ganzen  sind  es  16  Fälle 
dieser  Art,  die  Förster  S.  176  nachgewiesen  hat,  und  allen  ist  als  feste 
Norm  gemeinsam,  daß  1.  nur  diximus  (dicemus)  oder  ein  sinnver- 
wandtes Verbum  (retulimus  und  3,  150  distinximus)  und  zwar  aus- 


26  Karl  Mayhoff 

schließlich  in  der  1.  Person  des  Plurals  gebraucht  werden,  2.  nur  der 
Ablativ  des  Relativs  steht  und  3.  der  Relativsatz  mit  Wegfall  des  De- 
monstrativs dem  Nomen  vorangestellt,  also  beim  Hinzutreten  einer 
Präposition  von  dieser  und  dem  Nomen  eingeschlossen  wird  (s.  Förster 
S.  181).  Diese  Vorbemerkungen  waren  nötig  zur  Beurteilung  der  fol- 
genden Textstellen. 

Zu  Anfang  des  17.  B.  wird  ein  Streit  zwischen  dem  Redner  Crassus 
und  Domitius  erzählt,  bei  dem  sich  herausstellt,  daß  dieser  einen  un- 
geheuren Preis  für  das  mit  Marmor  geschmückte  Haus  des  Crassus 
nur  wegen  der  sechs  alten  Lotosbäume  des  Gartens  geboten  hatte. 
Eingeleitet  wird  die  Erzählung  mit  dem  Satze  17,  1:  mirari  succurrit 
qua  retulimus  penuria  pro  indiviso  possessas  (arbores)  a  feris, 
depugnante  cum  his  homine  circa  caducos  fructus,  circa  pendentes 
vero  et  cum  alitibus,  in  tanta  deliciarum  pretia  venisse.  Der  Relativ- 
satz entspricht  der  obigen  Norm,  aber  das  Verständnis  des  Ganzen 
begegnet  einigen  Schwierigkeiten,  welche  die  ersten  Herausgeber  ver- 
anlaßt haben,  den  Text  mehrfach  zu  ändern;  nach  dem  Vorgange 
Hardouins,  der  jedoch  noch  possessa  schrieb,  hat  erst  Brotier  (1779) 
die  hsl.  Überlieferung  unverändert  wiedergegeben.  Ich  habe  mich 
durch  Hardouin  und  die  Überschätzung  von  D2  verleiten  lassen,  in 
meiner  Ausgabe  (1892)  quae  und  possessa  zu  schreiben. 

Es  gilt  festzustellen,  worin  die  penuria  besteht  und  mit  welchem 
Satzgliede  die  Bestimmung  qua  retulimus  penuria  sich  sinngemäß  ver- 
bindet. Ein  Mangel  an  Bäumen  oder  Baumfrüchten  kann  nicht  gemeint 
sein,  denn  verbinden  wir  den  Relativsatz  mit  possessas  a  feris,  so 
steht  dem  entgegen,  daß  die  Tiere,  wenigstens  die  Vögel,  zu  allen 
Zeiten,  nicht  bloß  „in  Zeiten  des  Mangels",  zu  den  Früchten  freien  Zu- 
tritt haben;  verbinden  wir  ihn  aber  mit  venisse  in  tanta  pretia,  so 
fehlt  jeder  Grund  zur  Verwunderung:  im  Gegenteil,  gerade  der  Man- 
gel, die  Seltenheit  der  Bäume  würde  die  natürliche  Ursache  der  hohen 
Preise  sein.  Wo  hat  denn  aber  Plinius  früher  von  der  penuria  ge- 
sprochen? Seit  Hardouin1)  verweist  man  auf  16,  1,  wo  bemerkt  wird, 
daß  die  durch  Menschenkunst  veredelten  Fruchtbäume  auch  den  wil- 


1)  Hardouin  verschiebt  den  Gedanken  in  der  erklärenden  Umschrei- 
bung: „mirari  subit  ea  quae  ab  feris  hominibusque  pariter  et  ex  aequo 
possidentur,  ut  ante  retulimus,  h.  e.  arborum  fructus,  perinde  ac  si 
annonae  penuria  communicare  alimenta  cum  feris  homines  cogat,  tantis 
olim  veniisse  pretiis,  in  tantis  fuisse  deliciis." 


Textkritisches  zur  Naturalis  Historia  des  Plinius  27 

den  Tieren  und  Vögeln  zugute  kämen  (id  munus  etiam  feris  volucri- 
busque  dedimus)  und  daß  die  „glandiferae  arbores"  der  Wälder  pri- 
mae victum  mortalium  aluerunt,  was  schon  7,  191  Ceres  frumenta 
invenit,  cum  antea  glande  vescerentur  gesagt  worden  ist  und  16,  15 
glande  opes  nunc  quoque  multarum  gentium  .  .  .  constant  wiederholt 
wird.  Überall  ist  hier  eine  „penuria"  nur  versteckt  angedeutet,  deut- 
licher wird  sie  dagegen  in  der  Einleitung  zum  12.  Buche  bezeichnet, 
mit  dem  überhaupt  die  Schilderung  der  Bäume  beginnt,  und  hier 
stehen  §  1  und  2  die  am  Schluß  in  Sinn  und  Ausdruck  überraschend 
ähnlichen  Sätze:  diu  fuere  occulta  eius  (naturae  rerum)  beneficia, 
summumque  munus  fiomini  datum  arbores  sitvaeque  intellege- 
bantur.  hinc  primum  alimenta,  harum  fronde  mollior  specus  ...  quo 
magis  ac  magis  admirari  subit  his  a  principiis  caedi  montes 
in  marmora,  vestes  ad  Seras  peti  .  .  .  quam  ob  rem  sequi  par  est 
ordinem  vitae  et  arbores  ante  alia  dicere  ac  moribus  primordia 
ingerere  nostris.  Dies  wird  die  Stelle  sein,  auf  die  retulimus  zurück- 
weist, und  gemeint  ist  danach  penuria  alimentorum  als  Kennzeichen  der 
primordia,  des  kulturlosen  Urzustandes  der  Menschheit,  der  in  Kon- 
trast gesetzt  wird  mit  dem  in  kostbarem  Marmor,  seidenen  Gewän- 
dern usw.  schwelgenden  Luxus  der  späteren  Zeit.  Die  penuria  ist  der 
Ausgangspunkt  (principia)  der  Kulturentwickelung  (ordo  vitae);  von 
da  aus  ist  diese  zu  dem  Überfluß  gelangt,  der  den  Übermut  des  Luxus 
erzeugt  hat.  Derselbe  Kontrast  kommt  auch  17,  1  zum  Ausdruck;  was 
hier  die  Verwunderung  hervorruft,  ist  dies,  daß  seit  jener  Dürftigkeit 
des  Urzustandes,  da  die  Bäume  noch  summum  munus  naturae  waren, 
ihr  Wert  in  einer  Zeit  des  Wohllebens  und  der  Üppigkeit  nicht,  wie 
man  erwarten  sollte,  gefallen,  sondern  bis  zu  Luxuspreisen  gestiegen 
ist,  obwohl  sie  im  Gemeinbesitz  der  Tiere  sind  und  der  Mensch  um 
ihre  Früchte  sich  mit  diesen  streiten  muß.  So  hat  auch  Littre1)  mit 
richtiger  Einsicht  übersetzt  „apres  la  penurie  primitive".  Aber  diesen 
Gedanken  drückt  der  bloße  Ablativ  qua  ...  penuria  nicht  aus;  zu 
völliger  Klarheit  ist  die  Präposition  a  unentbehrlich,  die  den  Aus- 
gangspunkt und  zugleich  den  räumlichen  oder  zeitlichen  Abstand  und 


1)  Die  freie,  aber  den  Sinn  treffend  und  klar  wiedergebende  Übersetzung 
Littre's  lautet:  „j'exprimerai  mon  etonnement  qu'apres  la  penurie  primitive 
que  j'ai  decrite,  oü  la  foret  appartenait  en  commun  aux  betes  fauves,  et  oü 
l'homme  disputait  aux  quadrupedes  les  fruits  tombes,  aux  oiseaux  les  fruits 
pendants,  le  luxe  ait  attache  aux  arbres  un  prix  si  exorbitant." 


28  Karl  Mayhoff 

die  Verschiedenheit  bezeichnet:  mirari  succurrit  (a)  qua  retulimus 
penuria  (arbores)  .  .  .  in  tanta  deliciarum  pretia  venisse.  Genau  so 
heißt  es  oben  12,  2  his  a  principiis  caedi  montes  in  marmora,  so 
auch  35,  101  a  quibus  initiis  ad  arcem  ostentationis  opera  (Proto- 
genis)  pervenissent,  37,  2  a  quibus  initiis  in  tantum  admiratio  haec 
(gemmarum)  exarserit  (wo  a  erst  durch  den  Bamberg.  B  in  den  Text 
gekommen  ist),  34,  165  (plumbum)  a  pari  locatione  pervenit  ad  HS 
CCCC  vectigalis,  2,  239  cum  ignis  minimis  crescat  a  scintillis  (wo 
auch  a  in  mehreren  Hss  ausgefallen  ist),  26,  20  haec  est  omni  in  re 
animorum  condicio,  ut  a  necessariis  orsa  primo  cuncta  pervenerint 
ad  nimium  (wo  a  wegen  orsa  nicht  einmal  nötig  war;  vgl.  ebenda  zu 
Anfang  saluberrimis  orsam  initiis  und  37,  3  his  initiis  coepit  aucto- 
ritas  gemmarum). 

An  einer  zweiten  Stelle  18,  332  liegt  die  Schwierigkeit  darin,  daß 
eine  vermeintliche  Attraktion  des  Relativs  gegen  die  von  Plinius  durch- 
gängig befolgte  Norm  mehrfach  verstößt.  Vorhergeht  §  326—328.  331 
eine  Anweisung,  wie  der  ungelehrte  Landmann,  um  zu  erkennen,  aus 
welcher  Himmelsrichtung  der  Wind  weht,  auf  seinem  Acker  sich  selbst 
eine  Windrose  herstellen  kann,  indem  er  um  die  Mittagsstunde,  wo 
die  Sonne  den  kleinsten  Schatten  wirft,  Süden  und  Norden  feststellt, 
dann  in  einem  Kreise  auf  dem  Erdboden  einen  cardo  von  N  nach  S, 
einem  decumanus  von  0  nach  W  und  dazwischen  zwei  schräge 
Linien  von  NO  nach  SW  und  von  NW  nach  SO  zieht.  Noch  zweck- 
mäßiger sei  es,  auf  einer  hölzernen  Scheibe  diese  Richtlinien  zu  stetem 
Gebrauch  festzulegen:  quae  ratio  semel  in  quoque  agro  ineunda  erit 
vel,  si  saepius  libeat  uti,  e  ligno  facienda,  regulis  paribus  in  tympa- 
num  exiguum  sed  circinatum  adactis.  ratione  qua  doceo  occurren- 
dum  ingeniis  quoque  inperitorum  est.  meridiem  excuti  placet,  quo- 
niam  semper  idem  est  usw.  Wegen  der  Stellung  des  Relativsatzes  und 
des  Singularis  des  Verbums  doceo  sind  auch  Förster  diese  Worte  an- 
stößig erschienen,  und  er  hält  im  Falle  der  Echtheit  nur  die  Erklärung 
durch  Ellipse  für  zulässig  (S.  181).  Aber  kann  man  ergänzend  erklären 
ratio  qua  doceo  (hanc  rationem  ineundam  vel  e  ligno  faciendam  esse)? 
Erträglich  wäre  doch  nur  ratione  quam  doceo  zu  denken,  und  wie 
hier  die  Sätze  aufeinander  folgen  (quae  ratio  .  .  .  ratione  qua),  würde 
selbst  eine  an  sich  schon  gewagte  Umstellung:  qua  doceo  ratione, 
bei  der  die  Kasusangleichung  möglich  wäre,  keinen  Beifall  verdienen. 
Ich   hatte  daher  in  meiner  Ausgabe  mit  Verwandlung  von  est  (e)  in 


Textkritisches  zur  Naturalis  Historia  des  Plinius  29 

esse{ee)  und  veränderter  Interpunktion  geschrieben:  ratione  qua  doceo 
occurrendum  . .  .  esse,  meridiem  excuti  placet,  und  Förster  hat  dies, 
wenn  auch  zweifelnd,  doch  „sehr  ansprechend"  gefunden.  Wieder- 
holte Betrachtung  der  Stelle  hat  mir  aber  gezeigt,  daß  damit  nicht 
geholfen  ist.  Der  Schaden  sitzt  tiefer  und  hat  weiter  um  sich  gegrif- 
fen. Mit  Rücksicht  auf  die  schon  §  326  begonnene  Auseinandersetzung 
hätte  Plinius  sicherlich  weder  doceo  noch  docemus,  sondern  docuimus1) 
gesagt.  Und  ferner:  selbst  wenn  succurrendum  dastände  und  ingenia 
ohne  Beiwort  die  schwachen  Begabungen  bedeuten  könnte"),  was  bei 
Plinius  nie  der  Fall  ist,  so  müßte  man  verwundert  fragen:  Also  wäre 
das  Hilfsmittel  „auch"  für  die  Unerfahrenen  bestimmt?  Für  wen  denn 
sonst,  wenn  nicht  für  diese?  Die  „periti"  bedürfen  dessen  doch  nicht. 
Aber  im  Text  steht  occurrendum,  und  das  bedeutet  bei  Plinius  nie- 
mals „entgegenkommen"  im  Sinne  des  Helfens,  sondern  „entgegen- 
wirken, vorbeugen,  verhindern",  und  da  der  hölzernen  Orientierungs- 
scheibe nachgerühmt  wird,  daß  sie  dauerhaft  sei  und  nicht  jedesmal 
erneuert  zu  werden  brauche,  so  liegt  es  nahe,  noch  an  einen  anderen 
Vorzug  zu  denken,  der  sie  vor  der  vergänglichen  Zeichnung  auf  dem 
Erdboden  auszeichnet:  sie  kann  nicht  von  Unkundigen  aus  Unacht- 
samkeit zertreten  oder  sonstwie  unbrauchbar  gemacht  werden.  Da- 
her wird  das  unpassende  ingenüs  durch  den  Begriff  der  Beschädi- 
gung,  d.  h.  iniuriis,  zu  ersetzen  sein,  wobei  zugleich   quoque  seine 


1)  Unter  den  mehr  als  700  Verweisungen  in  der  Nat.  hist.  habe  ich  17 
docuimus  und  11  docebimus  gezählt.  Ihnen  steht  der  einzige  Singular  24,65 
cum  docuerim  gegenüber  im  Anschluß  an  einen  Hauptsatz,  in  welchem  Pli- 
nius mit  dubito  an  seine  persönliche  Meinung  hervorhebt.  Ebenso  finde  ich 
unter  den  Hunderten  von  diximus  und  dicemus  nur  24,  149  ein  dixi  mit  Be- 
ziehung auf  die  kurz  vorhergegangene  Stelle  §  142,  die  eine  mit  si  modo 
est  nur  zweifelnd  ausgesprochene  Vermutung  des  Autors  enthält,  und  bei 
dem  einen  dicam,  das  33,  117  im  voraus  auf  35,33  verweist,  handelt  es  sich 
um  eine  Unterscheidung  der  eigenen  Ansicht  von  einer  anderen  (voluere  in- 
tellegi  quidam).  Auch  das  vereinzelte  exposui  (30,  12)  bezieht  sich  nicht  auf 
einen  bloßen  Bericht  von  Tatsachen,  sondern  auf  selbsterdachte  Beweisgründe 
(argumenta  quae  priore  volumine  [28,  17]  exposui).  Überall  wird  das  Sub- 
jektive des  Zitierten  betont. 

2)  So  übersetzt  Külb:  „Nach  meiner  Lehrweise  muß  ich  auch  dem 
Fassungsvermögen  der  Unerfahrenen  zu  Hilfe  kommen".  Littre  sucht 
sich  anders  zu  helfen:  „Dans  le  procede  que  j'enseigne,  il  faut  prevenir 
une  erreur  que  des  gens  ignorants  pourraient  commettre:  ce  qu'il  faut 
verifier,  c'est  le  midi  qui  est  toujours  le  meme." 


30  Karl  Mayhoff 

richtige  Stellung  bekommt:  occurrendum  iniuriis  quoque  inperitorum 
est  Der  Begriff  des  Vorzuges  aber  oder  der  auszeichnenden  Eigen- 
schaft muß  in  dem  Vorhergehenden  enthalten  sein  und  bietet  sich  un- 
gesucht in  qua  dote  dar,  dessen  Verfälschung  zu  qua  doceo  durch 
Hinzunahme  des  folgenden  o  die  weitere  Folge  gehabt  hat,  daß  zur 
Erklärung  das  Glossem  ratione  an  den  Rand  oder  über  die  Zeile  ge- 
schrieben wurde  und  so  in  den  Text  eindrang.  Erst  wenn  wir  lesen: 
quae  ratio  semel  in  quoque  agro  .  .  .  adactis,  qua  dote  occurrendum 
. .  .  est.  meridiem  excuti  placet  usw.  schließen  sich  die  beiden  Sätze 
angemessen  aneinander,  während  das  so  ungeschickt  wie  unnötig 
wiederholte  ratione  sie  ganz  ohne  Verknüpfung  läßt.  Der  nächste  Ge- 
danke, der  auch  mit  meridiem  autem  hätte  eingeführt  werden  können, 
steht  dann  asyndetisch  als  nachträgliche  Erläuterung  für  sich  da.  Das 
Wort  dos  im  obigen  Sinne  kann  man  fast  ein  Lieblingswort  des  Pli- 
nius  nennen:  unter  den  mir  bekannten  24  Stellen  sind  nur  drei  mit 
der  eigentlichen  Bedeutung  der  Mitgift  einer  Frau  (16,  141.  34,  36. 
14,  90);  in  fünf  anderen  tritt  der  schon  erweiterte  Begriff  einer  Gabe 
deutlich  hervor  (22,  1.  21,  87.  18,  144.  12,  42.  9,  109),  in  den  übrigen 
aber  herrscht  nur  noch  der  einer  auszeichnenden,  besonderen  Eigen- 
schaft. Viermal  erscheint  es  mit  dem  Beiwort  praecipua  (8,  134.  13, 
44.96.  16, 176),  und  verbunden  mit  medica  32,46  und  septica  34, 177 
unterscheidet  sich  dos  dem  Sinne  nach  kaum  noch  von  dem  sonst 
gebrauchten  vis.  Alle  Belege  hier  auszuschreiben  macht  die  eine  Stelle 
überflüssig,  in  der  wir  die  Ausdrücke,  die  uns  soeben  beschäftigt 
haben,  in  merkwürdiger  Vereinigung  wiederfinden:  17,203  utpote  cum 
arbusti  ratio  hac  peculiari  dote  praestet,  quod  ab  eodem  solo 
ferri  fruges  et  vitibus  prodest,  superque  quod  vindicans  se  altitudo 
non,  ut  in  vinea,  ad  arcendas  animalium  iniurias  pariete  vel  saepe 
vel  fossarum  utique  inpendio  muniri  se  cogit.  Hier  wird  an  dem  „Ver- 
fahren", den  Weinstock  an  Bäumen  zu  ziehen,  der  „besondere  Vor- 
zug" gerühmt,  daß  es  die  Fruchtbarkeit  des  Weinstocks  vermehrt  und 
schon  durch  die  Höhe,  die  sich  selbst  schützt,  „Beschädigungen"  durch 
Tiere  fernhält. 

Es  ist  noch  eine  andere,  von  Förster  nicht  behandelte  Stelle  übrig, 
die  sich  der  Plinianischen  Norm  nicht  fügt.  Mit  Beziehung  auf  10,  40, 
wo  von  den  Spechten  berichtet  wird,  daß  adactos  cavernis  eorum  a 
pastore  cuneos  admota  quadam  ab  iis  herba  elabi  creditur  vulgo, 
heißt  es  25,  14:  dixit  Democritus  .  .  .  esse  herbam,  cuius  contactu  in- 


Textkritisches  zur  Naturalis  Historia  des  Plinius  31 

latae  ab  alite,  qua  retulimus,  exiliret  cuneus  a  pastoribus  arbori 
adactus.  Das  qua  kann  Plinius  aus  seiner  Quelle  hier  nicht  entnom- 
men haben;  die  Rückverweisung  stammt  aus  seiner  eigenen  Feder, 
diese  aber  ließe  die  Wortstellung  a  qua  retulimus  alite  auch  in  der 
elliptischen  Redeform  erwarten,  mit  der  Joh.  Müller  (Wochenschr.  f. 
klass.  Philol.  1897  S.  798)  durch  die  Umschreibung  ab  alite  (a)  qua 
(inferri  herbam)  retulimus  den  Ablativ  zu  schützen  sucht.  Doch  ver- 
wiesen wird  hier  nicht  eigentlich  auf  inferri  herbam,  sondern  entweder 
auf  den  ganzen  Vorgang,  der  schon  10,  40  vollständig  und  fast  mit 
denselben  Worten  berichtet  ist,  oder  auf  den  hier  nicht  mitgenannten 
Namen  des  Vogels.  In  beiden  Fällen  würde  ut  oder  sicut  retulimus 
passend  sein,  wie  16,  14.  21,  120.  29,  6.  36,  104.  9,  57.  30,  123,  im 
zweiten  quam  diximus  oder  appellavimus.  Die  Herausgeber  haben 
alle  außer  Detlefsen  quam  retulimus  korrigiert  —  der  entscheidende 
Strich  über  dem  a  ist  ja  auch  in  hundert  anderen  Fällen  übersehen 
worden  — ,  vielleicht  bestimmt  durch  das  wenige  Zeilen  nachher  §  16 
folgende  sicut  Uli  (herbae),  quam  retulimus  in  frugum  cura  sci- 
musque  defossam  in  angulis  segetis  praestare,  ne  qua  ales  intret. 
Dieses  Beispiel  ist  allerdings  insofern  nicht  völlig  gleich,  als  hier  re- 
tulimus scimusque  eng  verbunden  zu  sein  und  quam  zu  defossam . . . 
praestare  zu  gehören  scheint,  denn  18,  160,  worauf  verwiesen  wird, 
folgen  auf  sturnorum  passerumve  agmina  scio  abigi  herba  dieselben 
Worte  wie  dort  auf  scimusque.  An  allen  anderen  Stellen  verbindet 
Plinius  referre  mit  dem  Akkusativ  nur,  wenn  Tatsachen,  Handlungen 
oder  Zustände  und  Eigenschaften  Objekt  sind;  bei  lebenden  Wesen 
oder  konkreten  Gegenständen  setzt  er  die  in  jedem  Falle  passende 
Präposition  de,  wie  15,  91  de  pistaciis  in  suo  loco  retulimus.  Darum 
habe  ich  auch,  da  de  nach  te  leicht  hat  ausfallen  können,  in  meiner 
Ausgabe  vermutet  ab  alite  (dey  qua  retulimus.  Was  Plinius  selbst 
geschrieben,  muß  wohl  dahingestellt  bleiben.  Wäre  es  wirklich  qua, 
so  bliebe  dies  bei  ihm  das  einzige  Beispiel  für  eine  Ausdrucksweise, 
die,  obwohl  nicht  unerhört  in  der  Literatur,  die  er  vorfand,  doch  mit 
Absicht,  wie  man  annehmen  muß,  von  ihm  sonst  vermieden  worden  ist. 


DER  ÄLTESTE  STUNDENPLAN 
DER  NIKOLAISCHULE  VOM  JAHRE  1574 

VON  OTTO  KAEMMEL 

Wenn  die  Schulordnungen  alter  Lateinschulen  sagen,  wie  es  sein 
soll,  so  zeigen  Stundenpläne,  wie  es  wirklich  gewesen  ist.  Nur  sind 
solche  in  älterer  Zeit  verhältnismäßig  selten,  denn  sie  wurden  nur  bei 
besonderen  Veranlassungen  aktenkundig,  vor  allem  bei  einer  der  häu- 
figen allgemeinen  oder  lokalen  Kirchen-  und  Schulvisitationen.  Da  das 
evangelisch-lutherische  Kursachsen  in  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahr- 
hunderts und  noch  später  das  klassische  Land  dieser  Visitationen  ist, 
so  verdanken  wir  einer  solchen  auch  den  ältesten  uns  erhaltenen  Stun- 
denplan der  Nikolaischule  aus  dem  Jahre  1574.  Die  Visitation  betraf 
die  Superintendentur  Leipzig  und  wurde  von  Dr.  Heinrich  Salmuth, 
dem  Superintendenten  von  Leipzig,  und  Cäsar  von  Breitenbach  zu 
Roschwitz  als  kurfürstlichen  Bevollmächtigten  im  September  jenes  Jahres 
vorgenommen.  Ihre  Akten  liegen  uns  in  einem  umfänglichen  Faszikel 
des  Königlichen  Hauptstaatsarchivs  zu  Dresden  vor.1) 

Allerdings  gibt  es  für  die  Visitation  in  der  Stadt  keine  Protokolle, 
denn  der  Rat  reichte  nur  „ein  General  Vorzeichnis  der  Kirchen-  vnnd 
Schueldiner  besoldung  samt  einem  Extract  vber  1600  fl.  hierzu  ver- 
ordnetes jherliches  Einkommens"  ein,  wobei  sich  die  Visitatoren  auch 
zunächst  beruhigten,  und  erst  am  16.  September  die  verlangten  An- 
gaben über  Kirchengüter,  Hospitalien,  Stiftungen,  Stipendien  usf.  Da- 


1)  Registratur  der  Visitation,  so  vff  empfangenen  Churfürstlichen  bevelch 
durch  Hern  Heinricum  Salmuth  Doctorn,  Pfarrhern  vndt  Superintendenten 
zu  Leiptzigk,  vndt  Caesarn  von  Breitenbach  zu  Roßschwitz,  in  der  Superin- 
tendentz  Leiptzigk  gehaltenn  vndt  angefangenn  den  2.  Septembris,  Anno  1574, 
Loc.  2002  des  H.  St.  A.  -  Heinrich  Salmuth  aus  Schweinfurt,  an  der  Univer- 
sität Leipzig  inskribiert  W.  1537,  Bavarus,  baccalaureus  art.  S.  1541,  magister 
W.  1545,  baccal.  theol.  1549,  licentiatus  1553,  dr  theol.  1558,  Dekan  1567 
und  1573,  Matrikel  der  Universität  Leipzig  hrsg.  v.  G.  Erler  III,  731. 


PA  Mayhoff ,  Karl 

6616  Tex+kritisches  zur 

M38  Naturalis  historia  des  Plinius 


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