Mayhoff, Karl
Textkritisches zur
Naturalis historia aes
Plinius
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TEXTKRITISCHES ZUR NATURALIS HISTORIA
DES PLINIUS
VON KARL MAYHOFF
Friedrich Münzer und D. Detlefsen haben das Verdienst, mit einer
auf gründlicher Kenntnis und weitem Überblick beruhenden gerechten
Würdigung der Arbeitsweise des Plinius der fast zur Mode geworde-
nen Geringschätzung des rastlos bildungseifrigen Mannes entgegen-
getreten zu sein.1) Daß ein Werk von dem Umfang und der Vielseitig-
keit der Naturalis historia, von dem in hohen Staatsämtern tätigen
Verfasser in wenigen Jahren ausgearbeitet und nach seinem jähen
Tode in nicht völlig ausgeglichener Gestalt veröffentlicht, unverkenn-
bare Spuren von Flüchtigkeit aufweist, ist an sich nicht so sehr zu
verwundern; manche sind denn auch schon bald erkannt worden,
seitdem es als unentbehrliche Fundgrube antiquarischen Wissens eifrig
studiert wurde, und Münzer hat, weit entfernt, die Versehen zu be-
beschönigen, außer denen, die im Verlaufe seiner Untersuchungen
zur Sprache kommen, in einem eigenen Kapitel seiner Beiträge S. 119 ff.
eine Reihe von Fällen dieser Art zusammengestellt, die dem Verdacht
allzu nachsichtiger Beurteilung den Boden entzieht.2)
1) Münzer in den Beiträgen zur Quellenkritik der Naturgeschichte des
Plinius (Berlin 1897), Detlefsen in den Untersuchungen über die Zusammen-
setzung der Naturgeschichte des Plinius (Berlin 1899) und den verschiedenen
späteren quellengeschichtlichen Arbeiten zu den geographischen Büchern.
2) Einer dieser Fälle ist allerdings auszuscheiden, nämlich der, daß nach
Münzer S. 122 Plinius gedankenlos den Widerspruch übersehen haben soll
zwischen 5,69 und seinem Bericht 9, 11: beluae, cui dicebatur exposita
fuisse Andromeda, ossa Romae apportata ex oppido Iudaeae Iope ostendit
inter reliqua miracula in aedilitate sua (58 v. Chr.) M. Scaurus, „da es aus-
geschlossen zu sein scheine, daß nach der Ädilität des Scaurus das Skelett
wieder nach Iope zurückgebracht worden sei". Die Stelle 5, 69 sagt nichts
von den ossa beluae, sondern lautet: Iope . . . insidet collem praeiacente
Xenia Nicolaitana. 2
lg Karl Mayhoff
Man hat jedoch dabei zu berücksichtigen — und Münzer hat dies
so wenig wie Detlefsen unterlassen -, daß die Textüberlieferung der
Naturalis historia in mehr als der Hälfte ihrer Bücher nur auf jüngeren
Handschriften beruht, die in vielfacher Verderbnis auf uns gekommen
und nicht überall unbedingt zuverlässig kollationiert sind. Darum for-
dert die Möglichkeit, daß ein Versehen einem Abschreiber und nicht
dem Autor zur Last fällt, in jedem einzelnen Falle zu aufmerksamer
Prüfung heraus.
Diese Möglichkeit waltet besonders bei Zahlenangaben ob, die
bei der umständlichen römischen Art, größere Zahlen in Ziffern aus-
zudrücken, leicht Versehen ausgesetzt waren, zumal da die Ziffern zu-
gleich die Form von Buchstaben hatten. Ein schlagendes Beispiel
bietet die Vergleichung von 7, 84 mit 2, 181. Die letztere Stelle be-
richtet, daß die von Philonides, einem Läufer Alexanders, in neun
Stunden zurückgelegte Strecke von Sicyon nach Elis 1200 Stadien be-
trage, während 7, 84, wo dieselbe Notiz in anderem Zusammenhange
wiederkehrt, in den für uns maßgebenden Hss die Ziffer MCCCV zu
lesen ist. Die ältesten Ausgaben schrieben nach einer noch jüngeren
Hs MCCCII (mit einer sehr häufigen Verwechslung1) von II und V);
statt dessen schlug Barbarus 1493 auf Grund von 2, 181 und Solinus
1, 98, der die Stelle 7, 84 fast wörtlich ausgeschrieben hat, MCC vor,
und diese Emendation, die den Widerspruch aufhob, blieb im Text
bis auf Sillig und seine Nachfolger, die aus Achtung vor der Über-
lieferung sich bei dem unwahrscheinlichen MCCCV beruhigten trotz
den bei Plin. 2, 181 wie bei Solin. 1, 98 voll ausgeschriebenen mille
ducenta. Das Rätsel löst sich bei strengem Anschluß an den hsl. Tat-
bestand. In den Ausgaben freilich lauten die Worte: Cucurrisse MCXL
stadia ab Athenis Lacedaemonem biduo Philippidem magnum erat,
donec Anystis Cursor Lacedaemonhis et Philonides Alexandri Magni a
Sicyone Elim uno die MCCCV stadia cucurrerunt. Aber dieses zweite
saxo, in quo vinculorum Andromedae vestigia ostendit (sc. Iope, denn
ostendit, nicht ostendunt, wie die Ausgg. bisher lasen, ist nach den Hss
herzustellen). Auch 5, 128 ante lopen Paria (insula est), tota oppidum, in
qua obiectam beluae Andromedam ferunt ist von den ossa keine Rede.
1) Sie findet sich besonders im Leid. A und im Paris. E, und man hat
sich dadurch selbst bei Ausdrücken wie // (statt V) dierum itinere täuschen
lassen, wo Plinius bidui itinere gesagt haben würde, wie er statt /// und ////
dies auch regelmäßig triduum und quadriduum sagt: vgl. m. Ausg. Bd. I
append. p. 555 (zu 6, 173 und 199).
Textkritisches zur Naturalis Historia des Plinius 19
stadia, das hier ebensowenig nötig ist wie hinter Philonides ein
zweites Cursor, steht weder in den beiden von mir verglichenen Leid.F
und Vindob. a noch im Rice. R, dessen Kollation von Jan herrührt,
und die enge Verwandtschaft zwischen ihnen und Vatic. D und Paris. E,
von denen Detlefsens Vergleichung nur unvollständig vorliegt, stellt
es außer Zweifel, daß auch in diesen stadia fehlen muß. Wenn mit-
hin in der Urhs ohne Wortabteilung MCCCVCVRRERVNT geschrie-
ben war, so leuchtet ein, daß nur Dittographie der Anfangssilbe von
cueurrerunt zu dem falschen MCCCV geführt hat. Jenes stadia ist
nichts als ein späterer Zusatz; in meiner Ausgabe von 1909 habe ich
ihn zwar entfernt, aber die Entstehung der falschen Ziffer hatte ich
leider noch nicht bemerkt.
So sicher wie hier ist die Entscheidung allerdings nur selten.
Wenn 7, 93 die Zahl der von Pompeius versenkten oder eroberten
Piratenschiffe auf DCCCXLVI, gleich darauf aber § 97 auf DCCXLVI
angegeben wird, so steht die Wage anscheinend ganz gleich: in dem
einen Falle kann ebensogut ein C zu viel wie in dem anderen ein C
zu wenig geschrieben worden sein. Denn daß § 97 die Inschrift am
Tempel der Minerva, den Pompeius „ex manubiis" geweiht hat, in
ihrem ganzen Wortlaut mitgeteilt wird, würde nur dann ins Gewicht
fallen, wenn wir das Original des Plinius und nicht Abschriften einer
Abschrift davon vor uns hätten. Die Herausgeber haben sich von
Anfang an ohne erkennbaren Grund für 846 entschieden. Indes der
Umstand, daß Plutarch Pomp. 45 dafür 800, Appian Mithr. 116 aber
nur 700 setzt, kann für 746 den Ausschlag geben. Beide haben sich
offenbar, jener nach oben, dieser nach unten, eine Abrundung erlaubt;
da dürfte das Richtige in der Mitte liegen, und § 93 ein C zu strei-
chen sein.
Um eine von Plinius selbst vorgenommene Abrundung handelt es
sich 2, 245 und 5, 132 bei dem in Ziffern gegebenen Maße der Ent-
fernung zwischen Alexandria und Rhodus. An der ersteren Stelle er-
scheint diese als Teilstrecke einer Route von der südlichsten bewohn-
ten Küste des äthiopischen Meeres nach Norden bis zur Mündung des
Tanais, die zur Berechnung der Breite der Erde dient. Es ist die Mes-
sung, in der Artemidorus und Isidorus von Charax übereinstimmen,
und sie ergibt 4670 Stadien, d.h. in genauer Umrechnung 583 750
röm. Schritt. Um eine runde Zahl zu bekommen, hat Plinius dafür
584 000, also 2 Stadien oder 250 Schritt zu viel, angesetzt. Diese
2*
20 Karl Mayhoff
Ziffer haben außer dem Leid. A, der III statt IUI hat, alle Hss, und
ihre Richtigkeit wird dadurch verbürgt, daß sonst die Summe der Teil-
• strecken nach der auch von Detlefsen (Maße der Erdteile nach Plin.
S. 34) angenommenen Feststellung C. Müllers zu Agathemerus 4, 19
(Geogr. Gr. min. II 481) nicht herauskommen würde. Die andere Stelle
5, 132 enthält neben zwei anderen Messungen wiederum die Isidori-
sche (ut Isidorus tradit), aber hier ist DLXXXIII die gemeinsame
Überlieferung, nur daß im Leid. A von erster Hand ein X zu wenig
und im Paris E VIII statt III geschrieben ist. An eine solche Abrun-
dung nach unten, die 6 Stadien oder 750 Schritt zu wenig rechnet
und bei der Wahl zwischen zwei Fehlern den größeren vorzieht, ist
schwer zu glauben. Gerade hier war Plinius durch keine Rücksicht
dazu genötigt, und die daneben angeführte Eratosthenische Zahl hat
er genau ebenso wie 2, 245 die Isidorische nach oben abgerundet,
indem er 3750 Stadien (vgl. Strabo II p. 126) mit einem Zuviel von
2 Stadien oder 250 Schritt gleich 469 000 Schritt setzte. Auch bei
dieser Ziffer hat Leid. A wieder ein I am Ende zu wenig und sie so
um 1000 vermindert. Überhaupt aber wird Plinius die Umrechnung
der zahlreichen griechischen Maßangaben, die er benutzte, gewiß nicht
jedesmal aufs neue angestellt, sondern in seinen geographischen Kol-
lektaneen ein für allemal gebrauchsfertig bereitgehalten haben, und
wir tun schwerlich unrecht, 5, 132 mit 2, 245 durch Hinzufügung
eines I auszugleichen, mag es als vor dem folgenden ut ausgefallen
oder III aus der Schreibung IV, die sich auch in den Hss mitunter
findet, entstanden zu denken sein.1)
In diesem Zusammenhange möchte ich eine Emendation, die Det-
lefsen (Anordnung d. geogr. Bücher d. Plin. u. ihre Quellen S. 65 A.3)
„nicht recht verständlich" gefunden hat, etwas ausführlicher begrün-
den, als es in dem Anhang meiner Ausgabe Bd. I S. 543 (zu 2, 246)
bei der gebotenen Kürze möglich war. Auf die Maße der oben er-
wähnten Route folgt der Satz: ab ostio Tanais nihil modicum dili-
1) Ich berichtige hier ein bei der Druckrevision meiner Ausg. mir ent-
gangenes Versehen. Die letzte Ziffer im Text von 5, 150 (Bd. 1 S. 427, 9)
muß nach Agathemerus 4, 19 und in Übereinstimmung mit 2, 245 nicht
CCCXXII • D, sondern CCCXII • D heißen, wie schon aus meiner Anordnung
der Varianten in den krit. Noten hervorgeht. So schrieb man auch vor Har-
douin, und inzwischen hat A. Klotz quaest. Plin. geogr. p. 173 das Richtige
wieder bemerkt.
Textkritisches zur Naturalis Historia des Plinius 21
gentissimi auctores fecere. Sillig hat zuerst an nihil modicum Anstoß
genommen und nihil modi quam empfohlen, so daß quam mit dem
Superlativ zu verbinden wäre; Detlefsen hat daraus nihil dum modi
gemacht. Beide Änderungen sind, von paläographischen Bedenken
abgesehen, wegen des unrichtigen Gedankens nicht befriedigend. Arte-
midorus zwar hat sich einer Schätzung der nördlichen Zone ganz ent-
halten, da er ulteriora inconperta existimavit, aber Isidorus hat sie in
Zahlen zu geben versucht, indem er für das Gebiet nördlich vom
Tanais bis zur Insel Thyle 1 250 000 Schritt ansetzte, diese zu der für
jene Gesamtstrecke ermittelten Summe von 4 212 000 Schritt hinzu-
fügte (Isidorus adiecit \xil\ • I) und so zu dem Maße der Erdbreite
kam, das Plinius als das Isidorische § 245 gleich an die Spitze ge-
stellt hat. Wenn er sich hier mit dieser einen Schätzung begnügt (vgl.
§ 247 de longitudine et latitudine haec sunt quae digna memoratu
putem), so schließt das nicht aus, daß andere „diligentissimi auctores"
noch andere versucht haben, die er ebenfalls hätte erwähnen können,
wie er gleich darauf in betreff des universus circuitus terrae Erato-
sthenes und Hipparchus mit Ausdrücken hoher Bewunderung nennt.
Daß „noch keinerlei Messungen" {nihil modi) der Erdbreite angestellt
worden seien, ist also ein Gedanke, den man Plinius nicht unterschie-
ben darf. Was er über Berechnungen, die er selbst nicht mit wissen-
schaftlicher Sachkenntnis nachzuprüfen vermochte, zu urteilen sich er-
laubt, ist dies, daß sie ihm als coniectura divinationis erscheinen, doch
im Hinblick auf das weite Gebiet, das „für die unzählbaren Stämme
der Sarmaten Raum habe", und das vermutlich noch viel größere der
unbewohnbaren Zone mit den erst kürzlich bekannt gewordenen in-
mensae insulae jenseits von Germanien findet er jene Ansätze durch-
aus mäßig, keineswegs übertrieben, vielmehr hinter der Wirklichkeit
noch zurückbleibend. Im Einklang damit habe ich nihil inmodicum...
fecere geschrieben mit einer Änderung, die nur voraussetzt, daß das
in einem Abschreiber als störende Verdoppelung des m erschienen
sei, und der Sinn ist: „sie haben nichts aufgestellt, was über ein denk-
bares Maß hinausginge". Für fecere hätte auch posuere stehen kön-
nen, wie 3, 58 Theophrastus mensuram posuit stadia LXXX, aber
nicht minder häufig ist facere mit beigefügter Zahl: 6, 3 mensuram
Ponti . . . quidam fecere, 6, 209 longitudinem fecit . . . Agrippa, und
ähnlich 5,40.102. 4,45.50.77. 3,129. 6, 108. Was modicus und
sein Gegenteil betrifft, so bezeichnen sie das natürliche oder gewöhn-
22 Karl Mayhoff
liehe, erträgliche Maß und was darüber hinausgeht: 6, 65 (Gangen)
lenem fluere, ubi minimum, VIII p. laütudine, ubi modicum, sta-
diorum C, 6, 135 modico spatio, 34, 40 modico intervallo, 33, 107
modici ponderis u. a.; inmodicus dagegen in Verbindung mit discor-
dia 4,98, indignatio 9,22, loquacitates 28,118, sudores 20,260,
sanguis narium 28, 61 u. a.
Ähnlich wie mit den Ziffern verhält es sich mit vielen Namen,
die an verschiedenen Stellen in verschiedener Schreibung auftreten.
Bei einigen von ihnen mag der Grund darin liegen, daß diese aus den
verschiedenen gerade benutzten Quellenschriften herübergenommen
ist, bei anderen jedoch kann die Schuld den Abschreibern zufallen,
die unter dem Einfluß der orthographischen Verwilderung ihrer Zeit
standen, z. B. wenn ihnen bei bekannteren Namen statt der in der
Vorlage stehenden Form unwillkürlich die ihnen geläufige in die Feder
kam. Deutlich erkennbar ist dies bei den Vulgärformen Ptolomaeus
und Ptolomais, deren literarisches Bürgerrecht nach dem Vorgange
Fleckeisens von Brambach (Lat. Orthogr. S. 105, Hilfsbüchlein S. 55)
als allgemein behauptet und im Text des Plinius von Detlefsen an-
erkannt worden ist, obgleich hier der hsl. Tatbestand nicht dafür
spricht. Der Monesche Palimpsest M (5. oder 6. Jahrh.) kennt nur die
echte Form mit e 12, 76. 13, 70 zweimal und 13, 93; ebenso der Bam-
berg. B 35 67. 83. 89. 138. 37, 24. 108 zweimal, mit Ausnahme von
33, 136 und 36, 190, wo die mittelalterliche Gewohnheit des o sich
geltend gemacht hat; in den jüngeren Hss aber, die ihr in der Regel,
meist mit weiteren Entstellungen, folgen, haben sich doch so viele
Spuren des Echten erhalten, daß des Plinius eigene Schreibweise
außer Zweifel steht, man müßte denn dem auch um grammatische
Dinge so eifrig bemühten Schriftsteller im Ernst zutrauen, die lite-
rarische und die plebejische Form nebeneinander in dem zufälligen
Verhältnis gebraucht zu haben, wie es in unseren Hss sich darstellt.
Unter den 43 in Betracht kommenden Stellen der Naturalis historia
weist Leid. F 16 Formen mit e (oder häufig ae) auf: Ind. auet. 12 und
13. 2, 183. 5, 11. 16. 31. 32. 6, 188. 7, 123. 9, 6. 10, 51. 12, 56. 76.
14, 76. 37, 24. 108; nur 2, 183 ist bezeichnenderweise über das ae
von späterer Hand ein o gesetzt. Außerdem ist im Vatic. D 5, 11. 31,
im Rice. R 5, 3 1 . 35, 89 e, im Par. E 5,11. 1 2, 56. 76 e oder q bezeugt,
doch werden die Kollationen nicht vollständig sein. Die beiden im
Leid. A erhaltenen Stellen freilich haben o, wie es in dem Exzerpt
Textkritisches zur Naturalis Historia des Plinius 23
Roberts von Cricklade, das aus einer verwandten Vorlage stammt, und
im Vindob. a regelmäßig zu sein scheint. Dabei steht für pt oft pth,
sogar bloßes r/z, und meus für die Endung maeus.
Wie in diesen so tritt auch in anderen Namen, wo h fälschlich
bald weggelassen, bald zugesetzt und bloßes e beliebig für ae oder oe
geschrieben wird, die ganze Unsicherheit oder Nachlässigkeit der Ab-
schreiber zutage, die wir heute, wenn sich geeignete kritische Hand-
haben bieten, unbedenklich zu beseitigen haben. So hat 3, 89 flumen
Elorum dasselbe gute Recht auf sein H wie 32, 16 das gleichnamige
castellum Helorum (vgl. Verg. Aen. 111 698. Ov. fast. IV 477. Sil. Ital.
XIV 269. Vibius Sequ. p. 148,29 Riese), und 5, 117 muß das sta-
gnum Säle nach Pausan. VII 24, 13 Xiuvn. övoualouevn. CaXön. seinen rich-
tigen Namen Saloe empfangen, der schon im Rice. R von einer späte-
ren Hand verzeichnet ist; so ist die Pluralform Aegyptiae Thebae
(36,94. 37, 141; in Thebis 36,58, circa Thebas 13,63. 36,61. 37,104)
auch 5, 60 statt Thebe herzustellen mit der Interpunktion Diospolis
Magna, eadem Thebae, portarum nobilis fama, ohne daß wir aus Solin.
32, 40 nobiles aufnehmen, und umgekehrt sind die Leucogaei colles
und fontes 18, 114. 31, 12. 35, 174 dem griechischen XeuKÖxeioc ent-
sprechend ohne a zu schreiben. Bei Dareus oder Darius, Alexandrea
oder Alexandria werden wir zwar über das Schwanken der Hss nicht
hinauskommen, aber Medea läßt sich an der einen Stelle 2, 235 nicht
halten gegenüber den sieben 3, 151 in Fxa. 7, 126. 25, 10. 35, 26.
136. 137. 145, wo Media so sicher beglaubigt ist wie für den Fluß im
Tal Tempe die Form Penius 2, 230. 4, 31. 25, 76. Die Bewohner von
Elis heißen 4, 14 Elii; daher ist 10, 75 eui nicht mit Gelenius in Elei,
sondern in Elii zu verbessern. Doch genug solcher Beispiele! Zwei
andere mögen noch zeigen, daß auch die „beste" Hs nicht unbedingt
das Echte bewahrt haben muß.
Der Name eines kleinen Flusses, nach dem eine der Pomündungen
benannt wurde und der auf der Tab. Peut. Saternus, heute Santerno
heißt, pflegt nach der einen Pliniusstelle - auch Nissen (Ital. Landes-
kunde II 251) nennt keine andere - zitiert zu werden: 3, 120 äuget
ibi Padum Vatrenus amnis ex Forocorneliensi agro. Er wird aber
auch unmittelbar vorher § 119 erwähnt: proximum inde ostium (Padi)
magnitudinem portus habet qui Vatreni dicitur, doch hier mit den
Varianten uatreni AF2, uatereni DF^, uaterreni R, uaterni ao. Es
kommt hinzu, daß Martial, der nach III 4, 4 - ein Hinweis, den ich
24 Karl Mayhoff
W. Gilberts Güte verdanke — die Epigramme seines dritten Buches
in Forum Cornelii gedichtet hat, III 67, 2 dem Flusse den variantenlos
überlieferten Namen Vaternus gibt. Bei diesem Sachverhalt ist der Ver-
dacht kaum abzuweisen, daß die Form Vatrenus von einem Schreib-
fehler in § 120 stammt, der von da erst durch nachträgliche Korrektur
des falschen uatereni in § 119 hineingeraten ist. Die Vorlage, der
Robert von Cricklade sein Exzerpt (o) entlehnt hat, steht, wie schon
gesagt, durch Herkunft und Alter in naher Beziehung zu der des Leid. A;
in dieser wird ein aufmerksamer Leser den Widerspruch des § 119
vorgefundenen uaterni mit dem uatrenus des § 120 zugunsten des
letzteren ausgeglichen haben, und auf dieselbe Quelle geht F" zurück.
Ein gleicher Fehler findet sich 7, 98: Bastrenis für Basternis (vgl.
4, 100.81).
Nach Pytheas erwähnt Plinius 37, 35 in der Nordsee ein aestu-
arium oceani Metuonidis nomine, in welchem Detlefsen (Entdeckung
d. german. Nordens im Altert. 1904 S. 9-12 und Nachtrag dazu 1909
5. 15) das schleswigsche Wattenmeer erkannt und dessen Namen er
mit lehrreichem etymologischen Nachweis als griechische Umformung
des uralten einheimischen Wortes meden, d. h. „Wiesen-, Marsch- und
Moorland" gedeutet hat. Der Name ist von ihm zuerst aus den Hss
B und a, die ihn allein richtig überliefern, in sein Recht eingesetzt
worden; er bezieht sich als Apposition nicht auf oceani, sondern auf
aestuarium, und es muß demnach, der Naturbeschaffenheit der Küste
wie der Bedeutung des Plurals meden entsprechend, der Plural Me-
tuonides stehen, den die geringere Hs a bietet. Das grammatische
Verhältnis ist so klar, daß es der Verweisung auf Joh. Müllers Stil d.
alt. Plin. S. 76 und einer Vermehrung der dort gesammelten Beispiele
nicht bedarf. Anderer Art sind natürlich Ausdrücke wie 4, 79 Hister
. . . per innumeras lapsus gentes Danuvi nomine, d. h. „unter dem
Namen", 12, 42, wo ein genus nardi damnatur in totum ozaeniti-
dos nomine, virus redolens, oder 5, 22 colonia Cirta Sittianorum
cognomine, wo der Genetiv selbst als Zusatz zum Namen Cirta zu
verstehen ist.
Wie in dem letzten Falle so sind es auch in den folgenden gram-
matische Erwägungen, von denen die Entscheidung abhängt. Sie be-
treffen die sog. Attraktion oder Kasusangleichung des Relativs
Textkritisches zur Naturalis Historia des Plinius 25
an das im Hauptsatze unterdrückte Demonstrativ. Diese Erscheinung
hat Richard Förster im 27. Supplementband der Jahrbb. f. klass. Philol.
(1900) S. 170-194 mit gewohnter Gründlichkeit und scharfer Beob-
achtung durch die römische Literatur verfolgt und einleuchtend nach-
gewiesen, wie sie, nicht dem Griechischen nachgeahmt, sondern „auf
dem Boden der lateinischen Sprache selbständig erwachsen", sich aus
der Umgangssprache entwickelt und zuerst bei Plinius in gewissen
stehenden Ausdrücken eine häufige, aber eng umgrenzte Anwendung
gefunden hat. Den Anfang machen solche Fälle, die vermöge einer
Ellipse nur den Schein einer Kasusangleichung erwecken, da das Re-
lativ ohnehin in dem gleichen Kasus stehen müßte wie das zu denkende
Demonstrativ und zu dem Verbum der Gedanke des Hauptsatzes im
Infinitiv zu ergänzen ist, wie 18, 125 severe eos (passiolos) qua velis
terra licet = ea terra qua serere eos velis oder 3, 2 locorum nuda
nomina et quanta dabitur brevitate ponentur = tanta brevitate quanta
poni ea dabitur, und diese Redeweise wird in den bei Plinius überaus
zahlreichen Verweisungen nach rückwärts oder vorwärts zunächst bei
der Passivkonstruktion derVerba des Sagens zu der festen Formel
quo dictum est (dicetur) modo oder mit mannigfachem Wechsel der
Substantiva ratione, ordine, numero u. a. Von dieser Art führt Förster
S. 175 ff. 13 Beispiele an; hinzukommen noch 34, 2 vena quo dictum
est modo foditur und 18, 28 ut solum sua virtute valeat qua dictum
est positione. Wird dann nach Analogie von 19, 48 radix . . . concidi-
tur ad quem dictum est usum aktivisch gesagt 2, 61 (stellae) ve-
spere exoriuntur usque ad quos diximus terminos, so ist damit, dem
Redenden wohl unbewußt, der letzte Schritt getan zu dem Gebrauch,
der in manchen Fällen schon eine wirkliche Kasusangleichung aufweist.
Elliptisch lassen sich z. B. noch erklären 22, 101 laser e silphio pro-
fluens quo (id profluere) diximus modo oder 18, 314 napos serere
quibus (seri eos) diximus diebus, weil die Stellen 19, 45 und 18, 131,
auf die verwiesen wird, jene Angaben wirklich enthalten; dagegen
kann 12, 102 longe optimam (esse myrobalanum) Petraeam ex quo
diximus oppido nur als „ex oppido quod diximus" gedeutet werden,
denn weder 6, 144 ff. noch 5,87.89 ist bei Erwähnung der Stadt
Petra von jenem Baum die Rede gewesen. Im ganzen sind es 16 Fälle
dieser Art, die Förster S. 176 nachgewiesen hat, und allen ist als feste
Norm gemeinsam, daß 1. nur diximus (dicemus) oder ein sinnver-
wandtes Verbum (retulimus und 3, 150 distinximus) und zwar aus-
26 Karl Mayhoff
schließlich in der 1. Person des Plurals gebraucht werden, 2. nur der
Ablativ des Relativs steht und 3. der Relativsatz mit Wegfall des De-
monstrativs dem Nomen vorangestellt, also beim Hinzutreten einer
Präposition von dieser und dem Nomen eingeschlossen wird (s. Förster
S. 181). Diese Vorbemerkungen waren nötig zur Beurteilung der fol-
genden Textstellen.
Zu Anfang des 17. B. wird ein Streit zwischen dem Redner Crassus
und Domitius erzählt, bei dem sich herausstellt, daß dieser einen un-
geheuren Preis für das mit Marmor geschmückte Haus des Crassus
nur wegen der sechs alten Lotosbäume des Gartens geboten hatte.
Eingeleitet wird die Erzählung mit dem Satze 17, 1: mirari succurrit
qua retulimus penuria pro indiviso possessas (arbores) a feris,
depugnante cum his homine circa caducos fructus, circa pendentes
vero et cum alitibus, in tanta deliciarum pretia venisse. Der Relativ-
satz entspricht der obigen Norm, aber das Verständnis des Ganzen
begegnet einigen Schwierigkeiten, welche die ersten Herausgeber ver-
anlaßt haben, den Text mehrfach zu ändern; nach dem Vorgange
Hardouins, der jedoch noch possessa schrieb, hat erst Brotier (1779)
die hsl. Überlieferung unverändert wiedergegeben. Ich habe mich
durch Hardouin und die Überschätzung von D2 verleiten lassen, in
meiner Ausgabe (1892) quae und possessa zu schreiben.
Es gilt festzustellen, worin die penuria besteht und mit welchem
Satzgliede die Bestimmung qua retulimus penuria sich sinngemäß ver-
bindet. Ein Mangel an Bäumen oder Baumfrüchten kann nicht gemeint
sein, denn verbinden wir den Relativsatz mit possessas a feris, so
steht dem entgegen, daß die Tiere, wenigstens die Vögel, zu allen
Zeiten, nicht bloß „in Zeiten des Mangels", zu den Früchten freien Zu-
tritt haben; verbinden wir ihn aber mit venisse in tanta pretia, so
fehlt jeder Grund zur Verwunderung: im Gegenteil, gerade der Man-
gel, die Seltenheit der Bäume würde die natürliche Ursache der hohen
Preise sein. Wo hat denn aber Plinius früher von der penuria ge-
sprochen? Seit Hardouin1) verweist man auf 16, 1, wo bemerkt wird,
daß die durch Menschenkunst veredelten Fruchtbäume auch den wil-
1) Hardouin verschiebt den Gedanken in der erklärenden Umschrei-
bung: „mirari subit ea quae ab feris hominibusque pariter et ex aequo
possidentur, ut ante retulimus, h. e. arborum fructus, perinde ac si
annonae penuria communicare alimenta cum feris homines cogat, tantis
olim veniisse pretiis, in tantis fuisse deliciis."
Textkritisches zur Naturalis Historia des Plinius 27
den Tieren und Vögeln zugute kämen (id munus etiam feris volucri-
busque dedimus) und daß die „glandiferae arbores" der Wälder pri-
mae victum mortalium aluerunt, was schon 7, 191 Ceres frumenta
invenit, cum antea glande vescerentur gesagt worden ist und 16, 15
glande opes nunc quoque multarum gentium . . . constant wiederholt
wird. Überall ist hier eine „penuria" nur versteckt angedeutet, deut-
licher wird sie dagegen in der Einleitung zum 12. Buche bezeichnet,
mit dem überhaupt die Schilderung der Bäume beginnt, und hier
stehen § 1 und 2 die am Schluß in Sinn und Ausdruck überraschend
ähnlichen Sätze: diu fuere occulta eius (naturae rerum) beneficia,
summumque munus fiomini datum arbores sitvaeque intellege-
bantur. hinc primum alimenta, harum fronde mollior specus ... quo
magis ac magis admirari subit his a principiis caedi montes
in marmora, vestes ad Seras peti . . . quam ob rem sequi par est
ordinem vitae et arbores ante alia dicere ac moribus primordia
ingerere nostris. Dies wird die Stelle sein, auf die retulimus zurück-
weist, und gemeint ist danach penuria alimentorum als Kennzeichen der
primordia, des kulturlosen Urzustandes der Menschheit, der in Kon-
trast gesetzt wird mit dem in kostbarem Marmor, seidenen Gewän-
dern usw. schwelgenden Luxus der späteren Zeit. Die penuria ist der
Ausgangspunkt (principia) der Kulturentwickelung (ordo vitae); von
da aus ist diese zu dem Überfluß gelangt, der den Übermut des Luxus
erzeugt hat. Derselbe Kontrast kommt auch 17, 1 zum Ausdruck; was
hier die Verwunderung hervorruft, ist dies, daß seit jener Dürftigkeit
des Urzustandes, da die Bäume noch summum munus naturae waren,
ihr Wert in einer Zeit des Wohllebens und der Üppigkeit nicht, wie
man erwarten sollte, gefallen, sondern bis zu Luxuspreisen gestiegen
ist, obwohl sie im Gemeinbesitz der Tiere sind und der Mensch um
ihre Früchte sich mit diesen streiten muß. So hat auch Littre1) mit
richtiger Einsicht übersetzt „apres la penurie primitive". Aber diesen
Gedanken drückt der bloße Ablativ qua ... penuria nicht aus; zu
völliger Klarheit ist die Präposition a unentbehrlich, die den Aus-
gangspunkt und zugleich den räumlichen oder zeitlichen Abstand und
1) Die freie, aber den Sinn treffend und klar wiedergebende Übersetzung
Littre's lautet: „j'exprimerai mon etonnement qu'apres la penurie primitive
que j'ai decrite, oü la foret appartenait en commun aux betes fauves, et oü
l'homme disputait aux quadrupedes les fruits tombes, aux oiseaux les fruits
pendants, le luxe ait attache aux arbres un prix si exorbitant."
28 Karl Mayhoff
die Verschiedenheit bezeichnet: mirari succurrit (a) qua retulimus
penuria (arbores) . . . in tanta deliciarum pretia venisse. Genau so
heißt es oben 12, 2 his a principiis caedi montes in marmora, so
auch 35, 101 a quibus initiis ad arcem ostentationis opera (Proto-
genis) pervenissent, 37, 2 a quibus initiis in tantum admiratio haec
(gemmarum) exarserit (wo a erst durch den Bamberg. B in den Text
gekommen ist), 34, 165 (plumbum) a pari locatione pervenit ad HS
CCCC vectigalis, 2, 239 cum ignis minimis crescat a scintillis (wo
auch a in mehreren Hss ausgefallen ist), 26, 20 haec est omni in re
animorum condicio, ut a necessariis orsa primo cuncta pervenerint
ad nimium (wo a wegen orsa nicht einmal nötig war; vgl. ebenda zu
Anfang saluberrimis orsam initiis und 37, 3 his initiis coepit aucto-
ritas gemmarum).
An einer zweiten Stelle 18, 332 liegt die Schwierigkeit darin, daß
eine vermeintliche Attraktion des Relativs gegen die von Plinius durch-
gängig befolgte Norm mehrfach verstößt. Vorhergeht § 326—328. 331
eine Anweisung, wie der ungelehrte Landmann, um zu erkennen, aus
welcher Himmelsrichtung der Wind weht, auf seinem Acker sich selbst
eine Windrose herstellen kann, indem er um die Mittagsstunde, wo
die Sonne den kleinsten Schatten wirft, Süden und Norden feststellt,
dann in einem Kreise auf dem Erdboden einen cardo von N nach S,
einem decumanus von 0 nach W und dazwischen zwei schräge
Linien von NO nach SW und von NW nach SO zieht. Noch zweck-
mäßiger sei es, auf einer hölzernen Scheibe diese Richtlinien zu stetem
Gebrauch festzulegen: quae ratio semel in quoque agro ineunda erit
vel, si saepius libeat uti, e ligno facienda, regulis paribus in tympa-
num exiguum sed circinatum adactis. ratione qua doceo occurren-
dum ingeniis quoque inperitorum est. meridiem excuti placet, quo-
niam semper idem est usw. Wegen der Stellung des Relativsatzes und
des Singularis des Verbums doceo sind auch Förster diese Worte an-
stößig erschienen, und er hält im Falle der Echtheit nur die Erklärung
durch Ellipse für zulässig (S. 181). Aber kann man ergänzend erklären
ratio qua doceo (hanc rationem ineundam vel e ligno faciendam esse)?
Erträglich wäre doch nur ratione quam doceo zu denken, und wie
hier die Sätze aufeinander folgen (quae ratio . . . ratione qua), würde
selbst eine an sich schon gewagte Umstellung: qua doceo ratione,
bei der die Kasusangleichung möglich wäre, keinen Beifall verdienen.
Ich hatte daher in meiner Ausgabe mit Verwandlung von est (e) in
Textkritisches zur Naturalis Historia des Plinius 29
esse{ee) und veränderter Interpunktion geschrieben: ratione qua doceo
occurrendum . . . esse, meridiem excuti placet, und Förster hat dies,
wenn auch zweifelnd, doch „sehr ansprechend" gefunden. Wieder-
holte Betrachtung der Stelle hat mir aber gezeigt, daß damit nicht
geholfen ist. Der Schaden sitzt tiefer und hat weiter um sich gegrif-
fen. Mit Rücksicht auf die schon § 326 begonnene Auseinandersetzung
hätte Plinius sicherlich weder doceo noch docemus, sondern docuimus1)
gesagt. Und ferner: selbst wenn succurrendum dastände und ingenia
ohne Beiwort die schwachen Begabungen bedeuten könnte"), was bei
Plinius nie der Fall ist, so müßte man verwundert fragen: Also wäre
das Hilfsmittel „auch" für die Unerfahrenen bestimmt? Für wen denn
sonst, wenn nicht für diese? Die „periti" bedürfen dessen doch nicht.
Aber im Text steht occurrendum, und das bedeutet bei Plinius nie-
mals „entgegenkommen" im Sinne des Helfens, sondern „entgegen-
wirken, vorbeugen, verhindern", und da der hölzernen Orientierungs-
scheibe nachgerühmt wird, daß sie dauerhaft sei und nicht jedesmal
erneuert zu werden brauche, so liegt es nahe, noch an einen anderen
Vorzug zu denken, der sie vor der vergänglichen Zeichnung auf dem
Erdboden auszeichnet: sie kann nicht von Unkundigen aus Unacht-
samkeit zertreten oder sonstwie unbrauchbar gemacht werden. Da-
her wird das unpassende ingenüs durch den Begriff der Beschädi-
gung, d. h. iniuriis, zu ersetzen sein, wobei zugleich quoque seine
1) Unter den mehr als 700 Verweisungen in der Nat. hist. habe ich 17
docuimus und 11 docebimus gezählt. Ihnen steht der einzige Singular 24,65
cum docuerim gegenüber im Anschluß an einen Hauptsatz, in welchem Pli-
nius mit dubito an seine persönliche Meinung hervorhebt. Ebenso finde ich
unter den Hunderten von diximus und dicemus nur 24, 149 ein dixi mit Be-
ziehung auf die kurz vorhergegangene Stelle § 142, die eine mit si modo
est nur zweifelnd ausgesprochene Vermutung des Autors enthält, und bei
dem einen dicam, das 33, 117 im voraus auf 35,33 verweist, handelt es sich
um eine Unterscheidung der eigenen Ansicht von einer anderen (voluere in-
tellegi quidam). Auch das vereinzelte exposui (30, 12) bezieht sich nicht auf
einen bloßen Bericht von Tatsachen, sondern auf selbsterdachte Beweisgründe
(argumenta quae priore volumine [28, 17] exposui). Überall wird das Sub-
jektive des Zitierten betont.
2) So übersetzt Külb: „Nach meiner Lehrweise muß ich auch dem
Fassungsvermögen der Unerfahrenen zu Hilfe kommen". Littre sucht
sich anders zu helfen: „Dans le procede que j'enseigne, il faut prevenir
une erreur que des gens ignorants pourraient commettre: ce qu'il faut
verifier, c'est le midi qui est toujours le meme."
30 Karl Mayhoff
richtige Stellung bekommt: occurrendum iniuriis quoque inperitorum
est Der Begriff des Vorzuges aber oder der auszeichnenden Eigen-
schaft muß in dem Vorhergehenden enthalten sein und bietet sich un-
gesucht in qua dote dar, dessen Verfälschung zu qua doceo durch
Hinzunahme des folgenden o die weitere Folge gehabt hat, daß zur
Erklärung das Glossem ratione an den Rand oder über die Zeile ge-
schrieben wurde und so in den Text eindrang. Erst wenn wir lesen:
quae ratio semel in quoque agro . . . adactis, qua dote occurrendum
. . . est. meridiem excuti placet usw. schließen sich die beiden Sätze
angemessen aneinander, während das so ungeschickt wie unnötig
wiederholte ratione sie ganz ohne Verknüpfung läßt. Der nächste Ge-
danke, der auch mit meridiem autem hätte eingeführt werden können,
steht dann asyndetisch als nachträgliche Erläuterung für sich da. Das
Wort dos im obigen Sinne kann man fast ein Lieblingswort des Pli-
nius nennen: unter den mir bekannten 24 Stellen sind nur drei mit
der eigentlichen Bedeutung der Mitgift einer Frau (16, 141. 34, 36.
14, 90); in fünf anderen tritt der schon erweiterte Begriff einer Gabe
deutlich hervor (22, 1. 21, 87. 18, 144. 12, 42. 9, 109), in den übrigen
aber herrscht nur noch der einer auszeichnenden, besonderen Eigen-
schaft. Viermal erscheint es mit dem Beiwort praecipua (8, 134. 13,
44.96. 16, 176), und verbunden mit medica 32,46 und septica 34, 177
unterscheidet sich dos dem Sinne nach kaum noch von dem sonst
gebrauchten vis. Alle Belege hier auszuschreiben macht die eine Stelle
überflüssig, in der wir die Ausdrücke, die uns soeben beschäftigt
haben, in merkwürdiger Vereinigung wiederfinden: 17,203 utpote cum
arbusti ratio hac peculiari dote praestet, quod ab eodem solo
ferri fruges et vitibus prodest, superque quod vindicans se altitudo
non, ut in vinea, ad arcendas animalium iniurias pariete vel saepe
vel fossarum utique inpendio muniri se cogit. Hier wird an dem „Ver-
fahren", den Weinstock an Bäumen zu ziehen, der „besondere Vor-
zug" gerühmt, daß es die Fruchtbarkeit des Weinstocks vermehrt und
schon durch die Höhe, die sich selbst schützt, „Beschädigungen" durch
Tiere fernhält.
Es ist noch eine andere, von Förster nicht behandelte Stelle übrig,
die sich der Plinianischen Norm nicht fügt. Mit Beziehung auf 10, 40,
wo von den Spechten berichtet wird, daß adactos cavernis eorum a
pastore cuneos admota quadam ab iis herba elabi creditur vulgo,
heißt es 25, 14: dixit Democritus . . . esse herbam, cuius contactu in-
Textkritisches zur Naturalis Historia des Plinius 31
latae ab alite, qua retulimus, exiliret cuneus a pastoribus arbori
adactus. Das qua kann Plinius aus seiner Quelle hier nicht entnom-
men haben; die Rückverweisung stammt aus seiner eigenen Feder,
diese aber ließe die Wortstellung a qua retulimus alite auch in der
elliptischen Redeform erwarten, mit der Joh. Müller (Wochenschr. f.
klass. Philol. 1897 S. 798) durch die Umschreibung ab alite (a) qua
(inferri herbam) retulimus den Ablativ zu schützen sucht. Doch ver-
wiesen wird hier nicht eigentlich auf inferri herbam, sondern entweder
auf den ganzen Vorgang, der schon 10, 40 vollständig und fast mit
denselben Worten berichtet ist, oder auf den hier nicht mitgenannten
Namen des Vogels. In beiden Fällen würde ut oder sicut retulimus
passend sein, wie 16, 14. 21, 120. 29, 6. 36, 104. 9, 57. 30, 123, im
zweiten quam diximus oder appellavimus. Die Herausgeber haben
alle außer Detlefsen quam retulimus korrigiert — der entscheidende
Strich über dem a ist ja auch in hundert anderen Fällen übersehen
worden — , vielleicht bestimmt durch das wenige Zeilen nachher § 16
folgende sicut Uli (herbae), quam retulimus in frugum cura sci-
musque defossam in angulis segetis praestare, ne qua ales intret.
Dieses Beispiel ist allerdings insofern nicht völlig gleich, als hier re-
tulimus scimusque eng verbunden zu sein und quam zu defossam . . .
praestare zu gehören scheint, denn 18, 160, worauf verwiesen wird,
folgen auf sturnorum passerumve agmina scio abigi herba dieselben
Worte wie dort auf scimusque. An allen anderen Stellen verbindet
Plinius referre mit dem Akkusativ nur, wenn Tatsachen, Handlungen
oder Zustände und Eigenschaften Objekt sind; bei lebenden Wesen
oder konkreten Gegenständen setzt er die in jedem Falle passende
Präposition de, wie 15, 91 de pistaciis in suo loco retulimus. Darum
habe ich auch, da de nach te leicht hat ausfallen können, in meiner
Ausgabe vermutet ab alite (dey qua retulimus. Was Plinius selbst
geschrieben, muß wohl dahingestellt bleiben. Wäre es wirklich qua,
so bliebe dies bei ihm das einzige Beispiel für eine Ausdrucksweise,
die, obwohl nicht unerhört in der Literatur, die er vorfand, doch mit
Absicht, wie man annehmen muß, von ihm sonst vermieden worden ist.
DER ÄLTESTE STUNDENPLAN
DER NIKOLAISCHULE VOM JAHRE 1574
VON OTTO KAEMMEL
Wenn die Schulordnungen alter Lateinschulen sagen, wie es sein
soll, so zeigen Stundenpläne, wie es wirklich gewesen ist. Nur sind
solche in älterer Zeit verhältnismäßig selten, denn sie wurden nur bei
besonderen Veranlassungen aktenkundig, vor allem bei einer der häu-
figen allgemeinen oder lokalen Kirchen- und Schulvisitationen. Da das
evangelisch-lutherische Kursachsen in der zweiten Hälfte des 16. Jahr-
hunderts und noch später das klassische Land dieser Visitationen ist,
so verdanken wir einer solchen auch den ältesten uns erhaltenen Stun-
denplan der Nikolaischule aus dem Jahre 1574. Die Visitation betraf
die Superintendentur Leipzig und wurde von Dr. Heinrich Salmuth,
dem Superintendenten von Leipzig, und Cäsar von Breitenbach zu
Roschwitz als kurfürstlichen Bevollmächtigten im September jenes Jahres
vorgenommen. Ihre Akten liegen uns in einem umfänglichen Faszikel
des Königlichen Hauptstaatsarchivs zu Dresden vor.1)
Allerdings gibt es für die Visitation in der Stadt keine Protokolle,
denn der Rat reichte nur „ein General Vorzeichnis der Kirchen- vnnd
Schueldiner besoldung samt einem Extract vber 1600 fl. hierzu ver-
ordnetes jherliches Einkommens" ein, wobei sich die Visitatoren auch
zunächst beruhigten, und erst am 16. September die verlangten An-
gaben über Kirchengüter, Hospitalien, Stiftungen, Stipendien usf. Da-
1) Registratur der Visitation, so vff empfangenen Churfürstlichen bevelch
durch Hern Heinricum Salmuth Doctorn, Pfarrhern vndt Superintendenten
zu Leiptzigk, vndt Caesarn von Breitenbach zu Roßschwitz, in der Superin-
tendentz Leiptzigk gehaltenn vndt angefangenn den 2. Septembris, Anno 1574,
Loc. 2002 des H. St. A. - Heinrich Salmuth aus Schweinfurt, an der Univer-
sität Leipzig inskribiert W. 1537, Bavarus, baccalaureus art. S. 1541, magister
W. 1545, baccal. theol. 1549, licentiatus 1553, dr theol. 1558, Dekan 1567
und 1573, Matrikel der Universität Leipzig hrsg. v. G. Erler III, 731.
PA Mayhoff , Karl
6616 Tex+kritisches zur
M38 Naturalis historia des Plinius
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